Buch für Kinder gebildeter Stände: Bändchen 3 Schauspiele und Erzählungen [Reprint 2020 ed.] 9783111619026, 9783111242545


167 96 19MB

German Pages 365 [376] Year 1824

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Buch für Kinder gebildeter Stände: Bändchen 3 Schauspiele und Erzählungen [Reprint 2020 ed.]
 9783111619026, 9783111242545

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Buch

für

Kinder

gebildeter Stände.

Drittes Bändchen.

Schauspiele und Erzählungen.

Von

Ernst von Houwald. Mit fünf Kupfern von Böhm, Fleischmann und andern Künstlern nach Ramberg.

Leipzig -ei G. I. Göschen 1324.

Schon vor einem Jahre sollte der dritte

Theil des Buches für Kinder erscheinen» Daß es nicht geschah, lag theils in äußern

Verhältnissen, die mehr als sonst meine Zeit in Anspruch nahmen, theils auch

darin, daß ich Euch, Mine, lieben kleinen Leser, gern aufs neue etwas von dem

Doctor Mispickel, (dem Rübezahl) und

seinem Söhnlein erzählen wollte, dieser

mir es aber für jetzt untersagte, weil er noch einige Zeit unter den Menschen zu

wohnen gedenkt, und er dann erst wieder von sich sprechen lasten will, wenn ihn die übergroße Sehnsucht einst nach seinen

Bergen, in sein altes Reich, wieder zu­

rückgezogen haben wird.

Der Verleger unsers Buches aber, der nicht.minder Euer Freund ist, als

ich es bin, meinte, ich dürfe die Erfül­ lung meines Versprechens nicht langes verr

schiebe«/ kenk ich auch schon deö Doctor Mispickels lustiges Leben- unter den Mem

schen annoch verschweigen wolle/ und müsse wenigstens jetzt gebe«/ was ich hatte/ denn sonst möchten unsere kleinen Leser zu großen Lesern heranwachsen/

und ganz andere

Bücher als dieses in die Hand nehmen wollen. — Ich fühle f daß er recht hat;

bin ihm gefolgt und übergebe Euch hier/ was ich in meinen geschäftlosen Stunden

für Euch niederschricb / was Euch aber

diesmal gewiß viel weniger genügen würde/ wenn nicht andere achtbare Männer auch

für Euch'gesorgt / auch für Euch gedichtet/

VI

und zu meinen kleinen Arbeiten die ihrigen hinzugelegt Hätten.

Neuhaus,

bei Lübben in der Nieberlausitz den g. September 1324.

Ernst von Houwald.

Inhalt

♦ ♦ ♦ ♦ €>♦ IX Der erste April, oder der neue Hauslehrer. Ein Lustspiel. ... r Der Jüngling und der Wandrer. . 165 Der Spiegel. Ein Schaustückchen. . 173 Die Christbescherung. 211 . Die Kinder im Walde. 231 ♦ Der Apfelbaum. 237 Gespräch des heiligen Hieronymus mit dem Christuskinde. ♦ ♦ 23Der kluge Hund. . 253 Der Sechser. 287 . Albert, der Wildfang. 297 . Sokrates. . 315

Der milde und reine Himmel Griechenlands hatte die regelmäßigen Züge in der Figur der Psyche so sehr begünstiget, ihr Antlitz mit so schönen, durchsichtigen Farben geschmückt, daß sie, gleich einer lieblichen Rose, von jedermann mit Vergnügen betrachtet, von Bielen VaS HimmelSkind genannt wurde. Sie verdiente diesen Namen mit Recht: denn ihre Seele schien aus der unsichtbaren höheren Welt herab gekommen zu seyn, um in diesem reihenden Körper eine zeitlang ihre Wohnung zu nehmen. Nein! sagten alle Einwohner von Delphi: dieses- Wesen ist

nicht, wie wir, «ui gewöhnlichem Stoff ge­ bildet ! Wer ist so gut wie Psyche? Wer von

uns fühlt so schnell, erkennt so richtig, liebt

so innig und will nur das Rechte, Wahre, Schöne und Gute? Stammte sie von der Erde; so wäre sie eitel auf ihre Schönheit,

stolz auf ihre Tugend; unsere übrigen Mäd­ chen hätten sie durch ihr Beispiel, unsere

leichtsinnigen Zünglinge^ durch ihre Schmei­ cheleien, wir Alten durch unser Lob längst verdorben.

Psyche war nicht eitel auf ihre

Gestalt, nicht stolz auf ihre Vorzüge; aber die üheige Zugend hielt sie für beides; weil

ihr Blumenkranz, ihr Gewand und alles, was sie that, ihr besser anstand als den übrigen

Zungfraueni, weil sie viele Vergnügungen, darnach andre eifrig strebten, nicht achtete,

viele suchte,- welche andre verschmähten.

Oft

wenn man- sie suchte, fand man sie im Tem­

pel, oder früh auf einem Hügel Hymnen singend

der Mvrgensonne entgegen,

oder

Abends unter einem Daum, vergoldet von

den Abschieds - Strahlen des Lichts, fang

Danklieder für

Sie

die beglückende Gabe

der, Sinne; aber alle ungebundene Sinnlich,

feit, alles Rohe, Lärmende, Gemeine in den Freuden des Lebens, alles Niedrige und Un­ reine in Sitten,

wie in ihrer Umgebung

konnte mit dem Adel ihrer Seele nicht be­

und

stehen

mußte ihr widerstreben..

So

war Psyche, und war es geworden durch die Liebe

ihrer Mutter, einer älteren Psyche.

Diese hatte die schönen Anlagen der Tochter

genährt

und gepflegt;

Verderben

von

ihr

abgehalten; sie gegen böse Eindrücke geschützt. Ach, es würde schlimm mit dem Menschen

und der Welt stehen, wenn die Natur nicht den Müttern die ewigen Regeln der guten

Erziehung ins Herz geschrieben hätte, wenn sie solche aus Büchern erlernen müßten, und nicht von der Stimme ihres eigenen Herzens,

der sie folgen auf dem Pfad ihres Lebens, er sey

fteunblich ober rauh. Deswegen lebt auch kein guter Mensch auf der Erde, welcher eine gute Mutter gehabt hat, vielleicht nicht einmal ein Verbrecher, der nicht bis ans Ende stineS Lebens der Mutter mit zärtli­ cher Liebe gedenket, und bet ihrem Anden­ ken dankbare Thränen vergießt. PsychenMutter hatte zwei Kinder, diese Tochter und einen Sohn erzogen, zwei schöne Blüthen eines gesunden Zweiges. Beide Geschwister liebten sich zärtlich- ihre Seelen waren gleich­ sam in einander verwachsen^ Aber, ach! wer vermag den Schmerz zu beschreiben, den beide empfanden, als grausame Seeräuber sich deö Jünglings, welcher sich ans Gestade des Meeres begeben mußte, bemächtigten, und die Liebenden auseinander rissen. PsychenHerz wäre an dieser Wunde verblutet, wenn die Mutter sie nicht nach und nach mit ihrer unaussprechlichen Zärtlichkeit und Sorgfalt geheilt hätte. Doch blieb der Schmerz. Ost

warm dir Wrhmuth^ fl« überwältigte. und.sie ihre Thränen nicht mehr zurück Hatte» konnte, schlich sie, um ihre Leiden der Mutter zu ver­

bergen, tn einen nahen Hain, der de« Tem­ pel umgab.

Hier fetzte sie sich da«» an den

Rand eines Beckens, worin eine, von der

griechischen Kunst gebildete Nymphe, das

Wasser einer nahen Quelle aus ihrem Kruge goß, und die heißen Augen der Weinenden

kühlte.

Einst saß sie dort verloren in dem

Andenken an ihren Bruder; ihre Thränen strömten lange nieder mit dem Wasser der

Quelle.

Endlich rief sie aus: Zürne nicht,

du stumme Zeugin meiner Schmerzen, daß

ich deine erquickende Gabe mit bittern Tropfen trübe! Zch muß weinen, so lange ich statt

meines Bruders nur Thränen für ihn habe.

Zch seh' ihn ja hier in der Stille der Nacht mit Fesseln beschwert; ich höre ihn ja rufen: meine Psyche! meine Mutter! Indem sie so

klagte, rührten sich die Blätter des Gebüsches

xrv hinter ihrem Rüchen stärkt

der Mdnd n*t

Hinter Wolken hervor. — Der Bruder hielt

seine Schwester in seinen Armen, fest unO schlungen; der Tempel stand in des Mondes

vollem Silberlicht.

Der

erste April, oder:

Der neue Hauslehrer.

Ein Lustspiel in drei Aufzügen von

Ernst von Houwald.

B. f. Kind. III.

i

Personen. CaSpar Grund, ein Pachter.

Elisabeth, seine Frau. Otto,

) l seine Kinder. Guschen, |

Jacob Grund, sein Bruder, ein Gchiffscapitain. Ziemer, der Schulmeister des Ortes.

B eata, seine Frau. Fabian, sein Sohn. Schnaps, Barbier des Ortes.

Babu, ein Neger. Mehrere Schulkinder.

Geräumige Schulstube beim Schulmeister I i emer. Diele Dorfkinder sttzen auf den Schulbän­ ken ; unter ihnen Fabian, auch -Otto und Guschen. Ziemer selbst sitzt im Vorgrunde, ein dünnes Röhrchen in der Hand.

Ziemer.

Es weiß mir also wirklich keiner von Luch noch irgend etwas zu nennen, was «ns daS Königreich Spanien liefert?

Ein Schulknabe. Wir haben ja schon alles genannt; wir find nun fertig, Herr Schulmeister.

Ziemer. Fertig? Was nennt Zhr fertig?— Was hättet Ihr mir denn genannt?

Sch ulknabe. Feine Wolle und süßen Wein; gute Pferde und Rosinen; Honig und Stachelschwein«; Seide und KorkstLpsel; Reis, Blei, Spieß, glas, Trüffeln, Alabaster, Safran und Salz, auch Flachs, Pomeranzen und starke Esel.

Ziemer. Und starke Esel! gut! aber es fehlt noch das beste Produkt. Zhr kennt es insgesammt, meine Kinder, habt es oft sogar schon gekostet, obgleich nicht mit dem lüsternen Gaumen. Fabian. Zch weiß es Vater! es sieht braungelb aus.

Ziemer. Nichtig, mein Söhnchen! Du kennst es vor allen genau; aber wir wollen auch der übri» gen Einfalt darauf verhelfen. — Nun! wer kann mit’6 nennen? Schulknahe. Wenn es gelb aussieht, und es kostet viel, so muß es Gold seyn.

Ziemer. Nicht Gold! Nein, liebster Schafskopf,

nicht Gold! aber allerdings Goldes werth, wichtiger oft als selbst das goldne Scepter. Seit uns Spanien dies edle Produkt geliefert,

ist die Menschheit in aller Wissenschaft und Uebung rascher vorgeschritten. Zwar giebt uns das Vaterland auch einige Surrogate, sie wach­ sen auf Haselstauden und Weiden, aber der­

gleichen sind gegen diese feste dauerhafte Gabe, wie die Eintagsfliegen, die der Schöpfer erst alle Morgen machen muß, wenn er sie Mit­ tags haben will, und schmecken wie Runkelrü­ ben gegen achten Kaffee. — Nun?— Zch sehe wohl, die Dummheit versteht mich nicht, ich

muß mich ihr begreiflich machen.

Gottlieb,

tritt einmal näher!

Schulknabe. Was soll ich denn, Herr Schulmeister? Er wird mich doch nicht schlagen?

Ziemer. Kosten sollst du, mein Söhnchen! kosten! Er schlägt ihn mit dem Röhrchen.

Schulknabe. Au weh! au weh! Ziemer. Wie schmeckt denn das, liebe Seele?

Schulknabe. Sehr schlecht.

Ziemer, fWgt ihn wie»«. Wie aberschmeckt denn das, frag' ich? Schulknabe. Wie Kaffee? Ziemer. Gut! aber womit schlag ich dich?

Schulknabe, «ein««». Mit dem schmalen HanS.

Ziemer. Gut! Und woraus besteht der schmale Hans? S ch ulkn a b e. Es ist ein spanisches Rbhrchen.

Ziemer. Ein spanisches Röhrchen, und aus welchem Land« kam er also ;u uns?

Schulknabe. Aus Spanien'

Ziem e r. Aus Spanien! endlich! wie muß man sich abarbeiten, um Euch die Geographie begreif­ lich zu machen. Also meine lieben Kinder, wa- leistet uns Spanien noch ferner?

Die Schulkinder. Schmale Hänse. Ziemer. Oder spa — — Schulknabe. Spanische Röhre!

Ziemer. Gut! sehr gut!

Zweiter Auftritt.

Die

Vorigen.

Beata.

Deata. Kannst du wieder einmal kein Ende finden?

wie lange soll denn heut das Schulhalten dauer»? Ziemer.

Aber mein Kind, die Sonne steht ja noch hoch!

Deata. Desto besser! so wird ein Stück Arbeit fer­

tig.

Kurz und gut, ich brauche die Kinder

im Garten, ich will ste haben!

Ziemer. Herzens-Puppe, nur gelassen! Du sollst ja den liebeir Kindern das zugedachte Vergnü-

gen machen dürfen! — Hört, meine Zöglinge,

weil Zhr mir die ganze Woche hindurch beson­ dere Beweise von Fleiß und Aufmerksamkeit gegeben, und es heute gerade Sonnabend ist, so sollt ihr Mädchen zur Belohnung imGartem

meine Kartoffeln hacken, und ihr Knaben dort das Land zum Kohl umgraben dürfen. Aber seyd auch dort nicht minder fleißig als hier, sonst möchtet Zhr Hülse am schmalen HanS bekommen! Beat«.

Hurtig Ihr Kinder! rasch an die Arbeit! daS Sitzen hier hilft Euch ja so zu nichts! Die Kinder stehen auf und folgen der Schulmeiftertn.

Ziemer

steht ihnen lächelnd nach.

Beata habenda, quae procul parentibus,

Paterna rura alumnis exercet meis.

Dritter Auftritt. Ziemer.

Otto.

SuSchen.

Otto.

Dürfen wir nun auch nach Hause gehen, Herr Schulmeister?

S ns chen. Wir sind ja auch fleißig gewesen!

Ziemer.

Nein! Zhr bleibt i mit Euch habe ich noch ein eignes Wörtchen zu sprechen! Otto.

Der Vater sagte aber, wir sollten heutzei»

tig nach Hause kommen, und alle unsre Bücher mitbringen. Ziemer.

Za, das sollt Zhr! denn unsre Privatiseima in den h-hern Wissenschaften haben von

heut an ein Ende, «eil mir der werthe Herr Papa in unumwundner Rebe erklärt hat, daß ich Cures anstrengende» Unterrichtes und Lu» rer ärgervollen Zucht für die Zukunft überho«

ben seyn soll.

Mir ist daS lieb, und recht von

Herzen angenehm! denn hab' ich wohl Ehre mit Euch eingelegt? was habt Zhr denn bei

mir gelernt? — Nichts! gar nichts!

0 tto. Herr Schulmeister, eben deshalb will der Vater — —

Zieni er. Eben deshalb schweige Er! Wenn der Vater mit mir über den schmalen Hans hier einverstanden gewesen wäre, so möchte es ja wohl mit Euch gegangen seyn; aber so wird nichts auS Euch! Suschen.

Ach! das wäre doch ein großes Unglück! Ziemer.

Ihr habt es verdient! warum habt Zhr mich verklatscht, warum bin ich Euch zu strenge gewesen? — Nun will der allzu schwache Vater einen eignen Hauslehrer an« nehmen, der soll an Euch vollbringen, was mir, einem öffentlich angestellten Schulherrn, nicht möglich war, — soll mir das wenige, was ich an Euch abverdienrn konnte, vor der Nase wegfischen. Aber verlaßt Euch darauf, es soll ihm und Euch schlecht bekommen, der Herr Candidatus wird von mir Euer Lob erfahren; Zhr sollt ein schmales Hänschen im Hause haben, ehe Jh'rs Euch verseht! —

Otto. Wir werben schon gut und fleißig seyn.

Tuschen. Ja und auch ohne Schlage! Ziemer.

Nasenweise Rangen! wißt Ihr, daß Ihr noch in meiner Gewalt steht? daß ich jetzt noch mit Euch vornehmen kann, was mir beliebt. Otto. Ach, seyn ^ie doch nicht so böse zum Ab« schied!

Zieme Ja! Abschied! Abschied will ich von Euch nehmen, aber wie? Mich gelüstet Euch zu entlassen, wie die alten Meister ihre Buben lvssprachen, nehmlich mit einer tüchtigen Ohrfeige!

Vierter Austritt.

Die Vorigen. Barbier Schnaps.

Schnaps. Wie, Ohrfeigen? — Ohrfeigen? Her­ zensfreund, dazu ist jetzt keine Zeit! Eine gute Ohrfeige verlangt sowohl innere als äußere Präparationen! Laßt die lieben Kin­ der nach Hause gehen, sie haben weit hinaus bis aufs Amt, und sehen heule übcrdieß so bleich und erschrocken aus! Hätte ich nur ein niederschlagend Pulver bei mir, auf der Stelle solltet Ihr mir's einnehmen, denn wozu wär' ich sonst der Hausarzt der lieben Eltern? Aber sieh da, hier finde ich einen Apfel in der Tasche. Obst, zur rechten Zeit gegessen, ist auch eine heilsame Arzenei! nehmt ihn, Kinderchen, theilt ihn Euch! ich werde ihn auf die Rechnung schreiben!

Ziemer. Wa- willst du von mir, Stöhrenfcicd? un­ sere Zeit ist noch nicht gekommen.

SchnapS. Ich bin der Zeit vorauSgeeilt! Herzens» kerl! Laßt vor allen Dingen die Kinder nach Hause gehen, ich habe Euch wichtiges zu hin­ terbringen. Steht doch nicht Kinder! nehmt Eure Bücher und Hüthe! der Herr Schulmei­ ster will Euch entlassen, reicht ihm die Ab­ schieds-Patschhand. Z i e iy e r. Ich mag sie nicht! SchnapS. Desto besser, so ersparen wir Zeit, also——

Otto. Wir empfehlen uns, Herr Schulmeister! Ziemer. Es ist gut! und daß Ihr mir nichts übles nachredet! SchnapS. Ei Gott bewahre! lebt wohl meine Kin­ der! Grüßt die lieben Eltern! Ich werde heut Abend nachsehen, ob Zhr nicht krank gewor­ den seyd! Lr schiebt die Kinder zur Thür hinaus.

Fünfter Auftritt.

Ziemer.

Schnaps.

Ziemer.

Schnaps! wie kommt Zhr mir heute vor? Was mengt Zhr Euch in meine Zucht? — Schnaps. Laßt es gut seyn! und räumt die Stube rin wenig auf. Die Bücher in den Schrank, die Stühle bet Seite, den Dackel hinter den Spiegel, und den Tisch hier in die Mitte her, denn Gott sey Dank, einen Tisch werden wir gebrauchen!

Ziemer. Erfahre ich noch immer nicht, was «S giebt?------

Schnaps.

Ein vornehmer Herr ist so eben im Gast. Hof abgesttegen, hat nach Euch gefragt, will Euch besuchen!

Ziemer. Ein vornehmer Herr; wie komm' ich denn

zu der Ehre?— Und nun ist nichts hier, womit ich ihn bewirthen könnte. Keine Schaale Kaffee ist gekocht, kein Tropfen abgejogenes Wasser im Haufe.

Schnaps. Schadet nichts! Zhro Durchlaucht werden

sich selbst und hoffentlich auch uns bewirthen. Ziemer.

Ein Prinz also? — Schnaps.

Alles was Ihr wollt, aber laßt Euch nur erzählen.

Es war eben drei Uhr, und ich

hatte dem alten Gastwirth Schmöchler in der goldnen Tonne drüben eben den Barl abge­ nommen, Zhr wißt ja, daß sich der närrische Kautz nur immer Nachmittags rasiren läßt, weil —

Ziemer. Zch weiß schon, nur weiter.

Schnaps. Nun, also d'er Bart war herunter, abge» trocknet hatt' ich Ihm da- dicke Gesicht auch, und so stehe ich denn am Fenster, wische mir da- Mester ab, und denke noch so —

Ziemer. Zch weiß schon, nur weiter. Schnaps. Da kommt mit einem Male eine Kutsche vorgefahren, vom Dock« springt rin Mohr!

Ziemer.

Lin Mohr?

Schnaps. Ein rabenschwarzer Mohr! reißt den Schlag auf und hebt einen stattlichen Herrn heraus. Ziemer. Und da« war ein Prinz?

Schnaps. Das war er. Sie traten in die Stube und grüßten herablassend; — seht Zhr Z ieD. f. Äinb. III. 2

mer, es war nehmlich ein Glück, daß der

alte Schmbchler schon barbirt war. — Wir machten öann nach der Möglichkeit u„»

ser geziemendes Gegencompliment,

worauf

sie sich nach dem Namen des Dorfes zu er­ kundigen, und die Nacht hier bleiben zu wol» len geruhten!

Ziemer. Bei mir doch nicht, was würde Beate sagen! Schnaps. 'Wer spricht von Eurem elenden Schul­

hause, in welchem Cure bleiche Beate spukt?

Von der gvldnen Tonne ist die Siebe;' dort wird wahrscheinlich der Tanzboden zum Schlafgemach für Sr. Gnaden

eingerichtet

werden, denn die andern Zimmer sind je­ denfalls zu klein für eine solche Herrschaft. Ziemer.

Aber Ihr meintet ja doch------Schnaps.

Und bald genug fragte» mich Hochdieselben nach dem Geistlichen des Ortes.

Zch

wagte zu gestehen, -baß unsre Kirche nur ein Filialchen sey, worauf sie denn ihre gnädi­ gen Fragen anderweit auf den Schulmeister loci stellten. Nun aber hatte ich kaum den Namen Ziemer salva venia ausgesprochen, als sie freudig in die hohen Hände schlugen und sich an dem Namen höchlich zu ergötzen schienen; woraus ich denn schloß, daß sie wahrscheinlich ein großer Freund von Kram­ metsvögeln seyn mögen.

Ziemer. Vielleicht auch vom Schnaps! mein Herr MuSje!

Schnaps. Alles zu seiner Zeit, Freundchen! aber für jetzt riefen Sr. Gnaden nach Wein. „Mohren - Kind, befohlen sie, bringe mir zwei Flaschen Wein aus meinem Wagen, denn ich will den Ziemer selbst besuchen!" Ziemer.

Also.wirklich besuchen-------

Schnaps. Za doch, ja! Besuch mit Wein, Herzens» kerl! und ich lief voraus es Euch zu ver­ kündigen. Erkennt meine immense Freund» schaftl Kommt an meine Brust, theurer Kilian, heißt mich nicht weggehen, wann der Edle naht; tres faciunt Collegium; man will doch auch vom hohen Wein« mitgenossen haben, und ich rastre Euch künftige Woche gratis. Er umarmt den Schulmeister.

Sechster Auftritt. Die Vorigen. Der SchiffScapktain Zarob Grund. SchiffScapitain.

Eil da komme ich wohl eben zu einer Freundschaft-»Scene zurecht. Ziemer. Zch schähe mich glücklich-------

Schnaps. Ja, biefl ist mein Freund! an dieser Brust nur ist mir wohl, und selbst vor Grafen und Potentaten wage ich eS laut auSzusprechen: daß Ziemer und Schnaps nur ein Her) und eine Seele sind. Ziemer. Ich schätze mich unendlich glücklich------

Schnaps. Und jeden Genuß theilen wir mit einan­ der, Freude und Leid, selbst jeden Tropfen Wein'. Ziemer heimlich ,u Sch»a?e.

So schweigt doch einmal! S ch n a p «. Bist du in Verlegenheit, Bescheidner, wie "bu Sr. Herrlichkeit gebührend bewillkommnen sollst. — Der Freund wird dir aushelfen, und um eine schickliche Anrede formiren zu kön­ nen, bittet er Hochdieselben zufbrderst um Dero werthesten Charakter!

Schiffscapttain. Bleibk mir mit den Complimenten vom Leibe! ich bin rin Reisender, heiße mich allent­ halben selbst willkommen, und damit basta!

Ziemer. Nun, das ist ja desto schöner — SchnapS. Aber doch rin Titel, nur ein einziges Tireichen, edler Mann! das Kind muß seinen

Namen haben; man kann ja doch beim Nedundiren der Höflichkeit und Verehrung nicht

sagen: werthester Herr Reisender.

SchiffScapitain. So nennt-mich denn meinetwegen: (apitain.

Ziem er. Sey» Sie mir denn also recht von Her­

zen — SchnapS «InfMcnd. Willkommen, mein hochverehrter Herr Ge­

neral - Capitain!

Willkommen! in unserm

schlechten Dörfchens Ich unterlasse nun auch nicht länger Ihnen hiermit den Herrn Schul­ präzeptor Ziemer und den practicircndeu Bar­ bier oder vulgo Doctor Schnaps in unsern Wenigkeiten geziemend vorzustellen. Schiffscapitain.

Gut! Gut! Ich sehe wenigstens aus den vielen Worten, daß ich hier recht bin, denn

ich habe den Schulmeister Ziemer besuchen wellen.

Ziemer. Eine große Ehre für mich und mein —

Schnaps elnsallend. Schlechtes vom Vater auf ihn gewisser­

maßen vererbtes Schulhaus,

welches unter

den Castigationen mehrerer Geschlechte grau und unscheinbar geworden, und Ew. Excel­ lenz in seiner Armuth daher nichts bieten kann,

als die Unterhaltung zweier Freunde, einen

Stuhl und einen leeren Tisch. seife ju Ziemer.

Ihr habt doch Gläser? Seht nur, aus der

Tasche gukl eine FlaschenhälSchen mit rothem Siegel hervor.

Ziemer ettufa« uift. Wenn Ihr nun nicht bald schweigt, sw4

Amtmann.

Leider immer noch keinen!

Elisabeth. Das ist doch recht traurig!

Amtmann»

Za, es bekümmert auch mich sehr.

Zch

dachte Euch, meine Herzenskinder, bald einen eignen Lehrer zu geben, aber eS will immer nbch keiner kommen!

Elisabeth. Und zum Schulmeister lasse ich die Kinder nicht mehr gehen, und wenn sie auch gar keine Schule haben sollten. Erzählt einmal dem Water, wie Euch der unverschämte Mensch heut entlassen hat.

Otto. Za höre nur, Vater, was der abscheuliche

Mann — Amtmann.

Stille! stille, Kinder! ich mag nichts hö» rrn.

Einem Lehrer darf ein Kind niemals

etwa- DiseS Nachreden, selbst wenn eS sich von ihm beleidigt glaubt. Elisabeth. Er hat aber die Kinder mißhandeln wollen.

S u s ch e n. Und wir halten doch keine Strafe ver­ dient. Amtmann. DaS könnt ihr selbst nicht beurtheilen, und wenn Ihr auch wirklich eben nicht etwas sehr Strafbares begangen hättet, so sind doch die dummen Streiche der ganzen vielen Kinder zusammen genommen gewiß groß genug, um einem Lehrer einmal den Kopf warm zu ma­ chen, und ein vernünftiges braves Kind muß das einsehen, und muß schweigen. Merkt Euch das, Kinder, und jeht holt Euch Eure Semmeln. die Kinder gehen ad.

Dritter Auftritt.

Elisabeth. Zlmtmann Grund. Elisabeth. Ich weiß «ich«, Vater! wie du bist, daß du den Schulmeister gegen deine Kinder in Schutz nehmen kannst. Amtmann. Das thue ich nicht, denn eben weil ich eingesehen habe, daß die Kinder nichts bei ihm lernen, nehme ich sie ihm aus der Schule.

Elisabeth. Aber, du willst doch nicht einmal hören, wie er deine Kinder behandelt hat. Amtmann. Nein, davon mag ich nichts mehr hören, am allerwenigsten von den Kindern selbst! die Sache ist abgethan! Elisabeth. Zhr Männer seyd hartherzig! und wißt

nicht, wie einer Mutter ju Muthe ist,

wenn

sie ihre Kinder mißhandeln sieht. A m t m a n n.

Bist du gegenwärtig gewesen, hast du den

Schulmeister gefragt, warum er deine Kinder hart angelassen?

Elisabeth. Nein! das eben nicht! A m t m a n n.

Und bist doch sonst eine so gerechte Frau. Zch weiß es wohl, die Mutterliebe schützt und

entschuldigt gern die eignen Kinder, aber stelle dich einmal in die Schulstube an des Schul­ meisters Platz, wo du nicht eigne, sondern

lauter fremde Kinder vor dir sahst.

Würdest

du dir auch die Nachlässigkeit und Ungezogen­ heit dieser fremden Kinder so gefallen lassen?

.Ich glaube Mütterchen, du würdest manchmal gar tüchtig drein schlagen. El isa beth.

Zch würde gerecht seyn! auch gegen fremde

Kinder, aber der Schulmeister ist ungerecht

gewesen.

Amtmann.

Das schließest du doch nur aus den Erzäh­ lungen der Kinder, die du anhörst und billigst; das solltest du aber nicht thun, und am aller« wenigsten den Kindern Recht geben gegen ihren Lehrer. Das macht ihnen theils Lust zur Klatscherei, theils lernen ste dadurch undank­ bar und hoffärthig seyn und gewöhnen sich früh schon an die schädliche Meinung allenthalben Recht zu haben. Mir aber ist nichts unaus­ stehlicher und widriger, als ein Mensch der klatscht, oder der beständig Recht haben will, und Niemanden gern entschuldigen mag, als sich selbst.

Elisabeth. Das nimm mir nicht übel. Recht muß doch Recht bleiben!

Amtmann. Es'bleibts auch, Mütterchen. Sieh, ich behalte manchmal gegen dich Rechet, wo du anfangs ganz anderer Meinung bist, und diese eifrig gegen mich vertheidigst. Ehe ich aber

denn noch mit mir einig werde, wer von uns beiden eigentlich Recht hat, gestehst du mir rS selbst schon willig zu; du würdest mir «S aber nicht zugestehen, und mir nicht nachgeben mögen, wenn ich nicht schwiege um meine Meinung erst noch einmal zu prüfen, und wenn ich nicht dächte: du hast doch eine geschcidle Frau, wenn die ihren Kopf so beharr­ lich aufsetzt, so mag doch wohl etwas dran seyn; drum mußt du's noch einmal überlegen. Elisa b eth.

Aber ich gebe dir ja auch gern nach.

Amtmann. Freilich, Herzens Mutter! weil du siehst, ich will dir auch gern Recht lassen. Deshalb hast du mich lieb, und vertraust mir, und das ver­ danke ich doch dem alten Schulhause dort unten, obgleich auch mir wohl bisweilen dort zu viel geschah. Ich dachte aber immer, der Schul­ meister kann doch wohl Recht haben; du willst es künftig lieber noch besser zu machen suchen; Dank bist du ihm auch für seine viele Mühe

schuldig, drum willst du dich nicht gegen ihn

auflehnen,

willst auch nicht hinter seinem

Rücken über ihn raisonniren.

Die andern

lustigen frechen Burschen nannten mich deshalb

zwar einen Duckmauser.

Ich habe aber mein

bischen Lebensweisheit dort gelernt,

und die

heißt: lieber Unrecht leiden, als Unrecht thun, stets es besser zu machen suchen, und niemals

Böses von andern sprechen, am allerwenigsten von solchen, denen wir Dank schuldig sind.

Und so, Mutter, sollst du mir die Kmder auf­

erziehen!

Elisabeth. Das will ich ja auch gern, Vater! Aber, der dumme Ziemer hat doch nun einmal nicht

recht.

Amtmann. Still davon, Mutier! die Sache ist abge­ than !

am meisten Unrecht haben diejenigen,

welche diesen schwachen Mann zum Schulleh­ rer hier gemacht haben.

Er aber ist eigentlich

nicht böse, ist mein alter Jugendfreund, dem

ich vieles

nachsehe und mit dem ich ungern

ganz brechen würde.

El isabeth. Ich habe dirs wähl angemerkt, baß die Unzufriedenheit zwischen Euch dir selbst recht

drückend war. Amtmann. Za, Lieschen! ich gestehe dirs. Wenn man

Abends müde vom Felde nach Hause gekommen ist,, und das Abendbrodt verzehrt hat,

was

soll man dann ansangen? du setzest dich hin tinb spinnst,

die Kinder gehen schlafen. —

Da war mirs denn wirklich eine Erholung, den

ehrlichen Ziemer und den lustigen Schnaps

Abends hier zu sehen, Pfeife zu rauchen,

mit ihnen noch eine

und über dies und jenes

zu schwatzen.

Elisabeth.

Ja! man hörte selbst so manches. — Amtmann.

Nicht wahr? Und man legte sich dann ver-

gnügt zur Ruhe.

Seit ich aber dem Schul­

meister über meine Kinder das Verständniß eröffnet habe, kommt er nicht mehr zu uns, und

Musje Schnaps weiß nun auch nicht, an wen

er sich eigentlich halten soll. Eli sabeth.

Wenn nur erst der neue Hauslehrer hier seyn wird, dann sollst du dein Pfeifchen nicht

mehr einsam rauchen dürfen, und sollst die bei­

den empfindlichen Herren nicht mehr vermissen. Amtmann.

Wenn er nun aber keinen Tabak raucht,— und lieber bei seinen Büchern siht,

als bei

uns? — Wir wollen noch einige Tage hinge­

hen lassen, b/fln» aber sollst du mir den Ziemer

und den Schnaps auf eine Abendsuppe förm­ lich einladen, daß sie sich wieder zu uns ge­

wöhnen.

Und darauf wirst du schon halten,

Mutter, daß die Kmder ihm durchaus nichts

Böses mehr nachreden.

Vierter Au stritt.

Die Vorigen.

Ziemer« Schnaps.

Schnaps. Dürfte man denn etwa so frei seyn —

Amtmann. No! das ist mir eine ordentliche Freude, daß Ihr von selbst kommt, wir haben eben von Euch gesprochen.

Ziemer. Also: lupus in fabula. Elisabeth. Ei! willkommen, meine Herren! haben Sie wirklich den Weg noch selbst wieder zu uns finden können? —

Schnaps. Verehrte Frau, es giebt wunderbare und rauhe Wege auf dem Erdboden, aber über Dero angenehme Schwelle führt ein schöner ausgetretner Fußsteig, welchen man mit Ver­ gnügen wandelt.

Amtmann.

Kurz und gut, es ist mir lieb, daß Zhr zu mir gekommen seyd! Höre, alter Ziemer, bist du böse? Ziemer. Bewahre der Himmel! KeineSweges!

Elisabeth. Nach dem Abschied zu urtheilen, den Sie von unsern Kindern heut genommen, fürchte­ ten wir, daß Ihnen der Aerger fchaden könnte. Vielleicht hqt Ihnen aber der Herr Doctor Schnaps -----SchnapS.

Ein nieberschlagend Pulver eingegeben? Ist nicht von Nöthen, denn Dero schätzbare Gesellschaft ist das beste niederschlagende Pulver! Amtman n.

Laßt doch die spitzen Redensarten. Mut­ ter, du kennst mich ja! Bewirthe lieber die Herren! es hat doch Niemand ein besseres Glas Bier im Keller als du.

Elisabeth.

