181 69 15MB
German Pages 364 [368] Year 1795
C. M. W I E L A N D S
SÄMMTLICHE WERKE E I L F T E R
DON
SYLVIO ERSTER
B A N D
VON
ROSALVA
THEII.
L E I P Z I G key G e o r g Joachim Göschen.
1795-
INHALT
DES
I.
E R S T E S
i.
THEILS.
B U C H .
KAPITEL.
Karakter einer Alt von Tanten.
Seite 3
2. Kap. Was für eine Erziehung Don Sylvio von seiner Tante bekam.
S. 9 g.
Kap.
Psychologische Betrachtungen.
S. 12
4. Kap. W i e Don Sylvio mit den Feen bekanntwird S. 17
5.
KAP.
Seltsame Thorheit des Don Sylvio. zu einer idealischen Prinzessin. W l I l A U D S
W .
XI.
fl.
S. 24
Seine Liebe
IV
I
N
6.
H
A
L
T
Kapitel.
Abenteuer mit dem Laubfrosche.
Warum Don
Sylvio nicht merkte, dafs der Frosch keine Fee war. Seite 29 7.
Kap.
Don Sylvio findet auf eine wunderbare Art das Bildnifs seiner geliebten Prinzessin.
8-
S. 34
KAP.
Reflexionen des Autors und des Don Sylvio. 9.
S. 40
Kap.
Folgen des Abenteuers mit dein Sommervogel. Der Leser wird mit einer neuen Person bekannt gedacht. S. 46 10.
Kap.
Worin Feen, Salamander, Prinzessinnen und grüne Zwerge auftreten.
S. 5 3 11.
KAP.
Ein Gespräch zwischen Pedrillo und seinem Herrn. Zurüstungen zu der beschlossenen Wanderschaft S. 69 12.
Kap.
Unmafsgebliche Gedanken des Autors.
S. 78
DES
I.
T
H E I L b.
Z W E Y T E S
I.
V
B U C H .
K A U T E L .
Aufschlüsse über die Reisen der Donna nach der Stadt.
Mcncia
Seite 95 2.
Kap.
Ein Gemälilde in Ostadischcm Geschmack. S. 103 3.
Gespräch zwischen
KAP.
der Tante und
dem Neffen.
S/ 110 4.
KAP.
Muthmafsungen des Don Sylvio. seine Entweichung mit dem Pedrillo. 5.
Ein Spaziergang.
Er
verabredet
S. 117
KAP.
Klugheit des Don Sylvio. S. 124 6.
Kap.
Don Sylvio wird in die Gärten der Fee Radiante entzückt. steht.
Seltsame Verwechselung, welche daraus ent-
Unangenehme Folgen derselben. 7.
S. 127
Kap.
Don Sylvio kommt wieder zu sich selbst dung mit Pedrillo.
Unterre-
W i e geschickt dieser die vermeinte
Fanferlusch zu hintergehen weifs.
S. 134
VI
I
n
h
a
l
D R I T T E S
l.
t B U C H .
KAPITEL.
Heimliche Flucht unsrer Abenteurer.
Wortstreif,
der zwischen ihnen wegen eines Baumes entsteht, den Pedrillo für einen Riesen ansieht. а.
Seite
149
KAP.
Merkwürdiges Abenteuer mit dem Salamander und dem Froschgraben.
S.
159
3.
Kap.
Worin Fedrillo etwas unsanft aus dem Schlafe geweckt wird.
S. 173 4.
KAP.
Was die Einbildung nicht thut! S. 173 5.
KAP.
Worin die Geschichte nach Rosalva zurück kehrt. S. 107 б.
Kap.
Unterredung beym Frühstück. Sylvio.
Eifersucht des Don
S. 195 7.
Kap.
Abenteuer mit der Zigeunerin.
S. 212
D E S
I. ß.
T II E I 1 S.
VII
Kapitel.
Don Sylvio ermüdet sich über dem Suchen des blauen Schmetterlings, und schläft nach einer starken Feldmahlzeit ein.
Seite 229 9.
Kap.
Das artigste Abenteuer in diesem ganzen Buche. s-
235 10.
KAP.
W e r die Dame gewesen, welche Pedrillo für eine Fee angesehen.
S. 247 11.
Eines von den Werke.
KAP.
gelehrtesten Kapiteln
in
diesem
S. 256 12.
KAP.
Ein weiblicher Dialog.
V I E R T E S
1.
S. 260
B U C H .
KAPITEL.
Worin der Autor eine tiefe Einsicht in die Geheimnisse dor Ontologic an den Tag legt.
S. 275
VIII
IÄ'HAIT
D E S
2.
I.
T II £ I L s.
Kapitel.
Ein Bevspiel, dafs ein Augenzeuge nicht allemalil so zuverlässig ist, als man zu glauben pflegt 5. Worin scheint.
Seite 2¡30
KAP.
D o n Sylvio »ehr zu seinem Vortheil erS. 305 4.
KAP.
D i e Gesellschaft langt in einem Whthshause an. S. 312 5.
KAP.
D e r Autor hofft, dafs dieses Kapitel keiner Kammerjungfer in die Hände fallen werde. 6.
S. 3 1 7
KAP.
Exempel eines merkwürdigen Verhörs. 7.
S. 326
KAP.-
Eine kleine Abschweifung nachJLiirias, w o b e y der Autor eine nicht unfeine Kcnntnifs des weiblichen Herzens sehen läfet
S. 341 8.
Das nyinfen.
höchst S. 349
KAP.
klägliche Abenteuer
mit
den Gras-
DIE
ABENTEUER DES
DON
SYLVIO
ERSTER
WiELAMDS W.
XI. B.
VON
ROSALVA.
THEIL
1
E R S T E S
1.
BUCH.
K a p i t e l .
K a r a k t e r einer A r t von
Tanten«
In einem alten baufälligen Schlosse der Spaninischen Provinz Valencia lebte vor einigen Jahren ein Frauenzimmer von Stande, die zu derjenigen Zeit, da sie in der folgenden Geschichte ihre Rolle spielte, bereits über ein halbes Jahrhundert unter dem Nahmen D o n n a M e n c i a von R o s a l v a ' — sehr wenig Aufsehens in der Welt gemacht hatte. Die Dame hatte die Hoffnung, sich durch ihre persönlichen Annehmlichkeiten zu unterscheiden, schon seit dem Sukcessionskriege O aufgegeben , in dessen Zeiten sie zwar jung und nicht ungeneigt gewesen w a r , einen würdigen Liebhaber glücklich zu machen, aber immer so empfindliche Kränkungen von der XI. B.
l
DON
SILVIO
VON
ROSAIVA.
Kaltsinnigkeit der Mannspersonen erfahren hatte, dafs sie mehr als Einmahl in Versuchung gerathen war, in der Abgeschiedenheit einer Klosterzelle ein Herz, dessen die Welt sich so unwürdig bezeigte, dem Himmel aufzuopfern. Allein ihre Klugheit liefs sie jedesmahl bemerken, dafs dieses Mittel, wie alle diejenigen, welche derUnmuth einzugeben pflegt, ihre Absicht nur sehr unvollkommen erreichen, und in der That die Undankbarkeit der Welt nur a n i h r s e l b s t bestrafen würde. Sie besann sich also glücklicher Weise eines andern, welches ihr nicht so viel kostete, und weit geschickter war, die einzige Absicht zu befördern, die bey so bqwandten Umständen ihrer würdig zu seyn schien. Sie wurde eine S p r ö d e , und nahm sich vor, ihre beleidigten Reitzungen an allen den Unglückseligen zu rächen, welche sie als Wolken ansah, die den Glanz derselben aufgefangen und unkräftig gemacht hatten. Sie erklärte sich öffenu lieh für eine abgesagte Feindin der S c h ö n h e i t und L i e b e , und warf sich hingegen zur Beschützerin aller dieser ehrwürdigen Yestalen auf, denen die Natur die Gabe der t r a n s i t i v e n 2 ) Keuschheit mitgetheilt hat, von Geschöpfen, deren blofser Anblick hinlänglich wäre, den muthwilligsten Faun — weise zu machen..
ERSTES
BUCH.
I.
KAP.
