Cassiodor und die Politik seiner Zeit 3774920443, 9783774920446

Der Jubiläen gibt es genug. Trotzdem sei daran erinnert, daß sich das Geburtsjahr des Titelhelden der vorliegenden Arbei

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German Pages 210 [214] Year 1983

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Table of contents :
I. CASSIODOR IM LICHTE DER FORSCHUNG 1
Tafel I: Zeittafel zu Leben und Laufbahn Cassiodors nach der communis opinio 12
II. CASSIODOR UND JORDANES 21
III. DIE LITERARISCHE PROBLEMATIK DER VARIAE 41
Tafel II: Die Gliederung der Variae nach Regierungszeiten der Ostgotenkönige und Amtszeiten Cassiodors 48
IV. DIE CHRONOLOGIE DER VARIAE 50
1. Buch I-V 50
Tafel III: Zeittafel zu Cassiodors Variensammlung (Buch I-V) 72
Exkurs I: Zum 'Anecdoton Holderi' 78
Anhang zu Exkurs I: Text des 'Anecdoton Holderi' nach der Ausgabe von Hermann Usener 84
2. Buch VIII-XII 85
Tafel IV: Zeittafel zu Cassiodors Variensammlung (Buch VIII-XII) 102
V. DIE GESTALTUNGSPRINZIPIEN DER VARIAE 107
VI. CASSIODORS VERHÄLTNIS ZU DEN AMALERHERRSCHERN 118
Exkurs II: Zur Bildung der Amaler 142
VII. CASSIODOR UND AMALASUNTHA 161
VIII. WERKE UND WIRKEN 185
Literatur:
1. Quellen 191
2. Sekundärliteratur 194
Index personarum saec. V/VI 200
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Cassiodor und die Politik seiner Zeit
 3774920443, 9783774920446

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HABELTS DISSERTATION SDRUCKE REIHE ALTE G E SCH ICH TE

Herausgegeben von

Hatto Schmitt, Johannes Straub und Gerhard Wirth

Heft 17

DR. R U D O L F H A B E L T G M B H 1983

· BONN

C A SSIO D O R U N D DIE PO LITIK SEIN ER ZEIT

von ST EFA N K R A U T SC H IC K

DR. R U D O L F H A B E L T G M B H · B O N N 1983

Gedruckt mit Genehmigung des Fachbereichs Geschichtswissenschaften der Freien Universität Berlin Fachbereichssprecher: Professor Dr. Hartmut Galsterer Referent: Professor Dr. Alexander Demandt Korreferent: Professor Dr. Hartmut Galsterer Tag der mündlichen Prüfung: 28. Januar 1983

C IP-K urztitelaufnahm e der Deutschen Bibliothek

,

Krautschick Stefan:

Cassiodor und die Politik seiner Zeit / von Stefan Krautschick. - Bonn : Habelt, 1983 (Habelts Dissertationsdrucke : Reihe Alte Geschichte ; H. 17) ISBN 3-7749-2044-3 NE: Habelts Dissertationsdrucke / Reihe Alte Geschichte

ISBN 3-7749-2044-3 Copyright 1983 by Rudolf Habelt GmbH

· Bonn

Vorwort Der Jubiläen gibt es genug. Trotzdem sei daran erinnert, daß sich das Geburtsjahr des Titelhelden der vorliegenden Arbeit in diesem neunten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhun­ derts zum eintausendundfünfhundertsten Mal jährt. Nun steht Cassiodor gewiß nicht im Mittelpunkt öffentlichen Interesses. Doch bedarf die Themenwahl keiner Rechtfertigung, mag auch das Interesse an der fraglichen Zeit und den Umständen beim Autor aus der Jugendzeit und der Lektüre von Felix Dahns 'Kampf um Rom' resultieren, dem "Lieblingsbuch weiland Kaiser Wilhelms I.". Nichtsdestoweniger ist zu vermerken, daß eben Cassiodor bisher in deutscher Sprache keiner Monographie für wert erachtet wurde. Aber nicht allein dies, sondern vor allen Dingen auch die Problematik der Zeitenwende von der Spätantike zum Frühmittelalter bestimmte die Beschäftigung mit einem Mann, der seit anderthalb Jahrtausenden inmitten der Auseinandersetzlingen des Zusammenbruchs der römischen Kultur und um die historische Periodenbildung steht. Mein ganz persönlicher Dank gilt den Herren Prof. Dr. D. Claude, Marburg, Prof. Dr. M. Clauss, jetzt Gießen, und Roger Laslier, Conservateur de Bibliothèque Municipale de Reims, für ihre auch nur der Äußerung einer Bitte zuvor kommende Hilfsbereitschaft. Nicht genug danken kann ich meinem 'Doktorvater' Prof. Dr. Alexander Demandt für seinen jederzeit ermutigenden Zuspruch und den Herausgebern für die Aufnahme meiner Dissertation in "Habelts Dissertationsdrucke, Reihe Alte Geschichte". SK. Offenbach, im Frühjahr 1983

- VII

Inhalt I

CASSIODOR IM LICHTE DER FORSCHUNG

1

Tafel Is Zeittafel zu Leben und Laufbahn Cassiodors nach der communis opinio

12

II

CASSIODOR UND JORDANES

21

III

DIE LITERARISCHE PROBLEMATIK DER VARIAE

41

Tafel IIs Die Gliederung der Variae nach Regierungszeiten der Ostgotenkönige und Amtszeiten Cassiodors

48

DIE CHRONOLOGIE DER VARIAE 1. Buch I - V

5o 5o

IV

Tafel Ills Zeittafel zu Cassiodors Variensammlung (Buch I-V)

72

Exkurs Is Zum 'Anecdoton Holderi'

?8

Anhang zu Exkurs Is Text des ’Anecdoton Holderi' nach der Ausgabe von Hermann Usener 84 2. Buch VIII - XII Tafel IVs Zeittafel zu Cassiodors Variensammlung (Buch VIII-XII) V VI

VII

DIE GESTALTUNGSPRINZIPIEN DER VARIAE

85 lo2 lo7

CASSIODORS VERHÄLTNIS ZU DEN AMALERHERRSCHERN

118

Exkurs 11$ Zur Bildung der Amaler

142

CASSIODOR UND AMALASUNTHA

l6l

VIII WERKE UND WIRKEN

185

Literaturs 1. Quellen 2 . Sekundärliteratur

191 194

Index personarum saec. V/VI

2oo

1

I CASSIODOR IM LICHTE DER FORSCHUNG Nicht zuletzt Cassiodors eigene Beiträge rücken Italien in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts in das helle Licht der Geschichte. Auf ihn selbst aber fällt ein merk­ würdiger Schatten, der nur hin und wieder von einzelnen Lichtstrahlen durchbrochen wird. Deren Quelle ist zum größ­ ten Teil wiederum Cassiodor selbst, während ihn alle seine überlieferten schriftstellernden Zeitgenossen vollkommen im Dunkeln stehen lassen, obwohl er jahrelang in vorderster Linie der Politik stand. Ennodius, Boethius, Prokop und der Anonymus Valesianus nennen Cassiodor nicht. Cassiodor hin­ gegen stellt sein Licht wahrlich nicht unter den Scheffel# Licht und Schatten wechseln aber auch in der Beurteilung Cassiodors in der modernen Geschichtswissenschaft. Gerade in der Einschätzung, ob Cassiodor oder Theoderich der Vor­ rang einzuräumen ist, rufen die divergierenden Meinungen extreme Äußerungen hervor: Für Fedor Schneider ist er "der große Cassiodor", "einer der besten Köpfe, die er (i.e. der römische Adel) je hervorgebracht hat", und "der letzte wahre Staatsmann der R ö m e r " u n d :

"Alle die emphatischen Worte

des Lobes und Preises, die vierzehn Jahrhunderte dem poli­ tischen Talent Theoderichs 'des Großen' ... freigebig ge2) spendet haben, gehören von Rechts wegen dem Cassiodor." Hingegen bezeichnet ihn Ludwig Traube als "Handlanger im eigentlichsten Sinne" und "unsicheren Phrasenheld"-^ und ;- ·

Ludo Moritz Hartmann sieht m

ij. )

ihm "nichts als ein Werkzeug"

1) F. Schneider, Rom und Romgedanke im Mittelalter, München 1926, iJ-3 2 ) ebda., 86 3) L. Traube, Vorlesungen und Abhandlungen, Bd. I, hrg. v. F. Boll/P. Lehmann, München 19o9 (Nachdruck 1965). I06/I 28 4) L.M. Hartmann, Art. Cassiodorus k), in: RE III,2, 16?2; ähnlich: J.J. O'Donnell, Cassiodorus, Berkeley 1979, 60 : "a valuable tool".

.1

- 2 In der negativen Einschätzung Cassiodors sind hier die Schüler ihrem Meister, in diesem Fall Theodor Mommsen, ge­ folgt. Der große alte Mann der deutschen Geschichtswissen­ schaft hat in seinen Vorworten zu den Ausgaben der Werke Cassiodors das Verdikt über ihn ausgesprochen: Er spricht von "Schaumschlägerei", von "Feigheit und Verschlagenheit" und von den Variae als einem "Lehrbuch der Kriecherei".·^ Mommsens vernichtende Kritik entzündet sich an einigen Nach­ lässigkeiten Cassiodors, der in seine Chronik aus der des hlg. Hieronymus einen Nebensatz wörtlich übernimmt, aus dem zu entnehmen wäre, daß sich Cassiodor, ebenso wie Hieronymus, zur Zeit der Abfassung in Jerusalem aufgehalten hat. Aus den ihm im Ablativ überlieferten Namen zweier Konsuln des gleichen Namens: "duobus Silanis” macht er die Nominative: "Duo et Silani" und will einmal zwei Schriftsteller nennen, die über die Kunst des Wasserfindens gehandelt haben; aber ihm ist zwar der Name des lateinischen Autors geläufig, wogegen der des griechischen - wie Cassiodor in seinen Variae oft Daten, Orts- und Personennamen durch ein allgemeineres Pronomen er­ setzt - einfach mit "ille" wiedergegeben wird, was Mommsen 2) Anlaß zu kräftigen Worten gibt. 1 Zweifellos wird man dem Politiker Cassiodor mit solchen, moralischen Urteilen ent­ flossenen Auslassungen nicht gerecht; andererseits geht auch das Urteil Schneiders zu weit. Im übrigen stehen die genannten Autoren mit solch krassen Worten ziemlich allein; insbesondere in der nicht deutsch­ sprachigen historischen Literatur findet sich im allgemeinen ein insgesamt positives Bild der Person Cassiodor. Es über­ wiegen die lichten die schattigen Seiten von Cassiodors Charakter; einerseits sagt man ihm einen gewissen politi­ schen Opportunismus nach, andererseits macht man aus ihm einen Kulturheros. In die Waagschale wirft man Cassiodors1 2 1) vgl. F. Milkau, Zu Cassiodor, in: Von Büchern und Bibliotheken, Festschrift E. Kuhnert, hrg. v. G. Abb, Berlin 1928, 26 ff. 2) s. Mommsens erste Ausgabe von Cassiodors Chronik, in: Abhandlungen der Königlichen Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 3/1861, 563 ff· (Cassiodor in Jerusalem !), 555 ff· ("plump und gewissenlos"), 639 (ad a. 189: Duo et Silani: ad a. 212: Duo et Aspri; vgl. die zweite Chronik­ ausgabe, in: MGH AA XI, Chron. min. II 189^, 112) und die Varienausgabe, in: MGH AA XII, XXIII f. (Var. III 53Λ)·

- 3 Verstrickungen in den politischen Alltag, also die an­ scheinend bedenkenlose Übernahme des Amtes des kurz zuvor abgesetzten und bald darauf hingerichteten Boethius - eines anderen Kulturhelden der Spätantike - und das Verbleiben im Amt unter Theodahad nach dem Mord an Amalasuntha, der Gönne­ rin Cassiodors; den Ausschlag gibt aber sein nie angezweifeltes Eintreten für den römisch-germanischen Synthesege­ danken in Nachfolge Theoderichs und die ihm großenteils zu­ geschriebene Rettung der antiken Literatur.^-' Dies alles mag noch angehen, schließlich bleibt es bei einer persön­ lichen Bewertung, mögen sich auch vor allem Historiker re­ ligiöser Provenienz - unter diesen viele Benediktinerpatres um diesen Klostergründer und seine Aufnahme unter die Kirchen­ väter bemühen. Es ist aber untunlich, bei der Beurteilung der Persönlichkeit Cassiodors vor allem seine spätere Tätigkeit 2) als Mönch oder Klostergründer zu berücksichtigen ; das hieße, die politische Tätigkeit Cassiodors auf seine persönlichen Entscheidungen und Ambitionen zu reduzieren. Überhaupt scheinen meine beiden Vorgänger, die bei gleicher Gelegen­ heit das gleiche Thema in demselben zeitlichen Rahmen be­ handelten, den Verlockungen des biographischen Genres er­ legen zu sein, dem Titelhelden zuviel Anteil an der Anregung großer Gedanken zuzubilligen. "Denn dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wiek)

der nach außen abgespiegelt." 7 1) vgl. die Wandlung eines populäreren Cassiodor-Bildes als Spiegel der Forschung innerhalb von 5o Jahren bei: A. Jäger, Cassiodor,, in: Pharus I8/ 1927 , ^ol ff., u. S. Lilja, Cassio­ dors Bedeutung für das Nachwirken der Antike, in: Logik, Ma­ thematik und Philosophie des Transzendenten, Festschrift U. Saarnio, hrg. v. A. Hakamies, München 1977» 57 ff· 2) so verlangt es J.J. van den Besselaar, Cassiodorus Senator en zijn Variae, Diss., Nijmegen 19^5» 53 3) vgl. ebda., Vorwort, Vf., u. die bewußte Biographie des­ selben Autors: Cassiodorus Senator - Leven en werken ..., Haarlem/Antwerpen 195o, sowie J.J. O ’Donnell, Cassiodorus: Statesman and Historian, Diss., Ann Arbor/Michigan 1975» 7* mit ders., (1979)· k) J.W.v. Goethe, Dichtung und Wahrheit, Erster Teil, Vor­ wort (Weimarer Ausgabe I887 ff., Bd. 26, 7)

Auch der Autor einer wissenschaftlichen Biographie läuft Gefahr, sich zu sehr mit seinem Gegenstand zu identifizieren. Denn dies scheint mit der Grund dafür zu sein, daß sich ver­ schiedene Autoren - mögen sie Goethes Ansprüche auch durch­ aus erfüllen - seihst Wege verlegten, die längst gewiesen waren. Unter anderem aus dieser Erwägung heraus ist es kei­ neswegs die Absicht der vorliegenden Arbeit, eine Biographie vorzulegen, vielmehr scheint es vonnöten, etwas mehr Licht in die politischen Vorgänge der Zeit zu bringen, ohne Glorie und Scheinheiligkeit abzuwägen. Da Cassiodor seinerzeit auf der politischen Bühne nicht nur eine gewichtige Rolle gespielt, sondern zuweilen auch Regieanweisungen gegeben zu haben scheint, wird es die Schritte des Historikers hoffentlich in die richtige Richtung leiten, den von Goethe beschriebe­ nen Weg in der umgekehrten Richtung zu gehen.^ Denn Politik - und wieviel weniger noch die Geschichte - ist kein Einper­ sonenstück. Cassiodor soll also insofern im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, als er politisch agierte und reagierte; Fragen zu seiner Person werden nur insofern gestellt und zu beantworten versucht, als sie für weitergehende Schlußfolge­ rungen von Wert erscheinen. Es ist eine weitverbreitete Ansicht, daß sich Cassiodors Leben in zwei Hälften teilen läßt, deren eine er dem öffent­ lichen, deren andere er dem Dienst an Gott gewidmet hätte und die durch einen markanten Bruch voneinander getrennt wären, den mein mit seiner persönlichen "conversio" gleichzu2) setzen hat. ' Da man diesen persönlichen Wandel für den Übergang vom Altertum zum Mittelalter allgemein als sympto-1 2 1) Goethe will der Biographie teils sogar den Vorrang vor der Historiographie einräumen (vgl. den Entwurf zu seiner Vorrede zum dritten Teil von ’Dichtung und Wahrheit' aus dem Nachlaß: a.a.O., Bd. 28, 358); der Vergleich der Ereignisse um den Un­ tergang des Gotenreiches in Italien mit einem Drama wurde oft gezogen - allerdings häufiger mit einer Tragödie als mit einer Komödie. 2) vgl. die Diskussion um Cassiodors ’conversio’ (z.B. bei A. van de Vyver, Cassiodore et son oeuvre, in: Speculum 6/1931. 253; M.J. Cappuyns, Art. Cassiodore, in: DHGE, Bd. 11 (19^9). 1355 ff· (u. die Kapitelüberschriften) und O'Donnell (1979). 155 ff./13^ ff·) und deren Interpretation als Folge der Ent­ täuschung seiner politischen Hoffnungen (z.B. Besselaar (19^5). k2). Kein Zwielicht, aber einen Zwiespalt im Leben Cassiodors sieht H. Löwe, Cassiodor, in: Romanische Forschungen 6o/l9^8, k21 (mit Verweis auf E. Caspar, Geschichte des Papsttums, Bd. II, Tübingen 1933. 31*0 ·

- 5 matisch erachtet, ^ vergleicht man Cassiodor g e m mit Erasmus 2) von Rotterdam ' oder Dante Alighieri, die auch Zeitenwenden als Personifikationen dienen, und setzt ihm einen Januskopf auf^). Und so hat man - wie für viele andere - auch für ihn das ehrende Epitheton "der letzte Römer" gebraucht, ihn aber i± )

genauso den "ersten mittelalterlichen Menschen" genannt. Ähnlich ist der Vergleich angelegt, der Cassiodor breitbeinig über einem Abgrund stehen läßt,^ der die Antike vom Mittelalter trennen und wohl ein Merkdatum symbolisieren soll. Be­ kannt ist die Problematik der Epochengrenzen und Periodenbil­ dung, insbesondere in der Diskussion um Spätantike und Früh­ mittelalter, problematischer ist aber noch, den Bruch zwischen zwei Lebenshälften eines Menschen - und es wird sich zeigen, daß er gar nicht so eindeutig ist, geschweige denn aus einem Saulus einen Paulus werden ließ - mit einer Zeitenwende zu identifizieren. Man hat aber Cassiodors politische Karriere eigentlich immer in scharfem Gegensatz zu seiner religiösen gesehen} man sprach ihm fast einhellig jede Verantwortung und jeden Verdienst an politischen Vorgängen und Entscheidungen ab: Sei es, um ihn der Kirche zu retten, sei es, um Theoderich in den Vordergrund zu schieben, oder sei es, um Cassiodor eben dadurch seine Bedeutung abzusprechen. Der Streit ging vor allem um die Frage, ob Theoderich oder Cassiodor der Verdienst an der Versöhnungs- und Synthesepolitik zuzusprechen sei, wie sie sich in den Schreiben der Variae manifestiert. Die Äußerung: "eigene Politik hat er nicht gemacht",^ so und in dieser Ausschließlichkeit, kann keinesfalls aufrecht er-1 1) vgl. z.B. H.-D. Kahl, Der Übergang von der Antike zum Mit­ telalter im Lebensgang des Cassiodorus Senator, in: Nachrichten der Giessener Hochschulgesellschaft 3^/1965# 2^7 ff. 2) Löwe (19*4-8), khZ ff. 3) Schneider (1926), 85; vgl. den Titel von Löwes Aufsatzsammelbandi."Von Cassiodor zu Dante" (1973) 4) Schneider (1926), 85, in einem Satz: "Cassiodor ? Man hat den letzten Römer wie den ersten mittelalterlichen Menschen mit der Laterne gesucht." ... 5) O'Donnell (1975)* 5s "Indeed, no creation of the histori­ cal novelist could better stand a s t r i d e the chasm which separates ancient and medieval worlds as traditionally under­ stood." vgl. P.E. Hübinger, Spätantike und Frühes Mittelalter, Darmstadt 1959 (Nachdruck 1972), 17* die Aufzählung solcher "Grenzsteine", und K.F. Stroheker, Um die Grenze zwischen Anti­ ke und abendländischem Mittelalter, in: Saeculum 1/195o , *4-33 ff* 6) Hartmann, RE III,2, I672

- 6 halten werden - wie sich zeigen wird, auch wenn in dieser Meinung ein weitgehender Konsens zwischen sämtlichen Spiel­ arten der Beurteilung Cassiodors besteht. Gerade nach den zumindest in der Cassiodorforschung epochemachenden Arbeiten von Amaldo Momigliano·*^, die zwar teils Zustimmung, teils Ablehnung in einzelnen Punkten gefunden haben, deren An­ regungen aber noch nicht ausgeschöpft sind, scheint die Frage nach einer eigenständigen Politik Cassiodors drin­ gender denn je. Diese muß aber auf jeden Fall in engem Zu­ sammenhang mit dem politischen Programm Theoderichs einer­ seits und mit dem Untergang des Ostgotenreiches andererseits betrachtet werden. Die politische Tätigkeit Cassiodors und die Bedeutung seiner Werke als Quellen rücken ihn wie von selbst in den Mittelpunkt einer solchen Untersuchung. Wie in anderen Fällen drückt auch hier die Quellenlage dem Vorhaben ihren Stempel auf. So wird es nicht ausbleiben, daß sich Untersuchung und Annahmen nach dem Vorgang der vor­ liegenden Arbeiten über Cassiodor größtenteils um die Frage dieser oder jener chronologischen Reihenfolge, Identifika­ tion oder Einordnung gruppieren. Die zeitliche Unsicherheit beginnt schon dabei, die Daten von Cassiodors öffentlicher, wie religiöser Laufbahn, ja überhaupt die Daten seines Lebens genauer festzulegen, beschränkt sich aber nicht darauf$ vielmehr hängen von diesen Daten die zeitlichen Festlegungen viel wichtigerer Ereignisse ab, die teils sogar den geographischen Rahmen des Ostgotenreiches überschreiten. Aber in der Hauptsache werden einige innenpolitische Ereig­ nisse des ostgotischen Italien nach dem Tod Theoderichs durch die Datierung gewisser mit der Karriere Cassiodors eng zusammenhängender Fragen erst recht verständlich. Deshalb erscheint es angebracht, erst einmal mit der Darlegung des relativ einheitlichen Konsenses der Literatur über die Chronologie - soweit sie Cassiodor selbst betrifft - eine zeitliche Gliederung zu geben, die die Probleme lind Fragen1 1) A. Momigliano, Cassiodorus and Italian Culture of His Time, ins Proceedings of the British Academy ^1/1955» 7^1 f f ·, und ders., Gli Anicii e la storiografia latina del VI secolo D.C., ins Entretiens sur l'antiquité classique IV, Histoire et historiens dans l'antiquité, Genf 1956, 2^9 ff.

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um die Person Cassiodors und die Politik in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts deutlich machen soll (vgl. Taf. I). Wie schon kurz gesagt wurde, gibt es erstaunlich wenig Quellen, die uns Nachrichten oder Daten von Cassiodor überliefern; entsprechend selten sind sichere Zeitangaben: 1. Cassiodor war der Angabe seiner eigenen und anderer Chroniken zufolge der alleinige Konsul des Jahres 51^? er­ gänzt wird dies durch die Notiz des sog. Anecdoton Holderi und einiger Autorenangaben: "consul ordinarius".'*'^ 2. Im Jahre 519 veröffentlichte Cassiodor seine Chronik zu Ehren Eutharichs, der den Konsulat für dieses Jahr ge­ meinsam mit dem Kaiser Justinus innehatte und den Cassiodor in der Praefatio direkt anspricht ; aus demselben Anlaß hielt ' 2) Cassiodor auch einen Panegyricus auf Eutharich. ' 3· Mit den von ihm in seine Briefsammlung aufgenommenen Briefen Var. IX 2^/25 wird Cassiodor für die zwölfte Indik­ tion, d.h. ab dem 1. Sept. 533» zum Praefectus praetorio ß) ernannt.J ' Nach einem Brief des Papstes Vigilius aus Konstantino­ pel befand sich Cassiodor im Jahre 55o in der östlichen k) Hauptstadt. ' Diese vier Punkte reißen die wichtigsten Datierungsfragen an : die Abgrenzung der einzelnen Ämter, die Cassiodor inne­ hatte, die Datierung seiner Werke und die Frage, ob, wann und welche Beziehungen Cassiodor pflegte, um sich für seine politische Konzeption einzusetzen - inwieweit also Cassiodor wann einer politischen Gruppierung zuzurechnen ist.1 1) An. Hold., Z. 2k (bei Usener); vgl. Mommsens erste Chronica-Ausgabe, 551* und A.H.M. Jones/J.R. Martindale u.a., The Prosopography of the Later Roman Empire, Bd. II, Cam­ bridge? I980, 267 . 2) Cass., Chron., Vor- und Nachrede (ad a. 519); vgl. die Panegyrici-Fragmente, ed. L. Traube bei Mommsen, Varienausgabe, ^57 ff., und Cass., Var. IX 25,3» 3) Var. IX 25,12/ zur Indiktionenzeitrechnung bei Cassiodor vgl. Th. Hodgkin, The Letters of Cassiodorus being a con­ densed Translation of the Variae Epistolae of Magnus Aurelius Cassiodorus Senator, London 1886, 123 ff·» u. unten S. 9o f. k) Migne PL 69 , ^9 A-B

- 8 Bei der Festlegung der Amtszeiten Cassiodors hat sich allgemein Mommsens Anschauung durchgesetzt. ^ Da in den ge­ sammelten Briefen der Variae sämtliche dazugehörigen Datums­ angaben fortgelassen sind, ist die zeitliche Einordnung der einzelnen Schreiben zumeist nur den verstreuten Indiktions­ angaben in Ernennungsschreiben oder ähnlichen Schriftstücken 2) zu entnehmen. Danach wäre Cassiodor 5o7- 5 H Quaestor, 523527 Magister officiorum und ab 533 Praefectus praetorio ge­ wesen. Widerspruch haben eigentlich nur Mommsens Datierungen von Cassiodors Eintritt in die Quaestur (5°7) und seinem 2) Austritt aus dem Amt des Praefekten gefunden. ' Letztlich bleibt aber wohl das Jahr 5°7 das richtigere, während man für Cassiodors Rückzug oder Absetzung als Praefectus praeto­ rio bis zur Kapitulation Ravennas im Jahr 5**o jeden Zeit­ punkt offen lassen muß.^ Beamte wurden im Normalfall zum Beginn eines Indiktionsjahres ernannt} so wird man davon ausgehen können, daß der 1. Sept, der erste Tag von Cassio­ dors Amtszeit als Quaestor bzw. nach dieser gewesen ist. Denn hier haben wir keinen Anhaltspunkt dafür, daß es einen Grund zu einem außergewöhnlichen Stellenwechsel gegeben hat. Dieser lag aber vor, als Cassiodor im Jahr 523 den abgesetz­ ten Boethius als Magister officiorum ablöste. Ebenso scheint es nach Theoderichs Tod (30 . Aug. 526 ) im Jahre 527 zum 1. Sept, einen allgemeinen Beamtenwechsel gegeben zu haben, durch den auch Cassiodor sein Amt verlor.^ Wir haben1 1) vgl. Besselaar (19^+5). ** 2) Mommsen, Varienausgabe, X f., und C. Tanzi, Studio sulla cronologia dei libri "Variarum" di Cassiodorio Senatore, ins Archeografo Triestino, N.S., 13 /I 887 (!), 1 ff.· vgl. A.J. Fridh, Intro, zu dessen Varienausgabe, ins CCL SL XCVI, T u m holt 19 73 » VII, und unten Kap. III. 3) vgl. zum Beginn der Quaesturs H. Usener, Anecdoton Holderi, Bonn 1877. 7o; Mommsen, Varienausgabe, Xj J. Sundwall, Abhandlungen zur Geschichte des ausgehenden Römertums, ins Öfversigt af Finska Vetenskaps-sociëtetens förhandlingar 60, 1917 / 18 , Abt. B/2, Helsinki I919 (Nachdruck New York 1975), 15**·; L. Schmidt, Ostgotisches, ins MIÖG **1 / 1926 , 321 f. (vgl. ders., Cassiodor und Theoderich, ins HJ **7/ 19 27 , 725 f., und dazu Vyver (1931), 2**5) und Besselaar (19**5), 2o f.; zum Ende der Praefekturs Usener (I877 ), 7 I; Mommsen, Varienausgabe, XI Sundwall (1919), 155; Vyver (1931), 252 f. , Besselaar (19**5), **2; PLRE II, 267 * ansonsten unten S. Io f. *+) vgl. O'Donnell (1979), 19/31, u. unten S. I 08 5) zum Datum von Theoderichs Tod s. An. Val. 9** f. und Sundwall (1919), 263 f·

- 9 Cassiodors Emennungsbrief zum Praefectus praetorio von seiner eigenen Hand zum 1. Sept. 533"^ ; allerdings sind die auch zeitlich vorhergehenden Briefe (etwa ab Var. IX 15) von Cassiodor namens des minderjährigen Königs Athalarich verfaßt, ohne daß er sich in irgendeiner Amtsstellung be­ fand. In dieser seiner wohl mindestens bis 537/8 währenden Amtszeit vollzog sich der Niedergang des amalischen König­ tums; nach dem Tod Athalarichs (2. Okt. 53*0 wurde - wahr­ scheinlich schon am darauffolgenden Tag - von der bisherigen Regentin und Königinmutter Amalasuntha deren Vetter Theodahad zum Mitregenten erhoben, der sich allerdings schon bald zum Alleinherrscher machte, indem er sie am 3o. April 535 beseitigen ließ, worauf etwa Juni/Juli 535 der Ausbruch des byzantinisch-gotischen Krieges erfolgte. Theodahad selbst wurde Ende Nov. 536 vom gotischen Heer abgesetzt, durch Wittigis ersetzt und kurz darauf ermordet.^ Cassiodor blieb unter den wechselnden Herrschern und gewiß noch während der einjährigen Belagerung Roms·^ im Amt. Von der Festlegung des Beginns von Cassiodors Quaestur hängt auch die seiner Lebensdaten ab. Denn über das Datum seiner Geburt besitzen wir nur zwei mittelbare Nachrichtens Noch als "iuvenis" von seinem Vater während dessen Amtszeit als Praefectus praetorio zum Consiliarius erhoben,^ war Cassiodor bei Eintritt in die Quaestur erst ein "primaevus".^ Da auch die Praefektur von Cassiodor sen. nur sehr vage und in Abhängigkeit vom Amtsantritt seines Sohnes zu datieren1 1) Var. IX 2*K/25)j vgl. oben S. 7 An™· 3 2) Die Daten alle bei Agn., c. 62 (zur Ermordung Amalasunthas vgl. Prok. BG I *4·,13 u. 26 f. und H. Leuthold, Unter­ suchungen zur ostgotischen Geschichte der Jahre 535-537. Diss., Jena 19o8, 26: zur Königswahl des Wittigis u. zur Ermordung Theodahads s.Prok. BG I 11,1 ff. u. E. Stein, Histoire du Bas-Empire, Bd. II, Paris/Brüssei/Amsterdam 19*49» 3*47 Anm. 1, sowie J.B. Bury, History of the Later Roman Empire, Bd. II, Nachdruck: New York 1958 (erstmals 1923), 177 Anm. 3} zum Kriegsausbruch: Prok. BG I 5,1) 3) Anfang (lo.) März 537 - ca. 21. März 538: 0. Korbs, Uner­ suchungen zur ostgotischen Geschichte I, Diss., Jena 191*4, lo7 f·, nach Prok. BG I 2*4,31 u. II lo, 13 (vgl. Lib. pont. LX u. B. Rubin, Prokopios von Kaisareia, Stuttgart 195*4 (= Art., RE XXIII,1, 273 ff·), 168/176). *4) An. Hold. Z. 21 f. (bei Usener) 5) Var. IX 2*4,3

Ιο ist,^ lassen diese Altersangaben alles andere als exakte Schlüsse zu. Vielmehr erlaubt allein der Vergleich mit der Angabe von Var. X 3.1» daß Athalarich ein "primaevus” war, als er s t a r b , e i n e zuverlässigere Ansetzung von Cassiodors Alter beim Antritt der Quaestur. Denn Jordanes gibt Atha­ larich bei seinem Regierungsantritt ein Alter von etwas 3) unter zehn Jahren ' und rechnet richtig acht Jahre Regierungs­ dauer hinzu, so daß man das Alter Athalarichs bei seinem Tod (2. Okt. 53*0 wohl richtig mit 17 Jahren angibt. Mindestens so alt muß auch Cassiodor bei Übernahme der Quaestur gewesen sein: aber man wird kaum ein Alter von mehr als zwanzig k) Jahren annehmen können. ' Das frühestmögliche Todesdatum er­ gibt sich aus der Angabe der Praefatio seines Werkes De Orthographia, daß er dieses im Alter von 93 Jahren schrieb. Von Cassiodors Werken interessieren in dem gegebenen Rahmen nur die Arbeiten politischen und historischen Inhalts - zumal die drei hierzu zu rechnenden Schriften der Zeit seiner politischen Karriere entstammen. Eindeutig ist das Datum seiner Chronik, die anläßlich des Konsulats von Eutharich herausgebracht wurde. Hingegen ist die Datierung der Gotischen Geschichte Cassiodors weitgehend unklar; das früheste datierbare Zeugnis für ihr Vorhandensein ist die Erwähnung im schon mehrfach zitierten Zusammenhang der Er­ nennung Cassiodors zum Praefectus praetorio (Var. IX 25,5)» woraus man allgemein ableitet, daß sie 533 Vorgelegen hat. Die Nennung der Gotischen Geschichte in der Praefatio vor Buch I der Variae scheint auf jeden Pall später zu liegen 1) Da Cassiodor mit Var. I 3 den Emennungsbrief seines Vaters zum Patricius (einem meist kurz nach dem Ausscheiden aus einem Amt verliehenen reinen Ehrentitel) am Anfang sei­ ner Briefsammlung mitteilt (vgl. aber unten S. 52), scheint diese Ehrung kurz nach der Ernennung Cassiodors zum Quaestor - etwa Ende 5o? - erfolgt zu sein. Damit wäre die Amtszeit von Cassiodor sen. als PPO in den Indiktionen vor dem 1. Sept. 5o7 anzusetzen (vgl. Sundwall (1919)* 11?)· 2) Var. VIII 1,3; 2,2 (526) wird Athalarich "adulescens" genannt; vgl. Jord., Get. LIX 3°5 (iuventus und Adulescen­ tia etwa 532 ). 3) Get. LIX 3°*l· ("vix decennem"); die Angabe bei Prok. BG I 2,1 (8 Jahre zu diesem Zeitpunkt) macht ihn nur (!) etwa ein Jahr jünger. Im Jahre 515 hatten Athalarichs Eltern ge­ heiratet (Jord., Get. LVIII 298 ). *+) A. Thorbecke, Cassiodorius Senator, Programm Heidelberg I867 . 3» Mommsen, Varienausgabe, X: vgl. A. Momigliano, Art. Cassiodorus, in: OCD (2. Aufl., 1970 ), 211.

11 und das Anecdoton Holderi, in dem dieses Werk ebenfalls er­ wähnt wird, ist hinsichtlich der zeitlichen Festlegung zu umstritten und nicht genau fixierbar. Auch die Angabe des Anecdoton, daß Cassiodor 'die Gotische Geschichte auf Eefehl oder Anregung des Königs Theoderich schrieb·,^ läßt nur ver­ muten, daß Cassiodor wahrscheinlich vor 526 mit der Nieder­ schrift begonnen hat. Communis opinio ist jedenfalls, daß der Zeitpunkt der Fertigstellung bzw. Herausgabe der Variae kurz vor oder zu einem Teil spätestens kurz nach Cassiodors Ausscheiden aus dem Amt des Praefectus liegt; diesbezüglich beruft man sich allein auf einen Satz in der Vorrede vor Buch I der Variae, der besagt, daß Cassiodor fim sechsten und siebenten Buch die Formulare für alle Würden zusammen­ gefaßt hat, weil er für sich selbst - wenn auch noch so spät (in seiner Amtszeit oder -laufbahn !?) - Vorsorgen und auch seinen Nachfolgern (im Amt des Quaestors ?!), wenn sie ein2) mal unter Zeitdruck stehen, helfen* will . Obwohl sich der Nebensatz nur auf die Bücher VI und VII bezieht und es nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, entnimmt man diesen Worten, daß sich Cassiodor noch im Amt befand, als er diese Praefa­ tio schrieb. Mit dem Herausgabedatum der Variae und der zeitlichen Einordnung der letzten Briefe der Sammlung ist der ebenso umstrittene Zeitpunkt des Endes der Amtszeit Cassiodors als Praefectus praetorio verbunden und desgleichen Cassiodors ·οοηνΘΓ3ΐο·, da er selbst den Variae seine erste 3) religiöse Abhandlung De Anima angefügt hat. 7 Wie gesagt, sind die Umstände und der Augenblick von Cassiodors Rückzug oder Entlassung aus der hohen Politik weitgehend unbekannt^ die verschiedenen Forschungsmeinungen verdichten sich aller­ dings um 537/8 - möglich scheint jedoch jeder Zeitpunkt bis zur Kapitulation von Wittigis in Ravenna, also bis Anfang Mai 5 ^ o ^ . Weit unklarer ist aber noch, was Cassiodor bis 1) "scripsit praecipiente Theodoricho rege historiam Gothi­ cam ..." (Z. 27 bei Usener). 2) Praef. I l4: "Cunctarum itaque dignitatum sexto et septimo libris formulas comprehendi, ut et mihi quamvis s e r ο (!) prospicerem et sequentibus in angusto tempore subvenirem." 3) Var., Praef. II 7; vgl. J*W. Halporn, Intro, zu seiner Ausgabe von De Anima, in: CCL SL XCVI (bei Fridh), 5o^ ff. ; Vyver (I9 3 1 ), 253» u. Cappuyns (19 ^ 9 ), 1356; vgl. auch unten S. I09 m. Anm. 5· M Agn., c. 62: vgl. Stein II (19^9), 367, u. Bury II (1923),

212.

'

12 zum Jahr 55o tat, in dem ihn der Papst Vigilius als in Kon­ stantinopel befindlich erwähnt; sehr wahrscheinlich ist aber, daß er sich auch noch im folgenden Jahr dort aufhielt, als Jordanes gerade dort bis zum 31· März 5 5 1 ^ seine Auszüge aus der Gotischen Geschichte Cassiodors fertigstellte. Die eigentliche Streitfrage ist, ob Cassiodor sein Kloster Vi­ varium vor oder nach seiner Emigration nach Konstantinopel gründete; auf keinen Fall ist mit Gewißheit zu entscheiden, wann er von Italien nach Konstantinopel ging bzw. wann er zurückkehrte und sein Kloster gründete. Es scheint die Auf­ fassung am wahrscheinlichsten, daß Cassiodor mit Beiisar Ende Juni 54o1 23 ^ Italien verließ und erst nach der endgülti­ 7 6 5 4 gen Niederlage der Goten 552·^ bzw. sogar erst nach der Neu­ ordnung der Verhältnisse Italiens durch die Pragmatica Sanctio Justinians von 5 5 4 ^ dorthin zurückkehrte. ^ Tafel Is Zeittafel zu Leben und Laufbahn Cassiodors nach 6 ) der communis opinio In den Jahren 487 bis spätestens 49o

wird Cassiodor geboren.

seit dem 15· März 4 9 3 ^

Seit der Ermordung Odovacars - ist Theoderich Alleinherrscher in Italien.

vor 507 (3 1 . Aug. ?)

vom 1. Sept. 507 bis zum 31· Aug. 511 Das Jahr 514

519·

Während der Praefektur seines Vaters, also wird Cassiodor dessen Consili­ arius und, nachdem er einen Pan­ egyricus auf Theoderich gehalten hat, Quaestor; dieses Amt hat er mit großer Wahrscheinlichkeit inne. ist das seines Konsulats. Im Jahre des gemeinsamen Konsulats von Eutharich und Justinus, veröffentlicht er seine Chronik

1) N. Wagner, Getica. Untersuchungen zum Leben des Jordanes und zur früheren Geschichte der Goten, Berlin 1967 » 26 ff. 2) Prok. BG II 3o,3o; vgl. Korbs (1914), 37 f. 3) Agn., c. 79; Prok. BG IV 35,2o ff.; vgl. Korbs (1914), 87 s 1. Okt. 552 (nach Agn.). 4) Corpus Iuris Civilis, Bd. III, App. VII, 799 ff· 5) Vyver (1931), 259 f. 6 ) vgl. die Zeittafeln bei Hodgkin (1386), 126 ff., und O ’Donnell (1979), XV f. 7) Joh. Antioch., frg. 214 a

- 13 und hält einen Panegyricus zu Ehren Eutharichs.

523 Am 3o. Aug. 526

Mit dem 31· Aug. 527 Etwa seit Ende 532/Anf. $33

zum 1. Sept. 533

Am 2. Okt. 534

Am 3o. April 535 im Juni/Juli 535 Ende Nov. 536,

Anf. Dez. 536,

Anf. (Io.) März 537 bis ca. 21. März 538 bis 537/8 Anf. Mai 5^°»

wird er Nachfolger von Boethius als Magister officiorum. stirbt Theoderich und wenige Tage darauf wird Athalarich zum König erhoben scheidet Cassiodor aus dem Amt des Magister officiorum aus. ist Cassiodor, allerdings ohne Amtsstellung, wieder als Brief­ schreiber für den Hof tätig und wird zum Praefectus praetorio ernannt; vor diesem Datum hat er seine Gotische Geschichte verfaßt. stirbt Athalarich; einen Tag später erfolgt die Erhebung Theodahads zum Mitregenten. wird Amalasuntha ermordet; da­ raufhin beginnt der byz.-got. Krieg. nach der Eroberung Neapels durch Beiisar, wird Wittigis vom got. Heer auf den Schild gehoben; einige Tage darauf, wohl wird Theodahad ermordet; es folgt die Eheschließung von Wittigis und Matasuntha, der Enkelin Theoderichs, bei welcher Gelegenheit Cassiodor wieder einen Panegyri­ cus vorträgt. wird Beiisar in Rom von Wittigis belagert; wohl mindestens bleibt Cassiodor in der Stellung des Praefectus praetorio, mög­ lich ist aber jedes Datum bis als Wittigis in Ravenna kapitu­ liert; an Cassiodors Ausscheiden aus diesem Amt knüpft sich die Veröffentlichung der Variae (mit dem 13· Buch De Anima - also seine 'conversio·).

Ende Juni 5^°

verläßt Beiisar Italien zusammen mit Wittigis und Matasuntha (viel­ leicht auch mit Cassiodor).

Im Jahr 55°

ist Cassiodor nach Ausweis eines Briefes des Papstes Vigilius in Konstantinopel, wie wohl auch im folgenden Jahr, als Jordanes bis seine Auszüge aus der Gotischen Geschichte Cassiodors verfaßt.

zum 3 I· März 551

- 14 -

nach dem 1. Okt. 552, nach 554,

etwa 58ο bis 583*

Wohl also nach der Niederlage des letzten Gotenkönigs Teia am Mons Lactarius, spätestens aber dem Jahr des Erlasses der Pragma­ tischen Sanktion, kehrt Cassiodor nach Italien zurück und gründet sein Kloster Vivarium. Nach Fertigstellung seines Werkes De Orthographia, stirbt Cassiodor wohl dort an­ nähernd loo Jahre alt.

Es scheint nützlich, die Zeitpunkte festzumachen, an denen man Cassiodors Einfluß auf die Politik der Zeit maßgeblich nennen könnte. Daß Cassiodor einen solchen Einfluß genommen hat, ist wahrscheinlich. Er macht einen regelrechten Cursus honorum durch - obwohl es diesen in klassischem Sinne zu sei­ ner Zeit nicht mehr gab - und hat innerhalb eines Zeitraumes von ca. 3o Jahren mehrmals illustre Ämter inne, in deren Aus­ übung er in engster Nähe zum gotischen Königtum als hoher und höchster Verwaltungsbeamter eine Politik vertrat, die noch der Beschreibung in ihrem programmatischen Wandel harrt. Eine solche Beschreibung müßte in engstem Zusammenhang mit den Thesen Momiglianos bezüglich der Aktivitäten Cassiodors stehenj diese in zweierlei Hinsicht zu erhärten und zu beur­ teilen, inwieweit die Quellenlage es erlaubt, Cassiodors Stellung zur Politik in der ersten Hälfte des sechsten Jahr­ hunderts und seine Einflußnahme darauf zu beschreiben, ist ein Schwerpunkt dieser Arbeit. Ausgangspunkt sind somit die Thesen Momiglianos, die hier nur eine kurze Darstellung er­ fahren sollen. In Frage steht bei der Diskussion von Momiglianos Ansichten vor allem die Historia Gothica Cassiodors und ihre Abfassung, sov/ie die Absicht von Jordanes’ Getica und deren Abhängigkeit von Cassiodors Werk. Cassiodors Gotische Geschichte wird - wie schon erwähnt - im Emennungsbrief Cassiodors zum Praefectus praetorio und in der ersten Praefatio der Variae genannt. Sie muß also 533 schon Vorgelegen haben. Jordanes verfaßt 551 seinen Auszug aus dem Werk Cassiodors, wie er selbst sagt, in drei Tagen, nachdem er es schon einmal in Händen hatte und es sich diesmal vom Haushofmeister Cassiodors ausgeborgt

- 15 h a t . ^ Das letzte in den Getica berichtete Ereignis ist die Geburt des Germanus Postumus (551) aus der Ehe der Enkelin Theoderichs und Witwe Wittigis’, Matasuntha, mit dem Vetter oder Neffen Justinians, Germanus, der kurz zuvor während der 2) Vorbereitungen zu Eroberung Italiens verstorben war. ' Be­ merkenswerterweise wird der junge Germanus hier aber nicht als Sproß des Hauses Theoderichs und des Kaiserhauses Justi­ nians bezeichnet, sondern als die Hoffnung der Zukunft für beide Völker, Goten und Römer, apostrophiert, weil er das Blut der Anicier und der Amaler in sich vereinigt.

Diese Betonung

der Amaler und Anicier ist nach Momigliano auf Cassiodor zu­ rückzuführen, der sich ja, wie aus dem oben zitierten Brief von Vigilius hervorgeht, damals in Konstantinopel aufhielt. Nicht nur, daß Cassiodor die Familie der Anicier mit ausgespro­ chenem Respekt behandelt, er scheint auch ein Verwandtschafts­ verhältnis zu dieser alten angesehenen Familie reklamiert zu h a b e n . V o r allem aber ist Cassiodor der einzige, der das Königsgeschlecht der Amaler bei seinem Namen nennt.^ Ferner erneuert Momigliano die Vermutungen, die sich seit 7)

Jakob Grimm um die Person des Jordanes ranken'' und die eine engere Beziehung, als es die Ausleihe eines Buches durch einen Bediensteten ist, zwischen diesem und Cassiodor wahrscheinlich machen sollen. Jordanes widmet sein anderes Werk, die Romana, einem gewissen Vigilius, dessen Identifikation mit dem gleich-1 7 6 5 * 3 2 1) Jord., Get., Praef. 2: "... sed, ut non mentiar, ad triduanam lectionem dispensatoris eius (scii. Cassiodori) beneficio libros ipsos antehac relegi." vgl. Wagner (1967)* 5o, und Momigliano (1955)* 217 f· 2) Jord.,Get. LX 31^? vgl. Prok. BG III 39,1^ u. k o , 9 ; Momigliano (1955)* 218 3) Jord., Get. LX 31^s "... Germanus, in quo coniuncta Aniciorum genus cum Amala stirpe spem adhuc utriusque generi domino praestante promittit." k) Momigliano (1955)* 22o; s. oben S. 7 Anm. 4 5) An. Hold. (vgl. Usener (1877)* 9 f·)* Cass., Inst. Div. Litt. XXIII ls (Cassiodori) "parens Proba" (Symmachi filia); Momigliano (1955). 215 6) vgl. R. Wenskus, Art. Amaler, in: Reallexikon der Ger­ manischen Altertumskunde, 2. Aufl., Bd. 1, 1973. 2k6 ff.; mit den Balthen ist es genauso (vgl. ders., Art. Balthen, ebda., Bd. 2, 1976, 13 f·), alle Namensnennungen finden sich bei Cas­ siodor oder Jordanes, der darin gewiß von Cassiodor abhängt. 7) vgl. die umfassende Diskussion der Forschungsmeinungen zu diesem Punkt bei Wagner (1967 ), 3 ff· (insbes. 32 ff.).

- 16 zeitigen Papst sich geradezu anbietet·^ Dann taucht in einem Schreiben des Papstes Vigilius in seinem Gefolge in 2) Konstantinopel ein Bischof Jordanes von Kroton auf. 7 Diese Stadt liegt nun nicht weit entfernt von Cassiodors Familien­ besitzungen bei Squillace. Es scheint alles zusammenzu­ passen. Momigliano schließt aus all dem, daß Cassiodor seine Gotische Geschichte über die (erste ?) Veröffentlichung und das Jahr 533 hinaus f o r t f ü h r t e . D i e s e Meinung hat einigen Widerspruch gefunden. In den Rezensionen zu Momiglianos Vortrag vor der British Academy hat diese Meinung aber vor allem Zustimmung erfahren: Pierre Courcelle moniert nur die unpassende Anrede bei Jordanes gegenüber einem Papst und ist deshalb bezüglich der Identifikationen skeptischer als andere; er betont aber die Richtigkeit und Wichtigkeit gerade der Behauptung, daß eben ’der sich auf die Geburt des Germanus Postumus beziehende wichtige Abschnitt wohl Ll )

die Tat Cassiodors selbst ist'. 7 Sicherlich scheint die Anrede: "novilissime et magnifice frater" einem Papst gegen­ über auf den ersten Blick etwas despektierlich, aber im Zusammenhang mit der Ermahnung, daß sich Vigilius doch etwas mehr den geistlichen Angelegenheiten widmen sollte - eine Bemerkung, die nur allzu gut auf den Papst dieses 1) Jord., Rom., Praef. 1: seine Getica widmet er hingegen einem sonst völlig unbekannten Castalius (Get., Praef. 1), der in der Nachbarschaft der Goten lebt (Get., Praef. 3: tu, ut vicinus genti) und der auch ein Freund des erwähn­ ten Vigilius ist (Rom., Praef. communi amico Castalio). 2) Migne PL 69, 62 B 3) Schon Cappuyns (19 ^ 9 ), 1366, hatte diese Ansicht ver­ treten. 4) P. Courcelle, Rez. in: Latomus 16/19£7, 74Ί ff. (Zit. 7^3: "··· le paragraphe capital relatif a la naissance de Germanus est bien le fait de Cassiodore lui-même ..."); H. Fuchs, Rez. in: Museum Helveticum 1^/1957» 1 23 5o f ·t 4 stimmt Momigliano voll zu und fügt hinzu (25 I), daß Jorda­ nes nicht behauptet, selbständige Passagen eingefügt zu haben, wobei er sich auf Jord., Get., Praef. 3 berufen kann: "ad quos et ex nonnullis historiis Grecis ac Latinis addedi convenientia, initium, finemque et plura in medio mea dictione p e r m i s c e n s . " I m übrigen müßte man gerade nach diesen Worten weniger am Ende der Getica als vielmehr von Jordanes’ geistigem Eigentum ’plura in medio’ suchen ! (vgl. im folgenden und weiter unten S. 27 Anm. 3)

- 17 Namens paßt ^ -, scheint der Widerspruch nicht mehr ganz 2) so kraß. Norbert Wagner ' behauptet, daß Cassiodor seine Gotische Geschichte nicht erst (im März) 551 abgeschlossen haben kann, da Jordanes nur der Monat März dieses Jahres für die Fertigstellung der Getica verblieb, womit er aller­ dings die Behauptung des Jordanes bestätigt, daß ihm nur sehr wenig Zeit für seine Exzerpte - wenn auch nicht nur gerade drei Tage - zur Verfügung stand. Wagner macht die Verwandtschaft von Germanus sen. mit den Aniciern (über seinen Vater^') sehr wahrscheinlich und meint, daß deshalb keine "Bevorzugung der Anicier gegenüber dem Kaiserhause vorliege, welche die Hand Cassiodors voraussetze", wie es für die Ansicht Momiglianos unentbehrlich sei. Er folgert daraus, daß sich die Annahme, "Cassiodor habe seine Goten­ geschichte bis zu den Ereignissen um Germanus auf dem laufenden gehalten", aus Jordanes' Worten nicht zwingend ergebe.^ Er wendet sich weiterhin^ gegen die Einbeziehung von Jordanes in den Kreis um Papst Vigilius, Cethegus und Cassiodor. Dessen stilistische Mängel machen es nach Wagner unwahrscheinlich, daß in diesem Kreis hochgebildeter Männer ausgerechnet er ausersehen wurde, das Werk Cassiodors aus aktuellem Anlaß zu exzerpieren. Einerseits scheint das noch so enge VerwandtschaftsVerhältnis des Germanus zu den Aniciern, so selbstverständlich und bekannt es den Zeit­ genossen auch gewesen sein mag, kein Argument gegen die1 5 * 3 2 1) Jord., Rom., Praef. 5 (vgl. oben S. 16 Anm. 1): "... ad deum convertas, qui est vera libertas. ... scito quod dili­ genti mundo semper necessitas imminet, tu vero ausculta Iohannem apostolum, qui ait: 'carissimi, nolite dilegere mundum neque ea que in mundo sunt, quia mundus transit et concupiscentia eius: qui autem fecerit voluntatem dei, manet in aeternum'. estoque toto corde diligens deum et proximum, ut adimpleas legem et ores pro me, novilissime et magnifice frater." vgl. zu der früheren Diskussion um diese Anrede: Wagner (196?). 37 m. Anm. 13o, und zu Vigi­ lius unten S. 169 ff· 2) Wagner (I967 ), 51 ff. 3) Momigliano (1955). 22o, meinte: über die Mutter. b) Wagner (1967 ). 56; vgl. die Stemmata bei O'Donnell (1979). 270 , der sich (27 I Anm. 3) Wagner anschließt; PLRE II, Stemmata lo, 1315. und A. Demandt, Der spät­ römische Militäradel, in: Chiron I0/I 980, zwischen 613/619· 5) Wagner (I967 ), ^6 f.

