C. M. Wielands Sämmtliche Werke: Band 14/15 Poetische Werke [Reprint 2021 ed.] 9783112412268, 9783112412251


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C. M. Wielands Sämmtliche Werke: Band 14/15 Poetische Werke [Reprint 2021 ed.]
 9783112412268, 9783112412251

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C. M. Wielands

sämmtliche Werke Vierzehnter Band.

Herausgegeben von

I. G. Gruber.

Poetische Werke XIV» Band. Der neue AmadtS. L Theil.

Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1324*

In muliebrem levitatem ab auctoribua passim multa ecribuntnr; fortasie falso inlerdnm ; nihil tarnen impedii, ★identem diesre verum,

et fabulosis narrationibus,

vjuas Philosophie non rejicit, exprimere quid obesse possit in moribus.

Ex bis enim liquel,

quam facile

ament quanta oderint levitate, quam cito obliviscantur

eflectum, etc, J|O ANNES S ART 8 BEItl ENS IS , Episcop. Carnot, in Polycratico,, e. de Nugis Curialium et Vcstigiis Philosophorum. L. VIII. c. 4.

On dira ce qn'on voudra (dit le Sultan) maia c’est ma soll une belle chose qu'un Conto,

surtoul

quand on trouve, comme dans celui-ci, une morale epuree, de beaux pre'ceplea, et je ne sais combien d'autrca choses encore, qut le aentent mieux qn'on ue peut les dire, et qui vons elevent l'eaprit en mfime tema qu'ellea Famnsent.

C'est qu'il ne saut paa croire,

öon, qu' il soit donn^ k tont le monde de reuuir F utile et Fagreable. — Cela tat bien vrai,

Sultan#: pour le Visir,

dit la

on n'a rien h lui rcprocher;

Fil conte bien, il endort encore mieux.

Jh l quel Centfr> Faxt. ll. p. 76.

Vorbericht der erste» Ausgabe von 1771.

Bei dem Inquistzions- Gerichte, welches der Pfarrer, der Darbier, die Base und die Haus­ hälterin über die Bibliothek deö preiSwürdigen Ritters Don Quixote von Manch« im sechsten Kapitel des ersten Theils seiner lehrreichen Ge­ schichte halten, find die vier Bücher deS AmadiS von Gallien das erste, welches derPfarrer, aus der Ursache, ,,weil es das erste Ritterbuch sey, das. in Spanien gedruckt worden, und weil es allen übrigen zum Modell gedient habe," als den Stifter einer so schlimmen Sekte, zum Feuer verdammt wissen will. Der Barbier aber stellt zum Behuf desselben vor: ,,er habe von sehr verständigen Leuten

TI

Dorbericht

sagen gehört, daß «S nicht nur das erste, sondern auch das beste und einzige in seiner Art sey, welches die Spanier aufzuweisen hätten;" und er erhält durch seine Fürbitte, daß ihm der Pfarrer wenigstens bis auf weitere Untersuchung Gnade widerfahren läßt. Daö fünft« Buch, welches die Abenteuer des Kaisers Efplandtan, des ältesten Sohnes von AmadiS und Oriane, enthält, und die folgenden acht Bücher, worin die Thaten der RitterFlorifando, LiSwart, Perlon, Flvrifel oder AmadiS aus Griechen» land, und seiner Söhne, Roger aus Grie« chenland undSilvio de laStlva, beschrie­ ben sind, und welche nach und nach von verschiedenen andern, zum Theil unbekannten Verfassern hinzuge» than worden, finden als unächte Nachahmungen eines Originals, dessen eigener Werth dem wackern Pfarrer schon mehr als zweideutig schien, keine Gnade vor seinen Augen. „Sie sollen alle zum Fenster hinaus, (sagt er, indem er die ganze

der ersten Ausgabe von 1771.

▼11

Familie des Gallischen AmadiS dem weltlichen Arm der Haushälterin überantwortet) ehe ich die KbniginPintiquiniestra und benSchäferDar i n el mit seinen Eklogen, und dir verwünschten Dissertazionen, dir der Autor allenthalben ein­ mengt, verschonen wollte, ehe wollte ichmetnen leiblichenDater sammt ihnen verbrennen, wenn ermir in Gestalt eines irrenden Ritters indenWurfkäme." Zn Frankreich sind dieerstinDücherdesAmadis von Niklas d' Herberay, Herrn DeS EssarS', überseht, und, vom Zahre 1540 an> nach und nach herauSgegrben, mehrmals aufgelegt und in der Folge von unterschiedlichen Verfassern bis auf vier und zwanzig Bücher erweitert worden. Auch wir Deutsche besitzen eine alte Uebersetzung dieses RitlerbuchS, welche den Sprachfor­ schern und demjenigen, dem die wünschenswürdige Unternehmung einer kritischen Geschichte der deut­ schen Sprache und Litteratur Vorbehalten ist, nicht gleichgültig seyn darf, und wovon ausierder seltenen

vin

Dorbericht

Folio-AuSgabe vom Zahre 1583, eine später« in vier und zwanzig dicken Oktavbänden, di« man nicht leicht beisammen antrifft, vorhanden ist. Bernardo Tasso, derVater des Sängers Ninaldo'S und Gottfrieds, hat diesem Stammvater so vieler irrenden Ritter die Ehre erwiesen, ein Heldengedicht in hundert Gesängen und mehr als sieben tausend achtzeiligen Stanzen aus seiner Geschichte zu verfertigen; ein Werk, dessen poetische Verdienste, nach einigen Stücken von dem Ganzen zu urtheilen, ziemlich weit hinter hen prächtigen Lobsprüchen zurück bleiben, womit ihn sein Vorredner, Lodovico Dolce, in zu vollem Maße überschüttet hat. Weder mit diesem Amadigi des Bernardo Tasso, noch mit dem alten Ama dtö d e Gau le, noch mit irgend einem andern Amadis in der Welt hat der gegenwärtige NeueAmadis außer dem Namen (und außer berjenigett Aehnlichkeit, di« er sogar mit den Contes de ma mere l’oye hat)

der ersten Ausgabe von 1771.

ix

wenigstens mit Wissen und Willen des Dichters, nicht bas mindeste gemein. Die Laune, deren Ausgeburt das Werk selbst ist, hat ihm auch den Na, men geschöpft, und es könnte schwerlich ein and, rer Grund angegeben werden, warum dieses Ge­ dicht nicht der Neue Esplandian tfbtt der NeueF'lorismarte genannt worden, als weil der Name AmadiS bekannter ist, und ich weiß nicht was für einen romantischen Klang hat, der ihn vorzüglich geschickt macht, einen Aben­ teurer von so sonderbarem Schlage zu bezeichnen. Die Versart, welche unser Dichter zu einem Werke, worin die Helden alle, mehr oder weniger, närrisch, und die Heldinnen, bis auf eine oder zwei, die abgeschmacktesten Geschöpfe von der Welt sind, gewählt, oder (um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen) erfunden hat, scheint unter allen möglichen die schicklichste zu seyn. Zn einem Gedichte dieser Art muß der Dichter Raum und Freiheit genug haben, damit d e r G«i st Capriccio,

X

Dorbericht

dem er sich gänzlich überläßt, alle mögliche Dewe« gungen, Wendungen und Sprünge machen könne. Jede einförmige VerSart würde Ihm einen Gang vorschreiben, der mit seinem launigen Charakter, mit der Munterkeit und dem naiven Ton der Er­ zählung, mit dem Lächerlichen oder Drolligen der Gegenstände, kurz mit der ganzen Beschaffenheit eines Gedichte-, welche- durchaus mehr einem bloßen Spiele der Fantasie und der freiwilligen Er-< gießung einer reichenBrunnadervonWitz und Laune als einem Werke des Nachdenkens und der Kunst gleich sieht, einen aussallendenAbstich machen würde.

Die Versart des neuen AmadiS hat dieDortheile der meisten übrigen, ohne ihre Mängel und Unbe­ quemlichkeiten zu haben. Sie schmiegt sich an all« Arten von Gegenständen an, und paßt zu allen Ver­ änderungen des Tons und Styl-. Sie hat, je nach, dem es erforderlich ist, einen gelassenen oder raschen, einen feierlichen oder hüpfenden, einen eleganten

der ersten Ausgabe von »77».

«

vder nachlässigen Gang; sie windet sich wie ein sanf­ ter Bach durch Dlumengefilde, oder rauscht, wieein Waldwasser, über-StämmenndFelfenstücke, daher. Zwar scheint sie beim eksten Anblick allzu frei zu seyn, um dem Poeten die mindeste Mühe zu verursachenr aber Ungeübte, die ohne zartes Gefühl fürR h y th» muS und Harmonie sie nachzuahmen versuchen wollten, möchten sich hierin betrogen finden. Alle­ in der Welt hat seine Regeln; und diese freie VerS» art hat deren vielleicht mehr als irgend «ine andere. Sie ist fähig, wenn sie recht behandelt wird, einem Gedichte (vorauSgeseht daß sie überhauptdemGe i st und Ton deS Ganzen angemessen sey) die größte musikalische Anmuth zu gebe»: aber unter unge« schickten oder allzu nachlässigen Händen würde sie ein unerträgliches Geleier werden. Die Nachahmer wissen selten, wie viel Kunst und welch ein hart­ näckiger Fleiß oft unter dem Anschein der äußer­ sten Leichtigkeit versteckt ist. Aber sollt« man darum nichts neues wagen dürfen, damit diesen Unbe­ rufenen die Gelegenheit benommen würde, Aus­ schweifungen zu begehen? Das Eigene dieser DerSart liegt, außer der

Freiheit, Verse von sechs, fünf und vier Füßen mit einander abwechseln zu lassen, in der häufi­ gen, derWillkühr oder vielmehr dem Urtheil und Ohr des Dichter- überlassenen Vermischung und Vertauschung des Anapästs (w —) mit den Iam­ ben, welche sonst die herrschende Versart des Ge­ dichte-wären. Vielleicht wäre zu wünschen, daß dieser Gebrauch des Anapästs, mit der nöthigen Bescheidenheit, auch in andern Gedichten, undvvrnämlichinversifiztertenLust- undTrauerspielen, ein­ geführt würde. Die Dichter würden dadurch des nachtheiligrn und nicht immer vermeidlichen Zwan­ ges enthoben, fich einer Menge von schicklichen Wör­ tern und Redensarten nur darum nicht bedienen zu können, weil sie nicht in die gewöhnlichen Iam­ ben passen ; nicht zu gedenken, daß die Monotonie, eine andere, in langen Gedichten sehr beschwerliche Eigenschaft der letzter«, dadurch wenigstens, gemil­ dert werden könnte. Manche gute Gedichte würden, durch dieses einzige Mittel, von Wörtern die nicht an ihrem Platze stehen, von Füllwörtern, Härtigkeiten, ja sogar von Sprachfehlern gereinigtwerden, welche man dem Autor jetzt, wiewohl ungern, zu

der ersten Ausgabe von 1771.

XIII

gelt halten muß, da man die Unmöglichkeit sieht, daß er mit Klötzen an den Füßen so leicht und ungezwungen sollte tanzen können, als vb er frei wäre. Diese Einführung des Anapästs indieZambischenDerSarten wäre nichts weiter als eine Frei­ heit, deren sich schon die Alten bediestt haben, um ihren Iamben mehr Mannigfaltigkeit zu geben, und sie in dramatischen Stücken berSprache deS gemeinen Lebens näher zu bringen. UebrigenS bedarf eS kaum der Erinnerung, daß die Verse deS neuen AmadtS (bis das Talent Gedichte za deklamiren etwa einmal bei uns die Gestalt einer förmlichen Kunst erhält) mit gehöriger Aufmerk­ samkeit den Akzent immer dahin zu setzen, wo er dem Sinne der Worte und dem Ton oder As» fekt des Redenden zu Folge stehen müßte, wenn kein bestimmtes Sylbenmaß vorhanden wäre, wentgsteüs wie lebhafte Profe reeltirt wrrdert müssen; eine Regel, die zwar gewisser Maßen auf alle DerSarten anwendbar ist, aber bei die« ser vorzüglich genau beobachtet werden muß, wenn nicht bald dem Wohlklang, bald dem wah-

XIV

Dorbericht.

ren Ausdruck, und oft sogar dem Sinne der Worte Gewalt geschehen soll. Nach allem, was Hagedorn zur Recht­ fertigung der Anmerkungen, womit er seine Ge­ dichte mit beinahe verschwenderischer Hand zierte, gesagt hat, scheinen die unsrigen einer Schuhrede um so weniger zu bedürfen, da man ausdrück­ lich darauf bedacht gewesen, bloß den vermuth­ lichen Wünschen solcher Leser und Leserinnen zu­ vor zu kommen, die keinen Anspruch machen allezu wissen, und denen erlaubt ist, ohne Beschä­ mung sehr viele- entweder nie gewußt oder wie« der vergessen zu haben ; und wenn man sich da­ bei nicht immer auf da- bloße Nothdürstig« eingeschränkt hat, so geschah e- bloß, weil man glaubte, daß in Werken, deren Hauptzweck eine angenehme Unterhaltung de- gebildeten Theilde- Publikums ist, alle- was hiezu beitragen kann, ohne den Leser gar zu weit au- dem Wege zu führen, an feinem rechten Platze stehe.

Vorbertcht }u -er gegenwärtigen Ausgabe.

Der Neue AmadiS sollte, nach dem ersten Ge» danken de« Dichters, inStanzen von zehen Zellen verfaßt werden, welch« in ihrer Art eben so neu seyn sollten, alü eS der Versbau, und in der That das ganje Gedicht in jeder Betrachtung war. Zum Bewerfe hievon wird man, bei Vergleichung der ersten Ausgabe von 1771 mit der gegenwärtigen, finden, daß der ganze erste Gesang, wiewohl die Stanzen nicht mit Zahlen angegeben find, doch wirklich in die nämlichen zehnzeiligen Abschnitte zerfällt, die man hier, nur mit wenigen Veränderungen ein, zelner Worte und Verse, wieder findet. Erst,

Dorbericht

XVI

als in der Folge die damalige Laune des Dich­

ters, welche schlechterdings von allen willkührlichen Regeln frei seyn wollte,

auch die Be­

wegung in sehr freien Stanzen noch zu regel­

mäßig fand,

wurden,

um das Abstechende der

Verstfikazion des ersten Gesangs von dem freiern

Rhythmus aller übrigen unmerklicher zu machen, nicht nur auf der zwei und zwanzigsten und vier

und zwanzigsten Seite (der Ausgabe von 1771) wirklicher Absatz

ein

nach

den Worten „be­

ginne deinenGesang!" und „beräuchert die fürstlichen Nasen" — angebracht, hin­

gegen auf S. 2g. die fünfzehnte Stanze ohne Absatz an die vierzehnte angehangt, sondern so­

gar,

um in der dreizehnten Stanze,

anstatt

zehn Zeilen, eilf zu bekommen, die Worte-— „weißhalsig,

weiß

von

Hand

und

Stirn und Haar" — eingeschoben.

