Bundesverfassungsgericht und Strafvollzug: Eine Analyse aller veröffentlichten Entscheidungen [1 ed.] 9783428544875, 9783428144877

Jedes Jahr erreichen zahlreiche Verfassungsbeschwerden Strafgefangener das Bundesverfassungsgericht, dessen einschlägige

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Bundesverfassungsgericht und Strafvollzug: Eine Analyse aller veröffentlichten Entscheidungen [1 ed.]
 9783428544875, 9783428144877

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Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Band 62

Bundesverfassungsgericht und Strafvollzug Eine Analyse aller veröffentlichten Entscheidungen

Von Mario Bachmann

Duncker & Humblot · Berlin

MARIO BACHMANN

Bundesverfassungsgericht und Strafvollzug

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von C l a u s K r e ß, M i c h a e l Ku bi c i e l , C o r n e l iu s Ne s t l e r F r a n k Ne u b a c h e r, Jü r g e n S e i e r, M i c h a e l Wa l t e r (†) M a r t i n Wa ßm e r, T h o m a s We i g e n d Professoren an der Universität zu Köln

Band 62

Bundesverfassungsgericht und Strafvollzug Eine Analyse aller veröffentlichten Entscheidungen

Von Mario Bachmann

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.

Die Hohe Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Buch Bücher de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 978-3-428-14487-7 (Print) ISBN 978-3-428-54487-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84487-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation vorgelegt. Es freut mich sehr, dass die Herausgeber der „Kölner Kriminalwissenschaftlichen Schriften“ sie in ihre Schriftenreihe aufgenommen haben und der Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort den Druck mit einem Zuschuss unterstützt hat. Die Arbeit befindet sich auf dem Stand von Anfang Januar 2014. Später veröffentlichte Literatur konnte für die Buchveröffentlichung vereinzelt noch berücksichtigt werden. Außerdem wurde nachträglich eine Synopse der elf bis zum Frühjahr 2014 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetze der Länder BadenWürttemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen ein­ gearbeitet. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Frank Neubacher M.A., möchte ich für die Betreuung der Arbeit herzlich danken. Er hat mir sowohl bei der Themenwahl als auch der Anfertigung der Dissertation immer großzügig alle Freiheiten gewährt und den Entstehungsprozess wohlwollend und stets bestärkend begleitet – von den Anfängen an seinem Jenaer Lehrstuhl und der Fortsetzung am Institut für Kriminologie der Universität zu Köln ab dem Wintersemester 2009/2010. Die Arbeit wäre wohl nicht entstanden, wenn er mich nach Abschluss meines Studiums im Wintersemester 2007/2008 nicht an seinen Lehrstuhl in Jena geholt hätte. Damit hat er mir zugleich auch die Möglichkeit eröffnet, meine nachhaltige Begeisterung für die Wissenschaft zu entdecken und ihr fortan intensiv nachzugehen. Mein Dank gilt ferner Herrn Professor Dr. Michael Kubink. Dass er nach dem viel zu frühen Tod von Professor Dr. Michael Walter kurzfristig an dessen Stelle getreten ist und die Erstellung des Zweitgutachtens übernommen hat, war nicht selbstverständlich. Auch Ferdinand Goeck, einem Kollegen und guten Freund seit Beginn meiner Kölner Zeit im Jahr 2009, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Unserer gemeinsamen Arbeit und den daraus auch zu Fragen des Strafvollzuges entstandenen Diskussionen und Veröffentlichungen habe ich wertvolle Anregungen für das vorliegende Werk entnehmen können. Wahrscheinlich hat niemand so sehr wie er die Höhen und Tiefen miterlebt, die mit der Anfertigung einer solchen Arbeit wohl stets ganz unvermeidlich einhergehen.

6

Vorwort

Aus dem Kreis derjenigen, die den Entstehungsprozess meiner Dissertation aus unmittelbarer Nähe sowie mit Interesse und Zuspruch verfolgt haben, möchte ich ferner meine Mutter, Gabriele Bachmann, meinen Bruder, Benny Bachmann, sowie Gerhard Bachmann, meinen Stiefvater, besonders hervorheben. In den damit verbundenen Dank schließe ich zudem meinen Vater, Günter Lohse, und dessen Frau mit ein, die mir zum Abschluss der Arbeit auch eine großzügige finanzielle Unterstützung gewährt haben. Köln/Mittweida, Juli 2014

Mario Bachmann

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 I.

Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

II.

Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I.

Der Status des Bundesverfassungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Zum Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Verfassungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

II.

Möglichkeiten und Grenzen verfassungsgerichtlicher Judikatur . . . . . . . . . . . . 35 1. Das Bundesverfassungsgericht und die Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Kontrolleur des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Zwischen „Scylla und Charybdis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Die bisherigen Versuche einer Kompetenzabgrenzung . . . . . . . . . . . . . 42 aa) „Judicial self-restraint“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 bb) „Political question doctrine“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 cc) Materiell-rechtliche Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 dd) Funktionell-rechtliche Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Das Bundesverfassungsgericht und die Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Das Bundesverfassungsgericht und die anderen Gerichte . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Funktion des Bundesverfassungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Das Verhältnis zum EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) Das Verhältnis zu den Landesverfassungsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . 56 d) Das Verhältnis zu den Fachgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

III. Verfahrensrechtliche Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Die Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

8

Inhaltsverzeichnis b) Befugnisse im Annahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Annahmegründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Die Kompetenzen der Kammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 cc) Die Kompetenzen der Senate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Erfolglose Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Die konkrete Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Prüfungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Kompetenzen der Kammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 d) Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Nichtigerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 bb) Teilweise Nichtigerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 cc) Unvereinbarkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 dd) Vereinbarkeitserklärung und verfassungskonforme Auslegung . . . 87 ee) Appellentscheidungen und sonstige obiter dicta . . . . . . . . . . . . . . . 88 ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

C. Die Lage des Strafvollzuges zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungs­ gerichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I.

Vorbetrachtung: Die Formen der Freiheitsstrafe in den 1950er-Jahren . . . . . . . 94

II.

Vollzugsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

III. Vollzugsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 IV. Verlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 V.

Vollzugslockerungen (einschließlich offener Vollzug) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

VI. Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 VII. Außenkontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 VIII. Arbeit, Bildung und Soziales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IX. Gesundheitsfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 X.

Besitz von Gegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

XI. Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 XII. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 XIII. Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 XIV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Inhaltsverzeichnis

9

D. Die Entscheidungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I.

Zum Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Die Untersuchung von Hoffmeyer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Die Untersuchung von Koepsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Die Untersuchung von Müller-Dietz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4. Die Untersuchung von Leyendecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5. Die Untersuchung von Ullmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

II.

Datenerhebung, Datenbasis und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

III. Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Materiell-rechtliche Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 a) Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug . . . . . . . . 117 b) Vollzugsziel Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Vollzugsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 d) Verlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 e) Vollzugslockerungen (einschließlich offener Vollzug) . . . . . . . . . . . . . . 118 f) Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 g) Außenkontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 h) Arbeit, Bildung und Soziales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 i) Gesundheitsfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 j) Besitz von Gegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 k) Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 l) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 m) Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Prozessuale Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IV. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug . . . . . . . . . . 123 a) Die Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichtes . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Die Verabschiedung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis . 125 bb) Die Notwendigkeit der Schaffung eines Strafvollzugsgesetzes . . . 128 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Besonderes Gewaltverhältnis und Strafvollzugsgesetzgebung im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Das eigentliche Verdienst des Bundesverfassungsgerichtes . . . . . . 138

10

Inhaltsverzeichnis d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Vollzugsziel Resozialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 a) Kernaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Das „Lebach-Urteil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Grundsätzliche Aussagen zur Resozialisierung in sonstigen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (1) Die Entscheidung vom 29.10.1975 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (2) Die Entscheidung vom 21.6.1977 zur lebenslangen Freiheitsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (3) Die Entscheidung vom 28.6.1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (4) Die Entscheidung vom 16.2.1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 (5) Die Entscheidung vom 8.12.1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (6) Die Entscheidungen vom 29.6.1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (7) Die Entscheidung vom 12.11.1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (8) Die Entscheidung vom 1.7.1998 zur Arbeitsentlohnung Gefangener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (9) Die Entscheidung vom 25.11.1999 („Lebach II“) . . . . . . . . . 149 (10) Die Entscheidung vom 30.10.2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 aa) Die „Kursvorgabe“ im Lebach-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (1) Kriminalpolitische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Verfassungsrechtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Exklusivität des Vollzugsziels Resozialisierung? . . . . . . . . . . . . . . 153 (1) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (2) De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 cc) Die Funktionen der an der Resozialisierung beteiligten Akteure . . 157 (1) Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Vollzugsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (3) Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (4) Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (5) Gefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 dd) Weitere Dimensionen des Resozialisierungsgebotes . . . . . . . . . . . . 164 (1) Resozialisierung als Rechtfertigung für Grundrechtseingriffe 165 (2) Prüfungsmaßstab für Grundrechtseingriffe . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Verfassungsrechtliche Herleitung des Resozialisierungsgedankens 166 bb) Die Verfassungsrechtsprechung zur Resozialisierung nach dem ­ Lebach-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

Inhaltsverzeichnis

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cc) Das Lebach-Urteil und die Folgen für die Berichterstattung über Strafgefangene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Die Vollzugsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 aa) Bedeutung des Vollzugsplanes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Aufstellung und Inhalt des Vollzugsplanes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (1) Die Vollzugsplankonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Der Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 cc) Rechtsschutz gegen die Vollzugsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Verlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Verlegung aus Resozialisierungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Verlegung aus vollzugsorganisatorischen oder anderen wichtigen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 cc) Überstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 dd) Verlegung zum Zweck der sicheren Unterbringung . . . . . . . . . . . . 192 ee) Gefangenentransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5. Vollzugslockerungen (einschließlich offener Vollzug) . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 aa) Urlaub aus der Haft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (1) Hafturlaub zur Ausübung des passiven Wahlrechts . . . . . . . . 198 (2) Beschränkung des Regelurlaubs im geschlossenen Vollzug . 200 (3) Berücksichtigung der Schwere der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . 202 (4) Rechtzeitigkeit der Entscheidung über einen Urlaubsantrag . 203 (5) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 bb) Vollzugslockerungen im Sinne des § 11 StVollzG . . . . . . . . . . . . . . 205 (1) Anforderungen an die Vollzugsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

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Inhaltsverzeichnis (2) Einschränkungen des Beurteilungsspielraums . . . . . . . . . . . . 211 (3) Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle einer Lockerungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 (4) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 cc) Offener Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (1) Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug . . . . . . . . . . . . 215 (2) Sonstige Fragen des offenen Vollzuges . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6. Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 aa) Unterbringung im Haftraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (1) Mindestanforderungen an die Beschaffenheit des Haftraumes 224 (2) Rechtsschutz bei menschenunwürdiger Unterbringung . . . . . 233 (3) Entschädigung bei menschenunwürdiger Unterbringung . . . 235 (4) Sonstige Fragen der Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) Tragen privater Kleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 cc) Einkauf von Kosmetika durch männliche Gefangene . . . . . . . . . . . 242 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 7. Außenkontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) Besuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (1) Trennscheibeneinsatz bei Besuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (2) Unüberwachte Besuche mit Sexualkontakt . . . . . . . . . . . . . . 254 bb) Schriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (1) Zulässigkeit der Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (2) Öffnen von Verteidigerpost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (3) Weiterleitung von Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 (4) Anbringung von Sichtvermerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (5) Anhalten von Schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 cc) Telefongespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 dd) Paketempfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

Inhaltsverzeichnis

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c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 8. Arbeit, Bildung und Soziales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) Organisation der Gefangenenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 bb) Arbeitsentgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (1) Entgelthöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (2) Pfändung des aus Arbeitsentgelt gebildeten Eigengeldguthabens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (3) Haftkostenbeitrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 cc) Freistellung von der Arbeitspflicht gemäß § 42 Abs. 1 StVollzG . . 291 dd) Taschengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 ee) Sozialversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (1) Rentenversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (2) Erwerbsminderungsrente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 (3) Einbehaltung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung gemäß § 195 StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 ff) Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 9. Gesundheitsfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . 311 aa) Extramurale psychiatrische Krankenbehandlung . . . . . . . . . . . . . . 311 bb) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 10. Besitz von Gegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 aa) Besitz von Gegenständen im Sinne der §§ 19, 70 StVollzG . . . . . . 316 (1) Die ersten Entscheidungen in den 1970er- und 80er-Jahren . 316 (2) Aufstellung allgemeiner Grundsätze Mitte der 1990er-Jahre 317 (3) Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden: Keyboard, Broschüre „Positiv in Haft“ und Armbanduhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

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Inhaltsverzeichnis (4) Nichtannahmebeschlüsse: CD-Player, Speichermedien und „Play­station“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 (5) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 bb) Widerruf einer Besitzerlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 cc) Vorenthalten von Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 328 (1) Materiell-rechtliche Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 (2) Gewährung rechtlichen Gehörs im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 11. Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 aa) Disziplinarmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 (1) Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Anordnung von Dis­ ziplinarmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 (2) Besonderheiten bei der Sanktionierung von Meinungsäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 (3) Anforderungen an die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 bb) Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 (1) Durchsuchungen im Sinne des § 84 StVollzG . . . . . . . . . . . . 349 (2) Allgemeine Anforderungen bei Maßnahmen im Sinne der §§ 88, 89 StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 12. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 aa) Ausgangspunkt: Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 bb) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG . . . 362 (1) Der Begriff der Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG . . . 362 (2) Auslegung von Anträgen nach § 109 Abs. 1 StVollzG . . . . . . 363 (3) Beweislast beim „Verschwinden“ von Anträgen . . . . . . . . . . 365 cc) Antragsfrist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 112 StVollzG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

Inhaltsverzeichnis

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dd) Der Vornahmeantrag (§ 113 StVollzG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 ee) Einstweiliger Rechtsschutz (§ 114 StVollzG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (1) Kein Suspensiveffekt des Antrags auf gerichtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (2) Vorwegnahme der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 (3) Besonderheiten bei Vornahmeanträgen im Sinne des § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 ff) Das Rechtsbeschwerdeverfahren (§§ 116 ff. StVollzG) . . . . . . . . . . 375 (1) Allgemeine verfassungsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . 375 (2) Die Annahmevoraussetzungen der Rechtsbeschwerde (§ 116 Abs. 1 StVollzG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 (3) Anhörungsrüge bei Gehörsverletzungen durch das OLG . . . 379 (4) Die Formvorschrift des § 118 Abs. 3 StVollzG . . . . . . . . . . . 381 (5) Verwerfung der Rechtsbeschwerde ohne Begründung (§ 119 Abs. 3 StVollzG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 gg) Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 hh) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 13. Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 c) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 d) Prozessuale Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 14. Die „sonstigen“ Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 V.

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 1. Materiell-rechtliche Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 2. Prozessuale Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 3. Das Bundesverfassungsgericht: Ein „guter Lotse“ für den Strafvollzug . . . 405

E. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 I.

Notwendige Korrekturen verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung . . . . . . . . . 408

II.

Was für das Bundesverfassungsgericht zukünftig noch zu tun bleibt . . . . . . . . 409

III. Landesstrafvollzugsgesetze im Licht der verfassungsgerichtlichen Recht­ sprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

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Inhaltsverzeichnis 1. Die Regelung des Vollzugsziels in Art. 2 BayStVollzG . . . . . . . . . . . . . . . . 411 2. Mitwirkungspflicht des Gefangenen nach § 5 Abs. 1 HmbStVollzG . . . . . 412 3. Regelung der Mindestfläche des Haftraumes in § 7 BwJVollzGB I . . . . . . 413 4. Gemeinsame Unterbringung von Gefangenen mit ihren Kindern . . . . . . . . 414 5. Arbeitsentgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 IV. Empfehlungen für die anderen am Strafvollzug beteiligten Akteure . . . . . . . . . 417

F. Schlussbetrachtung: Wenn der „Lotse“ von Bord ginge … . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 I.

Die Fachgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420

II.

Der EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422

III. Die Landesverfassungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Entscheidungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Art der Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Abbildung 2:

Erfolgsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Abbildung 3:

Entscheidungen nach Bundesland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

Abbildung 4:

Struktur der Entscheidungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Abbildung 5:

Veröffentlichte Entscheidungen nach Zeiträumen . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Abbildung 6:

An der Resozialisierung beteiligte Akteure und deren Bedeutung . . . . . 158

Abbildung 7:

Dimensionen des Resozialisierungsgebotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

Abbildung 8:

Themen der Entscheidungsbegründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Abbildung 9: Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Haftraumunterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Abbildung 10: Disziplinarrelevanz verschiedener Verhaltensweisen nach dem BVerfG . 346 Abbildung 11: Aufgaben/Kompetenzen von JVA und Strafvollstreckungskammer bei Disziplinarmaßnahmen nach Auffassung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . 347 Abbildung 12: Festgestellte Grundrechtsverletzungen im Strafvollzug seit 1951 . . . . . 361 Abbildung 13: Maßgaben des BVerfG zur Umsetzung des Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . 385 Abbildung 14: Veröffentlichte Entscheidungen zum Rechtsschutz nach Zeiträumen . . 389 Abbildung 15: Ergebnisse der prozessualen Entscheidungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Abbildung 16: Richtungsweisende Entscheidungen des BVerfG zu materiell-rechtlichen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Abbildung 17: Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte nach Zeiträumen . . . . 425

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Auffassung a. a. O. am angegebenen Ort Abb. Abbildung abl. ablehnend a. F. alte Fassung AFG Arbeitsförderungsgesetz AG Amtsgericht AK Alternativkommentar ALG II Arbeitslosengeld II Alt. Alternative Anm. Anmerkung AnwBl. Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts AöR Art. Artikel Aufl. Auflage b. bei Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLG BayStVollzG Bayerisches Strafvollzugsgesetz BayVGHE Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Freistaats Bayern Brandenburgisches Justizvollzugsgesetz BbgJVollzG BeckOK Beck’scher Onlinekommentar BeckRS Beck-Rechtsprechung Beschl. Beschluss Bewährungshilfe (Zeitschrift) BewHi BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BGHZ BlnJVollzDSG Berliner Justizvollzugsdatenschutzgesetz BlStVK Blätter für Strafvollzugskunde BR-Drs. Bundesratsdrucksache BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGK BwJVollzGB Justizvollzugsgesetzbuch Baden-Württemberg bzw. beziehungsweise CPT European Committee for the Prevention of Torture d. der; die; das

Abkürzungsverzeichnis

19

ders. derselbe d. h. das heißt dies. dieselbe(n) Diss. Dissertation DÖV Die öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung DRiZ Deutsches Verwaltungsblatt DVBl. Dienst- und Vollzugsordnung DVollzO Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGGVG EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einl. Einleitung EKMR Europäische Kommission für Menschenrechte EL Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention EMRK et cetera etc. EuGH Europäischer Gerichtshof EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift f. folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ FDP Freie Demokratische Partei ff. fortfolgende FGO Finanzgerichtsordnung Fn. Fußnote FS Festschrift; Forum Strafvollzug (Zeitschrift) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht GA GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GS Gedächtnisschrift GVG Gerichtsverfassungsgesetz Humboldt Forum Recht HFR h. M. herrschende Meinung HmbStVollzG Hamburgisches Strafvollzugsgesetz Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im StrafHRRS recht Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz HStR Handbuch des Staatsrechts Hessisches Strafvollzugsgesetz HStVollzG ILO International Labour Organization im Sinne i. S. i. V. m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter JGG Jugendgerichtsgesetz JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau JR Jura Juristische Ausbildung jurisPR-StrafR Juris Praxisreport Strafrecht JuS Juristische Schulung

20

Abkürzungsverzeichnis

JVA Justizvollzugsanstalt JZ Juristenzeitung KG Kammergericht KJ Kritische Justiz KrimJ Kriminologisches Journal krit. kritisch LG Landgericht LJVollzDSG RLP Landesjustizvollzugsdatenschutzgesetz Rheinland-Pfalz Landesjustizvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz LJVollzG RLP Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) LKV Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel (Kommentar) LNNV LR Löwe/Rosenberg (Kommentar) Ls. Leitsatz LT-Drs. Landtagsdrucksache m. mit max. maximal MSchrKrim Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform m. w. N. mit weiteren Nachweisen Neue Justiz NJ NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJVollzG Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz NJW Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport NJW-RR Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NS Nationalsozialismus Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ NStZ-RR Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Sozialrecht NZS OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz PKH Prozesskostenhilfe Rote Armee Fraktion RAF Rn. Randnummer RpflG Rechtspflegergesetz RVO Reichsversicherungsordnung S. Seite s. siehe SächsStVollzG Sächsisches Strafvollzugsgesetz SächsVerf Verfassung des Freistaates Sachses SächsVerfGHG Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal (Kommentar) SBJL SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SGB Sozialgesetzbuch Saarländisches Strafvollzugsgesetz SLStVollzG siehe oben s. o.

Abkürzungsverzeichnis

21

Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPD StGB Strafgesetzbuch StGH Hessen Staatsgerichtshof des Landes Hessen StPO Strafprozessordnung StraFo Strafverteidiger-Forum StRR Strafrechtsreport Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg StudZR Strafverteidiger (Zeitschrift) StV StVollzG Strafvollzugsgesetz StVollzG MV Strafvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern siehe unten s. u. ThürJVollzGB Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch TierSchHuV Tierschutz-Hundeverordnung u. und und andere; unter anderem u. a. u. ä. und ähnliches U-Haft Untersuchungshaft Urt. Urteil US United States United States of America USA und so weiter usw. v. von; vom Verf. Verfasser Verfassung des Landes Brandenburg VerfBbg VerfG Verfassungsgericht VerfGH Verfassungsgerichtshof vgl. vergleiche VV Verwaltungsvorschrift Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VVDStRL VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik ZAR zum Beispiel z. B. Zweites Deutsches Fernsehen ZDF ZfStrVo Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift für Vertragsgestaltung, Schuld- und Haftungsrecht ZGS Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZIP Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZIS zit. zitiert ZJS Zeitschrift für die Juristische Schulung ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zust. zustimmend

A. Einleitung I. Erkenntnisinteresse Der Lotse „Siehst du die Brigg dort auf den Wellen? Sie steuert falsch, sie treibt herein und muss am Vorgebirg’ zerschellen, lenkt sie nicht augenblicklich ein. Ich muss hinaus, dass ich sie leite!“ „Gehst du ins offne Wasser vor, so legt dein Boot sich auf die Seite und richtet nimmer sich empor.“ „Allein ich sinke nicht vergebens, wenn sie mein letzter Ruf belehrt: Ein ganzes Schiff voll jungen Lebens ist wohl ein altes Leben wert. Gib mir das Sprachrohr. Schifflein, eile! Es ist die letzte, höchste Not!“ Vor fliegendem Sturme gleich dem Pfeile hin durch die Schären eilt das Boot. Jetzt schießt es aus dem Klippenrande! „Links müsst ihr steuern!“ hallt ein Schrei. Kieloben treibt das Boot zu Lande, und sicher fährt die Brigg vorbei.1 (Ludwig Giesebrecht, 1792–1873)

Man stelle sich einmal vor, das Bundesverfassungsgericht gäbe – etwa im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens über die Verfassungsmäßigkeit eines Steuer­ gesetzes – dem Gesetzgeber den Ratschlag: „Ihr müsst links steuern!“ Was wären die Folgen? Während der Seelotse in Giesebrechts Ballade mit diesem Hinweis immerhin in letzter Minute eine Katastrophe verhinderte und das Leben zahlreicher Menschen rettete, dürfte das Bundesverfassungsgericht mit einer solchen Empfehlung hingegen vor allem eines bewirken: Schlagzeilen wie „Einmischung aus Karlsruhe – Deutschlands höchstes Gericht fordert Linksruck!“ Zugleich hätte der ewig währende Streit um die Kompetenzabgrenzung zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung wieder einmal neuen Zündstoff erhalten. Nicht weniger Aufsehen erregend wäre es ferner, wenn das Bundesverfassungsgericht unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschiede, dass menschliches 1

Abgedruckt bei Reiners, S. 591.

24

A. Einleitung

Leben doch der Abwägung zugänglich sei und zu dem Schluss käme: „Ein ­ganzes Schiff voll jungen Lebens ist wohl ein altes Leben wert.“ Erscheint eine solche Aussage des Seelotsen geradezu heldenhaft und selbstlos, wären dem Bundes­ verfassungsgericht indessen Kritik und Empörung sicher. Richtet man den Blick auf die verfassungsgerichtliche Judikatur zum Strafvollzug, drängt sich allerdings die Frage auf, ob die Karlsruher Richter auf diesem Gebiet nicht doch eine Funktion erfüllen, die vom Grundsatz her derjenigen eines Lotsen entspricht. Jedenfalls finden sich im Schrifttum unzählige Stellungnahmen, die dem Bundesverfassungsgericht eine solch aktive Rolle zubilligen, ohne dass es allerdings bisher eine Untersuchung gegeben hätte, die die einschlägige Rechtsprechung im Ganzen in den Blick genommen hätte. Neubacher 2 etwa sieht das Bundesverfassungsgericht im Bereich des Strafvollzuges als „Schrittmacher“, das die Dinge auch selbst antreibe, für Preusker 3 ist es der „Motor der Strafvollzugsreform“, Walter4 bescheinigt ihm, immer wieder neue Impulse zur Fortbildung des Strafvollzugsrechts zu setzen und Arloth5 stellt fest: „Bis hin in die neuere Zeit hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Strafvollzug geprägt.“ Damit ist das zentrale Erkenntnisinteresse der vorliegenden­ Arbeit im Grunde schon angedeutet: Es soll untersucht werden, welche Rolle dem Bundes­verfassungsgericht bei der Ausgestaltung der Verhältnisse hinter den ­Toren der Justizvollzugsanstalten seit seiner Gründung am 7.9.1951 im Ganzen gesehen zukommt: Ist es die eines Passagiers, der sich von den Ereignissen eher treiben lässt und mehr zuschaut als selbst agiert oder ist es eben doch die eines Lotsen, der aktiv die einzuschlagende Richtung vorgibt und bei dem ein Bestreben erkennbar ist, das bei Giesebrecht in den Vers mündet: „Ich muss hinaus, dass ich sie leite!“ Aber was genau ist eigentlich die Aufgabe eines Lotsen? § 1 Satz 1 des Seelotsen­ gesetzes, der eine Legaldefinition enthält, gibt hierüber Aufschluss. Danach handelt es sich bei einem Lotsen um einen orts- und schifffahrtskundigen Berater, der nach behördlicher Zulassung berufsmäßig auf Seeschifffahrtsstraßen außerhalb der Häfen oder über See Geleit gewährt. Überträgt man dies sinngemäß auf die vorliegende Untersuchung, müsste man also von den Karlsruher Richtern behaupten können, dass sie dem Gesetzgeber sowie den Verantwortlichen in Exekutive und Judikative den Weg zu einem verfassungskonformen Strafvollzug gewiesen haben. Zur Überprüfung dessen sollen im Rahmen dieser Arbeit die von den Karlsruher Richtern in ihren Entscheidungen getroffenen Kernaussagen heraus­ gearbeitet, in den in den historischen Kontext eingeordnet sowie unter materiellund prozessrechtlichen Gesichtspunkten bewertet werden.

2

So Neubacher, BewHi 2011, 82 (85). Vgl. Preusker, ZfStrVo 2005, 195 ff. 4 Vgl. Walter, Rn. 401a. 5 Vgl. Arloth, Einl. Rn. 3. 3

I. Erkenntnisinteresse

25

Dass diese Fragestellung nicht nur von theoretischem, sondern vor allem auch von vollzugspraktischem Interesse ist, lassen etwa die einleitenden Bemerkungen von Kruis/Wehowsky zu ihrer im Jahr 1998 veröffentlichten „Fortschreibung der verfassungsrechtlichen Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft“ erahnen: „Unter dem Titel ‚Verfassungsrechtliche Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Unter­ suchungshaft‘ ist in NStZ 1995, Seite 521 ff. und 574 ff. die auf Senatsentscheidungen gestützte Kammerrechtsprechung des BVerfG zu diesem Rechtsbereich mit dem Stand von Anfang 1995 zusammenfassend dargestellt worden. Ziel war, die Vollzugsbehörden und Gerichte in ihrer Arbeit zu unterstützen. Dies hat Anerkennung gefunden und ist nicht ohne Wirkung geblieben. Die Zahl der Verfassungsbeschwerden von Substanz ging im Bereich des Straf- und Untersuchungshaftvollzugs in den letzten Jahren sehr zurück.“6

Wenn also bereits derartige Rechtsprechungsübersichten, die  – ihrem Zweck entsprechend – im Wesentlichen berichtenden, selektiven Charakter haben, auf besondere Resonanz stoßen, kann davon ausgegangen werden, dass erst Recht Bedarf für eine Gesamtbetrachtung besteht, deren Intention nicht nur die Wiedergabe der einschlägigen verfassungsgerichtlichen Judikatur unter ausgewählten Gesichts­ punkten ist, sondern eine Totalerhebung der veröffentlichten Entscheidungen anstrebt sowie die Einordnung und Bewertung derselben bezweckt. Um die aufgeworfene Frage nach der Bedeutung des Bundesverfassungsgerichtes für den Strafvollzug beantworten zu können, sind, wie schon angeordnet wurde, mehrere Schritte erforderlich. Zum einen müssen die Kernaussagen der Karlsruher Richter zum Vollzug der Freiheitsstrafe (§ 38 StGB) aus den veröffentlichten Entscheidungen herausgearbeitet werden („Bestandsaufnahme“). Ferner ist am Maßstab des Grundgesetzes unter Einbeziehung einschlägiger­ Literatur und sonstiger Rechtsprechung zu prüfen, wie zustimmungswürdig die verfassungsgerichtliche Judikatur im Einzelnen ist, denn obwohl es faktisch nur noch den blauen Himmel über sich hat,7 ist natürlich auch das höchste deutsche Gericht nicht unfehlbar (materielle Entscheidungskritik). Darüber hinaus sind die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen vor dem jeweiligen geschichtlichen Hintergrund zu bewerten. An dieser Stelle zeigt sich letzt­ lich, ob das Bundesverfassungsgericht wie ein Lotse den einzuschlagenden Weg vorgegeben hat oder lediglich im Sog verschiedener Strömungen in Wissenschaft, Politik oder Gesellschaft „mitgeschwommen“ ist (historische Einordnung). Sollte es sich dabei möglicherweise ganz oder in Teilen als richtungsweisende Kraft erweisen, gibt die materielle Entscheidungskritik Aufschluss darüber, ob der vorgegebene Kurs in die richtige, das heißt dem Grundgesetz entsprechende Richtung geführt hat oder nicht. 6 Kruis/Wehowsky, NStZ 1998, 593 (593) m. w. N. zu den Reaktionen auf die „verfassungsrechtlichen Leitsätze zum Vollzug von Straf- und Untersuchungshaft“. 7 Vgl. Sendler, NJW 1996, 825 (825).

26

A. Einleitung

Da das Bundesverfassungsgericht zudem als Teil der rechtsprechenden Gewalt der Bindung von Art.  1 Abs.  3, 20 Abs.  3 GG unterworfen ist, steht von vornherein fest, dass sich eine mögliche Lotsentätigkeit nur innerhalb des durch das Grundgesetz vorgegebenen Rahmens bewegen kann. Dies bedeutet, dass die verfassungsgerichtliche Judikatur insbesondere dem Grundsatz der Gewaltenteilung Rechnung tragen muss und nicht in die Kompetenzbereiche der übrigen Gerichte, der Exekutive und des Gesetzgebers übergreifen darf. Gerade letzteres ist dem Bundesverfassungsgericht aber seit seinem Bestehen immer wieder vorgeworfen worden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang – um nur ein Beispiel zu nennen – an die Kontroversen zur Reform des § 218 StGB (Schwangerschaftsabbruch), die darin gipfelten, dass der Zweite Senat dem Gesetzgeber mit Urteil vom 28.5.19938 die erforderliche Neuregelung faktisch bis ins Detail diktierte, was heftig kritisiert wurde.9 In den letzten Jahren stand vor allem das Verhältnis zwischen den Karlsruher Richtern und der Exekutive immer wieder im Fokus. Manche sprechen insoweit von einem „Machtkampf“ zwischen Bundesverfassungsgericht und Regierung um deren Spielraum bei den Maßnahmen zur „Euro-Rettung“ und sogar von einer Auseinandersetzung, wie sie die Bundesrepublik „in dieser Schärfe nur selten erlebt habe“.10 Es ist also zu prüfen, ob sich derartige „Grenzüberschreitungen“ auch im Bereich des Strafvollzuges feststellen lassen (prozessuale Entscheidungskritik). Das ist freilich kein einfaches Unterfangen, denn auch nach jahrzehntelanger Diskussion ist noch nicht abschließend geklärt, wie weit die Kompetenzen des höchsten deutschen Gerichtes im Einzelnen reichen. Ein Bundesverfassungsgericht, das sich womöglich als Lotse des Strafvollzuges erweist, diese Position aber nur aufgrund regelmäßiger Überschreitung seiner Kompetenzen erreicht hätte, müsste jedenfalls kritisiert werden, denn ein Vorgehen nach dem Prinzip „der Zweck heiligt die Mittel“ wäre nicht akzeptabel. Andererseits könnte man ihm natürlich keinen Vorwurf machen, wenn seine Bedeutung für den Strafvollzug zwar möglicherweise als gering bezeichnet werden müsste, sein rechtlicher Gestaltungsspielraum eine gewichtigere Rolle aber gar nicht zuließe. Das Bundesverfassungsgericht ist folglich „Lotse“ des Strafvollzuges, wenn es diesem (im Vergleich zum jeweiligen status quo) seinen „Stempel aufgedrückt“ und auf eine Veränderung hingewirkt hat. Ein guter „Lotse“ ist es jedoch nur dann, wenn seine Rechtsprechung inhaltlich Zustimmung verdient und es zudem seinen Kompetenzbereich gewahrt hat.

8

Vgl. BVerfGE 88, 203 ff. Vgl. etwa Schneider, NJW 1999, 1303 (1305); Lamprecht, NJW 1994, 3272 (3272 f.). 10 Vgl. etwa „Der Spiegel“, Nr. 26/2012, S. 31, der u. a. von Empörung innerhalb der Bundesregierung über das Vorgehen des Bundesverfassungsgerichtes berichtet, das den Bundespräsidenten im Juli 2012 öffentlich gebeten hatte, das Gesetz zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) und zum europäischen Fiskalpakt vorerst nicht zu unterschreiben, nachdem die Bundesregierung bereits zuvor um eine rasche Unterzeichnung beim ihm nachgesucht hatte. 9

II. Gang der Untersuchung

27

II. Gang der Untersuchung Die Beantwortung der beschriebenen Fragestellung soll auf folgendem Weg­ erreicht werden: In einem ersten (theoretischen) Abschnitt (B.) wird der Versuch unternommen, Stellung und Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichtes im Gefüge der drei Gewalten und der im Grundgesetz vorgesehenen Verfahrensarten zu konkretisieren. Damit wird die Grundlage für die prozessuale Entscheidungskritik geschaffen. Eine Untersuchung, die wie die vorliegende (auch) eine historische Einordnung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen vorzunehmen beabsichtigt, sollte zudem die Anfänge des nachzuzeichnenden Entwicklungsprozesses berücksichtigen, was in einem kurzen historischen Kapitel über die Lage des Strafvollzuges zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichts (C.) geschehen soll. Damit wird zugleich ein besseres Verständnis der älteren, d. h. der vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug ermöglicht und es kann an geeigneter Stelle zwecks eines „VorherNachher-Vergleichs“ auf dieses Kapitel Bezug genommen werden. Im Zentrum des nachfolgenden Abschnitts (D.) steht die Entscheidungsanalyse. Hier werden zunächst der bisherige Forschungsstand (I.) sowie die Datenerhebung, Datenbasis und die Methodik dargestellt (II.). Danach folgt die Formulierung der Hypothesen (materiell-rechtlich und prozessual) (III.). Hieran schließt sich die eigentliche Analyse an (IV.). Um die Transparenz des letztgenannten, zentralen Abschnitts zu gewährleisten, erfolgt eine Strukturierung entsprechend der verschiedenen Themenfelder des Strafvollzuges (Vollzugsziel, Lockerungen, Unterbringung, Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen usw.), deren Kern jeweils die Überprüfung einer materiell-rechtlichen Hypothese in Bezug auf die Bedeutung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung für den betreffenden Bereich bildet. Innerhalb eines Themenfeldes ist der Ablauf jeweils gleich: Nach Bestandsaufnahme, materieller Entscheidungskritik und historischer Einordnung folgt zur Überprüfung der (für alle Themenfelder gleich lautenden) prozessualen Hypothese die entsprechende Entscheidungskritik. Auf diese Weise ergeben sich für jedes Themenfeld zwei „Zwischenergebnisse“, die am Ende eines jeden Themenfeldes dargestellt und sodann am Schluss der Entscheidungsanalyse zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden (V.). Das sich hieran anschließende Kapitel (E.) ist den Schlussfolgerungen gewidmet, die aus den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung gezogen werden können. Hierauf folgt eine Schlussbetrachtung, die auch die übrigen Gerichte, die für den Schutz von Grund- und Menschenrechten zuständig sind, in den Blick nimmt (F.).

B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten I. Der Status des Bundesverfassungsgerichtes 1. Zum Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichtes Das Bundesverfassungsgericht hat in der bereits erwähnten Diskussion um seine Stellung im System der Staatsfunktionen von Beginn an selbst die Richtung vorgegeben und sich gewissermaßen als „Lotse in eigener Sache“ betätigt. An­gesichts dessen ist es sinnvoll, das verfassungsgerichtliche Selbstverständnis in Bezug auf die Statusfrage vorab kurz zu skizzieren, um sodann – hierauf auf­bauend – die Stellung des Bundesverfassungsgerichtes näher zu analysieren. Hierfür stehen als Erkenntnisquelle nicht nur die veröffentlichten Entscheidungen, sondern vor allem auch die sogenannte „Status-Denkschrift“ vom 27.6.195211 zur Verfügung. Letztere wurde unter dem maßgeblichen Einfluss von Verfassungs­richter Leibholz erarbeitet, vom Plenum des Gerichts verabschiedet und sodann durch den damaligen Gerichtspräsidenten Höpker-Aschoff den obersten Bundesorganen12 zugeleitet.13 Die zentrale Botschaft dieser Denkschrift wird bereits mit dem ersten Satz übermittelt und lautet: „Das Bundesverfassungsgericht als der oberste Hüter der Verfassung ist nach Wortlaut und Sinn des Grundgesetzes und des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht zugleich ein mit höchster Autorität ausgestattetes Verfassungsorgan.“14

Einige Absätze später heißt es dann noch: „Das BVerfG ist ein mit allen Garantien richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteter, selbständiger Gerichtshof.“15

Das Bundesverfassungsgericht sieht sich somit nicht „nur“ als ein Gericht im herkömmlichen Sinne, sondern zugleich als Verfassungsorgan, das sich auf Augen­höhe u. a. mit der Bundesregierung und dem Bundestag befindet. Den Karlsruher Richtern ging es aber in der genannten Denkschrift nicht darum, diese besondere Stellung nur der „protokollarischen Ordnung“ halber hervorzuheben. Vielmehr verbanden sie damit die klare Forderung nach völliger organisatorischer 11

Vgl. BVerfG JZ 1953, 157 f. Namentlich: Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. 13 Vgl. Vorländer, in: Das BVerfG im politischen System, S. 189 (190). 14 BVerfG JZ 1953, 157 (157). 15 BVerfG, a. a. O. 12

I. Der Status des Bundesverfassungsgerichtes

29

Eigenständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes. Diese war in ihren Augen zur damaligen Zeit nicht gegeben, weil sich die Erledigung der Verwaltungsgeschäfte des Bundesverfassungsgerichtes so vollzog, als sei letzteres eine dem Bundesjustizministerium unterstellte Behörde.16 Die aus der Sicht der Verfassungsrichter notwendigen Schritte, um dies zu verändern und einen verfassungskonformen Zustand herzustellen, werden in der „Status-Denkschrift“ detailliert beschrieben. Darin beanspruchte das Bundesverfassungsgericht u. a. das Recht, unmittelbar mit den anderen Verfassungsorganen zu kommunizieren, ohne den Umweg über das Bundesjustizministerium nehmen zu müssen. Darüber hinaus forderte es, seinen Haushalt eigenständig bewirtschaften sowie alle Beamten und Angestellten selbst einstellen, befördern und entlassen zu können. Großen Wert legten die Karlsruher Richter schließlich auf die Feststellung, keine Beamten, sondern Träger eines Verfassungsorgans zu sein und damit keinem Dienstvorgesetzten zu unterstehen.17 Auf den in der Denkschrift beschriebenen Doppelstatus hat das Bundesverfassungsgericht schließlich auch in seinen Entscheidungen mehrfach ausdrücklich hingewiesen.18 Ferner konkretisierte es darin die ihm als „oberster Hüter der Verfassung“ obliegende Verpflichtung wie folgt: „Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes ist es, grundsätzliche Verfassungsfragen zu entscheiden, die für das Staatsleben, die Allgemeinheit und insbesondere die Grundrechts­ verwirklichung des Einzelnen von Bedeutung sind, und – wo nötig – die Grundrechte des Einzelnen durchzusetzen.“19

Bei der insofern notwendigen Auslegung des Grundgesetzes nehmen die Karlsruher Richter für sich in Anspruch, die „maßgeblichen Interpreten“ zu sein und die Verfassung letztverbindlich zu deuten.20 Darüber hinaus hat sich das Bundes­ verfassungsgericht wiederholt als „Herr seiner Verfahren“ sowie als „Herr der Vollstreckung“ seiner Anordnungen bezeichnet und dies aus der Stellung als Verfassungsorgan abgeleitet.21 2. Gerichtshof Der vom Bundesverfassungsgericht in der „Status-Denkschrift“ beanspruchte Doppelstatus stieß vor allem in der von Bundeskanzler Adenauer geführten Regierung, vereinzelt aber auch in der Wissenschaft auf erheblichen Widerstand.22 Nie wurde jedoch ernsthaft in Zweifel gezogen, dass es sich beim Bundesverfassungs-

16

Vgl. BVerfG JZ 1953, 157 (158). Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG JZ 1953, 157 (157). 18 Vgl. insbesondere BVerfGE 7, 377 (413); 104, 151 (196); 114, 121 (160). 19 BVerfG NJW 1996, 1273 (1274). 20 Vgl. BVerfGE 40, 88 (93); 69, 112 (118). 21 So BVerfGE 6, 300 (304); 13, 54 (94); 36, 342 (357). 22 Näher zum „Status-Streit“ Häußler, S. 23 ff. 17

30

B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

gericht – zumindest formell – um ein Gericht handelt.23 Letzteres ergibt sich schon aus seinem Namen und zudem auch aus systematischen Gründen. So wird das Bundesverfassungsgericht nämlich zum einen im neunten Abschnitt des Grundgesetzes („Die Rechtsprechung“) behandelt und zum anderen in Art. 92 GG als erstes der Gerichte genannt.24 Ferner ist heute allgemein anerkannt, dass es sich beim Bundesverfassungsgericht auch in materieller Hinsicht um ein Rechtsprechungsorgan handelt.25 Vereinzelt wurde dies mit dem Hinweis darauf bestritten, dass die Karlsruher Richter eine Tätigkeit ausübten, die sich nicht mehr als Rechtsanwendung qualifizieren lasse.26 Träfe dies zu, wäre das Bundesverfassungsgericht in der Tat kein Gericht, denn das Merkmal der Entscheidungsfindung durch Interpretation einer Rechtsnorm ist unverzichtbarer Kernbestandteil einer jeden Definition des Begriffes der Rechtsprechung.27 Insoweit ist aber festzuhalten, dass die Karlsruher Richter ihre Entscheidungen am Maßstab des Verfassungsrechts nach den Regeln juris­tischer Argumentation und Begründung treffen müssen und folglich rechtsanwendend­ tätig sind.28 Dagegen wurde allerdings zum Teil eingewandt, dass die Regelungen des Grundgesetzes ganz überwiegend so unbestimmt seien, dass das Bundes­ verfassungsgericht letztlich keiner juristischen Bindung unterliege und – im Gegensatz etwa zum Bundesgerichtshof – weitgehend frei agieren könne.29 Dem wird aber mit Recht entgegengehalten, dass es zur täglichen Arbeit aller Gerichte gehört, auch sehr weite Normen (z. B. die §§ 138, 157, 242, 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) auszulegen, ohne dass deshalb der rechtsanwendende Charakter dieser Tätigkeit bestritten wird.30 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar eine größere Zahl solcher Normen anzuwenden. Dieser rein quantitative Unterschied vermag allerdings nichts daran zu ändern, dass es sich bei seinen Entscheidungen in qualitativer Hinsicht um Rechtsprechung handelt.31 3. Verfassungsorgan Das Bundesverfassungsgericht ist auch ein Verfassungsorgan. Dies soll sich nach herrschender Ansicht aber nicht nur aus der einfachgesetzlichen Regelung des § 1 Abs.  1 BVerfGG, sondern bereits unmittelbar aus der Verfassung selbst 23

Vgl. Roellecke, in: HStR III, § 67 Rn. 16 m. w. N. Vgl. von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 93 Rn. 19; Hillgruber/Goos, Rn. 1; Benda/ Klein, Rn. 93 m. w. N. 25 Vgl. Badura, in: FS Mahrenholz, S.  869 (869); von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 93 Rn. 20; Jarass/Pieroth, Art. 93 Rn. 2. 26 So etwa Forsthoff, in: FS Schmitt, S. 35 (58). 27 Vgl. Rohmeyer, S. 90 f. 28 So zu Recht Badura, in: FS Mahrenholz, S. 869 (869). 29 Vgl. etwa Draht, VVDStrRL 9 (1952), 17 (90 ff.); Forsthoff, in: FS Schmitt, S. 35 (58). 30 Näher hierzu Sachs, S. 13 ff. m. w. N. 31 So ausdrücklich Sachs, S. 13 m. w. N. 24

I. Der Status des Bundesverfassungsgerichtes

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ergeben.32 Eine allgemein anerkannte Begründung hierfür existiert jedoch bis heute nicht.33 Das Bundesverfassungsgericht stellt in seiner „Status-Denkschrift“ zum einen auf die Vielzahl und Bedeutsamkeit der ihm durch das Grundgesetz über­tragenen Aufgaben ab und betont zum anderen die besondere Art der Rechtsstreitigkeiten, mit denen es befasst ist („politische Rechtsstreitigkeiten“).34 In der Literatur wird u. a. die Beteiligung des Bundesverfassungsgerichtes an der Gesamt­ willensbildung des Staates behauptet und für maßgeblich erklärt35, seine staatsintegrierende Wirkung betont36 oder ins Feld geführt, dass sich aus seiner Aufgabe, Organstreitigkeiten zu entscheiden und Normenkontrollen durchzuführen, ganz zwangsläufig eine Funktion auf der Ebene der Verfassungsorgane ergebe37. Die Vielzahl unterschiedlicher Erklärungsansätze ist letztlich darauf zurückzuführen, dass der Begriff des Verfassungsorgans zwar häufig verwendet wird, aber letztlich nur unzureichend dogmatisch durchdrungen ist.38 Das Grundgesetz kennt diesen Terminus nicht. Es kennzeichnet die herausragenden staatlichen Institutionen in Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG vielmehr mit der Bezeichnung „oberste Bundesorgane“. Wo das Bundesverfassungsgericht nun (aus meist for­malen Gründen wie dem fehlenden eigenen Abschnitt im Grundgesetz) nicht als ein solches angesehen wird, hat der Begriff des „Verfassungsorgans“ vor allem die Funktion, die Gleichstellung mit den obersten Bundesorganen zum Ausdruck zu bringen.39 Zum Teil werden beide Bezeichnungen aber auch synonym verwendet.40 Vor dem geschilderten Hintergrund stellt sich freilich die Frage, warum eigentlich so vehement versucht wird, eine Begründung dafür zu finden, dass das Bundes­verfassungsgericht ein Verfassungsorgan ist und auf einer Stufe etwa mit Bundestag oder Bundespräsident steht. Zu Beginn der 1950er-Jahre ging es bei dieser Diskussion vor allem um die Problematik der organisatorischen und protokollarischen Eigenständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes. Bekanntermaßen forderten die Karlsruher Richter in der „Status-Denkschrift“ ein Höchstmaß an Unabhängigkeit für sich und ihr Gericht.41 Obwohl die erstrebte Selbstständig 32 Vgl. Benda/Klein, Rn. 99 ff.; Starck, in: FS BVerfG, S. 1 (4 f.); Maurer, § 12 Rn. 23 f.; Säcker, in: Bundesverfassungsgericht, S. 189 (190 f.); Leibholz, DVBl. 1974, 396 (397); a. A. Möllers, in: Das entgrenzte Gericht, S. 281 (355); Schoch/Wahl, in: FS Benda, S. 265 (284); Chryssogonos, S. 28. 33 Näher hierzu Schlaich/Korioth, Rn. 32. 34 Vgl. BVerfG JöR 6 (1957), 144 (144 f.); so auch Sattler, VVDStrRL 39 (1981), S. 165 f.; kritisch hierzu Schlaich/Korioth, Rn. 34; Chryssogonos, S. 25 f. 35 So z. B. Maurer, § 12 Rn. 23; kritisch hierzu Chryssogonos, S. 26. 36 Vgl. Badura, in: FS Mahrenholz, S. 869 (870); differenzierend Chryssogonos, S. 26 f. 37 So etwa Starck, in: FS BVerfG, S. 1 (4); a. A. Schlaich/Korioth, Rn. 34. 38 So mit Recht Grigoleit, S. 119; vgl. auch von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 93 Rn. 28, der den Terminus als „eher blass“ bezeichnet. 39 Vgl. Grigoleit, S. 138; vgl. auch die „Status-Denkschrift“, JöR 6 (1957), 144 (145), in der es heißt, dass das Bundesverfassungsgericht ein den anderen obersten Bundesorganen ebenbürtiges Verfassungsorgan sei. 40 Vgl. Sattler, VVDStrRL 39 (1981), S. 166; Pilz/Ortwein, S. 188. 41 Näher hierzu BVerfG JöR 6 (1957), 144 (145 ff.).

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

keit längst erreicht ist, ist die Diskussion um den Status des Bundesverfassungsgerichtes auch heute noch nicht beendet. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob sich aus der Einordnung des höchsten deutschen Gerichtes in die Kategorie der Verfassungsorgane ein erweiterter Kompetenzbereich etwa im Verhältnis zur Legislative ergibt.42 Darüber hinaus wird vorgebracht, dass Institutionen, denen nach dem Grundgesetz die Qualität eines Verfassungsorgans zukommt, durch Art. 79 Abs. 3 GG Bestandsschutz gewährt wird.43 Spätestens an dieser Stelle scheint es nun an der Zeit zu sein, näher zu untersuchen, ob sich der Status des Bundesverfassungsgerichtes als Verfassungsorgan tatsächlich bereits aus dem Grundgesetz ergibt und ob die Begründungen der­ jenigen, die dies bejahen, überzeugend sind. Derartige Erörterungen werden hier gleichwohl unterbleiben, denn sie sind letztlich überflüssig.44 Auch wenn man aufgrund der grundgesetzlichen Ausgestaltung des Bundesverfassungsgerichtes zu dem Ergebnis käme, dass es ebenso wie z. B. Bundestag oder Bundespräsident die Bezeichnung „Verfassungsorgan“ verdiente,45 wäre dies nichts weiter als ein Etikett, dass die verfassungsrechtlich verankerten Kompetenzen und Zuständigkeiten zusammenfasst, ohne diese in irgendeiner Form modifizieren oder gar erweitern zu können.46 Was ein Staatsorgan darf und was nicht, ergibt sich vielmehr allein aus den jeweils einschlägigen rechtlichen Regelungen.47 In Bezug auf die organisatorische und protokollarische Stellung des Bundesverfassungsgerichtes ist daher festzuhalten, dass es die errungene Selbstständigkeit im Grunde allein der Tatsache zu verdanken hat, dass es aufgrund seines von Anfang an gezeigten Selbstbewusstseins und seiner Vehemenz den Widerstand der Regierung Adenauer überwinden konnte und der Gesetzgeber den erhobenen Forderungen in der Folge weitestgehend nachgekommen ist. Wenn das Bundesverfassungsgericht also – um nur ein Beispiel zu nennen – in der „Status-Denkschrift“ aus seiner (angeblich) grundgesetzlich verankerten Stellung als Verfassungsorgan eine umfassende Geschäftsordnungsautonomie für sich ableitet, ist dies verfehlt. Eine solche ergibt sich nur aus der einfachgesetzlichen Regelung des 1986 geschaffenen § 1 Abs. 3 BVerfGG, der daher – im Gegensatz sogar zur Auffassung des Gesetzgebers selbst48 – nicht nur deklaratorische, sondern konstitutive Wirkung 42

Ausführlich dazu Schlaich/Korioth, Rn. 31 ff. m. w. N. So etwa Umbach/Clemens/Dollinger/Umbach, § 1 Rn. 35; Benda/Klein, Rn. 101; BoehmeNeßler, in: Deutsches Regierungssystem, S. 363 (372). 44 Vgl. H. Meyer, VVDStRL 39 (1981), S. 167. 45 Dies verneinend etwa Chryssogonos, S. 28; von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 93 Rn. 30; Höffe, Der Staat 1999, 171 (180). 46 So mit Recht Schlaich/Korioth, Rn. 33; Benda/Klein, Rn. 109 f.; Hillgruber/Goos, Rn. 9; Roth, AöR 1999, 470 (488); treffend auch die Formulierung von H.  Meyer, VVDStrRL 39 (1981), S. 167: „Das Gericht gewinnt kein Jota mehr an Kompetenz, ob man es als Verfassungs­ organ bezeichnet oder nicht.“ 47 Vgl. von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art.  93 Rn.  29; Schlaich/Korioth, Rn.  33; Benda/Klein, Rn. 109; Starck, in: FS BVerfG, S. 1 (5). 48 Vgl. BT-Drs. 10/2951, S. 8. 43

I. Der Status des Bundesverfassungsgerichtes

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hat.49 Im Unterschied zu Bundestag (Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG), Bundesrat (Art. 52 Abs. 3 Satz 2 GG), Bundesregierung (Art. 65 Satz 4 GG) und zum Gemeinsamen Ausschuss (Art. 53a Abs. 1 Satz 4 GG) hat der Verfassungsgeber nämlich gerade keine Geschäftsordnungsautonomie für das Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz vorgesehen, sondern dies mit der Regelung in Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG dem einfachen Gesetzgeber überlassen. Daran zeigt sich, dass eine fehlende grundgesetzliche Kompetenz nicht geschaffen werden kann, indem man ein Staatsorgan einer bestimmten Kategorie zuordnet und sodann die gewünschten Schlussfolgerungen daraus zieht, denn dies hieße nichts anderes als sich über die Verfassung hinwegzusetzen.50 Aus diesem Grund trifft es auch nicht zu, wenn das Bundesverfassungsgericht aus der beanspruchten Stellung als Verfassungsorgan in seinen Entscheidungen wiederholt geschlussfolgert hat, es sei „Herr seiner Verfahren“.51 In einem Beschluss aus dem Jahr 1982 hat es dies allerdings selbst durch den Zusatz „im Rahmen rechtlicher Bindungen“ relativiert.52 Schließlich ist im Hinblick auf die im Jahr 2000 geführte Diskussion um einen möglichen Umzug des Bundesverfassungsgerichtes nach Berlin oder Potsdam anzumerken, dass das alleinige Entscheidungsrecht in einer derartigen Frage beim Gesetzgeber liegt. Die entsprechende Kompetenz hierfür ergibt sich aus Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG.53 Es ist daher völlig verfehlt, wenn zum Teil54 der Versuch unternommen wurde, dem Bundesverfassungsgericht aufgrund seiner Stellung als Verfassungsorgan ein entscheidendes Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung seines Sitzes zuzubilligen. Nach den bisherigen Erörterungen bedarf es fast keiner Erwähnung mehr, dass sich aus einer rein begrifflichen Deduktion auch keinesfalls eine Rechtfertigung für eine verfassungsgerichtliche Judikatur ergeben kann, die unzulässig in den Kompetenzbereich von Legislative oder Exekutive eingreift.55 Für die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht durch Art. 79 Abs. 3 GG Bestandsschutz genießt, kann es schließlich ebenso wenig von Bedeutung sein, ob man es wegen der Fülle seiner Zuständigkeiten oder aus anderen Gründen als Verfassungsorgan bezeichnen kann oder nicht. Stattdessen ist seine Abschaffung nur dann gemäß Art. 79 Abs. 3 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ausgeschlossen, wenn es zum unantastbaren Kern unseres demokratischen Rechtsstaates gehört. Diese Frage ist zu verneinen. Die eng auszulegende Ausnahmevorschrift des Art.  79 Abs.  3 GG un 49 Vgl. hierzu auch Schlaich/Korioth, Rn. 28; Höffe, in: Herzkammern, S. 124 (132); a. A. Umbach/Clemens/Dollinger/Umbach, § 1 Rn. 36 m. w. N. 50 So bereits Thoma, JöR 6 (1957), 161 (166 f.). 51 Siehe bereits oben B. I.1.; vgl. ferner Hillgruber/Goos, Rn. 21 ff. 52 Vgl. BVerfGE 60, 175 (213); näher hierzu Benda/Klein, Rn. 114 ff. 53 Vgl. Roellecke, in: HStR III, § 67 Rn. 20. 54 So etwa Umbach/Clemens/Dollinger/Umbach, § 1 Rn. 40. 55 Vgl. aber Roellecke, in: HStR III, § 67 Rn. 19, der zwar zum einen (richtigerweise) feststellt, dass aus der Stellung als Verfassungsorgan keine zusätzlichen Kompetenzen abgeleitet werden können, zum anderen aber die „Neigung“ des Bundesverfassungsgerichtes, seine Eingriffe in Gesetzgebungs- und Verwaltungstätigkeiten mit seinem Status zu legitimieren, als tolerabel erachtet. Das ist widersprüchlich.

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

tersagt dem verfassungsändernden Gesetzgeber lediglich, die in Art.  20 GG verankerten Grundsätze in ihrem Kernbestand anzutasten.56 Im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG bedeutet dies, dass es neben besonderen Organen der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt auch solche der Rechtsprechung geben muss. Damit ist aber freilich kein für alle Zeiten unabänderlicher Bestand bestimmter Gerichte gemeint, so dass die Existenz eines Bundesverfassungsgerichtes vor diesem Hintergrund nicht zwingend erforderlich erscheint. Möglicherweise ergibt sich aber bei Berücksichtigung des Art. 20 Abs. 3 GG, der den Vorrang der Verfassung festschreibt und ebenfalls der Ewigkeitsgarantie unterfällt, ein anderes Bild. Insoweit stellt sich die Frage, ob die Bindung des Gesetzgebers „an die verfassungsmäßige Ordnung“ nur dann effektiv durchgesetzt werden kann, wenn eine Institution mit starken Kontrollbefugnissen vorhanden ist. Selbst wenn man dies bejaht, erfordert eine solche Aufgabe aber nicht unbedingt die Existenz einer eigenständigen Verfassungsgerichtsbarkeit – sie ist letztlich kein notwendiges Element des demokratischen Rechtsstaates.57 So wäre es alternativ beispielsweise auch denkbar, letztinstanzlich die obersten Bundesgerichte mit der Sicherung des Verfassungsvorrangs zu betrauen und in Konfliktfällen den Gemeinsamen Senat im Sinne des Art. 95 Abs. 3 GG für die notwendige Einheitlichkeit der Grundgesetzauslegung Sorge tragen zu lassen. Dass das Bundesverfassungsgericht also durchaus abgeschafft werden könnte, wird nicht zuletzt durch eine rechtsvergleichende Sichtweise bestätigt: Ungefähr die Hälfte aller freiheitlich-demokratischen Staaten hat überhaupt kein Verfassungsgericht.58 Gleichwohl hat niemand ernstlich Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit von Ländern wie der Schweiz, Finnland oder der Niederlande. 4. Fazit Auf der Grundlage der bisherigen Erörterungen ist festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht ein herausgehobenes Organ der Rechtsprechung ist, dem in jedem Fall der einfachgesetzliche Status eines Verfassungsorgans zukommt. Die Diskussion, ob sich letzteres womöglich aus dem Grundgesetz selbst ergibt, ist müßig, weil selbst die Bejahung dieser Frage keinerlei Auswirkungen auf den Umfang seiner Kompetenzen gegenüber den anderen Gerichten und Gewalten hätte.

56 So die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 109, 279 (310); 94, 49 (102 f.); 84, 90 (120 f.). 57 Ebenso Möllers, in: Das entgrenzte Gericht, S.  281 (311); Limbach, S.  12; Roellecke, in: HStR III, § 67 Rn. 35; Kloepfer, DVBl. 2004, 676 (680); Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 79 Rn. 147 mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 58 Vgl. Rath, S. 14; siehe ferner Möllers, in: Das entgrenzte Gericht, S. 281 (311 f.); Limbach, S. 12; Schlaich/Korioth, Rn. 3.

II. Möglichkeiten und Grenzen verfassungsgerichtlicher Judikatur 

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II. Möglichkeiten und Grenzen verfassungsgerichtlicher Judikatur 1. Das Bundesverfassungsgericht und die Legislative a) Kontrolleur des Gesetzgebers Was aber sind nun die Zuständigkeitsbereiche des Bundesverfassungsgerichtes? Zu seinen Hauptaufgaben gehört es zunächst, die Akte der Legislative auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hin zu überprüfen. Hierfür sieht die Verfassung eine ganze Reihe von Verfahren vor, mit denen dies unmittelbar oder zumindest mittelbar geschehen kann.59 Im Rahmen seiner Kontrollaufgabe entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Auslegung des Grundgesetzes und kann dabei von niemandem mehr korrigiert werden  – seine Urteile und Beschlüsse sind letztverbindlich.60 Insofern ist die (Selbst-)Bezeichnung als „oberster Hüter der Verfassung“ durchaus treffend, weil sie nicht nur die entscheidende Rolle der Karlsruher Richter in Fragen der Interpretation des Grundgesetzes deutlich macht, sondern zugleich zum Ausdruck bringt, dass auch andere – nämlich die übrigen Staatsorgane – zur Konkretisierung des Grundgesetzes berufen sind.61 Letzteres versteht sich im Grunde von selbst, denn wie sollte beispielsweise der Gesetzgeber dem aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Schutzauftrag gerecht werden können, ohne sich vorher mit der Frage auseinanderzusetzen, was unter dem Begriff der Menschenwürde zu verstehen ist? b) Zwischen „Scylla und Charybdis“ Besteht wie zwischen Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber ein Kontrollverhältnis, stellt sich unvermeidlich die Frage, wie weit die Befugnisse dessen, der kontrolliert, reichen. Ausgangspunkt aller diesbezüglichen Überlegungen muss im vorliegend einschlägigen staatsorganisatorischen Bereich die Tatsache sein, dass in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG das Prinzip der Gewaltenteilung als tragendes Organisations- und Funktionsprinzip verankert ist.62 Für das Bundesverfassungsgericht bedeutet dies, dass ihm zwar das „letzte Wort“ hinsichtlich der Auslegung des

59

Im Einzelnen sind dies die abstrakte und konkrete Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Art. 100 GG), die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) und der Bund-Länder-Streit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG); vgl. dazu auch Schlaich/Korioth, Rn. 6. 60 Vgl. nur Böckenförde, NJW 1999, 9 (12). 61 Vgl. Ossenbühl, FS BVerfG, S. 33 (35); Limbach, HFR 1996, 70 (70); Leibholz, DVBl. 1974, 396 (396); Benda, ZRP 1977, 1 (3); kritisch Chryssogonos, S.  30 ff.; Großfeld, NJW 1995, 1719 (1721). 62 Vgl. BVerfGE 95, 1 (15).

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

Grundgesetzes zukommt, es aber zugleich beachten muss, dass dem Gesetzgeber durch die Verfassung das Recht der politischen Leitentscheidung zugewiesen ist.63 Keine der drei Gewalten darf durch das Handeln eines Staatsorgans in i­hrem Kernbereich verfassungsmäßiger Aufgaben angetastet werden.64 Hieraus folgt aber auch, dass nicht jede Überschreitung der jeweiligen Befugnisse den Grundsatz der Gewaltenteilung in Frage stellt. Dieser verlangt nämlich nur, dass staatliche Gewalt überhaupt aufgeteilt ist und erfordert gerade keine strikte Trennung.65 Das Bundesverfassungsgericht ist nun allerdings aus einer Vielzahl von Gründen gerade für Übergriffe in den Kompetenzbereich der Legislative besonders anfällig – es bewegt sich im vielzitierten „Spannungsfeld“ von Recht und Politik.66 Der frühere Verfassungsrichter Hirsch hat dies in zugespitzter Form wie folgt auf den Punkt gebracht: „Recht und Politik sind nicht voneinander zu trennen, man mag noch soviel daran herum­ doktern. Jeder Richter, auch schon der Amtsrichter, ist ein politischer Richter. Für das Verfassungsgericht gilt das insbesondere. Das zu bestreiten, ist die Lebenslüge mancher Richter.“67

Insoweit muss man sich vor Augen halten, dass das Bundesverfassungsgericht über politische Streitfragen zu entscheiden hat und die Umsetzung seiner Urteile und Beschlüsse durch die anderen Staatsorgane zwangsläufig stärker in den gesellschafts- und staatspolitischen Bereich hineinwirkt, als dies etwa bei einem Amts- oder Landgericht der Fall ist.68 Zudem ist der Maßstab der Verfassungsrechtsprechung politischer Natur, weil das Grundgesetz die elementaren Regeln und Grenzen enthält, die im Kampf um die Verwirklichung des Gemeinwohls von allen staatlichen und gesellschaftlichen Beteiligten einzuhalten sind.69 Verschärfend kommt dabei hinzu, dass aufgrund der erheblichen Konkretisierungsbedürftigkeit zahlreicher Normen des Grundgesetzes70 gelegentlich die Frage aufkommt, ob das Bundesverfassungsgericht überhaupt noch gesetzesauslegend tätig ist oder nicht bereits im Gewand der Rechtsprechung eigene politische Ansichten durchsetzt.71 Letztgenanntes Problem stellt sich insbesondere beim Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den das Bundesverfassungsgericht seit dem sogenannten

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Vgl. BVerfGE 34, 52 (59); Limbach, HFR 1996, 70 (72). Vgl. nur Sodan, Art. 20 Rn. 29 m. w. N. 65 Vgl. Borchardt, in: Das BVerfG im politischen System, S. 497 (506 f.). 66 Näher hierzu Piazolo, in: Das Bundesverfassungsgericht, S. 243 (244 f.); Heusch, NVwZ 2010, 209 (210 ff.); Lamprecht, NJW 2009, 1454 (1455); Böckenförde, NJW 1999, 9 (11 f.); Benda, ZRP 1977, 1 ff.; Leibholz, DVBl. 1974, 396 ff. 67 Abgedruckt bei Rasehorn, in: Verfassungsgericht und Politik, S. 149 (154). 68 So mit Recht Wagner, in: Verfassungsgericht und Politik, S. 169 (169). 69 Vgl. nur von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 93 Rn. 32 m. w. N. 70 So z. B. Art. 1 GG (Menschenwürde), Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (Begriff der Kunst) oder Art. 20 Abs. 1 GG (Wodurch zeichnet sich der Sozialstaat aus?). 71 Vgl. dazu Säcker, in: Das Bundesverfassungsgericht, S. 189 (224 f.); Honsell, ZIP 2009, 1689 (1690 ff.). 64

II. Möglichkeiten und Grenzen verfassungsgerichtlicher Judikatur 

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„Apothekenurteil“72 zum wichtigsten Instrument seiner Kontrolltätigkeit entwickelt hat.73 Insbesondere die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn (Ange­ messenheit) gibt den Karlsruher Richtern die Möglichkeit einer weit ins Politische reichenden Kontrolle, die es ihnen erlaubt, letztlich jede Kontroverse des Gesetzgebers als Problem des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und damit als rechtliche Frage zu behandeln.74 Ein objektiv zwingendes Ergebnis wird dabei allerdings nur selten erzielt, denn es fehlt bis heute an klaren Beurteilungskriterien.75 Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Benda hat hierzu offen eingeräumt: „Tatsächlich ist es manchmal schwer, letzte logische Ableitungen für die Entscheidung darüber nachzuweisen, weshalb eine bestimmte Maßnahme des Gesetzgebers willkürlich, eine andere noch verhältnismäßig ist.“76

Die enge Verbindung zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Legislative hängt nicht zuletzt auch mit der im internationalen Vergleich einmaligen Kompetenzfülle des Bundesverfassungsgerichts zusammen. Besonders deutlich wird dies, wenn es etwa im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle ein Gesetz des Parlaments (mit Gesetzeskraft!77) für nichtig erklärt, zugleich mehr oder weniger detaillierte Hinweise für eine mögliche Neuregelung gibt78 und somit unvermeidlich den Gestaltungsspielraum der Legislative einengt. Als durchaus problematisch hat sich in diesem Zusammenhang das im Jahr 1958 ergangene Lüth-­Urteil79 erwiesen. Darin interpretiert das Bundesverfassungsgericht bekanntermaßen die Grundrechte nicht mehr nur als Abwehrrechte des Einzelnen, sondern spricht­ ihnen zugleich den Charakter einer objektiven Wertordnung zu. Dies ermöglicht es den Karlsruher Richtern aus der Verfassung auch Leistungs- und Schutzpflichten des Bürgers gegen den Staat abzuleiten und zu kontrollieren, ob dieser auch das jeweils geeignete, erforderliche und angemessene Mittel zur Erfüllung der genannten Verpflichtungen gewählt hat.80 Wenn es dann z. B. Überlegungen anstellt, ab welchem Stimmenanteil Parteien eine staatliche Wahlkampfkostenerstattung erhalten sollten oder wie eine Vermögenssteuer konkret auszugestalten wäre, verschwimmt die Grenze zwischen Rechtsanwendung und politischem Zweckmäßigkeitskalkül fast bis zur Unkenntlichkeit.81 Gänzlich aufgehoben ist sie, wenn das 72

Vgl. BVerfGE 7, 377 (400 ff.). Vgl. Schlink, FS BVerfG, S. 445 (445); Hillgruber, JZ 2011, 861 (861 f.). 74 Vgl. Rath, S. 27 f.; Schlink, FS BVerfG, S. 445 (464 f.); siehe auch Honsell, ZIP 2009, 1689 (1693). 75 Vgl. Hillgruber, JZ 2011, 861 (862). 76 Benda, ZRP 1977, 1 (4). 77 Vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG. 78 Beispiele für solche Rechtsetzungsdirektiven finden sich u. a. in BVerfGE 85, 264 (Parteienfinanzierung); BVerfGE 88, 203 (Schwangerschaftsabbruch); BVerfGE 120, 274 („OnlineDurchsuchung“ im Verfassungsschutzgesetz NRW). 79 Vgl. BVerfGE 7, 198. 80 Näher hierzu Zweigert/Dietrich, in: Verfassungsgericht und Politik, S. 11 (15 f.); Hesse, JZ 1995, 265 (266 f.). 81 Vgl. Brohm, NJW 2001, 1 (7). 73

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung erlässt, weil sich dann seine Befugnis, politische Überlegungen anzustellen, sogar ausdrücklich aus dem Gesetz ergibt.82 Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann es nämlich einen Zustand vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Das Bundesverfassungsgericht kann hier also zur Sicherung des Gemeinwohls tätig werden und damit in einen Bereich vordringen, der an sich den gesetzgebenden Staatsorganen hauptverantwortlich zugewiesen ist.83 Die vielfältigen Verschränkungen von Verfassungsgerichtsbarkeit und Legis­ lative, von denen hier nur einige kurz angedeutet werden konnten, sind die wesentliche Ursache dafür, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen beiden letztlich nicht möglich ist.84 Man darf auch nicht vergessen, dass Rechtsfindung unvermeidbar immer ein Stück weit Rechtsgestaltung bedeutet, weil juristische Subsumtion deutlich mehr ist als eine Art Rechenoperation, bei der sich aus Ober- und Untersatz eine bestimmte Konklusion ergibt.85 Dieses vereinfachende – justizsyllogistische – Modell, das Gröschner treffend als „Kinderspiel der Logik“ bezeichnet, täuscht darüber hinweg, dass die innerhalb des Untersatzes stattfindende Subsumtion ein juristisches Urteil erfordert, das seinerseits von einer wertenden Betrachtung des Obersatzes abhängt.86 Ist letztere nämlich erst einmal erfolgt – und damit die eigentliche „Hürde“ genommen –, stellt sich der Schluss auf die Rechtsfolge als bloßer Automatismus dar.87 Der Spielraum für die beschriebene Wertung ist nun aber – wie bereits angedeutet – gerade im größtenteils sehr unbestimmten und lückenhaften Verfassungsrecht besonders groß. Hier Maß zu halten, ist gewiss ein schwieriges Unterfangen. Die Karlsruher Richter befinden sich insofern zwischen „Scylla und Charybdis“: Fällt ihre verfassungsrechtliche Überprüfung zu intensiv aus, besteht die Gefahr, dass der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unzulässig beschränkt wird, ist die Kontrolle zu verhalten, wird der Vorrang der Verfassung womöglich nicht hinreichend gesichert. Dass ein derart schwieriger Balanceakt nicht immer zur Zufriedenheit aller gelingen kann, verwundert kaum. So hat es trotz des im Ganzen gesehen hohen Ansehens des Bundesverfassungsgerichts und seiner Judikatur immer wieder Entscheidungen – wie etwa diejenigen zu § 218 StGB – gegeben, in denen die Karlsruher Richter scharf kritisiert wurden, weil sie in den Zuständigkeitsbereich des Gesetzgebers übergegriffen hätten.88 Vereinzelt gibt es natürlich auch Beanstandungen in die umgekehrte Richtung. Dann wird 82

Vgl. Piazolo, in: Das Bundesverfassungsgericht, S. 243 (243 f.). Vgl. Steiner, NJW 2001, 2919 (2922); Limbach, HFR 1996, 70 (72). 84 Vgl. Schönberger, in: Das entgrenzte Gericht, S. 9 (55); Kranenpohl, S. 24 f.; Honsell, ZIP 2009, 1689 (1695). 85 Vgl. Limbach, HFR 1996, 70 (70); Benda, ZRP 1977, 1 (4). 86 So Gröschner, in: Recht verhandeln, S. 203 (204). 87 Vgl. Gröschner, in: Recht verhandeln, S. 203 (204). 88 Vgl. dazu aus jüngerer Zeit etwa Lamprecht, NJW 2009, 1454 (1456); Honsell, ZIP 2009, 1689 (1692 f.); siehe auch Dederer, in: Verfassungsrechtsprechung, S. 262 (271); weitere Beispiele bei Zweigert/Dietrich, in: Verfassungsgericht und Politik, S. 11 (13 ff.). 83

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dem Bundesverfassungsgericht vorgeworfen, es sei bei einer Entscheidung zu zurückhaltend gewesen. Das lässt sich etwa in Bezug auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung von (neuen) Strafandrohungen feststellen, bei der die Karlsruher Richter insgesamt recht großzügig verfahren und Erkenntnisse der Wirkungsforschung nur unzureichend berücksichtigen.89 Auch die verfassungsgerichtliche Judikatur zur Asylgesetzgebung (Art. 16a GG) wurde von Teilen des Schrifttums mit der Begründung gerügt, dass sie Aspekte des Grundrechtsschutzes vernachlässige und der Legislative zu große Freiheiten lasse.90 Mit der Feststellung, dass eine eindeutige Abgrenzung von Verfassungsgerichtsbarkeit und Legislative unmöglich ist, kann es freilich nicht sein Bewenden haben. Schließlich geht es bei der vom Grundgesetz geforderten Gewaltenteilung keineswegs nur um eine dogmatische Frage, deren praktische Auswirkungen vernachlässigt werden könnten. Erliegen die Karlsruher Richter nämlich allzu häufig der Versuchung, Politik unter dem Deckmantel der Rechtsprechung zu betreiben, droht im Extremfall nicht weniger als die viel beschriebene Gefahr des allmählichen Übergangs vom demokratischen Rechts- hin zum Jurisdiktionsstaat.91 Dies wäre unweigerlich mit einer Verlagerung staatlicher Macht vom Parlament auf die Gerichtsbarkeit verbunden, was dem Geist des Grundgesetzes fundamental wider­ spräche.92 Mit Recht weisen Schlaich/Korioth darauf hin, dass die Bedeutung des Ausgangs von Wahlen abnehmen könne, wenn das Bundesverfassungsgericht gerade über die wahlkampfentscheidenden Gesetzgebungsvorhaben entschiede und es somit im Grunde zweitrangig sei, wer die Mehrheit im Parlament errungen habe.93 Ein Bundesverfassungsgericht, das seine Kompetenzen zu oft und zu deutlich überschreitet, läuft nicht zuletzt Gefahr, über kurz oder lang an Ansehen und Einfluss zu verlieren, weil es wenig glaubwürdig ist, Verfassungsverstöße anderer zu monieren und dabei selbst die Bestimmungen des Grundgesetzes nicht hinreichend zu beachten. Die Überzeugungskraft seiner Judikatur ist aber gerade das Fundament, auf dem die Autorität des Bundesverfassungsgerichts gründet.94 Letztere ist für die Karlsruher Richter von existenzieller Bedeutung, denn sie haben zwar das „letzte Wort“ in Bezug auf die Auslegung des Grundgesetzes, können ihre Entscheidungen aber – ungeachtet aller Vollstreckungsmöglichkeiten, die über 89

Näher hierzu Bachmann/Goeck, in: Strafrecht und Verfassung, S. 37 (41 f.). Vgl. zur Diskussion Roth, ZAR 1998, 54 ff.; Mohr, NJ 1996, 402 ff.; Renner, ZAR 1996, 103 ff. 91 Vgl. dazu etwa Knies, FS Stern, S. 1155 ff.; Hesse, JZ 1995, 265 (273). 92 Vgl. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 47. 93 So Schlaich/Korioth, Rn. 545, die zudem mit Recht darauf hinweisen, dass schon seit längerem die Tendenz zu beobachten ist, dass die Opposition bereits im Gesetzgebungsverfahren die Weichen dafür stellt, ein Gesetz mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Sinne zu revidieren. Nicht selten genügt dabei allein die Drohung mit dem „Gang nach Karlsruhe“, um riskante Passagen aus einem Gesetzentwurf zu beseitigen, vgl. dazu Lembcke, S. 168; Gusy, EuGRZ 1982, 93 (96) und die Beispiele bei Wagner, in: Verfassungsgericht und Politik, S. 169 (176 ff.). 94 Vgl. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 55; Benda, ZRP 1977, 1 (5). 90

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

die aus anderen Verfahrensordnungen hinausreichen95  – in letzter Konsequenz nicht ohne die Hilfe anderer durchsetzen. Seine Entscheidungsgewalt ist nämlich keine faktische Zwangsgewalt, sondern „nur“ eine Rechtsmacht.96 Das Bundesverfassungsgericht bleibt deshalb auf die Zusammenarbeit mit den übrigen Staatsorganen angewiesen, die Entscheidungen gegebenenfalls auch gegen sich selbst vollstrecken müssen.97 Die Bereitschaft hierzu ist – von Ausnahmen abgesehen – ausgesprochen stark ausgeprägt, was nicht zuletzt auf die hohe gesellschaftliche Akzeptanz, die es genießt, zurückzuführen ist.98 Immerhin haben mehr als drei Viertel aller Bundesbürger großes oder sehr großes Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht.99 Zentrale Ursache hierfür ist wiederum der Umstand, dass es in der Bevölkerung nicht als politischer Akteur, sondern als eine Institution wahrgenommen wird, die über dem täglichen „Parteiengezänk“ und den verschiedenen Interessen steht.100 Gerade auch deshalb sollte das Bundesverfassungsgericht bemüht sein, sich nicht über die Maßen politisch zu betätigen und dadurch seinen Nimbus als neutrale Instanz zu gefährden. Dass es sich dessen in hohem Maße bewusst ist, konnte Kranenpohl in seiner 2010 veröffentlichten Untersuchung zum Willens- und Entscheidungsbildungsprozess des Bundesverfassungsgerichtes zeigen. Die Studie stützt sich auf Interviews mit 30 aktiven und ehemaligen Richterinnen und Richtern des Gerichts. Zur einschlägigen Thematik befragt, äußert sich ein Verfassungsrichter wie folgt: „Das BVerfG ist dem politischen Meinungskampf enthoben und versucht […] dieses kostbare Gut des hohen Vertrauens zu bewahren. Dessen sind sich die Mitglieder des Gerichts schon bewusst und manchmal ist es direkt auch eine Last. Es ist […] wichtig, dass es in einem offenen demokratischen Staat, wie wir ihn haben, eine Institution gibt, die dem täglichen Meinungskampf entrückt ist und dadurch die Chance hat, auch befriedend zu wirken.“101

Ein ehemaliges Mitglied des Richterkollegiums wird noch deutlicher: „Wenn das Bundesverfassungsgericht diese unglaubliche Akzeptanz nicht hätte, könnte man es eigentlich abschaffen. Denn wenn Sie sehen, was es für Mittel hat, Entscheidungen durchzusetzen – die sind ja praktisch null. Als ich noch Richter war, da kamen Delegationen aus jungen Demokratien. Die erste Frage immer: ‚Wie machen Sie das, dass die Gerichte und […] Behörden Ihre Urteile auch befolgen? Was haben Sie denn da für Mittel?‘ Wenn wir dann gesagt haben: ‚Gar keine!‘, da waren die alle völlig platt! Wir haben eine Struktur, wo das so in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wenn man Zivilisationsleistungen im Recht beschreiben könnte, dann wäre das so eine.“ 102 95

Eingehend hierzu Gaier, JuS 2011, 961 ff. So treffend Hillgruber, JZ 2011, 861 (861). 97 Vgl. Benda, ZRP 1977, 1 (5); Jäde, in: Richterstaat, S. 121 (137). 98 Näher hierzu Kranenpohl, S. 400 ff. m. w. N. 99 Vgl. Rath, S. 11. 100 Ausführlich dazu Rath, S. 37 ff.; Kranenpohl, S. 409 ff. 101 Kranenpohl, S. 419. 102 Kranenpohl, S. 401; siehe zur Thematik auch Schönberger, in: Das entgrenzte Gericht, S. 9 (54). 96

II. Möglichkeiten und Grenzen verfassungsgerichtlicher Judikatur 

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Die erworbene Autorität ist den Karlsruher Richtern aber niemals auf Dauer sicher  – sie muss vielmehr immer wieder neu erkämpft werden.103 Gelingt dies nicht, steigt früher oder später auch das Risiko der Nichtbeachtung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen.104 Das aber wäre fatal, weil dann auch der Vorrang der Verfassung – den die Karlsruher Richter gerade gewährleisten sollen – in Gefahr geriete und eine (nicht mehr effektiv kontrollierte) Dominanz der Legislative drohte. Damit dürfte zugleich deutlich geworden sein, dass sich eine (auf Grenzüberschreitung beruhende)  Übermacht des Bundesverfassungsgerichts in absehbarer Zeit in ihr Gegenteil verkehrte. Bei der Suche nach einem gangbaren Mittelweg zwischen „Scylla und Charybdis“ geht es also letztlich um nicht weniger als die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Legislative. Wenn letzteres mit Blick auf die vergangenen Jahrzehnte als „labil“ bezeichnet wird, trifft dies zu.105 Vor allem in den siebziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sank die Autorität des Bundesverfassungsgerichts nach jeweils einer ganzen Reihe (aus verschiedenen Gründen) heftig umstrittener Entscheidungen. So sorgten nach der Wiedervereinigung Deutschlands neben dem schon erwähnten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch vor allem die Beschlüsse zur Strafbarkeit von „Sitz­ blockaden“ nach § 240 StGB106 und zur Zulässigkeit der Anbringung von Kruzi­ fixen in staatlichen Schulen107 für eine „Sturmflut der Kritik“. Zum Teil wurde unter dem Stichwort „Götterdämmerung?“ schon der Abgesang auf das Bundesverfassungsgericht eingeläutet und ein „Modetrend“ hin zur Demontage desselben festgestellt.108 Auch wenn diese Turbulenzen lange überwunden sind, ist die Gefahr, dass erneut ein solches „Unwetter“ (mit ungewissem Ausgang) hereinbricht, nicht gebannt. Das Bemühen um eine möglichst klare Kompetenzabgrenzung zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Legislative kann insoweit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das „labile“ Gleichgewicht zwischen beiden ein Stück weit zu stabilisieren und zu verhindern, dass die Autorität der Karlsruher Richter womöglich einmal bleibenden Schaden nimmt. Im Extremfall könnte dann am Ende sogar die – wie gesehen mit (verfassungsändernder Mehrheit) durchaus mögliche – Abschaffung des Bundesverfassungsgerichts stehen.

103

Vgl. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 55. Vgl. Siedler, S. 60 m. w. N. 105 So etwa Batt, S. 94 f. 106 Vgl. BVerfGE 92, 1. 107 Vgl. BVerfGE 93, 1. 108 So etwa Großfeld, NJW 1995, 1719 ff., dazu Benda, NJW 1995, 2470 ff.; Sendler, NJW 1996, 825 (827). Im Anschluss an die „Soldaten sind Mörder“-Entscheidung fühlte sich im September 1994 sogar der Bundestag dazu aufgerufen, durch Zustimmung zu einem Entschließungsantrag der damaligen Regierungsfraktionen (vgl. BT-Drs. 12/8523) seine Solidarität mit den in der verfassungsgerichtlichen Entscheidung vermeintlich zu kurz gekommenen Soldaten zum Ausdruck zu bringen. 104

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

c) Die bisherigen Versuche einer Kompetenzabgrenzung aa) „Judicial self-restraint“ An entsprechenden Versuchen, die Grenzen verfassungsgerichtlicher Judikatur zu konkretisieren, hat es in den vergangenen Jahrzehnten nie gemangelt. Das Bundesverfassungsgericht selbst führt immer wieder den ursprünglich aus den USA stammenden Grundsatz der „richterlichen Selbstbeschränkung“ ins Feld, wenn es um die Frage geht, wie ein eigenständiger Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers garantiert werden kann. Was unter dieser Doktrin im Einzelnen zu verstehen ist, wird allerdings nicht einheitlich beurteilt. Das Bundesverfassungsgericht selbst hat dazu erstmals im Jahr 1974 ausdrücklich Stellung genommen und im Urteil zum sogenannten Grundlagenvertrag ausgeführt: „Der Grundsatz des judicial self-restraint, den sich das [Gericht] auferlegt, bedeutet nicht eine Verkürzung oder Abschwächung seiner [Kompetenzen], sondern den Verzicht ‚Politik zu treiben‘, d. h. in den von der Verfassung selbst geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen.“ 109

Diese Aussage ist allerdings nichts weiter als eine wenig hilfreiche Mischung aus Selbstverständlichkeiten bzw. Missverständnissen, denn natürlich gilt der Grundsatz der Gewaltenteilung auch für das Bundesverfassungsgericht und verlangt von ihm den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu wahren. Die Verpflichtung zur Kompetenzwahrung resultiert aber nicht aus einer Selbstauferlegung, sondern folgt unmittelbar aus dem Grundgesetz (Art.  20 Abs.  2 Satz  2, Abs. 3 GG). Es gibt also gar nichts, auf das das Bundesverfassungsgericht von sich aus verzichten könnte, weil die Reichweite der jeweiligen Kompetenzen – zumindest theoretisch – durch die Verfassung vorgegeben wird.110 Problematisch ist insofern aber, dass die Gestaltungsspielräume der verschiedenen Gewalten nicht ohne Weiteres aus dem Grundgesetz ablesbar sind wie Begriffe aus dem Wörterbuch. Vielmehr bedarf es der Interpretation der jeweils einschlägigen Verfassungsnormen. Da das Bundesverfassungsgericht insoweit aber das letzte Wort hat, verfügt es – praktisch gesehen – über die Macht, seinen Kompetenzbereich selbst festlegen zu können.111 An dieser Stelle hat nun die Maxime des judicial self-­restraint durchaus eine gewisse Berechtigung, weil er zumindest die Mahnung an die Karlsruher Richter enthält, ihre Interpretationsmacht mit Augenmaß auszuüben und von politischen Zweckmäßigkeitserwägungen Abstand zu nehmen.112 Ein taugliches Abgrenzungskriterium stellt der Grundsatz selbst allerdings nicht dar.113

109

BVerfGE 36, 1 (14 f.). Vgl. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 86. 111 Vgl. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 86. 112 Vgl. von Mangoldt/Klein/Starck/Voßkuhle, Art. 93 Rn. 36. 113 So auch Hesse, JZ 1995, 265 (273); Robbers, NJW 1998, 935 (936 f.). 110

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bb) „Political question doctrine“ Auch die „political question doctrine“ ist als Maßstab für eine sachgerechte Grenzziehung zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Legislative ungeeignet. Hinter diesem vom Supreme Court der USA entwickelten Grundsatz verbirgt sich das Prinzip, bei bestimmten hochpolitischen Fragen von einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung über ein Gesetz abzusehen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Maxime nicht übernommen.114 Auch in der Literatur besteht weitgehend Einigkeit, dass die „political question doctrine“ auf deutsche Verhältnisse nicht übertragbar ist.115 Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass die amerikanische Verfassung im Gegensatz zum Grundgesetz keine Normenkontrollbefugnis für das Verfassungsgericht vorsieht. Der US-Supreme Court hat sich eine solche Kompetenz vielmehr in gewissem Umfang selbst geschaffen und kann sie daher natürlich auch jederzeit wieder einschränken.116 Das Grundgesetz sieht demgegenüber eine Verpflichtung des Bundesverfassungsgerichts vor, im Rahmen der Verfahren des Art. 93 GG über die Verfassungsmäßigkeit von Legislativ­akten zu entscheiden.117 Dies zu unterlassen, bedeutete nichts anderes als eine „Selbstermächtigung zur Nichtentscheidung“ und damit letztlich eine Kompetenzüberschreitung, die doch aber gerade vermieden werden soll.118 Im Übrigen ist die „political question doctrine“ allein schon deshalb ungeeignet, weil für ihre Anwendbarkeit gerade das erforderlich ist, was durch sie eigentlich erst erreicht werden soll: die Beantwortung der Frage, wo das Politische anfängt und Recht nicht mehr nur angewendet, sondern geschaffen wird. cc) Materiell-rechtliche Abgrenzung Nach dem materiell-rechtlichen Ansatz richtet sich der Umfang verfassungsgerichtlicher Kompetenzen nach der im Einzelfall einschlägigen Bestimmung des Grundgesetzes. Die Kontrolle des Gesetzgebers durch das Bundesverfassungs­ gericht soll danach so weit reichen, wie sich der jeweiligen Norm ein hinreichender Prüfungsmaßstab entnehmen lasse  – fehle ein solcher, könne der fragliche Gesetzgebungsakt folglich nicht gegen das Grundgesetz verstoßen.119 Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies grundsätzlich anerkannt, indem es im Rahmen des Urteils über die Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten im Jahr 1983 hervorhob, dass es allein dort, wo verfassungsrechtliche Maßstäbe für­ 114

Vgl. BVerfGE 2, 79 (96 f.). Vgl. Voßkuhle, NJW 2013, 1329 (1332); Zuck, JZ 1974, 361 (363 f.); Kranenpohl, S. 23 f.; Schlaich/Korioth, Rn. 505 m. w. N. 116 Vgl. Siedler, S. 70 m. w. N. 117 Näher hierzu Siedler, S. 72. 118 Vgl. Murswiek, DÖV 1982, 529 (532). 119 Vgl. Schneider, FS Zeidler, S. 293 (298); Böckenförde, VVDStrRL 39 (1981), 147 (200); Schlaich/Korioth, Rn. 527 f. m. w. N. 115

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politisches Verhalten normiert seien, tätig werden könne.120 Nicht weniger deutlich verweist es in ständiger Rechtsprechung allerdings auch darauf, dass die „schöpferische Füllung weiter Lücken“ ebenfalls zu seinen Aufgaben gehöre und diese Lücken durch die richterliche Entscheidung „nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft“ geschlossen werden müssten.121 Was dieser im Ansatz durchaus zutreffenden Feststellung eine beachtliche Brisanz verleiht, ist die Tatsache, dass es das Bundesverfassungsgericht – wie bereits erwähnt – gerade mit einer Vielzahl äußerst lückenhafter Normen zu tun hat. Angesichts dessen mag es auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheinen, wenn der Abgrenzung nach materiell-rechtlichen Gesichtspunkten entgegengehalten wird, dass er die verfassungsgerichtliche Judikatur kaum nennenswert beschränken könne, ja ein geradezu „naiver Ansatz“122 oder gar „Fiktion“123 sei. Natürlich kann es im jeweiligen Einzelfall äußerst schwierig sein, zu beurteilen, ob der einschlägige Prüfungsmaßstab noch „hinreichend“ ist, d. h. die konkret getroffene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu tragen vermag. Gleichwohl geht die Kritik am materiell-rechtlichen Ansatz in ihrer Pauschalität deutlich zu weit, weil sie vernachlässigt, dass der Wortlaut auch im Bereich der insgesamt eher vagen Bestimmungen des Grundgesetzes zumindest hinsichtlich einzelner Tatbestandsmerkmale durchaus eindeutig sein kann und damit kompetenzbegrenzend wirkt.124 Dies zeigt etwa ein Blick auf Art. 17 GG, wonach jedermann das Recht hat, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen oder die Volksvertretung zu wenden. Hier besteht hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „schriftlich“ insoweit wenig Auslegungsspielraum als ein Recht auf mündliches Vorbringen nicht gewährt wird.125 Ebenso klar ist zudem, dass Petitionen nicht nur von Einzelpersonen, sondern auch von mehreren („in Gemeinschaft mit anderen“) eingereicht werden können. Erheblich mehr Fragen bleiben hingegen offen, wenn es um die Bestimmung der tauglichen Adressaten von Eingaben geht. So ist z. B. unklar, ob einzelne Bundestagsabgeordnete oder Fraktionen „zuständige Stelle“ bzw. „Volksvertretung“ sind.126 Ähnlich unterschiedliche Interpretationsspielräume innerhalb einer Norm lassen sich ohne Weiteres auch für die meisten anderen Artikel des Grundgesetzes nachweisen.

120

So BVerfGE 62, 1 (51). Vgl. BVerfGE 3, 225 (243); 34, 269 (287). 122 So Ebsen, S. 108 ff. 123 So AK-GG/Rinken, Vor Art. 93 Rn. 95. 124 Vgl. Walter, AöR 2000, 517 (540 f.). 125 A. A. Umbach/Clemens/Dollinger, Art. 17 Rn. 23. Die Wortlautgrenze wird damit aber überschritten. 126 Näher hierzu BeckOK-GG/Brocker, Art. 17 Rn. 21 m. w. N. 121

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dd) Funktionell-rechtliche Abgrenzung Ein großer Teil der Literatur stellt daher zusätzlich (oder zum Teil auch ausschließlich) auf Gesichtspunkte der grundgesetzlich verankerten Funktionsverteilung ab und weist die Befugnis, ausfüllungsbedürftige Normen des Grundgesetzes abschließend zu konkretisieren, dem Staatsorgan zu, das hierfür am besten „legitimiert und gerüstet“ ist.127 Dazu bedarf es normativer Anhaltspunkte in der Verfassung, da die Kompetenzabgrenzung anderenfalls – mangels objektiver Grundlage – allein auf Beliebigkeit beruhen würde.128 Die Funktion von Verfassungsgerichtsbarkeit und Legislative ist nämlich nichts vorpositiv Gegebenes, sondern kann nur durch Auslegung und Gesamtschau der verfassungsrechtlich zugewiesenen Zuständigkeiten ermittelt werden.129 Hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichtes ist einzig Art.  92 GG geeignet, wenigstens zum Teil eine hinreichend konkrete Grenzziehung zur Legislative zu ermöglichen. Wie bereits erläutert,130 ordnet diese Norm das Bundesverfassungsgericht der Rechtsprechung zu und konstituiert es als Gericht. Aus diesem Strukturmerkmal folgt zunächst, dass die Karlsruher Richter der Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG unterliegen.131 Dass sie im Rahmen von Normenkontrollentscheidungen Gesetze für nichtig erklären können, ändert daran nichts. Diese Kompetenz stellt das Bundesverfassungsgericht nicht generell über das einfache Gesetz. Ist dessen Verfassungsmäßigkeit gegeben, müssen sich auch die Karlsruher Richter daran halten. Andernfalls wäre das Bundesverfassungsgericht auch nicht an das BVerfGG gebunden, was wohl niemand ernstlich behaupten würde. Hinsichtlich des Begrenzungspotenzials, das dem Strukturmerkmal der Gesetzesbindung innewohnt, kann auf die Ausführungen zum materiell-rechtlichen Ansatz verwiesen werden.132 Erheblich limitierende Wirkung entfaltet darüber hinaus der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht an den jeweils gestellten Antrag gebunden ist. Es besitzt kein Initiativrecht in dem Sinne, dass es mit dem Grundgesetz unvereinbares staatliches Handeln von sich aus korrigieren könnte.133 Auch darf es nicht über den zur Entscheidung vorgelegten Streitgegenstand hinausgehen und gewissermaßen bei Gelegenheit über Fragestellungen befinden, die für den konkreten

127

Vgl. Ossenbühl, DÖV 1980, 545 (548); siehe auch Siedler, S. 15 m. w. N. So mit Recht Hwang, S. 182 ff.; Jestaedt, S. 177; siehe auch Roellecke, in: HStR III, § 67 Rn. 42. 129 So Jestaedt, S. 177 f. 130 Näher hierzu oben B. I.2. 131 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 1 Rn. 5; Siedler, S. 37 ff.; Beckmann, StV 1984, 165 (165). 132 Siehe oben B.II.1.c)cc). 133 Vgl. Lepsius, in: Das entgrenzte Gericht, S. 159 (161); Schlaich/Korioth, Rn. 512; Hillgruber/Goos, Rn. 3; Hensel, Der Staat 2011, 581 (596); Benda, ZRP 1977, 1 (5). 128

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Fall ­irrelevant sind.134 Schließlich ist die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichtes kassatorischer Natur.135 Es kann also nur (in verschiedenen Varianten) feststellen, dass eine bestimmte Maßnahme nicht mit dem Grundgesetz im Einklang steht und ist  – abgesehen von der einstweiligen Anordnung und der Vollstreckungsanordnung  – nicht befugt, selbst eine verfassungskonforme Regelung zu erlassen.136 Die Karlsruher Richter üben nur eine „kontrollierende Zweitinterpretation“ des Grundgesetzes aus.137 Über den Gerichtscharakter hinaus werden seit Jahrzehnten immer wieder  – bisher stets erfolglose138  – Versuche unternommen, weitere funktionell-rechtliche Grenzen des Bundesverfassungsgerichtes zu bestimmen. Sofern dabei auf dessen Status als Verfassungsorgan rekurriert wird, ist dies von vornherein abzulehnen, weil diese  – dem Grundgesetz unbekannte  – Bezeichnung nicht mehr ist als ein Oberbegriff, der die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassen, aber nicht modifizieren kann.139 Auch die sonstigen Ansätze funktionell-rechtlicher Grenzziehung sind wenig überzeugend, weil sie auf normativen Grundlagen beruhen, die selbst so viele Auslegungsmöglichkeiten offen lassen, dass eine hinreichend konkrete Limitierung verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung mit ihnen nicht zu erreichen ist. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn der Grundsatz der Gewaltenteilung als Argumentationsbasis herangezogen wird. Symptomatisch hierfür sind etwa die Ausführungen von Hesse: „[…] jedes Organ [hat] die Aufgaben des anderen zu respektieren und sein Wirken auf dasjenige anderer Organe abzustimmen; es trägt Verantwortung für den aufgegebenen Erfolg des Zusammenwirkens. Deshalb ist es verpflichtet, ergänzend und unterstützend dort tätig zu werden, wo ein anderes Organ zur vollen Erfüllung seiner Aufgaben nicht bereit oder in der Lage ist […].“140

Selbst wenn diese Aussage vom Grundsatz her zuträfe, wäre sie im Hinblick auf die Problematik der Kompetenzabgrenzung zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Legislative von geringem Nutzen, weil sie über einen bloßen Zirkelschluss nicht hinausgeht. Es bleibt nämlich gerade offen, was die Aufgaben des jeweils anderen sind.141 Wenig erfolgversprechend ist zudem der Versuch, funktionellrechtliche Grenzen des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Demokratieprinzip

134 Insoweit gibt es eine Reihe von Entscheidungen, bei denen diese Grenze vom Bundesverfassungsgericht eindeutig überschritten wurde, wie z. B. im sog. „Radikalen-Beschluss“ (= BVerfGE 39, 334 ff.) oder im „Diäten-Urteil“ (= BVerfGE 40, 296 ff.) 135 Vgl. Höffe, in: Herzkammern, S. 124 (130); Hesse, JZ 1995, 265 (267). 136 Vgl. Hesse, JZ 1995, 265 (267). 137 Vgl. Höffe, Der Staat 1999, 171 (177); ders. in: Herzkammern, S. 124 (130). 138 Vgl. Jestaedt, S. 183; Schlaich/Korioth, Rn. 528. 139 Siehe dazu bereits oben B. I.3. 140 Hesse, FS Huber, S. 261 (265 f.). 141 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 513.

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abzuleiten.142 Diesbezüglich wird zwar mit Recht darauf hingewiesen, dass es nach dem Grundgesetz dem Gesetzgeber obliegt, das Gemeinwohl zu definieren und sich hierfür in Wahlen zu verantworten.143 Der politischen Willensbildung werden durch das Grundgesetz aber zugleich auch Grenzen gesetzt, deren Überwachung dem Bundesverfassungsgericht aufgegeben ist.144 Damit stellt sich wieder die Ausgangsfrage: Wie weit reichen die Kontrollbefugnisse? Vor diesem Hintergrund ist es nicht unberechtigt, wenn festgestellt wird, dass sich der Gedanke funktionellrechtlicher Begrenzung in sich selbst verfange.145 ee) Fazit Die kurze Zusammenschau der bisherigen Versuche, die Kompetenzen von Bundesverfassungsgericht und Legislative voneinander abzugrenzen, hat gezeigt, dass allein der materiell-rechtliche Ansatz zielführend ist. Vollumfänglich zu befriedigen vermag freilich auch er nicht, weil die Weitmaschigkeit vieler Bestimmungen des Grundgesetzes einen zu großen Interpretationsspielraum belässt und so zwangsläufig zu problematischen Grenzfällen führt. Die funktionell-rechtliche Betrachtungsweise kann hier nicht wirkungsvoll Abhilfe schaffen, weil jene  – angewiesen auf den Rückgriff auf das positive Recht – im Grunde nicht über den materiell-rechtlichen Ansatz hinausgeht.146 Will man eine tragfähige Lösung entwickeln, genügt es letztlich nicht, einfach das eine Auslegungsproblem durch ein anderes zu ersetzen. Genau dies geschieht aber, wenn der funktionell-rechtliche Ansatz die Frage der Konkretisierungsbefugnis sehr weit gefasster Verfassungsnormen u. a. dadurch zu beantworten versucht, dass er das hierfür am besten geeignete Staatsorgan – wie soeben erläutert – unter Rückgriff auf besonders abstrakte Regelungen des Grundgesetzes (insbesondere den Grundsatz der Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip) ermitteln will. Zwar sind die sich aus dem Gerichtscharakter des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Grenzen der Karlsruher Richter (ausnahmsweise) durchaus konkret und man kann sie als „funktionell-rechtlich“ bezeichnen. In der Sache handelt es sich allerdings um nicht mehr als eine bloße Auslegung des Art. 92 GG. Inwieweit hier ein substan-

142 Schwierigkeiten werden von den Vertretern entsprechender Ansätze durchaus eingeräumt, vgl. etwa Limbach, HFR 1996, 70 (72): „Die diesen Ansatz wählen, stellen von vornherein klar, dass jenen Strukturprinzipien [gemeint sind der Grundsatz der Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip, d. Verf.] nicht etwa Kriterien abzulesen sind, die einfache Auskünfte versprechen.“ 143 Vgl. Limbach, HFR 1996, 70 (72) m. w. N. 144 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 514. 145 Vgl. Böckenförde, Grundrechtsdogmatik, S. 64; ders., Der Staat 1990, 1 (26 f.); ähnlich Jestaedt, S. 176, der davon spricht, dass der funktionell-rechtliche Ansatz in eine Sackgasse führe; siehe auch Alleweldt, S. 220 ff. 146 Ebenso Hwang, S.  184; Jestaedt, S.  176 ff.; siehe auch Roellecke, in: HStR III, § 67 Rn. 42.

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zieller Unterschied zum materiell-rechtlichen Ansatz bestehen soll, ist nicht ersichtlich.147 Wie man es also auch dreht und wendet: Allein das Grundgesetz und insbesondere die darin verankerte Gerichtsförmigkeit des Bundesverfassungsgerichtes vermag die Reichweite seiner Kontrolltätigkeit zu begrenzen.148 Wo die Verfassung aber schweigt, kann dem Gesetzgeber seitens der Karlsruher Richter kein Verfassungsverstoß attestiert werden, weil diese sonst unzulässig in den Bereich freier politischer Entscheidung eingreifen würden.149 In Zweifelsfällen bestimmt das Bundesverfassungsgericht, ob sich eine Angelegenheit verfassungsrechtlicher Überprüfung entzieht oder nicht  – so will es das Grundgesetz.150 Dies mag auf den ersten Blick beunruhigen, weil dem Bundesverfassungsgericht damit faktisch die Kompetenz-Kompetenz zukommt, also die Befugnis seinen Zuständigkeitsbereich selbst festzulegen.151 Dabei muss man sich allerdings vor Augen halten, dass es nach allgemein anerkannter Auffassung im modernen Rechtsstaat unvermeidbar ist, eine solche Letztverbindlichkeit der Entscheidung einem Staatsorgan zuzuweisen, weil sich die Verfassung nicht von selbst vollziehen kann und es für die Klärung von Konfliktfällen einer klärenden (Schluss-)Instanz bedarf.152 Man kann insoweit also nicht über das „Ob“ eines letzten Wortes streiten, sondern nur über das „Wie“. Insoweit geht es vorrangig um die Frage, wem man es anvertraut. In Betracht käme beispielsweise eine Übertragung auf das Staatsoberhaupt oder das Parlament.153 Es ist allerdings zu bezweifeln, dass die abschließende Verfassungsinterpretation beim Bundespräsidenten  – einer Einzelperson  – besser aufgehoben wäre als bei einem aus acht Richtern bestehenden Senat bzw. einer mit drei Richtern besetzten Kammer des Bundesverfassungsgerichts. Überlässt man die letztverbindliche Auslegung des Grundgesetzes hingegen dem Bundestag, macht man insbesondere bei Normenkontrollen – salopp gesprochen – „den Bock zum Gärtner“. Auch wenn letztlich nie ganz ausgeschlossen werden kann, dass an Stelle von rechtlichen Erwägungen vor allem politische Gesichtspunkte für die Entscheidungsfindung den Ausschlag geben, ist die Sicherung des Vorrangs der Verfassung in den Händen eines unabhängigen Gerichts wohl immer noch am besten auf­gehoben.154 In diesem Zusammenhang darf man auch nicht vergessen, 147 Vgl. auch Schlaich/Korioth, Rn. 528, die (darüber hinausgehend) feststellen: „An vielen Einzelstudien ließe sich zeigen, dass funktionell-rechtliche Erwägungen zwar angestellt werden, die Lösung des anstehenden Problems dann aber doch mit einem Hinweis auf den materiellen Regelungsgehalt der Verfassung erfolgt.“ 148 Vgl. Säcker, in: Das Bundesverfassungsgericht, S. 189 (190 f.); Schlaich/Korioth, Rn. 527 f. m.w. N. 149 Vgl. Säcker, in: Das Bundesverfassungsgericht, S. 189 (225); Siedler, S. 37. 150 Vgl. Isensee, in: Das Bundesverfassungsgericht, S. 49 (57); Jestaedt, S. 184; siehe dazu auch bereits oben B.II.1.a). 151 So statt vieler Jestaedt, S. 184 f. m. w. N. 152 Vgl. Böckenförde, NJW 1999, 9 (10). 153 Näher hierzu Böckenförde, NJW 1999, 9 (10 ff.). 154 So auch Böckenförde, NJW 1999, 9 (10 f.).

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dass der Gesetzgeber dies mit verfassungsändernder Mehrheit grundsätzlich jederzeit anders regeln kann. Von vereinzelten Veränderungen im Bereich des Zuständigkeitskatalogs (Art. 93 GG) bis hin zur völligen Abschaffung des Bundesverfassungsgerichtes stehen ihm insoweit weitreichende Handlungsoptionen zur Verfügung. Solange die allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz des Bundesverfassungsgerichtes aber nicht tiefgreifend erschüttert wird, bleiben entsprechende Reformen freilich nur eine theoretische Option, deren Diskussion oder gar praktische Umsetzung keinerlei Vorteile im politischen Meinungskampf verspricht. Der Machtfülle, die dem Bundesverfassungsgericht durch seine herausgehobene Position in Verfassungsfragen zukommt, stehen zudem einige weitere Umstände entgegen, die sich faktisch begrenzend auswirken.155 Diesbezüglich sei zunächst an die bereits erläuterte Akzeptanzabhängigkeit seiner Rechtsprechung erinnert, die aus der Tatsache resultiert, dass das Bundesverfassungsgericht die Befolgung der eigenen Entscheidungen nicht selbst durchsetzen kann, sondern insoweit auf die Loyalität der anderen Staatsorgane angewiesen ist. Schon aus diesem Grund müssen die Karlsruher Richter bemüht sein, die eigene Autorität nicht dadurch zu beschädigen, dass allzu sorglos von der Macht des letzten Wortes Gebrauch gemacht wird. In diesem Zusammenhang ist zudem daran zu erinnern, dass der starke Rückhalt des Bundesverfassungsgerichts in der Bevölkerung maßgeblich darauf beruht, dass es als Institution wahrgenommen wird, die den Que­ relen des politischen Tagesgeschäfts entrückt ist. Auch diese Position geriete durch allzu häufige Übergriffigkeit in den Bereich der Politik in Gefahr. Darüber hinaus wirken sich die begrenzten Ressourcen des Bundesverfassungsgerichtes erheblich machteinschränkend aus. Die Arbeitsbelastung der 16 Richterinnen und Richter ist ausgesprochen hoch. So sind seit 2008 stets mehr neue Verfahren anhängig geworden als erledigt werden konnten.156 Ohnehin bewegt sich das Verfahrensaufkommen mit zuletzt 6.686 Neueingängen in 2013 auf Rekordniveau. Deshalb ist es dem Bundesverfassungsgericht in den meisten Fällen gar nicht möglich, durch (zu) umfängliche Ausführungen in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers überzugreifen. Dies wird nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass die Karlsruher Richter von der im Jahr 1993 zu ihrer Entlastung geschaffenen Möglichkeit, eine Ver­fassungsbeschwerde ohne jegliche Begründung nicht zur Entscheidung anzunehmen (vgl. § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG) rege Gebrauch machen, und zwar 2013 in fast acht von zehn Fällen.157 Außerdem darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass das Bundesverfassungsgericht zum Teil auch fachlich gar nicht in der Lage wäre, zu weitgehende Vorgaben für die Regelung be 155

Vgl. zum Folgenden bereits oben B.II.1.b). Vgl. http://www.bundesverfassungsgericht.de/organisation/gb2013/A-II-1.html (zuletzt ab­ ge­r ufen am 25.4.2014). 157 Berechnung gemäß der Jahresstatistik 2013, https://www.bundesverfassungsgericht.de/ organisation/gb2013/A-III-2.html (zuletzt abgerufen am 25.4.2014); vgl. für frühere Jahre auch Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93d Rn.  10; zur Kritik an § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG vgl. etwa Zuck, NJW 1997, 29 (29 f.). 156

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stimmter Materien aufzustellen, weil der Sachverstand des Parlaments mit seinen Fachausschüssen nicht ohne Weiteres zu ersetzen ist.158 Schließlich können seit 1.11.1998 auch Urteile des Bundesverfassungsgerichts im Wege der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK vom EGMR überprüft werden. Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren im sogenannten „Görgülü“-Beschluss klargestellt, dass Entscheidungen des EGMR bei der Interpretation des nationalen Rechts (einschließlich des Grundgesetzes) von Verfassungs wegen von allen Trägern hoheitlicher Gewalt und damit auch von den Gerichten zu berücksichtigen sind.159 Hierdurch haben sich die Karlsruher Richter zumindest vom Grundsatz her die Selbstverpflichtung auferlegt, ihre eigene Rechtsprechung gegebenenfalls einer Korrektur zu unterwerfen.160 Allerdings bleibt eine große Hintertür für die Nichtbeachtung von Entscheidungen des EGMR offen, denn das Bundesverfassungsgericht betont: „,Berücksichtigen‘ bedeutet, die Konventionsbestimmung in der Auslegung des Gerichtshofs zur Kenntnis zu nehmen und auf den Fall anzuwenden, soweit die Anwendung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht verstößt. Die Konventionsbestimmung muss in der Auslegung des [EGMR] jedenfalls in die Entscheidungs­ findung einbezogen werden, das Gericht muss sich zumindest gebührend mit ihr auseinandersetzen.“ 161

2. Das Bundesverfassungsgericht und die Exekutive Weit weniger problematisch als das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichtes zur Legislative ist dasjenige zur Exekutive. Dies gilt sowohl im Ganzen gesehen als auch speziell für den Bereich des Strafvollzuges. Ursächlich hierfür ist vor ­allem die Tatsache, dass Maßnahmen der vollziehenden Gewalt  – vermittelt über dazwischen tretende Gerichtsentscheidungen  – zumeist nur indirekt auf dem Prüfstand der Karlsruher Richter stehen.162 Sieht sich etwa ein Strafgefangener durch eine Maßnahme der Anstaltsleitung in seinen Grundrechten verletzt, muss er gemäß Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG i. V. m. § 90 Abs. 2 BVerfGG grundsätzlich erst den Rechtsweg erschöpfen, bevor er sich mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht wenden kann.163 Dieses prüft dann, ob der Beschwerdeführer durch die instanzgerichtlichen Entscheidungen in seinen in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG genannten Rechten verletzt ist. Kompetenz 158 Vgl. Kranenpohl, S. 387; zur Schaffung eines wissenschaftlichen Dienstes am Bundesverfassungsgericht Landfried, S. 161 ff. 159 Vgl. BVerfGE 111, 307 (323 f.). 160 So auch Rauber, StudZR 2008, 443 (463). 161 BVerfGE 111, 307 (329). 162 Vgl. Menzel, in: Verfassungsrechtsprechung, S. 1 (24). 163 Nur in den Ausnahmefällen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kann sofort Verfassungsbeschwerde erhoben werden.

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konflikte zwischen Bundesverfassungsgericht und Exekutive sind damit eher selten und stoßen – wenn sie denn wie im Falle der eingangs erwähnten „Euro-Rettungspolitik“ doch einmal auftreten  – auf großes öffentliches Interesse.164 Das im Ganzen gesehen jedoch weitgehend spannungsfreie Verhältnis ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass die Karlsruher Richter der zweiten Gewalt bereits von sich aus einen weiten Beurteilungsspielraum zugestehen, was vor allem in den Entscheidungen zu außenpolitischen Fragestellungen und zur Bundestagsauflösung deutlich wird.165 Ungeachtet dessen gilt für die Kompetenzabgrenzung zwischen Bundesverfassungsgericht und Exekutive nichts anderes als im Verhältnis zur Legislative. Hier wie da gelten die gleichen materiell-rechtlichen Grenzen und auch die (faktische) Kompetenz-Kompetenz der Karlsruher Richter.166 3. Das Bundesverfassungsgericht und die anderen Gerichte a) Funktion des Bundesverfassungsgerichtes Etwas anders stellt sich die Situation jedoch in Bezug auf die Judikative dar. Da auch das Bundesverfassungsgericht ein Teil von dieser ist, geht es bei der Kompetenzabgrenzung zu den Instanzgerichten nicht um die Frage der Gewalten­ teilung im herkömmlichen – horizontalen – Sinne, sondern vielmehr darum, wie eine sinnvolle Aufgabenverteilung zwischen den verschiedenen Rechtsprechungsorganen erreicht werden kann.167 Zentrale Funktion der Karlsruher Richter ist es auch hier, den Vorrang der Verfassung zu gewährleisten und Gerichtsentscheidungen, die Grundrechte verletzen, aufzuheben. Das Problematische hieran ist, dass es mit dem EGMR in Straßburg und den Landesverfassungsgerichten Recht­ sprechungsorgane gibt, die vergleichbare Funktionen wahrnehmen. Diese sind zwar an sich auf anderen Ebenen (Europa bzw. Bundesland) tätig. Dennoch gibt es eine Reihe von Berührungspunkten mit dem Bundesverfassungsgericht, die Kompetenzfragen aufwerfen. Problematisch ist nicht zuletzt auch das Verhältnis zu den sogenannten Fachgerichten168.

164 Zu den bekanntesten Streitfällen dieser Art gehört der Konflikt um die „DeutschlandFernsehen-GmbH“, der damit endete, dass das Bundesverfassungsgericht die Pläne der Regierung Adenauer, ein Fernsehprogramm unter Führung des Bundes ins Leben zu rufen, mit der Begründung durchkreuzte, dass die Kompetenz hierfür allein bei den Ländern liege, vgl. BVerfGE 12, 205. 165 Vgl. etwa BVerfGE 62, 1 (Bundestagsauflösung I); 68, 1 (Pershing); 90, 286 (AWACS); 118, 244 (Afghanistan). 166 Ausführlich hierzu oben B.II.1.c)cc) und ee). 167 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 285. 168 Kritisch zu dieser Terminologie Schlaich/Korioth, Rn. 22.

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b) Das Verhältnis zum EGMR Seitdem der EGMR am 1.11.1998 seine Tätigkeit aufgenommen hat, stellt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht im Bereich grundrechtlicher Judikatur überhaupt noch das vielzitierte „letzte Wort“ hat. Bei einem Blick auf die europarechtliche Ebene ist man geneigt, dies zu verneinen, weil im Wege der durch Art. 34 EMRK vorgesehenen Individualbeschwerde zum EGMR, von der pro Jahr etwa 50.000 eingehen, auch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zum Prüfungsgegenstand werden können.169 Dabei führt der „Weg nach Straßburg“ nur über Karlsruhe und die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde, weil Art. 35 Abs.  1 EMRK die Erschöpfung des nationalen Rechtsweges verlangt.170 Der EGMR kann dann zwar einen möglichen Verstoß des Bundesverfassungsgerichtes gegen die Menschenrechtskonvention feststellen. Kassatorische Wirkung entfalten die Entscheidungen des EGMR allerdings nicht.171 Vielmehr werden nach Art. 46 EMRK nur die Mitgliedsstaaten als solche gebunden. Weil der Staat aber nur durch seine Organe handlungsfähig ist, müssen diese letztlich auch selbst verpflichtet werden.172 Die EMRK, die im Range eines einfachen Bundesgesetzes steht, muss daher in der Interpretation durch den EGMR und im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung auch von den deutschen Gerichten beachtet werden.173 Unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab kann die Menschenrechtskonvention aufgrund ihrer Stellung in der Normenhierarchie zwar nicht sein.174 Gleichwohl ist sie insoweit nicht ohne Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in dem bereits erwähnten175 „Görgülü“-Beschluss festgestellt: „Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Men­ schenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen.“176

Zur Begründung rekurriert das Bundesverfassungsgericht auf das in Art.  1 Abs. 2 GG enthaltene Bekenntnis zu den Menschenrechten und auf die in Art. 23 ff. GG zum Ausdruck kommende Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, die freilich dort ihre Grenze finde, wo die Befolgung der Konvention zu einer von 169

In der Literatur (vgl. Bytomski, ZRP 2011, 88 f.) wird vereinzelt sogar – allerdings reichlich übertrieben – die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in Zweifel gezogen, weil der letzte Satz jedes Karlsruher Richterspruches („Diese Entscheidung ist unanfechtbar.“) angesichts des Rechtsbehelfs zum EGMR nicht zutreffend sei. 170 Vgl. Wittinger, NJW 2001, 1238 (1239). 171 Vgl. BVerfGE 111, 307 (320 f., 325); Landau, DVBl 2008, 1269 (1274); Kadelbach, Jura 2005, 480 (484); Bachmann/Goeck, NJ 2010, 457 (459). 172 Vgl. BVerfGE 111, 307 (322 f.); Koranyi, S. 230 f.; Bachmann/Goeck, NJ 2010, 457 (459); Rauber, StudZR 2008, 443 (461). 173 Vgl. BVerfGE 111, 307 (317); kritisch hierzu Hillgruber, JZ 2011, 861 (871 f.). 174 Vgl. BVerfGE 10, 271 (274); 34, 384 (395); 64, 135 (157); 74, 102 (128); 74, 358 (370); 111, 307 (317). 175 Siehe oben B.II.1.c)ee). 176 BVerfGE 111, 307 (317).

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dieser nicht gewollten Einschränkung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führe oder wo dies nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheine.177 Bei Missachtung oder Nichtberücksichtigung einer Entscheidung des EGMR kann – gestützt auf das jeweils in Rede stehende Grundrecht in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) – Verfassungsbeschwerde erhoben werden.178 Eine brisante Situation entsteht nun, wenn EGMR und Bundesverfassungsgericht in grundrechtsrelevanten Fragen zu divergierenden Ergebnissen gelangen. Folgt ein Instanzgericht dabei der Rechtsprechung des EGMR, missachtet es die Bindung an Recht und Gesetz, denn gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG haben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes Gesetzeskraft. Die unterlegene Partei kann deshalb erneut Verfassungsbeschwerde erheben. Halten die Karlsruher Richter nun weiter an ihrer vom EGMR abweichenden Rechtsprechung fest, steht wiederum der Weg nach Straßburg offen. Weil das Letztentscheidungsrecht bisher ungeklärt ist, entsteht so die Gefahr eines nie endenden Rechtsstreites. Das beschriebene Dilemma kann auf zwei Wegen gelöst werden. Zum einen könnte man die Befugnis zur abschließenden Entscheidung dem Bundesverfassungsgericht zusprechen, was im Endeffekt einen Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 46 Abs. 1 EMRK bedeutete.179 Darin heißt es: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.“ Vorzugswürdig erscheint daher eine teleologische Reduktion des § 31 Abs. 2 BVerfGG, um unter dem Aspekt der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, dem EGMR das letzte Wort zu gewähren.180 Dies entspricht auch dem Leitgedanken der EMRK, wonach gerade nicht allein die Mitgliedstaaten und ihre Organe über die Wahrung der elementaren Grundrechtspositionen in Europa entscheiden sollen, sondern der EGMR als unabhängige Instanz.181 Blickt man auf die Praxis, so stellt man fest, dass die Zahl der Karlsruher Entscheidungen, die von den Straßburger Richtern bisher moniert wurden, durchaus 177

Vgl. BVerfGE 128, 326 (369); 111, 307 (317 f.); Vokkuhle, NJW 2013, 1329 (1330). Damit behält sich das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit offen, gegebenenfalls von der Judikatur des EGMR abzuweichen. 178 Vgl. BVerfGE 111, 307 (329 f.); Landau, DVBl 2008, 1269 (1275); Kadelbach, Jura 2005, 480 (484); Cremer, EuGRZ 2004, 683 (686); Klein, JZ 2004, 1176 (1178). 179 Näher hierzu Mann, NJW 2004, 3220 (3221). 180 Vgl. Cremer, EuGRZ 2004, 683 (697); Bachmann/Goeck, NJ 2010, 457 (460); Rauber, StudZR 2008, 443 (460) m. w. N. 181 So völlig zu Recht Kadelbach, Jura 2005, 480 (485), der überdies treffend anmerkt: „Dass es in Grenzfällen mehrere gleich vertretbare Entscheidungen geben kann, ändert daran nichts. Mit der Ratifizierung der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle haben die Mitgliedstaaten diese Rolle des EGMR anerkannt.“ Vgl. auch Rauber, StudZR 2008, 443 (465), der vorschlägt, dass Bundesverfassungsgericht solle seine das Verhältnis zum EuGH regelnde „Solange II“Rechtsprechung (= BVerfGE 73, 339) auf die Beziehung zum EGMR übertragen.

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überschaubar ist und sich das Bundesverfassungsgericht in Konfliktsituationen bisher nie gegen den EGMR gestellt und auf das von ihm beanspruchte Letzt­ entscheidungsrecht beharrt hat.182 Durchaus brisant stellte sich die Situation aller­ dings im Hinblick auf das Recht der Sicherungsverwahrung dar. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2004 weder in der rückwirkend verlängerten noch in der nachträglichen Anordnung dieser Maßregel einen Verstoß gegen das Grundgesetz erkennen konnte,183 stellte der EGMR in mehreren seit 2009 ergangenen Entscheidungen184 eine Verletzung von Art. 5 und 7 EMRK fest. Anders als das Bundesverfassungsgericht stuften die Straßburger Richter die in Deutschland vollstreckte Sicherungsverwahrung aufgrund des nur marginalen Unterschieds zum Vollzug der Freiheitsstrafe als Strafe ein und bejahten deshalb einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot.185 Mit Spannung wurde daher im Frühjahr 2011 eine erneute Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Thematik erwartet. Dabei ging es um nichts weniger als die Frage, ob die Karlsruher Richter einen akzeptablen Mittelweg finden oder sich womöglich auf eine der zwei Extrempositionen zurückziehen, d. h. sich offen gegen die Rechtsprechung des EGMR stellen oder diese anstandslos akzeptieren. Mit seinem Urteil vom 4.5.2011186 hat das Bundesverfassungsgericht tatsächlich einen vermittelnden Weg beschritten. Es hat zwar unter Verweis d­ arauf, dass sich eine „unreflektierte Adaption völkerrechtlicher Begriffe“ in das nationale Rechtssystem verbiete, an seiner Auffassung, wonach im Falle der nachträglichen Anordnung bzw. Verlängerung der Sicherungsverwahrung mangels Strafe kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot im Sinne von Art.  103 Abs. 2 GG gegeben sei, festgehalten.187 Allerdings verletzten diese Maßnahmen seiner Ansicht nach das Freiheitsgrundrecht der Verwahrten (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG) und zusätzlich das Vertrauensschutzgebot gemäß Art. 20 Abs.  3 GG, dem das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung wesentlich größeres ­Gewicht beimisst als noch 2004.188 Eine Rechtfertigung derartiger Eingriffe komme unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR nur bei Wahrung des  – bisher nicht eingehaltenen  – Abstandsgebotes zwischen Sicherungsverwahrung und Strafvollzug sowie ausschließlich unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK in Betracht.189 Ferner hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung gemäß § 78 Satz 2 BVerfGG auf die übrigen 182

Näher hierzu Voßkuhle, NVwZ 2010, 1 (4); Knauff, DVBl 2010, 533 (541). Vgl. BVerfGE 109, 133 ff. und 190 ff.; siehe dazu zusammenfassend Dessecker, ZIS 2011, 706 (706 f.). 184 Vgl. EGMR NJW 2010, 2495; DÖV 2011, 280; Urteil v. 14.4.2011 – 30060/04. 185 Vgl. EGMR NJW 2010, 2495 (2499); siehe auch Bachmann/Neubacher, BewHi 2010, 433 (436 f.). 186 Vgl. BVerfG NJW 2011, 1931; siehe dazu Voßkuhle, NJW 2013, 1329 (1330); ausführlich zu den praktischen Konsequenzen der Entscheidung Mosbacher, HRRS 2011, 229 ff. 187 Vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 (1942). 188 So BVerfG NJW 2011, 1931 (1935 ff.). 189 Vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 (1942 ff.). 183

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Regelungen zur Sicherungsverwahrung erstreckt und auch insoweit wegen des nicht eingehaltenen Abstandsgebotes eine Verletzung der Art.  2 Abs.  2 Satz  2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG festgestellt.190 Schließlich hatte es dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung bis zum 31.5.2013 gesetzt und zugleich strikte Regelungen für die Übergangszeit getroffen.191 Damit haben die Karlsruher Richter an den „Görgülü“-Beschluss angeknüpft und die Bestimmungen des Grundgesetzes konventionsfreundlich ausgelegt, so dass die befürchtete Verfassungskrise durch eine als „salomonisch“ zu bezeichnende Entscheidung abgewendet werden konnte.192 Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht  – wenn auch in begrenztem Umfang – so deutlich wie noch nie zuvor anerkannt, dass der Rechtsprechung des EGMR eine „faktische Orientierungs- und Leitfunktion“ zukommt, die über den konkret entschiedenen Fall hinausgeht.193 Folgerichtig lassen die Karlsruher Richter ein weiteres Mal ihre Bereitschaft erkennen, der EMRK in der Auslegung durch den EGMR zur Vermeidung von Völkerrechtsverletzungen Geltung zu verschaffen, ohne es allerdings zu versäumen, noch einmal auf die schon im „Görgülü“-Beschluss genannten Grenzen hinzuweisen. Letztere sind ­regelmäßig vor allem in sogenannten „mehrpoligen“ Grundrechtsverhältnissen berührt, zu denen gerade auch die in Rede stehenden Fälle der Sicherungsverwahrung zählen. Hier hat nämlich die einseitige Konzentration des EGMR auf die Rechte der Beschwerdeführer eine Vernachlässigung des Grundrechtsschutzes Dritter zur Folge.194 Es ist daher zu befürworten, dass in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 4.5.2011 nicht uneingeschränkt die Freilassung aller Betroffenen angeordnet wird, sondern den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit im Rahmen der notwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung dann der Vorrang eingeräumt wird, wenn von dem Untergebrachten die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- und Sexual­verbrechen ausgeht.195 Mit Recht wird zudem vermutet, dass die Karlsruher Richter auch in zukünftigen Konfliktfällen, bei denen es sich nicht selten um die Konstellation der mehrpoligen Grundrechtsverhältnisse handeln dürfte, von der Möglichkeit Gebrauch werden, Lösungsansätze, die nicht mit denen des EGMR übereinstimmen, entweder unter Verweis auf den Grundrechtsschutz des jeweiligen Beschwerdeführers oder aber der betroffenen Dritten zu rechtfertigen.196 Deshalb ist es letztlich auch etwas übertrieben, wenn dem Bundesverfassungsgericht zum Teil  attestiert wird, dass dessen Konfliktvermeidungsstrategie im Verhältnis zum EGMR in einen „Akt einseitiger Unterwerfung münde, der das notwendige Selbstbewusstsein vermissen lasse“ und im Grunde ein „große[r] europäische[r] Grundrechte-Einheitsbrei [übrig bleibe], der 190 Vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 (1945); klargestellt durch Beschluss v. 8.6.2011 – 2 BvR 2846/09, siehe dazu Bachmann, BewHi 2011, 400 (401 f.). 191 Vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 (1945 f.). 192 So treffend Renzikowski, ZIS 2011, 531 (543). 193 Vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 (1935); näher hierzu Volkmann, JZ 2011, 835 (837). 194 Vgl. Zabel, JR 2011, 467 (469); Hörnle, NStZ 2011, 488 (489). 195 Vgl. BVerfG NJW 2011, 1931 (1944). 196 Vgl. Zabel, JR 2011, 467 (469); Volkmann, JZ 2011, 835 (837 f.).

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in Straßburg angerührt und in Karlsruhe ausgelöffelt“197 werde. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass die nationale Verfassung und mit ihr das Bundesverfassungsgericht im Zuge der immer weiter voranschreitenden völkerrechtlichen Verflechtung Deutschlands längst den Gipfelpunkt ihrer Bedeutsamkeit überschritten haben.198 c) Das Verhältnis zu den Landesverfassungsgerichten Bundes- und Landesverfassungsgerichtsbarkeit haben bei oberflächlicher Betrachtung zunächst keine Berührungspunkte, sondern stehen – wie auch das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung betont  – grundsätzlich selbständig nebeneinander.199 Gleichwohl sind Verschränkungen durchaus gegeben. Als problematisch erweist sich insoweit vor allem das Verfahren der Individualverfassungsbeschwerde, das in elf von sechszehn Bundesländern vorgesehen ist.200 So ist insbesondere fraglich, wie weit die Prüfungskompetenz der Landesverfassungsgerichte reicht, wenn es um die Anwendung von Bundesrecht durch die Landesgerichte geht. Zwar ist anerkannt, dass tauglicher Beschwerdegegenstand einer Landesverfassungsbeschwerde nur ein Akt der jeweiligen Landesstaatsgewalt sein kann und alleiniger Prüfungsmaßstab die betreffende Landesverfassung ist. Aller­dings ist problematisch, ob ein Landesverfassungsgericht die Anwendung von Bundesrecht am Maßstab der jeweiligen Landesverfassung überprüfen kann oder anders gefragt: Ist ein Akt der Landesstaatsgewalt gegeben, wenn etwa das Amtsgericht eines Landes die ZPO zur Anwendung bringt? Mit einer solchen Kon­stellation hatte sich das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Vorlage des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs gemäß Art. 100 Abs. 3 GG im Jahr 1997 zu befassen.201 Das Landesverfassungsgericht in Leipzig wollte feststellen, dass die Zurückweisung eines angebotenen Zeugenbeweises als verspätet (§§ 277 Abs. 1, 282 Abs. 1, 296 Abs. 1 ZPO) durch das Amtsgericht Eilenburg gegen Art. 78 Abs. 2 SächsVerf (Recht auf rechtliches Gehör) verstößt.202 Es bejahte seine Prüfungskompetenz und setzte sich damit in Widerspruch zum Hessischen­ Staatsgerichtshof, der eine entsprechende Befugnis der Landesverfassungsgerichte vor dem Hintergrund des Art. 31 GG verneinte.203 197

So Hillgruber, JZ 2011, 861 (871). Näher hierzu Schönberger, in: Das entgrenzte Gericht, S. 9 (59 ff.); relativierend Jestaedt, in: Das entgrenzte Gericht, S. 77 (151 f.). 199 Vgl. BVerfGE 4, 178 (189); 6, 376 (381 f.); 22, 267 (270); 41, 88 (118); 60, 175 (209). 200 Keine Individualverfassungsbeschwerde gibt es in Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. In Baden-Württemberg gibt es sie erst seit 1.4.2013. 201 Vgl. BVerfGE 96, 345. 202 Vgl. BVerfGE 96, 345 (347 ff.). 203 Näher zur (damaligen) Auffassung der Landesverfassungsgerichte BVerfGE 96, 345 (352 ff.). 198

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In ihrer Entscheidung kamen die Karlsruher Richter zu dem Ergebnis, dass es den Landesverfassungsgerichten prinzipiell nicht verwehrt ist, die Anwendung von Prozessrecht des Bundes durch Fachgerichte der Länder einer Kontrolle am Maßstab der Landesverfassung zu unterziehen, stellte hierfür jedoch eine Reihe von Bedingungen auf.204 Danach kommt eine Landesverfassungsbeschwerde nicht in Betracht, wenn die Entscheidung eines Landesgerichts durch ein Gericht des Bundes in der Sache ganz oder teilweise bestätigt worden ist, denn in diesen Fällen fehlt es – worauf der Zweite Senat mit Recht hinweist – an einer Beschwer des Betroffenen durch ein Organ der Landesstaatsgewalt.205 Zutreffend ist es auch, wenn das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass vor Einlegung der Landesverfassungsbeschwerde zunächst der Rechtsweg erschöpft wird, weil die Aufhebung von Entscheidungen der Fachgerichte eines Landes durch das jeweilige Verfassungsgericht die Zuständigkeit des Bundes zur Regelung von Rechts- und Bestandskraft gerichtlicher Entscheidungen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG berührt: „In diesem Grenzbereich von Bundes- und Landeskompetenz bleibt Raum für den Landesgesetzgeber nur insoweit, als seine Regelung zur Erreichung des Zwecks der Landesverfassungsbeschwerde unerlässlich ist. Erst nach Erschöpfung des Rechtswegs steht fest, dass es [unabdingbar] ist, die fachgerichtliche Entscheidung zum Schutz der Grundrechte aufzuheben. Bis dahin kann eine Grundrechtsverletzung noch im bundesgesetzlich geregelten fachgerichtlichen Rechtsweg behoben werden.“206

Schließlich erlaubt das Bundesverfassungsgericht die Kontrolle, ob die Anwendung des Prozessrechts des Bundes durch die Landesgerichte im Einklang mit der jeweiligen Landesverfassung erfolgt ist, nur in Bezug auf inhaltsgleiche Landesgrundrechte.207 Hierbei handelt es sich um solche Rechte, die im Hinblick auf den konkret zu entscheidenden Fall zu demselben Ergebnis führen wie ein Grundrecht der Bundesverfassung.208 Dass Grundrechte in Landesverfassungen neben denen des Grundgesetzes überhaupt Bestand haben, wird in Art.  142 GG klargestellt. Danach bleiben „Bestimmungen der Landesverfassungen […] insoweit in Kraft, als sie in Übereinstimmung mit den Artikeln 1 bis 18 [des] Grundgesetzes Grundrechte gewährleisten“.209 Art. 142 GG enthält jedoch die Einschränkung „ungeachtet der Vorschrift des Artikels 31“, woraus folgt, dass ein Landesgrundrecht durchaus verdrängt werden kann, wenn es mit einfachem Bundesrecht kollidiert.210 Etwas anderes ist auch gar nicht möglich, denn der Bundesgesetzgeber 204

Vgl. BVerfGE 96, 345 (363). So BVerfGE 96, 345 (371); vgl. auch Sodan, LKV 2010, 440 (447); Zuck, Verfassungsbeschwerde, Rn. 271. 206 Vgl. BVerfGE 96, 345 (371 f.). Eine entsprechende Subsidiaritätsklausel ist in § 27 Abs. 2 Satz 1 Sächs VerfGHG vorgesehen. 207 Vgl. BVerfGE 96, 345 (373 f.). 208 Vgl. BVerfGE 96, 345 (374). 209 Die Vorschrift ist nach allgemeiner Auffassung weit auszulegen und umfasst insbesondere auch grundrechtsgleiche Gewährleistungen wie das Recht auf rechtliches Gehör, vgl. BVerfGE 96, 345 (364 f.); BeckOK-GG/Germann, Art. 142 Rn. 7. 210 Vgl. BVerfGE 96, 345 (365); Maunz/Dürig/Korioth, Art. 142 Rn. 15 m. w. N. 205

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ist nur an das Grundgesetz, nicht aber an die Verfassungen der Länder gebunden, so dass diese im Fall einer Normkollision nicht Prüfungsmaßstab sein können.211 Letztere liegt vor, wenn die betreffenden Normen des Bundes- und Landesrechts auf denselben Sachverhalt anwendbar sind und bei ihrer Anwendung zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen.212 Übertragen auf den in Rede stehenden Fall stellt sich also die Frage, ob der in Art. 78 Abs. 2 SächsVerf geregelte Anspruch auf rechtliches Gehör die Anwendung der einschlägigen Präklusionsvorschriften der ZPO beeinflussen kann oder nicht.213 Das Bundesverfassungsgericht stellt insoweit verallgemeinernd fest, dass die Kollision eines Landesgrundrechtes mit einfachem Bundesrecht jedenfalls dann ausgeschlossen sei, wenn ersteres einen bestimmten Gegenstand genauso regelte wie das entsprechende Bundesgrundrecht, weil in diesem Sinne inhaltsgleiche Verfassungsrechte eine konkrete Rechtslage widerspruchsfrei gestalten könnten.214 Verletze der richterliche Hoheitsakt also Grundrechte des Grundgesetzes, verstoße er zugleich auch gegen entsprechende inhaltsgleiche Landesverfassungsrechte und könne folglich vom Landesverfassungsgericht aufgehoben werden, anderenfalls müsse es die Verfassungsbeschwerde für unzulässig erklären.215 Mit dem Erfordernis der Inhaltsgleichheit soll also zum einen sichergestellt werden, dass der Zweck des Art. 31 GG (= Widerspruchs­freiheit der Rechtsordnung) erreicht wird, andererseits aber der Wirkungsbereich der Landesgrundrechte möglichst groß bleibt.216 Für die Verfassungsgerichtshöfe der Länder bedeutet die in Rede stehende Entscheidung zunächst auf den ersten Blick eine Stärkung, denn ihr Prüfungsumfang wird auch auf die Anwendung von Verfahrensrecht des Bundes erstreckt.217 Von echter Kooperation zwischen der Verfassungsgerichtsbarkeit des Bundes und derjenigen der Länder kann insoweit allerdings nicht gesprochen werden. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht ein Abhängigkeitsverhältnis konstruiert und die Landesverfassungsgerichte eng an sich „gekettet“.218 Bei der Klärung der Frage, ob die Anwendung des jeweiligen Bundesgrundrechts zu demselben Ergebnis wie das landesrechtliche Pendant führt (= Inhaltsgleichheit), sind die Ver 211 So mit Recht Menzel, NVwZ 1999, 1314 (1315); vgl. auch Klein/Haratsch, JuS 2000, 209 (212 f.). 212 Vgl. BVerfGE 96, 345 (364); BeckOK-GG/Hellermann, Art. 31 Rn. 13 m. w. N. 213 Vgl. Klein/Haratsch, JuS 2000, 209 (211). Diese Frage stellt sich freilich dann nicht, wenn man der (abzulehnenden) Auffassung folgt, wonach sich Art. 31 GG nur an den Gesetzgeber und nicht auch an den Rechtsanwender richte, so etwa Zierlein, AöR 120 (1995), 205 (235); Sobota, DVBl. 1994, 793 (797). 214 Vgl. BVerfGE 96, 345 (365, 374). 215 Vgl. BVerfGE 96, 345 (374). 216 Näher hierzu Klein/Haratsch, JuS 2000, 209 (211); Lange, NJW 1998, 1278 (1278 f.). 217 Vgl. Sodan, LKV 2010, 440 (448); Hain, JZ 1998, 620 (621); Pabel, in: Verfassungsrechtsprechung, S. 623 (626). 218 Zutreffend Lange, NJW 1998, 1278 (1280); ähnlich Hain, JZ 1998, 620 (621): „Parallelisierung der bundes- und landesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung“; Menzel, NVwZ 1999, 1314 (1316): „Vassalentum der Landesverfassungsgerichte“.

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fassungsgerichtshöfe der Länder nämlich gemäß § 31 BVerfGG an die Rechtsprechung der Karlsruher Richter gebunden. Wollen sie von letzterer abweichen, muss gemäß Art. 100 Abs. 3 Alt. 1 GG eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erfolgen. Damit kommen die Landesgrundrechte nur zum Zuge, wenn sie so ausgelegt werden wie es die Karlsruher Richter in Bezug auf die entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes tun. Salopp ausgedrückt müssen die Landesverfassungsgerichte also „copy and paste“ betreiben, um ihre Zuständigkeit herbeizuführen.219 Da die Landesgrundrechte nur zum Zug kommen, wenn sie wie die entsprechenden Bundesgrundrechte interpretiert werden und die Landesverfassungsgerichte ohnehin (auch) an das Grundgesetz gebunden sind (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG), mag man fragen, warum sie nicht direkt auf letzteres als Kontrollmaßstab zurückgreifen können. Das Bundesverfassungsgericht hat dies – mit Recht – verneint.220 Anders als z. B. den Verwaltungsgerichten, die einen Verwaltungsakt gemäß § 113 Abs.  1 VwGO bei Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz aufheben können, wurde den Landesverfassungsgerichten nämlich eine entsprechende Ermächtigung gerade nicht eingeräumt.221 Für diese muss es daher bei der jeweiligen Landesverfassung als zentrale Richtschnur bleiben. Wenn­ ihnen die Karlsruher Richter aber in dem Beschluss aus dem Jahr 1997 immerhin zugestehen, diesen Kontrollmaßstab (in den dargestellten Grenzen) auf die Überprüfung der Handhabung von Verfahrensrecht des Bundes anzuwenden, darf die zu diesem Zeitpunkt intensiv geführte Diskussion um eine Entlastung des Bundesverfassungsgerichtes nicht übersehen werden. So weist etwa Menzel darauf hin, dass die Karlsruher Richter den Landesverfassungsgerichten die Möglichkeit der Überprüfung von grundrechtsrechtsrelevanten Verfahrensfehlern – häufiger Gegenstand von Verfassungsbeschwerden – geben wollten, ohne im Hinblick auf die Anwendung von Prozessregelungen des Bundes eine Rechtszersplitterung entstehen zu lassen.222 Für den jeweils Betroffenen bedeutet diese Rechtsprechung eine Verdopplung des Grundrechtsschutzes, denn eine Verletzung inhaltsgleicher Rechte kann sowohl vor dem Bundes- als auch vor dem jeweiligen Landesverfassungsgericht geltend gemacht werden.223 Ein fader Beigeschmack bleibt freilich, weil die Verfassungsgerichtshöfe der Länder dabei letztlich nur Sprachrohre des Bundesverfassungsgerichtes sind und Verstöße gegen Landesgrundrechte, die nicht inhaltsgleich sind, unberücksichtigt bleiben müssen.224 Die Frage, ob auch die Anwendung materiellen Bundesrechts von den Landesverfassungsgerichten entsprechend der höchstrichterlichen Vorgaben aus Karlsruhe geprüft werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen

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Vgl. auch Menzel, NVwZ 1999, 1314 (1317), der von „Kopierzwang“ spricht. Vgl. bereits BVerfGE 36, 342 (368). 221 Näher hierzu Klein/Haratsch, JuS 2000, 209 (213). 222 Vgl. Menzel, NVwZ 1999, 1314 (1316). 223 Vgl. BVerfGE 96, 345 (368). 224 Vgl. Lange, NJW 1998, 1278 (1280 f.); Wittreck, DÖV 1999, 634 (637 f.); Pabel, in: Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 621 (625 f.). 220

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

gelassen.225 Es sind allerdings keine Gründe ersichtlich, die eine andere Beurteilung als in Bezug auf prozessrechtliche Regelungen rechtfertigen würden.226 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Überprüfung der grundrechtskonformen Anwendung von Bundesrecht klar „den Ton angibt“, gibt es dennoch Bereiche, in denen es den Verfassungsgerichtshöfen der Länder deutlich mehr Freiraum belässt. So hat es 1998 seine langjährige Rechtsprechung in Bezug auf Wahlen zu Volksvertretungen in den Ländern geändert und verzichtet seitdem darauf, die Einhaltung der speziellen wahlrechtlichen Gleichheitssätze der Art. 28 Abs. 1 Satz 2, 38 Abs. 1 Satz 1 GG im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu überprüfen.227 In der Entscheidung räumt das Bundesverfassungsgericht ein, dass vorgenannte Regelungen – die keine individuellen Rechtspositionen vermitteln – dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 GG vorgehen, so dass Wahlrechtsangelegenheiten in den Ländern mangels rügefähiger Grundrechtsverletzung nicht mehr tauglicher Beschwerdegegenstand einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG sein können.228 Im Wege der (abstrakten und konkreten) Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 100 Abs. 1 GG kann Landeswahlrecht freilich nach wie vor (auf seine Übereinstimmung mit den objektiv-rechtlichen Wahlrechtsgrundsätzen des Art.  28 Abs.  1 Satz  2 GG) vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden.229 Sofern dies in den Ländern jeweils vorgesehen ist, sind die Landesverfassungsgerichte aber im Rahmen der Verfassungsbeschwerde allein für die Gewährleistung des subjektiven Wahlrechts zuständig. Nicht unerwähnt bleiben darf im vorliegenden Zusammenhang auch die Tat­ sache, dass das Bundesverfassungsgericht seine „Elfes“-Rechtsprechung mit Blick auf die Eigenständigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder schon früh dahingehend eingeschränkt hat, dass es die Vereinbarkeit von Landesrecht mit der jeweiligen Landesverfassung nicht im Wege einer auf die Verletzung von Art. 2 Abs.  1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde nachprüfen wird.230 Zur Begründung führen die Karlsruher Richter an, dass die Eigenständigkeit der Landes­ verfassungsgerichte ansonsten praktisch weitgehend ausgehöhlt wäre.231

225 Vgl. BVerfGE 96, 345 (362); Überblick über die entsprechende Rechtsprechungspraxis der Landesverfassungsgerichte bei Sodan, LKV 2010, 440 (448). 226 Ebenso BayVGHE  43, 12 (17); 49, 67 (70 f.); Sodan, LKV 2010, 440 (448); Menzel, NVwZ 1999, 1314 (1315); v. Zezschwitz, NJW 1999, 17 (19 f.); Klein/Haratsch, JuS 2000, 209 (214) m.w.N; grundsätzlich gegen eine Befugnis der Landesverfassungsgerichte die Anwendung von formellem und materiellem Bundesrecht durch Landesstaatsgewalt zu überprüfen Lemhöfer, NJW 1996, 1714 (1720 ff.). 227 Vgl. BVerfGE 99, 1 ff. 228 Näher hierzu BVerfGE 99, 1 (8 ff.); siehe dazu auch Lenz, NJW 1999, 34 ff. 229 Vgl. BVerfGE 99, 1 (12). 230 Vgl. BVerfGE 41, 88 (118 ff.); 45, 400 (413); 60, 175 (209). 231 So BVerfGE 41, 88 (119).

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d) Das Verhältnis zu den Fachgerichten Die Frage, in welchem Verhältnis das Bundesverfassungsgericht zu den Fach­ gerichten steht und vor allem wie weit diesbezüglich seine Kompetenzen reichen, ist von erheblicher Relevanz. Ein Blick auf die Statistik macht dies deutlich: Von den 6.686 im Jahr 2013 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfahren waren rund 97 % Verfassungsbeschwerden, die sich weit überwiegend – nämlich in etwa neun von zehn Fällen – gegen Gerichtsentscheidungen richteten.232 Ursache hierfür ist der Umstand, dass vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs.  2 Satz  1 BVerfGG zunächst der Rechtsweg erschöpft werden muss. Nur dort, wo ein solcher (etwa bei Gesetzen) nicht vorgesehen ist, kann direkt das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Die sogenannte Entscheidungsverfassungsbeschwerde233 prägt also maßgeblich den Rechtsprechungsalltag der Karlsruher Richter. Zentrales Problem ist dabei die Frage, inwieweit die Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte vom Bundesverfassungsgericht nachgeprüft werden kann. Neben der Kompetenzabgrenzung zur Legislative ist dies seit jeher einer der Schwerpunkte innerhalb der Diskussion um die Befugnisse des höchsten deutschen Gerichts. Zwar ist Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts allein das Grundgesetz. Über Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG kann jedoch letztlich jede Verletzung einfachen Rechts im Wege der Verfassungsbeschwerde gerügt werden. Legt ein Fachgericht nämlich z. B. eine Norm der StPO fehlerhaft aus, verstößt es gegen Art. 20 Abs. 3 GG (Gesetzesbindung) und setzt sich damit in Widerspruch zur verfassungsmäßigen Ordnung, was es dem Betroffenen erlaubt, eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs.  1 GG geltend zu machen.234 Das ist die maßgebliche Konsequenz aus der­ „Elfes“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ferner stellt die falsche Gesetzesanwendung eine Ungleichbehandlung dar, für die sich eine sachliche Rechtfertigung schwerlich finden lässt, so dass auch ein Verstoß gegen Art.  3 Abs. 1 GG in Rede steht.235 Will das Bundesverfassungsgericht nun überprüfen, ob die gerügte Grundrechtsverletzung tatsächlich gegeben ist, muss es eine Kontrolle der Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte vornehmen. Dabei kommt ihm (materiell-rechtlich) auch die im „Lüth“-Urteil entwickelte These vom Grundgesetz als „objektiver Wertordnung“ zu Gute, die es den Karlsruher Richtern erlaubt, letztlich die gesamte Rechtsordnung (einschließlich der Rechtsverhältnisse zwischen Privatpersonen) am Maßstab der Grundrechte zu überprüfen.236

232 Prozentangaben nach eigener Berechnung anhand der Jahresstatistik des Bundesverfassungsgerichts, abrufbar unter www.bundesverfassungsgericht.de/organisation/statistik_2013. html (zuletzt abgerufen am 25.4.2014). 233 Die häufig verwendete Bezeichnung „Urteilsverfassungsbeschwerde“ ist ungenau. 234 Vgl. Hensel, Der Staat 2011, 581 (584); Zuck, JZ 2007, 1036 (1037). 235 Vgl. Rennert, NJW 1991, 12 (12 f.); Kenntner, NJW 2005, 785 (785 f.). 236 Ausführlich hierzu Lepsius, in: Das entgrenzte Gericht, S. 159 (86 ff.).

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

Damit verfügt das Bundesverfassungsgericht also über alle Kompetenzen, die es benötigt, um als „Superrevisionsinstanz“ tätig werden zu können. Die Aus­ übung einer solchen Funktion durch die Karlsruher Richter wird jedoch bekanntlich allgemein abgelehnt.237 Das zentrale hierfür ins Feld geführte Argument, wonach die Auslegung des einfachen Rechts nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung ausschließlich Angelegenheit der Fachgerichte sei238, erweist sich allerdings bei genauerer Betrachtung als nicht durchschlagend. So wenig wie das Bundesverfassungsgericht allgemeiner Ansicht nach allein zum Grundrechtsschutz berufen ist, kann die Interpretation des einfachen Rechts nur Sache der Fachgerichte sein. Wenn nun – wie soeben gesehen – bei fehlerhafter Anwendung etwa der VwGO oder des BGB eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG im Raum steht, muss es den Karlsruher Richtern selbstverständlich möglich sein, die Gesetzesauslegung der mit der jeweiligen Sache befassten Gerichte zu überprüfen. Wenn ferner behauptet wird, dass jedenfalls die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes grundsätzlich allein Sache der allgemein zuständigen Gerichte sei und daher nicht der Prüfung des Bundesverfassungsgerichtes unterfalle,239 überzeugt auch das in dieser Stringenz nicht. Bereits ein Blick auf § 26 BVerfGG zeigt, dass es durchaus zur Ermittlung des Sachverhaltes befugt ist.240 Nach dieser Vorschrift erhebt das Bundesverfassungsgericht nämlich „den zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweis“ und kann hierfür auch Zeugen und Sachverständige anhören (§ 28 BVerfGG). Rechtlich steht somit einer umfassenden Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen durch die Karlsruher Richter nichts im Wege. Angesichts dessen wird allerdings in Teilen der Literatur vor den Gefahren fachgerichtlicher Autonomieverluste gewarnt.241 Begründet ist dies freilich nicht, denn es ist schließlich wesentliches Merkmal eines den Instanzenweg eröffnenden Rechtsschutzsystems, dass die Entscheidung eines Gerichts durch ein höherrangiges kontrolliert werden kann. Überprüft also das Bundesverfassungsgericht z. B. das Urteil eines Oberlandesgerichtes auf Fehler bei der Anwendung einfachen Rechts, ist nicht ersichtlich, inwieweit dadurch dessen Autonomie in höherem Maße tangiert wird, als wenn dies durch den Bundesgerichtshof geschieht. Was tatsächlich gegen ein „Superrevision“ bzw. „Superberufung“ betreibendes Bundesverfassungsgericht spricht, ist schlicht der Umstand seiner begrenzten Ressourcen, die eine solchermaßen umfassende Kontrolle nicht zulassen. Die Karlsruher Richter haben die (faktische)  Notwendigkeit einer Begrenzung ihres Prüfungsumfangs selbst frühzeitig erkannt und deshalb ihre Kontrolltätigkeit auf die Verletzung „spezifischen Verfassungsrechts“ beschränkt.242 Dieser Ausdruck wird mit Recht als sprachlich missglückt kritisiert, weil er suggeriert, dass es um eine 237 Vgl. Beck, ZGS 2008, 21 (23); Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 90 Rn. 293 m. w. N. 238 Vgl. etwa Alleweldt, S. 174. 239 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 90 Rn. 293 m. w. N. 240 Vgl. Korioth, FS BVerfG, S. 55 (63). 241 So etwa Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 90 Rn. 294. 242 Vgl. BVerfGE 1, 418 (420).

II. Möglichkeiten und Grenzen verfassungsgerichtlicher Judikatur 

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ganz bestimmte Gruppe von Normen des Grundgesetzes geht, die für das Bundesverfassungsgericht prüfungsrelevant ist, obwohl lediglich der Verfassungsverstoß durch bloße Verletzung des einfaches Rechts durch die Fachgerichte von der Kontrolle ausgenommen werden soll.243 Was unter spezifischem Verfassungsrecht zu verstehen ist, hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1964 mit der viel zitierten „Heck’schen Formel“ zu konkretisieren versucht und entsprechend ausgeführt: „Allgemein wird sich sagen lassen, daß die normalen Subsumtionsvorgänge innerhalb des einfachen Rechts so lange der Nachprüfung des Bundesverfassungsgerichts entzogen sind, als nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind.“244

In der Folgezeit ist die „Heck’sche Formel“ seitens des Bundesverfassungsgerichts noch dahingehend erweitert worden, dass es seine Kontrollkompetenz auch dann wahrnimmt, wenn die fachgerichtliche Entscheidung im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung von Grundrechten führt oder willkürlich ist.245 Weil die in der Formel enthaltenen Begriffe („grundsätzlich unrichtig“; „willkürlich“; „von einigem Gewicht“ usw.) wenig griffig sind, ist mittlerweile eine nur noch schwer überschaubare Kasuistik zu der Frage entstanden, wann die Karlsruher Richter eine fachgerichtliche Entscheidung intensiv überprüfen und wann nicht.246 Auf eine detaillierte Darstellung der verschiedenen Fallgruppen soll hier verzichtet werden, denn diese wäre nur sinnvoll, wenn sie zu klaren Kriterien für die Kompetenzabgrenzung zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit führen würde. Das ist indes nicht der Fall. Diesbezüglich hat Korioth – stellvertretend für die allgemeine Ansicht – treffend resümiert, dass sich in Bezug auf die Bestimmung des Prüfungsumfanges ein System nicht erkennen lasse und sich vielmehr richterliche Pragmatik mit flexiblen dogmatischen Versatzstücken verbinde, die angewendet oder beiseite gelassen werden könnten.247 Die Karlsruher Richter haben dies auch nie bestritten und schon im Zusammenhang mit der Postulierung der „Heck’schen Formel“ deutlich gemacht: „Freilich sind die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts nicht immer allgemein klar abzustecken; dem richterlichen Ermessen muss ein gewisser Spielraum bleiben, der die Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelfalls ermöglicht.“248

Deutlich wird dies u. a. am Kriterium der „hohen Eingriffsintensität“, das vom Bundesverfassungsgericht häufig ins Feld geführt wird, um eine umfassende Kontrolle der Anwendung des einfachen Rechts zu rechtfertigen und mitunter auch 243

Vgl. Korioth, FS BVerfG, S. 55 (62); Starck, JZ 1996, 1033 (1035). BVerfGE 18, 85 (93). 245 Vgl. etwa BVerfGE 66, 324 (329 f.); 57, 39 (42). 246 Überblick bei Schlaich/Korioth, Rn. 288 ff. 247 So Korioth, FS BVerfG, S. 55 (74); siehe ferner Hensel Der Staat 2011, 581 (586) m. w. N. 248 BVerfGE 18, 85 (93). 244

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

die eigene Wertung an die Stelle des jeweiligen Instanzgerichtes setzen zu können.249 Man sollte deshalb meinen, dass die Karlsruher Richter vor allem Entscheidungen in Strafsachen umfassend nachprüfen, was jedoch – von Ausnahmen wie etwa der „Soldaten sind Mörder“-Entscheidung250 abgesehen – regelmäßig gerade nicht geschieht.251 Sogar bei drohender Foltergefahr im Falle einer Auslieferung hat sich das Bundesverfassungsgericht schon auf eine reine Willkürkontrolle beschränkt.252 Andererseits hat es gerade auf dem Gebiet des Zivilrechts, wo die Grundrechte bekanntermaßen nur mittelbare Drittwirkung entfalten, detaillierte Überprüfungen fachgerichtlicher Entscheidungen vorgenommen. Das gilt u. a. für den Bereich des Mietrechts, was dem Bundesverfassungsgericht vereinzelt den etwas spöttischen Titel des „obersten Mietgerichts“ beschert hat.253 Im Bereich der Justizgrundrechte (vor allem des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG) hat es anfangs die Verletzung der entsprechenden einfach-rechtlichen Verfahrensregelungen mit einem Verfassungsverstoß gleichgesetzt. So konnte beispielsweise schon die fehlerhafte Anwendung von Fristregelungen durch die Fachgerichte ohne Weiteres zur Grundgesetzverletzung werden. Dementsprechend heißt es etwa in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1965: „Ebenso kann die Partei darauf vertrauen, dass das Gericht sich bei der Berechnung [der] Äußerungsfrist an die gesetzlichen Bestimmungen hält. Eine Verletzung dieser Regelungen] einfachen Rechts kann daher zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG enthalten. Er ist [deshalb] auch dann verletzt, wenn das Gericht – wie im vorliegenden Fall – § 222 Abs. 2 ZPO aus Rechtsirrtum oder Versehen nicht angewendet hat.“ 254

Die Ursache für dieses ausgeprägte Engagement des Bundesverfassungsgerichtes im Bereich des Art. 103 Abs. 1 GG ist letztlich auf die lange Zeit äußerst unzureichenden prozessualen Möglichkeiten der Instanzgerichte zur Selbstkorrektur (z. B. beim Übersehen von Anträgen, bei fehlerhaften Fristberechnungen usw.) zurückzuführen.255 Deshalb waren die Karlsruher Richter gewissermaßen zu einer Art „Pannenhilfe“ gezwungen, wenn etwa – bis zur Einfügung des § 321a ZPO im Jahr 2001 – ein Gehörsverstoß im amtsgerichtlichen Zivilverfahren mangels zur Verfügung stehenden Rechtsmittels256 nicht mehr anders als im Wege der Verfassungsbeschwerde korrigiert werden konnte. Seit geraumer Zeit ist das Bundesverfassungsgericht nun allerdings bemüht, die durch die beschriebene Rechtsprechung zu Art. 103 Abs. 1 GG hervorgerufene erhebliche Arbeitslast wieder einzudämmen und hat daher den Prüfungsumfang auf diesem Gebiet 249

Grundlegend dazu BVerfGE 42, 143 (149). Vgl. BVerfGE 93, 266. 251 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 308; Kenntner, NJW 2005, 785 (787). 252 Vgl. BVerfG NVwZ 2003, 1499 (1500); NJW 2004, 1858 (1858). 253 So etwa Honsell, ZIP 2009, 1689 (1696). 254 BVerfGE 18, 380 (384). 255 Näher hierzu Schumann, NJW 1985, 1134 ff. 256 Vgl. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO: Zulässigkeit der Berufung nur bei Überschreiten der Wertgrenze (derzeit 600 €). 250

II. Möglichkeiten und Grenzen verfassungsgerichtlicher Judikatur 

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immer weiter eingeschränkt.257 Außerdem wurden die Anforderungen an die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei Verfahrensrügen deutlich verschärft, die Fachgerichte aufgefordert, Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte möglichst durch Selbstkontrolle im Instanzenzug zu beheben258 und schließlich der Gesetzgeber durch Plenarbeschluss vom 30.4.2003259 verpflichtet, Lücken im Bereich des Rechtsschutzsystems für Gehörsrügen nach Art. 103 Abs. 1 GG zu schließen. Letzteres ist durch das am 1.1.2005 in Kraft getretene „Anhörungsrügengesetz“260 geschehen. Gleichwohl entfällt auf Verfassungsbeschwerden, die eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten geltend machen, nach wie vor ein Löwenanteil. Man könnte gewiss noch mehr Beispiele anführen, die deutlich machen, dass in der verfassungsgerichtlichen Judikatur keine klare Richtschnur erkennbar ist, mit Hilfe derer sich auch nur einigermaßen präzise im Vorfeld bestimmen ließe, ob und in welcher Intensität die Karlsruher Richter eine instanzgerichtliche Entscheidung überprüfen werden. Es wurde bereits ausgeführt, dass eine zu starre Festlegung auf bestimmte Prinzipien seitens des Bundesverfassungsgerichtes auch gar nicht gewollt ist. Man kann ihm diese Offenheit der Rechtsprechung aber aus wenigstens zwei Gründen kaum vorwerfen. Zum einen ist es das legitime Bestreben aller Gerichte, sich einen gewissen Entscheidungsspielraum zu belassen, so dass beispielsweise das Ergebnis einer Revision zum Bundesarbeitsgericht häufig nicht mit größerer Zuverlässigkeit prognostiziert werden kann als das Resultat einer Verfassungsbeschwerde.261 Zum anderen ist es auch der Staatsrechtswissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, konkrete Kriterien zu benennen, die eine hinreichend klare Kompetenzabgrenzung zwischen Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten ermöglichen würde.262 Die Staatsrechtslehrer­ tagung, die sich im Jahr 2001 schwerpunktmäßig mit dieser Thematik befasste, konnte daran ebenfalls nichts ändern.263 Vielfach wird daher inzwischen akzeptiert, was die ehemalige Verfassungsrichterin Rupp-von Brünneck bereits 1976 klar auf den Punkt gebracht hat: „Die Frage, wo die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des BVerfG liegen […], wird voraussichtlich immer problematisch bleiben. Das BVerfG steht hier zwischen Scylla und Charybdis: Ein Zuwenig an verfassungsgerichtlicher Prüfung kann die Effektivität des Grundrechtsschutzes beeinträchtigen, ein Zuviel die angemessene Funktionsteilung im 257 Vgl. etwa BVerfGE 60, 305 (311); 74, 228 (233) – für Art. 103 Abs. 1 GG; BVerfGE 96, 68 (77) – für Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. 258 Vgl. BVerfGE 47, 182 (190 f.); 73, 322 (327 ff.). 259 Vgl. BVerfGE 107, 395. 260 Vgl. BGBl. I 2004, S.  3220; vgl. zu den Auswirkungen des Gesetzes auf das Rechtsbeschwerdeverfahren nach den §§ 116 ff. StVollzG Bachmann, ZIS 2012, 545 (545). 261 So etwa Zuck, Verfassungsbeschwerde, Rn.  592, der mit Recht darauf hinweist, dass auch im Zivilrecht mit sehr deutungsoffenen Begriffen (z. B. Angemessenheit) operiert wird. 262 Vgl. Papier, DVBl. 2009, 473 (478); Beck, ZGS 2008, 21 (24); Zuck, JZ 2007, 1036 (1037); Alleweldt, S. 166; Korioth, FS BVerfG, S. 55 (74); siehe ferner Hensel, Der Staat 2011, 581 (587), wonach insgesamt eine gewisse Resignation festzustellen sei. 263 Näher hierzu Alleweldt, S. 160 ff.