Es sollte mich wenigstens freuen, wenn Sie es vermißt hätten. Während Schnaps Hut mit) Stock ablegt und die Amt­

männin nach den Schlüsseln sucht, welche an einer Tafel hängen, führt der Amtmann den Schulmeister in den Vor­

grund.

Amtmann

zu Ziemer.

Und wenn auch meine Kinder nicht mehr bei dir in die Schule gehen, so bleibt es unter uns doch beim Alten. Nicht wahr? Ziemer.

Ich habe keinen Groll! Amtmann. Und rin Jahr Schulgeld habe ich dir auch noch zurecht gelegt. Bist du damit zufrieden? Ziemer. Nicht doch! Nicht doch!

Amtmann. Du mußt! Hörst du! aber es bleibt unter uns.

76

-----------

SchnapS. Ein Glas Bier, verehrte Frau Amtmän­ nin, ist zu seiner Zeit eine edle Labung. Allein man muß es mit Muse und Verstand genießen können, wozu dermalen die Zeit mangeln dürfte, indem wir dringende Wichtigkeiten zu berichten haben. Ziemer. Za! weshalb ich mich selbst hierher be­ geben. Elisabeth. Was giebt es denn Neues? —

SchnapS. Der Herr Amtmann sind heute in der Stadt gewesen?

Amtmann. Zch komme so eben von dort zurück. Z i e m e r. Hast auf der Post nachgefragt? Zch weiß es, du erwartest Briefe, von wegen des neuen Hauslehrers.

Amtmann.

Leider habe ich noch keine Nachricht erhalten, und bin deshalb in nicht geringer Stt« legenheit.

Ziemer. Zch will der Noth diesmal noch abhelfen! Elifabeth. Wir danken, Herr Ziemer, für Zhr gütiges Anerbieten, aber nach einem solchen Abschied, wie sie ihn heute von den Kindern genom­ men — Amtmann.

Stille doch, Mutter!

Stern,# r. Bin auch keineswegs gesonnen die Imolation meiner eignen Kräfte abermals eintreten zu lassen, aber was Sie vergeblich erwarten, kann ich Zhnen bringen. Eli sabeth. Wie denn so? —

Schstaps.

Der Herr Amtmann übertrugen mir doch

das ehrenvolle Geschäft, unter andern auch an

den Herrn Professor Mildenheini in Dero werthem Namen zu schreiben. Amtmann.

Ganz recht! Sie verstehen dies besser als ich!

Schnaps. Das Briefchen hat gewirkt,

man weiß

seine Worte zu stellen. Amtmann.

Haben Sie Antwort.

Geschwind, wo ist

sie? Ziemer.

Bei mir unten ist sie, und zwar kein Brief— Schnaps. Nein,

ein wohl auserlesner Candidat in

Natura selbst.

Elisabeth. Ein Hauslehrer?

Amtmann. Wirklich schon angekommen ?

Schnaps. Angekommen. Amtmann. Und warum ist er nicht schon hier?

Elisabeth. Warum haben Sie ihn nicht gleich zu uns geführt? Sie hätten gar nicht nöthig gehabt, zuerst mit ihm zu sprechen, und ihm vielleicht manches von den Kindern----------Ziemer. Wertheste Frau, ein Gelehrter sucht immer gern zuförderst den andern auf, deshalb ist er bet mir abgetreten.

Schnaps.

Und wer so von der Reise kommt, und sich seinen künftigen Prinzipalen präsenkiren soll, muß sich doch vorher ein wenig zu recolligiren suchen.

Amtmann. Ei was da! bei mir soll er sich von der Reise erholen, mein Hauö ist seine Heimarh. Kommt, wir wollen ihn holen.

Elisabeth.

Riecht so, Vater! mache, daß er zu uns 4n§ Haus kommt, ich werde ein gutes Abendbrodt besorgen; und lade denn auch die beiden Herren geziemend dazu ein. SchnapS. Gehorsamer Diener!

Ziemer. Wird bestens acceptirt! laß dir aber erst sagen, Brüderchen, weshalb wir den Candidatum dir nicht sogleich ins Haus geführt haben. Amtmann. Nun warum denn? Elisabeth. Wie sieht er denn auS? Ist er ein hübscher, freundlicher Mann?

SchnapS tu Elisabeth. 0 ja! der Herr Professor scheinen eine recht solide Wahl getroffen ju haben.

Ziemer zum Amtmann. Wir haben ihm, dir zu Liebe, doch vor« her etwas auf den Zahn fühlen wollen.

Elisabeth zu Schnaps. Line solide Wahl? —

Amtmann. Und gefällt er Euch? hat er etwas gelernt? Schnaps zu ellsabeth.

Za! die Kinderschuhe hat er. abgelaufen, eist ein Mann in seinen besten Zähren.

Ziemer. Ein gescheidtes Männchen, nur ein bischen gerade zu. Amtmann. Das schadete nichts! Elisabeth. Wie heißt er denn? B. f. Kind. in.

Ziemer. Herr Magister Fundus!

Amtmann. Ein Magister?

Elisabeth. Gar rin Magister. Schnaps. Za, sehn Sie wohl! Ziemer. Lin veritabler Magister! Schnaps.

Und ein recht derber Magister, dem feine sieben freien Künste recht leserlich auf dem Ge> sichte geschrieben stehen. Elisabeth.

Sieben freie Künste?

Schnaps. Za, sehn Sie rvohl i Amtmann. Also er gefällt Euch

Ziemer. Nicht übel!

Schnaps. Der Herr Professor mag Ihnen gewiß aus guten Gründen einen reifen erfahrnen Mann zugeschickt haben. Ziem er. Aber Noth, Kinderchen! Noth werdet Ihr mit ihm haben! So bescheiden und schlecht weg, wie der alte Ziemer, ist er nicht! die Nase steht ihm etwas höher! Elisabeth. So?

Schnaps. Za, er scheint eine ziemliche Meinung von sich zu haben. Amtm ann. Ze nun! wenn er sie uns nur auch von sich beibringen kann, dann ist es gut.

Ziemer. Nein, nicht gut! Nein! ich habe in Mei« nen frühern Jahren auch condttionirt —

Schnaps.

Habe während meiner Lehrzeit auch man­ chen Hofmeister rafirt.

Ziemer. Und habe mir manches müssen gefallen lassen-------

Schnaps. Weiß recht gut, wie man sich mit solch einem Herren einrichten muß. Elisabeth.

Die Einrichtung, sollte ich denken, gäbe sich wohl von selbst. Der Hauslehrer kommt gleich nach Vater und Mutter. Amtmann. Und wo er klüger ist als beide, da gilt sein Wort wohl oft auch noch mehr, denn eS ist der Kinder wegen.

Ziemer. Gut! — meinetwegen macht was Zhr wollt, mir kangS recht seyn! — Aber — —

Schnaps.

Nein! uns kann es nicht recht seyn, denn wir sind des Herrn Amtmanns Freunde, und ich habe ihm überdieß die Briefe geschrieben. Am Ende käme die Schuld auf mich, wenn hier Noth und Aerger im Hause entstünde. Ziemer. Und die wird nicht ausbleiben.

Schnaps.

Drum besser vor bewahrt, als nach be­ klagt, und sich mit dem hochmüthigen Herrn Patron gleich auf einen festen Fuß gesetzt.

Elisabeth. Wir denn aber?

Amtmann. Zhr macht mir bange.

Ziemer.

Du mußt dich gleich vom Anfang an gegen ihn in Respect zu sehen suchen.

Amtmann. Wie meinst du denn das? ich denke, gegen den Hausvater wird er doch wohl Achtung haben. Schnaps. Za, wenn Sie ein Graf wären, wenn Zhnen dies Guth hier eigen gehörte! Ziemer. Aber du bist doch eigentlich nur ein Päch­ ter, bist ein geborner Dauerssohn.

Amtmann. Das macht nichts aus! Schnaps. Herzchen, bei einem solchen Magister gilt das viel! Wenn Sie nur wenigstens noch studirt hätten! — Elisabeth. Studirt hast du freilich nicht, Vater! Zch bin zwar eine Predigerstochter.

Schnaps. Drum ist auch mit Zhnen, verehrte Frau, ein ganz andres Ding.

Ziemer.

Aber dich, Brüderchen, würde er, wentt br'S gleich erführe, nicht über die Achseln an­ sehen ; ein Mann aus dem Bauerstande steht nun einmal im Range tief unter den Magi­ stern, und somit würde dein eigner Officiant ja vornehmer seyn, als du. Amtmann. Das ist freilich schlimm, aber doch einmal nicht zu ändern.

Schnaps. Warum denn nicht? Sie brauchen e< ihm ja nicht gleich auf die Nase zu binden. Ziemer. Wahrlich das ginge!

Amtmann. Aber wenn er nun frägt?

Schnaps. So muß die nasenwefse, zudringliche Frage derb zurück gewiesen werben.

Amtmann. Er erfährt es dennoch späterhin, jeder Mensch kennt mich ja im Dorfe, und ich schäme mich auch meines Standes gar nicht. Schnaps. Ei bewahre! wer spricht denn von schä­ men? Nur erst in gehörige Achtung gesetzt, späterhin mag eS der Herr Magister immer wissen.

Ziemer. Dann wird er um so mehr einen Mann bewundern, der sich aus dem niedrigsten Stande zu seinem Prinzipale emporgearbeitet hat, außerdem aber — SchnapS. Za außerdem wäre er im Stande, wohl gar Ihre lieben Kinder als rohe Dauern-Kin­ der zu betrachten und drauf los zu fchla, gen------

Elisabeth. Wie der Herr Schulmeister Ziemer!

----------

89

Ziemer. Zch bitte recht sehr um Entschuldigung!

Elisabeth. Nein! die Kinder soll mir keiner mehr auf diese Art anrühren. Amtmann. Oder ich mache kurzen Prozeß, und weiße ihm gerade zu die Thüre. SchnapS. Die Thüre ist leicht gewiesen, aber ein so gelehrter Mann, bei dem die Kinder so entsetzlich viel lernen können, tritt nicht gleich wieder über die Schwelle, und wenn man'S verhüten kann------ —

Elisabeth. Herr SchnapS hat nicht ganz Unrecht, Dater! Du brauchst ihm ja nicht gleich etwas aus deinem frühern Leben zu erzählen.

Z iem er. Hirst du deine kluge Frau?

Amtmann.

Wir wollen sehen! er braucht freilich nach solchen Dingen nicht zu fragen, und thut «r's doch, so brauche ich sie ihm nicht zu be« antworten. Ziemer. DaS ist das Wahre, Freundchen! Gieb ihm eins auf die Nase, daß er schweigt.

S.ch napS. Und im Uebrigen wird sich'S wohl fin­ den; mit den vorgeschlagenen Bedingungen, sagte er, wäre er zufrieden, nur von einer Penfion könnte er nicht abgehen, sagte er! A m t m a n n.

Penfion? die kann ich ihm nicht gewäh­ ren. Dazu bin ich nicht reich genug, daS ist zuviel verlangt.

Elisabeth.

Und man weiß ja gar nicht einmal, ob er sie auch verdient.

Ziemer. Beruhigt Euch ! Wir hüben die Sache auch schon abgethan, und hoffentlich zu allseitiger Zufriedenheit. Amtmann. Habt Zhr'S ihm aus dem Sinn geredet? Schnaps. Das war nicht möglich, er mußte sich nach Ihren Vermögensumständen genau erkundigt haben, und berief sich geradezu auf die ame­ rikanische Erbschaft. Und dabei haben wir ihn denn auch gelassen. Hä! hä! hä! Amtmann. Zhr sollt mir nicht von dieser Erbschaft sprechen. Ziemer. ES ist ja aber weltkundig, Herzchen, daß du einen reichen Bruder in Amerika hattest, warum soll man denn nicht davon sprechen dürfen? es ist doch wahrlich kein Unglück. Amtmann. Mein guter Bruder lebt.aber vielleicht noch, nnb Zhr macht.mich schon zu seinem Erben.

SchnapS. Was schadet ihm denn das? deshalb stirbt er doch wahrhaftig keine Stunde früher. Ziemer. Lebt der Jacob noch, so gesegne ihm Gott feine halbe Million; ist er todt, so laß dir sie gut schmecken, und die Pension-----Schnaps.

Die würde sich dann wohl finden, denke ich. Hä! hä! hä! 0 mein Himmel! Sie hätten nur sehen sollen, welchen Respekt der Mensch vor der amerikanischen Erbschaft hatte. Mit der können Sie ihn im Zaume halten. Amtmann. Ihr seyd beide kalt wie Eis, und denkt nur an das Gold!

Ziemer. Kalt wie Eis? hab' ich mit dir den Jacob nicht schon lange beweint? Er kann also zu­ frieden seyn, und hat daS Deinige weg.

Elisabeth.

Der Bruder kann ja aber auch Nachkom­

men haben. SchnapS.

ES wäre doch aber auch kein Unglück, wenn seine nächsten Erben hier vor mir stünden!

Elisabeth. ES wäre ju viel!

Amtmann. Schweigt! SchnapS.

Und sterblich sind wir alle, heute mir, morgen dir! sterben und erben ist keine Schande, also kann man auch daran denken

und auch davon sprechen.

Ziemer. Und wir glaubten es recht klug zu machen,

daß wir die allerdings harte Pensionsforde­

rung im Fall der Erbschaft zugestanden. Amtmann.

Zch hätte sie doch lieber gleich abgeschlagen.

Schnaps.

So ging der gelehrte Magister beleidigt von dannen, wir hatten keinen Hauslehrer, und solch ein Mann will, doch auch theilnehmen an den glücklichsten Ereignissen des Hauses. Ziemer.

Und er hat nun einmal einen Narren an der amerikanischen Erbschaft gefressen. Laß ihn doch dabei, was schadet es denn dir? er will eS ja so! Elisabeth.

Da hat Herr Ziemer eigentlich recht. Schnaps. Erfüllt der Himmel Ihre Wünsche, und läßt den lieben Bruder noch leben, so ist dann zugleich auch der Magister abgefunden.

Amtmann.

Da geschähe ihm recht! SchnapS.

Und vor der Hand ist es ein herrliches

Auskunftsmittel, um ihn erst kennen zu lernen, und ihn nicht gleich vor dem Kopf zu stoßen. Ziemer. Und ein sehr erlaubtes weife- Interim!» sticum. Elisabeth. Ich dächte auch, lieber Mann. Schnaps. Also für jetzt nur hübsch die Erbschaft im Munde geführt. Sie werden sehen, wie der Magister sich alles gefallen lassen, und hoch» achtungsvoll schweigen wird, so bald er von der Erbschaft hört. Amtmann. Eö will mir nicht recht zu Herzen. Ziemer. Ziere dich nicht, alter Kerl I beiße in den goldnen Apfel. Du mußt erst lernen den Prinzipal spielen. Elisabeth. Folge doch diesmal, mir ist recht Angst vor dem Herrn Magister.

Schnap Wir werden nicht unterlassen, Ihnen bei»

zustehen.

Nur gleich von Anfang an fich nicht

die Butter vorn Brodle nehmen lassen.

Ziemer.

Derb drauf losgefahren, denn du bist

Vater und Hausherr.

Elisabeth. DaS ist auch wahr. Amtmann.

Wir werden ja sehen.

Ziemer. Seht einmal! dort kommt der Herr Ma­ gister schon zum Thore hereingegangen.

Elisabet h eilt zum Fenster. Wo? wo? lassen Sie doch sehen. Ziemer.

Zch eile ihm entgegen, um ihn gebührend

hier einzuführen.

Schnaps. Mein Himmel, wo sind die Kinder? Di« müssen dock) auch ein Dischen angewiesen «erden, wie sie sich zu benehmen haben.

Elisabeth. Ach! freilich! aber sie theilen sich eben die frischen Semmeln SchnapS. Ei was, frische Semmeln! jetzt ist keine Zeit zu frischen Semmeln! Zch werde die Kinder aufsuchen und mit ihnen sprechen! Elisabeth. Thun Sir das, Herr Doetor!

Schnaps. Kommt, Freund Ziemer! Kommt! «ei«' e«.

B. f. Lind. ITT.

7

Fünfter Auftritt. Elisabeth.

Amtmann Grund.

Elisabeth amF«nst«. Zung ist er eben nicht mehr. sieht er recht ordentlich aus.

Aber sonst

Amtmann.

Der Mann, merk' ich, wird uns viel Unruhe ins Haus bringen.

Elisabeth. Was übernimmt man nicht der Kinder wegen. Amtmann.

Wenn ich nur lieber nicht mit Ziemer und Schnaps gesprochen hätte, sie haben mich ganz irr« gemacht.

Elisabeth. Warum denn? man kann doch nun vor» sichtiger seyn, weiß doch wie man sich zu be­ nehmen hat. Und, hörst du, Vater, für

jetzt laß un< das beachten, was uns die bei­ den Herren gesagt haben.

Amtmann. Ach: alles dieß will mir eben gar »richt ju Kopfe, mit sammt den beiden Herren l Elisabeth. Stille jetzt! ich höre sie kommen!

Sechster Auftritt. Die Dortgen. Ziemer. DerSchiffSsapitain In schwarzem Rock onö Perücke.

Ziemer. Gütigster Herr Oberamtmann and Frau Oberamtmännin, hier habe ich die Ehre, Ihnen den künftigen Präceptor Ihrer jungen Herrschaft in beifolgendem Herrn Magister Fundus vorzustellen. Amtmann. Seyn Sie mir herzlich willkommen, Herr

Magister. Wir haben uns lange schon auf einen solchen Mann gefreut.

Elisabeth. Za, wir sind recht sehr erfreut, mein Herr Magister —

Amtmann. Sie sehen in uns die Eltern, die Ihnen treuherzig di« Erziehung und Bildung ihrer Kinder anvertrauen wollen. Elisabeth. Und wir fetzen deshalb ein ganz besondre» Vertrauen in den Herrn Magister. SchiffStapitain. Zch danke Ihnen, und will da- Vertrauen zu erwiedern suchen, gestehe Zhnen auch, daß mich der Eintritt in Ihr Hau» ganz besonder­ tief bewegt — Herr Obekamtmann, ich möchte Sie wohl umarmen!

Ziemer, heimlich -nM Amtmann. Thu e- nicht! e- schickt sich nicht! Der Mensch ist unverschämt.

Amtmann. Zch^ bin kein Freund von solchen Zärtlich» keilen, ein Handschlag ist unter Männern genug. Der Amtmann reicht dem Capitain die Hand, dieser aber tritt empfindlich zurück.

Schiffscapitain. Zch werde mich zu bescheiden wissen, und ferner keine zu frühen Ansprüche auf dergleichen Freundschaftsbezeugungen machen.

Ziemer, halb für sich, doch so daß eS beide hören.

Hochmüthige Bestie!

Amtmann. So müssen Sie es nicht nehmen! Zch bin gerade und offen, und werde es gegen Sie am meisten seyn, weil wjr uns schnell kennen und immer verstehen lernen müssen, um wegen der Kinder bald einig zu werden. Elisabeth. Der Herr Magister sollen auch in unserm Hause wohl zufrieden gestellt werden, was Sie nur verlangen können------

SchiffScapitain. Zch will auch offen seyn, und gestehe Ihnen deshalb, daß ich es ziemlich gut gewohnt bin, denn ich war bereits in mehreren vornehmen Häusern. Elisabeth. Wir sind eben auch nicht von ganz geniei» ner Herkunft. Ziemer, stSßtb-n 0 nein! vornehmer Leute Kinder. Elisabeth. Zhr Zimmer habe ich Ihnen so bequem als mbglich eingerichtet. Amtmann. Und was die übrigen Bedingungen betrifft, so will ich gern erfüllen —

Ziemer. Ei ja! bald hätte ich vergessen zu sagen, daß der Herr Oberamtmann Zhnen sogar von der großen amerikanischen Erbschaft, Sie ver» stehen mich!

SchtffScapitain. Vollkommen I Ziemer. Eine bedeutende Pension auSfetzen will. Der Amtmann geht schwelgend auf und ab.

Sch iffscapitain.

Sie beschämen mich! also wirklich eine Pen­ sion von der schönen amerikanischen Erbschaft? Elisabeth. Wir wollen Sie gern an Allem theilnrh» men lassen —

Ziemer. An jedem glücklichen Familienereigniß, mey­ nen sie nämlich. SchiffScapitain. Und ein höchst glückliches ist ja doch wohl eine solche Erbschaft.

Amt mann, Anmer stärker auf und abgehend und im empfindlichen Tone.

Din von Ihrer Theilnahme überzeuar.

104

----------Schiffscapitain,

Zch gratulire Ihnen dazu im Voraus

E li sa beth »«legen. Ich danke Ihnen ergebenst.

Am tmaNN,

wie oben.

Sie sind sehr gütig. - Aber lassen wir jetzt die Erbschaft. Ziemer,

heimlich tum Capital«.

Merkst du den Geizteufel?

Amtmann.

Es schickt sich besser sür uns, zufLrderst von meinen Kindern zu sprechen. SchiffScapitain. Allerdings! ich erwarte, waS Sie mir hier, über sagen wollen! Amtmann. Sehen Sie! Ich bin ein schlichter Oekonom, verstehe mein Fach zwar, habe aber sonst eben wenig wissenschaftliche Bildung erlangt.

Schlffscapitain. Das wundert mich, denn ein Mann von Ihrem Stande hat doch gewiß eine sorgsame Erziehung genossen. Amtmann. 0 ja! Mit Sorgsamkeit und Liebe bin ich allerdings erzogen worden.

Schiffscapitain. Der Herr Vater waren wohl ein hoher Staatsbeamter? Elisabeth. Mein Vater war Ober» Pfarrer! Amtmann. Auch der meine war ein sehr ehrenwerther Mann! aber lassen wir das! wundern Sie Sich nicht weiter über mich, sondern nehmen Sie mich wie ich bin. Genug, ich fühle wa» mir fehlt, und wünsche, daß meine Kinder mehr lernen mögen als ich.

Schiffscapitain. Das ist recht löblich!

io6

----------

Amtmann. Und deshalb hab« ich Sie zu mir kommen lassen, Herr Magister; Sie sollen ein gescheidter Mann seyn, und werden mir die Kinder gewiß zu tüchtigen und guten Menschen erziehen. Der Herr Schulmeister Ziemer hat bisher sein möglichste- gethan------

Ziemer. Meine geringen Kenntnisse wollten aber für die höhere Bildung der Kinder unseres hochlöblichen Herrn Oberamtmanns nicht mehr zureichen i Amtmann, heimlich »e Ziemer.

Laß mir endlich den Oberamtmann weg! Ziemer, heimlich. Still doch! wir verstehen uns!

Elisabeth. Und man weiß ja auch nicht, wozu die Kinder vielleicht einmal berufen find. Da kommen sie eben!

Siebenter Auftritt. Die

Vorigen. Schnaps. Tuschen.

Otto.

Schnaps. Hier ist die liebe junge Herrschaft.

Amtmann. Za, bas sind meine Kinder! Otto und SuSchen.

SchiffScapitain. Hübsche Kinder! Elisabeth, leise zum SchlffScapltatn.

Und gute Kinder! Otto, reicht dem Schiffscavitain die Hand.

Seyn Sie schöne willkommen, Herr Ma­ gister ! SuSchen, deöglcichen.

Seyn Sie schöne willkommen, Herr Ma­ gister!

ICg

------------------

Schiffscapitain. Zch danke von Herzen, und freue mich gar sehr. Euch zu sehen! Otto. Wir haben uns auch auf Sie gefreut. Ziemer und Schnaps sprechen im Hintergründe leise, und lächeln trtumphirend.

Amtmann. Kinder! der Herr Magister hier ist nun Euer künftiger Lehrer. Zhr sollt ihm folgen, und ihn ehren wie Euren zweiten Vater! wenn Zhr das thut und recht fleißig seyd, dann «erde ich und die Mutter Freude an Euch haben. Elisabeth. Sir werden schon gut seyn i Otto. Za, wir wollen gut und fleißig seyn !

Tuschen. Za! gewiß!

SchiffScapitaiN, »um Amtmann. Der Lehrer muß sich schnell mit den Kindern

log

bekannt machen, deshalb habe ich mir eS zur Regel gemacht, mich zuerst immer ganz allein

mit den Kindern zu unterhalten, um auf diese Weise sowohl ihre Kenntnisse als auch ihren Charakter am sichersten und unbefangensten kennen zu lernen. Sie würden mir deshalb eine»

Gefallen erzeigen, Herr Oberamtmann, wenn Sie die Gewogenheit haben, und mich nur auf «ine Stunde mit den Kindern ganz allein las, sen wollten.

Mein kleines Examen soll bald

vorüber seyn. Amtmann.

Mit Vergnügen. Hirt Kinder, gebt dem Herrn Magister nur ordentlich und ohne Scheu

Rede und Antwort, auf alle- was er Euch

fragen wird.

Zch werde indeß meine Wirth­

schaft bestellen, damit ich den Abend frei habe.

Elisabeth.

Und ich will ein gutes Abenbbrobt besor­ gen.

Sie werden doch heute bei uns vor«

willen nehmen, meine Herren? —

XIO

------------- -----

Schnaps. Wenn Sie denn mit Bitten nicht nach, lassen! Ziemer. Mit dem größten Vergnügen.

Elisabeth. Nun, dann macht Eure Sachen gut, meine Kinder! Seyd nicht schüchtern. S u S ch«n. Wir wollen schon alles recht frei heraus­ sagen ! Verlaß dich drauf, Mütterchen.

Amtmann. Komm nun, Mutter! kommen Sie, meine Herren! Beide ab.

Ziemer, bedeutungsvoll -um SchlffScapitain.

Zch werde mit dem Herrn Doctor Schnaps in den Garten spazieren gehen, wenn uns der Herr Magister etwa brauchen sollten. Schnaps, r» den Kindern. Nur nicht ängstlich, meine Puppen! nur

nicht ängstlich! hübsch gerade heraus mit der Spracht! Alft — Zhr wißt schon! Er giebt ihnen einige Winke, und geht mit Ziemern üb.

Achter Auftritt.

Schiffscapitain. Otto. Tuschen. Schiffscapttain. Habt Zhr denn Lust, meine lieben Kinder, etwas ordentliches zu lernen?

Otto. Za, Lust hätte ich wohl dazu!

Tuschen. Dy nicht allein, ich auch!

Schiffscapitain. Seyd Zhr den» schon in die Schule ge­ gangen ? Otto. O jä! hei dem Herrn Schulmeister Ziemer.

SuSchen. Aber Gott sey Sans! da- hört nun auf!

Otto. 5« zu dem sind wir immer mit Zittern und Zagen in die Schule gegangen.

SchiffScapitain. Da gab es wohl oft Schläge? Otto. Ach! sehr viele, vorzüglich, wenn der Herr Schulmeister seinen schlimmen Tag hatte.

Schiffs capttain. Oder Zhr den Eurigen! Su scheu. Za, das wußten wir eben niemals recht, wer eigentlich den schlimmen Tag halte, denn Herr Ziemer schlug drauflos und meinte, Prü­ gel müßten seyn, vorzüglich bei Dauerkindern.

Otto. Und wir sind doch keine Dauerkinder mehr. S chissseapitain. Zhr seyd wohl viel besser?

----------

113

Tuschen. Wenigstens doch viel vornehmer. O tto. Und auch viel reicher!

Tuschen. Und das haben wir Ihnen zu verstehen geben sollen. SchiffScapitatn. Mir zu verstehen geben sollen?

Otto. Zal damit Sie Sich darnach richten könnten.

SchiffScapitain. Wirklich? — Sind denn Eure Eltern so vornehm und reich? —

Otto. Zetzt wohl noch nicht, aber eS wird schon kommen. Sch iffScapitain. Wie denn ? erzählt mir doch. B. f. Kind. III. 8

114

----------

Otto. Sehn Sie, der Vater hatte noch einen Bruder. Tuschen. Und der hieß Jacob.

Otto. Er soll aber ein sehr wilder und garstiger Jung« gewesen seyn, und hat sich mit unserm Vater gar nicht so gut vertragen, wie Sus» chen und ich. Su-chen.

Und deshalb ist er nach Amerika geschifft. Otto. Wo er ein ungeheuer reicher Mann gewor» den seyn soll. Tuschen.

Jetzt aber ist er todt, und das ist recht gut, daß der garstige Mann todt ist.

Schifföcapktain. Du freust dich also darüber?

Tis

SuSchen.'

O, es freuen sich wohl andere noch mehr darüber, als ich.

Schkffscapitain. Za! das will ich glauben! Otto.

Und dies ganze Vermögen erbt nun der

Vater! Suöchen.

Za, viele Tonnen voll Gold. Otto.

Und nun werden wir auch so ungeheuer reich, wio.eS der Onkel Zacob war. SchiffScapitain.

Was wollt Zhr denn mit dem vielen

Reichthum machen? —

Otto. O, jetzt weiß ich rS wohl.

Der Vater

wird sich erst den Adel kaufen, und dann noch zusehen, wo er für Geld und gute Worte

einen recht vornehmen Titel und einen Orden herbekommt. SchiffScapitain.

Wie? Adel? Titel? Orden?

Otto. Und wir werden weit von hier wegziehen, dahin, wo uns niemand kennt, und wo uns die Lenke gleich für recht vornehm halten.

S nSchen.

Das Wegziehen thut mir doch leid! Zch wollte gern ein schönes Kleid weniger haben, wenn ich nur hier bleiben und mein Gärtchen behalten könnte. Otto.

Sey du nur ruhig, SuSchen! Wenn ich groß bin, kaufe ich mir für mein vieles Geld dies ganze Dorf, und dann ziehen wir wieder her und leben hier.

Tuschen.

Acht da» wäre herrlich!

Otto. Ich möchte zwar auch wohl einen Theil meines Geldes verreisen, und auch die Welt sehen, so weit die Landkarte reicht. SuSchen. Nein! daS darfst du nicht! sonst wirst du eben so, wie der alte garstige Onkel Jacob! und dann kann ich dich nicht mehr lieb haben! Hören Sie, Herr Magister, von dem Onkel Jacob will ich Ihnen erzählen, wie der ab­ scheulich gewesen ist.

Otto. Laß nur, SuSchen! er ist nun todt! und wir wollen sein vieles Geld schon besser anwenden. SchiffSeapitain. Ja, er ist todt! Genug Kinder! genug! Ein andermal mehr hiervon. Geht jetzt nur wieder hinaus, begießt Eure Gärtchen, ich verspreche Euch, Ihr sollt sie vor der Hand noch behalten, und ruft mir die beiden Her­ ren herein.

H8

-----------

Otto. Za, sprechen Sie nur mit Herrn Schnaps, der wird Zhnen alles noch viel besser zu erzählen wissen, als wir.

Neunter Auftritt.

Schiffseapitatn allein. Der alte garstige Onkel Zacob! — Gut, daß er todt ist! Das klingt ja recht fein und lieblich! Sind das deine Blutsverwandten, Zacob, »ach denen dir das Herz so in Sehn­ sucht schlug?— Hier bist du todt, und über deinem Sarge handeln die Narren schon mit Titel und Orden. Nein! so weit ist es noch nicht gekommen! Vor solchem-Wahnsinn wol­ len wir dich bewahren, Herr Caspar! Du sollst bleiben was du bist! Unerkannt muß ich fort, und zwar auf der Stelle! Zhr sollt nicht mehr an meinem Grabe lachen! VerlaßtEuch darauf! Zch will mir Erben wählen, mit denen ich selbst noch lachen kann, bis sie mir dankbar die Augen zudrücken.

------------------

ii9

Zehnter Auftritt.

Schiffscapttaln. Schnaps. Ziemer. Ziemer. Nun, mein Brüderchen, wie weit bist du? SchiffScapitaiy. Zch bin fertig. Freunde! Zhr habt mir nicht zu viel gesagt! Zch habe herzzerreißende Dinge hören müssen.

SchnapS. Ei! bas bedaure ich!

SchiffScapi tain. Zch gestehe es Euch, mein Bruder und feine Frau hätten mir so übel nicht gefallen, obgleich ein geheimer Hochmuth und die Freude über die Erbschaft um so weniger zu verkennen war, als sich beides mit ihrem eigentlich einfachen Wesen noch gar nicht recht wertrage» konnte.

Schnaps. Und die lieben unschuldigen Kinder.

S ch iffscapitain. Za, eben die Kinder! die haben mir die Augen schnell und ganz geöffnet.

SchnapS. So 1 und man pflegt zu sagen: aus dem Munde der Kinder kommt die Wahrheit.

Ziemer. Du scheinst sehr conquassirt, Brüderchen! mußt schlimme Sachen vernommen haben.

Schiffscapitain.

Die Erben habe ich lachen hören! 0 rS war ein furchtbarer Ton! —

SchnapS. Ei was Sie sagen! drum frichsten atrch die Kinder so subtile. Schiffscapitain.

Genug hiervon! meine Seele ist zu er­ griffen! Ich will fort! unerkannt wieder fort!

SchnapS. Fort? Verehrter, trefflicher Mann! Ihre Lage zerreißt mein Herz!

Ziemer. Und den alten theuren Jugendfreund soll ich aufs neue nun wieder verlieren? SchiffScapitain. Hört mich an, Freunde! Ich gedachte hier in meiner Heimath und bei den Meinigen meine einsamen Tage zu beschließen. Aber aus einem schönen Traume hat mich eine rauhe Stimme geweckt! Ich will fort und zurück nach meinem freien Amerika!

Schnaps. Ich kann es Ihnen leider nicht verdenken. SchiffScapitain. Du Ziemer, wärest mein ältester Jugend­ freund, und ich sehe, du bist es geblieben. — Sie, Herr Schnaps, sind ein froher, heiterer Mann, dessen Umgang ich mir wünsche. Kommt beide mit mir! Ihr sollt meine Der»

wandten seyn; Euch will ich für alle-, was Ihr hier zurücklaßt, dort reich entschädigen. Willigt Ihr ein? SchnapS, heimlich »u Bleutet. Zugegriffenl

Ziemer.

0, mein theurer Jacob! Dir zu Liebe will ich alles hier verlassen. SchiffScapitain. Weib und Kind nimmst du ja mit, das andere findest du dort.

Schnaps. Verehrter Herr, eine sehr ehrenvolle Pro­ position, allein man sieht hier in nicht unbe­ deutenden sichern Verhältnissen-----

Schifsscapitain. Ich willIhnen ein noch bedeutenderes, siche­ reres LooS gründen. Schnaps. Wirklich? nun so fahre hin! undankbares

Vaterland! Wie könnte ich Ihnen widerstehen, theurer Herr Vetter! Wie meinen Ziemer ver» lassen, und hier ohne ihn leben. Za! kommt an meine Brust, Geliebte! ohne Euch nir­ gends, mit Euch über'S Weltmeer! Indem er Ziemern umarmt, leise:

Victoria, alte Bestie! Schiffs capitain.

Zch danke Euch! hier ist meine Hand! schlagt «in! Macht Euch aber schnell zur Reise fertig, denn hoffentlich findet mich der an­ brechende Morgen schon auf dem Wagen, SchnapS. Mir wird es möglich seyn, Sie auf der Stelle zu begleiten, denn meine Kunden sind besorgt.

