Carl Pilger’s Roman seines Lebens: Teil 3 [Reprint 2021 ed.] 9783112515266, 9783112515259


150 86 18MB

German Pages 194 [384] Year 1797

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Carl Pilger’s Roman seines Lebens: Teil 3 [Reprint 2021 ed.]
 9783112515266, 9783112515259

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Carl Pilger s Roman seines Lebens. Von ihm selbst geschrleben.

Ein Beitrag jur Erziehung und Kultur des Menschen.

Dritter und letzter Theil.

Berlin, 1796. 2m Verlage der Könkgl. Preuß. Akadem. Kunst» und Buchhandlung.

KX>O*

erste Theil dieser kebensgeschichte entstand zu einer Zeit, wo ein jedeö Luch, das nicht zunächst zur Ehre GottcS ge­ schrieben war, in Gefahr gerieth, noch ehe eS da war, vor ein Gericht gezogen zu werden, wo es gar nicht hin gehörte.

Diesem Umstanvr ich nicht besser ausweichen zu können, alS wenn ich meinem Büchlein den £uch an sich ist und seyn könnte, und, wozu Gesell chalt m d Gesetzgebung und — eine erschlaffende Erziehung und Moral

ihn machen. Aber sicherlich wird man Klnder nicht beobach, ten — das erste Ersvrdernlß, wenn man auf sie wirken will — wenn man so von weitem dasihk, wie der Mann im Lehnstuhl, und nicht mit ihnen handelt. Ueberhaupt ist gar keine Art von Beobachtung, von Menschrnkenntntß mög, lich, wofern man nicht mit Menschen im Der« kehr ist ober wenigstens einmal war, oder aber, was man davon trägt, sind einseitige Schulma, xtmen. Allein bas ist auch grade das große Kunst, stück de« Pädagogen, daß er mit Kindern zu Han# kein und zu leben verstche, ein Kind scheine ohne e« zu seyn; daß er sein eigenes Drama, al« anonymer Verfasser, mit aufführen helfe und die Vorstellung beseele, sollte er auch nur die Souff, leursroüe dabey spielen.

C 3

(

36

)

Dies ist in der That schwerer, als man glaubt; denn Tändeley und Trödelkram macht« nicht au«. Es erfordert einen jtrmltchen Grad von Vernunft und Besonnenheit, um keine Mißgriffe zu thun; viel Selbstvecläugnung, um dabey auszuhailen. Vorzüglich aber muß man von Vorurtheilen pä« dagogischer Natur - oder Kunstsysteme sich frey süh, len, wenn das anders la solcher Lage möglich ist. Dabey muß man bey allem innern Ekel, den man auf die Dauer empfinden mag, dennoch vergnügt bey allen noch so kleinen Geschäften auesehen kön, nen, und der Sache die Miene der Wichtigkeit nicht abgähnen; sonst lassen uns die Kinder allein und handeln für sich. Ueberhaupt muß man mit dem Kinde auf der Bank sitzen, und den Katheder vergessen; mit ihm ernsthaft spielen und es spie, lend belehren können; »ins so gut, wie das an, dere. Und da« ist eine Sache, die sich nicht so, gleich von seiber macht. Zch muß gestehen, daß es viel Zeit und An, ftrengung gekostet hat, bevor ich mich in tiefe stille und eingeschränkte Lausbahn, in dies Leben voll Derläugnungen und Entbehrungen fügen konnte.

(

37

)

Man kommt sich in Jahren des jugendlichen Dünkels, wo hohe Ideen von «ns selbst uns um, rauschen, bey einer solchen unbemerkten Nolle so gering vor, denkt: ein Ktnderlehrer, der sich un, ter kleinen Buben umhertreiben, mit ihnen Nüsse und Wörter aufknacken und sie an der Hand lei, ten soll, unterdeß er vielleicht auf einen Professor studiren, rin Buch schreiben oder sonst allerley Bemerkbares verrichten könnte, sey doch so gar nichts Ehrenwertheü. Man schämt sich seine« Ta, gewerkS, und — wie überhaupt viel Menschen we, Niger leisten, well sie schlecht von threm Berufe denken — so leistet man darum sehr viel weniger Gute«, als man leisten könnt« und sorgt sich bey dieser Scheelsucht, bey diesem mürrischen Sinn und unbehaglichem Rechten mit dem Schicksale mehr ab, alS wenn man noch so viel gethan hätte. Aber man strebe nur in dem Kreise von Kia, drrn in allem Ernste nützlich zu werden, und man wird viel reine, süße Freude empfinden.

Ich zähl« noch jetzt jene Jahre der Einsamkeit, die ich in Dessau verlebte, unter die glücklichsten meine« Lebens. An Verdruß und mancherley

Noth hat« gar nicht gefehlt; aber von Seiten der C 3

(

38

)

Kinder hatte ich doch sehr viel mehr seeligen Ge» Nuß und unzölig oft recht reine herjltche Freude. Wenn nun so ein Jüngling unter unserm Auge gedeiht und besser und geschickter wird, und wir UNS um die Veredlung seines Wesens und seiner Form verdient machen; ihn vor Lockungen und Gefahren durch väterlichen Rath bewahren; ihn für das Gute gewinnen; ihm Grundsätze zufüh, ren, die er in sich aufnimmt und durch Ausübung lieb gewinnt; ihm den Kamps mit sich selber er, leichtern; ihm Achtung für Wahrheit, Gerechtig, keit und Güte einflößen; ihn die Menschheit in seiner eigenen Person schätzen lehren; ihn vor Weichlichkeit wie vor Rohheit, vor Leichtsinn wie vor steifer ängstlicher Denkungsart, und vor den Folgen so mancher Uebel bewahren, woran so viele Menschen vor der Zeit erkranken — ist das nicht ein schöner Beruf? und gewährt er nicht die süßeste, belohnendste Empfindung nach jedem so vollbrachten Tagewerk? und in der Erinnerung noch nach vielen Jahren? Gottlob, daß ich damals groß von meinem De, rufe dachte, und mit wahrer Schwännerey an ihm hing! M ine Tagebücher, di« ich über m'd? selbst und meine Zöglinge gehalten habe und die tn drey

c

39

)

Quartbänden vor mir da liegen, und mir noch viel herzerhebrnbe Freude machen, bezeugen, wie ich tdealisirre und schwärmte und glücklich war. Ich vergaß über meinen Beruf, daß es noch mehr Ding« gäbe, die des Aufsuchens werth sind, und gab meinem Herzen die Spannung und Fülle, die man haben muß, um in süßen Täuschungen «n« abhängig und glücklich zu seyn. Wenn ich so manchmal In Dessaus anmuthl, genden Gegenden allein umherlrrte, und mein Blick sich auf die Saaten verlohr: wie warb ich Freudetrunken von dem Gedanken ergriffen, daß «s mir doch auch schon oft gelungen, den Saamen des Guten In so manches junge Herz gestreut zu haben, wo rS schon zu herrlicher Saat anwuchs, um einer schönen Erndte entgegen zu reifen! — Wie freute ich mich der neuen Arbeit auf Morgen, daß «S Wesen gab, die meiner bedürften, und dee rcn ich wieder zu meiner Glückseligkeit bedurfte, die meiner Rückkunft härteten und die mich gern in ihren Kreis wieder aufnehmen würden!-? Wie sehnsuchtsvoll hing dann mein Auge an den gr ü, ne n Thurm, unter dem in einsiedlerischenZim» mern, mitten In einer lieben Kinberfamilie, dle mehrsten mit That und Genuß bezeichneten Stune €4

c 4° ) den meines damaligen Lebens unmerklich mir ab, liefen! und wie lieb war mir der Abenbwind, wenn er pur yvn jenem lieben Orte entgegen wehete! Es war mir, als fühlte ich tn ihm den Her, tensgruß meiner Kinder, und als trüge er mir ihr vermljchteS FreudcgetLn entgegen, Da eilte ich Henn mit verdoppeltem Schritt, sah nicht mehr mich um nach Georgtums romantischen Burg, krummern und freute mich des Eintrittes, des fro­ hen Gewirres der Kinder, und fühlte mich wieder umgeben von Leben und lfnschuld, 2such häng« ich noch gern an manche Wanderung nach Wörlth, nach Louifium, an manchen herbstliche« Gang nach dem Elb Haufe, unter der großen langen Fruchtallee. Wenn ich sie nun fy dichte um mich sahe, die aufblühendenjungen W-sen, für Vie ich täglich dachte und handelte, harmlos und ohne Lebenskummer; wenn einerund der andere vorweg lief, sich forschend umsahe, um di» Erzälung mir aus dem Munde vorweg ju nehmen, und der andere sich fest an den 2frm hing, und die Blätter rauschten mir vor dir Füße und der Wind wehrte scharf darein: dann war mir, als wenn die süßeste Freude mit mir ginge, als wenn ich mich von lauter guten Empfindungen, von

c 41

)

guten Handlungen umgeben fühlte, und als wenn dann zugleich die Jahre meines frühern Lebens vor mir hergewehst würd«». Zch ward ergriffen von süßer Wehmyrh, und dachte, wie ich auch-etnmas ein Kind war, aber nicht so glücklich, nicht fo schuldlos, nicht so froh und frey, sondern gequält und gemißhandelt, und ward dann des Entschluss seS voll, an Andern zu vergüten, was Menschen an mir verdorben harten. Eine süße Schwärmerey, in der ich damals lebte, ohne welche ich aber nicht gewesen wäre, was ich war, und ohne die ich nicht ertragen hätte, was ich ertrug! — Aber auf ähnliche unh noch viel bessere, reellere Art kann der glücklich seyn, der sich dem Geschäfte von ganzem Herzen wei­ het, Kindern zu leben und zu ihrer Bildung be, hülflich zu seyn, Zch habe viel Erziehungsfehler begangen, bin oft nlchl strenge genug gegen mich selber gewesen, hitzig und stürmisch, wo ich ruhig und edel hätte seyn sollen; nicht selten daher in der Leidenschaft ungerecht; habe manches Kind, grade darum, well ich es sehr ltehte, durch zu strenge und an, maßende Forderungen gedrückt und ihm manche Stunde seines Daseyns verkümmert; habe oft zu C s

c 4r > wenig di« Verschiebtnh'it bt< Talents und der Krasr in Anschlag gebracht, um die Anforderung

gen einer p-dankisch-n Gleichförmigkeit In Befolg gnnq ost srhc harter und willkührlicher Gesetze

durchaus-hm, und bin darüber grausam geworden; habe ost, der Strenge des Ideale wegen, nach weich-m ich strebte, noch öfter aber meiner

Ruhe und Bequemlichkeit willen manche Stög

rung und Unordnung, manchen jugendlichen Aue,

bruch der Lebhaftigkeit, dem ich jetzt mit Vergnü, gen zuseben würde, viel zu hoch ausgenommen, und

nicht selten den so häufigen Fehler der Erzieher be, gangen, daß ich den hübschen Knaben mehr, als

den mißgestalteten, geschont und mich lieber für jenen als diesen bemüht und verwendet habe, —

Allein ich sann mir auch bas Zeugniß geben, daß ich von ganzem Herzen für bas Wohl meiner

Zöglinge gesorgt, mich ihnen nach Vermögen und

zum Nachtheil meiner Gesundheit und meiner ei­ genen Lebensbedürfnisse Jahrelang ausgeopscrt, und so viel Gutes zu thun bemüht gewesen bin,

als mir möglich war und ich einsahe.

Niemand

soll auftreten, der mir das Gegentheil davon be,

weisen könnte.

C

43

)

Lage und Zustand eines Erziehers in Dessau. Bildung zur Moralität

Liebe auf Acbtung gegründet ist allein etwa« werth, und das Bewußtseyn sie so zu verdienen, wirkt wohlthätig auf das Herz zurück.

Es war eine ganz andere Empfindung, die ich nun bey der Anhänglichkeit von Kindern, hatte, als jene, b-y meinem Eintritt ins Inst«lut. Ich war mir bewußt, sie mir durch Thätigkeit und pflichtmäßige B-mühungen verdient, und mir An, sehen und Zutrauen auf geradem Wege verschafft ju haben. Durch Gewohnheit mir vor Kindern täglich Zwang anthun zu müff-n, war ich lelost besser und AchtungSwerther geworden. Ich 6e# kämpfte nach allen Kräften meine Lkidenschatkllch, kett, und strebte durchaus gerecht zu seyn, wo, durch man fich immer ein unfehlbares Interesse, wahre Achtung und Liebe bey Kindern erwirbt. Die Zöglinge fürchteten meinen Elfer, mein» Strenge; aber st« überzeugten sich In der Folge, daß sie zu ihrem Besten führe, und liebten mich

C

44

)

dafür nur desto mehr. Es würde manche Unter, Haltung gewähren, wenn lch mich auf Deschret« düngen von einzelnen sehr nalven und rührenden Beweisen ihrer Liebe einlassen wollte.

Und doch hatte ich viel böse Stunden und manche heftige Anfechtung von üblem Humor und hypochondrischen Wesen. Das brachte leider die Natur der Sache in Dessau so mit sich, wo Klagen und Mißmuth eine allgemeine Krankheit waren, wovon ein jeder endlich angesteckt wurde. Aber ein Ausseher konnte am ehesten darin ver,

fallen.

Es will Immer an sich schon etwas dazu geh-, Fen, in frühern Zähren der Spannkraft mit Kim dem, für die man als Fremder nimmermehr bas Interesse des Vaters hat, bey vielfältigem Der, drusse, eingesperrt seyn, auf sie vom Morgen bis zum Abend Acht haben, sich um ihre kleinen Be, dürfnisse, ihre armen kleinen Geschäfte, ihre Nek, kereyen bekümmern zu müssen. Das stellen sich wenige Menschen so vor, und glauben, ihr Geld, so sie an den Führer ihrer Kinder wenden, be­ zahle ihm hinlänglich alle Aufopferungen an sei,

(

45

)

ner Freiheit und Gesundheit. Aber unter Um# ständen ist das «in sehr trauriges Loos.

Man ist ein Mensch, und fühlt auch als Er# zieher und Hofmeister, so gut es einem auch dabey werbe, daß man feinen Zweck für flch hat. Nun aber fast immerdar bei Kinder leben zu müssen, ist etwas, da« unsern Geist mehr abspannt, als ihn kräftigt.

Mit ihnen zu schlendern und zu lallen; sich den willkommnen Genuß des All-lnseyns, wenn das Herz ihn fordert, zu versagen; daheim zu bleiben unter dem Gewühl von Kindereyen und in seiner Mutter Leib zurückzukehren, währen» am bere in vollem Gefühle ihrer Freiheit sich um ihre höhere Ausbildung, um angemessenen Freuden# genuß, um Mittheilung von ihres Gleichen mfi# hen; sich in seiner gewohnten Lebensweise, in seiner Art zu seyn, um Kinder willen Zwang an# zulhun; ohne Aufmunterung vielleicht, wohl gar unter Neckereyen von Eltern oder Vorstehern, in einer Art von Verlohrenheit an der täglichen Wiederkehr «tneS mühevollen und so selten vergol# tenen Einerley'- Gefallen zu finden; fich nicht

( 46 > Vom Eckel, vom Ueberdruß im Angesicht der Zig« finge üb rnehmen zu lass-n, vielmehr Heiterkeit und Frohsinn in Alles zu mischen; sich von Liebe lingsgewohnheiten und Dedürsnissen, die den Ein, fiuß schwächen könnten, geschieden halten und da, her strenger gegen sich selbst, als gegen seine Un, teraebenen, zu seyn; von Unregelmäßigkeiten ab, zulassen, welchen man Jahrelang bey sich die Ta, geeordnung gestattet hatte; bey allen Veranlass sungen-um Mißmurh, zum Ueberdruß gleichfir, mig sich zu benehmen und der Bestimmtheit feines Charakters al« Erzieher nichts zu vergeben; einer strengen Konsequenz In R den und Handlungen sich zu unterwerfen: — Da« Alle« sind Dinge, meine geneigten Leser, die ihre große Schwierig, fett haben, viel Anstrengung und Seibstüberwin» düng kosten, und daher nicht jedermanns Sache sind. Ein solches Leben freiwillig und gern zu ertragen — nicht es als eine Drücke zu halten, über die man eine Zeitlang um anderer Auesich, ten willen fortgeht — dazu gehört immer etwa«, was man, werd» auch nicht alles davon zu jeder Zeit auf das strengste in E>füllung gebracht, ei, «em jungen Ledenebedürftigen Manne immer als einiges Verdienst anrechnen kann.

c 47 >

Zumal in einer Lage, wo 6ie Vergleichungen nicht ausbleiben konnten. Die Mitglieder der Direktion, — die den Ti, tel der Professoren führten, welchen sie als übrig gebliebenes Häuflein nach demtumultuarischenAb, gange 6er ersten Lehrer erhallen hatten, obgleich nur ein einziger unter ihnen eine bestimmte Wist senschaft methodisch lehrte und als Professor »er# stand — diese hatten gut reden und vorschreiben. Denn es war nut ein Einziger unter ihnen, der zunächst an Aufsehergeschäften Theil nahm, und er hatte noch dazu lauter erwachsene Zöglinge, die sich selbst unterhalten und beschäftigen konnten. Andere Mitglieder, welche blos Lehrgeschäfte hat, ten, kamen einige Stunden ins Institut, lehrten «nd gingen wieder davon. Die übrigen wenigen Aussetzer, unter welche der große Hause von bei, nahe vierzig Zöglingen vertheilt war, hatten weniger Lehrstunden, sehr natürlich; aber sie hät, tert auch lieber mehr unterrichtet, sich lieber In den vielen Stunden der Freiheit, welche allen an, dem wurde, ihrem Hange zu einem besondern Studium überlassen, als daß sie, die wenige ab, gerissene Zeit ausgenommen, die ihnen blieb, sich

vom Morgen bis zum Abend angekettet gefühlt und allen freiern Lebensgenuß versagt hätten. Diese Ungleichheit der Geschäfte war eine Haupt­ quelle der Unlust.

Der eigentlichen Arbeit, wissenschaftlichen zu> mal, war Im Grunde im Institute sehr wenig; so wenig, baß man, In Vergleich mit andern Leh, rern an den mehresten öffentlichen Schulen, kaum ohn» Schamgefühl davon sprechen kann. Ueberdem so brauchte ein Lehrer, ein Aufseher, der nicht Lust hatte viel zu thun und nicht selber gewissenhaft war, sich nicht groß anzustrengen. Das lag in der alt, polnischen ReichSverfassung.

Das Personale der Mitglieder hätte viel gr, ringer seyn können, und man hatte doch alles mit großer Bequemlichkeit bestritten. Grade weil es so wenig zu thun gab, weil jeder auf seinen Kol, legen oder Vorsteher sahe, der sich eins nach dem andern abschüttelte, so oft es Ihm beliebte, weil keine Ordnung im Ganzen, kein Ver, hältnlß In einzelnen Theilen war, weil ein allgemeiner gesetzgebender Geist, well ein Oberhaupt voll wahrer Würde und Suverlori, tät fehlte, welcher die bunte Maschine beseelt

c 49 ) hätte, die von außem ins Schöne fpldte und inwendig keine Kraft, keinen ächten Lebensgeist hatte, statt dessen lauter Verwirrung und mat,

tes Getriebe, — grade darum geschahe so w«, nig. Es war lächerlich, wenn in den pädagogi, schen Unterhandlungen von wichtigen Geschäf, ten und Anstrengungen vor dem Publikum ge, sprechen wurde, und wenn man sagte: „De, „lastet von Sorgen und Arbeiten, welche die „uns anvertraure Jugend macht, wenden wir „den Ueberrest unsser sparsamen Zett noch da, „zu an, uns mit dir, Publikum! zu unterhalt „ten, welchem das Wohl der Nachkommenschaft „am Herzen liegt." Grade diejenigen, welche mit dem Detsptele der Thätigkeit, des Enthu, fiasmuS, der Aufopferung für das allgemeine Beste hätten vorangehen sollen, und so etwas hinschrieben oder durch den ehrlichen W. hin, schreiben ließen, diese konnten und durften am wenigsten so sprechen. Denn ste machten stchS beständig am bequemsten; und wenn von ringe, treteten Bedürfnissen des Unterricht- oder der Erziehung die Rebe war, so verstand sich« schon von selber, daß ste andern aufgebürdet wurden. D

Sie selbst blieben gewöhnlich damit verschont. Und das konnte doch wohl nicht zrr hohem Muth beleben, und Zufriedenheit bewirken! Wenn denn nun ja die Vorsteher einer Edu, kationöanstalt eö ihrer Lage und Neigung, ihrem Vorurtheile nicht angemessen fanden, sich zunächst mit der praktischen Ausübung der Er, ziehung abzugeben — wiewohl kein einziger Mitglied vom ältesten bis zum jüngsten sich von dieser wesentlichen Pflicht der genauesten Theil, nähme an der moralischen Bildung der Zöglinge hätt« dtepensiren müssen —: so hätten sie doch wenigstens auf ein bestimmtes, wohlgeordnetes und allgemeingültiges Regulativ," auf ein mora, ltfches Schema bedacht seyn sollen, das In sich selber Konsequenz gehabt und, wegen der ihm zum Grunds liegenden Principien, auf die all, gemeine Biidungsfähigkeit des Menschen, mit besonderer Rücksicht auf das jugendliche Alter, gepaßt hätte; wenn es auch damals noch nicht völlig auf so reine Gründe der Sittlichkeit ge, baut gewesen wäre, als sich jetzt ohne Mühe entwerfen lassen. Die -nähere Erläuterung und Anwendung desselben in seinen einzelnen Theilen,

c

51

)

und auf praktische Vorfälle des Lebens, hätte man sodann noch weit eher mit Zuversicht der Einsicht und dem Pflichtgefühl des einzelne» Aufsehers überlaffkU sinnen. Denn man würde doch wohl nicht Leute ohne gesunden Menschen, verstand, ohne richtige Urtheilekcast zu einem so Wichtigen Geschäfte bestellt Haden?

Ich will versuchen, einige flüchtige Ideen anzugeben,, in welcher Art der allgemeine Gtunb, riß, — eö versteht sich, nicht für kleine Kinder, sondern für Jünglinge — hätte seyn können, wenn man dobey die höheren Principien der Sittlichkeit hätte zum Grunde legen wollen. Dir Reihe von Ideen hätte ungefähr folgende seyn können:

„Gute Gesetze sind nicht Einschränkungen vernünftiger Freiheit; sondern nur Regeln, die jedes vernünftige Geschöpf sich eigentlich selbst aufiegt. Denn wer wird nicht gern et, was selber wollen, das zu guten (moralischen) Zwecken leitet?" D 2

(



)

„Wer diese Gesetze sich nicht selbst ausdenken kann, der unterwirft sich eben dadurch, meint er eS sonst gut mit sich selbst, gern und willig den Vorschriften solcher, die vermöge

ihrer anerkannten Einsichten, Erfahrungen und ihrer pflichtmäßigen Verhältnisse, solche zu ent­ werfen für gut finden."

„ Diese Personen, in Rücksicht der Zöglinge eines Instituts, sind Lehrer und Erjieher."

„ Der moralische Zweck des Menschen über­ haupt ist nun: gut oder tugendhaft zu seyn, sich der möglichsten Vollkommenheit zu nähern, und sich dadurch der Glückseligkeit würdig zu machen."

„ Dieser Zweck im Allgemeinen wird aber nicht erreicht, wofern nicht die besondern Zwecke deö Menschen, nach Alter, nach Berufs, und

GesellschaftSverhältnissen sorgfältig erfüllt wer­ den." „ Des Jünglings Zweck ist: sich zu einem guten und brauchbaren Manne vorzube­

reiten; sich also gute Gesinnungen, feste mo-

( 53

)

ralische Grundsätze und nützliche Fertigkeiten für das männliche Leben zu erwerben." „Weil nun Fertigkeiten nicht ohne Mühe

und Uebung erworben werden können, und moralische eines immer höhern GradeS fähig sind;

so muß man in der ersten Jugend anfangen, sich ernstlich in allem Guten zu üben, und Le,

benslang darin forlsahren."

„ Aus der Ueberzeugung von dec Nothwen­ digkeit und Vernunftmäßigkeit moralischer Vor«

schuften entspringt nun die reine Achtung

für

das

Vernunftgesetz,

Grundlage

aller

wahren

welches die

Moralität

ist!

Denn das Gute unbedingt wollen und sich zu eigen machen, und das vernünftige Gesetz ach­

ten und zu befolgen suchen, ist eins und dasselbe." „Man ist mehr und besser erzogen, hat eine höhere Bildung, ist vernünftiger und also mehr Mensch, wenn man bey Gesinnungen und Handlungen nicht grade zunächst auf Beloh­

nung und Bestrafung siehet, die entweder

in uns oder außer uns ist; sondern mehr darD

3

(

54

)

auf, ob und in wiefern die Vernunft etwas al-

gut oder böse erkennt/ „ Dies einzusehen und anszuüben wird dem

nicht schwer, dec Achtung für sich selbst

hat.

Wer in seiner eigenen Person den Men­

schen ehrt und die Größe der Menschenwürde empfindet, der wird auch die Vernunft, al-

oberste Gesetzgeberin, mithin jedes von ihr her* stammende Gebot, ehren und befolgen."

„Ans dieser Quelle entspringen nun alle Pflichten,

und sie sind, dieses ihres Ur­

sprungs wegen, rein zu nennen."

„Der Mensch, Werk

sobald er sich als Gotte-

und nach seiner ursprünglichen Destim-

betrachtet,

mung

auf

welche

vernünftige-

Nachdenken ihn hinleiten muß, wird den Ur­

heber

und

Erhalter seines Wesen- und den

Urquell aller Vernunft undalleS Guten, ehren und lieben.

seyn der

Dies

geschieht in dem Bewußt­

Rechtschaffenheit,

in dem Bestreben

nach Heiligkeit — Gottesverehrung,"

c 55 > „Wahre Selbstschätzung leitet auf die Er­

kenntniß und Ausübung der Pflichten, die zur Ausbildung und Veredlung unsers innern und äußern Zustandes dienen,

Pflichten gegen

uns selbst."

„ Und wenn wir die Menschheit auch in An« dem ehren, und jeden Menschen nicht blos als

Mittel, sondern auch als Zweck für sich betrachten und anerkennen:

so werden wir

auch, so viel an uns ist, gegen ihn die Pflich­ ten ju erfüllen uns bemühen, die ;uc Erhaltung

und Verbesserung seines innern und äußern Zu« standes dienen; wenigstens gewiß uns hüten,

die vor'etzlichen Störer seines Wohlbefindens zu seyn.

Pflichten gegen andere.

„Rechtschaffenheit oder Tugend faßt alle moralische Gesinnungen und Handlungen,

die aus den reinsten Beweguugsgründen ent« stehen, unter sich.

Der Mensch soll durchaus

rechtschaffen, d. i., sittlich seyn." „ Zwar ist er ein nicht blos geistiges, son­

dern auch sinnliches und mannigfaltigen Ein-

D 4

(

56

)

oder bedingtes

schrankungen unterworfenes,

Geschöpf, und zu dem Ende manchen Verir­ rungen ausgesetzt.

Mein so nachsichtig ec

auch eben darum gegen andre seyn muß, so sehr hat er doch die Verbindlichkeit auf sich,

strenge gegen sich selbst zu seyn, wenn er nach dem höchsten gedenkbarcn Ziele der Tu­

gend, der Heiligkeit streben will."

„Ein

festes

Vertrauen

auf

sich

selbst ist als die Grundverfassnng der Seele

anzusehen.

Der Mensch kann, was erweislich

und vernünftiger Weise will^

Und alles Gute

kann und muß er unbedingt wollen, „Wahrheitsliebe

muß in der Seele

des vernünftigen Menschen, der seinen moraljr schen Zweck in sich erkennt und vor Augen hat,

herrschend seyn.

Einen großen Schritt zur

Tugend haben wir gethan,

wenn wir immer

wahr gegen uns selbst sind und unS nie porsetzlich täuschen.

Ohne diesen Wahrheits­

sinn ist keine Selbsterkenntniß möglich;

und ohne diese können wir nie das Vernunft­ gesetz auf uns selbst anwende»,"

( „ Das

Gute

)

57

Wahre

und

keine

tugendhafte Seele

ist die

ohne welche sich

Grundfeste der Moralität,

denken

läßt.

Dec

Mensch also, und der Jüngling schon in seiner

frühern Jugend, muß mehr nach dem streben, was nach dem Urtheile der Vernunft immer

wahr und

recht, als was bisweilen edel

und schön

ist,

als welches meistens Sache

der Empfindung und des Zufalls zu seyn pflegt."

können aber nie die

„Empfindungen

letzten Entscheidungsgründe des Sittlichen seyn. Sie lenken das Uebergewicht des Urtheils nach

dem Angenehmen.

Die Tugend muß aber im

Kampfe und Widerstreit mit den Trieben und

Neigungen ausgeübt werden, und die höchste Würde des

Menschen

laßt

Selbstbeherrschung

sich nur durch

erreichen.

„ Kein moralischer Mensch kann ohne ver­

nünftige Gotteserkenntniß, d. i, seines Bedürft

nisseS Gottes zu Erreichung deS von der Ver­

nunft ihm vorgestellten

höchsten

Gutes

seyn, welches in der vollkommensten UebereinD s

c 58 ) stimmung der Tugend mit der Glückseligkeit bestehet."

„Religion ist daher das wesentlichste Bedürfniß unsers Geistes, die-Quelle der süße­ sten und lautersten Freuden, des Trostes und der Beruhigung. Sie giebt der Tugend Kraft und Konsequenz, und hilft Schwierigkeiten bey Ausübung derselben, in allen Kollisionefallen, selbst bis über das Leben hinaus, überwinden; denn ste vereinigt Hofnung, Liebe und Glauben zu Einem großen Zweck, und lößt alle Schein­ widersprüche in dem menschlichen Leben durch Aussichten in eine bessere Zukunft.

So ungefähr, dächl' ich, müßten die Grund, Unkn zu einem solchen Schema auösehen. Man könnte dasselbe erweitern, fruchtbarer machen und Ihm eine Reihe von Gesehen und Pflichten am Höngen, die von dem nähern Verhältnisse des Zöge ltngs gegen L hrer und Mitschüler hergenommen wären. Gesundheit-regeln und Policeygesetze, zur Erhaltung der allgemeinen gesellschaftlichen

c 59 ) Ordnung, blieben nicht davon ausgeschlossen. Und das Alles gäbe denn einen herrlichen Stoff, ein» zweckmäßige Anleitung — zu philosophischen und woraiiich'N Vorlesungen etwa? — nein; zu lehre reichen Gesprächen, worin eine vernünftige Mr, thod!k freies Spiel hätte, und wobey die Zöglinge dennoch nach und nach zu einer gewissen strengen Ordnung im Denken, zu einer regelmäßigen Selbstbeobachtung gewöhnt würden, deren Mangel bey der unbestimmken Art zu erziehen dir Hauptquelle so vieles Leichtsinns, so häufiger Ueberlrerung der Gesetze, Lehren und WarnunL ist. Zhr kleines Leben erhielte dadurch In ihren eigenen Augen eine größere Wichtigkeit, und sie lernten mehr einsehen, warum etwas ihretwegen geschieht und verboten wird. Das Gvfühl der Freiheit, das gewöhnlich so mißverstanden, bey jungen Leuten in Schulen Nachläßigkeiten und Vergehungen veranlaßt, würde durch so verbesserte Einsicht und Gewöhnung: sich mehr als vernünftige gesetzgebende Wesen zu betrachten, gehörig berichtigt und veredelt werben, und des Nutzens würde überhaupt viel seyn, der aus so planmäßiger mit praktischer Uebung verbundenep Bildung zur Moralität herauekäme.

( 6o ) Aber so war nichts davon im D. ErzlehungS» Institute vorhanden, was man mit Recht ein rich, tlges und allgemeingültiges Regulativ hätte nen, nen mögen, worin die Einsichten Aller schlechter, dingS hätten rusammrntreffen müssen,

Bruchstücke lagen hier und da umher zerstreut. Man hatte wohl ein mit enthusiastischer Bilder, und Wörterfülle, ln einer Art von dichterischem Rausch entworfenes, Gemählde eines Phi» lanthropisten, das einer, ganz in der ersten Zeit der philanthropischen Schwärmerey, entwor, fen hatte und bas in den Unterhandlungen und auch besonders abgedruckt war. Aber wer hätte an einem so unsicher gezeichneten und mit grellen Farben überladenen Gemählde Gefallen finden, oder sich bey seinem ErziehungsgeschLfre darnach richten wögen? —- Zedern blieb eS also Überlassen, etwa« von der Art, wohl oder Übel, seinen Zig, fingen vorzuhalten. Und da trat denn natürlich der Fall ein, daß jeder nach subjektiver Einsicht pnd Willkühr verfuhr,

Zch an meinem Theile versuchte daher zum öf, lern, eine Reihe von Regeln, von Gesetzen mit ihren Gründen zu entwerfen, auf deren Defol,

( 6l ) gung ich strenge genug hielt, und unter deren Ge, walt ich mich selbst zu allererst begab , so weil ti nur irgend angieng *); bis ich durch deren An­ wendung, besonders aber durch häufige Elusio, nen derselben, worin Niemand sinnreicher ist, als der junge Mensch, auf die Nothwendigkeit geführt wurde, sie bald hier bald dort wieder ab, zuändern, und ihnen mehrere Bestimmtheit und bessern Zusammenhang zu geben. Zch begleitete diese Gesetze, die ich nicht selber eigenmächtig so hingab , sondern gemeinschaftlich von meiner kiel, nen Gesellschaft beschließen und dekretiren ließ, so baß sie sogar alle ihre Namen unterzeichneten — jedesmal, mündlich und schriftlich, mit verständ, lichen moralischen Deduktionen ihrer Quelle und ihres Werthes. Und bas halte denn gute Er, folge. Am mehresten aber machten die Policey, gesetze zu schaffen, ohne welch« auch keine Kinder, gesellschast bestehen kann. Da hiermit zunächst, das Plus und Minus des GewinnsteS oder Ver,

*) Wir hatten eine Strafkasse, zu welcher ich selbst beitrug, deren Bestand zuletzt zu allgemeinem gesellschaftlichen Nutzen «der Vergnügen ange, wandt wurde.

( 62 ) tust«« zusammenhieng, so wurden sie am häufig­ sten eludirt. So gehörte unter diesen auch das, im Winter sich nicht am heißen Ofen aufjuhalten. Es sollte ein Gesundheitsmittel seyn, und der Weiblichkeit und Schläfrigkeit im Arbeiten steuern. Zch trete «lnMal ins Zimmer, und siehe da, dir ganze wer, the Gesellschaft sitzt um den heißen Ofen und rührt sich nicht von der Stelle. Zch bleibe verwundernd stehen. Mit schalkhaftem Lächeln rufen sie mir entgegen: ja, wir haben nicht unrecht, sondern Zhr Gesetz! — Wie so? — Ey', es heißt ja, im Winter, und morgen fängt er erst an! — Sie hatten «tnmüthigitch gerade den letzten Herbsttag zur reinen Kritik ausgesucht, um sich über das schwankende Gesetz herzumachen. Gut, sagt'"ich, so kommt und laßt es uns heute noch ändern! Und e« geschahe, zu großem Vergnügen der Kinder und meiner eigenen Erbauung. So viel ich mir auch Mühe gab und nach gu, ter Einrichtung strebte, so blieb doch immer viel übrig. Der stumpfste Kopf ist gewöhnlich der or, deutlichste, und der böse Wille hat um die positive

( 63

)

Gesehtafel herum noch ein weites Spiel. Durch solche Gesetze allein wurde noch lange nicht der Grund der Gesinnung gebessert. D-r gutmü, thigste talentvollste Knabe war am öftersten unter das Gesetz gethan, und, bey aller inneren Liebenswürdigkeit am häufigsten mit äußeren Vorschriften überworfen. Besonders war einer darunter, der ein Muster in Erfüllung der Gee setze war, ordentlich ohne Gleichen, alles äußere ltch beachtend, und doch, in Absicht der Net* gungen seines unfreundlichen, eigensüchtigen Herjens, einer der Unwerthestm. Hier nun dem Herzen nicht freien Lauf zu las­ sen, da« sich für den gutmüthigen Wüstling Inter* essirt, und ihm gern von der Strafe der Ueber, tretung helfen migte, und dafür die tabellarische Krämerseele verachtet, die in einem interessanten Kollisionsfalle der Liebe mit dem Buchstaben der Gesetzes auch nicht ein einziges Mal den Muth hat, sich lieber etwas anrechnen zu lassen; — gerecht, und doch menschlich und schonend zu styn, daß man dem Gesetze nicht« vergebe und doch die schöne Natur rette: Da« sind Fälle, die einen

Erzieher sehr in Verlegenheit setzen können.