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten  Verhältnis des BVerfG zu den anderen Gerichten stören und dem BVerfG eine quantitativ und – wegen des Umfangs der Spezialisierung des sogenannten ‚einfachen‘ Rechts – auch qualitativ nicht tragbare Last aufbürden.“ 264

Zwar wird bis heute immer wieder Kritik an einzelnen Entscheidungen geäußert, die Schwammigkeit verfassungsgerichtlicher Abgrenzungsformeln angeprangert oder dem Bundesverfassungsgericht die Befugnis zur Auslegung des einfachen Rechts ausdrücklich abgesprochen. Häufig – und zumeist im selben Atemzug – wird sodann aber auf eine Linie umgeschwenkt, die keinen nennenswerten Unterschied mehr zu derjenigen der Karlsruher Richter erkennen lässt. So stellt etwa Bethge265 nicht ohne Vehemenz fest, dass dem Bundesverfassungsgericht die Überprüfung der richtigen Interpretation des einfachen Rechts (einschließlich der Feststellung der Tatsachen) untersagt sei, um dann aber einzugestehen, dass es die Effektivität des Grundrechtsschutzes und die Einzelfallgerechtigkeit sogar gebieten könnten, den von den Fachgerichten vernachlässigten Sachverhalt im verfassungsgerichtlichen Verfahren aufzuklären. Abgesehen davon, dass dem Bundesverfassungsgericht nach hier vertretener Auffassung die von Bethge bestrittene Prüfungskompetenz durchaus zukommt, nehmen die Karlsruher Richter – wie gezeigt – doch selbst gar nicht mehr für sich in Anspruch als in besonders gelagerten Einzelfällen eine umfassende Kontrolle der instanzgerichtlichen Rechtsanwendung und Tatsachenfeststellung vorzunehmen. Korioth wiederum bezeichnet die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts bei der Überprüfung von Auslegung und Anwendung einfachen Rechts als „Dekor ohne methodisches Konzept“266, sieht andererseits aber Gründe, die für eine „Alternativlosigkeit des verfassungsgerichtlichen Vorgehens“ sprechen267. Auf die Darstellung weiterer Beispiele soll hier verzichtet werden. Sie würde nur bestätigen, was ohnehin schon deutlich geworden ist: Das Bundesverfassungsgericht kann aus faktischen – nach h. M. auch aus rechtlichen Gründen  – weder als Superrevisions- noch als Superberufungsinstanz tätig werden, weshalb es im Hinblick auf seine Kontrolltätigkeit einschränkender Kriterien bedarf. Die von ihm selbst aufgestellten Maßstäbe (spezifisches Verfassungsrecht, Eingriffsintensität) erlauben jedoch keine präzise Bestimmung des Prüfungsumfangs im jeweiligen Einzelfall und sollen es nach dem Willen der Karlsruher Richter auch gar nicht. In der Literatur wird diese Rechtsprechung zwar vielfach kritisiert, aber zugleich keine Alternative angeboten, die auch nur ansatzweise auf allgemeine Zustimmung stößt. Da aber auch für das Bundesverfassungsgericht der Gedanke gelten muss, dass niemand verpflichtet ist, Unmögliches zu leisten („ultra posse nemo obligatur“), kann man ihm in Bezug auf seinen Umgang mit Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen letztlich keinen Vorwurf machen. Weder das Grundgesetz noch das einfache Recht geben dem Bundesverfassungsgericht konkrete Maßstäbe vor, in welcher Intensität es 264

BVerfGE 42, 143 (154). Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 90 Rn. 293. 266 Vgl. Korioth, FS BVerfG, S. 55 (68). 267 Näher hierzu Korioth, FS BVerfG, S. 55 (74); ebenso Gündisch, NJW 1981, 1813 (1819 f.). 265

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im jeweiligen Einzelfall Kontrolle auszuüben hat – ihm kommt hier vielmehr ein weitgehendes Ermessen zu. Das Bundesverfassungsgericht unterliegt bei der Kontrolle von Akten der Judikative aber selbstverständlich den sich aus seinem Gerichtscharakter ergebenden Grenzen, auf die bereits hingewiesen wurde.268 Wer den Spielraum des Bundesverfassungsgerichtes gegenüber den Instanzgerichten noch stärker begrenzen möchte, muss – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der unzähligen erfolglosen Versuche in den vergangenen Jahrzehnten – zu der Einsicht gelangen, dass dies ohne gesetzgeberisches Zutun nicht zu realisieren ist. Denkbar wäre z. B. eine Änderung des Art.  2 Abs.  1 GG dahingehend, dass nicht mehr die Freiheit des Einzelnen, zu tun und zu lassen, was er will, geschützt wird, sondern die freie Entfaltung der Persönlichkeit.269 Auch die vollständige Abschaffung der Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsentscheidungen wird immer wieder vorgeschlagen.270 Verfassungsrechtlich wäre dies zulässig, denn wenn sogar die Verfassungsbeschwerde im Ganzen nicht zum durch Art. 79 Abs.  3 GG geschützten Kernbereich des Grundgesetzes gehört, dann erst recht auch einzelne Spielarten.271 In Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Meinung wäre ein solches Vorgehen gleichwohl abzulehnen. Selbst Zuck – viele Jahre Verfechter einer Streichung der Verfassungsbeschwerde gegen Akte der Judikative272 – hält an entsprechenden Forderungen ausdrücklich nicht mehr fest.273 Diese Verfahrensvariante abzuschaffen, hieße nämlich den Charakter des Bundesverfassungsgerichtes grundlegend zu verändern und wäre nichts anderes als ein großer Schritt zurück in Richtung von Staatsgerichtshöfen älterer Tradition, die vor allem einem kleinen Kreis von Staatsorganen und Körperschaften des öffentlichen Rechts offen stehen.274 Der individuelle Grundrechtsschutz würde­ damit letztlich weitgehend nach Straßburg zum EGMR verlagert und dort zu­ (weiter) steigender Arbeitslast führen.275 Ein solcher „Verschiebebahnhof“ erscheint gewiss nicht wünschenswert. Sowohl bei Betrachtung der gegenwärtigen Situation als auch der vergangenen Jahrzehnte hat man allerdings im Ganzen gesehen nicht unbedingt den Eindruck, dass das Verhältnis zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den anderen Gerichten so untragbar ist, dass es grundsätzlich neu gestaltet werden müsste. Über einzelne Entscheidungen kann und wird man freilich immer kritisch diskutieren können. Im Großen und Ganzen kann dem Bundesverfassungsgericht 268

Siehe hierzu oben B.II.1.c)dd) und ee). Vgl. dazu das Sondervotum von Grimm in BVerfGE 80, 137 (165) – „Reiten im Walde“. 270 So zuletzt von Pagenkopf, ZRP 2012, 42 (43). 271 Vgl. Graf Vitzthum, JöR 53 (2005), S. 319 (331). 272 Vgl. DVBl. 1979, 383 (388). 273 Vgl. Zuck, Verfassungsbeschwerde, Rn. 324. 274 Vgl. Gusy, in: Das Bundesverfassungsgericht im politischen System, S. 201 (213); siehe auch Jestaedt, in: Das entgrenzte Gericht, S. 77 (118), der auf die unvermindert hohe Bedeutung der Entscheidungsverfassungsbeschwerde als „Rechtsschutz-Ventil“ für den Bürger hinweist. 275 Vgl. Kunig, VVDStrL 61 (2002), S. 34 (63). 269

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aber ein verantwortungsvoller Umgang mit seinem großen Spielraum bei der Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen attestiert werden. Vielfach musste es seine Kompetenzen auch nutzen, um Defizite an anderer Stelle zu kompensieren. Zu den wichtigsten Beispielen hierfür zählt der bereits erwähnte Bereich der Verfahrensgrundrechte (insbesondere des Art.  103 Abs.  1 GG), wo lange Zeit nur die Karlsruher Richter noch wirksame Abhilfe bei Verstößen gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs schaffen konnten. Dass sich das Bundesverfassungsgericht hier mit zahlreichen Bagatellfällen auseinandersetzen musste, ist nicht ihm selbst zuzuschreiben, sondern vor allem den Versäumnissen des Gesetzgebers. Auch die Tatsache, dass die Instanzgerichte bisher  – von seltenen Ausnahmefällen abgesehen – stets die Entscheidungen der Karlsruher Richter akzeptiert haben, zeigt, dass das Verhältnis zwischen den Beteiligten weitgehend komplikationslos ist.276 Die Fachgerichte bekommen schließlich in aller Regel vom Bundesverfassungsgericht eine „gute Arbeit“ bescheinigt. So musste letzteres  – um nur eine Zahl zu nennen – zwischen 1991 und 2010 über 18.170 Verfassungsbeschwerden gegen höchstrichterliche Entscheidungen befinden und gab dabei nur in 313 Fällen den Beschwerden statt, was einer Erfolgsquote von gerade einmal 1,72 % entspricht.277 Man sollte das Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und Instanzgerichten daher weit weniger dogmatisch sehen und stattdessen mehr Pragmatik walten lassen.278 Schließlich geht es in diesem Beziehungsgefüge nicht um den Gewaltenteilungsgrundsatz oder andere fundamentale Verfassungsprinzipien, sondern – ohne dies geringschätzen zu wollen – „nur“ um die (faktische) Problematik der begrenzten Ressourcen des Bundesverfassungsgerichtes und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, diese möglichst effektiv und sachangemessen einzusetzen. Deshalb können für die Karlsruher Richter in diesem Bereich auch keinesfalls weitergehende Beschränkungen gelten als im Verhältnis zu Legislative und Exekutive. 4. Zusammenfassung Eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen Bundesverfassungsgericht und den anderen Gerichten ist also letztlich ebenso wenig möglich wie mit der ersten und zweiten Gewalt. Wo Rechtsprechung endet und Politik anfängt, wird sich nie mit letzter Gewissheit feststellen lassen. Nichts anderes gilt in Bezug auf die Unterscheidung von spezifischen und sonstigen Verfassungsverstößen. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts ist dennoch nicht unbeschränkt. In rechtlicher Hinsicht ist es vor allem Art.  92 GG, der den Karlsruher Richtern vergleichsweise 276 Näher hierzu (auch mit Beispielen für Auseinandersetzungen zwischen dem Bundesverfassungsgericht und einzelnen Instanzgerichten) Jestaedt, in: Das entgrenzte Gericht, S. 77 (93 ff.). 277 Vgl. Jestaedt, in: Das entgrenzte Gericht, S. 77 (117 f.). 278 In diesem Sinne bereits Rupp-von Brünneck in ihren Sondervoten in BVerfGE 30, 173 (220); 42, 143 (154).

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konkrete und weitgehend anerkannte Grenzen setzt: kein Initiativrecht, nur kassatorische Kontrolle, Gesetzesbindung. Faktisch verhindern zudem Ressourcenknappheit und Akzeptanzabhängigkeit eine allzu weitgehende Kontrolltätigkeit des Bundesverfassungsgerichtes. Die Unmöglichkeit, den Kompetenzbereich der Karlsruher Richter trennscharf zu umreißen, macht eine „in dubio pro“-Regelung notwendig, die aufgrund der im Grundgesetz verankerten Rolle des Bundesverfassungsgerichtes als letztverbindlicher Verfassungsinterpret nur lauten kann: Im Zweifel für das Bundesverfassungsgericht. Unumstößlich ist diese KompetenzKompetenz, die letzterem damit faktisch zukommt, nicht, denn für den Gesetzgeber verbleibt in jedem Fall der Weg einer Verfassungsänderung bzw. -konkretisierung. Das ist freilich ein „heißes Eisen“ und dürfte nur dann erfolgversprechend sein, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Akzeptanz so weitgehend eingebüßt hat, dass ein entsprechendes Vorgehen für die jeweils handelnden politischen Akteure möglich ist, ohne Gefahr zu laufen, sich die „Finger zu verbrennen“.

III. Verfahrensrechtliche Kompetenzen Im Rahmen der bisherigen Ausführungen stand vor allem die Frage im Mittelpunkt, inwieweit das Bundesverfassungsgericht Akte der verschiedenen Gewalten inhaltlich überprüfen kann. Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, welche Befugnisse den Karlsruher Richtern in prozessrechtlicher Hinsicht zukommen. Dabei werden aber nur diejenigen Verfahrensarten thematisiert, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit Relevanz erlangen, und zwar: Verfassungsbeschwerde, konkrete Normenkontrolle und einstweilige Anordnung. 1. Die Verfassungsbeschwerde a) Funktion Die Verfassungsbeschwerde, die zunächst nur im BVerfGG geregelt war und erst im Jahr 1969 im Grundgesetz verankert wurde, dominiert den Alltag des Bundesverfassungsgerichtes. Sie gewährt „jedermann“ unter den sich aus Art. 93 Abs.  1 Nr.  4a GG, §§ 13 Nr.  8a, 90 ff. BVerfGG ergebenden Voraussetzungen Rechtsschutz in Bezug auf Akte der öffentlichen Gewalt. Zu letzteren gehört insbesondere, dass der Beschwerdeführer die Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten durch die öffentliche Gewalt geltend macht. Erforderlich ist also die Bezugnahme auf eine individuell gewährleistete Rechtsposition, so dass der im Grundgesetz angelegte Zweck der Verfassungsbeschwerde ein subjektiver ist.279 Dabei ist freilich nicht zu verkennen, dass vorgenannte­ 279

Ebenso Wagner, NJW 1998, 2638 (2639); siehe ferner Zuck, Rn. 83, der diesen Befund zusätzlich auf entstehungsgeschichtliche Erwägungen stützt.

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Verfahrensart auch eine objektive Dimension aufweist, die allerdings – entgegen vielfach vertretener Auffassung  – nicht als gleichrangig, sondern vielmehr als­ Nebeneffekt angesehen werden muss und keineswegs die vielfach behauptete These von der „Doppelfunktion“ der Verfassungsbeschwerde rechtfertigt.280 Dies zeigt insbesondere die Begründetheitsprüfung innerhalb derer  – als zwangsläufige Folge der bereits erläuterten „Elfes“-Rechtsprechung – letztlich das gesamte Verfassungsrecht Prüfungsmaßstab ist und fortgebildet werden kann. Es ist also möglich, die Verfassungsbeschwerde z. B. auf die Behauptung zu stützen, dass ein Gesetz deswegen Art. 12 Abs. 1 GG verletze, weil es kompetenz- oder verfahrenswidrig zu Stande gekommen sei und daher mit (objektivem) Verfassungsrecht nicht in Einklang stehe.281 Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist dabei aber stets das im konkreten Fall geltend gemachte Grundrecht, denn ein Verstoß gegen objektive Bestimmungen des Grundgesetzes ist für die Verfassungsbeschwerde­ irrelevant, solange damit nicht zugleich eine Verletzung von individuellen Grundrechtspositionen einhergeht.282 Objektive Gesichtspunkte können freilich auch in anderen Zusammenhängen Bedeutung erlangen. Dies zeigt sich etwa daran, dass die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 1 BVerfGG der Annahme zur Entscheidung bedarf und der objektive Annahmegrund in § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG („grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung“) letztlich im Einzelfall den Gesichtspunkt des Individualrechtsschutzes in den Hintergrund treten lässt. Andererseits können objektive Gesichtspunkte den Grundrechtsschutz auch verstärken. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die Regelung in § 90 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BVerfGG, die für den Fall, dass die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist, eine Ausnahme vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung statuiert und damit eine Beschleunigung des Rechtsschutzes bewirkt. Beschränkungen und Erweiterungen des im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gewährten subjektiven Grundrechtsschutzes durch objektive Umstände kommen aber nur dann in Betracht, wenn sie rechtlich verankert sind. Keinesfalls ist es zulässig, diese aus der abstrakten Behauptung einer objektiven Funktion der Verfassungsbeschwerde  – gewissermaßen „freischwebend“  – abzuleiten. Dieser Versuchung zu widerstehen, gelingt dem Bundesverfassungsgericht jedoch nicht immer. Ein Beispiel, und zwar das am 14.7.1998 ergangene Urteil zur Rechtschreibreform, soll dies verdeutlichen. In dieser Entscheidung stellten die Karlsruher Richter den Grundsatz auf, trotz Rücknahme über eine Verfassungsbeschwerde entscheiden zu können, wenn diese gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BVerfGG wegen ihrer allgemeinen Bedeutung zur Entscheidung angenommen worden sei, bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe und die­

280 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 90 Rn. 9; Zuck, Rn. 96; Benda/ Klein, Rn. 432 ff.; a. A. BVerfGE 33, 247 (258 f.); Schlaich/Korioth, Rn. 205, 272. 281 Näher hierzu Schlaich/Korioth, Rn. 221. 282 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn.  225; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 90 Rn. 13 m. w. N.

III. Verfahrensrechtliche Kompetenzen

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generelle Relevanz auch im Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch gegeben sei.283 Unter diesen Umständen habe die Funktion der Verfassungsbeschwerde, das objektive Verfassungsrecht zu wahren sowie seiner Auslegung und Fortbildung zu dienen, gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers an verfassungsgerichtlichem Individualrechtsschutz Vorrang. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht hingegen stets unmissverständlich und ohne jede Einschränkung betont, dass dem Beschwerdeführer (als Ausdruck des subjektiven Charakters der Verfassungsbeschwerde)  eine umfassende Dispositionsbefugnis zukommt und dieser durch Antragsrücknahme das Verfahren jederzeit beenden kann.284 Dass die Karlsruher Richter in der Entscheidung zur Rechtschreibreform von diesem richtigen Kurs ­abgekommen sind, dürfte wohl letztlich auch der schlichten Verärgerung darüber geschuldet sein, dass die Beschwerdeführer nur eine Woche vor Urteils­ verkündung die Verfassungsbeschwerde zurückgenommen hatten und damit bereits geleisteter erheblicher Arbeitsaufwand hinfällig zu werden drohte.285 Mag dieser Unmut auch menschlich durchaus verständlich sein, als Begründung für die vollzogene Kehrtwende überzeugt er nicht. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht erkannt und versucht seine Ansicht daher rechtlich zu untermauern, was jedoch nicht überzeugend gelingt.286 Insbesondere verfängt der Verweis auf die §§ 269 Abs. 1 ZPO, 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO, 102 Satz 1 SGG und 72 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht, da es insoweit an der Vergleichbarkeit mit dem Verfahren der Verfassungsbeschwerde fehlt, denn die vorgenannten Regelungen beinhalten jeweils im Interesse des Prozessgegners liegende Einschränkungen in kontradiktorischen Streitverfahren.287 Es bleibt im Grunde nur der bloße Rekurs auf die objektive Dimension der Verfassungsbeschwerde, die (unzulässigerweise)  zur Hauptfunktion aufgewertet wird, um daraus dann (ohne hinreichende dogmatische Verankerung) die erwähnte Einschränkung abzuleiten. Das ist jedoch ebenso kritikwürdig, wie die bereits erläuterten Versuche unter Verweis auf einen vermeintlich grundgesetzlich fundierten Status als Verfassungsorgan, Kompetenzerweiterungen des Bundesverfassungsgerichts vornehmen zu wollen.288 b) Befugnisse im Annahmeverfahren aa) Annahmegründe Stehen – wie hier – die prozessualen Befugnisse der Karlsruher Richter im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde in Rede, ist der Blick zunächst auf das g­ emäß 283

Vgl. BVerfGE 98, 218 (242 f.). Näher hierzu Klein, in: Rensen/Brink, S. 83 (91 f.) m. w. N. 285 Vgl. Cornils, NJW 1998, 3624 (3624). 286 Ebenso Wagner, NJW 1998, 2638 (2639). 287 Vgl. Cornils, NJW 1998, 3624 (3626); kritisch im Hinblick auf die Begründung auch Benda/Klein, Rn. 504. 288 Siehe dazu oben B. I.3. 284

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Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG i. V. m. §§ 93a ff. BVerfGG289 vorgesehene Annahmeverfahren zu richten, denn mehr als neun von zehn Verfassungsbeschwerden gelangen nicht über dieses Stadium hinaus, werden also nicht zur Entscheidung angenommen. Die Hürde des Annahmeverfahrens kann nur unter zwei Voraussetzungen übersprungen werden: Entweder kommt der Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs.  2 lit.  a BVerfGG grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu oder sie ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (lit. b Hs. 1), was insbesondere der Fall sein kann, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entstünde (Hs. 2). Eine Verfassungsbeschwerde hat grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG, wenn sie eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne Weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lässt, die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist.290 Demnach genügt es nicht, wenn lediglich streitige oder ungeklärte Tat­sachen in Rede stehen oder sich die bestehenden Zweifel nur auf das einfache Recht beziehen, ohne dass die insoweit bestehenden Unklarheiten präjudiziell für die Auslegung der Grundrechte sind.291 Darüber hinaus kann einer offenkundig unzulässigen oder unbegründeten Verfassungsbeschwerde auch keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen, weil sie im erstgenannten Fall nicht zur materiell-rechtlichen Prüfung führen und im letztgenannten Fall keine rechtlichen Grundsatzfragen aufwerfen kann.292 Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG sind nur erfüllt, wenn die Verfassungsbeschwerde hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und ihre Annahme „angezeigt“ ist, wofür die in Rede stehende Norm beispielhaft das Entstehen eines „besonders schweren Nachteils“ anführt. Letztlich soll nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere in folgenden vier Konstellationen ein „Angezeigtsein“ in Betracht kommen: bei existenzieller Bedeutung für den Beschwerdeführer, bei grundrechtswidriger Praxis der Fachgerichte, bei extremer richterlicher Nachlässigkeit bzw. unverständlichem Verhalten sowie – vor allem auf die neuen Bundesländer in den Jahren nach der Wiedervereinigung abzielend – bei fehlender Erfahrung der Gerichte im Umgang mit den Grundrechten und grundrechtsgleichen 289 Die letzte Änderung des Annahmeverfahrens erfolgte im Jahr 1993. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf die §§ 93a ff. BVerfGG in der seitdem geltenden Fassung, weil die übergroße Mehrheit der veröffentlichten Entscheidungen zum Strafvollzug nach 1993 ergangen ist. Sofern die davor geltende Rechtslage im Einzelfall relevant ist, wird darauf im Rahmen der Entscheidungsanalyse näher eingegangen. 290 Vgl. BVerfGE 96, 245 (248 f.); 90, 22 (24 f.); Schlaich/Korioth, Rn. 263; Benda/Klein, Rn. 450. 291 Näher hierzu Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93 Rn. 82 f.; Umbach/ Clemens/Dollinger/Gehle, § 93a Rn. 12 ff. 292 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93 Rn. 63.

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Gewährleistungen.293 Lässt sich keine Gewichtigkeit der Verfassungsbeschwerde in vorgenanntem Sinne feststellen, ist sie auch dann nicht zur Entscheidung anzunehmen, wenn sie offensichtlich begründet sein sollte.294 Solche Fälle sind in der Praxis jedoch äußerst selten. In aller Regel scheitert die Annahme bereits an der mangelnden Erfolgsaussicht.295 Liegt wenigstens einer der beiden Annahmegründe vor, muss das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annehmen. Das an dieser Stelle fehlende Ermessen wird allerdings dadurch mehr als ausgeglichen, dass die Annahmekriterien dem Bundesverfassungsgericht einen enormen Entscheidungsspielraum belassen, was  – mit Blick auf dessen Arbeitsbelastung  –­ gesetzgeberisch auch durchaus gewollt ist.296 Bei der letzten Reform der §§ 93a ff. BVerfGG im Jahr 1993 wurde sogar die Einführung eines gänzlichen freien Annahmeverfahrens nach dem Vorbild des amerikanischen Supreme Courts diskutiert, wovon aber nicht zuletzt deshalb wieder Abstand genommen wurde, weil das Bundesverfassungsgericht diesen Vorschlag ablehnte.297 bb) Die Kompetenzen der Kammern Da etwa 97 % aller Verfassungsbeschwerden von den Kammern erledigt werden,298 was – wie bereits erwähnt – in aller Regel den Erlass eines Nichtannahme­ beschlusses bedeutet, bedürfen die Befugnisse vorgenannter Spruchkörper, die bis 1985 „Vorprüfungsausschüsse“ hießen, näherer Betrachtung. Gemäß § 93b Satz 1 BVerfGG kann die Kammer die Annahme der Verfassungsbeschwerde entweder ablehnen oder sie im Fall des § 93c BVerfGG zur Entscheidung annehmen. Letztgenannte Vorschrift erlaubt es den Kammern einer Verfassungsbeschwerde stattzugeben, wenn die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG (Durchsetzungsannahme)  vorliegen, die für die Beurteilung maßgebliche verfassungsrechtliche Frage durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist.299 Dies bedeutet also, dass nach wie vor nur den beiden Senaten die Befugnis zukommt, das Verfassungsrecht fortzubilden und die Kammern auf den Nachvollzug von deren Interpretationen des Grundgesetzes beschränkt sind. Letztere verfahren jedoch bei der Prüfung, ob 293

Vgl. BT-Drs. 12/3628, S. 14. Vgl. Zuck, Rn. 1019; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93 Rn. 68 m. w. N. 295 Siehe dazu auch das Beispiel von Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93 Rn. 74 Fn. 10: von den 56 im ersten Band der Sammlung BVerfGK aus dem Jahr 2004 abgedruckten Kammerbeschlüssen rekurrieren nur vier nicht auf die mangelnde Zulässigkeit oder Begründetheit. 296 Näher hierzu Schlaich/Korioth, Rn.  262 ff.; Umbach/Clemens/Dollinger/Gehle, § 93a Rn. 34 ff.; Klein, NJW 1993, 2073 (2074). 297 Vgl. dazu Kranenpohl, S. 114. 298 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 265. 299 Eine solche Stattgabekompetenz besteht seit 1986 (vgl. § 93b Abs. 2 BVerfGG a. F.). 294

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die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG gegeben sind, ausgesprochen großzügig. Regelmäßig wiederholen sie dabei nur floskelartig den Gesetzestext.300 Angesichts der Tatsache, dass es sich bei § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG um eine prozessrechtliche Ausnahmeregelung handelt, bedarf es aber einer engen und zwischen den verschiedenen Voraussetzungen differenzierenden Auslegung.301 Stattgebenden Kammerbeschlüssen kommt die Besonderheit zu, dass sie Senats­ entscheidungen gleichstehen (§ 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG) und deshalb Bindungswirkung (vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG) haben.302 Die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden müssen folglich Tenor und tragende Gründe der Beschlüsse beachten.303 Eine Entscheidung, die mit der Wirkung des § 31 Abs. 2 BVerfGG (= Gesetzeskraft) ausspricht, dass ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar oder nichtig ist, bleibt aber gemäß § 93c Abs. 1 Satz 3 BVerfGG dem Senat vorbehalten. Nichtannahmebeschlüsse enthalten hingegen keinerlei Entscheidung in der Sache und sind daher auch nicht bindend. Die in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen bleiben in diesen Fällen völlig offen.304 Nichtannahme­ entscheidungen bedürfen gemäß § 93d Abs.  1 Satz  3 BVerfGG keiner Begründung. In etwa zwei Drittel aller entsprechenden Beschlüsse macht das Bundesverfassungsgericht von dieser Möglichkeit Gebrauch. In den übrigen Fällen erfolgen zum Teil  so ausführliche Begründungen, dass diese berechtigte Kritik hervorrufen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Nichtannahmeentscheidungen, die die Verfassungsmäßigkeit von Normen feststellen, den Schutzbereich von Grundrechten konkretisieren oder zu umstrittenen verfassungsrechtlichen Fragen ausführlich Stellung nehmen.305 Die ehemalige Richterin am Bundesverfassungsgericht Graßhof hat diesbezüglich mit Recht konstatiert: „Derartige Nichtannahmebeschlüsse rechtfertigen sich nicht einmal durch die Entlastungsfunktion des Annahmeverfahrens. Ihr alleiniger Zweck ist ersichtlich, dem Gesetzgeber, Fachgerichten und dem Rechtsverkehr rechtliche Vorgaben zu machen. Dazu sind die Nichtannahmebeschlüsse aber rechtlich ungeeignet. Ihnen fehlen Rechtskraft und Bindungswirkung; sie sind nicht einmal Sachentscheidungen.“306 300

Exemplarisch hierfür ist etwa der Beschl. v. 3.5.2012 – 2 BvR 2355/10, 2 BvR 1443/11 = BeckRS 2012, 51769: „Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c  Abs.  1  BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerden maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Nach diesen Grundsätzen sind die Verfassungsbeschwerden zulässig und in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet.“ Mehr als die bloße Behauptung, dass die Stattgabekompetenz besteht, ist das nicht. 301 Näher hierzu Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93c Rn. 7 ff. 302 Vgl. nur Benda/Klein, Rn. 621 u. 1447. 303 Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Schemmer, § 93c Rn. 14. 304 Vgl. nur Schlaich/Korioth, Rn. 268 m. w. N. 305 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93a Rn. 49 f. m. umfangreichen Beispielen aus der verfassungsgerichtlichen Judikatur; siehe ferner Benda/Klein, Rn. 446. 306 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93a Rn. 50.

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Angesichts dessen ist es auch nachvollziehbar, wenn an der Veröffentlichung von Nichtannahmeentscheidungen (seit 2004 sogar in der amtlichen Entscheidungssammlung BVerfGK) vielfach Kritik geübt wird, weil damit der Eindruck ihrer Verbindlichkeit erweckt wird, obwohl sie rechtlich unbeachtlich sind.307 Zwar ist es den Kammern keineswegs verwehrt, die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde mit einer Begründung zu versehen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum eine solche über dasjenige hinausgehen sollte, was notwendig ist, um auf den für die Ablehnung der Annahme maßgeblichen, sich aus § 93a Abs. 2 BVerfGG ergebenden rechtlichen Gesichtspunkt hinzuweisen.308 Hat die Verfassungsbeschwerde also bereits mangels Zulässigkeit keinerlei Aussicht auf Erfolg, verbieten sich Ausführungen zu deren Begründetheit. Eine solchermaßen restriktive Sichtweise entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, wonach das Bundesverfassungsgericht durch die Befreiung vom Erfordernis einer Begründung entlastet werden soll.309 Praktisch bedeutsam ist schließlich die den Kammern durch § 93d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eingeräumte Befugnis, alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen zu erlassen, solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat. Den Kammern ist es daher insbesondere erlaubt, Missbrauchsgebühren (bis zu 2.600 €) aufzuerlegen (vgl. § 34 Abs. 2 BVerfGG) oder einstweilige Anordnungen (vgl. § 32 BVerfGG) zu erlassen, wobei die Beantwortung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Frage­ stellungen auch hier den Senaten vorbehalten bleibt.310 Letzteren obliegt zudem die vollständige oder teilweise Aussetzung der Anwendung eines Gesetzes (vgl. § 93d Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BVerfGG). cc) Die Kompetenzen der Senate Hat die Kammer die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht abgelehnt oder eine stattgebende Entscheidung im Sinne des § 93c BVerfGG getroffen, muss der Senat über die Annahme entscheiden.311 Nichtannahmeentscheidungen der Senate sind sehr selten. Die letzten beiden datieren aus dem Jahr 2008. Ihnen kommt – wie den entsprechenden Beschlüssen der Kammern – keine Bindungswirkung zu und sie bedürfen auch keiner Begründung.312 Nimmt der Senat die Verfassungsbeschwerde unter den Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG an, geschieht dies in aller Regel nicht ausdrücklich, sondern konkludent durch die in der Sache

307

Näher hierzu Schlaich/Korioth, a. a. O.; Benda/Klein, Rn. 161 ff. Vgl. Klein, FS Steinberger, S. 505 (519). 309 Vgl. BT-Drs. 12/3628, S. 14. 310 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93d Rn. 28 f. 311 Näher hierzu Benda/Klein, Rn. 459. 312 Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Sperlich, § 93b Rn. 32. 308

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ergehende Entscheidung, was in Anbetracht der Tatsache, dass § 93b Satz  2 BVerfGG keine besondere Form vorschreibt, unbedenklich ist.313 c) Entscheidungsinhalt aa) Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde Für den Fall einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde bestimmt § 95 Abs. 2 BVerfGG, dass die Entscheidung (unter Angabe der verletzten Vorschrift des Grundgesetzes, vgl. § 95 Abs.  1 Satz  1 BVerfGG) aufzuheben ist, wobei „Entscheidung“ im Sinne der genannten Vorschrift jede Maßnahme der öffentlichen Gewalt sein kann, also z. B. auch eine solche der Exekutive.314 Gibt das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz statt, gilt jedoch § 95 Abs. 3 BVerfGG als lex specialis.315 Wird eine Gerichtsentscheidung aufgehoben, hat das Bundesverfassungsgericht die Sache in den Fällen des § 90 Abs.  2 Satz  1 BVerfGG, d. h. der Rechtswegerschöpfung, an ein zuständiges Gericht zurückzuverweisen (vgl. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass das Bundesverfassungsgericht nur dann in der Sache selbst abschließend entscheiden darf, wenn der seltene Fall einer Vorabentscheidung im Sinne des § 90 Abs.  2 Satz  2 BVerfGG gegeben ist.316 Handelt es sich bei dem Beschwerdegegenstand ausschließlich um einen Akt der Exekutive, bedarf es keiner Zurückverweisung an die zuständige Behörde, weil ­infolge der Aufhebung der belastenden Maßnahme das Verfahren automatisch wieder bei der Stelle anhängig wird, die den aufgehobenen Akt erlassen hat.317 bb) Erfolglose Verfassungsbeschwerde Wie im Fall einer erfolglosen Verfassungsbeschwerde zu verfahren ist, ist nicht gesetzlich geregelt. Mit Recht orientiert sich das Bundesverfassungsgericht daher an der allgemeinen Gerichtspraxis. Dementsprechend werden Anträge bei­ Unzulässigkeit als unzulässig „verworfen“ bzw. „abgelehnt“ und bei fehlender­

313

Vgl. Umbach/Clemens/Dollinger/Sperlich, § 93b Rn. 37; Benda/Klein, Rn. 463. Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 375. 315 Auf die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichtes wird im Rahmen der Ausführungen zur konkreten Normenkontrolle (siehe sogleich unter 2.) eingegangen, da die Entscheidungsvarianten insoweit die gleichen sind. 316 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 376; Benda/Klein, Rn. 616; weitergehend Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge/Hömig, § 95 Rn. 32. 317 Vgl. nur Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Hömig, a. a. O. m. w. N. 314

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Begründetheit „zurückgewiesen“.318 Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht zugleich mit Gesetzeskraft explizit die Vereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz feststellen. 2. Die konkrete Normenkontrolle a) Funktion Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, muss es dieses gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen. Die Zahl der konkreten Normenkontrollen schwankte in den letzten drei Jahrzehnten zwischen 15 Richtervorlagen im Jahr 2003 und 137 im Jahr 1992.319 Damit ist das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG (hinter der Verfassungsbeschwerde) das mit der zweithöchsten praktischen Relevanz.320 Es hat zum einen die Funktion, bestehende Zweifel, ob ein (formelles, nachkonstitutionelles) Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist, einer verbindlichen Klärung zuzuführen und dient damit sowohl der Rechtssicherheit als auch der Wahrung der gesetzgeberischen Autorität.321 Weil dem Bundesverfassungsgericht das Verwerfungsmonopol zukommt, beugt die konkrete Normen­kontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG auch der Rechtszersplitterung vor.322 Sie hat ferner die Funktion, die Macht der Legislative zu beschränken, d. h. sicherzustellen, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen einhält.323 Schließlich dient die konkrete Normenkontrolle mittelbar dem subjektiven Rechtsschutz, denn wenn die vorgelegte Norm in Rechte des im Ausgangsverfahren beteiligten Klägers eingreift, können diese zur Durchsetzung kommen, ohne dass es der Erhebung einer (unter dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung) stehenden Verfassungsbeschwerde bedarf.324 b) Prüfungsbefugnis Gemäß § 81 BVerfGG entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle nur über die Rechtsfrage. Es darf also nur 318

Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 372 mit Beispielen aus der verfassungsgerichtlichen Judikatur. Vgl. Geschäftsstatistik des Bundesverfassungsgerichtes, abrufbar unter www.bundes verfassungsgericht.de/organisation/gb2013/A-V-1.html. Auf das Jahr 2013 entfallen 18 Normenkontrollverfahren. 320 Näher zu statistischen Aspekten Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Ulsamer/Müller-Terpitz, § 80 Rn. 31 f. 321 Vgl. Kreutzberger, S. 47; Michael, ZJS 2012, 756 (757). 322 Vgl. nur Schlaich/Korioth, Rn. 138 m. w. N. 323 Vgl. Hillgruber/Goos, Rn. 567. 324 Vgl. Hillgruber/Goos, Rn. 571 f.; Michael, ZJS 2012, 756 (758). 319

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die Vereinbarkeit des vorgelegten Gesetzes mit der Verfassung prüfen, nicht aber über den Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens befinden.325 Diesbezüglich ist freilich nicht zu übersehen, dass insbesondere die Zulässigkeitsvoraussetzung der Entscheidungserheblichkeit des vorgelegten Gesetzes, die Gefahr mit sich bringt, dass die Karlsruher Richter doch unbefugt in den Kompetenzbereich der Fachgerichte übergreifen.326 Zwar erkennt das Bundesverfassungsgericht durchaus an, dass es im Rahmen der Beurteilung, ob die vorgelegte Frage für das Ausgangsverfahren erheblich ist, auf die Rechtsansicht des Fachgerichtes und nicht auf seine eigene Interpretation der betreffenden einfach-rechtlichen Norm ankommt.327 Das Bundesverfassungsgericht befindet sich insoweit aber in einer schwierigen Situation: einerseits muss es die Entscheidungserheblichkeit, die als Zulässigkeitsvoraussetzung schon im Grundgesetz selbst angelegt ist328, prüfen, andererseits hat es sich aber auf die relevante Verfassungsfrage zu konzentrieren. Es ist wenig verwunderlich, dass den Karlsruher Richtern dieser „Spagat“ nicht immer zur allseitigen Zufriedenheit gelungen ist.329 Die grundsätzliche Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichtes, seine eigene Auffassung im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit nur in Ausnahmefällen für maßgeblich zu erachten,330 verdient jedenfalls Zustimmung. Danach soll die Rechtsansicht des vorlegenden Gerichts lediglich dann außer Acht bleiben, wenn diese offensichtlich unhaltbar ist.331 Bei der Handhabung dieses Kriteriums lässt das Bundesverfassungsgericht allerdings keine konsequente Linie erkennen und ist auch nur wenig um Konkretisierung bemüht.332 Immerhin hat es – mit Recht – festgestellt, dass jedenfalls dann nicht von offenkundiger Unhaltbarkeit gesprochen werden kann, wenn das Fachgericht seine Auffassung auf die höchstrichterliche Rechtsprechung eines Bundesgerichts stützen kann.333 Dies ist freilich dahingehend zu ergänzen, dass eine Rechtsansicht auch dann nicht evident unhaltbar ist, wenn sie sich auf eine im Schrifttum vertretene Auffassung berufen kann. Abzulehnen ist es hingegen, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Sichtweise in Bezug auf die Entscheidungserheblichkeit selbst dann für maßgeblich erklärt, wenn deren Beurteilung von verfassungsrechtlichen Vorfragen

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Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Ulsamer/Müller-Terpitz, § 81 Rn. 1; Schlaich/ Korioth, Rn. 164. 326 Vgl. Benda/Klein, Rn. 762. 327 Vgl. etwa BVerfGE 121, 233 (237); 120, 1 (23); zustimmend Benda/Klein, Rn. 830; Hillgruber/Goos, Rn. 608; Schlaich/Korioth, Rn. 153. 328 Vgl. Art 100 Abs. 1 Satz 1 GG: „[…] auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, […].“ 329 Vgl. nur Benda/Klein, Rn. 762 m. w. N. 330 Vgl. BVerfGE 121, 233 (237); 89, 144 (152). 331 So etwa BVerfGE 121, 233 (237); 108, 186 (208); 106, 275 (294); 105, 61 (67); zustimmend Benda/Klein, Rn. 834 f.; Hillgruber/Goos, Rn. 608; Schlaich/Korioth, Rn. 153. 332 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Ulsamer, § 80 Rn.  279; Benda/Klein, Rn. 833 f. 333 Vgl. BVerfGE 75, 40 (55); zustimmend Benda/Klein, Rn. 834 (Fn. 265).

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abhängt334. Dem wird nämlich mit Recht entgegengehalten, dass dem Bundes­ verfassungsgericht zwar die alleinige Verwerfungskompetenz in Bezug auf verfassungswidrige Gesetze zukommt, es aber kein Monopol in Bezug auf die Prüfung etwaiger Verfassungsverstöße hat.335 Keine Zustimmung verdient es schließlich, wenn das Bundesverfassungsgericht in entsprechender Anwendung von § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG meint, auch ohne Nachweis der Entscheidungserheblichkeit über die Richtervorlage entscheiden zu können, wenn diese von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung für das Gemeinwohl und ihre Entscheidung deshalb dringlich ist.336 Die von ihm zur Begründung herangezogene Analogie überzeugt nicht, weil dadurch noch nichts darüber ausgesagt wird, ob dem Bundesverfassungsgericht die Befugnis zukommt, über das Vorliegen der Voraussetzungen vorgenannter Regelung zu entscheiden.337 Entsprechend des allgemein anerkannten und soeben erläuterten Grundsatzes, dass es für Beurteilungen im Zusammenhang mit der Entscheidungserheblichkeit auf die Bewertung des vorlegenden Gerichts ankommt, läge vielmehr auch die Prüfung, ob die vorgelegte Frage von allgemeiner und grundsätzlicher Bedeutung ist, in dessen Kompetenzbereich.338 Das Bundesverfassungsgericht ist im Rahmen der konkreten Normenkontrolle nicht auf die Prüfung der vorgelegten Bestimmung beschränkt, sondern kann seine Kontrolle gemäß § 82 i. V. m. § 78 Satz 2 BVerfGG aus denselben Gründen wie die zur Prüfung gestellte Vorschrift auch auf andere Regelungen des betreffenden Gesetzes ausdehnen. Die Erweiterung auf Normen, die nicht zu dem Gesetz gehören, auf das sich die Richtervorlage bezieht, kommt hingegen aufgrund des klaren Wortlautes des § 78 Satz 2 BVerfGG („weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes“) nicht in Betracht.339 Hat das Fachgericht einen zu kleinen Teil der vorgelegten Regelung für entscheidungserheblich erachtet, kann das Bundesverfassungsgericht die Vorlagefrage entsprechend erweitern, bei einer falschen Norm hingegen nur, wenn die korrekte Bestimmung aus dem gleichen Gesetz stammt. Wurde die Vorlage hingegen zu weit gefasst, ist nur der entscheidungserhebliche Teil  Prüfungsgegenstand und der Normenkontrollantrag im Übrigen unzulässig.340 Bei der Prüfung, ob die die vorgelegte Bestimmung im Einklang mit dem Grundgesetz steht, ist das Bundesverfassungsgericht nicht an die vom Fachgericht herangezogenen Verfassungsbestimmungen gebunden, sondern kann das gesamte 334

So z. B. geschehen in BVerfGE 121, 233 (237); 89, 144 (152); 63, 1 (27); 46, 268 (284); zustimmend Umbach/Clemens/Dollinger/Dollinger, § 81 Rn. 8; Hillgruber/Goos, Rn. 608; kritisch Schlaich/Korioth, Rn. 154 ff; wie hier ablehnend Benda/Klein, Rn. 836 ff. 335 Vgl. Benda/Klein, Rn. 838. 336 Vgl. BVerfGE 47, 146 (157 ff.); zustimmend Hillgruber/Goos, Rn. 605. 337 Kritisch auch Benda/Klein, Rn. 853. 338 A. A. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Ulsamer, § 80 Rn. 266. 339 Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 78 Rn. 40. 340 Vgl. Benda/Klein, Rn. 850.

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Grundgesetz als Prüfungsmaßstab heranziehen.341 Nur so kann es der ihm nach Art. 100 Abs. 1 GG obliegenden Aufgabe, die Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm zu prüfen, hinreichend nachkommen.342 c) Kompetenzen der Kammern Seit 1993 sind die Kammern gemäß § 81a Satz 1 BVerfGG befugt, durch einstimmigen Beschluss die Unzulässigkeit einer Richtervorlage festzustellen. Eine Pflicht hierzu besteht jedoch nicht.343 Auch bleibt die Beantwortung der eigentlichen Kernfrage nach der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes den Senaten vorbehalten. Zudem sind die Kammern gemäß § 81a Satz 2 BVerfGG nicht befugt, die Unzulässigkeit eines Normenkontrollantrages festzustellen, der von einem Landesverfassungsgericht oder einem obersten Gerichtshof des Bundes gestellt wurde. d) Entscheidungsinhalt Besonders umstritten ist seit jeher, was Entscheidungsinhalt einer (inzidenten, abstrakten oder konkreten) Normenkontrolle sein kann. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Bereich während der vergangenen Jahrzehnte großen Einfallsreichtum bewiesen. Dadurch ist eine Vielzahl verschiedener Entscheidungsvarianten entstanden, die zum Teil heftig umstritten sind. Im Folgenden werden die wesentlichen Fallgruppen auf ihre Zulässigkeit hin untersucht. Zentraler Maßstab muss dabei der bereits erläuterte Gerichtscharakter des Bundesverfassungsgerichtes und die sich daraus ergebenden Beschränkungen sein344. aa) Nichtigerklärung Verstößt ein Gesetz gegen die Verfassung, ist es gemäß § 82 Abs. 1 i. V. m. § 78 Satz 1 BVerfGG für nichtig zu erklären. Nach § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG gilt dies auch, wenn der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz stattgegeben wird. Die Entscheidung hat Gesetzeskraft (vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG). Nach heute überwiegend vertretener Auffassung hat die Nichtigerklärung durch das Bundesverfassungsgericht lediglich deklaratorischen Charakter, denn das verfassungswidrige Gesetz ist von Anfang an ipso iure nichtig.345 Die Gegenauffassung geht jedoch 341

Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 163 m. w. N. Vgl. Benda/Klein, Rn. 877. 343 Vgl. BVerfGE 105, 61 (66 f.); Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Ulsamer/MüllerTerpitz, § 81a Rn. 6. 344 Siehe oben B. I.2. und B.II.1.c)dd). 345 Vgl. nur Hillgruber/Goos, Rn. 531a; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 78 Rn. 7 m. w. N. 342

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lediglich von dessen Vernichtbarkeit aus und führt als Argument hierfür vor ­allem die Existenz des Art. 100 Abs. 1 GG ins Feld, der zeige, dass ein nicht verfassungskonformes Gesetz bis zur Kassation durch das Bundesverfassungsgericht als existent betrachtet werden müsse, denn ein rechtliches nullum könne schwerlich zum Gegenstand einer Normenkontrolle gemacht werden.346 Diese Ansicht verkennt jedoch, dass Grund für die Vorlagepflicht nicht das weiterhin geltende Gesetz ist, sondern vielmehr der (durch die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt gesetzte) Rechtsschein der Existenz eines zu beachtenden Gesetzes.347 Hinsichtlich Art. 100 Abs. 1 GG hat Stephan Meyer daher jüngst mit Recht festgestellt: „[Diese Norm] verhindert als Verfahrensvorschrift lediglich, dass ein Fachrichter oder Bürger aus eigenem Entschluss definitiv von der Verfassungswidrigkeit und damit der Nichtigkeit eines Gesetzes ausgehen darf. Indes wird der Fachrichter immerhin von der Pflicht zur Anwendung des Gesetzes bis zur Entscheidung über seine Vorlage befreit.“348

Die Annahme der ipso iure Nichtigkeit entspricht schließlich auch der deutschen Rechtstradition und der Vorstellung des Gesetzgebers bei der Schaffung des BVerfGG.349 bb) Teilweise Nichtigerklärung Sind nur einzelne Bestandteile eines Gesetzes (z. B. ein bestimmter Paragraf oder Absatz) verfassungswidrig, kommt anerkanntermaßen die Erklärung der Teilnichtigkeit in Betracht.350 Bedenklich ist es freilich, wenn Schlaich/Korioth diesbezüglich feststellen, dass das Bundesverfassungsgericht „zu Recht, wenn auch ohne gesetzliche Ermächtigung, die Teilnichtigerklärung [praktiziere]“.351 Diese Aussage ruft zum einen deshalb Kritik hervor, weil es unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten schwerlich hinnehmbar wäre, wenn sich die Karlsruher Richter Kompetenzen aneigneten, die ihnen rechtlich nicht zustünden. Zum anderen ist der Verweis auf eine fehlende gesetzliche Ermächtigung für eine Teilnichtigerklärung auch nur insoweit zutreffend, als dieser eine ausdrückliche Normierung meint. Im Übrigen wird aber nicht über das „Ob“ einer Rechtsgrundlage gestritten, sondern nur darum, welche konkret in Frage kommt. Nach einer Auffassung ergibt sich die Zulässigkeit der teilweisen Nichtigkeit aus § 78 BVerfGG.352 Wiederum andere befürworten eine Analogie zu § 139 BGB353 346

So etwa Hoffmann, JZ 1961, 193 (197); Götz, NJW 1960, 1177 (1179). So bereits Arndt, NJW 1957, 361 (363); ebenso Hillgruber/Goos, Rn.  532; Meyer, JZ 2012, 434 (435) m. w. N. 348 Meyer, JZ 2012, 434 (435). 349 Näher hierzu Kreutzberger, S. 35 ff. 350 Vgl. nur Benda/Klein, Rn. 1387 ff. m. w. N. 351 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 384. 352 So etwa Kreutzberger, S. 54 ff. 353 Vgl. Hillgruber/Goos, Rn. 534; Benda/Klein, Rn. 1387. 347

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oder ziehen eine entsprechende Anwendung der §§ 44 Abs. 4, 59 Abs. 3 VwVfG in Betracht354. Letztlich tragen alle vorgenannten Ansichten in gewisser Weise zur Lösung der in Rede stehenden Problematik bei. Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Zulässigkeit der Teilnichtigerklärung aus § 78 BVerfGG selbst ergibt. In Satz 1 dieser Norm heißt es zwar, dass das „Gesetz“ für nichtig erklärt wird, was – rein vom Wortlaut her betrachtet – gegen die Möglichkeit des Ausspruchs der teilweisen Nichtigkeit zu sprechen scheint. Die Existenz des Satzes 2 zeigt aber, dass diese Auslegung nicht richtig sein kann. Letzterer wäre nämlich schlicht überflüssig, wenn bereits nach Satz 1 immer das gesamte Gesetz für nichtig erklärt werden müsste.355 Somit lässt sich § 78 BVerfGG zwar im Wege eines Umkehrschlusses die Aussage entnehmen, dass mit „Gesetz“ in Satz 1 nicht nur der Regelungskomplex im Ganzen, sondern einzelne Teile davon gemeint sind. Damit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, unter welchen materiellen Voraussetzungen der Ausspruch der Teilnichtigkeit in Betracht kommt. § 78 BVerfGG enthält diesbezüglich keine Vorgaben.356 Das Fehlen derartiger Bestimmungen ist jedoch unschädlich, da das verfassungsgerichtliche Verfahren generell nur unvollständig geregelt und daher anerkannt ist, dass etwaige Gesetzeslücken durch Heranziehung verwandter Prozessordnungen oder durch Rückgriff auf verallgemeinerungsfähige Grundsätze geschlossen werden müssen.357 Vorliegend kommt eine Gesamtanalogie zu den §§ 139 BGB, 44 Abs. 4, 59 Abs. 3 VwVfG in Betracht. Obwohl diese Normen ganz unterschiedliche Sachverhalte betreffen (privat- und öffentlich-rechtliche Verträge; Verwaltungsakte) lässt sich ihnen der auch auf Gesetze übertragbare allgemeine Grundsatz entnehmen, dass eine Teilnichtigkeit stets dann auszusprechen ist, wenn der verfassungswidrige Teil von den übrigen Bestimmungen so abgetrennt werden kann, dass ein Regelungskomplex verbleibt, der auch ohne die nichtigen Bestandteile erlassen worden wäre. Die teilweise Nichtigerklärung scheidet demnach aus, wenn das verfassungskonforme Restgesetz keine selbstständige Bedeutung bzw. keinen Sinn mehr hätte oder seinerseits verfassungswidrig wäre und damit nicht abtrennbar ist.358 Schließlich darf der verbleibende Teil in Anbetracht des Art. 20 Abs. 2 GG (Grundsatz der Gewaltenteilung) nicht dem objektivierten und in dem Gesetz selbst zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers widersprechen.359 Von der soeben erläuterten quantitativen ist die qualitative Teilnichtigerklärung, bei der keine Normtextreduzierung stattfindet, zu unterscheiden. Hier werden im Wortlaut der Bestimmung nicht explizit ausgewiesene Fallkonstellationen für nichtig befunden.360 Entscheidendes Kriterium für die Zulässigkeit eines sol 354

Vgl. dazu Stober, JA 1979, 416 (421 f.). Vgl. Kreutzberger, S. 56. 356 Vgl. Gern, NVwZ 1987, 851 (852). 357 Vgl. nur Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 1 Rn. 74 ff. m. w. N. 358 Im Ergebnis ähnlich BVerfGE 102, 41 (62); 47, 285 (286 f.); Hillgruber/Goos, Rn. 534; Benda/Klein, Rn. 1387; Kreutzberger, S. 61 f.; Gern, NVwZ 1987, 851 (854). 359 Näher hierzu Kreutzberger, S. 59 ff. m. w. N. 360 Vgl. nur Schlaich/Korioth, Rn. 386 m. w. N. 355

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chen Entscheidungsinhaltes ist wiederum die Teilbarkeit, und zwar in der Weise, dass nach dem Ausspruch der Nichtigkeit eines bestimmten Anwendungsfalles noch eine sinnvolle Restnorm verbleibt, die verfassungskonform ist und nicht im Widerspruch zum objektivierten Willen des Gesetzgebers steht.361 Darüber hinaus stellt sich bei der qualitativen Teilnichtigerklärung in besonderer Weise die Frage nach der Wahrung des in Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden Rechtsstaatsprinzips.362 Dieses beinhaltet insbesondere, dass Gesetze hinreichend klar und verständlich gefasst sein müssen, um den Normadressaten in die Lage zu versetzen, sich ein eigenes Bild von der Rechtslage zu verschaffen.363 Da der Normtext beim Ausspruch der qualitativen Teilnichtigkeit aber nicht angetastet wird, ist der verbleibende Regelungsgehalt nicht aus dem Gesetz selbst, sondern nur aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu entnehmen.364 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Entscheidungsformel gemäß § 31 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird, so dass es durchaus mit vertretbarem Aufwand möglich ist, vom verbliebenen Inhalt eines teilweise für nichtig erklärten Gesetzes Kenntnis zu erlangen.365 Freilich sollte sich das Bundesverfassungsgericht bemühen, den Tenor so präzise und einfach wie möglich zu fassen und insbesondere Verweise auf die  – nicht im Bundesgesetzblatt publizierte  – Entscheidungsbegründung unterlassen.366 cc) Unvereinbarkeitserklärung Steht ein Gesetz nicht im Einklang mit der Verfassung, erklärt es das Bundesverfassungsgericht häufig nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit dem Grundgesetz. Wenngleich es auf den ersten Blick anders erscheinen mag: Auch das mit der Verfassung unvereinbare Gesetz ist von Anfang an nichtig.367 Dies liegt darin begründet, dass einem verfassungswidrigen Gesetz der Status der Nichtigkeit ipso iure zukommt und deshalb völlig unabhängig vom Entscheidungsausspruch des Bundesverfassungsgerichtes ist.368 Die Erklärung der Unvereinbarkeit unterscheidet sich von der der Nichtigkeit letztlich nur dadurch, dass es nicht mit der Feststellung, dass nunmehr jeder von der Verfassungswidrigkeit und der daraus resultierenden Unanwendbarkeit der Norm ausgehen muss, sein Bewenden hat. Vielmehr tritt eine Übergangsregelung (Weitergeltungs- oder sonstige Interimsanordnung) hinzu. Die Unvereinbarkeitserklärung 361

Vgl. Kreutzberger, S. 71, 77 f. Vgl. Kreutzberger, S. 65. 363 Vgl. Maunz/Dürig/Grzeszick, Art. 20 Rn. 53 zu VII. m. w. N. 364 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 386. 365 So auch Benda/Klein, Rn. 1389. 366 Dass sich das Bundesverfassungsgericht daran nicht immer gehalten hat, zeigen Schlaich/ Korioth, Rn. 386. 367 Vgl. BVerfGE 37, 217 (262); 55, 100 (110). 368 Vgl. Meyer, JZ 2012, 434 (438 f.); a. A. Schlaich/Korioth, Rn. 402 m. w. N. 362

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ist also letztlich nicht mehr als eine „Chiffre zusätzlicher Rechtsfolgen“.369 Diese könnten ohne Weiteres auch an den Ausspruch der Nichtigkeit geknüpft werden. Die zentrale Frage lautet daher nicht, ob die Unvereinbarerklärung zulässig ist. Dies muss man vor dem Hintergrund des 4.  Änderungsgesetzes zum BVerfGG aus dem Jahr 1970 bejahen, denn im Rahmen dieser Novelle hat der Gesetzgeber die vorgenannte Entscheidungsvariante zwar nicht in die Tenorierungsvorschriften (§§ 78, 82 Abs.  1, 95 Abs.  3 BVerfGG) aufgenommen, aber in die §§ 31 Abs. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG als Regelungen zu den Entscheidungswirkungen erwähnt und damit anerkannt.370 Entscheidend ist vielmehr, ob überhaupt eine Rechtsgrundlage existiert, die es den Karlsruher Richtern erlaubt, Übergangsregelungen zu treffen. Das Bundesverfassungsgericht  – gefolgt von der überwiegenden Meinung im Schrifttum  – hält insoweit § 35 BVerfGG für einschlägig.371 Nach dieser Vorschrift kann es in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt und darf im Einzelfall auch die Art und Weise der Vollstreckung regeln. Handelt es sich also beim Erlass von Übergangsregelungen um die Vollstreckung der Feststellung, dass ein Gesetz mit der Verfassung unvereinbar ist? Dies muss  – um das Ergebnis vorwegzunehmen  – verneint werden. Bereits der Wortlaut spricht gegen eine auf § 35 BVerfGG gestützte Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts. Besonders augen­fällig ist dies im Fall der Weitergeltungsanordnungen, bei denen es gar nicht um irgendeine Art der Vollstreckung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen geht, sondern  – ganz im Gegenteil  – um deren vorübergehende Nichtvollstreckung.372 Darüber hinaus können auch sonstige Interimsbestimmungen, die  – wie etwa im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch geschehen373  – eine Materie bis zum Inkrafttreten eines neuen Gesetzes konkret inhaltlich regeln, nicht auf § 35 BVerfGG gestützt werden. Der Begriff „Vollstreckung“ bezeichnet nämlich in allen Prozessordnungen lediglich die zwangsweise Durchsetzung von Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungsansprüchen, nicht aber diejenige von Feststellungs- und Gestaltungsentscheidungen, die ihrer Natur nach gar keiner Vollstreckung bedürfen.374 Dass sich dies auch im Fall der Feststellung der Nichtigkeit bzw. Unvereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz nicht anders darstellt, wurde im Gesetzgebungsverfahren erkannt und zum Anlass für die Diskussion genommen, ob das Tatbestandsmerkmal „vollstreckt“ durch „vollzieht“ als Oberbegriff für Vollstreckung und Ausführung ersetzt werden sollte, um auch Normenkontrollentscheidungen zu 369

So mit Recht Meyer, JZ 2012, 434 (439); siehe auch Kreutzberger, S. 109: „Diese Tenorierungsvariante ist als Ausnahme zur Nichtigerklärung aus der praktischen Notwendigkeit heraus entstanden, die Folgen der Nichtigkeit flexibler handhaben zu können.“ 370 Vgl. Hillgruber/Goos, Rn. 538; Schlaich/Korioth, Rn. 397; Sachs, Verfassungsprozessrecht, Rn. 158. 371 Vgl. etwa BVerfGE 102, 197 (223); 98, 169 (215); 6, 300 (304); Benda/Klein, Rn. 1403; Mayer, JZ 2012, 434 (439 f.). 372 Vgl. Kreutzberger, S. 177 f.; Lücke, S. 97 f. 373 Vgl. BVerfGE 88, 203. 374 Vgl. Roth, AöR 1999, 470 (478); Lücke, S. 15 f.; Pestalozza, § 19 Rn. 12; Gusy, S. 200 ff.

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erfassen.375 Hiervon wurde jedoch abgesehen, was zeigt, dass sich der Gesetzgeber bewusst dafür entschieden hat, dem Bundesverfassungsgericht keine über die Feststellung der Nichtigkeit bzw. Unvereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz hinausgehenden Befugnisse zu gewähren.376 Ohne eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung ist der mit der Schaffung verfassungsgerichtlichen Übergangsrechts verbundene erhebliche Eingriff in den Kompetenzbereich der Legislative aber nicht zu rechtfertigen.377 Trotz der in Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG eingeräumten Befugnis zur Regelung des Verfahrens des Bundesverfassungsgerichts erscheint es zudem überaus fraglich, ob der einfache Gesetzgeber die in Rede stehende Ermächtigung überhaupt erteilen dürfte. Vorschriften wie Art. 37, 84 Abs. 3 bis 5, 85 Abs. 3, 91 GG stellen nämlich ein deutliches Indiz dafür dar, dass sich die Verfassung die Zuweisung von Vollzugskompetenzen, die das Zuständigkeitsgefüge der Staatsorganisation tangieren, selbst vorbehält.378 Vereinzelt wird eine analoge Anwendung des § 35 BVerfGG auf Übergangsregelungen des Bundesverfassungsgerichtes diskutiert. Weitergeltungsanordnungen können allerdings bereits deshalb nicht auf eine entsprechende Anwendung des § 35 BVerfGG gestützt werden, weil es an der Voraussetzung der Vergleichbarkeit der Sachverhalte mangelt: Während Weitergeltungsanordnungen der Sache nach eine vorübergehende Nichtumsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bewirken, dienen auf § 35 BVerfGG basierende Maßnahmen gerade der Sicherstellung der Umsetzung verfassungsgerichtlicher Judikate und verfolgen damit – wie bereits erwähnt – genau das gegenteilige Ziel.379 Für die sonstigen Interimsbestimmungen fehlt es zumindest an der Planwidrigkeit der Regelungslücke, weil der Gesetzgeber bewusst den nicht auch die Ausführung von Feststellungs- und Gestaltungsurteilen umfassenden Begriff des Vollzuges, sondern lediglich den der Vollstreckung gewählt hat.380 Möglicherweise kann der Erlass von Übergangsregelungen aber auf § 32 Abs. 1 BVerfGG gestützt werden. Eine direkte Anwendung dieser Regelung muss freilich von vornherein ausscheiden, weil sie das Bundesverfassungsgericht zum Treffen von Maßnahmen berechtigt, die die (noch zu erlassende) Hauptsacheentscheidung sichern sollen  – eine Situation, die im Fall der Übergangsregelungen aber gerade nicht vorliegt, weil in diesen Fällen die Hauptsache bereits entschieden ist.381 375

Näher hierzu Roth, AöR 1999, 470 (481). Vgl. Roth, a. a. O. 377 Vgl. Geiger/von Lampe, Jura 1994, 20 (29); Pestalozza, § 19 Rn. 12. 378 So mit Recht Pestalozza, § 19 Rn. 12. 379 So zutreffend Lücke, S. 106. 380 Die Ansicht von Lücke, S. 96, wonach der subjektive Wille des Gesetzgebers auf der falschen, ihn entwertenden Prämisse beruhe, dass es bei Normenkontrollentscheidungen keiner wie auch immer gearteten Umsetzung bedürfe, überzeugt schon deshalb nicht, weil er nicht darlegt, warum es sich bei der gesetzgeberischen Wertung um eine Fehleinschätzung handeln soll. 381 Ebenso Lücke, S. 98; Ipsen, S. 225 f. 376

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Auch eine entsprechende Anwendung kommt allenfalls für reine Weitergeltungsanordnungen in Betracht, weil diese nicht der Umsetzung von Normenkontrollentscheidungen dienen und damit die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, dem Bundesverfassungsgericht eine solche Kompetenz zu versagen, einer Analogie nicht im Weg steht. Es stellt sich jedoch die Frage der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Blickt man auf den Entstehungsprozess des § 32 Abs. 1 BVerfGG zeigt sich, dass diese Bestimmung im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens extensiver gefasst wurde, um dem Bundesverfassungsgericht einen möglichst weitgehenden Spielraum für vorläufige Anordnungen, die im Zusammenhang mit der Hauptsache stehen, zu gewähren.382 In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass andere Verfahrensordnungen den Gerichten zahlreiche Möglichkeiten einräumen, die Umsetzung bereits ergangener Entscheidungen aufzuschieben (z. B. bei besonderer Härte für den Betroffenen: § 765a Abs. 1 ZPO; § 167 Abs.  1 VwGO; § 456 StPO).383 Dass der Gesetzgeber dies ausgerechnet bei Normenkontrollentscheidungen anders gesehen hat, obwohl die Konsequenzen eines sofortigen Eintritts der Entscheidungsfolgen hier angesichts der über den Einzelfall hinausreichenden Wirkungen (vgl. § 31 BVerfGG) besonders gravierend sein können, erscheint nicht nur wenig plausibel, sondern geradezu abwegig. Die für eine Analogie erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte ist ebenfalls gegeben, denn es macht keinen wesentlichen Unterschied, ob die „schweren Nachteile“ oder „anderen wichtigen Gründe“, von denen in § 32 Abs. 1 BVerfGG die Rede ist, vor der Hauptsacheentscheidung durch die Weiteranwendung eines Gesetzes oder erst danach durch dessen sofortige Nichtanwendung drohen.384 Sofern darüber hinaus Bemühungen unternommen werden, eine Ermächtigung für die Schaffung von Übergangsregelungen generell oder im Einzelfall aus der Verfassung abzuleiten,385 überzeugt dies nicht. Derartigen Versuchen muss der Erfolg von vornherein versagt bleiben, weil der Verfassungsgeber selbst nur wenige elementare Entscheidungen zum Bundesverfassungsgericht getroffen hat386, es im Übrigen aber ausweislich des Art. 94 Abs. 2 GG dem einfachen Gesetzgeber überlassen hat, das verfassungsgerichtliche Verfahren zu regeln. Zu letzterem gehören nach allgemeiner Ansicht auch die Befugnisse in Bezug auf die Vollstreckung, Ausführung oder Aussetzung von Entscheidungen.387 Der einfache Gesetzgeber hat sich diesbezüglich  – wie gezeigt  – bewusst gegen besondere Umsetzungsbefugnisse der Karlsruher Richter bei Normenkontrollentscheidungen ausgesprochen. Die genannten Tatsachen dürfen nun freilich nicht überspielt werden, indem 382

Vgl. Lücke, S. 100 f. Vgl. Lücke, S. 98 u. 108 mit zahlreichen weiteren Beispielen. 384 So auch Lücke, S. 108. 385 So etwa Bang, S. 128 f.; Kreutzberger, S. 198 ff. 386 Konstituierung als Gericht – Art. 92 GG; Zuständigkeiten – Art. 93 GG; Wahl – Art. 94 Abs. 1 GG. 387 Näher hierzu BeckOK-GG/Morgenthaler, Art. 94 Rn. 8 m. w. N. 383

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man versucht, dem Grundgesetz Aussagen zu einer vermeintlichen Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts zur Schaffung von Übergangsregelungen zu entnehmen, derer es sich ausdrücklich enthalten bzw. die es delegiert hat. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Unvereinbarkeitserklärung zulässig, aber an sich nicht notwendig ist, weil sie sich von ihrer unmittelbaren Wirkung her nicht vom Ausspruch der Nichtigkeit ausscheidet: In beiden Fällen stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass nunmehr definitiv von der Verfassungswidrigkeit einer Norm ausgegangen werden muss. Als Chiffre für den Ausspruch der Nichtigkeit und zugleich eintretender weiterer Rechtsfolgen mag sie freilich eine gewisse Berechtigung haben. Als in diesem Sinne „weitere Rechtsfolgen“ kommen jedoch nur reine Weitergeltungsanordnungen auf der Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 32 Abs. 1 BVerfGG und den dort genannten Voraussetzungen in Betracht. Sonstige Interimsanordnungen – etwa in Form der konkreten Regelung einer Sachmaterie – sind dem Bundesverfassungsgericht hingegen verwehrt. dd) Vereinbarkeitserklärung und verfassungskonforme Auslegung Wie die Unvereinbarkeitserklärung ist auch ihr Gegenstück nicht in den Teno­ rierungsvorschriften (§§ 78, 82 Abs.  1, 95 Abs.  3 BVerfGG) vorgesehen, aber wiederum in den §§ 31 Abs.  2, 79 Abs.  1 BVerfGG als Regelungen zu den Entscheidungswirkungen erwähnt und damit anerkannt. Kommt die Vereinbarkeitserklärung dadurch zu Stande, dass das Bundesverfassungsgericht nur eine bestimmte Auslegungsvariante eines Gesetzes oder einer Norm für verfassungsgemäß einstuft (und damit zugleich eine teilweise Nichtigerklärung ohne Normtextreduzierung vornimmt), spricht man von verfassungskonformer Auslegung.388 Diese wird in § 79 Abs. 1 BVerfGG ausdrücklich als Wiederaufnahmegrund genannt, was zeigt, dass das Gesetz sie anerkennt.389 Eine verfassungskonforme Auslegung kommt jedoch nur innerhalb bestimmter Grenzen in Betracht, die sich aus ihrem Grundgedanken – der größtmöglichen Schonung des Gesetzgebers vor verfassungsgerichtlichen Eingriffen – ergeben: Sie darf weder zu einer Überschreitung des Gesetzeswortlautes noch zu einer Verfälschung von Sinn und Zweck der betreffenden Vorschriften führen.390 Es hat nämlich nichts mehr mit „Schonung“ des Gesetzgebers zu tun, wenn dessen Wille durch den Karlsruher Richterspruch schlicht ersetzt wird, anstatt durch Normkassation den „Ball“ an die Legislative „zurückzuspielen“ und dieser dadurch die Entscheidung zu überlassen, wie ein verfassungsgemäßer Zustand herbeigeführt werden soll.391 Die verfassungskonforme 388 Vgl. etwa BVerfGE 99, 341 (358); 88, 203 (331); 2, 266 (282); Maunz/Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Bethge/Bethge, § 78 Rn. 96; Hillgruber/Goos, Rn. 536; Benda/Klein, Rn. 1411 m. w. N. 389 Vgl. Graßhof, NJW 1995, 3085 (3086). 390 Vgl. BVerfGE 64, 229 (261); 63, 131 (147 f.); Schlaich/Korioth, Rn. 449. 391 Näher hierzu Schlaich/Korioth, Rn. 450 f.; Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177 (183 f.).

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

Auslegung ist letztlich vor allem ein Mittel zur Vornahme von Randkorrekturen.392 Das Bundesverfassungsgericht hat die vorgenannten Schranken nicht immer beachtet. Ein Beispiel hierfür aus jüngerer Vergangenheit ist das Urteil vom 7.9.2011393 zum „Euro-Rettungsschirm“ EFSF. Darin hat das Bundesverfassungsgericht  – über den Wortlaut des § 1 Abs.  4 Euro-StabilisierungsmechanismusGesetz hinaus  – durch „verfassungskonforme Auslegung“ eine Zustimmungspflicht des Bundestages für neue Rettungspakete statuiert394, obwohl gesetzlich nur vorgesehen war, dass sich die Bundesregierung um die Zustimmung des Bundestag „bemüht“.395 ee) Appellentscheidungen und sonstige obiter dicta Ein praktisch sehr bedeutsamer Spezialfall der Vereinbarkeitserklärung ist die sogenannte Appellentscheidung, bei der das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass ein Gesetz zwar „noch verfassungsmäßig“ ist, der Gesetzgeber aber (ggf. innerhalb einer bestimmten Frist) aktiv werden müsse, um die Verfassungsmäßigkeit dauerhaft sicherzustellen.396 Den Appellen kommt zwar weder Bindungswirkung noch Rechtskraft zu.397 Faktisch können sie hingegen durchaus präjudizierend wirken, und zwar insbesondere dann, wenn das Bundesverfassungsgericht sie mit Hinweisen verbindet, wie der sich abzeichnenden Verfassungswidrigkeit begegnet werden könnte.398 Es ist daher alles andere als realitätsfern, wenn etwa Benda/ Klein feststellen, dass der Appell zwar nur ein obiter dictum sei, der Gesetzgeber aber angesichts der nun bekannten Haltung des Bundesverfassungsgerichtes gewiss gut beraten sei, es zu beherzigen.399 In diesem Zusammenhang drängt sich freilich eine Frage auf, die die ehemalige Verfassungsrichterin Wiltraut Ruppvon Brünneck bereits 1970 in einem Festschriftbeitrag aufgeworfen hat: „Darf das Bundesverfassungsgericht [eigentlich] an den Gesetzgeber appellieren?“400 Klar ist, dass man diese Frage – wie dies zum Teil in der Literatur versucht wird401 – nicht einfach damit beantworten kann, dass man eine explizite Rechtsgrundlage für entbehrlich erklärt, weil Appelle unverbindliche Empfehlungen seien, die dem allgemeinen Aufgabenbereich des Bundesverfassungsgerichtes als „Hüter der Verfassung“ unterfielen. Derartige Etiketten können nämlich  – wie der bereits 392

So treffend Gusy, S. 222. Vgl. BVerfG NJW 2011, 2946 ff. 394 Vgl. BVerfG NJW 2011, 2946 (2953). 395 Vgl. Rath, S. 31. 396 Vgl. etwa BVerfGE 92, 365 (401 f.); 54, 11 (39); Schlaich/Korioth, Rn. 431 ff.; Kranenpohl, S. 377 ff.; Kreutzberger, S. 213 m. w. N. 397 Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 439; Benda/Klein, Rn. 1407 m. w. N. 398 Vgl. Benda/Klein, Rn. 1407; Gusy, S. 210. 399 Vgl. Benda/Klein, a. a. O. 400 Vgl. Rupp-von Brünneck, in: FS Müller, S. 355 ff. 401 So etwa Kreutzberger, S. 229. 393

III. Verfahrensrechtliche Kompetenzen

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dargestellte Streit über die Eigenschaft des Bundesverfassungsgerichts als „Verfassungsorgan“ gezeigt hat402 – bestehende Kompetenzen allenfalls pointiert zusammenfassen, nicht aber erweitern. Blickt man zudem auf die den Karlsruher Richtern im Rahmen von Normenkontrollentscheidungen gesetzlich eingeräumten (Tenorierungs-)Befugnisse, zeigt sich, dass §§ 78 Satz 1, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3 BVerfGG an sich nur den Ausspruch der Nichtigkeit kennen. (Un-)vereinbarkeitserklärung und verfassungskonforme Auslegung werden immerhin im BVerfGG erwähnt und können daher noch als rechtmäßig anerkannt werden. Für die Zulässigkeit von Appellentscheidungen gibt es jedoch keinerlei gesetzliche Hinweise.403 Sie widersprechen auch dem in Art. 92 GG angelegten Gerichtscharakter des Bundesverfassungsgerichtes und der sich daraus ergebenden kontrollierend-kassatorischen Natur seiner Tätigkeit.404 Letztlich stellen Appellentscheidungen häufig nur eine Art „Ausweichmanöver“ dar: Das Bundesverfassungsgericht ist von der Verfassungswidrigkeit einer Norm eigentlich schon überzeugt, hält die Folgen einer Nichtig- oder Unvereinbarerklärung aber für unangemessen und appelliert daher an den Gesetzgeber tätig zu werden.405 Dies ist jedoch nicht akzeptabel. Ist das Bundesverfassungsgericht von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt, muss es dies auch aussprechen.406 Besonders kritisch sind zudem etwaige Frist­ setzungen zu sehen, weil diese im Grunde grob „über den Daumen gepeilt“ werden müssen, denn es dürfte sich kaum einmal präzise im Vorhinein sagen lassen, wann ein „noch“ verfassungsgemäßer in einen verfassungswidrigen Zustand übergehen wird.407 Appellentscheidungen sind daher insgesamt unzulässig und letztlich auch nicht notwendig, denn die zur Verfügung stehenden Entscheidungs­varianten geben dem Bundesverfassungsgericht hinreichenden Spielraum, um flexibel und angemessen agieren zu können.408 Für sonstige obiter dicta gilt – unabhängig davon, ob sie im Rahmen einer Normenkontrolle oder einer sonstigen Entscheidung ergehen – nichts anderes. Zwar mögen diese im Einzelfall gewiss hilfreich oder prozessökonomisch sein. Es ist indes nicht alles, was nützlich ist, zugleich auch zulässig. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht als Rechtsprechungsorgan grundsätzlich antragsgebunden ist, d. h. nur über den zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalt zu befinden hat.409 Wo das Gesetz hiervon abweichen will, sagt es dies ausdrücklich. Beispielhaft hierfür ist § 78 Satz 2 BVerfGG, der es dem Bundesverfassungsgericht erlaubt, eine Nichtigkeitserklärung unter der dort genann 402

Siehe oben B. I.3. So auch Gusy, S. 205. 404 Siehe bereits oben B.II.1.c)dd). 405 Vgl. hierzu Benda/Klein, Rn. 1397 m. w. N. 406 So mit Recht Benda/Klein, Rn. 1409. 407 Vgl. Benda/Klein, Rn. 1406. 408 Vgl. Gusy, S.  210 ff.; a. A. Kreutzberger, S.  226 f.; Rupp-von Brünneck, in: FS Müller, S.  355 (363 ff.); differenzierend Kleuker, S.  62 ff.; kritisch Benda/Klein, Rn.  1407, die aber gleichwohl nicht so weit gehen, die Zulässigkeit von Appellentscheidungen zu verneinen. 409 Siehe bereits oben B.II.1.c)dd). 403

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

ten Voraussetzung auch auf andere als die zur Prüfung gestellten Normen zu erstrecken. Eine Bestimmung, die es den Karlsruher Richtern erlaubt, z. B. im Zuge einer Nichtig- oder Unvereinbarkeitserklärung Leitsätze für eine Neuregelung aufzustellen410 oder sonstige nicht durch den konkreten Fall veranlasste Rechts­ ausführungen zu machen, existiert nicht. Dies wäre auch gar nicht wünschenswert, denn es ist grundsätzlich Sache des Parlaments, politische Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen und  – mit Ausnahme des Verfahrens nach § 32 Abs.  1 BVerfGG411  – nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts. Zwar sind obiter dicta rechtlich unverbindlich, rein faktisch kommt ihnen aber durchaus erhebliche Bindungswirkung zu. Seitens Gesetzgeber, Fachgerichten und Regierung besteht nämlich unverkennbar die Tendenz, den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts möglichst umfassend Rechnung zu tragen, was im Übrigen durch den Umstand, dass obiter dicta von den rationes decidendi (= tragenden Gründen) mitunter nur schwer abgrenzbar sind, noch begünstigt wird.412 Mit Recht verweist Gusy in diesem Zusammenhang auf die Gefahr, dass allgemeine, nicht durch den konkreten Sachverhalt veranlasste Rechtsausführungen faktische Geltung erlangen, die für die einzelnen Verfahrensbeteiligten nur schwer vorhersehbar sind, zu denen sie kein rechtliches Gehör erhalten haben und die vom Bundesverfassungsgericht nicht zuletzt aufgrund seines fehlenden Initiativrechts nur schwer korrigierbar sind.413 Aufschlussreich ist im vorliegenden Zusammenhang auch ein Sondervotum des ehemaligen Verfassungsrichters Böckenförde aus dem Jahr 1995. Dieser hat in seiner abweichenden Meinung zum Beschluss zur Vermögenssteuer, der – über die eigentliche Rechtsfrage weit hinausgehend – allgemeine Vorgaben für die Vermögensbesteuerung enthält, treffend ausgeführt: „Ausgriffe, wie der Senat sie vornimmt, finden auch dann keine Rechtfertigung, wenn sie in favorem des Gesetzgebers erfolgen, um ihn durch verbindliche Orientierungspunkte vor dem Risiko eines späteren Scheiterns zu bewahren. Eine solche Argumentation verschöbe die Verantwortung zwischen Gesetzgeber und Verfassungsgericht in unzulässiger Weise. Das Verfassungsgericht ist nicht als fürsorglicher Praeceptor des Gesetzgebers, sondern als – je nach dem zulässigen Anrufungsbegehren – nachträglich punktuell kontrollierendes Gericht konstituiert und organisiert. Der Gesetzgeber ist selbst und aus sich heraus für die Verfassungsmäßigkeit seiner gesetzgeberischen Entscheidungen verantwortlich. Nimmt er diese Verantwortung nicht hinreichend wahr, fällt das auf ihn zurück und er hat politisch die Folgen zu tragen. Fürsorglichkeit gegenüber dem Gesetzgeber sollte sich das Verfassungsgericht versagen.“414

Der Verzicht auf obiter dicta liegt nicht zuletzt auch im arbeitsökonomischen Interesse des Bundesverfassungsgerichtes. Gerade in den letzten Jahren klagen die 410 So etwa geschehen in der Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung, vgl. BVerfGE 128, 326. 411 Siehe dazu bereits oben B.II.1.a). 412 Näher hierzu Kranenpohl, S. 385 ff. 413 Vgl. Gusy, S. 257. 414 BVerfGE 93, 121 (151).

III. Verfahrensrechtliche Kompetenzen

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Karlsruher Richter wieder in stärkerem Maß über massiv steigende Arbeitsbelastung, was angesichts der ungebrochen hohen Zahl von Verfahrenseingängen zwar durchaus nachvollziehbar ist. Dies bedeutet aber zugleich, dass das Bundesverfassungsgericht allen Anlass hat, sich unzulässiger und unnötiger Rechtsausführungen in Form von obiter dicta zu enthalten und sich allein auf den jeweiligen Sachverhalt und die dort aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragestellungen zu konzentrieren. Das gilt umso mehr als der Kompetenzbereich des Bundesverfassungsgerichtes ohnehin außergewöhnlich groß ist. ff) Zusammenfassung Das Bundesverfassungsgericht kann im Rahmen von Normenkontrollentscheidungen Gesetze ganz oder teilweise für nichtig erklären. Die Zulässigkeit entsprechender Tenorierungen ergibt sich unmittelbar aus § 78 Satz 1 BVerfGG. Darüber hinaus ist das Bundesverfassungsgericht befugt, Gesetze für unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären und dies gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG analog mit einer Weitergeltungsanordnung zu verbinden. Die Schaffung von „Übergangsrecht“ durch konkrete inhaltliche Vorgaben ist hingegen ebenso unzulässig wie Appelle an den Gesetzgeber und sonstige obiter dicta. 3. Einstweiliger Rechtsschutz Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Diese Verfahrensart dient also dazu, den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu überbrücken, d. h. die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern und ggf. auch in dieser Phase Individualrechtsschutz zu gewähren.415 Dabei gilt die sich aus dem Gerichtscharakter des Bundesverfassungsgerichts ergebende Antragsgebundenheit auch für einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG, so dass die in einem Urteil aus dem Jahr 1976 geäußerte Ansicht der Karlsruher Richter, wonach sie auch von Amts wegen tätig werden könnten,416 abzulehnen und mit Recht nicht Praxis geworden ist.417 Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG vorliegen, rekurriert das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache, es sei denn, diese erwiese

415

Vgl. Schlaich/Korioth, Rn.  462; Hillgruber/Goos, Rn.  801 f.; siehe auch Benda/Klein, Rn. 1313 m. w. N. 416 Vgl. BVerfGE 42, 103 (119 f.). 417 Näher hierzu Benda/Klein, Rn. 1317 m. w. N.

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B. Das Bundesverfassungsgericht im Gefüge der drei Gewalten 

sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet.418 Im Übrigen favorisiert es ein Abwägungsmodell, das es in ständiger Rechtsprechung wie folgt beschreibt: „Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre.“419

Durch diese Vorgehensweise will das Bundesverfassungsgericht sicherstellen, dass die Klärung schwieriger Rechtsfragen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt, denn die Unsicherheiten, die mit einer summarischen Prüfung der Erfolgschance in der Hauptsache verbunden sind, seien mit den Auswirkungen verfassungsgerichtlicher Entscheidungen schwer vereinbar.420 In der Literatur wird diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts mit Recht vielfach kritisiert. Zwar ist es durchaus richtig, dass einstweilige Anordnungen gewichtige Konsequenzen nach sich ziehen, denn sie gelten gemäß § 31 Abs.  1 BVerfGG inter omnes und haben zudem unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BVerfGG auch Gesetzeskraft. Allerdings bestehen diese Wirkungen nur bis zum Erlass der Hauptsacheentscheidung, durch die ohne Weiteres eine umfassende Korrektur der zuvor getroffenen rechtlichen Bewertung vorgenommen werden kann.421 Darüber hinaus ist es zwar in gewisser Weise nachvollziehbar, wenn das Bundesverfassungsgericht meint, dass eine summarische Prüfung mit einer gewissen Unsicherheit und Fehleranfälligkeit verbunden sei. Zutreffend wenden Benda/Klein hiergegen jedoch ein, dass unerfindlich ist, warum es eher das Risiko der Rechtsverfehlung in der Zwischenzeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache eingehen wolle, anstatt die einstweilige Anordnung wenigstens so nah wie möglich am materiellen Recht auszurichten.422 Ferner sieht sich das Abwägungsmodell dem (berechtigten) Einwand ausgesetzt, dass einer vom Verfassungsrecht abstrahierenden Folgenabwägung ein hinreichend konkreter Maßstab fehle und einer gewissen Beliebigkeit unterliege.423 Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit verschiedentlich gezeigt, dass eine summarische Prüfung durchaus möglich ist, indem es sie selbst mehrfach durchgeführt hat.424 Es ist ohnehin auffällig, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung in aller Regel mit dem späteren Erfolg in der Hauptsache einhergeht, weshalb es nicht fern liegend ist, wenn der Schluss

418

Vgl. nur BVerfG NJW 2012, 3145 (3146) m. w. N. BVerfGE 129, 284 (298); 126, 158 (168) m. w. N. 420 Vgl. BVerfGE 77, 130 (135); 12, 36 (40). 421 Vgl. Hillgruber/Goos, Rn. 877. 422 Vgl. Benda/Klein, Rn. 1347. 423 Näher hierzu Hillgruber/Goos, Rn. 879. 424 Vgl. aus jüngerer Zeit BVerfG NJW 2012, 3145 (3146 f.) – Eilanträge gegen die Ratifikation von ESM-Vertrag und Fiskalpakt; siehe ferner Schlaich/Korioth, Rn. 466 m. w. N. 419

III. Verfahrensrechtliche Kompetenzen

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gezogen wird, dass sich das Bundesverfassungsgericht weit häufiger von den Erfolgsaussichten der Hauptsache leiten lässt als es selbst offenbart.425 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen von Entscheidungen nach § 32 BVerfGG stärker am materiellen Verfassungsrecht orientieren sollte, so wie andere Gerichte dies in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ebenfalls tun. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Gemeinwohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG maßgeblich durch das Grundgesetz selbst bestimmt wird.426

425 426

Vgl. Schlaich/Korioth, Rn. 466; Hillgruber/Goos, Rn. 886. So zutreffend Hillgruber/Goos, Rn. 885.

C. Die Lage des Strafvollzuges zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes C. Lage des Strafvollzuges bei der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes Da in der vorliegenden Arbeit, wie bereits einleitend dargestellt wurde, auch eine Längsschnittperspektive eingenommen wird, ist es sinnvoll, sich der Anfänge des darzustellenden Entwicklungsprozesses zu vergewissern. Weil das Bundes­ verfassungsgericht vor mehr als 60 Jahren gegründet wurde, geht es also konkret um die Frage, wie der deutsche Strafvollzug in den 1950er-Jahren beschaffen war. Die nachfolgende – der gebotenen Kürze wegen überblicksartige – Bestandsaufnahme orientiert sich hinsichtlich der ausgewählten Teilbereiche des Strafvollzuges im Wesentlichen an den in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erörterten Themenkreisen. Die Reihenfolge der Abhandlung orientiert sich wiederum an derjenigen des Strafvollzugsgesetzes des Bundes.

I. Vorbetrachtung: Die Formen der Freiheitsstrafe in den 1950er-Jahren Weil zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichts noch nicht das Prinzip der Einheitsfreiheitsstrafe galt, ist es sinnvoll, zunächst einmal einen kurzen Überblick über die zu dieser Zeit existierenden Arten des strafrechtlichen Freiheitsentzuges zu geben. Insgesamt gab es vier verschiedene Formen, die sich zwar vom Grad der jeweils mit ihnen verbundenen sozialen Stigmatisierungen deutlich unterschieden, im praktischen Vollzug hingegen kaum. So differierten Gefängnis- und Zuchthausstrafe lediglich in Bezug auf die Höhe des Arbeitsentgeltes, die Farbe der Arbeitskleidung, die Zahl der Besuchserlaubnisse und die Möglichkeiten des Postverkehrs.427 Die Haftstrafe, die für Übertretungen vorgesehen war und deren Dauer zwischen einem Tag und sechs Wochen betrug, unterschied sich von den vorgenannten Arten des Freiheitsentzuges vor allem durch den Wegfall der Arbeitspflicht. Im Übrigen waren die Häftlinge aber denselben Beschränkungen unterworfen wie andere Gefangene auch, denn besondere Anstalten waren für die Strafhaft nicht vorgesehen.428 Bis 1953 existierte zudem die Festungshaft, bei der es sich um eine privilegierte, d. h. nicht entehrende Form des Freiheitsentzuges handelte, die überwiegend bei politischen Straftaten und Verstößen gegen das Zweikampfverbot (§§ 201 ff. StGB a. F.) verhängt wurde. Durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz wurde sie durch die (praktisch irrelevante)  „Einschließung“ ersetzt. 427

Vgl. Holl, ZfStrVo 1958, 239 (239 f.); Hiete, ZStW 68 (1956), 213 (217); Mittermaier, S. 1 f. Vgl. „Der Spiegel“, Nr. 4/1961, S. 20.

428

II. Vollzugsziel

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II. Vollzugsziel Was die Zielsetzung des Strafvollzuges zum damaligen Zeitpunkt anbelangt, ist insbesondere die Kontrollratsdirektive Nr. 19 vom 12.11.1945 („Grundsätze für die Verwaltung der deutschen Zuchthäuser und Gefängnisse“) von besonderer Bedeutung. 429 Sie markierte den Anfangspunkt für einen humaneren Strafvollzug nach dem Zweiten Weltkrieg und erklärte Umerziehung und Rehabilitierung der Gefangenen zu den zentralen Gestaltungsprinzipien.430 Anknüpfend an die Reformbestrebungen der Weimarer Republik, waren es vor allem namhafte Strafvollzugsreformer wie Albert Krebs, Helga Einsele oder Curt Bondy, die sich für die Resozialisierung der Gefangenen, d. h. deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch erzieherische Maßnahmen, einsetzten.431 Die oben beschriebene Differenzierung zwischen Zuchthaus und Gefängnis stieß hier auf erhebliche Kritik, beruhte diese doch allein auf dem Vergeltungsgedanken, der überwunden werden sollte.432 Freilich ist nicht zu verkennen, dass die positiv spezialpräventive Ausrichtung des Strafvollzuges sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des „Wie“ keinesfalls unumstritten war und in Bevölkerung, Politik und selbst in der Vollzugspraxis auf teils erhebliche Vorbehalte stieß.433 Hier wurden Sühne, (moralische)  Besserung der Gefangenen und Vergeltung vielfach weiterhin als erstrebenswert angesehen.434 Die Rechtsprechung entschied im Zweifel zu Gunsten des Sicherungsaspektes und stufte Resozialisierungsinteressen insoweit als nachrangig ein.435 Um die genannten Vollzugsziele (auch die Legalbewährung) zu erreichen, bediente man sich größtenteils eher rückständiger Methoden (straffe Ordnung, Disziplin sowie Gewöhnung an Sauberkeit, Pünktlichkeit und vor allem an regelmäßige­ Arbeit).436 Die „Arbeitsgemeinschaft für die Reform des Strafvollzuges“ stellte diesbezüglich bereits auf ihrer Tagung Ende August 1951 fest:

429

Die Direktive ist vollständig abgedruckt bei Krebs, ZfStrVo 1950, Heft 3, 17 (30 ff.). Vgl. Krebs, ZfStrVo 1950, Heft 3, 17 (27). 431 Vgl. Schwind/Blau, S.  19; siehe ferner aus dem zeitgenössischen Schrifftum Krebs, ZfStrVo 1950, Heft 3, 17 (19, 27); Orth, ZfStrVo 1950, Heft 4, 25 (26); Jung, ZfStrVo 1951, Heft 4, 53 (53 f.); Hiete, ZStW 68 (1956), 213 (215). 432 Vgl. Arbeitsgemeinschaft für die Reform des Strafvollzuges, ZfStrVo 1952, Heft 1, 5 (7). 433 Vgl. Eb. Schmidt, Zuchthäuser, S.  32 f.; siehe auch „Die Zeit“ v. 21.4.1955, abrufbar unter www.zeit.de/1955/16/freiheit-mit-vorbehalt (zuletzt abgerufen am 31.5.2012); FAZ v. 25.5.1959, S. 5 und 24.11.1959, S. 11. 434 Vgl. etwa Jung, ZfStrVo 1951, Heft 5, 53 (53): „Der Strafvollzug hat die Aufgabe, den Rechtsbrecher […] zur Einsicht in die Verwerflichkeit und Gesetzwidrigkeit seiner Tat zu bringen, sodaß die vom Gericht erkannte Strafe auch von ihm als gerecht empfunden wird und damit er zu den staatlichen und menschlich-moralischen Ordnungen […] Ja sagen lernt […].“; anders Orth, ZfStrVo 1950, Heft 4, 25 (26): „Den Staat interessieren nicht die Motive, die den Einzelnen dazu bewegen, die Gesetze der bürgerlichen Ordnung anzuerkennen.“; siehe auch Mayer, ZfStrVo 1958, 243 (269), der von drei Zwecken der Strafe spricht: Sühne, Besserung und Sicherung. 435 Vgl. Schwind/Blau, S. 20. 436 Vgl. Nissen, ZfStrVo 1950, Heft 3, 50 (52 f.); Orth, ZfStrVo 1950, Heft 4, 25 (29). 430

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C. Lage des Strafvollzuges bei der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes „Es ist ein großes Mißverständnis, daß der bisher in der Regel als ‚Erziehungsgedanke‘ bezeichnete Sinngehalt der Vollzugsreform dahin aufzufassen sei, als solle an jedem Gefangenen wie an einem Kinde oder unfertigen Jugendlichen ein Erziehungswerk geleistet werden. […] Sie will [vielmehr] erreichen […], daß der Vollzug in einer durch sachkundige Fachleute geschaffenen Atmosphäre erfolgt […]. Die Arbeitsgemeinschaft weiß aus Erfahrung, daß etwas Derartiges nicht einfach mit gutem Willen und humaner Gesinnung der am Vollzugsdienst Beteiligten zu erreichen ist […], [sondern] diese Atmosphäre nur durch das sehr sachkundige Arbeiten aller in der Strafanstalt Tätigen, insbesondere der hier einzusetzenden, fachlich ausgebildeten Sozialarbeiter [geschaffen] werden kann.“ 437

Weil es aber an dem erwähnten qualifizierten Personal massiv fehlte, was u. a. auf unzureichende Ausbildung und Besoldung der Beschäftigten zurückzuführen ist, diente die Propagierung des Resozialisierungsziels zunächst einmal vor ­allem der Abgrenzung zum rein abschreckenden Strafvollzug des Dritten Reiches. So heißt es etwa in den von der Arbeitsgemeinschaft zu vorgenannter Tagung ver­ öffentlichten Leitgedanken: „Wenn sie [= die Arbeitsgemeinschaft, Anm. Verf.) einen auf Resozialisierung ausgerichteten Vollzug wünscht, so will sie damit verhüten, daß der Strafvollzug aus lauter Skepsis und Unerfahrenheit wieder zu einem tatvergeltenden Schließerdienst mit all den sattsam bekannten Mißständen wird, die sich aus einem Fehlen von Aufgaben ergeben haben, die auf Arbeit an den gefangenen Menschen abzielen.“ 438

Was die Personalsituation anbelangt, kritisierte auch McGee, Direktor des Strafvollzuges im US-Bundesstaat Kalifornien, im Bericht über seine Besichtigung der deutschen Gefängnisverwaltung in der amerikanischen Besatzungszone von Mitte Juli bis Mitte September 1951 u. a. die „recht wahllosen“ Einstellungen von neuen Angestellten in den Vollzugsdienst, die zu geringe Bezahlung und die qualifikationsunabhängige Bevorzugung von Flüchtlingen und ehemaligen Wehrmachtsangehörigen.439

III. Vollzugsplanung Unmittelbar nach der Aufnahmeprozedur mit Durch- und Untersuchung legte man eine Personalakte an und ließ den Gefangenen bei längeren Strafen auch einen Lebenslauf schreiben.440 Oftmals kam er sodann in eine Beobachtungsabteilung, wo er zumeist in strenger Einzelhaft untergebracht wurde und seitens der Vollzugsbediensteten durch Besprechungen „erforscht“ werden sollte, um eine Entscheidungsgrundlage für die Planung seiner Behandlung zu gewinnen.441 In 437 ZfStrVo 1952, Heft 1, 5 (6); näher zur Neugründung der Arbeitsgemeinschaft im Jahr 1948 und zu ihrem Werdegang Naumann, S. 228 ff. 438 ZfStrVo 1952, Heft 1, 5 (6). 439 Vgl. McGee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (16 f.). 440 Vgl. Mittermaier, S. 84 f. 441 Vgl. Mittermaier, S. 85.

IV. Verlegung

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Baden-Württemberg war insoweit ein System zunehmender Vergünstigungen vorgesehen, das in Anlehnung an den Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes von 1927 verschiedene Stufen vorsah, in die ein Gefangener entsprechend seines Verhaltens einzugruppieren war und innerhalb derer er unter bestimmten Voraussetzungen „aufsteigen“ konnte.442 Schon damals wurde allerdings erkannt, dass sich mittels eines solch schematisch angewendeten Systems der zunehmenden Gewährung von Erleichterungen innerhalb der Haftanstalt bei „guter Führung“ (= sog. Stufenstrafvollzug) allenfalls eine gewisse Anstaltsdisziplin („Zuchthausfrömmigkeit“) erreichen lässt, aber nicht zwingend auch Fortschritte in Bezug auf die spätere­ Legalbewährung.443 Anders als in Baden-Württemberg wurde daher in den übrigen Ländern auf die detaillierte Festschreibung einer solchen „Vergünstigungsprogression“ verzichtet.444 Vielmehr handhabte man sie freier und individueller. Im Übrigen war vor allem die Arbeit das zentrale Behandlungsinstrument. Für viele andere Maßnahmen – etwa therapeutischer Art – fehlt es jedoch, wie bereits erläutert, an entsprechendem Fachpersonal. Auch ein progressiv voranschreitender Vollzug in zunehmend aufgelockerter Form konnte aufgrund eines Mangels an (halb-)offenen Anstalten nur ganz vereinzelt stattfinden.445 In der Regel musste die Entlassung daher ohne jede vorherige Lockerung und nach vollständiger Verbüßung der Strafzeit erfolgen.446

IV. Verlegung Eine Verlegung des Gefangenen kommt heute im Wesentlichen zur Förderung der Resozialisierung, bei erhöhter Gefährlichkeit des Gefangenen oder aus Gründen der Vollzugsorganisation in Betracht.447 Dies ist durchaus auch zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes bereits möglich gewesen. So heißt es etwa in Nr. 208 Abs. 1 der vorläufigen Strafvollzugsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11.8.1948: „Der Gefangene darf im Laufe des Strafvollzuges in eine andere Vollzugsanstalt versetzt werden, wenn es besondere Belange des Vollzuges, der Verwaltung oder seiner selbst erforderlich machen.“ Eine an-

442

Vgl. Krüger, S. 155. Vgl. Orth, ZfStrVo 1950, Heft 4, 25 (27). Eine der Weimarer Zeit entsprechende, systematische Stufenregelung war daher in den Vollzugsordnungen ganz überwiegend nicht vorgesehen, näher dazu Krüger, S. 154 f. 444 Vgl. Krüger, S. 155. 445 Vgl. Krüger, S. 156 f. 446 Die Arbeitsgemeinschaft für die Reform des Strafvollzuges stellte diesbezüglich auf­ ihrer Arbeitstagung im August 1951 mahnend fest: „Kriminalpolitische Erfahrung lehrt, dass alle Bemühungen um Resozialisierung aufs schwerste gefährdet werden durch den schroffen Wechsel von voller Gefangenschaft zu voller Freiheit im Augenblicke der Entlassung. Es muß daher gefordert werden: 1. Allmählich zunehmende Verbindung des Gefangenen mit der Außenwelt schon während der Strafthaft […]“, vgl. ZfStrVo 1952, Heft 1, 5 (9). 447 Vgl. §§ 8 Abs. 1, 85 StVollzG. 443

98

C. Lage des Strafvollzuges bei der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes

dere Frage ist es freilich, inwieweit von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch gemacht wurde. Auch wenn belastbare Zahlen nicht existieren, liegt die Vermutung nahe, dass es aufgrund der in den 1950er-Jahren insgesamt noch sehr restriktiven Vollzugspraxis eher selten vorgekommen sein dürfte, dass ein Gefangener aus „Belangen seiner selbst“ – also insbesondere zu Resozialisierungszwecken – in eine andere Haftanstalt verlegt wurde.

V. Vollzugslockerungen (einschließlich offener Vollzug) Die Frage, inwieweit Inhaftierten Lockerungen wie Urlaub oder Ausgang zu gewähren sind, bezeichnet Wolfgang Mittermaier in seinem 1954 veröffentlichten Lehrbuch „Gefängniskunde“ als „in Deutschland noch nicht voll geklärt“.448 Jedenfalls kam in dringenden Fällen (Gerichtstermin, Todesfall innerhalb der­ Familie u. ä.) nach besonderer Genehmigung und unter Aufsicht ein Verlassen der Haftanstalt in Betracht.449 Offenen Vollzug in nennenswertem Umfang gab es  – wie bereits angedeutet wurde  – zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes nicht. International war diese Art eines gelockerten Strafvollzuges aber bereits auf dem Vormarsch. Dies wird u. a. daran deutlich, dass sich der „Zwölfte internationale Kongress für Strafrecht und Gefängniswesen“ in Den Haag im August 1950 intensiv mit dieser Thematik befasste und auch eine umfassende Resolution zur praktischen Umsetzung verabschiedete.450 Der erste Neubau einer offenen Haftanstalt in Deutschland erfolgte jedoch erst Ende der 1950er-Jahre in Frankfurt Preungesheim. Hier wurden die Sicherheitsvorkehrungen auf ein Mindestmaß beschränkt (Drahtzaun statt Gefängnismauern, keine Gitter, unverschlossene Hafträume), Werkstätten eingerichtet sowie Grünanlagen für sportliche Aktivitäten geschaffen.451 Selbst 1970 waren aber immer noch gerade einmal zwei Prozent aller Gefangenen in Anstalten mit aufgelockertem Charakter untergebracht.452 Dies ist nicht zuletzt auch auf den Umstand zurückzuführen, dass § 347 StGB a. F., der erst im Wege des ersten Strafrechtsreformgesetzes 1969 abgeschafft wurde, schon das fahrlässige Entweichen von Gefangenen unter Strafe stellte und damit für die Vollzugsbediensteten ein erhebliches Risiko der Strafverfolgung bestand, wenn der Gefangene eine Lockerung zur Flucht missbrauchte.453

448

Vgl. Mittermaier, S. 111. Vgl. Mittermaier, a. a. O. 450 Näher hierzu Würtenberger, ZStW 64 (1952), 82 (88 f.). 451 Näher hierzu FAZ v. 28.11.1957, S. 15 und 24.11.1959, S. 11. 452 Vgl. Krüger, S. 157 f. m. w. N. 453 Vgl. Krüger, S. 157. 449

VI. Unterbringung

99

VI. Unterbringung Als nicht zufriedenstellend muss ferner die Unterbringung der Gefangenen im Strafvollzug der 1950er-Jahre bezeichnet werden. Die damaligen Haftgebäude stammten überwiegend aus dem 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert oder waren zum Teil noch älter, weil sie ursprünglich als Klöster dienten und lediglich zu Gefängnissen umgebaut worden waren.454 Architektonisch waren die Haftanstalten zumeist nach dem sog. „Pennsylvania-System“ errichtet, d. h. in einer Art und Weise, die es gestattete, jeden Gefangenen vollkommen isoliert von anderen Insassen unterzubringen, um durch Arbeit und Gebet individuelle Besserung und Sühne zu ermöglichen.455 Für einen auf positive Spezialprävention ausgerichteten Straf­ vollzug fehlte es dementsprechend an Werkstätten, Räumen für Freizeitgestaltung, Schulungen usw.456 Im Hinblick auf den individuellen Gefangenen wurde überwiegend die Einzelunterbringung während der Nachtzeit befürwortet, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen: Verringerung des Ausbruchrisikos, Schaffung einer Intimsphäre für den Inhaftierten, Verminderung des Bedrohungspotenzials für Bedienstete und Verhinderung homosexueller Kontakte.457 Aufgrund der teils massiven Überbelegung der Vollzugsanstalten konnte die ­Einzelunterbringung allerdings kaum gewährleistet werden.458 Besonders die kurzen Freiheitsstrafen, die in zunehmendem Maße wegen Straßenverkehrsdelikten verhängt wurden, spielten diesbezüglich eine unrühmliche Rolle.459 Überdies war die Ausstattung der Hafträume ausgesprochen dürftig. Standardmäßig verfügten sie über ein Bett, das tagsüber hochgeschlossen wurde, weil als Sitzgelegenheit grundsätzlich nur ein Hocker vorgesehen war – ein Stuhl mit Lehne stellte eine Vergünstigung dar.460 Allmählich versuchte man die Hafträume mit Waschvorrichtungen und fließendem Wasser auszustatten.461 Auch Ende der 1950er-Jahre fehlte es aber vielfach noch an sanitären Anlagen in den Zellen, so dass mitunter nach wie vor das „Kübelsystem“ zum Einsatz kam.462 Zudem bestand für die Inhaftierten zumeist keine Möglichkeit nach Einnahme der Mahlzeiten ihr Geschirr, das in der Regel in den Hafträumen verblieb, mit heißem Wasser zu reinigen.463

454

Vgl. Eb. Schmidt, Zuchthäuser, S. 29 f.; McGee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (18). Näher hierzu McGee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (18). 456 Vgl. McGee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (18 f., 24). 457 Ausführlich dazu Böttcher, ZfStrVo 1952, 267 ff.; Busch, ZfStrVo 1958, 315 ff.; siehe auch Holl, ZfStrVo 1958, 239 (242). 458 Näher zur Belegungssituation in den 1950er-Jahren Naumann, S. 242 f. 459 Vgl. Holl, ZfStrVo 1958, 239 (241); Eb. Schmidt, Zuchthäuser, S. 27 f.; siehe auch „Der Spiegel“, Nr. 4/1961, S. 22. 460 Vgl. Mittermaier, S. 41. 461 Vgl. Mittermaier, a. a. O.; Naumann, S. 244. 462 Vgl. FAZ v. 20.06.1959, S. 48. 463 Vgl. Mc Gee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (27). 455

100

C. Lage des Strafvollzuges bei der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes

VII. Außenkontakte Außenkontakte der Gefangenen (Besuche, Schriftverkehr) wurden in erster­ Linie als Privilegien betrachtet, weshalb die Verfahrensweise in diesem Bereich eine restriktive Tendenz aufwies.464 Dies zeigt sich schon anhand der Besuchszeit, die sehr kurz bemessen war und zum Teil  nur 20 Minuten im Monat betrug.465 Hinzu kommt, dass die Durchführung von Besuchen für alle Beteiligten häufig wenig erbaulich war. So wurden in manchen Vollzugsanstalten Gefangene und Besucher durch ein Drahtgitter voneinander getrennt oder an einen zwei Meter breiten Tisch gesetzt, um Berührungen auszuschließen und zu gewährleisten, dass die – von einem Vollzugsbediensteten überwachte Unterhaltung – laut und deutlich geführt wird.466 Regelmäßiger Briefverkehr war den Inhaftierten gestattet. Außer den Tatbeteiligten und Prostituierten kamen grundsätzlich alle Personen als Adressaten in Betracht.467 Der Schriftverkehr wurde seitens des Anstaltsleiters bzw. der von ihm beauftragten Bediensteten überwacht, um beleidigende, strafbare oder unwahre Angaben sowie anstandsverletzende und sicherheitsgefährdende Mitteilungen zu unterbinden.468 Die Zensur wurde teilweise sogar als ein „gutes indirektes Erziehungsmittel“ angesehen, da sich der Gefangene angesichts der stattfindenden Überwachung innerlich einen „gewissen Zwang“ beim Schreiben auferlegen müsse.469

VIII. Arbeit, Bildung und Soziales Von der insgesamt schlechten Gebäudesubstanz waren auch – soweit vorhanden  – die Arbeitsstätten in den Haftanstalten betroffen. Weil die finanziellen Mittel für eine moderne Ausstattung der Betriebe fehlten, konnten die Gefangenen vielfach nur mit eintöniger und einfachster Arbeit beschäftigt werden (Tüten kleben, Körbe flechten u. ä.).470 Der Marktwert der – in der freien Wirtschaft häufig gar nicht mehr angebotenen Leistungen – betrug meist nur wenige Pfennige.471 Obwohl die Arbeit als wichtigster Pfeiler des „Erziehungsvollzuges“ angesehen wurde, war sie letztlich nicht mehr als eine reine „Beschäftigungstherapie“. Mit der zunehmenden konjunkturellen Belebung und dem daraus resultierenden Mangel an Arbeitskräften wurden die Tätigkeiten jedoch gegen Ende der 1950erJahre zunehmend anspruchsvoller, weil sich die freie Wirtschaft stärker als zuvor 464

Vgl. Mc Gee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (25). Vgl. Schulze, ZfStrVo 1957, 364 (365). 466 Vgl. Schulze, ZfStrVo 1957, 364 (364). 467 Vgl. Mittermaier, S. 109, der auch darauf hinweist, dass Randbemerkungen und Durchstreichungen unzulässig waren und dies als „kleinlich und veraltet“ bezeichnet. 468 Vgl. Mittermaier, S. 110. 469 So etwa Schulze, ZfStrVo 1957, 364 (365). 470 Vgl. FAZ v. 21.4.1950, S. 2 und 22.06.1951, S. 3. 471 Vgl. FAZ v. 09.11.1957, S. 5. 465

IX. Gesundheitsfürsorge

101

für das Produktionspotenzial in den Haftanstalten interessierte.472 Die Arbeitsentlohnung war (auch für höherwertige Tätigkeiten) so gering, dass Leistungsanreize nahezu völlig fehlten und die Erfüllung von Unterhaltsverpflichtungen oder Schadens­wiedergutmachung nicht in Betracht kamen. Es kann daher auch nicht von einer Arbeitsvergütung im eigentlichen Sinne gesprochen werden, sondern ­allenfalls von einer Arbeitsbelohnung. Ein Gefangener verdiente nämlich selbst in der bereits erwähnten modernen JVA Frankfurt-Preungesheim im Jahr 1959 nur ­zwischen 30 und 90 Pfennig am Tag (evtl. zuzüglich einer Leistungsprämie bis höchstens 20 Mark im Monat), wobei die Hälfte des Verdienstes als Rücklage für die Zeit nach der Entlassung einbehalten wurde.473 In der zeitgenössischen Literatur forderte man zwar vielfach eine Anhebung des Arbeitsentgeltes, lehnte eine Anpassung an die Verhältnisse der freien Wirtschaft aber zumeist ab.474 Sozialversicherungsrechtlicher Schutz bestand für die Gefangenen größtenteils nicht. Sie hatten nur die – praktisch allerdings kaum realistische – Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung.475 Lediglich gegen Unfälle bestand ein gewisser Schutz aufgrund des zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes noch geltenden „Gesetzes betreffend die Unfallfürsorge für Gefangene“ vom 30.6.1900. In Bezug auf das Bildungsangebot stellte sich die Situation so dar, dass es eine (nicht besonders breit gefächerte) Auswahl an Handwerken gab, die in den Haftanstalten erlernt werden konnten.476 Außerdem wurden – neben allgemeinbildendem und Berufsschulunterricht – zum Teil auch verschiedene Sonderkurse (Sprachen, Maschinenschreiben u. a.) angeboten.477

IX. Gesundheitsfürsorge Die medizinische Versorgung lag – zumindest in den größeren Haftanstalten – in den Händen eines hauptamtlichen Arztes, der dem Anstaltsleiter unterstellt war und lediglich im medizinischen Bereich selbstständig war.478 In kleineren Anstalten wurden regelmäßig nur extramural tätige Ärzte nebenamtlich beschäftigt, was sich vielfach nachteilig auswirkte, weil in diesen Fällen zahlreiche der in den einzelnen Vollzugsordnungen vergleichsweise detailliert geregelten Aufgaben der Gesundheitsfürsorge (Krankenbehandlung, Überwachung der Ernährung, Sicherstellung der Sauberkeit in der Haftanstalt, Entlassungsuntersuchungen u. a.) nicht

472

Vgl. Nyssen, ZfStrVo 1958, 271 (272). Vgl. FAZ v. 24.11.1959, S. 11. 474 Vgl. Holl, ZfStrVo 1957, 368 ff.; Ebert, ZfStrVo 1957, 359 f.; kritisch auch Mittermaier, S. 94 f. 475 Vgl. Bauer, in: Humanität der Rechtsordnung, S. 315 (330 f.). 476 Vgl. McGee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (22). 477 Vgl. Mittermaier, S. 96. 478 Vgl. Mittermaier, S. 112. 473

102

C. Lage des Strafvollzuges bei der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes

angeboten werden konnten.479 Generell herrschte ein großer Mangel an Pflegepersonal, weshalb in kleineren Anstalten oftmals der Hauptwachtmeister zugleich die Aufgaben eines Sanitätsbeamten wahrnehmen musste.480 Zum Teil  wurden auch Gefangene als Hilfskräfte herangezogen.481 Darüber hinaus fehlte es vielfach an einer hinreichenden fachärztlichen Betreuung (Psychiater; Zahnärzte u. a.).482 Über ein Krankenhaus verfügten nur die größeren Haftanstalten.483 Soweit dies notwendig war, konnte der betroffene Gefangene aber auf Kosten der Vollzugsbehörde extramural stationär behandelt werden. Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge waren möglich, wenn sich ein Inhaftierter gegen eine vorgesehene Untersuchung zur Wehr setzte, in den Hungerstreik trat oder Suizid begehen wollte.

X. Besitz von Gegenständen Nach der Arbeit gab es für die Gefangenen zumeist nur eine recht überschaubare Auswahl an Möglichkeiten der Beschäftigung. Das ist zum einen auf die bereits erläuterten baulichen Unzulänglichkeiten (zu wenig Raum für Sport- und Gemeinschaftsveranstaltungen) zurückzuführen, andererseits aber auch auf die (zu) knappen finanziellen Mittel. Immerhin konnten die Inhaftierten Lesestoff beziehen, wenngleich die meisten Anstaltsbüchereien sehr klein waren und oft nur über wenige aktuelle Werke verfügten.484 Mitunter bestand für die Gefangenen auch die Möglichkeit, Radio zu hören, am Theaterspiel oder an Filmvorführungen teilzunehmen.485 Trotz dieses begrenzten Freizeitangebotes war der Besitz persönlicher Gegenstände, die im eintönigen Haftalltag für zusätzliche Abwechslung sorgen können, nur in engen Grenzen möglich, denn bei Strafantritt mussten die Gefangenen grundsätzlich alle mitgebrachten Sachen zur Verwahrung bis Strafende abgeben. Lediglich im Wege der Vergünstigung konnten ­ihnen bei „guter Führung“ Trauring, Bilder naher Angehöriger, Wäsche und andere persönliche Gegenstände ausgehändigt werden.486 Dasselbe galt auch in Bezug auf Gegenstände für die Freizeitgestaltung, wie z. B. Bücher oder diverse Zeitschriften.

479

Vgl. Mittermaier, a. a. O. Vgl. Müller, ZfStrVo 1951, Heft 2, 56 (56). 481 Vgl. Mauch, ZfStrVo 1955, 83 (86). 482 Vgl. Mittermaier, S. 112 f. 483 Vgl. hier und im Folgenden Mittermaier, S. 114 ff. 484 Vgl. McGee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (23 f.). 485 Vgl. Mittermaier, ZfStrVo 1957, 4 (12 f.); siehe auch FAZ v. 21.4.1956, S. BuZ1. 486 Vgl. Mittermaier, S. 84. 480

XII. Rechtsschutz

103

XI. Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen Was den Bereich der Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen anbelangt, bestand Einigkeit, dass körperliche Züchtigungen nicht angewendet dürfen.487 Zulässig waren aber die Verwarnung, die Kostschmälerung, der Entzug von Vergünstigungen und von Licht abends nach der Arbeit, hartes Lager sowie Arrest bis zu 15 Tagen (mit der Möglichkeit der Verschärfung durch Wasser- und Brotnahrung).488 Verfahrenstechnisch waren die eingehende Aufklärung des zu Grunde liegenden Sachverhaltes und insbesondere auch die Anhörung des Gefangenen vorgeschrieben.489 Zur Verhinderung von Fluchtversuchen, Suiziden oder Gefahren für die Sicherheit und Ordnung kamen folgende Sicherungsmaßnahmen zum Einsatz: Entzug von Gegenständen und Kleidung, Durchsuchung des Haftraumes, Beleuchtung bei Nacht, Unterbringung in der Beruhigungszelle, Fesselung und – als ultima ratio – auch der Waffengebrauch.490

XII. Rechtsschutz Der Rechtsschutz der Gefangenen gegen Vollzugsmaßnahmen war gering. Die nach 1945 erlassenen Strafvollzugsordnungen sahen lediglich die Möglichkeit der Beschwerde vor, über die in der Regel die Aufsichtsbehörde zu entscheiden hatte.491 Weitere Optionen waren nur die Verfassungs- und (ab 1955) die Individualbeschwerde zur Europäischen Kommission (Art.  25 EMRK a. F.). Im Vollzugsalltag erwiesen sich die genannten Rechtsschutzmöglichkeiten weitgehend als theoretische Optionen. Fast immer blieben sie ohne Erfolg und riefen bei den Gefangenen – soweit sie ihnen überhaupt bekannt waren – vor allem Unzufriedenheit und Resignation hervor.492 Die Vollzugsordnungen sahen bei „ungehörigen Beschwerden“ sogar die Festsetzung einer Hausstrafe vor.493 Einfachgesetzlicher Rechtsschutz bestand nicht. Der insoweit in Erwägung zu ziehende Verwaltungsrechtsweg war für die Länder der britischen Besatzungszone durch § 25 der Verordnung 165 von vornherein ausgeschlossen worden.494 Im Übrigen wurde er zwar 487

Vgl. dazu den Bericht von McGee, ZfStrVo 1951, Heft 5a, 3 (22) über seinen Besuch in deutschen Haftanstalten im Sommer 1951: „Nirgendwo wurde ein Anzeichen dafür gefunden, dass körperliche Bestrafungen vorgenommen wurden.“ 488 Vgl. Mittermaier, S. 117 f.; „Hartes Lager“ bedeutete die zeitweise Ersetzung des Bettes durch eine Holzpritsche mit erhöhtem Kopfende und einer den Witterungsverhältnissen entsprechenden Decke; bei der Kostschmälerung konnte eine Mahlzeit (Frühstück, Mittag- oder Abendessen) entzogen werden oder es erfolgte eine Beschränkung auf Brot und Getränk, vgl. Kruse, S. 163 (jeweils am Beispiel von Bremen). 489 Vgl. Mittermaier, S. 117. 490 Näher hierzu Mittermaier, S. 118 f. 491 Näher hierzu Röhl, JZ 1954, 65 (67). 492 Vgl. Wagner, MSchrKrim 1976, 241 (245 ff.); Starck, JZ 1972, 360 (360). 493 Kritisch hierzu Mittermaier, S. 122. 494 Vgl. dazu Röhl, JZ 1954, 65 (67).

104

C. Lage des Strafvollzuges bei der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes

vereinzelt erwogen, aber letztlich einhellig abgelehnt. Hinsichtlich der Begründung sind die Ausführungen von Röhl aufschlussreich, der im Jahr 1954 feststellte: „Es geht nicht an, dass der Strafgefangene sich vor dem Verwaltungsgericht in mündlicher Verhandlung mit seinem Anstaltsleiter gleichberechtigt […] über Vollzugsmaßnahmen streitet. […] Das Argument, dass ein Rechtsbehelf schon dann seine Daseinsberechtigung bewiesen hat, wenn er nur in einem von 100 Fällen Unrecht verhüten hilft, gilt hier noch weniger als in der Freiheit. Hier muss es eben der eine Gerechte leiden, dass ihm um der 99 Querulanten willen der Rechtsschutz versagt wird; denn schließlich ist auch er […] kein ‚Gerechter‘, sondern ein schuldig zu Strafe Verurteilter.“ 495

Im Hinblick auf den ordentlichen Rechtsweg zeigte sich manche zeitgenössische Stimme hingegen – vor allem in Anbetracht des Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG – wesentlich offener und befürwortete im Hinblick auf Gesichtspunkte wie Vollzugsnähe und der Möglichkeit, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden zu können, eine Zuständigkeit des Strafrichters für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Vollzugsmaßnahmen.496 Die praktische Umsetzung erfolgte freilich erst 1960 durch eine entsprechende Regelung in den §§ 23 ff. EGGVG. Auch in materieller Hinsicht war der Grad der Verrechtlichung des Strafvollzuges eher gering. Eine einheitliche gesetzliche Grundlage existierte nicht und wurde aufgrund der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis, auf die an späterer Stelle noch näher einzugehen sein wird,497 auch überwiegend für entbehrlich gehalten. Vielmehr wurden in den ersten Nachkriegsjahren zur Konkretisierung der Kontrollratsdirektive Nr. 19 vom 12.11.1945 in den Ländern lediglich – teils stark voneinander abweichende – Vollzugsordnungen erlassen.498 Daher ist es wenig verwunderlich, dass sich der Strafvollzug in den elf westlichen Ländern recht unterschiedlich entwickelte und rasch Rufe nach einem Strafvollzugsgesetz oder wenigstens gemeinsamen Richtlinien laut wurden.499 Letztgenannte Forderung wurde erst durch das Inkrafttreten der Dienst- und Vollzugsordnung am 1.7.1962 erfüllt.

XIII. Datenschutz Während der Bund bzw. die Länder längst detaillierte Datenschutzbestimmungen auch für den Justizvollzug erlassen haben, gab es zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes nicht einmal ansatzweise entsprechende 495

Röhl, JZ 1954, 65 (68). Ausführlich hierzu und mit Nachweisen zur Gegenauffassung Röhl, JZ 1954, 65 (69). 497 Siehe dazu unten D.IV.1.b)aa). 498 Überblick bei Mittermaier, S. 10 f. 499 Vgl. Duckwitz, ZfStrVo 1951, Heft 3, 22 (22 f.); Hiete, ZStW 68 (1956), 213 (232); siehe auch Protokoll der 1.  Tagung des Strafvollzugsausschusses am 22.2.1951 im Bundesjustizministerium, ZfStrVo 1951, Heft 3, 24 (24 f.): „Es wurde allgemein anerkannt, daß eine einheitliche gesetzliche Regelung auf dem Gebiet des Strafvollzugs für das gesamte Bundesgebiet notwendig ist.“ 496

XIV. Zusammenfassung

105

Regelungen, und zwar nicht nur für den Bereich des Strafvollzuges, sondern insgesamt. Erst mit Entstehung der elektronischen Datenverarbeitung, die in den 1970er-Jahren einen ersten Höhepunkt erreichte, wurde die Frage des Schutzes persönlicher Daten drängender, denn diese konnten nun wesentlich schneller auch über größere Entfernungen abgerufen und übermittelt werden – freilich einhergehend mit größeren Gefahren des Datenmissbrauchs.500 Zugleich gewannen vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufschwungs postmaterialistische Wertvorstellungen in den 1960er-Jahren zunehmend an Bedeutung, was vielfach zu einem größeren Wunsch nach Privatsphäre und zu Unbehagen vor staatlicher Kontrolle führte.501 Mit dem weltweit ersten Datenschutzgesetz, das 1970 in Hessen erlassen wurde, war schließlich der Anfang einer Reihe weiterer entsprechender Kodifikationen in anderen Ländern und im Bund markiert.502 Aus dem alldem ergibt sich, dass die Zeit für Fragen des Datenschutzes in den 1950er-Jahren gesamtgesellschaftlich und erst Recht im Bereich des Strafvollzuges noch nicht reif war.

XIV. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass der Strafvollzug zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes stark reformbedürftig war. Die Sicherstellung der Versorgung in den unmittelbaren Nachkriegsjahren und die Beseitigung nationalsozialistischer Relikte haben zunächst die gesamte Aufmerksamkeit der beteiligten Akteure in Anspruch genommen. In den 1950er-Jahren waren es dann vor allem die äußeren Umstände (marode Gebäude, Personalmangel, Finanzknappheit usw.), die einer praktischen Umsetzung des propagierten „Erziehungsvollzuges“ vielfach im Weg standen und hohe Rückfallquoten bis zu 80 % zur Folge hatten.503 Buhl hat die Situation des Strafvollzuges im ersten Nachkriegsjahrzehnt treffend wie folgt zusammengefasst: „Wir erkennen die Unzulänglichkeit unserer Arbeit selbst nur zu gut und wissen, dass wir von dem Ziel, das uns vorschwebt, noch so unendlich weit entfernt sind. Wir sind über den Anfangsschritt, nämlich den Entschluss, Erziehungsarbeit leisten zu wollen, noch nicht oder jedenfalls sehr wenig hinausgekommen, und man erwartet draußen so viel von uns und unserer Erziehungsarbeit.“ 504

500

Vgl. Bergmann, Volkszählung, S. 4. Näher hierzu Bergmann, Volkszählung, S. 5 f. 502 Vgl. Bergmann, Volkszählung, S. 5. 503 Vgl. Holl, ZfStrVo 1958, 239 (241); Bauer, in: Schuld und Sühne, S. 139 (148). 504 Vgl. Buhl, ZfStrVo 1952, 67 (72). 501

D. Die Entscheidungsanalyse I. Zum Forschungsstand Nachdem nun einige zentrale staatsorganisatorische, verfassungsprozessuale und historische Grundlagen geschaffen wurden, auf die nachfolgend immer wieder Rückgriff zu nehmen sein wird, ist es an der Zeit, sich näher mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug auseinanderzusetzen. Dabei ist vorauszuschicken, dass es Untersuchungen, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug in ihrer Gesamtheit in den Blick nehmen, nicht gibt. Es existieren lediglich Studien, die bestimmte Teilbereiche des Strafvollzuges aus verfassungsrechtlicher Sicht betrachten oder diesen als Ganzes unter einem speziellen grundgesetzlichen Aspekt beleuchten. Naturgemäß ist die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung dabei jeweils von nicht unwesentlicher Bedeutung, stellt aber in den entsprechenden Untersuchungen stets nur einen von einer insgesamt mehr oder weniger großen Zahl anderer Gesichtspunkte dar. 1. Die Untersuchung von Hoffmeyer In seiner im Jahr 1979 publizierten Dissertation „Grundrechte im Strafvollzug“ unternimmt Hoffmeyer den Versuch einer am Grundgesetz orientierten Interpretation des Strafvollzugsrechtes. Letzteres sei – so der Autor – in den ersten 25 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vernachlässigt worden.505 Entsprechend seiner Intention beschäftigt sich Hoffmeyer im „Allgemeinen Teil“ seiner Monografie schwerpunktmäßig mit der Frage nach den grundgesetzlich zulässigen Vollzugszwecken sowie der Geltung und Dogmatik der Grundrechte auf dem Gebiet des Strafvollzuges. Im „Besonderen Teil“ seines Werkes wendet sich der Autor einzelnen Regelungsbereichen des Strafvollzugsgesetzes zu und betrachtet diese aus grundrechtlicher Perspektive. Zwar bezieht Hoffmeyer die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seine Erörterungen durchweg mit ein und gelangt insoweit zu dem Schluss, dass sich letztere parallel zu den sich wandelnden kriminalpolitischen Vorstellungen vom Strafvollzug entwickelt habe.506 Derartige Erörterungen bilden jedoch nicht den Schwerpunkt der Untersuchung. Unabhängig davon vermag Hoffmeyers Monografie die in der vorliegenden Arbeit aufgeworfene Kernfrage nach der Bedeutung der verfassungsgerichtlichen Judikatur für die Entwicklung des Strafvollzuges aber allein schon deshalb 505

Vgl. Hoffmeyer, S. 1. Vgl. Hoffmeyer, S. 40.

506

I. Zum Forschungsstand

107

nicht erschöpfend zu beantworten, weil sie bereits vor mehr als drei Jahrzehnten veröffentlicht wurde und damit zu einer Zeit, in der erst wenige (wenn auch bedeutende) Entscheidungen der Karlsruher Richter vorlagen. 2. Die Untersuchung von Koepsel Ebenfalls schon älteren Datums  – nämlich von 1985  – ist die Untersuchung von Koepsel, die den Titel „Strafvollzug im Rechtsstaat“ trägt. Erklärtes Ziel des Autors ist es, die Bedeutung des vorgenannten Verfassungsgrundsatzes für das Strafvollzugsrecht herauszuarbeiten, die – so sein Fazit – eine dreifache sei: Ermächtigungsgrundlage und Auslegungsregel, Handlungsmaxime für die soziale Leistungsverwaltung sowie Grenze der Entscheidungsgewalt der Vollzugsverwaltung.507 Dem Bundesverfassungsgericht kommt in Koepsels Werk lediglich in­ soweit eine besondere Rolle zu, als das „Lebach-Urteil“ und die darin vorgenommene Verortung des Resozialisierungsgedankens (auch) im Sozialstaatsprinzip den Ausgangspunkt für die nachfolgenden Erörterungen darstellen. An dieser Entscheidung habe sich auch der Gesetzgeber bei der Schaffung des Strafvollzugsgesetzes orientiert.508 Entsprechend dem Titel des Werks ist die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung im Übrigen nur hinsichtlich des Sozialstaatsprinzips bedeutsam und steht auch hier jeweils nicht schwerpunktmäßig im Fokus, sondern wird im Rahmen des Prüfprogramms von Koepsel an geeigneter Stelle (als ein Aspekt) mit einbezogen. 3. Die Untersuchung von Müller-Dietz Im Unterschied zu den vorgenannten Werken von Hoffmeyer und Koepsel ist die im Jahr 1994 veröffentlichte Monografie von Müller-Dietz mit dem Thema „Menschenwürde und Strafvollzug“ bereits aufgrund ihres geringen Umfangs von 36 Seiten nicht in der Lage, die bestehende Forschungslücke in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug zu schließen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Autor zum Zweck der inhaltlichen Annähe­ rung an den Begriff der Menschenwürde zwar auch auf die einschlägige verfassungsgerichtliche Judikatur zurückgreift und anhand dieser vor allem die Wandelbarkeit des Würdebegriffs aufzeigt.509 Im Zentrum stehen dabei aber zumeist Ent­scheidungen, die (mit Ausnahme vor allem des Lebach-Urteils) nicht speziell den Strafvollzug betreffen. Im Rahmen der Erörterungen des Autors zur Frage, was konkret aus Art. 1 GG für die Gestaltung des Strafvollzuges und die Behandlung der Gefangenen folgt, spielt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 507

Vgl. Koepsel, S. 163. Vgl. Koepsel, S. 4. 509 Vgl. Müller-Dietz, Menschenwürde, S. 18 ff. 508

108

D. Die Entscheidungsanalyse

dann schließlich generell keine entscheidende Rolle mehr. Müller-Dietz greift sie aber in seinen Schlussbemerkungen noch einmal auf, um zu verdeutlichen, dass selbst die lebenslange Freiheitsstrafe als solche nach überwiegender Ansicht keinen Verstoß gegen die Menschenwürde darstelle.510 4. Die Untersuchung von Leyendecker Im Gegensatz zu den bisher erwähnten Untersuchungen gelten für die Monografie von Leyendecker zum Thema „(Re-)Sozialisierung und Verfassungsrecht“ weder Einschränkungen in Bezug auf den Umfang des Werks noch hinsichtlich seines Alters, obwohl der Veröffentlichungszeitpunkt (2002) freilich auch schon mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt. Wie Koepsel und Müller-Dietz konzentriert sich die Autorin aber auf einem bestimmten Aspekt des Strafvollzuges, wenngleich es sich im Falle Leyendeckers mit der Resozialisierung zweifellos um den wichtigsten handelt. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes widmet sie ein eigenes Kapitel und gibt (in chronologischer Abfolge) einen Überblick über die thematisch relevanten Entscheidungen, ohne dabei eine kritische Auseinandersetzung mit diesen im hier verstandenen Sinne anzustreben. Die Judikatur der Karlsruher Richter soll im Rahmen von Leyendeckers Untersuchung, die die Entwicklung eines an grundgesetzkonformen Leitlinien orientierten (Re-)Sozialisierungskonzeptes anstrebt, ohnehin nicht allein maßgebend sein, sondern wird durch einen rechtsvergleichenden Überblick (5. Kapitel) ergänzt.511 Dabei gelangt die Autorin zu dem Schluss, dass die Staatsgewalten ihre Verpflichtung, das Resozialisierungsgebot umzusetzen, bislang nicht hinreichend beachtet hätten und die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung für die Praxis nicht ausschlaggebend sei.512 Die bestehende Forschungslücke im Hinblick auf die Bedeutung der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug vermag freilich auch die Monografie Leyendeckers nicht einmal partiell (hier also bezüglich der Resozialisierung) zu schließen. 5. Die Untersuchung von Ullmann Die im Jahr 2012 publizierte Untersuchung von Ullmann mit dem Titel „Länder­ strafvollzugsgesetze im Vergleich – Eine Analyse auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ befasst sich im Verhältnis zu den vorgenannten Studien am umfänglichsten mit den Strafvollzugsentscheidungen der Karlsruher Richter. Gleichwohl wird bereits anhand der Überschrift der Studie deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht keineswegs im Zentrum des­ 510

Vgl. Müller-Dietz, Menschenwürde, S. 34 f. Vgl. Leyendecker, S. 141. 512 Vgl. Leyendecker, S. 333. 511

II. Datenerhebung, Datenbasis und Methodik 

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Erkenntnisinteresses steht, sondern die Auswertung von dessen Rechtsprechung lediglich die Funktion hat, eine Grundlage für die Verfassungsmäßigkeitsprüfung der Strafvollzugsgesetze Bayerns, Hamburgs, Hessens und Niedersachsens zu schaffen. Dabei berücksichtigt die Untersuchung lediglich die nach Ansicht der Autorin „grundlegendsten“ Entscheidungen,513 so dass insgesamt nur eine punktuelle Analyse der verfassungsgerichtlichen Judikatur zum Strafvollzug erfolgt. Am Maßstab dieser Rechtsprechung gelangt die Autorin schließlich zu dem Ergebnis, dass die Ländergesetze die Vorgaben der Karlsruher Richter, sofern diese im Gesetzgebungsverfahren überhaupt ausdrücklich thematisiert worden seien, gar nicht oder jedenfalls nicht überzeugend umgesetzt hätten.514 6. Fazit Man kann diesen kurzen Abriss über den bisherigen Forschungsstand dahingehend zusammenfassen, dass die verfassungsgerichtliche Judikatur zum Strafvollzug zwar verschiedentlich Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen ist. Diese blieben jedoch – sofern sie nicht ohnehin veraltet sind – immer auf ausgewählte Themenbereiche beschränkt. Keine Arbeit hat bisher auch nur ansatzweise den Versuch unternommen, die gesamte veröffentlichte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen, und zwar nicht einmal bezüglich einzelner Themenbereiche. Es besteht folglich eine erhebliche Forschungslücke.

II. Datenerhebung, Datenbasis und Methodik Eine Untersuchung, die wie die vorliegende beabsichtigt, Rechtsprechung zu einem bestimmten Thema zu analysieren, braucht Zugang zu entsprechenden Entscheidungen. Das können veröffentlichte, aber auch nicht publizierte Judikate sein. Hier kamen von vornherein nur Entscheidungen erstgenannter Art in Betracht. Das liegt daran, dass von den zahlreichen Verfassungsbeschwerden, die jährlich zum Thema „Strafvollzug“ beim Bundesverfassungsgericht eingehen, ca. 97 % keinen Erfolg haben, d. h. in aller Regel ohne jegliche Begründung nicht zur Entscheidung angenommen werden515, so dass von der Auswertung dieser Beschlüsse 513

Vgl. Ullmann, S. 1. Die Autorin (S. 17) versteht hierunter die von ihr als die „fünf großen Entscheidungen“ des Bundesverfassungsgerichts bezeichneten Urteile bzw. Beschlüsse zur „Abschaffung des besonderen Gewaltverhältnisses“, zum „Soldatenmord von Lebach“, zur „Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe“, zur „Berücksichtigung von Schuldschwereerwägungen bei Vollzugsentscheidungen“ und zur „Höhe des Arbeitsentgeltes der Strafgefangenen“. 514 So Ullmann, S. 212. 515 Das teilte das Bundesverfassungsgericht auf die schriftliche Anfrage des Verfassers vom 8.5.2008 am 26.5.2008 mit.

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D. Die Entscheidungsanalyse

kein nennenswerter Erkenntnisgewinn zu erwarten wäre. Außerdem werden die entsprechenden Verfahrensakten kontinuierlich nach Erledigung an das Bundesarchiv abgegeben, wo sie dann vielfach der Vernichtung zugeführt werden und deshalb größtenteils gar nicht mehr existieren.516 Was die veröffentlichten Entscheidungen anbelangt, bietet die Datenbank von Juris den umfassendsten Zugang zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Diese erhält die entsprechenden Daten zum einen direkt von der Dokumentationsstelle des Bundesverfassungsgerichts und gelangt zum anderen über die vollumfängliche Auswertung von über 700 Fachzeitschriften auch an die Entscheidungen, die nicht auf dem erstgenannten Weg in die Datenbank aufgenommen werden konnten. Auf diese Weise wertet Juris die gesamte veröffentlichte Rechtsprechung (nicht nur) des Bundesverfassungsgerichts aus517 und ermöglicht so eine Totalerhebung. Unter der Rubrik „Staats- und Verfassungsrecht“ waren bei Juris zu Beginn des Jahres 2013 mehr als 13.000 Entscheidungen der Karlsruher Richter eingestellt. Für das Herausfiltern der relevanten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Strafvollzug konnte zunächst auf die Suchfunktion („Erweiterte Suche“) der JurisDatenbank zurückgegriffen werden518, die 1.209 Treffer ergab (Stand: 21.2.2013). Diese Resultate mussten sodann individuell durchgesehen werden, weil eine zielgenaue Recherche aufgrund engster Verbindung des Strafvollzuges mit angrenzenden Materien (insbesondere zur Strafvollstreckung) unmöglich war.519 Berücksichtigt wurden ausschließlich Entscheidungen zum Vollzug der Freiheitsstrafe im Sinne des § 38 StGB. Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Maßregelvollzug, 516

So die Auskunft des Bundesverfassungsgerichtes auf die in Fn. 515 erwähnte Anfrage. Vgl. hierzu die Angaben auf der Homepage von Juris, abrufbar unter http://www.juris.de/ jportal/nav/unternehmen/dokumentation/dokumentationbeijuris.jsp. 518 In das Feld des Recherchekriteriums „Text“ wurde folgender Suchbefehl eingegeben: StVollzG ODER Strafvollzug* ODER JVA ODER Gefangener; in das Feld „Gericht“: Bundes­ verfassungsgericht. Insbesondere im Hinblick darauf, dass das Strafvollzugsgesetz erst am 1.1.1977 in Kraft getreten ist, war es notwendig, die Sucheingaben um andere für strafvollzugsrechtliche Entscheidungen typische Begriffe zu erweitern, um sicherzustellen, dass auch davor liegende Rechtsprechung erfasst wird. Hinsichtlich der Suche ist ferner anzumerken, dass Juris auch synonyme Begriffe berücksichtigt, so dass als Treffer auch Entscheidungen angezeigt werden, die beispielsweise statt „Gefangener“ das Wort „Inhaftierter“ oder statt „JVA“ den Begriff „Gefängnis“ enthalten. Durch die Trunkierung der Sucheingabe „Strafvollzug“ mit einem * am Ende werden außerdem auch alle Wortstammerweiterungen (z. B. Strafvollzugsgesetz; -bediensteter) in die Suche mit einbezogen. Die Verbindung der Suchbegriffe mit dem Operator „ODER“ dient der Bildung einer Vereinigungsmenge; vgl. zum Ganzen die Informationen zur Recherche auf der Juris-Homepage, abrufbar unter www.juris.de/­jportal/ portal/t/10p2/page/jurisw.psml/js_pane/Suchportlet5. Auf diese Weise ist eine möglichst umfassende Ermittlung aller relevanten Entscheidungen gewährleistet. Da Juris die Zeitschrift ZfStrVo (seit 2007: Forum Strafvollzug) erst ab dem Jahrgang 1987 ausgewertet hat, diese aber als thematisch einschlägiges Publikationsorgan im Rahmen der vorliegenden Arbeit besonders wichtig ist, wurden auch die früheren Jahrgänge mit einbezogen. 519 Dieser Vorgang wurde zur Fehlerreduzierung mehrfach wiederholt. 517

II. Datenerhebung, Datenbasis und Methodik 

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zur Untersuchungshaft oder zum Jugendstrafvollzug musste daher ebenso ausscheiden wie diejenige zum Vollzug spezieller Arten des Freiheitsentzuges (Abschiebungs- und Auslieferungshaft, militärischer Strafarrest etc.). Dies galt auch dann, wenn das Bundesverfassungsgericht – etwa im Rahmen einer strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung oder einer solchen zur Sicherungsverwahrung – zu Fragen des Erwachsenenstrafvollzuges Stellung genommen hat.520 Im Ergebnis verblieben somit 271 Entscheidungen. Darunter befinden sich 16 Senatsurteile bzw. -beschlüsse. 105 Entscheidungen sind ausschließlich bei Juris dokumentiert, 16 zusätzlich auch in BVerfGE, 49 in BVerfGK und 101 in Fachzeitschriften521. Ganz überwiegend handelt es sich dabei um Verfassungsbeschwerden. Ein Anteil von rund 10 % entfällt auf einstweilige Anordnungen im Sinne von § 32 BVerfGG, was in Anbetracht der Tatsache, dass diese an allen im Zeitraum von 1951 bis 2012 erledigten Verfahren nur mit einer Quote von etwa 1,2 % beteiligt sind, durchaus beträchtlich ist.522 Daneben sind noch vier konkrete Normenkontrollen (Art.  100 GG) und zwei sonstige Entscheidungen523 zu verzeichnen (siehe Abbildung 1). Mehr als ein Drittel sind ganz oder teilweise stattgebende (= erfolgreiche) Entscheidungen (siehe Abbildung 2). Die Erfolgsquote liegt damit deutlich über derjenigen, die bei Gesamtbetrachtung aller jährlich vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfahren zu verzeichnen ist und für die in der Praxis dominierenden Verfassungsbeschwerden im langjährigen Durchschnitt 2 bis 3 % beträgt. Die maßgebliche Erklärung für diese Diskrepanz ist in der Tatsache zu sehen, dass es sich bei den im Rahmen der vorliegenden Untersuchung relevanten Entscheidungen ausschließlich um solche handelt, die veröffentlicht wurden und daher ausnahmslos eine Begründung enthalten. Letzteres ist wiederum zwingendes Merkmal aller stattgebenden Entscheidungen 520 Eine Ausnahme wurde nur in Bezug auf die Entscheidung zur lebenslangen Freiheitsstrafe in BVerfGE 45, 187 gemacht. Diese betrifft zwar an sich eine Frage des materiellen Strafrechts (Verfassungsmäßigkeit des § 211 StGB), enthält jedoch auch umfangreiche und grundlegende Ausführungen zum Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe. Es wäre daher nicht angemessen, dieses Urteil im Rahmen der vorliegenden Untersuchung auszuklammern, zumal es im Schrifttum zu den zentralen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen auf dem Gebiet des Strafvollzuges gezählt wird, vgl. z. B. Ullmann, S. 17; Niebler, in: FS Zeidler, S. 1567 (1574 f.). 521 Diese Zahl berücksichtigt nicht die zugleich auch in den Entscheidungssammlungen BVerfGE und BVerfGK veröffentlichten Entscheidungen. Stand: 21.2.2013. 522 Berücksichtigt wurden dabei nur die isolierten einstweiligen Anordnungen. Nimmt man noch diejenigen hinzu, die gemeinsam mit der Hauptsache erledigt wurden, ist der Anteil von Verfahren nach § 32 BVerfGG sogar noch höher. Der vergleichsweise große Anteil dürfte u. a. darauf zurückzuführen sein, dass sich viele Gefangene vorschnell und unter Verkennung der strengen Anforderungen des § 32 BVerfGG an das Bundesverfassungsgericht wenden, weil sie den Eilrechtsschutz als eine Art „Turbo-Alternative“ zum Hauptsacheverfahren ansehen, vgl. Lübbe-Wolff/Lindemann, NStZ 2007, 450 (452). 523 Hierbei handelt es sich um eine Kostenentscheidung und die Verwerfung einer Gegenvorstellung zu einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung.

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D. Die Entscheidungsanalyse

Anmerkung: In BVerfGE 98, 169 wurde sowohl über Verfassungsbeschwerden als auch über eine konkrete Normenkontrolle entschieden, was zu einer doppelten Zählung der Entscheidung geführt hat (als Verfassungsbeschwerde und konkrete Normenkontrolle). Im Übrigen wurde eine Entscheidung, wenn sie mehrere Verfahren derselben Art umfasst, insgesamt nur einmal gezählt. Wurde in einer Entscheidung zusammen mit dem Hauptverfahren auch über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschieden, wurde nur das Hauptverfahren gezählt.

Abbildung 1: Art der Entscheidungen (N = 272)

Abbildung 2: Erfolgsquote (N = 271)

(vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in ihrer Gesamtheit besteht jedoch weit überwiegend aus Nichtannahmebeschlüssen, die unter Verweis auf § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG in keiner Weise begründet und deshalb auch nicht publiziert werden. Zentrale Ursache der hier gegebenen hohen Erfolgsquote ist also letztlich der Umstand, dass der Anteil der stattgebenden Entscheidungen nicht durch die zahlreichen ohne Begründung versehenen Beschlüsse geschmälert werden kann, da letztere nicht zur Veröffentlichung kommen. Ungeachtet dessen ist aber zu vermuten, dass die Zahl der erfolgreichen verfassungsgerichtlichen Verfahren, die den Strafvollzug betreffen,

II. Datenerhebung, Datenbasis und Methodik 

113

auch bei Einbeziehung aller Entscheidungen immer noch wenigstens etwas über dem Durchschnitt liegt.524 Ihren Ausgangspunkt haben die meisten Entscheidungen in Bayern, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz (siehe Abbildung 3). Im Verhältnis zu ihrem je­ weiligen durchschnittlichen Anteil an der Gesamtzahl der in den letzten zehn Jahren eine Freiheitsstrafe (§ 38 StGB) verbüßenden Personen sind sieben Bundesländer überproportional häufig vertreten, und zwar Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und das Saarland. Besonders deutlich ist die Überrepräsentierung bei den drei erstgenannten Ländern. Am wenigsten überraschend dürfte dieser Befund im Hinblick auf Bayern sein, das seit jeher für eine restriktive Vollzugspraxis bekannt ist und damit tendenziell auch für mehr verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf sorgt.525 Die große Überrepräsentierung Hamburgs wird verständlich, wenn man sich vor Augen hält, dass von den insgesamt 16 veröffentlichten Strafvollzugsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die auf die Hansestadt entfallen, bis auf drei alle in der Zeit nach dem Regierungswechsel im Herbst 2001 ergangen sind. Bis zu diesem Zeitpunkt war Hamburg für einen fortschrittlichen, der Resozialisierung sehr zu­gewandten Strafvollzug bekannt. Unter dem damaligen Justizsenator Roger Kusch wurde dann aber bekanntermaßen eine Kehrtwende in Richtung auf einen Strafvollzug der „härteren Gangart“ vollzogen.526 Dass dies auf Widerstand der Gefangenen ­gestoßen ist und diese vermehrt den „Weg nach Karlsruhe“ beschritten haben, dürfte ohne Weiteres einleuchten. Für Rheinland-Pfalz lässt sich hingegen nicht ein bestimmter Umstand als Erklärung für die erhebliche Überrepräsentierung­ benennen. Hier ist der Anteil an den veröffentlichten Entscheidungen (10,2 %) immerhin doppelt so hoch wie derjenige an den bundesweit eine Freiheitsstrafe­ verbüßenden Personen (5,1 %). Anders als in Bayern und Hamburg kann dies nicht auf eine sehr konservative Landesregierung (bzw. den Wechsel zu einer solchen) zurückgeführt werden, denn Rheinland-Pfalz wird seit 1991 ohne Unterbrechung von der SPD (allein oder in Koalition mit der FDP oder den Grünen) regiert. Ursächlich dürften vielmehr verschiedene Einzelumstände sein, die in ihrer Gesamtheit zu einer überproportional großen Anzahl an verfassungsgerichtlichen 524 Vgl. Leyendecker, S. 141; Dünkel, GA 1996, 518 (527), der für das Jahr 1994 eine Erfolgsquote von 6 bis 7 % ermittelt hat. 525 Dies lässt sich z. B. anhand empirischer Befunde zur Vollzugspraxis (vgl. etwa Dünkel/ Geng/Morgenstern, FS 2010, 20 ff.) und auch im Hinblick auf den gerichtlichen Rechtsschutz (siehe dazu Kramer, StV 2004, 288 ff.) oder den Briefverkehr (vgl. Feest, in: Justizvollzug, S. 139 [144]) nachweisen. Auch die Regelung des Vollzugsziels in Art. 2 BayStVollzG weist eine vergleichsweise restriktive Tendenz auf (näher dazu unten F.); siehe zum bayerischen Strafvollzug auch den Erfahrungsbericht von Heischel, FS 2012, 265 ff. (insbes. 268): „Bevor sich […] der Eindruck verfestigt, ich hätte was gegen den Strafvollzug in Bayern: Ja, habe ich. Muss ich als Jurist auch haben, weil der Strafvollzug dort sich nicht zu 10–20 % am Gesetz orientiert […], sondern zu 5–10 %.“ 526 Vgl. dazu Dressel, ZRP 2009, 146 (147); siehe ferner zur Strafvollzugspolitik in Hamburg Villmow/Savinsky, in: GS Walter, S. 635 ff.; Rehn, in: GS Walter, S. 591 ff.

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D. Die Entscheidungsanalyse

Anmerkung: Zwei Entscheidungen beinhalten Verfahren aus jeweils drei verschiedenen Bundesländern und wurden entsprechend für jedes Land einmal gewertet. Mehrere zu gemeinsamer Entscheidung verbundene Verfahren eines Bundeslandes wurden hingegen nur einmal berücksichtigt. Der Anteil der Strafgefangenen ist aus dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre (2003 bis 2013, Stichtag jeweils 31.3.) gebildet.

Abbildung 3: Entscheidungen nach Bundesland

Entscheidungen geführt haben. So sind etwa im Jahr 1994 innerhalb weniger Monate vier zur Publikation vorgesehene und den Rechtsschutz betreffende Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ergangen. Die Einrichtung der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des LG Trier beim AG Wittlich hatte damals

II. Datenerhebung, Datenbasis und Methodik 

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zu erheblichen gerichtsorganisatorischen Problemen geführt. Das hat seinen Niederschlag in den genannten Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts gefunden, die durchweg die zu lange Dauer der gerichtsinternen Übersendung der Verfahrensakten an den zuständigen Richter der auswärtigen Strafvollstreckungskammer in Wittlich betreffen.527 Auf diese Weise ist gewissermaßen „auf einen Schlag“ gleich ein Siebtel aller auf Rheinland-Pfalz entfallenden Entscheidungen der Karlsruher Richter zum Strafvollzug zusammengekommen. Die fünf neuen Bundesländer sind hingegen  – mit Ausnahme von Sachsen-­ Anhalt – durchweg unterrepräsentiert, und zwar auch bei Berücksichtigung des Umstandes, dass diese erst seit der Wiedervereinigung Deutschlands Zugang zum Bundesverfassungsgericht haben. Die zentrale Ursache hierfür ist in den 1990erJahren zu suchen. In dieser Zeit sind gerade einmal vier verfassungsgerichtliche Entscheidungen veröffentlicht wurden, die ihren Ausgangspunkt in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen genommen haben. In den 2000er-Jahren waren es hingegen drei Mal so viele. Zudem sind in den drei Jahren von 2010 bis 2012 bereits mehr Beschlüsse, deren Ursprung in den neuen Ländern liegt, veröffentlicht wurden als im gesamten letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Diese Entwicklung dürfte maßgeblich darauf zurückzuführen sein, dass die Haftanstalten Ostdeutschlands zu Beginn der 1990er-Jahre in Folge weit reichender Amnestien nahezu leer waren und die Belegung erst in den Jahren 2003/2004 das Niveau der alten Bundesländer erreicht hat.528 Was schließlich die Auswertung der soeben vorgestellten 271 veröffentlichten Entscheidungen anbelangt, ist klar, dass sich die Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes für die Entwicklung des Strafvollzuges allein unter Heranziehung quantitativer Gesichtspunkte nicht hinreichend ermitteln lässt. Hierfür bedarf es vielmehr einer umfassenden Untersuchung der in den Entscheidungen vorgenommenen Argumentation unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen und historischen Kontextes, was freilich gewisse Quantifizierungen nicht ausschließt. Die einzelnen Elemente der vorzunehmenden Entscheidungsanalyse  – Hypothesenbildung, Bestandsaufnahme, materielle und prozessuale Entscheidungskritik sowie historische Einordnung – wurden eingangs (A.) bereits vorgestellt, so dass zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen darauf und auf nachfolgende Abbildung 4 verwiesen werden kann.

527 Vgl. BVerfG ZfStrVo 1994, 245; Beschl. v. 14.2.1994 – 2 BvR 2091/93 = NStE Nr. 4 zu § 114 StVollzG; ZfStrVo 1995, 371; 1996, 46 (in diesen Verfahren waren sogar die Akten der Strafvollstreckungskammer verloren gegangen). 528 Vgl. zur Entwicklung der Belegungssituation Drenkhahn, FS 2012, 319 (319 f.); Dünkel/ Geng/Morgenstern, FS 2010, 20 (20).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Abbildung 4: Struktur der Entscheidungsanalyse

III. Hypothesen 1. Materiell-rechtliche Hypothesen Während in den Kapiteln B. und C. bereits zentrale Grundlagen für die Entscheidungsanalyse geschaffen wurden, bedarf es noch der Konkretisierung des Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit durch die Bildung von Hypothesen bezüglich der verfassungsgerichtlichen Judikatur zu den verschiedenen Bereichen des Strafvollzuges. Deren Überprüfung soll maßgeblich dazu beitragen, eine differenzierte Antwort auf die Kernfrage nach der „Lotsentätigkeit“ der Karlsruher Richter für den Strafvollzug zu finden. Die thematische Reihenfolge entspricht­ dabei derjenigen des Kapitels C.

III. Hypothesen

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a) Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug Hypothese 1: Dem Bundesverfassungsgericht kommt entscheidende Bedeutung bei der Schaffung des am 1.1.1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetzes zu. Ohne sein Wirken wäre es nicht zu Stande gekommen. Im „Strafgefangenen“-Beschluss vom 14.3.1972529 verwarf das Bundesverfassungsgericht die „Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis“ und forderte den Gesetzgeber zum Erlass einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug auf. Die literarischen Stellungnahmen überschlagen sich geradezu, wenn es darum geht, die Bedeutung vorgenannter Entscheidung für die Verrechtlichung des Strafvollzuges zu würdigen. Dann ist schnell die Rede vom „Meilenstein“, den dieser Beschluss darstelle530 oder vom „Fundament“, das mit der in Rede stehenden Entscheidung für das Strafvollzugsgesetz und damit für das gesamte Vollzugsrecht gelegt worden sei531. Beinahe gewinnt man den Eindruck, die Karlsruher Richter selbst hätten das Strafvollzugsgesetz geschaffen. Fraglich ist, ob ein solches „Loblied“ näherer Überprüfung standhält. b) Vollzugsziel Resozialisierung Hypothese 2: Das Lebach-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5.6.1973, das die resozialisierende Ausgestaltung des Strafvollzuges festschrieb, war ein nachhaltig wirkender, starker Reformschub. Ohne diese Entscheidung wäre es nicht zur gesetzlichen Verankerung des Vollzugsziels der Wiedereingliederung gekommen. Diese Hypothese basiert in ihrem ersten Teil auf einer fast gleichlautenden Feststellung Preuskers in einem Aufsatz aus dem Jahr 2005532, die die einhellige Meinung des Schrifttums zur Lebach-Entscheidung prägnant zum Ausdruck bringt. Wie der Strafgefangenen-Beschluss wurde auch dieser Karlsruher Richterspruch von allen Seiten nahezu euphorisch aufgenommen.533 Inzwischen sind mehr als vier Jahrzehnte vergangen  – ein langer Zeitraum also, der nachgezeichnet werden muss, um zu ermitteln, ob das Lebach-Urteil tatsächlich im oben genannten Sinn gewirkt hat und ob sich sogar – so der zweite Teil der Hypothese – sagen lässt, dass es erst durch diese Entscheidung zur Kodifizierung des Vollzugsziels der ­Resozialisierung gekommen ist.

529

BVerfGE 33, 1. Vgl. Barisch, S. 142; Schenke, JuS 1982, 906 (906). 531 Vgl. Ullmann, S. 17; ähnlich Leyendecker, S. 142. 532 Vgl. Preusker, ZfStrVo 2005, 195 (195). 533 Zusammenfassend Ullmann, S. 24 f. 530

118

D. Die Entscheidungsanalyse

c) Vollzugsplanung Hypothese 3: Der Regelungsbereich der Vollzugsplanung ist erst drei Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten. Ab diesem Zeitpunkt wurde ihr hinreichend Geltung verschafft, und zwar nicht nur durch das Bundesverfassungsgericht, sondern auch durch die­ übrige Rechtsprechung.534 Diese Hypothese greift eine entsprechende Behauptung Pollähnes in einer Anmerkung zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 25.9.2006535 auf, die in zweierlei Hinsicht diskussionswürdig ist: Zum einen gibt sie Anlass zu der Überprüfung, ob die Karlsruher Richter tatsächlich erst vergleichsweise spät zu verfassungsrechtlichen Fragen der Vollzugsplanung Stellung genommen haben und zum anderen, ob ihnen dabei eine herausgehobene Bedeutung zukommt oder nicht. d) Verlegung Hypothese 4: Die Verlegung (§§ 8, 85 StVollzG) in eine andere Anstalt stellt für den betroffenen Gefangenen eine besonders schwerwiegende Maßnahme dar. Es ist daher davon auszugehen, dass die Zahl einschlägiger Entscheidungen vergleichsweise groß ist und das Bundesverfassungsgericht auf diesem Gebiet weiter­führende Impulse setzen konnte. Die dauerhafte Unterbringung eines Gefangenen in einer anderen JVA kann von diesem gewünscht sein, weil er z. B. in eine heimatnähere Umgebung gelangen möchte, sie kann seinerseits aber auch als Übel empfunden werden, wenn er aus Gründen der Sicherheit oder Vollzugsorganisation aus seinem bisherigen Umfeld herausgenommen werden soll. Unabhängig davon, ob es nun aus Sicht des­ Inhaftierten um die Erwirkung oder Abwehr einer Verlegung geht, ist stets ein intensiver Grundrechtsbezug gegeben, weshalb die in Rede stehende Materie geradezu als prädestiniert erscheint, einen Schwerpunkt verfassungsgerichtlicher­ Judikatur im Bereich des Strafvollzuges darzustellen. e) Vollzugslockerungen (einschließlich offener Vollzug) Hypothese 5: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Vollzugslockerungen lässt keine konsequent durchgehaltene Positionierung erkennen, sondern zeigt vielmehr immer wieder Akzentverschiebungen.

534

Vgl. Pollähne, JR 2007, 446 (447). Vgl. BVerfG JR 2007, 468.

535

III. Hypothesen

119

Die verfassungsgerichtliche Judikatur zu den Vollzugslockerungen wurde in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt kontrovers diskutiert. Warf man dem Bundesverfassungsgericht zunächst vor, in den 1980er-Jahren den Spielraum für die Berücksichtigung der Schuldschwere im Rahmen von Lockerungsentscheidungen vergrößert zu haben536, konstatierte Heghmanns im Jahr 1999 einen Trend hin zur Abkehr von tatvergeltenden Gesichtspunkten bei der Gewährung von Urlaub und anderen Lockerungen537. Das lässt auf eine wechselvolle verfassungsgerichtliche Judikatur auf dem Gebiet der Vollzugslockerungen schließen. f) Unterbringung Hypothese 6: Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Unterbringung im Strafvollzug war bis in die 2000er-Jahre hinein trotz erheblicher Missstände in den Haftanstalten nicht richtungsweisend. Noch im Jahr 2005 stellte Preusker in einem Aufsatz mit dem Titel „Das Bundesverfassungsgericht als Motor der Strafvollzugsreform“ fest: „[…] Eberhard Schmidt hat die Überbelegung schon in den 50er Jahren gegeißelt und festgestellt, dass die Belegung von Einzelhafträumen mit zwei oder drei Gefangenen […] zu sittlicher Depravierung und krimineller Infektion führe. Genau das passiert leider – wenn auch nicht mehr so oft wie früher – heute noch. Hier fängt der Reform­motor BVG [= Bundes­ verfassungsgericht, Anm. Verf.] an zu stottern. […] Ich erinnere noch einmal daran, dass das BVG vor 33 Jahren die Ausstrahlung eines Filmes verboten hat, um die Resozialisierung eines Strafgefangenen nicht zu gefährden. Heute bleibt es angesichts dieser offensichtlichen Verhinderung der Resozialisierung durch […] Überbelegung stumm.“538

In den letzten Jahren erweckten allerdings wiederholt Beschlüsse der Karlsruher Richter zur Frage der menschenwürdigen Unterbringung Gefangener Aufmerksamkeit. Hierzu gehört insbesondere eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2011, in der es auf die Pflicht des Staates hinwies, im Falle menschenunwürdiger Haftbedingungen sofort auf die Durchsetzung des Strafanspruchs zu verzichten, d. h. betroffene Gefangene notfalls auf freien Fuß zu­ setzen.539 Angesichts dessen und der genannten Feststellung Preuskers drängt sich die Vermutung auf, dass das Bundesverfassungsgericht im Bereich der Unter­ bringung im Strafvollzug erst in jüngerer Vergangenheit entscheidende Akzente setzen konnte.

536

S. dazu Walter, Rn. 57; Kreuzer, ZfStrVo 2006, 136 (137) m. w. N. So Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (672). 538 Preusker, ZfStrVo 2005, 195 (197). 539 Vgl. BVerfG NJW-RR 2013, 1043 ff. 537

120

D. Die Entscheidungsanalyse

g) Außenkontakte Hypothese 7: Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf den Verkehr mit der Außenwelt eine zentrale, die Rechte der Gefangenen in besonderem Maße stärkende Rolle. Die wichtigsten Möglichkeiten für Gefangene mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, sind Besuche, Telefonate und Schriftverkehr. Unter den insoweit einschlägigen Grundrechtspositionen befinden sich solche, denen das Bundesverfassungsgericht generell eine besondere Bedeutung beimisst und den Grundrechtsträgern daher grundsätzlich einen weiten Spielraum einräumt. Dies betrifft vor allem die durch Art.  5 Abs.  1 GG geschützte Meinungsfreiheit, der die Karlsruher Richter bereits im Jahr 1958 im Lüth-Urteil konstituive Bedeutung für die Demokratie zugesprochen haben.540 Es liegt nahe, dass das Bundesverfassungsgericht gerade auf dem Gebiet des Strafvollzuges in besonderer Weise darum bemüht ist, die Wahrung des Art. 5 Abs. 1 GG sicherzustellen, und zwar nicht zuletzt auch deshalb, weil die Haftanstalten die Befugnis zur Überwachung des Schriftverkehrs der Gefangenen haben und damit über die Möglichkeit verfügen, die Verbreitung von Meinungen zu unterbinden. Unabhängig davon ist nicht zu vergessen, dass der (neben dem Lebach-Urteil) wohl bekanntesten verfassungsgerichtlichen Entscheidung zum Strafvollzug – der Strafgefangenenbeschluss in BVerfGE 33, 1  – ein Sachverhalt zu Grunde lag, der den Verkehr mit der Außenwelt (Anhaltung eines Briefes) betrifft. Auch dies lässt eine herausgehobene Bedeutung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung für das in Rede stehende Themenfeld der Außenkontakte vermuten. h) Arbeit, Bildung und Soziales Hypothese 8: Das Bundesverfassungsgericht hat im Bereich der Gefangenenarbeit Verbesserungen erwirkt, im Übrigen aber – insbesondere mit Blick auf die rentenversicherungsrechtliche Absicherung Gefangener – zu verhalten agiert und hier gegebene Spielräume für die Erhöhung der Resozialisierungschancen zu­ Unrecht nicht genutzt. Das im Jahr 1998 ergangene Urteil zur Gefangenenentlohnung, das die bisher letzte Senatsentscheidung zum Strafvollzug darstellt, wurde seitens der Lite­ratur allgemein begrüßt, hinsichtlich der Ausführungen zur fehlenden verfassungsrechtlichen Pflicht, Inhaftierte in die gesetzliche Rentenversicherung einzu­beziehen, aber überwiegend kritisiert.541 Es ist daher zu vermuten, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Themenfeld Arbeit u. a. nicht unein­geschränkt positiv zu bewerten ist. 540

Vgl. BVerfGE 7, 198 (208). Zusammenfassend zum Meinungsstand Ullmann, S. 80 ff.

541

III. Hypothesen

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i) Gesundheitsfürsorge Hypothese 9: Die Gesundheitsfürsorge ist nur ein Randbereich verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zum Strafvollzug. Das Bundesverfassungsgericht hat hier bisher noch keine richtungsweisenden Akzente gesetzt oder setzen­ können. Blickt man auf die Diskussionen und Kontroversen der vergangenen Jahrzehnte über Entscheidungen der Karlsruher Richter zum Strafvollzug, fällt auf, dass die Thematik der Gesundheitsfürsorge keine zentrale Rolle spielt. Es scheint deshalb, als sei die medizinische Versorgung in den Haftanstalten ein Bereich, der sich der Einflussnahme des Bundesverfassungsgerichtes bisher weitgehend entziehen konnte. j) Besitz von Gegenständen Hypothese 10: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, die den Besitz von Gegenständen betreffen, sind inhaltlich wenig weiterführend, weil grundrechtliche Belange in diesem Bereich regelmäßig nicht in schwerwiegender Weise berührt sind und daher nur in Ausnahmefällen Anlass zu verfassungsrechtlichen Erörterungen besteht. Die Aushändigung und Verwendung von Gegenständen spielt im Vollzugs­ alltag eine nicht unbedeutende Rolle und führt mitunter zu Konflikten zwischen Bediensteten und Gefangenen, die hin und wieder auch das Bundesverfassungsgericht erreichen.542 Kerscher hatte diesbezüglich im Jahr 1995 in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung die Frage gestellt, was denn die Karlsruher Richter zu derartigen Problemen sagen und sie kurz und knapp wie folgt beantwortet: „Im [A]llgemeinen wenig“.543 Das erscheint plausibel. k) Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen Hypothese 11: Das Bundesverfassungsgericht hat einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Grundrechte Gefangener im Bereich der Anordnung und des Vollzuges von Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen geleistet. Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen sind besonders grundrechtsintensiv. Allein deshalb erscheint es kaum vorstellbar, dass das Bundesverfassungsgericht – sollte die Möglichkeit dazu bestanden haben – keine entscheidenden Akzente setzen konnte. Das gilt insbesondere mit Blick auf den Vollzug des Arrestes und der 542

Vgl. Niebler, in: FS Zeidler, S. 1567 (1582 ff.). Vgl. Kerscher, Süddeutsche Zeitung v. 8.3.1995, S. 3.

543

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D. Die Entscheidungsanalyse

Unterbringung in der „Beruhigungszelle“ – Maßnahmen, die auch nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes noch wegen katastrophaler Zustände Schlag­ zeilen machten. So berichtete etwa „Der Spiegel“ im Jahr 1979 unter der Überschrift „Fast Gulag“ von flächendeckend nach wie vor aus banalem Anlass verhängten „Hausstrafen“ in „grauenvollen Verliesen“ mit „penetrant stinkendem Loch-Lokus“.544 Es wäre mehr als verwunderlich, sollte das Bundesverfassungsgericht derart resozialisierungsfeindlichen Zuständen nicht entgegengetreten sein, hat es sich doch im Lebach-Urteil selbst für den Vollzugszweck der Wiedereingliederung ausgesprochen. l) Rechtsschutz Hypothese 12: Das Bundesverfassungsgericht hat sich seit Beginn der 1990erJahre schwerpunktmäßig mit prozessualen Fragen des Strafvollzuges befasst und dabei den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG in den Mittelpunkt seiner Rechtsprechung gerückt. Es hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, den bis dahin unzureichenden gerichtlichen Rechtsschutz zu­ verbessern. Die vorgenannte Hypothese basiert auf entsprechenden Aussagen von MüllerDietz545, die stellvertretend für ähnliche Einschätzungen anderer im Schrifttum stehen. Letzteres gilt zunächst in Bezug auf den zeitlichen Aspekt, also der Annahme, dass sich das Bundesverfassungsgericht nach Klärung grundsätzlicher und einiger materiell-rechtlicher Fragen des Strafvollzuges in den 1970er- Jahren, erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands schwerpunktmäßig dem gerichtlichen Rechtsschutz gemäß den §§ 109 ff. StVollzG zugewandt habe.546 Es gilt aber auch für die Einschätzung, dass es um den Rechtsschutz auf dem Gebiet des Strafvollzuges zur damaligen Zeit nicht zum Besten bestellt gewesen sei.547 m) Datenschutz Hypothese 13: Das Bundesverfassungsgericht hat den Bereich des Datenschutzes im Strafvollzug nicht durch genuin strafvollzugsrechtliche Rechtsprechung entscheidend geprägt, sondern vielmehr durch das sogenannte „Volkszählungsurteil“ vom 15.12.1983 (= BVerfGE 65, 1). Durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 26.8.1998 (= BGBl. I 1998, S. 2461) wurden die §§ 179 bis 187 StVollzG, die den Datenschutz 544

Vgl. „Der Spiegel“ Nr. 27/1979, S. 56 f. Vgl. Müller-Dietz, in: FS Lüke, S. 503 (505 ff.). 546 So z. B. auch Leyendecker, S. 141 f. 547 Vgl. dazu die Nachweise bei Müller-Dietz, in: FS Lüke, S. 503 (509, Fn. 18). 545

IV. Ergebnisse

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regeln, eingefügt. Dies geschah  – wie die Gesetzesbegründung klar zum Ausdruck bringt – um der allgemeinen Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach­ bereichsspezifischen Regelungen für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nachzukommen.548 Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum denkbar, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner strafvollzugs­ spezifischen Rechtsprechung einen Beitrag geleistet hat, der auch nur annähernd mit dem durch das „Volkszählungsurteil“ Erreichten vergleichbar ist. 2. Prozessuale Hypothese In prozessualer Hinsicht wird (einheitlich für alle Themenfelder) angenommen, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner veröffentlichten Rechtsprechung zu den verschiedenen Themenfeldern jeweils im Wesentlichen innerhalb seines Kompetenzbereiches bewegt hat. Alles andere hieße den Karlsruher Richtern ein Misstrauen entgegenzubringen, für das es keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt. Vor dem Hintergrund der Ausführungen in Kapitel B. wären vereinzelte „Ausreißer“ von der hier angenommenen Kompetenztreue des Bundesverfassungsgerichts freilich nicht überraschend.

IV. Ergebnisse 1. Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug a) Die Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichtes Die zentralen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug sind bekanntermaßen im sogenannten „Strafgefangenen-Beschluss“ enthalten. Darin hatte der Zweite Senat am 14.3.1972 festgestellt: – Auch die Grundrechte von Strafgefangenen können nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. – Eine solche Einschränkung kommt nur in Betracht, wenn sie zur Erreichung eines von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweckes unerlässlich ist. 549 Der Entscheidung lag die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen zu Grunde, der sich gegen die Öffnung und Anhaltung eines von ihm verfassten Briefes durch die JVA Celle gewandt hatte. In diesem Schreiben, das an die­ 548 549

Vgl. BT-Drs. 13/20245, S. 1 u. 13. Vgl. BVerfGE 33, 1 (Leitsätze 1 u. 3).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Mitarbeiterin eines Vereins gerichtet war, die Gefangene betreut, äußerte sich der Beschwerdeführer u. a. abfällig über den Anstaltsleiter und berichtete auch von seinem Verdacht, dass Anstaltsbeamte Weihnachtspakete der Inhaftierten „ausplünderten“.550 Der Beschwerdeführer stellte gegen die Anhaltung seines Briefes Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG, den das OLG­ allerdings verwarf. Das Bundesverfassungsgericht sah hierin eine Verletzung von Art.  5 Abs.  1 Satz  1 GG. In seiner Begründung stellte der Zweite Senat zunächst klar, dass eine Einschränkung von Grundrechten nur auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften nicht zulässig sei. Dass der Gesetzgeber ein entsprechendes Strafvollzugsgesetz bisher nicht erlassen habe, könne rückblickend nur mit der traditionellen Ausgestaltung des Strafvollzuges als „besonderes Gewaltverhältnis“ erklärt werden. Letzteres habe es zugelassen, die Grundrechte des Gefangenen in einer unerträglichen Unbestimmtheit zu relativieren. Art. 1 Abs. 3 GG erkläre die Grundrechte für alle staatliche Gewalt für verbindlich. Dieser umfassenden Bindung widerspräche es, wenn die Grundrechte im Strafvollzug beliebig oder nach Ermessen eingeschränkt werden könnten.551 Im gegebenen Fall sei der Brief des Beschwerdeführers unter Verweis auf die Dienst- und Vollzugsordnung angehalten worden. Diese bloße Verwaltungsanordnung genüge zwar nicht den Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG. Gleichwohl sei ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 GG noch nicht feststellbar. Der Verfassungsgeber habe bei Erlass des Grundgesetzes das überkommene Bild des Strafvollzuges vor Augen gehabt und es fehle jedes Anzeichen dafür, dass er davon ausgegangen sei, dass der Gesetzgeber sofort nach Inkraft­ treten des Grundgesetzes ein Strafvollzugsgesetz erlassen müsse. Vielmehr stelle die durch die Verfassung geschaffene Wertordnung den Gesetzgeber nur vor die Aufgabe, in angemessener Zeit eine Regelung zu treffen. Bei Beurteilung der Frage, ob dieser Zeitraum inzwischen verstrichen sei, müsse berücksichtigt werden, dass vielfach bis in die jüngste Zeit hinein unter Hinweis auf die Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses die Ansicht vertreten worden sei, die Grundrechte des Strafgefangenen seien durch das Strafvollzugsverhältnis generell eingeschränkt. Es handle sich insoweit um implizite Beschränkungen, die nicht ausdrücklich in einem förmlichen Gesetz niedergelegt werden müssten. Die Gegenauffassung, wonach ein ipso iure eingeschränkter Grundrechtsschutz für bestimmte Gruppen unzulässig sei, habe sich erst allmählich durchsetzen können. Bei dieser Sachlage müssten Eingriffe in die Grundrechte von Strafgefangenen, die keine gesetzliche Stütze aufwiesen, noch für eine gewisse Übergangsfrist  – nämlich bis zum Herbst 1973  – hingenommen werden. Dies bedeute allerdings nicht, dass währenddessen beliebige Eingriffe in die Grundrechte Strafgefangener zulässig seien. Vielmehr hätten die zuständigen Behörden und Gerichte bei jedem 550 551

Vgl. zum Vorstehenden BVerfGE 33, 1 (2 f.). Vgl. zum Vorstehenden BVerfGE 33, 1 (9 ff.).

