C. M. Wielands Sämmtliche Werke. Band 19/20 Poetische Werke: [2 Teile] [Reprint 2021 ed.] 9783112456989, 9783112456972


176 11 29MB

German Pages 582 [612] Year 1826

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

C. M. Wielands Sämmtliche Werke. Band 19/20 Poetische Werke: [2 Teile] [Reprint 2021 ed.]
 9783112456989, 9783112456972

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

C M. Wielanos

sämmtliche Werke Neunzehnter

Band.

Herausgegeben von

I.

G.

Gruber.

Poetische Werke XIX. Band. Geschichte -er Abderiten. i. TKetl.

Leipzig, bey Georg Joachim Göschen

Inhalt e s ersten Theil

Erstes Buch. DemokrituS unter den Lbderkten.

1. Kap.

Vorläufige Nachrichten vom Ursprung

der

Stadt Abdera und dem Charakter ihrer Einwohner. S. s 2. Kap.

Demokritus von Lbdera.

Ob und wie viel

seine Vaterstadt berechtigt war, sich etwa- auf ihn ein­

S. 14

zubilden?

3. Kap.

Reisen.

Was Demokrit für ein Mann war.

Seine

Er kommt nach Abdera zurück.

Was er mit­

bringt, und wie er ausgenommen wird.

Ein Examen,

da- sie mit ihm vornehmen, welches zugleich eine Probe S. 23

einer Abderitischen Konversazion ist.

4. Kap.

wandelt 'sich

Das Examen wird

fortgesetzt,

in eine Disputazion

über

wobei Demokriten sehr warm gemacht wird. 3. Kap.

Unerwartete Auflösung

und ver­

die Schönheit, S. 32

des Knotens,

einigen neuen Beispielen von Adderitischem Witz.

mit

S. 46

Inhalt

IV

6. Kap. Gehirn

um sein

Eine Gelegenheit für den Leser,

der schaukelnden Bewegung des vorigens

auS

Kapitels wieder m Ruhe zu setzen.

S. 53

7. Kap.

Patriotismus der Abderiten. neigung für Athen, als ihre Mutterstadt.

Proben von

ihrem Atticismns, und

Ihre Vor­ Ein paar

von der unan­

S. 57

genehmen Aufrichtigkeit des weisen Demokrit.

8. Kap.

Vorläufige Nachricht von dem' Abderitischcn Schauspielwesen. Demokrit wird genöthigt, seine Meinung davon zu sagen.

S. 62

Guts Gemüthsart der Abderiten, und rote

9. Kap.

sie sich an Demokrit wegen seiner Unhöflichkeit zu rächen

wissen.

Eine seiner Strafpredigten

zur Probe.

Die

Abderiten machen ein Gesetz gegen alle Reisen, wodurch

ein Abderitisches Mutterkmd hätte klüger werden können. Merkwürdige Art, wie der Nomofylax Gryllus eine aus

diesem Gesetz entstaydene Schwierigkeit auflöst.

wird von den Abderiten fleißig täten, und

besucht.

S. 80

11. Kap.

Etwas

von

den Abderiti'chen Filosostn,

und wie Demokrit das Unglück hat, wohlgemeinten

Worten

letzen. S. 95 12. Kap. Demokrit

Wie

Er kommt

Allerlei Rari­

eine Unterredung vom Schlaraffenlande der

Sittenlehrer.

zurück.

S. 71

Demokrit ziehr sich aufs Land zurück, und

10. Kap.

in

sehr

zieht

sich mit ein paar

schlimmen

sich weiter von

er sich in seiner Einsamkeit

bet den Abderiten

Kredit

zu

Abdera

beschäftigt.

in den Verdacht

daß

er

d es ersten Theils.

V

Zauberkünste treibe. Ein Experiment, daS er bei dieser Gelegenheit mit den Abderitischen Damen macht, und wie es abgelau/en. S. 107 13. Kap. Demokrit soll die Abderitinnen die Sprache der Vögel lehren. Im Vorbeigehen eine Probe, wie sie ihre Töchter bildeten. S. 122

Zweites Buch. HippokrateS

in

Abdera.

1. Kap. Erne Abschweifung über den Charakter und die Filosofie des Demokritus, welche wir den Leser nicht zu überschlagen bitten. S. 130 2. Kap. Demoknt wird eines schweren Verbrechens beschuldigt, und von einem seiner Verwandten damit ent­ schuldigt, daß er seines Verstandes nicht recht mächtig sey. Wie er das Ungewitter, welches ihm der Pnefter Strobylus zubereiten wollte, noch -u rechter Zeit ableitet. S. 142 8. Kap. Eine kleine Abschweifung in die Regie­ rungszeit Schach - Bahams des Weisen. Charakter des Nathsherrn Thrasyllus. S 14# 4. Kap. Kurze, doch hinlängliche, Nachrichten von den Abderrtlschen Sykofanten. Ein Fragment aus dec

Inhalt

VI

Rede, worin ThrüMuS um die Devogtung seines Det­ ter- cmsucht,

5* Kap.

S. 154

Die Sache wird auf ein medicim'scheS Gut­

achten ausgestellt.

Der Senat läßt ein Schreiben an

den Hippokrates abgehen.

Arzt

Der

an, erscheint vor Rath, wird

kommt in Adders

vom

Rathsherra Thra­

sylluS zu einem Gastgebot gebeten,

und hat— lange

Weile, Ein Beispiel, daß ein Deutel voll Danken nicht hei allen Leuten anschlägt. S. 165 6. Kap.

kriten qb.

Hippokrates legt -inen Besuch bei Demo-

Geheimnachrichten von dem uralten Orden

der Kosmopoliten.

S. 172

7.

Kap. Hippokrates ertheilt den Addenden seine» gutachtlichen Rach. Große utkd gefährliche DewegurHen,

die tzaxübev< im-Senat entstehen, und, wie, zum Glstck für

das

Abderitische

Gemeinwesen,

der Stuvdenrufer

alle- auf einmal wieder in Ordnung bringt.

S. 179

Dritte- Buch. Euripides unter den Abderdten»

1. Kap.

Die Abderiten machen

Komödie zu gehen.

2. Kap,

sich

fertig in

die

Sr 192

Nähere Machxichten von dem Abderitischen

Nazionaltheater.

Geschmack der Abheriten.

de- Romosylar Grylluö.

S. 1Q8

.Charakter

de- ersten TheilL. Kap.

vu

Beiträge zur Abderitischen Literaturgeschichte.

Nachrichten von ihren ersten theatralischen Dichtern, Hy­

perbolus, Paraspasmus, Antifilus und Lhlaps.

4. Kap.

Beispiel

Merkwürdiges

Gtaatswirthschast der Abdertten.

fion über ihr Theaterwesen.

von

S. 310

der

guten

Beschluß der Digres-

S. 320

s. Kap. Die Andromeda des Euripides wird aufge­ führt. Großer Sukzeß des Nomofylax, und was die

Ein paar Anmer­

Sängerin Eukolpis dazu beigetragen.

kungen über die übrigen Schauspieler, die Chöre und die Dekorazion.

mit

S. 225

Sonderbares

6. Kap.

Nachspiel,

unbekannten Fremden

einem

das die Abderiten

spielten,

und

dessen

höchst unvermuthete Entwickelung. S. 235 7. Kap. Was den Euripides nach Adders geführt

hatte, nebst einigen Geheimnachrichten von dem Hofe -u S. 251

Pella.

s. Kap.

Wie

sich

Euripides

mit

den

Abderiten

Sie machen einen Anschlag auf ihn, wobei

benimmt.

sich ihre politische Betriebsamkeit in einem starken Lichte zeigt, und der ihnen um so gewisser gelingen muß, weil alle Schwierigkeiten, die sie dabei sehen, bloß eingebildet find.

S. 256

0. Kap.

Euripides besieht die Stadt, wird mit dem

Priester StrobyluS bekannt, und vernimmt von ihm die Geschichte

welches

der Latonenfrösche.

bei dieser Gelegenheit

Merkwürdiges Gespräch, zwischen Demokrit, dem

Priester und dem Dichter vorfällt.

S. 267

VIU

Inhalt des ersten Theils.

10. Kap. Der Senat zn Abdera giebt dem Euri­ pides, ohne daß er darum angesucht, Erlaubniß, eines seiner Stücke auf dem Abderitischen Theater aufzusühren. Kunstgriff, wodurch sich die Abderitische Kanzlei in solchen Fällen zu helfen pflegte. Schlaues Betragen des Nomosylax. Merkwürdige Art der Abderiten, einem, der ihnen im Wege stand, allen Vorschub zu thun. S. 277 11. Kap. Die Andromeda des Euripides wird end­ lich trotz aller Hindernisse von seinen eignen Schauspieler« aufgeführt. Außerordentliche Empfindsamkeit der Abderi­ ten, mit einer Digression, welche unter die lehrreichsten in diesem ganzen Werke gehört, und folglich von gar keinem Nutzen seyn wird. S. 283 12. Kap. Wie ganz Abdera vor Bewunderung und Entzücken über die Andromeda des Euripides zu Narren wurde. Filosofisch - kritischer Versuch über diese seltsame Art von Frenesie, welche bei den Alten insgemein die Abderitische Krankheit genannt wird, — den Geschichts­ schreibern ergebenst zugeeignet. S. 288

D i e

Abderiksn

Erstes

Buch.

Demokrituö unter Yen 'Abderiten.

i. Kapitel. Vorläufige Nachrichten vom Ursprung der Stadt Abdera

und dem Karakter ihrer Einwohner. Das Alterthum der Stadt A b d e ra inThracien ver­

liert sich m der fabelhaften Heldenzeit. Auch kann es uns sehr gleichgültig seyn, ob sie ihren Namen von Abdera, einer Schwester des berüchtigten Dwmedes, Königs der Bistomschcn Thracier, — welcher ein so großer Liebhaber von Pferden war, und deren so vrele hielt, daß er und sein Land endlich von fehlen Pferden aufgefressen wurde, — oder von Abderus, einem Stallmeister dieses Königs, oder von

6

D i e

Abderiten.

einem andern Abderus, der ein Liebling deS Her­ kules gewesen seyn soll, empfangen habe. Abdera war, einige Jahrhunderte nach ihrer ersten Gründung, vor Alter wieder zusammengefallen: als TimesiuS von Klazomene, um die Zeit der ein und" dreyßigsten Olympiade, eS unternahm, sie wieder aufzubauen. Die wilden Thracier, welche keine Städte in ihrer Nachbarschaft aufkommen lassen wollten, lieben ihm nicht Zeit, die Früchte seiner Arbeit zu genießen. Sie trieben ihn wieder fort, und Abdera blieb unbewohnt und unvollendet, bis (unge­ fähr um da§ Ende der neun und fünfzigsten Olympiade) die Einwohner der Ionischen Stadt Te oS — weil fle keine Lust hatten , sich dem Eroberer Cyrus zu unterwerfen — zu Schiffe gingen, nach Thracien segelten, und, da fle in einer der ftuchtbarsten Gegen­ den desselben diese-Abdera schon gebauet fanden, flch dessen als einer verlassenen und niemanden zugehprigen Sache bemächtigten, auch sich darin gegen die Thracischen Barbaren so gut behaupteten, daß sie und ihre Nachkommen von nun an Abderiten hießen, und einen kleinen Freistaat ausmachten, der (wie die weiften Griechischen Städte) ein zweideutiges Mit­ telding von Demokratie und Aristokratie war, und regiert wurde — wie kleine und große Republiken von jeher regiert worden find. «Wozu (rufen unsre Leser) diese Dedukzion deS Ursprungs und der Schicksale der Stadt Abdera in

Erstes Buch,

Kapitel.

7

Thracien? Was künunert uns ALdera? Was liegt uns daran, zu wissen oder nicht za wissen, wann, wie, wo, warum, von wem, und zu was Ende eine Stadt, welche Längst nicht mehr in der Welt ist, erbaut worden seyn mag?" Geduld! günstige Leser, Geduld, bis wir, eh' ich weiter forterzähle, über unsre Bedingungen einig find. Verhüte der Himmel, daß man euch zumuthen sollte bie Abderrten zu lesen, wenn chr gerade was nöthigeres zu thun oder was besseres zu lesen habt! — »Ich muß auf eine Predigt studieren. — Ich habe Kranke zu besuchen. — Ich hab' ein Gutachten, einen Bescheid, eine Leuterung, einen untertänigsten Bericht zu machen. — Ich muß recensieren. Mir fehlen noch sechzehn Bogen an den vier Alfabeten, die ich meinem Verleger binnen acht Tagen Liefern muß. — Ich hab' ein Joch Ochsen gekauft. — Ich hab' ein Weib genommen. —e In Gottes Namen! Studiert, besucht, referiert, recensiert, übersetzt, kauft und freiet! — Beschäftigte Leser sind selten gute Leser. Bald gefällt ihnen alles, bald nichts; bald verstehen sie uns halb, bald gar nicht, bald (was noch schlim­ mer ist) unrecht. Wer mit Vergnügen und Nutzen lesen will, muß gerade sonst nichts andres zu thun noch zu denken haben. Und wenn ihr euch in diesem Falle befindet: warum solltet ihr nicht zwey oder drey Minuten daran wenden wollen, etwas zu wissen, was einem Salma srus, einem Bayle, — und,

8

D i e A b d e r i t e n.

um aufrichtig zu seyn, mir selbst (weit mir nicht zu rechter Zeit einfiel, den Artikel Abdera im Bayle nachzuschlagen ) eben so viele Stunden gekostet hat? Würdet ihr mir doch geduldig zugehört haben, wenn ich euch die Historie vom Königs in Böhmenland, der sieben Schlösser hatte, -u erzählen angefangen hätte. Die Abderiten also hatten, (dem zu Folge, waS bereits von ihnen gemeldet worden ist) ein so feines, lebhaftes, witziges und kluges Völkchen seyn sollen, als jemals eines unter der Sonne gelebt hat. »Und warum dieß?" Diese Frage wird uns vermuthlich nicht von den gelehrten unter unsern Lesern gemacht. Aber, wer wollte auch Bücher schreiben, wenn alle Leser so ge­ lehrt waren als der Autor? Die Frage warum dieß? ist allemal eine sehr vernünftige Frage. Sie verdient, wo die Rede von menschlichen Dingen ist, (mit den göttlichen ists ein anderes) allemal eine Antwort; und wehe dem, der verlegen oder be­ schämt oder ungehalten wird, wenn er sich auf war­ um dieß? vernehmen lassen soll! Wir unsers Orts würden die Antwort ungefordert gegeben haben, wenn dre Leser nicht so hastig gewesen waren. Hier ist sie! Teos war eine Athen i sche Kolonie, von den zwölfen oder dreizehn eine, welche unter Anführung des Nel.cus, Kodrus Sohns, in Ionien gepstauzt wurden.

Erstes Buch. i. Kapitel.

9

Die Athener waren von jeher ein muntres und geistreiches Volk, und sind es noch, wie man sagt. Athener, nach Ionien versetzt, gewannen unter dem schönen Himmel, der dieses von der Natur verzär­ telte Land umfließt, wie Burgunder Reben durch Verpflanzung aufs Vorgebirge der guten Hoffnung. Dor allen andern Völkern des Erdbodens waren die Ionischen Griechen die Günstlinge der Musen. Homer selbst war, der größten Wahrscheinlichkeit nach, ein Ionrer. Die erotischen Gesänge, dieMilesischen Fabeln (die Vorbilder unsrer Novel­ len und Romane) erkennen Ionien für ihr Vater­ land. Der Horaz der Griechen, Alkaos, die glü­ hende Saffo; Anakreon, der Sanger — Aspasra, die Lehrerin — Apelles, der Mahler der Grazien, waren aus Ionien; Anakreon war sogar ern geborner Tejer. Dieser letzte mochte etwa ein Jünglmg von achtzehn Jahren seyn, (wenn anders Barnes recht gerechnet hat) als seine Mitbürger nach Abdcra zogen. Er zog mit ihnen, und zum Beweise, daß er ferne den Liebesgöttern geweihte Lerer nicht zurück getanen, sang er dort das Lied an ein T h r a c i sch e s M a d ch e n, (in Barnesens Aus­ gabe das ein und sechzigste ) worin ein gewisser wil­ der Thracischer' Ton gegen die Ionische Grazie, die seinen Liedern eigen ist, auf eine ganz besondere Art abstlckt. Wer sollte nun nicht denken, die Tejer — in ihrem

xo

Die Abderiten.

ersten Ursprung Athener — so lange Zeit in Io­ nien einheimisch — Mitbürger eineS Anakreons — sollten auch in Thracien den Charakter eines geistrei­ chen Volkes behauptet haben? Allein (was auch die Ursache davon gewesen seyn mag) das Gegentheil ist außer Iweifel. Kaum wurden die Tejer zu Abderi­ ten, so schlugen sie aus der Art. Nicht daß sie ihre vormalige Lebhaftigkeit ganz verloren und sich in Schöpse verwandelt hatten, wie Juvenal sie ungerechter Weise beschuldigt. Ihre Lebhaftigkeit nahm nur eine wunderliche Wendung; denn ihre Ein­ bildung gewann einen so großen Vorsprung über ihre Vernunft, daß es dieser niemals wieder möglich war, sie einzuholen Es mangelte den Abderiten nie an Einfällen: aber selten paßten ihre Einfalle auf die Gelegenheit wo sie angebracht wurden; oder kamen erst wenn die Gelegenheit vorbei war. Sie sprachen viel, aber immer ohne sich einen Augenblick zu beden­ ken was sie sagen wollten, oder wie sie es sagen wollten. Die natürliche Folge hiervon war, daß sie selten den Mund aufthaten, ohne etwas albernes zu sagen. Ium Unglück erstreckte sich diese schlimme Gewohnheit auch auf ihre Handlungen; denn gemei­ niglich schloffen sie den Käfig erst, wenn der Vogel entflogen war. Dieß zog ihnen den Vorwurf der Unbesonnenheit zu; aber die Erfahrung bewies, daß es ihnen nicht besser ging wenn sie sich besannen. Machten sie (welches sich ziemlich oft zutrug) irgend

Erstes Buch.

i. Kapitel.

ii

einen sehr dummen Streich, so kam es immer daher,

weit sie es gar z u gut machen wollten; und wenn sie in den Angelegenheiten ihres gemeinen Wesen­ recht lange und ernstliche Berathschlagungen hielten, so konnte man sicher darauf rechnen, daß sie unter allen möglichen Entschließungen die schlechteste ergrei­ fen würden. Sie wurden endlich zum Sprichwort unter den Griechen. Ein Abderi sch erEin fa ll, ein Abderitenstückchen, war bey diesen ungefähr, was bey uns ein Schildbürger - oder bey den Helveziern ein Lalleburgerstreich ist; und die guten Abderiten ermangelten nicht, die Spötter und Lacher reich­ lich mit sinnreichen Zügen dieser Art zu versehen. Für itzt mögen davon nur ein paar Beyspiele zur Probe dienen. Einömals fiel ihnen ein, daß eine Stadt wie Abdera billig auch einen schönen Brunnen haben muffe. Er sollte in die Mitte ihres großen Marktplatzes ge­ setzt werden, und zu Bestreitung der Kosten wurde eine neue Auflage gemacht. Sie ließen einen berühm­ ten Bildhauer von Athen kommen, um eine Gruppe von Statuen zu verfertigen, welche den Gott des Meeres auf einem von vier Seepferden gezogenen Wagen, mit Rymfen, Tritonen und Delfinen umge­ ben, vorstellte. Die Seepferde und Delfinen sollten eine Menge Waffers aus ihren Nasen hervor spritzen. Aber wie alles fertig stand, fand sich baß kaum Was-

12

D i e Abderiten.

fer genug da war, um die Nase eine- einzigen Del­ fins zu befeuchten; und alS man das Werk spielen ließ, sah es nicht anders aus, al§ ob alle diese See­ pferde und Delfinen den Schnupfen hatten. Um nicht außgelacht zu werden, ließen sie also die ganze Gruppe in den Tempel des Neptuns bringen; und so oft man sie einem Fremden wies, bedauerte der Küster sehr ernsthaft im Namen der löblichen Stadt Abdera, daß ein so herrliches Kunstwerk aus Kargheit der Natur unbrauchbar bleiben müsse. Ein andermal erhandelten sie eine schöne Venus von Elfenbein, die man unter die Meisterstücke des Praxiteles zählte. Sie war ungefähr fünf Fuß hoch,

und sollte auf einen Altar der Liebesgöttin gestellt werden. Als sie angelangt war, gerieth ganz Abdera in Entzücken über die Schönheit ihrer Venus; denn die Abderiten gaben sich für feine Kenner und schwgrmerische Liebhaber der Künste aus. »Sie ist zu schön, (riefen sie einhellig) um auf einem niedrigen Platze zu stehen; ein Meisterstück, das der Stadt so viel Ehre macht und so viel Geld gekostet hat, kann nicht zu hoch aufgestellt werden ; sie muß das Erste seyn, was den Fremden beym Eintritt in Abdera in die Augen fällt." Diesem glücklichen Gedanken zu Folge stellten sie das kleine niedliche Bild auf einen Obelisk-von achtzig Fuß; und wiewohl eS nun un­ möglich war zu erkennen, ob es eine Venus oder eine Austernymfe vorstellen sollte, so nöthigten sie doch

Erstes Buch. r. Kapitel.

13

alle Fremden zu gestehen, daß man nichts vollkommneres sehen könne. Uns dünkt, diese Beispiele beweisen schon hin­ länglich , daß man den Äbderiten kein Unrecht that, wenn man sie für warme Köpfe hielt. Aber wir zweifeln ob sich ein Zug denken laßt, der ihren Charakter stärker zeichnen könnte als dieser; daß sie (nach dem Zeugnisse des Justinus) die Frösche in und um ihre Stadt dergestalt überhand nehmen ließen, daß sie endlich selbst genöthiget wurden, ihren quä­ kenden Mitbürgern Platz zu machen, und, bis zu Austrag der Sache, sich unter dem Schutze des Königs Kassander von Macedonien an einem dritten Ort zu begeben. Dieß Unglück befiel die Äbderiten nicht ungewarnt. Ein weiser Mann, der sich unter ihnen befand, sagte ihnen lange zuvor, daß es endlich so kommen würde. Der Fehler lag in der That bloß an den Mitteln, wodurch sie dem Uebel steuern wollten ; wiewohl sie nie dazu gebracht werden konnten dieß einzusehen. Was ihnen gleichwohl die Augen hätte öffnen sollen, war: daß sie kaum etliche Monate von Abdera weg­ gezogen waren, als eine Menge von Kranichen aus der Gegend von Geranien ankam, und ihnen alle ihre Frösche so rein wegputzte, daß eine Meile rings tun Abdera nicht Einer übrig blieb, der dem wieder­ kommenden Frühling Brekekek Koax Koax ent­ gegen gesungen hatte.

14

D i e Abderiten.

2. Kapitel. Demokritus von Abdera.

Ob und wie viel seine Vater­

stadt berechtigt war, sich etwas aus ihn einzubilden 3

Keine Lust ist so dick, kein Volk so dumm, kein Ort

so unberühmt, daß nicht zuweiten ein großer Mann daraus hervor gehen sollte, sagt Iuvenal. Pindar und Epaminondas wurden in Böotien geboren, Aristoteles zu Gtagira, Cicero zu Arpinum, Virgil im Dörfchen An des bey Mantua, Albertus MagnuS zu Lauingen, Martin Luther zu Eis­ leben, Sixtus der Fünfte im Dorfe M ontalto in der Mark Ankona, und einer der besten Könige, die jemahls gewesen sind, zu Pau m Bearn. Was Wunder, wenn auch Abdera, zufälliger Weise, die Ehre hatte, daß der größte Naturforscher des Alter­ thums, Demokritus, in ihren Mauern das Leben empfing! Ich sehe nicht, wie ein Ort sich eines solchen Um­ standes bedienen kann, um Ansprüche an den Ruhm eines großen Mannes zu machen. Wer geboren wer­ den soll, muß irgendwo geboren werden: das übrige nimmt die Natur auf sich; und ich zweifle sehr, ob, außer dem Lykurgus, ein Gesetzgeber gewesen, der seine Fürsorge bis auf den H o in ii n c u lut ausge-

Erstes Buch. 2. Kapitel. dehnt, und alle mögliche Vorkehrungen getroffen hatte, damit dem Staate wohl organisierte, schöne und seelenvolle Kinder geliefert würden. Wir müssen gestehen, in dieser Rücksicht hatte Sparta einiges Recht, sich mit den Vorzügen seiner Bürger Ehre -« machen. Aber in Abdera (wie beinahe in der gan­ zen Welt) ließ man den Zufall und den Genius

walten,

— natale conies qui temporal aslrnm; und wenn ein Protagoras oder DemokrituS aus ihrem Mittel entsprang, so war die ganze Stadt Abdera gewiß eben so unschuldig daran, als Lykurgus und seine Gesche, wenn in Sparta ein Dumm­ kopf oder eine Memme geboren wurde.