SchiffScapitain. DaS ist mir erwünscht, und dir, Ziemer, lasse ich «ine bedeutende Summe als Reise­ geld zurück. Ordne dein Haus, gieb dein Amt auf, und folge mir dann schnell mit den Deinen nach Hamburg, dort erwarte ich Euch,

und von dort aus will ich meinem Bruder den AbfchiedSbrief schreiben.

Ziemer. Zch werde nicht säumen! Verlaß dich drauf!

Schiffscapitain.

Für jetzt sendet einen Eilbothen nach der Stadt, laßt Postpferde bestellen und meinen Neger hierher rufen. Zch will ihn dann im Geheim bei dir sprechen, Ziemer. Etwamöchte ich doch für die armen verblendeten Kinder meines Bruders thun, sie können ja nichts für die Thorheiten ihrer Eltern! Erst aber will ich noch einen Versuch anstelle», um mit mir darüber einig zu werden. Schnaps. Recht so, und dürfte der künftige Haus­ freund fragen: welchen Versuch?

Schiffscapitain. Zhr sollt beide gegenwärtig seyn, fragt mich aber nichts mehr über diese Angelegen-

Heiken. Kommt mit mir in'S Freie! Die Dalken drücken auf mich nieder. Unter Got­ tes freiem Himmel wollen wir von unserm glücklichen Amerika sprechen.

Schnaps. O, süßes Amerika! (Der Vorhang fällt.)

Dritter

A u f z u g.

Erster Auftritt.

Zimmer wie im zweiten Akte.

Amtmann. Elisabeth.

Elisabeth.

Das Abendbrodt ist fertig, der Tisch ist ge­ deckt, die Herren aber find noch nicht von ihrem Spaziergange zurück.

Amtmann. Laß es nur heut gut seyn, Mutter! Künf­ tig soll auf die alte Ordnung schon wieder streng gehalten werden. Elisabeth. Ich will eS wünschen. Aber noch kann ich mich deS neuen Hauslehrers nicht recht erfreuen.

Amtmann.

Meinst du? Eli sabeth. Zch habe mir ihn ganz anders vorgestellt.

Am tmann. Zch eigentlich auch! Elisabeth. Ein freundlicher Mann, dachte ich, würde zu uns kommen, sich liebevoll unserer Kinder annehmen, sie als seine kleinen Geschwister, unS als seine Eltern betrachten, und ich hatte mir dann auch vorgenommen, ihm recht ei­ gentlich Mutter zu seyn. Aber vor solch einem Magister fürchtet man sich ja beinahe. Amtmann. Du hast recht!

Elisabeth. Der ist schon in vornehmer» Häusern gewesen, und deshalb wird «S ihm bei uns niemals gut genug seyn.

Amtmann. Und tch muß mit einer Erbschaft gegen ihn groß thun, von der ich gern nichts wissen möchte, wenn nur mein Bruder noch lebte, soll sogar verschweigen, wer meine braven Eltern gewesen sind.

Elisabeth. DaS kommt alles davon her, daß er erst mit dem dummen Ziemer, und dem Narren, dem Schnaps gesprochen hat; werweiß denn, «aS ihm die in den Kopf geseht haben.

Amtmann. Und unzufrieden scheint er auch, besonders seit er die Kinder examinirt hat. Zch begeg» nete ihm eben, al» er mit Ziemer und Schnaps spazieren ging, und wollte ihn freundlich anre­ den, aber ersah mich kaum an, und die beiden MuSje'S lachten heimlich. Elisabeth. Da- fehlte mir noch, daß er sich lieber zu denen hielte als zu uns, und dich nur über dir Achseln ansähe.

Amtmann. Weißt du was, Mutter? ich werde ihm als ehrlicher Mann reinen Wein einschenken, und auf Niemanden weiter dabei hören. Rümpft er dann die Nase, so sage ich ihm rund heraus: Herr Magister, Sie sind für uns viel zu klug, und viel zu vornehm! wir passen nicht für einander! reisen Sie in Gottes Namen wieder ab, es wird sich ja wohl ein andrer Freund und Erzieher für meine armen Kinder finden! und damit basta!

Zweiter Auftritt.

Die Vorigen. Otto.

Suschen.

Otto. Vater! Vater! ein Mohr! ein Mohr!

Suschen. Ach! Mutter! er sieht ganz erschrecklich schwarz aus. B. f. Kind III.

Amtmann. Was habt Zhr denn, Kinder! wo käme denn ein Mohr her.

Elisabeth. Wer weiß, was Zhr gesehen habt. Du zitterst ja am ganzen Leibe, Mädchen.

S uS chen. Za! eS ist auch kein Spaß mit solch einem rabeeeschwarzen wilden Menschen. Otto. Vater! eS ist gewiß ein Sclave vom Onkel Zacob. Amtmann. HireFrau! wenn der wirklich von meinem Bruder Zacob käme! —

Otto. Sieh! da bringt ihn der Herr Magister.

Dritter Auftritt. Di»

Vorigen. SchiffSeapitain. Ziemer. SchnapS. Dabu. SchiffSeapitain.

Wir sind auf unserem Spaziergange diesem Neger begegnet; er scheint ein Böthe zu seyn, fragt nach dem Amtmann Grund, und so habe ich ihn denn mit hierher gebracht. Amtmann.

Wer ist Er denn, mein Lieber, und wabringt Er?

Dabu.

Ich komme von Hamburg, und bringe einen Brief an den Amtmann Caspar Grund. Elisabeth.

Da kommt er hier recht! aber von «em ist denn der Brief?

Babu. Von meinem Herrn aus Amerika, dem reichen Plantagenbesther Jacob Grund.

Amtmann. Mensch! Du kommst von meinem Bruder? bringst einen Brief von meinem Bruder? hüt er ihn selbst geschrieben, lebt er noch?

Dabu. Er lebt noch und ist bei guter Gesundheit.

Elisabeth. Nun Gott sey Dank!

Amtmann. Za, Gott sey Dank, HerzenSweib! Zacob lebt! nun wird alles gut werden! Die Nach­ richt kommt zur rechten Zeit. Aber wo ist der Brief! Babu

zieht ihn aus dem Busen.

Hier ist er! Amtmann. Wahrhaftig, er hat es selbst geschrieben! Ziemer, komm her! kennst du diese Hand noch?

Ziemer. Freilich! freilich! ganz noch die alten Züge!

Amtmann. Za! ja! ganz noch Die alte ehrliche me­ schante Zacobs- Klaue, die ich sonst kaum lesen konnte, vielweniger jetzt, wo mir die Augen voll Wasser stehen! SchnapS. Lassen Sie doch sehen! Elisabeth. Mache doch Vater, und steh was in dem Briefe steht. Der Amtmann bricht ihn auf.

Otto. Wie heißest Du denn, mein lieber Mohr?

Dabu. Zch heiße Dabu. Suschen. Und bist wohl gar ein Sclave? Dabu. Za! ich bin meines Herrn Sclave.

Suschen. Du armer, unglücklicher Dabu.

Amtmann. Schnaps, kommt her! Les'» Zhr -en Brief vor, Zhr könnt alle Hände lesen., und habt eine vernehmliche Stimme. Schnaps. Mit dem größten Vergnügen!

Elisabeth. Nun stille, Kinder! horcht auf! Schnaps u-st. „Gott zum Gruß, mein lieber Caspar!"

Amtmann. Schönen Dank, Jacob! schönen Dank! Schnaps «-st. „Du wirst mich wohl für todt gehalten haben, da ich seit zwanzig Zähren nichts von mir hören ließ. A m tma nn. Das war nicht gut, Zacob!

Schnaps liest. „Ich lebe aber noch, und befinde mich sehr

wohl, denn das Glück hat mich dergestalt begünstigt, daß ich ein sehr reicher Mann gr, worden bin, und große Plantagen hier in Amerika besitze. Am tmann. Laß dir'S zu gute kommen, Alter! du wirst's brauchen, hast in deinem Leben immer viel mehr gebraucht, als ich. Schnaps lieft. „Auch bin ich nicht allein! Ich habt gehetrathet, und bin Vater eines Sohnes!

Elisabeth. Geheirathet? — Amtmann. Ja, Mutter! hörst du? der Jacob hat Weib und Kind! das wird ihn eben zum ordentlichen Manne gemacht haben.

Schnaps. Des Herrn Bruders Herr Sohn wird auf drese Weise ein sehr reicher junger Mann wer» den!

Amtmann. Mag's der Zunge genießen! Dtt saure Ar­ beit bet Eltern schmeckt gewöhnlich den Kin­ dern erst süß! aber weiter! Schnaps tieft.

„Kürzlich habe ich auch von dir durch einen Reisenden aus deiner Gegend Nachricht erhal­ ten. Es soll dir wohl gehen!

Amtmann.

Ich bin zufrieden! weiter! Schnaps lieft. „Du sollst eine Frau und zwei Kinder haben. Amtmann. Za! die hab ich! Gott sey Dank! hier stehen sie! aber weiter!

Schnaps liest. „Und da ich nur einen Sohn habe, mir aber meines großen Vermögens wegen mehr Kinder wünsche, die mir der Himmel jedoch nicht bescheren will; so habe ich auf dich und

X37

die Deinigen gedacht, du sollst mir eins von deinen Kindern hierher schicken, und gänzlich

ablreten, ich will es nach meiner Art erziehen und alsdann sehr reich ausstatten lassen.

Elisabeth.

Ueber's Meer schicken? abtreten? Schnaps. Ein edler Bruder!

Otto und Suschen. Lieber Vater? Amtmann.

Ruhig! Nur erst weiter! Schnaps liest.

„Erfüllst du meinen Wunsch, und schickst mir das Kind, so will ich dir auch meine brüderliche Liebe zeigen, und dir eine große

Abstands - Summe aussetzen, die dich in dei­

nem Lande zum reichen Manne machen wird!

Elisabeth. Meine Kinder!

Amtmann. Steht das wirklich im Briefe? Schnaps. Wort für Wort! Theuerster! Solch einen Bruder laß ich mir doch gefallen. AmtMaNN, halb für sich.

Du alter Sklavenhändler! Laut.

Ist der Brief zu Ende?

Schnaps. Noch nicht völlig. Amtmann.

Nun dann lesen Sie rasch! Schnaps

lieft.

„Solltest bei aber wider Vermuthen meine Wünsche nicht erfüllen, und mein brüderliches Anerbieten nicht annehmen wollen, so muß ich mich an fremde Leute wenden, und bin ge­ sonnen, Jemanden von meiner frühern Be­ kanntschaft zu mir zu nehmen. Ich habe mei­ nen treuen Sklaven Dabu über'S Meer zu dir

gesendet, der mir sogleich eines deiner Kinder oder deine Erklärung mitbringen soll, und verharre bis dahin dein treuer Bruder Jacob!" Alle schweigen eine Zett lang.

Elisabeth. Höre Vater! das ist ein schrecklicher Bkief!

Otto. Von dem Onkel Jacob halte ich gar nichts! Tuschen.

Nein, das ist ein garstiger Onkelk

A in t m a n n. Ruhig! Kinder dürfen nur reden, wenn sie gefragt werden! Der Driefist mir doch lieb !

er bringt mir Nachricht von meinem Bruder,

und ich sehe auch, baß er eS nach seiner Art gut mit mir meint.

Elisabeth. Ja, nach seiner Art.-------Amtmann.

Nun, auch das ist mir werth und beruhigt mich!

140

---------------

Ziemer. Es ist doch ein kleiner Ersatz für den Ver­

lust einer so großen Erbschaft.

Schnaps. Und eines Ihrer lieben Kinder macht doch

rin bedeutendes Glück. Elisabeth.

Herr Schnaps, glauben Sie das wirklich? Amtmann winkt seiner Fra«. Laß nur, Mutter! Herr Schnaps hat Recht.

Nun.Kinder, habt Ihr gehört, was uns der

gute Onkel anbietet. Eines von Euch soll zu ihm nach dem schönen Amerika, soll dort reich

und vornehm werden,

Kutsche und Pferde

und viele Sclaven haben? Nun, wer von Euch wcll zu ihm hin? Otto.

Ich mag nicht zu ihm! und es ist auch

nicht dein Ernst, Vater, mich kannst du doch

nimmermehr von dir lassen, wer soll denn einmal deine Stühe im Alter seyn?

-----------

I4i

Suschen. Und mich doch auch nicht? Mutter, nicht wahr, wir beide müßten ja erschrecklich wei­ nen! Sieh, du weinst schon! Sey doch ruhig ich bleibe ja bei dir!

Otto. Und hast du wohl gehört? er will dir Geld für uns geben; er glaubt, wir sind dir feil, da­ hat er sich so beim Sklavenhandel angewöhnt.

Suschen. Zch wollte lieber, der garstige Onkel wäre gestorben! Schnaps. Freilich käme dann die werthe Erbschaft zu uns; wir hätten es dann bequemerund brauchten nicht nach Amerika zu reism. Suschen. Nein, ich mag die Erbschaft nicht haben, ich will nicht reich seyn. Aber wenn der Onkel gestorben wäre, dann hätten rot,r die Sclaven geerbt und könnten sie alle, alle frei lassen.

14»

----------

Babu. Du bist ein gute- Kind!

Otto. Hire Tuschen, unsere Sparbüchsen sind ziemlich voll. Wir wollen sie dem Dabu geben, er soll sich mit dem Gelde loskaufen, in seine Heimath zurückkehren, und dann wird der Onkel schon sehen, daß wir sein Geld nicht brauchen. Susch «n. Ja, das ist herrlich! Willst du das, Babu ? —

Dabu. Ihr seyd sehr gute Kinder! Ich wollte, mein Herr sähe Euch. Schnaps «u Otto. Geld, mein Herzchen, braucht man immer; mit Geld kann man immer viel Gute- thun in der Welt. Otto. O, zum Gute- thun hat Vater und Mutter schon Geld genug !

Tuschen. Denn sie thun ja viel Gutes. Otto.

Und, bitte Vater! ziehe nicht von hier weg!

Tuschen.

Ich finde nirgends wiederein solches liebes Gärtchen voll Blumen.

Amtmann. Fortzirhen von hier? meinen Geburtsort »erlassen, wie kommt Zhr darauf? Zch danke Gott, daß ich hier btn l Elisabeth.

Wer hat Luch denn das gesagt?

Otto. Und die vornehmen Sachen brauchst du dir ja auch nicht zu kaufen, Vater! Amtmann.

Wa« denn für vornehme Sachen!

Otto.

Ze nun, den Adel, einen vornehmen Titel, und einen Orden. Amtmann.

Wie? was? wer hat Euch den Unsinn weißgemacht?

Elisabeth. WaS soll denn dieß heißen? Schnaps winkt und droht den Kindern.

Otto.

Sey nur nicht böse, Vater, Herr Schnaps hat es uns vorhin im Garten anvertraut-----Schnaps.

Ei warum nicht gar------Suschen. Ja, wir haben dir freilich niAtS wieder

sagen sollen, weil es noch ein Geheimniß wäre.

Schnaps. Ei warum nicht gar-------

Otto.

Aber dem Herrn Magister dort sollten wir eS zu verstehen geben, der würde uns bann

viel besser behandeln, wenn er erführe, daß wir vornehme Kinder wären. Schnaps. Ei warum nicht gar! lassen Sle Sich doch

nichts einreden. Elisabeth.

Herr Sottet Schnaps, unsere Kinder lügen nicht, das will ich mir ausgebeten haben. Amtmann.

Herr! Was aber hat ste dazu vermocht,

den Kindern solche Thorheiten von ihrem Vater aufzuheften.

Schnaps.

Werthester Herr Oberamtmann, erlauben Sie ein Wörtchen im Vertrauen.

Amtmann. Ich bin nicht Oberamtmann, Sie aber sind ein Obernarr! Zm Vertrauen will ich B. f. Kind. III. io

nichts mit Ihnen sprechen, hier sollen Sie mir öffentlich Rede und Antwort stehen. Schnaps. Mein Gott, Sie wissen ja, was wir be­ sprochen haben! helft doch, Ziemer!

Ziemer. Er meinte eS ja gut!

Amtmann. Zch verbitte mir solche gute Meinung, die meine eignen Kinder an mir irre macht, und will jeht die ganze Sache schnell zu Ende bringen. Elisabeth. Za! Vater! verschweige nichts! sage alles wie es ist! Schnaps. Zncommodiren Sie Sich nicht. Kommen Sie, mein verehrter Herr Maajster, kommen Sie! Wie Sie sehen, ist hier nicht länger gut seyn, der Herr Amtmann bekommen eben Zhre grob« Laune!

Amtmann. Nein, Sie bleiben! Nicht von b«| Stelle, bls wir hier im Reinen sind, und dann werde ich Ihnen mit der höflichsten Laune selbst die Thüre weißen, verlassen Sie Sich drauf. Schiffscapitain. Ich wünsche auch überdteß zu wissen, woran ich bin, und wie es besonders mit der versprochenen Pension werden soll, da die schöne amerikanische Erbschaft leider plötzlich zu Wasser geworden ist. Amtmann. Leider, sagen Sie? leider, daß mein Bruder, mein Jacob noch lebt? — Also um Ihrer Pension willen möchte er ins Gras ge« bissen haben, und einsam ohne Weib und Kind gestorben seyn?

Schiffs capita in. Nun, Ihr Schade wäre es eben auch nicht gewesen! Amtmann.

Mein Vortheil ist es aber, baß ich Sie

jetzt ganz kennen lerne. Ich hätte zwar gleich anfangs merken sollen, daß Sie nicht für mein Haus paßten, als die beiden Herren mir den wohlmeinenden Rath gaben, meine nie­ drige Herkunft so lange vor Zhnen zu ver­ schweigen, bis ich mich trotz Zhres Magister­ stolzes in den gehörigen Principal-Respekt ge­ setzt haben würde. SchtffScapitain. So-----

Amtmann. Zch sage es Ihnen aber jetzt frei heraus, mein Vater war ein Bauer, ein sehr achtbarer, vortrefflicher Mann, aber nichts weiter als nur ein schlichter Bauer. Schnaps. Kommen Sie doch!

Elisabeth. Und hübsch war es eben auch nicht, daß Sie, statt gleich bei uns einzufprechen, erst bei dem Herrn Schulmeister abtraten, um ihn zum Unterhändler zu brauchen.

Ziemer. Frau Amtmännin, menagiren Sie Sich! Schnaps.

Kommen Sie! wir wollen Abschied neh­ men, diese Beleidigungen erträgt mein Zart­ gefühl nicht länger. SchiffScapitatn.

Zch will erst wissen, was Sie für Unter­ handlungen meinen.

Amtmann. Fragen Sie noch? — Haben Sie nicht, «he Sie mein Haus betraten, schon die ame­ rikanische Erbschaft im Kopfe gehabt, vor der mich Gott glücklicher Weise bewahrt hat? haben Sie nicht auch Zhr Theil in einer Penfion davon verlangt? Schiffscapitain. Sie haben mir diese ja angeboten.

Ziemer. Freilich.

Elisabeth.

Nein! diese Frechheit geht zu weit! Amtmann. 0 läugnen Sie seht nicht, was Sie Sich zu fordern nicht geschämt haben. Ich habe mir nur den einzigen Vorwurf zu machen, daß ich schwach genug war, auf den Rath dieser beiden Patrone «inzuwilligen. Aber er sollte ja nicht anders ein gutes Vernehmen zwischen uns einzuleiten seyn.

Elisabeth. Herr SchnapS und Ziemer haben uns ja lange genug mit klugen Redensarten zugesetzt, SchiffSeap itatn.

So? Schnaps. Es ist zum lachen! ha!

ha!

Ziemer, heimlich. Hirt Schnaps, mir wird Angst.

SchnapS. Seyd doch grob! das macht Courage!

-----------

!5i

2( m t m a n ti. Dumm war rs allerdings von mir, daß ich nicht gleich die Füchse erkannte, aber solche Hinterlist ist mir fremd, ich bin ein schlichter Mann und eS muß freilich etwas derb kom­ men, wenn ichs merken soll.

Ziemer, sich mit Gewalt aufraffend.

Höre einmal, ich verbitte mir diese Anzüg­ lichkeiten! Amtmann. Schweige nur! ich durchschaue dich, alter Neidhammel! Dir war eS höchst empfindlich, daß ich dir die Kinder aus der Schul« nahm, und einen eignen Hauslehrer haben wollte. Deshalb hast du mit Hülfe der SchnapSflasche dort den Samen der Zwietracht zwi­ schen uns gestreut, und uns gegenseitig ein­ ander verächtlich zu machen gesucht. Elisabeth. Und Zhr habt Euch selbst nicht gescheut, sogar durch unsere unschuldigen Kinder uns

verläumden ju lassen.

Zst das nicht ab«

scheulich? Amtmann.

Eigentlich sollte ich die Reitpeitsche dort

von der Wand nehmen, und Euch für Eure Mühe nach Würden derb ausjahlen.

Elisabeth. Vater, laß eS gut seyn!

Amtmann. Za, eS mag auch gut seyn! Zn der Stunde, di« mir die Nachricht vom Leben meines Dru«

derS gebracht, will ich auch gut seyn, will dir sogar zeigen, du alter Brandt« Ziemer,

daß ich nicht Zorn halten kann. —

Von

Euch, meine Kinder, will also keins zum

Onkel nach Amerika?

Otto. Nein, um GotteS willen nicht, Vater;

ich will bei dir bleiben, mag der Onkel seine Reichthümer behalten i SuSchen. Zch kinnte den Onkel doch niemals lieb

Haven, denn er hält sich viele Sklaven, läßt sie arbeiten und sieht sie leiden, und giebt doch keinem die Freiheit. Elisabeth. Za, meine Herjenskinder, Zhr sollt die Freude unsres Alters seyn ! Amtmann. So recht, Mutter! halte die Kinder fest am Herzen. Zch kann dem Jacob keingeben! Aber hire Ziemer, wie wäre es? Du bist vonZugend auf mit dem Jacob gut Freund gewesen, er wird dich noch nicht vergessen habe», mache du dich auf, und reise du mit Frau und Kind zu ihm, er will ja alte De« kannte um sich haben; du kannst dort dein Glück machen, und hier, — hier passest du doch eigentlich nicht, denn, nimm mir'S nicht stbel, der liebe Gott hat dich im Zorne jum Schulmeister gemacht.

Elisabeth. Herr Ziemer paßte sich weit besser zum Sclaveuvogt!

Amtmann. Nimmst du meinen Vorschlag an, Ziemer? er ist gut gemeint, ich tot II an den Bruder de-halb schreiben. Schnaps mit einem Seitenblick auf den Schifföcapltatn.

Ich hege auch «ine unbändig« Verehrung gegen Ihren Herrn Bruder. Wollten Sie mich ihm nicht auch zu gütiger Rücksichtnahme empfehlen? — Amtmann. Das wird sich finden. Den Brief aber sollen Sie mir nicht schreiben, das werde ich mir noch vom Herrn Magister erbitten. Thun Sie mir zum Abschied diesen Gefallen, Herr Magister, «S ist der einzige und letzte, um den ich Sie bitte. Wir wollen in Frieden wieder scheiden, «in reichliches Reisegeld sollen Sie erhalten, und eine gute Meinung von uns werden Sie doch wohl auch mitnehme»,

Schiffseapitain. Zch will den Brief beantworten; Babu, sage es frei, wo ist dein Herr!

-------------

135

Babu fällt auf ein Knie vor ihm nieder.

Hier ist mein Herr! Zhr seyd e«!

Sch u apS tu Siemet.

Gesegnete Mahlzeit!

Ziemer. Zhr seyd ein Gimpel! SchiffScapitain. Caspar! mein ehrlicher, geliebter Caspar! ich selbst bin dein Zacob! Amtmann. Zacob? Sie wären — du wärest mein Zacob?

Elisabeth. Der Herr Schwager! Otto und Tusche».

Der Onkel! SchiffScapitain. Ich bin eS! hier ist mein treuer Zeuge!

Babu. Za! so wahr ich durch ihn wieder ein freier Mensch geworden bin, das ist mein lieber -Herr, Zaeob Grund! Amtmann. Zaeob, und du kommst selbst zu mir, wo hast du Frau und Kind?

Elisabeth.

Gewiß sind sie auch in der Nähe, wo sind sie? ich will sie holen. SchiffScapitain.

Zch hatte Weib und Kind, aber sie sind todt. Und nun komme ich allein und verlassen zu Euch, und bring« Euch selbst meine große Erbschaft mit! Amtmann. p nichts doch von der Erbschaft.

Otto. Und du willst uns nicht dem Vater abkau» sen?

S chiffscapttain. Es war nur mein Scherz! Ich will Euch selbst angehören! Tuschen. Und wie viel hast du denn Sclaven, du harter Onkel? SchiffSeapitain. Bald keinen Mhr! ich weroe Alles inAme, rika verkaufen, und alle Sklaven sollen dann frei seyn. Dieser Dabu ist mir aus reiner Liebe freiwillig hierher gefolgt. Babu. Ja, ich folge Euch bis in den Tod, und jetzt gehöre ich den Kindern an! Otto. Nun bist du unser guter Onkel! Tuschen. Und ich will dich lieber haben, und dich gewiß besser pflegen, als deine Sklaven.

Elisabeth. Aber Herr Schwager, was haben Sie uns für Noth und Sorge gemacht?

SchiffScqpitain. Zch habe Euch viel abzubitten, aber es war so gut, wir haben uns schnell und ganz kennen gelernt. Auch andre Leute habe ich durchschaut; ich weiß nun, wie die erbärmlichen Erbschleicher aussehen. Pfui Ziemer! da­ hätte ich dir nicht zugetraut. Elisabeth. So? also deshalb wurden alle die Lüge» erdacht? — Amtmann. Za! jetzt sehe ich Licht, aber eS thut mei­ nen Augen weh, ich möchte es lieber wieder auSlöscheN. Schnaps. Ha! ha! ha! ha! heimlich zu Ziemer».

Lacht doch ins Geiers Namen mit, Ziemer! Ziemer. Zch kann beinahe nicht lachen.

Schnaps. Ha! ha! ha! da- ist himmlisch.

heimlich.

Will er wohl lachen. Ziem er, gezwungen und langsam.

Ha! ha! ha! S chiffScapitatn. Was ist Ihnen denn so lächerlich, meine Herren? —

Schnap-. Daß uns der köstliche Spaß gelungen tst. Ha! ha! ha! es tst jum todt lachen! Amtmann. Nur heraus mit der Sprache!

Schnaps. Wissen Sie es denn nicht? heute ist ja der erste April! wir haben die Herrschaften alle sammt und sonders glücklich in den April ge­ schickt!

Schiffscapitain. Sie irren Sich! dieser Scherz war zu ernst und zu bitter!

i6o



Elisabekh. Nein! wir sind nicht Ihre Aprilnarren, meine Herren! SchnapS. Ei was da! was da! machen Sie keine Umstände, verehrtest« Gesellschaft! den ersten April kann mir kein Mensch a-streiten! am ersten April ist alles vogelfrei erklärt; die Frau Amtmännin nehmen Sich allerliebst als ein« Aprilnärrin aus, und können nun auch an mir Dero Scharfsinn versuchen, ich gebe mich mit sammt diesem Ziemer preis. Elisabeth. Man weiß wahrlich nicht, was man zu Ihrer Unverschämtheit sagen soll!

SchiffScapitain. Sie sollen an den ersten April gedenken. Amtm ann. Nicht doch! laßt eS gut seyn! ja! ja! heute ist der erste April. SchnapS hat Recht! Nimm es für einen Scherz, Bruder! du thust mir einen Gefallen! Es sind arme Teufel, hast

l6l

du Vermigen, so thu ekn UebrigeS, gieb ihnen etwa-, sie brauchen es. Schnaps

singe.

Freut Euch des Lebens! — — SchiffScapitain.

Mein braver, gurherjiger Caspar!

Elisabeth.

Mann! du bist viel zu gut! nein da- geht nicht. Amtmann, leise,» Jacob und Elisabeth. Zch bitte Euch aber, laßt eS gut seyn! Zch will in Friede leben, und habe dich ja wieder, mein Zacob! Hunger thut weh, die armen Teufels haben oft kaum das liebe Drodt! Gieb ihnen etwas Ansehnliches, das ist die beste Strafe, und ich habe ihnen auch ohne» dieß heute schon harte Worte gesagt!

SchiffScapitain. Du redliches Herz! Amt mann.

Und, Mutter, es ist auch der Kinder B. f. Kind. III. xi

i6a

--------- —

wegen! Laß sie immer glauben, eS sey alles nur ein Scherz gewesen, dann habende eine schlimme Erfahrung weniger. Elisabeth. Du hast recht, mein Herzensmann! Zch folge dir.

SchtffScap itain. Aus Bruderliebe thu ich dir den Willen, Mein Caspar! laut. Meine Herren, in dem meinigen nicht, aber in meines Bruders Ka­ lender steht heule wirklich der erste April. SchnapS.

Ei! Dieselben müssen sich in Zukunft auch diesen edlen Kalender zulegen, eS ist der Bran­ denburgische Hausfreund. SchiffScapitain. Und aus Achtung für diesen Kalender mag daS Borgefallne denn wirklich nur als ein Aprilscherz gelten.

SchnapS. Ganz gehorsamer Diener!

Ziemer. Gott sey Dank!

Otto. Also in den April Haven Sie uns nur ge­ schickt? da- ist lustig und hübsch! Tuschen. Za nun wird mir leicht um'S Herz, Mut­ ter ! nun kann ich wieder fröhlich seyn. Ziemer, inm Amtmann.

Bist du böse? Amtmann! Amtmann. ES ist schon vergessen!

SchnapS -u Öen Kindern. Meine Engelchen! hier finde ich noch rin Aepfelchen in der Tasche! wir wollen eS, dächte ich, speisen! denn mich hungert!

SchiffScapitain. Komm Bruder! und umfasse mich mit den Deinigen! Zch bi» ein sehr reicher Mann, aber dennoch arm gegen Eure Treu' und Lieb»!

Sie aber, meine Herren, gehen Sie, und danken Sie dem Himmel, daß er heute gerade den ersten April gesendet hat.

Eli sabeth. Vorher aber bitte ich das Abendbrodt ge­ fälligst einzunehmen, denn die Suppe wird sonst kalt, und die Herren Ziemer und Schnaps sind sehr hungrig.

Der

Jüngling und der Wanderer.

Jüngling. „ Mein Wandersmann, woher?— wohin? Ziehst du hinaus in's Weite? —Ich auch ein froher Pilger bin, Komm, daß ich dich begleite!"

Wanderer, „Geh lieber meinen Weg allein, Kehr nur auf kurze Stunden ein. Muß immer rastlos weiter. Zieh ohne mich durchs Leben hin, Ich bin für deinen frohen Sinn Kein passender Begleiter!" — Doch Jünglings Busen ist so voll Von Freude und von Liebe, Und weil er einsam wandern soll Wirds ihm so bang und trübe.

Aus seinen blauen Augen schaun Kindliche Reinheit und Vertraun,

Und Thränen schimmern leise.------Drum, da er bittend weiter spricht. So widersteht der Wandrer nicht. Und nimmt ihn auf die Reise.

Wohl zieh'»' sie durch manch Schattenthal Wohl über Berge««Rücken; — Schön liegt in goldnem Sonnenstrahl Die Welt vor ihren Blicken. Der Jüngling streckt die Arme aus: „Hier, ruft er, hier ist Gottes Hau«, Wo Lieb' und Freud« blühen!“ Der Wandrer aber steht und schweigt. Und hebt die Hand empor und zeigt Auf, wo die Wolken ziehen. Sie nahen einem Fihrrnwald, Schon «ar e< Nacht geworden! — Da stürzt der Räuber Horde bald Hervor, sie zu ermorden.

Schon ist der Jüngling übermannt, Es ringen unter Mörder Hand, Die junge» kräft'gen Glieder.

Da schlägt der Wandrer mit dem Stad, Als mäht er reife Halmen ad, Die Räuber alle nieder. Der Morgen kommt in Purpur -Gluth, Der Thau glänzt noch am Schilfe, Da schwimmt ein Mägdlein in der Flnth, Die Mutter ruft um Hülfe. Und in den Strom stürzt sich geschwind Der Jüngling, faßt das arme Kind, Und zieht's hinauf an's Leben. Der Wandrer aber ferne steht. Und winkt, indem er weiter geht. Der Mutter eö zu geben. Und vorwärts durch die freie Welt, Rastlos geht's in die Weite; — Da naht das Laster sich, und stellt Dem Jüngling sich zur Seite.

Es sagt ihm süße Worte vor. Schon neigt er willig ihm das Ohr, Schon faßt das Lamm der Tieger. Da Hirt er, wie der Wandrer spricht:

„Memento mori! — wanke nicht! “ Und er besteht als Sieger.

„Schau hin, dort liegt mein Vaterhaus! Drinn wohnt der Mutter Segen! Dort tritt die Schwester froh heraus! Entgegen tyr! — Entgegen!" „Ach Bruder! unsre Mutter liegt. Vom heißen Fieber schwer besiegt, 0 könntest du sie heilen!" Der Wandrer spricht: „Geh nur allein Zur Mutter in die Hütte «in, Und laß mich draußen weilen!"

Hoch klopft und bang das Mutterherz, Nah steht die Mark des Lebens, Und dennoch ruft in Angst und Schmerz Den Tod sie oft vergebens. Die Kinder knien und beten mit, Und flehen Hülfe!------- sieh da tritt Der Wandrer in das Zimmer. Und wie er sanft die Mutter grüßt, So wird es Friede, — ruhig schließt, Ihr Auge sich auf immer.

Der Züngling grub der Mutter Grab Zm düstern Linden »Schatten; Das Hüttchen er der Schwester gab Und ihrem jungen Gatten. Ihm selber ward's ju eng im Haus. Zhn zog die Kampfes »Lust hinaus Zn jene muth'gen Reihen, Denn raubend brach der Feind ins Landl „Wohl aufmein Volk! das Schwert zur Hand!“ Der Fürst tust feine Freien. Und es beginnt der blutge Kampf — Des Schicksals Würfel stehen —■ — Und überall durch Staub und Dampf Sieht man den Wandrer gehen. „Hier!" ruft der Züngling: „streite mit!" Doch jener stellt mit ernstem Tritt Sich in der Feinde Glieder; Und geht sie alle durch und zählt, Als ob er sich Freiwill'ge wählt. Und tausend sinken nieder.

Doch trifft es auch deSHünglingS Brust— In heißen Purpur»Tropfen,

Verrinnt des jungen Lebens Lust — Matt wird des Herzens Klopfen. Und ihm vergehen Kraft und Sinn, Und auf den Wahlplah sinkt er hin. Und wird nicht weggetragen. Und wie das Heer kühn vorwärts fliegt, Hirt er: „Fahr wohl! es ist gesiegt!" Die Kameraden sagen.

Und als die Nacht hrrniedersteigt. Ruft er und wimmert leise. Doch weit und breit das Schlachtfeld schweigt — Nur Leichen ruhn im Kreise. Da naht der Wandrer ernst und still. Als ob er Hülfe bringen will. Und kühlt ihm seine Narben. Und spricht: „die Ernte ist vollbracht! Schlaf, müder Schnitter, deine Nacht Nun friedlich auf den Garben!" Ernst von Houwald.

Ein Schanstückchen.

Personen.

Manie, ein Landmadchen im Gebirge,

Christine, ihre Großmutter. Robert, Wanie's Bruder.