IV. Ergebnisse

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Eingriff konkret zu prüfen, ob dieser im Hinblick auf die Aufrechterhaltung und geordnete Durchführung des Strafvollzuges unerlässlich sei. Dabei müssten auch Sinn und Zweck des Strafvollzuges berücksichtigt werden. Die in Rede stehende Briefkontrolle rechtfertige sich aus der Notwendigkeit, der Gefahr des Entweichens und der Vorbereitung krimineller Aktionen entgegenzuwirken. Dagegen stelle die Anhaltung des von dem Beschwerdeführer verfassten Briefes wegen seines zum Teil beleidigenden Inhalts eine Verletzung der ­Meinungsfreiheit dar. Ein sinnvoller Strafvollzug verlange nämlich nicht zwingend, den Inhaftierten jede Möglichkeit abzuschneiden, ihre  – naturgemäß oftmals abwertende und feindselige – Meinung über Anstaltsverhältnisse oder -personen gegenüber Briefpartnern zu äußern. Schreiben, die nach außen gerichtet seien, könnten in aller Regel die Anstaltsordnung im strengen Sinne nicht stören, denn die anderen Gefangenen bekämen die Briefe im Original nicht zu Gesicht und ein etwaiges Gespräch über sie sei unbeeinflusst von der Frage, ob diese die Kontrolle passiert hätten oder nicht. Bemächtige sich die Presse eines Schreibens, in denen z. B. echte oder vermeintliche Missstände in einer JVA geschildert würden, müsse sich die Haftanstalt den gegen sie gegebenenfalls erhobenen Vorwürfen stellen und könne sich dem nicht mit dem pauschalen Verweis auf die Gefährdung der Anstaltsordnung entziehen. Es werde daher Aufgabe eines Strafvollzugsgesetzes sein, eine Grenze zu ziehen, die sowohl der Meinungsfreiheit des einzelnen Gefangenen als auch den unabdingbaren Erfordernissen eines geordneten und sinnvollen Strafvollzuges angemessen Rechnung trage.552 b) Materielle Entscheidungskritik aa) Die Verabschiedung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis Das Bundesverfassungsgericht stellt in der vorliegenden Entscheidung mit Recht und im Einklang mit dem ganz überwiegenden Teil des Schrifttums553 unmissverständlich klar, dass der Gesetzesvorbehalt auch auf dem Gebiet des Strafvollzuges gilt und wendet sich damit gegen das Rechtsinstitut des besonderen Gewaltverhältnisses. Letzterem lag die Annahme zu Grunde, dass es bestimmte Sonderbereiche der Verwaltung (u. a. Militär, Schule, Strafvollzug) gebe, in denen der Einzelne dem Staat nicht – wie im allgemeinen Gewaltverhältnis – gegenüberstehe, sondern in dessen Innenbereich eingebunden und zum Gehorsam verpflichtet sei. Staatlichen Maßnahmen fehle es im besonderen Gewaltverhältnis an der Außenwirkung, ihnen komme letztlich nicht die Qualität von Rechtsakten zu, weshalb sie keine Eingriffe im Rechtssinne darstellten und daher auch

552

Vgl. zum Vorstehenden BVerfGE 33, 1 (11 ff.). Vgl. Starck, JZ 1972, 360 ff.; Maetzel, DÖV 1972, 563; Fuß, DÖV 1972, 765 ff.; MüllerDietz, NJW 1972, 1161 ff.; ablehnend hingegen Peters, JR 1972, 489 ff. 553

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D. Die Entscheidungsanalyse

keiner gesetzlichen Grundlage bedürften.554 Entscheidend sei vielmehr nur, dass der Betroffene Teil des Verwaltungsinternums geworden sei, was im Bereich des Strafvollzuges durch Aufnahme in die Haftanstalt geschehe.555 Die Verwaltung könne freilich für sich nur das Recht in Anspruch nehmen, Maßnahmen zu treffen bzw. (allgemein oder speziell) zu regeln, die zur Durchführung des besonderen Gewaltverhältnisses im Sinne seiner rechtlich anerkannten Funktion notwendig seien.556 Obwohl diese Rechtsfigur bereits im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, begann man seitens der Wissenschaft erst relativ spät, nämlich Ende der 1920erJahre, den Strafvollzug durch Bezugnahme auf sie rechtstheoretisch zu erfassen.557 Diese Entwicklung war freilich keineswegs selbstverständlich, war doch zunächst noch das Wirken Berthold Freudenthals richtungsweisend, der in seiner berühmten Rektoratsrede im Jahr 1909 erstmals die Beziehung zwischen Staat und Gefangenen als Rechtsverhältnis beschrieb und die Schaffung eines Strafvollzugsgesetzes aus staatsrechtlichen Gründen für notwendig erachtete.558 Durchsetzen konnte er sich mit dieser Ansicht aber (zunächst) nur hinsichtlich der Einordnung des Strafvollzugsverhältnisses als Rechtsverhältnis. Eine gesetzliche Grundlage wurde hingegen staatsrechtlich (nicht kriminalpolitisch!) aufgrund der erwähnten Anwendung der Grundsätze des besonderen Gewaltverhältnisses nicht als zwingend erforderlich angesehen. Spätestens mit Inkrafttreten des Grundgesetzes war die Zeit vorgenannter Rechtsfigur, die Ausdruck einer monarchisch-konstitutionellen Epoche ist,559 abgelaufen. Aus Art. 1 Abs. 3 GG ergibt sich nämlich unmissverständlich, dass alle staatliche Gewalt unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist. Das gilt ausweislich des klaren Wortlautes ohne jede Ausnahme, also auch in Bezug auf Gefangene. Deren Grundrechte können somit nur dann in verfassungskonformer Weise eingeschränkt werden, wenn den – je nach Art der einschlägigen grundrechtlichen Position  – verschiedenartigen Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes Rechnung getragen ist. Ungeachtet dessen hielten sowohl Rechtsprechung als auch die­ herrschende Meinung im Schrifttum nach dem Zweiten Weltkrieg an der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis fest.560 Eine Unvereinbarkeit dieser Rechtsfigur mit dem Vorbehalt des Gesetzes erkannte man ganz überwiegend nicht an. Verbreitet war vielmehr die Auffassung, dass das Grundgesetz einige besondere­ Gewaltverhältnisse institutionalisiert habe, wozu – wie Art. 12 Abs. 4 a. F. i. V. m. 554 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden den zusammenfassenden Überblick bei Spitzkatz, in: Verfassungsrechtsprechung, S. 205 (205 f.); Starck, ZRP 1969, 147 (147 f.). 555 Vgl. Jacobi, ZStW 50 (1930), 376 (387). 556 Vgl. Jacobi, ZStW 50 (1930), 376 (392). 557 Vgl. zusammenfassend Schüler-Springorum, S. 40 f. 558 Vgl. den Abdruck der Rede Freudenthals in ZfStrVo 1955, 157 ff. Erste Ansätze einer Erfassung des Verhältnisses zwischen Staat und Inhaftierten als Rechtsbeziehung finden sich bereits bei Wahlberg, Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart 1884, 349 ff., vgl. dazu Wolff, S. 14 f. 559 So mit Recht Starck, ZRP 1969, 147 (147). 560 Ausführlich dazu Schüler-Springorum, S. 40 ff.

IV. Ergebnisse

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Art. 104 GG zeige – auch der Strafvollzug gehöre.561 Aus der Tatsache, dass die Funktionsfähigkeit das absolute Minimum für ein sinnvolles Bestehen der besonderen Gewaltverhältnisse darstelle und der Verfassungsgeber wohl kaum nur deren „papierene Existenz“ gewollt haben könne, ergebe sich, dass die sie anerkennenden Normen des Grundgesetzes die Grundrechte insoweit einschränkten, als dies für das Funktionieren des jeweiligen besonderen Gewaltverhältnisses erforderlich sei. Nach dieser Auffassung hat die (mehr oder weniger deutliche) In­ bezugnahme des Grundgesetzes auf typischerweise als Sonderbereiche der Verwaltung angesehene Bereiche (Strafvollzug, Schule, Beamtentum u. a.) also zur Folge, dass der Vorbehalt des Gesetzes verdrängt wird.562 Daran ist nur richtig, dass das Grundgesetz vorgenannte Materien – wie im Übrigen auch andere, die nicht im Zusammenhang mit der Diskussion um das besondere Gewaltverhältnis stehen (z. B. Art. 6 GG: Ehe und Familie) – erwähnt. Dabei geht es dem Verfassungsgeber aber ersichtlich nur darum, die jeweiligen Sachfragen zu regeln, ohne dass dabei auch nur im Entferntesten Unterschiede im Hinblick auf die Beschränkbarkeit von Grundrechten gemacht würden, die mit dem Rechtsinstitut des besonderen Gewaltverhältnisses in Zusammenhang stehen – das Grundgesetz verwendet diesen Begriff nicht einmal.563 Hart, aber völlig berechtigt ist zudem die Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes, dass das besondere Gewaltverhältnis es zugelassen habe, die Grundrechte der Gefangenen in einer unerträglichen Unbestimmtheit zu relativieren. Die Ursache hierfür liegt im unzureichenden Begrenzungspotenzial des in Rede stehenden Rechtsinstitutes. Von Beginn an wurde daher der Versuch unternommen, durch die Anknüpfung an den Vollzugszweck eine Präzisierung der Eingriffsermächtigung zu erreichen.564 Damit gelangte man freilich vom „Regen in die Traufe“, denn über das Ziel des Strafvollzuges herrschte – darauf wurde bereits hingewiesen565 – keine Einigkeit. Beliebigen Eingriffen in die Grundrechte Gefangener waren damit letztlich Tür und Tor geöffnet, denn je nach dem, worin man den Vollzugszweck sah, konnte z. B. eine beantragte Vollzugslockerung als resozialisierungsfördernd gewährt oder eben auch abgelehnt werden, wenn man eher vergeltende Gesichtspunkte in den Mittelpunkt rückte. Gerade die Rechtsprechung nach dem Zweiten Weltkrieg tendierte klar in die letztgenannte (restrik­tive) Richtung, wobei wiederum auch hier unterschiedliche Ansatzpunkte gewählt wurden. So wurde z. B. in manchen Entscheidungen auf den Aspekt der Übelszufügung abgestellt, in anderen wiederum auf die Wahrung von Sicherheit und Ordnung.566 561

Vgl. hier und im Folgenden von Münch, JZ 1958, 73 (73), siehe ferner aus der Rechtsprechung BayVGHE 23, 20 (21); StGH Hessen, Beschl. v. 5.7.1963 – P.St. 379, jeweils m. w. N. 562 So die treffende Charakterisierung von Fuß, DÖV 1972, 765 (767); ähnlich SchülerSpringorum, S. 43, wonach der Zweck des besonderen Gewaltverhältnisses für die Anhänger dieser Rechtsfigur eine „Legalitätsbasis sui generis“ sei. 563 Näher hierzu Fuß, DÖV 1972, 765 (767 f.). 564 Dies versuchte bereits Jacobi, ZStW 50 (1930), 376 (395 ff.). 565 Siehe oben C.II. 566 Vgl. dazu den Überblick bei Schüler-Springorum, S. 45 ff.

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D. Die Entscheidungsanalyse

bb) Die Notwendigkeit der Schaffung eines Strafvollzugsgesetzes Die berechtigte Ablehnung des besonderen Gewaltverhältnisses warf die Frage nach einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug auf. Vielfach wurde die Ansicht vertreten, dass der Strafvollzug auch vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes bereits hinreichend gesetzlich fundiert war.567 Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Problematik jedoch nicht näher auseinandergesetzt, was in der Literatur auf Kritik gestoßen ist.568 Die meisten Anhänger hatte die vom ehemaligen Staatssekretär im Bundes­ ministerium der Justiz von Bülow vertretene Auffassung, wonach die „Verordnung über den Vollzug von Freiheitsstrafen“ vom 14.5.1934 bis zum Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes die gesetzliche Grundlage des Strafvollzuges gewesen sei.569 Bei der vorgenannten Regelung handele es sich um eine sogenannte geset­ zesvertretende Rechtsverordnung, die einem formellen Gesetz gleichstehe und vom Reichsjustizminister aufgrund von Art.  5 des „Ersten Gesetzes zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich“ vom 16.2.1934 erlassen worden sei.570 Art.  129 Abs.  3 GG habe zwar alle Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass ge­ setzesvertretender Rechtsverordnungen zum Erlöschen gebracht, den Bestand aufgrund entsprechender Ermächtigungen ergangener Verordnungen aber nicht angetastet. Letzteres entspricht zwar durchaus der (auch heute noch) überwiegend vertretenen Ansicht.571 Bedenken entstehen aber mit Blick auf den Umstand, dass die in Rede stehende Verordnung vom 14.5.1934 in die Zeit des Nationalsozialismus fällt und daher ihre Unvereinbarkeit mit den Wertungen des Grundgesetzes im Raum steht. Dem wird jedoch entgegengehalten, dass sie im Kern kein nationalsozialistisches Gedankengut enthält, sondern weitgehend den Inhalt der „Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen“ vom 7.6.1923 übernommen habe und daher allenfalls in einzelnen Punkten, nicht aber im Ganzen verfassungswidrig sei.572 Zu bedenken ist aber, dass das Überleitungsgesetz keine gültige Rechtsgrundlage für die Verordnung vom 14.5.1934 gewesen ist, weil dieses seinerseits auf dem sogenannten „Ermächtigungsgesetz“ vom 24.3.1933 beruht, das aus einer ganzen Reihe von Gründen gegen die Weimarer Reichsverfassung verstoßen hat573. Hiergegen ist nun freilich eingewendet worden, dass das „Ermächtigungsgesetz“ als eine Stufe der revolutionären Begründung der nationalsozialistischen 567 Vgl. Quedenfeld, JZ 1972, 431 f.; Tiedemann, NJW 1967, 87 (88 f.); Schüler-Springorum, S. 75; weitere Nachweise bei Peters, JR 1972, 489 (490 f.). 568 Vgl. Peters, JR 1972, 489 (490 f.); Quedenfeld, JZ 1972, 431 f. 569 Vgl. Plenarprotokoll des Bundestages vom 2.3.1966, S. 1049; zustimmend Quedenfeld, JZ 1972, 431 f.; Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, S. 30 ff.; Tiedemann, NJW 1967, 87 ff. 570 Näher hierzu Quedenfeld, JZ 1972, 431 (431). 571 Vgl. BVerfGE 22, 1 (11 ff.); Maunz/Dürig/Klein, Art. 129 Rn. 24 m. w. N. 572 Vgl. Quedenfeld, JZ 1972, 431 (431 f.); ders., S. 41; ebenso die Stellungnahme des Staatssekretärs von Bülow, Plenarprotokoll des Bundestages vom 2.3.1966, S. 1052; a. A. SchülerSpringorum, S. 70. 573 Näher hierzu Bickenbach, JuS 2008, 199 (202 f.) m. w. N.

IV. Ergebnisse

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Gewaltherrschaft angesehen werden müsse, das an Stelle der bisherigen eine neue Kompetenzordnung geschaffen habe.574 Letztere sei zur damaligen Zeit  – auch international  – anerkannt worden. Vor diesem Hintergrund sei es widersprüchlich, die Existenz einer neuen, revolutionär gesetzten Kompetenzordnung zu bejahen, den unter dieser Kompetenzordnung zu Stande gekommenen Staatsakten und Normen aber die Geltung zu versagen. Ob diese Auffassung, die im Ergebnis darauf hinausläuft, die Weimarer Reichsverfassung als Prüfungsmaßstab für das Ermächtigungsgesetz auszuscheiden, zutreffend ist, kann indes dahingestellt bleiben. Selbst wenn man das auf seiner Grundlage erlassene „Überleitungsgesetz“ als gültig behandelte, sind dessen Voraussetzungen im Fall der Verordnung vom 14.5.1934 nicht erfüllt. Das Überleitungsgesetz hat dem Reichsjustizminister nämlich nur die Befugnis eingeräumt, alle Bestimmungen zu treffen, die durch den Übergang der Justizhoheit auf das Reich „erforderlich“ wurden.575 Der Reichsjustizminister hätte die auf Länderebene bestehenden Reichsgrundsätze für den Strafvollzug (=  Verwaltungsanordnung) aufgrund seiner Weisungsbefugnis an untergeordnete Dienststellen aber auch ohne gesetzliche Ermächtigung durch eine reichsrechtliche Verwaltungsanordnung ersetzen können.576 Eine (gesetzes­ vertretende)  Rechtsverordnung zur Überleitung der Strafvollzugsbestimmungen der Länder auf das Reich war deshalb nicht erforderlich.577 Auch die Versuche, eine hinreichende gesetzliche Grundlage des Strafvollzuges unter Anknüpfung an die Regelungen des Strafgesetzbuches zu konstruieren, sind nicht überzeugend. Die wenigen Anhaltspunkte, die dieses Gesetz in Bezug auf die Freiheitsstrafe immer nur enthielt, zielten auf das „Ob“ der Freiheitsstrafe ab, ließen hinsichtlich ihrer Durchführung aber keine konkreten Rückschlüsse zu. Daran ändert sich auch nichts, wenn man – wie Depenbrock578 – zusätzlich noch die ­(ohnehin umstrittenen) Strafzwecke berücksichtigt. Auch die Auffassung von Schüler-Springorum579, wonach sich die wenigen formell-gesetzlichen Regelungen und die Bestimmungen der am 1.7.1962 in Kraft getretenen Dienst- und Vollzugsordnung dergestalt ergänzt hätten, dass dem Gesetzesvorbehalt gerade noch Genüge getan war, kann nicht zugestimmt werden. Die Dienst- und Vollzugs­ordnung hatte nicht einmal den Rang einer Rechtsverordnung – also eines materiellen Gesetzes –, sondern war, wie das Bundesverfassungsgericht580 zutreffend ausführt, eine bloße Verwaltungsanordnung. Durch einen solchen Akt der Exekutive kann aber einer wesentlichen Funktion des Gesetzesvorbehaltes, die darin besteht, der Legislative die grundlegenden Entscheidungen über Grundrechtseingriffe zu belassen,581 574

Vgl. hier und im Folgenden BVerfGE 6, 309 (331); Quedenfeld, S. 25 f. m. w. N. Vgl. Depenbrock, S. 23 f. 576 So mit Recht Depenbrock, a. a. O. 577 Eine Überschreitung der Ermächtigung bejahen auch Kussmann, S. 26; Spannagel, S. 52. 578 Vgl. Depenbrock, S. 60 ff. 579 Vgl. Schüler-Springorum, S. 74 f. 580 Vgl. BerfGE 33, 1 (12). 581 Dies führt Schüler-Springorum, S. 63 selbst zutreffend aus. 575

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D. Die Entscheidungsanalyse

offenkundig nicht Rechnung getragen werden. Die Anknüpfung an die Dienst- und Vollzugsordnung kann daher über das Faktum, dass der Gesetzgeber zum Zeitpunkt des „Strafgefangenen-Beschlusses“ gerade noch nicht über die elementaren Fragen des Strafvollzuges entschieden hatte, in keiner Weise hinwegtäuschen. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass sich das Bundesverfassungsgericht durchaus näher mit der Problematik hätte auseinandersetzen können, ob auch ohne Schaffung eines Strafvollzugsgesetzes bereits eine hinreichende gesetzliche Grundlage vorhanden gewesen ist. Das ändert freilich nichts daran, dass die vom Bundesverfassungsgericht gefundene Antwort, wonach vorgenannte Frage zu verneinen ist, Zustimmung verdient. Was sich schließlich hinter dem von der „Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweck“ verbirgt, dem ein Strafvollzugsgesetz nach Auffassung der Karlsruher Richter dienen soll, wird im „Strafgefangenen-Beschluss“ nicht näher konkretisiert. Dies kann dem Bundesverfassungsgericht indes nicht vorgeworfen werden, weil es im Rahmen der in Rede stehenden Entscheidung nicht seine Aufgabe gewesen ist, hierzu im Einzelnen Stellung zu nehmen. Sofern allerdings in der Literatur zum Teil  unter Verweis auf S.  8 des „Strafgefangenen-Beschlusses“ die Auffassung vertreten wird, dass das Bundesverfassungsgericht bereits in dieser Entscheidung die Resozialisierung als neuen Maßstab für die Beurteilung von Grundrechts­ eingriffen aufgestellt habe,582 überspannt dies den Inhalt des in Rede stehenden Beschlusses deutlich. Das Bundesverfassungsgericht gibt auf S.  8 lediglich den Inhalt der Stellungnahme des Bundesministers der Justiz wieder, ohne dass es auf dessen Aussagen zur Resozialisierung im Rahmen der Ausführungen zur Begründetheit der Verfassungsbeschwerde zurückkommt und sich zu eigen macht. Mehr als die Vermutung, dass die Karlsruher Richter bei dem (möglicherweise zu diesem Zeitpunkt noch bewusst unbestimmten) Ausdruck des „gemeinschaftsbezogenen Zweckes“ in erster Linie an die Resozialisierung gedacht haben, ist dem „Strafgefangenen-Beschluss“ letztlich nicht zu entnehmen. c) Historische Einordnung aa) Besonderes Gewaltverhältnis und Strafvollzugsgesetzgebung im Wandel der Zeit Der „Strafgefangenen-Beschluss“ fällt in eine Zeit, in der die gesamte Rechtsprechung (einschließlich der Landesverfassungsgerichte) und (zunächst) auch die ganz herrschende Meinung im Schrifttum der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis folgten.583 Obwohl sich Spannagel584 bereits 1961 gegen diese Rechtsfigur ausgesprochen hatte, ist es erst Horst Schüler-Springorum Ende der 1960er- Jahre 582

So Leyendecker, S. 142. Siehe oben D.IV.1.b)aa). 584 Vgl. Spannagel, S. 56 ff. 583

IV. Ergebnisse

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gelungen, den entscheidenden Sinneswandel einzuleiten, der letztlich zu ihrer Verwerfung geführt hat. Schüler-Springorum, der in der von Bundesjustizminister Heinemann 1967 eingesetzten Strafvollzugskommission mitgewirkt hat, hatte zunächst in seinem Referat auf der zweiten Arbeitstagung des vorgenannten Gre­ miums deutlich gemacht, dass das besondere Gewaltverhältnis mit dem Vorbehalt des Gesetzes nicht in Einklang zu bringen ist.585 Die Strafvollzugskommission folgte ihm.586 In seiner im Jahr 1969 veröffentlichten Habilitationsschrift legte Schüler-Springorum dies nochmals mit ausführlicher Begründung dar587. Andere im Schrifttum schlossen sich seiner Ansicht an.588 Schließlich nahm auch das Bundesverfassungsgericht im „Strafgefangenen-Beschluss“ auf dessen Habilitationsschrift Bezug.589 Die Diskussion um die Schaffung eines Strafvollzugsgesetzes hat demgegen­ über eine ungleich längere – hier nur überblicksartig darzustellende – Vorgeschichte. Sie beginnt – sieht man von diversen, bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgehenden parlamentarischen Bestrebungen in einzelnen deutschen Staaten ab590 – mit dem ersten Entwurf einer gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug, der im Jahr 1879 dem Bundesrat zugeleitet wurde, dort aber aufgrund der mit ihm verbundenen hohen Kosten für die Länder nicht zur Verabschiedung kam.591 Stattdessen vereinbarte die Länderkammer im Jahr 1897 Vollzugsgrundsätze, die der Vereinheitlichung des Strafvollzuges im Deutschen Reich dienten.592 Es handelt sich dabei um Regelungen, die weder formellen noch materiellen Gesetzes­ charakter hatten, sondern nur Verwaltungsvorschriften darstellten.593 Dies gilt auch für die 1923 vom damaligen Justizminister Gustav Radbruch initiierten und vom Reichsrat beschlossenen „Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen“.594 Auf dieser Grundlage brachte die Reichsregierung den Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes in den Reichsrat ein, der von diesem in veränderter Form angenommen und sodann dem Reichstag zugeleitet wurde.595 Dieser konnte die Beratungen aber nicht zu Ende führen, was maßgeblich auf die politisch und wirtschaftlich instabilen Verhältnisse (Weltwirtschaftskrise; Auflösung des Reichstages 1930) in der Endphase der Weimarer Republik zurückzuführen ist.596 Am 14.5.1934 wurde schließlich die  – bereits erwähnte  – „Verordnung über den Vollzug von 585

Vgl. Schüler-Springorum, in: Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, S. 48 ff. Vgl. Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, Bd. II, S. 107. 587 Vgl. Schüler-Springorum, S. 40 ff. 588 Vgl. Baumann, in: FS Maurach, S. 561 (562); Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, S. 72 ff.; Grunau, DRiZ 1970, 247 (247). 589 Vgl. BVerfGE 33, 1 (10). 590 Vgl. Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, S. 1 ff. 591 Näher hierzu Quedenfeld, S. 2 ff. 592 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, Einl. Rn. 3. 593 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, a. a. O. 594 Sieverts, in: Strafvollzug in Deutschland, S. 43 (50 f.). 595 Näher hierzu Quedenfeld, S. 15. 596 Vgl. Quedenfeld, S. 17; Jahn, S. 11. 586

132

D. Die Entscheidungsanalyse

Freiheitsstrafen“ erlassen, die nach (umstrittener und hier abgelehnter) Auffassung als gesetzesvertretende Rechtsverordnung die erste gesetzliche Grundlage des Strafvollzuges gewesen sein soll.597 Nach dem Anschluss verschiedener Gebiete an Deutschland (u. a. Österreich, Sudetenland) im Juli 1940 erließ der Reichs­ justizminister eine Verfügung zur „Vereinheitlichung der Dienst- und Vollzugsvorschriften für den Strafvollzug im Bereich der Reichsjustizverwaltung“, deren Verhältnis zur Verordnung vom 14.5.1934 nicht einheitlich beurteilt wird.598 Die Nachkriegszeit war zunächst geprägt von der Entfernung nationalsozialistischen Gedankenguts und dem Erlass neuer Vollzugsordnungen in den einzelnen Ländern.599 Die von Bundesjustizminister Fritz Neumayer im Jahr 1954 einberufene „Große Strafrechtskommission“ war sich zwar einig, dass die Reform des Strafrechts auch den Erlass eines Strafvollzugsgesetzes beinhalten müsse.600 Wie schon in der Vergangenheit, wurde aber die Auffassung vertreten, dass die Reform des StGB vorrangig sei, weil erst dann feststehe, von welchem Strafen- und Maßregelsystem ausgegangen werden könne.601 Die Schaffung eines Strafvollzugsgesetzes wurde also für aufschiebbar erachtet. Durch die am 1.7.1962 in Kraft getretene Dienst- und Vollzugsordnung wurde aber immerhin eine bundesweit geltende Regelung im Wege der Vereinbarung zwischen den Ländern geschaffen, um der erneut entstandenen starken Heterogenität der Verhältnisse im Strafvollzug entgegenzuwirken. Vor dem geschilderten Hintergrund lässt sich feststellen, dass vor allem die Notwendigkeit der Vereinheitlichung immer wieder eine starke Triebfeder für Regelungen auf dem Gebiet des Strafvollzuges gewesen ist, rechtsstaatliche Gründe hingegen  – nicht zuletzt wegen der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis  – keine entscheidende Rolle spielten. Dies bedeutet freilich nicht, dass es zuerst die Karlsruher Richter im „Strafgefangenen-Beschluss“ gewesen sind, die die Forderung nach Erlass eines Strafvollzugsgesetzes mit rechtsstaatlichen Erwägungen begründet hätten. Wie schon erwähnt,602 hat hier bereits Freudenthal vor dem­ Ersten Weltkrieg wichtige Pionierarbeit geleistet. Allerdings dauerte es noch bis in die zweite Hälfte der 1960er-Jahre, bis verbreitet unter Rückgriff auf das Rechtsstaatsprinzip argumentiert wurde, und zwar sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik, nicht aber in der Rechtsprechung. Beispielhaft sei auf die Ausführungen des Bundestagsabgeordneten Dietrich Rollmann in einem von ihm 1967 herausgegebenen Sammelband zur Strafvollzugsreform hingewiesen, in dem er festgestellt hat:

597

Siehe oben D.IV.1.b)bb). Ausführlich dazu Quedenfeld, S. 41 ff. 599 Siehe dazu bereits oben C.XII. 600 Vgl. dazu Müller-Dietz, Wege zur Strafvollzugsreform, S. 116. 601 Vgl. Müller-Dietz, a. a. O. 602 Siehe oben D.IV.1.b)aa). 598

IV. Ergebnisse

133

„Wenn man Recht und Praxis des Strafvollzuges in der Zeit vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes mit dem Strafvollzug von heute vergleicht, so muss man feststellen, dass das Grundgesetz am Strafvollzug nahezu spurlos vorübergegangen ist. Die Grundrechte unserer Verfassung sind zwar keine bloße Deklamation, sondern unmittelbar geltendes Recht, aber in die auch dem Gefangenen zustehenden Grundrechte wird […] unaufhörlich eingegriffen, obwohl […] für [sie] nur die Freiheit der Person gesetzlich beschränkt ist. So will mir scheinen, dass der Strafvollzug heute weitgehend der Verfassungsmäßigkeit entbehrt. Ein Strafvollzugsgesetz wird darum sehr genau zu definieren haben, inwieweit im Interesse des Strafzwecks und der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in den Strafanstalten die Grundrechte der Gefangenen eingeschränkt werden dürfen.“603

Ähnlich äußerte sich auch Bundesjustizminister Gerhard Jahn in einem im Mai 1971 gehaltenen Vortrag vor der Frankfurter Juristischen Gesellschaft: „Es kann nicht dabei bleiben, in den Gesetzen lediglich das Etikett der Freiheitsstrafe zu bezeichnen und nicht zugleich die Eingriffsbefugnisse und Leistungspflichten der Vollzugsbehörden sowie die Rechtsstellung des Verurteilten im Strafvollzug zu regeln. Es ist notwendig, dem für Straftat und Bestrafung geltenden Prinzip der gesetzlichen Bestimmtheit auch im Bereich des Strafvollzuges zum Durchbruch zu verhelfen.“604

Dass die Schaffung eines Strafvollzugsgesetzes (auch) aus rechtsstaatlichen Gründen zwingend erforderlich ist, wurde – wie bereits angedeutet – ab Ende der 1960er Jahre auch im Schrifttum ganz überwiegend anerkannt.605 So stellte etwa Schüler-Springorum in seinem Referat auf der zweiten Arbeitstagung der Strafvollzugskommission im Februar/März 1968 unmissverständlich klar: „Die Gesetzesvorbehalte des Grundrechtsteils der Verfassung verlangen ein formelles Gesetz, die vorhandenen formell-gesetzlichen Grundlagen des Vollzuges (StGB, StPO usw.) erfüllen diesen Vorbehalt befriedigend nur für den Freiheitsentzug als solchen.“606

Der „Strafgefangenen-Beschluss“ fällt also in eine Zeit, in der jedenfalls in­ Wissenschaft und Politik akzeptiert wurde, dass am Erlass eines Strafvollzugsgesetzes kein Weg vorbeiführt. Bereits im Jahr vor der Entscheidung der Karlsruher Richter vom 14.3.1972 war sich Heinz Müller-Dietz daher auch sicher, dass das Bundesverfassungsgericht den „gesetzlosen Zustand“ auf dem Gebiet des Strafvollzuges nicht mehr lange tolerieren werde.607 Er sollte, wie man heute weiß, Recht behalten. 603

Rollmann, in: Strafvollzug in Deutschland, S. 208 (210). Jahn, S. 16. 605 Vgl. nur Müller-Dietz, Gutachten C, S. 9 m. w. N., wonach dies heute [= 1970] nicht mehr ernstlich angefochten werde. 606 Schüler-Springorum, in: Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, S. 48 ff. Deutlich zurückhaltender äußert sich Schüler-Springorum hingegen in seiner 1969 erschienenen Habilitationsschrift. Dort führt er auf S. 75 aus: „Der Erlass eines Vollzugsgesetzes bleibt also um der Gewaltenteilung und des Rechtsstaats willen geboten; ein solches Gesetz ist aber nicht [Kursivdruck nicht im Original] conditio sine qua non für die Gesetzmäßigkeit des Vollzuges heute und morgen.“ 607 Vgl. Müller-Dietz, Strafvollzugsreform, S. 94. 604

134

D. Die Entscheidungsanalyse

Der „Strafgefangenen-Beschluss“ enthielt also in der Sache letztlich nichts Überraschendes und eilte seiner Zeit keineswegs voraus. Ganz im Gegenteil: Vielfach wurde bemängelt, dass die Entscheidung schon wesentlich früher hätte ergehen müssen.608 Stattdessen ist das Bundesverfassungsgericht in den ersten beiden Jahrzehnten seines Bestehens konsequent der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis gefolgt. Dies zeigt sich bereits, wenn man nur einmal einen Blick auf die Zeiträume wirft, in denen die Entscheidungen zum Strafvollzug ergangen sind. Während seit den 1990er-Jahren ein sprunghafter Anstieg zu verzeichnen ist, hat es in den 1950er-Jahren keine einzige und im darauffolgenden Jahrzehnt lediglich zwei609 einschlägige Entscheidungen gegeben (siehe unten Abbildung 5). Die beschriebene Entwicklung ist zunächst ganz maßgeblich darauf zurückzuführen, dass sich die Praxis der Publikation verfassungsgerichtlicher Entscheidungen in den letzten Jahrzehnten entscheidend gewandelt hat. 1988 wurde von der „Arbeitsgemeinschaft zur Koordinierung der Rechtsprechungs- und Literaturdokumentation bei den Gerichtshöfen“ (AKD) beschlossen, alle mit Begründung versehenen Entscheidungen der obersten Gerichte des Bundes zukünftig zu veröffentlichen.610 Das Bundesverfassungsgericht hatte dies zunächst nicht vollständig in die Tat umgesetzt und weiterhin nur einen Teil  seiner Rechtsprechung der Öffentlichkeit­ zugänglich gemacht, wobei die Hintergründe dieser Vorgehensweise weitgehend intransparent blieben, was in der Literatur mit Recht kritisiert wurde.611 Seit dem Jahr 1998 werden nun grundsätzlich alle mit Begründung ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht und zumindest auf dessen Homepage (kostenfrei) zum Abruf zur Verfügung gestellt. Damit ist klar, dass der deutliche Anstieg der verfügbaren Rechtsprechung zum Strafvollzug seit den 1990er-Jahren maßgeblich auch darauf zurückzuführen ist, dass weniger Entscheidungen als zuvor im Verborgenen bleiben. Ferner ist zu bedenken, dass die Zahl der beim Bundesverfassungsgericht anhängig gewordenen Verfahren in dessen Anfangszeit insgesamt ganz erheblich niedriger war als heutzutage. Während derzeit beständig etwa 6.000 Verfahrenseingänge pro Jahr zu verzeichnen sind, waren es in den 1950er-Jahren durchschnittlich gerade einmal ein Sechstel davon. An mehrere hundert Verfassungs 608

Vgl. Starck, JZ 1972, 360 (360); Fuß, DÖV 1972, 765 (767); Maetzel, DÖV 1972, 563 (563). Mit der Entscheidung vom 15.02.1967 (= BVerfGE 21, 191 ff.) gab das Bundesverfas­sungs­ gericht der Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen statt, der sich dagegen wandte, dass das Oberlandesgericht im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG nicht geprüft hatte, ob er die Tat, wegen der er seitens der Haftanstalt mit einer Disziplinarstrafe belegt worden war, überhaupt begangen hatte. Das Bundesverfassungsgericht bejahte eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG. Die zweite veröffentlichte Entscheidung aus den 1960er-Jahren ist eine Verfassungsbeschwerde vom 15.12.1966 – 1 BvR 92/66, mit der der Beschwerdeführer einen oberlandesgerichtlichen Beschluss, der die Arbeitsentlohnung von Strafgefangenen betraf, angefochten hatte. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde wegen offensichtlicher Unbegründetheit nicht zur Entscheidung an. 610 Vgl. dazu Walker, S.189. 611 Vgl. Walker, S. 100. 609

IV. Ergebnisse

135

Abbildung 5: Veröffentlichte Entscheidungen nach Zeiträumen

beschwerden aus dem Strafvollzug, die in der jüngeren Vergangenheit allein aus dem Strafvollzug jedes Jahr das Bundesverfassungsgericht erreichen, war damals nicht zu denken. Bis in die 1980er-Jahre lag die Zahl bei etwa 100 jährlich, um­ sodann in den 1990er-Jahren sprunghaft – zeitweise auf deutlich über 500 Verfahrenseingänge – anzusteigen.612 Zu den zentralen Ursachen hierfür dürften sowohl die allgemeine Verschlechterung der Rahmenbedingungen des Strafvollzuges (Überbelegung; Zeitgeist u. a.) als auch eine restriktivere Vollzugspraxis (weniger Lockerungsmaßnahmen u. a.) in manchen Bundesländern sein.613 Ungeachtet all dessen entfallen von den über 22.000 Verfassungsbeschwerden, die vor dem „Strafgefangenen-Beschluss“ beim Bundesverfassungsgericht anhängig geworden sind, Schätzungen zu Folge rund 10 % auf den Bereich des Strafvollzuges.614 Auch wenn sich die konkrete Zahl nicht mehr bestimmen lässt, ist klar, dass die Karlsruher Richter viele Gelegenheiten, die Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses zu verwerfen und die Schaffung einer gesetzlichen Regelung für den Strafvollzug einzufordern, haben verstreichen lassen. Der Beschluss vom 14.3.1972 612

Vgl. Blankenburg, Zeitschrift für Rechtssoziologie, 37 (43 f.). Vgl. etwa Müller-Dietz, in: FS Schöch, S. 285 (291); siehe speziell zu den veränderten Rahmenbedingungen des Strafvollzuges Preusker, in: Wiedereingliederung, S. 30 (39 ff.). 614 Vgl. Starck, JZ 1972, 360 (360); siehe ferner Hirsch (Richter am Bundesverfassungsgericht von 1971 bis 1983), in: Strafvollzugsgesetz, S. 1 (2), der von einer „erheblichen“ Anzahl von Verfassungsbeschwerden aus dem Bereich des Strafvollzuges in den 1950er- und 60er-Jahren spricht. 613

136

D. Die Entscheidungsanalyse

selbst enthält hierfür einen Beweis. Darin verweist das Bundesverfassungsgericht nämlich auf einen ohne Begründung ergangenen Beschluss vom 7.3.1963, mit dem es die Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen gegen die Versagung der Genehmigung zum Bezug einer Zeitung verworfen hatte.615 Wenn das Bundesverfassungsgericht nun die lange Untätigkeit des Gesetzgebers damit rechtfertigt, dass sich die Einsicht in die Notwendigkeit eines Strafvollzugsgesetzes aufgrund des „überkommenen Bildes“ vom Strafvollzug als das eines besonderen Gewaltverhältnisses erst allmählich habe durchsetzen können,616 liefert es im Grunde auch eine Erklärung für seine eigene Untätigkeit: Es ist schlicht dem Zeitgeist gefolgt. Das ist im Schrifttum auf teils große Verwunderung gestoßen, habe das Gericht doch etwa bei der Interpretation bestimmter Grundrechte selbst etwas Zeitgeist begründet.617 Enttäuscht stellt Starck daher in seiner Anmerkung zum „Strafgefangenen-Beschluss“ fest: „Wo nun die Zeichen für den Strafvollzug günstig stehen, kommt auch die lang fällige Entscheidung des BVerfG zur Geltung des Gesetzesvorbehalts im Strafvollzug […] Das Gericht hätte jedoch […] auch schon vor Beendigung der Vorbereitungen der Gesetzesinitiative den Gesetzgeber an seine verfassungsrechtliche Pflicht zum Erlass eines Strafvollzugsgesetzes zu erinnern gehabt […] [Dann] gäbe es längst ein Strafvollzugsgesetz.“618

Was also die Verwerfung der Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses und die Forderung nach der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Bereich des Strafvollzuges anbelangt, sind die Karlsruher Richter Anfang der 1970er-Jahre lediglich auf einen zu diesem Zeitpunkt bereits „fahrenden Zug“ aufgesprungen, der von anderen – namentlich vor allem vom damaligen Bundesjustizminister Heinemann und von Schüler-Springorum  – ins Rollen gebracht wurde. Bemerkenswert ist zudem, dass nicht einmal alle Mitglieder des entscheidenden Zweiten Senates den Anschluss an die allgemeine Entwicklung in Politik und Wissenschaft finden wollten, denn der „Strafgefangenen-Beschluss“ ist nicht einstimmig, sondern nur im Wege einer Mehrheitsentscheidung (6:2) ergangen.619 Sein Zustandekommen ist maßgeblich auf den am 11.11.1971 zum Richter am Bundesverfassungsgericht gewählten sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten Martin Hirsch620 zurückzuführen: Die Entscheidung vom 14.3.1972 entstammt aus seinem Dezernat.621 Er hat im Übrigen auch im Rahmen eines Vortrages auf einer 615

Vgl. BVerfGE 33, 1 (11). Ein weiteres Beispiel stellt die Entscheidung in BVerfGE 21, 191 ff. dar. Hier gab das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG statt. Ohne Weiteres hätte es auch problematisieren können, dass für die in Rede stehende Disziplinarmaßnahme gar keine gesetzliche Grundlage existierte. 616 Vgl. BVerfGE 33, 1 (12). 617 So ausdrücklich Starck, JZ 1972, 360 (361). 618 Starck, a. a. O. 619 Vgl. BVerfGE 33, 1 (17). 620 Vgl. zum Werdegang von Martin Hirsch (1913–1992) die Nachrufe von Ley, NJW 1992, 2008 f. und Böttcher, KJ 1992, 241 ff. 621 Vgl. Böttcher, KJ 1992, 241 (242).

IV. Ergebnisse

137

Tagung in Bad Boll im März 1979 versucht zu erklären, warum sich das Bundesverfassungsgericht erst so spät dem Strafvollzug zugewendet hat. Er führt dies im Kern darauf zurück, dass der Gesetzgeber der Auffassung war, es werde sehr viele Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie den Ländern untereinander geben, weswegen er die Zuständigkeit für Verfassungsbeschwerden vollständig auf den Ersten Senat übertragen habe.622 In der Praxis sei es dann so gekommen, dass letzterer völlig überlastet gewesen sei, während der Zweite Senat nur wenige Verfahren zu bearbeiten gehabt habe. Eine Änderung dieses Zustands sei erst eingetreten, als der Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht 1969 die Möglichkeit eingeräumt habe, die Zuständigkeiten zwischen den Senaten selbst durch die ­Geschäftsordnung zu regeln, was 1971 schließlich auch geschehen sei. Bis dahin habe der Erste Senat, der unter tausenden von Verfassungsbeschwerden zu er­ sticken drohte, keine andere Wahl gehabt, als erst einmal die herauszugreifen, die er für besonders dringlich gehalten habe, wozu die Eingaben von Strafgefangenen­ offenbar nicht gehörten. Rechtfertigend führte Hirsch dazu aus: „Das muß man verstehen, denn es gab ja damals, als das Verfassungsgericht anfing, eine große Anzahl von anderen Problemen. Es gab das Problem der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Es gab das Problem der nichtehelichen Kinder usw.“

Es ist zwar richtig, dass der Erste Senat aufgrund seiner enormen Überlastung in den beiden ersten Jahrzehnten seit Gründung des Bundesverfassungsgerichts in gewisser Weise gezwungen war, zwischen „wichtigen“ und „weniger wichtigen“ Angelegenheiten zu differenzieren. Dass diese Prioritätensetzung aber derart einseitig zu Ungunsten des Strafvollzuges ausgefallen ist, kann damit dennoch nicht gerechtfertigt werden. In einem Zeitraum von immerhin 20 Jahren wäre es durchaus möglich gewesen, eine Entscheidung wie den „Strafgefangenen-Beschluss“, der einen eher überschaubaren Umfang hat und keiner besonders aufwändigen Begründung bedurfte, zu erlassen. Indem das Bundesverfassungsgericht am Ende doch untätig blieb, hat es bei seiner Prioritätensetzung nichts anderes als den Weg des geringsten Widerstands gewählt, denn angesichts der in den 1950er-Jahren wieder aufgelebten Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis war es zweifellos besonders leicht, mit den vielen Verfassungsbeschwerden aus dem Strafvollzug „kurzen Prozess“ zu machen, ohne mit nennenswertem Widerstand aus Wissenschaft und Praxis rechnen zu müssen. Wie bereits erwähnt, hat sich das Bundesverfassungsgericht also letztlich den damaligen Zeitgeist zu Nutze gemacht, um sich auf Kosten der Gefangenen bei der Abarbeitung seiner Verfahren Entlastung zu ­verschaffen.

622

Vgl. hier und im Folgenden Hirsch, in: Strafvollzugsgesetz, S. 1 (1).

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D. Die Entscheidungsanalyse

bb) Das eigentliche Verdienst des Bundesverfassungsgerichtes Wie soeben dargestellt wurde, liegt der entscheidende Beitrag des Bundesverfassungsgerichtes nicht darin begründet, dass es das Geschehen, das zum Erlass eines Strafvollzugsgesetzes geführt hat, initiiert hat. Sein Verdienst ist es vielmehr, dafür gesorgt zu haben, dass das Gesetzgebungsverfahren erfolgreich gewesen ist und nicht – wie in den einhundert Jahren davor – erneut scheiterte. Dies zeigt sich, wenn man die Geschehnisse seit der Einberufung der Strafvollzugskommission weiterverfolgt: Nachdem die Strafvollzugskommission auf insgesamt 13 Sitzungen den sogenannten „Kommissions-Entwurf“ für ein Strafvollzugsgesetz fertiggestellt hatte, übergab sie diesen am 3.2.1971 Bundesjustizminister Jahn.623 Dieser übernahm ihn zwar als Grundlage für den Regierungsentwurf. Letzterer sah jedoch in § 180 Abs.  2 vor, dass eine ganze Reihe kostenintensiver Bestimmungen (u. a. diejenigen zur Arbeit und beruflichen Bildung sowie zur Arbeits- und Sozialversicherung) nicht wie die übrigen Vorschriften bereits am 1.1.1974 in Kraft treten sollte, sondern erst nach Maßgabe eines besonderen Bundesgesetzes.624 Aufgrund der Bundestagsauflösung durch den Bundespräsidenten und der deshalb erforderlich gewordenen Neuwahl im Herbst 1972 konnte der Regierungsentwurf aber nicht mehr in der sechsten Legislaturperiode im Parlament beraten werden.625 Die Bundesregierung brachte ihn daher am 23.7.1973 in den neu gewählten Bundestag ein und leitete ihn ferner dem Bundesrat zur Stellungnahme zu.626 Letzterer machte daraufhin unmissverständlich klar: „Der Bundesrat muss sich […] vorbehalten, dem Gesetz nicht zuzustimmen, wenn sich eine ausreichende Verbesserung der Finanzsituation der Länder für die Jahre ab 1974 nicht abzeichnet.“627

Der Bundestag befasste sich am 19.10.1973 in erster Lesung mit dem Regierungsentwurf und überwies ihn an den Sonderausschuss für die Strafrechtsreform, wo er bis Mitte Juni 1975 eingehend beraten wurde.628 Dieses Gremium empfahl dem Bundestag am 29.8.1975 u. a. die kostenintensiven Regelungen nicht – wie im Regierungsentwurf vorgesehen – irgendwann durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft zu setzen, sondern bereits im Strafvollzugsgesetz selbst konkrete Termine festzulegen.629 Im Übrigen sollte letzteres am 1.1.1977 in Kraft treten. In dieser Phase wurde nun noch einmal das Bundesverfassungsgericht tätig. Es hatte über die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen zu befinden, der sich u. a. gegen die Weigerung des Anstaltsleiters, ihm den Bezug der „St. Pauli Nachrichten“ 623

Vgl. BT-Drs. 7/918, S. 40. Vgl. BT-Drs. 7/918, S. 36. 625 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, Einl. Rn. 13. 626 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, a. a. O. 627 Vgl. BT-Drs. 7/918, S.  108; siehe dazu auch die Meldung vom Richterbund in DRiZ 1974, 32. 628 Näher hierzu Calliess/Müller-Dietz, Einl. Rn. 15. 629 Vgl. BT-Drs. 7/3998, S. 3. 624

IV. Ergebnisse

139

zu gewähren, wandte.630 In seiner Entscheidung vom 29.10.1975 hielt das Bundesverfassungsgericht den Druck auf den Gesetzgeber aufrecht und stellte unmissverständlich klar: „Da die 6. Legislaturperiode nicht wie erwartet im Herbst 1973, sondern bereits im Herbst 1972 endete, haben sich die tatsächlichen Voraussetzungen für die […] Fristsetzung des Bundesverfassungsgerichts [vom 14.3.1972] entscheidend geändert. Dem Gesetzgeber wäre aber […] ein Verstoß gegen die Entscheidung des Gerichts vorzuwerfen, wenn er bis zur Verabschiedung des Gesetzes weitere 4 Jahre – vom Herbst 1973 an gerechnet – verstreichen ließe. Der Sonderausschuss für die Strafrechtsreform hat […] am 18.6.1975 den Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes […] einstimmig in einer bearbeiteten Fassung verabschiedet […]. Die Verabschiedung im Plenum des Bundestages in 2. und 3. Lesung ist für den 7.11.1975 vorgesehen. Daher darf erwartet werden, dass das Strafvollzugsgesetz zügig verabschiedet und demnächst verkündet wird. Jedenfalls muss es möglich sein, dass der Teil eines Strafvollzugsgesetzes, der die gesetzlichen Grundlagen für Eingriffe in Grundrechte der Gefangenen enthält, bis spätestens zum 1.1.1977 in Kraft tritt […] Finanzielle Erwägungen oder organisatorische Schwierigkeiten, die ein Strafvollzugsgesetz mit sich bringen mag, dürfen eine Verabschiedung nicht unangemessen verzögern.“631

Besonders die letzten beiden Sätze des vorgenannten Zitats machen deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht in jedem Fall verhindern wollte, dass das Zustandekommen eines Strafvollzugsgesetzes wie schon in der Vergangenheit aus­ finanziellen Gründen scheitert. Der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zeigt, dass diese Befürchtungen alles andere als unberechtigt waren. Zwar wurde der Gesetzentwurf des Sonderausschusses wie geplant Anfang November 1975 vom Bundestag beschlossen.632 Der Bundesrat rief jedoch den Vermittlungsausschuss an. Die Länder meinten nämlich vor dem Hintergrund ihrer Haushalts­ situation auf längere Sicht nicht in der Lage zu sein, die Mehrbelastungen des Gesetzes in der vom Bundestag beschlossenen Fassung tragen zu können.633 Im Vermittlungsausschuss wurde dann schließlich vereinbart, sich zum Teil  wieder stärker am ursprünglichen Regierungsentwurf zu orientieren und kostenaufwändige Regelungen nicht bereits vorab zu konkret festgesetzten Zeitpunkten in Kraft zu setzen, sondern erst später durch ein besonderes Bundesgesetz (siehe § 198 Abs.  3 StVollzG).634 Dem stimmte der Bundestag am 12.2.1976 zu. Noch am Tag zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen stattgegeben, der sich dagegen gewandt hatte, dass ihm seitens der Haftanstalt die Aushändigung einer an ihn übersandten unbeschriebenen Ansichts­karte  verweigert worden war, obwohl dies ersichtlich keine Gefahr für die Durchführung eines geordneten Strafvollzuges bedeutet hätte.635 In dieser Entscheidung wies das Bundesverfassungsgericht noch einmal auf seine 630

Vgl. BVerfGE 40, 276 ff. BVerfGE 40, 276 (283 f.). 632 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, Einl. Rn. 15. 633 Vgl. BT-Drs. 7/4378, S. 3. 634 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, Einl. Rn. 15. 635 Vgl. BVerfGE 41, 329 ff. 631

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D. Die Entscheidungsanalyse

Entscheidungen vom 14.3.1972 und 29.10.1975 und die dortigen Ausführungen hin, wonach Grundrechtseingriffe im Strafvollzug ohne entsprechendes Gesetz nur noch übergangsweise, nämlich bis Ende des Jahres hingenommen werden könnten.636 Tatsächlich trat dann am 1.1.1977 das erste Strafvollzugsgesetz in Kraft. Denkt man also die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Notwendigkeit eines Strafvollzugsgesetzes hinweg, bliebe die Einsetzung der Strafvollzugskommission und die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes zwar erhalten. Allerdings hat es – zum Teil sehr weit fortgeschrittene – Versuche, eine gesetzliche Basis für den Vollzug der Freiheitsstrafe zu schaffen, auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Zu einem erfolgreichen Abschluss der Gesetzgebungsverfahren ist es aus verschiedenen  – oftmals finanziellen  – Gründen jedoch nie gekommen. Im Unterschied zu früher gab es nun aber mit dem Bundesverfassungsgericht erstmals eine Institution, die für den Fall des Scheiterns der­ legislatorischen Bemühungen konkrete Konsequenzen androhen und damit Druck ausüben konnte. Durch den „Strafgefangenen-Beschluss“ vom 14.3.1972 und die Entscheidung vom 29.10.1975 wurde dem Gesetzgeber klar vor Augen geführt, dass der gesamte Strafvollzug ohne gesetzliche Grundlage in absehbarer Zeit in die Verfassungswidrigkeit abdriften würde. Die Legislative war sich dessen wohl bewusst, was schon anhand der Gesetzgebungsmaterialien deutlich wird, in denen insbesondere auf den „Strafgefangenen-Beschluss“ immer wieder Bezug genommen wird.637 Der ehemalige Verfassungsrichter Martin Hirsch hat den Anteil seines Gerichts am Zustandekommen des Strafvollzugsgestzes im Rahmen des­ bereits erwähnten Vortrages in Bad Boll 1979 wie folgt zusammengefasst: „[D]as BVerfG hat […] dafür gesorgt, (vielleicht ist das auch etwas zu viel gesagt), jedenfalls mit dazu beigetragen, daß wir endlich ein Strafvollzugsgesetz bekommen haben.“638

Dem ist – mit der von Hirsch selbst vorgenommenen Relativierung – zuzustimmen. d) Prozessuale Entscheidungskritik Einiger Anmerkungen bedarf es hingegen in prozessualer Hinsicht. So lagen­ sowohl der Entscheidung vom 14.3.1972 als auch derjenigen vom 29.10.1975 Sachverhalte zu Grunde, in denen in Grundrechte von Strafgefangenen ohne die erforderliche gesetzliche Grundlage eingegriffen wurde. Aufgrund dessen wäre es an sich naheliegend gewesen, die jeweiligen gerichtlichen Beschlüsse bereits deshalb aufzuheben. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht aber der Verfassungsbeschwerde im „Strafgefangenen-Beschluss“ nur deshalb stattgegeben, weil die Anhaltung des zum Teil beleidigenden Briefes unabhängig vom Fehlen einer­ 636

Vgl. BVerfGE 41, 329 (330 f.). Vgl. BT-Drs. 7/918, S. 1 u. 41; 7/3998, S. 1. 638 Hirsch, in: Strafjustiz, S. 7 (10). 637

IV. Ergebnisse

141

gesetzlichen Ermächtigung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unvereinbar war. Die Verfassungsbeschwerde, die Gegenstand der Entscheidung vom 29.10.1975 gewesen ist, haben die Karlsruher Richter ohnehin zurückgewiesen. Nun ist es aber ein insbesondere von Normenkontrollverfahren her bekanntes Phänomen, dass das Bundesverfassungsgericht mitunter versucht, unerwünschte Folgen seiner Entscheidungen zu vermeiden. So hat es in der Vergangenheit gelegentlich auf die an sich zu erwartende Nichtigerklärung verzichtet, stattdessen die Verfassungsmäßigkeit der zu prüfenden Norm(en) noch bejaht und den Gesetzgeber zugleich zum baldigen Erlass einer Neuregelung aufgefordert.639 Ähnlich ist es im vorliegenden Fall: Das Bundesverfassungsgericht moniert zwar das Fehlen eines Strafvollzugsgesetzes, hebt aber die jeweiligen oberlandesgerichtlichen Beschlüsse dennoch nicht auf. Grund hierfür sei, dass der Verfassungsgeber bei Erlass des Grundgesetzes das überkommene Bild des Strafvollzuges vor Augen­ gehabt habe und jedes Anzeichen dafür fehle, dass er davon ausgegangen sei, der Gesetzgeber müsse sofort nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ein Strafvollzugsgesetz in Kraft setzen.640 Vielmehr sei er von Verfassungs wegen nur vor die Aufgabe gestellt, in angemessener Zeit eine Regelung zu treffen.641 Ein schuldhaftes Verzögern könne dem Gesetzgeber aber angesichts der lange Zeit für zutreffend erachteten Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis nicht vorgeworfen werden.642 Diese Begründung wirkt freilich etwas gezwungen, denn für den angeblichen subjektiven Willen des Verfassungsgebers im Hinblick auf den Zeitpunkt, zu dem ein Strafvollzugsgesetz erlassen werden muss, führt es keinerlei Belege an, sondern arbeitet im Grunde mit einer bloßen Vermutung.643 Dahinter steht die Intention, das Entstehen eines regelungstechnischen Vakuums bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zu verhindern und zwischenzeitlich die Aufrechterhaltung eines geordneten Strafvollzuges zu gewährleisten, weshalb das Bundesverfassungsgericht übergangsweise auch nur solche Eingriffe zugelassen hat, die für diesen Zweck unerlässlich gewesen sind.644 Prozessual gesehen enthalten die Beschlüsse vom 14.3.1972 und 29.10.1975 also Appellentscheidungen, die – wie bereits erläutert645 – unzulässig sind. Stattdessen hätten die Karlsruher Richter die jeweiligen oberlandesgerichtlichen Entscheidungen bereits mangels gesetzlicher Grundlage aufheben müssen. Im Falle der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes hätte es dessen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellen müssen und dies – zur Vermeidung eines gesetzlosen, der Verfassung noch ferner stehenden Zustandes – gemäß § 32 BVerfGG analog mit

639

Vgl. Benda/Klein, Rn. 1397 m. w. N. Vgl. BVerfGE 33, 1 (12). 641 Vgl. BVerfGE 33, 1 (12). 642 Vgl. BVerfGE 40, 276 (283 f.); 33, 1 (12). 643 Vgl. Kempf, JuS 1972, 701 (705). 644 Vgl. BVerfGE 40, 276 (283); 33, 1 (13). 645 Siehe oben B.III.2.d)ee). 640

142

D. Die Entscheidungsanalyse

einer (zeitlich begrenzten) Weitergeltungsanordnung verbinden können.646 Vor­ liegend hat es zwar gerade an einem Gesetz, das übergangsweise für weiter anwendbar hätte erklärt werden können, gemangelt. Es wäre aber möglich gewesen, die Anordnung zu erlassen, dass sich Maßnahmen auf dem Gebiet des Strafvollzuges vorläufig weiter nach den Regelungen der am 1.7.1962 in Kraft getretenen Dienst- und Vollzugsordnung richten. Für die vom Bundesverfassungsgericht erteilte Maßgabe, wonach Grundrechtseingriffe bis zum Erlass eines Strafvollzugsgesetzes nur zulässig seien, wenn diese für die Aufrechterhaltung und geordnete Durchführung des Strafvollzuges als unerlässlich angesehen werden müssten, fehlte dem Bundesverfassungsgericht hingegen jegliche Kompetenz. Derartige (inhaltliche) Interimsanordnungen können auch nicht auf eine (entsprechende) Anwendung des § 35 BVerfGG gestützt werden.647 Dass sich die Karlsruher Richter prozessual also auf „dünnem Eis“ bewegt haben, war ihnen durchaus bewusst. Martin Hirsch, Berichterstatter in dem Verfahren, das zum „Strafgefangenen-Beschluss“ geführt hat, hat daraus auch keinen Hehl gemacht und einige Jahre nach dieser Entscheidung anlässlich eines Vortrages eingeräumt: „[Aus dem Strafgefangenen-Beschluss] ergab sich dann eine große Anzahl von Einzel­ entscheidungen, weil wir es dann ja zu tun hatten, mit einem sozusagen gesetzeslosen Zustand; und das Verfassungsgericht mußte ja damals etwas machen, was an sich theoretisch wieder einmal hätte zu heißen Diskussionen Anlaß geben können. Denn das Verfassungsgericht hatte gesagt: Einschränkung der Grundrechte nur durch Gesetz; also sind Einschränkungen auch der Grundrechte der Strafgefangenen eigentlich gar nicht zulässig, weil es kein Gesetz gibt. Aber auf der anderen Seite konnten wir den Strafvollzug nicht platzen lassen, indem dann jeder in der Anstalt hätte machen können, was er will. Also mußten wir ein bißchen als Übergangsgesetzgeber tätig werden […].“648

e) Ergebnis Hypothese 1 konnte somit nur zum Teil bestätigt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar einen nicht unbedeutenden Anteil am Zustandekommen des Strafvollzugsgesetzes. Der entscheidende Anstoß für die Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens ging jedoch nicht von ihm, sondern vom damaligen Bundesjustizminister Heinemann aus, der 1967 eine Strafvollzugskommission mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs beauftragte. Die Karlsruher Richter haben mit ihrem (noch nicht einmal einstimmig ergangenen) „Strafgefangenen-Beschluss“ hingegen lediglich den Anschluss an die Anfang der 1970er-Jahre in Politik und Wissenschaft bereits ganz überwiegend anerkannte (rechtsstaatliche) Notwendigkeit, die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis zu verabschieden, geschafft.

646

Siehe oben B.III.2.d)cc). Siehe dazu oben B.III.2.d)cc). 648 Hirsch, in: Strafjustiz, S. 7 (10). 647

IV. Ergebnisse

143

Hier ging die Initialzündung vor allem von Horst Schüler-Springorum aus, dem es mit einer ausführlichen Begründung in seinem Referat für die zweite Arbeitstagung der Strafvollzugskommission, deren Mitglied er war, und in seiner Habilitationsschrift gelungen ist, auch andere von den Unzulänglichkeiten der Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses zu überzeugen. Verdienst des Bundesverfassungsgerichts ist es hingegen gewesen, den Gesetzgeber durch den wiederholten Verweis auf die unabwendbare Notwendigkeit alsbald ein Strafvollzugsgesetz in Kraft zu setzen, erheblich unter Druck zu setzen und so zu verhindern, dass das Gesetzgebungsverfahren aus finanziellen Erwägungen scheitert. Ob dieser Beitrag allerdings hinweggedacht werden kann, ohne dass das Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes entfiele, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Ernsthafte Zweifel, ob das Gesetzgebungsverfahren letztlich erfolgreich sein wird, wurden jedenfalls immer wieder publik.649 Auch der Blick auf die etwa 100-jährige Gesetzgebungsgeschichte auf dem Gebiet des Strafvollzuges mit zum Teil weit fortgeschrittenen, aber am Ende doch nicht erfolgreichen Kodifizierungs­versuchen, spricht hier gewiss zu Gunsten des Bundesverfassungsgerichtes. In jedem Fall hat es etwaigen gesetzgeberischen Gedanken an eine mögliche „Rolle rückwärts“ eine zusätzliche Hürde in den Weg gestellt. Allerdings hat es dabei die ihm in prozessualer Hinsicht gesetzten Grenzen nicht in Gänze eingehalten. 2. Vollzugsziel Resozialisierung a) Kernaussagen aa) Das „Lebach-Urteil“ Nachdem das Bundesverfassungsgericht im „Strafgefangenen-Beschluss“ bereits angedeutet hatte, dass ein zu schaffendes Strafvollzugsgesetz einem von der Wertordnung des Grundgesetzes gedeckten gemeinschaftsbezogenen Zweck dienen müsse, hat es diese inhaltliche Vorgabe am 5.6.1973 im sogenannten­ „Lebach-Urteil“650 erstmals konkretisiert und dabei die folgenden zentralen Feststellungen getroffen: – Herausragendes Ziel des Strafvollzuges ist die Resozialisierung. Vom Täter aus gesehen erwächst dieses Interesse an der Wiedereingliederung aus seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG. Von der Gemeinschaft aus betrachtet verlangt das Sozialstaatsprinzip eine Ausrichtung in dem genannten Sinne.651

649

Vgl. etwa die Meldungen in DRiZ 1974, 32 und 1975, 384. Vgl. BVerfGE 35, 202 ff. 651 Vgl. BVerfGE 35, 202 (236). 650

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D. Die Entscheidungsanalyse

– Die Resozialisierung dient auch dem Schutz der Allgemeinheit, denn diese hat ein unmittelbares Eigeninteresse daran, dass der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigt.652 – Der Staat muss den Strafvollzug so ausstatten, dass die Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung des Gefangenen geschaffen werden können.653 Der Entscheidung lag die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen zu Grunde, der sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch Zivilgerichte gewandt hatte. Der Beschwerdeführer wollte er­ reichen, dass dem ZDF untersagt wird, ein Dokumentarspiel insoweit auszustrahlen, als er darin dargestellt oder namentlich erwähnt wird. In dem Film sollte der Anfang 1969 verübte, enormes Aufsehen erregende Soldatenmord von Lebach und die anschließende Ermittlung der Täter nachgezeichnet werden. Ausgeführt wurde dieses Verbrechen von zwei Freunden des Beschwerdeführers, die ein Munitionsdepot der Bundeswehr überfielen, dabei vier schlafende Soldaten töteten, einen weiteren schwer verletzten und diverse Waffen samt Munition entwendeten. Mit Hilfe der erbeuteten Waffen wollten sie durch weitere Straftaten die Mittel zur Verwirklichung des gemeinsam mit dem Beschwerdeführer gehegten Traumes vom Leben auf einer Hochseeyacht in der Südsee verwirklichen. Tatsächlich versuchten sie unter Hinweis auf den Überfall auf das Munitionsdepot einen Finanzmakler zu erpressen. Im August 1970 erfolgte schließlich die Verurteilung der beiden Haupttäter zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Der Beschwerdeführer wurde wegen Beihilfe zu den Tötungsdelikten und zu der versuchten Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Er hatte einem der Haupttäter die Handhabung der später bei dem Überfall benutzten Waffe erläutert und den Versand des Erpresserbriefes an den Finanzmakler gebilligt. Für Juli 1973 war die Entlassung des Beschwerdeführers zur Bewährung beabsichtigt.654 Im Frühjahr 1972 hatte das ZDF schließlich ein zweiteiliges dokumentarisches Fernsehspiel fertiggestellt, das die  – zum Teil  eine homosexuelle Komponente aufweisenden  – Beziehungen innerhalb der Freundesgruppe, die Planung und Durchführung sowie die Aufklärung der Tat nachzeichnete. Dabei sollte der Beschwerdeführer ebenso wie die Haupttäter zunächst mit Namen und Bild sowie im weiteren Verlauf des Films durch einen Schauspieler dargestellt werden. Nachdem er sowohl vor dem LG als auch dem OLG mit seinem Begehren, die Ausstrahlung des Fernsehspiels durch einstweilige Verfügung zu verhindern, gescheitert war, ­erhob er Verfassungsbeschwerde. Zur Begründung führte er u. a. aus, dass die ­Dokumentation geeignet sei, ein Klima zu schaffen, das es ihm unmöglich mache, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. Er werde vor einem Millionenpublikum an einen „modernen Pranger“ gestellt. Zudem tauche in dem Film die 652

Vgl. BVerfGE 35, 202 (236); siehe ferner BVerfGE 98, 169 (200). Vgl. BVerfGE 35, 202 (236); siehe ferner BVerfG, Beschl. v. 7.11.2012 – 2 BvR 1567/11; BVerfG NJW 1993, 3188 (3189); BVerfGE 40, 276 (284). 654 Vgl. zum Vorstehenden BVerfGE 35, 202 (204 ff.). 653

IV. Ergebnisse

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eigentliche Beihilfehandlung, nämlich das Erklären der Handhabung der Pistole, gar nicht auf. Vielmehr versuche das Fernsehspiel das Geschehen einzig mit der homo­sexuellen Veranlagung der Täter zu erklären, was zeige, dass es dem Fernsehspiel in erster Linie auf die Bestärkung bestehender Vorurteile und die Be­ friedigung von Sensationslust ankomme.655 Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde statt und erließ zugleich die begehrte einstweilige Verfügung, wonach es dem ZDF untersagt war, das Dokumentarspiel bis zur Entscheidung über die zivilgerichtliche Klage in der Hauptsache auszustrahlen. In ihrer Begründung hoben die Karlsruher Richter zunächst hervor, dass im vorliegenden Fall eine Spannungslage zwischen dem in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrecht und der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bestehe. Letztere überwiege grundsätzlich dann, wenn es um aktuelle Berichterstattung über Straftaten gehe, denn wer den Rechtsfrieden breche, müsse grundsätzlich dulden, dass das von ihm selbst durch seine Tat erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigt werde. Der verfassungsrechtliche Schutz der Persönlichkeit lasse es aber nicht zu, dass sich die Medien über die aktuelle Berichterstattung hinaus zeitlich unbegrenzt mit der Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befassten. Deshalb sei eine wiederholte, nicht mehr durch das aktuelle Informationsinteresse gedeckte Fernsehberichterstattung über ein Verbrechen jedenfalls dann unzulässig, wenn sie die Resozialisierung als zentrales Ziel des Strafvollzuges gefährde. Letzteres sei regelmäßig dann anzunehmen, wenn eine den Täter identifizierende Sendung nach seiner Entlassung oder – wie im gegebenen Fall – in zeitlicher Nähe zu der bevorstehenden Freilassung ausgestrahlt werden solle. Dabei müsse vorliegend auch berücksichtigt werden, dass das in Rede stehende Fernsehspiel nach Einschätzung des Sachverständigen voraussichtlich eine sehr hohe Einschaltquote erzielen werde. Das gelte gerade auch für die Bevölkerung der Heimatstadt des Beschwerdeführers, in die dieser nach seiner Entlassung zurückkehren wolle. Ferner trete beim Fernsehen verstärkt das Problem der „selektiven Wahrnehmung“ auf, d. h. die Tendenz des Zuschauers, unbewusst nur die Aussagen wahrzunehmen, die eigenen Auffassungen oder Voreingenommenheiten entsprächen. Im vorliegenden Zusammenhang bedeute dies, dass durch die Darstellung von homosexuellen Personen in einem Dokumentarspiel der hier einschlägigen Art die überwiegend vorhandene allgemeine Ablehnung solcher sozialen Außenseiter verstärkt würde. Bei Zuschauern, die nicht schon eine fixierte Meinung zu dem Inhalt des Films hätten, sei damit zu rechnen, dass diese die realistische Darstellung des Dokumentarspiels mit der Wirklichkeit verwechselten und die Interpretation des Geschehens durch die Sendung (Überbetonung des Aspekts der homosexuellen Gruppen­ bildung und des Tatbeitrags des Beschwerdeführers) als eigene übernähmen. Diesen erheblichen Hemmnissen für eine erfolgreiche Wiedereingliederung könne –

655

Vgl. zum Vorstehenden BVerfGE 35, 202 (209 f.).

146

D. Die Entscheidungsanalyse

entgegen der Auffassung des OLG – auch nicht die Schwere der Schuld des Täters entgegengehalten werden. Es widerspräche nämlich dem Resozialisierungsgedanken, die Bewertung des Interesses an der Wiedereingliederung eines Straftäters von diesem Aspekt abhängig zu machen. Letztlich sei keinerlei überragendes Interesse der Meinungsbildung mehr erkennbar, das eine so schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung, wie sie vorliegend im Raum stehe, rechtfertigen könnte.656 bb) Grundsätzliche Aussagen zur Resozialisierung in sonstigen Entscheidungen In rund einem Sechstel aller veröffentlichten Entscheidungen kommt das Bundes­ verfassungsgericht (mehr oder weniger ausführlich) auf das Vollzugsziel der Resozialisierung zu sprechen. Seit 1993 hat es – mit Ausnahme von 2004 – kein Jahr gegeben, in denen nicht wenigstens in einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung auf das Vollzugsziel Bezug genommen worden ist. Im Folgenden sollen aus den einschlägigen Urteilen und Beschlüssen in chronologischer Reihenfolge diejenigen Kernaussagen zusammengestellt werden, die für den Strafvollzug im Ganzen, d. h. nicht spezifisch für einen bestimmten Bereich (Vollzugslockerungen; Arbeit etc.), Geltung beanspruchen können.657 (1) Die Entscheidung vom 29.10.1975 Nach dem grundlegenden „Lebach-Urteil“ hat das Bundesverfassungsgericht in der bereits erwähnten Entscheidung vom 29.10.1975 konkretisiert, wie der Strafvollzug ausgestattet werden muss: – Es ist Aufgabe des Staates, die für den Personal- und Sachbedarf erforderlichen Mittel bereitzustellen.658 Darüber hinaus haben die Karlsruher Richter eine weitere Dimension des Vollzugs­ ziels herausgearbeitet: – Ein auf Resozialisierung ausgerichteter Strafvollzug kann nicht nur Ansprüche des Gefangenen begründen, sondern auch grundrechtsbeschränkende Maßnahmen rechtfertigen.659

656

Vgl. zum Vorstehenden BVerfGE 35, 202 (242). Auf bereichsspezifische Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wird nachfolgend im Rahmen der Ausführungen zu dem jeweiligen Themengebiet eingegangen. 658 Vgl. BVerfGE 40, 276 (284). 659 Vgl. BVerfGE 40, 276 (284 f.); ebenso NStZ 1995, 613 (614). 657

IV. Ergebnisse

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(2) Die Entscheidung vom 21.6.1977 zur lebenslangen Freiheitsstrafe In seiner grundlegenden Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der lebens­ langen Freiheitsstrafe hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass auch einem Straftäter, gegen den die vorgenannte Sanktion verhängt wurde, grundsätzlich eine Chance verbleiben muss, jemals wieder aus der Haft entlassen zu werden.660 Deshalb gilt nach Ansicht der Karlsruher Richter: – Auch einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten steht ein Anspruch auf Resozialisierung zu. – Die Vollzugsanstalten sind daher verpflichtet, auf dessen Resozialisierung hinzuwirken, ihn lebenstüchtig zu erhalten und schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs und damit auch und vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen entgegenzuwirken.661 (3) Die Entscheidung vom 28.6.1983 Im Hinblick auf eine mögliche Exklusivität der Resozialisierung als Vollzugsziel hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28.6.1983 zur Frage der Gewährung von Hafturlaub für zwei wegen NS-Verbrechen zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilten Gefangenen Feststellungen getroffen, die wie folgt auf den Punkt gebracht werden können: – Gemäß § 2 StVollzG besteht das Vollzugsziel zwar „vornehmlich“ in der Resozialisierung des Gefangenen, was die Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte, wie z. B. die Schwere der Schuld jedoch nicht ausschließt.662 (4) Die Entscheidung vom 16.2.1993 Fast zehn Jahre später haben die Karlsruher Richter die Bedeutung von Haftanstalten und Insassen für eine erfolgreiche Resozialisierung in den Blick ge­ nommen und dabei ein Kooperationsgebot aufgestellt, das sich folgendermaßen zusammenfassen lässt:

660

Vgl. BVerfGE 45, 187 (228 f., 239). Vgl. zum Vorstehenden BVerfGE 45, 187 (238); siehe ferner BVerfG, Beschl. v. 29.2.2012 – 2 BvR 368/10; BVerfG StraFo 2012, 80 (81); StV 2011, 488 (489 f.); BVerfGE 98, 169 (200); BVerfG NJW 1998, 1133 (1133); NStZ 1996, 614 (614); BVerfGE 69, 161 (170); 64, 261 (273). 662 Vgl. BVerfGE 64, 261 (274 f.). 661

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D. Die Entscheidungsanalyse

– Die Durchsetzung des Vollzugszieles erfordert ein konzentriertes Zusammenwirken aller Beteiligten, also sowohl die Mitwirkung des Gefangenen als auch die der Vollzugsbehörde.663 (5) Die Entscheidung vom 8.12.1993 In seiner Senatsentscheidung vom 8.12.1993 hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass Resozialisierung nicht um jeden Preis möglich ist: – Bei ihrer Verwirklichung sind die Grundrechtspositionen des Gefangenen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.664 (6) Die Entscheidungen vom 29.6.1995 In den beiden Entscheidungen, die am 29.6.1995 zum Strafvollzug ergangen sind, hat sich das Bundesverfassungsgericht mit den Voraussetzungen für eine­ erfolgreiche Resozialisierung befasst. Es ist dabei zu einem Schluss gekommen, der sich wie folgt zusammenfassen lässt: – Sicherheit und Ordnung in der Anstalt sind für das Vollzugsziel der Resozialisierung erforderlich.665 (7) Die Entscheidung vom 12.11.1997 In ihrem Kammerbeschluss vom 12.11.1997 stellten die Karlsruher Richter eine Verbindung zwischen Resozialisierung und Haftdauer her, die folgendermaßen gekennzeichnet ist: – Aus dem Resozialisierungsgebot und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass das Interesse des Gefangenen, von den schädlichen Folgen einer langjährigen Inhaftierung verschont zu bleiben und seine Lebenstüchtigkeit im Falle der Entlassung aus der Haft zu behalten, um so höheres Gewicht hat, je länger der Freiheitsentzug bereits andauert.666

663 Vgl. BVerfG NJW 1993, 3188 (3189); siehe ferner BVerfGK 9, 231 (236); BVerfG NStZ 2002, 222 (222). 664 Vgl. BVerfGE 89, 315 (322). 665 Vgl. BVerfG ZfStrVo 1996, 174 f.; NStZ 1995, 613 (614). 666 Vgl. BVerfG NStZ-RR 1998, 121 (122).

IV. Ergebnisse

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(8) Die Entscheidung vom 1.7.1998 zur Arbeitsentlohnung Gefangener In seiner Entscheidung zur Arbeitsentlohnung Gefangener hat das Bundes­ verfassungsgericht hervorgehoben, dass das verfassungsrechtliche Gebot der Resozialisierung für alle drei Gewalten verbindlich ist. Ferner hat es die sich hieraus ergebenden Pflichten präzisiert. Danach gilt: – Der Gesetzgeber hat ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln, wobei ihm ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet ist. Er kann unter Verwertung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisse aus Kriminologie, Ökonomie usw. zu einer Regelung gelangen, die – auch unter Berücksichtigung von Kostenfolgen – mit dem Rang und der Dringlichkeit anderer Staatsaufgaben in Einklang steht.667  – Für Verwaltung und Rechtsprechung entfaltet das Vollzugsziel der Resozialisierung vor allem bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln oder bei Bestehen eines Rechtsfolgeermessens Bedeutung.668 (9) Die Entscheidung vom 25.11.1999 („Lebach II“) Mehr als 25 Jahre nach der ersten Entscheidung musste sich das Bundesverfassungsgericht Ende November 1999 erneut mit der Frage eines etwaigen Verbotes der Ausstrahlung eines – diesmal von SAT.1 produzierten – Films über den Soldatenmord von Lebach befassen. In diesem Rahmen hat es auch einen weiteren verallgemeinerungsfähigen Grundsatz in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Vollzugsziel und Haftdauer aufgestellt: – Die Resozialisierung des Straftäters hat einen derart hohen Rang, dass sie selbst dann zu beachten wäre, wenn ein Straftäter keine oder nur eine sehr kurze Freiheitsstrafe verbüßt hätte.669 (10) Die Entscheidung vom 30.10.2000 Am 30.10.2000 stellte das Bundesverfassungsgericht das Vollzugsziel der Wiedereingliederung besonders deutlich als den Maßstab für alle Eingriffe in die Rechte Gefangener heraus:

667

Vgl. BVerfGE 98, 169 (201). Vgl. BVerfGE 98, 169 (201); siehe ferner BVerfGK 9, 231 (237 f.); BVerfG, Beschl. v. 26.8.2008 – 2 BvR 679/07; BVerfG NStZ-RR 2002, 155 (155). 669 Vgl. BVerfG NJW 2000, 1859 (1860). 668

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D. Die Entscheidungsanalyse

– Sämtliche Einschränkungen, die einem Inhaftierten aufgrund des Strafvollzugsgesetzes auferlegt werden, sind am Resozialisierungsgebot zu messen.670 b) Materielle Entscheidungskritik Die soeben durchgeführte Bestandsaufnahme hat – wenig überraschend – eine Vielzahl zentraler Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Resozialisierung hervorgebracht. Im Zentrum der nun folgenden materiellen Entscheidungskritik muss daher vor allem eine Systematisierung der verfassungsgerichtlichen Grundpositionen nach thematischen Schwerpunkten stehen, damit deutlich wird, welches Bild die Karlsruher Richter in den vergangenen Jahrzehnten von Inhalt und Bedeutung des Resozialisierungsgedankens im Strafvollzug gezeichnet haben. aa) Die „Kursvorgabe“ im Lebach-Urteil Zunächst stellt sich die Frage, ob der vom Bundesverfassungsgericht im Lebach-­ Urteil vorgegebene Kurs, wonach der Strafvollzug auf das Ziel der Wiedereingliederung des verurteilten Straftäters hin auszurichten sei, überhaupt richtig ist. (1) Kriminalpolitische Perspektive An dieser Stelle soll freilich erst einmal dahingestellt bleiben, inwieweit verfassungsrechtliche Erwägungen die Berücksichtigung des Resozialisierungsgedankens zwingend erfordern. Klar ist nämlich – und darauf sei vorab wenigstens kurz hingewiesen –, dass bereits kriminalpolitische Erwägungen eine Fokussierung des Vollzuges der Freiheitsstrafe auf die Wiedereingliederung Inhaftierter als einzig sinnvoll erscheinen lassen. Dieser Befund war zur Zeit des Lebach-Urteils zutreffend und er ist es auch heute noch. Würde man nämlich die größtenteils erhebliche Sozialisationsdefizite aufweisenden Gefangenen ohne Behandlungsangebote einfach nur verwahren, wie dies bis in die 1960er-Jahre hinein überwiegend geschehen ist, wäre außer einer räumlichen Abschottung des Straftäters und des daraus zwangsläufig resultierenden Schutzes der Allgemeinheit für die Dauer der Haft nichts gewonnen.671 Bis auf wenige Ausnahmen gelangen nämlich alle Strafgefangenen früher oder später wieder in die Freiheit zurück und bei den allermeisten wäre es geradezu naiv, anzunehmen, dass schon der reine Freiheitsentzug als solcher und die mit ihm verbundene Warnfunktion zur Legalbewährung führte.672 Ganz im Gegenteil: Bloßes Wegsperren würde vielfach nur dazu führen, dass die 670

Vgl. BVerfG StV 2001, 38 (39). Vgl. Bachmann, S. 25. 672 Vgl. Bachmann, a. a. O. 671

IV. Ergebnisse

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Gefangenen lebensuntüchtiger und aggressiver die Haftanstalten verlassen als sie in diese gelangt sind.673 Es ist daher letztlich ein schlichtes Gebot der Vernunft, die Haftzeit sinnvoll im Sinne der Behebung bestehender Defizite durch individuelle Behandlungsmaßnahmen (soziale Trainingskurse, Aus- und Weiterbildung etc.) zu nutzen. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass entsprechende Bemühungen auch durchaus erfolgreich sind und die Rückfälligkeit signifikant senken können, und zwar um durchschnittlich etwa 10 %, wobei diese Quote bei jüngeren Straftätern (bis 25 Jahre) sogar noch höher liegt.674 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Entwicklungspotenzial im Bereich resozialisierender Behandlung noch längst nicht ausgeschöpft ist und gerade in Deutschland noch erheblicher Forschungsbedarf besteht, wenn es um die Frage geht, welche Methoden bei welchen Tätergruppen unter welchen Bedingungen erfolgversprechend sind.675 Auch für diejenigen, die keine Sozialisationsdefizite aufweisen, ist die Wiedereingliederung sinnvolles Ziel – zwar nicht im Sinne einer Behebung bestehender Mängel, aber im Hinblick auf die Vermeidung von Haftschäden und damit letztlich des Erhalts des status quo.676 (2) Verfassungsrechtliche Perspektive Das Lebach-Urteil ist für die Resozialisierung gerade auch deshalb besonders bedeutsam, weil diese darin als Vollzugsziel verfassungsrechtlich fest verankert wird. Das Bundesverfassungsgericht sieht hierfür zwei Anknüpfungspunkte im Grundgesetz. Zum einen rekurriert es auf das in Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG wurzelnde Sozialstaatsprinzip. Diese (inhaltlich unbestimmte)  Zielbestimmung zu konkretisieren, bereitet seit jeher enorme Schwierigkeiten.677 Weitgehend anerkannt ist immerhin, dass das Gebot der Sozialstaatlichkeit restriktiv ausgelegt werden muss.678 Es ist erst dann verletzt, wenn ein Zustand oder eine bestehende gesetzliche Regelung evident sozial willkürlich, d. h. nach keiner Sozialauffassung zu rechtfertigen ist.679 Aus dem Sozialstaatsprinzip können zudem keine kon­k reten Rechtsansprüche abgeleitet werden.680 Es verlangt aber, dass Personen(gruppen), die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligungen an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind, 673

Vgl. Rehn, in: Strafvollzug in Deutschland, S. 75 (76). Vgl. dazu zusammenfassend Bachmann/Goeck, in: Strafrecht und Verfassung, S. 37 (53); LNNV-Neubacher, § 2 Rn. 26, jeweils m. w. N. 675 Vgl. Meier, JZ 2010, 112 (120). 676 Vgl. Walter, Rn. 53. 677 Vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Grzeszick, Art. 20 Rn. VIII. 18. 678 Vgl. nur Maunz/Dürig/Herzog/Grzeszick, Art. 20 Rn. VIII. 24 ff. m. w. N. 679 Vgl. Benda, Herrschaft, S. 68. 680 Vgl. Vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Grzeszick, Art. 20 Rn. VIII. 28, die darauf hinweisen, dass das Sozialstaatsprinzip gerade nicht in den Katalog der Grundrechte, die subjektive Rechtspositionen einräumen, aufgenommen wurde. 674

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D. Die Entscheidungsanalyse

staatliche Fürsorge zuteil wird.681 Vor diesem Hintergrund wird der Strafvollzug mit Recht als Paradebeispiel für die Anwendung des Sozialstaatsprinzips bezeichnet, finden sich doch gerade in der Strafhaft eine Vielzahl hilfsbedürftiger, in vielfältiger Weise problembehafteter Menschen.682 Zudem ist zu berücksich­ tigen, dass mit der Inhaftierung eine ganze Reihe entsozialisierend wirkender Effekte verbunden sind, und zwar insbesondere eine erhebliche Beschränkung oder gar der Verlust familiärer, beruflicher und sozialer Bindungen.683 Der Gefangene ist allerdings nur zu Freiheitsentzug verurteilt, nicht aber zur Erduldung darüber hinausgehender Nachteile, die ihm jegliche Chancen, sich nach der Haftentlassung wieder in die Gesellschaft zu integrieren, unmöglich machen. Vielfach sind unerwünschte „Nebenwirkungen“ der Verbüßung einer Freiheitsstrafe, die zu einer Schmälerung der Lebenschancen führen, unvermeidlich und in gewisser Weise einer Inhaftierung immanent.684 Das Sozialstaatsprinzip gebietet es dann aber, derartigen Folgen entgegenzuwirken und Maßnahmen zu ergreifen, die die Wiedereingliederung des Gefangenen erleichtern. Das ist schließlich – wie das Bundesverfassungsgericht mit Recht festgestellt hat685 – auch im Interesse der Gesellschaft. Zustimmung verdient ferner die Herleitung des Resozialisierungsgebotes aus dem Persönlichkeitsrecht des Einzelnen. Insoweit ist entscheidend, dass der Mensch kein „isolierter Robinson auf der Insel der Selbstentfaltung“686, sondern auf die Gemeinschaft hin ausgerichtet ist.687 Hält man sich dies vor Augen, wird deutlich, dass der Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums auch im Strafvollzug Rechnung getragen werden muss. Es muss also dafür Sorge getragen werden, dass der Gefangene soziale Bindungen möglichst auch während der Haft aufrecht erhalten kann bzw. befähigt wird, diese neu zu begründen, um nach der Ent­lassung überhaupt die Chance zu haben, wieder in der Gemeinschaft Fuß zu fassen.688 Die beschriebene Anknüpfung an das Persönlichkeitsrecht wirft allerdings die Frage auf, inwieweit dem einzelnen Gefangenen nach dem Grundgesetz ein subjektives Recht auf Wiedereingliederung zukommt. Das Bundesverfassungsgericht spricht zwar in seiner Entscheidung zur lebenslangen Freiheitsstrafe vom 21.6.1977 von einem „Anspruch auf Resozialisierung“, konkretisiert dies allerdings nicht. Dem Gesetzgeber kommt jedoch nach allgemeiner Auffassung bei der Entwicklung eines Resozialisierungskonzeptes und der Wahl der anzuwendenden

681

Vgl. BVerfGE 100, 271 (284 f.); 45, 376 (387); Benda, FS Faller, S. 307 (311); BeckOKGG/Huster/Rux, Art. 20 Rn. 198 m. w. N. 682 Vgl. Müller-Dietz, Gutachten C, S. 13; ders., Strafvollzugsgesetzgebung, S. 93 ff. 683 Näher hierzu Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, S. 97 f. 684 Vgl. Benda, FS Faller, S. 307 (307). 685 Vgl. BVerfGE 98, 169 (200); 35, 202 (235 f.). 686 So treffend Hufen, § 10 Rn. 16. 687 Vgl. Leyendecker, S. 100; Benda, FS Faller, S. 307 (312). 688 Vgl. Leyendecker, S. 101.

IV. Ergebnisse

153

Methoden ein weiter Gestaltungsspielraum zu689, so dass ein verfassungsrechtlicher Anspruch des Gefangenen auf bestimmte Maßnahmen ausscheidet.690 Solange ein gewisser Minimalstandard nicht unterschritten ist, kann sich der Einzelne deshalb nur auf die einfach-gesetzlich normierten Rechte berufen.691 bb) Exklusivität des Vollzugsziels Resozialisierung? (1) De lege lata Dass der Strafvollzug die Wiedereingliederung des Gefangenen anstreben muss, ist seit den 1970er-Jahren ganz überwiegend anerkannt.692 Streit entbrannte jedoch immer wieder über die Frage, inwieweit andere Strafzwecke berücksichtigt werden können.693 Bei dem Versuch, hierauf eine Antwort zu finden, ist zwischen der einfach-gesetzlichen und der Rechtslage von Verfassungs wegen zu unterscheiden. Wenn das Bundesverfassungsgericht bezüglich ersterer in seinem Urteil vom 28.6.1983 (Berücksichtigung der Tatschuld bei Entscheidungen über Vollzugslockerungen im Rahmen lebenslanger Freiheitsstrafe) davon spricht, dass das Vollzugsziel gemäß § 2 StVollzG „vornehmlich“ die Resozialisierung sei und damit zum Ausdruck bringt, dass es noch andere Zielstellungen gebe, ist dies nicht nur im Sondervotum von Mahrenholz694, sondern auch im Schrifttum mit Recht auf deutliche Kritik gestoßen.695 Der Wortlaut des § 2 Satz 1 StVollzG schließt die Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte (Vergeltung; Tatschuld etc.) als den der Resozialisierung eindeutig aus.696 Zwar betont § 2 Satz 2 StVollzG, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straf­taten dient. Schon anhand der Tatsache, dass der Klammerzusatz „Vollzugsziel“ nur in Satz 1 aufgenommen wurde, zeigt aber, dass Satz 2 keine weitere Zielstellung des Strafvollzuges statuiert.697 Vielmehr stellt er nur klar, was ohnehin schon offenkundig ist – die Tatsache nämlich, dass Resozialisierung nicht nur im ­Interesse des Inhaftierten stattfindet, sondern gerade auch im Sinne der Gesellschaft ist, 689 Vgl. BVerfGE 98, 169 (201); Benda, FS Faller, S.  307 (321); Müller-Emmert, BlStVK 3/1976, 1 (5). 690 Vgl. Leyendecker, S. 106 ff. 691 Vgl. Veith, S. 57; Leyendecker, S. 108. 692 Vgl. nur LNNV-Neubacher, § 2 Rn. 13 f. m. w. N. 693 Zur Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten sogleich unter c). 694 Vgl. BVerfGE 64, 261 (285 ff.). 695 Vgl. Bemmann, StV 1988, 549 ff.; Müller-Dietz, JR 1984, 353 (356 ff.); Calliess/MüllerDietz, § 13 Rn. 26 m. w. N. 696 Vgl. Sondervotum Mahrenholz, BVerfGE 64, 261 (287 f.); LNNV-Neubacher, § 2 Rn. 14; Koepsel, ZfStrVo 1992, 46 (48); Bemmann, StV 1988, 549 (549); Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567 (576); OLG Frankfurt a. M. NStZ 2002, 53 (53) m. krit. Anm. Arloth NStZ 2002, 280; siehe auch SBJL-Jehle, § 2 Rn. 7, der die Berücksichtigung der Schwere der Schuld bei Vollzugslockerungen in Extremfällen zulassen will. 697 Vgl. Koranyi, S. 234 ff.

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D. Die Entscheidungsanalyse

die schließlich am besten vor erneuter Kriminalität geschützt wird, wenn dem Gefangenen die Fähigkeit zu einer sozialverantwortlichen straffreien Lebensführung vermittelt wird.698 Dass die Resozialisierung alleiniges Vollzugsziel sein soll, ergibt sich darüber hinaus eindeutig aus den Gesetzgebungsmaterialien.699 Im­ Übrigen hat schon die Vielzahl nebeneinander bestehender Vollzugszwecke in der Dienst- und Vollzugsordnung gezeigt, dass ein Pluralismuskonzept nicht sinnvoll ist, weil es letztlich jede beliebige Entscheidung zulässt.700 Das Bundesverfassungsgericht hat die in dem vorgenannten Urteil vom 28.6.1983 geäußerte Auffassung zur Frage der Exklusivität des in § 2 StVollzG normierten Vollzugszieles nicht wieder aufgegriffen, obwohl es dazu durchaus Gelegenheit gehabt hätte. Stattdessen hat es etwa in seinem Beschluss vom 13.12.1997701 zur Frage der erstmaligen Gewährung eines Ausgangs nach 23 Jahren Haft die Bedeutung der Resozialisierung hervorgehoben und nicht mehr thematisiert, in­ wieweit die Schwere der Schuld bei der Entscheidung berücksichtigt werden kann. Ferner spricht es seit den 1990er-Jahren in Bezug auf die Resozialisierung wieder von „dem“ und nicht nur von „einem“ Vollzugsziel.702 In der bisher letzten Senats­entscheidung zum Strafvollzug vom 1.7.1998, die die Gefangenenarbeit betraf, hat das Bundesverfassungsgericht zudem noch einmal so ausführlich und unmissverständlich die Bedeutung des Wiedereingliederungsgebots herausgearbeitet, dass sie im Schrifttum als „magna charta des fast schon für tot erklärten Resozialisierungsgedankens“ gepriesen wurde.703 Eine endgültige Abkehr des Bundesverfassungsgerichts von der in den 1980er-Jahren vertretenen Auffassung erfolgte schließlich in seinem Urteil zur Sicherungsverwahrung vom 5.2.2004. Darin stellte es unmissverständlich klar, dass nach der gesetzlichen Konzeption in § 2 StVollzG bei der Ausgestaltung des Vollzuges nur die Gesichtspunkte der Resozialisierung und des Schutzes der Allgemeinheit von Bedeutung seien, andere Aspekte (Schuldausgleich; Vergeltung etc.) hingegen keine Rolle spielten.704

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Vgl. Bemmann, StV 1988, 549 (549). Vgl. BT-Drs. 7/3998, S.  5; 7/918, S.  44 f., siehe dazu auch Koranyi, S.  235; Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567 (576). 700 Näher hierzu Müller-Dietz, ZfStrVo 1985, 212 (215); Hill, ZfStrVo 1986, 139 (142). 701 Vgl. NJW 1998, 1133 (1133 f.). 702 Näher hierzu Leyendecker, S.  88 f. mit Nachweisen aus der verfassungsgerichtlichen­ Judikatur; siehe ferner Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (672), der bereits Ende des letzten Jahrtausends eine Tendenz des Bundesverfassungsgerichts zur Abkehr von der Auffassung, dass die Schwere der Schuld zulässiger Gesichtspunkt bei Vollzugsentscheidungen sei, festgestellt hatte. 703 So Kamann, StV 1999, 348 (350); ähnlich euphorisch etwa Bemmann, StV 1998, 604 (604), wonach dem Bundesverfassungericht „großes Lob“ gebühre; Britz, ZfStrVo 1999, 195 (198), der davon spricht, dass durch die in Rede stehende Entscheidung der Resozialisierungsgedanke in seiner fundamentalen Bedeutung für die Ziele und Zwecke des Strafvollzuges gestärkt worden sei. 704 Vgl. BVerfGE 109, 133 (176 f.). 699

IV. Ergebnisse

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(2) De lege ferenda Nachdem nunmehr feststeht, dass de lege lata nur die in § 2 StVollzG genannten Gesichtspunkte für Strafvollzugsentscheidungen von Bedeutung sind, bleibt noch zu klären, ob es mit Blick auf das Grundgesetz de lege ferenda möglich wäre, die Berücksichtigung anderer Zwecke (Abschreckung, Schuldausgleich etc.) zu erlauben. Der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann zwar kein abschließender Katalog kodifizierbarer Strafvollzugszwecke entnommen werden. Von großem Nutzen ist aber die bereits erörterte Kernaussage des Bundesverfassungsgerichts, wonach es verfassungsrechtliche Pflicht des Staates ist, sich um die Wieder­ eingliederung von Strafgefangenen in die Gesellschaft zu bemühen. Aus ihr folgt nämlich von vornherein, dass andere Vollzugszwecke allenfalls neben, nicht aber vollständig an die Stelle der Resozialisierung treten können. Dies bedeutet allerdings nicht, dass dem Resozialisierungsgedanken absoluter Vorrang eingeräumt werden müsste. Eine solche Maßgabe lässt sich der verfassungsrechtlichen Judikatur, wie Jehle mit Recht feststellt, nicht entnehmen.705 Sofern das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus u. a. in der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe vom 21.6.1977 neben der Resozialisierung des Täters auch Schuldausgleich, Prävention, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht als mögliche Aspekte eines angemessenen staatlichen Strafens bezeichnet hat706, kann dies nicht ohne Weiteres auf den Strafvollzug übertragen werden, denn hier gilt die erwähnte Besonderheit des zwingend zu beachtenden Resozialisie­ rungsgebotes, was – wie sogleich zu zeigen sein wird – erhebliche Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit weiterer Vollzugsziele hat.707 Was zunächst den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten anbelangt, bestehen gegen eine Kodifizierung als Vollzugsziel nicht per se verfassungsrechtliche Bedenken. Unproblematisch sind Regelungen, die die vorgenannte Schutzfunktion – ähnlich wie § 2 StVollzG – vorrangig als Reflex der Resozialisierung verstehen, d. h. der Prämisse Allgemeinschutz durch Wiedereingliederung folgen. Auf diesen Aspekt hat auch das Bundesverfassungsgericht bereits hingewiesen.708 Freilich könnte die Gesellschaft – zumindest für die Zeit der Inhaftierung – auch dadurch vor erneuten Straftaten geschützt werden, dass man die Gefangenen im Sinne negativer Spezialprävention schlicht „wegsperrt“. Das liefe aber auf einen reinen Verwahrvollzug hinaus, der neben der verfassungsrechtlichen zwingend gebotenen Resozialisierung durch entsprechende Behandlungsmaßnahmen nicht denkbar ist – beides schließt sich gegenseitig aus. Verwahrung oder – mit anderen Worten – bloßes Nichtstun kommt nur solange in Betracht, wie das grundgesetzlich 705

Vgl. SBJL-Jehle, § 2 Rn. 11. Vgl. BVerfGE 45, 187 (253 f.). 707 So auch Leyendecker, S. 89. 708 Vgl. BVerfGE 98, 169 (200); ebenso Jünemann, S. 475. 706

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D. Die Entscheidungsanalyse

verankerte Minimum resozialisierender Behandlung nicht unterschritten wird.709 Um dies festzustellen, bedarf es in jedem Fall einer Gesamtbetrachtung des be­ treffenden Regelwerkes, d. h. einer Bewertung, die sich nicht allein auf die Kodifizierung des Vollzugszieles als solches konzentriert, sondern das gesamte gesetzgeberische Konzept in den Blick nimmt. Hinsichtlich der anderen negativen Ausprägungen der relativen Strafzwecke (Individual- bzw. Allgemeinabschreckung) ist festzustellen, dass diese neben der Resozialisierung als positiver Spezialprävention nicht in Betracht kommen. Sie zuzulassen hieße, den Strafvollzug über den Entzug der Freiheit hinaus gezielt mit weiteren Übeln zu versehen, um den Freiheitsentzug möglichst unangenehm zu gestalten.710 Was aber bliebe z. B. von den (mühsam zu erarbeitenden) Erfolgen eines Anti-Aggressivitäts-Trainings übrig, wenn diese durch abschreckende Maßnahmen wieder zunichte gemacht werden können, weil bei dem betroffenen Gefangenen durch bewusste Übelszufügung (Kostschmälerung; Dunkelhaft etc.) wieder neue Wut und Hassgefühle hervorgerufen werden? Gleichzeitig abschrecken und resozialisieren, das ist, wie der frühere hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer einmal geschrieben hat, ein „Ding der Unmöglichkeit“, denn wer Plus und Minus addiere, erhalte Null.711 Da somit ein Strafvollzug, der relative Strafzwecke in ihrer negativen Spielart verfolgt, neben einem sinnvollen Behandlungsvollzug nicht möglich ist, können Abschreckungsgesichtspunkte nicht zu Vollzugszielen erhoben werden. Andernfalls wäre der Strafvollzug – als zwangsläufige Folge der Unterschreitung des unabdingbaren Minimums an Resozialisierung – wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verfassungswidrig.712 In Bezug auf die ebenfalls denkbaren absoluten Strafzwecke (Vergeltung; Sühne; Schuldausgleich) ist vorab festzuhalten, dass auch für diese neben dem Vollzugsziel der Resozialisierung kein Raum ist, wenn sie – wie im soeben diskutierten Fall der Abschreckung – nur die Auferlegung zusätzlicher Übel zum Inhalt haben sollen. Sofern beabsichtigt ist, Resozialisierungsmaßnahmen, die sich im Rahmen einer repressiven Vollzugspraxis als Vergünstigungen begreifen ließen (z. B. die Gewährung von Vollzugslockerungen oder die Genehmigung von Besuchen) in bestimmten Fällen zu versagen und damit eine Annäherung an einen schlichten Verwahrvollzug zu bewirken, ist auch dies nur sehr eingeschränkt möglich. Wie schon im Rahmen der Ausführungen zum Vollzugszweck „Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“ dargelegt, muss in jedem Fall ein gewisser Minimalstandard an resozialisierender Behandlung gewahrt bleiben. Darüber hinaus wären – gerade mit Blick auf die viel diskutierte Frage der Berücksichtigung 709

So im Ergebnis auch Leyendecker, S. 89 f. Vgl. Bemmann, StV 1988, 549 (549); siehe ferner Jünemann, S. 402 ff. 711 Vgl. Bauer, in: Schuld und Sühne, S. 139 (149). 712 Für Verfassungswidrigkeit im Ergebnis auch Leyendecker, S. 91 f.; Walter, Rn. 52; Bemmann, StV 1988, 549 (549). 710

IV. Ergebnisse

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der Tatschuldschwere – noch zahlreiche weitere Hürden zu nehmen, zu denen u. a. die Problematik der praktischen Umsetzung eines nach der Schuld differenzierenden Freiheitsentzuges713 und mögliche Friktionen mit dem Prinzip der Einheitsfreiheitsstrafe714 gehören. cc) Die Funktionen der an der Resozialisierung beteiligten Akteure Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur den verfassungsrechtlichen Charak­ ter des Resozialisierungsgebotes klargestellt, sondern – wie schon ein flüchtiger Blick auf die oben durchgeführte Bestandsaufnahme seiner Kernaussagen zeigt – mehrfach auch zur Rolle derjenigen Stellung genommen, die bei der Wiedereingliederung Strafgefangener von Bedeutung sind. Der dabei von den Karlsruhern Richtern gezogene Kreis beteiligter Akteure ist groß. Neben Staat, Vollzugsbehörden sowie Gerichten sind es auch Gesellschaft und die Gefangenen selbst, zu denen das Bundesverfassungsgericht Stellung genommen hat. Während es den drei erstgenannten Beteiligten Verpflichtungen auferlegt hat, hat es im Übrigen nur Notwendigkeiten bzw. Obliegenheiten formuliert (siehe Abbildung 6). (1) Staat Den Staat trifft dabei die Pflicht, den Strafvollzug so auszustatten, dass die Haftanstalten in der Lage sind, die Inhaftierten zu einem straffreien Leben in Freiheit zu befähigen. Konkret bedeutet dies, Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, damit die Vollzugsbehörden ihren Personal- und Sachbedarf decken können.715 Das Bundesverfassungsgericht erkennt natürlich an, dass die finanziellen Spielräume durchaus begrenzt sind und gesteht dem Gesetzgeber deshalb zu, im Rahmen der ihm obliegenden Aufgabe, ein wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln, auch Kostenfolgen und sonstige ökonomische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.716 Der Strafgefangene hat keinen Anspruch darauf, dass unbegrenzt personelle oder sonstige Mittel aufgewendet werden, um Beschränkungen seiner grundrechtlichen Freiheiten zu vermeiden.717 Sind die Grenzen des für den Staat Zumutbaren erreicht, muss bei behandlungsbezogenen Entscheidungen (z. B. Vergabe eines Therapieplatzes) auch Rücksicht auf die Kapazitäten der jeweiligen Vollzugseinrichtung genommen werden, wenn andernfalls Sicherheitsrisiken oder Gefahren für die Resozialisierungschancen aller Insassen der betreffenden Einrichtung drohen.718 Mit Recht duldet es das Bundesverfassungsgericht aber nicht, 713

Näher dazu Bayer u. a., MSchrKrim 1987, 167 ff. Vgl. dazu Müller-Dietz, JR 1984, 353 (358). 715 Vgl. BVerfGE 40, 276 (284). 716 Vgl. BVerfGE 98, 169 (201). 717 Vgl. BVerfG StraFo 2012, 80 f. m. w. N. 718 Vgl. BVerfG, einstweilige Anordnung v. 9.3.2006 – 2 BvR 1983/05. 714

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D. Die Entscheidungsanalyse

Abbildung 6: An der Resozialisierung beteiligte Akteure und deren Bedeutung

dass allzu leichtfertig unter Verweis auf finanzielle, räumliche oder sonstige Engpässe Grundrechte Gefangener eingeschränkt werden. Vielmehr verlangt es, alle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, dies zu vermeiden. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht z. B. darauf hingewiesen, dass notfalls sogar die Strafvollstreckung unterbrochen werden muss, wenn anderweitig (etwa durch Verlegung) keine menschenwürdige Haftraumunterbringung gewährleistet werden kann.719 Außerdem haben die zuständigen Organe, wenn aufgrund unzureichender Ausstattung der Haftanstalten Beeinträchtigungen drohen, die von Rechts wegen nicht hinnehmbar sind, unverzüglich alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um schnellstmöglich Abhilfe zu schaffen.720 So kann es beispielsweise 719 Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1046); siehe dazu auch Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (411). 720 Vgl. BVerfG StraFo 2012, 80 f.

IV. Ergebnisse

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geboten sein, personell bedingte Engpässe durch den Einsatz von Überstunden auszugleichen oder räumliche Enge durch Ausweitung der Aufschlusszeiten abzumildern.721 (2) Vollzugsbehörden Im Rahmen der Bemühungen, die Inhaftierten zu einem straffreien Leben in Freiheit zu befähigen, kommt den Vollzugsbehörden naturgemäß eine zentrale Rolle zu. Dementsprechend betont das Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten in ständiger Rechtsprechung, dass die Haftanstalten verpflichtet sind, auf die Resozialisierung der Gefangenen hinzuwirken, sie lebenstüchtig zu erhalten und schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken.722 Vor allem bei den im Strafvollzugsbereich häufig zu treffenden Ermessensentscheidungen, haben sich die Vollzugsbehörden stets am Vollzugsziel zu orientieren.723 Mit Recht lassen die Karlsruher Richter dabei im Hinblick auf die Dauer der Haftstrafe keine Ausnahme vom Resozialisierungsgebot zu, sondern halten dieses auch in den Fällen für beachtlich, in denen – z. B. aufgrund von Haftunfähigkeit – keine oder nur eine sehr kurze Freiheitsstrafe zu verbüßen ist.724 Der umgekehrte Fall – also eine sehr lange Haftzeit – geht mit einer steigenden Bedeutung des Gesichtspunktes der Wiedereingliederung in Richtung auf den Entlassungszeitpunkt einher.725 An die vorgenannten Verpflichtungen musste das Bundesverfassungsgericht vor allem im Zusammenhang mit dem Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe immer wieder erinnern, wobei zumeist die Gewährung von Vollzugslockerungen in Rede stand, die ein besonders wichtiges Resozialisierungsinstrument ist.726 (3) Gerichte Auch die Gerichte – allen voran natürlich die Strafvollstreckungskammern – haben ihren Beitrag für eine erfolgreiche Umsetzung des Resozialisierungsgebotes zu leisten. Zwar sind die Beurteilungs- und Ermessensspielräume der Vollzugsbehörden gerade im Bereich des Strafvollzuges groß.727 Dies bedeutet jedoch nicht, dass keinerlei wirksame Kontrolle seitens der Gerichte möglich wäre. Mit Recht weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass gerade die Auslegung 721

Vgl. BVerfGK 13, 487 (493). Nachweise siehe oben Fn. 661. 723 Nachweise siehe oben Fn. 668. 724 Vgl. BVerfG NJW 2000, 1859 (1860); Müller-Emmert, BlStVK 3/1976, 1(2). 725 Vgl. BVerfG NStZ-RR 1998, 121 (122). 726 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.2.2012 – 2 BvR 368/10; StraFo 2012, 80 ff.; StV 2011, 488 ff.; NJW 1998, 1133 ff.; BVerfGE 69, 161 ff.; 64, 261 ff.; ausführlich zur verfassungsgerichtlichen Judikatur zu den Vollzugslockerungen unten D.IV.5. 727 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 3. 722

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D. Die Entscheidungsanalyse

von Generalklauseln und die in den Strafvollzugsgesetzen des Bundes und der Länder zahlreich enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe (z. B. Erforderlichkeit der Verlegung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG; Gefährdungsklausel des § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG) gute Möglichkeiten darstellen, um im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle Defizite bei der Umsetzung des Resozialisierungsgedankens zu beheben.728 Wo der Verwaltung vom Gesetzgeber keine Einschätzungsprärogative zugestanden wurde, können die Gerichte die Interpretation der unbestimmten Rechtsbegriffe voll überprüfen und die Auffassung der Vollzugsbehörde gegebenenfalls durch ihre eigene ersetzen.729 Wenn auf Tatbestandsebene ein Beurteilungs- oder auf der Rechtsfolgenseite ein Ermessensspielraum der Haftanstalten besteht, sind die Gerichte immerhin noch befugt, die jeweilige Behörden­ entscheidung im Hinblick auf Beurteilungs- oder Ermessensfehler zu überprüfen und in diesem Rahmen dem Vollzugsziel hinreichend Geltung zu verschaffen.730 Die Land- und Oberlandesgerichte sind ihrer Aufgabe freilich – wie im Folgenden in unterschiedlichen Zusammenhängen noch deutlich werden wird – vielfach nicht gerecht geworden. (4) Gesellschaft Im Lebach-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass der Erfolg von Resozialisierungsbemühungen ganz maßgeblich auch davon abhängt, inwieweit die Gesellschaft bereit ist, den verurteilten Straftäter wieder in ihrer Mitte aufzunehmen.731 Rechtlich kann diese Aufnahmebereitschaft zwar nicht erzwungen werden. Der einzelne Gefangene hat gegenüber seinen Mitbürgern keinen Anspruch auf aktive Unterstützung bei seinem Bemühen um Wiedereingliederung.732 Der Gesetzgeber kann aber Rahmenbedingungen schaffen, um möglichst große Teile der Bevölkerung zu ermutigen, die notwendige Akzeptanz und Bereitschaft zur Hilfeleistung aufzubringen.733 Unter diesem Blickwinkel ist etwa die bewusste Voranstellung des Schutzes der Allgemeinheit in Art. 2 Satz 1 BayStVollzG vor den Behandlungsauftrag aus kriminalpolitischer Sicht kein sinnvoller Impuls. Auch wenn der verurteilte Straftäter aus seinem verfassungsrechtlich geschützten Interesse an der Wiedereingliederung in die Gesellschaft keinen Leistungsanspruch gegen den Einzelnen herleiten kann, hat er dennoch ein Abwehrrecht. Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht im Lebach-Urteil darauf hingewiesen, dass das Resozialisierungsgebot auch dann zu beachten ist, wenn es mit­ 728

Nachweise siehe oben Fn. 668. Näher hierzu LNNV-Bachmann/Neubacher, § 115 Rn. 20. 730 Näher hierzu LNNV-Bachmann/Neubacher, § 115 Rn. 18 u. 21 f. 731 Vgl. BVerfGE 35, 202 (235). 732 Vgl. Müller-Emmert, BlStVK 3/1976, 1 (2). 733 Vgl. Benda, FS Faller, S. 307 (318). 729

IV. Ergebnisse

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Interessen nach Vorschriften des Privatrechts kollidiert.734 Damit kann sich der Verurteilte also nicht nur gegen staatliche Beeinträchtigungen seines Bemühens um die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zur Wehr setzen, sondern auch gegen solche, die von Privatpersonen ausgehen. Dass die Gesellschaft für das weitere Schicksal eines entlassenen Strafgefangenen große Bedeutung hat, ist im Übrigen keine neue Erkenntnis, wie schon ein Blick auf die Literatur der vergangenen Jahrhunderte zeigt. Auch wenn ein resozialisierender Behandlungsvollzug nach modernem Verständnis noch nicht einmal ein halbes Jahrhundert existiert, wurde die Problematik der Rückkehr in die Gesellschaft nach Verbüßung einer Haftstrafe vor allem in Romanen und anderen literarischen Werken immer wieder aufgegriffen.735 Mit ihr befassten sich etwa Friedrich Schiller in seiner Novelle „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“, Hans Fallada in dem Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“ oder auch Alfred Döblin in seinem 1929 erschienenen Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“, in dem zu Beginn die Entlassung der Hauptfigur aus der Haftanstalt Tegel geschildert wird: „Der schreckliche Augenblick war gekommen […], die vier Jahre waren um. Die schwarzen eisernen Torflügel, die er seit einem Jahre mit wachsendem Widerwillen […] betrachtet hatte, waren hinter ihm geschlossen. Man setzte ihn wieder aus. Drin saßen die andern, tischlerten, lackierten, sortierten, klebten, hatten noch zwei Jahre, fünf Jahre. Er stand an der Haltestelle. Die Strafe beginnt.“736

Was das Lebach-Urteil anbelangt, ist festzustellen, dass die Karlsruher Richter angesichts des zu Grunde liegenden Sachverhalts ebenfalls erhebliche Zweifel an einem günstigen Einfluss der Gesellschaft hatten. Das Bundesverfassungsgericht sah hier sogar die entscheidende Gefahr für die Wiedereingliederung des Beschwerdeführers und rekurrierte dabei weniger auf die Darstellung des Tatablaufs in dem Dokumentarspiel als vielmehr auf die Interpretation des Verbrechens unter dem Aspekt der homosexuellen Gruppenbildung.737 Dadurch könne die allgemeine Ablehnung gegenüber solchen sozialen Außenseitern noch verstärkt werden.738 Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Verbindung mit einem weiblichen Lebens­partner in der Situation des Beschwerdeführers einen ent­scheidenden Faktor für das Gelingen seiner Wiedereingliederung bilden könne. Eine solche Beziehung komme nach dessen Veranlagung durchaus in Betracht, könnte ihm aber endgültig versperrt werden, wenn er durch die Ausstrahlung des Fernsehspiels als schwul abgestempelt würde.739 Was aus heutiger Sicht befremdlich anmutet, wurde damals also als resozialisierende Behandlung angesehen: die Rückgängigmachung der Homosexualität als „Normabweichung“.740 734

Vgl. BVerfGE 35, 202 (221). Einen lesenswerten Überblick gibt Fritz Bauer, in: Schuld und Sühne, S. 139 ff. 736 Döblin, S. 15. 737 Vgl. Cornils, in: Verfassungsrechtsprechung, S. 238 (241 f.). 738 Vgl. BVerfGE 35, 202 (230). 739 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGE 35, 202 (242). 740 Vgl. Lilienthal, S. 25. 735

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D. Die Entscheidungsanalyse

Zwar hat sich im Bereich der gesellschaftlichen Akzeptanz schwuler und lesbischer Beziehungen seit dem Lebach-Urteil vieles ganz entscheidend zum Besseren gewendet. Ungeachtet dessen stehen der Wiedereingliederung entlassener Straftäter auch heute noch viele Hindernisse und Vorbehalte entgegen. Besonders deutlich zeigte sich dies nach dem Urteil des EGMR vom 17.12.2009.741 In dieser Entscheidung hatten die Straßburger Richter festgestellt, dass die nachträgliche Aufhebung der bis 1998 geltenden Höchstdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren auch für Altfälle konventions­widrig­ gewesen ist.742 Obwohl es sich bei den aufgrund dieses Urteils zu entlassenden Gefangenen vielfach um Personen handelte, die nach jahrzehntelanger Unterbringung im Strafvollzug und in der Sicherungsverwahrung alt und nicht selten auch krank waren, brach mancherorts – begleitet von reißerischer Berichterstattung in den Boulevardmedien („Der Tod ist jetzt auf freiem Fuß“) – regelrechte Hysterie aus. Bundesweit kam es an den Wohnorten der entlassenen Personen zu Protesten und Demonstrationen der Bevölkerung. Für einige der ehemals Inhaftierten begann deshalb ein regelrechter „Spießrutenlauf“ durch die Bundesrepublik. In Schleswig-­Holstein weigerte sich im Jahr 2010 nach einem Protestbrief des zuständigen Bürgermeisters sogar der Ministerpräsident des Landes, einen entlassenen Sicherungsverwahrten aus der JVA Freiburg in einer Therapie­einrichtung seines Landes aufzunehmen. In Sachsen-Anhalt – um ein letztes Beispiel zu nennen – belagerten Einwohner des kleinen Ortes Insel regelmäßig das Wohnhaus von zwei auf freien Fuß gesetzten Sicherungsverwahrten, um mit Trillerpfeifen und Parolen einen Vertreibungsdruck aufzubauen.743 Letztlich musste die Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes einschreiten, um die genannten Aktionen, die den beiden Entlassenen ein normales Leben unmöglich machte, einzudämmen.744 (5) Gefangene Eine erfolgreiche Resozialisierung ist schließlich ohne die Mitwirkung des Gefangenen nicht möglich. Das Bundesverfassungsgericht betont deshalb mit Recht die Notwendigkeit der Kooperationsbereitschaft des Inhaftierten, ohne diesbezüglich eine Pflicht zu statuieren.745 Auch § 4 Abs.  1 Satz  1 StVollzG normiert nach einhelliger Auffassung keine Mitwirkungspflicht.746 Fraglich ist, ob eine solche von Verfassungs wegen überhaupt zulässig wäre. Klar ist, dass auf dem Weg zu einer erfolgreichen Wiedereingliederung nicht jedes Mittel recht ist. Vielmehr sind auch hier die Grundrechtspositionen des Gefangenen zu beachten.747 Zudem 741

Vgl. EGMR NJW 2010, 2495 ff. Näher hierzu Bachmann/Goeck, NJ 2010, 457 ff. 743 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden Bachmann/Goeck, in: Grundrechtereport 2013, S. 74 ff. 744 Vgl. OVG Sachsen-Anhalt NJW 2012, 2535 f. 745 Nachweise siehe oben Fn. 663. 746 Vgl. nur LNNV-Neubacher, § 4 Rn. 4 ff. m. w. N. 747 Siehe oben D.IV.2.a)bb)(5). 742

IV. Ergebnisse

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sind alle Einschränkungen aufgrund der Strafvollzugsgesetze am Resozialisierungsgebot zu messen.748 Mitwirkungspflichten sind deshalb aber nicht per se verfassungswidrig. Das ist für passive Mitwirkung in Form der Duldung bestimmter Maßnahmen (z. B. der Nichtaushändigung bestimmter Gegenstände oder Druckerzeugnisse) anerkannt.749 Problematischer stellt sich die Situation in Bezug auf die Verpflichtung zu­ aktiver Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen dar, und zwar vor allem wegen der sich unvermeidlich stellenden Frage, inwieweit gegebenenfalls auch eine zwangsweise Durchsetzung in Betracht kommt. Verfassungswidrig wäre vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in jedem Fall eine Behandlung, die den Inhaftierten zum bloßen Objekt des Staates macht.750 Eine mittels Disziplinarmaßnahmen erzwungene Mitwirkung wird in aller Regel nur eine äußere Anpassung des Gefangenen bewirken können, wäre also ein zur Resozialisierung ungeeignetes und damit unverhältnismäßiges Mittel.751 Zu klären bleibt noch, inwieweit die mangelnde aktive Teilnahme des Gefangenen mittelbar zu Nachteilen für diesen  – insbesondere im Rahmen von Vollzugslockerungen  – führen darf. Insoweit ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.2001752 aufschlussreich. Der Entscheidung lag die Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen zu Grunde, dessen Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung wegen einer neuerlichen Straftat wider­r ufen worden war. Der an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidende Beschwerdeführer hatte die Gewährung von Tagesausgängen beantragt, die seitens der Haftanstalt jedoch abgelehnt wurden, weil ein Missbrauch dieser Locke­ rungen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Der Beschwerdeführer habe weder die Bereitschaft gezeigt, an einem sozialen Training noch an einer Suchtberatung teilzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung an und wies darauf hin, dass gerade in Fällen wie denen des Beschwerdeführers (Bewährungsversager; Vorliegen einer schwer therapierbaren Persönlichkeitsstörung) eine Mitwirkung des Verurteilten vorausgesetzt werden könne, um die Missbrauchsgefahr von Vollzugslockerungen zu senken und letztlich das Vollzugsziel doch noch zu erreichen.753 Angesichts dessen ist es zu unzutreffend, wenn von Teilen des Schrifttums754 behauptet wird, dass das Bundesverfassungsgericht den Gefangenen bisher nur Duldungspflichten auferlegt habe. Die vorstehend geschilderte Entscheidung zeigt, dass es durchaus aktive Teilnahme seitens der Inhaftierten fordert, und zwar in den Fällen, in denen ohne ihr Zutun die 748

Siehe oben D.IV.2.a)bb)(10). Vgl. BVerfGE 40, 276 (285); Arloth, HmbStVollzG, § 5 Rn. 1; Dressel, S. 134. 750 Vgl. BVerfGE 50, 166 (175). 751 Ebenso Jünemann, S. 424 f. 752 Vgl. BVerfG NStZ 2002, 222 f. 753 Vgl. BVerfG NStZ 2002, 222 (222). 754 So etwa Arloth, HmbStVollzG, § 5 Rn. 1; Dressel, S. 134. 749

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D. Die Entscheidungsanalyse

Voraussetzungen für die Gewährung einer Behandlungsmaßnahme nicht erfüllt werden können. Ist ein Gefangener dazu nicht bereit, muss er in Kauf nehmen, dass dann etwa – wie in dem in Rede stehenden Fall – aufgrund eines zu hohen Missbrauchsrisikos Vollzugslockerungen nicht gewährt werden können. Insoweit ließe sich von einer Art Obliegenheit des Inhaftierten sprechen. Die Vollzugsbehörde ist freilich auch im Falle der Verweigerung hinreichender Mitwirkung gehalten, weiterhin den Versuch zu unternehmen, den Gefangenen doch noch zu aktiver Teilnahme an geeigneten Behandlungsmaßnahmen zu motivieren.755 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass einem Gefangenen, der an sich alle Voraussetzungen für die Gewährung einer Vollzugslockerung erfüllt, diese nicht­ allein deswegen versagt werden darf, weil er nicht bereit ist, an bestimmten therapeutischen Maßnahmen mitzuwirken.756 Andernfalls würde gewissermaßen durch die „Hintertür“ doch eine Art Disziplinarmaßnahme geschaffen. dd) Weitere Dimensionen des Resozialisierungsgebotes Das Bundesverfassungsgericht hat das Resozialisierungsgebot im Lebach-Urteil – wie bereits erläutert – als sozialstaatliche Verpflichtung (Art. 20 Abs. 3 GG) und als Anspruch des verurteilten Straftäters (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) aus der Verfassung hergeleitet. Es hat im weiteren Verlauf seiner Rechtsprechung noch weitere Dimensionen des Gebots der Wiedereingliederung herausgearbeitet, die im Folgenden erörtert werden sollen. Damit ist das Resozialisierungsgebot in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung (siehe Abbildung 7).

Abbildung 7: Dimensionen des Resozialisierungsgebotes

755 756

Vgl. LNNV-Neubacher, § 4 Rn. 7. Ebenso Jünemann, S. 428.

IV. Ergebnisse

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(1) Resozialisierung als Rechtfertigung für Grundrechtseingriffe Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Ausrichtung des Strafvollzuges auf resozialisierende Behandlung nicht nur Ansprüche des­ Gefangenen begründen, sondern auch Eingriffe rechtfertigen kann, die zur Er­ reichung des Vollzugsziels erforderlich sind.757 Dementsprechend sehen die Strafvollzugsgesetze nicht nur Möglichkeiten vor, die Grundrechte der Inhaftierten wegen der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung zu beschränken, sondern auch aus Gründen der Wiedereingliederung.758 Damit korrespondieren entsprechende Duldungspflichten des Gefangenen. Andernfalls wäre ein sinnvoller Behandlungsvollzug nicht möglich.759 Im vorliegenden Zusammenhang ist zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von besonderer Bedeutung, der vom Bundesverfassungsgericht schon frühzeitig als zentrales Kontrollinstrument etabliert wurde.760 Er gilt – wie die Karlsruher Richter konsequenterweise festgestellt haben – auch im Strafvollzug.761 Aus diesem Grund kommt z. B. das Anhalten einer Zeitschrift wegen Gefährdung des Vollzugszieles (§ 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) nur in Betracht, wenn dieser Eingriff im Hinblick auf die Sicherung der Resozialisierungsbemühungen im Einzelfall tatsächlich geeignet, erforderlich und angemessen ist. (2) Prüfungsmaßstab für Grundrechtseingriffe Selbst in den Fällen, in denen Eingriffe nicht aus Gründen der Resozialisierung erfolgen, sondern z. B. wegen der Sicherheit und Ordnung in der Haftanstalt, ist die verfassungsrechtliche Pflicht der Wiedereingliederung keinesfalls bedeutungslos. Wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend betont hat, sind vielmehr auch solche Grundrechtsbeschränkungen am Vollzugsziel zu messen.762 Damit haben die Karlsruher Richter ein „Netz“ (=  Resozialisierungsgebot) aufgespannt, das den­ gesamten Bereich des Strafvollzuges erfasst.

757

Nachweise siehe oben Fn. 659. Vgl. dazu den Überblick bei Leyendecker, S. 119 ff. 759 Vgl. Chevalier, S. 64, der davon spricht, dass das Resozialisierungsgebot andernfalls eine „völlige Leerformel“ sei; siehe ferner Leyendecker, S. 116. 760 Näher hierzu Bachmann/Goeck, in: Strafrecht und Verfassung, S. 37 (38). 761 Vgl. BVerfGE 89, 315 (322). 762 Vgl. BVerfG StV 2001, 38 (39). 758

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D. Die Entscheidungsanalyse

c) Historische Einordnung aa) Verfassungsrechtliche Herleitung des Resozialisierungsgedankens Wie ist nun die erörterte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes aus historischer Perspektive einzuordnen? Feststeht zunächst, dass die Erkenntnis, dass sich aus dem Grundgesetz die Verpflichtung zur Resozialisierung Strafgefangener ergibt, bereits vor Erlass des Lebach-Urteils gereift war. So finden sich erste Ansätze einer Verknüpfung von Sozialstaatsprinzip und Resozialisierungsgedanken bereits in den 1960er-Jahren im Schrifttum, wie z. B. beim früheren Generalstaatsanwalt Hessens, Fritz Bauer.763 Eine eingehende Auseinandersetzung mit der in Rede stehenden Thematik erfolgte jedoch erst um 1970 durch Thomas Würtenberger und Heinz Müller-Dietz.764 Auch die Strafvollzugskommission hatte auf­ ihrer zweiten Arbeitstagung im Februar/März 1968 als gesetzlich zu verankerndes Vollzugsziel die Resozialisierung vorgeschlagen und dies als Gestaltungsauftrag bezeichnet, der aus dem Sozialstaatsprinzip resultiere.765 Das Bundesverfassungsgericht hat daher mit der sozialstaatlichen Verankerung des Resozialisierungsgebotes im Jahr 1973 kein Neuland betreten, sondern die zu diesem Zeitpunkt bereits erzielten Ergebnisse „nur“ höchstrichterlich abgesichert.766 Anders stellt sich die Situation jedoch in Bezug auf die (zusätzliche) Herleitung des Gedankens der Wiedereingliederung aus dem Persönlichkeitsrecht (Art.  2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) dar. Hier konnte das Bundesverfassungsgericht nicht an einschlägige Untersuchungen des Schrifttums anknüpfen, sondern hat vielmehr Pionierarbeit geleistet, die seitens der Literatur einhellig auf Zustimmung gestoßen ist.767 bb) Die Verfassungsrechtsprechung zur Resozialisierung nach dem Lebach-Urteil Ähnlich wie bei der Verabschiedung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis im „Strafgefangenen-Beschluss“ gehörte auch zur inhaltlichen Ausrichtung des Strafvollzuges auf resozialisierende Behandlung im Lebach-Urteil insoweit kein besonderer Mut, als in Wissenschaft, Politik und Bevölkerung nicht mit breitem 763 Vgl. Bauer, in: Schuld und Sühne, S. 149: „Der soziale Rechtsstaat, den unser Grundgesetz gebietet, erfordert, wie mir scheint, die Resozialisierung des Täters.“; siehe zu weiteren Ansätzen aus den 1960er-Jahren Leyendecker, S. 96. 764 Vgl. Würtenberger, JZ 1970, 452 (453 ff.); ders., JZ 1967, 233 (237 f.); Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetzgebung, S. 93 ff. 765 Vgl. Schüler-Springorum, in: Tagungsberichte der Strafvollzugskommission, S. 48 (73 f.); siehe ferner die Grundsätze der Strafvollzugskommission zum Ziel des Strafvollzuges und zur Rechtsstellung des Gefangenen auf S. 107 des vorgenannten Tagungsberichtes. 766 Ebenso Leyendecker, S. 97. 767 So auch Leyendecker, S. 100 f.

IV. Ergebnisse

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Widerstand gerechnet werden musste. Vielmehr war das gesamtgesellschaftliche Klima in den Jahren um 1970 ausweislich entsprechender Untersuchungen ausgesprochen günstig.768 Schon zur Zeit des Inkrafttretens des Strafvollzugsgesetzes im Jahr 1977 war der Zenit der einstigen Aufbruchstimmung in Bezug auf die Resozialisierung allerdings überschritten. Die durch den RAF-Terrorismus ausgelöste Sicherheitshysterie wirkte sich im Hinblick auf einen behandlungsorientierten, reformfreudigen Behandlungsvollzug hemmend aus.769 Dies hatte auch Einfluss auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug, wie der frühere Verfassungsrichter Martin Hirsch einräumte: „Das führte zu einem Rückschlag […]. Bei organisierten Rechtsbrechern mußte man angesichts ihrer Intelligenz mit ganz anderen Sicherheitsgefährnissen rechnen, als vorher bei einem Einzeltäter. Bei dem konnte man ungeniert sagen, ‚du darfst Rundfunk hören, oder du darfst sogar einen Fernseher haben, und du darfst jede Zeitung kriegen und jedes Buch, das du bezahlen kannst.‘ Bei Terroristen kam sofort […] die Behauptung, in dem Buch könnten ja mit einer Stecknadel […] einzelne Buchstaben gekennzeichnet sein, und daraus könne dann ein geheimer Code abgelesen werden, und auf diese Weise würde die Kom­ munikation zwischen außen und innen gefördert […]. Dem konnte man sich nicht entziehen, und deshalb wurden die Entscheidungen, und zwar zum großen Teil auch schon in den Vorprüfungsausschüssen, sehr vorsichtig.“770

Befördert durch die bereits in den 1970er-Jahren entstandene „nothing works“These, führten zudem mangelnde Erfolgserlebnisse in den 1980er-Jahren zu einer deutlichen Ernüchterung – der anfängliche Optimismus hinsichtlich der Resozialisierung war nun weitgehend verflogen.771 Auch die Zustimmung zum Behandlungsvollzug in der Bevölkerung ging deutlich zurück.772 Die Rechtsprechung erwies sich ebenfalls als nicht immun gegen zunehmend restriktive Tendenzen. So begann ab Anfang der 1980er-Jahre eine Reihe von Oberlandesgerichten damit, die Berücksichtigung von Tatschuldgesichtspunkten bei der Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen in Ausnahmefällen zuzulassen.773 Als fatal erwies sich insoweit der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.6.1983774, mit dem die vorgenannte Rechtsprechung (zu Unrecht) in einem obiter dictum bestätigt wurde. Die Karlsruher Richter hatten damit – wie es Michael Walter 775 treffend formuliert hat – eine „Schneise“ für die Berücksichtigung tatvergeltender Aspekte im Rahmen von Strafvollzugsentscheidungen geschlagen. Das Bundesverfassungsgericht stand damit im Einklang mit dem damaligen Zeitgeist, 768

Vgl. Dünkel, Empirische Forschung, S. 10 f. Näher hierzu Preusker, in: Wiedereingliederung, S. 30 (31 f.); Müller-Dietz, in: Wiedereingliederung, S. 13 (17). 770 Hirsch, in: Strafvollzugsgesetz, S. 1 (3 f.). 771 Vgl. Kury, FS Böhm, S. 251 (259); siehe ferner Dünkel/Drenkhahn/Morgenstern, S. 225 (234), die bezüglich des Strafvollzugs treffend von einer „Lethargie der 1980er-Jahre“ sprechen. 772 Vgl. Preusker, in: Wiedereingliederung, S. 30 (40). 773 Näher hierzu Walter, Rn. 56 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 774 Siehe oben D.IV.2.a)bb)(3). 775 Vgl. Walter, Rn. 57. 769

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D. Die Entscheidungsanalyse

der – wie bereits erläutert – nicht günstig für das Vollzugsziel der Resozialisierung war. Dass auch bei den Karlsruher Richtern die einstige Behandlungseuphorie nicht mehr in der Intensität vorhanden war wie noch zu Beginn der 1970er-Jahre, wird zudem durch die Tatsache untermauert, dass in dem gesamten darauffolgenden Jahrzehnt keine verfassungsgerichtliche Entscheidung publik geworden ist, die sich als Stärkung des Resozialisierungsgedankens interpretieren ließe. Wenn soeben angedeutet wurde, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.6.1983 fatal gewesen ist, bedarf dies freilich noch näherer Erläuterung. Dieser Befund bezieht sich vor allem auf den Umstand, dass vorgenannte Entscheidung für all diejenigen ein willkommenes „Geschenk“ gewesen ist, die einem auf Wiedereingliederung ausgerichteten Behandlungsvollzug wenig Sympathie entgegenbringen konnten – sei es, weil es ihnen an der für notwendig erachteten Härte gemangelt hat oder aus anderen Gründen. So nutzten einige Bundes­ länder die Gunst der Stunde, um durch entsprechende Verwaltungsvorschriften eine restriktive Vollzugspraxis zu implementieren und ordneten deshalb an, bei der Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen auch die Schwere der Tatschuld zu berücksichtigen.776 In der Praxis kam es dann tatsächlich dazu, dass Ablehnungen von Anträgen auf Ausgang oder Urlaub verstärkt mit diesem Gesichtspunkt begründet wurden.777 Doch damit nicht genug: Im Jahr 1986 beauftragte die Justizministerkonferenz der Länder schließlich ihren Strafvollzugsausschuss mit der Erarbeitung von Vorschlägen für eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes.778 Mit Ausnahme von Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen wollten die Länder das zehnjährige Bestehen des Strafvollzugsgesetzes aber nicht nur nutzen, um eine Reihe rechtstechnischer Nachjustierungen vorzunehmen, sondern vielmehr auch dazu, um – im Sinne einer Gegenreform – die Schwere der Tatschuld und die anderen allgemeinen Strafzwecke in den §§ 2 ff., 10 f. und 13 StVollzG zu verankern.779 Angesichts massiven Widerstands in Vollzugspraxis, Wissenschaft und Öffentlichkeit verzichtete die Justizministerkonferenz im Jahr 1987 aber auf eine solche Relativierung des Vollzugsziels der Resozialisierung, so dass der dem Bundestag am 8.12.1988 zugeleitete Entwurf des Bundesrates zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes keine entsprechenden Vorschläge enthielt.780 Im Rahmen der ersten Beratung dieser Bundesratsinitiative am 17.2.1989 im Bundestag stellte die Abgeordnete Christa Nickels fast schon ironisch fest: „Die ursprünglich geplante Schuldschwereklausel zur Einschränkung von Vollzugslocke­ run­gen gegenüber Gefangenen ließ man später fallen, offensichtlich um den jetzt weitgehend […] erreichten Kompromiss mit den SPD-Ländern zustande zu bringen. Diese 776

Vgl. SBJL-Jehle, § 2 Rn. 7 m. w. N. Vgl. Bayer u. a., MSchrKrim 1987, 167 (168). 778 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, 10. Aufl., § 2 Rn. 25. 779 Näher hierzu Calliess/Müller-Dietz, a. a. O.; „Der Spiegel“, Nr. 12/1987, S. 94 f. 780 Näher hierzu Calliess/Müller-Dietz, a. a. O. 777

IV. Ergebnisse

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Klausel braucht auch niemand mehr, denn die Justizbehörden benutzten erfolgreich die Entscheidung des BVG aus 1983, die zwei NS-Täter betrifft, um auch ‚normale‘ Gefangene unter Verschluss zu halten.“781

Auf die Anfrage der Fraktion Die Grünen, welche Schritte die Bundesregierung unternehmen wolle, um zu verhindern, dass entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des § 2 StVollzG weiterhin durch länderspezifische Allgemeinverfügungen die Schuldschwere als Entscheidungskriterium für die Gewährung von Vollzugslockerungen herangezogen werde, antwortete die Bundesregierung am 5.4.1989: „Wie das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 28.  Juni 1983 […] entschieden hat, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn bei der Entscheidung über die Urlaubsgewährung unter Abwägung mit dem Gedanken der Resozialisierung auch die Schuldschwere berücksichtigt wird. […] Ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf wird derzeit nicht angenommen.“782

Was die 1980er-Jahre anbelangt, kann man also vor dem geschilderten Hintergrund gewiss nicht behaupten, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Phase eine den Resozialisierungsgedanken stärkende Rolle innehatte. Das Verhalten der Karlsruher Richter entsprach damit – ob nun bewusst oder nicht – durchaus dem damaligen Zeitgeist. Dass die Vollzugsverwaltungen einiger Bundesländer den Beschluss vom 28.6.1983 dahingehend ausgelegt haben, dass die Schwere der Tatschuld generell bei der Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen berücksichtigt werden darf, obwohl das Bundesverfassungsgericht offenkundig nur besondere Ausnahmefälle im Blick hatte, kann den Karlsruher Richtern schwerlich zum Vorwurf gemacht werden. Es hat aber mit seinem unnötigen und unzutreffenden obiter dictum erst die Möglichkeit hierzu geschaffen. Ähnlich wie im Jahrzehnt zuvor, bildete sich auch in den 1990er-Jahren eine Reformbewegung, die darauf abzielte, den resozialisierenden Behandlungsvollzug zurückzudrängen. Anders als in den 1980er-Jahren fand diese Diskussion über eine Neuausrichtung der Zielsetzung des Strafvollzuges aber nicht mehr unter i­deologischen, sondern vielmehr unter dem pragmatischen Gesichtspunkt einer veränderten Vollzugsrealität statt.783 In Bezug auf die Vollzugspraxis war die Rede vom „Rückwärtsgang“, von der Wiederkehr der „Eiszeit“ und der „konservativen Revolution im Knast“ 784 – Chiffren für die sich ausweitende Tendenz, angesichts eines schwieriger werdenden Behandlungsumfeldes (deutliche Zunahme ausländischer, betäubungsmittelabhängiger und psychisch gestörter Gefangener; Überbelegung; Arbeitslosigkeit u. a.) mehr auf Verwahrung und „law and order“Strategien zu setzen als auf Resozialisierung. 781

Plenarprotokoll des Bundestags vom 17.2.1989, S. 9309. BT-Drs. 11/4302, S. 4. 783 Näher hierzu Calliess/Müller-Dietz, 10. Aufl., § 2 Rn. 28. Die Aktivitäten führten im Jahr 2003 zu einer – im Ergebnis erfolglosen – Bundesratsinitiative, deren Ziel es war, § 2 StVollzG umzuformulieren und den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten als gleichrangiges Vollzugsziel festzuschreiben, vgl. BT-Drs. 15/778. 784 Vgl. Kamann, StV 1994, 459 ff.; Stoessinger, Die Zeit v. 8.4.1994, S. 13. 782

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D. Die Entscheidungsanalyse

Was das Bundesverfassungsgericht anbelangt, lässt bereits ein oberflächlicher Blick auf die oben dargestellten Kernaussagen zum Vollzugsziel der Wiedereingliederung erahnen, dass sich dessen Rechtsprechung in den 1990er-Jahren wiederum deutlich gewandelt hat. Schon zahlenmäßig erkennt man, dass es sich ab 1993 wieder verstärkt dem Resozialisierungsgedanken gewidmet hat. Wie in der Entscheidungskritik dargestellt wurde, hat es letzteren dabei in zustimmungswürdiger Weise weiterentwickelt und gestärkt, und zwar in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen (Arbeitsentlohnung; Vollzugsplanung; Disziplinarmaßnahmen etc.). Diesmal spielte das Bundesverfassungsgericht den Anhängern eines stärker an Verwahrung orientierten Strafvollzuges also nicht mit relativierenden Aussagen in Bezug auf den Resozialisierungsgedanken in die Karten. Ganz im Gegenteil: Unbeirrt von populistischen Forderungen nach mehr Verschärfung im Bereich des Strafvollzuges785 und anderen Rückzugstendenzen bzw. Zweifeln an der Durchführbarkeit eines erfolgreichen Behandlungsvollzuges, hielten die Karlsruher Richter offensiv am Gebot der Wiedereingliederung Inhaftierter fest und forderten z. B. im Sommer 1998 vom Gesetzgeber, die Gefangenenarbeit so anzuerkennen, dass sie ein wirksames Resozialisierungsmittel darstellt786. An­ gesichts der ab 1993 erheblich gestiegenen Zahl der Verfassungsbeschwerden zum Strafvollzug insgesamt und (wie bereits erwähnt) speziell auch zum Vollzugsziel wird von Teilen des Schrifttums – mit durchaus nachvollziehbarer Argumentation  – vermutet, dass es dem Bundesverfassungsgericht in dieser Zeit gezielt um die Feinjustierung des Strafvollzuges ging.787 Der Resozialisierungsgedanke sei insoweit eine gute Argumentationsgrundlage gewesen, um die eigenen vollzugspolitischen Vorstellungen durchzusetzen.788 Größere Konflikte mit der Fachöffentlichkeit habe das Bundesverfassungsgericht vermieden, indem es – wie im Bereich der Vollzugslockerungen in den Jahren 1997/1998 – mehrere kleinere Einzel­entscheidungen zu einem bestimmten Thema verstreut veröffentlicht habe.789 Wenn Kamann zudem 1994 festgestellt hat, dass zumindest die Richter des Bundesverfassungsgerichts gegen den Strom von Vergelten und Verwahren gesteuert hätten,790 ist dies fraglos zutreffend. Es darf indes nicht verkannt werden, dass die Karlsruher Richter auch in den 1990er-Jahren nicht die einzigen gewesen sind, die sich klar für das Vollzugsziel der Resozialisierung ausgesprochen haben. Schon Kamanns eigener Beitrag zeigt, dass vor allem in der Wissenschaft die Anhängerschaft für einen auf Wiedereingliederung ausgerichteten Strafvollzug noch

785

Erinnert sei etwa an den Vorstoß des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der in seinem Bundesland ab Ende der 1990er-Jahre den „härtesten Strafvollzug Deutsch­ lands“ anstrebte, näher hierzu Schäfer, ZfStrVo 2006, 198 (200). 786 Vgl. BVerfGE 98, 169 ff. 787 Vgl. Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (670); Blankenburg, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 37 (43 u. 50 f.). 788 Vgl. Heghmanns, a. a. O. 789 Vgl. Heghmanns, a. a. O.; Blankenburg, Zeitschrift für Rechtssoziologie 1998, 37 (51). 790 Vgl. Kamann, StV 1994, 459 (462).

IV. Ergebnisse

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groß war.791 Selbst bei Schüler-Springorum, der in den 1960/70er-Jahren einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass es zum Erlass eines auf dem Resozialisierungsgedanken basierenden Strafvollzugsgesetzes gekommen ist, zeigte sich aber auch eine gewisse Ernüchterung. So stellte er 1997 in Bezug auf § 2 StVollzG – freilich ohne einer grundsätzlichen Abkehr von dem dort verankerten Vollzugsziel auch nur im Entferntesten das Wort zu reden – fest: „,In sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen‘, ist bisher viel zu stark mit dem Klischee assoziiert, der Gefangene sei darauf vorzubereiten, sich als Arbeitnehmer und Steuerzahler als nützliches Gesellschaftsmitglied zu erweisen. Die strukturelle Arbeitslosigkeit unserer Gegenwart gibt der großen Mehrzahl der aus Strafhaft Entlassenen hierfür keine reale Chance […]. Resozialisierende Behandlung im Vollzug wird daher zumindest auch darauf auszurichten sein, wie ein künftiges Leben als Empfänger sozialer Unterstützungsleistungen dennoch in sozialverträglicher Daseinsgestaltung ein Leben ohne Straftaten bleiben kann.“792

Die beschriebene „Großoffensive“ des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Resozialisierung war etwa um die Jahrtausendwende beendet. Das bedeutet freilich nicht, dass diese Thematik in der Rechtsprechung der Karlsruher Richter nun – wie in den 1980er-Jahren – weitgehend in den Hintergrund getreten wäre. Vielmehr sind, wie bereits erwähnt, mit Ausnahme des Jahres 2004 kontinuierlich weitere Entscheidungen publiziert worden, in denen das Bundesverfassungsgericht auf das Resozialisierungsgebot Bezug genommen hat. Im Unterschied zu den 1970er- und 1990er-Jahren hat es dabei kaum noch neue Grundsätze entwickeln müssen, sondern konnte auf bereits bestehende zurückgreifen und diese im jeweiligen Einzelfall bestätigen793. Insofern lässt sich sagen, dass die Karlsruher Richter seit Beginn des neuen Jahrtausends im Bereich des Erwachsenenstrafvollzuges mit der Festigung ihrer Rechtsprechung befasst sind. Auf dem Gebiet des Jugendstrafvollzuges hat das Bundesverfassungsgericht hingegen am 31.5.2006794 eine ähnlich fundamentale Entscheidung getroffen wie sie der „Strafgefangenen-Beschluss“ und das „Lebach-Urteil“ von 1972 bzw. 1973 darstellen und forderte nunmehr auch für den Vollzug der Jugendstrafe die Schaffung einer auf das Ziel der Befähigung zu einem straffreien Leben ausgerichteten gesetzlichen Grundlage. Im Ganzen betrachtet, lässt sich die veröffentlichte Rechtsprechung des Bundes­ verfassungsgerichts zur Resozialisierung somit in fünf Phasen einteilen: Auf die 1950er- und 60er-Jahre, in denen dieses Vollzugsziel in keiner verfassungsgerichtlichen Entscheidung zum Strafvollzug eine Rolle spielte, folgte in den 1970er-­ 791

Vgl. etwa die Beiträge in dem von Kawamura/Reindl herausgegebenen Sammelband „Wiedereingliederung Straffälliger – Eine Bilanz nach 20 Jahren Strafvollzugsgesetz“. 792 Schüler-Springorum, in: Wiedereingliederung, S. 144 (150). 793 Vgl. etwa BVerfG BeckRS 2012, 51069 (Resozialisierung und lebenslange Freiheitsstrafe); BVerfGK 12, 60 ff. (Berichterstattung über Strafgefangene); BVerfGK 9, 231 ff. (Notwendigkeit der Mitwirkungsbereitschaft aller an der Resozialisierung beteiligten Akteure); BVerfG, Beschl. v. 9.3.2006 – 2 BvQ 14/06 (Ausstattung der Haftanstalten). 794 Vgl. BVerfGE 116, 69 ff.

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D. Die Entscheidungsanalyse

Jahren ein Stadium mit grundlegenden Kursbestimmungen in Richtung auf einen gesetzlich fundierten sowie behandlungsorientiert ausgerichteten Vollzug der Freiheitsstrafe. Das nachfolgende Jahrzehnt lässt sich am treffendsten mit dem Begriff „Stillstand“ umschreiben. In den 1990er-Jahren erfolgte dann ein intensives Wiederaufgreifen und Konkretisieren des Resozialisierungsgedankens. Anders als noch zu Beginn der 1970er-Jahre konnten die Karlsruher Richter dabei allerdings nicht mehr im Strom eines gesamtgesellschaftlichen Umfeldes mitschwimmen, das überwiegend positiv gegenüber einem Behandlungsvollzug eingestellt war. Vielmehr musste das Bundesverfassungsgericht gegen einen Zeitgeist ansteuern, der auf mehr Härte und Verwahrung abzielte. Wie schon erläutert, befindet sich die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Resozialisierungsgedanken ungefähr seit dem Jahrtausendwechsel in einer Art Konsolidierungsphase. cc) Das Lebach-Urteil und die Folgen für die Berichterstattung über Strafgefangene Das Lebach-Urteil – wie bisher – nur im Zusammenhang mit dem Strafvollzug und unter dem Aspekt des Resozialisierungsgebotes zu diskutieren, wäre eine dieser Entscheidung nicht in Gänze gerecht werdende thematische Verengung. Sie hat nämlich auch für den Bereich der Medien und deren Berichterstattung über Strafgefangene eine beachtliche Wirkung erzielt, die Jahrzehnte anhielt. Vielfach wurde in den Redaktionen von Fernsehsendern davon Abstand genommen, reale Verbrechen filmisch aufzuarbeiten und dabei pauschal auf das Lebach-­Urteil als eine Art juristisches „Totschlagargument“ verwiesen.795 Dabei hätte selbst das ZDF-Dokumentarspiel „Der Soldatenmord von Lebach“ aus dem Jahr 1972 durchaus (in modifizierter Form) gezeigt werden dürfen, denn das Bundesverfassungsgericht hatte kein komplettes Sendeverbot ausgesprochen, sondern die Ausstrahlung nur insoweit untersagt, als die Person des Beschwerdeführers namentlich erwähnt oder dargestellt wird.796 Tatsächlich sah das ZDF jedoch von einer überarbeiteten Fassung ab, u. a. weil man Zweifel daran hatte, eine filmisch sinnvolle und zugleich juristisch einwandfreie Schnittversion herstellen zu können.797 Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte auch die Intervention des damaligen Verwaltungsratsvorsitzenden des ZDF und späteren Bundeskanzlers Helmut Kohl ­gespielt haben, der das Filmprojekt endgültig beenden wollte.798 Eine neue Wendung ergab sich erst über zwanzig Jahre später, als der private Fernsehsender SAT.1 einen (anonymisierten) Film über den Soldatenmord von 795

Näher hierzu Lilienthal, S. 87 ff. Vgl. BVerfGE 35, 202 (204). 797 Ausführlich hierzu Lilienthal, S. 36 ff. 798 Vgl. dazu Lilienthal, S. 38 ff., der zudem davon berichtet, dass Helmut Kohl das Dokumentarspiel wohl bereits 1972 wegen des damals bevorstehenden Bundestagswahlkampfes ein „Dorn im Auge“ gewesen sein soll. 796

IV. Ergebnisse

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Lebach ausstrahlen wollte. Einer der beiden noch inhaftierten Haupttäter hatte­ jedoch kurz zuvor per einstweiliger Verfügung in Rheinland-Pfalz ein Sendeverbot erwirkt. Sein Komplize, der 1992 aus der Haft entlassen worden war, scheiterte mit demselben Vorhaben indes vor saarländischen Gerichten. Dieser und SAT. 1 erhoben schließlich Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht urteilte diesmal zu Gunsten des Fernsehsenders und nutzte die Gelegenheit, einige zu weitgehende Interpretationen des ersten Lebach-Urteils von 1973 zu korrigieren. Es stellte klar, dass mit der damaligen Entscheidung keine vollständige Immunisierung des Straftäters vor der ungewollten Darstellung persönlichkeitsrelevanter Geschehnisse gemeint gewesen sei.799 Auch führe die Verbüßung der Strafe nicht dazu, dass ein Verurteilter den Anspruch erwerbe, mit der Tat allein gelassen zu werden. Entscheidend sei vielmehr, in welchem Ausmaß eine Berichterstattung die Resozialisierung des Täters beeinträchtigen könne. Die zeitliche Nähe zur Haftentlassung sei allein noch nicht entscheidend, denn nicht hinnehmbare negative Auswirkungen (Stigmatisierung, soziale Isolierung u. ä.) für das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen seien grundsätzlich auch noch lange Zeit danach denkbar. Anders als bei dem ZDF-Fernsehspiel sei im Fall des SAT.1-Films aber keine Gefährdung der Resozialisierungschancen erkennbar. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die SAT.1-Sendung aufgrund der Anonymisierung Personen,­ denen die Täter nicht bekannt seien, keine Identifizierungsmöglichkeit gebe. Zwar sei es nicht ausgeschlossen, mittels entsprechender Recherchen auf anderem Weg die Namen der Verurteilten zu ermitteln. Angesichts des Zeitabstands von mehreren Jahrzehnten sei diese Gefahr aber äußerst gering. Im Jahr 2007 hatte das Bundesverfassungsgericht dann noch einmal Gelegenheit, zur Frage der Berichterstattung über Strafgefangene Stellung zu nehmen. Gegenstand der Entscheidung vom 20.8.2007800 waren die Verfassungsbeschwerden einer ehemaligen RAF-Terroristin, die sich gegen die Bildberichterstattung aus Anlass ihrer bevorstehenden Haftentlassung in zwei Tageszeitungen wandte. In dem einen Artikel wurde u. a. darüber berichtet, dass bezüglich der Beschwerdeführerin die Möglichkeit der baldigen Strafaussetzung zur Bewährung besteht. Der Beitrag enthielt auch zwei Abbildungen der Beschwerdeführerin aus den Jahren 1985 und 1986. Der zweite Artikel informierte u. a. über ihren Tagesablauf und darüber, dass sie als Freigängerin eine Ausbildung zur Fotografin begonnen habe. Abgedruckt wurde auch ein Fahndungsplakat von 1985, auf dem die Beschwerdeführerin neben weiteren Personen zu sehen ist, die damals wegen Mittäterschaft in der RAF gesucht worden waren. Das Bundesverfassungsgericht machte auch in dieser Entscheidung noch einmal deutlich, dass das Persönlichkeitsrecht eines Straftäters nicht so weit reiche, dass es einen Anspruch darauf gewähre, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden, sobald die Tagesaktualität der Verurteilung 799 800

Vgl. hierzu und zum Folgenden BVerfG NJW 2000, 1859 ff. Vgl. hierzu und zum Folgenden BVerfG NVwZ 2008, 306 ff.

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D. Die Entscheidungsanalyse

entfallen sei. Allerdings dürfe das Resozialisierungsinteresse des Betroffenen durch die Berichterstattung nicht beeinträchtigt werden. Nach Ansicht der Karlsruher Richter hätten die Zivilgerichte eine solche Gefahr aber im gegebenen Fall mit Recht verneint. Eine Identifizierung der Beschwerdeführerin anhand der im Entscheidungszeitpunkt mehr als zwanzig Jahre alten Fotos sei fernliegend. Insofern müsse auch berücksichtigt werden, dass sie sich in den Jahren 2005 und 2006 im Rahmen ihrer Ausbildung zur Fotografin mehrfach an öffentlichen Ausstellungen beteiligt habe und der Presse dabei Auskünfte zu ihrer Vergangenheit sowie zu ihrer Inhaftierung erteilt und es sogar gebilligt habe, dass ein Selbstporträt aus jüngerer Zeit veröffentlicht worden sei. Im Vergleich hierzu habe die Veröffentlichung der jahrzehntealten Fotos keine wesentlich weitergehenden Identifizierungsmöglichkeiten geschaffen. In Anbetracht ihres Kontextes  – nämlich einer sachlichen Berichterstattung – könne zudem von einer stigmatisierenden Wirkung der Abbildungen nicht die Rede sein. Schließlich habe es auch ein tagesaktuelles Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegeben, denn das Schicksal der inhaftierten Mitglieder der früheren RAF sei durch ein im Frühjahr 2007 gestelltes Gnadengesuch eines anderen ehemaligen RAF-Terroristen beim Bundespräsidenten erneut ins Blickfeld geraten. Die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1999 und 2007 machen deutlich, dass Berichterstattung über Strafgefangene  – selbst im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Haftentlassung  – nicht zwingend am Resozialisierungsgebot scheitern muss. Angesichts der Spannungslage zwischen Presse- bzw. Rundfunkfreiheit einerseits und Persönlichkeitsrecht andererseits bedarf es eben, wie das Bundesverfassungsgericht von Beginn an deutlich gemacht hat, einer sorgfältigen Abwägung in jedem Einzelfall. Soweit nach dem ersten ­Lebach-Urteil verschiedentlich der (fälschliche) Eindruck entstanden war, dass das Resozialisierungsgebot so dominierend sei, dass über frühere Straftaten von Gefangenen faktisch geschwiegen werden müsse, haben die Entscheidungen von 1999 und 2007 dies als Irrtum entlarvt.

d) Prozessuale Entscheidungskritik Was die prozessuale Seite anbelangt, ist festzustellen, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Lebach-Urteil von 1973 nicht vollständig im Rahmen seiner Befugnisse bewegt, sondern sich in dieser Entscheidung sogar eine Kompetenz erstmals neu angemaßt hat. Damit dies deutlich wird, ist zunächst noch einmal daran zu erinnern, dass die Karlsruher Richter in der Ablehnung des von dem Beschwerdeführer vor den Zivilgerichten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beantragten Ausstrahlungsverbots für das ZDF-Fernsehspiel einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sahen. In einer solchen Situation hätte das Bundesverfassungsgericht die angegriffenen Entscheidungen der Fachgerichte gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufheben und die Sache an ein zuständiges

IV. Ergebnisse

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Gericht zurückverweisen müssen.801 Hiervon haben die Karlsruher Richter jedoch abgesehen. Vielmehr haben sie selbst in der Sache entschieden und die begehrte einstweilige Anordnung erlassen. Eine solche Vorgehensweise ist jedoch vom Gesetz nicht vorgesehen.802 Auch die vom Bundesverfassungsgericht angeführte Rechtfertigung für sein „Durchentscheiden“ vermag nicht zu überzeugen. Es verweist darauf, dass bei Anwendung der verfassungsrechtlichen Kriterien und der von ihm erhobenen Beweise kein Spielraum mehr für die richterliche Entscheidung bestehe, denn der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass eines Sendeverbots müsse in vollem Umfang Erfolg haben. Bei einer Zurückverweisung könnten die Gerichte des Ausgangsverfahrens also die verfassungsgerichtliche Entscheidung letztlich nur wiederholen, was wenig sinnvoll sei.803 Dem wird jedoch mit Recht entgegengehalten, dass es allein Sache der zuständigen Gerichte ist, zu be­ urteilen, ob und gegebenenfalls welche Entscheidungsspielräume noch bestehen.804 Der Gesetzgeber hat jedenfalls die Zurückverweisung der Sache unabhängig davon vorgesehen, ob diese aus Sicht der Karlsruher Richter sinnvoll ist oder nicht, so dass das Bundesverfassungsgericht auch in der Lebach-Entscheidung nicht hätte durchentscheiden dürfen. Da sich das Bundesverfassungsgericht neben dem Lebach-Urteil nur noch in den – prozessual nicht zu beanstandenden – Entscheidungen von 1999 („Lebach II“) und 2007 (Berichterstattung über bevorstehende Haftentlassung einer RAF-Terroristin) unabhängig von einer konkreten Sachfrage des Strafvollzuges (Arbeitsentlohnung; Vollzugslockerungen etc.) 805 zum Resozialisierungsgebot geäußert hat, soll prozessuale Kritik nachfolgend im jeweils einschlägigen Themenbereich vorgebracht werden. Andernfalls müsste ganz unterschiedlichen Entscheidungen bereits an dieser Stelle (zu) weitgehend vorgegriffen werden, was der Übersichtlichkeit der Darstellung nicht zuträglich wäre. e) Ergebnis Hypothese 2 hat sich somit als teilweise zutreffend erwiesen. Das Lebach-­ Urteil, das die resozialisierende Ausgestaltung des Strafvollzuges festschrieb, war in der Tat ein nachhaltig wirkender, starker Reformschub. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich nur einmal die Frage vor Augen hält, welches Schicksal das Vollzugsziel der Resozialisierung nach der Föderalismusreform 2006 wohl genommen hätte, wenn nicht dessen Verfassungsrang durch das Bundesverfassungs­ gericht als letztverbindlicher Interpret des Grundgesetzes festgestellt worden wäre. 801

Siehe dazu oben B.III.1.c)aa). Vgl. Benda/Klein, Rn. 616; Schlaich/Korioth, Rn. 376. 803 Vgl. BVerfGE 35, 202 (244). 804 Vgl. Benda/Klein, Rn. 616; Schlaich/Korioth, Rn. 376 . 805 Im Fall der Entscheidung zur lebenslangen Freiheitsstrafe vom 21.6.1977 (= BVerfGE 45, 187) sind im Kern strafvollstreckungsrechtliche Fragestellungen betroffen. 802

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D. Die Entscheidungsanalyse

Man muss keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, um zu erahnen, dass die Verschiebung hin zum Schutz der Allgemeinheit dann noch weitaus deutlicher ausgefallen wäre, als sie es in einigen Landesstrafvollzugsgesetzen ohnehin schon ist. Nachhaltige Wirkung hatte das Lebach-Urteil auch insoweit, als das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung immer wieder daran anknüpfen und das Resozialisierungsgebot in der dargelegten Weise zum allumfassenden Maßstab für den Bereich des Strafvollzuges ausbauen konnte. Das geschah freilich nicht kontinuierlich und von Beginn an, sondern in den erläuterten fünf Phasen. Wie bei der Verabschiedung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis ging allerdings auch in Bezug auf die Kodifizierung des Vollzugsziels der Resozialisierung die Initialzündung nicht vom Bundesverfassungsgericht aus, sondern vielmehr von der Wissenschaft und bezüglich der Schaffung eines Strafvollzugsgesetzes freilich auch von der Politik. Lediglich bei der Herleitung des Re­ sozialisierungsgebotes aus dem Persönlichkeitsrecht haben die Karlsruher Richter Pionierarbeit geleistet. Bestand die eigentliche Leistung des „Strafgefangenen-­ Beschlusses“ vom 14.3.1972 letztlich in der verfassungsrechtlichen Verankerung der Notwendigkeit eines Strafvollzugsgesetzes, gilt in Bezug auf das Lebach-­ Urteil und das dort im Zentrum stehende Resozialisierungsgebot nichts anderes. Prozessual sind die Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts in vorgenannter Entscheidung in durchaus einwandfreier Weise zu Stande gekommen. Wie gezeigt, hätten es die Karlsruher Richter im konkreten Fall aber einem zuständigen Fachgericht überlassen müssen, aus den von ihnen aufgestellten Prämissen eine zutreffende Einzelfallentscheidung abzuleiten. 3. Die Vollzugsplanung a) Vorbemerkung Nachdem nun Aussagen des Bundesverfassungsgerichts analysiert und eingeordnet worden sind, die – im Sinne eines Allgemeinen Teils – als „vor der Klammer stehend“ bezeichnet werden können, geht es im Folgenden um die Rechtsprechung der Karlsruher Richter zu speziellen Fragen des Strafvollzuges. Entsprechend der Stellung im Strafvollzugsgesetz soll die Vollzugsplanung am Beginn der weiteren Untersuchung stehen. Wie ein Blick auf die Themen der Entscheidungsbegründungen zeigt (siehe Abbildung 8), hat sich das Bundesverfassungsgericht bisher sechsmal mit Fragen der Vollzugsplanung auseinandergesetzt. Die Rechtsprechung zu diesem Problemkreis beginnt im Jahr 1993806 und soll nachfolgend  – geordnet nach thematischen Schwerpunkten – dargestellt und analysiert werden.

806

Vgl. BVerfG NJW 1993, 3188.

IV. Ergebnisse

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Anmerkungen: Berücksichtigt wurden nur Verfassungsbeschwerden und konkrete Normenkontrollen, da die Begründungen zu Entscheidungen über den Erlass einstweiliger Anordnungen ganz überwiegend keine Ausführungen zu Belangen des Strafvollzuges enthalten, weil eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache grundsätzlich nicht stattfindet (siehe bereits oben B.III.3.). Maßgebend für die Zuordnung zu einer Kategorie waren ausschließlich die Ausführungen zur Begründung der Entscheidung und nicht die Sachverhaltsdarstellung. Enthielt das Urteil bzw. der Beschluss wenigstens eine inhaltliche Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu einer strafvollzugsrechtlichen Thema­ tik, erfolgte eine Zählung in der entsprechenden Kategorie. Eine Entscheidung kann daher mehreren Themenfeldern­ unterfallen. Die Themenkomplexe umfassen im Einzelnen folgende Regelungsbereiche des StVollzG: Rechtsschutz – §§ 109 bis 121; Außenkontakte – §§ 23 bis 33; Besitz von Gegenständen – §§ 19, 68 bis 70; Unterbringung – §§ 17 f.; 20 bis 22, 80, 142, 144 bis 146; Arbeit, Bildung & Soziales – §§ 37 bis 52, 190 Nrn. 13 bis 18, 191, 195, 198 Abs. 3, 200; Vollzugslockerungen – §§ 10 bis 14, 35 f.; Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen – §§ 81 bis 84, 86 bis 93, 102 bis 107; Vollzugsplanung – §§ 6, 7, 159; Verlegung – §§ 8, 85; Gesundheitsfürsorge – §§ 56 bis 66, 101; Datenschutz – §§ 179 bis 187; Sonstige: Entscheidungen, die ein in dieser Auflistung nicht genanntes Thema behandeln. Hierzu gehören Beschlüsse/Urteile, bei denen sich die Ausführungen des BVerfG auf Zulässigkeitsfragen beschränken. Ferner befinden sich darunter Entscheidungen (z. B. BVerfGE 35, 202 – Lebach), die sachgebietsübergreifende Ausführungen grundsätzlicher Art enthalten und bereits unter IV.1. oder 2. erörtert wurden. Die Entscheidungen, die keinem der beiden vorgenannten Kriterien unter­ fallen und nur aufgrund ihres zahlenmäßig zu geringen Umfanges nicht einer eigenen Kategorie zugeordnet werden konnten, werden am Schluss der Rechtsprechungsanalyse unter 14. überblicksartig dargestellt. Wurde in einer Entscheidung neben einer Problematik auf dem Gebiet des Strafvollzuges auch eine nicht zu diesem Bereich gehörende Thematik erörtert, wurde auf eine (zusätzliche) Zählung im Bereich „Sonstige“ verzichtet.

Abbildung 8: Themen der Entscheidungsbegründungen

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D. Die Entscheidungsanalyse

b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Bedeutung des Vollzugsplanes Bereits in seiner ersten einschlägigen Entscheidung vom 16.2.1993 hat das Bundes­verfassungsgericht auf die grundlegende Bedeutung der Vollzugsplanung für die Resozialisierung hingewiesen, dies in der Folgezeit immer wieder bekräftigt und auch mit einem Einsichtsrecht für den Inhaftierten verbunden. Im Einzelnen haben die Karlsruher Richter festgestellt: – Der Plan ist das zentrale Element eines an der Resozialisierung orientierten Strafvollzuges und dient der Konkretisierung des Vollzugsziels im Hinblick auf den einzelnen Gefangenen. Er legt die richtungsweisenden Grundentscheidungen fest und ist ein Orientierungsrahmen für die an der Behandlung beteiligten Mitglieder des Vollzugsstabs.807 – Wegen dieser großen Bedeutung und der Tatsache, dass der Gefangene ohne Zugang zur schriftlichen Fassung des Vollzugsplans nicht in der Lage ist, die Vollständigkeit und Richtigkeit der ihm erteilten Auskunft zu überprüfen, muss dem Betroffenen Einsicht in das entsprechende Dokument gewährt werden.808 Den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung des Vollzugsplans ist im Grunde nichts hinzuzufügen. Sie sind allgemein auf Zustimmung gestoßen.809 Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass ohne eine auf den einzelnen Gefangenen abzielende Planung ein systematisches Hinarbeiten auf das Ziel der Wiedereingliederung kaum möglich wäre und daher letztlich ein untrennbarer Zusammenhang zwischen §§ 2 und 7 StVollzG besteht.810 Der Vollzugsplan ist deshalb vom verfassungsrechtlichen Schutz, den das Resozialisierungsgebot genießt, mit umfasst.811 Eine ebenso enge Verbindung besteht zur Behandlungsuntersuchung, die Grundlage für die Aufstellung des Vollzugsplans ist (vgl. § 7 Abs. 1 StVollzG812). Ohne die Erforschung von Persönlichkeit und Lebensverhältnissen des Gefangenen ist die Erarbeitung eines sinnvollen Behandlungskonzeptes 807 Vgl. BVerfG NJW 1993, 3188 (3189); ferner BVerfG NStZ 2003, 620; NJOZ 2007, 84 (86); Beschl. v. 5.8.2010 – 2 BvR 729/08 = BeckRS 2010, 52527. 808 Vgl. BVerfG NStZ 2003, 620. 809 Vgl. SBJL-Wischka, § 7 Rn. 1; AK-Feest/Straube, § 7 Rn. 1; Arloth, § 7 Rn. 1; Calliess/ Müller-Dietz, § 7 Rn. 1. 810 So treffend Stock, S. 235. 811 Vgl. Pollähne, JR 2007, 446 (447). 812 Inhaltsgleich § 5 Abs.  1 BwJVollzGB III; Art.  9 Abs.  1 BayStVollzG; § 14 Abs.  1 BbgJVollzGB; § 8 Abs.  1 HmbStVollzG; § 10 Abs.  1 HStVollzG; § 8 Abs.  1 StVollzG MV; § 8 Abs.  1 SLStVollzG; § 8 Abs.  1 SächsStVollzG; § 14 Abs.  1 LJVollzG RLP; § 14 Abs.  1 ThürJVollzGB; nach der Regelungssystematik in § 9 NJVollzG hat in Niedersachsen zwar unabhängig von der Vollzugsdauer in jedem Fall eine Vollzugsplanung zu erfolgen, allerdings bedarf es hierfür einer Behandlungsuntersuchung im Sinne des § 9 Abs. 2 NJVollzG zwingend erst ab einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe von einem Jahr, näher hierzu SBJLWischka, § 7 Rn. 20.