Diese Nachlässigkeit, wiewohl sie eine dem Staat äußerst angelegene Sache betrifft, möchte noch immer hingehen. Die Natur, wenn man sie nur unge­ stört arbeiten laßt, macht meistens alle weitere Für­ sorge für das Gerathen ihrer Werke überflüssig. Aber wiewohl sie selten vergißt, ihr Liebtingswerk mit allen den Fähigkeiten auszurüsten, durch welche ein vollfominner Mensch ausgebildet werden könnte; so ist doch eben diese Ausbildung das, was sie der Kunst überläßt; und es bleibt also jedem Staate noch Gelegenheit genug übrig, sich ein Recht an die Vorzüge und Verdienste seiner Mitbürger zu erwer­ ben.

x6

D i e Abderitem

Allein auch hierin ließen die Abdcriten sehr viel an ihrer Klugheit zu vermissen übrig; und man hatte schwerlich einen Ort finden können, wo für die Bil­ dung des innern Gefühls, des Verstandes und des Herzens der künftigen Bürger weniger gesorgt wor­ den wäre. Die Bildung des Geschmacks, d. r. eines feinen, richtigen und gelehrten Gefühls altes Sch önen, ist die beste Grundlage zu jener berühmten Sokratischen Kalokagathie oder innerli­ chen Schönheitund Güte der Seele, welche den liebenswürdigen, edelmütigen, wohlthätigen und glücklichen Menschen macht. Und nichts ist geschickter, dieses richtige Gefühl in ufts zu bilden, als— wenn alles, was wir von Kindheit an sehen und hören, schön ist. In einer Stadt, wo die Künste der Musen in der größten Vollkommenheit getrieben werden, in einer mit Meisterstücken der bil­ denden Künste ungefüllten Stadt, in einem Athen geboren zu seyn, ist daher allerdings kein geringer Vortheil; und wenn die Athener zu Platons und Men anders Zeiten mehr Geschmack hatten als tausend andere Völker, so hatten sie es unstreitig ihren, Daterlande zu danken. Abdera führte in einem Griechischen Sprichworte (über dessen Verstand die Gelehrten, nach ihrer Ge­ wohnheit, nicht einig sind) den Beinahmen, womit Florenz unter den Italiänischen Städten prangt —

Erstes Buch. die Schöne.

2. Kapitel,

Wir haben schon bemerkt, daß die

Abderiten Enthusiasten der schönen Künste waren; und in der That, zur Zeit ihres größten Flors, das ist, eben damals, da sie auf einige Zeit den Fröschen Platz machen mußten, war ihre Stadt voll prächtiger Gebäude, reich an Mahlereyen und Bildsauten, mit einem schönen Theater und Musiksaal ver­ sehen, kurz, ein zweites Athen — bloß den Geschmack ausgenommen. Denn zum Unglück erstreckte sich die wunderliche Laune, von welcher wir oben gesprochen haben, auch auf ihre Begriffe vom Schö­ nen und Anständigen. Lato na, die Schutzgöttin

ihrer Stadt, hatte den schlechtesten Teckpel; Jason, der Anführer der Argonauten, hingegen (d'effen

goldenes Vlies sie zu besitzen vorgaben) den prächtigsten. Ihr Rathhau^ sah wie ein Magazin aus, und unmittelbar vor dem Saale, wo die Ange­ legenheiten des Staats erwogen würden, hatten alle Krauter - Obst - und Eyerweiber von Abdera ihre Nie­ derlage. Hingegen ruhte das Gymnasium, worin sich ihre Jugend im Ringen und Fechten übte, auf einer dreifachen Säulenreihe. Der Fechtsaal war mit lau­ ter Schildereien von Berathschlagungen und mit Statuen in ruhigen oder tiefsinnigen Stellungen aus­ geziert. Dafür aber stellte das Rathhaus den Vatern des Vaterlandes eine desto reihendere Augenweide dar. Denn wohin sie in dem Saal ihrer gewöhnli­ chen Sitzungen ihre Augen warfen, glänzten ihnen

Wielands W. ly. Dd.

2

18

D i e Abderiten.

schöne nackende Kampfer, oder badende Dianen und schlafende Bacchanten entgegen; und Venus mit ihrem Buhler, im Netze Vulkans allen Einwohnern des Olymps zur Schau ausgestellt, (ein großes Stück, welches dem Sitze des Archons gegenüber hmg) wurde den Fremden nut einem Triumfe gezeigt, der den ernsten Focion selbst genöthiget hatte, zum ersten Mal in seinem Leben zu lachen. Der König Lysimachus (sagten sie) habe ihnen sechs Städte und ein Gebiet von vielen Meilen dafür angeboten: aber sie hatten sich nicht entschließen können, em so herrliches Stück hmzugeben, zumal da es — gerade die Höhe und Breite habe, um eine ganze Seite der Rathsstube einzunehmen ; »nd übexdieß habe einer ihrer Kunstrichter in einem weitlauftigen, mit großer Ge­ lehrsamkeit an gefüllten Werke die Beziehung des alle­ gorischen Sinnes dieser Schilderei auf den Platz, wo sie stehe, sehr scharfsinnig dargcthan. Wrr würden nicht fertig werden, wenn wir alle Unschicklichkeiten, wovon diese wundervolle Republik wimmelte, berühren wollten. Aber noch eine können wir nicht vorbei gehen, weil sie einen wesentlichen Zug ihrer Verfassung betrifft, und keinen geringen Einfluß auf den Charakter der Abderiten halte. In den ältesten Zelten der Stadt war, vermuthlich einem O rfischen Institut zu Folge, der Nomofytax oder Beschirmer der Gesetze (eine der obersten Magistratspersoneji) zugleich Vorsänger bet den got-

Erstes Buch. 2. Kapitel.

19

lesdienstlichen Chören und Oberaufseher über das Musikwesen. Dieß hatte damals fernen guten Grund. Allein mit der Lange der Zeit ändern sich die Gründe der Gesetze; diese werden alsdann durch buchstäbliche Erfüllung lächerlich, und müssen also nach den ver­ änderten Umständen umgegossen werden. Abe- eine solche Betrachtung kam nicht in Abderrtische Köpfe. Es hatte sich öfters zugetragen, daß ein Nomofylax erwählt wurde, der zwar die Gesetze ganz leidlich beschirmte, aber entweder schlecht sang, oder gar nichts von der Musik verstand. Was hatten dre Abderiten zu thun? Nach häufigen Berathschlagungen machten sie endlich dre Verordnung: Der beste Sänger aus Abdera sollte hrnfür allezeit auch Nomofylax seyn; und dabei blieb es so lange Abdera stand. Daß der Nomofylax und der Vorsänger zwei verschiedene Per­ sonen seyn könnten, war in zwanzig öffentlichen Be­ rathschlagungen keiner Seele eingefallen. Es ist leicht zu erachten, daß die Musik, bei so bewandten Sachen, zu Abdera in großer Achtung stehen mußte. Alles in dieser Stadt war musikalisch; alles sang, flötete und leierte. Ihre Sittenlehre und Politik, ihre Theologie und Kosmologie, war auf musikalische Grundsätze gebaut; ja, ihre Aerzte heil­ ten sogar die Krankheiten durch Tonarten und Melo­ dien. So weit scheint ihnen, was die Spekulazion betrifft, das Anseben der größten Wersen des Alter­ thums, einesOrfeus, Pythagoras und Plato,

20

D i e

Abderiten.

zu Statten zu kommen. Ater in der Ausübung ent­ fernten sie sich desto weiter von der Strenge dieser Fllosofen. Plato verweist alle sanften und weichli­ chen Tonarten aus seiner Republik; die Musik soll feinen Bürgern weder Freude noch Traurigkeit einsiößen; er verbannt mit den Ionischen und Lydischen Harmonien alle Trink - und Liebeslieder; ja die In­ strumente selbst scheinen ihm so wenig gleichgültig, daß er vielmehr die vietsaitigen und die Lydische Flöte als gefährliche Werkzeuge der Ueppigkeit ausmustert, und seinen Bürgern nur die Leier und die Cither, so wie den Hirten und dem Landvolke nur die Rohr­ pfeife, gestattet. So streng filosofierten die Abderiten nicht. Keine Tonart, kein Instrument war bei ihnen ausgeschlossen und — einem sehr wahren, aber sehr oft von ihnen mißverstandenen Grundsätze zu Folge — behaupteten sie: daß man alle ernsthaften Dinge lustig, und alle lustigen ernsthaft behan­ deln muffe. Die Ausdehnung dieser Maxime auf die Musik brachte bei ihnen die widersinnigsten Wirkun­ gen hervor. Ihre gottesdienstlichen Gesänge klangen wie Gaffenlieder; allein dafür konnte man nichts feierlichers hören, als die Melodie ihrer Tanze. Die Musik zu einem Trauerspiele war gemeiniglich komisch ; hingegen klangen ihre Kriegslieder so schwermüthig, daß sie sich nur für Leute schickten, die an den Gal­ gen gehen. Ein Leierspieler wurde in Abdera nur dann für vortrefflich gehalten, wenn er die Saiten

Erste- Buch.

2. Kapitel.

21

so -u rühren wußte, daß man eine Flöte zu hören glaubte; und eine Sängerin mußte, um bewundert >zu werden, gurgeln und trillern wie eine.Nach­ tigall. Die Abderiten hatten keinen Begriff davon, daß die Musik nur in so fern Musik ist, als sie das Herz rührt; sie waren über und über glücklich, wenn nur ihre Ohren gekitzelt, oder wenigstens mit nichts sagenden, aber vollen und oft abwechselnden Harmo­ nien gestopft wurden. Diese Widersinnigkeit erstreckte sich über alle Gegenstände des Geschmacks; oder, rich­ tiger zu reden, mit aller ihrer Schwärmerei für die Künste hatten die Abderiten gar keinen Geschmack; und es ahndete ihnen nicht einmal, daß das Schöne aus einem höhern Grunde schön sey, als weil es ihnen so b elLebte. Indessen konnte gleichwohl Natur, Zufall und gutes Glück mit zusammen gesetzten Kräften einmal so viel zuwege bringen, daß ein geborner Abderit Menschenverstand bekam. Aber wenigstens muß man gestehen, wenn sich so etwas begab, so hatte Abdera nichts dabei geholfen. Denn ein Abderit war ordentlicher Weise nur in so fern klug als er kein Abderit war; — ein Umstand, der uns ohne Mühe begreifen Laßt, warum die Abderiten immer von demjenigen unter ihren Mitbürgern, der ihnen in den Augen der Welt am meisten Ehre machte, am wenigsten hielten. Dieß war keine ihrer gewöhn­ lichen Widersinnigkeiten. Sie hatten eine Ursache

22

D i e Abderiten.

dazu, die so natürlich ist, daß es unbillig wäre, sie ihnen zum Vorwurf zu machen. Diese Ursache war nicht, (wie einige sich einbil­ den) weil sie z. B. den Naturforscher Demokrit— lange zuvor eh" er ein großer Mann war, mit dem Kreisel spielen, oder auf einem Grasplätze Burzelbaume machen gesehen hatten — Auch nicht, weil sie aus Neid oder Eifersucht nicht leiden'konnten, daß einer aus ihrem Mittel klüger seyn sollte als sie. Denn — bei der untrüglichen Aufschrift der Pforte des Delfischen Tempels! — dieß zu denken hatte kein einziger Abderit Weisheit genug, oder er würde von dem Augenblick an kein Abde­ rit mehr gewesen seyn. Der wahre Grund, meine Freunde, warum die Abderiten aus ihrem Mitbürger Demokrit nicht viel machten, war dieser: weil sie ihn für — keinen weisen Mann hielten. »Warum das nicht?*' Weit sie nicht konnten. Weil sie sich alsdann selbst für Dummköpfe hätten halten müssen. Und dieß zu thun waren sie gleich­ wohl nicht widersinnig genug. Auch hätten sie eben so leicht auf dem Kopfe tan­ zen, oder den Mond mit den Zahnen fassen, oder den Zirkel quadrieren können, als einen Menschen, der in allen: ihr Gegenfüßler war, für einen weisen Mann halten. Dieß folgt aus einer Eigenschaft der

Erstes Buch. z. Kapitel.

23

menschlichen Natur, die schon zu Adams Zeiten be­ merkt worden seyn muß, und gleichwohl, da Helvezius daraus folgerte — was daraus folgt, vielen ganz neu vorkam; die seit dieser Zeit niemanden mehr neu ist, und dennoch im Leben — alle Augenblicke vergessen wird.

3.

Kapitel.

Was Demokrit für ein Mann war. Seine Reisen. Er kommt nach Abdcra zurück. Was er mitbringt, und wie er ausgenommen wird. Ein Examen, das sie mit ihm vornehmen, welches zugleich eine Probe einer Abderitischen Konversazion ist.

Demokrit — ich denke nicht, daß es Sie gereuen wird, den Mann naher kennen zu lernen — Demokrit war ungefähr zwanzig Jahre alt, als er seinen Vater, einen der reichsten Burger von Abdera, beerbte. Anstatt nun darauf zu denken, wie er feinen Reichthum erhalten oder vermehren, oder auf die angenehmste oder lächerlichste Art durchbringen wollte, entschloß sich der junge Mensch, solchen zum Mittel — der Vervollkommnung seiner Seele zu machen. M Aber was sagten dre Abderiten zum Entschluß des jungen Demokrit?"

Erstes Buch. z. Kapitel.

23

menschlichen Natur, die schon zu Adams Zeiten be­ merkt worden seyn muß, und gleichwohl, da Helvezius daraus folgerte — was daraus folgt, vielen ganz neu vorkam; die seit dieser Zeit niemanden mehr neu ist, und dennoch im Leben — alle Augenblicke vergessen wird.

3.

Kapitel.

Was Demokrit für ein Mann war. Seine Reisen. Er kommt nach Abdcra zurück. Was er mitbringt, und wie er ausgenommen wird. Ein Examen, das sie mit ihm vornehmen, welches zugleich eine Probe einer Abderitischen Konversazion ist.

Demokrit — ich denke nicht, daß es Sie gereuen wird, den Mann naher kennen zu lernen — Demokrit war ungefähr zwanzig Jahre alt, als er seinen Vater, einen der reichsten Burger von Abdera, beerbte. Anstatt nun darauf zu denken, wie er feinen Reichthum erhalten oder vermehren, oder auf die angenehmste oder lächerlichste Art durchbringen wollte, entschloß sich der junge Mensch, solchen zum Mittel — der Vervollkommnung seiner Seele zu machen. M Aber was sagten dre Abderiten zum Entschluß des jungen Demokrit?"

24

D i e Abderitern

Die guten Leute hatten sich nie träumen lassen, daß die Seele ein anderes Interesse habe, als der Magen, der Bauch und die übrigen integranten Theile des sichtbaren Menschen. Also mag ihnen freilich diese Grille ihres Landsmannes wunderlich

genug vorgekommen seyn. Allein, dieß war nun gerade was er sich am wenigsten anfechten ließ. Er ging seinen Weg fort, und brachte viele Jahre mit gelehrten-Reisen durch alle festen Länder und Inseln zu, die man damals bereisen konnte. Denn wer zn seiner Zeit weise werden wollte, mußte mit eignen Augen sehen. Es gab noch keine Buchdruckereien, keine Journale, Bibliotheken, Magazine, Encyklopä­ dien, Realwörterbücher, Almanache, und wie alle die Werkzeuge heißen, mit deren Hülfe man itzt, ohne zu wissen wie, ein Filosof, ein Naturkundiger, ein Kunst­ richter, ein Autor, ein Alleswisser wird. Dcü> mals war die Weisheit so theuer, und noch theurer als — die schöne Lais. Nicht jedermann konnte nach Korinth reisen. Die Anzahl der Weisen war sehr klein; aber die es waren, rvaren es auch desto mehr. Demokrit reifete nicht bloß um der Menschen Sitten und Verfassungen zn beschauen, wie Ulys­ ses; nicht bloß um Priester und Geisterseher aufzu­ suchen, wie A p o l l o n i u s; oder um Tempel, Statuen, Gemählde und Alterthümer zu begucken, wie P a usanias; oder um Pflanzen und Thiere abzuzeichnen

Erstes Buch.

3. Kapitel.

25

und unter Klaffen zu bringen, wie Doctor So Lan­ der; sondern er reifete, um Natur und Kunst in allen ihren Wirkungen und Ursachen, den Menschen in seiner Nacktheit und in allen seinen Einkleidungen und Verkleidungen, roh und unbearbeitet, bemahlt und unbemahlt, ganz und verstümmelt, und die übri­ gen Dinge in allen ihren Beziehungen auf den Men­ schen , kennen zu lernen. Die Raupen in Aethiopien (sagte Demokrit) sind freilich nur — Raupen. Was ist eine Raupe, um das erste, angelegenste, ein­ zige Studium eines Menschen zu seyn? Aber, da wir nun einmal in Aethiopien sind, so sehen wir uns immer, nebenher, auch nach den Aethiopischen Raupen um. Es giebt eine Raupe im Lande der Seren, welche Millionen Menschen kleidet und nährt: wer weiß ob es nicht auch am Niger nützliche Raupen

giebt? Mit dieser Art zu denken hatte Demokrit auf seinen Reisen einen Schatz von Wissenschaft gesam­ melt, der in seinen Augen alles Gold iy den Schatz­ kammern der Könige von Indien und alle Perlen an den Halsen und Armen ihrer Weiber werth war. Er kannte von der Ceder Libanons bis zum Schimmel eines Arkadischen Käses eine Menge von Baumen, Stauden, Krautern, Grasern und Moosen; nicht etwa bloß nach ihrer Gestalt und nach ihren Namen, Ge­ schlechtern und Arten; er kannte auch ihre Eigenschaf­ ten, Kräfte und Tugenden. Aber, was er tausend-

26

D i e Abderiten.

mal höher schätzte als alle seine übrigen Kenntnisse, er hatte allenthalben, wo er es der Mühe werth fand sich aufzuhalten, die Weisesten und die Besten kennen gelernt. CS hatte sich bald gezeigt, daß er ihres Geschlechtes war. Sie waren also snne Freunde geworden, hatten sich ihm untgetheilt, und lhm dadurch die Muhe erspart, eignen Fleißes, Jahre lang und vielleicht doch vergebens, zu suchen, waS sie mit Aufwand und Mühe, oder auch wohl nur glücklicher Weise, schon gefunden hatten. Bereichert mit allen diesen Schätzen des Geistes und Herzens kam Demokrit, nach einer Reise von zwanzig Jahren, zu den Abderiten zurück, die seiner beinahe vergessen hatten. Er war ein feiner statt­ licher Mann; höflich und abgeschliffen, tqie ein Mann, der mit mancherlei Arten von Erden söhnen umzuge­ hen gelernt hat, zu seyn pflegt; zlemlich braungelb von Farbe; kam von den Enden der Welt, und hatte ein ausgestopftes Krokodill, einen lebendigen Affen, und viele andere sonderbare Sachen mitgebracht. Die Abderiten sprachen etliche Tage von nichts anderm, als von ihrem Mitbürger Demokrit, der wieder ge­ kommen war -und Affen und Krokodille mitgebracht hatte. Allein in kurzer Zeit zeigte sichs, daß sie sich in ihrer Meinung von einem so weit gereiseten Manne

sehr verrechnet hatten. Demokrit war von den wackern Männern, denen er indeffen die Besorgung seiner Güter anvertraut

Erstes Buch.

3. Kapitel.

27

hatte, um die Hälfte betrogen worden; und gleich­ wohl unterschrieb er ihre Rechnungen ohne Widerrede. Natürlicher Weise mußte dieß der guten Meinung von seinem Verstände den ersten Stoß geben. Die Advokaten und Richter wenigstens, die sich -u einem einträglichen Prozesse Hoffnung gemacht hatten, merk­ ten mit einem bedeutenden Achselzucken an, daß es bedenklich seyn würde, einem Manne, der seinem eigenen Hause so schlecht vorstehe, das gemeine Wesen anzuvertrauen. Indessen zweifelten die Akderiten nicht, daß er sich nun unter die Mitwerber um ihre

vornehmsten Ehrenämter stellen würde. Sie berech­ neten schon, wie hoch sie ihm ihre Stimme verkaufen wollten; gaben ihm eine Tochter, Enkelin, Schwester, Nichte, Base, Schwägerin zur Ehe; überschlugen die Vortheile, die sie zur Erhaltung dieser oder jener Absicht von seinem Absehen ziehen wollten, wenn er einmal Archon oder Priester der Latona seyn würde, u. s. w. Aber Demokrit erklärte sich, daß er weder ein Rathsherr von Abdera noch der Ehegemahl einer Abderitin seyn wollte, und vereitelte dadurch über­ mal alle ihre Anschläge. Nun hoffte man wenigstens durch seinen Umgang in etwas entschädigt zu wer­ den. Ein Mann, welcher Affen, Krokodrlle und zahme Drachen von feinen Reisen mitgebracht hatte, mußte eine ungeheure Menge Wunderdinge zu erzählen haben. Man erwartete, daß er von zwölf Ellen lan­ gen Riesen und von sechs Daumen hohen

28

D L e A.bderiten
nen zugedacht hatte, desto langer ausbalren konnten. Denn kaum waren sie wieder ein wenig zu Arbem gekommen, so fing er die nämliche Tonlei­ ter, eine Tcrze höher, noch einmal zu durchtachen an, aber mit so rieten eingemischten Trillern und Ruladen, daß sogar die runzligen Besitzer des Höllengerichrs, Minos, Aakus und Rhadamanthus, in ihren, höllenrichterlichen Ornat, aus der Fassung dadurch gekommen waren. Zum Unglück hatten zwei oder drei von unsern Schönen nicht daran gedacht, ihre Personen gegen alle mögliche Folgen einer so heftigen Leibesübung in Sicherheit zu setzen. Scham und Natur kämpften auf Leben und T^d in den armen Mädchen. Verge­ bens flehten sie den unerbittlichen Demokrit mit Mund und Augen um Gnade an; vergebens forderten sie ihre vom Lachen gänzlich erschlafften Sehnest-zu einer letzten Anstrengung auf. Die tyrannische Natur siegte, und in einem Augenblick sahe man den Saat, wo sich Gesellschaft befand, u**** die W*****g ♦***.

52

D L e A b d e r i t e n. Der Schrecken über eine so unversehene Naturer-

schejnung (die desto wunderbarer war, da das allge­ meine Auffahren und Erstaunen der schönen Abderitinnen zu beweisen schien, daß es eine Wirkung o h n e Ursa che sey) unterbrach die Lacher auf etliche Augenblicke, um sogleich mit verdoppelter Gewalt wieder tos zu drücken. Natürlicher Weise gaben sich die erleichterten Schönen alle Mühe, den besondern Antheil, den sie an dieser Begebenheit hatten, durch Grimassen von Erstaunen und Ekel zu verbergen, und den Verdacht auf ihre schuldlosen Nachbarinnen fallen zu machen, welche durch unzeitige, aber unfreywillige Schamröthe den unverdienten Argwohn mehr als zu viel bestärkten. Der lächerliche Jank, der sich darüber unter ihnen erhob; Demokrit und Antistrepfiades, die sich boshafter Weise ins Mittel schlu­ gen , und durch ironische Trostgründe den Jörn der­ jenigen, die sich unschuldig wußten, noch mehr aufreitzten; und mitten unter ihnen allen der kleine dicke Rathsherr, der unter berstendem Gelächter einmal über daS andere ausrief, daß er nicht die Hälfte von Thrakien um diesen Abend nehmen wollte; alles dieß zusammen machte eine Scene, die des Griffels eines Hogarth würdig gewesen wäre, wenn es damals schon einen Hogarth gegeben

hätte. Wir können nicht sagen, wie lange sie gedauert haben mag; denn es ist,eine von den Tugenden der

Erstes Buch.

Z. Kapitel.

53

Abderiten, daß sie nicht aufhören können. Aber Demokrit, bei dem alles seine Zeit hatte, glaubte, daß eine Komödie, die kein Ende nimmt, die langweiligste unter allen Kurzweilen sey; — eine Wahrheit, von welcher wir (im Derbeygehn gesagt) alle unsre Dramenschreiber und Schauspielvorsteher überzeugen zu können wünschen möchten — er packte also alle die schönen Sachen, die er zur Rechtferti­ gung der Aethiopischen Venus hatte sagen können, wofern er es mit vernünftigen Geschöpfen zu thun gehabt hätte, ganz gelassen zusammen, wünschte den Abderiten und Abderitinnen — was sie nicht hatten, und ging nach Hause, nicht ohne Verwunderung über die gute Gesellschaft, die man anzu­ treffen Gefahr lief, wenn man — einen Rathsherrn von Abdera besuchte.

6, Kapitel. Eine Gelegenheit für den Leser, um sein Gehirn aus der schaukelnden Bewegung des vorigen Kapitels wieder in Ruhe zu setzen. Gute, kunstlose, sanftherzige Gttl.leru, — sagte

Demokrit, da er nach Hause gekommen war, zu einer wohlgepflegten krauslockigen Schwarzen, die

Erstes Buch.

