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German Pages 522 [513] Year 2001
Wolfgang Doebel
Bruckners Symphonien in Bearbeitungen
PUBLIKATIONEN DES
INSTITUTS FÜR ÖSTERREICHISCHE MUSIKDOKUMENTATION HERAUSGEGEBEN VON GÜNTER BROSCHE
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Wolfgang Doebel Bruckners Symphonien in Bearbeitungen
VERLEGT BEI HANS SCHNEIDER - TUTZING
WOLFGANG DOEBEL
BRUCKNERS SYMPHONIEN
IN BEARBEITUNGEN Die Konzepte der Bruckner-Schüler und ihre Rezeption bis zu Robert Haas
VERLEGT BEI HANS SCHNEIDER - TUTZING 2001
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Doebel, Wolfgang:
Bruckners Symphonien in Bearbeitungen : Die Konzepte der Bruckner-Schüler und ihre Rezeption bis Robert Haas / Wolfgang Doebel. - Tutzing: Schneider, 2001 (Publikationen des Instituts für österreichische Musikdokumentation ; Bd. 24) Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-7952-1034-8
ISBN 3 7952 1034 8 ©2001 by Hans Schneider, D-82323 Tutzing
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des Nachdrucks und der Übersetzung. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses urheberrechtlich geschützte Werk oder Teile daraus in einem photomechanischen oder sonstigen Reproduktionsverfahren zu vervielfältigen und zu verbreiten.
Herstellung: Druck: Proff Offsetdruck, 82547 Eurasburg Bindung: Thomas-Buchbinderei, 86069 Augsburg Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier
Ein Schöpfer hat eine Vision von etwas, das vor dieser Vision nicht existiert hat. Und ein Schöpfer hat die Macht, diese Vision zum Leben zu erwecken, sie zu verwirklichen.
Arnold Schönberg: Komposition mit zwölf Tönen
Die Aufgabe des Schaffenden besteht darin, Gesetze aufzustellen, und nicht, Gesetzen zu folgen.
Ferruccio Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst
VORWORT Das ‘Fassungsproblem’ der Symphonien Anton Bruckners ist heute nahezu jedem interessierten Konzertbesucher und Schallplattenkäufer bekannt. Dagegen ist die Frage der Fremdbearbeitungen Brucknerscher Werke — nach einer heftig geführten Diskussion in den dreißiger Jahren — heute längst aus dem Interesse einer breiteren Öffentlichkeit verschwunden. Auf die Thematik der Bearbeitungen wurde ich daher erst in der Ring vorlesung Partiturkunde und Instrumentation bei Prof. Dr. Wolfgang Andreas Schultz im Wintersemester 1992/93 an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg aufmerksam. Hier konnte das Thema allerdings nur kurz und in Form eines Partiturver gleichs der V. Symphonie in der Bearbeitung durch Franz Schalk und dem Brucknerschen Original angesprochen werden. Gelegenheit zu weiterer Vertiefung bot das Hauptseminar Anton Bruckner bei Prof. Dr. Constantin Floros im Sommersemester 1993 am Musik wissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg. Nach Abschluß des Studiums an der Musikhochschule konnte ich daher im Herbst 1994 mit ersten Vorstudien zu diesem Buch beginnen. ***
Zu den primären Quellen einer Studie über die Fremdbearbeitungen Brucknerscher Symphonien zählen die Erstdruck-Ausgaben, die in vielen Bibliotheken einsehbar sind. Zum Vergleich mit den Brucknerschen Originaltexten dienen zunächst die überall zu gänglichen Partituren der alten und neuen Gesamtausgabe,1 deren Vergleich untereinander im Rahmen dieser Arbeit ebenso zu interessanten Ergebnissen führte. In der Regel können die hauptsächlich von Leopold Nowak edierten Partituren der neuen Gesamtaus gabe als Referenz-Ausgaben solcher Vergleiche sowohl mit den Erstdruck-Partituren als auch mit den Texten der alten Gesamtausgabe herangezogen werden, doch ist ihre Benutzung mit gewissen Unwägbarkeiten verbunden: Zum einen ist natürlich ein Unternehmen vom Umfange einer solchen Gesamtausgabe nicht bis in jedes Detail hinein fehlerfrei, und zum anderen müssen manche Angaben, etwa zur Werkgenese, heute schlicht als wissenschaftlich überholt betrachtet werden.2 Zudem sahen sich die Herausgeber der neuen Gesamtausgabe mitunter zu redaktionellen Eingriffen veranlaßt. Daher kann in Zweifelsfällen nur ein Vergleich mit Bruckners Autographen eine weitest gehende Sicherheit bieten. Hier kommt dem Forscher der ebenso günstige wie seltene Umstand zugute, daß er das Gros der autographen Partituren eines Komponisten an einem Ort konzentriert weiß: Bruckner setzte in seinem Testament die k. u. k. Hofbibliothek in Wien als Erbin seiner „Originalmanuscripte“ ein.3 So befinden sich seine Autographe, einschließlich von Ent würfen und Skizzen, heute zum allergrößten Teil in der Musiksammlung der Öster
1 Zu den Begriffen ‘alte’ und ‘neue Gesamtausgabe’ vergleiche die Abkürzungsliste, S. 11 f.
2 Die Neuauflagen der Partituren der neuen Gesamtausgabe werden diesem Tatbestand jedoch durch eingefügte Korrekturen, Hinweise und Fußnoten so weit wie möglich gerecht.
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reichischen Nationalbibliothek in Wien und sind der Wissenschaft zugänglich, auch wenn unmittelbar nach Bruckners Tod einzelne Teile des musikalischen Nachlasses vom Testamentsvollstrecker Dr. Theodor Reisch aufgrund eines Mißverständnisses an Schüler, Freunde und Verehrer verschenkt wurden und manches, was noch zu Lebzeiten Bruckners entliehen worden war, erst viele Dezennien nach Bruckners Tod an seinen eigentlichen Bestimmungsort gelangte. Im Rahmen meiner Untersuchungen hielt ich mich im Frühjahr 1995, im Herbst 1996 und im Sommer 1999 in Wien auf. Dort studierte ich eingehend die autographen Partituren der VII. und VIII. Symphonie, um mit ihrer Hilfe die Eingriffe von Robert Haas bewerten zu können. Besonders aufschlußreich war die Arbeit am Autograph der letzteren, dessen Adagio sich lange Zeit in Privatbesitz befand, im Sommer 1991 jedoch aus der Sammlung Zeileis in den Bestand der Musiksammlung der Nationalbibliothek überging und dort unter der Signatur Mus. Hs. 40.999 aufbewahrt wird.4 Des weiteren konnte ich die von der Musiksammlung der Nationalbibliothek eingerichteten Fonds durchsehen, welche sehr umfangreiches Quellenmaterial zu den Bearbeitern enthalten (Entwürfe zu eigenen Kompositionen wie zu Bearbeitungen Brucknerscher Werke, Briefwechsel, Sitzungs protokolle, persönliche Stellungnahmen und Gutachten, Zeitungsberichte und -kritiken etc.), das zum Teil erst in den letzten Jahren zur Verfügung gestellt werden konnte und wichtig nicht nur für die Entstehung der Erstdrucke, sondern auch für das Verständnis der Diskussionen um die Fremdbearbeitungen und die erste wissenschaftlich-kritische Gesamtausgabe in den dreißiger Jahren ist.5 Dabei wurden zahlreiche Dokumente er schlossen, die bislang noch nicht Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung waren.
***
Jede wissenschaftliche Arbeit unterliegt gewissen Beschränkungen, welche sich zum Beispiel darin äußern, daß ihre Themen nicht immer erschöpfend bearbeitet werden können. Manches kann nur als Frage formuliert werden, oder es muß späteren Untersu chungen vorbehalten bleiben. So mußte etwa auf eine zeitintensive Durchsicht der Skizzen Bruckners verzichtet werden. (Dieses Problem relativiert sich jedoch dadurch, daß bei Kunstwerken ein Weg vom ersten Einfall über Entwürfe und Skizzen bis hin zu einem ‘Endprodukt’ zu beobachten ist. Dieses Endprodukt ist letztlich verbindlich, auch wenn es, wie beispielsweise bei Bruckner, zum Teil in mehreren Fassungen vorliegt.) Auch die Partituren der alten und neuen Gesamtausgabe konnten nicht in vollem Umfang mit den Autographen Bruckners verglichen werden. Teilweise mußten die Partituren der neuen Gesamtausgabe einen wenn auch letztlich ungenügenden Ersatz für diese leisten (siehe oben). Außerdem mußte auch dort manchmal auf Sekundärliteratur zurückgegriffen werden, wo eigene Forschungen zwar inhaltlich, nicht jedoch zeitlich zu realisieren Testament vom 10. November 1893. Vergleiche dazu Rolf Keller: Die letztwilligen Verfügungen Anton Bruckners, in: Bruckner-Jahrbuch 1982/83 4 Vergleiche dazu Kapitel 5, Abschnitt IV.6.3.1
5 Erwähnt seien in diesem Zusammenhang vor allem die Fonds 18 Schalk, 28 Göllerich, 31 Auer, 32 Oberleithner, 60 BRGA [= Bruckner-Gesamtausgabe] und 110 Nowak.
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gewesen wären, wie etwa bei den in Kapitel 1 zitierten Pressestimmen. Kurz vor Abschluß dieser Arbeit erschienene Literatur konnte allerdings nicht immer in vollem Umfang berücksichtigt werden. Bei Zitaten aus Quellen wurde die Schreibweise des Originals so weit wie möglich gewahrt; Änderungen habe ich als solche kenntlich gemacht. Vom jeweiligen Verfasser benutzte Abkürzungen wurden nur dort aufgelöst, wo es zum Verständnis des Inhalts ratsam erschien. Offensichtliche Tippfehler jedoch wurden in der Regel korrigiert. (Besonders in den Briefen Max Auers finden sich zahlreiche Fehler, die auf seine schwere Augenerkrankung zurückzuführen sind.)
* **
Folgenden Personen und Institutionen möchte ich auch an dieser Stelle für viele hilfreiche und anregende Gespräche, die Herstellung von Kontakten sowie die freundliche Unterstützung bei der Materialsuche und -erschließung meinen tiefsten Dank aussprechen: dem Leiter der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, Herrn Hofrat Dr. Günter Brosche und seinen Mitarbeitern, besonders Herrn Dr. Thomas Leibnitz und Herrn Dr. Josef Gmeiner; der Geschäftsführerin des Anton Bruckner Institutes Linz, Frau Dr. Elisabeth Maier (Wien) und ihren Mitarbeitern; dem Leiter des Musik wissenschaftlichen Verlages der Internationalen Bruckner-Gesellschaft, Herrn Prof. Dr. Herbert Vogg; den Mitgliedern der Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Herrn Univ. Prof. Dr. Theophil Antonicek und Frau Dr. Ingrid Fuchs; dem Leiter des Historischen Archivs der Wiener Philharmoniker, Herrn Dr. Clemens Hellsberg; ferner dem Leiter der Sammlungen der Gesellschaft der Musik freunde in Wien, Herrn Dr. Otto Biba und seinen Mitarbeitern; dem Leiter des Institutes für Musikgeschichte der Hochschule für Musik Wien, Herrn Prof. Dr. Friedrich C. Heller und seinem Mitarbeiter Herrn Dr. Manfred Permoser; Herrn Amtsrat Johann Ziegler von der Musiksammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek; Herrn Dr. Franz Scheder (Nürnberg), Herrn Rüdiger Bornhöft (Bremen) sowie Herrn Prof. Dr. Paul Hawkshaw, Yale University, School of Music (New Haven, USA). Herrn Prof. Dr. Peter Petersen (Hamburg) danke ich für seine Arbeit als Korreferent und für wertvolle Hinweise, Frau Ingeborg Hahn und Herrn StD. Werner Hahn (Hamburg) für ihr gewissenhaftes Korrekturlesen und nützliche Anregungen, Herrn Hofrat Dr. Günter Brosche für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der Publikationen des Institutes für Österreichische Musikdokumentation, und schließlich Herrn Dr. Hans Schneider (Tutzing) für die Drucklegung der Arbeit sowie dem Lektorat seines Verlages für die kompetente, hilfreiche und freundliche Betreuung.
Der größte Dank gebührt jedoch meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Constantin Floros (Hamburg), für die in jeder Hinsicht harmonische Zusammenarbeit. Herr Prof. Floros hatte stets ein offenes Ohr für meine Fragen und Probleme und begleitete die Entstehung der Arbeit sehr aufmerksam. Ohne seine Unterstützung und seinen Einsatz, aber auch ohne die Hilfe der oben Genannten wäre diese Arbeit in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen. Hamburg, im September 2000
Wolfgang Doebel
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Diese Arbeit wurde unter dem Titel Zum Problem der Fremdbearbeitungen in den Symphonien Anton Bruckners. Untersuchungen zu den Bearbeitungskonzepten der Brüder Schalk, Ferdinand Löwes und Max von Oberleithners, dem Wandel der Bruckner-Rezep tion zu Beginn des 20. Jahrhunderts und der Gesamtausgabe von Robert Haas im April 2000 an der Universität Hamburg eingereicht und vom Fachbereich Kulturgeschichte und Kulturkunde im Sommer 2000 als Dissertation angenommen. Der Abdruck der Notenbeispiele Nr. 1, 2, 8a, 9a, 10a und 1 la erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Musikwissenschaftlichen Verlages Wien. Notenbeispiel Nr. 3 stammt aus der Tristan und Isolde-Ausgabe von C. F. Peters, Leipzig o. J. [1911], die Notenbei spiele Nr. 5, 6, 8b, 9b, 10b und 11b aus den im Text angegebenen Erstdruck-Ausgaben. Die Notenbeispiele Nr. 4a, 4b, 4c, 7 und 12 bis 18 wurden mit dem Notationsprogramm Score Perfect Professional 3.2 erstellt.
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ABKÜRZUNGEN A. HÄUFIG ZITIERTE SEKUNDÄRLITERATUR UND QUELLEN AGA Anton Bruckner, Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe, im Auftrage der General direktion der Nationalbibliothek und der internationalen [ab 1938: deutschen] BrucknerGesellschaft herausgegeben von Robert Haas [IX. Symphonie herausgegeben von Alfred Orel], Wien/Leipzig 1930-1944 (sog. ‘alte Gesamtausgabe’); Nachdrucke Wiesbaden und Leipzig, 1949-1952 Auer 1941 Auer, Max: Anton Bruckner. Sein Leben und Werk, Leipzig 31941
Bruckner-Briefe Graflinger, Franz (Hg.): Anton Bruckner, Gesammelte Briefe, Regensburg 1924
Bruckner-Briefe, neue Folge Auer, Max (Hg.): Anton Bruckner, Gesammelte Briefe, Neue Folge, Regensburg 1924 Bruckner-Briefe 1852-1886 Harrandt, Andrea und Schneider, Otto (t) (Hg.): Anton Bruckner, Briefe, Bd. 1 (18521886), Wien 1998 Bruckner-Handbuch Anton Bruckner. Ein Handbuch (Uwe Harten, Hg.), Salzburg/Wien 1996
Bruckner-Jahrbuch 1980 ff. Bruckner-Jahrbücher (Franz Grasberger, Othmar Wessely, Anton Bruckner Institut Linz, Hg.), Linz 1980 ff.
Bruckner-Symposion 1977. 1980 ff. Bruckner-Symposion Linz, Bericht (vergleiche dazu Teil 3 der Bibliographie) Bruckner-Svmposium Leipzig 1987 Anton Bruckner. Leben, Werk, Interpretation, Rezeption. Kongreßbericht zum V. Inter nationalen Gewandhaus-Symposium Leipzig 1987, Leipzig 1988 Göll./Auer Göllerich, August: Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild, Bd. I, Regensburg 1922 (Reprint Regensburg 1974); Bd. II bis IV ergänzt und hg. von Max Auer, Regensburg 1928-1937 (Reprint Regensburg 1974) Leibnitz 1988 Leibnitz, Thomas: Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, Tutzing 1988
MGG Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Friedrich Blume, Hg., 17 Bde., Kassel 1949-1986 (Reprint München/Kassel 1989)
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MGG2 Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, zweite, neu bearbeitete Auflage, Ludwig Einseber, Hg., Sachteil Kassel 1994-1999, Personenteil ebenda 1998 ff.
NGA Anton Bruckner, Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe, herausgegeben von der Österreichischen Nationalbibliothek und der Internationalen Bruckner-Gesellschaft unter Leitung von Leopold Nowak, Wien 1951 ff. (sog. ‘neue Gesamtausgabe’) Nowak 1985 Leopold Nowak: Über Anton Bruckner. Gesammelte Aufsätze (1936-1985), Wien 1985 (Bei Zitaten ist hinter dem jeweiligen Titel das Jahr der Erstveröffentlichung angegeben.) Wagner: Schriften und Dichtungen Wagner, Richard: Gesammelte Schriften und Dichtungen in zehn Bänden (Wolfgang Golther, Hg.), Berlin o. J. [1914]
B. SONSTIGE ABKÜRZUNGEN
Anm. Ausg. Bd./Bde. BRGA ders. dies. dt. fol. Hg. hgIBG k. u. k. l. m. m. A. Mschr. NB. 0. o. D. o. J. ÖNB-MS r (hochgestellt) r. S. Sp. T. u. v (hochgestellt)
Anmerkung Ausgabe Band/Bände Anton-Bruckner-Gesamtausgabe (Fonds 60 der Musiksammlung der österreichischen Nationalbibliothek, Wien) derselbe dieselbe deutsch/deutsche folio Herausgeber herausgegeben Internationale Bruckner-Gesellschaft kaiserlich und königlich links mitte mit Auftakt Maschinenschriftlich(e) Nota bene oben ohne Datum ohne Jahr Österreichische Nationalbibliothek Wien, Musiksammlung recto rechts Seite Spalte Takt/Takte unten (im Zusammenhang mit ‘links’, ‘mitte’ oder ‘rechts’) verso
Die in der Bibliographie verwendeten Abkürzungen für Zeitschriften folgen den ge bräuchlichen Abkürzungen des Riemann-Musiklexikons. 12
INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG.......................................................................................................... 19
Kapitel 1
DIE KLANGWELT ANTON BRUCKNERS UND DIE MUSIK RICHARD WAGNERS I.
EINLEITUNG.......................................................................................................... 27
II.
DAS KLANGBILD DER BRUCKNER-SYMPHONIE. REZEPTION, AUSPRÄGUNG UND HERKUNFT....................................................................... 27 1 Bruckners kompositionstechnische Merkmale im Spiegel der zeitgenössischen Kritik.............................................................................. 27 2 Die Merkmale der Tonsprache Anton Bruckners (Orchesterbesetzung Instrumentation - Dynamik - Klangblöcke - Artikulation - Gliederung Die Form und ihre Entwicklung).............................................................................. 30 3 Wurzeln der Brucknerschen Symphonik.................................................................. 39 3.1 Bruckners oberösterreichische Lehrer.......................................................................39 3.2 St. Florian................................................................................................................. 40 3.3 Die Orgel.................................................................................................................. 41 3.4 Einflüsse anderer Komponisten................................................................................ 41
II. II. II. II. II. II. II.
III. III. 1 III. 2 III. 3 III. 3.1 III. 3.2 III. 4 III. 4.1 III. 4.2
ANTON BRUCKNER UND RICHARD WAGNER.............................................. 44 Wie Bruckner die Musik Wagners kennenlemte..................................................... 44 Persönliche Bekanntschaft mit Richard Wagner....................................................... 46 Unterschiedliche Lebensläufe und Persönlichkeiten................................................. 47 Wagner..................................................................................................................... 48 Bruckner................................................................................................................... 48 Gegenseitige künstlerische und persönliche Rezeption............................................ 54 Die Wagner-Rezeption Anton Bruckners.................................................................54 Wie Richard Wagner Anton Bruckner einschätzte................................................... 56
IV. IV. 1 IV. 2 IV. 3
DIE KLANGWELT RICHARD WAGNERS......................................................... 59 Zur Bedeutung von Tristan und Isolde im Schaffen Richard Wagners.................... 59 Exkurs: Wagners Begriff der ‘unendlichen Melodie’................................................ 60 Kompositionstechniken............................................................................................ 62
V. V. 1 V. 2 V. 3
WAGNERS EINFLUSS AUF DIE MUSIK ANTON BRUCKNERS.................... 66 Bruckner, Wagner und die Wiener Presse.................................................................67 Zitate, Reminiszenzen und Parallelismen.................................................................69 Unterschiede und Abgrenzungen............................................................................. 72
VI.
SCHLUSSWORT.................................................................................................... 74
Kapitel 2
ZUM PROBLEM DER FASSUNGEN. BRUCKNER ALS BEARBEITER SEINER EIGENEN WERKE I.
EINLEITUNG. ZUR PROBLEMATIK VON ‘FASSUNGEN’ IN DEN KÜNSTEN..................................................................................................... 77 13
II.
DAS FASSUNGSPROBLEM IN DER MUSIK ANTON BRUCKNERS.............. 77
III.
DEFINITIONSPROBLEME.................................................................................... 78
DIE URSACHEN FÜR DAS ENTSTEHENDER FASSUNGEN...........................79 Bruckners innere Motivation.....................................................................................80 Bruckners soziale Situation in Wien: Frauen - Freunde - Angehörige Gesellschaft..............................................................................................82 IV. 3 Äußere Einflüsse und Abhängigkeiten.......................................................................84 IV. 3.1 Bruckner im Kreis seiner Schüler............................................................................. 85 IV. 3.2 Bruckner und die Dirigenten seiner Werke................................................................87
IV. IV. IV.
1 2
V. V. V. V.
ZWISCHEN VERINNERLICHUNG UND BEHARRUNG BRUCKNERS UMGANG MIT RATSCHLÄGEN................................. 89 1 Verinnerlichung von Anregungen und Kritik............................................................89 2 Ratsuche.....................................................................................................................90 3 Kompromißbereitschaft..............................................................................................92 4 Beharrung...................................................................................................................95
VI.
DER WERKIMMANENTE ANSATZ.................................................................... 97
V.
VII. VII. VII.
I 2
KOMPOSITIONSTECHNISCHE CHARAKTERISTIKADER FASSUNGEN... 99 Rezeptionsgeschichte.................................................................................................99 Tendenzen in der Entwicklung der Fassungen - Regeln oder Ausnahmen?......... 102
SCHLUSSBETRACHTUNG.................................................................................. 107
VIII.
Kapitel 3
DIE FREMDBEARBEITUNGEN VON FRANZ UND JOSEF SCHALK, FERDINAND LÖWE UND MAX VON OB ERLEITHNER I.
EINLEITUNG........................................................................................................ 111
II.
DIE FRAGE DER DEFINITION.......................................................................... 112
III. III.
1
III. 2 III. 3 III. 3.1 III. 3.2 III. 3.3 III. 3.4 III. 4 III. 5 IV.
IV. IV. IV. IV. IV. 14
DIE BEARBEITER UND ANTON BRUCKNER.................................................113 Biographische Notizen zu Franz und Josef Schalk, Ferdinand Löwe und Max von Oberleithner..................................................................... 113 Zwischen Richard Wagner und Anton Bruckner (Teil 1)........................................ 115 Der Einsatz der Schüler für Bruckner und dessen Werk........................................ 117 Franz Schalk............................................................................................................ 117 Josef Schalk, Ferdinand Löwe und der Wiener Akademische Wagner-Verein..... 118 Ferdinand Löwe als Dirigent Brucknerscher Werke............................................... 121 Max von Oberleithner............................................................................................. 122 Die Schüler als Bearbeiter....................................................................................... 124 Bruckners Einstellung zu den Bearbeitern.............................................................. 127
JOSEF SCHALK, MAX VON OBERLEITHNER UND DIE VIII. SYMPHONIE........................................................................................ 130 1 Einleitung................................................................................................................ 130 2 Zur Entstehungsgeschichte des Erstdruckes der VIII. Symphonie......................... 130 3 Vergleich der Originalpartitur mit der Bearbeitung................................................ 133 3.1 Eingriffe in die Orchesterbesetzung und die Instrumentation..................................134 3.2 Abweichungen in der dynamischen Gestaltung...................................................... 139
IV. IV. V. V. V. V. V. V. V. V. V. V. V.
4 4.1
Resümee............................................................................................................... 143 Josef Schalks Briefe an Max von Oberleithner vom 31. Juli und 5. August 1891................................................................................143
FRANZ SCHALK UND DIE V. SYMPHONIE..................................................... 150 Zur Entstehung und frühen Rezeptionsgeschichte der V. Symphonie und ihrer Bearbeitung..................................................................................... 150 2 Vergleich der Originalpartitur mit der Bearbeitung Franz Schalks.........................153 2.1 Takt- und Tonartvorzeichnungen und Orientierungsbuchstaben............................ 153 2.2 Eingriffe in den verbalen Notentext........................................................................ 155 2.3 Eingriffe in die Tempoproportionen........................................................................ 156 2.4 Eingriffe in die Orchesterbesetzung........................................................................ 157 2.5 Änderungen des klanglichen Gesamtbildes: Eingriffe in die Instrumentation und die Dynamik...........................................................................157 2.6 Eingriffe in die melodische Substanz...................................................................... 164 2.7 Abweichungen in den Satzlängen............................................................................169 3 Resümee.................................................................................................................. 170 1
VI. VI. 1 VI. 2 VI. 2.1 VI. 2.2 VI. 2.3 VI. 3
JOSEF SCHALK UND DIE VI. SYMPHONIE.....................................................174 Einleitung................................................................................................................ 174 Vergleich der Originalpartitur mit der Bearbeitung Josef Schalks.......................... 175 Eingriffe in die Tempoproportionen.........................................................................175 Eingriffe in die Instrumentation.............................................................................. 177 Abweichungen in der dynamischen Gestaltung....................................................... 178 Resümee.................................................................................................................. 182
1 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8
FERDINAND LÖWE UND DIE IX. SYMPHONIE.............................................184 Einleitung................................................................................................................ 184 Vergleich der Originalpartitur mit der Bearbeitung Ferdinand Löwes.................... 186 Orientierungsbuchstaben......................................................................................... 186 Takt-und Tonartvorzeichnungen.............................................................................187 Eingriffe in die Orchesterbesetzung und Abweichungen in den Satzlängen......... 188 Eingriffe in den verbalen Notentext und die Artikulation........................................ 188 Eingriffe in die Tempoproportionen.........................................................................189 Abweichungen in der dynamischen Gestaltung....................................................... 190 Eingriffe in die Instrumentation.............................................................................. 191 Eingriffe in die harmonische und melodische Substanz.......................................... 198
VIII. VIII. 1 VIII. 2 VIII. 2.1 VIII. 2.2 VIII. 3 VIII. 4
ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION.................................................... 202 Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Bearbeitungen........................ 202 Die Ursachen der Unterschiede............................................................................... 203 Biographische Aspekte der Bearbeiter.................................................................... 203 Stilistische Aspekte der Originalfassungen............................................................. 206 Zwischen Richard Wagner und Anton Bruckner (Teil 2)....................................... 207 Abschließende Bewertung der Fremdbearbeitungen.............................................. 210
VII. VII. VII. VII. VII. VII. VII. VII. VII. VII. VII.
Kapitel 4
VON DEN BEARBEITUNGEN ZU DEN ORIGINALFASSUNGEN. DIE ZEIT VON 1890 BIS 1945 I. I. I.
1 2
EINLEITUNG......................................................................................................... 215 Die politisch-gesellschaftliche Entwicklung von 1814 bis 1938............................ 216 Die kulturelle Entwicklung von der Jahrhundertwende bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg: ein Paradigmenwechsel....................................... 218
15
II.
DIE REZEPTION DER FREMDBEARBEITUNGEN IN DER SEKUNDÄRLITERATUR VON 1900 BIS 1930................................................. 220
III.
DIE ‘GEBURTSSTUNDE’ DER ERSTEN GESAMTAUSGABE: Gründung der Internationalen Bruckner-Gesellschaft und des Musikwissenschaftlichen Verlages........................................................................ 227
IV.
DIE URAUFFÜHRUNG DER IX. SYMPHONIE IN DER ORIGINALFASSUNG AM 2. APRIL 1932.........................................................229 Der Dirigent der Aufführung................................................................................... 229 Die Diskussionen im Vorfeld der Aufführung........................................................ 230 Zur Tradition von Gesamtausgaben im 19. Jahrhundert......................................... 231 Die Einbindung der Bruckner-Gesamtausgabe in diese Tradition......................... 231 Das Gutachten Siegmund von Hauseggers über die Originalfassung der IX. Symphonie................................................................................................ 234 Hauseggers Interpretation der IX. Symphonie....................................................... 237 Die Schlußfolgerungen der IBG aus dem Erfolg des Konzertes und die Reaktion Siegmund von Hauseggers............................................... 238
IV. 1 IV. 2 IV. 2.1 IV. 2.2 IV. 2.3 IV. 3 IV. 4
ROBERT HAAS UND DAS KONZEPT DER GESAMTAUSGABE................ 240
V. VI. VI.
1
VI. 2 VI. 3 VI. 4 VI. 5 VI. 6
FRANZ SCHALK.................................................................................................. 243 Franz Schalks innerer Wandel in seinem letzten Lebensjahrzehnt. Dargestellt an Beispielen........................................................................244 Das Gutachten Franz Schalks über die Originalfassung der IX. Symphonie.......... 245 Auswirkungen dieser Erkenntnisse für die Praxis: Die V. und VI. Symphonie .... 248 Analyse des Erstdruckes der VI. Symphonie in der Revision von Franz Schalk... 250 Die Versuche, Franz Schalk in die Gesamtausgabe einzubinden........................... 252 Franz Schalk und die Herausgabe der VI. Symphonie in der Gesamtausgabe....... 254
VII.
DIE WEITERE ENTWICKLUNG NACH DEM KONZERT VOM 2. APRIL 1932............................................................................................ 256
VIII.
DIE URAUFFÜHRUNG DER V. SYMPHONIE IN DER ORIGINAL FASSUNG AM 28. OKTOBER 1935...............................................258 Die Uraufführungs-Partitur Siegmund von Hauseggers...................................... 259 Hauseggers Einstellung zu den Originalfassungen Ein Meinungsumschwung?.................................................................260 Pressestimmen zum 28. Oktober 1935................................................................... 261 Exkurs: Die Uraufführung der IV. Symphonie in der Originalfassung am 1. März 1936..................................................................................261
VIII. VIII.
1 2
VIII. 3 VIII. 4
IX. IX. IX. IX. IX. IX. IX. IX. IX. IX. IX.
16
1 1.1 1.2 1.3 1.4 2 2.1 2.2 2.3 2.4
DIE WIENER ERSTAUFFÜHRUNG DER V. SYMPHONIE IN DER ORIGINALFASSUNG AM 13. MÄRZ 1936 UND IHRE FOLGEN.. 262 Der Vortrag von Robert Haas am 13. März 1936................................................... 263 Die Reaktionen auf den Vortrag..............................................................................264 Robert Haas verteidigt seine Thesen....................................................................... 269 Die Argumente von Robert Haas............................................................................ 271 Schlußfolgerungen...................................................................................................273 Lili Schalk und der Widerstand gegen Haas und die Gesamtausgabe.................... 274 Der „Freundeskreis Bruckner-Schalk-Löwe“......................................................... 274 Exkurs: Wirtschaftliche Aspekte der Originalfassungen......................................... 275 Der ‘Fall’ Morold.................................................................................................... 275 Alfred Orel..............................................................................................................277
X. X. X. X.
1 2 3
DIE EINSTELLUNG BEDEUTENDER BRUCKNER-DIRIGENTEN ZU DEN ORIGINALFASSUNGEN...................................................................... 280 Wilhelm Furtwängler...............................................................................................280 Eugen Jochum.......................................................................................................... 283 Oswald Kabasta........................................................................................................ 284 DIE REZEPTION DER GESAMTAUSGABE IN WISSENSCHAFT LICHEN VERÖFFENTLICHUNGEN..................................................285
XI.
XII.
DIE LETZTEN JAHRE DER ALTEN GESAMTAUSGABE UND IHR ENDE IM JAHRE 1946....................................................................... 286
XIII.
SCHLUSSBETRACHTUNGEN........................................................................... 287
Kapitel 5
DIE EDITIONSKRITERIEN VON ROBERT HAAS UND IHRE AUSWIRKUNGEN AUF DIE ERSTE GESAMTAUSGABE I.
EINLEITUNG........................................................................................................ 291
II.
DIE PARTITUREN DER ALTEN UND NEUEN GESAMTAUSGABE EIN VERGLEICH.................................................................................................. 292 Allgemeine Beobachtungen.................................................................................... 293 Die Symphonien im einzelnen................................................................................ 298
II. 1 II. 2
III.
ROBERT HAAS UND DIE II. SYMPHONIE......................................................302
IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV. IV.
ROBERT HAAS UND DIE VIII. SYMPHONIE..................................................305 1 Einführung............................................................................................................... 305 2 Zur Entstehungsgeschichte der ersten und zweiten Fassung.................................. 307 3 Schriftliche Quellen von Robert Haas zu seiner Edition der VIII. Symphonie..... 311 4 Allgemeine Anmerkungen zu der Vergleichsliste................................................... 314 5 Satzübergreifende Aspekte der Autographe............................................................ 314 6 Die Sätze im einzelnen 6.1 Kopfsatz................................................................................................................... 317 6.1.1 Inhaltsangabe des Autographs............................................................................... 317 6.1.2 Bruckners Umarbeitung von der ersten zur zweiten Fassung............................... 319 6.1.3 Die Datumsangaben im Autograph....................................................................... 326 6.1.4 Die Ergebnisse der Vergleichsliste........................................................................ 328 6.2 Scherzo und Trio................................................................................................... 333 6.2.1 Inhaltsangabe des Autographs............................................................................... 333 6.2.2 Bruckners Umarbeitung von der ersten zur zweiten Fassung............................... 335 6.2.3 Scherzo und Trio in der Edition von Robert Haas................................................ 339 6.3 Adagio................................................................................................................... 341 6.3.1 Vorbemerkungen................................................................................................... 341 6.3.2 Inhaltsangabe des Autographs............................................................................... 341 6.3.3 Bruckners Methoden der Umarbeitung................................................................. 344 6.3.4 Die Kürzungen im Zuge der Umarbeitung............................................................ 346 6.3.5 Die Umarbeitungen Bruckners im Spiegel der Vergleichsliste..............................352 6.4 Finale..................................................................................................................... 362 6.4.1 Inhaltsangabe des Autographs............................................................................... 362 6.4.2 Bruckners Umarbeitung von der ersten zur zweiten Fassung und die Eingriffe durch Robert Haas................................................................................ 365
17
IV. 6.4.3 Die Abweichungen in der Vergleichsliste........................................................... 373 IV. 7 Zusammenfassung................................................................................................... 376
V. V. V. V. V. V. V.
ROBERT HAAS UND DIE VII. SYMPHONIE................................................... 379 Das Autograph..........................................................................................................379 Erster Exkurs zum Erstdruck................................................................................... 385 Zur Interpretation des Autographs durch Leopold Nowak und Robert Haas......... 386 Die Unterschiede zwischen den Partituren der alten und neuen Gesamtausgabe und ihre Bewertung anhand des Autographs................................ 388 4.1 Der ‘Beckenschlag’ im Adagio................................................................................391 4.1.1 Die Notierung........................................................................................................391 4.1.2 Kleine Rezeptionsgeschichte................................................................................. 392 4.1.3 Zur Datierung........................................................................................................394 4.1.4 Graphologische Aspekte von Bruckners Vermerk „gilt nicht“............................. 395 4.1.5 Die alternativen Deutungen des „gilt nicht“.......................................................... 396 5 Zweiter Exkurs zum Erstdruck................................................................................ 398
VI.
ROBERT HAAS - EIN BEARBEITER BRUCKNERS ?..................................... 399
V. V. 1 V. 2 V. 3 V. 4
Kapitel 6
DIE ENTWICKLUNG NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG NEUANSATZ, NACHFOLGE UND OPPOSITION EINLEITUNG........................................................................................................ 403
I.
II. II. II. II. II.
1 2 3 4
DIE REZEPTION DER ALTEN GESAMTAUSGABE....................................... 403 Neuansatz: Leopold Nowak und die neue Gesamtausgabe.....................................403 Die Partituren der Haas-Edition und die Erstdrucke im Musikleben nach 1945... 406 Haas-Nachfolge: Der Ansatz von Paul-Gilbert Langevin und Harry Halbreich... 407 Opposition: Neueste Entwicklungen in Europa und den USA................................ 409
III.
ZUR BEWERTUNG DIESER ENTWICKLUNGEN........................................... 412
IV.
WEITERE ERGEBNISSE DIESER ARBEIT....................................................... 416 NACHWORT.........................................................................................................419
ANHANG I. II.
Zeittafel.................................................................................................................. 423
Übersicht über die Satzlängen der Bruckner-Symphonien in den einzelnen Ausgaben................................................................................................ 431
III.
Faksimile-Abdrucke..............................................................................................435
IV.
Instrumentationsvergleiche der Erstdrucke der VIII., VI. und IX. Symphonie mit den Originalfassungen (zu Kapitel 3).............................................................. 451
V.
Vergleiche der Partituren der alten und neuen Gesamtausgabe (zu Kapitel 5)...... 471
VI.
Bibliographie......................................................................................................... 499
VII.
Personen- und Werkregister................................................................................... 515
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EINLEITUNG Ein Buch über Anton Bruckner zu schreiben, bedeutet, sich mit einer Musik auseinan derzusetzen, die — je nach Standpunkt — durch ihre besonderen Eigenarten irritiert, abstößt oder fasziniert. Waren die Auseinandersetzungen um Extrempositionen zu Beginn der Bruckner-Rezeption eine fast zwangsläufig auftretende Nebenerscheinung der allge meinen Polarisierung der musikästhetischen Diskussionen im letzten Drittel des neun zehnten Jahrhunderts, so läßt Bruckners Musik auch heute, über einhundert Jahre nach dem Tode des österreichischen Symphonikers und dem Streit um die ‘Zukunftsmusik’, beim Rezipienten keine Gleichgültigkeit aufkommen. Obwohl die Gründe dafür gleichermaßen in Bruckners Person wie in seinem CEuvre zu suchen sind, prägten hauptsächlich die Merkmale seiner Persönlichkeit die wechselvolle Geschichte der Bruckner-Rezeption: Der Interessierte sieht sich mit einer Bruckner-Li teratur konfrontiert, die wenig detaillierte Werkanalysen bietet und stattdessen die Eigen arten des Menschen Anton Bruckner, oftmals anekdotisch ausgeschmückt1 oder von Klerikalen wie Deutsch-Nationalen, Anthroposophen wie Nationalsozialisten ideologisch vereinnahmt, in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt.2
Auch wenn diese Defizite in den letzten Jahrzehnten immer stärker aufgearbeitet wurden, waren Arbeiten wie zum Beispiel die Beschäftigung mit Bruckners Skizzen zur VIII. Symphonie durch Claudia Katharina Röthig3 oder die präzise Analyse der ersten beiden Fassungen der ID. Symphonie durch Thomas Röder4 lange Zeit in der Minderzahl. Zwar wurde zur Problematik der Fassungen im Rahmen des Linzer Brucknerfestes 1980 sogar ein mehrtägiges Symposion abgehalten,5 aber wenn man die umfangreiche Bruck ner-Literatur auf die Problematik der Fremdbearbeitungen hin untersucht, so stellt man fest, daß dieses Thema — trotz großer allgemeiner Fortschritte der Brucknerforschung in den letzten Jahren — immer noch bemerkenswert unterrepräsentiert ist: Das Bearbei tungsproblem scheint bis heute im Schatten der anderen Probleme um Bruckner zu stehen, und dort, wo es Erwähnung findet, wird es lediglich gestreift. Viele Autoren lassen es bei der Erkenntnis bewenden, daß die Bearbeiter aus dem Schülerkreis Bruckners die Symphonien klanglich ‘geglättet’ und sich dabei am Vorbild Richard Wagners orientiert hätten.
1 Was zum Beispiel den Wiener Bruckner-Forscher Manfred Wagner dazu veranlaßte, von einer „Gefahr der Anekdote“ zu sprechen und sogar den Forscher aufzufordern, „nahezu alles zu vergessen, was er bereits von Bruckner weiß.“ (Bruckner. Leben, Werke, Dokumente, Mainz 1983, S. 9). Vergleiche dazu ders.: Gefahr der Anekdote, in: Bruckner-Symposion 1977
Vergleiche dazu Thomas Röder: Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie. Untersuchungen zu den ersten beiden Fassungen von Anton Bruckners Dritter Symphonie, Stuttgart 1987, S. 9 oder Manfred Wagner: Bruckner (vergleiche Anm. 1), S. 9 3 Studien zur Systematik des Schaffens von An ton Bruckner auf der Grundlage zeitgenössischer Berichte und autographer Entwürfe, Diss. Kassel 1978 4 Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie (vergleiche Anm. 2)
5 Bruckner-Symposion 1980
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Auch über die Eingriffe von Robert Haas in Bruckners Autographe bei der Erstellung seiner Gesamtausgabe existieren noch keine detaillierteren Untersuchungen. Für ge wöhnlich läuft die Behandlung des Themas auf die Feststellung hinaus, Haas habe im achten Band seiner Edition die beiden von Bruckner überlieferten Fassungen der VIII. Symphonie miteinander vermischt bzw. in der VII. Symphonie auf frühere Stadien im Prozeß der Entstehung der letztgültigen Fassung Bruckners zurückgegriffen. Das Problem ist also durchaus bekannt. Wie erklärt sich dann aber das auffallend geringe Interesse an diesem Thema? Einer der Hauptgründe mag darin zu suchen sein, daß die Bearbeitungen allenfalls unter rezeptionsgeschichtlichen Aspekten als heute noch relevant angesehen werden. Auch musikwissenschaftliche Forschung neigt bisweilen dazu, Vergangenem, wenn es als falsch oder obsolet rubriziert wurde, keine besondere Aufmerksamkeit mehr zu schenken.
Ein anderer Grund liegt gewiß darin, daß das Thema zu den philologisch schwierigen Problemen der Brucknerforschung zählt. Seine Grenzen sind schwer zu definieren; der Komplex der Fremdbearbeitungen überschneidet sich zum Teil erheblich mit anderen Bereichen. So ist er nicht eindeutig abzugrenzen von der Problematik der Fassungen, denn erst das Ausmaß von Bruckners eigener Umarbeitungspraxis hat derart extensive und in der Musikgeschichte einmalige Bearbeitungen durch Dritte überhaupt möglich gemacht. Hier wie dort stellt sich, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung, die Frage nach der Beeinflussung Bruckners durch sein direktes Umfeld bzw. nach seiner Kenntnis der Fremdbearbeitungen. Die Bearbeitungen der VI. oder der IX. Symphonie (1899 von Josef Schalk bzw. 1903 von Ferdinand Löwe ediert) kommen für eine Stel lungnahme oder gar Mitwirkung Bruckners natürlich nicht in Betracht, aber auch schon zu Bruckners Lebzeiten reicht die Bandbreite von Bearbeitungen, die sein Einverständnis fanden bis zu solchen, die von den Bearbeitern bewußt vor Bruckner geheim gehalten wurden. Viele Fälle sind in dieser Hinsicht unklar, und selbst dort, wo Bruckners Einver ständnis für Änderungen verbürgt ist, bleibt die Frage, ob dies aus eigenem Antrieb geschah oder auf Anraten seiner Schüler — wenngleich vieles darauf hindeutet, daß dieses Einverständnis oft nicht nur kompositionstechnisch oder werkästhetisch motiviert gewesen ist. Die eher untergeordnete Rolle, die das Thema der Fremdbearbeitungen bis heute in der Brucknerforschung spielt, steht jedoch in krassem Gegensatz zu der großen Aktualität, welche sich in eben diesem Thema verbirgt: Die Fremdbearbeitungen sind bei weitem nicht nur retrospektiv für die Geschichte der Bruckner-Rezeption von Interesse. Bereits 1942 schrieb Oskar Lang in der zweiten, überarbeiteten Auflage seines Bruckner-Buches: „Wir dürfen erwarten, daß künftighin seine [Bruckners] Werke nur noch in der Original gestalt, ohne Striche und fremde Zutaten, zu Gehör gebracht werden“.6 Aber diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt: Auch heute noch ist dieser Satz eher Postulat denn realistische Beschreibung unseres Konzertbetriebes. Bis in unsere Tage führen namhafte
6 Anton Bruckner. Wesen und Bedeutung,21942, S. 117
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Dirigenten zum Beispiel die VIII. Symphonie in der Version auf, die Robert Haas 1939 im Rahmen der ersten wissenschaftlich-kritischen Gesamtausgabe der Werke Anton Bruckners edierte und die zwar als ‘Originalfassung’ betitelt ist, aber eine Mischform der Fassungen von 1887 und 1890 darstellt. Sind also die Partituren von Robert Haas bis heute ungebrochen aktuell, so kündigt sich in der letzten Zeit sogar eine Renaissance von Bruckner-Aufführungen an, die den Notentext der von Bruckners Schülern bearbeiteten Erstdruck-Partituren verwenden. Dadurch könnte das Problem dieser alten Bearbeitungen eine Aktualität erreichen wie zuletzt in den dreißiger Jahren — immerhin stießen Aufführungen der V. Symphonie Bruckners in der Bearbeitung durch Franz Schalk in den USA zumindest in dortigen Fachkreisen auf eine positive Resonanz. Demzufolge erscheint eine nähere Untersuchung des Bearbeitungsphänomens bei Anton Bruckner durchaus angebracht und nicht nur von philologischem Interesse zu sein. Als Forschungsgegenstände einer solchen Untersuchung kommen im Grunde die Erstdrucke aller elf Symphonien Bruckners in Betracht, wobei allerdings Art und Umfang der Eingriffe stark differieren: Cyrill Hynais edierte 1913 das Andante der von Bruckner selbst als „Schularbeit“ eingestuften „Studien-Symphonie“ in f-Moll (1863) in einer von ihm veränderten Version,7 Josef Venantius von Wöß bearbeitete die Symphonie in d-Moll (die „Annullierte“) 1924 für den Erstdruck, Cyrill Hynais den Erstdruck der zweiten Fassung der I. Symphonie und den Erstdruck der II. Symphonie (1893 bzw. 1892); die Stichvorlage zum Finale der dritten Fassung der III. Symphonie (zweite Druckfassung von 1890) ist in einer Abschrift Franz Schalks überliefert, in der dieser erhebliche, lediglich zum Teil von Bruckner tolerierte Änderungen vornahm; den Erst druck der IV. Symphonie (1890) bearbeitete Ferdinand Löwe, den der V. Symphonie (1896) Franz Schalk; den Erstdruck der VI. Symphonie (1899) verantwortete Josef Schalk, den der VHI. Symphonie (1892) Josef Schalk zusammen mit Max von Oberleithner, und die Eingriffe im Erstdruck der IX. Symphonie von 1903 gehen auf Ferdinand Löwe zurück. Die VII. Symphonie wurde als einzige nach dem Autograph gestochen, und daher entspricht ihr Erstdruck von 1885 weitgehend dem Brucknerschen Original. Trotz dem blieb auch dieses Werk nicht von fremden Eingriffen verschont: Robert Haas griff in seiner Ausgabe von 1944 nicht nur auf Skizzen und im Autograph getilgte Passagen zurück, sondern er verzichtete auch auf von Bruckner nachträglich eingefügte Textstellen wie den Einsatz von Pauken, Becken und Triangel im Adagio. So liegt hier der singuläre Fall vor, daß die Partitur der alten Gesamtausgabe weiter von den Intentionen des Komponisten entfernt ist als der Erstdruck. Manche Symphonien mußten im Laufe ihrer Geschichte sogar mehrere Umarbeitungen über sich ergehen lassen: Robert Haas ver mischte nicht nur, wie bereits erwähnt, die beiden Fassungen der VIII., sondern auch die der II. Symphonie von 1872/73 und 1877, die er 1934 edierte.
7 Vollständig erschien die Symphonie erst HO Jahre nach ihrer Entstehung, im Juni 1973 im Rahmen der neuen Gesamtausgabe.
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** *
Einen Sonderfall stellen die Konzerteinrichtungen dar. Auch sie gehören zur Kategorie der Bearbeitungen, stellen den Forscher jedoch vor das besondere Problem ihrer Rekon struierbarkeit. Oftmals sind sie nur für eine einzige Aufführung arrangiert und erheben nicht den Anspruch, über diese Aufführung hinaus oder gar für einen längeren Zeitraum allgemeine Gültigkeit zu besitzen und beliebig oft reproduzierbar zu sein. Aufgrund des ihnen zugedachten Stellenwertes sind schriftliche Niederlegungen solcher Konzert einrichtungen bestenfalls lückenhaft überliefert. Manchmal jedoch können Konzerteinrichtungen direkt oder indirekt im Zusammen hang mit der Drucklegung einer Symphonie stehen. So flössen beispielsweise die Ergeb nisse aus der Erarbeitung der Uraufführungs-Einrichtungen der V. oder der IX. Symphonie so sehr in die jeweiligen Erstdrucke ein, daß diese dadurch als schriftlich fixierte ‘Urauf führungsprotokolle’ zu werten sind, welche — sieht man von der Aufführungspraxis und den Hörgewohnheiten damals und heute einmal ab — Klang und Form der Symphonie bei ihrer Uraufführung jederzeit nachvollziehbar machen. In den meisten Fällen jedoch ist man auf die spärlichen Angaben von Zeitzeugen oder auf Kritiken der jeweiligen Aufführung angewiesen, um sich ein Bild von Art und Umfang einer Bearbeitung zu machen. So existiert zur Uraufführung der VI. Symphonie am 26. Februar 1899 unter Gustav Mahler eine sehr detaillierte Besprechung aus der Feder des renommierten Wiener Kritikers Theodor Helm,8 aus der zumindest eine Kürzung im ersten Satz rekonstruierbar ist.
Zu den überlieferten Notizen eines Dirigenten zählt ein Exemplar der Erstdruck-Aus gabe der V. Symphonie Anton Bruckners aus dem Nachlaß Gustav Mahlers,9 welches offensichtlich in Verbindung mit einer Aufführung dieser Symphonie durch Mahler am 24. Februar 1901 steht. In diese Partitur (welche ihrerseits bereits die massive Bearbeitung durch Franz Schalk wiedergibt) trug Mahler zahlreiche instrumentale Änderungen und vor allem gravierendste Kürzungen ein. Hatte Schalk hauptsächlich im Finale gestrichen, so kürzte Mahler im Kopfsatz 183, im Adagio 96 und im Finale noch einmal 268 Takte, wodurch die V. Symphonie weitere 31 % ihrer schon bei Franz Schalk gekürzten Länge verlor. Allerdings steht nicht fest, ob Mahler alle diese in der Partitur vorgenommenen Änderungen auch tatsächlich in der Aufführung umsetzte, ja ob er überhaupt aus dieser Partitur die Aufführung leitete.10 Schriftlich hinzugefügte Anmerkungen, welche die Kürzungen relativieren, geben seinen Eintragungen eher den Stellenwert eines Entwurfs, einer vorläufigen Notiz — was wiederum ihre Aussagefähigkeit erheblich einschränkt
8 Deutsche Zeitung vom 28. Februar 1899 (Vergleiche AGA/NGA, Bd. 6, Revisionsbericht, vorgelegt von Robert Haas und ergänzt von Leopold Nowak, S. 71-75, hier S. 74) ’ Vergleiche dazu Ernst Hilmar: „Schade, aber es muß(te) sein“: Zu Gustav Mahlers Strichen und Retuschen insbesondere am Beispiel der V. Symphonie Anton Bruckners, in: Bruckner-Studien. Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 150. Geburtstag Anton Bruckners (Othmar Wessely, Hg.), Wien 1975 10 Vergleiche dazu David Amnis Pickett: Gustav Mahler as an Interpreter, Diss., Univ, of Surrey 1988
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und diese Konzerteinrichtung für eine eingehendere Untersuchung im Rahmen dieser Arbeit kaum geeignet erscheinen läßt. Um so bedeutsamer ist es daher, daß zu einer Konzertfassung, die Franz Schalk für eine Aufführung beim Bruckner-Fest 1930 in München von der VI. Symphonie erstellte, die Orchesterstimmen gedruckt wurden und sich zudem das Exemplar der ErstdruckAusgabe erhalten hat, in welches Schalk mit größter Sorgfalt seine Änderungen eintrug. ***
Aus der oben skizzierten Materialfülle kristallisiert sich bei näherer Betrachtung eine Zweiteilung heraus: Auf der einen Seite die Erstdrucke der Bearbeiter aus dem Kreis der Freunde und Schüler Bruckners, auf der anderen Seite die Partituren der Gesamtausgabe von Robert Haas, der zwar auch in Bruckners Autographe eingriff, dessen Beweggründe und Methoden sich jedoch von denen der früheren Bearbeiter oftmals geradezu diametral entgegengesetzt zeigen — weswegen er schließlich auch in fundamentale Opposition zu ihnen treten mußte. So ergab sich für diese Arbeit eine Gesamtgliederung, in welcher die Bearbeitungen der Bruckner-Zeit in Kapitel 3 untersucht werden. Jedoch war eine Themeneingrenzung dringend geboten. Daher sollen hier nur diejenigen Erstdrucke besprochen werden, auf welche nach der in Kapitel 3 (S. 112 f.) gegebenen Definition der Terminus ‘Fremdbear beitung’ zutrifft. Bei der Untersuchung dieser Erstdrucke wurden die unterschiedlichen Charaktere und beruflichen Schwerpunkte der einzelnen Bearbeiter und ihre persönliche Beziehung zu Anton Bruckner besonders berücksichtigt.
Die Frage der Eingriffe von Robert Haas bei der Erstellung der alten Gesamtausgabe wird im fünften Kapitel thematisiert. Dazu war zunächst ein Vergleich aller Partituren der alten und neuen Gesamtausgabe notwendig. Wie bereits erwähnt, nahm Haas die umfangreichsten Eingriffe an der VIII. Symphonie vor. Seiner Ausgabe dieser Symphonie wird daher besondere Aufmerksamkeit zuteil. Darüber hinaus dient sie aber auch als Basis für weiterreichende Untersuchungen, denn durch sie ergeben sich interessante Perspektiven auf Bruckners Umarbeitungskonzept von der ersten zur zweiten Fassung. Um Haas’ Eingriffe zu bewerten, war schließlich — wie auch bei der VII. Symphonie — ein Vergleich mit dem Brucknerschen Autograph unerläßlich. Zu Recht wurde in der Forschung auf das Fehlen eines Revisionsberichtes zur VIII. Symphonie hingewiesen." Natürlich kann und soll hier nicht der Versuch gemacht werden, einen solchen zu erstellen, aber beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist bereits eine bloße Beschrei bung des Autographs, als Vorbereitung zu einem später zu schreibenden Revisionsbericht, von großem Interesse. Aus den gleichen Gründen wurden auch für die VII. Symphonie die Daten des Autographs in diese Arbeit aufgenommen.11 12
11 Siehe dazu Thomas Röder: Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie (vergleiche Anm. 2), S. 162, oder Erich W. Partsch: Artikel Gesamtausgaben, in: Bruckner-Handbuch, S. 175 12 Ein Revisionsbericht zur VII. Symphonie wird zur Zeit von Rüdiger Bornholt (Bremen) erstellt und soll in Kürze erscheinen.
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Von ebensolcher Bedeutung wie die Inhalte des dritten und fünften Kapitels ist der Übergang von der Bruckner-Zeit in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die allge meinen Umwälzungen vom ‘Fin de siede’ und dem Niedergang der österreichisch ungarischen Monarchie im Ersten Weltkrieg bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sind so signifikant, daß ohne Übertreibung von einem Wechsel wichtiger gesellschaftlicher und kultureller Paradigmen gesprochen werden kann. Wie und wann sich dieser Paradigmenwechsel auf die allgemeine Rezeption Bruckners und die Problematisierung der Fremdbearbeitungen auswirkte, wie er — stellvertretend für den Sinneswandel einer ganzen Generation — die Einstellungen einzelner Bruckner-Interpreten und -forscher beeinflußte, und wie er sowohl die Entstehung der alten Gesamtausgabe als auch die Änderungen durch Robert Haas entscheidend begünstigte, wird in Kapitel 4 behandelt.