IV. Ergebnisse

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nämlich nicht möglich. Deshalb kommt auch der Behandlungsuntersuchung verfassungsrechtlicher Schutz zu. Das Bundesverfassungsgericht hatte freilich bisher noch keine Veranlassung, sich näher mit ihr zu befassen.813 Während also in Bezug auf die Bedeutung des Vollzugsplans Einigkeit besteht, stellt sich die Situation hinsichtlich der Frage, in welcher Form der Gefangene über den Planinhalt zu informieren ist, etwas anders dar. Ganz überwiegend an­ erkannt ist immerhin, dass eine bloß mündliche Unterrichtung nicht genügt.814 Wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist der Betroffene ohne Zugang zur schriftlichen Fassung des Vollzugsplans nicht in der Lage, die Vollständigkeit und Richtigkeit der ihm erteilten Auskunft zu überprüfen.815 Eine derartige Kontrollmöglichkeit ist aber angesichts der fundamentalen Bedeutung des Vollzugsplans für die Resozialisierung unverzichtbar. Zwar gewährt § 185 Satz 1 StVollzG816 dem Gefangenen nur insoweit ein Akteneinsichtsrecht, als eine bloß mündliche Auskunft für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen nicht ausreicht und er hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist. Aus den dargelegten Gründen gilt aber nach Auffassung der Karlsruher Richter folgender Grundsatz: – Im Wege verfassungskonformer Auslegung ist davon auszugehen, dass im Falle des Vollzugsplans stets die Notwendigkeit der Akteneinsicht gegeben ist.817 Der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt sich allerdings nicht eindeutig entnehmen, ob der Gefangene auch einen Anspruch auf Aushändigung einer Abschrift des Vollzugsplans und etwaiger Fortschreibungen hat. Das Bundes­ verfassungsgericht hat dies in seiner Entscheidung vom 21.1.2003 ausdrücklich offen gelassen.818 Gleichwohl wird im Schrifttum verbreitet die Ansicht vertreten, dass die Karlsruher Richter zumindest implizit doch eine bejahende Antwort gegeben hätten.819 Bung bezeichnet es sogar als Andeutung mit dem „Zaunpfahl“, wenn das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Anspruch auf Aushändigung einer Kopie anmerkt, dass davon auszu­ gehen sei, dass die Fachgerichte zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung (=  Gewährung einer Abschrift) gelangt wären, wenn sie nicht  – fälschlicherweise – nur einen Anspruch auf Erteilung einer mündlichen Auskunft 813

Näher hierzu Pollähne, JR 2007, 446 (448). Vgl. AK-Feest/Straube, § 7 Rn. 4; SBJL-Wischka, § 7 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, § 7 Rn. 1; einschränkend Arloth, § 7 Rn. 6. 815 Vgl. BVerfGK 1, 3 (6). 816 Inhaltsgleich § 49 Abs. 1 BwJVollzGB I; Art. 203 BayStVollzG; § 135 Abs. 1 BbgJVollzGB; § 126 HmbStVollzG; § 64 HStVollzG; § 115 Abs.  7 StVollzG MV; § 198 NJVollzG; § 115 Abs.  8 SLStVollzG; § 102 SächsStVollzG; § 135 Abs.  1 ThürJVollzGB; in Berlin ist das Akteneinsichtsrecht in den §§ 28 ff. JVollzDSG geregelt, siehe dazu SBJL-Schmid, § 185 Rn. 30; in Rheinland-Pfalz gilt der mit § 185 Satz 1 StVollzG inhaltsgleiche § 37 Abs. 1 Satz 1 LJVollzDSG RLP. 817 Vgl. BVerfGK 1, 3 (8); AK-Feest/Straube, § 7 Rn. 4 m. w. N.; a. A. Arloth, § 7 Rn. 6. 818 Vgl. BVerfGK 1, 3 (8). 819 Vgl. SBJL-Wischka, § 7 Rn. 5; Bung, StV 2009, 201 (203). 814

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bejaht hätten.820 Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht zukünftig noch einmal Gelegenheit haben wird, zu dieser Frage Stellung zu nehmen und eine aus Sicht des Gefangenen positive Antwort zu geben. Wie soll dieser nämlich in der Lage sein, eine erfolgversprechende gerichtliche Überprüfung des Vollzugsplans in die Wege zu leiten, ohne die entsprechenden Unterlagen im Wortlaut zur Verfügung zu haben? Gerade bei umfangreichen Vollzugsplänen (ggf. mit Protokollen oder sonstigen Anlagen) oder bei mehreren Planfortschreibungen ist es gänzlich ausgeschlossen, sich alle Einzelheiten zu merken und der Verweis auf die Möglichkeit, während der jeweiligen Einsichtnahme Mitschriften anzufertigen, erscheint in einer Zeit, in der Kopiergeräte und Drucker zur Standardausstattung eines jeden Büros gehören, fast schon als Schikane.821 Die Aushändigung einer Kopie des Vollzugsplans ist nicht zuletzt auch für die Vollzugsbehörde prakti­ kabler als die Gewährung von Akteneinsicht.822 Deshalb ist es begrüßenswert, dass die meisten Landesstrafvollzugsgesetze die Aushändigung des Vollzugsplans an den Gefangenen anordnen.823 bb) Aufstellung und Inhalt des Vollzugsplanes (1) Die Vollzugsplankonferenz Wiederholt hat sich das Bundesverfassungsgericht auch mit der Vollzugsplankonferenz befasst und diesbezüglich folgende verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen aufgestellt: – Zeit, Ort und Teilnehmer sowie der wesentliche Inhalt der Vollzugsplankonferenz sind aktenkundig zu machen. Letztere kann nicht durch ein ausschließlich schriftliches Verfahren ersetzt werden.824 – Der Gefangene hat keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Zulassung eines anwaltlichen Vertreters.825 Die Vollzugsplankonferenz (vgl. § 159 StVollzG826) bildet den Rahmen für die zur Erstellung und Fortschreibung des Vollzugsplans erforderliche umfassende 820

Vgl. Bung, a. a. O. Näher hierzu Heischel, StV 2003, 410; siehe ferner Bung, StV 2009, 201 (203). 822 Vgl. Bung, StV 2009, 201 (202); Stock, S. 268. 823 Vgl. § 14 Abs. 8 Satz 1 BbgJVollzG; § 8 Abs. 5 Satz 1 HmbStVollzG; § 10 Abs. 5 HStVollzG; § 9 Abs. 5 Satz 2 NJVollzG; § 14 Abs. 8 Satz 1 LJVollzG RLP; § 8 Abs. 8 SLStVollzG; § 8 Abs. 8 SächsStVollzG; § 8 Abs. 8 StVollzG MV; § 14 Abs. 8 Satz 1 ThürJVollzGB. 824 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2008, 60 (61). 825 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 25. 826 Im Wesentlichen inhaltsgleich § 17 BwJVollzGB I; Art. 183 BayStVollzG; § 15 Abs. 1 Satz 1 BbgJVollzGB; § 108 HmbStVollzG; § 75 Abs. 3 HStVollzG; § 8 Abs. 5 Satz 1 StVollzG MV; § 9 Abs. 4 NJVollzG; § 8 Abs. 5 Satz 1 SLStVollzG; § 8 Abs. 5 Satz 1 SächsStVollzG; § 14 Abs. 5 Satz 1 LJVollzG RLP; § 14 Abs. 5 Satz 1 ThürJVollzGB. 821

IV. Ergebnisse

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Sammlung von Informationen über den jeweiligen Inhaftierten und die Diskussion der auf dieser Grundlage einzuleitenden Behandlungsschritte.827 Angesichts dessen ist es vollkommen berechtigt, wenn das Bundesverfassungsgericht eine gemeinsame Beratung aller an der Behandlung des Betroffenen maßgeblich beteiligten Personen fordert und insbesondere den bloßen Austausch von Aktenvermerken im Umlaufverfahren nicht genügen lässt. Das ist auch im Schrifttum unbestritten.828 Nichts anderes gilt in Bezug auf die oben genannten Dokumen­ tationspflichten. Vielfach wird allerdings die Anfertigung eines gesonderten Konferenzprotokolls gefordert bzw. für sachdienlich erachtet.829 Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Frage in seiner Entscheidung vom 25.9.2006 ausdrücklich offen gelassen und sich auf den (nochmaligen) Hinweis beschränkt, dass jedenfalls die für den Gefangenen einsehbaren Unterlagen eine hinreichende Auseinandersetzung mit seiner Person im Rahmen einer der Vollzugsplanung gewidmeten Konferenz erkennen lassen müssten.830 Solange dies der Fall ist, ist es in der Tat zweitrangig, ob die Dokumentation nun in einem Konferenzprotokoll erfolgt oder auf andere Weise. Zur (Streit-)Frage der anwaltlichen Beteiligung an der Vollzugsplankonferenz hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls bereits Stellung genommen und dabei – wie bereits erwähnt – ein entsprechendes Teilnahmerecht verneint. Hinsichtlich der einfach-rechtlichen Perspektive haben die Karlsruher Richter in ihrem Beschluss vom 11.6.2001 überzeugend dargelegt, dass sich bereits das gesetzliche Beteiligungsrecht des Gefangenen selbst gemäß § 6 Abs. 3 StVollzG831 darauf beschränkt, dass die Behandlungsuntersuchung mit ihm erörtert wird. Ein Anspruch auf Teilnahme an der Konferenz ist hingegen nicht vorgesehen, so dass erst Recht ein anwaltliches Beteiligungsrecht ausscheiden muss.832 Dem Anstaltsleiter ist es freilich nicht verwehrt, im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung den Gefangenen und/oder seinen Rechtsbeistand an der Vollzugsplankonferenz teilnehmen 827

So BVerfG NStZ-RR 2008, 60 (61). Vgl. nur SBJL-Wydra/Pfalzer, § 159 Rn. 5 m. w. N. 829 Vgl. etwa SBJL-Wydra/Pfalzer, § 159 Rn. 8; Arloth, § 159 Rn. 2. 830 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2008, 60 (61). 831 In zahlreichen Landesgesetzen ist festgelegt, dass sowohl die Behandlungs- als auch die Vollzugsplanung mit den Gefangenen zu erörtern ist, ihnen der Vollzugsplan in der Konferenz eröffnet und erläutert werden muss und sie auch darüber hinaus an der Konferenz beteiligt werden können, vgl. §§ 13 Abs. 7, 14 Abs. 4 u. 5 BbgJVollzG; §§ 13 Abs. 7, 14 Abs. 4 u. 5 LJVollzG RLP; §§ 7 Abs. 6, 8 Abs. 4 u. 5 SLStVollzG; §§ 7 Abs. 6, 8 Abs. 4 u. 5 SächsStVollzG; §§ 13 Abs.  8, 14 Abs.  4 u. 5 ThürJVollzGB; ähnlich §§ 7 Abs.  6, 8 Abs.  3 u. 5 StVollzG MV, §§ 7 Abs.  5 u. 8 Abs.  5 Satz  1 HmbStVollzG, die allerdings keine über die­ Eröffnung und Erläuterung des Vollzugsplans hinausgehende Beteiligung des Gefangenen an der Konferenz vorsehen; nach § 10 Abs. 2 Satz 1 HStVollzG ist der Vollzugsplan in einer Konferenz zu beraten und mit dem Gefangenen zu erörtern; Art. 9 Abs. 4 BayStVollzG und § 9 Abs. 5 Satz 1 NJVollzG sehen nur vor, dass die Planung der Behandlung mit dem Gefangenen zu erörtern ist; ebenso § 5 Abs. 3 Satz 1 BwJVollzGB III, allerdings gewährt Satz 2 dem Gefangenen zusätzlich das Recht, eine Stellungnahme in der Vollzugsplankonferenz abzugeben. 832 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 25.  828

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D. Die Entscheidungsanalyse

zu lassen.833 Darüber hinausgehend wird allerdings vereinzelt versucht, ein anwalt­ liches Beteiligungsrecht aus einer analogen Anwendung von § 14 VwVfG herzuleiten, und zwar mit dem Verweis darauf, dass in der Vollzugsplankonferenz weitreichende Entscheidungen für viele Jahre getroffen werden, die einen solchen Teilnahmeanspruch besonders bedeutsam erscheinen lassen.834 Diesbezüglich ist jedoch zu bedenken, dass die für den einzelnen Gefangenen beschlossenen Maßnahmen zwar weitreichende Bedeutung haben, aber nicht ein für allemal unüberprüfbar im Raum stehen, sondern vom Inhaftierten im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG gerichtlicher Kontrolle zugeführt werden können.835 Dabei kann dann ohne Weiteres die Hilfe eines Rechtsanwaltes in Anspruch genommen werden. Gerade weil die auf der Vollzugsplankonferenz getroffenen Entscheidungen noch nicht endgültig im Sinne einer Unanfechtbarkeit sind, hat das Bundesverfassungsgericht letztendlich auch ein verfassungsrechtlich gebotenes anwaltliches Beteiligungsrecht verneint.836 (2) Der Inhalt Was schließlich den Inhalt des Vollzugsplanes anbelangt, haben die Karlsruher Richter eine ganze Reihe an Vorgaben gemacht, die aus ihrer Sicht zur Wahrung des grundgesetzlichen Minimalstandards erforderlich sind: – Der Vollzugsplan muss für den Gefangenen verständlich sein und ihm als Leitlinie für die Ausrichtung seines künftigen Verhaltens dienen können. – Er muss erkennen lassen, dass neben einer Beurteilung des bisherigen Behandlungsverlaufs auch eine Auseinandersetzung mit den zukünftig erforderlichen Maßnahmen stattgefunden hat. – Die tragenden Gründe, die die JVA zur Befürwortung oder Verwerfung bestimm­ ter Maßnahmen veranlasst haben, sind wenigstens in groben Zügen darzustellen. – Im Fall der lebenslangen Freiheitsstrafe muss die Planung besonders auf die Vermeidung schädigender Auswirkungen lang dauernden Freiheitsentzuges aus­ gerichtet sein. 837 833

Vgl. SBJL-Wydra/Pfalzer, § 159 Rn. 7; a. A. Arloth, § 159 Rn. 1. So AK-Feest/Straube, § 7 Rn. 12. Dabei geht es lediglich um die Fälle, in denen dem Gefangenen die Teilnahme an den Vollzugsplankonferenzen gestattet wurde und dieser nun zusätzlich noch den Beistand eines Anwaltes wünscht. Da § 14 VwVfG nur Konstellationen umfasst, in denen die Beteiligung eines Beistands neben dem Betroffenen (im Sinne gleichzeitiger Anwesenheit) in Rede steht (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Bonk/Schmitz, § 14 Rn.  26), müsste diese Norm von vornherein als Begründungsansatz ausscheiden, wenn es darum ginge, einem Rechtsanwalt anstelle des Inhaftierten die Teilnahme an der Vollzugsplankonferenz zu ermöglichen. 835 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 25. 836 Vgl. BVerfG, a. a. O. 837 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NStZ-RR 2008, 60 (61). 834

IV. Ergebnisse

183

– Der Gefangene kann grundsätzlich nicht verlangen, dass bestimmte Maßnahmen in den Vollzugsplan aufgenommen werden. Er hat jedoch einen Anspruch darauf, dass die inhaltliche Ausgestaltung ermessensfehlerfrei erfolgt.838 Bereits in seiner ersten Entscheidung zur Vollzugsplanung vom 16.2.1993 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum Unmut über die „Dürftigkeit der Planbestimmungen“ erkennen lassen,839 dies aber (mit Recht) nicht weiter ausgeführt, da hierfür in dem konkreten Fall keine Veranlassung bestand. Im Beschluss vom 25.9.2006 hat es dann allerdings die Gelegenheit genutzt und die oben genannten Mindestanforderungen an eine verfassungsgemäße Vollzugs­planung formuliert. Der Sachverhalt, der letztgenannter Entscheidung zu Grunde lag, stellt dabei geradezu ein Musterbeispiel dafür dar, wie eine Vollzugsbehörde nicht vorgehen sollte. Die Vollzugsplanung der JVA bestand hier nämlich nur aus Aufzeichnungen, die kaum mehr waren als eine lückenhafte und zusammenhanglose Anhäufung rudimentärer Einträge (Kurznotizen, Datumsstempel) und nicht einmal im Ansatz die Erarbeitung eines Behandlungskonzeptes erkennen ließen.840 Dass das Bundesverfassungsgericht hier mit deutlichen Worten interveniert hat, ist nachdrücklich zu begrüßen. Soll dem Gefangenen nämlich eine ernstzunehmende Resozialisierungschance eröffnet werden, muss ein Behandlungskonzept entwickelt werden, das diesen Namen auch verdient. Außerdem ist der Anspruch auf ermessensfehlerfreie Vollzugsplanung nur dann wirklich von Wert, wenn durch Auferlegung gewisser Dokumentationspflichten eine effektive gerichtliche Kontrolle ermöglicht wird.841 Nach wie vor sind allerdings in der Praxis große Defizite im Hinblick auf die Gewissenhaftigkeit der Vollzugsplanung festzustellen.842 Wenn das Bundesverfassungsgericht außerdem anmahnt, dass der Vollzugsplan für den Gefangenen nachvollziehbar sein muss, mag dies wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen, denn wie soll er schließlich adäquat an seiner Behandlung mitwirken oder in Bezug auf die Vollzugsplanung seine Rechte wahrnehmen, wenn für ihn noch nicht einmal hinreichend ersichtlich wird, was überhaupt Planinhalt ist. Wiederholt wurde allerdings im Schrifttum davon berichtet, dass die Vollzugspläne nicht selten wenig transparent sind und dem Gefangenen nicht hinreichend verständlich gemacht werden.843 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht  – wie schon im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Resozialisierung – auch in Bezug auf die Vollzugsplanung darauf hingewiesen, dass für Gefangene, die eine lebenslange Freiheitsstrafe 838

Vgl. BVerfG, a. a. O. Vgl. BVerfG NJW 1993, 3188 (3189). 840 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2008, 60 ff. 841 Vgl. dazu auch Pollähne, JR 2007, 446 (452). 842 Exemplarisch insoweit Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2012, S. 251: „Zur Erstellung der Vollzugspläne werden zwar Vordrucke verwendet, diese jedoch oft nur­ lückenhaft und spärlich mit Schlagworten oder unverbindlichen Floskeln ausgefüllt.“ 843 Vgl. Stock, S. 267; Wetzler, ZfStrVo 1987, 32 (36). 839

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D. Die Entscheidungsanalyse

verbüßen, grundsätzlich keine Ausnahmen gelten. Es besteht lediglich insoweit eine Besonderheit, als gerade in diesen Fällen Maßnahmen zur Verhinderung von Haftschäden von großer Relevanz sind. Ferner sind die Karlsruher Richter der häufig anzutreffenden Behauptung, konkrete Planungen in Bezug auf Vollzugslockerungen könnten erst erfolgen, wenn die Mindestverbüßungsdauer festgelegt worden sei, wiederholt entgegengetreten. Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass es bei langjährig Inhaftierten  – selbst wenn sich eine konkrete Entlassungsperspektive noch nicht abzeichnet – durchaus geboten sein kann, zumindest Lockerungen in Form von Ausführungen zu ermög­ lichen.844 Die Vollzugsbehörden dürfen es sich also auch in Bezug auf Gefangene mit lebenslanger Freiheitsstrafe nicht zu einfach machen und nur eine halbherzige Vollzugsplanung betreiben, getreu dem Motto: „Wer weiß, wann der wieder raus kommt!“ Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedenfalls, dass – soweit ersichtlich845 – allen thematisch einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsbeschwerden von Inhaftierten zu Grunde lagen, die eine­ lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen. Die Karlsruher Richter haben betont, dass das Resozialisierungsgebot uneingeschränkt gilt, und zwar unabhängig von der Strafdauer.846 Sie haben ferner den Vollzugsplan als zentrales Instrument zur Konkretisierung des vorgenannten Grundsatzes im jeweiligen Einzelfall bezeichnet.847 Deshalb ist es auch – wie soeben erläutert – konsequent, von dieser Rechtsprechung auch in Bezug auf lebenslange Freiheitsstrafen keine Ausnahmen zuzulassen. Es bleibt daher zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht bei kurzen Freiheitsstrafen ähnlich konsequent verfahren und eine sich zukünftig bietende Gelegenheit ergreifen wird, um auch in Bezug auf diese die verfassungsrechtliche Pflicht zur Vollzugsplanung klarzustellen. In der Praxis stellt sich die Situation bisher nämlich so dar, dass bei Freiheitsstrafen von unter einem Jahr nicht selten gar kein Vollzugsplan erstellt wird.848 Wenn diesbezüglich zum Teil vorgetragen wird, dass gemäß § 7 Abs. 1 StVollzG auf der Grundlage der Behandlungsuntersuchung ein Vollzugsplan erstellt werde, von einer solchen Untersuchung aber nach § 6 Abs. 1 Satz 2 StVollzG bei kurzer Strafdauer abgesehen werden könne und deshalb in diesen Fällen auch keine Vollzugs­planung stattfinden müsse,849 beruht dies auf einem Missverständnis. Bei zutreffender Gesetzesauslegung ergibt sich vielmehr, dass eine Behandlungsuntersuchung, wenn sie tatsächlich vorliegt, auch zur Grundlage der Vollzugsplanung gemacht werden muss. Dass letztere hingegen entfallen 844 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.8.2010 – 2 BvR 729/08 = BeckRS 2010, 52527; NStZ-RR 2008, 60 (61). Das ist auch im Schrifttum allgemein anerkant, vgl. SBJL-Wischka, § 7 Rn. 7; AKFeest/Straube, § 7 Rn. 23; Pollähne, JR 2007, 446 (448). 845 Dem Beschluss vom 11.6.2001 (= NStZ-RR 2002, 25) ist keine Strafdauer zu entnehmen. 846 Vgl. dazu bereits oben D.IV.2.b)cc)(2). 847 S. dazu bereits oben D.IV.3.b)aa). 848 Vgl. dazu Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2011, S. 256 f. 849 So etwa Arloth, § 7 Rn. 1.

IV. Ergebnisse

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kann, wenn keine ­Behandlungsuntersuchung durchgeführt wurde, wird damit aber gerade nicht zum Ausdruck gebracht.850 Dies ist auch sinnvoll, denn aus der Vollzugspraxis liegen Erfahrungen vor, die zeigen, dass selbst bei kurzer Haftzeit eine­ erfolgversprechende Vollzugsplanung möglich ist.851 Vor dem geschilderten Hintergrund ist es zu begrüßen, dass in den meisten Landesgesetzen vorgesehen ist, dass eine Behandlungsuntersuchung bei kurzer Vollzugsdauer nicht mehr gänzlich entfallen, sondern allenfalls in einem vereinfachten Verfahren durchgeführt werden kann.852 cc) Rechtsschutz gegen die Vollzugsplanung Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht schließlich auch zum Rechtsschutz gegen die Vollzugsplanung Stellung genommen. Die Essentialia der entsprechenden Entscheidungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Gerichtlicher Überprüfung unterliegen nicht nur einzelne im Vollzugsplan vorgesehene Maßnahmen, sondern auch das Verfahren seiner Aufstellung und die Ausübung des inhaltlichen Gestaltungsermessens.853 – Auch die Fortschreibung bisheriger Inhalte des Vollzugsplans sind der gerichtlichen Kontrolle unterworfen und können im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG überprüft werden.854 Diese Vorgaben der Karlsruher Richter sind konsequent. Es hieße nämlich auf halbem Wege stehenzubleiben, wenn man zwar verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an die Vollzugsplanung stellte und dem Gefangenen einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Ausübung des Gestaltungsermessens einräumte, dann aber eine effektive gerichtliche Kontrolle versagte. Genau dies geschieht aber, wenn – vereinzelt bis in die jüngere Vergangenheit855 – Anträge nach § 109 Abs. 1 StVollzG mit der pauschalen Begründung als unzulässig verworfen werden, dass der Vollzugsplan als Ganzes keine Maßnahme im Sinne der vorgenann 850 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden AK-Feest/Straube, § 7 Rn.  8; Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2011, S. 256. 851 Vgl. Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2011, S. 257 m. w. N. 852 Vgl. § 13 Abs. 5 BbgJVollzG; § 7 Abs. 4 Satz 1 HmbStVollzG; § 9 Abs. 3 HStVollzG; § 7 Abs.  5 StVollzG MV; § 13 Abs.  5 LJVollzG RLP; § 7 Abs.  5 SLStVollzG; § 7 Abs.  5­ SächsStVollzG; § 13 Abs. 6 ThürJVollzGB; ein gänzlicher Verzicht auf die Behandlungsuntersuchung bei kurzer Haftdauer ist jedoch nach den Landesgesetzen von Baden-Württemberg (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BwJVollzGB III) und Bayern (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG) weiterhin möglich; nichts anderes gilt nach der Regelungssystematik des § 9 NJVollzG auch für Niedersachsen, allerdings wird klar ersichtlich, dass dennoch in jedem Fall eine Vollzugsplanung­ erfolgen muss, näher hierzu SBJL-Wischka, § 7 Rn. 20. 853 Vgl. BVerfG NJW 1993, 3188 (3189). 854 Vgl. BVerfG NJOZ 2007, 84 (87). 855 Vgl. etwa die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, die dem Beschluss des OLG München, FS 2011, 53 zu Grunde lag.

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D. Die Entscheidungsanalyse

ten Norm darstelle und daher nicht angefochten werden könne. Mit Recht sieht das Bundesverfassungsgericht in einem derartigen Vorgehen eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG. Aufstellungsverfahren und die inhaltliche Ausgestaltung des Vollzugsplans müssen auch im Ganzen angegriffen werden können, soll der diesbezügliche Mindeststandard nicht nur rein auf dem Papier garantiert sein. Zwar ist seit jeher anerkannt, dass einzelne Regelungen des Vollzugsplans anfechtbar sind.856 Zum Teil wurden allerdings seitens der fachgerichtlichen Rechtsprechung zusätzliche Voraussetzungen aufgestellt, die den Rechtsschutz un­nötig erschweren. So wurde insbesondere die Anfechtbarkeit der Feststellung, dass der Gefangene für Vollzugslockerungen nicht geeignet sei, von einem vorherigen Antrag auf deren Gewährung abhängig gemacht.857 Dadurch wird jedoch  – wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend dargelegt hat – verkannt, dass die Planbestimmungen eigenständige Rechte und Pflichten begründen. Daher ist die Frage, ob lockerungsbezogene Regelungen des Vollzugsplans im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 7 StVollzG Rechte des Inhaftierten verletzen, von der Frage einer Rechtsverletzung durch konkrete Entscheidungen über Vollzugslockerungen nach § 11 StVollzG zu trennen.858 Maßgeblich ist also nur, ob der jeweils in Rede stehende Planbestandteil subjektive Rechte des Gefangenen beeinträchtigen kann oder nicht. Da die Bestimmungen des Vollzugsplans bei der Entscheidung über konkrete Behandlungsmaßnahmen zu berücksichtigen sind und sie deshalb erhebliche Auswirkungen haben, ist dies regelmäßig zu bejahen.859 c) Historische Einordnung Die Vollzugsplanung ist eine Thematik, die in Literatur und Praxis lange Zeit vergleichsweise stiefmütterlich behandelt wurde. Bezeichnend hierfür ist, dass es nur eine größere einschlägige Untersuchung gibt, und zwar die bereits 1993­ publizierte Monografie von Stock.860 Als das Bundesverfassungsgericht im selben Jahr entschieden hatte, dass gerichtlicher Rechtsschutz nicht einfach mit dem pauschalen Verweis auf die Unanfechtbarkeit des Vollzugsplanes in seiner Gesamtheit verweigert werden kann, war dies eine deutliche Zäsur. Bis dahin hielten Rechtsprechung und Schrifttum ganz überwiegend allenfalls einzelne Planbestimmungen für gerichtlich überprüfbar.861 Auf die vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betonte zentrale Bedeutung des Vollzugsplans als Orientierungsrahmen 856

Vgl. AK-Feest/Straube, § 7 Rn. 36. Ein solcher Fall lag beispielsweise der Entscheidung des BVerfG vom 3.7.2006 = NJOZ 2007, 84 zu Grunde. 858 Vgl. BVerfG NJOZ 2007, 84 (87). 859 So zutreffend BVerfG NJOZ 2007, 84 (86); siehe auch Zieger, StV 2006, 375 (379). 860 Nach AK-Feest/Straube, § 7 Rn. 1 befindet sich eine weitere Studie zur Realität der Vollzugsplanung in Vorbereitung. 861 Näher zum Ganzen Stock, S. 268 ff. m. w. N. 857

IV. Ergebnisse

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für die individuellen Bemühungen um Resozialisierung ist hingegen in der OLGRechtsprechung bereits zuvor gelegentlich hingewiesen worden.862 Was die Information des Inhaftierten über die Vollzugsplanung anbelangt, ist zunächst daran zu erinnern, dass ein Akteneinsichtsrecht erst im Jahr 1998 durch Einfügung des § 185 StVollzG gesetzlich verankert worden ist. Bis dahin hatte die fachgerichtliche Judikatur die Gewährung eines solchen oder gar die Aushändigung einer Abschrift ganz überwiegend abgelehnt. Im Schrifttum zeigte man sich in dieser Frage hingegen weitaus großzügiger.863 Auch nach Inkrafttreten des § 185 StVollzG waren die Strafvollstreckungskammern und OLG-Strafsenate, wie bereits erläutert, keineswegs durchweg bereit, generell Einsicht in den Vollzugsplan zu gewähren. Erst durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom­ Januar 2003 wurde hier endgültig Klarheit geschaffen und der Verweis auf eine rein mündliche Auskunft für unzureichend erklärt. Hinsichtlich der Durchführung der Vollzugsplankonferenz konnten die Karlsruher Richter vor allem an den Beschluss des KG Berlin vom 20.2.1995864 anknüpfen, in dem ausführlich begründet wurde, warum ein rein schriftliches Verfahren den Anforderungen des § 159 StVollzG nicht genügt und stattdessen eine gemeinsame Beratung aller maßgeblich an der Behandlung Beteiligten erforderlich ist. Auch in Bezug auf die sonstigen Mindestanforderungen an die Vollzugsplanung musste das Bundesverfassungsgericht keineswegs von null beginnen. So hatte das OLG Karlsruhe865 schon eine Reihe an Vorgaben entwickelt, auf die die Karlsruher Richter in ihrer Entscheidung vom 25.9.2006 auch wiederholt Bezug nehmen. Dies betrifft u. a. die von letzteren übernommene Verpflichtung der Vollzugsbehörde, wenigstens in groben Zügen die wesentlichen Gründe darzustellen, die zur Befürwortung oder Verwerfung bestimmter Maßnahmen geführt haben.866 Das kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Übrigen in der obergerichtlichen Rechtsprechung lange Zeit für ausreichend erachtet wurde, dass aus dem Vollzugsplan die durchzuführenden Behandlungsmaßnahmen ersichtlich werden. Die jeweils zu Grunde liegenden Überlegungen mussten hingegen nicht zwingend dargelegt werden.867 Stock hatte dies bereits 1993 kritisiert und sogar gefordert, in § 7 StVollzG eine Pflicht zur schriftlichen Begründung des Vollzugsplans zu verankern.868

862

Vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 1985, 170; OLG Hamm ZfStrVo 1979, 63. Vgl. hierzu und zum Vorstehenden Stock, S. 267 f. m. w. N. 864 Vgl. KG Berlin NStZ 1995, 360. 865 Vgl. OLG Karlsruhe StV 2004, 555 ff. 866 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2008, 60 (61); OLG Karlsruhe StV 2004, 555 (556). 867 Näher hierzu Stock, S. 250 f. m. w. N. 868 Vgl. Stock, S. 251 f. 863

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D. Die Entscheidungsanalyse

d) Prozessuale Entscheidungskritik In prozessualer Hinsicht geben die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zur Vollzugsplanung – sieht man einmal von dem im Beschluss vom 16.2.1993869 enthaltenen kleineren obiter dictum ab – keinen Anlass für weitergehende Er­örterungen. e) Ergebnis Hypothese 3 hat sich nicht vollständig als zutreffend erwiesen. Etwa drei Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes hat der Bereich der Vollzugsplanung tatsächlich verstärkt Aufmerksamkeit erlangt. Allerdings ist bereits 1993 schon einmal eine richtungsweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen, und zwar zur gerichtlichen Überprüfbarkeit der Vollzugsplanung. Was die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an Aufstellung und Inhalt des Vollzugsplans anbelangt, konnten die Karlsruher Richter zum Teil an fachgerichtliche Entscheidungen anknüpfen. Im Ganzen betrachtet, hat sich das Bundesverfassungsgericht also in dem in Rede stehenden Bereich zwar recht spät, dann aber doch als richtungsweisende Kraft erwiesen, und zwar in einem positiven (auch den eigenen Kompetenzbereich wahrenden) Sinne. 4. Verlegung a) Überblick Wie ein Blick auf Abbildung  8 zeigt, ist die verfassungsgerichtliche Judikatur zur Verlegung mit insgesamt fünf Entscheidungen recht überschaubar. Sie ist auch noch sehr jung, wie man anhand der zeitlichen Abfolge der entsprechenden Beschlüsse erkennen kann: So stammt die erste Entscheidung aus dem September 2005870, alle weiteren sind innerhalb der darauffolgenden drei Jahre ergangen. Mit Ausnahme der Entscheidung vom 8.5.2006 handelt es sich durchweg um stattgebende Kammerbeschlüsse im Sinne des § 93c BVerfGG. b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Verlegung aus Resozialisierungsgründen In seinem Beschluss vom 19.4.2006 musste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Verlegung aus Gründen der Behandlung und Eingliederung im Sinne des 869

Vgl. BVerfG NJW 1993, 3188 (3189). Vgl. BVerfGK 6, 260 ff.

870

IV. Ergebnisse

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§ 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG871 auseinandersetzen. Der Entscheidung lag die Verfassungsbeschwerde eines zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilten Gefangenen zu Grunde, der aus der JVA Straubing in eine heimatnahe Haftanstalt in Sachsen verlegt werden wollte. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass er in Bayern keinerlei soziale Kontakte habe und deshalb nach seiner Entlassung wieder bei seiner Verlobten und in der Nähe seiner Schwester in Sachsen leben wolle. Seine Familienangehörigen beabsichtigten, ihn bei seiner Wiedereingliederung zu unterstützen, könnten ihn aber aus jeweils verschiedenen Gründen (finanzielle Erwägungen, Gesundheit und Beruf) nicht in der JVA Straubing besuchen. Die Vollzugsbehörde lehnte den Antrag des Beschwerdeführers ab und verwies darauf, dass es als Grund für eine Verlegung nicht ausreiche, den Kontakt zu den Angehörigen zu erleichtern. Andernfalls müsste aus Gründen der Gleichbehandlung eine so große Zahl an Verlegungen vorgenommen werden, dass ein geordneter Strafvollzug gemäß dem Vollstreckungsplan nicht mehr möglich wäre. Letztlich komme ein Anstaltswechsel zur Aufrechterhaltung familiärer Beziehungen nur in Betracht, wenn dies als Resozialisierungsmaßnahme unerlässlich erscheine.872 Das Bundesverfassungsgericht überzeugte die Argumentation der JVA nicht. Es nutzte die Gelegenheit, zur Verlegung aus Gründen der Behandlung und Eingliederung Stellung nehmen zu können und traf dabei folgende Kernaussagen: – Für das Vollzugsziel der Resozialisierung haben die familiären Bindungen des Gefangenen wesentliche Bedeutung. Den Belastungen und Gefährdungen, die der Strafvollzug für diese Beziehungen naturgemäß bedeutet, muss daher sowohl mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG als auch im Hinblick auf das Resozialisierungsgebot nach Kräften entgegengewirkt werden.873 – Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG kommt die Verlegung eines Gefangenen nicht erst dann in Betracht, wenn sie aus Re­ sozialisierungsgründen unerlässlich ist, sondern bereits dann, wenn die Behandlung oder Eingliederung des Gefangenen nach der Entlassung hierdurch ge­ fördert wird.874 – Es ist mit dem grundgesetzlich geschützten Resozialisierungsinteresse nicht vereinbar, eine Verlegung prinzipiell dann zu versagen, wenn die Gründe, aus denen ohne sie familiäre Kontakte nicht hinreichend gewährleistet werden können, finanzieller oder gesundheitlicher Art sind.875

871 Inhaltsgleich § 6 Abs. 1 Nr. 1 BwJVollzGB III; § 24 Abs. 2 BbgJVollzG; Art. 10 Abs. 1 Nr. 1 BayStVollzG; § 9 Abs. 1 Var. 1 HmbStVollzG; § 11 Abs. 1 Nr. 1 HStVollzG; § 16 Abs. 1 Var. 1 StVollzG MV; § 10 Abs. 1 Nr. 1 NJVollzG; § 23 Abs. 2 LJVollzG RLP; § 16 Abs. 1 Var. 1 SLStVollzG; § 16 Abs. 1 Nr. 1 SächsStVollzG; § 23 Abs. 2 ThürJVollzGB. 872 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 8, 36 (37 ff.). 873 Vgl. BVerfGK 8, 36 (41). 874 Vgl. BVerfGK 8, 36 (42). 875 Vgl. BVerfGK 8, 36 (44 f.).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Die in Rede stehende Entscheidung ist im Schrifttum ganz überwiegend positiv aufgenommen worden.876 Sie macht unmissverständlich klar, dass grundrechtlich geschützte Interessen der Gefangenen nicht einfach mit pauschalen Erwägungen – noch dazu unter Postulierung gesetzlich gar nicht vorgesehener Voraussetzungen – kurzerhand „vom Tisch gewischt“ werden dürfen. Sie erfordern vielmehr eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls, um festzustellen, inwieweit mit einer Verlegung tatsächlich resozialisierungsfördernde Effekte erzielt werden können. Mit Recht hat Rotthaus davor gewarnt, den in Rede stehenden Kammerbeschluss zum Anlass zu nehmen, um – gewissermaßen ins andere Extrem verfallend – Verlegungsanträgen von Gefangenen vorschnell stattzugeben. In nicht wenigen Fällen sind nämlich auch die in Freiheit lebenden Angehörigen oder Bekannten in vielfältiger Weise problembelastet, so dass häufig fraglich sein wird, ob diese tatsächlich einen für die Wiedereingliederung des Inhaftierten ­förderlichen sozialen Empfangsraum bieten.877 Der vom Bundesverfassungsgericht konkret entschiedene Fall, der für derartige Zweifel keine Anhaltspunkte enthält, ist also durchaus nicht die Regel. Zu bedenken ist ferner, dass dem Wunsch eines Gefangenen nach dem Wechsel in eine andere Haftanstalt in Wahrheit nicht selten Erwägungen zu Grunde liegen, die an sich eine Verlegung nicht rechtfertigen könnten (z. B. Streit mit einem Mitgefangenen).878 Schon anhand der vorgenannten Umstände dürfte deutlich geworden sein, dass Verlegungsanträge nach § 8 Abs.  1 Nr. 1 StVollzG bei gewissenhafter Einzelfallprüfung auch ohne das contra legem aufgestellte Kriterium der „Unerlässlichkeit“ vielfach keinen Erfolg haben können, weil von der Nähe zum familiären oder sonst gewohnten sozialen Umfeld keineswegs immer positive Effekte für die Resozialisierung ausgehen müssen. Die Angst der Haftanstalten vor dem Einsetzen einer „Verlegungswelle“ ist also unbegründet. Auch der Argumentation, wonach ein Anstaltswechsel mit Blick auf den Gesichtspunkt der Gleichbehandlung prinzipiell dann nicht genehmigt werden könne, wenn die Gründe für mangelnde familiäre Kontakte finanzieller oder gesundheitlicher Natur seien, ist das Bundesverfassungsgericht richtigerweise nicht gefolgt. Zu der befürchteten Vielzahl an durchzuführenden Verlegungen kann es schon deswegen nicht kommen, weil schließlich nur Gefangene einen entsprechenden Anspruch hätten, deren Bedingungen vergleichbar wären, d. h. eine lange­ Freiheitsstrafe verbüßen und im Umfeld der Heimatanstalt keinerlei soziale Kontakte haben, dafür aber am Ort der Zielanstalt umso mehr.879

876 Vgl. SBJL-Lindner, § 8 Rn. 6; AK-Feest/Straube, § 8 Rn. 6 f.; Neubacher, BewHi 2011, 82 (89 f.); Rotthaus, ZfStrVo 2006, 239; kritisch aber Arloth, § 8 Rn. 5. 877 Vgl. Rotthaus, a. a. O. 878 Näher hierzu Rotthaus, a. a. O. 879 So mit Recht Neubacher, BewHi 2011, 82 (90).

IV. Ergebnisse

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bb) Verlegung aus vollzugsorganisatorischen oder anderen wichtigen Gründen In seinem Beschluss vom 26.8.2008 ist das Bundeverfassungsgericht das bisher einzige Mal und zudem nur kurz auf die Verlegung aus vollzugsorganisatorischen und anderen Gründen eingegangen. Konkret lautete die zentrale Frage, ob eine Verlegung in eine nach dem Vollstreckungsplan an sich unzuständige Haftanstalt nach Wegfall der hierfür vorliegenden Gründe auf Grundlage des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG880 rückgängig gemacht werden kann. Das Bundesverfassungsgericht stellte hierzu folgenden Grundsatz auf: – Wenn der Anlass für die Verlegung in eine an sich unzuständige JVA später entfällt, kann dies mit Blick auf die grundrechtlichen Belange des Gefangenen für sich allein genommen nicht ohne Weiteres ein „wichtiger Grund“ sein, der die Rückverlegung in die nach dem Vollstreckungsplan vorgesehene Haftanstalt rechtfertigt.881 Dieser Sichtweise ist zuzustimmen, denn sie verhindert, dass die Zurückverlegung des Gefangenen in die Heimatanstalt nach Wegfall des wichtigen Grundes  – salopp gesprochen  – zum „Selbstläufer“ für die Vollzugsbehörde wird.882 Vielmehr müssen auch in diesen Fällen sorgfältig die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 StVollzG geprüft werden, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass gerade bei längerer Abwesenheit von der Heimatanstalt inzwischen Umstände eingetreten sind, die es mit Blick auf die Resozialisierung des Betroffenen geboten erscheinen lassen, ihn in der an sich unzuständigen JVA zu belassen. cc) Überstellung Im Unterschied zur Verlegung ist der bei einer Überstellung im Sinne des § 8 Abs. 2 StVollzG883 erfolgende Anstaltswechsel nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend. Sie erfolgt häufig zu Besuchszwecken. Ein solcher Fall war auch Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.5.2008884. Hier 880 Inhaltsgleich § 6 Abs. 1 Nr. 4 BwJVollzGB III; § 24 Abs. 1 Satz 1 BbgJVollzG; Art. 10 Abs.  1 Nr.  2 BayStVollzG; § 9 Abs.  1 Var. 2 u. 3 HmbStVollzG; § 11 Abs.  1 Nrn. 3 u. 4 HStVollzG; § 16 Abs. 1 Var. 2 u. 3 StVollzG MV; § 10 Abs. 1 Nr. 5 NJVollzG; § 23 Abs. 1 Satz 1 LJVollzG RLP; § 16 Abs. 1 Var. 2 u. 3 SLStVollzG; § 16 Abs. 1 Nr. 2 SächsStVollzG; § 23 Abs. 1 Satz 1 ThürJVollzGB. 881 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.8.2008 – 2 BvR 679/07. 882 Vgl. SBJL-Lindner, § 8 Rn. 9. 883 Inhaltsgleich Art.  10 Abs.  2 BayStVollzG; § 24 Abs.  1 Satz  2 BbgJVollzG; § 9 Abs.  3 HmbStVollzG; § 16 Abs. 1 StVollzG MV; § 10 Abs. 2 NJVollzG; § 23 Abs. 1 Satz 2 LJVollzG RLP; § 16 Abs. 2 SLStVollzG; § 16 Abs. 3 SächsStVollzG; § 23 Abs. 1 Satz 2 ThürJVollzGB; die Landesgesetze von Baden-Württemberg (§ 6 Abs.  1 BwJVollzGB III) und Hessen (§ 11 Abs. 1 HStVollzG) erlauben die Überstellung aus den gleichen Gründen wie die Verlegung. 884 Vgl. BVerfGK 13, 487 ff.

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D. Die Entscheidungsanalyse

hatte der Beschwerdeführer die kurzzeitige Überstellung in die JVA eines anderen Bundeslandes zur Ermöglichung eines Besuchskontaktes mit seiner reiseunfähigen Mutter beantragt. Die um Aufnahme ersuchte Haftanstalt lehnte dieses Begehren jedoch wegen Überbelegung ab. LG und OLG bestätigten diese Entscheidung. In ihrem Kammerbeschluss haben die Karlsruher Richter zwar keine neuen verallgemeinerungsfähigen Kernaussagen getroffen, aber bereits bestehende konsequent auf die Maßnahme der Überstellung angewendet. So hat das Bundes­ verfassungsgericht noch einmal auf die große Bedeutung familiärer Bindungen für die Resozialisierung hingewiesen, auf die es – wie bereits erläutert – schon im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Verlegung aufmerksam gemacht hatte.885 Ferner hat es daran erinnert, dass es Verpflichtung des Staates ist, nachteiligen Auswirkungen des Freiheitsentzuges auf die Familienbeziehungen im Rahmen des Zumutbaren entgegenzuwirken.886 Im konkreten Fall konnte das Bundes­ verfassungsgericht anhand einer von dem zuständigen Landesjustizministerium gegebenen Antwort auf eine Große Anfrage im Landtag zeigen, dass die um vorübergehende Aufnahme des Beschwerdeführers ersuchte Haftanstalt nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft hatte, um die Überstellung zu Besuchszwecken zu ermöglichen. Im fraglichen Zeitraum verfügte die JVA bei Nutzung aller Kapazitäten über eine Notbelegungsfähigkeit von 491 Gefangenen. Mit tatsächlich 455 inhaftierten Personen war die Haftanstalt zwar überbelegt (Belegungsfähigkeit: 453), jedoch keineswegs in so hohem Maße, dass nicht wenigstens die kurzzeitige Unterbringung des Beschwerdeführers im Rahmen der Möglichkeiten der Notbelegung hätte geprüft werden können.887 Die in Rede stehende Entscheidung zeigt eindrucksvoll, dass es das Bundesverfassungsgericht wirklich ernst meint, wenn es verlangt, dass alle denkbaren Optionen in Erwägung gezogen werden, um dem Resozialisierungsgebot und dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG auch bei Engpässen bestmöglich Rechnung zu tragen. dd) Verlegung zum Zweck der sicheren Unterbringung Mehrfach musste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Verlegung zwecks sicherer Unterbringung befassen. Beim ersten Mal  – im stattgebenden Kam­ merbeschluss vom 26.9.2005888  – war die zentrale Frage, ob es eine die verfassungsmäßigen Grenzen wahrende Auslegung des § 85 StVollzG889 darstellt, eine 885

Vgl. BVerfGK 13, 487 (491 f.); siehe ferner oben D.IV.4.b)aa). Vgl. BVerfGK 13, 487 (492); siehe zur verfassungsgerichtlichen Judikatur zu den staatlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Ausstattung des Strafvollzuges bereits oben D.IV.2.b)cc)(1). 887 Näher hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 13, 487 (494 f.). 888 Vgl. BVerfGK 6, 260 ff. 889 Inhaltsgleich § 65 BwJVollzGB III; Art. 92 BayStVollzG; die hamburgische Vorschrift (§ 9 Abs.  2) sowie die niedersächsische Vorschrift (§ 10 Abs.  1 Nrn. 3 u. 4 NJVollzG) beinhalten den Regelungsgehalt des § 85 StVollzG und erweitern diesen aber noch, näher hierzu SBJL-Ullenbruch, § 85 Rn. 6 u. 8; Hessen hat keine vergleichbare Vorschrift (eine Verlegung 886

IV. Ergebnisse

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Verlegung auf diese Norm zu stützen, wenn Gefahren in Rede stehen, die durch Fehlverhalten des Vollzugspersonals begründet sind. Im konkreten Fall ging es darum, dass einige Vollzugsbedienstete gegen den Beschwerdeführer, der unrechtmäßig die Schreibmaschine eines Mitgefangenen in Besitz hatte, nicht eingeschritten waren. Nach Ansicht der JVA begründe dies ernsthafte Zweifel an der notwendigen Distanz der Bediensteten zum Beschwerdeführer. Das Bundesverfassungsgericht stellte diesbezüglich klar: – Ein einzelner ohne Weiteres zu unterbindender Ordnungsverstoß (z. B. der ungenehmigte Besitz eines bestimmten Gegenstandes) begründet ebensowenig wie das Nichteinschreiten von Vollzugsbediensteten gegen eine solche Verfehlung eine die Verlegung rechtfertigende Gefahr im Sinne des § 85 StVollzG.890 Angesichts der Tatsache, dass die Verlegung eine in hohem Maße einschneidende und grundrechtsintensive Maßnahme darstellt, kann es nicht sein, dass schon vereinzeltes Fehlverhalten, das sich gegebenenfalls disziplinarisch ahnden lässt, einen Anstaltswechsel nach sich zieht. Dies ist von § 85 StVollzG nicht gedeckt, unverhältnismäßig und würde im Übrigen die Gefahr, dass diese Norm, die allein Sicherheits- und Ordnungszwecken dient, zum apokryphen Sanktionsinstrument wird, erheblich vergrößern. Die Anknüpfung an das Nichteinschreiten des Vollzugspersonals wiederum ist mit dem Wortlaut des § 85 StVollzG nicht vereinbar, denn diese Vorschrift erfordert eine Gefahr, die vom Gefangenen selbst ausgeht, und zwar durch „sein Verhalten“ oder „seinen Zustand“.891 Zutreffend weist das Bundesverfassungsgericht außerdem darauf hin, dass die Verlegung ohne­hin mangels Erforderlichkeit unverhältnismäßig wäre und führt als milderes Mittel die Einwirkung auf die Bediensteten selbst an (z. B. durch die schlichte Ermahnung, Pflichtverstöße des Beschwerdeführers zukünftig den Vorgesetzten zu melden).892 Am 8.5.2006 hatte sich das Bundesverfassungsgericht ein weiteres Mal mit der Verlegung zum Zweck der sicheren Unterbringung zu befassen. Dem in dieser Sache ergangenen Nichtannahmebeschluss lag die Absicht einer JVA zu Grunde, einen Gefangenen, der in der betreffenden Haftanstalt mit Psychopharmaka Handel trieb, aus Sicherheitsgründen zu verlegen. Die Karlsruher Richter stellten diesbezüglich fest: – Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, eine JVA auch dann als zur­ sicheren Unterbringung eines Gefangenen besser geeignet anzusehen, wenn sie zwar kein höheres allgemeines Sicherheitsniveau aufweist, dem Inhaftierten zur sicheren Unterbringung kann hier aber auf § 11 Abs.  1 Nr.  2 HStVollzG gestützt werden, so auch SBJL-Ullenbruch, § 85 Rn.  7); die übrigen Landesregelungen erweiteren § 85 StVollzG um die Variante der „Gefahr der Befreiung“: § 87 BbgJVollzG; § 75 StVollzG MV; § 85 LJVollzG RLP; § 75 SLStVollzG; § 76 SächsStVollzG; 86 ThürJVollzGB. 890 Vgl. BVerfGK 6, 260 (265). 891 So zutreffend BVerfGK 6, 260 (265); siehe ferner AK-Feest/Köhne, § 85 Rn. 5. 892 Vgl. BVerfGK 6, 260 (266).

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D. Die Entscheidungsanalyse

aber durch die Verlegung dorthin seine subkulturellen Beziehungen oder Kenntnisse von den Besonderheiten der Ausgangsanstalt entzogen werden.893 Diese Auffassung entspricht zwar durchaus der herrschenden Meinung. Vereinzelt wird jedoch verlangt, dass die Zielanstalt einen höheren Sicherheitsgrad aufweist.894 Dies ist ohne Weiteres nachvollziehbar, wenn die Verlegung aufgrund erhöhter Fluchtgefahr des Gefangenen erfolgt. Um eine von Person oder Zustand des Inhaftierten ausgehende Gefährdung für die Anstaltsordnung oder -sicherheit abzuwenden, ist es hingegen nicht unbedingt notwendig, dass die Zielanstalt einen höheren Sicherheitsgrad hat. Gerade der in Rede stehende Sachverhalt zeigt, dass eine JVA durchaus auch dann im Sinne des § 85 StVollzG zur sicheren Unterbringung besser geeignet sein kann, wenn durch sie gewährleistet wird, dass subkulturelle Handelsstrukturen durchbrochen werden. Schließlich wird die Verlegung nach § 85 StVollzG auch in der Entscheidung vom 26.8.2008 noch einmal thematisiert. Im Kern ging es jedoch um einen Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes, weil die Strafvollstreckungskammer den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hatte. Zu der hier im Zentrum stehenden Thematik hat das Bundesverfassungsgericht in dem entsprechenden Beschluss jedoch keine weitere Kernaussage getroffen, so dass auf diese Entscheidung im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter einzugehen ist. ee) Gefangenentransport Auch wenn bisher ausschließlich das „Ob“ einer Verlegung in Rede stand, ist doch nicht zu übersehen, dass auch das „Wie“ eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Gemeint ist die Verschubung von Gefangenen, die verfassungsrechtlich nicht unproblematisch ist. Bemmann hat sie nicht zu Unrecht als einen durchaus „leidvollen Vorgang“ bezeichnet.895 Das wird ohne Weiteres deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Transporte regelmäßig in Omnibussen stattfinden, in denen die Inhaftierten in sehr engen und an sonnigen Tagen fast unerträglich heißen Kabinen mit nicht zu öffnenden Sehschlitzen sitzen.896 Hinzu kommt, dass die Verschubungen oft Tage oder gar Wochen dauern.897 Im Jahr 2002 ist erstmals die Entscheidung eines Fachgerichtes veröffentlicht worden, in der das Gefangenentransportwesen scharf kritisiert wurde. Konkret ging es um einen Inhaftierten, der wochenlang immer wieder verlegt wurde, weil die beteiligten Anstalten um ihre Zuständigkeit für die Strafvollstreckung stritten. Das LG Hamburg sah 893

Vgl. BVerfGK 8, 64 (66 f.). Vgl. LG Köln, NStZ 1983, 431; Calliess/Müller-Dietz, § 85 Rn. 2. 895 Vgl. Bemmann, StV 2002, 667. 896 Näher hierzu AK-Feest/Straube, § 8 Rn. 15; Bemmann, a. a. O. 897 Exemplarisch LG Hamburg, StV 2002, 664 ff. m. Anm. Bemmann. 894

IV. Ergebnisse

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den betroffenen Gefangenen zum bloßen „Transportgut“ degradiert und stellte u. a. eine Verletzung von dessen Menschenwürde fest.898 Eine veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verschubungswesen liegt bisher noch nicht vor. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass die Karlsruher Richter zukünftig eine sich bietende Gelegenheit ergreifen werden, um in ähnlich konsequenter Weise wie etwa bei der Vollzugsplanung die grundrechtlichen Belange des Gefangenen zu stärken. Konkret hieße dies, deutlich zu machen, dass das Zusammenpferchen von Inhaftierten auf engstem Raum und über erhebliche Zeiträume eine Prozedur darstellt, die mit der Menschenwürde nicht vereinbar ist und dem Re­ sozialisierungsgebot zuwider läuft. c) Historische Einordnung Die Entscheidung der Karlsruher Richter zur Verlegung aus Resozialisierungsgründen vom 19.4.2006 fällt in eine Zeit, in der seitens der Vollzugspraxis und der fachgerichtlichen Rechtsprechung größtenteils sehr restriktiv verfahren wurde, obwohl das Kriterium der „Unerlässlichkeit“ – wie bereits erläutert – im Gesetz keine Stütze findet.899 Im Schrifttum ist teilweise bereits zuvor kritisiert worden, dass die Erleichterung des Kontaktes mit den Angehörigen und des Besuchs prinzipiell nicht für eine Verlegung ausreichen sollen.900 Erst durch die besagte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konnte in der fachgerichtlichen Judikatur eine Wende erreicht werden. Letztere orientiert sich nunmehr an den Vorgaben der Karlsruher Richter.901 Ungeachtet dieser positiven Wirkung des Beschlusses vom 19.4.2006 stellt sich die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht nicht schon wesentlich früher im Sinne einer weniger restriktiven Verlegungspraxis hätte entscheiden können. Auch wenn sich dafür aus der veröffentlichten Rechtsprechung keine Anhaltspunkte ergeben, erscheint es doch als sehr unwahrscheinlich, dass die Karlsruher Richter nicht schon vorher Gelegenheit dazu gehabt hätten. Immerhin beträgt der Zeitraum zwischen 1977 und 2006 fast drei Jahrzehnte, werden jedes Jahr mehrere hundert Verfassungsbeschwerden von Gefangenen erhoben und handelt es sich bei Verlegungsentscheidungen um besonders grundrechtsintensive Maßnahmen, die seit jeher nicht selten Gegenstand gerichtlicher Überprüfungen nach den §§ 109 ff. StVollzG sind. Die Beschlüsse zur Verlegung nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG und zur Überstellung gemäß § 8 Abs. 2 StVollzG haben hingegen eher Einzelfallcharakter. Das vom Bundesverfassungsgericht in der erstgenannten Entscheidung erzielte Ergebnis, wonach auch die Rückverlegung wieder am Maßstab des § 8 Abs. 1 StVollzG zu messen ist, ist zudem nicht neu. Vielmehr nehmen die Karlsruher Richter hier 898

Vgl. LG Hamburg, StV 2002, 664 (666). Vgl. dazu Rotthaus, ZfStrVo 2006, 239. 900 So etwa Calliess/Müller-Dietz, 10. Aufl., § 8 Rn. 4. 901 Vgl. AK-Feest/Straube, § 8 Rn. 6 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 899

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D. Die Entscheidungsanalyse

ausdrücklich Bezug auf einen Beschluss des OLG Bremen aus dem Jahr 1996902, in dem bereits in dem vorgenannten Sinne entschieden wurde. Ähnliches gilt in Bezug auf die Entscheidung zu § 8 Abs. 2 StVollzG. Hier knüpft das Bundesverfassungsgericht – wie bereits erläutert – in doppelter Hinsicht an seine eigene Rechtsprechung an. Die Judikatur zu § 85 StVollzG enthält ebenfalls keine grundlegenden Richtungsentscheidungen. Zwar stellt der Beschluss vom 8.5.2006 klar, dass die Zielanstalt nicht zwingend ein höheres Sicherheitsniveau aufweisen muss. Ganz­ überwiegend wurde dies aber ohnehin schon entsprechend beurteilt. Die bisher wohl bedeutendste verfassungsgerichtliche Entscheidung zu § 85 StVollzG ist nicht auf dem Gebiet des Strafvollzuges, sondern auf dem der Sicherungsverwahrung ergangen. So haben die Karlsruher Richter in dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 27.6.2006 entschieden, dass es für die Verlegung eines Verwahrten auf Grundlage der in Rede stehenden Vorschrift nicht genügt, wenn Mitinsassen diesen verdächtigen, eine Beschädigung – im konkreten Fall ging es um einen Billardtisch – verursacht zu haben, so dass das latente Risiko von Übergriffen auf den Betroffenen bestehe.903 Das Bundesverfassungsgericht wies darauf hin, dass es jedenfalls mit den Grundsätzen rechtsstaatlicher Zurechnung unvereinbar sei, wenn die Gefahr, dass bestimmte Personen sich in rechtswidriger Weise verhalten, nicht grundsätzlich durch Maßnahmen gegen diese abgewehrt würden, sondern durch solche gegen Dritte oder gar die potenziellen Opfer.904 Die Karlsruher Richter haben mit dieser Entscheidung Grundsätze des allgemeinen Ge­ fahrenabwehrrechts auf die Sicherungsverwahrung übertragen.905 Zu diesen Prinzipien gehört, dass Maßnahmen vorrangig gegen die sogenannten „Störer“, also diejenigen, die die Gefahr unmittelbar verursacht haben, zu richten sind.906 Eine solche Verantwortlichkeit konnte dem Beschwerdeführer aber in dem in Rede stehenden Fall nicht nachgewiesen werden.907 Es steht außer Frage, dass das Vorstehende ohne Weiteres auf den Strafvollzug übertragen werden kann. Zieht man abschließend den Vergleich zwischen Gegenwart und der Zeit zur Gründung des Bundesverfassungsgerichts ist es gewiss keine Übertreibung, wenn man zu dem Ergebnis gelangt, dass es ohne die Karlsruher Richter heute wie damals hinsichtlich der – schon in den 1950er-Jahren möglichen908 – Verlegung aus Resozialisierungsgründen in vielen Bundesländern weiterhin eine sehr restriktive Vollzugspraxis gäbe, die von den Fachgerichten weitgehend unbehelligt bliebe.

902

Vgl. OLG Bremen, ZfStrVo 1996, 310. Vgl. BVerfG NJW 2006, 2683 f. 904 Vgl. BVerfG NJW 2006, 2683 (2684). 905 Eingehend hierzu Baer, NStZ 2009, 529 (530 f.). 906 Vgl. Baer, NStZ 2009, 529 (531). 907 Vgl. Baer, a. a. O. 908 Siehe oben C.IV. 903

IV. Ergebnisse

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d) Prozessuale Entscheidungskritik In prozessualer Hinsicht ist nur erwähnenswert, dass das Bundesverfassungsgericht am Ende seines Beschlusses vom 26.8.2008 der Strafvollstreckungskammer in Form eines obiter dictums mitteilt, was die Strafvollstreckungskammer im Rahmen der erneuten Entscheidung über die angefochtene Verlegung des Beschwerdeführers in eine andere JVA zu bedenken haben wird.909 Auch wenn derartige „Segelanweisungen“ nützlich sein mögen, sind sie aus den bereits erläuterten Gründen dennoch unzulässig.910 e) Ergebnis Hypothese 4 hat sich nur zum Teil  als zutreffend herausgestellt, die prozessuale Hypothese hingegen vollständig. Dass die Verlegung nach den §§ 8 und 85 StVollzG, wie an sich vermutet, häufiger Gegenstand verfassungsrechtlicher Judikatur gewesen ist, konnte nicht festgestellt werden. Fünf veröffentlichte Entscheidungen seit Bestehen des Bundesverfassungsgerichts sind doch ein sehr überschaubarer Umfang. Anders stellt sich die Situation freilich dar, wenn man berücksichtigt, dass die einschlägigen Beschlüsse im Zeitraum von September 2005 bis August 2008, also innerhalb von gerade einmal drei Jahren ergangen sind. Angesichts dieser auffälligen Häufung in vergleichsweise kurzer Zeit, liegt die Vermutung nahe, dass das Bundesverfassungsgericht in der besagten Phase bewusst einen thematischen Schwerpunkt gesetzt hat. Es ist allerdings  – wie bereits erwähnt – anzunehmen, dass schon in den Jahrzehnten zuvor Gelegenheit bestanden hätte, zu verfassungsrechtlichen Fragen der Verlegung Stellung zu nehmen. Hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Beschlüsse ist zu differenzieren. In Bezug auf die Entscheidung zur Verlegung aus Resozialisierungsgründen kann man durchaus davon sprechen, dass sich Hypothese 4 bestätigt hat und das Bundesverfassungsgericht hier einen entscheidenden Impuls setzen konnte. Immerhin hat es einen Anstaltswechsel im Sinne des § 8 Abs.  1 Nr.  1 StVollzG durch die Zurückweisung des Kriteriums der „Unerlässlichkeit“ erheblich erleichtert und die viel zu restriktive fachgerichtliche Rechtsprechung korrigiert. Eine solchermaßen grundlegende Bedeutung kommt den übrigen Entscheidungen hingegen nicht zu.

909

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.8.2008 – 2 BvR 679/07. Siehe oben B.III.2.d)ee).

910

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D. Die Entscheidungsanalyse

5. Vollzugslockerungen (einschließlich offener Vollzug) a) Überblick Das Themengebiet „Vollzugslockerungen und offener Vollzug“ gehört zu den Materien des Strafvollzuges, die vergleichsweise große Aufmerksamkeit erfahren. Das gilt nicht nur in Bezug auf die Wissenschaft, sondern auch im Hinblick auf Öffentlichkeit und Medien, wenngleich die Diskussionen in den beiden letztgenannten Bereichen häufig mit Negativereignissen  – insbesondere Lockerungsmissbräuchen  – in Verbindung stehen.911 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts spielt das in Rede stehende Themengebiet in insgesamt 16 Entscheidungen eine Rolle (siehe oben Abbildung 8). Die vier in den 1980erJahren ergangenen Beschlüsse betreffen ohne Ausnahme Fragen des Urlaubs aus der Haft. Ab den 1990er-Jahren geht es in den Entscheidungen – abgesehen von zwei Beschlüssen zum offenen Vollzug (§ 10 StVollzG) – ausschließlich um die Vollzugslockerungen im Sinne des § 11 StVollzG. Im Folgenden sollen die Herausarbeitung der Kernaussagen und deren Kritik entsprechend der thematischen Schwerpunkte und in der Reihenfolge ihrer Behandlung in der verfassungsgerichtlichen Judikatur vorgenommen werden. b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Urlaub aus der Haft (1) Hafturlaub zur Ausübung des passiven Wahlrechts In der ersten Entscheidung zum Hafturlaub und zu den Vollzugslockerungen insgesamt waren die Karlsruher Richter Anfang 1981 vor die Frage gestellt, in­ wieweit einem Gefangenen, der seine Kandidatur zur Bundestagswahl betreibt, Urlaub und Ausgang gewährt werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit folgende Grundsätze aufgestellt: – Die §§ 11, 13 Abs. 1 und 35 Abs. 1 StVollzG schränken zwar das grundrechtsgleiche Recht des Art. 38 Abs. 1 GG ein. Dies ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich, weil es durch gleichgewichtige gemeinschaftsbezogene Gründe (Schutz der Allgemeinheit; staatliches Vollzugsbedürfnis) gerechtfertigt ist. – Art. 48 Abs.  1 GG bezieht sich nur auf Personen, die anderen gegenüber öffentlich- oder privatrechtliche Dienstpflichten haben, nicht hingegen auf Straf­ gefangene.

911

Siehe dazu Walter, Rn. 495 f.

IV. Ergebnisse

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– Art. 48 Abs. 2 GG wird durch die in § 11 Abs. 2 StVollzG normierten Beschränkungen, die auch für den Hafturlaub gelten, nicht verletzt, weil vorgenannte Verfassungsnorm nur durch solche Regelungen berührt wird, die gezielt darauf ausgerichtet sind, Übernahme oder Ausübung eines Abgeordnetenmandats zu erschweren oder gar unmöglich zu machen.912 Wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend darlegt, führen die Bestimmungen über die Gewährung von Hafturlaub zu Einschränkungen bei der Ausübung des passiven Wahlrechts, und zwar konkret im Hinblick auf den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Strafgefangene werden dadurch nämlich daran gehindert, in ähnlicher Weise wie nicht inhaftierte Bewerber ihre Kandidatur vorantreiben zu können.913 Allerdings ist allgemein anerkannt, dass solche Einschränkungen beim Vorliegen zwingender Gründe zulässig sind.914 Als solche kommen im Fall des hier einschlägigen Strafvollzuges sowohl der Schutz der Allgemeinheit (bei der Gefahr des Missbrauchs von Vollzugslockerungen, vgl. § 11 Abs. 2 Alt. 2 StVollzG) als auch das staatliche Bedürfnis, rechtskräftig verhängte Strafen zu vollstrecken (bei Fluchtgefahr, vgl. § 11 Abs. 2 Alt. 1 StVollzG), in Betracht. Auch insoweit ist dem Bundesverfassungsgericht also zuzustimmen. Andernfalls entstünde die völlig inakzeptable Situation, dass selbst Gefangenen, denen aufgrund extremer Flucht- oder Missbrauchsgefahr kein Hafturlaub gewährt werden könnte, ein solcher letztlich doch bewilligt werden müsste, sofern die Betroffenen – ob nun aussichtsreich oder nicht – ein Abgeordnetenmandat anstreben. Ist – wie im vorliegenden Fall – das passive Wahlrecht betroffen, muss auch Art.  48 GG beachtet werden, der dieses Recht unter einen besonderen Schutz stellt. Die Regelungen zur Beurlaubung aus der Strafhaft sind insoweit jedoch völlig unbedenklich. Art. 48 Abs. 1 GG gibt jedem, der sich um einen Sitz im Bundestag bewirbt, einen Anspruch auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub. Vom persönlichen Geltungsbereich dieser Bestimmung sind nach allgemeiner Ansicht, die auch vom Bundesverfassungsgericht geteilt wird, all diejenigen Personen umfasst, die anderen gegenüber öffentlich- oder privatrechtliche Dienstverpflichtungen haben.915 Wenn die Karlsruher Richter nun in ihrer Entscheidung ohne jede Begründung feststellen, dass Strafgefangene nicht von dem soeben definierten Anwendungsbereich des Art. 48 Abs. 1 GG umfasst seien, mag dies zwar dem allgemeinen Konsens entsprechen.916 Über jeden Zweifel erhaben ist dieses Ergebnis dennoch nicht. Schließlich unterliegen Strafgefangene durchaus einer öffentlich-rechtlichen Arbeitsverpflichtung, und zwar nach § 41 Abs. 1 StVollzG917. Gleichwohl wird man den Urlaubsanspruch des Art. 48 Abs. 1 GG 912

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NStZ 1982, 83. Vgl. BVerfG, a. a. O. 914 Näher hierzu Maunz/Dürig/Klein, Art. 38 Rn. 91 ff. m. w. N. 915 Vgl. Maunz/Dürig/Klein, Art. 48 Rn. 49 m. w. N. 916 Vgl. nur Maunz/Dürig/Klein, Art. 48 Rn. 53 m. w. N. 917 Landesrechtlich ist eine Arbeitspflicht in Baden-Württemberg (§ 47 Abs. 1 BwJVollzGB III), Bayern (Art. 43 BayStVollzG), Hamburg (§ 38 Abs. 1 HmbStVollzG), Hessen (§ 27 Abs. 2 913

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D. Die Entscheidungsanalyse

natürlich nicht als absolut geltend ansehen können. Vielmehr müssen – ähnlich wie bei Art. 38 Abs. 1 GG – auch hier Einschränkungen aus zwingenden Gründen möglich sein. Im Fall des Strafvollzuges sind dies der bereits erwähnte Schutz der Allgemeinheit und das staatliche Vollstreckungsbedürfnis. Schließlich steht auch § 48 Abs. 2 Satz 1 GG der Versagung von Hafturlaub zur Ausübung des passiven Wahlrechts nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf niemand gehindert werden, das Amt eines Abgeordneten zu übernehmen und auszuüben. Zur Konkretisierung von Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG rekurriert das Bundesverfassungsgericht auf seine „Absichtsformel“, die es im Jahr 1976 aufgestellt hatte. Danach wird die in Rede stehende Verfassungsnorm nur durch solche Regelungen berührt, die die Übernahme oder Ausübung eines Abgeordnetenmandats erschweren oder unmöglich machen sollen, nicht hingegen durch solche, die in eine andere Richtung zielen und unvermeidbar die tatsächliche Folge bzw. Wirkung einer Beeinträchtigung der Mandatsübernahme oder -ausübung haben.918 Ein solch unmittelbar intendierter Mandatsbezug ist im Fall des § 11 Abs. 2 StVollzG nicht gegeben. Die „Absichtsformel“ ist allerdings nicht unumstritten. Große Teile des Schrifttums lehnen sie ab.919 Auch der BGH hatte ursprünglich eine weit weniger restriktive Auslegung des Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG befürwortet.920 In der Tat erscheint es bedenklich, auf eine die Schutzwirkung dieser Verfassungsnorm erheblich schmälernde und schwer zu ermittelnde Hinderungsabsicht abzustellen.921 Vielmehr sollte danach gefragt werden, ob die jeweilige die Mandatsausübung (direkt oder indirekt) beeinträchtigende Regelung durch vernünftige Gründe gerechtfertigt werden kann.922 Letzteres ist – wie bereits erwähnt – im Fall des § 11 Abs. 2 StVollzG zu bejahen. (2) Beschränkung des Regelurlaubs im geschlossenen Vollzug Eine weitere Verfassungsbeschwerde erreichte das Bundesverfassungsgericht, nachdem der nordrhein-westfälische Justizminister im Jahr 1976 eine Beschränkung des Regelurlaubs auf zwölf Tage für den geschlossenen Vollzug angeordnet hatte. Die Karlsruher Richter hielten diese Maßnahme jedoch für zulässig und stellten dementsprechend in ihrer zweiten Entscheidung zum Hafturlaub vom 4.6.1983 fest:

HStVollzG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 22 StVollzG MV), Niedersachsen (§ 38 Abs.  1 NJVollzG) und Thüringen (§ 29 Abs. 1 ThürJVollzGB) vorgesehen. 918 Vgl. BVerfG NStZ 1982, 83 unter Verweis auf BVerfGE 42, 312 (318 f.). 919 Ausführlich zum Streitstand Maunz/Dürig/Klein, Art. 48 Rn. 84 ff. m. Nachweisen zu den verschiedenen Auffassungen. 920 Vgl. BGHZ 43, 384 ff. 921 Vgl. Maunz/Dürig/Klein, Art. 48 Rn. 85. 922 Vgl. BeckOK-GG/Buster, § 48 Rn. 9.3. m. w. N.

IV. Ergebnisse

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– Die mit dem unterschiedlichen Stand des Behandlungsprozesses begründete­ Beschränkung des Regelurlaubs auf zwölf Tage bei im geschlossenen Vollzug untergebrachten Gefangenen ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.923 Diese Rechtsprechung überzeugt nicht. Die erwähnte Rundverfügung des Justizministers steht im Widerspruch zum klaren Wortlaut des § 13 Abs.  1 Satz  1 StVollzG924. Danach kann ein Gefangener bis zu 21 Kalendertagen im Jahr aus der Haft beurlaubt werden. Eine Differenzierung zwischen offenem und geschlossenem Vollzug erfolgt dabei eindeutig nicht.925 Selbstverständlich kann durch Verwaltungsvorschriften eine Konkretisierung gesetzlicher Vorschriften erfolgen. Letztere dürfen jedoch nicht inhaltlich verändert werden. Die in Rede stehende Rundverfügung führt aber genau dazu. Die gesetzlich nicht intendierte Differenzierung zwischen den Vollzugsarten wird – gewissermaßen durch die Hintertür – vorgenommen, indem die Regelung des § 13 Abs. 1 StVollzG von ihrem Anwendungsbereich her auf den offenen Vollzug beschränkt wird.926 Auch die Anknüpfung an den unterschiedlichen Stand des Behandlungsprozesses zur Rechtfertigung der generellen Obergrenze von zwölf Urlaubstagen im geschlossenen Vollzug verdient keine Zustimmung. Das OLG Hamm geht in seinem Beschluss vom 25.11.1981, der Gegenstand der hier zur Diskussion stehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war, davon aus, dass es im Hinblick auf die resozialisierende Behandlung von Gefangenen, die sich für den offenen Vollzug noch nicht eigneten, sinnvoll sei, durch die Beschränkung des Urlaubs einzuwirken, um die Bereitschaft zu Mitarbeit und Schuldverarbeitung zu erhöhen.927 Das geht jedoch am Zweck des § 13 StVollzG vorbei. Dieser besteht ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien darin, die aus der Isolierung der Anstalt entstehenden Gefahren für die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen und die Belastung seiner Angehörigen zu vermindern.928 Diese Zielsetzung ist aber für den geschlossenen Vollzug gewiss nicht weniger bedeutsam als für den offenen.929 Letztlich ist die Festsetzung einer generellen Beschränkung des Urlaubs durch Verwaltungsvorschriften der in Rede stehenden Art kontraproduktiv für einen resozialisierenden Behandlungsvollzug, weil er den vom Gesetz eingeräumten Spielraum, individuell 923

Vgl. BVerfG NStZ 1983, 478. Inhaltsgleich § 9 Abs. 2 Nr. 3 BwJVollzGB III; Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG; § 13 Abs. 3 Nr. 4 HStVollzG; § 13 Abs. 1 Nr. 3 NJVollzG; Hamburg sieht eine Höchstgrenze von 24 Kalendertagen für die „Freistellung von der Haft vor“ (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 HmbStVollzG); die übrigen Landesgesetze sehen einen sogenannten „Langzeitausgang“ ohne Höchstgrenze vor, vgl. § 46 Abs. 1 Nr. 3 BbgJVollzG; § 38 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG MV; § 45 Abs. 1 Nr. 3 LJVollzG RLP; § 38 Abs. 1 Nr. 3 SLStVollzG; § 38 Abs. 1 Nr. 3 SächsStVollzG; § 46 Abs. 1 Nr. 3 ThürJVollzGB. 925 Vgl. Dopslaff, NStZ 1982, 261 (261). Das entspricht der ganz h. L., vgl. nur SBJL-Ullenbruch, § 13 Rn. 9 m. w. N. 926 Näher hierzu Dopslaff, NStZ 1982, 261 (261 f.). 927 Vgl. OLG Hamm, NStZ 1982, 135 f. 928 Vgl. BT-Drs. 7/918, S. 52 f. 929 Vgl. Dopslaff, NStZ 1982, 261 (262). 924

202

D. Die Entscheidungsanalyse

behandlungsorientierte Maßnahmen zu treffen, generell für die große Gruppe der im geschlossenen Vollzug untergebrachten Gefangenen erheblich verkürzt.930 (3) Berücksichtigung der Schwere der Schuld Ähnlich kritisch ist das Urteil vom 28.6.1983 zu sehen. Wie bereits im Rahmen der Ausführungen zum Vollzugsziel der Resozialisierung dargestellt, hatte das Bundesverfassungsgericht darin entschieden, dass die Regelung des § 2 StVollzG die Berücksichtigung anderer Strafzwecke – insbesondere die Schwere der Schuld – nicht ausschließt.931 Da die Karlsruher Richter dies im Zusammenhang mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Nichtgewährung von Hafturlaub im Sinne des § 13 StVollzG thematisiert haben, ist die genannte Entscheidung, die im Schrifttum überwiegend kritisiert wurde, im vorliegenden Zusammenhang noch einmal relevant. Die konkrete Verbindung zwischen den §§ 2 und 13 StVollzG wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass es sich bei der Beurlaubung um eine Er­ messensentscheidung handelt. Maßgeblich zu berücksichtigender Gesichtspunkt ist dabei das Vollzugsziel, das – verfassungsrechtlich verankert – in der Resozialisierung besteht. Die Berücksichtigung der Schwere der Schuld ist daneben weder de lege lata noch de lege ferenda möglich. Dies wurde bereits dargelegt.932 Es sei jedoch an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass auch der Rückgriff des Bundesverfassungsgerichts auf die spezifisch urlaubsrechtliche Regelung des § 13 Abs.  3 StVollzG933 nicht verfängt. Nach dieser Norm kommt eine Beurlaubung im Fall der lebenslangen Freiheitsstrafe frühestens nach einer Verbüßungsdauer von zehn Jahren in Betracht. Hieraus lässt sich jedoch  – entgegen der Ansicht der Karlsruher Richter934 – nicht der Schluss ziehen, dass die Tatschuldschwere im Rahmen von Urlaubsentscheidungen berücksichtigt werden kann. Eine solche Sichtweise geriete nämlich in Widerspruch zu § 13 Abs. 4 StVollzG. Diese Regelung ermöglicht es den Vollzugsbehörden, auch den Gefangenen, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen, unabhängig von der Vorschrift des § 13 Abs.  3 930

Vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 13 Rn. 21. Siehe oben D.IV.2.a)bb)(3) und b)bb). 932 Siehe oben D.IV.2.b)bb)(2). 933 Eine Mindestverbüßungsdauer von zehn Jahren für die Beurlaubung bei lebenslanger Haft sehen auch die Landesgesetze von Baden-Württemberg (§ 9 Abs. 3 Satz 2 BwJVollzGB III), Hessen (§ 13 Abs. 6 HStVollzG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 38 Abs. 3 Satz 2 StVollzG MV) und Niedersachsen (§ 13 Abs. 4 NJVollzG) vor; in Rheinland-Pfalz (§ 45 Abs. 3 Satz 2 LJVollzG RLP), im Saarland (§ 38 Abs. 3 Satz 2 SLStVollzG), in Sachsen (§ 38 Abs. 3 Satz 2 SächsStVollzG) und in Thüringen (§ 46 Abs.  4 Satz  2 ThürJVollzGB) ist die Zehn-JahresGrenze als Regelfrist ausgestaltet; Bayern sieht hingegen eine Haftdauer von mindestens zwölf Jahren vor (Art. 14 Abs. 4 Satz 1 BayStVollzG), Brandenburg und Hamburg wiederum gar keine. 934 Vgl. BVerfGE 64, 261 (274 ff.). 931

IV. Ergebnisse

203

StVollzG Urlaub zu gewähren, sofern sie sich für den offenen Vollzug eignen. Wenn nun im Fall der lebenslangen Freiheitsstrafe die Schwere der Schuld eine­ gewisse Mindestverbüßungsdauer erfordert, müsste dies aber konsequenterweise unabhängig davon gelten, in welcher Form die Vollstreckung erfolgt.935 (4) Rechtzeitigkeit der Entscheidung über einen Urlaubsantrag Zustimmung verdient demgegenüber der Beschluss vom 26.2.1985. Darin setzt sich das Bundesverfassungsgericht mit Aspekten des Verfahrens einer vollzugsbehördlichen Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen bei­ lebenslanger Freiheitsstrafe auseinander und gelangt dabei zu folgenden Ergebnissen: – Der Gefangene hat Anspruch auf eine fehlerfreie, d. h. auch rechtzeitige Er­ messensentscheidung über einen Antrag auf Bewilligung von Hafturlaub. Dies ergibt sich aus der Verpflichtung der JVA, auf die Resozialisierung des Inhaftierten hinzuwirken und diesen weitestmöglich vor schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges zu bewahren. – Die Vollzugsbehörde hat den Urlaubsantrag eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen, der sich im geschlossenen Vollzug befindet, so rechtzeitig zu prüfen, dass alsbald nach Ablauf der Zehn-Jahres-Frist des § 13 Abs. 3 StVollzG über die Urlaubsgewährung entschieden werden kann.936 Der dieser Senatsentscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt ist ein schillerndes Beispiel für die sogenannte Renitenz von Vollzugsbehörden, worunter die bewusste Verweigerung oder Verschleppung der Umsetzung gerichtlicher Entscheidungen durch die Vollzugsverwaltung zu verstehen ist937. Konkret ging es um einen Beschwerdeführer, der eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßte und nach zehnjähriger Haftdauer im September 1978 einen Urlaubsantrag gestellt hatte. Obwohl die JVA dieses Gesuch befürwortete und auch ein Sachverständigengutachten weder eine Missbrauchs- noch eine Fluchtgefahr feststellen konnte, versagte die Aufsichtsbehörde ihre Zustimmung. Die JVA lehnte deshalb im April 1980 den Urlaubsantrag ab. Das LG verpflichtete die Haftanstalt daraufhin im September 1980 zur erneuten Bescheidung. Weil die Aufsichtsbehörde wiederum ihre Zustimmung versagte, lehnte die JVA den Urlaubsantrag im Dezember 1980 erneut ab und wurde im März 1981 abermals vom LG zur erneuten Bescheidung aufgefordert. Die hiergegen von der Aufsichtsbehörde erhobene Rechtsbeschwerde führte im Mai 1981 zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses. Das OLG wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass die von der JVA angegebenen­

935

So bereits Müller-Dietz, JR 1984, 353 (356). Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGE 69, 161 (170). 937 Näher hierzu LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 3 und § 120 Rn. 1 jeweils m. w. N. 936

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D. Die Entscheidungsanalyse

Tatsachen zur Annahme einer Fluchtgefahr nicht ausreichten und verwies die­ Sache zur weiteren Erforschung des Sachverhalts an das LG zurück. Letzteres vermochte keine Fluchtgefahr zu erkennen und wies die JVA im Januar 1982 an, den Beschwerdeführer erneut zu bescheiden. Die Aufsichtsbehörde erhob abermals Rechtsbeschwerde, die vom OLG im März 1982 verworfen wurde. Im Juli desselben Jahres bat die JVA ein weiteres Mal um Zustimmung zur Urlaubsgewährung. Die Aufsichtsbehörde erklärte sich im November 1982 aber nur mit der Gewährung von Ausgang einverstanden. Der Beschwerdeführer erhielt daraufhin mehrfach Tagesausgang. Im März und Juni 1983 bat die JVA die Aufsichtsbehörde erneut darum, der Bewilligung von Hafturlaub zuzustimmen. Letztere stellte ihre Entscheidung darüber im Juli 1983 zurück, weil sie die Vorlage des Sachverständigengutachtens über den Beschwerdeführer abwarten wollte, das das LG zur Vorbereitung der Strafrestaussetzung gemäß § 57a StGB Anfang 1983 in Auftrag gegeben hatte. Nachdem das Gutachten im Oktober 1983 vorlag, erteilte die Aufsichtsbehörde schließlich einen Monat später ihre Zustimmung, so dass der Beschwerdeführer erstmals für den Zeitraum vom 16.  bis 20.  November 1983 be­ urlaubt werden konnte.938 Der beschriebene Fall entsetzt, weil er zeigt, wie ein sinnvoller Behandlungsvollzug einer vollzugsbehördlichen Verschleppungstaktik zum Opfer fallen kann. Zwischen Antragstellung und dem ersten Hafturlaub sind mehr als fünf Jahre (!) vergangen. Letzterer fiel damit gerade noch in die Haftzeit des Beschwerdeführers, der nur sieben Wochen später entlassen wurde.939 Vor diesem Hintergrund ist es mehr als berechtigt, wenn das Bundesverfassungsgericht die vollzugsbehördliche Verfahrensweise mit deutlichen Worten rügt. Die Kritik stützt sich auf mehrere Verfahrensmängel: die anderthalbjährige Sachprüfung bis zur Ablehnung des Urlaubsantrags im April 1980, den ohne sachlichen Grund verstrichenen Zeitraum von mehr als neun Monaten zwischen den oberlandesgerichtlichen Beschlüssen vom Mai 1981 und März 1982 und schließlich die auf die letztgenannte Entscheidung folgenden weiteren 20 Monate (!) bis zur Beurlaubung aus der Haft. Völlig unerklärlich ist zudem, warum die Aufsichtsbehörde (= hessisches Justizministerium) die Entscheidung über ihre Zustimmung im Juli 1983 bis zur Fertigstellung des Sachverständigengutachtens zurückgestellt hatte. Letzteres war vom LG angefordert worden, um feststellen zu können, ob es verantwortbar ist, zu erproben, ob der Beschwerdeführer außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird. Im Fall des beantragten Hafturlaubs stand aber nur noch die Frage der Fluchtgefahr im Raum, bezüglich derer von dem Gutachten keinerlei entscheidende Erkenntnisse zu erwarten waren.940 Das Bundesverfassungsgericht be­endete seine Ausführungen mit einer (berechtigten) verbalen Ohrfeige:

938

Vgl, hierzu und zum Vorstehenden BVerfGE 69, 161 (164 ff.). Vgl. Weber, ZRP 1990, 65 (66). 940 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGE 69, 161 (171 ff.). 939

IV. Ergebnisse

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„[Die] dargestellte Sachbehandlung ist nicht mehr nachvollziehbar […]. Insgesamt war die [zögerliche] Verfahrensweise der Vollzugsbehörde durch keinen vernünftigen, sich aus der Sache ergebenden oder sonstwie einleuchtenden Grund gerechtfertigt. Sie war nicht mehr vereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise […]. Die Vollzugsbehörde war spätestens nach dem Beschluss des [OLG] vom 1. März 1982 gehalten, unverzüglich die in dieser Entscheidung anheimgestellten Ermittlungen durchzuführen, die erforderlichen Feststellungen zu treffen und dann ohne weiteres Zuwarten über den Urlaubsantrag zu entscheiden.“941

(5) Zwischenfazit Das Resozialisierungsgebot hatte in den 1980er-Jahren auch in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung keine „Hochkonjunktur“.942 Dass dies gerade auch für die mit dem Vollzugsziel besonders eng verzahnten Vollzugsbereiche, zu denen die verschiedenen Lockerungsmaßnahmen gewiss gehören, nicht ohne Auswirkung geblieben ist, ist wenig überraschend. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Hafturlaub, die vollumfänglich in den 1980er-Jahren ergangen sind, bilden insoweit keine Ausnahme. Sowohl der Beschluss zur Berücksichtigung der Schwere der Schuld bei Urlaubsentscheidungen als auch derjenige zur generellen Beschränkung des Regelurlaubs im geschlossenen Vollzug durch ministerielle Rundverfügung verdienen keine Zustimmung und sind auch mit Blick auf die Stärkung des Resozialisierungsgedankens als wenig erfreuliche Signale zu werten. Dass das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 26.2.1985 auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, dass die Vollzugsbehörden rechtzeitig über Urlaubsanträge entscheiden müssen, ist zu begrüßen. In Anbetracht des zu Grunde liegenden Sachverhalts wäre alles andere als deutliche Kritik aber auch kaum vorstellbar gewesen. Hier haben die Karlsruher Richter ebenso wie in ihrer Entscheidung zur Beurlaubung bei Ausübung des passiven Wahlrechts das Notwendige getan – nicht mehr und nicht weniger. bb) Vollzugslockerungen im Sinne des § 11 StVollzG (1) Anforderungen an die Vollzugsbehörde Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner im Jahr 1997 begonnenen Rechtsprechung zu § 11 StVollzG nicht nur die Bedeutsamkeit eines Ausgangs oder einer Ausführung als Maßnahme resozialisierender Behandlung hervorgehoben, sondern den Haftanstalten auch klare Vorgaben für die Entscheidung über die Gewährung der in Rede stehenden Vollzugslockerungen an die Hand gegeben, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: 941 942

BVerfGE 69, 161 (173 f.). Siehe bereits oben D.IV.2.c)bb).

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D. Die Entscheidungsanalyse

– Die Feststellung einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr erfordert eine Prognoseentscheidung der Vollzugsbehörde, bei der ihr ein verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Beurteilungsspielraum zukommt. – Beabsichtigt die JVA, eine Vollzugslockerung zu versagen, darf sie sich nicht auf bloße pauschale Wertungen oder auf den Hinweis einer abstrakten Fluchtoder Missbrauchsgefahr im Sinne von § 11 Abs. 2 StVollzG beschränken, sondern muss im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darlegen, die geeignet sind, eine entsprechend ungünstige Prognose zu konkretisieren. – Das grundsätzlich mit jeder Vollzugslockerung verbundene Missbrauchs- und Fluchtrisiko muss aus den von der Haftanstalt angegebenen Gründen unvertretbar erscheinen.943 – Die Vollzugsbehörde hat – gerade bei langjährig Inhaftierten – auch in Erwägung zu ziehen, ob Lockerungen zumindest in Form von Ausführungen dadurch ermöglicht werden können, dass etwaigen Flucht- oder Missbrauchsgefahren durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen entgegengewirkt wird.944 Bevor zu dieser Rechtsprechung näher Stellung genommen wird, erscheint es zunächst sinnvoll, einige grundsätzliche Bemerkungen vorauszuschicken: Bei § 11 StVollzG handelt es sich – wie im Übrigen auch bei § 13 StVollzG – um eine sogenannte Koppelungsvorschrift, die durch die Verknüpfung eines unbestimmten Rechtsbegriffs auf der Tatbestandsebene mit einem Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgenseite gekennzeichnet ist.945 Ermessensentscheidungen können nach allgemeiner Auffassung von den Gerichten nur im Hinblick auf die fehlerfreie Ausübung des Ermessens kontrolliert werden.946 Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe unterliegt demgegenüber der vollen richterlichen Überprüfung, d. h. die Gerichte können die Interpretation der Verwaltung gegebenenfalls durch ihre eigene ersetzen.947 Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. In Rechtsprechung und Literatur wurden vielmehr verschiedene Fallgruppen herausgearbeitet, in d­ enen den Behörden eine Einschätzungsprärogative zugestanden wird, was zur Folge hat, dass sich die gerichtliche Kontrolle in diesen Konstellationen auf die Feststellung von Beurteilungsfehlern beschränkt.948 Weitgehend anerkannt sind folgende vier Fallgruppen: Prüfungsentscheidungen, beamtenrechtliche Leistungsund Eignungsbeurteilungen, wertende Gremienentscheidungen sowie Prognosen und Risikobewertungen.949 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts unterfällt die Feststellung einer Missbrauchs- oder Fluchtgefahr im Sinne des 943 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NStZ-RR 1998, 121 (122); NJW 1998, 1133 (1134); NStZ 1998, 430 (430); Beschl. v. 26.2.2003 – 2 BvR 24/03; BVerfGK 17, 459 (463). 944 Vgl. BVerfGK 17, 459 (462 f.). 945 Vgl. Voßkuhle, JuS 2008, 117 (119); Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (652). 946 Vgl. nur LNNV-Bachmann/Neubacher, § 115 Rn. 18 m. w. N. 947 Vgl. nur LNNV-Bachmann/Neubacher, § 115 Rn. 20 m.w.N. 948 Näher hierzu LNNV-Bachmann/Neubacher, § 115 Rn. 21 m.w.N. 949 Vgl. BeckOK-VwVfG/Aschke, § 40 Rn. 107 ff.; Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118).

IV. Ergebnisse

207

§ 11 Abs.  2 StVollzG950 der letztgenannten Fallgruppe, weshalb es den Vollzugsbehörden einen nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum zugesteht. Die Karlsruher Richter schließen sich damit dem BGH an, der über eine Divergenzvorlage des OLG Hamm im Jahr 1981 entsprechend entschieden hatte.951 Die Ansicht, wonach der JVA im Rahmen von Entscheidungen nach § 11 Abs. 2 StVollzG eine Einschätzungsprärogative zukommt, ist vor allem in den 1980erJahren vielfach kritisiert worden.952 Klar ist zunächst, dass ein Grundsatz, wonach Prognoseentscheidungen ausnahmslos nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterworfen sind, nicht existiert.953 Entscheidend ist vielmehr, ob die Verwaltung einen nicht bzw. nicht mit vertretbarem Aufwand kompensierbaren Erkenntnisvorsprung gegenüber der Judikative besitzt. Bejaht wird dies vor allem im Bereich des Umwelt- und Wirtschaftsverwaltungsrechts, wo besonders komplexe und weit in die Zukunft reichende Entscheidungen zu treffen sind, die ein hohes Maß an fachspezifischen Kenntnissen erfordern.954 Wie stellt sich die Situation nun aber im Fall der Gefahrenprognose im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG dar? Um sich der Antwort auf diese Frage annähern zu können, ist es zunächst sinnvoll, sich vor Augen zu führen, worum es im Kern bei einer Prognoseentscheidung geht: Diese ist durch den Versuch gekennzeichnet, aufgrund der Erkenntnisse der Gegenwart zu Vorhersagen über Entwicklungen in der Zukunft zu gelangen. Ein Erkenntnisvorsprung der Vollzugsbehörde könnte nun im Bereich der Prognosebasis (also des gegenwärtig zur Verfügung stehenden Wissens), hinsichtlich des eigentlichen prognostischen Schlusses von der Gegenwart auf die Zukunft oder auf allen beiden Feldern bestehen. Bezüglich des zweitgenannten Bereiches ist kein Kompetenzvorteil der JVA zu erken­ rognostische Schlüsse in Bezug auf zukünftiges kriminalitätsrelevantes nen. P Verhalten von Gefangenen gehören vielmehr auch zum „täglichen Brot“ der Strafvollstreckungskammern im Rahmen von Entscheidungen über die Strafrestaussetzung zur Bewährung.955 Sowohl JVA als auch Gericht verfügen insoweit über das gleiche methodische Instrumentarium und entsprechende Erfahrungen. Der eigentliche Erkenntnisvorsprung der Haftanstalten liegt vielmehr im Bereich der 950

Inhaltsgleich § 9 Abs.  1 BwJVollzGB III; Art.  13 Abs.  2 BayStVollzG; § 13 Abs.  2 NJVollzG; in Hessen ist ausdrücklich angeordnet, dass bei der Prüfung vollzugsöffnender Maßnahmen neben der Flucht- und Missbrauchsgefahr auch der Schutz der Allgemeinheit und Belange des Opferschutzes in angemessener Weise zu berücksichtigen sind (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 HStVollzG); die übrigen Landesgesetze enthalten hinsichlich der Flucht- und Missbrauchsgefahr eine „Erprobungsklausel“ (vgl. §§ 46 Abs. 2 Satz 1 BbgJVollzG; 12 Abs. 2 Satz 1 HmbStVollzG; 38 Abs. 2 StVollzG MV; 45 Abs. 2 Satz 1 LJVollzG RLP; 38 Abs. 2 SLStVollzG; 38 Abs. 2 SächsStVollzG; 46 Abs. 2 Satz 1 ThürJVollzGB). 951 Vgl. BGHSt 30, 320 ff. 952 Vgl. etwa Dopslaff, ZStW 100 (1988), 567 (594 ff.); Volckart, NStZ 1982, 174 f.; Treptow, ZfStrVo 1980, 67 (68 f.). 953 Vgl. Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 Rn. 198 m. umfangreichen w.N. 954 Vgl. BeckOK-VwVfG/Aschke, § 40 Rn. 121; Voßkuhle, JuS 2008, 117 (118). 955 Vgl. Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (659); Volckart, NStZ 1982, 174 (175).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Schaffung einer hinreichenden Prognosebasis. Bei Bewertungen im Sinne von § 11 Abs. 2 StVollzG besteht diese neben objektivierbaren Daten (z. B. Vorstrafen; bisherige Lockerungsbewährung) ganz wesentlich aus subjektiven Erkenntnissen des Vollzugspersonals über den Gefangenen, die im alltäglichen Umgang mit diesem entstehen und z. B. zeigen, wie er in Konfliktsituationen reagiert, wie er mit anderen Personen umgeht usw.956 Heghmanns hat hierzu treffend ausgeführt: „Derartige Einschätzungen, die nur durch einen intensiven persönlichen Kontakt gewonnen werden können, vermag eine Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer nicht einmal annähernd zu ersetzen. Außenstehenden sind die so erlangten Erkenntnisse zudem nur unvollkommen zu vermitteln, weil sie auch intuitiv entstehen und ihre Vermittelbarkeit von den subjektiven Fähigkeiten des Beobachters zu ihrer […] Artikulation abhängt. Aber selbst vom geschulten Beobachter lässt sich die Vielzahl der Fakten nur unvollkommen darstellen […].“957

Der Erkenntnisvorsprung der Vollzugsbehörde ergibt sich also letztlich aus der ihr zur Verfügung stehenden breiteren Prognosebasis und der daraus resultierenden größeren Wahrscheinlichkeit einer zutreffenden Einschätzung der Missbrauchs- und Fluchtgefahr nach § 11 Abs. 2 StVollzG.958 Es ist deshalb im Ergebnis richtig, wenn das Bundesverfassungsgericht den Haftanstalten insoweit eine Einschätzungsprärogative gewährt. Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, wenn es dabei mehr Begründungsaufwand betrieben hätte. Deutlich mehr Mühe haben die Karlsruher Richter hingegen darauf verwendet, klarzustellen, dass der Beurteilungsspielraum kein „Freibrief“ für die Vollzugsbehörden ist, um im Rahmen der Gefahrenprognose gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG nach Gutdünken zu verfahren. Wenn das Bundesverfassungsgericht  – wie in der zweiten Kernaussage wiedergegeben  – darauf hinweist, dass die JVA ihre Prognose­entscheidung auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung von konkreten Anhaltspunkten treffen muss, ist dies nachdrücklich zu begrüßen. Es ist ein nicht hinnehmbarer Missstand, dass Vollzugsbehörden immer wieder die gebotene Sorgfalt außer Acht lassen und Anträge auf die Gewährung von Vollzugslockerungen mit pauschalen Hinweisen auf abstrakte Missbrauchs- oder Fluchtgefahren regelrecht „abbügeln“. So lag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.1997 ein Sachverhalt zu Grunde, in dem ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener nach fast elfjähriger Haftdauer eine Ausführung beantragt hatte. Die JVA wusste zwar nur Gutes über den Inhaftierten zu berichten (überdurchschnittliche Arbeitsleistung, tadelloses Vollzugsverhalten, anerkennenswertes Bemühen um Integration in das Anstaltsleben), bejahte aber dennoch eine Fluchtgefahr mit der Begründung, dass er nach aller Erfahrung noch einen langjährigen Freiheitsentzug

956

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden Heghmanns, a. a. O. Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (660). 958 Vgl. Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (662). 957

IV. Ergebnisse

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zu erwarten habe.959 Dass dies nicht richtig sein kann, zeigt bereits die Regelung des § 13 Abs.  3 StVollzG, wonach ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener beurlaubt werden kann, wenn er sich seit mindestens zehn Jahren im Strafvollzug befindet. Diese Vorschrift verdeutlicht – wie das Bundesverfassungsgericht mit Recht ausführt960  –, dass die abstrakte Gefahr eines noch längeren (mindestens fünfjährigen) Freiheitsentzuges nach dem Willen des Gesetzes nicht einmal einer Beurlaubung, die immerhin eine wesentlich weitergehende ­Lockerung als die hier beantragte Ausführung darstellt, im Weg steht. Offenkundig verfehlt ist es zudem, wenn die JVA ihre ablehnende Entscheidung auch damit begründet, dass die Gewährung von Vollzugslockerungen nur im Hinblick auf die Vorbereitung der späteren Entlassung in Betracht komme, was im gegebenen Fall aber verfrüht sei, weil die zuständige Strafvollstreckungskammer noch keine Feststellungen über die Schwere der Schuld und die sich daraus ergebende voraussichtliche Dauer der Vollstreckung getroffen habe961. Dies verkennt den Zweck der Vollzugslockerungen, die gerade auch dazu dienen, schädigenden Wirkungen eines länger andauernden Freiheitsentzuges vorzubeugen.962 Die Verpflichtung, die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen weitestgehend zu er­ halten, greift dabei – wie das Bundesverfassungsgericht erst im Oktober 2011963 wieder klarstellen musste – nicht erst dann ein, wenn bei dem Inhaftierten erste Anzeichen von Haftdeprivationen erkennbar sind, sondern natürlich schon zuvor. Nicht nachvollziehbar ist die Argumentationsweise der JVA auch in dem Fall, der Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1.4.1998 war. Hier hatte der zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilte Beschwerdeführer nach Verbüßung der Hälfte der Strafe einen dreistündigen Besuchsausgang beantragt. Das Gesuch wurde von der Haftanstalt abgelehnt. Die fast schon abenteuerliche Begründung des entsprechenden Bescheids lautete: „Sie sind derzeit nicht für die Gewährung von Besuchsausgang geeignet, weil sie noch im geschlossenen Vollzug untergebracht sind und sich vor der Gewährung von Ausgang im ­offenen Vollzug bewährt haben müssen. Im Hinblick auf das Strafende bestehen Sicherheitsbedenken. Außerdem ist ihnen bekannt, dass aus dem geschlossenen Vollzug weder Urlaub noch Ausgang gewährt wird.“964

Neben dem völlig unzureichenden pauschalen Verweis auf die Länge der noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe, ist es vor allem die Praxis der in Rede stehenden Haftanstalt, im geschlossenen Vollzug generell weder Urlaub noch Ausgang zu gewähren, die zu kritisieren ist. Wie das Bundesverfassungsgericht mit Recht betont, stehen die Vollzugslockerungen im Sinne der §§ 11, 13 StVollzG nach der 959

Vgl. BVerfG NStZ-RR 1998, 121 (122). Vgl. BVerfG, a. a. O. 961 Vgl. BVerfG, a. a. O. 962 Vgl. SBJL-Ullenbruch, § 11 Rn. 1 m. w. N. 963 Vgl. BVerfG StV 2012, 678 (680). 964 BVerfG NStZ 1998, 430 (430). 960

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D. Die Entscheidungsanalyse

insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelung grundsätzlich allen Gefangenen zur Verfügung und mitnichten nur denen, die im offenen Vollzug unter­gebracht sind.965 Diese Auffassung war auch zum damaligen Zeitpunkt  – also Ende der 1990erJahre – in Rechtsprechung und Schrifttum schon anerkannt, so dass in Übereinstimmung mit Hendrik Schneider zu vermuten ist, dass der offenkundig rechtswidrigen Entscheidung der JVA, die immerhin von zwei Fachgerichten bestätigt wurde, apokryphe Erwägungen zu Grunde lagen.966 Schneider gibt diesbezüglich zu bedenken, dass der Beschwerdeführer eine zehnjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen gehabt hätte, die regelmäßig in Anstalten für „Langstrafige“ vollstreckt werde, in denen Entscheidungen über Vollzugslockerungen große Bedeutung hätten und hinsichtlich derer es nicht unwichtig sei, dass sie auf für alle verständlichen Kriterien wie eben z. B. dem Strafrest beruhten. Andernfalls drohten Un­r uhen oder sogar Gewalttätigkeiten unter den Gefangenen. Außerdem stellten gerade in den hoch gesicherten Haftanstalten Vollzugslockerungen ein großes Risiko dar, weil der Druck auf die wenigen Gefangenen, die diese erhielten, im Hinblick auf Drogenschmuggel u. ä. erheblich sei. All dies führe dazu, dass die Vollzugsbehörden dazu neigten, mit pauschalen, aber recht einfach verständlichen Begründungen Anträge auf Gewährung von Vollzugslockerungen abzulehnen und die Strafvollstreckungskammern sowie OLG-Strafsenate, die mit den Problemen vor Ort vertraut seien, dazu tendierten, die Entscheidungen der Haftanstalten aufrechtzuerhalten.967 Das erscheint plausibel und macht die beschriebene, äußerst fragwürdige vollzugsbehördliche Verfahrensweise in Bezug auf Lockerungsanträge ein Stück weit nachvollziehbar, ohne sie freilich auch nur im Entferntesten rechtfertigen zu können. Zugleich sieht man daran, dass ohne die Kontrolle des aus der Distanz zum Geschehen vor Ort agierenden Bundesverfassungsgerichts die Rechte der Gefangenen nicht selten völlig ins Hintertreffen gerieten, da auch die Kontrolle der Fachgerichte nicht immer die gegebenenfalls notwendige Korrektur rechtswidriger Entscheidungen gewährleistet. Dem Vorschlag Schneiders, wonach den Bedürfnissen der Vollzugsbehörden nach leicht objektivierbaren Kriterien für die Gewährung von Vollzugslockerungen in gewissen Grenzen durch entsprechende Gesetzesänderungen (z. B. durch Einfügung einer Mindestverbüßungsdauer in § 11 StVollzG) Rechnung getragen werden sollte,968 kann allerdings nicht zugestimmt werden. Derartige Pauscha­ lisierungen vertragen sich nicht mit einem sinnvollen resozialisierenden Behandlungsvollzug, der – weil er stets den konkreten Einzelfall im Blick haben muss – auf Flexibilität angewiesen ist. Auch sollte eine zu restriktive Lockerungspraxis nicht durch gesetzliche Änderungen unterstützt werden. Wünschenswert wäre vielmehr die Aussendung genau entgegengesetzter Signale. Deshalb ist es zu begrüßen, wenn das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass – wie in der dritten Kernaus 965

Vgl. BVerfG NStZ 1998, 430 (431). Vgl. Schneider, NStZ 1999, 157 (157). 967 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden Schneider, NStZ 1999, 157 (157 f.). 968 Vgl. Schneider, NStZ 1999, 157 (158). 966

IV. Ergebnisse

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sage ­zusammenfassend dargestellt  – hinsichtlich des noch vertretbaren Fluchtund Missbrauchsrisikos im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG kein unverhältnismäßig strenger Maßstab angelegt wird. Zutreffend haben die Karlsruher Richter etwa darauf hingewiesen, dass die bloße Tatsache, dass sich ein Missbrauch nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen lässt, die Versagung von Vollzugslockerungen nicht zu rechtfertigen vermag.969 In den Fällen, in denen der Inhaftierte die Voraussetzungen für die Gewährung von Urlaub oder Ausgang noch nicht erfüllt, kann es zudem sinnvoll sein, ihm – gegebenenfalls durch geeignete Sicherheitsvorkehrungen – zumindest eine Ausführung zu bewilligen.970 Das gilt mit Blick auf den Erhalt der Lebenstüchtigkeit gerade auch für Gefangene, die eine langjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen haben. Die immer wieder von den Haftanstalten zur Versagung von Lockerungen gebrauchte Floskel, dass eine konkrete Entlassungsperspektive noch nicht absehbar sei, geht insoweit von vornherein ins Leere, denn Vollzugslockerungen sind eben gerade nicht nur an das bevorstehende Haftende gekoppelt.971 (2) Einschränkungen des Beurteilungsspielraums Das Bundesverfassungsgericht hat ferner gleich zu Beginn seiner Rechtsprechung zu den Vollzugslockerungen nach § 11 StVollzG im Jahr 1997 Vorgaben entwickelt, die den Beurteilungsspielraum der Vollzugsbehörde einschränken sollen. Diese lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: – Dem Interesse des Gefangenen, vor den schädlichen Folgen einer langjährigen Inhaftierung (auch) durch Vollzugslockerungen bewahrt zu werden und seine Lebenstüchtigkeit zu erhalten, kommt um so höheres Gewicht zu, je länger die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bereits andauert. – Hängt die Entlassung eines Gefangenen nur noch von einer günstigen Kriminalprognose ab, fällt die Versagung von Vollzugslockerungen auch in den Schutzbereich des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 GG gewährleisteten Freiheitsrechts. Die Entscheidung der Vollzugsbehörde nach § 11 Abs. 2 StVollzG darf nicht ohne zwingenden Grund die prognostische Basis der richterlichen Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung schmälern, indem sie an die Gewährung der Vollzugslockerung einen unverhältnismäßig strengen Maßstab anlegt. 972 Im Schrifttum ist diesbezüglich darauf hingewiesen worden, dass weder der­ resozialisierungsbezogene Aspekt im Sinne der erstgenannten noch der in der zweiten Kernaussage dargestellte Gesichtspunkt der bedingten Entlassung zur 969

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2003 – 2 BvR 24/03. Siehe hierzu bereits die vierte Kernaussage. 971 Vgl. BVerfG StV 2012, 678 (682); BVerfGK 17, 459 (462 f.). 972 Vgl. BVerfG NStZ-RR 1998, 121 (122); NJW 1998, 1133 (1134); siehe ferner BVerfGK 17, 459 (462 f.). 970

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D. Die Entscheidungsanalyse

Eingrenzung des vollzugsbehördlichen Beurteilungsspielraums geeignet ist. So gehe es bei der Dauer der bereits vollstreckten Freiheitsstrafe gar nicht um die Ermittlung eines Flucht- oder Missbrauchsrisikos, sondern vielmehr darum, ob das Maß einer festgestellten Gefahr noch vertretbar sei, was als normative Frage ohne Weiteres der gerichtlichen Kontrolle unterliege.973 Nichts anderes gelte hinsichtlich der verfassungsgerichtlichen Vorgabe, dass die JVA im Blick haben müsse, dass die ohne zwingenden Grund erfolgende Verweigerung von Lockerungen die prognostische Basis für die richterliche Entscheidung über die Strafrestaussetzung schmälere und damit die Chance auf eine bedingte Haftentlassung ganz erheblich beeinträchtige.974 In der Tat betreffen die beiden in Rede stehenden Maßgaben der Karlsruher Richter nicht die eigentliche Prognoseentscheidung, sondern werden vielmehr erst relevant, wenn diese bereits getroffen ist. Steht also beispielsweise fest, dass bei einem Gefangenen ein mittleres Risiko besteht, dass er einen Ausgang zur Begehung von Straftaten missbrauchen könnte, mag diese Gefahr nach den ersten zwölf Monaten einer neunjährigen Freiheitsstrafe womöglich als unvertretbar erscheinen, nach einer Haftdauer von sechs oder sieben Jahren hingegen nicht mehr. Immerhin ist im letztgenannten Fall nämlich selbst der Zeitpunkt der Vollverbüßung bereits so nahe gerückt, dass der Erhalt der Lebenstüchtigkeit und die Notwendigkeit verstärkter Resozialisierungsbemühungen angesichts der unweigerlich bevorstehenden Haftentlassung erheblich an Bedeutung gewonnen haben. Vergleichbares gilt in Bezug auf die bedingte Entlassung. Während diese am Beginn der Haftzeit aufgrund der zeitlichen Ferne noch keine nennenswerte Rolle spielt, ändert sich dies je näher der Zeitpunkt einer möglichen Strafrestaussetzung zur Bewährung rückt. Auch dies führt dann nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts dazu, dass ein ursprünglich unvertretbares Missbrauchs- oder Flucht­ risiko später doch als vertretbar anzusehen sein kann. Unabhängig von der Frage, an welchem Prüfungspunkt einer Lockerungsentscheidung die beiden in Rede stehenden Vorgaben der Karlsruher Richter von Bedeutung sind, ist festzustellen, dass diese generell ein unterschiedliches Echo im Schrifttum hervorgerufen haben. Allgemein begrüßt wurden die deutliche Betonung des Resozialisierungsgebotes und die gleichzeitige Abkehr von der noch in der Entscheidung vom 28.6.1983 propagierten Möglichkeit, auch die Schwere der Schuld zu berücksichtigen.975 Demgegenüber wird zu bedenken gegeben, dass die Frage der bedingten Entlassung für die Gewährung von Vollzugslockerungen nicht entscheidend sein kann, weil es hierfür keinen gesetzlichen Anhaltspunkt gebe.976 Es bestehe die Gefahr, dass der Strafvollzug zum schlichten Handlanger des Vollstreckungsrichters gerate und dann das Resozialisierungsgebot bei den 973

Vgl. Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (664); siehe ferner SBJL-Ullenbruch, § 11 Rn. 14. Vgl. Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (666). 975 Vgl. AK-Köhne/Lesting, § 11 Rn. 32; Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (667 f.). 976 Vgl. Arloth, § 11 Rn. 10; Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (669). 974

IV. Ergebnisse

213

vollzuglichen Entscheidungen in den Hintergrund trete.977 Dass letztgenannte Befürchtung durchaus nicht unberechtigt ist, zeigt sich bis in die jüngste Vergangenheit gerade in Bezug auf die Gefangenen, die eine längere Freiheitsstrafe zu verbüßen haben. Wie schon an früherer Stelle erläutert wurde, kommt es hierbei nicht selten vor, dass Haftanstalten Vollzugslockerungen mit der Begründung ablehnen, dass eine konkrete Entlassungsperspektive noch nicht absehbar sei, ohne dabei zu berücksichtigen, dass Maßnahmen nach § 11 StVollzG gerade auch dem Erhalt der Lebenstüchtigkeit des Inhaftierten dienen.978 (3) Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle einer Lockerungsentscheidung Die Karlsruher Richter haben sich des Weiteren mit den Anforderungen an die gerichtliche Überprüfung von Lockerungsentscheidungen auseinandergesetzt. Im Zentrum steht dabei die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe der Fluchtund Missbrauchsgefahr. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes gilt Folgendes: – Den Gerichten obliegt ungeachtet des Beurteilungsspielraumes der Haftanstalten die rechtsstaatliche Pflicht, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und dabei festzustellen, ob die JVA alle entscheidungsrelevanten Tatsachen zutreffend angenommen und den zu Grunde gelegten Sachverhalt insgesamt zutreffend ermittelt hat.979 Angesichts des Umstands, dass die Vollzugsbehörden bei Entscheidungen über die Gewährung von Vollzugslockerungen in zum Teil  frappierendem Ausmaß die gebotene Sorgfalt außer Acht lassen, ist es umso dringlicher, dass die zuständigen Gerichte im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG konsequent gegen­ steuern und dem Resozialisierungsgebot Geltung verschaffen. Leider ist aber auch dies nicht immer gewährleistet. Häufig kommen die Fachgerichte den in der obigen Kernaussage zusammengefassten Verpflichtungen, die das Bundesverfassungsgericht richtigerweise als rechtsstaatlichen Mindeststandard einfordert, nicht oder nur unzureichend nach und beschränken sich auf ein „Durchwinken“ der vollzugsbehördlichen Entscheidungen. Dies hat sicher viele Gründe: Hohe Arbeitsbelastung, mangelnde personelle Kontinuität in den Strafvollstreckungskammern und die daraus resultierende geringe Erfahrung vieler dort tätiger Juristen oder auch das schlichte Bestreben, den Haftanstalten nicht „hineinregieren“ zu wollen, dürften hier eine Rolle spielen.980 Das alles darf jedoch den 977

So explizit Heghmanns, a. a. O. Siehe oben D.IV.5.b)bb)(1). 979 Vgl. BVerfG NStZ-RR 1998, 121 (122); NJW 1998, 1133 (1134); NStZ 1998, 430 (430 f.); StV 2012, 678 (679). 980 Näher zu den Mängeln des gerichtlichen Rechtsschutzes gemäß den §§ 109 ff. StVollzG LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 3. 978

214

D. Die Entscheidungsanalyse

Rechtsschutz und die Resozialisierungschancen der Gefangenen nicht schmälern. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, die genau dies verhindern will, stößt deshalb – wenig überraschend – im Grundsatz auf breite Zustimmung, wenngleich manche Teile des Schrifttums gewiss keine Einwände hätten, wenn der Beurteilungsspielraum der Vollzugsbehörden im Rahmen des § 11 Abs.  2 StVollzG noch deutlicher zu Gunsten einer umfassenderen gerichtlichen Kontrolle eingeschränkt würde. Wo den Haftanstalten keine Einschätzungsprärogative zukommt, müssen die Strafvollstreckungskammern eine umfassende Prüfung vornehmen. Dies gilt, wie das Bundesverfassungsgericht mit Recht festgestellt hat, gerade auch in den Fällen, in denen die JVA als Grundlage einer Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen Erwägungen zur Schwere der Schuld im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB anstellt. Solange nämlich kein Straf- oder Strafvollstreckungsgericht hierzu Stellung genommen hat, ist es den Vollzugsbehörden nach Auffassung der Karlsruher Richter nicht verwehrt, sich ein eigenes Bild von der Schuldschwere zu machen. Versagt die JVA daraufhin eine Lockerung, weil sie etwa der Ansicht ist, dass noch eine erhebliche Haftdauer bevorsteht und deshalb ein Urlaub oder ein Ausgang zur Entlassungsvorbereitung verfrüht wären, muss die Strafvollstreckungskammer die vollzugsbehördlichen Erwägungen zur Schwere der Schuld aber vollumfänglich nachprüfen.981 Obwohl es sich im Grunde nicht mehr um Rechtsprechung zum Strafvollzug handelt, sei im gegebenen Zusammenhang wenigstens kurz darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht das Netz der gerichtlichen Kontrolle von Locke­rungsentscheidungen so weit gespannt hat, dass es auch strafvollstreckungsrechtliche Entscheidungen umfasst. So dürfen die Fachgerichte, wenn sie über die Strafrestaussetzung zur Bewährung befinden, nicht einfach unbesehen die fehlende Erprobung durch Lockerungen zum Nachteil des Gefangenen werten, sondern müssen sich damit auseinandersetzen, ob die entsprechend ableh­ nenden Bescheide der Haftanstalt sachgemäß waren.982 Ferner haben die Strafvoll­ streckungs­ kammern stets auch die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 454a Abs. 1 StPO im Auge zu behalten.983 Nach dieser Vorschrift kann die vorzeitige Entlassung so terminiert werden, dass zuvor noch die Möglichkeit bleibt, den Gefangenen durch die Gewährung von Lockerungen zu erproben.

981

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NStZ-RR 1998, 121 (123). Vgl. BVerfG NJW 2009, 1941 (1942 f.); NJW 2000, 502 (504); NJW 1998, 2202 (2203 f.); siehe zum Ganzen auch Neubacher BewHi 2011, 82 (90 ff.). 983 Vgl. BVerfG NJW 2009, 1941 (1945 f.); NJW 1998, 2202 (2204); LNNV-Neubacher, Einl. Rn. 34. 982

IV. Ergebnisse

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(4) Zwischenfazit Wenn Groß in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Vollzugslockerungen im Sinne des § 11 StVollzG jüngst resümiert hat, dass diese zu vielen Fragen feste Grundsätze beinhalte und die Ausführungen der Karlsruher Richter wie ein Leitfaden für ein verfassungsgemäßes Verhalten der Haftanstalten, aber auch der mit Vollzugsfragen befassten Gerichte gelesen werden könne,984 kann dies ohne Weiteres als treffende Beschreibung der einschlägigen Judikatur bezeichnet werden. Anders als die in den 1980er-Jahren ergangenen Entscheidungen zur Beurlaubung, die überwiegend Einzelfallcharakter haben, lassen sich die Beschlüsse zu § 11 StVollzG zu einem in sich stimmigen Gesamtbild zusammenfügen. cc) Offener Vollzug (1) Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug Mit dem offenen Vollzug (§ 10 StVollzG985) hat sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner veröffentlichten Rechtsprechung zum Strafvollzug bisher zwei Mal befassen müssen. In beiden Fällen stand die Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug im Mittelpunkt. Im ersten Beschluss vom 12.2.2004986 ging es um einen Beschwerdeführer, der von einem Mitgefangenen beschuldigt wurde, ihn sexuell belästigt zu haben. Ob dies der Wahrheit entsprach, konnte nicht eindeutig festgestellt werden. Die JVA hielt den Beschwerdeführer, der die Tat bestritt, jedoch nicht für glaubhaft und verlegte ihn nach Anhörung des vermeintlichen Opfers zurück in den geschlossenen Vollzug. In dem Nichtannahmebeschluss vom 4.2.2009987 hat sich das Bundesverfassungsgericht vor allem mit den Anforderungen an die fachgerichtliche Überprüfung einer Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug befasst. Den beiden Entscheidungen können folgende Grundsätze entnommen werden: – Die Ablösung aus dem offenen Vollzug ist auch auf der Grundlage des bloßen Verdachts einer neuen Straftat möglich.988 – Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Rückverlegung in den geschlosse­ nen Vollzug um einen für den betroffenen Gefangenen stark belastenden Eingriff 984

Vgl. Groß, jurisPR-StrafR 3/2012 Anm. 4. § 7 BwJVollzGB III; Art.  12 BayStVollzG; § 22 BbgJVollzG; § 11 HmbStVollzG; § 13 HStVollzG; § 15 StVollzG MV; § 12 NJVollzG; § 22 LJVollzG RLP; § 15 SLStVollzG; § 15 SächsStVollzG; § 22 ThürJVollzGB; näher zu den Landesregelungen Verrel, in: GS Walter, S. 621 ff. 986 Vgl. BVerfGK 2, 318 ff. 987 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2009, 218. 988 Vgl. BVerfGK 2, 318 (322). 985

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D. Die Entscheidungsanalyse

handelt, der das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG berührt, darf sich der Verdacht nicht allein auf bloße Vermutungen, vage Hinweise oder entfernte Indizien stützen, sondern muss auf konkreten Anhaltspunkten beruhen.989 – Die JVA ist verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären, soweit dies ihre Befugnisse zulassen.990 – Eine rechtsstaatlich einwandfreie gerichtliche Kontrolle ist auch bei der Nachprüfung einer Rückverlegungsentscheidung nur gewährleistet, wenn sie auf einer zureichenden Ermittlung der relevanten Tatsachen beruht. Die Annahme, es könne ohne weitere Sachverhaltsaufklärung von der Richtigkeit der behördlichen Darstellung ausgegangen werden, bedarf konkreter, auf die Umstände des Einzelfalls bezogener Gründe.991 Dass der Verdacht einer erneuten Straftat zur Ablösung aus dem offenen Vollzug führen kann, insoweit aber konkrete Anhaltspunkte vorliegen müssen, entspricht allgemeiner Auffassung. In der Rechtsprechung des KG Berlin, auf die das Bundesverfassungsgericht Bezug nimmt, sind die Mindestvoraussetzungen an den bestehenden Tatverdacht dahingehend präzisiert worden, dass letzterer über einen bloßen Anfangsverdacht, der gemäß § 152 Abs. 2 StPO zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genügt, hinausgehen und die in Rede stehende Tat zudem von einigem Gewicht sein muss.992 An den Aufwand, den die Haftanstalten zur Sachaufklärung betreiben müssen, stellt das Bundesverfassungsgericht moderate Anforderungen. Es bezieht sich auch hier auf das KG Berlin, das im Jahr 2003 entschieden hatte, dass die Vollzugsanstalten lediglich in den Fällen zu eigenen Ermittlungen verpflichtet seien, in denen nur die Anhörung von Anstaltsbediensteten und in der JVA untergebrachten Gefangenen geboten seien und die weder eine schwierige Beweiswürdigung erforderlich machten noch komplizierte Rechtsfragen zum Gegenstand hätten.993 Vor allem das OLG Hamm hatte hier in der Vergangenheit deutlich höhere Anforderungen gestellt und von den Vollzugsanstalten u. a. verlangt, eigene Erwägungen zur Höhe des zu erwartenden Strafmaßes anzustellen, gegebenenfalls die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten beizuziehen oder auch extramurale Zeugen anzuhören.994 Mit Blick auf die begrenzten personellen Ressourcen der Haftanstalten und deren beschränkten rechtlichen Befugnissen (z. B. kein Recht zur Vorladung von Zeugen) erscheint die vom Bundesverfassungsgericht geteilte Ansicht des KG Berlin jedenfalls deutlich praxisnäher.995

989

Vgl. BVerfG NStZ-RR 2009, 218; BVerfGK 2, 318 (322). Vgl. BVerfGK 2, 318 (322). 991 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2009, 218. 992 Vgl. KG Berlin NStZ 2003, 391 (392). 993 Vgl. KG Berlin, a. a. O. 994 Vgl. OLG Hamm NStZ 1984, 143; siehe ferner Beschl. v. 9.10.2008 – 1 Vollz (Ws) 643/08. 995 Ebenso SBJL-Lindner, § 10 Rn. 14; Ballhausen, NStZ 1984, 144. 990

IV. Ergebnisse

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Zu den sonstigen – in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittenen – Voraussetzungen einer Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug hat das Bundesverfassungsgericht bisher noch nicht Stellung genommen. So hat es in seiner Entscheidung vom 4.2.2009 offen gelassen, ob letztlich nur für eine Ablösung aus dem offenen Vollzug aus Behandlungsgründen eine hinreichende gesetzliche Grundlage – nämlich § 10 Abs. 2 StVollzG – besteht oder ob auch für andere Anlässe, wie insbesondere den Wegfall der Geeignetheit bei Verdacht einer erneuten Straftat, hinreichende Ermächtigungen (§ 14 Abs. 2 StVollzG analog oder §§ 48 f. VwVfG) gegeben sind.996 Der Streitstand hat freilich an Bedeutung verloren, weil jedenfalls die bisher in Kraft getretenen Landesgesetze bestehende Regelungslücken geschlossen haben.997 Darüber hinaus wäre es wünschenswert gewesen, wenn das Bundesverfassungsgericht klargestellt hätte, dass bei einer Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung nicht nur in Bezug auf die vermeintliche Tat hinreichend konkrete Anhaltspunkte dargelegt werden müssen, sondern auch hinsichtlich der dadurch bedingten fehlenden Eignung für den offe­nen Vollzug. Die Ablösung aus letzterem ist nämlich – wie das Bundesverfassungsgericht selbst zutreffend feststellt – keine Disziplinarmaßnahme oder sonst strafähnliche Sanktion, so dass ein verbotenes Verhalten allein nicht genügt.998 Genau diesen missverständlichen Eindruck erwecken die Karlsruher Richter aber in ihrem Beschluss vom 12.2.2004, wenn sie ausführen, dass sich der Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen den Beschwerdeführer auf eine nicht offenkundig unglaubhafte Aussage des Opfers stütze und der dadurch entstandene Verdacht eine Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug rechtfertige.999 Vielmehr wäre nun noch zu prüfen gewesen, inwieweit konkrete Anhaltspunkte gegeben sind, die die Eignung des Beschwerdeführers für den offenen Vollzug ernsthaft erschüttern. Letzteres kann z. B. der Fall sein, wenn die Gefahr der Flucht, der Zeugenbeeinflussung oder sonstiger Verdunkelungshandlungen besteht.1000 Der verfassungsgerichtliche Beschluss enthält hierzu keine Angaben. Nach dem mitgeteilten Sachverhalt ist davon auszugehen, dass sich die Haftanstalt mit der Frage der Eignung des Beschwerdeführers für den offenen Vollzug nicht näher auseinandergesetzt

996 Vgl. BVerfG NStZ-RR 2009, 218; näher zum Streitstand bezüglich der möglichen Rückverlegungsgründe und der zugehörigen Ermächtigungsgrundlagen SBJL-Lindner, § 10 Rn. 14 m. w. N. 997 Vgl. § 7 Abs. 2 Sätze 2 u. 3 BwJVollzGB III; Art. 12 Abs. 3 BayStVollzG; § 22 Abs. 4 BbgJVollzG; § 92 HmbStVollzG; § 14 HStVollzG; § 15 Abs.  3 StVollzG MV; § 12 Abs.  3 NJVollzG; § 22 Abs. 4 LJVollzG RLP; § 15 Abs. 3 SLStVollzG; § 15 Abs. 2 Sätze 2 u. 3 SächsStVollzG; § 22 Abs. 5 ThürJVollzGB; näher zu den (recht heterogenen) Neuregelungen Verrel, in: GS Walter, S. 621 (630 ff.). 998 Vgl. BVerfGK 2, 318 (322); Calliess/Müller-Dietz, § 10 Rn. 10. 999 Vgl. BVerfGK, a. a. O. 1000 Näher hierzu (auch mit weiteren Beispielen) OLG Stuttgart NStZ 1986, 45 (46) m. zust. Anm. Ballhausen.

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D. Die Entscheidungsanalyse

hat. Das Bundesverfassungsgericht hätte dies deutlich rügen und auch insoweit eine bestmögliche Sachaufklärung fordern müssen. Zu begrüßen ist freilich, dass die Karlsruher Richter – wie bereits bei den Vollzugslockerungen nach § 11 StVollzG  – auf die rechtsstaatliche Notwendigkeit einer sorgfältigen gerichtlichen Kontrolle von Rückverlegungsentscheidungen aufmerksam gemacht haben. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere klargestellt, dass die Strafvollstreckungskammer nicht einfach der Sachverhaltsdarstellung der JVA folgen darf, ohne hierfür konkrete Gründe anzugeben.1001 (2) Sonstige Fragen des offenen Vollzuges Während sich das Bundesverfassungsgericht also wiederholt mit dem Wechsel vom offenen in den geschlossenen Vollzug befasst hat, liegen für die umgekehrte Richtung keine veröffentlichten Entscheidungen vor. Dabei wäre es zweifellos ein für den Behandlungsvollzug wichtiges Signal, wenn die Karlsruher Richter die Bedeutung des offenen Vollzuges als ein zentrales Instrument zur Er­reichung des Vollzugsziels der Resozialisierung unterstreichen würden. Die Vorteile der in Rede stehenden Unterbringungsform sind enorm, bietet er doch u. a. die Möglichkeit, eine weitreichende Angleichung an die allgemeinen Lebensverhältnisse herzustellen und durch das dem Gefangenen entgegengebrachte Vertrauen die Selbstverantwortung der Inhaftierten zu stärken.1002 Eine ähnlich konsequente Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wie etwa diejenige zur Vollzugsplanung könnte der zum Teil sehr restriktiven Vollzugspraxis in manchen Bundesländern1003 entgegenwirken. Dabei müsste insbesondere klargestellt werden, dass an die Geeignetheit des Gefangenen keine unverhältnismäßigen hohen Anforderungen gestellt werden dürfen und die Entscheidung für die Art der Unterbringung auf einer hinreichend konkreten Tatsachengrundlage beruhen muss. Im gegebenen Zusammenhang sollte aber freilich nicht unerwähnt bleiben, dass sich das Bundesverfassungsgericht Ende September 2007 im Rahmen einer strafvollstreckungsrechtlichen Entscheidung mit Fragen des offenen Vollzuges befasst hat. Im Kern ging es um die Verfassungsbeschwerde eines Verurteilten, 1001

Vgl. BverfG NStZ-RR 2009, 218. Vgl. Kaiser/Schöch, § 7 Rn. 21; SBJL-Lindner, § 10 Rn. 1; Calliess/Müller-Dietz, § 10 Rn. 1. 1003 Während in Bayern und den neuen Bundesländern (mit Ausnahme von Brandenburg) der Anteil der im offenen Vollzug Untergebrachten traditionell zum Teil weit unter 10 % liegt, ist er insbesondere in Berlin und Nordrhein-Westfalen deutlich höher (31.3.2013: 23,3 % bzw. 18,9 %). Im Bundesdurchschnitt ist hinsichtlich der Quote der Gefangenen, die sich im offenen Vollzug befinden, insgesamt eine sinkende Tendenz zu beobachten. Lag sie im März 2003 noch bei fast 20 %, sank sie bis 2007 kontinuierlich auf etwa 14 % und stagnierte dann zwischen 2008 und 2011 bei wieder erhöhten 17 %. Im März 2012 waren nur noch rund 14 % der Gefangenen im offenen Vollzug untergebracht, im März 2013 gar nur noch 11,4 % (Quelle: Statistisches Bundesamt, Prozentangaben nach eigener Berechnung). 1002

IV. Ergebnisse

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dessen Antrag auf unmittelbare Ladung zum Strafantritt in den offenen Vollzug zwecks Erhaltung eines bestehenden Arbeitsverhältnisses von der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden war.1004 In seinem Nichtannahmebeschluss hob das Bundesverfassungsgericht zunächst hervor, dass die Möglichkeit des offenen Vollzuges dem Resozialisierungsgebot sowie der grundrechtlichen Verpflichtung, schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken, in besonderer Weise Rechnung trage.1005 Zugleich stellten die Karlsruher Richter aber fest, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn der Vollstreckungsplan generell nur eine Ladung zum Strafantritt im geschlossenen Vollzug vorsehe. Zwar werde dem Resozialisierungsgebot in Fällen wie dem vorliegenden durch eine Direkteinweisung in den offenen Vollzug am besten Rechnung getragen. Es könne jedoch auch auf anderen Wegen ein Arbeitsplatzverlust verhindert werden. So sei es gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 StVollstrO möglich, u. a. aus Resozialisierungsgründen von den Bestimmungen des Vollstreckungsplans abzuweichen. Zudem sei es bei frühzeitiger Abstimmung zwischen Vollstreckungs- und Vollzugsbehörde durchaus nicht ausgeschlossen, dass selbst nach einer Ladung in den geschlossenen Vollzug sowohl eine Entscheidung über die Verlegung in den offenen Vollzug als auch eine solche über die Gewährung von Freigang aus letzterem so zügig falle, dass unter normalen Umständen ein bestehendes Arbeitsverhältnis erhalten werden könne.1006 Das erscheint plausibel, verlangt den beteiligten Behörden aber einiges ab. c) Historische Einordnung Unter dem historischen Blickwinkel betrachtet, ergibt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Vollzugslockerungen ein gemischtes Bild. Von den Entscheidungen der 1980er-Jahre, die ausnahmslos Fragen des Hafturlaubs betreffen, kommt vor allem dem Beschluss vom 28.6.1983 nachhaltige Wirkung zu. Sie war „Wasser auf die Mühlen“ all derjenigen, die einem resozialisierenden Behandlungsvollzug skeptisch gegenüberstanden und diesen zu relativieren suchten. Wie gezeigt, wurden die (unzutreffenden) Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach § 2 StVollzG hinsichtlich der Bestimmung des Vollzugsziels nicht abschließend sei, von mehreren Bundesländern dankend aufgegriffen, um durch Verwaltungsvorschriften die Berücksichtigung von Tatschuldaspekten bei Entscheidungen über die Gewährung von Vollzugslockerungen zu ermöglichen. Auch über entsprechende Gesetzesänderungen auf Bundesebene wurde beraten.1007 Vollkommen neu war die besagte Stoßrichtung des Bundesverfassungsgerichts freilich nicht. Schon die erste oberlandesgerichtliche Grundsatzentscheidung nach 1004

Vgl. BVerfGK 12, 210 ff. Vgl. BVerfGK 12, 210 (217). 1006 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 12, 210 (223). 1007 Siehe zum Ganzen bereits oben D.IV.2.c)bb). 1005

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D. Die Entscheidungsanalyse

Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes hatte die Berücksichtigung der Schuldschwere bei Entscheidungen nach § 13 StVollzG für rechtmäßig erachtet.1008 Nachdem das Bundesverfassungsgericht schließlich 1985 seine letzte (veröffentlichte)  Entscheidung zum Hafturlaub getroffen hatte und der Themenbereich „Vollzugslockerungen“ danach in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung für mehr als zwölf Jahre keine Rolle mehr spielte, meldeten sich die Karlsruher Richter in den Jahren 1997/1998 mit mehreren Kammerbeschlüssen zu § 11 StVollzG zurück. Obwohl sich die „Großwetterlage“ nicht zu Gunsten des resozialisierenden Behandlungsvollzuges verändert hatte und die von ihm zu entscheidenden Verfassungsbeschwerden zum Teil von Gefangenen erhoben worden waren, die wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verbüßen hatten, knüpfte das Bundesverfassungsgericht nicht an seine Entscheidung vom 28.6.1983 an. Vielmehr hat es die Bedeutung des Resozialisierungsgebotes gerade auch für langjährig Inhaftierte unterstrichen und deutlich gemacht, dass dessen Gewicht mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges steige. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht freilich kein komplettes Neuland betreten, sondern vielmehr seine Rechtsprechung zur Aussetzung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus1009 von 1985 „nur“ auf den Bereich des Strafvollzuges übertragen. Ferner haben die Karlsruher Richter sowohl die Haftanstalten als auch die sie kontrollierenden Gerichte zu sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung angehalten und den Verzicht auf floskelartige Begründungen für Flucht- oder Missbrauchsgefahren angemahnt. Wenn deshalb in Bezug auf die Entscheidungen der Jahre 1997/1998 zu § 11 StVollzG über eine „Trendwende“ der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung diskutiert wurde,1010 ist dies insoweit berechtigt, als das Bundesverfassungsgericht der Berücksichtigung der Schuldschwere bei Lockerungsentscheidungen nicht wieder das Wort redete. Sofern der Befund einer Trendwende allerdings auf die Problematik des vollzugsbehördlichen Beurteilungsspielraumes bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bezogen wird, verdient dies keine Zustimmung. Wie bereits erläutert, hat sich das Bundesverfassungsgericht im Kern dem BGH angeschlossen, der Ende 1981 die zwischen den Oberlandesgerichten bestehenden Divergenzen dahingehend entschieden hatte, dass die Feststellung einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar ist. Hoffnungen auf eine Korrektur dieser Rechtsprechung1011 durch die Karlsruher Richter haben sich nicht erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar  – wie bereits erläutert  – der Ansicht, durch seine Rechtsprechung gewisse Begrenzungen des vollzugsbehördlichen Beurteilungsspielraumes bewirkt zu haben. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass dies kritischer Nachprüfung nicht Stand hält. Weitere Versuche einer Ausweitung der 1008

Vgl. OLG Karlsruhe JR 1978, 213 ff. Vgl. BVerfGE 70, 297 ff. 1010 Vgl. Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 ff.; AK-Köhne/Lesting, § 11 Rn. 32 ff. m. w. N. 1011 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 11 Rn. 16; Volckart NStZ 1982, 174 ff. 1009

IV. Ergebnisse

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gerichtlichen Kontrolle von Prognoseentscheidungen nach § 11 Abs. 2 StVollzG haben die Karlsruher Richter in der Folgezeit nicht unternommen. Das ist, wie ausführlich dargelegt wurde, in der Sache auch richtig, denn die Vollzugsbehörden verfügen über eine breitere Prognosebasis als die Strafvollstreckungskammern und haben damit einen wichtigen Erkenntnisvorsprung, der auch nicht ohne Weiteres ausgeglichen werden kann. Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts bis in die jüngere Vergangenheit hinein zeigen allerdings, dass Haftanstalten nach wie vor nicht immer die gebotene Sorgfalt walten lassen und so die von den Karlsruher Richtern konkretisierten Mindestanforderungen an eine verfassungsgemäße Prognoseentscheidung verfehlen.1012 Die verfassungsgerichtliche Judikatur zu § 10 StVollzG umfasst lediglich zwei Entscheidungen zur Ablösung aus dem offenen Vollzug, die sich wiederum im Wesentlichen in der Bestätigung bereits vorliegender oberlandesgerichtlicher Entscheidungen erschöpfen. Dass sich diese Unterbringungsform seit der Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichts, in der sie keine Rolle spielte,1013 im Lauf der Jahrzehnte etablieren konnte, kann also nicht mit bereichsspezifischer Rechtsprechung der Karlsruher Richter in Verbindung gebracht werden. Es bleibt aber zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht eine zukünftige Gelegenheit nutzen wird, um die in den letzten Jahren wieder restriktiver gewordene Praxis bezüglich der Unterbringung im offenen Vollzug in ihre verfassungsrechtlichen Schranken zu verweisen. d) Prozessuale Entscheidungskritik In prozessualer Hinsicht ist anzumerken, dass im Zusammenhang mit Entscheidungen zu den Vollzugslockerungen vergleichsweise häufig Kritik an den Karlsruher Richtern laut geworden ist. Mehrfach wurde dem Bundesverfassungsgericht vorgeworfen, als „Superrevisionsgericht“ tätig geworden zu sein.1014 Gewiss ist nicht zu bestreiten, dass sich die Karlsruher Richter auch mit der Auslegung des einfachen Rechts befasst haben. Der Senatsbeschluss vom 28.6.1983 zu der Frage, ob Schuldaspekte im Rahmen von Urlaubsentscheidungen berücksichtigt werden können, stellt hierfür wohl das schillerndste Beispiel dar, befasst er sich doch eingehend mit der Auslegung des § 2 StVollzG. Wie bereits ausführlich erörtert, ist es dem Bundesverfassungsgericht jedoch keineswegs verwehrt, derartige Interpretationen vorzunehmen.1015 Es darf jedoch nicht unter dem Deckmantel der Auslegung Rechtsnormen inhaltlich ändern. Auch das Bundesverfassungs 1012 Vgl. BVerfG StV 2012, 678 ff. u. 681 f.; BVerfGK 17, 459 ff.; Beschl. v. 26.2.2003 – 2 BvR 24/03. 1013 Siehe oben C. V. 1014 Vgl. Müller/Wulf, ZfStrVo 1999, 430 (430); Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (670 f.); Beckmann, StV 1984, 165 f. 1015 Siehe oben B.II.3.d).

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D. Die Entscheidungsanalyse

gericht unterliegt nämlich der Gesetzesbindung und ist deshalb an die Vorschriften des einfachen Rechts, soweit es diese nicht im Rahmen einer Normenkontrolle für verfassungswidrig erklärt, gebunden.1016 In dem in Rede stehenden Beschluss vom 28.6.1983 stand die Vereinbarkeit des § 2 StVollzG mit dem Grundgesetz allerdings außer Frage. Wenn das Bundesverfassungsgericht nun in der besagten Entscheidung die Auffassung vertritt, dass § 2 StVollzG keine abschließende Regelung des Vollzugszieles enthalte, obwohl eine solche Sichtweise – wie bereits erläutert  – weder mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang zu bringen noch unter sonstigen Auslegungsgesichtspunkten vertretbar ist, setzt es sich über den gesetzgeberischen Willen hinweg und schafft letztlich sein eigenes Recht. Leyendecker, die diesen Befund sogar teilt, hält die Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts gleichwohl für unbedenklich, denn letzteres sei ohnehin nicht an das einfache Recht gebunden und könne deshalb einer Norm wie § 2 StVollzG den von ihm für angemessen erachteten Inhalt geben.1017 Das ist einerseits schlicht falsch, denn die Karlsruher Richter unterliegen sehr wohl der Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG und anderseits fatal, weil die Ansicht Leyendeckers in der Endkonsequenz zur Aufhebung der Gewaltenteilung zwischen Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht führen würde. Aus prozessualer Perspektive ist der Senatsbeschluss vom 28.6.1983 auch deshalb zu kritisieren, weil die entscheidenden Passagen zur Einbeziehung der Schuldschwere bei Beurlaubungen aus der Haft obiter dicta darstellen, die nicht nur völlig unnötig waren, sondern darüber hinaus auch generell unzulässig sind, weil sie dem in Art. 92 GG verankerten Gerichtscharakter des Bundesverfassungsgerichts zuwiderlaufen.1018 Gerade die in Rede stehende Entscheidung und deren weitreichender Einfluss, den sie auf Politik und Vollzugspraxis hatte, zeigt zudem eindrucksvoll, dass die bereits an früherer Stelle1019 erwähnte faktische Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Ausführungen, die keine rationes decidendi darstellen, erhebliche Ausmaße annehmen kann. Die in den Jahren 1997/1998 erfolgte „Offensive“ zu Gunsten einer Stärkung der Vollzugslockerungen als wichtiges Element resozialisierender Behandlung haben die Karlsruher Richter ebenfalls in wesentlichen Teilen mit Hilfe von obiter dicta umgesetzt. Die Ausführungen zu den (vermeintlichen) Einschränkungen des vollzugsbehördlichen Beurteilungsspielraumes tragen nämlich sowohl die Entscheidung vom 13.12.1997 als auch diejenige vom 1.4.1998 nicht.1020 Der erstgenannte 1016

Siehe hierzu bereits oben B.II.1.c)dd). Vgl. Leyendecker, S. 146. 1018 Ausführlich dazu bereits oben B.III.2.d)ee). 1019 Siehe a. a. O. 1020 Ebenso Heghmanns, ZStW 111 (1999), 647 (672). Auch einige nachfolgende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts enthalten zum Teil recht ausführliche obiter dicta, vgl. etwa BVerfG NStZ 2002, 222 (222 f. – Rn. 2 u. 4); NStZ-RR 2009, 218 – hier sind die gesamten Ausführungen zur Begründetheit letztlich entbehrlich, da die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig ist. 1017

IV. Ergebnisse

223

Beschluss endet darüber hinaus mit einem weiteren obiter dictum, das den Hinweis an die Haftanstalt umfasst, den Beschwerdeführer zur Verbesserung seiner Resozialisierungschancen in eine heimatnähere JVA zu verlegen.1021 Auch wenn es sich in diesem Fall um eine sinnvolle Anregung handeln mag, stellt sie dennoch eine Kompetenzüberschreitung dar. Wünschenswert wäre es hingegen gewesen, wenn das Bundesverfassungsgericht seine prozessualen Möglichkeiten bei der am 4.6.1983 ergangenen Entscheidung zur Beschränkung des Regelurlaubs im geschlossenen Vollzug ausgeschöpft und die Verfassungswidrigkeit der betreffenden Rundverfügung des nordrhein-westfälischen Justizministers festgestellt hätte. Stattdessen haben sich die Karlsruher Richter auf die Heck’sche Formel vom „spezifischen Verfassungsrecht“ zurückgezogen, wonach sie nur eingreifen könnten, wenn Auslegungsfehler sichtbar würden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts  – insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs – beruhten.1022 Zur Zeit des hier in Rede stehenden Beschlusses hatte das Bundesverfassungsgericht seinen Kontrollbereich allerdings längst auch auf solche Fälle ausgedehnt, in denen eine fachgerichtliche Entscheidung willkürlich, d. h. besonders unverständlich ist.1023 In Anbetracht des klaren Wortlautes des § 13 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, der hinsichtlich der Möglichkeit, Gefangene bis zu 21 Tagen im Jahr zu beurlauben, eindeutig nicht zwischen offenem und geschlossenem Vollzug differenziert, kann man ohne Weiteres von Willkür im vorgenannten Sinne sprechen. Allein die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht diese Frage nicht einmal aufwirft, sondern stattdessen auf die Heck’sche Formel in­ ihrer ursprünglichen Form rekurriert, zeigt, dass es offenkundig von vornherein kein Interesse daran hatte, die betreffenden fachgerichtlichen Entscheidungen aufzuheben. e) Ergebnis Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich Hypothese 5 als zutreffend erwiesen hat. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Vollzugs­ lockerungen zeigt in der Tat deutliche Akzentverschiebungen. Auf eine eher restrik­tive Phase in den 1980er-Jahren folgte in der zweiten Hälfte des darauffolgenden Jahrzehnts eine deutliche Rückbesinnung auf das Resozialisierungsgebot. Dabei erstrecken sich prozessuale Unzulänglichkeiten als konstantes Moment auf weite Teile der Judikatur zu den Vollzugslockerungen. Die zahlreichen  – teils sehr ausführlichen – obiter dicta können als Ausdruck des verstärkten Bemühens der Karlsruher Richter um Durchsetzung ihrer Rechtsprechung interpretiert werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die 1997/1998 in kurzer 1021

Vgl. BVerfG NJW 1998, 1133 (1135). Vgl. BVerfG NStZ 1983, 478. 1023 Vgl. Alleweldt, S. 95 u. oben B.II.3.d). 1022

224

D. Die Entscheidungsanalyse

Abfolge veröffentlichten Entscheidungen zu § 11 StVollzG. Offenkundig kam es dem ­Bundesverfassungsgericht dabei – wie bereits erwähnt – auf eine Feinjustierung des Strafvollzuges an.1024 Beide „Kursänderungen“ des Bundesverfassungsgerichts haben zudem – wie gesehen – für erheblichen Wirbel gesorgt: Die Relativierung des Resozialisierungsgebotes 1983 hat das Schrifttum empört, die Anhänger eines restriktiveren Strafvollzuges in Politik und Praxis hingegen erfreut. Die Entscheidungen ab 1997 haben die seit den 1980er-Jahren weitgehend beendete Diskussion über die Einschränkung des vollzugsbehördlichen Beurteilungsspielraumes bei Prognoseentscheidungen im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG wiederbelebt. 6. Unterbringung a) Überblick Ähnlich umfangreich wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Vollzugslockerungen ist diejenige zur Unterbringung. Sie umfasst insgesamt 17 Entscheidungen. Darin enthalten sind die Themenbereiche Kleidung, Einkauf und Ernährung (§§ 20 bis 22 StVollzG), die gemeinsam mit den Vorschriften zur Unterbringung (§§ 17 f. StVollzG) im dritten Titel des zweiten Abschnitts des Strafvollzugsgesetzes geregelt sind und deshalb auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu einer Einheit zusammengefasst wurden. Die einschlägige Rechtsprechung beginnt im Jahr 1989 und hat ihren Schwerpunkt zwischen 2002 und 2012 – in diesem Zeitraum sind rund zwei Drittel der Entscheidungen zur Unterbringung ergangen. Im Folgenden sollen die Kernaussagen nach thematischen ­Gesichtspunkten geordnet herausgearbeitet und analysiert werden. b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Unterbringung im Haftraum (1) Mindestanforderungen an die Beschaffenheit des Haftraumes Zu den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen, die an die Beschaffenheit eines Haftraumes gestellt sind, hat sich das Bundesverfassungsgericht erstmals im Jahr 1993 und dann wiederum ab 2002 mehrfach geäußert. Die Karlsruher Richter stellten diesbezüglich fest:

1024

Siehe bereits oben D.IV.2.c)bb).

IV. Ergebnisse

225

– Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, ist nach Art.  1 Abs.  1 GG Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dies bedeutet für den Strafvollzug, dass die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz des Menschen auch in der Haft erhalten bleiben müssen.1025 – Es ist grundsätzlich unzulässig, Gefangene grob unhygienischen und widerlichen Haftraumbedingungen auszusetzen.1026 Der dem Beschluss von 1993 zu Grunde liegende Sachverhalt kann als Muster­ beispiel für eine menschenunwürdige Unterbringung bezeichnet werden. Hier war der Beschwerdeführer in einem Haftraum untergebracht, der über einen Zeitraum von mehreren Monaten insgesamt zehn Mal aufgrund eines defekten Rohr­ leitungssystems mit Fäkalien überschwemmt wurde. Das Bundesverfassungsgericht rügte dies mit den folgenden – weithin bekannten – Worten: „Solche Ereignisse können nicht als eine gesunde Unterbringung (vgl. § 144 StVollzG) gewertet werden und gefährden das menschenwürdige Dasein des Gefangenen. Dieser kann nicht mehr unbeeinträchtigt von Gestank und von in ihm auf kommenden Ekelgefühlen ­leben. Es liegt auf der Hand, dass das tägliche Dasein unter solchen Bedingungen Qual ist und den Voraussetzungen menschenwürdiger Existenz enträt.“1027

Ähnlich „unappetitlich“ ging es in dem vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 entschiedenen Fall zu, in dem der Beschwerdeführer mehrere Tage im Transporthaus einer JVA untergebracht war, an dessen Wänden sich Kot, Haken­k reuze und rassistische Schmierereien („Hackt den Juden die Schwänze ab“ u. a.) befanden.1028 Wenn die Karlsruher Richter diesbezüglich in Richtung der mit dem Fall befassten Instanzgerichte kritisch anmerken, dass die Möglichkeit einer Verletzung der Menschenwürde hier nicht von der Hand zu weisen sei,1029 ist dies zwar zutreffend. Nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar ist es allerdings, wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt, dass sich die Problematik, wann in der Beschaffenheit von Hafträumen eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG liege, nicht ohne Rücksicht auf Fragen der praktischen Realisierbarkeit beantworten lasse.1030 Soll dies etwa bedeuten, dass die Unterbringung in einem unhygienischen, wider­ lichen Haftraum, die an sich nach richtiger Auffassung der Karlsruher Richter menschenunwürdig ist, in den Fällen doch mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar sein kann, in denen die vorhandenen Ressourcen eine anderweitige Unterbringung nicht zulassen? Das Bundesverfassungsgericht verweist in­soweit nur auf eine die Untersuchungshaft betreffende Entscheidung aus dem Jahr 2007, in der davon die 1025

Vgl. BVerfG NJW 1993, 3190 (3190); siehe ferner BVerfG NJW 2002, 2699 u. 2700; BVerfGK 6, 344 (348); BVerfGK 7, 120 (122 f.); BVerfGK 12, 417 (420); BVerfGK 17, 420 (426); NJW-RR 2011, 1043 (1044). 1026 Vgl. BVerfGK 17, 420 (426). 1027 BVerfG NJW 1993, 3190 (3190 f.), siehe zu dieser Entscheidung auch Feest, Betrifft Justiz 2008, 276 (279 f.). 1028 Vgl. BVerfGK 17, 420 (421 f.). 1029 Vgl. BVerfGK 17, 420 (426). 1030 Vgl. BVerfGK 17, 420 (426 f.).

226

D. Die Entscheidungsanalyse

Rede ist, dass die Frage nach den Standards, deren Unterschreitung eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG bedeuten würde, nicht ohne Berücksichtigung der allgemeinen  – auch wirtschaftlichen  – Verhältnisse beantwortet werden könne.1031 Das lässt sich durchaus vertreten. In einer Gesellschaft, die durch ökonomische Schwäche und Armut gekennzeichnet ist, können in Bezug auf die Menschenwürde gewiss andere Maßstäbe gelten als in einer prosperierenden Volkswirtschaft.1032 Normale konjunkturelle Schwankungen können aber freilich nicht mit einer jeweils parallel verlaufenden Verschiebung des Menschenwürdestandards verbunden sein, weil dann die Gewährleistung des Art. 1 GG allzu leicht zu „kleiner Münze“ verkäme.1033 Erst recht können Sparzwänge, Ressourcenknappheit u. ä. einen einmal festgestellten Verstoß gegen die Menschenwürde nicht rechtfertigen. Vielmehr gilt dann – wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend festgestellt hat – folgender Grundsatz: – Ist eine mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbare Haftraumunterbringung innerhalb einer JVA nicht möglich, ist der Betroffene in eine andere Haftanstalt zu verlegen oder die Strafvollstreckung zu verschieben bzw. zu unterbrechen.1034 Rixen spricht hinsichtlich dieses Zwangs zur Gewährleistung einer Art. 1 Abs. 1 GG genügenden Unterbringung mit Recht davon, dass von ihm die kontrafaktische Wirkung einer unbedingten „Kapazitätsbeschaffungspflicht“ ausgehe.1035 Neben den bereits erläuterten Mindestanforderungen spielen für das Bundesverfassungsgericht bei der Beurteilung der Menschenwürdigkeit der Unterbringung – in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in Literatur und fachgerichtlicher Rechtsprechung1036  – nicht nur die Abwesenheit von Fäkalien eine Rolle, sondern noch eine Reihe weiterer Kriterien: – Als Faktoren, die eine aus den räumlichen Haftbedingungen resultierende Verletzung der Menschenwürde indizieren, kommen in erster Linie die Bodenfläche pro Gefangenem und die Situation der sanitären Anlagen, namentlich die Abtrennung und Belüftung der Toilette, in Betracht, wobei als ein die Haftsituation abmildernder Faktor die Verkürzung der täglichen Einschlusszeiten berücksichtigt werden kann.1037 Diese Vorgaben haben die Karlsruher Richter im Verlauf ihrer Judikatur noch weiter konkretisiert. Weil in den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen häufig 1031

Vgl. BVerfGK 12, 422 (424). Vgl. Theile, StV 2002, 670 (672). 1033 So auch Theile, a. a. O. 1034 Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1046); NJW 1993, 3190 (3190). Die einschlägige Rechtsgrundlage für die Aufschiebung oder Unterbrechung der Strafvollstreckung ist § 455a StPO. Dessen Abs. 2 gibt dem Anstaltsleiter sogar eine Notkompetenz, um in Eilfällen sofort handeln zu können; siehe zum Ganzen auch Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (411). 1035 Vgl. Rixen, in: FS Kerner, S. 803 (808 f.). 1036 Vgl. den Überblick zum Meinungsstand bei AK-Huchting/Pollähne, § 144 Rn. 5. 1037 BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1044). 1032

IV. Ergebnisse

227

nur davon die Rede ist, dass „jedenfalls“ diese oder jene Bedingungen noch keinen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG darstellten und häufig die Ziehung einer exakt benannten unteren Grenze vermieden wird, ist es nicht ganz einfach, den Minimal­ standard in Kernaussagen zusammenzufassen. Hinzu kommt noch, dass nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich wird, ob bestimmte Faktoren kumulativ zusammenwirken müssen, um einen Verstoß gegen die Menschenwürde begründen zu können. Was zunächst die gemeinschaftliche Unterbringung von Gefangenen anbelangt, kann der verfassungsgerichtlichen Judikatur folgender Grundsatz entnommen werden: – Die Unterbringung in einem mehrfach belegten Haftraum stellt eine Verletzung der Menschenwürde dar, wenn je Gefangenem nicht wenigstens eine Mindestfläche von 6 bis 7 m² zur Verfügung steht und die Toilette nicht abgetrennt bzw. gesondert entlüftet ist.1038 Genügt der WC-Bereich den vorgenannten Anforderungen, das Mindestmaß der Bodenfläche aber nicht, stellt dies nach Ansicht der Karlsruher Richter nicht zwingend einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG dar. So hat es das Bundesverfassungsgericht in einer im Jahr 2007 ergangenen Entscheidung als hinnehmbar bezeichnet, wenn in einem mit zwei Gefangenen belegten Haftraum jedem Inhaftierten zwar geringfügig weniger als 6 m² (hier: 5,85 m²) zur Verfügung stünden, dies aber allemal dadurch ausgeglichen werde, dass der Betroffene eine Vielzahl von Rückzugsmöglichkeiten außerhalb des Haftraumes habe.1039 In dem konkreten Fall befand sich der Beschwerdeführer in einem Freigängerhaus, wo er jederzeit (auch nachts) die Zelle verlassen konnte und sich zudem die Sanitäranlagen außerhalb des Haftraumes befanden. Wo genau die Grenze verläuft, ab der allein wegen zu geringer Größe des Haftraumes eine gemeinschaftliche Unterbringung zu einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG führt, lässt sich der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht entnehmen. Die Karlsruher Richter haben in der vorgenannten Entscheidung aber ausdrücklich auf Folgendes hingewiesen: – Bei ausreichender Abtrennung der sanitären Anlagen kann generell eine gewisse Unterschreitung der sonst geforderten Mindestgröße des Haftraumes hingenommen werden.1040 In diesem Zusammenhang verweist das Bundesverfassungsgericht auf zwei Entscheidungen des OLG Celle und des OLG Karlsruhe. Ersteres hatte im Juli 2003 in einem obiter dictum eine Zellengröße von 9,82 m² für zwei Gefangene mit einer räumlich abgetrennten Nasszelle von 1,42 m² nicht als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG eingestuft.1041 Das OLG Karlsruhe stellte in einer Entscheidung vom­ 1038

Vgl. BVerfG, a. a. O. Vgl. BVerfGK 12, 417 (421). 1040 Vgl. BVerfGK 12, 417 (421). 1041 Vgl. OLG Celle NStZ-RR 2003, 316 (317). 1039

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D. Die Entscheidungsanalyse

Januar 2005 fest, dass ein doppelt belegter Haftraum mit einer Größe von 9 m² und einem separaten Sanitärbereich von 1,3  m² nicht menschenunwürdig ist.1042 Die Toleranzgrenze der Karlsruher Richter dürfte also letztlich im Bereich von 4,5 bis 5 m² je Gefangenem (ohne Fläche der Sanitäreinrichtungen) liegen. Der veröffentlichten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug kann schließlich auch keine klare Maßgabe für die Konstellationen entnommen werden, in denen zwar ausreichend Bodenfläche vorhanden ist, aber eine abgetrennte Nasszelle fehlt. Aufschlussreich ist hier aber wiederum der die Untersuchungshaft betreffende und bereits erwähnte Beschluss vom 13.11.2007. Darin führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Bei einer Zuweisung des Haftraums als Einzelhaftraum verletzt die fehlende Abtrennung der Toilette vom übrigen Raum nicht den Anspruch des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde […]. Anders als in den Fällen, in denen zwei oder mehr Gefangene gemeinsam in einem Haftraum untergebracht sind und weder eine hinreichende, […] Sicht-, Geruchs- und Geräuschschutz gewährleistende räumliche Abtrennung der Toilette […] gegeben ist […], besteht bei einer Zuweisung zur Einzelnutzung grundsätzlich die Möglichkeit, körperliche Bedürfnisse unter Wahrung der eigenen Intimsphäre zu verrichten; der Gefangene ist auch nicht gezwungen, sich den Verrichtungen anderer Gefangener ungewollt auszusetzen.“1043

Diesen Ausführungen kann man indirekt eine klare Tendenz dahingehend entnehmen, dass die Karlsruher Richter mit großer Wahrscheinlichkeit die Unterbringung mehrerer Strafgefangener in einem Haftraum mit zwar hinreichend großer Bodenfläche, aber fehlender Abtrennung des Sanitärbereiches, als menschenunwürdig ansehen dürften. Die Problematik der nicht gewahrten Intimsphäre stellt sich schließlich im Strafvollzug in gleicher Weise wie in der Untersuchungshaft. Zu den soeben erörterten Problemkreisen (Mindestfläche; Sanitäranlagen) hat das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Einzelunterbringung in Strafhaft bisher nur einmal Stellung genommen, und zwar in seinem Nichtannahmebeschluss vom 7.11.2012. Die zentrale Aussage dieser Entscheidung lässt sich wie folgt auf den Punkt bringen: – Eine Grundfläche von nur wenig über 6 m² bei Einzelunterbringung liegt zwar an der unteren Grenze des Hinnehmbaren, verletzt aber Art. 1 Abs. 1 GG – jedenfalls wenn weitreichende Möglichkeiten der Zeitverbringung außerhalb des Haftraums vorhanden sind – noch nicht.1044 Auch hier stellt sich wiederum die Frage nach dem genauen Verlauf der untersten Grenze. Diesbezüglich sind dem in Rede stehenden Beschluss zwei weiterführende Anhaltspunkte zu entnehmen. Zum einen verweist das Bundesverfassungsgericht darin auf das „Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und 1042

Vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 224. BVerfGK 12, 422 (425 f.). 1044 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.11.2012 – 2 BvR 1567/11. 1043

IV. Ergebnisse

229

unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ (CPT), das empfiehlt, Zellen mit einer Grundfläche von weniger als 6 m² nicht für die Unterbringung von Gefangenen zu nutzen. Zum anderen nehmen die Karlsruher Richter Bezug auf ihre Entscheidung vom 19.10.1993.1045 Diese betrifft zwar die Untersuchungshaft. Allerdings befasst sich das Bundesverfassungsgericht darin auch mit den Mindestanforderungen an die Bodenfläche eines Haftraumes im Strafvollzug, wenn auch nur in Form mehrerer Verweise auf Fundstellen, und zwar vor allem solcher aus der Literatur. Aus dieser Auflistung ergibt sich ein Minimum von 6 m². Im Ganzen betrachtet dürfte dies also aus Sicht der Karlsruher Richter die entscheidende Grenze sein, deren Unterschreitung in jedem Fall einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG zur Folge hat. Anders als bei der Mehrfachbelegung eines Haftraumes, erachtet es das Bundesverfassungsgericht bei Einzelunterbringung nicht als menschenunwürdig, wenn der Sanitärbereich nicht abgetrennt ist und gesondert entlüftet wird. Dies ergibt sich allerdings nicht unmittelbar aus der veröffentlichten Rechtsprechung zum Strafvollzug, sondern ebenfalls aus der schon erwähnten Entscheidung zur Untersuchungshaft vom 13.11.2007. Der entscheidende Unterschied liegt für das Bundesverfassungsgericht darin begründet, dass der einzeln untergebrachte Gefangene bei der Benutzung der Toilette nicht in seiner Intimsphäre angetastet wird. Die Geruchsbelästigung, die auch bei der eigenen Nutzung einer nicht gesondert belüfteten Toilette in einem Einzelhaftraum entstehen könne, gehe, anders als eine erzwungene Konfrontation mit dem körperlichen Intimbereich anderer, über eine kurzfristige bloße Belästigung nicht hinaus. Ihr könne durch Lüftung über das Haftraumfenster ausreichend begegnet werden.1046 Vor dem Hintergrund, dass der Sanitärbereich in einem Einzelhaftraum nicht zwingend separat sein muss, ist es plausibel, wenn die Karlsruher Richter deshalb eine Mindestfläche verlangen, die um 1 bis 1,5 m² höher liegt als das oben genannte Minimum von 4,5 bis 5 m² bei gemeinschaftlicher Unterbringung. Neben der Bodenfläche und dem Sanitärbereich werden andere Gesichtspunkte der Haftraumbeschaffenheit in der verfassungsgerichtlichen Strafvollzugsrechtsprechung nur am Rande thematisiert. Das betrifft zum einen den zeitlichen Aspekt, also die Dauer, die ein Gefangener beispielsweise in einer zu kleinen Zelle untergebracht sein muss, um einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG begründen zu können. Die Karlsruher scheinen diesbezüglich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. In ihrer Entscheidung vom 27.12.2005 haben sie die Tendenz erkennen lassen, dass jedenfalls eine zweitägige Unterbringung auf zu engem Raum schon ausreichen kann.1047 Darüber hinaus ist dem Nichtannahmebeschluss vom 13.11.2007 zu entnehmen, dass das Bundesverfassungsgericht die untere Grenze

1045

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993 – 2 BvR 1778/93. Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 12, 422 (426). 1047 Vgl. BVerfGK 7, 120 (123). 1046

230

D. Die Entscheidungsanalyse

hinsichtlich des Rauminhalts in Übereinstimmung mit großen Teilen der übrigen Rechtsprechung und im Schrifttum bei 16 m³ pro Inhaftiertem sieht.1048 Die der verfassungsgerichtlichen Judikatur mehr oder weniger deutlich zu entnehmenden Mindestanforderungen (je Gefangenem) lassen sich somit wie in Abbildung 9 dargestellt zusammenfassen: Einzelunterbringung

Mehrfachbelegung

kein unhygienischer, Ekel erregender Zustand des Haftraumes mindestens 6 m² Bodenfläche

mindestens 4,5–5 m² Bodenfläche

separater Sanitärbereich nicht erforderlich

räumlich abgetrennter und gesondert entlüfteter Sanitärbereich notwendig

mindestens 16 m³ Rauminhalt bereits zweitägige Unterschreitung des Minimalstandards unzulässig Abbildung 9: Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Haftraumunterbringung

Wie ist die geschilderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu bewerten? Zwiespältig  – um es mit einem Wort auszudrücken. Nicht ernsthaft wider­sprechen kann man der Ansicht der Karlsruher Richter, dass sich Hafträume in einem hygienischen Zustand befinden müssen und Fäkalien oder andere widerliche Dinge dort nicht hingehören, denn sie bieten kein Umfeld für ein menschenwürdiges Dasein. Zu begrüßen ist es auch, dass nach dem Bundes­ verfassungsgericht grundsätzlich schon eine kurzfristige Unterschreitung des menschenwürdigen Minimalstandards einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG bedeutet. Die Menschenwürde ist nämlich ein absolut geltender Wert, so dass zeitliche Aspekte grundsätzlich keine entscheidende Rolle spielen können.1049 Nicht so eindeutig fällt das Urteil hingegen im Hinblick auf die Bodenfläche aus, die zur Verfügung stehen muss. Zunächst ist festzuhalten, dass die erläuterten Werte durchaus dem entsprechen, was in großen Teilen der übrigen Rechtsprechung und verschiedentlich auch im Schrifttum bisher schon als Minimalstandard angesehen wurde.1050 Sie tragen auch weitgehend dem Gesichtspunkt der Ressourcenknappheit Rechnung und stellen an die Praxis keine unrealistischen Anforderungen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es im Fall der Menschenwürde „nur“ um das Existenzminimum geht und nicht etwa – wie nach dem einfachen Recht – auch um Anforderungen wie „Wohnlichkeit“ (vgl. § 144 Abs. 1 StVollzG) oder dergleichen. 1048

Vgl. BVerfGK 12, 417 (420 f.); ausführlich zum Meinungsstand Nitsch, S. 124 ff. Ebenso Köhne, StV 2009, 215 (217). 1050 Vgl. etwa VerfGH Berlin LKV 2010, 26 (27); OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 224; OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 29; OLG Celle NStZ-RR 2003, 316 (317); näher zum Meinungsspektrum im Schrifttum Nitsch, S. 14 f. m. w. N. 1049

IV. Ergebnisse

231

Zweifel entstehen jedoch, wenn man sich vor Augen hält, welchen Freiraum die „Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV)“ Hunden im Zwinger gewährt.1051 Dabei geht es selbstverständlich nicht darum, Tiere mit Menschen auf eine Stufe zu stellen. Vielmehr soll anhand dieses Beispiels deutlich gemacht werden, wie gering das Niveau ist, das seitens des Bundesverfassungsgerichts und anderer als menschenwürdig akzeptiert wird. Erstaunlich ist bereits, dass die Haltung von Hunden detailliert in der vorstehend erwähnten Verordnung geregelt ist, während das Bundesministerium der Justiz von der ihm in § 144 Abs. 2 StVollzG eingeräumten Ermächtigung, Größe und Ausgestaltung der Hafträume durch Rechtsverordnung näher zu regeln, nie Gebrauch gemacht hat. Ohnehin sollte man meinen, dass die Festlegung des menschenwürdigen Minimums wichtig genug ist, dass das Parlament selbst die einschlägigen Regelungen trifft. Auch Nr. 18.3 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze verlangt, dass konkrete Mindestanforderungen im Hinblick auf die Haftraumbeschaffenheit im innerstaatlichen Recht festgelegt werden. Immerhin hat der Gesetzgeber in Baden-Württemberg die Frage der Bodenfläche detailliert geregelt (vgl. § 7 BwJVollzGB I).1052 In Brandenburg ist festgelegt, dass ein für die Belegung mit zwei Gefangenen zugelassener Haftraum über eine Grundfläche von mindestens 14 m² verfügen muss (§ 108 Abs. 4 BbgJVollzG), was den verfassungsgerichtlichen Maßgaben entspricht. Verblüffend ist auch der Inhalt der TierSchHuV. So sieht deren § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (ggf. i. V. m. § 5 Abs. 2) vor, dass einem Hund mit einer Widerristhöhe von über 65 cm in einem Raum oder Zwinger eine benutzbare Bodenfläche von mindestens 10 m² zur Verfügung stehen und ihm gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 ­TierSchHuV ausreichend Auslauf im Freien gewährt werden muss. Sind zwei Hunde gemeinsam untergebracht, beträgt die Mindestfläche 7,5 m² je Tier. Beide Werte liegen somit ganz erheblich über denjenigen, die in der Rechtsprechung des Bundes­ verfassungsgerichts für Gefangene diskutiert werden. Bemerkenswert ist zudem, dass eine Bodenfläche von 6 m², die für die Karlsruher Richter das Minimum bei Einzelunterbringung eines Inhaftierten darstellt, gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 ­TierSchHuV Hunden nur dann zugemutet wird, wenn diese regelmäßig an mindestens fünf Tagen in der Woche den überwiegenden Teil des Tages außerhalb des Zwingers verbringen! Letztlich stellt sich also die (rhetorische) Frage, ob eine Unterbringung menschenwürdig sein kann, deren Minimalstandard in Bezug auf die Bodenfläche so deutlich hinter dem zurückbleibt, was man für Hunde als notwendig erachtet. Immerhin – das darf im gegebenen Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben – liegt der deutsche Minimalstandard deutlich über dem europäischen Niveau. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist nämlich erst dann ein Verstoß allein wegen zu geringer Haftraumgröße gegen Art.  3 EMRK möglich, wenn einem Inhaftierten­ 1051 Vgl. hierzu und zum Folgenden bereits Bachmann/Goeck, Grundrechteport 2012, S. 25 (27); dies. NJ 2012, 407 (409 f.). 1052 Siehe dazu auch unten E.III.3.