Z. Kapitel.

53

Abderiten, daß sie nicht aufhören können. Aber Demokrit, bei dem alles seine Zeit hatte, glaubte, daß eine Komödie, die kein Ende nimmt, die langweiligste unter allen Kurzweilen sey; — eine Wahrheit, von welcher wir (im Derbeygehn gesagt) alle unsre Dramenschreiber und Schauspielvorsteher überzeugen zu können wünschen möchten — er packte also alle die schönen Sachen, die er zur Rechtferti­ gung der Aethiopischen Venus hatte sagen können, wofern er es mit vernünftigen Geschöpfen zu thun gehabt hätte, ganz gelassen zusammen, wünschte den Abderiten und Abderitinnen — was sie nicht hatten, und ging nach Hause, nicht ohne Verwunderung über die gute Gesellschaft, die man anzu­ treffen Gefahr lief, wenn man — einen Rathsherrn von Abdera besuchte.

6, Kapitel. Eine Gelegenheit für den Leser, um sein Gehirn aus der schaukelnden Bewegung des vorigen Kapitels wieder in Ruhe zu setzen. Gute, kunstlose, sanftherzige Gttl.leru, — sagte

Demokrit, da er nach Hause gekommen war, zu einer wohlgepflegten krauslockigen Schwarzen, die

54

D i e Adderiten.

ihm mit offnen Armen entgegen eilte — komm an meinen Busen, ehrliche Gulleru! Zwar bist du schwarz wie die Göttin der Nacht; dein;Haar ist wollicht und deine Nase platt; deine Augen sind klein, deine Ohren groß, und deine Lippen gleichen einer aufgeborstnen Nelke. Aber dein Herz ist rein und aufrichtig und fröhlich, und fühlt mit der gan­ zen Natur. Du denkst nie arges, sagst nie was albernes, quälst weder andre noch dich selbst, und thust nichts was du nicht gestehen darfst. Deine Seele ist ohne Falsch, wie dein Gesicht ohne Schminke. Du kennst weder Neid noch Schadenfreude; und nie hat sich deine ehrliche platte Nase gerümpft, um eines deiner Rebengeschöpfe zu höhnen oder in Ver­ legenheit zu setzen. Unbesorgt, ob du gefällst oder nicht gefällst, lebst du, in deine Unschuld eingehüllt, im Frie­ den mit dir selbst und der ganzen Natur; immer ge­ schickt Freude zu geben und zu empfangen, und werth, daß das Herz eines Mannes an deinem Busen ruhe! Gute, sanftherzige Gulleru! Ich. könnte djr einen andern Namen geben; einen schönen, klangreichen, Griechischen Namen, auf ane oder ide, arion oder ertön; aber dein Name ist schön genug, weil er dein ist; und ich bin nicht Demokrit, oder die Zeit soll noch kommen, wo jedes ehrliche gute Herz dem Namen Gulleru entgegen schlagen sott! Gulleru begriff nicht allzu wohl, was Demo­ krit mit dieser empfindsamen Anrede haben wollte,

Erstes Buch. 6. Kapitel.

55

aber sie sah, daß es eine Ergießung seines Herzens war, und so verstand sie gerade so viel davon, als sie von nöthen hatte. »War diese Gulleru seine Frau?" Nein. »Seine Beischläferin ?“ Nein. »Seine Sklavin?* Nach ihrem Anzug zu schließen, nein. »Wie war sie denn angezogen?" So gut, daß sie einEhrenfrautein der Königin von Saba hatte vorstellen können. Schnüre von großen feinen Perlen zwischen den Locken und um Hals und Arme; ein Gewand voll schön gebrochner Falten, von dünnem feuerfarbnen Atlaß mit Strei­ fen von welcher Farbe Sie wollen, unter ihrem Bu­ sen von einem reich gestrickten Gürtel zusammen gehalten, den eine Agraffe von Smaragden schloß; und — was weiß ich alles — „Der Anzug war reich genug." Wenigstens können Sie mir glauben, daß, so wie sie war, kein Prinz von Senegal, Angola, Gambia, Kongo und Loango sie ungestraft angesehen hatte. »Aber —" Ich sehe wohl, daß Sie noch nicht am Ende Ih­ rer Fragen sind. — Wer war den diese Gulleru? war es eben die, von welcher vorhin gesprochen

56

D i e

Abderiten.

wurde? Wie kam Demokrit zu ihr? Auf welchem Fuß lebte sie in Feinem Hause? — Ich gesteh' es, dieß find sehr billige Fragen; aber sie zu beantwor­ ten, seh' ich vor der Hand keine Möglichkeit. Den­ ken Sie nicht, daß ich hier den Verschwiegnen machen wolle, oder daß ein besonderes Geheimniß unter der Sache stecke. Die Ursache, warum ich sie nicht beant­ worten kann, ist die allereinfachste von der Welt. Lausend Schriftsteller befinden sich tausendmal in dem nämlichen Falie: nur ist unter lausend kaum

Einer aufrichtig genug, in solchem Fällen die wahre Ursache zu bekennen. Soll ich Ihnen die meinige sagen? ^Sie werden gestehen, daß sie über alle Ein­ wendung ist. Denn, kurz und gut, — ich weiß selbst kein Wort von allem dem, was Sie von mir wissen wollen; und da ich nicht die Geschichte der schönen Gulleru schreibe, so begreifen Sie, daß ich in Absicht auf diese Dame zu nichts verbunden bin. Sollte Sich (was ich nicht vorher sehen kann) etwa in der Folge Gelegenheit finden, von Demokrit oder von ihr selbst etwa- näheres zu erkundigen; so ver­ lassen Sie Sich darauf, daß Sie alles von Wort zu Wort erfahren sollen.

Erstes Buch. 7. Kapitel.

57

7. K a p l t e l, Patriotismus der Abderiten. Ihre Dorneigung für Athen, als ihre Mutterstadt. Ein paar Proben von ihrem A t t i c i s m u s, und von der unangenehmen Auf­ richtigkett des weisen Demokrit. Demokrit hatte noch keinen Monat unter den Abde-

ritcn gelebt, als er ihnen, und zuweilen auch sie ihm schon so unerträglich waren, als Menschen ein­ ander seyn müssen, die mit ihren Begriffen und Nei­ gungen alle Augenblicke wider einander stoßen. Die Abderiten'» hegten von sich selbst und von ihrer Stadt und Republik eine ganz außerordentliche Meinung. Ihre Unwissenheit alles dessen, waö außer­ halb ihres Gebiets in fcr Welt merkwürdiges seyn oder geschehen möchte, war zugleich eine Ursache und eine Frucht dieses lächerlichen DünketS. Daher kam es denn durch eine sehr natürliche Folge, daß sie sich gar keine Vorstellung machen konnten, wie etwas recht oder anständig oder gut seyn könnte, wenn eS anders als zu Abdera war, oder wenn man -u Abdera gar nichts davon wußte. Ein Begriff, der ihren Begriffen widersprach, eine Gewohnheit, die von den ihrigen abging, eine Art zu denken oder etwas ins Auge zu fassen, die ihnen fremd war, hieß ihnen, ohne weitere Untersuchung, ungereimt

58

Die A b d e r i t e n.

und belachenswerth. Die Natur selbst schrumpfte fünfte in den engen Kreis ihrer eigenen Thätigkeit zusammen; und wiewohl fle es nicht so weit trieben, sich, wie die Japaner, einzubilden, außer Abdera wohnten lauter Teufel, Gespenster und Unge­ heuer, so sahen sie doch wenigstens den Rest des Erdbodens und seiner Bewohner als einen ihrer Aufmerksamkeit unwürdigen Gegenstand an; und wann sie zufälliger Weise Gelegenheit bekamen etwas fremdes zu sehen oder zu hören, so wußten sie nichts davon zu machen, als sich darüber aufzuhalten, und sich selbst Glück zu wünschen, daß sie nicht wären wie andre Leute. Dieß ging so weit, daß fle den­ jenigen für keinen gu ten Bürger hielten, der an einem andern Orte beffere Einrichtungen oder Gebrauche wahrgenommen hatte als zu Hause. Wer das Glück haben wollte ihnen zu gefallen, mußte schlechterdings jo reden und thun, als ob die Stadt und Republik Abdera, mit allen ihren zugehörigen Stücken, Eigenschaften und Zufälligkeiten, ganz und gÄr untadelig und das Ideal aller Republiken gewe­ sen wäre. Von dieser Verachtung gegen alles, was nicht Abderitisch hieß, war die Stadk' Athen allein ausgenmnmen; aber auch diese vermuthlich nur deßwegen, weil die Abderiten, als eh malige Tcjer ihr die Ehre erwiesen, sie für ihre Mutterstadt anzu­ sehen. Sie waren stolz darauf, für das Thraci-

Erste- Buch. 7. Kapitel.

59

scheAthen gehalten zu werden; und wiewohl ihnen dieser Name nie anders als .spottweise gegeben wurde, so hörten sie doch keine Schmeichelei lieber als diese. Sie bemühten sich, die Athener in allen Stücken zu fopiren, und kopirten sie genau — wie der Affe den Menschen. Wenn sie, um lebhaft und geistreich zu seyn, alle Augenblicke in- Possirtiche 'fielen; wichtige Dinge leichtsinnig, und Kindereien ernsthaft behan­ delten; das Volk oder ihren Rath um jeder Kleinig­ keit willen zwanzigmal versammelten, um lange, alberne Reden für und wider über Sachen zu halten, die ein Mann von alltäglichem Menschenverstand in einer Viertelstunde bester al- sie entschieden hatte; wenn sie unaufhörlich mit Projekten von Verschö­ nerung und Vergrößerung schwanger gingen, und, so oft sie etwas unternahmen, immer erst mitten im Werke ausrechneten, daß es über ihre Kräfte gehe; wenn sie ihre halb Thracische Sprache mit Attischen Redensarten spickten; ohne den mindesten Geschmack eine ungeheure Leidenschaft für die Künste affektirten, und immer von Malerei und Statuen und Mu­ sik und Rednern und Dichtern schwatzten, ohne jemals einen Maler, Bildhauer, Redner oder Dichter, der des Namens werth todt, gehabt zu habeü; wenn sie Tempel bauten die wie Bäder, und Bader die wie Tempel aussahen; wenn sie die Geschichte von Dulkans Netz in ihre Rathsstube, und den großen Rath der Griechen über die Zurückgabe der schönen Chry-

6o

D i e Abderiten.

seis in ihre Akademie malen ließen; wenn sie in Lust­ spiele gingen, wo man sie zu weinen, und in Trauer­ spiele, wo man sie zu lachen machte; und in zwan­ zig ähnlichen Dingen glaubten die guten Leute Athe­ ner zu seyn, und waren — Abderiten. Wie erhaben der Schwung in diesem kleinen Gedicht ist, das Fysignatus auf meine Wach­ tel gemacht hat! sagte eine Abderitin. — Sehen Sie, sprach der erste ArchonvonAbdera, die Faßade von diesem Gebäude, welches wir zu unserm Zeughause bestimmt haben? Sie ist von dem besten Parischen Marmor. Gestehen Sie, daß Sie nie ein Werk von größerm Geschmack gesehen haben! Es mag der Republik schönes Geld kosten, ant­ wortete Demokrit, Was der Republik Ehre macht, kostet nie zu viel, erwiederte der Archon, der in diesem Augenblick den zweiten Perikles in sich fühlte. Ich weiß, Sie sind ein Kenner, Demokrit; denn sie haben immer an allem etwas auszusetzen. Ich bitte Sie, finden Sie mir einen Fehler an dieser Faßade? Tausend Drachmen für einen Fehler, Herr Demo­ krit, rief ein junger Herr, der die Ehre hatte ein Neffe des Archon zu seyn, und vor kurzem von Athen zurück gekommen war, wo er sich aus einem Abderitisch en Bengel für die Hälfte seines Erbgutes zu einem Attischen Gecken ausgebildet hatte. Die Faßade ist schön, sagte Demokrit ganz be-

Erstes Buch.

7. Kapitel.

61

scheiden; so schön, Laß sie es auch zu Athen oder Korinth oder Syrakus seyn würde. Ich sehe, wenns erlaubt ist so was zu'sagen, nur Emen Fehler an diesem prächtigen Gebäude. «Einen Fehler?« — sprach der Archon, mit einer Miene, die ssch nur ein Abderit, der ein Archon war, geben konnte. Einen Fehler! Einen Fehler! wiederholte der junge Geek, indem er ein lautes Gelächter aufschlug. »Darf man fragen, Demokrit, wie Ihr Fehler heißt?« Eine Kleinigkeit, versetzte dieser; nichts alS daß man eine so schöne Faßade — nicht sehen kann. »Nicht sehen kann? Und wie so?« Je, beim Anubis! wie wollen Sie daß man fle vor allen den alten übel gebauten Häusern und Scheunen sehen soll, die ihr ringsum zwischen die Augen der Leute und Ihre Faßade hingesetzt find? »Diese Häuser standen lang" ehe Sie und ich geboren wurden,« sagte der Archon. Dergleichen Dialogen gab es, so lange Demokrit unter ihnen lebte, alle Tage, Stunden und Augenblicke. »Wie finden Sie diesen Purpur, Demokrit? Sie find zu Tyrus gewesen, nicht wahr?« Ich wohl, Madam, aber dieser Purpur nicht; dieß ist Kokzinum, das Ihnen die Syrakuser aus Sardinien bringen und für Lyrischen Purpur bezah­ len lassen.

62

D i e Abderiten.

„Aber wenigstens werden Sie doch diesen Schleier für Indischen Byssus von der feinsten Art gel­ ten lassen?" Von der feinsten Art, schöne Atalanta, die man in Memfis undPelusium verarbeiten laßt. Nun hatte sich der ehrliche Mann zwei Fein­ dinnen in Einer Minute gemacht. Konnte aber auch was ärgerlicher seyn als eine solche Aufrichtigkeit?

8.

Kapitel.

Vorläufige Nachricht von dem Abderitischen Schauspiel­ wesen. Demokrit wird genöthigt, seine Meinung davon zu sagen.

Die Abderiten wußten sich sehr viel mit ihrem Theater. Ihre Schauspieler waren gemeine Bürger von Abdera, die entweder von ihrem Handwerke nicht leben konnten, oder zu faul waren eines zu lernen. Sie hatten keinen gelehrten Begriff von der Kunst, aber eine desto größere Meinung von ihrer eignen Geschicklichkeit; und wirklich konnt' es ihnen an Anlage nicht fehlen, da die Abderiten überhaupt geborne Gaukler, Spaßmacher und Pantomimen waren, an denen immer jedes Glied ihres Leibes mit reden half, so wenig auch das, was sie sagten, zu bedeuten haben mochte.

62

D i e Abderiten.

„Aber wenigstens werden Sie doch diesen Schleier für Indischen Byssus von der feinsten Art gel­ ten lassen?" Von der feinsten Art, schöne Atalanta, die man in Memfis undPelusium verarbeiten laßt. Nun hatte sich der ehrliche Mann zwei Fein­ dinnen in Einer Minute gemacht. Konnte aber auch was ärgerlicher seyn als eine solche Aufrichtigkeit?

8.

Kapitel.

Vorläufige Nachricht von dem Abderitischen Schauspiel­ wesen. Demokrit wird genöthigt, seine Meinung davon zu sagen.

Die Abderiten wußten sich sehr viel mit ihrem Theater. Ihre Schauspieler waren gemeine Bürger von Abdera, die entweder von ihrem Handwerke nicht leben konnten, oder zu faul waren eines zu lernen. Sie hatten keinen gelehrten Begriff von der Kunst, aber eine desto größere Meinung von ihrer eignen Geschicklichkeit; und wirklich konnt' es ihnen an Anlage nicht fehlen, da die Abderiten überhaupt geborne Gaukler, Spaßmacher und Pantomimen waren, an denen immer jedes Glied ihres Leibes mit reden half, so wenig auch das, was sie sagten, zu bedeuten haben mochte.

Erstes B uch.

8« Kapitel.

63

Sie besaßen auch einen eignen Schauspieldichter, Hyperbolus genannt, der (wenn man ihnen glaubte) ihre Schaubühne so weit gebracht hatte, daß sie der Athenischen wenig nachgab. Er war im Ko­ mischen so stark als im Tragischen, und machte über­ dies; die possirlichstcn Satprenspiele von der Welt, worin er seine eignen Tragödien so schnakisch parodirte, daß man sich, wie die Abdcriten sagten, dar­ über bucklig lachen mit fite. Ihrem Urtheile nach ver­ einigte er in seiner Tragödie den hohen Schwung und die mächtige Einbildungskraft des A e schy ln s mit der Beredsamkeit und dem Pathos des Euri­ pides, so wie in seinen Lustspielen des Aristo sa­ tt es Laune und muthwilligen Witz mit dem feinen Geschmack und der Eleganz des Agathon. Die Behendigkeit, womit er von seinen Werken ent­ bunden wurde, war das Talent, worauf er sich am meisten zu gute that. Er lieferte jeden Monat seine Tragödie, mit einem kleinen Possenspielchen zur Zu­ gabe. Meine beste Komödie, sprach er, hat mir nicht mehr als vierzehn Tage gekostet, und gleichwohl spielt sie ihre vier bis fünf Stunden wohl gezahlt. Da sep uns der Himmel gnädig! dachte Dem okrit. Nun drangen die Abderiten immer von allen Seiten in 'ihn, seine Meinung von ihrem Theater zu sagen; und so ungern er sich mit ihnen über ihren Geschmack in Wortwechsel einließ, so konnt' er doch

64

D i e

Abderiten.

auch nicht von sich erhalten, ihnen zu schmeicheln, wenn sie ihm sein Urtheil mit gesammter jpanb abnöthigten. »Wie gefallt Ihnen diese neue Tragödie?" Das Sujet ist glücklich gewählt. Was müßte der Autor auch seyn, der einen solchen Stoff ganz zu Grunde richten sollte? »Fanden Sie sie nicht sehr rührend?" Ein Stück könnte in einigen Stellen sehr rührend und doch ein sehr elendes Stück seyn, sagte Demo­ krit. Ich kenne einen Bildhauer von Sicyon, der die Wuth hat, lauter Liebesgöttinnen zu schnitzen. Diese sehen überhaupt sehr gemeinen Dirnen gleich; aber sie haben alle die schönsten Beine von der Welt. Das ganze Geheimniß von der Sache ist, daß der Mann seine Frau zum Modelle nimmt, die, zum Glück für seine Venusbilder, wenigstens sehr schöne Beine vorzuweisen hat. So kann dem schlechtesten Dichter zuweilen eine rührende Stelle gelingen, wenn es sich gerade zutrifft, daß er verliebt ist, oder einen Freund verlor, oder daß ihm sonst ein Zufall zustieß, der sein Herz in eine Fassung setzt, die es ihm leicht macht, sich an den Platz der Person, die er reden lassen soll, zu stellen. »Sie finden also die Hekuba unsers Dichters nicht vortrefflich?* Ich finde, daß der Mann vielleicht sein Bestes gethan hat. Aber die vielen, bald dem Aeschylus,

Erstes Buch.

8. Kapitel.

65

bald dem SofokleS, bald dem Euripides ausgerupf­ ten Federn, womit er seine Blöße zu decken sucht, und die ihm vielleicht in den Augen mancher Zuhörer, denen jene Dichter nicht so gegenwärtig sind als mir, Ehr- machen, schaden ihm in den meinigen. Eine Krähe, wie sie von Gott erschaffen ist, dünkt mich so noch immer schöner, als wenn sie sich nut Pfauenund Fasancnfedern ausputzt. Ueberhaupt fordre ich von dem Verfasser eines Trauerspiels mit gleichem Rechte, daß er mir für meinen Beifall ein vortreffliches Trauerspiel, als von meinem Schuster, daß er mir für mein Geld ein Paar gute Stie­ feln liefere: und wiewohl ich gern gestehe, daß es schwerer ist ein gutes Trauerspiel als gute Stiefeln zu machen; so bin ich darum nicht weniger berech­ tiget, von jedem Trauerspiele zu verlangen, daß es a ll e Eigenschaften habe, die zu einem guten Trauer­ spiel, als von einem Stiefel, daß er alles habe, was zu einem guten Stiefel gehört. »Und was gehört denn, Ihrer Meinung nach, zu einem wohl gestiefelten Trauerspiele?" — fragte ein junger Abderitischer Patricius, herzlich über den guten Einfall lachend, der ihm, seiner Meinung nach, entfahren war. Demokrit unterhielt sich über diesen Gegen­ stand mit einem kleinen Kreise von Personen, die ihm zuzugehören schienen, und fuhr, ohne auf die Frage des witzigen jungen Herrn Acht zu haben, Wieland- W. 19* Dd.

5

66

Die Ab d erite n..

fort. »Die wahren Regeln-der Kunstwerke, sprach er, können nie willkührlich seyn. Ich fordre nichts von einem Trauerspiele, als was Sofokles von den sei nagen fordert; und dieß ist weder mehr noch weniger,, als die Natur und Absicht, der Sache mit sich bringt. Einen einfachen wohl durch­ dachten Plan,, worin der Dichter alles voraus gese­ hen, alles vorbereitet,, alles natürlich zusammen gefügt, alles auf Einen Punkt geführt hat; worin jeder Theil ein unentbehrliches Glied, und das Ganze ein wohl organisirter,. schöner,, frei und edel sich bewegender Körper ist.' Keine langweilige Erposizion, keine Episoden, keine Scenen zum Ausfül­ len, keine Reden, deren Ende man mit Ungeduld herbei gähnt, keine Handlungen, die nicht zum Hauptzwecke arbeitens Interessante, aus der Natur genommene Charaktere, veredelt, aber so, daß man die Mensch­ heit in. ihnen nie verkenne; keine übermenschliche Tugenden, feine Ungeheuer von Bosheit! Personen, die immer ihren eigenen Individual-Begriffen und Empfindungen gemäß, reden und- handeln; immer so, daß man fühlt, nach allen ihren vorhergehenden und gegenwärtigen- Umstanden und Bestimmungen m ü sfen sie im gegebenen Falle so reden, so handeln, oder aufhören zu seyn was sie sind. »Ich fordre, daß der Dichter nicht nur die mensch­ liche Natur kenne, in so fern sie das Modell aller seiner Nachbildungen ist; ich fordre, daß er auch auf

Erstes Buch.

8. Kapitel.

67

die Zuschauer Rücksicht nehme, und genau wisse, durch welche Wege man sich ihres H e rzensMei'ster macht: daß er jeden starken Schlag, den er auf solches thun will , unterwerft v 0 rbereite; daß er wisse wenn es genug ist, und ets er uns durch einerlei Eindrücke ermüdet, oder einen Affekt bis zu dem Grade, wo er peinigend zu werden anfangt, in uns erregt, dem Herzen kleine Ruhepunkte zur Erholung gönne, und die Regungen, die er uns mitheilt- ohne Nachtheil der Hauptwir­ kung zu vermannigfaltigen wisse.

„Ich forbrc vorr ihm eine schöne und ohne Aengstlichkeit mit äußerstem Fleiße polirte Sprache; . einen immer warmen kräftigen Ausdruck, einfach und erhaben, ohne jemals zu schwellen noch zu sin­ ken, stark und nervig, ohne rauh und steif zu werden, glanzend, ohne zu blenden; wahre Heldensprache, die immer der lebende Ausdruck einer großen Seele und unmittelbar vom gegenwärtigen Gefühl eingegeben ist, nie zu viel, nie zu »venig sagt, und, gleich einem dem Körper angegoßnen Gewand, immer den eigenthümlichen Geist des Redenden durch­ scheinen laßt. »Ich fordre, daß derjenige, der sich unterwindet Helden reden zu lassen, selbst.eine große Seele habe; und indem er durch die Allgewalt der Begeisterung in seinen Helden verwandelt worden ist, alles, was

63

D i e

Abderiten.

er ihm in den Mund legt, in feinem eignen Herzen finde. Ich forbre — »O Herr Demokrit, — riefen die Abderiten, die sich nicht langer zu halten wußten — Sie können, da Sie nun einmal im Fordern sind, alles fordern was Ihnen beliebt. In Abdera laßt man sich mit wenig ernt abfinden. Wir sind zufrieden, wenn uns ein Dichter rührt. Der Mann, der uns Lachen oder weinen macht, ist in unsern Augen ein göttlicher Mann, mag er es doch-anfangen wie er selbst will. Dieß ist seine Sache, nicht die unsrige! Hyper­ fi o l u s gefallt uns, rührt uns, macht uns Spaß; und gesetzt auch, daß er uns mitunter gähnen machte, so bleibt er doch immer ein großer Dichter ! Brau­ chen wir eines weitern Beweises?“ Die Schwarzen an der Goldküste, sagte Demo­ krit, tanzen mit Entzücken zum Getöse eines arm­ seligen Schaaf-Fells und etlicher Bleche, die sie gegen einander schlagen. Gebt ihnen noch ein paar Kuh­ schellen und eine Sackpfeife dazu, so glauben sie in Elysium zu . seyn. Wie viel Witz brauchte eure Amme, um euch, da ihr noch Kinder wäret, durch ihre Er­ zählungen zu rühren? Das albernste Mahrchen, in einem kläglichen Tone hergeleiert, war dazu gut genug. Folgt aber daraus, daß die Mr^stk der Schwarzen vortrefflich, oder ein Ammenmahrchen gleich ein herrliches Werk ist? „Sie sind sehr höflich, Demokrit!"