Diesen drei Hauptteilen der Arbeit ist das Kapitel 2 vorangestellt, welches die spezifisch Brucknersche Problematik der Entstehung verschiedener Fassungen einzelner Sympho nien thematisiert, ohne die die Fremdbearbeitungen in einem solchen Umfang nicht möglich gewesen wären. Anhand überlieferter Äußerungen Bruckners und Erinnerungs berichten seiner Schüler und Freunde, biographischer Voraussetzungen sowie Prädispo sitionen der Brucknerschen Psyche und Sozialisation werden die Mechanismen der Beeinflussung durch Dritte, aber auch die Grenzen der Beeinflußbarkeit Bruckners erörtert. Schließlich wird untersucht, ob Bruckner die jeweiligen Neufassungen einzelner Sym phonien nach speziellen, untereinander in Beziehung stehenden Kriterien oder sogar stringenten Konzepten erstellte.
Einer der Hauptkritikpunkte der Zeitgenossen Bruckners war neben dem Vorwurf der Formlosigkeit und der überbordenden Dynamik vor allem Bruckners Instrumentation, und konsequenterweise setzen viele Bearbeitungen gerade an diesen drei Punkten an. Deswegen werden in Kapitel 1, ausgehend von zeitgenössischen Kritiken, Art und Herkunft von Bruckners Orchestrierung und Formbehandlung dargelegt. Dies führt zu der Frage, welchen Einfluß die Musik Richard Wagners auf Bruckners Kompositionsstil genommen hat: Abgesehen davon, daß Person und Werk Richard Wagners das musika lisch-kulturelle Leben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in entscheidender Weise prägten, war nicht nur Bruckner bedingungsloser Bewunderer Wagners, sondern auch die Bearbeiter waren überzeugte Wagnerianer und orientierten sich in ihren Bear beitungen an jenem Klangideal, welches Richard Wagner, vor allem durch seine späteren Werke, geprägt hatte. Im Zusammenhang mit der Untersuchung von Bruckners persönli chem und künstlerischem Verhältnis zu Wagner bietet sich daneben die Gelegenheit, näher auf bestimmte Merkmale der Persönlichkeit Bruckners einzugehen. Nur vor diesem Hintergrund — der Brucknerschen Kompositionsweise, der Beziehung seiner Musik zum Werk Richard Wagners und dem in Kapitel 2 behandelten Fassungsproblem — können im dritten Kapitel die Fremdbearbeitungen angemessen bewertet werden. Im letzten Kapitel der Arbeit wird auf die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg eingegangen, dessen Ende die Einstellung der Arbeit an der alten Gesamtausgabe nach sich zog. Ein Blick auf die jüngsten Tendenzen der Auseinandersetzung mit dem Thema der Fremdbearbeitungen sowie eine Zusammenschau der Ergebnisse der gesamten Arbeit beschließen dieses Kapitel.
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Der folgende Anhang enthält Faksimile-Abdrucke einzelner Quellen, eine Aufstellung der Taktzahlen aller Symphonien Anton Bruckners in allen Fassungen und den Erstdrukken, eine Zeittafel mit der Gegenüberstellung der wichtigsten Daten zu Bruckners Bio graphie, den Biographien der Bearbeiter und der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Werke Bruckners, sowie die Auflistung der kompletten Abweichungen zwischen allen Partituren der alten und neuen Gesamtausgabe (Kapitel 5) und Aufstellungen zu den Instrumentations-Abweichungen zwischen Erstdrucken und Originalfassungen der VI., VIII. und IX. Symphonie (Kapitel 3), welche in den jeweiligen Kapiteln eingehend besprochen werden. Die Bibliographie berücksichtigt nicht nur Werke, aus denen im laufenden Text zitiert wurde, sondern versucht, einen möglichst breiten Überblick über die Bruckner-Literatur aus Vergangenheit und Gegenwart zu geben. Auf eine Wertung der einzelnen Schriften und eine daraus resultierende Selektion mußte daher verzichtet werden. Überdies wurde auch allgemeine und weiterführende Literatur zu den in dieser Arbeit behandelten Zeitabschnitten mit einbezogen.
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Kapitel 1
DIE KLANGWELT ANTON BRUCKNERS UND DIE MUSIK RICHARD WAGNERS I. EINLEITUNG Das Thema dieses Kapitels nimmt in der Bruckner-Forschung bis heute eine zentrale Stellung ein. Schon Bruckner selbst betonte immer wieder seine grenzenlose Bewunderung für Richard Wagner, und Freunde wie Gegner gleichermaßen griffen diese Verbindung auf. So wurde dieses Thema schon zu Lebzeiten Bruckners äußerst kontrovers diskutiert.
Da auch Bruckners Schüler Wagner sehr verehrten und sich zudem in ihren Bearbei tungen Brucknerscher Symphonien von dieser Bewunderung leiten ließen, ist das Thema ‘Wagner — Bruckner’ nicht zuletzt für diese Arbeit von großer Bedeutung. Dabei kann dieses umfangreiche Thema hier natürlich nicht erschöpfend behandelt werden. Dennoch soll auf einige Punkte hingewiesen werden, die im Hinblick auf die Bearbeitungen von Bedeutung sind: Wie in Kapitel 3 dargestellt, erstreckten sich die Fremdbearbeitungen hauptsächlich auf die Gebiete der Instrumentation, der Dynamik und der Form. Daher soll zunächst Bruckners Kompositionsweise unter besonderer Berücksichtigung dieser drei Bereiche und ihres Niederschlages in der zeitgenössischen Kritik besprochen werden.
II. DAS KLANGBILD DER BRUCKNER-SYMPHONIE. REZEPTION, AUSPRÄGUNG UND HERKUNFT II. 1 Bruckners
kompositionstechnische
Merkmale im Spiegel der
ZEITGENÖSSISCHEN KRITIK
Viele Kritiker empfanden Bruckners Verwendung der Dynamik als überraschend und lehnten sie als unpassend ab. So beklagte Max Kalbeck im Streichquintett vor allem plötzliche Wechsel der Dynamik: „Es vergeht kaum ein Tact, dem der Komponist nicht ein neues Quantum oder Quäle der Kraft vorgeschrieben hätte, vom ppp bis zum fff“,1 und Gustav Dömpke bemängelte eine „grelle Instrumentierung, welche pp und ff gerne unmittelbar wechseln läßt.“2
Die Kritiken, die auf die Größe und Monumentalität der Brucknerschen Schöpfungen Bezug nehmen, sind meist Ausdruck allgemeiner Verehrung für den Komponisten und lassen bestimmte Stilmittel allenfalls erahnen. Im Zusammenhang mit der formalen Anlage der Symphonien wurde oft aber auch der Vorwurf der Formlosigkeit erhoben. So meinte Emil Naumann über die III. Symphonie, daß „die Form unproportioniert, in das Chaotische und Bizarre abschweifend und unorganisch“ sei.3 1 Max Kalbeck, Presse vom Februar 1885, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 250 ff. Gustav Dömpke, Wiener Allgemeine Zeitung vom 30. März 1886, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 438 ff.
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Allerdings finden sich auch Kritiker, die mit einem erstaunlichen Verständnis das Wesen der Brucknerschen Formgestaltung erkannten. So schrieb Hans Puchstein über die VII. Symphonie: „Zu den erhabenen Bruckner’sehen Tongedanken tritt mit unerhörter Kühnheit die Freiheit hinzu, mit welcher Bruckner die im Grunde beibehaltene Form der alten Symphonie erweitert und verändert, zu einem selbständigen Ausdrucksmittel für seine großen inneren Gedanken gestaltet hat.“34
Auf das, was diese „Erweiterungen und Veränderungen“ (Puchstein) ausmacht, ging Josef Sittard in einer Kritik des gleichen Werkes ein: „Die Formgesetze sind in allen vier Sätzen aufs strengste gewahrt. Bruckner erlaubt sich sogar den Luxus [...], zu den zwei üblichen Hauptthemen, wie zum Beispiel im ersten Satze, noch ein drittes, denselben ebenbürtiges aufzustellen und jedem Thema noch ein weiteres gegenüberzusetzen.“5
Max Kalbeck kritisierte an der VIII. Symphonie, über die er sich teilweise durchaus lobend äußerte, die „ewigen Wiederholungen subalterner Tonfiguren, dieses manirirte plötzliche Abreißen des thematischen Fadens, diese jäh wechselnden Orkanausbrüche und Windstillen“,6 und wies damit neben der Dynamik auf Details der Formgestaltung wie beispielsweise Sequenzketten hin. Gustav Mahler beklagte bei Bruckner eine „Zerstücktheit“, die einen „jeden Augenblick“ störe,7 und A. W. Ambros schrieb über die zahlreichen Pausen der II. Symphonie: „Der Komponist will immerfort spannen - vor lauter Spannung fühlen wir uns aber nur zu bald abgespannt. Es wäre der Mühe wert, die Zahl der ‘spannenden’ Generalpausen in dem Werke zu zählen, ein Mittel, von welchem die großen Meister mit Recht nur selten Gebrauch gemacht haben.“8
Auch Bruckners Periodenbildung diente — je nach Standpunkt — als Mittel des Spottes oder der Bewunderung. So schrieb Kalbeck über die VII. Symphonie: „Pedantisch und mit der Angst eines Rechenmeisters nimmt der ‘kühne’ Komponist sein Inventar auf und reiht im Schweiße seines Angesichtes eine viertaktige Periode an die andere, damit ihm nur ja kein Versehen unterlaufe.“9 Auch Ludwig Speidel bemerkte, daß „die Motive mehr aneinander gereiht [seien], als organisch einander gegenübergestellt“,10 und Theodor Helm vertrat in Bezug auf die gleiche Symphonie die Auffassung, daß „in diesem ersten Stücke der Symphonie nicht sosehr ein einheitliches Ganzes im älteren klassischen Sinne, als vielmehr eine Reihe Episoden“ dargestellt würden, „von denen 3 Zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 373 4 Hans Puchstein, Wiener Abendpost vom 27. März 1886, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 451 ff.
5 Josef Sittard, Hamburger Currespondent (1886), zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 417 ff. 6 Max Kalbeck, Montags-Revue vom 19. Dezember 1892, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 297 ff.
7 Zitiert nach Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner (Herbert Killian, HZ.), Hamburg 1984, S. 32 8 A. W. Ambros, Wiener Abendpost vom 20. Oktober 1873, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 249 ff. Da Bruckners I. Symphonie in Wien abgelehnt worden war, fügte der Komponist der Erstfassung der II. Symphonie zur besseren Verständlichkeit und klareren Gliederung unter anderem eine Anzahl von Gene ralpausen ein, die er später jedoch wieder entfernte (siehe dazu: Göll./Auer, Bd. IV.1, S. 211 f.). Diese Pausen trugen der Symphonie den Spottnamen ‘Pausen-Symphonie’ ein (Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 248). ’ Max Kalbeck, Presse vom 3. April 1886, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 441 ff.
10 Ludwig Speidel, Fremdenblatt vom 28. Oktober 1873, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 246 ff.
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aber eine freilich immer origineller, bedeutsamer, überraschender als die andere“ sei. Helm beeilte sich jedoch voranzustellen, daß „mit diesen Worten selbstverständlich kein Tadel ausgesprochen [sei], sondern nur eine charakteristische Eigenthümlichkeit des Tonsatzes hervorgehoben“ werden sollte.11 Diese „Eigenthümlichkeit“ war auch dem Referenten der Neuen Zeitschrift für Musik ins Auge gefallen: Er schrieb nach der Uraufführung der VII. Symphonie, das Werk habe von seinem Aufbau her „nicht logisch“, sondern „mosaikartig“ gewirkt.12
Die Beurteilung der Instrumentation Bruckners fiel in der Kritik — vor allem in den späteren Wiener Jahren — durchaus positiv aus. So lobte Robert Hirschfeld an der VII. Symphonie die „ganz ausgezeichnete Instrumentierungskunst Bruckners, welche die verwickelsten musikalischen Kombinationen und die kühnsten Übereinanderstellungen in das hellste, klarste Licht setzt, so daß [...] jeder Gedanke zur vollen Geltung kommt.“ 13 C. M. Savenau hob zwar Bruckners Meisterschaft der Instrumentation hervor, übte jedoch außerdem Kritik: Bruckner würde „im freudigen Schaffensdrange manchmal, vielleicht am meisten in Anwendung der orchestralen Ausdrucksmittel [...] die Grenzen des Zulässigen kühn“ überschreiten: „Der Chor der Blechbläser, in zwei Sätzen ihrer fünfzehn, in zwei Sätzen ihrer elf, steht zu dem schon dem Charakter der Instrumente nach schwächeren Chor der Holzbläser - es sind deren stets nur acht - keineswegs im richtigen Verhältnisse.“14
Auch bei Kritikern, die Bruckners Musik sonst nicht immer mit Bewunderung begeg neten, finden sich positive Äußerungen über dessen Instrumentation. So meinte Richard Heuberger, daß die Orchestration der I. Symphonie in der Wiener Fassung „überaus glänzend“ sei, „manchmal etwas überladen und prunkend, aber stets voll Wohlklang.“15 Über die VIII. Symphonie schrieb Heuberger, daß der letzte Satz geprägt sei von „unver frorener Zusammenhanglosigkeit und unsäglicher Einfallslosigkeit“, aber „die Instru mentation der Symphonie dagegen [...] unbedenklich als ein Sieg virtuoser Orchestrati onstechnik zu bezeichnen [sei]; eine unglaubliche Klangfülle und Farbenpracht ist über das Ganze ausgegossen und blendet auch oft dort, wo die Konzeption nicht Stich hält.“16
11 Theodor Helm, Deutsche Zeitung vom 25. März 1886, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 455 ff.
12 Zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 216 13 Robert Hirschfeld, Wiener Abendpost vom 1. April 1886, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 463 ff.
14 C. M. Savenau, Grazer Tagespost vom 16. März 1886, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 424 ff. Dieses Mißverhältnis, welches Savenau für die VII. Symphonie konstatierte und das auch noch für die ersten drei Sätze der ersten Fassung der VIII. Symphonie gilt, war sicher einer der Gründe dafür, daß Hermann Levi diese Erstfassung in einem Brief an Josef Schalk vom 30. September 1887 (Bruckner-Briefe, neue Folge, S. 395 f.; zitiert in Kapitel 5, S. 308) unter anderem auch mit dem Verweis auf die „unmögliche“ Instrumentation ablehnte. 15 Richard Heuberger, Neue Musik-Zeitung 13, 1892, Heft 1, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 213 f. 16 ders., Wiener Tagblatt anläßlich der Uraufführung der VIII. Symphonie (zweite Fassung) am 18. Dezember 1892, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 294 ff.
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II.2 Die Merkmale
der
Tonsprache Anton Bruckners 17
Untersucht man die Hauptangriffspunkte der eben zitierten zeitgenössischen Kritiker, so stellt man fest, daß sie — neben Ablehnung, Unverständnis und Polemik — zum Teil bereits erstaunlich konkret anmutende Beschreibungen einiger durchaus charakteristischer Merkmale der Brucknerschen Tonsprache beinhalten. Diese ist, wie noch erläutert werden wird, zum Teil von Bruckners Affinität zum Orgelklang und der Spielweise der Orgel geprägt, weshalb folgende Gestaltungsmittel häufig in seiner Musik anzutreffen sind: 1.) eine Vorliebe für die Verwendung reiner Klangfarben, 2.) die Beibehaltung einer einmal gewählten Klangfarbe für die Dauer einer Phrase oder eines Abschnitts, 3.) übergangslose, plötzliche Wechsel zwischen den einzelnen Abschnitten, 4.) eine gleichsam ‘chorische’ Behandlung der einzelnen Orchestergruppen, sowie 5.) eine flächige Anlage der Dynamik und schroffe dynamische Kontraste, oft auch in Verbindung mit General pausen, die zu den auffälligsten Merkmalen der Brucknerschen Kompositionsweise ge hören. Diese sollen im folgenden, zusammen mit anderen zu beobachtenden Charakteri stika, näher besprochen werden.
*** Vergleicht man Bruckners Orchesterbesetzung mit der seiner Zeitgenossen, so fällt zunächst auf, daß sie relativ konservativ gehalten ist und kaum von derjenigen Johannes Brahms’ abweicht.18 So sind bei Bruckner etwa die Holzbläser erst ab dem Finale der ersten Fassung der VIII. Symphonie dreifach besetzt, Instrumenten wie der Piccolo-Flöte oder dem Kontrafagott begegnet man nur in der ersten Fassung der VIII. Symphonie, und das Englisch Hom oder die Baßklarinette werden gar nicht verwendet. Dafür finden sich ab dem Adagio der VII. Symphonie ein Tuben-Quartett, nur in diesem Adagio
17 Zu Form, Instrumentation und Struktur der Brucknerschen Symphonik vergleiche besonders: Peter Gülke: Über die Zeitgenossenschaft Bruckners, in: Bruckner-Symposion 1987; Robert Haas: Anton Bruck ner, Potsdam 1934; Mathias Hansen: Bruckner, Leipzig 1987; Erwin Horn: Orgelgemäße Strukturen in der Sinfonik Anton Bruckners, in: Bruckner-Symposium Leipzig 1987; Werner Fritz Korte: Bruckner und Brahms. Die spätromantische Lösung der autonomen Konzeption, Tutzing 1963; Ernst Kurth: Bruckner, 2 Bde., Berlin 1925 (Reprint Hildesheim 1971); Bo Marschner: Schema und Individualität in der Formbildung Bruckners anhand seiner Reprisenkonzeption ab der Vierten Symphonie, in: Bruckner-Symposion 1996; Fritz Oeser: Die Klangstruktur der Bruckner-Symphonie. Eine Studie zur Frage der Originalfassungen, Leipzig 1939; Alfred (Drei: Anton Bruckner. Das Werk, Der Künstler, Die Zeit, Wien/Leipzig 1925; Thomas Röder: Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie. Untersuchungen zu den ersten beiden Fassungen von Anton Bruckners Dritter Symphonie, Stuttgart 1987; Helmut Rösing: Gestalt und Wiederholung in Bruckners Sinfonien, in: Bruckner-Jahrbuch 1981; Claudia Catharina Röthig: Studien zur Systematik des Schaffens von Anton Bruckner auf der Grundlage zeitgenössischer Berichte und autographer Entwürfe, Diss. Kassel 1978; Wolfram Steinbeck: Anton Bruckner. Neunte Symphonie d-Moll, München 1993 (= Meisterwerke der Musik 60); Manfred Wagner: Zum Tremolo in der Musik Anton Bruckners, in: BrucknerStudien. Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 150. Geburtstag Anton Bruckners (Othmar Wessely, Hg.), Wien 1975; ders.: Der Wandel des Konzepts. Zu den verschiedenen Fassungen von Bruckners Dritter, Vierter und Achter Symphonie, Wien 1980; ders.: Zur Interpunktion in der Musik Anton Bruckners, in: Bruckner-Jahrbuch 1981 18 Vergleiche dazu Ingrid Fuchs: Aspekte der Instrumentation der Symphonien Brahms' und Bruckners, in: Bruckner-Symposion 1983
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auch Becken und Triangel, und in der VIII. Symphonie in beiden Fassungen zusätzlich zu Becken und Triangel drei Harfen. Auffällig ist außerdem, daß Bruckner — neben Orgel oder differenziertem Schlagwerk — in seinen Symphonien gänzlich auf den Einsatz der menschlichen Stimme verzichtete und spezielle Effekte höchst sparsam verwendete. So werden gestopfte Hörner lediglich im Kopfsatz der IX. Symphonie (Takt 161 bis 166 und 355 bis 366) benutzt, und gedämpfte Hörner nur im Andante der zweiten Fassung der IV. Symphonie (Takt 152). Auch gedämpfte Streicher finden sich nur im Andante der IV. Symphonie, und auf den Effekt des Flageoletts verzichtete Bruckner vollständig. Sein Instrumentarium unterscheidet sich also grundlegend von demjenigen Richard Wagners oder den Komponisten der Neudeutschen Schule. ***
Untersucht man nach dieser Auflistung der benutzten Instrumente die Art und Weise ihrer Verwendung, ist als wesentliches Moment des Brucknerschen Klanges die Bevor zugung reiner Klangfarben und damit die Vermeidung von Mischklängen zu nennen. So sind die Seitenthemen der Ecksätze etwa oftmals nur den Streichern vorbehalten. Eine geradezu exzeptionelle Bedeutung in der Symphonik Anton Bruckners kommt der Verwendung des Blechs zu. Der geschlossene Blechbläsersatz kann als ein Kernstück des Brucknerschen Tonsatzes angesehen werden. Er wird sowohl allein als auch im Orchestertutti eingesetzt. Durch die Betonung der Blechbläser bei klarer Trennung von den anderen Orchestergruppen ist der Streicherklang nicht mehr, wie im Orchester der Klassik, als bestimmender Farbkern anzusehen. Vielmehr werden die Chöre von Blech bläsern und Streichern gleichberechtigt behandelt. Ebenfalls charakteristisch für Bruckners Instrumentierung ist das Festhalten an einer einmal gewählten Klangfarbe für die Dauer einer Phrase oder Periode. Diese Klangfarbe kann dann aber ohne Übergang in die nächste wechseln.
Auch wenn mehrere Orchestergruppen gleichzeitig am musikalischen Geschehen beteiligt sind, achtet Bruckner darauf, daß deren eigentümliches Timbre bewahrt wird, indem den verschiedenen Orchestergruppen unterschiedliches thematisches Material zu geordnet wird. So werden die verschiedenen Klangfarben der Instrumente nicht gemischt, sondern in ihrer Eigenart gegeneinandergesetzt. ***
Ein Charakteristikum, das schon den zeitgenössischen Kritikern auffiel, sind abrupte Dynamikwechsel. Diese sind vor allem dort besonders auffällig, wo eine Erwartung geweckt und dann nicht erfüllt wird: Im Kopfsatz der VII. Symphonie bricht der Fluß der Musik nach einer sechzehntaktigen Steigerung und einem viertaktigen Höhepunkt mit Bläser-Repetitionen im fortissimo mit der letzten Note von Takt 122 ab. Nahtlos und ohne jegliche Überleitung beginnt in Takt 123 ein neuer Abschnitt, ruhig und im pianissimo vorgetragen, den nur Streicher und Holzbläser bestreiten.
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Nicht minder überraschend auf den Hörer muß der umgekehrte Fall gewirkt haben: Das plötzliche Einsetzen des gesamten Orchesters im fortissimo nach einer leisen, ruhigen Passage. Eine solche Stelle findet sich im Kopfsatz der V. Symphonie bei Buchstabe N. Hier wird zwar die thematische Linie nicht unterbrochen, aber der plötzliche fortissimo-Einsatz des Orchester-Tuttis erscheint gänzlich unvorbereitet. Insgesamt läßt sich eine Vorliebe Bruckners für unvermittelt nebeneinander stehende dynamische Extreme vom leisesten pianissimo bis zum kräftigsten fortissimo feststellen.19
Eng mit diesen dynamischen Kontrasten hängt der nächste Punkt zusammen: Bruckners Musik ist geprägt von Klangballungen, die in jedem seiner Sinfoniesätze auftreten, in ihrem Schwelgen in mächtiger Klangpracht wesentlich zu dem Eindruck der Monumen talität Brucknerscher Musik beitragen und an das volle Werk einer Orgel denken lassen. Gemeinsam ist diesen Klangblöcken der Einsatz des vollen Orchesters und eine Dynamik im Bereich des zwei- bis dreifachen forte, wobei diese Dynamik zusammen mit der Besetzung oftmals ‘vertikal’ für alle Stimmen sowie ‘horizontal’ für die volle Zeitdauer eines Klangblocks konstant bleibt. Durch diese innere Gleichförmigkeit und die hermeti sche Geschlossenheit ihrer flächigen Anlage nach außen entsteht, verbunden mit einer geradtaktigen Periodik, dem Einsatz von Unisono-Passagen und der Abgrenzung durch Generalpausen, der Eindruck einer Statik. Aus vielen dieser Klangblöcke scheint aufgrund dessen keine Entwicklung hinauszuführen. Doch selbst dort, wo das motivische und rhythmische Material der Blöcke sich aus dem Vorhergehenden herleiten läßt oder eine unmittelbare Entwicklung auslöst, können die krassen dynamischen und klanglichen Kontraste die Verbindungslinien zum Kontext verdecken.
Dieser statische Eindruck wird durch die Flächigkeit der Themen begünstigt, die oftmals durch die Verwendung von Grundintervallen Klangräume ausmessen oder einfa che Dreiklangsbrechungen nachzeichnen.20 Dennoch verfügen diese Klangflächen über eine fein ausbalancierte Binnenstruktur, welche die Oberfläche der Klangblöcke durch die Ornamentik und charakteristische Rhythmik der Begleitfigurationen gleichsam auf gerauht erscheinen läßt. Besonders in den Erstfassungen seiner Symphonien scheint
19 Zu Bruckners Freude am strahlenden, kräftigen Orchesterklang berichtet der Dirigent Siegfried Ochs eine charakteristische Begebenheit: Bei einer Probe des Te Deum habe Bruckner einen in der Partitur mit pianissimo bezeichneten Posauneneinsatz (gemeint ist der Einsatz im dreifachen piano bei Buchstabe X im letzten Satz) so lange wiederholen lassen, bis sich dieser zum dreifachen forte gesteigert habe. Darauf habe er ausgerufen: „...Wenns sein kann, dann lass’n S’ no’ stärker blasen und singen; stark genug kann’s überhaupt nit sein.“ Zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 150 f. Siehe dazu auch: ebenda, S. 548 f. Friedrich Klose (Meine Lehrjahre bei Anton Bruckner. Erinnerungen und Betrachtungen, Regensburg 1927, S. 140 ff.; vergleiche auch Abschnitt V.l dieses Kapitels) berichtet außerdem, daß Bruckner auch bei der Klavierprobe der V. Symphonie mit Schalk und Zottmann großen Wert auf Lautstärke gelegt habe. Das Gleiche gilt offenbar für eine Passage aus dem Adagio der VII. Symphonie: „bei dem Tubensatze wirken drei Takte vor Y vier Hörner fff geblasen viel besser als zwei.“ (Brief Bruckners an Jean Louis Nicode vom 3. März 1887, in: Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 199) 20 Siehe etwa die Anfänge der III., IV., VII. oder IX. Symphonie
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Bruckner mit unglaublich modern klingenden, manchmal fast schon minimalistisch anmu tenden Strukturen experimentiert zu haben.21 Der Hörer erlebt eine rhythmisch strukturierte Klangfläche, hinter der die thematischen Elemente zurücktreten; oft auch deshalb, weil Bruckners Themen so angelegt sind, daß die Übergänge von thematischem zu rein figurativem Material mitunter fließend sind.
Bruckners säulenhaft aufragende Klangblöcke haben Assoziationen zur Architektur der Gotik hervorgerufen, so bei dem Bruckner-Forscher Emst Kurth.22 Aber auch wenn Kurth diesen Vergleich eher im übertragenen Sinne verstanden wissen wollte und im Schopenhauerschen Verständnis die grundsätzliche Verschiedenartigkeit von Musik und Architektur betonte, ist den Brucknerschen Klangsäulen dennoch etwas von der Steilheit, von der Hervorhebung der Senkrechten in der gotischen Architektur eigen. Hinzu kommt, daß Bruckner diese Klangsäulen oft durch Generalpausen von der Umgebung abgegrenzt ‘frei im Raum’ stehen läßt.
Die Klangblöcke können unterschiedliche Gestalt annehmen und im Satzverlauf ver schiedene Aufgaben erfüllen. Meist dienen sie zur Gliederung der Form und haben die Funktion von ‘Interpunktionen’. Besonders deutlich wird dies an den Enden der Ecksätze, an denen sie durch ihr Auftreten wesentlich zur Schlußwirkung beitragen, wie etwa durch den 30-taktigen fortissimo-Block am Schluß des Kopfsatzes der ersten Fassung der VIII. Symphonie. Die Klangblöcke sind aber auch zur Binnengliederung eingesetzt: Als letzte Themengruppe beschließen sie oftmals die Exposition eines Ecksatzes.23 Anschauliche Beispiele für die Abgegrenztheit eines Klangblocks bei gleichzeitiger ‘unterirdischer’ Verbindung zu dem ihn umgebenden Kontext finden sich im Kopfsatz der V. Symphonie: In der Introduction folgt nach 14 Takten einer Streicher-Einleitung, die im pianissimo anhebt und im dreifachen piano verebbt, ein mehrtaktiger Block des vollen Orchesters im fortissimo. (Vergleiche Notenbeispiel 1 auf Seite 34) Im unisono tragen Streicher und Holzbläser ein scharf punktiertes und aus gebrochenen Dreiklängen bestehendes Thema vor, das auf seinen metrischen Schwerpunkten durch Verdoppelungen der Blechbläser unterstützt wird. Nach diesem einstimmigen Abschnitt folgt — ebenfalls im fortissimo — ein vier Takte umfassender, achtstimmiger Choralsatz der Blechbläser. Darauf werden beide Abschnitte auf einer anderen Tonstufe wiederholt, und bei Buchstabe A setzt im dreifachen piano nach einer eineinhalb Takte währenden Generalpause eine scheinbar neue Entwicklung ein. Die gravierenden Verbindungen zwischen diesem ge waltigen Block und der nachfolgenden Entwicklung, ja der gesamten Symphonie, fallen erst bei näherer Betrachtung auf: Das Motiv der Posaunen (Takt 19 bis 21 und 27 bis 29) wird, diminuiert und in seiner Spiegelung benutzt, zum Grundbaustein des in Takt 31 ansetzenden Steigerungszuges und stellt sich mit Einsatz des Hauptthemas in Takt 55 als dessen gespiegelte Vorform heraus.
Vergleiche etwa den Kopfsatz der ersten Fassung der IV. Symphonie '2 Ernst Kurth: Bruckner (vergleiche Anin. 17), S. 673-682
23 Etwa in der zweiten Fassung des Finales der VIII. Symphonie, T. 183-211
33
ff
Notenbeispiel 1: V. Symphonie, Kopfsatz, Takt 7 bis 25
34
Notenbeispiel 2: V. Symphonie, Kopfsatz, Takt 325 bis 332
35
Im weiteren Verlauf dieses Satzes, am Übergang von der Durchführung zur Reprise, treten Klangblöcke als Erinnerung an Vorangegangenes zusammen mit anderen in sich geschlossenen Satzbausteinen auf: Ab Takt 315 folgt auf vier Takte im pianissimo ein sechstaktiger Block des vollen Orchesters im dreifachen forte. Im direkten Anschluß intonieren die Hörner, teilweise unterstützt von den Posaunen, im pianissimo einen Choral, der in seiner Thematik mit dem Pizzicato-Choral der Streicher in der ‘Gesangs periode’ (ab Buchstabe C) identisch ist. Auf diese Reminiszenz an das zweite Thema des Satzes, die wie ein fernes Echo herüberklingt, folgt eine weitere Reminiszenz, nun an den Klangblock aus Takt 319 ff.: Zwei Takte spielt das gesamte Orchester im dreifachen forte, um mit Takt 331 genauso plötzlich wieder zu verklingen. (Vergleiche Notenbeispiel 2 auf Seite 35) Es folgt, wiederum im zwei- bzw. dreifachen piano, eine erneute Erinnerung an das Seitensatz-Thema, das nun zunächst für zweieinhalb Takte den Holzbläsern und für vier Takte den Streichern zugeteilt ist, bis in Takt 338 mit der Wiederaufnahme des achtstimmigen Blechbläser-Chorals der Introduction die Reprise eingeleitet wird. Hier ‘spielt’ Bruckner geradezu mit den Versatzstücken und Remi niszenzen des bis dahin Geschehenen. Es läßt sich eine Aneinanderreihung von sieben unterschiedlichsten, in sich geschlossenen Bausteinen beobachten: Durch Tutti-Blöcke, aber auch durch ‘registerartige’ Instrumentation entstehen schärfste Kontraste auf engstem Raum: Wie ein Organist die Manuale, wechselt Bruckner, unterstützt durch die Dynamik, übergangslos von einer Orchestergruppe in die nächste.
Schließlich sei noch erwähnt, daß Klangblöcke bisweilen als Ergebnis langer, oftmals wellenförmig verlaufender Steigerungszüge erscheinen, welche ebenso typisch für die Brucknersche Tonsprache sind. Solche Steigerungszüge stehen jedoch nicht zwangsläufig im Widerspruch zu dem bisher bei Bruckner beobachteten Reihungsprinzip, da auch sie aus klar begrenzten, zusammengefügten ‘Werkstücken’ bestehen können.24 ***
Typisch für Bruckners Orchesterbehandlung ist eine der Kemfarbe der Bläser angenä herte Behandlung der Streicher-Artikulation und -melodik, welche auf Deutlichkeit, Durchsichtigkeit und Klarheit, verbunden mit einer Fülle und Schwere des Klanges, angelegt ist. Deutlich abzulesen ist dies an den Spielanweisungen der Streicher, die selten ein weiches Klangbild hervorrufen, oft aber ein äußerst markiertes Spiel, unterstützt durch die Bogenführung, die Strichtechnik und marcato-Keile, verlangen. Diese gleichsam ‘gemeißelte’ Artikulation kann dabei auch für die sehr leisen Passagen der Brucknerschen Musik gelten, wodurch diese, ebenso wie die Passagen im zwei- bis dreifachen forte, durch große Prägnanz des Tons auf sich aufmerksam machen.25
24 Ein gutes Beispiel dafür ist der Beginn des Finales der III. Symphonie: Hier ist T. 1-8 in vier Zweitaktgruppen untergliedert. Die allmähliche Steigerung wird durch die von Taktgruppe zu Taktgruppe stufenweise gesteigerte Dynamik und Besetzung erreicht, bis in T. 9 das Thema unter Beteiligung aller Instrumente und im fortissimo vorgetragen wird.
Vergleiche dazu etwa den Kopfsatz der V. Symphonie ab Buchstabe A der Introduction
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***
Zu den hervorstechendsten Eigenheiten der Brucknerschen Kompositionsweise gehört sicherlich die klare Gliederung seiner Musik. Auf der Ebene der Perioden und Themen fällt die Einteilung in kurze Phrasen von vier, acht oder sechzehn Takten auf. Den Periodenbau seiner Werke überprüfte Bruckner äußerst gewissenhaft, und er zählte die Takte der Perioden in seinen Partituren schriftlich durch. Göllerich/Auer führen diese Eigenschaft auf Bruckners Studienzeit bei Otto Kitzler zurück: „Seit damals wohl bewahrte Bruckner die Gepflogenheit, in allen seinen größeren Werken genaues! die Takte abzu zählen und zu numerieren.“26 Auf diese Weise analysierte er zum Beispiel auch den Bau von Mozarts oder der IX. Symphonie Ludwig van Beethovens.27 Bruckner litt während seiner Nervenkrise im Jahre 1867 unter einem Zählzwang, der sich vor allem in seinen späteren Jahren immer wieder negativ bemerkbar machte.28 Positiv betrachtet und bezogen auf die Taktzählungen in seinen Symphonien drückt sich darin jedoch der Wille zu absoluter Klarheit, Berechenbarkeit im ursprünglichen Wortsinn und Faßlichkeit aus. So läßt sich Bruckners Kompositionsweise an vielen Stellen mühelos als eine Addition geradtaktiger Perioden beschreiben. Bruckners blockhafte, ‘architektonische’ Bauweise29 wird dadurch unterstrichen, daß er den einzelnen Formteilen seiner Sätze neben einer spezifischen Instrumentation be stimmte Rhythmen zuordnete. So ist dem gesamten ersten Thema des Kopfsatzes der VII. Symphonie (Takt 1 bis 50) ein Streicher-Tremolo unterlegt, während die zweite Themengruppe (Takt 51 ff.) von Achtel-Repetitionen getragen ist. Ähnliches läßt sich am Beginn der VI. Symphonie beobachten: Dort ist dem ersten Thema ein halbtaktiges rhythmisches Modell unterlegt, welches in den Streichern ohne Unterbrechung vom ersten Takt bis zum Einsatz des Seitenthemas in Takt 49 erklingt. ***
Bruckners großformale Anlage provozierte seine Zeitgenossen oftmals zu dem Vorwurf der ‘Formlosigkeit’, und selbst Bruckners Schüler taten sich schwer, Bruckners Form in ihrer Größe und Einmaligkeit zu begreifen. So äußerte sich Franz Schalk noch im Jahre 1921: „In der Tat gibt es nichts Primitiveres als die Brucknersche Form. Kaum je ist einer von den Großen mit dem Formproblem sorgloser umgegangen als Bruckner. Er hat sich ein sehr einfaches Schema für seine Sätze zurecht gelegt, darüber offenbar niemals spekuliert und in all seinen Symphonien ganz gleichmäßig festgehalten. Haupt 26 Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 141 27 Siehe dazu Leopold Nowak: Metrische Studien von Anton Bruckner an Beethovens III. und IX. Symphonie (1970), in: Nowak 1985, S. 105-115 28 Siehe dazu die Berichte bei Göllerich/Auer (Bd. III. 1, S. 402) und bei August Stradal: Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit, in: Zeitschrift für Musik 99, 1932, S. 853-860, 971-978 und 1071-1075, hier S. 1072 29 Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Bruckner selbst in seiner Antrittsrede an der Wiener
Universität den Terminus „musikalische Architektur“ benutzte. (Zitiert bei Manfred Wagner: Bruckner. Leben, Werke, Dokumente, Mainz 1983, S. 268-271, hier S. 269)
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thema, hier und da eine Art Introitus vorher, Seitensatz, den er stets sehr charakteristisch mit dem Wort Gesangsperiode bezeichnete, und Schlußperiode für die Ecksätze. Seine Adagios sind alle dreiteilig: Hauptthema, zweites Thema (Gesangsperiode), von denen das erste zweimal irgendwie variiert wiederkehrt, während das zweite nur eine Reprise erfährt. Seine engsten, geschlossensten Sätze sind stets die Scherzi, in denen allein das rhythmische Element den ‘Gesang’ überwiegt oder ganz verdrängt. Diese Scherzi haben auch zuerst Eingang gefunden und am frühesten eine gewisse Popularität erlangt. Der oberösterreichische Bauerntanz bricht in ihnen in einer künstlerischen Ausgestaltung unerhörtester Art durch.“30
Diese Deutung impliziert, daß Bruckner durch sein Werk keinen nennenswerten Beitrag zur Entwicklung der Form geleistet und zudem über einen Zeitraum von 34 Jahren — von der ersten zur letzten Symphonie — in formaler Hinsicht keine Entwicklung durchlaufen habe. Diese Urteile sind unzutreffend: Bruckner erweiterte das klassische Formverständnis des Sonatenhauptsatzes in vielfältiger Weise. So verzichtete er auf die Wiederholung der Exposition, weitete den Haupt- und Seitensatz zu groß angelegten, oftmals in sich dreiteiligen Themenkomplexen aus und legte auch die Exposition als Ganzes dreiteilig an, indem er die Schlußgruppe zu einem gleichwertigen, dritten The menkomplex ausgestaltete. Vor allem in den späteren Symphonien zog Bruckner Durch führung und Reprise zu einem Großkomplex zusammen, wobei er immer wieder neue, innovative Lösungen fand. So ist etwa der Reprisen-Einsatz im Kopfsatz der VIII. Symphonie durch Dynamik und Instrumentation verschleiert, und in den Kopfsätzen der VI. und IX. Symphonie fällt der Repriseneinsatz mit dem Höhepunkt der Durchführung zusammen, wodurch der Satz nicht mehr drei-, sondern zweigeteilt erscheint und die Aufmerksamkeit dadurch auf die Coda des Satzes gelenkt wird. Das Finale der VII. Symphonie schließlich legte Bruckner als Bogenform an, indem er in der Reprise den ersten und zweiten Themenkomplex vertauschte.
Der formale Aufbau der Mittelsätze ist ebenfalls individuell gestaltet: Er reicht in den Adagio-Sätzen von einfachen Liedformen bis zur Integration von Sonaten form-Elementen, und auch Bruckners Scherzi sind nicht formal identisch. So finden sich in denen der IV., V. und VIII. Symphonie Passagen, denen Seitensatz- oder Durch führungs-Charakter zugesprochen werden kann.
Auch Bruckners zyklische Großform erweist sich als äußerst planvoll durchdacht. Durch die immer stärker in den Vordergrund tretende Ausrichtung der zyklischen Ent wicklung auf das Finale in den Werken der Wiener Klassiker, vor allem Ludwig van Beethovens, ergab sich im 19. Jahrhundert für viele Komponisten ein ‘Finale-Problem’: Wie mußte eine Symphonie beschaffen sein, deren bedeutendste Aussagen dem Finale vorbehalten bleiben sollten? Dieses Problem mußte sich für Anton Bruckner besonders drastisch stellen, da bei ihm die wesentlichen Aussagen oftmals seinen weit ausladenden Adagio-Sätzen anvertraut waren. Bruckner löste jedoch dieses Finale-Problem, unter anderem durch motivische Verknüpfung der Sätze, und, ab der III. Symphonie, durch Franz Schalk: Anton Bruckner. Betrachtungen und Erinnerungen (1921), in: Die Musik 24, 1932, S. 881-884, hierS. 882 f.
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die Wiederaufnahme des Kopfsatz-Hauptthemas am Schluß des Finales. Auch hier fand Bruckner vielfältige Lösungen, welche auf jeweils neue, individuelle Weise den entspre chenden Problemen gerecht wurden: Schon in der II. Symphonie klingt ab Takt 280 das Thema des Kopfsatzes an, und ab Takt 640 wird es sogar vollständig zitiert. In der III. Symphonie fügte Bruckner im Finale vor dem Einsatz der Coda Zitate aus den drei vorangegangenen Sätzen ein (Takt 675 bis 688 der ersten Fassung), das Finale der IV. Symphonie übernahm in seiner Anfangssteigerung die ‘Jagd’-Motive des Scherzos, das Finale der V. Symphonie übernahm aus dem Kopfsatz die Idee der langsamen Einleitung und fügte in diese ebenfalls Zitate ein, diesmal aus erstem und zweitem Satz, und in der VI. Symphonie stellt die motivische Verwandtschaft des jeweils zweiten Seitensatz-Motives eine Verknüpfung zwischen Kopfsatz und Finale her.
Auch das Wiederauftreten des Kopfsatz-Themas gegen Schluß des Finales gestaltete Bruckner immer wieder neu: Erscheint dieses in der V. Symphonie bereits im dritten Themenkomplex der Reprise (Takt 462 ff.) und damit über 170 Takte vor Satzschluß, so bestimmt es im Finale der VII. Symphonie lediglich die letzten neun Takte. Dafür ist hier bereits das Hauptthema des Finales von Anfang an als eine gesteigerte Variante des Kopfsatz-Themas angelegt.
*** Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Bruckner für jede Symphonie eigene, individuelle Lösungen wählte. Dennoch finden sich hinter der Vielfalt dieser Lösungen deutliche Merkmale einer Tonsprache, welche — bei aller Individualität der jeweiligen Werke — als eigener, persönlicher ‘Tonfall’, als Personalstil Bruckners in diesem Ab schnitt beschrieben wurden und eine klare Abgrenzung der Gesamtheit seines Schaffens gegenüber dem seiner Vorgänger und Zeitgenossen ermöglichen.
II.3 Wurzeln
der
Brucknerschen Symphonik
Mit den eben beschriebenen Merkmalen schuf Anton Bruckner eine absolut eigen ständige, in ihrer Art in der Musikgeschichte einzigartige Tonsprache. Dennoch hat natürlich auch diese Tonsprache ihre historischen Wurzeln. So machte der Wiener Musikwissenschaftler und Bruckner-Forscher Alfred Orel im Jahre 1925 Bruckners oberösterreichische Heimat, das Stift St. Florian, die Orgel und Richard Wagner als die vier „elementaren Erlebnisse“ im Leben Anton Bruckners aus.31
II.3.1 B RUCKNERS OBERÖSTERREICHISCHE LEHRER Unter den Faktoren, die bei der Entstehung eines persönlichen Stils Zusammenwirken, nehmen naturgemäß jene Eindrücke, denen ein Musiker in seiner Kindheit und Jugend ausgesetzt ist, einen besonderen Raum ein. Anton Bruckner wurde in die vormärzliche, dörflich geprägte Gesellschaft Oberösterreichs hineingeboren. Diese dörfliche Abge 31 Anton Bruckner (vergleiche Anm. 17), S. 129
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schiedenheit als provinziell abzutun, würde allerdings zu kurz greifen. Manfred Wagner wies in seiner Bruckner-Biographie sowohl auf die bis in die Römerzeit zurückreichende Geschichte von Bruckners Geburtsort Ansfelden, wie auch auf die enge Verbindung des Ortes mit dem Stift St. Florian hin und resümierte: „Bruckner wird also in eine Welt hineingeboren, die zwar ärmlich wirkt, aber auf eine jahrhundertelange Tradition und das damit gewachsene Selbstbewußtsein zurückblicken kann.“32 Somit standen Bruckner in seiner Heimat nur dörfliche oder kleinstädtische Kantoren und Musiker als Lehrer zur Verfügung, was relativ einseitige und konservative musikalische Bildungsmöglichkeiten beinhaltete. Dennoch verfügten diese Musiker ausnahmslos über einen sehr hohen Aus bildungsstand, und so überrascht es nicht, daß Bruckners frühe Lehrer zu den angesehen sten und kompetentesten Musikern Oberösterreichs zählten.33 Den ersten Musikunterricht erhielt Bruckner von seinem Vater. Von 1835 bis 1837 wurde er von seinem Cousin Johann Baptist Weiß in Hörsching unterrichtet, von 1837 bis 1840 vom St. Florianer Stiftsorganisten Anton Kattinger, von 1840 bis 1841 von Johann August Dürrnberger in Linz, von 1843 bis 1845 von dem Regens chori und Organisten Leopold von Zenetti in Enns, und von 1845 bis 1849 wieder von Anton Kattinger in St. Florian. Von diesen Musikern lernte Bruckner das Orgelspiel und die Grundlagen der Musiktheorie. Zudem machten ihn seine Lehrer mit der Musik von Bach, Händel, der Wiener Schule und ihren Vertretern Monn oder Wagenseil, Mozart, Beethoven, Albrechtsberger, Joseph und Michael Haydn sowie vielen Kleinmeistem der Zeit vertraut. Durch Leopold von Zenetti und dessen gut ausgestattete Bibliothek lernte Bruckner außerdem Werke Schuberts, Webers und Mendelssohns kennen.
II.3.2 St. Florian Das Augustiner-Chorherrenstift St. Florian bei Linz war als Ort des Glaubens, aber auch der Wissenschaft nicht nur das geistliche wie geistige Zentrum seiner Region, sondern nahm gegen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts sogar „eine führende Stellung im geistigen Leben Österreichs“34 ein. Zudem war die große Orgel der Stiftskirche als eine der größten und bedeutendsten Österreichs weithin bekannt.
Bruckner wurde nach dem Tode des Vaters im Jahre 1837 als Sängerknabe in das Stift aufgenommen. Die Eindrücke, welche der dreizehnjährige Knabe dort gewann, sollten ihn für sein ganzes Leben prägen. Hier nahm er nicht nur den Glauben in sich auf, sondern durch die monumentale Barock-Architektur des Stiftes auch den Eindruck einer Weite und Größe, der seinen Nachhall in den gewaltigen Klangräumen seiner
32 Manfred Wagner: Bruckner (vergleiche Anm. 29), S. 29 33 Vergleiche dazu auch Elisabeth Maier: Bruckners oberösterreichische Lehrer, in: Bruckner-Symposion 1988, sowie Elisabeth Maier und Franz Zamazal: Anton Bruckner und Leopold von Zenetti (Franz Grasberger, Hg.), Graz 1980 (- Anton Bruckner — Dokumente und Studien 3) 34 Vergleiche dazu auch Johannes Hohnsteiner: Das Stift St. Florian und Anton Bruckner, Leipzig 1940, hier S. 21
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Symphonien finden sollte.35 Wie bei Leopold von Zenetti diente Bruckner hier die umfangreiche Bibliothek, welche neben geistlichen Werken über einen großen Bestand an weltlicher Instrumentalmusik verfügte,36 als reiche Quelle der Weiterbildung.
11.3.3 Die Orgel Besonders wichtig wurde in St. Florian der Eindruck des Orgelklanges und Bruckners eigene Erfahrungen im Umgang mit diesem Instrument. Aber Bruckner war nicht nur zeitlebens ein international anerkannter Orgelvirtuose, der als offizieller Vertreter Öster reichs auf Konzertreisen nach Nancy und Paris im Jahre 1869 und nach London im Jahre 1871 außerordentliche Erfolge erzielen konnte, ja dessen Reputation als Orgel virtuose — auch in Wien — im Unterschied zu seiner Stellung als Komponist niemals zur Diskussion stand: Viele der spiel- und klangtechnischen Besonderheiten der Orgel hinterließen — wie oben beschrieben — ihre deutlichen Spuren in Bruckners Musik. So mag es nicht überraschen, daß schon seine Zeitgenossen eine Verbindung zwischen der Orgel und Bruckners symphonischen Werken herstellten: „Wie bei seinem Orgelspiel, liebt Bruckner im Orchester das Rauschende, Betäubende, und tut darin meist des Guten zu viel“,37 schrieb etwa Richard Heuberger, und Franz Schalk sprach von Bruckners „ungezügelter Lust an dem königlichen Prunk seines Orchesters und seiner Orgel.“38 Allerdings muß hier berücksichtigt werden, daß es sich bei den Symphonien Bruckners um genuin symphonische Musik handelt: Nichts wäre falscher, als in Bruckners Symphonien Orgel-Transskriptionen zu sehen, auch wenn eine Beschreibung der sym phonischen Sprache Bruckners durchaus von der Terminologie der Orgel ausgehen kann und etwa der Begriff ‘Registerinstrumentation’ oftmals gerechtfertigt erscheint.
11.3.4 Einflüsse anderer Komponisten Natürlich finden sich in Bruckners Werk zahlreiche Einflüsse seiner Vorgänger und Zeitgenossen. Welche Komponisten Bruckner besonders schätzte, geht aus seinen Äuße rungen hervor, die in zahlreichen Erinnerungsberichten seiner Schüler und Freunde festgehalten sind.39 So verehrte er J. S. Bach und die Wiener Klassiker, und er zählte Beethovens III. Symphonie und Mozarts Requiem zu seinen Lieblingskompositionen. Manchen Werken, die er in seiner Jugend in Oberösterreich kennengelernt hatte, blieb 35 Vergleiche dazu Leopold Nowak: Der Begriff der „Weite" in Anton Bruckners Musik (1971), in: Nowak 1985, S. 126-139 36 Etwa Symphonien von Joseph Haydn, Symphonien und Klavierkonzerte von Mozart, die II. bis V.
Symphonie, einige Ouvertüren und Kammermusik von Beethoven, oder eine Reihe von Schubert-Liedern. 37 Richard Heuberger,Neue Musik-Zeitung, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV. 3, S. 213 f. 38 Franz Schalk: Briefe und Betrachtungen. Mit einem Lebensabriß von Victor Junk (Lili Schalk, Hg.), Wien 1935, S. 36 39 Vergleiche dazu etwa Uwe Harten: Bruckners Äußerungen zur Orchestermusik seiner Zeit, in: BrucknerSymposion 1989; ders.: Artikel Urteile, in: Bruckner-Handbuch, S. 457-461; August Stradal: Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit (vergleiche Anm. 28); Friedrich Eckstein: Erinnerungen an Anton Bruckner, Wien 1923
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Bruckner sein Leben lang verbunden. In Wien besuchte er Aufführungen Haydnscher Oratorien, und Mozarts Requiem hörte er ab 1870 alljährlich in der Hofkapelle zum Allerseelen-Tag.
War Bruckners Einstellung zu Felix Mendelssohn und Robert Schumann nicht ein heitlich zustimmend, so verehrte er Franz Schubert ganz besonders und sah im Kompo nisten der h-Moll-Symphonie einen Vorläufer Wagners. Über Hector Berlioz, Franz Liszt und Richard Strauss sind ebenfalls ambivalente Äußerungen überliefert. So soll Bruckner zwar deren kühne Harmonik und Instrumentation bewundert, sich aber über Liszts Fugen kritisch geäußert haben. Das Verhältnis Bruckners zu lohannes Brahms schließlich war zwar von Respekt, aber dennoch unüberwindlichem Unverständnis geprägt: Beide Komponisten-Persönlichkeiten waren in menschlicher, religiöser und damit auch musikästhetischer Hinsicht zu verschieden, auch wenn Brahms in späteren Jahren seine Meinung etwas revidierte, die Uraufführung der VIII. Symphonie besuchte und sich sogar vom Verleger des Werkes ein Exemplar schicken ließ40 und es gründlich studierte.41 Diese Präferenzen — und Abneigungen — haben natürlich ihren Niederschlag in Bruckners Werken gefunden.42 Weist Bruckners Kirchenmusik Anklänge an die katholi sche Tradition eines Palestrina, Fux und Caldara und darüber hinaus zahlreiche wörtliche Zitate aus Werken von Joseph Haydn oder Mozart auf, so finden sich in Bruckners ersten Orchesterkompositionen (Ouvertüre g-Moll und ‘Studien-Symphonie’ f-Moll von 1863; ‘Annullierte’ Symphonie d-Moll von 1869) neben deutlichen Spuren von Haydn und Mozart auch solche von Mendelssohn oder Schumann.
Auch die Werke Beethovens dienten Bruckner als reiche Inspirationsquelle. So stellte dessen IX. Symphonie nicht nur für Brahms oder Wagner ein Schlüsselwerk dar, sondern auch für Bruckner, der die Symphonie bereits am 22. März 1866 unter Leitung Johann Herbecks in Wien gehört hatte43 und später an ihr metrische Studien durchführte.44 Der Beginn des Kopfsatzes aus der IX. Symphonie Beethovens zum Beispiel wurde zu
40 Vergleiche Anton Bruckner zum 150. Geburtstag. Eine Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, Katalog (Franz Grasberger, Fig ), Wien 1974, S. 99
41 Diese heute im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufbewahrte Partitur weist deutliche Benutzungsspuren von Brahms auf.
42 Vergleiche dazu etwa Constantin Floros: Zur Antithese Brahms-Bruckner, in: Brahms-Studien. Veröffent lichungen der Brahms-Gesellschaft Hamburg e.V. (Constantin Floros, Hg.), Hamburg 1974; ders.: Mahler und die Symphonik des 19. Jahrhunderts in neuer Deutung. Zur Grundlegung einer zeitgemäßen musikali schen E.xegetik (- Gustav Mahler Bd. 2), Wiesbaden 1977; ders.: Brahms und Bruckner. Studien zur musikalischen Exegetik, Wiesbaden 1980; ders.: Parallelen zwischen Schubert und Bruckner, in: Othmar Wessely zum 60. Geburtstag. Festschrift, Tutzing 1982; ders.: Die Zitate in Bruckners Symphonik, in: Bruckner-Jahrbuch 1982/83; ders.: Zu Bruckners frühem symphonischen Schaffen, in: Bruckner-Symposion 1988; Karl Geiringer: Anton Bruckners Vorbilder, in: Bruckner-Studien. Leopold Nowak zum 60. Geburtstag (Franz Grasberger, Hg.), Wien 1964 43 Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 229 44 Vergleiche Anm. 27
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einem Modell vieler Brucknerscher Steigerungszüge und bestimmte die Gestaltung der Anfänge des ersten und vierten Satzes der III. Symphonie, des Finales der IV. Symphonie sowie des ersten Satzes der IX. Symphonie. Das Adagio der IX. Symphonie Beethovens beeinflußte Bruckner bei der Komposition des Adagios seiner VII. Symphonie, und Bruckners Scherzo-Sätze zeigen deutliche Elemente des Scherzos der Beethovenschen Symphonie. Schließlich sei noch erwähnt, daß sich auch bei Beethoven Beispiele für die für Bruckner so charakteristische ‘registerartige’ Instrumentation finden lassen, so etwa im Trio von Beethovens Eroica oder in der dritten Leortoren-Ouvertüre, dort auch in Verbindung mit schroffen dynamischen Kontrasten.