Ein Tabuletkrämer.

Den Hintergrund füllt eine Hütte mit zwei Fenstern und einer Thüre, Puter den Fenstern steht eine weiße Tafel zwischen zwei Banken. Linker Hand im Vordergründe ein kleiner, von einem Ftechtzaun' umgebener Garten. Rechter Hand freier Platz mit einigen Bäumen. Es ist früher Morgen.

Erster Auftritt Wanke allein.

Sie hat Gießkanne und Schäpfgefäß in der einen Hand, mit der andern macht sie die geflochtene Gartenthür zu. Vor der Brust trägt sie einen grünen Zweig. Auf daGärtchen -rtrücksehend, sagt sie.

Nun werdet ihr's wohl aushalten, ihr lieben Gewächse, bis sich der Schatten im Nach­ mittage kühl über euch ausbceitet. Geschlafen habt ihr die ganze Nacht ruhig. Nun seyd ihr auch satt geworden vom frischen, Hellen Äöasser, daß ihr der heißen Sonne unver­ zagt entgegensehen könnt. Erst muß sie die

I7Ö

--------------- -

Tropfen von euer» Blättern und Blüthen neh­ men und den Boden trocken machen, ehe sie euch etwas anhaben kann. Auf den Abend bekommt ihr wieder. Nach dem Haufe gewendet, riecht sie an den Zweig. Ah! Solch «in Geruch macht es Einem im ganzen Körper, wie's aussen herum ist, wenn man im Frühlinge die Augen auS dem Schlaf' erhebt. — Du kräftiger Zweig, du wirst der Großmutter gar erquickliche Dienste thun. Dte Großmutter erscheint an der Thüre.

Zweiter Auftritt.

Manie. Dte Großmutter. Manie. Guten Morgen, Großmutterchen. Du hast heute recht gut geschlafen. Hier hast du gleich einen grünenden Wohlgeruch) dem der ganze Garten von seiner Kraft mitgegeben hat.

Christine. Du lässest einen ja nicht zum Worte kom­ men. Ich habe dir nicht einmal danken kön­ nen für deinen guten Morgen. Danke schön, für den rüstigen Zweig!

W a n i e. Flugs werd' ich dir deine Milch bringen. Sie hat schon ein Weilchen auf dich gewartet. Da wird das Brodt drinnen recht erwärmt und erweicht worben seyn. Ab inö Hauck.

Dritter Auftritt. Christine ««ein. Gutes, liebes Kind! Früh vor der Sonne heraus. Den ganzen Tag unermüdlich. Auf alles bedacht, was nützen ober jemandem Freude machen könnte. Sie ist «ir» Gärtchen ge. kommen. Schon über und über begossen! — Nun, was deiner Pfleg' anvertrauk wird, B.f. Kind. III. 12

da- muß gedeihen, denn der liebe Gott hat sein Wohlgefallen an dir, und füllt dir Haupt und Herz und Hände mit überfließendem Segen.

Vierter Auftritt. Wanie, mit einem Nepfe voll Milch. Christine.

W a n i e. Komm hurtig, Großmutter, und iß, daß die Milch nicht auskühlt. Ehe die Sonne hierher kommt, ist es wie in einem Keller. Christine.

Desto wärmer wirds um die Mittagsstun­ den. Seht sich rum Essen. Zst unser Gast noch nicht aufgestanden? Wante.

Er war fast früher, als ich, wach. lich hab' ich geschlafen! rttf er aus.

Herr­

Christine.

Glaub's wohl, nach einem so weiten Weg'

in der Irre. Wa nie.

Das muß erschrecklich seyn, wenn man

sich verirrt hat.

Nicht zu wissen, wo man

Menschen treffen, wo man zu essen oder zu trinken hernehmen wird. Christine.

Und in fremden Wäldern, wie in dem unsern auf der Höh«, geht da- recht leicht an.

Manie. Bruder Robert wird doch den Weg nicht verfehlen? Er hat eine so weite Botschaft. Jetzt erst macht mir da- bange. Christine.

Da sey ganz ruhig.

Der kennt die Ge­

gend wett und breit so gut, daß er sich im Fin­ stern zu finden weiß. Manie. Da- ist tröstlich! Unser Gast sah gestern

IHO

----------------

bei Licht wie halb todt aus.

Alle Glieder

zitterten ihm vor Ermüdung und Hunger und

Durst.

Christine.

3ft er denn schon fortgegangen?

Manie. Nein, Mütterchen. Sein Kasten steht noch in der Kammer; nur ausgegangen ist er. De,n Felsengrund, sagt' er, muß ich bei

Tage sehen, durch den ich gestern in der Dämmerung gekommen bin; und das Wasser muß ich kennen lernen, da- mir beständig zur

Seite rauscht' und plätscherte.

Christine. Hat er etwas genossen?

Manie. Einen Trunk Milch hat er angenommen. Essen m-g' er noch nicht. Christine.

Daß er sich wieder verläuft!

Manie. So lang' er im Grunde bleibt, kann er ja weder zur Rechten noch zur Linken abkom­ men. — HSre, wie nannt' er sich, da du fragtest, was er wäre?

Christine. Tabuletkrämrr. Manie.

Ein fremdes, langes Wort: Tabuletkramer! MaS will denn das sagen? Christine. Ich hab's einmal von einem Fremden er­ fahren. Es will sagen, daß das ein Mann ist, der allerhand hübsche und theure Sachen zum Verkauf umträgt.

Manie. Was mag da alles in dem Kasten stecken?

Christine, die gegessen bat. Kind, mir ist eS in den Morgenstunden zu kalt hier. Zch werde, bis die Sonne

über die Höhr gekommen ist, in der Stube spinnen. W a n i«.

Thu« das, Mütterchen, daß du dich nicht erkältest. —

Zch höre gehen im Hause. Christine.

Der Fremde wird zurückgekommen seyn.

Fünfter Auftritt. Die Vorigen.

Tabuletkrämer.

Tabuletkrämer. Zch hörte hier sprechen. — Guten Mor­ gen, liebe Leute! Verzeiht, daß ich herkomme!

W a n i e. Was ist da zu verzeihen? Warum solltet

Zhr nicht hierher kommen? Tabuletkrämer.

Nun — so — Ei, das ist gar schön hier!

Ein zierliches Gärtchen. —

So laub« und

grasvoll. — Wie die Gegend dort herüber leuchtet i Manie.

DaS ist unser liebstes Oertchen.

Habt

Ihr Luch euer» gestrigen Weg besehen?

Tabuletkrämer.

DaS ist ein gefährlicher Pfad für die Dun­

kelheit.

Ueberhangende Felsen auf der «inen,

schnelles Wasser auf der andern Seite. — Aber dabei gar hochherzig die Felsen und die Bäume darauf; prächtig und schauerlich über­ all, und wie von großen unsichtbaren Mäch­

ten bewohnt.

Christine. Da hat'S Euch doch gefallen?

Tubuletkrämer. O ! UeberauS.

Nur für einen Verirrten

im Dunkeln, ist das kein Weg.

Wie weit

hab' ich von hier bis in die Stadt? Manie.

Wenn Ihr da links den Fußsteg über die

Dörfer geht, recht- neben dem See vorbei, da habt Zhr etwa vier Stunden. Tabuletkrämer.

0, da ko8nn ich heute noch dreimal hin, wenn ich mich auch, mit Eurer Erlaubniß, noch ein Weilchen aufhalte. Es ist gar zu hübsch bei Euch.

Christine. Bleibt, so lang' e- Euch behagt.

Tabuletkrämer. Zch werde meinen Kasten hierher holen. Ab. Christine.

Bezahlt nehmen wir nichts Er mag nicht viel verdienen. Steht mein Spinnrad in der Stube? W a n i e.

Ich hab' dir's gestern Abends noch zurecht gemacht, und hier an'- Fenster gesetzt.

Christine. Daß den warmen Tagen solche kalte Mor­ gen vorausgehen! Manie.

Da können sich doch die Geschöpfe ein paar Stunden erquicken. Betdr, Manie mit dem Napfe, gehen ins Haus.

Sechster Auftritt. Tabuletkrämer allein. Niemand mehr da? Setzt seinen Kasten auf die Tafel. Ein wundersames Häuschen; so eng, so klein, so still; und doch so heimlich, so anlockend. Etwas Besonderes scheint hier zu walten, das die Seele wohlthätig anweht. Man möchte die Brust von einander thun, und alles unmittelbar ans Herz rühren last sen. — Ha! Wer so recht vortrefflich wäre, jung dazu, schön und reich. — Diese Wanie! Aber so! — Laß dir nichts dergleichen in

die Gedanken kommen, Tabuletkrämer.

Es

wäre, als wenn jemand einen seltnen Schmet­

terling mit dem Feuerhaken fangen, oder den Gesang der Lerche in den wilden Lerm der Schenke bannen wollte. —

Du mußt mit

dem Kasten von Haus zu Haus, von Ort zu

Ort, unstät und unruhig; den groben Wün­ schen grobe Genüsse verschaffend, zufrieden,

wenn du das Köstliche von fern schauen und bewundern darfst.

Zehn läuternde Verwand­

lungen können dich kaum für Güter, wie die

Wer mögen

hiesigen sind, tauglich machen. des Mädchens Eltern seyn?

Siebenter Auftritt. Tabuletkrämer.

Manie.

Tabuletkrämer. Liebes Kind, wo sind denn deine Eltern?

Manie. Meine Eltern? — Ach — dort — schon

etliche Zahre jm Grabe.

Za, wenn ich die

noch hätte! — Wie traurig lange haben sie mich schon verlassen! Und — und doch auch wieder nicht. Das ist nur noch gut und recht wunderschön!

Tabuletkrämer. Was denn, du Goldchen, was denn?

W a n i e. Seht Ihr. Wenn ich so, so recht, wie denn? nun, so recht gut gewesen bin; oder wenn mir manchmal sehr bange wird; oder mich bekümmert etwa-: so seh' ich sie beide sternenhell vor mir, auf die Weise, wie im Traume schöne Gestalten erscheinen, die viel anders sind, als die man mit offnen Augen sieht. — Wenn mir die Eltern so vorgekom­ men sind, da ists unaussprechlich wonnevoll in mir. Tabuletkrämer. Du himmlische Seele! — Also ganz allein wohnst du hier mit deiner Großmutter? W a n i e. 0 nein; Robert wohnt noch bei uns.

Tabuletkrämer. Wer ist dieser Robert? W a n i e.

DaS ist mein Bruder. den nicht hätten!

Za, wenn wir

Tabuletkrämer. Ist der auch, wie du?

W a n i e. Ha, der und ich! Da muß ich mich ver­ stecken. Wenn man den sieht, lacht Einem das Herj überlaut. So rüstig — so muthig l Und wie ist er innerlich? Gleich aus den Augen sieht's ihm, daß ihm alle Zuversicht gehört. Wie auf die Sonne, kann man sich auf ihn verlassen. Wo die Großmutter und ich keinen Rath wissen, spricht er ihn, ohne nachzusinnen, lächelnd aus. Wo wir hin und her fragen, wie wird's seyn, wie wird's wer­ den? redet er, als wenn ers schon erlebt hätte. Dabei so fromm, wie die Kirchhofiinden, und so liebreich, wir's Himmelblau.

Tabuletkrämer. Du beschreibst einen Ueberirdischen, daß ich begierig wär', ihn zu scheu. W a n i e.

Mir ist's, als müßt' er bald kommen. Die Zeit ist zwar noch nicht ganz um; aber «S wallt mir immer wärmer und wärmer im Herzen, wenn ich an ihn denke; und so ist mir jedesmal, wenn er bald kommt. Tabuletkrämer. Was treibt er beitu?

W «nie. Wenn er zu Hause ist, schlitzt er allerhand liebe Sachen, Vögel und andre Thiere, auch kleine Menschenbilderchcn. Dann macht er wieder mancherlei zierliche Kästchen mit vielen und verborgenen Räumen. Zuweilen geht er aber auch für Andre, wenn sie wichtige Gänge zu thun haben. So ist er jetzt drei Tagerei­ sen weit. Heute wird er wieder kommen, er hats gesagt, nur nicht um welche Stunde.

jyo

-------------

Tabuletkrämer. Ja, wenn mein Kasten nicht getragen seyn wollte, könnt' ich ihn erwarten.

Wanie.

Der große, schwere Kasten! Wie könnt Ihrs mit dem den ganzen Tag aushalten? Tabuletkrämer.

Wir haben uns in einander gerichtet. Auch gehts nicht den ganzen Tag in einem Zuge fort. Ein guter Verkauf hilft feine Last auch erleichtern, und vor allem stärkt der Anblick solcher Mädchengesichter, wie du «ins hast. Wanke.

Das wüßt' ich nun nicht; fo.ein Antlitz — Tabuletkrämer. Du weißt wohl gar nicht, wie schön du

bist? Wanie. Ich weiß wohl, wie ich aussehe. Meine Großmutter sagt: ich hätt« Augen, wie Li«,

-----------

191

bette Tochter; und sähe fast eben so auS, wie EilertS Schwester.

Tabuletkrämer. Dich selbst hast du noch nicht gesehen?

Wanie.

Wie denn? Kann sich jemand selbst sehen? Tabuletkrämer. Das wollt' ich meinen! Habt ihr keinen Spiegel im Hause? Wanie.

Spiegel? Im Hause? Zhr meint doch so: mein Bruder nannt' einmal das einen Spiegel, wenn das Wasser so ganz eben und glänzend ist. Da haben wir-keinen im Hause. Tabuletkrämer fftt to.

DaS muß ich zu einem Scherze benutzen. Wanie.

Dort unten der Quell, der hat so einen Spiegel. Aber der läßt bloß einen schwarzen Schatten von mir sehen, wenn ich Wasser hole.

Tabuletkrämer. Du mußt dir noch meine Waare besehen, und etwas für dich auslesen. Packt fernen Aasten auf.

Wanie. Ei, wollt Ihr so gut seyn, und sie mir zeigen? Auslesen werd' ich mir nichts. Tabuletkrämer. Werden ja sehen. Schau anl Den untersten Schieber öffnend. Da sind goldn« UNd silberne Uhrketten, Petschafte, Busennadeln, Uhr­ schlüssel. W a n i e. Ah! Wie das glänzt, wie das prächtig ist; daß Einem fast die Augen übergehen, und doch muß man's immer länger ansehen. Ver­ stehen aber kann ich nichts davon. Das ist wohl nur so zum Ansehen und entsetzlich theuer? Tabuletkrämer. Theuer nicht eben. So zwischen einem Gulden und etlichen Thalern.

Wante. Das nicht theuer? Von so vielem Gelde können mir ja ganze Wochen leben.

Tabuletkrämer, hält 6le Sachen an die LetbesfteUen, für di« sie bestimmt sind.

Sieh nur!

Manie. Za, ja, das mag schön seyn. Wer'S brau­ chen kann, dem steht's vielleicht gut. rabuNtkrSmer zieht den zweiten Schieber nach oben. Noch Mehr dergleichen? Tabuletkrämer. Dieses Fach enthält andre Kostbarkeiten. Packt auf

Manie. Ordentlich voll Neugierde bin ich! Tabuletkräm er. Ringe und Ohrengehänge aller Art. W a n i e. Ei, nein, das ist gar zu schön! Darf man das angreifen? B. f. Kind. III.

Tabuletkrämer. Wart! Er steckt ihr einen Ring an den Finger.

Wanie. Ach, das fährt Einem brennend heiß durchs Herj. Desstht wohigefSlUg Ihr« Hand. Wie das prangt. Der Finger ist wie stolz darauf, und rührt sich innerlich, als wenn er tanzen wollte. Den könnt' ich Tage lang betrachten.

Tab ulrtkrämer. Zu was Anderm. Zieht ihr den Ring wieder vom Finger. Sie seufzt tief, und drückt, nachdem der Ring herunter ist, die Stelle, wo et stand, and Auge. SB st st t C, für sich.

Wer so was haben kann!

Tabuletkrämer. Diese Ohrengehänge — Wanie.

Das ist aber gar sonderbar, an die Ohren! Fällt es nicht bei jeder Bewegung herunter?

Tabuletträmer.

Man macht ein Löchelchen hier durch, mit einer großen Nadel. Manie. Au weh! Das schmerzt ja!

T a b u l e t k r ä m e r, hält eins an sein Ohr.

Steht's nicht gut?

Manie. So? — Nun! — Meinem Bruder, glaub' ich. — Nun ist's gar arg im Herzen, wenn ich an ihn denke; er muß ganz nahe seyn. Sieht nach der Gegend des Gärtchens. — Mei­

nem Bruder würde so was kleiden; er ist jung, und blüht wie Rosen. Sieht unverwandt auf die Seite des Gärtchens.

T a b ii l e t k r ä m e r.

Eigentlich sind diese Schmuckstücke nur für Frauenzimmer bestimmt. Wir müssen weiter sehen. Zieht den dritten Schubkasten nach oben.

Wahrhaftig! Dort — Ha! Husch mit einem Sahe über den Dach! Läuft auf das Gärtchen zu; kann aber vor EU das Thürchen nicht aufbrtngen. Unterdeß erscheint im

Achten Auftritt Robert, In Botengeldern mit Stock und Reisetasche. Die Vorigen. Der Tabuletkrämer vergißt über der Betrachtung der Beiden seine Waaren.

Robert, auf der andern Seite ins Gärtchen gekommen.

Guten Morgen, Manie!

Manie. Willkommen, Bruder Robert! So früh schon? — DaS häßliche Geflecht läßt mich nicht ju dir! Ais Robert taraii kommt, geht Oa< Th Ar­ chen auf. Sie fällt Ihm um den Hols. Du lieber Ro­ bert! Du mußt entsetzlich gelaufen seyn, daß du schon hier bist.

Robert. Zch habe die kühle Nacht zu Hülfe genommen.

-----------

ly7

Manie. Di« Nacht? Du erschreckst mich! Wenn du dich verirrt hättest? Robert. Es giebt dahin lauter unfehlbare Wege.

Manie. Die Nacht bist du gelaufen, und ich habe so geruhig geschlafen. Das ist doch nicht recht'. Robert. Ich will- schon wieder einbringen. Dieß« mal konnt' ich nicht zeitig genug zu Euch kommen. Manie. Du guter, lieber Robert! KLvtih«.

Robert. Was macht die Großmutter?

Manie. Sie ist gesund. Draußen war es ihr zu kalt; da hat sie sich mit den« Spinnen in die Stube grsrht.

198

-----------

Robert. Wer ist der Mann dort?

W a n i e. Der kam gestern Abends im Finstern aus der Verirrung in unser Haus. Wir haben ihn beherbergt. Er ist, sagt er, ein Tabulet« krämer, der viele schöne Sachen hat. Er zeigte sie mir eben, da du kamst. Du mußt die Herrlichkeiten auch betrachten. Komm nur hin; das prangt, und glänzt und flimmert, daß Einem die Sinne vergehen möchten, und daß Einem ganz wunderlich im Herzen wird — Robert fit sich. Der Mann hatte fich nicht zu uns verirren sollen! Manie. Was fehlt dir? Komm, di« Sachen er­ götzen dich gewtß. Robert. Jetzt, liebe Schwester, wenn ich erst die Großmutter gesehen habe, muß ich den Staub

des WegeS von mir thun, und die Unbehag­ lichkeit der Nacht von mir abspülen. her vielleicht. —

Nach­

Manie. Mach, nur geschwind! Aber wart, bald

hätt' ich was vergessenLäuft inS Gärtchen.

Robert. Der Mensch muß bald aus dem Hause,

sonst beunruhigt er der Schwester kindliches Gemüth.

Manie. Sieh, mein schönstes Aurrkel; um das fröhliche Auge die braune glühende Wange. Ich hab's kaum mir selbst gesagf, daß es ge­ stern aufgeblüht ist, um wie viel weniger

sonst jemandem, um es ganz und gar dir zu bringen. Robert.

Du liebe, liebe Schwester! — Jetzt zur Großmutter. Im Vorbeigehen, kurj jNm Tübulctkrämer. Guten Morgen!

Neunter Auftritt. Die Vorigen ohne Robert. W a n i e. Hm! Das klang, wie unwillig. hat er denn? Sicht ihm bcdcnklich nach.

Was

Tabuletkrämer für sich.

Der bildet sich wohl viel ein? taut. Willst du meine noch übrigen Waaren sehen, da ich einmal so weit bin ? Wanie. Ach ja, ja! Seyd so gut, und zeigt mir noch was! Tabuletkrämer, den dritten Kasten von unten stehend.

Da wird etwas für dich seyn; Bänder von allen Farben! Wanie. sie, als scheue sie sich vor ihnen, die Hände auf den Rücken. @0tt bewahre! Für mich? DaS ist ja wohl gar Für mich?

Erstaunt über die Bänder hält

seidnes Band?

ben!

Wie daS schimmert!

Blümchen darin! Das

Herz.

Wie breit! Von allen Far­

Die herrlichen

ßuljvt mit der Hand an Stirn und

macht

Einen

ganz

verwirrt.

Wahrhaftig, wie bezaubert! Tabuletkramer hükit ein Stück Band auf/ und legt es ihr zur Probe um den Leib.

Du nimmst dich reizend damit aus!

W a n i e. Ach, ach! Was hat das Band für eine

Kraft.

Es ist ja, als wenn eS mich heben

und tragen wollte!

Tabuletkrämer. DaS sollst du behalten für's Nachtlager. W a n i e. Für's Nachtlager?

Nein,

lager nehmen wir nicht-.

für's Nacht»

Und das Band

wär' auch für mich unschicklich.— Und doch — So ein köstliches Band — Wirklich?— Mir

wird ganz heiß!

Nun, die Großmutter. —

Hört, legtS nur bei Seite.

Tabuletkrämer. Nun kommt noch, etwas. Da mußt du mir aber versprechen, daß du dich nicht rühren willst, wenn ich dir's zeige. Du darfst weder die Augen, noch die Lippen, noch ein Glied regen, wenn du eS an siehst. W a n i e. Zhr macht mir Angst. WaS wird da« seyn? Tabuletkrämer. Du hast gar, gar nichts zu besorgen. W a n i e. Meinetwegen. Zch will wie versteinert seyn. Tabuletkrämer hat baS oberste Fach diifqejogcn und nimmt einen Spiegel, einer Hand groß , heraus.

Nun mach die Augen zu, bis ich dich auf­ sehen heiße. Er hält ihr den Spiegel In geringer Enifernung so vor, daß sie von sich nur den Kopf und den

Hals zum Theil

darinne sehen kann.

Nun blick' auf!

Als sie das Bild einen Augenblick betrachtet hat, wendet

er plötzlich den Spiegel.

Was hast du gesehen?

Wanke. Ich weiß es selbst nicht. ES kam und verging zu geschwind. Ein Menschenangesicht, glaub' ich, war's. Tabul< tkrämer.

Nock einmal so. Augen zu. Dann ganz regungslos. Er Hilt Ihr, wie zuvor, den Spiegel hin, vnd läßt sie einige Secunden länger hinein sehen; darauf Wender er ihn schnei wieder um. Wie NUN?

Wanke. Das ist ein sehr schönes Mädchenangesicht, und recht, als wenn eö lebte. Die muntern Augen sehen wirklich. Raben­ schwarzes Haar, wie'S nur seyn kann. Die Lippen sind wunderlieblich, und als wenn sie schöne Sachen sagen wollten. Die rosrnrothen Wangen können nicht holder seyn. Das wahr sehr, sehr hübsch, und aufS Haar, wie an lebenden Menschen.

Tabuletkrä mer. Ei, «i, Mädchen, was wandelt dich an, daß du dich selbst so lobst?

Manie.

Was sagtet Ihr? Tabuletkrämer. Da lobst dich ja selbst aus Leibeskräften. Manie. Zhr träumt wohl? Zch sprach ja von dem Bilde, daS Zhr mich so eben habt sehen lassen.

Tabuletkrämer. DaS war ja eben dein Bild, das warst du selbst. Manie. Was habt Ihr nun davon, wenn Zhr mir solche Dinge weiß zu machen sucht. WaS kann denn ich seyn, was dort ein Stück von mir entfernt ist? Tabuletkrämer. Du hast dich in einem Spiegel gesehen. Sollst gleich davon überzeugt werden.

W a n i e. Zhr macht mir sehr bange. Zch weiß ja gar nicht, wa« Zhr vorhabt.

2C5

Tabuletkrämer ihr den Spiegel näher vorhaltcnd, daß sie auch von ihrer Kleidung etwas sehen kann. Da sieh her! Nun beweg» den Kopf, nimm

die Hand zu Hülfe! — Wanie. Weh, o weh! Das ist mein Unglück!

SBtint.

Was hab' ich Euch Zaubermenschen denn ge­

than? Nun bin ich, wie zerrissen, hier und

0 entsetzlich, schauerlich,

auch wieder da.

dort hab' ich mlch selbst vor mir gehabt! 0

mein Bruder Robert.

O komm zu Hülfe.

Ich bin aus einander gethan! Tabuletkrämer. Warum gebehrdcst du dich denn so fürch­

terlich? Es ist dir ja nichts geschehen.

Der

unschuldige Spiegel!

W a n i e.

Geht, ich bitt' Euch, mit dem schauder­ haften Dinge.

Zehnter Auftritt. Die Vorigen.

Robert In bloßen Aeemeln.

Robert. WaS ist dir widerfahren, Schwester? Ums Htmmelswillen, wer hat dir etwas zu Leide gethan?

W a n i e. Der Mann hat, er nennr's einen Spiegel, mit dem hat er mich verdoppelt. Hu! Dort hab' ich mich außer mir gesehen; das macht mich elend. Ich bin, wie in zwei Hälften getrennt. Robert.

Arme Schwesters Weine nur nicht so jammervoll! Eü wird sich ja wohl wieder gut machen lassen. Warum erschreckt Ihr das arme Mädchen so? ^abuletkrämer.

Ich wollt ihr ein Vergnügen machen, und ließ sie in den Spiegel sehen.

Robert.

Wo ist der Spiegel? W a n i e. Dei Leibe, Bruder, rühr' ihn nicht an. Zn dem Kasten dort sind dir überhaupt büse Dinge. Zn den glänzenden Sachen steckt Un, heil. Zch bin durch und durch unruhig ge, worden, seit ich sie gesehen habe. Robert.

Laß das gut seyn, meine Wanie; mir haben die Dinge nichts an. 3» dem LabuletkrSmer. WaS kostet der Spiegel?

Tabuletkrämer. Drei Groschen. Wanie.

Du wirst ihn doch nicht kaufen!

Robert flicht ihn: 0o8 Gew.

Zch will dich wieder beruhigen. Sieh' an, du hast nichts von ihm zu fürchten. Er «erbricht und «crrritt den Spiegel. So, NUN bist du

wieder dein! Gut nur, daß die Großmutter

in der Kammer war, btt hättest sie jum Tod erschreckt. W a n i e.

leicht.

Ach, mir wird ganz sehr gut.

DaS war

Nur noch so ein Schimmer flat­

tert mir vor den Augen.

Ich will nur gehen,

und mir Gesicht und Brust im Bache waschen, daß ich ganj frei werde, und daß auch die schlimmen Sachen, die er mir gezeigt hat,

aus dem Herzen gehen. Sie lauft durchs Gärtchen.

Robert. Recht so, Schwester, daß da- Uebel kei­

nen Theil an dir hat, daß du die Sünde in der Brut ersäufst. Tabuletkrämer. Zch hatte wahrhaftig keine böse Absicht!

Robert.

Packt ein, Lieber,

und geht hin,

nichts mehr zu verderben ist.

wo

Fast wär' es

auf immer um den Frieden der Seele bei niet,

----------

209

ner Schwester geschehen gewesen. Sehr gut, daß «» diesen Weg nahm, sonst hättet Zhr diesem Hause für seine Gastfreundlichkeit die Sucht nach Putz und Glanz hinterlassen. Wir brauchen hier keine Flittern. Tragt Euren Tand hm, wo man sich, um erträglich zu leben, tausend unnörhige Bürden aufladet. Tabuletkrämer. Zürnt nicht auf mich! Zch seh's ein, daß ich mich hier bald, in der besten Meinung, einer großen Sünde schuldig gemacht hätte. Ohne zu überlegen, ob's thunlich sey, gerieth ich in das tägliche Geschäft des Auskramens. Wante kommt fvcubiß zurück, noch da- Gesicht mit der

Schürze trocknend.

Wanie, -u ihrem Bruder.

Nun ists gut! Zetzt ist mir wieder wohl. Die häßlichen Sachen hatten alles in mir durch einander gewühlt. Hab' tausend Dank, mein guter Bruder. Umschlingt ihn.

Robert. Liebe Seele! Zch härte so viel, als du, an deinem Frieden verloren. B. f. Kind. HL

Wanie.

Er hat doch nicht« liegen lassen? i^ehmt ja alle« mit, Ihr Tabuletkrämer, und verirrt Euch nicht wieder!

Tabu letkrämer. Habt Dank für« Uebernachten, und seyd nicht 66s auf mich. Nie werd' ich diese« Haus vergessen! Gott behüt' Euch! Wanie.

Kommt glücklich in die Stadt! Robert.

Gehabt Euch wohl!

Erdmann Müller.

D i e Christbescherung.

Rudolph, der einzige Sohn des CommerzienratheS Belger, war, das Weihnachtsfest mit den Seintgen.zu feiern, von der nahen Hoch­ schule gekommen, und betrachtete des heiligen AbendS früh durchs Fenster die Menge von Leuten, welche der Markt und die häuslichen Geschäfte hin - und hrrjagten. Die Kälte war groß, und gab sich auf mannigfaltige Weise zu erkennen, an Menschen, Thieren und leblosen Gegenständen. Zn dem elterlich-»» Hause waren alle Hände in Bewegung, dem Feste zu einem würdigen Aufenthalte zu ver­ helfen, oder bevorstehende Lustbarkeiten vor­ zubereiten, oder die täglichen Geschäfte so zei­ tig als möglich zu vollenden, damit die früh­ zeitige Dämmrung des heiligen Abends in Ruhe könn' empfangen werden. RudolphAufmerksamkeit glitt bald von den Vorüber­ eilenden auf ein gegenüberstehendeS Häuschen,

da-, klein und ärmlich, auf dem Erdgeschosse das Dach trug, und dessen Fenster so über und über gefroren waren, daß e- unbewohnt zu seyn schien, wiewohl ein Paar Knaben, dir das Ansehen Zurückkrhrender hatten, hin» eingingen und erkennen ließen, daß e« be­ wohnt werde. Der Commerzicnrath war erst vor kurzem hierher in die Borstadt gezogen, deßwegen fiel Rudolphen jene- Häuschen alnoch nie gesehen auf, und mit den Bewohnern desselben war er, wie mit den Bewohnern vieler anderer Gebäude dieser Straße, gänze lich unbekannt. Die kleine Wohnung der Dürftigkeit, in welcher die Kälte und der Mangel zu verkehren schienen, machte tiefen Eindruck auf Rudolphs Gemüth, und er fragte, da eben feine Schwester durch- Zimmer ging, angelegentlich nach den Bewohnern des HüttchenS. Mathilde sah flüchtig hinüber, und entgegnete leicht hin: ich weiß nicht, wer dort wohnt. Rudolph, der sein Mitleid mit den unbekannten Bewohnern gehemmt fühlte, und gleichgültig behandelt sahe, fuhr auf und sagte: da« weißt du nicht? Wenn ich dich

------------

2»5

nach den Leuten in den großen Häusern dorr

und dort gefragt hätte, würdest du mir wohl

haben Auskunft geben können; das Häuschen, da- Hüttchen, da- Nestchen ist dir zu kleia

gewesen.

Du sitzest alle Tage hier am Ken»

ster, aber die Sorge für den Putz und da­ eigne Wohlleben, hat dich die kleine Dürftig» keit nicht sehen lassen.

Von unserm Ueber»

flusse hätte die arme Stube dort wohl oft esse» können, wenn du nur dazu gekommen wärst, die Kleinigkeit zu sehen und nach ihr zu fra»

gen.

Sich nur, wie die Fenster starren i

Ruft das klägliche Stübchen nicht herüber:

erbarmt euch meiner!— Du hast nlcht Unrecht, erwiederte Mathilde, die betroffen und ver» wundert vor ihrem Bruder da stand. — Das Häuschen — Aber wir sind ja erst vor kur»

zem hier eingezogen. — Die vielen Geschäft« der neuen Einrichtung in diesem Haus« — Zch habe das Hüttchen wohl gesehen, nur so kläglich ist mirs nicht vorgekommen, wie du jetzt mir es zeigst. Ich will mich erkundigen.

Warst du doch, «ersetzt« Rudolph, so gar theilnahmlos.

Du hast mich ordentlich erschreckt.

während mich, der ich mich zu den Bewohnern hinübergedacht hatte, in Vieser warcken Stube fror. Das konnt' ich freilich nicht wissen, sagte Mathilde lächelnd, als wenn sie seiner Erkundigung noch andre Ursachen zntraute, als da- Mitleid. Wenn erfahr' ichs, fragte der Bruder, wer dort wohnt? Bald, antwortete die Schwester; ich will dir die alte Hanne herschicken. Hanne kam und gab Auskunft. Das Häuschen da drüben ist eigentlich eine überbaute Brandstelle, ein kal­ tes, düstres Nest. Der Mann, welcher-da wohnt, heißt Frostg, und ist ein Holzhacker. So gut und fleißig er ist; so geht es doch sehe kümmerlich her bet ihm. Denn da wurde seine verwittwete Schwester, hier in PohlSdorf, krank und starb, und hinterließ zwei Knaben., einen von acht, den andern von zehn Zähren. Frostg hatte seine Schwester sehr lieb und ließ es ihr in der Krankheit an nichts fehlen. Schon das verzehrte seine paar Thaler, und nun hat er auch die Kin­ der zu sich genommen, die sonst ins Hirtenhaus gekommen wären. Sein Verdienst mag

»17

---------------

wvhl manchmal nicht zuteichen — dazu der harte Winter.

Dessen ungeachtet sieht er

immer wohlgemuth aus, als

wenn ihm die

Hand vom Himmel gedrückt würde. —

Gut,

Hanne, gut, sagte Rudolph; sie kann immer

wieder an ihre Arbeit gehen.

Hanne ging.

Rudolph aber saß noch ein Weilchen in sich selbst vertieft am Fenster, und ging, im wachen

Traume, vergnügt der Theilnahme an Frosig und den beiden Kindern nach, die ihm schnell

vormahlte, wie er dem Häuschen einen erfreu» lichen Abend zubereiten könne.

Von der hei­

tern Vorstellung entzündet sprang er auf, und holte sich eilig feine Schwester.

Wieder ans

Fenster zurückgekehrl, sprach er, seine Schwrs ster haltend: Zn der Kajüte, Schwester, lebt

ein armer Holzhacker, ein redlicher Mann, mit

zwei Knaben,

Waisen, Schwester.

von

vater« und mutterlosen

seiner

unlängst

verstorbenen

Mathilde, du bist gut und ge­

fällig, und hilfst mir ausführen, was ich vor'

habe; du kannst es, du mußt es,

weil du

die armen Menschen schon etliche Wochen ver­ säumt hast.