Erstes Buch.

g. Kapitel.

69

Um Vergebung! Ich bin so unhöflich, jedes Ding bei seinem Namen zu nennen? und so eigensinnig, daß ich nie gestehen werde, alles sey schön und vor­ trefflich, was man so zu nennen beliebe. Aber das Gefühl eines ganzen Volkes wird' doch mehr gelten, als der Eigendünkel eines Einzigen?" Eigendünkel? Das' ist es eben, was ich aus den Künsten der Musen verbanttt sehen möchte» Unter allen den Forderungen, wovon die Abde'riten ihren Günstling Hyperbolus so- gütig lös' zählen , ist keine einzige, die nicht auf die strengste Gerechtigkeit gegrün­ det wäre. Aber das Gefühl eines ganzen Volkes, wenn es kein gelehrtes Gefühl ist, kann und muß in unzähligen Fällen betrüglich seyn. »Wie, zum Henker! (rief ein Abderit, der mit feinem Gefühl-sehr wohl zufrieden schien) Sie wer­ den uns am Ende wohl gar noch unsre fünf Sinne streitig machen." Das verhüte der Himmel'.' antwortete Demokrit. Wenn Sie so bescheiden find keine weitere Ansprüche zu machen als auf fünf Sinne, so wär' es die größte Ungerechtigkeit, Sie im ruhigen Befitz derselben stören zu wollen. Fünf Sinne find allerdings, zumal wenn man alle fünf zusammen nimmt, vollgültige Richter in allen Dingen, wo es darauf ankommt-, zu entscheiden- was weiß oder schwarz, glatt oder rauh, weich oder hart, widerlich oder angenehm-, bitter oder süß ist. Ein Mann, der nie weiter geht,, als

7o

D i e

A b d e r i t e n.

ihn seine Fünf Sinne führen, geht immer sicher; und in der That, wenn Ihr Hyperbolus dafür sorgen wird, daß in seinen Schauspielen jeder Sinn ergötzt und keiner beleidigt werde, so stehe ich ihm für die gute Aufnahme, und wenn sie noch zehnmal schlech­ ter waren als sie sind. Ware Demokrit zu Abdera weiter nichts gewesen, als was Diogenes zu Korinth war, so möchte ihm die Freiheit seiner Zunge vielleicht einige Ungetegenheit zugezogen haben. Denn so gern die Abderiten über wichtige Dinge spaßten, so wenig konnten sie ertragen, wenn man sich über ihre Puppen und Steckenpferde lustig machte. Aber Demokrit war aus dem besten Hause in Abdera, und, was noch mehr zu bedeuten hat, er war reich. Dieser doppelte Um­ stand machte, daß man ihm nachsah, was man einem Filosofen in zerrißnem Mantel schwerlich zu gut gehalten hatte. Sie sind auch ein unerträglicher Mensch, Demokrit! schnarrten die schönen Abderitinnen, und — ertrugen ihn doch. Der Poet Hyperbolus machte noch am näm­ lichen Abend ein entsetzliches Sinngedicht auf den Fitosofen. Des folgenden Morgens lief es an allen Putztischen herum, und in der dritten Nacht ward es in allen Gaffen von Abdera gesungen; denn Demokrithatte eine Melodie dazu gesetzt.

Erstes Buch.

9. Kapitel.

71

9. Kapitel. gute Gemüthsart der Abderiten, und wie sie sich an Demokrit wegen seiner Unhöflichkeit zu rächen wissen. Ene seiner Strafpredigten zur Probe. Die Abderiten michen ein Gesetz gegen alle Reisen, wodurch ein Abderitisdes Mutterkind hätte klüger werden können. Merkwüdige Art, wie der -Nomosylax Gryllus eine aus diesem Gesetz entstandene Schwierigkeit auflößt.

Es ist

ordentlicher Weise

eine

gefährliche Sache,

mehr Verstand zu haben als seine Mitbürger., Sokrat s mußt' es mit dem Leben bezahlen; und wenn Arist teles noch mit heiler Haut davon kam, als ihn der Oberpriester Eury me d on zu Athen der Ketzrei anklagte, so kam es bloß daher, weil er sich in Seiten aus dem Staube machte. Ich will den Ath-nern keine Gelegenheit geben, sagte er, sich zum zweiten Male an der Filosofiezu versündigen. Die Abdejten waren bei allen ihren menschlichen Schwachheiter wenigstens keine sehr bösartigen Leute. Unter ihnen hatte Sokrates so alt werden können als Homers Ne st 0 r. Sie hatten ihn für eine wunderliche Art von Narren gehalten, und sich über seine vermeintlich Thorheit lustig gemacht; aber die

72

D L e Abderiten.

Sache bis zum Giftbecher zu treiben, war nicht in ihrem Charakter. Demokrit ging so scharf mit ihnen zu Werke, daß ein weniger jovialisches Voll die Geduld dabei verloren hatte. Gleichwohl bestan) alle Rache, die sie an ihm nahmen, darin, daß fe (unbekümmert mit welchem Grunde) eben so ükl von ihm sprachen ais er von ihnen, alles tadeltri was er unternahm, alles lächerlich fönten was er sagte, und von allem, was er ihnen rreth, gerade das Gegentheil thaten. »Man maß dem Filoso'en durch den Sinn fahren, sagten sie; man muß hm nicht weiß machen, daß er alles bester wisse als wir." —h Und, dieser weisen Maxime zu Folge, begingen die guten Leute eine Thorheit über die andre/ und . glaubten wie viel sie dabei gewonnen hatten^ wenn es ihn verdrösse. Aber hierin erfehlten sie ihres Zweckes gänzlich. Denn Demokrt lachte dazu, und ward aller ihrer Neckereien tv6,en nicht einen Augenblick früher grau. — »O die deriten,die Abderiten! rief er zuweiten; da Haden sie sich wieder selbst eine Ohrfeige gegeben, m Hoffnung, daß es mir weh thun werde!" Aber (sagten die Abderiten) kann an auch mit einem Menschen schlimmer daran seyn Ueber alles in der Welt ist er andrer Meinung als wir. An allem, was uns gefallt, hat er et as auszusetzen. Es ist doch sehr unangenehm, sie immer wider­ sprechen zu lassen-

Erstes Buch. 9< Kapitel.

73

Aber wenn ihr nun immer Unrecht habt? antwor­ tete Demokrit. — Und laßt doch einmal sehen, wie es anders seyn könnte! — Alle eure Begriffe habt ihr eurer Amme zu danken'; über alles denkt ihr noch eben so, wie ihr' als Kinder davon dachtet. Cure Körper find gewachsen, und eure Seelen liegen noch in der Wiege. Wie viele sind wohl unter euch) die sich die Mühe gegeben haben, den Gründ zu erforschen, warum sie etwas wahr oder gut oder schön nennen? Gleich den Unmündigen und Säuglingen ist euch alles' gut und schön, was eure Sinne kitzelt, wüs euch gefallt. Und auf was für kleinfügige, oftj gür' Nicht zur Sache gehörende, Ursachen und Umstande kommt es an, ob euch etwas gefalle soll oder nicht! Wie verlegen würdet ihr oft seyn, wenn ihr sagen solltet-, warum ihr dieß liebt und jenes hastet! Grillen,-Launen, Eigensinn, Gewohnheit euch von andern Leuten gängeln zu lasten, mit ihren Augen zu sehen, mit ihren Ohren zu hören, und, was sie euch vorgepfiffen haben, nachs zupferfen, — sind die: Triebfederndie bei euch die Stelle der Vernunft ersetzen. Soll ich euch sagen, woran der Fehlev liegt? Ihr habt euch einen falschen Begriff von Freiheit in den Kopf gesetzt. Eure Kinder von drei oder vier Jahren haben freilich den nämlichen Begriff davon; aber dieß macht ihn nicht richtiger. Wir sind ein freies Volk, sagt ihr; und nun glaubt ihr, die Vernunft

74

D i e

Abderiten.

habe euch nichts einzureden. „Warum sollten wir nicht denken dürfen, wie es uns beliebt? lieben und hassen wie es uns beliebt? bewundern oder verach­ ten was uns beliebt? Wer hat ein Recht uns zur Rede zu stellen, oder unsern Geschmack und unsre Neigungen vor seinen Richterstuhl zu fordern?“ — Nun denn, meine lieben Abderiten, so denkt und faselt, liebt und haßt, bewundert und verachtet, wie, wenn und was euch beliebt ! Begeht Thorheiten so oft und so viel euch beliebt! Macht euch lächer­ lich wie es euch beliebt! Wem liegt am Ende was daran? So lang' es nur Kleinigkeiten, Pup­ pen und Steckenpferde betrifft, wär' es unbillig, tud) im Besitze des Rechtes, eure Puppe und euer Steckenpferd nach Belieben zu putzen und -u reiten, stören zu wollen. Gesetzt auch, eure Puppe wäre häßlich, und das, was ihr euer Steckenpferd nennt, sahe von vorn und von hinten Oechslein oder Eselein ähnlich; was thut das? Wenn eure Thorheiten euch glücklich und niemand unglücklich machen, was geht es andre Leute an daß es Thorheiten sind? Warum sollte nicht der hochweise Rath von Abdera, in feier­ licher Proceffion, einer hinter dem andern, vom Rathhause bis zum Tempel der Latona — Burzelbäume machen dürfen, wenn es dem Rath und dem Volke von Abdera so gefällig wäre? Warum soll­ tet ihr euer bestes Gebäude nicht in einen Winkel, und eure schöne kleine Venus nicht auf einen Obelisk

Erstes Buch.

y. Kapitel.

75

setzen dürfen? — Aber, meine lieben Landsleute, nicht alle eure Thorheiten sind so unschuldig wie diese; und wenn ich sehe, daß ihr euch durch eure Grillen und Aufwallungen Schaden thut, so müßt' ich euer Freund nicht seyn , wenn ich still dazu schweigen könnte. Ium Beispiel, euer Fro sch- u nd Mause­ krieg mit den Lemniern, der unnöthigste und unbesonnenste, der jemals angefangen wurde, um einer Tänzerin willen? — Cs fiel in die Augen, daß ihr damals unter dem unmittelbaren Einfluß eures bösen Dämons wäret, da ihr ihn beschlösset; alles half nichts, was man tudj dagegen vorstellte. Die Lemnier sollten gezüchtigt werden, hieß es, und, wie ihr Leute von lebhafter Einbildung seyd, so schien euch nichts leichter, als euch von ihrer ganzen Insel Meister zu machen. Denn die Schwierigkeiten einer Sache pflegt ihr nie eher in Erwägung zu neh» men, als bis euch eure Nase daran erinnert. Doch dieß alles möchte noch hingegangen seyn, wenn ihr nur wenigstens die Ausführung eurer Entwürfe einem tüchtigen Mann aufgetragen hättet. Aber den jun­ gen Afron zum Feldherrn zu machen, ohne daß sich irgend ein möglicher Grund davon erdenken ließ, als weil eure Weiber fanden, daß er in seiner präch­ tigen neuen Rüstung so schön wie ein Paris sey; und — über dem Vergnügen, einen großen feuer­ farbenen Federbusch auf seinem hirnlosen Kopfe nicken zu sehen — zu vergessen, daß es nicht um ein Lust-

76

D i -

Abderiten.

gefecht zu thun war: dieß, läugnets nur nicht, dieß war ein Abd erit en streich! Und nun, da ihr ihn mit dem Verlust eurer Ehre, eurer Gateren und eurer besten Mannschaft bezahlt habt, was hilft es euch, daß die Athener, die ihr euch in ihren Thorheiten zum Muster genommen- habt, eben so sinnreiche Streiche, und zmveilen mit eben-ft glücklichem Aus­ gang zu spielen pflegen. In diesem Tone sprach Demokrit mit den Abde­ riten, so oft sie ihm Gelegenheit dazu gaben; aber, wiewohl- dieß sehr oft geschah, so konnten sie sich doch unmöglich gewöhnen r diesen Ton angenehm zu finden. »So geht es, sagten sie,- wenn man nase­ weisen Jünglingen erlaubt, in der weiten Welt herum zu reisen, um sich ihres Vaterlandes schämen zu lernen, und nach' zehn oder zwanzig Jahren mit einem-Kopfe voll ausländischer Begriffe als Kos­ mopoliten zurück zn kommen, die alles besser wissen als ihre'Großvater, und alles anderSwo besser gesehen haben als zu Hause. Die alten Aegypter, die niemanden reisen ließen eh' er wenigstens fünfzig Jahre auf dem Rücken hatte, waren weise Leute!* Ilnd eilends gingen die Abderiten hin, und mach­ ten ein Gesetz: daß kein Abderitenfthn hinfort weit^r als bis an den Korinthischen Isthmus, länger alS ein Jahr, und anders als unter der Aufsicht eines bejahrten Hofmeisters von Altabderitischer Ab­ kunft, Denkart und Sitte, sollte reisen dürfen,

Erstes Buch. y. Kapitel.

77

„Junge Leute müssen zwar die Welt sehen, sagte das Dekret: aber eben darum sollen sie sich an jedem Orte nicht langer aufhalten, als bis sie alles, was mit Augen da zu sehen ist, gesehen haben. Beson­ ders soll der Hofmeister genau bemerken, .was für Gasthöfe sie angetroffen, wie sie gegessen, und wie viel sie bezahlen muffen; damit ihre Mitbürger sich in der Folge diese ersprießlichen Geheimnachrichtey zu Nutze machen können. Ferner soll, (wie das Dekret weiter sagt) zu Ersparung der Unkosten eines allzu langen Aufenthalts an Einem Orte, der Hof­ meister dahin sehen, daß der junge Ab-erit in feine unnötbige Bekanntschaften verwickelt werde. Dee Wirth oder der Hausknecht, als an dem Orte ein­ heimische und unbefangene Personen, können ihm am besten sagen, was da merkwürdiges zu sehen ist, wie die dasigen Gelehrten und Künstler heißen, wo sie wohnen, und um welche Zeit sie zu sprechen sind r dieß bemerkt sich der Hofmeister in sein Tagebuch; und dann laßt sich in zwei oder drei Tagen, wenn man die Zeit wohl zu Rathe halt, vieles in Augen­ schein nehmen." Zum Unglück für dieses weife Dekret befanden sich - ein paar Abderitische junge Herren von großer. Wichtigkeit eben außer Landes, als es abgefaßt und (nach alter Gewohnheit) dem Volk auf den Haupt­ platzen der Stadt vorgesungen wurde. Der eine war der Sohn eines Kramers, der durch Geitz und

73

D i e- A b d e r i t e n..

niederträchtige Kunstgriffe, in feinem Gewerbe binnen vierzig Jahren ein beträchtliches Vermögen zusammen gekratzt, und kraft desselben- seine Tochter (das häß­ lichste und dümmste Thierchen von - ganz Abdera) kürzlich an einen- Neffen- des kleinen dicken Raths Herrn, dessen oben rühmliche Erwähnung gethan-worden,, verheirathet hatte. Der andre war der einzige Cohn des Nomvfptax,-und sollte, um 'seinem Vater je eher je lieber in diesem Amte -bei­ geordnet werden, zu können, nach Athen reisen und sich mit dem Musikwesen daselbst genauer bekannt machen:- wahrend daß der Erbe des Kramers', der ihn begleiten wollte-, mit-den;Putzmacherinnen und Straußermadchen allda genauere Bekanntschaft zu machen gesonnen war. Nun-hatte das Dekret an den besondern Falt, worin, sich diese- junge Herren befanden,.nicht gedacht.. Die Frage war also,., was zu thun fei) *?. Ob man auf eine Modifikation des Gesetzes antragen,. oder beim- Senat bloß um Dispensazion für den vorliegenden Fall' ansuchen sollte? Keines von beiden, sagte der Nomofytar, der eben mit Aussetzung eines neuen Tanzes auf das Fest der Latona fertig und außerordentlich mit sich selbst zufrieden war. Um etwas am Gesetze zu andern, müßte man das Volk deßwegen zusammen berufen; und dieß würde unfern Mißgünstigen nur Gelegen­ heit geben die Mäuler aufzureißen. Was die Dis-

Erstes Buch.

9. Kapitel.

79

pensazr'on betrifft, so ist zwar an dem, daß man die Geseke meistens um. der Dispensazion willen macht; und ich zweifle wicht,, der Senat würde uns ohne Schwierigkeit zngestehen, was jeder in ähnlichen Fal­ len kraft des Gegenrechtes fordern zu können wünscht. Indessen hat doch jede Befreiung das- Ansehen einer erwiesenen Gnadeund wozu haben wir nöthig, uns Verbindlichkeiten aufzuhalsen? Das Gesetz ist ein schlafender Löwe, bei dem man, so lang' er nicht aufgeweckt wird, so sicher als bei einem Lamme vorbei schleichen kann. Und wer wird die Unver^ schanttheit oder die Verwegenheit haben, ihn gegen den Sohn des Nomofplax aufzuwecken ? Dieser Beschirmer der- Gesetze war, wie wir sehen, ein Mann, der von den Gesetzen und von seinem Amce sehr verfeinerte Begriffe hatte, und sich der Vortheile,, die ihm das Letztere gab, fertig zu bedienen wußte. Sein Name verdient aufbehatten zu werden. Ev nannte sich Gryllus, des Cyniskus Sohn.

80

D i e

A t d t1 i t e n.

io.

K a p i te l.

Demokrit zieht sich aufs , utzd wird Don den ALdertten fleißig besucht. Allerlei Paritäten imb eine Unterredung vorn S ch X ar a ff e n l an de d e.r Sitt entehr^

D emokrit hatte, sich,, da ex in sein Paterland zurück kam, mit dem Gedanken, geschmeichelt, beniseU den, mittelst alles dessen, um was sich.sein Verstand und sein Herz indessen gebessert hatte, nützlich,wer­ den zu können. Er hatte sich nicht porgesteltt, daß es mit den Abderittschen Köpfen sogur übel stände, als er es nun wirklich fand. Aber da ex sich einige Zeit unter ihnen aufgehalten, sah er auZenscheinlich, daß es ein eitles.Unterneunen gewesen wäre, sie verbes sern zu wollen. Alles war bei ihnen so verschoben, daß man nicht wußte, WA man die Verbesserung anfangen sollte. Jeder chrtzr Mißbrauche hing an zwanzig andern; es war un­ möglich, Einen davon abzustellen, ohne den ganzen Staat umzuschaffen. -Eine gute Seuche, (dacht' er) welche das ganze Völkchen — bis auf etliche Dutzend Kinder, die gerade groß genug waren um der Ammen entbehren zu können — von der Erde vertilgte, wäre das einzige Mittel, das der Stadt Abdera helfen könnte; den Abderiten ist nicht zu helfen!

Erstes Buch, io; Kapitel.

8i

Er beschloß also sich mit guter Art von ihnen zurück zu ziehen,. und ein kleines Gut zu bewohnen, das er in ihrer Gegend besaß, und mit dessen Be­ nutzung und Verschönerung er sich die Stunden beschäftigte, die ihm sein Lreblnigsstttdium, die Er­ forschung der Naturwirkungen, übrig ließ. Aber zum Unglück für ihn- lag dieß Landgut zu nahe bei Abdera. Denn weil die Lage desselben ungenrein schön , und der Weg dahin einer der angenehmsten Spaziergange war: so sah er sich alle Tage Gottes von einem Schwann Abderiten und Abderitinnen (lauter Vettern und Basen) heimgesucht, welche das schöne Wetter und den angenehmen Spaziergang zum Vorwande nahmen, ihn in feiner glücklichen Einsam­ keit zu stören. Wiewohl Demokrit den Abderiten wenigstens nicht besser gefiel sie ihm, so war doch die Wir­ kung davon sehr verschieden. . Er floh sie, weil sie ihm lange Weile machten; und sie suchten ihn, weil sie sich dre Jert dadurch vertrieben. Er wußte die seinige anzuwenden; sie hingegen hatten nichts bessers zu thun. „Wir kommen, Ihnen in Ihrer Einsamkeit die Zeit kürzen zu helfen," sagten die Abderiten. Ich pflege in meiner eigenen Gesellschaft sehr kurze Zert zu haben, sagte Demokrit. »Aber wre ist es möglich, daß man immer so allein seyn kann? rref dw schöne Prthöka. Ich würde Wielands W. 19. Db. 6

82

D i e Ä b d e r t 1,O, was ich am liebsten sehen möchte, sagte eine von den Basen, das wäre ein lebendiger Sfinr! — Sie müssen deren wohl viele in Aegypten gefunden haben?" »Aber ist- möglich, ich bitte Sie, daß die Wei­ ber und Töchter der Gymnosofisten in Indien — wie man sagt — Sie verstehen mich doch, was ich fragen will?" Nicht ich, Frau S a l a b a n d a! ,,O Sie verstehen mich gewiß! Sie sind ja in Indien gewesen? Sie haben die Weiber der Gymnosofisten gesehen?" »O ja, und Sie können mir glauben, daß die Weiber der Gymnosofysten weder mehr noch weniger Weiber sind als die Weiber der Abderiten.

Erstes Buch. iv. Kapitel.

85

»Sie erweisen uns viel Ehre. Aber dieß ist nicht, was ich wissen wollte. Ich frage, ob es wahr ist, daß sie" — Hier hielt Frau Salabanda eine Hand vor ihren Busen, und die andere — kurz, sie setzte sich in die Stellung der Mediceischen Venus, um dem Filosofen begreiflich zu machen, was sie wissen wollte. »Nun verstehen Sie mich doch?" sagte sie. Ja, Madam, die Natur ist nicht karger gegen sie gewesen als gegen andre. Welch eine Frage das ifU »Sie wollen mich nicht verstehen, loser Mann! Ich dachte doch, ich hätte Ihnen deutlich genug gesagt, daß ich wissen möchte, ob es wahr sey daß sie — wert sie doch wollen, daß ichs Ihnen unver­ blümt sage — so nackend gehen als sie auf die Welt kommen?" »Nackend! — riefen die Abderitinneu alle auf ein­ mal. Da waren sie ja noch unverschämter als die Mädchen in Lacedämon! Wer wird auch so was glauben?" Sie haben Recht, sagte der Naturforscher: die Weiber der Gymnosofisten sind weniger nackend als die Weiber der Griechen in ihrem vollständigen Anzuge; sie sind vom Kopf bis zu den Füßen in ihre Unschuld und in die öffentliche Ehrbarkeit eingehüllt. »Wie meinen Sie das?"

86

D i e

A b d e r i t e n.

Könn ich mich deutlicher erklären? »Ach, nun versteh' ich Sie! Es fdtl em Stich seyn! Aber Sie scherzen doch wohl nur mit Ihrer Ehrbarkeit und Unschuld. Wenn die Weiber der Gymnosofisten nicht haltbarer gekleidet find, so — müssen fie entweder sehr häßlich, oder die Männer in ihrem Lande sehr frostig seyn. * Keineö von beiden. Ihre Werber find wobt gebildet, und ihre Kinder gesund und voller Leben; ein unverwerfiiches Zeugniß zu Gunsten ihrer Väter, däucht mich! »Sie find ein Liebhaber von Paradoxen, Demo­ krit, sprach der Matador; aber Sie werden mich in Ewigkeit micht überreden, daß die Sitten eines Volkes desto reiner seyen, je nackender die-Weiber desselben find.« Wenn ich ein so großer Liebhaber von Paradoxen wäre als man mich beschuldigt, so würde es mir vielleicht nicht schwer fallen, Sie dessen durch Bei­ spiele und Gründe zu überführen. Aber ich bin dem Gebrauch der Gymnosofistinnen nicht günstig genug, um mich zu seinem Vertheidiger aufzuwerfen. Auch warmeine Meinung gar nicht, das zu sagen, was mich der scharffinnige Kratylus sagen läßt. Die Weiber der Gymnosofisten scheinen mir nur zu bewei­ sen, daß Gewohnheit und Umstände in Gebräuchen dieser Art alles entscheiden. Die Spartanischen Töchter, weil sie kurze Röcke, und die am Indus,

Erste- Buch.

io. Kapitet.

87

weil sie gar keine Röcke trogen, sind darum weder unehrbÄrsr, noch größerer Gefahr ausgesetzt, als die­ jenigen, die ihre Tugend in sieben Schleier ein­ wickeln. Nicht die Gegenstände, sondern unsre Meinungen von denselben- sind die Ursache un­ ordentlicher Leidenschaften. Die Gymnosofisten, welche kernen Theil des menschlichen Körpers für unedler halten als den andern, sehen ihre Werber, wie­ wohl sie bloß in ihr an g e b o r n e s F e l l gekleidet sind, für eben so gekleidet an, als die Skyth en dre ihri­ gen, wenn sie em Ti eg erka tzenfell um die Len­ den hangen haben. »Ich wünschte nicht, daß Demokrit mit seiner Filosofie so viel über nnsre Weiber vermöchte, daß sie sich solche Dinge in den Kopf setzten— sagte ein ehrenfester sterfer Abderit, der mit Pelzwaaren handelte. »Ich auch nicht," stimmte ein Leinwand Händler ein. Ich wahrlich auch nicht, sagte Demokrit, wie­ wohl ich weder mit Pelzen noch Leinwand handle. »Aber Eins erlauben Sie mir noch zu fragen, lispelte die Base, die so gern lebendige Sfinxe gesehen haben möchte: Sie sind in der ganzen Welt herumgekommen; und es soll da viele wun­ derbare Lander geben, wo alles anders ist als bei uns — * »Ich glaube - kein Wort davon," murmelte der

88

D i e

Add Griten.