- 18 Auffassung Momiglianos, da es für seine Thesen keine grund­ legende Bedeutung hat, ob Germanus tatsächlich oder näher, als er annahm, mit den Aniciem verwandt war. Denn wichtig ist die Tatsache, daß Cassiodor, bzw. richtiger Jordanes, der einzige ist, der diese Verwandtschaft für erwähnenswert hielt. Andererseits ist aber auch schwer vorstellbar, wer anders als Cassiodor gerade die Amaler in so enger Zusammenstellung mit den Aniciern erwähnen sollte. Darüberhinaus behauptet Momigliano keineswegs, daß Cassiodors Gotische Geschichte zu dem Zeitpunkt, da Jordanes sie exzerpierte, vollendet war. Dies wäre auch gar nicht nötig, da eine unvollendete Historia Gothica die Motivation für die Herausgabe der Getica liefert. So wendet sich dieses Argument gegen Wagner, denn hat die Bemerkung über Germanus nicht im Original Cassiodors gestan­ den, muß man auf eine noch engere Verbindung von diesem zu Jordanes schließen, wenn man zu der Meinung gelangt, daß diese

1)

2)

Worte dem Kopf Cassiodors entsprungen sind. ' O'Donnell ' bringt drei weitere Argumente gegen Momiglianos Hypothese vors Erstens sei es unsicher, ob Cassiodor im Anecdoton Holderi tatsächlich ein Verwandtschaftsverhältnis zu Boethius und Symmachus beanspruche, und zweitens wüßten wir nicht, ob Cassiodor diese Verwandtschaft "as going through the gens Anicia" auffaßte. Doch wie sollte man die Bezeichnung der Tochter von Symmachus, Proba, als parens Cassiodori^' dann verstehen ? Und entweder war Cassiodor mit der Sippe der Anicier verwandt - oder beanspruchte es wenigstens - oder nicht. Drittens, meint O'Donnell, gäbe es keinen Beweis für eine tatsächliche Beteiligung Cassiodors an der gotischen Politik nach seinem Rückzug von der Präfektur. Doch berich­ tet Prokop,^ daß sich der Papst Vigilius zusammen mit dem Patricius Gothigos, dies ist aller Wahrscheinlichkeit nach der uns schon bekannte Cethegus, und anderen vornehmen römi­ schen Exulanten beim Kaiser für die Eroberung Italiens einsetzte.1 1) vgl. M.A. Wes, Das Ende des Kaisertums im Westen des Römischen Reiches, (dt.) ·s-Gravenhage 1967, 192 2) O'Donnell (1979). 271; vgl. auch ders., The aims of Jor­ danes, in: Historia 31/1982, 223 ff·# wo er m.E. auch nichts vorbringt, das uns der Lösung des Problems näher brächte. 3) s. oben S. 15 Anm. 5 *0 BG III 35,9 ff·

- 19 Und in dem mehrfach zitierten Brief des Papstes Vigilius ist Cassiodor zusammen mit Cethegus als für den Papst in Konstantinopel tätig erwähnt. Dies ist nicht anders zu verstehen, als daß Cassiodor sich gemeinsam mit Cethegus und anderen römischen Exulanten für die Ziele der römischen Senatsaristokratie bei Justinian verwendete. Die Argumente gegen Momiglianos Behauptung, Cassiodor hätte seine Gotische Geschichte zumindest bis 55o fortgesetzt, fallen so in sich zusammen. Allein die Argumente gegen die Identifikation von Jordanes mit dem Bischof von Kroton und von Vigilius mit dem Papst lassen einige Zweifel an dieser bestechenden Kom­ bination zurück. Vor allem die wohl eindeutige Tatsache, daß sich Jordanes als Gote betrachtete,^ mag so manchen davon abgehalten haben und weiterhin abhalten, diese Gleich­ setzungen vorzunehmen. Da aber wohl auch die letzten Zweifel ausgeräumt sind, daß Jordanes seine Getica in Konstantinopel v e r f a ß t e , s t e h t nichts mehr der Annahme im Wege, daß Cassiodor auf die Abfassung der Getica mehr Einfluß nahm, als uns Jordanes glauben machen will. Die Entscheidung über die Streitfrage, ob Cassiodors Gotische Geschichte über 533 hinaus und bis 55o/l fortgeführt wurde, bringt eine Beobachtung von Maieul J. Cappuyns,-" die auch Momigliano übersehen zu haben scheint, auf die aber nochmals Franz Brunhölzl aufmerksam machte,

L)

7 daß nämlich Jordanes aus­

drücklich sagt,^ daß die ihm vorliegende Geschichte Cassiodors "usque nunc" handele. Nimmt man diese Worte wörtlich, so muß man aus ihnen jedenfalls schließen, daß Cassiodor sein Werk noch nicht abgeschlossen hatte und es Jordanes als unvollendetes Manuskript vorlag, daß also Cassiodor 551 weiterhin an diesem Werk arbeitete, und über­ dies, daß sich Cassiodor auch zu dieser Zeit noch als *. ___ 1) vgl. dazu Wagner (I967 ), 14/1? 2) ebda., ^8 f. m. Anm. I85 3) Cappuyns (19^9), 1366 k) F. Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, Bd. 1, München 1975* 29 Anm. 2 5) Jord., Get., Praef. 1: "... nostris verbis duodecem Senatoris volumina de origine actusque Getarum a b 0 1 i m et u s q u e n u n c per generationes regesque descen­ dentem (vgl. unten S. 38 Anm. 2 ) in uno et hoc parvo libello choartem:"

- 2ο politischer Schriftsteller betätigte, ihm seine religiöse Conversio noch bevorstand, diese möglicherweise der Grund für eine Nichtvollendung des Werkes und für die Tatsache war, daß uns dieses Werk Cassiodors nicht im Original, sondern nur in dem kaum einen Ersatz dafür darstellenden Auszug des Jordanes überliefert ist.

II CASSIODOR UND JORDANES Cassiodors Chronik ist fast ausschließlich eine Herrscher-, Königs- und Konsulliste, beginnend mit den sagenhaften Kö­ nigen Assyriens und endend mit dem gemeinsamen Konsulat des Kaisers Justinus und Theoderichs praesumptiven Erben Eutharicus Cilliga (519)· Bemerkenswert an dieser Chronik ist vor allem die Tatsache, daß sie das einzige auf uns gekommene Werk seiner Art ist, das die Konsulfasten vollständig ent­ hält. Ansonsten weist dieses Werk Cassiodors neben den schon angesprochenen Mängeln ganz offensichtlich eine goten­ freundliche Tendenz auf, von der es nicht einmal zuviel gesagt ist, daß sie auf eine "sehr freie und stark partei­ ische Zurechtlegung der Ueberlieferung" hinausläuft.^ Aber die Chronik enthält nur sehr vereinzelt überhaupt Ergänzungen zu der reinen Namensliste, so daß die genannte wohl kaum die wichtigste Absicht Cassiodors gewesen sein kann. Viel­ mehr verraten Vor- und Nachrede der Chronik Anlaß und Zeitpunkt der Herstellung und Veröffentlichung dieser Kompilation Cassiodors recht deutlich. Die in diesem Rahmen ausführliche Schilderung der Feiern von Eutharichs Konsulats­ antritt in der Nachrede zeigt den von Cassiodor erhobenen Anspruch ungebrochener Tradition. Die direkt an Eutharich gerichteten Worte der Vorrede könnten genauso bei Über­ reichung eines Exemplars dieser Chronik an den neuen Konsul gesprochen worden sein, immerhin hielt Cassiodor bei der gleichen Gelegenheit einen Panegyricus auf Eutharich, der dafür die beste Möglichkeit bot. Hier beruft Cassiodor Eu­ tharichs eigenen Anspruch auf Eintritt in die lange Tradi­ tionsreihe römischer Konsuln, indem er ihm die Anregung zur1 1) Mommsen, Chronikausgabe (l86l), 57o

- 22 Abfassung dieser Chronik und das Bewußtsein für ’die Er­ habenheit dieser altehrwürdigen Wahrheit’^ zuspricht. Cassiodors erste Veröffentlichung zeigt ihn also schon inmitten der Propaganda für die gotische Herrschaft in Italien als Fortsetzung des Römischen Reiches und zielt so­ mit auf die traditionsbewußten Kreise des Senats. Aber nicht allein die Propaganda für das Königtum Theo­ derichs, sondern auch schon Cassiodors Eintreten für eine amalische Dynastie wird hier sichtbar. Denn nach langen Verhandlungen war es Theoderich erst nach dem Tod des Kaisers Anastasius (9· Juli 518) - dann allerdings innerhalb eines halben Jahres - gelungen, die Anerkennung seines Schwieger­ sohnes Eutharich gewissermaßen im Tausch gegen die Beseiti­ gung des Acacianischen Schismas vom neuen Kaiser Justinus zu erlangen.1 23 ^ Die Adoption Eutharichs durch den Kaiser 5 * und deren gemeinsames Konsulat besiegelten die Gründung der gotischen Dynastie in Italien. Nicht zu Unrecht sieht man im Jahre 519 den Höhepunkt der Herrschaft Theoderichs. Aber genau zu diesem Zeitpunkt tritt Theoderich hinter Eutha­ rich zurück^ und Cassiodor feiert den aller Erwartung nach zukünftigen Nachfolger Theoderichs in einem Panegyricus imd seiner Chronik. Es scheint der Augenblick der Befrie­ dung aller Spannungen im Ostgotenreich und zwischen diesem und Byzanz. Man kann wohl kaum einen Zufall darin sehen, daß Cassiodor gerade Eutharich zu diesem Zeitpunkt eine so traditionsbewußte Schrift zueignete. Die Legitimierung der Amalerdynastie erfordert auch die angemessene Verherrlichung des Erben als eines traditionstreuen Römers. Auch der Zeitpunkt der Fertigstellung - wohl auch der Veröffentlichung - von Jordanes* Getica läßt sich ziemlich genau festmachen.^Allerdings sind die Beziehungen der Goten Italiens zu Byzanz nun keineswegs friedlich. Der 1) a.a.O.: "... veritatis pristinae dignitatem." 2) Sundwall (1919), 221 ff. (bes. 228 f.) 3) ebda., 23o; vgl. Wes (1967), 171 f. h ) Cass., Chron. ad a. 519; vgl. An. Vales. 8ο-δ2 5) Wagner (1967), 26 ff. u. 51; vgl. Wes (1967)» 19o f.

- 23 gotische Krieg währt seit anderthalb Jahrzehnten und auch der Sieg Beiisars (54o) war nicht so endgültig, als daß sich die Goten nicht unter Totila innerhalb von zehn Jahren so lange hat kein anderer Gotenkönig nach Theoderich re­ giert - wieder in den Besitz fast ganz Italiens setzen konnten. Die Byzantiner hielten in Italien nur noch einige Küstenstädte und -festungen - darunter freilich das wichtige Ravenna^ und rüsteten seit Jahr und Tag auf dem Balkan ein Heer für den entscheidenden Schlag, der sich vor allem durch den Tod des ernannten Feldherrn Germanus verzögert hatte. Wie schon erwähnt, ist es der postume Sohn eben dieses Germanus von der Enkelin Theoderichs, Matasuntha, die er kurz nach der Betrauung mit dem Kommando zur Eroberung Italiens ehelich­ te, dessen Geburt in den letzten berichtenden Worten der Getica als die Vereinigung von Anicie m und A m a l e m geprie­ sen wird. Diese stellten für A m a l d o Momigliano den Anlaß zu seinen Hypothesen dar. Selten werden gerade die letzten abschließenden Worte der Getica für eine Interpretation der Intention dieses Werkes herangezogen. In diesen noch auf die rühmenden Wor­ te über Germanus Postumus folgenden Sätzen erfährt die ganze Darstellung der Gotischen Geschichte Cassiodors eine merk­ würdige Wendung. Denn die letzten Worte gelten Justinian, seinem treuen Feldherm Beiisar und ihren Triumphen. Hier fallen auch noch einige Worte über die Absicht des Exzerpts aus Cassiodors Historia Gothica von Jordanes. Jordanes sagt, daß er dieses kleine Werk 'nicht so sehr zum Ruhm der Goten, als (vielmehr) zum Ruhm ihres Besiegers veröffentlicht’1 23 ^ habe. Offengelassen wird, wer gesiegt hat» Justinian oder Beiisar.

Zwar wird Justinian mit den ihm zukommenden ehren­

den Epitheta bedacht, doch steht das Verdienst an den mili­ tärische^ Erfolgen Beiisar zu. 1) Es waren außer Ravenna nur noch: Ancona, Hydrus und Croton. 2) Get. LX 316: "nec tantum ad eorum (scii. Gothorum) lau­ dem quantum ad laudem eius qui vicit exponens." 3) Get. LX 315: "... victor ac triumphator Iustinianus impe­ rator et consul Belesarius Vandalici Africani Geticique dicentur."} vgl. Get. XXXIII 172

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2k

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Nach der zweiten Abberufung Beiisars aus Italien kurz nach dem Tode der Kaiserin Theodora - setzten sich stadtrömische Kreise um Papst Vigilius, Cethegus und Cassiodor für die Eroberung Italiens ein. ^ Es ging aber wohl weniger um die Eroberung an sich, denn die Hoffnung auf diese hat auch Justinian wohl kaum aufgegeben, als vielmehr um den Zeitpunkt und das vakante Oberkommando. Zwar war sich Justi­ nian offensichtlich über die geeignete Person noch nicht ganz schlüssig, doch zeigt sich auch schon bei der allerdings nur kurzfristigen Berufung des Liberius auf diesen Posten der Einfluß der genannten Gruppierung.1 23 ^ Augenscheinlich verging das ganze Jahr 5*+9/55o (April-April) mit der Suche nach dem geeigneten Kandidaten: Sehr bald kam auch Germanus ins Gespräch, seine endgültige Ernennung erfolgte aber erst Ende Mai/Anfang Juni 55o·"^ Seine Eheschließung mit Matasuntha, zu der Justinian doch seine Zustimmung geben mußte, zeigt, daß er wie Wittigis als Erbe Theoderichs auftreten wollte, daß auch italischen Interessen Rechnung ge­ tragen wurde und daß man damals mit dem Gedanken an eine Wiederaufrichtung des Westkaisertums zumindest spielte^. Der vorzeitige Tod des Germanus (Sept. 55°) machte wohl einige Hoffnungen zunichte. Möglicherweise waren die Getica des Jordanes ursprünglich zur Verherrlichung des älteren Germanus gedacht; doch erst sein Sohn konnte aus zeitlichen Gründen die preisenden Worte auf sich ziehen. Die eilige Bearbeitung und Herausgabe der Getica während der nach Germanus' Tod sicher neu entbrannten Auseinandersetzungen um das italische Oberkommando und so kurz vor der Ernennung des Narses (April 5$1), der nun keineswegs den Erwartungen stadtrömischer Kreise entsprochen haben dürfte^ \

und die

besprochenen Worte des Jordanes über Germanus Postumus und den Sieger über die Goten legen die Vermutving nahe, daß 1) Prok. BG III 35t9 ff·; vgl. oben S. 18 f. 2) BG III 3 6 Λ ff· 3) BG III 37.2**- ff·; 39,6 ff.} vgl. Wagner (1967), 51 i·) vgl. Wes (1967 ), 17**· ff·} H. Wolfram, Geschichte der Goten, München 1979, ****1 $) vgl. den unter Senatoren umgehenden Witz: Prok. BG IV 21,lo ff.

- 25 mit Jordanes’ Exzerpt aus Cassiodors Historia Gothica Justinian der Gedanke an den versöhnenden Charakter der Person und der Abstammung des Germanus Postumus einerseits und an die Eignung des beschäftigungslosen Generalissimus Beiisar für das Oberkommando andererseits nahegelegt werden sollte. Diese Vorstellungen können nur mit Momigliano auf Cassiodor und die Gruppe um Cethegus und Papst Vigilius zurückgeführt werden. Auch Beiisar erscheint zweimal in den Jahren 552/553 zusammen mit Cethegus in engster Verbin­ dung zum Papst Vigilius.^ 2) Schon Carl Schirren ' hatte nachweisen können, daß Jor­ danes fast ausschließlich Cassiodor ausgeschrieben hat, und die Meinung vertreten, daß die Getica im Interesse von Germanus bzw. Germanus Postumus geschrieben worden sind. Gegen beide Auffassungen sind immer wieder Einwände vorge­ bracht worden, eben auch als Momigliano versuchte, beide in gewissem Sinn zu kombinieren. Daß die beiden Germanus, Vater und Sohn, propagandistisch in Jordanes’ Getica besonders be­ rücksichtigt wurden, ist inzwischen kaum noch bestreitbar. Strittig ist aber, ob dies auf Cassiodor selbst oder nur auf Jordanes zurückgeht. Es ist auch weitgehend unklar, in wel­ chem Umfang Jordanes Cassiodors Werk ausschreibt, und be­ sonders, an welchem Punkt der Darstellung der Getica Jor­ danes über Cassiodor hinausgeht. Bisher wurde mit der Be­ gründung, daß Cassiodors Historia Gothica eben spätestens 533 veröffentlicht war, nur behauptet, daß Jordanes der Verfasser der beiden letzten Kapitel sei, wogegen dann Momi­ gliano mit seinen Thesen die Stimme erhob. Oben·^ wurden bisher vorgebrachte Einwände gegen Momiglianos Meinung, daß Cassiodor selbst die Gotische Geschichte bis 55o/551 ständig fortsetzte, größtenteils entkräftet und die pro-1 3 2 1) Caspar II (1933). 266/275 2) C. Schirren, De ratione quae inter Jordanem et Cassiodorium intercedat commentatio, Diss., Dorpat 1858, bes. 9 ff, vgl. A.v. Gutschmid, Zu Jordanes, ins Kleine Schriften, Bd. V, hrg. V. P. Rühl, Leipzig 189^, 283 ff. (erstmals ins Jahrbücher für classische Philologie 8/1862, 12^ ff.), bes. 332. 3) s. oben S. 16 ff.

- 26 pagandistische Tendenz der Getica bekräftigt. Deshalb muß die gegenseitige Abhängigkeit der beiden Thesen zur Ver­ fasserschaft Cassiodors und zur propagandistischen Ausrich­ tung der Schrift, die auf das Oberkommando und den Versöh­ nungsgedanken zwischen Römern und Goten abzielt, in Rech­ nung gestellt werden; denn die Begründung Momiglianos, daß der Einsatz für Germanus als Anicier nur Cassiodor zuge­ schrieben werden kann,^ läßt sich nicht widerlegen, da eine politische Nähe des Jordanes zu A n iciem oder anderen politisch relevanten Gruppen eben nur über Cassiodors Person behauptet werden kann, seine Bemerkung über die Vereinigung von A m alem und Aniciern ansonsten unverständlich wäre und sich von Jordanes und Cassiodor eben nur für den letzteren

2)

diese Nähe quellenmäßig belegen läßt. ' Wenn sich - insbesondere auch für die letzten Abschnitte der Getica - mit dem Werk immanenten Argumenten nachweisen oder wahrscheinlich machen läßt, daß sie auf Cassiodor und sein Werk zurückgehen, würden die Folgerungen Momiglianos Thesen bestätigen und darüberhinaus die Annahme, daß Jordanes in Cassiodors Auftrag schrieb. Bisherige Versuche,das geisti­ ge Eigentum des Jordanes und das Cassiodors zu trennen, sind gerade auf dem Weg über stilistische Untersuchungen fehlge­ schlagen. Letztendlich ist alles, was in den Getica steht, auch was er davon der Historia Gothica Cassiodors entnommen hat, von Jordanes geschrieben, so daß sich nicht mehr fest­ stellen läßt, ob Passagen, die sich von dem hochtrabenden Stil Cassiodors abheben, von Jordanes selbst verfaßt oder nur stärker als andere gekürzt oder überarbeitet worden sind. Sogar die typisch cassiodorianische Redewendung von dem 'historischen Florilegium' am Ende der Getica ist nur ein sehr schwaches Indiz für die Annahme, daß Cassiodors Werk Ij,) zeitlich ebensoweit reichte wie das des Jordanes. ' Denn1 1) Momigliano (1955). 22o 2) s. oben S. 15 Anm. k/l8 und zum An· Hold. (Z. 5 f· bei Usener) unten Exk. I 3) Besselaar (19^+5). 38} O'Donnell (1979). ^3 k) Jord., Get. LX 316; O'Donnell (1979). ^9 m. Anm. 2o/52

- 27 Jordanes benutzt sie auch an anderer Stelle"^ und kann sie durchaus einer entsprechenden Verwendung Cassiodors ent­ lehnt haben. Es geht auch nicht an, Jordanes vornehmlich die Exkurse der Getica zuzuweisen.^ Oder auch nur alle fast wörtlichen Zitate, oder sogar nur alles vermeintlich schlechtere. Wir müssen an Jordanes’ eigenen Worten festhalten. Er habe, so sagt er, zu Cassiodors Werk 'aus einigen griechischen und lateinischen Geschichtsbüchern passendes hinzugetan, nämlich den Anfang und das Ende, auch in der 'i\ Mitte mehreres mit meinen Worten durchflechtend*.J7 Jordanes sagt hier, daß er den Anfang und das Ende seiner kleinen Schrift von anderen Schriftstellern abgeschrieben hätte,

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wie es ja auch für das Vorwort von Mommsen belegt wurde , in der Mitte aber mehreres in seiner eigenen Formulierung einflocht, letztere Informationen aber nicht unbedingt an­ deren Schriftstellern verdanke. Dies kann sich nur auf die Nachrichten über sich und seine Familie beziehen.^ 1) Jord., Rom., Praef. 2 2) so R. Köpke, Die Anfänge des Königthums bei den Gothen, Berlin 1859, 7** ff· 3) Gutschmid (189*0* 29**·, übersetzt Get., Praef. 1: "dazu habe ich aus einigen griechischen und lateinischen Geschichts­ büchern Passendes hinzugethan, nämlich den Anfang und das Ende, auch in der Mitte Mehreres . mit meinen Worten durchflechtend." (lat. oben S.l6 Anm. k) und erklärt: "Entweder drückt der unklare Autor sich unklar aus oder - und das liegt nahe - man hat nach 'finemque' stärker zu interpungiren und, 'et' im Sinne von 'etiam' nehmend, zu übersetzen? (wie oben)". Man hat aber dann nach 'finemque' auch stärker zu interpungieren als nach 'plura in medio'} deshalb wurde hier das letzte Komma bei Gutschmid weggelassen und 'et - permiscens' als geschlossener Satzteil genommen. *t) vgl. die Geticaausgabe, 53 f·» wo Mommsen aufgrund einer Beobachtung von Hams v. Sybel zum Vergleich die Praefatio abdruckt, die Rufinus seiner Übersetzung des Origenes-Kommentars zum Römerbriefs des Paulus vorausschickt. 5) Daß Jordanes öfter ein Partizip Präsens im Nominativ als vollwertiges. Verbum und Prädikat verwendete, zeigt z.B. der allerletzte Satz der Getica (vgl. oben S. 23 Anm. 2). Die Übersetzung wäre also etwa? ·.. dazu habe ich auch aus einigen griechischen und lateinischen Geschichtswerken passendes, näm­ lich den Anfang und das Ende, hinzugefügt und in der Mitte mehreres in meinen eigenen Worten eingeflochten (vgl. Momigliano (1955)* 223). Ausgedrückt werden soll, daß Jordanes über das, was er als Zutat zu Cassiodors Text bezeichnet, etwas anderes aussagt als über das, was er nur als Einflech­ tung inmitten des eigentlichen Werkes verstand.

- 28 Da weder Exkurse noch Zitate^ eindeutig oder auch nur begründet Jordanes zugewiesen werden können, muß man sich mit seinen eigenen Worten zufrieden geben, die insoweit klar sind als sie die Aussage enthalten, daß er den Anfang und das Ende nach Vorlagen anderer Schriftsteller und eben in der Mitte einiges eigenes dem Werk Cassiodors hinzufügte. Die Praefatio der Getica hat Hans von Sybel als Plagiat des Rufinus identi­ fiziert und der Anteil des Jordanes am Anfang seines Werkes 2) muß nicht einmal darüberhinaus gehen. ' Wenn Jordanes in der Mitte der Getica etwas in seinen eigenen Worten und ohne Vor­ lage eines anderen Schriftstellers einfügte, so kann dies nur der eine Satz Get. XL 2o9 über Andagis und der Absatz Get. L 266 über seine eigene Familie und deren gotisch-alanische Gefolgsherren sein - und kaum viel mehr. Da sich das Wort 1) Sogar das Symmachus-Zitat (Get. XV) wird schon seit Usener (1877), 29» in Cassiodors Werk vermutet (vgl. Mommsen, Jordanesausgabe, XXIX, und Wes (I967 ). 111 f.); nur das Orosius-Zitat aus Kap. I sieht man allgemein als von Jordanes aufgenommen an (s. nächste Anm . )5 im übrigen sind gerade die Worte (Get., Praef. 3) "ex nonnullis historiis Grecis ac Latinis addedi" eine Nachahmung der Worte Rufinus' (vgl. Mommsens Ausgabe, 5*0» also ist auch in dieser Hinsicht nicht viel von Jordanes zu erwarten. Am schwierigsten ist wohl die genaue Abhängigkeit zwischen Jordanes, Marcellinus Comes, Cassiodor und - möglicherweise - Symmachus aufzuklären: Aber der Vergleich der drei wichtigsten Passagen (Jord., Rom. 344 f“· $ Get. XLVI u. Marc. Com., Chron. ad a. 476 ) spricht wohl für eine unabhängige Benutzung des letzteren - oder einer anderen, dann unbekannten Quelle - durch die drei erste ren und dafür, daß Jordanes Symmachus in den Getica eben in­ direkt über Cassiodor zitierte (vgl. Wes (1967 )* 73 ff.j bes. 78 : hier der Verweis auf W. Enßlin, Des Symmachus Historia Romana als Quelle für Jordanes, in: SBAW 1948,3» lo4); vgl. auch Momigliano (i960), 262/ 27 I ff·» A. Demandt, Rez. v. Wes (1967 ). in: Byzantinische Zeitschrift 62/ 1969 » 96 ff. (bes. 98 : "Die Romana reichen weit über den für Symmachus anzunehmenden Schlußpunkt 489 ... hinaus, wie erklären sich die Parallelen der Romana mit den Getica und Marcellinus hier ?") und unten S. 4o. 2) Die der hier vorgetragenen am nächsten kommende Abgren­ zung von Gutschmid (1894), 294 ff., will noch das Kapitel I Jordanes zuweisen, weil des Kapitels "confuse, aus den aller­ gewöhnlichsten Handbüchern, Orosius und Julius Honorius, ge­ schöpfte Beschreibung des Oceans mit der in den folgenden Capiteln gegebenen, allem Anschein nach aus Cassiodor her­ übergenommenen Geographie der Nordländer in keinem nothwendigen Zusammenhänge steht." vgl. Momigliano (1955). 223· 3) Gutschmid (1894), 294, weist Kap. LI (über Wulfila und die Kleingoten) Jordanes zu, doch dürfte sich auch Cassiodor für religiöse Angelegenheiten interessiert haben (vgl. aller­ dings Get. XXV 132 f. mit Cass. , Chron. ad a. 378; s. Besse-

- 29 "permiscere" » wie oben gezeigt - nur auf die in besagter Mitte eingeflochtenen Worte bezieht, muß wie der Anfang auch das Ende - soweit es von Jordanes stammt - ein relativ ge­ schlossener Abschnitt sein. Die immer wieder vorgeschlagene zeitliche Abgrenzung mit dem Zeitpunkt 533 steht dem entge­ gen, da die zeitlich weit über diesen Zeitpunkt hinausreichen­ den Erwähnungen der Eheschließung von Germanus und Matasuntha, sowie der Geburt ihres Sohnes (Get. XIV 81, XLIX 251» LX 31*0» und Berichte über das Vandalenreich bis zur Eroberung durch Justinian (Get. XXXIII 17o ff.) und über die Schicksale des Westgotenreiches bis zur byzantinischen Expedition unter Liberius (Get. LVIII 3o2 f.) über das ganze Werk verstreut zu finden sind. Aber für die von A m a l d o Momigliano vorge­ tragene These, daß Cassiodor seine Historia Gothica über die­ sen Zeitpunkt hinaus fortsetzte, also auch die zitierten Passagen auf ihn zurückzuführen sind, werden sich weitere Argumente finden lassen. Somit ergibt sich also eine erste Abgrenzung der Jordanes eigenen Abschnitte. Der Rest ist die von Jordanes überarbeitete, aber kaum erweiterte Goten­ geschichte Cassiodors. Neben den Informationen, daß er die Gotische Geschichte auf Anregung Theoderichs schrieb"^ und daß sie zwölf Bücher umfaßte^ , erhalten wir - diesmal namens Athalarich - aus Cassiodors Feder die Auskunft, daß ’er sich auch um unser (seil. Athalarichs) altes Geschlecht bemühte und durch Lesen erfuhr, was kaum altersgraue Kenntnis bewahrte, er die nach langem Vergessen verborgenen Könige der Goten aus dem Schlupf­ winkel des Alters wieder hervorholte, er den A m a l e m wieder den Glanz ihres Geschlechts verschaffte und deutlich zeigte, daß wir (seil. Athalarich) in der siebzehnten Generation königlicher Abstammung sind. Und er machte aus der gotischen Urgeschichte römische Geschichte, indem er gewissermaßen in einem Blütenkranz sammelte, was vorher über der Bücher laar (19*+5), 36 f.); vgl. unten S. 38. 1) An. Hold. (Z. 27 bei Usener); vgl. oben S. 11 Anm. 1 2) Cass., Var., Praef. I 11 (vgl. Jord., Get., Praef. 1)

- 3ο -

Felder weit verstreut war. '^Durch den Brief Athalarichs rühmt sich hier Cassiodor seiner historischen Nachforschun­ gen in alten Quellen^ und nach gotischen Königen, vor allem aber des Nachweises der königlichen Abstammung Athalarichs über siebzehn Generationen bis auf den mythischen Urvater der Goten, Gaut,^ und der Gleichstellung der Goten in Alter und Ruhm mit den R ö m e r n ^ . Diese hier so überaus deutlich ausgesprochene Tendenz der Gotengeschichte Cassiodors zielte gewiß auf die römische Senatsaristokratie und auf deren Anerkennung der gotischen Herrschaft in Italien. Als geeignetes Mittel sah Cassiodor die Ansippung der Goten an altbekannte Völker an? so nutzte er die übliche Identifikation der Goten mit Geten, Thrakern und Skythen, sah in den gotischen Frauen die Amazonen, fand 1) Var. IX 25,4 f♦ : "Tetendit se etiam in antiquam prosapiem nostram, lectione discens quod vix maiorum notitia cana re­ tinebat. Iste reges Gothorum longa oblivione celatos latibulo vetustatis eduxit. Iste Amalos cum generis sui claritate restituit, evidenter ostendens in septimam decimam progeniem stirpem nos habere regelem. Originem Gothicam historiam fecit esse Romanam, colligens quasi in unam coronam germen floridum quod per librorum campos passim fuerat ante dispersum." Dieses früheste Zeugnis für die Existenz der Historia Gothica Cassiodors ist eindeutig auf 533 zu datieren; vgl. zu der 'Florilegium'Metapher die vorige Anm. 2) vgl. aber Gutschmid (189*0, 31? 3) Die 17 Generationen können nach Jord., Get. XIV 79 ff· nur über die Mutter Athalarichs gezählt werden (vgl. das Stemma bei Wenskus (1973)» zw. 248/2*1-9 m. Anm. 6 mit denen bei Mommsen, Jordanesausgabe, 142 und Wolfram (1979)» am Ende, bei welchen man allerdings auch über Eutharich auf 17 käme); nach Jordanes wäre Athalarich - über Eutharich gezählt - die 16. Generation nach Gaut. 4) Wohl kaum ist aus den zitierten Worten ’Originem Romanam' zu entnehmen: "er hat gemacht, dass 'Origo Gothica' (der abgekürzte Titel des Cassiodorischen Werkes 'de origine actibusque Getarum' oder wohl 'Gothorum') ein römisches, d.h. von einem Römer für Römer geschriebenes Geschichtswerk ist." (So Gutschmid (1894), 319 und ähnlich Thorbecke (1867),18j vgl. Momigliano (1955)» 217 m. Anm. 62)· Sie bedeuten viel­ mehr, daß Cassiodor durch sein Geschichtswerk die Goten in den Kanon nicht-barbarischer Völker durchaus achtbaren und dem der Römer gleichwertigen Ursprungs im Gesichtsfeld des Imperium Romanum aufgenommen sehen will (vgl. L. Schmidt, Ge­ schichte der deutschen Stämme, Bd. I: Die Ostgermanen, München 1969 (Nachdruck der 2. Aufl. von 1941), 27; Besselaar (1945), 38: Momigliano (1956), 263; Wolfram (1979). 454 u. O'Donnell (1979). 53 Anm. 29)·

- 31 sogar einen Weg, die Goten in den homerischen Sagenkreis aufzunehmen, und freut sich besonders bei Flavius Josephus Gog, Magog und Skythen zu finden und damit die Goten bis auf die Bibel zurückführen zu können.^ Ganz generell findet sich in den Getica auch die Tendenz, Athaulfs berühmte programmatische Aussage gewissermaßen mit Beispielen zu belegen: Goten als Verteidiger des Römertums.^ Neben dem ehrwürdigen Alter der Goten will Cassiodor aber auch das der Amaler oder vielmehr ihre königliche Abstammung unter Beweis stellen. Theoderich hatte dergleichen gewiß nicht nötig. Vermutet wurde, daß Cassiodors Gotengeschichte 3) der Legitimation Athalarichs dienen sollte. ' Doch diese Vermutung ist abwegig, da Athalarich ja der Enkel Theoderichs war und die Abstammung von diesem auch nur über seine Töchter ausreichend Legitimation verlieh**^. Wahrscheinlicher klingt die Annahme, daß es vielmehr um die Legitimation von Theoderichs Schwiegersohn, Eutharich, ging, den Theoderich nach Darstellung der Getica als verlorengegangenen Amaler1 4 3 2 1) Jord., Get. IV 29 (vgl. los., Ant. I 6,1 u. Ez. 38 f.); Get. V-XIII; bes. IX 58: "quos Getas iam superiori loco Gothos esse probavimus, Orosio Paulo dicente"; VII 49-VII 57 (Amazonen) u. IX (Telephos). 2) Oros. VII 4-3,4 ff.; Z.B. Jord., Get. XVI 89: ... Gothi, ut adsolet, subtracta sibi stipendia sua aegre ferentes, de amicis effecti sunt inimici, nam quamvis remoti sub regi­ bus viverent suis, rei publicae tamen Romanae foederati erant et annua munera percipiebat. Get. XXI 112: nam et ut famosissimam et Romae emulam in suo nomine conderet civi­ tatem, Gothorum interfuit operatio, qui foedus inito cum imperatore quadraginta suorum milia illi in solacio contra gentes varias obtulere: quorum et numerus et militia usque ad praesens iure publica nominatur, id est foederati. Get. XXXVI 19o: felix procinctum, auxilium tutum, suave collegium habere solacia illorum, quibus delectat ipsa etiam simul subire discrimina, (das letzte zur Hilfeleistung der West­ goten auf den Katalaunisehen Feldern !) 3) Schmjdt .1 (1941), 254; vgl. Gutschmid (I894 ), 3 I0 (beide nach Schirren) 4) Die Heiratspolitik Theoderichs zeigt zur Genüge, wie begehrt amalische Prinzessinnen waren; Cass., Var. IV 1,1: ... ut qui de regia stirpe descenditis, nunc etiam longius claritate Amali sanguinis fulgeatis, (vgl. Jord., Get. XXIX 146)

- 32 in Spanien gefunden hat, den er zu seinem Nachfolger machen wollte und der so oft und gerade im Stammbaum der Amaler in den Getica erwähnt wird.^ Besteht die Alternative zwischen Eutharich und seinem Sohn, kann man sich wohl nur für den ersteren entscheiden. Denn Athalarichs Legitimität wurde - zumindest auf römischer Seite - nie bestritten und seine Eigenschaft als Amaler stand wohl weder bei Goten, noch bei Römern überhaupt zur Dis­ kussion. Aber sowohl die Gotengeschichte Cassiodors, wie das Exzerpt des Jordanes waren vornehmlich an Römer adres­ siert und Cassiodor - oder Jordanes - konnte den mehrfach genannten Germanus Postumus problemlos als Amaler bezeichnen, auch wenn nur seine Mutter diesem Geschlecht angehörte. Hingegen war gerade die Nachfolge Eutharichs auf dem Thron Theoderichs in römischen Kreisen äußerst umstritten.2 ^ Da­ raus ist zu schließen, daß, wenn die Betonung auf der Ab­ stammung Eutharichs in den Getica und auf der Athalarichs in Var. IX 25 überhaupt einen Sinn hat, die Gotengeschichte unter anderem der Legitimation des praesumptiven Nachfolger Theoderichs dienen sollte - dabei sei hintangestellt, ob der Stammbaum Eutharichs echt oder unecht ist. Steht Cassio­ dors Gotische Geschichte im Zusammenhang der Verhandlungen um Eutharichs Anerkennung als Thronfolger, so ergibt sich für die zeitliche Ansetzung dieses Werkes etwa das Jahr 519. also der Zeitpunkt, zu dem auch seine Chronik erschien.1 2 1) Wenn - ist es doch Eutharichs Stammbaum bei Jordanes, der unecht zu sein scheint» Gutschmid (1894), 31o» Schmidt I (1941), 254 (wogegen sich allerdings schon früh Stimmen er­ hoben haben» Thorbecke (I967 ), 18 )5 vgl. Jord., Get. XIV 80 f. ; XLVIII 251 sowie Sundwall (1919), 22? ff. u. W. Enßlin, Theoderich der Große, München 1959 (2. Aufl.), 293/296 ff.j s. auch Wolfram (1979). 26 ff. u. Wenskus (1973), 2472) vgl. die Äußerungen über Eutharich» An. Vales. 80 ff. ; selbst und gerade wenn Eutharichs Stammbaum echt ist (vgl. Wenskus (1973), 247), könnte Theoderich (An. Hold.» prae­ cipiente Theodericho rege) die Legitimität der Amalergenealogie und des dynastischen Gedankens gegen die Vorbehalte der Senats­ aristokratie (vgl. Sundwall (1919), 227 ff·) ins Feld geführt sehen wollen. Denn das Motiv bestand in einer an römische Kreise gerichteten Schrift (Var. IX 25,5* Originem Gothicam fecit esse Romanam), bestimmt nicht in einer gentilen, gotischen Legitimation. Der Streit um die Nachfolge Theoderichs entbrannte bald nach Eutharichs Tod von neuem« Sundwall (1919), 243 u. Wes (1967 ), 174 ff.

- 33 Dies ergibt sich eindeutig auch aus einem Vergleich der Disposition der Historia Gothica mit Jordanes' Getica."*"^ Eutharich muß als Schwiegersohn Theoderichs und Vater Athalarichs am Ende des AmalerStammbaumes gestanden haben« den Cassiodors Historia Gothica, von der er 533 sprechen konnte, enthielt. Aber nach diesem besonderen Nachdruck, den die Gotengeschichte Cassiodors auf die Person Eutharichs ge­ legt haben muß, verwundert es umso mehr, daß von ihm nicht mehr die Rede ist, als er der offizielle Nachfolger Theode­ richs wird. Und jeweils an den Stellen, da von Eutharich, seiner Ehe und der Geburt seines Sohnes gesprochen wird, folgt in den Getica eine Bemerkung über Germanus und Ger­ manus Postumus.^ Die Getica legen also einen ähnlichen Nachdruck auf Germanus, wie die Historia Gothica auf Eutha­ rich. Überhaupt fehlen in den letzten Kapiteln der Getica die Lobeserhebungen auf Theoderich und Eutharich, die man für die Historia Gothica nach dem Gesagten hätte erwarten können. Schon dies allein ließe eine Überarbeitung an­ nehmen. Der Vergleich lehrt, 'daiß der öffentliche Anlaß für beide, die ursprüngliche, vollständige Version und Jordanes' Exzerpt, im wesentlichen derselbe waur - insofern, als er die drei Elemente einer Heirat in der gotischen Königsfaunilie und eines weiblichen Abkömmlings Theoderichs, der Geburt eines männlichen Erben und der Rolle des Vaters li)

bei der Sicherung der neuen Erbfolgelinie enthielt'. ' Es scheint, als wäre die Gotische Geschichte Cassiodors - von ihm selbst oder von Jordanes - von einer Hochzeit bzw. Geburt auf eine aindere umgewidmet worden und der Zeitpunkt1 3 2 1) O ’Donnell (1979), W- ff. 2) bes. Jord., Get. XIV 81 u. XLVIII 251 3) Die Worte Get. LVIII 3o3» "nee fuit in paurte occidua gens, quae Theodprico, dum adviveret, aut aunicitia aut subiectione non deserviret." lassen zumindest auf einen 'Panegyricus' Theoderichs schließen. k) O'Donnell (1979), "... that the public occasions for both the original full version auid Jordanes' abridgement were essentially the same, including the three elements of a mairriage in the Gothic royal faunily of a female descendent of Theoderic, the birth of a male heir, and the role of the father in pro­ tecting the new line of succession."

- y* der Veröffentlichung der Gotengeschichte, von der Cassiodor $33 spricht, etwa um das Jahr 519 - oder etwas zuvor - zu

suchen^ ♦ Dieses Ergebnis widerspricht vordergründig den Worten Jordanes’, daß Cassiodors Gotengeschichte "usque nunc" handele, was eben nicht so verstanden werden darf, daß Jor­ danes hier Cassiodors Worte benutzt^. Denn gerade in der Vorrede der Getica spricht Jordanes in Rufinus' Worten Ziel und Vorhaben seiner Arbeit aus.^^ Dieser Widerspruch ist nur mit der These Momiglianos aufzuheben, daß nämlich Cassio­ dor die erste Fassving seines Werkes - nach der Fertigstellung im Jahre 519 - auch weiterhin bearbeitete. Einen weiteren Hinweis darauf, daß dies so ist, gibt die inhaltliche Gliederung der Getica. 'Nimmt man die sechzig Kapitel der Getica und teilt sie durch zwölf (die Zahl der Bücher in der Gotischen Geschichte), ist es sinnvoll anzuneh­ men, daß jedes Buch des Originals in annähernd fünf Kapiteln des Exzerpts wiedererscheint. Ist es dann möglich, daß der Inhalt der Kapitel 5-13 ··· den der Bücher II und III des Originals darstellt (auf das geographisch-prähistorische Buch, wiedergespiegelt von den Kapiteln 1-4, folgend)?1 1) O ’Donnell (a.a.O.) tritt für 519 - also dengleichen Zeit­ punkt wie der der Abfassung der Chronik - ein* bedenkt man aber, daß die Darstellung bei Jord., Get. LVIII 298 zeitlich nur bis zur Eheschließung von Eutharich und Amalasuntha reicht, in diesem Kapitel nur zeitlich vorher liegende kriegerische Ereignisse und Eheschließungen, sowie die Ergänzving der west­ gotischen Geschichte bis zur Expedition des Liberius folgen, nicht aber eine Nachricht über den Konsulat Eutharichs, wäre diese Eheschließung (515) ebenso als Anlaß für die Gotengeschich­ te Cassiodors denkbar, wie die Geburt Athalarichs (517)· Für die Ansetzung Mommsens (Jordanesausgabe, LXIs 526-533) gibt es keine objektiven Gründe (vgl. Besselaar (1945), 39 ) f zur An­ setzung üseners(519 -522 ) vgl. Exk. I. 2) so Köpke (1859 ), 74j vgl. oben S. 19 Anm. 5 3) Kaum dürfte der Titel von Cassiodors Werk gewesen sein: De origine actibusque Getarum (oder ähnlich) ab olim et usque nunc (vgl. unten S. 38 Anm. 2). 4) O'Donnell (1979)» 5o Anm.24: "Taking the sixty chapters of the Getica and dividing them by twelve (the number of books in the Gothic History), it is not unreasonable to assume that each book of the original may be reflected in approximately five chapters of the abridgement. It is then possible that the con­ tents of Chapters 5-13 ··· represent Books II and III (following the geographical-prehistorical book reflected by Chapters 1-4) of the original?"

- 35 Ausgehend von dieser Annahme, daß etwa fünf Kapitel der Getica jeweils einem Buch der Historia Gothica entsprechen,^ daß also die ersten dreizehn Kapitel der Getica in etwa die ersten drei Bücher der Gotengeschichte beinhalten, kann auch für die folgenden Bücher eine Gliederung gege­ ben werden. Die Dreigliederung der Wohnsitze der Goten (Get. V 38) läßt eine ähnliche Gliederung der Bücher er­ warten. Also entspräche der Inhalt des verlorenen Buches II (Get. V-IX) den Ereignissen während der Zeit, für die die Goten mit den Skythen identifiziert werden, also in der Vorstellung Cassiodors in Skythien ansässig waren. Buch III (Get. X-XIII) enthielte also die Darstellung der Zeit, da die Goten mit den Geto-Dakern gleichgesetzt werden und in Dakien beheimatet gewesen sein sollen. Die mit der Stamm­ tafel der Amaler (Get. XIV 79 ff·) eingeleitete Erzählung über die Zeit bis zur Aufnahme der Westgoten ins Römische Reich, als die Goten nördlich des Schwarzen Meeres sie­ delten, wäre somit als Inhalt der Bücher IV und V (Get. XIV-ca. XXV) zu vermuten, wobei die Trennung zwischen die­ sen beiden Büchern etwa in der Mitte dieses Abschnitts (vor oder nach Kap. XX) zu suchen wäre. Die Bücher VI und VII hätten dann die westgotische Geschichte bis zum Vorabend der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern berichtet (Get. XXVI-XXXIII oder XXXV), während das ganze Buch VIII (Get. XXXIV oder XXXVI-XLI) aus verständlichen Gründen^ nur den ausführlichen Bericht von besagter Schlacht enthielte. Buch IX (Get. XLII-XLVII) umfaßte den Rest der westgotischen Ge­ schichte bis auf Alarich II. und mit dem Rückgriff auf die Ostgoten zur Zeit Ermanarichs-^ begänne Buch X (Get. XLVII-LI),1 1) Auch die mir wenig mehr als 3oo Paragraphen der Getica könnten die§ nahelegenj es kämen etwa $ Paragraphen auf ein Kapitel,“ wie es oft genau der Fall ist. 2) vgl. oben S. 31 3) Die Floskeln, die Jordanes verwendet, um nach einem Ex­ kurs den Faden der Erzählung wieder aufzunehmen, eignen sich weder für eine Gliederung der Getica, noch für eine Ausson­ derung der Anteile des Jordanes daran (vgl. Köpke (1859)» 7*0» da der hier aufgenommene Erzählstrang eine Zuweisung aller Berichte über die Westgoten an Jordanes nahelegte (vgl. Gutschmid (189*0, 3o9), was nicht angehen kann.

- 36 das von dem Zerfall des Attilareiches und den Wohnsitzen der verschiedenen Völker zu dieser Zeit handelt. Buch XI (Get. LII-LVI) nähme die Zeit der Regierung Valamirs, Thiudemirs und Vidimirs und die Jugend Theoderichs des Großen ein. Das Buch XII muß also die Schilderung des Aufstiegs und der Regierung Theoderichs enthalten haben. Aber nur die Hälfte der verbleibenden Kapitel (Get. LVII-LVIII) be­ schäftigt sich hiermit, während main nach Cassiodors Aus­ sagen und dem oben ausgeführten gerade hier das Loblied Theoderichs und Eutharichs erwarten muß. Es ist kaum denk­ bar, daß Jordanes die Gliederung Cassiodors^ so genau erkennen läßt, andererseits bei ihm aber gerade die Inhalts­ angabe des letzten Buches über Theoderich nur den halben Umfang einer der anderen Bücher hätte. Jordanes hätte dort eben zu dem Zeitpunkt abgebrochen, der aus anderen Passagen seines Werkes als das Ende der ersten Fassung der Goten­ geschichte Cassiodors erschlossen werden konnte. Cassiodor wird aus Gründen der einheitlichen Komposition den Umfang des letzten Buches über Theoderich auch nicht auf den halben der sonstigen Bücher festgelegt haben. Wenn also Jordanes, wie oben gezeigt, die Bücher der Historia Gothica in relativ gleichmäßigem Umfang wiedergibt, müssen auch die beiden letzten Kapitel der Getica auf Cassiodor - genauer: auf das letzte Buch seiner Historia Gothica - zurückgehen. Denn Jordanes sagt mar, daß er am Ende etwas hinzugefügt hätte, nicht, daß er gekürzt hätte. Einen weiteren eindeutigen Beleg für die vorgetragene Ansicht liefert Alfred von Gutschmid ' in dem Bemühen, die völlige Abhängigkeit Jordanes' von Cassiodor - allerdings nur bis Get. LVIII einschließlich-^ - nachzuweisen. Aus-1 1) In dieser Gliederung tritt der Amalerstammbaum und die Betonung auf Eutharich jeweils am Anfang eines cassiodorianischen Buches hervor (vgl. unten S. 48 )· Zeitliche Lücken in der Darstellung hatte schon Schirren bemerkt (vgl. Gutschmid (1894), 293 f«); diese beruhen wohl auf dem Wechsel der Quellen durch Cassiodor und belegen damit nicht nur die Arbeitsweise Cassiodors, sondern auch die oben gegebene Gliederung (vgl. bes. die Lücke nach Jord., Get. XIII). 2) Gutschmid (1894), 32o ff. 3) vgl. ebda., 297

- 37 gehend von den wenigen einleitenden Worten des Jordanes·^ und dessen merkwürdiger Angabe einer Dauer des gotischen 2) Königtums von 'ungefähr 2o3o Jahren' ' bis zur Kapitulation des Wittigis (5^o) rekonstruiert er die Generationenzeit­ rechnung Cassiodors, die er für Amazonenköniginnen, Skythen-, 3) Daker-, Gotenkönige und Amaler verifizieren kann. ’ Von 5^o zurückgerechnet, ergibt sich das Jahr 1^9o v. Chr. für den Aufbruch der Goten aus Scandza unter ihrem König Berig. Gutschmid kommt zu den Ergebnissen: "Eine derartige Zeit­ bestimmung kann selbstverständlich dem Cassiodor nicht überliefert, sondern nur durch Rechnung von ihm ermittelt worden sein. Aus einer Angabe allgemeinerer Bedeutung, etwa über die Völkertheilung, ist sie nicht abstrahirtj sie muss sich wirklich auf den Ausgangspunkt der gothischen Geschichte beziehen: als solchen aber betrachtet Cassiodor die Aus1 £\ Wanderung der Gothen aus Scandza."-" "Indem er nämlich den Anfang der gothischen Geschichte annäherungsweise in das Jahr 1^9o v. Chr. setzte, stützte er sich ohne Zweifel auf das Zeugnis des Herodotos (IV,7), von dem Ursprung der Skythen seien nach deren eigner Angabe looo Jahre bis auf den Übergang des Dareios nach E u r o p a . "... also war die Generationenrechnung wirklich von Cassiodorius gleichmäßig durch die ganze Vorgeschichte der Gothen bis auf Ermanarich durchgeführt, und nun verstehen wir erst, was es heisst, wenn Jordanis es als seine Aufgabe bezeichnet, beim Ausziehen1 6 5 * 3 2 1) Get., Praef. lj problematisch ist nur die korrupte Form von 'descendere', für die Gutschmid das wohl unmögliche •descendendo' annimmt - nach der bei Mommsen nicht vorhandenen Variante: 'descendendum' (vgl. a.a.O., 32o, die Anm. des Hrgs.) trotzdem sind die Worte Jordanes' verständlich (vgl. oben S. 19 Anm. 5 und unten S. 38 Anm. 2). 2) Get. LX 313« "pene duomillensimo et tricesimo anno" 3) Diese Generationenrechnung von ca. 33 1/3 Jahren ergibt sich z’.B. auch in Cassiodors Chronik für die Assyrerkönige, die danach durchschnittlich etwas über 3^ Jahre regiert hätten. *0 Würde man diese Zeitangabe Cassiodors in seine Chronik übertragen, müßte man die Auswanderung der Goten etwa im 2o. Jahr der Regierung des assyrischen Königs Ascatadis erwarten, unter der (im 5· Jahr nach Hieronymus' Chronik, die Cassio­ dor ausschreibt) Cassiodor nur den Auszug der Kinder Israel aus Ägypten (!) verzeichnet. 5) Gutschmid (189^), 321 6) ebda., 323

- 38 seines Originals sich an den Faden der Generationen und Könige zu h a l t e n . G a n z richtig versteht man Jordanes' Aussage aber erst, wenn man bedenkt, daß er damit nicht 2) sein eigenes, sondern Cassiodors Vorgehen beschreiben will. Die Argumente Gutschmids belegen aber nicht nur das Gene­ rationenschema Cassiodors, sondern auch, daß die Zeitan­ gabe des 2o3o. Jahres des gotischen Königtums auf Cassiodor z u r ü c k g e h t , a l s o der Fall Ravennas (5*+o) noch in seiner Gotengeschichte behandelt wurde. Dann kann man aber kaum noch Jordanes auch nur die Urheberschaft an dem Bericht über die Schicksale der Amalerfamilie nach 5*+o in Konstantinopel belassen. Cassiodor verfaßte also seine Gotische Geschichte zum Preise Theoderichs und Eutharichs bis spätestens 519« Wei­ terhin kann man feststellen, daß Jordanes nur die Vorrede, die kurzen Schlußworte und einige Äußerungen Uber seine eigene Familie angehören. Betrachtet man nun, was Cassiodor an der ersten Version seines Werkes später geändert und ihr hinzugefügt haben muß, so gelangt man unter Berücksich­ tigung der These Momiglianos, daß Cassiodor an der Her­ stellung des Exzerpts durch Jordanes nicht ganz unbeteiligt gewesen sein kann, zu weiteren Folgerungen. Die Umwidmung der Gotischen Geschichte von Eutharich auf Germanus wurde schon behauptet. Neben den Ergänzungen zur vandalischen Geschichte bis 533 und zur westgotischen bis 5 5 1 ^ erschei­ nen die Ausführungen über die Ostgoten aber recht lücken-1 1) Gutschmid (189*0, 327 2) vgl. die Variante 'descendentia' - in Mommsens Ausgabe, 53 Anm. zu Z. 7 (s. oben S. 19 Anm. 5) und oben S· 37 Anm. 1; zu verstehen ist also: Jordanes exzerpiert 'die zwölf Bücher Cassiodors, die anhand der Könige und Generationen (vgl. Gutschmid (189*0, 32o) von einst bis jetzt herabsteigen, über Ursprung und Taten der Goten’; Jordanes gibt hier den zeitlichen Rahmen und das Zeitschema Cassiodors an. 3) Jordanes schrieb sogar Zahlen, die zu seiner Zeit nicht mehr stimmten, aber leicht zu berichtigen waren, aus seinen Vorlagen ab (vgl. Rom. 3*0 und Wes (1967 ), 173)· *0 Der Nachtrag (Get. LVIII 3o3) über die Flottenexpedition des Liberius (Frühjahr 552s vgl. Stein II (19*0). 82o ff.) kann zur Datierung der Veröffentlichung der Getica wchl nicht herangezogen werden: vgl. Wagner (I967 ), 25 f*

- 39 haft. Insbesondere das Fehlen aller Nachrichten über die letzten Jahre Theoderichs muß verwundern. Motive, die Er­ eignisse um die Hinrichtungen von Boethius und Symmachus und den Tod des Papstes Johannes I. nicht zu erwähnen, sind zwar nicht für Jordanes, hingegen aber sehr wohl für Cassiodor denkbar.^ Auch wird die Regentschaft Amalasunthas immerhin ist diese der zeitliche Rahmen des vorletzten Kapi­ tels der Getica - ziemlich pauschal abgehandelt, während im Vergleich dazu der Gotenkrieg bis 5^0 eine ausführliche Dar­ stellung erfährt. Aus der Bemerkung Cassiodors über die Dauer des gotischen Königtums bis 5^0 ist zu entnehmen, daß er damit das amalische Königtum und die Herrschaft der Goten in Italien als erledigt betrachtete^. In der Folge berichtet er auch nur noch über die Familiengeschichte der Amaler in Konstantinopel. Die Überarbeitung Cassiodors hält also einer­ seits zwar an der Glorifizierung der Amaler fest, übernimmt aber andererseits die offizielle, justinianische Sicht des Geschehens, ist somit zeitlich wohl in der Nähe des Jahres 55o und örtlich in Konstantinopel erfolgt-^. Wenn Jordanes die erste Version von Cassiodors Werk schon einmal durchge­ arbeitet hatte^, ist es auch durchaus vorstellbar, daß er die wenigen Ergänzungen Cassiodors in nur drei Tagen in sein Exzerpt hineingearbeitet hat-^. Nicht nur, daß Jordanes die Getica - gewissermaßen als Vorabdruck - auf Veranlassung Cassiodors veröffentlicht zu haben scheint^, es scheint auch wahrscheinlich, daß Cassiodor mit der Überarbeitung seines Werkes noch nicht fertig war^, vielmehr noch an der1 1) Während ansonsten Regierungswechsel und Sterbefälle von otischen Königen am Ende eines Kapitels berichtet werden Z.B. Get. XXXI 158, XXXII I63 , XXXIII 175. XLIII 228, XLIV 23^. LVI 288), beginnt das Kap. LIX mit dem Tod Theoderichs. 2) eine auch heute noch zu vertretende Auffassung: Sundwall (19 19 )/ 3oo ff. und Wolfram (1979). ^32. 3) vgl. oben S. 19 m· Anm. 2 k) Get., Praef. 2: ... ad triduanam lectionem dispensatoris eius beneficio libros ipsos antehac r e l e g i , (vgl. Momigliano (1955), 217 f. und O ’Donnell (1979), ^7) 5) vgl. Wagner (1967 ), 51 6) vgl. oben S. 25 ff« und die bedenkenswerte Bemerkung von Kurt Latte in den Entretiens ... zu Momigliano (1956), a.a.0., 281: "Man gewinnt fast den Eindruck, als ob in den Jahrhunder­ ten 5 und 6 sich die Existenz eines Buches auf ganz wenige Exemplare beschränkt. Das würde das Verhältnis der Gothica Cassiodors zu Jordanes erklären." 7) vgl. oben S. 18 (m. Anm. 1) ff.