5
Donna Mencia liefs es nicht bey der bloßen Freundschaft bewenden, die der nähere Umgang, die Sympathie und die Ähnlichkeit ihres Schicksals zwischen ihr und einigen Frauenzimmern von dieser Klasse stiftete, mit denen sie zu Valencia, wo sie erzogen worden war, nach und nach Bekanntschaft gemacht hatte. Sie richtete eine Art von S c h w e s t e r s c h a f t mit ihnen auf, die in der s c h ö n e n W e l t eben das war, was (nach vieler Leute Meinung) die M ö n c h s o r d e n in der p o l i t i s c h e n sind, ein Staat im Staate, dessen Interesse ist, dem andern allen möglichen Abbruch zu t h u n , und die sich den Nahmen der A n t i g r a z i e n erw a r b , indem sie mit dem ganzen Reich der Liebe in einer eben so offenbaren und unversöhnlichen Fehde stand, als die Maltheserritter mit den Musulmanen. Um ihre Zusammenkünfte dem gemeinen Wesen so nützlich zu machen, als sie ihnen selbst angenehm waren, erwählten sie die Beförderung der Tugend und der guten Sitten unter ihrem Geschlechte zum Gegenstand ihrer grofsniiitliigen Bemühungen; denn die klägliche Verderbnifs desselben war, ihremUrtheile nach, die Avafyre und einzige Quelle alles Unheils in der Welt. Sie legten zum Grund ihrer Sittenlehre, dafs die Besitzerin eines angenehmen Gesichts unmöglich tugendhaft seyn könne;
6
D O N
STLVIO
VON
ROSAIVA.
und nach diesem Grundsatze wurden alle ihre Urtheile über die Handlungen und den moralischen Werth einer jeden Person ihres Geschlechts bestimmt. Ein Frauenzimmer, welches gefiel, war in ihren Augen eine Unglückselige, ein verlornes Geschöpf, eine Pest der menschlichen Gesellschaft, ein Gefäfs und Werkzeug der bösen Geister, eine Harpye, Hyäne, Sirene und Amfisbäne; und alles dieses und noch etwas ärgeres, je nachdem sie mehr oder weniger von dem ansteckenden Gifte bey sich führte, welches , nach dem System dieser Sittenlehrerinnen, eben so tödtlich für die Tugend als schmeichelhaft für die Eigenliebe und verführerisch für die armen Mannsleute ist. In diesem strengen Karakter hatte sich Donna Mencia bereits über fünfzehn Jahre der schönen Welt zu Valencia furchtbar gemacht, als D o n P e d r o von R o s a i v a , ihr Bruder, den Entschluß fafste, Madrid zu verlassen, wo er den Rest eines im Dienst des neuen Königs aufgewandten Vermögens verzehrt hatte, eine Pension nachzusuchen, die er nicht erhielt, und nun (da es zu spät war) nicht wenig bedauerte, dafs er ihn nicht lieber angewendet hatte, ein kleines altes Schlofs zwey oder drey Stunden vonXelva, das einzige, was ihm von seinen Vorältern übrig w a r , in einen bewohnbaren Stand zu setzen.
ENSTES
BUCH.
I.
KAP.
7
Er hatte von seiner vor kurzem verstorbenen Gemahlin einen Sohn und eine Tochter, deren zartes Alter sowohl als die Regierung seines kleinen Hauswesens eine weibliche Aufsicht erforderte. Er übertrug dieses Amt seiner Schwester, welche leicht zu bewegen w a r , die Demüthigungen, die sie in Valencia erlitten hatte, gegen das Vergnügen zu vertauschen, die vornehmste Frau in einem Dorfe zu seyn. Eine Denkungsart, die sie vielleicht dem grofsen J u l i u s C ä s a r abgelernt haben mochte, der bey seinem Durchzug durch ein elendes Städtchen in den Pyrenäen seine Freunde versicherte, dafs er lieber der erste in diesem armseligen Städtchen, als der zweyte in Rom seyn möchte. Der Gram über fehl geschlagene Hoffnungen liefs den guten Don Pedro die Annehmlichkeiten der Freyheit und des Landlebens, dessen wahre Vortheile ohnehin seinen Landsleuten noch unbekannt sind, nicht lange geniefsen. Er starb, und hinterliefs seinem Sohn, D o n S y l v i o , einen Stammbaum, der sich in den Zeiten des Gargaris und Habides 3) verlor, ein verfallenes Schloi's mit drey Thürmen, ein paar Pachthöfe, und die Hoffnung, nach dem Tode der Donna Mencia eine Erbschaft von -alten Juwelen , Brillen und Rosenkränzen , nebst einem ansehnlichen Vorrathe von Ritterbüchern und Romanen mit seiner Schwester zu theilen.
8
DON
SYLVIO
VON
ROSAIVJI.
Don Pedro starb desto ruhiger, da er .«einen Sohn, ob er gleich das zehnte Jahr kaum erreicht hatte, in den Händen einer so weisen Dame liefs, als Donna Mencia in seinen Augen •war. Denn ihre erstaunliche Bclesroheit in Kroniken und Ritterbiichern, und die Beredsamkeit, womit sie ihre tiefen Einsichten in die Staatswissenschaft und Sittenlehre bey Tische und bey andern Gelegenheiten auszulegen pflegte, hatten ihm eine desto gröfsere Meinung von ihrem Verstände beygebracht, je weniger seine eigene kriegerische Lebensart ihm Zeit gelassen hatte, eine mehrere Kenntnifs von dem, was man d i e f e i n e r e G e l e h r t h e i t heifst, zu erwerben, als etwann das Wenige seyn mochte, was ihm aus seinen Schuljahren in einem nicht allzu getreuen Gedächtnifs übrig geblieben war.
E n ST ES
2.
BUCH.
2.
KAP.
9
K A P I T E L .
Was für eine Erziehung D o n Sylvio von seiner Tante
bekam.
D o n n a Mencia betrog die Hoffnung nicht, welche sich ihr Bruder von ihrer Sorgfalt und Geschicklichkeit gemacht hatte. Denn so bald der junge Sylvio von dem Pfarrer des Dorfes so viel Latein gelernt hatte, dafs er die Verwandlungen des Ovidius verstehen , und von dem Barbier eines benachbarten Fleckens, dem A mf i o n der Gegend, so viel Musik, dafs er etliche Dutzend alte Balladen mit auf der Cither begleiten konnte: so nahm sie es auf sich selbst, ihn zu allen den übrigen Eigenschaften auszubilden, welche nach ihren Begriffen einen v o l l k o m m e n e n E d e l m a n n ausmachten. Das Schlimmste war, dafs sie diese Begriffe aus dem Don P a 1 m e r i n von O l i v a , dem F ar n m o n d , d e r K l e l i a , dem grofsen C y r u s 4) und andern Büchern von dieser Klasse geschöpft hatte, welche nebst den Abenteuern der z w ö l f P a i r s von F r a n k r e i c h und der R i t t e r v o n d e r r u n d e n T a f e l den vornehmsten Theil ihres Blicherschatzes ausmachten. Ihrer
10
DON
S i l v i o
VON
ROSAIVA.
Meinung nach lag in diesen Büchern der ganze Reichthum der erhabensten und nützlichsten Kenntnisse verborgen. Sie glaubte also ihren Untergebenen nicht besser anweisen zu können, als wenn sie ihm die Begriffe und den Geschmack beyzubringen suchte, den sie selbst aus so lautern Quellen geschöpft hatte; und die glücklichen Fähigkeiten des jungen Don Sylvio begünstigten ihre Absichten so sehr, dafs er, noch vor seinem fünfzehnten Jahre, zum wenigsten eben so gelehrt als seine gnädige Tante •war. Er besafs in diesem zarten Alter bereits eine so ausgebreitete Kenntnifs von der Geschichte, der Naturkunde, der Theologie, der Metafysik, der Sittenlehre, der Staats- und Kriegskunst , den Alterthümern und schönen Wissenschaften, als irgend einer von den gelehrtesten Helden des grofsen Cy r u s; und er wufste mit so vieler Beredsamkeit über die subtilsten Fragen aus diesen Wissenschaften zu perorieren, dafs die Bedienten des Hauses, der Pfarrer, der Schulmeister, der vorbesagte Barb i e r , und andere d i s t i n g u i e r t e Personen, die den freyen Zutritt im Hause hatten, sowohl die Wundergaben des jungen Herrn als die weise Erziehungskunst der gnädigen Frau nicht genug bewundern konnten. Was dieser letztern an ihrem Neffen am besten gefiel, war die ausserordentliche Be-
E R S T E S
BUCH.
2.
KAP.