Rathsherr, indem er, wie Homers Jupiter, das am­ brosische Haar, auf feinem Weisheitsschwangern Kopfe schüttelte. »Sagen Sie mir doch, fuhr die Base fort, in welchem unter allen diesen Landern' gefiel es Ihnen am besten?^ Wo könnt' es einem besser gefallen, als zu Abdera? »O wir wissen schon- daß dieß Ihr Ernst nicht ist. Ohne Komplimente I antworten Sie der jungen Dame wie Sie denken," — sagte der Rathsherr. Sie werden über mich lachen, erwiederte Demo­ krit: aber weil Sie es verlangen, schöne Klonar i o n, so will ich Ihnen die reine Wahrheit sagen. Haben Sie nie von einem- Lande gehört, wo die Na­ tur so gefällig ist, neben ihren eigenen Verrichtun­ gen auch noch die Arbeit der Menschen auf sich za nehmen? Von einem Lande, wo ewiger Friede herrscht? wo niemand Knecht und niemand Herr, niemand arm und jedermann reich ist; wo der Durst nach Golde zu keinen Verbrechen zwingt, weil: man das Gold zu nichts gebrauchen kann: wo eine Sichel ein eben so rmbekanntes Ding- ist als ein Schwert; wo der Fleißige nicht für den Müssiggänger arbeiten muß, wo es keine Aerzte giebt, weil niemand krank wird, keine Richter, weil es keine Handel giebt, keine Händel, weil jedermann zufrieden ist, und jedermann zufrieden ist, wett jedermann alles hat

E r st es 45 uch.

io, Kap i U l.

89

tpfts ernur iinmfcfyetr fmin mit Ein em Worte, von em em Laudü^ wo alle Menschen so fromm wie die Lämmer, und so glücklich wie die Götter sind? -* Haben Sie nie von einem solchen Lande gehört? »Nicht, daß ich mich erinnerte/4 Das nenn' ich ein Land, Klonarion! Da ist es nie zu warm und nie zu kalt, nie zu naß und nie zu trocken; Frühling und Herbst regieren dort nrcht wechselsweise, sondern, wie in den Garten des Alcinous, zugleich in ewiger Eintracht. Berge und Thaler, Wälder und Auen sind mit allem angefüklt, was des Menschen Herz gelüsten kann. Aber nicht etwa, daß die Leute sich die Mühe geben müßten die Hasen zu jagen, die Vögel oder Fische zu fan­ gen , und die Früchte zu pflücken, die sie essen wol­ len; oder daß sie die Gemächlichkeiten, deren sie genießen, erst mit vielem Ungemach ersaufen müß­ ten. Nein! alles macht sich da von selbst. Dre Rebhühner und Schnepfen fliegen einem gespickt und gebraten um den Mund, und bitten demüthig, daß man sie essen möchte; Fische von allen Arten schwim­ men gekocht in Teichen von allen möglichen Brüden, deren Ufer immer voll Austern, Krebse, Pasteten, Schmken und Ochsenzungen liegen. Hasen und Reh­ böcke kommen freiwillig herbei gelaufen, streifen sich das Fell über die Ohren, stecken sich an den Brat­ spieß, und legen sich, wenn sie gar sind, von selbst in die Schüssel. Allenthalben stehen Tische, die sich

90

D i e

A d d e r i t v N.

selbst decken; und weich gepolsterte Ruhebettchen laden allenthalben zum Ausruhen vom — Nichtsthun und zn angenehmen Ermüdungen em. Neben denselben rauschen kleine Bache von Milch und Honig, von Cpprischem Wein^ Citronenwaffer und andern angenehmen Getränken; und Liber sie her wölben sich, mit Rosen und Schasmin untermengt, Stauden voller Becher und Glaser, die sich., so oft sie ausgetrunken werden, gleich von selbst wieder anfüllen. Auch giebt es da Bäume, die statt der Früchte kleine Pastetchen, Bratwürste, Mandelkarpfen und Buttersemmeln tra­ gen: andere, die an allen Aesten mrt Geigen, Har­ fen, Cithern, Theorben, Flöten und Waldhörnern behangen sind, welche von sich selbst das angenehmste Kon-eert machen, das man hören kann. Die glücktichen. Menschen., nachdem sie eine Schimäre sey Sie nöthigen mich durch. Ihren Unglauben, daß ich Ihnen noch mehr sagen muß, «fuhr der Filosof fort. Die Natur ist voll solcher Geheimnisse, meine schönen Damen; und wofür sollt' ich auch, wenn es sich der Mühe nicht verlohnte, bis nach Aethropien und Indien gewandert seyn? Die Gymnosofisten, deren Werber — wie Sie wissen — nackend gehen, haben nur sehr artige Sachen entdeckt. Wielands W. 19, Bd. 8

U4

D i e

Abderiten.

»Ium Beispiel?« — sagten die Abderitinnen. Unter andern ein Geheimniß, welches ich, wenn ich ein Ehemann wäre, lieber nicht zu wissen wün­ schen würde. »Ach nun haben wir die Ursache, warum sich Demokrit nicht verheirathen will,« — rief die schöne T h r y a l l i s. »Als ob wir nicht schon lange wüßten, sagte Sa lab and a, daß es seine Aethiopische Venus ist, die ihn für unsre Griechische so unempfindlich macht. — Aber ihr Geheimniß, Demokrit, wenn man es keuschen Ohren anvertrauen darf?« Ium Beweise, daß man es darf, will ich es den Ohren aller / gegenwärtigen Schönen anvertrauen, antwortete der Naturforscher. Ich weiß ein unfehl­ bares Mittel, wie man machen kann, daß ein Frauenzimmer im Schlafe, mit vernehmlicher Stirnme-,alles sagt, was sie auf dem Herzen hat. „O gehen Sie, riefen die Abderitinnen, Sie wollen uns bang machen; aber — wir lassen unö nicht so leicht erschrecken.* Wer wird auch an erschrecken denken, sagte Demokrit, wenn von einem Mittel die Rede ist, wodurch einer jeden ehrlichen Frau Gelegenheit gege­ ben wird, zu zeigen, daß sie keine Geheimnisse hat, die ihr Mann nicht wissen dürfte? »Wirkt Ihr Mittel auch bei Unverheirateten?* — fragte eine Abderitin, die weder jung noch

Erstes Buch.

12 Kapitel.

115

reitzend genug zu seyn schien, um eine solche Frage zu thun. Es wirkt vom zehnten Jahre an bis zum achtzig­ sten, erwiederte er, ohne Beziehung auf irgend einen andern Umstand, worin sich ein Frauenzimmer befin­ den kann. Die Sache fing an ernsthaft zu werden. — Aber Sie scherzen nur, Demokrit? sprach die Gemalin eines Thesmotheten, nicht ohne eine geheime Furcht deö Gegentheils versichert zu werden. Wollen Sie die Probe machen, Lysistrata? »Die Probe? — Warum nicht? — DorauS bedungen, daß nichts Magisches dazu gebraucht wird. Denn mit Hülfe Ihrer Talismane und Geister könn­ ten Sie eine arme Frau sagen machen was Sie wollten." Es haben weder Geister noch Talismane damit zu thun. Alles geht natürlich zu. Das Mittel, das ich gebrauche, ist die simpelste Sache von der Welt. Die Damen fingen an, bei allen Grimassen von Herzhaftigkeit, wozu sie sich zu zwingen suchten, eine Unruhe zu verrathen, die den Filosofen sehr be­ lustigte. — »Wenn man nicht wüßte, daß Sie ein Spötter sind, der die ganze Wett zum besten hat. — Aber darf man fragen, worin Ihr Mittel besteht?" Wie ich Ihnen sagte, die natürlichste Sache von der Welt. Ein ganz kleines unschädliches Ding, einem schlafenden Frauenzimmer aufs Herzgrübchen gelegt,

ti6

Die

Abderiten^

daS ist das ganze Geheimniß: aber es thut Wunder, Sie können mirs glauben! Es in acht reden, so lange noch im innersten Winkel des Herzens was -u ent­ decken ist. Unter sieben Frauenzimmern, die sich in der Ge­ sellschaft befanden, war nur Eine, deren Miene und

Gebehrde unverändert die nämliche blieb wie vorher. Man wird denken, sie sey alt, oder häßlich, oder gar tugendhaft gemessn; aber nichts von allem die­ sem! Sie war — taub. .Wenn Sie wollen, daß wir Ihnen glauben sollen, Demokrit, so nennen Sie Ihr Mittel.« Ich will es dem Gemal der schönen ThryalliS ins Ohr fugen, sprach der boshafte Naturkun­

diger. Der Gemal der schönen Thryllis war, ohne blind zn seyn, so glücklich, als Hügedorn einen Blinden schätzt, dessen Gemalin schön ist. Er hatte immer gute Gesellschaft, oder wenigstens was man zu Abdera so nannte, in seinem Hause. Der gute Mann glaubte, man finde so viel Vergnügen an seinem Umgang, und an den Versen, die er seinen Besuchen vorzulesen pflegte. In der That hatte er das Talent, die schlechtesten Verse, die er machte, nicht übel zu lesen; und weil er mit vieler Begeiste­ rung "las, so wurde er nicht gewahr, daß seine Zu­ hörer, anstatt auf seine Verse Acht zu geben, mit der schönen Thryallis liebäugelten. Kurz, der. Raths-

Erstes Buch. 11. Kaprtet.

117

Herr Smi lax war ein Mann, der eine viel zu gute Meinung von sich selbst hatte, nm von der Tugend seiner Gemein eine schlimnrr zu hegen. Er bedachte sich also keinen Augenblick, dem Ge­ heimniß sein Ohr darzubieten. Es ist weiter nichts, flüsterte ihm der Filosof inS Ohr, als die Junge eines lebendigen FroscheS, bf< man einer schlafenden Dame auf die linke Brust legen muß. Aber Sie müssen Sich beim Ausreißen wohl in Acht nehmen, daß nichts von den daran Hangenden Theilen mitgeht, und der Frosch muß wieder ins Wasser gesetzt werden, »DasMittel mag nicht übel seyn, sagte Smilax leise; nur Schade daß es ein wenig bedenklich ist! Was würde der Priester Strobylus dazu sagen? Sorgen Sie nicht dafür, versetzte Demokrit: ein Frosch ist doch keine Diana, der Priester Strobylus mag sagen »vas er will. Und zudem gehr es dem Frosche ja nicht ans Leben. »Ich darf es also weiter geben?' — fragte Smitax. Don Herzen gern! Alle Mannspersonen in der Gesellschaft dürfen es wissen; und ein jeder mag es ungefcheut allen feinen Bekannten entdecken; nur mit der Bedingung, daß es keiner weder seiner Frau, noch seiner Geliebten wieder sage. Die guten Abderitinnen wußten nicht was sie von der Sache glauben sollten. Unmöglich schien fle

IT8

D i e A-deriten.

ihnen nicht; und waS sollte auch Abdrriten unmög­ lich scheinen? — Ihre gegenwärtigen Manner oder Liebhaber waren nicht viel ruhiger; jeder setzte sich heimlich vor, das Mittel ohne Aufschub zu probiren, und jeder (den glücklichen Smilax ausgenommen) besorgte, gelehrter dadurch zu werden als er wünsche. »Nicht wahr, Männchen — sagte ThkyalliS zu ihrem Gemal, indem sie ihn freundlich auf die Backen klopfte, du kennst mich zu gut, um einer solchen Probe nöthig zu haben? *

»Der meinige sollte sich so etwas einfallen lasten, sagte L a g i s k a. Eine Probe setzt Iweifel voraus, und ein Mann, der an der Tugend seiner Frau zweifelt —* — Ist ein Mann, der Gefahr laust seine Iweifel in Gewißheit verwandelt zu sehen, setzteD emotr it hinzu, da er sah, daß sie emhielt. — Das wollten Sie doch sagen, schöne Lagiska? »Sie sind ein Weiberfeind, riefen die Abderitinnen allzumal, aber vergeffen Sie nicht, daß wir in Thracien sind, und hüten Sie Sich vor dem Schicksal des Orfeus J* Wiewohl dieß im Scherz gesagt wurde, so war doch Ernst dabei. Natürlicher Werse läßt man sich nicht gern ohne Noth schlaflose Nächte machen; eine Absicht, von welcher wir den Fllosofen um so weni­ ger frei sprechen können, da er die Folgen seines Einfalles nothwendrg voraus sehen mußte. Wirklich

gab diese Sache den sieben Damen so viel za denken, daß sie die ganze Nacht kein Auge zu thathen; und da das vorgebliche Geheimniß den folgen­ den Tag in ganz Abdera herum lief, so verursachte er dadurch etliche Nachte hinter einander eine allge­ meine Schlaflosigkeit. Indessen brachten die Weiber bei Tage wieher ein, was ihnen bei Nacht abging: und weit verschiedene sich nicht einfallcn ließen, daß man ihnen'das Ar­ kanum, wenn sie am Tage schliefen, eben so gut appünrcn könne als bei Nacht, und daher ihr Schlaf­ zimmer zu verriegeln vergaßen, so bekamen die Man­ ner unverhofft Gelegenheit, von ihren Froschzungen Gebrauch zu machen. Lisistrata, Thryallrs, und einige andere, die am meisten dabei zu wagen hatten, waren die ersten, an denen die Probe, mit dem Erfolg, den man leicht voraus sehen kann, gemacht wurde. Aber eben dieß stellte in kurzem die Ruhe in Ab­ dera wieder her. Die Manner dieser Da'cken, nach­ dem sie das Mittel zwei - oder dreimal ohne Eefolg gebraucht hatten, kamen in vollem Sprunge zu un­ serm Fllosofen gelaufen, um sich zu erkuüdigen, was dieß zu bedeuten hatte. — So? rief er ihnen ent­ gegen, hat die Froschzunge ihre Wirkung gethan's Haben Ihre Weiber gebeichtet? — Kein Wort, keine Sylbe, sagten dre Abderrten.— Desto besseri rief Demokrrt: Lriumfiren Sie darüber! Wenn

120

D i e A b d' e r i 1 e a

eine schlafende Frau mit einer Froschzunge auf dem Herzen nichts sagt, so ist es ein Kelchen, daß sie — nichts zu sagen hat. Ich wünsche Ihnen Glück, meine Herren! Jeder von Ihnen kann sich rühmen, daß er den Fönir der Weiber in feinem Hause besitze. Wer war glücklicher als unsre Abderiten! Sw liefen so schnell als sie gekommen waren, wieder zu­ rück, fielen ihren erstaunten Weibern um den Hals, erstickten sie mit Küsten rrnd Umarmungen, und bekannten nun freiwillig, was sie gethan hatten, um sich von der Tugend ihrer Hälften (wiewohl wir davon schon gewiß waren, sagten sie) noch gewisser zu machen. Dw guten Weiber wußten nicht, ob sie ihren Sin­ nen glauben sollten. Aber, wiewohl sie Abderitmnen waren, hatten sie doch Verstand genug, sich auf der Stelle zu fasten, und ihren Männern ein so unzärtliches Mißtrauen, als dasjenige war, desten sie .sich selbst anklagten, nachdrücklich zu verweisen. (Einige trieben die Sache bis zu Thräyen; aber alle hatten Mühe die Freude zu verbergen, die ihnen eine so unverHoffte Bestätigung ihrer Tugend verur­ sachte; und wiewohl sie, der Anständigkeit wegen, aufDemokriten schmählen mußten, so war doch keine, die ihn nicht dafür hätte umarmen mögen, daß er ihnen einen so guten Dienst geleistet hatte. Freilich war dieß nicht, was er gewollt hatte. Aber die Fol­ gen dieses einzigen unschuldigen Scherzes mochten

Erstes Buch. rz. KapNel.

IM

ihn lehren, daß man mit Abderiten nicht behutsam genug scherzen kann. Indessen (wie alle Dinge dieser Welt mehr alS Eine Seite haben) sa fand sich auch, daß aus dem Uebel, welches unser Fitosof den Abderiten wider seine Absicht zugefügt hatte, gleichwohl, mehr GuteS entsprang, als man vermuthlich hatte erwarten kön­ nen, wenn die Froschznngen gewirkt hätten. Die Männer machten die Weiber durch ihre unbegrenzte Sicherheit, und die Weiber die Männer durch ihre Gefälligkeit und gute Laune glücklich. Nirgends in der Welt sah man zufriednere Ehen als in Abdera. Und bei allem dem waren die Stir­ nen der Abderiten so glatt, und — die Ohren und Jungen der Abderitinnen so keusch, als bei andern Leuten.

13. Kapitel. Demokrit soll die Abderitinnen die Sprache der Vögel lehren. Zm Vorbeigehen eine Probe, wie sie ihre Töchter bildeten. Ein andermal geschah es, daß sich unser Filosof an einem schönen Frühlingsabend mit einer Gesellschaft in einem von den Lustgarten befand, womit die Abderitcn die Gegend um ihre Stadt verschönert hatten.

Erstes Buch. rz. KapNel.

IM

ihn lehren, daß man mit Abderiten nicht behutsam genug scherzen kann. Indessen (wie alle Dinge dieser Welt mehr alS Eine Seite haben) sa fand sich auch, daß aus dem Uebel, welches unser Fitosof den Abderiten wider seine Absicht zugefügt hatte, gleichwohl, mehr GuteS entsprang, als man vermuthlich hatte erwarten kön­ nen, wenn die Froschznngen gewirkt hätten. Die Männer machten die Weiber durch ihre unbegrenzte Sicherheit, und die Weiber die Männer durch ihre Gefälligkeit und gute Laune glücklich. Nirgends in der Welt sah man zufriednere Ehen als in Abdera. Und bei allem dem waren die Stir­ nen der Abderiten so glatt, und — die Ohren und Jungen der Abderitinnen so keusch, als bei andern Leuten.

13. Kapitel. Demokrit soll die Abderitinnen die Sprache der Vögel lehren. Zm Vorbeigehen eine Probe, wie sie ihre Töchter bildeten. Ein andermal geschah es, daß sich unser Filosof an einem schönen Frühlingsabend mit einer Gesellschaft in einem von den Lustgarten befand, womit die Abderitcn die Gegend um ihre Stadt verschönert hatten.

12a

D i e

Abderiten.

»Wirklich verschönert?* — Dieß nun eben nicht: denn woher hatten die Abderiten nehmen sollen, daß die Natur schöner als die Kunst, und daß zwischen künsteln und verschönern ein Unterschied ist? — Doch davon soll nun die Rede nicht seyn. Die Gesellschaft lag aus weichen mit Blumen Sestreuten Rasen, unter einer hohen Laube, im Kreise herum. In den Zweigen eines benachbarten Baums sang eine Nachtigall. Eine junge Abderitin

von vierzehn Jahren schien etwas dabei zu empfin­ den, wovon die übrigen nichts empfanden. Demo­ krit bemerkte es. Das Mädchen hatte eine sanfte Geflchtsbildung und Seele in den Augen. Schade für dich, daß du eine Abderjtin bist! dacht' er. WaS sollte dir in Abdera eine empfindsame Seele? Sie würde dich nur unglücklich machen. Doch e- hat keine Gefahr! Was die Erziehung deiner Mutter und Großmutter an dir unverdorben gelassen hat, werden die Söhnchen unsrer Archonten und Rathsherren, und was diese verschonen, wird das Beispiel deiner Freundinnen zu Grunde richten. In weniger alvier Jahren wirst du eine Abderitin seyn wie die andern; und wenn du erst erfährst, daß eine Frosch­ zunge auf demHerzgrübchen nichts zu bedeuten hat— Was denken Sie, schöne Nannion? sagte Demokrit zu dem Mädchen. »Ich denke, daß ich mich dort unter die Baume

Erstes Buch.

iL. Kapitel.

123

setzen möchte, um dieser Nachtigall recht ungestört zuhören zu sonnen.*

Das alberne Ding! sagte die Mutter des Mäd­ chen-. Hast du noch keine Nachtigall gehört? .Nannion hat Recht, sagte die schöne Th ryall iS; ich selbst höre für mein Leben gern den Nach­ tigallen zu. Sie singen mit einem solchen Feuer, und es ist etwas so eigenes in ihren Modulazionen, daß ich schon oft gewünscht habe, zu verstehen Wa­ ste damit sagen wollen. Ich bin gewiß, man würde die schönsten Dinge von der Welt hören. Aber Sie, Demokrit, der alles weiß, sollten Sie nicht auch die Sprache der Nachtigallen verstehen?*

Warum nicht? antwortete der Fitosof mit seinem gewöhnlichen Flegma: und die Sprache aller übrigen

Vögel dazu! »Im Ernste?* Sie wissen ja, daß ich immer im Ernste rede.

»O das ist allerliebst.' Geschwind, übersetzen Sie uns was aus der Sprache der Nachtigallen.' Wie hieß das, was diese dort sang, alsNannion so davon gerührt wurde?" Das laßt sich nicht so leicht inS Griechische über­ setzen als Sie denken, schöne Thryallis. Es giebt keine Redensarten in unsrer Sprache, die dazu zärt­

lich und feurig genug waren.

124

Die Ab d e rite

tt
. BL.

13

146

D i e Abderiten.

teten Eifer der Abderiten für die Frösche wieder ein neues Leben gab? Gleichwohl ist es unmöglich, ihn von diesem selt­ samen Widerspruch zwischen seiner innern Ueberzeugung und seinem äußerlichen Betragen frei zu sprechen und wenn wir nicht bereits von seiner Art zu denken unterrichtet waren, würde das letztere kaum zu er­ klären seyn. Aber wir kennen diesen Priester aleinen ehrsüchtigen Mann. Cr hatte sich wahrend der letzten Unruhen an der Spitze einer mächtigen Partei gesehen, und hatte keine Lust, dieses Vergnügen gegen ein geringere- Aequivalent zu vertauschen, als einen fortdauernden Einfluß auf die ganze wieder beruhigte Republik; eine Sache,'die er nunmehr durch kein gewifferes Mittel erhalten konnte, alS durch eine große Popularität und eine Gefällig­ keit gegen ^ie Dorurtheite des Volks, die ihm um so weniger kostete, da er (wie so viele seines gleichen) die Religion bloß als eine politische Maschine anfah, und im Grunde äußerst gleichgültig darüber war, ob es Frösche oder Eulen oder tzammelsfelle seyen f was ihm die freieste und sicherste Befriedi­ gung seiner Lieblingsleidenschaften gewährte. - Diesem nach also, und um sich auf die wohl­ feilste Art bei dem Volke in Ansehen und Ein­ fluß zu erhalten, verbannte er bald nach Endigung fcefr Schattenkriegs nicht nur die Störche, über welche die Froschpfleger Klage geführt hatten,

Fünftes Buch. i. Kapitel.

X47

au- allen Gerichten und Gebieten des Iasontempels sondern er trieb die Gefälligkeit gegen seine neuen Freunde so.weit, daß er mitten auf einer Esplanade, (die einer seiner Vorfahren zu einem öffentlichen Spazierplatz gewidmet hatte,) einen' Teich graben ließ, und sich zu Besetzung desselben auf eine sehr verbindliche Art einige Fässer mit Froschlerch aus dem geheiligten Teiche von dem Oberpriester Strobylus ausbat; welche ihm denn auch, nach einem der Latona gebrachten feierlichen Opfer, in Begleitung des ganzen Abderitischen Pöbels, mit großem Prunk -ugeführt wurden. Don diesem Tage an war Agathyrsus der Abgott des Volks, und ein Froschgraben, zu rechter Zeit angelegt, verschaffte ihm, was er sonst mit aller Politik, Wohlredenheit und Freigebigkeit nie erlangt haben würde. Er herrschte, ohne die Rathsstube jemals zu betreten, so unumschränkt in Abdera als ein König; und weil er den Rathsherren und Zunft­ meistern alle Wochen zwei - oder dreimal zu essen gab, und ihnen seine Befehle nie anders als in vollen Bechern von Chierwein insinuiere, so hatte niemand etwas gegen einen so liebenswürdigen Tyran­ nen einzuwenden. Die Herren glaubten nichts desto weniger auf dem Rathhause ihre eigne Meinung zu sagen, wenn ihre Vota gleich nur der Wiederhall der Schlüsse waren, welche Tages zuvor im Speise­ saal des Erzpriesters abgefaßt wurden.