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Schilderung der weiteren Ereignisse des Gotenkrieges arbei­ tete, um das Verdienst Justinians an einem solchen Erfolg und seine eigenen Ideen bezüglich der Neuordnung des West­ reiches und der vorstellbaren Rolle des Germanus - bzw. später des Germanus Postumus - dabei zum gegebenen Zeitpunkt richtig heraussteilen zu können. Dann ließen sich auch die fast gleichlautenden Worte von Jordanes (Rom. 373 bzw. 379) und dem Fortsetzer des Marcellinus Comes (ad a. 536,7 bzw. 5^2,2) über die Heirat des Wittigis und über Totila plausi­ bel als Zitate aus Cassiodors Historia Gothica erklären.^ Das Verhältnis zwischen der Bearbeitung der Historia Gothica von Cassiodor und den Getica des Jordanes wäre abschließend also dahingehend zu charakterisieren, daß Cassiodor beab­ sichtigte, zu passender Gelegenheit eine auf Germanus zuge­ schnittene Version seines Werkes vorzulegen. Der über­ raschende Tod des Germanus machte aber sein Vorhaben über­ flüssig, so daß er vielleicht sogar die weitere Arbeit an der Gotischen Geschichte einstellte. Jordanes, der ja schon einmal an Cassiodors umfangreichem Werk gearbeitet hatte und als Gote geeignet erschien, einen versöhnlichen Stand­ punkt zu vertreten, erhielt die Gelegenheit, weitere Aus­ züge auch aus der überarbeiteten Fassung zu machen, die er dann möglicherweise auch in seine Romana übernahm. Es soll­ te nämlich eine aktuelle Schrift vorgelegt werden, deren Konzeption nunmehr darauf hinauslief, den amalischen Stamm­ baum bis auf Germanus Postumus als Argument im Sinne der Gruppe um Cassiodor in die Diskussion um den vakanten Ober­ befehl und die abzusehende Neuordnung der italischen Ver­ hältnisse zu werfen.1 1) vgl. Momigliano (1956), 2?1 f

Ill DIE LITERARISCHE PROBLEMATIK DER VARIAE Die oft vertretene Ansicht, daß der Gesichtspunkt, unter dem Cassiodor seine Amtsbriefe zusammenstellte, hauptsäch­ lich literarischer Natur sei, hat gewiß einiges für sich. Doch auch Cassiodors ausführliche Abhandlung über drei ge­ sellschaftlichen Schichten entsprechende rhetorische Sprach­ stile in der ersten Praefatio zu seiner BriefSammlung, ^ kann nicht davon überzeugen, daß Cassiodor vornehmlich 2)

Stilübungen und -Vorlagen zusammenstellen wollte, ' da sich entgegen seiner vornehm zurückhaltenden Behauptung von diesem in der Praefatio ausgebreiteten Konzept nichts in den verschiedenen Schriftstücken f i n d e t . Z u m i n d e s t neben dem literarischen wird main einem Historiker, wie Cassiodor, auch ein historiographisches Vorhaben unterstellen müssen. Cassiodor läßt in besagter Vorrede zu den Varien seine ima­ ginären Gesprächspartner sagen: ’Wir bitten dich, hülle nicht wieder in das Dunkel des Schweigens diejenigen, die, als du sprachst, verdienten, illustre Würden anzunehmen. Denn du hast dir vorgenommen, jene mit wahrem Lob zu beschreiben und gewissermaßen mit historischen Farben abzumalen.’ Und weiter unten: ’Du verbirgst sozusagen auch den Spiegel deines Geistes, in dem dich jedes kommende Zeitalter betrachten k a n n . D a m i t gibt er seine Absicht kund, den in den Variae erwähnten und1 1) Cass.i Var., Praef. I 16 ff. 2) so z'.B. 'B. Hasenstab, Studien zur Variensammlung des Cassiodorius Senator - Ein Beitrag zur Geschichte der Ost­ gotenherrschaft in Italien, Programm (Maximilians-Gymn.), München I883 , 7 f*) vgl. auch Besselaar (19^5), 69/I 27 ff. 3) vgl. O ’Donnell (1975), 169, u. ders. (1979), 7 V 8 7 k) Var., Praef. I 9: "Noli, quaesumus, in obscurum silentii revocare, qui te dicente meruerunt illustres dignitates ac­ cipere. Tu enim illos assumpsisti vera laude describere et quodam modo h i s t o r i c o colore depingere." und lo: "Celas etiam, ut ita dixerim, speculum mentis tuae, ubi te omnis aetas ventura possit inspicere."

- h2 gepriesenen Personen ein Denkmal zu setzen1^ und andererseits auch den Schlüssel für seine eigene - politische - Tätigkeit zu liefern. Wohlweislich legt er diese Worte seinen Freunden 2) in den Mund, um sich von ihnen scheinbar überreden zu lassen. Wenn er weiterhin seine rhetorischen Grundsätze darlegt, deren fehlende Befolgung allerdings die Vordergründigkeit seiner Erörterung beweist, versucht er wohl nur seine eigentliche Absicht in den Hintergrund treten zu lassen. Ein weiteres, Historiker immer wieder beschäftigendes Pro­ blem ist die Urheberschaft der Inhalte der einzelnen Briefe. Offiziell sind - bis auf die Bücher XI und XII (und auch diese mit den Ausnahmen der Briefe XI 13 u. XII 17) - alle Briefe nicht von Cassiodor, sondern von seinen Auftraggebern verfaßt. Man mag Cassiodor zwar die stilistische Ausarbeitung und Abfassung der Schreiben zuerkennen, doch zeichneten auf jeden Fall die­ jenigen für den Inhalt verantwortlich, namens derer sie geschrieben und versandt ' wurden. Auch die hinter den Formu­ lierungen Cassiodors stehenden Ansichten und Gedanken können Cassiodor nicht zugeschrieben werden, selbst wenn sie tat­ sächlich auf seinen Einfluß zurückzuführen wären, da er ja in seiner Amtseigenschaft des Königs Consistorium angehörte.^ Es wäre ein maßgeblicher Einfluß Cassiodors anzunehmen zu Zeiten, da er mit der Abfassung der Briefe die Kompetenzen eines Quaestors wahrnahm, obwohl er dieses Amt nicht bekleidete Doch könnte diese Tätigkeit auch seinen rhetorischen Fähig­ keiten angerechnet werden. Eine mit der Verantwortung für den Inhalt der Briefe eng verknüpfte Frage ist die nach einer Überarbeitung der Schriftstücke durch Cassiodor anläßlich der Kompilation. Diese Frage ist mit Nachdruck und mit der1 1) vgl. auch Var., Praef. I 9: "Quos si celebrandos posteris tradas, abstulisti, consuetudine maiorum, morientibus decenter interitum." 2) ebda. 12t "Victus stun, fateor, in verecundiam meam:" 3) so G. Lechler, Die Erlasse Theoderichs in Cassiodors Varien, Buch I-V, Programm Heilbronn 1888, III f.} vgl. Thor­ becke (186?)» 1 5 * und F. Titz, Casiodors Stellung zu Theoderich, Programm Gablonz a.N. 190 I, 2o. 4) Eine wahrhaft 'ketzerische' Frage ist diejenige, ob die von Cassiodor gesammelten Briefe überhaupt abgeschickt wurden. In der Tat gibt es keinen Beleg außerhalb der Variae dafür, daß auch nur ein Schreiben an den Empfänger abgegangen ist und diesen erreicht hat. 5 ) vgl. Besselaar (19^5), W , u. O ’Donnell (1979). 59

- ^3 Begründung zu verneinen, daß Cassiodor behauptet, die Variae enthielten, 'was ich von meinen Diktaten in den Ämtern der Quaestur, des Magisterium und der Praefektur in verschiedenen öffentlichen Akten finden konnte'.^ Gerade auch die immer wieder für eine Überarbeitung durch Cassiodor als Argument ins Feld geführten fehlenden und durch allgemeine Pronomina ersetzten Personen- und Datumsangaben belegen die Authentizität der Briefe. Denn: "Schon eine oberflächliche Vergleichung ... zeigt, dass in der Angabe und Auslassung von Personen- und Ortsnamen und Zahlen durchaus herrscht.

Und: "... die

k e i n e

C o n s e q u e n z

I n c o n s e q u e n z

in der

Auslassung beweist gerade, dass Senator (i.e. Cassiodor) die in den Akten Vorgefundenen Entwürfe so abschreiben liess, ß) k) wie sie Vorlagen Hasenstab vergleicht ' alle verkom­ menden Fälle, in denen bestimmte durch unbestimmte Angaben ersetzt sind, und kommt zu dem genannten Ergebnis. Den 68 Schreiben, in denen solch unbestimmte Angaben gemacht werden, steht eine weitaus größere Zahl gegenüber, die ganz genaue Angaben enthält. Insbesondere wenn "ille et ille" zu Gesandten ernannt werden, wird klar, daß Cassiodor die Namen der jewei­ ligen Abgesandten nicht verzeichnen konnte, da sie in den vor dem erteilten Auftrag abgefaßten Briefen nicht standen. Eben Nennungen und Ernennungen von Gesandten nehmen aber den größ­ ten Teil dieser allgemeinen Angaben ein. In den so häufigen Ernennungsschreiben tritt aber nie dergleichen auf. Dies gilt selbstverständlich nicht für die Bücher VI und VII, in denen alle Namen und Daten in beschriebener Weise behandelt werden und die weitaus größte Zahl z.B. der unbestimmten Indiktions­ angaben vorkommt, da Cassiodor mit diesen Formulare für künf­ tige Quaestoren liefern will. Als Fazit ist dieser Argumen­ tation zu entnehmen, daß Cassiodors Variae keine literarischen Stilübungen sind, sondern - mit Ausnahme der Bücher VI und VII - der einzigartige Fall einer Primärquelle aus den wich­ tigsten Verwaltungsstellen des Ostgotenreiches.^ Nur deshalb1 5 * 3 2 1) Var., Praef. I 13: "Et ideo quod in quaesturae, magisterii ac praefecturae dignitatibus a me dictatum in diversis pub­ licis actibus potui reperire ..." 2) Hasenstab (1883), 1? 3) ebda., 2^5 vgl. Lechler (1888), X f. k) Hasenstab (1883), 13 ff. 5) ebda., 2^j vgl. Besselaar (19^5). 77

- kk konnten Felix Dahn, Theodor Mommsen und andere aus ihnen ein Bild von der inneren Struktur dieses Reiches gewinnen. Wenn auch nicht auszuschließen ist, daß Cassiodor im nachhinein und absichtlich einzelne Namen, wie das Beispiel des Abun­ dantius lehrt,^ durch unbestimmte Pronomina ersetzte, so beschränken sich doch z.B. die ungenauen Indiktionenangaben 2) außerhalb der Bücher VI und VII der Varien auf sechs . Dies ist insofern von Bedeutung, als Cassiodor die nach damaligem Brauch üblichen kurzen Anhänge zu Daten, Fristen, Mengen usw. in den in die Variae aufgenommenen Schriftstücken weg­ ließ und die bisher weitgehend bestrittene chronologische Anordnung der Briefe den Schlüssel für das Verständnis der Variae und einzelner Ereignisse im und um das Ostgotenreich abgibt. Zwar geht es an dieser Stelle nicht darum, die in den Variae erwähnten Ereignisse und Tatsachen zu untersuchen, doch könnten eventuelle Ergebnisse bezüglich der politi­ schen Tätigkeit Cassiodors und der quellenkritischen Analyse seiner Werke auch für solche Vorhaben Bedeutung erlangen. Hier steht aber vor allem Cassiodors Bedeutung und Wirksam­ keit als Politiker zur Debatte. Aus Cassiodors Chronik läßt sich wenig, aus Jordanes’ Exzerpt eher etwas über diesen und über den Cassiodor der Mitte des sechsten Jahrhunderts ent­ nehmen. Die Variae können aber nur insofern zur Rekonstruk­ tion der politischen Konzeption Cassiodors herangezogen wer­ den, als Cassiodor der Autor dieses Werkes genannt werden kann. Denn solange keine Quellen über Cassiodors Einfluß auf die Inhalte der Politik Auskunft geben, können die in den Varien enthaltenen politischen Äußerungen nur den offiziellen Unterzeichnern zugeschrieben werden. Zwar kann man die Briefe alle für eine Untersuchung des Stils und der literarischen Qualitäten Cassiodors verwenden, doch will man die politischen Ambitionen des Autors erörtern, muß man die Auswahl, die Zu­ sammenstellung und die Anordnung der Schreiben in besonderem Maße berücksichtigen. Denn es stehen uns kaum politische1 1) Augenscheinlich war es dieser, der ungnädig aus der Praefektur entlassen und durch Avienus ersetzt wurde; wohl deshalb verschwieg Cassiodor seinen Namen Var. VIII 2o,l f. (Sundwall (1919), 263 f., u. O ’Donnell (1979), 76 Anm. 26). 2) Var. V 7,lA? IX 7 Λ ; XI 3 6 Λ ; XII 1,*»·} XII 8,3* XII 11,3

- ^5 Äußerungen Cassiodors - in eigenem Namen - zur Verfügung. Es ist weiterhin völlig ungeklärt, ob Cassiodor mit der Ver­ öffentlichung seiner Amtsschreiben nicht auch politische Ziele verfolgte. Dieser Gesichtspunkt scheint von größerem Interesse, nachdem Momiglianos Thesen bezüglich einer min­ destens bis 55 ° andauernden politisch-propagandistischen Tätigkeit Cassiodors bekräftigt wurden und die Veröffentli­ chung der Variae also zwischen dem Ausscheiden Cassiodors aus ostgotischen Diensten und der Neuauflage seiner Goti­ schen Geschichte anzusetzen ist. Die Variae können dann kaum noch als 'Schlußstein einer Karriere' bezeichnet werden."^ Ist vielleicht die eigentliche Absicht Cassiodors nach seinen oben zitierten Worten nur in der Wahrung des Anden­ kens einzelner Personen zu suchen, so wurden die Variae doch in vielfältiger Hinsicht von modernen Historikern als die wichtigste Quelle für die Geschichte des ostgotischen Italien herangezogen. Ihre Authentizität machte dies möglich. Anderer­ seits dienten die Variae aber auch dazu, die politische Karri­ ere Cassiodors zu umreißen, insbesondere die Amtszeiten sei­ ner Quaestur, des Magisterium und der Praefektur festzustel­ len. Wie d a r g e l e g t , h a b e n sich die Ansetzungen Mommsens auf 507 -5 1 1 , 523-527 und 533-537/8 durchgesetzt. Nur in wenigen Punkten wurde ihm widersprochen. Die Datierungen Mommsens stützen sich auf die Erwähnungen bestimmter Indik­ tionen in den Amtsbriefen Cassiodors. Die Indiktion, ursprüng­ lich eine außerordentliche Steuerveranlagung, wurde seit Diokletian regelmäßig für jeweils fünf, seit Konstantin dann für jeweils fünfzehn Jahre vorgenommen. Die festgesetzten Steuern wurden jedes Jahr im Herbst (am 1. Sept.) zumeist in Naturalien eingezogen. Die Bedeutung dieses Termins veranlaßte seine Verwendung als Zeitangabe. Der fünfzehnjährige Indiktionenjsyklus wurde fortan als regelrechte Zeitrechnung ge­ braucht, wobei die einzelnen Jahre innerhalb eines Zyklus (von eins bis fünfzehn), aber nicht die aufeinanderfolgenden Zyklen durchgezählt wurden. Der Begriff der 'indictio' be­ zeichnet aber sowohl die Festsetzung der Steuerabgaben alle 1) O'Donnell (1975). 135 (als Kapitelüberschrift): "Capstone of a Career" 2) s. oben S. 8 f.

- k6 fünfzehn Jahre, wie den fünfzehnjährigen Zyklus, die all­ jährliche Steuerentrichtung, ihren festen Termin und auch das Jahr zwischen zwei solchen Zeitpunkten. Obwohl zu seiner Zeit auch noch die Datierung nach Konsulaten gang und gäbe war, finden sich in den Briefen Cassiodors aus­ schließlich Zeitangaben und Datierungen nach Indiktionen: dies bei Ernennungen, die jeweils zum 1. Sept, erfolgten,^ und bei Steuerverfügungen. Wohl nur der Konsulat begann nach wie vor am 1. J a n . I n Cassiodors Sprachgebrauch umfaßt der Begriff der ’indictio' nicht mehr den Indiktio­ nenzyklus, die Indiktionenzeitrechnung oder die Steuerfest­ setzung, sondern entweder den Termin der Steuerzahlung (also den 1. Sept.) oder das Indiktionenjahr, das durch den regel­ mäßigen Amtsantritt an diesem Termin zu einem Amtsjahr ge­ worden war. Doch sind die von Cassiodor verwendeten Formu­ lierungen nicht eindeutig. Dies zeigt sich bei den Ernennungs­ schreiben. Während die Formulierung 'de illa indictione’ nur für Steuerverfügungen Verwendung findet, also wohl eine Be­ stimmung ’über ein Indiktionsjahr' trifft, könnte sich eine Ernennung 'per illam indictionem' von einer 'ab illa indicti­ one’ unterscheiden.Während Mommsen^ zu dem Schluß kommt, daß wohl nur die Provinzgouverneure genau zum 1. Sept, er­ nannt wurden, andere Amtsstellen hingegen nicht genau an die­ sem Termin besetzt wurden, dürfte der Unterschied zwischen den beiden Formulierungen aber nur darin bestehen, daß die in den Variae häufigere 'per ...', mit der Verfügungen für ein Jahr getroffen wurden, in dessen Dauer ein einzelnes Er­ eignis, wie ein Steuemachlaß stattfinden oder über das sich eine Tätigkeit erstrecken soll, den Begriff der Indiktion eben als Zeitraum faßt, hingegen eine Bestimmung z.B. be­ treffs einer Ernennung oder einer Steuererhöhung 'ab ...' diesen Begriff aber als den Zeitpunkt des 1. Sept, versteht, von dem an etwas Geltung haben soll.1 1) vgl. Hodgkin (1886); Mommsen, Varienausgabe, XXIVj Sund­ wall (I919 )» z.B. 15*4- f./l7^> allg. s. 0. Seeck, Art. Indictio, in: RE IX,2, 132? ff. u. E.J. Bickerman, Chronology of the Ancient World, Ithaca/N.Y. I968 (2. Aufl.), 78 f· 2) auch wenn das Formular Var. VI 1,5 die Ernennung eines Konsuls "per illam indictionem" verkündet. 3) Mommsen, Varienausgabe, XXIV ff.j vgl. auch ebda, den Index III v. L. Traube, sub verba ille (5*4-6 f.) et indictio (5*J-9 f. ). *0 ebda., XXVI

- 47 Die Indiktionenzeitrechnung ist einerseits Voraussetzung für die Datierung der Amtszeit Cassiodors, wie sie Mommsen vorgenommen hat, ist aber andererseits auch die einzige Mög­ lichkeit, genauere Daten für einzelne Briefe zu erlangen. Eine chronologische Anordnung der Briefe, wie sie hier be­ wiesen werden soll, ist in der Literatur zumeist abgelehnt worden, vor allem auch mit dem Hinweis auf die jeweils am Anfang bzw. am Ende der einzelnen Bücher der Variae einge­ ordneten Schreiben.2 ^ Trotzdem ist eine solche Ordnung als 3) einzige untersucht worden. Es läßt sich nämlich schon auf den ersten Blick eine grobe chronologische Ordnung der Bücher feststellen. Abgesehen von den Büchern VI und VII, auf die allein Cassiodor die Aussage bezieht,

'daß ich sowohl für

mich - wenn auch noch so spät (in meiner Amtszeit ?) - Vor­ sorge treffe, als auch meinen Nachfolgern (im Amt des Quaestors ?), wenn sie einmal unter Zeitdruck stehen, helfe', sind die einzelnen Bücher nach folgenden Grundsätzen ange­ ordnet s 1. folgen die Schreiben der gotischen Herrscher - in Büchern zusammengefaßt - aufeinander wie deren Regierungszeiten. 2. sind die Bücher augenscheinlich auch nach den verschie­ denen Ämtern Cassiodors getrennt. 3· trennen die Bücher VI und VII die Briefe Theoderichs von denen seiner Nachfolger und die Bücher XI und XII bilden ge­ wissermaßen einen Anhang aus den Briefen, die Cassiodor in seiner Eigenschaft als Praefectus praetorio schrieb. Es ergibt sich also folgendes Bilds1 1) Zu bedenken ist, daß gerade Cassiodors Indiktionsangaben Grund für die Annahme waren, daß die Ämter zum 1. Sept, an­ getreten wurden. Die Gefahr eines Zirkelschlusses liegt nahe. 2) Mommsen, Varienausgabe, XXVII 5 vgl. Sundwall (1919). 5o, u. O'Donnell (1979), 77* 3) von Tanzi (1887) und Mommsen im Vorwort zu seiner Varien­ ausgabe; auch Thorbecke (1867), 59. äußerte eine solche Ab­ sicht. Die Daten, die Mommsen in seiner Ausgabe den meisten aller Briefe voransetzt (Fridh druckt sie in seiner Ausgabe erneut ab), haben noch weitgehend Gültigkeit (s. PLRE II, passim). Sie werden den Ausgangspunkt für die folgenden Un­ tersuchungen bilden müssen, auch wenn Mommsen sie nicht alle begründete, sie nicht immer konsequent durchführte und ihm zuweilen Irrtümer unterlaufen sind. 4) Var., Praef. I 14: "... ut et mihi quamvis sero prospice­ rem et sequentibus in angusto tempore subvenirem"; vgl. oben S. 11 m. Anm. 2.

- 48 Tafel Ils Die Gliederung der Variae nach Regierungszeiten der Osteotenköniee und Amtszeiten Cassiodors Buch

Amt

König (Briefe)

Zeit1 2 ) 4 3

I

Theoderich

Quaestor sacri palatii

5o8

II

Theoderich

Quaestor sacri palatii

5o9

III IV

Theoderich

Quaestor sacri palatii

5 I0

Theoderich

Quaestor sacri palatii

511

V

Theoderich

Magister officiorum

523-526

VI

Theoderich ?

Quaestor sacri palatii ?

507 -5 II ?

VII

Theoderich ?

Quaestor sacri palatii ?

507 -5 II ?

VIII

Athalarich

Magister officiorum

526/527

T-LA Y

Athalarich (1-14) Athalarich (15-2o)

Magister officiorum Praefectus praetorio ?

.526/527 533

Y Λ

Theodahad Wittigis

Praefectus praetorio Praefectus praetorio

534/535 536/537

XI

Athalarich

Praefectus praetorio

533/534

XII

Praefectus praetorio Theodahad (1-15) Theodahad/Wittigis Praefectus praetorio (18-20 ?) (? 21-28)

' 535/536 536/537

(l-3o) (31-35)

Diese Grundzüge einer Ordnung sind offensichtlich und 2)

wurden schon oft vermerkt. ' Hinzu kommt die Tatsache, daß die Schreiben, die sich mit demselben Gegenstand befassen, auch direkt hintereinander stehen. ^ Außerdem hat man öfter bemerkt, daß Cassiodor die ersten und letzten Briefe eines Buches, die oft genug einer chronologischen Anordnung aller Briefe der Variae entgegenstehen, mit Absicht an diese Stellen setzt, um ihnen einen besonderen Ehrenrang zuzuweisen.^ 1) vgl. Taf. III/IV sp. 3 2) Thorbecke (1867), 58 f.; Hasenstab (1883), 5 ^ Tanzi (I887 ), 1 f. ; Mommsen, Varienausgabe, XXVII; Besselaar (1945). 4l Anm. 3 O'Donnell (1979)» 77 3) Tanzi (I887 ), 2 4) zuerst Thorbecke (I867 ), 59 ; ihm folgte Mommsen, Varien­ ausgabe, XXVII; vgl. auch Besselaar (1945), 25 , u. O'Donnell (1979), 77

-

-

Cassiodor tut dies, wie er selbst in der Begründung für eine Unterteilving in zwölf Bücher sagt, 'damit der Geist, obwohl die Aufmerksamkeit des Lesers durch die Vielfalt der Angele­ genheiten erregt wird, doch wirksamer davon ergriffen wird, da er sich ja immer auf den Schluß richtet'.·^ Er will offen­ sichtlich die Aufmerksamkeit des Lesers besonders auf den Schluß jedes einzelnen Buches lenken, wobei er wohl voraus­ setzt, daß der Anfang eines Buches diese von selbst auf sich zieht. So stehen z.B. an der ersten Stelle immer die Briefe an den Kaiser oder, wenn dies nicht der Fall ist, solche an ger­ manische Herrscherj letztere stehen sonst jeweils am Ende. Auch sind Schreiben an hervorragende Römer, wie Boethius, Symmachus und Cassiodor selbst, an das Ende von verschiedenen Büchern gestellt. Dies ist allerdings nicht immer der Fall, so daß die Folgerung, allein der Adressat würde der Grund für einen solchen Ehrenrang sein, voreilig wäre. Es wird sich zeigen, daß auch besondere Inhalte eines Schreibens bei Cas2 )und daß man siodor eine Stellung am Ende begründen können darüberhinaus diese Ehrenstellung von Anfang und Ende nicht auf die jeweils allerersten und -letzten beschränken darf. Vielmehr dürften auch solche Briefe, die bisher nicht in diese Kategorie eingeordnet wurden, die auch an dritter oder weiterer Position von v o m oder hinten stehen können, diesen Platz ehrenhalber bekommen haben. Wie schon bei der Unter3) suchung von Cassiodors Historia Gothica aufgefallen ist, scheint er die Gliederung seiner Werke vor allem nach struk­ turellen Gesichtspunkten vorgenommen zu haben.1 1) Var., Praef. I 13s "... ut. quamquam diversitate causa­ rum legentis intentio concitetur, efficacius tamen rapiatur animus, cum tendit ad terminum". 2) O'Donnell (1979), 79 Anm. 3o 3) s. bberi S. 35 f· (vgl. bes. S. 36 Anm. 1)

IV DIE CHRONOLOGIE DER VARIAE Da hier

eine chronologische Ordnung der Amtsbriefe

Cassiodors bewiesen werden soll, müssen gerade jene Briefe gesondert untersucht werden, die aufgrund der oben erläuter­ ten Verfahrensweise Cassiodors nicht chronologisch einge­ ordnet sein k ö n n e n . B e s o n d e r s geeignet für die Erläuterung von Cassiodors Vorgehen bei der Zusammenstellung der Variae sind die ersten fünf Bücher, da die in ihnen enthaltenen Briefe sämtlich im Namen Theoderichs geschrieben sind, und da Cassiodor, wie sich noch zeigen wird, in den späteren Büchern seine Disposition teilweise aufgegeben oder modifi­ ziert hat. Gerade in den ersten Büchern besteht auch die Möglichkeit, neben den Indiktionen Angaben zu Ereignissen, deren Daten aus anderen Quellen bekannt sind, zu Datierungen heranzuziehen. Diese Möglichkeit eröffnet sich in besonderem Maße bei den diplomatischen Schreiben, die deshalb auch sehr häufig angeführt und diskutiert wurden. 1. Buch I - V "Es ist kein Zufall, wenn Cassiodor in den Variae ... ein 2) Schreiben an den Kaiser an die Spitze stellt". ' Diesen ersten Brief der Variae an Anastasius, der Bemühungen Theoderichs um Eintracht nach einem anscheinend militärischen Konflikt enthält, bringt Theodor Mommsen·'' in Zusammenhang mit der byzantinischen Plottenexpedition, die Marcellinus Comes in1 1) So verfuhr Tanzi schon vor Mommsens kritischer Ausgabe und gelangt zu dem hier postulierten Ergebnis einer chrono­ logischen Anordnung, gelangt allerdings gerade für die Quaestur Cassiodors zu den Daten 5°8-512. Auch Besselaar schlug diesen Weg ein. Beide meinten aber, nur die diplomatischen Briefe von den anderen trennen zu müssen: Tanzi (I887), 4 f ., u. Besselaar (19^5). 69 f· 2) Enßlin (1959). 152

3) Varienausgabe, XXXIj vgl. Tanzi (I887), 6

- 51 seiner Chronik unter dem Jahr 5°8 berichtet. Eine Vermutung, die Mommsen mit der Begründung zurückgewiesen hatte, daß Cassiodor ja erst 5o? Quaestor geworden sei, erneuert Besse­ laar. Er nimmt an, daß sich der Brief auf den Krieg um Sirmium 5o4 bezieht, weil man - nach dem Ton des Briefes zu schließen annehmen muß, 'daß sich nicht Theoderich als die beeinträch­ tigte Partei betrachtete'.^ Diese Begründung ist nicht stichhaltig. Denn Theoderich mußte sich gerade in den Jahren 5o7/8 um einen schnellen Friedensschluß mit dem Kaiser be­ mühen. Besagte Flottenexpedition hielt Theoderich von einem

2)

Eingreifen in den fränkisch-westgotischen Konflikt ab. Nur die Bedrohung aus Byzanz erklärt hinreichend, warum

Theoderich erst nach dem Tod seines Schwiegersohnes Alarich II· in der Schlacht von Vouille (5o7)^ in die Auseinandersetzung eingreifen konnte. Daß die Flottenexpedition aller Wahrschein­ lichkeit nach schon im Jahr 5o7 stattfand, belegt der Bericht von Marcellinus Comes, der unter dem Jahr 5o8 die gesamte Fahrt der Flotte summiert und auch von ihrer Rückkehr spricht. Wenn Theoderich die Stimmung am Hof zu Byzanz richtig ein­ schätzte, die das Flottenuntemehmen Anastasius’ als 'einen unehrenhaften Sieg, den Römer Römern in einem Piratenstück entrissen' betrachtete, war es gewiß kein schlechter Schachzug, daß er mit dem ersten Brief der Variae von sich aus Friedensanstrengungen unternahm und Anastasius die Chance beließ, ohne Gesichtsverlust aus seinem Dilemma herauszukom­ men, um selbst doch noch einigermaßen rechtzeitig in Gallien eingreifen zu können. Wenn der Brief Var. I 24 das ostgotische Aufgebot zum 24. Juni 5o8 befiehlt,^) so zeigt dies, daß Theoderich den ersten Schritt zu einer Verständigung schon Ende 5o7/Anfang 508 unternommen haben muß. Der selten herangezogene Brief Var. I 2 entscheidet die Frage, ob. Theoderich das Recht hatte, purpurne Kleidung zu1 1) Besselaar (1945). 8o f. (vgl. 77)j Zitat (81): "... dat Theoderik zieh niet als de verongelijke partij beschouwt ..." 2) Schmidt I (1941), 343 5 Enßlin (1959), l4l 3) Greg. Tur., Hist. Franc. II 37 4) Marc. Com. ad a. 5o8: "... inhonestam victoriam, quam piratico ausu Romani ex Romanis rapuerunt ..." 5) Var. I 24,2| dieses Datum ist unbestritten: vgl. unten S. 64 m. Anm. 3·

- 52 tragen. ^

Darin geht es um Versäumnisse des Leiters der kö­

niglichen Purpurmanufaktur und dies bietet Cassiodor reich­ lich Gelegenheit, sich in einem Exkurs ausführlichst mit der Purpurschnecke und -färbe zu beschäftigen. Die Stellung des Briefes so weit am Anfang der Variae ist nur der Bedeutung des Purpurs für Theoderich zuzuschreiben und umgekehrt be­ legt die hervorragende Position dieses Briefes die große Bedeutung, die Cassiodor - und auch Theoderich - der Herstel­ lung und dem Tragen eigener Purpurkleidung für den Gotenkö­ nig beimaß. Für eine zeitliche Festlegung bietet der Brief 2)

keinen Anhalt. Auch die beiden Briefe Var. I 3/4 dürften denjenigen zuzu­ rechnen sein, die ihre Position ehrenhalber erhalten haben. Denn sie enthalten die Vergabe des Patriziats an den Vater unseres Cassiodor und ausführliche Nachrichten über beider Familie und Vorfahren. ' Allerdings sind sie mit Gewißheit auch sehr früh in Cassiodors Amtszeit als Quaestor geschrieben worden, da sein Vater den Patriziat nach seiner Amtszeit als Praefectus praetorio erhielt und dergleichen sehr kurz nach1 1) Enßlin (1959)» 78 m· Anm. 11} die Bemerkung des An. Vales. 64, daß Anastasius sin Theoderich "omnia ornamenta palatii, quae Odoacar Constantinopolim transmiserat, remittet", gab Anlaß zu der Diskussion, welcher Art die "vestis regia" (An. Vales. 53) war. Theoderich trug wohl den 'kaiserlichen Purpur' (Schmidt I (1941), 337) und keinen 'ostgotischen Königsornat· (F. Altheim, z.B. Literatur und Gesellschaft im ausgehenden Altertum, Bd. 1, Halle/Saale 1948, 283: zu dessen Auffassung von der gotischen Königstracht und bes.^zu der Interpretation des Medaillons von Senigallia vgl. K. Hauck bei P.E. Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik (= Schriften der MGH XIII), Bd. 1, Stuttgart 1954, 147 ff·, und Schramm selbst, ebda., 219 ff·)} s. Jord., Get. LVII 295* "··· tertioque, ut diximus, anno ingressus sui (seil. Theoderici) in Italia Zenoneraque imp. consultu privatum abitum suaeque gentis vestitum seponens insigne regio amictu, quasi iam Gothorum Romanorumque regnator ...", sowie Enn., Pan. 89 : "Sed nec formae tuae (scii. Theoderici) decus inter postrema numerandum est, quando regii vultus p u r p u r a ostrum dignitatis inradiat. exhibete, Seres, indumenta, preti­ oso m u r i c e quae fucatis, et non uno aeno bibentia nobi­ litatem tegmina prorogate." vgl. auch H. Wolfram, Intitulatio I. - Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts, in: MIÖG, Erg.-Bd. XXI, 1967 » 54 m. Anm. 1ο3· 2) Mommsen datiert ihn daher auf 5o7/511» wie er es immer macht, wenn er einen Brief nur in eine bestimmte Amtszeit Cassiodors (hier die Quaestur) setzt. 3) vgl. dazu Besselaar (1945)» 8 ff., u. O'Donnell (1979). 15 ff·

- 53 dem Ausscheiden aus einem Amt zu geschehen pflegte.^ Die drei Briefe Var. I k2-kk enthalten die Ernennung des Artemidorus zum Stadtpräfekten. Daß sie einen Platz ehren­ halber erhalten haben und Cassiodor sie hervorheben wollte, belegt die Existenz von drei Emennungsbriefen, in denen die Erhebung in das neue Amt dem Ernannten selbst, dem Senat und dem Volk von Rom mitgeteilt wird. In allen anderen derartigen Fällen der Variae wurden nur jeweils zwei in sie aufgenommen, je einer an den Ernannten und an den Senat. Nur für die Er­ nennung des Felix zum Konsul existieren auch drei Briefe, unter deren Adressaten allerdings - wie für eine Bestellung zum Konsulat selbstverständlich - auch der Kaiser ist.*^ Die Ausnahmeerscheinung der drei Schreiben betreffs der Ernennung des Artemidorus ist offensichtlich. Sie dürfte in der Person des Artemidorus begründet sein. Die Ernennung erfolgt "per U)

indictionem ... tertiam", also zum 1. Sept. 59· Die beiden letzten Schreiben der Bücher I und II sind an die Könige der Burgunder und der Franken, Gundobad und Chlod­ wig, adressiertj ihnen geht je ein Brief an Boethius voraus (Var. I kj/ll ^o). Die beiden ersteren sind Begleitschreiben zu Geschenken an den Burgunder und den Franken, während die letzteren von Boethius die Beschaffung dieser beiden Geschenke erbitten und Cassiodor Gelegenheit zu gelehrten Exkursen bie­ ten. Ganz offenbar verdanken die jeweils letzten Briefe ihre Stellung ihren königlichen Adressaten, die jeweils vorletzten die ihrige wohl zu gleichen Teilen dem engen Zusammenhang mit1

1) Cassiodor sen. war Praefekt ca. 5o3-5o7 (31· Aug. ?): Sundwall (1919)» lo7j auch Mommsen datiert beide Briefe auf 5o7 - wohl auch aus diesem Grund, obwohl er in diesem, wie in einigen anderen Fällen, seine Datierung in seiner Varienausgabe, XXXI ff., nicht weiter begründet. Cassiodor sen. wird dann Var. I 26 u. III 28 auch als Patricius genannt. 2) vgl. unten S. 57 3) Man .könnte aus dem Namen fast auf eine Verwandtschaft Cassiodors zu Artemidorus schließen (vgl. O'Donnell (1979), 268, der auf einen anderen Verwandten (Var. I ^,15) mit der gleichen Namensform, Heliodorus, verweist). Aber Artemidorus war als Verwandter des Kaisers Zeno, der zu Theoderich über­ gegangen war (Var. I k J , 2), schon an sich ein propagandisti­ sches Glanzstück. k) Var. I k2,Jj Mommsen datiert etwas ungenau auf 5o9/51o (dies ist das Datum der Stadtpräfektur von Artemidorus, nicht das des Briefes !).

- 54 den letzten, dem namhaften Empfänger und dem gebildeten In­ halt. Einerseits gehen die vorletzten den letzten Schreiben auch zeitlich voraus, andererseits sind alle vier fast gleich­ zeitig.^ Der Inhalt der Briefe an die beiden Germanenkönige legt nahe anzunehmen, daß sie einige Zeit vor dem Ausbruch des Krieges zwischen den Westgoten einerseits und den Franken und Burgundern andererseits abgeschickt wurden.

2)

Von einer

Mißstimmung Theoderichs angesichts des drohenden Konflikts ist nichts zu spüren. Es ist allerdings auch denkbar, daß er mit dieser Geste den guten Willen seiner Gegenspieler an­ sprechen wollte, um den Ausbruch eines Krieges möglichst zu 3) verhindern oder hmauszuzögem. Mit den Schreiben Var. III 1-4 kommen wir diesem KriegsLl )

ausbruch sehr viel näher. ' Theoderich wollte mit diesen Briefen an Alarich II., Gundobad und Chlodwig diplomatische Schritte einleiten, um eine Verständigung zu ermöglichen. Mit den wohl gleichlautenden Briefen - hier in einem mit mehreren Adressaten wiedergegeben (III 3) - an die Könige der Heruler, Warnen und Thüringer beabsichtigte er, ein Ge­ gengewicht im Rücken von Franken und Burgundern zu schaffen. Diese Bemühungen müssen aus der Zeit kurz vor dem genannten Krieg datieren. ^ Inwieweit die Briefe Var. IV 1/2, deren erster die Verhandlungen um die Eheschließung einer Nichte Theoderichs, Amalaberga, mit dem Thüringerkönig Herminefrid abschließt und deren zweiter den König der Heruler als Waffensohn Theoderichs annimmt, mit diesen Bemühungen im Zusammenhang zu sehen sind ist unklar, aber relativ sicher ist, daß auch sie um das Jahr 5o? verfaßt wurden.^ Auf jeden1 1) vgl. Mommsen, Varienausgabe, XXXII ff. (5o7) 2) Der Krieg brach im Frühjahr 5o? aus: Schmidt I (1941), 154 Anm. 3· 3) vgl. Besselaar (I945 ), 85 f. 4) vgl. ebda., 9o; Var. IV 1 ist vielleicht auch um 51o geschrieben: Schmidt I (19 4 1 ), 34o. 5) Auch in sich scheinen die Briefe eine chronologische Reihenfolge zu beachten: vgl. Besselaar (1945), 94: der Brief an Chlodwig (III 4) dürfte der gotischen Gesandtschaft mitgegeben worden sein. 6) Besselaar (1945), 9o; An· Vales. 70 » setzt die Ehe in das Jahr 5oo, faßt aber an dieser Stelle (vgl. 63 ff.) alle Ehen von weiblichen Verwandten Theoderichs zusammen (ähn­ lich: Prok. BG I 12,22).

- 55 Fall zeigen auch diese Briefe den Grundsatz Cassiodors, solche Schreiben an hervorragende Adressaten durch eine besondere Position zusätzlich hervorzuheben. Alle diese Briefe im Vorfeld des Krieges von 5o? sind mit verschiedenen Fragen verknüpft, die sich einerseits auf den Beginn von Cassiodors Quaestur und andererseits auf verschiedene Eroberungskriege Chlodwigs, sowie die Di­ plomatie Theoderichs beziehen. Ludwig Schmidt"^ wollte einige dieser Briefe und damit den Beginn von Cassiodors Quaestur auf 5ol datieren. Sein wichtigster Anhaltspunkt war die Erwähnung der Aufnahme der Alamannen durch Theoderich nach ihrer Niederlage gegen Chlodwig im Jahre *+97 . Dieses chronologische Problem hat die Tinte vieler Histo3) riker gekostet,-'·' scheint aber nach der Heranziehung einer Notiz von Fredegar weitgehend gelöst zu sein.^ Denn abge­ sehen davon, daß die Bezugnahme auf dieses Ereignis im Jahre 5°1 ebenso verspätet wäre wie im Jahre 5o?» datiert die Bemerkung Fredegars^ die Aufnahme der Alamannen neun Jahre nach der Schlacht von *1-97· Trotzdem scheint die Mehr-1 5 * 3 2 1) Schmidt (19 27 ). 727 ff· (vgl. dazu die Bemerkung von Vyver (1931). 2*+5* "A juste titre, M. Ludw. Schmidt s'est élevé contre cette tendance à surestimer le part que Cassiodore prit au gouvernement italo-goth. Mais sa mise au point renforce la thèse qu'il combat."), zu den Daten der einzel­ nen Briefe: L. Schmidt, Ostgotisches, in: MIÖG *1-1/1926, 32 I f., u. ders. I (19*H), 3^2 Anm. 1: zu diesen Datierun­ gen vgl. im einzelnen die Diskussion bei Besselaar (19^5). 83 ff. 2) Var. II *1-1,1; das Datum der sog. Schlacht bei Zülpich: Greg. Tur., Hist. Franc. II 3o. 3) Da diese Schlacht sehr eng mit der weit wichtigeren Taufe Chlodwigs verbunden ist; vgl. z.B. H.v. Schubert, Die Unterwerfung der Alamannen unter die Franken, Diss., Straß­ burg 188*1-, u. W. von den Steinen, Chlodwigs Übergang zum Christentum - Eine quellenkritische Studie, Darmstadt (Lib. CIII) 1963 (2. Aufl.), erstmals in: MIÖG, Erg.-Bd. XII, 1932, 4o7 ff»’ (wöhl abschließend und mit reichlich Literaturhin­ weisen); über den Brief selbst: Mommsen, Varienausgabe,

XXXII ff. *0 vgl. Besselaar (19*+5)> 87. u. bes. E. Zöllner, Geschichte der Franken bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts, München 197o, 57 Anm. 1 und (zur weiteren Kontroverse) Anm. 3· 5) Fred., Chron. III 21; auch Ennodius berichtet in seinem Panegyricus (72) aus dem Jahre 5o7 (Sundwall (1919). **-2 f.) von der Aufnahme der Alamannen. Bedenkt man, daß auch sein Bericht von den außenpolitischen Erfolgen Theoderichs (60 ff. ) chronologische Züge aufweist, muß dieses Ereignis auf jeden Fall nach 5o*t- stattgefunden haben.

- 56 zahl der genannten Briefe vor dem 1. Sept. 5o? geschrieben zu sein, auf welches Datum man nach Mommsen allgemein den Beginn von Cassiodors Quaestur festlegt. Es besteht also die Notwendigkeit, den Widerspruch der Datierungen von Cassiodors Quaestur und von bestimmten di­ plomatischen Schreiben der Variae aufzulösen. Der einfachste Weg wäre, einen früheren Antritt der Quaestur anzunehmen. So wurde der Amtsantritt Cassiodors auch auf 5o6 vordatiert,^ was aber andere Vordatierungen nach sich ziehen und gewisse Schwierigkeiten bereiten würde.

2)

Es ist auch festzuhalten,

daß Cassiodor zwar mit diversen Indiktionsangaben eine Da­ tierung seiner Amtszeit ermöglicht, den zeitlichen Zusammen­ hang mit den vor allem am Anfang der einzelnen Bücher der Va­ riae stehenden Briefen aber kaum erkennen läßt. So kann eine Erklärung dieses Umstandes und des chronologischen Wider­ spruchs nur von den spezifischen Ordnungskriterien Cassio­ dors ausgehen, wie er sie in den Varien auf die Vielzahl der Briefe anwendete. Denn die Strukturierung der Varienbücher mit der Betonung auf den ersten und letzten Schreiben eines jeden Buches ist ein wichtiges Anliegen Cassiodors und die außer Zweifel stehende strukturelle Verarbeitung bestimmter Kategorien Cassiodors läßt nur eine solche Be­ trachtungsweise zu. Auch ist eine zeitliche Vorverlegung von Cassiodors Quaestur - sei es auch nur um ein Amtsjahr nicht erforderlich. Zu beachten ist eben, daß es sich bei den Briefen, die eine solche Vordatierung nötig machen würden, ' gerade um solche handelt, die ihre Stellung ehrenhalber er-1 1) Besselaar (19^5), 2o et passim 2) Das betrifft nicht nur das Geburtsjahr Cassiodors (vgl. oben S. 9 f·), auch die Amtszeit seines Vaters, sowie die einiger anderer (vgl. z.B. die Chronologie der Quaestoren vor Cassiodor bei Sundwall (1919)* 174 u. 115/119* sowie (zur Chronologie der Briefe des Ennodius) 18 f., 2?, 35 f·. 46 u. 72 ff·)· Schon wegen der Chronologie der Briefe des Ennodius und der Quaesturen von Faustus und Eugenes ist eine Amtszeit Cassiodors seit 506 kaum möglich. Fraglich ist auch, ob die Abfassung auswärtiger Korrespondenz über­ haupt zum Aufgabengebiet eines Quaestors gehörte und also diese Briefe für die Quaestur Cassiodors in Anspruch ge­ nommen werden können. 3) vgl. Besselaar (19^5)* 7o: "Want de diplomatieke oorkonden der Variae zijn vrijwel de eenige brieven der verzameling, welke zieh leenen voor een nauwkeuriger dateering."