11
gierde, wovon er brannte, den erhabnen Mustern n a c h z u a h m e n , von deren grofsen Thaten und Heldentugenden er bis zur Bezauberung entzückt w a r , und womit er seine Einbildungskraft so vertraut gemacht hatte, dafs er sich endlich beredete, es würde ihm nicht mehr Mühe kosten sie a u s z u ü b e n , als er brauchte sich eine V o r s t e l l u n g davon zu machen. Donna Mencia zweifelte nicht, dafs Don Sylvio mit so edlen Neigungen und einer so heroischen Denkungsart dereinst eine grofse Rolle in der Welt spielen , und den Helden, welche sie am meisten bewunderte, an Ruhm und Glück eben so nahe kommen würde, als er ihnen an Schönheit und persönlichen Annehmlichkeiten ähnlich war.
12
Don S y l v i o
3.
von R o s a l v a .
Kapitel.
Psychologische
Betrachtungen.
M a n wird sich um so weniger wundern, dafs die Einbildungskraft des Don Sylvio von einer so wunderbaren Erziehung einen seltsamen Schwung bekommen mufste, wenn wir sagen, dafs eine ungemeine Empfindlichkeit , und, was unmittelbar damit verbunden ist , eine starke Anlage zur Zärtlichkeit, unter die Gaben gehörte, womit ihn die Natur bis zum Übermaß beschenkt hatte. Junge Leute von dieser Art lieben überhaupt alle Vorstellungen, welche lebhafte Eindrücke auf ihr Herz machen, und Leidenschaften erwecken, die, in einem leichten Schlummer liegend, bereit sind von dem kleinsten Geräusch aufzufahren. Kommt dann noch hinzu, dafs sie fern von der Welt, in einer ländlichen Einsamkeit und Einfalt, unter den natürlichen Vergnügungen des Landlebens und frey von den Arbeiten desselben erzogen werden: so erhalten
ERSTES
BUCH.
3.
KAP.
»5
wunderbare und leidenschaftliche Vorstellungen eine verdoppelte und desto stärkere Gewalt über ihr Heiz, je geschäftiger die Einbildungskraft in solchen Umständen zu seyn pflegt, das Leere auszufüllen, welches die beständige Einförmigkeit der Gegenstände, die sich den Sinnen darstellen, in der Seele zurück läfst. Unvermerkt verwebt sich die E i n b i l d u n g mit dem G e f ü h l , das W u n d e r b a r e mit dem N a t ü r l i c h e n , und das F a l s c h e mit dem W a h r e n . Die Seele, die nach einem blinden I n s t i n k t Schimären eben so regelmäfsig bearbeitet als Wahrheiten, bauet sich nach und nach aus allem diesem e i n G a n z e s , und gewöhnt sich an, es für wahr zu halten, weil sie Licht und Zusammenhang darin findet, und -weil ihre Fantasie mit den Schimären, die den gröfsten Theil davon ausmachen, eben so bekannt ist ab ihre Sinne mit den wirklichen Gegenständen , von welchen sie ohne sonderliche Abwechslung immer umgeben sind. In diesem Falle befand sich der Jüngling, welcher der Held unsrer Geschichte seyn wird. Die natürliche Lauterkeit seiner Seele war des Argwohns, ob er etwann betrogen werde, unfähig. Seine Einbildung fafste also die schimärischen Wesen, die ihr die Dichter und Romanschreiber vorstellten, eben so auf, wie seine Sinne die Eindrücke der natürlichen Dinge
14-
DON
SILVIO
VON
KOSALVA.
aufgefafst hatten. Je angenehmer ihm das Wunderbare und Ubernatürliche war, desto leichter war er zu verführen , es für etwas wirkliches zu halten ; zumahl da er in die Möglichkeit auch der unglaublichsten Dinge keinen Zweifel setzte. Denn für den Unwissenden ist alles möglich. Solcher Gestalt schob sich die p o e t i s c h e und bez a u b e r t e W e l t in seinem Kopf an die Stelle der w i r k l i c h e n , und die Gestirne, die elementarischen Geister, die Zauberer und Feen waren in seinem System eben so gewifs d i e B e w e g e r d e r N a t u r , als es die Schwere, die Anziehungskraft, die Elasticität, das elektrische Feuer, und andere natürliche Ursachen in dem System eines heutigen Weltweisen sind. Die N a t u r selbst, deren anhaltende Beobachtung das sicherste M i t t e l gegen die Ausschweifungen der Schwärmerey ist, scheint auf der andern Seite durch die unmittelbaren Eindrücke, die ihr majestätisches Schauspiel auf unsere Seele macht, die e r s t e Q u e l l e derselben zu seyn. Das angenehme Grauen, das uns beym Eintritt in den dunkeln Labyrinth eines dichten Gehölzes befällt, beförderte ohne Zweifel den allgemeinen Glauben der ältesten Zeiten, dafs
E R S T E S
BUCH.
3.
KAP.
15
die "Wälder und Haine von Göttern bewohnt •würden. Der süfse Schauer, das Erstaunen, die gefühlte Erweiterung und Erhöhung unsers Wesens, die wir in einer heitern Nacht beym Anblick des gestirnten Himmels erfahren, begünstigte vermuthlich den Glauben, dafs dieser schimmervolle, mit unzählbaren, nie erlöschenden Lampen erleuchtete Abgrund eine Wohnung unsterblicher Wesen sey. Aus dieser Quelle kommt es vermuthlich, dafs d i e L a n d l e u t e , denen ihre Arbeiten keine Zeit lassen, die verworrenen Eindrücke, welche die Natur auf sie macht, zu deutlicher Erkenntnifs zu erhöhen, überhaupt a b e r g l ä u b i s c h e r als andere Leute sind. Daher die k ö r p e r l i c h e n G e i s t e r , womit sie die ganze Natur angefüllt sehen; daher die unsichtbaren Jagden in den Wäldern, die Feen die des Nachts auf den Fluren im Kreise tanzen, die freundlichen und die boshaften Kobolde, der Alp der die Mädchen drückt, die Berggeister, die Wassernixen , die Feuermänner, und wer weifs wie viel andre Hirngespenster, von denen sie so vieles zu erzählen wissen, und deren Wirklichkeit bey ihnen so ausgemacht ist, dafs man sie nicht läugnen kann, ohne in den Augen der meisten von ihrer Klasse entweder albern oder gottlos zu scheinen.
16
DON
S I L V I O
VON
ROSALVA.
Nehmen wir nun alle diese Umstände zusammen, welche sich vereinigten, der romanhaften Erziehung unsers jungen Ritters ihre volle Kraft zu geben, so werden wir nicht unbegreiflich Rnden, dafs er nur noch wenige Schritte zu machen hatte, um auf so abenteuerliche Grillen zu gerathen, als seit den Zeiten seines Landsmannes, des Ritters von Mancha, jemahls in ein schwindliges Gehirn gekommen seyn mögen.
£rstes
4. Wie
Don
Buch.
4. Kap.
17
Kapitel.
Sylvio bekannt
mit
den
Feen
wird.
Z u m Unglück für seine Vernunft befanden sich unter den Büchern, womit eine grofse Kammer des Hauses angefüllt war , eine Menge F e e n m ä h r c h e n , wovon Don Pedro ein grofser Liebhaber gewesen w a r , ob er gleich von seiner weisen Schwester wegen seines Geschmacks an solchen unnützen Possen, wie sie es nannte, nicht selten angefochten wurde. Denn in so grofsem Ansehen die R i t t e r b u c h er bey ihr standen, welche sie mit den Kroniken, Historien und Reisebeschreibungen in Eine Klasse setzte, so verächtlich waren ihr alle diese kleinen Spiele des Witzes, die blofs zur Unterhaltung" der Kinder oder zum Zeitvertreib der Erwachsenen geschrieben werd e n , und meistens durch nichts als die angenehme Art der Erzählung Personen von Geschmack sich empfehlen können. Don Pedro gestand ihr willig ein, dafs es S c h ä k e r e y e n seyen: aber sie vertreiben WiEi.AitDs w. XI. B. 2
Iß
DON
SILVIO
VON
ROSALVA.
mir, sagte er, doch manche langweilige Stunde ; je schnakischer die Einfalle sind, t die der närrische Kerl, der Autor, auf die Bahn bringt, desto mehr lach' ich, und das ist alles, Avas ich dabey suche. Die weise Donna Mencia — welche, wie alle wunderliche Leute, nur ihre eigenen Grillen vernünftig fand — liefs sich zwar durch diese Antwort nicht befriedigen; allein die A r a b i s c h e n und P e r s i s c h e n Erzählungen, die Novellen 5) und die Feenmährchen blieben nichts desto weniger in ruhigem Besitz ihres Platzes in der Bibliothek; und da sie meistens nur in blaues Papier geheftet waren, so verbargen sie sich so bescheiden hinter die ehrwürdigen Folianten und Quartbände der Donna Mencia , da/V sie nach dem Tode des alten Ritters in kurzem gänzlich vergessen wurden. Doch vermuthlich wollte die F e e , die sich in das Schicksal des jungen S y l v i o mischte , nicht zugeben, dafs er seine Bestimmung verfehlen sollte. Denn da er einst in Abwesenheit seiner Tante, deren Ernsthaftigkeit und ewigen Sittenlehren ihm sehr beschwerlich zu werden anfingen, in der Bücherkammer herum stöberte, um sich etwas zur Zeitkürzung auszusuchen; sogerieth er, es sey nun von ungefähr oder durch den geheimen Antrieb der
ERSTES besagten F e e , mährchen.