(

64

y

Das Einzige, was übrig bleibt, um die Nech, nung in« Gleiche zu bringen und das Gleichgce wicht in der Gesellschaft zu erhalten, ist, wahre, innige Achtung und Zuneigung, die man dem von Grund auS besser gesinnten Zöglinge auf, spart, wenn man ihn gleich an seinen sich selbst zugezogenen Folgen leihen lägt. Hier tritt der Fall «in, wo man fühlt, daß Gesetze nur dürft tige Supplemente sind, daß sich vieles nicht be, lohnen und bestrafen läßt, und daß es etwa« HS, hereS Moralisches giebt, wornach man Han, deln, und da« man in dir Seele des Men,

scheu zu pflanzen bemüht seyn muß.

Wäre nun etwa« Feststehendes, wahrhaft Moralisches in einem gewissen Zusammenhang« vorhanden gewesen, welchem Allgemeingültigkeit zu verschaffen gewesen wäre, und wonach man allgemein die Zöglinge, im Geiste der Ueber, elnstimmung und gemeinsamen Mitwirkung, hät­ te bilden können; hätte man wahre und gleich­ förmige moralische Principien gekannt: so wür« de man tn seinem Kreise viel Erleichterung ge, habt, und sich nicht mit einzelnen dürftigen Ver, suchen zu behelfen gebraucht haben. Ueberhaupt aber

aber hätten solche partikuläre Einrichtungen und Vorschriften, wenn di« Anstalt nach gleichför, mtgen Grundsätzen zu regieren gewesen wäre, entweder gar nicht statt finden, ober nicht eher vollgültige Kraft haben sollen, als bis fie — von wem? von der Direktion? nach dieser fragen, blieb man sehr unbekümmert — von der gesammten Gesellschaft aller Mitglieder, durch «inen allgemeinen Auedruck, geprüft und tigt gewesen wären. Denn wieviel Inhum,wiee viel WillkührllcheS, wieviel despotischer Zwang konnte dabey obwalten! — Und darunter litt denn doch Niemand, als die Jugend, für die man doch allgemeine vernünftige Sorge zu tra, gen fich anheischig gemacht hatte. Dazu hätte man sich nun in den Konferen, zen verstehen sollen. DaS Einzeln« hätte man ohne Mißtrauen, mit sicherem Herzen, das nicht

dem Stolze begegnet wäre, vorbringen dürfen, und wenn e- gut gefunden worden wäre, hätte man solches gern und brüderlich zur allgemeinen Angelegenheit erheben, und fich hier überhaupt, mit hauptsächlicher Einschränkung aus pädagogl, sch en Verkehr, auf Lehren und Erziehen, wie

c

66

)

«s der eigentliche Zweck der Zusammenkünfte war, allseitig mit Rath und Liebe unterstützen sollen. Aber du guter Sokrates! — Dein und deines Beispiels ward sehr selten gedacht. Po, litische und literarische Novitäten, Anekdoten, kram, Zänkereyen und Befehdungen waren der öfterste Gegenstand der Unterhaltung von vier, zehn Pädagogen, und die Angelegenheit des Schach Bahamü intereffirte mehr, al« der Noth, stand der philanthropischen Familie!

c 6? )

Was beim Phantastren

und

Spekuliern

für den Erzieher Herauskain.

So glücklich Ich mich nun größtenihrils (n md
kann nicht wissen, welche er damit meinte; aber wer M persönlich gekannt hat, der wird lho sich hicrbey völlig ausmalen können.

C 125 ) ich einige der musikalischen Zöglinge vorbereitete, die sie ganz einfach und schmucklos/ blos mit ge, höriger Haltung, Verstärkung und Verminde­ rung des Tons vortragen mußten, brachten eine große Wirkung hervor, wenn sie ganz unvermu, thet — ohne daß man den Apparat davon sahe — an Stellen eintraten, wo der Redner die Gemü­ ther seiner Zuhörer ohnehin schon aus einen höher» Grad der Empfindung gehoben hatte. Ich werde Lebenslang mit großem Vergnügen daran zurück denken, und die vielen rührenden Scenen nicht vergeffen, die dabey in der Versammlung sichtbar wurden. Fremde wurden bisweilen von all der Feier so überrascht, baß sie ihrem gepreßten Her­ zen durch verhaltene Thränen und lautes Schluch­ zen Lust machen mußten. Insonderheit werden mir noch oft die rührenden Abschiedsscenen vor­ schweben, wo Jünglinge so aus dem Schooße der großen Familie entlassen wurden, in welcher sie harmlos ihre ersten Zahre verlebt, um einen gro, ßen Eindruck mit in die Weit hinüber zu nehmen. Andrsten muß ich nach meiner jetzigen Ueber, zeugung dennoch gestehen, daß bey diesen Gotte«, Verehrungen mit den Empfindungen ein etwas z»

(

126

)

große« Spiel getrieben wurde uttb daß ich selbst an meinem Theile durch Musik gar }u sehr dazu witzuwirken bemüht war, ob ich gleich nur nach Aufträgen de« Redners handelte. Nirgends ist das stete und (u sorgfältige Hinarbeiten auf Em, pfindungen mißlicher, als bey der moralischen Er, ziehung. Die starken Eindrücke verfliegen; das Herz wird weichlich und der Verstand geht dabey größtentheils leer aus. Mir selbst, der ich da, Wals so gern schwärmt« und in moralischen Ge, fühlen glücklich war, war das ein sehr liebe« Ge, schift; aber ich bin überzeugt, baß es für den Er, zteher und Reltgionslehrer für Kinder bey weitem größere Pflicht ist, den Verstand derselben durch richtige Begriffe aufzuklären und zu leiten, als ihr Herz Und ihre Phantasie mit Gefühlen und Bildern zu nähren und zu bestürmen. So wie der gewöhnliche weichliche Maurer sich blos dem Mitleid hingiebt und all-s gethan zu haben glaubt, wenn er bey lautem Gesellschaft«, gesang mit thränendem Auge ein paar Groschen in die Armenbüchse steckt: grade so glaubt ein junger Mensch leicht, alles gethan zu haben, wenn er für da« Gute lebhaft empfindet, leicht zu rüh»

(

129

)

ren Ist und gern zu moralischen Erfühlet« sich brin­

gen läßt. Künftige Männer sollen aber nicht durch ein bestochene» Herz, sondern au« Ueber, zeuguag ihrer Pflicht handeln und hart seyn kön, nen, wo Weiber weinen. Unsere Generation ist ohnehin schwächlich genug und bedarf sehr der Kraft und Stärke zum Handeln und Ausdauern. Warum', soll man in Erziehungsanstalten den Hang zur Trägheit, zur Schlaffheit und moralischen Empfindeley durch eine schonende und weichlich« Moral noch mehr befördern? Entgegenwirken sollte man dafür au« allen Kräften dem Geiste unser« Zeitalter«, und eö den Kräften der jungen Leute nicht zu bequem machen. Strenge sollte man lieber gegen die Empfindungen seyn, der Gefühl«, wirthschaft nach Möglichkeit steuern und seinen nen höchstenBeruf in Ausbildung der Der, nu»st setzen, die allein dem Menschen Selbste

ständigkrtt und wahren sittlichen Werth giebt.

c

rr8

)

Werth der physischen Erziehung und Gym­ nastik in Dessau. *Öet physische Theil der Erziehung steht mit dem

moralischen in so naher Verbindung, daß ich noth, wendig dee Vortheil« erwähnen muß, den die Dessauische Jugend in Absicht der Gesundheit und Körperausbildung hier In ganz vorzüglichem Gra, de genoß.

Man konnte keine frischere, blühendere, kraft tigere und in körperlichen Uebungen gewandtere Jugend sehen. Hatte man auch noch so viel roh der alle die großen Mißbräuche und Mängel der neuern Erztehungskunst von der wissenschaftlichen Seite; so mußte man sich doch, bey dem herzerhe, bendrn Anblick einer so frohen und natürliche» Jugend, die von den gewöhnlichen Gebrechen der alten Schulen frey blieb und im glücklichen Ge­ fühle der erhöhteren Gesundheltskraft heranwuch«, mit derselben wenigsten« von dieser Seite von gan­ zem Herzen versöhnen. Welch ein Gefühl ist da«, so man dagegen bey dem lächerlichen Anblick der kraft-

(

)

iry

kraftlosen, verzerrten und verrenkten Zierpuppen belderley Geschlechts In vornehmen Häusern, oder bey dem niederschlagenden Anblick der erdrückten und geschwächten Jünglinge und Kinder in so vie­ len moraltschen Pest, und Siechhäusern, Ich mei, ne in Waisenhäusern und in manchen Schulen hat^ wo Alumnen gehalten werden! So stärkend und erfreulich der Hinblick auf e'ne wohlerhaltene Nachkommenschaft Ist, so traurig und störend ist es dagegen, wenn man fleht, wie die jungen Leute in mancher öffentlichen Anstalt kümmerlich dahin leben, gleich einer kränkelnden Blume, an welche ein giftiger Wurm hinanschleicht. Hier war alles darauf angelegt, die Zöglinge gesund zu machen und zu erhalten; ihrem Körper Stärke, Schnellkraft und Behendigkeit in allen seinen Theilen zu geben, und sie vor schwächenden Uebeln des Luxus und der Verführung, nach Mög­ lichkeit, zu bewahren. Nichts konnte sie üppig und weichlich machen. Sie hatten einfache gesunde Kost und Nahrung, und im Winrer und Sommer viel Bewegung. Sie wurden zur höchsten Reinlichkeit, dem Keime zur ersten Entwickelung der Humanität, angehal, ten. Zhre körperlichen Kräfte wurden nicht ge-

5

(

130

)

schont, vielmehr auf das äußerste durch f-pmw sttsche Uebungen angestrengt. Dadurch wurden sie zugleich mit Gefahren bekannt gemacht und zur Herzhaftigkeit gewöhnt. Gelegenheiten zu Der, wöhnungen, die in Familien so häufig und fast unvermeidlich sind, traf man hier nicht an. Sie genossen keine Leckereien, keine erhitzenden Ge, tränke; mehrentheils kaltes Wasser. Ihre Klei« düng war leicht und hinreichend zur nöthigen Er, Wärmung. Sie gingen mit offener Brust, auch in der größten Kälte, und um sich selbst abzuhärten, warfen sie noch obendrein Schnee und Eis hinein. Sie schliefen unter Matratzen, In geräumigen Sä, kn, die auch im größten Winter die zum Abend geösnet standen. Sie badeten; liefen Schlitt, schuh; rangen mit einander; voltigirten; tanz­ ten; liefen, sprangen und kletterten; trugen mit freiem ausgestrecktem Arme Gewichte, von dem Kleinsten nach Verhältniß bis zum Größten; trie, den den Reifen; schlugen den Ballon und ermü, deren sich durch Gartenarbeiten. Um sich abzu, härten und an Hungern zu gewöhnen, legten ei, ntge es nicht selten gemeinschaftlich daraus an, ein paar Tage lang nichts zu genießen, und ich denke

noch mit Vergnügen an den jungen zwölfjährigen

c

131

)

Grafen M., der, als ihn an einem langen Som merabende der Hunger überwältigen wollte und er schon eine Frucht vom Baume gepflückt hatte, tu er, in großen Ueberlegungen begriffen, bereits »um Munde führen wollte, endlich diese verfüh, rertsche Frucht höchst ärgerlich von sich warf und mit Füßen trat. — Das alles waren sehr vortrefliche Einrichtung gen, die unfehlbar ihren Zweck auf die Gesundheit und Ausbildung des Körpers erreichen, und -u, gleich vor vielem Uebel bewahren mußten, die aus der sitzenden Lebensart herzukommcn pflegen. Und darin ahmte man den Griechen und Persern nach, die bekanntlich mehr dafür sorgten, wie sie die Gesundheit erhalten, als wie sie die verlerne wieder Herstellen könnten. Krankheiten waren da, her äußerst selten, und gewöhnlich ohne Bedeu­ tung; und unter den vielen Zöglingen, für welche die Aengstltchkeit doch, bey den mancherley gesähr, lichen gymnastischen Bewegungen, alles besorgt haben müßte, starb während der ganzen Zelt des Daseyns dieser Anstalt nur ein Einziger. Diese einsame natürliche Lebensart, hat dem, nach im Dess. Erziehungs , Institute u^läugbar vielen Nutzen für die Zöglinge gestiftet. Schwäch, 3'1

C 13» ) ltche Kinder, an deren Fortkommen man hätte zweifeln sollen, wie sie In die Gesellschaft eintra­ ten, gingen als kerngesunde, muskelstarke Jüng­ linge heraus, und cs ist sicherlich mancher von ihnen, der sein Leben und ein frohes Alter dem Institute verdankt. Und das ist wohl immer etwas werth. Aber viel davon ist der Gymnastik zuzuschreiben, die hier mit der höchsten Sorgfalt, aber auch mit dem höchsten Geräusch getrieben wurde. Sie verdient, als eine sehr nützliche Kunst in ihren einfachsten, natürlichsten Theile» bey jeder Erzie­ hung, der öffentlichen und besondern, angewandt zu werden; denn die körperlichen Vortheile davon sind unläugbar, wie man sich aus den nützlichen Schriften der Herren Gutsmuts und Vieth, die weitläuftig von diesem Gegenstände handeln, des Nähern belehren und überzeugen kann. Aber so viel Geräusch, wie gesagt, soviel Charlatanerie braucht dabey nicht getrieben zu werden, als im philanthropischen Garten zu Des­ sau damit getrieben wurde. Denn bey der Ausübung der Gymnastik übertraf der PhilankhcopismuS fürwahr! sich selber. War das nicht ein Geschrey, «in Spektakel von Selten des Moderators, wenn rin Knabe auf der Kante

(

133

)

von einem Brette marschiere oder auf dem Dalken im Berceau herumsprang, als wenn jetzt bas größte Rad der philanthropischen Maschine im Umschwünge wäre! — Alles lief hinzu, sah — und bewunderte. Aber das gehörte zur Sache, wie die Allerweltstrompete zum Bestehen des tndi, schen Na^ob. Denn auf den Ton, auf die Dehors kommt bey allen Dingen dieser Welt, die Täuschung zulassen, viel an.

Hinter diese wichtigen Gaukeleyen verbarg man die kleinen Schwächen der Anstalt, welche die abwesenden Fremden nur hätten um den gu­ ten Eindruck bringen können, wenn sie von ihnen bemerkt worden wären. Und daran war alles gex legen. Vornehme Herren und Damen strömten am häufigsten herbey. Aber die bemerken so viel eben Nicht, wofern etwas Mühe dazu gehört, und sind bekanntlich die billigsten Richter, wenn alles in die Augen fällt comme il saut. Welch ein lieber Anblick von so vielen schönen und wohlgebauten Kindern, die bey so vielfachen Bewegungen ihre jugendlichen Reize entwickeln! Mon Dieu! c’est quelque chose d’extraordinaire! Quelle education charmante! ah! les beäux gar^ons, comme ils fönt heureUx d’etre au Philanthropin! — Wie kvNNtett

2 3

(

134

)

6te Damen anders? So etwa« sahe sich sonst nlrr gends. So wußte man nirgend körperliche Uebun, gen zu subltmtren. Wer mußte nicht sympathisiern und entzückt werden, wenn er so eben aus der französischen Stunde kam, wo die Mnder vermittelst einer Gytr>naftiqne de Tarne in der Manier del^ Chara,

denspi?ls Buchstaben und Wörter an einander ge, rathen, und aus hunderttausend Umwegen, hey fokratnchem Spaß und Lärmen, endlich zu einer Sentenz zusammengesetzt hatten, und wobey sie — wie dem,erstaunten Zuhörern begreiflich gemacht ward — In der Urtheils, und Ueberschauungs, kraft, der Einbildungskraft, der Gedächtniß, kraft, dem Witz und Scharfsinne, (n dem be, harrlichen Muthe, und der Selbstbeherrschung zu, g'etch geübt worden waren! Wer mußte das Allo­ nicht von Herzem bewundern, und den fertigen Sokrates preisen, wenn er nun noch obendrein sahe, wie diese wundersame Qymnastique de Tarne bey dem Graben oder dem schwebenden Dalken Mit noch weit lebhafterer Methode fortgesetzt wur, he; wie da alles In großen Terminologien, wie in Dew'gungen, angestrengt arbeitete; wie Sen,

tenz-n aus dem Buche von Corduan losgelassen

(

135

)

wurden, und wie man den Raum von einem golde­ nen Balkennagel bts -um andern, bis wohin ein Zögling einen Salto mortale gewagt hatte, la Province Louis, la Province Maclean sinnreich benann­ te! — Das waren doch allerdings Dinge, worin das Philanthropin es allen Schulanstalten der Welt, von Malabar bts St. Petersburg schlechter, dings juvorthat, und dte einer pädagogischen Wal, farth und einer ansehnlichen Rechnung im goldnen Ringe wohl werth waren! Klimpern gehörtzum pädagogischen Handwerk, und in einem Philanthropin muß alles lustig hän, gen und rollen. Das ist nicht anders. Wenn nur alles Uebrige ist, wie es soll; wenn nur sonst et, was Gründliches dabey gelernt wird, so kann man einer solchen Anstalt dergleichen Dinge zur Erlustt, gung und Erhohlung, selbst als Empfehlungsrnit,

tel bry dem unverständigen Beurtheiler, der durch nichts Bessers zu unterhalten und einzunehmen ist, wohl gönnen. Aber wenn man wichtigere Gegen, stände der Erziehung und des Unterrichts verab­ säumt, im Wesentlichen Schlaffheit und in solchen Außendingen Energie verräth: dann ist man doch wohl mehr als der bloßen Satyre, viel, mehr dcö ernstlichsten Tadels werth.

(

IZ6

)

Frage und Antwort.

„Ä3ar die Dessauische Jugend demnach frey von jenem traurigen, verheerenden Uebel, das so weit um sich greift und um dessentwegen seither so viel von Aerzten und Pädagogen geschrieben worden ist, daß man nichts mehr darüber lesen mag? —

Nein, sie waren nicht frey davon. Es giebt keine einzige Schul, und Erziehungsanstalt in der Weit, wo man gar nichts von diesem Uebel zu fürchten, oder nicht auf Mittel zur Entfernung und Bekämpfung desselben bedacht zu seyn brauch­ te. Wenn man's nicht ist; wenn man den mora­ lischen Lehren, dem Gottes-Worte, der Aussicht, oder tvohl gar dem Prügel und der Schande eine solche Rrai't zutraut, daß dadurch dem Keime zu dieser bösen gejährlichen Neigung werde entgegen gewirkt werden, daß selbige nicht werde unter die Jugend aufkommen können: so ist man eben so unwissend in Absicht dessen, was allgemein geschicht, als ununterrichtet von dem, was die Na­ tur und der Zufall ganz unschuldig, und Der-

(

137

)

sührung und böses Beispiel geflissentlich hervor;«,

bringen vermögen. Ich sage eö also Hiermitlaut, ohne dem An,

denken de« Institut« dadurch zu nahe zu treten,

daß eS dieses Schicksal,

aller Sorge und Be,

mühung ungeachtet, mit allen öffentlichen Anstal, ten in gewissem Grade theilt«;

daß man zwar

viele Jahre lang daran nicht gedacht und geglaubt und daher öffentlich erklärt hatte, den ersten ona,

nevtischen Zögling sogleich wieder sortzuschicken, aber während meiner Zeit die traurige Entdeckung davon machte, und durch Untersuchungen, die auf

die vernünftigste pädagogische Manier angestellt

wurden, herauebekam: daß

unter der großen

Menge eigentlich nur sehr Wenige ganz rein und unbefleckt in unschuldiger Unwissenheit lebten; daß

selbst kletneKinder davon waren angesteckt worden; daß diese Krankheit -war lange nicht so sichtlich

unter der Jugend wüthete und verheerte, wie in andern Schulen, aber bey einem und dem andern

doch schon merkliche Folgen durch Schwächung der Gesundheit und Körperkraft hervorgebracht hztte.

Ein« allgemeine Trauer verbreitete sich unter

uns, als wir endlich diese Entdeckung machten. —

I s

C 138 ) So konnte denn auch eine Tag und Nacht so sorg» fält g gehütete, vor aller Verführung durch Schuften, Gemählde und Detsplel so ängstlich bewahrte, so einfach genährte, so täglich in die freie Luft, In di« Natur geführte, durch körper» liche Uebungen ermüdete Jugend nicht von die­ sem Uebel frey bleiben! — Das war eine sehr niederschlagende Erfahrung, Indessen doch gut, daß man sie machte. Denn sie diente dazu die Aufmerksamkeit zu schär, fen, manch schönes Dündniß unter Erzieher und Zögling zu knüpfen, an die Stelle einer schädli, chen Unwissenheit, welche Neugier und mißgcleitete Natur sich doch selbst zu erhellen pflegt, eine vernünftige Belehrung über die Oekonomie der thierischen Natur zu setzen, u>d unvermeidliche Ideen in einer edlen Form jungen Seelen zuzuführeu, bevor die Laec vität Erwachsener oder eigene hervorgelock, te Empfindungen sie zu einem schädlichen Ei, genthum machten.

Der edle Fürst selbst, der für Alle« stets so vä» terltch bekümmert war, hatte zuerst Veranlassung gesunden, darauf aufmerksam zu werden und sei»

(

139

)

ne Vermuthungen Wolken mitgetheilt, der sich dann auch zuerst das Verdienst erwarb, die jungen Leute auf die edelste Art darüber belehrt und ge, bessert zu haben. Die Rührung war an den Ta, gen, als er die sämtlichen Zöglinge der Reihe nach vorgefordert hatte, allgemein. Mehrere von ih, nen schlossen Bündnisse mit einander, um sich ge, genseit'g zur Ausübung ihrer guten Vorsätze zu ermuntern, und es zeigte sich ganz augenschein, lich, daß es den jungen Leuten seither nur an ge, höriger Belehrung gefehlt,und daß daher dem größten Theile von ihnen die Schädlichkeit der Sache nicht so eingeleuchtet hatte. So sehr lehrt die Erfahrung, daß die mehre, sten Kinder auf ihre Gefahr lossündigen, ohne daß sie es seiber wissen, und daß es sehr unrecht ist, im Fall man schon Spuren ihrer Verirrung hat, aus einer falschen Schaam ihnen natürliche Dinge zu verschweigen, die sie sich doch, nur ge, wöhnltch ganz anders und zum Nachtheil für ihre Gesundheit, vorstellen. Denn was die noch ganz unschuldigen Geschöpfe betrift, welche eine glück, ltche Unwissenheit so naiv und kindlich und liebens, würdig macht, so hüte man sich doch ja, aus et,

(

140

)

nem voreiligen Drange nach Elementarmethode, sie durch eine lappische Belehrung über Dinge, bte glücklicherweise noch lange vor ihnen verborgen bleiben können, um den schönen Sonnenschein der Unschuld allererst zu bringen und sie nicht zur Neu­ gierde zu reizen, oder zu unausstehlichen altklugen Kindern zu machen, die durch ihre Naseweisheit erwachsene Leute in Verlegenheit setzen, die sie ihnen gewöhnlich mit einem für ihre Phantasie noch weit schädlicherm Scherz zu vergelten pfle, gen.

Ich kann wohl sagen, daß ich mit aller ersinnli, chen Vorsichtigkeit eben sowohl, als mitunausge, sehtnn Eifer auf die Reinigkeit des Herzens und Lebens vieler Zöglinge, auf die ich mit Freundes, wort wirken konnte, gewirkt habe; daß es mir sehr häufig geglückt ist, solchen Verirrten durch Delehrung, guten Rath und gewiffenhaste Auf, sicht nützlich zu werden. Noch jetzt freue ich mich, wenn rch meine Tagebücher ansehe, worin so viel rührende Scenen dieser Art, eigenhändige Selbstgeständn.ffe manches Jünglings und gute Vor, sahe ausgezeichnet stehen, wovon ich die schönsten Folgen noch nach Jahren an ihnen erlebt habe.

(

Ul

>

Wenn ich nun auf einsamem Zimmer, nach gewonnenem Vertrauen eines Jünglings, nach

vollendetem Rettungsversuche, ihn auf den Punkt

hatte, wo er mit voller Neue sein bisheriges Leben

übersähe, und sich gerührt nach Trost amsahe und tn einem ernstlichen Vorsätze der Besserung lhn sand; bann legte lch ihm mein Buch hin und frag,

te: Getraust du dir, deinem Freunde dies schrift» lich zu hinterlasse» ? — Und wenn er es denn mit aller Innigkeit, willig und-feterlich gethan hatte, und lange Zeit wieder hingegangeu war, binnen

welcher seine Schüchternheit vor meinen Blicken ober anderes Merkmal auf eigenen Verrath dem tetr; so suchte ich ihn mir unvermerkt wieder so

nahe zu bringen, daß ich ihm mein Buch wieder

vorzetgen konnte. Ohne ein Wort zu sagen, schlug ich dann die Stelle auf und sahe ihn scharf an.

Schamröthe und Betroffenheit überzog sein Ge»

sicht, und er gestand von selber seine Uebertretung vor einem Buche, das er selbst zum Richter über

sich gemacht hatte; gteng hin und sündigte we»

Niger.

Ueberhaupt habe ich gefunden, daß man alles,

selbst Geständnisse, welche Schamhafttgkeit.zucück zu halten pflegt, von jungen Leuten hrrauöbrtn,

(

*4»

)

gen kann, wenn man ihr Zutrauen hat, nicht den rtgoristischen Frömmllng und Pedanten macht, eine menschliche Sprache mit ihnen redet, und bey allem mit Klugbett und Schonung der Em, pfindung zu Werke geht. Man kann am sichersten auf Besserung wirken, wenn man das Uebel der Selbstschwächung nicht als Folge eines schlechten Herzens ihnen darstellt oder als solches wohl gar bestraft, sondern als Schwachheit, Verirrung, Krankheit, als böse Angewohnheit behandelt, von welcher man sie befreien will. Mit liebreichem Tone, der recht gut mit Ernst und Würde sich ver­ trägt, kann man selbst bey dery harth-rzigsten Men, schen viel ausrichten, und bey diesem grade dadurch am mehresten. Zch hatte es sogar dahin gebracht, daß einige meiner Zöglinge, welche ich selbst auf die Wiederkehr deö bösen Triebes aufmerksam ge, macht, und denen lch gleich gesagt hatte, mit die, ser Reue, dieser Rührung höre der Kampf mit der verwöhnten Natur noch lange nicht auf, in dem wieder eingetretenen Falle des Vergehens selbst zu mir kamen und mir mit aller Neue die Unthat von selber gestanden. ES ist indessen gar keine leichte Sache, junge

Leute in diesem delikaten Punkte gehörig zu be,

( 143

)

handeln. So verschieden dle Subjekt? sind,, svrrschieden ist die Art, ihnen in solcher Angelegen, hctt zu Hülfe zu kommen. Einer kämpft mehr mit Dlut, mit Phantasie, mit Macht der Ge, wohnheit als der andere. Einer hat mehr (Lhrr gefühl und Schamhaftigkeit, als der andere. Ei, ner ist mehr vernünftiger Vorstellung fähig, ein anderer mehr sinnlicher Eindrücke. Was fett man mit den letzterer ansangen? Soll man ihntn Schmerz 'machen? Wenn sie Kinder sind; ja. Wenigstens habe ich mir bey einigen solcher Kinder nicht anders zu helfen gewußt. — Zch hatte unter andern ein Paar kleine Polacken zu Zöglingen. Der eine war noch ganz Kind, aber auch, schon angesteckt; der andere tm Anfänge wie ein rauhes sarmaltsches Thier, das sich aber zuletzt, bey aller Unliedbar, kett, in ein Schoßhündchen der Damen umformre, die vieles verzeihen, wo sie Körperkraft und Dlol, liges gewahr werden. Er war in der ersten Zett feiner Ankunft bey uns jener bösen Gewohnheit, wie ein abscheulicher Aff?, ergeben. Moralität ließ sich ihm gar nicht anders verständlich machen — denn er war auch sonst wild und unbändig und schlug um sich — als durch körperlichen

( 144 ) Schmerz. Also gebrauchte ich an ihm die Ruth« «nd strich ihm damit recht herzhaft die sündige Hand. Und siehe da, mit der Zett half ee. Und da eß gehols-n hat, so mußte es wohl recht seyn; denn sonst waren Schläge im mrnfchrnfrcundlt, chen Reviere verboten, und ich halte auch selbst nicht viel davon; außer wenn ein Zögling dem an, dern muthwilligcr Weise wehe thut und Schmerz macht, und bey offenbarer Tücke und Bosheit. Wer offenbar boshaft ist, der verdient Mißhanb, lung mit allem Recht. Lebhafte Schilderungen der schrecklichen Fol, gen, welche diese traurige Krankheit hervorzubrin, gen pflegt; Erzählungen von der Arc und Weise, wir Menschen sich selbst nach einer gewissen Stu, sen olqe gemißhandelt und dadurch allmählig un, glücklich, fast ohne Rettung verloren gegangen sind; Hinweisen auf die Freuden der Zukunft bey unschuldig verlebten Zugendjahren — das sind von den gewöhnlichen Mitteln, welche Erzieher von An, sehen Vorschlägen. Allein junge Leute, welche noch K-afk in sich fühlen, glauben daran nicht, wer, den wohl gar dadurch erst zu mehrerem verleitet, wir Tissot« Werk und andere gutgemeinte Schriften unstreitig dies befördert haben mögen; und

(

*45

)

und Geschwächten hilft e« nicht genug, um damit der tyrannischen ungeheuern Begierde Einhalt zu thun. Da« ist ein wahre« Elend. Nicht immer werden die Folgen davon sobald sichtbar; manchmal gar nicht, je nachdem der Kör« per ist, und bann ist e« vergeblich, auf die Wir, flieg schrecklicher Schilderungen zu rechnen. Theil« haben junge Leute gewöhnlich sehr wenig Sinn für Freuden und Leiden der Zukunft. Der Reiz der Gegenwart ist unendlich lockender und mäch, tiger. Wa« soll man da thun? — Da« Moral, Princip anwenden: Handle so, daß deine Art zu handeln allgemeine Maxime werden könne? — „Was geht mich da« Allgemeine an? wird der vom Triebe entflammte junge Mensch denken. Und doch, warum nicht? Warum soll ich nicht wollen können, daß jeder, der mit mir in gleichem Falle ist, der so angereizt wirb und so wenig Schaden davon empfindet, sich dasselbe Dergnü, gen verschaffe? Zeder thue und lasse, wa« er kann!" Und f» tvltb.Me allgemeine Form da« Ange, legentliche tm einzelnen Falle, wo Sinne und Ein, bildungskraft die Vernunft beherrschen und die Flammen der Empfindung über die frostige Gesetz, geberin zusammenschlagen, nicht verhindern. — K

(

146

)

Soll man die Bibel dagegen brauchen? — Der Wollüstling wird eine Menge verführerischer Stellen aufschlagen, und durch sie noch mehr zum Vergehen veranlaßt, wenn nicht gar autoristrt werden. Es ist sehr schwer, sich hler herauszufinden und in solchem Falle der Tugend Achtung zu verschaf, fen. Gesagt ist eS bald, daß ein Mensch seine Triebe beherrschen müsse; daß da« Angenehme nicht immer daö Nützliche sey; daß der Mensch ed» lere und höhere Zwecke habe; daß er sich selbst nicht unumschränkt angrhöre, sondern der Welt; daß er Kraft zum Euteöthun sich auch für die Zukunft erhalten müsse u. s. w. Aber befolgt wird «S sehr schwer, und die Erfahrung lehrt, daß bey einmal verführten jungen Leuten, Verminderung deS Triebes und der bösen Gewohnheit allenfalls, aber gänzliche Aushebung derselben fast gar nicht eher möglich ist, als bis die Natur in reiferen Jahren sich ihrem Gesetze unterwirft. Za, bey den besseren edleren Jünglingen, die schon einmal so unglücklich sind, verdorben zu seyn, ist auch daS nicht einmal der Fall; denn Furchtsamkeit aus moi ralischem Grunde hält sie vom Vergehen anderer Art zmück.

(

»47

)

Man gißt unserm Luxus, unserer Verderbtheit im Allgemeinen, dem Einflüsse der Nomanschreie der und Dichter, unserm Schauspiele, wenigstens dem großen Hange.zu demselbigen, viel Schuld. Das mag wahr seyn, und «S ist nicht zu leugnen, daß der Geschlechtstrleb jetzt weit frühzeitiger her, vorgelockt wird, als ehemals bey mehrerer Nell, giosität und einfacherer Sitte. Aber was kann uns diese Entdeckung helfen? Werden die Erzle, her und Lehrer diesen allgemeinen Strom durch Klagen und Beschuldigungen aufhalten? Zm el, terlichen Hause kann eher etwas geschehen. Aber auch ln den höheren Ständen? — Traurige Aue, sichten für die Zukunft! Nichts kann, wenn nicht ganz helfen, doch we, nlgstens das Uebel vermindern, als eiiis physische Erziehung der Kind", wse die Dessauische war, davon ich die Erzählung nicht zu wiederholst«» brauche; vernünftige Aufsicht, zweckmäßige Be, lehrung und ächte Moral ln alle Zweige des Le, hens verbreitet.

K2

Die

C

148

Die eiserne Hand.

)

Ein Mönch.

Es ist keine Materie, von der man gern mehr mag wissen wollen. Aber doch muß ich noch meine Leser mit einer Procedue bekannt machen, die ich mit einem meiner verirrten Zöglinge vornahm. Vielleicht können Erzieher sie mit eben so gutem Erfolge benutzen.

Er war ein sehr weichherziger, gutmüthiger Jüngling, von dem ich spreche, aber in dieser 66# fen Gewohnheit schon sehr wett gekommen; dran er hatte das Uebel schon in der ersten Kindheit im Hause seiner Eltern, durch das weibliche Gestade, kennen gelernt, und Niemand hatte ihm je von der Schädlichkeit desselben gesprochen. Mir war sein Aeußeres lang« ausgefallen; aber wir alle lebten vor jener allgemeinen Entdeckung deshalb in großer Sicherheit. Man sahe an sei# ner schönen, regelmäßigen Figur, an seinem feste» Körperbau, was er bey ungehindertem Wachsthum der Natur werden konnte. Sein offenes Auge

(

M9

)

Hatte i« Zetten einen sehr matten Blick und jene an einem jungen Menschen verdächtig« Umgebung. Seine blühende Farbe wechselte sehr ost mit Bläffe. Sein« voll« hochrothe Lippe ward bleich und welk. Schläfrigkeit verbreitete sich über sein ganze- Wesen. Er verlohr immer mehr an Ge, dächtniß und konnte nicht- behalten. Wenn man ihm sprach, so sah« er einem stier in« Gesicht, alwenn er alle- bi- auf den geringsten Umstand auf, fassen wollte, und — hatte am Ende nicht- be, griffen. Zm Umgänge mit andern ward er ordent, lich albern, so daß er alle Achtung verlohr und bey Spielen übergangen wurde.

Der junge Mensch gieng mir nahe, al« ich bi« Quelle davon durch seine eigenen Geständnisse ken« nen gelernt hatte, wozu er bald durch ein gutrWort zu bripgen war, und ich beschloß, ihm ganz vorzüglich meine Aufmerksamkeit zu widmen. Zch that alle-, war man kann; ging stufenweise da, hey zu Werke. Zch lehrte, ich bat, ich suchte alleMigliche hervor, um ihn abzubrtngen. Da er weich war, so versuchte ich- mit rührenden Dor, stellungea. Aber er weinte, und — e- half nicht-. Ais ich ihn einmal an einem Abend wieder sehe « 3

(

ISO

)

elend fand, riß ich hastig den Spiegel herunter,

ließ ihn sich selbst in seiner jämmerlichen Gestalt et» blicken und sprach ihm dabey in großer Bewegung.

Das half für heute; aber Morgen war e

Wie ich ins philanthropische Unwesen hinein

renne. Kohl für das pädagogische Archiv.

Facit.