- 57 halten haben. Die Angabe Cassiodors, daß er nur solche Briefe in die Variae aufgenommen hätte, die er 'in den Ämtern der Quaestur, des Magisterium und der Praefektur diktiert’^ hätte, ist gewiß nicht wörtlich zu nehmen, da von späteren Briefen sicher ist, daß er sie schrieb, ohne überhaupt ein Amt zu be­ kleiden Daß Theoderich Cassiodor auch schon vor der Quaestur öffentliche Aufträge gab, ist bekannt-^\ wenn er ihn auch vielleicht als Consiliarius seines Vaters - mit der Abfassung L)

heikler Briefe an auswärtige Herrscher betraute, 7 würde dies die chronologischen Unstimmigkeiten erklären. Das eindeutige Zeugnis der bestimmten Indiktionsangaben und das Fehlen der 15« Indiktion (1. Sept. 506 - 31* Aug. 5°7) sind nicht vom Tisch zu wischen, während gerade die chronologische Ausnahme­ stellung der jeweils ersten und letzten Briefe der einzelnen Bücher der Variae deren Datierung vor der Quaestur nicht aus­ schließen würde. Die ersten drei Briefe des zweiten Buches enthalten die Ernennung des tieren-^. Den an den Kaiser der Ernennung

Felix zum Konsul und sind deshalb leicht zu da­ Ehrenrang des allerersten nimmt natürlich der ein. Der Grund, gerade die Schreiben betreffs des Felix auszuwählen, mag für Cassiodor in dem

Namen des neuen Konsuls bestanden haben, der Anlaß zu einer so wohlformulierten Bemerkung gegenüber dem Kaiser gab^, dessen Träger aus Gallien stammte und möglicherweise ein Verwandter des Ennodius war'7. Auch die letzten drei Briefe des Buches III müssen ihre Stellung nach Cassiodors Kriterium eines Ehrenranges erhalten1 1) Var., Praef. I 13: "... in quaesturae, magisterii et prae­ fecturae dignitatibus a me dictatum ..." 2 ) sicher ist dies von Var. IX 2^/25 (vgl. unten S. 9° f. ) 3) An. Hold. (Z. 22 f. bei Usener) 4) Tanzi,(I887 ), 33; Schmidt I (19*H), 3^2 Anm. 1 5) Momms'en datiert sie etwas ungenau auf 511; da Felix 511 Konsul war, müssen die Daten der Briefe vor dem 1. Jan. dieses Jahres liegen. Da Var. II 2,5 Felix die Ernennung "per indictio­ nem quartam" mitteilt (vgl. oben S. k 6 Anm. 2), könnte man auf ein Datum vor dem 1. Sept. 51° schließen. 6 ) Var. II 1,1: "Felix a consule sumat annus auspicium portam­ que dierum tali nomine dicatum tempus introeat faveatque re­ liquae parti fortuna principii." 7) Var. II 3,2; vgl. K.F. Stroheker, Der senatorische Adel im spätantiken Gallien, Tübingen 19^3 (Nachdruck: Darmstadt 197°). Stammbäume II

- 58 haben.^ Sie enthalten wie die beiden vorletzten Briefe der Bücher I und II an Boethius ausführliche Exkurse zu Themen, die man vielleicht unter die gemeinsame Kategorie 'Kultur' fassen könnte: die Beschreibung eines Circus (III 51), der Landvermessung (III 52) und des Wasserfindens (III 53). Sie bieten keinerlei Anhaltspunkt für eine Datierung. Ganz ähn­ lich verhält es sich mit dem letzten Schreiben von Buch IV, das von den Renovierungsarbeiten am Pompeius-Theater in Rom handelt, zudem aber noch an den Schwiegervater des Boethius, Symmachus, adressiert ist. Es zeichnet sich also sowohl durch den Inhalt, wie durch die Bedeutung des Adressaten aus. Ähn­ lich liegt die Sache auch bei dem vorhergehenden Brief Var. IV 5o an den Praefectus praetorio Faustus. Er enthält anläß­ lich eines Steuemachlasses für die Bewohner Carapaniens, deren Emteerträge nach einem Vesuvausbruch gelitten hatten, einen Exkurs zu einem Vulkanausbruch. Der in diesem Brief erwähnte Vesuvausbruch wurde mit dem von einer marginalen Quelle zum Jahr 512 berichteten in Verbindung gebracht, der Brief infolge­ dessen auf dieses Jahr datiert und die Quaestur Cassiodors bis in dieses Jahr ausgedehnt.^ Dabei wurde aber die Nachricht von einem gleichen Ereignis im Jahre 5o5 in derselben Quelle übersehen. ' Dieses Datum belegt, daß die Bezugnahme auf ei­ nen Vesuvausbruch Cassiodors - etwa diese Briefe, wie und welche Gründe

den Brief auch in die Anfänge der Quaestur 5o7 - datiert. Auf jeden Fall beweisen all weit gespannt die Interessen Cassiodors waren er hatte, sie an diesen Stellen einzuordnen.1

1) vgl. O ’Donnell (1979)» 79 f · » zu den Inhalten von Cassio­ dors Exkursen vgl. A.Th. Heerklotz, Die Variae des Cassiodorus Senator als kulturgeschichtliche Quelle, Diss., Heidelberg 1926 2) Tanzi (1887), 3/14 m. Anm. 4o, aufgrund des Pasch. Camp, ad a. 512 (zu dem bei Tanzi anderen Namen der Quelle vgl. 0. HolderEgger, Untersuchungen über einige annalistische Quellen zur Ge­ schichte des 5« und 6 . Jahrhunderts. II. Teil, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde I/I876 , 2 8 0 )f die Praefektur des Faustus wird mit diesem Argument immer noch auf ca. 5o9-512 datiert (vgl. PLRE II, 455)» vgl. auch Sundwall (1919), 154. 3) Pasch. Camp, ad a. 5o$: "Mons Besubius eructuavit V id. No­ vembres"^ auch einschlägige Äußerungen über die Vesuvausbrüche in der Antike verschweigen dieses Datum: J. Beloch, Campanien, Rom 1964 (Nachdruck der 2. Aufl. von I890 ), 2 18 f H. Nissen, Italische Landeskunde, Bd. 1, Berlin I883 , 283: G.B. Alfano/ I. Friedländer, Die Geschichte des Vesuv, Berlin 1929» 21, u. G. Radke, Art. Vesuvius, in: RE VIII A,2, 2437»

- 59 Die beiden ersten Schreiben des fünften Buches werden, obwohl auch sie kein Indiz für eine Datierung enthalten, eben­ falls den Jahren von Cassiodors Quaestur zuzuordnen sein.^ Sie zeichnen sich wiederum durch ihre Adressaten, den König der Warnen und die Haesten, aus und bieten Cassiodor Gelegen­ heit für einige Auslassungen über die ausgetauschten Geschenke. Mit Gewißheit gehören jedenfalls die beiden letzten Briefe dieses Buches der Zeit von Cassiodors Quaestur an. Beide sind an Thrasamund, den König der Vandalen, gerichtet; der vor­ letzte bringt Beschwerden vor über die Unterstützung, die Thrasamund dem Konkurrenten von Theoderichs Enkel Amalarich um den westgotischen Thron, dessen illegitimem Halbbruder, Gesalech, zukommen ließ, der letzte gewährt dafür gnädig Ver­ zeihung. Da der Thronstreit mit Sicherheit in den Jahren 5o8 - 511 stattfand, sind die beiden Briefe schon immer danach datiert worden: 5 1 o/5 H · ^ Zu den Schreiben, die ihres Inhalts wegen von Cassiodor an ihre Stelle gerückt wurden, gehören gewiß auch Var. II 39 und V 42, die beide an drittletzter Stelle ihres Buches stehen. Der erstere enthält einen Exkurs über die heißen Quellen von Aponum und ist nur nach der Amtszeit Cassiodors zu datieren, der letztere betrifft Entgelte für Schaustellungen im Colosseum, was Cassiodor wieder Anlaß zu ausführlichen Schilderungen bot, und ist an den Konsul Maximus während seiner Amtszeit gerich­ tet-^. Ebenfalls aus der chronologischen Reihenfolge des fünften Buches fallen die Briefe V 4o/4l heraus, die die Ernennung des Cyprianus zum Comes sacrarum largitionum für die dritte Indiktion aus sprechen^. Gerade im Zusammenhang mit den beiden Briefen Var. V 3/4, die die Ernennung des Honoratus zum Quaestor palatii1 4 3 2 1) Momm^én «datiert sie allerdings - wohl weil er alle Schreiben des Buches V in die Zeit von Cassiodors Magisterium setzt auf 523/526; vgl. aber Besselaar (1945), 98 f. 2) Tanzi (I887 ), 36 (51o); Mommsen, Varienausgabe, XXXVI (511); etwas präziser Besselaar (1945), loo (V 43: 51ο; V 44: 5 I0/ 5 1 1 ); vgl. L. Schmidt, Geschichte der Wandalen, München 197° (Nach­ druck der 2. Aufl. von 1942), 114 f. 3) Maximus war 523 Konsul. 4) Var. V 4o,7: "per indictionem tertiam"; Mommsen datiert beide entsprechend auf "a. 524 ante Sept. 1".

- 6ο zum gleichen Datum enthalten,1^ scheinen auch sie - das gleiche gilt für das andere Briefpaar - von Cassiodor absichtlich an diese Stelle gesetzt worden zu sein, um sie hervorzuheben, 2) wenn auch nicht unbedingt zu Ehren der genannten. ' Es wurden hier also diejenigen Schreiben der Variae ausgesondert, die aus der Chronologie von Cassiodors Werk heraus­ fallen, und die Gründe geklärt, die Cassiodor veranlaßten, so vorzugehen. Diese Briefe stehen der bisher auch auf den zwei­ ten Blick meist abgelehnten chronologischen Aufeinanderfolge der übrigen also keineswegs entgegen. Es geht nun darum, diese 3 ) chronologische Aufeinanderfolge zu belegen. Schwierigkeiten bereiten schon einige Briefe des ersten Buches (Var. I 6/32/ 33/41). Sie resultieren aber aus der Datierung der Stadtprä­ fektur des Agapitus, an den in dieser Amtseigenschaft diese Briefe gerichtet sind. Mommsen datiert diese Briefe auf 5o7/59* wohl in der richtigen Erwägung, daß Artemidorus seit dem 1. Sept. 5o9 Praefectus urbi war,^ also Agapitus' Präfektur vor diesem Datum liegen muß. Im allgemeinen wird des Agapitus Amts­ zeit mit der Begründung auf 5o8/5o9 datiert,^ daß zu Zeiten Theoderichs Stadtpräfekten nur jeweils ein Jahr im Amt waren^ 7) und daß Agapitus im Frühjahr 5o8 noch in Ravenna bezeugt ist'1 78 6 5 4 3 2 . 9 Johannes Sundwall aber datiert trotzdem die Präfektur des Aga­ pitus auf 5o7/5o9 und sieht keinen Grund, sie 5o8/5o9 anzusetzen.®^ Fest stehen die Amtszeiten von Constantius (5o6/5o7)^ 1) Var. V 3.5s "ab indictione tertia quaesturae te dignitate subvehimus"; entsprechendes Datum bei Mommsen; vgl. zu beiden Briefpaaren Tanzi (I887 ), 15 2) vgl. unten S. 174 ff· 3) Die Briefe, die genauer datiert werden können, also für diesen Beweis vornehmlich heranzuziehen sind, sind meist an der Datierung Mommsens zu erkennen, da sie diese schon von der Datierung nach Amtszeiten Cassiodors abhebt. 4) vgl. unten S. 6l f. 5) PERE II, 31 (vgl. 1255) 6 ) Man sollte mit dergleichen Äußerungen äußerst vorsichtig sein. PLRE II datiert Amtszeiten, für die Cassiodor die Er­ nennungsbriefe überliefert, des öfteren nur auf die genannte Indiktion, obwohl offensichtlich (z.B. bei Cassiodors Präfek­ tur) ist, daß Cassiodor jeweils nur die ersten (?) Ernennungs­ briefe für eine Indiktion verzeichnet, obwohl Amtszeiten durchaus mehrere Jahre umfaßten. 7) nach der Datierung des Briefes VI 12 von Ennodius (Sund­ wall (19 19 ). 45/78) 8 ) Sundwall (1919). 173/84 f· 9 ) ebda., llo

- 61 und Artemidorus. Da Agapitus· Amtszeit zwischen diesen liegen muß, kann sie, wenn an der Bemerkung, daß zu dieser Zeit die Stadtpräfektur nur jeweils ein Amtsjahr dauerte, überhaupt etwas ist, genauso gut 5o7/5o8 anzusetzen sein. Im übrigen ist die Gesandtschaft nach Konstantinopel, mit der Agapitus durch den Brief Var. II 6 betraut wird, wohl zeitlich mit der byzantinischen Flottenexpedition aus dem Jahr 5o7 in Verbin­ dung zu bringen,^ nach der - vielleicht infolge diese Ge­ sandtschaft - eine Verständigung erfolgte. Gerade wenn der Brief Var. I 1 erste Kontakte eröffnete, kann die Gesandt­ schaft des Agapitus nicht später als Anfang 5°9 und sein Aus­ scheiden nicht später als Ende 58 stattgehabt haben. ^ Auch in den Schreiben Var. I 23/27 taucht Agapitus aufj es ist allerdings nicht klar, ob er gemeinsam mit Caelianus in seiner Eigenschaft als Stadtpräfekt in den Querelen unter Senatoren, auf die in diesen beiden Schreiben Bezug genommen wird, tätig wurde, da er hier nicht mit dem Titel eines Stadt­ präfekten, sondern eines Patricius angesprochen wird. Diesen letzteren Titel, den er zwar in Var. II 6, aber nicht in den früheren Amtsbriefen trägt, hat er wohl während seiner Amts­ zeit erhalten.

Var. I 23 datiert Mommsen ganz allgemein

507/ 5 1 1 » Var. I 27 aus unerfindlichen Gründen auf 5o9·^ Augenscheinlich wurde der Tatsache, daß die drei Ernennungs­ schreiben für Artemidorus zur Stadtpräfektur direkt auf das letzte an Agapitus in diesem Amt adressierte folgen, entnommen, daß auch ihre Amtszeiten direkt aneinander anschlossen.^ Dies scheint jedoch nicht unbedingt am 1. Sept. 5o9 geschehen zu sein, da Artemidorus ausdrücklich ’schon jetzt’^ ernannt wird, was darauf hindeutet, daß Agapitus vorzeitig aus seinem 7)

Amt schied , 1' möglicherweise um die Gesandtschaft nach Konstan-1 7 6 5 * 3 2 1) Stmüwall (1919)» 221 f. 2) vgl. Tanzi (I887 ), 6, u. oben S. 5o f. 3) Sundwall (1919), f. k) Möglicherweise bestand der Grund für Mommsen darin, daß in diesem Brief die Tätigkeit des Agapitus als vergangen betrach­ tet wird. Dies wird sich aber nur auf die Beteiligung an der Regelung der Zirkusausschreitungen beziehen, die für Senatoren eine Art Ehrengericht wahrnahm, dem Agapitus - wohl nicht als Stadtpräfekt, sondern als Patricius - angehört haben mag. 5) Sundwall (1919). 9^ 6) Var. I ^2,3 t "nunc" 7) vgl. auch L.M. Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter, Bd. 1, Gotha I897 , 176 m. Anm. 1, wo er allerdings Var. II 6 auf 5 I0 datiert.

- 62 tinopel zu übernehmen, daß Artemidorus ebenso vorzeitig be­ fördert wurde, daß aber Cassiodor die Emennungsformel "per indictionem feliciter tertiam"·^ beibehielt. Obwohl oben die Ehrenstellung der Briefe betreffs Artemidorus’ Ernennung be­ tont wurde, scheinen sie doch einigermaßen chronologisch ein­ geordnet zu sein, jedoch wird die Ernennung von Artemidorus bei einem Beamtenwechsel außer der Zeit wahrscheinlich schon erfolgt sein, als sein Vorgänger noch im Amt war. Artemidorus erhielt in seiner Amtszeit das Schreiben Var. II 34, das also durchaus von Ende des Jahres 5o9 sein könnte, und nach seiner Entlassung eine Einladung an den Hof Theoderichs (Var. III 22), 2)

die ebenso von Ende 51° sein kann. ' Der Brief Var. I 9 eignet sich eigentlich überhaupt nicht ß) zu einer genaueren chronologischen Festsetzung. ' Trotzdem geriet er am Rande in die Diskussion um die Chronologie der Mailänder Bischöfe, da er an einen solchen, Eustorgius, geji.\ richtet ist. Hasenstab und Sundwall ' versuchten für die Re­ konstruktion der Chronologie der Schriften des Ennodius auch die Daten der Mailänder Episkopate wiederherzustellen - aus­ gehend von dem Katalog der Mailänder Bischöfe-* ^ und den Daten­ zusätzen betreffs der Todesdaten zu den Epigrammen von Enno­ dius auf die Mailänder Bischöfe, die Andrea Alcato und Gio­ vanni Battista Fontana aufzeichneten und wohl auch noch als Inschriften in Stein gehauen sahen.^ Der eine setzt den Be­ ginn des Episkopats des Eustorgius um ein Jahr zurück auf 5o7, um eben die behauptete Chronologie von Cassiodors Briefen1 1) Var. I 42,3 2) Mommsen, Varienausgabe, XXXII, datiert Var. II 34 nach Artemidorus’ Amtszeit und Var. III 22 nur nach Cassiodors Amtszeit: 5o7/5H· 3) Mommsen datiert deshalb 5o7/5H· 4) B. Hasenstab, Studien zu Ennodius - Ein Beitrag zur Ge­ schichte der Völkerwanderung, Programm (Luitpold-Gymn.) München 139ο, 38 ff. 5 Sundwall (1919), 49 f. 5) Edd.: D. Papebroich, in: Acta Sanctorum, Mai VII, LIX ff.t W. Wattenbach, in: MGH SS VIII, loi ff., u. (zusammen mit an­ deren Aufzeichnungen die verschiedenen Handschriften des Kata­ logs "disposti in modo sincrono") F. Savio, Gli antichi vescovi d'Italia dalle origini al 1 3 oo descritti per regioni, Bd. 2, Mailand/Florenz 1913 (Nachdruck in: Biblioteca istorica dell'antica e nuova Italia 111/1971 (Bologna), 28 ff. 6 ) Ed.: Th. Mommsen, in: CIL V2, 6I8 ff.

- 63 innerhalb der einzelnen Bücher zu retten^, während der an­ dere meint, daß die Varien "anerkanntermaßen nicht streng chronologisch geordnet sind und also nichts uns zwingt, Var. I 9 vor Juni 5o8 anzusetzen." ' Es handelt sich bei der Streitfrage, jedoch nur um einige Monate. Es scheint jedoch zweifelhaft, ob man mit diesem Katalog der Mailänder Bischöfe überhaupt solche exakten chronologischen Festsetzungen vor­ nehmen kann, da man z.B. für das in Frage stehende 5· Jahr­ hundert durch einfache Addition der angegebenen Episkopats­ zeiten auf 148 Jahre k o m m t . Das überzählige halbe Jahrhundert verteilt sich in gewiß nicht einzuschätzendem Ausmaß über die verschiedenen Episkopate. Die erste genaue Indiktionsangabe in Var. I 16,3 datiert diesen Brief, der die Bestimmung enthält, daß den Pächtern Ll )

Apuliens für 'bei feindlichen Plünderungen' ' erlittene Schäden Steuerleichterungen gewährt werden. Die Verluste sollen 'von den noch ausstehenden Abgaben der ersten Indiktion' abgezogen werden, der Brief datiert also nicht, wie Mommsen will, nach dem 1. Sept. 5°8, sondern gerade vor diesem Datum.^ 1 1) Hasenstab (I890), 45 m. Anm. 1; seine zeitliche Ansetzung des Briefes dürfte jedoch richtig sein: vgl. Enßlin (1959)» 139 2) Sundwall (I919 ), 5oj Juni 5o8 ist der kritische Zeitpunkt wegen Var. I 24. 3) Savio (1913)» lo m. Anm. 2t vgl. auch Tanzi (I887 ), 9? "... converra prendere da questo (seil. Cassiodorio) un motivo per emendare i cataloghi dei vescovi di Milano." 4) Var. I 16,2: "inimicorum subreptionibus"; dies waren sicher Auswirkungen der byzantinischen Flottenexpedition (5°?)* Schmidt I (1941), 343 m. Anm. 2 u. Enßlin (1959)» 141. 5) Mommsen, Varienausgabe, XXXI, datiert so nach dem Datum bei Marc. Com. (5o8; vgl. oben S. 51 nw Anm. 4), ebenso Tanzi (I887 ), 6 f. s die Abgaben für die 1. Indiktion waren aber eben noch nicht geleistet (Var. I l6,3)s "Et ideo hanc causam sublimitatem tuam iubemus diligenter inquirere, ut, quantum eos minus vendi­ disse constiterit, de r e l i q u i s primae indictionis habi­ ta moderatione detrahatis". Die Abgaben gerade in Getreide wur­ den auch/èctyon im Sommer eingetrieben (vgl. Var. I 35.2, wo von Sommergetreide die Rede ist, das im Herbst (5o8) immer noch nicht eingetroffen ist). Var. II 38 wird den Kaufleuten von Sipontum die Steuer (coemptio) für 2 Jahre gestundet, wohl weil sie ebenfalls unter der Cstflotte zu leiden hatten (II 38,2)j allerdings sollen auch von ihnen aufgenommene Kredite für die­ selbe Frist gestundet werden und diese Kredite hatten sie offen­ sichtlich in .Anspruch genommen, um die Steuern am Ende der 1. Indiktion bezahlen zu können (sie hatten auch - anders als die Pächter Apuliens - keine Eingabe an den König gemacht). Der Brief dürfte also der 2. Indiktion angehören (vgl. L. Ruggini, Lconomia e societa nell' "Italia Annonaria", Mailand I96I, 211 Anm. 13).

- 64 Die Pächter Apuliens werden sicher Interesse daran gehabt haben, die Schadensfälle recht bald nach ihrem Eintreten ge­ regelt zu sehen, so daß der Brief sogar einige Zeit vor dem genannten Datum liegen dürfte. Etwa zur gleichen Zeit sind auch die beiden benachbarten Briefe (Var. I 15 und 1 7 ) anzu­ setzen j der erstere erwähnt den Patricius Agnellus als Gesandten in Afrika, wo er bei den Vandalen augenscheinlich Beschwerden über die unterlassene Hilfeleistung gegen die byzantinische Flotte Vorbringen sollte^, der zweite erwähnt Befestigungs­ arbeiten nahe Dertona doch wohl gegen eine eventuell drohende Invasion aus Gallien^. Theoderich befand oder fühlte sich also zu dieser Zeit noch in der Defensive. Die Offensive konnte Theoderich erst ergreifen, als er den Rücken - wahr­ scheinlich nach einer versöhnlichen Reaktion des Kaisers auf seinen Brief (Var. I 1) - frei wußte. Diesen Schritt tat er mit dem Brief Var. I 24, in dem er alle Goten für den 24. Juni 5o8 zu den Waffen rief·^. Im Herbst 508 griff dieses Heer dann in den fränkisch-westgotischen Konflikt ein. Zur selben Zeit, da Theoderich sein Heer aufmar schieren ließ, ordnete er gewiß auch die in Var. I 25 und 28 angesprochene Reparatur der Mauern Roms als Vorsichtsmaßnahme und zur Beruhigung der stadtrömischen Bevölkerung an. Weitere Briefe, die Anhaltspunkte für eine Datierung böten, gibt es im ersten Buch nicht, im zweiten neben den erwähnten nur einige weitere. Var. II 8 betrifft die Entschädigung für die vom gotischen Heer auf seinem Durchmarsch durch den Bischofs­ sitz des Severus angerichteten Schäden. Leider sagt uns der Brief nicht, wo der Schaden angerichtet wurde, ob in Italien oder in Gallien, noch wann er beglichen wurde. Der Bischof ist nicht zu lokalisieren, kann also auch in Gallien heimisch sein. Aber die kriegerischen Auseinandersetzungen dauerten dort bis mindestens 5 I0 . Der Brief ist also ungefähr von 5°9·^ Die1 1) Schmidt I (1941), 343 m. Anm. 4j Enßlin (1959), 141 2) Tanzi (I887 ), 7j Mommsen, Varienausgabe, XXXI·. Enßlin (1959), 139 3) Var. I 24,2: "octavo die kalendarum Iuliarum proxime"j der Brief ist also mit Mommsen, Varienausgabe, XXXI f., auf einige Zeit vor dieses Datum zu setzen, da sicher eine gewisse Zeit für den Anmarsch gerechnet werden mußte. 4) Tanzi (I887 ), lo$ Mommsen, Varienausgabe, XXXI f., datiert auf 508.

- 65 Schreiben Var. II 15/16 anläßlich der Beförderung von Liberius' Sohn, Venantius, zum Comes domesticorum vacans erwähnen zwar die Prätorianerpräfektur des ersteren, aber nicht die gallische Präfektur. Sie liegen also auf jeden Pall vor dem Herbst 51o» in dem Liberius aller Wahrscheinlichkeit nach das letztere Amt antrat.^ Die Briefe Var. III 5/6 beinhalten die Ernennung des Inpor2) tunus zum Patricius nach Ablauf seines Konsulates. ' Inportunus war der Konsul des Jahres 5°9, die Briefe sind also von Anfang 51o. Mit Var. III 11/12 wird Argolicus zum Praefectus urbi "per indictionem quartam"-^ ernannt, also sind diese vor Septem­ ber 51o geschrieben. An Argolicus während seiner Amtszeit sind die Briefe III 29/3°, 33» IV 22, 25, 29, 42 adressiert, von denen Var. IV 22 (mit dem dazugehörigen und gleichzeitigen Brief IV 23) und IV 42 genauer zu datieren sind, da IV 22,3 Volusianus erwähnt wird, der nach dem Zeugnis von IV 42,2 Ostern 511 verstorben ist.*^ Gemellus wird durch Var. III 16/17 zum Vicarius praefectorum für Gallien ernannt. An ihn in dieser Amtseigenschaft sind die Briefe III 18, 32, 41, IV 12, 19» und 21 geschrieben. Er war mit Gewißheit im Jahre 51o oder etwas später in diesem Amt als Untergebener des Präfekten Liberius.^ Also sollten die genannten Briefe des Buches III dem Jahr 51o,1 5 * 3 2 1) vgl. PLRE II, 677/1153; Mommsen datiert hier zu allgemein:

507/ 5 II· Sundwall (1919), 16 7 » tritt für eine mit dem Konsulat gleichzeitige Comitiva im Jahr 5°7 ein, wohl da der Konsulat des Venantius in den Briefen nicht erwähnt wird. Doch ist dies wohl nicht denkbar, zumal auch in Emennungsbriefen nicht immer frühere Konsulate erwähnt werden (vgl. z.B. Var. VIII 2o). 2) Mommsen (vgl. Varienausgabe, XXXIV) datiert diese Briefe auch aus diesem Grund, aber etwas ungenau auf 5o9/5H; vgl. Tanzi (I887 ), lo 3) Var. III 11,1: danach datiert Mommsen 51o/5H» vgl. Tanzi (1887), lo f. 4·) Tanzi (1887 ), 12; Var. IV 42,2: "paschalibus diebus paterni (seil. Voluëiqni; vgl. IV 42,4) luctus essent"; vgl. Sundwall (19 19 ), 169 f. ; -die Briefe Var. III 29/3o u. 33 dürften also im Jahr 51o (nach dem 1. Sept.), IV 22/23 im Jahr 511 vor Ostern und IV 42 5 1 I einige Zeit nach Ostern geschrieben sein. Mit III 3o ist auch der folgende Brief zu verbinden, da in beiden der Aufseher der Kloaken Roms, Johannes, auftaucht. 5) Avit., Ep. 35 an Liberius, erwähnt ihn namentlich; vgl. Sundwall (1919), 124 f.

- 66 die des Buches IV dem Jahr 511 zugewiesen werden. ^

Auch die

Schreiben Var. III 25/26, die den Simeon mit dem Einzug von Abgaben aus den Indiktionen I, II und III betrauen, scheinen auf das Jahr 51o hinzuweisen.^ Auch der Brief Var. III 39 3\ sollte in das Jahr 51o zu datieren sein. ' Darin wird Felix, dessen mangelnde Freigebigkeit gegenüber Wagenlenkem in Mai­ land in diesem Brief zur Sprache kommt, aufgefordert, diese Spiele - wohl aus Anlaß seines Konsulatsantritts^ - seiner neuen Würde entsprechend auszustatten. Theoderich gibt der Pflicht Ausdruck, ’bei den Veranstaltern öffentlicher Lust­ barkeiten auf den alten Brauch zu achten, zumal bei der Ver­ anstaltung eines Konsuls, dessen Vorsatz darin bestehen muß, wegen seiner Freigebigkeit Lob zu ernten, um nicht den Ein­ druck zu erwecken, zum einen für eine Würde etwas zu verspre­ chen und zum anderen (nur die Erwartung an) einen Senator er­ füllen zu wollen', und 'bestimmt, daß Felix den alten Brauch befolgt, der nach einem bestimmten Privileg (die Gabe solcher) 1) Mommsen datiert alle Briefe, die die gallischen Angelegen­ heiten betreffen, nach dem Ausbruch des Krieges (meist 5o8/511j die Datierung 5o8 für Var. III bl dürfte wohl nur ein Irrtum Mommsens sein), so auch die genannten (vgl. Varienausgabe, XXXII). Der Steuererlaß an die Gallier für die b. Indiktion (III 32,1 u. Ill bo,Z) deutet auf das Jahr 51o. Überhaupt wer­ den alle Briefe, die die Regelung der Kriegsschäden und der neuen Verwaltung betreffen und die Mommsen daher nach dem Be­ ginn des Krieges datiert, nach dem Ende des Krieges zu datie­ ren sein (vgl. Tanzi (188?), Io ff., u. Ruggini (I96I), 273: "In perfetta coerenza con la linea di condotta assunta, noi possiamo qui riferire sempre alla medesime circostanze anche i due prowedimenti teodoriciani datati dal Mommsen al 508- 5 II, ma piu precisamente attribuibili alia criticissima annata dal 5 1 o-5 1 1 .")j dies betrifft neben den genannten vor allem die Briefe Var. Ill 3b/38/b2-bb, IV 5/17/26 (zu den Briefen III 32, bo-bz, îj4 u. IV 26 im einzelnen vgl. : Ruggini (I9 6 1 ), 2o? f. Anm. 6 u. 26? Anm. 17o, sowie zu IV 5 / l 9 ‘ · ebda., 27b Anm. l3o u. 275 Anm. 18*0. Alle Briefe, die eine Regelung gallischer Angelegenheiten angehen, finden sich in Buch III (wohl 51o) und IV (wohl 511)· 2) Var. III 25,1; Mommsen datiert demzufolge auf die b· In­ diktion (ebenso Tanzi (I887 ), 11). 3) Mommsen, Varienausgabe: Tanzi (I887 ), 11, u. Hodgkin (1886 ), 2 1 7 : 5 11 (Felix' Konsulat). ij.) vgl. Sundwall (1919), 12o, der die in dem Brief erwähn­ ten Spiele für solche hielt, die Felix - wie üblich - bei seinem Konsulatsantritt abzuhalten hatte. Doch diese Spiele werden wohl in Rom und nicht in Mailand auszurichten gewesen sein. Man könnte sich Spiele für die norditalische Klientel der Felices Vorstellen (vgl. Stroheker (19^8), 88/I 66 et passim).

- 6? Geschenke wie (die Einlösung von) Schulden fordert. '^ Es wird weder eindeutig festgestellt, daß Felix den Konsulat schon angetreten hat, noch, daß diese Spiele schon statt­ gefunden haben; die zitierten Worte lassen auch die gegen­ teilige Annahme zu, da sich Felix offensichtlich bei der Ausrichtung der Veranstaltung auf die Pflichten eines Sena­ tors beschränken will und nicht eindeutig die zu niedrige, erfolgte Entlohnung der Wagenlenker, sondern möglicherweise nur die Verpflichtung, auch solche zu beschäftigen, in Rede steht, also auch eine Datierung etwa Ende 51o möglich ist. Das Schreiben Var. III 5o wurde in das Jahr 5o7 gesetzt,

2) '

weil darin Alamannen erwähnt werden, die sich auf dem Weg nach Noricum befinden. Dies darf aber nicht mit der Aufnahme der Alamannen durch Theoderich in Verbindung gebracht werden.

3)

Auch dieser Brief kann also durchaus aus dem Jahr 51o stammen. Var. IV 3A

enthalten die Ernennung des Senarius zum Ll )

Comes patrimonii für die dritte Indiktion. ' Da also auch diese beiden nicht der chronologischen Ordnung von Cassiodors Amtsbriefen entsprechen, müssen auch sie denjenigen Schrei­ ben zugerechnet werden, die ihren Platz als Ehrenstellung erhalten haben, obwohl sie weder ihrem Inhalt nach von den anderen abgehoben sind, noch Senarius als hervorragender Mann bekannt ist. An ihn in seinem Amt sind die Briefe Var. IV 7/11/13» die aber nicht mit Theodor Mommsen in die1 5 4 3 2 1) Var. III 39»ls "··· ut exercentibus laetitiam publicam consuetudinem servemus antiquam, praesertim a consule venien­ tem, cuius constat esse propositi, ut debeat ex liberalitäte laudari, ne videatur aliud dignitas promittere et aliud sena­ torem velle complere." und 39»2s "... sublimitatem vestram sequi convenit vetustatem, quae suo quodam privilegio velut debita quae donantur exposcit." 2) Mommsen, Varienausgabe, XXXIV, setzt ihn in Beziehung zu Var. II 4 1 1 so auch Besselaar (1945). 88 3) Schubert (1884), 52 ff. (bes. 54) 4) Mommsen1datiert auch danach, allerdings sieht man hier, daß er in seinen Daten nicht ganz konsequent immer die glei­ chen Bezeichnungen wählt; so datiert er Var. IV 3. das (IV 3*2) die Indiktionsangabe enthält, auf 5o9/511 und IV 4 richtig, da beide Schreiben zusammengehören und gleichzeitig sind, vor den 1. Sept. 509. Hodgkin (lö86), 237* und Tanz i (I887 ), 12, haben übrigens noch fälschlich die 4. Indiktion. 5) Dies muß allerdings nicht viel bedeuten, da unsere Kennt­ nis trotz der Variae beschränkt bleibt. Zu Senarius vgl. Sundwall (1919), 219 ff·! immerhin hat Senarius wohl das "be­ sondere Vertrauen" Theoderichs besessen und 25 "Gesandtschaf­ ten sowohl nach Konstantinopel wie zu den Germanenkönigen" geführt (ebda., 153 f·)«

- 68 dritte Indiktion datiert werden müssen, da Senarius dieses Amt wohl ziemlich lange bekleidet hat.1 ^ Der Gote A r i g e m war wohl seit 5o2 längere Jahre eine Art Statthalter Theoderichs in R o m ^ und wurde mit Var. IV 16 erneut in dieses Amt eingesetzt. Augenscheinlich wurde seine Amtszeit durch einen kurzen Aufenthalt in Gallien unterbrochen,-^ was für k) Mommsen der Anlaß war, ' das Ernennungsschreiben IV 16 und Var. IV kJ auf $o9/5H zu datieren. Allerdings zog er nicht die Konsequenz, Var. III 36/**5, in denen A r i g e m als Adres­ sat ebenfalls namentlich erscheint, etwa auf 5 o7/ 5 o9 anzu­ setzen. Da dieser Aufenthalt in Gallien nicht zu datieren ist, bleibt die Amtszeit Arigeras und die ihn erwähnenden Schreiben nur nach Var. IV 22/23 zu datieren,

in denen er

zum ersten Mal nach seiner Ernennung (IV 16) in Zusammen­ wirken mit dem Stadtpräfekten Argolicus tätig wird. Momm­ sens Datierung von Var. IV 27 (508/ 5 II) scheint ein läß­ licher Irrtum oder ein Druckfehler zu sein, ^ da der un­ mittelbar folgende, dazugehörige und eindeutig gleichzei­ tige Brief richtig 5o7/5H datiert ist. Noch einmal größere Schwierigkeiten bereitet das Datum von Var. IV 36 . ^ Die kritische Passage lautet aber: 'Und deshalb möge deine il­ lustre Magnifizenz erfahren, daß wir den Provinzialen der Cottischen Alpen den as publicus für die dritte Indiktion erlassen

h a b e n'.®^ Theoderich kann hier also durchaus

auf eine zurückliegende Entscheidung Bezug nehmen oder nur eben die Menge, die im September $lo bezahlt wurde, bezeich-1 8 7 6 5 * 3 2 1) Sundwall (1919), 15**; auch hier folgt PLRE II, 988 f., den Datierungen Mommsens und setzt seine Amtszeit nur auf das genannte Jahr fest. Vielleicht ist auch der Var. IV 15 genannte Comes patrimonii in Senarius zu vermuten (vgl. ebda., 1225). 2) zu der Zeit vgl. PLRE II, lkl f., u. Var. IV 16,2: "qui vobis (scii, senatui) longa aetate placuit"; zu seinem Amt vgl. Schmidt I (19*+1), 37o (man hat einen Comes urbis vermutet: Hodgkin (1886), 2 kk, u. Tanzi (I887 ), 13). 3) Var. IV 16 ,1: "virum illustrem comitem Arigemum civem paene vestrum d u d u ra ad Gallias aestimavimus dirigendum" *0 Varienausgabe, XXXVI; vgl. Tanzi (I887 ), 11 f. 5) Diese sind vor Ostern 5 II geschrieben (s. oben S. 65 Anm. k). 6) Trotzdem übernimmt PLRE II, 381/868, dieses Datum (anders Sundwall (1919), 1**8). 7) Mommsen datiert aufgrund der Erwähnung der J. Ind. (s. fol­ gende Anm.): vor dem 1. Sept. 5o9* 8) Var. IV 36,2: "Atque ideo illustris magnificentia tua pro­ vincialibus Alpium Cottiarum assem publicum per tertiam in­ dictionem nos r e l a x a s s e cognoscat ..."

- 69 nen. Also weist auch dieser Brief des vierten Buches in das Jahr 511. Die Briefe des fünften Buches sind anerkanntermaßen wäh­ rend Cassiodors Magisterium verfaßt.^ Sie sind also ungefähr 15 Jahre und somit einen Indiktionenzyklus später als die bisher besprochenen. Var. V lo/ll betreffen den Marsch der von Theoderich unterworfenen Gepiden zum Schutz Galliens im Jahre 523 · ^ Auch in Var. V 29 und 32/33 wird auf die galli­ sche Expedition des Jahres 523 Bezug genommen, insofern diese Briefe von einem Comes Pitzia sprechen, der sich in militä­ rischer Mission in Gallien aufgehalten hat.-^ 1) Mommsen, Varienausgabe, XXVI (er datiert deshalb auch die meisten Briefe auf 523/526 und natürlich vor den Tod Theoderichs): vgl. Besselaar (1945 ), 41 Anm. 3, u. O ’Donnell (1979). 77. 2) zum Datum vgl. Tanzi (I887 ), 17; Mommsen, Varienausgabe, XXXVI f. ; Schmidt I (1941), I63 m. Anm. 2/ 3 ; Wolfram (1979), 387/399. und die Quellen: Mar. Avent., Chron. ad a. 523} Cass., Var. VIII lo ,6 ff·} Ruggini (I96I), 272 f. Anm. 178, datiert die beiden Schreiben ähnlich und bringt auch Var. V 13 (523) mit diesen in Zusammenhang} die Begründung für eine chronologische Reihenfolge: V 13 und dann erst lo u. 11, ist allerdings anzweifelbar. 3) Var. V 29,2 f. (Tanzi (I887 ), 16 f., will diesen Brief wegen des Namens Pitzia und der Gallienexpedition in die Jahre 508/509 setzen. Das geht nicht.); V 32,1 u. 33,1 (Hodgkin (1886), 282, setzt diese Briefe in die Jahre 5o8/5o9, sie sind aber augenscheinlich einige Zeit nach der gallischen Ex­ pedition von 523/524 anzusetzen); im übrigen gibt es zu die­ ser Zeit eine Reihe von Trägern des Namens Pitzia (Wolfram (1979). 364 Anm. 15)· PLRE II, 886 f., vermutet die Identität des Feldherm von 5o4 mit einem gleichnamigen Überläufer zu Beiisar (ca. 536/537} bei Prok. BG I 15,1) und behauptet die mit dem Pitzia in Var. V 29 . Übersehen wird die Nachricht von der Hinrichtung eines gewissen Petia im Auctarium Havniense (ad a. 514) zwar nicht (s. PLRE II, 86I), aber die wohl all­ gemeine Identifikation dieser beiden (vgl. Schmidt I (1941), 374, u. Wolfram (1979), a.a.O.). Eindeutig ist die Identität der beiden Pitzia bei Ennod., Pan. Theod. 12 (Pitzia) und bei Jord., Get. LVIII 300 (Pitzamus) u. 3ol (Petza). Eben die letzte /Variante des Namens legt auch die Gleichsetzung des nach dem Auct. Havn. 514 hingerichteten Comes (!) Petia mit diesem nahe. Wie die einzelnen weiteren Namensformen bei Cassiodor und Prokop auf bestimmte Personen festzulegen sind, ist heute vollkommen ungeklärt: Cass., Var. V 29 (Pitzia), Var. V 32/33 (Patza), sowie Prok. BG I 15,1 ( Πίτζας ) u. BG I 16,5 ( Πίσσας). Die bei Cassiodor erwähnten beiden Namensträger können zwei verschiedene Männer sein (der in V 29 einerseits und der in V 32/33 (von PLRE I I wohl aus diesem Grund nicht aufgenommene) andererseits} M. Schönfeld, Wörterbuch der alt­ germanischen Personen- und Völkemamen, Heidelberg 1911. I80, sieht sie sogar als zwei verschiedene Namen an), müssen dies

- 7ο Die Briefe V l6-2o befassen sich alle mit dem Aufbau einer Flotte, die am 13· Juni 526 fertiggestellt und zum Auslaufen bereit sein soll.^ Auch Var. V 23 scheint sich auf Vorberei­ tungen für die Expedition dieser Flotte zu beziehen. Ebenso dürften Var. 26/27, die die Versammlung von Truppen zwecks aber nicht. Andererseits ist unmöglich, daß der in Var. V 29 (ca. 52*4-526) erwähnte Pitzia mit dem 51*4 hingerichteten Feld­ herrn von 5o 4 identisch ist, obwohl dort nur von einer in der Vergangenheit (wahrscheinlich 523/52*0 getroffenen Entschei­ dung dieses Mannes die Rede ist (V 32/33 liegt die betreffende Angelegenheit offensichtlich auch längere Zeit zurück: V 32,1). Auch die beiden bei Prokop erwähnten Namensträger scheinen verschiedene Personen zu sein, da der eine (BG I 15*1» ca. um die Jahreswende 536/537) zu Beiisar überläuft und der andere (BG I 16,5 f · ; ca. Jan./Feb. 537) in byzantinische Gefangen­ schaft gerät. Inwieweit der eine oder andere bei Cassiodor (52*ί— 52δ) erwähnte mit dem einen oder anderen bei Prokop (536/537) erwähnten identisch ist, läßt sich wohl kaum ent­ scheiden. Keinesfalls aber ist der Feldherr von 5°*4 mit einer dieser *4 (?) Personen gleichzusetzen. 1) Var. V 17**4: "proximo die iduum Iuniarum ad urbem Raven­ natem congregatio navium"; vgl. Tanzi (I887 ), 17 f· » Mommsen, Varienausgabe, XXXVI, u. Ruggini (I96I), 5*48 ff. (zum Jahr s. auch Schmidt (19*42), 119; Wolfram (1979)* 383* 8er Theoderichs Rüstungen als "Rachefeldzug gegen Karthago" nach der Ermordung Amalafridas (525) ansieht; vgl. Prok. BV I 9 ,3 f· ; Cass., Var. IX 1,1 u. Vict. Tonn., Chron. ad a. 523 (dieses Datum für den Tod Amalafridas hat fälschlich PLRE II, 63 f·; vgl. Schmidt (19*42), II9 Anm. 1), der hier nur die thematisch zusammenge­ hörenden Ereignisse summiert; dieser Rachefeldzug unterblieb aber, wohl wegen des wenig späteren Todes Theoderichs.); es scheint aber bei Mommsens Datierungen (vor den einzelnen Brie­ fen) einiges durcheinandergeraten zu sein (vgl. auch die Auf­ zählung bei Besselaar (19*45)* 25 Anm. 2), da z.B. auch Var. V 1 5 , der nichts mit dem Flottenaufbau zu tun hat, auf 525/526 datiert ist (allerdings möchte Besselaar (19*45)* 25* den Brief Var. V 1*4 (mit den entsprechenden Folgerungen für V 1 5 . da die beiden offensichtlich zusammengehören) auf jeden Fall vor 522 datieren, um - wie Usener (1877), 7o f· - ein zweites Magisterium Cassiodors (dazu s. Exk. i) etwa 518/519 zu be­ weisen, da Var. V 1*4,3 die 8. Indiktion als "nuper exempta" bezeichnet; es wird hier aber eine Untersuchung der bezahlten Steuern seit ("ab octava indictione") dieser Indiktion ange­ ordnet (vgl. Tanzi (I887 ), 18); wieviel Indiktionen und Steuer­ zahlungen diese Untersuchung umfassen sollte, geht aus dem Schreiben nicht hervor). Weiterhin datiert Mommsen Var. V 2o, das sich eindeutig auf die Flottenrüstung bezieht, 523/526 und V 23/2*4 auf 525/526, was für V 23 nach Mommsens Kriterien gewiß richtig ist, da hier von der Schulung von Bogenschützen für die Flotte gesprochen wird, aber für V 2*4 nach denselben Kri­ terien nicht festgelegt werden kann, da dieser Brief keinen Anhaltspunkt für eine Datierung enthält und auch nicht zu dem vorhergehenden gehört. Mommsens Daten müssen also schon bei Anlegen seiner eigenen Maßstäbe korrigiert werden.

- 71 Entlohnung zum 3· Jun i ^ anordnen, in dasselbe Jahr 526 zu setzen sein, alle diese Briefe datieren also aus diesem Jahr (vor dem Monat Juni). Letztlich erwähnt das Schreiben Var. V 31,1 die Indiktionen VIII, IX, XIII2 ) und XV, so daß 3) auch dieses kaum vor - eher nach - 523 geschrieben sein wird. '1 1) Var. V 26: "octavo iduum Iuniarum die"; Mommsen datiert nur: a. 523/526 ante Iun. 6. 2) vgl. zu dieser Zahl die Anm. Mommsens in seiner Varienausgabe (zu Z. 1^): Tanzi (1887), 15 et passim, will die Briefe des Buches V auf die 2. Indiktion beschränken, also zumeist 523/52^ ansetzen. 3) Es läßt sich nicht sagen, wann - nach 523 - dieser Brief eschrieben wurde; Mommsen datiert also richtig: 523/526 Tanzi (I887 ), 18, kennt die Emendation Mommsens (s. vorige Anm.) noch nicht).

f

Tafel Ills Zeittafel zu Cassiodors Variensammlung (Buch I-V)11)

1) vgl. den "specchio cronologico" hei Ruggini (I96I), 55^ ff die mehrere von denen Mommsens abweichende Datierungen gibt, die ganz allgemein die hier vorgestellte Chronologie bestäti­ gen? neben den oben angeführten sind dies die folgenden: Var. II 5 (5o9; vgl. a.a.O., 280 Anm. 199) und Var. V 35 (526? vgl. a.a.O., 292 Anm. 239)? diese Briefe sind ohne Querverweis Von den Zeichen bedeuten die Linien die Scheidung der durch ihre Stellung ausgezeichneten Briefe von den übrigen, wobei die durchgezogene Linie die gängige Auffassung (vgl. O'Donnell (1979). 78 f . ) , die gestrichelte die hier vorgetragene wieder­ gibt. Fragezeichen hinter Daten vermerken eine gewisse Un­ sicherheit? in K lammem eingeschlossen sind mögliche, aber durch den Kontext ausgeschlossene Daten? jahreszeitliche An­ gaben und genauere Daten 'ante' und 'post quem' stehen vor dem Jahr, in das die Briefe gehören? Daten 'ante quem' sind nur dann in Klammem hinter eine Jahreszahl gesetzt, wenn sie zuviel Spielraum lassen. Ganze Datierungen in K l a m m e m sind solche, die entgegen Mommsens genauerer Datierung nur nach den Amtszeiten Cassiodors anzusetzen sind.

I

1

Ende 5o7/Anfang 5o8

I

2

32 33 35 41

507/511 5o7 . ______ 5o 7______ (5o7)/5o8 5 o8 ? vor dem 2b. Juni 5o8 vor dem 1. Sept. $08 vor dem 2k. Juni 5o8 5 o8 ? kurz vor dem Zb. Juni 5o8 vor Juni ? 5o8 5 o8 ? vor Juni ? 5o8 (5o7)/5o8 (5o7)/5o8 Herbst 5o8 (5o7)/5o8

I bz I 43 I bb

vor dem 1. Sept. 5©9 vor dem 1. Sept. 5°9 vor dem 1. Sept. 5°9

507/511 507/509 507/509 507/511 507/509 509/ 5 I0 509/510 509/ 5 I0

1 45 I b6

5o 6/5o 7 5o 6/5o 7

5o7 5o7

1 I I

5 o8

Daten

£) O ■P £ 00 « o co £ 0 ) o CO

Brief

o S

Buch

k}

6 9 15 16 1? 23

2k

25 27

28

507/508 c. 507 c. 507

Querverweise

51 52 m. Anm. 2 52 f. 52 f.

507/509 507/511 507/511

60 f. 62 f.

507/511 507/511

6b 61 f. 64 m. Anm. 3 64 61 f. 64 60 f. 60 f. 63 Anm. 5 60 f.

5o8 post Sept. 1 5o8 ante Iun. Zb 507/ 5 II 5o9

64

63 m. Anm. 5

53/62 53/62 53/62 » 53 f./57 53 f./57

Buch

Brief II II II

II 5°9

1 2 3 5 6 8 15

16 3k

38

Daten 51o 51o 51o 5o9 Anfang 5°9 ca. 5°9 ca. 5o9 (vor Herbst ca. 5o9 5 1 o) Ende 5o9 5o9 ?

Mommsens Daten 511 511 511

507/511 509/511 5o8

Querverweise 57 m. Anm. 5 57 m. Anm. 5 57 m. Anm. 5 6l 6k

65 m. Anm. 1

507/511 507/511 509/ 5 I0 507/511

62 63 Anm. 5 59

II 39

507/511

507/511

II ko II kl

506/507 506/507

5o7 5o7

65 m. Anm. 1

53 f./57 53 f./57

i !

III 51ο

1 2

3

k

5

6 11 12 16 17

18 22

25

26

29 3o 31 32 33 3* 36 38 39 ko kl k2 k3 kk k5

5o ill 51 III 52 III 53

5o6/5o? (Frühjahr)

506/507 506/507 506/507

Anfang 51ο Anfang 5 I0 vor Sept. 51ο vor Sept. 51ο 51ο 51ο 51ο Ende 5 1 ο 51ο 51ο nach dem 1. Sept. nach dem 1. Sept. nach dem 1. Sept. 51ο nach dem 1. Sept. 51ο 51ο ? 51ο Ende 51ο 51ο 51ο 51ο 51ο 51ο 51ο ? 51ο 507/511 507/511 507/511

51ο 51ο 51ο 51ο

Η-



V

ω ο Ρ)

W

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III III III III

Daten

φ

Brief

3 ο

Buch

509/511 509/511 510/511 51ο/ΐ ! 5 ο8 5 ο8 5οβ/511 507/511 510/511 510/511 510/511 510/511 510/511 51ο 510/511 5ο8/511 507/511 5 ο8 511 51ο ante Sept. 1 5 ο8 5 ο8 5 ο8 aestate 5ο8/5ο9 hieme 507/511 ' 5°7 507/511 507/511 507/511

Querverweise 57 57 57 57 65 65 65 65 65 f. 65 f. 65 f.

62 66 66

65 65 65 Anm. k 65/66 Anm. 1 65 66 Anm. 1

|

68 J 66 Anm. 1 ; 66 f. 66 Anm. 1 65/66 Anm. 1 66 Anm. 1 66 Anm. 1 66 Anm. 1 68 67 58 58 58

Buch

IV 511

Brief

Daten

Mommsens Daten

507/511 507/511

IV IV

1 2

5o7 5o7

IV IV

3 k

vor dem 1. Sept. 5°9 vor dem 1. Sept. 5o9

5 7 11

12 13 15 16 17 19

21 22 23 25 26

27 28 29 36 iJ-2

____ ^2_.

511 511 ? 511 ? 511 511 ? 511 ? 511 511 511 511 vor Ostern 511 vor Ostern 511 511 511 (507/511) 507/511 511 511 nach Ostern 511 511 ?

IV 5o

5o7

IV 51

507/511

509/511 5o9 ante Sept. 1

508/511 509/5II 509/5I0 508/511 509/5I0 507/511 509/511 508/511 508/511 508/511 5I0/511 5I0/51I 5I0/511 508/511 508/511 507/511 5I0/511 5o9 ante Sept. 1

510/511 . 509/511 ___ 507/511 507/511

Querverweise

5^ 5k

67 m. Anm. ^ 67 m. Anm. ^ 66 67 67 65 67 68 68 66

Anm. 1 f. f. f. f. Anm. 1 Anm. 1

65/66 Anm. 1 65 f. 65 65 65 66 Anm. 1 68 68 65 68 f. 65 68 58 58

i

Buch

V V V V V 523/526

1 2 3

4 lo

23 24 26 27 29 31 32 33

......... 25._.

Mommsens Daten 523/526 523/526

507/511 507/511

vor dem 1. Sept. 524 vor dem 1. Sept. 5 2 ^ 523 523 523 526 ? 526 ?

11 13

14 15 16 17 18 19 2o

;

Daten

Brief

vor vor vor vor vor vor

dem 13· Juni dem 13· Juni dem 13· Juni dem 13· Juni dem 13· Juni dem 13· Juni (523/526) vor dem 6. Juni vor dem 6. Juni nach 523/524 nach 523 nach 523/524 nach 523/524 526

526 526 526 526 526· 526 526 526

V 4o V 41 V 42

vor dem 1. Sept. 524 vor dem 1. Sept. 524 523

V 43 V 44

5 I0/ 5 II 5 I0 / 5 1 I

a. 524 ante Sept.l a. 524 ante Sept.l 523/526 523/526 523/526 525/526 525/526 523/526 ante Iun.13 523/526 ante Iun.13 523/526 ante Iun.13 523/526 523/526 525/526 525/526 523/526 ante Iun. 6 523/526 ante Iun. 6 523/526 523/526 523/526 523/526 523/526 524 ante Sept. 1 524 ante Sept. 1 523 511 511

Querverweise 59 59 60 Anm. 1 60 Anm. 1 69 m. Anm. 2 69 m. Anm. 2 69 Anm. 2

7o 7o 7o 7o 7o 7o 7o 7o 7o 7o 7o 69 71 69 69

Anm. 1 Anm. 1 m. Anm. m. Anm. m. Anm. m. Anm. m. Anm.

1 1 1 1 1

Anm. 1 f. f. m. Anm. m. Anm. m. Anm. m. Anm.

3 3 3 3

59 59 59 m. Anm. 3 59 59

Exkurs I î Zum 'Anecdoton Holderi' Das von Alfred Holder aufgefundene, von Hermann Usener I877 in einer Festschrift anläßlich einer Philologenversamm­ lung mit ausführlichem Kommentar erstmals publizierte und von letzterem zu Ehren des ersteren so genginnte Anecdoton Holderi^^ enthält einige Nachrichten über die für uns wichtigsten Ver­ treter der Senatsaristokratie zu Zeiten Theoderichs: Symmachus, 2) Boethius und Cassiodor selbst. Wie Usener dargelegt hat, ' besteht das Anecdoton in Exzerpten aus einem Büchlein Cassiodors, das die Form eines Briefes an Cethegus hatte. Den In­ halt des Anecdoton gibt der Exzerptor, wie folgt, wider: "ordo generis Cassiodororum: qui scriptores extiteß) rint ex eorum progenie vel ex quibus eruditis." Gerade die ziemlich unklaren letzten Worte haben vielerlei Interpretationen und Emendationen zur Folge gehabt.