148

Die Abderiterr

Agathyrsus war der erste, der sich unter vertraittern Freunden über /einet» neuen Froschgraben lustig machte. Aber das Volk hörte nichts davon. Und da sein Beispiel apf die Edeln von Abdera mehr wirkte als seine Scherze: so halte man den Wetteifer sehen sotten, womit sie, um ebenfalls Proben von ihrer Popularität abzulegen, entweder die vertrockne­ ten Froschgraben in ihren Garten wieder herstellten, oder neue anlegten wo noch feine gewesen waren. .Wie in Abdera alle Thorheiten ansteckend waren, so blieb auch von dieser niemand frei. Anfangs war oö bloße Mode, eine Sache die zum guten Ton gehörte. Ein Bürger von einigem Vermögen würde stchs zur Schande gerechnet haben, hierin hinter seinem vornehmern Nachbar zurück zu bleiben. Aber unvermerkt wurde es ein Erforderniß zu einem guten Bürger; und wer nicht wenigstens eine kleine Frosch­ grube innerhalb seiner vier Pfahle aufweisen konnte, würde für einen Feind Latonens und für einen Derräther am Vaterlande ausgeschrien worden seyn. Bei einem so warmen Eifer der Privatpersonen ist leicht zu erachten, daß der Senat, die Zünfte und übrigen Kollegien nicht die letzten waren, der Latona. gleiche Beweise ihrer Dcvozion zu geben. Jede Zunft ließ sich ihren eignen Freschzwinger graben. Auf jedem öffentlichen Platze der Stadt, ja sogar vor dem Ratddause, (wo die Krauter-und Eierweiber cbnrbtn Harms genug machten,) wurden

große mit Schilf und Rasen eingefaßte Wafferbehätter zu diesem Ende angelegt; und das PolizeyKollegium, welches hauptsächlich die Verschöne­ rung 'der Stadt in seinen Pflichten hatte, kam endlich gar ckuf den Einfall, durch die Spaziergange, womit Abdera rings umgeben war, zu beiden Seiten schmale Kanäle ziehen und mit Fröschen besetzen zu lassen. Das Projekt wurde vor Rath gebracht und ging ohne Widerspruch durch; wiewohl man sich genöthigt sah, um diese Kanäle und die übngen öffentlichen Froschleiche mit dem benöthigten Wasser zu versehen, den Fluß Nestus beinahe gänzlich abgrabrn zu lassen. Weder die Kosten, - die durch alle diese Operazionen der Stadtkasse aufgeladen wurden, noch der vielfältige Nachtheil, der aus dem Abgra­ ben dcS Flusses entstand, wurden in die mindeste Betrachtung gezogen; und als ein junger Rathsherr nur im Vorbeigehn erwähnte, daß der Nestus nahe am Eintrocknen wäre, rief einer von den Frosch­ pflegern: Desto besser! so haben wir einen großen Froschgraben mehr, ohne daß es der Republik einen Heller kostet. Wer sich bei diesem (freilich nur in Abdera mög­ lichen) Enthusiasmus für die Verschönerung der Stadt durch FrosHgräben am besten befand, waren di- Priester deS LatonentempelK Denn, ungeachtet sie den Leich mi5' dem heiligen Teiche sehr wohlfeil, nämlich den Abderitischen

150

D r e

A b d e r i t e rr
. Bd. 15

226

D i e Abderiten

unter der gegenwärtigen Dessammlung, daß man es über drei oder vier Gaffen bis in die Rathsstube hören konnte. Der Priester Stilßon hat einen schlauen Genius, sagte Korax; er hat gerade das unfehlbarste Mittel ergriffen, um nicht widerlegt zu werden. Aber er soll sich doch betrogen finden! Wir wollen ihm zeigen, daß man ein Buch widerlegen kann

ohne es gelesen zu haben.

Wo sotten wir denn abladen? fragten die SackIrager, die schon eine gute Weite mit ihrer Trage

da gestanden hatten, und von allen den scherzhaf­ ten Einfällen der gelehrten Herren nichts verstanden. In meinem Häuschen ist kein Platz für ein so

großes Buch, sagte Korar. Wissen Sie wa-, fiel einer von den jungen Fitoföfen ein: weil das Buch doch geschrieben ist um

nicht gelesen, zu werden, so stiften Sie es aus die Rathsbibliothek. Dort liegt es sicher, und wird unter dem Schutz einer Kruste von fingerdickem Staub ungelesen und wohlbehqlten auf die spate

Rachwelt kommen.

Der Einfall

rst

trefflich,

sagte Korax.

Tute

Freunde, fuhr er fort, sich an die Sackträger wendend,

hier sind zwei Drachmen für eure Mühe; tragt eure Ladung auf die Rathsbibliothek, und bekümmert euch weiter mn nichts; ich nehme die ganze Sache auf

meine Verantwortung.

Fünftes Buch.

9. Kapitel.

»27

Stilbon, dem da- Schicksal eine- Buches, das ihm so viele Zeit und Mühe gekostet hatte, nicht lange verborgen bleiben konnte, wußte vor Erstaunen und Ingrimm weder,was er denken^noch thun sollte. Große Latona, rief er einmal übers andre arrS, in waö für Zeiten leben wir! Was ist mit Leuten anzu­ fangen,'die nicht hören wollen! — Aber sey es

darum! Ich habe das Meinige gethan. Wollen fie nicht hören ,, so mögen stes bleiben lassew! Ich setze keine Feder mehr an, rühre keinen Finger mehr für ein so undankbares, diges Volk.

ungeschliffnes und unverstän­

Go dachta er im ersten Unmuth: aber der gute Priester betrog fich selbst durch diese anscheinende Gelassenheit. Seine Eigenliebe war zu sehr beleidigt nm so ruhig zu bleiben. Je mehr er der Sache

nachdachte, (und er konnte die ganze Rächte an nichts andres denken,) je starker fühlte er sich überzeugt, daß es ihm nicht erlaubt sey, bei einer sa lauten Aufforderung für die gute Sache still zu sitzen. Der Nomofylar und die übrigen Feinde des ArchonS Onokradias ermangelten nicht, feinen Eifer durch ihre Aufhetzungen vollends zu entflammen. Man hielt fast täglich Zusammenkünfte, um sich über die Maßregeln zu berathschlagen, welche man zu nehmen hatte, um dem einreißenden Stroin der Un­ ordnung und Ruchlosigkeit (wie es Stilbon nannte) Einhalt zu thun.

228

Die

AbderLten.

Mer die Zeiten hatten fich wirklich sehr geändert. Stilbon war kein Strobytus. Das Volk kannte ihn wenig, und er hatte keine von den Gaben,

wodurch fich sein besagter Vorgänger mit unendliche Mal weniger Gelehrsamkeit so wichtig in Abdera gemacht hatte. Beinahe alle jungen Leute beiderlei Geschlecht- waren von den Grundsätzen des Filosofen Korax angesteckt. Der größere Theil der Rathsherren und angesehenen Bürger neigte fich ohne Grundsätze auf die Seite, wo es am meisten zu lachen gab. Und sogar unter dem gemei­ nen Volke hatten d.ieGassen lieber, womit einige Dersifere von Koraxens Anhang die Stadt anfüllten, so gute Wirkung gethan, daß man sich vor der Hand wenig Hoffnung machen konnte, den Pöbel so. leicht als ehmals in Aufruhr zu setzen. Aber, was noch da- allerschlimmste war, man hatte Ursache zu glauben, es gebe unter den Priestern selbst einen und den andern, der ingeheim mit den Gegenfröschlern in Verbindung stehe. Ls war in der That mehr als bloßer Argwohn, daß der Priester Pamfagus mit einem Anschlag schwanger gehe, sich die gegenwärtigen Umstände zu Nutze zu machen, und den ehrlichen Stilbon von einer Stelle zu verdrängen, welcher er, (wie PamfaguS unter der Hand zu verstehen gab,) wegen seiner gänzlichen Unerfahrenheit in Geschäften in einer so bedenklichen Krisis auf keine Weise gewachsen sey.

Fünftes Buch. 9. Kapitel.

229

Bei allere dem machten gleichwohl die Batrachosebisten eine ansehnliche Partei aus, und Hypfiboas hatte Geschicklichkeit genug, sie immer in einer Bewegung zu erhalten, welche mehr als Einmal gefährliche Ausbrüche hatte nehmen können, wenn die Gegenpartei, — zufrieden mit ihren er­ haltenen Siegen, und ungeneigt daS Uebergewicht, in dessen Besitz sie war, in Gefahr zu setzen, — nicht so unthätig geblieben, und alles, was zu ungewöhnlichen Bewegungen Anlaß geben könnte, sorgfältig vermieden hatte. Denn, wiewohl sie sich des Namens der Batrachofagen eben nicht zu weigern schienen, und die Frösche der Latona den gewöhnlichen Stoff zu lustigen Einfällen in ihren Gesellschaften hergaben: so ließen sie es doch, nach achter Abderitischer Weise, dabei bewenden, und die Frösche blieben, trotz dem Gutachten der Akademie und den Scherzen des Filosofen Korax, noch immer ungestört und ungegessen im Besitz der Stadt und Landschaft Abdera.

LZ0

DLeALderiten«

io. Kapitel. Seltsame Entwickelung dieses > ganzen tragikomische« Poffenspiels.

Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die Frösche der Latona dieser Sicherheit noch lange genoffen haben, wenn nicht zufälliger Weise im nächsten Sommer eine unendliche Menge Mause und Ratten von alten Farben auf einmal die Felder der unglücklichen Republik überschwemmt, und dadurch die ganz un­ schuldige und ungefähre Weiffagung des ArchonOnokradias unvermuthet in Erfüllung gebracht hatte.

Don Fröschen und Mausen zugleich aufgefreffen zu werden, war für die armen Abderiten zu viel auf einmal. Die Sache wurde ernsthaft. Die Gegenfröschler drangen nun ohne weiterauf die Nothwendigkeit, den Vorschlag der Akademie unverzüglich ins Werk zu setzeru Die Batrachosebisten schrieen, die gelben, grünen", blauen, rothen, und flohfarbnen Mause, die in wenig Tagen die graulichste Verwüstung auf den Abderitischen Feldern angerichtet hatten, seyen

FünfteS Buch.

io. Kapitel,

eine sichtbare Strafe der Gottlosigkeit der Datrachosagen, und augenscheinlich von Latonen un­ mittelbar abgeschickt, die Stadt, die sich des Schutzes der Göttin unwürdig gemacht habe, gänzlich zu verderben.

Vergebens bewies die Akademie, daß gelbe, grüne und flohfarbne Mause darum nicht mehr Mäuse seyen als andre: daß e- mit diesen Mausen md Ratten ganz natürlich zugehe; daß man in den Jahrbüchern aller Völker ähnliche Beispiele finde; irib daß es nunmehr, da besagte Mäuse entschlossen schienen, den Abderiten ohnehin nicht- andres zu essea übrig zu lassen, um so nöthiger sey, sich des Schodens, welchen beiderlei gemeine Feinde der Republik verursachten, wenigsten- an der eßbaren Halftr derselben, nämlich ax den Fröschen, zu

erhole?. Vergebens schlug sich der Priester Pamfaguins Mittel, indem er den Vorschlag that, die Frösche künftig zu ordentlichen Opferthieren zu machen, und, nachdem der Kopf und die Eingeweide der Göttin geopfert worden, die Keulen als Opfer­ fleisch zu ihren Ehren zu verzehren. Das Volk, bestürzt über eine Landplage, die es sich nicht anders als unter dem Bilde eines Straf­ gerichts der erzürnten Äötter denken konnte, und

von den Häuptern der Froschpartei empört,

lief in

2Z2

Die Abderiten.

Rotten vor das Rathhaus, und drohte, kein Gebein von den Herren übrig zu lasten, wenn sie nicht auf der Stelle ein Mittel fanden, die Stadt vom Ver­ derben zu erretten.

Guter Rath war noch nie so theuer auf dem Rathhause zu Abdera gewesen,als jetzt. Die Raths­ herren schwitzten Angstschweiß. Sie schlugen vor ihre Stirne; aber es hallte hohl zurück. Je mehr sie sich besannen, je weniger konnten sie finden,was zu thun wäre. Das Volk wollte sich nicht abweiser lasten, und schwor, Frösch lern und Gegerfr ö sch lern die Halse zu brechen, wenn sie nvpt Rath schafften.

Endlich fuhr der Archon Onokradias auf ein­ mal wie begeistert von seinem Stuhl auf. — Folgen Sie mir, sagte er zu den Rathsherren, und ging mit großen Schritten auf die marmorne Tribüne hinaus, die zu öffentlichen Anreden an das Volk bestimmt war. Seine Augen funkelten von einem ungewöhnlichen Glanz; er schien eines Hauptes langer als sonst, und seine ganze Gestalt hatte etwas majestätischer^ als man jemals an einem Abderiten gesehen hatte. Die Rathsherren folgten ihm still­ schweigend und erwartungsvoll. »Höret mich, ihr Manner von Abdera, sagte O n o kra d La s mit einer Stimme, die nicht die seinige war: Jason, mein großer Stammvater.

Fünftes Buch. io. Kapitel.

233

ist vom Sitz der Götter herab gestiegen , und giebt mir in diesem Augenblicke das Mittel ein, wodurch wir uns alle retten können.- Gehet, jeder nach seinem Hause, packet alle eure Gerathschaften und Habseligkeiten zusammen, und morgen bei Sonnen­ aufgang stellet euch mit Weibern und Kindern, Pferden und Eseln, Rindern und Schafen, kurz mit Sack und Pack vor dem Jasontempel ein. Von da wollen wir, mit dem g o ld nen V lie se an unsrer Spitze, ausziehen, diesen von den Göttern verach­ teten Mauern den Rücken wenden, und in den weiten Ebnen des fruchtbaren Macedoniens einen andern Wohnort suchen, bis der Jörn der Götter sich gelegt haben, und uns oder unsern Kindern wieder vergönnt seyn wird, unter glücklichen Vorbedeutungen in das schöne Abdera zurück zu kehren. Die verderblichen Mause, wenn sie nichts mehr zu zehren finden, werden sich unter einander selbst auffressen, und was die Frösche betrifft, — denen mag Latona gnädig seyn! - Geht, meine Kinder, und macht euch fertig! Morgen, mit Aufgang der Sonne, werden alle unsre Drangsale ein Ende haben.« Das ganze Volk jauchzte dem begeisterten Archon Beifall zu, und in einem Augenblick athmete wieder nur Eine Seele in allen Abderiten. Ihre leicht bewegliche Einbildungskraft stand auf einmal in voller Flamme. Neue Aussichten, neue Scenen von Glück und Freuden tanzten vor ihrer Stirne. Die

234

D L - Abderiten.

weiten Ebnen des glücklichen Mazedoniens lagen wie fruchtbare Paradiese vor ihren Augen ausgebreitet.. Sie athmeten schon die mildern Lüfte, und sehnten sich mit unbeschreiblicher Ungeduld aus dem dicken froschsumpfigen Dunstkreise ihrer ekelhaften Vater­ stadt heraus. Alles eilte, sich zu einem Auszug zu rüsten, von welchem wenige Augenblicke zuvor kein Mensch sich hatte träumen lassen. Am folgenden Morgen war das ganze Volk von Abdera reisefertig. Alles, was sie von ihren Hab­ seligkeiten nicht mitnehmen konnten, ließen sie ohne Bedauern in ihren Hausern zurück; so ungeduldig waren sie, an einen Ort zu ziehen, wo sie weder von Fröschen, noch Mausen mehr geplagt werden würden. Am vierten Morgen ihrer Auswanderung begeg­ nete ihnen der König Kassander. Man hörte das Getöse ihres Zugs von weitem, und der Staub, den sie erregten, verfinsterte das Tageslicht. Kas­ sander befahl den ©einigen Halt zu machen, und schickte jemand aus, sich zu erkundigen,was es wäre.

Gnädigster Herr, sagte der zurück kommende Abgeschickte, es sind die Abderiten, die vor Fröschen und Mäusen nicht mehr in Abdera zu bleiben wußten, und einen andern Wohnplatz suchen. Wenns dieß ist, so sinds gewiß die Abderiten, sagte Kassander.

Fünftes Buch.

ic. Kapitel.

235

Indem erschien Onokradias an der Spitze einer Deputazion von Rathsmännern und Bürgern, dem König ihr Anliegen vorzutragen.

Die Sache kam Kassandern und seinen Höflingen so lustig vor, daß sie sich, mit aller ihrer Höflichkeit, nicht enthalten konnten, den Abderiten laut ins Gesicht zu lachen; und die Abderiten, wie sie den ganzen Hof lachen sahen, hielten es für ihre SchuldigkeLt,mit zu lachen, Kassander versprach ihnen seinen Schutz, und wies ihnen einen Ort an den Grenzen von Maze­ donien an, wo sie sich so lange aufhalten könnten, bis sie Mittel gefunden haben würden, mit den Fröschen und Mausen ihres Vaterlandes einen billi­ gen Vergleich zu treffen. Von dieser Zeit an weiß man wenig mehr alnichts von den Abderiten und ihren Begeben­ heiten. Doch ist so viel gewiß, daß sie einige Jahre nach dieser seltsamen Auswanderung, (deren historische Gewißheit durch das Zeugniß des von Iustinus in einen Auszug gebrachten Geschicht­ schreibers Trogus Pom pejus B. 15. K. 2. außer allem Zweifel gesetzt wird,) wieder nach Abdera zurück zogen. Allem Vermuthen nach müssen sie die Ratten in ihren Köpfen, die sonst immer mehr Spuk darin gemacht hatten, als alle Ratten und Frösche in ihrer Stadt und Landschaft, in

236

D i e Abderiten.

Mazedonien zurück gelassen haben. Denn von dieser Epoche an sagt die Geschichte weiter nichts von ihnen, als daß sie, unter dem Schutze der Mazedonischen Könige und der Römer, verschiedene Jahrhunderte durch ein stilles und geruhiges Leben geführt, und, da sie weder witziger noch dümmer gewesenes andre Munizipalen ihres gleichen, den Geschichtschreibern keine Gelegenheit gegeben, weder Böses noch Gutes von ihnen zu sagen. Um übrigens unsern geneigten Lesern eine volltommne Probe unsrer Aufrichtigkeit zu geben, wollen wir ihnen unverhalten lassen, daß — wofern der altere Plinius und sein ausgestellter Gewährs­ mann Varro hierin Glauben verdienten — Abdera nicht die einzige Stadt in der Welt gewesen wäre, die von so unansehnlichen Feinden, als Frösche und Mause sind, ihren natürlichen Einwohnern ab­ gejagt wurden. Denn Varro soll nicht nur einer Stadt in Spanien erwähnen, die von Kanin­ chen, und einer andern, die von Maulwürfen zerstört worden, sondern auch einer Stadt in Gal­ lien, deren Einwohner, wie die Abderiten, den Fröschen hätten weichen müssen. Allein, da Pli­ nius weder die Stadt, welcher dieß Unglück be­ gegnet seyn soll, mit Namen nennt, noch aus­ drücklich sagt, aus welchem von den unzähligen Werken des gelehrten Varro er diese Anekdote genommen Haber so glauben wir der Ehrerbietung,

Fünftes Buch. io. Kapitel.

237

die man diesem großen Manne schuldig ist, nicht zu nahe zu treten, wenn wir vermuthen, daß sein Gedächtniß (auf dessen Treue er sich nicht selten zu viel verließ) ihm für Thrazien Gallien unterge­ schoben habe; und daß die Stadt, von welcher beim Varro die Rede war, keine andre gewesen als unser Abdera selbst. Und hiemit sey denn der Gipfel auf das Denk­ mahl gesetzt, welches wir dieser einst so berühmten und nun schon so viele.Jahrhunderte lang wieder vergeßnen Republik zu errichten .ohne Zweifel von einem für ihren Ruhm sorgenden Dämon angetrieben worden; nicht ohne Hoffnung, daß er, ungeachtet es aus so leichten Materialien, als die seltsamen Launen und jovialischen Narrheiten der Abderiten, zusammen gesetzt ist, so lange dauern werde, bis unsre Nazion den glücklichen Zeitpunkt erreicht haben wird, wo diese Geschichte niemand mehr angehen, niemand mehr unterhalten, niemand mehr verdrieß­ lich und niemand mehr aufgeräumt machen wird; mit Einem Worte, wo die Abderiten niemand mehr ähnlich sehen, und also ihre Begebenheiten eben so unverständlich seyn werden, als unS Geschich­ ten aus einem andern Planeten seyn würden; ein Zeitpunkt, der nicht mehr weit entfernt seyn kann, wenn die Knaben der ersten Generazion des neun­ zehnten Jahrhundert- nur um eben so viel weiser seyn werden, als die Knaben im letzten Viertel

138

Die Abderiten.

deS achtzehnten sich weiser als die Manner de- vorher gehenden dünken, — oder wenn alle die Erzie­ hungsbücher, womit wir seit zwanzig Jahren so reichlich beschenkt worden sind, und täglich noch be­ schenkt werden, nur den zwanzigsten Theil der herr­ lichen Wirkungen thun, die uns die wohlmeinenden Verfasser hoffen lassen.

Der

Schlüsse

zur Ab derltengeschtchte.

2(U

die

Homerischen

Gedichte

unter den

Griechen bekannt worden waren, hatte das Volk, — das in vielen Dingen mit seinem schlichten Menschen­ verstände richtiger zu sehen pflegt als die Herren mit bewaffneten Augen,— gerade Verstand genug, um zu sehen, daß in diesen groben heroischen Fa­ beln, ungeachtet des Wunderbaren, Abenteuerlichen und Unglaublichen, womit fle reichlich durchwebt sind, mehr Weisheit und Unterricht fürs praktische Leben liege, als in allen Milesischen Ammenmährchen; und wir sehen aus HorazenS Brief an Lollius, und aus dem Gebrauch, welchen Plutarch vpn jenen Gedichten macht und zu machen lehrt, daß noch viele Jahrhunderte nach Homer die verständigsten Wett­ leute unter Griechen und Römern der Meinung waren, daß man, was recht und nützlich, was un­ recht und schädlich sey, und wie viel ein Mann durch Tugend und Weisheit vermöge, so gut und «och bester aus Homers Fabeln lernen könne, als aus den subtilsten und beredtesten Sittentehrern. Man über­

ließ es alten Kindsköpfen,

WlelandS W. 20. Pd.

(denn die jungen 16

*4*

Der

Schlüssel,

belehrte man Lines bessern,) an dem bloßen mate­ riellen Theil der Dichtung kleben zu bleiben; ver­ ständige Leute fühlten und erkannten den Geist,

der in diesem Leibe webte, und ließen sichs nicht einfallen, scheiden zu wollen, was die Muse un­ trennbar zusammen gefügt hatte, das Wahre unter der Hülle des Wunderbaren, und da- Nütz­ liche, durch eine Mischungskunst,, die nicht allen

geoffenbart ist, vereinbart mit dem Schönen und Angenehmen. Wie e- bei allen menschlichen Dingen geht, so ging es auch hier. Nicht zufrieden, in Homers Ge­ dichten warnende oder aufmunternde Beispiele, einen lehrreichen Spiegel des menschlichen Lebens in seinen mancherlei Standen, Verhältnissen und Scenen zu finden, wollten die Gelehrten späte­ rer Zeiten noch tiefer eindringen, noch mehr sehen als ihre Vorfahren; und so entdeckte man, (denn waS entdeckt man nicht, wenn man sichs ein­ mal in den Kopf gesetzt hat etwas zu entdecken?) in dem, waS-nur Beispiel war, Allegorie, in aüem, sogar in den bloßen Maschinen und Dekorazivnen des poetischen Schauplatzes, einen mysti­ schen Sinn, und zuletzt in jeder Person, jeder Begebenheit, jedem Gemälde, jeder kleinen Fabel, Gott weiß waS für Geheimnisse von Herme­ tischer, Orsi sch er und Magischer Filosofie, an die der gute Dichter gewiß so wenig gedacht hatte,

zur Abderitengeschich te.