Sag'an, du lieber, jäher Dru-

brr, entgegnete Mathilde. Du sorgst, sprach Rudolph, bis auf de» Abend für etliche Hem» den, die Kindern von acht bis zehn Zähre» gerecht find. Es giebt ja mehrere Händlerin­ nen, die dergleichen haben. Dazu kaufst du zwei Paar warme Schuhe und zwei Paar tüch» tige Handschuhe. Einen Korb voll Aepfel und Nüsse, und einen Stollen giebt uns die Mut­ ter gern.— Wart nur! — Zch— Gestern Abend zwangen mich die Helden bei Nosst'S zum Spielen» — Zwangen dich? fragte Ma­ thilde. Nun, antwortete Rudolph, wie man so sagt; sie neckten und plagten mich, bis ich pnich hinfetzte. Wie mir es vorkam, hatten ße'S auf mein Geld abgesehen; mir aber wollte das Glück so wohl, baß ich jeden um etliche Thaler leichter nach Haus« schicken konnte. Für dieses Geld kauf' ich noch diesen Vormittag eine Klafter hartes Holz beim Holzhändlcr, und laß es dort abladen. Die Knaben werden ein Paar Bilderbücher nicht ungern sehen, und zwei Paar Schrittschuhe sollen sie auch haben. Mathilde küßte den Drüber. — DaS Beste kommt noch, fuhr

der Frohe fort. Heut Abend, ehe bei un< die Herrlichkeit aus der Knospe bricht, tra« gen wir beide, niemand sonst darf etwas davon erfahren, die Sächelchen hinüber; bn als Christkind mit übergehängtrm Schleier; ich vermummt und eine Larve vor dem Gesicht, als dienstfertiger Knecht Ruprecht. Das ist herrlich! rief Mathilde. Du bist mir «in köstlicher Bruder! Aber'ich muß mich spuden. Es giebt noch viel jii thun. Sey nur un­ besorgt, du sollst mit mir zufrieden seyn. Damit hüpfte sie hinweg. Rudolph aber zog sich rasch an, und sagte, fertig zum AuSge« hen: die Stube dort an der Erde wird auch einen erfreulichen Christabend bekommen! Den Hut weit über das Gesicht herabge« rückt, den untern Theil des Kopfes von dem Kragen des Mantels verhüllt, trat er ein bei dem Holzhändler, der am entferntesten wohnte. Der Kauf war bald geschlossen. Nachdem Rudolph Straß' und Haus genau bezeichnet, den Namen Frosig wiederholt genannt, auch dem Knecht' ein gutes Trinkgeld gegeben und ihn angewiesen hatte, wie er das Holz an«

bringen sollte, sprach er mit Nachdruck: aber, Alter, schick'e gute« Holz und eine volle Klaf-

ter, sonst labet Ihr einen fressenden Fluch

auf Euer Haus, und mit mir bekommt Zhr

scharfe Händel.

Gleich nach Tische muß da-

Holz dort seyn,

daß der Mann noch etwas

damit anfangen kann.

recht.

Macht Eure Sachen,

Zch werde zur Hand seyn und auf«

passen! Sm Buchladen fand Rudolph zwei schick­

liche Dücherchen, die Schrittschuhe durft' er nicht lange suchen, und zwei bunte Wachs«

sticke kauft' er hurtig noch dazu,

da er vor

einem Laden vorbeiging, wo ihm die ausge­ stellte Schaar dieser heitern Lichter zuzuru­ fen schien, baß ihm noch etwas Wesentliche­ fehle.

Sm kleinen Häuschen wurden, der Mit­

tag nahte, Kartoffeln gekocht.

Eine guther­

zige Nachbarsfrau, der Frostg dafür das Holz

spaltete, zurecht legt' im Hause, Wasser trug,

und manche Handreichung that, besorgte die kleine Wirthschaft theils eigenhändig, theils

durch ihr Dienstmädchen.

Die beiden Kna-

bin am Tische beim Ofen schnitzten an einer Krippe, die sie in einem Winkel der Stube aufzustellen gedachten, um, im Bezug aufs Fest, mit Hülfe von einigen Dretchen, und Holztrümmern einen Stall zu Wege zu brin­ gen, in welchem Thiere und Menschen aus Pflöckchen leicht herzustellen waren. Mit dem Schlage zwölf kam Frosig nach Hause, sehr froh darüber, daß er nun für heute fertig war, und daß er von der Frau des Hauses, wo er bis zu Mittage gearbei, tet hatte, mit etwas Fett beschenkt worden war, welches er mit seinen Knaben zu de» Erdäpfeln essen konnte. Bei Tische sagte Frosig zu den Knaben: eßt mit Bedacht, meine Kinder! Heute könnt ihr auf jeden kleinen Erdapfel und auf die Hälfte jedes größer» eine Messerspitze voll Fert nehmen. Es ist heiliger Abend! Nach­ mittage will ich mit euch über den Markt gehen, daß ihr die vielen hübschen Sachen zu sehen bekommt. Da sagte der ältere Knabe: wir sind schon gestern darüber ge­ laufen, als wir ans der Schule kamen. Gehr

Ihr immer mit uns auch heute, sagte der jüngere; wir

haben gestern vieles gesehen,

was wir nicht kannte» und verstanden. — Ich bin satt.

Die Krippe muß auch noch

fertig werden.

Welche Krippe? fragt« Fro«

sig.

Nun die, antworteten die Knaben, ju

Bethlehem, wo da« Jesuskind hineinkommt! — So, so! lächelte Frosig.

Jetzt kam ein Wagen vor die Hausthür.

Bald darauf machte des HolzhändlerS Knecht,

er kannte Frosig, die Stubenthür auf, und sagt«: He! Frosig! Eine Klafter Harles Holz

für dich! Könnte sie wohl brauchen, erwiederte dieser. Nun, so hilf mir abladen, sprach der

Knecht; eS ist kalt. Für mich abladen? frag««

Frosig verwundert, du hast dich wahrschein­ lich — Nicht- wahrscheinlich, unterbrach ihn

der Fuhrmann. Du mußt gute Freund» haben.

Ein vermummter Herr hat- den Vormittag

bei meinem Herrn für dich gekauft.

Du hast

weiter gar nichts zu geben oder zu thun, als es dem Ofen maulrecht zu machen.

Gott ver­

gelt- dem Herrn! sagte Frosig bewegt.

Ich

begreif- zwar nicht; will aber auch nicht grü-

-kl».

ES Ist Gottes Gabe, die mir der Segen

meiner Schwester zugewendet hat.

Nun sollt'

Ihr wärmer sitzen; ihr Jungen.

Zn einer

Weile kommt und helft hereinschaffen.

Die

kleinern Scheite könnt ihr tragen. — Wäh« rend

des Abladens rief der glückliche Frosig

oft:

schönes Holz, schönes Holz!

Vergelte

dtr's Golk, du unbekannter Wohlthäter! Mit großer Aemstgkeit schleppten und tru­

gen die Bewohner des kleinen Häuschens an dem

festen Holze, den Ameise» zu verglei­

chen, indem bald dieser bald jener von den Dreien redete: wer muß der gewesen seyn? —

Der mag viel Geld haben! Nun dürfen wir

nicht mehr frieren. Diese sechs Scheite,

sagte Frosig nach

einer Stunde, bleiben draußen.

Zch will sie

gleich sägen und zerspalten, daß wir die Feiertage warm sitzen können.

Ihr geht unterdessen hin­

ein und baut an eurer Krippe.

Wenn ich

fertig bin, die Däininrung wird ziemlich heraukvmmen, gehen wir noch auf den Markt.

DaS hätt' ich nicht gedacht, baß ich heute noch

mein eigner Holzhacker

und so reich seyn

sollte! Die beiden Geschwister im großen Hause

betrachteten die Geschäftigkeit vor dem kleinen Häuschen mit herzlichem Wohlgefallen, nicht «eil sie sich etwas darauf einbildeten, daß sie

der Armuth zu Hülfe gekommen waren; son­ dern weil die Armen Freude hatten, die sie zu veranlassen so glücklich gewesen waren.

Als

aber die Dämmrung der Finsterniß

gewichen war,

bereiteten sie die Bescherung

für das Hüttchen, und den Anzug, der dabei dienen sollte, in einem Hinterstübchen.

Auf

dem Handkorbe voll Nüsse lagen Pfefferku­ chen.

AuS dem einen Stollen waren zwei

kleinere und

ein größerer geworden;

Rudolph meinte:

denn

der treffliche Frosig dürfe

nicht leer ausgehen, wenn er eS auch lercht

ertrüge.

Die Mutter hatte mit dem Vorha­

ben bekannt gemacht werden müssen, damit eS um so sicherer vor Andern verborgen wer­

den konnte.

Sie hatte nichts einzuwenden,

vielmehr freute sie sich der Beihülfe, denn, wiewohl sie sehr genau war, so konnte sie

doch dem Mitleid« nicht widerstehen, und wenn Mathildens Bitten oder Adolphs gutherzige Forderungen dazu kommen: so that sie eher z« viel als zu wenig. — Mathilde, hieß «S im Betreff der Kleider, müsse ganz weiß gehen, und vom Schleier über und über verhüllt wer­ den. Ueber die Straße sollte sie, der Kälte wegen, des Vaters Wolfpelz anziehen, den sodann Rudolph nehmen müsse, um in demsel­ ben in der Stube zu erscheinen. Für ihn lag überdieß die halbe Ma-ke, braun von Farbe, schon bei dem Korbe. Vorher ehe sie sich auf den Weg machten, wollte Rudolph einmal hin­ überlaufen, und lauschen, ob sie könnten ober nicht? Unterdessen hatte Frosig, vom Markte mit den erfrornen Knaben zurückgekehrt, genüglich eingeheizt, und saß vor dem Tisch am Ofen, hinter welchen auf der Ofenbank die Kinder Platz genommen hatten. Ach, sagte Benja­ min, der älteste Knabe, waren das herrliche Sache»! Wie das leuchtete, wie das glänzte! Wer doch, setzte Karl der jüngere, auch s» et­ wa« hätt«! Die Ding«, redete Frosig, kosten B. f. Kind. III. 15

viel Geld, und find nur für die Reichen ge­ macht ; in unsere Stube würden sie sich gar nicht schicken. Wenn eure Mutter noch lebte, würdet ihr vom heiligen Christ wohl auch etwas für euch Schickliches bekommen; aber die hat der liebe Gott zu dem himmlischen Christfeste berufen; und ich, wie gern ich euch auch Freude machte, bin es dieses Zahr nicht im Stande. Vielleicht sieht es rin an­ deres Zahr besser aus. Traurig müßt ihr mir aber nicht seyn! Wir haben Holz, uns in der Kälte zu wärmen Holz, das uns zugeschickt worden ist, als wenn'S von eurer Mutter käme, die auf euch und mich bedacht «inen guten Menschen erweckt hätte. Seyd aufge­ räumt, meine Kinder! Wir haben mehr, als nothdürftig, durch die Feiertage Drodt, But­ ter und Erdäpfel; nach den Feiertagen wird es wieder Arbeit geben, und jetzt und in schweren Tagen können wir uns daran er­ quicken, daß Gott die armen Leute, wenn sie fromm sind, so lieb hat, als die Reichest. Wurde denn Christus nicht auch arm geboren und blieb arm fein Leben lang? Erzählt von

-------- -

227

Christus, rief Karl! Nicht wahr, fragte Den« jamtn, das Weihnachtsfest ist der GeburStag Christi? Za, antwortete Frosig. Erzähltuns nur davon, baten die Kinder; die Geschichten hören sich an, wie das Lauten der Sonntags­ frühe im Sommer. Zoseph und Maria, sprach Frosig, hat­ ten nach Bethlehem reisen müssen um sich dort, weil sie dahin gehörten, nach Stand und Vermögen aufschreiben zu lassen, wie auch die andern Einwohner des gelobten Landes, die nicht nach Bethlehem gehörten, den Be­ fehl bekommen hatten, in ihren Städten sich aufschreiben zu lassen. Das machte denn, daß in dem Städtchen Bethlehem so viele Leute zusammen gekommen waren, daß nicht alle Raum fanden in den Häusern und Herbergen. Die Armen, wie Maria und Zoseph, muß­ ten sich zu behelfen suchen. Nun gab'ö dort Felshbhlen, die zu Ställen für die Thiere benutzt wurden. Zn eine solche Höhle begaben sich Zoseph und Maria, und in der Nacht wurde das Zesuskind der Maria in die Arme gelegt. Von wem denn? fragte Benjamin.

Frosig antwortet«: von Gottes Allmacht, die den Menschen ins Leben ruft, und wieder-hin» wegzugehen gebietet. Erzählt nur weiter, sagte Karl, nun kommt erst das Rechte. Frosig fuhr fort: Bei Bethlehem, denn dort giebt es keinen solchen Winter, wie bei unS, waren Hirten auf dem Felde bei ihren Heer» den. Zu diesen Hirten kamen himmlische Do» ten und sagten: freuet euch, der Heiland ist gebo» ren! Die Hirten erschraken über die Herrlich­ keit der Engel und fürchteten stch. Die Engel aber sprachen: fürchtet euch nicht! Euch und allen Menschen ist große Freude bereitet. Geht nur nach Bethlehem, dort werdet ihr, zum Wahrzeichen, das Kind Christus in einer Krippe finden. Und nun wurde die ganz« Ge­ gend voll von den frohlockenden Schaaren des Himmels, die unter einander jauchzten: Ehre sty Gott in der Höhe, Fried' auf Erden und den Menschen «in Wohlgefallen! Jetzt ward an die Stubenthüre geklopft. Rudolph und Mathilde waren keif' ins Haus gegangen, und als Frosig, herein! rief, traten sie, Rudolph vermummt, Mathilde weiß und

verschleiert, in die Stube.

Frosig betrachtete

die Hereingetretenen verwundert, die Kinder

sahen sie furchtsam und erstaunt an.

Wie hab'

ich mir, fragte Frosig, den Besuch auszulegen?

Statt der

Antwort fragte Rudolph:

sind

hier die beiden Knaben fleißig und gut gew«> fen? Frosig erwiederte!

Sie haben so jeder

nach seinen Kräften gethan; wenn sie auch

etwa manchmal des Leichtsinns Schmetterlinge sollten gewesen seyn. Aber gute Zungen sind-,

die wissentlich keinem Menschen etwas zuwider

thun.

Solche Kinder, sprach Rudolph, hat

der heilige Christ lieb.— Nun legte Mathilde jedem Knaben aus dem größer» Korbe, den ihr

der Bruder darhielt, das Hemde hin, darauf die Strümpfe, die Schritt-und Handschuhe.

Zedem Häuschen ward ein Wachsstock aufgesetzt und der Stollen angeschoben.

Während dessen

holten die Knaben kaum Athem, und Frosig ließ abgebrochene Worte hören: es ist mir, wie

wenn ich berauscht wäre — Irdisch und über­

irdisch— Hab' ich doch immer vom Weihnachts­

abende gehört — Wenn's die verklärte Schwe­ ster! — Das nimmt kein Ende—Döse kann's

nicht gemeint seyn, die Gestalt und ihr Thun

ist anmuthig und herjerfreuend! — Als Ma» thilde bis an die Aepfel und Nüsse und an den großen Stollen gekommen war; sprach Rudolph zu Frosig: Euch, dem treuen Bruder und liebevollen Vetter, soll dieser, Dissen ein herzlicher Händedruck der heiligen Pflicht seyn!

Mathilde setzte hinzu: Aepfel und Nüsse ge­

hören Allen zu gleichen Theilen! — Wem hab ich das alles zu verdanken? fragte Froflg erschüttert. Die Geschwister antworteten:

Euch selbst! Froflg aber faltete die Hände, und rief: Ehre sey Göttin der Höhe! — Er laß Euch die Freuden, die Zhr mir und den Kindern gemacht habt, zu sonnenheller Ge­

sundheit werden, und lege sie an jedem Abende

Eurer beschwerlichen Tage aufs Kopfküssen! —

Wonnevoll eilten die Geschwister aus der beseligten Stube.

Die Kinder im Walde.

Gar wohlgemnth und guter Ding Zu Wald ein Knab' und Mägdlein ging. Der Tag war draußen heiß und schwühl, Der Wald hingegen frisch und kühl. Hier liefen sie die Kreutz und Quer,

Und pflückten Erd' und Haidelbeer. —

Bald rief der Bruder: „ Schwester hier. Die schönsten Beeren stehn bei mir!" Bald sprach die Schwester: „Bruder nein,

Hier werde» noch viel schönre seyn! “ Zum Bruder springt die Schwester drauf, Zßt dort die schönsten Beeren auf. Und mit ihr muß der Bruder gehn.

Wo ihre noch viel schönern stehn. So stopfen sie die Beerelei» Fortan mit vollen Händen ein,

Bis jedes zu dem andern spricht: „'S ist nun genug, mehr kann ich nicht!"

Und bis der kleine Bauch so schwer. Daß fast ein Reif drum nöthig wär.

Sie setzen sich an einen Daum, Sie sprechen nicht«, sie athmen kaum. Und eins sich an das andre lehnt. Und eines nach dem andern gähnt,

Dis daß der süße Schlaf sie leicht Zm kühlen Schatten überschleicht.

Und nah bei ihrer Schlummrrstatt Ein Häslrin seine Zungen hat;

Die Hüpfen aus dem Strauch heran

Und sehen sich die Kinder an. Und spielen um das kleine Paar Und fühlen mit den Pfötchen gar

Zn stiller Lust und ohne Scheu, Wie warm das rothe Bäckchen sey. Und nah, wo Knab und Mägdlein ruht, Hat auch ein Zeisig seine Brut.

Die lauschet auch zum Nest hinaus, Und breitet ihre Flügleln aas, Und sieht wie sich die Häslein klein

Dort um die holden Kinder freun.

Da wagt sie sich in froher Hast Auch^ bald hinab von..Ast zu Ast, Und setzet sich in stiller Lust Den Kindern gar auf Stirn und Brust., Und wo der warme Athem weht. Da wird da» Köpfchen hingedreht. Und Zeisig spricht: »Sagt uns geschwind „Was das für liebe THierchen sind? „Wir glauben, es sind Vöglein doch „Die Federn wachsen ihnen noch!" Die Häschen aber sprechen: „Nein! „Wo sollen Klau' und Schnabel seyn? „Die Lippen sind zu roth und weich, „Nein, die gehören nicht zu euch! „Viel eher könnten- Häschen seyn „Sind auch die Ohren etwas kleinl" Und Zeisig hebt sein Köpfchen drauf Und ruft und singt: „Wacht auf! wachtauf! „Zhr seid so wunderhold und schön, „Ihr müßt uns, wer ihr seid, gestehn, „Wir woll'n in Lieb' und in Vertraun „Euch in die offnen Aeugleln schaun! Und Häschen klopft auf Hand und Wang', Und ruft: „Wachtauf! schlaft nicht so lang!

Wir haben noch der Drüber viel,

Kommt mit! kommt mit! zum frohen Spiel, »Ihr seid so wunderhold und schön,

„Wir wollen mit euch zur Mutter gehn!" Als sie so sprachen, 'naht sich bald Die Mutter Häsin durch den Wald;

Die Mutter Zeisig flattert auch Don Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch,

Und als' sie hier dir Kinder sehn

Da bleiben sie erschrocken stehn, Und rufen ihren Zungen: „fort!

„Die-Schläfer find ja Menschen dort!

„Erweckt sie nimmer, laßt sie ruhn, „Damit sie uns nichts Böses thun. „Es war' ein Mensch, der in der Schling'

„Mein armes Männchen gestern fing! „ES war ein Mensch mit Hund und Roß, „Der euren Vater hetzt' und schoß: „Der Mensch ist nur im Schlafe mild,

„Doch wenn er wacht, oft hart und wild,

„Hat kein Erbarmen mit dem Thier!

„Drum laßt uns fliehen, fort von hier!"

Und Häschen läuft und Zeisig fliegt,

Doch Knab' und Mägdlein schlummernd liegt;

Und beiden wie im Traum «S kam, Al- ob die Thierchen fromm und zahm Liebkosend sich an sie gewagt. Und manch verständlich Wort gesagt. Und als sie beide endlich wach. Da schaun sie aller Seiten nach; Doch still und leer ist Strauch und Daum. „O weh, es war ein bloßer Traum, „Fort, Bruder, fort, ich fürchte mich! „'S ist hier so 6b’ und schauerlich!" Als Knab' und Mägdlein heimwärts springt, Hoch in der Luft da- Vöglein singt: „ 'S wär nirgends öd' um euch und leer, „Wenn nicht der Mensch so grausam wär; „Wenn er nicht selbst da- Thier verscheucht, „Da- sich vertrauend zu ihm neigt. — „So aber geh er hübsch allein, „Herr Mensch, ich mag nicht bei ihm seyn! Zhr, die ihrs kennt, und die ihrs wißt, Wie süß der Funke Leben ist. Die ihr ihn ehrt und sorgend schont. Gleichviel in welcher Brust er wohnt. Die ihr leichtsinnig nichts zerstört. Selbst wenn'- zu Thiere- Lust gehört,

Und die ihk denkt: das kleinste Thier Hat einen Vater doch mit mir. Geht nur getrost durch Wald und Flpr, Euch grüßt mit Freude die Natur, Dor eurem freundlichen Gesicht Entfliehen ihre Kinder Nicht! Doch wo ich einen finden sollt' Der anders dächt' und anders wollt', Da stimm' ich mit dem Vöglein ein: „Herr Mensch, ich mag nicht bei dir seyn!" Ernst v. H-ouwald.

Der Apfelbaum Herr Apfelbaum, dich lieb ich recht. Du bist ein alter, getreuer Knecht; Zu dir komm ich manch Zahr schon her. Und finde ine deine Taschen leer; Drum sag ichs frei, dich lieb ich recht, Du bist ein alter, getreuer Knecht. Mehr trägst du, als der stärkste Mann, Die Schultern voll bis oben an. Und jede Hand noch schwer bepackt. So daß dir Arm und Rücken knackt, Drum sag ichs frei: dich lieb ich recht. Du bist ein alter, getreuer Knecht.

Steh ja hübsch grade, wirds auch schwel Und wanke nicht so hin und her. Du wirst sonst wahrlich schief und schräg Wirf lieber von der Last was weg. Man lobt dich doch als einen Mann, Der mehr als andre tragen kann.

Du schüttelst leise mit dem Kopf? Du fürchtest deinen Herrn, du Tropf? Dienst du ihm nicht so lange schon Und nimmst nicht einen Dreier Lohn? Er schilt dich nicht, wenn von der Last Du auch was abgeworfen hast. Als Kind schon war er dir so gut, Stahl manchen Strauß dir von (fern Hut, Und seine Buben rutschen noch Dir in den Rock gar manches Loch, Du aber nimmsts nicht so genau. Du alte, treue Kinderfrau. Zeht kommt dein Herr; von Ast zu Ast Nimmt er dir ab die schwere Last; Er trägt sie heim nach Fach und Schrank Und sagt dir nicht ein Wbrtchen Dank. — Du aber meinst: wer nützt und nährt. Nicht erst io Worten Dank begehrt.

Ernst v. Houwald.

Gespräch

des heiligen Hieronymus mit dem Christuskinde, al« Beitrag

zur

Geschichte der Heiligen­ christbescherung.

Der Liebling,

Anverwandte und Jünger

Christi, der Evangelist Johanne-, bekanntlich der letzte unter den heiligen Schriftstellern, hat wahrscheinlich seine Schriften 63 Jahr nach Chr. G. verfertigt, und ist im hohen Alter bei seiner ihm theuern Gemeine zu Ephesus gestor­ ben. Von seinem liebenswürdigen Charakter hat

uns der Kirchenvater Hieronymus einen rühren­ den Zug aufbewahrt, der gewiß jede- christliche Gemüth ansprechen muß. Durch Altrrschwäche wurde Johanne- zuletzt behindert, in langen

Vorträgen das Wort des Herrn zu verkündi­ gen, und seine Gemeine zu erbauen. Dessen ungeachtet ließ er sich fortwährend in die Kirche tragen, wo er dann aber weiter nicht-, als die Worte: „ Kinder liebet euch untereinder! “ oft wiederholte. Er antwortete auf Befragen, warum er einzig und allein nur

diese- Gebot de« Herrn bittend einschärfe? B. f. Kind. III. 16

---------------

242

„Erfüllt ihr nur dieses Hauptgebot Christi, so ist das genug! “

Einen fast gleich rührenden Zug der herz­

lichen Kindeseinfalt, wollen wir nun auch von

Hieronymus selbst erzählen, zuvor aber auS seiner Lebensgeschichte etwas mittheilen. Dieser

um

das Christenthum verdiente

Held des Glaubens ward in Dalmütien (339) geboren, von seinen wohlhabenden Eltern mit

Sorgfalt erzogen, und in Rom mit der aus­ gesuchtesten Gelehrsamkeit der Griechen und

Römer vertraut gemacht.

In seinem 4crsten

Zahre lernt« er jedoch auch die Lehre Christi

kennen.

Er achtete sie bald höher als alles,

nahm von den Musen Abschied, ließ sich in Rom taufen, und trat nun als Verkündiger

und Verbreiter des Evangelit in vielen Län­ dern, zuletzt auch in Antiochien, in Syrien

auf.

Er hatte schon viele Proben von seinem

Beruf zum Apostelamt« gegeben, und glaubte doch noch nicht hinlänglich im Glauben und in

der Lehre bestärkt zu srym

Er zog sich zurück

von dem Geräusch der Welt, ging wie Zeüis

zur Vorbereitung auf seine wichtige Bestimmutig in die Wüste, und lebte 4 Zahr unter Entsagung aller Genüsse des Lebens in der strengsten Abgeschiedenheit sich und seinen Be­ trachtungen allein. Dann trat er wieder in Constantinopel in baS öffentliche Leben ein, war dort eine geraume Zeit der fleissigste Schüler des weisen Gregors von Nazianz, und so aus­ gerüstet, begab er sich nach Rom. Hier fand er feiner eifrigen und strengen Grundsätze un­ geachtet als Lehrer und Verkündiger des wah­ ren Seelenheil- unerwarteten Beifall. Viele von den gelehrtesten und vornehmsten Männern dieser Hauptstadt der Welt gaben den Götzen­ dienst auf, und wurden zum christlichen Glau­ ben bekehrt. Selbst die damaligen Zierden des weiblichen Geschlechts in Rom, Marcella und Paula, fanden in dieser neuen Lehre die längst vergeblich gesuchte Glückseligkeit, und wurden nunmehro die eifrigsten Vertheidiger de- christlichen Bekenntnisses. Letztere fühlte ganz die ihr geglückte Erwäh­ lung Kes besten Theils, und ließ sogar ein

prächtiges Kloster bei Bethlehem erbauen, wo­ hin sie sich mit ihrem Lehrer und Freunde im Hahr 386 begab, und wo Beide sich dem gottselig beschaulichen Leben und der christlichen Erbauung widmeten. Wie Johannes als Greis fortwährend nur einen kurzen Denkspruch im Munde führte, eben so ließ der heilige Hieronymus in der letzten Zeit seines Lebens nur nachfolgende Worte von sich hören;

Nimm weg das Meine, Gieb ini» da- Deine. *) Ueber den Sinn dieser von ihm oft wieder­ holten Worte, äußerte der fromme Greis sich folgendergestalt: Mein einziger Wunsch auf Erden ist erfüllt. Zch werde nun an dem Orte sterben, wo Gott seinen Sohn gebohren wer» ♦) Daher sich die lateinischen Worte Tolle quod men in est

Da mihi quod tu um est*

als Symbolum unter vielen seiner Bildnisse vorfanden.

den ließ.

So oft ich diesen Gedanken denke

«nb die Umgebung diese- heiligen Orts an« schaue, so oft werde ich von einem Uebermaaß seltner saft unbeschreiblicher Gefühle durch­ drungen, und mein Herz unterhält sich mit dem Christuskinde im Gespräch. Wenn ich sage:

Wie jitterst du, wie hart liegst du in dei­ ner Krippe um meiner Seligkeit willen!

so dünkt mir, ich höre die Antwort: Hieronyme! Ich begehre nichts als: Sing« nur mit den Engeln: Ehre sey Gott in der Höhe, Friede aus Erden und den Men­ schen ein Wohlgefallen. Laß dir es doch lieb seyn, daß ich so erniedrigt bin, ich will noch

geringer werden Kreuz! —

im

Oelgarten

und

am

Ich fahre fort: Ich muß dir doch Etwas geben, ich will dir mein Vermögen, Alles was ich hab«, geben! — Jetzt erhalte ich die Erwiederung:

246

-----------

Was «rillst du mir denn geben, Hierony­ mus! ist doch Himmel und Erde mein, ich bedarf Nichts von dir. Gieb armen Leuten, Alles was du hast, das will ich annehmrn, als ob es mir geschehe! Zch äußere weiter: DaS will ich wohl auch thun, aber ich muß dir Etwas für deine Person z«m Anden­ ken der Liebe geben, sonst vergehe ich in meiner Verlegenheit! und da antwortet mir das Kind: Da du so viel Lust zum Schenken hast, so will ich dir sagen, was du mir verehren sollst: Gieb mir deine Sünde, dein böses Gewissen, und deine Verdammniß. Jetzt ergegne ich: Was willst du damit machen? und es läßt sich die himmlisch tröstende Stimme verneh­ men: Zch will dein« Fehler und Verbrechen auf meine Schultern laden, das soll mir eine herr­ liche That seyn, daß ich, wie Zesaias sagt: dein« Sünde trage!

Nun fange ich an bitterlich-zu weinen, nnd kann beim Schluß der Unterhaltung mit dem Weltheiland kaum die Worte sagen: Liebes Kindlein! Wie hast du mein Herz ge­ rührt! Zch dachte, du wolltest was Gutes von mir haben, du bestehst aber drauf, daß ich dir blos geben soll, was bei mir böse ist, was ich selbst hasse, und welches ich für mein Leben gern los und ledig wäre. Nimm also das Meine, Gieb mir das Deine.

Zn diesen frommen Gedanken ist der theure Kirchenlehrer al« ein ein und achtzigjäh­ riger Greis im posten Zahre zu Bethlehem entschlafen.

Diese erzählten kindlich frommen Bilder des heiligen Hieronymus, für welche das ju­ gendliche Christenthum mehr wie unsere Zeiten empfänglich gewesen, haben wahrscheinlich viel zur Begründung der alten Sitte der Christbescheerung und deren Verbreitung beigetragen. Wenigstens hallt bei denOrgeltinen der rhristlichen Gesänge über die Menschwerdung Christi, von PaudentiuS bis auf Paul Ger­ hard, Rist, Ziegler, Schmolle gedichtet, diese kindliche Menschenstimme deS heiligen Hieronymus allenthalben vor, und die Be­ schenkung und Gegenbeschenkung ist das Hauptthema der WeihnachtSpoesie auf viel­ fältige Art für den Geist der Zeiten variirt. Wir wollen nur ein Beispiel geben von so vielen Hunderten. Paul Gerhard hat in mehreren Liedern, ganz vorzüglich aber in dem: „Beschenkung deS neugcbornen Stfu “ überschrieben, fast alle Gedanken unsres Kirchenvaters aufgefaßt und benutzt. Dieses schöne Liek hat sich in den alten Gesangbüchern, in welche es aufge-

nommen worden, durch verunglückte Verdes» ferungen viel gefallen lassen müssen.

Wir

geben die Hauptstellen, nach der neuesten Aus­

gabe der Gerhardschen Lieder, (Wittenberg I82i.) im Auszüge folgendergestalt:

Ich steh' an deiner Krippen hier, O Jesulein mein Leben,

Ich stehe, bring' und schenke dir, Wa« du mir hast gegeben. Nimm hin, eS ist mein Geist und Sinn,

Herz, Seel und Muth, nimm Alles hin. Und laß dir'S wohl gefallen re.

Wenn ost mein Herz im Leibe weint, Und keinen Trost kann finden, Da ruft mir's zu: Ich bin dein Freunds Ein Tilger deiner Sünden.

Was trauerst du, mein Brüderlein? Du sollst ja guter Dinge seyn

Ich zahle deine Schulden.

Wo nehm' ich Weisheit und Verstand, Mit Lobe zu erhöhen

Die Aeuglein, die so unverwandt Nach mir gerichtet stehen? Der volle Mond ist schön und klar. Schön ist der güldnen Sterne Schaar, Sein' Aeuglein sind viel schöner.

O daß doch so ein lieber Stern Soll L. der Krippen liegen! Für edle Kinder großer Herr'n Gehören güldne Wiegen. Ach! Heu und Stroh ist viel zu schlecht; Sammt, Seiden, Purpur wären recht, Dies Kindlein drauf zu legen. Nehmt weg bas Stroh, nehmt weg das Heu, Zch will dir Blumen holen, Daß meines Heilands Lager sey Auf Rosen und Violen, Mit Tulpen, Nelken, Rosmarin, Aus schönen Gärten will ich ihn Von oben her bestreuen.

Zur Seilen will ich hier und dar Viel weiße Lilien stecken.

Die sollen deiner Aeuglein Paar Sm Schlafe sanft bedecken. Doch liebt vielmehr, das dürre Gras Die« Kindelein, als alles das. Was ich hier nenn' und denke. Du fragest nicht nach Lust der Welt, Noch nach des Leibes Freuden. Du hast dich bei un- eingestellt, Au unser statt zu leiben. Suchst meiner Seelen Herrlichkeit, Durch dein sclbsteigneS Herzeleid, Das will ich dir nicht wehren.

Ein« aber, hoff' ich, wirst du mir Mein Heiland, nicht versagen. Daß ich dich möge für und für Sn meinem Herzen tragen. Drum laß mich doch dein Kripplein seyn. Komm, komm, und lege bei mir «in Dich, und all' deine Freuden.

Zwar sollt' ich denken, wie gering Sch dich bewirthen werde.

252

-----------------

Du bist der Schöpfer aller Ding',

Zch bin nur Staub und Erde.

Doch bist du so rin frommer Gast,

Daß du noch nie verschmähet hast Den, der dich gerne stehet.

8. 8 antani.

Der

kluge

Hund.