Noch im zweiten Gesänge liefet man die sechs

ersten Stanzen der neuen Ausgabe vbinllhe unvor-

ändert wie sie ursprünglich waren, und erst mit der siebenten beginnt die ganz ungebundene Versund Reimart, die dann durch alle siebzehn Ge­ sänge der ersten Ausgabe fortgeht, und — wie­ wohl sie der Willkührlichkeit des zügellosen GeniuSCapriccio die angemessenste scheint, doch in der That weniger den Namen einer freien als einer licenziösen Versifikazion verdient, und den Dichter wirklich nur zu oft zu Nachlässigkeiten ver­ leitet hat, die, wenn auch andere'sie zu verzei­ hen geneigt wären, niemand sich selbst verzeihen soll. Er hat eS also für eine Pflicht, die er der Kunst schuldig sey, gehalten, das Aergerniß, daS eine solche poetische Sankülotlerie künf­ tigen angehenden Versemachern geben könnte, weg­ zuschaffen, und sich weder die Zeit noch die Mühe dauern zu lassen, die dazu erfordert wurde sieb­ zehn Gesänge dieses Gedichts in zehnzeilige Stanzen von ähnlicher Art mit denen, worin der erste Gesang geschrieben war, umzuschmelzen; WNlandi ffi. 14- Bd. * *

XVIII

Vorbericht

eine Operazion, die ihm zugleich Gelegenheit gab, in der Sprache und Versisikazion, und nicht selten in andern noch wichtigern Erfordernissen eines guten Gedichtes, eine Menge Verbesserun­ gen zu machen; die aber auch umso viel schwe­ rer war, da das Mühselige derArbeit dem Leser gänzlich verborgen werden mußte, und der ur­ sprünglichen Laune, welche den wesentlichen Cha­ rakter dieses komisch-satirischen Gedichtes aus­ macht, nicht der geringste Abbruch geschehen durfte. Seine aufmerksamste Bemühung ging dahin, demselben, ohne Nachtheil der ungezwun­ gensten Leichtigkeit und anscheinenden (aber auch nur anscheinenden) Kunstlosigkeit, eben dieselbe Korrektheit des Styls und der Sprache zu geben, die er (so weit es in seinem Vermö­ gen stand) allen in dieser Sammlung erscheinen­ den Gedichten zu geben, mit der äußersten Strenge gegen sich selbst beflissen gewesen ist. Auch schmeichelt er sich, es werde bei einer genauern

der gegenwärtigen Ausgabe.

xix

kritischen Vergleichung beider Ausgaben sich finden,

daß der Neue Amadts durch diese Umarbeitung nicht nur von einer Menge Fehler und Flecken

gereinigt,

sondern vielleicht auch der positiven

Vollkommenheit, deren ein Gedichtdieser Artfähig ist, um ein merkliches näher gebracht worden sey.

Daß die Mannigfaltigkeit der Formen, die in

den zehnzeiligenStanzen des NeuenAmadis (eben so, in ihrer Art, wie in den achtzeiligen des Oberon) herrschet, vielmehr für eine

Schönheit als für einen Fehler desselben zu hal­

ten sey, werden uns vermuthlich die Meisten ein­ gestehen,

welche Sinn für die Grazien eines

Sylbentanzes haben,

der bei aller seiner

Freiheit niemals, oder doch nur selten, über die

Wellenlinien der Schönheit hinaus schweift, und wiewohl an einem losern Bande geführt,

doch

in seiner scheinbaren Ungebundenheit immer zwi­

schen Rhythmus und Harmonie

dahin schwebt.

Mit brsserm Grunde könnte hingegen getadelt

xx

Dorbericht

werden, daß der Fall — zwar verhältnißmäßig nicht allzu oft, aber doch immer noch oft genug — vorkommt, wo die Stanzen, anstatt mit einem Punkt, und also mit der Periode selbst zu schließen, sich mit einem Kolon oder Semi­ kolon, ja wohl gar mit einem bloßen Komma endigen, und die Periode also in die folgende Stanze hinüber gezogen wird. Allein, wiewohl nicht zu läugnen ist, daß eine solche Freiheit an einem Dichter, der sein Werk gleich bei der ersten Ausführung in Stanzen arbeitete (zumal wenn er sich dieselbe öfters erlauben wollte) sehr zu tadeln wäre: so dürfte es doch wohl billig seyn, demjenigen, der ein so freies Werk der guten Laune, als das gegenwärtige in seinem Ursprung war, vier und zwanzig Jahre später erst in Stan­ zen umschmelzen will, und doch so wenig alü möglich von irgend einer wirklichen Schönheit des ersten Originals verloren gehen lassen möchte, in diesem Stücke nur wenigstens so viel nachzu-

der gegenwärtigen Ausgabe.

xXt

sehen,

als man ihm schlechterdings nachsehen

muß,

wenn man nichts Unmögliches von

ihm fordern will.

Wir erinnern dieses bloß,

um, so viel an uns ist, zu verhüten, daß nicht etwa ein künftiger junger Dichter (den D i chteklingen,

deren Geburten doch nur Einen

Tag zu leben haben,

steht alles frei) sich zum

Gebrauch gleicher Freiheiten verleiten lasse, und,

was an ihm bloße Bequemlichkeit und sträfliche

Nachsicht gegen sich selbst wäre,

mit der ver-

meinten Autorität eines Beispiels,

das in sei­

ner Art vielleicht einzig ist und schlechterdings

nicht Beispiel seyn darf, rechtfertigen zu können

glaube.

setzen,

Uebrigens

müsse»

wir

noch

hinzu

daß diese Warnung eigentlich nur auf

die (auch im neuen Amadis seltner vorkommen­

den) Fälle geht,

wo die Stanze mit einem

Komma

oder

schließt,

wohl gar,

ohne alle

Pause, sich an die folgende anschmiegt.

Denn

auch Ariost erlaubt sich in seinem Orlando

XXII

Dorbericht

nicht selten, eine Stanze mit der Hälfte der Periode oder auch mit einem Semikolon zu endigen; und eö wäre nicht billig von einem Deutschen in diesem Punkte mehr zu fodern, als der wohlklingendste aller Italienischen Dich­ ter in einer so geschmeidigen Sprache als die Toskanische geleistet hat. Zu dem, was über die Versart der Stan­ zen de- neuen AmadtS in der ersten Vorrede bereits gesagt worden, setzen wir noch hinzu: daß, da unsre Sprache nur sehr wenig Ana­ pästen hat, hingegen sehr reich an Dakty len ist, le, Tom. IV. p. 3ß*. W.

St. 6. Sapajttß — Eine Affengattung, zum Geschlechte der Meerkatzen (Cercopiihecus) gehörig. St. 7. Dem Dichter, der------- mit Leda's Ei begann— Anspielung auf eine Anspie­ lung, die Horaz auf einen übrigens unbekannten Dich­ ter macht (A. P. 147.), der, statt eine Begebenheit zusammenzuhalten, die Geschichte des trojanischen Krieges mcht mit Entführung der Helena, sondern mit der Helena Mutter, Leda, begann, die bekannt­ lich zu ihren Eiern, aus deren einem die schöne He­ lena entsprang, durch den Schwan Jupiter kam. St. y. Quam ob rem? —' Warum. St. 13. Gruppe — in Vulkans Netze — Homers Odyssee Ges. 3. St. 16. Nichts hörnen noch sehn u.s.w. —

158

Anmerkungen.

Unser Dichter spielt hier ohne Zweifel auf eine Er­ zählung des Prior an, dessen Gedichte um die Zeit, da er gegenwärtiges verfaßte, eine seiner Lieblings­ lektüren waren , worin merrv Andrew (ein Schäker, der mit unserm ei - devant Hanswurst nahe ver­ wandt ist,) seinem Prinzipal seine auf jenen Grund­ satz gebaute Fitosofie beizubringen sucht. Denen, welche der Sprache des Originals nicht mächtig sind, wird eine Uebersetzung derselben, so gut sie un§ gelingen wollte, vielleicht nicht unwillkommen seyn. »Am letzten Markt in Southwark schritt Der lust'ge Andrees, unsre Obern Nach Standsgebühr, und feine Freunde, Die Sans - Culoties, zu ergötzen. Mit einer großen Ochsenzunge In seiner Rechten, in der Linken Mit einer ungeheuern Knackwurst Bewaffnet, im behaglichsten Gefühl von Sattheit, ernst und schweigend, ßuer über das Theater hin.

Demüthig naht sein Prinzipal Dem stolzen Speckhals sich, zu fragen. Was diese emblemarische Prosopöie bedeuten sollte?

Kein Griechisch; Herr! erwiedert Andrees, Ich Haffe all" den Heidenplunder!

Anmerkungen. Laß unS auf gut altenglisch sprechen. Gelehrsamkeit ist dein Talent, Das meinige ist Mutterwitz. Du armer Schelm! An Ochsenzungen Und Knackwurst hast du keinen Anspruch! Auch ich war einst, verzeih' mir's Gott! So ein geschaft'ger Narr wie duz Wollt' innner alles reformiren. Und wußte nicht bei welchem Zipfel Jch's fasten sollte; schalt und lobte. Mit guter Absicht, wenig Klugheit, Die Dinge dieser Welt, wie ich's Für recht erkannt: allein dafür Erging mir's auch gerad' wie dir; Ich war ein Biedermann und nagte Am Hungertuch. Doch, meinen Sternen Sey Dank! seitdem ich das Geheimniß, Ein großer Mann zu werden, fand, Steht'ö desto baß um meinen Magen.

O holder Andrees, spricht zu ihm In Demuth sein gebeugter Meister, Don nun an tauschen wir die Rollen; Sey du der Herr und ich der Diener, Nur lehre dein Geheimniß mich! »So °bücke dich und spitz' die Ohren, Denn zweimal hörst du's nicht von mir.

159

i6o

Anmerkungen» Was dein Patron auch thun und sagen m a g, Sey immer unterthanigst seiner Mein u n g, Schlaf viel, denk wenig, sprich noch weniger; Gut oder schlecht, recht oder unrecht, Narr, Was kümmert'- dich? Laß alles gehn wie' s geht, Und zäumten sie beim Schwänze rhren Gaul, Friß deine Knackwurst, Sklav, und halt dern Maul! Indem er so filosofirte, Kam ein hochwürdiger Prälat Mit Sechsen just daher gefahren; Hielt einen Augenblick, sein Jwerchfekk Mit unsers Lustigmachers Späßen Ju beßrer Eßlnst zu erschüttern : Kaum traf der goldne Spruch sein Tyrrrpanum, Rief er: fahr zu! der Kerl ist nicht so dumm! W.

St. 17. Doktoren von Bakk und Sa­ markand— Die Stadt B a l l' in der ehmaligen persischen Provinz Korassan, und Samarkand,

Anmerkungen.

161

die Hauptstadt der Provinz Maurannahar oder Mavaralnahar, beide vor Zeiten sehr große und blü­ hende Städte, waren auch als Sitze der Gelehrsam­ keit berühmt, ehe sie im Jahre 904 der Hedschra O5r6) in die Gewalt der UßbeckLschen Tataren kamen; unter welchen sie (wie nicht zu bezweifeln ist) sehr viel von ihrem vornratigen Wohlstand und Glanz verloren haben sollen. W. St. i8. Wie Neukirchs Schäfer u.s. w. — Da die Werke des «i - devant berührten Poeten Benjarnrn Neukirch, dessen Reimereien Gottsched noch im Jahre 1744 als Meisterstücke anpries und wie­ der auflegen ließ, dermalen unter die seltnen Bücher gehören: so war es billig, sein Andenken bei dieser Gelegenheit zu erneuern. Die Stelle, auf welche hier angefpielt wird, ist aus seinem Schäfergedicht an Sylvien genommen, und muß, wenn man ihre ganze Energie fühlen will, im Zusammen­ hang gelesen werden. ».Ach, stolze Sylvia, laß deinen Zorn stch wenden; Ich will drr, wo du willst, auch wohl Geschenke senden, Nicht etwa« die der Wald und unser Garten tragt, Nicht die das reife Feld uns in dre Scheunen legt; Nein, sondern einen Putz mit Puder überschlagen, Wie in der Stadt jetzund die Bürgereiöchrer tragen, Und einen bunten Korb, den neulich erst Serran Wielands W. 15. Bd. 11

Mit großer Kunst gemacht, Serran, der kluge Mann u. s. w. Doch wo du hierdurch auch nicht zu bewegen bist, So weiß ich ärmster nicht, was weiter übrig ist, AlS daß ich meinen Rumpf an diesen Eich­ baum henke. Vielleicht liebst du mich todt, weit ich dich lebend

kränke. Schreib aber auf mein Grab nur noch zu guter Nacht, Allhier hat Sylvia den Thyrflß umgebracht. W.

St. 18. Sin wahrer Pantin u. s. w — »Die poffirlichen kleinen Kartenmannchen, welche un­ ter diesem Namen, gegen die Mitte unsers Jahrhun­ derts zur allgemeinen Unterhaltung der damaligen Elegans und Elegantes dienten, gehören unter die

transitorischen Erfindungen des" französischen Witzes, von welchen die Nachwelt Mühe habenwird stch einen Begriff zu machen, und um derentwillen ein Jour­ nal der Moden eme Sache wäre, wodurch einer von den müßigen schönen Geistern dieser Nazion sich sehr verdrent machen könnte." Dieß schrieb unser Autor vor 22 Jahren, und sah seinen Wunsch, wie­ wohl nur zum Theil, durch ein im December 1785 in Pares zuerst eröffnetes Cabiuet des Modrs erfüllt; dessen erheblichster Nutzen war, daß es das bald darauf in Weimar unternommene Journal der Moden veranlaßte, welches sich schon mrt dem Jahre

Anmerkung en.

r§3

X787 nach einein erweiterten Plan zu einem Iournai desLüxuS und der Moden ausbildete, und, ungeachtet alles zufälligen Schadens, den sich Unbe­ sonnenheit und Thorheit durch Mißbrauch desselben aufiigen können, eine Unternehmung von mannigfal­ tigem Nutzen ist, welche, in so fern sie immer in so guten standen bleibt wie bisher, aus vielerlei Ge­ sichtspunkten, und vornehmlich auch als fortlaufende Sammlung urkundlicher Beitrage zur Geschichte der Menschheit in Rücksicht auf Geschmack, Sitten, Künste, Handlung, Geist und Charakteristik der Zeiten u. s. w. so sänge interessant bleiben muß, als LuxuS und Moden in unserm Welttheile Statt finden werden, d. i. so lange Europa seinen Zustand nicht entweder mit dem von Ne uholland vertauschen, oder sich einförmigen Vollkommenheit einer Platoni­ schen Republik erheben wird. W. St. ig, Cornelia, Tochter des großen Scipio, welcher Hannibal besiegte, Schwiegermutter deS jüngern Scrpio, welcher Karthago zerstörte, war nach dem Zeugniß des Alterthums die erste grau ihrer Zeit. Ihre berühmten Söhne, Tiberius und Cajus Gracchus, verdankten ihr meist ihre Bildung; ihr Stolz war, dw Mutter der Gracchen zu seyn. Sechster Gesang. Stanze a. Artus —fabelhafter König in Eng­ land, Stifter der Tafelrunde.