243

als Virgil, daß man zwölf hundert Jahre nach seinem Tode mit seinen Versen die bösen Geister be­ schwören würde. Jmmittelst wurde es unvermerkt zu ein?m wesent­ lichen Erforderniß eines epischen Gedichts, (wie man die größer« und heroischen poetischen Fabeln zu nennen pflegt,) daß es außer dem natürlichen Sinn und der Moral- die es beim ersten Anblick darbot/ noch einen andern geheimen und alle­ gorischen haben muffe. Wenigstens gewann diese Grille bei den Jtalianern und Spaniern die Oberhand; und es ist mehr als lächerlich, zu sehen, was für eine undankbare Mühe fich die Ausleger oder auch wohl die Dichter selbst geben, um aus einem Amadis und Orlando, auS Trisflns befrei­ tem Italien oder KamoenS Lusi^rde, ja sogar aus dem Adone des Marino, alle Arten metafyfischer, politischer, moralischer, fyfischer und theolo­ gischer Allegorien heraus zu spinnen. Da eS nun nicht die Sache der Leser war, in diese Geheimnisse auS eigner Kraft einzudringen: so mußte man ihnen, wenn fle so herrlicher Schatze nicht verlustig werden sollten, nothwendig einen Schlüssel dazu geben; und dieser war eben die Erpofizion des allegorischen oder mystischen Sinnes; wiewohl der Dichter gewöhnlicher Weise erst wenn er mit dem ganzen Werke fertig war, daran dachte, waS für versteckte Aehnlichkeiten und Beziehungen

244

Der

Schlüssel

fich etwa aus seinen Dichtungen heraus künsteln las­ sen könnten. Was bei vielen Dichtern bloße Gefälligkeit gegen eine herrschende.Mode war, über welche sie sich nicht hinweg zu setzen wagten, wurde für andre wirklicher Zweck und Hauptwerk. Der berühmte Zodiacu8 vitae des so genannten Palingenius, die Ar^enisdes Barkley, Spencers Feenkö­ nigin, die neue Atlantis der Dame Manley, tu Ma labarischen Prinzessinnen , das Mahrchen van der Tonne, die Geschichte von Johann Bull, und eine Menge-andrer Werke dieser Art, woran besonders das sechzehnte und siebzeünle Jahrhundert fruchtbar gewesen ist, waren ihrer Natur und Absicht nach allegorisch, und konnten also ohne Schlussel nicht verstanden werden; wiewohl einige -derselben, B. SpencerFeenkönigin und die allegorischen Satiren des O. Swift, so beschaffen sind, daß eine jede verstän­ dige und der Sachen kundige Person den Schlüssel dazu ohne fremde Beihülfe in ihrem eignen Kopfe finden kann. Diese kurze Dedukzion-wird mehr als hinlänglich seyn, um denen, die noch nie daran gedacht haben, begreiflich zu machen, wie es zugegangen sey, daß sich unvermerkt eine Art von gemeinem Dorurtheil und wahrscheinlicher Meinung in den meisten Köpfen festgesetzt hat, als ob ein jedes Buch, das einem

zur Ab'deritengeschich te.

245

satirischen Roman ähnlich fleht, mit-einem ver­ steckten Sinn begabt fei;z und alsd einen Schlüs­ sel nöthig habe. Daher hat denn auch der Herausgeber der gegen­ wärtigen Geschichte, wie er gewahr wurde, daß die meisten Unter der großen Menge von Lesern, welche sein Werk zu finden die Ehre gehabt hat, sich'fest überzeugt' hielten, daß noch etwas mehr dahinter stecken müsse, als was die Worte beim ersten Anblick zu besagen scheinen, und also einen Schlüssel zu der Abderitengeschichte, als ein unentbehrliches Be> dürfniß zu vollkommner Verständniß dcS Buches, zu erhalten wünschten, sich dieses ihm häufig zu Ohren kommende Verlangen seiner Leser keineswegs befrem­ den lassen; sondern er hat es im Gegentheil für-eine Aufmerksamkeit, die er ihnen schuldig sey, gehalten, demselben, so viel an ihm lag, ein Genüge zu thun, und ihnen, als einen Schlüssel, oder statt des verlangten Schlüssels, (welches im Grunde auf Eins hinaus lauft,) alles.mitzuiheilen, was zu gründlicher Verständniß und nützlichem Gebrauch die­ ses zum Vergnügen aller Klugen und zur Lehre und Züchtigung aller Narren geschriebenen Werkes dienlich seyn kann.

Zu diesem Ende findet er nöthig, ihnen vor allen Dingen die Geschichte der Entstehung desselben, un­ verfälscht und mit den eignen Worten des Verfassers

246

Der Schl ü f s e (

(eines zwar wenig gekannten) aber seit dem Jahr 1753 sehr stark gelesenen Schriftstellers,) mitzutheilen. »Ts war (so lautet sein Bericht) -7- es war ein schöner Herbstabend im Jahr 177*; ich befand mich allein in dem obern Stockwerk meiner Wohnung und sah — warum sollt' ich mich schämen zu bekennen, wenn mir etwas menschliches begegnet?) vor lan­ ger Weile zum Fenster hinaus; denn schon seit vielen Wochen hatte mich mein Genius gänzlich ver­ kästen. Ich konnte weder denken noch lesen. Alles Feuer meines Geistes schien erloschen, alle meine Laune, gleich einem flüchtigen Salze, verduftet zu seyn. Ich war oder fühlte mich wenigstens dumm, aber ach! ohne an den Seligkeiten der Du mmheit Theil zu haben, ohne einen einzigen Gran von dieser stolzen Zufriedenheit mit fich selbst, dieser un­ erschütterlichen "Ueberzeugung, welche gewisse Leute verfichert, daß alles, was sie denken, sagen, träumen und im Schlaf reden, wahr, witzig, weise, ünd in Marmor gegraben zu werden würdig-sey, — einer Ueherzeugung, die den ächten Sohn der großen Götttn, wie ein Muttermahl, kennbar und zum glück­ lichsten aller Menschen macht. Kurz, ich fühlte meinen Zustand, und er lag schwer auf mir; ich schüttelte mich vergebens; und es war (wie gesagt) so weit mit mir gekommen, daß ich durch ein ziem­ lich unbequemes kleines Fenster in die Welt hinaus guckte, ohne zu wissen, was ich sah, oder etwas

zur Abderitengeschichte.

247

zu sehen, das deS Mistens oder Sehens werth gewe­ sen wäre. »Auf einmal war mir, als höre ich eine Stim­ me, — ob eS Wahrheit oder Täuschung war, will ich nicht entscheiden/— die mir zurief: Setze dich und schreibedie Geschichte derAbderiten! „Unb plötzlich-ward es Licht in meinem Kopfe.— Ja, ja, dacht' ich, die Abderiten! WaS kann na­ türlicher seyn? Die Geschichte der Abderiten will ich schreiben! Wie war es doch möglich, daß mir ein so fimpler Einfall nicht schon längst gekommen ist? Und nun setzte ich mich auf der Stelle hin, und schrieb,

und schlug nach, und kompilirte, und ordnete zusammen, und schrieb wieder; und es war eine Lust zu sehen, wie flink mir das Werk von den Händen ging. »Indem ich nun so im besten Schreiben war, (fahrt unser Verfasser in seiner treuherzigen Beichte fort,) kam mir in einem Caprjccio, oder Laune, oder wie mans sonst nennen will, der Einfall, meiner Fantafie den Iüget schießen zu lasten, und die Sachen so weit zu treiben als sie gehen könnten. Es betrifft ja nur die Abderiten, dacht' ich, und an den Abde­ riten kann man'sich nicht versündigen: sie sind ja doch am Ende weiter nichts als ein Pack Narren; bie Albernheiten, die ihnen die Geschichte zur Last kegt, sind groß genug, um das Ungereimteste, was du ihnen andichten kannst, zu rechtfertigen. »Ich gesteh' es also Unverholen, — und Wenns

248

Der Schlüssel

unrecht war, so verzeihe mirs der Himmel! —ich strengte alle Strange meiner Erfindungskraft bis zum Reißen an, um die Ab de rite n so narrisch denken, reden und flch betragen zu lassen, als es nur mög­ lich wLre. Es ist ja schon über zwei tausend Jahre, daß sie allesamt todt und begraben find, sagte ich zu mir selbst; es kann weder rhnen noch ihrer Nachkom­ menschaft schaden, denn auch von dieser ist so lange kein Gebein mehr übrig. »Zu diesem allem kam noch eine andre Vorstel­ lung, die mich durch einen gewissen Schein von Gutherzigkeit einnahm. Je narrischer ich sie mache, dacht' ich, je weniger habe ich zu besorgen, daß man die Abderiten für eine Satire halten, und Anwendungen davon auf Leute machen wird, die ich doch wohl nicht gemeint haben kann, da mir ihr Daseyn nicht einmal bekannt ist. — Aber ich irrte mich sehr, indem ich so schloß. Der Erfolg bewies, daß ich unschuldiger Weise Abbildungen gemacht hatte, da ich nur Fantasien zu malen glaubte." Man muß gestehen, dieß war einer der schlimmsten Streiche, die einem Autor begegnen können, der keine Listen seinem Herzen hat, und, ohne irgend eine Seele ärgern oder betrüben zu wollen, bloß fich selbst und seinem Nebenmenschen die lange Weile zu vertreiben sucht. Gleichwohl war dieß, wa6 dem Verfasser der Abderiten schon mit den ersten Kapiteln seines Werkteins begegnete» Es ist vielleicht kerne-

zur Abderitengeschichte.

249

Stadt in Deutschland, und so weit die natürlichen Grenzen der Teutschen Sprache gehen, (welches, im Vorbeigeben gesagt, eine größere Strecke Landes ist, als irgend eine andre Europäische Sprache inne zu haben sich rühmen kann,) wo die Abderiten nicht Le­ ser gefunden haben sollten; und wo man sie las, da wollte man die Originale zu den darin vorkom­ menden Bilder» gesehen haben. »In tausend Orten, (sagt der Derfaffcr) wo ich weder selbst jemals gewesen bin noch die mindeste Bekanntschaft habe, wunderte man sich, woher ich die Abderiten, Abderitinnen und Abderismen dieser Orte und Enden so genau kenne; und man glaubte, ßch müßte schlechterdings einen geheimen Briefwechsel oder einen kleinen Kadinetsteufel haben, der mir Anekdoten zutrüge, die ich mit rechten Din­ gen nicht hatte erfahren können. Nun wußte ich (fuhr er fort) nichts gewisser, als daß ich weder diesen noch jenen hatte: folglich war klar wie Tages­ licht, daß das alte Völkchen der Abderiten nicht so gänzlich ausgestorben war, als ich mir eingebildet hatte." Diese Entdeckung veranlaßte den Autor, Nachfor­ schungen anzustellen, welche er für unnöthig gehal­ ten , so lang' er bei Verfassung seines Werkes mehr seine ergne Fantasie und Laune als Geschichte und Urkunden zu Rathe gezogen hatte. Er durchstöberte manche große und kleine Bücher ohne sonderlichen

250

D e r

Schlüssel

Erfolg, bi- er endlich in der sechsten Dekade des berühmten Hafen Stawken bergin- S. 864* folgende Stelle fand, die ihm einigen Aufschluß über diese unerwarteten Ereigniffe zu geben schien. »Die gute Stadt Addern in Thrazien (sagt Slawkenbergius am angeführten Orte) ehmals eine große, volkreiche, blühende Handelsstadt, das Thrazische Athen, die Vaterstadt eines Protagoras und Demokritus, daß Paradies der Narren und der Frösche, diese gute schönt Stadt Abdera —- ist nicht mehr. Vergebens suchen wir sie in den Landkarten und Beschreibungen des heutigen Thraziens; sogar der Ort, wo fie ehmals gestanden, ist unbekannt, dder kann wenigstens nur durch Muthmaßungen an­ gegeben werden. »Aber nicht so die A b deriten! Diese leben und weben noch immerfort, wiewohl ihr ursprünglicher Wohnsitz langst von der Erde verschwunden ist. Sie sind ein unzerstörbares^ unsterbliches Völk­ chen^ ohne irgendwo einen festen Sitz zu haben, fin­

det man fie allenthalben; und wiewohl fieunter allen Völkern zerstreut leben, haben fie fich doch bis auf kiesen Tag rem und unvermischt erhalten, und bleiben ihrer alten Art und Weise einen Abderitett, »yo man ihn einen Augenblick zu sehen und zu eben so gewiß zu sehen und ein Abderit ist, als nran es

so getreu, daß man auch antriffi, nur hören braucht, um zu hören daß er zu Frankfurt und

- ur Abderitenge^chichte.

asi

Leipzig, Konstantinopel und Aleppo einem Juden anmerkt, daß er ein Jude ist. »Das Sonderbarste aber, und ein Umstand, worin fie sich von den Israeliten, Beduinen, Armeniern und allen andern unvermischten Völkern wesentlich unterscheiden, ist dieses: daß sie sich ohne min­ deste Gefahr ihrer Abderitheit mit allen übrigen Erdbewohnern vermischen, und, wiewohl sie allenthalben die. Sprache des Landes, wo fie woh­ nen, reden, Staats Verfassung, Religion, Gebrauche mit den Nichtab d.eriten gemein haben, auch essen und trinken, handeln und wandeln, sich kleiden und putzen, sich frisiren und parfümiren, purgiren und klysterisiren lassen, kurz, alles was zur Nolhdurft des menschlichen Lebens gehört ungefähr eben so ma­ chen — wie andre Leute; daß sie, sage, ich, nichts desto weniger in allem, was sie -u Abderiten macht, sich selbst so unv er ä nderti ch g leich bleiben, als ob sie von jeher durch eine diamantne Mauer, dreimal 'so hoch und dick als die Mauern des alten Babylon, von den vernünftigen Geschöpfen auf unserm Planeten abgesondert gewesen wären. Alle andre Manschen - Raffen verändern sich durch Verpflanzung, und zwei verschiedne bringen durch Vermischung eine dritte hervor. Aber an den Abderiten, wohin sie auch verpflanzt wurden und so viel sie sich auch mit andern Völkern vermischt haben, hat man nie die geringste wesentliche Veränderung

252

Der

wahrnehmen

können.

Schlüssel

Sie sind allenthalben immer

noch die nämlichen Narren, die sie vor zwei tausend Jahren zu Abdera waren, und wiewohl man schyn langst nicht mehr sagen kann, siehe, hier ist Abdera oder da ist Abdera; so ist doch in Europa, Asia, Afrika, und Amerika, so weit diese großen Erdviertel polizirt find, keine Stadt, kein Markt­ flecken, Dorf noch Dörfchen, wo nicht einige Glieder dieser unsichtbaren Genossenschaft anzu­ treffen seyn sollten." — Soweit besagter Hafen Slawkenbergius. »Nachdem ich diese Stelle gelesen hatte, fahrt unser Derfaffer fort, hatte ich nun auf einmal den Schlüssel zu den vorbesagten Erfahrungen, die mir ersten Anblicks so unerklärbar vorgekommen wa­ ren; und so wie der Slawtenbergische Be­ richt das, was mir mit den Abderiten begegnet war, begreiflich machte, so bestätigte dieses hinwieder die Glaubwürdigkeit von jenem. Die Abderiten hat­ ten also einen Samen hinterlassen, der in allen Lan­ den aufgegangen war, und sich in eine sehr zahl­ reiche Nachkommenschaft auSgebreitet hatte: und da man beinahe allenthalben die Charaktere und Bege­

benheiten der alten Abderiten für Abbildungen und Anekdoten der neuen ansah; so erwies sich dadurch auch die seltsame Eigenschaft der Einförmigkeit und Unveranderlichkeit, welche dieses Volk, nach dem angeführten Zeugnisse, von andern Völkern

zur Abderitengeschichte.

253

des festen Landes und der Inseln des Meere- unter­ scheidet. »Die Nachrichten, die mir hierüber von asten Orten zukamen, gereichten mir aus einem doppelten Grunde zu großem Trost: erstens, weil ich mich nun auf einmal von allem innerlichen Vorwurf, den Abderiten vielleicht zu viel gethan zu haben, er­ leichtert fand; und zweitens, weil ich vernahm, daß mein Werk überall (auch von den Abderiten selbst) mit Vergnügen gelesen und besonders die treffende Aehnlichkeit zwischen den alten^und neuen bewundert werde, welche den letzter», als ein augen­ scheinlicher Beweis der Aechtheit ihrer Abstammung, allerdings sehr schmeichelhaft seyn mußte. Die We­ nigen, welche sich beschwert haben sollen, daß man sie zu' ähnlich geschildert habe, kommen in der That gegen die Mettge derer, die zufrieden sind, in keine Betrachtung; und auch diese Wenigen thaten viel­ leicht bester, wenn sie die Sache anders nahmen. Denn da sie, wie es scheint, nicht gern für das an­ gesehen seyn wollen »oas sie sind, und sich deßwegen in die Haut irgend eines edlern Thieres gesteckt haben: so erfordert die Klugheit, daß sie ihre Ohren nicht selbst hervor strecken, um eine Aufmerksamkeit auf sich zu erregen, die nicht zu ihrem Vortheil aus­ fallen kann. »Auf der anhern Seite aber ließ ich mir auch den Umstand, daß ich die Geschichte der alten Abderiten

254

Der

Schlüssel

gleichsam unter den Augen der neuern schrieb, zu einem Beweggründe dienen, meine Einbildungs­ kraft, die ich Anfangs bloß ihrer Willkühr überlassen hatte, kürzer im Zügel zu halten, mich vor allen Karikaturen sorgfältig zu hüten, und den Abderiten, in allem, was ich von ihnen erzählte, die strengste Gerechtigkeit widerfahren zu taffen. Denn ich sah mich nun als den Geschichtschreiber der Alterthü­ mer einer noch fortblühenden Familie an, welche berechtigt wäre, es übel zu vermerken, wenn man ihren Vorfahren irgend etwas ohne Grund und gegen die Wahrheit aufbürdete." Die Geschichte der Abderiten kann also mit gutem Fug als eine der wahresten und zuverläßigsten, und eben darum als ein getreuer Spiegel betrachtet wer­ den, worin die neuern ihr Antlitz beschauen, und,, wenn sie nur ehrlich gegen sich selber seyn wollen, genau entdecken können, in wie fern sie ihren Vor­ fahren ähnlich sind. Es wäre sehr überflüffig, von dem Nutzen, den das Werk in dieser Rücksicht so lange als es noch Abderiten geben wird, — und dieß wird vermuthlich lange genug seyn, — stiften kann und muß, viele Worte zu machen. Wir bemerken also nur, daß es beiläufig auch noch diesen Nutzen haben könnte, die Nachkömmlinge der alten Teutschen unter uns behutsamer zu machen, sich vor allem zu hüten, was den Verdacht erwecken könnte, als ob sie entweder aus Abderi tisch em

zur Abderitengeschicht e.

255

Blute stammten, oder aus übertriebner Bewundrung der Ab der irischen Art und Kunst und daher entspringender Nachabmungssucht, sich selbst Aehnlichkeiten mit diesem Volke geben wollten, wobei sie aus vielerlei Ursachen wenig zu gewinnen hatten. Und dieß, werthe Leser, wäre also der versprochne Schlüssel zu diesem merkwürdigen Originalwerke, mit beigefügter Versicherung, daß nicht das kleinste geheime Schubfach darin ist, welches Sie mit diesem Schlüssel nicht sollten aufschließen können; und wo­ fern Ihnen jemand ins Ohr raunen wollte, daß noch mehr darin verborgen sey, so können Sie sicherlich glauben, daß er entweder nicht weiß was er sagt, oder nichts Gutes im Schilde führt.

— SAPIEKTIA PRIMA EST STULTITIA CARUISSE—

256

Anmerkungen zu den

Abderiten,

Erstes

erster Theil.

Buch.

1. S. 5. I. 2Z. Diomedes------- von seinen Pferden aufgefressen — Palafatus in sei­ nem Buche von UnglaublichenDingen erklärt auf diese Weise die Fabel, daß dieser Fürst seine Pferde mit Menschenfleisch gefüttert habe, und ihnen endlich selbst von Herkules zur Speise vorgeworfen worden sey. W. S. 9. Z. 14. Anakreons Lied, worin ein Mäd­ chen als Thrazisches Füllen dargestellt wird, ist den Kritikern allerdings verdächtig gewesen, auf eine fei­ nere, geistreichere Weise aber ist die Unachtheit dessel­ ben nie erklärt worden, als hier von Wieland. S. io. 1.9. Wie Iuvenal sie beschuldigt. Sät. IO, 50.

2. S. 15. IO. Protagoras— Ein berühmter Sofist von Äbdera, (etwas alter als Demokritus,)

A n in e r k u n g e n.

2Z7

welchen Cicero dem Hippias, Prodikus, Gorgias, und also den größten Männern seiner Profession an die Seite seht. W. S. 17. I. 22. D e r F e ch t s a a l ausge­ ziert — Was hier von den Abderiten gesagt wird, erzählen andere alte Schriftsteller von der Stadt Alabandus. S. Coel. Rho dog. Le ci. Aut. L. XXVI. Cap. 25. W. S. 22. 3. ii. Aufschrift der Pforte des Delfischen Tempels: Erkenne Dich selbst! G. S. 23. 3. 3. Eine Eigen schaft------- aus "der Helvezius folgerte — Helvezius ging in seinem praktischen System von der Selbstliebe aus, als einem von der Natur uns eingepflanzten Gefühl, und folgerte unter vielem andern auch dieß daraus, daß jeder Mensch von sich selbst den höchsten Begriff habe und in Andern nur sein Bild schätze. G.

3S. 24. 3» z8» Nicht jedermann konnte nach Korinth, reisen, war ein Sprüchwort bei den Griechen, dessen sich auch Horaz bediente (tipp. I. 17, 36.), und dessen Sinn ist: nicht jeden; gelingt das Schwierige (Erasmi Adagia iv. 4. 68.) Da hier die schöne Lais damit in Verbindung gebracht ist, so hat Wieland wohl an felgende Sage von dem Ursprünge dieses Sprüchwortes gedacht. Korinth war Wielands W.

20. Bd.

17

283

Anmerkungen.

eine sehr reiche Stadt, hatte viel Luxus und viele — Hetären, die daselbst unter dem Schutze der Venus

standen. Die berühmteste von allen war Lais, aber auch die theuerste. Wollte man nun ihretwegen nach Korinth reisen, so mußte man reich seyn; sonst kam

man allenfalls nach Korinth, aber nicht zu Lais. G. S. 29. I. iß. Garamarrten. Agrivfagen u. s. w. — Solinus, C. XXX auch Plinius, Mela, und andere Alte und Neuere, welche uns alle die Wundermenschen, von denen hier die Rede ist, für wirkliche Geschöpfe Gottes zu geben kein Bedenken tragen. W. 4S. 40 I. i. HomerS Kuhaugen — Gins der Beiwörter, wodurch Homer, die Göttcrkönigin aus­

zeichnet, ist -Sow-riL, die Farrenaugige, um ihre großen und lebhaften Äugen ^anzudeuten. Myris muh

den Ausdruck eben so anstößig gefunden haben als unsre ehemaligen Uebersetzer. G. S. 47. A 17. Parmenides — Parmenides von Elea wird für den Erfinder der Lehre von den Ideen oder wesentlichen Urbildern gehalten, welche Platon in sein System ausgenommen, und sich so zu eigen gemacht hat, daß man sie gewöhnlich nach

seinem Namen zu nennen pflegt. . W» S. 46. I. 8- Antistrep siades — Anspielung auf den Strepflades in den Äristofanischen Wolken,

Anmerkungen.

2ZY

der sich auf ähnliche Paradoxen einließ als hier ange­ führt werden. Die Behauptung, daß Achilles keine Schnecke im Laufen einholen könne, rührt von einem Trugschluß des Eleaten Jenen her. Dieser Trugschluß ist unter dem Namen des Achilles frefamit;

G. 8-

S. 6). I. 6.

Satyr en spi ele —

Griechische

Poffenspicle, die mit der Opera bnfsa der Walschen einige Aehnlichkeit hatten, und wovon uns der Kyklops des Euripides, das einzige übrig gebliebene Stück dieser Art, einen Begriff giebt. W. S. 6z. I. i6. Die Schwarzen an der Gokdküste — Diese wurde freilich für uns erst durch Johann von Santaren und Peter Eskobar im I. 1471 entdeckt. Lebte aber Hanno wenigstens 500 Jahre vor Christus und kam auf feiner Entdeckungs­ reise an der Westküste von Afrika bis -um Vorgebirge der drei Spitzen, waZ.Bougainville sehr wahrschein­ lich gemacht hat; so könnte Demokrit jene Küste, zwar nicht diesem Namen, doch aber der Lage nach gekannt haben. G. S. 75A. 4. Frosch- und Mäuse krieg mit den Lemniern — Der unter Homers Namen auf uns gekommene Krieg der Frösche und Mause ist eine Parodie der Ilias. In der hier gemachten Anspielung darauf (kgt also, daß die Abdcriten das

26o

Anmerkungen.

Ernste, Wichtige, Große ins Lächerliche zogen, Demokrit aber setzt damit diese Lächerlichkeit in ihr volles Licht.

S. 76. Z. 3. Die Athener eben so sinn­ reiche Streiche — Die Athener hatten zu ihrem Kriege mit Megara keinen bessern Grund, (wenn man dem Aristofanes glauben dürfte) als daß etliche junge Herren von Megara, um die Entführung einer Mega­ rischen Hetäre zu rächen, ein Paar junge Dirnen von der nämlichen Profession aus Aspasiens Pflanzschule entführt hatten. Aspasia vermochte alles über den Perikles, Perikles alles in Atden, und so wurde den Megarern der Krieg angekündigt. W.

io. S. 91. J. 15. Die Amfiktionen des Teleklides — Dieser Komödiendichter war ein Jeitgenoß des Anstofanes. Die Lebenszeit Demokrits nimmt man von 353 bis 457 vor Chr. G. an. G. S. 91. J. 16. Beschreibung des goldenen Alters — Frau Salabanda sagte die Wahrheit. Lange vor dem H a m m e l der Madame D a u l n 0 y machte Lucian in seiner wahren Geschichte, und lange vor Lucian machten die Griechischen Komödiendichter, Metagenes, Ferekrates, Telet lides, K rat es und Kratinus, Beschreibungen

Anmerkungen.