^ch muß doch nun auch sagen, wie ich meine

Lehrcarriere begonnen habe. Lustig und jämmerlich; beide«. Ohne Ersah/ rung und Anweisung, ohne bestimmte Angabe de« Lehrstoffs — denn als ich den sehnlich erharreten Stundenzettel bekam, stand daraus Französisch und abermal Französisch und weiter nichts!— «nb doch voll dunkler Vorstellungen von dem Neuen und Sonderbaren, das die philanthropische Lehrmanier enthalten sollte, kann man denken, was ich zu An« fange für närrisches Zeug in meinen Lehrstunden gemacht haben müsse.

Des schönen Exempels habe ich schon einmal gedacht, das der Professor Elementarium mir an Vogelschnäbeln gab. Es war Zeug, daß mir die Haare dabey zu Berge stunden. Zch sollte auf der Tafel draus los zirkeln und künden, und den Vogel Strauß und allerhand Gethiere, beide klein und groß, zitiren; durch «in sinnreiches Komman,

c

172

)

birspiel Buchstaben und Eulen und Affen wie ein Obrist befehlen und mit ihnen einen französischen Zwetsprach halten — da« war ein starke« Stück «nd ich ließ e« daher schön bleiben/- um mir mein Ansehen zu erhalten, wenn ich wieder einen Schalk von übermüthigen Phtlanthropisten bey dem Kra» gen zu nehmen hätte, um ihn vor die Thür gii, pellen, wie ich da« gleich in der ersten Stunde zu thun gemäßigt war. Zum Glück war mir doch für eine meiner Stunden ein kleine« Rrttpsrrdche« angewiesen. Es war die franz. Uebersrtzung vom Rochowschen Kindrrfreünd. Zwar ist e« bekanntlich zunächst für die Zugend aus dem Lande geschrieben «nd ich hatte jungt adltche Herren bi« zu dreizehn Zähren zu Zuhörern; aber r« war doch etwa« «nd fü«; ein Philanthropin aller Ehre« werth. Die« Düchelchen faßte ich denn nun an, und handhabte e«, wie eine svkratische Hebamme. Aber wenn ei« Stück daran« gelesen, erklärt. Überseht war rückwärt« und vorwärt«, so war'« au« damit und nicht« mehr dran. Grammatik war im Lateinischen nicht Mode, virlwemger im Französischen. Die Kinder halten« nun satt; aber sine halbe Stunde war «och übrig, der mußte doch

c 173 ) ihr Recht geschehen. Zum Schreiben hatten 6K Unholde nicht Lust, und wenn ich das sahe, so ließ ichs auch gut seyn. Also ging« nun ans Philan« throplsiren; das heißt, ich griff ein Wort nach dem andern heraus, und hing daran Moabiter und Jebusiter, und was es tragen wollte. Ich sprach vom Ey der Leda — also, wie man sieht, aus der Mythologie; vom Braunstein und dem zusam, menjiehrnden Grundstoff — also aus der Chemie; vom Timur-Leng — also aus der Geschichte; von MooS und Kräutern — also au« der Naturhisto, rte. Und da ich nun zur heilsamen Ermunterung manche witzige Anekdote zum Besten gab, ver, längliche Schlüffe vorlegte, so gingen natürlich der Witz und die Urthetlskraft nicht leer aus. Za, da ich sand, daß nichts bequemer ist, alsphiloso, phiren, so philosophtrte ich nach der Tablatur mit meinen unphilosophtschen Wildsängen über Acker» bau und Viehzucht, über Entstehung der Geselle schäften, über bas peinliche HalSgertcht, über Noth und Elend, Lust und Freude. Und so hatte ich denn vor Langerweile das Geheimniß gefun, den, auf alle Register von Serlenkräften mit einem, mal zu wirken. Wären die Basedow. Elementar, Nüsse noch Mode gewesen, ich hätt« auch auf den

(

174

)

Magen ßewikkt. So sehr ließ ichZmIr dir pä, dagogische Elementarkunst angelegen seyn.

Da hier alles angehen konnte, so zog jeder selbst ln seinen bestimmtern Unterricht, was ihm lieb unb leicht war. Einer kam in seinen Stun, den am liebsten auf das Schöne und Erhabene und auf Fragmente aus der Geschichte der Kunst; der andere aus Mythologie; der dritte auf Rech, nen; der vierte auf Poeste und Klopstock; der fünfte auf Sentenzen und die Schicksale der Abenacki; der sechste auf franz. Orthographie Und den abentheuerlichen Zvseph Ptgnata; der siebent« saß auf dem Elementarpferdchen; der achte trieb den latinistrten Edelknaben von En, gel vor sich her, und so weiter. Das kam davon her, daß man, nach den Hhtlanthropischen Grundsätzen, außer Mathema, tik, nichts nach regelmäßiger scientiver Mctho,

de, so wett sie für Schulen gehört, nach Lehr, büchern vorgetragen, sondern omne scibile in den Sprachunterricht verwebt haben '«wollte. Wie man diese Methode so in öffentlichen Blättern vorzustellen wußte, nahm sie sich recht gut au«; aber in den Lehrstunden selbst konnte

e» nun einmal nicht fehlen, daß alles chaotisch

c

175 )

durcheinander geschüttet wurde, und daß, aus Veranlassung, der eine gerade das auch lehrte, was der andere vortrug. Denn wer konnte das wissen? — Zn der ganz letzten Zett hat man sich anders besonnen, da man aus Schaden klug geworden war; aber da warS zu spät. Es war demnach kein Wunder, wenn auf solchem Wege weder eine Wissenschaft Noch eine Sprache recht gelernt wurde, am wenigsten die lateinische. Deo geschickteste und fleißigste von allen Zöglingen hat noch spät auf der Universität mit der größten Müh, seltgkeit an dieser Sprache siudiren müssen, um sich so weit zu bringen, daß er eine Dissertation hat schreiben können. Nun aber kommt daü Beste noch nach. Ue# ber alle diese schönen wtllkührlichen Proceduren macht« man nun Aussätze, die, es sollte so was vorstelleij, von jedem von Zett zu Zeit eingefor, derl wurden. So ermangelte ich denn auch nicht, darin den Gang zu verzeichnen, den ich nach Gesetzen der menschlichen Seele, nach künst, sich angelegtem Plan und wer weiß wie noch al, les genommen haben wollte, erzählt« was alle» vorgekommen wäre, stutzte diesen Bericht mit

hübschen Floskeln, Phrasen und gelehrt tönendem

(

176

)

Kram auf, und thLt dabey, wie meine Herren Kollegen sammt und sonders, las dieses Charte «art in der nächsten Konferenz vor, während die übrigen schmauchten, und hatte die Freu«

de, daß es beigelegt ward und seine Ruhestädte tn dem Archive, nebst so vielen andern lügen« haften Berichten, erhielt, nach deren Wahrheit sich kein Mensch erkundigte. Zch kann nicht be­ greifen, wie man damals ein solches Geschreib ernsthaft hat mit anhSren können, und wie ei, «er den andern nicht öffentlich auSgelacht hat. So auf Umwege ward man geleitet! — So machte einer dem andern mit ernsthafter Miene etwas weiß! — Diese Berichte waren auf den Mangel a priori kalkulirt; denn, wenn man et* nen ordentlichen Lehrplan gehabt und gewußt hät, te, was zu, lehren gewesen wäre, so hätte man dieselben nicht nöthig gehabt. St« halfen zu gar nichts, als daß einer es dem andern tn der Ma« nler! zu schreiben zuvor zu thun suchte, und die Gelegenheit benutzte, entweder zu persifltren oder wie ein Rothmantel drein zu hauen. Sie unter« blieben auch zeitig genug; denn wie das Reich schon anfing in sich selber zu zerfallen, da hätte

man so Niemanden mehr zu einem paar Zeilen zum

( 177 ) >um allgemeinem Besten gebracht, wenn es Ihm nicht allein so beliebt hatte. Für eint DtrtkllonSgesellschaft, wie sie dem größten Theile nach war, sollten Lehrerund Er, zteher Achtung haben und sich aus ihrem Urtheil etwas mach-N, da sie selbiger dem« größten Theilt Nach an Talenten, an Kenntnissen und Thätig, kett zu aller Zett bey weitem überlegen waren? Ich bars hier nur einigt der bekannteren Mttarbel, ter nennen: einen R. Z. Decker tnGotha, Cro, me In Giessen, Götze in Riga, Lenz, Man, gelSdorf, Matthtsson, Olivier tn Des, sau, Ouvrter, Sandes tn Koppenhagen, Z. M. F. Schulze tn Berlin — Diese sollten sich nach schlerhasten Verordnungen richten, die noch dazu nicht selten in anmaßendem Tone ge, geben wurden? Diese sollten von den wesentlich, sten Derathschlagungen über Unterricht und Er, ztehung ausgeschtossen bleiben? Diese sollten sich nicht, bey Entdeckung so vieler Blößen ihrer so, genannten Vorsteher, aller Mittel bedienen, um sich zu behaupten, um sich bisweilen zu emanctpt« r»n, und, nach Deichaffenhett der Umstände, sich durch nachdrückliche Gründe ober durch einen kräf, M

c i78 )

tlgen Schwung der fatyrischen Geissel Luft zu ver, schaffen? —

Wir alle, gestehen wir es ehrlich, meine Her, ren und größtrnrheils meine Freunde! — Wir alle, mehr und weniger, haben durch unsern Mißmuth, durch unsere Empörungen, durch un, ser Streben nach Gerechtsamen, die zu ewigen Mißhelltgketten führten und die allgemeine Ruhe und Thätigkeit hemmten, das Rabikalübel nur noch ärger gemacht; es ist wahr. Aber, Leser, sey billig, und vergiß nicht die Natur des mensch, ließen Herzens in Erwägung zu ziehen. Der Mensch wird so vieles durch Umstände, was er durch eigenthümliche Neigung nie würde gewor, den seyn. Selbst der loyalste Mann kann in Ver, suchung gerathen, sich gegen seinen Vorgesetzten zu emancipiren, wenn dieser ihn drücken will und bey seinen eigenen Geschäften eine Blöße über die andere giebt. Das Gefühl der Ue b erleg en, Helt ist bey Direktoren einer Schulanstalt das «tnzlge, was sie vor Kränkungen bewahren kann. Rang und Titel und Würden sind ein sehr schlechter Schild dagegen, und Großthun machlS nicht aus.

(

179

)

Wa« hätte In diesem tollen Institute bey gm rem Verhältnisse der Mitglieder unter einander geleistet werden können, zumal wenn jeder veran, laßt geworden wäre, statt sich zu theilen und Tausenderley durcheinander zu treiben, sich in Einem wissenschaftlichen Fache oder Einer Sprache voll­ kommen festzusetzen? Waö half es nun, daß man von einer neuen und bessern Pädagogik sprach und sie theoretisch auseinander setzte, da man doch damit in der Praxi keine Ehre etnlegtr? Wozu dienten alle die großen lärmenden Veranstaltungen, die man getroffen hatte? alle das Ausposaunen neuerer E.findun, gen? das BerLchüichthun gegen alre Lehrart, die doch so lange im Stillen der Welt so unzählige brauchbare und gelehrte Männer geliefert hatte? Wozu der Aufwand von großen Summen, welche die Gründung und Unterhaltung der ersten Pstanz, schule der neuern Pädagogik kostete, und worin Tausende durch unordentliche Wirthschaft ver, schwendet wurden, wahrend unzählige Schulen in Dürftigkeit schmachteten? — Hat man nicht Recht, von dem vielen Gelde, was das Publi­ kum und die Eltern aufwaudten, von dem VerM 2

(

t8o

)

trauen, da« man mißbrauchte, Rechenschaft zu fordern? Hat man nicht Recht zu fragen: wo sind denn, nach Maßgabe des außerordentlichen Lärmens, der von der Kraft der neuern Pädagogik

gemacht worden ist, die außerordentlichen Effekte,

die dadurch hervvrgebracht worden sind? — Sind

denn die jungen Leute dadurch merklich geschickter, thätiger und arbeitsamer, nüchterner und frug»,

ler, bescheidner und weiser geworden? — Haben sie sich dem größten Theile nach als hervorstechen,

de Muster der Enthaltsamkeit, der Festigkeit in

Grundsätzen, mit einem Worte der Moralität bewiesen? Ünö; da seit der Gründung des ersten PhilanthroptnS eine so große Anzahl von jungen

Leuten dort erzogen wurde, aus welche dereinst ein ansehnlicher Wirkungskreis wartete: wo sind

denn, kann man fragen, diejenigen, die sich durch große und rühmliche Handlungen, durch bemerk,

bare 'Verdienste um die Welt, um ihr Vaterland vorzüglich ausgezeichnet haben? Und wenn einer und der andere aufgewtesen werden könnte, läßt

sich behaupten,

daß dieses ein

ursprüngliche«

Verdienst de« PhtlanthropismuS, und nicht viel,

mehr eigenes Verdienst und Wirkung der nach,

maligen Umstände sey?

(

i8i

)

Man wird antworte»/ wo nichts Vorzügli, ches v.-rspürt wird, da hat man die Methode nicht verstanden und die Sache nicht recht gemacht. —

Aber wo wird sie denn recht gemacht? Man sollte glaub,n, das müßte doch wohl in der ersten Mutterschule geschehen seyn.

„Gerade da am wenigsten," wird man sa, werde ich darauf ant,

gen; und schlecht genug!

Worten.

Wenn das am grünem Holz geschieht,

was will am dürren werden? Es wird also wohl überall, wo phiianthropisirt wird, breit seyn.

Methode hln,

machtö allein nicht aus.

so lang als

Methode her!

daö

Das Fundament ist die

Hauptsache; gründliches Lehren der Sprachen und

Wissenschaften,

ächte Bildung zur Moralität

und — vorzüglich gutes Muster in Allem und Essiheit und Uebereinstimmung des Ganzen in allen seinen Theilen.

Eine H'auptqmlle aller Uebel war eine fehler,

haste Kowstitution, die die Regierung unter sechs Köpfen von höchst ungleichem Werthe ver,

theilte, und diese den Lehrern entgegensetzte, wor,

au« zwey widerstrebende Körper entstanden.

ES

ist unglaublich, was daraus für unsäglicher Nach, M 3

( 183 ) theil für dar ganze Leben und Weben tm Institut« nach allem Umfange daraus entstanden ist. Be, sonders zu meiner Zeit, wo endlich die innern und äußern Gährungen aufs höchste gestiegen waren. Unendlich vieles ließe sich davon erzählen, aber e« würde nur einen sehr kleinen Thbtl des Publl, kums interessiren. Nur dies will ich anführen, daß, als Wolke während feines Prozesse« mit Basedow, von seinem Amt« susprndirt wurde, ein völliger Krieg Aller gegen Alle entstand, daß «ine völlige Klage gegen DlrektionSmilglieder denn Fürsten anhängig gemacht wurde, daß eine vill'ge Trennung, eine völlige Anarchie erfolgte, alle Geschäfte stockten, einige ^age lang fast gar keine Stunden gegeben wurden, die Zöglinge ver« irrt und verwaiset umherliesen, daß der edle Fürst, der von je an so viele Kränkungen, so vielen Un­ dank erfuhr, endlich 'Neuendorf derufen und selbst in eigener hohen Person eine Aussöhnung bewirken mußte. Ich sehe ihn noch vor uns Allen bastehen, den erhabenen, menschenfreundlichen Fürsten, mit Zei­ chen der innigsten Rührung und Milde, mit einer schönen kummervollen Thräne tm Auge;, ich hör«

c

18z

)

«och Ihn sagen: „ES thut mir recht leid, da­ alles so Ist. Sie glauben nicht', was ich leide. Sie wissen, wie lieb ich das Institut habe. Thun Sie mir den Gefallen und vertragen Sie sich!"— Welch ein großmüthiger Mann! Und den konnten Pädagogen, die das Schild der Menschenfreund, schäft ausgehängt hatte«, so kränken? Seine vie, len Wohlthaten konnten Ihm an einem Orte so vergolten werden, der sein Daseyn und Bestehen vorzüglich Ihm zu verdanken hatte? O psuy! es macht uns allen unauslöschlich» Schande — ich nehme mich ketneSwegeö aus; denn auch ich war ein sehe-rüstiger Gegner, jugendlich und kraus und concipirte im Namen meiner Kol, legen manchen bitter» Aufsatz — es macht uns, aber uns Lehrern nicht allein, auch dem größten Theile der Vorsteher keine Ehre, daß die feierli­ che Aussöhnungescene, die nach der Entfernung des Fürsten erfolgte, kaum einige Tage bauerte; baß Bitterkeit und Mißtrauen in aller Herzen ih,

ren vorigen Platz wieder einnahmen, und daß der vortrestiche Fürst die Freude nicht erlebte, die er sich von der neuern Einrichtung versprach; vielmehr den Verdruß,

daß das Institut mit

M 4

(

i84

>

fdjnfffcn Schritten seinem Untergange zueilte, eine Anstalt, die er so gern mit Vaterliede gehegt «nd gepflegt hätte. Unselige Pädagogenwirthschast! -- Zch wer, be mein Ledtnlang daran denken, und mir selber nie den Vorwurf schuldig bleiben, daß ich eben, fall« lehr oft an meinem Theile verkehrt gehandelt, und mich von dem Geiste der Gesellschaft zu man, chen Verirrungen und übereileen Entschlüssen habe hinreissen laff-n; wozu ich auch den Prozeß rechne, den ich in der Hitze der Empfindung, zum Nach, theil der allgemeinen Ordnung und mancher mei­ ner Obliegenheiten, wie nicht minder yim Aerger­ niß unsrer beiderseitigen Zöglinge, gegen einen sehr unruhigen und übermülhigen zwar, aber sonst wackern und verdienstvollen Mitlehrer geführt habe, sintemal es doch überdem schon genug Veranlag fangen zu Uneinigkeiten und Störungen gab. — Aber was wqr hier nicht alles möglich? Und wie konnte man, ohne ganz besondern Edelmuth, im Kleinen unterlassen, was Männer wie Basedow und Wolke auf unendlich nachtheiligere Art vor den Augen der ganzen Welt thaten? Durch den berüchtigten, fatalen Prozeß hat D a se d o w den Ruin der Anstalt, aus die W. mit

( 185 ) seinem Ansehen und öffentlichen Kredite ganz vor, züglich wirkte, ganz unstreitig herbetgeführt. Da­ wußte er, daö war ihm nicht lieb und ein so Intel* ganter Kopf als der (einige, that nichts umsonst und berechnete die Folgen genau. Bey aller Ehr* furcht, die ich für seinen Namen habe, kann ich nicht umhin, dies Urtheil hier öffentlich geltend zu machen, das seinem Charakter sicherlich nicht zur Ehre gereicht- ^ ehut mir leid; aber ich bin nicht im Stande mein Urtheil zu ändern, so sehr auch mancher Satrape von dem großen Manne da* gegen deklamiren wirb, Welch eine häßliche Epoche, di« ich damals belebte! — Was mußten solche Scenen für Es* fest auf die Zöglinge machen! — Wae sollte das Publikum davon denken, und was mußte es sich von unserm Erziehungewesen überhaupt für Vor* strllungen machen, da dle Väter der Pädagogik, die eine« so allgemeinen Ruhmes genossen und so herzrührend auf Veredlung der Menschheit ange, tragen hatten, sich In einer ehrenrührigen Sache öffentlich vor Gericht zogen und der Aelteste und Be* nerabelste darunter, In einer unglücklichen Trun* kenheit, bey später Nachtzeit sich mit einem rüst!* M f

c iss ) Seit Armzerbrecher In einen unfettigen Faustkamps eingelassen hatte, den dieser nachher nicht erman, gelte, wie ein Herold in alle Welt nach allen Um, ständen auszuposaunen!! — Gestehen wir, baß solche Haupt, und Staatsaktionen nicht dazu die, nen konnten, den Glauben an die Kraft der Pä» dagogik zu stärken, und daß eü kein Wunder Ist, daß man das philanthropische so schlecht gesteuert» Schiff, Trotz seiner Nothschüsse, gleichgültig den Stürmen Preiß gab und auf die Sandbank lau, fen ließ.

(

187 )

Das Volkslehrer - Philanthropin in Nachten siebt.

Eine Scene zur Erhohlung.

dem allgemeinen Glück, welches die Thor­ heiten in der Well machen, konnte es nicht fehlen, daß der rumorende PhilartthropinismuS viel Nach, öfferey sand.

Ich hatte damals das Vergnügen, auf einer Steife nach dem Harz ein merkwürdiges philanthro, pisches Schlffietn zu sehen, das ein Dorsprediger in Nachterstedt bey Halberstadt flott gemacht und mit Dauernkindern geladen hatte, und wo, von er die Wimpel lustig umherwehrn ließ. Aufmerksam gemacht durch die Lobpreisungen eines Raths Perschke, der sich In dem Dorfe als Mitgehülfe de« philanthropischen Predigers H. eine Z-itlang aufgehalten hatte, machte ich, in Gesellschaft meines lieben alten Freundes W., der mich ehemals in Halle mit so treuer Liebe unter, stützt hatte, von Quedlinburg aus einen Stitt dort, hin, um daS Handwerk zu begrüßen.

c iss

)

Es war noch früh am Vormittage, als wir den Prediger, «inen Mann von respektablem An,

sehen In einer edlen simplen Kleidung, mit einer rauhen Mühe, beinahe r la Rouflcau, mitten im Dorfe trafen, Wir gingen respektvoll auf ihn zu, und als er mein Gewerbe aus meiner Uniform er, sehen und unsre Absicht sich hatte vortragen lassen, bezeigte er sich freundlich und gastlich, und beglei, tete unk unter edlem philanthropischen Sermon, -en ich nicht }u unterbrechen wagte, zu seiner Pfarrwohnung, vor weicher ein — Schilderhaus stand.

Zch muß gestehen, daß die militärische Umge, bung eines Hauste, worin ein Bote des Frieden« wohnte, mich frappirte; aber ich unterdrückte meine Neugierde; denn je mehr wir uns ber Woh, nung genähert hakten, je ernster und feierlicher war das Gesicht des guten Manne« geworden. Und als er nun davor stand, nahm er eine grade Stellung an voll Würde und Selbstgefühl, die dem Manne von Werth gut steht, wenn e« ihn flüchtig überläuft, wer er ist.

Wir stiegen hinan, und jede Stufe brachte un« beinahe einen Sentenz ein; denn unser Begleiter

(

189

)

sprach in einem fort, schön und wohlgewLhlt,

hinter uns drein.

Er expontrte schon im voraus,

was alles gethan würde.

Das geht hier beinahe,

wie in Dessau, dacht' ich; und fühlte mich ein»

heimisch.

„Treten Sir Nur da hinein, meine lieben

Gäste, sagte er mit der Hand wehrend, als wie «ns zur Rechten In ein Zimmer verirren wollten, wo wir Geräusch hörten, in welchem ich, nach geüb, tem Philanthropistenohr, neu - pädagogischen Der, kehr erlauschte.

Dazu har es noch Zeit." —

Es war ein großes mit Karten und derglrichen behängtes länglichteö Zmimer, wo wir eintraten,

mit einem langen Unterweisungstisch.

Zn dem

Winkel desselben stand «In Flügel, und drum her

hingen Gelgen und Pfeifen, Hörner und Dogen. „ES ist mir, wie gesagt, viel werth, daß ein Handwerkögenvß vom berühmten D-ssau her bey

mir einsprechen und sich selbst von meinen Bemü,

Hungen überzeugen will, — hub der Prediger mit edlem Anstande an, nachdem er ein ländliches

Frühstück zur Atzung vorgesetzt hatte.

Das Auge

des Kenners scheue ich nicht, aber wohl den Blick

der verrälherischen Reugier.

Zch werde verfolgt.

( 190 ) ich habe vielFeinde. Man beengt den ersten Trieb meines HerienS: offen und grade zu seyn."

Wir versicherten ihn unsers Wohlwollens und er fuhr fort. ,,Sie sehen ein Mann vor sich, der jenen Edlen in seinem Kreise nachstcebt, die mit Er, leuchtung und That für das Wohl der gesunkenen Menschheit vorangegangen, und das ErziebungS, wesen zu einer großen und schönen Angelegenheit gemacht haben. Mit Aufopferung meines-Ver, mögens, meiner Z'it, meiner Kräfte lebe ich dem Geschäfte, das Landvolk um mich her >zU vered len und unter ihm die Würde des Menschen wieder herzustcllen. Aber es gibt der Vorurcheile unend, lich viele. Der Menschheit sind die Flügel ge« lähmt. Wenn sie sich in die lichtecn Regionen auf, schwingen will, so erregen Geistliche Verfinstern», gen, und sie fühlt sich heim ersten Versuche bela, stet von dem Vorurtheile, dem Kleinsein des Jahrhunderts, vom Gegendruck de« Blödsinns und Neides. Was hilft es daß ein Locke, rin Rousseau, rin preiswürdiger Basedow — Sagen Sie doch, wa« macht er denn der «hrwür, dtge Allvater drs neuern Erjiehungswesens? "

< 19 C ) So viel ich weiß, ist er wohlbehalten uni schreibt Anbachtsbücher. „So! — Nun er lebe! und gönnen wir ihm, daß er unter seinen Lorbeer« auSruhe." O ja, er lebe! Aber ruhen ist nicht seine Sache. Und damit stießen wir an und thaten Bescheid, daß die Gläser umherklangen. „Was hilft es, laat' ich, — und dabey brückte er uns traulich die Hand, — daß Männer wlt jene da, die Welt mit ihrem Lichte erleuchten? Der Schein fällt höchstens in die Zimmer der Vor, nehmen und in ein Phtlanrhropin, schön und Herri lich, wie das Zyrige? Aber auch in die Schulen? auch auf das Landvolk, den größten und wichtig, sten Theil im Staat«? — O hier ist Nacht und Finsterniß und unausrottbares Dorurthetl; und so wie die Sachen stehen, bey unserm Predigt«, bey unserm Schulwesen, schleppt der Bauer sein Le, den dahin in halber Vtchheit-" „Ich warf meinen Blick hin nach den Anstal, trn des edlen Rochow. Der Funke zündete in meiner Brust. Ich beschloß — nicht meine Kraft auf die ganze Menschheit auszndehncn; dazu bin ich zu gering, obwohl ich auch allenfalls den Muth

(

»92 )

dazu hätte, — sondern bey meinen Pfarrklnberst stehen zu bleiben." Zch konnte hier unmöglich meine Achtung und Rührung zucückhalten. „ES freut mich, fuhr re fort, daß Sie meine Idee fassen und mit mir zufrieden sind. Aber wie sollte ichs anfangen? — Es wäre Thorheitauf di« ältere Generation wirken zu wollen. Also Ver« besserung der Äugend war mein Gesichtspunkt." Meine Achtung stieg höher. Um dieSjzu können, schien mir das beste Mittel, eine Anzai erwachsener Dauerbursche aus meinem Dorfe auezusuchen, um sie zu Volkeiehrern Lu bilden. Das schien mir nun zwar nicht; denn was zollten ein Duhenb Voikslehrer in seinem Dorfe? Die hätten noch weniger gut gethan, als die viere zehn Pädagogen in Dessau. Mit einem einzigen geschickten Lehrer, dem er selbst zur Hand gegan, gen wäre und etwas von dem ausgesetzt hätte, was sein Volkslehrer» Philanthropin ihn kostete, hätte er seine Pflicht auf eine sehr edle und hin, reichende Art erfüllt. Er wollte also wieder mehr, als nöthig war, wie die mehresten Volks- und Erziehungsverbefferrr. Allein, Achtung hieß mich mein»

c

193

)

meine Zweifel zurückhalten und ich wollte mich erst von dem Zustande derSache selbst überzeugen, bevor ich darüber aburthckn wollte. Nach vielen und langen Abschweifungen über seine weitläuftigen Handel, die er mit dem halber, städtschen Konsistorium bestanden, über die Necke, reien, die er von feinen Amtöbrüdern erfahre« müßte, „die mit scheelen Augen sähen, wie er sich „herausgewunden aus dem Schlamme der jäm, „merlichen Alltäglichkeit und nun in ungewöhnlt, „ chem Werke dastünde mit Thatkraft und Ener, „gte" — kam er denn — er merkte uns nach ge> rade Unruhe und Mißbehagen an — auf eine um, ständische Schilderung seines Lehr, und Unterwei, sungsplans. Aber, was war das? — Wir horchten hoch auf, als er sich nun redseelig ergoß über den ho, hen Schwung, womit er die Bauernsöhne, bey dem Widerstreben der Eltern, denen die Züng, finge entarteten, in die Regionen der Gelehrsam, fett hinaufriß; wie er behaglich alle die Herrlich, feiten uns vorrechnete, durch welche er sie ihrem Ziele näher führe, Griechisch, Hebräisch, Algebra, LvgiDogmatik und Gott weiß, was noch für Siebensachen. Zch sahe nun plötz, N

(

194

)

(les) alle die bunten Kartenhäuser vor mir stehen,

die hier ein verirrter und überspannter Mann mit

Mühe und Zeitverlust aufbaute, und wodurch er

jungen Leuten den Spaten und Pflug verekelte.

Dey all seinen Expositionen ergriff ihn Wärme und Feuer. Endlich ward er lustig und wohlgemuth, wie ein Fisch in seinem Elemente, und — nun fing der

tägliche Mensch an grell hervor zu st chen.

Dir

erste Gravität ging ihre» Weges; Deklamationen

machten aümählig Schnurren Platz; das präcieuse Uhrwerk war gegenMittag schon abgelaufen. Der

Mann ward wieder Er selbst und sand sich, za seiner eigenen Erleichterung, in seiner Gewöhnlich,

feit wieder.

Zch sah nach der Uhr —

„Zch merke, sagte er, Sie werden ungedul, big und wollen noch etwa« von der praktischen

Ausübung sehen.

Verzeihn Sie, daß mein En,

thusiasmuS mich über die Zeit ftntgertfien hat." Und stehe da, hereintrat ein junger Mansch in

blauer Soidatenunisorm von grobem Zeuge, mit unächtem Silber beseht, einen hölzernen Säbel zur Seite, der sich nicht scheute, nackt und blank

da zu hängen. „Da« ist mein Oberlehrer, sagte der Pastor,

und stand auf.

Mein lieber — Schütz, glaub

( 195 ) ich, hieß er — was ist so eben vorgenommen worden?" Sie wissen ja, Herr Pastor, Hebräisch. „Es ist wahr, heute ist ja Mitwoch. Nun, ists wohl noch Zeit, daß ich die Herren in die Stunde führe?" Sie ist schon geschlossen, und ich wollte mir daher vom Herrn Pastohr die Parole für heute «usbikten. — Das thut mir leid, meine Herren; aber wenn Sie sich hinunter bemühen wollen; so werden Sie doch wenigstens eine kleine militärische Einrich» lung sehen, die dazu dienen soll, die jungen Leute an strenge Ordnung und Subordination zu ge, wöhnen. Zm Vorbeigehen nahm ich mir die Freiheit, einen Blick in die Klasse zu werfen, und da ward ich denn in der That einer Tafel gewahr, woran hebräische Wörter und, wenn ich nicht sehr irre, noch gräulichere geschrieben waren. Milten durch her standen auch algebraische Zeichen, und das Ganze sahe mir aus, als wenn eine besorgliche Pädagogenhand das Auge auf da« Wunderbare im Mannigfaltigen absichtlich hätte leiten wollen. N i

Das wire indessen rin Streich gewesen, der im, wer noch besser war, als die Wahrheit selber. Wir stiegen, wahrhaftig mit ganz andern Em, pfindungen als wlr zuvor mit hinauf gebracht hat, ten, die Treppe hinab, ohne Phrasen und Sen, tenzen. Diese hatten hier das Schicksal, hinauf spedirt zu werden, ohne je wieder herunter zu kommen. — Der Phtlanthrope führte uns auf den Pfarr, Hof, einem Winkel zu. Hier stand die junge Brut schon versammlet, militärisch in Reihe und Glied, etwa ein Dutzend an der Zahl. Der Oberlehrer kommandirte und die Volk-lehrer zuckten die hil> zernen Sabel, und begrüßten uns mit militäri­ schen Ehrenzeichen. Ich hätte ihnen ein« Des, säuische Trommel gewünscht; denn, wie mich dünkt, so hatten sie deren keine. — Nun wurde link« um kehrt euch! gemacht. Der Kommandeur trat zum Pfarrer und dieser lispelte ihm etwas zu. Ein Kreis formtrte sich um den Lehrer; er sagte einem Mitvvlkölehrec die empfangene Parole ins Ohr, dieser seinem Nachbarn und so ginge in die Runde herum, bis einer zum Schilderhause ab­ geführt wurde, womit die Komödie ein Ende

c

197

)

Um — nach Tische einer neuen Platz zu machen. Sobald die Tafel aufgehoben war, woran — meinen Freund ausgenommen — lauter PLdago, gik gespeist hatte, traten die jungen Volkslehrer ab, und Hr. H. bereitete uns auf eine Konferenz oLer eine Act von Dessauischem Senat vor, den er, wie er sagte, alle Woche mit ihnen zu halten pflege, weil er davon die seegenereichsten Wirkun­ gen verspüre. Er ergoß sich, mit neuer Lebens, kraft von der wohlthätigen Tafel her, über Mo, ralität und was dahin gehört, in der That so, daß man hätte Lust bekommen mögen, ein guterMensch zu seyn. Seine Begriffe schienen mir sehr richtig, sein Gefühl geläutert, obgleich ihm bey Tische ei, nige arge Schwänke entwischt waren; und wir waren begierig, doch wenigstens etwas mit au< der Pfarre hinweg zu nehmen. „Sie können nicht glauben, sagte er, was hier bey offenem Austausch der Urtheile und Em, pfindungen für Gutes bey den rohen, jungen Leu, ten bewirkt wird; wie oft sie mit der Thräne der Rührung dastehen, wie ich bann Gelegenheit neh, me von ihren Selbstgeständnissen, —denn ich habe sie dahin gewöhnt, daß sie sich selber mit edler Reue anklagen — Stoff zu väterlichen Ermahnungen N 3

(

198

)

zu gewinnen, um auf so kunstlose Art der Tugend denLLeg in offene Herzen zu bereiten." Meine Einwendung, daß,junge Leute dadurch sehr l-tchltch zum Selbstbetrug, zur Heucheln) ge, wöhnt werden können, schlug er durch einr Sie sollens selber sehen! darnieder. Ich war schon längst gewohnt, die Pädagogik bey Dicke von der Pädagogik im moralischen Kon­ ferenzzimmer zu unterscheiden, und also dachte ich: schön! — das kann noch recht gut werden, und wird dich sehr angenehm veranlassen, dich in den Dcssautschen goldnen Saal zurück zu versehen. Wir traten ein. Das jungeVolk zog abermals den Säbel, und nachdem er wieder bey Seite ge, steckt war, sehte sich der Pfarrer mit Würde vor einen Tisch, von welchem her er eine gute Weile sehr mild- und mit warmen Interesse sprach. Er bot alles auf, um sich selbst zu übertreffen, und vor eigener Rührung — wenn's nicht vom Mit, tagswerne war — quollen ihm dabey die Thrä, nen aus den Augen. Die jungen Leute sahen ein, ander an, und wußten nickt, wie ihnen geschahe. Sie schienen solcher sanften Sprache, solcher Her, zensergießungen nicht gewohnt zu seyn. Es war eine Scene zum mahlen.