Bruckners Stilmittel weisen zum Teil auch deutliche Ähnlichkeiten mit Kompositionen Franz Schuberts auf: In der Fantasie f-Moll für Klavier vierhändig (D. 940) reißt eine fortissimo-Fläche abrupt mit dem Taktstrich ab, um die Musik nach einer eintaktigen Generalpause im piano wieder ansetzen zu lassen.45 Schroffen dynamischen Kontrasten in Verbindung mit fortissimo-Blöcken begegnet man auch in der h-Moll-Symphonie Schuberts (erster Satz, von Takt 61 zu 63) oder im Finale der ‘großen’ C-Dur-Symphonie (von Takt 889 zu 897). Hier findet sich bereits eine Bruckner-typische Verschiebung der Gewichte zugunsten der Blechbläser, welche in der Coda des Kopfsatzes (ab Takt 595) die Melodieführung übernehmen oder gegen Ende des Finales (ab Takt 1061) durch signalartige, schmetternde Rhythmen auf sich aufmerksam machen. Bruckners weit aussingende Seitenthemen scheinen vor allem im Kopfsatz seiner IX. Symphonie in Schuberts letzter Symphonie ihre Vorbilder zu finden, und auch die Adagio-Höhepunkte dieser Werke weisen Parallelen auf: Ihnen bescheinigte Mathias Hansen „einen ver gleichbaren Gang in die Katastrophe“.46 Bruckners Zeitgenossen Hector Berlioz und Franz Liszt beeinflußten ebenfalls sein Schaffen. So weisen Bruckners Messen unter anderem auch Einflüsse Liszts auf, und Constantin Floros stellte fest, daß die Fülle von Selbstzitaten in seinen Symphonien, welche nicht nur die einzelnen Sätze miteinander in Beziehung setzen, sondern bisweilen sogar unterschiedliche Symphonien miteinander verknüpfen, auf Bruckners aufmerksa mes Studium der Lisztschen „Verklammerungs-, Reminiszenzen- und (...) Zitatentech nik“47 zurückzuführen sei. Floros führte weiter aus, daß Bruckner von Berlioz schließlich „die Verflechtung kontrastierender Themen zu programmatischen Charakterisierungs zwecken und die Idee eines Chorals, der pizzicato begleitet wird“,48 übernommen habe. Wie aus dem hier nur kurz Skizzierten hervorgeht, speist sich die Brucknersche Tonsprache aus zahlreichen Quellen. Von großer Bedeutung sind in diesem Zusammen hang sicher die ersten musikalischen Eindrücke, die ihm sein Vater und seine oberöster reichischen Lehrer, genauso aber der Aufenthalt im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian vermitteln konnten. Direkten Einfluß auf die Ausbildung seiner spezifischen Klangvor 45 Eine ähnlich ‘zerrissene’ Wirkung erreicht Schubert auch im Kopfsatz der Klaviersonate A-Dur, D. 959, T. 112. 46 Bruckner (vergleiche Anm. 17), hier S. 309 47 Constantin Floros: Brahms und Bruckner (vergleiche Anm. 42), hier S. 159 48 ebenda, S. 160
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Stellung und der Behandlung seines Orchesters übten schließlich die Orgel und seine Erfahrungen als Organist aus — auch wenn es sich bei der Musik Bruckners, wie bereits erwähnt, um symphonische Musik und nicht etwa um instrumentierte Orgelwerke handelt. Daß auch die Musik seiner Vorgänger und Zeitgenossen zum Teil deutliche Spuren in seinen Werken hinterließ, überrascht nicht. Bruckners Zeitgenosse Richard Wagner jedoch sollte diesen Einfluß bei weitem übertreffen. Dem persönlichen Verhältnis Bruck ners zu Wagner, den Einflüssen der Wagner-Erfahrungen Bruckners auf sein Werk, aber auch den Unterschieden und Abgrenzungen zu Richard Wagner sind daher die folgenden Abschnitte dieses Kapitels gewidmet.
III. ANTON BRUCKNER UND RICHARD WAGNER III. 1 Wie Bruckner
die
Musik Wagners kennenlernte
Der Unterricht in Musiktheorie und Kontrapunkt, welchen Bruckner von Juli 1855 bis März 1861 bei Simon Sechter in Wien absolvierte,49 bildete den Abschluß einer langen Ausbildungszeit, die ganz im Zeichen der Tradition österreichischer Kirchenmusik stand. Durch den Unterricht bei Otto Kitzler aber sollte Bruckners Genie entscheidende neue Impulse erhalten. Kitzler50 war ein allen Neuerungen gegenüber aufgeschlossener, weltgewandter Mann. Geboren am 26. März 1834 in Dresden, lernte er dort bereits in seiner Kindheit die Musik Richard Wagners kennen. Er studierte in Brüssel bei Francois-Joseph Fetis und ließ sich darauf in Prag zum Cellisten und Dirigenten ausbilden. Über Strassbourg, Troyes, Paris, Lyon und Königsberg kam er zu Ostern 1861 als erster Kapellmeister an das Landständische Theater nach Linz.51 Bruckners Unterricht bei Kitzler erstreckte sich über eindreiviertel Jahre auf die Zeit von Ende November 1861 bis zum Sommer 1863. Die feierliche „Freisprechung“ vom Unterricht erfolgte auf Bruckners Drängen bei einem Festmahl am 10. Juli 1863.52 Es verdient hervorgehoben zu werden, daß Bruckner offenbar erst jetzt seine Ausbildung zum Komponisten als beendet ansah. Sein Biograph August Göllerich erinnerte sich: „‘Jetzt’ — nämlich nach seinem ‘Freispruche’ durch Kitzler — ‘trat die Kompositionszeit ein’, betonte er bei Erzählung seines Lebens und Schaffens.“53
49 Bruckner hielt sich in den Wochen, in denen er als Dom- und Stadtpfarr-Organist in Linz abkömmlich war, in Wien auf. In der Zwischenzeit tauschten er und Sechter die Aufgaben bzw. die Lösungen schriftlich aus, wobei Bruckners Wiener Freund Rudolf Weinwurm oftmals Kurierdienste übernahm. (Siehe dazu auch Kapitel 2, Abschnitt IV.2, S. 83) 50 Zu Kitzler siehe auch Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 139-144 oder Jiri Vyslouzil: Otto Kitzler in Brünn, in: Bruckner-Symposion 1988
51 Im Herbst 1863 verließ Kitzler Linz, um nach einem kurzen Engagement in Temesvär im Jahre 1865 in Brünn als Theaterkapellmeister seine Laufbahn zu krönen. Dort prägte er in über dreißigjähriger Tätigkeit das Brünner Musikleben nachhaltig. Kitzlers eigene Kompositionen weisen ihn zwar als einen Anhänger der Neudeutschen Schule aus, aber er verfügte als Dirigent über ein breites Repertoire und pflegte auch eine Freundschaft mit Johannes Brahms. 52 Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 143
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Kitzler unterrichtete Bruckner in Formenlehre und Instrumentation. Formale Studien wurden an den Sonaten und Symphonien Beethovens betrieben, was zum Teil deutliche Spuren in den zahlreichen Übungsarbeiten dieser Zeit hinterlies.53 54 Über den Unterricht berichtete Kitzler in seinen Erinnerungen: „Vor Beginn der eigentlichen Instrumentie rungsübungen führte ich Bruckner mit Hilfe einer heute gänzlich vergriffenen Formenlehre von Richter in den Bau der Tonwerke ein, ließ ihn von der achttaktigen Periode bis zur Sonate alle notwendigen Studien durchmachen. Beethovens Sonaten bildeten die verglei chende Grundlage unserer Übungen, und Bruckner bezeugte stets besondere Freude, wenn er auf eine, seinen frühen Satzstudien bei Sechter zuwiderlaufende musikalische Wendung oder Gestaltung stieß. — Bei seinem großen Talente und eisernem Fleiß machte er sehr schnelle Fortschritte. In der Instrumentation hielten wir uns vorerst an Marx, welcher in seinen Beispielen aber nicht weiter als bis Meyerbeer geht. Lehrbücher, welche die Wagner’sehe und Liszt’sehe Instrumentierungskunst in ihren Stoff aufge nommen, gab es damals noch nicht.“55 Bruckners erster Kontakt mit Musik Richard Wagners kam durch Kitzlers Aufführung des Tannhäuser am 12. Februar 1863 zustande, dessen Partitur Kitzler mit Bruckner in der Zeit vor der Aufführung eingehend studiert hatte: „Wagner’sehe Opern waren [...] bis zu dieser Zeit in Linz noch nicht aufgeführt worden. Bruckner hatte, meines Wissens bis dahin noch keine Wagner’sehe Oper gehört, denn während seiner bei Sechter absol vierten Studien [...] war Bruckner von seinen Studien so in Anspruch genommen, so daß er kaum die Hofoper besuchen konnte, um eine Oper von Wagner zu hören, von einem Meister, dessen Richtung Bruckner damals ganz fremd sein mußte. Sein Erstaunen war daher nicht gering, als ich ihm sagte, daß ich Wagner’s ‘Tannhäuser’ aufführen wollte, und wuchs, als ich ihm die Partitur brachte und ihm [sic!] auf die Schönheit des Werkes, auf die Neuheit der Instrumentation aufmerksam machte.“ ’6 In den nächsten Jahren konnte Bruckner in Linz auch Wagners Opern Lohengrin und Derfliegende Holländer kennenlemen. Hier liegen die Wurzeln einer Liebe und Verehrung für die Musik Richard Wagners, die ein Leben lang anhalten sollten. Otto Kitzler erinnerte sich an den geradezu kolossalen Eindruck, den Wagners Musik auf seinen damals bereits vierzigjährigen Schüler machte: „Ich fand ihn in dieser Zeit in einem Zustande musikalischer Erregung, welchen ich später niemals mehr an ihm zu beobachten Gelegenheit hatte.“57 53 ebenda, S. 203. Daß Bruckner den Unterricht bei Simon Sechter nicht als Kompositions-Unterricht verstanden wissen wollte, geht auch aus einem Brief an Wilhelm Tappen vom 1. Oktober 1876 hervor. Dort schrieb Bruckner: „Meine contrap.[unktischen] Studien absolvierte ich bei Sechter in Wien und stand unter dessen Leitung von 1855 bis 1861; in der Composition hatte ich einen Meister aus Leipzig Kitzler bis 1863.“ (Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 105) 54 Siehe dazu: Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 148 55 Otto Kitzler: Musikalische Erinnerungen. Mit Briefen von Wagner, Brahms, Bruckner und R. Pohl, Brünn 1904, zitiert nach Elisabeth Maier: Bruckners oberösterreichische Lehrer (vergleiche Anm. 33), hier S. 45 56 ebenda, S. 45 f.
57 Zitiert nach Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 143
45
Nach Kitzlers Weggang aus Linz im Herbst 1863 setzte Bruckner seine Instrumentati onsstudien mit dem aus Wien stammenden Ignaz Dom58 fort. Zunächst als zweiter Geiger im Linzer Opernorchester engagiert, war Dorn bald zum zweiten Kapellmeister aufgestiegen. Er beherrschte vier Instrumente perfekt und galt als hochbegabter Komponist und fortschrittlicher Theoretiker. Bruckner lernte durch ihn vor allem die Werke Franz Liszts und Hector Berlioz’ kennen. Dom vermachte ihm auch eine Partitur der Lisztschen Faust-Symphonie.
III.2 Persönliche Bekanntschaft
mit
Richard Wagner
Zweieinhalb Jahre nach dieser ersten Begegnung mit der Musik Richard Wagners fand in München im Rahmen der Uraufführung von Tristan und Isolde die erste persönliche Begegnung der beiden Komponisten statt. Bruckner war zum ursprünglich geplanten Aufführungstermin am 15. Mai angereist und traf drei Tage später mit Wagner zusammen.59 Der nächste Kontakt zwischen beiden sollte weitere zweieinhalb Jahre auf sich warten lassen: Bruckners Linzer Liedertafel Frohsinn suchte ein geeignetes Chorstück zu ihrem Gründungsfest am 4. April 1868. Man wandte sich mit der Bitte an Wagner, einen Chor zu komponieren oder der Liedertafel einen geeigneten zu überlassen, und Wagner ant wortete Bruckner, daß er der Liedertafel die Schlußszene der Meistersinger zur Verfügung stellen wolle.60 So erklang diese Schlußszene, zweieinhalb Monate vor der offiziellen Uraufführung, unter Bruckners Leitung mit großem Erfolg in Linz. Fünfeinhalb Jahre später, Mitte September 1873, kam es zu einem für Bruckner sehr bedeutenden Ereignis: zur Widmungsannahme der III. Symphonie durch Wagner. Bruckners Erinnerungen zufolge soll Wagner nach einem Blick in die Partitur sehr wohlwollend reagiert haben: „Ihr Werk [...] ist ein Meisterstück und es ehrt und freut mich, daß Sie es mir zugedacht haben“.61 Weitere Begegnungen ergaben sich im Rahmen der Uraufführung des Ring des Nibelungen, mit der vom 13. bis 17. August 1876 die ersten Bayreuther Festspiele eröffnet wurden.62
Mit der Uraufführung des Parsifal wurden sechs Jahre später, am 26. Juli 1882, die zweiten Bayreuther Festspiele begonnen, und hier trafen Bruckner und Wagner ein letztes Mal zusammen.63 Die Verbindung zu Bayreuth hielt Bruckner aber auch nach Wagners Tode am 13. Februar 1883 aufrecht: Bereits im Juli 1883 war er wieder Gast der Festspiele und ließ auch keines der fünf folgenden in den Jahren 1884, 1886, 1888, 1889 und 1891 aus. Im Sommer 1892 schließlich führte Bruckners Weg ein letztes Mal nach Bayreuth, wo er wie im Vorjahre Parsifal und Tannhäuser hörte. In den Jahren
Zu Ignaz Dorn siehe auch Göll./Auer, Bd. III.I, S. 245-249 59 Siehe dazu etwa die Schilderung bei Göll./Auer, Bd. III. I, s. 315 ff. 60 Brief vom 31. Januar 1868; Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 680131 61 Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 234
62 Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 415 ff. 63 Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 35 ff.
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1894 und 1896 erlaubte es ihm sein Gesundheitszustand nicht mehr, die Anstrengungen der Reise und der Festspiele auf sich zu nehmen.
III.3 Unterschiedliche Lebensläufe und Persönlichkeiten Richard Wagner war bei seinem ersten Zusammentreffen mit Anton Bruckner 52 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt konnte er auf ein umfangreiches kompositorisches, dich terisches und nicht zuletzt kunstästhetisches Werk verweisen. Das Wissen um seine geniale Begabung und ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein veranlaßten ihn, die Ver wirklichung seiner künstlerischen Visionen mit allen Mitteln voranzutreiben. Daß er sich dadurch zahlreiche und zum Teil tiefe Feindschaften eintrug, überrascht nicht. Lange Zeit mußte Wagner ein unstetes Leben im Exil oder auf der Flucht vor seinen Gläubigern und der Polizei führen. Dieses Leben hatte ihn 1865 bereits durch ganz Europa geführt; das menschlich-biographische Ziel seiner ‘Wanderjahre’ war erst 1872 mit der Übersiedelung nach Bayreuth bzw. im April 1874 mit dem Einzug in das neu erbaute Domizil erreicht,61 *64 das künstlerische Ziel im Sommer 1876 mit der Eröffnung der ersten Bayreuther Festspiele und der Uraufführung des Ring des Nibelungen.
Anton Bruckner war zum Zeitpunkt seiner ersten Begegnung mit Richard Wagner 40 Jahre alt. Der Linzer Organist und Leiter der Liedertafel Frohsinn befand sich 1865 erst am Beginn seiner Komponistenlaufbahn, und über die Grenzen seines Heimatlandes war er bis dahin noch nicht hinausgekommen. Sein bisheriger Lebensweg war, vor allem gemessen an demjenigen Richard Wagners, unspektakulär und in geregelten Bahnen verlaufen. Nach dem Vorbild von Vater und Großvater ergriff Bruckner den Beruf des Schullehrers, und erst 1856, im Alter von 31 Jahren, entschied er sich endgültig für den Weg des Berufsmusikers: Er trat die Stellung des Linzer Dom- und Stadtpfarr-Organisten an, die er bis zu seiner Übersiedelung nach Wien knapp 13 Jahre später, im Herbst 1868, innehatte. Daß Bruckner so lange am Beruf des Lehrers festhielt, steht nicht im Widerspruch zu seinen schon damals außerordentlichen musikalischen Ambitionen, denn vor allem in den ländlichen Regionen Österreichs wurde zu der Zeit das Amt des Dorfschullehrers und das des Kantors in Personalunion ausgeübt.65 In gewisser Weise hat Anton Bruckner sein ganzes Leben hindurch diese Personalunion verkörpert: Auf der einen Seite als Professor für Harmonielehre und Kontrapunkt am Wiener Konservatorium und Lektor an der Universität,66 auf der anderen Seite als Organist an der Wiener Hofmusikkapelle.
61 „Hier wo mein Wähnen Frieden fand, Wahnfried sei dieses Haus von mir benannt“ lautet die program matische Inschrift auf der Fassade. 65 Ein kaiserliches Dekret aus dem Jahre 1805 regelte, daß „der Kirchendienst überall, wo tunlich, mit dem Schuldienst verbunden seyn soll.“ (Zitiert nach Manfred Wagner: Bruckner [vergleiche Anm. 29], S. 29)
66 Zu Bruckner als Lehrer vergleiche auch Kapitel 2, Abschnitt IV.3.1
47
111.3.1 Wagner Nach diesen kurz skizzierten biographischen Daten kann es kaum verwundern, daß auch die Persönlichkeiten Bruckners und Wagners in wichtigen Punkten gravierende Unterschiede aufwiesen. So entsprach Wagner mit seinen vielseitigen intellektuellen Interessen und Begabungen dem Bildungsideal des romantischen Menschen, welches von fast allen bedeutenden Komponisten der Epoche geteilt wurde. Dieses Interesse wirkte oftmals auf das musikalische Schaffen der jeweiligen Komponisten zurück; im Falle Wagners resultierte daraus geradezu der universalistische Anspruch, „alle Künste zu dem einzig wahren, großen Kunstwerke“ zu vereinen, wie Wagner selbst es formuliert hatte.67 Dieser universalistische Anspruch schlug sich auch darin nieder, daß Wagner sich berufen fühlte, zu gesellschaftspolitischen oder philosophischen Fragen seiner Zeit in seinen Schriften Stellung zu nehmen, und sein künstlerisches Schaffen sollte als eminent revolutionär in einem allumfassenden Sinn verstanden werden. Daß Wagner sich sein Leben lang einen ausgeprägten Freiheitsdrang bewahrte und sich mit der Unterordnung unter bestehende gesellschaftliche oder politische Strukturen schwer tat, ist vor diesem Hintergrund verständlich.
111.3.2 Bruckner Von Anton Bruckner hingegen sind solche Anschauungen nicht überliefert. Zwar strebte er nach materieller Sicherheit und gesellschaftlicher Anerkennung, aber er stellte die Gesellschaft und ihre Hierarchien nicht in Frage. Gewaltsame Auflehnung gegen die geltende Ordnung oder gar revolutionäre Gedanken waren seinem Wesen fremd. Zum Erreichen seiner Ziele setzte er eher Beharrlichkeit, Geduld und eine bisweilen zur Sturheit gesteigerte Ausdauer ein. Zwar war sich auch Anton Bruckner seiner genialen künstlerischen Begabung bewußt, aber der bei ihm wiederholt ausgesprochene Freiheits drang bezog sich mehr auf künstlerische Aspekte als auf die Infragestellung der gesell schaftlichen Ordnung.68
Bruckner verfügte auch nicht über eine umfangreiche Bibliothek. Sein Schüler August Stradal beschrieb in seinen Erinnerungen ausführlich Bruckners Wohnung in der Heßgasse Nr. 7, in der Bruckner seit 1876 wohnte. Dabei erwähnte er aber nur zwei Bücher: Neben der Bibel habe Bruckner die Biographie von Napoleon I. gelesen.69 Friedrich Klose berichtete Ähnliches: „Während der drei und einhalb Jahre meiner Lehrzeit weiß ich nur von drei Büchern und einer Broschüre, die er, allerdings zum wiederholten Male las: 1. Ein Werk [...] über den mexikanischen Krieg, wobei ihn das Schicksal des unglücklichen Kaisers Maximilian tief ergriff, 2. eine ‘Beschreibung der Nordpol expedition auf dem Schiffe Tegetthoff, 3. ein illustriertes Bändchen mit den Biographien 61 Ein Brief an Hector Berlioz, in: Schriften und Dichtungen, Bd. VII, S. 84 68 Dazu berichten Göllerich/Auer (Bd. IV. 1, S. 382): „Gern betonte Bruckner die Freiheit des Geistes, die Freiheit der Wissenschaft. Begeistert, fast revolutionär rief er einmal in die Schar seiner Hörer: ‘Wir sind freie, meine Herren! Es lebe die Freiheit!’ Dieselbe Gesinnung bekundete er, wenn er an einem Beispiel moderner Harmonik die Abweichungen von der strengen Regel aufzeigte.“
69 Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit (vergleiche Anm. 28), S. 854
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von Haydn, Mozart und Beethoven und 4. eine Art Traktätlein ‘die wundertätige Maria von Lourdes’.“70 In Bruckners Testament ist von Büchern keine Rede, und wenn Göllerich/Auer im Zusammenhang mit der Haushaltsauflösung nach Bruckners Tod davon sprechen, daß „die weniger wertvollen Musikalien und Bücher an [Bruckners Schwester] Frau Rosalie Hueber [...] übersandt“ worden seien71 und an anderer Stelle erwähnen, daß sich die Beethoven-Biographie von Adolf Bernhard Marx in seinem Besitz befunden habe,72 spricht doch nichts für die Annahme, daß Bruckner eine größere Anzahl Bücher besessen habe. Ebenso berichtete Friedrich Eckstein73 lediglich von einzelnen Büchern, welche zusammen mit Noten und Partituren in der Wohnung herumgelegen hätten.74
Auch die Zahl der von Bruckner erhaltenen ca. 500 Briefe nimmt sich neben den über 10.000 des Vielschreibers Richard Wagner eher bescheiden aus. Zudem sind von Bruckner sehr wenige Äußerungen überliefert, die sich auf sein Werk im speziellen oder auf kunsttheoretische, musikästhetische oder gar philosophische Fragen im allgemeinen beziehen. Auch Theateraufführungen oder sonstige kulturelle Veranstaltungen besuchte Bruckner allem Anschein nach kaum. Das mag aber nicht nur daran gelegen haben, daß dem frommen jungen Mann schon in der Linzer Zeit das Theater „von den Geistlichen als eine ‘Brutstätte des Teufels’ dargestellt wurde.“75 Vielmehr ordnete Bruckner seine ganze Zeiteinteilung konsequent und zielstrebig der kompositorischen Arbeit unter und lebte besonders in seinen Wiener Jahren gleichsam nur für sein Werk: „Um den folgenden Tag ungestört komponieren zu können, brachte Bruckner oft an einem Tag sieben Stunden im Konservatorium zu, las noch zwei Stunden als Lektor an der Universität Harmonielehre und gab womöglich noch ein bis zwei Privatstunden. [...] Dadurch [...] hatte er den nächsten Tag für sich gewonnen, um nach Herzensfreude komponieren zu können. Dann kam der nächste Tag wieder mit zehn Stunden Unterricht und hierauf ein freier Tag zum Komponieren.“76 Um sich von entsprechend langen und ermüdenden Arbeitstagen zu erholen, verbrachte Bruckner die Abende gern im Kreise seiner Schüler in geselliger Runde im Wirtshaus und reagierte sogar gekränkt, wenn seine Schüler einen Theaterbesuch seiner abendlichen Gesellschaft vorzogen.77 Bruckner entsprach also nicht dem Typus des universell gebildeten und interessierten Komponisten der Romantik, wobei sein verhältnismäßig geringes Interesse an übergrei fenden politischen Zusammenhängen sicher auch aus seiner vormärzlichen Erziehung
70 Meine Lehrjahre bei Anton Bruckner (vergleiche. Anm. 19), S. 98
71 Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 610 72 Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 509 73 Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 39), S. 7 f.
74 Vergleiche dazu auch die Erinnerungsberichte von Max von Oberleithner (Meine Erinnerungen an Anton Bruckner, Regensburg 1933, S. 22 f. und 33), Wilhelm Zinne (Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 247 ff.), Jean Louis Nicode (Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 465 ff.) oder Anton Meißner (Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 505). 75 Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 21. Siehe auch ebenda, S. 61 76 August Stradal: Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit (vergleiche Anm. 28), S. 853 f. 77 ebenda, S. 856 und 1073. Siehe auch Friedrich Klose: Meine Lehrjahre bei Anton Bruckner (vergleiche Anm. 19), S. 129
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resultiert, die ihn gelehrt hatte, die bestehenden Ordnungen nicht zu hinterfragen. Mit diesem Argument begründete auch Othmar Wessely seine These, wonach „weltpolitische Ereignisse [...] sichtlich spurlos an ihm [Bruckner] vorbeigegangen“ seien „und sich in den reichen Schriftquellen, die wir aus diesen Jahren von seiner Hand besitzen, in keiner einzigen Zeile niedergeschlagen“ hätten.78 Gegenüber der Ausschließlichkeit dieser These vertrat Constantin Floros den gegenteiligen Standpunkt, wonach Bruckner „an den politischen Ereignissen seiner Zeit lebhaften Anteil“ genommen habe: „Das beweist nicht nur sein ganz exzeptionelles Interesse an der Geschichte Mexikos und dem Schicksal des Kaisers Maximilian.“79 Wie weit diese Interessen tatsächlich reichten, und vor allem, aus welchen Quellen sie sich speisten, läßt sich durchaus kontrovers diskutieren. So brachte Bruckner be stimmten gesellschaftlichen oder (tages-)politischen Geschehnissen durchaus Interesse entgegen. Der Wiener Musikwissenschaftler Thomas Leibnitz meinte jedoch, daß Bruck ner „kein Interesse für Politik im Sinne übergreifender Zusammenhänge, ideologischer Konfrontationen usw.“ zeigte, sondern vielmehr fasziniert gewesen sei „vom konkreten, punktuellen Ereignis, besonders, wenn es sensationellen Anstrich besaß.“80 Diese Aussage kann sich auf zahlreiche Erinnerungsberichte aus dem Schüler- und Freundeskreis Bruck ners stützen. Dort wurden als gesellschaftliche und historische Ereignisse, die Bruckner registrierte und kommentierte, immer wieder einige bestimmte Themen genannt. So überlieferten Bruckners Biographen August Göllerich und Max Auer, daß der Mont Blanc, die Nordpol-Expeditionen Julius von Payers in den Jahren 1869 bis 1874 und das Schicksal Kaiser Maximilians von Mexiko Bruckners Phantasie unablässig beschäf tigten.81
Diese auf den ersten Blick recht seltsam anmutende Zusammenstellung, welche mit den oben erwähnten Büchern aus Bruckners Besitz korrespondiert, und die oft um den Hinweis auf Bruckners große Anteilnahme am verheerenden Brand des Wiener Ringthea ters am Abend des 8. Dezember 1881 erweitert wird, wurde von Bruckners Zeitgenossen als skurril belächelt und stieß auch in jüngster Zeit noch auf Unverständnis: Im Jahre 1970 äußerte Hans Hubert Schönzeler sein Erstaunen sowohl über Bruckners Interesse an Mexikos Kaiser Maximilian als auch am Brand des Ringtheaters82 und auch Peter F. Ostwald schrieb 1987: „Eine seltsame Sehnsucht verband ihn [Bruckner] ausgerechnet mit Mexiko, doch führte ihn nie ein Besuch in dieses ferne Land.“83 Im gleichen
78 Othmar Wessely: Bruckners Persönlichkeit, in: Brucknervorträge Budapest 1983/84, Linz 1985, hier S.37 79 Constantin Floros: Brahms und Bruckner (vergleiche Anm. 42), S. 195 80 Leibnitz 1988, S. 247
81 Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 606. Siehe auch Friedrich Eckstein: Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 39), S. 16-18. Ein Hinweis auf die Nordpol-Expedition findet sich auch in Bruckners Kalender eintragungen. Siehe dazu Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 624 bzw. 626 82 Hans Hubert Schönzeler: Bruckner, London 1970, dt. Ausg. Wien 1974, S. 28 und 71
83 Peter F. Ostwald: Anton Bruckner - musikalische Intelligenz und depressive Störung, in: BrucknerSymposium Leipzig 1987, S. 49
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Vortrag legte Ostwald Bruckners Interesse am Ringtheater-Brand sogar als Symptom psychischer Erkrankung aus: „Bruckner fühlte sich ungewöhnlich hingezogen zu Fried höfen und war fasziniert von verstümmelten Leichen der Opfer von Bränden, Unfällen oder Hinrichtungen. Solches nekrophiles Verhalten erinnert eigentlich mehr an einen Pathologen als an einen Musiker.“84
Abgesehen davon, daß Ostwald sich in seinen Thesen auf heute überholte Bruck ner-Biographik stützte, beruhen seine Thesen auf Mißverständnissen und falschen Deu tungen der Quellen. Bruckners Vorlieben haben zudem nichts Mysteriöses oder gar Pathologisches an sich: Bei näherer Betrachtung offenbaren diese scheinbar willkürlich ‘zusammengewürfelten’ Interessen eine Gemeinsamkeit, die für gewöhnlich gern überse hen wird: Bruckners Interesse richtete sich nicht allein auf Konkrete, punktuelle Ereignisse mit sensationellem Anstrich“ (Thomas Leibnitz; siehe oben), sondern besonders auf solche, zu denen er eine direkte, persönliche Beziehung aufbauen konnte oder mit denen ihn seine Biographie verband. So waren etwa die Nordpol-Expeditionen Julius von Payers in den Jahren 1869 bis 1874 in einem Gebirgsland wie Österreich besonders für die Boulevard-Presse eine Sensation und wurden auch in den Zeitungen, die sich in Bruckners Wohnung auf dem Fußboden „zu mächtiger Höhe türmten“ (August Stradal85), ausführlich kommentiert. Schon aus Patriotismus heraus wird dieses Thema nicht nur bei Anton Bruckner, sondern bei all seinen Landsleuten auf großes Interesse gestoßen sein. Daß das Schweizer Mont-Blanc-Massiv auf Bruckner eine große Faszination ausübte, erklärt sich neben Bruckners Affinität zu allem Großen und Gewaltigen, etwa im Kirchen oder Orgelbau, auch damit, daß dieser höchste Berg Europas einen der Höhepunkte seiner Urlaubsreise im Sommer 1880 darstellte.
Der für viele schier unbegreifliche Eifer, mit dem sich Bruckner für jedes kleinste Detail der Hinrichtung des Kaisers Maximilian von Mexiko im Juni 186786 interessierte, ist darauf zurückzuführen, daß Bruckner zusammen mit seinem Freund Rudolf Weinwurm 1864 aufgefordert worden war, als Organist an den Kaiserhof nach Mexiko zu gehen.87 Wohlmeinende Freunde hatten ihm jedoch mit Hinweis auf das Klima Mexikos von einer Zusage abgeraten.88 Wenige Jahre später, als Bruckner sich infolge seines Nerven leidens in der Kaltwasser-Heilanstalt Bad Kreuzen aufhielt89 erreichte ihn die Nachricht 84 ebenda
85 Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit (vergleiche Anm. 28), S. 854 86 Ferdinand Maximilian, Erzherzog von Österreich, geb. 1832, Bruder von Kaiser Franz-Joseph I., auf Betreiben Napoleon III. von 1864 bis 1867 Kaiser von Mexiko, wurde nach Abzug der französischen Truppen gefangengenommen, zum Tode verurteilt und am 19. Juni 1867 hingerichtet. (Dieses Ereignis ist unter dem Titel „L’execution de l’Empereur Maximilien“ auf mehreren Gemälden des französischen Malers Edouard Manet festgehalten.) Am 18. Januar 1868 wurde sein Leichnam in der Kapuzinergruft in Wien beigesetzt. Zu Maximilian vergleiche auch Renate Grasberger und Elisabeth Maier: Artikel Maximi lian, Kaiser von Mexiko, in: Bruckner-Handbuch, S. 274 f. 87 Vergleiche dazu den Brief Bruckners an Weinwurm vom 18. Oktober 1864, in: Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 641018 88 Siehe Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 423
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von der Erschießung des Kaisers in Mexiko. Wie sehr ihn diese Meldung beschäftigte, geht aus seinen Briefen dieser Zeit hervor.* 90 Bruckner, der ernsthaft mit dem Gedanken an eine Auswanderung nach Mexiko gespielt hatte, war schlagartig bewußt geworden, daß er damit seine Existenz aufs Spiel gesetzt oder -— schlimmstenfalls — selbst den Tod gefunden hätte. Damit erklärt sich seine Erschütterung, aber auch sein Bemühen, den nach Wien überführten Leichnam Maximilians sehen zu dürfen.91 Zudem mag Bruckner mit seinem lebenslangen Interesse an Maximilian und dessen exotischem Reich sein Fernweh befriedigt haben.
Der Brand des Wiener Ringtheaters am Abend des 8. Dezember 1881 schließlich erschütterte Bruckner, da er hier noch weitaus stärkere persönliche Verbindungen als zum Schicksal des Kaisers Maximilian empfand: Als Bruckner an jenem Abend von einem Besuch der Votiv-Kirche nach Hause zurückkehren wollte, erwartete ihn nur noch ein flammendes Inferno, welches fast 400 Menschen das Leben kosten sollte. Genauso wie das Mitgefühl mit den zahlreichen Toten und dem menschlichen Leid der Verletzten erschütterte Bruckner aber auch der Gedanke, daß das Feuer auf seine nur durch die schmale Heßgasse vom Theater getrennte Wohnung übergreifen und seine Autographe und Skizzen vernichten könnte.92 Beides kommt anschaulich in einem drei Tage nach der Brandkatastrophe geschriebenen Brief Bruckners an seinen Schwager Johann Nepumuk Hueber zum Ausdruck: „Ich wohne ganz am Ringtheater nur durch eine Straße getrennt. Gott sei Dank! — unser Haus wie alle übrigen sind verschont geblieben! Aber der namenlose Schrecken! und das unaussprechliche Elend der Vielen geht bis ins innerste Mark!“93 Der wichtigste Grund für Bruckners starke Betroffenheit jedoch ist darin zu suchen, daß er an diesem Abend eine Aufführung im Ringtheater besuchen wollte, die aber kurzfristig abgesetzt worden war! Damit war er nur knapp, durch einen Zufall, dem Tode entgangen. Wie diese kleine Zusammenstellung zeigte, waren Bruckners Interessen oftmals punk tueller und sehr persönlicher Art. Seine geringe oder doch zumindest sporadische Reflexion größerer gesellschaftlicher, politischer und intellektueller Zusammenhänge führte aber dazu, daß sogar Bruckners Anhänger ihm einen „Mangel an jeglicher Klugheit“ bescheinig ten94 und ihn mit dem Attribut ‘naiv’ ausstatteten. So schrieb August Stradal, „Bruckners Charakter [sei] ein naiver“ gewesen,95 und für Bruckners Biograph August Göllerich 8. Mai bis 8. August 1867 90 Vergleiche Bruckners Brief an Rudolf Weinwurm vom 15. Juli 1867, in: Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 670715 91 Vergleiche Bruckners Brief an Rudolf Weinwurm vom 16. Januar 1868, in: Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 680116/1 93 Siehe dazu auch die Schilderung bei Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 684-687 93 Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 811211. Auch in seinem Professorenkalender notierte er seine Eindrücke von der Besichtigung des Unglücksortes: „9. Stufe mit dem kl. oberen Tritt rechts v. I. Stock. Ringth.[eater] auf beiden Seiten schon Male v. Leichen. Zwischen 2. u. 3. Stock die meisten.“ (Göll./Auer, Bd. IV.1, S. 687) 94 GölL/Auer, Bd. III. I, S. 50 f.
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war er „der letzte Naive unangewandter Tonkunst.“95 96 Die Beschreibungen gipfeln in Stradals Formulierung, Bruckner sei „der Parsifal der Tonkunst“ gewesen.97 Nach diesen Beispielen mag es nicht verwundern, daß auch Bruckners Gegner auf seinen 'Bildungsmangel' anspielten. So lehnte Eduard Hanslick Bruckners zweites Gesuch um Anstellung an der Wiener Universität unter anderem mit dem Hinweis auf dessen „auffallenden Mangel an jeglicher wissenschaftlicher Vorbildung“ ab und verwies dabei auf die „merkwürdige Abfassung von Bruckners Gesuch.“98
In manchen Darstellungen der Freunde und Förderer Bruckners wirkte jedoch eine Zweckgebundenheit: Für die intellektualisierte Wiener Gesellschaft der säkularisierten großstädtischen Lebenswelt des ‘Fin de siede’ sollte Bruckner — gleichsam als Gegenpol zur eigenen Situation — das kindlich-naive, ‘naturbelassene’ Genie sein, welches gigan tische und für den Intellekt unerklärliche Kunstwerke schafft. So schrieb August Göllerich über Bruckner: „Sein Glück fürs ganze Leben war, daß er von der großstädtischen Bildungsschraube unverletzt, in gesunder Ursprünglichkeit nie die Berührung mit der Heimat verlor und - den üblichen Begriffen nach - eigentlich nicht erzogen wurde“99 und Rudolf Louis sah darin, „daß Bruckner der einzige geniale Musiker der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, den die allgemeine Geistesbildung seiner Zeit auch nicht einmal oberflächlich berührt hatte“, eine „mächtige Wurzel seiner eigentümlichen Stärke.“100 Das so entstandene Bruckner-Bild sollte eine objektive Bruckner-Rezeption lange Zeit massiv behindern.101 Bruckners Intelligenz und Auffassungsgabe wurden an dererseits schon zu Lebzeiten des Komponisten von vielen seiner Zeitgenossen bezeugt,102* und daß Bruckner darüber hinaus auch das Gegenteil eines rein intuitiv schaffenden
95 Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit (vergleiche Anm. 28), S. 855 96 Göll./Auer, Bd. I, S. 49 97 Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit (vergleiche Anm. 28), S. 976. Ähnliche Formulierungen finden sich auch bei anderen Autoren, so etwa bei Ernst Decsey: Bruckner. Versuch eines Lebens, Berlin 1919, S. 71. 98 Göll./Auer, Bd. IV.l.S. 294 99 Göll./Auer, Bd. L, S. 76 f.
100 Rudolf Louis: Anton Bruckner, München/Leipzig 1905, München 21918, S. 225 f. 101 Von dieser Position aus ist der Weg zum nächsten Klischee, zu ‘Bruckner, dem Mystiker’, nicht mehr weit. Zudem wurde Bruckner als das arme, unschuldige und hilflose Opfer der bösartigen Wiener Presse in eine Art ‘Märtyrer-Rolle’ gedrängt. 102 So nahm Bruckner über Jahre an einer Tafelrunde der renommiertesten Wiener Ärzte im Restaurant ‘Riedhof teil. (Siehe dazu Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 14-31) Zu diesem Kreis gehörte auch der Chirurg Prof. Dr. Alexander Fraenkel. Er berichtete, daß Bruckner, angezogen vom akademischen Charakter der Runde, den medizinischen Gesprächen mit gespanntester Aufmerksamkeit lauschte und sich, wenn er medizinische Belehrung suchte, keineswegs mit leichthin gegebenen Auskünften zufriedengab. Weiter schrieb er: „Bruckner bekundete aber nicht nur für unsere medizinischen Gespräche (...) lebhaftestes Interesse und suchte auf diesem Gebiet in unserem Kreis Aufklärung, sondern war für alle Zweige des Wissens von höchster Aufnahmsfähigkeit. (...) Daß Bruckner über das, was man gemeinhin ‘Bildung’ nennt, nur in bescheidenstem Maße verfügte, muß ohne weiteres zugegeben werden. (...) Wer ihn näher kannte, dem wurde es [aber] bald klar, wie sehr erweiterungsfähig sein geistiger Horizont und wie anpassungsfähig sein Intellekt war.“ (ebenda, S. 20 f.)
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Musikers war, erkennt man schnell, wenn man sich mit seinen Werken und den Prozessen ihrer Entstehung befaßt. Seine Intellektualität jedoch blieb auf die Erschaffung seiner Werke konzentriert, und sein manchmal — trotz aller Klischeebildung — tatsächlich provinziell anmutendes, oft unterwürfiges und linkisch ungeschicktes Auftreten, sein oberösterreichischer Dialekt, seine als unmodisch empfundene Kleidung, bisweilen aber auch sein ‘bauemschlau’ auf den eigenen Vorteil berechnetes Verhalten in der Öffent lichkeit mußte vor allem in aufgeklärten städtischen Wiener Kreisen deplaciert und antiquiert wirken.
III.4 Gegenseitige
künstlerische und persönliche
Rezeption
III.4.1 Die Wagnerrezeption Anton Bruckners So unterschiedlich, wie die Charaktere Bruckners und Wagners ausgebildet waren, gestaltete sich auch ihr persönliches Verhältnis zueinander. Bruckner verehrte Wagner wie keinen Zweiten unter seinen Zeitgenossen.103 Auf welche Weise aber nahm Bruckner das Werk Richard Wagners in sich auf? Alfred Orel vertrat die Auffassung, daß „nicht das textlich inhaltliche Moment dieser Kunst, sondern das absolut musikalische Element darin“ Bruckner gefangennahm.104 Zur Stützung dieser These werden meist zwei Zitate angeführt: Max Auer zufolge habe Bruckner bei der Münchener Aufführung des Tristan einen Klavierauszug ohne Text benutzt,105 und nach Robert Haas soll Bruckner einmal bei einer Aufführung der Walküre gefragt haben, warum Brünnhilde am Schluß verbrannt werde.106 Außerdem berichten Göllerich/Auer, Alfred Lorenz und August Stradal übereinstimmend,107 daß Bruckner bei seinen nicht häufigen Besuchen der Wiener Hofoper, die meistens dem Hören Wagnerscher Werke gewidmet waren, die Stehplätze der vierten Galerie den teureren Plätzen vorzog. Von diesen Plätzen aus habe man aber die Bühne nicht einsehen, dafür allerdings, wie Lorenz betont, umso besser das Orchester hören und beobachten können. Daraus jedoch den Schluß abzuleiten, Bruckner habe sich nicht für die Handlung interessiert oder den Inhalt der Werke intellektuell nicht zu erfassen vermocht, wäre indes zu vorschnell: Zahlreiche Bemerkungen Bruckners nämlich belegen, daß ihm auch Details der Handlung durchaus nicht entgingen, wie etwa eine Bemerkung über
105 Bruckner berichtete in einem Brief an Hans von Wolzogen von seiner letzten Begegnung mit Wagner im Sommer 1882 in Bayreuth: „Ich sagte: O Meister! darauf erwiderte der Meister: Waren Sie schon im Parsifal? Wie gefällt er ihnen? Weil mich Hochselbcr bei der Hand hielt, ließ ich mich auf die Knie, Hochseine Hand an meinen Mund drückend und küssend und sagte: O Meister ich bethe Sie an!!!" Zitiert nach Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 137 1114 Anton Bruckner (vergleiche Anm. 17), S. 154 '"'Auer 1941, S. 162
106 Robert Haas: Anton Bruckner (vergleiche Anm. 17), S. 23 107 Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 178; Alfred Lorenz: Zur Instrumentation von Anton Bruckners Symphonien, in: Zeitschrift für Musik 103, 1936, S. 1324; August Stradal: Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit (vergleiche Anm. 28), S. 971
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Mozarts Don Giovanni zeigt.108 Ähnliches gilt für die Musikdramen der Rzng-Tetralogie.109 So berichtet August Stradal, daß Bruckner im Siegfried an der Stelle geweint habe, an der der jugendliche Held seiner toten Mutter gedenkt.110 Auch habe Bruckner über diese Stelle einmal auf der Orgel improvisiert.111 Diese Anteilnahme an der Handlung ist hier sicher als persönliche Betroffenheit Bruckners zu deuten: Der Tod der eigenen Mutter am 11. November 1860 traf ihn hart, und bis an sein Lebensende hing in seiner Wohnung ein Bild der Mutter, das diese auf dem Sterbebett zeigte.112 Hier gab die Handlung der Wagnerschen Oper Bruckner die Möglichkeit, sich mit dem um seine Mutter trauernden Siegfried zu identifizieren. (Nach einem weiteren Bericht Stradals war diese persönliche Identifikation mit dem Helden auch im Fall von Liszts Symphonischer Dichtung Tasso - Lamento e Trionfo für eine tiefe emotionale Reaktion Bruckners verantwortlich.113) Zudem zeigt dieses Beispiel, wie aufmerksam Bruckner die Handlung verfolgte.
Wie bereits ausgeführt, war Bruckner in literarischen oder philosophischen Fragen kaum bewandert. Mit der Handlung der Wagnerschen Musikdramen verbindet sich aber als wesentliches Element ein musikästhetisch-philosophischer Überbau, der wesentlich aus Wagners Auseinandersetzung mit den Werken Schopenhauers und Feuerbachs resul tiert, ja manche Kerngedanken parallel zu den beiden Philosophen entwickelte. Daß Bruckner dieser höchst komplexen und vielschichtigen Geisteswelt, wie sie sich in der Ring-Tetralogie, im Tristan oder auch im Parsifal manifestiert, Interesse oder Verständnis entgegenbrachte, muß fraglich bleiben. Die Wagner-Rezeption des neunzehnten Jahr hunderts jedenfalls, die Wagners Werke gleichsam ‘ganzheitlich’ rezipierte und sein Ideengebäude zu einer umfassenden Weltanschauung stilisierte, ja Wagners Werk nur allzugern als ‘Kunstreligion’ und somit Religions-Ersatz aufnahm, machte sich der strenggläubige Katholik Anton Bruckner allem Anschein nach nicht zu eigen; und wenn er auch Max von Oberleithner gegenüber die ethische Bedeutung der Dichtungen Wagners mit einem Verweis auf den Schluß des ersten Aktes der Walküre relativiert haben soll114 — was wiederum für Bruckners Aufmerksamkeit spräche —, so sind doch keine Äuße rungen Bruckners überliefert, welche etwa Wagners private Lebensführung kritisiert hätten.
108 Göll./Auer, Bd. IV. I, 8. 381 109 Dazu berichtet Anton Meißner, daß „es ihm der Waldvogel, [das] Rheintöchterterzett und Siegfrieds Tod besonders angetan“ hätten (Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 135). 110 August Stradal: Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit (yergleiche Anm. 28), S. 971 '"ebenda, S. 858
112 Siehe dazu Göll./Auer, Bd. III. 1, S. 20 u. 70 113 August Stradal (Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit [vergleiche Anm. 28], S. 973) erzählt von einem gemeinsam besuchten Konzert, auf dessen Programm unter anderem auch Liszts Symphonische Dichtung Tasso - Lamento e trionfo stand: „plötzlich aber fragte er mich Näheres nach dem Dichter Tasso. Ich erklärte ihm nun das Leiden und die vielen Anfeindungen, die der unsterbliche Sänger Ferraras zu erdulden gehabt hatte. [...] Als ich mit meiner Erzählung zu Ende war, sah ich Tränen in Bruckners Augen und er rief aus: ‘Das bin ja ich!’“. 114 Max von Oberleithner: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 74), S. 33
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So muß Bruckners Wagner-Rezeption als eine selektive Rezeption bezeichnet werden: Bruckner nahm zwar Wagners Musikdramen nicht nur musikalisch, sondern auch dichterisch, als erzählte Handlung, in sich auf, dennoch setzte er den Schwerpunkt seiner Rezeption eindeutig auf die musikalischen Aspekte des Wagnerschen Gesamt kunstwerkes — wie im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch zu zeigen sein wird.
III.4.2 Wie Richard Wagner Anton Bruckner
einschätzte
Bruckners grenzenlose Verehrung für Richard Wagner stellt seit Anbeginn der Bruck ner-Rezeption eines der zentralen Themen der Bruckner-Literatur dar und zählte zu den beliebtesten Themen der Bruckner-Belletristik und -Anekdoten. In der Wagner-Literatur dagegen spielt dieses Thema eine eher untergeordnete Rolle115 oder wird als Kuriosum behandelt. Wie aber schätzte Richard Wagner seinen Bewunderer Anton Bruckner ein? Wie ernst nahm er ihn als Mensch und vor allem als Künstler wirklich? War es tatsächlich so, daß Wagner Bruckners Genie „erkannt hatte“,116 wie der Nürnberger Musikwissen schaftler Thomas Röder erst kürzlich schrieb? Befragt man die Quellen nach Belegen für diese These, so entdeckt man, daß ein Großteil der lobenden Äußerungen Wagners von Bruckner selbst überliefert sind. Wagners Wohlwollen und Unterstützung waren für Bruckner in den Wiener Jahren von besonderer Bedeutung: Er fühlte sich in Wien bedrängt und angefeindet und machte sich immer wieder Sorgen um seine Zukunft. Dabei war der Glaube an die unbedingte Loyalität des berühmten und einflußreichen, die Musikwelt hell überstrahlenden „heißgeliebten Meisters und Ideals“117 in besonders ausweglos erscheinenden Situationen ein Rettungsanker für Bruckner."8
Bruckner rang zeitlebens um künstlerische Anerkennung. Um seinen eigenen Wert als Musiker und besonders als Komponist zu unterstreichen, flocht er daher in seine Briefe, besonders wenn es sich um Bewerbungen oder ähnliches handelte, den Hinweis ein, wie wohlgesonnen Richard Wagner ihm sei,119 und er erwähnte, daß dieser versprochen habe, sich für die Aufführung seiner Symphonien zu verwenden bzw. Bruckners Werke selbst zur Aufführung zu bringen.120 So ist es nur konsequent, wenn Bruckner auch in
Als Beispiel soll hier der — unpräzise und lückenhafte — Eintrag unter dem Stichwort ‘Bruckner’ im Hermes Handlexikon Richard Wagner (Martin Gregor-Dellin und Michael von Soden, Hg.; Düsseldorf 1983) zitiert werden, der als symptomatisch für einen Großteil der Wagner-Literatur gelten kann: „Der österreichische Komponist war ein Verehrer Wagners; er besuchte die Meistersinger-Uraufführung in München 1868 sowie die Bayreuther Festspiele 1876 und 1882. In seinen Symphonien verwandelte sich die Wagnersche Orchestermelodie zurück ins Absolute. Am 13./14. September 1873 suchte er Richard Wagner in Bayreuth auf, um ihm die Widmung seiner 3. Symphonie in d-Moll anzutragen. Wagner nahm die Widmung an.“
116 NGA, Bd. 3/1-3, Revisionsbericht, vorgelegt von Thomas Röder, S. 5 117 Bruckner-Briefe, Nr. 133 118 ebenda, Nr. 70
Siehe dazu Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 97, 101, 105, 107 u. 176
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seinem Bewerbungsschreiben um eine Lehrtätigkeit an der Wiener Universität neben der Gewogenheit Liszts auch die Richard Wagners ihm gegenüber betonte.120 121 Auch erfüllte es Bruckner mit verständlichem Stolz, daß Wagner in ihm den einzigen Sympho niker seiner Zeit erblickte, dessen Gedanken an Beethoven heranreichten.122
Bei der Bewertung dieser Aussagen muß ihre Bedeutung für Bruckner berücksichtigt werden: Sicher überhöhte und idealisierte Bruckner durch seine große Verehrung die Person Richard Wagners und dessen Urteile über ihn. Andererseits spricht nichts dafür, Bruckner habe die höchst anerkennenden Äußerungen Wagners völlig frei erfunden. Denn obwohl Wagner in gereizter Stimmung Bruckner im Beisein Guido Adlers während einer Aufführung eines seiner Werke in Bayreuth zurief, daß er „im nächsten Zwischenakt“ die ihm gewidmete III. Symphonie spielen lassen werde,123 und obwohl — trotz Wagners Versprechungen — keine einzige Symphonie Bruckners durch seine Vermittlung oder gar durch ihn persönlich aufgeführt wurde, können zu den von Bruckner überlieferten Äußerungen Wagners einige Fakten zu ihrer Verifizierung angeführt werden: Daß Wagner Bruckner als Mensch durchaus schätzte und sich auch seiner Bedeutung als Künstler bewußt war, ließe sich daraus ableiten, daß er Bruckner ein viertel Jahr vor der Urauf führung die Schlußszene der Meistersinger zum Gründungsfest von dessen Linzer Lie dertafel Frohsinn überließ (siehe oben), oder daß er die Widmung der III. Symphonie annahm und Bruckner daraufhin zur Uraufführung des Ring des Nibelungen und den abendlichen Soireen in Haus Wahnfried einlud.124 Auch daß Wagner wenige Wochen nach Erhalt der Widmungspartitur 125 Bruckner dafür schriftlich durch seine Frau danken ließ,126 spricht nicht automatisch für eine Geringschätzung Bruckners: In dieser Zeit war Wagner vollauf damit beschäftigt, die kleine Provinzstadt Bayreuth zu einem der musikalischen Zentren Europas werden zu lassen. Diese Erfüllung seines Lebenstraumes aber absorbierte alle seine Kraft, wodurch sogar die Arbeit an der Ring-Tetralogie nochmals erheblich verzögert wurde.
Andererseits ist in den Schriften und Briefen Wagners, in denen dieser immer wieder auf das musikalische Tagesgeschehen und die Komponisten seiner Zeit zu sprechen kam, Bruckner mit keinem Wort erwähnt. Auch bemühte Wagner sich niemals, mit Bruckner einen Briefwechsel aufzubauen,127 und in den Tagebüchern Cosima Wagners, welche peinlich genau einen Zeitraum von über vierzehn Jahren dokumentieren, wird 120 ebenda, Nr. 105, 137, 141, 147 u. 176; Bruckner-Briefe, Nr. 139; Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 504 f.
121 Anton Bruckner: Vorlesungen über Harmonielehre und Kontrapunkt an der Wiener Universität (Ernst Schwanzara, Hg.), Wien 1950, S. 42 122 GölL/Auer, Bd. IV. 1, S. 358 f. 123 Guido Adler: Wollen und Wirken. Aus dem Leben eines Musikhistorikers, Wien 1935, S. 15. Vergleiche dazu auch einen Artikel der Deutschen Zeitung vom 4. Februar 1880 (Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 596 ff.) 124 Im Richard-Wagner-Archiv Bayreuth befindet sich als Widmungspartitur lediglich diese Brucknersche Symphonie. 125 Die Widmungspartitur trägt als autographen Eintrag Bruckners das Datum des 9. Mai 1874 (siehe dazu NGA, Bd. 3/1-3, Revisionsbericht, vorgelegt von Thomas Röder, S. 112) 126 Brief Cosima Wagners an Anton Bruckner vom 24. Juni 1874, in: Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 740624; auch abgedruckt in Göll./Auer, Bd. IV.1, S. 284
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Bruckners Name nur zweimal genannt — sehr im Gegensatz zu Bach, Mozart, Beethoven, Weber, Mendelssohn, Liszt, Berlioz oder auch Brahms.
Der erste dieser Tagebuch-Einträge findet sich unter dem Datum des 8. Februar 1875. Dort notierte Cosima: „Wir nehmen die Symphonie von dem armen Organisten Bruckner aus Wien vor, welcher von den Herrn Herrbeck und anderen bei Seite geschoben worden ist, weil er hier in Bayreuth war, um seine Symphonie-Widmung anzubringen! Es ist jammervoll, wie es in dieser musikalischen Welt steht.“127 128 Diese Tagebuch-Passage läßt unterschiedliche, ja gegensätzliche Interpretationen zu: Einerseits stufte Cosima Bruckner hier als den „armen Organisten aus Wien“ ein und nahm seine Symphonie lediglich zum Anlaß, den „jammervollen Zustand der musikali schen Welt“ zu beklagen, nämlich die Tatsache, daß Bruckner in Wien durch sein Bekenntnis zu Wagner erheblichen Anfeindungen ausgesetzt war. Einen wertenden oder gar lobenden Kommentar Wagners zu der Brucknerschen Symphonie sucht man jedoch vergeblich — und das, obwohl Cosima sonst die kritischen Äußerungen ihres Mannes durchaus der Überlieferung für würdig befand: Schon im nächsten Satz des Tagebuches zitierte sie ihn mit einer kritischen Bemerkung über die Rheinische Symphonie Robert Schumanns.