Buch.
4.. K A P .
19
auf ein starkes H e f t von Feen-
E r steckte es voller Freude zu sich,
und zog sich so geschwind er konnte in den Garten zurück, ungestört
um den W e r t h seines Funds
erkundigen
zu
können;
denn
es
schwante ihm schon beym Anblick der Titel, dafs es sehr angenehme Sachen seyn müßten. Die K ü r z e erste,
dieser Erzählungen w a r das
wodurch sie ihm gefielen;
er der dicken Folianten müde,
so sehr w a r
woraus er sei-
ner Tante täglich etliche Stunden lang vorlesen mufste.
So bald er aber eine oder z w e y davon
durchlesen hatte, zu vergleichen, der Gierigkeit,
w a r nichts dem Vergnügen das er dabey empfand,
und
w o m i t er alle die übrigen ver-
schlang. Ein gewisser Instinkt, der auch die einfaltigsten unter den jungen sie ihren
Aufsehern
•warnte ihn,
Leuten
lehrt,
seine liebe Tante nichts von der
gemachten Entdeckung merken zu lassen. lein der Z w a n g , mufste,
was
sagen dürfen oder nicht, Al-
den er sich hierüber anthun
machte ihm die Feen nur desto lieber;
und er würde die ganze Nacht durch gelesen haben, seiner
w e n n man (wie T a s s o Gefangenschaft
wünschte)
A u g e n einer Katze lesen könnte.
ehemahls in bey
den
Denn
die
Vorsicht der Donna Mencia f ü r seine Gesundheit — xr. B.
und f ü r die
Ersparung
der
Kerzen 2
so
DON
S I L V I O
VON
ROSALVA.
hatte ihm, schon von langem her, die Mittel zu gelehrten Nachtwachen benommen. Dafür aber war er, sobald der Tag anbrach, schon wieder munter; er nahm sein Heft unter seinem Hauptküssen hervor, durchlas mit fliegenden Blicken ein Mährchen nach dem andern, und wie er mit der ganzen Sammlung fertig war', fing er wieder von vorn an, ohne es müde zu werden. So oft er konnte, begab er sich in den Garten oder in den angrenzenden Wald, und nahm seine Mährchen mit. Die Lebhaftigkeit, womit seine Einbildungskraft sich derselben bemächtigte, war aufserordentlich: er las nicht; e r s a h , erhörte, erfühlte. Eine schönere und wundervollere Natur, als die er bisher gekannt hatte, schien sich vor ihm aufzuthun, und die Vermischung des Wunderbaren mit der Einfalt der Natur, welche der Karakter der meisten Spielwerke von dieser Gattung ist, wurde für ihn ein untrügliches Kennzeichen ihrer Wahrheit. Dieser Funkt fand desto weniger Schwierigkeit bey ihm, da er durch seine bisherige Lebensart vollkommen dazu vorbereitet war. Denn seit dem Anfang seiner Studien, der mit O v i d s Verwandlungen gemacht wurde, war ihm bisher kein einziges Buch in die Hand gekommen, das ihm richtigere Begriffe hätto
ERSTES
geben können.
BUCH.
4.
KAP.
21
Im Gegentheil hatten verschie-
dene Schriftsteller aus den Zeiten, yhagorisch - kabbalistiche
da die Py-
Filosofie
durch
ganz Europa in Ansehen stand, durch ihre systematischen Träumereyen von planetarischen und elementarischen Geistern, von Beschwörungen, geheimnifsvollen Zahlen und Talismanen, und von jener vorgeblichen Weisheit,
die
ihren
Besitzer zum Meister der ganzen Natur machen könne,
ihn so sehr
befestiget, nufs
in seinen
Einbildungen
dafs selbst die Avundervolle H a s e l -
der Prinzessin B a b i o l e , 7 )
und das
Stück Leinwand von vier hundert Ellen, ches
der
Liebhaber
der
weifsen
wel-
Katze
aus einem H i r s e n k ö r n l e i n auspackte, und sechsmahl durch das feinste Nadelöhr z o g ,
in
seinen Augen nichts unbegreifliches hatten, o Ö Es binderte ihn also nichts, gnügen gänzlich zu überlassen,
sich dem Verwelches er aus
den Feenmährclien schöpfte, von denen er nach und nach unter der Makulatur, der Bücherkammer deckte, Menge hervor z o g ,
die den Boden
noch eine grofse
wovon immer eines aben-
teuerlicher als das andre w a r ,
und worin er
eine Unterhaltung fand, die er um alle Lustbarkeiten der W e l t nicht vertauscht hätte. E r konnte nicht so vorsichtig seyn,
dafs
seine eben so strenge als scharfsichtige Aufse-
22
DON
SYLVIO
VON
ROSALIA.
herin nicht endlich die Ursache seiner häufigen Spaziergänge in das Lustwäldchen entdeckt, und ihm eine sehr scharfe, sehr gelehrte und sehr langweilige Strafpredigt deswegen gehalten hätte. Allein das diente, w i e es zu gehen pflegt, zu nichts anderm, als dafs D o n S y l v i o behutsamer wurde, und sich besser in Acht nahm, seine Neigungen und angehenden Entwürfe vor ihr zu verbergen. Die Wahrheit zu sagen, er hatte sie jederzeit mehr gefürchtet als geliebt; allein seitdem sein Gehirn mit F l o r i n e n , Rosetten, B r i l l a n t e n , K r i s t a l l i n e n , und wer weifs wie vielen andern überirdischen und unnatürlich schönen Schönheiten angefüllt w a r , wurde er nicht selten versucht, die ehrliche alte Tante für eine Art von K a r a b o s s e 8) anzusehen, deren tyrannische Oberherrschaft ihm von Tag zu Tag unerträglicher wurde. Sie mochte also sagen was sie wollte, die Bezauberungen, die Schlösser von Diamanten und Rubinen, die verwandelten oder in Thürme und unterirdische Paläste eingesperrten Prinzessinnen und die zärtlichen Liebhaber, die unter dem wunderthätigen Schutz einer g u t e n Fee den Nachstellungen einer b ö s e n glücklich entgingen, blieben im gänz-
ERSTES
BUCH.
4.
KAP.
liehen Besitz seiner Einbildungskraft; nichts andres, er staunte und dichtete andres, er ging den ganzen Tag mit anderm u m , und träumte die ganze von Dichts anderm.
23 er las nichts nichts Nacht
24-
DON
STLVIO
5.
VONROSALVA.
KAPITEL.
Seltsame T h o r h e i t des-Don Sylvio.
Seine
L i e b e zu e i n e r i d e a l i s c h e n P r i n z e s s i n .
In einer so seltsamen Gemüthsverfassung konnte nichts natürlicher seyn, als dafs D o n S y l v i o endlich auf die Thorheit verfiel, sich eben solche Abenteuer zu wünschen, wie diejenigen, deren Erzählung ihm in den Mährchen so viel Vergnügen machte. In kurzem ging er noch weiter; er bemühte sich die Fantasien , womit sein Kopf angefüllt war, zu realisieren, und sich, so gut er konnte, in die Feen weit zu versetzen. Er gab defswegen allem , was um ihn war, Nahmen aus seinen Mährchen. Ein artiges Hündchen, das er hatte, mufste anstatt Amorett, wie es vorher hiefs, T i n t i n heifsen, weil das Hündchen der Prinzessin M e r v e i l l e u s e so geheifsen hatte; und er verstiefs eine aschgraue Katze mit weifsen Pfoten, die sein Günstling gewesen w a r , ' um einer ganz weifsen willen, die zu Ehren der Prinzessin
E R S T E S
BUCH.