(

199

)

,z97un will ich doch sehen, so schloß er unge, fahr, was diese Worte aus euer Herz gewirkt hae den und ob ihr deü edlen Entschlusses fähig seyd, eure Gesinnungen nach der lautersten Wahrheit zu offenbaren, wie ihr es vor dem großenHerzenSkün, diger thun würdet. Die beyden würdigen'Män» ner da braucht ihr nicht zu scheuen." O bewahre! sagt' ich; im Gegentheil wollen wir uns der Aufrichtigkeit recht sehr freuen, und einem so seltenen -Opfer der Eigenliebe unsere Ache kung nicht versagen. DaS war eben so wenig pro loco gesprochen, als was der Pfarrer gesagt hatte. Denn als er nun den ersten besten bestimmt fragte: Nun, weißt du dich nichts BSseS in Gesinnungen, Reden und Handlungen von der letzten Zeit her zu erinnern? so war dieser gleich kurz und rund mit derAntwort hinterdrein: Nee! Herr Paster. — Nun gut; wohl dir, wenn dem so ist. Aber du, mein Sohn? — Nischt, Herr Paster! „Wie tsts denn aber mit dir, Zürgen? Von dir steht doch so mancherley hier iml Buche. Soll, test du einmal so glücklich seyn, dich rein zu wist fen?"N 4

(

200

)

Nee, Heer Paster! »„Was heißt das? Hast du etwas Unrechtes gethan mit Worten oder Werken, so gib der Wahrheit die Ehre und bekenne es!" Nee, Heer Paster, tck hebbe ntscht gedoan! „So ist denn der" Vortheil auf deiner Seite und ich freue mich darüber. Suche hübsch dir ein guteö'Dewußtftyu, dn achtes Selbstvertrauen zu erhalten. — Nun, rst denn heute Niemand, der sich selbst anflageii müßte? H - " Nee, Herr Paster! — so schrie der Nest von den jungt ni Volkelehrern um uns her. Der Plärrer nahm das Protokoll von der heutigen Satzung auf; wir Fremde wurden darin mit ho­ hn Ehren erwähnt. Es erfolgte ein padagogi, sches G?bet, unb 61t Scene war aus. Es ist In der Welt nichts fataler, als wenn je­ mandem ein Stück Arbeit mißlungen ist, und man soll ihm seine eigene alberne Miene aus dem verlängert-m Gesichte wegkomplimentiren. Ich wußte nicht, wie ich dem ersten peinlichen Ge, spräch nach einer Jo heroischen That ausrvetchen sollte. Aber bey solchen schußg>rechtett Philan­ thropen macht sich alles über Erwarten. Er er,

(

201

)

leichtete alsobald mein Herz durch eine Aussicht auf ein kleines Concert, das die jungen Leute so, gleich ansttmmen sollten, und maß so ganz neben, her den nicht nach Wunsch ausgefallenen Erfolg der Censur der Schüchternheit derselben bey. Wir stiegen also abermals hinan. Darauf fehle sich der Pfarrer zum Flügel; die provisort, scheu Holkslehrer nahmen ihre Instrumente und das Concert ging los. Es war nicht übel. Sie strichen und bliesen wacker in die Noten hinein, daß es vollauf tönte. Geschmack und Vertrag zu suchen, wäre ungerecht gewesen. Genug, daß die Noten über Mißhandlung nicht entgegen, schreien durften. Ende gut, alles gut, dacht' ich, indem wie uns wieder vor dem Schilderhause vorbeistrtchen und unserm freundlichen Wirthe das letzte Lebe, wohl zuwinkten. Es endet sich hier, wie mancher feierliche Schul-AktuS in der Christenheit sich en, bet, an dem auch weiter nichts zu lernen ist, als daß die Charlatanerie überall zu Hause gehört, und hier nur eine runde Perücke auf hat, und dort einen hölzernen Säbel an der Seite tragt. Wir nahmen ohnehin viel "Betrachtungen mit zu Pferde; der ehrliche Dauersmann, den wir N 5

(

SQ2

)

nebenher fragten, ob man nicht hier für die schöne Schule dem Pfarrer großen Dank wisse? hätte nicht nöthig gehabt, uns noch einige kräftige Flü, che über das verkehrte Wesen des Seelsorgers mit auf den Weg zu geben. Sie würden hochmüthige Hansquaste, die jungen Leute, meinte er; schäm, ten sich der ehrbaren Zacke und der Arbeit und verwilderten^ indem sie als Spielleute im Lande «mherzögen. Das letzte war leider wahr; denn sie wurden von ihrem Pfarrer ausgeschtckt in guter Jahres» zeit nach allen Weltgegenden, wie Prager Stu« denken, tim -u erlustiren und einen Kunstpfennig nach Haufe zu bringen. — „Es geschieht, sagte er uns, um die künftigen Dolkslehrer an gejellschastliche Ordnung und an Freundschaftsverbindungen zu gewöhnen, und ih, neu zngl ich vraktisch die Vortheile der Menschen, künde zuzuwenden." So kommt in der Welt alles auf die Deutung an, und man wird wohl noch Oerter, wie die Pfarrey in Nachterstedt, finden, wo sich sehr gut drüber schreiben ließe: Help Gott mit Gnaden, Hie wirb vk Seepe gesaden.

( so;

)

Wie ein Centaur eine Predigt halt übep einen Naturtext.

Es giebt kleines Abentheuer, blejsich nicht ohn«

Interesse erzählen lassen; aber man muß nicht Alles erzählen. So könnte ich von meiner dama­ ligen Harzretse manches sagen; aber ich will mei, ne Leser, für die ich mehr Achtung habe, damit günstig verschonen und sie lieber in die ernstem pädagogischen Gefilde wieder zurücksühren, in die ich doch im Grunde auch wieder zurückkehren muß­ te, so gern ich mich auch länger an der reizenden Zauberqestalt, an dem empfindungsschweren, schwärmerischen Auge und an dem sanften ver, rätherischen Gewände eines schön und lieb gewor, senen Schleiers, der einst angebeteten Königs, mark geweidet hätte. — Die armen Pädagogen haben immer das Nachsehen und müssen zu rech, ter Zeit wieder fort, und sollten sie auch, wie ich, in einem Tage etlf Meilen zu Pferde machen, und vor langer Weile unterweges eine Predigt halten müssen.

( 204 )

Zch debütirte sie auf einem Schimmel, um, ringt von dickem Mvrgennebel, der mir alle Ge, zenstLnde verfinsterte, einen rauchen Philanthrop!, schen Schiffhut auf und einen weißen Mantel um mich her geschlagen, so baß er die Füße verbarg. Die Langeweile, setzte mir zu. Um ihrer lo« zu werden, griff ich ein Thema gerade aus dem Nebel heraus; denn es handelt« von den periodischen Verfinsterungen am Ho» rizonte unsers Lebens. Mit gutem Ver, trauen überließ ich den Zügel dem bedächtigen Quedlinburger Grauschimmel, und hub an meine Materie schulgerecht einzuleiten. Es ging; und ich arbeitete und focht mich in die Sache hinein. Meine Deklamation ward immer lebhafter und lebhafter; mein Ton schärfer. Laut schollen mei, ne Betrachtungen umher. Voii Begeisterung all, mählig ergriffen sahe ich kaum, wie der Nebel ge, mach vor mir schwand, und die Sonne ihn von allen Seiten zerstiebte; denn ich sahe blindlings ist die christliche Gemeine hinein.

Plötzlich höre ich ein lautes Gelächter umher erschallen, gleich eines Gewiehers. Es waren Dauern, beide Männer und Weiber, die des

C

205

)

abentheuerlich vorüber ziehenden Reuters gewahr, ten, sich herzlich verwundernd auf ihren Spaten stützten und aus vollem Halse Feld ein lachten. —

Eine weiße sich bewegende nnh deklamirende Maschine, die auf vier Deinen gteng, war ihnen allerdings noch nicht vorgekommen. Allein ich zog fürbaß als ein Centaur, ließ die Leute lachen was sie wollten, und beendigte meine erbauliche Pre­ digt im Angesichte von Aschersleben, Wenn sie darnach eine Sage an ihrem Heerde aufgebracht haben, die sich vielleicht in hundert veränderten Ge, stalten von Kindern bis auf Ktndesktndern fortpflanzt, so habe ich vor langer Weile und heiligem Eifer eine Schuld auf mein Gewissen geladen, die dereinst einmal vielleicht irgend ein Produkten, buch abbüßen muß.

(

äo6

)

Lehter und ernster Rückblick auf das Erzle« hungswesen in öffentlichen Instituten.

^ndem ich meine geneigten Leser wieder nach

D ssau zurück erwarte, bin ich bemüht, ihnen mit olle dem Ernst entgegen zu kommen, welchen ein allgemeiner Rückblick auf mein damaliges Le, den jetzt In mir hervorbrtngt. Wenn ich mich selber frage: was habe ich denn für die eigentliche Erziehung gethan? so muß ich antworten, unstreitig sehr wenig. Es gab in dem Institut« keine Erziehung, keinen einzigen Erzieher; es konnt« keinrn geben, denn die An, statt selbst war kein Erziehungöinstitut, schon dar, um, weil «S In der Welt — keins geben kann. Dies mag frappiren; aber ich halte eö für eine Wahrheit, so sehr sie auch mißfallen mag. Denn, was das innere Wesen eines Menschen betrift, in sofern seine Anlagen und natürlichen Neigungen darunter verstanden werben, die ver, mittelst Anwendung einer besondern Wissenschaft, als die Erztehungekunde seyn will, eine bestimm,

c so7 )

t'e Richtung nach künstlich vorgestellten Zwecke« erhalten sollen, die zugleich der eigenthümliche« Deschaffenheik des Menschen durchaus angemes, sen find; so wirkt der Mensch auf den Mensche« sehr wenig, zumal derjenige, welcher ihm seins Kunst In seinem äußerlichen Berufe schon an, kündigt. ES giebt im Grunde keine Wissenschaft, es kann keine geben, avS deren Grundsätzen sich vollkommene Regeln bilden ließen, nach welchen man das Innere des Menschen, seine Art zu empfinden und zu denken, und seine daraus'ent, springenden Neigungen, schon in frühern Iah, ren bilden könne« Denn die Erfahrung muß je, den aufmerksamen Beobachter seiner selbst und anderer lehren, daß Kräfte und Anlagen sehe oft in dem Menschen bis ins reifere Jünglings, bi« ins männliche Alter hin verborgen fchlum, mern, und erst durch unerwartete Antriebe, zu, fällige Umstände und Erfahrungen sichtbar wer, den, die in keines Erziehers Gewalt stehen; daß jeder hauptsächlich durch sich selbst wird, waS er ist; daß das eigentliche Selbst des Menschen größtentheilS von Eleichterungen wie von StL, rungen gleich unabhängig ist. Uyd wäre es auch möglich, baß «s eine sol«

( 208 ) ch« Wissenschaft gäbe und sich anwenden ließe, die lehrte, wie man die mannigfaltigen Unvoll, kommenhelten der natürlichen Anlage des Men, schen, aus welchen alles hcrvorkelmt, was er denkt, empfindet und thut, verbessern und zu Vollkommenheiten erheben könnte: so wäre eS doch wenigstens unmöglich, sie in einer Anstalt von vielen jungen Menschen in Ausübung zu bringen. Und das aus taufend Gründen, wor, unter dieser der erste wäre, daß, wie Rouf, seau sehr rlchtlg sagt, auf solche Welse jeder Mensch tm Grunde einer eigenen Erziehung be, darf. Auf jeden Knaben ein Erzieher, wo sollte daS hin? gesetzt auch, daß es wahrhafte prak, tische Erzieher, im strengsten Sinne deö Worts gäbe, woran ich sehr zweifle. Aber werfen wir den Blick zurück auf die Erziehungsanstalt, tvie ich sie meinen Lesern nach völliger Ueberzeugung der Wahrheit dargestellt habe, und die, was einige Theile der Erzle, hung betrifft, noch immer die b'ste unter allen mir bekannten war; wird man sich noch wun, dern, wenn eln ehemaliges Mitglied derselben seinem Nachdenken und seinen Erfahrungen das Grständntß schuldig zu seyn glaubt, baß dort so wenig

c

209

)

wenig wie anderswo die Pädagogik ihre Ideale

vollführte? ja, daß sie im Grunde nicht einmal

ein ächtes Ideal der Erziehung hatte,

gesetzt

auch, alle Zöglinge hätten sich ntlt überetnstim,

mender Wirksamkeit — was hier unmöglich war und überall mehr oder,weniger unmöglich ist — darnach modeln und bilden lassen?

Und ich fragte darnach ?

Und ich quälte mich

zu Anfang mit dem Bedürfniß nach bestimmter Erkenntniß? wollte das Allgemeine erforschen, um meine einzelnen Pflichten darnach zu studtren?

Ich war ein unwissender Thor und auf sehr unrechtem Wege.

Es waren weit weniger beut«

ltche Ideen, als dunkle Ahnungen, die Mich dazu trieben.

Ein Erzieher, der viel fragen Muß', ist Wie konnte man ihm

nicht werth einer zu seyn.

antworten, zumal wenn man selbst daS Gefühl

mit sich umher trug, da« dem Vorsteher am stärk,

sten zusetzen mußte, keine Erziehungswissenschaft

eigentlich zu haben? —

Man mußte mich mir

selbst überlassen, damit — ich erst Erzieher würbe.

Aber doch bestellte man mich dazu? doch vek,

traute man mir die Bildung, das häusliche Schick,

fai von Kindern an! — So mögen sir's btnn ver, antworten, wenn ich schlecht erzog, indem ich gut 0

(

axo

)

ju erziehen glaubt»! So mögen sie es denn er» lauben, daß ich dem dahin geschiebenen Phtlam thropin da« Epitaphium nach schicke: es war keine Erziehungsanstalt! — Denn Iman hat mir da« Zeugniß geben wollen, ich sey kein übler Erzieher gewesen. Zch war, wenn ich den Begriff recht fasse, «in sehr schlechter Erzieher; und wenn ich mein damalige« Leben überdenke und vergleiche, so war keiner wenigsten« besser; viele waren wett schlechter. Zm Ganzen blieb es stets, wir eö von jeher war; al>o gab eö keinen wahren, ächten Erzieher, weil e« dort keinen gr« ben konnte, folglich bleibt mein Epitaphium wahr. Ich hatte viel guten Willen, Anlage, Lebhaf, tigkett, Lust und Liebe zum Geschäft; e« ist wahr. Aber die vielen Fehler nicht einmal gerechnet, die ich begangen habe, was hab« ich den« jenem Zdea, le der Erziehung genutzt? — Eü ist möglich, daß ich bey manchem eine« Dank vielleicht zu Gute habe. Aber ist da« auch was, daß man hin und wleder etwas Gutes thut, und durch mehrjährige pfltchtmäßige Bemühungen sich einer gewissen Summe von guten Handlungen bewußt wird? — Kann ich sagen, daß ich, weniger au« Hang und

Neigung, und — zufälliger Veranlassung, al«

(

211

)

nach achtem bestimmten Plane des Erziehers auch nur auf einen einzigen Menschen so innig, so nach konsequenten Grundsätzen und Regeln gewirkt habe, daß die Erscheinungen, die mir jetzt mit unter sichtbar werden, auf Rechnung meiner Dil, dungsanstalten geschrieben werden dürfen und daß ich sagen könnte: so weit ist es dein Werk? — Einzelne gute Lehren und Beispiele, einige Ge, wöhnungen und Entwöhnungen abgerechnet, die aber auch in allen guten Familienverhältniffen sichtbar werden und in jenem Institute vielleicht häufiger und mannigfaltiger waren, als irgendwo: kann ich selbst, kann irgend jemand mitZuverläs, Pgkeit sagen, daß der Grad von Kultur des Gei, stes und Herzens, der an manchem ehemaligen Zöglinge bemerkbar wird, eine direkte Folge der Pädagogik und nicht unendlich vielmehr das Werk der nachmaligen Lage des Jünglings, seiner Um, stände und eigener Bestrebungen und Erfahrun, gen, vielleicht sehr trauriger Erfahrungen ist? — Man hat doch dazu, wird man sagen, den Grund gelegt. Aber wie? — Habe ich nickt gezeigt/ daß die Pädagogik in ihrem eigenen Tempel verkannt her, umirrte? daß man sich einander Bruchstücke zu, O r

(

212

)

Ivars? — daß man sich oft selbst nlcht verstand? daß

man

nach

verschiedenen Dtmensioneltnten

wtrkre? daß man die Anlagen, Kräfte u» d Net, guugen der jungen Leute nicht einmal immer rtch,

ttg kannte? daß man, " eö ist metst-ntheils sehr verzeihlich, weil das Gegentheil sehr oft unmög,

lieb ist — die Zukunft, das Daseyn und Wirken und Können des künftigen Mannes ganz falsch

be,

rechnete, in dem damals stumpfen und trägen Kna,

b;n unmöglich den wackern, thätigen und getstvol, len Mann von Energie sahe, zu welchem Drang

der Umstände, neue Verhältnisse, vielleicht — Liebe ihn machten? so wie man in dem flüchtigen leichtsinnigen Jüngling den Mann von Festigkeit

und Grundsatz unmöglich ahnete?

Indeß, ich will damit nie leugnen, wie un, gleich

gesunder,

natürlicher, einfacher, unter,

de.bter die Jünglinge aus dem Dessauschen Znsts, tute gekommen sind, als sie aus Schulen gewöhn,

ltch zu kommen pfl gen; wie sie den Werth des

Menschen nach seinem natürlichen Verhältnisse besser kennen und schätzen gelernt haben; wie

sie

vor vielen Thorhelten, vor de> zu frühen Kennt, ntß unserer unbedeutenden und zu wichtigen Ge, genstanden erhobenen Gewohnheiten der Familien,

«nd des gesellschaftlichen L-bens bewahrt worden; wie Manches eher und ungehinderter bey Ihne« entwickelt worden ist/ Kraft« des Leibes und der Seele. Es wäre ja wohl schlecht, wenn auch da» nicht einmal reite. Aber daß hier «in Werk der Erziehung, in rei, ner intellektueller -Rücksicht, zu Stande gebracht und etwas Mehreres, als dürftig und Theilweise geleistet worden j>y: dar werde ich immerdar leug­ nen. Die Theoreme, gut ober schlecht, ,td? habe darüber hier nicht« zu sagen, liegen noch in den Lehrbüchern der Pädagogik nach systematischer Ordnung in Ruhe. Einzeln hat man sie beschwor ren und angewandt; im Ganzen ist nicht viel mehr herausgekommcn, als Produkt von Versuchen, als Folge einer grißtrntheils guten Aufsicht. Aber ist diese nicht auch in- guten Familien« Verhältnissen zu finden? — O ja, «nd hier mehr und sicherer, als irgendwo. Ich weiß, was man gegen unsre Familien sagen kann , und Schad« ist es allerdings, daß unser häußliches Leben so sehr von dem Leben der einfachern Vorzeit abweicht; daß sich, in unserer Art zu denkenund zu leben, so viele Hiudermsse gegen die Vortheile der häußlt, chen Erziehung finden. Aber dennoch wird eins

c 214 ) sogenannte Erziehungsanstalt, liege sie aus einem Berge oder In einem Garten, nie da» Gute in sich vereinigen, was eine gute Familie hat; dennoch die Kinder, nie schadlos' halten,' für das, was sie außer dem väterlichen Hause entbehren. Es wird immer eine Art von Möncherey ftyn, sey sie so gelind und gleißend als sie wolle, wo einzelne, den Kindern fremde Männer, mit einem Herzen voll eigenem Interesse, den Kindernmgang mehr als «Ine Last, als ein süßes Geschäft betrachten; wo die natürlichsten,Bande der Liebe gegen Eltern und Vaterland eher werden erstickt als befördert wer, den, und wo in den Seelen der Kinder nach und nach eine Leere in den Empfindungen und Gesin, Nungen wird entstehen müssen. Ich spreche' aus Erfahrung. Die armen ver, waisten Kinder, was hab« ich sie In dem öden, täglich gleichförmigen Verhältnisse manchmal be, bauert.' Nicht aus Empfindsamkeit; im Gegen, theil, ich war, wie man sich erinnern wird, nahe dran «tu empfindsamer Pädagoge zu werden. Aber wenn ich nun sahe, wir In Stunden, wo jeden Menschen, auch das Kind, das Gewöhnliche zu, mal da« Schulgerrchte anrkelt, die armen verlas, senrn Jungen von aller Weltgrgend sich sehnten

(

515

)

nach ihren Eltern unb Geschwistern, nach ihrem Vaterlande, nach ben ersten Gespielen ihrer Kind, Helt, unb da» ewige Schretbebuch ihnen verhaßt war unb sie an langen traurigen Sonntagen, wenn «ö draußen stürmte unb die Wege verschneyt wa­ ren , eingesperrt dasthen mußten unter ihren täge llchen Gesellschaftern, mit denen sie vorlieb neh« men; bey mir, mit dessen Lannen sie rnfrieden seyn mußten, ba es mir nicht besser gleng, wie Ihnen; wenn Mißmuts) uns alle überschlich unb einer wie ber andere fühlte, wie er sich dem An, dem aufopfern und nur etwas, «in Spiel, eine Zerstreuung hervorsuchrn müsse, um die innere Sehnsucht nach W-sen zu übertäuben, die dem Herzen näher lagen — Wie traurig machte mich das dann, und wie verwünschte ich das pädago­ gische Klostecleben, an dem ich sonst wieder mit eigenem Enthusiasmus hieng, und das auch die flüchtigen Kinder bey besserem Wetter, bey größe, rer Freiheit in der Natur vergaßen, weil sie im Grunde mehr als erträglich war, in anderm De, tracht wieder ihre Reize hatte. Man fühlte das Bedürfniß des Familienlebens. Was that man daher? — Man veranstaltete pe­ riodische Zusammenkünfte bey ben verheirarheten 04

(

216

)

Personen des Instituts. Die Zöglinge kamen mit. — Aber in weichen traurigen Verhältnissen standen die Pädagogen mit einander! — Und, wäre das auch nicht gewesen, wozu konnte das rnchr HUftn, als höchstens jungen Leuten ein wen?g Politur zu geben, die man überall, und in gewissem Betrachte nicht mit Unrecht, als rauhe Naturmenschen ausschrte. Wie wett blieb das ab les von der süßen Familienfreude entfernt, die sie entbehren mußten! Noch- einmal, es ist an dem Philanthropin eine ganz nützliche Anstalt, aber kein Erziehung^, Institut verlohren gegangen, das die Pädagogik im Namen der Menschheit bedauren dürfte. Es kann sogar uns allen, die wir daran arbeiteten, jetzt lieb seyn, daß das Lokale und ein höherer Schuhgeist ein gespannteres und allgemeineres Interesse an der Ausübung einer vermeinten abso, luten Erziehungskunst verhinderte. Denn, da man dadurch wahrscheinlich nur auf vervielfachte An, maßungen über die Natur d?s Menschen gekom­ men seyn würde, so müßte uns allen jetzt nicht wohl seyn, wenn wir einsähen, daß wir damals uns selbst, die Grcnz-n unsrer Kräfte und unsrer Kunst verkannt, vielleicht daS Schicksal manches

(

917

)

Zünglingö auf Zeitlebens verrückt und seinem in­ nern Werthe unersetzlichen Schaden gethan hätten. La n3eure a tont fair le inieux qtTif eroit poslible. Nous voulons mieux Faire, et nous ghons tout Ro ü sfea u.

Das soll nuti nicht soviel heißen, als wenn al, les in der Natur des Menschen aut und schön wäre; sondern daß nichts gut und schön' seyn kann, was nicht'auf wahre tmb natürliche EmpfiMng berühr. Und da der Erzieher nun allemal nicht wissen kann, in wiefern er durch seine Demühum gen, künstliche Empsindungen 'rmd 'Neigungen zu erregen, mögen sie ihm auch noch so gut scheinen, bky der Natur Dank verdient, und auch schon das bloße EntwlckeluKgsgeschäst in vielen Fällen sehr mißlich bleibt, weil sich In der Zugend bey vielen Individuen entweder gar keine oder btsweiten sehr trügerische Merkmale von Anlagen und Neiqum gen äußern: so kann er mit all seinem padagogi, scken Apparate, verderben, was er vermeinte gut -u machen. Man kann die Natur veredeln, ihrem Ent, wickelungsgeschäste zu Hülfe kommen. Das ist Alles unk) auch Immerschön viel. Aber wozu die Natur den ersten Stoff nicht in den Menschen 0 s

(

2,8

)

legte/ da« wird berErzieher mit aller seiner Kunst, eben so wenig, hineinbringen, al« er da« Daseyn

aageborner, in der Organisation gegründeter Neigungen und Triebe zerstören, und den mächtigen

Einfluß der ersten Eindrücke der Kindheit aushe­ ben wird, — Ich habe manche« — und weil nie ein Mensch in meiner Jugend sich um mein Herz

bekümmert-

— so habe ich Im Grunde Alle« al«

leiste mir Hülfe der Umstände und belehrender Er? fayrungen/ an mir seiber gethan.

Aber ich ver­

mag — wie schlägt e« mich oft noch danieb?r! —

manche Neigung, manchen bösen Trieb, den ich

mit auf die Welt brachte und der sich durch hie srü,

heften Eindrücke meiner Kindheit verstärkte, nicht auezurotten.

Zbn zu schwächen, ihn i» seinen

Wirkungen zurückzuhalten, ist aller, was ich durch Bemühung der Vernunft und Gewöhnung vermag.

Und so wird es bey andern auch seyn.

Was man

mit Ernst an sich selber thut. Ist mehr, als was ir­

gend «ine Kunst von andern Menschen thun kann. Und was eigene Ersahrunz und Nachdenken, was

Freundschaft uird — Liebe nicht können, das wird

die Schule voll gedungener Pädagogen noch we,

nigcr können.

Das ist mein Glaube.

Ich werde zum Hofmeister bestellt.

Ein

Krieg mit Amor wird eingeleitet.

Ehe ich mit meinem Eleven — einem liebens, würdigen Jüngling, von vielem Talent und einem

sehr gefühlvollen Herzen, der aus freier Liebe

mich zu seinem akademischen Führer vom seinem Vater aus dem Norden her erbeten hatte — von dannen zog, gabs von seiner Seite noch aller,

Hand abzumachen und vom Herzen loszuwtckeln, was sich, ungeachtet meines nahen Umgangs mir

ihm und der pflichtschuldigen Inspektion seines

Aufsehers, darin verschlungen hatte. Unsre gr-ßern Phiianlhroplsten hatten ihre kleinen Avamüren, PrivatschwLnke und Verbin,

düngen so gut, wie di« Primaner und Sekunda, ner anderer Orten.

Und obgleich mancher unter

uns der unvergreiflichen Meinung lebte, sie wür, den Ueber nach den zwey Leuchtern im Detsaale, als nach schwarzen stralenden Augen sehen; so

lehrt« die Erfahrung doch, daß der Morgenstern der Liebe in manchem nachbarlichen Auge für sie

(

220

.)

att festig, ittrt daß sie, wentp er bis tn den Bet» saal schien, lieber von ihm , al« von dem matten Schein der symbolischen Wachskerzen sich erleucht ten ließen.

Wichtigen Zwecken entgegen streben, als da« Studium ernster Wissenschaften ist, durch welche man seinen Geist zur Untersuchung der Wahrheit geschlchc Machen und sich zuA nützlichen Staats, bürger vorberetten will; ein« Lausbahn antrete« wollen, -bey welcher;mau mit ungeihetlter Seelen» kraft aus einen Hauptpunkt/wirken und sich in dein- Bewußtseyn einer freien Selbstlhättgkelt von störenden Neigung.«« nicht angezoge« fühlen darf; — und dabey in einer Lage sich befinden, wo in dem Herzen am Morgen wie am.Abend Töne der empfindsamen Liebe wtederhallen — das verträgt sich ntch: gut miteinander. Aber was soll nun gar daraus werden, wen« auf der einen Seile die trnste Dame Zuriöpru, denz dasteht, mit ihrem-'.steifen, altfränkischen Gewände und trockenem, langwelligen Curlalge» sicht, und auf bi« andere kommt alle Augenblick« ein liebreizendes Mädchen luftig dahergehüpft? Soll der Empfiudungsglühende Jüngling nicht je,

( litt

221

)

den Rücken kehren und dieser in die Arme

fliegen? Soll er ihr nicht, tvmn sie ihn zudring,

lich -ur Schule halten und von seiner Herzgespie, ltn abwehren will, lieber dae Corpus Zuns, we,

nigstens.die Pandekten an den Kopf nmfen?

Wo solch ein Wiederbaken im Herzen eines Zünglmgs ist, da hangen sich nur lauter Empfin, düngen und Bilder aus Romanen dran, aber

nicht Wahrheiten und Lehren auo Kompendien.

Wenn es also auch sonst keine Rücksichten in der Welt gäbe, warum unter Lagen und Umstan­ den ein junger Menjch Liebschaften und frühe

Verbindungen,

zum Vortheil von beiden Sei,

ten, sobald als möglich vergessen und wiederaus,

geben, oder sie lieber gar nicht schließen jollte; so

ist e6 doch schon jenes.ZrveckS wegen, keinem Zwei­ fel unterworfen, daß ich als gestrenger Hofmei,

(ter, sobald ich jene Erscheinung gewahrte, die Pflicht auf mir hatte den Hamen aus .dem Herzen -meines Zöglings, der mir näher anginq als der

Gegenpart, wo möglich heraus zu ziehen, wenig, stenS 'ihn so lange zu kehren und zu wenden, blS er von selber locker würde und heraus fiele.

(

222

)

Alle» richtig. Aber so etwa» will Weile und Behutsamkeit. Denn schnell fliegt Amor in« um verwahrte Her; hinein, und schleicht nur sehr lang, sam wieder heraus. Wenn er einmal Posto ge, faßt hat, so hat er den Vortheil, dem Feinde da» Terrain abgewonncn zu haben, und da wehrt er sich bey Angriffen, wir «in Scharsschüh, nur um so muthiger.

Das lehrt die Erfahrung aller Orten und Em den. Aber darauf fällt ein Hofmeister so leicht eben nicht, und darum dachte auch ich nicht son­ derlich an diese Kriegsoperation, die das Alter der Welt für sich hat, obgleich ich nur in mein ei, genes Leben hätte zurückgehehen dürfen. Aber wir Menschen moralisiren immer vorwärts, und denken selten daran, ob die Empfindungen nach wollen; glauben, andere Menschen sind nicht so wie wir, und nach diesem Glauben modeln wir um fett Maximen. 3d) nahm also das jugendliche Herzvereln von der leichten und flüchtigen Seite, glaubte stark an meine Lehren und Ermahnungen und Trostgrüm de; meinte, Veränderung de« Ort» und der Lage, Zerstreuungen und Geschäfte, und — sva» mam

(

22 Z

)

ches Mädchen am de» Primaner gebracht hat — lustiger und bunter Sludentenverkehr würden ab les schon gut machen, und fern vom Liebchen würde der kränkliche Liebesschauer sich bald genug in gesunde« Nachdenken verlieren. Auf Liebe und Vertrauen konnte lch bey mei­ nem Seelen kranken, jungen Freunde gewiß rech, nen; denn er ehrte meine Einsicht und hielt sich gewiß überzeugt, daß ich eö gut mit ihm meine. Darauf ließ sich etwas bauen. Zu dem Ende be­ schloß ich, alles zu versuchen, was warme und be­ redte Freundschaft dem Herzen etnzug den vermö­ gen; und wenn ich ihn erst auf den rechten Punkt haben würde, wo Ueberzeugungen sich mit All­ gewalt seines sehr guten Verstandes bemächtigt ha« benj würden, für den sich nichts umsonst thun ließ: so hatte ich beschlossen ein heroisches Mittel anzuwenden, und durch einen raschen Entschluß ihn, wie das Mädchen, das in der That viel Ach­ tung verdiente, in den Fall zu sehen, sich beyder­ seits aus einem neuen und ernsthaftern G sichtck« punkte zu betrachten. Zs berechnete dabey bey Gewinn, den mein Eleve aus der Selbstach­ tung »nd dem Bewußtseyn einer männlichen

Handsima, die mit dein Schmerz der Empfindun,

gen erkauft war, ziehen würde; und von Selten

des feinen und gebildeten Mädchens uns

Macht beS

weiblichen Stolze«',

dl«

der sich gegen

Verschmähungen auslehnt, und bey Menschen von

Bildung und Werth, nur In dem Falle der höchsten innigsten Liebe, einen Weg zweimal inackt.

Ich wollte Ihn dahin bringen, Ihr einen Absa,

gebrief unter meinen Augen zu schreiben, dessen Stoff au« der Fabrik meiner Hosineistervernunft genommen, und der In einem Tone abgefaßt wä,

re, der ihrer beyder' würdig geblieben wäre und sein Interesse Immer mehr in der zunehmenden Vernunft und Erfahrung gefunden hätte.

Das war doch wohl kaikulirt, und künstlich

genug komblnlrt, sollt' ich meinen? Zwar würde ein Menschenkenner diese Proce,

bur viel anders berechnet haben, der da weiß, wie wenig auf die starken und erschütternden Effekte

zu rechnen Ist, wenn man einer Empfindung ent»

gegen wirken will, die nicht mehr wie ein rascher Waldstrom Im Frühling daher braußt, sondern be»

reit« wie ein stetiger Strom in seiner Tiefe sicher und ruhig daher strömt; — wie In dem wogenden

Herzen des liebenden Jünglings und Mädchens eine plötzlich Ebbe einer neuen Fluch Platz machen muß; — wie frühe und gewöhnlich wie richtig ein junge« Mädchen Fälle der Liebe, ihre perlobb schen Veränderungen und Abweichungen nach der Magnetnadel ihres Herzens berechnet, und wie bald sie hinter oa« Geheimniß kommt, daß ein Mädchen mit größerer Feinheit sich in Vorthell sehr, indem sie die starken Uebergänge ihre« Freunde« In ihren Folgen mit edler Ruhe und scheinbarer Gieichgüitiqkeit abwartet, al« wenn sie sich mit allen Empfindungen dagegen em# pirt.

Aber in der feineren Menschenkenntniß, wie selten haben gewöhnlich Erzieher darin etwa« ge, thau? — Und wenn sie auch Bruchstücke davon sich erworben haben sollten, — Wie e« «Hohl seyn kann, daß mein früher Umgang mit Weibern mir gerade im Punkte der Empfindungen einige zuge# führt haben konnte, — so haben sie nun einmal zu starken Glauben an ihre schulgerechte Methode, und meinen, auch bey höheren Aufgaben mit ein# fächern Werkzeugen der Pädagogik, mit Lehren und Ermahnen, davon zu kommen, ohne sich nach

(

226

)

feinern Hülfsmitteln umsehen zu dürfen, welche bas Erforschen der im Verborgenen wirkenden Natur und der Kunstvollere Umgang mit Mene schen an die Hand giebt. Zch muß wenigstens gestehen, daß ich damals alle Pädagogik gegen eine Mädchenschleife zum Pfande gesetzt hätte, daß der kluge Hofmeister ge, Winnen und der kindische Amor aus dem Felde ge­ schlagen werden würde. Wenigstens bildete ich mir ein, daß, wenn er auch eigensinnig wieder kommen würde, er doch, nach einem solchen Hauptstreiche, der ihm doch etwas die Flügel ge« lähmt haben müßte, bey stet« erneuerter Gegen­ wehr endlich ermatten und beschämt zu seiner Mutter würde zurückkehren müssen.

c s-7 )

Versuch der heroischen That. S° fieng ich denn also; im Namen der Freund, schäft, mein tkSstlichrs Werk an.

Ich that ehrlich, was man mit einem Herzen »oll inniger Zuneigung zu seinem Freunde und im Bewußtseyn seiner vorschwebenden Pflicht thun kann; bereitete mich vor, zu einer feierlichen Abenbscene mit einer Reihe von Wahrheiten und ihren Gründen — Beiläufig gesagt, wer einen Menschen glaubt von der Liebe heilen zu müssen, der wähle dazu nie den Abend; sondern den Morgen. Am Abend ist Lauberhüttenfest für alle süße Empfin, düngen. Am Morgen geht die Vernunft auf die Börse, und wer mit Gedanken und Urtheilen Tausch und Wechsel treiben will, der wählt dann die rechte Zeit. —

Und als die Stunde nun gekommen war, und ich das Herz meines Freundes leise berührt und endlich zum Erguß über seine Liebe gebracht hatte: da trat ich auf mit meinem Apparat von Borstel, langen und Gründen, untermengte ihn mit Küs, P r

(

228

)

ftn und Thränen, Drust an Brust gedrückt, und ein Seufzer nach dem andern entwand sich der klopfenden Brust des ZünglingS. Es war ein süßes Fest des Herzens für Menschen, die In ent, gegen gesetzten Richtungen zusammen trafen und fortan einen Lebensweg dicht neben einander, Hand In Hand, gehen wollten. Es wird mir unvergeßlich seyn! Anfangs hatte ich mich bloß an flüchtige Er, fchetnungen gehalten, welche in solchen Zähren allgewöhnlich und unbedeutend zu seyn pflegen, und glaubte also nur Folgen ahnen zu dürfen, die sich bald, vielleicht bloß mit einiger Satyre, einer sonst kräftigen Arzney, würden heben lassen. Aber In diesem Kampfe sah ich nun erst, wie die Empfindung des schwärmerischen Züngitngs schon In einen festen Stamm geschossen war, wovon die fest in einander verschlungenen Wur, zein sein Herz durchwühlten. Ich fühlte, wie meine Pflicht mlr nun um so ernster gebot, entgegen zu wirken; wie ich den Züngling höher hinauf reißen mußte zur Drson, Neuheit, zur Auflösung einer ihm durchaus nachthetltgen Verirrung, In klares Bewußtseyn; wie er sich — und das war es, was ich sehr

(

22Y

)

thLrigt tm Eifer übereilte — noch heute, lieber als morgen, zu dem freien, kühnen Entschlüsse

erheben müsse,

dem Rathe der Vernunft und

Erfahrung zu folgen, und etwa« Entscheidendes

zu thun.