War Wagner also, obwohl er sich Cosima gegenüber mit keinem Wort über die ihm gewidmete und persönlich von ihrem Komponisten überreichte, mehr als 2000 Takte umfassende Symphonie geäußert hatte, diesem Brucknerschen Werk gegenüber gleich gültig? Diese Vermutung ist nicht sehr wahrscheinlich, denn dieser Tagebuch-Eintrag sagt aus, daß Wagner die III. Symphonie Bruckners nicht nur im September 1873 mit Bruckner und ein zweites Mal nach Erhalt der Widmungspartitur im Frühjahr 1874 mit Hans Richter,129 sondern ein dreiviertel Jahr danach sogar ein drittes Mal, an jenem 8. Februar 1875, mit seiner Frau zur Hand nahm. Diese Tatsache ist insofern bemerkenswert, als die letzten beiden Durchsichten sicher nicht erfolgt wären, wenn Wagner dem Werk kein Interesse entgegengebracht hätte: Nach Annahme der Widmung gab es dafür keinen zwingenden Grund mehr. Auch wenn Bruckner in der zweiten Tagebuch-Eintragung Cosimas nicht als Kompo nist, sondern lediglich als ‘Musiker’ bezeichnet wird,130 legen die Fakten doch den
127 Bekannt ist lediglich der Brief Wagners an Bruckner in der Angelegenheit der Überlassung der Schlußszene ter Meistersinger vom 31. Januar 1868 (Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 680131) 128 Cosima Wagner: Die Tagebücher (Bd. 1 1869-1877; Bd. 2 1878-1883), hg. v. Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1976/77, Bd. 1, S. 894 129 Vergleiche den Brief Cosima Wagners an Bruckner vom 24. Juni 1874, in: Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 740624 130 Diese Eintragung entbehrt nicht einer gewissen — unfreiwilligen — Komik: Bruckners Trinkfreudigkeit, seine ebenso ausgeprägte Frömmigkeit und seine devoten Begrüßungsgebärden nämlich verfolgten Wagner offensichtlich sogar bis in den Schlaf und vermengten sich dort zu einem skurrilen Traumbild. Am 22. April 1881 schrieb Cosima: ,,R.[ichard] träumt, daß ein Pabst mit dem Aussehen von dem Musiker Bruckner ihn besuche, durch meinen Vater eingeführt (ungefähr Kaiser V. Brasilien), und wie R. ihm die Hand küssen will, küßt sie ihm S. Heiligkeit und nimmt darauf eine Flasche Cognac mit.“ (Cosima Wagner: Die Tagebücher [vergleiche Anm. 128], Bd. II, S. 729)
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Schluß nahe, daß Bruckner für Wagner zumindest weit mehr als nur einer seiner zahlreichen Apologeten gewesen sein muß. Ob er sich jedoch die Zeit nahm, sich so intensiv mit der Musik Bruckners zu beschäftigen, daß er in ihm den überragenden Symphoniker hätte erkennen müssen, ist mehr als fraglich.
IV. DIE KLANGWELT RICHARD WAGNERS Um ermessen zu können, welchen Einfluß Wagners Tonsprache auf Bruckner ausübte, soll hier zunächst auf die Charakteristika dieser Wagnerschen Klangwelt eingegangen werden, um ihr darauf in der Musik Anton Bruckners nachzugehen.
IV. 1 Zur Bedeutung
von
Tristan
und Isolde im
Schaffen Richard Wagners
Die Frage, was die Klangwelt Richard Wagners charakterisiert, läßt sich unter Zuhil fenahme seiner zahlreichen schriftlichen Äußerungen zu diesem Thema und unter beson derer Berücksichtigung der Oper Tristan und Isolde recht dezidiert beantworten. Die geradezu exzeptionelle Bedeutung des Tristan für die Entwicklung der Musik in den nachfolgenden Epochen steht außer Frage. Dieses Schlüsselwerk der Musik des neun zehnten Jahrhunderts nimmt im Gesamtschaffen Richard Wagners, nicht zuletzt in Bezug auf dessen kompositionstechnische Überlegungen, einen zentralen Platz ein und übte auch auf Anton Bruckner einen nachhaltigen Eindruck aus. Im Jahre nach der Vollendung des Tristan veröffentlichte Wagner 1860 seine Schrift Zukunftsmusik,131 in der er sein künstlerisches Schaffen in drei verschiedene Phasen und eine ‘Vor-Phase’ einteilte.132 Die Vor-Phase beinhalte etwa die im Stil „der heroischen Oper Spontinis sowie des glänzenden, von Paris ausgehenden Genres der Großen Oper Aubers, Meyerbeers und Halevys“133 komponierte Oper Rienzi. In der ersten Phase, die die romantischen Opern Der fliegende Holländer, Tannhäuser und Lohengrin umfaßt, sei sein „eigentlichstes System“,134 wie Wagner es nannte, noch kaum zur Anwendung gelangt. Seine „Theorie“ sei erst in der nächsten Phase, während der Arbeit am „großen Nibelungen-Drama“, also Mitte der fünfziger Jahre, entstanden. Die dritte Schaffensphase schließlich werde im Tristan manifest: „An dieses Werk nun erlaube ich die strengsten, aus meinen theoretischen Behauptungen fließenden Anforderungen zu stellen.“ 135 131 Schriften und Dichtungen, Bd. VII, S. 87-137. Der Titel dieser Schrift — von Wagner beziehungsreich in Anführungszeichen gesetzt — ist ironisch gemeint und bezieht sich auf ein Mißverständnis, welches auf seine Schrift Das Kunstwerk der Zukunft (1849) zurückgeht. Hierzu siehe auch Richard Wagner: Ein Brief an Hector Berlioz, in: Schriften und Dichtungen, Bd. VII, S. 82-86 132 Die Ähnlichkeit dieser Einteilung mit der Anlage der Ring-Tetralogie ist sicher nicht zufällig.
133 Schriften und Dichtungen, Bd. VII, S. 119
134 ebenda, S. 118 135 ebenda, S. 119. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Wagner sowohl bei der Ring-Dichtung als auch beim Tristan großen Wert auf die Feststellung legte, daß diese nicht die Frucht theoretischer Überlegungen gewesen waren, sondern vielmehr „fast nichts anderes als ein abstrakter Ausdruck des in mir sich bildenden künstlerisch-produktiven Prozesses“, (ebenda, S. 118) Diese auf Inspiration beruhende Schaffensphase sei aber durch „eine vorhergehende Periode der Reflexion“ (ebenda, S. 119) ermöglicht worden.
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Fragt man nach den immanenten Merkmalen dieses „eigentlichsten Systems“, dann fällt zunächst der Melodiebegriff ins Auge. Wagner schrieb, in der Dichtung des Tristan fänden keine Wortwiederholungen mehr statt, und dank der völligen Verschmelzung von Text und Musik gäbe es auch in der Melodie keine Wiederholungen mehr: „Im Gewebe der Worte und Verse [ist] bereits die ganze Ausdehnung der Melodie vorge zeichnet, nämlich diese Melodie dichterisch bereits konstruiert.“136 Folglich polemisierte Wagner gegen jene Komponisten, die an der „Nebeneinanderstellung des absoluten Rezitatives und der absoluten Arie [festhielten] und hierdurch den musikalischen Fluß immer unterbrochen und verhindert“ hätten: „Wie nun aber, [...] wenn eine ergreifend schöne, edle Phrase plötzlich in die stabile Kadenz mit den üblichen zwei Läufern und dem forcierten Schlußtone ausgeht, mit welchen der Sänger ganz unerwartet seine Stellung zu der Person, an welche jene Phrase gerichtet war, verläßt, um an der Rampe unmittelbar zur Claque gewandt, dieser das Zeichen zum Applaus zu geben?“ 137 In seiner Schrift Über das Opem-Dichten und -Komponieren im Besonderen (1879) bezeichnete Wagner diese traditionelle Kompositionsweise als „Quadratur des Rhythmus und der Modulation“, und diejenigen Komponisten, die nach den herkömmlichen Regeln des Satzes kompo nierten, belegte er sogar mit dem polemischen Apercu „Quadratmusiker“.138
Seine spezielle Melodiebildung brachte Wagner mit dem Begriff der ‘unendlichen Melodie’ in Verbindung. Wegen der Bedeutung dieses Terminus’ für die Charakterisierung der Wagnerschen Kompositionsweise, aber auch wegen seiner unterschiedlichen Inter pretationsmöglichkeiten soll hier kurz auf diese Formulierung eingegangen werden.
IV.2 Exkurs: Wagners Begriff der ‘unendlichen Melodie’ Der Terminus ‘unendliche Melodie’ findet sich in Wagners Aufsatz Zukunftsmusik, und dort nur an einer einzigen Stelle: „In Wahrheit ist die Größe des Dichters am meisten danach zu ermessen, was er verschweigt, um das Unaussprechliche selbst schwei gend uns sagen zu lassen; der Musiker ist es nun, der dieses Verschwiegene zum hellen Ertönen bringt, und die untrügliche Form seines laut erklingenden Schweigens ist die unendliche Melodie.“139 (Hervorhebung im Original) Zuweilen wurde dieser Begriff Wagners nicht auf dessen Kompositionstechnik bezo gen, sondern eher als im Zusammenhang mit ästhetisch-philosophischen Intentionen seines Autors stehend interpretiert, so etwa von Fritz Reckow,140 der resümierte: „So kann mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß Wagner an jener berühmten Stelle mit seinem Ausdruck ‘unendliche Melodie’ nicht mehr hat sagen wollen, als daß diese Melodie zeitlos, ‘ewig gültig’ und ‘ewig verständlich’ sei.“141
116 ebenda, S. 123 137 ebenda, S. 134 138 Schriften und Dichtungen, Bd. X, S. 174
l3’ Schriften und Dichtungen, Bd. VII, S. 130 l4" Zu Wagners Begriff der unendlichen Melodie, in: Das Drama Richard Wagners als musikalisches Kunstwerk (Carl Dahlhaus, Hg.), Regensburg 1970
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Aber bereits kurze Zeit danach versuchte Reckow erneut zu ergründen, was Wagner mit seinem Hapaxlegomenon gemeint haben könnte. Nach einer umfangreichen Be standsaufnahme Wagnerscher Passagen, welche sich in Wortlaut und Inhalten mit dem Begriff der ‘unendlichen Melodie’ in Verbindung bringen lassen, und vor einer geradezu erschöpfenden Darstellung der Rezeption dieses ‘schillernden’ Terminus’ durch Wagners Mit- und Nachwelt räumte er ein: „So ist zugleich immer die Möglichkeit gegeben, alle im Laufe der Zeit assoziierten philosophisch-weltanschaulichen Momente als nur akzes sorisch anzusehen: trennt man sich von ihnen, kann ‘unendliche Melodie’ als nüchterner Terminus technicus des Kompositionsverfahrens in unkompromittierter Sachlichkeit wei ter gebraucht werden.“142
Diese Möglichkeit der Interpretation scheint — ungeachtet späterer Assoziierungen des Begriffs mit ästhetischen Inhalten oder der Tatsache, daß Wagner im Zusammenhang mit dem Begriff der ‘Unendlichkeit’ selbstverständlich ästhetisch-philosophische Kon notationen beabsichtigte — den damaligen Intentionen des Komponisten am nächsten zu kommen: Untersucht man den näheren und weiteren Kontext der zitierten Wagnerschen Passage genauer, so stellt man fest, daß Wagner sich in diesem Aufsatz nicht nur generell mit Fragen der Kompositionstechnik befaßte — wie bereits zitiert, legte er in Zukunftsmusik sein „eigentlichstes System“ dar — , sondern auch der Begriff der ‘un endlichen Melodie’ durchaus als Terminus technicus für eine ‘endlose’, sich ohne Unter brechungen durch ein Musikstück ziehende Melodie auszulegen ist. In dem Absatz nämlich, der dem oben zitierten vorangeht, ruft — laut Wagner — der Dichter dem Musiker zu: „Spanne deine Melodie kühn aus, daß sie wie ein ununterbrochener Strom sich durch das ganze Werk ergießt: in ihr sage du, was ich verschweige, weil nur du es sagen kannst, und schweigend werde ich alles sagen, weil ich dich an der Hand führe.“ "3 (Hervorhebung vom Autor) Für die Herleitung dieser sich durch „das ganze Werk ergießenden Melodie“ zog Wagner primär kompositionstechnische Argumente heran. Dabei maß er dem symphoni schen Schaffen Ludwig van Beethovens eine besondere Bedeutung zu: Während Wagner noch bei Haydn und vor allem bei Mozart „bedenkliche Leeren zwischen den melodischen Hauptmotiven“ ausmachte und Mozarts „lärmend sich breitmachende Halbschlüsse“ kritisierte, sei es dem „ganz eigentümlichen und hochgenialen Verfahren Beethovens“ zuzuschreiben, „diese fatalen Zwischensätze gänzlich verschwinden zu lassen und dafür den Verbindungen der Hauptmelodien selbst den vollen Charakter der Melodie zu geben. [...] Der ganze neue Erfolg dieses Verfahrens war somit die Ausdehnung der Melodie durch reichste Entwickelung aller in ihr liegenden Motive zu einem großen, ausdauernden Musikstücke, welches nichts anderes als eine einzige, genau zusammenhängende Melodie war.“ 144
ebenda, S. 103 142 Artikel Unendliche Melodie (1971), in: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie (Albrecht Riethmüller, Hg.), Ordner V, Stuttgart, hier S. 9 143 Schriften und Dichtungen, Bd. VII, S. 129
144 ebenda, S. 126 f.
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IV.3 Kompositionstechniken Ein Mittel zur Durchsetzung der Kontinuität dieser „einzigen, genau zusammenhän genden Melodie“ sah Wagner in der Leitmotiv-Technik,145 durch deren ständige Ver flechtungen der Verlauf der ‘unendlichen Melodie’ und damit der innere Zusammenhang der Komposition gewährleistet werde.146 Auch die Bedeutung der Dynamik für die Wahrung einer auf Kontinuität angelegten Entwicklung hob Wagner hervor: Er sei „stets bemüht [gewesen], [...] durch vorbereitende dynamische Ausgleichungen das Fremdartige dermaßen zu verdecken [...], daß es wie mit naturgemäßer Folgerichtigkeit auch als künstlerisches Moment unserer willigen Empfindung sich bemächtigte.“ 147 Dieses Zitat korrespondiert mit einer Aussage, die Wagner in einem Brief an Mathilde Wesendonck vom 29. Oktober 1859 formulierte. Nach allgemein gehaltenen Ausführun gen darüber, daß Kunst generell von Gegensätzen lebe, darin aber die Gefahr einer „verderblichen Manier [läge], die bis zum Haschen nach äußerlichen Effekten sich verderben kann“, schrieb er: „Ich erkenne nun, daß das besondere Gewebe meiner Musik [...] seine Fügung namentlich dem äußerst empfindlichen Gefühle verdankt, welches mich auf Vermittelung und innige Verbindung aller Momente des Überganges der äußersten Stimmungen ineinander hinweist.“ Darauf folgen die berühmten Sätze: „Meine feinste und tiefste Kunst möchte ich jetzt die Kunst des Überganges nennen, denn mein ganzes Kunstgewebe besteht aus solchen Übergängen: das Schroffe und Jähe ist mir zuwider geworden; es ist oft unumgänglich und nötig, aber auch dann darf es nicht eintreten, ohne daß die Stimmung auf den plötzlichen Übergang so bestimmt vorbereitet war, daß sie diesen von selbst forderte. Mein größtes Meisterstück in der Kunst des feinsten allmählichen Überganges ist gewiß die große Szene des zweiten Aktes von Tristan und Isolde.“148 Neben der Dynamik kommt zur Umsetzung der „Kunst des feinsten allmählichen Überganges“ auch der Instrumentation eine entscheidende Rolle zu.149 Diese ist dem Ideal des Mischklanges verpflichtet und zeichnet sich, besonders in den Werken, in denen Wagner sein „eigentlichstes System“ verwirklicht sah, durch feinste Abstufung, hohe Beweglichkeit und Reaktionsschnelligkeit aus: Durch die Verschmelzung von Wort und Musik muß die Instrumentation oft auf kleinstem Raum in Erfüllung semanti scher Funktionen unterschiedliche Klangfarben erzeugen. Dazu setzt Wagner den ge 145 Zur Funktion der Leitmotive vergleiche auch Constantin Floros: Der „Beziehungszauber" der Musik im „Ring des Nibelungen" von Richard Wagner, in: Zeitschriftfür Musik 144, 1983, Heft 7/8, S. 8-14 146 Über die Verwendung der Musik auf das Drama, in: Schriften und Dichtungen, Bd. X, hier S. 185 147 ebenda, S. 188 148 Brief vom 29. Oktober 1859, zitiert nach Richard Wagner an Mathilde Wesendonk [sic!]. Tagebuchblätter und Briefe 1853 - 1871 (Wolfgang Golther, Hg.), Leipzig 1922, 84. bis 94. Auflage, S. 232 f. 145 Wagner selbst sprach in Oper und Drama von dem „unwillkürlichen Reize einer sehr wechselvollen und mannigfaltigen Instrumentation“, von dem das Publikum in seinen Musikdramen gefesselt werde (Schriften und Dichtungen, Bd. IV, S. 223). Zu Wagners Instrumentation vergleiche auch die grundlegende Arbeit von Egon Voss: Studien zur Instrumentation Richard Wagners (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 24), Regensburg 1970
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samten zur Verfügung stehenden Orchesterapparat seiner Zeit ein: Englisch Hom oder Baßklarinette gehören ebenso zur Orchesterbesetzung des Tristan wie etwa Triangel, Becken oder Harfe. Eigens für den Ring des Nibelungen ließ Wagner zudem die Wald horn-Tuben entwickeln, welche den Klang der Horn-Gruppe zur Tiefe hin erweitern und abrunden sollten.
Daß Wagner die Verschmelzung der Klänge zu einem vollen, gerundeten Gesamtklang anstrebte, geht auch aus anderen seiner Äußerungen hervor. So begründete er Franz Liszt gegenüber die nachträglichen Änderungen in der Instrumentation des Fliegenden Holländers mit der „groben“ und „materiellen“ Wirkung der Blechblasinstrumente, und nach Carl Friedrich Glasenapp soll Wagner bei einer Rheingold-Probe in Bayreuth ausgerufen haben: „Das ist es, was ich wollte, jetzt klingen die Blechinstrumente nicht mehr so roh.“150 Bisweilen kann durch ständig wechselnde Farbmischungen eine ‘Klangfarben-Melodie’ entstehen: Die Klangfarbe wird zum gleichberechtigten Partner der anderen Parameter der Musik. Bestimmte dieser Mischklänge können dabei die Funktion von ‘Leitklängen’ übernehmen. Sie erlangen, wie die Klangfarbmischungen der Holzbläser in den ersten Takten des Tristan, hier verbunden mit einer bestimmten Dynamik und Tonlage, oft eine semantische Bedeutung.
Auch die Satztechnik entspricht dem Ideal des Mischklanges. Das Orchester wird zu einer Stimme, die jedoch über eine fast unüberschaubar große Palette an Farb abstufungen und -Schattierungen verfügt. Die Instrumente werden — nach ihren indivi duellen Möglichkeiten — weitgehend gleichberechtigt behandelt und oftmals solistisch geführt. Am Verlauf der aus einem Geflecht von Leitmotiven bestehenden ‘unendlichen Melodie’ sind alle Stimmen des Orchesterapparates beteiligt — eine Aufteilung in ‘Melodie- und Begleitinstrumente’ im herkömmlichen Sinne entfällt. Das Ideal des Mischklanges führt aber dazu, daß nicht nur die Klangfarben ständigem Wandel unterworfen sind, sondern auch reine Klangfarben oft vermieden werden. So kann beispielsweise eine Melodie gleichzeitig von Instrumenten aus allen Orchestergrup pen gespielt werden, während die anderen Stimmen die Funktion der harmonischen Auffüllung übernehmen und die Klangfarbe über eine größere Anzahl von Takten konstant bleibt. Ein solches Beispiel beschreibt Theodor W. Adorno am Vorspiel zum ParsifaT. „Ein Mischklang wie der am Anfang, wo das Abendmahlmotiv begleitet wiederkehrt, von Geigen, Oboen und einer ‘sehr zarten’, also nicht solistisch hervortretenden Trompete vorgetragen, ist einzigartig.“ 151 Das Ziel all dieser Gestaltungsmittel ist nicht der von Bruckner favorisierte, auf Kontrast oder Trennung der Klangfarben angelegte Spaltklang, sondern feinste Nuancie rung und Verschmelzung der Klänge zu einem in sich geschlossenen Gesamtklang.152
150 Zitiert nach Ingrid Fuchs: Klingt Bruckner „wagnerisch"?, in: Bruckner-Symposion 1984, S. 115 und 118 151 Theodor W. Adorno: Zur Partitur des Parsifal, in: Richard Wagner und das neue Bayreuth (Wieland Wagner, Hg.), München 1962, hier S. 176
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An der Einleitung zum ersten Akt des Tristan lassen sich die eben beschriebenen Gestaltungsmittel — das Prinzip der gleichsam unendlich sich fortspinnenden Melodie, die Kunst des feinsten Übergangs, den Mischklang unter Verwendung des gesamten Orchesters und die „sehr wechselvolle und mannigfaltige Instrumentation“ (Wagner) — wie unter einem Brennglas betrachten. Schon die ersten Takte folgen dem Prinzip des Mischklanges und fließenden Farbwechsels auf engstem Raum, und dies gilt auch für den weiteren Verlauf des Stückes. Wie die Gesamtpartitur, ist die Einleitung dreiteilig angelegt: Nach einem A-Teil (Takt 1 bis 63) folgen ein Mittelabschnitt (B-Teil, Takt 63 bis 84) und eine modifizierte und verkürzte Wiederholung des A-Teils (Takt 84 bis 111). Doch selbst der größte Kontrast erscheint nicht als Bruch im kontinuierlichen Strömen der Musik. Nach mehreren wellenförmigen Anläufen wird am Ende des B-Teils der Höhepunkt der Einleitung erreicht, auf den ein jähes Absinken folgt (Takt 83 f.). Dieses nur einen Takt umfassende Absinken wird jedoch äußerst kunstvoll in dreifacher Weise abgefedert: Der zweieinhalb Oktaven umfassende Ambitus der Violinstimme vom äs'" bis zum d' ist durch eine Vierklang-Brechung ausgefüllt; die Dynamik wird vom fortissimo kontinuierlich zum piano geführt; und die Instrumentierung unterstützt als dritter Faktor diesen dynamischen Prozeß, indem das diminuendo der Violinen zwar erst in Takt 84 einsetzt, aber die Trompeten, die erst in Takt 81 hinzugetreten waren, ihr diminuendo zusammen mit Posaunen und Baßtuben schon am Anfang von Takt 83 beginnen und auf dem fünften Achtel desselben Taktes bereits wieder verklingen. Von der fast vollständigen Tutti-Besetzung zu Beginn von Takt 83 bleiben somit am Ende von Takt 84 lediglich die unisono geführten Violinen über einem Pauken-Tremolo im piano übrig.
Auch der für Wagners „eigentlichstes System“ typische Verlauf einer Melodie, ihr gleichsam organisches Wachsen, ihre ‘Unendlichkeit’ und ihr Gang durch die Stimmen des Orchesters ist an dieser Einleitung zu beobachten: Die Kantilene, die in Takt 18 (mit Auftakt) im Cello ansetzt, wird in Takt 22 von der zweiten Violine und in Takt 23 von der ersten Violine weitergeführt, um in Takt 25 wieder vom Cello übernommen zu werden. Zu dieser Cellostimme, welche die Melodie noch bis in Takt 32 fortspinnt, gesellt sich ab Takt 28 die erste Violine, die die Melodie im Oktavabstand verdoppelt. Wenn eine Stimme die Melodieführung an eine andere abgibt, pausiert sie aber nicht zwangsläufig, sondern integriert sich in das Geflecht der Nebenstimmen. Sehr gut zu beobachten ist dies in der Cello-Stimme vom Beginn der Melodie an (Takt 17) bis in Takt 25. (Vergleiche dazu Notenbeispiel 3 auf Seite 65)
Diese Melodie ist gekennzeichnet durch ständiges Anwachsen und dauernde Steige rung: Aus jedem Motiv drängt das folgende hervor, und durch Fortspinnung und perma nentes Neu-Beginnen ist ein melodisch oder harmonisch definierter Schlußpunkt nicht auszumachen. Auch scheint keine als solche erkennbare, übergeordnete und in sich ruhende Periodik vorhanden zu sein.
152 Die Termini ‘Klangspaltung' und ‘Klangverschmelzung’ gehen auf einen Aufsatz Arnold Scherings aus dem Jahre 1927 zurück. Vergleiche dazu Arnold Schering: Historische und nationale Klangstile, in: Jahrbuch Peters 34, 1927, S. 31-43
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Notenbeispiel 3: Richard Wagner: Tristan und Isolde, Erster Aufzug, Einleitung, Takt 11 bis 25
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V. WAGNERS EINFLUSS AUF DIE MUSIK ANTON BRUCKNERS Wie bereits erwähnt, war Bruckner mit der Wagnerschen Instrumentationskunst bestens vertraut. So überrascht es nicht, daß in seiner Musik neben den oben beschriebenen Einflüssen (Herkunft und Ausbildung, Orgel, Religiosität) auch deutliche Spuren der Musik des von ihm so sehr verehrten Richard Wagner zu finden sind. Ebenso kann es nicht überraschen, daß das Verhältnis Anton Bruckners zu Richard Wagner schon den Kritikern der Brucknerzeit eines der beliebtesten und am häufigsten behandelten Themen bot. Dabei wurde Bruckners Nähe zu Wagner von Gegnern wie Verehrern gleichermaßen hervorgehoben, Bruckner jedoch — je nach Standpunkt — unterschiedlich ausgelegt. Dieser Standpunkt wiederum muß in enger Beziehung zu jenem kunstästhetischen Streit gesehen werden, der im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts unter den Anhängern der Neudeutschen Schule und Richard Wagners auf der einen und denen der ‘Konser vativen’ um Johannes Brahms auf der anderen Seite ausgetragen wurde.153
Die verschiedenen Ansichten über das, was ‘musikalisch schön’ sei, prallten in Wien direkt aufeinander. Die Konservativen fanden ihr Idol in Johannes Brahms, der seit 1868 in Wien lebte und einen Fürsprecher und Förderer in dem einflußreichen Musikkri tiker Eduard Hanslick gefunden hatte.154 Richard Wagner dagegen konnte sich in Wien auf eine Reihe von Wagner-Vereinen stützen,155 die über einflußreiche Mitglieder ver fügten. Vor allem nach Wagners Tode im Februar 1883 wurde Bruckner als Hauptreprä sentant der Wagner-Partei in Wien und ‘Nachfolger’ Wagners aufgebaut. Allerdings gehörten weder Brahms noch Bruckner zur eigentlichen ‘Speerspitze’ der sich um sie scharenden Bewegungen: Johannes Brahms hielt sich nach einer mißglückten Erklärung gegen die ‘Neudeutschen’ im Jahre 1860 156 mit öffentlichen Äußerungen dieser Art zurück, und er war sich zudem der künstlerischen Bedeutung Wagners durchaus bewußt. Bei Anton Bruckner war der ausschlaggebende Faktor eher sein bedingungsloses Bekenntnis zu Richard Wagner als eine rigorose Ablehnung der ‘Konservativen’; damit aber bot er seinen Freunden — und nicht weniger seinen Gegnern — die Gelegenheit, ihn auf den Schild der Wagner-Partei zu heben.
153 Mitunter nahm dieser Streit die Ausmaße eines verbal geführten ‘Krieges’ an, und die Standpunkte konnten sich zu regelrechten ‘Fronten’ verhärten. Richard Wagners Apercu vom „Dreißigjährigen Zukunftsmusik-Krieg“ (Schriften und Dichtungen, Bd. X, S. 170) ist sicher nicht übertrieben. 154 Hanslick war seit 1848 Referent der Wiener Zeitung, wechselte 1853 zur Presse und übernahm 1864 das Feuilleton der Neuen Freien Presse. Seit 1861 war er Professor für „Geschichte der Musik und Ästhetik“ an der Wiener Universität. Als erklärter Gegner der Neudeutschen Schule und Richard Wagners propagierte er in seiner berühmt gewordenen Schrift Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (erste Auflage Leipzig 1854) eine absolute Instrumentalmusik. Dieses zur ästhetischen Idee ausgebaute Gedankengebäude setzte Hanslick mit dogmatischer Strenge zur Beurteilung von Musik ein. In seiner prinzipiell ablehnenden Haltung gegenüber der Musik der Neudeutschen Schule wurde er auch von Kritikern wie Max Kalbeck und Gustav Dömpke unterstützt.
155 Zu den Wiener Wagner-Vereinen und ihrer Bedeutung für Anton Bruckner siehe auch Kapitel 3, Abschnitte III.2 und III.3.2
156 Siehe Max Kalbeck: Johannes Brahms, Bd. 1.2, Berlin31912, S. 404 f.
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Diese musikästhetische Konstellation im Wiener Musikleben der Bruckner-Zeit muß als Hintergrund der zeitgenössischen Bewertung des Verhältnisses ‘Wagner — Bruckner’ durch die Wiener Presse gesehen werden: Oft entschied die ‘Parteizugehörigkeit’ des Rezensenten — genauso wie die des zu Rezensierenden — von vornherein über das Urteil des Kritikers, oder wies zumindest die Richtung, die die Kritik einschlagen sollte. (Allerdings ist dieses Bild unvollständig ohne eine Differenzierung des zeitlichen Verlaufs dieses Streites und die ‘Durchlässigkeit’ seiner Fronten, denn mit zunehmender interna tionaler Popularität Bruckners begann sich die Einstellung vieler Wiener Kritiker ihm gegenüber zu wandeln, und dem Nicht-verstehen-wollen der Bruckner-Gegner stand nicht selten ein Nicht-verstehen-können mancher seiner Freunde und Förderer gegen über.)
V.l Bruckner, Wagner
und die
Wiener Presse
Aus zahlreichen negativen Kritiken über Werke Anton Bruckners kristallisiert sich der Vorwurf des Epigonentums heraus: Bruckner habe in exzessiver Weise Wagnersche Stilmittel in seine Symphonien übernommen. So meinte etwa August Wilhelm Ambros, man begegne in Bruckners II. Symphonie „den allermodemsten, überaus wohlbekannten Wagnerismen, die wir nicht einmal bei Wagner selbst mehr goutieren, dem tobenden Lärmfortissimo, den unleidlichen, nervösen Lohengrin-Dünngeigereien, mit denen uns die Komponisten denn doch endlich einmal verschonen sollten.“157 Vor allem Eduard Hanslick, der sich anfangs Bruckner gegenüber durchaus wohlwol lend geäußert hatte, nahm seit dessen offenem Bekenntnis zu Richard Wagner eine prinzipiell ablehnende Haltung Bruckner gegenüber ein und versuchte immer wieder, inhaltlich oftmals kaum nachvollziehbare Verbindungen zwischen Bruckners Werken und den Stilmitteln Wagners herzustellen. Seine Ablehnung versteckte er in einer Kritik der Richard Wagner gewidmeten III. Symphonie nur halbherzig hinter dem Vorwand des Unverständnisses: „Weder seine poetischen Intentionen wurden uns klar - vielleicht eine Vision, wie Beethoven’s ‘Neunte’ mit Wagner’s ‘Walküre’ Freundschaft schließt und endlich unter die Hufe ihrer Pferde gerät - noch den rein musikalischen Zusam menhang vermochten wir zu erfassen.“158 Eine enge Beziehung zu Wagner glaubte Hanslick auch im Brucknerschen Streichquintett zu erkennen: „Hier findet man den reinen Wagnerstil auf fünf Streichinstrumente abgezogen, die unendliche Melodie, die Emanzipation von allen natürlichen Modulationsgesetzen, das Pathos Wotans, den irrlichterierenden Humor Mime’s und die in unersättlichen Steigerungen sich verzehrende Extase Isoldens.“159 In seiner Kritik anläßlich der Uraufführung der VIII. Symphonie (zweite Fassung) am 18. Dezember 1892 wurde Hanslick etwas konkreter: „Die Eigenart dieser Werke [Hanslick bezieht sich hier nicht nur auf die VIII. Symphonie, sondern auf alle ihm bekannten Symphonien Anton Bruckners] besteht, um es in einem Worte zu
157 Zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 249 ff. 158 Hanslick, Neue Freie Presse vom 18. Dezember 1877, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 479 f. 159 Hanslick, ebenda, 26. Februar 1885, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 270 ff.
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bezeichnen, in der Übertragung von Wagner’s dramatischen Styl auf die Symphonie. [...] Wagner’schen Orchester-Effekten, wie das Tremolo der geteilten Violinen in höchster Lage, Harfen-Arpeggien über dumpfen Posaunen-Akkorden, dazu noch die neueste Errungenschaft der Siegfried-Tuben, begegnen wir auf Schritt und Tritt.“ 160 Unter den negativen Kritiken sticht jene von Gustav Dömpke über die VII. Symphonie Bruckners hervor. Diese Kritik, welche wegen ihres besonders polemischen Tonfalls zu trauriger Berühmtheit gelangte, nimmt sich geradezu wie eine Lehrbuch-Definition des Epigonen-Begriffs aus: „Bruckner komponiert wie ein Betrunkener; er ist ein virtuoser Anempfinder, dessen Phantasie von den heterogensten Niederschlägen Beethoven’scher und Wagner’scher Musik überschwemmt worden ist, ohne das Gegengewicht einer Intelligenz, welche diese Eindrücke ihrem Wert und Wesen nach zu unterscheiden wüßte und vollends ohne die künstlerische Kraft, sie sich als einer eigenen, selbständigen Individualität zu assimilieren.“ 161
Wurden die — tatsächlichen wie vermeintlichen — Beziehungen der Musik Bruckners zum Werk Richard Wagners in den eben zitierten Beispielen hauptsächlich dazu genutzt, um Bruckner herabzuwürdigen und ihm die individuelle Schöpferkraft und sogar die Intelligenz abzusprechen, erkannten andere Kritiker in dieser Verbindung durchaus Bruck ners künstlerische Eigenständigkeit. So stand Bruckner für Wilhelm Frey „außerhalb jeder Klique“,162 und der Komponist und Bayreuther Wagner-Assistent Engelbert Hum perdinck schrieb: „Unverständlich ist es uns, wie man bei Anton Bruckner von einem Übertragen Wagnerscher Kunstprincipien auf die Symphonie reden kann. Die Anwendung von vier Tuben und von kühnen Harmonieverbindungen sind doch schließlich Äußer lichkeiten, die mit dem eigentlichen Wesen der Wagner’schen Kunst nichts zu schaffen haben. [...] ebenso soll man [...] auch Bruckner geben, was Bruckners ist, der in seiner Art durchaus ein Original darstellt.“163 Das in Berlin erscheinende Deutsche Tagblatt schrieb aus Anlaß der Aufführung der VII. Symphonie am 31. Januar 1887 in Berlin: „Bruckners Melodiegestaltung schreitet im Wagner’schen Sinne vorwärts, Modulation und nun gar die Instrumentation sind ganz Wagner und zwar in so eminent eigenartigem Sinne, daß man recht wohl sagen kann: Bruckner ist einer von den wenigen, die den Bayreuther Meister wirklich verstanden haben, der infolgedessen auch weiß, wie dessen Weise auf dieses andere Feld zu übertragen ist. Wer von Reminiszenzen reden will, der mag es in Gottes Namen tun; [...] für uns sind diese Reminiszenzen nur scheinbare Ähnlichkeiten, die sich aus der Natur der Sache gewissermaßen von selbst ergeben.“ 164 Ähnliche Auffassungen vertrat Josef Sittard, ebenfalls anläßlich einer Aufführung der
160 Hanslick, ebenda, 23. Dezember 1893, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 290 ff. 161 Gustav Dömpke, Wiener Allgemeine Zeitung vom 30. März 1886, anläßlich der Wiener Erstaufführung der VII. Symphonie am 21.3.1886 unter der Leitung von Hans Richter, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 438 f. 162 Wilhelm Frey, Neues Wiener Tagblau vom 22. Februar 1881, zit. nach Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 646 ff.
163 Engelbert Humperdinck, Besprechung der VII. Symphonie, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 539 1M Deutsches Tagblatt (Berlin) vom 2. Februar 1887, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 518 ff.
68
VII. Symphonie: „Bruckner hat die Fortschritte, welche wir dem Schöpfer der ‘Nibelun gen’ zu danken haben, nicht copiert, sondern den größeren Reichthum an Ausdrucksmit teln, den unsere Kunst in den letzten 50 Jahren erworben, einfach acceptiert und in ganz selbständiger Weise auf die symphonische Form übertragen und weitergebildet. Bruckner ist in einem Worte kein Manierist, sondern ein Stilist.“165
V.2 Zitate, Reminiszenzen
und
Parallelismen
Untersucht man die Musik Bruckners auf Wagnersche Einflüsse, so entdeckt man zahlreiche Spuren, welche von wörtlichen, noten- und instrumentationsgetreuen Zitaten bis hin zu einer rein klanglichen Adaption bestimmter Stimmungen reichen, und die — wie im Falle der oben besprochenen spezifisch Brucknerschen Stilmittel — auch hier teilweise bereits in den eben zitierten Kritiken anklingen. Über die Wagner-Zitate in der Musik Anton Bruckners ist bereits des öfteren ge schrieben worden.166 Hier sei nur kurz auf diejenigen aus Walküre, Tristan und Lohengrin in der ersten Fassung der III. Symphonie verwiesen,167 sowie auf das durch Bruckner selbst verbürgte Zitat des Beginns des Siegfried-Motivs, welches der Komponist „zur Erinnerung an den Meister“168 im Adagio seiner VIII. Symphonie zweimal hintereinander erklingen läßt.'69
Wesentlich häufiger als solche klar belegbaren Zitate sind in der Symphonik Anton Bruckners jedoch Reminiszenzen an die Musik Wagners zu entdecken. Diese reichen von der Übernahme charakteristischer Motive, die bisweilen fast noch die Prägnanz von Zitaten besitzen, bis zu Wagner-typischen Figuren und Begleitfloskeln, welche zum Teil das Problem ihrer eindeutigen Identifizierung in sich bergen und in den Bereich der Spekulation führen können. Wie Constantin Floros in seinem Buch über Brahms und Bruckner darlegte,170 weist etwa das Kopfsatz-Thema der VIII. Symphonie große Ähnlichkeit zu der Passage „nur eine Hoffnung soll mir bleiben“ aus der Arie des fliegenden Holländers aus der zweiten Szene des ersten Aktes von Wagners gleichnamiger Oper auf. Überdies lassen sich deutliche rhythmisch-melodische Übereinstimmungen zum Siegfried-Motiv feststel len,171 welche bisher jedoch unbeachtet blieben.
165 Kritik im Hamburger Correspondent aus Anlaß des Konzertes vom 19. Februar 1886 in Hamburg, zitiert nach Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 417 ff. 166 Siehe dazu etwa Constantin Floros: Die Zitate in Bruckners Symphonik, in: Bruckner-Jahrbuch 1982/83
167 Siehe dazu auch Manfred Wagner: Bruckner (vergleiche Anm. 29), S. 364 f., sowie Leopold Nowak: NGA, Bd. 3/2, Vorwort. Zur Problematik der Zitate vergleiche auch NGA, Bd. 3/1-3, Revisionsbericht, vorgelegt von Thomas Röder, S. 13 f. 168 Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 19 169 T. 199-201 und 203-205 der zweiten Fassung 170 Brahms und Bruckner (vergleiche Anm. 42), S. 64 ff. bzw. 186 ff.
171 Vergleiche dazu besonders die Gestalt des Siegfried-Motivs im dritten Aufzug der Götterdämmerung
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Ferne Anklänge an Passagen aus Tristan und Isolde finden sich darüber hinaus in der IV. und der VIII. Symphonie: In ersterer in der Jagdgesellschaft zu Beginn des zweiten Aufzuges und dem Scherzo der zweiten Fassung der Brucknerschen Symphonie, in letzterer in der Passage „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ aus der zweiten Szene des zweiten Aufzuges und dem Beginn des Brucknerschen Adagios.
Besonders deutlich treten bei Bruckner auch die charakteristischen herabstürzenden Tonkaskaden der Violinen auf, welche in der Tannhäuser-Ouvertüre den fortissimo-Einsatz des Pilgerchor-Themas begleiten. Bruckner, für den die Linzer Aufführung des Tannhäuser durch seinen Lehrer Otto Kitzler im Februar 1863 den ersten Kontakt mit der Musik Richard Wagners darstellte, setzte diesen Klangeindruck mehrmals in seinen Symphonien um: Im Kopfsatz der I. Symphonie in den Violinfigurationen ab Buchstabe F,'72 im Adagio Nr. 2 von 1876 der III. Symphonie ab Buchstabe K,172 173 sowie im Finale der dritten Fassung der III. Symphonie ab Takt 139.
Assoziationen an die Klangwelt Wagners stellen sich aber auch dort ein, wo kein bestimmtes Thema oder Motiv Wagners erkennbar wird, sondern wo Bruckner ganz allgemein klangliche, formale oder satztechnische Stilmittel Wagners adaptierte und damit eine Wagnersche ‘Atmosphäre’ schuf. Neben Bruckners Vorliebe für Streicher tremoli in höchster Lage, die nicht nur an die Ouvertüre zu William Shakespeares Komödie Ein Sommernachtstraum von Felix Mendelssohn Bartholdy, sondern ebenso an den Klang der im Flageolett spielenden Violinen zu Beginn des Lohengrin-Xorspiels erinnern,174 haben auch Wagners weit ausladende Steigerungszüge Eingang in Bruckners Symphonien gefunden. Solche Steigerungszüge, wie sie Wagner etwa im zweiten TristanAkt, zu Beginn des Rheingold oder am Schluß der Götterdämmerung verwendete, finden sich bei Bruckner häufig in den Adagio-Sätzen, aber auch in den Ecksätzen, etwa als Hinführung auf die Hauptthemen der Kopfsätze der III., V. oder IX. Symphonie.
Pointiert formuliert, stehen sich in Bruckners und Wagners Musik die klare Gliederung in geradtaktige Abschnitte und die melodische Verflechtung im Verlauf der ‘unendlichen Melodie’ genauso gegenüber wie die auf geradezu gegensätzlichen Klangvorstellungen basierende Instrumentierung, welche sich bei Wagner als Ideal des Mischklanges, bei Bruckner hingegen als Ideal der Registerinstrumentierung im Sinne einer ‘chorischen’ Behandlung der einzelnen Orchestergruppen beschreiben läßt. Dennoch finden sich — vor allem in Bruckners späteren Werken — neben diesen charakteristischen Merkmalen
172 Während aber bei Warner die schlichte Harmonik und Melodik der zu schildernden Situation des Pilgerchores angemessen ist, ist die entsprechende Stelle bei Bruckner harmonisch und melodisch ungleich kühner ausgestaltet: Die Melodik, vorgetragen von Trompeten und Posaunen, bewegt sich in geradezu bizarren Sprüngen. Außerdem wechselt Bruckner im Unterschied zu Wagner die Instrumentation dieser Figurationen: Sind diese bei letzterem nur den Streichern Vorbehalten, so werden sie bei Bruckner im weiteren Verlauf auch von den Flöten übernommen. 1,3 NB.: Möglicherweise gehen schon die Violin-Figurationen Wagners auf ein fremdes Vorbild zurück: Sie begegnen dem Hörer bereits im ersten Satz von Harold en Italic von Hector Berlioz aus dem Jahre 1834.
174 Hier sei an die bereits zitierte Kritisierung der „unleidlichen, nervösen Lohengrin-Dünngeigereien“ durch August Wilhelm Ambros erinnert (vergleiche Anm. 157).
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einzelne Passagen, die sich offensichtlich dem Wagnerschen Ideal des Mischklanges und der raschen Farbwechsel annähern, ja selbst der „Kunst des feinsten Überganges“ (Richard Wagner) verpflichtet zu sein scheinen. So sind die Seitenthemen in den Kopf sätzen, die oftmals zunächst den Streichern Vorbehalten sind, in ihren (Tutti-)Wiederholungen mitunter als Mischklang instrumentiert. Als prägnanteste Beispiele dafür seien Kopfsatz und Finale der IV., Finale der V., Kopfsatz der VI. sowie Finale der VIII. Symphonie genannt. Ferner gilt dies teilweise für die Hauptthemen des ersten und zweiten Satzes der VII. Symphonie.
Zu diesem Prinzip des Mischklangs findet sich eine höchst interessante Äußerung Bruckners: „Während der Arbeiten an der ‘Achten’ erklärte Bruckner auch einmal: Zum Wichtigsten in der Instrumentation gehöre, daß man verstünde, jedes Instrument über seine Grenzen hinaus fortzuführen durch Ersatz mit anderen Instrumenten - zum Beispiel Trompeten durch Oboen und Klarinetten gemischt, sodaß der Hörer den Eindruck hätte, der Klang des ursprünglichen Instrumentes dauere noch fort.“173 Tatsächlich lassen sich in der VIII. Symphonie einige Passagen finden, auf die die Brucknersche Angabe gemünzt zu sein scheint. Drei dieser Stellen sollen dafür als Beleg angeführt werden: 1.) Im Scherzo der zweiten Fassung (ab Buchstabe T) wird der Schlußton des achtmal repetierten Motivs der Trompeten den Posaunen überlassen. 2.) Den von Bruckner erwähnten Misch klang zwischen Holz- und Blechbläsern findet man im Finale der gleichen Fassung ab Takt 670. Dort wird das erste Thema des Satzes zunächst im piano in den Holzbläsern intoniert, um im fünften Takt von den Trompeten übernommen zu werden. Wie im vorherigen Beispiel wird dieser Übergang in eine andere Klangfarbe nicht als Kontrast oder ‘Registerwechsel’ empfunden. 3.) Noch subtiler werden die Bläserfarben ab Takt 49 des Finales gemischt: In zwei achttaktigen Perioden treten über repetierenden Vierteln der Streicher zuerst Oboen und Tenor-Tuba und darauf Klarinetten, Hom und Tenor-Tuba in einen sich klangfarblich ergänzenden Dialog. Erreicht wird hier ein geradezu voll kommener Verschmelzungsklang.
Mitunter können bei Bruckner sogar Farbwechsel innerhalb einer Phrase auftreten. Eines der seltenen Beispiele dafür findet sich in der Reprise des Kopfsatzes der V. Symphonie: Das dritte Thema der ‘Gesangsperiode’, welches in der Exposition unisono von den Holzbläsern gespielt wurde, wird nun in seiner ganzen Länge (Takt 425 bis 428) lediglich von dem Instrument gespielt, welches an der Parallelstelle der Exposition als einziges ausgespart wurde: vom Fagott. Dafür wird im ersten Teil des Themas der Fagottklang mit den Hörnern und im zweiten Teil mit den Klarinetten gemischt. Auch das Adagio-Thema der IX. Symphonie ist bei seinem ersten Erscheinen in fast jedem Takt durch die Hinzuziehung von Holz- oder Blechbläsern klangfarblich variiert. Diese Passage ist nicht mehr auf die Wahrung der reinen Klangfarben hin konzipiert.
Schließlich sind auch Bruckners Tuttipassagen nicht immer mit durchgängig gleich bleibender Dynamik in allen Stimmen gesetzt. Manchmal hob Bruckner einzelne Stimmen dynamisch hervor, wie etwa zu Beginn der Kopfsatz-Coda der VII. Symphonie (Buch staben X und Y).175 175 Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 22
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Eine besondere instrumentationstechnische Verbindung zu Richard Wagner, welche zudem inhaltlich motiviert ist, zeigt das Adagio der VII. Symphonie. Auf den Bezug des Satzes zum Tode Richard Wagners wies Bruckner wiederholt hin.176 So bezeichnete er den Blechbläsersatz ab Buchstabe X als „Trauer-Musik für Tuben und Hörner“177 oder sprach von der „Trauermusik zum Andenken an des Meisters Hinscheiden.“178 Constantin Floros stellte fest, daß diese Trauermusik ab Buchstabe X nicht nur durch die Instrumen tation, sondern auch in ihrer formalen Anlage an Wagner anklingt, und zwar an den Trauermarsch auf den Tode Siegfrieds in der Götterdämmerung.179 Darüber hinaus scheint sogar der ganze Satz schon vor dem Tode Wagners in einer Art Vorahnung auf dessen Ableben hin komponiert worden zu sein.180 So ist es sicherlich kein Zufall, daß Bruckner hier zum ersten Mal in einer seiner Symphonien Wagner-Tuben verwendete, die schon vom ersten Takt des Satzes an eine tragende Rolle spielen und die Bruckner in seinen Äußerungen immer in Zusammenhang mit einer Trauermusik brachte — und was hätte näher gelegen, als den Bezug zu Wagner durch ein Instrument zu verdeutlichen, das für Bruckner besonders typisch für die Musik Richard Wagners war, ja das Wagner sogar eigens für den Ring des Nibelungen hatte bauen lassen?
Im Zusammenhang mit dem Einfluß, den die Wagnersche Musik auf Bruckner ausübte, darf schließlich Bruckners Harmonik nicht außer acht gelassen werden, welche — trotz Bruckners konservativer Orchesterbesetzung — von seinen Zeitgenossen immer wieder und zu Recht mit Wagner in Verbindung gebracht wurde. Hier seien lediglich Bruckners kühne Modulationen, seine Terzrückungen, die Enharmonik und die blühende Chromatik erwähnt, aus welchen eine sehr farbige Harmonik von großer Leuchtkraft hervorging.
V.3 Unterschiede und Abgrenzungen Wie die vorangegangenen Untersuchungen zeigten, sind die Einflüsse der Wagnerschen Orchesterbehandlung in der Musik Anton Bruckners ebenso zahlreich wie vielschichtig. Aber auch im Werk Wagners treten mitunter Parallelismen zur Musik Bruckners auf. So finden sich dort — vor allem in den frühen Werken bis einschließlich Lohengrin — gleichsam ‘klassische’ periodische Gliederungen, die erst später in Tristan und Isolde und im Ring des Nibelungen durch Wagners „eigentlichstes System“ abgelöst wurden.
Auch entdeckten manche Forscher bei Wagner Anklänge an typisch Brucknersche Bauweisen. So bemerkte Theodor W. Adorno zum Parsifal: „Der Meister des Übergangs
176 Siehe dazu Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 152, 153, 156, 176 und 199; außerdem Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 80 f.
177 Bruckner-Briefe, Nr. 156 178 ebenda, Nr. 176 Siehe dazu Constantin Floros: Mahler und die Symphonik des 19. Jahrhunderts in neuer Deutung. Zur Grundlegung einer zeitgemäßen musikalischen Exegetik (vergleiche Anm. 42), S. 142 1811 Franz Graflinger berichtet, Bruckner habe von der Komposition des Adagios erzählt: „Einmal kam ich nach hause und war sehr traurig; ich dachte mir, lange kann der Meister unmöglich mehr leben, da fiel mir das Cis moll-Adagio ein.“ Zitiert nach: Bruckner-Briefe, S. 84. Vergleiche auch Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 80 f.
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[Wagner] schreibt am Ende eine statische Partitur. [...] Das statische Wesen des Parsifal [...] heißt kompositorisch: Verzicht auf fließenden Verlauf und treibende Dyna mik.“ 181 (Hervorhebung im Original) „Durchweg kehrt die Orchesterbehandlung von Melodieteilung, solistischer Aufspaltung, vom Ideal der kleinsten Differenz sich ab. Sie ist weit chorischer als in den Musikdramen zuvor; Brucknerischer, könnte man sagen.“182 Solche Beobachtungen, so zutreffend sie im Detail auch sein mögen, dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Parsifal in erster Linie ‘Wagnerisch’ ist. Regi sterhafte, an Bruckner gemahnende Instrumentation stellt nämlich auch hier die Ausnahme von der Regel dar.183 Insofern ist der Vergleich mit Bruckner unglücklich gewählt: Wagners Musik ist niemals ‘Brucknerisch’ in dem Sinne, in dem Bruckners Musik Wagnersche Einflüsse in sich aufnahm. Für diesen Umstand sind — neben der Tatsache, daß Wagner Bruckners Musik viel zu wenig kannte, als daß er dessen Stilmittel für sein Werk hätte nutzen können — sicher auch grundsätzliche Unterschiede auf musikästhetischem Gebiet ausschlaggebend gewesen: Wagner hatte im Laufe seines Lebens zu einer Ästhetik gefunden, welche das Komponieren von reiner Instrumentalmusik im allgemeinen und von klassischen Sym phonien im besonderen als obsolet einstufte. Für ihn hatte die Gattung der Symphonie in der IX. Symphonie Beethovens ihre Erfüllung und ihren Abschluß zugleich gefunden. In Beethovens letzter Symphonie sah er den Schlüssel für das Kunstwerk der Zukunft: Von dort mußte der Weg zwangsläufig in die Erschaffung des Gesamtkunstwerkes, dieser „Vereinigung aller Künste zu dem einzig wahren, großen Kunstwerke“,184 münden. Auf dieses Ziel hin sind Wagners oben beschriebene kompositorische Mittel ausgerichtet, welche Musik, Sprache und darstellerische Aktion untrennbar zu einer Einheit fügen sollten. Somit sind Wagners häufige Klangfarbenwechsel und die reiche, bewegliche Harmonik und Instrumentation semantisch legitimiert: Denjenigen, welcher „ohne Not stark und fremdartig moduliert“, bezeichnete Wagner als „Stümper“,185 und an anderer Stelle empfahl er jungen Kompositionsschülern sogar, „nie eine Tonart zu verlassen, solange das, was sie zu sagen haben, in dieser noch zu sagen ist.“186 Folgerichtig ging Wagner von der Unvereinbarkeit seines „eigentlichsten Systems“ mit reiner Instrumen talmusik aus: „Das [im Drama] Ermöglichte wiederum auf die Symphonie anwenden zu wollen, müßte demnach aber zum vollen Verderb derselben führen; denn hier würde sich als ein gesuchter Effekt ausnehmen, was dort eine wohlmotivierte Wirkung ist. [...] Erstaunen wir [...] über die Unbegrenztheit dieser Fähigkeiten, sobald sie in richtiger
181 Theodor W. Adorno: Zur Partitur des Parsifal, in: Richard Wagner und das neue Bayreuth (Wieland Wagner, Hg.), München 1962, hier 8. 175 182 ebenda, S. 176 183 Vergleiche dazu etwa die Ziffern 65 oder 92-96 der Partitur 184 Wagner, Schriften und Dichtungen, Bd. VII, S. 84
185 Richard Wagner: Über das Opem-Dichten und -Komponieren im besonderen, in: Schriften und Dich tungen, Bd. X, hier S. 174 186 Richard Wagner: Über die Anwendung der Musik auf das Drama (1879), in: Schriften und Dichtungen, Bd. X, hier S. 193
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Verwendung auf das Drama entfaltet werden, so verwirren wir jene Gesetze, wenn wir die Ausbeute der musikalischen Neuerungen auf dem dramatischen Gebiete auf die Symphonie usw. übertragen wollen.“ 187 Diese Wagnersche Ästhetik machte sich Anton Bruckner nicht zu eigen: Obwohl er Richard Wagner sowie die Komponisten der Neudeutschen Schule bewunderte, von den musikalischen Neuerungen in den Werken eines Berlioz, Liszt oder Wagner fasziniert war und harmonische Kühnheiten, welche über diejenigen Wagners zum Teil weit hin ausgingen, in seine Symphonien aufnahm,188 war er, wie oben beschrieben, mit den theoretischen Maximen dieser Bewegung nicht vertraut, und er hielt zeit seines Lebens an der Komposition von Instrumentalmusik fest, die sich noch dazu am klassischen, viersätzigen Symphonie-Schema orientierte. Daß diese Symphonien keineswegs als ‘ab solute Musik’ oder frei von außermusikalischen Einflüssen angesehen werden können,189 tut diesem Gegensatz nur geringen Abbruch. (Auch daß Bruckner sich gegen Ende seines Lebens mit Opemplänen trug, ja sogar wegen eines geeigneten Librettos briefliche Verhandlungen mit einer Dichterin aufgenommen hatte, von der er sich einen Stoff „ä la Lohengrin, romantisch, religiös-misteriös und besonders frei von allem Unreinen!“ wünschte190 — womit sich seine Auffassung mit derjenigen Thomas Manns deckte, für den Wagners Lohengrin ebenfalls den „Gipfel der Romantik“191 darstellte — , ändert daran wenig; und dem Umstand, daß Wagner ein gutes Jahr vor seinem Tode zu Cosima in einem Gespräch, welches um das klassische ‘Finale-Problem’ kreiste, äußerte: „Die letzten Sätze sind die Klippe, ich werde mich hüten, ich schreibe nur einsätzige Sympho nien“,192 kann ebenso lediglich hypothetische Bedeutung beigemessen werden, da weder Wagner noch Bruckner ihre Pläne verwirklichen konnten — oder auch nur zu verwirk lichen suchten.)