' Es fällt

schwer zu sagen, was mit ihnen tatsächlich gemeint sein soll. Deutlich scheint allerdings, daß in Cassiodors Buch mit der Familie der Träger des Namens 'Cassiodorus', der eben dieser Familie eigen war^, verwandte und aus ihr herausragende Schriftsteller behandelt wurden. Ob sich dieses Vorhaben auf die drei in dem Exzerpt und oben erwähnten Personen beschränkte, bleibt unklar. Allerdings scheint dies angesichts des bei dem sog. Anonymus Mellicensis^ und in zwei Bücherverzeichnissen1 1) Es wird auch Ordo generis Cassiodororum, Libellus de genere Cassiodororum oder Cassiodori libellus de stirpe sua genannt. 2) Usener (I877 ), 9 3) Z. 4 ff. (bei Usener) 4) die beste wohl bei O'Donnell (1979). 262 zu Z. 8 : "eruditi sint" 5) vgl. Cass., Var. I 4,9: "Cassiodoros siquidem praecedentes fama concelebrat, quod vocabulum etsi per alios videatur currere, proprium tamen eius constat esse familiae." 6) E. Ettlinger, Der sog. Anonymus Mellicensis de scriptoribus ecclesiasticis, Diss., Straßburg I896, 24/39/5**·

- 79 von Klosterbibliotheken (des 12. und 15· Jhdts.) aufgeführten 'Liber de viris illustribus' bzw. 'Sermo de scriptoribus' Cassiodors^ unwahrscheinlich, wenn auch anzweifelbar, aber kaum unmöglich ist, daß diese Titel die nur als Exzerpt bekannte Schrift bezeichnen. Es scheint also, daß der Exzerptor aus Cassiodors 'Liber de viris illustribus' neben Cassiodor selbst 2) nur die mit diesem verwandten und ihm auch sonst als her­ vorragend bekannten Schriftsteller in seinen Auszug aufgenom­ men hat und dies mit den zitierten Worten hat sagen wollen. Usener·^ setzte das Anecdoton in das Jahr 522 und begründete dieses Datum mit der Erwähnung des Konsulats der beiden Söhne des Boethius (Terminus post quem) und dem Pehlen einer Mit­ teilung von den Todesurteilen und Hinrichtungen von Symmachus und Boethius, sowie von dessen Consolatio philosophiae (Termi­ nus ante quem). Die Folgerungen aus dieser Datierung sind: 1. ein zweites Magisterium Cassiodors vor 521, da er im Anecdoton als 'ex magistro officiorum', Cethegus in der Adresse aber als 'magister officiorum' im Amt bezeich2i\ net wird ', und 2. die Kennzeichnung einer Passage, die sich auf die Variae bezieht, als Zusatz des Exzerptors^. Auch Besselaar hat mit unzureichenden Argumenten und ohne Er­ folg ein zweites Magisterium Cassiodors um 519 zu erweisen versucht.^ Da auch die Zeit des Cethegus als Magister nicht zu präzisieren ist und auch aus anderen Gründen - nicht zu­ letzt von Theodor Mommsen^ - Einwände gegen Useners Datierung vorgebracht wurden, die diametral entgegengesetzte Ergebnisse1 1) vgl. P. Lehmann, Cassiodorstudien, ins ders., Erforschung des Mittelalters, Bd. II, Stuttgart 1959 (erstmals in: Philolo­ gus 71 / 19 12 ), ko 2) Cassiodor betont seine Verwandtschaft zu den Aniciem auch anderswot. vgl. oben S. 15 m. Anm. *(·. 3) Us en er ■(1877), 73 f. k) ebda., 7/7°} das Datum von Cethegus' Magisterium wird PLRE II, 281 f., als unbekannt bezeichnet und ins frühe 6 . Jhdt. gesetzt$ A.E.R. Boak, The Master of the Offices in the Later Roman and Byzantine Empires, New York/London 1919/192**· (Nachdruck 1972), 15o, datiert das Magisterium von Petronius (i.e. Cethegus) nach 527 (M. Clauss, Magister Officiorum, = Vestigia, Bd. 32, München 1981» geht zeitlich nicht so weit). 5) Usener (I877 ), 71 f. 6 ) vgl. oben S. 70 Anm. 1, u. Usener (1877), 7o 7) Jordanesausgabe, XLI

- 8ο zeitigten, kann das Datum des Anecdoton jederzeit, letzthin bis zu der Zeit von Cassiodors Aufenthalt in Konstantinopel, als er eben dort engere Beziehungen zu Cethegus unterhielt^, zu der Zeit seiner Konversion, wie die Titel 'monachus servus 2) dei' andeuten könnten, festzulegen sein. Daß Cassiodor auf das Schicksal von Boethius und Symmachus anscheinend nicht einging, muß nicht bedeuten, daß er zum Zeitpunkt der Abfassung der Vorlage für das Anecdoton davon noch keine Kenntnis haben konnte. Es ließen sich auch andere Gründe denken, die ihn bewogen, alle Umstände der Ereignisse des Sturzes des Autors der Consolatio philosophiae mit Schwei­ gen zu übergehen·^? auch in den Variae fehlt jede Andeutung auf das Ende des Boethius. Die eigentliche Crux des Textes und insbesondere des Ab­ schnittes über Cassiodor selbst ist das offensichtlich korrupte Wort 'praefuisset', dem - grammatisch unmöglich - ein direktes Akkusativobjekt folgt: "et praefuisset formulas dictionum, quas in duodecim libris ordinavit et Variarum titulum superposuit."**^ Eben diese Worte mußte Usener wegen seiner Datierving als spä­ teren Zusatz eliminieren. Eben weil hier die Kompilation der Variae erwähnt wird, fand Useners Datierung Widerspruch und versuchten sich fast alle anderen Herausgeber des Anecdoton^ an Konjekturen des korrupten Textes, die alle darauf hinaus­ liefen, in den ersten Buchstaben des fraglichen Wortes ('praef-') ein Relikt von Cassiodors Amt eines 'praefectus praetorio' zu sehen, das im Anecdoton weder in der Titelliste Cassiodors am Anfang des Textes, noch in dem letzten Passus über Cassiodors Amtslaufbahn genannt wird. Obwohl wenig ver-1 1) vgl. oben S. 18 f. 2) vgl. O'Donnell (1979). 261 (zu Z. 2-3) 3) vgl. Cappuyns (1949), 1368 4) Z. 25 f. (bei Usener) 5) Abdrucke finden sich bei Mommsen, Varienausgäbe, V f . ; bei Pridh, Varienausgabe, V f . ; C. Cipolla, Considerazioni sulle "Getica" di Jordanes e sulle loro relazioni colla "Historia Getarum" di Cassiodorio Senatore, in: Memorie della Reale Accademia delle Scienze di Torino (Classe di scienza morali, storicho, e filologiche), 2. Ser., 43/1893, 133 f·; Besselaar (19^5), 2o6; O'Donnell (1975), 225 ff-, und ders. (1979), 259 ff. (je­ weils mit Kommentar).

- 81 wunderlich ist, daß ein Amt Cassiodors im Anecdoton uner­ wähnt bleibt, da für Symmachus zwar der Patriziat und der Konsulat genannt ist, aber nicht die Stadtpräfektur und für Boethius überhaupt kein offizieller Titel, blieb dieses das kritische Wort in der Diskussion. Umso überraschender ist es, wie wenig Beachtung die Bemerkung von Maieul Cappuyns fand, daß sich, wie die Absätze über Symmachus und Boethius, auch der Uber Cassiodor ohne den weiteren Text des Anecdoton in einer anderen Handschrift befindet und eben diese an der be­ wußten Stelle das Wort 'praefectus’ enthält^. Allerdings hat er, ebenso wie später Fridh und O ’Donnell für ihre Aus­ gaben, die Handschrift nicht selbst gelesen und ihren Wort­ laut auch nicht mitgeteilt. In der fraglichen Hs. Reims 975 fol. y\ ist auf der ersten Seite von Cassiodors Insti­ tutiones zwischen die Überschrift und die Worte ’INCIPIT PRAEFATIO' in etwas mehr als drei Zeilen nachträglich und gedrängt der Absatz über Cassiodor geschrieben, den wir aus dem Anecdoton Holderi kennen. Die rechte obere Ecke des Blattes fehlt, doch lassen sich die fehlenden Buchstaben nach dem Anecdoton leicht ergänzen? leider verläuft gerade durch das kritische Wort eine Falte des Pergamentes. Der Passus ent­ hält mehrere von dem von Holder in der jetzt in Karlsruhe be­ findlichen Hs. Aug. I06 fol. 53v aufgefundenen Anecdoton ab2) weichende Lesarten und wird deshalb hier mitgeteilt ': Cassiodorus Senator vir eruditissimus et multis dignitatibus pollens iuvenis adeo dum patris Cassiodori patricii et praefecti praetorio consiliarius fieret et laudes Teuderici regis Gothorum facundissime recitasset ab eo quaestor est factus patricius et consul ordinarius dehinc magister officiorum et ^praefectus ...^ formulas dictionum quas in duodecim libris ordinavit1 1) Cappuyns (19^9b 1351/1368 (vgl. zu den abweichenden Les­ arten anderer Hss.: G. Schepss, Geschichtliches aus Boethiushandschriften, in: NA 11/1886, 125 ff., u. Cipolla (1893), 133 f·)· 2) Nochmals gedankt sei an dieser Stelle M. Roger Laslier, Conservateur de Bibliothèque Municipale de Reims, für die freund­ liche Übersendung einer Photographie des fraglichen Blattes.

- 82 et Variarum titulum superposuit praecipiente Teuderico historiam Gothorum originem eorum loca et mores in libris annuntians^ Der Schreiber dieser Zeilen hat im Vergleich zum Text des Anecdoton einige Worte ausgelassen - offensichtlich aus Platz­ gründen, da er den Passus noch zwischen der Überschrift und dem Beginn der Praefatio unterbringen wollte: postmodum vor dehinc, scripsit nach superposuit und rege nach Theodoricho. Außer dem Fortlassen dieser für das Verständnis und den Zu­ sammenhang überflüssigen Worte, um Platz zu sparen, änderte er die Stellung des letzten 'et' und bietet die richtige Schreibweise von 'consiliarius*, was indirekt die entsprechen­ den Emendationen Useners^ bestätigt und den Schluß zuläßt, daß dieser Text nicht von dem des Anecdoton Holderi, sehr wohl aber von dessen Vorlage abgeschrieben sein kann (vgl. praecorii). Wichtiger ist die Lesart 'praefectus' statt 'praefuisset', die aber keineswegs so eindeutig ist, wie Cappuyns sie berich­ tet und sie hier zu lesen ist, zumal das folgende Wort - sehr dicht an das selbst kaum zu lesende 'praefectus' geschrieben nicht zu entziffern ist. Mit viel gutem Willen könnte man in den fünf bis sechs Buchstaben 'fuiss&' oder besser *-uiss&* erkennen, was das Zustandekommen des unmöglichen 'praefuisset' erklären würde, aber auch wenig Sinn gäbe. Denn wie der Kon­ junktiv in 'praefuisset', das nicht wie die vorhergehenden1 1) Genau zu lesen ist (zur Crux vgl. im folgenden} in Klam­ m e m stehen nicht vorhandene, aber leicht zu ergänzende Buch­ staben) : cas senator uir eruditissim. & multis dignitatib. pollens iuuenis ad eo dû patris cassiodori patrici pfecti pcorii consiliarius f(i)er& (&) laud(es) / (teu)derici regis gothor+ facundissime recitass& ab eo quaestor *- factus patricius & consul ordinarius dehinc magister officior+ & ^pfectus..... formu(las) / dictionü qs in duodecî libris ordinaü & uariar+ titulü supposuit pcipiente teuderico historia gothor+ orig(i)ne eor+ loca & mores in / libris annuntians 2) Usener (1877). ^ nu Anm. zu Z. 22/28} vgl. aber auch O'Donnell (1979), 265 zu Z. 36

- 83 Verben 'fieret' und 'recitasset' von 'dum' abhängt, wäre auch ein anderes Wort im Konjunktiv an dieser Stelle unsinnig.^ Auf jeden Fall wird man nach der Lesung der Hs. Reims 975 emendieren müssen: Entweder ist 'praefectus fecit' anzunehmen oder 'praefectus' mit einem Adverb, etwa einem Kompositum von •-fice’, wobei als regierendes Verbum zu 'formulas dictionum' dann 'scripsit' zu erwägen und 'praecipiente Theodoricho rege' eben auf die 'formulas' und nicht auf 'historiam' zu beziehen wäre. Auch das Weglassen von 'scripsit' durch den Schreiber der Zeilen in der Hs. Reims 975 könnte darauf hindeuten, daß dieser die Worte so aufgefaßt hat. Der um Stringenz bemühte Exzerptor versuchte offensichtlich in knappen Sätzen zusammenzufassen, was er las. Die in der Hs. Aug. lo6 gegebene Interpunktion blieb etwas unbeachtet, stimmt aber mit Useners Ausgabe bis zum ersten Satz des letzten Passus über Cassiodor überein. Danach darf man offenbar die Interpunktion nicht so stark wie Usener ändern und nicht nach •postraodum dehinc magister officiorum' bzw. nach 'praefectus', sondern muß gerade vor diesen Worten stärker trennen. Die letzten Worte wären also etwa zu schreiben: postmodum dehinc magister officiorum et praefectus (praetorio) fecit formulas dictionum, quas in duodecim libris ordinavit et Variarum titulum superposuit, scripsit praecipiente Theodoricho rege, historiam Gothicam, originem eorum, loca et mores in (XII) libris annuntians. Die Betonung liegt wohl auf den Aussagen, daß Cassiodor auch als Magister officiorum und als Praefectus praetorio 'formulas 2) dictionum' verfaßte, was eigentlich dem Quaestor oblag, 7 und diese unter dem Titel Variae in zwölf Büchern herausgab, daß er allgemein 'praecipiente Theodoricho rege' schrieb - auch als er séirte Gotische Geschichte verfaßte.1 1) vgl. O'Donnell (1979), 263 ff· zu Z. 33 2) vgl. Cass., Var. IX 25,8: "Reperimus eum quidem magistrum, sed implevit nobis quaestoris officium ...", sowie O'Donnell (1979), 264

- 84 Anhang zu Exkurs I: Text des 'Anecdoton Holderi' n a c h ^ der Ausgabe von Hermann Usener Excerpta ex libello Cassiodori Senatoris monachi servi dei ex patricio, ex consule ordinario quaestore et magistro offi­ ciorum, quem scripsit ad Rufium Petronium Nicomachum ex consule ordinario patricium et magistrum officiorum, ordo 5 generis Cassiodoriorum: qui scriptores extiterint ex eorum progenie vel ex quibus eruditis. Symmachus patricius et consul ordinarius, vir philosophus, qui antiqui Catonis fuit novellus imitator, sed virtutes vete­ rum sanctissima religione transcendit, dixit sententiam pro lo allecticiis in senatu, parentesque suos imitatus historiam quo­ que Romanam septem libris edidit. Boethius dignitatibus summis excelluit. utraque lingua peritissimus orator fuit, qui regem Theodorichum in senatu pro consulatu filiorum luculenta oratione laudavit, scri-

15 psit librum de sancta trinitate et capita quaedam dogmatica et librum contra Nestorium. condidit et carmen bucolicum, sed in opere artis logicae id est dialecticae transferendo ac mathematicis disciplinis talis fuit ut antiquos auctores aut aequiperaret aut vinceret. 2o Cassiodorus Senator vir eruditissimus et multis dignitatibus pollens, iuvenis adeo, dum patris Cassiodori patricii et praefecti praetorii consiliarius fieret et laudes Theodorichi regis Gothorum facundissime recitasset, ab eo quaestor est factus, patricius et consul ordinarius, postmodum dehinc 25 magister officiorum et praefectus fecit formulas dictionum, quas in duodecim libris ordinavit et Variarum titulum superposuit, scripsit praecipiente Theodoricho rege, historiam Gothicam, originem eorum, loca et mores XII libris annuntians.1 1) Die Emendationen Useners wurden alle übernommen, mit Aus­ nahme von 'quibus' in Z. 6 , das nach der Hs. stehen gelassen wurde, und der Klammer um die Worte 'et ... superposuit' (Z.25 f.), die Usener setzt, um diese Passage als späteren Zusatz zu kenn­ zeichnen, womit nicht überzustimmen ist. Stattdessen stehen hier die oben vorgestellten Konjekturen (Z. 24-28). Der besseren Ver­ gleichbarkeit wegen wurde auch Useners Zeilenzählung übernommen.

2. Buch VIII - XII Die Bücher VI und VII der Variae trennen die ersten fünf von den letzten fünf Büchern. Die einzelnen Briefe bieten keine Anhaltspunkte, sie zu datieren.·^ Hingegen scheinen sie gewissermaßen hierarchisch oder einer offiziellen Rang­ folge der einzelnen Ehren folgend angeordnet zu sein, wie schon die ersten neun Formulare des sechsten Buches mit den aufeinanderfolgenden Bestallungen von Consul, Patricius, Praefectus praetorio, Praefectus urbi. Quaestor palatii, Magister officiorum, Comes sacrarum largitionum, Comes 2) privatarum und Comes patrimonii zeigen. ' Es muß ausdrück­ lich betont werden, daß Cassiodor nur mit diesen Briefen der Bücher VI und VII Vorlagen für häufigere Anlässe veröffent­ lichen wollte, die anderen in den Variae gesammelten Schrei3) ben machen Cassiodors historiographische Absicht deutlich. ' Auch die letzten fünf Bücher der Variae zeigen die Eigen­ tümlichkeit Cassiodors, besonders hervorgehobene Briefe an den Anfang und das Ende eines jeden Buches zu setzen. Die ersten Briefe von Buch VIII und X sind an den Kaiser adres­ siert, der von Buch IX an den Vandalenkönig Hilderich. Die letzten drei Briefe von Buch VIII beschäftigen sich recht ausführlich mit Besonderheiten in Cassiodors Heimat und sind höchstwahrscheinlich deshalb von ihm an diese Stelle versetzt worden.^ Die beiden letzten Briefe von Buch IX enthalten die Erhénnung Cassiodors zum Praefectus praetorio, sowie 1) Auch wenn Mommsen * gefolgt von Fridh - die ersten vier Briefe des 6. Buches auf 511 datiert. 2) vgl. 0·Donnell (1979), 79 3) s. oben S. 41 f. 4) vgl. O'Donnell (1979), 79

- 86 ausführliche Schilderungen seiner Verdienste um das amalische Königshaus. In den beiden allerletzten Büchern der Variae, die fast ausschließlich von Cassiodor in eigenem Namen ver­ faßte Briefe und Edikte enthalten, sind wohl die ersten drei Briefe des elften Buches, in denen Cassiodor dem Senat, dem Papst und verschiedenen Bischöfen seinen Amtsantritt als Praefekt mitteilt, und die ersten drei Briefe des zwöl­ ften Buches, in denen er Untergebenen in den Provinzen die Grundzüge seiner Amtsführung erläutert, der Kategorie der durch ihre Stellung hervorgehobenen Schreiben zuzuordnen. Die jeweils letzten Schreiben der beiden Bücher XI und XII sind einerseits eine Generalamnestie einläßlich eines Kirchen­ festes und andererseits ein Edikt betreffs Abhilfen einer Seuche in Norditalien, die auch in dem vorletzten Brief an den Bischof von Mailand, Datius, angesprochen wird.1) Daß Cassiodor gegen Ende seiner Variae diese Konzeption der Stellung von besonderen Briefen auch an das Ende der einzelnen Bücher modifizierte, wird darin deutlich, daß am Ende von Buch X ein solcher Brief fehlt, wenn man nicht die in den letzten fünf Schreiben von Wittigis in diesem Buch spürbar werdende Absicht zur Verständigung mit Justinian für das von Cassiodor als dieser Kategorie zugehörig an­ gesehene Element halten will. Hier scheint Cassiodor die Chronologie seinem sonstigen Ordnungsprinzip vorgezogen zu haben. Überhaupt stehen auch die ersten und letzten Briefe der letzten Bücher in der Mehrzahl in der chronologischen Reihenfolge oder bieten zumindest kaum Anhaltspunkte für die Vermutung, daß es nicht so wäre, und sollen deshalb auch in ihrem Kontext behandelt werden. Ausnahmen bilden allein die Briefe Var. IX 1 an Hilderich, der wegen des wohl ge­ waltsamen Todes von Theoderichs Schwester und Witwe Thrasamunds, Amalafrida, etwa zur gleichen Zeit wie Theoderich selbst1 2 ), Klage führt und deshalb auch nicht viel später 1) vgl. O'Donnell (1979)» 78 f. 2) vgl. Schmidt (19^2), 119 m. Anm. 1 u. Besselaar (19^5)* lo4 m. Anm. 5

- 8? als die Thronbesteigung Athalarichs angesetzt werden darf,1 ) und Var. IX 2, ein wohl am Anfang der Regierung Athalarichs . 2) erlassenes, grundsätzliches Edikt '. Die ersten acht Schreiben des achten Buches sind Mit­ teilungen der Thronbesteigung Athalarichs an den Kaiser, den Senat und das Volk von Rom, an die Römer in Italien und Dalmatien, an die Goten in Italien, an den gallischen Praefekten, Liberius, und die dortigen Provinzialen, sowie wohl stellvertretend für andere an den Bischof Victorinus. Selbst­ verständlich steht der Brief an den Kaiser voran, doch sollten vielleicht auch die anderen aus besonderen Gründen hier ste­ hen. Auf jeden Fall zeigen diese am Anfang der Briefe Atha­ larichs stehenden deutlich Cassiodors chronologische Ordnung. Die Briefe müssen wegen ihres Inhalts kurz nach Theoderichs Tod geschrieben worden sein.-^) Ebenso wird man dies von den drei folgenden Briefen sagen müssen, von denen die beiden ersten die Ernennung des Tuluin zum Patricius praesentalis dem Ernannten und dem Senat mitteilen, der dritte - und erste von Cassiodor nicht im Namen des regierenden Monarchen ver­ faßte in den Variae - das Antrittsschreiben Tuluins an den Senat darstellt. Die Ernennung eines Ersatz-Heerkönigs für den minderjährigen Athalarich mußte ebenfalls am Beginn k)

seiner Regierung erfolgen. ' Mit Var. VIII 12 folgt die Ernennung des Arator zum Comes domesticorum "als gelehrten oder besser gesagt als rechtsgelehrten Beistand des Patri­ cius Praesentalis"^).1 5 4 3 2 1) Tanzi (I887 ), 36 , datiert sehr ungenau? Sept. 526 - 53o; Mommsen, Varienausgabe, XXXVIII, nach Prok. BV I 9,4 besser? c. 526. 2) Ruggini (196 I), 3°3 Anm. 278 , datiert ohne besonderen Grund? Herbst 526; vgl. Sundwall (I919 ), 265 m. Anm. 1. 3) Mommsen datiert? 526 post Aug. 3o; Tanzi (I887 ), 27 f., datiert.diese Briefe alle ebenso, bis auf Var. VIII 1 (nach dem l.’Aug. 527» der Wahl des Justinian)? vgl. dazu Mommsen, Varienausgabe, XXXVI f., u. Bury (1923), 159 Anm. 4. 4) W. Enßlin, Der Patricius Praesentalis im Ostgotenreich, in? Klio 29/ 1936 , 245 f· (schon Mommsen hatte datiert? 526 fin; Tanzi (I887 ), 22, ebenso). 5) Enßlin (1936), 245; vgl. Tanzi (I887 ), 22, und die Da­ tierung Mommsens? 526 fin.

- 88 Die Briefe Var. VIII 13/1^ enthalten die Ernennung des Ambrosius 'für die fünfte Indiktion'^, die am 1. Sept. 526 begann, und sind, da Theoderich am 3o. Aug. dieses Jahres verstarb, Athalarich aber diese Briefe abzeichnete, mit großer Wahrscheinlichkeit auf den 31· Aug. zu datieren. Die­ se beiden, wie auch die vorhergehenden Schreiben dürften also innerhalb von zwei bis drei Tagen nach dem Ableben Theoderichs abgeschickt worden sein. Auch der folgende Brief Var. VIII 15 an den Senat kann nicht allzu lange nach dem Tod Theoderichs die Kanzlei verlassen haben, da er einen Glückwunsch zur Wahl des richtigen Kandidaten zum Papst mit Sicherheit ist Felix III. (bzw. IV.) gemeint, dessen Amtseinführung am 12. Juli 526 stattfand^ - enthält und der Freude darüber Ausdruck gibt, daß den Wünschen Theo3) derichs hinsichtlich der Person entsprochen wurde^ . Die nächsten fünf Briefe Var. VIII l6-2o sind die Er­ nennungsschreiben für Opilio zum Comes sacrarum largitionum, für Fidelis zum Quaestor und für Avienus zum Praefectus praetorio jeweils ab dem 1. Sept. 52? ', sind also vor die­ ses Datum zu setzen-^. Die restlichen Briefe von Buch VIII datiert Mommsen wohl nicht zu Unrecht pauschal in das Jahr 52?.^ Ebenso ist nach Mommsen mit den Briefen Var. IX 3-71 6 5 * 3 2 1) Var. VIII 13,7: "per quintam feliciter indictionem"} Mommsen datiert: 526 fin. (ebenso Tanzi (I887 ), 28). 2) Tanzi (I887 ), 28 , u. Mommsen, Varienausgabe, XXXVII f. 3) Var. VIII 15,1: "Gratissimum nostro profitemur animo, quod gloriosi domni avi nostri respondistis in episcopatus electione iudicio." k) Var. VIII 16,6j VIII 18,if, u. VIII 2o,3 (zu dem Ernennungs­ schreiben für Avienus fehlt merkwürdigerweise das in den Variae sonst übliche zweite Schreiben ein den Senat. ) 5) Mommsen datiert wieder einmal in die genannte Indiktion: 527/528, Tanzi (I887 ), 22 f., nur Var. VIII 2o (an Avienus), weil er den abfälligen Äußerungen über die Amtsführung von Avienus' Vorgänger einen außerordentlichen Amtswechsel ent­ nimmt (vgl. oben S. u. unten S. 175)· Doch findet sich Abundantius, augenscheinlich der Vorgänger von Avienus (vgl. Sundwall (1919). 263), in Var. IX 4 noch im Amt. 6) Mit Ausnahme von Var. VIII 22, den Mommsen - wohl aus Ver­ sehen, da der dazugehörige VIII 21 an Cyprianus betreffs des­ sen Ernennung zum Patricius sehr wohl datiert ist - ohne Datum läßt (Fridh ersetzt das Datum: 527)» und VIII 26 , den er auf 526 datiert, was man als 'Freudsche Fehlleistung' ansehen möchte (vgl. aber Varienausgabe, XXIX, wo er Var. VIII 26/27 den

- 89 zu verfahren.^ Hingegen sind die Briefe Var. IX 8-ΙΛ mit großer Wahrscheinlichkeit wieder an den Beginn von Athalarichs Regierung zu datieren, denn in Var. IX 9-13 werden Steuerrückvergütungen für die schon abgelaufene vierte Indiktion (525/526) angekündigt bzw. angeordnet^ und Neu­ festsetzungen von Steueraufkommen und Soldzahlungen an Goten für die fünfte Indiktion vorgenommen·^. Auch Var. IX 1* -i\ f. S ] m. Anm. 1 m. Anm. 1

1 ) vgl. auch S. loi Anm. 1

V DIE GLIEDERUNGSPRINZIPIEN DER VARIAE Einem Überblick über die datierbaren Schreiben der Variae (Taf. III und IV) kann man zuallererst die Amtszeiten Cassiodors entnehmen. Mommsens Daten werden dadurch weitgehend be­ stätigt. Quaestor sacri palatii war Cassiodor demnach von 5o? (1. Sept.) bis 511 (31. Aug.). Daraus ist aber auch die Fol­ gerung abzuleiten, daß er einige Briefe, die vor dem 1. Sept. 5o7 datieren, noch als Consiliarius seines Vaters geschrieben hat bzw. nach seinem Panegyricus auf Theoderich, der wohl nicht nur der Anlaß für die Beförderung zum Quaestor, sondern schon zuvor für den Auftrag zur Abfassung vor allem von Brie­ fen an auswärtige Souveräne war. Die Schlußfolgerung, Cassiodor hätte schon seit der 15« Indiktion (5o6/5o?) amtiert, ist an­ gesichts seiner Jugend, der Indiktionsangaben der Variae und der Amtszeit seines Vaters als Praefekt ausgeschlossen. In der Kompetenz des Quaestors lagen die Abfassung der Gesetze und die Bearbeitung von Bittgesuchen und Eingaben; dazu hatte er kein eigenes Officium. ^ Im italischen Ost­ gotenreich beschränkte sich die Tätigkeit des Quaestors zum einen auf die Formulierung von Edikten und Reskripten, zum anderen läßt sich aus dem zahlenmäßigen Anteil in den Varien auf die bedeutsame Aufgabe der Abfassung von Emennungsschrei2) ben schließen. ' Cassiodor selbst bezeichnet die Stellung des Quaestors in der Formula quaesturae als "nostrae linguae vox". Die Position des Quaestors wurde oft als die eines Justizminisiers' gekennzeichnet; in dieser Eigenschaft saß er auch im Consistorium des Herrschers.1 3 2 1) Not. dign. occ. X: Sub dispositione viri illustris quaestoris: Leges dictandae. Preces.; vgl. Not. dign. or. XII: Officium non habet ... 2) Th. Mommsen, Ostgotische Studien, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. VI, Berlin 191o, 387 ff«; vgl. auch Hodgkin (1386), l4 f., u. G. Wesener, Art. Quaestor, in: RE XXIV,1, 82o ff. 3) /ar. VI 5,1

3)

- 1ο8 Magister officiorum wurde Cassiodor wohl als Nachfolger des abgesetzten Boethius im Jahre 523· Auf das Schicksal des Boethius und seines Schwiegervaters, Symmachus, findet sich in den Variae allerdings kein Hinweis. Als Magister erlebte Cassiodor auch den Thronwechsel von Theoderich zu Athalarich, schied aber schon ein Jahr nach dem Tod Theoderichs zum 1. Sept. 527 aus der Regierung und diesem Amt aus. Der Magister officiorum war Mitglied des Consistorium und Chef der Staats- und Sicherheitspolizei (agentes in rebus). Ihm unterstanden die Leitung des Gesandtschaftswesens, vor allem Begrüßung, Empfang und Begleitung von auswärtigen Bot­ schaftern, aber auch von inländischen Delegationen, und die Aufsicht über die Fabricae, also die Produktion von Rüstungsgütem. Daneben hatte er richterliche Befugnisse über subal­ terne Beamte und Senatoren, sowie gewisse kirchenpolitische Aufgaben.^ Über die Tätigkeit Cassiodors in den eigentlichen Kompetenzen des Magisterium läßt sich den Variae wenig ent­ nehmen, da seine aus der Zeit dieses Amtes überlieferten Briefe in Vertretung des Quaestors geschrieben wurden. Als Praefectus praetorio amtierte Cassiodor offensicht­ lich schon vor dem 1. Sept. 533» zu welchem Datum er offiziell ernannt wurde. Für eine genauere Festlegung des Ausscheidens Cassiodors aus diesem Amt reicht die Quellenlage der Variae nicht aus. Da die datierbaren Schreiben des Buches XII bis in die erste Indiktion (537/538) reichen, ist unter der Voraus­ setzung eines regulären Amtswechsels für die Amtszeit Cassio­ dors als Praefekt zumindest mit einer Zeit bis zum Aug. 538 zu rechnen. Doch geben uns die zeitlich letzten Briefe der Variae nur einen Terminus post quem für die Veröffentlichung der Variae und lassen keineswegs den Schluß zu, daß Cassiodor wenig später aus dem Amt schied. Auch wenn die Variensammlung frühestens um die Jahreswende 537/538 herauskam, kann Cassio­ dor bis zur Kapitulation von Ravenna 5^o amtiert haben. Auch die häufig in diesem Zusammenhang zitierten Prae­ fationes der Variae und des Traktats De Anima bringen keine Entscheidung der Frage, wann Cassiodor aus dem Amt schied. Daß Cassiodor bei der Abfassung der beiden Praefationes der1 1) Clauss (19 8 1 ), 60 ff·} vgl. Cass., Var. VI 6 } Boak (1919 / 19 23 )» 60 ff., u. Hodgkin (I886 ), 36 f.

- 1ο9 -

Variae noch als Praefekt tätig war, geht nicht so sehr aus den Worten hervor, 'er habe im sechsten und siebenten Buch die Formulare für alle Würden zusammengefaßt, damit er für sich - wenn auch noch so V o r s o r g e

s p ä t

(in seiner Amtszeit) -

treffe ...’^, die sich eben nur auf Buch

VI und VII beziehen, als vielmehr aus seinen Klagen in bei­ den Praefationes über die zeitliche Belastung i n seinem 2l Amt. ' Wie Cassiodor in der ersten Praefatio der V a n a e die Anregung zu dieser BriefSammlung seinen Freunden zu­ schreibt, 3) berichtet er auch in der zweiten von dem Vor­ schlag dieser Freunde zu einer Abhandlung De Anima nach ΖιΛ Vollendung der Varien. ' In dem Vorwort zu De Anima, 'das in den Variae als dreizehntes Buch enthalten ist', ' be­ merkt er dazu, 'daß diese Vorschläge nicht zu den Befehlen der Könige passen, die vor kurzem noch ausgeführt wurden ...'^. Aus diesen typisch cassiodorianischen Worten ist sicher zu entnehmen, daß die Abhandlung De Anima kurze Zeit nach Fer­ tigstellung der Variensammlung verfaßt wurde, aber nicht,1 6 * 4 3 2 1) Cass., Var., Praef. I 14: "cunctarum itaque dignitatum sexto et septimo libris formulas comprehendi, ut et mihi quamvis sero p r o s p i c e r e m . . . " 2) z.B.: Praef. I 4: mox ut coepero, clamoribus imminetur et festinatione nimia geritur, ne cautius coepta peragantur, alter nos frequentia invidiosae interpellationis exaggerat: alter miseriarum mole castigat: alii furiosa contentionum seditione circumdant. Oder Praef. II lf.: sed vix nobis aliquid praestabit ad effectum ducta probatio, quando et occupati fuisse credimur ... : occupatus autem, qui rapitur diversitate causarum, cui iugitur incumbit responsum red­ dere et alteri expedienda dictare, non me addicere poterit, qui se in talibus periclitatum esse cognoscit. 3) Var., Praef. I 1: Cum disertorum gratiam aut communibus fabulis aut gratuitis beneficiis, nullis tamen veris meri­ tis collegissem, dicta mea, quae in honoribus saepe positus pro explicanda negotiorum qualitate profuderam, in imum corpus redigere suadebant ... 4) Var., Praef. II 7? Sed postquam duodecim libris opus­ culum nostrum desiderato fine concluseram, de animae sub­ stantia 'vel‘de virtutibus eius amici me disserere coege­ runt ...; vgl. De An. I 1 ff. (s. unten nächste S. Anm. 2) 3) Cass., Exp. Psalm. CXLV 2,3o f.: "... in libro animae, qui in Variarum opere tertius decimus continetur ..." 6) De An. II 1 ff.: "Dixi propositiones has non prae­ ceptis regum quae nuper agebantur ... convenire ..."

Ilo daß sie nach Austritt aus der Praefektur entstand.^ Denn auch in dem Vorwort zu De Anima verweist Cassiodor noch auf die andauernde Überbelastung durch literarische

u n d

2)

amtliche Tätigkeit. ' Aufgabe des Praefekten war ganz allgemein die Aufrecht­ erhaltung von Recht und Ordnung, insofern war er die oberste Gerichts- und Verwaltungsinstanz. Daneben unterstanden ihm die ProvinzialVerwaltung, das Postwesen (cursus publicus), die Berufsverbände und städtischen Kollegien, insbesondere aber auch die Bemessung der Steuern und die Preisüber­ wachung, sowie Einziehung und Verteilung der Grundsteuer 1) Cassiodor kann mit 'praeceptis regum quae nuper age­ bantur' gewiß nicht seine Tätigkeit als Praefekt (... quas nuper agebam o.ä.), seine in die Variae aufgenommenen Amts­ schreiben (... quas nuper scribebam o.ä.) oder die durch die byzantinischen Eroberungen eingeschränkte Befehlsgewalt der Gotenkönige meinen, was den Worten noch am nächsten käme. Er meint den Gegensatz zwischen der amtlichen und philosophischer Tätigkeit innerhalb kurzer Zeit (vgl. De An. II 1 ff.). Vgl. zu der ganzen Frage die verschiedenen Ansichten von: Hasen­ stab (1883), 3*4· ff.; Vyver (1931). 253? Besselaar (19^5), *+o ff. Cappuyns (19^9)» 1336, u. O'Donnell (1979)* lo*J- ff.j J*W. Halp o m in der Einführung zu seiner Ausgabe von De Anima (bei Fridh, CC SL 96, 5oo ff.) betont richtig, daß Cassiodor seine conversio erst zur Zeit der Expositio Psalmorum ansetzte (ebda., 5o6 m. Anm. 15/16 nach De Orth., Praef. (ed. H. Keil, Grammatici Latini, Bd. VII), l*t-*f,l f. : Post commenta psal­ terii, ubi praestante Domino conversionis meae tempore primum studium laboris impendi). Mag De Anima auch der Wendepunkt von Cassiodors Leben gewesen sein, deutlich wird, daß er diesen Traktat noch während seiner Amtszeit schrieb. Auch die häufig zitierten Worte aus dem Schlußgebet von De Anima (XVIII lo f.: Invidit (scii, diabolus), pro dolor, tam magnis populis, cum duo essent ...) können zu jeder Situation des Krieges passen, sogar noch nach 5^0: vgl. Mommsen, Varienausgabe, Xl/XXXI. Auch scheint sich Cassiodor nach dem end­ gültigen Rückzug aus der Praefektur gleich der Expositio Psalmorum gewidmet zu haben: Repulsis aliquando in Ravennati urbe sollicitudinibus dignitatum et curis saecularibus noxio sapore conditis, cum psalterii caelestis animarum mella gus­ tassem, ..., avidus me perscrutator immersi, ut dicta salu­ taria suaviter imbiberem p o s t amarissimas actiones (Exp. Psalm., Praef. 1 ff.); vgl. Vyver (1931)* 253 m. Anm. V 271. 2) De An. I 1 ff.: Cum iam suscepti operis optato fine gau­ derem, meque duodecim voluminibus (scii. Variarum) iactatum quietus portus exciperet ..., amicorum me suave collegium in salum rursus cogitationis expressit, postulans ut aliqua quae tam in libris sacris quam in saecularibus abstrusa compereram de animae substantia vel de eius virtutibus aperirem ... u. II 12 f.: Deinde qualia fatigatus possim disserere qui iam ad laboris terminum avida mente properarem ?

Ill in Naturalabgaben (annona) für die HeeresVerpflegung und die Versorgung der Bevölkerung."*"^ Die Bücher XI und XII . 2) der V a n a e illustrieren anschaulich diese Kompetenzen. Besonderen Wert legt Cassiodor offenbar auf die Seite der Praefektur, die mit der Versorgung der Bevölkerung in Not­ zeiten befaßt ist, wenn er die Aufgabe des Praefekten mit der des biblischen Joseph vergleicht und relativ viele Briefe, in denen er als Praefekt Maßnahmen zur Behebung einer Verr>)

sorgungskrise trifft, ganz ans Ende der Variae stellt. ' Besonders aus den ersten vier Büchern ließen sich Cassiodors Gliederungsprinzipien erschließen. Dort scheint er überdies eine Einteilung - nicht nach Indiktions- oder AmtslL)

jahren, ' sondern - nach Kalenderjahren zu beobachten, wie einer Übersicht über die Daten der betreffenden Briefe (Taf. III) leicht zu entnehmen ist. Demnach entsprechen die Bücher I-IV zwar nicht genau, aber in etwa den vier Amtsjahren Cassiodors als Quaestor (5o7-511)· Gerade in diesen Büchern ist auch die hervorgehobene Stellung der Briefe an auswärtige Herrscher besonders deutlich. Die Briefe des Buches V aus der Zeit von Cassiodors Magisterium erstrecken sich über die drei letzten Lebens- und Regierungsjahre Theoderichs, sind zwar nicht wie die vorhergehenden nach Jahren geordnet, stehen aber durchaus in chronologischer Reihenfolge. Überdies ist in diesem Buch an der Häufung von Schreiben betreffs des Auf­ baus einer Flotte im letzten Jahr Theoderichs ein zeitlicher und thematischer Schwerpunkt festzustellen. Einen solchen Schwerpunkt bildet in den Büchern I und III/IV die Betonung von Maßnahmen zur Abwehr der byzantinischen und fränkischen Aggression und zur Regelung von deren Auswirkungen bzw. die1 1) W. Enßlin, Art. Praefectus praetorio, in: RE XXII,2, 2391 ff. $ vgl. Hodgkin (1886), 39 ff·» u. E. Stein, Unter­ suchungen über das Officium der Prätorianerpräfektur seit Diokletian» Wien 1922 (Nachdruck: Amsterdam 1962) 2) vgl. R. Morosi, L ’attivita dei "praefectus praetorio" nel regno ostrogoto attraverso le "Variae" di Cassiodoro, in: Humanitas 27 u. 28/197$ u. 1976, 71 ff· (dessen hier (72 Anm. 12) erwähnte Arbeit: L'undecesimo e il dodicesimo lebro delle Variae di Cassiodoro Senatore, Diss., Genua WS 1968/ 69 , ist nicht erreichbar), u. ders., L'officium del prefetto del pretorio nel VI secolo, in: Romanobarbarica 2/1977, lo3 ff3) vgl. oben S. loo f. k) so Tanzi (I887 ), 3 ff. et passim

- 112 Häufung von Maßnahmen zur Regelung der gallischen Verhält­ nisse nach dem Krieg von 5o8. Insgesamt scheint Cassiodor also in den Varien den militärischen Schutz Roms und Italiens durch die Goten unter der Regierung Theoderichs in besonderem Maße hervorheben zu wollen. Diese Ordnung der Variae ändert sich in der zweiten Hälfte des Werkes. Dafür scheint die Entstehung der BriefSammlung zumindest in zwei Stadien verantwortlich zu sein, die auch noch von der Existenz zweier Praefationes (vor Buch I und XI) angedeutet werden. Die Überlieferung des Werkes in zwei wich­ tigen Strängen, deren einer vornehmlich die Bücher I-IV bzw. I-VII, der andere hingegen die Bücher VIII-XII enthält, be­ stärken diese Annahme.^-' Die Zweiteilung der Disposition und der handschriftlichen Überlieferung der Variae darf aller­ dings nicht auf das teilweise Entstehen vor und nach Cassio2) dors Ausscheiden aus der Praefektur zurückgeführt werden, ' da die beiden Praefationes eindeutig zur Zeit der letzten Redaktion der ganzen Sammlung durch Cassiodor selbst ent­ standen sind. ' Cassiodor deutet diese Zweiteilung auch selbst an, wenn er die Anordnung der Variae nicht in zwölf, sondern in ’zweimal sechs’ Büchern betont.

h.) '

Die von Cassiodor in Aussicht genommene Ordnung läßt sich also anhand der ersten Bücher der Varien rekonstruieren. Die chronologische Aufeinanderfolge der einzelnen, von beson­ deren Briefen eingerahmten Bücher wird bis hin zu einer Trennung nach Kalenderjahren strukturiert. Die von der zwei­ ten durch die hierarchisch angeordneten Bücher VI und VII getrennte erste Hälfte der zwölf Bücher wird durch das Buch V vervollständigt, das diesem Schema insofern nicht mehr folgt, als es Briefe aus ca. drei Jahren enthält. Damit sollen die Briefe Theoderichs in der ersten Hälfte der Variae zusammen­ gestellt werden. Als weiteres Gliederungskriterium tritt ein1 1) vgl. Mommsen, Varienausgabe, XXXIX ff. (bes. LX) 2) so Hasenstab (1883), 39 f·, der die Handschriftliche Überlieferung zum ersten Mal in die Diskussion einführte. 3) Mommsen datiert beide Praefationes: 537/538; vgl. oben S. I09. *0 Var., Praef. I 13: "Et ideo quod in quaesturae, magiste­ rii ac praefecturae dignitatibus a me dictatum in diversis publicis actibus potui reperire, b i s s e n a librorum ordinatione composui ..."

113 Wechsel des Amtes in Cassiodors Amtslaufbahn hinzu. In Buch VIII wird deutlich, daß Cassiodor Bücher auch nach verschie­ denen Herrschern trennen will. In den Büchern IX und X wird dieses aus mehreren Komponenten bestehende Gliederungsschema (vgl. Taf. II) aufgegeben. Buch IX enthält Briefe aus zwei mehrere Jahre auseinanderliegenden Amtszeiten Cassiodors zwar in chronologischer Reihenfolge, aber im Gegensatz zu seinem Bestreben, einen Amtswechsel auch durch den Wechsel der Ordnungszahl eines Buches deutlich zu machen. In Buch X gibt Cassiodor weitere Gesichtspunkte seiner Gliederung auf, indem er nicht nur Briefe mehrerer Gotenkönige in einem Buch zusammenstellt, sondern auch Schreiben an den Kaiser nicht mehr allein an den Anfang dieses Buches. Offensichtlich wurden für Cassiodor die chronologische Aufeinanderfolge und der Abschluß des Werkes wichtiger als seine anfänglichen Ordnungskriterien. Die allmähliche Aufgabe oder Änderung der prinzipiell chronologischen, allerdings von Cassiodors Gestaltungskrite­ rien überlagerten Disposition ist nur mit dem Entstehungs­ prozeß der Briefsammlung zu erklären. Grund dieser Änderung der Disposition dürfte ein Wandel in der propagandistischen Absicht Cassiodors gewesen sein. Es wurde eine solche Absicht zumeist bestritten und dies mit den Worten Cassiodors belegt, die die Varien nur als literarisches Vorhaben darstellen wollten;^ dies ist insofern berechtigt, als Cassiodor mit den Büchern VI und VII nur literarische Vorlagen für Formu­ lare lieferte und diese im Sinne des Wortes in den Mittel­ punkt seines Werkes stellte. Die Annahme scheint somit be­ gründet, daß die beiden Formularbücher den Kristallisations­ und Ausgangspunkt der Varien bildeten. Zusammen mit den ersten vier Büchern dürften die Formelbücher dem ersten Stadium d e r ‘Entstehungsgeschichte der Variae entsprechen. Cassiodor erweiterte also die Formulare um das sich in den offiziellen Briefen aus der Zeit seiner Quaestur darstellende 2) 3ild Theoderichs als 'Erneuerer und Bewahrer' '.1 1) z.B. Besselaar (19^5). 69: "Het vornaamste motief, dat Cassiodorus Senator tot de uitgave van zijn ambtelijke brieven deed besluiten, was blijkbaar van litterairen aard." 2) vgl. Var. III 9.1: Propositi quidem nostri est n o v a c o n s t r u e r e , sed amplius v e t u s t a s e r v a r e

- 114 Nur an der zitierten Stelle besteht Cassiodor auf der Unterteilung seines Werkes in 'zweimal sechs' Bücher. Er hatte jedoch eine Vorliebe für die Zahl Z w ö l f ^ und wird Umfang und Anzahl der Bücher der Varien von Anfang an dahingehend geplant haben. Die Entstehung der Variae scheint sich also in einem kontinuierlichen, sich über Jahrzehnte hinziehenden Prozeß vollzogen zu haben, da Cassiodor das Buch V, das unter die spätere Hälfte der zwölf Bücher zu zählen ist, selbst an diese Stelle gerückt hat, wie aus den von ihm selbst genannten Ordnungszahlen der Bücher VI und VTI hervorgeht,

O) ' - in der Absicht, die Schreiben Theodenchs

zusammenzufassen und den Formulae den Platz in der Mitte des Werkes einzuräumen. Cassiodor sammelte offenbar die Früchte seiner schriftstellerischen Tätigkeit, sortiert nach literar>\

rischen Gattungen .J ' Außerdem zitiert Cassiodor Worte des Horaz, nach denen man die Veröffentlichung eines Werkes h.)

neun Jahre überdenken sollte.

' Die an nämlicher Stelle

ausgebreitete und im Vorwort zu dem Traktat De Anima wieder­ holte Erzählung von den Freunden, die ihn zum Schreiben und zur Veröffentlichung gedrängt hätten, entspricht genau den literarischen Topos der Bescheidenheit. Was sollte uns hin­ dern anzunehmen, daß Cassiodor Horaz zwar nicht wörtlich, aber doch inhaltlich weitgehend gefolgt ist und über Jahre an den Varien gearbeitet hat ? Auch andere Werke hat er nach Jahren noch einmal überarbeitet.^ 1 1) vgl. De An. XVII 19 ff. } Exp. Psalm. XII 13o ff.; De Orth. (ed. Keil VII), 2o9,2o ff.} so gliederte er auch an­ dere Werke als die Variae in 12 Bücher oder Kapitel: die Historia Gothica (vgl. oben S. 19 Anm. 5/34 ff.), De Anima (s. I 34 ff* u. XVII 1 ff«; die neue Kapiteleinteilung von H a l p o m ist in dieser Hinsicht etwas unglücklich), in ge­ wissem Sinn auch die Expositio Psalmorum (s. Praef. XVII, Ordo dicendorum 7 ff«) und De Orthographia (s. Kapiteleinteilung/a.a.0. ). 2) Var., Praef. I 14 3) so wohl vor allem auch seine Panegyrici in einem beson­ deren Codexj vgl. die Vorrede zu deren Ed. v. L. Traube, bei Mommsen, Varienausgabe, 459 ff« 4) Var., Praef. I 4: Nonus annus ad scribendum relaxatur auctoribus, nach Hör., Ars poet. 385 ff.: siquid tarnen olim scripseris, in Maeci descendat iudicis auris et patris et nostras n o n u m q u e p r e m a t u r in a n n u m membranis intus positis: delere licebit, quod non edideris, nescit vox missa reverti. 5) so die Institutiones (vgl. Vyver (1931), 2?6 ff.) und die Historia Gothica (vgl. oben S. 38 et passim)

- 115 Begünstigt durch die Termine der Thronwechsel von Theoderich zu Athalarich und von Athalarich zu Theodahad scheint Cassiodor mit Euch VIII zu einer Einteilung nach Indiktions­ jahren überzugehen.^ Doch dehnt er das erste Jahr der Re­ gierungszeit Athalarichs über anderthalb Bücher aus und nimmt ca. 15 Briefe allein aus den ersten Tagen der Regie­ rung Athalarichs in die Briefsammlung auf, scheint also dessen Thronbesteigung zu dokumentieren. Ebenso bedarf die Tatsache einer gesonderten Erörterung, daß Cassiodor die Praefektur verwaltete, ohne offiziell ernannt zu sein, und dies durch die Aufnahme von Schreiben aus dieser Zeit, sowie die zeitliche Kluft von fünf bis sechs Jahren zwischen den zwei Hälften der Schreiben des Buches IX so deutlich heraus2) stellt. ' Denn das markante Abweichen von der sonstigen Ord­ nung der Variae und Cassiodors Abwesenheit vom Hof von sechs Jahren findet nur in den bisher kaum geklärten Vorgängen unter der Regentschaft Amalasunthas eine ausreichende Deu­ tung. Denn Cassiodor verwendet für die Gliederung der Variae Kriterien, die kritische Vorgänge während seiner politischen Tätigkeit nur mit Änderungen in der Disposition seines Wer­ kes andeuten. Inhaltlich ist seinen Briefen zu kritischen innenpolitischen Ereignissen leider kaum etwas zu entnehmen. Dies findet seine Begründung in dem offiziellen Charakter der Briefe, wie sicher auch in der Auswahl und den Stil Cassiodors. So dürfte auch die kaum eine Andeutung auf die tatsächlichen diplomatischen und militärischen Ereignisse der Jahre 53^-536 enthaltende Korrespondenz mit dem Kaiser­ paar in Konstantinopel nur durch ihre exzeptionelle Stellung inmitten eines Buches auf die bestehenden byzantinisch-goti­ schen Spannungen und die bei Prokop überlieferten Unterhand­ lungen hinweisen. Die 'Veränderung in der Disposition der Variae zeichnet sich also durch die zunehmende Nähe und Teilnahme Cassiodors an dem politischen Geschehen aus. Je weiter Cassiodor im Text fortsehreitet, desto mehr gibt er seine strukturellen Gliederungsprinzipien auf. Also ist die Annäherung an die Chronologie ein Herantasten an das historische Geschehen.1 1) vgl. die Daten der Bücher VIII, X und XI in Taf. IV. 2) vgl. oben S. 89 f. und unten Kap. VII.