232

D. Die Entscheidungsanalyse

weniger als 3 m² Bodenfläche zur Verfügung stehen.1053 Im Bereich von 3 bis 4 m² Grundfläche nehmen die Straßburger Richter eine wertende Gesamtschau der sonstigen Haftbedingungen vor.1054 Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch hinsichtlich der gemeinschaftlichen Unterbringung von Inhaftierten, und zwar  – in Übereinstimmung mit einem Teil des Schrifttums1055 – nicht erst mit Blick auf das „Wie“, sondern schon bezüglich des „Ob“. Freilich geht es insoweit nur um die Fälle, in denen die Mehrfachbelegung nicht auf echter Freiwilligkeit1056 der jeweiligen Gefangenen beruht. Folgt man konsequent dem „Mikrozensus-Beschluss“ des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1969, muss man zu dem Ergebnis gelangen, dass die gemeinschaftliche Unterbringung verfassungswidrig ist. In der soeben genannten Entscheidung heißt es nämlich: „[D]em Einzelnen [muss] um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein ‚Innenraum‘ verbleiben […], in dem er ‚sich selbst besitzt‘ und in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe ­gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt.“1057

Es ist klar, dass ein solcher Rückzugsort, an dem man ungestört und unbeobachtet seine Gedanken schweifen lassen und seinen Tätigkeiten nachgehen kann, bei gemeinschaftlicher Unterbringung in einem Haftraum fehlt. Die Wahrung privater Geheimnisse, ein unbeschwerter Zeitvertreib oder eine Abschottung vor den individuellen Eigenheiten des Mitgefangenen (Schnarchen u. ä.) ist hier nicht möglich.1058 Das Bundesverfassungsgericht lässt dies jedoch unberücksichtigt und knüpft nicht im vorgenannten Sinne an seinen „Mikrozensus-Beschluss“ an. Es hält vielmehr eine gemeinschaftliche Unterbringung gerade nicht generell für verfassungswidrig. Auf der Ebene des einfachen Rechts gilt nach § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG1059 zwar der Grundsatz der Einzelunterbringung. Hiervon sind jedoch gemäß §§ 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 201 Nr. 3 StVollzG verschiedene Ausnahmen zugelassen. Letztgenannte (Übergangs-)Bestimmung, die es erlaubt, Gefangene während der Ruhezeit gemeinsam unterzubringen, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt 1053

Näher hierzu van Zyl Smit/Snacken, S. 133 ff. m. w. N. Vgl. Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (410). 1055 Vgl. AK-Kellermann/Köhne, § 18 Rn. 3; Köhne, StV 2009, 215 ff. 1056 Gemeint ist eine Freiheit, die nicht nur durch das Bestreben gekennzeichnet ist, eventuell in Aussicht gestellte Vorteile zu erlangen oder Nachteile abzuwenden, vgl. dazu Köhne, StV 2009, 215 (217). 1057 BVerfGE 27, 1 (6). 1058 Ausführlich hierzu Köhne, StV 2009, 215 (216 ff.). 1059 Der Grundsatz der Einzelunterbringung ist auch in allen bisher in Kraft getretenen Landesgesetzen (als Muss- oder Sollvorschrift) verankert, vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 BwJVollzGB III; Art. 20 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG; § 18 Abs. 1 BbgJVollzG; § 20 Abs. 1 Satz HmbStVollzG; § 18 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG; § 11 Abs. 1 StVollzG MV; § 20 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG; § 18 Abs.  1 LJVollzG RLP; § 11 Abs.  1 SLStVollzG; § 11 Abs.  1 SächsStVollzG; § 18 Abs.  1 ThürJVollzGB. 1054

IV. Ergebnisse

233

dies erfordern, war Ende 2007 Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung. Die insoweit getroffene Kernaussage lässt sich wie folgt zusammenfassen: – § 201 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 StVollzG ist keine geeignete Grundlage für eine dauer­ hafte Mehrfachbelegung von Hafträumen, denn vor dem Hintergrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatzes der Normwahrheit ergibt sich, dass einer ausdrücklich als Übergangsregelung bezeichneten Norm nicht dauerhaft Rechtswirksamkeit zukommen kann.1060 Als Konsequenz hieraus fordert das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber auf, dass er, sollte er der Auffassung sein, auf die in § 201 Nr. 3 StVollzG normierte Ausnahme auf absehbare Zeit nicht verzichten zu können, durch eine entsprechende Änderung dem dann fälschlichen Eindruck, dass es sich bei dieser Norm um eine Übergangsbestimmung handle, entgegenzutreten.1061 Dem ist zuzustimmen. In Bayern (vgl. Art.  20 Abs.  2 BayStVollzG) und Niedersachsen (§ 20 Abs. 2 NStVollzG) haben die Landesgesetzgeber Regelungen getroffen, die es  – nunmehr leider dauerhaft  – erlauben, Gefangene gemeinsam unterzubringen, wenn die räumlichen Verhältnisse der Haftanstalt dies erfordern. In Hamburg gilt das nur für den offenen Vollzug (vgl. § 20 Abs. 2 Nr. 2 HmbStVollzG). In Baden-Württemberg fehlt eine entsprechende Regelung, allerdings ist die Einzelunterbringung hier ohnehin nur in einer Soll-Vorschrift verankert (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 BwJVollzGB III). Die übrigen Landesgesetze erlauben eine gemeinsame Unterbringung nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen.1062 (2) Rechtsschutz bei menschenunwürdiger Unterbringung Obwohl mehreren Entscheidungen Sachverhalte zu Grunde lagen, in denen die Unterbringung des Beschwerdeführers nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts menschenunwürdig war, hat es keiner Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG stattgegeben.1063 Vielmehr haben die Karlsruher Richter die jeweiligen fachgerichtlichen Beschlüsse aufgrund von  – teils haarsträubenden – Verstößen gegen Art. 19 Abs. 4 GG und in einem Fall auch wegen Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit (Art.  3 Abs.  1 i. V. m. 20 Abs. 3 GG) aufgehoben. Dabei kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es den Instanzgerichten zum Teil gezielt darauf angekommen ist, die Klagen der Gefangenen „auf Gedeih und Verderb vom Tisch zu wischen“.1064 1060

Vgl. BVerfGK 13, 67 (69 f.). Vgl. BVerfGK 13, 67 (70). 1062 Vgl. § 18 Abs. 3 BbgJVollzG; § 11 Abs. 3 StVollzG MV; § 18 Abs. 3 LJVollzG RLP; § 11 Abs. 4 SLStVollzG; § 11 Abs. 3 SächsStVollzG; § 18 Abs. 3 ThürJVollzGB; ähnlich § 18 Abs. 1 Satz 5 HStVollzG („unabweisbare Notwendigkeit aufgrund außergewöhnlicher Umstände“). 1063 Vgl. BVerfG NJW 2002, 2699 u. 2700 f.; BVerfGK 6, 344 ff.; BVerfGK 17, 420 ff.; NJWRR 2011, 1043 ff. 1064 Hiervon berichten auch Neubacher/Eichinger, FS 2010, 109 (109); siehe ferner Neubacher, BewHi 2011, 82 (87). 1061

234

D. Die Entscheidungsanalyse

So ging es in der verfassungsgerichtlichen Entscheidung vom 27.2.2002 im Kern um einen Beschluss des OLG Celle, das in dem konkreten Fall zwar von einer mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbaren Unterbringung des Beschwerdeführers ausgegangen war, dessen Rechtsbeschwerde aber mit Verweis auf den Ausnahmetatbestand des § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG gleichwohl verworfen hatte. Mit Recht hat das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich klargestellt, dass die Menschenwürde unantastbar ist und deshalb auch nicht durch eine gesetzliche Bestimmung wie § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG eingeschränkt werden kann.1065 Das ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit, wurde vom OLG aber nicht erkannt. Keinen besonders vorteilhaften Eindruck haben die Instanzgerichte auch in dem Fall hinterlassen, der dem stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.2.20111066 zu Grunde lag. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Amtshaftungsklage wegen menschenunwürdiger Haftraumunterbringung. Obwohl § 114 Satz 1 ZPO nur eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung vorsieht, hatte das LG dem Hauptsacheverfahren weit vorgegriffen und im Rahmen des PKH-Verfahrens – bestätigt durch das OLG – schwierige Rechtsfragen durchentschieden. Dabei war das LG bei der Beurteilung der Menschenwürdigkeit der Haftraumunterbringung des Beschwerdeführers sogar in nicht nachvollziehbarer Weise von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen. Zweck der §§ 114 ff. ZPO ist es aber nicht, die Rechtsverteidigung bzw. -verfolgung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und den ersuchten Rechtsschutz selbst zu gewähren, sondern nur, diesen zugänglich zu machen.1067 Schließlich mussten sich die Karlsruher Richter mehrfach mit Verfassungsbeschwerden von Gefangenen befassen, deren Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 109 ff. StVollzG keinen Erfolg hatten, weil die Fachgerichte nach Beendigung der jeweils beanstandeten Unterbringungssituation das Rechtsschutzinteresse verneint hatten. Das Bundesverfassungsgericht ist dem jedoch entgegengetreten und hat dabei folgenden Grundsatz aufgestellt: – Steht in einem gerichtlichen Verfahren durch die Art und Weise der Unterbringung eines Inhaftierten ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG in Rede, entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht mit deren Beendigung.1068 Das Bundesverfassungsgericht begründet dies damit, dass es sich bei einer im Raum stehenden Verletzung der Menschenwürde um einen besonders tiefgreifen 1065

Vgl. BVerfG NJW 2002, 2699; zust. Gazeas, HRRS 2005, 171 (173). Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 ff. 1067 Vgl. BVerfGE 81, 347 (357). 1068 Vgl. BVerfG NJW-RR 2002, 2700; BVerfGK 6, 344 (347 f.); BVerfGK 17, 420 (425); dies entspricht auch der allgemeinen Auffassung im Schrifttum, vgl. LNNV-Bachmann/Neu­ bacher, § 115 Rn.  15; SBJL-Laubenthal, § 115 Rn.  17; AK-Kellermann/Köhne, § 18 Rn.  7;­ Arloth, § 18 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, § 115 Rn. 13. 1066

IV. Ergebnisse

235

den Grundrechtseingriff handele, der nach Beendigung zu einem Rehabilitationsinteresse führe. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Sie wird der Menschenwürde als grundgesetzlichem Höchstwert gerecht und verhindert zudem, dass sich die Vollzugsbehörden dadurch gerichtlicher Kontrolle entziehen können, dass sie in Fällen, in denen ein Antrag im Sinne der §§ 109 ff. StVollzG droht, die Unterbringungssituation – womöglich in letzter Minute – in einen rechtlich einwandfreien Zustand überführen1069. (3) Entschädigung bei menschenunwürdiger Unterbringung Steht fest, dass ein Gefangener menschenunwürdig untergebracht war, stellt sich die Frage, inwieweit er hierfür im Rahmen eines Amtshaftungsanspruches nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu entschädigen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat sich diesbezüglich wie folgt positioniert: – Eine mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbare Haftraumunterbringung verlangt nicht in jedem Fall zwingend eine monetäre Entschädigung. Der Schadensausgleich kann in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls auch auf andere Weise (z. B. durch Naturalrestitution oder sonstige Folgenbeseitigung) erfolgen.1070 Während die Karlsruher Richter bei der Feststellung einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG insoweit keine allzu hohen Maßstäbe ansetzen, als sie grundsätzlich bereits eine kurzfristige Unterschreitung der Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung ausreichen lassen, stellen sie auf Rechtsfolgenseite ausweislich des vorstehend erwähnten Grundsatzes höhere Anforderungen. Unterhalb einer gewissen „Bagatellgrenze“ hat der Betroffene also nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts keinen Anspruch auf eine Geldentschädigung. Das ist in der Literatur vielfach kritisiert worden.1071 Faktisch überträgt das Bundesverfassungsgericht damit die Grundsätze zur Entschädigung bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art.  2 Abs.  1 i. V. m. Art.  1 Abs.  1 GG) auf Verstöße gegen die Menschenwürde.1072 Während im erstgenannten Bereich Raum für Abwägungen ist und man durchaus zu dem Ergebnis gelangen kann, dass erst bei schwerwiegenden Eingriffen eine monetäre Entschädigung zu leisten ist, muss dies im Rahmen von Art. 1 Abs. 1 GG von vornherein ausscheiden, weil die Menschenwürde „unantastbar“ und deswegen jeglichen Relativierungen unzugänglich ist.1073 Vielmehr ist jeder Verstoß gegen vorgenannte Verfassungsnorm als schwerwiegend anzusehen, weshalb nach dem Grundgesetz auch keinerlei­

1069

Etwas näher zu derartigen „Umgehungstaktiken“ sogleich unter c). Vgl. BVerfGK 7, 120 (123 f.); NJW-RR 2011, 1043 (1046). 1071 Vgl. zuletzt etwa Rixen, in: FS Kerner, S. 803 (810 ff.) m. w. N. 1072 Vgl. diesbezüglich bereits die entsprechende Kritik von Gazeas, HRRS 2005, 171 ff. an der Entscheidung des BGH vom 4.11.2004 (= BGHZ 161, 33 ff.). 1073 Vgl. Unterreitmeier, NJW 2005, 475 (477); Gazeas, HRRS 2005, 171 (174 f.). 1070

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D. Die Entscheidungsanalyse

Rechtfertigung für Eingriffe in Betracht kommt.1074 Daher sollte jede menschenunwürdige Haftraumunterbringung zu einer Geldentschädigung führen.1075 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass dort, wo nicht zwingend ein monetärer Entschädigungsanspruch droht, der Kostendruck für die Landeshaushalte und damit die Motivation zum Handeln gering bleibt.1076 Hierfür kommt es freilich – nebenbei bemerkt – nicht nur auf das „Ob“ eines Anspruchs, sondern auch auf das „Wie“, d. h. dessen Höhe an. Während der EGMR einem deutschen Gefangenen im Jahr 2011 für eine siebentägige menschenrechtswidrige Unterbringung auf der Grundlage von Art. 41 EMRK eine Entschädigung in Höhe von 10.000 € zugesprochen hat, sind die deutschen Gerichte eher „knauserig“ und gewähren vielfach nur Beträge von durchschnittlich etwa 20 € pro Tag.1077 (4) Sonstige Fragen der Unterbringung Neben den soeben erörterten Kernproblemen der Unterbringung (Haftraumbeschaffenheit; Rechtsschutz; Entschädigung) hat sich das Bundesverfassungsgericht auch mit einigen eher spezielleren Fragen auseinandergesetzt. So ging es in zwei Entscheidungen aus den Jahren 1996 und 2006 darum, ob es im Hinblick auf die Grundrechte des Gefangenen erforderlich ist, dass Vollzugsbedienstete vor Betreten eines Haftraumes anklopfen. Die Karlsruher Richter haben hierzu folgende Kernaussagen getroffen: – Hafträume sind keine Wohnungen im Sinne von Art. 13 GG. – Allerdings folgt aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner besonderen Ausprägung als Anspruch auf Achtung der Intimsphäre, dass dem Gefangenen unmittelbar vor Betreten des Haftraumes eine „Warnung“ gegeben werden muss, was regelmäßig durch das Schließgeräusch beim Öffnen gewährleistet wird. Wo ein solches aufgrund von Besonderheiten der Schließvorrichtung nicht entsteht, ist auf gleichwertige andere Weise auf das bevorstehende Betreten der Zelle aufmerksam zu machen.1078 Der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, wonach Hafträume nicht dem Schutzbereich des Art. 13 GG unterfallen, ist zuzustimmen und entspricht auch

1074

Vgl. Gazeas, HRRS 2005, 171 (175). A. A. Unterreitmeier, NJW 2005, 475 (477). 1076 Vgl. Rixen, in: FS Kerner, S. 803 (813); Bachmann/Goeck, Grundrechteport 2012, S. 25 (27 f.); dies., NJ 2012, 407 (413); Eichinger, JR 2012, 57 (57); Kretschmer, NJW 2009, 2406 (2410); Bachmann, NJ 2010, 290 (292); Neubacher/Eichinger, FS 2010, 109 (111); Sauer, StraFo 2007, 325 (327); Ostendorf/Nolte, StV 2006, 708 (712). 1077 Vgl. Rixen, a. a. O.; Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (413) jeweils m. w. N. 1078 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG, Beschl. v. 4.7.2006 – 2 BvR 460/01; NJW 1996, 2643 f. 1075

IV. Ergebnisse

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der ganz herrschenden Meinung.1079 Schutzgut des vorgenannten Grundrechts ist das Selbstbestimmungsrecht des Hausrechtsinhabers.1080 Dieses obliegt aber nicht dem einzelnen Gefangenen, sondern der Haftanstalt. Der Inhaftierte darf den ihm zugewiesenen Haftraum lediglich nach Maßgabe der von Seiten der Anstalts­ leitung erteilten Weisungen nutzen.1081 Aus dem Hausrecht der JVA folgt zudem die Befugnis der Bediensteten, die Zellen jederzeit und unabhängig vom Einverständnis der Gefangenen zu betreten.1082 Allerdings müssen die Vollzugsmitarbeiter bedenken, dass sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Anspruch des Inhaftierten auf Wahrung seiner Privat- und Intimsphäre ergibt. Dies führt dazu, dass dem Gefangenen vor Betreten seines Haftraumes zumindest eine „Vorwarnung“ in der vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen Weise zu geben ist. Einfach-rechtlich wird man allerdings von einer Pflicht zum vorherigen Anklopfen ausgehen müssen, denn § 3 Abs. 1 StVollzG1083 verlangt, dass das Leben im Vollzug soweit als möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angeglichen wird.1084 In Freiheit ist es aber üblich, vor Betreten eines Raumes anderer anzuklopfen und es ist nicht ersichtlich, warum dies im Strafvollzug nicht ebenso ­gehandhabt werden könnte. Freilich sind die Bediensteten bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (z. B. Gefahr für die Sicherheit der JVA) berechtigt, ohne jeglichen vorherigen Hinweis die Zelle zu betreten.1085 Um eine weitere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ging es auch in dem knapp begründeten Nichtannahmebeschluss vom 18.5.1996. Gegenstand dieser Entscheidung war die Frage, ob die Anbringung eines Namensschildes an der Haftraumtür verfassungsgemäß ist. Die Karlsruher Richter haben diesbezüglich festgestellt: – Die Beschriftung des Haftraumes mit dem Namen des Gefangenen verstößt nicht gegen dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art.  2 Abs.  1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.1086 Diese Entscheidung ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass sich das Bundesverfassungsgericht gerade im Bereich des Strafvollzuges des Öfteren auch mit 1079

Vgl. Maunz/Dürig/Papier, Art.  13 Rn.  10; SBJL-Ullenbruch, § 84 Rn.  4; siehe ferner VerfGH Sachsen, NJW 1995, 2980 für das parallele Landesgrundrecht in Art.  30 Abs.  1 SächsVerf.; kritisch aber Sachs, JuS 1997, 460 f. 1080 Vgl. BVerwGE 121, 345 (350); Schoch, Jura 2010, 22 (24). 1081 Vgl. SBJL-Ullenbruch, § 84 Rn. 4 m. w. N. 1082 So mit Recht BVerfG NJW 1996, 2643 (2643). 1083 Alle Landesgesetze enthalten eine vergleichbare Regelung, vgl. § 2 Abs. 2 BwJVollzGB III; Art. 5 Abs. 1 BayStVollzG; § 3 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG; § 3 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG; § 3 Abs. 4 StVollzG MV; § 2 Abs. 1 NJVollzG; § 7 Abs. 1 LJVollzG RLP; § 3 Abs. 4 SLStVollzG; § 3 Abs. 4 SächsStVollzG; § 7 Abs. 1 ThürJVollzGB. 1084 So bereits LG Bielefeld, NStZ 1986, 189; ähnlich LNNV-Neubacher, § 3 Rn. 5, der allerdings – weitergehend als hier – von einer verfassungsrechtlichen Pflicht ausgeht. 1085 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1086 Vgl. BVerfG NStZ-RR 1996, 318.

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D. Die Entscheidungsanalyse

Detailfragen befassen muss. Kurz und bündig weist es darauf hin, dass die Beschriftung der Hafträume mit den Namen der Gefangenen im Hinblick auf die problemlose Abgrenzung der Raumzuteilungsverhältnisse und das geordnete Zusammenleben in der Haftanstalt erforderlich sei.1087 Der Gesetzgeber hat hierfür im Zuge des 4. Strafvollzugsänderungsgesetzes vom 26.8.1998 mit § 182 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 StVollzG1088 eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage geschaffen. Die Kenntnisnahme des Haftortes eines Gefangenen durch Außenstehende (etwa im Rahmen von Besucherführungen) aufgrund der Beschilderung wird allerdings nach allgemeiner Auffassung durch die vorgenannte Bestimmung nicht gedeckt.1089 Dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann aber hinreichend Rechnung getragen werden, indem die Schilder abgenommen oder verdeckt werden.1090 Schließlich hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1989 über die Verfassungsbeschwerde von drei inhaftierten Vätern zu entscheiden, die mit ihren Kindern in der Haftanstalt zusammenleben wollten. Die Karlsruher Richter haben dazu folgende Grundsätze aufgestellt: – Es stellt keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2, 3 GG dar, wenn die gemeinsame Unterbringung eines Gefangenen mit seinem Sohn aus Gründen des Kindeswohls abgelehnt wird. – Art. 6 Abs. 1 GG begründet keinen Anspruch der Familienmitglieder, trotz einer verhängten Freiheitsstrafe weiterhin mit dem Strafgefangenen zusammenzuleben. – Art. 6 Abs. 3 GG betrifft solche Eingriffe, die eine Trennung der Kinder von den Eltern zugunsten der Begründung eines staatlichen Erziehungseinflusses wegen elterlichen Erziehungsversagens zum Ziel haben, nicht jedoch die stets mit der Entziehung der Freiheit verbundene Trennung des Strafgefangenen von seiner Familie.1091 Während den vorgenannten Kernaussagen im Grunde nichts hinzuzufügen ist, besteht hinsichtlich der §§ 80, 142 StVollzG1092 als thematisch einschlägigen­ 1087

Vgl. BVerfG, a. a. O. Inhaltsgleich § 47 Abs. 1 Satz 3 BwJVollzGB I; Art. 200 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG; § 50 Abs. 2 BlnJVollzDSG; § 123 Abs. 1 Satz 2 HmbStVollzG; § 61 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG; § 109 Abs. 3 Satz 2 StVollzG MV; § 195 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG; § 28 Abs. 1 LJVollzDSG RLP; § 110 Abs. 1 Satz 2 SLStVollzG; § 98 Abs. 1 SächsStVollzG; § 132 ThürJVollzGB. 1089 Vgl. nur SBJL-Schmid, § 182 Rn. 5 m. w. N. 1090 So auch SBJL-Koop/Grote, § 144 Rn. 2 u. SBJL-Schmid, a. a. O. 1091 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG ZfStrVo 1991, 372. Die Entscheidung ist sowohl in der ZfStrVo als auch bei Juris nur als Zusammenfassung veröffentlicht. Daher wurde ergänzend auf die Internetseite von Makrolog zurückgegriffen, auf der der Beschluss im Volltext eingestellt ist, vgl. www1.recht.makrolog.de/irfd/show?normid=drsp_rs_1995_009022­ ®ion­=drsp (zuletzt abgerufen am 1.8.2013). 1092 Die gemeinsame Unterbringung von Gefangenen mit Kindern ist (mit Unterschieden im Detail) in allen Landesgesetzen vorgesehen, vgl. §§ 10 BwJVollzGB I; Art.  86, 168 BayStVollzG; § 21 BbgJVollzG; §§ 21, 100 HmbStVollzG; § 74 HStVollzG; § 14 StVollzG MV; § 73 NJVollzG; § 21 LJVollzG RLP; § 14 SLStVollzG; § 14 SächsStVollzG; § 21 ThürJVollzGB. 1088

IV. Ergebnisse

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Regelungen des einfachen Rechts durchaus Diskussionsbedarf. Das Bundesverfassungsgericht hat es in der in Rede stehenden Entscheidung allerdings ausdrücklich offen gelassen, ob die vorgenannten Vorschriften mit Art. 3 Abs. 2, 3 Satz 1 GG vereinbar sind.1093 Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 GG können nur Mütter mit ihren (noch nicht schulpflichtigen) Kindern in der Vollzugsanstalt untergebracht werden. Außerdem sollen gemäß § 142 StVollzG lediglich in Anstalten für Frauen Einrichtungen vorgesehen werden, die eine gemeinsame Unterbringung ermöglichen. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG ist davon auszugehen, dass die §§ 80, 142 StVollzG einer Prüfung durch die Karlsruher Richter nicht Stand halten würden. Nach der verfassungsgerichtlichen Judikatur sind nur solche an das Geschlecht anknüpfenden Differenzierungen mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar, die zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach entweder bei Frauen oder bei Männern auftreten können, zwingend erforderlich sind, oder die durch eine Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht ausnahmsweise legitimiert werden.1094 Tradierte Rollenbilder oder statistische Häufigkeiten können keinesfalls zur Rechtfertigung einer geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung führen.1095 Im Hinblick auf den in Rede stehenden Fall ist festzustellen, dass die Problematik der gemeinsamen Unterbringung mit dem Kind in der Haft keine solche ist, die ihrer Natur nach ausschließlich bei Frauen auftreten kann. Selbst wenn es sich insoweit um ein Interesse handeln sollte, das statistisch häufiger bei Müttern auftritt, wäre dies kein hinreichender Grund, es Vätern von vornherein zu versagen. Kol­lidierendes Verfassungsrecht, das einer Gleichbehandlung zwingend entgegensteht, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Vor dem geschilderten Hintergrund sind die §§ 80, 142 StVollzG als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG anzusehen.1096 Es ist deshalb zu begrüßen, dass zumindest einige Landesgesetzgeber die Regelungen der §§ 80, 142 StVollzG in einer geschlechtsneutralen Variante übernommen haben.1097 Abschließend sei noch erwähnt, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss vom 17.12.2007 die Problematik der zwangsweisen gemeinschaftlichen Unterbringung eines Nichtrauchers mit einem Raucher kurz angerissen hat. Auf nähere Ausführungen hierzu konnten die Karlsruher Richter allerdings verzichten, weil die zu Grunde liegende Verfassungsbeschwerde aus­

1093

Vgl. BVerfG ZfStrVo 1991, 372. Daher ist es unzutreffend, wenn sich Arloth, § 80 Rn. 1 für seine Auffassung, wonach die Unmöglichkeit gemeinsamer Unterbringung von Vätern und Kindern verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, auf den verfassungsgerichtlichen Beschluss vom 27.2.1989 beruft. 1094 Vgl. BVerfGE 114, 357 (364); 92, 91 (109). 1095 Vgl. BVerfGE 85, 191 (207). 1096 Für Verfassungsmäßigkeit aber – ohne jegliche Begründung – Arloth, § 80 Rn. 1. 1097 Vgl. § 21 BbgJVollzG; § 74 HStVollzG; § 14 StVollzG MV; § 21 LJVollzG RLP; § 14 SächsStVollzG; § 21 ThürJVollzGB.

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D. Die Entscheidungsanalyse

ihrer Sicht mangels hinreichender Begründung bereits unzulässig war. Dennoch haben sie darauf hingewiesen, dass es angesichts der räumlichen Enge, der erheblichen Belästigung und der nicht ausschließbaren Gesundheitsgefährdungen durch Passivrauchen einen Grundrechtseingriff von einigem Gewicht darstellen könne, wenn ein Gefangener ohne sein Einverständnis gemeinsam mit einem Raucher untergebracht werde. Freilich begründe dies, wenn Abhilfe auch auf andere Weise – z. B. durch Anordnung eines Rauchverbots  – möglich ist, nicht ohne Weiteres einen Anspruch des nichtrauchenden Inhaftierten auf Einzelunterbringung.1098 Der Sache nach hat das Bundesverfassungsgericht damit aber ein Recht des Gefangenen auf Schutz vor den Gefahren des Rauchens durch Mitinsassen begründet. Diesen Anspruch haben die Karlsruher Richter mit ihrer jüngst ergangenen – allerdings nicht mehr in den relevanten Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit fallenden – Entscheidung vom 20.3.20131099 bekräftigt. Angesichts dessen ist es zu begrüßen, dass § 66 Abs. 3 SächsStVollzG die Anstalten verpflichtet, den Nichtraucherschutz angemessen zu gewährleisten.1100 bb) Tragen privater Kleidung Zur Problematik des Tragens privater Kleidung liegen zwei veröffentlichte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vor. Dem ersten – aus dem Jahr 1996 stammenden – Beschluss lag die Verfassungsbeschwerde eines Taschengeld beziehenden Gefangenen zu Grunde, der beantragt hatte, ein Paket mit privater Wäsche über ein Versandhaus beziehen zu dürfen. Ihm war seitens der Haftanstalt gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG die Erlaubnis erteilt worden, eigene Kleidung zu tragen. Den Bezug des vorgenannten Pakets lehnte die JVA jedoch ab, weil die Kleidung nicht vom freien Eigen- bzw. Hausgeld, sondern von Dritten außerhalb der Anstalt bezahlt werden sollte. Letzteres sei den Gefangenen jedoch generell untersagt, da ansonsten im Rahmen der Einkaufsmöglichkeiten ein allzu großes Gefälle unter ihnen entstehe, das Spannungen und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen vermögenden und nicht vermögenden Inhaftierten hervorrufe.1101 Das Bundesverfassungsgericht erblickte hierin mit Recht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausformung als Willkürverbot und stellte diesbezüglich fest:

1098 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 13, 67 (67 f.). Nach einer ersten empirischen Studie sind fast 80 % aller Inhaftierten Raucher, wobei der Anteil der Frauen (ca. 83 %) – anders als in der Allgemeinbevölkerung – größer ist als derjenige der Männer (ca. 77 %), vgl. Stöver/Ritter, in: Gesundheit und Haft, S. 290 (291). 1099 Vgl. BVerfG NJW 2013, 1943 ff. 1100 Vgl. zu einer Nichtraucherschutzstrategie für Justizvollzugsanstalten Stöver/Ritter, a. a. O. S. 290 (292 ff.). Untersuchungen haben gezeigt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Gefangenen (u. a. aus finanziellen Gründen) an Maßnahmen der Tabakprävention interessiert ist, vgl. Stöver/Ritter, a. a. O., S. 290 (292) m. w. N. 1101 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NStZ-RR 1997, 59 (60).

IV. Ergebnisse

241

– Das Tatbestandsmerkmal „auf eigene Kosten“ im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG verbietet es nicht, dass die private Kleidung des Gefangenen von­ Dritten bezahlt wird, sondern stellt nur klar, dass die JVA nicht die Kosten zu tragen hat.1102 Bei der zweiten Entscheidung, die am 10.11.1999 ergangen ist, handelt es sich um einen knapp begründeten Nichtannahmebeschluss, der sich im Kern in der Feststellung erschöpft, dass die Frage nach Ausübung und Grenzen des in § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG eingeräumten Ermessens hinsichtlich des Tragens eigener Kleidung bei einer strafrechtlichen Hauptverhandlung gar nicht und bei sonstigen Vorführungen zu Gericht jedenfalls nicht im Sinne einer gefestigten Rechtsprechung geklärt sei.1103 Bereits eine Woche zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht in derselben Sache den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit welcher der eine lange Freiheitsstrafe verbüßende Beschwerdeführer erreichen wollte, zu einer gegen ihn gerichteten strafrechtlichen Hauptverhandlung in Privat­kleidung vorgeführt zu werden. Die Karlsruher Richter wiesen zunächst darauf hin, dass die Frage der Bekleidung bei Vorführungen zu Gericht im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 2 StVollzG gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt sei, weshalb § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG einschlägig sei. Es könne im gegebenen Fall aber o­ ffen bleiben, ob für eine Vorführung zu Gericht das Ermessen der JVA – als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und entsprechend der gesetzgeberischen Wertung des § 20 Abs. 2 Satz 1 StVollzG – grundsätzlich soweit verengt sei, dass in der Regel eine dem Gefangenen günstige Ermessensentscheidung zu ergehen habe, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 StVollzG vorlägen. Der Beschwerdeführer hätte nämlich vorrangig fachgerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen müssen.1104 Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1999, wonach die Ermessensgrenzen bei § 20 Abs.  2 Satz  2 StVollzG bezüglich des Tragens von Privat­kleidung bei Vorführungen zu Gericht nicht im Sinne einer gefestigten Rechtsprechung geklärt seien, hat auch heute noch Gültigkeit.1105 Ungeachtet dessen ist die von den Karlsruher Richtern offen gelassene Frage zu bejahen. Für die Fälle des § 20 Abs. 2 Satz 1 StVollzG (= Ausführungen) ist anerkannt, dass dem Gefangenen das Tragen eigener Kleidung gestattet werden muss, wenn keine­

1102 Vgl. BVerfG, a. a. O. Für das in den entsprechenden Landesvorschriften verwendete Tatbestandsmerkmal „auf eigene Kosten“ gilt insoweit nichts anderes. 1103 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 2039/99. 1104 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NJW 2000, 1399 (1400). 1105 In der Entscheidung des OLG Hamm vom 9.12.2008 (= NStZ-RR 2009, 223 f.) ging es zwar um das Tragen von privater Kleidung im Rahmen der Vorführung zur mündlichen Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer anlässlich der Entscheidung über die Strafrestaussetzung zur Bewährung. Der entscheidende Strafsenat konnte die Frage nach den Ermessensgrenzen bei § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG aber offen lassen, weil es an jeglichen nachprüfbaren Ermessenserwägungen der JVA von vornherein fehlte.

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D. Die Entscheidungsanalyse

Entweichungsgefahr besteht.1106 Bei den nach § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG zu beurteilenden Vorführungen zu Gericht ist von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen, wenn Bedenken im vorgenannten Sinne nicht bestehen und auch keine Gefahren für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt drohen.1107 Andernfalls wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Gefangenen in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt. Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht darauf hin­ gewiesen, dass die Verpflichtung zum Tragen einheitlicher Anstaltskleidung von den Strafgefangenen regelmäßig als Selbstwertkränkung und Deprivation emp­ funden wird und deren Recht, selbst darüber befinden zu dürfen, wie sie sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen wollen, erheblich beeinträchtigt.1108 In Hamburg (§ 23 HmbStVollzG) und Niedersachsen (§ 22 NJVollzG) ist die erläuterte Problematik inzwischen dadurch entschärft, dass die dortigen Strafvollzugsgesetze das Tragen von Privatkleidung als Regelfall vorsehen, was Vorführungen zu Gericht einschließt.1109 cc) Einkauf von Kosmetika durch männliche Gefangene Am 7.11.2008 haben die Karlsruher Richter der Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen stattgegeben, der sich gegen die Ungleichbehandlung männlicher und weiblicher Inhaftierter u. a. bezüglich der Möglichkeit des Einkaufens von Kosmetika von zweckgebunden eingezahltem Eigengeld gewandt hatte. Nach Auffassung der JVA sei die Verwendung von Eigengeld für den Erwerb vorgenannter Produkte außer bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 StVollzG1110 nicht vorgesehen. Die Hausordnung sehe zwar vor, dass bestimmte Aufwendungen vom zweckgebundenen Eigengeld getätigt werden könnten. Für Kosmetikeinkäufe 1106

Vgl. nur SBJL-Laubenthal, § 20 Rn. 3 m. w. N. Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1996, 302 (303); SBJL-Ullenbruch, § 36 Rn. 3. 1108 Vgl. BVerfG NJW 2000, 1399 (1400); ebenso Köhne, ZRP 2003, 60 (60). 1109 In den anderen Ländern, die am Grundsatz des Tragens von Anstaltskleidung festgehalten haben und dem Anstaltsleiter die Entscheidung hinsichtlich etwaiger Ausnahmen überlassen (vgl. § 16 BwJVollzGB III; Art. 22 BayStVollzG; § 21 HStVollzG; § 52 StVollzG MV; § 61 LJVollzG RLP; § 52 SLStVollzG; § 52 SächsStVollzG; § 62 ThürJVollzGB; in Brandenburg nur bezüglich des geschlossenen Vollzugs, § 62 Abs. 1 Satz 1 BbgJVollzG), ist von einer Ermessensreduktion auf Null unter den dargestellten Voraussetzungen auszugehen. 1110 Inhaltsgleich § 18 Abs.  3 BwJVollzGB III; Art.  24 Abs.  3 BayStVollzG; § 18 Abs.  3 HStVollzG; ähnlich § 48 Abs. 2 Satz 2 NJVollzG – ohne das Tatbestandsmerkmal „Taschengeld“ sowie § 48 Abs. 3 HmbStVollzG, der ausdrücklich anordnet, dass das Überbrückungsgeld gebildet sein muss; nach §§ 63 Abs.  2 Satz  4 BbgJVollzG, 53 Abs.  2 Satz  4 StVollzG MV, 62 Abs. 2 Satz 5 LJVollzG RLP, 53 Abs. 2 Satz 4 SLStVollzG, 53 Abs. 2 Satz 4 SächsStVollzG, 63 Abs. 2 Satz 4 ThürJVollzGB können Nahrungs-, Genuss- und Körperpflegemittel nur vom Haus- und Taschengeld, andere Gegenstände aber in angemessenem Umfang vom Eigengeld eingekauft werden. In Sachsen können Gefangene dreimal im Jahr zusätzlich Nahrungs-, Genuss- und Körperpflegemittel einkaufen, wobei in diesen Fällen auch Eigengeld verwendet werden darf (siehe § 53 Abs. 3 SächsStVollzG). Ein solcher Sondereinkauf ist auch in Hamburg vorgesehen (vgl. § 25 Abs. 2 HmbStVollzG). 1107

IV. Ergebnisse

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gelte dies nach dem Wortlaut der entsprechenden Regelung aber nur für weibliche Gefangene, womit den Besonderheiten des Frauenvollzuges Rechnung getragen werde.1111 Das Bundesverfassungsgericht stellte insoweit klar: – Eine Regelung, wonach nur Frauen gestattet ist, Kosmetika über das in § 22 Abs. 1, 3 StVollzG Vorgesehene hinaus vom Eigengeld zu kaufen, ist mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar.1112 Die Karlsruher Richter haben hier ihre ständige – im Rahmen der Ausführungen zu den sonstigen Fragen der Unterbringung bereits dargestellte1113  – Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 3 GG konsequent zur Anwendung gebracht. Mag das Interesse an Kosmetika bei Frauen womöglich höher sein als bei Männern, handelt es sich gleichwohl nicht um ein von Natur aus nur bei weiblichen Personen auftretendes Interesse, sondern allenfalls um einen Geschlechterstereotyp, der zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nicht geeignet ist.1114 dd) Fazit Im Themenkomplex „Unterbringung“ hat das Bundesverfassungsgericht – im Ganzen betrachtet  – bisher weit weniger offensiv agiert als etwa im Bereich der Vollzugsplanung, der Lockerungsmaßnahmen oder der grundlegenden Fragen des Resozialisierungsgebotes. Den stärksten und konsequentesten Eindruck hinterlassen die Karlsruher Richter im Hinblick auf den Rechtsschutz, wo sie ohne Umschweife mehrfach gravierende Defizite fachgerichtlicher Entscheidungen aufgezeigt haben. Im Übrigen machen sich aber die Schwierigkeiten, die Anforderungen an eine menschenwürdige Haftraumunterbringung konkret positiv zu bestimmen, auch in den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts deutlich bemerkbar. Es ist bisher in Bezug auf die Mindestanforderungen an die Haftraumbeschaffenheit gerade so konkret geworden, wie es in der jeweiligen Entscheidung unbedingt nötig war und hat zudem eigene Festlegungen oder gar neue Akzentsetzungen weitgehend vermieden. So stellt es in der Entscheidung vom 27.2.2002 schlicht fest, dass der Haftraum hinsichtlich seiner Größe und Ausstattung nicht menschenwürdig gewesen sei.1115 Ganz abgesehen davon, dass für eine solche Wertung in dem konkreten Fall keine Veranlassung bestand, hätte das Bundesverfassungsgericht zuvor überhaupt erst einmal einen entsprechenden Prüfungsmaßstab mit konkretisierten Vorgaben entwickeln müssen. Letzteres hat es jedoch auch in den nachfolgenden Entscheidungen weitgehend vermieden. Sein Mittel der Wahl ist stattdessen die (mehr oder weniger ausführliche) bloße Wiedergabe der 1111

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 14, 381 (382 f.). Vgl. BVerfGK 14, 381 (388). 1113 Siehe oben D.IV.6.b)aa)(4). 1114 Näher hierzu BVerfGK 14, 381 (388 f.). 1115 Vgl. BVerfG NJW 2002, 2699. 1112

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D. Die Entscheidungsanalyse

bisherigen fachgerichtlichen Rechtsprechung ohne wertende Stellungnahme, um sodann den jeweiligen Sachverhalt, soweit dies irgendwie möglich ist, gar nicht oder nur ausweichend darunter zu subsumieren.1116 Trotzdem hat auf diese Weise im Lauf der Zeit ein allmähliches „Heranschleichen“ an verschiedene Grenzwerte stattgefunden. Wie gesehen, ist es inzwischen sogar – wenn auch nur unter Rückgriff auf Entscheidungen zur Untersuchungshaft – möglich, ein vergleichsweise genaues Bild von dem Minimalstandard, den das Grundgesetz nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts für die Haftraumbeschaffenheit statuiert, zu zeichnen. Es wird aber abzuwarten sein, inwieweit die Karlsruher Richter verschiedene Richtwerte, die ihrer Judikatur bisher nur indirekt entnommen werden konnten (z. B. bezüglich des Rauminhaltes oder der Bodenfläche bei gemeinschaftlicher Unterbringung), zukünftig ausdrücklich bestätigen werden. Ein gewisser Raum für Einzelfallabwägungen wird dabei trotz aller Bemühungen um Konkretisierung des weiten Begriffs der menschenwürdigen Unterbringung immer verbleiben (müssen). Ein Teil der schwierigen Erarbeitung eines mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbaren Mindeststandards für die Haftraumbeschaffenheit bliebe freilich erspart, wenn man – entgegen dem Bundesverfassungsgericht – der hier vertretenen Auffassung folgte, wonach die Mehrfachbelegung von Zellen generell verfassungswidrig ist, weil die absolut geschützte Intimsphäre der Gefangenen dabei nicht gewahrt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit den anderen Bereichen, die dem vorliegenden Themenkomplex unterfallen, bisher nur zum Teil  (Kleidung, Einkauf)  oder gar nicht (Ernährung) befasst bzw. befassen können. Soweit diesbezüglich allerdings Rechtsprechung der Karlsruher Richter vorhanden ist (Tragen privater Kleidung nach § 20 Abs. 2 StVollzG sowie Einkauf von Kosmetika durch männliche Gefangene), kann ihr aber – wie gezeigt – uneingeschränkt zugestimmt werden. c) Historische Einordnung In historischer Perspektive ist zunächst auffällig, dass die Frage der Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Haftraumunterbringung bis zum Jahrtausendwechsel in der Rechtsprechung (einschließlich der des Bundesverfassungsgerichts) kaum eine Rolle gespielt hat, während es danach zu einem deutlichen Anstieg einschlägiger Entscheidungen gekommen ist.1117 Dies dürfte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass zu diesem Zeitpunkt eine erneute Welle der Überbelegung in vielen Haftanstalten einsetzte, die im Jahr 2003 ihren Höhepunkt

1116

Vgl. BVerfGK 6, 344 (348): „Damit stand eine Verletzung des Rechts des Beschwerde­ führers auf Achtung seiner Menschenwürde in Frage“; siehe ferner BVerfG, Beschl. v. 7.11.2012 – 2 BvR 1567/11; BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1044). 1117 Vgl. AK-Huchting/Pollähne, § 144 Rn. 5.

IV. Ergebnisse

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erreichte.1118 Zum anderen hängt die deutliche Zunahme gerichtlicher Entscheidungen zur Unterbringung mit den beiden stattgebenden Kammerbeschlüssen der Karlsruher Richter vom Beginn des Jahres 2002 zusammen. Darin hatte das Bundesverfassungsgericht die Fachgerichte zur Gewährung eines Art. 19 Abs. 4 GG stärker Rechnung tragenden Rechtsschutzes in Fragen der menschenwürdigen Unterbringung von Strafgefangenen angehalten. Insbesondere hat es – unter Verweis auf seinen Beschluss vom 5.12.2001 zur prozessualen Überholung bei Abschiebungshaft1119  – klargestellt, dass das Rechtsschutzinteresse des Gefangenen angesichts der überragenden Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG nicht durch die Beendigung der beanstandeten Unterbringungssituation entfällt. Bis dahin war dies häufig Grund dafür, dass das Ersuchen um gerichtlichen Rechtsschutz von vornherein zum Scheitern verurteilt war und es nicht zu Sachentscheidungen der Gerichte kam. Die Haftanstalten hatten sogar, wie bereits angedeutet wurde, ein­ regelrechtes System entwickelt, um eine derartige Situation herbeizuführen. So hatten sie Wartelisten für die Zuweisung von Einzelhafträumen eingeführt, bei protestierenden oder klagenden Gefangenen Abhilfe geschafft und nötigenfalls vor Gericht verbindlich erklärt, die grundrechtswidrige Unterbringung zu be­ enden, um auf diese Weise das Rechtsschutzinteresse des Inhaftierten an einer Fortsetzungsfeststellungsklage entfallen zu lassen.1120 Während die beiden Entscheidungen des Jahres 2002 also in prozessualer Hinsicht ohne Weiteres als richtungsweisend bezeichnet werden können, ist deren materieller Gehalt wenig bahnbrechend. Beide Beschlüsse beschränken sich im Grunde auf allgemeine Ausführungen zur Menschenwürde als Höchstwert und tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte sowie die Feststellung, dass der Unterbringung in kleinen Hafträumen durch Art. 1 Abs. 1 GG Grenzen gesetzt sind. Das war zum damaligen Zeitpunkt in Rechtsprechung und Schrifttum bereits allgemein anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht verweist diesbezüglich in seinen beiden Kammerbeschlüssen auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. aus dem Jahr 1985, das diesen Konsens in seinem Beschluss anhand entsprechender Nachweise belegt.1121 Auch die Karlsruher Richter selbst hatten den Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Haftraumbeschaffenheit bereits 1993 in ihrer ersten Entscheidung zu diesem Problemkreis hergestellt. Man kann dem Bundesverfassungsgericht freilich keinen Vorwurf daraus machen, dass es den verfassungsrechtlich geforderten Mindeststandard in den beiden Entscheidungen von 2002 noch nicht näher konkretisiert hat, da dies in Anbetracht der­ jeweils zu Grunde liegenden Sachverhalte nicht notwendig war. Die Beschlüsse der Fachgerichte waren schließlich bereits deshalb aufzuheben, weil diese eine Entscheidung in der Sache jeweils vollständig verweigert hatten.

1118

Vgl. Drenkhahn, in: Justizvollzug, S. 67 (77); dies., FS 2012, 319 (322). Vgl. BVerfGE 104, 220 ff. 1120 Vgl. LNNV-Neubacher, Einl. Rn. 32. 1121 Vgl. OLG Karlsruhe StV 1986, 27 (27). 1119

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D. Die Entscheidungsanalyse

Seit 2005 ist das Bundesverfassungsgericht zwar mehrfach auf verschiedene Faktoren, die für eine menschenwürdige Unterbringung relevant sind (Bodenfläche; Sanitäreinrichtungen u. a.), näher eingegangen. Eigene Impulse hat es insoweit, wie schon angedeutet, allerdings nicht gesetzt. Dabei wäre es ein richtiges Signal gewesen, wenn die Karlsruher Richter an ihre „Mikrozensus“-Entscheidung angeknüpft und klargestellt hätten, dass das darin postulierte verfassungsrechtlich garantierte Recht eines jeden auf Einsamkeit und auf einen Rückzugsraum einem Gefangenen bei gemeinschaftlicher Unterbringung nicht gewährleistet werden kann. Darüber hinaus ist es zu bedauern, dass die Karlsruher Richter nicht generell eine monetäre Entschädigung in Fällen menschenunwürdiger Unterbringung für notwendig erachten, obwohl dies geboten und sachdienlich ist. Sie haben damit auch eine wertvolle Chance, die Bereitschaft zur Achtung der Menschenwürde Gefangener in der Vollzugspraxis zu stärken, ungenutzt verstreichen lassen. Stattdessen hat sich das Bundesverfassungsgericht in all diesen Fragen der fachgerichtlichen Judikatur angeschlossen. Letzteres ist natürlich nicht in allen Belangen negativ zu bewerten. Diesbezüglich sei insbesondere an die vom Bundesverfassungsgericht mit Recht betonte Verpflichtung, in Fällen der Überbelegung notfalls gemäß § 455a StPO die Strafvollstreckung aufzuschieben bzw. zu unterbrechen, erinnert. Diese Möglichkeit hatte der BGH im Jahr 2010 wieder ins Gespräch gebracht,1122 was vom Bundesverfassungsgericht nicht nur ausdrücklich bestätigt, sondern sogar als „neuer Weg der Rechtsverteidigung“ gepriesen wurde. Der BGH hat mit seinem Vorstoß freilich ebenfalls kein „Neuland“ betreten. Bereits im Juni 1967 hatte das OLG Hamm in einem für die damalige Zeit sensationellen Beschluss nicht nur die menschenunwürdige Unterbringung von drei Gefangenen in einer Einzelzelle gerügt, sondern auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine drohende Überbelegung notfalls durch einen zeitweisen Vollstreckungsaufschub bei kurzfristigen Freiheitsstrafen abgewendet werden müsse.1123 Dieser Appell blieb nicht ungehört. Knapp zwei Monate später ordnete der damalige nordrhein-westfälische Justizminister Neuberger unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Hamm durch Rundverfügung an, dass aufgrund des großen Mangels an Haftraum Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten bei nicht vorbestraften Tätern nicht mehr und solche bis zu sechs Monaten nur noch in dem Umfang vollstreckt werden dürfen, wie Einzelzellen zur Verfügung stehen.1124 Angesichts der Tatsache, dass es in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Phasen der Überfüllung deutscher Gefängnisse gegeben hat, und zwar Anfang der 1960erJahre sowie um 1980 und 2000,1125 stellt sich die Frage, warum erst im letztgenannten Zeitraum verfassungsgerichtliche Entscheidungen publik geworden sind, die

1122

Vgl. BGH NJW-RR 2010, 1465 (1466). Vgl. OLG Hamm NJW 1967, 2024 ff. 1124 Vgl. FAZ v. 15.8.1967, S. 1. 1125 Vgl. hierzu Kreuzer, BewHi 2006, 195 (195 ff.); siehe ferner zur Unterbringungssituation zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichtes oben C.VI. 1123

IV. Ergebnisse

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sich mit der menschenwürdigen Unterbringung befassen. Neben der bereits er­ läuterten restriktiven Veröffentlichungspraxis des Bundesverfassungsgerichts bezüglich seiner Entscheidungen bis weit in die 1980er-Jahre hinein1126 sowie dem deutlich geringeren Aufkommen an Verfassungsbeschwerden dürfte hinsichtlich der ersten Überfüllungsphase vor allem eine Rolle gespielt haben, dass die Karlsruher Richter dem Strafvollzug zur damaligen Zeit kaum Aufmerksamkeit geschenkt haben. Die 1960er-Jahre waren – jedenfalls in der Rechtsprechung – noch von der Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis“ geprägt. Auch wenn die Menschenwürde an sich selbst nach diesem Verständnis keinerlei Einschränkung zugänglich ist, war das Bild vom Strafvollzug als weitgehend grundrechtsfreier Raum womöglich doch so dominierend, dass vereinzelte Klagen von Gefangenen über ihre Unterbringung dabei untergingen oder von vornherein gar keine Verbindung zu Art. 1 Abs. 1 GG hergestellt wurde. Die bereits erwähnte Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahr 1967 stellt insoweit eine erfreuliche Ausnahme dar. Im Hinblick auf die 1980er-Jahre ist zu berücksichtigen, dass die Euphorie über einen neuen, liberalisierten Strafvollzug größtenteils verflogen war und nicht wenige wieder für eine restriktivere Ausrichtung plädierten. Fragen verbesserter Haftraumbedingungen standen dabei nicht an erster Stelle. Dies zeigt auch die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Grünen“ an die Bundesregierung, warum bisher noch keine Rechtsverordnung im Sinne des § 144 Abs.  2 StVollzG erlassen sei und wann man beabsichtige, dies zu ändern. Der Bundes­justizminister stellte hierzu am 18.4.1984 fest: „Die Bundesregierung hat bisher von der Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung gemäß § 144 Abs. 2 StVollzG keinen Gebrauch gemacht, weil andere Vorhaben wie die Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherung sowie die gesetzliche Regelung des Jugendstrafvollzugs und der Untersuchungshaft vorrangig zu bearbeiten sind. […] Angesichts [dessen] kann derzeit ein Termin für den Erlass einer Rechtsverordnung nicht genannt werden.“1127

Auch das Bundesverfassungsgericht hatte sich, wie schon erläutert, in dieser Zeit nicht mehr mit dem Engagement für die Belange des Strafvollzuges eingesetzt wie noch im vorangegangenen Jahrzehnt. Dies änderte sich erst wieder ab 1993. Jetzt griffen die Karlsruher Richter wieder verstärkt den Resozialisierungsgedanken auf, mahnten eine verfassungsgemäße Vollzugsplanung an, stärkten verschiedentlich den gerichtlichen Rechtsschutz usw. So ist es letztlich wenig verwunderlich, dass kurz nach dem Jahrtausendwechsel Entscheidungen veröffentlicht wurden, in denen sich das Bundesverfassungsgericht auch mit Problemen im Bereich der Haftraumbeschaffenheit befasst. Da die übrigen Entscheidungen Einzelfallcharakter haben bzw. eher Detailprobleme betreffen, bleiben die beiden den Rechtsschutz bei menschenunwürdiger 1126

Siehe oben D.IV.1.a)cc). BT-Drs. 10/1351, S. 1 f.

1127

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D. Die Entscheidungsanalyse

Unterbringung stärkenden Kammerbeschlüsse aus dem Jahr 2002 im Rückblick nicht nur die mit der größten und nachhaltigsten Wirkung, sondern vor allem auch diejenigen, die am deutlichsten die Handschrift des Bundesverfassungsgerichts tragen. Was die materiellen Aspekte (Mindestanforderungen an die Haftraumbeschaffenheit; Entschädigung bei mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbarer Unterbringung; Pflicht zum Vollstreckungsstopp in Ausnahmesituationen) anbelangt, sind es letztlich die Fachgerichte – einschließlich des BGH – die bis in die Gegenwart tonangebend waren. Dass ihnen das Bundesverfassungsgericht bisher in den genannten Punkten stets gefolgt ist, lässt die Bedeutung ihrer Rechtsprechung freilich in noch hellerem Licht erscheinen. d) Prozessuale Entscheidungskritik In prozessualer Hinsicht ist vor allem darauf hinzuweisen, dass zur Frage, welche Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Haftraumunterbringung zu stellen sind, vom Bundesverfassungsgericht bei nächster Gelegenheit eine Senatsentscheidung herbeigeführt werden muss. Einen Nichtannahmebeschluss  – wie dies zuletzt am 7.11.2012 geschehen ist1128  – dürfen die Kammern nicht erlassen. Eine Verfassungsbeschwerde, der grundlegende Bedeutung im Sinne des § 93a Abs. 2 lit.a BVerfGG zukommt, muss nämlich angenommen werden. Diese Voraussetzung ist insbesondere dann erfüllt, wenn eine Entscheidung in der Sache nicht möglich ist, ohne dass neue verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt werden und es an einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Vorklärung durch einen der beiden Senate fehlt.1129 Genau dies ist vorliegend aber der Fall, da bisher in keiner Senatsentscheidung erörtert wurde, welche konkreten Anforderungen sich aus Art.  1 Abs.  1 GG für die Unterbringung von Strafgefangenen ergeben. Das Urteil des Ersten Senats zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe vom 21.6.1977, das auf die Menschenwürde im Zusammenhang mit dem Strafvollzug eingeht, genügt nicht. Darin wird lediglich klargestellt, dass die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz des Menschen auch in der Haft erhalten bleiben müssen, woraus sich (in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip) die Verpflichtung des Staates ergebe, jenes Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmache.1130 Was dies speziell für die Haftraumunterbringung von Strafgefangenen konkret bedeutet, bleibt – da nicht Kernfrage der Entscheidung – völlig offen. Ebenso wenig wie die Kammern befugt sind, die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde zu beschließen, die eine Antwort auf die Frage nach der menschenwürdigen Beschaffenheit von Hafträumen erfordert, darf in einer solchen 1128

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.11.2012 – 2 BvR 1567/11. Vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Graßhof, § 93a Rn. 91. 1130 Vgl. BVerfGE 45, 187 (228). 1129

IV. Ergebnisse

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Sache eine stattgebende Kammerentscheidung im Sinne des § 93c BVerfGG ergehen. Hierfür ist nämlich ebenfalls Voraussetzung, dass die zu entscheidende Sachfrage bereits durch einen der beiden Senate hinreichend geklärt ist.1131 e) Ergebnis Hypothese 6, wonach die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Unterbringung im Strafvollzug bis vor wenigen Jahren trotz erheblicher Missstände in den Haftanstalten bis in die 2000er-Jahre hinein nicht richtungsweisend gewesen ist, hat sich im Kern als zutreffend erwiesen. Soweit sie suggeriert, dass es im Verlauf der ersten Dekade nach dem Jahrtausendwechsel zu nachhaltig bedeutsamen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gekommen ist, trifft dies vor­ allem auf die beiden stattgebenden Kammerbeschlüsse des Jahres 2002 zu. Diese haben einen maßgeblichen prozessualen Impuls gesetzt, indem sie hervorgehoben haben, dass eine gegen die Unterbringungssituation gerichtete Klage nicht mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abgewiesen werden darf, wenn die beanstandeten Zustände zwischenzeitlich beseitigt wurden. Bezüglich der Sachfragen sind es hingegen die Fachgerichte gewesen, die die Richtung vorgegeben haben und denen das Bundesverfassungsgericht gefolgt ist. Prozessual steht die Rechtsprechung der Karlsruher Richter zum Themenfeld „Unterbringung“ weitgehend auf tönernen Füßen, weil es an einer Senatsentscheidung fehlt, die hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die Haftraumbeschaffenheit einen Orientierungsrahmen für die Kammern darstellen könnte. 7. Außenkontakte a) Überblick Der im Folgenden zu erörternde Themenkomplex „Außenkontakte“, der den Re­ gelungsbereich der §§ 23 bis 33 StVollzG zum Gegenstand hat, umfasst insgesamt 23 Entscheidungen. Er ist damit (hinter dem Rechtsschutz) der Bereich, mit dem sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner veröffentlichten Rechtsprechung bisher am zweithäufigsten befasst hat (siehe oben Abbildung 8). Die große Mehrheit der Entscheidungen betrifft den Schriftverkehr, und zwar vor allem das Anhalten von Briefen nach § 31 StVollzG. Den zeitlichen Anfangspunkt markiert der bereits analysierte (siehe oben D.IV.1.) „Strafgefangenen-Beschluss“ vom 14.3.1972. Er ist die einzige veröffentlichte Entscheidung der Karlsruher Richter zu den Außenkontakten in den 1970er-Jahren geblieben. Für das darauffolgende Jahrzehnt liegen lediglich zwei Beschlüsse vor. Für den vergleichsweise kurzen Zeitraum von 1993 bis 1997 sind hingegen acht einschlägige ­Entscheidungen zu 1131

Siehe dazu bereits oben B.III.1.b)bb).

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D. Die Entscheidungsanalyse

verzeichnen. Die Mehrzahl der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu den Außenkontakten ist jedoch nach dem Jahrtausendwechsel ergangen. Im Folgenden sollen die Kernaussagen – geordnet nach thematischen Gesichtspunkten und entsprechend der Reihenfolge ihrer Regelung in den §§ 23 ff. StVollzG – heraus­ gearbeitet und analysiert werden. b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Besuch (1) Trennscheibeneinsatz bei Besuchen Die Untersuchung beginnt gemäß dem geschilderten Ablauf mit dem Themen­ feld des Besuchs, zu dem zwei Entscheidungen vorliegen. So musste sich der Zweite Senat 1993 mit der Frage befassen, inwieweit der Einsatz einer Trennscheibe bei Ehegattenbesuchen eines Strafgefangenen verfassungsrechtlich zu­ lässig ist.1132 Der Entscheidung lag die Verfassungsbeschwerde eines zu einer langjährigen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung Verurteilten zu Grunde, dem mehrfach erfolgreich die Flucht aus der Haft gelungen war. Ende 1986 erhielt die JVA, in der der Beschwerdeführer einsaß, einen polizeilichen Hinweis, wonach er einen Ausbruch plane. Seine Verlobte sei dabei beobachtet worden, wie sie Ausbruchsgegenstände beschafft habe. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin in eine andere Anstalt verlegt und seine Verlobte von allen Besuchen ausgeschlossen. Nachdem letztere den Beschwerdeführer im Sommer 1987 geheiratet hatte, waren im Herbst desselben Jahres zwei überwachte Besuche in einem Trennscheibenraum genehmigt worden. Im Februar 1988 gelang ihm erneut die Flucht. Er konnte erst zehn Monate später wieder gefasst werden. Anfang 1989 beantragte der Beschwerdeführer, bei den Besuchen seiner Ehefrau auf den Einsatz der Trennscheibe zu verzichten. Die JVA lehnte dies jedoch unter Hinweis auf dessen Ausbruchsgefährlichkeit ab. Hiergegen stellte der Beschwerdeführer Antrag auf gerichtliche Entscheidung und brachte zur Begründung u. a. vor, dass für das Vorgehen der Haftanstalt eine gesetzliche Grundlage fehle. Die Strafvoll­ streckungskammer verwarf den Antrag als unbegründet. Die Anordnung des Trennscheibeneinsatzes könne auf § 27 Abs. 1 und 4 i. V. m. § 4 StVollzG gestützt werden und sei auch verhältnismäßig. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde wurde vom OLG verworfen. Letzteres fügte aber hinzu, dass die JVA im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG und die noch nicht absehbare Dauer der Strafvollstreckung ihre Entscheidung zu überprüfen haben werde, wenn der Beschwerdeführer seine Bereitschaft erklären sollte, sich nach jedem Besuch seiner Ehefrau einer eingehenden Durchsuchung einschließlich Umkleidung zu unterziehen.

1132

Vgl. hier und im Folgenden BVerfGE 89, 315 ff.

IV. Ergebnisse

251

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen erhobene Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen und im Rahmen seines Beschlusses folgende Grundsätze aufgestellt: – Die Auffassung, wonach § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG die einschlägige Rechtsgrundlage für den aus Gründen der Sicherheit erfolgenden Einsatz einer Trennscheibe darstelle, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. – Diese Maßnahme bedeutet jedoch einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Ihre Anordnung erfordert – vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen – konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer realen Gefährdung der Anstaltssicherheit und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. – Die Erforderlichkeit des Trennscheibeneinsatzes muss grundsätzlich für jeden einzelnen Besuch gesondert geprüft werden. Eine Anordnung im Vorhinein für einen Zeitraum, in den mehrere Besuche derselben Person fallen können, kann aber gerechtfertigt sein, wenn eine schnelle Änderung der gefahrenbegründenden Umstände ausgeschlossen erscheint. – Da der längerfristige Einsatz einer Trennscheibe bei Ehegattenbesuchen mit Blick auf Art.  6 Abs.  1 GG einen besonders belastenden Grundrechtseingriff darstellt, müssen die zuständigen Behörden Sicherheitsbedenken mit besonderer Sorgfalt überprüfen und ggf. zu gleich wirksamen, aber weniger einschneidenden Maßnahmen übergehen, wenn dies für die JVA in Anbetracht ihrer Ressourcen zumutbar und auch mit dem Verhalten des betroffenen Gefangenen solchen Vorkehrungen gegenüber vereinbar ist.1133 Die Frage, inwieweit der Einsatz einer Trennscheibe bei Besuchen zulässig ist, ist umstritten. Nach der restriktivsten Ansicht kommt er nur im Fall des § 27 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 29 Abs. 1 Sätze 2 und 3 i. V. m. § 148 Abs. 2 Satz 3 StPO in Betracht.1134 Danach sind für Gespräche zwischen Verteidigern und Gefangenen, die eine Freiheitsstrafe wegen einer Straftat nach § 129a StGB (ggf. i. V. m. § 129b Abs. 1 StGB) verbüßen, Vorrichtungen vorzusehen, die die Übergabe von Schriftstücken und anderen Gegenständen ausschließen. Hierbei handle es sich um eine abschließende Regelung, so dass der Rückgriff auf andere Ermächtigungsgrundlagen – insbesondere die Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG – für alle übrigen Fälle (z. B. andere Straftaten oder Personen) ausgeschlossen sei. Außerdem komme § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG bereits deshalb als Grundlage für den Einsatz einer Trennscheibe nicht in Betracht, weil es dabei nicht um „Überwachung“ im Sinne dieser Vorschrift gehe, sondern diese gerade ersetze.1135 1133

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGE 89, 315 (323 f.). Vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 4 Rn. 21 u. § 27 Rn. 9. 1135 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden Calliess/Müller-Dietz, a. a. O. 1134

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D. Die Entscheidungsanalyse

Die überwiegende Auffassung teilt diese Sichtweise nicht. Danach könne eine Trennscheibe auch in Fällen eingesetzt werden, die über die gesetzlich ausdrücklich geregelte Konstellation hinausgehen.1136 Freilich herrscht keine Einigkeit darüber, wie weit der Kreis der insoweit einschlägigen Sachverhalte zu ziehen ist. Vielfach wird angenommen, dass § 27 Abs. 4 Satz 3 StVollzG i. V. m. § 29 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StVollzG i. V. m. § 148 Abs. 2 Satz 3 StPO für Verteidigerbesuche grundsätzlich eine abschließende Regelung darstelle und lediglich – gestützt auf die Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG – ein weiterer Anwendungsfall für den Trennscheibeneinsatz anzuerkennen sei, und zwar derjenige, dass der Gefangene mit der Geiselnahme seines Rechtsbeistands drohe.1137 Bei Privatbesuchen wird seitens der h. M. § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG herangezogen und die Anwendung der in Rede stehenden Maßnahme grundsätzlich für zulässig erachtet.1138 Dies entspricht der geschilderten Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Die Frage, welche Voraussetzungen für den Trennscheibeneinsatz bei Privatpersonen erfüllt sein müssen, wird aber wiederum nicht einheitlich beurteilt. Während zum Teil keine besonderen Anforderungen formuliert werden und daher wohl das Vorliegen einer Gefahr für die Behandlung, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) als hinreichend erachtet wird, ziehen manche engere Grenzen.1139 Auf der Linie letztgenannter Ansicht befindet sich auch das Bundesverfassungsgericht, das die Verwendung der Trennscheibe nur bei konkreten Anhaltspunkten für eine reale Gefährdung der Anstaltssicherheit zulässt, so dass die im Rahmen des § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG nach h. M. an sich genügenden anstaltsbezogenen generellen Gründe (z. B. Sicherheitsgrad; abstrakte Gefahr des Drogenmissbrauchs)1140 nicht ausreichend sind. Ob der Trennscheibeneinsatz auch aus Gründen der Anstaltsordnung möglich ist, haben die Karlsruher Richter hingegen ausdrücklich offen gelassen.1141

1136 Vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 11.8.2011 – III-1 Vollz (Ws) 328/11; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2009, 295; KG Berlin NStZ 1995, 103 (104); Kaiser/Schöch, § 7 Rn. 90; Arloth, § 27 Rn. 3; SBJL-Schwind, § 27 Rn. 14 m. w. N. 1137 Vgl. BGH NJW 2004, 1398 ff.; SBJL-Schwind, § 27 Rn. 14; Laubenthal, Rn. 514; weitergehend OLG Celle NStZ 1981, 116 u. OLG Hamm ZfStrVo 1980, 57 (Gefahr des Missbrauchs des unüberwachten Verteidigerbesuchs); kritisch Beulke/Swoboda, NStZ 2005, 67 ff.; anders noch BGHSt 30, 38 ff. (keinerlei Rückgriff auf § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG bei Verteidigerbesuchen möglich). 1138 Vgl. KG Berlin NStZ 1995, 103 (104); OLG Hamm b. Bungert NStZ 1993, 379 (380); Arloth, § 27 Rn. 3; SBJL-Schwind, § 27 Rn. 14; für Zulässigkeit auch Kaiser/Schöch, § 7 Rn. 90, wobei nicht hinreichend deutlich wird, welche Rechtsgrundlage (§ 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG oder § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) sie für einschlägig halten. 1139 Vgl. Arloth, § 27 Rn.  3; nach Laubenthal, Rn.  517 und SBJL-Schwind, § 27 Rn.  14 kommt ein Trennscheibeneinsatz nur in Betracht, wenn andernfalls ein Besuchsverbot (§ 25 StVollzG) angeordnet werden müsste; Kaiser/Schöch, § 7 Rn. 90 gehen von einer Beschränkung auf Ausnahmefälle aus. 1140 Vgl. Arloth, § 27 Rn. 2 m. w. N. 1141 Vgl. BVerfGE 89, 315 (323).

IV. Ergebnisse

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Sowohl die h. M. als auch die restriktive Gegenansicht vermögen nicht zu überzeugen. Letztgenannter Auffassung ist allerdings dahingehend zuzustimmen, dass § 27 Abs.  1 Satz  1 StVollzG als Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung einer Trennscheibe ausscheiden muss. Diese Norm erlaubt die optische, Satz 2 zudem die akustische Überwachung von Besuchen. Der Einsatz einer Trennscheibe stellt jedoch weder eine Sicht- noch eine Gesprächskontrolle dar, sondern will beides – als technisch-mechanisches Mittel zur Verhinderung der Übergabe von Gegenständen – gerade entbehrlich machen.1142 Der h. M. ist hingegen zuzugestehen, dass ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht durch den gesetzlich geregelten Fall des Trennscheibeneinsatzes nach § 27 Abs. 4 Satz 3 StVollzG i. V. m. § 29 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StVollzG i. V. m. § 148 Abs. 2 Satz 3 StPO gesperrt wird. Hierbei handelt es sich nämlich um eine „Muss“-Vorschrift, die anordnet, dass bei Gesprächen zwischen einem wegen einer Straftat nach § 129a StGB Inhaftierten und dessen Verteidiger durch entsprechende Vorrichtungen die Übergabe von Schriftstücken und sonstigen Gegenständen zu­ unterbinden ist. Damit wird also lediglich für einen bestimmten Fall eine Pflicht zur Verwendung einer Trennscheibe statuiert, ohne dass damit in irgendeiner Weise eine Aussage darüber getroffen wird, ob und unter welchen Voraussetzungen diese sonst zum Einsatz kommen kann. Die Verpflichtung, etwas in bestimmten Fällen tun zu müssen, sperrt nicht die Befugnis, es in anderen Konstellationen tun zu können.1143 Hieraus folgt somit, dass die durch §§ 27 Abs. 4 Satz 3, 29 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StVollzG in Bezug genommene Verpflichtung des § 148 Abs.  2 Satz 3 StPO die Anwendung der Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht ausschließt, und zwar weder in Bezug auf Besuche von Verteidigern noch hinsichtlich solcher von Privatpersonen. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass eine spezialgesetzliche Befugnisnorm für den Trennscheibeneinsatz schlicht fehlt, eine solche aber, da es sich um einen Grundrechtseingriff handelt, notwendig wäre. Die Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG wird zwar – wie erläutert – durch die Verpflichtungsreglung des § 148 Abs.  2 Satz  3 StPO nicht gesperrt. Auf ihrer Grundlage können aber nur solche Beschränkungen angeordnet werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt unerlässlich sind. Die „Angstklausel“ des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG 1142

So auch Laubenthal, Rn.  517; LNNV-Neubacher, § 4 Rn.  41; ebenso SBJL-Schwind, § 27 Rn. 14, der allerdings merkwürdigerweise nicht die daraus logisch folgende Konsequenz zieht, dass § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG keine geeignete Rechtsgrundlage für die Verwendung einer Trennscheibe darstellen kann. 1143 Darauf hatte bereits das OLG München NStZ 1981, 36 (37) in seinem Vorlagebeschluss vom 22.7.1980, der dann zur Entscheidung des BGH in BGHSt 30, 38 ff. geführt hatte, hingewiesen. Letzterer hatte darin die Sperrwirkung des § 27 Abs. 4 Satz 3 StVollzG i. V. m. § 29 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StVollzG i. V. m. § 148 Abs. 2 Satz 3 StPO im Hinblick auf den Trennscheibeneinsatz bei Verteidigerbesuchen festgestellt, musste dann aber 2004 für den Fall der drohenden Geiselnahme des Verteidigers doch eine Ausnahme zulassen und insoweit den Rückgriff auf § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG erlauben, vgl. BGH NJW 2004, 1398 ff.

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D. Die Entscheidungsanalyse

ist nach dem Willen des Gesetzgebers auf besondere Ausnahmefälle, die dieser nicht vorhersehen konnte, begrenzt.1144 Der Trennscheibeneinsatz muss also ultima ratio sein, was nur dann der Fall ist, wenn ohne ihn ein Besuchsverbot nach § 25 StVollzG ausgesprochen werden müsste.1145 Die Unerlässlichkeit ist seitens der JVA in jedem Einzelfall konkret darzulegen.1146 Deshalb ist es zutreffend, wenn das Bundesverfassungsgericht vom Grundsatz her verlangt, dass die Notwendigkeit der Verwendung einer Trennscheibe für jeden einzelnen Besuch neu begründet werden muss. Keinesfalls kann sie routinemäßig zur Abwehr abstrakter Gefahren  – etwa auf einer Abschirmstation für Drogendealer  – eingesetzt werden. Dies gilt mit Blick auf Art. 6 GG und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch für Berührungsverbote und den Einsatz sogenannter „Trennscheibentische“ bei Besuchen von Familienangehörigen. Derartige Maßnahmen werden in der Vollzugspraxis durchaus nicht selten einzelfallunabhängig unter Verweis auf die Anstaltssicherheit angewendet, ohne dass die damit verbundenen emotionalen Belastungen – gerade auch für die Kinder der Gefangenen – hinreichend berücksichtigt werden.1147 Soweit die Länder bereits eigene Strafvollzugsgesetze erlassen haben, wurde auf die bisher umstrittene Rechtslage ausnahmslos mit der Einfügung spezieller Befugnisnormen für die Verwendung von Trennvorrichtungen (Scheiben oder Tischaufsätze) reagiert.1148 Das ist im Sinne der Rechtsklarheit zu begrüßen. Es versteht sich von selbst, dass auch dies nicht von einer sorgfältigen Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Betroffenen entbindet. (2) Unüberwachte Besuche mit Sexualkontakt Anfang 2001 hatte sich ein Strafgefangener mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht gewandt, weil ihm Haftanstalt und Fachgerichte die Ermöglichung unüberwachter Besuche seiner Lebensgefährtin mit Sexualkontakten verwehrt hatten. Die Karlsruher Richter stellten hierzu am 28.3.2001 in einem knapp begründeten Nichtannahmebeschluss folgenden Grundsatz auf:

1144

Näher hierzu SBJL-Jehle, § 4 Rn. 20; Knauer, S. 106 f. u. 163 f. So auch SBJL-Jehle, § 4 Rn. 24; Laubenthal, Rn. 517. 1146 Vgl. LNNV-Neubacher, § 4 Rn. 40; Calliess/Müller-Dietz, § 4 Rn. 23. 1147 Ausführlich hierzu Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2012, S.  273 ff.; siehe ferner Zwönitzer/Pillhofer/Ziegenhain/Fegert, MSchrKrim 2013, 325 (327), die von Untersuchungen berichten, wonach Besuche beim inhaftierten Elternteil für Kinder dann positive Auswirkungen haben, wenn die Umgebung kindgerecht gestaltet ist, direkte Interaktion und körperlicher Kontakt möglich sind. 1148 Vgl. § 21 Abs.  2 Satz  3 BwJVollzGB III; Art.  30 Abs.  3 BayStVollzG; § 36 Abs.  6 BbgJVollzG; § 27 Abs. 4 HmbStVollzG; § 34 Abs. 5 Satz 4 HStVollzG; § 28 Abs. 6 StVollzG MV; § 28 Abs. 2 NJVollzG; § 35 Abs. 6 LJVollzG RLP; § 28 Abs. 6 SLStVollzG; § 28 Abs. 7 SächsStVollzG; § 36 Abs. 6 ThürJVollzGB. 1145

IV. Ergebnisse

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– Ein Strafgefangener hat keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung unüberwachter Besuchskontakte.1149 Diese Entscheidung enttäuscht bereits deshalb, weil die in ihr enthaltene und s­oeben wiedergegebene Kernaussage keinerlei Begründung enthält, obwohl es sich hierbei um eine für die allermeisten Gefangenen außerordentlich wichtige Frage handelt. Nun ist ein Nichtannahmebeschluss, der möglichst kurz den für die Ablehnung maßgeblichen, sich aus § 93a Abs. 2 BVerfGG ergebenden rechtlichen Gesichtspunkt angeben sollte,1150 gewiss nicht der richtige Rahmen für die Er­örterung einer derartigen Problematik. Deshalb hätte die Sache auch dem Senat zur Entscheidung vorgelegt werden müssen. Unabhängig von diesem eher formalen Gesichtspunkt vermag die in Rede stehende Kernaussage wegen ihrer Pauschalität auch in der Sache nicht zu überzeugen. Sie übersieht nämlich, dass es sehr wohl Fälle geben kann, in denen aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Anspruch auf Intimbesuche besteht. Hier ist insbesondere an verheiratete Gefangene zu denken, die eine langjährige Freiheitsstrafe verbüßen. Mit Recht wird von Teilen des Schrifttums darauf hingewiesen, dass in diesen Fällen bei Ablehnung jeglicher Intimkontakte der (unantastbare) Wesensgehalt des Grundrechts auf Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG berührt ist.1151 Zum Kern dieser Norm gehört nämlich auch die Pflicht des Staates, Gefährdungen für den Fortbestand der Ehe entgegenzusteuern.1152 Gerade bei langjährig Inhaftierten ist das Risiko, dass es durch die sehr eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten, die mit dem Freiheitsentzug zwangsläufig verbunden sind, zu einer allmählichen Entfremdung zwischen dem Gefangenen und seinen Angehörigen kommt, außerordentlich hoch. Dem muss die Vollzugsbehörde entgegenwirken, indem sie – gestützt auf § 24 Abs. 2 StVollzG – unüberwachte (Langzeit-) Besuche in der JVA ermöglicht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass häufiger Besuch von Familienmitgliedern oder Freunden signifikant positive Auswirkungen auf die Rückfälligkeit des Inhaftierten hat.1153 Bemerkenswert ist, dass das Bundesverfassungsgericht selbst bereits im Jahr 1976 in einer die Untersuchungshaft betreffenden Senatsentscheidung betont hatte, dass Art. 6 Abs. 1 GG auch im Haftvollzug besondere Bedeutung zukomme und es Aufgabe des Staates sei, in Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, für die Erhaltung von Ehe und Familie zu sorgen, nachteilige Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen.1154­ 1149

Vgl. BVerfG NStZ-RR 2001, 253. Siehe dazu bereits oben B.III.1.b)bb). 1151 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 27 Rn. 8 m. w. N.; a. A. Arloth, § 24 Rn. 5; Koepsel, S. 153 f. 1152 Vgl. Maunz/Dürig/Badura, Art. 6 Rn. 73; Rieckhof, FS 2008, 260 (261). 1153 Näher zur bisherigen Forschungslage Zwönitzer/Pillhofer/Ziegenhain/Fegert, MSchrKrim 2013, 325 (326 f.); siehe zu den positiven Wirkungen von Langzeitbesuchen auch Feltes/ Schnepper, in: GS Walter, S. 543 (553 f). 1154 Vgl. BVerfGE 42, 95 (101). 1150

256

D. Die Entscheidungsanalyse

Deshalb könne es in besonderen Fällen sogar notwendig sein, dass die JVA für Ehegatten und Kinder Besuchsgelegenheiten auch am Wochenende und außerhalb der allgemeinen Besuchstage schaffe, wenn die Angehörigen sonst keinerlei Möglichkeiten hätten, den Inhaftierten zu besuchen.1155 Zwar ging es in dem zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht um unüberwachte Besuchskontakte. Gleichwohl zeigt die vorgenannte Senatsentscheidung, dass sich aus Art. 6 Abs. 1 GG konkrete Ansprüche ergeben können, wenn dessen Wesensgehalt berührt ist. Aufschlussreich ist zudem das einschlägige europäische soft law. So sind gemäß Nr. 24.4 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze die Besuchsregelungen so zu gestalten, dass Gefangene Familienbeziehungen so normal wie möglich pflegen und entwickeln können, wobei in der entsprechenden Kommentierung betont wird, dass Intimbesuche von Ehepartnern von besonderer Bedeutung sind.1156 Diese Grundsätze sind zwar nicht verbindlich.1157 Nach dem Bundesverfassungsgericht kommt ihnen jedoch bei der Auslegung des nationalen Rechts Indiz­ wirkung zu.1158 Wenn dies so ist, dann hätte für die Karlsruher Richter umso mehr Veranlassung beanstanden, sich mit der Frage unüberwachter (Intim-)Besuche differenzierter auseinanderzusetzen als dies im Rahmen des in Rede stehenden Nichtannahmebeschlusses aus dem Jahr 2001 geschehen ist. Zwar lag der Entscheidung eine nicht-eheliche Partnerschaft zu Grunde. Mit Blick auf das Resozialisierungsgebot muss aber von einer Verpflichtung der Vollzugsbehörde ausgegangen werden, im Rahmen des Zumutbaren dafür Sorge zu tragen, dass auch solche Beziehungen aufrechterhalten bleiben.1159 Der besondere Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG führt allerdings dazu, dass – etwa bei Ressourcenknappheit – verheirateten Paaren Vorrang einzuräumen ist.1160 Vor dem geschilderten Hintergrund ist es zu begrüßen, dass inzwischen in zahlreichen Bundesländern die Möglichkeit un­beaufsichigter Langzeitbesuche ausdrücklich gesetzlich verankert ist.1161

1155 Vgl. BVerfGE 42, 95 (102). Siehe dazu auch Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2012, S. 273, der kritisiert, dass häufig keine Besuchszeiten am Wochenende angeboten werden, so dass berufstätige Familienangehörige und schulpflichtige Kinder Schwierigkeiten haben, zu Besuchen in die JVA zu kommen. 1156 Näher hierzu AK-Joester/Wegner, § 24 Rn. 6 u. 25; Dünkel, FS 2008, 262 f. 1157 Näher zur Frage der Verbindlichkeit von europäischem soft law Neubacher, BewHi 2011, 82 (96 f.). 1158 Vgl. BVerfGE 116, 69 (90); BVerfG, Beschl. v. 17.10.2012 – 2 BvR 736/11. 1159 Gegen eine Beschränkung auf Verheiratete auch Preusker, FS 2008, 255 (256); Holexa, FS 2008, 256 (257). 1160 Vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006, 154 (154). 1161 Vgl. § 34 Abs. 4 BbgJVollzG; § 26 Abs. 4 HmbStVollzG; § 26 Abs. 4 StVollzG MV; § 33 Abs. 5 LJVollzG RLP; § 26 Abs. 4 SächsStVollzG; § 34 Abs. 5 THürJVollzGB; im Saarland wird die entsprechende Regelung in § 26 Abs. 4 SLStVollzG am 1.6.2018 in Kraft treten. In Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen sind die § 24 Abs. 2 StVollzG entsprechenden Vorschriften heranzuziehen, und zwar § 19 Abs.  3 BwJVollzGB III, Art.  27 Abs. 2 BayStVollzG, § 34 Abs. 2 HStVollzG, § 25 Abs. 2 NJVollzG.

IV. Ergebnisse

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bb) Schriftverkehr (1) Zulässigkeit der Überwachung Neben der Möglichkeit, Besuch zu empfangen, stellt der Schriftverkehr einen weiteren wichtigen Weg dar, auf dem Inhaftierte mit der Außenwelt in Kontakt treten können. Allerdings darf ihr Schriftwechsel gemäß § 29 Abs. 3 StVollzG1162 überwacht werden. Um dies praktisch umsetzen zu können, bestimmt § 30 Abs. 1 StVollzG1163, dass der Gefangene Absendung und Empfang seiner Schreiben durch die Anstalt vermitteln lassen muss, soweit nichts anderes gestattet ist. Zur Vereinbarkeit dieser Bestimmungen mit dem Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: – §§ 29 Abs. 3, 30 Abs. 1 StVollzG schränken in verfassungsgemäßer Weise das Briefgeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 GG ein. – Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, dass die Zahl der Vollzugs­ bediensteten, die zur Erreichung der in den §§ 29, 30 StVollzG genannten Zwecke notwendig sind, auf die hierfür erforderliche Mindestzahl beschränkt wird.1164 Diesen Kernaussagen ist im Grunde nichts hinzuzufügen. Sie verdienen Zustimmung und sind – soweit ersichtlich – unbestritten.1165 (2) Öffnen von Verteidigerpost Von der soeben erörterten Überwachung ist der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger ausgenommen (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 StVollzG sowie alle entsprechenden Landesregelungen). In dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 25.10.2011 geht das Bundesverfassungsgericht der Frage nach, inwieweit eine wirksame Einwilligung in die Öffnung von Verteidigerpost in Betracht kommt. 1166 Der Entscheidung lag die Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen zu Grunde, für den Anfang Februar 2010 bei der JVA ein Schreiben seines Rechtsanwaltes 1162 Inhaltsgleich, allerdings zum Teil  mit der Beschränkung „im Einzelfall“: § 24 Abs.  3 BwJVollzGB III; Art. 32 Abs. 3 BayStVollzG; § 41 Abs. 1 BbgJVollzG; § 30 Abs. 1 HmbStVollzG; § 35 Abs. 2 Satz 1 HStVollzG; § 34 Abs. 1 StVollzG MV; § 30 Abs. 1 NJVollzG; § 41 Abs. 1 LJVollzG RLP; § 34 Abs. 1 SLStVollzG; § 34 SächsStVollzG; § 42 Abs. 1 ThürJVollzGB. 1163 Inhaltsgleich § 25 Abs.  1 BwJVollzGB III; Art.  33 Abs.  1 BayStVollzG; § 41 Abs.  1 BbgJVollzG; § 29 Abs.  1 Satz  2 HmbStVollzG; § 35 Abs.  1 Satz  2 HStVollzG; § 33 Abs.  1 Satz 1 StVollzG MV; § 31 Abs. 1 NJVollzG; § 40 Abs. 1 LJVollzG RLP; § 33 Abs. 1 Satz 1 SLStVollzG; § 33 Abs. 1 Satz 1 SächsStVollzG; § 41 Abs. 1 ThürJVollzGB. 1164 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.1997 – 2 BvR 1152/97, 2 BvR 1437/97, 2 BvR 1496/97; siehe ferner BVerfG, Beschl. v. 2.6.1981 – 2 BvR 1102/80. 1165 Vgl. SBJL-Schwind, § 29 Rn. 1; AK-Joester/Wegner, § 29 Rn. 1; Arloth, § 29 Rn. 1 u. § 30 Rn. 1; Calliess/Müller-Dietz, § 29 Rn. 1. 1166 Vgl. hier und im Folgenden BVerfG NStZ-RR 2012, 60 f.

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D. Die Entscheidungsanalyse

eingegangen war. Eine besondere Kennzeichnung als „Verteidigerpost“ war auf dem Umschlag nicht angebracht. Nach Rücksprache mit dem Büro des Rechtsanwaltes brachte ein Vollzugsbediensteter einen entsprechenden Vermerk mit Bleistift an und leitete das Schreiben zur Aushändigung weiter. Der Beamte, der dem Beschwerdeführer den Brief übergeben sollte, hatte Zweifel, ob es sich bei dem Brief tatsächlich um Verteidigerpost handelt. Er war von der Rücksprache mit dem Rechtsanwalt nicht informiert worden. Der Bedienstete forderte daher den Beschwerdeführer auf, den Umschlag in seiner Gegenwart zu öffnen und ihm den Inhalt zu zeigen. Letzterer kam der Aufforderung nach, weil er eine Eskalation der angespannten Lage vermeiden wollte, stellte aber danach einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der ohne Erfolg blieb. Sowohl die Strafvollstreckungskammer als auch der zuständige Strafsenat des OLG erachteten die Vorgehensweise des Beamten aufgrund des Einverständnisses des Beschwerdeführers als rechtmäßig. Das Bundesverfassungsgericht teilte diese Auffassung jedoch nicht und sah Art. 10 Abs. 1 GG als verletzt an. Hiernach gilt: – Eine Einwilligung wirkt nur dann eingriffsausschließend, wenn sie frei von unzu­ lässigem Druck erteilt wurde. Dies ist zu verneinen, wenn der Gefangene einer unberechtigten Aufforderung zur Öffnung von Verteidigerpost nur nachkommt, um deren Vorenthaltung oder verzögerte Aushändigung zu vermeiden.1167 Mit dieser Kernaussage bestätigt das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung zahlreicher Oberlandesgerichte, nach der auch die Einwilligung eines Inhaftierten in das Öffnen von Briefen seines Verteidigers nicht zur Rechtfertigung des damit verbundenen Grundrechtseingriffs führt.1168 Explizit stellen die Karlsruher Richter dies in der in Rede stehenden Entscheidung freilich nur für den Fall fest, dass die Zustimmung des Gefangenen nicht frei von unzulässigem Druck erfolgt ist. Mit Recht werfen sie jedoch die (im Ergebnis aber offen gelassene) Frage auf, inwieweit unter den besonderen, durch weitreichende Abhängigkeitsverhältnisse geprägten Bedingungen des Strafvollzuges überhaupt Raum für eine frei erteilte Einwilligung verbleibt.1169 Diesbezüglich wird in der fachgerichtlichen Rechtsprechung zutreffend darauf hingewiesen, dass nie ganz auszuschließen sei, dass der Gefangene die Zustimmung nur erteile, um nicht in den Verdacht zu geraten, etwas verbergen zu wollen. Zudem wird vorgebracht, dass der Inhaftierte die Zustimmung zur Öffnung möglicherweise bereits deshalb erteilen werde, weil er nicht wolle, dass man den Verteidiger mit Nachfragen behellige und das­

1167

Vgl. BVerfG NStZ-RR 2012, 60 (61). Vgl. dazu die zahlreichen Nachweise in BVerfG NStZ-RR 2012, 60 (61); ebenso SBJLSchwind, § 29 Rn. 15; AK-Joester/Wegner, § 29 Rn. 8; Callies/Müller-Dietz, § 29 Rn. 5 a. A. OLG Stuttgart NStZ 2011, 348 f.; Arloth, § 29 Rn. 6. 1169 Vgl. BVerfG, a. a. O. Diese Problematik ist auch in anderen Zusammenhängen bedeutsam, wie z. B. bei der Frage, ob ein Gefangener wirksam in eine menschenunwürdige Unterbringung einwilligen und damit auf die Gewährleistung des Art. 1 Abs. 1 GG verzichten kann, siehe dazu Rixen, in: FS Kerner, S. 803 (809). 1168

IV. Ergebnisse

259

Mandantenverhältnis darunter leide.1170 Derartige Erwägungen sind zwar durchaus nicht fern liegend, dürften aber – sofern es sich nur um eine vereinzelte Rücksprache handelt – regelmäßig unbegründet sein. Unabhängig von der Problematik der Freiwilligkeit scheidet die Einwilligung des Gefangenen jedenfalls noch aus einem weiteren Grund aus, den das Bundesverfassungsgericht zwar kurz erwähnt, aber letztlich offen lässt. Es handelt sich um die Frage der Dispositionsbefugnis über die Öffnung von Verteidigerpost. Sie wird dem Gefangenen seitens der h. M. abgesprochen.1171 Die Richtigkeit dieser Auffassung wird deutlich, wenn man sich den Sinn und Zweck des in § 29 Abs. 1 Satz 1 StVollzG normierten Überwachungsverbots vor Augen führt, der nach allgemeiner Auffassung darin besteht, eine ungestörte Kommunikation zwischen Verteidiger und Inhaftiertem zu gewährleisten.1172 Da dieser Anspruch auf einen unbefangenen Schriftwechsel einerseits beiden vorgenannten Personen zusteht, er anderseits aber nur gewährleistet werden kann, wenn keiner der Beteiligten befugt ist, einseitig das Überwachungsverbot aufzuheben, kann allein die Einwilligung des Gefangenen nicht hinreichen, um den mit der Öffnung der Verteidigerpost verbundenen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. (3) Weiterleitung von Schreiben Nach § 30 Abs. 2 StVollzG1173 sind ein- und ausgehende Schreiben unverzüglich weiterzuleiten. Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich am 24.10.2011 klargestellt: – Erreicht ein Brief den Strafgefangenen nicht bereits am Tag seines Eingangs in der JVA, liegt darin nicht ohne Weiteres ein Verstoß gegen das Gebot unverzüglicher Weiterleitung von Schreiben.1174 Diese Kernaussage wird von den Karlsruher Richtern in dem in Rede stehenden Nichtannahmebeschluss nicht näher begründet, sondern lediglich mit dem Hinweis versehen, dass sie der (verfassungsgemäßen) obergerichtlichen Judikatur entspre 1170 Vgl. hier und zum Vorstehenden Vgl. OLG Dresden NStZ 2007, 707 (708); OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2005, 61 (64). 1171 Vgl. OLG Dresden, a. a. O.; AK-Joester/Wegner, § 29 Rn. 8 m. w. N.; a. A. OLG Stuttgart NStZ 2011, 348 (349); Arloth, § 29 Rn. 6. 1172 Vgl. OLG Dresden NStZ 2007, 707 (708); OLG Saarbrücken NStZ-RR 2004, 188 (188); OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2003, 254 (255); Calliess/Müller-Dietz, § 29 Rn. 6; Laubenthal, Rn. 493. 1173 Inhaltsgleich (zum Teil allerdings mit der zusätzlichen Maßgabe, dass die Schreiben auf verbotene Gegenstände zu kontrollieren sind): § 25 Abs. 2 BwJVollzGB III; Art. 33 Abs. 2 BayStVollzG; § 41 Abs. 2 BbgJVollzG; § 29 Abs. 1 Satz 2 HmbStVollzG; § 35 Abs. 3 Satz 1 HStVollzG; § 33 Abs. 2 StVollzG MV; § 31 Abs. 2 NJVollzG; § 40 Abs. 2 LJVollzG RLP; § 33 Abs. 1 Satz 2 SLStVollzG; § 33 Abs. 1 Satz 2 SächsStVollzG; § 41 Abs. 2 ThürJVollzGB. 1174 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2011 – 2 BvR 565/10.

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D. Die Entscheidungsanalyse

che. Konkret verweist das Bundesverfassungsgericht auf zwei Beschlüsse des OLG Koblenz vom 29.3.1994 und des KG Berlin vom 4.11.2003, aus denen sich in der Tat ergibt, dass die von dem Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde aufgestellte Behauptung, wonach ein an den Gefangenen gesendetes Schreiben diesen stets noch am Tag des Eingangs in der JVA erreichen müsse, nicht zutreffend ist. So wird in der erstgenannten Entscheidung klargestellt, dass es dem Gebot der unverzüglichen Weiterleitung von Gefangenenpost nach § 30 Abs.  2 StVollzG nicht zuwiderlaufe, wenn Schreiben, die an einem Samstag eingehen, erst am darauffolgenden Montag dem Inhaftierten übergeben werden.1175 Das entspricht auch der im Schrifttum vertretenen Ansicht.1176 Die zweite Entscheidung, die allerdings ausgehende Briefe betrifft, stellt den Grundsatz auf, dass Schreiben des Inhaftierten spätestens am folgenden Tag zur Beförderung durch die Post aufgegeben werden müssen.1177 Weil das Bundesverfassungsgericht auf diesen Beschluss des KG Berlin verweist, ist davon auszugehen, dass die Karlsruher Richter auch im Fall eingehender Briefe eine unverzügliche Weiterleitung noch für gegeben halten, wenn das Schreiben spätestens am nächsten Werktag dem Gefangenen übergeben wird. Das bedarf folgender Konkretisierung: Geht man in Übereinstimmung mit der allgemeinen Auffassung davon aus, dass „unverzüglich“ im Sinne des § 30 Abs. 2 StVollzG bedeutet, dass die Weiterleitung ohne schuldhaftes Verzögern erfolgen muss,1178 ist zu differenzieren und auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu achten. Während Schreiben, die erst am Abend die Haftanstalt erreichen, im Regelfall sicher nicht mehr am selben Tag verteilt werden können, dürfte dies bei vormittags eingehenden Briefen anders zu beurteilen sein.1179 Es besteht jedenfalls kein Anlass, der JVA generell zu erlauben, Gefangenenpost stets erst am folgenden Werktag übergeben zu müssen, wenn es ohne Weiteres möglich ist, dies früher zu erledigen und ein Abwarten daher als „schuldhaftes Verzögern“ angesehen werden müsste. Deshalb ist der oben genannte Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts, der Raum für die notwendigen Differenzierungen lässt, zutreffend. (4) Anbringung von Sichtvermerken Das Bundesverfassungsgericht hat bisher noch nicht darüber entschieden, ob der der Überwachung unterliegende Schriftverkehr der Gefangenen generell mit einem Sichtvermerk versehen werden darf. Es hat in einem Nichtannahmebeschluss vom 1175

Vgl. KG Berlin ZfStrVo 1995, 180 f. Vgl. SBJL-Schwind, § 30 Rn. 2; AK-Joester/Wegner, § 30 Rn. 2; Arloth, § 30 Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz, § 30 Rn. 1. 1177 Vgl. KG Berlin, Beschl. v. 4.11.2003 – 5 Ws 536/03. 1178 Vgl. OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2005, 61 (64); OLG Hamm NStZ 1985, 237; SBJLSchwind, § 30 Rn. 2; Arloth, § 30 Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz, § 30 Rn. 1. 1179 So auch SBJL-Schwind, a. a. O.; AK-Joester/Wegner, § 30 Rn. 2; Arloth, a. a. O.; Calliess/ Müller-Dietz, a. a. O. 1176

IV. Ergebnisse

261

17.7.2008 lediglich darauf hingewiesen, dass eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Resozialisierungsanspruchs nur in Betracht komme, wenn der Gefangene Briefkontakt mit Personen pflege oder aufzunehmen beabsichtige, die von dessen Inhaftierung keine Kenntnis hätten und dies nach seinem Willen auch nicht haben sollten. Da der Beschwerdeführer in dem konkret vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall aber nicht dargelegt hatte, inwieweit dies auf ihn zutrifft, war die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Substantiierung unzulässig. Die Karlsruher Richter haben es daher ausdrücklich offen gelassen, ob die ausnahmslose Anbringung von Sichtvermerken auf der Gefangenenpost eine hinreichende gesetzliche Grundlage hat und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren ist.1180 Es gibt allerdings einige Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass das Bundesverfassungsgericht die genannten Fragen bei genauer Sachprüfung wohl verneinen würde. So tritt es in dem in Rede stehenden Nichtannahmebeschluss zunächst explizit der in der Literatur vereinzelt vertretenen Auffassung entgegen, wonach es bereits in einem Beschluss aus dem Jahr 1982 entschieden habe, dass der Überwachung unterworfene Gefangenenpost generell mit einem Sichtvermerk versehen werden dürfe1181. Sodann verweist das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf die Stelle in seinem „Volkszählungsurteil“ vom 15.12.1983, an der ausgeführt wird, dass Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben1182. Außerdem wird dort ausgeführt, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten habe, wonach die Grundrechte des Bürgers nur insoweit beschränkt werden dürften, als dies zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Vor dem geschilderten Hintergrund kann die derzeitige Rechtslage nicht als verfassungsgemäß angesehen werden. Es gibt keine gesetzliche Norm, die die Anbringung von Sichtvermerken auf Gefangenenpost ausdrücklich gestattet. Sie wird lediglich in den Verwaltungsvorschriften zu § 29 StVollzG (siehe VV Nr. 2 Abs. 3 Satz 2) allgemein für zulässig erklärt, was nicht hinreichend ist. Wird auf der ausgehenden Post ein Sichtvermerk angebracht und können dadurch Rückschlüsse auf die Gefangenschaft des Absenders gezogen werden, stellt dies einen ganz empfindlichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Inhaftierten dar. Angesichts der in der Gesellschaft nach wie vor existierenden Ressentiments kann dies für den betroffenen Strafgefangenen mit erheblichen Nachteilen verbunden sein, weshalb § 40 StVollzG für den Bereich der Aus- und Weiterbildung auch ausdrücklich bestimmt, dass aus Abschlusszeugnissen über entsprechende Bildungsmaßnahmen die Gefangenschaft des Teilnehmers nicht erkennbar 1180

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG, Beschl. v. 17.7.2008 – 2 BvR 1820/07. So Calliess/Müller-Dietz, § 29 Rn. 4. 1182 Siehe BVerfGE 65, 1 (44). 1181

262

D. Die Entscheidungsanalyse

sein darf.1183 Andererseits sind natürlich auch Situationen denkbar, in denen die Anbringung von Sichtvermerken eher unproblematisch ist. Hier ist z. B. an die vom Bundesverfassungsgericht selbst ins Feld geführten Konstellationen zu denken, in denen der Empfänger des Briefes ohnehin Kenntnis von der Inhaftierung des Absenders hat. Dies zeigt also, dass die Eingriffsintensität durch Sichtvermerke je nach Sachverhalt erheblich variiert und man keinesfalls von einer generellen Zulässigkeit ihrer Anbringung ausgehen kann. Die Notwendigkeit einer genaueren Grenzziehung durch den Gesetzgeber drängt sich angesichts dessen­ geradezu auf. (5) Anhalten von Schreiben Die veröffentlichte verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Themenbereich „Außenkontakte“ wird zahlenmäßig – wie eingangs schon angedeutet – von Entscheidungen dominiert, die sich mit der Problematik des Anhaltens von Schreiben im Sinne des § 31 StVollzG1184 befassen. Die Hälfte aller Entscheidungen enthält hierzu (mehr oder weniger umfangreiche) Ausführungen.1185 Die insoweit getroffenen Kernaussagen der Karlsruher Richter lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Die Vorenthaltung eingehender Schreiben berührt den Gefangenen in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.1186 – Die Anhaltung ausgehender Briefe fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, die durch die in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Vorschriften beschränkt werden kann. Zum Kreis letztgenannter Normen gehört auch § 31 StVollzG.1187 – Bei der Auslegung der Schrankenregelungen muss berücksichtigt werden, dass sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ein Recht des Einzelnen auf einen Bereich vertraulicher Kommunikation ergibt, innerhalb dessen der Ehrschutz nachrangig ist.1188 1183

Näher hierzu SBJL-Laubenthal, § 40 Rn. 2. Alle Landesgesetze enthalten Regelungen zum Anhalten von Schreiben: § 26 BwJVollzGB III; Art. 34 BayStVollzG; § 43 BbgJVollzG; § 31 HmbStVollzG; § 33 Abs. 3 Satz 2 HStVollzG; § 35 StVollzG MV; § 32 NJVollzG; § 42 LJVollzG RLP; § 35 SLStVollzG; § 35 SächsStVollzG; § 43 ThürJVollzGB. 1185 Vgl. BVerfGE 33, 1 ff.; BVerfGK 15, 577 ff.; 9, 442 ff.; BVerfG NStZ 1996, 55 f.; ZfStrVo 1996, 174; NJW 1995, 1477 f.; NJW 1994, 244 u. 1149 f.; BVerfG, Beschl. v. 6.3.2008 – 2 BvR 387/07, v. 2.3.2007 – 2 BvR 961/05 u. v. 1.7.2002 – 2 BvR 901/02. 1186 Vgl. BVerfG ZfStrVo 1996, 174 (175). 1187 Vgl. BVerfG NJW 1994, 244; NJW 1994, 1149 f.; NJW 1995, 1477 (1477); NStZ 1996, 55 (56); BVerfGK 9, 442 (444); 15, 577 (580); siehe ferner Beschl. v. 2.3.2007 – 2 BvR 961/05 (= Zusendung einer Druckschrift an einen Strafgefangenen zu dessen Information und Meinungsbildung). 1188 Vgl. BVerfG NJW 1995, 1477 (1477); NStZ 1996, 55 (56); BVerfGK 9, 442 (444); 15, 577 (581). 1184

IV. Ergebnisse

263

– Von einer in die besagte Intimsphäre fallenden Äußerung ist auszugehen, wenn diese gegenüber Familienangehörigen oder Vertrauenspersonen kundgetan wurde und gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte abgeschirmt ist. – Bei der Feststellung, ob zwischen den an der Kommunikation beteiligten Personen ein Vertrauensverhältnis besteht, sind neben dem Charakter der Beziehung auch Art und Kontext der Verlautbarung zu berücksichtigen. Eine Beschränkung auf die Ehe, ein Verwandtschafts- oder Liebesverhältnis besteht nicht. – Der geschützte Bereich vertraulicher Kommunikation wird nicht dadurch durchbrochen, dass sich der Staat im Rahmen der Überwachung Kenntnis vom Inhalt der Gefangenenpost verschafft. Dies gilt nicht, wenn der Absender selbst die Vertraulichkeit aufgehoben hat.1189 In ihren einschlägigen Entscheidungen haben die Karlsruher Richter bisher vor allem die „groben Beleidigungen“ nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 StVollzG und gelegentlich auch die „grob unrichtigen oder erheblich entstellenden Darstellungen von Anstaltsverhältnissen“ im Sinne der Nr. 3 beschäftigt. Das Zentrum ihrer Rechtsprechung, aus dem auch die meisten der soeben genannten Kernaussagen hervorgegangen sind, bilden dabei die beiden stattgebenden Kammerbeschlüsse aus den Jahren 1993 und 1994, die unter dem Stichwort „Reichsparteitags-OLG“ weithin bekannt sind. Deren Hintergrund ist Folgender:1190 Der Beschwerdeführer, der eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte, schrieb in einem Brief an seine Verlobte u. a. Folgendes: „Eine neue mechanische [Schreibmaschine] wäre zwar auch nicht teuer, doch in gewisser Weise eine unnütze Anschaffung. Denn wer schreibt draußen schon mit einem derartigen Gerät, und ich habe ja eine elektrische. Die sind aber verboten, zumindest in Bayern. Sagt jedenfalls das ‚ReichsparteitagsOLG‘ in Nürnberg.“ Die JVA hielt das Schreiben an, da es grobe Beleidigungen enthalte. Der hiergegen gerichtete Antrag des Beschwerdeführers war erfolglos. Das OLG Bamberg bejahte den Anhaltegrund des § 31 Abs. 1 Nr. 4 StVollzG, denn die Bezeichnung „Reichsparteitags-OLG“ bezwecke bewusst, die Richter dieses Gerichtes und deren Rechtsprechung in die Nähe des nationalsozialistischen Willkür- und Unrechtsstaates zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht sah dies anders. Die vom OLG Bamberg vorgenommene und nicht näher begründete Interpretation der in Rede stehenden Briefpassage sei nicht zwingend. Die beanstandete Äußerung könne vielmehr auch dahingehend verstanden werden, dass die vom Beschwerdeführer in Bezug auf die Schreibmaschine als unerfreulich empfundene und von ihm auf die Rechtsprechung des OLG Nürnberg zurückgeführte Situation gewissermaßen in eine Parallele gesetzt werde zu der Bedeutung, die der Sitz dieses Gerichts in der unerfreulichen NS-Zeit gehabt habe. In jedem Fall hätte sich das OLG Bamberg der 1189 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden, BVerfG NJW 1995, 1477 (1477 f.); BVerfGK 9, 442 (444 ff.) 1190 Vgl. zum Folgenden BVerfG NJW 1994, 1149 f.

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D. Die Entscheidungsanalyse

für seine eigene Deutung maßgebenden Umstände sorgfältig vergewissern müssen. Darüber hinaus fehle eine hinreichende Abwägung zwischen dem Schutz der Ehre und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers. Dabei müsse insbesondere berücksichtigt werden, dass Strafgefangene naturgemäß in ihren Äußerungsmöglichkeiten besonders eingeschränkt seien und Beschränkungen des Briefverkehrs deshalb regelmäßig als besonders belastend empfänden. Weil das Bundesverfassungsgericht die Sache zu erneuter Entscheidung an das OLG Bamberg zurückverwiesen hatte, musste sich dieses nochmals mit der Frage befassen, ob es sich bei der Bezeichnung des OLG Nürnberg als „Reichsparteitags-OLG“ tatsächlich um eine „grobe Beleidigung“ im Sinne des § 31 Abs.  1 Nr. 4 StVollzG handelt. Das OLG Bamberg bejahte dies erneut.1191 Nicht ohne süffisanten Unterton bemerkte der zuständige Strafsenat, dass er an die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gebunden sei, wonach auch eine Beleidigung der in Rede stehenden Art dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterfalle und der Schutz der Ehre von Richtern gegenüber solchen Meinungen von Strafgefangenen zurückzutreten habe, obwohl derartige Freiheiten unbescholtenen Bürgern selbst bei der Verfolgung berechtigter Interessen nur in engen Grenzen zugestanden würden. Dennoch dürfte es aber „wohl noch im Einklang“ mit dem Bundesverfassungsgericht stehen, wenn der Strafsenat daran festhalte, dass trotz der besonderen Situation Strafgefangener nicht jede massive Verunglimpfung hingenommen werden müsse. Auch sei es mit dem Vollzugsziel nicht zu vereinbaren, einer Person, nur weil sie sich im Strafvollzug befinde, Freiheiten zuzugestehen, die Menschen außerhalb der Haftanstalten nicht hätten. Vielmehr erfordere es das Resozialisierungsgebot, dem Strafgefangenen ein Mindestmaß an Achtung der Rechtsgüter anderer zu vermitteln. Das Bundesverfassungsgericht hob auch diese Entscheidung wieder auf. Es kritisierte zunächst, dass das OLG sich geweigert habe, seine Interpretation der in Rede stehenden Äußerung aus den konkreten Umständen zu ermitteln und zudem die Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht immer mit der gebotenen Nüchternheit geführt habe. Anders als noch in seinem ersten stattgebenden Kammerbeschluss stand nun aber nicht mehr die Frage, ob es sich bei der Bezeichnung „Reichsparteitags-OLG“ um eine grobe Beleidigung nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 StVollzG handelt, im Mittelpunkt der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts. Dies könne letztlich dahinstehen. Bei der Bestimmung der gesetzlichen Schranken sei nämlich zu beachten, dass Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen einen Raum gewährleiste, in dem er ­unbeobachtet sich selbst überlassen sei oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen verkehren könne. Dieser besondere Schutz gehe auch dann nicht verloren, wenn sich der Staat  – etwa im Rahmen der Überwachung des Schriftverkehrs nach den §§ 29 Abs. 3, 31 Abs. 1 StVollzG – Kenntnis von Äußerungen verschaffe, die der beschriebenen­ 1191

Vgl. hier und im Folgenden BVerfG NJW 1995, 1477 f.

IV. Ergebnisse

265

Intimsphäre zuzuordnen seien und der Verfasser um entsprechende Kontrollmaßnahmen wisse. Anders könnte dies nur beurteilt werden, wenn der Absender lediglich den Zweck verfolge, die Kontrollperson oder Dritte zu treffen, wofür im vorliegenden Fall allerdings keine Anhaltspunkte gegeben seien. Die Behauptung des OLG, dass Strafgefangenen Freiheiten zugestanden würden, die andere Personen nicht hätten, treffe nicht zu, weil es natürlich auch hier die beschriebene Sphäre vertraulicher Kommunikation gebe. Zudem könne es – entgegen der Ansicht des Strafsenates – nicht Aufgabe des Strafvollzuges sein, die Inhaftierten in einem Bereich zur Mäßigung zu „erziehen“, in dem andere straflos ihrer Wut und Verärgerung auch mit harschen Worten Ausdruck verleihen dürften. Da das OLG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur wiederholen könne, verzichte die Kammer auf eine Zurückverweisung und hebe die Anhalteverfügung selbst auf. Mit dem soeben geschilderten zweiten Kammerbeschluss in Sachen „Reichsparteitags-OLG“ überträgt das Bundesverfassungsgericht den nur einige Monate zuvor – am 26.4.1994 – ergangenen Beschluss des Ersten Senats1192 auf Strafgefangene als Absender von Schreiben mit beleidigendem Inhalt. In dieser Senats­ entscheidung gaben die Karlsruher Richter der Verfassungsbeschwerde einer Frau statt, die sich gegen ihre Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) gewandt hatte, weil ein an ihren in Strafhaft sitzenden Bruder gesendeter und in der JVA angehaltener Brief abfällige Äußerungen über Vollzugsbedienstete enthielt. Die dabei vom Ersten Senat konstruierte „beleidigungsfreie Sphäre“1193, die im Zentrum der Argumentation des zweiten Kammerbeschlusses zur Bezeichnung des OLG Nürnberg als „Reichsparteitags-OLG“ steht, ist nicht völlig unumstritten. Fraglich ist bereits, wie die von den Karlsruher Richtern vertretene Auffassung verfassungsdogmatisch zu verankern ist. Nach Wasmuth stellt der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts ein „gewisses Novum“ dar, weil es die eigentlich vorzunehmende Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz entfallen lasse, wenn die beleidigende Äußerung in den durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG geschützten Bereich vertraulicher Kommunikation falle. Stattdessen müssten zwei eigenständige Prüfungen vorgenommen werden, und zwar einerseits eine solche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und eine der Meinungsfreiheit andererseits.1194 Dies ist jedoch nicht zwingend. Dogmatisch lässt sich die Konstruktion des Bundesverfassungsgerichts nämlich auch so verstehen, dass es bei Äußerungen im Vertrauensbereich von vornherein an einem Eingriff in das Grundrecht auf Ehrenschutz fehlt, so dass sich eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit erübrigt und die Anhaltung des betroffenen Schreibens eine Verletzung von Art. 5 Abs.  1 Satz  1 GG darstellt.1195 Wenn die Karlsruher Richter allerdings meinen, dass die Sphäre vertraulicher Kommunikation auch durch die Kontrolle der­ 1192

Vgl. BVerfGE 90, 255 ff. So treffend Arloth, ZIS 2010, 263 ff. 1194 Vgl. Wasmuth, NStZ 1995, 100 f. 1195 Vgl. Popp, NStZ 1995, 413 (414). 1193

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D. Die Entscheidungsanalyse

Gefangenenpost nicht durchbrochen werde, ist dies rein faktisch gesehen natürlich nicht zutreffend.1196 Vielmehr kann man die Überwachung des Schriftverkehrs sogar als Paradebeispiel für die Aufhebung dieses Geheimbereichs bezeichnen. In diesen Fällen liegt also durchaus ein Eingriff in das Grundrecht auf Ehrenschutz vor.1197 Die in Rede stehende Kernaussage des Bundesverfassungsgerichts ist folglich so zu interpretieren, dass auch Verlautbarungen, die den Vertrauensbereich verlassen haben, unter Umständen als Meinungsäußerungen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung vorrangig sein können. Konkret ist dies nach Ansicht der Karlsruher Richter immer dann der Fall, wenn die Vertraulichkeit nicht durch den Absender selbst aufgehoben wurde, indem dieser z. B. mit seiner Äußerung nur den Zweck verfolgt hat, den kontrollierenden Vollzugsbediensteten oder Dritte zu treffen.1198 Umstritten ist ferner, wer der geschützten Kommunikationssphäre unterfällt. Das Bundesverfassungsgericht hatte zunächst eine Beschränkung auf nahe Verwandte, Ehegatten sowie in einer vergleichbaren Dauerverbindung lebende Personen vorgenommen und es ausdrücklich offen gelassen, ob unter „ganz außergewöhnlichen Umständen“ auch Beziehungen wie z. B. solche unter Strafgefangenen umfasst sein können.1199 Im Jahr 2006 hat es dann schließlich eine entsprechende Erweiterung vorgenommen und festgestellt, dass der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährte Schutz vertraulicher Äußerungen keine Ehe, kein Verwandtschafts- oder Liebesverhältnis erfordere. Vielmehr komme auch allein stehenden Strafgefangenen, die mit dem Adressaten oder Absender eines Briefes weder verwandt noch eine Liebesbeziehung unterhielten oder anstrebten, aber mit ihm ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut hätten, der besondere Kommunikationsschutz zu Gute.1200 Von Teilen des Schrifttums wird die „beleidigungsfreie Zone“ als zu weitge­hend und kaum sicher abgrenzbar kritisiert.1201 Will man aber Personen, die weder Verwandte haben noch in einer Ehe oder Partnerschaft leben, nicht jeglichen Bereich vertraulicher Kommunikation verwehren, führt kein Weg daran vorbei, auch andere Näheverhältnisse engerer Art der Schutzsphäre zu unterstellen.1202 Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die Anhänger einer restriktiveren Sichtweise die „beleidigungsfreie Sphäre“ nahezu völlig aushöhlen, wenn sie diese sogar zwischen Strafgefangenen und dessen Familienangehörigen nur als eröffnet ansehen, wenn der Weg über die schriftliche Kommunikation, die der Überwachung durch die JVA unterworfen ist, die einzige Möglichkeit für den Absender darstellt, sich 1196

Vgl. Arloth, ZIS 2010, 263 (266 f.); Popp, a. a. O. So auch Arloth, ZIS 2010, 263 (266); Popp, a. a. O. 1198 Siehe dazu die letzte Kernaussage am Beginn dieses Abschnitts m. w. N.; kritisch dazu Arloth, § 1 Rn. 8, wonach dies kaum nachweisbar sein soll. 1199 Vgl. BVerfG NStZ 1996, 55 (56). 1200 Vgl. BVerfGK 9, 442 (445 f.). 1201 So etwa SBJL-Schwind, § 31 Rn. 11; Arloth, § 31 Rn. 8. 1202 Vgl. Tenckhoff, JuS 1988, 787 (789). 1197

IV. Ergebnisse

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jemandem anzuvertrauen oder wenn die betreffende Äußerung in einer Persönlichkeitskrise oder Existenzbedrohung Erleichterung verschaffen soll1203. Wird nun in Bezug auf die letztgenannte Alternative danach gefragt, ob das Trostspenden auch in einer sachlichen, nicht beleidigenden Art und Weise möglich gewesen wäre1204, bleibt von einem geschützten Bereich vertraulicher Kommunikation im Grunde nichts übrig, denn es dürfte wohl immer auch die Option bestehen, sich in einer nicht ehrkränkenden Form zu äußern. Die Intention des Bundesverfassungsgerichts, jedem einen Raum zu eröffnen, in dem er sich ungezwungen äußern kann, wird dadurch völlig konterkariert. Die erstgenannte Alternative führt zwar ebenfalls zu einer erheblichen Einschränkung der „beleidigungsfreien Zone“. Sie belässt ihr aber insoweit noch einen Anwendungsbereich, als es durchaus denkbar ist, dass ein Gefangener (aus welchen Gründen auch immer) keinen Besuch erhält und er sich deshalb ausschließlich auf schriftlichem Weg einer engen Bezugs­person anvertrauen kann. Allerdings führt diese Sichtweise zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung von Inhaftierten gegenüber dem Schriftwechsel von Menschen, die in Freiheit leben, für die sich der Bereich vertraulicher Kommunikation schließlich auch dann auf den Briefverkehr erstreckt, wenn noch andere Möglichkeiten bestehen, sich jemandem anzuvertrauen. Die Tatsache, dass Gefangenenpost der Kontrolle unterliegt, was ohnehin schon einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt, darf nicht noch dadurch weiter verschärft werden, dass man sie zum Anknüpfungspunkt für Einschränkungen der „beleidigungsfreien Sphäre“ macht.1205 Für das Anhalten von Briefen aufgrund ehrkränkender Äußerungen verbleibt trotz der von den Karlsruher Richtern sehr weit gefassten Zone vertraulicher Kommunikation durchaus noch ein Anwendungsbereich. Nach dem Bundesverfassungsgericht genießt der Ehrschutz nämlich Vorrang bei bewusster Aufhebung der Vertraulichkeit durch den Absender, um den kontrollierenden Vollzugsbediensteten oder sonstige Dritte zu kränken oder beim Schriftwechsel zwischen Gefangenen und Personen, zu denen kein besonderes Näheverhältnis besteht.1206 Was den in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ebenfalls eine größere Rolle spielenden Anhaltegrund des § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG („grob unrichtige oder erheblich entstellende Darstellungen von Anstaltsverhältnissen“) anbelangt, ist zunächst festzustellen, dass die soeben erläuterten Grundsätze der Karlsruher Richter zum vertraulichen Kommunikationsbereich grundsätzlich auch auf diesem Gebiet anwendbar sind. Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht dazu noch nicht explizit geäußert. Es sind jedoch keinerlei Gründe ersichtlich, warum der besondere Schutz von Äußerungen in persönlichen Nähebeziehungen nur auf 1203 Vgl. Popp, NStZ 1995, 413 (414 f.); Arloth, ZIS 2010, 263 (267); kritisch dazu AK-Joester/ Wegner, § 31 Rn. 9. 1204 So Popp, NStZ 1995, 413 (415). 1205 Das gilt – entgegen Arloth, ZIS 2010, 263 (267) – auch für Briefe nicht in Haft befindlicher Personen an Gefangene. 1206 Ebenso Arloth, ZIS 2010, 263 (269).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Meinungskundgaben über andere Menschen beschränkt sein und nicht auch bei Verlautbarungen über Anstaltsverhältnisse eingreifen sollte.1207 Ganz im Gegenteil: In den Fällen des § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG besteht noch viel weniger Grund für die Anhaltung eines Schreibens, denn § 31 Abs. 2 StVollzG gibt der JVA bei ausgehenden Briefen, die unrichtige Darstellungen enthalten, die Möglichkeit, ein korrigierendes Begleitschreiben beizufügen. Wenn § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG angesichts dessen teilweise als „stumpfer“ Anhaltegrund bezeichnet wird,1208 ist dies zwar insofern richtig, als dessen Voraussetzungen nur selten vorliegen werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zeigt jedoch, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen ein Brief auf der Grundlage vorgenannter Bestimmung angehalten werden kann. Ein entsprechender Sachverhalt lag dem Nichtannahmebeschluss vom 30.4.1993 zu Grunde. Konkret ging es um einen in Strafhaft befindlichen Beschwerdeführer, der in einem Schreiben an die Wochenzeitung „Bayern-Kurier“ eine selbst verfasste Beilage mit dem Titel „Festnachtsgitterwillkürsatire“ gesandt hatte.1209 Darin wurde die Behauptung aufgestellt, dass unter dem Deckmantel der Justiz Körper, Geist und Seele der Gefangenen zerstört und diese bis zur Unmündigkeit hin willfährig gemacht würden. Die Behandlung der Inhaftierten arte in Misshandlung und Durchsetzung widersinniger Maßnahmen aus. Es sei eine Frechheit, was „lackierte Laffen“ von Bediensteten der JVA sich erlaubten. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Anhalteverfügung der Haftanstalt. Bei einer kämpferisch gegen den Justizvollzug instrumentalisierten Meinungsäußerung, wie sie vorliegend gegeben sei, liege es nämlich auf der Hand, dass der mit § 31 StVollzG bezweckte Schutz des Gemeinschaftsinteresses gegenüber der Freiheitsbetätigung in den tatbestandlich bestimmten Grenzen den Vorrang haben müsse. Angesichts der Massivität der Darstellungen sei die bloße Beifügung eines berichtigenden Begleitschreibens nicht ausreichend. Das Bundesverfassungsgericht verneint damit letztlich die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 StVollzG, der nur bei „unrichtigen Darstellungen“ eingreift. Sind die Äußerungen aber „grob“ falsch, kann eine Anhalteverfügung im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG ergehen. cc) Telefongespräche Nach einer ersten Entscheidung im Jahr 1984 sind in jüngster Vergangenheit noch zwei weitere Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes zur Frage des Tele­ fonierens veröffentlicht worden. Darin haben die Karlsruher Richter Folgendes festgehalten:

1207

Vgl. AK-Joester/Wegner, § 31 Rn. 7; Laubenthal, Rn. 497 ff. So Arloth, ZIS 2010, 263 (269). 1209 Vgl. hier und im Folgenden BVerfG NJW 1994, 244. 1208

IV. Ergebnisse

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– § 32 Satz  1 StVollzG gewährt dem Gefangenen keinen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch auf die Genehmigung bestimmter Ferngespräche, sondern nur einen solchen auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung.1210 – Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, Telefongespräche nur in dringlichen Angelegenheiten zu gestatten.1211 Während die erstgenannte Kernaussage allgemein anerkannt ist, ist letztere, die dem Beschluss von 1984 entstammt, in Teilen des Schrifttums auf nicht unberechtigte Kritik gestoßen. Die Einräumung der Möglichkeit, Telefonate auf dringliche Fälle zu beschränken, entspricht nämlich nicht dem Willen des Gesetzgebers, der eine derart hohe Hürde gerade nicht errichten wollte.1212 Sie ist auch unvereinbar mit dem Grundsatz des § 23 Satz 2 StVollzG1213, wonach der Verkehr mit Personen außerhalb der Anstalt zu fördern ist. Dahinter steht letztlich das Resozialisierungsgebot, denn die Kommunikation mit der Außenwelt  – auch per Telefon  – kann einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung und Stärkung sozialer Bindungen leisten.1214 Das Bundesverfassungsgericht hat damit leichtfertig und in der Sache unberechtigt, eine Gelegenheit zur Stärkung des verfassungsrechtlich verankerten Grundsatzes der Wiedereingliederung verstreichen lassen. Nicht zuletzt deshalb ist es wenig verwunderlich, dass in zahlreichen Haftanstalten nur ein Anruf pro Monat erlaubt ist.1215 Die beiden Entscheidungen neueren Datums sind im Zusammenhang mit der erstgenannten Kernaussage zu sehen, wonach § 32 Satz  1 StVollzG1216 dem Gefangenen einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung gewährt. So lag dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 7.11.2008 die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen zu Grunde, der sich dagegen gewandt hatte, dass die Haftanstalt seinen Antrag, monatlich für einen Beitrag in Höhe von 30 € 1210 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.2.2012  – 2 BvR 309/10; BVerfGK 14, 381 (387); BVerfG ZfStrVo 1984, 255. 1211 Vgl. BVerfG ZfStrVo 1984, 255. 1212 Näher hierzu AK-Joester/Wegner, § 32 Rn. 1. 1213 Inhaltsgleich Art. 26 Satz 2 BayStVollzG; in den anderen Landesgesetzen wird der Personenkreis in verschiedener Weise näher konkretisiert, vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 BwJVollzGB III; § 33 Satz 2 BbgJVollzG; § 26 Abs. 2 HmbStVollzG; § 33 Abs. 1 Satz 2 HStVollzG; § 26 Abs. 2 StVollzG MV; § 33 Abs. 2 u. 3 LJVollzG RLP; § 26 Abs. 2 SLStVollzG; § 26 Abs. 2 SächsStVollzG; § 34 Abs. 2 u. 3 ThürJVollzGB; in Niedersachsen existiert keine Vorschrift, die § 23 Satz 2 StVollzG entspricht. 1214 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 23 Rn. 2. 1215 Vgl. Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2012, S. 274. 1216 Inhaltsgleich, allerdings unter Wegfall der heute bedeutungslosen Kommunikationsform des Telegramms: § 27 Abs. 1 BwJVollzGB III; § 38 Abs. 1 Satz 1 BbgJVollzG; § 32 Abs. 1 Satz 1 HmbStVollzG; § 36 Abs. 1 Satz 1 HStVollzG; § 30 Abs. 1 Satz 1 StVollzG MV; § 37 Abs.  1 Satz  1 LJVollzG RLP; § 30 Abs.  1 Satz  1 SLStVollzG; § 30 Abs.  1 Satz  1 SächsStVollzG; § 38 Abs. 1 Satz 1 ThürJVollzGB; in Bayern (Art. 35 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG) können, in Niedersachsen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 NJVollzG) sollen Ferngespräche „in dringenden Fällen“ gestattet werden.

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D. Die Entscheidungsanalyse

zu ­telefonieren, unter Verweis auf die aus Sicherheitsgründen fehlenden Fernsprechgeräte abgelehnt hatte.1217 Letztere sind zwar in Hafthaus 5 (Frauenvollzug) der betreffenden JVA vorhanden, nicht aber in Hafthaus 4, in dem der Beschwerdeführer untergebracht ist. Das Bundesverfassungsgericht beanstandete, dass Haftanstalt und LG bei ihrer Entscheidung das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht hinreichend im Blick gehabt hätten. Vorliegend sei nämlich eine mittelbare Benachteiligung des Beschwerdeführers aufgrund seines Geschlechts nicht ausgeschlossen. Eine solche könne zwar durch kollidierende verfassungsrechtliche Belange gerechtfertigt werden. Diesbezüglich komme im vorliegenden Fall die Vollzugssicherheit als notwendiges Element eines funktionsfähigen Strafvollzuges in Betracht. Die JVA habe insoweit aber bisher noch nichts vorgetragen, was eine unterschiedliche Behandlung der männlichen Gefangenen in Haus 4 und der weiblichen Inhaftierten hinsichtlich der Frage des Telefonierens rechtfertigen könne. Soweit sie auf die Geltung der höchsten Sicherheitsstufe hingewiesen habe, könne dies nicht überzeugen, denn diese erstrecke sich ausnahmslos auf die gesamte Haftanstalt. Der Kammerbeschluss vom 29.2.2012 betraf die Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen, der von der JVA gefordert hatte, die Telefonnummern von Behörden und Gerichten freizuschalten. Die Haftanstalt lehnte dies jedoch ab, weil entsprechende Angelegenheiten auch auf dem Postweg erledigt werden könnten. Das Bundesverfassungsgericht musste sich mit der Frage, ob die von der JVA veranlasste Sperrung zulässig ist, nicht näher auseinandersetzen. Der zu Grunde liegenden Verfassungsbeschwerde war nämlich bereits deshalb stattzugeben, weil sich das LG unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG der Prüfung, ob die Versagung der begehrten Telefonerlaubnis ermessensfehlerfrei erfolgt ist, entzogen hatte.1218 dd) Paketempfang Schließlich werden in zwei verfassungsgerichtlichen Entscheidungen auch Probleme des Paketempfangs erörtert. So geht es in dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 14.8.1996 um die Frage, ob einem Gefangenen der Empfang eines Paketes mit privater Wäsche verweigert werden kann, wenn dieser aufgrund unverschuldeter Arbeitslosigkeit nur Taschengeld bezieht und die Kleidung daher von einem Dritten bezahlt wurde.1219 Das Bundesverfassungsgericht hat dies verneint. Die JVA habe dem Beschwerdeführer das Tragen eigener Wäsche gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 StVollzG unter der Bedingung gestattet, dass er für Reinigung, Instandsetzung und regelmäßigen Wechsel auf eigene Kosten sorge. Letztgenanntes Tatbestandsmerkmal stelle dabei nur klar, dass nicht die JVA den finanziellen Aufwand tragen müsse, schließe aber die Möglichkeit, dass die Kleidung von 1217

Vgl. hierzu und zum Folgenden BVerfGK 14, 381 ff. Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG, Beschl. v. 29.2.2012 – 2 BvR 309/10. 1219 Vgl. BVerfG NStZ-RR 1997, 59 f. 1218

IV. Ergebnisse

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Dritten bezahlt werde, gerade nicht aus. Weil der in Rede stehende Beschluss bereits im Rahmen des Themenkomplexes „Unterbringung“ analysiert wurde, kann an dieser Stelle auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden.1220 Die zweite Entscheidung – ein Nichtannahmebeschluss vom 2.4.2008 – befasst sich mit der Abgrenzung von Schreiben im Sinne des § 28 StVollzG1221 und Paketen gemäß § 33 StVollzG1222. Ihr kann folgende Kernaussage entnommen werden: – Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, umfangreiche Beilagen zu einem an einen Gefangenen gerichteten Brief nicht dem Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 StVollzG, sondern dem des § 33 Abs. 1 StVollzG zuzuordnen. Die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG müssen nämlich auch bei der Entscheidung über die Genehmigung des Paketempfangs hinreichend berücksichtigt werden.1223 Das Bundesverfassungsgericht stellt in dieser Entscheidung zunächst zutreffend dar, dass die Abgrenzung zwischen Schreiben und Paketen in Schrifttum und fachgerichtlicher Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des (individuellen) Gedankenaustauschs vorgenommen wird.1224 Findet ein solcher statt, handelt es sich um Schriftverkehr, der in den Anwendungsbereich des § 28 StVollzG fällt, wobei Anlagen (Kopien, Zeitungsausschnitte etc.) einen untrennbaren Briefbestandteil bilden, wenn sie im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gedankenaustausch stehen.1225 Dass es das Bundesverfassungsgericht entsprechend der oben genannten Kernaussage für möglich hält, den Umfang der Beilagen zu berücksichtigen, ist im Schrifttum allerdings zum Teil  auf Kritik gestoßen, weil dies die Abgrenzung zwischen §§ 28 und 33 StVollzG erschwere.1226 Dies mag zwar durchaus zutreffend sein. Für die Karlsruher Richter ist jedoch die verfassungsrechtliche Perspektive entscheidend, aus der es in der Tat unerheblich ist, wie ein bestimmter Schriftwechsel auf der Ebene des einfachen Rechts eingeordnet wird, weil in beiden Fällen die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachten sind.1227

1220

Siehe oben D.IV.6.b)bb). Die Vorschriften zum Recht auf Schriftwechsel in den Landesgesetzen lauten: § 23 BwJVollzGB III; Art. 31 BayStVollzG; § 39 BbgJVollzG; § 29 HmbStVollzG; § 35 HStVollzG; § 31 StVollzG MV; § 29 NJVollzG; § 38 LJVollzG RLP; § 32 SLStVollzG; § 31 SächsStVollzG; § 39 ThürJVollzGB. 1222 Alle Landesgesetze sehen das Recht auf Paketempfang (in teils recht unterschiedlicher Ausgestaltung) vor, vgl. § 28 BwJVollzGB III; Art. 36 BayStVollzG; § 45 BbgJVollzG; § 33 HmbStVollzG; § 37 HStVollzG; § 37 StVollzG MV; § 34 NJVollzG; § 44 LJVollzG RLP; § 37 SLStVollzG; § 37 SächsStVollzG; § 45 ThürJVollzGB. 1223 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 13, 430 f. 1224 Vgl. BVerfGK 13, 430 (430) mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 1225 Vgl. SBJL-Schwind, § 28 Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz, § 28 Rn. 1. 1226 So etwa SBJL-Schwind, a. a. O. 1227 Vgl. BVerfGK 13, 430 (430 f.). 1221

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D. Die Entscheidungsanalyse

ee) Zusammenfassung Die materielle Entscheidungskritik der Kernaussagen zu den Außenkontakten hinterlässt ein gemischtes Bild, und zwar bezüglich aller thematisierten Be­ reiche (Besuch, Schrift- und Telefonverkehr, Paketempfang). Richtig ist es, dass das ­Bundesverfassungsgericht den Trennscheibeneinsatz auch bei Besuchen von Privatpersonen für zulässig erachtet. Entgegen seiner Auffassung ist hierfür allerdings nicht § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG die einschlägige Ermächtigungsgrundlage, sondern die Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Die pauschale Ablehnung eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf unüberwachte Besuche mit Intimkontakten verdient keine Zustimmung. Im Bereich des Schriftverkehrs überzeugt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Überwachung und zum Öffnen von Verteidigerpost. Ob auf Gefangenenpost generell Sichtvermerke angebracht werden können, hat das Bundesverfassungsgericht bisher noch nicht abschließend entschieden. Es gibt jedoch Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass die Karlsruher Richter hierfür weder eine hinreichende gesetzliche Grundlage sehen noch von einer Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgehen. Die Rechtsprechung zum Anhalten von Schreiben ist im Kern überzeugend, wenngleich sie verfassungsdogmatisch insoweit nicht vollkommen stimmig ist, als das Bundesverfassungsgericht annimmt, dass trotz Postkontrolle die „beleidigungsfreie Sphäre“ nicht durchbrochen werde und schon kein Eingriff in das Grundrecht auf Ehrenschutz vorliege. Die Beschränkung des Telefonierens auf dringliche Fälle widerspricht dem Willen des Gesetzgebers und dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot. Den beiden Entscheidungen zum Paketempfang ist hingegen uneingeschränkt­ zuzustimmen.

c) Historische Einordnung Betrachtet man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Außenkontakten aus historischer Perspektive, kann hinsichtlich des Trennscheibeneinsatzes zunächst festgehalten werden, dass der Zweite Senat mit seinem Beschluss aus dem Jahr 1993, der die Konstellation des Privatbesuchs betraf, kein Neuland betreten, sondern vielmehr die schon damals h. M. bestätigt hat, wonach die in Rede stehende Maßnahme auf § 27 Abs. 1 Satz 1 StVollzG gestützt werden könne. Dem grundsätzlichen Charakter einer Senatsentscheidung entsprechend, haben die Karlsruher Richter zudem grundlegende Vorgaben für den Einsatz von Trennvorrichtungen bei Besuchen von Privatpersonen entwickelt, die bis heute maßgebend sind. Für den Bereich der Verteidigerbesuche ist hingegen die Rechtsprechung des BGH tonangebend. Dieser hatte zunächst im Februar 1981 die Auffassung vertreten, dass die Verwendung von Trennscheiben nur in­

IV. Ergebnisse

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Terrorismusfällen möglich ist, deren Benutzung dann aber im Jahr 2004 – gestützt auf die Generalklausel des § 4 Abs. 2 Satz 2 StVollzG – auch für Konstellationen erlaubt, in denen die Geiselnahme des Verteidigers droht.1228 Einen wenig fortschrittlichen Eindruck hinterlässt auch der „kurze Prozess“, den die Karlsruher Richter in der Frage der unüberwachten Besuchskontakte gemacht haben. Obwohl es – wie erläutert – aus verfassungsrechtlicher Sicht durchaus Anlass gegeben hätte, sich für die Schaffung entsprechender Möglichkeiten einzusetzen, blieb das Bundesverfassungsgericht untätig. Sogar die Vollzugspraxis zeigt hier deutlich mehr Initiative. Mehrere Haftanstalten haben Räumlichkeiten geschaffen, in denen in (mehr oder weniger) wohnlicher Atmosphäre die Möglichkeit besteht, unüberwachten Besuch zu empfangen.1229 In der JVA Bruchsal wurde hiermit bereits im Jahr 1984 begonnen.1230 Die bisherigen Erfahrungen mit entsprechenden Versuchen sind positiv.1231 Darüber hinaus wurde auf europäischer Ebene schon in den 1990er-Jahren ein Vorstoß unternommen, um den Ausbau von Einrichtungen für Langzeitbesuche voranzutreiben. So hatte nämlich das CPT 1996 im Anschluss an seinen zweiten Besuch in Deutschland um eine Stellungnahme zu der Frage gebeten, ob nicht eine entsprechende bundesweite Regelung geschaffen werden könne, wofür die Bundesregierung allerdings keine Notwendigkeit sah, da es ihrer Auffassung nach etwa im Rahmen von Vollzugslockerungen genug Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung von Kontakten mit Bezugspersonen gebe.1232 Dies greift indes für all diejenigen Gefangenen zu kurz, die die notwendigen Voraussetzungen für die Gewährung entsprechender Lockerungen nicht erfüllen. Deshalb ist es richtig, dass inzwischen – wie erläutert – mehrere Landesgesetze die Gewährung von unüberwachten Langzeitbesuchen ausdrücklich zulassen. Damit wird zugleich der Anschluss an die Mehrheit der euro­ päischen Staaten vollzogen, in denen es zum Teil schon lange Zeit die Möglichkeit derartiger Besuchskontakte gibt.1233 Schließlich ist nicht zu übersehen, dass es auch in der Rechtsprechung des EGMR Anhaltspunkte gibt, die darauf hindeuten, dass es die Straßburger Richter nicht dauerhaft hinnehmen werden, wenn in einem Land keinerlei Gelegenheit für Gefangene besteht, unüberwacht Besuch zu empfangen.1234 In der Rückschau betrachtet, hat das Bundesverfassungsgericht auf dem Gebiet der Außenkontakte mit seiner Rechtsprechung zum Anhalten von Schreiben gewiss die stärkste Wirkung erzielt, indem es seine allgemein sehr um die Stärkung der Meinungsfreiheit bemühte Rechtsprechung auf den Strafvollzug übertragen 1228

Vgl. BGHSt 30, 38 ff. u. BGH NJW 2004, 1398 ff. Vgl. den Überblick bei AK-Joester/Wegner, § 24 Rn. 5. 1230 Vgl. Preusker, FS 2008, 255 (255). 1231 Vgl. etwa Holexa, FS 2008, 256 ff. (JVA Celle); Anwärterinnen und Anwärter der JVA Schwalmstadt, FS 2008, 259 f. 1232 Näher hierzu Kaiser, FS Böhm, S. 25 (43 f.); siehe ferner van Zyl Smit/Snacken, S. 243. 1233 Vgl. van Zyl Smit/Snacken, S. 243 f.; Dünkel/Drenkhahn/Dudeck u. a., FS 2009, 254 (256). 1234 Näher hierzu van Zyl Smit/Snacken, S. 244. 1229

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D. Die Entscheidungsanalyse

und im zweiten Beschluss zum „Reichsparteitags-OLG“ 1994 eine „beleidigungsfreie Zone“ geschaffen hat. Für Ansichten wie zu der Zeit, als das Bundesverfassungsgericht seine Tätigkeit aufnahm, ist damit heute kein Raum mehr. Wie bereits erläutert, wurde damals nämlich zum Teil in der Briefzensur ein indirektes Erziehungsmittel gesehen, das den Gefangenen dazu anhalte, sich einen gewissen innerlichen Zwang beim Schreiben aufzuerlegen.1235 Die vorgenannte Entscheidung ist noch aus einem weiteren Grund bemerkenswert. Sie stellt nämlich den Schlusspunkt einer offenen Konfrontation zwischen Bundesverfassungsgericht und dem OLG Bamberg dar. Da die Fachgerichte den Karlsruher Richtern an sich nur selten offen die Gefolgschaft verweigern,1236 ist die Auseinandersetzung in Sachen „Reichsparteitags-OLG“ durchaus eine Besonderheit. Die bemerkenswerte Äußerung eines Verfassungsrichters im Rahmen eines Interviews, das Kranenpohl für seine bereits erwähnte Untersuchung zum Willens- und Entscheidungsbildungsprozess des Bundesverfassungsgerichtes geführt hat,1237 macht deutlich, wie sehr die Kontroverse mit dem OLG Bamberg die Gemüter der Beteiligten erhitzte: „Da ging es um die Briefkontrolle von Strafgefangenen: […] So was Lächerliches. Da ­musste das Gericht feststellen, dass es eine grobe Beleidigung ist, wenn einer sagt: ‚Reichsparteitags-OLG‘ […]. Warum eigentlich? ‚Reichsparteitags-OLG‘ ist so töricht! Weil man zwischen dem OLG und dem Reichsparteitag nichts herstellen kann. Der Gefangene hat sich also geärgert und dummes Zeug geschrieben. […] Das OLG hat dann die Millionen ermorderter Juden aufmarschieren lassen usw. Im zweiten Anlauf haben wir dann nicht mehr auf das ‚grob‘ abgestellt, das ist überhaupt nicht dargelegt worden, sondern darauf, dass das unter nahestehenden Personen war, dass sich da jeder ein bisschen ‚ausschleimen‘ kann […]. Es gibt natürlich Strafgefangene, mit denen die Anstaltsleitungen nicht zurechtkommen, aber da muss man einfach schon bei den Strafvollstreckungskammern Pfähle einschlagen, stattdessen kippen die gegenüber den Anstaltsbelangen um.“1238

Von den drei Entscheidungen zum Telefonverkehr ist vor allem der erste Beschluss aus dem Jahr 1984 von einzelfallübergreifender Bedeutung, weil dieser es generell für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt, wenn die Genehmigung von Ferngesprächen seitens der Haftanstalten auf dringende Fälle beschränkt wird. Als wenig resozialisierungsfreundliche Entscheidung stellt sie zudem einen weiteren Beleg für den bereits erläuterten Befund dar,1239 dass sich die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in den 1980er-Jahren kaum um die Stärkung des Vollzugsziels der Wiedereingliederung verdient gemacht hat. Die beiden Beschlüsse zum Paketempfang betreffen im Kern Fragen der Auslegung des einfachen Rechts („auf eigene Kosten“ im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 2 1235

Siehe oben C.VII. Siehe dazu bereits oben B.II.3.d). 1237 Siehe oben B.II.1.b). 1238 Kranenpohl, S. 361. 1239 Siehe oben D.IV.2.c)bb). 1236

IV. Ergebnisse

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StVollzG; Abgrenzung der Anwendungsbereiche der §§ 28 und 33 StVollzG), so dass hier keine verfassungsrechlichen Leitsätze im Raum stehen, die einer histo­ rischen Einordnung bedürften. Im Rahmen einer solchen Rückschau steht naturgemäß die bereits ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu bestimmten Themen im Vordergrund. Ähnlich interessant kann es aber gelegentlich sein, wenn zu einer bestimmten Problematik noch keine Entscheidungen ergangen sind. Das gilt auch für den Bereich der Außenkontakte, und zwar hinsichlich der Frage der Internetnutzung im Strafvollzug, zu der schon 2006 eine Monografie von Florian Knauer ­erschienen ist. Während dieses Medium heute aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist, muss man mit Blick auf die Haftanstalten  – von vereinzelten Projekten abgesehen – im Großen und Ganzen feststellen, dass diese technische Errungenschaft hier noch nicht Fuß gefasst hat. Wie Knauer gezeigt hat, wäre die Nutzung des Internets und seiner verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten (Kommunikation per E-Mail; Radio- und Fernsehübertragungen u. a.) aber trotz bisher weitgehend fehlender Spezialregelungen in den Strafvollzugsgesetzen des Bundes und der Länder rechtlich durchaus möglich.1240 Im Übrigen erscheint es mit Blick auf das Vollzugsziel der Resozialisierung geboten, dass sich die Vollzugsbehörden für die Nutzung des Internets stärker als bisher öffnen, denn in der heutigen Zeit erfolgt die Wiedereingliederung nicht mehr nur in eine Industrie-, sondern vor allem auch in eine Informationsgesellschaft.1241 Vor dem geschilderten Hintergrund scheint es jedenfalls nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die Problematik der Internetnutzung im Strafvollzug das Bundesverfassungsgericht beschäftigen wird. d) Prozessuale Entscheidungskritik In prozessualer Hinsicht sind drei kurze Anmerkungen zu machen. Bezüglich des „Strafgefangenen-Beschlusses“ und dem darin enthaltenen (unzulässigen)­ Appell an den Gesetzgeber kann zunächst auf die Ausführungen zur Frage der gesetzlichen Grundlage für den Strafvollzug verwiesen werden.1242 Darüber hinaus ist hinsichtlich des zweiten Beschlusses in Sachen „Reichsparteitags-OLG“ anzumerken, dass das Bundesverfassungsgericht die Sache gemäß § 95 Abs.  2 BVerfGG zur erneuten Entscheidung hätte zurückverweisen müssen. Stattdessen hat es die Anhalteverfügung selbst aufgehoben und dies damit begründet, dass­ 1240

Ausführlich hierzu Knauer, S. 111 ff.; Die meisten Landesgesetze (z. B. §§ 44 BbgJVollzG; 33 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 NJVollzG) erwähnen allerdings ausdrücklich „andere Formen“ der Telekommunikation und meinen damit insbesondere auch die Internetnutzung. 1241 Vgl. zu dieser Diskussion Knauer, S.  1 f. m. w. N.; siehe ferner LNNV-Neubacher, § 3 Rn. 4, der darauf hinweist, dass auch der Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 StVollzG) verlangt, den Wandel der Lebensverhältnisse in Freiheit zu berücksichtigen. 1242 Siehe oben D.IV.1.d).

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D. Die Entscheidungsanalyse

ohnehin kein Spielraum mehr für ein anderes Verfahrensergebnis vorhanden gewesen sei.1243 Dies zu beurteilen, ist aber allein Sache des jeweiligen Fachgerichts. Die Karlsruher Richter maßen sich letztlich – wie im Lebach-Urteil – die Befugnis zum Durchentscheiden an, die gesetzlich nicht vorgesehen ist.1244 Schließlich hätte hinsichtlich der Frage, ob ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Intimbesuche besteht, eine Senatsentscheidung herbeigeführt werden müssen. e) Ergebnis Hypothese 7 hat sich nur in Bezug auf den Schriftverkehr bestätigt. Hier kann man mit Blick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in der Tat davon sprechen, dass dem Bundesverfassungsgericht eine zentrale, die Rechte der Gefangenen in besonderem Maße stärkende Rolle zukommt. Durch die Konstruktion einer weit gefassten „beleidigungsfreien Zone“ räumt es der Meinungsfreiheit der Inhaftierten gegenüber dem Schutz der Ehre den Vorrang ein, der auch durch die Briefkontrolle, die seitens der Haftanstalt erfolgt, nicht verloren geht. Mit seiner Rechtsprechung zum Öffnen von Verteidigerpost hat das Bundesverfassungsgericht zudem die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG für den Strafvollzug unterstrichen. Im Übrigen kann jedoch nicht die Rede davon sein, dass sich das Bundesverfassungsgericht in herausgehobener Weise um die Rechte der Inhaftierten verdient gemacht hätte. Ganz im Gegenteil: Sowohl im Bereich des Besuchs- als auch des Telefonverkehrs hat es die verfassungsrechtliche Situation der Gefangenen (zu Unrecht) geschwächt. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Entscheidungen zu den unüberwachten Besuchskontakten und der Beschränkung von Ferngesprächen auf dringende Fälle. In prozessualer Hinsicht hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls keine gänzlich „weiße Weste“. 8. Arbeit, Bildung und Soziales a) Überblick Die nun zu erörternde verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Themenkomplex „Arbeit, Bildung und Soziales“ (§§ 37 bis 52, 190 Nrn. 13 bis 18, 191, 195, 198 Abs. 3, 200 StVollzG) umfasst insgesamt 18 Entscheidungen (siehe oben Abbildung  8). Mit dem Urteil vom 1.7.1998 befindet sich darunter auch die bisher letzte Senatsentscheidung zum Strafvollzug. Wie in einigen anderen Entscheidungen musste sich das Bundesverfasungsgericht darin vor allem mit Fragen zur Organisation und zum Entgelt von Gefangenenarbeit befassen. Darüber hinaus 1243 1244

Vgl. BVerfG NJW 1995, 1477 (1478). Siehe dazu bereits oben D.IV.2.d).

IV. Ergebnisse

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behandelt ein Drittel der einschlägigen Rechtsprechung Probleme im Zusammenhang mit dem Taschengeldanspruch. Gesichtspunkte der Sozialversicherung bilden schließlich einen dritten Schwerpunkt. Lediglich ein Beschluss betrifft den Bereich der Bildung und dies auch nur in äußerst geringem Umfang. In zeitlicher Hinsicht verteilen sich die Entscheidungen ganz überwiegend auf die 1990er- und 2000er-Jahre. Immerhin zwei Beschlüsse entfallen auf die 1980er-Jahre, ein weiterer auf das Jahr 1966. b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Organisation der Gefangenenarbeit Sowohl in der bereits erwähnten Senatsentscheidung vom 1.7.1998 als auch in dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 27.12.2007 hat das Bundesverfassungsgericht zahlreiche grundlegende Aussagen zur Ausgestaltung der Gefangenenarbeit getroffen: – Die in § 41 Abs. 1 Satz 1 StVollzG statuierte Arbeitspflicht ist verfassungsgemäß.1245 – Art. 12 Abs.  3 GG beschränkt die zulässige Zwangsarbeit auf Einrichtungen oder Verrichtungen, bei denen die Vollzugsbehörden die öffentlich-rechtliche Verantwortung für die ihnen anvertrauten Gefangenen behalten.1246 Pflichtarbeit in Unternehmerbetrieben darf den Inhaftierten deshalb nur zugewiesen werden, wenn sich die Leitung des privaten Unternehmens auf die technischen und fachlichen Aspekte der Arbeit beschränkt.1247 – Die Beschäftigung von Gefangenen als sogenannte „unechte Freigänger“ ist verfassungswidrig.1248

1245

Vgl. BVerfGE 98, 169 (199). Landesrechtlich ist eine solche Arbeitspflicht in Baden-Württemberg (§ 47 Abs. 1 BwJVollzGB III), Bayern (Art. 43 BayStVollzG), Hamburg (§ 38 Abs. 1 HmbStVollzG), Hessen (§ 27 Abs. 2 HStVollzG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 22 StVollzG MV), Niedersachsen (§ 38 Abs. 1 NJVollzG) und Thüringen (§ 29 Abs. 1 ThürJVollzGB) vorgesehen. In Brandenburg (§ 30 Abs. 1 BbgVollzG) soll den Gefangenen Arbeit angeboten und ihnen auf Antrag oder mit ihrer Zustimmung zugewiesen werden, soweit dadurch nach dem Vollzugs- und Eingliederungsplan vorrangige Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden. Im Saarland (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SLStVollzG) sind die Gefangenen anzuhalten, eine ihnen zugewiesene Arbeit, die ihren körperlichen Fähigkeiten entspricht, auszuüben. In Rheinland-Pfalz (§ 29 Abs. 1 Satz 1 LVVollzG RLP) ist bestimmt, dass den Gefangenen auf Antrag oder mit ihrer Zustimmung Arbeit angeboten werden soll. In Sachsen (§ 22 Abs. 1 SächsStVollzG) soll den Gefangenen nach Möglichkeit ihren Fähigkeiten angemessene Arbeit übertragen werden, soweit sie körperlich und geistig hierzu in der Lage sind. 1246 Vgl. BVerfGE 98, 169 – 3. Leitsatz. 1247 Vgl. BVerfGE 98, 169 (209); BVerfGK 13, 137 (140). 1248 Vgl. BVerfGE 98, 169 (209 f.).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Diese Kerngedanken der Karlsruher Richter sind im Schrifttum nicht einhellig auf Zustimmung gestoßen. So teilt Bemmann zwar die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass Arbeit grundsätzlich ein sinnvolles Resozialisierungsmittel ist.1249 Eine erfolgreiche Wiedereingliederung setze allerdings voraus, dass der Inhaftierte nicht auf die Rolle des Behandlungsobjekts beschränkt werde, sondern ungezwungen an den ihm angebotenen Maßnahmen mitwirken könne. Genau dies sei aber bei der Gefangenenarbeit nicht der Fall, weil der Gesetzgeber diese in § 41 Abs. 1 StVollzG als mit disziplinarischen Mitteln durchsetzbare Pflicht ausgestaltet habe. Dieser Zwangscharakter der Arbeit müsse unbedingt beseitigt werden, damit sie als zulässiges Resozialisierungsmittel angesehen werden könne. Freilich erkennt Bemmann, dass Gefangene in der Regel froh darüber sind, wenn sie Gelegenheit zum Arbeiten erhalten, weil dies einerseits Abwechslung bedeutet und zum anderen ein – wenn auch vergleichsweise geringes – Entgelt mit sich bringt. Auch sieht er, dass Art. 12 Abs. 3 GG Zwangsarbeit im Rahmen gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung nun einmal ausdrücklich erlaubt. Bemmann hält diese Bestimmung allerdings ihrerseits für verfassungswidrig. Dies ergebe sich aus der Untauglichkeit von Pflichtarbeit als Mittel der Resozialisierung, die auf so ranghohen Verfassungsnormen wie der Menschenwürdegarantie und dem Sozialstaatsprinzip beruhe. An dieser Stelle müsste sich Bemmann nun eigentlich mit der Problematik des verfassungswidrigen Verfassungsrechts auseinandersetzen. Dies erkennt er zwar, bricht seine Ausführungen jedoch mit dem Hinweis ab, dass dem nicht weiter nachgegangen werden könne. Überzeugend ist dies nicht, bleibt doch damit die (vermeintliche) Verfassungswidrigkeit des Art. 12 Abs. 3 GG als bloße Behauptung im Raum stehen. Bemmann hätte also seine Argumentation zu Ende führen müssen. Ob er dann die Unvereinbarkeit der Zwangsarbeit mit dem Grundgesetz hätte überzeugend begründen können, erscheint allerdings sehr fraglich. Gewiss unterliegen auch Verfassungsänderungen den materiellen Schranken der „Ewigkeitsklausel“ nach Art. 79 Abs. 3 GG. Wäre die Möglichkeit der Zwangsarbeit im Rahmen von Freiheitsentziehungen nachträglich in das Grundgesetz eingefügt worden, hätte man sich (zumindest theoretisch) auf den Standpunkt stellen können, dass dadurch der unantastbare Bereich der Menschenwürde und der Kern des Sozialstaatsprinzips berührt wird und damit ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG vorliegt. In diese Richtung scheint Bemmann zu tendieren, wenn er davon spricht, dass das Resozialisierungsgebot auf so „ranghohen“ Verfassungsnormen wie der Menschenwürdegarantie und dem Sozialstaatsgebot basiere. Es ist indes zu bedenken, dass Art. 12 Abs. 3 GG schon Bestandteil der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes war. Der Verfassungsgeber hat also ein Nebeneinander von Pflichtarbeit im Strafvollzug, Menschenwürde und Sozialstaatsprinzip offenbar für möglich erachtet. In der Tat besteht zwischen Art. 12 Abs. 3 GG einerseits und den Grundsätzen der Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GG kein unüberbrückbarer Gegensatz.1250 Vielmehr ergibt sich aus der Verfassung der Auftrag, 1249 1250

Vgl. hier und im Folgenden Bemmann, StV 1998, 604 (605). So auch Radtke, ZfStrVo 2001, 4 (6).

IV. Ergebnisse

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die Zwangsarbeit menschenwürdig und sozialstaatsgemäß auszugestalten, wozu beispielsweise gehört, die Gefangenen nicht als bloße Objekte zu betrachten, deren Arbeitskraft beliebig ausgebeutet werden kann oder auch die Verpflichtung, für gesunde Arbeitsbedingungen Sorge zu tragen. Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, wonach § 41 Abs. 1 StVollzG – und damit auch die entsprechenden Landes­vorschriften – verfassungsgemäß sind, vermag daher im Ganzen betrachtet weitaus mehr zu überzeugen als die Gegenauffassung.1251 Weitgehend anerkannt ist demgegenüber die zweite Kernaussage der Karlsruher Richter, die die Frage betrifft, inwieweit Gefangene zwangsweise zur Arbeit in privaten Betrieben verpflichtet werden können. Nach § 41 Abs. 3 StVollzG bedarf es hierfür der Zustimmung des Inhaftierten. Über das Inkrafttreten dieser Vorschrift hätte gemäß § 198 Abs.  4 StVollzG bis zum 31.12.1983 entschieden werden müssen, was allerdings bis heute nicht geschehen ist.1252 Mit der Einfügung des vorgenannten Zustimmungserfordernisses wollte der Gesetzgeber den  – von ihm allerdings nicht geteilten  – Bedenken Rechnung tragen, die der Sachverständigenausschuss der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der die Einhaltung des Übereinkommens Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit vom 28.6.1930 überwachen soll, in einer Stellungnahme vom Januar 1974 vorgebracht hatte.1253 Die Bundesrepublik Deutschland ist der vorgenannten völkerrechtlichen Vereinbarung 1956 beigetreten.1254 Gemäß Art.  1 Nr.  1 des ILO-Übereinkommens ist jedes Mitglied verpflichtet, den Gebrauch der Zwangs- oder Pflichtarbeit in allen Formen möglichst bald zu beseitigen. Unter letzterer ist nach Art. 2 Nr.  1 jede Art von Arbeit oder Dienstleistung zu verstehen, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat. Dies gilt jedoch gemäß Art.  2 Nr.  2 lit.  c nicht für Tätigkeiten, die aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung unter Überwachung und Aufsicht der ö­ ffentlichen Behörden ausgeführt werden und zudem nur unter der Bedingung, dass der Verurteilte nicht an Einzelpersonen oder private Gesellschaften und Vereinigungen verdingt oder ihnen sonst zur Verfügung gestellt wird. Das Bundesverfassungsgericht hält den Einsatz von Gefangenen in privaten Betrieben entsprechend der zweiten Kernaussage trotz des bisher nicht in Kraft gesetzten Zustimmungsvorbehalts für verfassungsgemäß. Art. 12 Abs. 3 GG verbietet seiner Ansicht nach nämlich nur die Auferlegung von Arbeit in privaten Betrieben, wenn dies mit der vollständigen Übertragung der Leitungsgewalt von der Vollzugsbehörde auf den privaten Unternehmer verbunden ist. Diesem Erforder 1251 Auch europäisches Recht steht einer Arbeitspflicht für Gefangene nicht zwingend entgegen, vgl. van Zyl Smit/Snacken, S. 194 ff., die jedoch zugleich auf kriminalpolitische Einwände aufmerksam machen. 1252 Obwohl die meisten Landesgesetze nach wie vor eine Arbeitspflicht vorsehen, ist in keiner der entsprechenden Regelungen ein Zustimmungserfordernis enthalten. 1253 Vgl. BT-Drs. 7/3998, S. 21. 1254 Vgl. BGBl. II 1956, S. 640 ff.

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D. Die Entscheidungsanalyse

nis, das auch in der Ausnahmeregelung des Art. 2 Nr. 2 lit. c I­ LO-Übereinkommen enthalten ist, werde aber durch § 149 Abs. 4 StVollzG1255 hinreichend Rechnung­ getragen.1256 Hiernach können in den von privaten Unternehmen unterhaltenen Betrieben und sonstigen Einrichtungen lediglich die technische und fachliche Leitung Angehörigen dieser Unternehmen übertragen werden. Damit verbleiben insbesondere Entscheidungen über die Zuweisung oder Ablösung von der Pflichtarbeit auch außerhalb von Eigenbetrieben der Haftanstalten in deren Kompetenzbereich.1257 Weil also gesetzlich sichergestellt ist, dass die öffentlich-rechtliche Letztverantwortung in jedem Fall bei den Vollzugsbehörden verbleibt, hat das Bundesverfassungsgericht die Beschäftigung in Privatunternehmen trotz fehlender Inkraftsetzung des Zustimmungserfordernisses nach § 41 Abs. 3 StVollzG als verfassungsgemäß, d. h. durch Art. 12 Abs. 3 GG gedeckt, eingestuft. Vereinzelt wird in der Literatur allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass die in Art. 2 Nr. 2 lit. c des ILO-Abkommens enthaltene Ausnahme vom Verbot der Zwangsarbeit nicht nur voraussetzt, dass eine gerichtliche Verurteilung sowie eine behördliche Aufsicht und Überwachung vorliegen, sondern der Gefangene an Unternehmerbetriebe – wie bereits erwähnt – weder verdingt noch sonst zur Verfügung gestellt werden darf. Was aber bedeutet das Tatbestandsmerkmal der „Verdingung“ im Sinne des ILO-Übereinkommens Nr. 29? Klesczewski weist mit Recht darauf hin, dass es sich insoweit um die amtliche Übersetzung des im autoritativen englischen Text verwendeten Verbs “to hire someone to somebody else“ handelt, worunter das entgeltliche „Verleihen“ eines Dienstverpflichteten von dem Dienstberechtigten an einen Dritten zu verstehen ist.1258 Angesichts dessen lässt sich nicht ernsthaft bestreiten, dass einem Unternehmerbetrieb zugewiesene Gefangene „verdingt“ werden, denn die Haftanstalt erhält hierfür von dem privaten Unternehmen eine Vergütung, während der Gefangene selbst nur die vergleichsweise geringe Entlohnung gemäß den §§ 43, 200 StVollzG bekommt.1259 Dieser Aspekt wird sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch von der überwiegenden Ansicht im Schrifttum faktisch ausgeblendet.1260 Stattdessen wird nur darauf verwiesen, dass der Gefangene, auch wenn er Arbeit in einem Unternehmerbetrieb verrichten müsse, weiterhin der öffentlich-rechtlichen Verantwortung unterstehe und lediglich in fachlich-technischer Hinsicht der Leitungsgewalt des Privaten

1255 Eine entsprechende Vorschrift existiert in Bayern (Art. 39 Abs. 5 BayStVollzG), Brandenburg (§ 107 Abs. 4 BbgJVollzG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 93 Abs. 4 StVollzG MV), Rheinland-Pfalz (§ 104 Abs. 4 LJVollzG RLP), Saarland (§ 93 Abs. 4 SLStVollzG), Sachsen (§ 106 Abs. 4 SächsStVollzG) und Thüringen (§ 105 Abs. 4 ThürJVollzGB). 1256 Vgl. BVerfGE 98, 169 (209). 1257 Vgl. BVerfGK 13, 137 (140 f.). 1258 Vgl. Klesczewski, NStZ 1992, 351 (351). 1259 Vgl. Klesczewski, a. a. O.; ähnlich Schorn, NZS 1995, 444 (446), der ebenfalls einen Verstoß gegen das ILO-Abkommen bejaht, dies aber damit begründet, dass ein „sonst zur Verfügung stellen“ im Sinne des Art. 2 Nr. 2 lit. c gegeben sei. 1260 Demgegenüber zeigen AK-Däubler/Galli, § 41 Rn. 13 durchaus Problembewusstsein.

IV. Ergebnisse

281

unterworfen sei.1261 Damit wird aber verkannt, dass dies nach der insoweit eindeutigen Ausnahmeregelung des Art. 2 Nr. 2 lit. c ILO-Übereinkommen nur die „halbe Miete“ ist, denn neben dem Verbleib der Letztverantwortung bei der Vollzugsbehörde kommt es kumulativ darauf an, dass keine Verdingung vorliegt.­ Hieraus folgt, dass letztere gerade nicht zwingend durch den Verbleib der Aufsicht bei der Vollzugsbehörde ausgeschlossen wird.1262 Vor dem geschilderten Hintergrund muss also davon ausgegangen werden, dass der Einsatz von Gefangenen in Unternehmerbetrieben ohne deren Zustimmung gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 29 verstößt. Nun könnte man sich freilich auf den Standpunkt stellen, dass unmittelbarer Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts nur das Grundgesetz ist und ein Verstoß gegen die vorgenannte völkerrechtliche Vereinbarung deshalb nicht zwingend der Wertung entgegensteht, dass auch ohne Inkraftsetzung des § 41 Abs. 3 StVollzG die Anordnung von Gefangenenarbeit in privaten Unternehmen in Betracht kommt. Das Zustimmungsgesetz zum ILO-Übereinkommen Nr.  29 gehört schließlich nur dem einfachen Recht an. Diese Sichtweise würde aber zu kurz greifen, denn das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der in dem in Rede stehenden Abkommen zum Ausdruck kommende internationale Standard dem Verfassungsgeber schon bei der Beratung des Grundgesetzes zu Grunde gelegen habe und er eine Hilfe bei der Auslegung der Verfassung sei.1263 Dem ist zwar zuzustimmen. Allerdings bleibt unklar, warum das Bundesverfassungsgericht dann bei der Auslegung des Art. 12 Abs. 3 GG den Aspekt der Verdingung nicht hinreichend berücksichtigt und nur auf den Verbleib der Letztverantwortung bei der Vollzugsbehörde abgestellt hat. Von besonderer Bedeutung ist zudem, dass die Karlsruher Richter die Beschäftigung von Gefangenen in Unternehmerbetrieben außerhalb der JVA (sog. „unechter Freigang“) ausweislich der dritten Kernaussage als verfassungswidrig eingestuft haben. Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich in seiner Senats­entscheidung vom 1.7.1998 explizit darauf hingewiesen, dass die Vollzugsbehörde mit Blick auf das Resozialisierungsgebot gehalten sei, die Möglichkeit eines freien Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 39 StVollzG1264 besonders sorgfältig zu prüfen, weil ein solches besonders günstige Umstände (Realitätsnähe, Anbahnung von Kontakten zu künftigen Arbeitgebern) für eine erfolgreiche Wiedereingliederung biete.1265 Deshalb dürfe das freie Beschäftigungsverhältnis 1261

Vgl. BVerfGE 98, 169 (206 ff.); SBJL-Laubenthal, § 41 Rn. 15; Arloth, § 41 Rn. 7; Grunau/Tiesler, § 41 Rn. 3; Krahl, NStZ 1992, 207 f.; siehe ferner BGH NJW 1975, 1017 (1018), der – ohne jegliche Begründung – annimmt, dass eine Verdingung nicht gegeben sei. 1262 Vgl. Klesczewski, NStZ 1992, 351 (351). 1263 Vgl. BVerfGE 98, 169 (206). 1264 Im Wesentlichen inhaltsgleich § 45 BwJVollzGB III; Art. 42 BayStVollzG; § 31 BbgJVollzG; § 36 HmbStVollzG; § 27 Abs.  4 u. 7 HStVollzG; § 23 StVollzG MV; § 36 NJVollzG; § 30 LJVollzG RLP; § 23 SLStVollzG; § 24 SächsStVollzG; § 30 ThürJVollzGB. 1265 Vgl. BVerfGE 98, 169 (210).