Es mochte ungefähr ein Jahr nach der Deen, digung des dreißigjährigen Krieges verflossen seyn, als eines Tages vor dem Pallaste de< Feldmaisschalls Grafen von Torstensohn in Stockholm, welcher, nach seiner siegreichen Rückkehr aus Deutschland, von der Schnxdischen Königin Christine ztim Statthalter er» nannt worden war, eine Kutsche vorfuhr und ein Bedienter die Böhmische Gräfin von S. anmeldcte. — Der Graf von Torstensohn ließ sie zu sich hinauf entbiethen, worauf denn Vie Gräfin in Begleitung eines gemeinen schwedischen Mannes, der einen kleinen Hund unter dem Arme trug, aus dem Wagen stieg und in den Pallast ging. Die Dienerschaft de< Statthalters versuchte zwar diesem Beglei­ ter mit seinem Hunde den Eintritt zu verweh­ ren , die Gräfin aber bestand darauf, daß er ihr folgen müsse, weil sie eben des Hundes

wegefi mit diesem Mann iy Streit gerathen sey, und dieserhalb die Entscheidung des Statthalters selbst in Anspruch zu nehmen beabsichtige. — Aon dem Grafen von Torsten­ sohn zuvorkommend empfangen, entschuldigte sie sich zuvörderst wegen ihrer auffallenden Be­ gleitung, und eröffnet« ihm hierauf, daß fle seinen Beistand gegen diesen gemeinen Men­ schen sich erbitten müsse, der ihr einen Hund vorenthalten wolle, welchen man ihr während des Krieges auf ihren Gütern in Böhmen ge­ raubt und für den sie, da sie ihn zufällig hier wieder gefunden und . erkannt, bereits die Summe von sechs Carolinen als Ersah ge­ boten habe. — Der Statthalter befragte hierauf den Schweden, welcher als Hausknecht in dem Gasthofe diente, wo die Gräfin abgetreten war: auf welche Weise er zu dem Händchen gekommen sey und weßhalb er eS für jenes unverhältnißmäßig hohe Gebot nicht verkaufen wolle? — Der Schwede wußte über die Erlangung des Hundes sehr unbefriedigende Auskunft zu geben, erzählte, daß er ihn

mehrere Meilen von Stockholm auf der durch einen Wald laufenden Landstraße von einem unbekannten Mädchen einst gekauft habe, gab al« Grund seiner Weigerung di« vielen und sel« tenen Kunststücke an, welche der Hund zu machen verstehe, und versicherte, daß, seit der Stuf des klugen Hunde« sich verbreitet habe, der Zuspruch in dem Gasthofe seine« Dienst, Herrn viel größer geworden sey, auch die Trinkgelder, welche er de« Hunde« wegen er, halten, bereit« die ihm von der Gräfin angebotne Summe überstiegen hätten. Er schloß endlich mit der festen Erklärung, daß der Hund ihm jetzt einmal angehöre, und er ihn eben so wenig verkaufen wolle, al« die Gräfin.ihr frühere« Eigenthum-recht auf denselben z« be> «eisen im Stand« sey. — „Zch will «« Euch bald an dem unver, nünftigen Thiere selbst erkennen lassen, daß es mir zugehört!"— sprach die Gräfin und hatte auch kaum den Hund bei seinem wirk» lichen Namen, Fidel«, geruft, al« der­ selbe, so fest ihn auch immer der Schwede zu halten versuchte-, alle seine Kräfte anstrengte, B. f. Kind. HL 17

2SL

-----------

um sich von ihm los zu mach«» , ja endlich selbst ihn in den Arm bist und, hierdurch frei geworden, bellend und winselnd an der Gräfin empor sprang und auf ihre Winke und Worte viele seiner erlernten Kunststücke auf der Stelle zum Besten gab. Die Gräfin nahm das Thier auf ihre Arme, liebkoste und Herztees, und beschwor den Statthalter auf die rüh» rendsie Weise, ihr durch sein Ansehen mb durch seine Machtvollkommenheit t»i«i>tr. zu dem Hunde zu verhelfen. Der schwedisch« Haus, knecht hingegen verlangte sein Eigenthum zu­ rück, forderte den Schuh des Statthalters gegen die zudringlichen Anmaßungen der frem­ den Dame, und drohte endlich, sich unmittel­ bar an die Königin wenden zu wollen, wo er sein Recht gewiß erlangen- werde, zumal die Königin selbst ein Weib sey, Und'also sich von Weiber-Thränen nicht rühren lasse. Graf Torstenfohn ließ hierauf den Haus­ knecht nebst seinem Hunde der Wach« überge­ ben, führte di« betrübte Gräfin in fein Cabinet und eröffnete ihr Hierselbst; daß er, in sofern sie ihr Gesuch nicht vielleicht noch mit

-------------

«S.9

andern Gründen zu unterstützen misse, sie ju seinem Bedauern werde damit a-weisen müssen,

weil der Hund jetzt unstreitig das Eigenthum b«S Hausknechtes sey, und sie ihn auch dann nicht wieder zurück fordern könne, wenn selbst

er ihr während des Kriege- und sogar von dem jetzigen Besitzer mit Gewalt genommen worden seyn sgllte, weil der Soldat auf di» in FeindeLand gemachte Deute ein wirkliches Eigen» thum-recht erlange. Als nun die Gräfin bei diesen Worten in Thränen au-brach, gestand ihr der Statthalter unverhohlen: „Er könne unmöglich glauben, daß ihre Traurigkeit ein»

zig au- der Liebe zu dem Hunde entstehe, im»

maßen sie als «ine junge schöne Dame wohl andere Gegenstände finden werd«, an welche sie ihr Herz hängen könne. Er sey daher

vielmehr der Ueberzeugung, daß hier ein wich­ tiges Geheimniß obwalken und den Besitz deThieres bedingen müsse, und er wünsche, daß sie ihn ihres vollen Vertrauens werth halt-n möge, damit er sie mit Rath und That unter» stützen könne!

Die Gräfin gestand ihm, daß fein Scharf»

-lick bk wahre Ursache entdeckt habe, zögerte nun auch nicht länger den Statthalter zum Vertrauten ihres tiefen Kummers zu machen, jumal er selbst mittelbar und im Laufe bd Krieges bk Veranlassung bazu gegeben, und erzählte ihm hierauf folgendes: Als bk Schwedische Armee unter dem He« fehl des Feldmarschalls Torstensohn nach» dessen kühnem Rückzüge aus Schleßwig, ü-er den Oestreichtschcn Heerführer, btn Grafen Gallas, mehrere große Vortheile errungen hatte, und hierauf ist Böhmen eingrdrungen war, um sich Mit Nagöczky, dem Fürsten von Sieben­ bürgen, zu vereinigen, wurden die großen Be­ sitzungen der Gräfin der Schauplatz des Krie­ ges. Die Kaiserliche Armee, welche sich den Schweben entgegcnstellen wollte, quartirte sich in den Dörfern der Gräfin ein, und die Generale, die Grafen Hatzfeld und Götzen legten sogar ihr Hauptquartier in bas Gräfliche Schloß. Die junge Gräfin selbst befand sich damals in einer sehr bedrängten Lage. Vor kaum einem Zahre war ihr der Gemahl gestorben.

--------------

261

und hatte sie mit ihrem vierjährigen Sohne allein und ohne Schuh in dieser schweren Zeit verlassen. Zwar fehlte »S an Männern nicht, die um di» Hand der schönen Wittwe warben, und besonder« hatten mehrere arme Vettern ihre« verstorbenen Gemahl« sich mit fast frt# cher Anmaßung deshalb an sie gedrängt, zumal ihr kleiner Sohn der Erbe großer MajoratSgüter war, und e« sich deshalb wohl der Mühe verlohnte, eine ziemliche Reihe von Zähren sein Stiefvater zu werden. Allein die Gräfin hatte jede Bewerbung standhaft zurück gewiesen, war trotz ihrer Zugend fest und würdig auf ihrem Platze stehen geblieben, und hatte hierdurch manche« Uebel de« Kriege« wie eln guter Geist zu erleichtern und abzuwenden gewußt, bi« denn jetzt die Schlacht bei Zankowih geschlagen, und von den siegreichen Schwede» da« Hauptquartier der Oestreichtschen Generale, da« Schloß der Gräfin, er­ stürmt wurde. — Während nun hierbei die zügellosen Sieger da« kostbare Gebäude plün­ derten, und in Brand steckten, während die Dienerschaft der Gräfin den grausamsten Miß-

Handlungen zu entfliehen suchte, v«rbarg sie selbst mit ihrem Kinde und dem kleinen Hunde sich in einem ganz entlegenen unterirdischen Gemache, und verharrte hier unentdeckk so lange, biS endlich an die Stelle des gräßlichen Tobens über ihr, eine bange Todtenstille ein­ trat. — Da wagte sie aus ihrem Versteck sich hervor, um Hülfe für sich und ihr vor Hun» ger weinendes Kind zu suchen, und sank, alS sie um sich her nichts als rauchende Trümmer erblickte, trostlos an der Stäte nieder, wo fönst die Schloß-Kapelle gestanden hatte, von der nur noch ein Stück des Bogens, der sich über dem Altar wölbte, und die Reste des halb verbrannten großen Christus - KreutzeS, wel­ ches jetzt verkohlt am Boden lag, zu erkennen war. Kaum aber hatte sie hier gebetet und das weinende Kind 'selbst weinend an die Brust gedrückt, als ein schwedischer Soldat hinter einem Pfeiler hervor auf sie zusprang, fein Gewehr anlegte, als wolle er eö auf sie losdrücken, endlich aber wieder davon abließ, ihr näher trat und sie in rauhem Tone be­ fragte: ob sie selbst die Gräfin sey? und da

sie eS erschrocken bejaht, ihr da- Kind mit Gewalt au« den Armen riß. — Villen, Deschwörungen, Versprechungen, nichts hals: der Soldat blieb taub und rannte mit dem Kinde fort, die Mutter aber ihm nach, in ihrer Angst den kleinen Hund ans ihn an, hetzend, der ihn auch wirklich tapfer anfiel, während sie selbst zur Verzweiflung getrieben den Räuber bei den Haaren zu fassen, und festzuhalten versuchte. Der Soldat aber g«, rieth hierüber in Wuth, und indem er das schreiende Kind mit der einen Hand festhielt, schlug er mit dem Flintenkolben wüthend um sich her und versetzte der Gräfin hierdurch einen solchen Stoß auf die Brust, daß sie ohnmächtig zu Boden sank und hier bewußt­ los liegen blieb, bis sie von ihren rückkehren» den Leuten endlich aufgefunden wurde. Zwi­ schen Tod und Leben ringend brachte man sie auf die entfernt liegenden Besitzungen der nächsten Anverwandten ihres verstorbenen Ge­ mahls, wo sie nach mehreren Tagen erst wie­ der zu sich selbst kam. Die Verwandten waren zwar möglichst bemüht, das geraubte Kind

2Ö4

wieder aufzufinden, oder doch irgend «ine

Nachricht von ihm einzuztehen, leider ward aber nur das blutige Kleidchen desselben er« langt, welches man unweit deS zerstörten

Schlosses aufgefunden haben wollte, woraus man mit Gewißheit schließen wollte,

daß

jener Soldat das Kind späterhin umgebracht haben müsse. Mas ihn jedoch zu einer so schaudervollen That bewogen, blieb unerklär»

lich.

Eine andere Spur von dem Kinde «ar

nirgends aufzufindrn und auch der Hund blieb

verschwunden. Die unglückliche Mutter versank in tiefe,

an Geisteszerrüttung gränzende Schwermuth, und wurde von den Verwandten der Pflege

eine- Klosters übergeben.

Die Güter ihre«

Gemahls aber nahmen die früher von ihr ab« gewiesenen Vettern desselben, jetzt hohnlachend

und mit aller Härte in Besitz, well durch den jetzt nicht mehr zu bezweifelnden Tod de-

-Knaben, ihnen die großen Majorate anfielen, der Gräfin selbst aber nur ein reichliches Witt« «engehalt zukam. — Als durch die im Kloster

rrhaltne sorgsame Pflege die Unglückliche, nach

»öS dxm Verlauf einiger Jahre endlich doch wieder

genaß, und der Gedanke an ihr Kind sich ihr

ruhiger vor die Seele stellte, begann sie immer

Mehr und mehr an dem wirklichen Tod Hessel«

ben zu zweifeln, weil sie keinen menschlichen Grund erdenken konnte, weshalb der schwe»

dische Soldat ihr Kind geraubt haben sollte, um dann eine so unmenschliche That an ihm

zu begehen, und sie beschloß daher, von un­ besiegbarer Hoffnung erfüllt, fort an von

Land zu Land zu reisen, und nicht eher zu ruhen und zu rasten, bis sie entweder ihr

Kind oder ihr eignes Grab gefunden haben

werde. — Das Bild deS Räubers stand ihr noch lebendig vor der Seele, deshalb wen* bete sie sich zuerst nach Schweden, entschlos­

sen, ihn, wenn er noch lebe, ausfindig zu machen, und ihm Rechenschaft über das Leben

ihres Kindeü abzufordern.

Vor wenigen

Tagen war sie in Stockholm angekommen,

und hatte, als eine glückliche Vorbedeutung, den kleinen Hund, der ihr zugleich mit dem Kind» verloren gegangen, in den Händen

jene- Hausknechtes wieder gefunden.

Sie

s 66 schloß diese Erzählung endlich' inst der Der» sicherung, daß der Hmid ihr ganz gewiß de« richtigen Weg zeigen werde, und sie um ihn wieder zu erlangen, zu jedem Opfer bereit sey» Der Graf von Torsteufohn Hirte ihr mit großer Theilnahme zu, und sagte, als die Gräfin geendigt hatte:

»Ob Zhr Kind noch lebt, wage ich nicht zu behaupten, denn der Wege, auf denen der Tod die Menschen treffen kann sind viel und mancherlei; allein auf die angebliche Weise ist eS nicht umgekommen; der lang» jährige Krieg hatte meine Soldaten zwar hart und rauh gemacht, aber Kinder »Mörder waren sie doch nicht!"

Er ließ hierauf den Hausknecht in ein Nebenzimmer bringen, kaufte ihm hier den Hund für einen hohen Preis ab, bat die Böhmische Gräfin, denselben al« ein Geschenk von ihm anzunehmen, und drang in sie, so lange sie in Schweden verbleiben werde, ihren Aufenthalt bei seiner Gemahlin zu wählen, damit er sich selbst ihrer Sache desto sicherer

annehmen, unb sie mit allen ihm zu Gebote stehenden Mikteln unterstützen könne! — Die Böhmische Gräfin willigte dankbar in sein gastfreundliches Anerbieten, und wäh» rend sie von des Feldmarschalls Gemahlin mit aller Güte und Theilnahme ausgenommen wurde, sparte er selbst keine Mühe, dem Räuber des Kindes auf die Spur zu kommen. Jenes Regiment aber, welches damals das Oestreichfche Hauptquartier gestürmt und daSchloß der Gräfin in Brand gesteckt hatte, war bald nachher gänzlich aufgelöst worden, und jetzt in seinem frühern Bestände nicht wieder auszumitteln; auch der Hausknecht wußte trotz eines wiederholten scharfen Verhöres, nicht« weiteres über die Erlangung des Hun» des anzugeben. Da nun auf diese Weise der Sache nicht näher auf die Spur zu kommen war, so ließ der Feldmarschall eine öffentliche Aufforderung an alle diejenigen, welche unter jenem Regi» mente gedient und bei der Schlacht von Janko» Witz das feindliche Hauptquartier erstürmt hatten, ergehen, und zwar des Inhalt«: daß

26g

fi« sich ungesäumt bei ihm persönlich zu melden hätten, um wegen ihrer damals bewiesenen be» sonderen Tapferkeit eine Belohnung von ihm zu empfangen. Mehrere, die theils noch unter dem Schwedischen Heere dienten, theils nach dem Kriege ihre» Abschied genommen halten, und in die fernsten Provinjen heimgekehrt waren, kamen hierauf herbei. Der Feldmar» schall ließ sie einzeln vor sich kommen, er saß auf einem Sopha neben der böhmischen Grä» fin, die ihr Hündchen auf dem Schooße hielt, und befragte einen jeden genau über alles, was damals bei jener Schlacht und der Erstürmung des Schlosses vorgefallen sey? Während sie ihm nun Rede und Antwort geben mußten, faßt« die Gräfin einen jeden scharf ins Auge, und ließ ihn näher herantreten, um ihm mit eigner Hand ein Goldstück zu reichen, indem sie vermeinte, daß der treue kluge Hund, so» bald sich der Räuber ihres Kindes nahe, nicht ruhig bleiben, sondern ihn, den er selbst bis Hierher verfolgt zu haben schien', ihr sicher an» zeigen werde, wenn auch dessen Gesichtszüge ihr selbst entfallen seyn sollten. Der Hund aber

rSy sah mit seinen klaren Augen ft He, die sich der Gräfin näherten, freundlich an, blieb ruhig

ftuf ihrem Schooge liegen, uhb die Gräfin selbst bemerkte auch in allen den fremden Ge«

flchtern nicht-, was ihr jene verhaßten Züge wieder deutlich ins Gedächtniß zurückgerufen hätte. UebrigenS erinnerte sich von den vielendte hier erschienen, kein einziger irgend eine-

Kameraden, der bet jener Erstürmung mit

einem Kinde beschäftigt gewesen sey, ja es

ergab sich vielmehr, daß an dem Tage, an

«elchein, nach der eignen Aussage der Grä» fia, der Raub geschehen war, nicht allein dieses Regiment, sondern auch

die ganze

Schwedische Armee bereit- entfernt von dem Schlosse und auf dem Marsche gegen Wim sich befunden hatte.

Als nun dieser erste Versuch völlig mls, iungen war, und gar nicht- dazu beigetragen hatte, auch nur ein entfernte- Licht üb-r daLeben oder den Tod de- Kinde-.zu verbrei­

ten; so erließ man auf dringende- Bitten der Böhmischen Gräfin einen zweiten Auft ruf, welcher derjenigen Person eine ansehn»

liehe Belohnung verbrach, di« genau nach» «eisen sinne, wo der in jenem Gasthofe zu Stockholm befindlich, gewesene, wegen ..seiner großen / Klugheit allgemein so bewundert« Hund, welchen der Statthalter endlich sogar selbst erkauft, eigentlich herstamme, oder wie er nach Stockholm gekommen sey? Der Aufruf, das Herkommen eine- Hun» des betreffend, war zu jedermanns Verwunde» rung im Lande erschollen., eine Woche nach der andern aber bereits in vergeblicher Erwartung verstrichen, bis endlich ein Mädchen von etwa 18 Zähren erschien, und vor dem Feldmar» schall in Gegenwart der Gräfin folgendes Ge» ständniß ablegte. Ihre Mutter, erzählte sie, fei mit einem später nachfolgenden neuerrichteten Regiment« als Marketenderin nach Deutschland in den Krieg gezogen, um dort, wie andere, auch viel zu erwerben, und als eine reiche Frau zu» rückzukehren. Ihre Kinder, die den Vater nicht gekannt, habe sie während ihrer Abwesen­ heit bei Verwandten untergebracht, sey dann lange weggeblieben, dann aber einst ganz uner»

wartet und zwar »och einige Saljrt. vor der

Beendigung des Krieges wieder heimgekehrt.

Unter den mancherlei schönen Sachen, die sie mitgebracht,

und worunter sich auch einig«

schwere Deutel mit Gold befunden, sey ihnen

allen jedoch ein kleiner Hund,, der wegen sei»

ner seltenen Klugheit sich allgimeine Bewunde­

rung erworben habe, besonders lieb geworden. Nur die Mutter selbst, wie treu ihr auch der

Hund

angehangen,

hätte

ihn nicht

leiden

Mögen, und auf öfteres Befragen ihrer Kinder endlich einmal erzählt, daß dieser Hund, sie

fort und fort an das herzzerreissende Jam­ mern eines Kindes erinnere, welches im Kriege seiner Mutter entrissen worden sey.

Als nun

sie, die Tochter, die Mutter mit Fragen be­

stürmt habe: wo denn das arme Kind geblie­

ben wäre? hätte die Mutter ihr zu schweigen geboten, und versichert, das Kind sey gestor­

ben | — Gegen den Hund aber sey die Mutter immer nnfreundlichee geworden, und habe ihr,

d«r Tochter, sogar endlich einmal befohlen, den Hund in den Wald zu führen und ihn dort

anfzuhängen, damit er ihr aus de» Augen

firne.

Sie aber habe den Hund zwar mit

fortgebracht, ihn jedoch nicht getödtet, sondern sich mit dem lieben Thiere an die durch den Wald laufende Landstraße gefetzt, und ihn dort den Reisenden lange vergeblich angeboten,

bi» denn ein Mann, der nach Stockholm ge» wandert sey, ihr den Hund sür eine Kleinig« seit abgekauft habe. Die Mutter habe beru, higt geschienen, als sie ohne Hund zuräckge, kehrt sey, und niemals wäre zwischen ihnen

beiden die Rede wieder auf den Hund gekom» men. Nur als die Mutter vor ungefähr einem halben Zahre plötzlich von einem Schlagfluß

befallen worden, habe sie schmerzlich ausgeru» fen: „Der Hundl— daS Kind l"— und

sey dann verschieden. Diese Erzählung machte den allerschmerz« lichsten Eindruck auf die Gräfin.

Sie hielt

sich nun überzeugt, daß die alte Marketender

rin den Hund nur deshalb so bitter gehaßt haben könne, weil er sie fortwährend art den

jammervollen jetzt nicht länger zu bezweifelnden

Tod des Kindes erinnert, bet welchem st« ün,

streitig gegenwärtig gewesen sey.

Sie drückte

ihr Gesicht lautweinend in die

Kiffen des

SophaS, während der kleine Hund, den man

jetzt in da< Zimmer ließ, das Mädchen auf der

Stelle wieder erkannte, an ihr freudig empor sprang, und auch von ihr wieder erkannt und

Liebkosungen

mit

überhäuft

wurde.

Der

Hund lief bald zu der Gräfin bald zu dem

Mädchen, als wolle er beide zu einander zie­ hen, das Mädchm aber, die den Zusammen­ hang dieser Scene nicht begreifen konnte, kniete

vor der weinenden Gräfin nieder, streichelte ihr mitleidig die Wangen, beschwor sie in rüh­

render fügte

Einfalt, nicht,mehr zu weinen, und endlich

die

dringende

Ditte hinzu:

ihr den Hund wieder zu schenken; denn die Mutter die ihn gehaßt, sey ja nun todt.

Die Gräfin aber drückte den Hund fest an sich, reichte dem Mädchen einen Deutel mit

Gold, und winkte ihr, das Zimmer zu ver­ lassen. Die Geschichte

der

Böhmischen Gräfin

konnte nicht verschwiegen bleiben, sie machte

großes Aufsehen, und gelangte selbst bis zu den Ohren der Königin Christina.

B. f. Kind. III.

Die Königin



ließ die Gräfin zu sich entbiethen / um ihr alle nur mögliche Theilnahme zu beweisen, allein die Gräfin war nun aller Welt abgestorben, und wollte nur noch die rauhere Jahreszeit vorübergehen lassen, um alsdann in ihre Hei, math zurückzukehren und hier in der Stille eines Klosters den Tod ihres Kindes zu bewei­ nen. Um diese Zeit erkrankte rlötzlich der Graf von Torstensohn, und starb bald darauf in einem Alker von kaum 43 Jahren. Seine Gemahlin ließ den Leichnam desselben auf ihre entfernt liegenden Güter bringen, weil sie sich selbst hierher zurückzuziehen, und nahe dem Grabe ihres Gemahls ihr Leben zu beschließen gedachte. Sie drang in die Böhmi­ sche Gräfin, sie dorthin zu begleiten, und diese folgte ihr auch willig, da der gleich­ mäßige Kummer ihre Herzen nur noch inniger zu einander hinzog. — Die Leiche des Feldmarschalls wurde, als sie auf den Gütern angekommen war, dort mit aller Pracht und Feierlichkeit zur Erde bestattet. Eine große Anzahl aller, gedienter

Krieger, die nun schon

das Heer verlasse»

hatten, versammelten sich hier aus den ent­

ferntesten Provinzen Schwedens,

um ihren

Heerführer, der nun doch endlich von dem

Tode erblichen war,

noch einmal zu sehen,

und ihm die letzte Ehre zu erweisen. Der Sarg war in

der Gruft beigesetzt,

und die beiden, in tiefe Trauer gekleideten

ittwen hatten sich bereits auf das Schloß zurückgezogen, als plötzlich ein dumpfer Lär­

men aus dem Dorfe zu ihnen heraufscholl, und sie eilig auf den Daikon des Hauses

Sie erblickten

in

der Ferne einen

zog.

großen

Volkshaufen, der anfangs lärmend in einan­ der wogte, dann aber mit dem allgemeinen

Geschrei: »schlagt ihn todt! schlagt ihn tobt!“ auf das Schloß zustürzte. —

Als er näher

kam, sahen sie, daß man einen Hund ver­ folgte, und unter dem Geschrei: „ein toller

Hund! ein toller Hund!

mit Steinen suchte;

schlagt ihn todt!"

und Knitteln

ihn

der Hund aber wußte

entkommen,

zu treffe»

glücklich zu

und rannte aus allen Kräften

dem Schlosse zu.

Die Böhmische Gräfin

erkannte zu ihrem nicht geringen Schrecken, in dem verfolgten Hunde

bald

genug den

ihrigen; sie rief ihren Liebling angstvoll beim Namen,

beflügeln,

als wolle sie feine Flucht zu ihr

und

winkte

zugleich

mit ihrem

Tuche, um das nacheilende Volk aufzuhalten. Der Hund hatte auch einen großen Vorsprung

erlangt, und alle seine Verfolger trotz ihrer Hast,

weit hinter

sich zurückgelasseu;

n-e

einem Knaben von ungefähr u Zähren ver­ mochte er kaum zu

schoß

mit

entgehen,

der Schnelligkeit

dieser

denn

eines

Pfeiles

hinter ihm her, achtete nicht auf das wieder­

holte ängstliche Zurufen der beiden Damen,

und hatte dem Hunde mit mehreren geschick­

ten Steinwürfen schon tüchtig zugesetzt.

DaS

arme verfolgte Thier erreichte endlich schreiend den Schloßhof, und die Gräfin eilte, Thüre ihres Zimmers zu

öffnen.

die

seiner Rettung zu

Kaum aber hatte sie das blutende,

athemlose Hündchen hereingelassen, und ihm schnell einen Teller mit Wasser, theils zur

Erquickung, theils

zur sichersten Probe, ob

er auch wirklich nicht toll sei, vorgehalten,

2 77

---------------

und der Hund begierig'die heiße Zunge dar­

aus gekühlt, als

auch schon der Knabe mit

glühend rothem Gesichte vor ihr im Zimmer

stand, und mit funkelnden Augen und ge­ ballter Faust den Tod

des Hundes begehrte,

der seinen Vater so arg gebissen Habel — Die Böhmische Gräfin, welche sich während

ihres Aufenthaltes in Schweden die Sprache dieses Landes völlig zu eigen gemacht,

be­

mühte sich den aufgebrachten Knaben zu be­ ruhigen, und suchte den Hund, der sich ihm

immer wieder zu nähern strebte,

abzuwehren.

von ihm

Allein das Thier ließ sich nicht

abhallen, sprang freundlich an dem Kleinen

empor, und dieser, der anfangs den Kampf

mit ihm aufs neue beginnen zu wollen schien, blieb, als die Gräfin den Hund beim Namen

gerufen,

plötzlich

wie

im Traume stehen,

starrte das Thier immer freundlicher an, und

wiederholte langsam: „Fidele!

Fidele!" —

Endlich warf er sich auf die Knie, umschlang

den Hund, und rief: „Ja du

bist Fidele,

mein lieber alter Fidele! Wo ist dein großes

Schloß, wo ist dir freundliche Frau, die mit

uns spielte?" Zn demselben Augenblicke trat ein Bedien» ter ins Zimmer und meldete, daß der Mann, welchen der Hund gebissen, vorgelassen zu wer­

den verlange.

Die Böhmische Gräfin befahl,

ihn augenblicks hereinzuführen, während sie den Knaben in ein Seitengemach schob, und kaum war auch der Dauer ins Zimmer ge»

treten, als sie in ihm die allenthalben vergeb­

lich gesuchten ihr so furchtbaren GcfichtSzüge auf der Stelle wieder erkannte.

Ehe er noch

ein Wort hervorzubringcn vermochte, hatte

sie, ihrer nicht länger mächtig, ihren Schleier vom Haupte gerissen, und trat, indem sie den erschrocknen Mann bei den Haaren ergriff, wie

die Rachegötkin mit den Worten auf ihn zu: „Wo hab ich dich also Lei den Havren ge­

faßt, wo diesen Hund auf dich angehetzt, du

Kindes-Räuber? Erkennst du nicht auch mich wieder? Gestehe dein Verbrechen, der Hund

hat dich verrathen! — Wo Kind?" —

hast du mein

Bleich und zitternd sank der Mann wie vom Blitze getroffen vor ihr nieder.

Auch er

erkannte sie und ihren Hund, der aufs neue

ihn anfallen wollte,

und gestand, baß jener

Knabe das geraubte Kind sey! —

Die ahnungsvolle Mutterliebe wußte leicht alle die alten dunklen Erinnerungen in der

Seele des Knaben wiedqx aufzuwecken, so daß Mutter und Kind sich bald völlig wieder er­ kannten, und Niemanden ein Zweifel mehr

übrig blieb.

Der Schwede aber berichtete

über sein« That folgendes:

Als nach der Schlacht bei Zankowitz das Oestreichische Hauptquartier erstürmt und da­

gräfliche Schloß

geplündert

und verbrannt

worden war, kam ich mit einigen Nachzüglern

durch das noch rauchende Dorf, und verweilte

mich hi den Trümmern des. Schlosses, weil ich hier auch für mich einiges noch zu erbeuten hoffte. — Da aber alles bereits in Zerstörung lag, und ich den Ort in großer Unzufrieden­

heit verlassen wollte, begegnete ich einem statt-

lichen Reuter, der mich fragte: wo ich denn herkomme, und ob ich schon wacker viel Deute gemacht habe? Ich versicherte das Gegentheil, und fluchte auf das leere rauchende Nest, wor­ auf mir der Reuter zu erkennen gab, daß ich «ine große Summe Geldes verdienen könne, sobald ich einen Auftrag übernehmen und er­ füllen wolle. Ich ließ mich willig finden, und er gab folgendes zu vornehmen: „Jenes zerstörte Schloß, sprach er, gehört einer Gräfin, die das Schwedische Heer an die Oestreicher hat verrathen wollen, und deshalb das Hauptquartier der letzter» in ihr Schloß gezogen hat. Es ist ihr jedoch nicht gelungen, denn Euer Feldmarschall Torstensohn hat, wie Ihr wißt, die Oestreicher überfallens und aufs Haupt geschlagen. Die verrätherische Gräfin aber ist bisher vergeblich gesucht wor­ den, um sie bestrafen zu lassen; sie muß sich in der Nähe hier in einem Schlupfwinkel verbor­ gen haben, denn sie ist sicheren Nachrichten zu­ folge, bis zum entscheidenden Augenblick noch gegenwärtig gewesen. Wollt Ihr nun in den

----------------

2g I

Trümmern beS Schlosse- Euch verborgen hal­ ten, dort aufpassen, bis sie mit ihrem Kind« zum Vorschein kommt, und ihr zusammt dem Kinde dann den Garaus machen, so bin ich beauftragt. Euch die Summe von tausend Gvldgulden auszuzahlen! “

Ich bedachte mich nicht lange und willigte rin, sollte die Gräfin ja doch eine Verrätherin seyn, und konnte ich doch eine große Summe Geldes durch eine That verdienen, die ich im Kriege für erlaubt hielt. Der Reuter versprach in der entfernten Waldschenke auf mich zu warten, wo ich ihm wenigstens das blutige Kleid des Kinde-, als Zeugniß des ausgeführ« ten Auftrages, überbringen müsse, und so ging ich, mich 'in der Brand - Stätte auf die Lauer zu stellen. Was hier vorgefallen, wißt Ihr selbst. Zch wollte Euch erschießen, aber Zhr wäret so schbn und andächtig; ich wollte daS Kind erwürgen, aber da- Herz in der Brust that mir weh 1 Zn meiner Unentschlos­ senheit entriß ich Euch endlich da- Kind, und glaubte, «eil Ihr nicht von mir ablassen woll-

tet, Euch mit dem Flintenkolben erschlagen zu haben rannte mit dem Kinde fort und begeg­ nete einer mir bekannten Marketenderin. Dieser übergab ich das Kind, zog ihm jedoch

das Kleidchen aus, und tauchte es in das Blut eines auf der Wahlstatt liegenden Todten, eilte dann hiermit zur Waldschcnke, erzählte, daß ich Euch selbst todt geschlagen, daS Kind aber erstochen und dann in das Feuer geworfen hätte, und lieferte mein blutiges Kleidchen ab, worauf es der Reuter in seinen Mantel steckte,

mir aber die 1000 Goldgulden richtig auS-

zahlte. Ich eilte nun, die Marketenderin wie­ der aufzusuchen. Der Hund, der mich erst verfolgt hatte, war bei dem Kinde geblieben. Ich beschloß, von Gewissensangst überfallen, das unschuldige Kind zu retten, eS mit in mein Vaterland zu nehmen, und es dort mei­ ner Frau, mit der ich schon mehrere Zahre in einer kinderlosen Ehe gelebt hatte, als die beste Deute mitzubringen , und kam mit der Marketenderin dahin überein, daß sie mit der ersten passenden Gelegenheit nach Schweden zurückkehren, und meiner Frau das Kind und

das Geld überbringen sollte, wofür

id)

ihr die

Hälfte der erhaltnen Summe versprach, mir jedoch das tiefste Schweigen durch einen

Schwur von ihr angeloben ließ. Den Hund schenkte ich ihr, denn er konnte mich nicht lei­ den, und wollte mich beissen, wo er mich sah. Die Marketenderin hat ihren Auftrag erfüllt, und bis zu ihrem Tode geschwiegen. Ich und

meine Frau haben den Knaben als unser eig­ nes Kind erzogen, werthgehalren, und viel Freude an ihm gehabt, und niemals würde ich verrathen worden seyn, wenn ich mich nicht aus treuer Liebe zu meinem ehemaligen Feld­ marschall aus meiner fernen Heimath bei sei­ nem Leichenbegängniß hier eingefunden hätte,

wo mich der verwünschte Hund wieder auffand und aufs neue anfiel. — Die Böhmische Gräfin erkannte aus allem, was ihr der Schwede erzählte, bald deutlich genug, daß der Auftrag zu ihrer und ihres Kindes Ermordung, und die lügenhafte schänd­

liche Beschuldigung der Verrätherei, nur von

den rach - und habsüchtigen Verwandten ihres Gemahls ausgegangen seyn könne, und eilt« mit ihrem wiedergefundenen Sohne nach Stock­ holm, um ihn dort der Königin Christina vorzustellen, und ihren mächtigen Schuh in Anspruch zu nehmen. Die Königin war über den seltnen Ausgang dieser Begebenheit Höch, lich erfreut. — Sie ließ über die ganze Sache eine vollständige gerichtliche Verhandlung auf» nehmen, diese jedoch in ihrem Cabinette nie­ derlegen, und sendete einen zuverlässigen Die­ ner mit einem eignen Handschreiben an die Verwandten des verstorbnen Gemahls der Böhmischen Gräfin, worin sie ihnen eröffnete:

Daß wenn sie die in Besitz genommenen großen Majorats-Gülhcr dem während des Krieges geraubten, letzt aber wtedergefundnen Sohne der Gräfin freiwillig zurückgeben woll­ ten , dies nicht sowohl von der Gräfin selbst, sondern auch von ihr, der Königin, die sie sich eine Freundin der Gräfin nenne, mit gebüh­ rendem Danke und dem Vergessen alles desje­ nigen, was geschehen sey, ange . ommen wer-

den sollte.

Daß aber, in so fern sie sich nicht

fügen, und vielleicht gar gegen die Rechtmäßig­ keit des Knaben Zweifel erheben wollten, sie, die Königin, im Namen der Gräfin den Pro­ zeß gegen sie bei dem Oestreichischen Hofe einleiten lassen werde, wozu es ihr an gültigen

Ursachen nicht fehle, von denen sie ihnen vor­ läufig nur die erste Aussage des Schwedischen

Soldaten, welcher das Kind geraubt habe, in Abschrift mittheile. Der Beauftragte der Königin brachte aus Böfmen bald günstige Nachricht zurück. Die Verwandten hatten sich, nachdem sie den Brief der Königin gelesen, unter billigen Bedingun­ gen zu Abtretung der Güther willig erklärt,

und so blieben die gerichtlichen Verhandlungen über diese merkwürdige Geschichte denn als ein Geheimniß im Cabinette der Königin liegen.