VI. SCHLUSSWORT Wie sind nun die Wagner-Reminiszenzen in der Musik Anton Bruckners zu bewerten? Übertrug Bruckner wirklich — trotz Wagners eindeutiger Warnung — dessen „dramati schen Styl auf die Symphonie“, wie Eduard Hanslick es in den oben zitierten Kritiken formuliert hatte? — Auch wenn der von Teilen der zeitgenössischen Kritik erhobene Vorwurf des Epigonentums heute längst als Produkt der musikästhetischen Debatten der 187 Richard Wagner: Über die Anwendung der Musik auf das Drama (1879), in: Schriften und Dichtungen, Bd. X, S. 190 f. Interessanterweise teilte Wagner diese Auffassung mit keinem Geringeren als Johannes Brahms. Dieser äußerte einmal: „Man kann Wagner kein größeres Unrecht antun, als wenn man seine Musik in den Konzertsaal bringt, sie ist eben nur für das Theater geschaffen und gehört nur dahin.“ (Zitiert nach Constantin Floros: Brahms und Bruckner [vergleiche Anm. 42], S. 70) 188 Zu bedenken ist dabei auch, daß Bruckner Wagner um 13 und Liszt um 10 Jahre überlebte. 189 Vergleiche etwa Constantin Floros: Brahms und Bruckner (vergleiche Anm. 42), passim ™ Vergleiche dazu etwa Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 628; Bd. IV.2, S. 483; Bd. IV.3, S. 345; Bruckner-Briefe Nr. 4-6 sowie Bruckner-Briefe, neue Folge, S. 295 f. 191 Thomas Mann in einem Brief an Emil Preetorius vom 6. Dezember 1949, zitiert nach Wagner und unsere Zeit(Erika Mann, Hg.), Frankfurt/M. 1963, hier S. 169 1,2 Cosima Wagner: Die Tagebücher (vergleiche Anm. 128), Bd. 2, S. 827
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Bruckner-Zeit sowie als Ausdruck von Unverständnis oder schlicht persönlicher Animo sität erkannt ist, drängt sich zunächst die Erwartung auf, daß Wagners charakteristischer Orchesterklang sich auch bei dem glühenden Wagnerverehrer Bruckner in dessen Orche sterbehandlung massiv niedergeschlagen haben müßte. Die Beschreibung der Personalstile Bruckners und Wagners in diesem Kapitel zeigte jedoch — neben deutlichen Einflüssen Wagners in der Musik Bruckners — auch markante Unterschiede, ja gegensätzliche Klangideale der beiden Komponisten. Für dieses Phänomen lassen sich mehrere Gründe anführen: Zum einen hatte sich Bruckners Klangvorstellung bis zur ersten Begegnung mit Wagners Musik bereits tief in ihm festgesetzt. Sein Lebensweg war entscheidend geprägt durch die im Vergleich zur Metropole Wien relative Abgeschiedenheit seiner oberösterreichischen Heimat, durch eine Erziehung, die das Festhalten an ererbten Traditionen als höchstes Gut propagierte, durch eine zwar grundsolide, aber konservative, in erster Linie auf den Kirchendienst ausgerichtete musikalische Ausbildung, durch eine alle Lebensbereiche durchdringende kirchliche Autorität und nicht zuletzt durch den tiefen Eindruck, den die Orgel auf ihn gemacht hatte. Bis in diese Zeit verlief der Lebensweg Bruckners in geregelten Bahnen: Fest eingebunden in überlieferte religiöse wie säkulare Traditionen, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Lehrer und Kirchenmusiker.
In diese Welt Anton Bruckners brach um die Jahreswende 1862/63 durch den Unterricht bei Otto Kitzler die Musik Richard Wagners ein. Alfred Drei übertrieb nicht, wenn er diese Begegnung mit Wagner als „das letzte große innere Erlebnis“ im Leben Anton Bruckners bezeichnete.193 Von diesem Zeitpunkt an ist die künstlerische Entwicklung Bruckners ohne den Einfluß Wagners nicht mehr denkbar. Dennoch waren zu diesem Zeitpunkt Bruckners Vorstellungen von Satz und Klang seiner Musik bereits viel zu ausgereift, als daß er sich plötzlich zum Wagner-Epigonen hätte wandeln können.194 So verwundert es nicht, daß auch in Verbindung mit den zahlreichen Wagner-Reminiszenzen — von Ausnahmen abgesehen — Bruckners per sönliche ‘Handschrift’ stets unverkennbar bleibt. Bruckner kopierte Wagner nicht, sondern rezipierte dessen Stilmittel unter Wahrung seiner eigenen Identität und machte sie seinem Stil nutzbar. Auch die Wagner-Reminiszenzen sind fest in den Brucknerschen Kontext eingebunden, und selbst die eindeutigen Zitate erscheinen nicht als Fremdkörper, wobei ihnen — besonders in der III. Symphonie — Bruckners blockhafte, reihende Bauweise zugute kommt, welche eine solche Wirkung vermeiden hilft.
Wenn man den Einfluß des ‘Erlebnisses Wagner’ auf Bruckner angemessen gewichten will, muß man außerdem berücksichtigen, daß dieser nicht der einzige auf die Musik Bruckners gewesen ist: Wie oben bereits ausgeführt, läßt sich vieles auch von anderen Komponisten — Vorgängern wie Zeitgenossen Bruckners — herleiten.
193 Bruckner (vergleiche Anm. 17), S. 129 194 Erinnert sei an dieser Stelle daran, daß Bruckner hier bereits 38 Jahre alt war: Ein Alter, welches Komponisten wie Adam Krieger, Purcell, Pergolesi, Mozart, Schubert, Bellini, Bizet oder Distler nicht erreichten!
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So wie dieses Erlebnis ungeahnte schöpferische Kräfte in Bruckner freisetzte und ihn den Mut finden ließ, auch sehr progressive Elemente in seine Tonsprache einfließen zu lassen, löste es aber auch große innere Spannungen zwischen der immer drängender verspürten künstlerischen Sendung und der im menschlichen wie im künstlerischen Bereich konservativen Erziehung aus. So scheint hier Wagner — zumindest für die sechziger Jahre — in seinem Einfluß auf Bruckner eine Janusköpfigkeit zugeschrieben werden zu müssen: Bruckner schwankte — wie immer, wenn er wichtige, grundlegende Entscheidungen zu treffen hatte — zwischen Verzagtheit und Zuversicht, Angst und Hoffnung, schwankte zwischen dem Zweifel, ob es ‘erlaubt’ sei, so kühn wie Wagner oder Liszt zu komponieren, und der Genugtuung, die ihn erfüllte, wenn er in den Werken Liszts oder Wagners einen Verstoß gegen die strengen Regeln seines alten Lehrers Simon Sechter aufgespürt hatte.195 Schließlich aber schien ihn das Vorbild Richard Wagners, welcher gleichsam als Gegenpol zu Bruckners katholischer Erziehung und dem antiquierten Theoriegebäude Simon Sechters in seiner Musik all das verkörperte, was Bruckner zunächst durch seine Erziehung versagt bleiben mußte, ermutigt zu haben, seine Zweifel hinter sich zu lassen. So ermöglichte Wagner es Anton Bruckner, aus einer respektierten, im Grunde aber ungeliebten und als überholt empfundenen Tradition auszubrechen.
Dieser neu eingeschlagene Weg erwies sich zunächst jedoch als nicht unproblematisch: Der Zwiespalt war einer der Gründe für Bruckners schwere psychische und physische Krise, welche schließlich den dreimonatigen Kuraufenthalt in Bad Kreuzen im Sommer 1867 erforderlich machte. Bald sollte Bruckner aber zu einer Lösung dieser inneren Spannung finden, indem er die Einflüsse seiner oberösterreichischen Heimat, seiner vormärzlichen Erziehung, seiner tiefen Gläubigkeit, des Orgelklangs und der österreichischen symphonischen Tradition eines Mozart, Beethoven und Schubert mit den Einflüssen der Neudeutschen Schule und denen Wagners zu einer Einheit verschmolz. Diese Einheit charakterisiert die künst lerische Vision Anton Bruckners, eine in höchstem Maße eigenständige und dabei ur typische Vision des symphonischen Klanges und der Form, welche Bruckner mit der Schöpferkraft seines Genies in all seinen Symphonien konsequent und doch jedesmal aufs neue umzusetzen verstand.
1,5 Vergleiche dazu die in Abschnitt III. 1 dieses Kapitels zitierten Erinnerungen Otto Kitzlers
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Kapitel 2
ZUM PROBLEM DER FASSUNGEN. BRUCKNER ALS BEARBEITER SEINER EIGENEN WERKE I. EINLEITUNG. ZUR PROBLEMATIK VON ‘FASSUNGEN’ IN DEN KÜNSTEN Fragt man, was in den Künsten unter einer ‘Fassung’ zu verstehen sei, so muß man zunächst auf den Schöpfungsprozeß eines Kunstwerkes zurückblicken. Zu dessen Beginn steht die Idee vom Kunstwerk, welche im Laufe des Schöpfungsprozesses vom Künstler in eine bestimmte Gestalt gegossen wird, in der sich diese Idee nach außen hin manifestiert: Die Idee hat ihre erste ‘Fassung’ erhalten. Damit ist ‘Fassung’ zunächst als Unterkategorie des Werk-Begriffs definiert. Ist ein Kunstwerk in lediglich einer einzigen autorisierten Gestalt überliefert, fällt der Werk-Begriff mit dem Fassungs-Begriff zusammen. Jedoch treten in allen Bereichen der künstlerischen Produktion immer wieder mehrere Fassungen ein und desselben Kunstwerkes auf, ja dieses Phänomen scheint mitunter sogar ein Merkmal künstlerischer Produktivität sein zu wollen. Stellt es sich dabei in den einzelnen Sparten der Kunst auf jeweils andere, individuelle Weise dar,1 so wirft die Existenz mehrerer Fassungen doch überall gleichermaßen unweigerlich die Frage nach dem Verhältnis dieser einzelnen Fassungen zueinander auf: Handelt es sich um verschiedene Stufen der Werkgenese, also um ‘frühe Entwürfe’ gegenüber ‘späten Meisterwerken’, oder um alternative Aus führungen ein und derselben Werkidee, um Verwirklichungen unterschiedlicher ‘Kon zepte’, welche gleichberechtigt nebeneinander bestehen können? — Vor allem aber: Was veranlaßt einen Künstler, ein als fertig eingestuftes Werk noch einmal oder mehrmals von Grund auf zu überarbeiten, und welche der vorhandenen Versionen entspricht seinen Intentionen am meisten?
II. DAS FASSUNGSPROBLEM IN DER MUSIK ANTON BRUCKNERS Diese Fragen sind auch in der Geschichte der Musik nicht ungewöhnlich: Sie stellen sich bei Ludwig van Beethoven (Fidelio/Leonore) genauso wie bei Robert Schumann (Rheinische Symphonie; Symphonische Etüden für Klavier), Johannes Brahms (Klaviertrio H-Dur), Richard Wagner (Tannhäuser) oder Gustav Mahler (II. und V. Symphonie). Bilden sie hier jedoch eher die Ausnahme, so repräsentieren sie bei Anton Bruckner fast die Regel. Die Verwendung des Terminus’ ‘Dilemma’ — im Jahre 1972 von Karl 1 Vergleiche dazu auch den Bericht zum Bruckner-Symposion 1996 (Anton Bruckner Institut Linz, Hg., Linz 1998), welcher unter dem Titel Fassungen - Bearbeitungen - Vollendungen einige interessante Beiträge zu diesem Thema enthält.
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Grebe benutzt2 und elf Jahre später von Manfred Wagner wieder aufgegriffen3 — wäre hier, zumindest im ursprünglichen Wortsinn, sogar unzureichend, um das ganze Ausmaß der Problematik zu umreißen — sind doch einige der zehn Symphonien Bruckners (die ‘Studien-Symphonie’ in f-Moll nicht mitgerechnet) in weit mehr als zwei Fassungen überliefert. Insgesamt liegen sie in 18 unterschiedlichen Fassungen vor: die L, II. und VIII. Symphonie in zwei Fassungen, die III. Symphonie in drei Fassungen und die IV. Symphonie in drei Fassungen und einer zusätzlichen vierten des Finalsatzes. (Die ‘An nullierte’, V., VI. und VII. Symphonie liegt in nur jeweils einer Fassung vor, und von der IX. Symphonie konnte Bruckner selbst die erste Fassung nicht vollenden.)
Es überrascht daher nicht, daß die Frage der Fassungen ein zentrales Problem der Bruckner-Forschung darstellt und besonders in der jüngeren Literatur große Beachtung findet. So widmete sich das erste der seit 1980 alljährlich abgehaltenen Bruckner-Sym posien in Linz ausschließlich diesem Thema und gab mit systematischen, grundsätzlichen Abhandlungen, denen sich Untersuchungen besonderer Problemfälle wie denen der III., IV. oder VIII. Symphonie anschlossen, wichtige Impulse für weiterführende Forschungen. Im gleichen Jahr veröffentlichte Manfred Wagner seine Broschüre Der Wandel des Konzepts,4 und auch das Symposion des ‘Bruckner-Jahres’ 1996 griff das Thema der Fassungen auf, unter dem Motto Fassungen - Bearbeitungen - Vollendungen jedoch mit einem etwas verlagerten Schwerpunkt.5
III. DEFINITIONSPROBLEME Mit dem Problem der Fassungen stellt sich sogleich die Frage ihrer Definition. Bereits im Jahre 1956 behandelte Leopold Nowak diese Frage in seinem Aufsatz „ Urfassung" und „Endfassung" bei Anton Bruckner. Dort schrieb er: Die „1. Niederschrift, die beendet und gegebenenfalls mit Namenszug und Datum als ‘fertig’ erklärt wird, ist die 1. Fassung eines Werkes. [...] An der fertigen Partitur können nun Änderungen vorgenommen werden. (...) Solange sie nicht zur Fertigung einer neuen Partitur führen, wird lediglich der augenblickliche Zustand der 1. Fassung geändert. Es entsteht also ein 2. Zustand. Erst wenn sich der Komponist zu großen, einschneidenden Änderungen entschließt, die eine zweite Niederschrift der Partitur im Gefolge haben, entsteht eine 2. Fassung.“6 (Hervorhebungen im Original)
Diese Definition gilt im Prinzip bis heute. So formulierte beispielsweise Manfred Wagner 24 Jahre nach Nowak in seinem Vortrag Bruckners Sinfonie-Fassungen — grundsätzlich referiert: „Als ‘Fassung’ verstehe man im Rahmen dieses Referates jede
2 Anton Bruckner in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1972,131996, S. 128 3 Bruckner. Leben, Werke, Dokumente, Mainz 1983, S. 385 4 Der Wandel des Konzepts. Zu den verschiedenen Fassungen von Bruckners Dritter, Vierter und Achter Symphonie, Wien 1980 5 Vergleiche Anm. 1 6 Zitiert nach Nowak 1985, S. 34-37, hier S. 35
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von Bruckner abgeschlossene Herstellung eines Werkes in seinem Gesamtzusam menhang.“ 7 (Hervorhebung im Original) So notwendig solche Definitionsversuche sind, werfen sie doch fast zwangsläufig die Frage auf, wie die „abgeschlossene Herstellung eines Werkes in seinem Gesamtzu sammenhang“ (Manfred Wagner) nach außen hin zu begrenzen bzw. wie zwischen „Fassung“ und „Zustand“ (Leopold Nowak) zu unterscheiden sei. Lassen sich nämlich beispielsweise im Fall der V. Symphonie einzelne Arbeitsstufen klar voneinander trennen, ohne daß deswegen von mehreren Fassungen gesprochen werden müßte, setzt eine solche Trennung in anderen Fällen editorische Entscheidungen voraus und verliert damit den Anspruch auf volle Objektivität. Robert Haas zählte etwa im Zusammenhang mit der II. Symphonie drei Fassungen,8 während man heute nur noch von zwei Fassungen ausgeht.
Insbesondere warf die 1980 im Rahmen der neuen Gesamtausgabe erfolgte Einzelher ausgabe des Adagio Nr. 2 von 1876 der III. Symphonie ein Schlaglicht auf die Problematik der Definition und provozierte die Kritik zahlreicher Wissenschaftler. So meinte Franz Grasberger, der Satz sei „durch Entfernung von Überklebungen rekonstruiert worden, gehört offensichtlich in den Bereich von Retuschen und wäre Angelegenheit eines Revi sionsberichtes.“ 9 Auch Harry Halbreich hielt ihn nicht für einen selbständigen Satz, sondern räumte ihm nur den Status einer „interessanten Zwischenstufe“ ein,10 und Manfred Wagner bekräftigte, dem Satz könne „kein eigener Fassungscharakter zugesprochen werden.“11 Diese Kritiken weitete Thomas Röder auf alle Sätze und alle Fassungen der III. Symphonie aus, indem er für den gesamten Zeitraum ihrer Entstehung von 1872 bis 1889 „eine als ‘fließend’ anzusehende Werkgestalt“ 12 konstatierte, demnach also die Erstellung von drei separaten Fassungen im Rahmen der neuen Gesamtausgabe eher den Gesetzen eines auf Aufführungsmaterial angewiesenen Musikbetriebes als denen einer wissenschaftlich-philologischen Begründbarkeit zu folgen scheint.
Trotz dieser Einschränkungen ist es sinnvoll, die Definition Leopold Nowaks zu verwenden: Sie ist in vielen Fällen hilfreich, auch wenn sie in der Praxis nicht immer problemlos anzuwenden ist und bisweilen der Kommentierung bedarf.
IV. DIE URSACHEN FÜR DAS ENTSTEHEN DER FASSUNGEN Eine der zentralen Fragen im Zusammenhang mit den Fassungen ist die nach Bruckners Motivation: Änderte er lediglich aus innerem Antrieb, oder wurde er von außen beeinflußt? Diese Frage wird bis heute kontrovers diskutiert. So formulierte Theophil Antonicek: 7 Bruckner-Symposion 1980, S. 15-24, hier S. 16
8 AGA, Bd. 2, Vorlagenbericht, S. 2* 9 Einleitung zum Bruckner-Symposion 1980, S. 11-14, hier S. 13
10 Bruckners Dritte Symphonie und ihre Fassungen, ebenda, S. 75-83, hier S. 77 11 ebenda, S. 16
12 NGA, Bd. 3/1-3, Revisionsbericht, vorgelegt von Thomas Röder, Wien 1997, S. 12 f.
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„Soviel ist [...] wohl sicher, daß die Tatsache der Umarbeitungen nicht auf das Betreiben irgendwelcher Ratgeber zurückgeht, sondern Bruckners eigener Wille war.“ *11 13 Die gleiche Auffassung klingt auch bei Manfred Wagner an: „Bruckner hat selbst und nach freier Entscheidung überarbeitet [und] er hat andere überarbeiten lassen.“14 Diese Meinung revidierte Wagner jedoch sieben Jahre später: „Sicher ist [...], daß alle Zweit- und Mehrfassungen auf Druck von außen erfolgten.“15 Ähnlich äußerte sich Ingrid Fuchs im 1996 erschienenen Bruckner-Handbuch: Die Instrumentationsänderungen in den späteren Fassungen seien „wahrscheinlich Änderungen aufgrund der Ratschläge seiner [Bruckners] dirigierenden Freunde im Hinblick auf eine Annäherung an die Wagnersche ‘Kunst des Übergangs’.“ 16 Damit formulierte die Wiener Musikwissenschaftlerin eine Vermutung, welche auch als immer entscheidender werdende Triebfeder die in den Kapiteln 4 und 5 beschriebene Arbeit von Robert Haas bestimmt hatte. Zu einer Extremposition ließ sich dagegen Claudia Catharina Röthig in ihrer Dissertation aus dem Jahre 1978 verleiten, wenn sie im Zusammenhang mit Bruckners Umarbeitung der VIII. Symphonie konsta tierte: „Jene umfangreichen Modifikationen der Gedanken und Form in der zweiten Fassung beruhen auf äußeren Einflüssen und sind für eine Erkenntnis des Brucknerstils unergiebig.“17 Dem widersprach Franz Grasberger im Jahre 1980: „Einflüsse von außen waren nicht der alleinige Grund für die sogenannten ‘Fassungen’, das können wir heute mit Bestimmtheit sagen.“ 18 Alfred Orel vertrat einen abwägenden Standpunkt, als er schrieb: „Wenn auch bei einer Reihe von Umarbeitungen äußere Veranlassungen festzu stellen sind, sind die Gründe dafür doch innerer Natur.“19 — Schon aus dieser kurzen Übersicht wird deutlich, daß eine rigide Trennung in innere und äußere Gründe dem Gegenstand nicht angemessen zu sein scheint. Vielmehr muß von einem komplexen Zusammenspiel der inneren und äußeren Motivation Bruckners ausgegangen werden, welche im folgenden erläutert werden soll.
IV. 1 Bruckners
innere
Motivation
Zunächst soll jener Erklärungsansatz besprochen werden, der von einer inneren Moti vation Bruckners für die Umarbeitungen ausgeht. Mehrmals sprach Bruckner selbst von
L Ein neues Bruckner-Bild1, in: Bruckner-Vorträge Budapest 1983/84, Bericht (Othmar Wessely, Hg.), Linz 1985, S. 21-24, hier S. 22 11 Bruckners Sinfonie-Fassungen — grundsätzlich referiert, in: Bruckner-Symposion 1980, S. 15-24, hier S. 16
5 Zu den Erstfassungen der Sinfonien Anton Bruckners, in: Bruckner-Symposium Leipzig 1987, S. 96-103, hier S. 96
16 Artikel Instrumentation, S. 212-214, hier S. 214 17 Studien zur Systematik des Schaffens von Anton Bruckner auf der Grundlage zeitgenössischer Berichte und autographer Entwürfe, Kassel 1978, S. 344 18 Einleitung zum Bruckner-Symposion 1980 (vergleiche Anm. 9), hier S. 12 19 Original und Bearbeitung bei Anton Bruckner, in: Deutsche Musikkultur 1, 1936/37, S. 193-226, hier S. 206
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solchen Eingriffen aus innerer künstlerischer Überzeugung, so zum Beispiel in einem Brief an Hermann Levi vom 27. Februar 1888, in dem er diesem seine IV. Symphonie zur Aufführung anbot: „Der Erfolg in Wien [Aufführung vom 22. Januar 1888, Wiener Philharmoniker unter Hans Richter] ist mir unvergeßlich. Seitdem habe ich aus eigenem Antriebe noch Veränderungen gemacht.“20 (Hervorhebung im Original) Ähnliches berichtete Josef Schalk von der I. Symphonie, welche Bruckner zurückgezogen habe, „weil er sich selbst von der Notwendigkeit einer Bearbeitung überzeugte.“ 21 Viele neue Fassungen sind zunächst sicher als Anpassungen an das momentane künstlerische Leistungsvermögen zu werten. Jeder schöpferisch tätige Mensch unterliegt einer kontinuierlichen Entwicklung der emotionalen und intellektuellen Potentiale, in deren Folge sich die künstlerische Aussagefähigkeit weiterentwickelt. Thomas Röder sprach in diesem Zusammenhang von einem „Selbstlemprozeß“ bei Bruckner und stellte im Hinblick auf die zweite Fassung der III. Symphonie fest: „Die Fünfte Symphonie markierte gleichsam das Niveau, auf das die drei zuvor geschriebenen Werke angehoben werden sollten.“22
Solche vorgenommenen ‘Anhebungen’ beinhalteten neben Kürzungen, thematisch motivischen, satztechnischen und rhythmisch-metrischen Umgestaltungen und Neukom positionen ganzer Abschnitte oder — im Fall der IV. Symphonie — ganzer Sätze auch Konzessionen an den Zeitgeschmack und die Leistungsfähigkeit der Orchester, auf die Bruckner zum Beispiel den Berliner Musikschriftsteller und -kritiker Wilhelm Tappert aufmerksam machte: „Ich bin zu der vollen Überzeugung gelangt, daß meine 4. romant. Symphonie einer gründlichen Umarbeitung dringend bedarf. Es sind z. B. im Adagio zu schwierige, unspielbare Violinfiguren, die Instrumentation hie u. da zu überladen u. zu unruhig.“23 Könnte man solche Eingriffe oft durchaus unter den Terminus ‘Verbesserung’ fassen, kommt gerade bei Bruckner einem anderen Aspekt besondere Bedeutung zu: dem per manenten, fast zwanghaften Ändern als immanentem Wesenszug seiner Persönlichkeit. Unsicherheit und Zögerlichkeit in wichtigen Entscheidungen des privaten wie künstleri schen Lebens bestimmten oftmals so sehr Bruckners Alltag, daß er in der jüngeren Bruckner-Literatur mitunter als Skrupulant eingestuft wurde.24 Aus dieser Unsicherheit resultierte jedoch, daß Bruckner selten wirklich mit seinen Arbeiten zufrieden war. Dem 20 Zitiert nach Franz Gräflinger: Anton Bruckner. Leben und Schaffen (Umgearbeitete Bausteine), Berlin 1927, S. 340 21 Brief von Josef Schalk an Franz Schalk, vermutlich Weihnachten 1889, zitiert nach Max Morold: Noch einiges zur Bruckner-Frage, in: Zeitschrift für Musik 103 (1936), S. 1187-1190, hier S. 1190 22 NGA, Bd. 3/1-3, Revisionsbericht (vergleiche Anm. 12), S. 11. Tatsächlich fallen die zweiten Fassungen der II, III. und IV. Symphonie in die Jahre 1877 und 1878, in denen Bruckner auch die Arbeit an der V. Symphonie abschloß. 23 Brief vom 12. Oktober 1877, in: Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 111 Vergleiche dazu etwa Leopold M. Kantner: Die Frömmigkeit Anton Bruckners, in: Anton Bruckner in Wien. Eine kritische Studie zu seiner Persönlichkeit (Franz Grasberger, Hg.), Graz 1980 (- Anton Bruckner — Dokumente und Studien 2), S. 258 f.
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stand der feste Wille zur Perfektion gegenüber, welcher sicher einer der Gründe war für die erneute Durchsicht längst abgeschlossener Werke. Dieser Unsicherheit versuchte Bruckner aber nicht nur durch ständiges Überarbeiten entgegenzuwirken: Als ‘Zoon politikon’, dessen Zwängen auch ein künstlerisch Schaf fender unterworfen ist, suchte er in der Kommunikation mit seiner Umwelt die Objekti vierung seiner eigenen, als subjektiv empfundenen Meinung durch außenstehende Dritte zu erreichen. Diese Suche nach äußerer Bestätigung der eigenen Leistung begleitete Bruckners künstlerischen Werdegang von Anbeginn und führte auch später noch zu ständigen Prüfungen und Zeugnissen, welche in der Erinnerungsliteratur zahlreich doku mentiert sind. Daß die Notwendigkeit vieler dieser schriftlichen Leistungsbestätigungen von Bruckners Umgebung weitaus geringer eingestuft wurde als von ihm selbst, belegt jener berühmt gewordene Ausruf Johann Herbecks nach Bruckners Orgelprüfung in der Wiener Piaristen-Kirche am 21. November 1861: „Er hätte uns prüfen sollen.“25
Durch Bruckners Versuche, das eigene Schaffen von außen her legitimieren zu lassen, setzte jedoch fast zwangsläufig eine Wechselwirkung zwischen seinem Werk und seinem näheren sozialen Umfeld ein, welche es Außenstehenden ermöglichte, auf Entstehung und Gestalt seiner Werke Einfluß zu nehmen. Im folgenden Abschnitt soll daher untersucht werden, aus welchen Personen bzw. Personengruppen sich dieses soziale Umfeld rekru tierte, warum es gerade diese Gruppen sein konnten, und wie sich die Wechselwirkung zwischen Bruckner und seinem Umfeld in seinem Werk widerspiegelt.
IV.2 Bruckners
soziale
Situation
in
Wien: Frauen - Freunde -
Angehörige — Gesellschaft
Eine soziale Verankerung in Ehe und Familie, wie sie etwa für Gustav Mahler menschlich wie künstlerisch-schöpferisch von größter Bedeutung war, sucht man bei Anton Bruckner vergeblich: Trotz zahlreicher Versuche gelang es ihm nie, eine Frau zu finden, die bereit gewesen wäre, mit ihm die Ehe einzugehen.26 Der Grund dafür mag auch darin zu suchen sein, daß Bruckner zeit seines Lebens auf ein Frauenbild fixiert war, welches seine Mutter und nach deren Tode auch seine Schwester verkörperten. Durch den Tod des Vaters im Juni 1837 und die durch die folgende Erziehung als Chorknabe im Stift St. Florian einsetzende, jedoch nie wirklich erfüllte Sehnsucht nach Geborgenheit im Schoße einer Familie wurde diese Fixierung noch verstärkt.27 Hinzu kam, daß Bruckners Werbungen vor allem in späteren Jahren oftmals stereotyp und zunehmend halbherzig vorgenommen wurden und zudem eine immer größer werdende Kluft zwischen seiner Lebenswirklichkeit und dem angestrebten Idealbild aufwiesen: In
25 Göll./Auer, Bd. III.l.S. 117
26 Einzige Ausnahme scheint das Berliner Stubenmädchen Ida Buhz gewesen zu sein (vergleiche dazu Elisabeth Maier: Artikel Frauen, in: Bruckner-Handbuch, S. 163 f.). 27 Vergleiche dazu vor allem Eveline A. Nikkeis: Bruckner und „die Frau": Traum und Wirklichkeit, in: Bruckner-Symposium Leipzig 1987, S. 42-47
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Bruckners Wiener Zeit war „das Weibliche längst schon zu einem Typus geworden, einem unveränderten, immer jungen, immer inspirierenden Ideal, daher austauschbar, mit wechselnden Namen.“28 Bruckner tat sich auch schwer, echte Freundschaften zu knüpfen. Zu den wenigen wirklichen Freunden, die zu Bruckner nicht als zu dem überragenden Komponisten aufblickten oder ihn als ihren Lehrer fast wie einen Vater verehrten, zählte der Komponist, Chordirigent und spätere Wiener Universitätsmusikdirektor Rudolf Weinwurm (1835 bis 1911).29 Diese Freundschaft war für Bruckner besonders in der Linzer Zeit von großer Bedeutung: Als Bruckner in den fünfziger Jahren immer stärkere Verbindungen nach Wien suchte, übernahm Weinwurm, der bereits seit dem Jahre 1847 in Wien ansässig war, Botengänge für seinen Freund, oder er mietete Wohnungen an, wenn Bruckner sich für einige Wochen in Wien aufhielt, um die Unterrichtstermine bei Simon Sechter wahrzunehmen. Vor allem aber während Bruckners schwerer Nervenkrise im Jahre 1867 und des anschließenden dreimonatigen Kuraufenthaltes in Bad Kreuzen war Rudolf Weinwurm der wohl wichtigste Ansprechpartner und menschliche Halt für Bruck ner.30 Diese Freundschaft kühlte jedoch in Bruckners Wiener Jahren durch die eine Konkurrenzsituation schaffende berufliche Konstellation Bruckners und Weinwurms und dessen freundschaftliches Verhältnis zu Eduard Hanslick zeitweilig etwas ab. In Wien war Bruckner auch familiär auf sich allein gestellt. Lediglich in der ersten Zeit führte ihm seine Schwester Maria Anna (geb. 1836) wie schon zuvor in Linz den Haushalt, starb aber bereits 16 Monate nach Bruckners Übersiedelung in die Hauptstadt im Januar 1870 an Tuberkulose. Bruckners Mutter Theresia war bereits im Jahre 1860 verstorben, und Bruckners Bruder Ignaz (1833 bis 1913) verbrachte sein Leben als Gärtnergehilfe und später als Kalkant (Orgelbalgtreter) in St. Florian. Mit ihm hatte Bruckner nur persönlichen Kontakt, wenn er sich in Oberösterreich aufhielt. Trotz eines kontinuierlichen Briefwechsels war dieser Kontakt jedoch nicht sehr intensiv, wohl auch deshalb, weil zwischen den Brüdern kaum eine Basis für einen intellektuellen oder kunstästhetischen Austausch vorhanden war. In die Wiener Gesellschaft schließlich konnte Bruckner sich, wie bereits in Kapitel 1, Abschnitt III.3.2 beschrieben, auch nicht integrieren: Er wurde zu einem Sonderling gestempelt, der vielen aufgrund seiner äußeren Erscheinung und seines Verhaltens als gesellschaftlicher Außenseiter galt und zeit seines Lebens ein Zugereister blieb.31 Vor allem in der älteren Bruckner-Literatur wurde dieses Unangepaßtsein mit Bruckners
28 Elisabeth Maier: Anton Bruckner. Stationen eines Lebens, Linz/München 1996, S. 90
29 Zu Rudolf Weinwurm vergleiche auch Andrea Harrandt: den ich als einzigen wahren Freund erkenne ... “ Anton Bruckner und Rudolf Weinwurm, in: Bruckner-Symposion 1994 30 Den engen Kontakt zwischen Bruckner und Weinwurm belegen über 60 Briefe aus Bruckners Linzer Zeit.
31 Bruckners Zeitgenosse und ‘Konkurrent’ Johannes Brahms beispielsweise hatte selbst als zugereister Nicht-Österreicher weit weniger Probleme als Bruckner, sich auf dem berüchtigten 'glatten Wiener Parkett’ zu behaupten.
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‘kindlich-naivem’ Charakter, mit der „plötzlichen Versetzung des Naturkindes in die parfümierte Atmosphäre der Großstadt“ (Max Auer32) zu erklären versucht. Indessen finden sich auch Anzeichen dafür, daß Bruckner sich überhaupt nicht in die Wiener Gesellschaft integrieren wollte, sondern vielmehr durch sein Anders-Sein ganz bewußt eine „Trennwand“33 zwischen sich und dieser Gesellschaft zu errichten versuchte, welche den „im Grunde verschlossenen und scheuen“34 Komponisten vor einer — tatsächlichen oder eingebildeten — Bedrohung durch eben diese Gesellschaft und besonders ihre medialen Repräsentanten in Presse und Kritik schützen sollte. In diesem Zusammenhang machte Peter Gülke in seinem Beitrag zum Bruckner-Symposion 1987 auf einen weiteren Aspekt aufmerksam: Er deutete Bruckners „schrecklich partiell geführtes Leben“ und sein „mutwilliges Absperren gegen Welt und Zeit“ als nachgerade unabdingbar für Bruckners künstlerisches Schaffen: „Wenn Bruckner die volle Kommunikation mit seiner Zeit auf sich genommen hätte, hätte er wahrscheinlich nie den Mut gehabt, eine Symphonie zu komponieren.“35
IV.3 Äussere Einflüsse und Abhängigkeiten Für die erste Zeit in Wien offenbart sich hier also eine für Bruckner menschlich problematische Situation, da die zwischenmenschliche Kommunikation und die Suche nach sozialen Kontakten zu den ureigensten Bedürfnissen des Menschen zählt. Durch sie erfährt er Verständnis und Anerkennung, weshalb die Befriedigung dieser Bedürfnisse geradezu lebenswichtige Bedeutung entfalten kann. Bei der Auswahl und der Zusam mensetzung seines sozialen Umfeldes bevorzugt er daher Menschen, mit denen eine möglichst reibungslose Kommunikation von vornherein wahrscheinlich ist. Das ist dann der Fall, wenn beispielsweise in der Frage der Interessen, Neigungen, Begabungen oder der beruflichen Orientierung eine große Übereinstimmung herrscht. Hier sollte sich für Bruckner bald eine Entspannung seiner Situation abzeichnen: Was hätte für ihn näher gelegen, als Kontakte zu einer Gruppe zu suchen, von der die größte Unterstützung zu erwarten war in einer als feindlich und fremd empfundenen Umwelt, der er sonst nur mit Verstellung und mit Tarn verhalten zu begegnen können glaubte? Diese Gruppe war die seiner Schüler: die der Privatschüler, der Schüler am Konservatorium, und ab dem Sommersemester 1876 auch der Hörer an der Universität.
32 Bruckner, Zürich/Leipzig/Wien 1923, 8. 10 33 Franz Grasberger, in: Anton Bruckner zum 150. Geburtstag. Eine Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, Katalog, Wien 1974, S. 22 34 Elisabeth Maier: Artikel Persönlichkeit, in: Bruckner-Handbuch, S. 332-337, hier S. 334 35 Über die Zeitgenossenschaft Bruckners, S. 15-21, hier S. 16. (Auch wenn man diese These so nicht teilt, wird man doch eingestehen, daß sich Bruckners Symphonien in dem von Gülke beschriebenen Fall der „vollen Kommunikation Bruckners mit seiner Zeit“ von den tatsächlich komponierten wohl erheblich unterschieden hätten!)
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IV.3.1 Bruckner
im
Kreis seiner Schüler
Die Verbindung zwischen Anton Bruckner und seinen Schülern ist nicht zwanghaft gesucht oder konstruiert, sondern gleichsam ‘natürlich’ gewachsen: Bruckner verdiente bis zum Alter von 31 Jahren seinen Lebensunterhalt als Grundschullehrer, und noch 1855 legte er — trotz der Anstellung als provisorischer Stiftsorganist in St. Florian — in Linz die Hauptschullehrerprüfung ab. Erst als Linzer Dom- und Stadtpfarr-Organist war Bruckner ab dem Jahre 1856 hauptberuflicher Musiker, blieb aber dennoch dem Lehrerberuf bis ins hohe Alter verbunden: Noch 1891, fünf Jahre vor seinem Tode, als Bruckner während eines Ausfluges nach Admont zufällig auf eine Versammlung der Mitglieder des steirischen Lehrerbundes stieß, soll er seinen ehemaligen Kollegen zuge rufen haben: „Ich war Lehrer, ich bin noch heute Lehrer, [und] werde es wohl mein Leben lang bleiben.“36 Bruckners Laufbahn als Lehrer endete allerdings nicht auf dem Stande eines Grund oder Hauptschullehrers: In Wien gelang es ihm, mit dem sozialen Aufstieg zum Hoch schul-Professor eines seiner Lebensziele zu verwirklichen. Damit hatte Bruckner die höchste Stufe erklommen, die für ihn in diesem Beruf zu erreichen war.37 Menschlichen Anschluß fand er unter seinen Kollegen jedoch nicht: „Im Kreis der Konservatoriums professoren war er nicht integriert. So blieb ihm nur der Kreis seiner Schüler und seiner späteren Hörer an der Universität.“38 Wenn Bruckner also noch in der letzten Zeit als Lektor seinen Studenten versicherte: „Ich hab’ nichts auf der Welt als Sie, meine lieben akademischen Bürger, und das Komponieren“,39 dann ist darin sicher mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthalten! Allerdings konnten die „lieben akademischen Bürger“ und die kompositorische Arbeit bisweilen auch eine Interessenkollision bei Bruckner auslösen, der bekanntlich stets bemüht war, Zeit und Muße zum Komponieren zu finden. So berichten Bruckners Privatschüler, daß die Stunden auf die Minute pünktlich beendet wurden, „auch wenn mitten in einem Takte abgebrochen werden mußte“,40 ja daß Bruckner
36 Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 175 37 Daß Bruckner es an der Wiener Universität lediglich bis zum Lektor gebracht hatte, liegt an dem Fach, das er lehrte: Damals wie heute wird Musiktheorie nicht an Universitäten, sondern an Konservatorien bzw. an Musikhochschulen unterrichtet.
38 Johannes-Leopold Mayer: Musik als gesellschaftliches Ärgernis — oder: Anton Bruckner, der AntiBürger. Das Phänomen Bruckner als historisches Problem, in: Anton Bruckner in Wien. Eine kritische Studie zu seiner Persönlichkeit (vergleiche Anm. 24), S. 75-160, hier S. 105 f. 39 Auer 1941, S. 416. Auch bei anderen Gelegenheiten erklärte Bruckner seine tiefe Verbundenheit mit seinen Studenten. So rief er aus, als er zu einem Orgelkonzert nach Klosterneuburg bei Wien eingeladen wurde: „Für meine Gaudeamus tue ich alles“ (Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 459), und im Jahre 1893 erzählte er einem Besucher: „Der Lohn für alles, was ich mache, ist ja gering. Es ist ja der reinste Idealismus, daß ich komponiere. Aber wissen Sie, wem ich alle diese Erfolge verdanke? Das sind meine lieben Gaudeamus. Die hören meine Sachen hier und wenn sie dann in die Ferien kommen, sagen sie’s ihren Alten, was ich gemacht hab’ und so kommt’s herum.“ (Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 336 f.; Hervorhebung im Original) 40 Friedrich Klose: Meine Lehrjahre bei Anton Bruckner. Erinnerungen und Betrachtungen, Regensburg 1927, S. 94 f.
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gelegentlich sogar umfangreiche Aufgaben stellte, um während des Unterrichts nebenbei komponieren zu können. Dennoch überrascht es nicht sehr, daß aus dem Kreis der Studenten viele über das reine Lehrer-Schüler-Verhältnis hinausweisende soziale Bindungen hervorgingen und die meisten der Schüler den Kontakt zu ihrem Lehrer auch lange nach Ablauf ihrer Studienzeit aufrecht erhielten. Am Konservatorium gehörten Emst Decsey, Friedrich Eckstein, Cyrill Hynais, Ferdinand Löwe, Anton Meißner, Felix Mottl, Josef und Franz Schalk und August Stradal zu Bruckners Schülern, und als Privatschüler sind neben zahlreichen anderen Karl Muck, Friedrich Klose und Max von Oberleithner zu nennen. Viele dieser Schüler, die Bruckner in seiner Vorliebe für Spitznamen und in Anspielung auf das alte Studentenlied seine „Gaudeamus“ nannte, finden sich auch in den Hörerlisten der Vorlesungen Bruckners an der Universität, zusammen mit so bekannten Namen wie Gustav Mahler und Rudolf Steiner, oder auch Victor Heinrich Junk und Max Herbeck, einem Sohn Johann Herbecks.41 In diesen Kreisen konnte Bruckner sich frei und unge zwungen bewegen; Verstellung oder „Mimikry“ (Elisabeth Maier42) waren unnötig. Im Gegenteil: In den abendlichen Zusammenkünften mit seinen jugendlichen Freunden und Schülern im Gasthaus fand Bruckner nach langen, anstrengenden Arbeitstagen die not wendige Zerstreuung und Erholung.43 Sicher vermittelte dieser Kreis nicht nur für manche der Schüler fast so etwas wie familiäre Geborgenheit.
Bruckners Wertschätzung seinen Studenten gegenüber wurde von diesen — ungeachtet Bruckners umständlichen und pedantischen, streng an den Lehren Simon Sechters ausge richteten Unterrichtsstils — in vollem Umfang erwidert. Das belegen zahlreiche Beispiele aus der Erinnerungsliteratur, in der das Thema ‘Bruckner als Lehrer’ eine feste Größe bildet44 und eine Fülle von Anekdoten hervorgebracht hat. Auch und gerade Bruckners Universitätsvorlesungen, in denen er dem nicht immer sehr ausgeprägten musikalischen Vorwissen seiner Hörer durch weniger konzis dargelegten Unterrichtsstoff Rechnung zu tragen versuchte, „gehörten bald zu den populärsten der ganzen Universität.“45 Diese außerordentliche Beliebtheit lag aber nicht nur an Bruckners trotz aller Strenge in der Sache immer liebenswürdigen und gutmütigen Wesensart, und auch nicht aus schließlich daran, daß er sich nur allzu gern dazu bewegen ließ, seinen Studenten aus den Werken vorzuspielen, an denen er gerade arbeitete: Neben der persönlich-menschli Vergleiche dazu auch Theophil Antonicek: Bruckners Universitätsschüler in den Nationalen der Philosophischen Fakultät. Mit einem Verzeichnis der Hörer von Vorlesungen über musikalische Gegen stände vom Sommersemester 1875 bis zum Wintersemester 1896/97, in: Bruckner-Studien. Festgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum 150. Geburtstag Anton Bruckners (Othmar Wessely, Hg.), Wien 1975, S. 433-487 42 Artikel Persönlichkeit (vergleiche Anm. 34), S. 334
43 Vergleiche dazu etwa August Stradal: Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit, in: Zeitschrift für Musik 99 (1932), S. 853-860, 971-978 und 1071-1075, hier S. 1073, Friedrich Klose: Meine Lehrjahre bei Anton Bruckner (vergleiche Anm. 40), S. 1151. oder Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 605 u. 611 44 Vergleiche dazu etwa Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 377-386, der Abschnitt „Bruckner als Lector“ 45 ebenda, S. 377
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chen Seite kam noch eine gesellschaftlich-politische hinzu: „Von den Wenigen, die sich in dem Bogen für die [Universitäts-] Vorlesungen eintrugen (zirka 20), gingen die Meisten wegen der ‘Hetz’, viele aus Neugierde und nur einige wenige um Harmonie zu lernen.“46 Bruckner wurde also auch wegen seines Anders-Seins, wegen seiner Stellung zur Gesellschaft, von seinen Schülern verehrt und unterstützt. Wie sehr er Richard Wagner bewunderte, war hinlänglich bekannt — Bruckner machte in seinen Vorlesungen wie auch sonst keinen Hehl daraus. Gerade aber dieses Bekenntnis erschwerte seine gesell schaftliche Akzeptanz und die seiner Werke in Wien lange Zeit beträchtlich. Wagner jedoch, erinnerte sich Friedrich Klose, „wie überhaupt die sogenannte ‘Zukunftsmusik’, hatte die Jugend für sich, die bei Aufführungen von Werken der ‘neuen Richtung’ die Zurückhaltung der klassisch Gesinnten durch einen um so lauteren Enthusiasmus ersetz te.“47 Folglich sah sich die studentische, nonkonformistische Wiener Jugend veranlaßt, sich umso enger um ihren Lehrer und verehrten Meister zu scharen: „Vor allem nahm die Studentenschaft [...] nach erfolgreichen Konzerten des Meisters Gelegenheit in großer Zahl zu erscheinen und ihm dadurch zu huldigen.“48 Diese Huldigungen nahmen nicht selten die Form von ‘Standing Ovations’ an: Die „lärmenden Begrüßungsspiele [dauerten] manchmal 5-10 Minuten, es kamen von den Gängen und angrenzenden Hörsälen Studenten und Saaldiener, erstere lärmten dann mit und letztere schauten besorgt auf das Treiben und den aufgewirbelten Staub.“49
IV.3.2 Bruckner
und die
Dirigenten
seiner
Werke
Daß die Wechselwirkung zwischen den gerade beschriebenen Faktoren — Bruckners Stellung zur Gesellschaft und der Verehrung durch seine Studenten — seine ohnehin betriebene Selektion der sozialen Bindungen verstärken mußte, überrascht nicht. Ände rungsvorschläge für seine Werke hatten aber vor allem dann ein besonderes Gewicht, wenn sie von Dirigenten in arrivierten Positionen vorgebracht wurden, die aus dem Kreis der Freunde und Schüler hervorgegangen waren.50*Bruckner zeigte sich in solchen Fällen besonders kooperationsbereit, da er sich Aufführungen seiner Werke erhoffte. (Beispiele dazu sind im nächsten Abschnitt zitiert.) Er war sich vollkommen der Tatsache bewußt, daß er auf das Wohlwollen der Dirigenten angewiesen war. Zwar hatte Bruckner in frühen Jahren und auch noch in der ersten Wiener Zeit seine Symphonien ‘eigenhändig’ aufgeführt — am 9. Mai 1868 die erste Fassung der I. Symphonie in Linz, am 26. Oktober 1873 und am 20. Februar 1876 die II. Symphonie, schließlich am 16. Dezember
46 GölL/Auer, Bd. IV. 1, S. 383 47 Meine Lehrjahre bei Anton firaciner (vergleiche Anm. 40), S. 26 f. 48 GölL/Auer, Bd. IV. 1, S. 378
49 GölL/Auer, Bd. IV.I, S. 383 f. 50 Grundsätzliches dazu auch bei Ingrid Fuchs: „Künstlerische Väter“ und „Vormünder". Bruckner und die zeitgenössischen Dirigenten seiner Symphonien, in: Bruckner-Symposion 1994
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1877 die III. Symphonie51 — und dabei durchaus Erfolge verbucht, die sich mit denen in seiner Zeit als Chordirigent in Linz messen konnten, aber er hatte mit der Uraufführung der III. Symphonie, unter anderem wegen seiner Unerfahrenheit im Umgang mit Orche stern, aber auch aufgrund widriger äußerer Umstände wie der selbst für damalige Ver hältnisse ungewöhnlichen Länge des Konzertes die größte Niederlage seines Lebens hinnehmen müssen. In späteren Jahren trat Bruckner nicht mehr als Dirigent in Erscheinung — abgesehen davon, daß er sich wohl nur sehr ungern die Zeit für die Vorbereitungen und die Probenarbeit genommen hätte, mußte er eingesehen haben, daß es für seine Werke vorteilhafter war, ihre Aufführung einem professionellen Dirigenten anzuvertrauen. Dem entsprach, daß gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sich mit dem Typus des ‘Star’-Dirigenten jener Typus des hauptberuflichen Orchesterleiters zu etablieren begann, welchem bis heute eine Schlüsselrolle im Musikleben zukommt.
Zu den Dirigenten, welche Bruckners Schüler gewesen waren, zählten Karl Muck und Felix Mottl. Arthur Nikisch hatte zwar nicht bei Bruckner studiert, lernte ihn aber als junger Geiger während der Proben zur Uraufführung der ersten Fassung der II. Symphonie am 26. Oktober 1873 kennen und war — nach eigenem Bekunden — von diesem Tage an ein glühender Bewunderer seiner Musik. Zusammen mit Hermann Levi und Felix Weingartner, zu denen Bruckner wegen Aufführungen seiner Symphonien Kontakt gesucht hatte, zählten diese drei Musiker zu den bedeutendsten Dirigenten ihrer Zeit. Mottl, Muck und Nikisch waren in den fünfziger Jahren geboren und hatten ihre Kapellmeister-Karrieren Anfang der achtziger Jahre begonnen. Schon früh setzten sie sich für Bruckner ein und leiteten einige bedeutende Aufführungen seiner Werke, Mottl zum Beispiel am 10. Dezember 1881 die IV. Symphonie in Karlsruhe oder Nikisch am 30. Dezember 1884 die Uraufführung der VII. Symphonie in Leipzig. Während aber letztere den Durchbruch Bruckners einleitete, war der Karlsruher Aufführung der IV. Symphonie kein Erfolg beschieden, was Franz Schalk, damals Orchestergeiger in Karls ruhe, unter anderem Mottls Verhalten anlastete. Seinem Bruder berichtete er nach Wien: „Mottl streicht ungenirt und führt sie [die Symphonie] eigentlich nur auf, weil er sie unaufgeführt zurückzuschicken sich scheut. Er meint die Sym.[phonie] hätte große Schwä chen.“52 Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Nennung Hans Richters (1843 bis 1916), den Bruckner einmal zusammen mit Nikisch, Levi und Mottl als seinen ihm von Richard Wagner bestellten ‘Vormund’ bezeichnete.53 Als Dirigent der PhilharmoniBei allen diesen Aufführungen handelte es sich um Uraufführungen, bei der II. Symphonie um Urauf führungen verschiedener Fassungen. 5‘ Brief vom 10. Dezember 1881, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 46 f. 53 Siehe dazu Ingrid Fuchs: „Künstlerische Väter" und „Vormünder“ (vergleiche Anm. 50), S. 65. Zu Recht betont Fuchs, daß Bruckner den Terminus ‘Vormund’ nicht auf seine Person, sondern auf seine Werke bezogen wissen wollte.
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sehen Konzerte ab 1883 und Leiter der Gesellschaftskonzerte der Gesellschaft der Mu sikfreunde ab 1884 hatte er eine Schlüsselrolle im Wiener Musikleben inne — besonders aus der Perspektive des Symphonikers Anton Bruckner! Bis zur Jahrhundertwende war Hans Richter jener Dirigent, welcher Bruckners Werke am häufigsten aufführte: Alfred Orels Verzeichnis von Bruckner-Konzerten der Wiener Philharmoniker umfaßt für den Zeitraum von 1881 bis 1898 allein 13 Aufführungsdaten.54 Bei mehr als der Hälfte von ihnen handelte es sich zudem um Uraufführungen.55
Nach den bisherigen Ausführungen ist verständlich, daß und warum Bruckner gerade für die aus dem Kreis seiner Freunde und Schüler sowie befreundeter Dirigenten kom menden Anregungen und Einflußnahmen zugänglich war. Jedoch muß man differenzieren: Bruckners Umgang mit Meinungen Anderer ist keinesfalls nur von einer eindimensional erduldenden Haltung geprägt. Bei näherer Betrachtung ergibt sich ein äußerst komplexes System, in welchem spontane, rückhaltlose Zustimmung genauso möglich war wie rigo roseste Verwerfung und Behauptung des eigenen kompositorischen Willens. Dies soll im folgenden anhand von Beispielen erläutert werden.
V. ZWISCHEN VERINNERLICHUNG UND BEHARRUNG BRUCKNERS UMGANG MIT RATSCHLÄGEN
V.l Verinnerlichung
von
Anregungen
und
Kritik
Ob der Anstoß für Neufassungen von innen oder von außen kam, läßt sich nicht in allen Fällen und für jedes Detail einer Umarbeitung mit letzter Sicherheit rekonstruieren. Oft sind Überschneidungen und Vermischungen sogar die Regel. Dies gilt besonders dann, wenn Bruckner Änderungsvorschläge und Kritik aus seinem Umfeld vollkommen verinnerlicht hatte: Anregungen, welche von außen erfolgten, setzten innere Denk- und Lernprozesse in Gang, als deren Ergebnis die äußeren Einflüsse in innere Motivation transformiert wurden — womit in diesen Fällen eine Unterscheidung in ‘innen’ und ‘außen’ ohnehin ad absurdum geführt ist.
Auf diese Weise sind sicherlich manche der oben angesprochenen Selbstlernprozesse initiiert worden. Gutes Beispiel dafür ist jener in diesem Zusammenhang bereits zitierte Brief an Wilhelm Tappert, in welchem Bruckner ihm berichtet, er sei „zu der vollen Überzeugung gelangt,“ daß die IV. Symphonie aufgrund „unspielbarer Violinfiguren“ im Adagio und einer „hie und da zu überladenen u. zu unruhigen Instrumentation“ umgearbeitet werden müsse. Daß diese Erkenntnis auf eine Anregung von außen zurück 54 Bruckner-Brevier. Briefe, Dokumente, Berichte, Wien 1953, S. 286-289. Ingrid Fuchs (vergleiche Anm. 50, hier S. 85) zählt für den Zeitraum bis 1900 sogar 16 Aufführungen. 55 Am 20. Februar 1881 die zweite Fassung der IV. Symphonie (mit dem Finale von 1880), am 10. Januar 1886 das Te Deum, am 22. Januar 1888 die dritte Fassung der IV. Symphonie, am 21. Dezember 1890 die dritte Fassung der III. Symphonie, am 13. Dezember 1891 die zweite Fassung der I. Symphonie, am 18. Dezember 1892 die zweite Fassung der VIII. Symphonie und am 25. November 1894 die zweite Fassung der II. Symphonie.