Und damit verdoppelte ich denn meinen Ge« genkampf mit verstärkter Kraft;

mir schien es,

betäubte, —

ich überzeugte — mit Gründen

der Vernunft, was ich nur konnte; entflammte

zu

höherem

Enthusiasmus

den

fortgerissenen

Jüngling; überwältigte sein kümmerliches., to< manhafteS Gefühl durch das Gefühl

der neu

errungenen Freiheit, der herzerhebenben Selbst« ständigkrit; und frohen Muthes voll, einer neuen wohlthätigen Kraft sich bewußt — so glaubt' ich — setzte er endlich sich hin und schrieb mit hei­ terer Ruhr jenen Brief, der ihn vom Herzen

und allen Ansprüchen des Mädchens loöreißen sollte, und den ich ihm, mit welchem Erzieher«

Triumpfe! in die Feder diktirte.

Geschrieben war er.

Wer war froher, wie

ich? — ES dünkte mich nicht, als wenn er ihm

abgepreßt, wäre.

Ich hatte ja über eine Stun,

lang — die Pädagogik hätt« in eigener Person

mir zuhiren können — gesprochen! Er hatte ja

P 3

( 230

)

meine Gründ« so völlig gefaßt, so ganz mein« Ueberzeugungen zu den seintgen gemacht! war so ruhig und vernünftig geworden! Der Ef­ fekt konnte unmöglich ausbleiben. Ob und wie der Brief an die Behörde ge­ langen würde, das war meine geringste Sorge. Mein lieber Freund ** war gut, war ehr­ lich; er selbst fühlte sich, wie von großer Be­ schwerde erleichtert. Es konnte nicht fehlen, der Brief gieng vielleicht noch heute, bey Mond, und Sternei'schetn, wohin er sollte. Ob er dem Mädchen den Schlaf von den Augenliedern ver­ scheuchen würde; das kümmerte mich wenig. Was geht der strengen Vernunft der ruhige Schlqf eines Mädchens an!

c 2zi )

Wer war klüger?

I« war froh und zufrieden, daß das schwere Gee schütz der Vernunfkgründe bey dem ersten Haupt« angriffe seine gemessene Wirkung gethan hatte. Aus dem kleinen Scharmützel des Nachtrabs der Empfindungen machte ich nicht viel; obwohl ich hätte bedenken sollen, daß dadurch manchmal aller errungene Vortheil dem Sieger aus den Händen gespielt wird. Indeß war ich doch so vorsichtig, daß ich die« sen Zufall nicht gLnjltch übersähe. Die Empfindungen werden wieberkommen, mein lieber * *, sagt' ich; fle werden ihren vork gen Platz wieder einnehmen wollen. Denn in einem Herzen, wie das deinige, haben fle eine gute und warme Stätte. Die Wunde wird noch eine Zeitlang bluten; aber Zeit und Entfernung werden sie heilen. Soll ich denn aber das liebe Mädchen, — denn da« ist sie — Za, das ist und bleibt fle, setzt' ich recht gern hinzu!

P4

( LZ- ) Soll ich sie denn qar nicht wieder sprechen? — denn seh-m werde ich sie noch ost, da sie mir ge, genüber wohnt^ — Soll ich gar nicht mehr als Freund mit ihr umgehen dürfen? Das wär« doch hart. Da« hielte ich nicht aus. Das wäre wider allen Anstand, fügte ich hin» zu. So gemein, ohne zugefügte Beleidigung/ ohne wichtige Gründ: von dem Charakter Mädchens hergrnommen, mit etnemmal brechen und allen Vortheil wegwerfen zu wollen, der aus dem Btldungsreichcn Umgänge eines vernünftigen Geschöpfs, das man Ursach hat zu ehren, ent­ springen kann, das wäre nicht recht, das kann ich nicht wollen, Nein, Lieber! sey und bleibe ihr Freund; aber enthalte Dich aller Gelegenheit zu empfindsamen Erklärungen, zu Vertraulichkeiten.: Suche sie nicht auf, und wenn Du sie findest, sö entrinn« ihr standhaft. Ni« wird Dich reuen, deinem schönen Entschlüsse, meiner Freundschaft dies verdienstliche Opfer gebracht zu haben. So ung-fähr sprach ich, und entließ darauf mit einem Herzen voll Freude und Ruhe meinen wackern jungen Freund, mit dankbarem Hinblick auf die Macht der Freundschaft und den wohlthä­ tigen Einfluß der seegenereichen Pädagogik.

Was darauf weit« geschah«, mag mein liebet! Freund, den ich um die fernere ErzLlunq gebeten,, die hier durchaus bi« auf das geringste Wort «n, »«rändert erfolgt, von nun an selber sagen.

„ Sie haben mir, geliebter Freund, die Stelle Ihre« Manuscrlpkö mitgetheilt, in welcher Sle? von mir und meinen jugendlichen Verirrungen als einen'Beweis darüber sprechen, wle wenig «S. einem Erzieher oft mit dem besten Willen gelingt, seinen Zögling dahin zu leiten, wohin er ihn lei,, ten will. — Sie fordern Mich auf, ddrt fortjufahren- wo Sie stehen geblieben sind. Ich gab Zhnen hier, über mein Versprechen und will es halten, well es mir verdienstlich scheint, einigermaßen zu dem guten Zwecke mit-uwirken, den Sie so wie durch Zhr gatijeö Werk, so auch durch meine erforderte offenherzige Confession beabsichtigen. Zusörderst muß ich Zhnen das Zeugniß geben, daß Ihre vorangegangene Erzälung der strengsten Wahrheit gemäß ist; daß, als Sie meinen Kume mer bey Ihrem plötzlich veränderten Entschlüsse, statt nach Leipzig, nach Göttingen zu gehen, ge,


suche thun muß,; — kann er. es Lurch seinen £iri* siuß lücht wehren, daß sein adiicher Gesell sa den Strudel der Verführung, der Ausgelassenheit null Renommistere» hinein aeratde und iüfc in-JSinM sn-Dchensverbindungeu. und daraus eiusprinaendx Anordnungen verwickele, und ihm tiirrfi fiaetu sinnige Phamgsien zusehe: ,fo tft er hat « sonst Gefühl für seinen eigenen SBertb und seinen Be, puf — wie freilich nichs at}e haben hle Ihres Nutzens und ihrer ^Bequemlichkeit wegen, alle­ gehen lassen, wie es will — warl'ch! sehx u>V glücklich dran, wie,ich der Bstsplele genug, üifon/ derheit in Göttingen erlebt habe,.wo es gee wlssermaßen mit zum Luxus vornehmer tzöhne^u gehören scheint, einen Hofmeister zu halten, wie sie Pferde und Bediente halten.

Darum, meine Herren, die Sie vielleicht im Begriff stehen, eine solche Laufbahn zu betreten, prüfen Sie zuvor wohl genau Ihren Zögling, dem Sie sich Jahrelang hingeben wollen und, nehmen Sie vernünftiger Weise auf sich selber so viel Rücksicht, damit Sie nicht aus einer reeller» Karriere in eine meistentheils sehr unsichere und undankbare hinein gerathen, und einige der wiche

( 254 y tigsten männlichen Lebensjahre Doll Dequemlich» kett und mancherley Freudegenuß, gegen den Mchtigern Verlust von nöthigen Verbindungen -ü Zhrer einstigen Beförderung erkaufen. We, «iigstrne, wenn Sie das Schicksal haben in das schwatze Buch der Theologen eingeschrieben zü seyn, so eilen Sie, was Sie können, den Feh? ler frommen Estern, oder ihres eigenen jugendlichen Wahnes zu verbessern, und studi, rtrt, wenn sonst keine Wissenschaft Sie ganz besonders anwinkt, PaNdekteN und Crlminale, damit Sie doch allenfalls Provinzialöurgemeir ster werden, oder den Regimentsquartiermeister, Degen anstecken können. Sela!

(

Göttingen. —

255

)

Ein Wort über Bürger.

Q

^Zch werde mir nickt anmaßen, über Göttin, gen besonders zu urtheilen, soviel V-ranlaßung ich auch vielleicht dazu finden könnte Zeder weiß, daß auf dieser ersten Universität von Deutschland sich 2(IH vereinigt, was Wiffenswürdiges durch alle möglichen Mittel erlernt werken kann. Die Lehrstühle sind mit anerkannt würdigen-, und mit,

unter sehr großen und verdienten Gelehrten besetzt; obwohl Göttingen nickt so glücklich zu seyn scheint, grade so viel vorzüglich Talentvolle Docenten zu besitzen, als es berühmte Gelehrte aufzählt. Zndeß beides ist überall selten mit einander ver, bunden; und im Grunde kommt an einem Orte, wo großentheils fremde und schon gesetztere Stu, denten sich aufhalten, die auf andern Univ-rsitätcn schon gelernt haben, das Wesen vom Worte und Vortrage zu unterscheiden und die man mehr als privatisirende Gelehrte, wie als Studenten be­ trachten kann , so sehr viel darauf nicht an. Der allgemein herrschende Fleiß; die Nacheiferung der arbeitsamen Lehrer, selbst manchmal lm überflüßt,

( -56 ) gen Gelehrtthun; die große unendlich schätzbare Bibliothek, so wir das philologische Semtnarium, Las beide« unter Aufsicht eines Heyne steht; der reiche botanische Garten; die Sternwarte unter Aussicht eines Kästner und Lichtenberg; das ganz vorzüglich eingerichtete Cltnlkum und mehr dergleichen vortrefltche wissenschaftliche Anstaltenmachen Göttingen unstreitig zur Königin aller Uni» versitäten. — Schade nur, daß auf dem Boden von G. die kritische Philosophie noch immer nicht recht auskommen und gedeihen will! Wa« da« eigentliche akademische Leben und Weben betrtft, so ist re damit überall so lang als breit- Alle Universitäten haben neben ihren noch jo großen Vorzügen, Fehler in ihrer Grundver» Fassung, die sich leichter bedauern und bespötteln, als «egräumen lassen. Nichts ist In der Welt ganz vollkommen, besonders was auf die vereinte Thä tigkeit von Menschen beruht, die zu allem ihre Neigungen und Leidenschaften mitbringen, zumal wo ein sich mannigfach durchkreuzendes Interesse sie höher spannt. Und wo freiere Jugend ist, da ist freier Spielraum aller Kräfte und Neigungen, der Thorheiten wie der guten Triebe. An jedem Orte hat di« Thorheit ihre eigene Firma, Hier lärmt

c 257 ) lärmt und tobt sie; dort putzt und ziert sie sich. Das ist nicht anders und man muß daher billig seyn, und sie lausen lassen; denn sie läßt sich nicht ander«, als durch eigene Uebertreibung, aufhalten. Des Umgangs mit Familien ist In Gittingen freilich herzlich wenig; aber das kann auch vielleicht nicht anders seyn. Znbeß ein lebenebedürfkiger junger Mann fühlt diesen Mangel zu Zeiten sehe lebhaft. Wir beide, mein Freund und ich, wa, ren oft in dem Fall und trauerten bey schlimmen öden Zeiten herzlich darüber; und alles Spiel, alles Musikmachen, alles Laufen um den todten Wall, alle Ausritte nach Wehnde, nach Hes, sendreisch, nach der Plesse und den Giri« chrn, und nach Cassel wollten uns nicht schad, los halten.

Es gibt Zeiten, wo uns der beste Freund nicht genügt, kein Buch in der Weit, keine Lieblings, Beschäftigung uns Freude macht; wo nichts mehr anekeit, als der Mensch ihm selber. Er will sich los seyn, will heraus aus seiner Alltäglichkeit, will frische Ideen, frische Empfindungen, wie frische Lebenslust.

C

258

)

Wo soll er nun aber alsdann mlt seinem Bee dürfniß hin, wenn ketnOrrtchen für Ihn ist, wo er mit traulichem Gruße, beregnet und beschneiet, etnrreten und an den gastlichen Heerd sich drangen, und s-tnen Unmutb mit dem Schneeaestöber ab, schütteln kann? Wo soll er, in der Irre verlohren, genügliche Freude finden? Wo das matte, ecstumpfte Herz wieder zum erstenmal schlagen hö, ren, wenn er nirgend einen kLstnch-n Freundes, Zirkel, nirgend eine weichere Hand, als die sei,

ntge ist, findet, die ihm freundlichen Gegengruß trut? — Doch wenigstens Einen Zufluchtsort gab es für uns, wo nicht langweilige, miserable Etikette be, obachtet werden durste, wie in den gewöhnlichen Gesellschaften Göttingens. Es war das Forkel, fche Haus, wo wir manchen schönen Abend itt Gesellschaft Bürgers zubrachten. Dem wür, Ligen Doctor Forkel — einem bekanntlich gro, ßen Musikgelehrten und vortrefllchen Klavlersple, ler, der mir vieler Fertigkeit, Präcision und Kraft sein Instrument behandelt und auch die ungeheu, ren Seb. Bachtschen Fugen mit ungemeiner Leicht tigkeit vorträgt — so wie auch seiner sehr talent, vollen, gebildeten Meta danke ich hiermit für

( 259 )

ihre Güt« und Freundlichkeit, mit weichet sie «NS In die Rechte der Freundschaft rintrete» ließen. Es war, als wenn sie «ns eine Blume in der Wüste reichten. Um Bürger, den wackern Volkssänger, — feinen Namen nenne jeder patriotische Deutsche mit Achtung! — ist eS recht Schade, baß In den letzten Zähren seines Lebens sich eine Bitterkeit feine« Herzen« bemächtigt Hane, die sich in feine Gedichte und gewöhnlich heftigen Gespräche über Gegenstände der Kunst mischte, und nicht immer mit aller Urbanität hervorbrach; wozu wohl die bekannte Analyse seines dichterischen Werthe« von Schiller, wenn man will, und seinMißverhäit« »Iß mit der Universität viel beigetragen haben mag. Sonst war er selbst, so weit ich ihn ken, »en gelernt habe, ein sehr nachsichtsvoller Deur« theilrr, und ich habe ihn oft mit vieler Milde von andern Dichtern, ihren Vorzügen und Unvollkom, rnenheiten sprechen gehört. Nur gegen Sachen, die ins Schvselarchiv gehörten, war er unbarm« herzig; obwohl, role ich bescheidenliich dafür halte, ln Sachen der Dichtkunst grade die matte und ft»# stige Mittelmäßigkeit, die nicht leben nicht sterben kann, am allerwenigsten Schonung verdiente' R r

( a6o )

Zcb erinnere mich, daß, al« er mit" jemandem eint« Abend« in einer freundschaftlichen Gesell, schafr ein Gedicht auf gleiche Endreime machte, welche« da« seinige übertraf, er nicht laut und en, thusiastisch genug da« Dvrtrefliche desselben au«, einander sehen konnte, weiche« für einen Dichter bekanntlich immer etwa« sagen will. — E« wird seinen ehrwürdigen Schatten nicht erzürnen, wenn ich von ihm sage, baß er In die, srm irdischen Leibe, für «inen Mann seiner Euer, gle, ungewöhnlich träge war und eine« sehr nach, drückiichen, ökonomischen oder literarischen Anstoe ße« bedurfte, wenn sein Hang zum seeligen Far niente seinem bessern Berufe weichen sollte. Er konnte ganze lange Vormittagsstunden unthätig, wenn man ander« die geheimen Schwelgereien der Phantasie Unthätigkeit nennen darf, hingestreckt liegen; und um eine geschriebene Kleinigkeit, ei, nen Brief konnte man ihn hundertmal bitten, und man erhielt doch nicht«. Er arbeitete ungern und schrieb, wie er mir sagte, die geringste öffentliche Anzeige schwer und ungern; woran wohl auch der in ihm herrschende Hang nach Kräftigkeit im Ausdruck«, den er auch bey mündlichen etwa« ge#

( 26 l

)

hobneren Gesprächen nicht verläugnete, viel Schuld seyn mogte. Mit Vergnügen denke ich noch immer an seine kräftigen Abendd,spüre, besonders in Betreff der Musik, von welcher er, als Kunst betrachtet, nicht sehr große Begriffe h"gte. Mit aller Ge­ walt lehnte er sich gegen die Horkelsche Zdee auft die dieser voran in seiner Geschichte der Musik mit vielem Scharfsinne ausgesührt har: „daß nehmlich die Musik eine To: spräche sey, welche nicht nur Aehnltchkett, sondern gleiche Natur mk der Zdeensprache, und sogar alle Eigenschaf, ten habe, welche diese zur Sprache des Verstan­ des machen." Zch glaube aber mit andern, daß Bürger darin das Urtheil des schaffenden Künstlers auf seiner Seite hat, der auf demWege der Darstellung zum Begriff und zur Uebersicht seiner Kunst gelangt. Dieser muß unfehlbar zu der Ueberzeugung kommen, daß, sobald Gesang und Rede Kunst zu werden ansangen, sie sich von einander wesentlich entfernen und daß ihre beiderseitigen Aehnlichkeiten sich nur auf die All, gemetnhett m- nschlicher Empfindungen überhaupt beziehen, ohne darum grade auf demselben Wege und zu gleichen Zwecken wirken zu wollen. — R 3

( 262

)

Doch dies gehört anderwärts hin. Man ver, gönne mir dafür noch die Anekdote hieher jusehen, daß, als Bürger nach Göttingen kam, ein dor, tiger alter sehr venerabler Jurist, welcher mehr lateinisch a!s deutsch spricht, und Dichter und ihre Wecke kaum dem Namen nach kennt, lhn beim ersten Besuche mit dem Ausdruck der Dewunde« rung folgendermaßen anredete: „Nun, Sie sind „bet berühmte Bürgerns? Das freut mich. Ich „höre. Sie sind — groß In Kleinigkeiten; „haben ein Calendarium mufarum conscribirt!" — Es wäre unendlich Schade, wenn der wackere Dichter nicht höchst gutmüthig diese Anrede von dem sehr ehrwürdigen Greise ausgenommen hätte!

( 26;

Der

)

Herkules.

Als wir im May, nach einer sehr angenehmen und lehrreichen Reise über Gotha, Erfurt, Sena, Weimar, Dresden und Leipzig, den unmuthigen Himmel von Halle ansichtig wur, den, und erst den Petersberg sahen — „Da sahen Sie nicht mehr den Calenbergschen Himmel; wir wissend schon. Aber sagen Sie uns doch, Heer Pilger, der Sie uns schon so manch Licbesabentheuer so ehrlich gebeichtet haben, sind Sie denn and) als Hofmeister so unversehrt davon gekommen, daß sich auch gar nichts davon verspüren ließe? /z — Rechten Sie mit dem Herkules, meine geneigt ten Leser, wenn ich mit Nein! darauf antworten muß; denn der ist an allem Schuld. Indessen blieb alles diesmal nur in den Augen, und — das will nicht viel sagen, wie Sie wissen. Zn der Oper zu Cassel ward Schweizers Aieeste aufgesührt. Zch konnte nicht dafür, daß eine schöne junge Frau, von Gestalt und Gcdehr, den wie die Liebesgöttin, die das Unglück hatte, einen alten häßlichen besternten Gemahl z« haben, N 4

( 2§4 ) mir Jo nahe war, daß Ich nur Augen für sie und nicht für den elenden Herkules hatte, der kurz und unges.lacht da vor uns stand und seine Göttlich, feit tn tiefen Baßlönen verbrüllke. Es war eine kleine untersetzte Figur, die der Keule nicht ge, wachsen war, und welche die Augen der Dame vorzüglich beschäftigte. Daö ärgerte mich, denn ich wünschte, daß sie die Huld haben mögte, mei, neu unverwandt auf sie gerichteten Blick nur ein einzigeSmal in Gnaden zu vermerken. Aber es wollt« nicht gelingen; bis endlich der komische Pathos des Herkules, der bey der versun, kenen Baßst lle WaS Herkules verstricht DaS wird er Hai — tcn! in tiefen Tinen ungeheuer knarrte, dabey fdn Kinn zmückdrückte, wie ein Reiher und mit an«, gespreizten Deinen dastand, daß ein kleines Wacht, schiff bequem hätte durchgehen können, mir über da« Zwergfell lief, daß ich laut auflachte. — Das brachte mir einen Blick ein, den ich zwar nicht be, sonders lieblich nennen sann, der aber doch aus Augen kam, die ich in dem Momente adorirte, wel­ ches immer genug sagen will. Für diesen Blick er, mangelte ich nicht, gleich auf der Stelle recht viel

c 265 > süße Blicke wieder zu geben; bis endlich die Dam-, mein unaussprechliches Interesse an ihrer Schön, Helt mit Wohlgefallen zu vermerken schien, und ih­ rer weiblichen ATeugiK ohne Zweifel den Auftrag gab, Ihr von Zett zu Zeit neue und verstärkte Blicke, als fernern Verlauf der Grschichte, zuzu, bringen. Endlich fiel qar, wie es schien, der Her, kules samt der ganzen Mythologie bey ibr durch, und, vergöttert wte ste sich von einem an ihre Schönheit angefesselttn Fremdling finden mußte, übernahm IhreEttelkrit des interessantere Geschäft, ein stilles natürlicheres Drama in ihren eigenen Augen auszuführcn. Das darf nun aber ein bestochenes männliches Auge gewahren, und fort ist, wenn auch nur für heute und morgen, Besonnenheit der Vernunft, und die Eitelkeit spannt fluaS alle Seegel auf, da, mit das Schtffletn der Empfindungen mit allem Ballast von Thorheiten flott werde. Mit ungebranntem Herzen verließ ich das Opernhaus, rannte — wenn ich auch nur gierig, den andern Tag vor den Fenstern meiner Göttm vorbey, und überall machte Herkules, der mich bey der Dame introdueirt hatte, seine Tour mit. Ich sah sie nicht; denn wer nicht da ist, den kann R 5

( 166 )

wen nicht sehen. Aber am Abend faßte ich wieder Po,io nicht weit von der gestrigen Loge und -* bey aiiew Liebesgöttern l — noch schöner und ge» (djmüdtet trat die ersehnte Huldgittin herein, und nicht lange dauerte r«, so war ich wieder so glück, sich, indem ich allen ihren sehr gleichgültig umher geworfenen Blicken ein unendlich bedeutendereGeleite gab, ihr Auge an mich heran zu seufzen. — Das halte aus, wer kann, und sage, was für «In Schauspiel gegeben wurde! Das Uebel ward ärger und ärger, und ich harte am folgenden Mor, gen in der That den Ausruf meines schalkhaften Freundes nöthig, mich mit ihm zur Rückreise an, zuschickrn. — „Was haben Sie denn, Lieber? sagt; er. Gefällt- Ihnen denn so sehr? Mir ge, fäükS hier nicht sonderlich." Mir auch nicht, antwortete ich Verzweifelt bet! off.-n und rieb mir die Stirn. Gleich fort, dacht' ich, und hänge mit deinem Mantel deine vorige Besonnenheit wieder um! Es wäre doch ein starkes Stück, wenn du deinem Freunde einen kurzweiligen Stoff zu einem satyrischen Epilog sei, der in die Hände geben wolltest. Und damit sprengten wir davon; und ich will noch manch, mal , wenn ich einen Hofmeister sehe, ah den Herkules denken.

( L6? )

Ueber Bahrdt und deutsche Union.

Es ist recht gut, daß meine Leser mich unterbro,

chen haben; denn, wie ich sehr, werde ich meine fernern Erzählungen mehr zusammenziehen müs, sen, damit mein Büchlein nicht stärker, als die besorgliche Verlagshandlung eö für gut findet, vom Stapel la fe. Was ist von einer so berühmten Universität wie Halle, Großes zu sagen, das nicht schon weit und breit bekannt genug wäre? Genug, daß wir hier behaglicher und vergnüglicher lebien, als in Göttingen; ich, in soserne ich wich an dem ehemaligen Orte meiner jugendlichen Freuden und Leiden, vielleicht nicht zu meinem Nachtheile, un< ter etwas ganz andern Gesichtspunkten wieder, fand; und mein Freund, in sofern er den Des, säuischen — Rebhünern und Hasen, um eiq Ziemliches näher gerückt war.

Indessen kann ich doch auch gerade nicht, wie «in Fremdling aus dem Wirthshaus« zum golde» nen Ringe von Nummer etlf, davon springen;

c 2$8 ) fcentt t« gab zu dieser Frist für mich doch allerley, was ich in meiner Geschichte nicht ganz verlohren gehen lassen kann. Dahin rechne ich den nahen Umgaüg mit dem Doktor Dahrdt. Er hat zu seiner Zeit Rumor genug in der Welt gemacht; geräth aber nach ge« radr schon In Vergessenheit, wie alle Spektakel­ macher, die sich auf den großen litterarisch-n Jahrmarkt stellen und ihre in flüchtiger Eile ap« pretitt-n Waaren, für ächte mit dauerhafte auf allen M ssen Geräuschvoll verkaufen. Indessen verdient er's doch auch nicht, daß er zugleich mit allem feinem Guten unter uns vergessen wird. Denn ec Hal doch unstreitig viel zur freiern Den­ kungsart seiner Zeitgenossen beigerragen; und wo er zuviel oder nicht das gehörige Licht htneingebrachl hat, da ist man auf seine Veranlassung doch bemüht gewesen, die Laden mit weiserer Hand vorzoziehrn, daß es ein erträgliches Hell dunkel gebe, und hat anderwärts das rechte Licht einer bessern Philosophie und Exegese und der Ge­ schichte hineingeschaffr. Zch habe, als näherer Bekannter und eine Zeitlang fast als täglicher Genoß von ihm, seinen ärgerlichen, aber durch die Noth entschuldigten

i

269

)

Ueberganq vom theologischen Doctor zum Wirths, hauv 1 Vater mit angesehen, und der lustigen Ein, weihung seines Weinberges mit beigewohnt. Er führte fein Haus auf, rasch und unsicher, wie seine Systeme, unter unsäglichen Schwierigkeit ten, die aber, wie immer, vor seinem kühnen und erfinderischen Kopfe weichen mußten. Sein Leben, seine Moralität als Mensch mag der beurtheilen, welcher dazu befugt tu seyn glaubt. Man hat es laut genug gethan, und kein Market ist so schwarz, den man seinem Leben Nicht anqehängt hätte. Niemand hat je, wie er eö selbst nannte, soviel Splesruthen durch das Pu­ blikum und seine literarischen Repräsentanten lau, fen müssen, als er. Aber es ist zuverlässig, daß man ihm sehr häufig unrecht gethan, baß man seinen unbe, greiflichen, aber ihm ganz eigenthümlichen Leicht, sinn oft zum Laster angeschlagen, und selbst sein unverkennbares Gute, sein natürliches Wohlwol, len — das leider in der vielen Noth endlich der Eigennutz an sich riß —, seine Freundlichkeit und Popularität — die freilich zuletzt in Niedrigkelt herabsank — so wie feine groß-n Talente, sei,

neu Fleiß und seine oft unter vielen Mühseligkel,

(

270

)

fett erarbeiteten Verdienste verkannt und herab« gewürdigt. Ist es wahr, baß er als Lehrer des Volks un, moralisch lebte, und als Mensch Verachtung ver, diente; so macht es freilich dem allgemeinen Sim ne für da« Gute Ehre, der die strengen Anfor, derungen der Sittlichkeit am allerwenigsten e(» nem öffentlichen Manne und Tugendlehrer erlas, will. Aber wo ist der moralische Areopag, der aus Handlungen und sehr oft so trüglichen Er, scheinungen, zumal bey so vieler persönlichen Ge,

genwirkung, sich berechtigt halten kann, die in, re Gesinnung und Motive eines Menschen gera, behtn als schlecht zu verdammen, und sie mit et« ner öffentlichen Anzeige vor den Augen der gan, zen Welt zu brandmarken? — Und bas hat man sehr oft gethan; das haben vorgebliche Freunde von ihm gethan. Psuy, es ist arg, daß wlr Deutschen so manchen schichten Menschen unter unsern Schriftstellern zählen, der zuweilen unend» lich schlechter im Herzen ist, als solch ein Mann, den er mit moralischer Scharsrichterey, die keltt Mensch sich anmaßen sollte, beurtheilt und unter alle Achtung und menschliche Theilnehmung her, abwürdtgt.

Der Herr * wird demnach, so viel

( 27t

)

er auch mitunter wahr geschrieben haben m-ge, in meinen Augen immer ein schlechter Mmsch bleiben; denn er wühlte noch bey Lebzeiten des armen Bahrbt, gerade wie er unalstcklich war und Im Gefängnisse saß, mit dem vetgif* teten Messer der Verleumdung in seinen Einge» weiden. Und dieser schlechte Mensch war fein Freund! Zch will auch einiges von Ihm sagen, aber aus d m Gesichtspunkte der Thorheit und Schwachheit. Zch kam einmal an einem Vormittage dazu, als er sich auf sein-m Weinberge — die Rose cm Fuße von einem alten Weibe besprechen ließ. Das ist von einem Manne, wie D , doch wohl merkwürdig, sollt' ich meinen. Das Weib, das dafür bekannt war, manövrirte grade mit Z ich-n drum her und war eben In ihrem Abrakatabra begriffen, als ich unvermuthet In das Zimmer trat, wo ich ihn nicht zu finden glaubte. Zeder Mensch würde darüber verlegen gewesen seyn; Dahrdt faßte sich und pläsantir te dafür. „Das Teufelszeug können mir die Herren In Halle so wenig weg, bringen, wie ich selbst, sagte er. Htifrs nichts, so schad«» nichts! Ich habe doch einmal aus Ne,u«

( 272 ) fllerbe sehe« wollen, was an dem Bettel Ist!" Und damit ließ er sich ruhig verbinden und lachte sich selber aus. Aber eine größere und sträflichere Thorheit, die er bäifiat* begieng, war die aus Finanzgeist entsprungene, eigenmächtige Gründung einer — Loge aus der schottischen Maurerey, wie er sei, nen GalimathtaS benannte, der seine Plane utw terstützen sollte und um derentwillen er die mora, lischen Reden an Oct und Stelle nicht sparte; «nd die damit zusammenhängende deutsche Union der Zwei und zwanzig. Der äußere Finanzzweck davon, den man nicht kannte, war für die Zwei und zwanzig, das, heißt für Bahrt, der sie alle selber vorstellte, und, wie man nachher wohl sahe, um seine Schriften auf einem bessern Wege, als durch den gewöhnlichen Buchhandel, in Umlauf zu bringen. Die in, nere Tendenz der Gesellschaft war auf wirksamere Verbreitung der Aufkläruug, mit Anwendung al, ler der Mittel gerichtet, welche die genaue Der, bindung vieler gescheuten und wirksamen Menschen aller Art zu Einem gut,n Zwecke an die Hand giebt. Es sollte rin Orden der Vernunft gegen dengroßen „Ptnselorden" sepn, wir Knigge ihn'

c 27?

)

ihn In seinem EtütSrath von Schafskopf sehr wahr und launig beschreibt; «Ine geheime unsichk, bare Kirche, wovon alle Mitglieder von einem ge, melnschastllchen Zentrum aus elektrisirt werden könnten. Von dieser Idee war et, seitdem sie in feinem projektirenden Kopfe entsprang, und da» war in einer Nacht, als er vor gichtischem Schmerze nicht schlafen konnte, so voll, daß er sie mit aller Rast, iosigkeit verfolgte, die ihm eigen war. Zch hatte, weil er damals öfters des Abends mit meiner Gesellschaft vorlieb nahm, die mir manche gute praktische Zber einbrachte, und ich ihm mitunter vorlas, ihn einmal an einem der Abende spät verlassen. Kaum war der Morgen da; so erhielt ich schon «in» schriftliche Einladung von ihm, doch ja gleich zu ihm zu kommen, weil er mir etwa« Wichtige« zu «röfnen habe. — Der nachmaligen Umstände wegen, habe Ich da« Billet noch ausbewahrt. — Ich kam. Mit freundlicher schlauer Miene de« Manne«, der etwa den Stein der Weisen gefunden hat, rief er mir entgegen: „Freund! ich habe diese Nacht kein Auge zugetban, aber ich bin «nterdeß auf einen herrlichen Plan gestoßen. Hören Sie!" — Und damit entwik, S

(

374

)

fette ec mit Enthusiasmus das nachmalige Werf in den Grundzügen, nnd sprach dabey mit so 6e# cebtet Zunge, mit einem solchen Feuer, daß tch aus der Stelle von bet herrlichen Idee ergriffen wurde, und nach einigen Tagen, nebst noch vier oder fünf andern bekannten Männern aus und um Halle, zuschlug und daö Werk mit einzurich# ten begann. Die Studenten, beten Orden Dahrdt durch symbolische Maurerey auf eine andere, als die ge» wöhnliche vergebliche Art, zu zerstören suchte und davon sogar dem Minister Zedlitz schon vorläu­ fige Anzeige gethan hatte, wurden von ihm, freilich sehr mir Unrecht, als selbstbestalltem Mei' ster vom Stuhle um einen civilen Preis zu allen drey symbolischen Graben auf seinem Weinberge auf# genommen, und ohne große Umstände machte er sie, leichtsinnig genug! mit den Zeichen und Ge, bräuchen bekannt. Außer daß er vortresllche mo, talische Reden vom Stuhle hielt wo er ganz in seinem Fache war, wurden die jungen Aufklärer mit Nebensachen hingehaiten, wie vielleicht auch viel alte Leute« werden. Nach geendigter Logt ward dann die Ordensmoral durch Bier und Branntwein abgeleitet, und der hvchwürdige

(

-75

)

Meister vom Stuhl sahte sich, unter unziemliche» Schwänken, mit den durchs Feuer geläuterten jungen Ordensbrüdern an den Lombrettsch, oder ging in die Küche und half niedliche, gewürzig« Würstlein stopfen. — Es war doch ein äußerst leichtsinniger Mensch, der seelige Doktor Theo, lögia! Das unziemliche, gemlßkrauchte Maurerwe, sen ward ihm durch die ehrwürdige Loge zu Halle gelegt. Aber das Werk Im Großen, das bis in entfernte Länder hin betrieben wurde, hatt» gu< (en Fortgang. Der ungewöhnlich schnelle und rasche Beitritt Siner sehr großen Anzal von gelehrten, talentvoll len und zum Theil sehr berühmten Männern auS allen Ständen und Fächern, vorzüglich Predie gern — bewieß, wenn auch vielleicht von dem alle gemeinen Hange der Menschen nach Neuheit, Nach Geheimnissen, von Unzufriedenheit mit der gewöhnlichen symbolischen Maurerey — denn die mehrsten, die zutraten, waren Freimaurer — doch aber auch, daß man die Zdee gut und loben«» werth fand und sich gute Wirkungen davon vere sprach. Aber srrilich, al« man durch deö leichtsim nigen Manne« eigene Unvorsichtigkeit und heillose S 3

(

27§

)

Ruhmsucht dahinter kam, daß Er die Seele einer solchen Verbindung, daß die Benennung der Zwey und Zwanzig eine Lüge sey, und jeder nur da« .Werkzeug zu einer elenden Finanzspekulation abgeben sollte: da schämte sich jeder seiner Leichlgläubigkett und sagte sich mit Verachtung davon los. Da« war ganz recht. — Als aber gar die Noten ohne Text herauskamen, worin Alle« und - wie so sehr unbescheiden und anmaßend! — sogar die ganze Liste von Namen aller Mitglieder abgedruckt wurde, worunter Männer waren, de« ren Aemter und äußerliche Lage, auch im Falle -««Fehltritts, schonende Rücksicht verdiente: da trat einer nach dem andern öffentlich auf, und sagte sich nicht allein von der Gesellschaft lo«, son, dern versicherte und betheuerte öffentlich mit schwacher Kleinmüthigkelt, wenn« nicht gar Un­ redlichkeit war, daß er zwat wohl von der Existenz der Union erfahren, aber nicht dazu gehört und nie den mindesten Antheil daran genommen habe. Die« mag unter Umständen verzeihlich seyn, obgleich ich selbst damals nicht wenig eigenhändi­ ge Briefe und eidliche Namensunterschrtsten von manchem der Männer gelesen habe, die un­ gedrückt und ungesordert solche unwahre Vrrsiche»

(

»77

)

rangen von sich stellten, und ihr« Namen noch mit einer nach dem Original abaefaßten Liste be­ wahre. Aber sey nun der Herausgeber jener Schrift, wodurch an sich etwas Gute» hat beför» dert werben sollen, ich will eö nicht in Abrede seyn, der verstorbene Do de, oder ein anderer; so, dünkt mich, gereicht e» einem wie dem an, dern, nicht ju sonderlichem Vortheile, daß man ohne Defugntß Namen vor aller Weit zue Schau hinstellte, wovon man doch glauben könn, te, daß sie zu mancherley nachtheiligen Urtheilen und Empfindungen, vielleicht gar zu offenbaren Schaden manche» würdigen Mannes, insonder, heit Predigers, Gelegenheit geben würden. Ich sehe die ganze Sache jetzt für da» an, was sie war, für «ine Thorheit. Man wird die Menschen nicht klüger und glücklicher machen, al» sie seyn wollen. Allein sollte «ö auch wirklich Levke geben, die das ungeheuer finden, wennn ein jun, grr Mann, von einem Kopfe, wie Bahrdt, übeclis, tei und durch große Autoritäten geblendet, an ei» nem solchen Werke — und wat wollen denn alle Orden? — ein« Zeitlang thätigen Antheil nimmt: so will ich doch lieber, da mein Name, den

man immerhin au» dem Titel dieser Geschichte S 3

e -78 ) herauSdeutenmag, ebenfalls mit genannt war, llt# der ehrlich gestehen, daß ich das Unionswesen nicht Allein In aller Unschuld mitgemacht habe; sondern daß ich sogar eines der frühesten und thätigsten Mitglieder davon war. Es braucht, der Um# stände wegen, dir von Niemandem, außer B. abhtengen, gerade nicht der Schein der Schändlich# feit über die unschuldige Ausführung einerZdee ge# worfenzuwerden, welche, wie wir Alle vermeinten, da« Beste der Menschheitzum Zwecke hatte, und die, wenn sie nicht jedem Orden zum Grunde liegt, sey es der Freimaurerorden oder wer eö sonst sey, ih# ven allen doch wohl nicht fehlen sollte. So war also der erste Anfang einer Sache, von der man nachher so übermäßigen Lärmen erhöh und die unstreitig bald genug in sich selber zerfallen seyn würde. Aber man mußte damals überall Ze# suiten riechen; das war nicht ander«. Jchbinüber-

zeugt, hätte nicht in dem Plane der Union die Sot, tise von veränderter Richtung des Buchhandels mit gelegen, und hätte ein aufgeklärter L. Buchhändler nur nicht dahinter gesteckt, der gern das Mono# pol aller vorzüglichen Schriften haben migte der Jesuit wäre auch zu Hause geblieben!