Die Gräfin aber kehrte alsbald mit ihrem wiedergefundenen Sohne und in Begleitung seiner schwedischen treuherzigen Pflegeltern,

2ß6

--------------

von denen sich der dankbare Knabe nicht tren­

nen mochte, in ihre Heimath zurück, nahm von den großen Güthern wieder Besitz, wo sie Wit Jubel empfangen wurden, und das kleine Hündchen blieb fröhlich und treu bis in den

tob«

Ernst v. Houwald.

Eine

Erzähl'., ng.

Ein armer alter, blinder Mann saß an der Ecke einer Straße und erhob jedesmal, wenn er die Schritte einer sich ihm nahenden Person vernahm, seine klagende Stimme. Nur durch da- Drod, bas er sich erbettelte, fristete er fein trauriges Daseyn. Zeder mitleidige Vor­ übergehende theilte ihm eine Kleinigkeit mit, und war ja einer nicht im Stande, ihm etwaju geben, sagte er ihm wenigstens die trösten­ den Worte: Gott stehe euch bey ! Sowohl für die, welche ihn unterstützten, als für die, die ihn auf Gottes Hülfe verwie­ sen, betete der gute Mann. Ein Knabe, der auch diese Straße kam, uni in einem benach­ barten Dorfe bet seiner Tante einem ländlichen Feste beizuwohnen, sah den armen Blinden, blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn mit inniger Theilnahme. Der arme Mann, dachte er, kann nicht Felder und Wiesen und Gottes B. f. Kind. III. 19

2-0

schöne Sonne sehen; ihm ist e- dunkel vor

den Augen, wie mir es ist in finsterer Nacht ; er kann nicht arbeiten, und müßte Hunger

sterben, wenn man ihn nicht unterstützte— wie unglücklich bin ich, nichts zu haben, was ich

ihm schenken könnte!— Wenn ich erwachsen

und wohlhabend genug seyn werde, will ich allen Armen, die mir begegnen, ein Allmosen

reichen. —

So sprach der Knabe mit sich

selbst, aufm-rksam den Blinden betrachtend.— Golt segne euch, guter Mann! rief er endlich

mit vernehmlicher Stimme, als er sich entfer­

nen

wollte. —

Herzlichen

Dank,

liebe-

Kind, erwiederte der Blinde, auch dich segne

Gott und lasse dich einen braven und redlichen Mann werden!— Dieser schöne Wunsch deUnglücklichen vollendete die Rührung des Kin­ des, und eine Thräne befeuchtete sein Auge.— 0!

wie sehr, wie sehr unglücklich bin ich,

nicht- bei mir zu haben, was ich ihm geben könnte, sagte eö, langsam sich entfernend. Nach und nach verwischte sich der Ein­

druck, den dieß aufs Gemüth des Knaben ge­ macht hatte, und er fand Vergnügen daran, die

schöne Landschaft zu bewundern, di» Digel singen zu hören, Blumen zu pflücken und die Vorübergehenden zu betrachten. Unter solchen Beschäftigungen hatte er beinahe das Dorf erreicht Und schon hörte er die Musik, nach welcher unter der Ulme die fröhliche Zugend tanzte, als er auf dem Wege eine Münze, zur Hälfte mit Staub bedeckt, bemerkte, — geschwind bückte er sich darnach und sieh — «S war ein blanker Sechser. Das Herz schlug ihm vor Freude über den herrlichen Fund und der erste Gedanke war an den armen blinden Mann. Wenn ich hineilte und ihm diesen Sechser gäbe! — Er kehrte um — es war ja nur, wenn er den Schritt beschleunigte, eine Viertelstunde Weges zurückzulegen— wie bald war dieß geschehen. Und darf man wohl, wenn eine gute Handlung unternommen wer­ den soll, die Zeit in Anschlag bringen? — Darnach zauderte er ein wenig, bedenkend, daß er für einen Sechser zum heutigen Feste sich etwas kaufen könne und daß es doch recht unan» genehm sey, durch zwei Reihen mit schönen Sachen geschmückter Duden wandern zu müssen.

2yr

ohne einen einzigen Sechser aufwenben zu können — man spielt gewiß eine sehr traurige Rolle, wenn man nichts im Beutel hat-----aber für den armen Mann, der vielleicht die» sen Mittag nichts hat, womit er seinen Hun­ ger stillen kann, würde ein Sechser hinreichen, um sich auf einen ganzen Tag mit Drob zu versehen — und ich — fuhr der Knabe fort bei sich selbst zu überlegen — ich werde ein gutes Gerücht bei meiner Tante finden, auch überdieß noch Kuchen erhalten — Also ge­ schwind fort und dem armen Manne den Sechser gegeben, auf den ich ohnehin keine Rechnung machen durfte.------ Doch-------Noch einmal blieb er zögernd stehen; er war so lange nicht in dem Besitze eines Sechsers gewesen!— Während der kleine Gefühllose zwischen dem Vergnügen, dem Unglücklichen eine Wohlthat zu erzeigen oder seinen einge­ bildeten Freudei; zu stöhnen, schwankte, sah er jubelnd und hüpfend eine Menge Kinder seines Alters auf sich zukommen, welche einen, Mann verfolgten, der auf den Schultern zwei Puppen, Herrn Kasperle und Jungfer Sus-

chen trug. Geschwind gesellt« er sich zu diesem fröhlichen Schwarm ünd verfolgte, gleich den Uebrigen, Herrn Kasperle und Jungfer Tus­ chen. Der Mann errichtete sein kleines Thea­ ter auf dem- Marktplätze des Dorfes und be­ gann, um die Leut« anzulocken, nun feine Stücke zu zeigen. Dies war nur der Anfang von den Dingen, welche kommen sollten. Als die Versammlung zahlreich genug war, wurde ein noch viel schöneres Schauspiel ange­ kündigt. Zn einer Laterne-magica konnte man für einen Sechser eine Menge herrlicher Sachen, Könige und andre große Herren, alle Hauptstädte der Welt, Sonne Mond und Sterne ganz in der Nähe zu sehen bekommen. Die schönsten Dinge waren darin zu schauen. Haufenweise drängte man sich herzu; der klein« Knabe allein blieb unentschlossen am Eingänge sichen, sein schätzbares Geldsiückchen in der Tasche umwendend, Alles rief der Mann herbei und, um desto besser die Eitelkeit der Umstehenden aufzure­ gen, endete er feine Einladungen, aus allen Kräften schreiend, jedesmal mit den Wort««:

ja wahrhaftig, meine lieben Freunde, wer sich das Vergnügen versagt, so etwas Außeror-

dciillici es riit aiizusehen, muß feinen Sechser mehr •'» der Tasche haben! — Von ohngefähr wendete er feine Blicke auch ai f den Knaben und bicfr, welcher glaubte, seine Worte w»en nur niiein an ihn gerich­ tet, rassle »ich zusammen, zog feinen Sechser

und — trat ein wie die Uebrigen.

Man

muß gestehen, es war mehr Neugierde al' Ci«

reikeit, die ihn verleimte. Das schöne Schaupiel dauerte kaum eine Viertelstunde, und as Kind ging nun eben so reich heraus,

als es vor seinem glücklichen Fund gewesen war.

Die Erinnerung an den Blinden, die fortdauernd den Knaben beschäftigte, trübte das gencssene Vergnügen gar sehr. Ganz

kleinlaut kam er zu feiner Tante. Um sein Gewissen zu beschwichtigen, suchte

ei üth zu überreden,

daß diese ihm gewiß

etwas Geld geben würde, welches er nicht

verwenden, sondern Abends bei der Rückkehr dem armen Manne reichen wollte.

Cs ging

----------

295

jedoch nicht so, wie er sich vorgesteklt hatte. Die Tante nahm ihn zwar sehr freundlich auf, freundlicher noch als er verdiente und bewirthete ihn mit so viel Torte, Obst und Naschwerk, als wohl kaum der alte blinde Mann Henle trocknes Brod zu verzehren hatte, aber Geld gab sie ihm nicht; sie glaubte, alles gethan zu haben, wenn sie ihm noch ein Kegelspiel und eine kleine Trompete kauf­ te. Mtt diesem Spielzeug schickte sie ihn wieder zurück und.empfahl ihm, sich unterweges nicht aufzuhalten. Anfangs war er sehr niedergeschlagen. Er warf sich seine Hartherzigkeit vor, nahm jedoch im Nachdenken darüber seine Trompete zur Hand und fing an, aus Leibes-Kräfte« zu blasen. Als er in die Nähe des blinde« Mannes kam, blies er aber weit wenigex stark und hörte endlich ganz auf------ mit Vorsicht ging er selbst auf die andere Seite der Straße, als wenn er fürchte, bemerkt zu werden. Der arme Mann, der ein sehr gutes Ohr hatte, ließ ihn nicht vorübergehen, ohne

di« kurze Ditte auszusprechen, welche er an jedermann richtete:

haben Sie Mitleid mit

einem armen blinden Mann, der sich nur

auf die Wohlthaten guter Menschen verlas­

sen muß!--------- Diese Worte zerrissen das

Herz des Knabe» und er wagte nicht, wie am vergangenen Morgen zu antworten: Gott segne Euch, guterMann! —Ganz still schlich

er vorüber, so unzufrieden mit sich selbst, als wenn er den Sechser diesem armen Un­

glücklichen gestohlen gehabt hätte.

Diese Unzufriedenheit mit sich selbst empfand er jedesmal wieder, wenn er hier vorüber­ ging, der Blinde mochte nun da seyn oder nicht, und er machte sich so lange Vorwürfe darüber, bis er das Glück hatte, dem Ar­ men einen Sechser geben zu können, den er

sorgfältig von Pfennig zu Pfennig erspart

hatte. — Ach Golt sey Dank! rief er in

der Freude seines Herzens — Gott sey Dank! Nun kann ich wieder ruhig hier vorübergehen und dem Blinden zurufen:

Gott segne Euch, guter Mann! —

Albert, der Wildfang.

Eine Erjählung.

Es war einmal ein kleiner zehnjähriger Knabr — Albert war fei» Name — der kannte kein schöneres Vergnügen, als herum? zuschweifen. Sobald er seinen Aeltern auden Augen war, lief und sprang er wie toll, stieg auf die höchsten Felsen, erklettert« Mauern, übersprang tiefe Gräben und hing sich an die Zweig« der Bäume» Er überbot alle seine Spielkackmeraden an Ungezogenheit. Man nannte ihn daher, besonders seiner herumschweifenden Lebensart wegen, nur Al­ bert den Wildfang. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß feine Aeltern um seinetwillen beständig in großer Sorg« seyn und unaufhörlich fürchten mußten, daß er zu Schaden, oder wohl gar um'S Leben käme, zumal ihre Wohnung am Ufer des Meeres lag. — Jeden Augenblick «ar er in Gefahr, zu ertrinken.

3oo

Einr« TageS schwärmte er auch in dem mit einer Mauer umgebenen Garten herum, «nd kam endlich an eine kleine Thüre, welch« in's Freie führte und unglücklicher Weise un« «erschlossen geblieben war. Sein erster Ge/ danke war, ju untersuchen, was «üßtrhalb de« Gartens wohl vorgehen möchte; er sah sich von allen Seiten um, ob er nicht beobach­ tet würde, schlüpfte dann schnell durch di« Oeffnung und lief nach dem, kaum hundert Schritt« entfernten Ufer des Meeres hin. Seine Absicht war, einige hübsche Muscheln ans dem Sande aufzulesen und hierauf sogteich wieder zurückzukehren, damit dies« klein« Streiferei von Niemanden bemerkt werd«. AIS" er am Ufer ankam, vergaß er das Suchen der Muscheln und sprang in «ine Fi­ scher» Barke, die daselbst an einem Pfahle befestigt war. Zn dieser wiegte er sich von einer Seite zur andern, was ihm ungemein viel Freude machte, und überließ sich so ganz seinem Vergnügen, weil niemand ihn daran hinderte. Aber was das Schlimmste war, di« Barke, die einem armen Manne^ gehörte,

3OX hatte man nur mit einem alten, halbverfaul­ ten Stricke befestigt; dieser riß und die Barke

ward von den Wellen des Meeres fortgetrie­ ben.

Zum Unglück trat die Ebbe rin, die

ihn auf's hohe Meer mit sich fortriß.

Es strömt nämlich in vier und zwanzig

Stunden

zweimal

das Meer

mit Heftig­

keit gegen das Ufer, und kehrt auf dieselbe Weise

bis

zu

einer

gewissen

Entfernung,

in einem gleichen Zeitraume, wieder zurück. Das

Strömen nach dem Ufer nennt man,

die Fluth, das Zurücktreten die Ebbe.

Man kann leicht einsehen, daß das Was­ ser, indem es sich zurückzieht, Alles mit sich

fortnimmt, was an das Ufer nicht befestigt ist —

dieß

geschah

auch

mit

der

Barke.

Kaum hatte Albert-bemerkt, daß der Strick gerissen war, so verwandelte sich seine aus­

gelassene Freude in tödtliches Entsetzen; wie versteinert war er, als er sich so schnell von der Küste fortgeschleudert sah.

an entsetzlich zu schreien

rufen,

Endlich fing er und um Hülfe zu

aber seine schwache Stimme

verlor

sich im Gebrause der Wellen, und Niemand

Hirte feinen Zammer. VerzweiflungSvoll rannte er von einem Ende der Barke zum andern, hob die Hände gen Himmel, hat Gott um Hülfe und Erbarmen und weinte bitterlich. Das war auch das Einzige, was er thun konnte, denn wie wäre ein Kind feines Alters im Stande, ein großes Doot zu lenken? — und wenn er auch Kräfte genug dazu gehabt hätte, so fehlte doch Steuer und Ruder. Nach Verlauf von acht bis zehn Minuten war er schon über eine Viertelstunde Weges von der Küste entfernt. Nun hielt er sich für unerrettbar verloren; auch hatt« er wohl Ursache dazu, denn die Nacht rückte heran, das Ufer war verlassen, und nicht leicht konnte ihn auf der weiten Fläche des Wassers jemand entdecken; selbst dann, wenn aus der Ferne jemand die Barke bemerkt hätte, würde man schwerlich auf die Vermuthung gekommen seyn, daß sie ein armes Kind, einsam und hülflos durch die Fluthen trüge. Man würde vielmehr der Meinung gewesen seyn, daß sie einem Fischer

gehöre, der ausgefahren sey, deS Nachts seine Netze zu werfen. Um das Unglück auf das Höchste zu stet« gern, erhob sich ein Wind vom Lande her, der das zerbrechliche Fahrzeug mit noch mehr Heftigkeit als die Ebbe forttrieb. Das feste Land schien schon so entfernt — so entfernt, daß Albert glaubte, auf die Rückkehr nimmer rechnen zu dürfen. Dis jetzt hatte sich der kleine Unglückliche aufrecht erhallen und spähend um sich hrrgr» schaut, nun aber verlor er ganz den Muth und legte sich schluchzend nieder auf den Boden der Barke. Während er sich so abhärmte, deckt« nach und nach dicke Finsterniß das Meer — ein neues Schrecken für Albert. Nicht das Ge» ringste konnte er mehr sehen, nur das Brausen der Wellen hörte er, die schäumend sein leichtes Fahrzeug bespülten. Mit jeder Minute fürch­ tete er, von ihnen verschlungen zu werden, denn der Wind blies stärker und durchwühlte die Oberfläche des Meeres wie zur Zett des Sturmes. Schwarze Wolken bedeckten -den

Himmel und fingen die Strahlen des Mondes und der Sterne auf. Der herzhafteste Mann würde in solch einer Lage den Muth verlohren haben. Albert saß in einem Winkel der Barke auf alten Fischernetzen, die darin liegen geblieben waren und wagte kaum zu athmen.

Dis ohngefähr um Mitternacht dauerte das Wetter fort, dann besänftigte sich der Wind. Die Wolken verloren sich langsam utu ter dem Horizont und der Mond verbreitete sein blasses Licht über die Fläche des Himmels. Albert hob spähend das Köpfchen über die Barke und betrachtete das Meer.

Der schwa­

che Schimmer der Gestirne ließ ihn die uner­ meßliche Einöde bemerken, in der er sich befand

und die ihn mit größerm Entsetzen erfüllte, als die Finsterniß, die sie früher verborgen hatte. Nur Himmel und Wasser erforschte sein Blick. Er sank auf seine Netze zurück und weinte von

Nach und nach wurde der Kopf ihm schwer, die Augen schlossen sich unwillkührlich und die Anstrenguug und sein zartes Alter ließen ihn mitten in den Gefahren, Neuem.

die ihn umgaben, in sanftem Schlaf versinken.

Der arme Knabe er schläft-»tun vielleicht »icht Wieder zu erwachen-i- odergrht «ach fei« wem Erwachen mitten auf dem Meere dem ««vermeidlichen Hungertod« entgegen! — Wie sehr, ist et zu beklagen, daß er sei« Nm Aeltern ungehorsam war und dadurch dieß schreckliche Geschick, sich selbst:bereitet hat! — Wir. wollen ihn jetzt, in feiner schwan« kenben Dark«, Gottes weiser Vorsehung über­ lassen und sehen, waS während seines ruhi­ gen Schlafes in dem väterlichen Hause vor­ geht. Als Albert aus dem Haufe gegangen war, um in dem Garten zu spielen, «ar feine Mutter um ihn lange unbesorgt; nur beim Einbrüche der Nacht befremdete es sie, daß er nicht zurückkehre. Man ruft ihn — aber er antwortet nicht, wie man sich leicht vor­ stellen kann. Von allen Seite» sucht man ihn und findet ihn nicht. Der auSgesendete Bediente benachrichtigt mdlich die Mutter, daß ihr Sohn nicht im Garten sey, da diese aber Albert recht wohl kannte, so kam sie darüber nicht sogleich in B, f. Kind. III. 20

Unruh«.

St» ging mit dem Bedienten, um

selbst suchen >z« helfen, durchlief den ganzen Garteit und kaM auch an die kleine Thüre, die sie offen fand.

Zhr blieb nun kein Zwei­

fel mehr, daß er durch diese entwischt sey.

Sie suchte nun auch außerhalb des Garten«

am Ufer des Meeres, rufte laut und fragte alle, die ihr begegneten, ihrem

Sohne

gesehen

ob sie. nichts von hätten.

Niemand

konnte ihr die geringste Auskunft geben. —•

Jaßt fing sie an,

auf das Aengstlichste um

ihn besorgt zu werden.

Zhr Gatte, der eben

gekommen war und einige andere Personen,

die aus Theilnahme

suchen halfen, gingen

die ganze Nacht hindurch vergebens von einem

Orte zum -andern.

Als der Tag anbrach,

waren sie fest überzeugt, daß Albert in das Meer gestürzt sey und da seinen Tod gefun­

den habe. Wohnung

Seine zurück

Aeltern kehrten in ihre

und

beweinten

ihn wie

einen Verstorbenen. — Ach Gottl sagte die

Mutter, so ein schreckliches Unglück habe ich

immer erwartet, das lieblose Kind hat stets unsre Ermahnungen verachtet und schien im-

mir ein Vergnügen darin zu finden, fich jeder Gefahr Preiß zu geben. Da Man die Barke nicht vermißte, und der Fischer sie innerhalb zwei bis drei Tagen nicht braucht», so kam man keinen Augenblick auf den wahren Hergang der Sache. Während man so ängstlich am Ufer suchte, schlief Albert, wie ich schon erzählt habe, ruhig auf den ihn forttragenden Flukhen. Bei seinem Erwachen «ar die Sonne schon hoch empor gestiegen und erwärmte seine, durch die rauhe Nacht» lüft vom Froste erstarrten Glieder. Er rieb die Augen, ermunterte sich und sah sich um, wo er sich befände. Zu seinem großen Erstatt» nett bemerkte er, daß die Barke zwischen zwei au« dem Wasser hervorragenden Felsenriffen nahe an dem Strande festsaß« Er raffte sich sogleich auf, setzte den Fuß auf den Rand des Fahrzeuges, sprang auf einen der Felsen und watete von da nach der Gegend hin, die ihm wie Land vorkam. Al« er aber auf dem höch­ sten Punkte angekommen war, bemerkte er mit Schrecken, daß dieses vermeinte Land nichts sey, als rin Felsen, der kaum «ine»

30«

-------------

halben Acker im Umfange hatte.

Von da an­

sah er das weiteMerr um sich her und in einer

Entfernung von ohngefährzwei bi« dreiStun-

den da« Ufer, da« er verlassen hatte. entmuthigte ihn ganz und gar.

Dieß

Er setzte sich

auf die Spitze de« Felsens und blieb so eine halbe Stunde fast

unbeweglich,

sein Auge

nach der Gegend gerichtet, wo die Wohnung seiner Arltern lag. -Er sprach zu sich selbst:

ich bin meinem Vater und meiner Mutter un*

gehorsam gewesen und dafür hat Gott mich gezüchtigi! — Zn seinem Alter hat man guten Appetit und der größte Kummer ist nicht von

langer Dauer. suche er sein

Er blickte um sich her, al«

Frühstück.

Zn fünf Minuten

durchlief er seine kleine Znsel mit großer Auf« merksamkeit.

Da gab r« aber weder Daum

noch Strauch, nur in den Ritzen de« Felsen,

in denen sich ein wenig Erde befand, keimten einige Grashalme.

Das Gra« dient nur zur

Nahrung für Rinder und Schaafe— er mußte

weiter suchen. — Zudem er an dem äußersten Rand der kleinen Znsel Herabstieg, bemerkte

er eine Menge Muscheln an dem Gestein und

----------

LC9

unter biefetf besonders herrliche Austern, von denen eine durch die Sonnenhitze sich geöffnet hatte. Mit dieser begann er sein Frühstück; dis übrigen brach er mit Hülfe eines schar­ fen Steines auf. Der Hunger würzte fein Mahl. Als dieser gestillt war, machte er noch einen Spaziergang auf seiner Besitzung und war, als er an den Ort zurückkam, wo er die Barke gelassen hatte, nicht wenig er­ staunt, sie nicht mehr zu finden. Die Wel­ len hatten sie gehoben und von den Steinen weggespült; — schon weit war sie fortge­ schwommen. Dieser Verlust ließ ihn auf das lebhafteste fühlen, wie verlassen er sey. Er überlegte, daß er wohl schwerlich weder seine guten Aeltern noch irgend einen Men­ schen jemals Wiedersehen würde. Allerdings eine traurige Lage, aber hatte er sie nicht selbst verschuldet? Er erkannte jetzt alle seine Fehler und gab sich selbst das heilige Versprechen, baß er, wen» er je in das ülterliche Haus zurück­ kommen sollte, mit größerer Aufmerksamkeit und mit mehr Achtung di« wohlgemeinten

3io Rathschläge seiner Wohlthäter befolgen wolle. Dieser gute Vorsatz und ein mit zum Him­

mel erhobenen Augen an die Vorsehung ge­

richtetes, fußfälligeS Gebet gewährten ihm einigen Trost.

Obschon die Strahlen der in den Wellen sich spiegelnden Sonne die Znfel wohlthuend

erwärmten,

so dachte er doch daran, baß

die Nacht kalt seyn würde und er sich einen

Zufluchtsort, wo müsse.

er ruhen

fStint,

suchen

Denn bei aller seiner Unfolgsamkeit

und Unbedachtsamkeit besaß er gesunden Ver­

stand, und überlegte fein« Handlungen wohl, wenn er ernstlich wollte oder die Nothwen­

digkeit ihn dazu zwang.

Er trat demnach

seine Wanderung von Neuem an, und fan­

wirklich eine kleine Oeffnung,

die gerade,

seiner Größe nach, zu einem Aufenthalt für

ihn paßte.

Es war eine Höhle in einem

Steine, deren Oeffnung nach Sonnen-Auf­ gang gerichtet war.

Sogleich begann er sie

zu reinigen, indem er «ach Art der Füchse

grub und mit den Händen scharrte. dann

trug

er Moos

und

So­

trockenes Gras

herbei und bereitete sich cm Bette bas frei­ lich nicht so bequrin. und weich, als das, was er bei seinen Aeltern gehabt hatte doch gut genug war, um ruhig darauf schlafe» zn können. Nach Beendigung dieser Arbeit gab es für ihn nichts weiter zu thun. Er stieg an den Strand des Meeres herab, um ferne Mittagömalzeit zu halten. Eine wohlbcsetzke Tafel erwartete »hn. doch fingen die Ge richte an ihm unschmackhaft vorzukommen, und etu gutes Stück lrocknes Brod würde letzt etne köstliche Speise fi'r hn gewesen seyn. — Doch Las Schlimme muß ertragen werden. — Auf solche Weise verstrich der Tag. Die Annäherung der Nacht versetzte ihn wieder in die frühere Unruhe. Wäre er nur ei» wenig furchtsam gewesen wie viele Kinder es sind er würde in dieser schrecklichen Ein­ samkeit vor Aengstlichkeit umgekonnnen seyn, aber er war vernünstia genug eiiizusehe», daß das wa von Gespenstern erzählt wird, unzubeachtende Hirngespinnsie sind. Das

war «S nicht, was ihm Kuntmtr machte, wohl aber seine traurige und beklagenswrrtht Lage. Glücklicher Weife erlaubte ihm sein« Schläfrigkeit nicht, lange Betrachtungen über seine Lage anzustellen, er legte sich auf sein tvocknes Gras und schlief.bis an- den Hellen Morgen. Der 'zweite Tag vekstriih wie der erster Auch der dritte schien auf diese Weise vorübergehen zu- wollen, und schon glaubte Al­ bert, daß sein ganzes Leben so ablaufen wür­ de, als er auf einmal in der Kerne drei Fi­ scher* Kähne entdeckte, di« ihren Weg nach seiner Insel zu richten schienen^ Sein Herz klopfte vor Freude, und geschwind lief er nach der Seite hin, nach welcher er die willkom­ menen Kähne wahrgenommen Ham. Bon einigen Seeleuten hatte er erfahren, daß wenn man in Noth sey, man Zeichen geben müsse, um Hülfe zu erhalten. Er zog demnach schnell aus seiner Tasche «in kleine» weißes Taschentuch, hielt es so hoch in di« Luft, als er vermochte und schwenkte eS aus alle» Kräfte«.

Lange Zett blieb das weiße Tuch and btt kleine gute Mensch, der es schwenkte, .van den Fischern unbemerkt» endlich aber wurden sie aufmerksam darauf, und «eil sie die Absicht hatten, ihre Netze in der Nähe der Znsel ausjuwekfen, so war eS nicht nöthig, daß sie ihren. Lauf anders.richteten. Bald kamen sie an und wapen ganz be» fremdet, .ein Kind ganz allein auf dem Felsen zu finden, noch mehr aber waren sie erstaunt, als sie Albert, erkannten, den sie bereit« für todt hielten. D-l kleiner, unglücklicher Mensch, rkefen sie ihm zu, in welche Angst und Math hast du dein» Aelterin versetzt! Wie sehrAlbert, der vor Freude ganz außer sich war», ließ, sie nicht austeden, umarmte sie zu Wiederholtenmalen und.erzählte ihnen, wie eS sich zugetragen habe, den die Barke, 'während er sich darin geschaukelt, vom Ufer losgekom« men sey. Die guten Fischer, die gern recht bald Al« btrt« Aeltern tröstende Nachrichten zu bringen wünschten, nahmen ihn in einen ihrer Kähne, verschoben das Fischen auf eine andere Zett und kehrten sofort zurück. 2ch will mich tn die Etnzelnheiten bei Al­ bert« Empfang nach feiner Rückkehr in'« väter» licht Hau« nicht weittr etnlafftn. Heine

---------------

3M

Aelttrn waren- so erfreut ihn wiederzusehen, daß -siechn auf der Stelle umarmten und nicht daran dachten,

ihm Vorwürfe

zu machen.

Albert aber, der alle seine Fehler einsah, warf

sich vor Vater und Mutter auf die Kniee und sagte: Golt-Hat mich gezüchtigt, weil ich mei­

nen Aeltern ungehorsam war, doch ist-fr immer «.och sehr gnädig , gegen mich gewesen, und hat dar große lsnglüsk abgewendek, M

welcher mein Vergehen -mich siüvzm konnt«. Vergieß mir,

lieber Vater,

Mutter, wie ich hoffe,

den'wird. —- •—

vrrgieb,

gute

daß Gott-mir verge-

Wir verzeihen dir, mein

Sohn,, sagte der Vater, indem er ihn zu sich

emporhob-.

.-Durch

dein eigener schlimmer

Geschick Haff du'erfahren, daß man seine« Aeltern unbedingt gehorchen «muß. Du weißt/ daß «rc.dir.nur dar n -sagen, war dir schäd­ lich werben kann. KoMm nach einmal ht unsere Arme, mein Sohn, und sey. für bin Zukunft recht folgsam. Albert wurde in der That viel wohlgezo­

gener und verständiger, ging niemals wieder aus dem Hause, ohne hierzu die Erlaubnißerhalten zu haben, und erinnerte sich seiner, begangenen Fehler nur darum, um sie zu ver­ meiden..

Sokrates.

Ungefähr 330 Zahr vor Christi Geburt wurde Sokrates der Sohn des SoftoniskuS, eines Steinmetzen in Athen, geboren.

Seine erste

Wohnung auf dieser Welt war nicht bequem

und elegant, sein Wiegenbett nicht weich, nicht mit Seide geziert; seine Zugend genoß nicht den Sonnenschein

des

Wohlstandes:

aber

die göttliche Vorsehung hatte ihn bestimmt,

den Atheniensern und allem Volk ein Muster

der Tugend,

Bild reiner Sittlichkeit

das

und edler Menschlichkeit zu werden. Kopf und

sein

ganzer

Natur nicht schön, Seele.

Körper

desto mehr

war

Sein

von

aber feine

Wer ihn zum ersten mal sah, fühlte

sich anfangs

etwas

unangenehm

betroffen;

wer sich mit ihm unterhielt, wurde hingeris­ sen durch seinen Verstand, bezaubert von dem durchdringenden Blick seines blitzenden Auges, von dem festen Ausdruck seines männliche»

Charakters, von der unwandelbaren Heiter» keit und Gleichmüthigkeit einer allen Men» schen wohlwollenden, biedern Seele. Einer von seinen Zeitgenossen sagt von ihm: „So» krateS spottet gern über Thorheiten; doch bas gutherzige Lächeln um seine etwas dicken Lippen mildert den Spott, der um seine auf» gestülpte Nase schwebt so sehr, dast der Spott aufhört Spott zü sey» und daß er ein Mit» kel wird, seinen feinen Scherzen und seiner Kunst, sich ironisch auSzudrücken, etwas über» aus Angenehmes zu geben. Kurz, ich bin überzeugt, daß gerade diese Gesichtsbildung dazu gehört, um seinen ganzen Charakter aus« zudrücken, diese Mischung von Weisheit und Einfalt, von Ernst und unschuldigem Muth­ willen, von Gleichmüthigkeit und geistreicher Laune, von Selbstgefühl und Bescheidenheit, von Treuherzigkeit und ätzender Schalkhaftig­ keit." Sokrates war weder ein eigentlicher Ge» lehrter noch ein Staatsmann, er war ein einsichtsvoller, ein edler, höchst vortrefflicher Mensch, und ein guter Bürger, der einen

großen Umfang non Welt» und Menschen«

kenntniß sich orwo.rbeir hatte, dessen Verstand von Borurtheilen und Wahnbegriffen gerei­

nigt war und der den feinen Sinn besaß, mit allen Gattungen von Menschen auf die

rechte Weise umzugehen.

Umganges

Seine Kunst des

und der Belehrung wollen, wir

hier näher kennen lernen. Anaximandra aus Cyrene,

die liebens­

würdigste Frau in Griechenland, welche durch die Anmuth ihres Geistes eben so sehr als

durch die Reitze ihrer Gestalt und durch die Schönheit ihres Antlitzes jedermann bezau­

berte, war, um den Sokrates kennen zu ler­ nen, nach Athen gekommen.

Der weiseste

Mann und die schönste Frau ihrer Zeit sahen

sich täglich und fanden Wohlgefallen an ein­

ander.

Ein ■ schöner

Morgen

beide in die Burg von Athen. sahen

sie

die Wunder

lockte

einst

Hier be­

der Kunst,

welche

das Erhabenste und Schönste darstellten, was

Baukunst, Malerei und Bildhauerkunst her­

vorgebracht haben, und verweilten am läng-" sten unter de» Propyleen, wo sie die schön»

sten Bildsäulen von PhidiäS,

ZklkameneS

und andern großen Meistern betrachteten.

Nachdem st das Vo zfglichste bewundert har« trn, entspann stch folgendes Gespräch,

Anaximandra.

Welchen Künstler, lieber

Sokrates. hälst du für den größten?

Frage, schöne Freundin, dein

Sokrates.

eigenes Gefühl. A. Da spricht

Phidias.

S. Und spricht ganz richtig

alles beisammen macht.

in ihm ist

was den großen Künstler

Er ist ein Dichter

der statt in Ver­

sen in Marmor dichtete, und ihm allein schei­ nen die Götter die er bildete, wirklich er­ schienen zu seyn. A. Zeige mir doch auch die Grazien, bas

Werk deiner Jugend.

S. Sie sind nicht werth von dir gesehen zu werden.

Ich war nie mit ihnen zufrieden;

aber seitdem ich deine drei Grazren kenne, würde ich die meinigen nicht mehr anblicken

könnet. A. Meine drei Grazien? Es find aller-

ding- liebliche Mädchen; aber doch keine himmlischen. S. Zch meine nicht deine Gesellschafterin­ nen, liebe Anaximandra; ich meine deine eigenen Grazien. Damit du nicht glaubest, ich scherze oder schmeichle, erlaube daß ich mich näher erkläre. Zch habe drei Dinge an dir bemerkt, die gerade das find, was die Grazien seyn müssen. Das erste ist ein dir eigenes, kaum sichtbares Lächeln, das deine Augen, deinen Mund, dein ganzes Gesicht sanft umfließt, das nie verschwindet, du magst sprechen oder zuhören, selbst dann nicht, wann dir etwas mißfällt, wann du zu zürnen oder zu trauern scheinst. Das zweite ist die zier­ liche Leichtigkeit der Bewegungen und Stel­ lungen deines Körpers; wann bu. gehest scheinst du zu schweben, wann du sitzest so scheint es als wärest du schon bereit dich auf­ zuschwingen. Und diese Leichtigkeit ist immer mit dem edelsten Anflande und einer anspruch­ losen Würde verbunden. A. (errölhend.) Aber vergiß nicht, ich B. f. Kind. III. 21

bitte dich, daß du mich mit deinen Schmeiche­ leien in Verlegenheit bringen kannst.