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geht, wird erst im weiteren Verlauf des Briefes offenbar: „Auch Herbeck, dem dieß Werk überaus gefällt, machte dieselben Bemerkungen und bestimmte mich in meinem festen Entschlüsse, die Symphonie theilweise neu zu bearbeiten.“56 (Hervorhebungen im Original) Auf eine Verinnerlichung von Kritik läßt auch die folgende Formulierung aus einem Brief Bruckners vom 13. Juli 1869 an seinen Linzer Freund und Gönner Moritz von Mayfeld schließen, in welchem Bruckner von der Symphonie in d-Moll, der späteren ‘Annullierten’, berichtet: „An der Symphonie wird jetzt fest gearbeitet. Werden staunen, wie ich Ihnen im Andante gefolgt habe. Der ganze Mittelsatz ist neu.“57
V.2 Ratsuche Bisweilen suchte Bruckner auch ganz bewußt und aktiv den Rat und die Hilfe seiner Schüler: Ausgelöst durch die Zurückweisung der VIII. Symphonie durch Hermann Levi, begann Bruckner nicht nur im Herbst 1887 mit der Arbeit an der zweiten Fassung dieser Symphonie, sondern nahm in der Folgezeit auch die III., IV. und I. Symphonie zu erneuten Umarbeitungen vor. In dieser Situation war „die Assistenz seiner Schüler und Freunde arbeitsökonomisch geradezu geboten“, wie es Thomas Röder formulierte.58 Von solchen Assistenzen berichten zwei Briefe Josef Schalks an seinen Bruder Franz aus der Zeit der Arbeit an der dritten Fassung der III. Symphonie: „Jede der vielen Änderungen, die er [Bruckner] jetzt mit außerordentlich angestrengtem Fleiße an der 8. od. 3. vomimmt, wünschte er vor allem dir und deinem Urtheil zu unterbreiten. Ich soll dir eigens auch schreiben, daß im Finale eine größere Anzahl Bogen zwischen dem G-Dur und Deiner Lieblingsstelle, wie er sagt, ganz entfallen.“59 Im zweiten Beispiel bezieht Josef Schalk sich auf das Finale der Symphonie: „Bruckner hat auf Grund Deiner Beurteilung eine Menge Stellen noch geändert, ja ganz neu hineinkomponiert, wie Du sehen wirst. Schreibe mir ausführlich Dein Urteil darüber.“60 Bruckner betraute aber nicht nur seine Schüler — allen voran Josef und Franz Schalk und Ferdinand Löwe — mit Änderungsarbeiten, sondern spielte sogar unterschiedlichsten Personen aus seinem Umfeld Passagen aus gerade entstehenden Kompositionen zur Beurteilung vor, wobei die Frage nach der Kompetenz der Betreffenden — allem Anschein nach — nicht immer im Vordergrund stand. Dieser Umstand muß — besonders im Vergleich mit anderen Komponisten — seltsam anmuten, und in der Tat stellt er für die Forschung ein besonderes Kuriosum dar. So berichtet Max Auer von einer Begebenheit, welche sich bereits in der Entstehungszeit der Messe in f-Moll zutrug: „Eines Tages stürzte er [Bruckner] ohne Gruß in das Zimmer Karl Waldecks, setzte sich an den
56 Vergleiche Anm. 23 57 Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 75 58 NOA, Bd. 3/1-3, Revisionsbericht (vergleiche Anm. 12), S. 245
59 Brief vom 26. November 1888, zitiert nachLeibnitz 1988, S. 137 60 Brief, vermutlich Weihnachten 1889, zitiert nach Max Morold: Noch einiges zur Bruckner-Frage (vergleiche Anm. 21), S. 1190
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Flügel und begann zu spielen. Nachdem er geendet hatte, rief Waldeck aus: ‘Ja, das ist ja wunderbar; was ist denn das?’ Bruckner erwiderte, es sei das Credo seiner neuen Messe. Er war bis zum ‘Et incamatus’ gekommen und spielte nun weiter. Da Waldeck, nachdem er geendet hatte, schwieg, fragte Bruckner: ‘Wie gefällt dir das?’ Waldeck erwiderte: ‘Nicht so gut wie das andere.’ Darauf Bruckner: ‘Na also, dann machen wir’s anders’ und begann wieder ganz verzückt zu spielen und zu singen. Er improvisierte diesen Teil ganz neu und originell, sodaß Waldeck von den überirdischen Klängen zu Tränen gerührt war. Auf Bruckners Frage: ‘Wie gefällt dir nun dieses ‘Incamatus’?’ erwiderte Waldeck: ‘Das ist freilich etwas anderes, herrlich!’, worauf Bruckner erklärte: ‘Nun gut, dann soll’s so bleiben.’“61 Ähnliches erlebte auch Bruckners Konservatori umsschüler und späterer ‘Famulus’ Anton Meißner: „Nach getaner Begrüßung zog er stets das ihn treu begleitende Stück Notenpapier hervor, und spielte mir auf dem elenden, verstimmten Flügel Partien aus dem Te Deum, VII. Symphonie, an welchem Werk er gerade damals arbeitete, vor, mich fragend, für welche Version er sich entscheiden solle, welches Experiment er mit vielen, sogar mit Frau Kathi [Bruckners Haushälterin Katharina Kachelmayer] vomahm.“62 (Hervorhebung vom Autor) Auch Bruckners Biograph August Göllerich wurde um sein Urteil gebeten: „Bruckner spielte mit ihm Teile des ersten Satzes der ‘Neunten’ [...]. Der Meister legte darauf seinem Freunde noch ein zweites Thema vor und fragte ihn, ob ihm dieses oder das ursprüngliche [...] besser gefalle. Göllerich entschied sich sofort für das ursprüngliche, wuchtige Thema mit der Triole, worauf Bruckner erwiderte: ‘Na, ‘n Herrn Göllerich zu lieb soll’s so bleiben!’“63
Bruckners offensichtliche Unentschlossenheit verrät eine Episode, die sich in der Zeit ereignete, in welcher Franz und Josef Schalk intensiv an der dritten Fassung der III. Symphonie arbeiteten: „Zufällig kam (...) Gustav Mahler [...] nach Wien und besuchte Bruckner. Als dieser ihm von der Umarbeitung Mitteilung machte, erklärte Mahler, der das Werk genau kannte, die Umarbeitung für ‘völlig überflüssig’. Sofort war Bruckner umgestimmt und verwarf die neue Fassung.“64 (Hervorhebung im Original) Natürlich sahen die Brüder Schalk durch solche Interventionen ihre zu diesem Zeitpunkt bereits umfangreiche Arbeit an der III. Symphonie gefährdet und reagierten gereizt. So schrieb Josef seinem Bruder in einem Brief vom 13. Juli 1888: „Ich würde [deinen Aufenthalt in Wien] auch besonders wegen Bruckner wünschen, der sich mit deinen Vorschlägen für die dritte Symphonie gar nicht recht auskennt und durch den zufällig in Wien gewesenen Herrn Mahler kopfscheu gemacht jetzt wieder die alte Partitur drucken lassen will.“65
61 Auer 1941, S. 188 62 Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 134
“Auer 1941, S. 417
“ebenda, S. 323 “Zitiert nach Leibnitz 1988, S. 134 f.
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V.3 Kompromissbereitschaft Daß Bruckner auf Ratschläge Dritter einging, ist jedoch nicht immer mit Verinnerli chung oder Überzeugung in der Sache zu erklären: In der wohl überwiegenden Mehrzahl der Fälle ließ sich Bruckner dazu bewegen, Kompromisse in Bezug auf seine künstlerischen Intentionen einzugehen. Bei Untersuchung der vorliegenden Quellen kristallisieren sich für dieses Verhalten zwei Hauptgründe heraus, welche ihre Wirkung oft im Zusammenspiel entfalteten und daher am konkreten Beispiel nur schwer zu unterscheiden sind: Zum einen geriet Bruckner durch die oben beschriebene soziale Konstellation in eine emotionale Abhängigkeit von seinen Freunden und Schülern, die ihn sicher auf manche gut gemeinte Anregung eingehen ließ. Die Sozialpsychologie spricht in diesem Zusammenhang von ‘Sympathie-Maximierung’, welche durch gruppenkonformes Verhalten erreicht werden soll. Demnach übte der Kreis um Bruckner auf ihn einen ‘normativen Einfluß’ aus, welcher durch Bruckners Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung entstand. Sicher lassen sich einige der im vorangehenden Abschnitt genannten Beispiele mit diesem Einfluß in Verbindung bringen. Daß Bruckner sich zuweilen der Meinung der Mehrheit beugte, ließe sich aus einer Formulierung Josef Schalks in einem Brief an seinen Bruder vom 31. Januar 1890 schließen. Dort schrieb er, Bruckner sei „vorgestern mit der neuen Bearbeitung der VIII. fertig geworden. Der erste Satz schließt nunmehr nach unser aller Wunsch pianissimo.“66 (Hervorhebung vom Autor) Allerdings ist in diesem Fall anzunehmen, daß Bruckner sich von der stilistischen Qualität dieses Vorschlages überzeugen ließ und sein Einlenken nicht als Kompromiß empfand, womit dieser Vorgang auch als von außen initiierter Selbstlernprozeß bzw. Verinnerlichung von Kritik gedeutet werden könnte. Kompromisse entstanden aber auch unter einem ‘Informationseinfluß’,67 d. h., unter bestimmten Bedingungen vertraute Bruckner dem Urteil seiner Schüler mehr als dem eigenen, weil er die Erfahrung gemacht hatte, daß die Ratschläge der Schüler in der Regel mit den Auffassungen und Erwartungen von Publikum und Kritik konform gingen und so der Verbreitung seiner Musik hilfreich waren. Im Spannungsfeld zwischen dem ureigensten Bestreben eines Komponisten, die eigenen Werke aufgeführt zu sehen und dem Drang, die schöpferischen Visionen möglichst konsequent umzusetzen, entschied Bruckner daher bisweilen sogar gegen seine künstlerischen Intentionen und ließ andere Kriterien als lediglich werkästhetische gelten, wenn es ihm ratsam erschien. Wie weit Bruckner in dieser Kompromißbereitschaft zu gehen bereit war, zeigen die Überarbeitun gen der IV. Symphonie durch Ferdinand Löwe oder der III. Symphonie durch Franz Schalk. Aus der Tatsache, daß Bruckner aufgrund seiner Arbeitsbelastung Löwe oder Schalk regelrecht ‘beauftragt’ hatte, Arbeiten zu übernehmen, den Schluß herleiten zu wollen, diese Umarbeitungen entsprächen Bruckners künstlerischer Überzeugung, käme einem voreiligen Trugschluß gleich und hält einer stilkritischen Analyse nicht stand.68 “ Brief vom 31. Januar 1890, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 274
Zu den Begriffen ‘Normativer Einfluß’ und ‘Informationseinfluß’ vergleiche beispielsweise Wolfgang Stroebe (Hg.): Sozialpsychologie. Eine Einführung, Berlin 21992, Kapitel 15
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Im Fall der IV. Symphonie akzeptierte Bruckner die Änderungen aus dem festen Willen heraus, das Werk gedruckt zu sehen. Außerdem hatte er mit der Aufführung der IV. Symphonie in der Version Ferdinand Löwes bereits einen außerordentlichen Erfolg verzeichnen können.68 69
Kompromisse dienten also dem Zweck, die Chancen einer Aufführung oder Druckle gung zu erhöhen. Hier verstand Bruckner es durchaus, geschickt für seine Symphonien zu werben und die neuen Fassungen stets mit dem Terminus „Verbesserung“ zu apostro phieren.70 Auch Bruckners Verhalten Dirigenten gegenüber weist oft in die gleiche Richtung. Hier sei nur kurz an Bruckners Verhältnis zu Hermann Levi erinnert, welches nicht nur die Beziehung Komponist - Dirigent beleuchtet, sondern darüber hinaus allge meine Charakterzüge Bruckners verdeutlicht. Spätestens seit Levis Aufführung der VII. Symphonie am 10. März 1885 in München — bereits zwei Monate nach der Uraufführung — war Bruckner ihm in tiefstem Dank verbunden. Es entspann sich ein reger Briefwechsel, in welchem Bruckner Levi des öfteren als seinen „künstlerischen Vater“ titulierte und neben überschwänglichen Dankesbezeugungen stets auch die Aufmerksamkeit auf weitere Aufführungen der VII. und anderer Symphonien durch Levi zu lenken versuchte. Das hinderte Bruckner jedoch nicht, Levi zu bitten, ihm in Bayreuth im Festspiel-Sommer des Jahres 1886 ein Zimmer reservieren zu lassen (!)71 oder mit zahlreichen anderen Bitten solcher Art an ihn heranzutreten. Auch Bruckners Sorge um Levis Gesundheit war — wie es scheint — nicht ganz uneigennützig: „Wie geht es mit Hochdero Gesundheit? Möge selbe nur bald vollständig wiederkehren, und es meinem bewunderungswürdigen künstlerischen Vater ermöglichen, meine Symphonien aufführen zu können.“72
Um Levi zu bestärken, seine Musik zu dirigieren, überließ Bruckner ihm zuweilen die Entscheidung in organisatorischen Fragen. Ein Brief vom 8. Dezember 1884 behandelt eine von Levi geplante Aufführung des Adagios der VII. Symphonie.73 Bruckner schlug Levi zwar auch andere Sätze, so den ersten Satz oder das Scherzo der IV. Symphonie, als Alternativen vor, schrieb dann jedoch weiter: „Daß ich Euer Hochwohlgeboren nur 68 Zwei prägnante Beispiele dafür finden sich im Scherzo des Erstdruckes der IV. Symphonie: Ab T. 247 beschließt ein völlig überraschendes und unmotiviertes, für Bruckner beispielloses Decrescendo den ersten Scherzo-Teil, und bei Wiederholung des Scherzos nach dem Trio ist T. 27-92 gestrichen, wodurch die musikalische Entwicklung abgerissen, das Crescendo der ersten 26 Takte ins Nichts geführt wird. 69 Konzert der Wiener Philharmoniker unter Hans Richter, 22. Januar 1888
™ Wenn Bruckner diesen Terminus in seine Autographe eintrug, wie zum Beispiel auf den Titelblättern des Scherzos und des Finales der zweiten Fassung der VIII. Symphonie (ÖNB-MS, Hs 19.480, Bd. 2 und 4), dann diente dies sicher nicht zuerst Reklamezwecken. Entsprechenden Formulierungen in Briefen ist der Aspekt der Werbung dennoch sicher nicht ganz abzusprechen, vor allem dann, wenn Bruckner sich vom Adressaten Unterstützung für seine Pläne erwartete. Vergleiche dazu zum Beispiel den Brief an Hans von Wolzogen, in: Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 208. 71 Franz Gräflinger: Anton Bruckner. Leben und Schaffen (Umgearbeitete Bausteine), Berlin 1927, hier S. 333 f. 7‘ Brief vom 12. Juni 1891, ebenda, S. 349 ' Tatsächlich führte Levi nicht nur das Adagio, sondern die komplette Symphonie in München auf, und zwar am 10. März 1885.
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bitten kann, nach eigener Überzeugung gnädigst handeln zu wollen, versteht sich von selbst und werde stets mit allen Ihren Entschließungen einverstanden sein. [...] Mir ist alles recht! Ihr einsichtsvollster Rat geschehe.“ Bekräftigend fügte Bruckner seinem Brief noch ein nota bene hinzu: „Nochmals ganz nach Ihrer Überzeugung - das ist mir Gebot.“74 Auch in Fragen von Kürzungen und Tempomodifikationen war Bruckner zu Zuge ständnissen bereit. So schrieb er im November 1881 an Felix Mottl, der die oben erwähnte Aufführung der IV. Symphonie in Karlsruhe für den 10. Dezember plante: „Herzallerliebster alt junger Freund und Bruder! Hier ist sie. Finale ist neu. Bitte Dich, nimm (namentlich im Finale) die Kürzung. Habe noch (nur in Partitur) eine verbindende neue Periode (im Finale O) beigelegt. Sollst Du sie wünschen, so laß selbe auf meine Rechnung in die Stimmen schreiben.“75 (Am Rande sei hier darauf hingewiesen, daß Bruckner nicht nur in seiner Kompromißbereitschaft manchmal ‘des Guten zuviel’ tat, sondern daß seine eigenen Umarbeitungen bisweilen auch den Dirigenten zu weit gingen. So glaubte Hermann Levi einmal, Bruckner in seinem Eifer bremsen zu müssen: Kurz bevor Bruckner begann, seine I. Symphonie für die zweite, ‘Wiener’ Fassung zu überar beiten, spielte Ferdinand Löwe das Werk Levi am Klavier vor, woraufhin dieser Bruckner schrieb: „Ite. Symphonie wundervoll!! Die muß gedruckt werden und gespielt — aber bitte, bitte — ändern Sie nicht zu viel — es ist Alles gut, wie es ist, auch die Instrumentation! Nicht zuviel retouchiren, bitte, bitte!“76 [Hervorhebung im Original])
Weitere Beispiele für Bruckners Kompromißbereitschaft finden sich in seinen Briefen an Felix Weingartner, von dem sich der Komponist die Uraufführung der VIII. Symphonie erhoffte. Bruckners Hauptsorge galt dabei der Rezeption des Finales durch das Publikum, weshalb er sogar Weingartner anhielt, unbedingt von seinen Kürzungsvorschlägen Ge brauch zu machen. So schrieb er dem Dirigenten in einem Brief vom 2. Oktober 1890: „Das Finale hat große Kürzungen; bitte wegen der Länge selbes gekürzt zu geben.“77 Diesen Punkt sprach Bruckner auch in einem Brief vom 20. Oktober 1890 an Hermann Levi an: „NB. Das Finale ist sehr gekürzt. Wegen der Länge habe ich Herrn Weingartner angeraten, selbes abkürzen zu wollen.“78 Ähnliches findet sich in einem Brief vom 27. Januar 1891: „Wie geht es der achten? Haben Sie schon Proben gehabt? Wie klingt sie? Bitte sehr, das Finale so wie es angezeigt ist, fest zu kürzen; denn es wäre viel zu lange und gilt nur späteren Zeiten und zwar für einen Kreis von Freunden und Kennern. Die Tempi bitte ich, ganz ad libitum (wie Sie selbe brauchen zur Deutlichkeit) abändern zu wollen.“79 (Hervorhebungen im Original) Der berühmt gewordene, viel
"ebenda, S. 320-322 75 Brief vom 23. November 1881, Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 121 76 Bruckner-Briefe, neue Folge, S. 328. NB.: Levis Bemerkung zur Instrumentation ist vor allem dann beachtlich, wenn man sie mit seinem Urteil über die Instrumentation der VIII. Symphonie vergleicht! (Siehe dazu Kapitel 5, Abschnitt IV.2, S. 308) 77 Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 223 78 Zitiert nach Franz Graflinger: Anton Bruckner. Leben und Schaffen (vergleiche Anm. 71), S. 343 f.
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zitierte Satz „ denn es wäre viel zu lange und gilt nur späteren Zeiten, und zwar für einen Kreis von Freunden und Kennern“ belegt einmal mehr, wie sehr Bruckner Ände rungen an seinen Handschriften als Kompromisse und ‘notwendiges Übel’ betrachtete. Bemerkenswert an diesem Satz ist außerdem, daß Bruckner nach den negativen Erfah rungen, welche er mit der Rezeption seiner Musik nicht nur durch das breite Publikum, sondern auch durch die Fachleute unter seinen Zeitgenossen hatte sammeln müssen, offenbar die generelle Rezipierbarkeit seiner Originalfassungen auch für die Zukunft in Frage zu stellen bereit war: Selbst in „späteren Zeiten“ seien die unbearbeiteten und vor allem ungekürzten Originalfassungen demnach nur einem begrenzten „Kreis von Freunden und Kennern“ zugänglich.
Daß Bruckner sehr genau zwischen Konzerteinrichtungen ‘für den Augenblick’ und Druckfassungen als verbindliche Ausgaben für die Zukunft unterschied, geht noch deut licher aus einem Brief hervor, welchen er wenige Wochen darauf wieder an Weingartner wegen der geplanten, dann aber doch nicht zustande gekommenen Uraufführung der VIII. Symphonie richtete. Auch hier räumte Bruckner jedoch Weingartner zunächst Entscheidungsspielräume in der Gestaltung der Interpretation ein und legte ihm zum Schluß nochmals die Kürzung des Finales nahe: „Bitte nur zu verfügen wie es Ihr Orchester erfordert; aber die Partitur bitte ich nicht zu ändern; auch bei Drucklegung die Orchesterstimmen unverändert zu lassen, ist eine meiner innigsten Bitten. [...] Bitte ja die Kürzungen im Finale zu acceptieren, denn sonst wäre es zu lange u. würde sehr schaden.“79 80 (Hervorhebungen im Original) Der Intention einer authentischen Über lieferung folgt auch ein Vermerk im Autograph der IV. Symphonie. Dort notierte Bruckner auf dem Titelblatt des Finales den Hinweis: „Bitte auch das Weggelassene in Druck und Clavierauszug zu nehmen. Die Kürzung ist mit vi-de zu bezeichnen. Bruckner.“81
V.4 Beharrung Bruckners Willensschwäche scheint in seinem eigenhändigen, an den Dirigenten Hans Richter adressierten Eintrag „nach Belieben des P.T. [Pleno titulo] H.[erm] Hofka pellmeisters“ in der handschriftlichen Aufführungs-Partitur der Wiener Fassung der I. Symphonie geradezu schlaglichtartig zusammengefaßt zu sein.82 Indes gibt er nur einen Teil der Wirklichkeit wieder: Bruckner war zwar oft von Unsicherheit und Selbstzweifeln getrieben, und Ereignisse wie die Zurückweisung der VIII. Symphonie durch Hermann Levi konnten bei ihm schwere Depressionen auslösen,83 aber in wichtigen Entscheidungen wahrte er stets seine Souveränität. Selbst dort, wo er nach anderen als künstlerischen Kriterien entschied und sich beispielsweise auch noch zu den einschneidendsten Kürzun
79 Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 230 80 Brief vom 17. März 1891, Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 235
81 AGA, Bd. 4/1, Vorlagenbericht, S. VIII 82 Vergleiche etwa Leopold Nowak: Der Dirigent und Anton Bruckner (1959), in: Nowak 1985, S. 38-40 83 Vergleiche dazu auch Kapitel 5, Abschnitt IV.2
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gen und Uminstrumentierungen überreden ließ, unternahm er diese Kompromisse zwar widerwillig, jedoch — allem Anschein nach — ohne äußeren Zwang. Bruckner vertraute auf seine Berater, die ihm versicherten, daß seine Symphonien bearbeitet werden müßten, um Erfolg haben zu können — er hatte nicht nur manche ihrer Ratschläge, sondern offensichtlich auch dieses grundsätzliche Argument verinnerlicht, wie der Brief vom 27. Januar 1891 an Felix Weingartner (siehe oben) eindrucksvoll bestätigt. Zudem beruhte es auf praktischen Erfahrungen, welche Bruckner mit seinen Schülern teilte.
Bruckners Durchsetzungsvermögen geht auch aus der Tatsache hervor, daß er die Vorschläge seiner Schüler gewissenhaft prüfte, Teile daraus als gültig mit Datum und Unterschrift beglaubigte, andere jedoch genauso entschieden verwarf. An diese selbstbe wußte Haltung erinnerte sich Joseph Venantius von Wöß: „Ueberdies weiss ich aus eigener Erfahrung (ich habe seinerzeit in Brucknerkreisen vielfach verkehrt und besitze auch eine Reihe köstlicher persönlicher Erinnerungen an den Meister) wie schwer, oft geradezu heftig er sich gegen Aenderungszumutungen von anderer Seite zur Wehr setzte. Es ist wohl da und dort einmal vorgekommen, dass er sich solche Vorschläge überlegte, diese auch mitunter akzeptierte, wenn sie ihm als Verbesserungen einleuchteten; das kam aber äusserst selten vor und löste vorher stets langes Widerstreben seinerseits aus.“84 Daß Bruckners Kompromißbereitschaft auch dort an Grenzen geraten konnte, wo er selbst seine Schüler zu Umarbeitungen eingesetzt hatte, sollen abschließend zwei Zitate von Josef Schalk belegen, beide aus der Zeit der Entstehung der dritten Fassung der III. Symphonie. Am 10. Juni 1888 schrieb er an seinen Bruder Franz, Bruckner säße „leider noch immer über dem Finale der III. (...) Er hat einiges umkomponirt. Deine Striche und Übergänge sind übrigens beibehalten worden. Jetzt plagt ihn mit der Heftigkeit einer Wahnvorstellung die Sucht seinen Satz von Oktavenfortschreitungen zu reinigen. Dabei vertrödelt er viele Zeit, müht sich entsetzlich, ist aber gegen jeden Einwand Lowe’s oder meinerseits unerschütterlich.“ 85 (Hervorhebung vom Autor) Einige Monate darauf beklagte Josef seinem Bruder gegenüber die Grenzen seines Einflusses auf Bruckner: „Bruckner ist wohl und sitzt schwitzend bei dem 1. Satz der dritten und wüstet [sic!] erschrecklich herum. Man kann nichts dagegen thun.“86 (Hervorhebung vom Autor)
84 Brief von Josef Venantius von Wöß an Wilhelm Furtwängler vom 23. April 1936, ÖNB-MS, Fonds 18 Schalk 358/7. Nach Max Auer berichtete Wöß, „wie Bruckner an der Tafelrunde bei Gause in der Zeit der Umarbeitung der Achten ein Notenblatt herauszog, die Schüler auf eine Bläserstelle verwies und sagte: 'Das hab ich jetzt so gesetzt - aber ihr Viechkerln, wenn ihr mir jetzt noch was dreinredet dabei fuhr er zornig mit geballter Faust in die Höhe.“ (Max Auer: Der Streit um den „echten" Bruckner im Licht biographischer Tatsachen, in: Zeitschrift für Musik 103 (1936), S. 538-545 und 1191-1196, hier S. 542) Diese Begebenheit ist auch in Hans Commenda, Geschichten um Anton Bruckner, Linz, o. J. [1946], S. 107 und bei Göll./Auer, Bd. IV.2, S. 562 abgedruckt. 85 Zitiert nach Leibnitz 1988, S. 134 86 Brief an Franz Schalk vom 5. Oktober 1888, ebenda, S. 136
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VI. DER WERKIMMANENTE ANSATZ Bruckners trotz allem große Bereitwilligkeit, den Änderungsvorschlägen und -erwartungen seiner Freunde und Helfer zu entsprechen, ist aber nicht allein auf psychologische und soziologische Aspekte zurückzuführen: Sie wird ebenso begünstigt durch die innere Struktur seiner Musik. Hier sei nur an die klare periodische Gliederung und blockhaft-reihende Bauweise seiner Musik erinnert.87 Claudia Catharina Röthig sprach in diesem Zusammenhang in ihrer Dissertation von einer „Infiltrationstechnik" als einem „wesent lichen Bestandteil der Kompositionstechnik Bruckners. Sie gab ihm die Möglichkeit, 1 oder mehrere Takte zu eliminieren und an deren Stelle neue zu setzen. Dabei konnte es geschehen, daß sich der 1. Takt des neuen Verlaufs dennoch nahtlos einfügte, ohne daß Bruckner Form oder Diastematik zum [sic!] übrigen Entwurf angepaßt hatte.“88
Immer wieder kamen einzelne Wissenschaftler auf dieses Merkmal der Brucknerschen Kompositionsweise zu sprechen, welches die Fassungsfrage von einer durch die breite Masse der (Erinnerungs-)Literatur zwar wenig bedachten, aber nicht minder interessanten Seite beleuchtet. Daß diese Bauweise in engem Zusammenhang mit dem Problem der Fassungen steht und sogar das Gebiet der Fremdbearbeitungen berührt, erkannte 1963 bereits Fritz Korte: „Es ist verständlich, daß gerade dieses Verfahren [nach Korte das der Addition, Mutation, Reihung und Assoziierung bzw. der Arbeit mit komplex erdachten und begrenzten Werkstücken] die kleinen und großen Striche und Satzvertauschungen ermöglichte, welche den ‘originalen’ Fassungen so viel Gewalt angetan haben. Demnach ist nicht zu übersehen, daß auf Grund der Bedingungen seines Verfahrens Bruckner vielen Strichen seine direkte oder stillschweigende Zustimmung hat geben können.“89 Weiter führte er aus: „Das Parataktische dieser Bauweise bringt das Auswechselbare oder Eliminierbare der Glieder notwendig mit. Diese Glieder sind nicht absolut und notwendig miteinander verknüpft, es besteht eine nur relative Notwendigkeit der Bindung zwischen ihnen.“90 Der Auffassung Kortes schloß sich im Jahre 1987 Mathias Hansen in seinem Bruck ner-Buch an und fügte hinzu: „Diese Arbeitsweise ermöglicht also nicht nur, sondern rechtfertigt sogar noch die drastischsten Eingriffe Bruckners in einige seiner Sinfonien — sie erst erklärt Bruckners geradezu lässig, wenn nicht gar sorglos scheinende Bereit schaft, nicht nur entworfene, sondern eben auch abgeschlossene Werke in erheblichen Ausmaßen zu verändern, zu ‘bessern’, auf Kritik und oftmals fragwürdige Ratschläge von Kollegen und ‘Jüngern’ einzugehen.“91
87 Zu Bruckners Kompositionsweise vergleiche Kapitel 1, Abschnitt II.2 88 Studien zur Systematik des Schaffens von Anton Bruckner (vergleiche Anm. 17), S. 321
89 Bruckner und Brahms. Die spätromantische Lösung der autonomen Konzeption, Tutzing 1963, S. 54 90 ebenda
91 Bruckner, Leipzig 1987, S. 188
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Diesen eher ‘technisch’ argumentierenden Ausführungen zur Begründung von Bruck ners ungewöhnlicher Änderungsbereitschaft fügte Franz Grasberger einen weiteren Er klärungsansatz hinzu, indem er Bruckners Kompositionstechnik in den schaffens psychologischen Gesamtzusammenhang einordnete: „Vielleicht ist es Bruckner im we sentlichen — trotz aller Detailbearbeitung oder gerade über diese — um den allgemeinen und umfassenden Sprachcharakter seiner geistigen Mitteilung gegangen, der bei der Sorge um die Erhaltung des Visionären im einzelnen verschiedene Möglichkeiten zuläßt. So wären sowohl eigenes selbstkritisches Fassungsdenken als auch die Toleranz den Änderungsvorschlägen von anderer Seite gegenüber erklärbar.“92
Peter Gülke hob noch deutlicher auf diesen Aspekt ab: „Es sieht so aus, als habe er [Bruckner] sich, ohne das reflektieren zu können, in der jeweiligen Symphonie an einer dahinterliegenden ‘Hauptmusik’ in einer Weise komponieren gefühlt, die die je einzelne Objektivation und Werkgestalt zumindest relativierte kraft der Tatsache, daß sie nur Glied und Station war in einem weiterlaufenden Hauptanliegen.“93 Dadurch aber sei Bruckner für Änderungswünsche an dieser Werkgestalt jederzeit ansprechbar gewesen: „Die Details eines insgesamt fertiggestellten Werkes, als ob dieses letztlich nicht mehr beschädigt werden könnte, interessieren nicht so sehr.“94 Dem ist entgegenzuhalten, daß Bruckner zeitlebens durchaus in Sorge um die ‘Be schädigung’ seiner Werke lebte und bei seinen Umarbeitungen gerade an den Details mit besonderer Aufmerksamkeit feilte, wie aus den Untersuchungen zur Umarbeitung der VIII. Symphonie in Kapitel 5, Abschnitt IV.6 hervorgeht. Außerdem sei daran erinnert, daß Bruckner durchaus nicht mit allen Änderungswünschen aus seinem Umfeld einverstanden war und für die Nachwelt auf jeden Fall seine unbearbeiteten Originalfas sungen aufgeführt und gedruckt wissen wollte. Im Gesamtzusammenhang des wahren ‘Konglomerates’ an Gründen für das Entstehen der Fassungen liefert der Ansatz, Bruckners Änderungsbereitschaft mit der speziellen Architektur seiner Symphonik in Verbindung zu bringen, jedoch einen wichtigen Teilaspekt und darf daher nicht übersehen werden.
Franz Grasberger: Selbstkritik, Überzeugung und Beeinflussung, in: Bruckner-Symposion 1980, S. 33-38, hier S. 35 93 Über die Zeitgenossenschaft Bruckners, in: Bruckner-Symposion 1987, S. 15-21, hier s. 20
94 ebenda
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VII. KOMPOSITIONSTECHNISCHE CHARAKTERISTIKA DER FASSUNGEN Wurde in den Abschnitten IV bis VI dieses Kapitels besprochen, wie es zum Problem der Fassungen bei Bruckner kommen konnte, richtet sich nun das Hauptaugenmerk auf die Fassungen selbst. Dabei stellen sich — unabhängig von Bruckners Beweggründen — die folgenden Fragen: Nach welchen Kriterien änderte Bruckner? Folgte er bei seinen Überarbeitungen einem klaren Konzept? Gibt es Konstanten in der Entwicklung der Fassungen, oder weisen die Fassungen untereinander keine vergleichbaren Strukturen auf?
VII. 1 Rezeptionsgeschichte Die Beschäftigung mit diesen Fragen gehört zweifelsohne der jüngeren Geschichte der Bruckner-Forschung an. Zu Lebzeiten des Komponisten waren ausschließlich die Erstdrucke zugänglich. Daß es von vielen Symphonien mehrere Fassungen gab, war nur wenigen bekannt, und zudem wurden die früheren Fassungen lediglich als Vorstufen angesehen zu den Endfassungen, welche die Erstdrucke repräsentierten. Zu dieser Auf fassung hatte nicht zuletzt Bruckner selbst durch seine Benennung der älteren Fassungen beigetragen. Ein grundlegender Wandel setzte erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts durch Robert Haas und die erste wissenschaftlich-kritische Gesamtausgabe ein. Mit der Erkenntnis, daß es sich bei den Erstdrucken weitestgehend um Fremdbearbeitungen handelte, die mehr oder weniger stark in die Substanz des jeweiligen Werkes eingriffen, wurde der Blick frei auf die frühen Fassungen. Zu der von Robert Haas geplanten Veröffentlichung aller Fassungen im Rahmen der ersten Gesamtausgabe sollte es aber aufgrund der Kriegsereignisse nicht mehr kommen. Diese Aufgabe übernahm Leopold Nowak als Herausgeber der neuen Gesamtausgabe, welche ab dem Jahre 1951 erschien. Auch die Uraufführungsdaten der frühen Fassungen fallen in die Nachkriegszeit: Bereits am 1. Dezember 1946 spielte die Staatskapelle Dresden unter Leitung von Joseph Keilberth die erste Fassung der III. Symphonie. Weitere vollständige Aufführungen kamen dann erst in den siebziger Jahren zustande, jeweils kurz nach Erscheinen des entsprechenden Bandes der neuen Gesamtausgabe:95 Am 2. September 1973 wurde die erste Fassung der VIII. Symphonie in London vom BBC-Orchestra unter Hans Hubert Schönzeler uraufgeführt, und zwei Jahre darauf, am 20. September 1975, die erste Fassung der IV. Symphonie durch die Münchner Philharmoniker unter Leitung von Kurt Wöss.
Mit der allmählichen Verbreitung dieser frühen Fassungen stellte sich fast zwangs läufig die Frage nach ihrer (Be-)Wertung. Auf dem Linzer Bruckner-Symposion des Jahres 1980 stand diese Frage im Mittelpunkt der Diskussion. Dabei wurde sie von den teilnehmenden Wissenschaftlern durchaus konträr beantwortet. Ein kurzer Überblick soll das verdeutlichen: Cornelis van Zwol plädierte in seinem Beitrag über die IV. 95 Zu den Erscheinungsdaten der Partituren der neuen Gesamtausgabe siehe die Übersicht in Anhang II
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Symphonie für eine Gleichberechtigung der ersten und zweiten Fassung im Konzertbe trieb.96 Demgegenüber gab Constantin Floros im Falle der VIII. Symphonie der zweiten Fassung von 1890 den Vorzug: „Das Werk nahm erst in dieser Fassung seine ‘reife’ Gestalt an.“97 Ähnlich fiel auch das Ergebnis einer Detailanalyse der drei Fassungen der III. Symphonie aus, durchgeführt von Rudolf Stephan. Sie impliziert zwischen den Zeilen die These, daß die Fassungen ‘Verbesserungen’ seien.98 Noch deutlicher formulierte es Harry Halbreich, nicht nur auf die erste Fassung der III. Symphonie bezogen, sondern ebenso auf diejenigen der IV. und der VIII. Symphonie: „Die frühe Fassung bildet einen ‘ersten Wurf’, ab welchem Bruckner dann unmittelbar die von ihm selbst als endgültig betrachtete Fassung schuf.“99 Für die III. Symphonie, fügte er hinzu, sei „die Stufe der Vollendung wohl nie erreicht“ worden.100 Dem widersprach drei Jahre später Robert Simpson: Bruckner habe in den Revisionen der III. Symphonie sowie in der ersten Fassung der IV. Symphonie das Niveau der ersten Fassung der III. Symphonie nicht halten können.101
Auch Manfred Wagner beschäftigte sich in mehreren seiner Veröffentlichungen inten siv mit der Gewichtung der einzelnen Fassungen.102 Zwar bekannte er sich immer wieder zu der Auffassung, man müsse „in der nüchternen Beurteilung des Lebenswerkes Anton Bruckners auf alle Fassungen zurückgreifen“, sie stellten „das gültige Nebeneinander aller verschiedenen Denkmöglichkeiten des Komponisten“ dar,103 stufte jedoch letztlich die frühen Fassungen als authentischer ein: „Man wird davon ausgehen müssen, daß Bruckners erste Fassungen seine ursprünglicheren Formulierungen sind.“104 „Die erste Fassung ist jeweils zweifellos die direkteste, persönlichste und von außen am wenigsten beeinflußte.“ 105 Gerade diesen frühen Fassungen sprach Manfred Wagner große Bedeu 96 Bruckners Vierte Symphonie: nicht nur eine „Romantische ", in: Bruckner-Symposion 1980, S. 25-31
97 Die Fassungen der Achten Symphonie von Anton Bruckner, ebenda, S. 53-63, hier S. 62 98 Zu Anton Bruckners Dritter Symphonie, ebenda, S. 65-73 99 Bruckners Dritte Symphonie und ihre Fassungen, ebenda, S. 75-83, hier S. 75. Die Meinung, daß es sich bei der ersten Fassung der HI. Symphonie um einen „ersten Wurf' handele, revidierte Harry Halbreich allerdings in der Schlußdiskussion des Symposions, als er von einem „geschlossenen Meisterwerk“ (S. 101) sprach. 1181 ebenda, S. 76 101 The 1873 Version ofBruckner's Third Symphonie, in: Bruckner-Jahrbuch 1982/83, S. 27-32, hier S. 32 (deutsche Zusammenfassung). Eine indirekte Bestätigung seiner These erfuhr Simpson durch Thomas Röder, der für die Finalsätze der drei Fassungen der III. Symphonie feststellte: „Im Vergleich zur ur sprünglichen Konzeption (...) können beide folgenden Versionen ihren Flickwerk-Charakter nicht ver leugnen.“ (Das „verstümmelte“ Finale. Zum vierten Satz von Anton Bruckners Dritter Symphonie, in: IBG-Mitteilungsblatt Nr. 37, Dezember 1991, S. 11-20, hier S. 18) 10‘ Der Wandel des Konzepts (vergleiche Anm. 4); Bruckners Sinfonie-Fassungen — grundsätzlich referiert (vergleiche Anm. 14); Bruckner (vergleiche Anm. 3); Zu den Erstfassungen der Sinfonien Anton Bruckners (vergleiche Anm. 15) 103 Bruckner (vergleiche Anm. 3), S. 388
104 ebenda, S. 394 105 ebenda, S. 396
100
tung für das Komponieren gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zu: „Die der jeweiligen Zeit am meisten entsprechenden Fassungen [werden] Priorität erlangen. [...] Im Augenblick und wahrscheinlich noch für die nächsten Jahre [scheinen] die ersten Fassungen uns wichtiger [...] als die späten — weil sie jenen Sprengsatz für die Zukunft in sich bergen, der uns bislang bei Bruckner zu wenig deutlich wurde.“106 Dieser Sichtweise widersprach indes Mathias Hansen entschieden: „Es geht nicht an, die Authentizität und alleinige Gültigkeit der 1. Fassungen damit begründen zu wollen, daß nur sie jene Originalität und Sprengkraft besäßen, welche auf kompositorische Entwicklungen im 20. Jahrhundert vorausweisen; daß hingegen spätere Fassungen nur Abschwächungen und Anpassungen an einen zweifelhaften Zeitgeschmack darstellten.“107 Folglich bekannte er sich zu dem von Manfred Wagner zu Beginn aufgestellten Postulat und schrieb weiter: „Es ist darauf hinzuwirken, daß alle von Bruckner verbürgten Fas sungen gespielt werden.“108
Wie diese kurze Übersicht zeigt, kann von Einigkeit in der Frage der Bewertung der unterschiedlichen Fassungen keine Rede sein. Was aber läßt sich vor diesem Hintergrund über das Wesen der Fassungen aussagen? Finden sich konkrete Anhaltspunkte für die eine oder die andere dieser Meinungen?
Schon jetzt geht aus diesen Zitaten klar hervor, daß die Frage, ob man einer bestimmten Fassung den Vorzug geben sollte, und wenn ja, welcher, allenfalls von Fall zu Fall entschieden werden kann. Jedoch sind — trotz aller Individualität — in der Entwicklung von den Erst- zu den weiteren Fassungen bestimmte Tendenzen ablesbar, die im folgenden unter Auswertung der wichtigsten Sekundär-Quellen kurz und ohne Anspruch auf Voll ständigkeit skizziert werden sollen. Der „Neigung zu synthetischer Zusammenschau [...], die dem Allgemeinen vor dem Individuellen den Vorzug gibt“ und die der Bruck ner-Literatur — laut Thomas Röder — „bis in die jüngste Zeit stets [...] eigen ist“,109 soll dabei durch Hinweise auf die jeweiligen Ausnahmen und Abwägen der Argumente begegnet werden. (Auf die VIII. Symphonie soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Bruckners dortige Umarbeitungspraxis wird eingehend in Kapitel 5 besprochen.)
106 ebenda, S. 396. Besonders im letzten Abschnitt dieses Buches (Musik von gestern — Provokation für heute, S. 397-407) versuchte Manfred Wagner, Bruckners Modernität vor allem in den ersten Fassungen aufzuzeigen. Dabei rief er unter anderem Kompositionen von Karlheinz Stockhausen, John Lage, György Ligeti, Steve Reich, Terry Riley, Olivier Messiaen oder La Monte Young als Zeugen auf. 107 Bruckner (vergleiche Anm. 91) S. 278
108 ebenda '"Thomas Röder: Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie. Untersuchungen zu den ersten beiden Fassungen von Anton Bruckners Dritter Symphonie, Stuttgart 1987, S. 89
101
VII.2 Tendenzen
in der
Entwicklung der Fassungen - Regeln oder
Ausnahmen?
Zunächst fällt als Charakteristikum der späteren Fassungen ihre geringere Informati onsdichte auf motivisch-thematischer Ebene ins Auge: „Aus dem Partiturbild der beiden Fassungen der 4. Sinfonie ist abzulesen, daß Bruckners erste Überlegungen durchweg komplizierter, mannigfaltiger, aber auch informationsreicher geschrieben sind als die späteren zweiten Fassungen“, so Manfred Wagner.110 In seiner Broschüre über den Wandel des Konzepts nennt Wagner dafür als besonders prägnante Beispiele die ‘Ge sangsperiode’ aus dem Kopfsatz der IV. Symphonie111 und die gleiche Passage aus der III. Symphonie.112 Bruckners Grund für eine solche Zurücknahme mag — einem Entlastungsgedanken folgend — in einer inhaltlichen Straffung, einer ‘Konzentration auf das Wesentliche’ zu suchen sein, kann aber bisweilen auch mit einer grundlegenden Umgestaltung des Mate rials in den späteren Fassungen in Zusammenhang gebracht werden. Das soll an dem von Manfred Wagner gewählten Beispiel aus der IV. Symphonie näher besprochen werden. Hier wird in der zweiten Fassung ein Thema (Takt 71 ff.; Violoncello) eliminiert, das in der ersten Fassung nicht nur „später (bei M) Führungsqualität verliehen bekommt“ (Manfred Wagner), sondern bereits ab Buchstabe G die Durchführung einleitet und zudem durch Motivabspaltung und -Verkettung für die weiteren Themen der Symphonie große Bedeutung erlangt. Diese Abspaltung setzt, nach einem ersten Auftreten in Takt 312 bis 314 und 320 bis 322, in Takt 345 der Durchführung des Kopfsatzes ein; zunächst in den Violoncelli und Kontrabässen, wo das dreitönige ‘Schaukel’-Motiv, welches bisher das Thema beschloß, zweimal wiederholt wird. Ab Takt 351 verselbständigt sich dieses Motiv in den Violoncelli und Kontrabässen, dann ab Takt 355 in den ersten Violinen,
Notenbeispiel 4a: IV. Symphonie, erste Fassung, Kopfsatz, Takt 355 bis 358
und es bestimmt, ab Takt 367 nochmals transformiert, den gesamten folgenden Abschnitt bis Buchstabe P. Doch damit nicht genug: Das Motiv findet sich als Bestandteil des Scherzo-Themas:
110 Bruckner (vergleiche Anm. 3), S. 393 111 Der Wandel des Konzepts (vergleiche Anm. 4), S. 29 ebenda, S. 17 f.
102
Notenbeispiel 4b: IV. Symphonie, erste Fassung, Scherzo, Takt 2 bis 10
und erweist sich schließlich als Grundbaustein des Eingangsthemas zum Finale:
Notenbeispiel 4c: IV. Symphonie, erste Fassung, Finale, Takt 2 bis 4
Bekanntlich schrieb Bruckner für die Fassung von 1878 ein vollkommen neues Scherzo, und 1880 entfiel durch die Umkomponierung des Finales der Motivbaustein auch hier. Rückwirkend betrachtet, hatte sich also die Vorstellung des Themas in der ‘Gesangsperi ode’ des Kopfsatzes für die Fassung von 1878/80 erübrigt. Thematisch-motivische Reduktion findet sich ebenso in anderen Werken, so etwa im Scherzo der III. Symphonie: Dort werden die charakteristischen Trompeten-Einwürfe in den Takten 26, 28 und 30 der ersten Fassung zugunsten einer Anpassung an den Kontext in der zweiten Fassung113 getilgt. Demgegenüber definierte jedoch Thomas Röder gerade den „Einbau thematisch-rhythmischer Partikel in ursprünglich leer laufende Passagen“, welcher eine Zunahme der motivischen Information bewirkt, als eines „der Hauptkennzeichen der späteren Bearbeitungen“.114 Eine ähnliche Beobachtung läßt sich besonders deutlich am Trio der VIII. Symphonie machen: Dort finden sich in der zweiten Fassung zahlreiche neue Motive, welche als Gegenstimmen zu den aus der ersten Fassung übernommenen Themen die motivische Information wesentlich bereichern.115
*** Gleichzeitig läßt sich auf dem Gebiet der Instrumentation eine Tendenz von einer — im großen wie im kleinen — eher flächigen Anlage hin zu einer Verfeinerung und größeren Differenzierung im Detail beobachten, so zum Beispiel zu Beginn der III. Symphonie.116 Über den Einsatz der einzelnen Orchestergruppen schrieb Ingrid Fuchs, daß „Bruckner in den später entstandenen Werken bzw. Fassungen die Blechbläserstimmen auch hinsichtlich der motivisch-polyphonen Durchformung immer differenzierter aus
113 dort T. 28,30 und 32
Thomas Röder: Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie (vergleiche Anm. 109), S. 219 115 Vergleiche dazu Kapitel 5, Abschnitt IV.6.2.2 116 Thomas Röder: Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie (vergleiche Anm. 109), S. 36
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stattet“117 und die Holzbläser „sehr oft mit charakteristischen Gegen- und Ergänzungs motiven betraut, in denen [...] häufig die Klangfarbe solistisch eingesetzter Instrumente eine bedeutende Rolle spielt.“118 Schließlich führte Thomas Röder aus, daß sich im Laufe der Zeit die Instrumentation stärker der Melodik anpasse, wodurch Bruckner, etwa in der III. Symphonie, eine klarere Hierarchie des motivischen Materials erreichte.119 ***
Eng mit der Instrumentation ist die Entwicklung der Dynamik verbunden, welche mindestens ebenso für das Klang-Relief einer Bruckner-Symphonie verantwortlich zeich net. Für die frühen Fassungen konstatierte Manfred Wagner dynamische Vorschriften, die „plötzlich ohne Vorbereitungen eintreten, während sie in den späteren Konzepten meistens durch Crescendi oder Decrescendi gemildert werden.“120 Hier komponierte Bruckner vielfach einige Überleitungstakte hinzu, welche die Generalpausen der früheren Fassungen ersetzten. „Wird in den späteren Fassungen mit Hilfe dieser Kunstmittel eine Art Aus- bzw. Einschwingvorgang verschiedener Gedankenbrücken erreicht, so ist diese Prozedur in der Urfassung dem ‘natürlichen’ Nachhall der Instrumente überantwortet.“121 Dadurch erscheint das dynamische Relief in den ersten Fassungen oft kantiger und zerklüfteter als in den ohnehin von Bruckners Zeitgenossen als „zerstückt“ (Gustav Mahler122) empfundenen Letztfassungen.
Einer der Gründe für Überarbeitungen bereits abgeschlossener Werke waren Bruckners Konzessionen an die Orchestertechnik seiner Zeit, wie zum Beispiel die spätere Abände rung der das Hauptthema mit synkopierten Sechzehntel-Skalen begleitenden ersten Vio linen ab Takt 225 im Adagio der ersten Fassung der III. Symphonie. Auch die von Bruckner in dem oben zitierten Brief an Wilhelm Tappert selbst so bezeichneten „un spielbaren“ Violinfiguren im Andante der ersten Fassung der IV. Symphonie (ab Takt 199, vor allem jedoch ab Takt 223) fallen in diese Kategorie. Thomas Röder sprach in diesem Zusammenhang sogar von „Zumutungen an die einzelnen Orchestermusiker.“123
Spiel- und dirigiertechnische Probleme werden zuweilen auch im rhythmischen Be reich aufgetreten sein. Waren die begleitenden Sechzehntel-Quintolen ab Buchstabe A
117 Aspekte der Instrumentation der Symphonien Brahms’ und Bruckners, in: Bruckner-Symposion 1983, S. 133-144, hier S. 137 118 ebenda, S. 140
119 Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie (vergleiche Anm. 109), S. 69 f. Der Wandel des Konzepts (vergleiche Anm. 4), S. 13 1:1 ebenda, S. 9
122 Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner (Herbert Killian, Hg.), Hamburg 1984, S. 32. Vergleiche auch Kapitel 1, Abschnitt II.1
Thomas Röder: Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie (vergleiche Anm. 109), S. 218
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des Adagios der I. Symphonie, welche Bruckner im Zuge der Revision von 1890/91 beibehielt, bereits in der Bruckner-Zeit problemlos auszuführen, so finden sich im Finale der ersten Fassung der IV. Symphonie rhythmische Konstellationen, in denen Halbe, durchlaufende Achtel und doppelt punktierte Viertel mit ganz- und halbtaktigen Quintoien kombiniert werden. Diese rhythmischen Überlagerungen wurden von Bruckner schon in der Fassung von 1878 ‘entschärft’ und die Quintoien in den charakteristischen ‘Bruckner-Rhythmus’ überführt.124 *** Für gewöhnlich wird davon ausgegangen, daß die späteren Fassungen einer Bruck ner-Symphonie immer kürzer ausfallen als ihre Vorgängerinnen. Diese Einschätzung trifft in vielen Fällen auch zu, wie die Übersicht in Anhang II zeigt. Entscheidend ist jedoch, unabhängig von einer lediglich das Äußere beschreibenden Arithmetik, welche Motivation zu den unterschiedlichen Satzlängen führte — impliziert doch der Terminus ‘Kürzung’ per se stets ein teleologisches Handeln.
Sicherlich bestand der Sinn mancher Eingriffe unter anderem darin, die Musik zu kürzen, wie der oben zitierte Brief an Felix Weingartner belegt. Kürzere Satzlängen waren aber oftmals nur Nebeneffekte einer grundlegenden inhaltlichen Umgestaltung oder dienten der Straffung des vorhandenen Materials. Eine eindimensionale Verengung auf die Intention des Kürzens würde der Vielschichtigkeit der Sache nicht gerecht. Das belegen insbesondere jene Fälle, in denen spätere Fassungen höhere Taktzahlen aufweisen als die frühen Fassungen, was neben dem zweiten und dritten Satz der I. Symphonie und dem Adagio Nr. 2 von 1876 und dem Scherzo der III. Symphonie auch für das Finale der IV. Symphonie gilt. Durch die Tatsache, daß von letztgenanntem Beispiel vier abgeschlossene Fassungen existieren (aus den Jahren 1874, 1878, 1880 und 1889), bietet sich hier besonders reiches Anschauungsmaterial. Inhaltlich gehören die Fassungen von 1874 und 1878 und die von 1880 und 1889 zusammen. In beiden Gruppen zeigt sich in der jeweils späteren Fassung eine deutlich verringerte Taktanzahl,125 während demgegenüber von der zweiten zur dritten Fassung ein Anstieg des Satzumfanges um 64 Takte zu verzeichnen ist! Diese zunächst verblüffende Feststellung ist jedoch einfach zu erklären: In den vier Fassungen des Finalsatzes der IV. Symphonie überschneidet sich der Gedanke der Konzentrierung des vorhandenen thematischen Materials mittels Kürzung, wie er für die zweite und vierte Fassung gilt, mit dem der grundlegenden kompositorischen Neugestaltung, welcher, gänzlich unbeeinflußt vom äußeren Umfang des Satzes, 1880 im Mittelpunkt der Intentionen Bruckners stand. Daß die Bewertung der Taktlängen in der Sekundärliteratur auch Mißverständnisse evozieren konnte, zeigt der Fall des Andantes der IV. Symphonie. So besteht in der
124 Vergleiche beispielsweise T. 111 ff. der ersten Fassung mit T. 79 ff. der zweiten Fassung (NGA, zu Bd. 4/2: Finale von 1878) 125 616 zu 477 T. bzw. 541 zu 507 T.