IÖ4

Anmerkungen.

S t. 2. Ritter sans peur et 8ans reproche —* Die­ sen ehrenvollen Beinamen erwarb sich durch seine militärischen und bürgerlichen Tugenden der berühmte Ritter Bayard, einer der großen französischen Helden unter den Regierungen Karls Ylli. Ludwig XIL und Franz i. Der letztere gab ihm bald nach seiner Thronbesteigung einen ausgezeichneten Beweis seiner Hochachtung, indem er sich von ihm mit allen in der alten Ritterzeit üblichen Zeremonien zum Ritter schla­ gen ließ. W. St. 8. Lob--------- selbst aus demMunde des Thoren — Wenigstens nach der Meinung des berühmten Cervantes — » Es ist nicht zu sagen (spricht er von einem jungen Dichter, der dem Rit­ ter von Manchs eines seiner Stücke^orgelesen hatte,) wie groß die Freude Don Lorenzo's war, da er sich von Don Quichotte» so mächtig loben hörte, wiewohl er ihn für einen Narren hielt." — Der Schlüssel zum Räthsel ist, daß Don Quichotte nicht immer, noch in allen Dingen ein Narr war, sondern, seine rit­ terlichen Anwandlungen ausgenommen, über tausend andere Gegenstände wie ein verständiger und scharf­ sinniger Mensch sprach. Sein Lob konnte dem jungen Lorenzo also mit gutem Fug angenehm seyn. — Im Vorbeigehen bemerken wir, daß das hier, aus Zwang des Reims, gebrauchte Wort Thor, welches man in gereimten Versen so oft genöthigt ist statt Narr zu gebrauchen, hier nicht am rechten Orte steht.

Thor ist daß Aeguivalent für das französische sot, Narr für sou. Man kann mit vielem Wrtz und Geschmack ein Narr seyn, aber unmöglichem Th o r; das Lob des erster» kann schmeichelhaft seyn, des letztem ist demüthigend. W. St. iz. Die Heldin der Iliade — ein wenig am men haft. — S. über Helena die Anm. zu Ges. 3. St. 6. ©V. 16. In Ritter Bernrn^s Geschmack — Joh, Lor. Berninr geb. $» Neapel 1598/ gest, zu Rom 1630, Maler, Bildhauer und Baumeister, wurde von seinen Zeitgenossen dem Michel Angelo an die Seite gesetzt. Um ihn auszu-eichnen, erhob ihn Papst Ur­ ban vill. in den Ritterstand. Die Nachwelt hat indeß das Urtheil der Zeitgenosse» nicht bestätigt, sondern Bernmi für den Urheber eines falschen Ge­ schmacks erklärt. St. 18. Jum gelben Fluß — Der gelbe Fluß, Hoangho, entspringt auf den Gebirgen von Tibet und nhnmt feinen Lauf durch China ins gelbe Meer. St. 29. Ali — war der Schwiegersohn und Nachfolger, Abubeker (Abubeke) d. i. Vater der Jungfrau, der Schwiegervater Mahomedö. St. 34. Lilliputter — ein Volk von der außerordentlichsten Kleinheit, sind durch Gullivers

Reisen von Swift bekannt.

166

Anmerkungen.

siebenter

Gesang.

Stanze, i. Sokratische Grazien — Dermurhlich eine Anspielung auf die marmomen Bilder der Grazien, welche vor dem Eingang des Schlosses zu Athen standen, und ein Jugendwerk desnamlichen Sokrates waren, der in der Folge Platonen, Alcibiaden und Xenofonten bildete. Diese Grazien wa­ ren bekleidet. Die Idee sie zu bekleiden wikrde ihm Ehre machen,, wenn er der Erfinder davon wäre. Aber Pausanias berichtet unS, die Mode, die Charitinnen nackend zu bilden und zu malen, sey erst in spätern Zeiten "aufgekommen, ohne daß er eigent­ lich habe entdecken können, wann und von wem, W.

St. 8. Bis zum Platonischen Jahr. — Das Platonische oder große Jahr nennt man die Zeit, deren dre Fixsterne zu ihrer eignen Bewegung um den ganzen Himmel nöthig haben, und welche die Alten zu 36,000 Sonneniahren angaben.

St. 9.Die Oschanteyen — s. Bd.8» S. 284» St. 14. Auf dem der Fluch des alten Chams ruht. — Die ethnographische Stammtafel der Söhne und Nachkommen Noahs (i.B. Mos. 9.) leitet die verschiedenen ihr bekannten asiatischen und afrikanischen Völkerschaften von den drei Söhnen Noahs: Sem, Ham, (Cham) und Jephet ab. Die Chamiten find diejenigen, welche fich nach den heiße-

Anmerkungen.

167

ren Landern deö Süden-, nach Afrika u. f. w., auSbreiteten. Ihre dunklere Farbe wird von einem auS der Mosaischen Urkunde bekannten Fluche abgeleitet. ©L 13. Indem sie über- Knie den Rock zurücke streift — Wie viel Impertinenz man auch einer Tochter Dambo's, und wie viel Eitelkeit einer so sehr in sich selbst verliebten Närrin wie Bläffardine Zutrauen mag, so ist doch nicht -u läugnen, daß man sie hier auf eine Art sprechen und handeln laßt, die sehr hart gegen die gemeinen Begriffe von Sittsamkeit und Anständigkeit verstößt. Weil Ent­ schuldigungen in einem solchen Falle eigentlich nichts entschuldigen, so wollen wir lieber hören, was den Dichter verleitet haben mag, den Charakter der abge­ schmackten Blaffardine so weit zu treiben, und ob sich nicht vielleicht 5um wenigsten die poetische Wahrheit desselben rechtfertigen läßt. Uns dünkt, ein paar Beispiele, daß Damen, die in Ansicht der Sittlgkeit ihres Charakters dieser Bambo'stochter weit vorge­ hen, ungefähr das Nämliche gethan haben, was Blaffardine thut, um unsern Helden von der Allge­ walt ihrer Reize zu überführen, sollten hinlänglich seyn, den Dichter gegen alle billige Dorwürfe über diesen Punkt sicher zu stellen. Glücklicher Weise fonr nen wir uns zu diesem Behuf auf die schöne Jemrude aus den Miiie et un joiir, (die Angela in Gozzi'ö glücklichen Bettlern) und auf eine Anekdote, welche GrafHamilton von Miß Stuart,

i68

Anmerkungen,

einer £)ame am Hofe König Karts II. von England­ erzählt, berufen. Es ist wahr, Jemrude, — da fie dem Kadi unter dem Namen der Tochter des FarberS Usta Omar einen Besuch macht, um ihm durch diesen Betrug einen Streich zu spielen, den er zwar über­ flüssig verdient hat, der aber darum an ihr nicht weniger tadelhaft ist, — treibt die DemonstrazioN ihrer Reize nicht völlig so weit als Blaffardine; allein dafür kommt der letzter» zu Statten, daß sie nicht, wie jene, die Absicht hat den Ritter zu ver­ führen, sondern ihn bloß durch den Augenschein von der Unmöglichkeit überzeugen will, daß der Neger bei ihrer Erblickung im Bade den Verstand nicht hatte verlieren sollen. Mit einer in ihren Augen so untadeligen Absicht konnte sie schon etwas weiter gehen als Jemrude; und so dachte vermuthlich auch die schöne Stuart, da sie (als die Rede von den schönen Beinen der Russischen Damen war, und der König behauptete, daß es keine schönere geben könne als Miß Stuart's) um zu beweisen, daß Se. Maje­ stät nicht zu viel gesagt habe, den Rock bis überKnie aufstreifte und alle Anwesende zu Augenzeugen der Sache machte/ wie in Hamilton's Memohes du Comte de Granimont zu lesen ist. Nach einem solchen historischen Beispiel wäre es Ueberfluß, sich noch auf die drei Göttinnen / die den Paris zum Richter über ihre Schönheit machten, oder auf die Anekdote, die zur Erbauung des Tempels der Venus Kalli-

Anmerkungen.

169

pyga Gelegerrheit ssegeben haben soll, berufen au wollen. W. .St. 19. Was an Helenen der alte Dares preiset.— S. die Annr. zu Ges. 3. St. 6. St. 20. Der Dechant von Kille eine. — Lc Doyen de ftiiinine, ein zu jener Zeit noch sehr bekannter Roman des fantasiereichen P r evo t d'Exi­ le 6, zuerst erschienen Amsterd. 1743. 6 Bde 12. S t. 20. Herr Futat 0 rius — Ein Charakter, den wir aus dem 4.Theile des Tristram S'handy als allgemein bekannt voraussetzen, und von welchem nur za viel Kopien in der Welt herumgehen. W. St. 2r. Dem Biß von einem kalkuttischen Hahne — Ich erinnre mich keines andern Gewahrmanns als F r e r 0 n s (des von Doltairen so übel mißhandelten Verfassers der Annce T.iieraire) ffrr die Anekdote von dem französischen Iuvenal, N. Doiteau, die ich auch anderswo gefunden zu haben glaube, daß er in seiner Kindheit von einem Trut­ hahn auf eine Art verstümmelt worden sey, nwdurch sich seine Gleichgültigkeit oder vielmehr sein Groll gegen das schöne Geschlecht ganz simpel erklären lasse. Wenn die Anekdote wahr ist, so hätte Boiteau wegen seiner galligen Satyre auf die Weiber eher das Mit­ leiden als den Unwillen der Beleidigten verdient. W. Et. 2g. Cmpusen — Die Cmpusa war bei den griechischen Ammen ungefähr was man in einigen teutschen Provinzen die Nachifrau nennt. Cie hatte

*7o

Anmerkungen,

einen Menschen - und einen Esels-Fuß, konnte alle mögliche Gestalten annehmen, und fraß die kleinen Kinder, wenn sie nicht fromm fegn wollten. Der Sofist Fitostratus schämte sich nicht, im Leben deS Apollonius von $9atm in vollem Ernst ein Mahrchen von einer solchen Empuse zu erzählen, welche der Fitosof MenipprrS geheirarhet haben würde, wenn ApolloniuS nicht zu gutem Glücke am Hochzeittage dazu gekom­ men wäre, und die Braut gezwungen hatte, ihren Eselsfuß zu zeigen, und zu bekennen, daß sie den Menippus aus keinem andern Grunde an sich gelockt habe, als um ihn erst recht gut zu füttern und dann aufzuesien. Ein erbauliches Legendenstückchen, welches gleichwohl der Jesuit Delrio, unser ehrlicher Eras­ mus Francisci; und zwanzig andere ihres Schla­ ges jenem blinden Heiden gläubig nachzuerzahlen kein Bedenken trugen. W. St. 30. Rymfe von Dank00 — Eine Ver­ gleichung, womit der Dichter Blaffardinen, wie es scheint, eben kein großes Kompliment machen will; denn sie scheint mehr auf die Ueppigkeit als die Kor­

rektheit und Zierlichkeit der Formen zu deuten.

Achter

W.

Gesang.

Stanze 13. Silen — Die Faunen, von deren einem hier die Rede ist, heißen bei den grie­ chischen Dichtern Silenen, oder vielmehr ist dieß

her allgemeine Name der alten Faunen, unt ittt besondersten Verstände desjenigen unter ihnen, der den BarchuS überall auf fernen Zügen wie ein Stall­ meister begleitet, und von den Poeten und Malern so bezeichnet wird, alö ob fein Leben Lin ewiger

Kausch sey^ W. sAus bestimmteren Untersuchungen ergießt sich, daß der römische Faunus in den grrechrschen Pan, dieFauni in ziegenfüßige PaneS übergegangen waren, und also weder mit den menschlicheren Satyrs noch deren Ober­ haupte, dem Silenos, verwechsel werden dürsten. Lin Silen war daher so wenig gehörnt, als weitmaulig. Die so häufige Verwechslung der Silenen und Panen, Faunen und Satyrs, die zum Theil schon ber den Alten statt fand, muß hrer unserm Dichter zu Gute kommen. Auf Heyne, Doß und C re uz er hier erst zu verwerfen, wäre wohl über­ flüssig.^ ©t. 14. Das Feunenrecht, — auf welches der Faun hier sich beruft, scheint ein Zweig des be­ rüchtigten Juris dhim, oder Rechtes des Stär­ ker» zu seyn, welches in unsern Tagen, der Filosofie zu Trotz, eine eiserne Stirne gegen jedes andere, sogar gegen daS, was bisher allgemein für Völker­ recht anerkannt wurde, erhebt, und unsrer Nach­ kommenschaft die tröstliche Aussicht giebt, entweder Europa von Stufe zu Stufe za dem faunenhaften Zustande der Asiatischen Steppenbewohner

172

Anmerkungen,

herabsinken, oder unter dem Scepter der großen Nemesis (auf deren Herabkunft man uns schon so lange hoffen heißt) das Vernunftrecht über das Faust recht tmd Schwertrecht endlich auf immer triumflren frit sehen. W. S t. 26. T b c a g e n e s machte- die Probe — S. Heliodors Roman von Theagenes und Chariklea, iTheil, ^tes Buch, 1. Kap. S.30g der Mein­ hardt sch en Ueberfetzung. W. St. 26. B u sen baum — Dieser berühmte Jesuit wird' hier genannt, weil er einer der nachsichts­ vollsten Moralisten und Kasuisten seines Ordens war; wiewohl er, auf einer andern Seite, die Rechte des päpstlichen Bind - und röfeschlüffels gegen die weltli­ chen Gewalthaber so weit ausdehnte, daß sogar daehmalige Parlement von Toulouse sich gedrungen fand, seine Moral-Theologie zum Feuer zu verdammen, als sie, (nachdem sich schon mehr als fünfzig Auflagen vergriffen hatten) im I. 1757 von einem Theologen eben dieses vielgestaltigen uiib unzerstörbaren Ordens wieder neu aufgelegt wurde. W. St. 30. Die Seele, vom Stagiriten die' sensitive genannt. — DerStagirit, Aristo­ teles, hatte in der Pflanze Vegetation, in dem Thiere Empfinden und Begehren, in dem Menschen Denk­ kraft als unterscheidende Charaktere bcnnrkt. Da man nun Seele als Prinzip sowohl des Geistes als des

Anmerkungen.

173

Lebens annahm, so nahm er, statt eines dreifachen Vermögens in der Einen Seele des Menschen, eine dreifache Seele an, die vernünftige, die empfindende und begehrende (sensitive) und die vegetative. St. 32. Lan-elot Gobb0— S. Shakspeares t w o Gentlemen o f Verona, Act., III. Did not 1 bid lliec still mark me, and do as I do? Wheii didst llion sec nie heave up my leg and ninke water against a Genllewoman’s farthinga'le ? — W.