S. Ah! Da haben wir deine dritte Gra­ zie! Sie ist die holde Schamhaftigkeit, die Tochter des zartesten Gefühls, welche mit. dem Adel deiner Gestchtsbildung so schön harmonirt, und von gemeiner oder kindischer Ver­ legenheit so wesentlich verschieden, ist. Ein

Bildhauer < der dieses Lächeln, diese Leichtig­

keit, dieses Erröthen zu verkörpern und in Gestalt dreier lieblicher Mädchen darzustellen vermöchte, würde uns die Grazien schaffen. Du erinnerst dich, schöne Anaximandra, unsers ersten Gesprächs unter dem großen Ahorn - Baume am Flusse Zlyssus, über

Schönheit und Liebe, und zweifelst nicht mehr daran, daß beide ohne Tugend weder zu ihrer Vollkommenheit kommen, noch lange beste­ hen können. Du bist einig mit mir, daß das

Schöne und Gute im Grunde eben dasselbe und die Tugend eigentlich nichts anders als

reine Liebe zu allem Schönen und Guten ist; daß diese Liebe, die gleich der Flamme immer emporstrebt, durch nichts unvollkommneS be-

-----------

313

friediget wird, und mir t« Genuß des h ö >5» ste» Schönen, j« welchem fie stufenweise emporfingt, Rahe finde: Aber ich will es nur gestehen, daß mein trener Gen,ns, die Stimme in mttncm Ini.-rn, mir saqt Die Natur habe dich qa", eigentlich pt einer Lehrerin und Priesterin, )a vielmehr zu einer unmittelbaren Darsteller»» der Tugend besi'mmt und ausgerüstet, und daß es also d»e eiste deiner Pflichten fin, die Er» rerchung dieses ho'en Ziels zum großen Ge» schäfte deines Lebens zu machen Wenn die Tugend fichtbar werden könnte, was für eine ändert Gestalt «iS tie dtMigr könnte fie an» nehmen wollen, um alle Herzen an p-b zn *if« Heu und fest zu halten' Es hängt bloß von deinem Wollen ab, der Welt za z-igen, daß fie fichtbar we.den könne, und wenn Tyche (btt Göttin des Zufalls) dich zur Königin deS aanzen Crdkre,|,s erbübe, wie wenig wä»e das gegen die Höhe, zu welcher du dich aus eigener Macht, ohne etwas anders als dich selbst vorzustelli», erhebe.» kannst, bloß indem du btt Pjlrcht, die dir

deine Schönheit auferlegt, in ihrem ganzen Umfang erfüllst. — Anaximandra legte ihre Hand mit einem kaum merklichen Druck auf die seinige, und sagte, indem sie ihm erröthend in die Augen sah: „Der Ort, wo wir sind, und die sichtbare Gegenwart so vieler Götter und Heroen, die uns umgeben, hat dich, ehr­ würdiger Sokrates, begeistert. Zch bin nur eine schwache Sterbliche; und doch schwebt auch mir ein hohes Zdeal vor, das ich viel­ leicht nie erreichen werde; doch sey versichert, daß ich diesen Morgen, dich, und alle ©tum den, die ich in deiner Gesellschaft lebte, nie­ mals vergessen werde. S. „Ich schwärme nicht, liebe Anaxi­ mandra. Was du von mir so eben gehört hast, hätte die Wahrheit selbst dir nicht ruhi­ ger sagen können. Lebe wohl, und sey auch du versichert, daß ich dich nie vergessen werde." Anaximandra neigte sich zu seiner Hand nieder, drückt« ihren Mund darauf, und ließ eine Thräne auf sie fallen. Beide schieden jetzt schweigend von einander.

Sokrates härtete seinen Körper, von Ju­

gend

auf und mit großer Strenge,

gegen

äußere Eindrücke, Schmerzen, Hitze und Frost

ab, lernte Hunger

und Durst ertragen und

gewöhnte sich an Entsagungen aller Art, damit er seinem

Vaterlande auch

als Krieger im

Felde dienen könne, wenn es seiner bedürfe.

Er wohnte in einem kleinen Häuschen, ging

zwar reinlich, aber doch etwas ärmlich geklei­ det und in jeder Jahreszeit barfuß: überhaupt vermied er sorgfältig allen Aufwand für seine PersoM, um mit seinem spärlichen Verdienst

und seiner kleinen Einnahme auskommen zu können, ohne Bezahlung oder Geschenke für seinen Unterricht von seinen Schülern nehmen

zu dürfen.

Einer seiner Schüler mit dem

Namen Aeschines sagte, nachdem er ihn zum erstenmal gehört hatte: „Ich bin arm, guter

Sokrates, aber ich übergebe mich gänzlich dir. Dieses ist alles , was ich dir anbieten kann. “

Sokrates antwortete:

„Du kennst nicht die

Vortrefflichkeit deines Gefchenk's."

Einige

reiche Gutsbesitzer boten ihm ein sorgenfreies

angenehmes Leben an, wenn er als Gesell-

fchafter zu ihnen kommen wollte; der König

Archelaus von Macedonien wollte ihn an sei»

nen Hof ziehen: aber er lehnte die glänzenden Anerbietungen ab; weil er glaubte, er könne

den Atheniensern durch Lehre und Beispiel nützlich werden, und weil er diesen Beruf für

den aücrrühmlichsten hielt.

Der Freund sei­

ner Zugend und seines Alters, der edle reiche

Criton mußte lange seine UeberredungSkunst anwendcn, bis er Sokrates bewegen konnte,

seinen Beistand in so weit anzunehmen, daß es ihm an dem Nöthigsten künftig nicht feh­

len könnte.

Sokrateö war arm; und doch wurde sein Umgang von allen Großen und Vornehmen eifrig gesucht, und trotz seines aögetragenen

und etwas fasrigen Mantels, wurde er doch zu den Festen und Schmäusen der Honoratio­ ren eingeladen: denn er war ein angenehmer

Tischgenosse.

Sein feiner Witz, seine Scherz«

und sein Scharfsinn erheiterten und unterhiel­

ten die Gäste, indem seine Mäßigkeit und

seine reinen Sitten ihnen Ehrfurcht einflößten.

Alle Grundsätze

des Sokrates und den

ganzen Inhalt selber Sittenlehre anzugeben,

würde uns zu weit führen. fragen,

worin

bestand

Aber man darf

denn eigentlich die

Weisheit des Sokrates, welche er feinen Züngern und dem atheniensischen Volke mitzutheilen sich berufen fühlte? Darin, daß er den höchsten Zweck des Lebens, das höchste Gut

durch die besten Mittel zu erlangen trachtete. Nicht Reichthum, nicht Ehre, nicht Macht, nicht sinnliches Wohlleben, nicht einmal Ge­ sundheit des Leibes, sondern die Gesundheit

und Vollkommenheit der Seele, und die Aus­

bildung ihrer Anlagen

und Kräfte zu allen

Tugenden hielt er für das höchste Gut. Reichthum, Ehre, Macht und die übri­ gen irdischen Vorzüge,

welche gemeiniglich

die Sterblichen am mehrsten reihen und ihre eifrigsten Wünsche erwecken,

können heilsam

und schädlich werden, je nachdem sie gebraucht werden

oder

nachdem

ihre

Folgen

sind;

einige werden von Qualen begleitet, andern folgt Ueberdruß und Rene; alle verschwinden, wenn man sie mißbraucht und ihr Genuß hört

auf, sobald die Besorgniß eintritt sie zu ver«

lieren. Sie können folglich nicht das höchste Gut seyn. Dagegen sind Krankheit, Armuth, die verlohrne Gunst und so vieles andere, das der Mensch sürchket, so schrecklich sie auch seyn mögen, nicht immer ein großes Uebel; weil sie uns nicht selten mehr wahren Vortheil gewähren als Gesundheit, Schätze, Ehren­ stellen und was wir sonst gerne hätten. Der natürliche Mensch schwankt immer zwischen seinen Trieben und Begierden herum; er würde nicht wissen was sein Glück ist, wenn ihm nicht die Gottheit einen Führer gegeben hätte. Dieser Führer ist die Weisheit, welche den Gegenständen ihre Scheinfarben benimmt «nd uns zeigt, was sie wirklich sind, unser Urtheil bestimmt und unsern Willen durch die Kraft der Ueberzeugung leitet. Die Weis­ heit bestehet in einer erleuchtenden Vernunft. Diese giebt uns den Glauben an einen einzi­ gen, obersten Gott, welcher der Urheber und Erhalter des Weltalls ist, dem man keine Schwachheiten beweisen kann, welcher, über­ allgegenwärtig, alles siehet und höret, dessen Vorsehung sich über die ganze Natur erstrecket.

den wir rott der ^tiefsten Ehrfurcht anbeten, mit reinem, Herzen lieben und mit Vertrauen

um seinen Schutz bitten müssen. sprach Sokrates,

Laßt un-,

nichts Wichtiges unterneh­

men, bis wir die Gottheit

um ihren Bei­

stand gebeten haben: laßt uns nichts gegen ihre Befehle thun, und immer fei; uns der Gedanke gegenwärtig, daß sie auch die Dun­ kelheit erleuchtet und uns in der tiefsten Ein­

samkeit bemerkt. —

Der

Mann,

welcher

solche Grundsätze hatte und sie treu befolgte,

konnte nicht anders als wahrhaft,

gerecht,

mäßig, demüthig, zufrieden, geduldig, wach­ sam und rechtschaffen, mit einem Worte, er

seyn.

mußte tugendhaft

Von seinen Leh­

ren durchdrungen, faßte Sokrates den Ent­

schluß,

die Irrthümer und Vorurtheile als

die Quelle der Laster und des moralischen Un­

glücks zu zerstören.

Als ein bloßer Privat­

mann , ohne vornehme Geburt, ohne Ansehen,

ohne Eigennutz,

ohne Wunsch nach Ruhm,

weihete derselbe sich,

einzig und allein, mit

Feuer und zugleich mit Milde

dem hohen

Beruf die Menschen zu belehren, sie durch

die Wahrheit zur Tugend zu führen, die wankende Herrschaft der Gesetze und die Skt« ten aufrecht zu erhalten. Er zog die edelsten Zünglinge Athens an sich, und machte sie zu folgsamen Schülern; er mischte sich, an öffent» lichen Plätzen, auf besuchten Spahiergängen, in den gewählten Gesellschaften unter die Bewohner Athens; er sprach einsichtsvoll mit Magistratspersonen, Handwerkern, Ackersleu­ ten, kurz mit allen Menschen, die er alfeine Brüder betrachtete, in der Absicht sie aufzuklären, über das, was ihre Bestimmung und ihr wahres Glück sey. Gewöhnlich be­ gann er die Unterhaltung mit Gegenständen des gemeinen Lebens, und wußte dann, ball» scherzhaft, bald ernsthaft fragend, zuweilen mit einer ganz einfältigen Miene die Leute unvermerkt an die heilige Quelle der erhaben­ sten Wahrheiten zu bringen und zwar so, daß sie glaubten, sie hätten selbst den Weg dahin gefunden und selbst die Wahrheit entdeckt. Zur Zeit des Sokrates bestanden die Ein­ wohner von Athen aus einer vermischten Masse von Leuten allerlei Art, von Reichen

und Vornehmen, und von armen Schluckern,

welche auch reich und vornehm werden woll­

ten, von Philosophen,

Rednern, Dichtern

und Comödianten, von allerlei andern Er­

werbern

und Verthnern.

Alle

diese Leute

beteten drei Abgötter an, den Reichthum, die Ehre und die Macht.

Diesen Idolen liefen

die Bürger der Minerven- Stadt eifrig nach, für diese plackten sie sich ab.

Hatten sie ihr

Ziel endlich erreicht, so wußten sie nichts an­

gelegentlicher zu thun, als ihre Schätze zur

Befriedigung ihrer Eitelkeit und ihrer Wol­ lüste zu verwenden.

Weil die Athenienfer

keine Klötze und keine Stockfische waren, so weckte der Reichthum die Künste, und die Künste gediehen unter dem freundlichen grie»

chischen Himmel.

gleich Luxus, niß.

Mit ihnen entstanden zu­

Leichtsinn und Sittenverderb-

Man sah in Athen prächtige Tempel,

schöne Bildsäulen und Gemälde, aber auch

eine unbeschreibliche Zank - und Streitsucht,

Dünkel und Uebermuth.

Sokrates besuchte

die Schulen der Philosophen, und fand, daß

es Grübler waren, die den Vorhang, womit

die Natur den Sterblichen ihre Geheimnisse weislich verbirgt, aufziehen wollten und nicht konnten, daß sie versprachen, was sie nicht hielten, und schöne Seifenblasen gaben, wenn sie Wahrheit lehren wollten. Er besuchte die Sophisten, welche sich Redner nannten, aber Schwäher waren, und fand, daß sie künstlich aus schwarz weiß und aus weiß schwarz mach­ ten, daß sie im Kreise der Moral, der Poli­ tik und des Volksthums sich herumdreheten wie die Wetterfahnen, daß sie ihre Redekünste wie eine Profession trieben, sie ihren Schü­ lern für schweres Geld verkauften, und dabei so reich wurden, daß sie wir die Fürsten leben konnten. Dieses hatte Einfluß auf das Volk. Zeder Sackträger, Wurstmacher und Austern­ händler vermaß sich über Staat, Regierung' Recht und Unrecht mit geläufiger Zunge zu sprechen, und hielt das für eben so leicht, als das Essen ihrer Wassermelonen und ihres GrützbreieS. Sokrates ging in .das Theater, und fand, daß die Comödienschreiber alle Leute von einiger Bedeutung neckten, und auf der Bühne die ausgezeichnetsten Männer dem

Spotte und Gelächter Preis gaben zur großen Belustigung des Pöbels. Unter solchen Zeit« genossen erschien Sokrates um sie zu bessern. Er sagte laut und allenthalben, daß der Unterschied zwischen den bewunderten Philosophen und Sophisten und ihm allein darin bestehe, daß jene lehrten, was sie nicht wußten, und er wisse, daß er von dem, was jene wis» sen wollten, nur sehr wenig und nur etwas mehr als nichts wisse. Den Theater - Dich­ tern warf er vor, das Volk würde durch ihr« zügellose Frechheit irre geführt und verdorben. Dem Volke stellte er vor, daß der Mangel an sittlicher und bürgerlicher Tugend das Vater­ land endlich ins Unglück bringen müsse, und wie nöthig es deshalb sey, der Zugend eine bessere Erziehung und dem Erwachsenen eine andere Richtung zu geben. Das was hier gesagt ist, scheint uns hinlänglich zu seyn, um den Lesern begreiflich zu machen, wie eü mög­ lich war, daß einem Sokrates das begegnen konnte, was ihm in Athen begegnet ist und was wir nun erzählen wollen. Unsern aufmerksamen Lesern wird es nicht

entgangen seyn, daß Sokrates durch seine Leh­ ren und durch die Dreistigkeit Und Ironie, womit er solche vortrug, sich den Neid, den Haß und die Feindschaft seiner verdorbenen Mitbürger zuziehen mußte. Wo hat je ein besserer und weiserer Mensch unter schlimmen und thörigen gelebt, der nicht in dem Kreise, der ihn umgab, verlästert und verfolgt roorbeti wäre? Zu bleiben was man ist, das ist so bequem! besser zu werden ist so schwer! Da. rum wird der Prophet in seinem Vaterlands nicht geachtet, und die Weisheit selbst, wenn fle personificirt werden k-nnte, würde vet» spottet, gekränkt und gepeinigt werden. S» ging es auch dem Sokrates, so ging es unserm Heilande, wenn wir ihn seiner menschlichen Natur nach allein betrachten dürften. Drei redselige Buben, Anptu-, ein tei«, eher Lohgerber und Mann des Volks, dem SokrateS einmal Vorwürfe wegen der schlechten Erziehung seines Sohnes gemacht hatte, und der die sokratische Moral nicht ausstehen konnte, nebst Lykon, ein Sophist, der als Staats» redner in den Versammlungen des Senats und

des Volks über den großen Haufen schaltete, tinb wohl wußte, daß der große Haufe wieder über alles schaltete; diese beiden Elenden bere« beten einen gewissen theatralischen Dichterling, MelituS, bet den Archonten (Regierern des Staats) eine Klage einzureichen, welche fol­ gendermaßen abgcfaßt war: Mclitus, Meli« tus'S Sohn, aus dem Flecken Pithos, bringt ein« peinliche Klage gegen Sokrates vor, den Sohn Sofronisku's, aus dem Flecken Alo« pekä. Sokrates, ist strafbar, weil er unsere Götter nicht annimmt, und weil er neue Götter unter uns einführt. Sokrates ist strafbar, weil er die Zugend von Athen ver« führt. Ihm gebühret der Tod. Als die Klage abgegeben war, drangen die Schüler des Sokrates in ihn, den Sturm abzuwenden: aber Sokrates hielt sich ruhig. Lystaü schrieb eine schulgerechte, meisterhafte Rede für lhn, aber Sokrates sagte: „bas ist nicht die Sprache der Unschuld." Ein an­ derer Freund bat ihn dringend, an feiner Vertheidigung zu arbeiten. Sokrates ant­ wortete: „damit habe ich mich schon lange

beschäftiget; man untersuche mein ganzes Leben: das ist meine Schutzschrift."—Aber, erwiederte der Freund, die Wahrheit bedarf Unterstützung, und du weißt, wie viele Bür» ger die Deredtsamkeit in unsern Gerichtshöfen ins Verderben gestürzt, wie viele Verbrecher sie gerettet hat. Darauf antwortete Sokrates: „Komme es, wie eS will. Zch habe bis jetzt als der Glücklichste auf Erden gelebt. Beschließt die Gottheit über mich, daß ich jetzt sterben soll, so entgehe ich der Kraft­ losigkeit des Alters,*) und der mit ihr ver­ bundenen Schwäche des Geistes, in welcher ich, wie eine welkende Pflanze, hinschmachten würde, mir selbst und meinen Freunden zur Last. Die Nachwelt wird zwischen meinen Richtern und mir entscheiden, und bald nach meinem Tode wird man einsehen, daß ich meine Mitbürger nicht habe verderbe» wollen, sondern nur gesucht habe, sie zu bessern." So war sein Gemüth gestimmt, als er vor das Gericht der Hcliasten gesodert wurde, *)

Er war jetzt 70 Jahr alt.

an welches Sie Archonttn disseN Rechtshandek gewiesen HMk«, und das ungefähr aus 500

Richtern bestand.

Auch die Ankläger erschie­

nen hier, und übergaben ihre Klagschriften, die mit aller Kunst der Deredtsamkeit aus-

gearbeitet waren.

Sokrates vertheidigte sich

nicht nach der hergebrachten Weife, sondern ruhig, heiter,

Würde.

mit großer Einfachheit und

Aber diese Ruhe und Würde konn­

ten die hochmüthigen Richter, welche aus dem Volke gewählt waren, nicht ertragen; sondern legten die Würde der Unschuld als Stolz, die

Kaltblütigkeit und Ruhe als Trotz aus.

Die

Bürger von Athen waren als Richter gewohnt,

und ihre Eitelkeit ward nicht wenig dadurch

gekitzelt, daß die Angeklagten mit Weinen und Wehklagen, mit Bitten und Flehen sie zu er­

weichen und die Lossprechung zu erbetteln such­

ten.

Ein solcher Beschuldigter, welcher sich

sonnenklar über alles rechtfertigte, ihnen selbst

Vorwürfe machte, und sie bei der Nachwelt

und der ewigen Gerechtigkeit anklagte, mußte

nach ihrer Meinung, für seine Kühnheit ge­ straft und als schuldig erklärt werden. Und B. f. Kind. III. 22

Sokrates wurde mit agi Stimmen als schul­ dig verurthrilt. Jetzt fragte man ihn: was für eine Strasser verdient zu haben glaube? und er antwortete: „Keine als die, daß Zhe mich, als einen verdienten Bürger, lebens­ länglich, auf Eure Kosten, frei im Prytaneum erhaltet: denn, Verbannung würde nichts anders heißen, als Eure Schande, meine Unschuld, mein Alter und mein Elend außerhalb Athen, jedem, der mir begegnete, zu zeigen. Vielleicht würdet Ihr mich mit einer Geldstrafe entlassen, aber ich bin arm, und höchstens könnte ich Euch eine Mine (un­ gefähr 22 thlr.) anbieten. Es ist wahr, ich habe reiche Freunde, und Ihr sehet sie hier bereit, für mich alles zu thun; aber warum sollen sie Strafe bezahlen, da sie ebenfalls nichts verbrochen haben?" Dieses brachte die Richter vollends gegen ihn auf, und er wurde mit 360 Stimmen zum Tode verurtheilt. Mit der Ruhe eines Mannes, der sterben gelernt hat, und einem Gleichmuth, den man, so lange Athen stand, noch nicht auf dem Ge­ sicht eines zum Tode Verurtheilten gesehen

hatte, hörte Sokrates fein Urtheil an. „Ich habe mich zwar" sprach er zu seinen Feinden, „über Euren Haß zu beschweren; aber, da der Tod für mich Alten Gewinn ist; so kann ich auf Euch nicht zürnen. Doch es ist Zeit, daß wir gehen; Ihr zu leben, ich zu sterben; die Gottheit allein weiß, wen von uns das bes­ sere Schicksal trifft. Führt mich jetzt in den Kerker." Auf dem Wege zum Gefängniß begleiteten ihn seine Schüler, wehklagend und in Thränen zerfließend. „Aber warum weint Zhr denn?" sprach Sokrates: „wißt Zhr nicht, daß dre Natur, als sie mir das Leben gab, mich zugleich verurthellte, es zu verlie­ ren? Sehet, da gehet Anytus, stolz auf sei­ nen Triumph, bei uns vorüber. Er weiß nicht, daß der Sieg immer dem Rechtschaffe­ nen verbleibt." Sokrates brachte 30 Tage im Gefäng­ niß zu. Das Gefängniß wurde durch ihn, durch seine lehrreichen Gespräche mit seinen Schülern und Freunden zu einem Lchrsaak, worin die tröstlichsten und wichtigsten Wahr­ heiten von der Unsterblichkeit der Seele, von

der Güt« der Gottheit, von

der Ehrfurcht

gegen sie und gegen die Gesetze, und von allem, was für die Menschheit das Wichtigste ist, ab­

gehandelt wurden.

Diese 30 Tage hielt So»

krates für die schönsten seines ganzen Lebens.

Mit Entzücken und mit Thränen sprachen seine Freunde davon. Am Tage nach seiner Verurtheilung ging

von Athen ein Schiff ab, welches die Opfer

Von dem

der Athener nach DeloS brachte.

Augenblick des Abgangs bis zur Rückkehr des

SchiffeS verbot das Gesetz, ein Todesurtheil

zu vollstrecken.

AIS die Nachricht in Athen

ankam, daß am folgenden Tage das Schiff

zurückkommen würde,

ging früh,

ehe

der

Tag anbrach, Criton, der treueste u»td gelieb»

teste Freund des Sokrates zu ihm ins Gefäng­ niß, und setzte sich an sein Bett.

„Du bist

sehr früh bei mir," sprach Sokrates, als er erwachte; „bist du schon lange hier?" Schon ziemlich

lange.

du

gleich geweckt?

mich

nicht

Sokr.

Crit.

Warum hast Crit.

Du

schliefst so sanft, und ich mochte die süße Em­ pfindung, welche auf deinem Gesicht auSgr-

drückt war, nicht stören.

Immer habe ich

dich wegen deiner Seelenruhe glücklich geprie­

sen, aber nie mehr als jetzt, da du so leicht und gelassen dein Schicksal erträgst.

Sokr.

Es wäre ja thirig, in meinem Alter zu mur­ ren,

wenn man endlich einmal sterben soll.

Aber was bringt dich so früh zu mir?

Crit.

traurig nicht für

Eine traurige Nachricht!

dich, aber für deine Freunde, und am schmerz­ haftesten für mich. Schiff aus

Sokr.

Ist etwa

Delos zurückgekommen?

da§

Crit.

Noch nicht; aber es kommt diesen Abend, und morgen, mein geliebter Sokrates, mein bester

Freund, morgen— mußt bu sterben. Ich bin bereit:

Sokr.

Wollen es die Götter, so

Crit.

Wenn du einwilligest, so stirbst

du noch nicht.

Ich, mit den übrigen Freun­

sey es!

den, habe Veranstaltungen getroffen, dich aus

den

Händen deiner Feinde zu retten.

Di«

Wache ist bestocken, du wirst mit Sicherheit entstiehen.

Zn Thessalien ist dir ein ehren­

voller Aufenthalt bereitet.

Schlage mir meine

Ditte nicht ab, und folge mir gleich; du bist es deinen Kindern, mir und deinen übrigen

Freunden

schuldig.

Vorwurfe

aller

Nachwelt,

daß

»US

Befreie

Griechen

und

von dem

der

ganzen

wir nicht alles aufgeopfert

haben, um dein Leben zu retten.

Sokr. Ich

bin durch die Gesetze von Athen gerichtet wor­ ben , und als ein guter Bürger muß ich mich

dem

Urtheil unterwerfen.

Welcher

Staat

könnte bestehen, wenn die Bürger berechtigt

wären, dem Urtheile ihrer Obrigkeit sich nicht

zu unterwerfen?

Der Bürger eines Staat«

begiebt sich dadurch, daß er sich den Gesetzen desselben und der

gesetzmäßig

angeordneten

Obrigkeit unterwirft, alles Rechts, sich gegen

ihre Entscheidung aufzulehnen, oder die Voll­ ziehung desselben zu verhindern.

Habe ich

nicht zum Hauptgeschäft meines Lebens gemacht,

unsrer Republik gute Bürger zu erziehen;

hghe ich nicht immer gesucht, mich selbst als

ein Vorbild aller Dürgertugenden zu zeigen? Wie wäre «S mir denn möglich, so nahe am

Ziel, mein Leben durch eine Handlung zu ent­ ehren, wodurch ich meine eigene» Grundsätze

verleugnen,

di» Wahrheiten meiner «Lehren

verdächtig machen und die Wirkungen meines

Beispiels vernichten würbe?* Ich könnte in Thessalien die Namen der Tugend und der Gerechtigkeit nicht aussprechen, ohne selbst zu erröthen, und ohne mir die bittersten Vorwürfe zu machen. Nein! mein geliebter Freund, laß eö gut* seyn; laß mich den Weg gehen, welchen die Gottheit mich leitet. An dem Sterbetage des Sokrates kamen früh zu ihm in das Gefängniß die Eilfmänner, (Richter, welche die Hinrichtung des Berurtheilten zu besorgen hatten,) ließen ihm die Ketten abnehmen, kündigten ihm an, daß er am Abend sterben müsse, und daß sie dazu alle Anstalten getroffen hätten. Als diese sich wegbegeben hatten, kamen nach und nach seine Schüler und auch seine Gattin, mit dem jüngsten Kinde auf ihrem Arme. Es war ein herzzerschneidender Augenblick des Jam­ mers, der jede gefühlvolle Seele noch jetzt erschüttern muß. Sokrates bat Criton, seine Gattin nach Hause führen zu lassen. Mit Gewalt mußte man sie von ihm los reißen; sie schrie und zerschlug sich das Gesicht. Jetzt setzte sich Sokrates, und rieb mit der Hand

ganz leicht seine nun entfesselten Füße. „ Es «st doch sonderbar," sprach er, „daß man Schmerz und Vergnügen einander entgegengeseht, weil sie sich niemals beide zugleich und in dem nämlichen Augenblick bei uns einstellen. Aber wenn man das eine von beiden verfolgt, ist man fast gezwungen, das andere auch mitzunehmen, und wenn das eine bei uns einspricht, wird das andere nicht säumen, bald zu folgen, gleichsam als wenn sie durch ein unsichtbares Band verbunden wären. DaS Eisen drückte meine Deine etwas schmerzlich; jetzt, da ich reibe, ist mir, als wenn das Vergnü­ gen folgte. " Er sprach noch über vieles, was seine Schüler trösten und seine eigene Seele stärken konnte, mit einer Freundlichkeit, Klar­ heit und Ruhe, als wenn er nicht im Ker­ ker, sondern unter dem großen Ahorn-Daum an den blumichen Ufern des Jlyssus gesessen hätte, und schloß mit den Worten: „Ihr, meine Freunde, werdet mir folgen, wenn auch Eure Stunde gekommen ist. Ihr könnet sie ruhig erwarten: denn wer seine Seele der Gott­ heit und der Tugend gewidmet hat, für den

kann der Abschied von dem Irdischen nichts schreckliches haben. Doch es ist wohl Zeit, Laß ich bas Bad nehme, um nach meinem Tode Euer» Dienern das Abwaschen meines Körpers zu ersparen. Zn Begleitung seines Freundes Criton ging er in ein Nebenzim­ mer und verweilte dort eine ziemlich lang« Zeit in dem Bade. Unterdessen konnten seine Freunde nicht sprechen. Der Schmerz über seinen Verlust, und die Thränen, welche sie vergossen, hemmten ihre Worte. Sie betrach­ tete» sich als Kinder, die ihren Vater ver­ lieren sollten, und als Waisen, die er in der Welt zurückließ.

Die Sonne näherte sich ihrem Untergang«, als Sokrates sich auf das Bett sehte. Man brachte ihm seine drei Kinder, und Criton fragte: „Hast du uns in Rücksicht ihrer nichts aufzutragen?“— Sokrates. „Nein, mein Criton: Dein Herz trägt dir schon zu viel für sie auf, und Zhr übrigen Freunde bleibt tugendhaft, so giebt Euer Beispiel meine»

Kindern sehr viel. “

Da erschien der Ker»

kermeister und näherte sich ihm mit folgenden Worten: 0 Sokrates 1

ich weiß,

du kannst

nicht auf mich zürnen und mich verwünschen,

wie andere Verurtheilte thun, wenn ich auf Befehl des Magistrats komme, ihnen anzu­

kündigen, daß sie den Giftbecher trinken müs­ sen.

Während der ganzen Zeit, daß du hier

bist, habe ich bemerkt, daß du der muthigste, der sanfteste und der beste der Menschen bist, die ich jemals in diesem Aufenthalt gesehen habe.

daß du dein Un­

Ich bin überzeugt,

glück mir

nicht zurechnest,

welche die Ursache davon

wohl kennest.

sondern

denen,

sind und die du

Gott sey mit dir! trage mit

Entsagung bas Uebel, welches nicht zu ändern ist.

Er konnte diese Worte vor Schmerz

kaum aussprechen, stellte sich in einen Win­

kel,

um ohne Zwang ausweinen zu können,

und entfernte sich dann.

Sokrates rief ihm

nach: Auch mit dir sey Gott! ich werde thunwas du gesagt hast. —

Dann wandte sich

Sokrates zu seinen Freunden: „Welche Güte

und Humanität besitzt dieser Mensch; So lange ich hier bin, ist er oft zu mir gekommen, und hat sich freundlich und aufheiternd mit mir unterhalten, und noch jetzt! wie sprachen

seine Thränen! Doch, Criton, man muß ge« horchen.

Laß den Giftbecher bringen, wenn

er fertig ist, und wenn er nicht fertig ist,

so bereite man ihn ohne Verzug." treibst du doch so,

Warum

antwortete Criton, die

Sonne blicket ja noch hinter den Gipfeln der

Berge hervor, «s hat ja Zeit, bis sie wirk­ lich untergeht.

Andere Gefangene benutzen

die Stunden, die ihnen nach Ankündigung

des Todes noch übrig bleiben,

dazu,

sich

noch einmal den Genuß des Essens und Trin­

kens zu erlauben, da man ihnen alles giebt,

was sie in den Augenblicken verlangen. nicht so; es hat ja noch Zeit. --keine Zeit,

Eile

Es hat

antwortete Sokrates, denn ich

bin überzeugt, daß ich nichts dabei gewinnen werde,

als

mich

selbst

in meinen eigenen

Augen lächerlich zu machen, durch eine über­ triebene

Liebe

zum Leben,

und durch die

Thorheit, zu sparen,

wa- nicht mehr ist.

Also geh', mein lieber Freund; gieb meinen Wünschen nach, und thue das,

dich gebeten habe.

darum ich

Criton ging und kam mit

dem Mann zurück, der den Schierlingsbecher trug.

mein

Zu dem letzter« sprach er: „Komm,

Freund,

Gottes Namen!"

in

Mann näherte sich.

Der

Und Sokrates fragte:

„WaS ist bei dem Trinken zu beobachten?" — „Nichts," sprach jener,

„als daß, wenn

du getrunken hast, du auf und abgehest, bi-

fühlst,

und

dich dann auf den Rücken niederlegst."

So­

du Schwere in deinen Füßen

krates nahm den Becher und hielt ihn mit

fester Hand, mit einer unbeschreiblichen Ruhe und Heiterkeit, ohne eine Miene zu verzie­ hen, und ohne die Farbe seines Antlitzes zu

verändern.

„Ist

es

erlaubt," fragte

er,

„einige Tropfen von diesem Trank als eine

Libation den Göttern zu reichen?" Der Ge­ richtsdiener zuckte die Achseln,

und

sagte:

„wir bereiten nur so viel, als nöthig und

hinlänglich ist." — „ Ich verstehe;" sagte

Sokrates, „ aber das ist doch erlaubt und ist nöthig, daß man die Götter bittet, uns einen glücklichen Uebergang aus dieser Welt in jene zu gewähren. Darum bitt« ich ße jetzt, und sie werden meine Bitte erfüllen." Zudem er diese Worte sprach, setzte er den Decher an seine Lippen, und trank ihn mit heiterm Lächeln aus. Wer vermag die Aus« brüche des Schmerzes zu beschreiben, wer kann die Thränen zählen, die seine Freunde vergossen, al- sie Sokrates trinken sahen! Einer derselben, Apollodor, schluchzte und schrie endlich laut: warum mußt du unschul« big sterben? „Wolltest du," sagte Sokrates, „daß ich schuldig stürbe? Sammle doch dei­ nen Muth, Freund, und klage nicht mehr!"

Sokrates, der nach Vorschrift immer auf und abgegangen war, fühlte die Schwere in den Füßen, legte sich nun, wie man ihm gesagt hatte, auf das Belt und wickelte sich in seinen Mantel eln. Der Gerichtsdiener zeigt« den Umstehenden die allmähligen Fort»

schritte der Wirkung des Giftes. Schon wollt« die Todeskälte das Herz ergreifen, als Sokrates den Mantel öffnete, und sagte: „Criton, wir sind dem Gott Aeskulap, für meine Genesung (so nannte Sokrates sein Sterben), einen Hahn schuldig; vergiß nicht diese Schuld abzutragen. “ — Das soll ge­ schehen, antwortete Criton; aber hast du nicht sonst noch etwas deinen Freunden auf­ zutragen?— Sokrates antwortete nicht mehr, sondern machte nur noch eine kleine Bewe­ gung und verschied. Criton drückte ihm die Augen und die Lippen zu.

So starb der beste, der weiseste, der tu­ gendhafteste und glücklichste aller Menschen seiner Zeit; vielleicht der einzige, welcher damals mit Recht von sich sagen konnte: Nie hab' ich, weder in meinen Worten noch in meinen Handlungen, wissentlich eine Un­ gerechtigkeit begangen. Die Schilderung' des Sokrates ist kein Bild der Phantasie; alle Züge desselben sind

-------- —

351

nach den bewährtesten Schriftstellern des Al­ terthums, vornehmlich nach dem wahrhaften Xenophon und nach dem Plato entworfen. Einige Farben hat Wieland dazu geliefert.