5.
KAP.
W e i f s k ä t z c h e n mit allen ersinnlichen Höflichkeiten überhäuft wurde. Alle Morgen und Abende ging er etliche gemahlte Fensterscheiben in einer halb eingefallenen Gallerie des Schlosses zu besichtigen, in der Hoffnung, gleich dem Prinzen H ö c k e r i c h , Gemähide darauf zu finden, die ihm einigen Aufschlufs über sein künftiges Schicksal »eben würden: und er durchsuchte wohl zwanzigmahl alle Winkel des Schlosses vom Dach bis in den Keller, ob er nicht irgendw o einen bezauberten Schrank oder eine Falltreppe entdecken möchte, die in einen unterirdischen Palast führte. E r fand freylich nichts, und die Fensterscheiben wiesen ihm einmahl wie das andre nichts als geharnischte Ritter, die mit eingelegten Lanzen wohl ein paar hundert Jahre schon auf einander zurannten; allein er wufste sich sehr gut defswegen zu trösten. E r war noch nicht völlig achtzehn Jahr alt, und er hatte aus den meisten Mährchen gesehen, dafs ein Prinz oder Ritter wenigstens achtzehn Jahr alt seyn mufs, um Abenteuer zu haben. Inzwischen legte er in einer Ecke seines Gartens eine Art von Laube an , die dem B l u m e n s c h l o f s ähnlich seyn sollte, worin die Fee I m m e r s c h ö n die süfsen Augen-
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DON
STIVIO
VON
ROSAI-VA.
Wicke, die sie in den Armen ihres geliebten Schäfers genofs, vor ihrem Hofe zu verbergen pflegte. 9) Er liefs etliche Linden , die er dazu bequem fand , so zurichten, dafs ihre Stämme die Grundpfeiler, die untersten Äste den Fufsboden, und ihre Wipfel das Dach dieses seltsamen Lusthauses Wurden; die Wände •waren von Myrten mit Rosenhecken und Geifsblatt durchwunden, und an der Hinterseite war eine Treppe von Wasen so gut angebracht, dafs man sie nicht gewahr wurde. In diesem g r ü n e n S c h l o s s e , wie D o n S y l v i o es zu nennen beliebte, hatte er ein kleines Kabinet angelegt, welches er, um ihm ein desto f e e n m ä f s i g e r e s Ansehen zu geben , mit den schönsten Schmetterlingen austapezierte, die er auf seinen Spaziergängen in dem benachbarten Walde und an den Ufern des Guadalaviar, der nicht weit von seinem Garten vorbey flofs, gefangen hatte. In diesem Kabinette brachte er oft halbe Nächte mit Träumereyen über die wunderbaren Begebenheiten z u , die er sich -wünschte, und die er in kurzem zu erfahren hoffte. Unvermerkt schlief er über diesen fantastischen Betrachtungen ein, und günstige Träume setzten die Abenteuer fort, worin er wachend sich zu verirren angefangen hatte. Eine schöne
ERSTES
BUCH.
5.
KAP.
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Prinzessin, die er liebte, war gemeiniglich der Gegenstand davon; nur war das Beschwerliche dabey, dafs er sie allemahl in der Gewalt der Fee F a n f e r l ü s c h 1 0 ) oder einer andern neidischen alten Hexe sah, die seiner Liebe die verdriefslichsten Hindernisse in den W e g legte. Bald mufste er sich mit Drachen und fliegenden Katzen herum balgen; bald fand er alle Zugänge zu dem Palaste, worin sie gefangen gehalten w u r d e , mit Distelköpfen besät, welche sich in dem Augenblicke, da er sie berührte, in eben so viele Riesen verwandelten, die ihm den W e g mit grofsen stählernen Kolben streitig machten. Nun griff er sie zwar an, w i e es einem tapfern Ritter z u k o m m t , und hieb auf jeden Streich ein paar Dutzend mitten von einander; aber kaum war er mit ihnen fertig, und im Begriff als Sieger in den Palast hinein ö t> zu gehen, so mufste er sehen, w i e seine geliebte Prinzessin auf einem mit Fledermäusen bespannten Wagen durch den Schornstein davon geführt wurde. Ein andermahl fand er sie auf einer Blumenbank an einer Quelle sitzend ; er warf sich zu ihren Füfsen, er sagte ihr die zärtlichsten Sachen v o r , und sie schien ihn mit Vergnügen anzuhören: allein indem er sie umarmen wollte, (denn man w e i f s , dafs die Liebe in Träumen nicht alle die Gradazionen beobachtet, die einem Schäfer an den Ufern des L i g n o n vorgeschrieben sind)
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DON
SVLVIO
VON
ROSALVA,
so sali er mit Entsetzen, dafs er die Gestalt der dicken M a r i t o r n e , der Viehmagd des Hauses , an seinen Busen drückte, und erhielt von Lippen» die ihm einen Augenblick zuvor lauter Nektar und Ambrosia zu duften schienen, einen von Knoblauch und altem Ziegenkäse so stark durch würzten Kufs, dafs er vor Ekel und Abscheu des Todes hätte seyn mögen. So nichtig nun immer diese eingebildeten Unglücksfälle waren, so lebhaft war gleichwohl der Schmerz, den sie ihm verursachten. Er hielt diese Träume für böse Vorbedeutungen, und zweifelte nicht, dafs er eine mächtige Feindin habe, die darauf beflissen sey, ihn in der Liebe unglücklich zu machen, die er bereits in einem hohen Grade für die bezaubernde U n b e k a n n t e empfand, welche er nach dem Schlüsse des Schicksals zu lieben bestimmt war.
ERSTES B u c h .
6. KAP.
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6. K a p i t e l . Abenteuer um D o n
mit dem L a u b f r o s c h e .
Sylvio
nicht merkte,
Frosch keine
Fee
dafs
Warder
war.
D e r Gedanke, einen unsichtbaren Feind von solcher Wichtigkeit- zu haben , beunruhigte unsern jungen Helden nicht w e n i g : jedoch da er in seinen Mährchen noch keinen von Feen oder Zauberern v e r f o l g t e n Prinzen gefunden hatte , der nicht von einer andern Fee b e s c h ü t z t worden wäre; so ermunterte ihn die Hoffnung w i e d e r , dafs er nicht der erste seyn werde, an dem diese Regel eine Ausnahme leiden sollte. Weil es n u n in der F e e n w e l t , eben so wie in unserer Alltags weit, der Gebrauch ist, dafs man selten jemanden Dienste zu leisten pflegt, von dem man nicht eben dergleichen oder noch gröfsere zurück erwartet: so wünschte Don Sylvio nichts so sehnlich, als eine Gelegenheit zu b e k o m m e n , sich die Dankbarkeit irgend einer grofsmüthigen Fee verbinden zu können.
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DON
SYLVIO
VON
ROSALVA.
Indem er einst in diesen Gedanken an einem Graben in seinem Garten vorbey ging, sah er auf der andern Seite einen Storch, (einige Nachrichten sagen, wiewohl ohne genügsamen Grund, dafs es eine S t ö r c h i n gewesen) im Begriff einen artigen Laubfrosch zu erhaschen, der unbesorgt quakend im Gras herum hüpfte. D o n S y l v i o würde auch aus blofsem Antrieb seines Herzens, welches sehr gütig und mitleidig war, nicht saumselig gewesen seyn, dem nothleidenden Frosche zu 'Hülfe zu kommen. Allein der Gedanke, dafs es vielleicht eine Fee, und wohl gar eben der w o h l t h ä t i g e F r o s c h 1 1 ) seyn könnte, welcher der Prinzessin M u f e t t e und ihrer Mutter so gute Dienste geleistet hatte, setzte ihm Flügel an; er sprang über den Graben, und verjagte- mit einem Stecken, den er eben in der Hand hatte, den langbeinigen Erbfeind der Frösche in eben dem Augenblicke, da er im Begriff war, den kleinen unschuldigem Quäker hinunter zu schlingen. Der Storch liefs seinen Raub fallen und entHoh, und das Fröschchen sprang in den Graben, ohne sich zu bekümmern, wem es seine Rettung zu danken habe. D o n S y l v i o blieb an dem Graben stehen, und erwartete, dafs es in Gestalt einer scliö-
ERSTES
BUCH.