St. 33. D ciu ex machiua — und S t. 34. I) i P n u s v i n d i c e iiodui —- Hora) giebt in seiner Epistel an die Pisonen den tragischen Dichtern das Gesetz: *) Nec Deus inlersit, nisi dignus vindice nodns lucidcrit —

d. i. (nach der Rammlerkschen Uöbersetzung) »Man muß keine Gottheiten einmischen, wofern nicht -ur Entwicklung eine übernatürliche Kraft erfordert wird.E — Eine Gottheit, welche wie gerufen daher kommt, bloß um — dem Poeten aus der Noth -u helfen, heißt ein Deus ex machina. Dergt, Td. 6 S. 317* W. St. 35. Seit Pope in seiner geraubten Locke —

*) Und Wieland nennt daher hier den Gesetzgeber, der Dichter Horaz — unsern Lykurgus.

174

Anmerkungen.

To fifty chosen Sylphs, of special notc, We trusl th’ important Charge, the petticoaL R. of the L* Ganta II. v. 117, Er muß diesen Posten für sehr gefährlich gehalten Haven. W. Neunter

Gesang.

St. 7, Und war' es der Ded schiert gar — »Dedschial oder Dad schrat (sagt Herbe lot) bedeutet im Arabischen eigentlich einen Lügner und Betrüger, ingleichen auch einen der nur Ein Auge und Eine Augenbraune hat; wie der Antichrist billig beschaffen seyn muß, welchen die Mahommedanep mit diesem Namen belegen." — Sie glauben auf daö Wort des Tarnim-al-Dari (eines von den Sa­ tz a ba oder Gefährten Mahommeds, der die Geschichte des Antichrists unmittelbar aus dem Munde des Pro­ feten geschöpft zu haben versicherte,) daß dieser Dedschrat vor dem Ende der Welt erscheinen und großen Unfug anrichten, endlich aber von Christus (der nach der Meinung der Moslems noch nicht gestorben ist) bei ferner zweiten Zukunft werde überwunden wer­ den, u. s. f. W. St. 8. Die Helden am Skam ander — Homers Helden sind bekannter Maßen Leute von großem Appetrt. In den Zeiten dieses Dichters hatte man noch keine andre als sehr natürliche Begriffe von

Anmerkun - en.

175

der Glückseligkeit; oder richtiger, man hatte gerade die, welche jedermann zu allen Zeiten gehabt hat: aber man ließ sich noch nrcht ernfallen, sich derselben zu schämen. Kalchas ab und trank anAgamemnons Tafel, und ließ es sich so gut schmecken als irgend ein Prälat oder Superintendent in der Chri­ stenheit? aber es fiel ihm nicht cm, außerhalb der Tafel auf die Vergnügungen der Zunge und deö Gaumens zu schimpfen. Theorie und Praxis war damals einerlei; denn die Leute jener Zeit waren rohe einfältige Leute, und konnten noch keine Distinkzionen machen. W. St. 16. Minauderre — Schönthuerei,Ziererei, St. 22. Porfyrist — Die neuern Platomker von der Alexandrinischen Schule, (unter welchen PorfyriuS einen großen Namen hatte, und deren schwärmerische Theosofie, im sechzehnten Jahrhundert, unter andern, auch von unserm berühmten Reucht in oder K a p n i 0 wieder aufgewännt wurde) waren gewaltige Geisterseher. Die unsichtbare Welt war ihnen ungleich bekannter als dw sichtbare, in welcher sie immer Fremdlinge blieben. Sie klassifizirten die Geister so zuversichtlich als Linnens die Pflanzen und Thiere, wiesen einer jeden Gattung ihre Verrichtungen an, und schrieben die Mittel und Wege vor, wie man mit ihnen in Gemeinschaft tre­ ten, und sie sich sogar unterwürfig machen könne. Der Satz, daß ern jeder Mensch seinen eigenen Dä-

i;6

Anmerkunge n.

mon hake, machte einen Dogmatik auS. W.

wesentlichen Punkt ihrer

St. 27. Die Räthsel im Merkur, nämlich im Mer eure < us con.mune$, in einem so gezierten Dortrage, gelindert zu werden. W.

Anmerkungen.

177

St. 4. Nekromant — Wahrsager durch Be­ fragen citirter Verstorbener. St. Z. Ein Gymnosofist — Die Gymnosofisten oder nackten Weisen sotten eine Art von filosofischem Orden unter den alten Indiern gewesen seyn, deren Grundsätze und Lebensweise mit denen, die uns I. I. Rousseau in seinem Disco ms sur l’inegal.ic anpreiset, viele Aehnlichkeit gehabt -u haben scheinen. Die ausführlichsten Nachrrchten von ihnen geben uns Strabo, Filostratus und Porfyriuß, von welchen die beiden letztern (wiewohl sonst große Freunde des Wunderbaren) sich auf denBardanes und Onesikratus, als Augenzeugen, be­ rufen. Das Ansehen eines Jilostratus ist für einen Geschichtschreiber nichts: aber es ist mehr als h nlanglich, die Dichtungen eines komischen Poeten ;u unterstützen. Wenigstens scheint unser Dichter von dem hohen und übernatürlichen Begriffe, den dieser Sofist in seiner Legende vom Apollonius von den Gymnososisten giebt, Gelegenheit genommen zu haben, rhn zu einem theososischen Schwärmer und eingebildeten Kandidaten des großen Geheimnisses der Hermen sche n Filosofie, des Steins der Weisen, zu machen. Wie übrigens dieser Gymnofofist von den Ufern des Ganges in eine Höhle des Berges Atlas in Afrika gekommen sey., möchte wohl ohne Hülfe der poetischen Freiheit nicht zu erklären seyn; wiewohl die Alten auch von äthiopischen Wtrland- W. 15. Dd. X2

178

5s n m e r k u n g e n.

Gymnosofisten sprechen, deren Schüler er vielleicht gewesen seyn konnte. W.

St. 6. Von dem, was ist u. s. w. — Nur das was wahrhaftig ist, verdient, nach Plato und I. M. Lequinio, die Aufmerksamkeit des Weisen, und darin stimmen wir ihnen bei; mit dem einzigen Vorbehalt, daß sie uns erlauben, uns zu­ weilen auch an dem was nur so scheint zu erlustigen; eine Ergötzlichkeit, die uns der erstere um so weniger versagen kann, da er sie foger Len Bewoh­ nern der überhi m ut (i f d) c rt G eg, c n Len zu ge­ steht. Die Filosvfie des in Ostindien, Siam, China, u. s. w. hochverehrten F o oder F oe, wiewohl sie mit der platonischen vielleicht nahe verwandt ist, scheint, buchstäblich genommen, gerade das Gegen­ theil von ihr; denn eines seiner geheimen Dog­ men soll gewesen seyn: »Die höchste Vollkommen­ heit und Seligkeit besiehe in der Vereinigung mit dem Leeren, aus welchem alles entstanden sey, und in welches sich alles wieder verliere." W. St. 7. Wiedas, so Epikur — »DieGötter haben einen menschlichen Leib, sagt Epikur, aber nur gleichsam einen Leib, und das Blut, das darin zirkulirt, ist nur gleichsam ein Blut." Cicero de N. D. L. 1. c. 18. W. St. 9. Ium Venusbitd erhob — Dieß ver-, sichert uns wenigstens Athenaus; wiewohl in der

Anmerkungen.

179

.'tbhandtung über bie Ideale der Alten einige Hiebt ganz unerhebliche Zweiset dagegen Vorkommen.

W. St. 9. In diesem Menippischen Ton— Das heroische Räsonnement, das in den vorgehenden Dersen dem Gymnososisten in den Mund gelegt wird, gehört eigentlich dem Lucian zu, der im igten fer­ ner Todtengespräche seinem Günstling Mentppus die Ehre davon giebt. (S. 260 int 2fen Bande der Übersetzung von Lucians sämmtlichen Werken.) W.

St. 9. Mit Ossa und Pelion — So hießen die zwei thessalischen Berge, welche die neunjährigen Riesen Otuö und E fialt es aus ihren Sitzen ris­ sen, um sie aus den Olymp zu wälzen, und solcher Gestalt den Sitz der Götter zu ersteigen. Homer Odpff.Xl. und Lucians Werke, ater Band S. 167. W. St. 13. Wir sehn's an Miltons Teufel — S. Paradise lost, B. IV. v. 358. u. f. Der Wahrheit zur Steuer muffen wir sagen, daß unser Dichter sich einige Frechen mit dem guten Milton hvwusnimmt, und ErensSchönheit allein ztischreibt, was bei diesem die Wirkung des ersten Eindrucks ist, den die Schönheit und Unschuld der beiden erste» Menschen auf den -efallnen Erzengel macht. W.

St. ig. Nach seinen Vettern, den Ster­ nen — Rach der hermetischen und zoroastrischen

Igo

Anmerkunge n.

Filosofie sind unsre Seelen mit den Sternen ver­ wandt; beide sind göttlichen Geschlechts. W. St. 19. Nach sein er 2(( ten —Ad yetulam

tarnen iila suam properabat eic.

W.

St. 2o. Der einen Gottim Fl uge halten würde — Mit diesem Inge vollendet Homer sein zauberisches Gemälde von der Insel und Grotte der Kalypso im fünften Gesang der Odyssee. W. St. 20. Wie.jener im Plato — Eine An­ spielung auf die berühmte allegorische Darstellung des Zustandes der menschlichen Seele, so lange sie unter der Herrschaft der Sinnen steht, in Vergleichung mit dem, da sie zum Anschauen des intellektuellen Wahren gelangt; im Anfänge d'es7ten Buchs der Repu bLik Platons. W. St. 25. Die Ritter Achilles mit seinen Pferden hielt — Madam Dacier findet ihren geliebten Homer auch in dieser Erdichtung bewun­ dernswürdig. »Die Weisheit ist ungemein, sagt sie, mit der er dieses Wunder vorbereitet und behan­ delt hat. Denn i) sind diese Pferde von unsterb­ licher Abkunft, und haben 2) schon den Tod des Patroklus beweint, mitbin bereits Proben ihres Gefühls und Verstandes abgelegt; 3") thut ihnen die

Göttin Juno den Mund auf; 4)hatte der Widdetdes Fryrus, einer alten Sage zu Folge, auch ge­

sprochen; 5) konnte Homer gar wohl von dem Wun­ der mit Bileams Eselin gehört haben, welcher

Anmerkungen.

181

der Herr den Mund aufthat, daß sie gescheider mit dem Profeten sprach/ als er ihr antwortete; und 6) kommt dem Vater der Dichter die Autorität eines großen Geschichtschreibers, des Titus Livius, zu Starten, der (sogar etliche Jahrhunderte spater) erzählt, daß vor der unglücklichen Schlacht bei Kannä ein Ochs ausgerufen habe: Roma cavc!« — Alle diese stattlichen Gründe überzeugen den kalten und gegm die Frau Dacier ein wenig erbitterten Pope so wenig, daß er es vielmehr ganz ungereimt findet, etwas Ungereimtes mit Vernunftgründen, rechtfertigen zu wollen. »Die Zeiten, auf welche man sich deßhalb beruft, sagt er, waren wundervolle Zeiten; das Volk batte einen allgemeinen Geschmack an Wun­ dern und Zeichen, und wie könnt' es anders seyn? Poeten und Priester unterhielten diesen Geschmack." — Dieß sey alles, meint er, was man von der Sache sagen könne; und im Grunde bedarf Homer auch keiner andern Rechtfertigung, zumal da vielleicht kein Volk in der Welt ist, das nicht eine mythische Zeit gehabt hatte, worin Thiere sprachen. W. St. 27. Der heiligen Theurgie — S. Bd. 8. S. 256. fss. St. 29, Schon badetimMorgenroth sich der grüne kadmelsche Drache — Ohne uns in eine, für die Profanen doch immer unzulängliche Erklärung dieser vier viel bedeutenden Verse und andrer in diesem Gesänge vorkounnender Dunkel-

182

Anmerkungen,

heilen einzulassen, begnügen wir uns den Liebha­ bern der h e rm e 1 i sch cn F i l o so fi e ins Ohr zu sagen: daß für denjenigen, der Augen zum Sehen hat, der kürzeste Weg, das große Werk der Weisen, (ivelches der d r e l m a l größt e H e rmes in seiner snraragdnen Tafel in mehr als ägyptische Finsterniß emgehüllt zu haben scheint,) glücklich zu Stande zu bringen, in diesem Gesänge so deutlich angezeigt ist, daß sie, von dem Augen­ blick an, da sie in den innern Sinn desselben ein­ gedrungen find, alle die verworrenen und (wie die leidige Erfahrung gelehrt hat) so leicht in gefährliche Irrgange verleitenden Vorschriften des Königs G eber, des Raymund Lullus, des großen Aureolus Filippus Theofrastus Bombasins Pa­ racelsus von Hohenheim, und einer Menge anderer Adepten völlig entbehren, und gleichwohl versichert seyn sönnen, daß sie von diesem großen Geheimniß eben so viel wissen, als besagter König Geber, ja der König Salomo selbst. Doch tragen wir kein Bedenken zu gestehen, daß derjenige, der den berühmten S i e g e lr i u g des letzter» in seine Gewalt bekommen könnte, sich auch ohne den Stein und die sviarische Ouinteffenz sehr wohl befinden würde; indem der bloße Besitz dieses Talismans aller Talismanen sogar einem Profanen unumschränkte Gewalt über alle Elemente und Geister giebt: wie niemandem unbekannt seyn wird, der die Ara bi-

A n m ertu n g e n.