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D. Die Entscheidungsanalyse

nicht auf Ausnahmefälle beschränkt werden. Lediglich dann, wenn ein solches trotz aller Bemühungen nicht beschafft werden könne, sei es der JVA erlaubt, dem Gefangenen außerhalb der Haftanstalt Arbeit in einem Unternehmerbetrieb zuzuweisen. Hierfür sei jedoch Voraussetzung, dass der Gefangene zustimme und ein Mindestmaß an öffentlich-rechtlicher Verantwortung der JVA für den Inhaftierten erhalten bleibe.1266 Das Bundesverfassungsgericht forderte, die beanstandete Praxis der Zuweisung von Pflichtarbeit im Rahmen des unechten Freigangs einzustellen und setzte den Vollzugsbehörden eine Frist bis zum 31.12.1998, um vermehrt Unternehmer für die Eingehung von freien Beschäftigungsverhältnissen gewinnen zu können.1267 Diese Rechtsprechung ist auf Zustimmung im Schrifttum gestoßen.1268 Das ist auch berechtigt, denn die Zurückdrängung der Arbeitszuweisung im Wege des „unechten Freigangs“ und die Stärkung der freien Beschäftigungsverhältnisse sind im Sinne einer konsequenten Umsetzung des Resozialisierungsgebotes zu begrüßen. Letztere bildeten zum Jahrtausendwechsel in der Tat die Ausnahme. Eine Umfrage von Lohmann bei den Landesjustizverwaltungen in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 ergab, dass regelmäßig nicht einmal 10 % der Gefangenen einer Tätigkeit im Wege eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 39 StVollzG nachgingen, wobei Bayern mit einem Anteil von 0,73 % besonders negativ und Berlin mit einer Quote von fast 22 % deutlich positiver hervorzuheben sind.1269 Dieser Ausnahmecharakter von Gefangenenarbeit im Wege echten Freigangs ist neueren­ Erkenntnissen zufolge bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben.1270 bb) Arbeitsentgelt (1) Entgelthöhe Mehr noch als die soeben erörterten organisatorischen Fragen ist es die Arbeitsvergütung, die bis heute kontrovers diskutiert wird und in dem schon mehrfach­ erwähnten Senatsurteil vom 1.7.1998 breiten Raum einnimmt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu folgende Leitsätze aufgestellt: – Arbeit im Strafvollzug, die dem Gefangenen als Pflichtarbeit zugewiesen wird, ist nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn sie angemessene Anerkennung findet. Letztere muss nicht notwendig finanzieller Art sein. Sie muss 1266

Vgl. BVerfGE 98, 169 (211). Vgl. BVerfGE 98, 169 (215). 1268 Vgl. SBJL-Laubenthal, § 39 Rn. 5; AK-Däubler/Galli, § 39 Rn. 25; Arloth, § 39 Rn. 2; Calliess/Müller-Dietz, § 39 Rn.  4; Lohmann, S.  70 f.; Kamann, StV 1999, 348 (349); Britz, ZfStrVo 1999, 195 (201). 1269 Vgl. Lohmann, S. 71 ff., wobei allerdings einschränkend darauf hinzuweisen ist, dass in dem Wert für Berlin auch die Gefangenen enthalten sind, die sich selbst beschäftigen; siehe ferner Walter, Rn. 482, der am Beispiel Niedersachsens für die 1990er-Jahre von einem durchschnittlichen Anteil freier Beschäftigungsverhältnisse von ca. 5 % ausgeht. 1270 Näher hierzu AK-Däubler/Galli, § 39 Rn. 2. 1267

IV. Ergebnisse

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aber geeignet sein, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen.1271 – Ein gesetzliches Konzept der Resozialisierung durch Pflichtarbeit, die nur oder hauptsächlich finanziell entgolten wird, kann zur verfassungsrechtlich gebotenen Resozialisierung nur beitragen, wenn dem Gefangenen durch die Höhe des ihm zukommenden Entgelts in einem Mindestmaß bewusst gemacht werden kann, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist.1272 – Die Begrenzung der Arbeitsvergütung auf fünf vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV widerspricht dem verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsgebot.1273 Dass Arbeit, wenn sie ein taugliches Resozialisierungsmittel sein soll, angemessen vergütet werden muss, die im Zeitpunkt der Senatsentscheidung vom 1.7.1998 in Kraft befindliche Entgeltregelung aber eine viel zu geringe Entlohnung vorsah, ist allgemein anerkannt.1274 So erhielt ein Gefangener zum damaligen Zeitpunkt gemäß §§ 43 Abs. 1, 200 Abs. 1 StVollzG a. F. ein Arbeitsentgelt in Höhe von 5 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV, was – wie das Bundesverfassungsgericht selbst ausführt – bei einer täglichen Arbeitszeit von durchschnittlich sechs Stunden einem Monatslohn von etwa 200 DM (= ca. 1,70 DM je Stunde) entsprach.1275 Man kann dem Zweiten Senat nur beipflichten, wenn er zu dem Schluss gelangt, dass eine derart geringe Vergütung keinen Beitrag zur Resozialisierung zu leisten vermöge, weil dem Gefangenen durch ein Entgelt, dessen Höhe kaum über der früher gewährten Arbeitsbelohnung liege, nicht in hinreichendem Maß vor Augen geführt werden könne, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung einer Lebensgrundlage sinnvoll sei.1276 Als Konsequenz hieraus hatte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, bis spätestens zum 31.12.2000 die Entlohnung der Gefangenenarbeit neu zu regeln. Zugleich ordnete es die Weitergeltung des § 200 Abs. 1 StVollzG a. F. bis längstens zu vorgenanntem Zeitpunkt an.1277 Auf konkrete Vorgaben bezüglich des Umfangs der vorzunehmenden Erhöhung des Arbeitsentgelts haben die Karlsruher Richter verzichtet. Sie haben den Gesetzgeber allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Art der Vergütung nicht zwingend finanzieller Natur sein muss, sondern auch andere Formen einer angemessenen Anerkennung (Haftzeitverkürzung, Hilfen zur Schuldentilgung u. ä.)

1271

Vgl. BVerfGE 98, 169 – Leitsatz 2a (minimal gekürzt). Vgl. BVerfGE 98, 169 – Leitsatz 2b. 1273 Vgl. BVerfGE 98, 169 (200). 1274 Vgl. nur Kamann, StV 1999, 348 (349); Britz, ZfStrVo 1999, 195 (195) m. w. N. 1275 Vgl. BVerfGE 98, 169 (214). 1276 Vgl. BVerfGE 98, 169 (213); siehe ferner zur Höhe der Arbeitsbelohnung zur Zeit der Gründung des Bundesverfassungsgerichts oben C.VIII. (maximal 0,90 DM pro Stunde). 1277 Vgl. hier und zum Vorstehenden BVerfGE 98, 169 (215). 1272

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D. Die Entscheidungsanalyse

in Betracht kommen.1278 Der Zweite Senat hält es sogar für möglich, dass nichtmonetäre Formen der Entlohnung nicht nur neben eine Vergütung in Geld treten, sondern diese gegebenenfalls auch ersetzen können.1279 Dieser Verweis auf alternative Möglichkeiten der Entlohnung hat allerdings in Teilen des Schrifttums und sogar im Bundesverfassungsgericht selbst Widerspruch hervorgerufen. So hat Verfassungsrichter Kruis in seinem Sondervotum zum Urteil vom 1.7.1998 unumwunden zum Ausdruck gebracht, dass er sich nur schwer vorstellen könne, dass Arbeit in anderer Weise als durch finanzielle Leistungen angemessen anerkannt werden könne.1280 Kamann hat sich dem mit Verweis auf den Umstand, dass Gefangene zum größten Teil gewohnt seien, nur zu glauben, was sie sähen, ausdrücklich angeschlossen.1281 In Übereinstimmung mit dem überwiegenden Teil des Schrifttums erscheint eine vermittelnde Auffassung vorzugswürdig, wonach Elemente nichtmonetärer Entlohnung zwar durchaus möglich sind, eine Vergütung in Geld aber keinesfalls komplett ersetzen können.1282 Hierfür sprechen vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte. In der Gesellschaft, in die der Gefangene wiedereingegliedert werden soll, ist es schließlich allgemein üblich, eine Arbeitsleistung vor allem in Geld zu vergüten und nur dies versetzt den Einzelnen letztlich auch in die Lage, seine Lebensgrundlage zu sichern, Schulden zu tilgen und ähnliches mehr.1283 Dies schließt es freilich nicht aus, zusätzlich noch auf andere Formen der Anerkennung zurückzugreifen. Die monetäre Entlohnung darf dadurch aber eben nicht vollständig ersetzt werden. Darüber hinaus ist kritisiert worden, dass der Zweite Senat als Maßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung der Gefangenenentlohnung ausschließlich das Resozialisierungsgebot herangezogen hat. So führt Kruis in seinem Sondervotum aus, dass die Senatsmehrheit mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 GG die anthropologische Bedeutung der Arbeit nicht hätte überspringen dürfen.1284 Der Mensch werde in seiner existenziellen Befindlichkeit in Frage gestellt, wenn er einer Ordnung ausgesetzt sei, in der für ihn der Zusammenhang zwischen abverlangter Arbeitsleistung und gerechtem Lohn prinzipiell aufgehoben sei. Kruis plädiert deshalb dafür, die Tariflöhne als Anhaltspunkt für eine gerechte Vergütung zu nehmen, schließt dabei aber nicht aus, im Hinblick auf bestimmte Besonderheiten der Gefangenenarbeit (z. B. geringere Produktivität, größere Marktferne etc.) einige Abstriche ­vorzunehmen. Es ist zwar nicht zu bestreiten und wurde hier auch schon angedeutet, dass Art. 1 Abs. 1 GG für den Bereich der Zwangsarbeit im Strafvollzug durchaus von 1278

Vgl. BVerfGE 98, 169 (202). Vgl. BVerfG, a. a. O. 1280 Vgl. BVerfGE 98, 169 (218). 1281 Vgl. Kamann, StV 1999, 348 (349). 1282 Vgl. Lohmann, S. 143 f.; Radtke, ZfStrVo 2001, 4 (7); Ullenbruch, ZRP 2000, 177 (179); Britz, ZfStrVo 1999, 195 (198 f.). 1283 Vgl. Lohmann, a. a. O.; Radtke, a. a. O. 1284 Vgl. hier und im Folgenden BVerfGE 98, 169 (217 f.). 1279

IV. Ergebnisse

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großer Relevanz ist, denn aus der Menschenwürdegarantie ergibt sich das Verbot, den Inhaftierten zum bloßen (Ausbeutungs)-Objekt staatlichen Profitstrebens zu degradieren. Mehr als ein Minimalstandard lässt sich ihr aber nicht entnehmen.1285 Zu diesen Mindestanforderungen mag auch die Verpflichtung gehören, dem Gefangenen für seine Arbeit überhaupt eine Art von Gegenleistung zu gewähren. Auf welche Weise oder gar in welchem konkreten Umfang dies geschehen muss, lässt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG aber nicht ableiten, so dass es letztlich nachvollziehbar ist, dass die Mehrheit des Zweiten Senats bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der in den §§ 43 Abs. 1, 200 Abs. 1 StVollzG a. F. vorgesehenen Vergütung nicht auf das Gebot der Menschenwürde rekurriert hat. Nachdem die Karlsruher Richter den Gesetzgeber also zu einer Neuregelung der Arbeitsentlohnung im Strafvollzug verpflichtet hatten, wurde diese am 27.12.2000 – wenige Tage vor Fristablauf – vom Gesetzgeber verabschiedet. Seit dem 1.1.2001 erhalten die Gefangenen nunmehr ein Arbeitsentgelt in Höhe von 9 statt zuvor 5 % der Bemessungsgrundlage nach § 18 SGB IV. Auch von der vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ins Spiel gebrachten Möglichkeit, nichtmonetäre Formen der Entlohnung einzuführen, wurde Gebrauch gemacht, und zwar in Form einer „good time“-Regelung. So kann der Gefangene gemäß § 43 Abs. 6 und 7 StVollzG beantragen, einen Werktag von der Arbeit freigestellt oder aus der Haft beurlaubt zu werden, wenn er zwei Monate lang zusammenhängend gearbeitet hat. Will er dies nicht, wird die Freistellung nach § 43 Abs. 9 StVollzG, wenn kein Ausnahmefall im Sinne des Abs. 10 vorliegt, auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet. Die skizzierte Neuregelung des Arbeitsentgelts ist dem Bundesverfassungsgericht schon kurz nach Inkrafttreten in Form einer Verfassungsbeschwerde erneut zur Entscheidung vorgelegt worden. Das Votum der Karlsruher Richter am 24.3.2002 fiel denkbar knapp aus: – Die Begrenzung des Arbeitsentgelts auf neun vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV ist noch verfassungsgemäß.1286 In seiner Begründung stellte das Bundesverfassungsgericht zunächst noch einmal klar, dass sich aus dem Resozialisierungsgebot die Notwendigkeit ergibt, die Gefangenen so zu entlohnen, dass ihnen ein greifbarer Vorteil verbleibt und sie dementsprechend den Wert regelmäßiger Arbeit für ein straffreies Leben erkennen können.1287 Die entscheidende Kammer betont aber auch, dass der Gesetzgeber befugt sei, die wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Angesichts der strukturell bedingten niedrigen Produktivität der Gefangenenarbeit sowie der weiteren Verschlechterung der Beschäftigungssituation der Inhaftierten in den 1990er-Jahren 1285

Ebenso Lohmann, S. 142; siehe aber Radtke, ZfStrVo 2001, 4 (6 f.); Kamann, StV 1999, 348 (349); Britz, ZfStrVo 1999, 195 (198), die Kruis zustimmen. 1286 Vgl. BVerfG NStZ 2003, 109 ff. 1287 Vgl. hier und im Folgenden BVerfG NStZ 2003, 109 (110 f.).

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D. Die Entscheidungsanalyse

bestehe nämlich die Gefahr, dass es bei einer weiteren Erhöhung des Entgelts zu einer Gefährdung der Arbeitsplätze in den Haftanstalten komme. Das aber liefe dem Resozialisierungskonzept offenkundig zuwider. Zudem gehe die Erhöhung der monetären Entgeltkomponente um immerhin 80 % über einen bloßen Infla­ tionsausgleich hinaus und stelle eine spürbare Verbesserung für die Gefangen dar. Auch die „good time“-Regelung werde dem Resozialisierungsgebot gerecht, denn die Aussicht, vorzeitig die Freiheit wiederzuerlangen, sei geeignet, die Gefangenen zu regelmäßiger Arbeit zu motivieren. Das Bundesverfassungsgericht betont aber gleichwohl, dass sich die Neuregelung bezüglich beider Komponenten der Entlohnung an der „äußersten Grenze“ dessen bewege, was verfassungsrechtlich noch zulässig sei, weshalb der Gesetzgeber aufgefordert bleibe, den Bereich der Vergütung von Gefangenenarbeit einer stetigen Prüfung zu unterziehen. Im Schrifttum sind die Reform des Arbeitsentgelts und die sie bestätigende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vielfach auf Kritik gestoßen.1288 Dort und in der Praxis werden bei einer Spannbreite von 10 % bis 40 % im Durchschnitt etwa 20 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV für verfassungsrechtlich notwendig erachtet.1289 In der Tat lässt sich nicht bestreiten, dass trotz der Erhöhung der Eckvergütung auf 9 % zahlreiche resozialisierungsförderliche Aspekte (Schuldentilgung; Unterhaltszahlungen u. ä.) kaum möglich sind. So betrug der Tagessatz (Vergütungsstufe III) im Jahr 2013 gerade einmal 11,64 €, was bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden einem Stundenlohn von 1,46 € entspricht.1290 Dass die Aufstockung der Vergütung nach wie vor keinen nennenswerten Anreiz zur Arbeit bietet, wird man allerdings nicht behaupten können. Das gilt in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht auch im Hinblick auf die vom Gesetzgeber gewählte Form einer nicht-monetären Entgeltkomponente, wenngleich auch diese gewiss nicht als besonders großzügig bezeichnet werden kann.1291 Mit Recht haben es die Karlsruher Richter aber eben auch für zulässig erachtet, ökonomische Gesichtspunkte bei der Entgeltregelung zu berücksichtigen. Insoweit besteht Konsens, dass die Gefangenenarbeit aufgrund zahlreicher Ursachen (u. a. geringes Ausbildungsniveau der Inhaftierten, hohe Fluktuation in den Betrieben) eine erheblich geringere Produktivität als diejenige in der freien Wirtschaft aufweist.1292 Auch war das gesamtwirtschaftliche Umfeld (hohe Arbeitslosigkeit; angespannte Haushaltslage) zur Zeit der Neuregelung in der Tat ungünstig. Berücksichtigt man dies, den grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sowie die 1288 Vgl. AK-Feest/Köhne, § 200 Rn.  3 ff.; SBJL-Laubenthal, § 200 Rn.  3; Calliess, NJW 2001, 1692 (1692 f.); Radtke, ZfStrVo 2001, 4 (8 ff.) 1289 Vgl. nur Lohmann, NStZ 2003, 111 (112); ders., S. 261 f. m. w. N. 1290 Werte nach eigener Berechnung. Die Bezugsgröße nach § 18 SGB IV betrug im Jahr 2013 32.340 € (vgl. § 2 Abs. 1 Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2013). 1291 Näher zur Kritik an der in § 43 StVollzG enthaltenen „good time“-Regelung etwa Lohmann, NStZ 2003, 111 (112). 1292 Näher hierzu Landau/Kunze/Poseck, NJW 2001, 2611 (2612), wonach die Produktivität von Unternehmerbetrieben bei rund 20 %, und im Fall von Eigenbetrieben deutlich unter 15 % liegt; siehe ferner Steiner, S. 166 f.

IV. Ergebnisse

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Tatsache, dass die Kombination aus monetärer und nicht-monetärer Vergütung wenigstens die untere Grenze der Eckvergütung erreicht, die in Wissenschaft und Praxis für notwendig erachtet wird (10 % bis 40 %), erscheint die Auffassung der Karlsruher Richter, dass die am 1.1.2001 in Kraft getretene Entgeltreform „noch verfassungsgemäß“ sei, zum damaligen Zeitpunkt durchaus nachvollziehbar.1293 Im Ergebnis sind es also vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte, die die Neuregelung der Gefangenenentlohnung gerade noch vor dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit bewahrt haben oder mit anderen Worten ausgedrückt: Die Karlsruher Richter hatten neben Resozialisierungsgesichtspunkten ganz maßgeblich auch die Problematik der Finanzierbarkeit einer Entgeltreform vor Augen1294. Weil die ökonomische Lage aber Veränderungen unterliegt, ist es in der Sache richtig, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Frage der Vergütung von Gefangenenarbeit ständig im Auge zu behalten ist und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind. Hieraus folgt wiederum, dass die Entgeltregelung der §§ 43, 200 StVollzG angesichts der im Vergleich zum Jahrtausendwechsel deutlich verbesserten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen heute nicht mehr als grundgesetzkonform bezeichnet werden kann.1295 (2) Pfändung des aus Arbeitsentgelt gebildeten Eigengeldguthabens Bereits im Jahr 1982 musste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage befassen, ob bei der Pfändung von Eigengeld, das aus Arbeitsentgelt gebildet wurde, die Freigrenzen des § 850c ZPO zu beachten sind. Der zuständige Vorprüfungsausschuss verneinte dies. Es sei zwar nicht unumstritten, aber keinesfalls willkürlich, wenn das LG die Vergütung der Gefangenenarbeit im Sinne des § 43 StVollzG hinsichtlich des Pfändungsschutzes nicht wie das übliche Arbeitseinkommen behandle. Diese Sichtweise widerspreche auch nicht der durch Art. 1 GG geschützten Menschenwürde. Den lebensnotwendigen Bedürfnissen des Gefangenen werde durch die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes hinreichend Rechnung getragen. Die Auffassung des Bundesverfassungserichts lässt sich somit wie folgt zusammenfassen: – Die Nichtberücksichtigung der Freigrenzen des § 850c ZPO bei der Pfändung von Eigengeld ist mit der Verfassung vereinbar.1296

1293 Im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2002, 93 f.; OLG Hamm NJW 2002, 230 ff.; Arloth, § 43 Rn. 5; Ullmann, S. 88; Landau/Kunze/Poseck, a. a. O. 1294 Kritisch hierzu AK-Feest/Köhne, § 200 Rn. 4. 1295 Vgl. auch AK-Däubler/Galli, § 43 Rn.  6, die Verfassungsbeschwerden gegen das der­ zeitige Vergütungssystem durchaus Erfolgsaussichten einräumen; siehe ferner zu den Entgeltregelungen in den Landesvorschriften unten E.III.5. 1296 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NJW 1982, 1583.

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D. Die Entscheidungsanalyse

Im Schrifttum und in der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist die beschriebene Problematik nach wie vor hoch umstritten. Um sich ihr anzunähern, ist es sinnvoll, zunächst eine Differenzierung vorzunehmen. Zielt die Vollstreckungsabsicht des Gläubigers auf den Entgeltanspruch nach § 43 Abs. 2 StVollzG als solchen ab, soll nach einer Auffassung eine Pfändung ausscheiden, weil die gesetzlichen Verteilungsregeln für die Arbeitsvergütung (vgl. §§ 47 Abs. 1, 51 Abs. 1, 52 StVollzG) eine Übertragung derselben gemäß § 399 BGB ausschließe und damit das Pfändungsverbot des § 851 Abs. 1 ZPO eingreife.1297 Nach der Gegenansicht handelt es sich bei dem Lohnanspruch des Gefangenen durchaus um pfändbares Arbeits­einkommen im Sinne der §§ 850 ff. ZPO.1298 Welche der genannten Auffassungen den Vorzug verdient, kann dahingestellt bleiben, weil sich selbst dann keine praxisrelevanten Konsequenzen ergeben, wenn man der Meinung folgte, die eine Pfändbarkeit bejaht.1299 Nimmt man nämlich das höchste Arbeitsentgelt, das von einem Gefangenen im Jahr 2013 pro Monat erzielt werden konnte (ca. 400 €) und folgt zudem noch der (umstrittenen) Ansicht, wonach der nicht zu erhebende Haftkostenbeitrag gemäß § 850e Nr. 3 ZPO hinzuzurechnen ist1300 (max. 399,20 € bei Einzelunterbringung und Vollverpflegung), ergibt sich eine Summe von knapp 800  €, die immer noch deutlich unter der Pfändungsgrenze des § 850c Abs.  1 Satz 1 ZPO in Höhe von 930 € liegt.1301 Damit kann festgehalten werden, dass derzeit nach keiner Ansicht eine Pfändung des Entgeltanspruches nach § 43 Abs. 2 StVollzG in Betracht kommt. Der zu erörternden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lag nun allerdings ein Sachverhalt zu Grunde, in dem es nicht um die unmittelbare Pfändung der Arbeitsvergütung, sondern um das aus ihr gebildete Eigengeld ging. Insoweit handelt es sich aber nicht mehr um die Vollstreckung in einen Anspruch auf Arbeitsentgelt, denn dieser ist mit der jeweiligen Einzahlung auf dem Eigengeldkonto analog § 362 Abs. 1 BGB erloschen.1302 Damit muss auch eine Anwendbarkeit der Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO ausscheiden, weil der Gefangene ab dem Zeitpunkt der Gutschrift zwar weiterhin einen Zahlungsanspruch hat, der aber eben nicht mehr auf die Gewährung von Arbeitsentgelt, sondern auf Eigengeld 1297

Vgl. BGH NJW 2004, 3714 (3715); Musielak/Becker, § 850 Rn. 8; Arloth, § 43 Rn. 11;­ Ahrens, NJW-Spezial 2011, 725. 1298 Vgl. OLG Frankfurt a. M. NStZ 1993, 559 (559); OLG Celle NStZ 1988, 334 (334); OLG München NStZ 1986, 45 (45); OLG Karlsruhe NStZ 1985, 430 (430); AK-Däubler/Galli, § 43 Rn. 14; SBJL-Laubenthal, § 43 Rn. 16 jeweils m. w. N. 1299 So bereits Arloth, § 43 Rn. 10; SBJL-Laubenthal, § 43 Rn. 16. 1300 So etwa MüKo-ZPO/Smid, § 850e Rn. 38; a. A. SBJL-Laubenthal, a. a. O. m. w. N. 1301 Werte nach eigener Berechnung. Dem angegebenen Monatseinkommen von ca. 400  € liegen 21 Arbeitstage (vgl. Böhm, Rn.  220) sowie ein Tagessatz nach Vergütungsstufe V (= 14,64 €) zuzüglich der maximal möglichen Leistungszulage von 30 % (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 Strafvollzugsvergütungsordnung) zu Grunde. Daraus folgt: 19,03 € x 21 = 399,63 €. Der Haftkostenbeitrag wurde anhand der entsprechenden Bekanntmachung des Bundesministeriums der Justiz für das Kalenderjahr 2013 vom 4.10.2012 (=  Bundesanzeiger AT 16.10.2012 B2)­ ermittelt. 1302 Vgl. SBJL-Laubenthal, § 52 Rn. 4.

IV. Ergebnisse

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im Sinne des § 52 StVollzG gerichtet ist.1303 Wenn das Bundesverfassungsgericht die vorgenannte Auffassung also in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1982 als „keines­falls willkürlich“ bezeichnet, kann dies vor dem geschilderten Hintergrund dahingehend präzisiert werden, dass sie sogar richtig ist und der herrschenden Meinung entspricht. Die Karlsruher Richter mussten sich aber freilich nicht im Detail mit dem bestehenden Meinungsstreit auseinandersetzen. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist nämlich entscheidend, dass selbst die für den Gefangenen ungünstige Auslegung, wonach § 850c ZPO auch im Fall von Eigengeld, das aus Arbeitseinkommen gebildet wurde, nicht anwendbar ist, keinen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG bedeutet. In der Tat ist das Existenzmininum des Inhaftierten auch ohne jegliches Guthaben nach § 52 StVollzG gesichert, denn ihm werden in jedem Fall Unterkunft, Verpflegung, Gesundheitsfürsorge und Kleidung von der JVA zur Verfügung gestellt.1304 (3) Haftkostenbeitrag Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 StVollzG1305 haben die Vollzugsanstalten von den Gefangenen grundsätzlich auch einen Haftkostenbeitrag zu erheben. Dieser betrug – wie bereits erwähnt – im Jahr 2013 bis zu 399,20 €. Da die allermeisten Gefangenen aber in den Anwendungsbereich einer der in § 50 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 StVollzG genannten Befreiungstatbestände fallen, ist der gesetzliche Regelfall (= Erhebung eines Haftkostenbeitrages) in der Vollzugspraxis die Ausnahme.1306 Am häufigsten werden die Inhaftierten zur Leistung eines Beitrages gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 StVollzG herangezogen, die sich in einem freien Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 39 Abs. 1 StVollzG befinden und deshalb ein zumeist wesentlich höheres Einkommen erzielen als diejenigen, die Pflichtarbeit in einem Unternehmer- oder Eigenbetrieb leisten.1307 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Senatsentscheidung vom 1.7.1998 auch kurz zu der in Rede stehenden Frage der Beteiligung von Gefangenen an den Kosten für Unterbringung und Verpflegung Stellung genommen und dabei eine Kernaussage getroffen, die sich wie folgt zusammenfassen lässt:

1303 Vgl. BGH NJW 2004, 3714 (3715); BFH NJW 2004, 1344; SBJL-Laubenthal, a. a. O.; Arloth, § 52 Rn. 4; Calliess/Müller-Dietz, § 52 Rn. 1; Kaiser/Schöch, § 7 Rn. 159; a. A. OLG Hamburg ZfStrVo 1995, 370; OLG Frankfurt a. M. NStZ 1993, 559 (559); AK-Däubler/Galli, § 52 Rn. 5. 1304 Vgl. KG Berlin NStZ-RR 2013, 294 (295) m. w. N. 1305 Alle bisher in Kraft getretenen Landesgesetze enthalten Vorschriften über die Erhebung eines Haftkostenbeitrags, vgl. § 51 BwJVollzGB III; Art. 49 BayStVollzG; § 72 Abs. 1 u. 2 BbgJVollzG; § 49 Abs. 1 u. 2 HmbStVollzG; § 43 Abs. 1 u. 2 HStVollzG; 61 Abs. 1 u. 2 StVollzG MV; § 51 Abs. 1 u. 2 NJVollzG; § 71 Abs. 1 u. 2 LJVollzG RLP; § 61 Abs. 1 u. 2 SLStVollzG; § 61 Abs. 1 u. 2 SächsStVollzG; § 72 Abs. 1 u. 2 ThürJVollzGB. 1306 Vgl. nur Köhne, NStZ 2009, 131 (133) m. w. N. 1307 Vgl. SBJL-Laubenthal, § 50 Rn. 5.

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D. Die Entscheidungsanalyse

– Die Wertungen des Grundgesetzes stehen der Erhebung eines Haftkostenbeitrages grundsätzlich nicht entgegen. Aus dem Resozialisierungsgebot ergibt sich aber, dass dem Gefangenen von seinem Arbeitsentgelt ein gewisser Betrag verbleiben muss.1308 Der Gesetzgeber trägt dem Rechnung, indem er in § 50 Abs. 1 Satz 4 StVollzG angeordnet hat, dass dem Inhaftierten in jedem Fall ein Betrag belassen werden muss, der dem mittleren Arbeitsentgelt in den Vollzugsanstalten des Landes entspricht. Als Durchschnittslohn im Sinne dieser Vorschrift wird allgemein die Eckvergütung angesehen, die gemäß den §§ 43 Abs. 2, 200 StVollzG für die Pflichtarbeit gezahlt wird.1309 Hat das Bundesverfassungsgericht also die Erhebung eines Haftkostenbeitrages grundsätzlich gebilligt, musste es sich in seinem stattgebenden Kammerbeschluss vom 17.3.2009 noch einmal mit der Problematik der finanziellen Beteiligung der Gefangenen an den Unterbringungs- und Verpflegungsausgaben befassen. Konkret ging es um die Regelung des § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG1310. Nach dieser sogenannten „Resozialisierungsklausel“ kann bei Gefährdung der Wieder­eingliederung auch dann von der Erhebung eines Haftkostenbeitrages abgesehen werden, wenn keiner der Befreiungstatbestände im Sinne des § 50 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 StVollzG vorliegt. Diesbezüglich ist anerkannt, dass § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG nicht derart allgemein ausgelegt werden kann, dass jede mit dem Verzicht auf ­Kostenbeteiligung verbundene finanzielle Entlastung des Gefangenen als förderlich für die Erreichung des Vollzugsziels angesehen wird.1311 Hat ein Inhaftierter – wie etwa in dem Fall, der dem erwähnten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde lag – hohe Schulden, bedeutet auch dies keinen­ Automatismus in Richtung auf den Verzicht der Auferlegung eines Haftkostenbeitrages aus Resozialisierungsgründen.1312 Eine solche Privilegierung Gefangener gegenüber Schuldnern, die sich nicht in Haft befinden, wäre gerade mit Blick auf den Angleichungsgrundsatz (vgl. § 3 Abs. 1 StVollzG) nicht gerechtfertigt, denn auch letztere müssen trotz bestehender Verbindlichkeiten ihren Lebensunterhalt 1308

Vgl. BVerfGE 98, 169 (203). Vgl. nur Arloth, § 50 Rn.  8 m. w. N. Das legen auch die Landesgesetze ausdrücklich oder durch eine § 50 Abs.  1 Satz  4 StVollzG inhaltlich entsprechende Vorschrift fest, vgl. § 51 Abs. 1 Satz 3 BwJVollzGB III; Art. 49 Abs. 1 Satz 4 BayStVollzG; § 49 Abs. 1 Satz 3 HmbStVollzG; § 43 Abs. 2 Satz 3 HStVollzG; § 61 Abs. 1 Satz 4 StVollzG MV; § 52 Abs. 2 Satz  3 NJVollzG; § 71 Abs.  1 Satz  3 LJVollzG RLP; § 61 Abs.  1 Satz  4 SLStVollzG; § 61 Abs. 1 Satz 4 SächsStVollzG; § 72 Abs. 1 Satz 3 ThürJVollzGB. 1310 § 51 Abs. 1 Satz 3 BwJVollzGB III; Art. 49 Abs. 1 Satz 5 BayStVollzG; § 72 Abs. 1 Satz 4 BbgJVollzG; § 49 Abs.  1 Satz  5 HmbStVollzG; § 43 Abs.  3 HStVollzG; § 61 Abs.  1 Satz  5 StVollzG MV; § 52 Abs. 5 Satz 1 NJVollzG; § 71 Abs. 1 LJVollzG RLP; § 61 Abs. 1 Satz 5 SLStVollzG; § 61 Abs. 1 Satz 5 SächsStVollzG; § 72 Abs. 1 Satz 4 ThürJVollzGB. 1311 Vgl. OLG Hamm NStZ 2009, 218 (219); OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 389 (390); AKDäubler/Galli, § 50 Rn. 8; SBJL-Laubenthal, § 50 Rn. 6; Arloth, § 50 Rn. 9; Calliess/MüllerDietz, § 50 Rn. 5. 1312 Vgl. AK-Däubler/Galli, a. a. O. 1309

IV. Ergebnisse

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bestreiten.1313 Letztlich kommt der Vollzugsbehörde bei der Prüfung, ob aus Re­ sozialisierungsgründen von der Erhebung eines Haftkostenbeitrages abzusehen ist, ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Gerichten nur eingeschränkt überprüft werden kann.1314 Das entbindet die Haftanstalten aber nicht davon, alle relevanten Tatsachen sorgfältig zu ermitteln und in den Abwägungsprozess einzustellen. Nach den Karlsruher Richtern gilt deshalb folgender Grundsatz: – Wenn bei der Anwendung des § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG ein für die Wiedereingliederungschancen offensichtlich bedeutsamer Umstand nicht hinreichend berücksichtigt wird, stellt dies einen Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot dar.1315 Der vom Bundesverfassungsgericht konkret entschiedene Sachverhalt, der Anlass für die vorgenannte Kernaussage war, ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass die gebotene Sorgfalt bei der Tatsachenermittlung und -bewertung selbst von den Fachgerichten gelegentlich mit zum Teil haarsträubender Argumentation vernachlässigt wird – eine Feststellung, die freilich nicht neu ist, sondern im Rahmen der bisherigen Rechtsprechungsanalyse schon mehrfach getroffen werden konnte.1316 So hatte die Strafvollstreckungskammer die Nichtberücksichtigung der hohen Verschuldung des Beschwerdeführers (60.000 bis 70.000 €) im Rahmen der Entscheidung nach § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG mit der Erwägung zu rechtfertigen versucht, dass es „absolut widersinnig“ wäre, einem Verurteilten die Möglichkeit zu eröffnen, sich der im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Haftkostenbeteiligung unter Verweis auf unbeglichene Verbindlichkeiten zu entziehen, weil schließlich niemand gezwungen werde, Straftaten zu begehen und sich damit zusätzlich noch die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung in der Haft aufzubürden.1317 Es ist offensichtlich, dass dies bereits deshalb nicht richtig sein kann, weil dann für die Resozialisierungsklausel, die stets verurteilte Straftäter betrifft, kein Anwendungsbereich mehr verbliebe.1318 cc) Freistellung von der Arbeitspflicht gemäß § 42 Abs. 1 StVollzG Nicht nur die bisher behandelten Fragen der Arbeitsorganisation und -entlohnung, sondern auch die am 1.1.1980 in Kraft getretene Vorschrift des § 42 Abs. 1 Satz 1 StVollzG1319, wonach ein Gefangener 18 Tage von der Arbeitspflicht frei 1313

Vgl. OLG Hamm NStZ 2009, 218 (219). Vgl. OLG Hamm, a. a. O.; OLG Celle NStZ-RR 2008, 294; SBJL-Laubenthal, § 50 Rn. 6. 1315 Vgl. BverfGK 15, 207 (213). 1316 Siehe oben D.IV.3.b)bb)(2) und cc) – Vollzugsplanung; D.IV.4.b)bb(1) und (3) – Vollzugslockerungen. 1317 Vgl. BVerfGK 15, 207 (214). 1318 So mit Recht BVerfGK, a. a. O. 1319 Zwischen 1.1.1977 und 31.12.1979 hatte § 42 Abs. 1 StVollzG folgenden Wortlaut: „Hat der Gefangene ein Jahr lang zugewiesene Tätigkeit oder Hilfstätigkeiten nach § 41 Abs. 1 Satz 2 1314

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D. Die Entscheidungsanalyse

gestellt werden kann, wenn er ein Jahr lang zugewiesene Tätigkeit nach § 37 StVollzG oder Hilfstätigkeiten gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 StVollzG ausgeübt hat, erwies sich in der Vollzugspraxis vor allem in der Anfangszeit als problematisch und war 1984 Gegenstand einer Senatsentscheidung. Letzterer lag die Verfassungs­ beschwerde eines Gefangenen zu Grunde, dessen Freistellungsantrag abgelehnt wurde, weil bei ihm die Jahresfrist durch Verbüßung eines dreitägigen Arrestes unterbrochen war. Das Bundesverfassungsgericht stellte hierzu folgenden Grundsatz auf: – In Anbetracht der Zielsetzung des § 42 Abs. 1 StVollzG – Erhalt der Arbeitskraft des Gefangenen und Vermittlung einer positiven Einstellung zur Arbeit – ist es mit Art. 3 Abs. 1 GG (Willkürverbot) unvereinbar, die Freistellung unabhängig von der Dauer der im Zeitpunkt der Antragstellung geleisteten Arbeit und der Säumnis allein deshalb zu versagen, weil der Inhaftierte eine Fehlzeit schuldhaft verursacht hat.1320 Diese Entscheidung ist im Schrifttum mit Recht auf Zustimmung gestoßen.1321 Haftanstalt und Fachgerichte hatten mit ihrer einseitig auf die schuldhafte Verursachung einer Fehlzeit ausgerichteten Interpretation des § 42 Abs. 1 StVollzG faktisch eine neue Disziplinarmaßnahme geschaffen, die aber in dem abschließenden Sanktionskatalog des § 103 StVollzG nicht enthalten ist.1322 Mit Blick auf die von § 42 StVollzG verfolgten Erholungs- und Wiedereingliederungszwecke liege es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zudem auf der Hand, dass ein Strafgefangener, der etwa an 230 Arbeitstagen hintereinander gearbeitet habe, nicht deswegen weniger regenerations- oder resozialisierungsbedürftig sei, weil er am 231. Tag schuldhaft der Arbeit fernbleibe.1323 Dies ist ebenso zutreffend wie der Verweis des Senats auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In dem konkreten Fall betrug die arrestbedingte Säumnis von der Arbeit nämlich nur drei Tage und dies nach einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit von über acht Monaten. Letztgenannten Zeitraum bei der Berechnung der Jahresfrist des § 42 Abs. 1 Satz 1 StVollzG völlig unberücksichtigt zu lassen, obwohl die Fehlzeit von we­ nigen Tagen dem gegenüber nicht nennenswert ins Gewicht fällt, wäre in der Tat völlig unangemessen.

ausgeübt, so kann er achtzehn Tage von der Arbeitspflicht freigestellt werden.“ Satz 2 (Anrechnung von Ausfallzeiten wegen Krankheit) galt in dieser Zeit noch nicht. Inhaltsgleiche Freistellungsvorschriften existieren in Baden-Württemberg (§ 48 BwJVollzGB III) und Bayern (Art. 45 BayStVollzG). In den übrigen Landesregelungen (§ 32 BbgJVollzG; § 39 HmbStvollzG; § 27 Abs. 9 HStVollzG; § 24 StVollzG MV; § 39 NJVollzG; § 31 LJVollzG RLP; § 24 SLStVollzG; § 24 SächsStVollzG; § 31 ThürJVollzGB) wird die Anzahl der Freistellungstage in der Regel auf 20, zum Teil aber bis auf 30 pro Jahr angehoben. 1320 Vgl. BVerfGE 66, 199 (208). 1321 Vgl. SBJL-Laubenthal, § 42 Rn. 6; AK-Däubler/Galli, § 42 Rn. 2; Arloth, § 42 Rn. 1, 4; Calliess/Müller-Dietz, § 42 Rn. 2, 4 f.; Großkelwing, NStZ 1984, 572 f. 1322 Vgl. BVerfGE 98, 169 (208). 1323 Vgl. BVerfGE 98, 169 (209).

IV. Ergebnisse

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Der in Rede stehende Senatsbeschluss wird mit Recht als „sehr stark fallbezogen“ charakterisiert.1324 Grundsätze zur Beantwortung weiterer (Anrechnungs-) Probleme im Rahmen des § 42 StVollzG enthält er nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat es vielmehr der Vollzugspraxis und der fachgerichtlichen Rechtsprechung überlassen, neben dem ausdrücklich in § 42 Abs. 1 Satz 2 StVollzG geregelten Anrechnungstatbestand für krankheitsbedingte Fehlzeiten weitere Fallgruppen zu bilden, in denen Arbeitssäumnis nicht zu einem Neubeginn der Jahresfrist nach Satz  1 führt. Zu kritisieren ist dies freilich nicht, denn das Bundesverfassungsgericht hat sich – wie jedes andere Gericht auch – auf den konkret zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt zu konzentrieren und auf darüber hinausgehende Ausführungen allgemeiner Art zu verzichten.1325 dd) Taschengeld Wie eingangs schon angedeutet, haben sich die Karlsruher Richter mehrfach mit dem Anspruch auf Taschengeld nach § 46 StVollzG1326 befassen müssen. Angesichts dessen ist es wenig verwunderlich, dass sie zu diesem Problemkreis eine ganze Reihe an Kernaussagen getroffen haben. Was zunächst die zentrale Anspruchsvoraussetzung der Bedürftigkeit betrifft, können der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung folgende Vorgaben entnommen werden: – Das Grundgesetz verbietet es nicht, bei der Prüfung der Bedürftigkeit auch die dem Gefangenen außerhalb des Vollzuges zur Verfügung stehenden Mittel zu berücksichtigen.1327 – Wirkt der Inhaftierte bei der Aufklärung der für die Feststellung der Bedürf­ tigkeit relevanten Tatsachen nicht mit, kann dies zu seinen Lasten gewertet­ werden.1328 Steht dem Gefangenen im laufenden Monat aus Haus- und Eigengeld nicht wenigstens ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung, ist er nach Nr.  3 der VV zu § 46 StVollzG bedürftig. Er erhält dann von der JVA derzeit (=  2013) etwa 34  € monatlich. Da das Taschengeld nur ultima ratio ist, müssen­ finanzielle Mittel, die dem Inhaftierten gegebenenfalls außerhalb der Haftanstalt zur Verfügung stehen und dem Eigengeld gutgeschrieben werden könnten, vorrangig in Anspruch genommen werden. Die dahingehende Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist zutreffend und entspricht auch der allgemeinen Ansicht im 1324

Vgl. Großkelwing, NStZ 1984, 572 (573). So auch Großkelwing, a. a. O. 1326 Im Wesentlichen inhaltsgleich: § 53 BwJVollzGB III; Art.  54 BayStVollzG; § 68 BbgJVollzGB; § 46 HmbStVollzG; § 41 HStVollzG; § 57 StVollzG MV; § 43 NJVollzG; § 67 LJVollzG RLP; § 57 SLStVollzG; § 57 SächsStVollzG; § 68 ThürJVollzGB. 1327 Vgl. BVerfG ZfStrVo 1996, 315 (316). 1328 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1325

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D. Die Entscheidungsanalyse

Schrifttum.1329 Zudem ist es konsequent, fehlende Kooperationsbereitschaft des Gefangenen bei der Ermittlung der für die Feststellung der Bedürftigkeit relevanten Tatsachen zu dessen Lasten gehen zu lassen.1330 Dies entspricht der Situation in Freiheit lebender Personen, die z. B. Leistungen der Grundsicherung („ALG II“) oder andere Hilfen beantragen. Für den gesamten Bereich des Sozialrechts gilt nämlich gemäß § 60 Abs. 1 SGB I das Prinzip der Mitwirkungspflicht des Leistungsbeziehers. Weigert sich dieser, die jeweils notwendige Sachverhaltsaufklärung zu unterstützen, kann die zuständige Behörde die Leistungsgewährung ganz oder teilweise versagen (vgl. § 66 Abs. 1 SGB I). Eine weitere Entscheidung der Karlsruher Richter, die im Februar 2002 ergangen ist, betrifft die Frage, inwieweit zwischen der Höhe des Taschengeldes und der des Arbeitsentgeltes ein zwingender Zusammenhang besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Sinne des nachfolgenden Grundsatzes positioniert: – Aus dem Resozialisierungsgebot folgt nicht die Verpflichtung, sich bei der Prüfung der Angemessenheit der Höhe des Taschengeldes an dem Bemessungssatz für das Arbeitsentgelt zu orientieren.1331 Wird also – wie zuletzt im Jahr 2001 geschehen – die Entlohnung für arbeitende Gefangene angehoben, muss dies nach Ansicht der Karlsruher Richter nicht zwingend auch eine Erhöhung des Taschengeldes zur Folge haben.1332 Dahinter steht die durchaus nachvollziehbare Erwägung, dass § 46 StVollzG lediglich einen gewissen Ausgleich für die Inhaftierten schaffen soll, denen unverschuldet keine Arbeit oder Bildungsmaßnahme zugewiesen werden kann, während das Arbeitsentgelt nach § 43 Abs. 2 StVollzG den Zweck verfolgt, den Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein eigenverantwortliches und straffreies Leben vor Augen zu führen.1333 Im Hinblick auf die Höhe eines angemessenen Taschengeldes ist auch der Nichtannahmebeschluss vom 29.10.2008 sehr aufschlussreich. Ihm kann zunächst folgender Leitsatz entnommen werden: – Gelangt der Gefangene zu der Auffassung, dass das Taschengeld – z. B. wegen Preissteigerungen – nicht (mehr) angemessen ist, kann er bei der JVA auch in Bezug auf Artikel, die zum Existenzminimum gehören, keine kostenfreie Bereitstellung durch die Anstalt verlangen, sondern muss vielmehr eine Erhöhung der Bezüge nach § 46 StVollzG beantragen.1334 1329 Vgl. SBJL-Laubenthal, § 46 Rn. 6; AK-Däubler/Galli, § 46 Rn. 10; Arloth, § 46 Rn. 4; Calliess/Müller-Dietz, § 46 Rn. 3. 1330 Vgl. nur OLG Celle NStZ-RR 2009, 261 (261 f.) m. w. N. 1331 Vgl. BVerfG NStZ 2003, 109. 1332 Zustimmend SBJL-Laubenthal, § 46 Rn.  8; Arloth, § 46 Rn.  5; Calliess/Müller-Dietz, § 46 Rn. 3; kritisch AK-Däubler/Galli, § 46 Rn. 4. 1333 Vgl. BVerfG NStZ 2003, 109. 1334 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.10.2008 – 2 BvR 1268/07.

IV. Ergebnisse

295

In der zugehörigen Verfassungsbeschwerde hatte ein Gefangener vorgebracht, dass er angesichts zunehmender Belastung mit sonstigen Kosten des täglichen­ Lebensbedarfes nicht mehr genügend Taschengeld für den Erwerb der notwendigen Hygiene- und Körperpflegemittel habe. Da letztgenannte Artikel aber zum Existenzminimum zu zählen seien, müsse die Anstalt diese kostenfrei zur Verfügung stellen. Die zuständige Kammer folgte dem ausweislich des oben genannten Grundsatzes nicht. Dies wird dem Charakter des Tatbestandsmerkmals der „Angemessenheit“ des Taschengeldes durchaus gerecht, denn bei diesem handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Vollzugsbehörde einen nicht unerheblichen Spielraum eröffnet, um Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls hinreichend berücksichtigen zu können. Dies droht nicht selten in Vergessenheit zu geraten, weil Nr. 2 Satz 1 VV zu § 46 StVollzG eine vergleichsweise starre Vorgabe macht, wenn es dort heißt, dass das Taschengeld 14 % der Eck­ vergütung im Sinne des § 43 Abs. 2 StVollzG beträgt. Deshalb ist es zu begrüßen, wenn das Bundesverfassungsgericht der Sache nach daran erinnert, dass bei der Festsetzung der Taschengeldhöhe stets der konkrete Einzelfall im Blick zu behalten ist.1335 Noch deutlicher ist dies freilich von Teilen der fachgerichtlichen Rechtsprechung und des Schrifttums klargestellt worden. So hat das KG Berlin treffend davon gesprochen, dass es sich bei Verwaltungsvorschriften wie denen zu § 46 StVollzG ­lediglich um „Entscheidungshilfen“ für die jeweilige Behörde handelt.1336 Der bloße Verweis auf sie stellt keine hinreichende Würdigung der Umstände des Einzelfalles dar.1337 Eine letzte verfassungsgerichtliche Entscheidung zu dem in Rede stehenden Problemkreis des Taschengeldes, die am 14.8.1996 ergangen ist, betrifft die Frage, ob es möglich ist, Kosten aus gerichtlichen Verfahren im Sinne der §§ 109 ff. StVollzG gegen den Anspruch des Gefangenen aus § 46 StVollzG aufzurechnen. § 121 StVollzG, der die Prozesskosten in Strafvollzugssachen regelt, erlaubt der Vollzugsbehörde in Abs.  5 lediglich, einen den dreifachen Tagessatz der Eckvergütung nach § 43 Abs.  2 StVollzG übersteigenden Teil  des Hausgeldes (§ 47 StVollzG) einzubehalten. Angesichts dieses eindeutigen Wortlauts muss eine Aufrechnung gegen den Taschengeldanspruch aus § 46 StVollzG in direkter Anwendung des § 121 Abs. 5 StVollzG von vornherein ausscheiden. In der ober­ gerichtlichen Rechtsprechung ist jedoch eine Analogie erwogen worden, und zwar mit Verweis auf den Umstand, dass Hausgeld beziehende, arbeitende Inhaftierte nicht schlechter gestellt werden dürften als diejenigen, die keiner Arbeitstätigkeit nachgingen und Taschengeld bezögen.1338 Auch sei zu berücksichtigen, dass 1335 Relevant ist dies nach wie vor in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen, die den Begriff der Angemessenheit übernommen haben. In den übrigen Landesgesetzen wird die Höhe konkret festgelegt, und zwar – entsprechend Nr. 2 Satz 1 zu § 46 StVollzG – mit 14 % der Eckvergütung. 1336 Vgl. KG Berlin, Beschl. v. 19.1.2005 – 5 Ws 653/04 Vollz. 1337 Vgl. AK-Däubler/Galli, § 46 Rn. 4. 1338 Vgl. OLG Koblenz NStZ 1986, 144.

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D. Die Entscheidungsanalyse

der Zweck des § 121 Abs. 5 StVollzG für beide vorgenannten Gefangenengruppen gleichermaßen relevant sei. Diesbezüglich ist daran zu erinnern, dass durch diese im Jahr 1981 eingefügte Vorschrift – entsprechend der Verhältnisse in Freiheit – ein ­höheres Kostenrisiko für die Gefangenen geschaffen werden sollte, um missbräuchlichen Anträgen auf gerichtliche Entscheidung entgegenzuwirken.1339 Die Inhaftierten müssen nämlich im Fall eines für sie negativen Verfahrensausgangs damit rechnen, dass die Gerichtskasse von der Aufrechnungsmöglichkeit nach § 121 Abs. 5 StVollzG Gebrauch macht und ihnen deshalb weniger Hausgeld für den Einkauf zur Verfügung steht. Da das Taschengeld ebenfalls dazu dient, dass der Gefangene Waren des täglichen Bedarfs erwerben kann, könnten an sich auch nicht arbeitende Inhaftierte von der Intention des § 121 Abs. 5 StVollzG erreicht werden, denn sie müssten ebenfalls mit einer Schmälerung ihrer Einkaufsmöglichkeiten durch einen verlorenen Gerichtsprozess rechnen. Das Bundesverfassungsgericht folgte dem geschilderten Vorstoß aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung jedoch nicht. Stattdessen soll folgender Grundsatz gelten: – Die Aufrechnung von Verfahrenskosten gegen den Taschengeldanspruch im Wege der entsprechenden Anwendung von § 121 Abs. 5 StVollzG verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG.1340 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.1341 Es fehlt bereits an den Voraussetzungen für die beschriebene Analogie. Nachdem der Gesetzgeber bei der Einfügung des Abs. 5 in § 121 StVollzG im Jahr 1981 zunächst eine Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit auf das Hausgeld vorgenommen hatte, sollte 1988 im Wege einer Änderung des Strafvollzugsgesetzes eine Erweiterung auf das Taschengeld vorgenommen werden.1342 Der Gesetzesentwurf des Bundesrates kam jedoch nicht zur Verabschiedung. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Angesichts dessen kann nicht von einer planwidrigen Regelungslücke, die zwingende Voraussetzung für eine Analogie ist, ausgegangen werden. Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Begründung freilich noch einen Schritt weiter, wenn es den Verwaltungsbehörden mit Blick auf den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung prinzipiell die Befugnis abspricht, selbst neue Eingriffstatbestände durch die entsprechende Anwendung gesetzlicher Vorschriften zu schaffen. Inwieweit im Bereich der Eingriffsverwaltung tatsächlich ein solch generelles Analogieverbot anzuerkennen ist, kann hier freilich dahingestellt ­bleiben.1343

1339

Vgl. OLG Koblenz, a. a. O.; siehe ferner BT-Drs. 9/842, S. 94. Vgl. BVerfG NJW 1996, 3146. 1341 So auch LNNV-Bachmann/Neubacher, § 121 Rn. 6; SBJL-Laubenthal, § 121 Rn. 5; AKDäubler/Galli, § 46 Rn. 13; Arloth, § 121 Rn. 6; Rotthaus, NStZ 1997, 206 (206). 1342 Vgl. BT-Drs. 11/3694, S. 5. 1343 Diese Frage ist Gegenstand einer kontroversen Diskussion im Verwaltungsrecht, siehe dazu etwa die Monografie von Bach. 1340

IV. Ergebnisse

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ee) Sozialversicherung Ähnlich wie auf dem Gebiet der Gefangenenarbeit hat sich das Bundesverfassungsgericht auch hinsichtlich des Themas Sozialversicherung einerseits mit sehr grundsätzlichen Fragen auseinandersetzen müssen, andererseits aber auch mit Problemstellungen, die eher spezieller Natur sind. (1) Rentenversicherung In die erstgenannte Kategorie fällt zweifellos die Kontroverse um die Aufnahme der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung. Auch hierzu haben sich die Karlsruher Richter in ihrer Senatsentscheidung vom 1.7.1998 geäußert. Demnach gilt: – Die Vorschrift des § 198 Abs. 3 StVollzG, wonach die Einbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzliche Altersrentenversicherung (§§ 190 Nrn. 13 bis 18, 191 StVollzG) einem besonderen Bundesgesetz vorbehalten bleibt, ist verfassungsgemäß.1344 Der Zweite Senat begründet dies nur knapp. So weist er darauf hin, dass die noch nicht in Kraft gesetzten Vorschriften eine Einbeziehung auf einer Bemessungsgrundlage von 90 % der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße vorsähen, was eine derart weittragende Regelung wäre, dass man sie weder als vom verfassungsrechtlichen Resozialisierungsprinzip noch vom Gleichheitssatz geboten ansehen könne.1345 Angesichts der zentralen Bedeutung, die der Frage nach der Altersrente zukommt, erscheint es unangemessen, dass die Karlsruher Richter gewissermaßen „kurzen Prozess“ gemacht und die Problematik mit wenigen Sätzen „vom Tisch gewischt“ haben. Zwar mag es richtig sein, dass das in den bisher nicht in Kraft gesetzten Vorschriften geregelte „Wie“ der Einbeziehung von Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung in diesem Umfang verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten ist. Über das „Ob“ ist damit freilich noch nichts gesagt. Das Bundesverfassungsgericht macht es sich viel zu leicht, wenn es diese Frage völlig ausblendet und sich nur mit der geschilderten, bis heute nicht verwirklichten Form der Aufnahme Inhaftierter in die Rentenversicherung auseinandersetzt.1346 An­gesichts des in dem Urteil vom 1.7.1998 offensiv in den Vordergrund gerückten Resozialisierungsgebotes ist es mehr als befremdlich, wenn der Zweite Senat zwar richtigerweise den engen Zusammenhang zwischen Arbeit und angemessener Vergütung betont, die gesellschaftlich aber ebenso stark verankerte Verbindung­

1344

Vgl. BVerfGE 98, 169 (212). Vgl. BVerfGE 98, 169 (212). 1346 Ebenso Britz, ZfStrVo 1999, 195 (200). 1345

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D. Die Entscheidungsanalyse

zwischen Arbeitstätigkeit und Altersvorsorge hingegen völlig außer Acht lässt.1347 Mit Recht hat Rotthaus schon 1987 darauf hingewiesen, dass sich das Fehlen einer Rentenversicherung als resozialisierungsfeindliche Spätfolge der Freiheitsstrafe auswirkt, weil gerade den langjährig Inhaftierten bei der Rentenberechnung später „die Jahre fehlen“.1348 Lohmann hingegen hält die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung zwar aus rechtspolitischen Gründen für sinnvoll und fordert sie „mit Nachdruck“, aus dem Resozialisierungsgebot ergebe sich aber keine entsprechende Pflicht.1349 Im Rahmen seiner Begründung rekurriert er aber im Grunde nur auf das Sozialstaatsprinzip, dessen Inhalt und Grenzen es zunächst zu umreißen gelte.1350 Dabei stellt er fest, dass sich aus vorgenanntem Grundsatz ­lediglich die staatliche Verpflichtung ergebe, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen, was vor allem durch die Gewährung von Sozialhilfe geschehe.1351 Da eine solche Grundsicherung in jedem Fall auch dem Gefangenen zukommt, der keinen Anspruch auf eine Altersrente hat, ist dem Sozialstaatsprinzip in der Tat auch ohne Einbeziehung der Inhaftierten in die Rentenversicherung Genüge getan.1352 Bei dieser Argumentation wird jedoch übersehen, dass man letztgenannten Grundsatz nicht mit dem Resozialisierungsgebot gleichsetzen kann. Letzteres weist nämlich nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine persönlichkeitsbezogene Komponente auf. Deshalb ist es zutreffend, wenn das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 1.7.1998 ausführt, dass die Höhe der Entlohung geeignet sein müsse, dem Gefangenen bewusst zu machen, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung einer Lebensgrundlage sinnvoll sei.1353 Hierzulande dient Berufstätigkeit traditionell in zweifacher Hinsicht der Schaffung einer „Lebensgrundlage“, und zwar zum einen gegenwartsbezogen und zum anderen – mit Blick auf die Altersvorsorge – eben auch zukunftsgerichtet. Vor dem Hintergrund der fehlenden Einbeziehung in die Rentenversicherung kann ein Gefangener aber allenfalls den Eindruck bekommen, dass sich Arbeit zur ­Sicherung des aktuellen Lebensbedarfs lohnt. Hinsichtlich des späteren Ruhestands wird eine solche Überzeugung hingegen nicht entstehen. Sinnvoll kann daher nur eine solche Interpretation des Resozialisierungsgebotes sein, die nicht auf halbem Wege stehen bleibt und lediglich eine von zwei Funktionen der Erwerbsarbeit in den Blick nimmt, die andere – alterssichernde – aber völlig ausblendet. Mit anderen Worten: Wenn dem Gefangenen aufgezeigt werden soll, dass regelmäßige­ 1347 Ähnlich Kamann, StV 1999, 348 (350): „Soweit es um die Einbeziehung in die Sozialversicherung geht, ist sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Urteil vom 01.07.1998 nicht treu geblieben.“ 1348 Vgl. Rotthaus, NStZ 1987, 1 (4); ebenso Laubenthal, Rn. 479; siehe ferner Müller-Dietz, NStZ 1990, 305 (307). 1349 Vgl. Lohmann, S. 161. 1350 Vgl. Lohmann, S. 158 f. 1351 Vgl. Lohmann, S. 159. 1352 So im Ergebnis auch Steiner, S. 137 f. 1353 Vgl. BVerfGE 98, 169 (202).

IV. Ergebnisse

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Arbeit für die Schaffung einer Lebensgrundlage notwendig ist und letztere nach dem gesellschaftlichen Verständnis die Vorsorge für das Alter mit umfasst, muss auch insoweit ein gewisser Anreiz geschaffen werden. Steiner hat hier mit seinem Vorschlag einer Einbeziehung Inhaftierter in die Rentenversicherung auf der Grundlage geringfügiger Beschäftigung einen gangbaren Weg aufgezeigt.1354 In die hier vertretene Richtung weisen nicht zuletzt auch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze von 2006. Dort heißt es in Nr. 26.17: „Arbeitende Gefangene sind so weit wie möglich in das staatliche Sozialversicherungssystem einzubeziehen.“ Zu klären bleibt, ob sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ebenfalls die Verpflichtung ergibt, Strafgefangene in die gesetzliche Rentenversicherung aufzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass eine entsprechende Gleichstellung von Pflicht- und freier Erwerbsarbeit nicht zwingend erforderlich sei. Vielmehr komme dem Gesetzgeber beim Vergleich von Sachverhalten ein erheblicher Bewertungsraum zu. Dies gestatte die Erwägung, dass die Gefangenen sich auch bei angemessener Vergütung eine ins Gewicht fallende rentenrechtliche Anwartschaft zumeist nur dann erarbeiten könnten, wenn sie auf der Basis eines fiktiven Arbeitsentgelts versichert würden. Ein solcher Anspruch lasse sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz indes nicht ableiten.1355 Lohmann hat diesbezüglich darauf hingewiesen, dass der Argumentation des Zweiten Senats neun Monate nach dem Urteil vom 1.7.1998 zum Teil der Boden entzogen worden sei, weil der Gesetzgeber mit der Neuregelung der „630-MarkJobs“ zum 1.4.1999 geringverdienenden Personen eine verbesserte Altersvorsorge ermöglicht habe. Insoweit sei daran erinnert, dass der Arbeitgeber von diesem Zeitpunkt an bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen bis zu vorgenannter Verdienstgrenze einen Pauschalbetrag an die Rentenversicherung abführen musste, während der Arbeitnehmer von der Versicherungspflicht befreit war, hierauf aber verzichten konnte. Seit 1.1.2013 liegt die Grenze für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse bei 450 € (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV) und es besteht grundsätzlich Rentenversicherungspflicht für diese „Minijobs“. Der Arbeit­geber zahlt einen Pauschalbetrag in Höhe von 15 % für die Rentenversicherung, der Arbeitnehmer die übrigen 3,9 % (=  17,55  € bei einem Verdienst von 450 € in 2013). Letzterer kann sich hiervon jedoch befreien lassen (vgl. § 6 Abs. 1b SGB VI). Zahlt der Arbeitnehmer hingegen seinen Eigenanteil, wird der „Minijob“ voll auf die zurückzulegende Wartezeit für einen Anspruch auf Altersrente angerechnet. Vor dem geschilderten Hintergrund stellt sich die Frage, warum freie Arbeitnehmer, die sich in einer geringfügigen Beschäftigung befinden, in der beschriebenen Art und Weise in die Rentenversicherung einbezogen sind, Gefangene hingegen nicht, obwohl sie ebenfalls Geringverdiener sind. Lohmann ist der Ansicht, 1354

Vgl. Steiner, S. 167 ff. Vgl. hier und zum Vorstehenden BVerfGE 98, 169 (204).

1355

300

D. Die Entscheidungsanalyse

dass diese Differenzierung jedenfalls nicht willkürlich sei, sondern durchaus auf einem sachlichen Grund beruhe. Der Strafgefangene habe nämlich keinen Arbeit­ nehmerstatus, da er in einem öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis­ eigener Art und nicht in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehe.1356 Aufgrund dessen scheidet nach Steiner ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bereits mangels Vergleichbarkeit von arbeitenden Strafgefangenen und Geringverdienern in Freiheit aus. Maßgeblich für die Einbeziehung in die Rentenversicherung sei nämlich nicht die Verrichtung von Arbeit, sondern die Erfüllung des Beschäftigungsbegriffs nach § 7 Abs. 1 SGB IV.1357 Unter diesen ließen sich Inhaftierte wegen des Zwangscharakters ihrer Arbeit nicht subsumieren, so dass sich die Unterschiedlichkeit zwischen den in Rede stehenden Gruppen bereits aus dem Gesetz selbst ergebe.1358 Es braucht hier nicht im Einzelnen untersucht zu werden, welche der geschilderten Auffassungen vorzugswürdig ist, denn sie sind sich im Ergebnis einig: In der unterschiedlichen rentenrechtlichen Behandlung von arbeitenden Strafgefangenen und Geringverdienern, die keine Freiheitsstrafe verbüßen, liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dem ist zuzustimmen. Aufschlussreich ist im vorliegenden Zusammenhang auch ein Urteil des EGMR vom 7.7.2011, das sich mit der Frage befasst, ob die Nichteinbeziehung öster­ reichischer Strafgefangener in die Rentenversicherung konventionswidrig ist.1359 Die Straßburger Richter kommen zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art.  14 EMRK (i. V. m. Art.  1 Zusatzprotokoll zur EMRK) gegeben ist, weil die Ungleichbehandlung auf berechtigten Erwägungen beruhe.1360 Zum einen werde die Leistungsfähigkeit des Altersrentensystems geschwächt, wenn Zeiten als Versicherungsmonate angerechnet würden, in denen keine oder jedenfalls keine ausreichenden Beiträge geleistet worden seien. Zum anderen sei auch der zweite von der österreichischen Regierung vorgebrachte Grund berechtigt, der auf die Konsistenz des Sozialversicherungssystems abziele. So könnten die Arbeitszeiten im Gefängnis nicht als Versicherungs- oder Ersatzzeiten angerechnet werden, weil nach den Grundsätzen des österreichischen Sozialversicherungsrechts Ersatzzeiten nur dazu dienten, einen Ausgleich für Zeiträume vorzusehen, in denen wegen einer begrenzten Zahl von der Gesellschaft anerkannten Tätigkeiten oder Situationen keine Beiträge geleistet worden seien (z. B. wegen Geburt, Krankheit, Wehr- oder Wehrersatzdienst). Mit Blick auf die deutsche Situation ist bezüglich der geschilderten Argumen­ tation des EGMR anzumerken, dass die größte Schwächung im Falle einer Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung auf der Grundlage geringfügiger Beschäftigung wohl vor allem die Haushalte der Länder treffen 1356

Vgl. Lohmann, S. 161. Vgl. Steiner, S. 110. 1358 Vgl. Steiner, a. a. O. 1359 Vgl. EGMR NJOZ 2012, 1897 ff. 1360 Vgl. hier und im Folgenden EGMR NJOZ 2012, 1897 (1899). 1357

IV. Ergebnisse

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würde. Diese müssten schließlich den Arbeitgeberanteil zahlen, was eine Mehrbelastung von etwa 160 Millionen Euro im Jahr bedeuten würde.1361 An dieser Stelle wirkt sich die bereits erwähnte Tatsache, dass die Arbeitsverhältnisse im Strafvollzug öffentlich-rechtlicher Natur sind, spürbar aus, denn bei geringfügig Beschäftigten in privaten Arbeitsverhältnissen wird die Staatskasse durch die Zahlung des Arbeitgeberanteils zur Rentenversicherung naturgemäß nicht tangiert. Ob die Länder eine solche Mehrbelastung zu Gunsten einer Verbesserung der Altersvorsorge für Inhaftierte übernehmen oder ob sie die dafür aufzuwendenden finanziellen Mittel in anderen Bereichen einsetzen wollen, wird man – in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht – in der Tat ihrem Ermessen überlassen müssen. Eine entsprechende Pflicht lässt sich insoweit nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG ableiten. Von einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung Gefangener kann deshalb nicht gesprochen werden. Der zweite in dem EGMR-Urteil vom 7.7.2011 angeführte Differenzierungsgrund der „Konsistenz der Sozialversicherungssysteme“ taugt hingegen nicht zur Rechtfertigung der Nichteinbeziehung Gefangener in die gesetzliche Rentenversicherung. Deren systematische Stimmigkeit ist von vornherein gar nicht berührt, wenn der Gefangene auf der Grundlage geringfügiger Beschäftigung rentenrechtlich berücksichtigt würde. Schließlich geht es dabei nicht um die Tatsache der Inhaftierung als solche, sondern vielmehr darum, dass Gefangene weniger als 450 € im Monat erhalten und deshalb wie Personen, die sich in Freiheit befinden und ein derartiges Einkommen erzielen, Geringverdiener sind und deshalb ebenfalls in die Rentenversicherung aufgenommen werden sollen. Da sich der Gesetzgeber bereits entschieden hat, Zeiten geringfügiger Beschäftigung als anrechnungsfähig anzuerkennen, müsste für Gefangene folglich gar kein neuer Ausnahmetatbestand geschaffen werden, der die Konsistenz des bestehenden Sozialversicherungs­ systems in Frage stellen könnte. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass Gefangene jedenfalls aufgrund des verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsgebots in die Rentenversicherung einbezogen werden müssen. Auf welche Weise dies geschieht, steht im Ermessen des Gesetzgebers. Naheliegend wäre zumindest eine Einbeziehung auf der Grundlage geringfügiger Beschäftigung. (2) Erwerbsminderungsrente Eine weitere sozialrechtliche Problematik war Gegenstand der konkreten Normenkontrolle vom 14.11.2000. Im Kern ging es dabei um die durch das Haushaltsbegleitgesetz von 1984 bewirkten Verschärfungen der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit. So wurde durch die Einfügung eines Absatzes 2a in die §§ 1246 und 1247 Reichs­ 1361

Vgl. BT-Drs. 17/13806, S. 3.

302

D. Die Entscheidungsanalyse

versicherungsordnung (RVO) erreicht, dass eine Rente der vorgenannten Art nur noch gewährt werden konnte, wenn der Versicherte von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt hatte. Zuvor kam es nur auf den Nachweis einer Wartezeit von 60 Kalendermonaten an, die durchaus auch lange vor dem Versicherungsfall erfüllt worden sein konnte. Für Übergangsfälle war eine Befreiung von den Voraussetzungen der §§ 1246 Abs. 2a bzw. 1247 Abs. 2a RVO vorgesehen. Zum Kreis der hiervon Betroffenen gehörten all diejenigen, die vor dem 1.1.1984 die Wartezeit voll erfüllt hatten. Diesen Personen kam auch dann ein Anspruch auf Gewährung einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente zu, wenn sie zwar nicht die erforderlichen 36 Kalendermonate mit Beiträgen zurückgelegt hatten, aber zwischen dem 1.1.1984 und dem Eintritt des Versicherungsfalls für jeden Kalendermonat Beiträge gezahlt wurden.1362 Bereits im April 1987 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Senatsbeschluss mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die beschriebene Neuregelung als unbegründet zurückgewiesen.1363 Im Jahr darauf hatte das Bundessozialgericht klargestellt, dass die spezifische Situation der Strafgefangenen keine Ausnahmeregelung dergestalt erfordere, dass nach der bei der Ermittlung des 60 Kalendermonate umfassenden Berechnungszeitraums Zeiten der Verbüßung einer Freiheitsstrafe außer Betracht bleiben müssten. Die noch nicht gemäß § 198 Abs.  3 StVollzG durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft gesetzte Sonderregelung der Sozialversicherung für Strafgefangene in § 190 Nrn. 13 bis 18 StVollzG zeige, dass der im geltenden Recht enthaltene Ausschluss der Strafgefangenen von der Sozialversicherung erst beseitigt und eine bisher aus Sicht der Betroffenen negative, schutzverneinende Gesetzeslage in eine positive, schutzbejahende ungewandelt werden solle. Eine Gesetzeslücke, die im Wege der Analogie zu den in § 1246 Abs.  2a Satz  2 RVO genannten Fällen der ausnahmsweisen Nichtberücksichtigung beitragsfreier Zeiten geschlossen werden könnte, existiere daher nicht. Ansprüche auf die Gewährung einer Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente bestünden somit auch in der Strafhaft erst dann, wenn in den 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen zurückgelegt worden seien. 1364 Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 14.11.2000 u. a. auf das vorgenannte Urteil des Bundessozialgerichts Bezug genommen und die Richtervorlage für unzulässig erklärt. Diese Entscheidung kann auf die derzeitige Rechtslage übertragen werden. Gemäß § 43 Abs.  1 und 2 SGB VI besteht auch heute nur dann ein Anspruch auf Rente wegen – wie es nunmehr heißt – teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren­ 1362

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NZS 2001, 255 (256). Vgl. BVerfGE 75, 78 ff. 1364 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BSG NJW 1989, 190 (191). 1363

IV. Ergebnisse

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erfüllt ist und zugleich in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt wurden. Als verfassungsgerichtlicher Grundsatz kann folglich festgehalten werden: – Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass der für die Gewährung einer Er­ werbungsminderungsrente relevante fünfjährige Berechnungszeitraum nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI ausnahmslos auch für Strafgefangene gilt. Dieser Rechtsprechung kann entsprechend den obigen Ausführungen zur Alters­ rente nicht gefolgt werden. Sie ist aufgrund des Umstands, dass Gefangene derzeit bei einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren und entsprechend fehlenden Beitragszeiten sogar bereits erworbene Ansprüche auf eine Rente wegen Erwerbs­ minderung verlieren, in hohem Maße resozialisierungsfeindlich. Hier geht es also nicht mehr „nur“ darum, dass entsprechende Ansprüche gar nicht erst entstehen.1365 Wie bei einem hiervon betroffenen Gefangenen dann der Eindruck entstehen soll, dass Arbeit – wie es das Bundesverfassungsgericht ausgedrückt hat – für die Schaffung einer Lebensgrundlage sinnvoll ist, bleibt rätselhaft.1366 (3) Einbehaltung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung gemäß § 195 StVollzG 1995 musste das Bundesverfassungsgericht klären, ob die Vollzugsbehörde Beitragsanteile zur Arbeitslosenversicherung von Strafgefangenen einbehalten darf. Zum damaligen Zeitpunkt sah § 168 Abs. 3a des heute nicht mehr geltenden Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) vor, dass Gefangene, die Arbeitsentgelt oder eine Ausbildungsbeihilfe erhalten, in die Arbeitslosenversicherung einbezogen sind. Die entsprechenden Beiträge waren gemäß § 171 Abs. 3 AFG vom Land zu tragen. § 195 StVollzG1367 ermächtigt die Vollzugsbehörde allerdings, von dem Arbeitsentgelt einen Betrag einzubehalten, der dem Anteil des Gefangenen am Beitrag entsprechen würde, wenn er diese Bezüge als Arbeitnehmer erhielte. Von dieser Möglichkeit hatte die JVA im Fall des Beschwerdeführers Gebrauch gemacht. Letzterer hielt dies jedoch mit Verweis auf § 171 Abs. 1 AFG für unzulässig. Jene 1365

Siehe dazu auch BT-Drs. 17/13103, S. 5. Siehe ferner Steiner, S. 131, wonach die Regelung des Haushaltsbegleitgesetzes in § 43 SGB VI im Falle der Anwendung auf Gefangene und andere Personen, die über kein nennenswertes Vermögen verfügten, auch mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren sei. Die genannte Vorschrift könne nur dann als zumutbar angesehen werden, wenn der Betroffene tatsächlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit habe, um bereits erworbene Anwartschaften aufrechterhalten zu können. 1367 Inhaltsgleich, allerdings unter Beschränkung auf die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung § 56 BwJVollzGB III; Art. 206 BayStVollzG; § 66 Abs. 4 BbGJVollzG; § 42 HmbStVollzG; § 38 Abs. 5 HStVollzG; § 55 Abs. 4 StVollzG MV; § 42 NJVollzG; § 65 Abs. 4 LJVollzG RLP; § 55 Abs. 4 SLStVollzG; § 55 Abs. 4 SächsStVollzG; § 66 Abs. 6 ThürJVollzGB. 1366

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D. Die Entscheidungsanalyse

Norm ordnete an, dass die Beiträge geringverdienender freier Arbeitnehmer vom Arbeitgeber allein zu tragen sind. Da der monatliche Bruttolohn des Beschwerdeführers ein Zehntel der Beitragsbemessungsgrenze unterschritten hatte und er folglich Geringverdiener war, erblickte er in der Vorgehensweise der JVA einen Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG.1368 Das Bundesverfassungsgericht sah dies jedoch anders und nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Im Verhältnis zur Bundesanstalt für Arbeit seien Strafgefangene zwar wie geringverdienende Arbeitnehmer von der Beitragspflicht freigestellt. Anders als bei letzteren habe der Gesetzgeber den Ländern in § 195 StVollzG die Möglichkeit eingeräumt, unabhängig von der Einkommenshöhe vom Entgelt eines Strafgefangenen einen – im Verhältnis zu ihrer Beitragslast geringen – Betrag zur Beteiligung an den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung einzubehalten. Das sei nicht zu beanstanden, weil bei einem Strafgefangenen im Unterschied zu einem geringverdienenden freien Arbeitnehmer nicht die Gefahr bestehe, dass er wegen seines Beitragsanteils seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten könne. Der Inhaftierte sei nämlich zur Erfüllung seiner materiellen Grundbedürfnisse nicht auf seinen Lohn angewiesen.1369 Auch wenn es das AFG heute nicht mehr gibt, stellt sich die in der dargestellten Entscheidung behandelte Problematik des Absehens von der Beitragsbeteiligung nach § 195 StVollzG bei niedrigem Einkommen immer noch. Nach derzeitiger Rechtslage gilt Folgendes: Gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III sind Gefangene, die Arbeitsentgelt, Ausbildungsbeihilfe oder Ausfallentschädigung enthalten als „sonstige Versicherungspflichtige“ in die Arbeitslosenversicherung einbezogen. Nach § 347 Nr. 3 SGB III werden ihre Beiträge von dem für die jeweilige JVA zuständigen Land getragen. Wie unter Geltung des AFG unterliegen Geringverdiener auch heute keiner Versicherungspflicht. Dies sind nach § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III all diejenigen, die sich in einer geringfügigen Beschäftigung befinden. Die Einkommensgrenze von 450 € spielt aber für die nach § 195 StVollzG zu treffende Ermessensentscheidung keine Rolle, denn der dargestellte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum AFG aus dem Jahr 1995 ist insoweit voll übertragbar.1370 Nach Auffassung der Karlsruher Richter gilt demnach: – Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich keine Verpflichtung, bei Gefangenen, deren Lohn den in § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV genannten Betrag in Höhe von 450 € nicht übersteigt, von einer Beitragsbeteiligung im Rahmen des § 195 StVollzG abzusehen.

1368

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG ZfStrVo 1995, 312 (313). Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG ZfStrVo 1995, 312 (313 f.). 1370 Vgl. Laubenthal, Rn. 482; sozialrechtlich gehören Gefangene bereits deshalb in keinem Fall zum versicherungsfreien Personenkreis, weil sie keine „Beschäftigten“ im Sinne des § 27 SGB III sind, sondern – wie bereits erwähnt – „sonstige Versicherungspflichtige“, siehe Schäfers­küpper, NZS 2013, 446 (447). 1369

IV. Ergebnisse

305

Die Begründung, die das Bundesverfassungsgericht hierfür vorträgt, ist nachvollziehbar: Im Unterschied zu geringfügig Beschäftigten außerhalb des Strafvollzuges besteht bei Gefangenen nicht die Gefahr, dass sie wegen des Beitragsanteils (= 3,45 € monatlich in Vergütungsstufe III)1371 ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können, da die materiellen Grundbedürfnisse in jedem Fall durch die Haftanstalt erfüllt werden.1372 Darüber hinaus hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 1993 mit Blick auf die besondere Situation von ausländischen Strafgefangenen folgende Kernaussage getroffen: – Die Beteiligung von Inhaftierten, die nach ihrer Haftentlassung abgeschoben werden sollen, an den Kosten zur Arbeitslosenversicherung ist verfassungsrechtlich zulässig.1373 Die zuständige Kammer des Zweiten Senats begründet dies mit dem im Bereich der sozialen Sicherung nicht geltenden Grundsatz, dass nur derjenige zu einer Abgabe herangezogen werden könne, der auch die Aussicht habe, später davon einmal zu profitieren.1374 Das Bundesverfassungsgericht verkennt dabei freilich nicht, dass es im Einzelfall zu Härten kommen kann, meint aber, dass diese im „Massen­betrieb“ Sozialversicherung hingenommen werden müssten, weil hier generalisierende Regelungen unabdingbar seien.1375 Dem wird man  – in Übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum1376 – zustimmen müssen. ff) Bildung Der Bereich der Bildung wird in der veröffentlichten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur ein einziges Mal thematisiert, und zwar in dem Nichtannahmebeschluss vom 17.2.2002. Im Kern geht es dabei um § 37 Abs.  3 StVollzG1377, wonach geeigneten Gefangenen Gelegenheit zur Berufsausbildung, zur beruflichen Weiterbildung oder zur Teilnahme an anderen entsprechenden Maßnahmen gegeben werden soll. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Sachmaterie findet freilich nicht statt, was angesichts der Tatsache, dass es sich 1371

Vgl. Schäfersküpper, NZS 2013, 446 (449). Vgl. BVerfG ZfStrVo 1995, 312 (314). 1373 Vgl. BVerfG NStZ 1993, 556 (556). 1374 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1375 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1376 Vgl. SBJL-Laubenthal, § 195 Rn. 1; AK-Brühl/Grün, § 195 Rn. 1; Arloth, § 195 Rn. 2; Calliess/Müller-Dietz, § 195 Rn. 1. 1377 Im Wesentlichen inhaltsgleich § 42 Abs. 4 BwJVollzGB III; Art. 39 Abs. 4 Satz 1 BayStVollzG; § 29 BbgJVollzG; § 34 Abs. 1 Nr. 3 HmbStVollzG; § 27 Abs. 3 Satz 2 HStVollzG; § 21 StVollzG MV; § 35 Abs. 2 Satz 3 NJVollzG; § 28 LJVollzG RLP; § 21 SLStVollzG; § 21 SächsStVollzG; § 28 ThürJVollzGB. 1372

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D. Die Entscheidungsanalyse

um eine Nichtannahmeentscheidung handelt, nachvollziehbar ist. So stellt die Kammer im Grunde nur fest, dass § 37 Abs. 3 StVollzG der JVA einen Ermessensspielraum gewährt und deshalb lediglich eine eingeschränkte (verfassungs-) gerichtliche Überprüfung der vollzugsbehördlichen Entscheidungen möglich ist. Immerhin haben die Karlsruher Richter den Haftanstalten für die Ermessensausübung noch eine Richtlinie mit auf den Weg gegeben: – Die Vollzugsbehörde hat sich bei Entscheidungen nach § 37 Abs. 3 StVollzG neben der erforderlichen intellektuellen Eignung des Gefangenen insbesondere auch am Resozialisierungsgebot zu orientieren.1378 Diese Anknüpfung an das Vollzugsziel der Wiedereingliederung ist zutreffend und entspricht auch der allgemeinen Ansicht im Schrifttum. Besteht also etwa im Einzelfall Gefahr, dass eine ins Auge gefasste Maßnahme im Sinne des § 37 Abs. 3 StVollzG die Begehung einschlägiger Rückfallstraftaten begünstigen könnte, muss von dieser Abstand genommen werden.1379 Auf Kritik ist es hingegen gestoßen, dass das Bundesverfassungsgericht nur für die Arbeit eine aus dem Resozialisierungsgebot folgende Pflicht zur angemessenen Vergütung anerkannt hat, nicht aber für Bildungsmaßnahmen im Sinne der §§ 37 Abs. 3, 38 StVollzG oder arbeitstherapeutische Beschäftigungen nach § 37 Abs. 5 StVollzG.1380 So wird zu bedenken gegeben, dass das Strafvollzugsgesetz ausweislich der §§ 43 Abs.  4 und 44 auf dem Grundsatz beruhe, dass die vorgenannten Maßnahmen wie Pflichtarbeit zu entlohnen seien.1381 Dagegen ist jedoch mit Recht eingewandt worden, dass die Frage, was von Verfassungs wegen geboten ist, hiervon nicht berührt wird.1382 So folgt aus dem Resozialisierungsgebot deshalb keine Verpflichtung, Bildungsmaßnahmen zu entlohnen, weil sie die Qualifikation des Gefangenen und damit auch dessen Arbeitsmarktchancen verbessern, so dass sie bereits aus diesem Grund ein geeignetes Mittel zur Wiedereingliederung sind.1383 Ähnliches gilt für die arbeitstherapeutischen Beschäftigungen, die ebenfalls ohne Bezahlung eine taugliche Resozialisierungsmaßnahme darstellen, weil sie den Inhaftierten dabei unterstützen, die für die Ausübung von Erwerbsarbeit notwendigen Grundfähigkeiten zu erlernen.1384 Gleichwohl ist es

1378

Vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 155. Vgl. AK-Däubler/Galli, § 37 Rn. 5; Arloth, § 37 Rn. 15; Calliess/Müller-Dietz, § 37 Rn. 5; siehe ferner SBJL-Laubenthal, § 37 Rn. 18; Walter, Rn. 458, die darauf hinweisen, dass es vom Vollzugsziel her sinnvoller sei, entgegen dem ausgrenzenden Tatbestandsmerkmal der „geeigneten“ Gefangenen, Maßnahmen anzubieten, die sich für die Inhaftierten eigneten und auf deren Ausgangsbasis abstellten. 1380 Vgl. BVerfGE 98, 169 (202). 1381 Vgl. Böhm, ZfStrVo 2000, 63 (63 f.). 1382 Vgl. Lohmann, S. 152. 1383 Vgl. Lohmann, S. 153. 1384 Vgl. Lohmann, a. a. O. 1379

IV. Ergebnisse

307

natürlich zu begrüßen, dass in mehreren Landesgesetzen über die Arbeit hinaus auch für Maßnahmen vorgenannter Art Vergütungen vorgesehen sind.1385 c) Historische Einordnung Wie im Rahmen der materiellen Entscheidungskritik deutlich geworden sein dürfte, weist die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Themenbereich „Arbeit, Bildung und Soziales“ eine große inhaltliche Spannweite auf. Diese reicht von grundlegenden Fragen (Verfassungsmäßigkeit der Pflichtarbeit und ihrer Entlohnung) bis hin zu Einzelproblemen wie der Beteiligung von ausländischen Strafgefangenen an den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. Wenig überraschend ist es, dass die zentralen Impulse, die zu konkreten Veränderungen geführt haben, vor allem von dem Urteil des Zweiten Senats vom 1.7.1998 ausgegangen sind. In dieser Entscheidung wurde nicht nur die Praxis der Zuweisung von Pflichtarbeit im Wege des „unechten Freigangs“ beendet, sondern erstmals eine Anhebung des Arbeitsentgelts bewirkt. Dass letzteres gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, wird deutlich, wenn man sich die Entwicklung seit dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes im Jahr 1977 vor Augen führt. Bereits von Beginn an hielt der Gesetzgeber eine Eckvergütung von 5 % nicht für dauerhaft hinnehmbar, weshalb in § 200 Abs. 2 StVollzG a. F. vorgesehen war, dass bis zum 31.12.1980 über eine Erhöhung zu entscheiden ist. Die Bundesregierung hatte zu diesem Zeitpunkt vor Augen, im Wege eines Stufenplans Anfang der 1980er-Jahre eine Anhebung auf 10 % und ab Mitte jenes Jahrzehnts eine solche auf 40 % vorzunehmen.1386 Dementsprechend brachte sie im November 1979 einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, in dem eine Anhebung der Eckvergütung auf 10 % vorgeschlagen wurde. Außerdem sollte § 200 Abs. 2 StVollzG a. F. dahingehend geändert werden, dass bis 31.12.1985 über eine weitere Erhöhung zu befinden ist.1387 Die beschriebene Initiative scheiterte letztlich im Juli 1980 an der fehlenden Zustimmung des Bundesrates, der Zweifel an der Finanzierbarkeit hatte. Nicht einmal die in einem Gesetzentwurf des Bundesrates aus dem Jahr 1988 vorgesehene Erhöhung von 5 auf 6 % wurde verabschiedet.1388 Angesichts dessen gibt es keinen Zweifel, dass es ohne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1.7.1998 nicht zu der im Jahr 2001 in Kraft getretenen Anhebung der Eckvergütung auf 9 % gekommen wäre. Auffällig ist freilich, dass das Karlsruher Votum sehr lange auf sich warten lassen hat, denn die erste der später mit dem konkreten Normenkontrollverfahren ver­ bundenen vier Verfassungsbeschwerden war vom Bundesverfassungsgericht bereits mehr als acht Jahre vor dem genannten Urteil zur Entscheidung angenommen 1385 Vgl. im Einzelnen § 66 Abs. 1 Nrn. 2 u. 3 BbgJVollzG; § 55 Abs. 1 StVollzG MV; § 65 Abs. 1 Nrn. 1 u. 2 LJVollzG RLP; § 55 Abs. 1 Nr. 1 SLStVollzG; § 55 Abs. 1 SächsStVollzG; § 66 Abs. 1 ThürJVollzGB. 1386 Vgl. BVerfGE 98, 169 (213); Neu, in: Wiedereingliederung, S. 101 (102). 1387 Vgl. BT-Drs. 8/3335, S. 5. 1388 Vgl. hier und zum Vorstehenden Calliess, NJW 2001, 1692 (1692).

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D. Die Entscheidungsanalyse

worden.1389 Unabhängig von der Frage, inwieweit dies im konkreten Fall tatsächlich so gewesen ist, sei im vorliegenden Zusammenhang einmal darauf hingewiesen, dass es oftmals durchaus Kalkül des Bundesverfassungsgerichts ist, sich nicht sofort in eine noch laufende Debatte über bestimmte Probleme einzumischen. Der ehemalige Verfassungsrichter Martin Hirsch hat dies in Bezug auf das am 1.1.1977 in Kraft getretene StVollzG anlässlich eines Vortrags in Bad Boll im Frühjahr 1979 einmal so erklärt: „Es gibt bei dem Verfassungsgericht, im Gegensatz zu anderen Gerichten, kaum eine Entscheidung der einzelnen Sachen in der Rangfolge, wie sie eingegangen sind, sondern […] wir bündeln, und es gibt gewisse Dinge, die wir vorziehen, und es gibt gewisse Dinge […], die wir bewußt zurückstellen. Und zwar […] nicht etwa, weil wir faul sind oder an der Sache nicht arbeiten wollen, sondern weil manches auch reif werden muß. Es wäre ja auch ganz falsch, über Strafvollzug ganz schnell zu entscheiden, […] ehe in der Praxis durch eine große Anzahl von Entscheidungen der Instanzgerichte eine große Zahl der Probleme bereits geklärt ist. Und es wäre schlecht, wenn das Verfassungsgericht dann immer voranmarschieren und den Praktikern, die u. U. von der Materie im einzelnen viel mehr verstehen, die Butter vom Brot nehmen würde.“1390

Eine relativ lange Verfahrensdauer ist auch im Fall der Entscheidung zur Frage des Freistellungsanspruchs nach § 42 StVollzG trotz dreitägiger arrestbedingter Arbeitsunfähigkeit zu verzeichnen. Der entsprechende Beschluss ist am 21.2.1984 ergangen, obwohl die zu Grunde liegende Verfassungsbeschwerde bereits 1980 erhoben worden war.1391 Nach Großkelwing hat sie zu lange auf sich warten lassen, sei teilweise von der Vollzugspraxis überholt worden und habe daher keine prägende Kraft mehr entfalten können. Der Beschluss habe nicht mehr aufgenommen, dass die Vollzugspraxis, die in der Anfangszeit nur schwer mit der neuartigen Vorschrift des § 42 StVollzG zurechtgekommen sei, im Entscheidungszeitpunkt bereits die wichtigsten Gründe für die Freistellung von der Arbeitspflicht akzeptiert gehabt hätte.1392 Gleichwohl ist es natürlich nicht ohne Bedeutung, wenn das Bundesverfassungsgericht durch die Bestätigung einer entstandenen Praxis einen wichtigen Beitrag für mehr Rechtssicherheit leistet. Auch Großkelwing erkennt dies ausdrücklich an und weist zudem mit Recht darauf hin, dass sich das Bundesverfassungsgericht in „erfreulicher Bescheidenheit“ einer allgemeinen Auslegung von § 42 StVollzG enthalten habe.1393 Dieser Aufgabe hatte sich bereits wenige Jahre später der BGH anzunehmen, indem er über mehrere Divergenzvorlagen von Oberlandesgerichten entscheiden musste.1394 Im Rahmen seiner Rechtsprechung zum Taschengeld hat das Bundesverfassungsgericht eine Grundsatzdiskussion ausgelöst, die allerdings  – dies ist das 1389

Vgl. Ullenbruch, ZRP 2000, 177 (178). Hirsch, in: Strafjustiz, S. 7 (11). 1391 Vgl. Großkelwing, NStZ 1984, 572 (572). 1392 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden Großkelwing, NStZ 1984, 572 (572 f.). 1393 Vgl. Großkelwing, NStZ 1984, 572 (573). 1394 Ausführlich zu dieser Rechtsprechung Pfister, NStZ 1988, 117 ff. 1390

IV. Ergebnisse

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Besondere  – im Kern weniger das Strafvollzugs- als vielmehr das allgemeine Verwaltungsrecht betrifft. Gemeint ist der stattgebende Kammerbeschluss vom 14.8.1996, in dem die Karlsruher Richter die Möglichkeit der Aufrechnung von Verfahrenskosten gegen den Taschengeldanspruch im Wege der analogen Anwendung von § 121 Abs. 5 StVollzG für unzulässig erklärt hatten. Der springende Punkt dabei ist die Begründung, die das Bundesverfassungsgericht hierfür an­ gegeben hat: Das für die Verwaltung geltende grundsätzliche Verbot nämlich, etwa durch Analogiebildung selbst neue Eingriffstatbestände zu schaffen.1395 Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht eine  – so Bach  – „Neuorientierung“ seiner Rechtsprechung zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung vorgenommen und das im Strafrecht aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleitete­ Analogieverbot auf die gesamte Eingriffsverwaltung ausgedehnt.1396 Was schließlich die sozialrechtlichen Aspekte der Gefangenenarbeit anbelangt, ist festzuhalten, dass die im Senatsurteil vom 1.7.1998 zum Ausdruck kommende ablehnende Haltung der Karlsruher Richter bezüglich der Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung ihre Wurzeln in den 1980er-Jahren hat, die im Rahmen dieser Rechtsprechungsanalyse schon verschiedentlich als wenig resozialisierungsfreundlich identifiziert werden konnte. So hatte das Bundesverfassungsgericht bereits am 25.8.1986 in einem unveröffentlichten Kammerbeschluss entschieden, dass das Wiedereingliederungsgebot durch die vorläufige Nichtaufnahme der Gefangenen in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung nicht in Frage gestellt werde.1397 Von „vorläufiger“ Nichteinbeziehung kann nach inzwischen mehr als dreißig Jahren nicht mehr die Rede sein. Alle Versuche, dies zu ändern, sind bis heute wegen finanziellen Vorbehalten der Länder erfolglos geblieben.1398 Arloth ist deshalb darin zuzustimmen, dass es ohne einen Wandel in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auf absehbare keine Verbesserung der sozialversicherungsrechtlichen Situation der Gefangenen geben wird.1399 d) Prozessuale Entscheidungskritik In prozessualer Hinsicht ist vor allem an der Senatsentscheidung vom 1.7.1998 verschiedentlich Kritik geübt worden. So ergeben sich nach Britz Bedenken bezüglich des dem Gesetzgeber bei der Verwirklichung des Resozialisierungsgebots zugestandenen Gestaltungsspielraums.1400 Dieser Einwand ist zurückzuweisen. Es ist bereits nicht richtig, davon zu sprechen, dass das Bundesverfassungsgericht 1395

Vgl. BVerfG NJW 1996, 3146; siehe dazu bereits oben D.IV.8.b)dd). Vgl. Bach, S. 53. 1397 Vgl. Leyendecker, S. 147, die über die Entscheidung vom 25.8.1986 (2 BvR 547/84) berichtet. 1398 Siehe etwa BT-Drs. 17/13103 und BT-Drs. 16/11362. 1399 Vgl. Arloth, GA 2003, 693 (695). 1400 Vgl. Britz, ZfStrVo 1999, 195 (198). 1396

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D. Die Entscheidungsanalyse

der Legislative einen Gestaltungsspielraum „zugestehe“, denn einzig das Grundgesetz weist den drei Gewalten Kompetenzen zu. Konkrete Vorgaben für die Entwicklung eines resozialisierungsfreundlichen Konzepts der Gefangenenarbeit zu machen, gehört danach nicht zu seinen Aufgaben. Als Rechtsprechungsorgan ist seine Tätigkeit grundsätzlich nur kassatorischer Natur.1401 Deshalb überschreitet es seine Kompetenzen, wenn es vergleichsweise breit ausführt1402, welche Möglichkeiten der Gesetzgeber hätte, Gefangenenarbeit auf nicht-monetäre Weise zu vergüten. Obiter dicta finden sich aber nicht nur in dieser, sondern auch in an­deren Entscheidungen.1403 Darüber hinaus gibt die vom Bundesverfassungsgericht in dem Urteil vom 1.7.1998 getroffene Anordnung der Weitergeltung des § 200 Abs. 1 StVollzG bis zum 31.12.20001404 Anlass zu einigen prozessrechtlichen Bemerkungen. So ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der vom Zweiten Senat herangezogene § 35 BVerfGG von vornherein als Rechtsgrundlage ausscheiden muss, weil es sich bei Weitergeltungsanordnungen nicht um Vollstreckungsmaßnahmen im Sinne der vorgenannten Vorschrift handelt.1405 Einschlägig ist stattdessen § 32 BVerfGG, und zwar in entsprechender Anwendung.1406 Dessen Voraussetzungen lagen jedoch nicht vor. Die Weitergeltungsanordnung war nämlich nicht zur Abwehr eines schweren Nachteils, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten. Auch ohne die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Übergangsregelung hätten die Strafgefangenen Entgelt für ihre Arbeit erhalten. Dessen Höhe wäre dann von zuständigen Fachgerichten festzusetzen gewesen, wobei nicht ernsthaft davon ausgegangen werden kann, dass sie dabei unter dem vom Zweiten Senat für verfassungswidrig erklärten Ecklohn in Höhe von 5 % der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße geblieben wären.1407 e) Ergebnis Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass sich Hypothese 8 als zutreffend herausgestellt hat. Das Bundesverfassungsgericht konnte mit seiner Rechtsprechung in der Tat Verbesserungen auf dem Gebiet der Pflichtarbeit im Strafvollzug erwirken, und zwar durch die Forderung nach einer höheren Entlohnung, die Stärkung des Resozialisierungsgebots bei der Festsetzung von Haftkostenbeiträgen, 1401

Siehe dazu bereits oben B.II.1.c)dd). Vgl. BVerfGE 98, 169 (202). 1403 Siehe etwa BVerfGE 66, 199 (209 f.); BVerfG StV 1995, 651 (652 a. E.) – Appelle an die Fachgerichte; BVerfG NStZ 2003, 109 (110 a. E.) – Appell an den Gesetzgeber. 1404 Vgl. BVerfGE 98, 169 (215). 1405 Ausführlich dazu bereits oben B.III.2.d)cc). 1406 Siehe oben B.III.2.d)cc). 1407 So auch Kamann, StV 1999, 348 (349). 1402

IV. Ergebnisse

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das Verbot der Beschäftigung von Inhaftierten im Wege des „unechten Freigangs“ und die Untersagung, Verfahrenskosten durch die entsprechende Anwendung von § 121 Abs. 5 StVollzG gegen den Taschengeldanspruch aufzurechnen. Für die Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung haben sich die Karlsruher Richter indes – zu Unrecht – nicht stark gemacht. Im Bereich der Bildung konnten sie bisher keine entscheidenden, zu Verbesserungen führenden Impulse setzen. Aus prozessualer Perspektive ist schließlich festzuhalten, dass die in der Senatsentscheidung vom 1.7.1998 getroffene Übergangsregelung eine nicht­ unwesentliche Kompetenzüberschreitung darstellt. 9. Gesundheitsfürsorge a) Überblick Im Gegensatz zu den zuletzt analysierten Themenfeldern ist der nun ins Zentrum rückende Bereich der Gesundheitsfürsorge vom Umfang der vorliegenden verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung durchaus überschaubar, denn er umfasst nur vier Entscheidungen (siehe oben Abbildung 8). Mit Ausnahme des stattgebenden Kammerbeschlusses vom 14.8.1996 betreffen diese ausschließlich Fragen des Rechtsschutzes und sind zudem jüngeren Datums (2008 bis 2012). b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Extramurale psychiatrische Krankenbehandlung In seiner ersten veröffentlichten Entscheidung zur Gesundheitsfürsorge hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage zu befassen, inwieweit es verfassungsrechtlich geboten sein kann, einen Gefangenen zur Vorbereitung der Haftentlassung nach § 65 Abs. 2 StVollzG1408 in ein vollzugsexternes Krankenhaus zu verlegen. Konkret ging es um einen Inhaftierten, der seit 1964 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes verbüßte und zu Beginn der 1990er-Jahre die Strafrestaussetzung zur Bewährung nach § 57a StGB beantragt hatte.1409 LG und OLG lehnten eine Entlassung jedoch ab. Zwar gebiete die Schwere der Schuld keine weitere Strafvollstreckung. Der geistige Zustand des Beschwerdeführers stehe einer Freilassung allerdings entgegen. Eine Besserung sei nur in einem entsprechenden therapeutisch betreuten Milieu möglich. Die vom Beschwerdeführer beantragte 1408 Inhaltsgleich § 34 Abs.  2 Satz  1 BwJVollzGB III; Art.  67 Abs.  2 BayStVollzG; § 75 Abs.  1 Satz  1 BbgJVollzG; § 63 Abs.  2 HmbStVollzG; § 24 Abs.  4 Satz  2 HStVollzG; § 63 Abs. 1 StVollzG MV; § 63 Abs. 2 NJVollzG; § 73 Abs. 1 Satz 1 LJVollzG RLP; § 63 Abs. 1 SLStVollzG; § 64 Abs. 1 SächsStVollzG; § 74 Abs. 1 Satz 1 ThürJVollzGB. 1409 Vgl. hier und im Folgenden BVerfG NStZ 1996, 614.

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D. Die Entscheidungsanalyse

Verlegung in ein vollzugsexternes Krankenhaus wurde von der JVA abgelehnt. Die Strafvollstreckungskammer bestätigte diese Entscheidung und führte zur Begründung an, dass eine psychiatrische Behandlung mit dem Ziel der Haftentlassung in ein therapeutisches Milieu vom Begriff der „Behandlung“ im Sinne des § 65 Abs. 2 StVollzG nicht gedeckt sei. Diese Norm gelte nur für Fälle, in denen die Strafvollstreckung im Anschluss an die Krankenbehandlung fortgesetzt werde. Das Bundesverfassungsgericht überzeugte dies nicht und stellte eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Grundrechten aus Art.  2 Abs.  2 sowie Art.  2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG fest. Es hat dabei folgende Grundsätze aufgestellt: – Hängt die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe nur noch von einer positiven Sozialprognose ab und steht dieser eine aus der langen Haft resultierende Erkrankung entgegen, sind die Vollzugsbehörden verpflichtet, letzterer mit den Mitteln entgegenzuwirken, die fachmedizinisch indiziert sind. – Der damit verbundene Kostenaufwand ist nicht unverhältnismäßig, wenn die Behandlungsmaßnahme für die Wahrung elementarer Grundrechtsbelange unerlässlich ist und eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat.1410 Nach Auffassung der Karlsruher Richter haben JVA und LG durch ihre Auslegung des in § 65 Abs.  2 StVollzG verwendeten Behandlungsbegriffs das dem Strafvollzug gesetzte Resozialisierungsziel und dessen gesetzliche Konkretisierung in den §§ 3 Abs. 2, 56 Abs. 1 Satz 1 und 58 StVollzG vernachlässigt. Aus diesen (grund-)rechtlichen Wertentscheidungen ergebe sich für die Haftanstalt die Verpflichtung, den Beschwerdeführer lebenstüchtig zu erhalten, was konkret bedeute, ihm eine vollzugsexterne psychiatrische Langzeittherapie zu ermöglichen. Diese Fürsorgepflicht der JVA werde im gegebenen Fall noch dadurch verstärkt, dass nur eine Besserung des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers eine Strafrestaussetzung zur Bewährung ermöglichen könne.1411 Der in dem in Rede stehenden Beschluss von 1996 ebenfalls thematisierte Kostengesichtspunkt ist vom Bundesverfassungsgericht in jüngerer Vergangenheit wieder aufgegriffen worden. Dabei haben die Karlsruher Richter mit Verweis auf das „besondere Gewicht“ des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit deutlich gemacht, dass eine notwendige Krankenbehandlung nicht an unzureichender finanzieller, sachlicher oder personeller Ausstattung scheitern darf.1412 Die geschilderte Entscheidung ist mit Recht ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßen.1413 Ein Teil des Schrifttums ist jedoch der Auffassung, dass § 65 StVollzG ausschließlich medizinische Belange im Blick habe und deshalb grundsätzlich keinen Anspruch auf Verlegung in eine psychiatrische Klinik begründe, 1410

Vgl. hier und zum Vorstehenden BVerfG, a. a. O. Vgl. hier und zum Vorstehenden BVerfG, a. a. O. 1412 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2008 – 2 BvR 338/08. 1413 Vgl. AK-Lesting/Stöver, § 65 Rn. 14; Arloth, § 65 Rn. 6; Calliess/Müller-Dietz, § 56 Rn. 3. 1411

IV. Ergebnisse

313

wenn diese rein aus Gründen der Resozialisierung erfolge.1414 Praktische Konse­ quenzen würden sich in den allermeisten Fällen freilich nicht ergeben, wenn man dieser Ansicht folgte. Häufig wird eine trennscharfe Abgrenzung der Verlegungsgründe nämlich nicht möglich sein, weil bei einer Verlegung nach § 65 Abs.  2 StVollzG regelmäßig auch medizinische Aspekte relevant sein werden.1415 Der vom Bundesverfassungsgericht entschiedene Fall stellt hierfür ein anschauliches Beispiel dar. Unabhängig davon ist nicht zu verkennen, dass sich Verlegungen im Sinne des § 65 Abs. 2 StVollzG in der Praxis generell als eher schwierig erweisen, was zumeist ganz praktische Gründe (z. B. Sicherheitsbedenken der vollzugs­ externen Krankenhäuser) hat.1416 bb) Rechtsschutz Wie eingangs erwähnt, betreffen alle weiteren einschlägigen Entscheidungen der Karlsruher Richter den Rechtsschutz. So hat das Bundesverfassungsgericht Ende 2012 in zwei Kammerbeschlüssen unmissverständlich klargestellt, dass Art. 19 Abs. 4 GG auch auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge nicht völlig leerlaufen darf. Vielmehr gilt der Grundsatz: – Im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle einer medizinischen Behandlung ist zu überprüfen, ob die Grenzen des pflichtgemäßen ärztlichen Ermessens eingehalten wurden.1417 Die Karlsruher Richter sind damit einer Auslegung entgegengetreten, nach der es sich bei Maßnahmen der Krankenbehandlung nicht um anfechtbare Maßnahmen im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG handeln soll.1418 Zur Begründung führt das Bundesverfassungsgericht zum einen an, dass eine nicht fachgerechte medizinische Versorgung mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung bedeuten könne. Zum anderen weist es auf die erhöhte Schutzbedürftigkeit von Gefangenen hin, denen kein Anspruch auf freie Arztwahl zukomme und die deshalb in besonderem Maße darauf angewiesen seien, dass eine gerichtliche Kontrolle medizinischer Behandlung nicht in jeder Hinsicht ausscheide. Es ist zu begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht auf die Notwendigkeit eines effektiven Rechtsschutzes auch und gerade im Bereich der Gesundheitsfürsorge hingewiesen und Bestrebungen, die gerichtliche Kontrolle hier weitgehend zurückzunehmen, eine klare Absage erteilt hat. Wo dem Gericht im Einzelfall die eigene Kompetenz zur Beurteilung medizinischer Fragen

1414

So SBJL-Keppler/Nestler, § 65 Rn. 4. Dies räumen SBJL-Keppler/Nestler, a. a. O. selbst ein. 1416 Vgl. Bachmann/Goeck, in: Gesundheit und Haft, S. 393 (401). 1417 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.11.2012 – 2 BvR 683/11; Beschl. v. 10.10.2012 – 2 BvR 922/11. 1418 So die Fachgerichte in dem Fall, der dem verfassungsgerichtlichen Beschluss vom 10.10.2012 zu Grunde lag. 1415

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D. Die Entscheidungsanalyse

fehlt, muss es sich – wie bei anderen nicht-juristischen Problemstellungen – sachverständiger Hilfe bedienen.1419 Jedenfalls kann dies nicht dazu führen, dass „rechtsschutzfreie Räume“ entstehen. Darüber hinaus hatte das Bundesverfassungsgericht schon 2008 nachdrücklich daran erinnert, dass dem Gebot des Art. 19 Abs. 4 GG auch im Rahmen der Gewährung von Eilrechtsschutz hinreichend Rechnung getragen werden muss. Dabei sei das besondere Gewicht des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu berücksichtigen. Im Einzelfall könne daher sogar der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die die Hauptsache zu Gunsten des Antragstellers vorwegnehme, zulässig sein. Die Karlsruher Richter sind damit dem häufig von fachgerichtlicher Seite pauschal vorgebrachten Einwand, dass die vollständige Befriedigung eines Rechtsbegehrens im Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht möglich sei, entgegengetreten. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Wo es um eine konkrete Gefährdung der Gesundheit oder gar das Leben eines Menschen geht, kann es in der Tat nicht von vornherein ausgeschlossen sein, eine begehrte medizinische Maßnahme gegebenenfalls kurzfristig und auch auf die Gefahr hin, dass im späteren Hauptsacheverfahren das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs doch verneint werden muss, zu gewähren. c) Historische Einordnung Betrachtet man die dargestellten Entscheidungen aus historischer Perspektive, fällt zunächst auf, dass sich der Beschluss zu § 65 Abs.  2 StVollzG nahtlos in die insgesamt sehr resozialisierungsfreundliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den 1990er-Jahren einfügt. Die Karlsruher Richter interpretieren die Vorschriften zur Gesundheitsfürsorge bewusst nicht nur vor dem Hintergrund des Grundrechts aus Art.  2 Abs.  2 Satz  1 GG, sondern sehen diese ganz bewusst auch als Ausdruck des Wiedereingliederungsgebotes. Nicht zuletzt deshalb ist es wenig verständlich, dass das Bundesverfassungsgericht in einer unveröffentlichten Entscheidung aus dem Jahr 19861420 die bis heute nicht erfolgte Einbeziehung von Gefangenen in die gesetzliche Krankenversicherung gebilligt hat. Der Gesetzgeber hatte dies an sich vorgesehen, die entsprechenden Vorschriften dann aber entgegen § 198 Abs. 3 StVollzG aus finanziellen Gründen nie durch ein besonderes Bundesgesetz in Kraft gesetzt.1421 Der fehlende Krankenversicherungsschutz wirkt sich beispielsweise auf die medizinische Versorgung bei Vollzugslockerungen aus, denn § 60 StVollzG sieht in diesen Fällen nur einen Anspruch auf Behandlung in der für den betroffenen Gefangenen zuständigen JVA vor, was vor allem in Notfällen häufig unzumutbar sein

1419

So zutreffend BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012 – 2 BvR 922/11. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.8.1986 – 2 BvR 547/84 bei Leyendecker, S. 147. 1421 Vgl. Bachmann/Goeck, in: Gesundheit und Haft, S. 393 (396). 1420

IV. Ergebnisse

315

dürfte.1422 Da Inhaftierte auch sonst keine freie Arztwahl haben, kommt dem Anstaltsarzt die Rolle eines „Zwangsansprechpartners“ zu, was gerade bei einer nicht vorhandenen Vertrauensbeziehung nachteilig für die Qualität der medizinischen Versorgung sein kann.1423 Letztlich entspricht diese Situation auch nicht den Verhältnissen in der Gesellschaft, in die der Gefangene (wieder-)eingegliedert werden soll und in der er eine entsprechende Wahlfreiheit hätte. Die Beschlüsse, die sich mit Fragen des Rechtsschutzes auf dem Gebiet der­ Gesundheitsfürsorge befassen, zeigen ein Bestreben, das schon in anderen Themenbereichen1424 klar erkennbar war: Das Bemühen nämlich, dem Gebot des Art.  19 Abs.  4 GG zur Durchsetzung zu verhelfen. Unabhängig davon ist freilich nicht zu verkennen, dass die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Gesundheits­fürsorge insgesamt noch zu vielen bedeutsamen Problemstellungen keine Antwort gegeben hat. Hierzu gehört etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – die Frage, ob die strengen Anforderungen, die es vor einigen Jahren an die Zulässigkeit medizinischer Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug gestellt hat,1425 auch für den Strafvollzug gelten und ob die einschlägigen Regelungen des Bundes bzw. der Länder womöglich nachgebessert werden müssen. Darüber hinaus gibt es Defizite in der Vollzugspraxis, bezüglich derer die Karlsruher Richter naturgemäß wenig ausrichten können. Dies betrifft etwa den vielfach beklagten Mangel an fachärztlicher Betreuung (Psychiater, Zahnärzte u. a.) sowie an hinreichend qualifiziertem Pflegepersonal.1426 Hierbei handelt es sich übrigens um einen Missstand, der schon in den Anfangsjahren des Bundesverfassungsgerichts beklagt wurde  – damals freilich in noch weit größerer Dimension.1427 Letztlich hat das Bundesverfassungsgericht im Bereich der Gesundheitsfürsorge bisher nicht mehr, aber auch nicht weniger als seine beiden grundlegenden „Pflöcke eingeschlagen“, und zwar (materiell-rechtlich) den Resozialisierungsgrundsatz und (prozessual) das in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnde Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes. d) Prozessuale Entscheidungskritik Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gesundheitsfürsorge gibt in prozessualer Hinsicht keinen Anlass zu weiteren Erörterungen.

1422

Vgl. Bachmann/Goeck, a. a. O. § 58 Hs. 2 NJVollzG sieht jedoch vor, dass dem Gefangenen in Notfällen auch in der nächstgelegenen niedersächsischen Anstalt Krankenbehandlung gewährt wird. 1423 Vgl. Bachmann/Goeck, a. a. O. m. w. N. 1424 Siehe z. B. oben D.IV.3.b)bb)(2) und cc) – Vollzugsplanung; D.IV.4.b)bb(1) und (3) – Vollzugslockerungen. 1425 Vgl. BVerfGE 128, 282 ff. 1426 Näher hierzu Bachmann/Goeck, in: Gesundheit und Haft, S. 393 (394 u. 403). 1427 Siehe dazu bereits oben C.IX.

316

D. Die Entscheidungsanalyse

e) Ergebnis Insgesamt ist somit festzustellen, dass sich Hypothese 9 nur zum Teil als zutreffend erwiesen hat. So lässt sich zwar in der Tat nicht behaupten, dass der Bereich der Gesundheitsfürsorge einen Schwerpunkt verfassungsgerichtlicher Recht­ sprechung darstellt. Es kann jedoch vor dem geschilderten Hintergrund keine Rede davon sein, dass die Karlsruher Richter hier noch keine richtungsweisenden Akzente setzen konnten. 10. Besitz von Gegenständen a) Überblick Während es sich bei der soeben analysierten Rechtsprechung zur Gesundheitsfürsorge um einen zahlenmäßig eher überschaubaren Bereich handelt, liegen zu dem im Folgenden zu erörternden Themenfeld „Besitz von Gegenständen“ immerhin 19 Entscheidungen vor. Es ist damit vom Umfang her der drittgrößte Bereich. Der zeitliche Schwerpunkt der Entscheidungen, zu denen auch zwei Senatsbeschlüsse aus der Zeit vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes gehören, liegt in den 1990er-Jahren. So entfällt knapp die Hälfte der einschlägigen Rechtsprechung auf den kurzen Zeitraum von 1993 bis 1996. Immerhin sieben Entscheidungen sind zwischen 2000 und 2004 ergangen. Lediglich ein Beschluss entfällt auf die 1980er-Jahre. Inhaltlich befassen sich die Entscheidungen vor allem mit dem Besitz von Gegenständen zur Haftraumausstattung (§ 19 StVollzG) und zur Freizeitbeschäftigung (§ 70 StVollzG), mit dem Vorenthalten von Zeitungen und Zeitschriften gemäß § 68 Abs. 2 StVollzG sowie dem Widerruf von Besitzerlaubnissen. b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Besitz von Gegenständen im Sinne der §§ 19, 70 StVollzG (1) Die ersten Entscheidungen in den 1970er- und 80er-Jahren Bereits im Februar 1976 musste sich der Zweite Senat mit der Frage auseinandersetzen, ob die JVA einem Inhaftierten eine unbeschriebene Ansichtskarte, auf der ein rotes Motorrad abgebildet war, vorenthalten durfte oder nicht.1428 Die Entscheidung fällt in die Übergangszeit zwischen dem „Strafgefangenen-Beschluss“ vom 14.3.1972 und dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes am 1.1.1977. In dieser Phase waren entsprechend der Interimsanordnung des Bundesverfassungs­

1428

Vgl. BVerfGE 41, 329 ff.

IV. Ergebnisse

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gerichts Grundrechtseingriffe nur erlaubt, wenn diese unerlässlich gewesen sind, um den Strafvollzug aufrechtzuerhalten oder geordnet durchzuführen. Wie aber soll die Aushändigung einer Ansichtskarte der beschriebenen Art eine Gefahr für die genannten Zielstellungen darstellen können? Hierauf wusste auch das Bundesverfassungsgericht keine Antwort und hob den Beschluss des OLG mit Recht auf. Am 22.8.1980 hatten die Karlsruher Richter zudem klargestellt, dass Fernsehgeräte gemäß § 69 StVollzG a. F. nur in begründeten Ausnahmefällen zugelassen werden können und die Haftanstalt, bei der Prüfung, ob eine solche Konstellation konkret vorliegt, nicht an die Vollzugspraxis in anderen Bundesländern gebunden sei, weil eine solche Ungleichbehandlung durch die bundesstaatliche Kompetenzordnung des Grundgesetzes gedeckt werde.1429 Diese Entscheidung ist insoweit gegenstandslos geworden, als der Gesetzgeber im Jahr 1998 § 69 Abs. 2 StVollzG a. F. durch das 4. Strafvollzugsänderungsgesetz dahingehend reformiert hat, dass eigene Fernseher der Gefangenen grundsätzlich zuzulassen sind.1430 (2) Aufstellung allgemeiner Grundsätze Mitte der 1990er-Jahre Mitte der 1990er-Jahre hat das Bundesverfassungsgericht dann erstmals grundsätzliche Aussagen zum Besitz von Gegenständen getroffen, die auch heute noch von Relevanz sind. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, den Besitz eines Gegenstandes  – unabhängig vom konkreten Einzelfall  – allein wegen dessen abstrakter Gefährlichkeit für die Sicherheit oder Ordnung der Haftanstalt (vgl. § 70 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StVollzG1431) nicht zu genehmigen. – Kann eine etwaige Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der JVA durch einen zumutbaren Kontrollaufwand oder ein milderes Mittel auf ein hinnehmbares Maß reduziert werden, ist die Versagung einer Besitzerlaubnis unverhältnismä 1429

Vgl. BVerfG Justiz 1980, 489. Näher hierzu Arloth, § 69 Rn. 1. Auch die Landesgesetze erlauben grundsätzlich die Zulassung eigener Fernsehgeräte, vgl. zu den jeweiligen (nicht völlig einheitlichen) Voraussetzungen § 59 Abs.  1 BwJVollzGB III; Art.  71 Abs.  1 BayStVollzG; § 61 Abs.  2 Satz  1 BbgJVollzG; § 52 Abs.  1 HmbStVollzG; § 30 Abs.  4 Satz  1 HStVollzG; § 51 Abs.  2 Satz  1 StVollzG MV; § 66 Abs. 2 NJVollzG; § 60 Abs. 2 Satz 1 LJVollzG RLP; § 51 Abs. 2 Satz 1 SLStVollzG; § 51 Abs. 2 Satz 1 SächsStVollzG; § 61 Abs. 2 Satz 1 ThürJVollzGB. 1431 Dieser Versagungsgrund findet sich in allen Landesgesetzen, vgl. § 58 Abs.  2 Nr.  2 BwJVollzGB III; Art. 72 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 BayStVollzG; § 61 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 57 Satz 2 Nr. 1 BbgJVollzG; § 53 Abs. 2 Alt. 2 HmbStVollzG; § 30 Abs. 4 Satz 4 i. V. m. § 19 Abs. 2 Var. 3 HStVollzG; § 51 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 48 Satz 2 StVollzG MV; § 67 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 NJVollzG; § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 56 Satz 2 Nr. 1 LJVollzG RLP; § 51 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 48 Satz 2 Alt. 1 SLStVollzG; § 51 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 48 Satz 2 Alt. 1 SächsStVollzG; § 61 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 57 Satz 2 Nr. 1 ThürJVollzGB.   1430

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D. Die Entscheidungsanalyse

ßig. Bei der Bewertung der Zumutbarkeit ist mit Blick auf das Resozialisierungs­ gebot und sonstige Grundrechtspositionen zu beachten, dass besondere Gründe in der Person des Gefangenen dem Interesse am Besitz ein erhöhtes Gewicht verschaffen können. 1432 Bezüglich der vorgenannten Grundsätze ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Gesetzesauslegung, die eine abstrakte Gefahr im Ergebnis für eine Besitzversagung ausreichen lässt, zwar mit der Verfassung für vereinbar erklärt, damit aber nicht entschieden hat, ob diese Interpretation einfach-rechtlich auch tatsächlich zutreffend ist.1433 Ein nicht unerheblicher Teil  des Schrifttums und der fachgerichtlichen Rechtsprechung bestreitet dies und verlangt, dass die von dem betreffenden Gegenstand ausgehende Gefahr konkret sein muss.1434 Diese Sichtweise wird durchaus vom verfassungsrechtlichen Resozia­lisierungsgebot gestützt, denn das Abstellen auf abstrakte und damit vom individuellen Gefangenen unabhängige Gefahren ist nicht geeignet, den Inhaftierten von der Sinnhaftigkeit eines rechtskonformen Lebens zu überzeugen und kann sich im Hinblick auf dessen Bereitschaft, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken, nachteilig auswirken.1435 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass durch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung gewährleistet ist, dass es im Einzelfall trotz des Rekurrierens auf abstrakte Gefährdungen nicht zu unbilligen Ergebnissen kommt. Allerdings lassen Haftanstalten und Strafvollstreckungskammern die insoweit gebotene Sorgfalt mitunter ­vermissen. (3) Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden: Keyboard, Broschüre „Positiv in Haft“ und Armbanduhr So haben die Karlsruher Richter in dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 14.8.1996 beanstandet, dass seitens der Fachgerichte keine hinreichende Auseinandersetzung mit den Interessen des Beschwerdeführers stattgefunden hat. Von letzterem war wiederholt darauf hingewiesen worden, dass er für den von ihm angestrebten Berufsabschluss an der Musikhochschule neben der Gitarre noch ein zweites Instrument erlernen müsse und daher zu Übungszwecken ein eigenes Keyboard benötige.1436 Ferner hat das Bundesverfassungsgericht Ende 2004

1432 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NStZ 1994, 453; NStZ-RR 1996, 252 (253); NStZ-RR 1997, 24 (24); NStZ-RR 2002, 128; Beschl. v. 12.6.2002  – 2 BvR 697/02; NJW 2003, 2447 (2447). 1433 So auch Köhne, ZfStrVo 2005, 280 (280 f.). 1434 So etwa KG Berlin NStZ 1984, 478; OLG Celle ZfStrVo 1983, 192; Calliess/MüllerDietz, § 70 Rn. 5; Kaiser/Schöch, § 7 Rn. 156; Köhne, ZfStrVo 2005, 280 (281); dem BVerfG stimmen hingegen zu: SBJL-Schwind/Goldberg, § 70 Rn.  7; AK-Boetticher, § 70 Rn.  18;­ Arloth, § 70 Rn. 5. 1435 Vgl. Köhne, ZfStrVo 2005, 280 (281). 1436 Vgl. BVerfG NStZ-RR 1997, 24 (25).

IV. Ergebnisse

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in seiner bislang letzten veröffentlichten Entscheidung zu dem in Rede stehenden­ Themenfeld den Besitz der Broschüre „Positiv in Haft“ erlaubt. Diese von der Deutschen Aids-Hilfe e. V. herausgegebene Druckschrift war einem Gefangenen der JVA Straubing auf dessen Anfrage im Januar 2001 von einem Bremer Hochschullehrer zugesandt worden. Die Broschüre, die 2011 in der achten Auflage erschienen ist1437, enthält neben einem medizinischen auch einen ausführlichen strafvollzugsrechtlichen Teil, der u. a. verschiedene Informationen und „Musteranträge“ umfasst.1438 Der Anstaltsleiter hatte diese Druckschrift angehalten und zur Begründung aussgeführt, dass sie in erheblichem Umfang Informationen enthalte, die die Gefangenen zu einem vollzugsablehnenden Verhalten und zu einer missbräuchlichen Handhabung des Beschwerderechts veranlassen könnten.1439 Das Bundesverfassungsgericht sah darin eine Verletzung des Hochschullehrers in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art.  5 Abs.  1 Satz  1 GG). Werde ein Strafgefangener in sachlicher, vollständiger und juristisch zumindest vertretbarer Weise in einer Broschüre über seine Rechte informiert, begründe dies ebensowenig wie der Besitz juristischer Fachzeitschriften oder Kommentare eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt im Sinne des § 70 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 StVollzG, und zwar auch dann nicht, wenn in der jeweiligen Druckschrift eine durchaus vollzugskritische Perspektive eingenommen werde.1440 Dem ist – in Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht im Schrifttum1441 – zuzustimmen. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht am 30.10.2000 der Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen stattgegeben, mit der sich dieser dagegen wandte, dass die JVA ihm den Erwerb und Besitz einer Armbanduhr für 100 DM als Ersatz für die Uhr, die er bei der Aufnahme in die Haftanstalt besessen hatte und die durch einen Defekt unbrauchbar geworden war, nicht genehmigen wollte.1442 Die Vollzugsbehörde begründete dies mit einer im Jahr zuvor erlassenen Allgemeinverfügung, mit der die Zusendung von Armbanduhren von außerhalb der JVA generell untersagt worden sei. Alle Gefangenen erhielten jedoch ihre beim Zugang in die Haftanstalt mitgebrachten Armbanduhren, soweit diese den Wert von 300 DM nicht überschritten und deshalb nicht die Gefahr bestehe, dass sie für subkulturelle Geschäfte und unerlaubten Tauschhandel benutzt werden könnten. Über die Vermittlung der Haftanstalt sei es den Gefangenen aber möglich, bei einem erprobten Händler eine Ersatzuhr im Wert von bis zu 40 DM zu bestellen. Durch diese Verfahrensweise solle sichergestellt werden, dass der schwie 1437

Vgl. http://www.aidshilfe.de/de/shop/positiv-haft (zuletzt abgerufen am 20.10.2013). Vgl. BVerfGK 4, 305 (306). Der Justizvollzugsbeauftragte des Landes NRW, Tätigkeitsbericht 2011, S. 21 empfiehlt den Haftanstalten, diese Broschüre für die Gefangenen bereitzuhalten. 1439 Vgl. BVerfGK 4, 305 (307). 1440 Vgl. BVerfGK 4, 305 (311). 1441 Vgl. SBJL-Schwind/Goldberg, § 70 Rn.  11; AK-Boetticher, § 70 Rn.  16; Arloth, § 70 Rn. 4; siehe ferner Laubenthal, Rn. 620, der sich bezüglich der in Rede stehenden Broschüre nicht eindeutig positioniert. 1442 Vgl. BVerfG StV 2001, 38 f. 1438

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D. Die Entscheidungsanalyse

rig zu schätzende Wert der Uhren überprüfbar sei und diese nicht zum Einbringen von Betäubungsmitteln missbraucht würden.1443 Das Bundesverfassungsgericht überzeugte diese Argumentation lediglich insoweit, als die JVA die Beschaffung von Ersatzuhren nur über ihre Vermittlung zulässt. In der Wertbegrenzung auf 40  DM erblickten die Karlsruher Richter hingegen einen Verstoß gegen Art.  3 Abs. 1 GG, weil kein hinreichend gewichtiger Grund dafür ersichtlich sei, warum für Ersatzuhren ein deutlich niedrigerer Wert gelten solle als für solche Armbanduhren, die beim Strafantritt in die Haftanstalt eingebracht worden seien.1444 Damit ist der geschilderte Sachverhalt also anders gelagert als alle übrigen Fälle, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht befassen musste. In der in Rede stehenden Entscheidung stand nämlich die abstrakte Gefährlichkeit der Armbanduhren als Versteck für Betäubungsmittel außer Frage. (4) Nichtannahmebeschlüsse: CD-Player, Speichermedien und „Playstation“ Auch wenn bisher nur stattgebende Kammerbeschlüsse eine Rolle gespielt­ haben, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrzahl der Verfassungsbeschwerden zum Besitz von Gegenständen nicht erfolgreich gewesen ist. So hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 1994 die Nichtgenehmigung eines CD-Players für verfassungsgemäß erachtet. Der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt weist zwei Besonderheiten auf. Zum einen verbüßte der stark von Amphetaminen abhängige Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Fachgerichte gelangten deshalb zu der Überzeugung, dass aufgrund einer solchen Verurteilung, die erhöhte Gefahr besteht, dass er Drogen in den ihm überlassenen Gegenständen verstecke, was zu einem erhöhten Kontrollaufwand seitens der JVA führe.1445 Gemäß den oben genannten Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts wäre nun allerdings nach einem milderen Mittel zu fragen, und zwar konkret nach der Möglichkeit, den CDPlayer so zu versiegeln oder zu verplomben, dass dessen Nutzung als Versteck für Betäubungsmittel unmöglich gemacht wird. Hier liegt nun die zweite Besonderheit des Falles: Nach Ansicht der JVA und der Fachgerichte stelle eine Versiegelung/ Verplombung kein geeignetes Mittel dar, um der Gefahrenlage hinreichend sicher zu begegnen. Grund hierfür sei der Umstand, dass durch die in der Haftanstalt verwendeten Harze und Lacke eine Verfälschung der Versiegelungen nicht ausgeschlossen werden könne.1446 Die Karlsruher Richter bezeichneten die geschil-

1443

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG StV 2001, 38 (38). Vgl. BVerfG StV 2001, 38 (39). 1445 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.2.1994 – 2 BvR 2766/93 (nur teilweise abgedruckt in ZfStrVo 1994, 376 f.). 1446 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.2.1994 – 2 BvR 2766/93 (insoweit nicht abgedruckt in ZfStrVo 1994, 376 f.). 1444

IV. Ergebnisse

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derte Argumentation als „einleuchtend und keineswegs sachfremd“.1447 Zugleich dürfen die besonderen Umstände des dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalts nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Besitz von CD-Playern grundsätzlich genehmigungsfähig ist, wenn die Möglichkeit der Ver­plombung/ Versiegelung besteht.1448 Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht die Nichtgenehmigung von Speichermedien (Schreibmaschinen mit Speicherfunktion, Laptops u. ä.) durchweg bestätigt. Dabei ist für die Karlsruher Richter vor allem entscheidend gewesen, dass trotz der Möglichkeit der Verplombung oder Versiegelung regelmäßig eine immer noch relevante Gefährlichkeit der in Rede stehenden Gegenstände verbleibe. EDV-Geräte eröffneten den Gefangenen nämlich die Möglichkeit zu einem extensiven und von den Haftanstalten kaum zu kontrollierenden Informationsaustausch, durch den z. B. Kenntnisse über die Sicherheitsvorkehrungen der JVA verbreitet werden könnten. Deshalb ordne § 83 Abs. 4 StVollzG sogar an, dass derartige Aufzeichungen oder Gegenstände von der Vollzugsbehörde vernichtet oder unbrauchbar gemacht werden dürften.1449 In seinem Nichtannahmebeschluss vom 31.3.2003 hat das Bundesverfassungsgericht aber mit Recht darauf hingewiesen, dass eine Kontrolle von Computern u. ä. nicht bereits deshalb von vornherein ausscheide, weil die hierfür notwendigen technischen Kenntnisse seitens der Bediensteten nicht vorausgesetzt werden könnten.1450 Vielmehr muss das Fehlen entsprechender Qualifikationen positiv festgestellt und gegebenenfalls geklärt werden, ob diese möglicherweise mit vertretbarem Aufwand durch Fortbildungsmaßnahmen erworben werden können.1451 Es entspricht nämlich ohnehin nicht der Gesetzesintention, im Organisationsbereich der Haftanstalt liegende Gründe zur Legitimation von Eingriffen in die Rechte Gefangener heranzuziehen.1452 Keinen Erfolg hatte auch die Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen, der sich im Jahr 2001 gegen das Verbot des Besitzes einer „Playstation“ gewandt hatte. Die JVA begründete dies damit, dass sie eine Anstalt mit höchster Sicherheitsstufe sei, sich das in Rede stehende Telespielgerät zum Verstecken von Gegenständen eigne und eine Verplombung mit Blick auf den Kontrollaufwand – gerade auch wegen der zugehörigen Software – keine geeignete Alternative darstelle. Außerdem seien derartige Spielkonsolen begehrte Objekte für subkulturelle Geschäfte sowie Glücksspiele und könnten zudem aufgrund ihres Wertes Neid unter den Mitgefangenen hervorrufen. Schließlich befinde sich der Beschwerdeführer in einer Gemeinschaftszelle, die mit Fernsehgeräten ausgestattet sei, was in

1447

Vgl. BVerfG ZfStrVo 1994, 376 (377). Vgl. AK-Boeeticher, § 70 Rn. 22 m. w. N. 1449 Vgl. BVerfG NStZ 1994, 453; NStZ-RR 1996, 252 (253 f.); Beschl. v. 12.6.2002 – 2 BvR 697/02; NJW 2003, 2447 (2447 f.). 1450 Vgl. BVerfG NJW 2003, 2447 (2447 f.). 1451 Vgl. BVerfG NJW 2003, 2447 (2448). 1452 Vgl. Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge/Güntge, Rn. 946. 1448

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D. Die Entscheidungsanalyse

Anbetracht der Tatsache, dass die Playstation gegebenenfalls an ein solches angeschlossen werden müsse, zu Unverträglichkeiten mit dem Mitinsassen führen könne.1453 Das Bundesverfassungsgericht stellte kurz und bündig fest, dass die auf eine generelle Gefährlichkeit des Gerätebesitzes für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt, aber auch auf die Umstände des Einzelfalls abstellende Behörden­ entscheidung nachvollziehbar sei und deshalb deren Bestätigung durch die Fachgerichte keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne.1454 Während zur Frage des Besitzes von Telespielgeräten vom Bundesverfassungsgericht bisher nur der soeben geschilderte Beschluss veröffentlicht wurde, gibt es in der obergerichtlichen Rechtsprechung eine Fülle an Entscheidungen, die sich mit dieser Thematik befassen.1455 Für die Gefangenen positive Entscheidungen sind hier vor allem in Bezug die „Playstation 1“ ergangen.1456 Im Zuge der technischen Entwicklung haben die Verwendungs- und damit letztlich auch die Missbrauchsmöglichkeiten von Spielkonsolen allerdings so deutlich zugenommen, dass die Fachgerichte den Besitz entsprechender Geräte inzwischen auf breiter Front versagen.1457 Dies hängt neben der ständig steigenden Speicherkapazität und der Möglichkeit, illegal in die Haftanstalt eingeschmuggelte DVDs mit verbotenem Inhalt anzuschauen, ganz maßgeblich damit zusammen, dass Telespielgeräte wie die „Playstation 2“ oder die „Microsoft Xbox“ internetfähig sind. Dadurch wird (unter Zuhilfenahme von entsprechendem  – vom Gefangenen illegal zu beschaffenden  – Zubehör1458) eine Datenübertragung ermöglicht, die ohne Beeinträchtigung der Spielfunktion nicht unterbunden werden kann.1459 Auf diesem Weg lassen sich dann z. B. Informationen wie Lagepläne oder Bauanleitungen für Waffen oder Sprengsätze austauschen.1460 Im Schrifttum wurde die „Playstation 2“ hingegen vereinzelt für genehmigungsfähig gehalten, sofern vor deren Abgabe an die Gefangenen die für den Betrieb nicht benötigten Schnittstellen bzw. Hohlräume versiegelt und verplombt würden und

1453 Vgl. hier und zum Vorstehenden BVerfG NStZ-RR 2002, 128. Aus der Entscheidung ergibt sich nicht eindeutig, ob es sich um die „Playstation 1“ oder die zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde bereits seit einigen Monaten auf dem Markt befindliche „Playstation 2“ handelt. 1454 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1455 Vgl. dazu etwa den Überblick bei AK-Boetticher, § 70 Rn. 24 m. w. N. 1456 Vgl. OLG Nürnberg NStZ-RR 2002, 191; OLG Dresden NStZ-RR 2000, 222; OLG Koblenz NStZ 1999, 446 bei Matzke. 1457 Vgl. etwa OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2005, 64; KG Berlin NStZ-RR 2004, 157 ff.; OLG Hamm ZfStrVo 2004, 378 f.; OLG Rostock, ZfStrVo 2003, 56 ff.; OLG Jena ZfStrVo 2003, 304 ff. 1458 Mobiltelefon sowie Modem oder Netzwerkadapter für Playstation 2, vgl. Rösch, ZfStrVo 2003, 246 (247); siehe ferner OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.10.2006 – 2Ws 241/05: Zugang zum Internet möglich durch Einbau einer W-Lan-Karte, wenn die betreffende JVA im Sendegebiet eines W-Lan-Netzes liegt. 1459 Vgl. SBJL-Schwind/Goldberg, § 70 Rn. 9. 1460 Näher hierzu Rösch, ZfStrVo 2003, 244 (247).

IV. Ergebnisse

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eine Begrenzung des Lieferumfangs auf die Grundausstattung erfolge.1461 Dem Abspielen illegaler DVDs lasse sich zudem mit zumutbarem Kontrollaufwand entgegenwirken.1462 Von Seiten der Obergerichte hat bislang – soweit ersichtlich – nur das OLG Karlsruhe in einem Beschluss aus dem Jahr 2003 den Besitz der „Playstation 2“ erlaubt.1463 Bereits Anfang 2007 hat es diese Sichtweise jedoch ausdrücklich aufgegeben und zur Begründung ausgeführt: „Der Senat hält […] nicht mehr an der […] Auffassung fest, dass den von der Spielkonsole ausgehenden Gefahren mit einem vertretbaren Aufwand  – durch Versiegelung und Verplombung der Hohlräume und Schnittstellen – hinreichend entgegengewirkt werden könne. Die genannten Vorkehrungen können nicht verhindern, dass durch Manipulationen an der Hardware der Spielkonsole oder durch die Veränderung geeigneter Software andere Schnittstellen, die zum ordnungsgemäßen Spielbetrieb benötigt werden und die daher nicht verplombt werden können, umfunktioniert werden […]. Die Kontrolle der auf der Speicherkarte gespeicherten Daten wäre kaum oder nur mit einem erheblichen Zeitaufwand möglich […]. Schließlich haben die in jüngerer Zeit gewonnenen Erfahrungen in der Justizvollzugsanstalt Y., in der nach der Entscheidung des Senats vom 10.3.2003 Geräte vom Typ ‚Playstation 2‘ ausgegeben worden sind und in der bei Kontrollen immer wieder Spiele mit gewaltverherrlichendem und menschenverachtendem Inhalt sowie  – auf Grund des Formats leicht einzuschmuggelnde – DVDs mit pornografischem Inhalt aufgefunden worden sind, gezeigt, dass den mit der Spielkonsole verbundenen Missbrauchsgefahren nicht wirkungsvoll begegnet werden kann.“1464

(5) Fazit Was den Besitz von Gegenständen im Sinne der §§ 19, 70 StVollzG anbelangt, hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung und insbesondere den im Jahr 1994 aufgestellten Leitlinien durchaus einen Orientierungsrahmen für die inzwischen kaum noch zu überblickende fachgerichtliche Judikatur geschaffen. Die Billigung der Anwendung eines abstrakt-generellen Gefährlichkeitsmaßstabes ist freilich nicht überall auf Zustimmung gestoßen. Den Besonderheiten des Einzelfalls – seien diese positiv oder negativ für den Gefangenen – kann und muss gleichwohl Rechnung getragen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei auch in dem in Rede stehenden Themenbereich das Resozialisierungsgebot ins Spiel gebracht, wenngleich in nicht so pointierter Form wie z. B. auf dem Gebiet der Gefangenenarbeit. Mit Blick auf das Vollzugsziel stellt sich allerdings die Frage, wie lange die Rechtsprechung ihre sehr restriktive Linie gegenüber speicher- und internetfähigen Medien (Computer, Telespielgeräte etc.) noch aufrecht erhalten kann. Wie schon im Rahmen des Themenefeldes „Außenkontakte“ ausgeführt, werden Gefangene heute nicht mehr „nur“ in eine Industrie-, sondern vor 1461

Vgl. Lindhorst, StV 2006, 274 (277). Vgl. Lindhorst, StV 2006, 274 (277 f.). 1463 Vgl. OLG Karlsruhe ZfStrVo 2003, 244 ff. mit ablehnender Anmerkung von Rösch. 1464 OLG Karlsruhe StV 2007, 316 (317). 1462

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D. Die Entscheidungsanalyse

allem auch in eine Informationsgesellschaft entlassen.1465 Da die die technische Entwicklung noch weiter voranschreiten wird, ist es nur noch eine Frage Zeit, bis ein Strafvollzug, in dem – überspitzt formuliert – nur Schreibmaschinen vom Typ „Erika“ und Brettspiele erlaubt sind, nicht re-, sondern eher desozialisierend wirkt. Andererseits ist natürlich nicht zu übersehen, dass neue technische Möglichkeiten regelmäßig auch neue Missbrauchsgefahren mit sich bringen, die nicht zu unterschätzen sind. Hier einen geeigneten Mittelweg zu finden, gehört zu den Herausforderungen des zukünftigen Strafvollzuges. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu bisher noch keinen entscheidenden Beitrag geleistet. Im Schrifttum1466 wurde hingegen schon vor geraumer Zeit aufgezeigt, dass es sowohl de lege lata als auch de lege ferenda durchaus Möglichkeiten einer weitergehenden Nutzung gerade des Internets im Strafvollzug gibt. bb) Widerruf einer Besitzerlaubnis Wie eingangs erwähnt, hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht nur mit der Erteilung von Besitzerlaubnissen, sondern in insgesamt vier Entscheidungen auch mit dem Widerruf bereits erteilter Genehmigungen auseinandersetzen müssen. Alle einschlägigen Beschlüsse betreffen dabei den Entzug von Gegenständen aus Gründen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt (§§ 19 Abs. 2 und 70 Abs. 3 StVollzG1467). Nach den Karlsruher Richtern gilt für den Widerruf einer Besitzerlaubnis folgender Grundsatz: – Mit Blick auf das Resozialisierungsgebot darf einem Gefangenen die ihm durch Überlassung eines Gegenstandes eingeräumte Rechtsposition nicht allein mit der Erwägung wieder entzogen werden, dass von der betreffenden Sache eine abstrakte Gefährlichkeit ausgeht. Vielmehr bedarf es einer eingehenden Ab­ wägung des schutzwürdigen Vertrauens des Inhaftierten gegen die Interessen des Allgemeinwohls.1468 1465

Siehe oben D.IV.7.c). So wirft Knauer in seiner Monografie einen differenzierten Blick auf die verschiedenen Internetanwendungen und unterbreitet zudem einen Gesetzgebungsvorschlag für die Regelung der Kommunikation über das Internet (S. 164 ff.). 1467 Der Ausschluss von Gegenständen oder der Widerruf von Besitzerlaubnissen ist nach den Landesgesetzen auf der Grundlage folgender Vorschriften möglich: §§ 15 Satz  2, 70 Abs. 4 BwJVollzGB III; Art. 21 Abs. 2, 72 Abs. 3 BayStVollzG; §§ 57 Satz 2, 104 BbgJVollzG; § 22 Abs. 2 HmbStVollzG, Widerruf einer Erlaubnis i. S. des § 70 StVollzG gemäß den allgemeinen Regeln zum Widerruf von Verwaltungsakten, vgl. SBJL-Schwind/Goldberg, § 70 Rn. 20; § 19 Abs. 2 HStVollzG, Widerruf einer Erlaubnis i. S. des § 70 StVollzG gemäß den allgemeinen Regeln zum Widerruf von Verwaltungsakten, vgl. SBJL-Schwind/Goldberg, § 70 Rn. 21; §§ 48 Satz 2, 90 StVollzG MV; §§ 21 Satz 2, 67 Abs. 1 Satz 3 NJVollzG; §§ 56 Satz 2, 101 LJVollzG RLP; §§ 48 Satz  2, 90 SLStVollzG; §§ 48 Satz  2, 94 SächsStVollzG; §§ 57 Satz 2, 102 ThürJVollzGB. 1468 Vgl. BVerfG NStZ 1994, 100 (100); StV 1994, 432 (433); StV 1996, 48 (48 f.); BVerfGK 3, 105 (106 f.). 1466

IV. Ergebnisse

325

Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Auffassung damit, dass Ge­ fangene angesichts einer Vielzahl vollzugsbedingter Beschränkungen auf den Fortbestand einer ihnen von der Anstalt einmal eingeräumten Rechtsposition in besonderem Maße vertrauten, solange sie mit dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen verantwortungsvoll umgingen. Werde einem Inhaftierten nun der überlassene Gegenstand allein wegen der ihm generell innewohnenden Gefährlichkeit wieder entzogen, ohne dass der Gefangene in seiner Person hierzu Anlass gegeben hätte, werde dies von ihm regelmäßig als in höchstem Maße ungerecht empfunden, was dem Resozialisierungsgebot zuwiderlaufe.1469 Die deshalb von den Karlsruher Richtern geforderte Interessenabwägung wurde seitens der Haftanstalten und der Fachgerichte jedoch nicht immer mit der erforderlichen Sorgfalt vorgenommen und gab dem Bundesverfassungsgericht somit verschiedentlich Anlass zur Kritik. So lag dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 29.10.1993 die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen der JVA Werl zu Grunde, der seit 1986 im Besitz von zwei Lautsprecherboxen war, die ihm nach einer Geiselnahme in der vorgenannten Haftanstalt im Sommer 1992 wieder entzogen wurden. Die Strafvollstreckungskammer wies die Haftanstalt jedoch an, dem Gefangenen die vorgenannten Gegenstände wieder auszuhändigen. Das OLG hob diese Entscheidung allerdings auf.1470 Das Bundesverfassungsgericht kritisierte diesbezüglich, dass eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalls, vor allem der für eine Belassung der Lautsprecherboxen streitenden Umstände, nicht stattgefunden habe und es deshalb an einer hinreichenden Interessenabwägung fehle.1471 So sei insbesondere nicht berücksichtigt worden, dass die Überlassung der in Rede stehenden Gegenstände an den Beschwerdeführer in der Vergangenheit keinerlei Anlass für Beanstandungen gegeben habe.1472 Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverwiesen hatte, verpflichtete dieses die JVA zur Neubescheidung. Die Anstalt widerrief daraufhin erneut die Besitzerlaubnis für die Lautsprecherboxen, die Strafvollstreckungskammer ordnete wiederum deren Herausgabe an, was vom OLG zum wiederholten Mal revidiert wurde.1473 Das Bundesverfassungsgericht war auch mit der „zweiten Runde“ des Verfahrensdurchlaufs nicht zufrieden und hob den Beschluss des Strafsenats am 28.9.1995 auf. Die JVA und das OLG hätten ihre Gefahrenprognose nicht auf konkrete Umstände von hinreichendem Gewicht gestützt. Wiederum sei nicht berücksichtigt worden, dass sich der Beschwerdeführer trotz der von den Lautsprecherboxen ausgehenden abstrakten Gefährlichkeit bewährt habe. Soweit Haftanstalt und OLG auf frühere Verfehlungen des Beschwerdeführers abstellten, gehe dies ins Leere, weil diese 1469

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG, a. a. O. Vgl. BVerfG NStZ 1994, 100 (100). 1471 Vgl. BVerfG NStZ 1994, 100 (101). 1472 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1473 Vgl. BVerfG StV 1996, 48 (48). 1470

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D. Die Entscheidungsanalyse

Umstände bereits vor der Genehmigung der in Rede stehenden Gegenstände bekannt gewesen seien. In die Zeit nach der Besitzüberlassung fielen lediglich die Erhöhung der Gefangenenzahlen bei schwerkriminellen Insassen sowie der zunehmende Drogenkonsum in der JVA Werl. Beide Umstände lägen jedoch nicht in der Person des Beschwerdeführers begründet und ließen eine konkrete Missbrauchsgefahr nicht erkennen.1474 Der Beschluss des OLG könne auch nicht insoweit aufrechterhalten werden, als er die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer wegen unzulässiger Überschreitung der Grenzen einer Ermessensprüfung aufgehoben habe. Zutreffend sei das LG von einer Ermessensreduktion auf Null ausgegangen und habe folglich die Anstalt zur Herausgabe der Lautsprecherboxen an den Beschwerdeführer verpflichten können.1475 Der Rechtsstreit war damit also nach mehr als drei Jahren beendet. Die Widerrufspraxis der JVA Werl spielte allerdings noch in einer dritten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Rolle. Diesmal ging es um eine Tagesdecke, deren Besitz die Haftanstalt dem betroffenen Gefangenen im November 1991 genehmigt hatte.1476 Weil es im Juni 1992 zu der bereits erwähnten Geiselnahme in der JVA Werl gekommen war und der Beschwerdeführer in den Verdacht geraten war, eine bei dieser Straftat verwendete Waffenattrappe hergestellt zu haben, wurde ihm neben anderen Gegenständen im Juli 1992 auch die Tagesdecke weggenommen, da diese aufgrund ihrer Beschaffenheit als Versteckmöglichkeit dienen könne. Nachdem das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden war, händigte man ihm auf Anordnung des zuständigen Abteilungsleiters die Decke im Oktober 1992 wieder aus. Da dies jedoch irrtümlich geschehen sein soll, wurde sie dem Gefangenen rund zwei Monate später wieder entzogen. Der dagegen beschrittene Rechtsweg blieb erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht bemängelte auch hier das Fehlen einer hinreichenden Interessenabwägung.1477 JVA und Widerspruchsbehörde hätten ihre Entscheidung allein damit begründet, dass durch die Überlassung der Tagesdecke die Sicherheit gefährdet würde, was nicht hingenommen werden müsse, so dass folglich auch kein Vertrauensschutz gegeben sei. Dies spreche dafür, dass eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch der für den Beschwerdeführer streitenden Aspekte, nicht stattgefunden habe. Während die Karlsruher Richter in den bisher dargestellten Entscheidungen konsequent im Sinne der oben genannten Leitlinie verfahren sind und danach gefragt haben, ob den Belangen des Allgemeinwohls Vorrang zukommt, weil das Vertrauensschutzinteresse des Gefangenen durch konkrete, in seiner Person liegende Umstände erschüttert ist, haben sie in ihrem Nichtannahmebeschluss vom 1474

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG StV 1996, 48 (49). Vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.9.1995  – 2 BvR 902/95 (insoweit nicht abgedruckt in StV 1996, 48 f.). 1476 Vgl. hier und im Folgenden BVerfG StV 1994, 432 (432). 1477 Vgl. hier und im Folgenden BVerfG StV 1994, 432 (433). 1475

IV. Ergebnisse

327

15.3.2004 einen neuen Akzent gesetzt. Hier hatte eine JVA die seit langem bestehende Besitzerlaubnis des strafgefangenen Beschwerdeführers für die Fernbedienung seines Fernsehers widerrufen, um ihn aus Gründen der Sicherheit am Videotextempfang zu hindern.1478 In ihrer Entscheidung stellen die Karlsruher Richter zunächst klar, dass die Maßnahme der Haftanstalt vom Schutzbereich der Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 GG erfasst ist, da die Videotextseiten eine allgemein zugängliche Quelle im Sinne dieses Grundrechts sind.1479 Sie bewegen sich ferner im gewohnten Fahrwasser, wenn sie ferner darauf hinweisen, dass das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Vertrauensschutzgebot eine auf den Einzelfall abstellende Prüfung, ob die Interessen des Allgemeinwohls oder diejenigen des Inhaftierten am Erhalt des status quo vorrangig seien, erfordere.1480 Dann schlägt das Bundesverfassungsgericht jedoch eine neue Richtung ein und stellt fest: „[Aus dem Vorstehenden folgt] allerdings nicht, dass der Widerruf einer Besitzerlaubnis nur auf Sicherheitsgründe gestützt werden dürfte, die speziell in der Person des betroffenen Gefangenen liegen. Das Strafvollzugsgesetz ermächtigt zum Widerruf einer Besitzerlaubnis unter anderem für den Fall, dass der Besitz […] oder die Benutzung des Gegenstands die Sicherheit oder Ordnung in der Anstalt gefährden würde. Eine solche Gefährdung kann ohne Verfassungsverstoß allein aufgrund der grundsätzlich gegebenen Eignung eines Gegenstands für sicherheits- oder ordnungsgefährdende Verwendungen bejaht werden, sofern konkrete derartige Verwendungen nicht oder nur mit einem von der Anstalt nicht erwartbaren Aufwand durch Kontrollmaßnahmen ausgeschlossen werden könnten […].“1481 

Angesichts dessen kann nicht uneingeschränkt zugestimmt werden, wenn im Schrifttum davon die Rede ist, dass der Widerruf einer Besitzerlaubnis nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung  – anders als die originäre Versagung einer Genehmigung  – nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit des betref­ fenden Gegenstands gestützt werden dürfe, sondern zusätzlich eine konkrete Gefährdung vorliegen müsse, bei deren Darstellung präzise auf die individuelle Situation des jeweiligen Gefangenen abzustellen sei1482. Vielmehr genügt es nunmehr nach Auffassung der Karlsruher Richter, wenn sich im Laufe der Zeit – z. B. durch den technischen Fortschritt – neue abstrakte Gefahren ergeben, die zum Zeitpunkt der Erteilung der Besitzerlaubnis noch nicht vorhanden bzw. erkennbar waren. In dem konkreten Fall des Entzugs einer Fernbedienung ging es darum, dass Gefangene nunmehr mit Hilfe der Videotextfunktion ihrer Fernsehgeräte in der Lage sind, über sogenannte „Chatrooms“ verschiedener Fernsehsender unmittelbar auf dem TV-Bildschirm SMS-Nachrichten zu empfangen und zu lesen, die Außen­ stehende von Mobiltelefonen jederzeit anonym dorthin versenden können.1483 Dies stelle eine Gefahr für die Anstaltssicherheit dar, weil dadurch ­unkontrolliert 1478

Vgl. BVerfGK 3, 105 (105 f.). Vgl. BVerfGK 3, 105 (106). 1480 Vgl. BVerfGK 3, 105 (106 f.). 1481 BVerfGK 3, 105 (107). 1482 So explizit Arloth, § 70 Rn. 7. 1483 Vgl. BVerfGK 3, 105 (107). 1479

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D. Die Entscheidungsanalyse

Infor­mationen – z. B. über Fluchtmöglichkeiten oder Sicherheitseinrichtungen der JVA – übermittelt werden könnten.1484 Die aus Sicht der Gefangenen erfolgte Verschärfung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Widerruf von Besitzerlaubnissen ist bedenklich und bedeutet letztlich eine Schwächung des Resozialisierungsgedankens. War bis zu der soeben erläuterten Entscheidung vom 15.3.2004 klar, dass den Vertrauensschutzbelangen des Inhaftierten im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung mit den Interessen der Allgemeinheit solange der Vorrang zukommt, wie in seiner Person keine konkreten Anhaltspunkte für ein gestiegenes Missbrauchsrisiko gegeben waren, kann der Entzug eines Gegenstands nunmehr bereits dann erfolgen, wenn sich die von ihm ausgehende generelle Gefährlichkeit erhöht hat. „Konkret“ müssen daher nur noch die Anhaltspunkte dafür sein, dass sich das ursprünglich hinnehmbare Maß einer abstrakten Gefährdung nachteilig verändert hat. Damit ist es nun grundsätzlich möglich, dass ein Gefangener trotz einwandfreien Verhaltens einen bereits genehmigten Gegenstand wieder verliert. Dies hatte das Bundesverfassungsgericht aber Mitte der 1990er-Jahre noch als dem Resozialisierungsgebot zuwiderlaufend bezeichnet, weil die Inhaftierten dies als in höchstem Maße ungerecht empfinden würden. Die Karlsruher Richter setzen nunmehr auf die Einsicht der Gefangenen, wenn sie am Ende ihres Beschlusses vom 15.3.2004 im Hinblick auf die fachgerichtlichen Entscheidungen ausführen: „Insbesondere lässt die Erwägung, ein Vertrauen des Beschwerdeführers auf den Fortbestand der Besitzerlaubnis für seine Fernbedienung sei von vornherein nur eingeschränkt schutzwürdig gewesen, da er nicht damit habe rechnen können, dass diese Erlaubnis auch angesichts neuer technischer Nutzungsmöglichkeiten erhalten bleiben werde […], verfassungsrechtliche Fehler nicht erkennen.“1485

Es wäre im Interesse des Resozialisierungsgedankens sicher besser gewesen, den eingeschlagenen Kurs, allein auf die konkrete Person des Gefangenen abzustellen, beizubehalten und deshalb in dem in Rede stehenden Fall danach zu fragen, ob tatsächlich Anhaltspunkte dafür gegeben sind, die einen Missbrauch der Fernbedienung durch den Beschwerdeführer in dem erwähnten Sinne ernsthaft befürchten lassen. cc) Vorenthalten von Zeitungen und Zeitschriften (1) Materiell-rechtliche Fragestellungen Das Vorenthalten von Zeitungen und Zeitschriften, das den dritten Schwerpunkt der verfassungsgerichtlichen Judikatur zum Themenbereich „Besitz von Gegenständen“ bildet, ist zwar in einer eigenen Vorschrift geregelt, kann aber 1484

Vgl. BVerfGK 3, 105 (107). Vgl. BVerfGK 3, 105 (108).

1485

IV. Ergebnisse

329

wie der Besitz von Gegenständen zur Freizeitbeschäftigung im Sinne des § 70 StVollzG aus Gründen der Resozialisierung oder Sicherheit oder Ordnung der Anstalt geschehen (vgl. § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG1486). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in seinen Nichtannahmebeschlüssen vom Juni und September 1995 folgende Leitlinie aufgestellt: – Die Vorenthaltung einer Zeitung oder Zeitschrift stellt nur dann einen gerechtfertigten Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 GG gewährleistete Informationsfreiheit des Gefangenen dar, wenn eine reale und erhebliche Gefahr für die in § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG genannten Belange gegeben ist.1487 Das Bundesverfassungsgericht legt somit im Bereich des § 68 StVollzG anders als bei §§ 19 und 70 StVollzG einen konkreten Gefährlichkeitsmaßstab an. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass es bei der Nichtgenehmigung des Besitzes von Gegenständen zur Haftraumausstattung oder Freizeitbeschäftigung „nur“ um die allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG geht, während bei Zeitungen oder Zeitschriften die unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt stehende Informationsfreiheit einschlägig ist, der wie den übrigen Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG seitens der Karlsruher Richter hohe Bedeutung zugemessen wird. Konkret ging es in dem Nichtannahmebeschluss vom 29.6.1995 um die von der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V.“ (kurz: HNG) herausgegebene Zeitschrift „HNG-Nachrichten“, bei der es sich um ein Forum zur Verbreitung von rechtsradikalem Gedankengut handelt.1488 Der Beschwerdeführer dieses Verfahrens verbüßte eine langjährige Freiheitsstrafe, weil er aus Ausländerhass ein Haus in Brand gesetzt und dabei den Tod von vier Menschen verursachte hatte.1489 Die JVA verweigerte deshalb die Aushändigung der „HNG-Nachrichten“ wegen der erheblichen Gefährdung des Vollzugszieles sowie der Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt.1490 In Übereinstimmung mit der Strafvollstreckungskammer und dem OLG billigte das Bundesverfassungsgericht die Maßnahme der Vollzugsbehörde. Ziel des HNG e. V. und der von ihm herausgegebenen Zeitschrift sei allein die Verbreitung neonazistischer Hetzpropaganda gegen Ausländer sowie der Aufruf zur Unterstützung verbotener rechtsextremistischer Organisationen und zum bewaffneten Kampf.1491 Zudem gehe es um 1486 Auch nach den Landesvorschriften ist das Anhalten von Zeitungen und Zeitschriften aus diesen Gründen möglich, vgl. § 60 i. V. m. § 58 Abs. 2 Nr. 2 BwJVollzGB III; § 70 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG; § 60 Abs. 2 BbgJVollzG; § 51 Abs. 2 Satz 2 HmbStVollzG; § 30 Abs. 2 Satz 4 HStVollzG; § 50 Abs. 1 Satz 3 StVollzG MV; § 65 Abs. 2 Satz 1 NJVollzG; § 59 Abs. 2 LJVollzG RLP; § 50 Abs. 1 Satz 3 SLStVollzG; § 50 Abs. 1 Satz 3 SächsStVollzG; § 60 Abs. 2 ThürJVollzGB. 1487 Vgl. BVerfG NStZ-RR 1996, 55; NStZ 1995, 613 (614). 1488 Vgl. BVerfG NStZ 1995, 613 (613). 1489 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1490 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1491 Vgl. BVerfG NStZ 1995, 613 (614).

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D. Die Entscheidungsanalyse

die Herstellung und Verfestigung des Zusammenhalts rechtsradikal ausgerichteter Straftäter.1492 Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung dieser Umstände gelangten die Karlsruher Richter daher zu dem (sich geradezu aufdrängenden) Ergebnis, dass die Überlassung der „HNG-Nachrichten“ dem Vollzugsziel zuwiderlaufe. Bei einer Person wie dem Beschwerdeführer muss es schließlich im Rahmen resozialisierender Behandlung vor allem darum gehen, einen Prozess des Ausstiegs aus dem rechtsradikalen Milieu in Gang zu setzen. Es ist offenkundig, dass dabei eine Zeitschrift, der es – wie den „HNG-Nachrichten“ – gerade darauf ankommt, eine solche Loslösung vom kriminellen Umfeld zu verhindern, in jeder Hinsicht kontraproduktiv ist. Weil somit bereits der Anhaltegrund der Gefährdung des Vollzugsziels im Sinne des § 68 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 StVollzG gegeben war, konnte es das Bundesverfassungsgericht dahinstehen lassen, ob die Aushändigung der in Rede stehenden Zeitschrift auch eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der JVA bedeutet hätte. Der Entscheidung lassen sich hierfür ohnehin keine hin­ reichend konkreten Anhaltspunkte entnehmen. Der Anhaltegrund des § 68 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 StVollzG steht jedoch im Zentrum des Nichtannahmebeschlusses vom 27.9.1995. Hier hatte das Bundesverfassungsgericht die Vorenthaltung eines einzelnen Artikels aus der Zeitschrift „Rote Hilfe“ gebilligt. Darin wurde der JVA des Beschwerdeführers eine entmenschlichende Behandlung eines früher dort Inhaftierten unterstellt, so dass die Aushändigung des Beitrages nach Auffassung der Anstaltsleitung mit der Gefahr verbunden war, dass andere Gefangene von dessen Inhalt Kenntnis erlangen und gegen die Haftanstalt aufgehetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seiner Entscheidung zunächst klar, dass es die Informationsfreiheit nicht zulässt, eine sachlich gehaltene Zeitschrift schon deshalb anzuhalten, weil darin eine kritische Auseinandersetzung mit Anstaltsverhältnissen stattfindet. Bei dem in Rede stehenden Artikel handelte es sich jedoch nach Auffassung der Karlsruher Richter um eine völlig überzogene und böswillige Kritik an der JVA.1493 Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer gewissermaßen „Stammkunde“ beim Bundesverfassungsgericht war. Durch einige andere Verfassungsbeschwerden, die er in der Vergangenheit bereits erhoben hatte, war er den Karlsruher Richtern schon mehrfach als Verfasser von Schriftstücken mit wahrheitswidrigem und vollzugsfeindlichem Inhalt aufgefallen.1494 So hatte er u. a. an den „Bayern-Kurier“ eine selbst verfasste Beilage mit dem Titel „Festnachtsgitterwillkürsatire“ gesendet, die kämpferisch gegen die Haftanstalt gerichtete Darstellungen enthielt und deshalb – bestätigt vom Bundesverfassungsgericht1495 – auf der Grundlage von § 31 Abs. 1 Nr. 3 StVollzG angehalten wurde. Über das entsprechende Verfassungsbeschwerdeverfahren wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bereits berichtet.1496 1492

Vgl. BVerfG, a. a. O. Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NStZ-RR 1996, 55. 1494 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1495 Vgl. BVerfG NJW 1994, 244. 1496 Siehe oben D.IV.7.b)bb)(5). 1493

IV. Ergebnisse

331

(2) Gewährung rechtlichen Gehörs im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens Neben den soeben erörterten materiell-rechtlichen Fragestellungen wirft das Anhalten von Zeitungen oder Zeitschriften eine besondere prozessuale Problematik auf, zu der das Bundesverfassungsgericht wiederholt Stellung genommen hat und die deshalb näherer Erörterung bedarf. Die Rede ist von der Gewährung rechtlichen Gehörs im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens über eine Maßnahme nach § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG. Mangels einer vollzugsspezifischen Regelung gilt – vermittelt über den Pauschalverweis des § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG – an sich der Grundsatz des § 33 Abs. 3 StPO, wonach im schriftlichen Verfahren nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Beteiligten verwertet werden dürfen, zu denen er gehört worden ist.1497 Allerdings darf nach § 33 Abs. 4 Satz  1 StPO bei der Anordnung der U-Haft, der Beschlagnahme oder anderen Maßnahmen von der vorherigen Anhörung abgesehen werden, wenn ansonsten der Zweck der Anordnung gefährdet würde. Wie das Bundesverfassungsgericht in zwei Nichtannahmebeschlüssen vom 29.6.1995 richtig ausführt, besteht bei der gerichtlichen Entscheidung über die Anhaltung von Zeitungen oder Zeitschriften gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG die Besonderheit, dass es um die Gefährdung von Vollzugs- und Anstaltsbelangen gerade durch die Informationen geht, auf die sich das rechtliche Gehör bezieht.1498 Letzteres durch Preisgabe des Inhalts der angehaltenen Schriften zu gewähren, hieße, den Zweck der strittigen Maßnahme zu unterlaufen, weshalb das Bundesverfassungsgericht den in der Ausnahmeregelung des § 33 Abs.  4 StPO enthaltenen, verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken aufnimmt und für den in Rede stehenden Problembereich wie folgt weiterführt: – Das im Grundgesetz verankerte Gebot des rechtlichen Gehörs ist mit den ebenfalls verfassungsrechtlich relevanten Belangen eines resozialisierenden Behandlungsvollzuges und der dafür erforderlichen Sicherheit und Ordnung der Anstalt in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Hieraus folgt, dass nur solche Informationen über die angehaltenen Zeitungen/Zeitschriften preisgegeben werden dürfen, die der Gefangene zur Wahrnehmung seiner Rechte benötigt und deren Mitteilung die Belange des Vollzuges nicht gefährdet.1499 In der Praxis werden diese Vorgaben dahingehend umgesetzt, dass kurze charakterisierende Angaben über den Inhalt der angehaltenen Druckwerke gemacht werden, was die Karlsruher Richter für verfassungskonform erklärt haben.1500 In Fällen der beschriebenen Art käme freilich auch in Betracht, dem Gefangenen einen Verteidiger beizuordnen, der Akteneinsicht beantragen und damit die dem Inhaftierten vorenthaltene Zeitung/Zeitschrift vollständig einsehen könnte. Nach 1497

Vgl. BVerfG ZfStrVo 1996, 174 (175); NStZ 1995, 613 (614). Vgl. BVerfG, a. a. O. 1499 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1500 Vgl. BVerfG NStZ 1995, 613 (615). 1498

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D. Die Entscheidungsanalyse

Ansicht der Karlsruher Richter sind die Fachgerichte allerdings zu einem derartigen Vorgehen nicht verfassungsrechtlich verpflichtet, weil keine erfolgversprechenden Möglichkeiten bestünden, die verhindern könnten, dass dem Gefangenen die angehaltenen Druckwerke über den Rechtsanwalt letztlich doch in vollem Umfang zur Kenntnis gelangen.1501 Zwar ist es in der Tat denkbar, dass der Inhaftierte – etwa über entsprechende Kopien in der Verteidigerpost – vollständig über den Inhalt der angehaltenen Zeitungen oder Zeitschriften informiert wird. Dies ließe sich allerdings dadurch weitgehend verhindern, dass dem Rechtsanwalt rechtliches Gehör durch Akteneinsicht in den Räumen der Geschäftsstelle gewährt wird.1502 Auf welche Weise sich dem Recht des Gefangenen aus Art. 103 Abs. 1 GG am besten Rechnung tragen lässt, muss aber letztlich vom zuständigen Fachgericht im konkreten Einzelfall entschieden werden. c) Historische Einordnung Wie ist nun die soeben erörterte Rechtsprechung rückblickend einzuordnen? Auffällig ist zunächst Folgendes: Während auf manchen Themenfeldern (z. B. Außenkontakte, Gesundheitsfürsorge) in der jüngsten Vergangenheit vergleichsweise viele verfassungsgerichtliche Entscheidungen veröffentlicht wurden, liegt der bisher letzte publik gewordene Beschluss zum Bereich des Besitzes von Gegenständen schon rund ein Jahrzehnt zurück. Die Rechtsprechung der Karlsruher Richter scheint hier gewissermaßen etwas „festgefahren“ zu sein. Jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht den Versuch einer Stärkung des Resozialisierungsgebots unternommen. Ein entsprechender Vorstoß müsste vor allem darin bestehen, den bisher ausgesprochen restriktiven Kurs der gesamten Rechtsprechung gegenüber internet- und speicherfähigen Medien zu verlassen, denn ein Strafvollzug, der auf die technische Weiterentwicklung als Reaktion nur die Abschottung kennt, wird früher oder später dem Vorwurf der Weltfremdheit nicht entgehen können. Zuletzt haben es die Karlsruher Richter den Vollzugsbehörden und Fachgerichten sogar eher erleichtert, den Fortschritt vor den Toren der Haftanstalten zu halten, indem sie  – wie erläutert  – 2004 die Anforderungen für den Widerruf einer Besitzerlaubnis dadurch gelockert haben, dass seitdem auch außerhalb der Person des Gefangenen liegende Gründe zum nachträglichen Entzug eines genehmigten Gegenstandes führen können. Darüber hinaus dürfte das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren Verfassungsbeschwerden, die dem in Rede stehenden Themenbereich zuzuordnen sind, ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen haben. So ist es zumindest in dem Fall eines bayerischen Strafgefangenen geschehen, der knapp über zwei Jahre nach der „Playstation-­Entscheidung“ vom 9.11.2001 vergeblich versucht hatte, mit Hilfe der Karlsruher Richter doch noch eine Besitzerlaubnis für ein Telespielgerät der Firma 1501

Vgl. BVerfG NStZ 1995, 613 (614). So mit Recht AK-Kamann/Spaniol, § 115 Rn. 16.

1502

IV. Ergebnisse

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Sony zu erhalten.1503 Das letzte Wort in dieser Sache hatte dann der EGMR, der die Individualbeschwerde des Gefangenen am 22.1.2008 einstimmig für unzu­ lässig erklärte.1504 Was die Entscheidungen zum Widerruf einer Besitzerlaubnis anbelangt, ist anzumerken, dass es durchaus kein Zufall ist, dass drei der vier Verfassungsbeschwerden zwischen 1993 und 1995 von Inhaftierten aus der JVA Werl erhoben wurden. In dieser Haftanstalt war es nämlich Mitte 1992 zu einer Geiselnahme gekommen. Zwei Gefangenen1505 war es während eines Zahnarzttermins gelungen, drei Vollzugsbedienstete und drei Arzthelferinnen in ihre Gewalt zu bringen. Zwei der Geiseln waren im weiteren Verlauf des Verbrechens von den Gefangenen mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet worden, wodurch die­ Opfer schwere Verbrennungen erlitten. In der Zeit nach der Geiselnahme kam es zu massiven Verschärfungen der Haftbedingungen, wozu u. a. auch gehörte, dass die einzelnen Hafträume der JVA ausgeräumt und den Gefangenen zahlreiche Gegenstände entzogen wurden.1506 Eine derart massive Reaktion ist zwar angesichts der Schwere des Vorfalls menschlich durchaus verständlich, zu rechtfertigen ist die pauschale Missachtung der (Grund-)Rechte von Gefangenen gleichwohl nicht, zumal die allermeisten mit der Geiselnahme letztlich gar nichts zu tun hatten. Es ist deshalb gut und richtig, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung in dieser Zeit klare Grenzen gesetzt hat, auch wenn es diese mit seiner bisher letzten Entscheidung zum Widerruf von Besitzerlaubnissen im Jahr 2004 wieder etwas „aufgeweicht“ hat. Ferner haben die Karlsruher Richter in den beiden Beschlüssen zur Vorenthaltung von Zeitschriften zwar jeweils zu Ungunsten der Beschwerdeführer entschieden. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Bundesverfassungsgericht an die Rechtfertigung von Eingriffen in die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG generell hohe Maßstäbe anlegt. Das zeigt sich – wie schon erwähnt wurde – nicht zuletzt daran, dass für das Vorenthalten von Zeitschriften im Sinne des § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG eine konkrete Gefahr für das Vollzugsziel oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt erforderlich ist und nicht nur eine abstrakte wie im Rahmen der §§ 19 Abs. 2, 70 Abs. 3 StVollzG. Die beiden Sachverhalte, anhand derer das Bundesverfassungsgericht diesen Maßstab aufgestellt hat, sind letztlich so speziell wie eindeutig: Im Fall der rechtsextremen „HNG-Nachrichten“, die ein Gefangener mit fremdenfeindlichem Hintergrund beziehen wollte, ist die Unvereinbarkeit mit dem Vollzugsziel auf den ersten Blick­ 1503 Dies ergibt sich aus der Sachverhaltsdarstellung in EGMR, Entscheidung v. 22.1.2008 – 20579/04. 1504 Vgl. EGMR, a. a. O. 1505 Darunter befand sich auch der Inhaftierte, der Ende November 2009 gemeinsam mit einem Mitinsassen einen Vollzugsbediensteten überwältigt hatte und dann aus der JVA­ Aachen geflohen war, siehe dazu http://www.spiegel.de/panorama/justiz/jva-aachen-bewaffnete-schwerverbrecher-fliehen-per-taxi-a-63748.html (zuletzt abgerufen am 29.10.2013). 1506 Vgl. Kamann, StV 1994, 459 (459); Stoessinger, Die Zeit v. 8.4.1994, S. 13.