6.
KAP.
3i
nen Nymfe, oder doch mit seiner R o s e n l i a u b e auf dem Kopfe, wieder hervor kommen werde, um sich fiir einen so wichtigen Dienst gar schön bey ihm zu bedanken. Er wartete über eine halbe Stunde j aber zu seiner nicht geringen Befremdung wollte weder Frosch noch N y m f e zum Vorschein kommen. Eine so ungewöhnliche Undankbarkeit an einer Fee war ihm unbegreiflich. Wenn es auch, dachte e r , die kleine häfsliche M a g o t i n e , die alte R a g o t t e , oder die Fee K o n k o m b r e 1 2 ) selbst gewesen wäre, so sollte doch ein Dienst von dieser Art vermögend gewesen seyn, sie zu einiger Erkenntlichkeit zu bewegen. Könnte es aber nicht seyn, besann er sich einen Augenblick darauf, dafs es ihr nicht erlaubt ist, mir jetzt in ihrer eigenen Gestalt zu erscheinen; oder, dafs sie es aus andern Ursachen auf eine Gelegenheit verschiebt, da sie mir ihre Dankbarkeit durch eine wirkliche Dienstleistung beweisen kann? Diese Vermuthung schien ihm, weil sie mit seinen grillenhaften Wünschen am besten übereinstimmte, bey mehrerm Nachdenken so wahrscheinlich, dafs er voller Zufriedenheit in sein grünes Schlofs zurück ging, und keinen Augenblick länger zweifelte, dafs diese Begebenheit in kurzem irgend eine wichtige
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DON
SYIVIO
VON
ROSALVA.
Veränderung in seinem Schicksale nach sich ziehen würde. Vermuthlich werden einige Leser sich wundern, wie es möglich sey, dafs D o n S y i v i o albern genug habe seyn können, um aus dem widrigen Ausgange dieses Abenteuers nicht den Schlufs zu ziehen, der am natürlichsten daraus folgte, nehmlich dafs der Frosch k e i n e F e e gewesen sey. Allein sie werden uns erlauben, ihnen zu sagen, dafs sie die Macht der Vorurtheile und vielleicht ihre eigene Erfahrung nicht genugsam in Erwägung ziehen. Nichts ist unter den Menschen gewöhnlicher als diese Art von Trugschlüssen; das Vorurtheil und die Leidenschaft macht keine andre. Ein alter Geck, der durch seine Freygebigkeit die Treue seiner Liebste zu erkaufen denkt, schreibt die funkelnden Augen und die glühenden Wangen, womit sie ihn empfängt, der Freude z u , die ihr seine Ankunft verursache, und bedenkt nicht, wie viel wahrscheinlicher es w ä r e , sie auf die Rechnung eines jüngern Buhlers zu setzen, der inzwi? sehen in einem Schranke steckt und seines leichtgläubigen Unvermögens spottet. Ein Indier kauft seinem Bonzen A m u t e t e ab, die wider alle Krankheiten dienen
E r s t e s
B u c h .
6.
KAP.
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sollen; er wird krank, und die Amulete helfen nichts. Was schliefst er daraus? Vielleicht dafs seine Amulete keine Heilungskraft haben, und dafs der Bonze ein Betrüger sey? Nichts •weniger! Alles was er daraus schliefst, ist, dafs er dem Götzen, dessen Bild er am Halse getragen, nicht Andacht genug bewiesen, und dem Bonzen nicht Almosen genug gegeben habe. Keine Leute sehen mehr Verdienste an sich selbst als diejenigen, an denen sonst niemand keine sieht. Wer wollte ihnen auch zuniuthen, die Verachtung, die sie f ü r eine Wirkung des N e i d e s halten, der weit natürlichem Ursache zuzuschreiben, dafs andre unmöglich so parteyisch f ü r sie seyn können als sie selbst? Dergleichen Beyspiele liefsen sich ins Unendliche häufen. Es ist wohl wahr, die Thorheit des D o n S y l v i o wird dadurch nicht kleiner; aber es ist auch zu seiner Entschuldigung genug, dafs er wenigstens keine schlimmere Schlüsse macht als andre ehrliche Leute.
WlKLANDsW.
X I . B.
3
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DON
SYLVIO
7.
DonSylvio
VON
KOSALVA.
KAPITEL.
findet
auf eine
Art das Bildnifs seiner
wunderbare geliebten
Prinzessin.
Einige Tage, nachdem sich das Abenteuer mit dem Laubfrösche zugetragen hatte, ging D o n S y l v i o mit dem Anbruch des Morgens in den Wald, um Schmetterlinge zu suchen, von denen ihm noch einige zu Ausschmükkung seines Kabinets abgingen. Er hatte sich schon über eine Stunde weit von seinem Schlofs entfernt, als er eines wunderschönen S o m m e r v o g e l s ansichtig wurde, der sich nur wenige Schritte von ihm auf eine Blume setzte. Seine Flügel waren lasurblau, mit einer Einfassung von Purpur verbrämt, die in der Sonne wie Gold glänzte. D o n S y l v i o glaubte ihn schon erhascht zu haben; aber der schöne Sommervogel schlüpfte unter seinem Strohhute weg , und verbarg sich in das dichteste Gebüsche. O, rief D o n S y l v i o , ich mufs dich haben , und wenn ich dich auch bis in das unter-
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7.
KAP.
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irdische Reich des K ö n i g s H a m m e l *3) verfolgen müfste, wo es kleine Pastetchen regnet, und gebratne Feldhühner auf den Bäumen wachsen. Der Sommervogel , der sich auf den Vortheil seiner Flügel verliefs, schien ihm eine so weite Reise ersparen zu wollen. Kaum hatte S y l v i o ihn aus dem Gesichte verloren, so .fand er ihn wieder ein paar Schritte vor sich auf einem Rosinarinstrauche sitzen. Er wollte ihn wieder haschen, aber es sing D O wie das erste Mahl: der schöne Sommervogel schien seiner nur zu spotten; oft gaukelte er in kleinen Kreisen um ihn herum, dann setzte er sich wieder, aber entwischte allemahl, wenn er im Begriff war gefangen zu werden. '
Dieses Spiel dauerte so lange, bis D o n S y l v i o endlich merkte, dafs er in eine ihm ganz unbekannte Gegend verirrt war. Jetzt reuete es ihn, dafs er sich einem Schmetterling zu Liebe so weit eingelassen hatte: allein da es nun einmahl geschehen war, so wollte er doch so viele Mühe nicht umsonst gehabt haben, und liefs nicht nach , bis er endlich so glücklich war den Sommervogel zu erhaschen, der ihm mehr Mühe gemacht hatte, als jemahls eine Spröde, seitdem es xr. B.
3
G6
DON
SILVIO
VON
ROSALVA.
Spröden giebt, ihrem Liebhaber gemacht haben mag. Seine Freude war ungemein, und in der That konnte man keinen schönern Sommervogel sehen. Er betrachtete ihn lange mit einem desto lebhaftem Vergnügen, je mehr er ihm Mühe gekostet hatte, und er -war itzt im Begriff ihn in einen kleinen Käficht zu stekken, den er zu diesem Ende bey sich trug, als es ihn däuchte, der gefangene Schmetterling sehe ihn mit einer flehenden Miene und gesenkten Flügeln an. Er bildete sich sogar ein, (denn was kosteten ihm Einbildungen?) dafs er so laut geseufzt habe, als ein Sommervogel nur immer seufzen kann. Mehr brauchte es nicht, um ihn auf seine gewöhnliche Grille zu bringen, und es kam ihm ganz wahrscheinlich vor, dafs es vielleicht eine Fee oder eine verwandelte Prinzessin seyn möchte. Denn, dachte er, ist die Prinzessin T r o g n o n »4) eine H e u s c h r e c k e gewesen, so kann eine andre eben so gut ein Sommervogel seyn. Er besann sich also keinen Augenblick ihm die Freyheit wieder zu schenken, um die er ihn so beweglich zu bitten geschienen hatte. Der erledigte Sommervogel flatterte fröhlich davon; und D o n S y l v i o ging ihm
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BÜCH.
7.
KAP.