183

scheu und Persischen Mährchen mit gehörig Aufmerksamkeit gelesen hat. W. St. ?4. Was Xenokrates einst — Von die­ sem berühmten Schüler des Sokrates, dem die Gra­ zien so fremd waren, als er vermuthlich ihnen, denen zu opfern ttym Platon rieth, erzählt man als größte Probe seiner Enthaltsamkeit, daß die schöne Fryne über ihn urtheilen mußte, er sey eine Bildsäule und -kein Mensch» Vermuthlich kostete dieß Opfer einem Manne nicht allzuviel, von dem man sagte, der Wein, wenn er ihn trinkez werde schaal, ehe er ihn an die Lippen bringe» Eilfter Gesang»

St. r. D-ie wir dem Titan — (Titanen,) Prometheus. St. 4» In in« »ns; Anfang der Stelle: in deine Hande befehl' ich meinen Geist, als Ausruf eines Sterbenden. St.7. Am Orontario-See gebraten wie­ der finde — Dieß galt einer Art von schwermüthigen Romanen, die der berühmte e > ö i durch seine Memoiies d un Homme de ()urdiie und besonders durch seinen Cleveland eine Zelt lang zur Mode ge­ macht hatte, in welchem (wenn ich mich anders noch recht erinnere) dieses hier erwähnte,-eben so entsetz­ liche als unerwartete Wiederfinden zweier Liebenden

i84

Anmerkungen,

vorkommt, und auf eine Art dargesiellt ist, die einem Kannibalen das Herz zerreißen müßte. W. St. 7. Miramolin der drei Arabien — Miramolin ist der Titel, den eine Folge von Ma­ rokkanischen Fürsten aus dem Geschlechte der Almoravid en bei den Europäischen Scrrbenten der mitt­ lern Zeiten führt. Er scheint aus Verstümmlung des arabischen Titels Emir-al-Mu men in, (Befehls­ haber der Rechtgläubigen) den sie, nach dem Beispiel der Kalifen zu Damaskus und Bagdad, annahmen, entstanden zu seyn. In den alten französischen Rit­ ter-Romanen findet man, in diesem Sinne, auch wohl überhaupt von allen Emirn muhamedanischer Völker das Wort Admiral gebraucht, welches ver­ muthlich gleiches Ursprungs ist. W. St. 8. Das Land Dorado — Eldorado wird den meisten unsrer Leser aus dem Candide als ein Land bekannt seyn, wo Gold un-d Silber ge­ meiner als bei uns Irnn und Kupfer ist, und die Kinder auf der Gaffe mit Edelsteinen, wie bei uns mit Kieseln, spielen. Um so seltsamer ist's, daß dieß Land und seine vorgebliche Hauptstadt Man 0na vor 200 Jahren für wirklich gehalten und mit einer Leidenschaft, die den eingebildeten Schätzen desselben gleich war, durch tausend Gefahren und Abenteuer gesucht wurde. Ein junger Officier, Namens Franz Hrellan a, der unter dem berühmten Eroberer von Peru Franz Pizarro diente, hatte durch eine im

Anmerkungen^

185

Jahre 1540 eigenmächtig, mit allem schwärmerischen' Heroismus eines ächten Don Quichotte/ wiewohl fruchtlos unternommene, Entdeckungsreise in die da­ mals noch fast ganz unbekannten Länder von SüdAmerika, die sich von der Osiseite der An des bis an den Ocean erstrecken, den ersten Grund zu diesem Mährchen gelegt^ indem er den spanischen Hof durch die wundervolle,: Erzählungen, die er bei seiner Zu­ rückkunft von fernen vorgeblichen Entdeckungen gro­ ßer Städte, worin Tempel und Paläste mit Ziegeln von gediegenem Golde gedeckt waren, einer großen Amazonen-Republik, und dergl. mit vollen Backen machte, zu Beförderung einer vorhabenden zweiten Rerse in diese neu entdeckten und so reiche Ausbeute versprechenden Länder zu bewegen suchte. In kurzem verbreitete sich eine Sage, daß im Innern von Guy­ ana em Land, Eldorado genannt, zu finden sey, wo das Gold sa gemein sey, als in Europa dre Gaffensteine z und mehr brauchte es in einer Epoche, die an schwärm merischen, unternehmenden und nach neuen Dingen heißhungrigen Menschen so fruchtbar war, nicht, um eine Menge exaltirter Köpfe zu wetteifernder Aufsu­ chung dieses gotdnen Schlaraffenlandes anzureizen. Durch die Schwierigkeiten des Abenteuers und die Menge derer, denen es mißlungen war, nur desto mehr angefeuert, unternahm es endlich im Jahr 1597 der berühmte Entdecker von Dirginien, Sir WaltherRaleigh, auch die Entdeckung von L l d 0-

186

A n merkung e n.

rado zu versuchen; fand aber, nachdem er, den Oro« noko - Strom hinauf, lange mit hartnäckigem Eifer gesucht, nichrs, das feiner Er Wartung entsprochen hätte. Um jedoch wenigstens -en Anslacheru nicht gewonnen zu geben, -pu bl wirte er, nach ferner Iurückkunft, eine Nachricht von Guyana, worin er nicht nur keck versichert, -aß dieses Land an Geld, edeln Steinen, Per­ len, Balsam, Gewürzen, Jucker, Weihrauch, Baum­ wolle, Seide, und andern köstlichen Waaren,— welche man von den Einwohnern gar leicht gegen Messer, Beile und Nürnberger Klempnerwaaren eintauschen sonnt— reicher als irgend eines in der Welt, und mit einer Menge großer und prächtiger Städte angefüllt sey, sonder« sogar von der Guyanischen Hauptstadt M a n o a, als der größten und mächtigsten Stadt in der ganzen neuen -und alten Welf, und von einem Staat kriegerischer Amazonen, (von welchen er alles sagt, was die Alten von den astatischen und europäi­ schen Amazonen gefabelt haben, und von Völkern ohne Kopf, welche Augen, Nase und Mund auf der Brust haben, und von den Bergen Kassipagotos, die den See Kassipa umgeben und ganz aus gediegenem Golde bestehen, — Als von Dingen spricht, dre er zwar nicht selbst gesehen habe, in deren Wirklichkeit er aber nicht den mindesten Zweifel setze. Und so gewiß konnte man sich damals auch für die ungereimtesten und handgreiflichsten Lügen, wenn sie nur aus der neuen Welt kamen, Aufmerksamkeit und Glaubt«

A n hi er kunge n..

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versprechen, daß schon im Z. 1599 tu Nürnberg eine lateinische Uebersetzung dieses—Anhangs zu Lucians wahrer Geschichte, mit einer sehr ernstlichen Schutze und Trutz - Vorrede, und einer topographischen Karte von I 0 d v k u s H 0 n d t heraus kam, auf welcher letztern sonderlich die große Metropolis Mauoa, die Amazonen, und die Männer ohne Kopf (die auch auf der Titel-Vignette zu sehen sind)gar statt­ lich siguriren, und durch unmittelbare An­ schauung von ihrem Daseyn überzeugen. W. St. 17. Emanzi piren wollen — d. i. sich unterfangen wollen, etwas zu sagen oder zu thun. S t. 24. "Frau Beaumont, deren Schriften damals für Knaben und Mädchen eben das waren, was späterhin die Campeschen wurden. S t. Lei. E -r i t bi 4 b i in a g n 11 8 Apollo — Der sott mir der große Apollo seyn; Anspielung auf die Entscheidung im Hirtengesang in Virgils Ed. 3,104. St. 27. Lampedusen — »Ich wurde verdrieß­ lich, (laßt Diderot seinen Enthusiasten Dorval in den Dialogen hinter dem Fiu nntmci sagen,) wenn ich in die Komödie ging, und den Nutzen, den man von dem Schauplatz ziehen könnte, mit der wenigen Aufmerksamkeit verglich, die man anwendet, gute Schauspieler zu bilden. H meine Freunde, rief ich dannaus, wenn wir jemals nach Lampeduse z-iehen, um fern vom festen Lande, mitten in. den Wogen des Meeres, ein kleines

188

Anmerkungen.

Völkchen von Glücklichen zu st ist en, so sollen die Schauspieler unsre Prediger seyn, u. s. w. Alle Völker haben ihren Sabbat; wir wollen den unftigen auch haben. An diesen festlichen Tagen wollen wir uns eine schöne Tragödie vorstellen lassen, die uns die Leidenschaften fürchten lehre; eine gute Komödie, die uns in unsern Pflichten unterweise und uns Ge­ schmack an selbigen einflöße.« — Lampeduse, oder eigentlicher L a mp a d o sa, ist übrigens eine sehr kleine, unbewohnte und kaum bewohnbare Insel-wischen Sicirien und Afrika, wo die ßtosofische Kolonie, welche Dorval dahin führen will, große Mühe haben wird, glücklich zu seyn, oder es wenigstens nicht anders als unter so magern Bedingungen seyn wird, daß die Leidenschaften, denen er durch seine schönen Tragödien -»Vorkommen will, entweder gar nicht hervorkeimen, oder doch, aus Mangel an Nahrung, gar bald wie­ der von selbst erlöschen, und ferne Prediger also nicht viel zu thun finden werden. W. S t. 27. F i 11 i s bonorum — Das höchste Gut. St. 23. Der Geist Capriccio —

— Ille eiens animos et pectora versaue Spiritus a ca preis montan is nonien, adeptus» lguotum Latio nomeo ; pietoribus ille Interdum assistens operi, nee segnius instans Vatibus, ante alios Musis gralissimus hospes — Wie P. Ceva diesen Geist, den er mit Recht der Fröhlichkeit -um Gefährten giebt, ch-rakterisirt.

Anmerkungen.

X89

S. den 43sten in Bodmers neuen kritischen Briefen. Jürch 1749» W. St. 2g. Empusen — s. Anm. -u Ges. 7. St. 2g. St. 31. Den alten Nifus zu bekehren — Augustin Nifus, einer der berühmtesten Männer der Zeit Papsts Leo X in Italien, behauptet diesen Satz in seinem Traktat de Amore, worin er seinen Lesern unter andern eine kleine Partikularität von sich selbst vertraut, die der Naivetät seines Charakters Ehre macht, so übel ihm auch die gravitätischen Pe­ danten seiner Zeit und der ehrliche M 0 r e r i deßwe­ gen nntgespielt haben. Mein ganzes Leben durch, sagt Rifus, habe ich die schönen Mädchen lieb ge­ habt; doch mit einer tugendhaften und keuschen Liebe, setzt er hinzu, und erklärt sich hierüber sehr umständ­ lich in einer Stelle se'nes Buches ), nur waren freilich die Herausgeber, die Brüder Wichmann, der eine Magister zu Leipzig, der an­ dre Prediger zu Iwätzen bei Jena, dem Werke nicht gewachsen. Was sie sehr wahrscheinlich gar nicht beabstchtet hatten, geschah, sie geriethen in einen hef­ tigen Streit mit der Ktotzischen Partei, welcher damals eine Menge unerfreulicher Streitschriften ver­ anlaßte, die langst der verdienten Vergeffenheit über­ geben sind.

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Kritik der Zeit

Mitten unter diesem Tumult trat Herder auf mit seinen Fragmenten über die neuere teutsche Literatur (1767) und den Krrtischeu Waldern (1769.), nicht ganz ohne daß der Ton der Zeit Emsiuß auf ihn gehabt hatte. Zwar sagt der neuesteHerausgeber dieser Schriften, Heyn e, daß von ungesittetem Spott, hämischem Hohngelach­ ter, Pöbelsprache und allem, weswegen cm Kritiker aus einer guten Gesellschaft hrnausgewresen zu wer­ den verdienre, in der Herderschen Kritik nicht leicht eme Spur gefunden werde, fand aber doch nöthig zu verfahren, wie der spatere Herder würde verfahren haben; »dieser würde das, was sich nicht mit dem Sittlich-Schicklichen vereinigen ließ, ausgestrichen, höhnende Stellen gemildert, kränkende Beiwörter ent­ fernt, harte Ausdrücke mit gelkndern vertauscht haben.* Herder schloß sich zunächst an dre Literaturbriefe an. Seine Fragmente gab er als Beilagen zu jenen Brie­ fen, ans denen er den Geist auszog, und dre er beurtheilte und ergänzte, wo sie ihm unrichtig oder mangelhaft schienen. In dem ersten der kritischen Walder hatte er es lediglich nut Leßings Laokoon zu thun, in dem zweiten und dritten aber mit Klotz. Der Ton, den er gegen diesen an stimmte, war weit verschieden von jenem, dessen er sich gegen Leßmg bedient hatte, denn er wollte diesen von einem Rich­ terthrone herabstürzen, worauf sich Klotz durch jedes noch so unwürdige Mittel zu behaupten suchte. Grund

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genug für Klotz und dessen Partei, rnn gegen Her­ der den kritischen Bann auszusprechen, der aber -fteilich nicht Kraft genug hatte, einen Geist wie Herder zu unterdrücken. Seit Leßing hatte keiner so ent­

scheidend eingewirkt als er, und da Leßing sich jetzt von der Kritik zurückgezogen zu haben schien, so war er eigentlich der Einzige, von dessen Muth und Kraft eine neue Wendung der Dinge zu erwarten stand, aber auch nur erst zu erwarten. Wreland, obschon mit allen diesen Parteien außer Verhältniß, ja meist ohne Kenntniß von ihrem Trei­ ben, ging im Stillen fernen eigenen Weg, konnte aber doch nicht vermeiden, m Kurzem mit diesen Parteien in feindliche und freundliche Berührung zu gerathen. Gegen die Berliner war er noch von früherer Zert her mistrauisch, und sein Verhältniß zu Bodmer un­ terhielt semMrstrauen ziemlich lange Zeit auch gegen Leßing, den er mit den Berlinern in viel engerem Verhältniß glaubte als es wirklich statt fand. Her­ der stieß ihn anfangs ab, vielleichtdurch sein Anschlie­ ßen an Leßrng -und die Berliner nicht weniger als durch die Art und Weise wie er auftrat. Für die Ktotzische Partei wäre dieses alles schon Grund genug gewesen, Wielanden zu begünstigen, wenn sie auch nicht ihrer eigenthümlichen Ansicht nach eben so für ihn gewesen wäre, wie die Schleswiger ganz entschie­ den gegen ihn. Unter solchen Umstanden wurde er beinahe zu der Klotzischen Partei hinLedrangt^ Mem

24S

Kritik

der Zeit

niemals hat er sich doch mit ihr verbunden. Mit dem einzigen Riedel kam er in nähere freundschaft­ liche Verhältnisse, nahm aber nie, selbst da er in Er­ furt lebte, an irgend einer von dessen Zeitschriften Antheil. Am allerwenigsten stimmte er jemals in den Ton gegen Leßing und Herder ein, ja ließ vielmehr Klotz vom Streite mit Leßmg abrathen, und ahnete schon in dem damaligen Herder den künftigen. Weit entfernt also, der Klotzischen Partei unbedingt anzu­ hangen, scheint er vielmehr den Leipziger Kunstrich­ tern den Vorzug ertheilt zu haben, und befreundete sich auch bald mit Werße so, daß er diesem ferne Musarion zueignete. Hören wir nun jene kritischen Parteien von selbst.

Cs rvaren zunächst die Komischen Erzäh­ lungen, mit tenen es die Kritik zu thun bekam. Man betrachtete sie von zwei sehr verschiedenen Seiten, von der moralischen und der poeti­

schen. Was dir erste betrifft, so hatte Wieland noch vor der Herausgabe an Geßncr geschrieben (Biberach

4. Mai 1764. Sammt, von L Wreland L 9. fgg.): »Daß Sie sich daran ärgern sollten, traue ich Ihnen nicht zu. Wenn ich mich zu schämen habe, so ist es aller der puerilen Extravaganzen, wozu mich die platonische Schwärmerei meiner Jugend verleitet hat,

über Wiel. Werke. 2. Periode.