- 116 Während in der ersten Hälfte der Variae mit den Briefen Theoderichs in Aufbau und Inhalt strukturelle Gesichtspunkte vor­ herrschen, bzw. die programmatischen Absichten Theoderichs deutlich werden, legt die zweite Hälfte die Annahme nahe, daß in ihr Ausdruck und Rechtfertigung der Politik der Regierungen unter der Führung Cassiodors zu finden sind. Ganz deutlich wird dies, wenn Cassiodor, wie die Schreiben der Zeit Theode­ richs mit den zwei Formularbüchern, die Schreiben der amalischen Nachfolger des Reichsgründers mit den zwei Büchern aus seiner eigenen Tätigkeit als Praefekt abschließt.^ Wieder spielt Cassiodor mit der Zahl Zwölf. Wie durch sechs läßt sich diese Zahl auch durch drei und vier teilen. Es finden sich somit drei Komplexe zu je vier Büchern in den Variae: Buch I-IV mit den Schreiben aus der eigentlichen Tätigkeit Cassiodors als Quaestor, Buch V und VIII-X, die Briefe ent­ halten, die er in anderer Amtseigenschaft, aber doch in Aus­ übung der Aufgaben eines Quaestors verfaßte, und Buch VI/VII und Xl/XII, an denen er persönlich mehr Anteil hatte. Cassio­ dors Briefe aus seiner Zeit als Praefekt stehen auch am Ende der BriefSammlung, um seine karitative Verwaltungstätigkeit hervorzuheben.

Der Vergleich der Stellung des Praefectus

praetorio gegenüber Monarch und Untertanen - also auch seiner eigenen Amtsauffassung - mit der Tätigkeit des alttestamen­ tarischen Joseph in den allerletzten Briefen der Varien zeigt Cassiodors Rechtfertigungsbemühungen. Bedenkt man den Zeit­ punkt der Fertigstellung der Briefsammlung und ihrer mutmaß­ lichen Veröffentlichung zwischen dem Rückzug der Goten von der Belagerung Roms (Frühjahr 538) und ihrer Kapitulation in Ravenna (Frühjahr 5^o), kann die Veröffentlichung nur die Absicht verfolgt haben, der als Zielgruppe allein vorstell­ baren römischen Senatsaristokratie vor Augen zu halten, was sie an den Amalerfürsten hatte. Damals wie heute mag es merk-1 1) Auch die zwei Briefe in der Mitte des letzten Buches (Var. XII I6/ 1 7 ) scheinen in gewissem Sinn darauf zurückzuführen zu sein, da der eine von Athalarich Unterzeichnete hier überhaupt nicht und beide aus chronologischen Gründen an anderen Orten stehen müßten. Doch scheint Cassiodor mit den auffällig aus der Reihe fallenden Briefen (vgl. auch die Daten der Briefe Var. XII 12-2o) etwas nachlässig verfahren zu sein (wie man auch De An. II 12 f. entnehmen kannj vgl. oben S. llo Anm. 2), sie aber auch mit der Absicht hierher gesetzt zu haben, um in etwa den Zeitraum seiner Amtstätigkeit als Praefekt (bis zur Ver­ öffentlichung der Variae) zu umreißen.

- 11? würdig anmuten, daß Cassiodor gerade eine so umfangreiche und unübersichtliche Briefsammlung zu diesem Zweck ausersah. Dies kann seinen Grund nur in der Eigenheit Cassiodors ge­ habt haben, strukturelle Ordnungsprinzipien der inhaltlichen Aussage zumindest gleichzustellen, wie es andeutungsweise auch in seiner Historia Gothica zu finden gewesen sein dürfte. Nur, daß Cassiodor schon lange an dieser Briefsammlung mit apologetischer Tendenz arbeitete und zu diesem gegebenen Zeitpunkt im Engagement für das ostgotische Königtum ver­ öffentlichte,

erklärt das Abgehen von seiner strukturellen

Konzeption im zehnten Buch der Variae hinreichend. Nicht zu übersehen ist auch, daß sich Cassiodor als einer der letzten Römer von der gotischen Administration Italiens löste und sich doch $5o in dem senatorischen Kreis um Cethegus in Konstantinopel findet.^ Offensichtlich war Cassiodors Einstellung zu Goten und Byzantinern zu dieser Zeit durchaus mit der der Senatsaristokratie vereinbar, weil diese schlechte Erfahrungen mit der justinianischen Innen­ politik gemacht hatte.^ Daß Cassiodor wieder in die sena­ torischen Kreise zurückfand, obwohl er lange Jahre - auch nach 535/536 und der Erhebung des Wittigis - auf der goti­ schen Seite stand, kann nur darauf zurückgeführt werden, daß sich die exilierte Senatsaristokratie infolge der Ex­ propriation Italiens durch die byzantinische Verwaltung und Heeresstreitmacht und unter dem Eindruck der Varien, die nochmals die Möglichkeit eines römisch-gotischen Zusammen­ lebens darlegten, dem Standpunkt Cassiodors näherten.1 1) vgl. Wes (1967 ), 185, u. oben S. lk ff./2k f./38 ff. 2) vgl. bes. Prok. BG III 1,28 ff.

VI CASSIODORS VERHÄLTNIS ZU DEN AMALERHERRSCHERN Theoderichs des Großen Innenpolitik wird im allgemeinen als Versöhnungspolitik gegenüber Romanen und Germanen ver­ standen. Zu ihrer Beschreibung werden Begriffe wie Synthese und Symbiose oder auch Dualismus herangezogen. Im Mittel­ punkt von Theoderichs Propaganda für ein gesittetes Zusam­ menleben der beiden Reichsvölker steht die in den Variae so oft und nachdrücklich als Ideal betonte civilitas.·^ Als Beleg für Theoderichs Streben nach Ausgleich und friedlichem Nebeneinander aller Bevölkerungsgruppen werden vor allem 2) markante Formulierungen aus Cassiodors Varien zitiert, ' die also als direkte Äußerungen des Herrschers verstanden werden: der Grundsatz der civilitas läßt sich aber schon in einem Brief Theoderichs nachweisen, der zeitlich vor den rt\

frühesten der Variae liegt.

’ Insofern ist auch der Einwand,1

1) dazu: zuletzt Wolfram (1979)» ^o3 (Ausgleichspolitik) et passim; Löwe (19*4-8), *4-23 (Versöhnungspolitik) j H. Aubin, Theoderich der Große - Der erste Versuch einer germanisch-römi­ schen Synthese, in: ders., Vom Altertum zum Mittelalter, Mün­ chen 194-9, 13o ff. j B. Rubin, Theoderich und Justinian - Zwei Prinzipien der Mittelmeerpolitik, München 1953 (= Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, Bh. 1), 9 (Symbiose); K.F. Stroheker, Die geschichtliche Stellung der ostgermanischen Staaten am Mittelmeer, in: Saeculum 12/1961, 1 *4-0 ff. (Dualismus); Enßlin (1959). 217 ff·» stellte am eindrucksvollsten die ci­ vilitas als wichtigstes Anliegen Theoderichs heraus (vgl. aber auch nur den Titel von Th. Hodgkin, Theoderic the Goth the Champion of Civilization, New York I89I); vgl. auch Schmidt I (19*4-1), 366 ff., u. v. a. Begriffe und Autoren. 2) s. Enßlin (1959), 21? ff.; sehr oft: Cass., Var. V 26,2: ... ut ab armatis custodiatur intacta civilitas; ein Neben­ satz, der auch den Dualismus in der Rollenverteilung nach Theoderichs Konzept ausdrückt (vgl. unten S. 12o Anm. 1). 3) Praeceptio regis IIII missa ad synhodum. Fl. Theodericus rex universis episcopis ad synhodum convocatis. 6 (am Ende), vom 27· Aug. 5ol, in: Acta Synhodorum habitarum Romae, ed. Th. Mommsen in seiner Varienausgabe,*4-22,6 : ... ut desideretur civilitas ... (s. Besselaar (19*5-5)» **7 m. Anm. 1); vgl. auch Ep. Theod. var. VIII *4- (ebda., 391) vom Papst Gelasius. )

- 119 das Schlagwort der civilitas sei nur ein Ausdruck der Rhetorik Cassiodors,^ zurückzuweisen. Cassiodors Anteil an der Politik Theoderichs hat sich auf die literarische Ausformulierung von dessen Gedanken beschränkt - wie es die Aufgabe eines Quaestors war. Die Jugend Cassiodors bei seinem Eintritt in den öffentlichen Dienst bestärkt diesen Eindruck noch. Theoderichs Konzept von der Aufgabenteilung unter Römern und Goten in Zivilverwaltung und militärischen Schutz bei beiderseitiger Teilhabe an Macht, Einfluß und ökonomischem Nutzen läßt sich bis auf die berühmten, oft zitierten Vor2) Stellungen Athaulfs zurückführen. ' ’So regierte er die

Ύ)

zwei Völker der Römer und Goten in einem ’Ji und 'setzte gleichzeitig das Königtum seines Volkes und den Prinzipat des römischen fort’^ .

Seine Realpolitik verfolgte also

das naheliegende Ziel, ein friedliches Zusammenleben der beiden ethnischen, seine Herrschaft konstituierenden Kom­ ponenten herzustellen. Deshalb hat er seinen Goten und den Römern immer wieder die civilitas als Leitbild hingestellt. Gleichzeitig aber bewahrte Theoderich das gotische0 ' wie das römische Recht?). "Immer wieder klingt der Grundsatz aufs 'Wahrung der Gesetze ist ein Zeichen des bürgerlichen Rechtszustandes’"®). Doch läßt sich auch die Zweiteilung von Theoderichs Staatswesen mit einem Zitat belegen: 'Nur 1) so O'Donnell (1979)» 9 6 ff. 2) Oros. VII kJ A ff·? Enßlin (1959), 22o 3) An. Vales. 60 s "sic gubernavit duas gentes in uno, Romanorum et Gothorum ..." 4) Jord., Rom. 3^9s "... regnum gentis sui et Romani populi principatum ... continuit." 5) vgl. Mommsen, Varienausgabe (Index III), 521 6 ) Wolfram (1979), 359 Anm. 3o, mit dem Hinweis auf Prok. BG IV, ,35 ^ 33; R· Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, Köln/Graz 196 I, ^ 85 , und L. Schmidt, Die letzten Ostgoten, ins Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 19^3» lo, wo die V/eit erexi stenz von Goten unter eigenen Rechtsnormen, die "aus dem Reich Theoderichs stammen" (Wolfram, a.a.O.), bis in das 11. Jhdt. hervorge­ hoben wird? vgl. Enßlin (1959), 231 f· 7) Cass., Var. IV 33»2s quod nos (scii. Theodericus) libenter annuimus, qui iura veterum ad nostrum cupimus reverentiam cus­ todiri. 8) Enßlin (1959). 218, nach Cass., Var. IV 33.1: "custodia legum civilitatis est indicium ..."

12ο ein armseliger Römer ahmt einen Goten und nur ein minder­ wertiger Gote einen Römer n a c h . D i e s

alles weist auf

ein Nebeneinander und eine formelle Gleichstellung von Römern und Goten in Theoderichs Staat hin. Bis zu Mommsens Varienausgabe wurde die Politik Theo­ derichs als eine "von Cassiodor inspirierte ... Politik" angesehen,

?)

doch ist die Einschätzung hernach ins Gegen-

1) An. Vales. 61: "Romanus miser imitatur Gothum et utilis Gothus imitatur Romanum." So jedenfalls ist uns diese Sen­ tenz Theoderichs überliefert. Nach dem Sprachgebrauch in den Varien kann aber Theoderich solches nicht gesagt haben, da sich dort (vgl. Traube, in Mommsens Varienausgabe (Index III), 597) bei Verwendungen des Wortes 'utilitas' häufig darauf bezogene Personenangaben im Genetiv finden, diese aber immer, wie in Formulierungen wie 'utilitas Romanorum', 'utilitas Gothorum' oder auch 'utilitas rei publicae' - als Genetivus obiectivus und niemals als Genetivus subiectivus auftreten. Es geht Theoderich immer um den Nutzen f ü r alle, f ü r den Staat, f ü r die Allgemeinheit (vgl. Index III, a.a.O.). Wie sollte er die Goten als 'nützliche Subjekte’ bezeichnen ? Verständlich und zutreffend wird der Satz also erst, wenn man das 'utilis' durch ein 'vilis' oder besser 'futilis' ersetzt. Sowohl Mommsen in seiner Ausgabe (MGH AA IX = Chron. min. I, 3 o 6 ff.), als auch R. Cessi, Rerum Italicarum Scriptores 2h , Ur, 16 zu Z. 23, geben als Variante zu 'utilis' nur 'hutilis'. Dies sind die zwei Schreibweisen, die sich auf den zwei Hand­ schriften finden, die von den zwei Namengebern des Anonymus erstmals herausgegeben wurden. "Dies hutilis könnte veran­ lassen futilis zu schreiben." (K. Zangemeister, Zum Anonymus Valesianus, ins Rhein. Museum für Philologie (NF) 3ο/ΐ8?5. 315) Noch J.C. Rolfe in seiner Ausgabe des Amm. Marcell., Bd. III, London/Cambridge 1952 (2. Aufl. ), 5*4-6 f., übersetzt: "A poor Roman plays the Goth, a r i c h Goth the Roman", unter Berufung auf Greg. Tur., Hist. Franc. IV 3« Diese Be­ deutung wird abzulehnen sein. Schon einer der ersten Heraus­ geber, Henri Valois, "vermuthete vilis" (Zangemeister, a.a.O.). Auch P. Scardigli, Die Goten - Sprache und Kultur, dt., Mün­ chen 1973, l*4-o, liest 'vilis'. J. Moreau gibt in seiner Aus­ gabe des An. Vales., Berlin (Teubner) I96I, 17» 'vilis' und 'futilis' als möglich sin. 0. Veh entscheidet sich in seiner zweisprachigen Ausgabe von Prokops Gotenkrieg (122*0 für 'futilis*. Auf jeden Fall scheint jemand in den mittelalter­ lichen Handschriften (um looo) Änderungen vorgenommen zu haben (vgl. W. Enßlin, Rex Theodericus Inlitteratus ?, ins HJ 6o/l9^o, 395)*, vgl. auch Stein II (19*4-9)» 1ο7· 2) so noch Schmidt I (19*4-1). 357» der doch ebda., 395 f«, u. in einem Aufsatz (19 2 7 ) scharf gegen die Meinung Fedor Schnei­ ders (vgl. oben S. 1) Stellung nimmtj vgl. auch Vyver (1931), 2*4-5» u. Besselaar (19*4-5)» *4*4- ff.} zur älteren Bewertung Cassiodors s. z.B. A. Franz, M. Aurelius Cassiodorius Senator Ein Beitrag zur Geschichte der theologischen Literatur, Breslau I872 , 7 ff«

121 teil umgeschlagen.^ Cassiodor aber jede politische Bedeutung abzusprechen, geht nicht an. Sicher war Theoderichs politische Konzeption bereits voll entwickelt, als Cassiodor sein erstes 2} Amt antrat, ' und Cassiodor war ein loyaler Beamter. Doch im­ merhin blieb er vier Jahre als Quaestor im Amt, erhielt den Konsulat sine collega und durfte 519 einen Panegyricus auf Eutharich vortragen. Theoderich griff auf ihn zurück, nachdem Boethius aus dem Amt des Magister officiorum entfernt worden war. Doch auch Theoderichs nachmalige Zurückhaltung gegenüber der Senatsaristokratie darf man nicht auf Cassiodors mildemden Einfluß zurückführen.

/ Denn dies setzte voraus, daß Theo­

derich mit der Hinrichtung von Boethius und Symmachus von seinem Konzept der civilitas abging^ und das Einschreiten gegen die senatorischen Umtriebe nicht als Verteidigung seiner politischen Vorstellungen verstand-". Denn die Tatkraft des großen Königs blieb bis ins hohe Alter erhalten, wie auch das Vorhaben der vandalischen Expedition beweist. Er verteidigte jedoch auch gegen Römer die Konzeption eines dualistischen Staatsaufbaus, der eben die Gleichwertigkeit der Goten ein­ schloß. Theoderich konnte es gerade auch im Hinblick auf seine oder der Goten Rolle innerhalb des Staates nicht hinnehmen, daß seine staatsrechtliche Konstruktion diskutiert wurde.^ Cassiodors Bedeutung unter Theoderich war die eines loyalen, wichtigen und guten Beamten.^

'Nichts deutet darauf hin, daß

seine politische Rolle in den letzten Jahren von Theoderichs1 1) s. oben S. 1 f. 2) Schmidt (192?), ?29 3) wie Sundwall (1919). 2k6, u. Enßlin (1959). 3o9; vgl. Besselaar (19^5)> ^o· *0 so allerdings Wolfram (1979). ^o7j vgl. Wes (1967 ), 179s "... zunächst hat zwischen Theoderich und dem stadtrömischen Kreis um Symmachus und Boethius immer eine zumindest latente Antithese gestanden; somit ist es verfehlt, von einer plötz­ lichen, abruptén Umkehr bei Theoderich zu sprechen." 5) Enßlin (1959). 31o: "Unter dem Eindruck eines späteren Geschehens wurde ein durchaus politischer Fall, entstanden aus dem Zwiespalt zweier Auffassungen von der Stellung der Römer zu den tatsächlichen Machtfaktoren, anders gedeutet." 6) vgl. Sundwall (1919). 2^3} Enßlin (1959). 3o3 f., u. Wes (1967), 179 f· 7) O'Donnell (1979), 63s "Even if his influence with Theoderic was as substantial as he himself would have us believe, it could only have been the influence of an adviser, and, to judge by the time he was allowed to spend away from court, an adviser less than vital to the interests of the monarch."

122 Regierung größer geworden ist. Dies scheint aber wohl am Be­ ginn der Regentschaft der Fall gewesen zu s e i n . A m a l a s u n t h a s Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn wird in ihren In­ tentionen allgemein als eine Fortsetzung von Theoderichs poli­ tischer Konzeption angesehen:

’Der Beginn ihrer Regentschaft

wurde durch den Geist der Versöhnung mit den Römern gekenn­ zeichnet, der die fatalen Folgen von Theoderichs Bruch soviel als möglich aufzuheben bezweckte. Es war vor allem Cassiodor, der ihr hierbei große Dienste geleistet h a t . ' ^ Die in der Literatur weit verbreiteten Schwierigkeiten, Amalasunthas Re­ gierung einerseits als Fortsetzung der Politik Theoderichs, andererseits als Distanzierung von dessen hartem Kurs seiner letzten Jahre gegenüber der Senatsaristokratie interpretieren rt)

zu müssen,

' resultieren aus der falschen Einschätzung von

Theoderichs Vorgehen gegen Boethius und Symmachus. Daß Amalasunthas Regierung und nicht Theoderichs Vorgehen gegen die Senatsaristokratie einen Bruch mit der Vergangenheit darstellt, läßt sich doch den Quellen entnehmen:

'Sie strafte jo während ihrer Regierung keinen Römer an Leib oder Besitz.' ' Das konnte man von Theoderich gewiß nicht sagen.

'Ja, sie gab

sogar den Kindern von Boethius und Symmachus ihr Vermögen zu­ rück'

das also Theoderich offensichtlich eingezogen hatte,

und setzte sich damit ganz deutlich von der Politik der letzten Jahre Theoderichs ab. Es gibt kein Anzeichen für einen Bruch in der Politik Theoderichsj jedoch erweisen sich einige auf Cas­ siodor zurückgehende Worte als ein Versuch, die Änderung in der Politik unter Amalasuntha zu legitimieren. Denn, wenn Jordanes schreibt, daß Theoderich 'im Angesicht seines Todes die Comites und Großen seines Volkes zusammenrief' und ' d i e s e n

als

seinen letzten Willen verkündete, sie sollten nicht nur ihren1 5 * 3 2 1) Besselaar (19^5)» 51: "Niets wijst erop, dat zijn politieke rol in de laatste jaren van Theoderik's regeering grooter is geworden. Wel schijnt dit het gevaal te zijn geweest in het begin van het Regentschap." 2) ebda., 27 f.: "Het begin van haar Regentschap werd gekenmerkt door den geest van verzoening mit de Romeinen, die bedoelde de fatale gevolgen van Theoderik's breuk zooveel mogelijk op te heffen. Het was vooral Cassiodorus, die haar hierbij groote diensten bewesen heeft." 3) vgl. auch Sundwall (1919), 259 ff. î Wolfram (1979), *H1 4· ) Pr o k . BG I 2 , ^ : " δσον τε χρόνον της πολιτείας προυστη, ούδένα των πάντων *Ρωμαίων ές το σώμα έκόλασεν ή χρήμασιν έζημίωσεν. " 5) BG X 2,5* · · · αλλα και τοΐς Συμμάχου τε καί Βοετίου παισί την ουσίαν άπέδωκεν.*'

- 123 König ehren, sondern auch den Senat und das römische Volk lieben und sich den Kaiser des Ostreiches nächst Gott immer als gnädigen Freund bewahren',^ wird man diesen Worten ent­ nehmen müssen, daß Theoderich - laut Cassiodors Darstellung noch kurz vor seinem Tod die Einsicht in die eigenen Fehler fand. Die letzten Worte eines jeden Herrschers aber sind zu verdächtig, als daß man hier nicht einen Legitimationsversuch annehmen sollte. Sicher paßt Theoderichs innenpolitisches Ver­ mächtnis zu seinen diesbezüglichen Äußerungen in Cassiodors Varien, aber angesichts seiner germanischen Bündnispolitik hätte man von ihm auf seinem Totenbett andere außenpolitische Empfehlungen erwarten müssen.

Und nach seiner Haltung in der

Affäre um Boethius und Symmachus wäre von ihm wohl nicht so sehr der Ratschlag der Liebe zu den Römern, als vielmehr der zu Zurückhaltung und Vorsicht gegenüber ihren politischen Be­ strebungen zu gewärtigen gewesen. Alles erweckt den Eindruck, daß Cassiodor dem sterbenden Theoderich Worte in den Mund ge­ legt hat, die den neuen Kurs unter der Regierung Amalasunthas als Fortsetzung der Konzeption Theoderichs hinstellen sollen. Der Bruch in Theoderichs Politik existiert wohl nur in den 2) Quellen - und diese sind romanophil. ' Auch die von Prokops Darstellung·^ unterstellte Reue des Königs über die Verurtei­ lung von Boethius und Symmachus zeigt, daß Römer die Politik Theoderichs zwar begrüßten, soweit sie ihnen wohl wollte, sie aber insofern nicht verstanden, als sie auf eine Gleichstellung von Germsinen und Römern und einen germanischen Behauptungswillen hinauslief. Auch von Cassiodor ist nichts anderes zu erwarten. Er versuchte an die romfreundliche Seite von Theoderichs Vor­ stellungen anzuknüpfen. Gerade in den Briefen der Variae aus der Zeit Athalarichs finden sich die prägnantesten Formulierungen über die Goten, Römern und der civilitas zugedachten Rollen.

Ij,)

Selbstverständlich beriefen sich auch Amalasuntha und Athalarich1 1) Get. LIX 3o4: "Sed postquam ad senium pervenisset et se in brevi ab hac luce egressurum cognusceret, convocans Gothos comites gentisque suae primates Athalaricum ... regem consti­ tuit, eisque (scii, c o m i t i b u s et p r i m a t i b u s ) in mandatis ac si testamentali voce denuntians, ut regem cole­ rent, senatum populumque Romanum amarent principemque Orienta­ lem placatum semper propitiumque haberent post deum." 2) Bestes Beispiel dafür ist der Anonymus Valesianus. 3) BG I 1,35 ff. 4) Cass., Var. VIII 3,3: Gothorum Romanorumque suavissimus consensus; IX 1^,8: Gothorum laus est civilitas custodita.

- 12^4· auf Theoderich, ^

doch wurde schon gezeigt, daß dies einseitig

der Legitimierung der Begünstigung der Römer diente. Athalarichs Regierungsantritt bedeutete eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Römern und Goten zugunsten der ersteren^' - auch hin­ sichtlich der praktischen Politik: "Ein durchgreifender Beamten­ wechsel bezeichnet den neuen Kurs, der mit der Vormundschafts­ regierung einsetzt. Den Einfluss Cassiodors können wir im Herbst 526 auch in der gleich stattfindenden Neubesetzung einiger Ämter spüren, wodurch die Annahme bezüglich seiner Stellung, die wir aus allgemeinen politischen Richtlinien erschlossen hatten, be­ stätigt wird. Die prominentesten Mitspieler in den Begebenheiten um Boethius, Cyprianus und Honoratus, wurden nämlich im Herbst

526 verabschiedet, wohl weil sie dem Senat am schroffsten ent­ gegengetreten waren. Aus den Beförderungen ist es sogar möglich, auf die Intentionen zu schliessen, die die Regierung hinsicht3\ lieh der ParteiVerhältnisse befolgen wollte."^ 'Es ist nicht unrichtig mit Sundwall ..., wenigstens für diese Zeit in Cassiodor den wichtigsten Mitarbeiter von Amalasunthas Regierung zu sehen.

Doch darf man nicht mit Sundwall u. a. in dem neuen

Kurs der Regentschaft einen Rückgriff auf eine Politik "wie in der guten Zeit Theoderichs"-^ sehen. In seinem Schreiben anläßlich des Antritts der Praefektur an den Senat hielt Cassiodor gewissermaßen einen schriftlichen Panegyricus auf Amalasuntha.

' Der wenigstens noch nominell

regierende Athalarich wird in diesem Brief nur dreimal kurz erwähnt, die vielen Tugenden und Vorzüge seiner Mutter aber 1) vgl. Var. VIII 1,5/3,3/5,I/6 ,1/7,1 u. 8,1 f. (vgl. auch Mommsen, Varienausgabe (Index I), 5oo) 2) Kohl (18 7 7 ), 7 ’ "Unter Amalasuntha änderte sich das Ver­ hältnis zu Ungunsten der Goten." 3) Sundwall (1 9 1 9 ), 261 (vgl. auch ebda., Anm. 1/2) 4) Besselaar (1945), 28: "Het is niet onjuist met Sundwall ... in Cassiodorus, althans voor dezen tijd, den voornaamsten medev/erker van Amalasuntha’s regeering te zien. " vgl. für die folgende Zeit unten Kap. VI. 5) Sundwall (1919), 261; vgl. Bury II (1923), 159; etwas vor­ sichtiger äußert sich Enßlin (1959), 324 f., der aber vor allem darauf abhebt, daß die neue Regierung hinsichtlich des Verhältnisses zum Kaiser "mehr oder weniger deutlich von Theoderichs Politik der letzten Zeit abrückte." (a.a.O., 325) 6) Var. XI 1; vgl. D. Romano, Cassiodoro Panegirista, in: Pan 6/ 1978 , 24/32 ff. und unten Exk. II, sowie Kap. VII.

- 125 werden lang und breit dargestellt. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, da Athalarich kurz vor Erreichen der Volljährig­ keit steht. Es gibt nur zwei weitere Briefe, die ebenfalls dem Senat eine Ernennung durch den Ernannten selbst mittei­ len und uns eine Vergleichsmöglichkeit bieten. Der Brief Tuluins an den Senat aus Anlaß der Verleihung des Patriziats (Var. VIII 11) ist dem Brief Cassiodors insofern ähnlicher, als es sich um die Ernennung eines Amtsträgers handelt. Er erwähnt aber weder Athalarich, noch Amalasuntha, sondern beruft sich ausdrücklich auf Theoderich.^ Der Brief Theodahads an den Senat (Var. X *0 enthält zwar ein ausführ­ liches Lob Amalasunthas, ist aber die Mitteilung von seiner Erhebung zur Samtherrschaft, hinsichtlich derer sich Amala­ suntha die tatsächliche Regierungsgewalt hatte bestätigen lassen und Theodahad nur das nominelle Königtum in Anspruch Ο\ nehmen konnte . Zudem war das Königtum Amalasunthas m seinem Ursprung fraglich.

Insofern ist der panegyrische

Brief Cassiodors etwas besonderes. Nicht ohne Grund stellte Cassiodor gerade diesen Brief an den Anfang der Sammlung seiner Briefe in eigenem Namen.

L) ' Er betont aber nicht nur

den Inhalt dieses Briefes durch die Stellung innerhalb der Variensammlung, sondern auch die Initiative Amalasunthas bei seiner Ernennung zum Praefectus praetorio-^. Auch dies alles läßt auf ein besonders enges politisches Verhältnis zwischen Cassiodor und Amalasuntha schließen. Durch die Frage nach dem Ursprung dieses besonderen Ver­ hältnisses stößt man erneut auf die Person Eutharichs, auf den Cassiodor zu seinem Konsulatsantritt einen Panegyricus1 1) Var. VIII 11,1: ... ad agendas optimo regi gratias ... (das wird sich auch auf Theoderich beziehen)) VIII 11,3: ... gloriosae memoriae Theodericum principum regum ... 2) Prok. Bß I k,8 f. 3) D. Claude, Die, ostgotischen Königserhebungen, in: Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissen­ schaften 1 ^ 5/l 98o (= Veröffentlichungen der Kommission für Frühmittelalterforschung k), 162 f. 4) s. oben S. 85/96 5) Var. XI 1,18: cognovistis enim quae contra me vota con­ flixerunt: non aurum, non magnae valuere preces: temptata sunt universa, ut probaretur sapientissimae dominae gloriosa constantia, (vgl. unten Kap. VII)

126 -

hielt. Dem gleichen Anlaß und dem gleichen Zweck dürfte die Chronik Cassiodors gedient haben.^ Auch die erste Fassung von Cassiodors Gotischer Geschichte diente wohl zumindest 2) teilweise der Legitimation Eutharichs. ' Insgesamt zeigen alle diese genannten Werke gewisse panegyrische Absichten Cassiodors.

'In Jordanes* Getica sehen wir den Panegyristen

Cassiodor nur schemenhaft, für uns nicht klar erkennbar, aber nicht vollkommen ausgelöscht . ’J> Diese Seite Cassio­ dors politischer Wirksamkeit tritt aber in den Panegyrici, so fragmentarisch sie auch sein mögen, und in den panegy­ rischen Schreiben seiner Variae deutlich hervor. Die Tat­ sache, daß Cassiodor nacheinander Theoderich,^ Eutharich^ und Araalasuntha^ Gelegenheit hatte, mit Panegyrici zu be­ denken, zeigt schon sein nachhaltiges Eintreten für die Amaler und ihr jeweiliges Regierungsprograram. Die Ziel­ richtung auch der panegyrisehen Propaganda Cassiodors war 7) die Senatsaristokratie. '' Aber man kann auch nicht immer 1) vgl. Cass., Chron. ad a. 519 (cunctis itaque eximia laude (i. e. panegyrico) completis tanto amore civibus Ro­ manis insederat (scii. Eutharicus), ut e i u s a d h u c p r a e s e n t i a m d e s i d e r a n t i b u s Ravennam ad gloriosi patris remearet aspectus.) mit Cass. or. rei. (ed. Traube), bei Mommsen, Varienausgabe, 469,21-47o,8 (Hinc est, clementissime domine, quod te populi non patiuntur abs­ cedere, sed omnes sibi cupiunt advenire, ingrata vita est, quae tuos non meretur aspectus: et taedet propriis sedibus inhaerere, quos coactus fueris pro rerum necessitate deserere. Iure ergo omnium d e s i d e r i a in t u a m p r a e ­ s e n t i a m concitantur ...); vgl. Traube, a.a.O., 463 Anm. 1, u. oben S. 21 f. 2) s. oben S. 38 3) O'Donnell (1979), 53: "In Jordanes' Getica we see Cassiodorus the panegyrist through dark glass, obscured to our view but not obliterated." 4) An. Hold. (Z. 2o ff. bei Usener): Cassiodorus ... iuvenis adeo ... laudes Theoderichi regis Gothorum facundissime recitasset ... 5) vgl. auch Var. IX 25,1 6) Var. XI 1 7) Var. IX 25,2: Allegavit solus quod omnes iuvaret et dum purpuratas auditori suo fenerat laudes, gratiosum vobis (scii, senatoribus) nostrum fecit inperium. Vgl. Romano (1978), passim, der allerdings aus den Fragmenten wohl nur zweier Panegyrici (s. Traube, bei Mommsen, Varienausgabe, 463), näm­ lich für Eutharich (519 anläßlich des Konsulats), sowie für Wittigis und Matasuntha (536 anläßlich ihrer Heirat), auch solche für Theoderich (514), Amalasuntha und Theodahad heraus­ lesen will. Weder Umfang, noch Inhalt der Fragmente lassen solche Schlüsse zu.

aus den Worten des Panegyricus auf die Meinung des Redners schließen, denn ein Panegyricus wurde in dieser Zeit jeden­ falls in offiziellem Auftrag verfaßt und gehalten."^ Es lag wohl hei dem einzelnen Lohredner, ob und inwieweit er hei offiziellen Anlässen und Feierlichkeiten trotz zu gewärtigender Unannehmlichkeiten oder wegen zu erwartender Entlohnungen seiner Meinung Ausdruck gab. Cassiodor widmet auch Theodahad einige panegyrische Absätze.

2)

Dies geschieht allerdings nicht in demselben Umfang und an so hervorragender Stelle wie bei Amalasuntha. Es ist auch zweifel­ haft, ob ’dieser gebildete König, der die lateinische Sprache und die platonische Philosophie kannte ..., der den Frieden verteidigte und eigens zu diesem Zweck eine Gesandtschaft nach Byzanz schickte,

... Cassiodors Sympathie erwecken mußte’ und

’dieser in ihn, wie Jahre zuvor in Theoderich,

jede Hoffnung

setzte, die Form des Synkretismus zwischen der gotischen und der lateinischen Welt, der den römischen Institutionen das Überleben erlaubt hätte, realisiert zu sehen'.

' Andererseits

ist aber auch die häufig geäußerte Verwunderung,

’ daß Cas­

siodor auch nach der Beseitigung seiner Fördererin und Gönherin, Amalasuntha, im Dienst ihres vermeintlichen Mörders, eben Theodahad, verblieb, verfehlt. Denn einerseits stand Cassiodor Theodahad durchaus nicht unkritisch gegenüber und andererseits hat politischer Mord nicht notwendig etwas mit einem politi­ schen Programm zu tun. Auch Theoderich lind Amalasuntha be­ dienten sich zu Zeiten dieses Mittels zur Durchsetzung ihrer Pläne.^ Charakter, Politik und Verhalten Theodahads er1) s. Ennod., Pan. 52s ... suscepi officium laudatoris ...; Cass. or. rei. (ed. Traube), bei Mommsen, Varienausgabe, 465,1; tenuis munera laudatoris. 2) Var. X 3} vgl. unten Exk. II. 3) Romanç;(197ο), 26 f.: "... questo re coito, che conosceva la lingua'labina e la filosofia platonica ..., che difendeva la pace e proprio alio scopo di nectere pacis opus aveva man­ dato una legazione a Bisanzio ..., non poteva non suscitare le simpatie di Cassiodoro. ..., che riponeva in lui, come anni prima in Teodorico, ogni speranza di veder realizzata quella forma di sincretismo fra mondo gotico e mondo latino ehe avrebbe permesso la sopravvivenza delle istituzioni romane." 4) vgl. Hodgkin (1386), 46 f., u. Besselaar (1945), 51 m· Ann. 2. 5) vgl. O ’Donnell (1979). 76

- 128 scheinen in den wichtigen Quellen in sehr ungünstigem Licht. Er war wohl hoch gebildet, sonderlich mutig.^

gewiß aber auch nicht

'Dazu war er überaus habgierig. Dieser

Theodahad besaß die meisten Ländereien in Tuscien und woll­ te auch noch den Rest mit Gewalt den Eigentümern abnehmen : 2) denn einen Nachbarn zu haben, dünkte ihn ein Unglück.' ' Diese Charakterschilderung Prokops ist sehr prägnant, doch sind die militärischen Gegenspieler Beiisars bei ihm häufig herabsetzend dargestellt-^. In den Grundzügen dürfte das Charakterbild Theodahads bei Prokop jedoch der Realität entsprechen. Für seine Bildungsbeflissenheit und seine Friedfertigkeit lassen sich auch andere Quellenbelege fin­ den. ^

Und gerade die Variensammlung Cassiodors enthält

einige Briefe, die die Landgier Theodahads bezeugen, da Theoderich in ihnen Theodahad Landaneignungen mit der Be­ gründung verweist, gerade ein Mitglied der Amalerfamilie hätte sich in diesen Dingen besonders zurückzuhalten . ^ 5 4 3 2 1 1) Prok. BG I 3,1$ vgl. unten Exk. II 2 ) BG I 3,1 f . : " . .. ές μέντοι φιλοχρηματίαν δαιμονίως έσπουδακώς. ουτος ο Θευδάτος πλείστων μεν τών έν Τούσκοις χωρίων κύριος έγεγόνει, βιαζόμενος δε και τά λειπόμενα τούς κεκτημένους άφαιρΐϊσθαι έν σπουδή είχε, γείτονα γάρ έχειν συμφορά τις Θευδάτω εδοκει είναι.

3) vgl. Rubin (195*0, 156/167 4) vgl. Elegiarum Maximiani Appendix (ed. T. Agozzino) 3/4, zwei ekphrastische Gedichte, die sich in Handschriften der Elegien Maximians fanden und in deren Mittelpunkt der Bau ei­ ner Burg auf einem Felsen nahe der Küste Tusciens steht. Augen­ scheinlich noch vor seiner Berufung zum Ostgotenkönig wird hier von Theodahad das Bild eines bildungsbeflissenen, fried­ fertigen Großgrundbesitzers gezeichnet, der sich auf seinen Landsitz zurückzieht. Auf seine Habgier und seine Landaneig­ nungen könnte allenfalls das Wort 'pignus' (Pfand) hindeuten (vgl. Th. S. Bum s , The Ostrogoths - Kingship and Society, = Historia, Einzelschriften, H. 36, Wiesbaden 198ο, 113)· An­ sonsten widmete sich Theodahad nach dieser Quelle mehr Landmelioriationen und dem Schutz seiner Hintersassen. Da nicht eindeutig festzustellen ist, ob die im Anhang zu Maximians Ele­ gien gefundenen Gedichte auch von diesem stammen, bleibt wohl ebenfalls unklar, ob man aus den Theodahad gewidmeten Gedichten eine Verbindung von diesem über Maximian, der aus Tuscien stammte (Eleg. V 5), wo Theodahad reich begütert war (vgl. vor­ letzte und nächste Anmm.), zu Maximians väterlichem Freund, Boethius (Eleg. III *(-8), konstruieren könnte; vgl. zum App. auch unten S. 155 Anm. 3· 5) Var. IV 39; V 12; vgl. auch Greg. Tur., Hist. Franc. III 31s ... Theodadum regem Tusciae ... u. zu späteren Land­ usurpationen Theodahads: Prok. BG I 4,1 ff.

- 129 -

Aus den Briefen Cassiodors ist auch zu erschließen, daß die anstehenden Eigentumsstreitigkeiten vor der Erhebung Theodahads zum Mitkönig Amalasunthas rechtzeitig rechtmäßig beige­ legt worden sind."^ Auch nimmt Cassiodor in seine Sammlung den Brief auf, in dem Theodahad nach seiner Erhebung 'seinem Mann Theodosius' befiehlt, dafür zu sorgen, daß von nun an seine Untergebenen in Rechtsstreitigkeiten nur den Rechts­ weg beschreiten und keine Landaneignungen mehr vornehmen sollten. Mit der Würde habe sich auch sein Verhalten ge­ ändert j er habe zwar früher sein Recht auf verschiedene Art gesucht, wolle jetzt aber alles etwas ruhiger handhaben und hinfort keine Klagen über Rechtsbrüche mehr hören.

2)

Wenn man sieht, daß Cassiodor gerade in die Variae anson­ sten keine Briefe aufnahm, die irgend jemanden in irgend­ einer Hinsicht diskreditieren konnten, muß die Häufigkeit, mit der Theodahads Rechtsbrüche in den Briefen Cassiodors zur Sprache kommen, als - wenn auch nachträgliche, so doch massive Kritik Cassiodors an dem letzten eigentlichen Amaler auf dem Gotenthron verstanden werden. Gründe für Theodahads Vorgehen gegen Amalasuntha sind wohl nicht unbedingt in deren romfreundlicher Politik zu suchen.^ Sie dürften bestimmt mehr in seinen persönlichen Ambitionen, die der römische Senat sogar tolerieren mochte,^ und seinen auswärtigen1 5 4 3 2 1) Prok. BG I k , l ff.} vgl. auch Cass., Var. X 3,6: talem Universitas debuit optare, qualem nos probamur elegisse, qui rationabiliter disponens propria non appetat aliena} und X cuius prius adeo iustitiam pertuli, ut prius ad eius provectionis gratiam pervenire. 2) Var. X 5 (THEODOSIO HOMINI SUO THEODAHADUS REX), 1 ff. s " et ideo praesenti iussioni praecipimus, ut quicum­ que ad domum nostram noscitur pertinere et curae tuae pro­ batur esse commissus, nullis praesumptionibus insolescat, quia solus .dicendus est ille meus, qui legibus potuerit esse tran7 gegenübertreten mid mit ihm über theologische und Übersetzung fragen korrespondieren; in theologischen Auseinandersetzungen der Zeit wurden zuweilen sogar gotische Termini technici ver­ wendet.^ Und auch die Unterschriften gotischer Kleriker in gotischer Schrift auf Verkaufsurkunden aus der Zeit nach Theo derich zeugen von kulturellem Selbstbewußtsein.^ Kan wird sich von dem Bild völlig ungebildeter, in das Römische Reich stürmender Barbarenscharen freimachen müssen. Wilhelm Enßlin·^ hat ausführlich die Nachricht einer antiken Quelle widerlegt, daß Theoderich Analphabet gewesen sei. Der sog. Anonymus Valesianus berichtet an zwei Stellen über Theoderichs Unbildung:

’Er war zwar ohne Bildung, besaß

aber doch so viel Verstand, daß bis auf den heutigen Tag noch Redewendungen von ihm umgehen .. . ' ^ und: 'König Theo­ derich war so ungebildet und so stumpfen Sinnes, daß er in den zehn Jahren seiner Regierung die vier Buchstaben, die er zur Unterschrift eines Ediktes benötigte, keineswegs zu er­ lernen vermochte. Er ließ sich daher eine Schablone aus Gold anfertigen, welche die vier Buchstaben 'legi' enthielt. Wollte er nun unterschreiben, legte er die Schablone auf das Papier, zog sie mit der Feder nach und so erschien seine U n t e r s c h r i f t . D a Prokop^ dieselbe Geschichte noch ausführlicher vom Kaiser Justinus erzählt, von diesem aber wegen des Kontextes an der aus dem Anonymus Valesianus zitierten Passage ein Bericht zu erwarten wäre, denn beim An. Vales. 7*1— 78 steht die Erzählung von der Suche des Anastasius nach einem Nachfolger und der märchenhaften Be1) vgl. Scardigli (1973), 136 ff. (vgl. auch 173/182 ff.) 2) ebda., 269 ff. (bes. 277 f./280/300 f . ) 3) Enßlin (19^o) k) An./Vales. 61: "Hic dum inlitteratus esset, tantae sa­ pientiae fuit, ut aliqua, quae locutus est, in vulgo usque nunc pro sententia habeantur: ..." 5) ebda. 79: "Igitur rex Theodericus inlitteratus erat et sic obtuso sensu, ut in decem annos regni sui quattuor litteras subscriptionis edicti sui discere nullatenus potuisset, de qua re laminam auream iussit interrasilem fieri quattuor litteras 'legi' habentem; unde si sub­ scribere voluisset, posita lamina super chartam earn pennam ducebat, ut subscriptio eius tantum videretur." zur Emenda­ tion: 'legi' vgl. J. Bernays, Eine verschollene Reiskesche Emendation und das Edikt des Theodorich, in: Hermes 12/1377» O Oj 'y

’6) Λη. VI lo ff.

- 148 rufung des Justinus zum Kaiser, die gerade mit der ein­ fachen Nachricht vom Tod des Anastasius (An. Vales. 78 ) abbricht, ohne weiter über Justinus und seinen Amtsantritt zu berichten, und eben Justinus - und nicht Theoderich eine etwa zehnjährige Regierungszeit hatte, wie der Anony­ mus es anführt, kommt Enßlin zu dem einleuchtenden Schluß, daß hier der Name des einen aus offensichtlichen Gründen durch den des anderen ersetzt wurde.^ Theoderich hat nämlich zehn Jahre seiner bildungsfähigen Jugendzeit als Geisel am Kaiserhof in Konstantinopel zu­ gebracht. Über diese Zeit wird berichtet, daß er der üb­ lichen Bildung teilhaftig wurde, und dies in den gleichen Worten, wie sie dem Kinderkaiser Theodosius II. gewidmet werden: des weiteren, daß Theoderich die besten Lehrer hatte.^ Theoderich selbst beruft sich auf seine gute Ausbildung in einem Schreiben an den Kaiser Anastasius, wenn er sagt, daß er ’in dessen Staat gelernt habe, wie man die Römer unparteiisch regieren könne'. Theoderich kümmerte sich jedenfalls im Rahmen seiner Möglichkeiten und seines Amtes wie ein Kaiser um die Kultur Italiens. Von den Bauten, die er errichten und renovieren ließ, künden nicht nur die Briefe Cassiodors in aller Ausführlichkeit. In einem Panegyricus rühmt ihn Ennodius, selbst Angehöriger der kulturellen Oberschicht, daß in keinem Zweig der schönen Künste sein Eifer ver­ sagt hätte.^ "Ob und inwieweit der König bei solchen Gele-1 1) Enßlin (194o), 395 2) Joh. Mal. XV, 383.6 (Dindorfj vgl. ebda. XIV, 352,9), u. Theoph., a. 5977} vgl. Enßlin (194o), 392 3) Cass., Var. I 1,2: "... in re publica vestra didici­ mus, quemadmodum Romanis aequabiliter imperare possimus." 4) Pan. 74: vgl. auch ebda. 11: Educavit te in gremio civilitatis'Graecia praesaga venturi: quem ita ingressum vitae limen erudivit, ut dum adhuc de puero haberet hilaritatem, mox eam sequeretur securitas de tutore.

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1^9

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genheiten nur der Pflicht genügte, sich mit Anstand zu langweilen, bleibt eine offene Frage. Nur hätte man nie aussprechen dürfen, daß er die Reden nicht verstanden habej denn damit müßte auch gesagt sein, daß der Amaler die nach rhetorischem Muster verfaßten Ausgänge aus der eigenen Kanzlei nicht verstanden h ä t t e . U n d

Cassiodor

berichtet im Anecdoton Holderi, daß er zur Belohnung für einen ebenfalls auf Theoderich gehaltenen Panegyricus 2) zum Quaestor sacri palatii befördert worden sei. ' Wie hätte Theoderich gerade die Eignung des jungen Cassiodor zu diesem Amt beurteilen können, wenn er seinen Vortrag nicht verstanden hatte. Die Briefe Cassiodors, für uns heutige genauso schwer zu lesen wie die Panegyrici, hat Theoderich jedenfalls unterzeichnet - wohl ohne Schablonej er wird sie auch haben lesen und verstehen können. Er erkannte aber auch die höhere kulturelle Autorität ganz bestimmter Römer an, die auf ihn möglicherweise als auf einen ’inlitteratus· herabblickten. So vergab er an Boethius einmal den Auftrag, einen Lautenspieler, ein andermal,

eine Wasseruhr zu besorgen, die er als Geschen­

ke an andere Germanenkönige zu verschicken gedachtej unter diesen war immerhin der Burgunderkönig Gundobad, der - Patricius, Magister militum und ehemals Machthaber in Italien - den Wert des Geschenkes gewiß zu schätzen wußte.

' Theoderich förderte auch die universitäre Aus­

bildung in Rom. Jedenfalls bewilligte Justinian nach der Eroberung Italiens den Professoren kein höheres, sondern genau das gleiche Gehalt, das sie unter Theoderich er­ halten hatten. Der von Cassiodor nicht nur angedeutete Vergleich Theoderichs mi't einem ’Philosophenkönig',

die in offiziellen1

1) Enßlin (1959), 263 2) vgl. oben S. 8/lo7 3) Cass., Var. I ^5/46 u. II 4o/^lj zur Bildung Gundobadss Schmidt I (19^1), 1&9 m. Anm. k, nach Briefen von Avitus. 4) Corpus Iuris Civilis, App. VII 22s die Gehälter waren zwischenzeitlich (vgl. unten Kap. VII) gekürzt worden: vgl. Var. IX 21 u. Stein II (19^9). 33^· 5) Cass., Var. IX 2^,8: "... purpuratus videretur (scii. Theodericus) esse philosophus."

- 15ο Dokumenten verzeichneten intellektuellen Gespräche Theoderichs mit einem Verwandten des Kaisers Zeno, Artemidorus,"^ und mit Cassiodor selbst über Gott und die Welt, über die alten Philosophen, über die Sternenbahnen, über Spring­ brunnen und über die Natur der Ding e ^ passen schlecht zu einem völlig Ungebildeten. Auch wenn Theoderich nach einem überlieferten Bonmot offensichtlich eine kulturelle Trennung von Goten und Römern befürwortete,-^ so gilt im Gegenteil für seine Familie mit Gewißheit, daß er seinen Anverwandten eine klassische Ausbildung zuteil werden ließ. Neben den im folgenden erörterten Beispielen, mag hier als einpräg­ samstes Exempel

Theoderichs Nichte, Amalaberga, genannt

sein, die er ihrem Bräutigam, dem Thüringerkönig Herminefrid, gegenüber "litteris doctam" nennt. Theoderichs Tochter, Amalasuntha, regierte nach dem Tod ihres Vaters im Namen ihres unmündigen Sohnes ’als kluge und gerechte Frau, dabei von durchaus männlicher Denkweise. Während ihrer Regierung strafte sie keinen Römer an Leib oder Besitz.' Darüberhinaus stellt ihr Cassiodor in seinem Antrittsschreiben als Praefectus praetorio an den Senat ein noch viel glänzenderes Zeugnis aus:

'Welcher Sprache ist sie

nicht vollendete Meisterin ? Sie ist geschickt in den Fein­ heiten attischer Beredsamkeit, sie glänzt in der Erhabenheit römischer Sprache, sie kann sich des Reichtums der Sprache ihrer Väter rühmen. Sie ist gleichermaßen wunderbar in all diesen und ein Redner fühlt sich in jeder, auch der ihm eigenen Sprache von ihr übertroffen. Dies ist ein großer Schutz und Vorzug bei der Beherrscherin so vieler Völker. Niemand benötigt bei seiner gebildeten Herrin einen Dol­ metscher. Kein Botschafter braucht zu warten oder seine Worte langsam durch den Verstand eines Vermittlers gefil­ tert zu hören. Jeder fühlt, daß seine eigenen Worte ver­ nommen werden, und erhält seine Antwort von ihren Lippen1 1) 2) 3) 4)

Var. I 43,3 Var. IX 24,8 An. /ales. 61 ; vgl. oben S. 119/12o m. Anm. 1 Cass., Var. IV 1,2 5 ) Prok. BG I 2,3 f · : " Άμαλασοϋνί>α δε ... ξννέσεως μεν καί δικαιοσύνης

έπί πλεϊστον έλ&οΰσα, τής δέ φύσεως ές άγαν το αρρενωπήν ένδεικνυμένη. δσον τε χρόνον τής πολιτείας προυστη, ούδένα των πάντων ‘ Ρωμαίων ές τό σώμα εκολασεν η χρημασιν εζημιωσεν."

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in der Sprache seiner Väter. Zu dieser Bildung kommt als glänzende Krone die unschätz­ bare Kenntnis der Literatur, zu der die Schätze antiker Bil­ dung gehören, und die Würde des Thrones wird immer erhöht. Während sie sich solcher vollendeten Meisterschaft der Spra­ che erfreut, ist sie bei öffentlichen Anlässen so schweigsam, daß sie für müßig gehalten werden könnte. Mit wenigen Worten löst sie die Knoten verworrener Prozesse, schlichtet sie ruhig heiße Streitigkeiten und fördert schweigend die öffent­ liche Wohlfahrt ... Welch ähnlicher Fall kann aus den Annalen der ehrwürdigen Antike angeführt werden ? Galla Placidias Sorge für ihren purpurgekleideten Sohn ist oft gepriesen worden, aber durch ihre nachlässige Regierung des Reiches wurden dessen Grenzen unziemlich beschnitten ... Aber unter dieser Herrin, die so viele Könige zu ihren Ahnen in ihrem Stammbaum zählen kann, ist unsere Armee ein Schrecken für fremde Völker ... Viel­ faches Lob dir, der glücklichen Herrin, deren Feinde ent­ weder durch die Hand Gottes fallen oder durch dein Geschick mit deinem Reich verbunden werden ! Freut euch, Goten und Römer gleichermaßen, und preist dies Wunder, ein Wesen, das die Vorzüge beider Geschlechter in sich vereinigt ! Als Frau hat sie unserem illustren König das Leben gegeben, während sie mit männlicher Denkweise die Grenzen unseres Reiches behauptet hat ... Ihre Gerechtigkeit ist so groß wie ihr guter Wille, aber noch größer als ihre Macht ist ihre Freundlichkeit.