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nach, voll Erwartung, was daraus werden möchte; als er ein paar Schritte vor sich etwas im Grase blinken sah, welches seine Aufmerksamkeit an sich zog. Er hob es auf, und f a n d , dafs es eine Art von Kleinod w a r , mit ziemlich grofsen Brilüanten besetzt, und an eine Schnur der feinsten Perlen befestiget. Er betrachtete es auf allen Seiten: aber wie grofs war sein Erstaunen, als er, von einem ungefähren Druck auf eine Feder, die er nicht bemerkt hatte , einen grofsen Türkis in der Mitte auf die Seite springen, und ein kleines sehr künstlich auf Schmelz gemahltes Brustbild erscheinen sah, welches eine junge Schäferin von ungemeiner Schönheit vorstellte! Er stand etliche Augenblicke unbeweglich, und wufste nicht, ob er seinen Augen trauen sollte. Er besah und befühlte es immer wieder von neuem, um sich zu überzeugen dafs es keine Einbildung sey; und je mehr er es betrachtete, desto mehr beredete e r s i e h , dafs es das Bildnifs einer Göttin, oder doch zum wenigsten der allerschönsten Sterblichen sey, die jemahls gewesen oder künftig seyn werde. Unsere schönen Leserinnen werden ihm dieses übereilte Urtheil desto eher zu gut halten, wenn sie bedenken, dafs er von seiner Tante (die aus bekannten Ursachen sehr wenig Gesellschaft sah) in einer so strengen
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DON
SILVIO
VON
ROSALVA,
Einsamkeit erzogen worden war, dafs er, aufs er ihrer eignen angenehmen Person, ihrer Kammerfrau B e a t r i x , (der Wittwe eines S e n nor Scudero, welche bereits fünf und dreyfsig Jahre eingestand) der dicken Maritorne, und den Bauerweibern im Dorfe, in seinem Leben nichts gesehen hatte, was, auch nur im uneigentlichsten Verstände, zum s c h ö n e n G e s c h l e c h t hätte gerechnet werden können. Denn seine Schwester, die in der That ein hübsches kleines Mädchen gewesen w a r , hatte sich 6chon in einem Alter von fünf Jahren verloren, und man vermuthetete, dafs sie von einer Zigeunerin gestohlen worden sey, welche jemand um dieselbe Zeit nicht weit vom Schlosse angetroffen haben wollte. D o n S y l v i o mufste also nothwendig von der Schönheit dieser Schäferin aufserordentlich gerührt werden, da sie unter den Figuren, an die er seine Augen hatte gewöhnen müssen, nicht anders würde ausgesehen h a b e n , als L a t o n a unter den Einwohnern von Delos, da sie, schon halb in Frösche verwandelt, ihr am Ufer entgegen quäkten. Kurz, es däuchte ihn unmöglich, dafs G r a c i ö s e , B e l l e b e i l e , die S c h ö n e m i t d e n g o l d n e n H a a r e n , oder Venus selbst so schön gewesen seyn könnten; und er wurde vom ersten Anblick an so verliebt in dieses
Erstes
BUCH.
7. K A P.
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Bildnifs, als es jemahls ein irrender Ritter, oder ein Arkadischer Schäfer in seine Dulcinea oder Amaryllis gewesen ist. Endlich, rief er in seiner Entzückung aus, endlich hab' ich sie gefunden, sie, die ich mit ahnender Sehnsucht überall suchte, die ich zu lieben bestimmt bin, und o ! dafs keine zu kühne Hoffnung mich täusche! sie, die mein glückliches Schicksal bestimmt hat, mich durch ihre Liebe den Göttern an Wonne gleich zu machen. O! gütige Fee, die du meiner dich annimmst, wer du auch seyst, dir allein dank' ich dieses überraschende Glück ! Wer anders als Du legte in dieser öden Wildnifs, die vielleicht vor mir von keines Menschen Fufs betreten wurde, dieses himmlische Bildnifs in meinen Weg ? O ! vollende deine Wohltliat, zeige dich m i r , und lafs zu deinen Füfsen mich hören , wo ich sie finden kann, sie, deren Schattenbild schon genug ist, eine unauslöschliche Liebe in meiner Brust anzuzünden. Denn das schwöre ich bey allen Göttern, die der Liebe günstig sind, und wenn ich sie auch am Q u e c k s i l b e r s e e mitten unter den Ungeheuern der Fee L i o n n e , im Ringe des Saturnus, ja selbst in der grofsen A q u a v i t f l a s c h e J 5) d e r F e e n suchen miifste, bis ich sie gefunden habe, soll kein ruhiger Schlaf auf meine Augen sich senken!
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In der That fing D o n S y l v i o an zu merken, dafs es bald Mittagessenszeit seyn •werde, und es war ihm überaus angenehm, einen Wegweiser bekommen zu haben, der ihn aus diesem Walde, worin er sich noch nie so weit vertieft hatte, wieder nach Hause führen konnte. Denn so bezaubert die Liebhaber in den neuen Zeiten immer seyn mögen , so ist doch (wie schon ein berühmter Schriftsteller vor uns angemerkt hat) die Mode, ganze Jahre ohne Essen und Trinken nur von der Liebe allein zu leben, heut zu Tage so sehr abgekommen, dafs auch der allererhabenste und geistigste Verliebte in diesem Stück ein ausgemachter Epikurer ist. Eine Abänderung, welche wir unsers Orts um so weniger mifsbilligen können, da wir glauben, dafs sich das schöne Geschlecht nichts desto schlimmer dabey befinden könne. D o n S y l v i o ging also, oder stolperte vielmehr mit dem Schatze, den er so unverhofft gefunden hatte, nach Hause; denn er beschaute ihn im Gehen so oft, dafs er alle Augenblicke über einen Stock fiel, oder an einen Baum anstiefs. Unterwegs gerieth er im Nachsinnen über sein Abenteuer auf tausend wunderliche Gedanken. Es fiel ihm ein, ob dieses Gemähide nicht vielleicht die Fee selbst vorstelle, die
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D O U
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VON
ROSALVA.
ihm in Gestalt des blauen Sommervogels erschienen war'? Vielleicht liebt sie mich, dachte er, (denn es wäre doch nicht das erste Mahl, dafs ein Sterblicher diese Ehre gehabt hatte) und sie hat eine Probe machen wollen, was ihre wahre Gestalt für einen Eindruck auf mein Herz machen werde. Diese Einbildung gefiel ihm so wohl, dafs er sie eine lange Weile fortsetzte; allein zuletzt mufste sie doch wieder einer andern Platz machen, und so ging es in Einem fort, bis er zu Hause anlangte. Kurz, der blaue Sommervogel und die schöne Schäferin hatten seiner Fantasie einen so aufserordentlichen Schwung gegeben, dafs man sich nicht irren kann, wenn man sehr seltsame Wirkungen davon erwartet. Es möchte übrigens scheinen, als ob die Thorheit unsers jungen Ritters seit einiger Zeit so stark zugenommen habe, dafs der verdächtige Zustand seines Gehirns seiner scharfsichtigen Tante unmöglich habe verborgen bleiben können. In der That wäre es auch nicht anders gewesen, wenn diese Dame Zeit und Mufse gehabt hätte, ihren Neffen zu beobachten. Allein aufser dem, dafs sie ihn, seit\ dem er das siebzehnte Jahr zurück gelegt, aus der engern Aufsicht und der strengern Zucht frey gelassen hatte, die sich für sein
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8- K A P .
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Alter nicht mehr schickten; so war sie seit einigen Wochen mit einer gewissen Sache beschäftiget, um derentwillen sie öfters abwesend zu seyn und in das benachbarte Städtchen zu fahren genöthiget war. Vermuthlich mufste diese Angelegenheit von nicht geringer Wichtigkeit für sie seyn; denn, wenn sie wieder zurück kam, schien sie wider ihre Gewohnheit so tiefsinnig und zerstreut, bekümmerte sich so wenig um die Geschäfte des Hauses, redete so viel mit sich selber und so wenig in Gesellschaft, un4 sagte, wenn sie mit den Bedienten zu reden hatte, so oft eines für das andre, dafs aufser ihrem Neffen jedermann über eine so grofse Veränderung sich nicht genug verwundern konnte. Es ist leicht zu erachten, dafs man über die Ursache derselben allerley Vermuthungen anstellte; allein die Vorsichtigkeit der D o n n a M e n c i a und die Verschwiegenheit der Dame B e a t r i x hielten so gut aus, dafs die Sache ein Geheimnifs blieb; und das wollen wir sie auch so lange bleiben lassen, bis die Zeit, die endlich alles offenbar macht, sie zu demjenigen Punkt der Reife gebracht haben wird, worin Geheimnisse von dieser Art sich insgemein selbst zu verrathen pflegen.