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und wozu auch die alberne Severität ge-en Utz und andere ehrliche Leute gehört.-------- So dacht' ich nun vor acht Jahren nicht, aber man kay.n nicht immer ein Knabe seyn. Ich Haffe alle Gleißnerei, und so bald ich anders denke als ehmals, so frfKiie ich mich auch nicht, es zu sagen. In» Uebrigen hoffe ich, Sie werden, ungeachtet der Schlüpfrigkeit des Sujets, im Endymion zum wenigsten so viel Retenue und Bescheidenheit finden, als in der Jo des Koreqgio. Doch auf dieses kommt es mir bei Ihnen nicht an. Sie sind weder ein Stoiker noch Platoniker, weder ein Gleißner noch Enthusiast, und von Ihnen besorge ich also' keine moralischen Vorwürfe. Vor dem Publiko will ich int cf;, wenn es nöthig seyn sollte, selbst verantworten. Ich ersuche mir also bloß als ein Dichter und Kenner zu sagen, wie Sie dieses Scherzgedicht finden." Der Recensent in der Leipziger Neuen Dibl. d. sch. Wiff. (Bd. 1. S. 30O.) erklärte: »Man darf diese komischen Erzählungen nicht nach der Sitten­ lehre beurtheilen, denn von dieser Seite möchten sie manchem Verdammungsurtheil unterworfen seyn, und wir würden eben so wenig unzufrieden seyn, wenn des Verfassers Scherz weniger die guten Sit­ ten beleidigte: denn wir können nicht bergen, daß sie uns weit unmoralischer als die Rostischen geschienen haben. Diese sind nur schlüpfrig, und werden nichts enthalten, was nicht wenigstens in stam natmaii ohne

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Kritik der Aeik

Verbrechen geschehen 'könnte. Und ist nicht der ©M* ferstand eine Gattung des Stands der Natur? Aber hier werden Ehen imb Pstichten gespottet." Gleich m dem ersten Stück einer zu Lindau am Bodensee damals unter dem Xitel der Neue Rechtsch affe ne herauskommendeu Wochenschrift verfuhr man noch strenger mit dem Dichter, und dieser schrieb darüber an Geßner: »Ich gestehe Ihnen, daß ich nichts weniger als gleichgültig daber seyn kann. Ich bin überzeugt, daß die komischen Erzählungen sich auö einem moralischen Gesichtspunkte rechtfertigen (affen; aber ich wünschte, daß die Apologie jemand anders zum Verfasser hätte als mich. 5— — — (Er sollte) zeigen, daß dre komischen Erzählungen als wahre und satyrssche Ge­ mälde der herrschenden Sitten der großen Welt, — oder gewisser Charaktere, welche kompetente Objekte für die komische und satyrische Muse sind, in Situazionen, wodurch dre Charaktere am besten ent­ wickelt werden, zu.betrachten, und aus diesem Ge­ sichtspunkte wirklich moralisch seyen. — •— Ich gestehe Ihnen, daß dieses Geseufze und Geheul über die komischen Erzählungen, welches nur von allen Orten und Enden her zukommt, meinen Geist und die Flügel meiner Muse ganz darmederschlagt, da ich keinen Menschen sehe, der sich die Mühe nehmen mag, ein Paar Stunden dazu anzuwenden, den Leuten die Köpfe über diesen Punkt zurecht zu setzen. Ich muß

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a-r

daraus schließen, daß wirklich niemand ist, oder daß eS nur ermge Wenige sind, welche günstiger von diesen unglücklichen Erzählungen denken, — und sobald ich hievon überzeugt sepn werde, werde ich den Idris ins Feuer werfen, und den Musen auf ewig gute Nacht sagend (L. Wielands Sammt. 1. 51 — 53.) In einem spätern Brief aber (S. 57») sagt er: Die Gründe, womit Sie meinen Unmuth über gewisse Kritiker und Urtheile besänftigen, sind allzugut, als daß sie nicht ihre gewisse Wirkung thun soll« ten; Sie sollen mich, so der Himmel will, nicht mehr in diesem albernen, weinerlichen Tone pinseln hören. Ich habe nun in Absicht der komischen Erzählungen meinen Kopf aufgesetzt, und werde gelegenhertlich Allen und Jeden, und wenn es auf eurem allgemeinen poetischen Koncilio geschehen müßte, ms Angesicht behaupten, daß sie in ihrer Art wenigstens so gut und moralisch sind, als dre Briefe der Leute au- der andern Welt.*

Erst im Jahre 1772 trat ein Vertheidiger dieser Werke Wieland- auf (vermuthlich Riedel) mit ernem Schreiben über Herrn Wrelandö letztere Schriften in

lands Schlüpfrigkeit eingewendet, man hat ihn darü­ ber sogar empsindlich angegriffen. Einige haben seiner komischen Muse geradezu den Mund verboten; einige haben sie als eine Lais beschrieben. Eigentlich beur­ theilt sind die letzter» Wielandischen Werke nir­ gends. Gleichwohl kann dieses in der kürzesten Re­ cension geschehen, und es gehört nichts mehr dazu als Philosophie und eine zweifache Lectüre, davon die zweite aufmerksam seyn muß. Im ersten Lesen belustigt man sich an den Wielandischen Schriften, und man kommt in Gefahr, sie für niedliche Posten zu halten. Aber was für einen Werth kennen doch Poffen haben? Beinahe gereut es, daß man darauf Zeit verwandt habe. Nun fallt das Urtheil denn so aus, wie man eben die Laune hat. Zum -weiten­ male diese Schriften zu lesen — ja eben dieß ist nöthig, wenn man den Werth genau will kennen lernen. Die Poffe ist ernsthaft: latel Ingens Virtus hoc sub corpore parvo. »Ich will Ihnen keine weitlauftige Vertheidigung der sogenannten Wielandischen Schlüpfrigkeit ent­ werfen. Ich frage nur, worinnen sie denn eigcnt-

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lich besteht? In einigen zu freien Zügen der körper­ lichen Schönheit? Ich möchte diejenige Stelle mir zeigen lasten, wo der Dichter den bürgerlichen Wohl­ stand verletzt. Aber bestimmte, einzelne Stellen führt man nicht an. — In Beschreibung gewisser Hand­ lungen, die die Delikateste beleidigen? Der Dichter deutet immer nur an; er fallt nie ins Umständliche, LnS Grobe. Wenn die Einbildungskraft gewisser warmer Leser dieß Bild ausmalt, so sind es ja die Leser selbst, die daran Schuld sind, daß ihre Deli­ kateste beleidigt wird. Ich frage getrost, wo ist eine unzüchtige, eine obscöne Stelle in den Wielandischen Schriften, welche Schamröthe einprägt? Wo ist ein Bild, ein Ausdruck, dem man den Namen des unzüchtigen beilegen kann? Bigotte oder Schwache müssen die Wielandischen Schriften überhaupt nicht lesen, denn wenn auch Züge von ihnen vorkommen, so erkennen sie ihr Bild ^och nicht, und die Leetüre bleibt daher fruchtlos. »Herr Wieland schilderte in seinen etsten Schrif­ ten sich selbst: es half nichts, man ahmte nicht nach; nun schildert er Andre, und man wird unwillig. Kann er etwas dafür, daß es solche Geschöpfe giebt, von denen er Kopien macht? Kann er etwaS dafür, daß die Wett so ist, wie er sie findet und malt? Wan muß erst seinem Kolorite Wahrheit, fernen Bildern dre Aehnlrchkeit absprechen, ehe man sich üb« seine Freiheit beschweren will. Aber, sagt

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Sri tif der Zeit

man, dadurch kaun manche Unschuld verführt wer­ den? — £>, ich wollte fast die Seelen auf mich nehmen, die blos durch Wielands Schriften verfuhrt werden sollten. Wenn es keine andre Verfüh­ rung gäbe, so wohnte die Unschuld aufErden. Kein Frauenzimmer, kein Jüngling wird, nach der Lectüre dieses Dichters zur Wollust kehren, wenn sie nicht vorher diesem Laster höhnten. Billigt denn der Dichter daö alles, was er erzählt? entschuldigt er sich nicht selbst? ---------------Wenn alle erzählenden Schriftsteller an den Lastern derjenigen Personen, deren Kopien sie malen, Antheil haben sollten, was wäre das für eine Wirthschaft in der Welt!---------Vielleicht aber sagen Sie, solche Handlungen und Charaktere, die denr menschlichen Geschlecht nicht zum Dorther! gereicherr, muß man zu verbergen suchen, und sie durch reizende Dichtungen nicht bekannter machen. — Ich glaube nicht, daß Sie dieses sagen können. Denn werfen Sie nicht durch diese Aeußerung alle Tragö­ dien ins Feuer? Alle lächerliche, lasterhafte Cha­ raktere und Sottisen der Welt, die die Komödien schildern? --------- Wenn man den Endzweck der Poesie so ein­ seitig wie einige Schweizer, und noch neuerlich, nach dem was ich gehört habe, Herr Sulzer in seiner Theorie, bestimmen will, wenn man blos dabei auf die Vermehrung der Tugend sehen will, und keine

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psychologische Schönheiten, kein Bild nach der Natur des Menschen für Endzwecke der Poesse halteruwill, so wird ehstens ein poetisches Auto da Fe gehalten werden muffen, wobei rch mit meinen Dichtern nicht erscheinen mag. Die Kenntniß des menschlichen Ge­ schlechts, deren größter Theil doch thöricht, oder laster­ haft erscheint, ist nur mehr werth als dass ich sie zum Feuer verdammen taffen kann oder mit dem Banne belegen." Ob diese Vertheidigung den Wünschen Wietandö völlig entsprochen habe, möchte ich fass bezweiftln. ES geht aus rhr eben sowohl als aus den Anklagen hervor, daß man den richtigen Gesichtspunkt ganz und gar nicht gefaßt hatte, und daß man ihn eigent­ lich auch nicht fassen konnte, da man selbst über den Endzweck der Poesie noch nirfjt im Reinen war. Man war also eigentlich noch unfähig, sich das Problem von dem Verhältniß des Moralischen zum Aesthetischen zu lösen, und beurtheilte auch die komische Poesie nach Grundsätzen, die alle komische Poesie ver­ nichten wurden. Nicht einem Einzigen fiel eS ein, diese Erzählungen aus dem Gesichtspunkte des Komi­ schen zu betrachten und zu beurtheilen, und so konn­ ten die Urtheile in moralischer Hinsicht nicht anderS als schief ausfallen. Da aber von dem Verhältniß des Moralischen zum Aesthetischen auch der Charakter, Ton und Kolo­ rit in den verschiedenen Arten der Poesie abhängt,

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Kritik der Zert

so war auch eine befriedigende ä sthetische Beur­ theilung dieser Werke Wielands unmöglich. Und in der That findet man über jene Hauptpunkte nirgend auch nur ein Wort. Ueberall werden bloß einige vor­ zügliche und einige minder gelungene Stellen ausgvhoben, einzelne Ausdrücke getadelt, zum Theil mit Recht, zum Theil ohne Rücksicht auf das Komische und auf das, was nöthig war aus der Sprache detzebens in die Buchsprache überzutragen, wovon Pro­ vinzialismen gar nickt auszuschließen sind. Wir werden künftig noch hören, daß Lessing hierüber ganz anders urtheilte. Ein Tadel, worin alle Bcurtheiler Übereinkommen, betrifft zu große Weitläuftrgkeit der Schilderungen und Schwatzhaftigkeit der Personen: die Erzählung Jupiter und Ganymed wird als zu frei von allen verurtheilt. In der zweiten Ausgabe von 1763 hatte der Dichter jenen Tadel sehr gewissenhaft benützt, ganze lange Stellen weggestrichen, kleinere in Wendungen und Ausdrücken verbessert, andere verkürzt. Die Recension in der Klotzischen Bibliothek (Bd. 2. S. 23. fgg.) giebt von diesem Rechenschaft. Statt uns hrebei zu verweilen, wollen wir bloß einen Punkt nusheben, in Ansehung dessen der Dichter gegen Abbts Tadel in Schutz genonnnen wird. Dieser Punkt betrifft die Mischung alter und neuer Sitten, woraus mancher scheinbare Verstoß gegen das Kostüme und Anachronismen entstanden sind.

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»Bei dem Burlesken, sagt der Recensent, sind die Grade schwer zu bestimmen, wie weit es gehen darf Im Tassoni nehmen die Göttinnen eben solche Arbei­ ten vor. Die Latona läßt dieser einen Strumpf stricken, die Parzen Brod backen, und Erlen, den Kellermeister, den Wein der Bedienten mit Waffer vermischen. *) ” — — »Ganz unbegreiflich ist uns, wie man den Dichter im Ernste wegen der Anachro­ nismen habe tadeln können. Die Göttinnen sollen nicht vom Homer, und Jupiter nicht von Sokrates sprechen. Man geht bei der Gelegenheit sogar in das System der heidnischen Theologie hinein. Wer wird denn bei einem komischen Dichter chronologische Ta­ bellen und die Ketzerhlstorie zur Hand nehmen?« — -------- Wenn die A. D. B. die Anführung der Feen tadelt, »so können wir das nicht billigen. Immer scheint jener Recensent zu vergessen, daß er komi­ sche Erzählungen ließt. Wer wird da alles metafysisch untersuchen? Macht man dem scherzhaften Dich­ ter kein Verbrechen aus dem Gebrauche der Syl-

♦) Dagegen sagt der Rec. in der Leipz. Bibl. der sch. W. (S. 904.): »Gewisse Dinge, die der Vf. für komisch hält, fallen in das allzu Burleske, z. B. wenn Minerva im Contusch dem Zeus Manschetten näht, Marli durchzieht und Handschuh wirkt, oder Aurora Rock und Mieder anzieht.«

Wtelanv- W. 15» Bd..

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Kritik

der

Zeit

fcn und Gnomen, warum will man die Feen ihm verbieten? * Dieß hatte Abbt eigentlich auch nicht gethan, denn er sagt bloß, daß die Vermischung der Feen mit der heidnischen Mythologie sich in seinem Kopfe nicht gut halten wolle; und daß ihm weit besser scheine, Göttinnen nicht in Feen und diese nicht in jene umzuschmelzen'. «In der That, fahrt er fort, würden auch die erster« dabei verlieren, weil sie viel vernünftiger sind als die letzter«. Eine geringe Kenntniß der Raturkrafte und des Naturlaufes hat die Gottheiten erfunden; gar keine, die Feen.« Ueber das Erste laßt sich mit ihm nicht streiten, das Letzte könnte eine Ahnung geben, aus welchem Gesichts­ punkte man damals die romantische Poesie möge be­ trachtet Haden. — Jedoch, wir brauchen uns mit Ahnung nicht zu begnügen, denn Wieland gab durch seinen Idris auch hierüber -u Erklärungen Veran­ lassung.