(

-79

)

Wie ich auf den philosophischen Professor

studire. — Ein wenig KeHermacherey.

angenehmen und sorgenfreien Zahre der Hosmristerschaft, habe ich für meine Ausbildung eben nicht verlohnn gehen lassen; im Gegentheil hab« ich die viele Musse, dir mir dabey ward, besonders io der Nähe der GStttngschen Dibiio, thek zu meinem Vortheile benutzt, obgleich nicht in der Akt, wie ich jetzt wünschte, eS gethan zu haben. Vom Rathhause pflegt man klüger kommen, aber nicht immer auS einer Bibliothek. Hier muß man Klugheit zuvor mitbringen. Zch sand besonderes Vergnügen an Politik und StaatSivirth chaftölehre und las alle«, wa« mir darüber verkam. Ich mögte jetzt wissen, wozu? Wir Citoyens haben mit unsrer eigenen kleinen Wirthschaft des Leben« genug zu thun; wa« geht uns die Staak«wlrthschaft im Allgemeinen an? Und überdem so weiß ich nicht einmal, ob alle« da« damalige Vergleichen von Definitionen der Politik mir zu dem Begriffe von derselben verhol, ftn hat, den ich jetzt davon habe: daß sie nehmlich S 4

( 280

)

eine Kunst ist, sich einander, hinter einer seidenen Gardine voll moralischer Hieroglyphen, eine Nase en gros zu drehen. Was absolute Politik alsWls, senschaftist, darüber sind die Gelehrten noch nicht einig, — wie ein gewisser verstorbener Watsenhauspredigep in B. aus der Kanzel zu sa­ gen pflegte, den ich einmal einigen alten Weibern von der bekannten Kanonenkugel, die nach der Sonne will, etwa« vorprebigen und sagen Hirte: Wir Gelehrten hqben apegerechnet! Ferner sammelte ich mit nicht weniger Mühe Excerpte au« großen Büchern und kleinen verlege, nen Traktaten in mehrer« Sprachen über die Geschichte der geistlichen Musik, die mir damals sehr am Herzen lag, und worüber ich im, wer einmal ein historisch , kritisches Büchlein habe auögehea lassen wollen; welche« aber bisher un, terblieben ist. M"" hat schon viel an dem be, kannten großen lateinischen Werke be« »erst. Abt Gerbert zum Stift St. Dlasii, unh Hr. For­ kel wird un« wohl etwa« Gute« davon in seiner fortgesetzten musterhaften Geschichte der Musik lie, fern. Wa« sollen wir Deutsche heutige« Tage« mit einer philosophlrenden Geschichte «n» Kritik

(

28T

)

b*r Kunst, da wir, wenigstens kein« geistliche, Äustk mehr haben? Zn Halle wandte ich mehr Zett dazu an, mich zum öffentlichen Lehramte vorzubereiten; und da ich nicht allein schon bey guter Zeit eine Aussicht bekam, auf einer kleinen Universität als Prof, extraord. im Fache der Philosophie angestellt zu werden, sondern nach Jahresfrist sich auch schon alles dazu fügte: so warf ich mich von neuem mir wahrem Ernste in das Studium der Philosophie, und blieb noch nach dem Abgänge meines lieben

akademischen Freundes, den ich nun selbst nach seinem Dater hinziehen ließ, mit welchem er eine Reise nach Ztalien machte, noch eine Zeitlang al­ lein in Halle zurück. Der kritischen Philosophie fieS sich jetzt durch, au« nicht mehr Vorbeigehen. Zu dem Ende stu, dirle ich zweimal hinter einander die Kritik der reinen Vernunft durch, pift den gehörigen Hülfsmitteln dazu, die nun schon häufiger vorhan, den waren. Aber die Schwierigkeiten, die ich dabey fand, waren auf dem Wege der alleinigen Selbstforschung viel zu groß. Zch strengte mich, selbst bi« zum Nachtheil meiner Gesundheit an, und ward doch nicht so glücklich, Helle« Land m S r

( -82 )

sehen. Die kritische Philosophie will, wenn sie etwa« helfen soll, nicht wie sonst irgend ein Sy, stnn erlernt, sondern mit dem Verstände in allen Theilen strenge durchdacht seyn; sonst gibt« Nach« berer-y und eitel KantianismuS, der einem nach gerade anrkelt, weil soviel Nachbeter der Wo-te und Phrasen aufstehen, welche die Sache nicht um einen einzigen Begriff weiter bringen. — Mir wollten die ersten Versuche nicht recht ge, Ilngen. Eine Anhöhe ging zwar wohl nach der andern au« dem Nebel hervor, von welcher ich neue und wette Aussichten für die praktische Der, nunsr ähnele; aber zur Uebersicht des ganzen gro, gen Gebiet,«, worin mir die alten Systeme, die ehemals als so stolz« Berge hervorragten, al« kleine abgetragene Hügclchen und Nolhbrücken er, schienen, kam ich doch nicht. Und darüber ward sch recht traurig. Woran lag das? An meinem Fleiße? — Nein! An dem Mangel von methodischer Anweisung? — Vielleicht Aber — waö man nicht immer zu rechter Zeit bedenkt, so sehr auch eine strenge Selbstprüfung zu einer Wissenschaft Pflicht wäre— vorzüglich mußte «6 an meinem Kopfe liegen, den dir Natur nicht zu so tiefen und langwierigen

( 28z

)

Spekulationen, als da« eigentliche trockene und schulgerechte Erforschen der ersten Grundphiloso, phte erfordert, gebildet ju haben scheint. WaS ich weiß und nach Gründen verstehe, würde ich vielleicht mündlich und schriftlich mit Deutlichkeit darstellen und nutzbar machen können. Aber s» überquälte ich mein eigenes Talent. Das Bedürf, ntß war dringend; und also that ich lm Ueber, maße, was ein anderer unter andern Umständen mit größerer Leichtigkeit zu Stande gebracht ha, den würde. Unterließ half ich mir, wie mancher andere jung« Docent sich auch helfen wird. Ich griffun, ter allen Kompendten, worüber ich lesen wollte, das heraus, wobey sich am mehresten polemt, siren und mit dem Verfasser rechten ließe, nehmlich das Federsche. Dabey ließ sich doch die kritische Ausbeute, die ich in Fragmenten der Kri, tik abgenommen hatte, gehörig an den Mann bringen und — pralen. Also fing ich an mir eia Kollegium darüber, und, so wie die Geschichte der Philosophie noch lag, auch über diese bey vortresitchen Hülfsmitteln, auszuarbeiten. Aber unglücklicher, vielleicht aber auch — der Himmel weißi r«! — glücklicherweise mußte ich

c -84 ) -en orthodoxen Theologen auf den Mantel treten,

unb meine Kritik der Vernunft samt dem schö, neu Kompendium wieder zumachen, um eine un, ruhige Laufbahn zu beginnen, nach dem Nor, den und Süden zu reisen und nachher In allerhand verschiedene Situationen, glänzend und traurig, geworfen zu werden. Wer mag immer vorher wissen, wohin sein Stern ihn leitet und wo die liebe weiche Hand auf ihn wartet, um ihn glück» sich durch den Rest seine« Leben« zu führen? — Bey meinem Sommeraufenthalt« in Lauche städt — wo manch unglückliche« Mädchen Im Schweiße de« rasenden Tanze« und in verderbli, chen Gefühlen, statt im Gesundbrunnen, sich da, -et; wo mancher thbrigre Vater, im übereilten Heirathsdranqe, seine mannbaren Töchter auf -en Schauplatz treibt, um sie in kreisenden Wal, zern sich lustig in« Grab tanzen zu sehen — schrieb sch, meine« ehemaligen theologischen Beruf« ein­ gedenk und in der That au« reinem Eifer zum Gut-n getrieben, «In philosophirende« Buch über den Zustand unserer öffentlichen Religion *), da« seiner gemäßigten Freimüthigkeit und seine« nütz, ltchen Zwecke« wegen — ich darf e« immer sagen —

•) Freimüthige Gedanken über die Gotik-vereh­ rung der Protestanten. Gotha bey Ettinger.

( -85 ) von allen meinen schriftstellerischen Versuchen am allgemeinsten mit Zufriedenheit ausgenommen worden ist, und weshalb mir sogar mir völlig un, bekannte Prediger von fremden Orten her Dank sagten, in sofern ein unabhängiger Mann r« gr, wagt hätte, wa« stt nicht dürften, öffentliche Miß« hräuche der Kirche anzugreifen und Mittel zu ih, rer Abstellung vorzuschlagen. Noch jetzt gereut es mich keinen Augenblick, es geschrieben zu haben; obwohl ich die mancherley wesentlichen Fehler des, selben nicht verkenn« und manch übereiltes Ur, theil, manchen unüberdachten Vorschlag zuiück nehme. Aber ganz anders nahm es der größte Theil der Theologen aus der Fakultät zu * * auf, mit denen ich doch nichts zu schaffen haben wollte. Sie hatten sich schon längst, wegen jenes ersten philo, sophischen Versuchs über den Materialismus, mei, ner Wahl zur Wehr gesetzt; aber nichts ausrichten können. Zch hatte dem Minister die Verficht, rung gegeben, in meinem künftigen Amte nichts Kirchliches und Religiöses — ich mögte wissen, ob die Religion der Natur darunter auch verstanden wurde? — weder zu lehren, noch zu schreiben. Aber nun kam jene Schrift, deren Erscheinung ich nicht mehr zurückhalten konnt«, noch zu rechter

c 286 ) Zeit für die Theologen, in den Duchladen, und — «ine förmliche Anklage ward nun wider den de, flankten Professor der Philosophie anhängig ge» wacht. Es wurden Punkte, die einen zweideutlr gen Sinn zulkßen, gehässig auegezogen und au« dem Zusammenhänge gerissen, wider welche ich mich förmlich rechtfertigen sollte. — Weich ein Modus procedendi!— Ich witterte orthodoxe Thevlogenluft, ward ind!gnirt,.über Sähe mich vertheidigen zu sollen, über welche da« Publikum allein richten konnte, für welche sie 6er stimmt waren, und nicht eine theologische Fakulr tät; scheute mich vor dem Kollegenleben unter Menschen, die mich schon Mit Haß erwarteten, Lud — schrieb Meine Stelle im Gefühle der Krän, kung ab, deren Niemand unter den Umständen flch erwehrt Haden würde. Vielleicht hätte Mein Beruf mich Mit der Zeit nützlicher gemacht, al« ich mir jeho vorstelle. Aber ich kann Mich- wenn ich der Ueberzeugung der Wahrheit die Ehre geben soll, wie sie zur Stunde w mir ist, de« Gedanken« nicht enthalten: daß die Theologen in der That, in einer andern Beziehung «l« die ihrige war, besser für das Wohl der Untrversitär gesorgt haben, als sie es selber meinten. So geschieht nicht« umsonst in der Welt!'

c -87 ) Reise nach ÄZestphalen. p» ^ch trat also von nun an in die Reihe der prit valiflrenven Gelehrten, die in Deutschland ari, ßer ist, al« sie zu seyn brauchte, und im Grünt de nicht viel taugt.

Die Akademie der Wlssnschasten zu Erkürt/ die, auf den Vorschlag de« damaligen Vier« Präsidenten derselben, de« Hrn. von Dache, röden, nach einigen vorzeigbaren Proben das Vertrauen zu mir äußerte, ich würde ihrer Ge, sellichast keine Unehre machen und zu ihren nütz, ltchen Zwecken mitwirken Helsen, erzeigte mir die Ehre, mir da« Diplom derselben zuzmchlk, ken. Wenn ich bisher noch nicht so ihren Er, Wartungen entsprochen habe, wie ein akademi, sche« Mitglied die Pflicht davon in sich fühlen sollte, so werde ich mich noch, ee sey in wel« chem Kreise e« wolle, au« allen Kräften bemü, hen, ihr ehrenvolle« Vertrauen zu rechtfertigen. Da mir nun jeder Aufenthalt einerley war, so folgte ich der Eimadung eine« meiner treue,

(

-88

)

sten Zugendsteunbe, der untekdefi ein sehr 6ra# ver und beliebter Prediger in Westphalen ge« worden war, und reiste dorthin. Mit stetem Vergnügen werde lch an diese Reise denken, bi«

mir zugleich manche angenehme Bekanntschaft rinbrachre. Zn Braunschweig genoß ich im Hause deS verehrungswürdtgen Campe, in Gesellschaft seiner vorlreflichen Frau und von Geist und Herjem sehr liebenswürdigen Tochter, recht viel Güte; hatte das Vergnügen, In sei, «er lehrreichen Gesellschaft, den biedern und voN mir seit vielen Jahren innigst verehrten Trapp und seine brave Frau In Wolfen, Büttel zu sehen, in deren Hause ich einige mir unvergeßliche Tage am traulichen Heerde der Freundschaft, liebend und wieder geliebt, zu, Brachte, und wo ich unter andern auch den ta­ lentvollen, dreisten und paradoxen Mauvil,

Ion kennen lernte, der immer sehr rasch ins Zeug hinein dlsputirre, und gegen den kalten, scharf analystrenden und launigen Trapp sich sehr eigen ausnahm. Zn Braunschwelg hörte ich Schwanen, Berger, den berühmten Klavierspieler; aber, ob

et gleich sehr fertig, nett und fließend spielte, so erreichte

( 289 ) «reichte er doch ttitfne hoch gespannte Er» Wartung bey weitem nicht. Insonderheit miß, glückte ihm die Phantasie, die er weiter hin im doppelten Kontrapunkt anlegte, so sehr, daß er plötzlich aufsprang und sie unvollendet ließ, wozu man freilich ncht immer aufgelegt ist. UebrigenS schien er von Philosophie der Kunst und ihre Theo, rie nicht viel zu halten, sondern kam, als ttalie, ntscher Komponist, nur immer aus Effekt, auf Es, fekt zurück; woran auch, im gehörigen Sinne et, was Wahres ist. Aoer, ich bin der Meinung, daß das, was nicht kein kunstmäßtg ist und im Bewußtseyn der aesthetischen Regel, weder angelrgt, noch ausgeführt ist, auch eigenl, lich keinen Effekt machen sollte. Der junge Oboist Hesse setzte mich dafür in Erstaunen, durch seinen schönen, vollen, fein nüanctrten Ton, seine Fertigkeit, seine Haltung im Vortrage und geschmackvolle Behandlung des undankbaren Instruments; und ich setz-ihn daher ohne Bedenken einem B e so z z i und L e b r ü n an die Seite. Zn Hannover war ich nicht so glücklich, bey dem allberühmten Ritter Zimmermann vor, gelassen zu werden; aber dafür halte ich einen T

(

290

)

um so lehrreichem und herzlicheren Umgang mit unserm mit Recht beliebten, feinen und witzigen Schriftsteller, derer wir in Deutschland nicht zu viele haben, mitdem Hrn. Bar. von Knigge, mit dem ich nachher in nähere Verbindung zu kommen so glücklich war, und der mich noch heute seine» freundschaftlichen Vertrauens nicht unwerth fine bet. Er hat mir viel Proben seiner theilnehmen« den Menschenliebe und einer seltenen, uneigen, nützlge» Dienstfertigkeit in verschiedenen Lagen meines nachherigen Lebens gegeben, und ich danke Ihm dafür hier öffentlich aus vollem Herzen. Ich sahe ihm einmal einen ganzen Tag von früh Morgen bis an den Abend in seinem Garten vor dem Thore zu, und ward durch sein Beispiel überzeugt, wieisiel ein Mensch von Kopf und Thä, tlgkett vermag, der Ordnung in seine Zeit zu brin, -gen weiß. Er unterrichtete selbst seine talentvolle Tochter, mit der er im lieben, traulichen Verhält, Nisse des Freundes auf Du und Du lebte, und noch einen jungen Hausgenossen In der Mathema, tik, In der Mustk und sogar im Tanzen; verhau, beite mit ihr Wicchschafssachen; schrieb dabey ab zu; besorgte eine Prozeßsache; entschied sich über «ine wichtige Handlung, wozu er an dem Tage

nur erst veranlaßt wurde, und dabey unterhielt er sei« neu Gast, mit zwei hinzugekommnen Freunden, den ganzen Tag hindurch nützlich und angenehm durch mannigfaltige Gespräche, so daß dieser sich keinen Augenblick verlohren fand. Ein seltenes Zusam­ mentreffen von Talent, gutem Willen und Fein, Helt der Lebensart. — Nach einer angenehmen, recht nach Gelüste vollbrachten Reise über Hildesheim und Pa, derborn, Minden, Hervorden, Lipp, stabt und Hamm, die mir noch die Bekannt, schäft manche« trefltchen Menschen und nebenher auch manch kleines Abentheuer einbrachte, das auf Reisen gewöhnlich nicht auSbleibt, wo man die Phantasie mit nimmt; kam ich endlich voll in, Niger Sehnsucht und Liebe an dem Orte meine« Frrunde« an, der mich schwärmerisch und unge« stüm erharrt, und Eltern und Verwandte und Freunde und Bekannte der Nachbarschaft jut MitIreude aufgrbvten hatte. Unsere Wonne war ohne

Grenzen.

t -

(

29-

)

Widersetzen! — Wie mit dem Menschen

der Freund sich wandelt. SBec es nicht kennt daS süße Fest des Herzen», wenn Freunde aus der Zeit unbefangener Zagend, wo noch nicht der Eigennutz, sondern freies Bedürf,

niß gegenseitiger Liebe das Band um ihre Herzen

schlingt; Freunde vom treuesten Bunde, die beym Valet von der Akademie sich zum letztenmale die

Hand für ewig drückten, sich nach Zähren durch

den sonderbarsten aller Zufälle wiederfinden, treu und unverbrüchlich einander erhalten, und gereif, ter zu männlicher Liebe und That: —

dem wäre

es vergebens von einer rührenden Seme des Wie«

versehens solcher zwey Freunde sprechen zu wollen,

die sich an einem entlegenen, unberetseten Oert« chrn nach langer Trennung zum erstenmale ein,

ander wieder in die Arme stürzen. — Aber es ist ein sonderbares Gefühl, das einen nach den ersten Momenten eines solchen Wieder,

findens anwandelt.

Man küßt und herzt noch in

dem Andern den alten Gespielen der Zugend; und

C 293 ) doch ist e< derselbe nicht mehr, ist ein anderer ge, worden, fleht verändert aus, denkt verändert und seine Seele, wie seine Worte, haben dir Eindrücke der Dinge und Menschen und Geschäfte angegenommen, die ihn seitdem umgaben. Man will eben so heran, als sonst; aber all das Umgeformte bey den ersten, besonnenen Gesprächen, das Be< wußrseyn, das einen jeden befällt, inwendig nicht mehr die Oekonomt« der Gedanken und Empfim düngen zu haben, wie sonst — macht, daß man an etwas Neues und Fremdes gemahnt wird, daß man sich gestört fühlt in der Hingebung seines Selbst, und ein htnzugekommenrö Etwa« ahnet, das, um es zu fassen und lieb zu gewinnen, einen neuen Verkehr, ein neuer Lebe», ein neues Stu» dium voraussetzt. So ging es uns beiden, da ich erst unter dem gastfreundlichen Dache meines Freundes ausge» packt und meinen Wohnsitz aufgeschtagen halte. Was wir geworden waren, paßte nicht mehr zu unfern Zugendträumkn, zu den Phantasien der Einsamkeit und Ferne. Das Urtheil und Tage, werk h«e Mannes vernichtete den Zauber früher Täuschungen. Die Schwärmerey, mit welcher ich meinem phantasirenden Freunde zu Zetten T 3

(

294

)

Abhandlungen statt Briefe, und Tagebücher vok HerzenSergießungen nach allen Graben der Freude und Traurigkeit zugeschrieben; und Er wiederum an seinem Theile, in -der Gegend sich labend an der Vergangenheit, beym Anblick meine« Konter» fey'S über dem Klaviere Thränen vergossen hatte, paßte nicht mehr zu unserm jetzigen Seyn und Treiben. Ich war unterbeß in vielfachen Verhältnissen, int Strudel mannigfaltiger Geschäfte und Zer, streuungen gewesen, hatte mich unter Menschen allerhand Art umher getrieben, und dachte nicht mehr so ängstlich und schüchtern, uyb sprach freyund nicht selten mit Ekel und Satyre von Dingen und Menschen, welchen ich sonst da« Gewand der Verehrung und Heiligkeit «mgeworfen hatte; denn ich dachte von ihnen viel ander«, al« sonst und hatt« bey meinen Erfahrungen viel von mess ner fühern Gutmüthigkeit eingebüßt. — Er, mit unaussprechlich liebendem, einfachem Herzen, hatte, bald nach der Universität zum Predigtamte befördert, die trauliche westphLlische Sitte in sich ausgenommen, hatte nach Einer Rich» tung fortempfunben, fortgeschwärmt und — ehr, sich und bieder, wie er war, hatte er in seinem

c

295

)

Berufe des Seelsorgers die höchste Befriedigung seines wohlwollenden Herzens gefunden. Aber, — nach sehr denkbarer psychologischer Täuschung, — hatte er auch, bey allen seinen trefltchrn Anlagen, von dem täglichen Geschäft des hier ängstlich be, wachten Predigers endlich, da« Bedürfniß seiner ihn liebenden Gemeine nach Glauben, in sein ei, genes ausgenommen, und war darüber ängstlich und Dingen von Herzem zugethan geworden, wo, von er anfangs wünschte, daß sie wahr seyn und aus ihn eben, so wohlthätig, wle auf andere wir, ken mögten, endlich aber den Werth unwidcr« sprechlicher Wahrheiten erhalten hatten. — Hier zeichne ich gewiß die innere Geschichte manches Predigers, der rin gutes Herz hat und vermöge seines Ordens Sachen vortragen muß, die er erst nicht glaubt, nach und nach aber glauben lernt. Man kann also denken, wie oft unsre Empfin, düngen und Ueberzeugungen gegen einander an, stießen. Zch war lebhaft, unvorsichtig, urtheilte grade heraus — denn soll daü der Freund vor dem Freunde nicht dürfen? — und hatte sogar das thö, rigte und grausame Projekt, meinem Freunde, den ich ljebke, Meinungen nehmen und ihm dafür r r

( 296 ) die meinigen, die ich für besser hielt, aufbringett zu wollen. Er predigte mit so vieler Beredsamkeit, so rührend, so herzlich; hey seiner ersten Predigt, die ich hörte, saß ich in einem Winkel der großen Kirche und weinte vor Freuden mich satt. WaS könnte der Mann, dacht' ich, für Aufklärung thun an einem Orte — eö war ein kleines Landstadt« chen — wo man derselben noch so sehr bedarf! — Zch war nicht gescheut. Aber mein Freund war nicht vorsichtiger. Erwarb, aus dem besten Her« zen von der Welt, zuletzt intolerant und bitter ge, gen mich; ja, da er in Gesprächen mit seinem heillosen Freunde nicht auSzureichen glaubte, so mischte er in einige seiner Vorträge so manche feine, von unsrer Lage hergenommene Bemerkung, die, wie mir vorkam, für keinen der Ackeröleute gesagt seyn konnten, daß ich mit ergrimmtem Her, zen die Kirche verließ. Und diese disparate Menschen wohnten unter Einem Dache, brachen mit einander ihr tägliches Brod, und ich noch obendrein als Gast! — Wie unendlich selten, daß das relnste Wohl, wollen, bey der feinsten Politesse des Umgangs, den Gast des Gefühls der Abhängigkeit überhebt! Aber wie unmöglich, daß das in Abneigung und

(

297

)

Bitterkeit umgewandelte Freundschaftsgefühl alles

das beobachte, ohne welches das Drob, so man von de« Freundes Tische genießt, zu Stein, und

der Wein zu Wermuth wird.

Wie nicht minder

unmöglich ist es, daß der abhängige, gedrückte

und empörte Freund, der bet «»gebotenen Gast« frcundschafe, um welcher willen er sich in ein

fernes Land stürzte, nicht das schimpfliche Op,

fer der Wahrheit und seiner mühsam errunge,

nen Ueberzeugungen bringen wollte, alles hätte unterlassen sollen, wa« seinen wohlthätigen Freund

hätte kränken können! „Und wenn ich nun — so ungefähr fragte ich

einmal meinen Freund In der Heftigkeit des Ge« spräche über die Deichte, von der ich gar nichts

halte — und wenn ich nun, so wie Du mich nun kennst, al« dein ehemaliger trauter Gesell in Halle,

ursprünglich ein Theologe wie Du, das Bedürf«

niß nach dem Abendmal in mir fühlte und ich stell« te mich, ohne Dir zuvor gebeichtet zu haben, mit

Anstand und Feier an deinen Altar unter übrigen Menschen ein: würdest Du auch mich nicht zu,

lassen? mich vor den Augen der ganzen Gemeine

zurückwetsen? —

( 298 ) „Za, ich würde Dich nicht zulasten; Dich öf, frntlich zurückweisen!" antwortete mein Freund Wit glühendem, zornigem Auge. Dar würdest Du thun? Den Freund öffent' lich, seiner Ueberzeugungen wegen beschimpfen, weil sie nicht die deinigen sind? „Za und abermals ja! — Das fordert dev Kirchengebrauch!" Diesen Casualfall, den ich stets bereuen werde, je unter uns aufgebracht zu haben, entschied mein Freund vielleicht sehr richtig nach den heiligen Rechten der Kirche; aber gewiß nicht nach dem heiligern Rechte der Freundschaft. — Der AuSsprach übertäubte alle meine Sinne, und gleich ei< nee Wolke, zog die unmuthsvvlle Phantasie das schwarze Gewand der triumphirenden Kirche «in den lieben Mann her; und erstand in dieser Wolke vor mir, nicht mehr als liebender und wie­ der geliebter Freund, sondern als dräuender Engel mit der Gesehesrolle. Ich war ein lebhafter an freierm Umgang ge­ wöhnter Mensch, und hätte Lb de» phlegma­ tischen Wesen», de» unendlichen Wiederkehr» von albernen und steifen Zerlmonien und Gesund­ heiten in Gesellschaften, manchmal rasend werden

( 299 )

Mbgen. Wenn ich nun etwa über eine Barriere der plumpen Gewohnheit frisch hinwegsprang, bei Schinkens und Endivien« SallateS samt den» Rheinwein nicht achtend, und der rakhsherrlichen wie der theologischen Aengstiichkeit nnetngebenk, einen dreisten Einfall, ein frisches Urtheil losließ, so daß hier und da ein Stundenlang skstgestemm« ter Rvhrstuhl unter dem erschreckten Senator knarrte: dann ward ich wohl von meinem lieben, gar tu besorgltchen Freunde, der des Ungemachs gewohnt war und fü r se t n e P e r so n wohl that, sich darnach zu richten, durch einen ernsten Freun, deöbllck an die Ordnung des Tages und den Um, stand erinnert, daß Ich als fein Genoß im Predt» gerhause ihn seiber mehr schonen sollte. Er hatte gewissermaßen wohl Recht. Aber das halte aus, wer kann! Heute zog Ich die etnfchläsernLe FIS, tenstimme, war still und gefügig und trank: Hänschen im Keller! Aber morgen lies ich wieder das Poiaunenwerk los, fühlte Reiz im Zwergfell und da verdarb ich all die schönen Ein, drücke wieder, die Ich gestern gemacht hatte, als ich meinen Einfällen verbot, die muthwilligr und gewagte Resse über den Schinken hinweg zn machen.

(

goo

)

Kurz hier waren wieder einmal zwey Menschen,

die sich einander ehrenwertb hielten, sich im Grün« vr herzlich liebten, aber schlechterdings nicht dazu gemacht waren, dicht neben einander den Weg

durchs Leben zu gehen.

Wie unzällg oft mag dies

der Fall in der engsten aller Verbindungen, der Ehe seyn, wo man dir LebenSrets« noch dichter

angedrängt und auf immer mit einander machen soll! Weiter vorwärts! dacht' ich, und fing an, mich selbst mehr auS der Umgebung zu scheib»«, und be­

streifte bald die herrlichen Gegenden der Ruhr; bald das gesegnete Laad der fleißigen Bewohner

der Grafschaft Mark, und das Bergische; bald ritt ich nach der alten thurmreichen und hoch über

die dortige Gegend hervorragenden Reichsstadt Dortmund, wo ich einige liebe Freunde und Freundinnen mir erworben hatte und oft, sehr

oft in traulichem Herzensverehr mit biedern West, phältngern Wochenlang bey herrlichen kraft- und

saftvollen Mahlzeiten sehr glücklich war, die, man sage was man will, nebenher nicht zu verachten

sind.

Aber wenn ich nun wieder zurück kehrte zu

meinem einsamen Freunde ins Pfarrhaus, worin

c

301

)

alles, bis auf die Freundschaft baufällig geworben war; dann ward ich wieder verschlossen und trau, rig, und machte dem gastfreien Besitzer desselben keine Freude. Zch wäre sogleich wieder auf im, Mer davon gezogen. Aber Achtung und alte gr, wohnte Liebe hielten mich immer von Zeit zu Zett von dem Geständniß ab, ihn zu verlassen. Denn daran dachte mein biederer Freund nicht. Ee wollte mich fremden Menschen nicht überlassen, so lange ich noch nicht festen Boden unter mir hätte. Wäre es an sich möglich, daß Freunde in so ungleichem Verhältniß bei einander auehalten können; wäre das unsrtge nun einmal nicht so merklich verschoben gewesen, und hätten wir uns gegenseitig mehr finden können in unserer abwet, chrnben Art zu seyn: so hätten wir die glücklich, sten Menlchen seyn können. Es gab auch Tage, wo wir e< von ganzem Herzen waren. Aber je, der fühlte fich gedrückt, beschränkt in seinem Dq, seyn, und hatte nicht das Herz, es zu sagen. So

kann man frey, und doch der größte Sclave seyn!

U

Ein Abstecher nach Holland.

E« fand sich glücklicherweise eine muntere Geiell, schast von WflphLIInaern, die des kühn-n Ent» schluffeS voll waxd, Weib und Kind und deSglei» chen auf ein Weilchen zu verlassen und gen Düßseldorf, nach dem Rhein hin zu ziehen. M-t einer Empfindung, als wenn e« nach dem gelob, ten Lande gehen sollte, machte ich Partie; aber mein Genius führte mich weiter. Ausgerüstet mit Gaben des Höchsten, wie klüg, liche Westphäiinger zu reifen pflegen, zogen wie fürbaß; — sprachen unterweges aas einer alt, ad, lichen Burg vor, wo ich. In bet Qualität deS Fremden, über Tafel die ausgezeichnete Ehre hatte, einem breit aus gejsnetewSchrarcke voll unzäiiger silbernen Erbstücke, die mir säst die Augen blen, beten, gegenüber zu sthen und au« einem unge, Heuren silbernen Mannsschuh dem ritterlichen Hause zuzuttinken, wie die Familienpakten «S heischten; — und kamen über Böckum, Essen und das cöllnische Lustschloß Denn erat wohlbe­ halten In Düsseldorf an — welches das Einzige

(

3°3

)

ist, was ich meinen Lesern berichten will. Denn ich will mich hüten, Ihnen vorsätzlich iänqst be, kannte Dtnqe zu wiederholen, die so unzählig ost schon durchräsonikt und durchgegähnt sind. Mit einer großen Empfindung stand ich hier zum erstenmale an dem frostigen Strome, dessen unendlich mannigfaltige Ufer ich nachher von sei­ nem Ursprünge auf dem Gotthardsberge an bis in Holland hinein kennen gelernt habe, stand an dem — Vater Rhein, wie wir im Liede singen, wie ich aber nickt gern sagen mag; denn diese Be­ nennung ist meinem Gefühle zuwider. Ich kann mir durchaus keinen Fluß als etwas Männliches, noch weniger als einen Vater denken. Die stete rastlose Bewegung; das g )d>metbtqe Winden und Krümmen des Stromes In fernen Usern; die stete Geschwätzigkeit der Wollen; das Tonzen der Schiffe auf ihm, welche er dulden und tragen muß - wollen sich gar nicht mit der Idee des selbstständtgern Mannes vertragen, der sich selber gradeauS fernen Weg bahnt, und weniger tragt, well er muß, als west er will. Nock weniger will die Benennung zu der Ide, des rnhaen, ge, räuschlosen Vaters paffen, der da nur handelt und sich beweget zu seiner Zett. — Indeß könnte dies U i

( 304 ) Widerstreben des Gefühls auch wohl einen weit simplem Grund aus dem schwarzen Schulhausa her haben, wo ich mit der Regel: die Namen drk Bäume, Flüsse re. stnd generis feminin!, vrnnitl ttlfi des trostreichen Prügele eine Art von Fami» lienbrkanntschaft machte. Wenigstens hat man der ähnlichen Täuschungen mehr^ wo man aus weiten Umwegen der Phantasie und Knrsikrnik auf rare Analogiern stößt, wovon der Knabe dm Sroff schon in seinen Düchecrtemen zur Schule trug. Zm schwarzen dichtbebauten Ciiin, wo «r beinahe so schwer hält den Himmel, als dieW hr« heit zu sehen, bekam meine Gesellschaft schon Heimweh. „ Ach! meine arme Frau,. was wird die machen?" sagte der eine. „Ee ist doch hier weit fataler, als bey uns, der andere; und so, mit strichen sie sich. Hier, und nicht weiter? dacht ich; das gehr gar nicht an. Also vorwärts! Und somit zog ich weiter nach Bonn, wo ich vor einer Procession aus der Straße ehrerbietig niederknien wußte, gleich der Schloßwache, die mit präsentstem Ge, wehre auf einem Knie lag. Zch machte hier De« kanntschaft mit dem guillottnirtrn Eulogiu

(

?0$

)

Schneider, den ich tm nachfolgenden Jahre sehr Afters bey mir in Neuwied sahe, als ein gutes Schicksal mich wieder dorthin geführt hatte. — Dann gieng ich über Coblenz nach Mainz; machte die unaussprechlich schöne Wafferfarth zu­ rück durch den Nhetngau; stieg in Neuwied bey einem lieben alten Freunde auf ein paar Wo, chen aus, wo ich zum erstenmale das Glück hatte, der edlen Fürstlichen Familie bekannt zu werden, der ich nachher so vieles verdankte und Zeitlebens Mich verbunden fühlen werde. — Und, als ich wieder in dem traurigen Cölln war, wo es mir ekelte, deffr-lben Weges nach Westphalen zurück zu kehren: siche da trat — eine hübsche Französin, die zurück nach Herzogenbusch wollte,nur im Gasthose in den Weg, und fort waren aus mei, ner Phantasie alle schwerfällige Bilder von Schtn, ken und Pumpernickel, und ich nahm die herrliche Wallfarth neben einer muntern und unterhalten, den Frau an, die Mir so viel Aussicht zu lang ent, behrter Unterhaltung erösnete, und meinem Hange

zum Herumstretsen willkommen war. Glück zu! — wird mancher Satyr, auf seinen Docksuß gestemmt, hier in den Wald hinein, fchreyen.