261

vom Sch lara ffen lande und vom Schlaraffen­ leben, worin sie sich in die Wette Geeiferten, der ausschweifendsten Einbildungskraft eines neuern Mahrchenmachers nichts übrig zu lasten. Die kühnsten Jüge im Gemählde, welches Demokrit davon macht, sind aus den Fragmenten genommen, die uns Athe­ naus im sechsten Buche seines Gastmahls davon aufbehalten hat. W.

ii, S. 9Z. Z. 23. Protag oras— Eigendünkel und Albernheit erkennt man an dem einzigen Auge hinlänglich, daß er einstmals ganz Athen in das Lykeion einlud, um ihn über jede mögliche Frage, die man in irgend einer Wissen­ schaft ihm vorlegen möchte, disputiren zu hören. G. S. 97. I. 1. S ie gin g aus einem Ei h ervor — Um denjenigen Lesern, welche weder den Diogenes Laerzius, noch Brückers oder eine neuere Geschichte der Filososte gelesen haben, irrige Vermuthungen zu ersparen, erinnert der Verfaster, daß alle hier vorkommende Hypothesen sich eines sehr ehrwürdigen Alterthums, und zum Theil einer Men^e Verfechter und Anhänger rühmen können. Die Mei­ nung unsers Demokrit ist die einzige, welche, ver­ muthlich bloß weil sie die vernünftigste ist, keine Sekte gemacht hat. W.

S. 98» 3. 10.

Cmpedoktes— Die von ihm

16»

Anmerkungen.

angeführte Anekdote, deren $ora$ (A. p. y64.) mit beißender Ironie gedenkt, wird hier von dem Abderiten auf gut abderitisch getobt, tnbftrf ihr ein andes rer Bewegungsgrund untergfetkgt wird, dessen Absurdirät der Abderit gegen seinen Witten'durch das einzige Wörtchen weislich noch auffallender macht. Ob die Anekdote wahr sey, bleibe dahin gestellt. Ward fie aber erfunden, so muß der Charakter deS Empedokles Veranlassung dazu gegeben haben, und Horaz gibt ihm nicht undeutlich den Charakter eines Charlatan, wie er sich denn von Einer Sekte auch zeigt. Zugleich dürfte er aber wohl anspielen auf den Schluß eines Gedichtes von Empedokles über die Reinigungen, wo gesagt wird, bei der Vollen­ dung würden Seher, Hymnendichter und Aerzte (alles dies aber war Empedokles) in Götter umge­ staltet, am höchsten geehrt, Mtgenossen an "der Tafel der Unsterblichen, keinem Tod" mehr unter­ warfen seyn. G. S. 98» I. 20, Homöomerken (bon o/roia? gleichartig und p,£pos Theil) hkeßen in den Systemen des Anaxagoras und Empedokles die aNerkteinstett Theile des Wellstoffes, von derselben Natur wie daS, waS sich nachher im Großen daraus bildete, im Grunde also Elemente im Klemen. Die Art der Aus­ bildung erklärte Empedokles durch den Satz: Freund­ schaft ist die Ursache der Bewegung, welche die Materre von einander scheidet. Dieß heißt nichts ander-

Anmerkungen.

063

als: die gleichartigen Theile sammeln sich mittelst der Bewegung zu einander, nachdem die ungleichar­ tigen Theile fich von einander geschieden haben. G. S. iog> I. i8. Er ar beitete am Stein deie Weisen. S. hierüber Wielands Aussatz im 47sten Bande Art. Demokritus von Abdera. 12.

S. iog. I. kg. Demokrit von Persischen Magiern erzogen — Xer res, der bei seinem Kriegszuge gegen die Griechen einige Tage zu Abdera bei Demokrits Vates sein Hauptquartier gehabt, hatte den damals noch sehr jungen Demokrit lieb gewonnen, upd zu dessen besserer Erziehung ein Paar von den Magiern, die er bei sich hatte, zurück gelassen. W. Drogen. Laert. S. in, 3. 12. Epopten — Epopten (An­ schauer) hießen diejenigen, welche nach ausgestande­ ner Prüfung zum Anschauen der großen My­ sterien zu Eleusis zugelaffen wurden. W S.,112. Z. 23. Milon -von Krotona — Ein Mann, von dessen wunderbarer Leibesstärke und Ge­ fräßigkeit die fabelhaften Graeculi erstaunliche Dinge zu erzählen wissen; zum Beispiel, daß er einen wohl­ gemästeten Dchsen drei hundert Schritte wett aus den Schultern getragen, und, nachdem er ihn mit einem einzigen Faustschlag todt gemacht, in einem Tage aufgefressen habe. W.

SS4

Anmerkungen.

13 S. 127. Z. 14. Kleiner Drache von selt­ samer Gestalt u. s. w. — Plinius, der in seiger Natur - und Kunstgeschichte Wahres und Falscheohne Unterschied zusammen getragen hat, erzählt, im neun und vierzigsten Kapitel seines zehnten Buchs in ganzem Ernst: Demokrit habe in einer seiner Schriften gewisse Vögel benennet, aus deren ver­ mischtem Blut eine Schlange entstehe, welche die Eigenschaft habe, daß derjenige, der sie esse, (ob mit Essig und Oehl, sagt er nicht,) von Stund' an alles verstehe, was die Vögel mit einander reden. Wegen dieser und anderer ähnlicher Albernheiten, wovon (wie er sagt) die Schriften des Demokrit wimmeln, liest er ihm an einem andern Orte seines Werkes den Text sehr schulmeisterhaft. Aber GelliuS (Noer, Auicar. L. X. Cap. 12 ) vertheidigt unsern Filosofen mit befferm Grund, als Plinius ihn verurtheilt. Was konnte Demokrit dafür, daß die Abderiten dumm genug waren, alles, was er im Ernste sagte, für Ironie, und alles, was er scherzweise sagte, für Ernst zu nehmen? Oder wie konnt' er verhindern, daß nicht lange nach seinem Tode Abderitische Köpfe tausend Albernheiten, an die er nie gedacht hatte, unter seinem Namen und Ansehen an andre Abderitcn verkauften? Was für klägliches Zeug ließ ihn nicht erst im Jahre 1646 Magnenusin seinem

265

Anmerkungen. DemocrituS redivivns sagen!

Unb was UtÜffcn nicht

die Leute in der andern Welt von sich sagen lassen! W. S. rag. I. 4. Truthühner— Dieß ist wohl ein Irrthum des Uebersetzers. Denn wer weiß nicht, daß die Truthühner dem Aristoteles selbst unbekannt waren, und unbekannt seyn mußten, weil sie erst aus Westindien zu uns und in die übrigen Theile unsrer Halbkugel gekommen sind ! S. ß u ffo n Histoire natu­ relle des Oiseaux, T. 111. y. 1Ö7. U. f.

W.

Zweites Buch. Kap. 1. @.131. I. 28. Wie viele Flohfüße hoch ein Floh springen könne — Nichts ist mög­ licher, als daß.Sokrates wirtlich einmal etwas gesagt haben konnte, das zu diesem Aristofanischen Spaß Anlaß gegeben. Er durfte nur in einer Gesellschaft, wo die Rede von Größe und Kleinheit war, den Irrthum angemerkt haben, den man gewöhnlich be­ geht, da man von Groß und Klein als von wesent­ lichen Eigenschaften spricht, und nicht bedenkt, daß es bloß auf den Maßstab ankommt, ob eben dasselbe Ding groß oder klein seyn soll. Er konnte' nach seiner scherzhaften Art gesagt haben: man habe Un­ recht, den Sprung eines Flohs nach der Attischen Elle zu messen; man müsse, um die Schnellkraft deS

266

Anmerkungen

Flohs mit derjenigen eines Luftspringers zu verglei­ chen, nicht den menschlichen Fuß, sondern den Floh­ fuß zum Maß nehmen, wenn man anders den Flöhen Gerechtigkeit widerfahren laffen wolle — und der­ gleichen. Nun brauchte nm* ein Abderit in der Gesellschaft zu seyn, so können wir sicher darauf rechnen, daß er es als eine große Ungereimtheit, die dem Filosofen entfahren sey, nach seiner eignen Art wieder erzählt hüben werde: .und wenn gleich Aristofanes klug genug war zu begreifen, daß Sokrates etwas kluges gesagt haben werde; so war es doch für einen Mann von seiner Profession und zu seiner Absicht, den Filosofen lächerlich zu machen, schon genug, daß man diesem Einfall eine Wendung geben konnte, wodurch er geschickt wurde, die-Zwerchfelle der Athener, welche (den Geschmack und den Witz abgerechnet) ziemlich Abderiten waren, einen Augen­ blick zu erschüttern. W. S. i33. Z.6. Ein Dichter, der die Sachen gern übertreibt — Pcrpcluo risu pulinonem agitare solebat Democritus. — J uv en al» Sat. X. 53»

W,

S. i33. I. i7» Heraklit z-um Muster neh­ men — Man pflegt das Leben des Herakteitos dem des Demokritos entgegen zu setzen, wie man den Styl beider sich entgegen setzen kann, der bei jenem dunkel, gedrängt, schwerfällig, bei diesem klar, leicht, fließend, war. Von jenem sagt man, daß fr beständig über

Anmerkungen.

2S7

die Welt -geweint, dieser beständig über sie ge­ lacht habe. Beide hätten dann etwas Gescheidteres thun können, beide thaten es aber ohne Zweifel nicht. Herakleitos aber war von melancholischer Gemüthsart und sah nur den ewigen Flui; der Dinge, Demokrites war von sanguinischer Gemüthsart, zu­ weilen gewiß launig und schalkhaft, und schien doch einigen Grund gefunden zu haben, worauf er bei dem ewigen Wandel der Dinge sicher fußen könne. G. S. 134. 3.9* Nur den------- Affekt erregen kann. — Bei allem dem erklärt sich doch Seneka bald darauf, daß es noch besser und einem weisen Manne anständiger sey, die herrschenden Sitten und Fehler der Menschen sanft und gleichmüthig zu er­ tragen, als darüber zu lachen und zu weinen. Mich dünkt, er hätte mit wenig Mühe finden können, daß es — noch was bessers giebt als dieß Bessere. Warum immer lachen, im in er weinen, immer zürnen, oder immer gleichgültig seyn? Es giebt Thorheiten, welche belachenswerth sind; es giebt (in beit, die ernst­ haft genug^ sind, um dem Menschenfreunde Seufzer auszupreffen; andre, die einen Heiligen zum Unwillen reizen könnten; endlich noch andre, die man der menschlichen Schwachheit zu gut halten soll. Ein weiser und guter Mann (»isi pimita moiesia est, wie Horaz weislich ausbedingO lacht oder lächelt, be­ dauert oder beweint, entschuldigt oder verzeiht, je nachdem es Personen und Sachen, Ort und Zeit

268

Anmerkungen.

mit sich bringen. Denn lachen und weinen, lieben und Haffen, züchtigen und los taffen, hat seine Zeit, sagt Salomo, welcher alter, klüger und besser war als Seneka mit allen seinen Antithesen. W.

S. 136. Z. 8 Origines, Kirchenvater, geb.Im Zten Jahrhundert, zu Alexandria, soll sich, weil er die Stelle bei Matthaus 19, 12. mißverstanden, selbst entmannt haben. G. S. 137. I. 8. Tertullian, auch ein Kirchen­ vater, geb. zu Karthago im 3ten Jahrhundert. Die hier angeführte Stelle s. A pulog. c. *6. W. S. 137. I. i6. Der Rath des Sokrates — Memorab. Socral. Lil). I. Cap. 5. Nurn. 14. W. S. 140. Z. i. Demokrit — — erklärte blos aus Atomen u. s. w. Seit die Abderiten erschienen, wo Wieland sich nur auf Brücker berufen konnte, hat man auch den Demokrit richtiger beurtheilt, und durch Buhbe, Tenne mann, Carus, Krug u. A. ist ihm sein Recht geworden. Bleibt er gleich ein Atheist, so nahm er doch Naturgesetze an, ja entdeckte sie. Aber schon Cicero (N. D. i, 24.) verstand ihn nicht. G.

©.140. 1.26. Liliputer, diese Zwerglein unter den Zwergen sind seit Gullivers Reisen von Swift als das Kleinste menschlicher Kleinheit bekannt. G.

A n rn e r k u n gen.

269

2. S. 147. I. i8. Pfau — Hier scheint sich eine Unrichtigkeit in den Text eingeschlichen zu haben. Der Pfau war vor Alexanders Eroberung des Persischen Reiches ein unbekannter Vogel in Griechenland. Und da er nachmals aus Asien nach Europa überging, war er Anfangs so selten, daß man ihn zu Athen um Geld sehen ließ. Jedoch wurde er in kurzer Zeit (nach dem Ausdruck des Komödienschrei­ bers Antifanes) so gemein als die Wachteln. In der üppigen Epoche von Rom wurde deren eine unend­ liche Menge daselbst erzogen, und der Pfau machte ein vorzügliches Gericht auf den römischen Tafeln aus. Woher der Herr von Bü ffon genommen hat, daß die Griechen keine Pfauen gegessen, weiß ich nicht: das Gegentheil hatte ihm eine Stelle aus dem Poeten Alexis beim Athenaus beweisen können. Indessen wäre doch, wenn es vor Alexander» keine Pfauen in Europa gegeben hatte, gewiß, daß Demokrit dem Priester Strobytus keinen gebratnen Pfau hatte schicken können; man müßte denn voraussetzen, daß dieser Naturforscher unter andern Seltenheiten auch Pfauen aus Indien mitgebracht hatte. Und warum sollte man dieß nicht voraussetzen können? Im Nothfall könnten uns auch die alten Samischen Münzen, auf denen man neben der Juno einen Pfau abgebildet sieht, aus der Schwierigkeit helfen-— wenn es der Mühe werth wäre. W.

L7O

Anmerkungen.

S. 147. A. 26. Dariken — Eine Persische Gold­ münze, die von Cyaxares 11. oder Darius aus Medien, nach der Eroberung Babylons zuerst soll geschlagen worden seyn. W.

4S. 164. Z. 8. Verkäufern ihrOehl----------zurückzugeben — Wie ungleich sich doch die nanrliche Sache erzählen laßt! Don eben dieser That, die unser Sykofant für den vollständigsten Beweis eines verrückten Gehirns halt, spricht Plinius als fron einer höchst edeln und der Filosofie Ehre machenden Handlung. Demokrit war viel zu gutherzig, um sich auf Unkosten andrer, die nicht so viel entbehren konn­ ten wie er, bereichern zu wollen. Ihre ängstliche Un­ ruhe und Verzweiflung, einen so großen Gewinst ver­ fehlt zu haben, rührte ihn: er gab ihnen ihr Oehl, oder das daraus gelöste Geld zurück, und begnügte sich den Abderiten gezeigt zu haben, daß es nur von ihm abhange Reichthümer zu erwerben, wenn er es der^Mühe werth hielte. In diesem Lichte sieht Pli­ tt ius die Sache an; und in der That muß man ein Abderit, ein Sykofant und ein Schurke zugleich seyn, um so wie unser Sykofant davon zu sprechen. W. 5-

S. 166. §.17. Einladungsschreiben an Hipp okrates — Es befindet sich noch etwas unter

Anmerkungen.

271

dieser Rubrik in den Ausgaben der Werke des Hippokrates. Es ist aber ohne allen Zweifel untergeschoben, und die Arbeit irgend eines schalen Graeculus spaterer Zeiten z so wie die ganze Erzählung von der Zusam­ menkunft dieses Arztes mit Demokrit in einem der unachten Briefe, die den Namen des erstern führen. W. S. 163. §.22. Keine Lorgnette hatte — Denen, welche fich etwa hierüber wundern möchten, dienet zur Nachricht, daß die Lorgnetten damals — noch nicht erfunden waren. W.

7. S. i82. 1.7. Hekataus von Abdera — Zum Unglück sind alle seine Werke verloren gegangen. S. Antiq. Recherches siir Becatee de Milet, des Mein, de Litterat. W.

Tom. IX.

Die Fragmente deffelben gesammelt und das Beste über ihn gesagt findet man von Creuzer: Hisioricoruni graecorum antiquissimoruin fragmenla. Heidelb. i8o6.

G.

Drittes

D u ch.

Kap. 1. S. 196. 3.17. Dramatische Apathie könnte man, nach Campe, .durch dramatischen Glei ch in u t h übersetzen; für H e d p p a t h i e möchte ich in komischer

272

Anmerkungen.

Beziehung LustseucheVorschlägen, derenübleWirkung war, daß die damit Behafteten alles schön fanden. G. 2.

S. 2oi. Z. 7. Bocks spiel, Tragödie nämlich, von Tpayos Bock und tobi) Gesang. Die dramatische Poesie entwickelte sich nämlich aus den Chorgesängen an den Bacchusfesten und den lustigen Wettgesängen bei Weinlese und Keltern, wobei der Preis des Sie­ gers ein Bock war. Ich bemerke gleich hiev' für dieses ganze Buch, daß Wieland in Ansehung des Schauspielwesens viel modernisirt hat. In allem, wo Ironie bei ihm zum Grunde liegt, fommt es ihm auf Verletzung der Costüme nie an, wenn er auf seine Zeitgenossen desto mehr zu wirken hoffen konnte. Manche Punkte sind aber auch seit seiner Zeit erst in ein helleres Licht gesetzt worden, und über etliche ist man noch nicht einig. G. 3-

S. 215. Z. 4. Kaudatarien, von cauda, Schwanz, komisch statt Anhänger. G. S. 2i8. J« 9- Thlapsens erstes Stück — Es hieß Eugamia, oder die vierfache Braut. Eugamia war von ihrem Vater an einen, von der Mutter an den andern, und von einer Tante, an deren Erbschaft ihr gelegen war, an den dritten Mann versprochen worden. Am Ende kam heraus, daß das

Anmerkungen

27Z

voreilige Mädchen sich selbst in der Stille bereits an einen vierten verschenkt hatte. W. 5« S.230.Z.24. Drap erie von rosenfarbnem Koischem Zeug. Die Schleier, die man auf der Insel Kos verfertigte, waren ihrer Durchsichtig­ keit wegen berühmt. G. 7G. 251. J. 14. Majestät der Geschichte. Ein Ausdruck, welchen Wieland von einem französi­ schen Schriftsteller entlehnt, der ihn gerade damals bei einer so sehr unbedeutenden Gelegenheit gebraucht hatte, daß unserm Dichter schien, er könne fortan nur -u komischem Gebrauche dienen, den er selbst auch hier davon machen wollte. G.

S .257.

8Z. 6. * Euripides--------- ÄZeiber-

fein d — Es ist bekannt, daß dieses häßliche Laster dem Euripides, wiewohl unverdienter Weise, Schuld gegeben wurde. W. S. 259. Z. 16. Frosch pfleg er — Der Rathsherrwareiner von den Fürsorgern des gehei­ ligten Frosch grabens, welches in Abdera eine sehr ansehnliche Stelle war. Man nannte sie -ie Batrach otrofen, welches zu Teutsch sehr füglich durch Frosch Pfleger gegeben werden kann. W. Wielands SB. 20.

18

274

Anmerkunge n.

9* S. 269. 1.14. Von den L y z i s ch e n Bauern. S. Ovid. Metam. 13, 336. 635. G.

S.275. Z. ir. D e i si d a m 0 n i e — Der Apostel Paulus bedient sich des von diesem Worte abgelei­ teten Beiwortes, da er die Athener, ironischer oder wenigstens zweideutiger Weise, wegen ihrer unbegranzten Religiosität zu loben scheint. Apostelge­ schichte XVli, 22. Man könnte es Götter furcht oder Dam 0 nenfurcht übersetzen. W.

S. 233. I. 16. Der verwundete Mars in der Iliade — schrie wie zehntausend Mann. II. S. 285. J. 4. D i e e mp fi n d sam en Fr au en-immerchen u. s. w. — Man vergesse nicht, daß dieß im Jahre 1777 geschrieben worden. W.

sDamals hatte durch Göthe's Werther und Millers Siegwart eine empstndelnde Periode begonnen, die mit dem sonstigen Sturm und Drange (nach einem Schauspiel dieses Titels von Klinger) in der damaligen schönen Literatur einen seltsamen Kontrast bildete.) S. 236. Z. 19. Anstatt sich zur Illusion zu bequemen. — Es versteht sich von selbst, daß der Dichter das Seinige gethan haben muß, um die Illusion zu bewirken und zu Unterbalten: denn sonst

A n m e r k u n g e n.

275

fyat er freilich kein Recht, von uns zu verlangen, daß

wir, ihm zu Gefallen, thun sollen als ob wir sahen, was er uns nicht zeigt, fühlten, was er uns nicht fühlen macht, u. s. w. W.

12. S.289.1.33. O Am0r, du------- Herrscher — Aufrichtig zu reden, dieser Vers ist der einzige rüh­ rende in dem ganzen Fragment der Rede des Per­ seus, das. zufälliger Weise noch vorhanden ist, wie unsre des Griechischen kundige Leser selbst urtheilen mögen — denn so lauten die Worte: AXK? üa svpavvE Oec&)V te

Epws,

H >ii) b ibaSaiE 7a narta (paivEs&at Koka, H 701$ Ep(s£>(5iv, GDV (Tu b?)/ilOVp}'O$ El,

IWOJC&OVGI JlOySoVS EUTUJCtoS GVVEnKOVEl, Ti. 7. X.

W. Du aber, der Götter und der Menschen Herrscher, Amor, entweder lehr' uns, daß das Schöne uns nicht schön erscheine (ich lese naXa statt nana), oder hilf der leidenden Liebe, deren Schöpfer du bist, den Schmerz leichter ertragen. G.

276

Anmerkungen

Zweiter

Viertes

Theil. Buch.

4S. 22. I. 17. Die Dame Stru t h i on —Wir wissen wohl, daß dieß nicht ä u Kl eine gesprochen ist; aber die D a m e S t r u t h i 0 n ist wie F r a u Da m 0 n in unsern Komödien: und was liegt dem Leser daran, wie die Iahnär-tin mit ihrem eigenen Namen gehei­ ßen haben mag? W.

6. S« 39. 3» 4- Fi tippen — Goldstücke mit dem Brustbild des Königes Filippos von Mazedonien. G.

y. S. 6g. 1.26. On 0 skiamachi e— Eselsschatten» krieg, mit Anspielung auf die älteste Parodie Homers, die Batrachomnomachie, Frosch - und Mause-Krieg. G. ®. 95« 3. 14» Exp iazion — Feierliche Süh­ nung. S. 107. Z. 4. Auf den Flügeln patrio­ tisch - menschenfreundlicher Traume. An­ spielung auf Iselin's damals eben erschienenen Träume eines Menschenfreundes, mit Ironie nicht so­ wohl gegen den Verfasser als die Zeit. — Ironisch wird auf derselben Seite auch Ossians gedacht,

Anmerkungen,

277

den man stritt über Aechtheit oder Unächtheit seiner Goichte, welche in Deutschland durch Herder und G the kurz zuvor bekannt worden waren.

12. S. 107. 3- 25. Feigenredner — KomischUeersetzung von Sykofant. G.

13. S. log. 3- 7« G 0 rgias, aus Leonzium in Cizi» (ce, scharfsinniger Kopf und spitzfindiger Dialektiker, eisr der berühmtesten Sofisten. G. S. 121. 3« 8. Wenn ein Esel das Der» den st hatte. — In dem Streite mit den Gigan­ tin war es, wo die Esel den Göttern Dienste lciste» te, indem ihr Geschrei die Giganten, welche der» glichen noch nie gehört, in die Flucht trieb, wie jeder, dm die Sache wichtig genug fn;n sollte, bei Eratcrhenes lesen kann.

Fünfte - Buch.

1. S. 144- 3* *9- Deisibatrachie — Froschfurcht, int Anspielung auf die früher erwähnte Deisidamonie, ui das falsch Religiöse noch lächerlicher darzusteUen. G.

2. S. 155. 3. 3« Ich rede bloß menschlicher Veise — Dieser Wendung bedient sich Platon öfter-,

A n m erkungen.

273

wahrscheinlich zur Sicherstellung gegen Priester und Vorsteher der Mysterien. Uebrigens kommt schon bei Homer vor, daß manches in der Sprache der Götter

anders heiße als m der Sprache der Menschen, wel­ ches zu erklären hier der Ort nicht ist. G.

4S. 170. 3. 10.

Insel Atlantis, die der Ur­

welt angehört, ist nach den Nachrichten, welche Platon davon im Kritias und Timaos gegeben hat, bei einer der Katastrofen der Urwelt völlig untergegangen. G. S. 170. Z. 15. Wanderungen der Insel Delos — Delos soll anfänglich eine schwimmende Insel gewesen seyn. Heute, heißt es, hatten Schiffer sie hier gesehen, morgen war sie nicht mehr da; sie war also erst aöi/Aor, verborgen, und wurde erst 61/Xof. d. i. offenbar, nachdem Apollon und Artemis auf ihr geboren waren. S. den Hymnus des Kallimachos auf Delos. G. S. >78» 3- 8» Syndiziern, den Anwalt, den Vertheidiger machen.

7. S. 214. g. 23.

Batrachosebisten — Frosch­

S.

selige.

8S. 221.

freffer.

3. 24.

Datrachofag en — FroschG.