Id riß erschien zum erstenmal im Jahre 1768, das erste Gedicht in Deutschland, worin der Dichter den Ariosto wieder zu geben suchte. Sowohl der Stoff als der Erzählungston und der erste Versuch einer Art von Stanzen, in denen der Künstler mehr den Geist als die bloße Form vor Augon gehabt, hat­ ten die ästhetische Kritik aufferdern müssen, dieses

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Gedickt vor vielen seiner Zeit auszuzricknen als eine neue Erscheinung. War es aber vielleicht gerade die­ ses, was die Kritik davon absckreckte, oder was sonst, genug es fayd gerade das Gegentheil davon statt, denn außer einer Recension in der A. d. B. ßndet sich darüber kaum eine Anzeige. Der Dichter nannte sein Gedicht selbst ein heroisch-komisches, keineswegs hinlänglich be­ zeichnend. Daß er die Gattung, in welcher er sich jetzt versuchte, durch keine Theorie kannte, geht aber auch unwidersprechlich aus der Schilderung hervor, die er Geßnern von seinem Jdris machte. »Ich amusire mich, schreibt er, schon Jahr und Tag an einer weitläufigen und si düs piacct gewiß seltsamen Koni* posizion in einer Art von Stanzen, oder was die Italiener ottave rime nennen; eine Art von Derfifikazion, deren Schwierigkeit einen jeden andern als einen vesanum poetam, einen von der Wuth zu rei­ men besessenen Menschen abschrecken sollte. Gleich­ wohl habe ich von mehr als ifcoo Strofen, die das Ganze ausmachen werden, schorr den vierten Theil zu Stande gebracht. Cs find ganz hübsche Sachelckcn in diesen Strofen. Aber das Ganze — hilf Himmel! Was für ein Stoff! welch ein Plan! was für Erfin­ dungen ! Was wird der ernsthafte, filosofischr, therlvgische, ökonomische und politische Geist unserer Nazion zu einem Werke sagen, das in der ganzen poe­ tischen Welt an Extravaganz seines gleichen weder

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Kritik der Zeit

hat, noch hoffentlich jemals bekommen wird. Stellen Sie Sich eine Fabel im Geschmacke der quatre Facardins oder des Beiier von Hamilton vor — die Luintessenz aller Abenteuer der Amadisse und Feenmahrchen, — und in diesem Plane, unter dieser fri­ volen Außenseite, Metafysik, Moral, Entwickelung der geheimsten Falten des menschlichen Herzens, Kri­ tik, Satyre, Charaktere, Gemälde, Leidenschaften, Reflexionen, Sentimens, — kurz, alles was Sie wollen, mit Zaubereien, Geisterhistorien, Zweikäm­ pfen, Centauren, Hydern, Gorgonen und Amstsbänen, so schön abgesetzt und durch einander geworfen, und das alles in einem so mannichfaltigen Styl, so leicht gemalt, so leicht versiftzirt, so tandelhaft ge­ reimt, und das in ottave rinie, — Vergeben Sie mir, mein Freund, wenn ich Eitelkeit genug habe, Ihnen zu sagen, daß Sie schwerlich jemals etwas so drol­ liges gesehen hüben als Jdris und Ienide ist." Wer fleht hieraus nicht, daß der Dichter, unge­ leitet von aller Theorie und Kritik, lediglich seinem Genius folgte, der von einem großen Vorbilde begei­ stert war. Wielands leises Gefühl für dieses Vor­ bild war um vieles richtiger als dre Aussprüche der damaligen Kritik darüber, die uns schwerlich zu einem Jdris verholfen hatten. Selbst jene Kritik, die sich des Jdris annahm, dient zum Belege dafür. »Jdris, heißt es, ist ein heroisch-komisches Ge­ dicht, aber keine Batrachomyymachie, wo der

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Kontrast zwischen der Geringfügigkeit der- Sachen und dem epischen Tone, fern Hud 1 bras, wo der drolligte Ton bei einer wichtigen Sache das Lächer­ liche hervorbringt; es rst em reizendes Gemälde aus dem Gebiete der Fantasie, eine verwickelte Geschichte aus den Zeiten der irrenden Ritter, eine Welt, wo Feen und Zaubereien herrschen, em Gedicht, wo, nach des Derf. eignen Ausdrücken, Moral und Satnre, Weisheit und Thorheit, und die schönsten Beschrei­ bungen mit lächerlichen Situationen abwechseln; im Ganzen können wir noch hmzusetzen, ein Gedicht, das so viel Schönheiten, so viel hinreißende Stellen, so viel glückliche Verse hat, daß man im Lesen nicht ermüdet werden kann. »Aber, sagt vielleicht ein griesgramender Kunst­ richter: eine Welt, wo Feen und Zaubereien herr­ schen? — Warum will man in einem Zeitalter, daS so erleuchtet ist als das unsrige, wo gesunde Fitofofte mehr als jemals die Erscheinungen und Wunder gebannt hat, in dem achtzehnten Jahrhundert, wo die Liebe eine feine Galanterie, keine unsinnige Herumschwarmung ist, warum will man uns da in die Zeiten eines Ariosts zurücksetzen? Es sey, daß der Dichter noch so viel Genie und Kunst daran ver­ schwendet hat, wird er mich täuschen, wird er mich ganz interessiren, ganz dahin reißen können? Ariost ist noch letzt der Lieblingödichter ferner Nazion: gut; man laugnet nicht, daß er große Schönheiten habe

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Kritik der 3e

und daß fein Zeitalter nur seine Fehler entschuldi­ get: ja, wenn auch das nicht wäre, so wird allemal eine Ra-ion ihre großen aber regellosen Genies ver­ ehren; und warum sollte auch der Ausländer sie nicht mit Vergnügen und Bewunderung lesen? Ist es aber deswegen die nämliche Sache, wenn ein neuerer Dichter ihre Pfade betritt? »Wir wollen nicht zu frühzeitig entscheiden: man wird unS hier einige Anmerkungen über eine Materie erlauben, die von so wichtigem Einflüsse in den mei­ sten Gattungen der Poesie ijt. Was die Wahrschein­ lichkeit der Fiction betrifft, so ist sie von verschiede­ ner Art. Entweder hat der Poet, vermöge der Na­ tur seines Werks, eine solche Theilnehmung, eine solche Täuschung des Lesers -um Zwecke, daß die Wahrscheinlichkeit in dem allerengsten und eigentlich­ sten Verstände des Worts nicht beleidigt werden darf. Eine Fee z. E. in der Clarisse, eine Zauberin in der Minna würden wahre Ungeheuer seyn. — — Nächst dem giebt es Gattungen, wo die Wahrschein­ lichkeit eben so strenge beobachtet rverderr muß, wo man aber dem Poeten gewisse Voraussetzungen, und diesen gemäß gewisse Erdichtungen erlaubt hat, die eine andre Art von Glaubwürdigkeit haben. Der­ gleichen sind das Wunderbare in der Epopee, die redenden Thiere in der äsopischen Fabel, der Gebrauch der Mythologie in der heroischen Ode. Alle diese Fictivnen haben ihre gewissen Gränzen und ihre

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Norm der Wahrscheinlichkeit z dabei sind aber die übrigen Theile des Gedichts jener Reget der Wahr­ scheinlichkeit unterworfen, die wir bei dem Drama u. s. w. angenomnren haben. — Aber ist der Fall verändert, braucht man Maschinen zur Auszierung oder -um Spotte, zu Gleichnissen, oder zu solchen handelnden Personen, die wir in der einmal ange­ nommenen Scene vertragen können, wählt der Dich­ ter seine Welt bloß deswegen, um seine Charaktere, seine Bemerkungen, seine Sprüche, seine Satyre, seine launischen Einfalle anzubrrngen, — warum wollte man eigensinnig oder ekel seyn? — Ich lese im Jdris von Gnomen und Wundenverken z gut, .ich sehe, der Dichter will spielen, er giebt mir aber mitten unter diesen abenteuerlichen Dingen die artig­ sten Situazionen, die treffendsten Bemerkungen, und das ist es, was ich suche. Hierzu kömmt vorzügli­ cher Weise der Reiz der Neuheit der Beschreibungen und der Erdichtungen selbst. »Doch vielleicht fahrt der Kunstrichterfort: Gangut, wir wollen ein Feenmährchen und eine irrende Rittergeschichte, wenn sie witzig geschrieben sind, mit Vergnügen lesen, wir begreifen auch, daß eine Oper, wo ein solches zum Grunde liegt, vortrefflich seyn kann. Es sey ferne, daß wir irgend etwas aus der Poesie verweisen sollten, was ihr Mannichfaltigkeit und Abwechselung, wenn nicht andere Vortheile, ge­ wahren kann. Aber in ein weitlaustigeö Gedicht

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Arrtrk der Zeit

verwebt, qefatlen uns solche Erdichtungen weniger. Hatte der Derf. des Idris alle die unzähligen Schön­ heiten an ein anderes Sujet verwandt, was für ein Meisterstück würde es geworden seyn! »Das könnte man nun freilich sagen, aber es ge­ hört viel dazu, zu behaupten, daß bei einer andern Behandlung noch alle die Schönheiten da seyn wür* den, die bei derjenigen sind, die der Derf. eines Ge­ dichts gewählt hat. Wir glauben es sehr rathsam, den Dichter über die Wahl und die Einkleidung deGegenstandes, den er behandelt, nicht zu chikaniren z was seinem Genie am angemessensten ist, wird er gewiß am besten wissen.

»Das erste, was dem Leser in die Augen fallen muß, und was der Derf. selbst in der Vorrede geste­ het, ist dieses, daß er den Ariost nachgeahmt habe. Wer den Orlando Furioso auch nur aus dem Mein­ hard kennt, wird wissen, daß sehr große poetische Schönheiten mit den ungereimtesten Dingen in die­ sem Gedichte vermischt sind. Die irrende Ritterschaft und die Zauberei machen das Wesen desselben aus, die aber nach den Begriffen seines Zeitalters mehr Schicklichkeit hatten als itzt. Man muß aber ja nicht den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Gedich­ ten vergessen. Orlando soll ein ernsthaftes Gedicht einer Art von Epopee seyn, und ist es auch wirklich in vielen Stücken; ja sogar die abenteuerlichsten und

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lächerlichsten Dinge behalten in der Schreibart eine Farbe davon, (?) wodurch sie, nach Boileau'ö Meinung (dissertation sur Joconde), noch abgeschmackt ter werden sollen. Ohne dieser Meinung eben beizupflichten, sagen wir nur, der Orlando ist eine Epopee, wo die irrenden Ritterthaten u. s. w. nicht zum Belachen, sondern zur Bewunderung vorgebracht werden; Idris ist ein komisches Gedicht, wo alle Feierlichkeit des Ariost verschwindet, wo allenthalben die satyrische und lustige Laune hervor fleht. Hier­ durch werden uns dre Feen- und Rittergeschrchten viel erträglicher. Wir wundern uns, daß Gelehrte beide Gedichte haben vergleichen wollen, ohne auf diesen wesentlichen Unterschied zu sehen. Eher hätte der Ricciardetto mit dem Idris, als ganz von dersel­ ben Art, können verglichen werden. »Wenn wir sagen, daß Idris und Orlando von unterschiedener Art find, so meinen wir freilich nur die komischen und satyrischen Stellen; denn wenn von Empfindungen der Liebe die Rede ist, kann fich Ariost selbst nicht feuriger ausdrücken als Wieland. — Und viele vortreffliche Züge, mancherlei Schönheiten find durch das ganze Gedicht zerstreuet; der Plan, der eine Mannigfaltigkeit von Scenen und Begeben­ heiten enthält, und der jeden Leser mit der Feenwelt ganz aussöhnen kann, scheint zu Hrn. W. Abficht sehr glücklich zu seyn.------- Den Lesern wollen wir das Gerippe des Inhalts schenken, und zweifeln nicht,

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Kritik der Zeit

sie werden, eS sey nun bei der ersten oder der drit­ ten Lektüre, auf den Kontrast unter den Charakte­ ren, die Mannigfaltigkeit in den Schilderungen, das Natürliche und Fließende des Dialogs, und beson­ ders auf die eingestreuten naiven oder komischen Be­ merkungen besonders aufmerksam seyn.------ Zweier­ lei müssen wir noch besonders erwähnen. Der Derf. ist vorzüglich glücklich in kleinen Nebenzügen und Wendungen, und weiß sehr artige Anspielungen und Gleichnisse oder Parallelen, oder was es sonst ist, aus dem Alterthume und den neuern Zeiten, aus den Schätzen seiner Belesenheit und seiner Kenntnisse anzubringen.*

Klotz deutsche Bibl. d. sch. Miss. Bd. s.

S. 478 — 493. »Dieses Gedicht hat einige Ähnlichkeit mit dem Orlando Furioso. Hr. Wieland nimmt, so wie Ariost, seine Helden aus dem berühmten. Orden der irrenden Ritterschaft, er versetzt feine Scene in die Zeit der Zaubereien; sein Wunderbares ist das ro­ manhafte Wunderbare des Italieners.----------- — Nur dünkt mir, daß für des Ariostö Erfindungen

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der Geschmack seines Zeitalters sprach, und ihnen ein Intereffe, einen Vorzug gab^ den bei unsere Zeiten sehr schwachen." Die Bücher, sagt Meinhardt, welche die Abenteuer dieser Ritter und ihre Charak­ tere, sv wie fle Ariost uns schildert, enthalten, wa­ ren damals in jedermanns Händen und der liebstZeitvertreib der Großen, der Weltleute, überhaupt aller derer, die zu ihrem Vergnügen lasen. DiZaubereien hatten in der Religion selbst Sitz gefaßt, und waren zu einem Glaubensartikel geworden. Ariost fand also die Maschine seines Wunderbaren, und die bequemste, die er brauchen konnte, schon völlig fertig, und jeder Dichter will doch allemal vorzüglich seinen Ieitverwandten und Landsleuten gefallen. »Sollte Hr. Wieland durch den hierinnveranderten Geschmack nicht vertieren? sollte nicht das Anzügliche (Anziehende) und Intereflirende, welches Ariosts -Orlando in Italien hatte, viel gerin­ ger für das jetzige Deutschland seyn? Doch Hr. Wieland hat durch häufige poetische Schönheiten die­ ses zu vergüten gesucht. Möchte er nur nicht auch, wie Ariost, mehr die Einbildungskraft als den Ver­ stand und das Her- (?) seiner Leser zu unterhalten gesucht haben! Aber dreß war bei dem einmal ge­ wählten Inhalte nicht anders möglich.--------------Man dehne aber die Vergleichung -wischen Ariost und Wieland nicht -u weit aus! Wer den Ariost kennt, wird bei Hr. Wielanden eine andere Manier

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Kritik der Zeit

wahrnehmen, ähnlich zwar in der Hauptsache, in der Art der Erdichtung, behandelt er seinen Gegen­ stand ganz anders. Beim Ariost findet man Starke

und Wildheit in den Bildern und eine Größe der Ideen: bei Wietanden eine Zierlichkeit und Feinheit, die jener nicht achtete. Ich kann auch nicht sagen, daß Wieland Stellen aus dem Ariost nachgeahmt hätte. Wenigstens erinnere ich mich an keme. Nur einige Erdschtungen sind den Ariostischen ähnlich. Der Anfang hat einige, obgleich entfernte Ähnlichkeit; auf die Erdichtung von den Centauren hat ihn viel­ leicht Arrest gebracht, und in den Beschreibungen der Schlösser und Paläste nähert er sich ihm noch mehr. Sonst aber habe ich verschiedene Nachahmun­ gen aus andern Dichtern gefunden, die Hr. W. sehr gut sich eigen gemacht hat, als aus dem bekannten Gedicht Zeiis au bftin, aus dem Taffo, z. B.