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Bruckner-Forschung Einigkeit darüber, daß dieser Satz in der zweiten Fassung von Bruckner nicht gekürzt, sondern verlängert wurde: Schon Leopold Nowak stellte im Vorwort zur ersten Fassung der IV. Symphonie fest, daß „das Andante, als einzige Ausnahme, von 246 um einen Takt auf 247 Takte vergrößert“ wurde, Cornelis van Zwol sprach in seinem Beitrag zum Bruckner-Symposion 1980 ebenso von 246 zu 247 Takten,126 und auch Manfred Wagner übernahm diese Zahlen und schloß daraus: „Von ‘Korrektur durch Verkürzung’ kann [...] nicht gesprochen werden.“ 127
Daß der Satz — trotz mathematisch eindeutigem Befund — in der zweiten Fassung dennoch ‘kürzer’ ist, wurde also übersehen, obwohl ein vergleichender Blick in die Partituren der ersten und zweiten Fassung hier schnell Klarheit gebracht und den Irrtum verhindert hätte. Bruckner notierte nämlich das zweite Thema des Andante in der ersten Fassung als Adagio (dort Takt 57 bis 69 und 151 bis 190). In der zweiten Fassung ist der Satz dann durchgehend als Andante aufgezeichnet, wobei jedoch — zur Wahrung der Tempoproportionen — die betreffenden Passagen in auf das Doppelte augmentierten Notenwerten geschrieben werden mußten. Dadurch aber benötigte Bruckner in der zweiten Fassung für diese Abschnitte die doppelte Taktanzahl: Aus einem Adagio-Takt wurden zwei Andante-Takte. Will man also die Länge der beiden Fassungen des Satzes vergleichen, so hat man dafür zwei Möglichkeiten. Erstens: Hätte Bruckner schon in der ersten Fassung den Satz einheitlich als Andante notiert, so hätte dieser 299 Takte umfaßt, wäre damit also nicht einen Takt kürzer, sondern 52 Takte länger als in der zweiten Fassung. Zweitens: Wenn Bruckner in der zweiten Fassung die Notierung der ersten beibehalten hätte — es wären dann die Takte 51 bis 82 und 155 bis 186, also zwei mal 32 Takte betroffen — so hätte sich in diesen beiden Passagen die Taktzahl halbiert und die Satzlänge damit auf 215 Takte reduziert. Als Differenz wären dann immerhin noch 31 Takte zu verzeichnen gewesen; nach beiden Rechenmodellen ist der Satz somit — sowohl ‘inhaltlich’ wie auch von der Aufführungsdauer her betrachtet128 — in der zweiten Fassung deutlich kürzer ausgefallen. Dieses Beispiel zeigt nicht nur den Unterschied zwischen arithmetischer und tatsächlich komponierter Länge und die bei flüchtiger Betrachtung entstehende Gefahr der Fehl interpretation, sondern wirft ebenso ein Licht auf Bruckners Intentionen: Vor dem Hin tergrund inhaltlicher Umformungen und Straffungen wandelt sich die rein rechnerische Länge zu einer bloßen Marginalität, welche das Festhalten an der früheren Notationsweise nicht hinreichend zu motivieren in der Lage ist.
126 Bruckners Vierte Symphonie: nicht nur eine „Romantische" (vergleiche Anm. 96). Siehe dort die Übersicht auf S. 25. 127 Der Wandel des Konzepts (vergleiche Anm. 4), S. 21 128 Eliahu Inbal, ohnehin für seine zügigen Tempi bekannt, benötigte für seine Einspielung des Andantes in der Fassung von 1874 18’42”, während sich die gängigen Aufnahmen der zweiten Fassung zwischen ca. 14’30” und 16’30” bewegen.
106
VIII. SCHLUSSBETRACHTUNG Die Ausführungen dieses Kapitels ergaben folgenden Sachverhalt: Bruckner handelte bei der Erstellung neuer Fassungen nach innerer, künstlerischer Überzeugung, aber er bot durch bestimmte Charaktereigenschaften, verstärkt durch das besondere Verhältnis zu seinem sozialen Umfeld, seinen Freunden und Schülern auch Möglichkeiten der Einflußnahme auf sein Werk, welche weit über ein als ‘normal’ einzustufendes Maß hinausgingen und in dieser Form von keinem anderen Komponisten bekannt sind. Wenn Bruckner von der künstlerischen Notwendigkeit eines Einwandes überzeugt war, so konnte er sich ohne weiteres bereit finden, Kritik zu verinnerlichen. Der Wunsch nach Verbreitung seiner Musik veranlaßte ihn aber auch zu teilweise weitreichenden Kompromissen in künstlerischen Fragen. Wenn er sich jedoch der Qualität der von ihm erarbeiteten Lösungen sicher war, so setzte er alles daran, diese Überzeugungen konsequent durchzusetzen. Vor allem in der Frage der Überlieferung seiner Werke an die Nachwelt war er zu keinerlei Kompromissen bereit und unternahm alles in seiner Macht stehende, um ‘späteren Zeiten’ einen ungehinderten Zugang zu allen originalen Fassungen zu ermöglichen.
Wie bereits beschrieben, zeitigten Bruckners Änderungen an seinen ersten Fassungen bestimmte, häufig wiederkehrende Muster, welche sich durch Termini wie formale Straffung, Konzentration des thematischen Materials, stärkere Ausarbeitung der Details, substantielle Um- oder Neugestaltung, aber auch spieltechnische Vereinfachung oder schlicht Kürzung umreißen lassen. Kann man aber davon ausgehen, daß sich in den einzelnen Fassungen ein „Wandel des Konzepts“ manifestiert, in welchem „die indivi dualistische Position zugunsten einer kommunikativeren aufgegeben“ wurde, wie Manfred Wagner vermutete?129 Für diese These lassen sich durchaus Argumente vorbringen. Indes verabsolutiert sie zu sehr die Lösungen, welche Bruckner für jede neue Fassung erarbeitete. Von einem Wandel ganzer Konzepte zu sprechen, bietet sich im Grunde nur dort an, wo etwas nach einem fest umrissenen, klar zu definierenden Konzept Geschaffenes nach bestimmten Kriterien in etwas grundlegend Neues überführt wurde. Dies ist aber bei weitem nicht immer der Fall gewesen. So läßt die Summe der Änderungen oftmals kein einheitliches, in sich geschlossenes Änderungs-Konzept erkennen: Bruckners ‘Kon zepte’ fallen genauso individuell aus wie die Voraussetzungen und Gründe für eine oder mehrere Neufassungen, wie schon aus den sehr unterschiedlichen Motivationen für die Kürzungen hervorging. Lediglich für einzelne Sätze lassen sich die Änderungen bisweilen als in sich geschlossenes Konzept begreifen, wie beispielsweise im Kopfsatz der IV. Symphonie als Komponieren von Übergängen, um die zahlreichen Generalpausen zu vermeiden, oder wie im Scherzo der VIII. Symphonie, um durch Kürzung einzelne Überleitungen zu straffen.130
129 Bruckner (vergleiche Anm. 3), S. 395 130 Vergleiche dazu auch die Untersuchungen zur VIII. Symphonie, Kapitel 5, Abschnitt IV.6.2.2
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Zu Recht plädierte Manfred Wagner, wie bereits zitiert, für eine ‘Ehrenrettung’ der frühen Fassungen. Auch einen wertenden Vergleich zwischen frühen und späten Fassungen lehnte er strikt ab: Die späteren Fassungen stellten „keine Korrektur der ersten“131 dar. „Das Stichwort heißt Verarbeitungssubstanz, was den Verbesserungscharakter jedenfalls ausschließt.“132133 Wagners These beachtet allerdings zu wenig, daß manche Eingriffe durchaus unter dem Terminus ‘Verbesserung der ersten Fassung’ subsumiert werden können. So ist die Vereinheitlichung der Besetzungsstärke der Holzbläser in der zweiten Fassung der VIII. Symphonie unstreitig als Verbesserung anzusehen, ebenso wie manche Kürzung, mit der Bruckner eine Konzentration der künstlerichen Aussage auf das We sentliche erzielte. Oft ist zudem gar nicht klar auszumachen, ob lediglich Verbesserungen im Sinne einer Verfeinerung des alten Konzepts vorliegen, oder ob eine Neugestaltung aufgrund eines Konzeptwandels zu zwei oder mehreren autonomen, in sich geschlossenen Versionen ein und derselben „dahinterliegenden ‘Hauptmusik’“ (Gülke; siehe oben) führte. Umgekehrt wurde manches durch allzu große Kompromißbereitschaft Bruckners sicher auch ‘verschlechtert’: Besonders kraß zeigt dies die letzte Fassung der IV. Symphonie, welche Bruckner in der Version Ferdinand Löwes (er-)duldete, und es gilt sicher für die eine oder andere Kürzung in der VIII. Symphonie.
Schließlich sind die späteren Fassungen nicht generell schlechter oder unbedeutender, nur weil Bruckner in ihnen bisweilen größere Zugeständnisse an die Klangvorstellungen seiner Schüler, der Dirigenten oder des Publikums eingegangen war.'33 Solche Bewertun gen, wie sie bei Manfred Wagner anklingen, sind nicht unwesentlich von unseren heutigen ästhetischen Wertmaßstäben geprägt. Diese wiederum sind geschult an der Musik der letzten 100 Jahre, welche uns von der Musik der Spätromantik trennt. Gerade deshalb aber können diese Wertmaßstäbe nicht automatisch für die Bruckner-Zeit Gültigkeit beanspruchen. Im Gegenteil: ‘Modem’ war damals der Klang der Musik Richard Wagners und damit also eher derjenige der späteren Fassungen — und daß selbst das Klangbild dieser späteren Fassungen als nicht ‘modern’ genug aufgefaßt wurde, belegt eindrucksvoll die Existenz der Fremdbearbeitungen.
Überdies darf bei aller Betonung der Einflüsse, welche die Musik Richard Wagners auf Bruckner ausübte, und der sich daraus ergebenden klanglichen Parallelen nicht außer acht gelassen werden, daß einer Annäherung Grenzen gesetzt waren: Verglichen mit dem Klangbild der Wagnerschen Musik schmelzen die Unterschiede zwischen den ersten und zweiten Fassungen der L, II., III., IV. oder VIII. Symphonie — trotz aller innerer Entwicklung und aller von Bruckner eingegangenen Kompromisse gegenüber dem von Richard Wagner geprägten Klangideal seiner Freunde und Schüler — zu Marginalitäten zusammen; auch die späteren Fassungen enthalten noch genug „Spreng 131 Der Wandel des Konzepts (vergleiche Anm. 4), S. 20 132 ebenda
133 Die jeweils letzten Fassungen der III. und der IV. Symphonie müssen in diesem Zusammenhang gesondert bewertet werden.
108
kraft“ (Mathias Hansen); es war die Modernität gerade dieser Fassungen, an denen sich zu Bruckners Lebzeiten Unmut und Ablehnung entzündeten. Andererseits sind Bruckners Symphonie-Fassungen in ihrer Gesamtheit keinesfalls als ‘Gradus ad Parnassum’, oder, wie Harry Halbreich es formulierte, als „stufenweise Annäherung an eine absolute musikalische Wahrheit“134 mißzuverstehen, bei der den frühen Fassungen lediglich der Status eines ‘ersten Wurfs’ zuerkannt werden kann: Keiner Fassung sollte — soweit ihre Authentizität gesichert erscheint — die Existenz berechtigung entzogen werden. Zwar können die einzelnen Fassungen nicht als gleichbe rechtigt angesehen werden, jeder von ihnen gebührt jedoch trotz aller Unterschiede die Aufmerksamkeit der musikalischen Welt und ein ihr angemessener Platz im Konzertleben unserer Zeit. Aufgabe der Musikwissenschaft ist es dabei, diesen bis heute noch nicht abgeschlossenen Prozeß der Emanzipation erklärend zu begleiten und immer noch vor handene Hemmschwellen bei Dirigenten, Orchestern und Publikum weiter abbauen zu helfen.
1,4 Bruckners Dritte Symphonie und ihre Fassungen (vergleiche Anm. 10), S. 75
109
Kapitel 3
DIE FREMDBEARBEITUNGEN VON FRANZ UND JOSEF SCHALK, FERDINAND LÖWE UND MAX VON OBERLEITHNER
I. EINLEITUNG Die eigenständige Bearbeitung eines Kunstwerkes durch Dritte erreicht eine Qualität, welche über die nachträglichen Änderungen, die ein Künstler an eigenen Werken vomimmt resp. durch Dritte vornehmen läßt, und die im Falle Anton Bruckners zu den in Kapitel 2 beschriebenen Fassungen führten, deutlich hinausgeht. Gleichwohl stellen Eingriffe in die Werke anderer Komponisten, zu denen sich Zeitgenossen wie Nachgeborene immer wieder veranlaßt sahen, einen integrativen Bestandteil unserer abendländischen Musik kultur dar.
Gehörten etwa zur Zeit des Barock — neben dem Parodieren eigener Werke — solche Umkomponierungen und Arrangements bis hin zur Übernahme fremder Kompo sitionen in das eigene Schaffen fast zum Tagesgeschäft eines Kirchenmusikers oder höfischen Kapellmeisters, und verwendete noch der elfjährige W. A. Mozart für seine ersten Klavierkonzerte fremde Vorlagen, konnte auch die allmähliche Autonomisierung der Musik im Laufe des 18. Jahrhunderts, die die soziale und gesellschaftliche Stellung des Komponisten aufwertete und die komponierte Musik in den Rang von individuellen Kunstwerken aufrücken ließ, die Bearbeitungspraxis nicht vollständig überflüssig machen: Auch weiterhin wurden für die unterschiedlichsten Gelegenheiten Bearbeitungen benötigt. In diesem Zusammenhang sei nur an die Harmoniemusiken des ausgehenden 18. Jahr hunderts und die Klavier-Bearbeitungen symphonischer oder musikdramatischer Litera tur für den häuslichen Gebrauch im 19. Jahrhundert erinnert. Obwohl der Musikbetrieb in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus um Authentizität bemüht war — sicher beeinflußt durch die Geburt der akademischen Diszi plin der Musikwissenschaft und die in dieser Zeit beginnenden wissenschaftlich-kritischen Gesamtausgaben1 — , wurden aber auch an großen symphonischen Werken Retuschen vorgenommen, um sie dem jeweiligen Entwicklungsstand der Orchestertechnik anzupas sen. Dabei konnten Umfang und Tragweite solcher Eingriffe sehr unterschiedlich ausfallen. Aber selbst vor diesem Hintergrund stellen die Bearbeitungen Brucknerscher Werke für das ausgehende 19. Jahrhundert in verschiedener Hinsicht eine singuläre Erscheinung dar: Hier kann im Zusammenhang mit den zum Teil massiven Eingriffen in dynamischen Verlauf, Instrumentation, Form und thematische Substanz von bloßen ‘Retuschen’ keine Rede mehr sein. Hinzu kommt, daß diese Bearbeitungen vor der Öffentlichkeit als Originalkompositionen Bruckners ausgegeben wurden. 1 Vergleiche dazu Kapitel 4, Abschnitt IV.2.1, S. 231
111
In diesem Kapitel sollen nach einer Definition des Bearbeitungsbegriffs zunächst die Biographien der Bearbeiter, ihr Verhältnis zu Anton Bruckner und ihr Einsatz für dessen Werke skizziert werden, um danach auf die Gründe und Ursachen ihres Handelns einzu gehen. Daran schließt sich die Untersuchung der einzelnen Bearbeitungen an, welche unter für die jeweilige Symphonie besonders relevant und charakteristisch erscheinenden Gesichtspunkten analysiert werden. Dabei soll versucht werden, die Eingriffe ihrer Be deutung für das klangliche Ergebnis nach zu ordnen. Angestrebt wurde keine chronolo gische, sondern eine systematische Gliederung. Eine vollständige Auflistung aller Ände rungen im Sinne eines Revisionsberichtes wurde dabei jedoch nicht angestrebt. Lediglich die Abweichungen in der Instrumentation wurden für die VI., VIII. und IX. Symphonie tabellarisch erfaßt, ausgewertet und im Anhang abgedruckt.2
II. DIE FRAGE DER DEFINITION Auch wenn das Phänomen der Fremdbearbeitungen — wie noch zu zeigen sein wird — untrennbar mit dem in Kapitel 2 beschriebenen Problem der Fassungen verknüpft ist, finden sich durchaus Unterschiede, welche eine Abgrenzung der beiden Begriffe vonein ander und damit eine Definition des Begriffs ‘Fremdbearbeitung’ möglich machen. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß eine Definition von Bruckners eigener Termi nologie unterschieden werden muß: Bruckner sprach stets von „Bearbeitungen“, wenn er seine eigenen Fassungen charakterisieren wollte. Oft verband er diesen Begriff zudem mit wertenden Adjektiven wie „alt“, „neu“ oder „neueste“, um Dirigenten, Kritiker oder Orchester für seine Werke zu gewinnen.
Unabhängig von rein terminologischen Problemen stellen sich jedoch nicht unerhebli che Erkenntnis-Probleme: Muß sich der Bruckner-Forscher schon innerhalb der Fassun gen mit dem unbequemen Gedanken arrangieren, daß eine klare Unterscheidung von in sich geschlossenen Fassungen und einzelnen Stufen der Werkgenese mitunter nicht eindeutig zu treffen ist,3 herrscht auch zwischen Fassungen und Bearbeitungen eine Grauzone, die eine Abgrenzung in vielen Fällen erheblich erschwert — nicht zuletzt aufgrund der in Kapitel 2 beschriebenen oftmaligen Ununterscheidbarkeit von innerer und äußerer Motivation Bruckners für die von ihm vorgenommenen Änderungen.4 Daher soll hier der Terminus ‘Bearbeitung’ im Sinne einer Fremdbearbeitung definiert werden, welche ohne Beteiligung, Einwilligung oder Wissen Bruckners angefertigt wurde. Damit sind alle Fassungen ausgegrenzt, auch diejenigen, in welchen eindeutig fremde
‘ Für die VI. und VIII. Symphonie, um die untergeordnete Bedeutung der Instrumentations-Änderungen für diese Bearbeitungen darzulegen; für die IX. Symphonie, weil diese Daten im Revisionsbericht Alfred Orels nicht aufgeführt sind. Die umfangreichen Daten zur V. Symphonie sind im Revisionsbericht von Robert Haas bereits enthalten. 3 Vergleiche Kapitel 2, Abschnitt III
4 Nicht ohne Grund verzichtete Thomas Röder in seiner Dissertation Auf dem Weg zur Bruckner-Symphonie. Untersuchungen zu den ersten beiden Fassungen von Anton Bruckners Dritter Symphonie (Stuttgart 1987) darauf, „wegen der dort erheblich verschärften Problematik der ‘fremden Helfer’“ (S. 9) auch die dritte Fassung der III. Symphonie in seine Untersuchungen mit einzubeziehen.
112
Einflüsse nachweisbar sind, wie etwa im Zweitdruck der III. oder im Erstdruck der IV. Symphonie.5 Nach einer solchen Definition ist für dieses Kapitel die nähere Untersuchung der Erstdrucke der V., VI. und IX. Symphonie relevant, mit kleinen Einschränkungen auch der Erstdruck der VIII. Symphonie, womit sich der zeitliche Rahmen der Fremdbearbei tungen auf die Zeit von 1892 bis 1903 erstreckt. Da sich die Untersuchung der Fremdbe arbeitungen nicht an der Chronologie der Entstehung der Symphonien, sondern an derje nigen der Erstdrucke orientiert, wird zunächst die Bearbeitung der VIII. Symphonie (1892) besprochen, auf die die V. (1896), VI. (1899) und IX. Symphonie (1903) folgen. Diese Auswahl lenkt automatisch den Blick auf die Herausgeber der genannten Erst drucke: auf Franz und Josef Schalk, Ferdinand Löwe und Max von Oberleithner.
III. DIE BEARBEITER UND ANTON BRUCKNER III. 1 Biographische Notizen zu Franz und Josef Schalk, Ferdinand Löwe und
Max von Oberleithner 6
Die Eltern der Geschwister Schalk stammten wie Anton Bruckner aus Oberösterreich. Aus ihrer Heimatstadt Linz übersiedelten sie im Jahre 1856 nach Wien, wo am 27. Mai 1863 Franz Schalk geboren wurde. Seine musikalische Begabung zeigte sich schon früh, und so besuchte er bereits während seiner Gymnasialzeit ab dem Jahre 1878 das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Er erhielt Unterricht im Violinspiel bei Joseph Hellmesberger, im Klavierspiel bei Julius Epstein und in Theorie bei Anton Bruckner. Bereits während dieser Ausbildung am Konservatorium zeigten sich seine Ambitionen zur Kapellmeister-Laufbahn. Franz Schalk beendete sein Studium im Juli 1881 und erhielt im Herbst desselben Jahres sein erstes Engagement als Orchestergeiger unter Felix Mottl in Karlsruhe. Seit dem Frühjahr 1882 lebte er wieder in Wien, legte jedoch im September 1884 mit einem Engagement als Zweiter Kapellmeister in Olmütz den Grundstein seiner Karriere als Opern-Dirigent, welche ihn über die Stationen Dresden (1885), Czernovitz (1886), Karlsbad (1887), Breslau und Reichenberg (1888), Graz (1889), Prag (1895), Berlin und
5 In jüngster Zeit wird im Zusammenhang mit dem Erstdruck der IV. Symphonie die Frage diskutiert, ob hier aufgrund der unleugbaren Anteile Bruckners von einer ‘dritten Fassung’ gesprochen werden muß, womit ihr folglich ein Platz in der Gesamtausgabe zustehen würde. 6 Wenn nicht anders angegeben, sind die in diesem Abschnitt zitierten Angaben zu den Brüdern Schalk und Ferdinand Löwe den folgenden Veröffentlichungen entnommen: Thomas Leibnitz: Die Brüder Schalk und Anton Bruckner, Tutzing 1988 (Leibnitz 1988), sowie Reinhard Raunen Ferdinand Löwe. Leben und Wirken. I. Teil: 1863 bis 1900. Ein Wiener Musiker zwischen Anton Bruckner und Gustav Mahler, Frankfurt/M. 1995. Speziell zu Löwes Tätigkeiten in München siehe Gabriele E. Meyer (Hg.): 100 Jahre Münchner Philharmoniker, München 1994. Als Hauptquelle der Angaben zu Max von Oberleithner diente dessen autobiographische Schrift Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (mit einem Vorwort von Emst Decsey), Regensburg 1933
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New York (1898) im Jahre 1900 an die Wiener Hofoper führte. Dort begann, vier Jahre nach dem Tode Anton Bruckners, der zweite große Abschnitt seiner Karriere.7
Josef Schalk kam sechs Jahre vor seinem Bruder, am 24. März 1857, zur Welt. Auch er war Schüler des Wiener Konservatoriums, welches er ab 1877 besuchte, und ebenso wie sein Bruder studierte er bei Julius Epstein Klavier und bei Anton Bruckner Theorie. Schon bald zeigte sich bei ihm die Berufung zum Pianisten, und 1884, vier Jahre nach Abschluß seines Studiums, erhielt er eine Professur für Klavier am Konservatorium. Josef Schalk starb bereits dreiundvierzigjährig am 7. November 1900 an den Folgen einer — auch psychosomatisch bedingten — Asthma-Erkrankung. Da der Vater schon im Alter von 35 Jahren verstorben war, mußte Josef als ältester Sohn die Verantwortung für die kränkliche und mittellose Mutter und seine drei Geschwister übernehmen. Des wegen war er vom Militärdienst freigestellt, und bis zur Anstellung am Konservatorium mußte er sich und seine Angehörigen durch den Erlös aus privaten Klavierstunden ernähren. Wegen seiner beruflichen und privaten Verpflichtungen und seiner angegriffenen Gesundheit verbrachte Josef Schalk sein Leben weitgehend in Wien. Da sein Bruder in den letzten zwölf Lebensjahren Bruckners außerhalb Wiens tätig war, bildete Josef so ein wichtiges Bindeglied zwischen dem auswärts engagierten Kapellmeister und dessen Wiener Lehrer. Dieser Tatsache verdankt die musikhistorische Forschung einen sehr umfangreichen Briefwechsel zwischen den Brüdern, der nicht nur ein interessantes Licht auf die Beziehungen zwischen Franz Schalk, Josef Schalk und Anton Bruckner wirft, sondern darüber hinaus höchst aufschlußreich für das Wiener Musikleben im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert ist, in welchem, wie noch beschrieben wird, Josef Schalk eine Schlüsselrolle spielte (die Wiener Wirkungszeit Franz Schalks setzte erst nach dem Tode seines Bruders und Anton Bruckners ein).8 Einige Monate vor Franz Schalk, am 19. Februar 1863, wurde in Wien Ferdinand Löwe geboren. Auch bei ihm zeigte sich schon früh ein außerordentliches musikalisches Talent: Mit elf Jahren machte er bereits als Klavierspieler und ‘Musterschüler’ der Horakschen Klavierschule in Wien auf sich aufmerksam. Auch in seiner Studienzeit am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde von 1877 bis 1881 konnte er zahlreiche Preise und Anerkennungen als Pianist erwerben. Der dortige Theorie-Unterricht bei Anton Bruckner, ebenfalls von 1877 bis 1881, war für Löwe der Beginn einer lebenslangen Bewunderung für seinen Lehrer, und zur gleichen Zeit konnte er den Grundstein seiner Freundschaft zu Franz Schalk und vor allem Josef Schalk legen, dessen Sitznachbar er 7 Zum weiteren Lebenslauf Franz Schalks vergleiche Kapitel 4, Abschnitt VI, S. 243 f. 8 Kurze Zeit nach Franz Schalks Tod wurde von dessen Witwe ein Teil dieser Briefe veröffentlicht (Franz Schalk, Briefe und Betrachtungen. Mit einem Lebensabriß von Victor Junk. [Lili Schalk, Hg.], Wien 1935), aber Lili Schalk griff zum Teil so stark in die Substanz der Briefe ein, daß diese als Quellenmaterial weitgehend unbrauchbar wurden. Der gesamte Briefwechsel wurde erst kürzlich in einer umfangreichen Studie von Thomas Leibnitz ausgewertet (Leibnitz 1988).
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am Konservatorium war. Von 1879 bis 1881 war Löwe Kompositionsschüler von Franz Krenn, bei dem zur gleichen Zeit auch Gustav Mahler studierte. Direkt nach Abschluß des Studiums wurde Ferdinand Löwe am Konservatorium als Klavierlehrer angestellt.
1892 begann Löwe als zweiten Schwerpunkt seiner künstlerischen Arbeit die Dirigenten-Laufbahn, und als er 1897 zum ersten Mal das wenige Jahre zuvor gegründete Kaim-Orchester in München, die späteren Münchner Philharmoniker, dirigierte, hatte er damit neben Wien seine zweite bedeutende Wirkungsstätte als Dirigent gefunden. Nach einer nur wenige Monate dauernden Zwischenzeit als Dirigent an der Wiener Hofoper wandte sich Löwe 1900 mit der Direktion der Gesellschaftskonzerte der Musik freunde wieder der symphonischen Musik zu, und bis zu seinem Tode am 6. Januar 1925 war er in mehreren zentralen Positionen des Münchener und Wiener Musiklebens tätig, so von 1908 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges als Direktor des Konzertvereins orchesters München oder von 1918 bis 1922 als Leiter der Wiener Musikakademie. Max von Oberleithner war unter den hier vorgestellten Bruckner-Bearbeitern der jüngste, und im Gegensatz zu Franz und Josef Schalk und Ferdinand Löwe fand er erst über Umwege zur Musik: Geboren am 11. Juli 1868 als Sohn einer wohlhabenden Familie in Mährisch-Schönberg (Nordmähren), studierte er zunächst Jura und wurde 1892 sogar zum Dr. jur. promoviert, nahm jedoch nebenbei ab 1889/90 Privatstunden bei Anton Bruckner. 1895 ging er als Theaterkapellmeister nach Teplitz und für die Saison 1896/97 in gleicher Funktion nach Düsseldorf, kehrte aber noch im selben Jahr nach Wien zurück und verließ seine Wahlheimat nur noch selten. Als Dirigent trat er nicht mehr in Erscheinung; er lebte als freischaffender Komponist, der vor allem mit seinen Opern Publikumserfolge feiern konnte.
III.2 Zwischen Richard Wagner
und
Anton Bruckner (Teil 1)
Bruckners Schüler waren, genauso wie ihr Lehrer, bekennende Wagnerianer. Als junge Menschen entdeckten sie Wagners Musik, waren fasziniert von ihren neuartigen Klängen, verschrieben sich Wagners Weltanschauung und fanden daneben in ihrer Be wunderung für Wagner einen Weg, ihren Protest gegenüber einer als verkrustet und konservativ empfundenen Gesellschaft auszuleben.9 Ernst Decsey, Wagnerianer und Konservatoriums-Schüler Bruckners, schrieb in sei nem Vorwort zu Max von Oberleithners Erinnerungen an Anton Bruckner: „Er [Ober leithner] ist verwagnert, wie wir es alle waren. Er gewöhnte sich den Ausdruck der Wagnerschen Schriften, die Wagnerschen Zitate, den Wagnerschen Briefstil an.“ 10 Dabei geht aus einer von Max von Oberleithner verfaßten Selbstbiographie11 hervor, daß seine künstlerischen Ambitionen zunächst der Bildenden Kunst galten, die Begegnung des 20jährigen mit der Musik Wagners jedoch die entscheidende Wende in seinem Leben bewirkte: „Im Sommer 1888 vom 22. - 26. Juli war ich in Bayreuth und hörte dort je Vergleiche dazu Kapitel 2, Abschnitt IV.3.1 10 Max von Oberleithner: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6), S. 9
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zweimal Parsifal und die Meistersinger, wodurch meine Vorliebe zur Musik neu bestärkt wurde, sodass ich die Malerei aufgab.“11 12 Wie sehr Wagner das Denken und Fühlen des jungen Oberleithner bestimmte, spricht auch aus dem folgenden Zitat, wonach Wagners Werke ihn „aus der Erbärmlichkeit eines zwischen Vergnügungssucht und Langeweile schwebenden Lebens, wie es heute junge reiche Leute führen, erretteten und erst zum Menschen werden ließen.“ 13
Diese Aussage des über 60jährigen Oberleithner gilt in ähnlicher Form natürlich auch für die Brüder Schalk und Ferdinand Löwe. Als überzeugte Wagnerianer war es für sie selbstverständlich, ihrem Engagement für Wagner durch Mitarbeit in einem Wagner-Verband Nachdruck zu verleihen. Der erste Wiener Verband dieser Art war der 1871 gegründete Wagner-Verein in Wien, dem in den nächsten Jahren noch eine Reihe weiterer Vereine folgen sollten.14 Ihr Hauptanliegen bestand zunächst in der finanziellen Unterstützung der Bayreuther Festspiel-Idee und darin, die Uraufführung des Ring des Nibelungen zu ermöglichen. Der später für Bruckner wie für Wagner wichtig werdende Wiener Akademische Wagner-Verein wurde im Februar 1873 gegründet und sah seine Aufgaben neben der finanziellen Unterstützung auch in der Pflege und Verbreitung Wagnerscher Ideen wie der Reformidee in Oper und Drama. Diese Ziele waren in den Statuten des Vereins verankert. Als im Jahre 1876 das Ziel der Aufführung des Ring des Nibelungen erreicht war, wandelten sich die Aufgaben des Vereins in Richtung auf eine Festigung und Weiterführung der Festspiel-Idee. Diese Umorientierung bewirkte eine Öffnung für andere Komponisten, so daß ab der zweiten Hälfte der siebziger Jahre neben Franz Liszt auch Anton Bruckner und später Hugo Wolf durch den Verein gefördert wurden. Bruckner war dem Verein im Herbst 1873, kurz nach seinem Besuch bei Richard Wagner in Bayreuth, beigetreten und am 22. Januar 1885 zu dessen Ehrenmitglied ernannt worden. Thomas Leibnitz beschrieb den hohen Anspruch der Wagner-Vereine an ihre Mitglieder: „Gefordert war nicht wohlwollendes Interesse, sondern bedingungslose Jüngerschaft. Wagners Gedankenwelt (innerhalb derer er die Rolle einer Messiasgestalt spielte) ist sowohl darin wie in ihrer historischen Genese ähnlichen Ideologien des 19. Jahrhunderts mit Weltverbesserungsanspruch verwandt. [...] Die Form dieser Kunstpflege [trug] beinahe den Charakter des Religiösen. [...] Nicht nur Wagners Musik, sondern vor allem auch die von ihm propagierte Mentalität“15 wurden gepflegt.
11 Max von Oberleithner, Selbstbiographie, Masch., ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 93. In diesem Konvolut fehlen die Seiten 45 bis 60, welche allem Anschein nach Oberleithners Aufzeichnungen über seine Studienjahre bei Bruckner beinhalteten. Vermutlich waren sie vom Regensburger Verlag Bosse als Vorlage für die entsprechenden Passagen aus Oberleithners Schrift Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6) verwendet worden und dann nicht mehr an ihren Ausgangsort zurückgelangt. 12 ebenda, S. 44 13 Max von Oberleithner: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6), S. 16 14 Siehe dazu Helmut Kowar: Vereine der Neudeutschen in Wien, in: Bruckner-Symposion 1984 15 Leibnitz 1988, S. 219 u. 223
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Dieses kunstreligiöse Pathos entsprach offensichtlich so sehr dem Naturell Josef Schalks, daß er 1879, im Alter von 22 Jahren, dem Wiener Akademischen Wagner-Verein beitrat, und da er „dank seiner früh ausgeprägten Neigung zum Pädagogisch-Didaktischen [...], seiner Belesenheit und intellektuellen Ausstrahlung [...] bereits früh als künstlerische Autorität“16 angesehen wurde, ernannte man ihn im November 1887 zum künstlerischen Leiter des Vereins.
III. 3 Der Einsatz der Schüler für Anton Bruckner
und dessen
Werk
Ebenso wie für Richard Wagner setzten sich die Brüder Schalk, Ferdinand Löwe und Max von Oberleithner für die Durchsetzung und Verbreitung der Werke Anton Bruckners ein, wobei jeder von ihnen von seinen individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten Gebrauch machte.
III.3.1 Franz Schalk Da Franz Schalk schon im Alter von fünfzehn Jahren Schüler Anton Bruckners wurde, gestaltete sich das Verhältnis zwischen ihm und seinem Lehrer besonders herzlich. Franz erhielt von Bruckner — wie viele andere Schüler auch — einen Spitznamen (die Koseform 'Francisco'), den er bis zu Bruckners Tode im Umgang mit ihm verwendete.17 Thomas Leibnitz sprach sicherlich zu Recht von einer „fast familiären Zuneigung“,18 und Victor Junk schrieb: „Er [Bruckner] zog ihn [Franz] sehr früh in seinen persönlichen Kreis und verwendete ihn Jahre hindurch als seinen Hilfsarbeiter bei der Korrektur, der Abschrift und Bezeichnung seiner Manuskripte. Er war es auch, der Schalk ermutigte, die Kapellmeisterlaufbahn einzuschlagen. Damit stehen wir an dem Punkte, wo sich der stärkste Einfluß auf Schalks Lebensanschauung und Kunstideale durchsetzte, denn er hat in Bruckner immer seinen eigentlichen musikalischen Erzieher und Führer gesehen.“ 19 Zu ergänzen wäre, daß Bruckner für Schalk — wegen des frühen Todes des eigenen Vaters — sicherlich nicht nur musikalische Orientierung gewesen ist.20
Franz Schalk setzte nicht nur in späteren Jahren seinen stetig wachsenden Ruf als bedeutender Dirigent für die Verbreitung der Brucknerschen Werke ein: Bereits im Alter von 18 Jahren scheute er sich nicht, kurz nach Antritt seines ersten Engagements als Orchestergeiger in Karlsruhe Felix Mottl zur Aufführung der IV. Symphonie zu drängen. Er erreichte tatsächlich, daß das Werk von Mottl am 10. Dezember 1881 — ein Drei Vierteljahr nach der Uraufführung und zum ersten Mal in Deutschland — in Karlsruhe gespielt wurde. Allerdings blieb der Erfolg, der dem Werk bei der Uraufführung 16 ebenda, S. 35
17 Siehe dazu Bruckner-Briefe, neue Folge, S. 365 ff. 18 Leibnitz 1988, S. 36 19 Zitiert nach: ebenda, S. 36 f.
20 Noch kurz vor Bruckners Tod schrieb Franz an seinen Bruder: „Ich betrachte ihn [Bruckner] von jeher als meinen musikalischen Vater u. trachte ihm so weit wie möglich ein guter Sohn zu sein.“ (Brief vom 16. Mai 1895, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 199)
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beschieden war, diesmal aus. Dieser Fehlschlag und die schlechten Kritiken Mottls, der Presse und seiner Karlsruher Orchesterkollegen bestärkten Franz Schalk jedoch nur in seinem bedingungslosen Eintreten für Bruckner.
Dem unermüdlichen Einsatz Franz Schalks ist auch die Uraufführung der V. Symphonie im Jahre 1894 in Graz zu danken, und sein lebenslanges Engagement für Bruckner wurde zwei Jahre vor seinem Tode durch die Ernennung zum Ehrenpräsidenten der im Jahre 1929 gegründeten Internationalen Bruckner-Gesellschaft gewürdigt.21
III.3.2 Josef Schalk, Ferdinand Löwe
und der
Wiener Akademische
Wagner-Verein
Wirkte Franz Schalk, seiner Kapellmeister-Laufbahn folgend, für Bruckner außerhalb Wiens, so blieb Josef Schalks Einsatz im wesentlichen auf Wien beschränkt. Weil Josef erst als junger Erwachsener zu Bruckner gekommen war, war das Verhältnis zu ihm nicht so herzlich wie das seines Bruders. Trotzdem verehrte er Bruckner sehr und machte seinen ganzen Einfluß für ihn geltend. Besonderes Gewicht erhält dieser Einsatz für Bruckner dadurch, daß Franz Schalk und vor allem Josef Schalk mit einer stets angespannten wirtschaftlichen Lage kämpfen mußten: „Vor diesem finanziellen Hintergrund ist das Bruckner-Engagement der Brüder zu sehen: es brachte ihnen kein Geld ein, oft genug nicht einmal Bruckners Dank, kostete sie jedoch ein erhebliches Quantum an Zeit und Mühe, das, angelegt in Privat stunden, ihnen eine spürbare Verbesserung ihrer Einkommen hätte bringen können. Die idealistische Motivation ist daher unverkennbar und unbestreitbar.“22 Josef Schalk nutzte seine intellektuellen Fähigkeiten, um für Bruckner ‘mit dem Wort’ zu kämpfen und veröffentlichte beispielsweise 1884 im Oktober-Heft der Bay reuther Blätter einen umfangreichen Aufsatz über Bruckner oder verfaßte — mit wech selndem Erfolg — zahlreiche Texte für Programmhefte von Bruckner-Konzerten.23 Wesentlich erfolgreicher gestaltete sich jedoch sein Wirken für Bruckner im Wiener Akademischen Wagner-Verein. Neben Ferdinand Löwe, der 1884 dem Verein beigetreten war, versammelten sich um Josef Schalk weitere ‘Brucknerianer’ wie Franz Zottmann, Richard Hirsch oder Bernhard Öhn, und zahlreiche Aufführungen Brucknerscher Werke
Siche dazu auch Heinrich Damisch: Unser Ehrenpräsident Franz Schalk, in: Bruckner-Blätter. Mittei lungen der Internationalen Bruckner Gesellschaft, 1. Jg. 1929, Nr. 3/4, S. 54 ff. 22 Leibnitz 1988, S. 136
Josef Schalk schrieb beispielsweise Einführungstexte zur Klavieraufführung der V. Symphonie am 20. April 1887, zur Wiener Erstaufführung der VII. Symphonie und zum Uraufführungs-Konzert der VIII. Symphonie. Während der erstgenannte Text mehr auf die Beschreibung der kompositionstechnischen Besonderheiten des Werkes abzielte, bot vor allem der dritte aufgrund seiner bildhaften, exaltiert schwärmerischen Sprache der ‘gegnerischen’ Kritik breite Angriffsflächen und schadete damit Bruckner letztlich mehr als er ihm nützte. (Das Programm zur VIII. Symphonie ist abgedruckt und kommentiert bei Leibnitz 1988, S. 170 f.; das handschriftliche Original Josef Schalks befindet sich nebst einem Begleit schreiben an Hans Richter mit Datum vom 10. Dezember 1892 unter der Signatur Sch / 2 (Schalk, Josef) im Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker.)
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gehen auf Josef Schalks Engagement zurück. So sollte sich nicht zuletzt durch ihn der Wiener Akademische Wagner-Verein zu einem Refugium der Brucknerpflege in Wien entwickeln. Etwa ab der Mitte der achtziger Jahre waren Bruckners Kompositionen fester Bestandteil der großen öffentlichen Vereins-Konzerte,24 und Bruckner-Aufführun gen im In- und Ausland fanden in den Jahresberichten des Vereins regelmäßige Erwäh nung. 1895 entschloß sich der Verein zudem, die Herausgabe von zweihändigen Klavier auszügen der Symphonien Anton Bruckners finanziell zu unterstützen.
Besonders die Klavieraufführungen Brucknerscher Werke im Rahmen der ‘internen Abende’ des Vereins trugen wesentlich zur Verbreitung der Musik Bruckners bei, waren aber auch in der Zeit nach dem großen Erfolg mit der VII. Symphonie in München unter Leitung Hermann Levis am 10. März 1885 oftmals die einzige Gelegenheit für Bruckner, in seiner Heimatstadt Wien aufgeführt zu werden. Viele Werke Bruckners, so etwa die V., VI. oder VII. Symphonie, konnte das Wiener Publikum auf diese Weise zum ersten Mal hören. Bestritten ab 1879 zunächst die Vereinsmitglieder Felix Mottl und Johann Paumgartner diese Abende (vergleiche die folgende Übersicht), so waren es nach Mottls Weggang aus Wien im Jahre 1881 neben Franz Zottmann besonders Josef Schalk und Ferdinand Löwe, welche allein oder als Klavier-Duo Brucknersche Werke in eigenen Arrangements aufführten, womit die Programme der ‘internen Abende’ vor allem zu Beginn der achtziger Jahre hauptsächlich Bruckner gewidmet waren.
Klavieraufführungen Brucknerscher Symphonien im Rahmen der ‘internen Abende’ des Wiener Akademischen Wagner-Vereins:25 12.11.1879 UI. Symphonie, 2. und 3. Satz (Johann Paumgartner/Felix Mottl) 4.2.1880 IV. Symphonie, 2. und 3. Satz (Johann Paumgartner/Felix Mottl) * 7.10.1880 IV. Symphonie, 1. Satz (Johann Paumgartner/Felix Mottl) * 24.3.1882 III. Symphonie, 3. Satz (Josef Schalk) 10.2.1883 VH. Symphonie, 1. und 3. Satz (Josef Schalk/Franz Zottmann) * 7.5.1883 III. Symphonie (Josef Schalk/Ferdinand Löwe) 31.1.1884 I. Symphonie, 2. Satz (Ferdinand Löwe) 27.2.1884 VII. Symphonie (Josef Schalk/Ferdinand Löwe) * 4.11.1884 IV. Symphonie, 3. Satz und VII. Symphonie, 2. Satz (Josef Schalk) 22.12.1884 IV. Symphonie, 1. Satz; III. Symphonie, 3. Satz; I. Symphonie (Josef Schalk/Ferdinand Löwe) 23.4.1885 UI. Symphonie, 1. Satz; I. Symphonie, 2. und 4. Satz (Josef Schalk/ Ferdinand Löwe) 24 Alfred Orel nennt für die Jahre von 1885 bis 1893 neun Aufführungstermine Brucknerscher Komposi tionen mit Orchester bzw. Chor (Alfred Orel, Bruckner-Brevier. Briefe, Dokumente, Berichte, Wien 1953, S. 174 f.). 25 Zitiert nach Leibnitz 1988, S. 24-26; Reinhard Rauner: Ferdinand Löwe (vergleiche Anm. 6), S. 62-78; und Alfred Orel: Bruckner-Brevier (vergleiche Anm. 24), S. 173 f. Diese Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit!
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30.12.1885 20.4.1887 19.1.1888 5.3.1890 28.12.1890 30.12.1891 22.11.1892 29.11.1894 28.11.1895 18.3.1897 7.4.1900
VII. Symphonie, 1. und 3. Satz (Josef Schalk/Ferdinand Löwe) V. Symphonie (Josef Schalk/Franz Zottmann) * IV. Symphonie (Josef Schalk) III. Symphonie, 2. und 3. Satz (Ferdinand Löwe) VI. Symphonie, 2. und 3. Satz (Ferdinand Löwe) I. Symphonie, 2. und 4. Satz (Ferdinand Löwe) VIII. Symphonie, 1. Satz (Josef Schalk) * VI. Symphonie, 1. Satz (Ferdinand Löwe) * V. Symphonie, 1. bis 3. Satz (Ferdinand Löwe) VI. Symphonie, 1. Satz (Ferdinand Löwe) VI. Symphonie, 4. Satz (Ferdinand Löwe)
(* Ur- bzw. Erstaufführungen)
Auch außerhalb Wiens traten Schalk und Löwe als Klavier-Duo mit Brucknerscher Musik auf, so etwa in Linz am 9. April 1888 mit Kopfsatz und Scherzo aus der IV. Symphonie.26 Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß Josef Schalk und Ferdinand Löwe auch zu etlichen Erstdruck-Ausgaben Brucknerscher Symphonien die Klavierauszüge erstellten, so Löwe die vierhändigen Klavierauszüge zur L, III. (zweite Druckfassung), IV. und IX. Symphonie (bei der III. und IX. Symphonie zusammen mit Josef Schalk, bei der IX. Symphonie auch zusätzlich den zweihändigen Klavierauszug), Josef Schalk die zweihändigen Klavierauszüge zur III. (zweite Druckfassung) und IV. Symphonie sowie die vierhändigen Auszüge zur II., V., VI., VII. und VIII. Symphonie (denjenigen zur VII. Symphonie zusammen mit seinem Bruder).
Die Klavieraufführungen Josef Schalks und Ferdinand Löwes stießen in der Presse durchwegs auf Beifall und Bewunderung: So feierte Emil von Hartmann in seiner Besprechung des Abends vom 22. Dezember 1884 Schalk und Löwe als „zwei geniale junge Männer von seltener künstlerischer Veranlagung“ und ihr Spiel als „vorzügliche geistig erhabene Clavier-Interpretationen.“27 Auch der Abend vom 23. April 1885 wurde euphorisch besprochen: „Die beiden Künstler setzten bei der Interpretation ihr bestes Können ein; mit jugendlich freudigem Enthusiasmus, mit höchster Prägnanz des Vortrages
26 Erwähnt seien hier noch die Umstände, welche zur Uraufführung der VII. Symphonie führten, denn dafür war eine geplante vierhändige Klavieraufführung des Werkes durch Josef Schalk und Ferdinand Löwe von großer Bedeutung: „Die Programmzettel zu besagter ‘Klavier-Soiree’ lagen bereits vor, als Ferdinand Löwe die Anreise nach Leipzig und damit seine Mitwirkung krankheitshalber absagte. Wegen der damit notwendig gewordenen Programmänderung beriet sich Schalk am 29. März 1884 mit Nikisch, der jedoch von einem Verzicht auf die Klavierbearbeitung lebhaft abriet und seine Mitwirkung bei der Wiedergabe des Brucknerschen Werkes anbot.“ (Zitiert nach Steffen Lieberwirth: Bruckner und Leipzig. Vom Werden und Wachsen einer Tradition, Leipzig 1990, S. 18) Beim gemeinsamen Durchspielen der Klavierbearbeitung mit Josef Schalk reagierte Nikisch dann jedoch derart begeistert, daß er spontan die Klavieraufführung absagte und eine baldige Uraufführung mit Orchester in Aussicht stellte. 27 Kritik in der Deutschen Kunst- und Musikzeitung vom 1. Januar 1885, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 77
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und einer staunenswerthen Technik brachten sie die Sätze zu Gehör, daß sich jedesmal lauter Jubel am Schlüsse erhob und der anwesende Componist, der mit den beiden Herren gerufen wurde, sich keine bessere Interpretation wünschen konnte.“28 Trat Ferdinand Löwe allein vor das Publikum, fiel der Beifall nicht minder enthusia stisch aus. Über sein Konzert vom 29. November 1894 schrieb das Deutsche Volksblatt: „Der III. interne Musikabend des „Wiener Akademischen Wagner-Vereins“ bot [...] einen besonderen Genuß. [...] Der Held des Abends war ohne Zweifel Herr Professor Löwe, der noch viel zu wenig gewürdigte, ausgezeichnete Musiker und Bruckner-Kenner. Der von ihm bis in die kleinsten Einzelheiten sorgfältigste ausgefeilte, fast orchestral klingende Vortrag des 1. Satzes aus Bruckner’s hochbedeutender VI. Symphonie fand einmütige Bewunderung. Nebenbei bemerkt gab Herr Löwe den an Schwierigkeiten überreichen Satz frei aus dem Gedächtnis wieder.“29
III.3.3 Ferdinand Löwe als Dirigent Brucknerscher Werke So wie als Pianist in den Veranstaltungen des Wiener Akademischen Wagner-Vereins setzte sich Ferdinand Löwe auch in seiner Zeit als Dirigent bedingungslos für seinen Lehrer Anton Bruckner ein, und schon bald galt er neben Franz Schalk „als der authentische und berufene Brucknerdirigent schlechthin.“30 Löwe, der trotz des Kompositionsstudiums bei Franz Kretin keine außerordentliche Begabung auf diesem Gebiet gezeigt hatte, ging nun voll in der Aufgabe auf, Bruckners Werk als nachschöpfender Interpret zu dienen. Schon für sein erstes Konzert als Dirigent am 9. Juli 1892 setzte er die III. Symphonie Bruckners auf sein Programm, und er erhielt für seine Interpretation glänzende Kritiken. So schrieb Theodor Helm: „Eine erstaunliche Sicherheit im ganzen und überraschende Feinfühlichkeit für alle wichtigen Einzelheiten zeichnete Löwes erste Dirigentenleistung aus.“31
Bei einem Vergleich Löwes mit Franz Schalk fällt auf, daß Schalks besondere Begabung auf musikdramatischem Gebiet zu suchen war und Symphonie-Konzerte unter seiner Leitung — mit Ausnahme von Bruckner-Konzerten — nicht das Niveau seiner Opem-Aufführungen erreichten,32 während Löwe als Opern-Dirigent an der Wiener Hofoper trotz anfänglicher Erfolge letztlich gescheitert war33 und seinen Schwerpunkt als Konzert-Dirigent fand.34
Kritik in der Deutschen Kunst- und Musikzeitung vom l.Mai 1885, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 96 29 Kritik vom 2. Dezember 1894, zitiert nach AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, vorgelegt von Robert Haas und ergänzt von Leopold Nowak, S. 81 30 Leibnitz 1988, S. 3
31 Zitiert nach Reinhard Rauner: Ferdinand Löwe (vergleiche Anm. 6), S. 111 ’ Nach einem Gespräch, welches der Autor im Juni 1995 im Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker mit Herrn Prof. Otto Strasser führen konnte. Strasser wirkte seit 1921 als Geiger im Orchester der Wiener Staatsoper und war später auch als Orchestervorstand der Wiener Philharmoniker tätig. 33 Vergleiche dazu Reinhard Rauner: Ferdinand Löwe (vergleiche Anm. 6), S. 143-169
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In den folgenden Jahren begründete Löwe den Ruf des Kaim-Orchesters München als eines der führenden Bruckner-Orchester seiner Zeit. Mit diesem Klangkörper unter nahm er im Frühjahr 1898 eine vielbeachtete und -gerühmte Konzertreise nach Wien, auf dessen Programm die dortige Erstaufführung der V. Symphonie Anton Bruckners stand. Trotz der Probleme, die in Wien immer noch mit der Aufführung Brucknerscher Werke verbunden waren, wurde das Konzert sowohl für das Orchester als auch für seinen Dirigenten zu einem triumphalen Erfolg: „Bisher hatte sich Niemand in Wien an diese Tonschöpfung herangewagt, deren Schwierigkeiten aber von den Münchener Künst lern vollkommen bezwungen wurden, deren Schönheit durch das Kaim-Orchester auf das Beste zur Geltung gelangte. Der zweite und dritte Satz, sowie der mächtige Schluß erweckten Stürme von Beifall [...]. Zwei mächtige Lorbeerkränze wurden dem Dirigenten überreicht, der seine Musiker zu solch hinreißenden Leistungen zu führen wußte.“34 35
Wenige Jahre danach zählte Löwe zu den Gründern des Wiener Konzertvereins, und schon zwei Jahre nach dessen Gründung sollte er mit dem Konzertvereins-Orchester am II. Februar 1903 die IX. Symphonie Bruckners uraufführen. Mit diesem Konzertereignis, das zusammen mit dem Wiener Akademischen Wagner-Verein durchgeführt worden war, waren alle Symphonien Bruckners — abgesehen von der ‘Studien-Symphonie’ in f-Moll und der ‘Annullierten’ in d-Moll — uraufgeführt worden und hatten zudem ihre Wiener Erstaufführung erlebt.
1905 leitete Löwe in München das erste Bruckner-Fest, in dessen Rahmen die IV., VI. und IX. Symphonie aufgeführt wurden,36 und in der Konzertsaison 1910/1911 dirigierte er, ebenfalls in München, die erste zyklische Aufführung der I. bis IX. Symphonie Anton Bruckners.37
III. 3.4 Max
von
Oberleithner
Max von Oberleithner kam nach eigener Aussage38 auf Empfehlung Felix Mottls im Jahre 1890 als Privatschüler zu Anton Bruckner.39 Oberleithner muß aber schon im November 1889 bei Bruckner vorstellig geworden sein: Der Brief Mottls an ihn trägt das Datum vom 25. Oktober 1889.40 Zudem hatte offenbar auch Josef Schalk entschei
34 Die Verschiedenartigkeit der beiden großen Bruckner-Dirigenten zeigt sich unter anderem darin, daß Franz Schalk niemals auswendig dirigierte, während Ferdinand Löwe sowohl auswendig Klavier spielte wie auch dirigierte, was zahlreichen Kritikern einer Erwähnung wert war. (Vergleiche Anm. 29) 35 Kritik zur Wiener Erstaufführung der V. Symphonie am 1. März 1898, zitiert nach Reinhard Rauner: Ferdinand Löwe (vergleiche Anm. 6), S. 127 f. 36 GölL/Auer, Bd. IV.4, S. 53 37 Zu Aufführungsdaten Brucknerscher Symphonien unter Leitung Ferdinand Löwes vergleiche auch Ingrid Fuchs: „Künstlerische Väter“ und „Vormünder“. Bruckner und die zeitgenössischen Dirigenten seiner Symphonien, in: Bruckner-Symposion 1994, S. 80. 38 Max von Oberleithner: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6), S. 19-21
39 Diese Daten werden auch in der Sekundärliteratur verbreitet. Vergleiche etwa Erich Wolfgang Partsch: Artikel Oberleithner, Max von, in: Bruckner-Handbuch, S. 313 f. 40 Max von Oberleithner: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6), S. 21
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denden Anteil an der Vermittlung Oberleithners an Bruckner. In einem Brief vom 3. Dezember 1889 forderte er Oberleithner unter Berufung auf Bruckner auf, ihm Kompo sitionen zu schicken: „Nach den Äußerungen des Herrn Professors Bruckner würde es mich allerdings interessieren von Ihren Sachen etwas kennen zu lernen, nur müßten Sie die Freundlichkeit haben sie mir 8-10 Tage zu überlassen, da ich nicht voraus bestimmen kann, wann ich dazu komme dieselben anzusehen.“41 Nachdem Schalk die eingesandten Noten durchgesehen hatte, empfahl auch er Oberleithner, bei Bruckner ‘in die Lehre zu gehen’: „Für Sie handelt es sich, wenn ich ehrlich sprechen soll, gegenwärtig nicht um Vervollkommnung in der Instrumentation, Beherrschung des modernen Orchesters, son dern um das gewissenhafte Studium des strengen vierstimmigen Satzes, wie Sie es unter keiner anderen Leitung als Professor Bruckner’s besser absolvieren könnten.“42
Als Oberleithner seine Studien bei Bruckner aufnahm, hatte er lediglich dessen IV. und VII. Symphonie kennengelernt, „und zwar die vierte noch in meiner Gymnasialzeit mit wenig Verständnis.“43 In der Folgezeit wurde seine Begeisterung für Bruckner nicht nur durch den persönlichen Umgang mit seinem Lehrer gefördert, der schon bald den Charakter eines Freundschaftsverhältnisses annahm, sondern ebenso durch den Kontakt mit anderen Bruckner-Schülern, vor allem Josef Schalk und Ferdinand Löwe. Über die Bedeutung Löwes für sein wachsendes Bruckner-Verständnis berichtete Oberleithner in seiner Selbstbiographie: „In dieser Zeit [Anfang der neunziger Jahre] begann auch mein Verkehr mit Ferdinand Löwe [...]. Wenn Löwe gut aufgelegt war, so spielte er mir eine Symphonie von Bruckner vor, die ich noch nicht kannte [...]. Es lässt sich kaum beschreiben, mit welcher Klarheit Löwe einen symphonischen Satz am Klavier heraus brachte. Er spielte auswendig, mit besonderer Inspiration, der Aufbau des Satzes kam wie aus einem Guss, nicht die Spur der an Bruckner stets mit Unrecht getadelten Formlosigkeit. — Es ist Löwe wohl später als Dirigent gelungen, das Orchester des Konzertvereines und das Publikum allmählig zum Verständnis der Bruckner Symphonien zu erziehen, aber niemals vermochte er so unmittelbar zu wirken, als bei seinen Vorträgen am Klavier.“44 Oberleithner hatte nicht die Möglichkeit, sich wie Franz Schalk oder Ferdinand Löwe für Bruckner als Dirigent einzusetzen oder so wie Josef Schalk als Pianist und Publizist für die Verbreitung der Werke seines Lehrers zu kämpfen. Dennoch fand auch er einen Weg, der seinen individuellen Möglichkeiten entsprach und dessen Bedeutung für Bruck ner nicht zu unterschätzen ist: Oberleithner, dem es aufgrund seiner Herkunft möglich war, aus finanzieller Unabhängigkeit heraus zu handeln, mobilisierte diese Unabhängigkeit und seine damit verbundenen Beziehungen zur Finanzwelt für Bruckner. Als er den Unterricht bei Bruckner aufnahm und dessen Arbeitsbelastung durch die Lehrverpflich tungen am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde, an der Universität und durch die Privatschüler aus nächster Nähe miterlebte, rief er 1890 mit Josef Schalk, 41 ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 251/2
42 ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 251/3
Max von Oberleithner: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6), S. 22 44 ders.: Selbstbiographie (vergleiche Anm. 11), S. 71 f.