Aber schreye er nur und jage die Do-U 3

c 306 ) kit auf! Zch weiß, daß meine lebhafte Gesek» schaftertn alles ihres scheinbaren Entgegenkom» mens ungeachtet, ein edleres Weib, und ich kein plumper Faun war. Eine feine, naive Französin ist viele«, um — Nichts zu seyn. Das kön, nen aber viel rechtliche Leute unter uns so wenig, als verdorbene Wüstlinge begreifen. Wir reiseren also selbander, wie mancher Eh» renmann auch schon gereist ieyn wird. I» Cleve steckten wir Oranje» Kokarden auf unsre Hüte; denn nicht lange erst halten di« Prinzmänner über die krakölenden Palrivtten obgesiegt. Die gelben Mahnen weheren auf allen Thürmen und dir Bänder auf allen Hüten, wie an den Rä» dern der Wagen Und den Pfrrdeschwänzrn. Ganz Holland sah aus, wie ein Garten voll Feuer» blumen. Allein in Nimwegen schon hatte dle Herr, lichkrtt des Abentheuers mit meiner reisigen Ge, fährt!» ein Ende. AIS ich erst festen Fuß auf hol, ländisch m Boden gefaßt hatte und ein neues chq, rakteristischeS Volk sich aller meiner Sinne bemäch» tigte: da ward ich de« ewigen französirenden El, nerley'ö und Hin, und HerzerrenS mit weiblicher Reisegesellschaft müde, dle keinem Manne sonder,

C 307

)

llches Bebagen bringt. Da es tiutt überdem sehr wohl hatte seyn können, daß meine schöne fluch, tiqe Dame an Ort und Stelle alle die geleistete Dtenstgeflssenhett vergessen, und mich in der Nähe ihres Gemahls, wle eine naive Franzölln, im Ge, fühle der albernsten alter Verlegenheiten noch an den Thoren von Herzogenkusch, wo ich nrcht-u suchen hatte, mit vieler Artigkeit hätte zurück, lassen können: so komplimentirte ich mich noch zu rechter Zeit von ihr los, schied mit aller Zärtlich, feit, wle sie sich bisher auf vier Nädern gebildet hatte, von ihr und machte in der Geschwindigkeit einen kleinen Plan, die mehr beretseten Provin, zen nach meinem eigenen Gelüste zu bestreifen. Und dazu bot sich gleich nach einigen Tagen eine gute Gelegenheit an. Ein Schaff wollte nach Rotterdamm. Ich schifte mich am frühen Morgen mit ein. Allein nach einer langweiligen Farth von beinahe ändert, halb Tagen, die uns, vor Tyl und Gorkum vorbey, nicht weiter brachte, als bis Dordrecht, stieg ich mit zwey englischen Gentlemen'-, welche auf den Lederhandel studirt hatten, ane Land und gieng mit ihnen, den Bündel unter dem Arm, noch Rotterdamm, wo wir Abends bey voller Er, U 4

c

Zc>8

>

leuchtung ankamen; denn es war gerade Kirmeß, nach Amsterdamm die größte In den sämmtlichen vereinigten Niederlanden. Der Anblick brr un, ziltgrn, erleuchteten Duden längs den Grachten; LaS ungeheure bunte Gewühl von Menschen, die sich auf den Straßen säst erdrückten; das durch» dringende Geschrey von Prinzenliedern, die von Manns, und Weiberstimmen aller Orten, selbst aus den Fenstern heraus, umher ertönten — rlß uns mit rinemmale so hin, daß wir uns an «ine Reihe seeliger Holländer, deren ganze Kolonnen hinter einander Arm In Arm geschlossen, wieMee» reöflukhen baherwogten, dicht anschlossen und zue Ehre des Statthalters in der Universalsprachr mitschrien, waö wir schreien konnten. Wir fühl, ten keine Ermüdung und zogen die halbe Nacht mit umher; besahen Duden der Marktschreyrr, der Inhaber wilder Thiere undHanswurstlhealer, und Ich wüßte mich aus meinem ganzen Leben kri, ne« solchen bachanltschen Festes zu erinnern, als Ich hier erlebte. Zch will nicht weitläustig werden und von all, gemein bekannten Dingen sprechen. Zch sahe noch Gauda, Amsterdamm, den Haag, dir Nordsee beyScheevenlngen, Leiden, Haar,

c 309 ) lern, Delft, Utrecht, Ammersfort und Arnheim, von wo ans ich ganz allein, in Hel, ler Mondnacht, eine sehr abentheuerlich« Wall/ farth bis wieder zurück nach Nimwegen machte. Sechs Wochen lang verlebte ich, Im vill'gsten Gefühle der Freiheit, von keinem Menschen ge, tonnt, von keiner Sorge gequält, als wie ich wie* der etwas Neues sehen wollte, in diesem merk/ würdigen Lande, wo einem auf jedem Schritte Spuren der höchsten Industrie ausstoßen, und wo man in der großen Volksklasse, unter welcher ich mich am meisten und liebsten herumtrieb, unend, lieh mehr Energie antrifft, al« ein Deutscher gt# wöhnltch sich vorstellt. Ich war Zeuge von man, cherley großen Effekten, den politischer EnthuüaS, muS auf die Gemüther ungebildeter Menschen her, vorzubringen vermag. Noch ists mir, als Hirte ich das fürchterliche Hurrah l Geschrey von vielen tausend Stimmen, das auf dem ungeheuren Platz» vor dem majestätischen Stadthause zu Amster, dämm, wie ein Sturm umher sich wälzte, als der Statthalter nach vierzehn Jahren wieder zum er« stenmale hteher kam. Die Scene, davon man nur in Frankreich und England etwas dem Aehn, liches hört, erschütterte mich auf meiner Tonne, U 5

(

Zlo

)

weiche ein Weib mir «lngeriumt ljattt, 61« ju Lbränen, und ich vergaß darüber meinen Hut zu schwenken, weshalb ich beinahe mit einem fluchen» den Makrosen in nähere Bekanntschaft gera­ then wäre. Indeß, einem Abentheuer, da« als ein kleiner Beitrag zur Physiognomik angesehen aperden kann, dir da zur Menschenkunde und Menschenliebe führen will, will ich hier doch noch, stäkt allen übrigen, ein Plätzchen pergbnnen. Al« ich mich einmal im Abenddunkel auf dem Verdeck eines Tr^ck«Sch'vt befand, Hirte ich um ter mir einem mumern Deutschen zu, verlustige Geschichten mit einer sehr hübschen Stimme-er» zählte. Ich stieg hinab, und a!« Landsmann ließ ich mtck in ein Gespräch mit ihm ein. Er war äußerst artig und gesellig. Diese hier zu Lande so seltene Eigenschaft machte mir ihn lieb, und da er nun auch einen gewissen Grad von Kultur halte, so schloß ich mich bald an ihn an. Ich konnte ihn schlechterdings nicht erkennen, und meine Phan, taste beschenkte ihn mit einer sehr angenehmen Form.. Er gab sich für einen Uhrmacher und Han­

delsmann au« Ammer-fort au«; wie er sagte, ha,

( zrr >

6t er eint hübscht Holländerin gef)tkati)tr Mh durch fit sein Glück gemacht. „ Sie ist auch must, kalisch, singt und spielt vortreslich, fuhr er fort; und da ich höre, daß auch Sie Liebhaber der Mys sik sind, so lassen Sle uns fortan Panie mache«; ich biete Ihnen mein Haus an, und Sie bleiben, so lange es Ihnen gefällt." — Gut, sagt' ich, ich nehme es an und wir reisen miteinander.' Und darauf drückte er mir die Hand. Aber Himmel! wie ward mir, als wir am Lande auSsttegen und eine Laterne fein abscheult» chcs Gesicht beleuchtete, das eine fürchtecllche Nase hatte, die über den blökenden Mund verloh, ren hecabhing! Wie ich ihn nun gar im Wirths, Hause, wo wir die Nacht über bleiben wollten, recht ins Auge faßte, und feine kleinen listig und hurtig umhetlaufenden Augen sahe da erschrak ich über seine Ahltosels Phyflonomie und ward, wie mit feindlicher Kraft, von ihm abgesioßen. Set, ne freundliche Geschäftigkeit, womit er für meine Bequemlichkeit sorgte, stand In dem häßlichsten Kontraste mit seinem Gesichte, und half noch mehr daS Urtheil in mir vollenden, daß mein Schicksal mich in die Gesellschaft eines Unhold gebracht hätte. Indeß verbarg ich den böse» Ein,

( 3f» > »kuck-, sb viel möglich; trank aber nicht, als ek hier, wo er zu Hause zu gehören schien, Wein Auftrag»« ließ, und war nur bemüht, durch Ge, wohnheit des Anblicks mich einigermaßen mit dem Gesicht der häßlichen Nachtenle zu befreunden. Zwey junge stramme Holländer, mit ehrbare« Perücken, blauem Rock und schwarzer Weste sa, ßen in einem Winkel, sprachen kein Wort, so«, Lern tranken ihren Wein wie im Trauerhause, und — wandten kein Auge een mir. Des ge, fühliosen, phlegmatischen Volks, dem man'inen 'Pfriem in den schwammkgten Leib hinein stechen kann, ohne daß sie darnach aufstehen, Haiteich mich satt und müde gesehen; also sahe ich nicht viel nach ihnen hin. Aber als der eine mir doch mit sehr gutmüthigem Gesichte, einmal übe» das andere mit großen Augen bedeutende Winke gab und ab und x«, bald bittend bald warnend, auf mich und jenen Ehrenmann sahe: da schoß mir mit elnemmale der Gedanke an den See, lenverkänfer aufs Herz, und ein Schauer fuhr mir durch alle Glieder. „ Seelenverkäufer — richtig! Das ist er und will dich fangen. So häßlich muß ein sclchee Kerl aussehen, so freundlich und zuvorkommend seyn!"

L

313

)

Das war auf der Stelle mein entscheidendes Ur/ theil; ob ich aleich hätte bedenken sollen, daß der häßlichste Teufel gewiß das unschuldigste Gesicht hab n wird. Herr Land-mann) sagt' ich, und nahm meinen Reisebündel unter den Arm: auunsrer Abrede kann nicht- werden; denn mir fällt ein, daß ich einen Freund, der mich zu Haar­ lem erwartet, nothwendigerweise sehen und mit ihm werter muß. Zehr wird eine Stunde um seyn und ich roerberouber in da- Schuyt steigen können. (Denn beinahe alle Stunden geht in Holland eines ab.) „Aber mein Gott, es ist ja Nacht) — -So bleiben Sie doch. Auf eine Nacht wirds Zhrem Freunde ja wohl nicht ankommen." Thut nichts tch muß fort. Und damit gienich — Aber mein nächtlicher Gesell war nicht faul. Er setzte fein Glas ab, nahm seinen Hut und Srock und strich sich mit mir unter freundli­ chen Gebehroen zur Thür hinaus. — „Sie wis­ sen ja nicht Bescheid, sagt' er; gönnen Sie mir das Vergnügen Sie hinzuführen und Zhnon — hier zog er mit einem frischen Manöver meinen Bündel aus dem A me fort — Ihre Sachen zn

tragen!" — War mir mcht unheimlich gewesen.

(

Zl4

)

so wurde es mir- erst jetzt. Das fatale Gesicht, wie sollte ich es los werden? — Gewalt gegen Len höflichen Seelenverkäufer zu brauchen, war nickt rätblich; allo ging Ich mit Grauen neben ihm her. Endlich,-als er sichs nicht versähe, recipro, circe ich das Manöver, zog rasch, meinen Bün, bei wieder daher und verbat mir, unter vielen Komplimenten, an welchen Ich selbst hätte erstik, Een mögen, seine weitere Gesellschaft. Allein um, sonst. Mit unendlicher Freundlichkeit blieb er und wich nicht einen Schritt zurück; vielmehr führte er mich in die Kreuz und Queer, von einer Drücke zur andern. Schon hatte ich meine Maßregeln genommen, falls er in Irgend ein Haus hätte ge, hen sollen, als er mit einemmale an einer Gracht stille hielt, und sich mit den Worten zu mir wand« te: Nun, da sind Sie an Ort und Stelle. Es thut mir leid, daß Sir nicht haben bleiben wol, len. Leben Sie wohl!" Wer war froher, wie Ich? — Zch athmete wieder frey und wünschte mir Glück, das abscheu« liche Gesicht des Seelenverkäufers mit guter Ma, nier los geworden seyn. Ec machte nur gute Miene zu schlechtem Spiel, dacht' ich, und fuhr mit er, leichccrtem Herzen von dannen.

( 315 ) Als Ich die fcfcfrne Wc.sserfabrk von Amstxtt dämm nach Utrecht vor den unzähligen Landhäu­ sern (Beute-Places) vorbey machte, traf Ich oben auf dem Verdecke mit einem hübschen jungen Manne zusammen, der sich melancholisch an den Mast lehnte und kein Wort sprach. Sein blasses kummervolles Gesicht intereffirte mich, und Ich sprach ihm freundlich zu. Endlich fieng er an zu erzählen, baß er ernst mit dreien seiner Landsleute noch vor den Thoren von Amsterdamm in die Hande eines Seelenverkäufers gerathen, und nach

Ostindien geschickt worden wäre; wie semeFreunde unterwegs gestorben und er, nach ausgestandenem sechsjährigen Elende endlich wieder so glück­ lich gewcsen, zurückkehren zu können und wie ev nun im Begriff stehe, seine Mutter in Cassel aufzusuchen, bte auch wohl schon vor Kummer gestorseyn könnte. Das brachte mir plötzlich wieder den abscheu­ lichen Seelenverkäufer vor Augen, und ick be­ schloß die kleine Ruse von Utrecht aus ntfdb Ammersfort blos in rer Absicht zu machen, um mei­ ne physionomtschen Zweifel in Richtigkeit zu bNn, gen. Und als ich nun dort war und erfuhr, daß In der That ein Mann des Namens und Gewer-

(

3i6

)

beS hier Haus« und Ich an seinem Häuft wart sie» he da stand mein reisiger Ehrenmann in seine« La» den« Thür, und war freudig, erstaunt, mich doch noch bey sich zu sehen. Sein Gesicht war noch da« nehmliche, aber mir nicht mehr so zu» wider. „Lieber Landsmann, schrie er mir ent, gegen; da« ist recht brav, daß Sie Wort halten. Sie schienen mir nicht zu krauen. Treten Sie ein, und zur Strafe lass ich Zhr Zeug au« dem Wirthöhause hohlen, und Sie nehmen in meinem Hause mit gutem Willen vorlieb." — Dat is dien Heer, myn Kind, rief er in« Zimmer hinein, van di ick uwe gefproken heve. Und ein nette«, jun» ge« Weib trat heraus und begrüßt« mich freund» lich, und ich mußte mich mit aller Gewalt fügen und Wohnung bey den Leuten nehmen. Und der Mann mit der abicheultchen Frahe war em äußerst gutmüthiger Mensch, den ganzen Tag lustig und freundlich. Er liebkoset« sein Weib, al« wenn er sie erst von gestern her hätte, und wußte nicht, wa« er seinem Gaste Lirbe« und Schöne« anlhun sollte. Und — wie schäme ich mich im Namen der menschenltebendrnH)hysiogno,

mik meine« »nebeln Verdacht«! — al« ich nach

zwey Tagen fort wollte, siehe da hatte er mir eine«


fach t|s,

die unter der nahen und sehr wirksamen Aufsicht des gelehrten und sehr respektablen Fürst von

Fürstenberg und des thätigen, gelehrten und

verdienstvollen Rektors Zumkley steht.

Auch

tragen gewiß die gut eingerichteten Lesegesellschaf,

(

3=1

)

ten daSZHrlge dazu bey, tn welcher einen ich —■ (o^roft Jn Soin auf derCyurfülst'ichen Bibliothek fd.b|t Bahrdts Briefe über die Bibel — alle un, fte besten Zeitschriften fand. Em Erameu tn diesem Gymnasium, wozu ich die- Ehre hatte, von dem humanen Minister ein, geladen zu werden, und das nicht, wie gewöhn, ljch von Vorbereitunaev, sondern von ganz freien Angaben vorzüglich dieses gelehrten Herrn ab, HKng, überzeugte mich von bey, sehr erheblichen Fortschritten, welche die jungen Leute tn alten Sprachen Md wissenschaftlichen, insonderheit ma, thematischen, Kmntntss n gemacht hatten. DaS R-ltgiose und Klostermaßtge abgerechnet, daö aus den blauen Mänteln der ganzen Schulversamm, lung hervorsahe und, wenn auch nicht an mancher­ ley MÜsUche Uebel, doch an das stete Eetheiltseyn der jungen Leute zwischen Schule und Messe erin­ nerte, hatte ich hier sehr vielen Stoff, über Ver, gleichung des reellern, ernsthaftern Unterrichts mit dem luftigen und spielenden der Philanthro, pine nachzudenken. Ungern verließ ich diesen angenehmen Aufent, halt, um aus elenden hannöverschen Exttaposten, im Schnee unter freiem Himmel, als einzelner

(

Z22 )

Reisender von unfreundlichen Postmeistern ge, drückt unb mit unnölhigen Pferden überladen, über Osnabrück nach Bremen mich schleppen zu lassen. Zn jener altfränkischen Stadt hatte ich die Freude, In einem zwar kurzen aber sehr herzerhe, denden Umgänge mit dem braven, ehrwürdigen Zohann Justus Möser und seiner getstvöl, len Tochter, der Frau von Voigt, einige Tage hinzubrtngen. Ich vergaß darüber alle Post, meister der Welt, und labte mich an den sanften und freundlich »scherzhaften Worten, dieses mit wahrer Eigenthümlichkeit denkenden und nach fei* tenen Erfahrungen sowohl, als mit treffendem Scharfsinne, urtheilenden Mannes, dessen ganze Liebenswürdigkeit im gesellschaftlichen Umgänge hervorflrahlte, und der zu den wenigen Gelehr, ten gehört, unter deren Einfluß als Mensch man gern stehen mag. Zn Bremen hielt ich mich einige Wochen lang sehr nützlich und angenehm auf; genoß viel gesellschaftliche Freude und sah mancherley Merk, würdiges. Durch das freundschaftliche Haus eines enge, fehenen Rath-herrn, in welchem ich zwey trefliche

( 323

>

Zöglinge aus Dessau wiebrrfand, hatte ich Gele, genhelt mehr kennen zu lernen, als ein Wildstem, der gewöhnlich zu erfahren bekommt. Zch kann sagen, daß mir die bürgerliche, einfache Sitte, das anständige Betragen des Frauenzimmers, die Politesse der Kaufleute gegen Fremde angenehm «uffielen. Die Stabt, — freilich noch an altem religiösen und rechtlichen Herkommen hängend hat sich noch erhalten, was man im bessern Slnne Charakter nennen kann. Noch hat kelneFluth durchs ziehender Fremden das Eigenthümliche derselben/ das heißt brave, bürgerliche Sitte, die sich freie lich nie ganz vom Einflüsse manches VorurtheilS Und einer gewissen steifen Form loemachen kannnicht völlig hlnweggefchwemmt. Da« häufige Famillenwefen macht einseitig, e« ist wahr; Geist und Kenntnisse rücken nicht weit vorwärts ; es hat Eintönigkeit und Langeweile, ost auch Eigensucht des ausfchlteßenbtn Lebens zur Folge. Allein eS hat doch auch manche gute Seite, tn sofern dabch die Angelegenheiten der Menschen einander näher gebracht und — viel Ausbrüche brr Zmmorälität bey der nahen gegenseitigen Aufsicht der Familien, glleber verhütet werben. — E« ließe sich vielleicht auch mancherley über den gesuchten Prunk und di« X 4

(

ZL4

>

PrachtssedL der Kaufleute In den fSSufrrn die yy endliche A,.zal von Eguiv-rgen rc

ühvv fa-aen

Wein 'wer lang hat, btt lM -tanfl hünaen; sey

yun eine 2|lcjngenpetM-e ocer'etn-* damuiasteno ®®vb sellsthaster erhob man die wagttekische Kur ist schwärmerischen Ausdrücken, sind wenn ich wir Bedenken dagegen erlaubte, so antwortete mach mir ruhig und ka^t: Wir verdenken Ihnen 5^ re Zweifel gar nicht; wir finden sie im Gegen, theil sehr natürlich. Aber kommen Sie untr sehen! — Nun ist es zwar wahr, schon seit Johrtzun/ derten hatte man von thierisch«magnetischeir Kräften gesprochen; Paracelsus hatte es sich? «m Beweise dafür schon sauer werden lassen, unh van Helmont, Maxwell, Durgrav, Kircher u. a. hatten ansehnliche Werke über die magnetische Kur geschrieben. Aber ihre Hy»' pvthesen waren doch nur in Ihren Büchern ge, blieben, waren nicht, wie hier, In die Gemüther des Volks übergegangen und hatten darin, zum Nachtheil der gesunden Vernunft, Unheil anqe« richtet. Ich ärgerte mich, je mehr ich davcüi, als von einer ernsthasren Sache, sprechen, härte*

( 330 )

Nun, so will ich doch selbst sehen, was daran ist, sagte ich einigen Freunden. Fähren Sie mich hin zu Hrn. Docker Wienholbt, dem großen Magnetiseur; vielleicht ist er so bereit, willig, mich, da er eben eine solche Kur vor hat, zusehen zu lassen und, ich werde bekehre 1 Die Schilderungen von dem allgemein ver, ehrten Charakter deck geschickten Arztes, wären nicht nöthig gewesen. Zch fand «inen Dieder« mann an ihm von gradem Herzen, unverstellter Offenheit, und liebenswürdiger Bescheidenheit. Mit leiser Behutsamkeit sprach er von seinen magnetischen Kuren und den Erscheinungen, die sich dabey äußern sollten. Er gestand, vieles da, Lurch in Nervenkrankheiten hervorgebracht zu haben, was weder ihm noch seinem Kollegen Olbers, einem ebenfalls sehr geschickten Arzte, Lurch gewöhnliche Kunstmittel habe gelingen wol, len; obwohl er versichern müsse, nicht viel über einzelne Erfahrungen und Bemerkungen hinaus gekommen zu seyn; daß er aber die Geschichte seiner Kuren mit allen Veränderungen täglich «ufzetchne, ruhig seinen Gang fortgehe und sich gar nicht an Widerspruch, Unglauben und Be, fehbung kehre, bis er sich «inst im Stande sehen

(

33i

)

würbe, dem Publikum seine Journale vorlegen zu,können.

Er ist mancher geschickte und vorsichtige Arzt

schon htntergangen worben, dacht' ich, eS kann hier auch der Fall seyn.

Nichts ist leichter, als

wenn wir eine neue Kraft in uns zu verspüren

glauben und dadurch einen hihern Begriff von uns selber bekommen, so daß.wir uns von dem Haufen der übrigen Menschen ausgeschieden 6t# trachten können.

Die Eitelkeit bringt den Glatze

dieser die Vernunft, und

den auf ihre Sette;

ist diese erst subaltern geworben, bann dringt

das H-er der Empfindungen und Einbildungen unter der trügerischen Anführung des Vorur# theils in scheinbarer Ordnung immer vorwärts,

und man rückt immer weiter vor in das Reich

des Unsinns und der Schwärmerey, ohne es zu

wissen;

Form. —

denn

man

Zudem

manivrirt

ja

in

bester

schien mir Hr. SB. etwas

kränklich und hypochondrisch zn seyn; und auf

welche Wege man da gerathen kann, hatte ich selbst einmal an mir erfahren.

Indessen ich wollte Alles mit ansehen, und

also hatte der Arzt die Gefälligkeit, mich in Gesellschaft zweier angesehenen Kaufleute, zu

(

332

)

ferner Patientin, einem Mädchen von etwa achtzehn Zähren, htnzuführen. Es ivar Nach­ mittags gegen drey Uhr. Wie der Arzt sagte, hatte sie diese Zeit zum Erwachet vom Som­ nambulismus bestimmt. Wir traten ins Haus; lind ich fand, daß wir bey Bürgersleuten von einigem Wohlstände sturen. Die Mütter, von sehr gefälligem honettem Wesen, bewlllkommte tfn$; schien aber nicht gern zu sehen, daff Frem, W mitkämen. Wir stiegen eine Treppe hinan. Als wir ins Zimmer der Kranken traten, sahen wir das Mädchen, von ziemlich hübschem Ge­ sicht, aber seh'r blaß, im Bette sehr anständig liegen, mit dicht geschlossenen Augen und freund, ltchen heitern Zügen. „Sie sehens doch gern, baß ich einige gute Freunde mitgebracht habe!" Mete sie Hr. Wien hold an. — „0 ja, warum nicht?" — Und somit gteng die Unter, Haltung an. Sie betraf' gleichgültige Dinge, wobey das Mädchen lebhaft und deutlich und — hochdeutsch sprach, da sie sonst, wie der A>zt versicherte, im platten bremischen Dialekte zu sprechen pste, ge. Einigemal gab sie verkehrte Antworten, D. auf die Frage: was der Herr, der am Fuße

( 533 ) Fuße des Bette« säße — und der war ich — für ♦In« Farbe des Kleide« habe? Hätte sie so gefällig seyn wollen, ein klein wenig durchzubltnzeln, so würde sie'« unschwer gesehn haben; „aber, sie sieht durchaus nichts," sagte der Arzt, und somit riß er ihr die Augenlieder gewaltsam auf und Ich muß« te «in brennendes Licht nehmen, und es ihr dicht an die Augen halten. Die Pupille war ganz hin« auf In den Nasenwinkel gezogen, wie beim festen Schlafe, und sie rührte das Auge beim Schein der Flamme nicht im geringsten; ließ darauf die Augenlieder mit weggezogenem Finger wieder nie, derschnellen und blieb, wie wir sie fanden, heiter und gesprächig. Und dabey sollte sie schlafen J — Daß man Einschlafen kann, bey Predigten, bey Erzählungen, das läßt sich begreifen; aber im Schlafe räsoniren und gar prophezeyen, da« ist wirklich etwas viel! — Ich konnte meinem Mum de das Lächeln nicht verbieten. —

Während sie nun schlafend dalag, hielt ich sie an der Hand und fragte mancherley, um doch auch wo möglich etwas von der Divinationsgabe zu erfahren. Aber ich war nickt so glücklich, et, was zu hören, das der Mühe werth gewesen wäre, N

(

334

)

behalten zu werden. Ich erinnere mich keiner Sache mehr, als daß sie den Arzt im Schlafe er, suchte, ihr wieder zur Ader zu lassen. — Aber, Mademoiselle, sagte Hr. W., Sie haben ja nun schon achtmal gelassen; ich dächte, Sie ließen es dabey bewenden. — Nein, nein; antwortete sie etwa« empfindlich, es ist noch nicht genug. — Nach allen Regeln der Arznelkunst dürfte ich bas nicht, sagte mir Hr. W.; aber nach den Gesetzen dieser Kurart muß ich der Patientin folgen, wie sie'S haben will! — Das ist traurig genug, dacht' ich, ihr wachend als Kunstgelehrter zu gewähren, was sie faselnd im Schlafe verlangt. „Aber, et/ wirderte ich, wie sinnen Sie es wagen, die Per/ son ein Mittel sich selbst bestimmen zu lassen, wo/ von Sie selbst es unbegreiflich finden, wenn es ihr nicht schadet? " — „ Es schadet ihr zuverlässig nicht; sonst hätte ich sie nicht schon achtmal >zur Ader lassen dürfen."

Unterdeß ward sie ganz stille. Ihre Brust fieng fln zu arbeiten, und nachdem sie einen tiefen Seufzer gehöhlt halte, gieng sie in einen Zustand über, der der Epilepsie ähnlich sahe. Sie warf sich mit dem ganzen Körper fürchterlich und äch/

(

335

)

zrnd umher, schlug mit den Armen au« aller Ge« walt gegen die Wand und die Bettpsosten, so daß e« Ihr empfindlich wehe thu», und der Arzt hinzu» springen und fie halten mußt«. Nachdem dieser widerliche Krampf aufgehört hatte, schlug sie di« Augen auf, sah mit mattem Blicke nm sich her, al« wenn fie sich in diesem Zustande nicht begriff«, war überhaupt sehr schwach und angegriffen, und sprach gebrochen und leise. — Sie weiß nicht« von allem, wa« vorgefallen ist, sagte mir Hr. W. „Wie ist Ihnen, Mademoiselle, Sie scheinen heute matter, al« letzthin. — „Ach! ja, sagte sie, ich bin sehr matt; sehr matt. Wie lange habe ich denn geschlafen?" — Ich kann mich nicht er» Innern, ob der Arzt vier und zwanzig Stunden oder noch länger angab. Denn dieser Zustand soll zuweilen Tagelang dauern, während dem die Pa­ tienten Nicht« genießen, mitunter herumgehen, wozu sie Im wachenden Zustande nicht die Kraft haben; wie denn diese« Mädchen, da« kaum soll« te ausdauern können, während ihr Bett gemacht wurde, Im Somnambulismus über die Straße zu einem ihrer Bekannten gegangen war, wie man mir schrieb, al« ich nachher in Lübeck war.

V 2

c z?6 )

Jetzt schien sie uns erst zu bemerken, und ward verlegen. — „Wissen Sie denn nicht mehr, fragt' Ich, daß Sie uns vorher schon erlaubten hier zu seyn? Erinnern Sie sich an nichts, wovon wir mit Zhnen gesprochen haben? Nein, ich weiß nicht»! antwortete sie und wir verließen bald darauf bas Haus. Zch war in einer Empfindung, die ich nicht beschreiben kann, und gteng still und höchst ernst neben meinen Begleitern her, die mich endlich fragten, was ich von der Sache meine? — Zch habe gar keine Meinung, antwortete ich, und ich schiebe mein Urtheil noch auf. Aber lachen kann ich nicht mehr; wie Sie sehen, bin ich jetzt sehr ernsthaft darnach geworden. Uaterdeß nahm mich der Arzt wieder mit, um mich nun auch das Manöver des Maqnetisirens sehen zu lassen; aber unter der Bedingung, daß ich die Kranke nicht wieder anrührcn migte. ■ Sie hat stchs verbeten, sagte er, und da Sie nicht en rapport find, so tstS wahrscheinlich, daß sie darum das letztemal so kränklich erwachte, da sie sonst immer gestärkt und munter zu erwachen pflegt. — Also mußte fle sich ja doch der Gesell» schast haben erinnern können!

( 337 ) DaS Magnetiflren gieng vor sich. Mit zu» fammen gehaltenen Fingerspitzen strömte ihr der Arzt fein magnetische« Fluidum in« Gesicht, fuhr bann mit beiden Handen in etwas elliptischen Br» wegungen dicht und leise über di« Augen, und so weiter hinab; doch ohne sie im mindesten zu be» rühren, denn sie war völlig anständig angezogen und bi« an die Brust bedeckt; außer, daß er je zuweilen mit den beiden Daumen die Herzgrube zitternd drückte Nachdem die« nun eine Weile ge, schchen war, sanken dem Mädchen die Augenlteder zu; ihr Aldemzug ward leise und stockend, bi« sie endlich wieder einen tiefen Seufzer höhlte und Lhn, liche und fast noch heftigere Krämpfe, al« zuletzt bekam, so daß mir dabey ein Grauen anwandelte. Dieser krampfhafte Zustand endete wieder mit ei, nem Seufzer; und nun lag sie ganz wieder da, mit eben so fest geschlossenen Augen, al« ich sie letzthin ge, sehenhatte. Ihre kranke ängstlicheMtene gieng fort. Heiterkeit und, wie e« schien, ein Gefühl der Erleich, terung und de« Wohlbehagen« breitete sich über ihr Gesicht, besonders um den lächelnden Mund au«, und sie fieng wieder an, vernehmlich zu sprechen. Aberda sie nicht« gesagt hat, wa« de« Druck« werth wäre, so mag Ein dänische« Schiff wagte nach dem acht und achtziger Winter die erste Fahrt von T ra v e m ü n < de in die Ostsee, und also begleitete mein Freund D. mich dorthin. Wie wir ankamen, war Wind­ stille, und ich hatte an einem sehr heitern Tage «inen großen wetten Blick auf die ungeheure Meeresfläche, wie 'sie nntey in den weiten gesenkten

( 344 ) Sogen des Horizonts sich verlohr. Allein um Mitternacht schrien die Schiffsleute: heraus! die Seegel sind gespannt, der Wind ist günstig l Und da raffte jeder sich hurtig aus und eilte zu Schiffes Ich war sehr bewegt, als ich, dir Hand meines biedern Freundes fest in die meinige gedrückt, in stockfinsterer Nacht am Ufer nun so dastand vor dem schwarzen, tobenden Meere, wie vcr einem nächtlichen Ungeheuer, das wie aus tausend offe« nen Rachen den Tod entgegen zu speyen schien; und wie dabey der Sturm in meinen Haaren saug# te, war mit’«, als wenn er mich in die Fluchen hineinwehen wollte. Zch fühlte da recht lebhaft wie eö ist, wenn man hat und verlieren soll; fühlte in dieser harten Begrenzung des ruhigen Landes vom tobenden Meere dasHrrbe des Ueber« gangs von Sicherheit zum Zufall, von süßer Ruhe zu gewaltsamer Bewegung. Und als ich denn nun endlich auf dem Verdecke stand und den letz, ten Freundesten von ferne durch das Gewühl der Taue und das Peitschen der Wellen hindurchhör# te, die schäumend an das Schiff anschlugen: d abscheulich beschreiben zu können. Aber den kleinen Sturm, der uns in der folgenden Nacht wieder zurück schleuderte, ha« be ich, wie ein Leser dichterischer Schilderungen, verschlafens denn ich lag herzlich seekrank in mei, ner mittlern Koge eingeschichtet, und konnte mit meinem Obermann, der mich von oben herab mit seinen angstvollen Gesprächen im Reiche der Tod, ten und seinen etwas starken Ausdrücken vor mei­ nem Lager vorbey etwa« sehr inkbmmodtrte, nicht leben, nicht sterben. Also kann ich mit keiner grauenvollen Beschreibung auswarten. Indeß ganz ohne Abentheuer bliebs denn doch auch nicht. Am dritten Morgen weckte uns das Geschrey und Gepolter der Schiffs, senke. Der Wind war konträr geworden und hatte die Güte, alle« Els von den schwedischen Küsten auf uns zuzukreiden, so daß da» cinff Mitten durch schurrte. Große mächtige Eisklum, pen warfen sich übereinander, und drohten da«

(

346 )

Schiff zu zerschmettern. Indessen mit Lavire» gelang eö dem Kapitän, die Insel Falster z« erreichen, wo er Anker auswerfen ließ. Er stellte uns nun anheim, ob wir auf dem Schiffe bleiben und bessern Wind abwarten wollten, welches mög« licherwelse auch wohl acht Tage währen könne, oder «ns durch Loolsm auf ein Boot auf dte Zn, fei ansetzen lassen wollten. Unsrer sechs aus der Cajüte wählten das Letzte und ich dankte Gort, wle ich wieder am Strande festen Boden unter mir fühlte, Mit einem neuen Lebens, und Frei, heitsgefühle, wie es der erlöste Gefangene haben mag, sprach lch meinen wankenden Füßen frisch zu; der Duft des Landes stärkte mich und ver, drängte den ekeln Schiffgeruch. Ich fühlt« nach einer fo «normen — Mage.iumwälzung, wieder Farbe im bleichen Gesicht, und eilte mit meinem Bündletn neben meinen sechs andern Gesel­ len über Seemuscheln frilich der Bucht zu, welche Falster von Moen trennt, um mich mit ihnen übersehen zu lassen. Aber diese Ueberfahrt hätte meine geneigten Leser bald um den großen Verlust gebracht, dies Büchlein nicht lesen zu können. Wir saßen, mit zwey Fischer« in einem schmalen, zerbröckelten

(

347

)

Doote, zwey zerlöchert? Seegel aufgespannt/ ft

daß da« Bord beinahe Wassergleich war.