Er glich im Stahl dem Freund der Göttin von Eythcre, Und ohne Rüstung schienS, als ob er Amor wäre. 8e 1 mini Fulmmar ne £ arme involto, Marte lo btimi, Amor, se scopre il volto. Die Freunde einer frohen Muse brauche ich wohl nicht einmal zu erinnern, daß sie die Wielandische Geschichte von dem sich badenden Idris, den eine Nymfe erhascht, mit dem schönen Gedichte des CardinalS Berms La nuii vergleichen sollen. Wer laßt

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sich an eine Beschäftigung erinnern, die so viel Ver­

gnügungen hat? * Als besondere Vorzüge dieses Gedichts werden nun herausgehoben und mit Beweisstellen belegt, dis lebhaften, fröhlichen und oft auch schalkhaften Ge­ mälde, seine Launische und burleske Art, ein ein großer Reichthum an Bemerkungen über die Welt, das menschliche Herz und die Sitten, — ungeachtet dieß Mit einer früheren Aussage des Beurrhellers im

Widersprüche steht. »Diese Sentenzen sind so glück­ lich, so rund ausgedrückt, daß sie sich dem Gedächtniste freiwillig emprägen." — »Folgende zwei Vers­ würde man einem Haller beilegen, wenn man ihren Verfaffer nicht kennte:

Der Stärkste reize nicht die Rache der Natur: Was unsern Fall verwehrt, ist oft ein Zufall nur.« Am Schlüsse wird Wrelanden der — von ihm nnbefalgt gebliebene — Rach ertheilt, nach aller Mühe, die er auf Verflfikazton und Sprache verwen­ det, einige Härten m Ansehung der letzten zu ver­ bessern. Es ist wohl mcht ganz uninteressant, noch anzuführen, was man für solche Härten hielt. Hier sind sie. »Ich schlich mich auf den Zehn, nicht ohne Furcht, hinein." — Ein Abenteuer, »welches zu be­ stehn, nur aufgehoben ward." — »Eh' er begreifen kann, wer sich so sehr verwöge."— Sern Herz, »ver­ schont sein Antlitz." — »Und eures Zweikampfs

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Kritik

der

Zeit

Lerm beschwingte meinen Lauf."

— »Mir kam zu

Sinn."

Unverkennbar ist aus diesen Beurtheilungen, daß man mit dem Wesen der romantischen Poesie völlig unbekannt war, und daß nur eben erst eine Ahnung davon aufdammerte. Begreiflich ist's daher, daß man den richtigen Gesichtspunkt, aus welchem Werke dieser Art beurtheilt, seyn wollen, verfehlte. War aber dieß der Fall, so ließ sich auch kein sicheres Urtheil fallen über das, was in Behandlungsart und Ton unserm Dichter eigenthümlich seyn möchte. In­ deß findet sich doch ein löbliches Streben nach einer Theorie, die man noch nicht hatte, und doch langer nicht entbehren zu können wohl einsah. Zu diesem Behufe betrat man den Weg, der immer am sicher­ sten zum Ziele geführt hat, den Weg der Verglei­ chung. Ist es nun aber auf diesem Wege, wenig­ stens der nachfolgenden Zeit, gelungen, die Theorie der Poesie zu erweitern und zu berichtigen; so wird man das Verdienst der Veranlaffung hiezu, beson­ ders in Beziehung auf die romantische Poesie, Wie­ landen nicht absprechen können, der eine solche Theorie nicht vorfand und nicht benutzen konnte. Daß er selbst von dem, was er zunächst veranlaßte, nichts benutzen konnte, sieht jeder leicht, und so hat die Kritik nicht ihn verbessert, sondern 8r im Gegentheil

über Wiel. Werke. 2. Periode.

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die Kritik, indem er sie nöthigte, immer neue Ge­ sichtspunkte zu faffen. Bei dem Idris tastete sie in Ansehung der Hauptsache nur noch unsicher umher, und über die, doch neue, Versifikazion wußte sie nur das Alltäglichste zu sagen, oder vielmehr gar nichts: allein sie fühlte das Bedürfnis; einer Charakteristik der Gattung, und hob zwar auch meist nur Einzel­ heiten heraus, jedoch schon nicht ganz mehr ohne Rücksicht auf jene Charakteristik und auf die Eigen­ thümlichkeit des Dichters. Öffenbar hat hierin die

Kritik der A. D. B. Vorzüge vor der andern, wie ihr denn überhaupt sehr angelegen ist, dem Dichter und seinem Streben Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, was sie auch in Beziehung auf

A g a t h 0 n zu thun Veranlassung genommen hat. Hievon jedoch Nachher, wenn wir die Urtheile über diesen philoso­ phischen Roman zusammengestellt haben.

Agathon war in jeder Hinsicht eine eben so merk­ würdige Erscheinung als Jdris, denn das Werk an sich betrachtet, hatte zu jener Zeit nicht seines glei­ chen, und in Beziehung auf den Verfasser sagte jener Recensent mit Recht: »Man muß die Frucht­ barkeit der Einbildungskraft bewundern, die einen Jdris und einen Agathon hervorgebracht In

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Kritik

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der That scheint kaum etwas entgegengesetzter als dieser philosophische Roman, welcher zeigen soll, was Welkheit und Tugend vermögen, und jener Jdris, ja gar jene komrschen Erzählungen, in denen dem Anschein nach blos eine üppige Fantasie einen fast frivolen Muthwillen treibt. Eben deshalb hatte man aber wohl auf die Vermuthung kommen sollen, daß hinter diesem Muthwillen ein Ernst verborgen Liegen könne, der nur nicht jedem sogleich ins Auge falle Wieland selbst muß dies auch erwartet haben, denn als wieder von einer Apologie für ihn die Rede war, schrieb er an Glenn: »Diogenes und die Beitrage und Agathen selbst enthalten meine vollständige Rechtfertigung. Wem daran nicht genüget, dem kann und weiß ich, bei den Grazien! nicht zu helfen als mit einem Karren voll Niesewurz und meinem Segen. “ *) Diese Erwartung aber scheint ihm eben so wenig erfüllt worden zu seyn als manche andre, die er in Ansehung Agathons hegte. »Ich bin begierig — schrieb er an Jirnmevmann d. 19. Marz 1767 — zu sehen, ob Agarhon mit eben der bewundernswürdigen Kaltsinnigkeit wird aufgenommen werden, womit das holde deutsche

) Geßners Saml. Bd. 3. S. 4.

über Wiel. Werke. 2. Periode.

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Publikum ehmats die fünf ersten Gesänge deS Cyrus aufzunehmen geruht hat.- *) Dagegen schrieb er an Riedel, d. 4. Febr. »763./ **): »Sre sagen mir ohne Iweifel zu viel Gutes von dem Agathon;... indeß ich gestche Ihnen doch, daß ich selbst etwas auf dieses Buch hatte, und daß die teutschen Kunstrichter und Leser zusam­ men genommen durch ihre mehr als pflegmatische Gleichgültigkeit über ein Werk von dieser Art meine Erwartung übertroffen haben. Seltsame Nazion, wer würde für dich arbeiten wollen, wenn der Reiz der Musen Nicht mächtiger wäre als deine Indo­ lenz!... Doch es soll mir genug seyn principibus phcuisse viris, und ich habe das Vergnügen, Ihnen zu sagen, daß Innmcrmann und Moses Mendels­ sohn unter diesen find.Hören wir aber jetzt jene Beurtheiler selbst. Allg. Deutsche Bibl. Bd. 6. I. 1763. S. 190 — 2II.

»Herr Wieland scheint alle seine Talente gesam­ melt zu haben, um ein Buch zu machen, in welchem alle vereinigt die lesende Welt vergnügen, wir setzen hinzu auch unterrichten oder gar zur Verbesserung *) Geßners Saml. Bd. 2. S. 277. •*) Wiel. Saml. Bd. 1. S. 181. Dt-io» t» i» 15. Dd.

ig

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aufmuntenr sollten. Wenn wir nach der Ueberschrist. des Titelblattes urtheilen sollen: so hat er auch diese Letzten Abfichten gehabt. Seme Vorrede aber und daS Buch selbst versetzen uns deswegen in eine nicht geringe Verlegenheit, und wir wüßten nicht, warotr zu diesem Buche sagen sollten, wenn wir eS nach dem Grundsätze des Herrn I. I. Rousseau beurtheilen müßten, nach welchem dre Güte eines Du, ches durch den Grad der Begierde bestimmt wird, die es dem Leser einflößrt, tugendhafter und besser zu werden. Wrr wissen wohl, daß ein Verfasser für das Grft nicht in Verantwortung steht, welches Muthwillen und Ausgelassenheit aus unschuldigen Stellen seiner Schriften saugen. Allein wenn ein solcher ein schlüpfriges Gemälde des Jupiters aus­ setzet, bei dem em junger Schurke sagt: ego homnn-

cio boc non fairem, — und das vermögend ist, die unschuldige Einbildungskraft emes unverwahreten aber auch unverdorbenen Herzens m eme unglückliche Flannne xu versetzen: so wissen wir nicht, vb er sei­ nen Pflichten gegen dre Rechte der Tugend getreu­ lich nachgelebt zu haben sich das Zeugniß beilegen könne. Und überhaupt möchte man fast sagen, daß, um em nützliches Muster den Menschen darzu­ stellen, die Form eures Romans dre unbequemste und dre gefährlichste sey. (?) Diese Art von Schriften,

wo die Lrebe immer das vornehmste Triebrad aus­ machet, kann lercht in der unerfahrnen Jugend den

über Wiel. Werke. 2. Periode. Gedanken erzeugen und unterhalten,

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daß die Liebe

die Hauptbeschäftigung des Lebens ausmache, und dab ihre Befriedigung den Menschen auf den höchsten Gipfel der Glückseligkeit versetze. Dieser falsche Be­ griff bringet das ganze System der Gedanken dgr Jugend in die größte Unordnung, und er verursachet täglich das Unglück der schönsten Seelen und unzäh­ liger Familien. Wir wünschten also lieber von so vortrefflichen Genies, als H. W. ist, solche Bücher, welche diesen schändlichen Irrthum bekampfeten, und welche die Jugend bclehrcten, m wie fern ihre zärt­ lichen Gefühle zu ihrer Glückseligkeit und zu ihrem Elende bertragen und wie solche sie nothwendig un, glücklich machen muffen, wenn sie aus denselben den wichtigsten Gegenstand ihres Lebens machen. »Wir muffen aber die Geschichte des Agathon in einem andern Gesichtspunkte betrachten. — Wir muffen dieselbe ansehen als eine Reihe von psycholo­ gischen Beobachtungen und von moralischen Gemäl­ den, welche dem Philosophen, dem Staatsmanne und jefcem denkenden Menschen unendlich viel Ver­ gnügen und Nutzen gewahren können. In dieser Rücksicht enthalt dieses Werk einen recht kostbaren Schatz wichtiger Wahrheiten, dabei doch einige nicht genug entwickelt, und andre nicht in dem richricsten Lichte dargestellt, welche für den utterfahrnen und der Prüfung unfähigen Leser sehr schädlich werde«

sonnen.*

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Auf diese allgemeinen Bemerkungen folgt nun S. 192 — 201. eine Inhaltsanzeige des Werks und nach dieser heißt eß: »Die mannigfaltigen Vorzüge dieses vortrefflichen Werkes erwecken ganz natürlich den Wunsch, daß es von einigen Fehlern frei seyn möchte, dre darin hin und wieder ausgesireuet find. Wir haben schon die Schlüpfrigkeit der Ausdrücke (?) und der Gemälde bemerkt, welche bisweilen sehr weit gehet. Viele niedrige und der Feder eines Wielands nicht anständige Scherze verstellen zuweilen hie schönsten Stellen." Wir übergehen diese, bei deren meisten nicht recht einleuchtet, warum sie dem Rec. anstößig seyn moch­ ten, so wie die beffer begründete Rüge vieler ohne Noth gebrauchter ausländischer Worte u. dgl. Der Beurtheiter fährt hierauf fort: »Was uns am anstößigsten vorgekommen ist, sind eine Menge unbestimmter Stellen, welche den Leser in einer großen Ungewißheit (affen, ob der Verf. an die Tugend glaubt oder nicht. Nicht nur trifft seine Satyre oft den Heuchler auf eine solche Weise, daß der Streich zugleich auf den wahren Tugendhaften mit fällt, seine Philosophie selbst scheinet oft mit einer bösfertigen Freude sich mit Beobachtungen groß zu machen, die, wenn sie so richtig, und so allgemein richtig wären als sie zuverläßig ausgesprochen sind, die Tugend leicht zu einem Schattenbilde machen würden.---------------------------- Wrr sind weit entfernt,

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den H. W. bei diesen Stellen schlimmer Absichten zu beschuldigen. Wir sind versichert, daß viele derselben viel besser bestimmt seyn würden, wenn H. W. nicht vielleicht mit zu großer Geschwindigkeit arbeitete. Vielleicht hat er auch nun zum Nachtheile des menschlichen Geschlechtes seine misanthropischen Be­ griffe gleich eilfertig allgemein gemachet, als er vor einigen Jahren allzugeschwind eine zu allgemeine Meinung (?) von demselben gefaffet hatte.-----------»Obgleich H. M. in der Vorrede verspricht, das Costume, das Uebliche, oder, wie er sich ausdrücket, den eignen Charakter des Landes, des Ortes, der Zeit, in welche die Geschichte gesetzet wird, niemals aus den Augen zu verlieren; so zweifeln wir den­ noch sehr, ob ein echter Kenner der griechischen Sit­ ten ihm das Zeugniß geben würde, daß er diesem Versprechen ein Genüge geleistet habe. Ium we­ nigsten ist dieses richtig, daß die platonische Liebe, welche den Charakter seines Helden ausmachet, gänz­ lich eine Erfindung der neueren Zeiten ist, — die man -war mit dem Namen des göttlichen Plato verehrungswürdig zu machen gesucht hat, die aber weder Plato, noch Sokrates, noch Diotima jemals gekannt haben. Die Liebe, welche diese lehren, ist die feurige Begierde der menschlichen Seele aus dem Genusse des Schönen Vergnügen zu schöpfen. Diese steiget von dem niedrigsten Grade des körperlichen Schönen bis zu der erhabnen Urquelle jedes Schönen und

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jedes Guten. Sie ist