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D. Die Entscheidungsanalyse

erkennbar. Ähnliches gilt für den diffamierenden Artikel aus der Zeitschrift „Rote Hilfe“, deren Aushändigung „Wasser auf die Mühlen“ eines Gefangenen gewesen wäre, der er sich ohnehin zur Aufgabe gemacht hatte, gegen „seine“ JVA verbal anzukämpfen. Dass dies geeignet ist, andere Gefangene aufzuhetzen und damit die Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt zu gefährden, leuchtet ohne Weiteres ein. Dass das Bundesverfassungsgericht also letztlich zwei Entscheidungen zur Veröffentlichung freigegeben hat, deren Ergebnis vergleichsweise eindeutig ist, stellt – nebenbei bemerkt – eine Art Strategie dar, die es auch auf anderen Themenfeldern und vor allem ab den 1990er-Jahren hat erkennen lassen.1507 d) Prozessuale Entscheidungskritik In prozessualer Hinsicht hat Rotthaus in Bezug auf den Rechsstreit um den Entzug von zwei Lautsprecherboxen in der JVA Werl die grundsätzliche Frage gestellt, ob das Bundesverfassungsgericht mit seiner weiträumigen Auslegung des Schutzbereichs von Art.  2 Abs.  1 GG nicht die ihm gezogenen Grenzen überschreite.1508 Es habe in den vergangenen Jahren eine Vielzahl banaler Rechtsfragen des vollzuglichen Alltags zu entscheiden gehabt, was jedoch nicht seine Aufgabe sein könne.1509 Daran ist richtig, dass das Bundesverfassungsgericht im „ElfesUrteil“ von 1957 die denkbar weiteste Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG vorgenommen hat, so dass sich letztlich jede Verletzung des einfachen Rechts auch als Grundrechtsverletzung auffassen lässt. Damit ist zugleich ein Einfallstor eröffnet, über das ohne Weiteres auch banale Rechtsfragen nach Karsruhe gelangen können. Dies kann man – wie Rotthaus – zwar durchaus kritisch hinterfragen. An der genannten Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG, die seit Jahrzehnten gefestigt ist, wird sich gleichwohl in absehbarer Zeit nichts ändern. Rein rechtlich betrachtet, steht einer Beschäftigung der Karlsruher Richter mit Fragen des einfachen Rechts letztlich nichts entgegen.1510 Wenn Rotthaus meint, dass dies nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein könne, hat er im Ergebnis dennoch Recht. Es wäre nämlich schon mangels entsprechender Ressourcen rein faktisch keinesfalls in der Lage die Aufgabe einer „Superrevisionsinstanz“ wahrzunehmen.1511 Dessen ist sich das Bundesverfassungsgericht schon seit langem bewusst. Deshalb wird es gerade im Rahmen seiner Rechtsprechung zu dem in Rede stehenden Themenfeld „Besitz von Gegenständen“ nicht müde, immer wieder auf seine im Jahr 1964 zur Abgrenzung von den Fachgerichten aufgestellte „Heck’sche Formel“1512 Bezug zu nehmen und darauf hinzuweisen, dass es die Entscheidungen der Fachgerichte keiner allgemeinen Rechtskontrolle unterziehe, sondern nur prüfe, ob letztere auf 1507

Siehe hierzu bereits oben D.IV.2.c)bb) – Vollzugsziel und D.IV.5.e) – Vollzugslockerungen. Vgl. Rotthaus, NStZ 1996, 254 (255). 1509 So Rotthaus, a. a. O. 1510 Siehe hierzu bereits oben B.II.3.d). 1511 Ausführlich dazu schon oben B.II.3.d). 1512 Vgl. BVerfGE 18, 85 (93); siehe ferner oben B.II.3.d).

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IV. Ergebnisse

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einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhten oder willkürliche Erwägungen eingeflossen seien.1513 Ob sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner hier zu analysierenden Rechtsprechung immer auf eine Kontrolle beschränkt hat, die dem vorgenannten Maßstab entspricht, mag womöglich von manchem bezweifelt werden. Man kann den Karlsruher Richtern aber ein entsprechendes Bemühen nicht gänzlich absprechen. Am deutlichsten wird dies, wenn man sich daran erinnert, dass sie die zentrale Frage, ob die Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt im Sinne des § 70 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 StVollzG abstrakt oder konkret sein muss, letztlich keiner einfachrechtlichen Klärung zuführen, sondern lediglich feststellen, dass sich eine Interpretation im erstgenannten Sinne jedenfalls im Rahmen des verfassungsrechtlich Vertretbaren bewege.1514 Darüber hinaus ist sich das Bundesverfassungsgericht durchaus der Tatsache bewusst, dass gerade auf dem Gebiet des Besitzes von Gegenständen die Gefahr groß ist, dass Grundrechte zu „kleiner Münze“ verkommen. Dies zeigt vor allem der Sachverhalt, der dem Nichtannahmebeschluss vom 9.11.2001 zu Grunde lag.1515 Dort hatte ein Gefangener, dem an seinem Schreibtisch bereits eine Leselampe zur Verfügung stand, eine weitere begehrt. Aufgrund einer Wirbelsäulenverletzung hielt er sich wechselnd am Schreibtisch und im Bett auf, wofür ihm einerseits die Deckenbeleuchtung nicht ausreichte, ihm andererseits aber das jeweilige Umklemmen der Leselampe lästig war. Die Karlsruher Richter stellten diesbezüglich klar, dass die Verfassungsbeschwerde keine Rechtsschutzmöglichkeit zur Beseitigung von derartigen bloßen Unannehmlichkeiten ist. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner zweiten Entscheidung in Sachen „Lautsprecherboxen“ eine Zurückverweisung hätte vornehmen müssen. § 95 Abs. 2 BVerfGG sieht dies ausdrücklich vor. Es mag zwar zutreffend sein, dass das OLG keine andere Möglichkeit gehabt hätte, als seinerseits den Beschluss der Strafvollstreckungskammer zu bestätigen. Die Feststellung, welche Entscheidungsspielräume im Einzelfall noch bestehen, ist jedoch allein Sache der Fachgerichte und nicht die des Bundesverfassungsgerichts.1516 e) Ergebnis Hypothese 10 hat sich – anders als die prozessuale – im Kern als unzutreffend erwiesen. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Themenfeld „Besitz von Gegenständen“ ist nicht nur quantitativ vergleichsweise umfangreich, sondern 1513 Vgl. BVerfG NStZ 1994, 100 (100); StV 1994, 432 (433); ZfStrVo 1994, 376 (377); StV 1996, 48 (49); NStZ-RR 1996, 252 (253); NStZ-RR 1997, 24 (25); StV 2001, 38 (39); Beschl. v. 12.6.2002 – 2 BvR 697/02; NJW 2003, 2447 (2447); BVerfGK 3, 105 (106). 1514 Siehe oben D.IV.10.b)aa)(2). 1515 Vgl. hier und im Folgenden BVerfG, Beschl. v. 9.11.2011 – 2 BvR 801/01. 1516 Siehe hierzu bereits oben B.III.1.c)aa); D.IV.2.d) und 7.d).

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D. Die Entscheidungsanalyse

inhaltlich auch durchaus weiterführend. Die Karlsruher Richter haben nämlich zentrale Fragen auf diesem Gebiet einer verfassungsrechtlichen Klärung zugeführt und dabei  – mit Ausnahme einer fehlenden Zurückverweisung nach § 95 Abs.  2 BVerfGG  – auch ihren Kompetenzbereich gewahrt. So hat das Bundes­ verfassungsgericht das Abstellen auf einen abstrakten Gefährdungsmaßstab bei Entscheidungen über die Erteilung einer Besitzerlaubnis für Gegenstände zur Haftraumausstattung sowie zur Freizeitbeschäftigung für zulässig erklärt, die sich aus dem Grundgesetz an den Widerruf einer solchen Genehmigung ergebenden Anforderungen konkretisiert und hat selbiges für das Vorenthalten von Zeitungen/Zeitschriften wiederholt. Dabei hat sich zudem gezeigt, dass selbst im Bereich des soeben analysierten Themenfeldes grundrechtliche Belange in vielfältiger Weise einschlägig sein können, und zwar keineswegs „nur“ die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern vor allem auch die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und 5 Abs. 1 GG. Es ist gleichwohl nicht zu übersehen, dass die einschlägige verfassungsgerichtliche Judikatur nicht in jeder Hinsicht Zustimmung verdient. Das gilt insbesondere mit Blick auf die auch bei den Karlsruher Richtern festzustellende Tendenz, die „Abschottungsmentalität“ der Haftanstalten gegenüber internet- und speicherfähigen Medien hinzunehmen. 11. Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen a) Überblick Quantitativ etwas weniger umfangreich als das soeben analysierte Themenfeld „Besitz von Gegenständen“ ist der Bereich der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu den Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen. Er umfasst insgesamt ein Senatsurteil und 15 Beschlüsse, die sich gleichmäßig auf die 1990er-Jahre (acht) und den Zeitraum ab 2000 (sieben) verteilen. Die erste veröffentlichte Entscheidung ist 1967 ergangen, die bisher letzte im Frühjahr 2011. Der Löwenanteil von zwölf Entscheidungen entfällt auf die Diszplinar-, nur vier hingegen auf die Sicherungsmaßnahmen (einschließlich Einzelhaft gemäß § 89 StVollzG). Zu letzteren können an sich noch drei weitere Beschlüsse hinzugerechnet werden, da es sich auch bei der Verlegung zur sicheren Unterbringung nach § 85 StVollzG um eine Sicherungsmaßnahme handelt. Diese Entscheidungen wurden allerdings aufgrund der thematischen Nähe bereits im Rahmen der Analyse der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Verlegung erörtert,1517 weshalb auf sie im vorliegenden Zusammenhang nicht noch einmal eingegangen wird.

1517

Siehe oben D.IV.4.b)dd).

IV. Ergebnisse

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b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Disziplinarmaßnahmen (1) Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen Ein großer Teil der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu dem in Rede stehenden Themenfeld befasst sich mit den Anforderungen, die das Grundgesetz an die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen stellt. Letztere dienen, wie die Karlsruher Richter in Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht im Schrifttum zutreffend ausgeführt haben, der Sicherung der Voraussetzungen eines auf­ resozialisierende Behandlung ausgerichteten Strafvollzuges.1518 Die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen setzt nach § 102 Abs. 1 StVollzG1519 einen schuldhaften Verstoß des Gefangenen gegen Pflichten, die ihm durch das StVollzG oder aufgrund dieses Gesetzes auferlegt sind, voraus. Die Karlsruher Richter haben hierzu aus verfassungsrechtlicher Perspektive folgende Grundsätze aufgestellt: – Bei Disziplinarmaßnahmen handelt es sich um strafähnliche Sanktionen, für die gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG der Schuldgrundsatz gilt. Hieraus folgt, dass ein Pflichtverstoß, der ohne Schuld des Gefangenen begangen wurde, nicht disziplinarisch geahndet werden kann.1520 – Der Pflichtverstoß muss auf der Grundlage eines hinreichend ermittelten Sachverhalts positiv festgestellt werden. Ein bloßer Verdacht genügt nicht.1521 Die geschilderten Leitlinien sind auch im Schrifttum allgemein anerkannt.1522 Hier werden zudem noch weitere Voraussetzungen diskutiert, wie z. B. die (umstrittene) Problematik, ob der Pflichtverstoß zwingend vorsätzlich begangen worden sein muss oder ob möglicherweise bereits Fahrlässigkeit genügt.1523 Dies bedarf hier freilich keiner weitergehenden Vertiefung, weil zu diesen Fragestellungen bisher noch keine Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts vorliegt. 1518

Vgl. BVerfG StV 1993, 263 (263); NJW 1995, 1016 (1017); AK-Walter, Vor § 102 Rn. 4; SBJL-Laubenthal, § 102 Rn. 1; Arloth, § 102 Rn. 1; Calliess/Müller-Dietz, § 102 Rn. 1. 1519 Im Wesentlichen inhaltsgleich (häufig mit enumerativer Benennung der disziplinarisch ahndbaren Pflichtverletzungen): § 81 Abs. 1 BWJVollzGB III; Art. 109 Abs. 1 BayStVollzG; § 100 Abs.  1 BbgJVollzG; § 85 Satz  1 HmbStVollzG; § 55 Abs.  1 HStVollzG; § 86 Abs.  1 StVollzG MV; § 94 Abs. 1 NJVollzG; § 97 Abs. 1 LJVollzG RLP; § 86 Abs. 1 SLStVollzG; § 90 Abs. 1 SächsStVollzG; § 98 Abs. 1 ThürJVollzGB. 1520 Vgl. BVerfG NJW 1994, 1339 (1339); StV 1994, 263 (263); NJW 1995, 383 (383); NJW 1995, 1016 (1017); BVerfGK 2, 318 (323); 9, 390 (396); ebenso VGH Bayern, Entscheidung v. 9.12.2010 – Vf. 3-VI-09. 1521 Vgl. BVerfG StV 1994, 263 (263); BVerfGK 2, 318 (323 f.); 9, 390 (396). 1522 Vgl. SBJL-Laubenthal, § 102 Rn.  8 f.; AK-Walter, § 102 Rn.  14 f. u. 18; Arloth, § 102 Rn. 7; Calliess/Müller-Dietz, § 102 Rn. 2 u. 13. 1523 Fahrlässigkeit lassen genügen: SBJL-Laubenthal, § 102 Rn. 7; Arloth, § 102 Rn. 7; Calliess/Müller-Dietz, § 102 Rn. 13; a. A. AK-Walter, § 102 Rn. 15 (Vorsatz notwendig).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Steht fest, dass der Gefangene schuldhaft gegen eine ihm obliegende Pflicht verstoßen hat, stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls mit welchen disziplina­ rischen Mitteln er zu sanktionieren ist. Das Bundesverfassungsgericht hat auch hierfür bestimmte Leitlinien aufgestellt, die wie folgt zusammengefasst werden können: – Vor dem Hintergrund des Schuld- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bedarf es bei der Entscheidung, ob und ggf. welche Disziplinarmaßnahme(n) zu verhängen sind einer sorgfältigen Abwägung unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles unter Einbeziehung von Anlass und Auswirkungen einer Sanktionierung.1524 – Dabei ist – entsprechend der Grundsätze der Strafzumessung im engeren Sinne (§ 46 StGB) – auch danach zu fragen, ob die ins Auge gefasste Disziplinarmaßnahme zum Schuldausgleich, zur gebotenen spezialpräventiven Einwirkung auf den Gefangenen oder aus generalpräventiven Erwägungen heraus erforderlich ist oder ob nicht mildere Mittel in Betracht kommen.1525 Diese Grundsätze werden im Schrifttum zwar weitgehend akzeptiert. Eine Minderansicht widerspricht jedoch insofern, als sie die Berücksichtigung von­ generalpräventiven Gesichtspunkten bei der Auswahl und Bemessung von Dis­ ziplinarmaßnahmen nicht für zulässig hält, weil der Strafvollzug allein auf das Vollzugsziel der Resozialisierung ausgerichtet sei.1526 Letzteres ist durchaus zutreffend, spricht aber nicht gegen den Aspekt der Generalprävention. Dies wird deutlich, wenn man sich noch einmal den eingangs erwähnten Zweck der Dis­ ziplinarmaßnahmen vor Augen führt, der im Erhalt der Voraussetzungen für einen auf Wiedereingliederung der Gefangenen ausgerichteten Behandlungsvollzug liegt. Um ein solchermaßen günstiges Umfeld zu gewährleisten, kann es unter Umständen durchaus geboten sein, bei der Ahndung eines Pflichtverstoßes die möglichen Auswirkungen auf die übrigen Inhaftierten mit zu berücksichtigen. Ein Blick auf die einzelnen Entscheidungen zeigt, dass das Bundesverfassungsgericht bisher nur zwei Mal ein Verhalten nicht als disziplinarisch sanktionierbar angesehen hat. In dem ersten Fall, der aus dem Jahr 1995 stammt, ging es um drei Päckchen Tabak, die ein Gefangener einem Mithäftling entgegen der Hausordnung ohne Genehmigung der JVA übergeben hatte und deswegen mit einer Disziplinar­ strafe belegt worden war.1527 Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit Recht beanstandet. Zwar ermächtigt § 161 StVollzG1528 die Vollzugsbehörde zum Erlass von Hausordnungen. Wie die Karlsruher Richter aber in ihrem stattgebenden 1524

Vgl. BVerfG StV 1994, 263 (263). Vgl. BVerfG NJW 1994, 1339 (1339 f.); NJW 1995, 383 (384); 1016 (1018). 1526 So AK-Walter, Vor § 102 Rn. 7. 1527 Vgl. BVerfG StV 1996, 499 (499). 1528 Im Wesentlichen inhaltsgleich: § 15 BwJVollzGB I; Art.  184 BayStVollzG; § 114 BbgJVollzG; § 110 HmbStVollzG; § 79 HStVollzG; § 100 StVollzG MV; § 183 NJVollzG; § 111 LJVollzG RLP; § 100 SLStVollzG; § 113 SächsStVollzG; § 112 ThürJVollzGB. 1525

IV. Ergebnisse

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Kammerbeschluss zutreffend ausführen, gibt dies den Haftanstalten nicht die Befugnis, Einschränkungen zu statuieren, die über diejenigen des StVollzG hinausreichen, denn es gilt: – Auch Disziplinarmaßnahmen unterliegen dem in Art. 103 Abs. 2 GG wurzelnden Verfassungsgebot „nulla poena sine lege“.1529 Nach der gesetzlichen Regelung in § 83 Abs. 1 StVollzG unterliegt jedoch nur die Annahme von Gegenständen einem Zustimmungsvorbehalt der Vollzugsbehörde, entsprechend dem ausdrücklichen Willen des Bundesgesetzgebers aber nicht die Abgabe von Sachen.1530 Letzteres haben die Länder Baden-Württemberg (§ 63 Abs. 1 BwJVollzGB III), Bayern (Art. 90 Abs. 1 BayStVollzG), Brandenburg (§ 56 BbgJVollzG), Hamburg (§ 69 HmbStVollzG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 47 StVollzG MV), Niedersachsen (§ 76 Abs.  1 NJVollzG), Rheinland-Pfalz (§ 55 LJVollzG RLP), Saarland (§ 47 SLStVollzG), Sachsen (§ 47 SächsStVollzG) und Thüringen (§ 56 ThürJVollzGB) allerdings inzwischen geändert. Dort kann die Vollzugsbehörde den Gefangenen nunmehr unter den in den jeweiligen Vorschriften genannten Voraussetzungen verbieten, Gegenstände ohne Zustimmung der JVA an andere abzugeben und ist dementsprechend auch befugt, Verstöße disziplinarisch zu ahnden. Lediglich in Hessen ist für die Abgabe von Gegenständen kein entsprechender Zustimmungsvorbehalt für die Abgabe von Sachen gesetzlich verankert worden (vgl. § 20 Abs. 1 HStVollzG). Erst in jüngerer Vergangenheit hat das Bundesverfassungsgericht außerdem klargestellt, dass sich das in den §§ 3 und 20 Rechtsdienstleistungegesetz vom Grundsatz her verankerte, bußgeldbewehrte Verbot, außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen, nicht an diejenigen richtet, gegenüber denen letztere erbracht wird, so dass einem Gefangenen, der in einer Rechtsangelegenheit die Hilfe eines Mithäftlings entgegennimmt, keine Disziplinarmaßnahme auferlegt werden darf.1531 Anders stellt sich die Situation aber in Bezug auf denjenigen dar, der die Dienstleistung erbringt. Insoweit hatte das Bundesverfassungsgericht für das bis zum 30.6.2008 geltende Rechtsberatungsgesetz in zwei Entscheidungen klargestellt, dass eine disziplinarische Ahndung möglich ist, weil eine unter Verstoß gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 des vorgenannten Gesetzes zu Stande gekommene Hilfe als Störung des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 2 StVollzG angesehen werden könne.1532 Seit 1.7.2008 ist nun das Rechtsdienstleistungsgesetz in Kraft, dessen § 6 es erlaubt, unentgeltlich und ohne juristische Qualifikation Hilfe in rechtlichen Angelegenheiten zu gewähren, sofern diese innerhalb einer familiären, nachbarschaftlichen oder ähnlich engen persönlichen Beziehung erbracht wird. Im Hinblick auf den Strafvollzug 1529

Vgl. BVerfG StV 1996, 499 (500). Vgl. BVerfG, a. a. O.; ebenso SBJL-Ullenbruch, § 83 Rn. 6; AK-Feest/Köhne, 83 Rn. 4; Arloth, § 83 Rn. 4; Calliess/Müller-Dietz, § 83 Rn. 2; Laubenthal, Rn. 700. 1531 Vgl. BVerfG StV 2013, 449 (450). 1532 Vgl. BVerfG NStZ 1998, 103 (103 f.); BVerfGK 9, 390 (396 ff.). 1530

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kann allenfalls die letztgenannte Variante nennenswerte praktische Relevanz erlangen. In aller Regel wird es aber an einer engen persönlichen Verbindung fehlen. Gleichwohl muss in jedem Einzelfall sorgfältig festgestellt werden, ob die jeweilige juristische Hilfestellung mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz vereinbar ist oder nicht.1533 Des Weiteren haben die Karlsruher Richter am 23.4.2008 der Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen stattgegeben, der sich gegen die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen wegen Verweigerns der Gemeinschaftsunterbringung gewandt hatte. Dieses Verfahrensergebnis ist jedoch vor allem den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet und nicht etwa grundsätzlichen Bedenken des Bundesverfassungsgerichts gegen die Möglichkeit, in derartigen Konstellationen mit disziplinarischen Mitteln zu reagieren. Konkret ging es darum, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer Hämorrhoiden-Operation nach jedem Stuhlgang seinen After intensiv waschen musste, um Schmerzen und Entzündungen im Bereich des Darmausgangs zu vermeiden. Er genierte sich zwar, diese Reinigungsmaßnahmen öffentlich im Gemeinschaftshaftraum vorzunehmen, bezog aber zunächst einen solchen. Schon am Tag darauf bestand der Beschwerdeführer allerdings wiederum auf der Zuweisung einer Einzelzelle. Er gab an, dass ihm seine Mithäftlinge verboten hätten, die nur am Waschbecken möglichen Reinigungen seines Afters vorzunehmen. Er habe deshalb auch kein Mittag- und Abendessen mehr zu sich genommen, um einen Stuhlgang zu vermeiden. Die JVA verlegte den Beschwerdeführer daraufhin zwar wieder in einen Einzelhaftraum, verhängte aber zugleich einen siebentägigen Arrest und Besuchsbeschränkungen gegen ihn.1534 Zur Begründung ihrer Vorgehensweise verwies die Vollzugsbehörde zum einen darauf, dass der Anstaltsarzt eine Einzelunterbringung aus medizinischen Gründen nicht für notwendig erachtet habe und zum anderen nicht genügend reguläre Einzelzellen vorhanden gewesen seien, so dass der Beschwerdeführer mit Blick auf den unstreitig einschlägigen § 201 Nr.  3 StVollzG in einen Gemeinschaftshaftraum habe verlegt werden dürfen.1535 Das Bundesverfassungsgericht überzeugte diese Argumentation mit Recht nicht. Der Anstaltsarzt hätte konkret gefragt werden müssen, ob ohne regelmäßige Waschungen des Analbereichs die vom Beschwerdeführer angegebenen Gesundheitsbeeinträchtigungen drohten. Bei Bejahung dieser Frage wäre es sodann allein Aufgabe der zuständigen Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes gewesen, zu entscheiden, ob eine Gemeinschaftsunterbringung in Betracht kommt, und zwar unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im gegebenen Fall eine Verletzung der Menschenwürde im Raum stand.1536 Bei einer solchen Sachlage kann auch ein Mangel an Einzelhafträumen keine Rechtfertigung für eine gemeinschaftliche 1533

Vgl. SBJL-Ullenbruch, § 82 Rn. 3. Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 13, 472 (473). 1535 Vgl. BVerfGK 13, 472 (474). 1536 Vgl. BVerfGK 13, 472 (479). 1534

IV. Ergebnisse

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Unterbringung darstellen.1537 Vielmehr muss dann – wie das Bundesverfassungsgericht ebenfalls zutreffend ausführt – die Verlegung in eine andere Haftanstalt erfolgen.1538 Disziplinarischer Ahndung unterliegen nach Auffassung der Karlsruher Richter zudem die nicht durch gesundheitliche Gründe gerechtfertigte Arbeitsverwei­ gerung1539 und der Verstoß gegen die Anordnung, zum Nachweis eines möglichen Drogenkonsums eine Urinprobe abzugeben1540. Letzteres ist jedoch stark umstritten. Angesichts dessen ist es wenig überzeugend, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner hierzu ergangenen Entscheidung vom 6.8.2009 ausgesprochen knapp und ohne Begründung über die sich stellenden Probleme hinweggeht. Das betrifft zum einen die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anordnung, eine Urinprobe abzugeben, überhaupt gestützt werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht lässt offen, ob § 56 Abs. 2 StVollzG1541 und/oder § 101 Abs. 1 StVollzG1542 einschlägig ist.1543 Ebensowenig setzt es sich näher damit auseinander, wie konkret die Anhaltspunkte für einen illegalen Drogenkonsum sein müssen, um die Abgabe einer Urinprobe anordnen zu können.1544 Schließlich stellt es nur lapidar fest, dass auch das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Verbot eines Zwangs zur Selbstbezichtigung der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen der Weigerung, eine Urinprobe abzugeben, nicht entgegenstehe.1545 Trotz der letztlich fehlenden Begründung verdient der in Rede stehende Beschluss wenigstens im Ergebnis Zustimmung. Hinsichtlich der vom Bundesverfassungsgericht offen gelassenen Frage nach der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage für die durch die Drohung mit disziplinarischen Konsequenzen erwirkte Urinprobe ist zunächst festzustellen, dass § 101 StVollzG von vornherein ausscheiden muss. Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung dieser Vorschrift im 1537

Vgl. BVerfGK 13, 472 (480). Vgl. BVerfG, a. a. O. 1539 Vgl. BVerfG StV 1994, 263 (264). 1540 Vgl. BVerfGK 16, 116 (117 f.). 1541 Inhaltsgleich Art. 58 Abs. 2 BayStVollzG; § 77 Abs. 1 Satz 3 BbgJVollzG; § 65 Abs. 1 Satz 2 StVollzG MV; § 56 Abs. 2 NJVollzG; § 75 Abs. 1 Satz 3 LVollzG RLP; § 65 Abs. 1 Satz 2 SLStVollzG; § 66 Abs. 1 Satz 3 SächsStVollzG; § 76 Abs. 1 Satz 2 ThürJVollzGB; in Baden-Württemberg können Anordnungen zum Gesundheitsschutz und zur Hygiene auf § 32 Abs. 2 BwJVollzGB III gestützt werden, vgl. Arloth, § 32 BwJVollzGB III; in Hessen ist § 23 Abs.  2 HmbStVollzG einschlägig, vgl. Arloth, § 23 HStVollzG; in Hamburg existiert keine § 56 Abs. 2 StVollzG entsprechende Vorschrift, vgl. SBJL-Keppler/Nestler, § 56 Rn. 34. 1542 Die Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge sind in den folgenden Landesvorschriften geregelt: § 80 BwJVollzGB III; Art. 108 BayStVollzG; § 79 BbgJVollzG; § 84 HmbStVollzG; § 25 HStVollzG; § 67 StVollzG MV; § 93 NJVollzG; § 77 LJVollzG RLP; § 67 SLStVollzG; § 68 SächsStVollzG; § 78 ThürJVollzGB. 1543 Vgl. BVerfGK 16, 116 (117); siehe ferner Gericke, StV 2003, 305 (306) m. w. N. zu den verschiedenen Auffassungen. 1544 Vgl. BVerfGK 16, 116 (117) m. zahlreichen Nachweisen zu den verschiedenen Ansichten, die in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum vertreten werden. 1545 Vgl. BVerfGK 16, 116 (117 f.). 1538

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D. Die Entscheidungsanalyse

Abschnitt „Unmittelbarer Zwang“, der in § 95 Abs. 1 StVollzG als „Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen“ legaldefiniert ist. Rein psychischer Druck durch die Drohung mit Disziplinarmaßnahmen ist hiervon nicht erfasst.1546 § 56 Abs. 2 StVollzG kommt hingegen als Rechtsgrundlage in Betracht, wenn die Urinprobe wenigstens auch dem Gesundheitsschutz dienen soll.1547 Da diese Norm eine Mitwirkungspflicht des Gefangenen („hat zu unterstützen“) statuiert, kann eine Zuwiderhandlung grundsätzlich disziplinarisch geahndet werden.1548 Dem steht in der Tat auch nicht der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ entgegen, aber nur soweit es um die Erzwingung der Urinprobe zum Gesundheitsschutz geht. Als Grundlage für ein Disziplinarverfahren wegen unerlaubten Drogenkonsums kann ein gegebenenfalls positives Testergebnis nicht verwendet werden, weil andernfalls der Schutz vor Selbstbezichtigung durch aktive Mitwirkung unterlaufen würde.1549 Dieser Grundsatz ist im Strafprozess anerkannt und muss deshalb auch im Disziplinarverfahren, das schließlich auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts strafähnlichen Charakter hat, ebenfalls gelten. Es ist deshalb richtig, bei einer aus Gründen des Gesundheitsschutzes angeordneten Urinprobe im Falle eines positiven Testergebnisses von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen.1550 Diese Frage hatte das Bundesverfassungsgericht, weil es nicht entscheidungserheblich war, in dem erläuterten Nichtannahmebeschluss vom 6.8.2009 ausdrücklich offen gelassen.1551 Schließlich kann nach Auffassung der Karlsruher Richter auch der Konsum von Alkohol als Verletzung der Pflicht zu einem geordneten Zusammenleben in der JVA (§ 82 Abs. 1 Satz 2 StVollzG1552) disziplinarisch geahndet werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner zweiten Entscheidung zu dem in Rede stehenden Themenfeld „Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen“ vom 8.7.19931553 festgestellt. Es befindet sich damit auf der Linie der allgemeinen Auffassung, die nur darüber streitet, woraus sich das Verbot zum Alkoholkonsum konkret ergibt.1554 Von Interesse ist die vorgenannte Entscheidung aber auch deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht darin die Gelegenheit nutzt, um im Hinblick auf den Arrest, der die schwerste Disziplinarmaßnahme darstellt, einige „Pflöcke“ 1546

Ebenso Arloth, § 101 Rn. 4; AK-Walter, § 101 Rn. 10. Vgl. zur insoweit h. M. SBJL-Keppler/Nestler, § 56 Rn. 23 m. w. N.; a. A. AK-Lesting/Stöver, § 56 Rn. 3. 1548 Vgl. Arloth, § 56 Rn. 9. 1549 Vgl. Gericke, StV 2003, 305 (307). 1550 Vgl. Gericke, a. a. O. 1551 Vgl. BVerfGK 16, 116 (118). 1552 Im Wesentlichen inhaltsgleich § 62 Abs. 1 Satz 2 BwJVollzGB III, § 88 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG; § 85 Abs. 1 Satz 1 BbgJVollzG; § 68 Abs. 2 Nr. 2 HmbStVollzG; § 45 Abs. 3 Satz 2 HStVollzG; § 73 Abs. 1 Satz 1 StVollzG MV; § 75 Abs. 2 Satz 3 NJVollzG; § 83 Abs. 1 Satz 1 LJVollzG RLP; § 73 Abs. 1 Satz 1 SLStVollzG; § 74 Abs. 1 Satz 1 SächsStVollzG; § 84 Abs. 1 Satz 1 ThürJVollzGB. 1553 Vgl. BVerfG NJW 1994, 1339 f. 1554 Näher hierzu AK-Feest/Köhne, § 82 Rn. 5; Arloth, § 82 Rn. 3. 1547

IV. Ergebnisse

343

einzuschlagen. Mit Blick auf den konkreten Sachverhalt hat es zunächst mit Recht festgehalten, dass es weder schuldangemessen noch verhältnismäßig ist, einem Gefangenen wegen eines Schluckes von „Angesetztem“ drei Tage Arrest sowie einen ebenso langen Entzug des täglichen Aufenthalts im Freien aufzuerlegen.1555 Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht aber im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Anordnung eines Arrestes folgenden allgemeinen Grundsatz aufgestellt: – Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, als schwere Verfehlungen im Sinne des § 103 Abs. 2 StVollzG1556 solche Pflichtverstöße anzusehen, die die äußere und innere Sicherheit der JVA durch Ausbruch oder Gewalttätigkeiten gefährden oder durch die das Funktionieren von grundlegenden Arbeits- und Kom­ munikationszusammenhängen in der Anstalt gefährdet wird.1557 In der Literatur wird der Anwendungsbereich für den Arrest zum Teil deutlich enger gezogen und eine Beschränkung auf wiederholte tätliche und nicht folgenlose Angriffe gegen Bedienstete oder Mitgefangene vorgenommen.1558 De lege­ ferenda wird mit Blick auf die Menschenwürde und das Resozialisierungsgebot sowie den Umstand, dass einige Anstalten ohne negative Folgen für die Ordnung gänzlich auf die Verhängung dieser Disziplinarmaßnahme verzichten, vereinzelt sogar deren Abschaffung gefordert.1559 In Brandenburg und Sachsen ist letzteres mittlerweile tatsächlich geschehen – in den Strafvollzugsgesetzen beider Länder ist der Arrest nicht mehr vorgesehen. Darüber hinaus haben die Karlsruher Richter in ihrem Beschluss vom Juli 1993 die Frage nach der Anwendbarkeit des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG beantwortet: – Der Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst nicht den Arrest im Rahmen einer Freiheitsentziehung.1560 Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Auffassung damit, dass dem Gefangenen aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung bereits die Freiheit entzogen sei und sich durch den Arrest der Strafvollzug lediglich der Form nach ändere, worauf sich der in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG angeordnete Richtervorbehalt aber nicht beziehe.1561 Nach der Gegenansicht sind allerdings auch im Rahmen einer bereits bestehenden Freiheitsentziehung weitere, der vorgenannten Verfas­ sungsbestimmung unterfallende Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten 1555

Vgl. BVerfG NJW 1994, 1339 (1340); a. A. Arloth, § 103 Rn. 4. Wortlautidentisch (Ausnahme: in einigen Landesvorschriften fehlt das Tatbestandsmerkmal „mehrfach“) § 82 Abs. 2 BwJVollzGB III; § 110 Abs. 2 BayStVollzG; § 86 Abs. 2 HmbStVollzG; § 55 Abs. 4 Satz 4 HStVollzG; § 86 Abs. 3 StVollzG MV; § 95 Abs. 2 NJVollzG; § 97 Abs. 4 LJVollzG RLP; § 86 Abs. 3 SLStVollzG; § 98 Abs. 4 ThürJVollzGB. 1557 Vgl. BVerfG NJW 1994, 1339 (1340). 1558 Vgl. AK-Walter, § 103 Rn. 16 m. w. N. 1559 So AK-Walter, § 103 Rn. 17. 1560 Vgl. BVerfG NJW 1994, 1339 (1339); ebenso VGH Bayern, Entscheidung v. 9.12.2010 – Vf. 3-VI-09. 1561 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1556

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D. Die Entscheidungsanalyse

denkbar. Letztere müssten nur intensiv genug sein.1562 Das ist freilich ein wenig griffiges Kriterium. Zwar mag man den gemäß § 104 Abs. 5 Satz 1 StVollzG in Einzelhaft vollzogenen Arrest als eine hinreichend intensive weitere Freiheitsbeschränkung ansehen. Müsste dann aber, was – soweit ersichtlich – von niemandem vertreten wird, die Rückverlegung vom offenen in den geschlossenen Vollzug (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 StVollzG) nicht konsequenterweise auch dem Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG unterfallen? Es lässt sich schließlich kaum bestreiten, dass ein solcher Vollzugswechsel für den Betroffenen mit einer ganz erheblichen zusätzlichen Freiheitsbeschränkung verbunden ist. Man muss sich auch die Frage stellen, was mit einer solch extensiven Interpretation des Richtervorbehalts überhaupt gewonnen wäre. Die gerichtliche Kontrolle in Strafvollzugssachen konnte ohnehin schon nicht einmal annähernd die bei der Schaffung des StVollzG in sie gesetzten Erwartungen erfüllen1563 und daran wird sich gewiss nichts dadurch ändern, dass man durch eine (zu) weite Interpretation des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die sowieso schon hohe Arbeitsbelastung der Gerichte noch weiter vergrößert. Vor dem geschilderten Hintergrund ist der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Richtervorbehalt für den Disziplinararrest im Strafvollzug nicht gilt, zuzustimmen. (2) Besonderheiten bei der Sanktionierung von Meinungsäußerungen In den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zu den Disziplinarmaßnahmen steht regelmäßig das Grundrecht des Gefangenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Schuldgrundsatz im Mittelpunkt. Geht es um die disziplinarische Ahndung von (beleidigenden) Äußerungen Gefangener, ist zusätzlich die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG einschlägig, die gemäß Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken u. a. in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze findet. Zu letzteren gehören auch die §§ 82, 102 ff. StVollzG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sind diese Schranken ihrerseits im Lichte der von ihnen eingeschränkten Grundrechte auszulegen und anzuwenden, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommen kann.1564 Konkret bedeutet dies, dass die Haftanstalt im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung auch ermitteln muss, in welchem Zusammenhang, aus welchem Anlass und in welchem Maß die beanstandeten Äußerungen zur Störung eines geordneten Vollzuges führen können.1565

1562

So Bemmann, NJW 2000, 3116 (3116). Näher hierzu LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 3 sowie unten D.IV.12.c). 1564 Vgl. BVerfG NJW 1995, 383 (383); 1016 (1017) jeweils m. w. N. 1565 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1563

IV. Ergebnisse

345

Der geschilderten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zuzustimmen. Nur bei strikter Beachtung der genannten Vorgabe ist sichergestellt, dass tatsächlich der in den beanstandeten Äußerungen liegende Verstoß gegen die in § 82 StVollzG geregelten Verhaltenspflichten geahndet wird und nicht etwa die – möglicherweise ehrkränkende – Kundgabe als solche.1566 Genau diese Gefahr dürfte sich aber z. B. in dem Fall realisiert haben, der dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 11.2.1994 zu Grunde liegt. Hier hatte der Beschwerdeführer beim bayerischen Justizministerium wegen der Nichtaushändigung verschiedener Gegenstände eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen zwei Beamte seiner JVA eingereicht und diese dabei nach Ansicht der Haftanstalt massiv beleidigt („hirnverbrannte Kommentare“, „an der Grenze des Schwachsinns tümpelnd“, „pervers“, „der ins Fett geratene F“ u. a.).1567 Die JVA wertete die Äußerungen als schwerwiegende Störung für die auf Erreichung des Vollzugsziels ausgerichtete Zusammenarbeit aller am Behandlungsvollzug beteiligten Personen, für die ein berechtigtes Interesse nicht erkennbar sei und ordnete vier Wochen getrennte Unterbringung während der Freizeit, sieben Tage Entzug des täglichen Aufenthalts im Freien sowie zehn Tage Arrest an.1568 LG und OLG bestätigten die Entscheidung der JVA. Das Bundesverfassungsgericht beanstandete die mangelhafte Sachverhaltsaufklärung.1569 Anlass und Umstände der Dienstaufsichtsbeschwerde seien nicht ermittelt worden. Es bleibe unklar, inwiefern die monierten Äußerungen im Zusammenhang mit den vom Beschwerdeführer in seiner Dienstaufsichtsbeschwerde verfolgten Anliegen stünden und inwieweit sich der Beschwerdeführer hiermit gegen die von ihm als schikanös empfundene Nichtaushändigung diverser Gegenstände habe zur Wehr setzen wollen. Außerdem werde nicht dargelegt, auf welche Weise die Äußerungen auf das geordnete Zusammenleben in der Haftanstalt hätten einwirken können, denn diese seien schließlich nicht direkt gegenüber den betroffenen Bediensteten oder anderen Gefangenen, sondern an das bayerische Justizministerium gerichtet gewesen. Angesichts dieser Defizite ist es nachvollziehbar, wenn das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss gelangt, dass eine schuldangemessene und verhältnismäßige Sanktionierung im gegebenen Fall von vornherein nicht möglich gewesen sei. Unabhängig davon ist von JVA und Fachgerichten auch in keiner Weise begründet worden, aufgrund welcher Erwägungen im Sinne des § 46 StGB sie zu der ausgesprochen rigiden Ahndung der Äußerungen des Beschwerdeführers gelangt sind.1570 Man kann sich vor dem geschilderten Hintergrund des Eindrucks nicht erwehren, dass für die JVA vor allem die Empörung über die zum Teil durchaus diffamierenden Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Dienstaufsichtsbeschwerde entscheidungslenkend gewesen ist und weniger die Frage, inwieweit die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen für 1566

Vgl. BVerfG, a. a. O. Vgl. BVerfG NJW 1995, 383 (383). 1568 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1569 Vgl. hier und im Folgenden BVerfG NJW 1995, 383 (384). 1570 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1567

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D. Die Entscheidungsanalyse

ein geordnetes Zusammenleben in der Anstalt als Voraussetzung für die Erreichung des Vollzugsziels tatsächlich notwendig war. Unter Einbeziehung der unter (1) erörterten Entscheidungen ergibt sich somit aus der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Pflichtverstößen und ihrer etwaigen disziplinarischen Ahndung das in Abbildung 10 dargestellte Gesamtbild. Disziplinarische Ahndung möglich

Disziplinarische Ahndung nicht möglich

– Annahme von Sachen (ggf. Ausnahmen bei Geringwertigkeit des Gegenstandes) – Anbieten unerlaubter Rechtsberatung – Verweigerung einer zulässigen Gemeinschaftsunterbringung – Nicht durch gesundheitliche Gründe gerechtfertigte Arbeitsverweigerung – Alkoholkonsum – Verweigerung der Abgabe einer Urinprobe – Beleidigung des Vollzugspersonals

– Abgabe von Sachen, sofern in den Vorschriften zum Tauschhandel nicht verboten – Inanspruchnahme illegaler Rechtsberatung

Abbildung 10: Disziplinarrelevanz verschiedener Verhaltensweisen nach dem BVerfG

(3) Anforderungen an die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes Das Bundesverfassungsgericht hat zudem die Anforderungen konkretisiert, die für die Gewährung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gelten und dabei im Hinblick auf die Kontrollkompetenzen der Fachgerichte folgende Kernaussagen getroffen: – Die Feststellung, ob der Gefangene einen schuldhaften Pflichtverstoß begangen hat, ist rechtlicher Natur und unterliegt daher in vollem Umfang der fachgerichtlichen Überprüfung.1571 – Hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidung der JVA erfolgt hingegen nur eine Kontrolle auf Ermessensfehler (vgl. § 115 Abs. 5 StVollzG).1572 1571

Vgl. BVerfGK 2, 318 (325). In dem Urteil des Zweiten Senats vom 15.2.1967 [= BVerfGE 21, 191 (195 f.)] wurde ein entsprechender Grundsatz bereits für das damals geltende Verfahren zur Überprüfung von Strafvollzugsmaßnahmen durch die erstinstanzlich zuständigen Oberlandesgerichte gemäß den §§ 23 ff. EGGVG aufgestellt. So heißt es in dieser Entscheidung: „Die Oberlandesgerichte haben, wenn sie über die Rechtmäßigkeit von Justizverwaltungsakten entscheiden, nicht die Stellung von Revisionsgerichten, die den (richterlich) festgestellten Sachverhalt nicht nachzuprüfen haben, sondern sind, wie jede verwaltungsgerichtliche Tatsacheninstanz, verpflichtet, den Sachverhalt selbst festzustellen.“ 1572 Vgl. BVerfG StV 1994, 263 (263); NJW 1995, 383 (384); 1016 (1017).

347

IV. Ergebnisse

Diese Grundsätze sind zutreffend und auch im Schrifttum allgemein anerkannt.1573 Die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Aufgaben/Kompetenzen der Vollzugsbehörden und der Gerichte in Bezug auf die Verhängung und Überprüfung von Disziplinarmaßnahmen lassen sich somit wie in Abbildung 11 dargestellt zusammenfassen. Haftanstalt

Strafvollstreckungskammer

Feststellung eines schuldhaften Pflichtverstoßes

vollständige Ermittlung des Sachverhalts

umfassende Kontrolle der JVA möglich

Verhängung einer Disziplinarmaßnahme

Entschließungs- und Auswahlermessen

Kontrolle nur im Hinblick auf Ermessensfehler

Maßstab: Schuld- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Abbildung 11: Aufgaben/Kompetenzen von JVA und Strafvollstreckungskammer bei Disziplinarmaßnahmen nach Auffassung des BVerfG

Während das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Rechtsprechung zu den Disziplinarmaßnahmen „nur“ die soeben erläuterte Kompetenzverteilung zwischen Vollzugsbehörden und Fachgerichten klargestellt hat, ergeben sich aus seinen eigentlich das Themenfeld „Rechtsschutz“ betreffenden Entscheidungen sehr dezidierte weitere Vorgaben für die gerichtliche Überprüfung von Maßnahmen im Sinne der §§ 102 f. StVollzG. Aufgrund des engen Sachzusammenhangs ist es daher geboten, auf die entsprechenden Beschlüsse1574 bereits an dieser Stelle einzugehen. Effektiver Rechtsschutz gegen die Anordnung von Disziplinarmaßnahmen heißt vor allem schnellstmöglich Eilrechtsschutz zu gewähren, denn Maßnahmen im Sinne der §§ 102 f. StVollzG sind gemäß § 104 Abs. 1 StVollzG1575 in der Regel sofort zu vollstrecken und auch der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat nach § 114 Abs. 1 StVollzG keine aufschiebende Wirkung. Allein in den Jahren 1993 und 1994 hat das Bundesverfassungsgericht in nicht weniger als sieben Entscheidungen zu verdeutlichen versucht, was die Fachgerichte im Einzelnen zu leisten haben – nämlich Folgendes:

1573

Vgl. SBJL-Laubenthal, § 102 Rn. 9; AK-Walter, § 106 Rn. 10; Arloth, § 102 Rn. 10. Vgl. BVerfG NJW 1994, 3087 ff.; 3089 u. 3089 f.; Beschl. v. 6.12.1993 – 2 BvR 1499/93; ZfStrVo 1994, 245 ff.; Beschl. v. 14.2.1994 – 2 BvR 2091/93; NJW 2001, 3770 f.; BVerfGK 8, 118 ff. 1575 § 83 Abs. 1 BwJVollzGB III; Art. 111 Abs. 1 BayStVollzG; § 101 Abs. 1 BbgJVollzG; § 87 Abs. 1 HmbStVollzG; § 56 Abs. 3 Satz 1 HStVollzG; § 87 Abs. 1 StVollzG MV; § 96 Abs. 1 NJVollzG; in den übrigen Landesvorschriften ist jeweils zusätzlich bestimmt, dass die Vollstreckung auszusetzen ist, soweit dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist, vgl. § 98 Abs. 1 LJVollzG RLP; § 87 Abs. 1 SLStVollzG; § 91 Abs. 1 SächsStVollzG; § 99 Abs. 1 ThürJVollzGB. 1574

348

D. Die Entscheidungsanalyse

– Bei nicht mehr rückgängig zu machenden und sofort vollzogenen Disziplinarmaßnahmen hat die Strafvollstreckungskammer unverzüglich darüber zu entscheiden, ob die Maßnahme auszusetzen ist. – Der nicht schlüssig begründete Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 114 Abs.  2 StVollzG kann umgehend als unzulässig verworfen werden, wenn das Gericht nicht Veranlassung hat, sich  – gegebenenfalls auch telefonisch – beim Betroffenen oder bei der JVA um weitere Sachverhaltsaufklärung zu bemühen. Andernfalls hat das Gericht nach Maßgabe des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG zu entscheiden. – In besonderen Fällen kann der Vollzug einer Disziplinarmaßnahme ohne Zu­ warten auf die Stellungnahme der JVA auszusetzen sein.1576 Der Blick auf einige Sachverhalte, die den Entscheidungen zu Grunde lagen, in denen das Bundesverfassungsgericht die eben genannten Leitlinien formuliert hat, ruft eine gewisse Fassungslosigkeit hervor, denn es ist geradezu frappierend, mit welcher Sorglosigkeit Strafvollstreckungskammern dort zum Teil agiert und Anträge nach § 114 Abs. 2 StVollzG selbst bei schon begonnener Arrestvollstreckung so behandelt haben, als seien es gewöhnliche Verfahren. In mehreren Fällen hatten die Beschwerdeführer ihren Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur unzureichend begründet (u. a. fehlende Angaben zum Pflichtverstoß und zu den Gründen, die gegen einen sofortigen Vollzug der Disziplinarmaßnahme sprechen). Es ist daher an sich richtig, wenn die Strafvollstreckungskammern in einer derartigen Situation versuchen, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Dies darf aber selbstverständlich nicht so geschehen, als ginge es um die Entscheidung über die Gewährung einer in sechs Monaten anstehenden Ausführung o.ä., sondern muss mit der gebotenen Beschleunigung durchgeführt werden. Verbüßt der Gefangene zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages nach § 114 Abs. 2 StVollzG bereits einen Arrest, darf das Gericht der JVA für die Abgabe einer Stellungnahme nicht eine zu lange Frist setzen, sondern muss gegebenenfalls zur sofortigen Äußerung per Telefon oder Fax auffordern.1577 Die Strafvollstreckungskammer kann der Vollzugsbehörde auch aufgeben, ihre Stellungnahme unmittelbar dem Gefangenen zur Gegenäußerung zukommen zu lassen, anstatt diese (womöglich postalisch) an das Gericht zu versenden, das dann wiederum den Gefangenen informieren und zur Erwiderung auffordern muss.1578 Auch gerichtsinterne Verzögerungen 1576 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK, 8, 118 (122 f.); BVerfG NJW 2001, 3770 (3770 f.); 1994, 3087 (3088); ZfStrVo 1996, 46 (47); 1995, 371 (373 f.); 1994, 245 (247); BVerfG, Beschl. v. 14.2.1994  – 2 BvR 2091/93; Beschl. v. 6.12.1993  – 2 BvR 1499/93; zustimmend LNNV-Bachmann/Neubacher, § 114 Rn. 1; SBJL-Laubenthal, § 114 Rn. 2; AK-Kamann/Spaniol, § 114 Rn. 4; Arloth, § 114 Rn. 3; Calliess/Müller-Dietz, § 114 Rn. 2; Neubacher, BewHi 2011, 82 (92 f.). 1577 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.12.1993 – 2 BvR 1499/93; ZfStrVo 1994, 245 (247); Beschl. v. 14.2.1994 – 2 BvR 2091/93; BVerfGK 8, 118 (124); ebenso VGH Berlin, Beschl. v. 27.6.2006 – 174/03. 1578 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.12.1993 – 2 BvR 1499/93; BVerfGK 8, 118 (124).

IV. Ergebnisse

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sind zu vermeiden, weshalb die notwendigen Verfügungen vom zuständigen Richter unverzüglich zu erlassen und als „eilbedürftig“ zu kennzeichnen sind, was in der Vergangenheit ebenfalls nicht immer beachtet wurde.1579 Schließlich zeigt ein Blick auf die von den Karlsruher Richtern behandelten Fälle, dass nicht einmal die gebotene Ernsthaftigkeit bei der fachgerichtlichen Entscheidung über Eilanträge ausnahmslos sichergestellt ist. So lag dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 11.6.2003 die Verfassungsbeschwerde eines kleinwüchsigen Gefangenen zu Grunde, der die ihm zugewiesene Arbeit verweigert hatte, weil ihm von der JVA unpassende Arbeitskleidung (zu lange Hose und zu große Schuhe) zur Verfügung gestellt worden war, wodurch er sich nicht nur dem Risiko von Arbeitsunfällen, sondern auch der Lächerlichkeit ausgesetzt sah.1580 Nachdem die Haftanstalt verschiedene Disziplinarmaßnahmen wegen Arbeits­ verweigerung gegen den 43-jährigen Inhaftierten verhängt hatte, beantragte dieser deren vorläufige Aussetzung. Die Strafvollstreckungskammer lehnte dies jedoch ab und begründete dies u. a. damit, dass es allgemein bekannt sei, dass es „durchaus heutigen modischen Vorstellungen entspricht, wenn der Schritt des Beinkleides bis zu den Kniekehlen reicht“.1581 Das Bundesverfassungsgericht rügte mit fast schon bewundernswerter Contenance, dass die Strafvollstreckungskammer mit dieser Erwägung ein Bewusstsein für die Grundrechtsrelevanz des Sachverhalts habe vermissen lassen und erinnerte zugleich daran, dass ein Strafgefangener wie jeder andere Rechtssuchende eine sachliche Auseinandersetzung mit seinem Anliegen erwarten dürfe.1582 Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass sich das Bundesverfassungsgericht in durchweg zustimmungswürdiger Weise um die Stärkung des aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebots, effektiven Rechtsschutz gegen die Disziplinarmaßnahmen des Strafvollzugsgesetzes zu gewähren, verdient gemacht hat. bb) Sicherungsmaßnahmen (1) Durchsuchungen im Sinne des § 84 StVollzG Das in Rede stehende Themenfeld umfasst, wie bereits erwähnt, auch vier Entscheidungen zu den Sicherungsmaßnahmen, die nun im Folgenden im Fokus stehen sollen. Zwei der einschlägigen Beschlüsse betreffen die Problematik der 1579 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.12.1993 – 2 BvR 1499/93; NJW 2001, 3770 (3771) – hier blieb der Eilantrag so lange unbearbeitet liegen, bis sich dessen Eilbedürftigkeit aufgrund der Aussetzung der Disziplinarmaßnahmen zur Bewährung von selbst erledigt hatte; siehe auch VerfG Brandenburg, Beschl. v. 19.2.2009 – 7/09 (unterschiedslose Bearbeitung aller Verfahren in der Reihenfolge ihres Eingangs). 1580 Vgl. BVerfGK 1, 201 ff. 1581 Vgl. BVerfGK 1, 201 (202). 1582 Vgl. BVerfGK 1, 201 (207).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Durchsuchungen im Sinne des § 84 StVollzG.1583 Nach Abs.  1 dieser Vorschrift dürfen Gefangene, deren Sachen und die Hafträume durchsucht werden. Mit Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchungen sind nach Abs. 2 unter den dort genannten Voraussetzungen bei Gefahr im Verzuge (Satz 1 Alt. 1) oder auf Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall (Satz 1 Alt. 2) sowie gemäß Abs. 3 allgemein u. a. nach Besuchskontakten zulässig. Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem stattgebenden Kammerbeschluss vom 29.10.2003 klargestellt, dass die in § 84 StVollzG vorgesehene Abstufung der Anordnungsbefugnisse nicht überspielt werden darf. Daher gilt seiner Auffassung nach folgender, im Einklang mit der allgemeinen Ansicht im Schrifttum stehender Grundsatz: – Eine auf § 84 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StVollzG gestützte Maßnahme darf nicht zu einer Vollzugspraxis führen, bei der pauschal alle oder fast alle Gefangenen vor jedem Besuch durchsucht werden.1584 In dem zu Grunde liegenden Fall gehörte es offenbar zur Vollzugspraxis der­ betreffenden Haftanstalt, dass Gefangene vor der Besuchszuführung routinemäßig entkleidet und körperlich durchsucht wurden. Jedenfalls hatte es die Strafvoll­ streckungskammer versäumt, auf das entsprechende Vorbringen des Beschwerdeführers hin zu ermitteln, ob seitens der JVA tatsächlich die von § 84 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StVollzG geforderte Einzelfallprüfung durchgeführt worden war. Sie konnte sich nämlich – wie das Bundesverfassungsgericht mit Recht moniert – nicht auf die Annahme berufen, es sei allein Sache der Haftanstalt, die Gründe einer Anordnung im Sinne der vorgenannten Regelung zu beurteilen.1585 Am 6.7.2006 haben sich die Karlsruher Richter in einem Nichtannahmebeschluss noch ein weiteres Mal mit Maßnahmen im Sinne des § 84 Abs.  2 StVollzG befassen müssen. Dabei wurde klargestellt: – Eine Durchsuchung fällt nur dann in den Anwendungsbereich von § 84 Abs. 2 StVollzG, wenn der Betroffene sich damit unter visueller Überwachung durch das Vollzugspersonal entkleiden muss.1586 Anlass für diese Klarstellung war die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen, der sich dagegen gewandt hatte, dass aufgrund einer Verfügung des Anstaltsleiters, alle Inhaftierten vor der Zuführung zum Besuch hinter einem Schamvorhang ihre private Kleidung gegen anstaltseigene Freizeitanzüge austauschen und sich danach einer körperlichen Durchsuchung durch Abtasten und den Einsatz 1583

Ähnliche Befugnisse sind in den Landesgesetzen vorgesehen, vgl. § 64 BwJVollzGB III; Art. 91 BayStVollzG; § 86 BbgJVollzG; § 70 HmbStVollzG; § 46 HStVollzG; § 74 StVollzG MV; § 77 NJVollzG; § 84 LJVollzG RLP; § 74 SLStVollzG; § 75 SächsStVollzG; § 85 ThürJVollzGB. 1584 Vgl. BVerfGK 2, 102 (106); ebenso SBJL-Ullenbruch, § 84 Rn. 5; AK-Feest/Köhne, § 84 Rn. 6; Arloth, § 84 Rn. 5; Calliess/Müller-Dietz, § 84 Rn. 9; Esser, JuS 2010, 142 (146) für die parallele Regelung in Art. 91 BayStVollzG. 1585 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1586 Vgl. BVerfGK 8, 363 (367).

IV. Ergebnisse

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elektronischer Sonden unterziehen mussten.1587 Die Berufung des Beschwerdeführers auf die soeben erörterte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29.10.2003 zu § 84 Abs. 2 StVollzG überzeugte die Karlsruher Richter allerdings nicht. Das ist nachvollziehbar, denn die beiden zu Grunde liegenden Sachverhalte unterscheiden sich in einem ganz zentralen Punkt. Während es nämlich in dem Beschluss vom 29.10.2003 darum ging, dass sich die Gefangenen vor den Augen der Vollzugsbediensteten entkleiden mussten und dann eine körperliche Durchsuchung stattfand, wurden die Inhaftierten in dem Fall vom 6.7.2006 zu keinem Zeitpunkt in nacktem Zustand in Augenschein genommen. Es handelt sich hier nicht um die (rechtswidrige) allgemeine Anordnung, mit Entkleidung verbundene Durchsuchungen im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG vorzunehmen, sondern um zwei in engem zeitlichen Zusammenhang stehende (zulässige) Anweisungen gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 StVollzG (Wechsel von Privat- auf Anstaltskleidung) sowie nach § 84 Abs. 1 StVollzG (Durchsuchung von bekleideten Gefangenen).1588 (2) Allgemeine Anforderungen bei Maßnahmen im Sinne der §§ 88, 89 StVollzG Vor dem Hintergrund zweier Verfassungsbeschwerden zur Fesselung (§ 88 Abs. 2 Nr. 6 StVollzG) und zur Einzelhaft (§ 89 StVollzG) hat das Bundesverfassungsgericht sowohl die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als auch die eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes hervorgehoben. Danach gilt: – Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich, dass Maßnahmen im Sinne der §§ 88 und 89 StVollzG1589 zu beenden sind, wenn aufgrund der gegebenen Anhaltspunkte nicht mehr von einer erhöhten Fluchtgefahr ausgegangen werden kann oder mildere Mittel in Betracht kommen.1590 – Es ist zu beachten, dass die mit der Verhängung besonderer Sicherungsmaßnahmen verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigungen (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und 20 Abs. 3; Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) mit zunehmender Dauer­ immer gewichtiger werden.1591 – Die Verfahrensregelungen des StVollzG sind so auszulegen und anzuwenden, dass der Gefangene eine Art. 19 Abs. 4 GG entsprechende regelmäßige gerichtliche 1587

Vgl. BVerfGK 8, 363 (364). So mit Recht BVerfGK 8, 363 (367). 1589 Den §§ 88, 89 StVollzG entsprechen folgende Landesvorschriften: §§ 67, 68 BwJVollzGB III; Art.  96, 97 BayStVollzG; §§ 90, 91 Abs.  5 u. 6 BbgJVollzG; § 74 HmbStVollzG; § 50 HStVollzG; §§ 78, 79 Abs.  5 u. 6 StVollzG MV; §§ 81, 82 NJVollzG; §§ 88, 89 Abs.  5 u. 6 LJVollzG RLP; §§ 78, 79 Abs. 5 u. 6 SLStVollzG; §§ 83, 84 Abs. 5 u. 6 SächsStVollzG; §§ 89, 90 Abs. 5 u. 6 ThürJVollzGB. 1590 Vgl. BVerfG NStZ 1999, 428 (429). 1591 Vgl. BVerfG, a. a. O.; BlStVK 1997, Nr. 3, 6 f. 1588

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D. Die Entscheidungsanalyse

Überprüfung erlangen kann, ob die weitere Aufrechterhaltung von Maßnahmen im Sinne der §§ 88 und 89 StVollzG noch verhältnismaßig und sonst grundrechtskonform ist.1592 Sicherungsmaßnahmen und Einzelhaft sind besonders grundrechtsintensive Maßnahmen. Es versteht sich daher eigentlich von selbst, dass sie nur dann und so lange zum Einsatz kommen können wie es unbedingt notwendig ist. Der stattgebende Kammerbeschluss vom 13.4.1999 zeigt aber, dass (auch) darauf kein Verlass ist. Der Beschwerdeführer des Verfahrens verbüßte eine langjährige Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung und versuchte zwischen 1991 und 1995 mehrfach aus der Haft zu fliehen. Aufgrund eines mit einem Mitinsassen unter­nommenen Ausbruchsversuchs wurde er u. a. wegen Gefangenenmeuterei und gefährlicher Körperverletzung zu einer weiteren Freiheitsstrafe verurteilt.1593 Mit Blick auf die erhebliche Fluchtgefahr wurden gegen den Beschwerdeführer verschiedene Sicherungsmaßnahmen angeordnet, die ab Januar 1994 durch die zusätzlich angeordnete Einzelhaft zu seiner vollständigen Isolation von den Mitgefangenen führte. Im selben Jahr wurden die verhängten Sicherungsmaßnahmen erstmals einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen, wobei es nur in einem Fall tatsächlich zu einer Prüfung in der Sache gekommen ist. Bezüglich späterer Anträge sah die JVA zum Teil gänzlich von einer Bescheidung ab, und zwar mit der Begründung, dass es sich um die bloße Wiederholung früherer Gesuche handele. Nachdem die Vollzugsbehörde im Juli 1997 erneut die Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen abgelehnt hatte, wurde im Zuge einer Beschwerde des Gefangenen beim zuständigen Landesministerium eine Stellungnahme des Anstaltsarztes eingeholt, in der dieser erhebliche Bedenken hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Isolation äußerte, da nicht sicher sei, ob der Beschwerdeführer unter diesen Bedingungen weiter überleben könne. Bei diesem seien Anzeichen einer tiefen Depression erkennbar, die therapeutisch oder medikamentös nicht behandelt werden und auch ohne Suizid zum Tod führen könne. Das zuständige Ministerium wies die Beschwerde gleichwohl zurück. Weitere Anträge auf gerichtliche Entscheidung blieben ebenfalls erfolglos. Zur Begründung wurde vor allem vorgebracht, dass der Beschwerdeführer seine Gesuche trotz rechtskräftiger Entscheidungen immer wiederhole, weshalb die JVA auf eine förmliche Verbescheidung verzichten könne. Darüber hinaus seien die Sicherungsmaßnahmen mangels eines milderen Mittels ohnehin verhältnismäßig. Die Karlsruher Richter kritisierten die in dem geschilderten Fall gerade auch von der zuständigen Strafvollstreckungskammer gezeigte Vorgehensweise des schnellen „vom Tisch wischens“ scharf. Zwischen der letzten, wenigstens teilweisen sachlichen Überprüfung der Sicherungsmaßnahmen und dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom Januar 1998 lagen mehr als zweieinhalb Jahre, was das Bundesverfassungsgericht zu folgender Feststellung veranlasste: 1592

Vgl. BVerfG NStZ 1999, 428 (429). Vgl. hier und im Folgenden BVerfG NStZ 1999, 428 (428).

1593

IV. Ergebnisse

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„Dass dem [Beschwerdeführer] nunmehr – schon allein wegen des Zeitablaufs – die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes zu eröffnen und über die Verhältnismäßigkeit des weiteren Fortbestands der Maßnahmen in der Sache zu befinden war, konnte keinem ernsthaften Zweifel unterliegen. Nachdem der Anstaltsarzt im Verfahren darüber hinaus noch dargelegt hatte, daß unter diesen Bedingungen erhebliche Bedenken gegen die weitere Überlebensfähigkeit des [Beschwerdeführers] bestünden, wurde die Gewährung von Rechtsschutz vollends unabweislich. Daß die StVK das Begehren des [Beschwerdeführers] bei dieser Sachlage dennoch als eine bloße Antragswiederholung aufgefaßt und eine Überprüfung der besonderen Sicherungsmaßnahmen in der Sache abgelehnt hat, läßt befürchten, daß sie Bedeutung und Tragweite von Art. 19 Abs. 4 GG als Gewährleistung effek­tiven Grundrechtsschutzes grundlegend verkannt hat.“1594

In der Tat ist es unverständlich, dass es die Strafvollstreckungskammer trotz des ganz massiven Eingriffs in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht für notwendig erachtet hat, alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, um – z. B. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens oder die persönliche Anhörung des Anstaltsarztes und der zuständigen Vollzugsbediensteten – den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und das Ausmaß des von ihm noch ausgehenden Fluchtrisikos genau festzustellen.1595 Mildere Mittel, wie z. B. die Verlegung zur sicheren Unterbringung nach § 85 StVollzG, wurden zudem gar nicht erst geprüft.1596 Es ist gewiss zu begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht mit der geschilderten Entscheidung gewissermaßen einen „Weckruf“ an die Strafvollstreckungskammern gesendet und ihnen an einem fast schon skandalösen Fall vor Augen geführt hat, dass ihre zentrale Aufgabe die Gewährung und nicht die Verweigerung effektiven Rechtsschutzes ist. Die Haftanstalten haben – dies sei ergänzt – ihrerseits alles zu unterlassen, was der Verwirklichung des Art. 19 Abs. 4 in der Vollzugspraxis entgegensteht. Hierzu gehört beispielsweise auf fragwürdige Manöver wie die kurzfristige Anordnung und Vollstreckung von besonderen Sicherungsmaßnahmen etwa an Freitagnachmittagen zu verzichten, wenn ein solchermaßen unverzügliches Vorgehen nicht zwingend erforderlich ist.1597 cc) Fazit Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen verdient nach hier vertretener Auffassung vollumfänglich Zustimmung. Sie ist auch im übrigen Schrifttum überwiegend auf allgemeine Akzeptanz gestoßen. Hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit generalpräventiver Gesichtspunkte bei der Bemessung einer Disziplinarmaßnahme, der Sanktionierbarkeit bei 1594

Vgl. BVerfG NStZ 1999, 428 (429). So mit Recht BVerfG, a. a. O. 1596 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1597 Vgl. AK-Feest/Köhne, § 88 Rn. 20; AK-Kamann/Spaniol, § 114 Rn. 4. 1595

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D. Die Entscheidungsanalyse

der Verweigerung eine Urinprobe abzugeben oder der Frage, ob der Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG auf den Disziplinararrest anwendbar ist, werden in der Literatur zwar zum Teil abweichende Auffassungen vertreten, die jedoch, wie erläutert, nicht zu überzeugen vermögen. Eine gewisse Kritik verdient allerdings der Nichtannahmebeschluss vom 6.8.2009 zur Frage der disziplinarischen Ahndung bei Verstößen gegen die Anweisung, eine Urinprobe abzugeben. Hier kann der Umstand, dass den Karlsruher Richtern im Ergebnis zugestimmt werden kann, nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Argumentation, die ohne Begründung die sich stellenden Probleme kurzerhand „aus dem Weg räumt“, wenig vorbildlich ist. c) Historische Einordnung Die veröffentlichte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen weist Parallelen zu derjenigen zur Vollzugsplanung auf, die ebenfalls ab den 1990er-Jahren deutlicher in den Fokus der Karlsruher Richter gerückt ist und in deren Rahmen die Stärkung eines effektiven Rechtsschutzes gleichsam eine wichtige Rolle spielt.1598Anders als bei der Vollzugsplanung und den meisten anderen Themenfeldern steht bei der Judikatur zu den Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen allerdings nicht die Etablierung des Resozialisierungsgebotes als übergeordnete Intention im Vordergrund, sondern die des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie – bezüglich der Maßnahmen im Sinne der §§ 102 f. StVollzG – auch des Schuldprinzips. Die beiden vorgenannten Verfassungsgebote waren in den 1990er-Jahren bereits fest in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verankert, gewannen also nicht erst anlässlich der Entscheidungen zu den Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen an Bedeutung. So rekurrierten die Karlsruher Richter schon in den 1950er-Jahren auf das Schuldprinzip1599, selbiges gilt für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz1600. Es ist aber das Verdienst des Bundesverfassungsgerichts, diese Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips auch im Bereich der vollzuglichen Disziplinar- und Sicherungsmaß­ nahmen stärker in Erinnerung gerufen zu haben. Wie schon in anderen Zusammenhängen stellt sich allerdings die Frage, warum die Karlsruher Richter nicht schon viel früher durch die Veröffentlichung entsprechender Entscheidungen tätig geworden sind. Hat es möglicherweise an einschlägigen Verfassungsbeschwerden Gefangener gefehlt? Das wäre schon angesichts der Tatsache, dass die Verhängung von Diszipinarmaßnahmen in den 1980er-Jahren

1598

Siehe dazu oben D.IV.3.a) und b)cc). Vgl. BVerfGE 6, 389 (439) – Verfassungsmäßigkeit der §§ 175 f. StGB a. F. 1600 Vgl. BVerfGE 7, 377 (405 ff.) – „Apotheken-Urteil“; siehe ferner zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als zentralem Kontrollinstrument des Bundesverfassungsgerichts Bachmann/ Goeck, in: Strafrecht und Verfassung, S. 37 (38). 1599

IV. Ergebnisse

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einen Höhepunkt erreicht hatte,1601 wenig plausibel. Vielmehr dürfte das Fehlen entsprechender Entscheidungen vor 1993 maßgeblich auf die damals noch sehr restriktive Veröffentlichungspraxis des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen sein.1602 Außerdem ist an die bereits in anderem Zusammenhang thematisierte Tatsache zu erinnern, dass der Grundrechtsschutz Gefangener in den 1980er-Jahren nicht den Stellenwert für das Bundesverfassungsgericht hatte wie etwa in dem darauffolgenden Jahrzehnt, weshalb zu vermuten ist, dass in dieser Phase mangels weiterführender Begründungen ohnehin viele Entscheidungen nicht publikationswürdig waren.1603 Gleichwohl sind die Karlsruher Richter auch vor 1993 auf dem Gebiet der Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen keinesfalls gänzlich untätig gewesen. Das belegt ein Fall aus der resozialisierungsfreundlichen Zeit um 1970. So hatte das Bundesverfassungsgericht im Herbst 1973 (im Wege einer einstweiligen Anordnung) erstmals die Aussetzung des Vollzuges eines vierwöchigen verschärften Arrestes angeordnet und dies der betreffenden JVA per Telefon und Fax mitgeteilt.1604 Der Gefangene, der sich über seinen Rechtsanwalt an die Karlsruher Richter gewandt hatte, befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Tage in einer käfigartigen Zelle, in die nur jeden dritten Tag ein Tisch und ein Stuhl ge­ affee stellt wurden und in der er täglich gerade einmal 700g trockenes Brot sowie K und abgekochtes Wasser erhielt.1605 Die disziplinarische Ahndung erfolgte, weil der Beschwerdeführer dem saarländischen Justizminister aus Protest über die­ miserablen Vollzugsbedingungen seine abgetragene Anstaltshose zugeschickt und damit gedroht hatte, sich an die Presse zu wenden.1606 Angesichts des nichtigen Anlasses, der völlig maßlosen Sanktionierung und der menschenunwürdigen Unterbringung kann man das rasche Eingreifen des Bundesverfassungsgerichtes in dem geschilderten Fall nur als segensreich bezeichnen. Einen wichtigen Beitrag für die Verbesserung des Menschenrechtsstandards im Bereich der Disziplinarmaßnahmen des Strafvollzuges haben aber nicht nur die Karlsruher Richter geleistet, sondern auch das CPT. Dies wird deutlich, wenn man einen Blick auf den Sanktionskatalog des § 103 Abs. 1 StVollzG wirft und dabei feststellt, dass die dortige Nr. 6 weggefallen ist. Diese Regelung erlaubte den Entzug des täglichen Aufenthalts im Freien bis zur Dauer von einer Woche. Das CPT rügte diese Vorschrift bereits bei seinem ersten Besuch in Deutschland im Dezember 1991, da sie nicht mit den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen, die pro Tag einen mindestens einstündigen Aufenthalt im Freien vorsähen, im Einklang stünden.1607 Das Bundesverfassungsgericht erhob hingegen keine Bedenken 1601

Vgl. Böhm, in: FS Hanack, S. 457 (461). Siehe oben D.IV.1.a)cc). 1603 Siehe hierzu bereits oben D.IV.2.c)bb) und 5.b)aa)(5). 1604 Vgl. BVerfGE 36, 137 ff.; siehe dazu „Der Spiegel“, Nr. 43/1973, S. 106. 1605 Vgl. BVerfGE 36, 137 (138); siehe zu den vor Erlass des StVollzG möglichen Disziplinarmaßnahmen auch oben C.XI. 1606 Vgl. BVerfGE 36, 137 (137 f.). 1607 Vgl. CPT/Inf (93) 13, S. 52. 1602

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D. Die Entscheidungsanalyse

gegen die Vereinbarkeit von § 103 Abs.  1 Nr.  6 StVollzG a. F. mit den Grundrechten des Gefangenen, obwohl es dazu in seiner Entscheidung vom 8.7.19931608 durchaus Gelegenheit gehabt hätte. In seinem Bericht über den zweiten Deutschlandbesuch im April 1996 wiederholte das CPT noch einmal seine Forderung, die „Hofgangsperre“ so schnell wie möglich abzuschaffen und empfahl zugleich, sie bis zum Abschluss des entsprechenden Gesetzgebungsprozesses nicht mehr anzuwenden.1609 Durch das „Vierte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes“ vom 26.8.19981610 wurde dieser Empfehlung durch die Aufhebung des § 103 Abs. 1 Nr. 6 StVollzG entsprochen. Was schließlich die Sicherungsmaßnahmen anbelangt, ist festzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht zwar die grundlegenden verfassungsrechtlichen „Leitplanken“ für ihre Anordnung gesetzt und in Bezug auf Durchsuchungen nach § 84 StVollzG einer gewissen Oberflächlichkeit im Umgang mit dieser sehr ausdifferenzierten Regelung Einhalt geboten hat. Es ist gleichwohl überraschend, dass bisher keine Entscheidungen veröffentlicht worden sind, die sich näher mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die einzelnen – ganz überwiegend äußerst grundrechtsintensiven – Maßnahmen im Sinne des § 88 Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 StVollzG auseinandersetzen. Dabei bestünde hierzu zweifellos Anlass, wie etwa die Berichte des CPT über seine letzten Besuche in Deutschland zeigen. So ist die Bundesrepublik beispielsweise bis heute nicht der von der vorgenannten Kommission bereits mehrfach erhobenen Forderung, den Entzug des täglichen Aufenthalts im Freien auch aus dem Katalog der Sicherungsmaßnahmen zu streichen (vgl. § 88 Abs. 2 Nr. 4 StVollzG),1611 nachgekommen. Ganz im Gegenteil: Soweit bereits Landesstrafvollzugsgesetze erlassen worden sind, enthalten diese nach wie vor die „Hofgangsperre“ als mögliche Sicherungsmaßnahme.1612 Vor allem aber ist es erstaunlich, dass die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 5 StVollzG („Beruhigungszelle“) bisher nicht Gegenstand veröffentlichter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war, obwohl diese in der Vollzugs­ praxis durchaus bedeutsam ist und die Karlsruher Richter auch Veranlassung zum Tätigwerden hatten. Letzteres zeigt die Entscheidung des EGMR vom 7.7.2011, mit der die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal überhaupt wegen eines­ 1608 Vgl. BVerfG NJW 1993, 1339 f.; die Karlsruher Richter scheinen hier die Verfassungsmäßigkeit des § 103 Abs. 1 Nr. 6 StVollzG a. F. als selbstverständlich vorauszusetzen, da sie sich lediglich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Anordnung dieser Disziplinarmaßnahme in Kombination mit einem Arrest wegen des Konsums von einem Schluck Alkohol schuldangemessen und verhältnismäßig war. 1609 Vgl. CPT/Inf (97) 9, S. 53; siehe dazu auch Neubacher, BewHi 2011, 82 (93). 1610 Vgl. BGBl. I 1998, S. 2461; siehe dazu auch BT-Drs. 13/10245, S. 17. 1611 Vgl. etwa CPT/Inf (2007) 18, S. 39; CPT/Inf (2012) 6, S. 38. 1612 Vgl. § 67 Abs. 2 Nr. 4 BwJVollzGB III; Art. 96 Abs. 2 Nr. 4 BayStVollzG; § 90 Abs. 2 Nr. 4 BbgJVollzG; § 74 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 HmbStVollzG; § 50 Abs. 2 Nr. 4 HStVollzG; § 78 Abs. 2 Nr. 4 StVollzG MV; § 81 Abs. 2 Nr. 4 NJVollzGB; § 88 Abs. 2 Nr. 4 LJVollzG RLP; § 78 Abs. 2 Nr. 4 SLStVollzG; § 83 Abs. 2 Nr. 4 SächsStVollzG; § 89 Abs. 2 Nr. 4 ThürJVollzGB.

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Konventionsverstoßes auf dem Gebiet des Strafvollzuges verurteilt worden ist.1613 Diesem sogenannten „Fall Hellig“ lag zu Grunde, dass sich ein Gefangener der hessischen JVA Butzbach im Oktober 2000 geweigert hatte, aus seiner Einzelzelle in einen mit zwei anderen Insassen belegten Gemeinschaftshaftraum umzuziehen, dessen Toilette nicht – wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwingend  – räumlich vom übrigen Bereich des Haftraums abgetrennt war.1614 Während der Verlegung kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Vollzugsbediensteten und dem Gefangenen, der sich dabei Prellungen und ein Hämatom zuzog.1615 Letzterer gab im Zuge der gerichtlichen Verfahren an, die Beamten hätten ihn geschlagen und getreten, obwohl er lediglich passiven Widerstand geleistet habe. Nach den Angaben der Bediensteten sei es jedoch der Gefangene gewesen, der körperlich übergriffig geworden sei.1616 In jedem Fall wurde er daraufhin in einen besonders gesicherten Haftraum verbracht, wo er nach den Feststellungen des EGMR bis zu seiner Verlegung in das Anstaltskrankenhaus­ sieben Tage lang unbekleidet zubringen musste. Nach richtiger Auffassung der Straßburger Richter verstieß die Unterbringung des Gefangenen in der „Beruhigungszelle“ gegen Art. 3 EMRK. Einen Inhaftierten für den Zeitraum von sieben Tagen in einem für den längeren Aufenthalt nicht geeigneten Haftraum ohne Kleidung unterzubringen, stellt in der Tat eine Behandlung dar, die bei dem Betroffenen Gefühle der Angst, Qual und Unterlegenheit hervorrufen kann und geeignet ist, diesen zu demütigen und zu entwürdigen.1617 Diese war auch unverhältnismäßig, da dem Gefangenen gemäß der Empfehlung des CPT reißfeste Kleidung hätte ausgehändigt werden können.1618 Vom EGMR nicht näher geprüft, aber mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG sowie 6 Abs. 1 Satz 1, 13 EMRK ebenfalls diskussionswürdig, ist der Umstand, dass die Strafvoll­ streckungskammer rund dreieinhalb Jahre (!) benötigte, um den Antrag des Gefangenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung in der „Beruhigungszelle“ abzulehnen.1619 Vor dem geschilderten Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass das Bundesverfassungsgericht die in dieser Sache erhobene Verfassungsbeschwerde am 28.12.2004 ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen hatte.1620 Ergänzend sei im vorliegenden Zusammenhang noch angemerkt, dass die hessische Landesregierung als Konsequenz aus dem EGMR-Urteil vom 7.7.2011 die Haftanstalten des Landes per Runderlass dazu angehalten hat,

1613 Vgl. EGMR NJW 2012, 2173 ff. sowie die Darstellung des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe bei Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (407 ff.). 1614 Vgl. EGMR bei Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (407). 1615 Vgl. EGMR bei Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (408). 1616 Vgl. EGMR, a. a. O. 1617 Vgl. EGMR NJW 2012, 2173 (2175); Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (411 f.); siehe dazu auch Pohlreich, JZ 2011, 1058 (1061 f.). 1618 Vgl. EGMR, a. a. O. 1619 Näher hierzu Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (412 f.). 1620 VGl. EGMR NJW 2012, 2173 (2173).

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D. Die Entscheidungsanalyse

auch Gefangenen, bei denen die Gefahr der Selbstschädigung bestehe, wenigstens eine Papierunterhose zur Verfügung zu stellen.1621 Dass das Problemfeld „besonders gesicherter Haftraum“ nicht unbedingt ein Lieblingsthema der Karlsruher Richter zu sein scheint, legt im Übrigen auch der im Jahr 2012 veröffentlichte Bericht eines Gefangenen in der Zeitschrift „Lichtblick“ nahe. Der Inhaftierte berichtet dort von einem siebenmonatigen Aufenthalt in der Sicherungsstation B-1 der JVA Berlin-Tegel in den Jahren 1992/1993, wo er in einem stark verschmutzten und schlecht beleuchteten Haftraum untergebracht gewesen sei.1622 Zudem habe er auf seinen am frühen Morgen gewährten Hofgang verzichtet, weil dieser aufgrund der mangehaften Kleidung und des zum Teil schlechten Wetters unerträglich gewesen sei.1623 Die von ihm erhobene Verfassungsbeschwerde habe das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen und dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gerichtspräsidentin, Jutta Limbach, nicht mit der Sache befasst worden sei.1624 Ob die von dem Gefangenen geäußerte Vermutung, der Verfahrensausgang habe gleichwohl auch etwas damit zu tun, dass er Limbach 1991 in ihrer Funktion als Berliner Justizsenatorin durch eine Flucht aus der Haft in politische Schwierigkeiten gebracht habe,1625 zutreffend oder nicht vielmehr reine Spekulation ist, sei dahingestellt. Klar ist jedenfalls, dass die Beschreibung der Zustände auf der Sicherungsstation B-1 nicht völlig falsch sein kann. Das CPT hat diese Abteilung im Rahmen seines Deutschlandbesuchs im Jahr 2005 in Augenschein genommen und dabei auch moniert, dass zu wenig Tageslicht durch die mit einem Metallgeflecht versehenen Fenster dringe und der Hof keinen Schutz vor schlechtem Wetter biete.1626 Außerdem sei es unzulässig, dass den Gefangenen keinerlei Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten würden.1627 Verschmutzungen konnte das CPT bei seinem Besuch hingegen nicht feststellen, was freilich nicht bedeutet, dass diese zu Beginn der 1990er-Jahre nicht vorhanden gewesen sind. Für die Zukunft bleibt jedenfalls zu hoffen, dass sich das Bundesverfassungsgericht bei Verfassungsbeschwerden, die Sicherungsmaßnahmen im Sinne des § 88 Abs. 2 StVollzG betreffen, etwas problembewusster zeigt als dies etwa in der Sache Hellig der Fall gewesen ist und den grundrechtlichen Belangen der Gefangenen auch hier zum Durchbruch verhilft. Schließlich ist damit zu rechnen, dass sich die Karlsruher Richter früher oder später auch mit Fragen der Videoüberwachung, deren Einsatzgebiet durch einige Landesstrafvollzugsgesetze deutlich ausgeweitet wurde, befassen müssen.1628 1621

Vgl. LT-Drs. 18/4234, S. 2. Vgl. „Der Lichtblick“ 2/2012 (Nr. 351), S. 5. 1623 Vgl. „Der Lichtblick“, a. a. O. 1624 Vgl. „Der Lichtblick“ 2/2012 (Nr. 351), S. 6. 1625 Vgl. „Der Lichtblick“, a. a. O. 1626 Vgl. CPT/Inf (2007) 18, S. 38. 1627 Vgl. CPT/Inf (2007) 18, S. 39. 1628 Näher hierzu LNNV-Neubacher, § 3 Rn. 8. 1622

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d) Prozessuale Entscheidungskritik Das in den 1990er-Jahren aufgekommene Bestreben der Karlsruher Richter, den „Wildwuchs“ bei der Anordnung von Disziplinarmaßnahmen einzudämmen, wird auch aus der nun einzunehmenden prozessualen Perspektive deutlich. H ­ aben die Karlsruher Richter 1983 noch das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bereits erledigten Disziplinarmaßnahme verneint,1629 halten sie daran seit den 1990er-Jahren nicht mehr fest. Zur Begründung verweisen sie darauf, dass die Rechtmäßigkeit derartiger Sanktionen bei zukünftigen Prognoseentscheidungen sowie bei der Festsetzung weiterer Disziplinarmaßnahmen von Bedeutung sein kann und den betroffenen Gefangenen deshalb auch nach Erledigung weiter beeinträchtigen können.1630 Damit ist gewährleistet, dass die gerichtliche Kontrolle auf dem Gebiet der §§ 102 f. StVollzG auch dann nicht gänzlich ausgehebelt ist, wenn die angeordneten Disziplinarmaßnahmen bereits vollstreckt sind. Auffällig sind zudem eine ganze Reihe obiter dicta, mit denen das Bundesverfassungsgericht den Strafvollstreckungskammern am Schluss einschlägiger Beschlüsse Hinweise gibt, was im Rahmen der neuen Entscheidung zu beachten sein wird.1631 So hilfreich derartige „Segelanweisungen“ auch sein mögen, sind sie doch aus den bereits erläuterten Gründen1632 unzulässig. Nach hier vertretener Auffassung ist es hingegen unproblematisch, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Entscheidungen zu den Durchsuchungsmaßnahmen nach § 84 StVollzG im Kern mit der Auslegung des einfachen Rechts befasst hat. Entgegen vielfach vertretener Auffassung ist dies den Karlsruher Richtern nämlich nur aus faktischen, nicht aber aus rechtlichen Gründen verwehrt.1633 Das Bundesverfassungsgericht rekurriert zur Abgrenzung seines Aufgabenbereichs von dem der Fachgerichte in beiden Entscheidungen auf die „Heck’sche Formel“.1634 Dementsprechend sieht es sich in dem Beschluss vom 29.10.2003 zur Entscheidung berufen, weil die Strafvollstreckungskammer mit ihrer Interpretation die vom Gesetzgeber offensichtlich gewollte und in den drei Absätzen des § 84 StVollzG zum Ausdruck kommende Differenzierung verkannt und damit die Grenze zur Willkür überschritten habe.1635 In dem Nichtannahmebeschluss vom 6.7.2006 verneint es hingegen eine solche Grenzüberschreitung, weil Willkür oder eine grundsätzliche Verkennung der Bedeutung von Grundrechten nicht ansatzweise zu erkennen sei, wenn § 84 Abs. 2 StVollzG dahingehend 1629

Vgl. BVerfG NStZ 1983, 380. Vgl. BVerfG StV 1994, 263 (263); NJW 1995, 1016 (1016). 1631 Vgl. BVerfG StV 1994, 263 (264); NJW 1995, 383 (385); 1016 (1018). 1632 Siehe oben B.III.2.d)ee). 1633 Siehe oben B.II.3.d). 1634 Vgl. BVerfGK 2, 102 (104 f.)  – ausdrückliche Bezugnahme; BVerfGK 3, 363 (366)  –­ implizite Bezugnahme; siehe zur „Heck’schen Formel“ bereits oben B.II.3.d). 1635 Vgl. BVerfGK 2, 102 (104 f.). 1630

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D. Die Entscheidungsanalyse

ausgelegt werde, dass er nur Durchsuchungen umfasse, bei denen sich der Gefangene direkt vor den Augen der Vollzugsbediensteten entkleiden müsse.1636 Auch wenn die „Heck’sche-Formel“, wie bereits erläutert wurde, im Grunde keine trennscharfe Abgrenzung zu den Fachgerichten erlaubt und im Zweifelsfall kein wirkliches Hindernis für das Bundesverfassungsgericht darstellt, wenn es auf die Interpretation des einfachen Rechts Einfluss nehmen will,1637 ist ihre Anwendung in den beiden vorgenannten Fällen doch in nachvollziehbarer Weise erfolgt. e) Ergebnis Im Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass sich Hypothese 11 nur zum Teil  als zutreffend herausgestellt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat den Grundrechtsschutz in Bezug auf die Anordnung von Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen gestärkt, nicht aber im Hinblick auf deren Vollzug – ganz im Gegenteil: Das geschilderte EGMR-Urteil vom 7.7.2011 zeigt sogar, dass den Karlsruher Richtern insoweit eine gewisse Nachlässigkeit attestiert werden muss. Prozessual sind hingegen lediglich die – allerdings recht zahlreichen – obiter dicta zu kritisieren. 12. Rechtsschutz a) Überblick Das nun zu analysierende Themenfeld „Rechtsschutz“ umfasst mit deutlichem Abstand die meisten Entscheidungen, und zwar insgesamt 131 (siehe oben Abbildung  8). Fast die Hälfte der veröffentlichten Rechtsprechung zum Strafvollzug entfällt damit auf diesen Bereich. Im Folgenden werden diejenigen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen im Zentrum stehen, die allgemeine Fragen des Rechtsschutzes im Sinne der §§ 109 bis 121 StVollzG betreffen. Auf bereichsspezifische Besonderheiten (z. B. im Rahmen der Vollzugsplanung, der Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen) wurde bereits bei der Anlayse der jeweiligen Themenfelder eingegangen, so dass nachfolgend auf eine Wiederholung der dortigen Ausführungen verzichtet werden kann.

1636 1637

Vgl. BVerfGK 8, 363 (367). Siehe dazu bereits oben B.II.3.d).

IV. Ergebnisse

361

b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik aa) Ausgangspunkt: Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG Dreh- und Angelpunkt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz gemäß den §§ 109 ff. StVollzG ist das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG. Dies zeigt sich auch, wenn man einen Blick auf die von den Karlsruher Richtern seit 1951 festgestellten Grundrechtsverletzungen im Strafvollzug wirft. Wie aus Abbildung  12 hervorgeht, hat das Bundesverfassungsgericht mehr Verstöße gegen Art. 19 Abs. 4 GG moniert als gegen alle anderen Grundrechte zusammen.

* Einschließlich Verstößen gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG und/oder Art. 20 Abs. 3 GG.

Abbildung 12: Festgestellte Grundrechtsverletzungen im Strafvollzug seit 1951

In ihrer Entscheidung vom 16.2.1993 haben die Karlsruher Richter zur Bedeutung vorgenannter Verfassungsbestimmung ausgeführt: „Art. 19 IV 1 GG garantiert den Rechtsweg, wenn jemand behauptet, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein […] und gibt dem einzelnen einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle über ihn betreffende Maßnahmen […]. Art. 19 IV GG wird im Bereich des Strafvollzugsrechts durch §§ 109 ff. StVollzG auf der Ebene des Gesetzes konkretisiert.“1638 

Seitdem ist das Bundesverfassungsgericht darum bemüht, die erwähnten Konkretisierungen nicht nur bereichsspezifisch, d. h. für bestimmte Themenfelder 1638

BVerfG NJW 1993, 3188 (3189).

362

D. Die Entscheidungsanalyse

des Strafvollzuges vorzunehmen,1639 sondern auch für den Normenkomplex der §§ 109 bis 121 StVollzG. Die nachfolgende Entscheidungsanalyse wird sich an der Reihenfolge der Vorschriften zum gerichtlichen Rechtsschutz im 14. Titel des StVollzG orientieren. bb) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG (1) Der Begriff der Maßnahme im Sinne des § 109 StVollzG Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StVollzG kann gegen eine Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des Strafvollzuges die gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG hält es das Bundesverfassungsgericht dabei für notwendig, den Begriff der Maßnahme extensiv auszulegen, so dass gilt: – Für die Frage, ob ein Handeln oder Unterlassen der Vollzugsbehörde gerichtlich überprüfbar ist, kommt es nur darauf an, ob die Möglichkeit einer Rechtsverletzung besteht.1640 Dementsprechend sind die Karlsruher Richter der teilweise in der fachgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Ansicht, wonach der Vollzugsplan als Ganzes keine Maßnahme im Sinne des § 109 Abs.  1 StVollzG darstelle, entgegengetreten.1641 Ferner haben sie klargestellt, dass auch die ärztliche Behandlung gerichtlicher Überprüfung unterliegt.1642 Die Regelung in einer Hausordnung, die die akustische Überwachung von Besuchen erlaubt, kann hingegen nach zutreffender Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht auf gerichtlichem Weg angefochten werden, weil es sich erst bei der konkreten Anwendung dieser Vorschrift um eine „Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten“ im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG handelt.1643 Wie andere Verwaltungsanordnungen auch, können Hausordnungen nur dann unmittelbar Gegenstand richterlicher Kontrolle sein, wenn es sich bei ihnen ausnahmsweise um Allgemeinverfügungen im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG handelt.1644

1639 Siehe dazu oben D.IV.3.b)cc) – Vollzugsplanung; D.IV.3.b)cc) – Vollzugslockerungen; D.IV.6.a)aa)(2)  – menschenwürdige Unterbringung; D.IV.9.b)bb)  – Gesundheitsfürsorge; D.IV.10.b)cc)(2)  – Rechtliches Gehör bei Gerichtsverfahren über Maßnahmen nach § 68 Abs. 2 Satz 2 StVollzG; D.IV.11.b)aa)(3) – Disziplinarmaßnahmen. 1640 Vgl. BVerfGK 8, 319 (323); BVerfG NJW 1993, 3188 (3189). 1641 Vgl. BVerfGK 8, 319 (323 ff.); BVerfG NJW 1993, 3188 (3189); ausführlich dazu bereits oben D.IV.3.b) cc). 1642 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012 – 2 BvR 922/11; siehe dazu bereits oben D.IV.9.b)bb). 1643 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.2006 – 2 BvR 1887/06, 2 BvR 2138/06. 1644 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 14 m. w. N.; in der Entscheidung vom 5.5.2011 (2 BvR 722/11) erwägt das Bundesverfassungsgericht beispielsweise, ob die Regelung der Einund Aufschlusszeiten durch die Tagesablaufpläne eine Allgemeinverfügung darstellt.

IV. Ergebnisse

363

Die grundsätzlich weite Interpretation des Maßnahmebegriffs entspricht der allgemeinen Auffassung im Schrifttum. Hier wird mit Recht darauf hingewiesen, dass über Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG hinaus auch schlicht hoheitliches Handeln (z. B. die Organisation des Einkaufs oder die Art und Weise der Haftraumkontrolle)  der gerichtlichen Kontrolle im Verfahren nach § 109 StVollzG unterliegt.1645 Schließlich können die Rechte des Gefangenen auch durch solche Akte ganz empfindlich verletzt werden, weshalb es geboten ist, den Maßnahmebegriff auf sie zu erstrecken. Darüber hinaus sind die Karlsruher Richter im Mai 1990 der im Laufe der 1980er-Jahre zur ständigen Rechtsprechung der Fachgerichte ausgeuferten Unsitte entgegengetreten, Anträge auf gerichtliche Entscheidung nur dann als zulässig zu erachten, wenn die angefochtene Maßnahme vom Anstaltsleiter oder einem für diesen nach § 156 Abs. 2 Satz 2 StVollzG als Vertreter handelnden Bediensteten erlassen wurde.1646 Eine solche Auffassung, die keinerlei Stütze im Gesetz hat, ist wahrhaft „willkürlich“.1647 Die Frage der Befugnis des tätig gewordenen Beamten ist nämlich kein Problem der Anfechtbarkeit, sondern lediglich der Rechtmäßigkeit der Maßnahme.1648 (2) Auslegung von Anträgen nach § 109 Abs. 1 StVollzG Stellt ein Gefangener einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, hat die Strafvollstreckungskammer bei dessen Auslegung nach Ansicht der Karlsruher Richter folgende Grundsätze zu beachten: – Das Verfahrensrecht ist so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des Rechtssuchenden bestmöglich Rechnung getragen wird. – Es stellt eine mit Art.  19 Abs.  4 GG unvereinbare Rechtswegverkürzung dar, wenn das Gericht den Verfahrensgegenstand in einer Weise festlegt, dass es sich eine Sachprüfung des vom Antragsteller eigentlich verfolgten Begehrens unmöglich macht.1649 Man sollte meinen, dass es sich hierbei um Selbstverständlichkeiten handelt, wird aber bei einem Blick auf mehrere vom Bundesverfassungsgericht entschiedene Fälle eines Besseren belehrt. Exemplarisch sei auf den Sachverhalt hingewiesen, der der Entscheidung vom 6.8.1992 zu Grunde lag. Hier ging es um einen Strafgefangenen, der sich seit Anfang 1990 um die Gewährung von Hafturlaub

1645 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 12; SBJL-Laubenthal, § 109 Rn. 11; AKKamann/Spaniol, § 109 Rn. 19; Arloth, § 109 Rn. 6. 1646 Näher hierzu Eschke, S. 120 ff. m. w. N. aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung. 1647 Vgl. BVerfG NJW 1990, 3191; NStZ-RR 1999, 28 (28). 1648 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 12; Eschke, S. 123. 1649 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.2.1997 – 2 BvR 2989/95.

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D. Die Entscheidungsanalyse

bemüht hatte.1650 Im Mai 1990 stellte er erneut einen entsprechenden Antrag, der am 25.1.1991 vom Anstaltsleiter abschlägig beschieden wurde. Dagegen legte der Gefangene am 30.1.1991 Widerspruch ein, der im August 1991 zurückgewiesen wurde. Bereits mit Schriftsatz vom 13.3.1991, der als „Untätigkeitsklage gem. § 113 StVollzG“ bezeichnet war, hatte er bei der Strafvollstreckungskammer beantragt, die Haftanstalt zu verpflichten, ihm Urlaub zu gewähren. Das LG wies diesen Antrag jedoch als unzulässig zurück. Der Gefangene wende sich zu Unrecht gegen das Unterlassen einer Maßnahme, da der Anstaltsleiter die Urlaubsanträge unstreitig beschieden habe, so dass nur ein Anfechtungs- oder Verpflichtungs-, nicht aber ein Vornahmeantrag in Betracht käme. Das Bundesverfassungsgericht fand hierfür deutliche Worte: „Die Auffassung des LG, der [Beschwerdeführer] habe nur begehrt, den Leiter der Justizvollzugsanstalt zur Verbescheidung seines Antrags zu verpflichten, nicht aber zur Gewährung von Urlaub, ist sachwidrig und nicht nachvollziehbar […]. Der Klageantrag war ausdrücklich darauf gerichtet, den [Antragsgegner] zu verpflichten, dem [Beschwerdeführer] Urlaub zu gewähren. Deutlicher läßt sich das Klageziel nicht ausdrücken. […] Aus dem Umstand, daß der […] verfahrenseinleitende Schriftsatz mit ‚Untätigkeitsklage gem. § 113 StVollzG‘ überschrieb[en] war, läßt sich nicht ableiten, daß der [Beschwerdeführer] mit der Klage lediglich ein Tätigwerden des Anstaltsleiters in Form eines (weiteren) Bescheides begehrte. Denn der [Beschwerdeführer] hat auf den Hinweis des Gerichts verdeutlicht, daß es ihm um den Ausspruch der Verpflichtung zur Urlaubsgewährung geht […]. Unter diesen Umständen ist es schlechterdings ausgeschlossen, daß sich der [Beschwerdeführer] mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur gegen das Unterlassen einer Bescheidung durch den Leiter der Justizvollzugsanstalt habe wenden wollen.“1651

Dass ein Verfahrensgegenstand aber auch zu Unrecht zu Gunsten des Gefangenen bestimmt werden kann, zeigt die Kammerentscheidung vom 24.3.2003 über eine Richtervorlage nach Art.  100 Abs.  1 GG, die die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 201 Nr. 3 StVollzG betrifft. Hier hatte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin beantragt, der JVA zu untersagen, sie in einem Einzelhaftraum von 9,5 m² Grundfläche mit unbelüfteter Innentoilette und vollständig abgetrennter Nasszelle zu zweit oder mehr unterzubringen.1652 Nach richtiger Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist dieser Antrag, der eine Präzisierung des­ 1650

Vgl. hier und im Folgenden BVerfG NJW 1993, 1380 f. BVerfG NJW 1993, 1380 (1381); weitere Beispiele, in denen sich Fachgerichte eine Entscheidung in der Sache durch objektiv willkürliche Auslegung des Klagebegehrens abgeschnitten haben: BVerfG StV 1994, 201 f. (Annahme des OLG, der Gefangene habe einen unzulässigen Anfechtungsantrag gegen die abgelehnte Besitzerlaubnis für ein Keyboard anstatt eines Verpflichtungsantrags gestellt); Beschl. v. 19.2.1997 – 2 BvR 2989/95 (Bestimmung des Verfahrensgegenstandes in einer Weise, die dem Rechtsschutzziel des Gefangenen nicht entspricht, aber eine Zurückweisung des Antrags als verfristet ermöglicht); Beschl. v. 11.6.2012 – 2 BvR 2739/10 (Strafvollstreckungskammer verwirft Antrag auf Verpflichtung der JVA zur Gewährung von Vollzugslockerungen als unzulässig, weil der Gefangene keinen vorherigen Antrag bei der Haftanstalt gestellt habe, ohne das plausible, gegenteilige Vorbringen des Inhaftierten zu berücksichtigen). 1652 Vgl. BVerfGK 2, 17 (21). 1651

IV. Ergebnisse

365

ursprünglich von der Gefangenen gestellten Gesuchs darstellt, gerade nicht auf die generelle Untersagung gemeinschaftlicher Unterbringung während der Ruhezeit und damit auch nicht auf ein Rechtsschutzziel gerichtet, für dessen Erreichbarkeit es auf die Verfassungsmäßigkeit des § 201 Nr. 3 StVollzG ankäme.1653 An einen derartig konkretisierten Antrag ist die Strafvollstreckungskammer gebunden, denn sie kann nicht mehr oder etwas anderes gewähren als beantragt war.1654 Für nicht grundsätzlich ausgeschlossen erachtet das Bundesverfassungsgericht hingegen die Verwerfung eines Rechtsmittels als unzulässig, wenn es sich in beleidigenden oder erpresserischen Ausführungen erschöpft und nicht ersichtlich ist, dass zugleich auch ein sachliches Anliegen verfolgt wird.1655 Mit letztgenannter Einschränkung wollen die Karlsruher Richter verhindern, dass die vorschnelle Versagung einer Sachentscheidung als eine – gesetzlich nicht vorgesehene – Sanktion für ungehöriges Verhalten zweckentfremdet wird.1656 Das Schrifttum teilt diese Sichtweise.1657 (3) Beweislast beim „Verschwinden“ von Anträgen Weil von Gefangenen immer wieder darüber geklagt wird, dass ihre Anträge an die JVA oder an Adressaten außerhalb der Haftanstalt „verschwinden“, hat der Justizvollzugsbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen in seinen Tätigkeitsberichten wiederholt gefordert, den Inhaftierten eine schriftliche Bestätigung a­ uszuhändigen, wenn diese zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Schreiben abgegeben haben.1658 In seinem Beschluss vom 11.10.2007 hat sich auch das Bundesverfassungsgericht mit dieser Problematik befasst. Konkret ging es um einen Strafgefangenen, dessen Antrag auf gerichtliche Entscheidung von der Strafvollstreckungskammer mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen worden war, dass er nicht habe nachweisen können, dass die JVA die von ihm gestellten Anträge auf Herausgabe verschiedener Gegenstände erhalten habe.1659 Die Karlsruher Richter lassen zwar die fachgerichtliche Ansicht, dass einem Gefangenen kein Anspruch auf Erteilung einer Eingangsbestätigung für bei der Haftanstalt eingegangene Anträge zustehe, unbeanstandet. Zugleich verweisen sie aber auf ihre ständige Senatsrechtsprechung, wonach Beweislasten nicht in einer Weise zugeordnet werden dürften, die es den betroffenen Verfahrensbeteiligten faktisch unmöglich mache, sie zu erfüllen. Soweit es um den Strafvollzug gehe, müsse das 1653

Vgl. BVerfG, a. a. O. Vgl. BVerfG, a. a. O. 1655 Vgl. BVerfG StV 2001, 697 (698). 1656 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1657 Vgl. nur SBJL-Laubenthal, § 109 Rn. 39 m. w. N. 1658 Vgl. Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2012, S. 283; ders., Tätigkeitsbericht 2011, S. 274. 1659 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.10.2007 – 2 BvR 1538/06, 2 BvR 1828/06. 1654

366

D. Die Entscheidungsanalyse

Beweisrecht der spezifischen Situation des Gefangenen und den besonderen Beweisproblemen, die sich daraus ergeben könnten, Rechnung tragen.1660 Das Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich folgende Grundsätze aufgestellt: – Steht eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG im Raum, weil von einem Gefangenen gestellte Anträge verloren gegangen sind, dürfen die Gerichte die Beweislast nicht einseitig dem Inhaftierten zuweisen, ohne zu prüfen, ob und wie er überhaupt die Möglichkeit hat, dieser zu genügen. – Durch Ausschöpfung aller gerichtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsauf­ klärung muss ein Weg der Fallbehandlung gefunden werden, der sicherstellt, dass das Recht nicht zur Disposition der Behauptungen einer der beteiligten Seiten steht.1661 Was dies im Einzelfall konkret bedeutet, haben die Karlsruher Richter ausdrücklich den Fachgerichten überlassen, die aus den in Betracht kommenden­ Lösungswegen den jeweils geeigneten festlegen und dabei auch den Umsetzungsaufwand sowie die Vermeidung von Missbrauchsgefahren im Blick haben müssen. Dass das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich keine weitergehenden Vorgaben  gemacht hat, ist nachvollziehbar, und zwar sowohl mit Blick auf den konkreten Fall, für den derartige Fragen nicht entscheidungserheblich waren als auch unter dem Gesichtspunkt der Kompetenzabgrenzung zu den Fachgerichten. Ungeachtet dessen ist die Forderung des nordrhein-westfälischen Justizvollzugsbeauftragten zu unterstützen, den Gefangenen wenigstens die Abgabe eines Schreibens als solche zu quittieren, was zwar nicht den Nachweis eines bestimmten Inhalts ermöglicht, aber immerhin deutlich macht, dass ein Schriftstück existieren muss, auf das sich die Bestätigung bezieht.1662 Das ist mit geringem Aufwand möglich und entspricht auch dem Angleichungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 StVollzG), denn im freien Geschäftsverkehr ist es üblich, dass wichtige Schriftstücke nicht ohne einen Beleg für den Absender übergeben bzw. verschickt werden.1663 cc) Antragsfrist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 112 StVollzG) Der soeben diskutierte Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme bzw. ihrer Ablehnung gestellt werden. Wie an 1660

Vgl. BVerfG, a. a. O. m. w. N. Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG, a. a. O. 1662 Vgl. Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2012, S. 286 f.; ebenso LNNVBachmann/Neubacher, § 112 Rn. 6. 1663 So mit Recht Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2012, S. 287 f., der allerdings auch von einer „breiten Front der Verweigerung“ seitens der Vollzugsbehörden gegenüber Änderungen in dem beschriebenen Sinne spricht. 1661

IV. Ergebnisse

367

dere Rechtsmittelführer dürfen auch Gefangene eine solche Frist voll ausschöpfen. Hierauf hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss vom 9.8.1990 ausdrücklich hingewiesen und zugleich folgende Kernaussage getroffen: – Eine Fristversäumnis, die auf den Anstaltsverhältnissen beruht, ist für den Gefan­ genen unverschuldet. Es ist letzterem aber zuzumuten, die ihm möglichen Maßnahmen zur Vermeidung anstaltsbedingter Verzögerungen zu ergreifen, wozu insbesondere gehört, eilige Schreiben als Fristsachen zu kennzeichnen.1664 Das Bundesverfassungsgericht bestätigt damit den auch im Schrifttum anerkannten Grundsatz, wonach Fehler im Verantwortungsbereich der JVA dem Antragsteller nicht zugerechnet werden können, weil dieser grundsätzlich auf eine unverzügliche Weiterleitung seiner Post durch die Haftanstalt vertrauen darf.1665 Ist die Fristversäumnis seitens des Gefangenen unverschuldet, muss ihm nach § 112 Abs. 2 StVollzG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, sofern die weiteren Voraussetzungen der Abs. 3 und 4 erfüllt sind. Hierbei gilt nach Ansicht der Karlsruher Richter: – Bei der Anwendung der für die Wiedereinsetzung geltenden Bestimmungen dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Unter Umständen kann daher sogar die bloße eigene Erklärung des Antragstellers zur Glaubhaftmachung ausreichen.1666 Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass ein solcher Fall insbesondere dann gegeben ist, wenn bei behördlicher Beförderung von Schriftstücken Vorkehrungen geschaffen werden, durch die der Zeitpunkt der Aufgabe des Schriftstücks zur Beförderung dokumentiert werden soll, diese Vorkehrungen aber versagen und der Gefangene keine anderen Möglichkeiten der Glaubhaftmachung hat.1667 In den konkret entschiedenen Verfassungsbeschwerden ging es jeweils darum, dass Anträge auf gerichtliche Entscheidung verfristet bei der­ zuständigen Strafvollstreckungskammer eingegangen waren, der Gefangene aber behauptete, seine Schriftsätze der Haftanstalt rechtzeitig am Vortag des Frist­ endes abgegeben zu haben.1668 Unter normalen Umständen hätten die Schreiben, den üblichen Gepflogenheiten der betreffenden JVA entsprechend, fristwahrend von einem Bediensteten zum Gericht gebracht werden können. Ob die Verspätung damit zusammenhängt, dass der Gefangene seine Anträge eben doch nicht rechtzeitig abgegeben hatte, ließ sich nicht mehr nachvollziehen, weil die Briefkartei, die die Haftanstalt zur Dokumentation des Abgabezeitpunktes von wichtigen Schriftstücken führt, nicht mehr auffindbar war. Ein Abstellen auf den Poststem 1664

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.8.1990 – 2 BvR 641/90. Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 112 Rn.  6; SBJL-Laubenthal, § 112 Rn.  8; AK-­ Kamann/Spaniol, § 112 Rn. 13; Arloth, § 112 Rn. 5. 1666 Vgl. BVerfG NJW-RR 1994, 316 f.; Beschl. v. 2.2.1993 – 2 BvR 390/92. 1667 Vgl. BVerfG NJW-RR 1994, 316 (316); Beschl. v. 2.2.1993 – 2 BvR 390/92. 1668 Vgl. BVerfG NJW-RR 1994, 316 (316 f.); Beschl. v. 2.2.1993 – 2 BvR 390/92. 1665

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D. Die Entscheidungsanalyse

pel schied von vornherein aus, weil die Beförderung auf dem Dienstweg erfolgte. In einer derartigen Situation, in der es aufgrund von Umständen, die der Gefangene nicht beeinflussen kann, zu Beweisschwierigkeiten kommt, ist es in der Tat geboten, zu Gunsten des Inhaftierten davon auszugehen, dass er seinen Antrag rechtzeitig zum Versand durch die JVA abgegeben hat. In diesem Zusammenhang sei zudem ergänzend angemerkt, dass eine Glaubhaftmachung unter Umständen sogar ganz entbehrlich sein kann, und zwar insbesondere dann, wenn die vom Antragsteller behaupteten Tatsachen gerichtsbekannt sind.1669 Im Unterschied zu den bisherigen Entscheidungen zu § 112 StVollzG kann dem Beschluss vom 5.8.2009 nur zum Teil gefolgt werden. Dieser enthält grundlegende Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung und zur Frage der Zurechnung anwaltlichen Säumnisverschuldens: – Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung führt nicht dazu, dass die Überschreitung der Frist des § 112 Abs. 1 Satz 1 StVollzG als unverschuldet angesehen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden muss.1670 – Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, einem Gefangenen die von seinem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumnis zuzurechnen.1671 Dem erstgenannten Grundsatz, der der allgemeinen Auffassung entspricht1672, ist uneingeschränkt zuzustimmen. Da der Gefangene gemäß § 5 Abs. 2 StVollzG bereits im Rahmen des Aufnahmeverfahrens allgemein über seine Rechte und Pflichten zu informieren ist, bedarf es keiner Rechtsmittelbelehrung.1673 Einigkeit besteht aber auch dahingehend, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden muss, wenn die Haftanstalt ihrer Informationspflicht aus § 5 Abs. 2 StVollzG nur unzureichend nachgekommen ist.1674 Eine stichprobenartige Überprüfung des nordrhein-westfälischen Justizvollzugsbeauftragten im Jahr 2011 hat ergeben, dass bezüglich der Belehrung der Inhaftierten über ihre Rechte durchaus noch Verbesserungsbedarf besteht, und zwar insbesondere in Bezug auf Vollständigkeit und Benutzerfreundlichkeit der Information.1675 1669

Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 112 Rn. 7 m. w. N. Vgl. BVerfGK 16, 114 (114 f.). 1671 Vgl. BVerfGK 16, 114 (115 f.). 1672 Vgl. nur SBJL-Laubenthal, § 112 Rn. 9 m. w. N. 1673 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 112 Rn.  2; SBJL-Laubenthal, § 112 Rn.  2; AK-­ Kamann/Spaniol, § 112 Rn.  14; Arloth, § 112 Rn.  5. Im Wesentlichen inhaltsgleich mit § 5 Abs. 2 StVollzG sind: § 4 Abs. 1 Satz 1 BwJVollzGB III; Art. 7 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG; § 6 Abs. 2 Nr. 1 HmbStVollzG; § 8 Abs. 1 NJVollzG; in den übrigen Landesvorschriften ist neben der Belehrungspflicht u. a. auch vorgesehen, dass den Gefangenen ein Exemplar der Hausordnung auszuhändigen ist, vgl. § 12 Abs.. 1 BbgJVollzG; § 8 Abs. 1 HStVollzG; § 6 Abs. 1 StVollzG MV; § 12 Abs. 1 LJVollzG RLP; § 6 Abs. 1 SLStVollzG; § 6 Abs. 1 SächsStVollzG; § 12 Abs. 1 ThürJVollzGB. 1674 Vgl. nur LNNV-Bachmann/Neubacher, § 112 Rn. 4 m. w. N. 1675 Näher hierzu Justizvollzugsbeauftragter NRW, Tätigkeitsbericht 2011, S. 19 ff. 1670

IV. Ergebnisse

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Die zweite Kernaussage, wonach dem Gefangenen die anwaltliche Fristversäumnis zum Nachteil gereichen soll, wird im Schriffttum zwar teilweise für zutreffend erachtet, ist aber letztlich zu undifferenziert.1676 Zwar gibt es weder im StVollzG noch in der StPO, auf die § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG pauschal verweist, eine Regelung, die für die Lösung der in Rede stehenden Problematik dienlich wäre. Die h. M. geht im Hinblick auf das Strafprozessrecht allerdings davon aus, dass anwaltliches Verschulden dem Mandanten dann nicht zugerechnet werden kann, wenn ersterer als Verteidiger tätig wird.1677 Geht es hingegen nicht um die Verteidigung gegen einen strafrechtlichen Schuldvorwurf und steht damit auch nicht nicht die Möglichkeit einer Bestrafung im Raum, wird vielfach die Zurechnung anwaltlicher Pflichtverletzungen bejaht.1678 Da ausweislich des erwähnten Pauschalverweises in § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG im Zweifel auch für das Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG die strafprozessualen Grundsätze gelten sollen, bedeutet dies, dass bei Strafvollzugssachen zwischen Disziplinar- und sonstigen Maßnahmen differenziert werden muss.1679 Weil erstere – wie das Bundesverfassungsgericht selbst zutreffend festgestellt hat – strafähnlich sind, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn der Gefangene einen Rechtsanwalt aus Anlass eines Disziplinarverfahrens beauftragt und letzterer die Frist des § 112 Abs.  1 Satz  1 StVollzG überschreitet.1680 In allen übrigen Fällen muss sich der Inhaftierte aber anwaltliche Versäumnisse zurechnen lassen. dd) Der Vornahmeantrag (§ 113 StVollzG) Während zu den bisher erörterten Regelungsbereichen (§§ 109 und 112 StVollzG) jeweils mehrere Entscheidungen vorliegen, hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Vornahmeantrag im Sinne des § 113 StVollzG im Rahmen seiner ver­ öffentlichten Rechtsprechung bisher nur einmal befasst. Dabei handelt es sich um einen Kammerbeschluss vom 3.11.2010, dem die Nichtumsetzung der Entscheidung einer Strafvollstreckungskammer durch die JVA zu Grunde lag. Letztlich geht es also um einen Fall der sogenannten „Renitenz“ von Vollzugsbehörden, d. h. der mehr oder wenigen offenen Weigerung einer Haftanstalt, eine gericht 1676 Zustimmend Arloth, § 112 Rn. 5; ebenso OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2008, 260; ablehnend SBJL-Laubenthal, § 112 Rn.  8; AK-Kamann/Spaniol, § 112 Rn.  12; Laubenthal, Rn. 795. 1677 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 112 Rn. 5 m. w. N. aus der strafprozessualen Literatur. 1678 Vgl. BGHSt 30, 309 (310); Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, § 44 Rn.  19; Pfeiffer, § 44 Rn. 6; a. A. LR-Graalmann-Scheerer, § 44 Rn. 62. 1679 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 112 Rn. 5; Zwiehoff, S.  83; Weißbrodt, FS 2012, 260 (261 f.). 1680 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, a. a. O.; siehe ferner zur Strafähnlichkeit von Disziplinarmaßnahmen bereits oben D.IV.11.b)aa)(1).

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D. Die Entscheidungsanalyse

liche Entscheidung umzusetzen.1681 Untersuchungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass derartige Fälle durchaus immer wieder vorkommen.1682 Für besonderes Aufsehen sorgte im Jahr 2005 ein Fall in Hessen, wo sich die­ betreffende JVA geweigert hatte, trotz eines rechtskräftigen Beschlusses des LG Gießen, dem Gefangenen einen in seiner Habe befindlichen DVD-Player auszuhändigen. In einer weiteren Entscheidung in dieser Sache kommt die Entrüstung des Gerichts deutlich zum Ausdruck: „Die Kammer stellt jedoch klar, dass die Weigerung der Vollzugsbehörde, dem [Antragsteller] den bei seiner Habe befindlichen DVD-Player auszuhändigen und dessen Benutzung im Haftraum zu gestatten, die vorsätzliche Missachtung einer gerichtlichen Entscheidung und damit einen eklatanten Rechtsbruch (vgl. Art. 20 III GG) darstellt, der zudem in dieser offenen Form erstmals in der Praxis des erkennenden Richters erfolgt. Die Vollzugsbehörde weigert sich – wie sie selbst einräumt –, den rechtskräftigen und sie damit bindenden Ausspruch des Beschlusses vom 30.5.2005 zu befolgen. Die Anstalt hat jedoch hinsichtlich der durch den Beschluss ausgesprochenen Verpflichtung  keinerlei eigenen Prüfungsspielraum mehr. Sie hat den rechtskräftigen Beschluss zu befolgen, ob sie ihn für richtig hält oder nicht.“1683

Darüber hinaus sah sich sogar das Bundesjustizministerium Anfang Januar 2006 dazu veranlasst, in einer Pressemitteilung darauf hinzuweisen, dass sich Landesjustizverwaltungen an gerichtliche Entscheidungen halten müssen.1684 Derart deutliche Worte können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zum damaligen Zeitpunkt  – anders als in der VwGO (vgl. §§ 170, 172)  – im StVollzG keine Regelung zur zwangsweisen Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen gab. Das Bundesverfassungsgericht hat es in seinem Beschluss vom 3.11.2010 ausdrücklich offen gelassen, ob sich aus Art. 19 Abs. 4 GG die Notwendigkeit einer solchen Vollstreckungsmöglichkeit ergibt.1685 Auch zur Frage der in Teilen der Literatur befürworteten entsprechenden Anwendung der §§ 170, 172 VwGO enthielt sich das Bundesverfassungsgericht einer abschließenden Stellungnahme.1686 Das von den Gegnern einer solchen Analogie vorgebrachte Kernargument, wonach der fehlenden Vollstreckungsregelung im StVollzG eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu Grunde liege, überzeugt nicht. Ein Blick auf die Gesetzgebungsmaterialien lässt vielmehr nur den Schluss zu, dass sich der Gesetzgeber mit dieser Problematik überhaupt nicht befasst hat.1687 1681 Ausführlich zu den insoweit unterscheidbaren Fallgruppen Feest/Lesting, in: FS Eisenberg, S. 675 (679 ff.). 1682 Näher hierzu Feest/Lesting, a. a. O., S. 675 (675 ff.); siehe ferner J. Walter, FS 2012, 270 (270 f.). 1683 LG Gießen StV 2006, 260 (260). 1684 Siehe dazu Lesting, FS 2012, 273 (274). 1685 Vgl. BVerfGK 18, 152 (156); dafür mit Recht Laubenthal, in: GS Walter, S. 579 (589). 1686 Vgl. BVerfGK 18, 152 (153 f.) mit umfangreichen Nachweisen zu den eine solche analoge Anwendung befürwortenden Stimmen als auch zur h. M., die dies ablehnte. 1687 Ausführlich dazu Müller-Dietz, StV 1984, 35 (35); Pollähne, ZfStrVo 2006, 277 (277).

IV. Ergebnisse

371

Das Bundesverfassungsgericht verweist in seiner Entscheidung vom 3.11.2010 auf die Möglichkeit, im Fall der Renitenz einer Vollzugsbehörde einen Vornahmeantrag gemäß § 113 Abs.  1 StVollzG zu stellen.1688 Einem Beschwerdeführer könne abverlangt werden, dass er die Frage, ob ein Verstoß gegen die Pflicht zur unverzüglichen Umsetzung einer gerichtlichen Entscheidung überhaupt vorliegt, gerichtlicher Klärung zuführt.1689 Dies werde nämlich regelmäßig umstritten sein, weil z. B. schon über die Frage, wieviel Zeit die Vollzugsbehörde für die Vollziehung habe, im Einzelfall ganz unterschiedliche Auffassungen vertreten werden könnten.1690 Lesting hat diesbezüglich treffend angemerkt, dass das Bundesverfassungsgericht den Gefangenen mit seiner Entscheidung letztlich „Steine statt Brot“ gegeben hat, weil es bei einem erfolgreichen Vornahmeantrag mit der Feststellung der Verzögerung sein Bewenden hat und eine Frist für die weitere Bearbeitung nicht gesetzt wird.1691 Bleibt die JVA nämlich auch nach der Untätigkeitsklage bei ihrer Verweigerungshaltung, kann von effektivem Rechtsschutz nicht die Rede sein.1692 Vor dem geschilderten Hintergrund ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass der Gesetzgeber nunmehr durch das am 1.6.2013 in Kraft getretene „Gesetz zur bundeseinheitlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung“ in § 120 Abs. 1 Satz 1 StVollzG einen Verweis auf die Vollstreckungsregelung des § 172 VwGO aufgenommen hat und damit den Gerichten (endlich) ein Instrument in die Hand gegeben hat, mit dem diese in Fällen vollzugsbehördlicher Renitenz spürbaren Druck auf die JVA ausüben können und sich nicht „auf der Nase herumtanzen“ lassen müssen.1693 ee) Einstweiliger Rechtsschutz (§ 114 StVollzG) (1) Kein Suspensiveffekt des Antrags auf gerichtliche Entscheidung Deutlich umfangreicher als die veröffentlichte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 113 StVollzG ist diejenige zum einstweiligen Rechtsschutz im Sinne des § 114 StVollzG. Letzterer ist gerade im Strafvollzug von besonderer Bedeutung, weil hier der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 114 Abs. 1 StVollzG keine aufschiebende Wirkung hat. Die Karlsruher Richter haben dies grundsätzlich gebilligt:

1688

Vgl. BVerfGK 18, 152 (154 ff.). Vgl. BVerfGK 18, 152 (156). 1690 Vgl. BVerfGK 18, 152 (156 f.). 1691 Vgl. Lesting, FS 2012, 273 (276); siehe ferner ders./Feest, StV 2013, 278 (280). 1692 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 120 Rn. 1. 1693 Näher zu dieser Neuregelung LNNV-Bachmann/Neubacher, § 120 Rn. 2 ff. 1689

372

D. Die Entscheidungsanalyse

– Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug einer Maßnahme für so gewichtig zu erachten, dass die Aussetzung des Vollzugs nur ausnahmsweise in Betracht kommt.1694 Dies ist hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Dimension allgemein anerkannt. Allerdings wäre es nach im Schrifttum zum Teil vertretener Auffassung zweckmäßiger gewesen, wenn der Gesetzgeber die aufschiebende Wirkung als Regelfall und den Sofortvollzug als Ausnahme normiert hätte, weil so die dem § 114 StVollzG zu Grunde liegende Intention, irreparable Rechtsverletzungen des Antragstellers grundsätzlich auszuschließen, am besten verwirklicht werden könne.1695 Solange aber eine entsprechende Gesetzesänderung nicht erfolgt ist, bleibt ein weiterer Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts von besonderer Bedeutung: – Es muss gewährleistet sein, dass der Betroffene im Rahmen eines Verfahrens nach § 114 Abs. 2 StVollzG eine wirksame Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht über die Frage erlangen kann, ob sein Interesse an der Aussetzung der Vollstreckung im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse am­ Sofortvollzug überwiegt oder nicht.1696 Insoweit ist es nicht nur zu begrüßen, dass die Karlsruher Richter auf die Notwendigkeit hingewiesen haben, die Bestimmungen zum Eilrechtsschutz so auszulegen, dass die Anrufung des Gerichts nicht nur eine theoretische Option ist, sondern auch auf den Umstand, dass der Rechtsschutzanspruch des Gefangenen umso stärker ins Gewicht fällt, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je weniger diese korrigierbar ist.1697 Dass sich hieraus vor allem mit Blick auf die besonders grundrechtsintensiven Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen spezielle Anforderungen ergeben, wurde bereits dargelegt.1698 Schließlich resultieren aus dem Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG bestimmte Vorwirkungen auf das vollzugsbehördliche Verfahren. Dies bedeutet, dass die Haftanstalten alles zu unterlassen haben, was die Kontrolle, ob das öffentliche Interesse am Sofortvollzug gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Einzelnen überwiegt, beeinträchtigen oder gar vereiteln würde. Konkret bedeutet dies nach Ansicht der Karlsruher Richter Folgendes: – Die JVA hat Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unverzüglich weiterzuleiten.

1694

Vgl. BVerfGE 37, 150 (153); BVerfGK 1, 201 (204); BVerfG NJW 1994, 717 (718); BVerfG, Beschl. v. 24.3.2009 – 2 BvR 2347/09; v. 25.7.1989 – 2 BvR 896/89. 1695 Vgl. AK-Kamann/Spaniol, § 114 Rn. 3. 1696 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.5.2012 – 2 BvR 2355/10, 2 BvR 1443/11; Beschl. v. 24.3.2009 – 2 BvR 2347/08; BVerfGK 11, 54 (60); 1, 201 (204); BVerfG ZfStrVo 1995, 371 (373); NJW 1994, 717 (718). 1697 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.3.2009 – 2 BvR 2347/08; BVerfGK 1, 201 (204); BVerfG NJW 1994, 717 (718). 1698 Siehe dazu oben D.IV.11.b)aa)(3) und bb)(2).

IV. Ergebnisse

373

– Verzögerungen, die durch die Überwachung des Schriftverkehrs entstehen, dürfen sich nicht zum Nachteil des Gefangenen auswirken. Die Haftanstalt muss daher bei der Durchführung von Briefkontrollen Vorkehrungen treffen, die sicherstellen, dass Anträge nach § 114 StVollzG das Gericht wie bei einer sofortigen Weiterbeförderung erreichen (z. B. durch Faxversand). – Erkennt die JVA, dass ein Antrag des Gefangenen aufgrund eines in ihrer Sphäre liegenden Umstandes das Gericht nur mit Verzögerung erreichen wird, muss sie die Vollziehung der betreffenden Maßnahme grundsätzlich bis zu einer gerichtlichen Entscheidung aussetzen.1699 Diese Grundsätze tragen dem Umstand, dass Inhaftierte für die Weiterleitung ihrer Anträge auf die Vollzugsbehörde angewiesen sind, angemessen Rechnung und sind daher nachdrücklich zu begrüßen.1700 Dass das Bundesverfassungsgericht zudem im Jahr 1993 entschieden hat, dass ein Eilantrag im Sinne des § 114 Abs. 2 StVollzG nicht die vorherige Einlegung eines Widerspruchs erfordert,1701 ist zwar ebenfalls zu befürworten, hat aber inzwischen keine praktische Bedeutung mehr, weil das Verwaltungsvorverfahren durch das am 1.6.2013 in Kraft getretene „Gesetz zur bundeseinheitlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung“ abgeschafft worden ist1702. (2) Vorwegnahme der Hauptsache Betrafen die bisher erörterten Kernaussagen eher grundsätzliche Fragen des Eilrechtsschutzes, soll der Blick nun auf ein etwas spezielleres Problem gerichtet werden, mit dem sich ein Großteil der veröffentlichten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts befasst. Die Rede ist von der Vorwegnahme der Hauptsache, die nach ganz herrschender Auffassung nur in Ausnahmefällen möglich ist, d. h. nur dann, wenn schwere Nachteile drohen, die durch eine Entscheidung im Verfahren nach § 109 StVollzG nicht mehr beseitigt werden können.1703 Nach wie vor müssen die Karlsruher Richter immer wieder eingreifen, weil Fachgerichte vorschnell die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Verweis auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache verwehren. Nahezu gebetsmühlenartig hat das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahrzehnten folgenden Grundsatz wiederholt: 1699

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NJW 1994, 3087 (3088). Zustimmend auch LNNV-Bachmann/Neubacher, § 114 Rn. 1; SBJL-Laubenthal, § 114 Rn. 1; AK-Kamann/Spaniol, § 114 Rn. 4. 1701 Vgl. BVerfG NJW 1993, 3190 f. 1702 Näher hierzu LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 21. 1703 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.5.2012  – 2 BvR 2355/10, 2 BvR 1443/11; v. 25.11.2010  – 2 BvR 2111/09; v. 24.3.2009  – 2 BvR 2347/08; NVwZ 2003, 1112 (1112 f.) BVerfGK 1, 201 (206); LNNV-Bachmann/Neubacher, § 114 Rn.  5; SBJL-Laubenthal, § 114 Rn.  7; Arloth, § 114 Rn. 4; a. A. AK-Kamann/Spaniol, § 114 Rn. 8. 1700

374

D. Die Entscheidungsanalyse

– Die Hauptsache wird durch die vorläufige Aussetzung einer Maßnahme im Sinne des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG nicht vorweggenommen, denn die bloße Tatsache, dass die vorübergehende Aussetzung als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, macht die vorläufige Regelung nicht zu einer end­ gültigen.1704 Vielmehr handelt es sich in derartigen Konstellationen  – wie die Karlsruher Richter ebenfalls mit Recht anmerken – gerade um den typischen Anwendungsfall einstweiligen Rechtsschutzes.1705 Deshalb liegt z. B. keine Vorwegnahme der Hauptsache vor, wenn die von der JVA angeordnete Ablösung eines Gefangenen von seinem bisherigen Arbeitsplatz vorläufig ausgesetzt oder aus dem Haftraum entfernte Gegenstände einstweilig zurückgegeben werden sollen.1706 Ferner hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend ausgeführt, dass von einer Aussetzung im Sinne des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG auch die Beseitigung der Folgen einer schon vollzogenen Maßnahme erfasst ist. Deshalb ist z. B. keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gegeben, wenn eine bereits erfolgte Verlegung in eine andere Haftanstalt bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 109 Abs. 1 StVollzG wieder rückgängig gemacht werden soll.1707 (3) Besonderheiten bei Vornahmeanträgen im Sinne des § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG Geht es nicht um die Aussetzung einer belastenden Anordnung, sondern um die Verpflichtung der JVA zum Erlass einer bestimmten Maßnahme, ist dies im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO möglich. Das Gericht kann dann nach § 123 Abs.  1 Satz  1 VwGO eine sogenannte Sicherungsanordnung erlassen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.1708 In Betracht kommt aber auch eine Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO), durch die ein vorläufiger Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis geregelt werden soll, wenn dies z. B. notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.1709 Unabhängig davon, um welche der beiden genannten Anordnungen es im konkreten Einzelfall geht, sind die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungen 1704 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.5.2012 – 2 BvR 2355/10, 2 BvR 1443/11; v. 24.3.2009 – 2 BvR 2347/08; BVerfGK 11, 54 (61); 8, 64 (65); 1, 201 (206); NVwZ 2003, 1112 (1113); NStZ 1999, 532 (532); NJW 1994, 717 (719); Beschl. v. 25.7.1989 – 2 BvR 896/89. 1705 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1706 Vgl. BVerfG NJW 1994, 717 ff.; NStZ 1999, 532. 1707 Vgl. BVerfGK 11, 54 (64); 8, 64 (65); Beschl. v. 25.7.1989 – 2 BvR 896/89. 1708 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 114 Rn. 4. 1709 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, a. a. O.

IV. Ergebnisse

375

an die Gerichte andere als bei Aussetzungsentscheidungen im Sinne des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Wie das Bundesverfassungsgericht richtig ausgeführt hat, besteht der entscheidende Unterschied zum Aussetzungsantrag darin, dass sich die Eilbedürftigkeit eines Vornahmebegehrens ohne einen entsprechenden Vortrag des Antragsstellers in der Regel nicht ohne Weiteres aufdrängt.1710 Vor diesem Hintergrund ergeben sich nach Ansicht der Karlsruher Richter folgende – durchaus sachgerechte – Anforderungen an die Fachgerichte: – Kommt der Antragsteller seiner Obliegenheit, den drohenden Rechtsverlust oder die unzumutbaren Nachteile durch ein weiteres Zuwarten auf den Erlass der begehrten Maßnahme darzulegen, nicht nach, ergibt sich für das Gericht aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht die Verpflichtung, diesbezüglich eine möglichst schnelle Klärung herbeizuführen. – Drängt sich im Einzelfall aber aus der Antragsschrift oder aus anderen Um­ ständen der baldige Eintritt von Nachteilen auf, muss das Gericht zeitgerecht auf die Ergänzung des Antrags hinwirken oder durch dessen Zurückweisung schnellstmöglich Gelegenheit zur Einreichung eines nachgebesserten Antrages geben.1711 ff) Das Rechtsbeschwerdeverfahren (§§ 116 ff. StVollzG) (1) Allgemeine verfassungsrechtliche Anforderungen Da der Rechtsweg in Strafvollzugssachen zweizügig ausgestaltet ist, bisher aber lediglich das erstinstanzliche Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer in Rede stand, ist der Blick nunmehr auch auf die Rechtsbeschwerde, für die das OLG zuständig ist, zu richten. Unter Bezugnahme auf seine Senatsrechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass Art. 19 Abs. 4 GG auch bei Strafvollzugssachen an sich keinen Instanzenzug verlangt. Hat der Gesetzgeber diesen aber eröffnet, muss auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle erfolgen.1712 Das wiederum bedeutet konkret: – Die Oberlandesgerichte dürfen die Rechtsbeschwerde nicht durch die Art und Weise, in der sie die Voraussetzungen der §§ 116 ff. StVollzG für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen, indem sie etwa unzumutbare oder durch Sachgründe nicht zu rechtfertigende Zugangshürden etablieren.

1710

Vgl. BVerfG ZfStrVo 1996, 46 (47); 1995, 371 (374). Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG, a. a. O. 1712 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2012 – 2 BvR 166/11; v. 22.5.2012 – 2 BvR 2207/10, jeweils m. w. N. 1711

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D. Die Entscheidungsanalyse

– Für den Rechtssuchenden muss erkennbar sein, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsbeschwerde zulässig ist. Ihm dürfen kein unüberschaubares Annahmerisiko und entsprechende Kostenfolgen aufgebürdet werden. – Bei der Anwendung vorgenannter Maßstäbe ist zu berücksichtigen, dass Gefangene typischerweise nach Bildungsstand, materiellen Ressourcen und Kommunikationsmöglichkeiten für den Umgang mit den Schwierigkeiten der Rechtsordnung nicht gut gerüstet sind. Wird eine Norm in einer Weise ausgelegt, die für den Betroffenen zu einer Erschwerung des Rechtsschutzes führt, muss dies durch gewichtige Gründe gerechtfertigt sein.1713 In den letzten Jahren sind diese Grundsätze u. a. im Zusammenhang mit Vollzugsplanfortschreibungen wiederholt relevant geworden. So ging das OLG Celle ursprünglich davon aus, dass sich ein gegen eine Vollzugsplanfestsetzung gerichtetes Rechtsschutzbegehren auch dann erledigt, wenn die angefochtene Fest­ setzung im fortgeschriebenen Vollzugsplan unverändert geblieben ist, was allerdings verschiedentlich bestritten wird.1714 Außerdem hat es angenommen, dass ein Fortsetzungsfeststellungsantrag im Rechtsbeschwerdeverfahren unzulässig ist, was jedenfalls der allgemeinen Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung entspricht.1715 Ob die genannten Auffassungen jeweils für sich genommen zutreffend sind, ist vom Bundesverfassungsgericht offen gelassen worden. Es hat jedoch mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Kombination beider Ansichten geäußert, weil sie dazu führt, dass bei Erledigungseintritt zwischen erstinstanzlicher Entscheidung und Einlegung der Rechtsbeschwerde typischerweise keine obergerichtliche Kontrolle mehr möglich ist.1716 Zudem könnte die JVA auf eine derartige Situation gezielt hinwirken, indem sie ihren Fortschreibungsrhythmus dem Ablauf etwaiger gerichtlicher Verfahren anpasst.1717 Das OLG Celle hat sich aus seiner misslichen Lage befreit, indem es mit Beschluss vom 28.1.2013 seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Vollzugsplanfortschreibung zur Erledigung der Hauptsache auch in den Fällen führt, in denen die angegriffenen Regelungen des Plans unverändert geblieben sind, aufgegeben hat.1718 Es trägt damit nunmehr den Anforderungen des Art. 19 Abs.  4 GG in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht hinreichend Rechnung.

1713 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 15, 577 (583 f.); 13, 438 (440); StV 2012, 678 (680); BVerfG, Beschl. v. 19.12.2012 – 2 BvR 166/11; v. 10.10.2012 – 2 BvR 922/11; v. 22.5.2012 – 2 BvR 2207/10; v. 3.5.2012 – 2 BvR 2355/10; v. 29.2.2012 – 2 BvR 368/10. 1714 Gegen Erledigung OLG Hamburg FS 2008, 137 ff.; LNNV-Bachmann/Neubacher, § 115 Rn. 13. 1715 Vgl. dazu die Sachverhaltsdarstellung in BVerfG, Beschl. v. 19.12.2012 – 2 BvR 166/11 sowie die umfangreichen Nachweise im Beschl. v. 29.12.2009 – 2 BvR 244708. 1716 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.2012 – 2 BvR 166/11; v. 29.12.2009 – 2 BvR 244/08. 1717 Vgl. BVerfG, a. a. O.; LNNV-Bachmann/Neubacher, § 115 Rn. 13. 1718 Vgl. OLG Celle StV 2013, 460 – Ls.

IV. Ergebnisse

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(2) Die Annahmevoraussetzungen der Rechtsbeschwerde (§ 116 Abs. 1 StVollzG) Den soeben dargestellten allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein effektiven Rechtsschutz bietendes Verfahren läuft es zuwider, wenn die Annahmevoraussetzungen der Rechtsbeschwerde in einer Weise angewendet werden, die es für den Beschwerdeführer faktisch unvorhersehbar macht, ob sein Rechtsmittel als zulässig erachtet werden wird oder nicht. Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung war dabei weniger die Voraussetzung „zur Fortbildung des Rechts“ (§ 116 Abs.  1 Alt.  1 StVollzG) als vielmehr diejenige „zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“ (Alt. 2). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu folgenden Grundsatz aufgestellt: – Die Annahmevoraussetzung des § 116 Abs. 1 Alt. 2 StVollzG ist nicht erfüllt, wenn die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung zwar auf eine unzutreffende oder von der Rechtsprechung anderer Gerichte abweichende Ansicht gestützt hat, aber aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon ausgegangen werden kann, dass sich der Rechtsfehler nicht wiederholen wird.1719 Hat die Strafvollstreckungskammer also nachträglich erkannt, dass sie von einer falschen rechtlichen Annahme ausgegangen ist und dies aktenkundig gemacht oder konnte sie nicht wissen, dass das OLG in einer anderen Sache zu dem betreffenden Rechtsproblem eine gegensätzliche Auffassung vertreten hat, besteht keine Wiederholungsgefahr in dem oben genannten Sinne.1720 In der Vergangenheit musste das Bundesverfassungsgericht mehrfach Entscheidungen von Oberlandesgerichten monieren, in denen die eingelegten Rechtsbeschwerden als unzulässig verworfen worden waren, obwohl der jeweilige Strafsenat keinerlei Umstände dargelegt hatte, anhand derer man hätte zu dem Schluss kommen können, dass es sich bei dem betreffenden (rechtsfehlerhaften) Beschluss der Strafvollstreckungskammer um einen Einzelfall handelt.1721 Warum aber ist es richtig, eine solche auf konkreten Tatsachen beruhende Prognose, dass eine Wiederholungsgefahr nicht besteht, zu verlangen? Das Bundesverfassungsgericht hat es treffend so formuliert: „Könnte bei im Übrigen erfüllten Zulässigkeitsvoraussetzungen die Erforderlichkeit obergerichtlicher Nachprüfung allein mit dem Ausspruch der Erwartung verneint werden, das Ausgangsgericht werde einen festgestellten Rechtsfehler künftig vermeiden, so wäre für den Rechtsschutzsuchenden nicht mehr erkennbar, in welchen Fällen er überhaupt noch mit einer Behandlung seiner Rechtsbeschwerde als zulässig rechnen dürfte.“1722 1719 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.5.2012  – 2 BvR 2207/10; BVerfGK 17, 420 (428); 15, 577 (584); 13, 438 (441). 1720 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.5.2012  – 2 BvR 2207/10; BVerfGK 13, 438 (441); ebenso LNNV-Bachmann/Neubacher, § 116 Rn. 5; SBJL-Laubenthal, § 116 Rn. 5; AK-Kamann/Spaniol, § 116 Rn. 7; Arloth, § 116 Rn. 7. 1721 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.5.2012 – 2 BvR 2207/10; BVerfGK 17, 420 ff.; 15, 577 ff.; 13, 438 ff. 1722 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.5.2012 – 2 BvR 2207/10; BVerfGK 13, 438 (442).

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D. Die Entscheidungsanalyse

Ging es bisher um die unzulässige Verengung des Zugangs zu den Oberlandesgerichten, muss der Vollständigkeit halber auch erwähnt werden, dass einige Strafsenate die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde über den Wortlaut des § 116 Abs. 1 StVollzG hinaus auch dann für gegeben halten, wenn die Entscheidung einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht Stand halten würde.1723 Zur Begründung hierfür wird vorgebracht, dass es prozessunwirtschaftlich sei, wenn der Betroffene nach dem erstinstanzlichen Verfahren auf den Weg der Verfassungsbeschwerde abgedrängt werde. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde contra legem. Es kann nicht Sache der Oberlandesgerichte sein, im „vorauseilenden Gehorsam“ eine Entscheidung, die nach der gesetzlichen Zuständigkeitsverteilung dem Bundesverfassungsgericht obliegt, vorwegzunehmen.1724 Nicht zuletzt wäre es auch der Rechtssicherheit abträglich, wenn die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde von der vagen Prognose abhängen soll, welche Auffassung wohl die Karlsruher Richter vertreten werden.1725 Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich zu der erläuterten Problematik im Übrigen noch keine abschließende Meinung gebildet, sondern diese Frage offen­ gelassen.1726 Demgegenüber hat es seine ausdrückliche Zustimmung gefunden, dass die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und anderer grundlegender Verfahrensprinzipien von der ganz h. M. als eine Art selbstständiger Zulässigkeitsgrund angesehen wird, der auch über den Wortlaut des § 116 Abs. 1 StVollzG hinaus eingreift.1727 Auch insoweit gilt aber: Es mag aus prozessökonomischen Gründen sinnvoll sein, wenn ein Verfahrensverstoß noch von den Fachgerichten selbst behoben wird und nicht sofort das Bundesverfassungsgericht eingreifen muss.1728 Dies zu regeln, obliegt jedoch allein dem Gesetzgeber.1729 Im Übrigen ist eine fachgerichtliche Korrekturmöglichkeit für den praktisch wichtigen Fall der Verstöße gegen Art. 103 Abs. 1 GG durch die Strafvollstreckungskammer de lege lata bereits gegeben, denn im Fall der Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde kann die Anhörungsrüge nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 33a StPO erhoben werden, auch wenn nicht verkannt werden soll, dass diese in der Praxis nur selten erfolgreich ist.1730

1723 Vgl. OLG Celle NStZ 2013, 184; OLG Stuttgart, Beschl. v. 5.12.2011 – 4 Ws 69/10; zustimmend SBJL-Laubenthal, § 116 Rn. 7. 1724 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 116 Rn. 6. 1725 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, a. a. O. 1726 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.5.2012 – 2 BvR 2207/10. 1727 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.2011 – 2 BvR 2407/10; Beschl. v. 24.7.2008 – 2 BvR 610/08 m. w. N. 1728 So etwa SBJL-Laubenthal, § 116 Rn. 7. 1729 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 116 Rn. 6. 1730 Näher hierzu Bachmann ZIS 2012, 545 (545).

IV. Ergebnisse

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Schließlich war noch bis vor wenigen Jahren die Möglichkeit einer sogenannten Untätigkeitsbeschwerde beim OLG anerkannt.1731 Diese wurde  – unter ausdrücklicher Billigung des Bundesverfassungsgerichts  – ausnahmsweise für zulässig erachtet, wenn die Unterlassung einer gebotenen Entscheidung durch die Strafvollstreckungskammer nicht nur eine Verzögerung darstellte, sondern einer endgültigen Ablehnung oder einer faktischen Rechtsverweigerung gleichkam.1732 Durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit durch das OLG sollte die Strafvollstreckungskammer zu einer beschleunigten Sachbearbeitung angehalten werden.1733 Vor dem Hintergrund des am 3.12.2011 in Kraft getretenen „Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“ (§§ 198 bis 201 GVG) ist die beschriebene Untätigkeitsbeschwerde allerdings inzwischen obsolet geworden.1734 Der Betroffene kann nunmehr nach § 198 Abs.  3 Satz  1 GVG eine finanzielle Entschädigung erhalten, wenn er bei dem mit seiner Sache befassten Gericht zuvor mittels einer Verzögerungsrüge die zu lange Dauer des Verfahrens gerügt hat und nach den Umständen des Einzelfalls keine andere Form der Wiedergutmachung ausreichend ist.1735 (3) Anhörungsrüge bei Gehörsverletzungen durch das OLG Eine Vielzahl verfassungsgerichtlicher Entscheidungen betrifft die Problematik der Gehörsverletzungen durch das OLG und die sich daraus ergebende Frage nach der einschlägigen Anhörungsrüge. So musste das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach darauf hinweisen, dass aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht nur das Gebot folgt, den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den Stellungnahmen der Gegenseite in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht zu äußern. Die verbreitete Praxis der Oberlandesgerichte, Strafgefangenen die Stellungnahmen anderer Verfahrensbeteiligter wegen deren rein rechtsbezogenen Ausführungen und der unterstellten Irrelevanz einer etwaigen Erwiderung von vornherein nicht zur Kenntnis zu geben, ist verfassungswidrig, denn sie übersieht, dass Art. 103 Abs. 1 GG nicht nur der Gewährleistung sachlich richtiger Ent­

1731 Vgl. aber VerfG Brandenburg, Beschl. v. 19.2.2009 – 7/09, wonach der Zulässigkeit der Landesverfassungsbeschwerde nicht der Gesichtspunkt der mangelnden Rechtswegerschöpfung nach § 45 Abs. 2 Satz 1 VerfGGBbg entgegengehalten werden konnte, wenn zuvor keine Untätigkeitsbeschwerde eingelegt wurde, weil diese nicht dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Gebot der Rechtsmittelklarheit genügt habe. 1732 Vgl. BVerfGK 6, 291 (293 ff.); 5, 155 (158 ff.); BverfG b. Matzke NStZ 2003, 592 (595); BVerfG, Beschl. v. 27.7.2005 – 2 BvR 282/05. 1733 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 116 Rn. 8. 1734 Vgl. OLG München, Beschl. v. 19.2013 – 4 VAs 8/13; OLG Hamburg NStZ 2012, 656; SBJL-Laubenthal, § 116 Rn. 15; Althammer/Schäuble, NJW 2012, 1 (5). 1735 Näher zu der in Rede stehenden Neuregelung LNNV-Bachmann/Neubacher, § 116 Rn. 8.

380

D. Die Entscheidungsanalyse

scheidungen, sondern zugleich der Wahrung der Subjektstellung der Verfahrensbeteiligten dient.1736 Umstritten ist, welche strafprozessuale Anhörungsrüge (vermittelt über § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG) zu erheben ist, wenn das OLG in der beschriebenen oder einer anderen Weise den Anspruch des Gefangenen auf rechtliches Gehör verletzt. Eine Auffassung hält u. a. mit Verweis auf die Revisionsähnlichkeit der Rechtsbeschwerde § 356a StPO für einschlägig.1737 Die Gegenansicht bejaht demgegenüber die Anwendbarkeit von § 33a StPO, denn § 356a StPO beziehe sich nach seinem klaren Wortlaut nur auf das Revisionsverfahren.1738 Das Bundesverfassungsgericht lässt zwar eine klare Tendenz in Richtung der letztgenannten Ansicht erkennen, indem es zum einen in mehreren Entscheidungen klar für die Einschlägigkeit der Anhörungsrüge nach § 33a StPO plädiert sowie zum anderen Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 356a StPO geäußert hat, weil dessen Voraussetzungen für den Bereich des Strafvollzuges zu streng seien.1739 Allerdings hat es die in Rede stehende Frage in zwei Entscheidungen jüngeren Datums offen gelassen.1740 Es wäre zu begrüßen, wenn sich die Karlsruher Richter der Klarstellung halber noch einmal ausdrücklich für die Anhörungsrüge gemäß § 33a StPO aussprächen, denn diese verdient gegenüber derjenigen nach § 356a StPO den Vorzug. Hierfür spricht neben dem bereits erwähnten Wortlautargument auch der systematische Umstand, dass JGG (§ 2 Abs. 2) und OWiG (§ 46 Abs. 1) ebenso wie das StVollzG (§ 120 Abs. 1 Satz 2) Pauschalverweise auf die Vorschriften der StPO enthalten, wobei allerdings in letztgenanntem Gesetz – anders als im Jugendstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (vgl. §§ 55 Abs. 4 JGG, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) – § 356a StPO für letztinstanzliche Entscheidungen nicht ausdrücklich für anwendbar erklärt wird.1741 Stattdessen enthält § 116 Abs. 4 StVollzG für die Rechtsbeschwerde nur einen allgemeinen Verweis auf die Vorschriften der StPO, was als Indiz dafür zu werten ist, dass die spezielle Anhörungsrüge des § 356a StPO hier nicht gelten soll.1742 Nicht zuletzt sprechen teleologische Gesichtspunkte für die An 1736 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.6.2011 – 2 BvR 960/11; v. 2.3.2011 – 2 BvR 43/10 u. a. jeweils m. w. N. 1737 Vgl. KG Berlin, Beschl. v. 17.010.2011 – 2 Ws 340/11; OLG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.6.2011 – 1 Ws 273/11; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2009, 30 (30); BeckOK-StVollzG/ Euler, § 119 Rn. 1; SBJL-Lau-benthal, § 119 Rn. 3; Arloth, § 119 Rn. 1. 1738 Vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 28.7.2005 – 1 Vollz [Ws] 74/05; LNNV-Bachmann/Neu­ bacher, § 119 Rn.  2; AK-Kamann/Spaniol, § 119 Rn.  2; Bachmann, ZIS 2012, 545 (546 f.); Pohlreich, StV 2011, 574 (575); Lübbe-Wolff, AnwBl. 2005, 509 (513). 1739 Vgl. BVerfGK 13, 480 481); 9, 390 (393 f.); BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012  – 2 BvR 1218/10; v. 25.10.2011 – 2 BvR 2407/10; v. 2.3.2011 – 2 BvR 43/10 u. a.; v. 20.5.2010 – 2 BvR 1226/09; v. 29.12.2009 – 2 BvR 244/08; 30.7.2009 – 2 BvR 1575/09; v. 24.7.2008 – 2 BvR 610/08; v. 23.4.2008 – 2 BvR 1889/07; v. 30.12.2002 – 2 BvR 1786/02; zu den Bedenken im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 356a StPO Beschl. v. 30.11.2011 – 2 BvR 2358/11; ­näher zum Ganzen auch Bachmann, ZIS 2012, 545 (546). 1740 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.11.2011 – 2 BvR 2358/11; 5.10.2011 – 2 BvR 1555/11. 1741 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 119 Rn. 2; Bachmann, ZIS 2012, 545 (546 f.). 1742 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, a. a. O.; Bachmann, ZIS 2012, 545 (547).

IV. Ergebnisse

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wendung des § 33a StPO. Die formalen Anforderungen des § 356a StPO sind nämlich für den Bereich des Strafvollzuges zu streng und laufen der Intention von An­hörungsrügen, die in der effektiven Sicherung des Anspruchs auf rechtliches­ Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG besteht, zuwider.1743 Dies gilt vor allem mit Blick auf die in § 356a Satz 2 StPO vorgesehene Fristregelung, wonach die Rechtsbeschwerde binnen einer Woche eingelegt und begründet werden muss, was allgemein schon als unangemessen kurz kritisiert wird und für Gefangene erst Recht nicht zumutbar ist.1744 Das Bundesverfassungsgericht selbst hat die insoweit entscheidenden Faktoren benannt: die den Postlauf verzögernde Briefkontrolle, die zumeist fehlende anwaltliche Vertretung des Strafgefangenen sowie der Umstand, dass Inhaftierte nach Bildungsstand, materiellen Ressourcen und Kommunika­ tionsmöglichkeiten für die Schwierigkeiten der Rechtsordnung nicht gut gerüstet sind.1745 All dies spricht in der Gesamtabwägung für die Anwendbarkeit der – nicht an eine Frist gebundenen – Anhörungsrüge nach § 33a StPO. (4) Die Formvorschrift des § 118 Abs. 3 StVollzG Dass formelle Anforderungen gerade im Bereich des Strafvollzuges eher nicht zu hoch sein sollten, zeigt auch ein Blick auf die – an sich recht klare – Regelung des § 118 Abs.  3 StVollzG, wonach die Rechtsbeschwerde nur durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle der Strafvollstreckungskammer erhoben werden kann. Wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend ausgeführt hat, soll durch die genannte Formvorschrift ­sichergestellt werden, dass das Vorbringen des Betroffenen in sachlich und rechtlich geordneter Weise in das Verfahren eingeführt wird, womit es also letztlich um die Entlastung der Gerichte geht.1746 Darüber hinaus will § 118 Abs. 3 StVollzG aber auch gewährleisten, dass das Rechtsmittel des regelmäßig rechtsunkundigen Beschwerdeführers nicht von vornherein an formalen Mängeln scheitert.1747 Bereits anhand der Vielzahl der zu der in Rede stehenden Vorschrift ergangenen Entscheidungen erkennt man, dass sie in der Praxis einige Probleme bereitet. So musste das Bundesverfassungsgericht mehrfach darauf hinweisen, dass ein durch den Gefangenen selbst verfasstes und an das Gericht gesendetes Schreiben nicht „zur Niederschrift der Geschäftsstelle“ eingelegt ist.1748 Die Rechtsbeschwerde muss vielmehr durch Erklärung gegenüber dem zuständigen Urkundsbeamten 1743

Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, a. a. O.; Bachmann, a. a. O. Vgl. Bachmann, a. a. O.; Eschelbach/Geipel/Weiler, StV 2010, 325 (330). 1745 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.11.2011 – 2 BvR 2358/11. 1746 Vgl. BVerfG NJW 2013, 446 (447); BVerfGK 8, 303 (305). 1747 Vgl. BVerfG, a. a. O. m. w. N. 1748 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.9.2009  – 2 BvR 1681/09; 2.9.2009  – 2 BvR 1652/09; v. 24.7.2008 – 2 BvR 1304/08; v. 6.7.2006 – 2 BvR 1131/06; 13.2.2003 – 2 BvR 61/03; StRR 2009, 243 – Ls. 1744

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D. Die Entscheidungsanalyse

der Geschäftsstelle abgegeben und – in beiderseitiger Anwesenheit – von diesem­ protokolliert werden.1749 Wird dem Gefangenen diese Möglichkeit seitens der JVA rechtswidrig verweigert, muss er sich dagegen mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 Abs. 1 StVollzG zur Wehr setzen.1750 Räumt ihm hingegen der Urkundsbeamte keinen Termin ein, kann der Inhaftierte dagegen mit der Erinnerung nach § 11 Abs.  2 RPflG vorgehen.1751 Macht er von den beiden vorgenannten Rechtsschutzmöglichkeiten keinen Gebrauch, beraubt er sich der Option einer Verfassungsbeschwerde, weil diese dann mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig wäre.1752 Kommt es im Rahmen der Protokollierung der Rechtsbeschwerde zu Fehlern, gelten nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts folgende – auch vom Schrifttum anerkannte1753 – Grundsätze: – Beruht die Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde auf einem Verschulden der Justiz, ist dem Gefangenen bei rechtzeitiger Nachholung des zunächst nicht wirksam erhobenen Rechtsmittels von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 45 StPO) zu gewähren. – Der Grundsatz fairer Verhandlungsführung erfordert es, dass der Inhaftierte bei Zulässigkeitsmängeln, die im Verantwortungsbereich des Gerichts liegen, von letzterem ausdrücklich auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung hingewiesen wird. Unterbleibt diese Belehrung, beginnt die Wiedereinsetzungsfrist nicht zu laufen.1754 Zu den vom Gericht verschuldeten Fehlern gehört es, wenn sich der Urkundsbeamte bei der Anfertigung der Niederschrift als bloßes Werkzeug des Antragstellers geriert, indem er sich den Inhalt des Protokolls von diesem diktieren lässt oder sich der Inhalt der Niederschrift im Verweis auf die als Anlage beigefügte, privatschriftliche Erklärung des Beschwerdeführers erschöpft.1755 Letzteren trifft auch dann kein Verschulden an der Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde, wenn diese darauf beruht, dass die Niederschrift von einem unzuständigen Justizbediensteten angefertigt wurde.1756 Schließlich ist es bereits vorgekommen, dass eine 1749

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.9.2009 – 2 BvR 1652/09 m. w. N. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.5.2010 – 2 BvR 869/10. 1751 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.5.2010 – 2 BvR 869/10; v. 25.11.2008 – 2 BvR 2693/07. 1752 Vgl. BVerfG, a. a. O. 1753 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 118 Rn.  6; SBJL-Laubenthal, § 118 Rn.  8 u. 10; AK-Kamann/Spaniol, § 118 Rn. 14 f. u. 20; Arloth, § 118 Rn. 6. 1754 Vgl. BVerfGK 8, 303 (304 f.); 5, 151 (153 f.) BVerfG NJW 2013, 446 (447); 2005, 3629 (3629 f.); Beschl. v. 29.2.2012 – 2 BvR 2911/10; v. 19.3.2009 – 2 BvR 277/09 = StRR 2009, 162 – Ls.; zustimmend LNNV-Bachmann/Neubacher, § 118 Rn. 6 m. w. N. 1755 Derartige Sachverhalte lagen den folgenden verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zu Grunde: BVerfGK 8, 303 ff.; NJW 2013, 446 f.; NJW 2005, 3629 f.; Beschl. v. 29.2.2012 – 2 BvR 2911/10. 1756 Ein solcher Fall lag dem Nichtannahmebeschluss vom 21.3.2005 (= BVerfGK 5, 151 [153]) zu Grunde. 1750

IV. Ergebnisse

383

Strafvollstreckungskammer eine falsche Rechtsmittelbelehrung erteilt und der Betroffene deshalb keine formgerechte Rechtsbeschwerde erhoben hat.1757 Da auch dies in den Verantwortungsbereich des Gerichts fällt, muss dem Beschwerde­führer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. (5) Verwerfung der Rechtsbeschwerde ohne Begründung (§ 119 Abs. 3 StVollzG) Neben den bereits thematisierten §§ 116, 118 Abs.  3 StVollzG ist auch § 119 Abs. 3 StVollzG – vor allem in jüngster Vergangenheit – mehrfach Gegenstand verfassungsgerichtlicher Erörterungen gewesen. Nach dieser Vorschrift bedarf ein Beschluss, der die Rechtsbeschwerde einstimmig als unzulässig oder offensichtlich begründet verwirft, keiner Begründung. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu im Mai 2001 unter Bezugnahme auf seine Senatsrechtsprechung festgestellt: – § 119 Abs. 3 StVollzG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.1758 Das Schrifttum teilt diese Auffassung.1759 Nach Ansicht einiger enthält § 119 Abs. 3 StVollzG allerdings einen Redaktionsfehler, weil ein praktischer Anwendungsbereich für die Verwerfung einer Rechtsbeschwerde als „offensichtlich un­ begründet“ kaum denkbar sei, da ein solches Rechtsmittel weder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung noch der Fortbildung des Rechts dienen könne.1760 Dies bedarf jedoch im vorliegenden Zusammenhang keiner weiteren Erörterung, da jedenfalls die Verfassungsmäßigkeit des Kerngedankens von § 119 Abs.  3 StVollzG  – rasche Verwerfung einer substanzlosen Rechtsbeschwerde zur Ent­ lastung der Gerichte – von einem Einwand der vorgenannten Art nicht in Frage gestellt wird. Greift § 119 Abs. 3 StVollzG nicht ein und muss das OLG seine Entscheidung deshalb mit einer Begründung versehen, kann es sich gleichwohl wie bei strafrechtlichen Revisionsbeschlüssen (vgl. § 349 Abs.  2, 4 StPO) auf die zentralen Rechtsausführungen beschränken.1761 Dabei bedeutet es auch keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn die Gerichte in den Entscheidungsgründen nicht auf jedes Argument eines Beschwerdeführers eingehen. Dies hat das Bundes­ verfassungsgericht bereits 1995 klargestellt.1762

1757

Vgl. dazu den Sachverhalt in BVerfG, Beschl. v. 19.3.2009 – 2 BvR 277/09. Vgl. BVerfG NStZ-RR 2002, 95; siehe ferner BVerfG StV 2012, 678 (680); Beschl. v. 10.10.2012 – 2 BvR 922/11; v. 29.2.2012 – 2 BvR 368/10 u. 2 BvR 309/10. 1759 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 119 Rn. 4; SBJL-Laubenthal, § 119 Rn. 5; Arloth, § 119 Rn. 4. 1760 So AK-Kamann/Spaniol, § 119 Rn. 11. 1761 Vgl. AK-Kamann/Spaniol, § 119 Rn. 12. 1762 Vgl. BVerfG ZfStrVo 1995, 312 (314); ebenso VGH Berlin, Beschl. v. 29.1.2004 – 205/03, 205 A/03. 1758

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D. Die Entscheidungsanalyse

gg) Prozesskostenhilfe Einen letzten Schwerpunkt innerhalb der veröffentlichten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafvollzug stellt die Prozesskostenhilfe dar, die einem Gefangenen unter den Voraussetzungen des § 120 Abs. 2 StVollzG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO gewährt werden kann. Nach § 114 Satz 1 ZPO ist hierfür neben der persönlichen und wirtschaftlichen Bedürftigkeit des Antragstellers notwendig, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu folgende Kernaussagen getroffen: – Aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgt, dass Bemittelte und Unbemittelte weitgehend gleichen Zugang zu den Rechtsschutzmöglichkeiten haben müssen. – Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Gewährung von Prozesskostenhilfe von den Voraussetzungen des § 114 Satz  1 ZPO abhängig zu machen. Die Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hat aber nur summarischen Charakter und darf daher nicht das Hauptsacheverfahren ersetzen.1763 Zu den häufigen Verstößen gegen die genannten Grundsätze gehört insbe­ sondere das sogenannte „Durchentscheiden“ schwieriger oder ungeklärter Rechtsfragen im Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Ein schillerndes Beispiel hierfür ist der Sachverhalt, der dem stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.2.2011 zu Grunde lag. Hier hatte ein Gefangener für eine Amtshaftungsklage gegen Nordrhein-Westfalen wegen menschenunwürdiger Unterbringung Prozesskostenhilfe beantragt.1764 Obwohl die Hafträume, in denen der Beschwerdeführer insgesamt rund fünf Monate gemeinsam mit einem weiteren Gefangenen untergebracht war, die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen mit einer Grundfläche von nur 4 m² je Häftling und fehlender Abtrennung des Sanitärbereichs klar verfehlte, verneinte das LG eine­ Menschenwürdeverletzung und wich damit von der h. M. ab.1765 Darüber hinaus rekurrierte das LG auf „abmildernde Faktoren“, die nicht einmal seitens der betroffenen Haftanstalten vorgetragen worden waren.1766 Ferner wich es von der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung üblichen Verteilung der Darlegungsund Beweislast in Amtshaftungsprozessen zum Nachteil des Beschwerdeführers ab.1767 Schließlich hatte das LG die vom BGH für eine Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Unterbringung aufgestellte Erheblichkeitsschwelle als nicht 1763 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 9, 123 (126); BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1044); StV 1996, 445; Beschl. v. 6.3.2008 – 2 BvR 387/07. 1764 Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1043). 1765 Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1044 f.). 1766 Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1045). 1767 Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1045 f.).