Recht«

ein da« wogende Meer, links die Meerenge, die

bey unterbeß etngetretenem Regen und Sturm, wind, sich von den Hauprfluthen erschüttert fühlte und aümähiig hohe Wellen schlug, ft daß unser

zu schwer geladenes Boot von einer Welle bald

hoch aufgeschleudert, bald hinabgestürzt wurde und der Schaum derselben über «nS fortschlug und uns über und über näßte, daß daS Wasser schon an den Füßen leckte:

— ft fuhren wir armen

Abentheurer einher»

ES müßte sich zum Erbarmen mit angesehen

haben, wie wir, aus Furcht vor einer trotzig her,

anflukhenden Welle, die das Boot mit Mann und Maus zu verschlingen drohte, uns in stiller Erge­ bung ntederduckken, als sey nun keine Rettung mehr Im Himmel und aus Erden.

gung des Meeres nahm zu.

Die Dewe,

Unsre Fischer mit

zerlumpten Zacken und einem Hungergestcht ar,

beiteten und steuerten au« allen Kräften; aber

der Lärmen war einmal angegangen, und ließ sich weder sortsteuern noch wrgseufzen. Ach! da fühlte sch doch etwelche Bänglichkeir in meiner pädagogf, schen Brust, als es immer ärger wurde und wir nahe

c 348 )

daran waren, mit unserm kleinen- überfüllten Boote ins hohe Meer hinaus geworfen zu werden. Und da nun gar die Ruderer anfingen ängstlich flch zu gebehrden, und ein junger schmucker Bäk, kerssohn, der mir mit einem Leichengestcht gegen« üb«r saß, fich bereits zu einem fertigen Htnschei, den anschlckke und sein Gebetbuch herausnahm, und laut und wimmernd drin las: da, muß ich gestehen, fühlte ich doch was das sagen will, wenn der Tod durch die Wellen zu einem heran plätschert; und fest und innig, als an meinen ältesten Freund, klammerte ich mich an die Zdee de« Daseyns an, die doch im Gmnde die liebste ist, die ein menschliches Wesen haben kann. Wir gelobten, als uns die Furcht am Halse hatte, allesamt hoch und theurer, dem lieben Gott auf den Knieen zu danken, wofern wir noch ein« mal glücklich landen würden. Allein, kaum hat, ten wir den Strand erreicht, so nahmen wir alle Reißaus! und kein Mensch dachte mehr an's Nie, derknien. Es war also nur eine fa^on de parier gewesen. WaS kann auch dem H rrn der Welt daran liegen, daß man mitten im Regen auf See« muscheln kniet und seine Beinkleider verdirbt, mit denen man noch Effekte zu machen gedenkt? —

Wie

(

349 )

Wie ich kn Koppenha^n das Erziehungswerk beginne und wieder loslasie. Als Ich an einem schönen Frühlingstage »um er,

stenmal in Koppenhagen, von Amaitenburg aus, mich an der herrlichen, großen Aussicht wet, bete; unter mir dem bunten Gewühle geschäftiger Dänen, Deutschen und Russen, zuiahe, die an den Hafen herum giengen und kamen; grade auS eine schöne fruchtbare Ebene, von lieblichem er, quickendem Grün, über die Stadt hinweg vor mir hatte, die bi« nach Charlottenluyd hin reichte; rechts. Über den Meilen breiten Sund hinweg Schwedens Küste In blauerFerne liegen sahe, und bald wieder meinen Blick auf die unzäligen Flag« gen und Wimpel von den Kriegsschiffen und Fre, gatten der russisch > dänischen Flotte abschweifen ließ, die in politischem FreundschaflSverein neben einander lag und dem wettauSgreifenden, Unglück, licheN Gustav drohet«: da glaubte ich den Fa, den meines Schicksals auf DännemarkS Znfrl, wenigstens für einige Zahre, gesponnen. 3

(

Mo

)

2t*ier, wie bas nun so in der Welt istr d» paar zarte Ohren mußten erklingen und ein Sausen und Brausen empfinden, VaS durchaus nicht anders als durch Pyrmonter Quellwasser gedämpft «et« den konnte; und nach einem paar Monden, noch ehe ich, wie es doch billig gewesen wäre, eine lilh Pige in gehörige Ansicht genommen hatte, schwamm ich schon wieder davon, ohne auch nur «ine einzige Basedowischr Kupftrtafel mrf« nem kleinen leichtfertigen Eleven mit pLdagogi« sch em Firniß gehörig überzogen, noch weniger ihn dahin gebrachr zu haben, daß er sich nicht in aller ehrbaren Gesrlllchaft, wir ein Kobold, herumgrwilzt hätte.

ES war rin kleiner talentvoller und natürli« chrr Junge, den ich der dichterischen Mutter durch Pädagogik abgewtnnen sollte; ganz zu «i« nem Waldbruder des Rousseauschen Emil ge« macht. Sie hatte ihn bisher al« ein kräftige« Naturkind heranwachsen lassen und ganz nach ihrer Hand gewöhnt, dir aber viel zu weich war, um nach gerade die Zügel mit gehörigem Nachdruck anhalten zu können, wenn er Waldeinwärts wollte. Diesen sollte ich nun mit

c

351

)

ManneSkrast erziehen, unb gerecht machen jum Gebrauch des Lebens. Aber eher lassen sich zehn akademische Fragen auflLsen, als feste und rich, tigr Anlagen und Plane für dl« Ausbildung et, neö solchen Kindes auf Zahre machen, und noch weniger ausüben. — „Ah! es ist gut, daß du da bist!" - schrie Wich der kleine Hurone an^ als er mich zum erstenmal ansichtig wurde. — „Ich habe lang« „auf dich gewartet, und meine Mutter auch. „Na! fetz dich nur; du kommst weit her und „wirst müde seyn. Bist du denn auch gern gr, „kommen? und hast du mich lieb? — Sage „mir, was wirst du mich denn lehren?"

Da antworte einer einmal! — Zch will mich für sehr vernünftig halten, wenn ich ihm ge, antwortet habe: „Allerhand, denk' ich, mein Kleiner. Vermuthlich solle dir gefallen." ' — Aber ich stehe nicht dafür, daß ich nicht gesagt, oder wenigstens auf der Zunge gehabt habe: „da frägst du mich vor der Hand zuviel; den» bis Dato weiß ichs selber noch nicht." — Den» 3»

c 35* ) in der That, bey der Zerstreuung der Ziels« hat« te ich, sobald ich den Zweck derselben In Ueber, legung nahm, immer des unvorgrelfltchen Ge, dankens gelebt: an Ort und Stelle wird sich das finden! Was sollten sich auch dergleichen Lappalien für einen gelehrten Herrn nicht fin, den, der aus Dessau kommt und etwelche Dü, cher consectbirt hat? — Allein ich war nicht gescheut, die Pädagogik zu einer Sitzung auf die Kinderbank «ingelaben -u haben. Es war mit mir damit schon zu spät, und ich hatte noch zuviel Ekel von Dessau her übrig; und also kam die Sach« natürlich, zu meiner Beschämung, ganz anders. Bey der ersten Unterredung, die ich mit der feinen, geistreichen Mutter im Beiseyn de« Kin­ de« hatt«, das alle Methode aus dem hübsch ausgedachten Dialog fortjagte, und dreln sprang und jauchzte; bey der geschmeidigen Art, womit die Mutter sich tu jede kindische, überlästige Fra, ge fügte und sie zu einem gewissen Interesse er­ hob; bey der Leichtigkeit, womit sie unser ernst, hafte- Gespräch an die flüchtigen Bedürfnisse und Unarten des Kinde« knüpfte, — fühlt« ich

( 353 ) schon sehr lebhaft, wle mir die Leitschnur längst auS der Hand geglitten wäre, woran sich dir vola» tile Seele eine« steinen, so lebhaften Wesens führen lasse. Das große Zutrauen der gütigen Frau stand, zwar wohl mit meinen guten Vor» sähen, aber wenig mit meinen Ahnungen von künftigen Erfolgen in Verhältniß. Hätte ich das vorher so denken können, als ich es nach und nach an mir selber erfuhr; ich hätte nicht Herkommen und die Erwartungen einer so guten Mutter täuschen müssen. Indeß ich versuchte, soviel möglich; that mir Zwang an, und wollte dem Geschäft sein Gutes und Verdienstliches abgewtnnen. Aber das arme Kind verstand mich nicht und hatte Langeweile, und empfand es wohl, daß etwas zwischen uns beiden fehle: Lust und Liebe. — Es wollte, der anmuthigen Erzählungen und Liebkosungen seiner Mutter gewohnt, immer wieder hin; diese trieb es dem ernstem Päda, zogen wieder zu, und so ward «S aus einer Tem» peralur in dir andere hingewlesea, und befand sich übel dabey. 3 3

c 354 ) UebrtgenS hatte ich in diesem vortreflichen Haus«, ol< Freund, den ehrenvollsten Stand, di« ausgesuchteste Gesellschaft, die vollkommenste Freiheit, nach bester Einsicht zu thun und zu lassen, wa« ich wollte. Zch hätte «in herrliche« Leben haben und mich, vielleicht ju meinem Glücke, hier ansiebeln können. .Der alt« ehr, würdige Münter wollte mich sogar auf dle lu, thersche Kanzel haben. Allein es sollte nun ein, mal nicht so seyn. Wenn das verzweifelte Elementarisiren mit Kupfer tafeln, das Häuserchenbauen und wa< der pädagogischen Spielsachen mehr sind, nur nicht gewesen wäre! Das wollte mir doch gar nicht von der Hand gehen. Es war nicht damit aus, zuhalten. Die Zeit ward mir dabey unendlich lang, und ich sehnte mich nach der Laube, wo ich an der Seite der viel interessanteren Mutter, Klopstocks Oden mit dem rechten poetischen Au, ge las, und mit dem linken pädagogischen die Aufsicht über Karls Schubkarren führte. Kurz ich fand, daß ich nicht an meinem Platze war, und war so ehrlich, es mir bald zu gestehen und das Kind in allem Ernste zu bedauren, dem ich

( 355 ) schwerlich von ganzer Seele würde nützlich wer« den können. Zch verlebte einen Tag nach dem andern, ohne das süße Gefühl mit in dte Nacht hinüber nehmen zu können, nützlich geworden zu seyn; welches, wenn man bemungeachrec so Viel Liebe und ausgezeichnete Güte erfahrt, als ich hier täglich erfuhr, etwas Unerträgliches ist. Dgz» überschlich mich Heimweh nach meinem Vaterland«, bas sonderbarste aller Gefühle, und noch manche andere Empfindung ließ mir keine I>uhe, so baß ich meinen Rückflug übers Meer beschloß, den endlich unsre Reise über Holstein nach Pyrmont beschleunigte. Zsn einem heitern Morgen lag ich einmal im Fenster und starrte nach der Ferne hi». Die Sonne spiegelte sich malerisch schön im Meere, und die Seeluft wehte mich frisch an. Ganz phanta, sirend war mir, oX$ wenn die Stimmen aller der Lieben, die ich in meinem Vaterlands zuriickgelas, sen hatte, mir in sanften Tönen erklängen, und der Morgenwind mir bi« Wort« lispelnd zubräch, te: Komm wieder herüber! — Mein Herz schlug laut, und das Blut stieg mir ins Gesicht, 3 3

c 356 ) daß ichs kaum aushalten konnte. Alle Freuden meines vorigen Lebens thürmten sich in schönen Gruppen vor mir auf, und ich hätte die Hände nach ihnen auestrecken mögen. Ich war wie auf» gelöst in Wonne, und hing mit namenloser Freude an der Vergangenheit, und sah über die Gegen« wart weit hinweg, hin in süßere Träume einer fernen Zukunft. DaS Hier schwand mir als Nichtsbedeutend hin, und die holderen Bilder der Phantasie lebten und webten vor meinen Au« gen.------ „O wie bist du vergnügt! sagte mein Klemer naiv, und hieng sich schmeichelnd an met, nen Arm. Du hast mich wohl jetzt recht lieb!" —. Ich nahm ihn auf, den lieben Zungen, und küßte ihn gerührt; denn ich kam eben von demGidan« krn her, ihn zu verlassen.

Ja, ich mußt« ihn verlassen; es war gut für. ihn, für mich. Aber wo hin? war der nächste Gedanke. Nach — Heidelberg, kams mir mit elnemmal ein, und ich dachte nichts, als Hei, drlbccg, ob ich gleich nie da gewesen war und dort nichts zu suchen hatte. Der Gedanke ließ mir keine Ruhe. Es war eine sonderbare Zdeenver» knüpsung, die meiner Phantasie gerade diesen

(

357

)

Ort zuführte, den ich nicht umhin konnte, mir als die Grenze meines Ziels zu denken, und wer,

an ich in diesen Momenten alles knüpfte, was das

Leben Süßes hat,

Um alles in der Welt hätte

ich diese tröstliche Idee nicht aufgegeben.

So wee

nlg verliert unser Gefühl den Faden aus den Ta« gen der Kindheit, und des Mannes spätere That ist oft nichts, als eine aufgeschobene Wirkung des

Grundstoffs seiner Seele!

AIs ich nachher mit Baggesen und Gras Moltke auf dem Altan der Ruinen des hohen

ehrwürdigen Dergschlosses von Heidelberg in tiefen

Empfindungen verlohren stand, und die paradi»

fische Pfalz in unabsehbarer Ferne vor meinen Blicken fich ausdehnte,

daß ich gerührtes Her,

zens meine Knie vor dem Schipfer der Natur hätte beugen mögen:

da

dachte

ich auch des

Traumes an jenem glücklichen Morgen und des kleinen holden Knaben, wie er damals um mich

her spielte und ich ihn in dem Arme hielt; und mußte herzlich weinen, als ich fühlte, wie das

Dort nun Hier geworden war, fall dem Gedanken nun

und der Zu­

Wirklichkeit

3 f

gegeben

c 358 ) hatte. — Durch wieviel Empfindungen hatte ich mich noch durchwinden müssen, ehe ich hier aus dieser allen festen Durg stehen und mein Herz vor Entzücken über alle dl« Herrlichkeit schlagen hören konnte, die in unübsrsehlichem Baume hier vor meinen Augen auSgebrrltet da» lag.' Und wir so manches Bild war unkerdeß vor meiner Seele, wie vor meinen Augen, vor» übergegangen, welche» sich nun an dieser roman, tischen Stätte in erhihtrren Farben wieder dar» stellte und zu einem sanften, rührenden Gemähs, de bildete!

c

359 )

Beschluß.



nehmen die Gegenstände um uns her bl« Farbe von unserm Gefühle an. Wiederum bür« fen wir uns nur nicht in einer «Lage gefallen und das täglich wiederkehrende Gefühl von ver» fehlten» Lebenszweck uns zusetzen: und Alles wird sich ganz ander« vor unsern Augen gruppt« ten, wie bey heiterer, freier Seele. Zch muß gestehen, daß ich es jetzt recht sehr bebau», meine Sinne von einem Lande wegge, wandt zu haben, in welchem Denkmale der be« sten Regierung, der wahren bürgerlichen Frei­ heit und der ächten Gelehrsamkeit und Kunst ungleich häufiger anzutreffen sind, al« ein ringe, nommener Deutscher gewöhnlich den Dänen zugiebt, der für sein vielköpfiges Vaterland, worin doch nie der wahre Patriotismus des Insula­ ner« auskommen wird, partheyisch ist.

Wo ist — um nur eine« Fall« zu erwäh­ nen — irgend eine Hauptstadt Deutschlands,

wo dramatische Kunst nnd Musik so viel Ratio,

( 3*® )

Ualintereffe erregt und Zungen und Federn so vieler denkenden Köpfe In Bewegung setzt, als es in Koppenhagen geschiehet? — Zu meiner Zeit war noch die Gährung über BaggesenS und Kunze ns Holger allgemein. Unser rüsti, zer und Kunstliebendrr Cramer halte alle schö, nen Geister, wie einen Hansen Waldvögel auf, gejagt, daß sie — nachdem nun ihr Getön war — di« Oper in lieblichen Tinen besangen, oder als schwarze Raben mit nächtlichem Geschrey be, krächzten. Eine große Menge Broschüren, mit, unter sehr kritische und vorrrefliche, kamen dar, über schnell nach einander heraus. Sie wurden gelesen und in allen bessern Gesellschaften beur­ theilt. Man gteng ins Detail, man anaiysirte. Ideen und Urtheile aller Art begegnete , sich, und der Geist kultivirter Menschen ward doch dadurch empor gehalten, und der Kunst durch allgemeine Kritik ein Interesse zugewendet, das sie bey uns überall vergebens erstrebt; sintemal wir in unsern Familienzirkeln wenig von Kritik wissen, — man müßte denn die reine Kritik der Hausväter auSnehmen, die synthetlsche Pelt, scheu für ihre Kinder am Fenster hängen Ha­ den.

( 36t ) So ein National > Interesse an Werken der Kunst und des Geschmacks ist doch noch, was in Gesellschaften Geist und Leben bringt. Bey uns zu Lande spielt man Karten, kannegießert und gähnt. Oder aber, wo man höher hinaus will, da fängt man Gott sey Dank? 'nach ge, rade schon an, den empyrischen Schwein-kopf nach Kamtschen Principien zu zerlegen. Zn Koppenhagen wird es dafür dramatlstrt; und das ist, wenn eins von beiden seyn soll, immer noch gescheuter. Denn Witz und Empfindungen finden dabey doch ihr» Rechnung, und damit werden Gesellschaften von Damen allemal weit besser und anständiger bedient. Einem auswärtigen Deutschen muß eS hier sehr angenehm auffallen, daß man mehr ge, mischt unter einander lebt und nicht so alberne, scharfe Grenzen zwischen Geburt und Stand ge, zogen hat, als in unsern großenthetls herzlich armseligen Gesellschaften, wo der ganze Ertrag des steifen Deyetnanderseyn« nicht der Anstren, gung des Ohres werth ist, um die Herren von und zu und die beliebte Stufenfolge von Rä»

( 35* ) 1h rn ju erlauscht«/ beten nach gerade mehr sey« werden, als der Menschen, die Rath« behüt, fern — Zwar fehlt» hier so ganz und gar an Titelsucht auch nicht; wie denn die Thorheit sich picht blo« an festem Lande begnügen läßt, son, Lern auch den Weg über Meere zu finden weiß. Allein man kann doch wenigstens seinen Athem sparen, wenn man die Frau eine» betitelten Manne» anredet; und die Sottise, Weiber in den Titulatur — Schlampamp der Männer zu tauchen, ist doch Gottlob; in Dännemark noch nicht «ingekehrt. St« sind noch ehrbar« Frau, en, und die Töchter — so Gott will; nicht blo» Hitular — Jungfern. Ser dänisch« Adel hat den vollkommen ge, gründeten Ruf der Humanität für sich, und, da mein dortige» Verhältniß mich nicht selten veranlaßte, Menschen von hohem Adel und Stande zu beobachten, so kann ich diesen Ruf au« Erfahrung bestätigen. Der «dl« Kronprinz, die weisen Minister, geben da» erste Beispiel davon;, und dem Bürgerlichen von einigem Werthe wird e», durch allgemeine Lebensge,

(

Z6Z

)

wohkiheik, geläufig, dem Adel nicht mehr über

sich etnzuräumen, cts er durch persönliches Der, dienst unterstützt, wird.

Und so sollte es überall

ftyn. Gesegnet

sey

6aS glückliche DänneMark!

Gepriesen ein großer Bernstorf, ein Schimr

melmairn, ein Nevenrlau,

große Staats,

männer und edle Mcnschtn zugleich!

An der

Spitze der großen Staatsfamilie, wie im Kreis« ihrer eigenen Familien, die sie jedem Verdienste

mit Freundlichkeit öfnen,

geben sie baS erste

Muster det reinsten Menschheit und sind die Cri­ sten in diesem, durch ihre Weisheit und Milde

musterhaft regiertem Lande, die in ihrer eigenen Person dem Verdienste feine Steile anweisen.

Geseegnet sey dem Menschenfreunde nicht mist, der das Andenken an den guten, edlen Hans

Bernstorf, der in aller Herzen, insonderheit

seiner durch ihn glücklich gewordenen Dauern das schönste Denkmal der Verehrung und Lieb«

zurück gelass n hat!

In jenem Haule, wo man,

cher Mensch twn Werthe g-cn weilce. Iahe ich

ihn »st diesen Heben, einfachen Mann, und waK

(

3*4

)

Zeuge seines sanften, kindlichen Sinnes und Le, bens. Sein würdiger Bruder ist des Namens seines großen Vaters vollkommen werth. Unsre Reise, die Freund Daggesen, der trefliche dänische Dichter, bereits sehr anziehend beschrieben hat, war, wie man sie In seiner und in der Gesellschaft einer geistreichen Frau und CramerS denken kann. Wir fuhren mit ge, schwellten Seegein sehe bald und glücklich nach Holsteins reichen, fruchtbaren Küsten über; stie, gen in Kiel, der damaligen Heimath Cramers aus, und glengen über Hamburg, Lüneburg, Celle, und Hannover nach Pyrmont.

Mlt Daggesen, den ich damals nur wenig kannte, reiste ich zuerst nicht; ich war nur neben ihm und sahe ihn den Mast hinanklettern, und Hirte seinem lauten Enthusiasmus in der gesellt, gen Cajüte zu. Ein eigensinniger Zufall wollte, daß wir uns später erst fanden. Es war In Poppenbüttel, bey Ham, bürg, Im gastfreundlichen Landhause des ehrli­ chen

(

Z§5

)

cheN Ölde- ivdhlbetrauten Mükizmelster», tt>ei«

chem D« bereit» rln gebührendes Denkmal geL setzt hat. Dieser Olde war ein würdiger, men, schenfteundltcher Mann, der noch im späten Alter ein kindliche» Herz in seinem Dusen trugt Er konnte gewiß, kurz nach unserer Entfernung au» seiner romantischen Gegend, ln seinem freundlichen Gartenhaus» mit dem Dewußseyn sterben, hier an diesem Orte sehr vielen bessern Menschen, worunter ein Klopstock, Lessing, Alberti, Mendelssohn- Claudius und viel ander» ausgezeichnet« Männer waren, viel frohe Stunden gemacht zu haben. Er war ein sehr guter einfacher Mensch, freundlich und tniU 6e, und hieng am öftersten und liebsten an der bessern Seite der Menschheit, und störte di» Harmonie seiner reinen Seele nicht durch un#

well sie für mich in der Erinnerung immer viel Interesse gehabt hat und mir, so oft ich daran denke, diese beiden Freunde recht lebhaft wieder vor die Serie führt. Sie ist etwa« sen» timentaler Art, und daher für viele vermuthlich von gar ketnrm Werth. Wir lustwandelten att einem sehr heiter« Morgen, der bald in Schwühie de« sonnigen Tage« sich verlohr, in dem kleinen Burggräfli, chen Schloßgarten zu Friedberg umher, der blo« wegen der wetten Aussicht, di» man dort hat, und wegen alter verfall-ner Gemäuer und einer wilden Natur, die nur schwach von Kunst unterstützt ist, ein romantisches Interesse hat. Da« hochklare Blau de« Himmel« und die sengen« de Feuerluft gaben dem Gefühl etwa« Schmer»» haste«, Schwermüthigr«. Wir bestiegen eine An» höhe, wo wir einen stillen Platz fanden, der, von verfallenem abgestumpften Mauerwerk in der Rund« umgeben, nicht« enthielt, — al« »inen einzigen Baum.

In der Stimmung, worin ich mich grade befand, wie so sinnig war mir sein Allein»

c z6y > Dast«h«n an diesem zertrümmerten Otte, we mancher vom Kampf ermüdete Burggraf den Schweiß von seiner Stirne getrocknet haben wogte! Es war, als umgäbe ihn Ernst und stilles Trauergcfühl, und als wüßte er selbst um seine Verlassenheit. Zch lehnt« mich an seinen Stamm, und meinem zur Erde gesenkten Auge entsank eine große Thräne der Schwermuth. Denn eö drängt« sich der Gedanke deS Allein, seyn« zu meinem Herzen, und «S kam mir in diesem Augenblicke vor, als stünde ich auch so vereinzelt da; als bände mich jetzt nichts an Wesen außer mir; als kümmere Niemanden mein Schicksal so recht von Herzem, und als sey ich so ganz dem öden Zufalle-dahin gegeben; kein Pater, keine Mutter, keine Kinder, keine Geliebte, kein Punkt in der Welt sey jetzt für mich da, zu dem ich wieder zurückzukchren brauchte, der zunächst mein ganzes inneres Seyn an sich zöge und wieder etwas Wohlthätige«, irgend eine Haltung In das Gewebe meines Lebens bräch,

re! — Zch war sehr gerührt.

Aa z

c

370

)

Daggesen rief mich endlich ab von diesem feierlichen Daum, und nun tauchte sich da« schmerzhafte Gefühl der Verlohrenheit unter in das süßere Gefühl der Freundschaft. Wir stiegen hinab ins Dunkel und lebten alle drey in diesem Momente im höchsten Ein, klang unsrer Gefühle. Jeden über fiel re hier, daß er noch Etwas außer ihm suche. Zn MoltkenS sanftdüsterem Auge schwamm Empfindung schwer, müthiger Liebe und Ahnung des Desftrseyns. Er blickte starr nieder von dem Rasen, worauf wir dicht neben einander saßen und einem klaren Wasser zusahen, das unter dem Dogen einer Brücke ruhig dahinfloß, deren Schatten auf die Fläche desselben malerisch hinfiel, und auf weich« die Sonnenstrahlen leise zitterten. Dann neigte er sich, unter seinem heimlichem Kampfe sich hervorarbeitend, liebevoll nach uns hin, und, wie durch eine stille Geiste? frage, auf die kein Mund antworten darf, wollte er die Seele seiner Freund; auf bas düstere Spiel seines Innern hinienken.

B. sah mit gemildertem Kraftauge, das

(

371

)

sonst mit Feuer aufsucht und festhLit, stnniss zur Erde nieder, und saß mit verschlungenen Ar, men stillschweigend da, während ein gutmülhi« geS Lächeln um seinen ersten Mund schüchtern herumzog. Niemand von uns sprach «in Wort, und jeder ehrte mit leiser Schonung des andern heimlichen Selbstgenuß. Nichts unterbrach uw sere Stille, als ein harmonisches Pappelngesäu«

fei über uns, das wie ein Chöral aus der Ferne klang.

Wir wandelten darauf einem schauerlichen Gemäuer zu, das aus Trümmern, vielfach und malerisch, bestand und sich, von Wachthürmen uw terbrvchen, so veclohrcn hindehnte, und unter wel­ chen ein hoch abgestumpfter runder, kolossalischer Thurm sich trotzig erhob. - Umher krümmte sich ein düsterer, wild verwachsener Graben, worin noch große Steinmassen von der zerstörten Felsmauer aus dem Dickigt hin und wieder hervorragten.

Hier lebte der Dichter zu Ungestüm wieder auf, und jedem von uns drängte sich, bey dem Anblick solcher Ueberreste au« der männlichen Vorzeit, ein höheres Kraftgefühl wieder zu. Aa 4

c

Z72

>

Nach seh' ich den lieben Dünen, angethan mit grü# ner Reiseweste, und mit rothseidener Schärpe um#

wunden, wie er in die wilden Hecken voransprang. Wir sehten nach, und jeder verlohr sich auf seinem

ungebahnten Wege Aber M-, sich selbst immer wie# der findend, wankte endlich langsam unbschwermü, thig wieder daher, sprach in sich selbst hinein, stand

zuweilen still und schlug die Hände zusammen, daß «S an dem Gemäuer wlederhallre.

Der schauer#

liche Ort hatte seinen tief verschlossenen Gram ihm

wieder ans der Brust gelockt.

Endlich stimmteB- mit kräftiger Stimme ein» alte dänische Ballade an, mit einer schönen, süß#

traurigen Melodie und großen Tonfällen, wie sie

die nordischen Romanzen haben; M. fiel mit Hal, der Stimme ein,

bis

Begeisterung auch ihm

seine volle Stimme gab und er damit den Klage,

ton seines Inwendigen überschrie.

Es klang, wie

ich da oben am Rande des Grabens nun stand, überaus feierlich, und die Felswände gaben das

halb aufgefangene Getön in dumpfem Echo wie# holend zurück

( 373 D

Nie will Ich diesen Morgen vergessen, w» drey Freunde ein so süßes Fest mit einander feiere ten, und in gleichen Gefühlen sich begegneten.— MSgtest Du, edler Moltke, wenn Du dies hier lesen solltest, Dich deines entfernten Freun, des mit einiger Liebe erinnern, der — Du weißt «s, wie — am Fuße de« Jura von Dir scheide» mußte! Mögtest Du in der Zeit und in Deinem eigenen kraftvollen Herzen den Trost gefunden haben, nach dem Du dich auf Bergen und i» Thälern umsahest! Und mSgke eine schön um, leuchtete Gegenwart einen sanften Schimmer aus da« Dunkel der Vergangenheit werfen, und die Erinnerung den Vorhang davon nur dann weg­ ziehen, wenn Du drv-Dewußtseyns: fehl unend­ lich glü.Ntcher zu seyn, recht lebhaft bedarfst!

WaS ist es doch, da« den Menschen zuweilen glücklich macht, und seine Entschließungen leitet! Eine kleine Hosnuyg; rin Spiel der Phantasie; rin flüchtiger Gedanke; ein dunkle« Vorgefühl von genußreicherer Zukunft, al« die Gegenwart Aa s

c 374 ) Ist, die man mit allen Sinnen durchdrungen hat; «in Wunsch nach Veränderung, nach freierer Regsamkeit der Kräfte und Neigungen, — die nicht selten bloe in der Einbildung bestehl —: das alles kann ihn eine Zeltlang von aller Der» gangenheit scheiben. Gegenständ» in den Hinter, gründ feiner Seele stellen, an die er sogern sonst hieng; ihn für ein Bild der Phantasie enlflam, men, da< Nichts vielleicht hat, als Reiz der Neu, Helt; kann ihn alles vergessen machen, wonach er sonst strebte, woran er mit Liebe hieng; kann Bande mit Leichtigkeit trennen, die Pflicht und Gewohnheit auf lange Dauer knüpften.

So war mir es auch, als ich nun wieder oh, n» alles Pflichtverhältniß, an einer neuen Dcgren, zung meines Lebens stand. Zch dachte bloß vor, wärt«, nicht zurück; und auch das eigentlich nicht einmal. Denn alles Stetige der Gedanken ward durch die Zbee der Trennung, des LoSgebunden, feyUS, durch die Eine Empfindung der Reise ver, schlangen, und alle« Uebrlge war mir. nichts mehr.

(

375

)

Zwar hatte der Enthusiasmus für eine Reife in die Schweiz, wofür ich mich von meinen Freun, den entflammen ließ, noch immer guten Grund in dem Reichthum der Vorstellungen und Empfin, düngen, die jeden Menschen, dem die Natur ist was sie soll, schon bey dem flüchtigen Gedanken an dieses glückliche Land sogleich kommen müssm. Allein man muß Empfindungen so hingegeben seyn, als ich damals es war, um sich vorzustellen, wie ich nun auch nichts mehr von dem Leben und seinen bürgerlichen Verknüpfungen denken, und alles ohne Neue hinter mich lassen konnte, was der besonnenen Beachtung wohl werth gewesen wäre, um in der Ansicht eines weit angenehmern und mannigfaltigerm Anstandes zu leben, als das flache Leben des Erziehers eines kleinen Sohnes der Narur gewahren kann. So viel Nachsicht, so viel Güte und Erleichte, rung mir auch geboten wurde, im Fall rch jenen pädagogischen Faden, der meinen Händen nach gerade zu fein war, hätte fortspinnen wollen, so wenig könn? ich mich nun noch dazu entschließen. Und wenn die großmüthlgere Pädagogik, als sie

(

376

)

sonst zu seyn pflegt, sich auch die Mühe genom,

men hätte, mit noch so mild zu lächeln und mir einen anmuthlgen Pfad anzuwelsen, an dessen

Grenze eine trauliche Hütte mir entgegen gewinkt

hätte, aus welcher sogar eine künftige Theilhabe,

rin zu freundlichem Gruße vorläufig herauSgetre« ten wäre: — Ich hätte, voll der Idee der Frei,

Helt und der überwältigenden Dilder hoher Ge, biege, ihre Hand rundweg ausschlagen müssen, um dafür die angebokene Freundeshand mit Be­

gier zu ergreifen, die mich nach einem so lang' ersehnten Lande hin geleiten wollte, das so un, zähllg ost der Gegenstand meiner liebsten Wünsche

und Träume gewesen war. Also, zwar nicht ohne Rührung und von einer

guten Mutter auch ungern gemißt, aber dennoch

ohne Reue schied ich von diesem viel zu langwie­ rigen Verhältniß, mit dem meine Neigung sich

nicht mehr vertrogen wollte, und mit ihm also zu, gleich von dem letzten Denkmale meiner nordi,

scheu Wanderung.

Unterdeß ist die Erinnerung an Dännemark» Znsel nicht in mir erloschen; vielmehr hänge

C

377

)

ich gern noch an den Rückblick meinet dortigen

Freuden. Allen den lieben Mensche«, in deren Mitte ich mich so oft glücklich fühlt», den beiden wür, dtgen Münter 6, Vater und Sohn; dem bie, dern Schulz, dem großen Künstler, den unser Vaterland sich einst nehmen lies; seinem wücdl« gen Nachfolger Ku nze n, meinem braven Freun, de; meinem alten Genossen und Leidträger im Dessautschen Philanthropin, Sander, dem hu,

mortstischen Schriftsteller und Verfasser des vor, treflichen kleinen Roman«: Bernhard Ambrosia« Rund, und allen Andern dank« ich hier iffent, lich für ihre theilnehmenor Güte! Insonderheit aber Ihnen, ti-be *, die Sie mir, wenn nicht blos die treulose Pädagogik unser Freundschaft« - Verhältniß hätte bilden unv festhalten dürfen, wegen Ihre« seltenen Talent«, Ihrer großen Bildung, Ihrer rührenden Her, zensgüte unendlich werther noch hätten seyn muss sen. Ich mußte mich von Ihnen und Ihrem Lieblinge trennen.

Indeß danke ich Ihnen mit

(

378

)

vorzüglicher Ergebenheit für Ihr liebevolles Zu, trauen, und bitte Sie, zu glauben, daß ich im,

wer sehr große Freude empfinde, so oft ich Ih­ ren dichterischtn Genius tn ehrenvoller Gesell, schäft begrüße. Wahrscheinlich werden Sie «S diesem Ihren Genius jetzt selber Dank wissen, daß er int Frühlinge «inen artigen Schmetterling bestellte, Ler tn der Nachbarschaft Ihres Ohres, womit Sie auf den Wohlklang der Verse horchen, fich gefallen und mit seinen Flügeln ein Sausen er, regen mußte; — so wie ich es dem meinigen Dank weiß, daß er mich zu rechter Zeit noch aus dem Getümmel der gar zu merklich wider, strebenden Empfindungen und Pflichten brachte, «nd mich, noch nach vielen Umschweifen auf t«nt bunten Lebenswege, an einen Ort brachte, wo mir noch die süßeste aller Freuden — zwar reicht in reiner Himmeleluft; — aber dafür doch auf festem, seegnendem Boden — in mein kom, Mendes Leben hineiadiühen sollte!