... Ihr, Senatoren, kennt ihre himm­

lische Güte, die sie unserem Stand entgegengebracht hat ... Was kann ich über ihre Gesinnungsstärke und ihre Entschluß­ kraft sagen, in der sie sogar Philosophen überragt ? Ich spreche ,»dPav,on aus eigener Erfahrung ... Und nur die Regeln der Rhetorik würden mich befähigen, sie mit einer langen Reihe von Kaiserinnen in der Vergangen­ heit zu vergleichen. Aber wenn Männer nicht mit ihrem Ruhm wetteifern können, wozu soll man weibliche Beispiele an­ führen ? Wenn wir uns die königliche Schar ihrer Vorfahren ansehen, werden wir sehen, daß sie wie ein reiner Spiegel

- 152 all ihre Vorzüge reflektiert.'^ Abgesehen von den üblichen Übertreibungen bleibt es doch Tatsache, daß Amalasuntha drei Sprachen beherrschte, was damals eine Seltenheit gewesen sein dürfte,

2)

' und Cassiodor

1) Cass., Var. XI 1,6 ff.: "qua enim lingua non probatur esse doctissima ? Atticae facundiae claritate diserta est: Romani eloquii pompa resplendet: nativi sermonis ubertate gloriatur: excellit cunctos in propriis, cum sit aequaliter ubique mirabilis, nam si vernaculam linguam bene nosse pru­ dentis est, quid de tali sapientia poterit aestimari, quae tot genera eloquii inoffensa exercitatione custodit ? Hinc venit diversis nationibus necessarium magnumque praesidium, quod apud aures prudentissime dominae nullus eget interprete, non enim aut legatus moram aut interpellans aliquam sustinet de mediatoris tarditate iacturam, quando uterque et genuinis verbis auditur et patriotica responsione componitur, iungitur his rebus quasi diadema eximium inpretiabilis notitia litterarum, per quam, dum veterum prudentia discitur, rega­ lis dignitas semper augetur. Sed cum gaudeat perfectione linguarum, in actu publico sic tacita est, ut credatur oti­ osa. paucis litigia nodosa dissolvit: bella ferventia sub quiete disponit, silentiose geritur publicum bonum. ... Quid tale antiquitas honora promeruit ? Placidiam mundi opinione celebratam, aliquorum principum prosapia gloriosam purpurato filio studuisse percepimus, cuius dum remisse ad­ ministrat imperium, indecenter cognoscitur imminutum. ... Sub hac autem domina, quae tot reges habuit quot parentes, iuvante deo, noster exercitus terret externos: ... beatam te, domina, laude multiplici, cui divino beneficio necessi­ tas tollitur cuncta certaminis, quando adversos rei publi­ cae aut caelesti felicitate vincis aut tuis imperiis spon­ tanea largitate coniungis. Exultate, Gothi pariter ac Ro­ mani: dignum miraculum, quod omnes loquantur, ecce prae­ stante deo felix domina quod habet eximium uterque sexus, implevit: nam et gloriosum regem nobis edidit et latissimum imperium animi fortitudine vindicavit. ... cui par est quidem aequitas et voluntas, sed maior benignitas quam po­ testas. ... scitis quanta bona nostro ordini caelesti be­ nignitate largita est: ... quid ergo de animi firmitate loquar, qua vicit et philosophos valde praedicatos ? pro­ cedit enim ex ore dominae beneficus sermo et manens sub securitate promissio. ... Ordo flagitat dictionis Augusta­ rum veterum pompam moderna comparatione excutere, sed quem­ admodum illi sufficere poterunt exempla feminea, cui viro­ rum laus cedit universa ? hanc si parentum cohors illa re­ galis aspiceret, tamquam in speculum purissimum sua prae­ conia mox videret." 2) Jedenfalls hebt Cassiodor im An. Hold. (Z. 12 f. bei Usener) die Kenntnis des Griechischen bei Boethius so her­ vor, daß man fast annehmen muß, er selbst verstand es nicht (vgl. Besselaar (19^5)» 13 m. Anm. 1).

- 153 ihr eine tiefere Kenntnis des spätantiken Bildungsgutes attestiert, was auch eine gewisse Grundlage gehabt haben muß. Auch 'ihrem Sohn wollte Amalasuntha eine Ausbildung zuteil werden lassen, die ihn den römischen Vornehmen gleichstellte, und schickte ihn daher in eine Schule. ... Damit waren die Goten aber gar nicht einverstanden. Denn um sich an ihren Untertanen vergreifen zu können, wollten sie von ihm mehr nach Barbarenart regiert werden. Einmal hatte die Mutter ihren Sohn wegen einer Ungezogenheit im Frauengemach gezüchtigt, worauf dieser weinend in den Männersaal lief. Die Goten, die ihn so antrafen, waren er­ bittert, schalten auf Amalasuntha und behaupteten, sie wolle das Kind möglichst rasch beseitigen, um dann einen anderen Mann zu heiraten und selber mit ihm über Goten und Italiker zu herrschen. So taten sich alle Adeligen zusammen, traten vor Amalasuntha und machten ihr Vorhal­ tungen, daß ihr junger König ihnen nicht richtig und ange­ messen erzogen werde. Denn Schreibwerk habe nichts mit Mannhaftigkeit zu tun und Unterweisungen alter Männer führten meist zu Feigheit und Schwäche. Wer sich durch kühne und ruhmvolle Taten auszeichnen wolle, dürfe sich vor keinem Schulmeister fürchten, sondern müsse sich im Waffengebrauch üben. Auch Theoderich habe Gotenkinder niemals in eine Schule gehen lassen. Sonst hätten sie, wie er allen sagte, aus Furcht vor der Lederpeitsche nichts mehr für Schwert und Lanze übrig. Die Goten gaben Amala­ suntha ferner zu bedenken, daß ihr Vater sich zum Herrn und König eines so großen Landes aufgeschwungen habe und im Besitz einer unerhörten Macht gestorben sei, ohne nur jemals von Grammatik gehört zu haben.*^ 1) Prok. BG I 2,6 ff. * " ή μέν ούν Άμαλασουνθα τόν παΐδα έβούλετο τοΐς *Ρωμαίων άρχουσι τά ές τήν δίαιταν όμότροπον καταστήσασθαι καί φοιτάν ές γραμματιστου ήδη ήνάγκαζε. τρεις τε άπολεξαμένη των έν Γότθοις γερόντων, οΰσπερ ήπίστατο μάλλον απάντων ξυνετούς τε καί επιεικείς είναι, ξυνδιαιτάσθαι Άταλαρίχω έκέλευε. Γότθοις δέ ταυτα ούδαμή ήρεσκε. της γάρ ές τούς υπηκόους άδικίας έπιθυμία βαρβαρικώτερον προς αύτου άρχεσθαι ήθελον. καί ποτέ ή μέν μήτηρ άμαρτάνοντά τι έν τω κοιτώνι τόν παΐδα λαβουσα έρράπισε· καί δς δεδακρυμένος ές τήν άνδρωνΐτιν ένθένδε άπηλθε. Γότθοι δέ αύτω έντυχόντες δεινά έποιοΰντο καί τη Άμαλασούνθη λοιδορούμενοι ίσχυρίζοντο βούλεσθαι αυτήν τον παΐδα έξ ανθρώπων άφανιεΐν οτι τάχιστα, όπως αυτή έτέρω

Zwar mag Theode-1

- 154· rich eine solche Äußerung gegen den Wert der Schule für die Wehrertüchtigung getan haben, doch erstreckte sich diese Bildungsfeindlichkeit gewiß nicht auf seine eigene Familie. Aus der Begründung der Goten geht vielmehr hervor, daß sich dies vor allem auf die Ausbildung seiner Gotenkrieger be­ zogen haben muß, denn Theoderich mußte selbstverständlich auch die Schlagkraft seiner Armee aufrechterhalten. Doch auch das von Prokop vorgebrachte Argument, daß Theoderich nicht einmal die grundlegende der Artes liberales, also kein nachschulisches Studium absolviert habe, dürfte nicht auf eine völlige Unbildung oder einen Analphabetismus Theoderichs hindeuten. Allerdings wird eben darin der Unter­ schied zwischen der in Aussicht genommenen Ausbildung Athalarichs und der tatsächlichen seines Großvaters bestanden haben. Amalasuntha mußte dem gotischen Adel nachgeben und ihren Sohn in die Gesellschaft gleichaltriger Goten zur Ausbildung im Waffenhandwerk geben. Zwar ließ Amalasuntha die Führer der gotischen Fronde beseitigen, doch rettete dies den jungen König nicht mehr. Nach Prokops Darstellung hatte er seine Gesundheit durch Ausschweifungen in Gesellschaft junger Goten ruiniert und verstarb noch vor der Volljährig­ keit.^ Aber 'unter den Goten lebte ein gewisser Theodahad, der Sohn von Theoderichs Schwester Amalafrida, damals ein schon ziemlich bejahrter Mann. Dieser war in römischer άνδρι ές κοίτην έλθοϋσα Γότθων τε καί Ίταλιωτών ξύν αύτω άρχοι. ξυλλεγέντες τε, δσοι δή έν αύτοΐς λόγιμοι ήσαν καί παρά τήν Άμαλασοΰνθαν έλθόντες ήτιώντο οΰκ όρθώς σφίσιν ούδέ ή ξύμφέρει τον βασιλέα παιδεύεσθαι. γράμματά τε γάρ παρά πολύ κεχωρίσθαι άνδρίας, καί διδασκαλίας γερόντων άνθρώπων ές τε τό δειλόν καί ταπεινόν άποκρίνεσθαι έκ τού έπί πλεΐστον. δεΐν τοίνυν τόν έν τινι έργω τολμητήν τε καί δόξΐ) μέγαν έσόμενον, φόβου τοΰ έκ διδασκάλων άπαλλαγέντα, τάς έν τοΐς δπλοις μελέτας ποιεΐσθαι. έλεγον δέ ώς ούδέ Θευδέριχός ποτέ Γότθων τινάς τούς παΐδας ές γραμματιστοϋ πέμπειν έώη. λέγειν γάρ άπασιν ώς, ήνπερ αύτοΐς τό άπό τού σκύτους έπιγένηται δέος, ού μήποτε ξίφους ή δορατίου ύπερφρονεϊν άξιώσουσιν. έννοεΐν τε αύτήν έδικαίουν ώς άρα οί ό πατήρ Θευδέριχός χώρας τε τοσαύτης κύριος γεγονώς καί βασιλείαν ούδαμόθεν αύτω προσήκουσαν περιβαλλόμενος τελευτήσειε, καίπερ γραμμάτων ούδέ δσον άκοήν έχων. "

1 ) BG I 2,13 ff.; 3,1ο f. u. 4,4

- 155 Literatur und platonischer Lehre sehr bewandert, verstand hingegen nichts vom Kriegswesen und ließ es auch sehr an persönlichem Mut fehlen .. . ' ^ Diesen Theodahad - ihren Vetter und letzten männlichen Amaler - erhob Amalasuntha zum Mitkönig^ und preist ihn in der Mitteilung von seiner Thronbesteigung an den Senat mit großen Worten: 'Er besitzt die wünschenswerte Eigenschaft literarischer Bildung, die einer schon ursprünglich lobenswerten Natur zusätzlichen Schmuck verleiht. In den Büchern findet der kluge Ratgeber tiefere Weisheit, aus den Büchern lernt der Krieger, wie er durch den Mut der Seele gestärkt werden kann, in den Büchern entdeckt der Herrscher, wie er verschiedene Völker unter seiner gleichmäßigen Herrschaft zusammenführen kann. Kurz gesagt, es gibt kein Glück auf der Welt, das nicht von glorioser Kenntnis der Literatur vermehrt wird. ... Euer neuer Princeps ist überaus gebildet in kirchlicher Lehre, die uns immer daran erinnert, was gut für den Men­ schen ist, nämlich: gerechte

Rechtsprechung, weise Be­

sonnenheit, Ehrfurcht vor Gott und der Gedanke an den himmlischen Richter.'

Also auch Theoderichs Neffe besaß

eine gediegene spätantik-römische Bildung. Hervorgehoben wird besonders ein Interesse für römische Literatur, den Neuplatonismus und religiöse Schriften. Auch seine Tochter, Theodenanda, scheint nicht imgebildet gewesen zu sein.^ 1 1 ) BG I 3 , 1 : " THv δέ τις έν Γότ&οις Θευδάτος 6νομα, της Θευδερίχου αδελφής Άμαλαφρίδης υιός, πόρρω που ήδη ήλικίας ήκων, λόγων μέν Λατίνων μεταλαχών καί δογμάτων Πλατωνικών, πολέμων δέ άμελετήτως παντάπασιν εχων, μακράν τε άπολελειμμένος τοϋ δραστήριου, . . . " 2 ) BG I k,lo

3) Cass., Var. X 3»^ f·: "Accessit his bonis desiderabilis eruditio litterarum, quae naturam laudabilem eximie reddit ornatam, ibi prudens invenit, unde sapientior fiat: ibi bella­ tor reperit, unde animi virtute roboretur: inde princeps acci­ pit, quemadmodum populos sub aequalitate componat: nec aliqua in mundo pjotfest esse fortuna, quam litterarum non augeat glo­ riosa notitia. ... princeps vester etiam ecclesiasticis est litteris eruditus: a quibus semper quicquid est pro homine, commonemur: iudicare recte, bonum sapere, divina venerari, futura cogitare iudicia." Vgl. auch Elegiarum Maximiani Appen­ dix (ed. Agozzino) 3»11 f · : ·.· compendia parvum distendunt spatium: ... u. 3,17 f. i ... Theodade potens, cuius sapientia mundo prospiciens ... (s. zum App. oben S. 128 Anm. k) k) vgl. Wolfram (1979)» 6 Anm. 23, nach der Inschrift 2o^ bei 0.Fiebiger/L.Schmidt, Inschriftensammlung zur Geschichte der Ostgermanen, in: Denkschriften der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-hist. Kl., 6o,3/1917» 1ο3·

- 156 Uns ist nicht berichtet, daß die Goten gegen Theodahad dieselben Einwände vorgebracht hätten, wie sie es gegen die römische Erziehung Athalarichs getan hatten. Doch scheint sich Prokop ihre Einstellung gegen die Eignung eines Philosophen oder wenigstens eines Gebildeten zum Gotenkönig zu eigen zu machen, wenn er sich gemeinsam mit Petrus Patricius über Theodahad und seine Kriegsuntüchtigkeit mokiert: Ein Philosoph - und erst recht ein Angehöri­ ger der Schule Platons - dürfe sich doch nicht an Mord und Totschlag beteiligen, zumal wenn diese, wie im Kriegsfall, gehäuft auftreten.^ Nach der Absetzung und Beseitigung Theodahads setzt sich der von der gotischen Heeresversammlung erhobene Wittigis in seiner Regierungserklärung ’an alle Goten' deutlich von seinem Vorgänger ab: 'Denn wisset: Nicht in der Enge des Zimmers bin ich erwählt worden, sondern auf weitem Feld und nicht unter dem süßen Geschwätz der Schmeichler, son­ dern unter dem Tosen der Kriegstrompeten wurde ich ausge­ sucht, so daß das gotische Heervolk, erregt durch lautwer­ dende Ablehnung, in seinem Wunsch nach angeborener Tapfer­ keit einen Freund des Kriegsgottes zum König bekommen hat. Denn wie lange konnten tapfere, in Kriegslärm erwachsene Männer einen Fürsten ertragen, damit er für seinen Ruhm sorgte, der sich aber nicht bewährt hat, auch wenn er schon 2) zuvor viel von seiner eigenen Tugend darauf verwendet hat ?' ' Vielleicht ist auch die eifrige und letztendlich erfolg­ reiche Suche Matasunthas, der von Wittigis zur Ehe gezwunß) genen Tochter Amalasunthas, nach einem römischen Ehemann·"1 1) Prok. BG I 6,8 ff.j vgl. auch Elegiarum Maximiani Appen­ dix (ed. Agozzino) 3»2o f. : magna quidem virtus, bello pro­ sternere gentes: sed melius nec bella pati, cum laude quietis. Dies gibt der Friedfertigkeit Theodahads positiveren Ausdruck. 2) Cass., Var. X 31 (UNIVERSIS GOTHIS VVITIGIS REX),2: "Non enim in cubilis angustiis, sed in campis late patentibus electum me esse noveritis, nec inter blandientium delicata colloquia, sed tubis concrepantibus sum quaesitus, ut tali fremitu concitatus desiderio virtutis ingenitae regem sibi Martium Geticus populus inveniret, quamdiu enim fortes viri inter bella ferventia nutriti principem ferre poterant non probatum, ut de eius fama laboraret, quamvis de propria virtute praesumeret ?" (vgl. Kohl (I877 ), 7 3 ) 3) vgl. Prok. BG II lo,ll u. III 39.1^

- 157 Resultat ihrer Erziehung, die gewiß den Wünschen ihrer Hutter entsprochen hat. In dem wohl anläßlich der Vermäh­ lung von Wittigis mit Matasuntha gehaltenen Panegyricus zieht Cassiodor einen merkwürdig anmutenden Vergleich zwischen Athalarich und Achills 'Einmal verbarg jener unter den reizenden (und anmutigen ?) Jungfrauen nicht nur seine Kraft, sondern auch seine Männlichkeit, denn er, der das Schwert furchtbar blank ziehen konnte, erwählte für sich, weichlich zu stricken. Ein anderer widmete den Befehlen seiner Mutter Gehorsam} aber dies durfte er als Krieger nicht dulden: Es ist das Verhängnis gewesen, daß sie unter dem Vorwand der Pietas sündigte, dann aber konnte sie sich nicht ohne den Schandfleck der Schamesröte verber­ gen. '^

Dies bezieht sich mit Gewißheit auf das Verhältnis

Athalarichs zu seiner Mutter. Der Vergleich Athalarichs mit Achill wurde sicher von der gleichartigen Rolle der Mutter und dem beide Male durch Beschäftigung mit dem Waffenhandwerk hervorgerufenen, frühzeitigen Tod ausgelöst. Im Grunde genommen läuft er auf eine Gleichsetzung der Bil­

2)

dung mit 'Weiberröcken' hinaus, wenn man Cassiodors wenig klare Worte mit der romanhaften Erzählung Prokops von dem Streit um Athalarichs Erziehung in Beziehung setzt. Ob sich Cassiodor mit den zitierten Worten von der Regent­ schaft Amalasunthas distanzieren und eine leise Kritik äußern wollte , - '7 sei vorerst dahingestellt. Doch kann man sicher aus seinen Worten auf die Einstellung seines Publi­ kums schließen, die sich also weitgehend mit der oben in anderen Zitaten Vorgefundenen deckt. Besonders auffällig ist die Häufung von Aussagen zur Bildung der Amaler in den Quellen, die ihnen fast durchweg diese Bildung zusprechen, wenn man dies mit entsprechenden ,*· .1 1) Cass., Or. rel. (ed. Traube), bei Mommsen, Varienausgabe, 4-73,1 ff. s "quando ille inter virgines delicatas occultatus ...... as non solum fortem se sed et virum negavit: nam qui potuit atrociter ferrum distringere, elegit molliter pensa tractare. Dicat aliquis matris iussionibus obsecutum; sed hoc pati non debuit bellicosus: fas fuit illam sub pietatis excusatione peccare, hic vero se non potuit sine magno de­ decore pudoris occulere." 2) Und wer übernimmt die Rolle des Chiron ? 3) so Bury II (1923), 221 Anm. 3

- 158 Nachrichten z.B. über die jüngeren Balthen vergleicht. Diese sind eher beiläufig und widersprüchlich: Dem West­ gotenkönig Theoderich II. attestiert Apollinaris Sidonius, dessen ablehnende Haltung gegenüber den Barbaren auch wegen deren mangelnder Bildung bekannt ist, wenigstens Geschmack und Sinn für Luxus. ^

Darauf werden sich die kulturellen

Bedürfnisse des Königs nicht beschränkt haben, da er in seiner Jugend von dem späteren Kaiser Eparchius Avitus Unο

)

terricht in den "litterae" erhielt '. Doch mögen die Brüder Theoderichs II. nicht dieselbe Bildung genossen haben, da 3) zwar Friderich mit dem Papst Hilarus korrespondierte, Eurich jedoch bei seiner mündlichen Antwort an den Bischof Epiphanius von Ticinum einen Dolmetscher für die lateiniL\

sehe Sprache benötigte '. Bei den A m a l e m haben die Nach­ richten weitgehend den gleichen

Tenor: Sie waren gebildet.

Deutlich ist auch, daß die Bildung oder angebliche Un­ bildung der Amaler meist in propagandistischer Absicht an­ geführt wird. So findet sich beim Anonymus Valesianus die Aussage über Theoderichs Analphabetismus in engstem Zusam­ menhang mit der Schilderung seiner antikatholischen Tenden­ zen und seines dem des Judas und des Arius gleichen Todes. Die Behauptung, daß Theoderich nicht einmal schreiben konnte, soll seine Damnatio memoriae verstärken. Amalasunthas wie Theodahads Lobgesang in den offiziellen Schreiben bei Cassiodor soll Eindruck auf den Senat machen und ihre römische Gesinnung unter Beweis stellen. Die römische Erziehung Athalarichs scheiterte nach Prokop an dem Widerstand der Goten. Auch sie bringen Bildung als Argument ins Spiel. Aller­ dings sehen sie diese - jedenfalls für einen Gotenkönig eher als hinderlich an. Auch Prokop - und Petrus Patricius, wenn es richtig ist, daß sich Prokop hier auf einen Gesandt­ schaftsbericht stützt-'' - macht sich diese Meinung zu eigen,1 1) 2) 3) 4) 5) dem

Ep. I 2,6 (vgl. auch ebda., 2,1) Sidon., Carra. VII W l ff. u. *495 ff. vgl. Hil., Ep. VII (Migne PL 58,2*4- B) Ennod., Vit. Epiphan. 9o so Bury II (1923). 173 Anm. 1 u. Schwartz (1939), 1? f ·, sich Rubin (1954), 157 f·. anschließt.

- 159 wenn Theodahad - zwar ironisierend - vorgehalten wird: Bildung steht im Widerspruch zu machtpolitischem und mili­ tärischem Zweckdenken - dies aber in der deutlichen Ab­ sicht, ihn von militärischem Widerstand gegen die byzan­ tinische Eroberung Italiens abzuhalten. In Cassiodors Panegyricus auf Wittigis wird eine ähnliche Einschätzung und Ironisierung der Bildung deutlich. Es dürfte nicht überraschen, daß Bildung als Argument gegen Barbaren im allgemeinen und gegen Germanen im beson­ deren verwendet wird. Ebensowenig überraschend ist das Streben von germanischen Königsfamilien und Machthabern im Römischen Reich nach Bildung. Daß sich gerade in Bezug auf die Amaler die Bildung in so hohem Maße in den Quellen an markanten Stellen erwähnt findet, daß diese überhaupt in der überwiegenden Mehrzahl ein gehobenes Bildungsniveau erreicht haben und daß sie dies nun auch als Argument gegenüber dem römischen Bildungsadel gebrauchten, ist eines­ teils auf den Ort ihrer Reichsgründung zurückzuführen und wirft andererseits ein bezeichnendes Licht auf ihre poli­ tischen Absichten und ihr propagandistisches Geschick. Hingegen scheint es doch selten und in diesem Zusammenhang bemerkenswert, wenn Goten Bildung als Argument gegen die Eignung zum Herrscheramt verwenden} dies zeugt aber auch von einem gewissen Selbstbewußteein.^ Doch ist eine solche Einstellung unter Militärs zu dieser Zeit weiter verbreitet, wie das Beispiel Prokops lehrt. Klassisch-römische Bildung, von einem Germanen beansprucht oder einem Germanen von Römern bescheinigt, ist ein Bild für seine Hinneigung zur, wie Enßlin es im Zusammenhang mit1 1) Inherepsant, jedoch falsch ist der Hinweis auf eine be­ absichtigte Ablösung der lateinischen durch die gotische Sprache. "Den von dem Humanisten Petrus Alcyonius angeführ­ ten, ungenannten und sonst unbekannten Verfasser einer Ge­ schichte der Goten in Italien in griechischer Sprache, der von einer die Ersetzung der lateinischen durch die gotische Sprache anordnenden Verfügung König Attilas (Badwilas ?) gesprochen haben soll, hat es wohl nicht gegeben." (Schmidt I (19*U), 3o)

- l6o Theoderich nannte, Romverbundenheit"^ und sein Eintreten für den Reichs- und Romgedanken. Nur wenn man berücksich­ tigt, wie solche Argumente im Zusammenhang mit politischen Vorgängen vorgebracht wurden und gemeint waren, kann man die Erzählung Prokops von dem Streit um die Ausbildung Athalarichs richtig als Anzeichen für einen politischen

2)

Machtkampf deuten. ' Wenn man der Annahme zustimmt, daß sich Cassiodor unter den drei Lehrern Athalarichs befand, die Amalasuntha nach dem Aufbegehren der Gotenführer entfernen mußte^' und die also für aus dem Amt entlassene hohe Beamte stehen, wenn man des weiteren berücksichtigt, daß sich Cassiodor in einem seiner Emennungsbriefe selbst in einer bildenden, lehrenden Funktion gegenüber Theoderich darstellt, so drängt sich der Vergleich mit Dicineus auf, jedenfalls mit dem Dicineus, den Jordanes darstellt. Cassiodor beabsich^ tigte, mit seiner Gotischen Geschichte das Alter und die Gleichwertigkeit des gotischen Volkes mit dem römischen zu erweisen. Gerade die Erzählung von Dicineus dient der Tendenz, auch die Kultur der Goten auf klassische, grie­ chische Einflüsse zurückzuführen. Die Bezugsquellen für Cassiodor, auf dem Jordanes hier mit Gewißheit und wahr­ scheinlich sogar ausschließlich fußt, erwähnen Dicineus nur kurz. Cassiodor allein dürfte Dicineus in den Mittel­ punkt der gotisch-getischen Vorgeschichte gerückt haben und für die kulturpolitische Färbung des Berichtes verant­ wortlich sein. Wäre es abwegig zu vermuten, daß er Dicineus so darstellte, wie er selbst gern gesehen werden wollte und wie er selbst seine Rolle unter der gotischen Herrschaft .

.

U)

verstand - als Bildungsminister ' der Gotenkönige ?1 1) W. Enßlin, Beweise der Romverbundenheit in Theoderichs des Großen Außen- und Innenpolitik, ins I Goti in Occidente (= Settimane di studio del centro Italiano di studi sull’ alto Medioevo III), Spoleto 1956, 5o9 ff. 2) s. unten Kap. VII 3) Prok. BG I 2,7/19; vgl. unten S. 164 ff. 4) vgl. Besselaar (1945). 45 / 47/57

VII CASSIODOR UND AMALASUNTHA Da ein maßgeblicher Einfluß Cassiodors auf Politik und Regierungsprogramm nur für die Zeit der Regentschaft Amalasunthas angenommen werden kann, ist diese einer geson­ derten Untersuchung zu würdigen. Für die Zeit Theoderichs ist die Parallelüberlieferung zu Cassiodors Varien äußerst dürftig und besteht im Grunde nur aus einigen Chroniken. Nach dem Tode Theoderichs ändert sich aber das Bild, denn mit den Geschichtswerken Prokops setzt eine wichtige und größtenteils zuverlässige Quelle ein. Aber auch Prokop bringt in seiner Vorgeschichte des Gotenkrieges nach dem ersten Kapitel über die Zeit vom Sturz des Romulus Augustulus durch Odovacar (*J-?6 ) bis zum Tode Theoderichs (526) in dem zweiten Kapitel nur eine summarische Übersicht über die Regentschaft Amalasunthas (526-53*0· Erst danach wird er mit dem Bericht von den diplomatischen Vorgeplänkeln zum eigentlichen Kriegsausbruch ausführlicher. Vergleicht man aber die bündige Darstellung Prokops mit dem Befund besonders des neunten Buches von Cassiodors Variae, so gelangt man zu entscheidenden Schlußfolgerungen. Cassiodor hat in Buch VIII seiner Variae Briefe aus dem ersten Jahr von Athalarichs Regierung zusammengestellt, wobei er dessen Regierungsantritt besonders herausstreicht. Johannes Bundwall konnte nun diesen Briefen entnehmen, daß unter Cassiodors Einfluß direkt nach dem Tode Theoderichs ein durchgreifender Beamtenwechsel in der Regierung vorge­ nommen wurde, der nur mit einem Wandel der programmatischen Präferenzen zu erklären i s t . ^ Ebenso kann er in diesen Briefen aus dem einen Jahr 526/527 einen weiteren Beamten1) Sundwall (1919). 26lj vgl. oben S. 121-12^

- 162 Wechsel ausmachen, dem der neue Kurs der Regierung mit ihren maßgeblichen Mitgliedern Ambrosius, den namenlosen (!) In­ habern des Comitatus sacrarum largitionum und der Praefektur, welch letzterer wohl Abundantius ist, sowie schließlich Cassiodor selbst zum Opfer fiel.1 ) Beförderungen für Cyprian und seinen Bruder Opilio finden sich unter den Briefen, also für die wichtigsten Vertreter der Gruppe, die schon Boethius zu Fall gebracht hatte. "Es ist allerdings nicht ganz klar, wie weit dies einen Rückgang bezeichnet^ auf alle Fälle scheint die alte Richtung des Cyprians mit ihrer de­ zidierten Gotenfreundlichkeit bei der Regierung doch wieder Beachtung gefunden zu haben, was zugleich eine Reaktion gegen den Senat bedeutet haben mag, ohne dass wir indessen die Umstände oder die Bedeutung näher fassen können.

...

Dass Cassiodor jetzt dem Einflüsse seiner Gegner am Hofe weichen musste, scheint mir klar. Worin aber die neue Strömung innerhalb der Regierung sich kundtat, ist dunkel. ... Man könnte vermuten, dass die Regierung, während sie die politische Unantastbarkeit des Senats aufrechterhalten wollte, dessen wirtschaftliche Prärogative oder Übergriffe gegen die Bevölkerung weniger begünstigte. Aber diese allgemeinen Erwägungen können uns kein sicheres Bild von den Vorgängen hinter den Kulissen in Ravenna und Rom geben, und so sind wir in Bezug auf die oben erwähnten Ereignisse am Hofe im Laufe des Jahres 52? auf die Feststellung eines Beamtenwechsels beschränkt, der wie eine gotische Reaktion 2) aussieht." ' Johannes Sundwall sieht sich also nicht in der Lage, Umstände und Bedeutung dieses Beamtenwechsels näher zu bestimmen. Es wurde bereits festgestellt, daß Cassiodor durch die veränderte Disposition seiner Variensammlung im neunten Buch besonderen Nachdruck auf die Tatsache legt, daß er schon ein Jahr nach dem Tod Theoderichs sein Amt als Magister officiorum verlor und erst nach fünf bis sechs Jahren als Praefectus praetorio in die Regierung zurück­ kehrte.-)) Weiterhin ist an der Tatsache, daß Cassiodor die1 3 2 1) Sundwall (1919), 263 f· 2) ebda., 264 f. 3) s. oben S. 89 f./ll3

- 163 Briefe in seine VarienSammlung aufnahm, an denen Sundwall den Kurswechsel in Ravenna ablesen konnte, zu sehen, wie viel ihm daran lag, diese Machtverschiebungen klar werden zu lassen. Die zeitliche Lücke in der Mitte des neunten Buches, hervorgehoben durch die Häufung chronologischer Anzeichen, setzt eigentlich nur das Zeichen, bei dem der Leser auf die vorhergehenden und nachfolgenden Vorgänge und ihre zeitliche Distanz aufmerksam werden sollte. Dies diente offensichtlich der eindeutigen Absicht, Amalasunthas und Cassiodors eigene Beurteilung der gotischen Reaktion, wie Sundwall es nennt, klar zu machen. Ein weiterer deutlicher Kurswechsel, diesmal aber wieder im Sinne Cassiodors und Amalasunthas, erfolgte wohl in den Jahren 532/533* auf jeden Fall aber einige Zeit vor dem 1. September 533* zu welchem Datum Cassiodor zum Praefectus praetorio berufen wurde.^ Daß Cassiodor auch schon vor diesem Datum in Diensten des Hofes stand, ist eindeutig.

' Nur dieser

Tatsache verdanken wir auch seine Emennungsbriefe für die Praefektur. Amalasuntha schien sich gegen die gotische Opposition durchgesetzt zu haben. 'Es charakterisiert ihre Person und ihre Politik, daß sie Cassiodor wieder an den Hof berief, sobald sie meinte, die Hände frei zu haben. Noch einmal sollte das Programm des großen Theoderich, wenn auch mit mehr Konzessionen an die Römer, erprobt wer­ den. ' Vollkommen zu Recht wurde dieser neuerliche Kurswechsel in Ravenna, der Cassiodor wieder in die Regierung führte, mit der Beseitigung dreier gotischer Adelsführer in Ver­ bindung g e b r a c h t , d i e nach der Erzählung Prokops^ wohl1 5 * 3 2

1 ) vgl* ^undwall (I9 19 ), 273 ff.} wenn Wolfram (1979)* ^1*+, äußertj daß Cassiodor zu dieser Zeit das Amt des Magister officiorum (sic !) von Cyprian übernahm, ist dies wohl nur ein läßlicher Irrtum (auf E m s t Stein kann er sich nicht berufen). 2) s. oben S. 91 3) Besselaar (19^5)* 3os "Het typeert haar person en haar politiek, dat zij, zoodra zij meent de handen vrij te hebben, Cassiodorus weer aan het Hof ontbiedt. Nog eenmaal zou het program van den grooten Theoderik, doch stellig mit meer concessies aan de Romeinen, beproefd worden." k) Sundwall (1919). 27^; Stein II (19^9). 33 f·| Wolfram (1979). ^ 5) BG I 2,21 ff.

- 164 -

in das Jahr 532 gehört. Die sonstigen Quellen geben über diese so brisanten und wechselhaften Ereignisse der Regent­ schaft Amalasunthas keinerlei Auskunft. Jordanes berichtet einerseits nur von dem Regierungsantritt Athalarichs und seinem frühen Tod,"*^ andererseits von einem völlig fried2) lichen und einträchtigen Verlauf der Regentschaft. ' Die Chroniken des Marcellinus Comes und des Victor Tunnunensis verzeichnen unter diesen Jahren überhaupt keine Ereignisse aus Italien, Marius Aventicensis nur den Tod Theoderichs 3) und den Regierungsantritt Athalarichs-". Aber Cassiodor erwähnt die Ermordung der Gotenführer sogar lobend, als er in dem bereits mehrmals angeführten Panegyricus auf Amalasuntha ihre arglistige Tatkraft rühmt.

k)

'

Der oben zitierte Bericht Prokops-^ über die Regentschaft Amalasunthas beschäftigt sich ausschließlich mit dem Streit um die Erziehung Athalarichs und den daraus resultierenden Auseinandersetzungen zwischen Amalasuntha und der gotischen Opposition, die eben mit der Beseitigung der gotischen Führung der Oppositionsgruppe endeten.

' Es muß also über­

raschen, daß der "novellistisch spannend"^ angelegte Bericht Prokops noch nie auf die gesamte Regierungszeit Athalarichs, sondern zumeist nur auf die Zeit kurz vor dem Kurswechsel in Ravenna bezogen wurde, dem Cassiodor die1 7 6 5 4 3 2 1) Rom. 36? f. 2) Get. LIX 3o4 f.; allenfalls die Worte (LIX 3o5): dum ergo ad spem iuventutis Athalaricus accederet, tam suam aduliscentiam quam matris viduitatem Orientis principi commendavit, ... deuten Amalasunthas Bemühen (etwa 532) um Rückendeckung und - im Notfall - Zuflucht in Konstanti­ nopel an (vgl. Prok. BG I 2,23 ff.)· 3) Chron. ad a. 526; das Fehlen von Nachrichten aus den Jahren 526-532/4 in allen ravennatischen Chroniken bestä­ tigen auch die Ergebnisse von Holder-Egger (I876 ), vgl. dort 365 · 4) Var. XI 1 ,8 : Non audis praedici quod palam videtur assumi et temperamento mirabili dissimulando peragit quod ad celerandum esse cognoscit. 5) vgl. oben S. 153 6 ) BG I 2: vgl. oben S. 154/163 7) Rubin (195^), 156

- 165 Praefektur verdankte,1 ^ obwohl allgemein anerkannt ist, daß die progotischen Gegner Amalasunthas schon 527 ihren Einfluß in der Regierung wieder geltend machten. ’Eine Reaktion von Seiten der Goten muß die Ursache dieser Veränderungen gewesen sein. Sundwall ... sucht die Gründe dafür wohl allzu weit weg, wenn er hierfür ökonomische Faktoren annimmt. Es liegt viel eher auf der Hand, das eine wie das andere mit der Erzählung Prokops in Verbindung zu bringen ... Cassiodors Abschied hier­ mit zu kombinieren, ist darum so wahrscheinlich, weil die ganze Erzählung Prokops ein sehr jugendliches Alter Athalarichs vor2) aussetzt.· ’ Denn den eigentlichen Anlaß zu dem Widerstand der gotischen Oberschicht gegen die Erziehung Athalarichs stellte doch die Ohrfeige der Mutter für ihren ungezogenen Sohn dar und der Streit ging um Athalarichs Schulbesuch.-^ Da zudem die Erzählung vom Streit um Athalarichs Erziehung und dessen Folgen bei Prokop die gesamte Zeit der Regentschaft von 526-532 einnimmt und oben**' nachgewiesen wurde, daß die Bildung einzelner Mitglieder des Amalerhauses von römischer, wie auch von goti­ scher Seite als politisches Argument verwendet wurde, sollte es nicht mehr schwer fallen, die von Prokop im Zusammenhang mit dem Streit um Athalarichs Erziehung berichteten Ereignisse mit den von Johannes Sundwall in den Variae eruierten Beamten­ wechseln auf das engste zu verknüpfen. Daß hinter Prokops ro­ manhafter Erzählung eigentlich politische Vorgänge stehen.1 3 2

1 ) vgl. Sundwall (1919), 27^} Stein II (19^9), 331 ff.; Wolfram (1979), ^13; nur Bury II (I923 ), 159 ff·, scheint die Ereignisse an den Anfang der Regierung Athalarichs zu setzen, da er sich hauptsächlich an die Erzählung Prokops hält (vgl. auch Schwartz (1939), 3)· Allenfalls Enßlin (1959), 327 f., scheint die hier vorgetragene Ansicht anzudeuten. 2) Besselaar (19^5), 29s "Een reactie van de zijde der Gothen moet de oorzaak van deze mutaties zijn geweest. Sund­ wall ... z o e k ^ d e reden ervan wel al te ver, wanneer hij hiervoor econömiäche factoren aanneemt. Het ligt veel meer voor de hand om een en ander in verband te brengen met het verhaal van Procopius ... Cassiodorus' ontslag hiermee te combineeren is daarom zoo waarschijnlijk, omdat het geheele verhaal van Procopius een zeer jeugdigen leeftijd van Athalarik verondersteit." Weitere Folgerungen zieht er daraus jedoch nicht. Zu den 'ökonomischen Ursachen' und der 'goti­ schen Reaktion' vgl. unten S. I8 l ff. 3) Prok. BG I 2,9/12 f. If) s. Exk. II

- 166 scheint auch Herwig Wolfram anzunehmen, wenn er in der römischen Erziehung nur den Anlaß für die 52? wieder an die Macht gekommenen Gegner Amalasunthas zu der endgültigen Machtübernahme sah, weshalb sie sich der Person Athalarichs versichern mußten. ^

Da auch Prokop Bildung als Indiz für

eine romfreundliche Einstellung, also eine bestimmte poli­ tische Haltung verwendet, ist die von ihm dargestellte Auseinandersetzung um eine solche Bildung ebenso als ein politischer Streit anzusehen. Die Nachricht Prokops, daß es sich bei den drei von Amalasuntha für ihren Sohn bestimmten und auf Druck der Goten wieder entlassenen Lehrern um alte, weise Goten han2) delte, ' ist eindeutig eine Fehlinformation, denn Athalarich sollte doch eine römische Erziehung zuteil werden. Diese drei Lehrer stehen also für die 527 entlassenen Regierungs­ mitglieder, unter denen sich auch Cassiodor befand.

’Viel­

leicht war er für die gotischen Extremisten derart die Verkörperung von Amalasunthas versöhnlicher Politik, daß sich ihre Reaktion gegen ihn richten m u ß t e . J e d e n f a l l s dürfte Prokop die Zahl ’drei* hier ebenso symbolisch verwen­ det haben, um eine gewisse Anzahl von Regierungsmitgliedern anzudeuten, wie bei den ’drei’ ermordeten Gotenführem. Unter diesen wurde vollkommen zu Recht der 526 zum Patricius praesentalis ernannte Tuluin vermutet,^ der nach 532 nicht mehr in den Quellen erscheint und an dessen Stelle in dieser Position in dem Antrittsschreiben Cassiodors (Var. XI 1,16) aus dem Jahr 533 ohne Vorankündigung Liberius auftaucht, der die gallische Praefektur bis dahin, aber vorerst auch wei­ terhin verwaltete.

Gleichzusetzen ist also nicht nur erst der

von Johannes Sundwall in den Varien für das Jahr 532/533 aus­ gemachte Kurswechsel in der Regierung in Ravenna, der die Beru­ fung Cassiodors zum Praefectus praetorio zur Folge hatte, mit1 5 * 3 2

1 ) Wolfram (1979), ^13 f2) BG I 2,7 3) Besselaar (19^5), 51* "Wellicht was hij voor de Gothische extremisten zoozeer de belichaming van Amalasuntha’s verzoeningsgezinde politiek geweest, dat hun reactie zieh tegen hem moest richten." *0 Wolfram (1979), *+1*45) Stein 17 (l^ld), 33^; vgl. oben S. 37/96

- 167 der Ermordung der drei gotischen Adelsführer bei Prokop, sondern auch bereits der ebenfalls von Sundwall beobachtete Beamtenwechsel in den höchsten Chargen der Regierung des Jahres 527» der auch die Ablösung Cassiodors als Magister officiorum bewirkte, mit der Entlassung der 'drei gotischen Lehrer' Athalarichs bei Prokop. Es ist also nicht nur in den Chroniken und bei Jordanes, der doch auf Cassiodors Gotengeschichte fußt, sondern auch bei Prokop ein auf­ fälliges Schweigen und völliges Fehlen von Nachrichten für die etwa fünf Jahre zwischen 527 und 532 festzustellen. Dies sind genau die fünf Jahre von Cassiodors Abwesenheit vom Hof und seiner zwangsweisen politischen Abstinenz. Es darf zwar keinesfalls verwundern, daß er aus diesen Jahren keine Amtsbriefe in den Variae verzeichnet. Trotzdem ist die Parallelität dieser zeitlichen Lücke in der Überliefe­ rung bei Cassiodor, in seinen Variae und, wenn man nach Jordanes' Bericht in den Getica urteilt, auch in seiner überarbeiteten Historia Gothica, und bei Prokop so auf­ fällig, daß es erstaunen muß, daß sie bisher völlig über­ sehen wurde. Zumal sich derselbe Befund in den Chroniken zeigt. Versucht man, von den historiographischen Quellen allein­ gelassen, die politischen Ereignisse dieser fünf Jahre zu re­ konstruieren, sind weitere Informationen in Lebensbeschreibungen und Akten aus dem näheren Umkreis des Papsttums zu finden. Schon Johannes Sundwall und Ernst Stein stellten die Auseinander­ setzungen der Jahre 526-537 um das Papsttum, genauer gesagt: um die Besetzung des Heiligen Stuhles, in den Zusammenhang der Parteienkämpfe am ostgotischen Hof.1 ) Nach ihrer Inter­ pretation äußern sich in der Person des Papstes und seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Strömung die Macht- und Mehrheitsverhältnisse im Senat und in der Regierung. Die Päpste gerade dieser Zeit waren "Werkzeuge der miteinander ringenden politischen Mächte"^ und insofern lassen sich aus ihrer Haltung zu den politischen Tagesereignissen und aus ihren Bestrebungen Rückschlüsse auch auf die Verhältnisse 1) vgl. bes. Sundwall (1919), 265 ff·, u· Stein II (19^9), 329 ff. 2) Caspar II (1933), 193 (vgl. auch dort Anm. 1)

- 168 in der ostgotischen Regierung Italiens ziehen. Theoderich hatte nach dem Tod des Papstes Johannes I. im ’Kerker’ zu Ravenna1 ^ seinen Nachfolger, Felix IV., der

2) ' Nach dem wenig späteren Thronwechsel konnte die neue Regierung die Entscheidung Theoderichs und die Befolgung seiner Wünsche bei der Wahl des neuen Papstes, der also im Hin­ blick auf den harten Kurs der letzten Jahre Theoderichs ausgesucht worden war und einer progotischen Richtung zuge­ rechnet werden muß, nur noch gutheißen. Sein Pontifikat verlief ohne bemerkbare Auseinandersetzungen. Es gelang ihm sogar, seinen Nachfolger gegen geltendes Recht und den Widerstand des Senats und des Klerus letztendlich selbst zu bestimmen.^ Sein Kandidat war zwar romanisiert, aber doch germanischer Herkunft . ^ Der erste nicht aus den Reihen der mediterranen Völker stammende Papst, Bonifatius II., war, nach dem Namen seines Vaters zu urteilen, älteren Fassung des Papstbuches zufolge oktroyiert.

ein Nachkomme jenes Sigisvult, der an der Seite des Aetius 6} gekämpft hatte. ' Seine germanische Abstammung wäre für Römer gewiß ein Hindernis gewesen, ihn zu dem hohen Amt zu berufen. Die Frage, wer ein Interesse daran gehabt hat, das Designationsrecht des Papstes gerade zu dieser Zeit zu institutionalisieren und damit möglichst eine aufeinander­ folgende Reihe gotenfreundlicher Päpste zu sichern, findet in der Tatsache eine Antwort, daß sowohl Senat und Klerus von Rom als Wahlgremium, wie der gotische Herrscher in Ravenna andere Möglichkeiten hatten, ihrem Kandidaten zum1 6 5 4 3 2 1) Lib. pont. LV} An. Vales. 93» vgl. Caspar II (1933). I89 2) Lib. pont. LVI (ed. Duchesne), LXIl/loo/2?9 f· Anm. 5«

Qui etiam ordinatus est ex iusso Theodorici regis ... 3) Cass., Var. VIII 15 (SENATUI URBIS ROMAE ATHALARICUS REX),ls Gratissimum nostro profitemur animo, quod gloriosi domni avi nostri responditis in episcopatus electione iudicio. vgl. auch VIII 15.2: civica sunt ista certamina ... 4) vgl. Caspar (1933). 19*4-> die einschlägigen Quellen zu diesen und den folgenden Streitigkeiten um die Besetzung des Heiligen Stuhles sind gesammelt in den Beilagen beis A.v. Hamack, Der erste deutsche Papst (Bonifatius II., 53o/532) und die beiden letzten Dekrete des römischen Senats, ins Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., 192*4-,5, 39 ff· 5) Lib. pont. LVIIs Bonifatius, natione Romanus, ex patre Sigibuldo ... 6 ) Stein 11(19*4-9), 33o

- 169 Wahlsieg zu verhelfen. So wurde auch bis dahin verfahren. An der Designation eines gotenfreundlichen Nachfolgers durch einen gotenfreundlichen Papst muß also eine Gruppe interessiert gewesen sein, deren Einfluß auf den Senat und die gotische Regentin nicht groß genug war, um des Erfolges gewiß zu sein, und der darüberhinaus der direkte Weg über den amtierenden Papst infolge gemeinsamer poli­ tischer Ausrichtung offen stand. Dies kann nur die goti­ sche Opposition gegen Amalasuntha gewesen sein. "Der Regierungskurs Felix' IV. und seines Kandidaten Bonifatius II. war also der g o t i s c h e . D a s infolge der konkurrierenden Wahl des Dioskuros durch die Mehrheit des Klerus und des Senats drohende Schisma erledigte sich durch dessen baldi­ gen Tod. Aufgrund der Herkunft des Gegenkandidaten von Bonifatius aus dem Ostreich erweist sich die Gruppe seiner Parteigänger als der religiösen und ebenso politischen 2) Einigung mit dem Osten geneigt. ' Die Wertschätzung der Selbständigkeit Italiens unter dem Schutz des ostgotischen Heervolkes besaß offensichtlich um 53o, dem Zeitpunkt des in Rede stehenden Pontifikatswechsels, im Senat und der Regierung in Ravenna keinen Rückhalt. Wahrscheinlich vertrat die Opposition gegen Amalasuntha die politische Unabhängig­ keit des ostgotischen Reiches. Auch Bonifatius II. versuchte in der Person des Vigilius von vornherein seinen Nachfolger zu bestimmen und das Recht des Papstes auf Designation zu erzwingen. Trotz eines ersten Erfolges in diesem Bemühen regte sich bald heftiger Wider­ stand seitens des römischen Klerus und des Senats, der Bonifatius zu dem Eingeständnis, gegen das geltende Recht verstoßen zu haben, und zum Aufgeben in der Frage der Designation seines Nachfolgers zwang.

Die Designation

des Vigilius wird ihre Hauptgründe ebenfalls in der Insti-1 3 2 1) Caspar II (1933). 195> vgl. Sundwall (1919), 266 m. Anm. 5, u. Stein II (19*0). 329 f·, der auf eine Wahl im Sinne Amalasunthas schließt. 2) Caspar II (1933). 195? Sundwall (1919). 26? f., sieht aber den Zwist eben zwischen "Ravenna" und dem Senat? ähn­ lich Stein II (19*0). 33o. 3) Sundwall (1919). 269 ff. ; Harnack (192*0, 3^ ff.} Caspar II (1933). 197; Stein II (19*0). 33o f.

- l?o tutionalisierung des Designationsrechts^ und in der Fort­ setzung der politischen Linie des Papsttums gehabt haben. Nur Adolf von Harnack hat der vorher und nachher geltenden Meinung widersprochen, daß in Bonifatius ein gotischer Parteigänger zu sehen sei, und dies mit der Person des designierten Nachfolgers, Vigilius, begründet} denn daß dieser "jemals ein gotischer Partisan gewesen ist, ist nicht glaublich."2 ^ Doch gibt es eben weitere Hinweise darauf.^ Nach dem kurzen, nur zweijährigen Pontifikat Bonifatius’ II., von dem keine Briefe überliefert sind und dessen Vita im Papstbuch ihm entschieden feindlich gesonnen ist,**') wurde jedoch nicht der Diakon Vigilius, sondern der Presbyter Mercurius, der dann den Namen Johan­ nes annahm, zum Papst gewählt und Anfang des Jahres 533 konsekriert. "Dem Wechsel in Rom folgte der in Ravenna noch vor 1. Sept. 533» als ein neues System in der Regie­ rung mit Cassiodor an der Spitze etabliert wird."'^ Wie aber das Nachgeben von Bonifatius in der Designationsfrage^ und der Regierungswechsel des Jahres 5 3 3 ^ mit der Beseitigung der drei Gotenführer in Verbindung ge­ bracht wurde, ist auch zwischen Amalasunthas Vorgehen gegen die gotische Opposition und der Wahl eines eine antigotische Richtung vertretenden neuen Papstes ein Zu­ sammenhang zu sehen. Die Änderving der Machtkonstellation im ostgotischen Italien dauerte dann etwa ein gutes Jahr, beginnend mit der Entfernung der drei gotischen Adli­ gen aus Italien.

Deren nach Prokops Darstellung durch die

Vermittlung von Freunden und Verwandten fortgesetzten Intrigen, die Amalasuntha den Anlaß zu ihrer Ermordving g a b e n , s t ü n d e n in engstem Zusammenhang mit den Ausein­ andersetzungen um die päpstliche Designation. Daß Johannes II. durchaus ein Papst im Sinne der neuen Regierving in 1) 2) 3) *0 5) 6) 7) 8)

vgl. Sundwall (1919)» 269 H a m a c k (192*0, 32 f. (Zit. s 33) vgl. unten S. 177 Caspar II (1933)» 198 Sundwall (1919)» 273 f· Sundwall (1919)» 27o f. Stein II (19*0)» 33*1· f· BG I 2,21 f.

- 171 Ravenna war, ergibt sich schlüssig aus der Tatsache, daß Cassiodor mit einem Schreiben an ihn den zweiten Teil des neunten Buches der Variae - nach einer Lücke von etwa fünf Jahren - beginnt und darin, sowie in den beiden folgenden Briefen an den Stadtpräfekten Salventius, eindeutig gegen Wahlkorruption bei Bischofswahlen in Rom Stellung bezogen wird.·^ Es ist dies wieder einmal Cassiodors übliche Art, in der Mitte eines Buches der Varien auf brisante politi­ sche Vorgänge aufmerksam zu machen. Die Erlasse gegen die Beeinflussung der Papstwahl richteten sich vordergründig gegen den Mißstand als solchen, tatsächlich aber auch gegen Bestrebungen einer bestimmten politischen Richtung. Johan­ nes' II. antigotische Ausrichtung erhellt schon allein aus seiner Namensänderung, denn mit seiner Wahl des Papstnamens schloß er direkt an Johannes I. an, der der letzte nicht progotische Papst gewesen war und schon kurz nach seinem Tod in der Haft unter Theoderich als Märtyrer galt^. Zudem war er der erste Papst überhaupt, der bei Antritt seines Pontifikats seinen Namen ä n d e r t e er muß also einen be­ sonderen Grund dafür gehabt haben. Auch Johannes II. saß keine zwei Jahre auf dem Heiligen Stuhl. Der Übergang zu seinem Nachfolger, Agapet I., voll­ zog sich ohne Komplikationen. Daß Cassiodor schon zu dem ersten Beziehungen unterhielt, erhellt aus einem Brief dieses Papstes,^ in dem Cassiodor unter den Adressaten erscheint, und Cassiodor bezeugt selbst, daß er gemeinsam mit Agapet die Gründung einer christlichen Universität in Rom betrieb,^ sie also zumindest gemeinsame kulturpolitische Ambitionen hat­ ten. Agapets kirchenpolitische Parteistellung ist der Nach­ richt des Liber pontificalis zu entnehmen, nach der er am Anfang seines Pontifikats die Akten des Prozesses verbrennen ließ, in dem sich Bonifatius II. bei der Verdammung seines Konkurrenten Dioskuros durchgesetzt hatte,

6)

' Agapet also1

1) Var. IX 15-17; vgl. Sundwall (1919). 27^ f. ; Caspar II (1933), 193 f.; Stein II (19^9), 33^ 2) Caspar II (193?), 189 ff. 3) Caspar II (1933), 199 Anm. 1, u. Lib. pont. LVIII (ed. Duchesne), 235 Anm. 1. A) Migne PL 66, 2o ff. 5) Inst., Praef. I 1 6) Lib. pont. LIX; vgl. Caspar II (1933). 199 f·

- 172 nachträglich und demonstrativ für die antigotische, byzanz­ freundliche Richtung Partei ergriff. Agapet verstarb nach nicht einmal einjährigem Pontifikat in Konstantinopel auf einer Gesandtschaftsreise, zu der ihn Theodahad gezwungen hatte, ^

zu einem Zeitpunkt, da Sizilien schon von Beiisar

besetzt war und die kriegerischen Auseinandersetzungen zwi­ schen Byzanz und Ostgoten in Dalmatien schon in vollem Gange waren. Daraufhin zwang Theodahad dem Senat und dem Klerus von Rom Silverius als neuen Papst auf.