IV. Ergebnisse

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erreicht angesehen, obwohl der Fall des Beschwerdeführers ersichtlich mit demjenigen des BGH (Dauer der menschenwürdigen Unterbringung hier nur zwei Tage) offenkundig nicht vergleichbar war.1768 Der geschilderte Sachverhalt zeigt anschaulich, was nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, die der allgemeinen Auffassung entspricht, im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens keinesfalls zulässig ist: Das Abweichen von der höchstrichterlichen Judikatur oder der herrschenden Meinung in der Literatur.1769 Derart weitreichende inhaltliche Erörterungen sind ebenso wie die Beantwortung noch ungeklärter Rechtsfragen allein dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Das Verfahren gemäß § 120 Abs. 2 StVollzG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO will – wie das Bundesverfassungsgericht treffend formuliert hat  – den Rechtsschutz nämlich nicht selbst bieten, sondern lediglich zugänglich machen.1770 hh) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die verfassungsgerichtliche Judikatur zum gerichtlichen Rechtsschutz im Sinne der §§ 109 ff. StVollzG einer kritischen Überprüfung weitgehend Stand hält. Letztlich sind es nur drei Punkte, in •• sorgfältige Sachverhaltsaufklärung •• extensive Auslegung des Maßnahmebegriffs im Sinne des § 109 Abs. 1 StVollzG •• sachdienliche Bestimmung des Verfahrensgegenstandes •• keine unerfüllbaren Beweislastanforderungen •• beschleunigte Behandlung von Eilanträgen •• kein Vorliegen einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache bei vorübergehender Aussetzung einer Maßnahme im Sinne des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG •• Ablehnung des Annahmegrundes nach § 116 Abs. 1 Alt. 2 StVollzG mangels Gefahr der Wiederholung einer fehlerhaften Entscheidung nur bei konkreten Anhaltspunkten •• Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Zulässigkeitsmängeln, die auf einem Verschulden der Justiz beruhen •• kein Durchentscheiden schwieriger oder umstrittener Rechtsfragen im Verfahren der Prozesskostenhilfe Abbildung 13: Maßgaben des BVerfG zur Umsetzung des Art. 19 Abs. 4 GG

1768

Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1046). Vgl. BVerfG NJW-RR 2011, 1043 (1044) m. w. N. aus seiner Rechtsprechung; zustimmend LNNV-Bach-mann/Neubacher, § 120 Rn. 7; SBJL-Laubenthal, § 120 Rn. 4; AK-Kamann/Spaniol, § 120 Rn. 13; Calliess/Müller-Dietz, § 120 Rn. 3. 1770 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.3.2008 – 2 BvR 387/07. 1769

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D. Die Entscheidungsanalyse

denen die Rechtsprechung der Karlsruher Richter nicht in Gänze zu überzeugen vermag: die generelle Bejahung der Zurechnung anwaltlicher Fristversäumnis, der bloße Verweis auf den Vornahmeantrag nach § 113 StVollzG im Falle vollzugsbehördlicher Renitenz sowie das Fehlen eines unmissverständlichen Bekenntnisses zur Anhörungsrüge nach § 33a StPO bei Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG durch das OLG. Im Übrigen verdient die verfassungsgerichtliche Judikatur als zentraler Beitrag zur Stärkung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG unein­ geschränkt Zustimmung. In Abbildung  13 sind die wichtigsten Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts für einen effektiven Rechtsschutz im Strafvollzug zusammenfassend dargestellt. c) Historische Einordnung Die soeben erörterte und sehr umfangreiche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz kann in ihrer Bedeutung nur richtig eingeordnet werden, wenn man einen Blick zurück auf das Ende der 1980er- und den Beginn der 1990er-Jahre wirft. Zu diesem Zeitpunkt war von dem Optimismus der 1970er-Jahre und der Vorstellung von den Strafvollstreckungskammern als sachkundigen und vollzugsnahen Begleitern der Gefangenen nicht mehr viel übrig geblieben – stattdessen herrschte, etwas salopp formuliert, „Katerstimmung“.1771 Die Kritik am Rechtsschutz in Strafvollzugssachen war tiefgreifend und umfasste nahezu alle Bereiche der §§ 109 ff. StVollzG. In diesem Zusammenhang lautet die zentrale Frage, welche grundlegenden Mängel dies im Einzelnen sind und inwieweit das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich Abhilfe schaffen bzw. auf eine solche hinwirken konnte. So wird es im Hinblick auf eine effektive gerichtliche Kontrolle zunächst mit Recht vielfach für nachteilig erachtet, dass gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 StVollzG der Grundsatz der Schriftlichkeit des Verfahrens gilt.1772 Dies wird weder der Tatsache gerecht, dass es vielen Gefangenen große Probleme bereitet, ihr Anliegen schriftlich darzulegen noch dem Umstand, dass zahlreiche Streitigkeiten eher auf allgemeinen Schwierigkeiten des Inhaftierten mit den Bediensteten und weniger auf Rechtsfehlern beruhen.1773 Das Bundesverfassungsgericht hat § 115 Abs. 1 Satz 1 StVollzG bisher nicht näher thematisiert oder gar beanstandet. Einen (kleinen) Schritt in die richtige Richtung geht hingegen das am 1.11.2013 in Kraft getretene „Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren“ mit der Einfügung des Abs.  1a

1771

Näher hierzu LNNV-Bachmann/Neubacher, § 109 Rn. 3; Walter, Rn. 420, jeweils m. w. N. So etwa Laubenthal, Rn.  845; Leyendecker, S.  296; Rotthaus, ZfStrVo 1996, 1 (8 f.); Kretschmer, ZfStrVo 2005, 217 (219). 1773 Vgl. Laubenthal, a. a. O.; Walter, Rn. 423; Kretschmer, ZfStrVo 2005, 217 (219 f.); Rotthaus, ZfStrVo 1996, 3 (8 f.); Lesting, KrimJ 1993, 48 (51). 1772

IV. Ergebnisse

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in § 115 StVollzG.1774 Darin wird klargestellt, dass die Anhörung des Gefangenen unter Verzicht auf dessen persönliche Anwesenheit auch durch die zeitgleiche Übertragung in Bild und Ton in die JVA und das Sitzungszimmer erfolgen kann. Freilich hat diese Neuregelung nur deklaratorischen Charakter, denn die Nutzung der Videokonferenztechnik war auch zuvor schon möglich, wurde aber in Strafvollstreckungs- und Strafvollzugssachen nur selten zum Einsatz gebracht.1775 Angesichts dessen wäre eine obligatorische Ausgestaltung des § 115 Abs.  1a StVollzG sinnvoller gewesen, weil dadurch die Chance, dass es gegenüber dem rein schriftlichen Verfahren zu einer spürbaren Verbesserung kommt, wesentlich höher ist.1776 Als zentrales Hemmnis für eine wirksame gerichtliche Kontrolle wird ferner auf die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe und Ermessensvorschriften im StVollzG hingewiesen, die die richterliche Kontrolldichte erheblich reduzieren und in Verbindung mit der zumeist nicht gegebenen Spruchreife im Sinne des § 115 Abs. 4 Satz 1 StVollzG dazu führen, dass der Gefangene selbst im (seltenen) Falle des Obsiegens regelmäßig nur einen Erfolg in Form eines Anspuchs auf Neubescheidung davonträgt.1777 Das Bundesverfassungsgericht konnte hieran nichts Wesentliches ändern, hat es sich doch für den praktisch bedeutsamsten Fall vollzugsbehördlicher Beurteilungsspielräume im Kern dem BGH angeschlossen, wonach die Feststellung einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist.1778 Das ist den Karlsruher Richtern nicht vorzuwerfen, denn zum einen ist dies, wie bereits er­ läutert wurde, in der Sache richtig und zum anderen muss berücksichtigt werden, dass letztlich nur der Gesetzgeber durch entsprechende Veränderung der Normstrukturen (weniger Ermessensvorschriften und mehr zwingende Regelungen) wirksam Abhilfe schaffen kann. Als weiterer Nachteil für einen effektiven Rechtsschutz im Strafvollzug wird immer wieder auf die unzureichende personelle Situation in den Strafvollstreckungs­ kammern hingewiesen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass den Richterinnen und Richtern durch zu geringe Pensenschlüssel oftmals nicht genügend Zeit zur Verfügung steht und es deshalb wenig verwunderlich ist, wenn hier und da die notwendige Sorgfalt fehlt.1779 Obwohl die Tätigkeit in einer Strafvollstreckungskammer durchaus verantwortungs- und auch anspruchsvoll ist, genießt sie in der Richterschaft ein traditionell geringes Ansehen, was gewiss auch auf die niedrigen 1774

Vgl. BGBl. I 2013, S. 935. Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, § 115 Rn. 8a; siehe ferner zum Einsatz der Videokonferenztechnik in der Strafvollstreckung und im Strafvollzug die eingehende empirische Untersuchung von Eichinger. 1776 Vgl. LNNV-Bachmann/Neubacher, a. a. O. 1777 Näher hierzu Laubenthal, Rn. 846; Spaniol, FS 2012, 253 (254 ff.); Kretschmer, ZfStrVo 2005, 217 (219); Kamann, KrimJ 1993, 13 (22 ff.); Lesting, KrimJ 1993, 48 (50). 1778 Siehe dazu bereits oben D.IV. 5.b)bb) und c). 1779 Vgl. Rotthaus, ZfStrVo 1996, 3 (8 f.); Dünkel, BewHi 1992, 196 (197 f.). 1775

388

D. Die Entscheidungsanalyse

Pensenschlüssel zurückzuführen ist.1780 Statt mit kompetenten und engagierten Richterinnen und Richtern sind die Strafvollstreckungskammern daher häufig mit Berufsanfängern oder mit solchen Kollegen besetzt, die sich wegen der hohen Fluktuation gar nicht hinreichend mit der komplexen Materie vertraut machen können.1781 Das Bundesverfassungsgericht kann hier naturgemäß wenig ausrichten, da derartige Personalangelegenheiten nicht in seinen Kompetenzbereich fallen. Es hat aber immerhin in unterschiedlichen Zusammenhängen deutlich gemacht, dass der Staat im Rahmen des Zumutbaren alle erforderlichen Personalund Sachmittel zur Verfügung stellen muss.1782 Dieses Postulat gilt natürlich auch für die Gerichte. Es garantiert aber letztlich nicht mehr als den verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandard und verlangt dem Staat keinesfalls ab, einen bestimmten Bereich – wie etwa den der mit Strafvollzugssachen befassten Gerichte – zum Nachteil anderer Materien so auszustatten, dass das Optimum erreicht ist. Verbreitet wurde schließlich das durch die nicht vorhandene Vollstreckungsmöglichkeit bedingte Vollzugsdefizit gerichtlicher Entscheidungen beklagt.1783 Wie bereits erläutert, ist das Bundesverfassungsgericht der Frage, ob das das Fehlen einer entsprechenden Regelung mit Art. 19 Abs. 4 GG im Einklang steht, durch den Verweis auf den Vornahmeantrag nach § 113 StVollzG ausgewichen. Stattdessen hat der Gesetzgeber eine entscheidende Verbesserung bewirkt, indem er Ende 2012 die jahrzehntelange Diskussion um ein Zwangsmittel gegenüber renitenten Vollzugsbehörden durch den Verweis auf die §§ 170, 172 VwGO in § 120 Abs. 1 Satz 1 StVollzG beendet hat. Im Ganzen betrachtet muss man somit festhalten, dass das Bundesverfassungsgericht auf dem Gebiet des Rechtsschutzes – anders als etwa im Bereich der Arbeitsentlohnung – keine entscheidenden Impulse dadurch gesetzt hat (bzw. setzen konnte), dass es den Gesetzgeber zu Reformen aufgefordert hat. Als Ausnahme hiervon könnte man allenfalls den Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30.4.2003 ansehen, durch den der Gesetzgeber (anlässlich eines zivilrechtlichen Ausgangsfalls) dazu verpflichtet wurde, bis zum 31.12.2004 eine Regelung zu treffen, die sicherstellt, dass bei Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) vor der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde in jedem Fall eine klar definierte fachgerichtliche Korrekturmöglichkeit besteht.1784 Für den Bereich des Strafvollzuges haben sich hieraus allerdings keine nennenswerten Konsequenzen ergeben, denn der hier einschlägige § 33a StPO existiert bereits seit 1964 und seine Neufassung durch das Anhörungsrügengesetz vom 1.1.2005 hatte lediglich klarstellende Funktion.1785

1780

Vgl. Eschke, S. 136; Spaniol, FS 2012, 253 (257 f.). Näher hierzu Spaniol, FS 2012, 253 (258). 1782 Siehe dazu z. B. oben D.IV.2.a)bb)(1) und b)cc)(1). 1783 Vgl. zuletzt etwa Spaniol, FS 2012, 253 (259); Lesting, FS 2012, 273 ff. 1784 Siehe dazu bereits oben B.II.3.d). 1785 Näher hierzu Piekenbrock, AnwBl. 2005, 125 (125). 1781

IV. Ergebnisse

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Größere Auswirkungen hatte demgegenüber das Urteil des EGMR vom 2.9.2010, durch das dem deutschen Gesetzgeber aufgegeben wurde, einen Rechtsbehelf zu schaffen, mit dem sich Betroffene gegen Menschenrechtsverletzungen durch überlange Gerichtsverfahren effektiv zur Wehr setzen können.1786 Dies hat – wie schon erwähnt – im Dezember 2011 zur Einfügung der §§ 198 ff. StVollzG geführt, mit denen die von der Rechtsprechung geschaffene und vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Untätigkeitsbeschwerde (auch) in Strafvollzugssachen obsolet geworden ist. Das Verdienst der Karlsruher Richter liegt letztlich vor allem darin begründet, dass es ab 1993 auf der Grundlage des geltenden Rechtsschutzsystems und auf dem Höhepunkt der Kritik am Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG damit begonnen hat, dem Gebot des Art. 19 Abs. 4 GG Geltung zu verschaffen. Wie intensiv diese Bemühungen sind, wird deutlich, wenn man sich Folgendes vor Augen hält: Während im gesamten Zeitraum von der Gründung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1951 bis 1989 gerade einmal fünf thematisch einschlägige Entscheidungen publiziert wurden, ist seit den 1990er-Jahren ein sprunghafter Anstieg zu verzeichnen (siehe Abbildung 14).

Abbildung 14: Veröffentlichte Entscheidungen zum Rechtsschutz nach Zeiträumen

Diese Entwicklung ist natürlich zunächst erst einmal Ausdruck der im Jahr 1988 eingeleiteten Veränderung der Publikationspraxis des Bundesverfassungsgerichts in Richtung auf eine weitgehende Öffnung sowie der über die Jahrzehnte­

1786

Vgl. dazu LNNV-Bachmann/Neubacher, § 116 Rn. 8 m. w. N.

390

D. Die Entscheidungsanalyse

gestiegenen Zahl der erhobenen Verfassungsbeschwerden1787. Ferner ist zu berücksichtigen, dass in den 1950er-Jahren für Strafvollzugssachen kein Rechtsweg zu den Fachgerichten eröffnet war, so dass es bereits aus faktischen Gründen nicht möglich war, dass etwa eine Strafvollstreckungskammer mit einer Entscheidung gegen Art.  19 Abs.  4 GG verstößt.1788 Umso wichtiger wäre es im Übrigen ge­ wesen, wenn wenigstens das Bundesverfassungsgericht in dieser frühen Phase effektiven Rechtsschutz gewährt sowie den Gesetzgeber umgehend aufgefordert hätte, dem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG durch Schaffung einer fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit für Gefangene Rechnung zu tragen. Dass die vorgenannten Aspekte aber als Erklärung für den starken Anstieg der Entscheidungen zum Rechtsschutz seit 1990 nicht gänzlich hinreichen können, wird deutlich, wenn man nicht nur absolute, sondern auch relative Zahlen berücksichtigt. So betrug der Anteil der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die sich mit Fragen des Rechtsschutzes befasst, zwischen 1951 und 1989 nur rund 18 %, im Zeitraum von 1990 bis 2012 aber fast 52 %. Dies zeigt, dass es zu einer „echten“ Verlagerung des Schwerpunktes auf prozessuale Fragen in der veröffent­ lichten Judikatur der Karlsruher Richter ab den 1990er-Jahren gekommen ist. Im Lauf der vergangenen beiden Jahrzehnte ist es dem Bundesverfassungsgericht so gelungen, etlichen Hemmnissen für einen effektiven Rechtsschutz entgegenzuwirken (siehe oben Abbildung 13). Dieses Bemühen ist ausgesprochen intensiv und hält im Grunde bis heute an. Auffällig ist, dass in den letzten Jahren verstärkt verfassungsgerichtliche Entscheidungen veröffentlicht wurden, die das Rechtsbeschwerdeverfahren (§§ 116 ff. StVollzG) betreffen. Es wird abzuwarten sein, ob und inwieweit auch die im Verlauf des Jahres 2013 neu in Kraft getretenen Regelungen (insbesondere § 119a StVollzG) in den Fokus der Karlsruher Richter geraten werden. d) Prozessuale Entscheidungskritik Das Bemühen des Bundesverfassungsgerichts, dem Grundrecht aus Art.  19 Abs. 4 GG im Strafvollzug zum Durchbruch zu verhelfen, wird nicht nur anhand quantitativer Gesichtspunkte oder aus der Perspektive einer materiell-rechtlichen Entscheidungskritik, sondern auch aus prozessualem Blickwinkel deutlich. So haben die Karlsruher Richter verschiedene Vorkehrungen getroffen, die sicherstellen sollen, dass sich die Fachgerichte nicht unter bestimmten Umständen ihrer Kontrolle am Maßstab des Art. 19 Abs. 4 GG entziehen können. Wendet sich ein Gefangener nämlich z. B. dagegen, dass die Strafvollstreckungskammer nicht umgehend über seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 2 Satz 1 1787

Siehe dazu bereits oben D.IV.1.c). Näher zu den Rechtsschutzmöglichkeiten für Gefangene zur Zeit der Gründung des Bundes­verfassungsgerichts bereits oben C.XII. 1788

IV. Ergebnisse

391

StVollzG entschieden und damit seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt hat, könnte sie einem Einschreiten der Karlsruher Richter selbst nach erhobener Verfassungsbeschwerde theoretisch z. B. noch dadurch zuvorkommen, dass sie nach der Aktenanforderung durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. § 27 Satz 2 BVerfGG) über den Antrag des Inhaftierten entscheidet und damit dessen unmittelbare Beschwer beseitigt.1789 Jedenfalls dann, wenn die Maßnahme, gegen die sich das Begehren von Eilrechtsschutz richtet, ihrerseits gewichtig ist, vermag auch eine zwischenzeitliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen Verstoß gegen das durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützte Recht auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes innerhalb angemessener Zeit nicht zu beseitigen. Die Karlsruher Richter gehen nämlich in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße generell davon aus, dass das Rechtsschutzbedürfnis für eine Verfassungsbeschwerde trotz Erledigung nicht entfällt, wenn sich die direkte­ Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt auf eine Zeitspanne beschränkt, innerhalb derer der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang keine verfassungsgerichtliche Entscheidung erlangen kann.1790 Dies ist ausdrücklich zu begrüßen, da es nicht hingenommen werden kann, dass es in Fällen der genannten Art in den Händen der Fachgerichte liegt, ob die verfassungsrechtliche Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht möglich ist oder nicht. Ferner haben die Karlsruher Richter unter Bezugnahme auf ihre Senatsrechtsprechung auch für den Bereich des Strafvollzuges festgestellt, dass die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein kann. Da der Rechtsweg hier gemäß § 114 Abs. 2 Satz 3 StVollzG bereits in der ersten Instanz endet, kann direkt nach Erlass des ablehnenden Beschlusses der Strafvollstreckungskammer der Weg nach Karlsruhe beschritten werden. Mit Blick auf eine möglichst rasche verfassungsgerichtliche Überprüfung begegnet es keinen Bedenken, dass der Beschwerdeführer nach Ansicht der Karlsruher Richter nicht erst die Entscheidung des Landgerichts in der Hauptsache abwarten muss, bevor er sich an sie wenden kann.1791 Das ist auch deshalb richtig, weil Grundrechtsverletzungen, die sich auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beziehen, im Hauptsacheverfahren ohnehin nicht mehr korrigiert werden könnten.1792 Ein weiteres Hindernis für eine effektive verfassungsgerichtliche Kontrolle am Maßstab des Art. 19 Abs. 4 GG, das einer Lösung zugeführt werden musste, ergibt sich aus dem von den Karlsruher Richtern als verfassungsgemäß angesehenen 1789 Auf diese Möglichkeit weist das Bundesverfassungsgericht selbst zutreffend hin, vgl. BVerfG ZfStrVo 1994, 245 (246). 1790 Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfGK 11, 54 (59); 1, 201 (203 f.); BVerfG NJW 2001, 3770 (3770); ZfStrVo 1995, 371 (373); 1994, 245 (246); Beschl. v. 6.12.1993 – 2 BvR 1499/93; v. 14.2.1994 – 2 BvR 2091/93. 1791 Vgl. BVerfGK 11, 54 (59 f.); 1, 201 (203). 1792 So BVerfG, a. a. O.

392

D. Die Entscheidungsanalyse

§ 119 Abs. 3 StVollzG. Schließlich liegt in diesen Fällen nur ein Beschlusstenor vor, in dem seitens des OLG festgestellt wird, dass die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG für eine Annahme der Rechtsbeschwerde nicht vorliegen. Entscheidungsgründe, die einer Kontrolle unterzogen werden könnten, existieren hingegen nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür einen vertretbaren Ausweg gefunden, indem es den oberlandesgerichtlichen Beschluss in derartigen Konstellationen bereits dann aufhebt, wenn an dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz erhebliche Zweifel bestehen, was etwa dann zu bejahen ist, wenn die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer von den Maßstäben der verfassungsgerichtlichen Judikatur offenkundig abweicht.1793 Schließlich haben die Karlsruher Richter in mehreren obiter dicta den Beschwerdeführern Hinweise gegeben, wie sie sich die Verfassungsbeschwerde trotz aktuell gegebener Unzulässigkeit wegen mangelnder Rechtswegerschöpfung­ offen halten können. In den Entscheidungen ging es jeweils darum, dass die erhobene Rechtsbeschwerde durch unzureichende Protokollierung seitens des Urkundsbeamten nicht den Anforderungen des § 118 Abs. 3 StVollzG entsprach und deshalb unzulässig war. Da die in diesem Fall eines Justizfehlers notwendige Belehrung über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jeweils unterblieben war, wies das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass die maßgebliche Wiedereinsetzungsfrist erst mit der Zustellung seines Beschlusses zu laufen beginne. Ferner teilte es den Betroffenen mit, wie diese nun vorgehen sollten. So heißt es etwa in dem Nichtannahmebeschluss vom 29.2.2012: „Der Beschwerdeführer kann […] innerhalb einer Woche ab Zustellung dieses Beschlusses durch eine vom Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Landgerichts Osnabrück oder des Amtsgerichts Lingen erneut Rechts­beschwerde einlegen, indem er gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt […]. Hierzu ist ihm rechtzeitig Gelegenheit zu geben.“1794

Dass derartige obiter dicta nicht zulässig sind, wurde bereits mehrfach thematisiert, weshalb es an dieser Stelle mit einem Verweis auf eben diese Unzulässigkeit sein Bewenden haben kann.1795 Zugleich kann zusammenfassend konstatiert werden, dass dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner veröffentlichten Judi­katur zum Rechtsschutz keine gravierenden Kompetenzüberschreitungen vorgehalten werden können.

1793 Vgl. BVerfG StV 2012, 678 (680); Beschl. v. 29.2.2012 – 2 BvR 309/10 u. 368/10 jeweils m. w. N. 1794 BVerfG, Beschl. v. 29.2.2012  – 2 BvR 2911/10; siehe ferner BVerfGK 8, 303 (306); BVerfG NJW 2013, 446 (447); NJW 2005, 3629 (3629 f.); Beschl. v. 19.3.2009 – 2 BvR 277/09 = StRR 2009, 162 – Ls. 1795 Siehe insbesondere oben B.III.2.d)ee).

IV. Ergebnisse

393

e) Ergebnis Hypothese 12 hat sich vollumfänglich als zutreffend erwiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Tat seit Beginn der 1990er-Jahre schwerpunktmäßig mit Fragen des gerichtlichen Rechtsschutzes in Strafvollzugssachen befasst und dabei das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG in den Mittelpunkt seiner Rechtsprechung gerückt. Der von ihm zur Verbesserung des massiv kritisierten Verfahrens nach den §§ 109 ff. StVollzG geleistete Beitrag kann vor dem geschilderten Hintergrund gar nicht hoch genug verortet werden. Auch die prozessuale Entscheidungskritik hat keine wesentlichen Defizite ergeben. 13. Datenschutz a) Überblick Auf das quantitativ umfangreichste Themenfeld folgt nun mit dem Datenschutz ein Gebiet, zu dem wie zur Gesundheitsfürsorge nur vier Entscheidungen vorliegen (siehe oben Abbildung 8), die ausnahmslos das Akteneinsichtsrecht des Gefangenen betreffen. Der zeitliche Schwerpunkt der Beschlüsse liegt in den Jahren 2002 und 2003. Nur die erste Entscheidung ist deutlich früher ergangen, und zwar im Mai 1981. b) Kernaussagen und materielle Entscheidungskritik In dem zuletzt genannten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht zwei­ wesentliche Kernaussagen getroffen, von denen allerdings nur die erstere heute noch uneingeschränkt Gültigkeit besitzt: – Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Anspruch auf Einsicht in Verwaltungsvorgänge, die in einem gerichtlichen Verfahren bedeutungslos sind. – Auch aus den sonstigen Grundrechtsbestimmungen ergibt sich kein allgemeines Recht auf Einsicht in die Gefangenenpersonalakte.1796 Letztgenannte Aussage erscheint vor dem Hintergrund des bereits im Dezember 1983 ergangenen „Volkszählungsurteils“ in einem gänzlichen anderen Licht. In dieser Entscheidung hat der Erste Senat aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet. Letzteres gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen

1796

Vgl. hierzu und zum Vorstehenden BVerfG NStZ 1982, 44.

394

D. Die Entscheidungsanalyse

Daten zu bestimmen.1797 Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann aber aus Gründen des Allgemeininteresses durch Gesetz beschränkt werden, wobei das Bundesverfassungsgericht im „Volkszählungsurteil“ ausdrücklich die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angemahnt und gefordert hat, organistorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, die der Gefahr einer Verletzung von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG entgegenwirken.1798 Für den Bereich des Strafvollzuges war dies für den Gesetzgeber Veranlassung, durch das „Vierte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes“ vom 26.8.19981799 die §§ 179 bis 187 StVollzG einzufügen. Seitdem sieht § 185 StVollzG1800 vor, dass der Betroffene nach Maßgabe des § 19 Bundesdatenschutzgesetz Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten erhält und – soweit eine solche für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen nicht ausreicht – auch Akteneinsicht, wenn er für die beabsichtigte Rechtsverfolgung darauf angewiesen ist. In den beiden Entscheidungen vom 30.1.2002 hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der (umstrittenen) Frage des Akteneinsichtsrechtes eines Verteidigers in Strafvollzugssachen auseinandergesetzt und dabei folgenden Grundsatz aufgestellt: – Hat der Gefangene gegenüber der Vollzugsbehörde ein eigenes Auskunfts- und Einsichtsrecht, so ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn davon ausgegangen wird, dass der Verteidiger in diesen Fällen gegenüber der Vollzugsbehörde ein abgeleitetes Recht auf Akteneinsicht aus § 185 StVollzG wahrnimmt, das gegenüber seinem eigenen aus § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 147 StPO vorrangig ist.1801 Um diese Sichtweise richtig einordnen zu können, muss man sich die Situation vor der erwähnten Gesetzesänderung im Jahr 1998 vor Augen führen. Damals war anerkannt, dass der Verteidiger im gerichtlichen Verfahren in Strafvollzugssachen ein (auch ggf. beigezogene Gefangenenpersonalakten) umfassendes Einsichtsrecht hat, und zwar nach einer Auffassung aus § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 147 StPO und nach anderer Ansicht gemäß § 100 VwGO analog.1802 Ein anwaltliches Akteneinsichtsrecht bereits im Vollzugsverwaltungsverfahren wurde von der h. M. bejaht, wenn dargelegt werden konnte, dass dieses zur Rechtsverfolgung erforderlich war und Geheimhaltungsinteressen des Vollzuges oder Dritter nicht überwogen, wobei die Rechtsgrundlage auch insoweit umstritten gewesen ist.1803 Nach derzeitiger Rechtslage hat der Verteidiger zwar nach wie vor ein Recht auf Akteneinsicht im gerichtlichen Verfahren nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG 1797

Vgl. BVerfGE 65, 1 (43). Vgl. BVerfGE 65, 1 (44). 1799 Vgl. BGBl. I 1998, S. 2461. 1800 Hinsichtlich der Landesvorschriften siehe oben Fn. 816. 1801 Vgl. BVerfG StraFo 2002, 207; StV 2002, 272 f. 1802 Näher hierzu – auch m. w. N. zu den beiden Meinungen – Seebode, NJW 1997, 1754 (1756). 1803 Vgl. Seebode, a. a. O. m. w. N. zu den verschiedenen Auffassungen. 1798

IV. Ergebnisse

395

i. V. m. § 147 StPO. Zum Teil wird nun allerdings vertreten, dass dieser Anspruch zurücktritt, wenn der Gefangene selbst ein Einsichtsrecht aus § 185 StVollzG hat. In diesem Fall sei davon auszugehen, dass der Verteidiger diesen Anspruch für den Inhaftierten geltend mache (daher „abgeleitetes“ Recht). Diese Ansicht der Fachgerichte in den beiden Fällen, die den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 30.1.2002 zu Grunde liegen, haben die Karlsruher Richter als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen. Ob sie auch die einfach-rechtlich zutreffende Lösung ist, was verschiedentlich bestritten wird,1804 hat das Bundesverfassungsgericht damit aber nicht definitiv entschieden – das musste es auch nicht. Eine Auffassung, die von Teilen des Schrifttums für zutreffend angesehen wird, nicht als willkürlich oder grundrechtsverkennend im Sinne der „Heck’schen Formel“ zu bewerten, ist jedenfalls nachvollziehbar. Da das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Beschlüsse vom 30.1.2002 nicht zwischen dem Gerichts- und dem Vollzugsverwaltungsverfahren differenziert, ist davon auszugehen, dass es auch die Auffassung, wonach dem Verteidiger außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nur ein aus § 185 StVollzG und kein­ eigenes Akteneinsichtsrecht zukommt,1805 für verfassungskonform erachtet. In der bisher letzten veröffentlichten Entscheidung der Karlsruher Richter zum Datenschutz vom 21.1.2003 wird im Wege verfassungskonformer Auslegung festgeschrieben, dass im Fall des Vollzugsplans stets die Notwendigkeit der Akteneinsicht im Sinne des § 185 Satz 1 StVollzG gegeben ist.1806 Dieser Kammerbeschluss wurde bereits im Rahmen des Themenfeldes „Vollzugsplanung“ erörtert. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.1807 c) Historische Einordnung Rückblickend betrachtet, sind es weniger die erwähnten vier Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 1981 und 2002/2003, die bisher für den Datenschutz im Strafvollzug wegweisend waren, sondern vielmehr das „Volkszählungsurteil“ vom 15.12.1983. Diese Entscheidung war für den Gesetzgeber Anlass, das Strafvollzugsgesetz im August 1998 durch Einfügung der §§ 179 bis 187 um bereichsspezifische Rechtsgrundlagen für die Erhebung, Verarbeitung und ­Nutzung 1804 Für ein Akteneinsichtsrecht im vollzugsgerichtlichen Verfahren allein aus § 120 Abs. 1 StVollzG i. V. m. § 147 StPO Arloth, § 185 Rn. 5a; Calliess/Müller-Dietz, § 185 Rn. 4; für Vorrang des § 185 StVollzG hingegen SBJL-Schmid, 185 Rn. 15; AK-Goerdeler/Weichert, § 185 Rn. 21. 1805 So LG Leipzig StraFo 2000, 250; für ein originäres Recht des Verteidigers aus § 185 StVollzG, das jedoch nicht weiter reichen soll, als dasjenige des Gefangenen selbst SBJLSchmid, § 185 Rn. 13; AK-Goerdeler/Weichert, a. a. O.; Arloth, § 185 Rn. 5a; Calliess/MüllerDietz, § 185 Rn. 4. 1806 Vgl. BVerfGK 1, 3 (8). 1807 Siehe oben D.IV.3.b)aa).

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D. Die Entscheidungsanalyse

personenbezogener Daten zu ergänzen.1808 Auch wenn man bei der rechtspoli­ tischen Bewertung dieser Reform gewiss zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen kann,1809 ist es jedenfalls zu begrüßen, dass es durch die Schaffung des § 185 StVollzG zur gesetzlichen Verankerung eines Akteneinsichtsrechts gekommen ist. Zuvor gab es ein solches allenfalls auf Grundlage der Landesdatenschutzgesetze und dies auch nur in der Hälfte aller Bundesländer.1810 Lediglich ein Auskunftsanspruch war überall vorgesehen.1811 Im Bereich des § 185 StVollzG liegt auch der wohl bisher entscheidendste Akzent, den das Bundesverfassungsgericht mit seiner strafvollzugsspezifischen Rechtsprechung zum Datenschutz gesetzt hat. Die Rede ist von der bereits erwähnten verfassungskonformen Auslegung der vorgenannten Norm, wonach das dort vorausgesetzte Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit der Akteneinsicht stets dann erfüllt ist, wenn es um den Vollzugsplan geht. Zu zahlreichen anderen umstrittenen Problemen aus dem Bereich der §§ 179 ff. StVollzG liegt hingegen bisher noch keine Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts vor. Das betrifft beispielsweise die Frage, ob die im Hinblick auf den Vollzugsplan vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des § 185 Satz  1 StVollzG auch bezüglich der Einsicht in die Krankenakte des Gefangenen erfolgen müsste.1812 Des Weiteren besteht z. B. Klärungsbedarf im Hinblick auf § 182 Abs. 2 StVollzG, der bestimmten Berufsgeheimnisträgern (z. B. Psychologen) in einigen Fällen die Pflicht auferlegt, gegenüber der Anstalt personenbezogene Daten über den Gefangenen zu offenbaren (Satz 2), Ärzte (Satz 3) aber hiervon ausnimmt.1813 Letztgenanntes „Ärzteprivileg“ verstößt nach zum Teil vertretener Auffassung gegen Art. 3 GG.1814 Darüber hinaus ist die Offenbarungspflicht des § 182 Abs. 2 Satz 2 StVollzG mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1, 12 und 20 Abs. 3 GG nach Ansicht einiger Vertreter im Schrifttum insgesamt verfassungswidrig.1815 Diese Problematik hat sich in den letzten Jahren insofern noch verschärft, als in den bisher erlassenen Landesstrafvollzugsgesetzen zum Teil Ausweitungen der Durchbrechung des Berufsgeheimnisses vorgenommen wurden.1816 Das Bundesverfassungsgericht hat es im Rahmen einer ablehnenden Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zunächst den Fach­ gerichten überlassen, derartige Fragen einer Lösung zuzuführen.1817 1808 Vgl. BT-Drs. 13/10245, S.  1, 13; näher zum (langen) Vorlauf dieses Gesetzgebungs­ vorhabens Calliess/Müller-Dietz, § 179 Rn. 4. 1809 Kritisch etwa Kamann, ZfStrVo 2000, 84 (87). 1810 Näher hierzu Seebode, NJW 1997, 1754 (1756 f.). 1811 Vgl. Seebode, a. a. O. 1812 Näher hierzu Bachmann/Goeck, in: Gesundheit und Haft, S. 393 (397 f.). 1813 In Baden-Württemberg, Berlin, Hessen und Rheinland-Pfalz gibt es keinerlei „Ärzte­ privileg“ mehr. 1814 Vgl. AK-Goerdeler/Weichert, § 182 Rn. 61. 1815 Vgl. AK-Goerdeler/Weichert, § 182 Rn. 62; kritisch auch Bachmann/Goeck, in: Gesundheit und Haft, S. 393 (398). 1816 Vgl. Goerdeler, in: Grundrechtereport 2012, S. 36 (38). 1817 Vgl. BVerfG NStZ 2000, 55.

IV. Ergebnisse

397

d) Prozessuale Entscheidungskritik In prozessualer Hinsicht geben die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zum Datenschutz keinen Anlass zu weitergehenden Erörterungen. e) Ergebnis Hypothese 13 hat sich somit als zutreffend erwiesen. Es lässt sich vor dem­ geschilderten Hintergrund in der Tat die Feststellung treffen, dass das Bundes­ verfassungsgericht den Bereich des Datenschutzes im Strafvollzug nicht durch genuin strafvollzugsrechtliche Rechtsprechung entscheidend geprägt hat, sondern vielmehr durch das „Volkszählungsurteil“ vom 15.12.1983, das Anlass für die Schaffung der §§ 179 ff. StVollzG gewesen ist, ohne die es auch die vier bisher veröffentlichten Beschlüsse zu § 185 StVollzG nicht geben würde. Ferner ist festzuhalten, dass sich auch die prozessuale Hypothese als richtig herausgestellt hat. 14. Die „sonstigen“ Entscheidungen Bevor nun die Ergebnisse der Rechtsprechungsanalyse zusammenzufassen sind und ein abschließendes Resümee zu ziehen ist, soll noch – wie bereits in den Erläuterungen zu Abbildung  8 angekündigt1818  – kurz auf die verfassungsgerichtlichen Kernaussagen eingegangen werden, die in den der Kategorie „Sonstige“ unterfallenden Hauptssacheentscheidungen enthalten sind. Konkret geht es um vier Beschlüsse1819, die – von einer Ausnahme abgesehen – alle aus den 1980er-Jahren stammen. Die erste dieser Entscheidungen ist am 15.12.1981 ergangen und betrifft die Vereinsgründung im Strafvollzug.1820 Darin bestätigt das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss des BayObLG, wonach die in § 160 StVollzG1821 der Anstaltsleitung überlassene Ausgestaltung der Gefangenenmitverantwortung die Eintragung eines von Inhaftierten gebildeten Vereins, der nach seinem Zweck gemeinschaftliche Interessen der Insassen einer JVA gegenüber der Anstaltsleitung vertreten

1818

Siehe oben D.IV.3.a). Die übrigen Entscheidungen der Kategorie „Sonstige“ enthalten entweder nur prozessuale Ausführungen oder grundlegende, sachgebietsübergreifende Erörterungen, die bereits unter D.IV.1. und 2. dargestellt wurden, siehe dazu auch die Erläuterungen zu Abbildung 8 unter D.IV.3.a). 1820 Vgl. BVerfG NStZ 1983, 331. 1821 Die Gefangenenmitverantwortung ist in folgenden (im Kern inhaltsgleichen) Landesvorschriften geregelt: § 14 BwJVollzGB I; Art.  116 BayStVollzG; § 113 BbgJVollzG; § 109 HmbStVollzG; § 78 HStVollzG; § 99 StVollzG MV; § 182 NJVollzG; § 110 LJVollzG RLP; § 99 SLStVollzG; § 112 SächsStVollzG; § 111 ThürJVollzGB. 1819

398

D. Die Entscheidungsanalyse

soll, in das Vereinsregister ausschließe.1822 Damals hatten zehn Gründungsmitglieder vergeblich versucht, den Verein “Insassen-Interessen-Vertretung in der JVA Straubing“ zur Eintragung im Vereinsregister anzumelden. Nach der Satzung bestand der Vereinszweck in der „Förderung der Insassen und Verwirklichung der im Strafvollzugsgesetz enthaltenen Rechte, besonders der Resozialisierung […] Inhaftierter im Geltungsbereich der JVA Straubing“.1823 Der zuständige Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts traf hierzu folgende Kernaussage: – § 160 StVollzG stellt einen zulässigen Eingriff in das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG dar, denn er gewährleistet die Aufrechterhaltung und geordnete Durchführung des Strafvollzuges während der Erprobung der Gefangenenmitverantwortung.1824 Diesbezüglich ist im Schrifttum mit Recht darauf hingewiesen worden, dass § 160 StVollzG die Vereinigungsfreiheit bereits deshalb nicht einschränken kann, weil diese Norm die Voraussetzungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts des Art. 9 Abs. 2 GG unstreitig nicht erfüllt.1825 In derartigen Fällen kommt zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen nur noch kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht. Inwieweit hieran gemessen ein Verbot des in Rede stehenden Vereins (etwa im Hinblick auf das Vollzugsziel) notwendig ist, wurde von keinem der beteiligten Gerichte hinreichend erläutert.1826 Seebode hat im Übrigen überzeugend dargelegt, dass die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Auffassung des BayObLG, wonach sich aus § 160 StVollzG das Verbot einer von der Anstaltsleitung nicht gebilligten, sich um Mitverantwortung in der JVA bemühenden Gefangenenvereinigung ergebe, unter keinem Auslegungsgesichtspunkt zwingend ist.1827 Da die Karlsruher Richter die Regelung des § 160 StVollzG zur Gefangenen­ mitverantwortung bereits im Hinblick auf Art.  9 Abs.  1 GG für unbedenklich erachtet haben, überrascht es nicht, dass sie ein Jahr später bezüglich der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art.  2 Abs.  1 GG), die nur unter einfachem Gesetzesvorbehalt steht, zu dem gleichen Ergebnis gelangt sind.1828 Mag diese Entscheidung auch zutreffend sein, bleibt doch bei einer Zusammenschau der beiden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Gefangenenmitverantwortung der Eindruck zurück, dass es die Karlsruher Richter bisher versäumt haben, auf das erhebliche Poten­zial, das in dem Instrument des § 160 StVollzG für die Erreichung des Vollzugsziels verborgen liegt, aufmerksam zu machen. Dies wäre aber durchaus notwendig, denn die Möglichkeiten der Gefangenenmitverantwortung 1822

Vgl. BayObLG NStZ 1982, 84 ff. Vgl. BayObLG NStZ 1982, 84 (84). 1824 Vgl. BVerfG NStZ 1983, 331. 1825 Vgl. SBJL-Wydra/Pfalzer, § 160 Rn. 6; Seebode, NStZ 1982, 86 (86). 1826 Näher hierzu Seebode, NStZ 1982, 86 (86 f.). 1827 Vgl. Seebode, NStZ 1982, 86 (87 f.). 1828 Vgl. BVerfG NStZ 1982, 436 f. 1823

IV. Ergebnisse

399

sind – mit Ausnahme der Gefangenenzeitschriften, die einen wichtigen Anwendungsfall darstellen – in der bisherigen Vollzugspraxis nur rudimentär zur Geltung ge­kommen.1829 Neben § 160 StVollzG hat sich das Bundesverfassungsgericht in zwei weiteren (kurzen) Beschlüssen mit dem Anspruch des Gefangenen auf Teilnahme an re­ ligiösen Veranstaltungen (vgl. § 54 StVollzG) befasst und dabei folgende Grundsätze aufgestellt: – Aus dem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgt kein Anspruch eines im offenen Vollzug befindlichen Gefangenen auf Teilnahme an einer bestimmten Veranstaltung, die nur im geschlossenen Vollzug angeboten wird.1830 – Die Auslegung des § 54 Abs.  1 StVollzG1831, wonach der Inhaftierte zwar ein Recht auf Teilnahme an stattfindenden religiösen Veranstaltungen seines Bekenntnisses habe, nicht aber ein solches auf ein entsprechendes Angebot zu­ bestimmten Tagen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.1832 Dem ist zuzustimmen. Die Glaubensfreiheit erfordert nicht so weitgehende Bemühungen der Anstalt, dass sogar  – wie im Fall der erstgenannten Kernaussage  – die grundlegenden Trennungs- und Differenzierungsprinzipien (vgl. §§ 140 f. StVollzG) außer Acht gelassen werden müssten, zumal den im offenen Vollzug Untergebrachten die Möglichkeit eingeräumt werden kann, an religiösen Veranstaltungen in Freiheit teilzunehmen.1833 Hinsichtlich des zeitlichen Aspektes, auf den die zweite Kernaussage abzielt, kann nur von einer Verpflichtung der Haftanstalt ausgegangen werden, etwa einen Gottesdienst zeitlich so anzubieten, dass der Gefangene eine freie Entscheidung über seine Teilnahme treffen kann, also z. B. nicht parallel zur Freistunde im Sinne des § 64 StVollzG.1834 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass man den dargestellten „sonstigen“ Entscheidungen durchaus anmerkt, dass sie überwiegend aus den 1980er-Jahren stammen, denn es fehlt ihnen jeglicher progressive, insbesondere den Resozia­ lisierungsgedanken stärkende Charakter. Mag hierfür im Rahmen der beiden Entscheidungen zu § 54 StVollzG auch gar kein Raum gewesen sein, bezüglich der Gefangenenmitverantwortung hat er in jedem Fall bestanden.

1829

Näher hierzu SBJL-Wydra/Pfalzer, § 160 Rn. 12 f.; Kaiser/Schöch, § 3 Rn. 66 ff., jeweils m. w. N. 1830 Vgl. BVerfG ZfStrVo 1988, 190 f. 1831 Das Recht auf Teilnahme an religiösen Veranstaltungen ist durch folgende Landesregelungen gewährleistet: § 30 Abs. 1 BwJVollzGB III; Art. 56 Abs. 1 BayStVollzG; § 82 Abs. 1 BbgJVollzG; § 55 Abs. 1 HmbStVollzG; § 32 Abs. 3 Satz 1 HStVollzG; § 70 Abs. 1 StVollzG MV; § 54 Abs. 1 NJVollzG; § 80 Abs. 1 LJVollzG RLP; § 70 Abs. 1 SLStVollzG; § 71 Abs. 1 SächsStVollzG; § 81 Abs. 1 ThürJVollzGB. 1832 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.9.2002 – 2 BvR 986/02. 1833 Vgl. SBJL-Schäfer, § 54 Rn. 11; Arloth, § 54 Rn. 4. 1834 Vgl. SBJL-Schäfer, § 54 Rn. 6.

400

D. Die Entscheidungsanalyse

V. Zusammenfassung 1. Materiell-rechtliche Hypothesen Von den insgesamt 13 aufgestellten Hypothesen haben sich somit fünf als vollständig zutreffend, sieben als teilweise richtig sowie eine als nicht zutreffend­ erwiesen. Da bereits am Ende eines jeden Themenfeldes Zusammenfassungen ­erstellt wurden, kann sich die nachfolgende Gesamtschau auf einen schlagwortigen Überblick der elementarsten Gesichtspunkte beschränken. Hypothese 1: Gesetzliche Grundlage für den Strafvollzug

Ergebnis

Dem Bundesverfassungsgericht kommt entscheidende Bedeutung bei der Schaffung des am 1.1.1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetzes zu. Ohne sein Wirken wäre es nicht zu Stande gekommen.

teilweise zutreffend

•• Die Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts besteht vor allem darin, dass es den Gesetzgeber durch den wiederholten Verweis auf die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer entsprechenden Kodifizierung unter Druck gesetzt und so verhindert hat, dass das Gesetzgebungsverfahren (wieder einmal) aus finanziellen Erwägungen scheitert. Die Politik hatte letzteres jedoch aus eigenem Antrieb initiiert, flankiert von der Wissenschaft, die die Unzulänglichkeiten der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis überzeugend herausarbeiten konnte. Hypothese 2: Vollzugsziel Resozialisierung

Ergebnis

Das Lebach-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5.6.1973, das die resozialisierende Ausgestaltung des Strafvollzuges festschrieb, war ein nachhaltig wirkender, starker Reformschub. Ohne diese Entscheidung wäre es nicht zur gesetzlichen Verankerung des Vollzugsziels der Wiedereingliederung gekommen.

teilweise zutreffend

•• Wie bei der Verabschiedung der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis ging auch in Bezug auf die Kodifizierung des Vollzugsziels der Resozialisierung die Initialzündung nicht vom Bundesverfassungsgericht aus, sondern vielmehr von Wissenschaft und Politik. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Weg jedoch durch das Lebach-Urteil unumkehrbar gemacht und zudem mit der (zusätzlichen) Herleitung des Resozialisierungsgebots aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG einen eigenen Akzent gesetzt. Hypothese 3: Vollzugsplanung

Ergebnis

Der Regelungsbereich der Vollzugsplanung ist erst drei Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten. Ab diesem Zeitpunkt wurde ihr hinreichend Geltung verschafft, und zwar nicht nur durch das Bundesverfassungsgericht, sondern auch durch die übrige Rechtsprechung.

teilweise zutreffend

401

V. Zusammenfassung

•• Der Schwerpunkt der veröffentlichten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vollzugsplanung liegt zwar in der Tat im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. 1993 haben die Karlsruher Richter aber bereits wichtige Vorgaben zum gerichtlichen Rechtsschutz aus der Verfassung hergeleitet. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht maßgeblichen Anteil an der Stärkung der Informationsrechte des Gefangenen hinsichtlich der ihn betreffenden Vollzugsplanung. Bezüglich der verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an Aufstellung und Inhalt des Vollzugsplans konnten die Karlsruher Richter an die fachgerichtliche Rechtsprechung anknüpfen. Hypothese 4: Verlegung

Ergebnis

Die Verlegung (§§ 8, 85 StVollzG) in eine andere Anstalt stellt für den betroffenen Gefangenen eine besonders schwerwiegende Maßnahme dar. Es ist daher davon auszugehen, dass die Zahl einschlägiger Entscheidungen vergleichsweise groß ist und das Bundesverfassungsgericht auf diesem Gebiet weiterführende Impulse setzen konnte.

teilweise zutreffend

•• Auf dem Gebiet der Verlegung hat das Bundesverfassungsgericht einen entscheidenden Impuls gesetzt, indem es 2006 durch Zurückweisung des Kriteriums der „Unerlässlichkeit“ die restriktive Rechtsprechung der Fachgerichte zur Verlegung aus Resozialisierungsgründen korrigiert hat. Die (wenigen) übrigen Entscheidungen haben demgegenüber nur Einzelfallcharakter ohne richtungsweisende Bedeutung. Hypothese 5: Vollzugslockerungen

Ergebnis

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Vollzugslockerungen lässt keine konsequent durchgehaltene Posi­ tionierung erkennen, sondern zeigt vielmehr immer wieder Akzentverschiebungen.

zutreffend

•• Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung des Resozialisierungsgebotes bei der Entscheidung über die Gewährung von Vollzugslockerungen 1983 dadurch relativiert hatte, dass es die Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Schuldschwere nicht für ausgeschlossen erklärte, hat es sich hiervon inzwischen wieder vollständig und nachdrücklich distanziert. Hypothese 6: Unterbringung

Ergebnis

Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Unterbringung im Strafvollzug war bis in die 2000er-Jahre hinein trotz erheblicher Missstände in den Haftanstalten nicht richtungsweisend.

zutreffend

•• Im Jahr 2002 hat das Bundesverfassungsgericht mit zwei stattgebenden Kammerbeschlüssen den Rechtsschutz bei menschenunwürdiger Unterbringung gestärkt, indem es klar­ gestellt hat, dass das Rechtsschutzinteresse für eine Klage auch nach Beendigung einer solchen Unterbringung nicht entfällt. Hinsichtlich der materiell-rechtlichen Fragestellungen waren hingegen die Fachgerichte tonangebend. Deren Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt.

402

D. Die Entscheidungsanalyse

Hypothese 7: Außenkontakte

Ergebnis

Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf den Verkehr mit der Außenwelt eine zentrale, die Rechte der Gefangenen in besonderem Maße stärkende Rolle.

teilweise zutreffend

•• Mit der Anerkennung einer „beleidigungsfreien Zone“ haben die Karlsruher Richter die Kommunikation der Gefangenen erleichtert und damit die besondere Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit auch für den Bereich des Strafvollzugs unterstrichen. Zugleich hat es das Öffnen von Verteidigerpost mit Blick auf Art. 10 Abs. 1 GG erschwert. Für den Besuchs- und Telefonverkehr kann hingegen kein derartig positives Fazit gezogen werden. Hypothese 8: Arbeit, Bildung und Soziales

Ergebnis

Das Bundesverfassungsgericht hat im Bereich der Gefangenenarbeit Verbesserungen erwirkt, im Übrigen aber – insbesondere mit Blick auf die rentenversicherungsrechtliche Absicherung Gefangener – zu verhalten agiert und hier gegebene Spielräume für die Erhöhung der Resozialisierungschancen zu Unrecht nicht genutzt.

zutreffend

•• Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hat zu einer Anhebung der Arbeitsentlohnung für Gefangene, zur Stärkung des Resozialisierungsgebots bei der Festsetzung von Haft­ kostenbeiträgen, zum Verbot der Beschäftigung von Inhaftierten im Wege des „unechten Freigangs“ und zur Untersagung, Verfahrenskosten durch die entsprechende Anwendung von § 121 Abs. 5 StVollzG gegen den Taschengeldanspruch aufzurechnen, geführt. Die Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung halten die Karlsruher Richter demgegenüber (zu Unrecht) nicht für verfassungsrechtlich geboten. Hypothese 9: Gesundheitsfürsorge

Ergebnis

Die Gesundheitsfürsorge ist nur ein Randbereich verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zum Strafvollzug. Das Bundesverfassungs­ gericht hat hier bisher noch keine richtungsweisenden Akzente gesetzt oder setzen können.

teilweise zutreffend

•• Die einschlägige Rechtsprechung umfasst zwar nur vier veröffentlichte Entscheidungen. Mit diesen ist es den Karlsruher Richtern aber immerhin gelungen, die Bedeutung von Maßnahmen nach § 65 Abs.  2 StVollzG hervorzuheben sowie zu verdeutlichen, dass Art.  19 Abs. 4 GG auch auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge Rechnung getragen werden muss. Hypothese 10: Besitz von Gegenständen

Ergebnis

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, die den Besitz von Gegenständen betreffen, sind inhaltlich wenig weiterführend, weil grundrechtliche Belange in diesem Bereich regelmäßig nicht in schwerwiegender Weise berührt sind und daher nur in Ausnahmefällen Anlass zu verfassungsrechtlichen Erörterungen besteht.

nicht zutreffend

403

V. Zusammenfassung

•• Das Bundesverfassungsgericht hat das Abstellen auf einen abstrakten Gefährdungsmaßstab bei Entscheidungen über die Erteilung einer Besitzerlaubnis für Gegenstände zur Haftraumausstattung sowie zur Freizeitbeschäftigung für zulässig erklärt, die sich aus dem Grundgesetz an den Widerruf einer solchen Genehmigung ergebenden Anforderungen konkretisiert und hat selbiges für das Vorenthalten von Zeitungen/Zeitschriften wiederholt. Gegenüber internet- und speicherfähigen Medien hat es allerdings (zu) große Vorbehalte. Hypothese 11: Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen

Ergebnis

Das Bundesverfassungsgericht hat einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Grundrechte Gefangener im Bereich der Anordnung und des Vollzuges von Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen geleistet.

teilweise zutreffend

•• Die Karlsruher Richter haben den Grundrechtsschutz hinsichtlich der Anordnung von Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen gestärkt, waren aber im Hinblick auf deren Vollzug zu nachlässig. Hypothese 12: Rechtsschutz

Ergebnis

Das Bundesverfassungsgericht hat sich seit Beginn der 1990erJahre schwerpunktmäßig mit prozessualen Fragen des Strafvollzuges befasst und dabei den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG in den Mittelpunkt seiner Rechtsprechung gerückt. Es hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, den bis dahin unzureichenden gerichtlichen Rechtsschutz zu verbessern.

zutreffend

•• Betraf bis zum Ende der 1980er-Jahre nicht einmal jede fünfte veröffentlichte verfassungsgerichtliche Entscheidung zum Strafvollzug den Rechtsschutz, ist es seit 1990 mehr als jede zweite. Diese quantitative Dominanz ist nicht ohne Wirkung geblieben: Die Karls­ ruher Richter konnten dadurch zahlreiche, dem Grundrecht aus Art.  19 Abs.  4 GG ent­ gegenstehende Hemmnisse beseitigen. Hypothese 13: Datenschutz

Ergebnis

Das Bundesverfassungsgericht hat den Bereich des Datenschutzes im Strafvollzug nicht durch genuin strafvollzugsrechtliche Rechtsprechung entscheidend geprägt, sondern vielmehr durch das so­ genannte „Volkszählungsurteil“ vom 15.12.1983 (= BVerfGE 65, 1).

zutreffend

•• Das „Volkszählungsurteil“ hat den Gesetzgeber 1998 dazu veranlasst, spezielle Datenschutzregelungen in das StVollzG aufzunehmen. Die bereichsspezifische Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die ausschließlich Fragen des Akteneinsichtsrechts betrifft, bleibt hinsichtlich ihrer Tragweite in der Tat hinter dem vorgenannten Urteil weit zurück.

404

D. Die Entscheidungsanalyse

2. Prozessuale Hypothese Themenfeld

Kompetenz­bereich im Wesentlichen* gewahrt

Art der Kompetenzüberschreitung

01 – Gesetzliche Grundlage für den Strafvollzug

nein

– Appellentscheidungen – unzulässige Interimsanordnung mit Regelungscharakter

02  – Vollzugsziel Reso­ zialisierung (nur Lebach-­ Urteil)

nein

– erstmals: „Durchentscheiden“ un­ ter Umgehung von § 95 Abs.  2 BVerfGG

03 – Vollzugsplanung

ja

04 – Verlegung

ja

05 – Vollzugslockerungen

nein

– Normauslegung contra legem – zahlreiche obiter dicta

06 – Unterbringung

nein

– keine Entscheidungsbefugnis der Kammern

07 – Außenkontakte

nein

– Appellentscheidung – fehlende Zurückverweisung gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG – fehlende Entscheidungsbefugnis der Kammer

08 – Arbeit, Bildung und Soziales

nein

– Erlass einer nicht gebotenen Wei­ tergeltungsanordnung – zahlreiche obiter dicta

09 – Gesundheitsfürsorge

ja

10  – Besitz von Gegenständen

ja

11 – Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen

ja

12 – Rechtsschutz

ja

13 – Datenschutz

ja

*

„Im Wesentlichen“ bedeutet, dass allein die Verwendung von obiter dicta, die keine Kernaussagen enthalten, nicht genügt, um die Frage der Wahrung des Kompetenzbereiches mit „nein“ zu beantworten. Gleiches gilt im Hinblick auf die (einmalig) fehlende Zurückver­weisung nach § 95 Abs. 2 BVerfGG im Themengebiet „Besitz von Gegenständen“, die angesichts der Vielzahl der Entscheidungen nicht allzu schwer ins Gewicht fällt.

Abbildung 15: Ergebnisse der prozessualen Entscheidungskritik

V. Zusammenfassung

405

In prozessualer Hinsicht wurde einheitlich für alle Themenfelder angenommen, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner veröffentlichten Rechtsprechung zu den verschiedenen Themenfeldern jeweils im Wesentlichen innerhalb seines Kompetenzrahmens bewegt hat. Für die Mehrheit der analysierten Sachbereiche trifft dies auch tatsächlich zu, für sechs Themenfelder hingegen nicht (siehe Abbildung 15).

3. Das Bundesverfassungsgericht: Ein „guter Lotse“ für den Strafvollzug Nachdem nun die Entscheidungsanalyse abgeschlossen ist, ist es an der Zeit, sich der Ausgangsfrage zu erinnern und die soeben zusammenfassend dargestellten Ergebnisse – wie am Beginn dieser Arbeit angekündigt – zu einer Antwort zusammenzuführen. Die Kernfrage der vorliegenden Untersuchung, die das zentrale Erkenntnisinteresse nach der Bedeutung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung für den Vollzug von Freiheitsstrafen bündelte, lautete: War das Bundesverfassungsgericht bisher ein „guter Lotse“ für den Strafvollzug? Dabei wurde bestimmt, dass das Bundesverfassungsgericht dann als „Lotse“ des Strafvollzuges bezeichnet werden kann, wenn es diesem (im Vergleich zum jeweiligen status quo) seinen „Stempel aufgedrückt“ und auf eine Veränderung hingewirkt hat. Als g­ uter „Lotse“ – so wurde ebenfalls festgelegt – kann es jedoch nur dann angesehen werden, wenn seine Rechtsprechung inhaltlich Zustimmung verdient und es zudem seinen Kompetenzbereich gewahrt hat. Wäre man gezwungen, die aufgeworfene Frage nur mit einem Wort zu beantworten, hieße die Antwort: „Ja.“ Allerdings wäre dies nicht mehr als die Wiedergabe eines (zu) pauschalen Gesamteindrucks, der folgender Differenzierung bedarf: In den ersten beiden Jahrzehnten seines Bestehens war das Bundesverfassungsgericht kein Lotse für das „Schiff“ namens Strafvollzug. Es war vielmehr wie eine Art Wachpersonal, dass die unzufriedenen „Passagiere“ (= Gefangene) abgewiesen und ihnen den Grundrechtsschutz versagt hat. Als Politik und Wissenschaft in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre die Lehre vom „besonderen Gewaltverhältnis“ sowie das verfehlte Nebeneinander nicht kompatibler Vollzugsziele hinter sich lassen wollten, sorgten die Karlsruher Richter dafür, dass nicht einer der Beteiligten plötzlich das „Ruder“ herumreißt und gewissermaßen kurz vor dem sicheren „Hafen“ des Grundgesetzes noch eine Kehrtwende vollzieht. Um bis zum Anlegen, d. h. bis zum Erlass eines Strafvollzugsgesetzes die Ruhe an „Bord“ zu gewährleisten, hatte das Bundesverfassungsgericht 1972 – allerdings jenseits seiner Kompetenzen und auch nicht alternativlos – im „StrafgefangenenBeschluss“ eine Interimsanordnung erlassen und für die Übergangszeit nur noch solche Eingriffe zugelassen, die zur Aufrechterhaltung eines geordneten Strafvollzuges unerlässlich waren. Ein Jahr später hatte es sich zudem im Lebach-Urteil die Befugnis angemaßt, in bestimmten Fällen auf die in § 95 Abs. 2 BVerfGG an sich

406

D. Die Entscheidungsanalyse

ausnahmslos vorgesehene Zurückverweisung an ein Fachgericht zu verzichten und in der Sache selbst zu entscheiden. Nachdem in den 1980er-Jahren die reformfreudige Aufbruchstimmung weitgehend verflogen war, hatten auch die Karlsruher Richter ein wenig die Orientierung verloren und glaubten durch eine Normauslegung contra legem und noch dazu in einem obiter dictum in § 2 StVollzG die Schwere der Schuld als zweites, grundsätzlich berücksichtigungsfähiges Vollzugsziel erkennen zu können. Die wenig resozialisierungsfreudige Tendenz der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Zeit wird auch in anderen (abzulehnenden) Entscheidungen der 1980er-Jahre sichtbar (z. B.: Beschränkung des Regelurlaubs im geschlossenen Vollzug auf zwölf Tage verfassungsgemäß; Berücksichtigung der Schuldschwere bei Urlaubsentscheidungen möglich; Beschränkung von Telefongesprächen auf dringende Fälle zulässig; Nichteinbeziehung von Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung mit dem Grundgesetz vereinbar). Als eine aus den Reihen der Bundesländer organisierte Gesetzesinitiative, die Zielbestimmung in § 2 StVollzG zu ändern und damit den am 1.1.1977 durch das Inkrafttreten des StVollzG erreichten „Hafen“ des Grundgesetzes wieder ein Stück weit zu verlassen, in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre gescheitert war, die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Strafvollzug und restriktive Tendenzen aber bestehen blieben, besann sich das Bundesverfassungsgericht ab 1993 wieder und agierte auf vielen Themenfeldern wie ein guter Lotse in dem hier verstandenen Sinne. So zeigte es den Fachgerichten in unzähligen Entscheidungen, was die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG bedeutet und baute von den Fachgerichten aufgestellte Barrieren ab (siehe bereits oben Abbildung 13). Außerdem haben die Karlsruher Richter auf den meisten Themenfeldern über den konkreten Einzelfall hinausreichende, richtungsweisende Entscheidungen zu materiell-rechtlichen Problemen getroffen (siehe dazu zusammenfassend die Auswahl in Abbildung 16).

V. Zusammenfassung

Jahr* 1993

407

Thema** Bedeutung des Vollzugsplans für den resozialisierenden Behandlungsvollzug Maßgaben für den Trennscheibeneinsatz bei Privatbesuchen Anforderungen des GG an die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Annahme einer „beleidigungsfreien Zone“ beim Schriftverkehr Gefangener Anforderungen des GG an den Widerruf von Besitzerlaubnissen Maßgaben für die menschenwürdige Haftraumunterbringung

1994

Allgemeine Maßgaben für die Gewährung von Besitzerlaubnissen

1995

Diverse Maßgaben im Zusammenhang mit dem Taschengeldanspruch

1996

Bedeutung von Maßnahmen nach § 65 Abs. 2 StVollzG für das Vollzugsziel

1997

Anforderungen an die JVA bei der Entscheidung über Vollzugslockerungen Keine Berücksichtigung der Schwere der Schuld bei Vollzugslockerungen

1998

Verbot der Beschäftigung Gefangener im Wege „unechten Freigangs“ Forderung nach Erhöhung des Arbeitsentgelts für Gefangene

1999

Anforderungen des GG an die Anordnung von Maßnahmen i. S. der §§ 88 f. StVollzG

2001

Kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Intimbesuche

2003

Generelles Recht des Gefangenen auf Einsicht in den Vollzugsplan

2004

Absenkung der Anforderungen an den Widerruf von Besitzerlaubnissen

2005

Menschenunwürdige Unterbringung: keine generelle Pflicht zu finanzieller Entschädigung

2006

Verlegung aus Resozialisierungsgründen nicht nur bei „Unerlässlichkeit“ Anforderungen des GG an Aufstellung und Inhalt des Vollzugsplans

*

2009

Anforderungen an die Feststellung der Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG

2011

Anforderungen an eine wirksame Einwilligung in das Öffnen von Verteidigerpost

Angegeben ist jeweils das Jahr, in dem erstmals eine Entscheidung zu dem jeweiligen Thema ergangen ist.

**

Kursiv: Themen, bei denen im Rahmen der materiell-rechtlichen Entscheidungskritik nicht jeder Entscheidung vollständig zugestimmt werden konnte.

Abbildung 16: Richtungsweisende Entscheidungen des BVerfG zu materiell-rechtlichen Fragen (Auswahl)

E. Schlussfolgerungen I. Notwendige Korrekturen verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung Aus der durchgeführten Rechtsprechungsanalyse lassen sich verschiedene Schlussfolgerungen ziehen, die natürlich zunächst einmal das Bundesverfassungsgericht selbst betreffen und aus der Entscheidungskritik resultieren. Letztere gibt Anlass, auf die Notwendigkeit einiger „Kurskorrekturen“ der verfassungsgerichtlichen Judikatur hinzuweisen. So sollten die Karlsruher Richter zukünftig: – eine Senatsentscheidung über die verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen an eine menschenwürdige Haftraumunterbringung herbeiführen, die die bisher geltenden Mindestflächen kritisch hinterfragt und zudem feststellt, dass eine (gegen den Willen der betroffenen Gefangenen) erfolgende gemeinschaftliche Unterbringung generell verfassungswidrig ist; – klarstellen, dass jede Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG durch menschenunwürdige Haftraumbedingungen stets auch zu einer monetären Entschädigung führen muss; – im Wege einer Senatsentscheidung feststellen, dass sich aus Art. 6 Abs. 1 GG durchaus ein Anspruch auf Gewährung unüberwachter Besuchskontakte ergeben kann; – vor dem Hintergrund des Resozialisierungsgebotes auf die verfassungsrechtliche Pflicht hinweisen, Gefangene in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung einzubeziehen; – feststellen, dass die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente für Strafgefangene nicht ausnahmslos gelten können; – feststellen, dass die Beschäftigung eines Gefangenen in einem Unternehmer­ betrieb ohne dessen Einwilligung nicht zulässig ist; – die 2004 erfolgte Lockerung der Voraussetzungen für den Widerruf von Besitzerlaubnissen revidieren; – ihre Rechtsprechung in Bezug auf internet- und speicherfähige Medien resozialisierungsfreundlicher gestalten; – aussprechen, dass die Sicherungsmaßnahme des § 88 Abs.  2 Nr.  4 StVollzG („Hofgangsperre“) verfassungswidrig ist;

II. Was für das Bundesverfassungsgericht zukünftig noch zu tun bleibt 

409

– klarstellen, dass anwaltliche Fristversäumnis dem Gefangenen bei Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Anordnung von Disziplinarmaßnahmen nicht zugerechnet werden kann; – deutlicher als bisher zum Ausdruck bringen, dass bei Verstößen des OLG gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht die Anhörungsrüge nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 356a StPO, sondern diejenige nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 33a StPO zu erheben ist; – auf Interimsanordnungen mit Regelungscharakter, Sachentscheidungen unter Umgehung von § 95 Abs. 2 BVerfGG und obiter dicta jeglicher Art verzichten.

II. Was für das Bundesverfassungsgericht zukünftig noch zu tun bleibt Angesichts der Vielzahl der in den vergangenen Jahrzehnten veröffentlichten Entscheidungen zum Strafvollzug mag die Frage aufkommen, ob es für das Bundesverfassungsgericht eigentlich noch „Arbeit“ gibt, die eine Lotsentätigkeit erfordert oder ob aus Karlsruhe zu dieser Materie letztlich nur noch sich wiederholende oder Einzelfallentscheidungen zu erwarten sind. Schon die soeben aufgeführte Zusammenstellung notwendiger Kurskorrekturen zeigt im Grunde, dass es für das Bundesverfassungsgericht auf absehbare Zeit im Bereich des Strafvollzuges noch genug zu tun geben wird, zumal der Vollzugsalltag stets neue verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen kann, von denen man heute noch gar nichts ahnt. Einige Problemfelder, auf denen die Karlsruher Richter zukünftig noch segensreich wirken könnten und sollten, lassen sich allerdings – auch dies hat die Rechtsprechungsanalyse gezeigt – schon jetzt konkret benennen. Hierzu gehören u. a. (*  Frage bisher vom Bundesverfassungsgericht schon einmal thematisiert, aber ausdrücklich offen gelassen): – Anspruch des Gefangenen auf Aushändigung einer Abschrift des Vollzugsplans*; – Notwendigkeit der Anfertigung eines gesonderten Protokolls über die Vollzugsplankonferenz*; – Verfassungsrechtliche Pflicht zur Vollzugsplanung bei kurzen Freiheitsstrafen; – Grundgesetzliche Anforderungen an die Behandlungsuntersuchung; – menschenwürdige Unterbringung bei Gefangenentransporten; – Bedeutung der Unterbringung im offenen Vollzug für das Erreichen des Vollzugsziels; – Möglichkeit der Rückverlegung vom offenen in den geschlossenen Vollzug aus Gründen, die nicht in § 10 Abs. 2 StVollzG genannt sind*;

410

E. Schlussfolgerungen

– Zulässigkeit des Trennscheibeneinsatzes bei Besuchen aus Gründen der Anstaltsordnung*; – Dispositionsbefugnis des Gefangenen hinsichtlich der Einwilligung in die Öffnung von Verteidigerpost durch die JVA*; – generelle Unfreiheit der von Gefangenen erteilten Einwilligungen*; – Verhältnismäßigkeit der ausnahmslosen Anbringung von Sichtvermerken auf Verteidigerpost*; – Anspruch des Inhaftierten auf Internetnutzung; – Verfassungsrechtliche Grenzen der Videoüberwachung im Strafvollzug; – Beweisverwertungsverbot bei aus Gründen des Gesundheitsschutzes angeordneter Urinprobe, die ein positives Testergebnis hervorbringt*; – Anforderungen an den Vollzug von Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen; – Außerordentliche Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn zu erwarten ist, dass die landgerichtliche Entscheidung der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht Stand halten wird*; – Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Durchführung der gerichtlichen Kontrolle im Sinne des § 119a StVollzG sowie die Anordnung von Zwangs­ maßnahmen gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 StVollzG i. V. m. § 172 VwGO. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bezüglich vorgenannter und anderer Fragen natürlich nicht erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden sollte. Diese kann nämlich im Zweifel sehr lange auf sich warten lassen, weil die Karlsruher Richter schließlich kein Initiativrecht haben und darauf angewiesen sind, dass ein entsprechender Fall, der eine Sachentscheidung erlaubt, an sie herangetragen wird. Deshalb sollten Wissenschaft, Fachgerichte, Politik und Vollzugspraxis schon jetzt (weiter) zur Lösung dieser Probleme beitragen. Den genannten Akteuren obliegt es schließlich in erster Linie, die Vorgaben des Grundgesetzes zu konkretisieren und „mit Leben“ zu füllen.

III. Landesstrafvollzugsgesetze im Licht der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung III. Landesstrafvollzugsgesetze und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung Die Kernaussagen des Bundesverfassungsgerichts und die jeweilige materielle Entscheidungskritik sind auch hilfreich, wenn es darum geht, die nach der Föde­ ralismusreform 2006 begonnenen gesetzgeberischen Aktivitäten der Länder im Hinblick auf ihre Grundgesetzkonformität zu überprüfen. Dies kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit freilich nicht umfassend, sondern nur exemplarisch geschehen, und zwar an Hand einiger ausgewählter Landesvorschriften, deren Verfassungsmäßigkeit besonders fraglich bzw. umstritten ist:

III. Landesstrafvollzugsgesetze und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung

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1. Die Regelung des Vollzugsziels in Art. 2 BayStVollzG Im Hinblick auf die Zielbestimmung des Strafvollzuges wird besonders die bayerische Regelung kritisiert.1835 Diesbezüglich ist anzumerken, dass die Voran­ stellung des Schutzes der Allgemeinheit in Art. 2 Satz 1 BayStVollzG zwar kriminalpolitisch fragwürdig sein mag, weil der Gedanke der Resozialisierung dadurch gewiss nicht gestärkt wird, sondern eher eine gegenteilige Signalwirkung erzeugt wird.1836 Grundgesetzwidrig ist diese Regelung deswegen aber noch nicht.1837 Ein Verstoß gegen die Verfassung läge vor dem Hintergrund der bisherigen­ Ausführungen vielmehr nur dann vor, wenn das grundgesetzlich gewährleistete Minimum an resozialisierender Behandlung unterschritten wäre. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber – wie das Bundesverfassungsgericht mit Recht betont hat – bei der Aufstellung eines Resozia­ lisierungskonzeptes ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt.1838 Wo aber eine Gesetzgebungsmaterie in die Zuständigkeit der Länder fällt, ist es grundsätzlich nicht verwunderlich, dass diese die ihnen eröffneten Spielräume in unterschiedlicher Weise nutzen, dass es also Regelwerke gibt, die restriktiver ausgestaltet sind als andere. Zwar wurde in Art. 2 BayStVollzG die Reihenfolge der Vollzugsaufgaben im Vergleich zur Regelung des Bundes in § 2 StVollzG umgekehrt. Der bayerische Gesetzgeber wollte damit ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien die Gleichrangigkeit von Allgemeinschutz und Resozialisierung zum Ausdruck bringen.1839 Letztgenannte Vollzugsaufgabe wird dadurch aber nicht so weit zurückgedrängt, dass im Gesetz nur noch ein – in jedem Fall verfassungswidriger – Verwahrvollzug verankert wäre. Der bayerische Strafvollzug hat vielmehr gemäß Art. 2 Satz 2 BayStVollzG weiterhin einen Behandlungsauftrag, der in Art. 3 BayStVollzG präzisiert wird.1840 Die Voranstellung des Allgemeinschutzes in Art. 2 Satz 1 BayStVollzG wird zudem dadurch relativiert, dass der bayerische Gesetzgeber diesen ausweislich des Art. 4 Var. 4 BayStVollzG nicht etwa nur durch bloße Verwahrung erreichen will, sondern gerade auch durch geeignete Behandlungsmaßnahmen. Hinzu kommt, dass die Resozialisierung im Rahmen der Sozialtherapie (vgl. Art. 11 BayStVollzG) im Vergleich zur Regelung des Bundes

1835 Vgl. Calliess/Müller-Dietz, § 2 Rn. 10, die sogar die einschlägigen Regelungen in Nieder­ sachsen und Hamburg, die im Vergleich zu Bayern eine weniger weitgehende Abkehr vom Resozialisierungsprinzip beinhalten (siehe dazu AK-Bung/Feest, § 2 Rn. 18), für verfassungswidrig halten; Ullmann, S. 121 ff. (verfassungswidrig auch die Regelungen in Niedersachsen und Hessen); Koranyi, S. 237 ff., 286; Köhne, NStZ 2009, 130 (131); Eisenberg, NStZ 2008, 250 (251); siehe ferner LNNV-Neubacher, § 2 Rn. 23: „unüberwindbare Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit“; AK-BungFeest, § 2 Rn. 20: „Zweifel an [der] Verfassungskonformität“. 1836 Ähnlich Jünemann, S. 479. 1837 So im Ergebnis auch BayVerfGH, NJOZ 2009, 2540 (2543 f.); SBJL-Jehle, § 2 Rn. 11;­ Arloth, Art. 2 BayStVollzG; ders. GA 2008, 129 (130); Schneider, S. 60 ff. 1838 Vgl. BVerfGE 98, 169 (201). 1839 Vgl. LT-Drs. 15/8101, S. 44 f. u. 49. 1840 Vgl. BayVerfGH NJOZ 2009, 2541 (2544).

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E. Schlussfolgerungen

in § 9 StVollzG sogar eine Ausweitung erfahren hat.1841 Insgesamt ist somit festzustellen, dass der bayerische Gesetzgeber den ihm eröffneten Gestaltungsspielraum gewiss nicht genutzt hat, um den Resozialisierungsgedanken zu stärken. Sein insoweit entworfenes Konzept unterschreitet das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß jedoch nicht, denn er hat dem Strafvollzug seines Landes mit hinreichender Deutlichkeit einen Behandlungsauftrag erteilt und zudem in mehreren Vorschriften klargestellt, dass das Vollzugsziel des Allgemeinschutzes die Vollzugsbehörden nicht davon entbindet, sich um die Wiedereingliederung der Gefangenen zu bemühen. An diesem Befund ändert auch die von einem Teil der Lite­ ratur vorgetragene Befürchtung nichts, dass die in Art.  2 BayStVollzG erfolgte Umkehrung der Vollzugsaufgaben zu einer Überbetonung des Sicherungsaspektes in der Vollzugspraxis führen könne.1842 Wo im Einzelfall durch Vollzugsentscheidungen tatsächlich nicht hinnehmbare Unterschreitungen des notwendigen Minimums an Resozialisierungsbemühungen auftreten, kann dagegen gerichtlich vorgegangen werden. In jedem Fall kann eine falsche Gesetzesanwendung schwerlich dem Gesetzgeber vorgeworfen werden und eine Überbetonung des Aspektes des Allgemeinschutzes, die mit einer Marginalisierung des Ziels der Wiedereingliederung einhergeht, wäre selbst nach bayerischer Rechtslage eine fehlerhafte Umsetzung des Gesetzes. Wie gezeigt, muss nämlich auch in Bayern ein Behandlungsvollzug durchgeführt werden und soll der Schutz der Allgemeinheit, gerade auch durch geeignete Behandlungsmaßnahmen und nicht nur durch Verwahrung erreicht werden. Es ist daher zutreffend, wenn Jünemann feststellt, dass die formale Gleichsetzung des Schutzes der Allgemeinheit mit der Resozialisierung letztlich einen mehr oder minder symbolischen Akt darstelle, der unerheblich sei, solange nur der Strafvollzug tatsächlich auf das Ziel der Wiedereingliederung hin ausgerichtet sei.1843 2. Mitwirkungspflicht des Gefangenen nach § 5 Abs. 1 HmbStVollzG § 5 Abs. 1 HmbStVollzG sieht – im Gegensatz zu allen anderen Strafvollzugsgesetzen – eine Mitwirkungspflicht des Gefangenen vor. Eine solche ist – wie bereits erläutert wurde1844  – nicht grundsätzlich mit der Verfassung unvereinbar. Unproblematisch sind zunächst die Fälle der passiven Mitwirkung in Form der Duldung bestimmter Maßnahmen. Bedenken ergeben sich aber im Hinblick auf die Verpflichtung zu aktiver Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen. Hier drängt sich nämlich die Frage auf, inwieweit gegebenenfalls auch deren zwangsweise Durchsetzung in Betracht kommt. Verfassungswidrig wäre vor dem Hintergrund 1841

Vgl. BayVerfGH NJOZ 2009, 2541 (2543 f.). So etwa AK-Bung/Feest, § 2 Rn. 20; Köhne, NStZ 2009, 130 (131). 1843 Vgl. Jünemann, S. 480; siehe ferner Feest, in: Justizvollzug, S. 139 (142), der in Bezug auf die Gleichsetzung ebenfalls von „symbolischer Gesetzgebung“ spricht; einen rein symbolischen Charakter aber bestreitend Koranyi, S. 239 f. 1844 Siehe hierzu und zum Folgenden oben D.IV.2.b)cc)(5). 1842

III. Landesstrafvollzugsgesetze und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung

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der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in jedem Fall eine Behandlung, die den Inhaftierten zum bloßen Objekt des Staates macht. Eine mittels Disziplinarmaßnahmen erzwungene Mitwirkung wird in aller Regel nur eine äußere Anpassung des Gefangenen bewirken können, wäre also ein zur Resozialisierung ungeeignetes und damit unverhältnismäßiges Mittel. § 85  Satz  2 HmbStVollzG ordnet aber an, dass Verstöße gegen die Mitwirkungspflicht nicht mit disziplina­ rischen Maßnahmen geahndet werden dürfen. Stattdessen sollen die Gefangenen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 HmbStVollzG – wie dies die Regelung des Bundes in § 4 Abs. 1 Satz 2 StVollzG ebenfalls vorsieht – zur Mitwirkung motiviert werden. Gemäß § 5 Abs. 2 HmbStVollzG kann dies durch Maßnahmen der Belohnung und Anerkennung geschehen. Im Ganzen betrachtet, kommt die in § 5 Abs. 1 HmbStVollzG vordergründig statuierte Mitwirkungspflicht also letztlich der Normierung einer bloßen (verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden) Mitwirkungsnotwendigkeit sehr nahe.1845 Verfassungsrechtlich bedenklich ist es aber, dass nach § 12 Abs. 2 HmbStVollzG Lockerungen versagt werden können, wenn die Gefangenen ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen.1846 Eine Auslegung dieser Norm in dem Sinne, dass allein die mangelnde Bereitschaft zur Teilnahme an Behandlungsmaßnahmen als solche zur Nichtgenehmigung von Vollzugslockerungen führen kann, wäre – wie bereits an anderer Stelle erläutert wurde1847 – wegen der faktischen Wirkung als Disziplinarmaßnahme nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. 3. Regelung der Mindestfläche des Haftraumes in § 7 BwJVollzGB I Es ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, dass die einem Gefangenen mindestens einzuräumende Bodenfläche vom baden-württembergischen Landesgesetzgeber detailliert festgelegt wurde. Gleichwohl sind hinsichtlich der einschlägigen Regelung des § 7 BwJVollzGB I verfassungsrechtliche Bedenken laut geworden, und zwar in Bezug auf dessen Abs. 2 Satz 1.1848 Danach haben Gemeinschafts­hafträume in Justizvollzugsanstalten, mit deren Errichtung vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1.1.2010 begonnen wurde, bei Doppel­belegung ohne Berücksichtigung der Sanitäreinrichtungen eine Grundfläche von mindestens 4,5 m² je Gefangenem aufzuweisen. Dies liegt in der Tat an der untersten Grenze dessen, was nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gerade noch verfassungsgemäß sein dürfte.1849 Bei einer höheren Belegung sieht § 7 Abs. 2 Satz 1 BwJVollzGB I eine Mindestfläche von 6  m² pro Inhaftiertem vor, was zweifellos den Vorgaben der Karlsruher Richter entspricht. Dies gilt erst recht für die Mehrfachbelegung in Haftanstalten, mit deren Errichtung nach Inkrafttreten des ­Gesetzes begonnen wurde. 1845

Für Verfassungswidrigkeit von § 5 Abs.  1 HmbStvollzG aber Dressel, S.  135; kritisch auch Köhne, ZRP 2010, 220 (222). 1846 Vgl. Jünemann, S. 419 f. – Fn. 1535; Dressel, ZRP 2009, 146 (148). 1847 Siehe oben D.IV.2.b)dd)(5). 1848 Vgl. Bachmann/Goeck, NJ 2012, 407 (409). 1849 Siehe oben D.IV.6.b)aa)(1).

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E. Schlussfolgerungen

Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 BwJVollzGB I sind dann (ohne Nasszelle) generell für jeden Gefangenen mindestens 7 m² Bodenfläche vorzusehen. 4. Gemeinsame Unterbringung von Gefangenen mit ihren Kindern Wie bereits erläutert, ist in Anbetracht der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG davon auszugehen, dass die Regelung zur gemeinsamen Unterbringung von Müttern mit ihren Kindern nach §§ 80, 142 StVollzG mit der vorgenannten Verfassungsnorm unvereinbar ist.1850 Für die inhaltsgleichen Vorschriften der Länder (vgl. Art. 86, 168 BayStVollzG, §§ 21, 100 HmbStVollzG, 10 BwJVollzGB I, 73 NJVollzG, 14 SLStVollzG) kann demnach nichts anderes gelten. 5. Arbeitsentgelt Die Vorschriften zum Arbeitsentgelt in den Ländern mit Arbeitspflicht (Art. 46 BayStVollzG; §§ 49 BwJVollzGB III; 40 HmbStVollzG; 38, 39 HStVollzG; 55 StVollzG MV; 40 NJVollzG; 32, 66 ThürJVollzGB) entsprechen im Wesentlichen den Vorschriften des Bundes (§§ 43, 200 StVollzG). Hervorzuheben ist jedoch, dass Gefangene in Hessen gemäß § 39 Abs. 5 Nr. 1 HStVollzG für jeweils sechs Monate zusammenhängende Arbeit einen Anspruch auf Erlass der von ihnen nach § 464a StPO zu tragenden Kosten des Strafverfahrens, soweit diese dem Land Hessen zustehen, haben. Die Höhe der Befreiung entspricht der von dem jeweiligen Inhaftierten in vorgenanntem Zeitraum erzielten Vergütung, höchstens aber von 5 % der zu tragenden Kosten. Dadurch können Gefangene bei zehn Jahren kontinuierlicher Arbeit alle Prozesskosten tilgen.1851 Außerdem erhalten sie gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 HStVollzG für jeweils drei Monate zuammenhängende Arbeit eine Freistellung von zwei Werktagen, was gegenüber der Regelung des Bundes (ein Werktag Freistellung für zwei Monate Arbeit) eine Erhöhung um ein Drittel darstellt. Letzteres gilt auch in Mecklenburg-Vorpommern (§ 55 Abs. 7 StVollzG MV) und Thüringen (§ 32 Abs. 2 Satz 1 ThürJVollzGB). Im Saarland sowie in Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen, die keine Pflichtarbeit im Sinne des § 41 Abs. 1 StVollzG mehr vorsehen, ist die nicht-mone­ täre Entgeltkomponente vollständig entfallen, was aber natürlich z. B. in Bezug auf die Möglichkeit, Zeiten zusammenhängender Arbeit auf den Entlassungszeitpunkt anzurechnen, nicht zwingend war. Die monetäre Vergütung ist auch in den vorgenannten Ländern unverändert geblieben und beträgt nach wie vor 9 % der Bezugsgröße im Sinne des § 18 SGB IV. 1850 1851

Siehe oben D.IV.6.b)aa)(4). Vgl. Ullmann, S. 185.

III. Landesstrafvollzugsgesetze und verfassungsgerichtliche Rechtsprechung

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Vor dem geschilderten Hintergrund lautet die entscheidende Frage: Sind die (zumindest hinsichtlich der Entlohnung in Geld übereinstimmenden) Landesvorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar, wo doch die §§ 43, 200 StVollzG schon im Jahr 2002 vom Bundesverfassungsgericht als gerade noch verfassungsgemäß eingestuft wurden? Vorauszuschicken ist, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof bezüglich Art.  46 BayStVollzG keinen Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot festzustellen vermochte.1852 Blickt man auf die Entscheidungsbegründung, gewinnt man in großen Teilen den Eindruck, es handle sich um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002, bei der lediglich die Vorschriften des Bundes durch die bayerischen Regelungen ersetzt wurden. Dass die Entscheidung des VGH Bayern aber im August 2010 und damit über acht Jahre später ergangen ist, merkt man ihr kaum an. Sie scheint durchweg auf die Abweisung der Popularklage hin organisiert zu sein. Die Frage, ob sich zwischenzeitlich nicht womöglich beurteilungsrelevante Veränderungen ergeben ­haben, stellen sich die bayerischen Verfassungsrichter nicht. Sie drängt sich jedoch auf. Mag die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die allgemeine wirtschaftliche Lage durch hohe Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung geprägt sei und den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränke,1853 für das Jahr 2002 zutreffen, kann dies – gerade für den Freistaat Bayern – heute (im Jahr 2013) gewiss nicht mehr behauptet werden. Lag die Arbeitslosenquote in ­Bayern 2002 noch bei 6 %, betrug sie  – nach einem Höchststand von 7,8 % in 2005  – bereits 2010 nur noch 4,5 % und lag im September 2013 gerade einmal bei noch 3,6 %.1854 Zudem sinkt die Staatsverschuldung seit Jahren, so dass der ­bayerische Finanzminister in einer Pressemitteilung vom 19.8.2013 feststellen konnte, dass Bayern weiterhin das Bundesland mit der niedrigsten Verschuldung pro Kopf sei und zudem zwischen 2012 und 2014 – bei gleichzeitigen Inves­ amilie, Klimaschutz u. a.  – sogar eine Schuldentilgung in titionen in Bildung, F Höhe von über 2,5 Milliarden Euro erfolgen könne.1855 Ein bayerischer Gesetzgeber, der dem (freilich rechtlich unverbindlichen) verfassungsgerichtlichen Auftrag zur „steten Prüfung“ der Arbeitsentlohnung ernsthaft nachkommt, muss zu dem Ergebnis gelangen, dass Handlungsbedarf in Richtung auf eine Erhöhung der Vergütung besteht. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass den bayerischen Gefangenen durch die Beteiligung z. B. an den Kosten für die Krankenbehandlung (vgl. § 63 Abs. 2 Satz 1 BayStVollzG) und den Strom (vgl. Art. 73 BayStVollzG) sogar noch zusätzliche Belastungen aufgebürdet wurden, die – wie der Bayerische

1852

Vgl. VerfGH Bayern, Entscheidung v. 9.8.2010 – Vf. 16-VII-09. Vgl. BVerfG NStZ 2003, 109 (111). 1854 S. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/2517/umfrage/entwicklung-der-arbeitslosen quote-in-bayern-seit-1999/ und http://de.statista.com/statistik/daten/studie/36651/umfrage/ arbeitslosenquote-in-deutschland-nach-bundeslaendern/ (zuletzt abgerufen am 5.10.2013). 1855 Vgl. Pressemitteilung des bayerischen Finanzministeriums vom 19.8.2013, http://www. bayern.de/Pressemitteilungen-.1255.10446872/index.htm (zuletzt abgerufen am 5.10.2013). 1853

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E. Schlussfolgerungen

Verfassungsgerichtshof ausführt1856 – etwa 1,5 % des Monatslohns eines Vollzeitbeschäftigten in ­Vergütungsstufe III betragen. Die Entgeltregelung des Art.  46 BayStVollzG ist somit inzwischen verfassungswidrig.1857 Nichts anderes gilt für die entsprechenden Vorschriften in den übrigen Ländern. Hier ist nämlich ebenfalls eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage eingetreten, wenngleich nicht in demselben Maße wie in Bayern.1858 Zudem sehen auch die übrigen Landesgesetze die Beteiligung der Gefangenen u. a. an den Kosten für Strom und Gesundheitsfürsorge vor.1859 Köhne hat es im Übrigen mit Recht als „durchaus schäbig“ bezeichnet, dass bereits ab dem Jahr 2003 von einigen Ländern mit entsprechenden Verwaltungsvorschriften versucht wurde, die vom Bundesverfassungsgericht für notwendig erachtete Erhöhung des Arbeitsentgelts durch die Auferlegung von Stromkostenpauschalen zum Teil wieder auszugleichen.1860 Diese und andere Kostenbeteiligungen, die nunmehr gesetzlich verankert sind, stellen nichts anderes als eine gewissermaßen durch die „Hintertür“ bewirkte Schmälerung der von den Karlsruher Richtern im Jahr 2002 ohnehin nur als gerade „noch“ verfassungsgemäß eingestuften Anhebung der Arbeitsvergütung dar. Allein dies wäre schon hinreichend Veranlassung, die Entlohnung der Gefangenenarbeit zu reformieren und sie damit wieder in einen grundgesetzkonformen Zustand zu versetzen.1861 Hessen hat hier freilich einen etwas geringfügigeren Nachholbedarf, weil es – wie bereits erläutert – schon jetzt einige Verbesserungen im Bereich der nicht-monetären Entgeltkomponente vorgenommen hat.

1856

Vgl. VerfGH Bayern, Entscheidung v. 9.8.2010 – Vf. 16-VII-09. Siehe auch Ullmann, S.  174, die diese Vorschrift zwar als „gerade noch verfassungsgemäß“ erachtet, allerdings auch feststellt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, dass dies ins Gegenteil umschlage. 1858 Vgl. www.haushaltssteuerung.de mit umfangreichen Daten zur Finanzsituation der Länder und Links zu den jeweiligen Haushaltsgesetzen; siehe ferner http://de.statista.com/statistik/ suche/q/arbeitslosigkeit/ zur Arbeitslosigkeit; beide Internetseiten wurden zuletzt am 5.10.2013 abgerufen. 1859 Vgl.  §§ 9  Abs. 2  BwJVollzGB  I, 33 Abs.  3 BwJVollzGB III; §§ 72 Abs.  3, 74 Abs.  2 BbgJVollzG; §§ 49 Abs. 3, 63 Abs. 2 HmbStVollzG; §§ 24 Abs. 3, 43 Abs. 5 HStVollzG; §§ 61 Abs. 3, 62 Abs. 2 StVollzG MV; § 52 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 4 NJVollzG; §§ 71 Abs. 3, 72 Abs. 2 LJVollzG RLP; §§ 61 Abs. 3, 62 Abs. 2 SLStVollzG; §§ 61 Abs. 3, 63 Abs. 2 SächsStVollzG; §§ 72 Abs. 3, 73 Abs. 2 ThürJVollzGB. 1860 Näher hierzu Köhne, NStZ 2012, 16 ff. 1861 Dies gilt für alle Bundesländer mit entsprechenden Kostenbeteiligungen und in noch einmal verschärftem Maß für Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen, die die nichtmonetäre Entgeltkomponente abgeschafft haben, siehe dazu auch Dünkel, FS 2012, 141 (146), wonach es als „eindeutig verfassungswidrig“ anzusehen ist, die nichtmonetäre Vergütung abzuschaffen und gleichzeitig diverse Kostenbeteiligungen für Gefangene vorzusehen. 1857

IV. Empfehlungen für die anderen am Strafvollzug beteiligten Akteure 

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IV. Empfehlungen für die anderen am Strafvollzug beteiligten Akteure Es ist dem Grundrechtsschutz im Strafvollzug natürlich nicht nur zuträglich, wenn das Bundesverfassungsgericht die oben genannten „Kurskorrekturen“ durchführt und sich die Landesgesetzgeber an den Kernaussagen der Karlsruher Richter orientieren, sondern auch, wenn die Fachgerichte und Vollzugsbehörden dies tun. Dadurch ließe sich der Tatsache entgegenwirken, dass das Bundesverfassungsgericht auf bestimmte verfassungsrechtliche Anforderungen, die im Grunde längst bekannt sein sollten, immer wieder hinweisen muss. Das betrifft etwa den Umstand, dass Vollzugspläne nicht nur aus Phrasen bestehen dürfen oder die vorübergehende Aussetzung einer belastenden Maßnahme im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellt. Mit Blick auf die Gefangenen besteht zudem Anlass zu einigen Bemerkungen, die die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde betreffen. Die veröffentlichten Nichtannahmebeschlüsse zum Strafvollzug lassen nämlich erkennen, an welchen Zulässigkeitsvoraussetzungen Inhaftierte bei ihrem Gang nach Karlsruhe mit Abstand am häufigsten scheitern: an den Begründungsanforderungen, d. h. der substantiierten Darlegung des als grundrechtsverletzend gerügten Vorgangs1862 und vor allem wegen der Nichtbeachtung der Anforderungen des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG (Rechtswegerschöpfung/Subsidiaritätsgebot). Bestimmte Rechtsbehelfe werden nämlich häufig übersehen, so dass der Beschwerdeführer dann nicht jede Möglichkeit, fachgerichtliche Abhilfe zu erlangen, genutzt hat und die Verfassungsbeschwerde somit unzulässig ist. Will sich ein Gefangener die Verfassungsbeschwerde offen halten, muss er stets an die Möglichkeit einer Anhörungsrüge denken. Diese steht gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 33a StPO hinsichtlich solcher Beschlüsse offen, die nicht mehr anfechtbar sind, was auf dem Gebiet des Strafvollzuges für alle Entscheidungen der Oberlandesgerichte im Verfahren der Rechtsbeschwerde gemäß den §§ 116 ff. StVollzG gilt. Dabei ist zu beachten, dass vorgenannte Anhörungsrüge nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch dann zu er­heben ist, wenn der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde eigentlich gar keine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG rügen will, durch die Gehörsrüge aber im Falle ihres Erfolges in den dann von den Fachgerichten gegebenenfalls erneut durchzuführenden Verfahrensschritten auch andere Grundrechtsverletzungen b­ eseitigt werden können.1863 Von der Erhebung der Anhörungsrüge kann nur ab­gesehen werden, wenn diese offenkundig unzulässig oder aussichtslos wäre.1864 1862 Ausführlich hierzu Lübbe-Wolff, AnwBl. 2005, 509 (515 f.) mit Nachweisen aus der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. 1863 Vgl. BVerfG NJW 2013, 3506 (3507); Beschl. v. 14.7.2011 – 1 BvR 1468/11; v. 25.10.2011 – 2 BvR 2407/10; kritisch hierzu Rieble/Vielmeier, JZ 2011, 923 (927); siehe dagegen aber Bachmann, ZIS 2012, 545 (548). 1864 Vgl. BVerfGE 126, 1 (18); Beschl. v. 31.8.2011 – 2 BvR 1979/08 m. w. N.

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E. Schlussfolgerungen

Da der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung insoweit aber keine hinreichend gesicherten Kriterien entnommen werden können, bleibt dem Betroffenen nichts anderes übrig, als eine Prognose über die Zulässigkeit und Begründetheit einer Anhörungsrüge zu treffen.1865 Das ist freilich eine schwierige Gratwanderung, denn wenn der Beschwerdeführer den Rechtsbehelf des § 33a StPO nicht für aussichtsreich hält und deswegen auf ihn verzichtet, läuft er Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht dies womöglich anders sieht und die Verfassungsbeschwerde an der Hürde des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG scheitert.1866 Erhebt er hingegen die Anhörungsrüge und bewerten die Karlsruher Richter dieses Vorgehen wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit als entbehrlich, besteht das Risiko der Verfristung der Verfassungsbeschwerde, denn diese kann durch von vornherein zum ­Scheitern verurteilte Rechtsbehelfe nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht o­ ffen gehalten werden.1867 Es ist daher zu empfehlen, die Anhörungsrüge nach § 33a StPO zu erheben, zugleich Verfassungsbeschwerde einzulegen, in einem Anschreiben zu dieser auf die parallel erhobene Anhörungsrüge hinzuweisen und dabei auch um die vorübergehende Aufnahme der Verfassungsbeschwerde in das Allgemeine Register zu bitten.1868 Wenn über den Rechtsbehelf nach § 33a StPO entschieden ist, muss dem Bundesverfassungsgericht das Ergebnis mitgeteilt, die Verfassungsbeschwerde hierauf erstreckt und nunmehr um die Aufnahme derselben in das Verfahrensregister ersucht werden.1869 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass es weder zur Fristversäumnis noch zu Verstößen gegen den Subsi­ diaritätsgrundsatz kommt.1870 Die bislang noch nicht abschließend geklärte Streitfrage, ob § 33a StPO auf andere Verfahrensgrundrechte (z. B. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) analog angewendet werden kann, ist zu verneinen, da es hierfür bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehlt, weil sich der Gesetzgeber bewusst auf die Normierung

1865 Vgl. Bachmann, ZIS 2012, 545 (548); Heinrichsmeier, NVwZ 2010, 228 (230); siehe jüngst aber BVerfG NJW 2013, 3506 (3508), wonach eine Anhörungsrüge nur erhoben werden müsse, wenn den Umständen nach ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte naheliege und zu erwarten sei, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend ­gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden; kritisch dazu Allgayer, NJW 2013, 3484 (3485 f.): „[…] wird […] entweder keine praktischen Auswirkungen haben oder zu neuen Friktionen und Abgrenzungsproblemen führen.“ 1866 Vgl. Bachmann, a. a. O. Da die Anhörungsrüge nach § 33a StPO nicht fristgebunden ist, könnte man freilich daran denken, diese nachträglich noch zu erheben und sich dann ggf. wieder an das Bundesverfassungsgericht zu wenden. Dies ist jedoch ebenfalls mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, da unter dem Stichwort der Fristvorwirkung der Verfassungsbeschwerde diskutiert wird, ob die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG aus Gründen der Rechtssicherheit auf nicht fristgebundene Rechtsbehelfe zu übertragen ist, näher hierzu Bachmann, ZIS 2012, 545 (547) m. w. N. 1867 Vgl. Bachmann, ZIS 2012, 545 (548). 1868 So Buermeyer, in: Rensen/Brink, S. 35 (43); Kleine-Cosack, Rn. 447. 1869 Vgl. Buermeyer, a. a. O.; Kleine-Cosack, a. a. O. 1870 Vgl. Buermeyer, a. a. O.; Kleine-Cosack, a. a. O.

IV. Empfehlungen für die anderen am Strafvollzug beteiligten Akteure 

419

fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen Gehörsverletzungen beschränkt hat.1871 Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu dieser Problematik allerdings bisher noch nicht explizit geäußert.1872 Daher sollten Gefangene, wenn sie Verstöße gegen andere Verfahrensgrundrechte als den Anspruch auf rechtliches Gehör geltend machen, sicherheitshalber sowohl außerordentliche Rechtsbehelfe (insbesondere die Gegenvorstellung) einlegen als auch – wie bereits erläutert – die Eintragung einer Verfassungsbeschwerde im Allgemeinen Register anregen, um den Grundsatz der Subsidiarität in jedem Fall Rechnung zu tragen und etwaigen Überraschungen durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung vorzubeugen.1873 Neben der soeben thematisierten Anhörungsrüge sind vor allem Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. §§ 44 f. StPO praktisch bedeutsam, und zwar insbesondere in den Fällen, in denen die Frist für die Erhebung einer ordnungsgemäßen Rechtsbeschwerde verstrichen ist, weil es durch gerichtsinternes Verschulden zu Fehlern bei der Protokollierung im Sinne des § 118 Abs. 3 StVollzG gekommen ist. In dem Nichtannahmebeschluss vom 2.9.2011 hat das Bundesverfassungsgericht zudem darauf aufmerksam gemacht, dass vor einer auf Art. 101 Abs. 1 GG gestützten Verfassungsbeschwerde wegen Befangenheit des Richters einer Strafvollstreckungskammer ein entsprechender Ablehnungsantrag nach § 120 Abs.  1 Satz  2 StVollzG i. V. m. §§ 22 ff. StPO gestellt werden muss, sofern dieser nicht von vornherein aussichtslos ist.1874 Ferner muss dieser Rechtsbehelf – wie die Anhörungsrüge – auch dann ergriffen werden, wenn der Beschwerdeführer an sich gar keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 GG, sondern gegen andere Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte rügen will und nicht offenkundig ausgeschlossen ist, dass diesbezüglich durch einen Befangenheitsantrag Abhilfe geschafft werden könnte.1875 Schließlich ist daran zu denken, dass die Möglichkeit der Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG gegeben ist, wenn der Urkundsbeamte einem Antragsteller keinen Termin zur Protokollierung einer Rechtsbeschwerde (§ 118 Abs. 3 StVollzG) einräumt.

1871

Vgl. Bachmann, ZIS 2012, 545 (549); Ulrici, Jura 2005, 368 (370); Voßkuhle, NJW 2003, 2193 (2199); a. A. Schenke, NVwZ 2005, 729 (736 ff.). 1872 Vgl. Allgayer, NJW 2013, 3484 (3486), der zudem Anhaltspunkte dafür sieht, dass sich das BVerfG implizit bereits gegen eine entsprechende Analogie ausgesprochen hat. 1873 Vgl. Bachmann, ZIS 2012, 545 (549); Rieble/Vielmeier, JZ 2011, 923 (929). 1874 Vgl. BVerfGK 16, 157 (160). 1875 Vgl. BVerfGK 16, 157 (161).

F. Schlussbetrachtung: Wenn der „Lotse“ von Bord ginge … Sehr erhellend ist es, wenn man sich abschließend einmal als eine Art Gedankenexperiment die Frage nach den Alternativen zum Bundesverfassungsgericht und seinem Wirken für einen verfassungskonformen Strafvollzug stellt: Was wäre eigentlich, wenn das Bundesverfassungsgericht (auf welche Weise auch immer) von „Bord“ des Strafvollzuges ginge? Gäbe es dann unter den anderen Gerichten solche, die seine Lotsenfunktion übernehmen könnten oder womöglich neben diesem schon jetzt eine solche innehaben?

I. Die Fachgerichte Insoweit könnte man zunächst an die Fachgerichte (Strafvollstreckungskammern, Oberlandesgerichte, BGH) denken, zu deren Aufgaben es immerhin auch gehört, den Grundrechtsschutz zu gewährleisten.1876 Wie die Rechtsprechungsanalyse gezeigt hat, haben diese – etwa in den Bereichen der Lockerungen oder der menschenwürdigen Haftraumunterbringung1877 – durchaus richtungsweisende Entscheidungen getroffen. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Fachgerichte in den vergangenen Jahrzehnten hinsichtlich des Grundrechtsschutzes im Strafvollzug im Ganzen betrachtet eher als Hindernis und weniger als Lotsen gewirkt haben. Dies hat die Analyse des Themenbereiches „Rechtsschutz“, aber auch die vieler anderer Gebiete (z. B. Vollzugsplanung, Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen) gezeigt. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch, dass im Rahmen der veröffentlichten Judikatur des Bundesverfassungsgerichts gegen kein anderes Grundrecht so viele Verstöße festgestellt wurden wie gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Anhaltspunkte, dass sich an der Rolle der genannten Fachgerichte in absehbarer Zeit etwas ändern könnte, gibt es nicht. Die Institution Strafvollzug und ihr – wie es Walter1878 treffend formuliert hat – „gewisses Beharrungsvermögen“ wird es vor allem den Strafvollstreckungskammern und OLG-Strafsenaten als den Gerichten „vor Ort“ gewiss auch zukünftig nicht immer leicht machen. Gerade richtungsweisende Entscheidungen, die nicht weniger als den Kern einer als „Lotsentätigkeit“ zu bezeichnenden Rechtsprechung bilden, führen in der Vollzugspraxis häufig 1876

Siehe dazu bereits oben B.II.3.d). Siehe dazu oben D.IV.3.c), 5.c), 6.a)aa) und c). 1878 Walter, Rn. 420. 1877

I. Die Fachgerichte

421

zu Akzeptanz- und Umsetzungsproblemen – vor allem, wenn sie mit der Abkehr von langjährigen Traditionen oder Ansichten verbunden sind und bei den Haftanstalten der Eindruck des „Hineinregierens“ bzw. „Einmischens“ entsteht.1879 Derartige Schwierigkeiten sind fast vorprogammiert, wenn seitens der Vollzugsbehörde finanzielle Erwägungen oder Aspekte wie die Scheu vor Risiken oder den Reaktionen der Öffentlichkeit eine Rolle spielen.1880 Hier hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner großen Autorität natürlich eine ganz andere „Durchschlagskraft“ als ein örtlich zuständiges Fachgericht. Schon ein bloßer Anruf aus Karlsruhe bei der betreffenden Vollzugsbehörde hat hier in der Vergangenheit oft „Wunder“ bewirkt und bestehende Blockaden überwunden.1881 Nicht zu vergessen ist, dass das Bundesverfassungsgericht u. a. über die Möglichkeit, Stellungnahmen von Ministerien oder anderen Staatsorganen einzuholen, erheblichen Druck auf die politischen Entscheidungsträger in den Aufsichtsbehörden ausüben kann.1882 Im Unterschied zu den Strafvollstreckungskammern und Oberlandesgerichten können die Karlsruher Richter mit ihrer Rechtsprechung schließlich auch eine­ gewisse Einheitlichkeit des Grundrechtsschutzes gewährleisten. Als Gericht mit bundesweiter Zuständigkeit könnte letzteres an sich auch vom BGH sichergestellt werden. Dieser kann aber gemäß § 121 Abs.  2 Nr.  2 GVG in Strafvollzugssachen nur tätig werden, wenn ein Oberlandesgericht eine Diver­genzvorlage an ihn heranträgt, was seit 1977 allerdings lediglich ein gutes Dutzend Mal geschehen ist.1883 Plausibel ist es aber, wenn Jünemann darauf hinweist, dass von § 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG womöglich indirekte Wirkungen im Sinne einer Art oberlandesgerichtlicher Selbstrestriktion ausgehen, d. h. der zwanglosen ­Orientierung an den Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die eine einheitliche Rechtsprechung befördern.1884 Selbst eine solche Bedeutung des BGH wird zukünftig weiter abnehmen, weil der Anwendungsbereich vorgenannter Norm im Zuge der nach und nach in Kraft tretenden Landesstrafvollzugsgesetze immer geringer wird. In den Bundesländern, in denen das Strafvollzugsgesetz nicht mehr gilt, kommt eine Vorlage nach § 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG nur noch bei Divergenzen in Bezug auf die fortgeltenden Bestimmungen des StVollzG (also im Wesentlichen diejenigen zum Rechtsschutz gemäß §§ 109 bis 121) sowie bei Abweichungen zwischen Oberlandesgerichten desselben Bundeslandes in Betracht.1885 Gerade in Ländern mit nur einem OLG (z. B. Sachsen, Thü 1879 Näher zu den Problemen bei der Umsetzung gerichtlicher Grundsatzentscheidungen Gross/ Laub, FS 2012, 277 (280 f.). 1880 Vgl. Lesting, FS 2012, 273 (275 f.). 1881 Vgl. hinsichtlich entsprechender Beispiele etwa Lesting, FS 2012, 273 (275) oder oben D.IV.11.c). 1882 Vgl. etwa den Erfahrungsbericht von Plumbohm, KrimJ 1993, 26 (35). 1883 So das Ergebnis von Jünemann, S. 309. 1884 Vgl. Jünemann, a. a. O. 1885 Vgl. OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2012, 95  – Ls.; OLG Hamburg StV 2008, 599  – Ls.; LNNV-Bachmann/Neubacher, § 116 Rn. 1; siehe ferner zum fortgeltenden Bundesrecht LNNV-Neubacher, Einl. Rn. 12.

422

F. Schlussbetrachtung: Wenn der „Lotse“ von Bord ginge … 

ringen) wird damit die Zuständigkeit des BGH auf ein nahezu bedeutungsloses Minimum reduziert.

II. Der EGMR Mit Blick auf die europäische Ebene kann in Folge des Übergangs der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder – zumindest formal gesehen – ein Bedeutungszuwachs der EMRK konstatiert werden. Diese hat, wie bereits erläutert,1886 den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und befindet sich damit auf einer Ebene mit dem StVollzG des Bundes. Gegenüber den neuen Landesstrafvollzugsgesetzen kommt der EMRK allerdings gemäß Art. 31 GG der Vorrang zu. Praktisch wird sich dies allerdings kaum bemerkbar machen, weil der Schutzstandard der EMRK in der Auslegung durch den EGMR in aller Regel nicht über dem Niveau liegt, das das Grundgesetz in der Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht für den Srafvollzug bietet. Dies erkennt man besonders deutlich an den Mindestanforderungen für eine menschenwürdige Haft­raumunterbringung. Zur Erinnerung: Während nach der verfassungsgerichtlichen Judikatur der für die Annahme einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG kritische Wert bei einer Bodenfläche von 4,5 bis 5 m² (bei Einzelunterbringung) liegt, bejahen die Straßburger Richter erst bei weniger als 3 m² in jedem Fall einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK.1887 Vor dem geschilderten Hintergrund ist es dann auch wenig verwunderlich, dass die Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Strafvollzuges erst ein einziges Mal wegen einer Menschenrechtsverletzung verurteilt worden ist, und zwar im Juli 2011 im bereits erwähnten Fall Hellig.1888 Unabhängig von der Wirkung auf den deutschen Strafvollzug, ist festzustellen, dass sich der EGMR (bzw. vor 1998 als Troika mit Kommission und Minister­ komitee) generell lange Zeit schwer getan hat, mit richtungsweisenden Entscheidungen den menschenrechtlichen Mindeststandard für den Vollzug von Freiheitsstrafen in den Mitgliedsstaaten zu definieren. Immerhin hatte die EKMR der Konstruktion eines besonderen Gewaltverhältnisses bereits 1962 und damit rund zehn Jahre früher als das Bundesverfassungsgericht eine Absage erteilt, indem sie klarstellte, dass die Garantien und Rechte der EMRK auch für Strafgefangene gelten.1889 Im Übrigen fällt die Bilanz der ersten Jahrzehnte aber denkbar schwach aus. So kommt Ganter in seiner 1974 veröffentlichten Untersuchung „zur Spruchpraxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte auf dem Gebiet des Strafvollzuges“ zu einem eindeutigen Ergebnis:

1886

Siehe oben B.II.3.b). Ausführlich zum Ganzen bereits oben D.IV.6.a)aa)(1). 1888 Näher hierzu oben D.IV.11.c). 1889 Vgl. Gräfenstein, ZfStrVo 2003, 10 (10). 1887

II. Der EGMR

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„Bei der [EKMR], der innerhalb des Rechtsschutzsystems der Konvention eine Schlüsselstellung zukommt, waren bis Mitte Juli 1971 mehr als 5.000 Individualbeschwerden […] registriert, von denen fast 40 % von inhaftierten Personen vorgebracht worden waren.“1890 […] „Versucht man […] eine Bilanz aufzustellen, so fällt es schwer, der sich aufdrängenden Enttäuschung Herr zu werden […]. Denjenigen, der sich von der Spruchpraxis der Kommission Aufschluß für die Lösung innerstaatlicher Probleme oder gar Unterstützung bei der Durchsetzung progressiver Standpunkte erhoffte, muß […] die Art und Weise, wie die ­meisten Beschwerden zurückgewiesen werden, ernüchtern. Richtungsweisende Stellungnahmen zu aktuellen Sachfragen […] finden sich bei der Kommission […] kaum. Daß von ihrer Spruchpraxis wesentliche Impulse für die deutsche Strafvollzugsreform ausgegangen seien, läßt sich […] nicht behaupten.“1891

Für das Bundesverfassungsgericht ist zwar hinsichtlich der ersten beiden Jahrzehnte seines Bestehens ebenfalls ein solch enttäuschendes Resümee zu ziehen. Während bei ihm aber ab 1972 ein intensives Wirken auf dem Gebiet des Strafvollzuges einsetzte, änderte sich bei der „europäischen Troika“ wenig. Erst seit dem Jahrtausendwechsel konnte der EGMR verstärkt Akzente setzen, und zwar insbesondere in den Bereichen der allgemeinen Vollzugsgestaltung, der Außenkontakte und des Familienlebens Gefangener sowie deren Zugang zum Gericht.1892 In manchen Fragen hat es dabei ähnlich entschieden wie das Bundesverfassungsgericht, indem es z. B. eine absolute (und nicht durch finanzielle oder sonstige Gründe zu rechtfertigende) Verpflichtung des Staates angenommen hat, eine menschenwürdige Haftraumunterbringung sicherzustellen, darauf hingewiesen hat, dass der Einsatz einer Trennscheibe bei Besuchen ohne das Vorliegen einer auf konkrete Tatsachen gestützten Gefahr gegen Art. 8 EMRK verstößt oder die Bedeutung von Außenkontakten des Gefangenen für die Resozialisierung hervorgehoben hat.1893 Im Unterschied zu ihren Karlsruher Kollegen haben die Straßburger Richter sogar schon die Minimalanforderungen an die Unterbringung bei Gefangenentransporten definiert1894, andererseits aber z. B. noch nicht darüber entschieden, ob sich aus der EMRK die Notwendigkeit ergibt, Gefangenenarbeit angemessen zu entlohnen1895. Darüber hinaus ist nicht zu verkennen, dass der 1890

Ganter, S. 35. Ganter, S. 184. 1892 Vgl. zur gestiegenen Bedeutung des EGMR auf dem Gebiet des Strafvollzugs van Zyl Smit/Snacken, S. 31 ff.; Haverkamp, S. 76; Gräfenstein, ZfStrVo 2003, 10 (10). 1893 Vgl. hierzu und zu weiteren zentralen Entscheidungen des EGMR zum Strafvollzug den ausführlichen Überblick bei Pohlreich, NStZ 2011, 560 ff.; van Zyl Smit/Snacken, S. 126 ff., 219 ff.; 228 ff. 1894 Hiernach liegt ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vor, wenn dem Gefangenen während des Transports weniger als eine Fläche von 1 m² zur Verfügung steht, vgl. Pohlreich, NStZ 2011, 560 (562) m. w. N. 1895 Vgl. Pohlreich, NStZ 2011, 560 (567); siehe ferner van Zyl Smit/Snacken, S. 192, die darauf hinweisen, dass bereits 1968 mehrere deutsche Gefangene (erfolglos) versucht hatten, die EKMR davon zu überzeugen, dass sehr geringe Löhne eine Form von Sklaverei darstellten. 1891

424

F. Schlussbetrachtung: Wenn der „Lotse“ von Bord ginge … 

EGMR trotz verschiedentlicher Bezugnahmen auf das Resozialisierungsgebot bisher aus der EMRK keine unmittelbare und umfassende Verpflichtung abgeleitet hat, den Strafvollzug vorrangig am Resozialisierungsgebot auszurichten.1896 Im Ganzen gesehen kann festgehalten werden, dass der EGMR bis heute auf dem Gebiet des Strafvollzuges – jedenfalls für Deutschland – nicht annähernd die Bedeutung erlangt hat, die dem Bundesverfassungsgericht mit seiner thematisch breit aufgestellten Rechtsprechung zukommt. Es erscheint auch höchst fraglich, ob die Straßburger Richter angesichts des hohen Schutzniveaus, das das Grundgesetz in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht gewährt, in naher Zukunft in nennenswertem Umfang Impulse setzen können, die zu einer über den status quo hinausgehenden Weiterentwicklung des menschenrechtlichen Standards im deutschen Strafvollzug führen. Der EGMR muss nämlich darauf achten, dass seine Vorgaben auch in den Mitgliedsstaaten eine realistische Chance auf Verwirklichung haben, deren Strafvollzugssysteme noch weit größere Defizite aufweisen als das deutsche. Die Effektivität des durch die Straßburger Richter gewährten Rechtsschutzes hängt schließlich maßgeblich von der Akzeptanz ihrer Entscheidungen in den jeweiligen Ländern ab.1897 Der EGMR ist sich dessen sehr bewusst, akzeptiert Spielräume der Mitgliedsstaaten und agiert grundsätzlich eher zurückhaltend bei der Etablierung fixer europäischer Standards.1898

III. Die Landesverfassungsgerichte Was die Ebene der Bundesländer anbelangt, sei das Ergebnis gleich zu Beginn vorweggenommen: Unter den Landesverfassungsgerichten befindet sich kein einziges, das man auch nur annähernd als Lotse in dem hier verstandenen Sinne bezeichnen könnte. In der Datenbank von Juris konnten 61 einschlägige und bis zum 31.12.2012 ergangene Entscheidungen ermittelt werden.1899 Diese verteilen sich auf nur sechs Bundesländer, was u. a. darauf zurückzuführen ist, das bis zu vorgenanntem Zeitpunkt nur in zehn Ländern die Möglichkeit einer Individualverfassungsbeschwerde bestanden hat1900. Allein auf Hessen entfällt die Mehrheit der Entscheidungen (32 von 61), auf Bayern 13, Berlin sieben, Sachsen vier, Brandenburg drei und Rheinland-Pfalz zwei. In lediglich sieben Verfahren war der jewei 1896 Näher hierzu und zu neueren Tendenzen des EGMR bezüglich des Vollzugsziels der Wiedereingliederung Koranyi, S. 123 ff. 1897 So mit Recht Gräfenstein, ZfStrVo 2003, 10 (15). 1898 Näher hierzu van Zyl Smit/Snacken, S. 365 ff.; Gräfenstein, a. a. O. 1899 Da ein nennenswerter Teil dieser Entscheidungen dort nur in einer äußerst kurzen, überschriftsartigen Form eingestellt ist, wurden der Bayerische Verfassungsgerichtshof und der Hessische Staatsgerichtshof seitens des Verfassers mit Schreiben vom 20.2.2013 um Zu­ sendung der vollständigen Entscheidungstexte gebeten. Beide Verfassungsgerichte haben dem Ersuchen freundlicherweise zeitnah entsprochen. 1900 Siehe dazu bereits oben B.II.3.c).

III. Die Landesverfassungsgerichte

425

Abbildung 17: Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte nach Zeiträumen

lige Antragsteller ganz oder wenigstens teilweise erfolgreich (Berlin: drei, Brandenburg und Bayern je zwei). Die zeitliche Verteilung zeigt im Vergleich zum Bundesverfassungsgericht einige Unterschiede (siehe Abbildung 17). Liegen von letzterem aus der Zeit bis 1969 lediglich zwei Entscheidungen vor, sind es mit 13 von den Landesverfassungsgerichten deutlich mehr. Inhaltlich sind die (sämtlich aus Bayern oder Hessen) stammenden Beschlüsse jedoch weitgehend ohne Substanz. Sie weisen die Anträge der Gefangenen zumeist wegen Zulässigkeitsmängeln zurück oder verneinen unter Bezugnahme auf die Lehre vom besonderen Gewaltverhälnis das Vorliegen von ungerechtfertigten Grundrechtseingriffen.1901 Lediglich ein Inhaftierter aus Bayern konnte im Oktober 1957 einen kleinen Teilerfolg verbuchen, indem ihm der VGH Bayern das Recht zubilligte, sich auf eigene Kosten oder durch Dritte eine Ausgabe der Strafvollzugsordnung zu beschaffen, weil Gefangene grundsätzlich einen Anspruch darauf hätten, diejenigen Vorschriften kennenzulernen, die ihre Rechte und Pflichten regelten.1902 Auch aus den 1970er-Jahren liegen zwar mehr veröffentlichte Entscheidungen zum Strafvollzug von Landesverfassungsgerichten als von den Karlsruher Richtern vor. Während das Bundesverfassungsgericht aber in diesem Zeitraum mit seiner Rechtsprechung einen wichtigen Beitrag zur Schaffung eines auf Resozia 1901 Vgl. StGH Hessen, Beschl. v. 25.3.1955 – P.St. 181 und P.St. 188; v. 8.11.1957 – P.St. 222; v. 6.4.1962 – P.St. 349; v. 27.7.1962 – P.St. 361; v. 30.4.1963 – P.St. 373; v. 5.7.1963 – P.St. 374 und P.St. 379; v. 25.10.1967 – P.St. 491; VGH Bayern, Entscheidung v. 26.2.1968 – Vf. 142-VII67; eine umfangreichere Auseinandersetzung mit materiell-rechtlichen Fragestellungen findet in den Entscheidungen zum Auschluss von Strafgefangenen von Kommunal- und Landtagswahlen statt, vgl. BayVGHE 9, 109 ff.; StGH Hessen, Beschl. v. 25.5.1966 – P.St. 412. 1902 Vgl. VGH Bayern VerwRspr 1958, 269 (275).

426

F. Schlussbetrachtung: Wenn der „Lotse“ von Bord ginge … 

lisierung ausgerichteten Strafvollzugsgesetzes leistete, haben die landesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen wiederum keinen nennenswerten materiellen Gehalt. Viele von ihnen weisen die Anträge wegen Zulässigkeitsmängeln zurück oder stehen im Zusammenhang mit den Übergangsregelungen des Bundesver­ fassungsgerichts im „Strafgefangenen-Beschluss“ vom 14.3.1972 bzw. dem Urteil vom 29.10.1975 und stellen jeweils die Notwendigkeit der vom Antragsteller gerügten Grundrechtseingriffe für die Aufrechterhaltung eines geordneten Strafvollzuges fest1903. Offenbar unbeeindruckt von der zu diesem Zeitpunkt bereits entstandenen lebhaften Debatte um die Neuausrichtung des Strafvollzuges, huldigte der VGH Bayern noch Anfang der 1970er-Jahre der Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis.1904 Hinsichtlich des Besitzes von Gesetzestexten legte er sogar den „Rückwärtsgang“ ein und erlaubte den Besitz der Dienst- und Vollzugsordnung von 1961 – anders als noch den der zuvor gültigen Strafvollzugsordnung – nicht mehr komplett, sondern nur hinsichtlich der Bestimmungen, die die rechtliche Stellung des Gefangenen betrafen.1905 Auch für die 1980er-Jahre ist kein grundlegender Wandel landesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung auf dem Gebiet des Strafvollzuges festzustellen  – ganz im Gegenteil: Für diesen Zeitraum nimmt sich sogar der quantitative Umfang mit gerade einmal drei Entscheidungen sehr bescheiden aus. Erwähnenswert ist­ lediglich die Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen aus dem Jahr 1985, der der VGH Bayern im Sommer des darauffolgenden Jahres stattgab, weil die Strafvollstreckungskammer den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt hatte. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass sich der VGH ­Bayern – anders als der StGH Hessen1906 – als befugt ansah, die Anwendung von Prozessrecht des Bundes (hier: §§ 109 ff. StVollzG) durch Fachgerichte des Landes am Maßstab solche Landesgrundrechte einer Kontrolle zu unterziehen, die mit entsprechenden Bestimmungen des GG inhaltsgleich sind.1907 Hierbei handelt es sich um eine Sichtweise, die die Karlsruher Richter 1997 auf Vorlage des VGH Sachsen bestätigt haben.1908 Während beim Bundesverfassungsgericht seit den 1990er-Jahren ein enormer Anstieg veröffentlichter Entscheidungen zum Strafvollzug zu verzeichnen ist und unzählige richtungsweisende Entscheidungen zu prozessualen und materiellen Fragen ergangen sind, gilt dies für die Verfassungsgerichte der Länder nicht in gleicher Weise. Neun veröffentlichte Entscheidungen in den ­1990er-Jahren und 18 im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts können – gerade auch in Anbetracht der Tatsache, dass im Zuge der Wiedervereinigung neue Verfassungsgerichte hin 1903 Vgl. VGH Bayern, Entscheidung v. 3.12.1975 – Vf. 61-VI-74; v. 21.5.1976 – Vf. 48-VI-75; v. 17.12.1976 – Vf. 38-VI-76. 1904 Vgl. BayVGHE 23, 17 ff. und 20 ff. 1905 Vgl. BayVGHE 23, 17 ff. 1906 Vgl. StGH Hessen, Beschl. v. 3.9.1980 – P.St. 902. 1907 Vgl. VGH Bayern NJW 1987, 314 f. 1908 Siehe dazu bereits oben B.II.3.c).

III. Die Landesverfassungsgerichte

427

zugekommen sind  – schon zahlenmäßig wenig beeindrucken. Fast ein Drittel der publizierten Rechtsprechung dieser beiden Jahrzehnte entfällt auf den Zeitraum von August 1999 bis März 2003, in dem acht Beschlüsse des StGH Hessen veröffentlicht wurden. Den Entscheidungen sind mehrere Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass diese auffällige Häufung im Zusammenhang mit der Überbelegungssituation in hessischen Vollzugsansalten zur damaligen Zeit sowie dem Regierungswechsel nach der Landtagswahl vom Februar 1999 und dadurch verschärften Vollzugsbedingungen steht.1909 Sämtliche Grundrechtsklagen wurden vom StGH Hessen als unzulässig zurückgewiesen. Sucht man nach Entscheidungen mit inhaltlicher Substanz, ist zunächst der VGH Berlin erwähnenswert, der in den Jahren 2003 und 2006 zwei Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Verfahren nach § 114 StVollzG für begründet erachtet1910 und sich in einem ebenfalls stattgebenden Beschluss 2009 als erstes Landesverfassungsgericht intensiv mit der Frage der menschenwürdigen Haftraumunterbringung auseinandergesetzt hatte1911. Hervorhebung verdient zudem ein Beschluss des brandenburgischen Verfassungsgerichts vom 19.2.2009, in dem dieses einen Verstoß gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art.  52 Abs.  4 Satz  1 VerfBbg) feststellt, weil die Strafvollstreckungskammer zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht über einen bereits im Juli 2008 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschieden hatte.1912 Die brandenburgischen Verfassungsrichter weisen in ­ihrer Entscheidung darauf hin, dass eine Strafvollstreckungskammer die Bearbeitung seiner Verfahren nicht unterschiedslos in der chronologischen Reihenfolge des Eingangs bearbeiten kann, sondern sicherstellen muss, dass eilbedürftige Entscheidungen – wie solche nach § 114 StVollzG – zügig getroffen werden können. Erwähnenswert ist schließlich ein Urteil vom Juli 2008, das ebenfalls vom brandenburgischen Verfassungsgericht erlassen wurde. Darin hatten die Potsdamer Richter in einem Organstreitverfahren entschieden, dass einem Landtagsabgeordneten das von Art. 56 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 VerfBbg umfasste Recht, mit 1909 Vgl. etwa StGH Hessen, Beschl. v. 7.12.1999 – P.St. 1459 eA (neue Rahmenrichtlinie des Justizministeriums für das Telefonieren); v. 14.9.2000 – P.St. 1569 eA (Unterbringung des Antragstellers in einer 20 m² großen Fünf-Mann-Zelle); v. 20.6.2002 – P.St. 1770 (Unterbringung in doppelt belegtem Haftraum); v. 11.3.2003 – P.St. 1861 (Nichtgewährung von Vollzugslockerungen trotz entsprechender einstweiliger Anordnung der Strafvollstreckungskammer). 1910 Vgl. VGH Berlin, Beschl. v. 21.3.2003  – 33/03, 33 A/03 =  ZfStrVo 2003, 238 f.; v. 27.6.2006 – 174/03 = JR 2007, 65 f. – Ls. 1911 Vgl. VGH Berlin, StV 2010, 374 f. m. Anm. Bachmann, NJ 2010, 290 ff. 1912 Vgl. VerfG Brandenburg, Beschl. v. 19.2.2009 – 7/09. Das VerfG hat – was im Sinne des Grundrechtsschutzes zu begrüßen ist – sogar davon abgesehen, die Verfassungsbeschwerde mangels vorheriger Erhebung der Untätigkeitsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das ist nicht selbstverständlich, wie etwa die Entscheidung des StGH Hessen v. 11.3.2003 – P.St 1861 zeigt.

428

F. Schlussbetrachtung: Wenn der „Lotse“ von Bord ginge … 

Gefangenen einer JVA des Landes zusammenzutreffen, von der Landesregierung nicht davon abhängig gemacht werden darf, ob und in welcher Weise sich dieser für die Belange von Inhaftierten einsetzt.1913 Das brandenburgische Verfassungsgericht hat damit einen Beitrag zur effektiven Umsetzung der in seinem Bundesland durchaus breit angelegten parlamentarischen Kontrolle öffentlicher Behörden geleistet. Der kurze Streifzug durch die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte zum Strafvollzug dürfte deutlich gemacht haben, dass von diesen mehr als ganz vereinzelte „Lebenszeichen“ bisher nicht erwartet werden konnte. Keines dieser Verfassungsgerichte spielt in seinem Zuständigkeitsbereich auch nur annähernd die Rolle, die dem Bundesverfassungsgericht zukommt. Darin wird sich in den Bundesländern, in denen es keine Möglichkeit gibt, eine Individualverfassungsbeschwerde zu erheben, in absehbarer Zeit auch nichts ändern. Im Übrigen werden die Einflussmöglichkeiten der Landesverfassungsgerichte – soweit es in ihren Ländern eigene Strafvollzugsgesetze gibt – durchaus etwas gestärkt. Auf die (im Ergebnis zu bejahende) Streitfrage, ob nicht nur die Anwendung von Prozessrecht des Bundes durch Fachgerichte der Länder am Maßstab von inhaltsgleichen Landesgrundrechten geprüft werden kann,1914 sondern auch diejenige von materiellem Bundesrecht, kommt es dann nämlich nicht mehr an. Gleichwohl behält das Bundesverfassungsgericht auch insoweit noch das „letzte Wort“, als die Divergenzvorlage gemäß Art. 100 Abs. 3 GG nach h. M. auch einschlägig ist, wenn ein Landesverfassungsgericht bei der Auslegung einer Norm der Landesverfassung von einer inhaltsgleichen Bestimmung des Grundgesetzes abweichen will.1915

IV. Fazit Als abschließende Erkenntnis kann somit festgehalten werden: Ginge das Bundesverfassungsgericht „von Bord“ des Strafvollzuges, wäre auf absehbare Zeit kein anderer „Lotse“ in Sicht, der an seine Stelle treten könnte. Der BGH wird aufgrund des schmaler werdenden Anwendungsbereiches des § 121 Abs. 2 Nr. 2 GVG zukünftig sogar eine noch geringere Rolle spielen als in den vergangenen Jahrzehnten. Auch vom EGMR, der stets die anderen Mitgliedsstaaten im Blick haben und Überforderungen vermeiden muss, wären kaum über den status quo hinausgehende Impulse für einen menschenrechtskonformen Strafvollzug zu erwarten. Mit Blick auf die einzelnen Bundesländer ist vor allem an die Landesverfassungsgerichte zu denken, doch haben diese noch nicht einmal überall die Möglichkeit, über Individualverfassungsbeschwerden zu entscheiden, weil diese in Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gesetz-

1913

VerfG Brandenburg Urt. v. 28.7.2008 – 53/06 = NVwZ-RR 2008, 745 f. – Ls. Siehe oben B.II.3.c). 1915 Vgl. BVerfGE 103, 332 (355 f.); BeckOK-GG/Morgenthaler, Art. 100 Rn. 45 m. w. N. 1914

IV. Fazit

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lich nicht vorgesehen sind. Einen gewissen bundesweit einheitlichen Mindeststandard könnten die Verfassungsgerichte der Länder naturgemäß ohnehin kaum gewährleisten. Jedenfalls bedarf es hierfür bei Divergenzen einer letztverbindlich entscheidenden Instanz und das ist nach der derzeitigen Regelung im Grundgesetz (vgl. Art. 100 Abs. 3) wiederum das Bundesverfassungsgericht.

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Entscheidungsverzeichnis Die veröffentlichten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zum Strafvollzug (Stand: 21.2.2013)*1916 Nr.

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en) 19 Abs. 4

Land

Thema

NS

10

1

19.12.2012

2 BvR 166/11

Juris

+

2

15.11.2012

2 BvR 683/11

Juris

-



NRW

07; 10

3

07.11.2012

2 BvR 1567/11

Juris

-



H

04

4

10.10.2012

2 BvR 922/11

Juris

+

NRW

07; 10

19 Abs. 4

5

10.10.2012

2 BvR 1218/10

Juris

-



RLP

10

6

10.10.2012

2 BvR 1095/12

NJW 2013, 446

-



BAY

10

7

11.06.2012

2 BvR 2739/10

Juris

+

BAY

10

19 Abs. 4

8

22.05.2012

2 BvR 2207/10

Juris

-



H

10

9

03.05.2012

2 BvR 2355/10; 2 BvR 1443/11

Juris

+

19 Abs. 4; 2 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3

H

10

10

20.03.2012

2 BvR 1382/09

Juris

-



NRW

12

11

29.02.2012

2 BvR 309/10

Juris

+

19 Abs. 4

SA

05; 10

12

29.02.2012

2 BvR 368/10

Juris

+

19 Abs. 4; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

H

03; 10

13

29.02.2012

2 BvR 2911/10

Juris

-



NS

10

14

30.11.2011

2 BvR 2358/11

Juris

-



B

12

15

26.10.2011

2 BvR 1539/09

StV 2012, 678

+

19 Abs. 4; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

NRW

03; 10

16

25.10.2011

2 BvR 979/10

NStZ-RR 2012, 60

+

10 Abs. 1

BW

05

17

25.10.2011

2 BvR 2407/10

Juris

-

NRW

10

* Zeichenerklärung siehe Seite 465.



452

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

18

24.10.2011

2 BvR 565/10

19

13.10.2011

20

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

Juris

-



H

05

2 BvR 556/11

Juris

-



BW

12

05.10.2011

2 BvR 1555/11

Juris

-



SA

10

21

14.06.2011

2 BvR 1150/11

Juris

-



NS

12

22

06.06.2011

2 BvR 2076/08

Juris

-



NRW

10

23

06.06.2011

2 BvR 960/11

Juris

-



H

10

24

06.05.2011

2 BvQ 9/11

Juris

-



?

25

05.05.2011

2 BvR 722/11

Juris

-



SA

10

26

06.04.2011

2 BvR 534/11

Juris

-



BAY

10

27

22.03.2011

2 BvR 983/09

StV 2013, 449

+

BAY

09; 10

28

03.03.2011

2 BvR 176/11

Juris

-



NRW

12

29

02.03.2011

2 BvR 43/10; 2 BvR 86/10; 2 BvR 140/10

Juris

-



BAY

10

30

02.03.2011

2 BvR 576/09

Juris

-



NRW

12

31

02.03.2011

2 BvR 194/11

Juris

-



SA

32

22.02.2011

1 BvR 409/09

NJW-RR 2011, 1043

+

3 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3

NRW

04; 10

33

17.02.2011

2 BvQ 50/10

BVerfGK 18, 354

-



NRW



34

25.11.2010

2 BvR 2111/09

Juris

-



B

10

35

09.11.2010

2 BvR 2553/09

BVerfGK 18, 209

-



NRW

12

36

03.11.2010

2 BvR 1377/07

BVerfGK 18, 152

-



H

10

37

23.08.2010

2 BvQ 56/10

Juris

-



HH



38

05.08.2010

2 BvR 729/08

BVerfGK 17, 459

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

RLP

01; 03

39

15.07.2010

2 BvR 1023/08

BVerfGK 17, 420

+

19 Abs. 4

NS

04; 10

40

20.05.2010

2 BvR 1226/09

Juris

-

NS

10

19 Abs. 4







453

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

41

10.05.2010

2 BvR 869/10

42

29.12.2009

43

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

Juris

-



SA

10

2 BvR 2309/09

Juris

-



NRW

10

29.12.2009

2 BvR 244/08

Juris

-



NS

10

44

23.09.2009

2 BvR 1681/09

Juris

-



NRW

10

45

08.09.2009

2 BvQ 57/09

Juris

-



HH

46

02.09.2009

2 BvR 1652/09

Juris

-



NRW

10

47

02.09.2009

2 BvR 448/09

BVerfGK 16, 157

-



RLP

10

48

06.08.2009

2 BvR 2280/07

BVerfGK 16, 116

-



HH

09

49

05.08.2009

2 BvR 2365/08

BVerfGK 16, 114

-



RLP

10

50

30.07.2009

2 BvR 1575/09

Juris

-



B

10

51

29.06.2009

2 BvR 2279/07

BVerfGK 15, 577

+

19 Abs. 4; 6 Abs. 1; 5 Abs. 1; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

BW

05; 10

52

07.05.2009

2 BvR 806/09

StRR 2009, 243

-



BB

10

53

30.03.2009

2 BvQ 18/09

Juris

-



NRW

54

24.03.2009

2 BvR 2347/08

Juris

+

55

19.03.2009

2 BvR 277/09

StRR 2009, 162

-

56

17.03.2009

2 BvR 1466/07; 2 BvR 1766/07

BVerfGK 15, 207

57

23.02.2009

2 BvQ 7/09

58

04.02.2009

59

19 Abs. 4





NRW

10



NRW

10

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

NRW

06

Juris

-



NS

2 BvR 1533/08

NStZ-RR 2009, 218

-



NRW

28.11.2008

2 BvQ 36/08

Juris

-



NS

60

25.11.2008

2 BvR 2693/07

Juris

-



NRW

10

61

07.11.2008

2 BvR 1870/07

BVerfGK 14, 381

+

3 Abs. 3 Satz 1

NRW

04; 05

– 03; 10 –

454

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

62

29.10.2008

2 BvR 1203/07

63

29.10.2008

64

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

Juris

-



NS

10

2 BvR 1268/07

Juris

-



RLP

06

10.09.2008

2 BvR 719/08

FS 2011, 252

-



SL

03

65

26.08.2008

2 BvR 679/07

Juris

+

NRW

02; 10

66

24.07.2008

2 BvR 610/08

Juris

-



NS

10

67

24.07.2008

2 BvR 1304/08

Juris

-



NRW

10

68

17.07.2008

2 BvR 1820/07

Juris

-



BAY

05

69

05.05.2008

2 BvR 2111/06

BVerfGK 13, 487

+

TH

02; 10

70

30.04.2008

2 BvR 338/08

Juris

-



NRW

07; 10

71

30.04.2008

2 BvR 706/08

BVerfGK 13, 480

-



NRW

10

72

23.04.2008

2 BvR 1889/07

Juris

-



BB

10

73

23.04.2008

2 BvR 2144/07

BVerfGK 13, 472

+

19 Abs. 4; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3

BAY

09; 10

74

11.04.2008

2 BvR 866/06

BVerfGK 13, 438

+

19 Abs. 4

BW

10

75

02.04.2008

2 BvR 2173/07

BVerfGK 13, 430

-



BAY

05

76

06.03.2008

2 BvR 387/07

Juris

+

3 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3

BW

05; 10

77

13.02.2008

2 BvR 256/08

NJW 2008, 1582

-



NRW

78

11.02.2008

2 BvR 1934/07

Juris

-



BAY

10

79

22.01.2008

2 BvR 66/08

Juris

-



BAY

10

80

27.12.2007

2 BvR 1061/05

BVerfGK 13, 137

+

19 Abs. 4; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3

BW

06; 10

81

17.12.2007

2 BvR 1987/07

BVerfGK 13, 67

-



H

04

19 Abs. 4

19 Abs. 4; 6 Abs. 1



455

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

82

17.12.2007

2 BvR 2560/07

83

07.12.2007

84

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

Juris

-



?

10

2 BvR 2570/06

Juris

-



BAY

12

13.11.2007

2 BvR 2201/05

BVerfGK 12, 417

-



RLP

04

85

11.10.2007

2 BvR 1538/06; 2 BvR 1828/06

Juris

-



NS

10

86

20.08.2007

1 BvR 1913/07; 1 BvR 2024/07

BVerfGK 12, 60

-



B

12

87

14.06.2007

2 BvR 932/07

Juris

-



H

10

88

30.05.2007

2 BvQ 10/07

Juris

-



SA

89

10.05.2007

2 BvR 875/07

Juris

-



BAY

12

90

20.04.2007

2 BvR 203/07

BVerfGK 11, 54

+

19 Abs. 4

H

10

91

22.03.2007

2 BvR 1983/05

BVerfGK 10, 509

+

19 Abs. 4

NS

10

92

02.03.2007

2 BvR 961/05

Juris

-



NRW

05

93

26.02.2007

2 BvR 53/07

Juris

-



H

12

94

27.11.2006

2 BvR 1887/06; 2 BvR 2138/06

Juris

-



BAY

10

95

23.11.2006

1 BvR 285/06

BVerfGK 9, 442

+

5 Abs. 1; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

BAY

05

96

12.11.2006

2 BvQ 56/06

Juris

-



97

24.10.2006

2 BvR 30/06

BVerfGK 9, 390

+

19 Abs. 4; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3

98

24.10.2006

2 BvR 2043/06

Juris

-



99

25.09.2006

2 BvR 2132/05

BVerfGK 9, 231

+

19 Abs. 4; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

100

30.08.2006

2 BvQ 49/06

Juris

-



101

30.08.2006

2 BvR 1803/05

BVerfGK 9, 123

+

3 Abs. 1 i. V. m. 19 Abs. 4



?



BAY

09; 10

SA

10

BAY

01

? HH

– 10

456

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

102

14.08.2006

2 BvQ 44/06

103

06.07.2006

104

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

BVerfGK 9, 34

-



BW

2 BvR 249/06

BVerfGK 8, 363

-



RLP

09

06.07.2006

2 BvR 1131/06

Juris

-



BAY

10

105

04.07.2006

2 BvR 460/01

Juris

-



RLP

04

106

03.07.2006

2 BvR 1383/03

BVerfGK 8, 319

+

B

01; 10

107

27.06.2006

2 BvR 1147/05

BVerfGK 8, 303

-



NRW

10

108

27.06.2006

2 BvR 1041/06

Juris

-



RLP

109

27.05.2006

2 BvR 1675/05

BVerfGK 8, 118

+

110

08.05.2006

2 BvR 860/06

BVerfGK 8, 64

-



111

19.04.2006

2 BvR 818/05

BVerfGK 8, 36

+

112

15.04.2006

2 BvR 699/06

Juris

113

12.04.2006

2 BvQ 22/06

114

15.03.2006

115

19 Abs. 4

19 Abs. 4

Land

Thema –



NRW

10

SN

02; 10

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

BAY

02

-



BW

10

Juris

-



NRW

2 BvR 917/05; 2 BvR 2174/05

BVerfGK 8, 64

+

09.03.2006

2 BvQ 14/06

Juris

-



HH



116

09.03.2006

2 BvR 1983/05

Juris

-



NS



117

23.02.2006

2 BvR 2224/05

Juris

-



BAY

118

19.01.2006

2 BvR 30/06

Juris

-



BAY

119

27.12.2005

1 BvR 1359/05

BVerfGK 7, 120

-



NS

04

120

23.11.2005

2 BvR 1514/03

BVerfGK 6, 344

+

19 Abs. 4

BW

04; 10

121

26.10.2005

2 BvR 1582/04

BVerfGK 6, 291

+

19 Abs. 4

BW

10

122

27.09.2005

2 BvR 172/04; 2 BvR 834/04; 2 BvR 907/04

NJW 2005, 3629

-

BW; SA; NS

10

19 Abs. 4



RLP

– 10

12 –

457

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

123

26.09.2005

2 BvR 1651/03

124

21.09.2005

125

BVerfGK 6, 260

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

2 BvR 422/05

Juris

+



HH

27.07.2005

2 BvR 282/05

Juris

-



BW

10

126

29.03.2005

2 BvR 1610/03

BVerfGK 5, 155

+

HH

10

127

21.03.2005

2 BvR 975/03

BVerfGK 5, 151

-



MV

10

128

15.12.2004

2 BvR 2219/01

BVerfGK 4, 305

+

5 Abs. 1

BAY

08

129

09.08.2004

2 BvR 1766/03

NJW-RR  2004, 1713

+

19 Abs. 4

BAY

10

130

15.03.2004

2 BvR 669/03

BVerfGK 3, 105

-



H

08

131

12.02.2004

2 BvR 1709/02

BVerfGK 2, 318

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3

BW

03; 09

132

23.12.2003

2 BvR 917/03

BVerfGK 2, 196

+

19 Abs. 4

BAY

10

133

19.12.2003

2 BvQ 68/03

Juris

-



SA

134

10.11.2003

2 BvR 1745/03; 2 BvR 1746/03; 2 BvR 1827/03; 2 BvR 1828/03

Juris

-



HH

12

135

29.10.2003

2 BvR 1745/01

BVerfGK 2, 102

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

RLP

09

136

30.09.2003

2 BvR 399/03

Juris

-



BAY

12

137

24.09.2003

2 BvL 3/03

BVerfGK 2, 17

-



NS

10

138

12.09.2003

2 BvR 1311/03

NJW 2004, 1236

-



TH

10

139

12.09.2003

2 BvR 1220/03

BVerfGK 2, 14

-



BW

10

140

22.07.2003

2 BvQ 37/03

Juris

-



?

19 Abs. 4

Land

Thema

H

02 –





458

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

141

Erfolg

11.06.2003

2 BvR 1724/02

BVerfGK 1, 201

+

142

31.03.2003

2 BvR 1779/02

NVwZ 2003, 1112

-

143

31.03.2003

2 BvR 1848/02

NJW 2003, 2447

144

26.02.2003

2 BvR 24/03

145

13.02.2003

146

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

BW

10



HH

10

-



RLP

08

Juris

-



BAY

03

2 BvR 61/03

Juris

-



HH

10

28.01.2003

2 BvR 11/03

Juris

-



BW

03

147

21.01.2003

2 BvR 406/02

BVerfGK 1, 3

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

BAY

01; 11

148

30.12.2002

2 BvR 1786/02

Juris

-



SL

10

149

30.12.2002

2 BvQ 59/02

Juris

-



RLP



150

03.12.2002

2 BvQ 57/02

Juris

-



HH



151

19.11.2002

2 BvR 268/02; 2 BvR 291/02; 2 BvR 504/02

NStZ 2003, 595

-



BW

10

152

24.10.2002

2 BvR 778/02; 2 BvQ 23/02

NStZ-RR  2003, 95

-



BW

10

153

26.09.2002

2 BvR 986/02

Juris

-



H

12

154

01.07.2002

2 BvR 901/02

Juris

-



HH

05

155

12.06.2002

2 BvR 697/02

Juris

-



RLP

08

156

29.03.2002

2 BvR 292/00

Juris

-



BAY

12

157

24.03.2002

2 BvR 2175/01

NJW 2002, 2023

-



NRW

06

158

13.03.2002

2 BvR 261/01

NJW 2002, 2700

+

19 Abs. 4

HH

04; 10

159

27.02.2002

2 BvR 553/01

NJW 2002, 2699

+

19 Abs. 4

NS

04; 10

160

17.02.2002

2 BvR 1862/01

NStZ-RR  2002, 155

-



RLP

06

161

06.02.2002

2 BvR 37/02

NStZ 2003, 109

-



H

06

19 Abs. 4

459

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

162

30.01.2002

2 BvR 1/00

163

30.01.2002

164

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

StV 2002, 272

-



SN

11

2 BvR 1018/00

StraFo 2002, 207

-



SN

11

11.11.2001

2 BvR 2348/00

NStZ 2002, 222

-



NS

03; 10

165

09.11.2001

2 BvR 609/01

NStZ-RR  2002, 128

-



BAY

08; 10

166

09.11.2001

2 BvR 810/01

Juris

-



BAY

08

167

21.08.2001

2 BvR 282/00

StV 2001, 697

+

19 Abs. 4

BW

10

168

21.08.2001

2 BvR 406/00

NJW 2001, 3770

+

19 Abs. 4

BW

10

169

11.06.2001

2 BvR 598/01

NStZ-RR  2002, 25

-



BW

01

170

24.05.2001

2 BvR 746/01

NStZ-RR  2002, 95

-



?

10

171

15.05.2001

2 BvR 826/01

Juris

-



BAY

10

172

20.04.2001

2 BvR 151/01

Juris

-



HH

06; 10

173

04.04.2001

2 BvQ 6/07; 2 BvR 471/01

Juris

-



NRW

10

174

28.03.2001

2 BvR 11/01

NStZ-RR  2001, 253

-



BAY

05

175

20.12.2000

2 BvR 668/00; 2 BvR 849/00

StV 2002, 272

+

3 Abs. 3 i. V. m. 20 Abs. 3

W

10

176

14.11.2000

1 BvL 9/89

NZS 2001, 255

-



H

06

177

14.11.2000

2 BvR 1931/00

Juris

-



BAY

10

178

30.10.2000

2 BvR 736/00

StV 2001, 38

+

3 Abs. 1

BAY

08

179

25.11.1999

1 BvR 348/98; 1 BvR 755/98

NJW 2000, 1859

-



SL

12

180

10.11.1999

2 BvR 2039/99

Juris

-



BAY

04

181

03.11.1999

2 BvR 2039/99

NJW 2000, 1399

-



BAY



460

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

182

20.08.1999

2 BvQ 30/99

183

06.08.1999

184

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

NStZ 2000, 55

-



?



2 BvQ 34/99

Juris

-



NRW



24.06.1999

2 BvQ 28/99

StV 2000, 215

+



NRW



185

17.06.1999

2 BvR 1454/98

NStZ 1999, 532

+

19 Abs. 4

BAY

10

186

13.04.1999

2 BvR 827/98

NStZ 1999, 428

+

19 Abs. 4

SH

09; 10

187

01.07.1998

2 BvR 441/90; 2 BvR 493/90; 2 BvR 618/92; 2 BvR 212/93; 2 BvL 17/94

BVerfGE 98, 169

-

BAY; BW; BB

06

188

01.07.1998

2 BvR 1758/97

NStZ-RR  1999, 28

+

19 Abs. 4; 3 Abs. 1

BAY

10

189

01.04.1998

2 BvR 1951/96

NStZ 1998, 430

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

RLP

03

190

13.12.1997

2 BvR 1404/96

NJW 1998, 1133

-



BAY

03; 10

191

12.11.1997

2 BvR 615/97

NStZ-RR  1998, 121

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1; 3 Abs. 1

BAY

03

192

04.09.1997

2 BvR 1152/97; 2 BvR 1437/97; 2 BvR 1496/97

Juris

-



BAY

05; 10

193

11.08.1997

2 BvR 2334/96

NStZ 1998, 103

-



RLP

09

194

19.02.1997

2 BvR 2989/95

Juris

+

19 Abs. 4

BAY

10

195

14.08.1996

2 BvR 2088/93

NJW 1996, 3146

+

2 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3

H

06

196

14.08.1996

2 BvR 801/96

NStZ-RR  1997, 24

+

2 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3

TH

08

197

14.08.1996

2 BvR 2626/95

NStZ-RR  1997, 59

+

3 Abs. 1

BW

04; 05; 06



Land

Thema

461

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

198

Erfolg

14.08.1996

2 BvR 2267/95

NStZ 1996, 614

+

199

30.05.1996

2 BvR 727/94

NJW 1996, 2643

-

200

18.05.1996

2 BvR 2650/94

NStZ-RR  1996, 318

201

24.03.1996

2 BvR 222/96

202

06.02.1996

203

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

NRW

07



RLP

04

-



H

04

NStZ-RR  1996, 252

-



MV

08

2 BvR 2533/95; 2 BvR 2534/95

BlStVK  1997, Nr. 3, 6

-



BW

09

08.01.1996

2 BvR 306/94

StV 1996, 445

+

19 Abs. 4; 3 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3

RLP

10

204

10.11.1995

2 BvR 1236/95

StV 1996, 499

+

103 Abs. 2

BAY

09

205

28.09.1995

2 BvR 902/95

StV 1996, 48

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3

NRW

08

206

27.09.1995

2 BvR 636/95

NStZ-RR  1996, 55

-



BAY

08

207

27.09.1995

2 BvR 903/95; 2 BvR 1127/95; 2 BvR 1655/95; 2 BvR 2055/95

ZfStrVo 1996, 315

-



RLP

06

208

04.09.1995

2 BvR 1453/94

StV 1995, 651

+

3 Abs. 1

H

06

209

29.06.1995

2 BvR 2631/94

NStZ 1995, 613

-



BAY

08; 10

210

29.06.1995

2 BvR 2651/94

ZfStrVo 1996, 174

-



BAY

05; 10

211

16.05.1995

2 BvR 1882/92; 2 BvR 365/93

NStZ 1996, 55

+

5 Abs. 1

BAY

05

212

01.05.1995

2 BvR 646/93; 2 BvR 316/94

ZfStrVo  1995, 312

-



H

06; 10

2 Abs. 2, Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

462

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

213

12.09.1994

2 BvR 291/94

214

07.09.1994

215

Fundstelle

Erfolg

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

NJW 1995, 1477

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1; 5 Abs. 1

BAY

05

2 BvR 1958/93

ZfStrVo  1995, 371

+

19 Abs. 4

RLP

10

16.08.1994

2 BvR 2171/93

ZfStrVo  1996, 46

-

19 Abs. 4

RLP

10

216

28.02.1994

2 BvR 2766/93

ZfStrVo  1994, 376

-



BAY

08; 10

217

28.02.1994

2 BvR 1567/93

NJW 1995, 1016

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3; 5 Abs. 1

BAY

09

218

28.02.1994

2 BvR 2731/93

NStZ 1994, 453

-



BB

08

219

14.02.1994

2 BvR 2091/93

NStE Nr. 4 zu § 114 StVollzG

+

19 Abs. 4

RLP

10

220

11.02.1994

2 BvR 1750/93

NJW 1995, 383

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3; 5 Abs. 1

BAY

09

221

10.02.1994

2 BvR 2687/93

StV 1994, 432

+

2 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3

NRW

08

222

31.01.1994

2 BvR 1842/93

ZfStrVo 1994, 245

+

19 Abs. 4

RLP

10

223

31.01.1994

2 BvR 1723/93

StV 1994, 263

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3

BAY

09

224

08.12.1993

2 BvR 736/90

BVerfGE 89, 315

-



BW

05

225

06.12.1993

2 BvR 1499/93

BlStVK 1994, Nr. 3, 6

+

19 Abs. 4; 103 Abs. 1

NRW

10

226

09.11.1993

2 BvR 2212/93

NJW 1994, 717

+

19 Abs. 4

BAY

10

227

29.10.1993

2 BvR 672/93

NStZ 1994, 100

+

2 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3

NRW

08

463

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Erfolg

228

26.10.1993

2 BvR 1004/93

StV 1994, 201

+

229

31.08.1993

2 BvR 785/93

NJW 1994, 3089

230

08.07.1993

2 BvR 213/93

231

08.07.1993

232

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

3 Abs. 1

RLP

10

+

19 Abs. 4

BAY

10

NJW 1994, 1339

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3

BAY

09

2 BvR 1576/92

 NJW 1994, 1149

+

5 Abs. 1

BAY

05

23.06.1993

2 BvR 1808/92

NJW 1994, 3089

+

19 Abs. 4

BAY

10

233

30.04.1993

2 BvR 1605/92; 2 BvR 1710/92

 NJW 1994, 3087

+

19 Abs. 4

BAY

10

234

30.04.1993

2 BvR 1267/92

NJW 1994, 244

-



BAY

05

235

30.04.1993

2 BvR 969/92

NStZ 1993, 556

-



HH

06

236

16.03.1993

2 BvR 202/93

NJW 1993, 3190

+

19 Abs. 4; 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 u. 20 Abs. 3

HH

04; 10

237

16.02.1993

2 BvR 594/92

NJW 1993, 3188

+

19 Abs. 4

NS

01; 10

238

04.02.1993

2 BvR 389/92

 NJW-RR  1994, 316

+

19 Abs. 4; 103 Abs. 1

NS

10

239

02.02.1993

2 BvR 390/92

Juris

+

19 Abs. 4; 103 Abs. 1

NS

10

240

17.12.1992

2 BvR 1522/91

Juris

-



BAY

12

241

06.08.1992

2 BvR 89/92

NJW 1993, 1380

+

3 Abs. 1

NRW

10

242

09.08.1990

2 BvR 641/90

Juris

-



H

10

243

21.05.1990

2 BvR 1499/89

NJW 1990, 3191

+

3 Abs. 1

BAY

10

244

30.11.1989

2 BvR 3/88

BVerfGE 81, 138

-



RLP

12

464

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

Aktenzeichen

Fundstelle

Erfolg

245

25.07.1989

2 BvR 896/89

Juris

+

246

27.02.1989

2 BvR 573/88

ZfStrVo 1991, 372

-

247

12.11.1987

2 BvR 1388/87

ZfStrVo  1988, 190

248

26.02.1985

2 BvR 1145/83

249

21.02.1984

250

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

NRW

10



H

04

-



RLP

12

BVerfGE 69, 161

-



H

03

2 BvR 1242/80

BVerfGE 66, 199

+

3 Abs. 1

BAY

06

11.02.1984

2 BvR 1608/83

ZfStrVo 1984, 255

-



SL

05

251

28.06.1983

2 BvR 539/80; 2 BvR 612/80

BVerfGE 64, 261

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

H

03; 10

252

04.06.1983

2 BvR 18/82

NStZ 1983, 478

-



NRW

03

253

17.03.1983

2 BvR 442/82

NStZ 1983, 380

-



NS

10

254

28.06.1982

2 BvR 153/82

NStZ 1982, 436

-



NRW

12

255

16.02.1982

2 BvR 462/81

 NJW 1982, 1583

-



H

06

256

15.12.1981

2 BvR 1117/81

NStZ 1983, 331

-



BAY

12

257

06.10.1981

2 BvR 1190/80

NVwZ 1982, 96

-



NS

03

258

02.06.1981

2 BvR 1102/80

Juris

-



H

05

259

28.05.1981

2 BvR 668/80

NStZ 1982, 44

-



NS

11

260

22.08.1980

2 BvR 930/80

Justiz 1980, 489

-



?

08

261

21.06.1977

1 BvL 14/76

BVerfGE 45, 187

-



NS

12

262

02.03.1977

2 BvR 424/75

BVerfGE 44, 124

-



BAY

12

19 Abs. 4

465

Entscheidungsverzeichnis

Nr.

Datum

263

11.02.1976

264

Aktenzeichen

Fundstelle

Erfolg

2 BvR 691/75

BVerfGE 41, 329

+

29.10.1975

2 BvR 812/73

BVerfGE 40, 276

265

28.10.1975

2 BvR 883/73; 2 BvR 379/74; 2 BvR 497/74; 2 BvR 526/74

266

24.04.1974

267

Verletzte GG-Norm(en)

Land

Thema

2 Abs. 1

NRW

08

-



NRW

08

BVerfGE 40, 237

-



NRW

10

2 BvR 236/74; 2 BvR 245/74; 2 BvR 308/74

BVerfGE 37, 150

-



NRW



18.10.1973

2 BvR 710/73

BVerfGE 36, 137

+



SL



268

05.06.1973

1 BvR 536/72

BVerfGE 35, 202

+

2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1

RLP

12

269

14.03.1972

2 BvR 41/71

BVerfGE 33, 1

+

5 Abs. 1

NS

05

270

15.02.1967

2 BvR 658/65

BVerfGE 21, 191

+

19 Abs. 4

NRW

09; 10

271

15.12.1966

1 BvR 92/66

Juris

-

NRW

06



Zeichenerklärung Erfolg + -

= Verfahren ganz oder teilweise erfolgreich = Verfahren erfolglos

Land BAY = Bayern BW = Baden-Württemberg B = Berlin BB = Brandenburg HB = Bremen HH = Hamburg H = Hessen MV = Mecklenburg-Vorpommern

NS = Niedersachsen NRW = Nordrhein-Westfalen RLP = Rheinland-Pfalz SL = Saarland SN = Sachsen SA = Sachsen-Anhalt SH = Schleswig-Holstein TH = Thüringen

466

Entscheidungsverzeichnis

Thema 01 02 03 04 05 06

= Vollzugsplanung = Verlegung = Vollzugslockerungen = Unterbringung = Außenkontakte = Arbeit, Bildung & Soziales

07 08 09 10 11 12

= Gesundheitsfürsorge = Besitz von Gegenständen = Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen = Rechtsschutz = Datenschutz = Sonstige

Sachverzeichnis Akteneinsicht  179 f., 187, 331 f., 393–397, 403 Alkoholkonsum  342 f., 346, 356 Anhörungsrüge  378–381, 409, 417–419 Appellentscheidung 88–91, 141, 275, 310, 404 Arbeit  100 f., 120, 177, 276–305, 402, 404 Arbeitsentgelt  94, 101, 282–289, 294, 407, 414–416 –– Höhe  282–287, 414–416 –– Pfändung 287–289 Arbeitslosenversicherung 303–305 Arbeitspflicht  94, 199 f., 277–282, 414 –– Freistellung  291–293, 308 Arrest  103, 121 f., 292, 308, 342–344, 348 Ärzteprivileg 396 S. des §  109 Auslegung (von Anträgen i.  StVollzG) 363–365 Außenkontakte  100, 120, 177, 249–276, 402, 404, 423 Behandlungsuntersuchung  178 f., 184 f., 409 Berichterstattung (über Strafgefangene)  172– 175 Beruhigungszelle  103, 121 f., 356–358 Besitz  102, 121, 177, 193, 316–336, 402–404, 407 f., 426 –– Ansichtskarte  316 f. –– Armbanduhr  319 f. –– Broschüre „Positiv in Haft“  318 f. –– CD-Player  320 f. –– EDV-Geräte 321 –– Keyboard 318 –– Playstation  321–323, 332 f. Besitzerlaubnis  317 f., 332, 403 –– Widerruf  324–328, 333, 407 f. Besuch  100, 120, 250–256, 407–409, 423 –– unüberwacht 254–256 –– Durchsuchung vor  350 f. Betäubungsmittel siehe Drogenkonsum Beurteilungsspielraum 206–208, 211–214, 220–224, 291, 387

Bildung  101, 177, 305–307, 402, 404 Briefverkehr siehe Schriftverkehr CPT  228 f., 273, 355–358 Datenschutz  104 f., 122 f., 177, 393–397, 403 f. Disziplinarmaßnahmen  103, 121 f., 134, 136, 163, 177, 217, 278, 292, 336–349, 354– 360, 369, 372, 403 f., 407, 409 f., 413 –– Anordnung 337–344 –– Besonderheiten bei Meinungsäußerungen  344–346 –– gerichtlicher Rechtsschutz  346–349 Drogenkonsum  341 f. Durchsuchung  103, 349–351, 356, 359 f. EGMR 50, 52–56, 67, 162, 231–232, 236, 273, 300–301, 333, 356–358, 360, 389, 422–424 Eigengeld  242 f., 287–289 Einkauf  242 f. Einwilligung  257–259, 407 f., 410 Einzelhaft  96, 344, 351 f. Elfes-Entscheidung  60 f., 70, 334 Entkleidung  350 f. Ermessen  63, 66 f., 73, 159 f., 183, 185, 202 f., 206, 241 f., 269 f., 304, 306, 313, 346 f., 387 Erwerbsminderungsrente  301–303, 408 Fesselung  103, 351–353 Fluchtgefahr 194, 199, 206–213, 217, 220, 351–353, 387 Freigang (unechter)  277, 281 f., 307, 310 f., 402, 407 Freiheitsstrafe, lebenslange  147, 159, 163 f., 182–184, 202–205, 208 f., 248, 311–313 Gefangenenmitverantwortung 397–399 Gefangenentransport  194 f., 409, 423 Gefangenenzeitschriften 399

468

Sachverzeichnis

Gehör, rechtliches 56–58, 64 f., 68, 331 f., 378–381, 388, 409, 417–419, 426 Gerichtliche Entscheidung siehe Rechtsschutz Gesundheitsfürsorge 101 f., 121, 177, 311– 316, 341 f., 402, 404, 410, 416 Gleichheitssatz, allgemeiner  60 f., 299–301, 304 f., 320, 336, 361, 396 Good-time-Regelung  285 f. Görgülü-Beschluss  50, 52–55 Haftkostenbeitrag  288–291, 402, Haftraum  99, 224–233, 236–238, 356–358, 413 f. –– Anklopfen 236–238 –– Ausstattung  99, 316–323, 403 –– besonders gesicherter  356–358 –– Namensschild  237 f. –– verfassungsrechtliche Mindestanforderun­ gen  224–233, 413 f. Hafturlaub  147, 169, 198–205, 209, 219–223, 363 f. Handlungsfreiheit, allgemeine  61, 251, 329, 336, 398 Hausgeld  295 f. Hausordnung  242 f., 338 f., 362, 368 Heck’sche Formel  63 f., 223, 334 f., 359 f., 395 Hofgangsperre  355 f., 408 Informationsfreiheit  327, 329 f. Internet  275, 323 f., 332, 336, 403, 408, 410 Judicial self-restraint  42 Kleidung  240–242, 270 f., 357 f. Konkrete Normenkontrolle 45, 48, 60, 77– 91, 111–112 –– Entscheidungsinhalt 80–91 –– Funktion 77 –– Kompetenzen der Kammern  80 Krankenbehandlung siehe Gesundheitsfürsorge Krankenversicherung  309, 314 f., 408 Landesverfassungsgerichte  56–60, 424–428 Lebach-Urteil  117, 143–146, 149–153, 166– 176, 400, 404 f. Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis  104, 117, 125–140, 142 f., 247, 400, 422, 426 Lüth-Urteil  37, 61, 120

Maßnahme i. S. des § 109 StVollzG  362 f. Meinungsfreiheit  120, 262–268, 273 f., 276, 319, 344–346, 402 Menschenwürde 194 f., 224–236, 243–248, 278 f., 284 f., 287, 340, 343, 384 Mitwirkungspflicht  162–164, 294, 342, 412 f. Nichtigerklärung 80–83 –– teilweise 81–83 –– vollständige  80 f. Nichtraucherschutz  239 f. Obiter dictum  88–91, 167, 169, 183, 188, 197, 222 f., 227, 310, 359 f., 392, 404, 406, 409 Offener Vollzug  98, 118 f., 215–219 Paketempfang  270 f. Persönlichkeitsrecht, allgemeines  145, 152 f., 166, 173 f., 176, 235–238, 241 f., 265 f., 393 f. Pfändung (von Eigengeld)  287–289 Political question doctrine  43 Prognoseentscheidung  206–212, 220 f., 224, 312, 359 Prozesskostenhilfe  234, 384 f. Psychiatrische Behandlung  311–313 Rauchverbot 240 Rechtsberatung (durch Gefangene)  339 f., 346 Rechtsbeschwerde  375–383, 410, 417, 419 –– allgemeine verfassungsrechtliche Anforderungen  375 f. –– Annahmevoraussetzungen 377–379 –– Form (§ 118 Abs. 3 StVollzG)  381–383 –– Gehörsverletzungen 379–381 –– Verwerfung (§ 119 Abs. 3 StVollzG)  383 Rechtsmittelbelehrung 368 Rechtsschutz  103 f., 122, 177, 360–393, 401, 403 f., 427 –– auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge  313–315 –– bei Disziplinarmaßnahmen  346–349 –– bei Vollzugslockerungen  213 f. –– bei menschenunwürdiger Unterbringung  233–235 –– bei Sicherungsmaßnahmen  351–353 –– einstweiliger nach § 32 BVerfGG  37–38, 46, 91–93, 111–112, 177, 355

Sachverzeichnis –– einstweiliger nach §§ 114 ff. StVollzG  314, 348, 371–375 –– gegen die Vollzugsplanung  185 f. Rechtsstaatsprinzip 53, 83, 132, 233, 296, 327, 344, 354 Rechtswegerschöpfung 50, 52, 57, 61, 70, 76, 379, 382, 392, 417 Religiöse Veranstaltungen  399 Renitenz (von Vollzugsbehörden) 203–205, 369–371 Rentenversicherung  120, 297–301, 309, 311, 402, 406 Resozialisierung 95 f., 108, 117, 130, 143– 176, 178 f., 183 f., 188–192, 202 f., 205, 211–214, 218–220, 223 f., 256, 269, 272, 274 f., 278, 281–292, 294, 297 f., 303, 306, 309 f., 312 f., 318, 324 f., 328 f., 338, 343, 399–402, 404, 407 f., 411 f., 423 f. Sachverhaltsaufklärung  216, 220, 294, 344 f., 348, 366, 385 Schriftverkehr  100, 120, 257–272, 373, 407 –– Anbringung eines Sichtvermerks  260–262, 272, 410 –– Anhalten von Schreiben  262–268 –– beleidigungsfreie Sphäre  262–268, 402, 407 –– Weiterleitung von Schreiben  259 f. –– Zulässigkeit der Überwachung  257 Schuldschwere  147, 153–157, 167–169, 202 f., 205, 212, 214, 219 f., 222, 401, 406 f. Schutz der Allgemeinheit  144, 153–157, 160, 169, 176, 198, 200, 207, 411 f. Sicherheit und Ordnung  103, 127, 148, 165, 242, 324, 329–335 Sicherungsmaßnahmen  103, 121 f., 177, 336, 349–360, 372, 403 f., 408, 410 Sicherungsverwahrung  54–56, 162, 196, 211 Sofortvollzug 372 Sozialstaatsprinzip  143, 151 f., 166, 298 Strafgefangenen-Beschluss (des BVerfG)  117, 123–143, 405 Taschengeld  293–296, 308 f., 402, 407 Telefongespräche 268–270 Trennscheibe  250–254, 407, 410, 423 Überbelegung  99, 119, 135, 244–247, 427 Überstellung 191–192

469

Untätigkeitsbeschwerde  379, 389, 427 Unterbringung  99, 119, 158, 177, 224–240, 243–249, 258, 340 f., 401, 404, 408 f., 414, 420, 422 f., 427 –– Einzelunterbringung  99, 228–233, 422 –– Entschädigung bei Menschenunwürdigkeit 235 f., 246, 407 f. –– Gefangene mit Kindern  238–240, 414 –– gemeinschaftliche  227 f., 230, 232 f., 245 f., 346, 408 –– Rechtsschutz bei Menschenunwürdigkeit 233–235 –– sichere 192–194 Unternehmerbetrieb  277, 280–282, 286, 408 Unvereinbarkeitserklärung  83–87, 89 Urinprobe  341 f. Urlaub siehe Hafturlaub Vereinbarkeitserklärung 87–88 Verfassungsbeschwerde  49 f., 53, 56–61, 65– 77, 109, 111 f., 135, 137, 170, 195, 248, 335, 382, 388–391, 417–419, 424 –– Annahmegründe 71–73 –– Entscheidungsinhalt  76 f. –– Funktion 69–71 –– Kompetenzen der Kammern  73–75 –– Kompetenzen der Senate  75 f. –– Landesverfassungsbeschwerde  56 f. Verfassungskonforme Auslegung  87–89, 179, 395 f. Verfassungsorgan 30–34 Vergeltung  95, 153–156 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  36 f., 39, 55, 63, 148, 163, 165, 193, 211, 218, 242, 251, 254, 257, 261, 272, 292, 312, 318, 338, 343, 347, 351–357, 394, 410, 413 Verlegung 97–98, 118, 160, 177, 188–197, 215–218, 311–313, 374, 401, 404, 407, 409 –– nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG  188–190 –– nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG  191 –– nach § 65 Abs. 2 StVollzG  311–313 –– nach § 85 StVollzG  192–194 –– Rückverlegung  191, 195 f., 215–218, 409 Verschulden –– anwaltliches  368 f. –– der Justiz  382, 385, 419

470

Sachverzeichnis

Verschwinden von Anträgen  365 f. Verteidigerpost  257–259, 402, 407, 410 Videokonferenz  386 f. Videoüberwachung  358, 410, 427 Volkszählungsurteil  122 f., 261, 393–397 Vollzugslockerungen  98, 118 f., 163 f., 168– 170, 177, 186, 198–215, 219–224, 401, 404, 407, 413 Vollzugsplanung  96 f., 118, 176–188, 400 f., 404, 407, 409 –– Bedeutung 178–180 –– Inhalt 182–185 –– Konferenz 180–182 –– Planfortschreibung  180, 185, 376 –– Rechtsschutz 185–186

Vollzugsziel  95, 113, 117, 143–176, 178, 189, 202, 218 f., 275, 290, 306, 323 f., 333 f., 398, 400, 404, 406, 409, 411 f., 424 Vornahmeantrag –– nach § 113 StVollzG  364, 369–371 –– nach § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG  374 f. Vorwegnahme der Hauptsache  373 f., 385, 417 Weitergeltungsanordnung  83–87, 91, 141 f., 310, 404 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand  366– 369, 382 f., 385, 419 Zeitschriften  102, 328–333, 336, 403 Zurechnung (anwaltlichen Verschuldens)  368 f.