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S I L V I O
9.
VON
K A P I T E L .
F o l g e n des A b e n t e u e r s vogel.
ROSALVA.
mit
dem
Der Leser wird
mit
Person bekannt
gemacht.
Sommer-
einer
neuen
D e r getreue T i n t i n hatte seine Zeit so wohl genommen, dafs er mit seinem Herrn eben anlangte, als es Zeit war zu Tische zu gehen. Ein tiefes Stillschweigen herrschte über der Tafel, und D o n S y l v i o war, wie man leicht erachten kann, derjenige niclit, der es unterbrochen hätte. Er war zu sehr in seine eigenen Angelegenheiten vertieft, als dafs er hätte bemerken können, Avie sehr es seine gnädige Tante in die ihrigen war. Eben so wenig beobachtete er, dafs sie sich ungewöhnlich herausgeputzt hatte, und dafs sie von Zeit zu Zeit in einen gegen über stehenden Spiegel Gesichter machte, welche dem aufwartenden P e d r i l l o so sonderbar vorkamen, dafs er sich in die Lippen beifsen mufste, um nicht überlaut zu lachen. Nach dem Ejsen kündigte D o n n a M e n c i a ihrem Neffen an, dafs sie in Geschäften
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genöthiget sey, in die Stadt zu fahren und darin über Nacht zu bleiben. Don Sylvio war zu höflich einige Neugierde über die Natur dieser Geschäfte merken zu lassen; und er konnte es desto leichter seyn, da er in der That keine hatte. Sie schieden also sehr vergnügt von einander, und unser junger Ritter verschwand bald darauf, ohne dafs jemand im Hause gewahr wurde wohin er ging. Da er gewohnt war, die S i e s t e 1 6 ) in seinem grünen Schlosse zu halten, so vermifste man ihn nicht eher als da es Abendessenszeit war. Man suchte ihn hierauf im Hause, im Garten, in den Feldern, im Wald, aber überall umsonst; man rief seinen Nahmen, aber da war kein Don Sylvio. Der vorgedachte P e d r i l l o , ein junger Bursche aus dem Dorfe, der ihm zur Aufwartung gegeben war, eine Küchenmagd, ein Stallknecht und die bereits erwähnte Maritorne, machten in Abwesenheit der D o n n a M e n c i a und der Frau B e a t r i x , ihrer getreuen D u e n n a , die ganze Hausgenossenschaft aus. Diese vier guten Leute waren nicht wenig betrübt darüber, dafs sie nicht wufsten was aus ihrem jungen Herrn geworden sey; denn
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DON
SYLVIO
VON
ROSALVA.
sie liebten ihn wegen seines angenehmen und leutseligen Wesens recht herzlich. Nachdem sie ihn nun beym Mondscheine bis in die späte Nacht umsonst gesucht hatten, kamen sie endlich auf den Gedanken dafs er vielleicht zu seiner Tante gegangen sey; denn das Städtchen war kaum drey Stunden weit vom Schlofs entfernt. Sie gingen also heim und legten sich schlafen. Allein P e d r i l l o , der zu oft um seinen Herrn war, als dafs ihm seine Neigung zur Feerey unbekannt seyn konnte, kam bey näherxn Nachdenken auf die Vermuthung, er könnte sich auf einem seiner gewohnten Spaziergänge im Walde vielleicht über irgend einem Abenteuer verirrt haben. . E r stand also den folgenden Morgen früh auf und durchstöberte nochmahls den ganzen Wald, ohne glücklicher zu seyn als den Abend zuvor. E r wollte eben wieder heimkehren, als er in einem Felsen, um welchen etliche Reihen von wilden Lorberbäumen im Zirkel standen, eine mit Geifsblatt bewachsene Höhle gewahr ward. P e d r i l l o , dem es, ungeachtet seiner ziemlich schafmäfsigen Miene, nicht an Witz fehlte, und der in den Ritterbüchern und Mährchen nicht weniger bewandert war als
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g.
KAP.
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sein H e r r , hielt diesen Ort f ü r feenmäfsig genug, dafs er ihn vielleicht darin finden könnte. Er betrog sich nicht; denn Avie er an den Eingang der Grotte k a m , sah er ihn auf einem Lager von Moos und Blumen ausgestreckt in tiefem Schlafe liegen, der kleine T i n t i n schlief zu seinen Füfsen, neben ihm lag seine Cither, und an seinem Halse hing das Kleinod mit dem Bildnisse der schönen Schäferin. Dieses letztere zog sogleich Pedrillo's ganze Aufmerksamkeit auf sich. Er wurde von dem Glanz der Steine und Perlen, wovon dieses Halsgeschmeide schimmerte, nicht wenig geblendet; und ob er gleich kein grofser Kenner von Juwelen w a r , so däuchte ihn doch, dafs sie wenigstens zehen D ö r f e r , wie das seinige, Werth seyn könnten. Er betrachtete sie lange, und konnte nicht begreifen, woher D o n S y l v i o einen so kostbaren Schmuck bekommen haben möchte. Seine Neugierigkeit ward endlich so dringend, dafs er sich kaum enthalten konnte ihn aufzuwecken. Das that er n u n zwar nicht; denn Pedrillo war ein so höflicher Bauerjunge als irgend einer in Andalusien; aber er nahm doch die Cither, und klimperte darauf so laut er konnte, und endlich sang er gar dazu , ohne dafs er seine Absicht erreich Le. W'ltl-AKDS W .
XI. Ii.
/,.
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D O H
S V L V I O
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Nun, bey meiner Six! rief er endlich ganz ungeduldig aus, das geht nicht natürlich z u ! wenn das nicht ein bezauberter Schlaf ist, so versteh' ich nichts davon. Vielleicht steckt die Zauberey in diesem Kleinod hier? Wenn das -wäre, so ist es besser, ich nehm* es ihm vom Halse, oder ich zerbreche es gar, wenns nöthig ist, als dafs mein junger Herr hier ein paar tausend Jahre wie ein Murmelthier in Einem fort verschnarche. Indem er das sagte, langte er nach dem Kleinod, stiefs aber von ungefähr mit dem Ellbogen an D o n S y l v i o an, der davon erwachte, und, weil er die Augen noch nicht recht aufthun konnte, den P c d r i l l o nicht sogleich erkannte, sondern nur eine Menschenfigur sah, die ihm seine geliebte Schäferin rauben wollte. Er gerieth darüber in eine außerordentliche Wuth. Verfluchte Zaubrerin, rief er, ist es dir nicht genug, dafs du diese unschuldige Prinzessin ihrer himmlischen Schönheit beraubt und in einen elenden Sommervogel verwandelt hast? Willst du mir auch das einzige rauben, was mir das Übermafs meines Unglücks noch erträglich machen kann? Aber wisse, vorher mufst du dieses Herz ausreifsen, worin ihr Bildnifs mit feurigen Zügen eingegraben ist.
E r s t e s
Buch.
9.
Kap.
Uins Himmels Avillen, gnädiger Herr, rief P e d r i l l o , indem er an den Eingang der Grotte zurück sprang, was ineinen Sie mit allem diesem seltsamen Zeuge? Ich bin weder ein Zauberer noch ein Schwarzkünstler, Gott sey Dank! ich bin Pedrillo, Euer Gnaden Diener, von altchristlichem Geschlecht so gut als einer in unserm Kirchspiele; *7) und es thut mir leid, . nachdem ich Euer Gnaden in allen vier Enden der Welt gesucht habe, Sie in dieser verfluchten Grotte und in einem solchen Zustand anzutreffen. Was sagen Sie da von Zauberern und von dem Übermafs der Sommervögel die in Prinzessinnen verwandelt sind? Gott sey es geklagt, ich dachte gleich, dafs es nichts Gutes bedeuten werde, wie ich Sie hier eingeschlafen fand. Bist du Pedrillo? versetzte D o n S y l v i o , der sich indefs die Augen gerieben hatte. Wenn du Pedrillo bist, wie deine Gestalt es allerdings zu bezeugen scheint, so bin ich schon zufrieden, und die Vorwürfe gehen dich nichts an, die ich dir machte, indem ich dich für einen andern ansah. Aber was wolltest du mit diesem Bildnifs anfangen? Mit was für einem Bildnifs? fragte Pedrillo. Schurke,