2)

' "Am nächsten

hätte es gelegen, den Diacon Vigilius zu nehmen, der doch früher schon ein Kandidat der gotenfreundlichen Partei für den Papststuhl gewesen war ... Dieser war jedoch abwesend in Konstantinopel und hatte, da er sehr ehrgeizig war, schon unter Agapitus die Schwenkung zur byzantinerfreund­ lichen Richtung mitgemacht, wie er später auf dieser Linie intriguierte und zum Ziel gelang."-" Auch war Silverius k)

als Sohn des Papstes Hormisdas ' ein durchaus vermittelnder Kandidat. Aber auch er versuchte sich rechtzeitig mit den byzantinischen Eroberern gut zu stellen, als er sich für die Übergabe Roms an Beiisars heranmarschierende Truppen einsetzte. ^

Vigilius, beim Ableben Agapets mit diesem als

Apokrisiar in Konstantinopel, "war offenbar unmittelbar nach dem Tode des Papstes nach Rom zurückgereist"^, fand dort aber den Stuhl Petri schon besetzt vor. Er hatte aber inzwischen sehr gute Beziehungen zur Kaiserin Theodora, die ihm letztlich doch noch zum Pontifikat verhalfen. Belisar setzte ihn nämlich anstelle des Silverius in dieses Amt ein.'' 1) vgl. oben S. 9b m. Anm. 3 2) s. übernächste Anm. 3) Sundwall (1919 h 293 Anm. 6 b) Lib. pont. LXs Silverius, natione Campanus, ex patre Hormisda episcopo Romano, ... levatus est a tyranno Theodato ... 5) Prok. BG I ib,b 6) Caspar II (1933)» 229 7) Lib. pont. LXj Prok. BG I 25*13» wenn sich immer wieder Stimmen gegen Theodoras Einflußnahme bei der Absetzung des Silverius und der Einsetzung des Vigilius erhoben haben (vgl. P. Hildebrand, Die Absetzung des Papstes Silverius (537). in: HJ ^2/1922, 213 ff·), so muß dem entgegengehalten werden, daß alle Quellen Theodora selbst oder ihre Vertraute Antonina,

- 173 Es liegen uns also für die Zeit von 526 bis 537 drei parallellaufende Überlieferungsstränge vor, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen: 1. Cassiodors Varien mit der Lücke in den Jahren 527 bis 533» denen Regierungswechsel für eben die Jahre 526 , 527 und 533 zu entnehmen sind, 2. Prokops Gotenkrieg mit derselben Lücke, in dem die politischen Streitigkeiten unter der Regierung Amalasunthas hinter dem Streit um die Ausbildung ihres Sohnes sichtbar werden und die adlige gotische Opposition gegen ihre Begünstigung der Römer die Ab­ lösung der Träger der römischen 'Erziehung' Athalarichs erreicht bzw. dann selbst ausgeschaltet wird, als Amalasuntha die Wiederherstellung ihrer Macht­ position nachdrücklich betreibt, und 3· die kirchliche Überlieferung, die vor allem die Aus­ einandersetzungen um die päpstliche Nachfolge betrifft und aus der also herauszulesen ist, daß sich das po­ litische Programm der Machthaber in Ravenna direkt auf die Besetzung des Heiligen Stuhles auswirkte und daß die gotische Opposition gegen Amalasuntha bei der Papstwahl des Jahres 53o und den Designationen von Bonifatius durch Felix und von Vigilius durch Bonifatius in der Regierung die Fäden zog, woraus wiederum der Schluß gezogen werden muß, daß die maßgeblichen Führer dieser gotisch-gotenfreundlichen Gruppierung ihren Einfluß von 527 bis 532 aufrecht erhalten konnte. Zusammen genommen ergeben diese verschiedenartigen Nachrich­ ten aber doch ein recht geschlossenes Bild: Die von der Be­ günstigung der Römer hervorgerufene gotische Opposition be­ wirkt die Ablösung einer von Amalasuntha und Cassiodor ver­ tretenen Politik der Annäherung an den Senat und hält sich die Frau Beiisars, für die Ereignisse verantwortlich machen (Lib. pont. LX (vgl. auch ebda. LXI)j Liberatus, c. 22j Prok., An. I lk/Z7i sogar: Vict. Tunn., Chron. ad a. 5^-2), dies also als Tatsache zu nehmen ist (vgl. dazu: 0. Bertolini, La fine del Pontificato di Papa Silverio in uno studio recente, in: Archivio della R. societa Romana di Storia Patria ^7/192^, 325 ff., u. Caspar II (1933), 229/769).

- 174 bis zu der Beseitigung ihrer Anführer an der Macht. Die jeweilige politische Ausrichtung der Regierungen läßt sich an den von ihr begünstigten Papstkandidaten ablesen. Durch die Krankheit und den frühen Tod ihres Sohnes ist Amalasuntha zu einer noch größeren Anlehnung an Konstan­ tinopel gezwungen. Schließlich bietet Theodahad dem Ost­ reich durch die Beseitigung seiner Mitregentin den Anlaß zu militärischem Eingreifen. Insofern wird man für die Zeit Amalasunthas mehrere Phasen der politischen Entwick­ lung unterscheiden müssen^ : 1. 526/?: Bruch mit Theoderichs Politik der Stärke und unter dem Einfluß Cassiodors eine Politik der Bevor­ zugung der Römer, 2. 527-532: nach dem Sturz Cassiodors Beeinflussung der politischen Grundsätze durch die von Sundwall so ge­ nannte ’gotische Reaktion' und Amalasunthas Behaup­ tung gegen diese, 3· 532/3-534: nach Beseitigung der Gotenführer - spätes­ tens seit Sommer 533 auch wieder gemeinsam mit Cassiodor - Erneuerung von Amalasunthas anfänglicher Rich­ tung und 4. 534/5: Amalasunthas Versuch der Thronsicherung unter Beteiligung Theodahads. Als Theoderich starb, waren neben Cassiodor als Magister officiorum auch einige Männer auf wichtigen Positionen in der Regierung des ostgotischen Italien, die die Politik der letzten Jahre Theoderichs mitgetragen hatten und maßgeblich am Sturz des Boethius beteiligt gewesen waren. Als seine wichtigsten Gegner nennt Boethius Cyprian, der während des ersteren Magisterium sein Untergebener war und die Affäre, die Boethius schließlich den Kopf kostete, ins Rollen ge­ bracht hatte,^ Decoratus, mit dem er nicht zugleich im Amt sein wollte,

/ der aber sofort nach Boethius' Sturz zum1

1) vgl. Sundwall (1919)* 264 Anm. 3 2) Cons. phil. I 4,14: An. Vales. 85 ff·; vgl. Sundwall (1 9 1 9 ). 243 ff. 3) Cons. phil. III 4,4

- 175 Quaestor befördert wurde,^ Gaudentius und Opilio, den Bruder Cyprians, sowie Basilius, der wohl mit Opilio ver2) schwägert war, ' die er nicht nur wie die anderen als "delatores" bezeichnet, sondern ihnen sogar Habsucht als Motiv u n t e r s t e l l t . A u s dieser Gruppe gotenfreundlicher Römer waren bei Theoderichs Tod Cyprian als Comes sacrarum largitionum und Honoratus, der Bruder des schon vor dem 1. September 524 verstorbenen^ Decoratus, als Nachfolger seines Bruders und Quaestor palatii im Amt. Sie wurden nach dem Tod Theoderichs unter dem Einfluß Cassiodors aus ci

dem Amt e n t f e r n t . I n w i e w e i t die Amtszeit des Wilia als Comes patrimonii mit diesen Vorgängen in Zusammenhang steht, ist schwer zu entscheiden.^ In diesem Zusammenhang nennt Boethius jedenfalls nur die Goten Cunigast und Triwila, deren Feindschaft er sich durch mehrmaliges Einschreiten ?) gegen ihre Landaneignungen und Rechtsbrüche zugezogen hätte.'' Zu der Gruppierung um Cassiodor sind vor allem diejeni­ gen zu rechnen, die bei dem Kurswechsel des Jahres 526 be­ fördert wurden und bereits im Herbst 52? wieder gehen muß­ ten: Abundantius, wohl der 527 in Ungnaden entlassene Prae­ fectus praetorio,^

Ambrosius, der, wohl als Mann von Cassio­

dors Vertrauen gerade erst zum Quaestor ernannt,

sogleich

wieder abgelöst wird^-0^ und 533 von dem gerade zum Praefectus praetorio ernannten Cassiodor zum Vicarius berufen wird,^^^1 1) Cass., Var. V 3/4} vgl. Sundwall (1919)» 246 m. Anm. 4 2) Var. VIII 17,5 3) Cons. phil. I 4,16 ff. 4) Cass., Var. V 3 passim 5) Var. VIII 13,3? VIII 16,7} vgl. Sundwall (1919), 26l m. Anmm. 1/2 6) vgl. Sundwall (1919), 246, u. oben S. 89 Anm. 3 7) Cons. phil. I 4,lo; wäre Triwila mit dem bei Greg. Tur., Hist. Franc. III 31, genannten 'servus Traguila' identisch (PLRE II, II2 7 ), so könnte man in ihm - bei der sagenhaften Entstellung des Mordes an Amalasuntha bei Gregor von Tours durchaus einen der Verwandten der von ihr beseitigten Goten sehen, die (nach Prok. BG I 4,26) an ihrer Ermordung betei­ ligt waren. Dann wäre dies ein Hinweis auf die Verbindungen Theodahads zu dieser gotischen Partei (vgl. im folgenden). 8) Cass., Var. VIII 2o,l f.$ vgl. hier, wie für die nächsten Anmm.: Sundwall (1919), 263 f· 9) Var. VIII 13/l4; er war vorher Comes rerum privatarum. 10) Var. VIII Ϊ8/19 11) Var. XI 4

- 176 sowie der namenlose Comes sacrarum largitionum, Cyprians Nachfolger von 526 -527 , ^ und nicht zuletzt Arator, der 2) Nachfolger des Ambrosius als Comes rerum privatarum wurde ' und wie dieser dem Kreis junger Studenten in der Umgebung des Ennodius angehört hatte-^. Auch Liberius wird dieser Gruppe nicht allzu fern gestanden haben, da er im Jahr 533 Tuluin als Patricius praesentalis ablöste.^ Auch der Enkel des Liberius, Paulinus, profitierte von diesem Gesinnungs­ wandel in Ravenna, da er als erster weströmischer Konsul nach mehreren Jahren-’^ zu diesem Zeitpunkt für dieses Amt bestimmt wurde.^ Zu den Goten, die Amalasuntha zu der Entlassung der ihr genehmen Regierung zwangen, hat neben Tuluin sicher auch 7) Theodahad gehört . '' Hingegen lassen sich weitere gotische Angehörige dieser Richtung schwerlich ausmachen. Aber als wichtigste Parteigänger der gotischen Hochadligen fallen sofort wieder die Brüder Cyprian und Opilio ins Auge, die ihre Ernennungsschreiben noch aus der Feder Cassiodors und vor dem 1. September 527 erhielten. Cyprian wurde Patricius®^ und war offensichtlich auch in der Zeit zwischen 527 und 532 Magister officiorum.

Seine gothophilen Tendenzen sind

am besten bezeugt. Er ließ seine Söhne in gotischer Sprache und im gotischen Heer ausbilden, in dem er einmal selbst gedient h a t t e . S e i n Bruder Opilio wurde 527 Comes sacrarum l a r g i t i o n u m . Er hielt nachweislich noch nach der Entmachtung Amalasunthas zu Theodahad und, als der mit ihm gemeinsam mit einer Gesandtschaft an Justinian betraute Liberius längst die Unmöglichkeit eingesehen hatte, den Kaiser glauben zu machen, der gotischen Königin sei nichts zuleide getan worden, behauptete er genau dies noch immer.

12 )

1) Var. VIII 16,7} vgl. Sundwall (1919), 261 Anmm. 1/2 2) Var. VIII 12 3) s. bes. Ennod., Ep. VIII 4/IX 2 ff.; aber auch andere Äußerungen von Ennodius und Arator (s. PLRE II, 69/I 26 f.). 4) Cass., Var. XI 1,16: vgl. oben S. I66 5) vgl. Sundwall (1919), 268/27*+ 6) Var. IX 22/23} er war Konsul des Jahres 53*+· 7) Wolfram (1979), *+13 f· m. Anm. 31/35 8) Var. VIII 2l/22 9) An. Vales. 85} s. Sundwall (1919), 26*+ Anm. 3 10) Cass., Var. VIII 21,3/6 f. 11) Var. VIII 16/17 12) Prok. BG I 4,23 ff·

’1

- 177 Zu den weiteren Ernennungen zum 1. September 52? meint Johannes Sundwall jedoch: "Die Beförderung des Avienus, des Sohnes des Faustus, zum Präfekten, des Fidelis zum Quästor und des ganz jungen Reparatus zum Stadtpräfekten gibt kein klares Bild von den Vorgängen .. . " ^ Aber Avienus war immerhin 'ein Sohn

d e s

Faustus, der das Haupt der

progotischen und antibyzantinischen Senatoren gewesen war ..., und man kaum annehmen, daß sich Avienus dieser Tradition verpflichtet fühlte'

2)

. Reparatus aber war der Bruder

des späteren Papstes Vigilius, für dessen gotische Partei­ nahme - wenigstens zu dieser Zeit - schon die Designation zum Nachfolger von Bomfatius II. sprach.

' Sundwalls Un­

sicherheit ist ganz verständlich, da Reparatus gemeinsam mit Bergantinus, der übrigens auch im Jahre 527 als Nach­ folger der Wilia, allerdings ohne vorhergehendes Ernennungs­ schreiben, im Amt des Comes patrimonii erscheint,^^ unter den Senatoren war, die Wittigis bei seinem Abmarsch von Rom im Jahre 536 als Geiseln nach Ravenna mitnahm. Die beiden konnten jedoch fliehen und setzten sich bei der Belagerung Mailands durch die Goten im Jahre 538/539 tatkräftig gegen die Belagerer ein, wobei Reparatus, inzwischen von Justinian zum Praefectus praetorio Italiae ernannt, sein Leben verlor.^ Doch auch Vigilius hatte inzwischen die Seiten gewechselt, war dafür Papst geworden^ und unterstützte später die by­ zantinischen Truppen"^. Daß es gerade in dieser Gruppe nicht selten war, sich rechtzeitig den byzantinischen Eroberern zur Verfügung zu stellen, zeigt der Fall des Fidelis, der1 1) Sundwall (1919)» 26^ Anm. 2} Cass, Var. VIII 18/19 (Fi­ delis)» VIII 2o (Avienus)» IX 7 (Reparatus) 2) Stein 11^(19^9)» 329: "mais c'était un fils de ce Faustus qui avait été le chef des sénateurs pro-gothiques et anti-by­ zantins ..., et l'on peut présumer qu'Avienus s'inspirait de cette tradition". 3) Prok. BG I 26,2; vgl. oben S. 169 f·; es ist sehr wahrschein­ lich, allerdings nicht ganz eindeutig, ob die Ernennung des Re­ paratus auch zum 1. Sept. 52? erfolgte, da Cass., Var. IX 7»^ die genaue Indiktionsangabe fehlt (s. oben S. 88/89 m. Anm. 1). k) Var. VIII 23/IX 3; vgl. oben S. 89 Anm. 3/1755 ) Prok. BG I 11,26; I 26,2; II 21,k o f. 6) s. oben S. 172 m. Anm. 7 7 ) Prok. BG III 15,9

- 178 ja auch unter den Mitgliedern der gotenfreundlichen Frak­ tion des Senats im Jahre 527 gewesen zu sein scheint. Er setzte sich schon 538 für die Übergabe der Stadt Rom an Beiisar ein,^ wurde dafür von Justinian zum Praefectus praetorio Italiae ernannt und zeigte sich nun dafür seiner­ seits erkenntlich, indem er als einziger unter den betreten schv/eigenden Senatoren des von den Goten belagerten Rom trotz einer für die Stadt keineswegs günstigen Situation eindeutig für die byzantinische Seite Stellung bezog und 2) gotische Unterhändler verspottete. ' Fidelis griff ebenso wie sein Nachfolger Reparatus als Praefekt in die kriegeri­ schen Auseinandersetzungen ein und fand dabei im Frühjahr 538 den Tod.

' Auch Liberius war, nachdem er sich von Theo-

dahad losgesagt hatte, von Justinian in seinen Ehren bestä­ tigt worden, wurde von ihm später zum Praefectus augustalis für Ägypten ernannt und sogar mit militärischen Kommandos II)

gegen Ost- und Westgoten betraut.

' Es scheint Justinians

Absicht gewesen zu sein, die Senatoren Roms quer durch alle Fraktionen mit der Verleihung von Ämtern und Pfründen auf seine Seite zu ziehen, denn auch Cethegus, des Verrats ver­ dächtigt und aus Rom ausgewiesen , ^

wurde nach der Flucht

vor Totila von Justinian gemeinsam mit Albinus Basilius gnädig in Konstantinopel aufgenommen und belohnt.^ Im afrikanischen Vandalenreich vollzog sich eine parallele Entwicklung. Auch hier reagierten Adlige auf die byzanz­ freundliche Politik ihres Königs Hilderich, mütterlicher­ seits ein Abkömmling der valentinianischen Dynastie, der1 1) BG I 1*4·, 5 2) BG I 2o,19 f· 3) BG II 12,27 ff· *4·) Liberatus, c. 23; Prok., An. XXVII I7 (vgl. XXIX 1 ff.); BG III 36,6; III 37,26s III 39,6 f. (vgl. III *+o,12 ff.; IV 2*4-, 1); Jord. , Rom. 385} Get. LVIII 3o3; vgl. Bury II (19 2 3 ), 16*4- Anm. 1, u. Corpus Iuris Civilis, App· VII 1. 5) Prok. BG III 13,12 6) Lib. pont. LXI: Tune quidam de senatoribus fugientes, Citheus, Albinus et Basilius, patricii et consules, ingressi sunt Constantinopolim et praesentati ante imperatorem adflicti et desolati. Tunc consolatus est eos imperator et d i t a ­ v i t eos sicut digni erant consules Romani. Vgl. Usener (18 7 7 ), 8/lh, u. Prok. BG III 2o,18 f.; Basilius ist der letzte Consul ordinarius (5**·1), nach dem dann die vielen Postkonsulate gezählt werden.

- 179 das Bündnis mit den Ostgoten durch die Ermordung Amalafridas zerstört hatte,

1

)

' und ersetzten ihn durch Gelimer.

2)

'

Amalasuntha hatte zwar auf die noch von Theoderich in die -5

Wege geleitete Strafexpedition gegen Hildench verzichtet,

)

'

unterstützte aber Justinian bei seinem Unternehmen gegen Gelimer nachhaltig: Denn, als Beiisar nach der Ausfahrt von Konstantinopel zur Eroberung des Vandalenreiches im Juni k)

533 ' zuerst auf Sizilien landete, versorgte sie das byzan­ tinische Heer verabredungsgemäß mit Lebensmitteln und Pfer­ den. ^

Es ist kaum denkbar, daß dies geschehen konnte, so­

lange die Regierung unter dem Einfluß der gotischen Oppo­ sition gegen Amalasuntha stand, denn diese mußte

in Geli­

mer einen Verbündeten in ihren antibyzantinischen Bestrebun­ gen sehen.^ Übrigens ist es durchaus möglich, daß die Pferdelieferungen an das byzantinische Heer über Cassiodor abgewickelt wurden, denn sein Vater betrieb in Süditalien eine große Pferdezucht, aus der er seinerzeit schon Theode­ rich mit Pferden versorgt h a tte^ und die Cassiodor sicher geerbt hat. Andererseits sind natürlich Süditalien und Sizilien in der Antike bekannte Pferdezuchtgebiete gewesen. Aber auch nach der Beseitigung der Gotenführer konnte Amala­ suntha nicht völlig tun und lassen, was sie wollte. Denn auch weiterhin ließen sich gotische Militärs von ihren antibyzantinischen Intentionen leiten. So nahm Uliaris, der gotische Kommandant Neapels, zehn Deserteure aus dem byzan­ tinischen Afrikakorps auf und das ehemals als Mitgift für Amalafrida in vandalischen Besitz übergegangene Lilybaeum wurde von gotischen Truppen besetzt. Unter anderem dies nahm Justinian zum Anlaß für diplomatische Proteste, die Amalasuntha jedoch öffentlich nur zurückweisen konnte. Ins­ geheim aber bot dies die Gelegenheit zu vertraulichen Ver-1 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

vgl. Prok. BV I 9,4 f. u. oben S. ?o Anm. 1 BV I 9,8 f. s. vorletzte Anm. Prok. BV I 12,1; Korbs (1914), 84/lo2 Anm. 9 BV I 14,5 f ., BG I 3,22 vgl. Wolfram (1979), 4l6 Cass., Var. I 4,17

18ο handlungen über die Auslieferung Italiens.^ Auch scheint es Amalasuntha nicht gelungen zu sein, die gotenfreundli­ chen Kräfte in Regierung und Senat 533 völlig zurückzudrän?} gen. ' Vielmehr ist damit zu rechnen, daß sich die Opposi3) tion gegen Amalasuntha nunmehr um Theodahad sammelte. ' 'Amalasuntha fühlte sich aufgrund ihrer Erziehung und der betriebenen Studien den Römern sehr viel näher als den Goten.

... Die Regentin wurde also von ihren persönlichen

Neigungen bewegt, dem Minister sehr viel Handlungsfreiheit zu lassen: und Cassiodor konnte alle Energie auf die Verwirklichung seines Regierungsprogramms konzentrieren ...’ ' In dieser Allgemeinheit erklärt dies aber noch nicht den starken Widerstand der Goten gegen das Regime Amalasunthas. Auch wenn ihre Romanisierungstendenzen,

ebenso wie die

Tatsache, daß sich die Ausübung der Macht in den Händen einer Frau und die gotische Krone auf dem Kopf eines Kindes befanden, sicher den Unwillen des gotischen Adels hervor1) Prok. BV I 8,11 f.j I 14,5 f · » II 5,11. ff· ? BG I 3,13. ff·, wo ganz deutlich wird, daß die Besetzung Lilybaeums und die Aufnahme der Deserteure gegen den Willen Amalasunthas gesche­ hen sind, daß sie dies aber nicht in offiziellen Stellung­ nahmen, sondern allenfalls in den Geheimverhandlungen einge­ stehen konnte; vgl. zu den chronologischen Schwierigkeiten bei der Ansetzung der Verhandlungen zwischen Justinian, ver­ treten durch den Gesandten Alexander, und Amalasuntha: Baynes (1925) u. Schwartz (1939)* 4 f. Anm. 1 (vgl. aber auch Prok. BG I 2,29 mit I 3.14, woraus deutlich hervorgeht, daß zwischen den Vorbereitungen und der Ausführung des Mor­ des an den drei Goten mehrere ?/[onate verstrichen sein müssen und daß der Mord selbst erst im Herbst 533 (Sundwall (1919)* 2?4: Frühsommer) begangen worden sein kann, wenn auch sicher vor dem 1. Sept. : Justinian wußte noch nichts von der Rück­ führung des ’Goldschiffes', als er - nicht vor Sept. 533 Alexander nach Italien schickte - offiziell wegen Lilybaeum usw., inoffiziell, um Erkundigungen über den Ausgang des Mordanschlags einzuziehen.) 2) vgl. Sundwall (1919), 2?5 f. 3 ) vgl. Prok. BG I 4,13/25 f./31: Jord., Get. LIX 3o6; Wolfram (1979), 413 ff- m. Anmm. 31/35/62 4) 0. Bertolini, Roma di fronte a Bisanzio e ai Longobardi (= Storia di Roma, hrg. v. Istituto di Studi Romani, Bd. IX), Bologna I9 4 1 , 98 : "Amalasunta, per l'educazione ricevuta e per gli studi compiuti, si sentiva piu vicina ai Romani che non ai Goti. ... La reggente fu quindi indotta dalle sue stesse tendenze personali a lasciare al ministro la più ampia libertà d'azione; e Cassiodoro pote concentrare ogni energia a tentare l'attuazione pratica dei suo programma di g o v e m o ..."

- 181 riefen, mußte noch etwas hinzutreten, das ihn zur Tat schreiten ließ. Johannes Sundwall hat den entscheidenden Konflikt auf wirtschaftlichem Gebiet vermutet.·*·) Dies ist dahingehend zu präzisieren, daß Amalasuntha den Widerstand der Goten durch ihr hartes Vorgehen gegen Landaneignungen erweckt haben dürfte. Denn es ist ausdrücklich überliefert, daß sie zwar Römer weder an Leib noch Besitz strafte, hin­ gegen den Goten jede Gewalttat gegen Römer verv/ehrte, obwohl diese genau das zu tun gedachten und deshalb von ihrem König mehr nach Art der Barbaren regiert werden wollten, um die Römer ausplündem zu können.^) Zudem enthält das neunte Buch der Variae zwei Edikte Athalarichs, die beide in diesem Zusammenhang die Absicht der Regierung unter der Regent­ schaft Amalasunthas ganz deutlich machen, dergleichen Land3) aneignungen zu unterbinden. Das erste (Var. IX 2) wurde oben^ an den Anfang von Athalarichs Regierung datiert und ist dem besonderen Schutz der Kurialen gewidmet, die ja besonders unter den Landaneignungen - gotischer oder römischer - Groß­ grundbesitzer zu leiden hatten. K emsatz ist das Verbot der Aneignung von kurialem Landbesitz: ’Zu den Grundstücken der Kurialen, da ja meist den Leuten niederen Standes nachgestellt wird, erhält niemand Zugang durch ungesetzlichen Kauf, denn es kann kein Vertrag genannt werden, wenn er nicht mit den Gesetzen übereinstimmt.’^) Das zweite Edikt (Var. IX 18), gemeinhin als Edictum Athalarici bekannt, bestimmt noch einmal grundsätzlich und in extenso die Strafwürdigkeit von Landaneignungen; vielleicht wurde es deshalb gern in die Anfangszeit von Athalarichs Regierung datiert.-’) Dieses Edikt steht außerdem in den Varien an einer Stelle, nämlich direkt und unmittelbar nach den kritischen Briefen betreffs1 1) Sundwall (1919). 265 m. Anm. 1; vgl. oben S. 162/165 2) Prok. BG I Z,k f./8 3) s. oben S. 87 4) Var. IX 2,3: "Praedia curialium, unde maxime mediocri­ bus parantur insidiae, nullus illicita emptione pervadat, quia contractus dici non potest, nisi qui de legibus venit." 5) vgl. Kohl (I877 ), 27 m. Anm. 67; s. aber Stein II ( 1 9 W , 33^ f-

- 182 der Wahlmanipulationen bei der Papstwahl von 532, die vermuten läßt, daß Cassiodor es herausstreichen wollte, es also die Intentionen Amalasunthas in besonderem Maße erkennbar macht. Cassiodor findet hier auch - trotz seiner verklausulierten Formulierungen - äußerst harte Worte über Querelen der unmittelbaren Vergangenheit, die nur auf Landaneignungen der bis dato an der Macht befindlichen Opposition gegen Amalasuntha bezogen werden können: erneu­ ert wird nachdrücklich das Verbot widerrechtlicher In­ besitznahme von Grundbesitz:

'Schon seit langem geschieht

es, daß von verschiedenen Seiten immer häufiger Klagen zu unseren Ohren dringen, daß gewisse Leute unter Verach­ tung der civilitas danach streben, in tierischer Wildheit zu leben, da sie, zurückgekehrt zu den ungesitteten Anfän­ gen, menschliches Recht in tierischer Weise als hassens­ wert erachten. Wir haben es also jetzt für angemessen ge­ halten, diese Leute zu

u n t e r d r ü c k e n

...

Zuvörderst bestrafen wir mit der Strenge der Gesetze und unserer Ungnade die für das Menschengeschlecht schädlichen Landusurpationen, von denen man weder als civilitas spre­ chen, noch sie dafür halten kann, und bestimmen, daß das lange unbeachtet gebliebene Gesetz des göttlichen Valentinian gegen die, die wagen, sich städtischen oder länd­ lichen Grundbesitz nach Vertreibung des Besitzers unter Mißachtung gesetzlicher Ordnung selbst oder durch ihren Anhang gewaltsam anzueignen, wieder Geltung erlange. Und wir wollen nicht, daß die Strenge des Gesetzes durch ver­ abscheuungswürdige Rechtsbeugung gemildert wird ...'^ Das Edictum Athalarici enthält auch Bestimmungen gegen Biga-1 1) Var. IX l8 ,o f.: "diu est, quod diversorum querellae nostris auribus crebris susurrationibus insonarunt quos­ dam civilitate despecta affectare vivere beluina saevi­ tia, dum regressi ad agreste principium ius humanum sibi aestimant feraliter odiosum, quos nunc apte iudicavimus c o m p r i m e n d o s . . . Primam humano generi noxiam pervasionem, sub qua nec dici potest civilitas nec haberi, severitate legum et nostra indignatione damnamus statuentes, ut sanctio divi Valentiniani adversum eos diu pessime neg­ lecta consurgat, oui praedia urbana vel rustica despecto iu­ ris ordine per se suosque praesumpserint expulso possessore violenter intrare, nec aliquid de eius districtione detesta­ b i l i volumus temperatione mitigari ..."

- 183 -

raie, widerrechtliche und ungültige Eheschließungen, die gewiß ein beliebtes Mittel gewesen sind, sich Land anzu­ eignen, sowie wiederum einen Passus zum Schutz des kurialen Mittelstandes, befaßt sich aber ansonsten fast ausschließ­ lich mit den genannten Landusurpationen und den prozessu­ alen Prozeduren bei ihrer juristischen Verfolgung. Dies zeigt ganz deutlich, wie nachdrücklich Cassiodor und Amalasuntha während ihrer Regentschaft und insbesondere nach dem fünfjährigen Zwischenspiel der gotischen Reaktion gegen die widerspenstigen Großgrundbesitzer vorgingen. Nur dieses massive Vorgehen kann 52? den Anlaß zu dem Sturz der Re­ gierung gegeben haben. Sicher hatte auch schon Theoderich den Schutz der Römer nachhaltig vertreten und hatte in seinem Bemühen um civi­ lita s ^ so oft praesumptio, incivilitas und anderes ge­ tadelt, daß dahinter der für seine Politik stehende Begriff der civilitas fast zurücktritt.^ Für derartige Rechtsbrü­ che, an denen Römer und Goten auf beiden Seiten, als Schä­ diger wie als Geschädigte, beteiligt waren, lassen sich in den /arien so mannigfache Beispiele finden, daß es zu weit führen würde, auch nur eine repräsentative Auswahl zu treffen.

Gerade Theodahad hat sich aber offensichtlich

bei Landaneignungen besonders hervorgetan.

' Und Boethius

nannte ähnliche Motive für die Feindschaft seiner Gegner . ^ Es scheinen sich also in der Opposition zuerst gegen Boe­ thius und später gegen Amalasuntha besonders Männer gefun­ den zu haben, deren Ziel es war, möglichst Besitz anzuhäu­ fen. Diese einflußreiche aus Goten und Römern bestehende Gruppe muß in Amalasuntha eine Bedrohung ihrer Absichten gesehen haben. Möglicherweise meinte sie aber auch nur, ihre Ziele gegenüber einer schwachen Frau eher als unter der energischen Regierung Theoderichs durchsetzen zu können.1 1) 2) 3) 4) 5)

Enßlin (1959). 215 ff. vgl. O ’Donnell (1979). 98 ff. vgl. aber Burns (1980 ), 99 f./lo8 f. vgl. oben S. 127 ff· vgl. oben S. 17 ^ f.

- 184- Wahrscheinlicher scheint aber, daß Amalasuntha nach dem Tode ihres Vaters unter dem Einfluß Cassiodors den Kurs der gotischen Regierung geändert hat; denn es gibt An­ zeichen dafür,^ daß das politische Programm Theoderichs auch die v/irtschaftliche Gleichstellung der Goten ent­ hielt und daß Cassiodor das Bild Theoderichs in den ersten fünf Büchern der Variae gerade um diesen Aspekt geschmälert hat.1 1) vgl. oben S. 119 f./l22 f. et passim

VIII WERKE UND WIRKEN Cassiodor stellte seine literarische Tätigkeit bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts in den Dienst eines politi­ schen Ausgleichs zwischen den alteingesessenen Römern und den eingewanderten Germanen. Im Fahrwasser Theoderichs ge­ langte er zu Vorstellungen, wie der Gegensatz zwischen der konservativen Senatsaristokratie und den neuen barbarischen Machthabern in einer für beide Seiten akzeptablen Lösung beseitigt werden könnte. Abgesehen von Cassiodors Panegyrici, in denen nichts anderes zu erwarten wäre, zeigt sich schon in seiner Chronik, daß er die Lösung des Problems in der Anerkennung der amalischen Dynastie durch die römische Senats­ aristokratie sah. Deswegen stellte er Eutharich als traditions­ bewußten Römer dar. So fand Theoderich in Cassiodor den Pro­ pagandisten für die Amalerdynastie, der den Senatoren die Amaler in günstigem Licht zeigen wollte. Insofern scheint es auch keineswegs unwahrscheinlich, daß Cassiodor tatsäch­ lich den Auftrag zu seiner Gotischen Geschichte von Theoderich erhielt. Jedenfalls scheint noch in Jordanes' Exzerpt seine Absicht durch, die Legitimität der Amaler zu begründen, de­ finitiv: die Legitimität Eutharichs. Die erste und zweite Fassung der Historia Gothica, deren Existenz nunmehr aus­ reichend nachgewiesen scheint, umfassen wie eine Klammer die Zeit der eigentlichen politischen Tätigkeit Cassiodors. In diese Zeit fällt die Veröffentlichung der Variae, deren pro­ grammatische Aussage auf dem Weg über ihre strukturelle Ord­ nung oben erläutert wurde. Die neue Sicht ihrer Bedeutung liegt in der Akzentuierung des historiographischen Vorhabens. Gerade im Zusammenhang mit der bestätigten These Arnaldo Momiglianos, daß Cassiodor bis in die Mitte des sechsten Jahrhunderts politisch aktiv war, ergibt sich eine neue Be­ trachtungsweise der BriefSammlung. Neben der stilistischen

- 186 Ausgestaltung der einzelnen Briefe besteht Cassiodors eigent­ liche literarische Leistung in der strukturellen Gliederung der Sammlung. Denn diese enthält eine inhaltliche Aussage. Nur wenn man versteht, daß Cassiodor mit den Varien nicht allein den Amalern ein Denkmal setzen wollte, sondern auch politisch wirken wollte, gelangt man zu einer adäquaten Ein­ schätzung seiner politischen Tätigkeit. Der Wert der Variae als Quelle für die Politik Cassiodors liegt auch in der Au­ thentizität der einzelnen Briefe, wird aber noch dadurch erhöht, daß es sich bei ihnen um das einzige eigenständige historiographisehe Werk Cassiodors handelt, das uns voll­ ständig überliefert ist. Die Chronik ist eigentlich nur eine - nicht einmal gute - Kompilation und erhält ihren Wert nur durch die Tatsache, daß sie die einzige uns voll­ ständig erhaltene Konsulliste verzeichnet. Beide Fassungen der Gotischen Geschichte sind verloren und durch das Exzerpt des Jordanes nicht zu ersetzen. Den Variae ist nicht nur wie diesen Werken - Cassiodors Propaganda für die Amalerdynastie, sondern darüberhinaus auch sein Bestreben zu ent­ nehmen, der römischen Senatsaristokratie die Annehmbarkeit einer Amalerherrschaft und seine eigene Kompromißbereitschaft zu empfehlen. Diese Aussage der Variensammlung ist allerdings in Cassiodors ureigene Art verpackt, den maßgeblichen Inhalt nur durch die literarische Struktur erkennen zu lassen. Eine Gesamtschau über die politische Wirksamkeit Cassio­ dors enthält also die Schwierigkeiten, seine historischen oder auch panegyrischen Werke mit den Ereignissen während seiner politischen Tätigkeit in Einklang zu bringen. Die stetig aufwärtsstrebende Laufbahn Cassiodors vom Privatsekre­ tär seines Vaters während dessen Praefektur bis zu seiner eigenen erstreckt sich über etwa dreißig Jahre, von denen er allerdings nur in etwa fünfzehn tatsächlich ein Amt be­ kleidete. In dieser Zeit änderte sich die Lage des ostgoti­ schen Reiches von einer starken Position unter Theoderich am Anfang des Jahrhunderts,

einem auch religiösen Gegensatz

zum Ostreich, der eine Koalition zwischen germanischen Er­ oberern und der Senatsaristokratie in Italien ermöglichte, über Zeiten weitgehender religiöser und politischer Über­ einstimmung bis zu dem Rückeroberungsversuch des Kaisers. Nach dem Tod Theoderichs gerieten die Ostgoten in zunehmen­

- 187 dem Maß in die Defensive. Ohne daß ein Gegensatz zu der römischen Senatsaristokratie zu bemerken wäre, zeigt sich Cassiodors besonders nachhalti­ ges Eintreten für die gesamte Amalerdynastie. Von Jugend an suchte er seinen politischen Weg im Dienst des gotischen Fürstengeschlechts. Geboren zu einer Zeit, da Theoderich gerade in Italien einmarschierte, fand Cassiodor die Macht­ verhältnisse eines relativ stabilen, von Germanen beherrsch­ ten weströmischen Restreiches vor und konnte seiner Familien­ tradition folgen, dem Ostgotenkönig in seiner kaisergleichen Stellung und seiner eine Versöhnung zwischen Romanen und Germanen anstrebenden Politik an hervorragender Stelle in der römischen Verwaltung des ostgotischen Italien zu dienen. Dabei erwies sich sein propagandistisches Geschick, aber auch seine ideologische Abhängigkeit von den Vorstellungen Theoderichs. Nach der religiösen Einigung von Ost- und Westkirche, nach dem Tod des präsumptiven Erben der Goten­ krone und nach der Katastrophe der römischen Senatsaristo­ kratie bewies Cassiodor durch die Übernahme des Magisterium, daß er weiterhin an der Selbständigkeit Italiens unter ost­ gotischer Herrschaft festhielt. Nach dem Tod Theoderichs kamen die von den seinen abweichenden Vorstellungen Cassio­ dors und Amalasunthas zum Tragen. Hatte bis dahin Cassiodors literarische Tätigkeit in Panegyrici und historischen Werken vor allem die Legitimation Eutharichs und die Propagierung von Theoderichs Politik zum Ziel gehabt, so zeigt sich nun der Versuch, die Bevorzugung der Römer durch die Anknüpfung an Theoderich zu rechtfertigen. Noch besser wäre vielleicht zu sagen, daß Cassiodor die Berechtigung der Amalerherrschaft gegenüber der Senatsaristokratie mit ihrem Eintreten für die Römer begründete. Theoderichs politische Konzeption einer römisch-germanischen Synthese erfuhr durch die politischen Bestrebungen Cassiodors eine leichte Verschiebung. Denn die als Quelle für Theoderichs Regierung so wichtigen Variae beweisen ganz deutlich, daß in ihnen Cassiodor den der Rom­ tradition folgenden Zügen der Konzeption Theoderichs weit mehr Wert beimißt als der Integration der Germanen in ihre römische Umwelt. Doch zeigt dies auch, wie stark er noch in den römischen Traditionen verwurzelt ist, obwohl er den

- 188 Westen des Römischen Reiches nicht anders als unter germa­ nischer Herrschaft kannte. Seinen stärksten Verbündeten bei dem Versuch einer Kräftigung römischer Wertvorstellungen innerhalb der staatsrechtlichen und gesellschaftlichen Kon­ struktion Theoderichs fand der Minister unter den Ostgoten in der Person der gotischen Regentin. Amalasuntha war in römischem Geist erzogen worden und versuchte der Begehr­ lichkeit des gotischen Adels zu wehren. Während es Theoderich offensichtlich verstanden hatte, seine Goten durch Landvergabe und Geldgeschenke zufriedenzustellen, und sie sogar zu Steuerzahlungen verpflichten konnte, von denen Föderaten und Germanen in anderen Reichsgründungen dieser Zeit frei waren, riefen die romanophilen Bestrebungen Amalasunthas unter dem Einfluß Cassiodors den hartnäckigen Wider­ stand einer Gruppierung hervor, in der sich Goten und Römer zusammengefunden hatten, deren Streben nach wirtschaftlichem Wohlstand durch vielfältige Quellenzeugnisse bestens belegt ist. Offensichtlich beschränkte die Regierung unter Führung Cassiodors die wirtschaftlichen Möglichkeiten zur Bildung von Großgrundbesitz und gab damit einer einflußreichen Gruppierung Veranlassung zum Putsch, deren Mitglieder großenteils nicht nur einen progotischen Kurs verfolgten, sondern auch schon den Sturz von Boethius und Symmachus ein­ geleitet und davon profitiert hatten, die also einer antisenatorischen Ausrichtung besonders verpflichtet war. Dem Einfluß dieser Gruppe mußte Cassiodor für etwa fünf Jahre weichen und konnte in die Regierung erst zurückkehren, als Amalasuntha die Führung der gotischen Opposition hatte besei­ tigen lassen. Doch für eine nachhaltige Erneuerung des poli­ tischen Kurses vom Anfang der Regentschaft war es zu spät. Der Tod Athalarichs und die Sammlung der progotischen Kräfte um Theodahad verhinderte eine größere Einflußnahme Cassiodors. Zwar blieb Cassiodor auch noch unter Wittigis Praefekt, doch die kriegerischen Zeitläufte ließen eine versöhnliche Ent­ wicklung im Ostgotenreich nicht mehr zu. Aber Cassiodor scheint seine Vorstellungen nicht aufgegeben zu haben. Wid­ mete er sich auch zunehmend religiösen Themen, doch gerade seine Variae zu einem Zeitpunkt,

so erscheinen

da ihr Inhalt

nur eine Rechtfertigung seines politischen Einsatzes für die

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Amaler und also eine weitere Propagierung der VersöhnungsPolitik bedeuten konnte. Unter den veränderten Vorzeichen der MachtVerhältnisse in Italien konnte allerdings nur noch die Einflußnahme auf den Kaiser eine relativ einvernehmliche Lösung des Zusammenlebens von Goten und Römern herbeifuhren. So finden wir dann auch den Papst Vigilius, das Haupt des Senats, Cethegus, und eben Cassiodor in ihrem gemeinsamen Eintreten für eine schnelle Lösung des italischen Problems. Cassiodors gemeinsame Propaganda mit den vorher genannten ist ein Zeichen dafür, daß sich infolge der restriktiven Italienpolitik Justinians verschiedene politische Richtungen unter der exulierten Senatsaristokratie in Konstantinopel in dem Bemühen vereinten, die italischen Verhältnisse zum all­ gemeinen Besten zu regeln. Das mangelnde Verständnis auch dieser Gruppe für die Gründe des hartnäckigen gotischen Widerstandes zeigt sich in ihrem Eintreten für einen gotisch-römischen Kompromiß vermittels einer dynastischen Verbindung. So setzten sich diese Kreise für eine militä­ rische Eroberung Italiens, also für eine gewaltsame Beendi­ gung des Krieges und seiner Begleiterscheinungen ein. Sie bemühten sich aber um einen ihnen genehmen Oberkommandieren­ den, wie die Ernennungen von Germanus sen. und Liberius zeigen. Deutlichstes Anzeichen für den propagandistischen Einsatz in diesem Sinne ist die Überarbeitung der zweiten Auflage von Cassiodors Gotischer Geschichte durch Jordanes. Die Ernennung des Narses zum Oberkommandierenden des itali­ schen Expeditionsheeres bedeutete zwar ein vorläufiges Scheitern dieser Bemühungen, aber die endgültige Regelung der italischen Verhältnisse zeigt, daß den Anstrengungen der Exilrömer in Konstantinopel letztendlich ein gewisser Erfolg beschieden war. Denn nachdem Narses in den Verhand­ lungen nach der Schlacht am Mons Lactarius den Goten die Anerkennung ihrer Rechte zugesichert hatte, bestätigte dies die Constitutio Pragmatica Justinians vom Jahr 55^· Dieses Grundgesetz des nachgotischen Italien wurde eben auf Veran­ lassung des Papstes Vigilius erlassen, bestätigte das gotische Volksrecht, beseitigte aber den gotischen Anteil an der Machtausübung. Adressiert ist es eben an den Ober-

19ο koraandierenden in Italien, Narses.1 ^ Das konnten die Goten sicher erst nach der vollständigen militärischen Nieder­ lage akzeptieren. Die Bereitschaft auf römischer Seite zu solchen Konzessionen an die Goten trotz des eindeutigen militärischen Triumphes war gewiß eine Folge des fast zwanzigjährigen blutigen Ringens um Italien. Erst zu dieser Zeit erfolgte Cassiodors Rückzug in die religiöse Kontempla­ tion. 1) vgl. Prok. BG IV 35.33 ff·; Agath. I 1; Corpus Iuris Civilis, App. VII (Pro petitione Vigilii ... etc.) und den Nachsatz, sowie oben S. 119 Anm. 6.

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Index personarum saec. V/VIs 44, 5 3 , 5 7 , 88/5»

Abundantius 162 , 175 Aetius 168

94, loo, 1 7 I, 172

Agapet I. Agapitus

60, 6 l

Agnellus

64

Fl. Boethius

Amalaberga

54, 15o

Amalafrida

7o/l, 86 , 154, 179 59

Amalasuntha 3, 9, 13, 3o/3, 34/1, 39. 91-94, 97/2 u. 3» 1 1 5 , 121-127, 129, 136-141, 150 -15 8 , I60, 1 6 1 , 163 -166 , I69 , 170 ,173, 174, 175 / 7 , 176 , 179-184, 188

88 ,96 ,loo,

Ambrosius

lol/l,

162, 175 Anastasius 22, 5o, 51» 52/1, 64, 147, 148

98

Anatolieus Andagis Arator Arigern

Cassiodorus (Vater) 9, lo/l, 12, 52, 53/1, 56/2, 84, lo7, 179, 186 Cassiodorus Senator seil, pas­ sim Cethegus 17-19, 24, 25, 78 -80 , 117, 133, 141, 17 8 , 189 Chlodwig 53-55 Constantius 60 Cunigast

Datius

87 , 176 65,68

68

Artemidorus

53» 60-62 , 15°

Athalarich 9. Io, 13. 29-33, 47, 87 -89 , 91, 97/2, loo, I08, 1 1 5 , 122-125, 13 6 , 137. 139, l4o, 15o, 1 5 1 ,153, 15 4 , 15 6 ,1 5 7 , I60,161, 164-167, 168/3, 173, 174,

181 , 188

Athaulf Avienus

175 59, 88/6, 124, 162,

31, 119 44/1, 88, 177

86, lol/l

Decoratus

174

Dioskuros

I69 . 171

Ennodius 1, 55/5, 56/2, 5 7 , 60/ 7 , 62 , 148, 176 Epiphanius Eugenes Eurich

158

Eustorgius

62

Eutharich 7. Io, 12, 13, 21, 22, 3o/3, 31-33, 34/1, 36, 38 , 1 2 1 , 1 2 5 , 12 6 , l4o, 141, 185, 187 Faustus 56/2, 58 , 177

158

Avitus (Bischof)

149/3

Felix III. 173

Albinus Basilius

178

Felix

175

I58

56/2

Eparchius Avitus

Basilius

I68-I7 I, 173,

163/ 1, 174-176

172/7

Argolicus

79, 84

Bonifatius II. 177 Caelianus 6l

Cyprianus

28

Antonina

89/ 3 , 177

Bergantinus

Boethius 1, 3, 8, 13, 39, 49, 53, 58, 78 -8 I, 84, I08, 121124, 128 / 4 , 136, 149, 152 / 2 , 162, 1 7 4 , 175, 183, 188

Alarich II. 35, 51, 54 Alexander I80/I

Amalarich

Beiisar 12, 13, 23-25, 95/5. 99/4 u. 5, I00/ 3 , lol/l, 128, 1 3 2 , 1 7 2 , 17 8 , 179

Fidelis

(IV.)

88, I68 , I69 ,

53, 57, 66, 67 88, 131/6, 177, 178

2ol Friderich

1$3

Galla Placidia Gaudentius

118/3

179

Gemellus

65

Germanus sen. 15» 26, 29, 33, 38, 189 Germanus Postumus 25, 29, 3 2 , 33,

17» 18, 23*4o, 1*41, 15, 16, 23ko,

1kl

59

Gildilas

89

Gudeliva

93, 97/2 u. 3, 136

Gundobad

53, 5*4, lk9

Hilarus

98/k

Matasuntha 1 3 , 1 5 , 23, 2k, 29 , 32, 97/2, 126/7, 131, 1*H, 156, 157 Maximian 128/*» Maximus 59, 92 Narses 2*», I89 , 190 12, l6 l 88, 162, 175, 176

Opilio

Heracli(an)us

Patricius Paulinus

9I 90, 176

Petrus Patricius 92/2, 93, 9*»·, 95/1, 97/1, 1 3 ο, 137, 156,

9*4 5k,

Herminefrid

Lucinus

Odovacar

Gesalech

Hieronymus

98

Marcellinus Comes 28/ 1 , *»o, 5o, 51, 16*»· Marius Aventicensis I6*»·

175

Gelasius I. Gelimer

151

Lucinus

158

15o

2, 37/*4, 1*»·6

Pitzia (*» (?) Pers. ) Anm. 3

153

Hilderich

85, 86 , 17 8 , 179

Praetextatus

Honoratus

59. 12*4, 175

Proba

Hormisdas

172

Prokop

Johannes I. 39, I68 , 1 7 I Johannes II. (Mercurius) 86, 9o, 96, 170 , 1 7 1 Johannes

6 5 /k

Johannes (Cancellarius)

96

Jordanes Ιο, 12-19, 22-29, 32-3*»·, 35/3. 36-*4o, kk, 92 , 122, 126, 1*4-0, 1*4-2, 1*43, 1*4-6, 16ο, 16*4, 167, 185,

186 , 189 Julius Honorius

28/2

Justinian 1 2 , 1 5 , 19, 23-25, 29, 39. *4o, 85 -87 , 90-95, 97, 115. 117, 1 3 1 / 6 , 1 3 2 , 137, 1*49, 176 - 179 , I80/I, 186 , I89 Justinus 7, 12, 21, 22, 85 , 87, 1*47, 1*48

90

15/5, 18

1, 18, 92/2, 9**·, 95/1 u, 128 , 130 -1 3 2 , 137, 139, l**o, 1 *»7 , 1 5k, 156 - 1 6 1 , 163-167, I70 , 173 Reparatus 177, 178 Romulus Augustulus l6l k,

65

Inportunus

69 m.

115,

Rusticus

9k

Salventius

90, 17 1 67 , 68

Senarius

6k

S everus

Apollinaris Sidonius Sigisvult

I68

Silverius

172

Simeon

158

66

Symmachus 15/*»·, 18, 23 / 1 , 39, k9, 58, 78 -8 1 , 8*+, I08, 1 2 1 1 2 3 , 136 , 188 Fl. Symmachus 79 , 8*»

Liberius 2*4, 29, 3*4/1, 65 , 87 , Teia 166 , 176 , 17 8 , 189

1*»

Theodahad 3, 9, 13, 47, 95/1 u. 4, 97/2 u. 3, 115, 125, 126/7, 127, 1 3 o, 136-141, 154-156, 159, 172, 174, 175/7, 17 8 , I80, 18 3 , 188 Theodenanda

91-94, loo/3, 129, 153, 176 ,

155

Theoderich II. 158 Theoderich 1, 3, 5, 6, 8, 1113, 15, 21-24, 29, 31-33, 36, 38 , 39, 47, 48, 50 - 52 , 54, 57, 60, 62 , 63/5, 64, 66-69, 70/I, 78, 8 1 , 82 , 84, 86-88 , 89/3, I 08,111-113, 115, 1 1 6 , 1 1 8 -12 8 , 130 , 1 3 1 , 135, 136, 138-141, 147-150, 1 5 3 , 15 4 , 158, I60-I64 , 168 , 1 7 1 , 17 4 , 175, 179, 183-188 Theodora 24, 92 , 93, 97/2, 115, 137, 172 Theodosius II. 148 Theodosius

91,

129

36

Thiudemir Thrasamund

59,

86

Totila (Baduila)

178

23, 4o, 159/1,

Triwila 175 Tuluin 87 , 125, 13 6 , 166, 176 Uliaris

179

Valamir

36

65

Venantius

Victor Tunnunensis Victorinus Vidimir

164

87

36

Vigilius 7, 12, 13, 1 5 - 19 , 24, 25, lol/l, 141, I69 , I70 , 17 2 , 173, 177, 189 Volusianus 65 Wilia 89/3, 175, 177 Wittigis 9, 11, 1 3 , 24, 4o, 86, 95, 97/2, loo, lol/l, 126/7, 130 - 1 3 3 , 136, 138, 141, 156, 157, 159, 177, Zeno

52/1, 53/3, 15o

47, II7 , l4o, 188