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Bruckners Freund Carl Almeroth und Unterstützung seines sehr wohlhabenden Vaters in Steyr einen Kreis von finanzkräftigen Mäzenen ins Leben.45 Dadurch war es Bruckner möglich, die Unterrichtstätigkeit am Konservatorium im Sommer 1890 niederzulegen.
Darüber hinaus unterstützte Oberleithner, der zusammen mit Josef Schalk ständiger Teilnehmer der geselligen Abende Bruckners mit seinen Schülern im Wirtshaus war, Bruckner auch als ‘Sekretär’ und wirkte bei Drucklegungen einzelner Werke mit. So betreute er den 1892 erschienenen Erstdruck der Messe in d-Moll und vermittelte Ferdinand Löwe den Auftrag für die Erstellung des Klavierauszuges: „Auf meine Veranlassung bestellte Herr Hämmerle46 das Arrangement des Klavierauszuges bei Ferdinand Löwe. Die Korrektur des Auszuges, der Partitur und der Stimmen habe ich besorgt.“47 Auch an Vorbereitung und Korrektur des Erstdruckes der VIII. Symphonie war Oberleithner beteiligt, wovon noch im weiteren Verlauf dieses Kapitels die Rede sein wird.
III.4 Die Schüler als Bearbeiter Wie in den bisherigen Ausführungen beschrieben, war es die Bruckner entgegenge brachte, grenzenlose Verehrung, welche die Brüder Schalk, Ferdinand Löwe und Max von Oberleithner veranlaßte, sich selbstlos und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für ihren Lehrer einzusetzen, damit Bruckner und sein Werk den ihnen gebührenden Platz im Konzertleben ihrer Zeit einnehmen konnten. Neben dieser idealistischen ‘Propa ganda’ für ihren Lehrer begleiteten die Schüler und Freunde aber auch den Entstehungs prozeß der unterschiedlichen Fassungen als gleichsam ‘kritische Instanz’ und wurden darüber hinaus von Bruckner sogar zur Mitgestaltung dieser Prozesse animiert.48 Daraus und aus Bruckners eigener Änderungsbereitschaft leiteten sie jedoch die Legitimation ab, auch ohne Bruckners Wissen in dessen Werke eingreifen zu dürfen. Somit bildet die Thematik der Fassungen die Grundvoraussetzung für das Entstehen der Fremdbearbei tungen — Von der von Bruckner gutgeheißenen Mitverantwortung für die Fassungen zu eigenmächtigen Eingriffen ohne Bruckners Wissen war es oftmals nur ein kleiner Schritt. Diese Eigenmächtigkeiten im Umgang mit den Brucknerschen Texten beruhen zum Teil auf den nicht selten aufgetretenen, in Kapitel 2, Abschnitt V.4 beschriebenen Pro blemen, Bruckner von der ‘Richtigkeit’ eines eigenen Änderungsvorschlages zu über zeugen. Die Schüler hatten die Erfahrung gemacht, daß Bruckner zwar in der Lage war, Kritik und Anregungen zu verinnerlichen, aber genauso mit allem Nachdruck auf seinen Texten bestehen konnte und sich dann zu keinerlei Kompromissen bereit fand. Daher zogen sie es „gelegentlich vor, statt des mühsamen Weges der Diskussion und Überzeugung den einfacheren Weg des eigenständigen Eingriffs zu gehen — nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Bruckners Zustimmung.“49 Sie wollten ihre Änderungen nicht
45 ders.: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6), S. 34 f. 46 Theodor Hämmerle, Innsbrucker Industrieller und Bruckner-Mäzen, der unter anderem den Erstdruck der Messe in d-Moll im Verlag Johann Gross (Innsbruck) finanzierte. 47 Max von Oberleithner: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6), S. 51 48 Vergleiche Kapitel 2, Abschnitt V
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gefährden und Bruckner lieber mit einer Aufführung gleichsam ‘vor vollendete Tatsachen’ stellen, denn schon oft hatten sie miterlebt, daß Bruckners Verstimmung und Zorn durch einen Erfolg beim Publikum geradezu schlagartig beseitigt sein konnten.49 50
Dort, wo pures Verschweigen von Eingriffen oder sonstigen Eigenmächtigkeiten nicht ausreichte, schreckten die Bearbeiter auch nicht davor zurück, Bruckner bewußt zu täuschen. Dies gilt nicht nur für die Bearbeitungen der V. Symphonie durch Franz Schalk oder der VIII. Symphonie durch Josef Schalk und Max von Oberleithner,51 welchen in diesem Kapitel eigene Abschnitte gewidmet sind, sondern auch schon für die zweite Druckfassung der III. Symphonie. Wie in Kapitel 2, Abschnitt V.2 angespro chen, hatte Gustav Mahler Bruckner die erneute Umarbeitung der Symphonie ausgeredet, obwohl Bruckner zusammen mit Franz und Josef Schalk schon erhebliche Arbeit in diese zweite Druckfassung investiert hatte. Folglich setzten die Brüder Schalk alles daran, den Druck der Symphonie zu verschieben, um Bruckner in der dadurch gewonnenen Zeit abermals von ihrem Standpunkt überzeugen zu können: „Es ist jetzt nichts zu machen als den Druck ohne Wissen Bruckner’s nochmals hinaus zu schieben bis die Anwesenheit seines geliebten Francisco wieder alles, wie ich hoffe, in’s Gleichgewicht bringt.“52 Eine Woche darauf ermahnte Josef Schalk seinen Bruder noch einmal: „Das beste ist wir lassen diese Angelegenheit vorläufig einschlafen, er darf keine Ahnung davon bekommen, daß der Druck hinausgeschoben wird.“53
Neben diesen persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Bruckner war auch Bruckners Situation in Wien ausschlaggebend für die Änderungsbereitschaft der Schüler — hatten sie doch immer wieder erleben müssen, wie schwierig oder unmöglich es war, Dirigenten, Kritiker und Publikum für die Werke Bruckners zu interessieren. Sie sahen in Bruckner ein Opfer der Wiener Kritik, die mit allen Mitteln Erfolge Bruckners zu verhindern suchte. Und sie hatten gespürt, wie ihr verehrter Lehrer menschlich unter dieser Situation litt. Zwar ist das vielzitierte Bild von Bruckners ‘Purgatorio’ in Wien von der jüngeren Bruckner-Forschung längst als Klischee enttarnt worden,54 es bleibt aber die Tatsache, daß Bruckners Schüler und Freunde von diesem Bild überzeugt waren und ihr Handeln daran orientierten. Zudem wurde Bruckners Musik, wie in Kapitel 1, Abschnitt V.l beschrieben, tatsächlich von der überwiegend konservativ eingestellten Wiener Kritik 49 Leibnitz 1988, S. 277
Exemplarisch dafür ist die Geschichte der Uraufführung der V. Symphonie auf zwei Klavieren durch Josef Schalk und Franz Zottmann (vergleiche Abschnitt V.l dieses Kapitels, S. 150), ebenso die Umstände der ersten konzertanten Aufführung der Messe in f-Moll in einem Konzert des Wiener Akademischen Wagner-Vereins am 23. März 1893 in der Bearbeitung Josef Schalks (siehe Leibnitz 1988, S. 176 f.). 51 Die Bearbeitungen der VI. und der IX. Symphonie erfolgten erst nach Bruckners Tod, weshalb sich das Problem der Täuschung und Hintergehung Bruckners dort nicht mehr stellte. 52 Brief vom 13. Juli 1888 von Josef Schalk an Franz Schalk, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 135 53 Brief vom 20. Juli 1888 von Josef Schalk an Franz Schalk, ebenda
54 Vergleiche etwa Franz Grasberger (Hg.): Anton Bruckner in Wien. Eine kritische Studie zu seiner Persönlichkeit (Mit Beiträgen von Manfred Wagner, Johannes-Leopold Mayer, Elisabeth Maier und Leopold M. Kantner), Graz 1980 (= Anton Bruckner — Dokumente und Studien 2), aber auch Leibnitz 1988, Kapitel 1: Das „neue Brucknerbild“ und die Brüder Schalk (S. 9-21)
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(Eduard Hanslick, Max Kalbeck oder Gustav Dömpke) bekämpft, unter anderem deshalb, weil Bruckner sich geradezu emphatisch zu Richard Wagner bekannte.
So kam es, daß die ab 1885 im Ausland, vor allem in Deutschland einsetzenden Erfolge Bruckners nur langsam und mit zeitlicher Verzögerung in Wien wirksam wurden und Bruckner sich trotz des überwältigenden Erfolges der Münchener Aufführung der VII. Symphonie am 10. März 1885 im Herbst desselben Jahres veranlaßt sah, von Aufführungen dieser Symphonie in Wien Abstand zu nehmen. So schrieb er am 7. September 1885 an Hermann Levi: „Herr Richter55 sagte mir gestern, will das Te Deum aufführen; — die siebente bekommt er nicht! — Hanslick!!! — Ich sagte Herrn Richter, wenn er einmal eine Symphonie aufführen will, so soll er eine von denen nehmen, die Hanslick ohnehin schon ruiniert hat; die kann er noch mehr zu Grunde richten.“56 Einige Wochen danach wiederholte er diese Aufforderung auch in einem direkt an die Wiener Philharmoniker adressierten Brief, und zwar „aus Gründen, welche einzig der traurigen localen Situation entspringen in Bezug der maßgebenden Kritik, die meinen noch jungen Erfolgen in Deutschland nur hemmend in den Weg treten könnte.“57
In dieser Situation sollten die Eingriffe der Bearbeiter in Bruckners Symphonien dazu beitragen, Bruckners Musik für die Orchester besser spielbar und für das Publikum leichter rezipierbar zu machen, neben Kürzungen hauptsächlich durch Uminstrumentie rungen, die das spezifische Klangbild Bruckners auch ‘gefälliger’ machen und dem Zeitgeschmack annähem sollten. Dabei konnten die Bearbeiter ihre Argumentation auf namhafte Dirigenten stützen. So hatte Hermann Levi seine Ablehnung der VHI. Symphonie Josef Schalk gegenüber hauptsächlich mit Bruckners „unmöglicher“ Instrumentation und der „fast schablonenmäßigen“ Form begründet.58 Auch Arthur Nikisch, obgleich begeistert von der VII. Symphonie, schrieb Bruckner wenige Tage vor der Uraufführung des Werkes: „Einige Stellen werden Sie ändern müssen in der Instrumentation, da sie unpraktisch geschrieben sind und nicht schön klingen.“59
Die Fremdbearbeitungen waren aber bei weitem nicht nur als Kompromiß gegenüber der Wiener Kritik zu verstehen: In ihnen drücken sich im Kem auch die eigenen Kritik punkte der Bearbeiter an Bruckners Musik aus. So äußerte sich etwa noch im Jahre 1921 Franz Schalk in einer bereits in Kapitel 1 zitierten Stellungnahme über die Brucknersche Form in auffallender Analogie zu Hermann Levi, wenn er Bruckners Form als „primitiv“ bezeichnete und meinte, daß kaum einer der großen Komponisten mit dem Formproblem sorgloser umgegangen sei als Bruckner, der sich ein sehr einfaches Schema für seine Sätze zurecht gelegt, darüber offenbar niemals spekuliert und in allen seinen Symphonien ganz gleichmäßig daran festgehalten habe.60 55 Hans Richter, zu der Zeit Dirigent der Philharmonischen Konzerte und Leiter der Gesellschaftskonzerte der Gesellschaft der Musikfreunde 56 Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 850907
57 ebenda, Nr. 851013/1. Vergleiche dazu auch Nr. 851106 58 Brief VOM 30. September 1887, in: Bruckner-Briefe, neue Folge, S. 395 f. Der Brief ist im Wortlaut zitiert in Kapitel 5, Abschnitt IV.2, S. 308. 59 Brief vom 21. Dezember 1884, in: Bruckner-Briefe, neue Folge, S. 338 f.
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Die Bearbeitungen waren also aus innerster Überzeugung durchgeführt, und auch dort, wo Bruckner hintergangen wurde, glaubten die Bearbeiter, daß dies ‘im Namen Bruckners’, auf jeden Fall aber zum Wohle Bruckners und seiner Werke geschehe.
III.5 Bruckners Einstellung zu
den
Fremdbearbeitern
Es überrascht nicht, daß sich Bruckners Einstellung zu seinen Freunden und Schülern vor diesem Hintergrund höchst ambivalent gestaltete: Wie in Kapitel 2, Abschnitt V beschrieben, nahm er zwar die ihm aus Verehrung entgegengebrachten Hilfsangebote gerne an, ja er suchte bisweilen sogar die Assistenz seiner Schüler, und obwohl er sich noch 1886 — in einer Zeit, in der die Schüler zahlreiche seiner Werke im Wiener Akademischen Wagner-Verein in Klavierbearbeitungen zu Gehör brachten — bei Felix Mottl bitter über eine Aufführung des Te Deums mit zwei Klavieren beklagt hatte,60 61 war er froh, daß seine Werke wenigstens in dieser Form in Wien Verbreitung fanden. Bruckners Dankbarkeit aber bewahrte die Schüler nicht vor der gewissenhaften Über prüfung der anvertrauten Arbeiten, worüber etwa Friedrich Klose in den Erinnerungen an seine Unterrichtszeit bei Bruckner berichtete.62 Zudem konnte Bruckners Wohlwollen auch in Unzufriedenheit über seine Schüler umschlagen. So soll er sich über das von Josef Schalk verfaßte Konzertprogramm zur VII. Symphonie Carl Hruby gegenüber sehr negativ geäußert haben.63 Eine zeitweilige Verstimmung zwischen Bruckner und Josef Schalk bewirkte auch Schalks Einsatz für Hugo Wolf, der hauptsächlich auf Schalks Betreiben ab den späten achtziger Jahren vom Wiener Akademischen Wagner-Verein besonders gefördert wurde. Bruckner reagierte eifersüchtig und fühlte sich zurückgesetzt, auch da sich zwischen seinem ehemaligen Schüler und dem nur drei Jahre jüngeren Wolf schnell ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut hatte.64
Einige Jahre später, im Januar 1893, beklagte sich Bruckner bei Hermann Levi über mangelnde Gesellschaft, auch von Seiten der Wagnerianer: „sogar [Josef] Schalk und
60 Der Text ist im Wortlaut zitiert in Kapitel 1, Abschnitt II.2, S. 37 f. 61 Brief von Bruckner an Felix Mottl vom 4. Mai 1886, in: Bruckner-Briefe 1852-1886, Nr. 860504 62 Bruckner hatte Klose um eine Kopistenarbeit gebeten: „Als ich die Arbeit ablieferte, war Bruckners erste Frage, ob ich alles genau abgeschrieben hätte, worauf ich erklärte, nur ein paar überflüssige Verset zungszeichen weggelassen zu haben. Ich bemerkte sofort, daß diese Eröffnung keinen Beifall fand; denn aus Bruckners Entgegnung: ‘Wir werden sc ho seg’n’, klangs gewitterdrohend. Und nun setzte er sich ans Klavier und spielte mit nervösen Fingern Note um Note ab. Jedesmal, wenn ein Vorzeichen fehlte, mäkelte er: ‘Da hab’n S’ wieder a Kreuz oder a b wegg’lassen’, wobei das Umstandswort ‘wieder’ ein unheimliches Crescendo erfuhr, und meinen berechtigten Gründen für das Weglassen kein Gehör geschenkt wurde. Bruckners ständige Entgegnung lautete: ‘Ich hab’s g'macht, und dann hat’s der Kopist a z’ mach’n’. Nun aber wollte es das Verhängnis, daß ich [...] irgendwo ein tatsächlich unentbehrliches Vorzeichen vergessen hatte. — Da war’s aus. — Bruckner erhob sich und sprach die Sentenz: ‘Wer sich für etwas anträgt, das er entweder nicht machen kann, oder nicht machen will, der ist kein Gentleman.’“ (Friedrich Klose: Meine Lehrjahre bei Anton Bruckner. Erinnerungen und Betrachtungen, Regensburg 1927, S. 135 f.)
63 Carl Hruby: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner, Wien 1901, hier zitiert nach Auer 1941, S. 346 f.
64 Vergleiche dazu Leibnitz 1988, Kapitel 3.4, S. 111 ff.
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Löwe haben mich verlassen“,65 und aus einem wenige Wochen darauf an August Göllerich adressierten Brief spricht ein gekränkter, sich zurückgesetzt fühlender alter Mann: „Ich fühle mich total verlassen! Niemand will kommen, oder doch höchst selten. Der Wagner-Verein ist ihnen alles! Selbst Oberleithner ist nur dort! H.[err] Schalk [Josef Schalk] scheint ihn ins Garn gezogen zu haben. Schon vor Monaten hörte ich von Bekannten, daß Schalk meine 3. Messe aufführen will. Mir sagte er’s erst vor Tagen.“66 (Hervorhebungen im Original) Zudem überliefern Göllerich/Auer, daß Bruckners Haus hälterin Katharina Kachelmayer in Bruckners letzter Zeit nur noch Anton Meißner,67 nicht jedoch Josef Schalk, Ferdinand Löwe oder Hugo Wolf zu Bruckner vorlassen durfte.68
Wenn auch Quellen wie die Veröffentlichungen von Göllerich/Auer und besonders von Carl Hruby erwiesenermaßen nicht zu der in jedem Punkt verläßlichen Bruckner-Li teratur gerechnet werden dürfen, und das Verhalten von Bruckners Haushälterin auch auf eine Anweisung der Ärzte Bruckners zurückgeführt werden könnte, scheint Bruckner dennoch besonders in seinen letzten Jahren ein durch Briefdokumente belegtes, grundle gendes Mißtrauen gegenüber seinen Helfern und deren Bearbeitungsmentalität entwickelt zu haben. So äußerte er sich einmal über die Klavieraufführungen Löwes und Josef Schalks: „Wenn die meine Sachen spielen, erkenne ich sie nicht mehr wieder!“69 Auch diesbezügliche Versprechungen seiner Schüler — welche bereits durch ihre bloße Existenz ein bezeichnendes Licht auf die hier geschilderte Problematik werfen —, konnten Bruckners Mißtrauen nicht immer restlos ausräumen: „Hochgeehrter Herr Pro fessor! Ich erkläre mich hie[r]mit auf ihren Wunsch zur Correktur Ihrer 3. Symphonie mit Vergnügen bereit und verpflichte mich, mich dieser Arbeit auf das sorgfältigste zu unterziehen, ohne jede willkürliche Abänderung des Manuscriptes. Dies zu ihrer völligen Beruhigung.“70 Besonders wenn Bruckner im Zusammenhang mit der Drucklegung seiner Werke den Verdacht hatte, eine im Rahmen einer neuen Fassung von seinen Schülern vorge schlagene Änderung könne auch gegen sein ausdrückliches Veto, durch eine Eigenmäch tigkeit der Bearbeiter, in die Partitur übernommen worden sein, reagierte er ungehalten. So berichtete Josef Schalk seinem Bruder eine Episode aus der Zeit der Drucklegung der Messe in f-Moll: „Mit Bruckner haben wir [Josef Schalk und Max von Oberleithner] leider wieder einen argen Zwist gehabt. [...] Veranlassung dazu war der bei B.fruckner] plötzlich ausgebrochene Argwohn es könne in der im Druck befindlichen F Messe 65 Brief vom 14. Januar 1893, zitiert nach Franz Gräflinger: Anton Bruckner. Leben und Schaffen (Umgearbeitete Bausteine), Berlin 1927, S. 354 66 Brief vom 10. März 1893, in: Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 282 67 Anton Meißner (1862-1945); Schüler Bruckners am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ab 1876; in Bruckners letzten Jahren dessen Sekretär. 68 Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 527
69 Robert Keldorfer: Streiflicht zum Bruckner-Streit!, in: Zeitschrift für Musik 103 (1936), S. 1512. Siehe auch Auer 1941, S. 406 f. 711 Visitenkarte an Bruckner vom 25.9.1889, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 276
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etwas ohne sein Wissen geändert worden sein. Mit dem größten Ungestüm forderte er seine Partitur zurück [...]. Glücklicherweise ist die gedruckte Partitur noch nicht erschie nen und bleibt nur zu hoffen, daß Bruckner inzwischen die Sache wieder vergißt, sonst giebt’s einen Höllenskandal.“71
Aus dem (berechtigten) Mißtrauen in die Zuverlässigkeit seiner Helfer und der Sorge um die Unversehrtheit seiner Partituren resultierte vermutlich auch die Vererbung seiner Partituren an die k. u. k. Hofbibliothek und damit an den Kaiser als höchster weltlicher Autorität. Hier wußte der autoritätsgläubige Anton Bruckner seine Originalpartituren sicher vor Eingriffen, da er zudem verfügt hatte, daß seine Autographe der Stecherei Eberle als direkte Vorlage für weitere Drucke seiner Symphonien jederzeit zur Verfügung gestellt werden sollten.72 Ähnliche Gründe werden Bruckner im Frühjahr 1895 veranlaßt haben, die Autographe der ersten drei Sätze seiner IX. Symphonie Karl Muck zur Aufbewahrung zu übergeben, „damit nichts daran geschieht“.73 Obwohl das Verhältnis zwischen Bruckner und seinen Schülern und Freunden also manchmal angespannt war — wofür Bruckners leichte Reizbarkeit sicher ebenso verant wortlich zu machen ist wie die Bearbeiter-Mentalität der Schüler, Bruckners Verstim mungen in Bezug auf die von ihm vermuteten Bearbeitungen also durchaus begründet waren — gestaltete sich dieses Verhältnis aber in weiten Teilen freundschaftlich bis herzlich, auch weil Bruckner auf diese sozialen Bindungen nicht verzichten wollte. Das belegt nicht nur der Briefwechsel Bruckners mit seinen Schülern aus den letzten Jahren: Auch die Heranziehung Ferdinand Löwes als einen der drei Zeugen für Bruckners Testament oder die auf Bruckners Wunsch erfolgte Bestellung von Löwe und Josef Schalk als Sichter seines Nachlasses müssen als Vertrauensbeweis gewertet werden. Konfliktpotential ergab sich aber auch daraus, daß sowohl die Brüder Schalk als auch Ferdinand Löwe ihr Musikstudium im Jahre 1880 bzw. 1881 abgeschlossen hatten und zur Zeit der Bearbeitungen einer reinen Schülerrolle längst entwachsen waren. So konnte Franz Schalk 1894 bereits auf zehnjährige Erfahrungen als Theaterkapellmeister zurück blicken, und Ferdinand Löwe hatte 1903 sogar eine über zehnjährige Dirigenten-Karriere hinter sich, was sicher einer der Gründe für das ausgeprägte Selbstbewußtsein war, mit dem die Bearbeiter Anton Bruckner gegenübertraten.
71 Brief vom 24. Mai 1894, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 192
72 In Bruckners Testament vom 10. Oktober 1893 heißt es unter Abschnitt 4: „Ich vermache die Originalmanuscripte meiner nachbezeichneten Compositionen: Der Symphonien, bisher acht an der Zahl — die neunte wird, so Gott will, bald vollendet werden, — der 3 großen Messen, des Quintetts, des Tedeums, des 150. Psalms und des Chorwerkes Helgoland — der kais. und kön. Hofbibliothek in Wien und ersuche die k. u. k. Direction der genannten Stelle, für die Aufbewahrung dieser Manuscripte gütigst Sorge tragen zu wollen. Zugleich bestimme ich, daß die Firma Jos. Eberle u. Cie. berechtigt sein soll, die Manuscripte der von ihr in Verlag genommenen Compositionen für eine angemessene Zeit von der k. k. Hofbibliothek zu entlehnen und soll Letztere verpflichtet sein, den Herren Jos. Eberle u. Cie. gedachte Originalmanuscripte für eine entsprechende Zeit leihweise zur Verfügung zu stellen.“ (Vergleiche dazu Rolf Keller: Die letztwilligen Verfügungen Anton Bruckners, in: Bruckner-Jahrbuch 1982/83, S. 95-115) 73 Auer 1941, S. 418. Vergleiche auch Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 527 und Bd. IV.2, S. 420
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IV. JOSEF SCHALK, MAX VON OBERLEITHNER UND DIE VIII. SYMPHONIE IV. 1 Einleitung Die erste Symphonie, deren Bearbeitung in diesem Kapitel besprochen werden soll, ist die VIII. Symphonie in c-Moll. Der Erstdruck ihrer zweiten Fassung erschien im Jahre 1892 und wurde von Josef Schalk und Max von Oberleithner betreut. Auf welche Aspekte sich diese — anonyme — Herausgebertätigkeit jedoch im einzelnen erstreckte, und vor allem welche Aufgaben dabei den beiden Herausgebern zukamen, wird bis heute unterschiedlich bewertet. So erwähnte Gernot Gruber Oberleithner in diesem Zusammenhang gar nicht, meinte, daß der Erstdruck der VIII. Symphonie von Josef Schalk bearbeitet worden sei und sprach von ungewissen Anteilen Bruckners an dieser Bearbeitung,74 und Erich Wolfgang Bartsch schrieb: „Inwieweit er selbst [Oberleithner] Änderungen an der Achten vomahm, an Schalks Eingriffen beteiligt war oder nur beratende Funktion innehatte, ist ungeklärt.“75 Dagegen betonte Leopold Nowak schon 1955 Oberleithners organisatorische Funktion bei der Herausgabe des Erstdruckes: „Max von Oberleithner erledigte den schriftlichen Verkehr mit dem Verleger Schlesinger [Robert Lienau jr.] in Berlin, während Josef Schalk die musikalische Einrichtung der Partitur besorgte.“76 Dem widersprach 33 Jahre danach Thomas Leibnitz: „Josef Schalk beriet Max v. Oberleithner bei der Drucklegung der VIII. Symphonie und brachte dabei einige, ihm notwendig erscheinende Korrekturen an.“77
Die folgende Untersuchung beschäftigt sich anhand einer chronologischen Aufstellung mit den Umständen der Entstehung des Erstdruckes, um im Anschluß daran zu untersuchen, nach welchen Kriterien die VIII. Symphonie bearbeitet wurde. Auf die Rolle Oberleithners und Josef Schalks bei der Entstehung des Erstdruckes wird in der anschließenden Aus wertung anhand zweier bisher noch nicht vollständig veröffentlichter Briefe eingegan gen.78
IV.2 Zur Entstehungsgeschichte des Erstdruckes
der
VIII. Symphonie
Bruckner beendete die Arbeit an der zweiten Fassung seiner VIII. Symphonie im März 1890 mit der letzten Durchsicht des Kopfsatzes; die übrigen Sätze hatte er bereits in den Monaten zuvor vollendet.79 So konnte zumindest das Scherzo schon vor Abschluß 74 Vergleiche Artikel Achte Symphonie c-Moll (WAB 108), in: Bruckner-Handbuch, hier S. 428 75 Artikel Oberleithner, Max von, in: Bruckner-Handbuch, hier S. 314
76 Leopold Nowak: Anton Bruckners Achte Symphonie und ihre zweite Fassung (1955), in: Nowak 1985, S. 27-29, hier S. 28 77 Leibnitz 1988, S. 276 78 Im laufenden Text ist im Zusammenhang mit einzelnen Änderungen von ‘den Bearbeitern’ oder von ‘Josef Schalk und Oberleithner’ die Rede, da viele Eingriffe nicht eindeutig einem der beiden Bearbeiter zugeordnet werden können.
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der gesamten Symphonie abgeschrieben werden, und auch die übrigen Sätze waren bald nach Fertigstellung für die Druckvorlage kopiert. Diese Erstdruck-Vorlage befindet sich heute unter der Signatur A 178a - XIII 32.394 im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Sie besteht aus Abschriften mehrerer Kopisten und ist in einen Band eingebunden: Auf den Kopfsatz folgt die Coda des Finales, das Adagio, das Scherzo nebst Trio und das Finale bis Takt 628 der zweiten Fassung. Angefügt sind vier Seiten eines Particells mit Passagen aus dem Finale. Die beiden Mittelsätze wurden auf kleinerem Papier geschrieben. Am Schluß des ersten Satzes findet sich die Unterschrift des Kopisten nebst Datum: V.[ictor] Ch.[rist] 9.4.1890. Die Abschrift von Scherzo und Trio fertigte Bruckners Kopist Leopold Hofmeyr an: Am Schluß vom Trio notierte er: copirt 29/y^ 89 Leopjold] Hofmeyr . Auch innerhalb der einzelnen Sätze scheint der Kopist gewechselt zu haben, so etwa im Adagio bei Buchstabe P oder im Finale bei Buchstabe Aa.79 80
Die Druckvorlage weist leider einige Lücken auf: Vermutlich sind nach Herstellung der Platten und vor dem Binden der Vorlage einige Bögen verlorengegangen. Möglich ist auch, daß diese an Autographensammler als ‘Souvenir’ weitergegeben wurden. Bruckner muß die Druckvorlage nach Erhalt noch einmal durchgesehen haben, bevor es sie zur Erstdruck-Vorbereitung an Josef Schalk und Max von Oberleithner weitergab: An zahlreichen Stellen finden sich autographe Nachträge Bruckners, hauptsächlich in der dynamischen Bezeichnung einzelner Stimmen.81 Zusätzlich dazu ist die Druckvorlage mit zahlreichen Einträgen des Stechers versehen, der mit Blaustift und Farbstiften im Druck leer bleibende Systeme ausstrich, überflüssige Akzidentien entfernte, die Vertau schung von Systemen oder die Zusammenlegung mehrerer Systeme, etwa in den Holz bläsern, notierte, oder mit Bleistift am Rand die Akkoladen und die einzelnen Notenlinien durchnumerierte und Akkoladen- und Seitenumbrüche sowie die endgültige Paginierung eintrug. Außerdem finden sich viele Ergänzungen und Korrekturen in heller und dunkler roter Tinte, seltener auch hellrotem Holzstift, welche auf die Bearbeitung Josef Schalks und Max von Oberleithners zurückgehen. Die Druckvorlage setzt sich demnach aus vier zeitlich aufeinander folgenden Schichten zusammen: Den Abschriften der Kopisten, den Korrekturen Bruckners, den darauf folgenden Einträgen Schalks und Oberleithners, und schließlich den Druckvorbereitungen des Stechers. In dieser Version entspricht die Erst druck-Vorlage exakt der gedruckten Partitur.
Nach Fertigstellung der Partitur trug Bruckner sogleich dem Kaiser sein Widmungs ersuchen vor, und bereits mit Datum vom 16. April 1890 wurde Bruckner die Annahme der Widmung mitgeteilt.82 Da, wie Max von Oberleithner berichtete, „bei der Annahme der Widmung der 8. Symphonie der Kaiser einen Betrag von 3000 fl. aus seiner Privat
79 Zur Entstehungsgeschichte der VIII. Symphonie vergleiche Kapitel 5, Abschnitt IV.2; zu den genauen Daten der einzelnen Sätze vergleiche Kapitel 5, Abschnitt IV.6.1 - IV.6.4 80 Die genauen Umstände konnten im Rahmen dieser Arbeit noch nicht vollständig geklärt werden.
81 So etwa im Finale für Alt- und Tenor-Posaune in T. 475 oder 469. 82 Vergleiche GöIL/Auer, Bd. IV.3, S. 46 f.
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Schatulle für die Druckkosten der Partitur“83 bestimmte, war auch der Druck finanziell abgesichert. Bruckner muß dann in den Monaten nach seiner eigenen Durchsicht die Druckvorlage Schalk und Oberleithner überlassen haben.
Der weitere Weg zur Drucklegung läßt sich anhand der schriftlichen Quellen im Fonds 32 ‘Oberleithner’ der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien rekonstruieren. Demnach erstreckten sich die Arbeiten Josef Schalks und Oberleithners an der Partitur bis Sommer 1891. Ende Juli/Anfang August konnte die Symphonie mit dem Finale abgeschlossen werden:84 „Die Korrektur der Partitur und der Orchester stimmen habe ich im Sommer 1891 gelesen“, schrieb Oberleithner in seinen Erinnerungen an Anton Bruckner,85 Als Verleger war die Schlesingersche Buch- & Musikalienhandlung in Berlin, vertreten durch dessen Besitzer Robert Rienau jr., gewonnen worden. Aus dem Briefwechsel Oberleithners mit Lienau ergibt sich folgender weiterer Ablauf :86 Bereits am 11. August 1891 bestätigte Lienau Oberleithner den Empfang des dritten Satzes und berichtete, daß sich die ersten beiden Sätze bereits im Stich befänden.87 Zwei Tage später traf der vierte Satz in Berlin ein,88 am 7. Oktober war die gesamte Symphonie gestochen,89 und am 7. November stand auch die Arbeit an den Stimmen kurz vor ihrem Abschluß.90 Die darauf folgenden Korrekturarbeiten an den Stimmen, der Partitur und dem zeitgleich dazu von Josef Schalk erstellten vierhändigen Klavierauszug verzögerten sich jedoch. Mehrmals beklagte Lienau die „außerordentliche Langsamkeit“ und ermahnte Oberleith ner: „Die Korrektur des 4 händigen Klavier-Auszuges ist bereits seit mehreren Wochen in Herrn Prof. Schalks Händen; ich bitte auch diese beschleunigen zu wollen.“91
Nachdem aber im Laufe des Januar 1892 die fehlenden Korrektur-Exemplare bei Lienau eingetroffen und die Fehler in den Druckplatten korrigiert waren, stand dem Druckbeginn nichts mehr im Wege: Am 4. Februar 1892 konnte Lienau Oberleithner mitteilen, daß „die Partitur sich bereits im Druck befindet.“92 Vier Wochen später, am 9. März 1892, berichtete Lienau schließlich, „dass soeben die ersten Exemplare der Partitur ein getroffen sind“,93 und neun Tage darauf, am 18. März, meldete das Deutsche Volksblatt auf Seite 7: „VIII. ist bei Haslinger erschienen“. 83 Meine Erinnerungen an Anton Bruckner (vergleiche Anm. 6), S. 52. Göll./Auer sprechen jedoch von einem Druckkosten-Zuschuß des Kaisers in Höhe von lediglich 1500 Gulden (Bd. IV.Z, S. 281). 84 Das geht aus zwei Briefen Josef Schalks an Max von Oberleithner vom 31. Juli und 5. August 1891 (ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 168) hervor, die in Abschnitt IV.4.1 ausführlich besprochen werden. 85 Vergleiche Anm. 6, hier S. 52 f. 86 Die folgenden Zitate stammen aus Briefen Robert Lienaus an Max von Oberleithner.
81 ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 252/6 88 Brief vom 13. August 1891, ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 252/7 89 ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 252/8
911 ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 252/10 91 Brief vom 7. Januar 1892, ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 252/12
92 ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 252/15 95 ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 169
132
Noch im gleichen Jahr, am 18. Dezember 1892, konnte die VIII. Symphonie mit überwältigendem Erfolg in einem Konzert der Wiener Philharmoniker unter Leitung Hans Richters uraufgeführt werden. Damit ist sie die einzige Symphonie Bruckners, welche bereits vor ihrer Uraufführung im Druck erschienen war.
IV.3 Vergleich
der
Originalpartitur
mit der
Bearbeitung 94
Vergleicht man die Bearbeitung Josef Schalks und Max von Oberleithners mit Bruck ners Original, so stellt man bei den Orientierungsbuchstaben, den Takt- und Tonartvor zeichnungen, den Eingriffen in den verbalen Notentext und den Tempoproportionen sowie den Abweichungen in den Satzlängen eine weitgehende Übereinstimmung fest: Die Orientierungsbuchstaben stimmen mit denen Bruckners überein, Wechsel der Tonart innerhalb eines Satzes treten nicht auf, der in der Bearbeitung fehlende Taktwechsel für die Streicher-Bässe der Takte 205 bis 210 im Adagio ist eindeutig auf einen Irrtum Schalks, Oberleithners oder des Stechers zurückzufuhren, und lediglich im Repriseneinsatz des Finales ist für die Takte 468, 470 und 472 bis 474 {462, 464 und 466 bis 468}95 im Zusammenhang mit der Vorschrift sehr breit jeweils ein 4/4 -Takt vorgezeichnet. Auch die Abweichungen in den Spielanweisungen sind allenfalls von marginaler Bedeutung. Das gilt auch für von Bruckner häufig gebrauchte Angaben wie marcato oder markig, welche Schalk und Oberleithner weitgehend unberührt ließen, obwohl deren Unterschlagung oder Abmilderung zur Klangveränderung hätte benutzt werden können.
Die von Bruckner festgelegten Tempoproportionen wurden von den Bearbeitern eben falls weitestgehend gewahrt. An Übergängen von Phrasen oder größeren Formteilen fügten sie jedoch oft für einen Takt ein ritardando ein,96 und besonders im ersten Satz auch mehrtaktige accelerando- bzw. ritardando-Passagen oder ein geändertes Grundtem po, so in Takt 102 bis 108 (Ein wenig belebter), ab Takt 153 (sehr ruhig), in Takt 217 bis 224 (Etwas bewegter), Takt 249 (Ruhig), Takt 263 bis 270 (Nach und nach ein wenig belebter), Takt 346 bis 353 (Ein wenig belebter) und Takt 361 bis 367 (Breiter). Ähnlich verfuhren Josef Schalk und Oberleithner mit dem großen Steigerungszug im Finale vor Einsatz der Coda (Buchstabe Pp bis Uu), für den sie das Tempo zunächst steigerten, dann aber mit einem ritardando wieder zurückführten. Manchmal wurde auch ein Brucknerscher Begriff durch einen mit ähnlicher Bedeutung ausgetauscht, wie etwa in Takt 169 des Adagios, wo Bruckner ein Bewegteres Tempo vorschrieb, die Bearbeiter es dagegen bei dem Vermerk nicht schleppend bewenden ließen.
Als Referenz dienen die Erstdruck-Partitur (Carl Haslinger, Berlin o. J. [1892], Platten-Nr. S 8288) und die Partitur der zweiten Fassung in der NGA (Bd. 8/2). 95 Die Taktangaben in geschweiften Klammem beziehen sich auf den Erstdruck.
96 So etwa im ersten Satz in T. 44, 72 (hier und an der Parallelstelle in T. 330 sogar verbunden mit der Anweisung Viertel - Halbe), 88, 95, 138, 310 und 315, im Scherzo in T. 106, 119-122 und 126, im Trio in T. 84, im Adagio in T. 46, 160 und 210, und im Finale in T. 150 {144}, 385 {379}, 400 {394}, 428 {422} sowie 480 {474}.
133
Längenabweichungen treten im Erstdruck der VIII. Symphonie lediglich im Finale auf. Dort entfernte Josef Schalk die Takte 93 bis 98, fügte jedoch nach Takt 520 in einen Steigerungszug zwei Takte ein (Takt 515 und 516 des Erstdruckes). Neben diesen für die Gesamtlänge und den formalen Ablauf des Satzes eher unerheblichen Abwei chungen finden sich im Erstdruck zwei umfangreichere Kürzungen, welche aber als vi-de-Passagen Eingang in die Partitur gefunden haben. Die erstere bezieht sich auf den sechzehntaktigen letzten Abschnitt der Durchführung des Kopfsatzes (Buchstabe O bis P)97 die zweite auf eine längere Periode im Finale, die Takte 523 bis 580 {519 bis 576}, womit der von Bruckner ohnehin bei der Umarbeitung des Satzes von der ersten zur zweiten Fassung gekürzte Seitensatz der Reprise ganz entfallen und damit der formale Ablauf verunklart worden wäre.
IV.3.1 Eingriffe
in die
Orchesterbesetzung und
die Instrumentation
Die Orchesterbesetzung der Originalpartitur wurde von Schalk und Oberleithner bis auf einen einzigen Takt der Symphonie beibehalten: Lediglich im Repriseneinsatz des Finales (Takt 479 {473}) ist dem Brucknerschen Instrumentarium ein Beckenschlag hinzugefügt. Auch die Eingriffe in die Instrumentation des Werkes erschöpfen sich fast ausnahmslos auf akustisch kaum wahrnehmbare Retuschen. So betreffen etwa ein Viertel der 122 im Anhang aufgelisteten Abweichungen des Erstdruckes von der Originalpartitur98 Tieferlegungen, hauptsächlich Oktav-Versetzungen der hohen Holzbläser-Stimmen, wel che den Gesamtklang ein wenig weicher und runder erscheinen lassen sollten.99 Einige Abweichungen gehen höchstwahrscheinlich auf Irrtümer Schalks, Oberleithners oder des Stechers zurück,100 an vielen Stellen wurden einzelne Töne oder Akkorde geringfügig verlängert oder verkürzt,101 Passagen durch hinzugefügte Stimmen oder Liegetöne aufge füttert,102 manchmal auch durch colla-parte-Spiel von Instrumenten aus anderen Orche stergruppen Mischklänge erzeugt,103 oder der Gesamtklang durch vereinzelte Streichungen der Kontra-Baßtuba etwas aufgehellt.104
Viele Änderungen lassen sich als Retuschen beschreiben, in denen die Bearbeiter einzelne Noten wegließen oder dem Kontext anpaßten; sei es, weil sie ein Versehen Bruckners oder des Kopisten vermuteten, sei es, weil es ihnen um spieltechnische
97 Die Erstdruck-Partitur läßt diese Kürzung versehentlich bereits in T. 262 und nicht erst in T. 263 beginnen.
98 Siehe Anhang IV, S. 451-454 99 Nr. 1,5, 6, 8, 12, 13, 14, 16, 21, 23, 24, 26, 28, 30, 34, 36, 39, 41,43, 47, 50, 52, 53, 58, 65, 70, 72, 75, 76, 77, 79, 82, 96, 98, 102, 109, 110 und 120. Die gleiche Wirkung erzielte Josef Schalk auch mit Nr. 73. 190 Nr. 15,31,45,48 und 60 "" Nr. 2, 11, 17, 32, 35, 38,40, 42, 44, 46,55,61,66, 80,81,83, 84, 86,88, 90, 94, 100 und 117
Nr. 3, 7, 18, 33, 74, 87, 91, 92, 95, 113 und 116 Nr. 9, 68,69, 97 und 118 '“Nr. 10, 22 und 108
134
Erleichterungen ging.105 Nur einmal schienen Schalk und Oberleithner durch eine Ände rung eine Dissonanz abmildem zu wollen.106 In zwei Passagen nähert sich der Erstdruck sogar dichter dem Autograph an als die heute gebräuchlichen Partituren: In der Coda des Adagios fehlen in den Takten 279 bis 282 zweite Violine und Viola, weil Bruckner sie im Autograph nachträglich ausrasiert hatte,107 und im Finale hatte Bruckner in Takt 577 {573} (Nr. 115) die Noten der Homer und Tuben zu notieren vergessen, da er an dieser Stelle nachträglich einen neu geschrie benen Bogen eingelegt hatte.108
Sind die bisher besprochenen Unterschiede zwischen Erstdruck und Originalfassung für das klangliche Gesamtergebnis insgesamt eher unbedeutend, so nahmen Schalk und Oberleithner auch Eingriffe in die Instrumentation vor,109 von denen zumindest einige gesondert erwähnt werden müssen. In den letzten Takten der Symphonie etwa, wo Bruckner gleichzeitig die Themen aller vier Sätze erklingen läßt, ist das Thema des Adagios ursprünglich nur dem ersten und zweiten Hom überlassen. Hier arbeiteten die Bearbeiter die melodische Substanz dieser Passage deutlicher heraus, indem sie die ersten beiden Hörner durch das zweite Hömerpaar verstärkten (Nr. 122; Takt 697 bis 708 {693 bis 704}). Einen der prägnantesten Eingriffe stellt die Umschichtung der melodischen Substanz in den Takten 637 bis 643 {633 bis 639} des Finales (Nr. 119) dar, in denen Schalk und Oberleithner den Streichersatz der Originalfassung zunächst für vier Takte in die Holzbläser und darauf in die Tuben legten. (Vergleiche Notenbeispiel 5 auf Seite 136) Ist der Sinn dieser Uminstrumentierung im Gegensatz zum zuvor genannten Beispiel nicht ersichtlich, so wollten die Bearbeiter mit der Hinzunahme der Oboen und Klarinetten in den Takten 688 bis 696 {684 bis 692} (Nr. 121) vermutlich einen Mischklang aus Trompeten und Holzbläsern und damit einen volleren Gesamtklang erzielen. (Vergleiche Notenbeispiel 6 auf Seite 137 f.) In Bruckners Originalfassung sind für die Holzbläser bis zum ersten Viertel in Takt 691 Liegetöne verzeichnet, auf die eine mehrtaktige Pause bis zum Einsatz des Tunis in Takt 697 folgt.
Nr. 19, 20, 27, 29, 37,49,51,54, 63,67,71,85,93, 101, 103, 104, 105, 111 und 114 106 Nr. 25 107 Nr. 62; vergleiche dazu auch Kapitel 5, Abschnitt IV.6.3.5, S. 357 108 Vergleiche dazu auch Kapitel 5, Abschnitt IV.6.4.2, S. 369 f. (die Passage über die neunte Brucknersche Kürzung) 109 Nr. 57, 59, 78, 107, 112, 119, 121 und 122
135
Notenbeispiel 5: VIII. Symphonie (Erstdruck), Finale, Takt 625 bis 648 136
Notenbeispiel 6: VIII. Symphonie (Erstdruck), Finale, Takt 678 bis 691
137
y/
138
IV.3.2 Abweichungen
in der dynamischen
Gestaltung
Dem Ziel der Bearbeiter, Bruckners Werke bei Publikum und Kritik durch Abmilderung ihrer als problematisch erfahrenen Eigenschaften zum Durchbruch zu verhelfen, trugen Josef Schalk und Max von Oberleithner im Falle der VIII. Symphonie also weder dadurch Rechnung, daß sie das Werk einschneidenden Kürzungen unterzogen, noch dadurch, daß sie massive Änderungen der Instrumentation vorgenommen hätten. Vielmehr veränderten sie den Klangcharakter der Musik durch Eingriffe in Bruckners dynamische Gestaltung. Davon ist annähernd jeder Takt der Symphonie betroffen. Besonders Bruckners typische, in Kapitel 1 als von blockhaftem, horizontal wie vertikal gleichförmigem Relief beschriebene, ‘registerartig’ abrupte Dynamik brachen die Bearbeiter auf oder schwächten sie zumindest massiv ab. Dazu senkten sie das dynamische Niveau um einen oder mehrere Stärkegrade, wie beispielsweise im Kopfsatz in Takt 103 bis 108 und der Parallelstelle in der Reprise (Takt 347 bis 352) oder in Takt 125/126, im Scherzo ab Buchstabe D oder am Schluß, im Trio ab Buchstabe C, und im Finale zu Beginn der Reprise (Buchstabe Ee bis Hh) oder ab Takt 501 {495}.
Bisweilen lockerten Schalk und Oberleithner die Statik der Klangflächen durch dyna mische Differenzierungen innerhalb der einzelnen Stimmen auf, oder sie wandelten die Tutti-Blöcke im fortissimo in sich organisch aufbauende Steigerungen um, wie etwa in Takt 67 bis 70 des Kopfsatzes, ab Buchstabe B des Adagios oder für die letzten 31 Takte der Symphonie, ab Buchstabe Ww des Finales. An vielen anderen Stellen wiederum berücksichtigten die Bearbeiter die individuellen dynamischen Möglichkeiten der einzelnen Orchesterinstrumente: Sie paßten diejenigen Instrumente, welche von Natur aus eine höhere Schallkraft besitzen, der Dynamik des übrigen Orchesters an, was für zahlreiche Passagen eine dynamische Abschwächung der das thematische Geschehen oftmals bestimmenden Blechbläser bewirkte und somit be sonders in den fortissimo-Klangflächen eine ‘Entkernung’ des für Bruckner so charakte ristischen Klangbildes zur Folge hatte.
Gut zu beobachten ist dies etwa im Kopfsatz in der fortissimo-Aufnahme des ersten Themas (Takt 23 bis 32) oder den Takten 40 bis 43 und 225 bis 248, bei Buchstabe G und H im Trio, oder im Finale in den ersten Takten (bis ca. Takt 42), in Takt 535 bis 539 (dort auch unterstützt von Eingriffen in die Instrumentation110) und ab Buchstabe Ss. Eine Entkernung des Klanges bei gleichzeitiger Umwandlung eines Klangblockes in eine Steigerung findet sich schließlich im ersten Satz in den Takten 325 bis 328 und im Adagio in Takt 15 bis 17 und der Parallelstelle in Takt 33 bis 35. Lediglich für Takt 37 bis 40 des Scherzos, Takt 81 bis 84 des Trios, den Verlauf des großen Steigerungszuges im Adagio von Takt 109 bis 128 und die fortissimo-Einsätze bei Buchstabe O und Q, ebenfalls im dritten Satz, ließen Schalk und Oberleithner die Brucknersche Dynamik weitestgehend unangetastet.
110 Vergleiche Nr. 113 der Vergleichsliste, S. 454
139
Wie Schalk und Oberleithner bei ihren Eingriffen in die Dynamik im einzelnen vorgingen, soll im folgenden anhand einiger besonders prägnanter Beispiele erläutert werden, wobei die Dynamikverläufe des Erstdruckes und der Originalfassung hier jeweils auch graphisch einander gegenübergestellt sind.111 Beispiel 1 bezieht sich auf einen viertaktigen Abschnitt im Adagio, welcher — nach einem ebenfalls viertaktigen Tuben- und Hörner-Satz im mezzoforte mit anschließendem diminuendo — das zweite Thema des Satzes im fortissimo vorträgt. Dieser dynamische Kontrast wurde in der Bearbeitung, zusammen mit einer auch innerhalb der zweiten vier Takte ab gesenkten Dynamik, in einen nahtlosen Übergang umgeformt:
Graphik 1: VIII. Symphonie, Adagio, dynamisches Relief der Takte 161 bis 168 (1 cm = 1 Takt)
Beispiel 2 betrifft den Höhepunkt des Adagios: Nach einem Tutti-Block folgt der Nachsatz des Themas als reiner Streichersatz, behält aber die Dynamik des dreifachen forte bei. Schalk und Oberleithner differenzierten die Dynamik innerhalb des Tutti-Blokkes erheblich, und den Nachsatz führten sie bis auf piano herunter:
Graphik 2: VIII. Symphonie, Adagio, dynamisches Relief der Takte 239 bis 246 (1 cm --- 1 Takt)
Auch im dritten Beispiel, der großen Kulmination vor der Coda des Kopfsatzes, findet sich bei Bruckner eine Fläche im dreifachen forte, welche Schalk und Oberleithner bis zum pianissimo zurückführten. Zusätzlich dazu unterteilten die Bearbeiter die Fläche durch einen dreimaligen ‘Anlauf’ in Kontra-Fagott, Posaunen und Kontra-Baßtuba. Jedoch fällt hier auch die Übereinstimmung der übrigen Stimmen mit der dynamischen Gestaltung Bruckners bis in Takt 383 auf: Hier und in den folgenden Beispielen stellt die graue Linie jeweils den Dynamikverlauf der Originalfas sung dar, die schwarze(n) Linie(n) den der Bearbeitung.
140
Graphik 3: VIII. Symphonie, Kopfsatz, dynamisches Relief der Takte 353 bis 389 (1 cm -- 3 Takte)
Der zweite Abschnitt der Durchführung des Finales ist geprägt von drei Tutti-Blöcken im zwei- bzw. dreifachen forte, welche alternierend mit ruhigeren Abschnitten in kleinerer Besetzung vorgetragen werden. Während Schalk und Oberleithner die Dynamik des mittleren Blockes lediglich um einen Grad von fortissimo auf forte abschwächten und im letzten Takt ein diminuendo notierten, griffen sie im ersten stark in die Dynamik ein, indem sie langsam und in den einzelnen Orchestergruppen differenziert ein crescendo aufbauten, welches zudem ein einfaches forte nicht überschreitet (Beispiel 4):
Graphik 4: VIII. Symphonie, Finale, dynamisches Relief der Takte 301 bis 308 (295 bis 302) (1 cm = 1 Takt)
Ähnliches gilt auch für den letzten Block (Beispiel 5): fff ff
f
Tromp., Pos. u. K.-Btb.
333 (327)
344(338)
Graphik 5: VIII. Symphonie, Finale, dynamisches Relief der Takte 333 bis 344 (327 bis 338} (1 cm - 1 Takt)
Im sechsten Beispiel, dem großen Tutti-Block am Ende der Exposition des Finales, wird die Umwandlung einer auf Statik ausgerichteten Klangfläche Bruckners in einen lang angelegten Steigerungszug — verbunden mit der oben beschriebenen Entkernung des Klanges — noch deutlicher. Hier erreichen die einzelnen Stimmen die Brucknersche
141
Dynamik sukzessive im letzten Drittel; erst in den letzten beiden Takten entspricht die dynamische Gestaltung des Erstdruckes vollständig derjenigen der Originalfassung: A. Holzbläser (obere Linie) und Streicher (untere Linie):
B. Blechbläser:
Graphik 6: VIII. Symphonie, Finale, dynamisches Relief der Takte 183 bis 211 (177 bis 205} (1 cm = 3 Takte)
Das letzte Beispiel steht für die seltenen Fälle, in denen die Bearbeiter die Brucknersche Dynamik nicht nur modifizierten, sondern ihren Verlauf umkehrten: Während in den Schluß-Takten des A-Teiles des Scherzos bei Bruckner über eine Strecke von acht Takten eine gleichmäßige Entwicklung aller Orchestergruppen vom piano zum dreifachen forte zu verzeichnen ist, begannen Schalk und Oberleithner diesen Abschnitt im forte, führten die Dynamik dann aber zunächst in vier Takten auf pianissimo herab, um sie darauf in weiteren acht Takten erst forte und dann fortissimo erreichen zu lassen. Bemer kenswert an diesem Beispiel ist allerdings, daß sie trotz dieses prägnanten Eingriffes auf eine Differenzierung der Dynamik innerhalb der einzelnen Stimmen oder eine Entkernung des Klanges verzichteten:
Graphik 7: VIII. Symphonie, Scherzo, dynamisches Relief der Takte 41 bis 61 (1 cm = 2 Takte)
142
IV.4 Resümee Die oben beschriebenen Unterschiede zwischen der Erstdruck-Partitur und der Origi nalfassung der VIII. Symphonie lassen erkennen, daß Schalk und Oberleithner zwar zahlreiche Eingriffe in die Instrumentation vornahmen, diese aber in ihrer Bedeutung für das Ganze oftmals eher unbedeutend ausgefallen sind. Auch in Bezug auf die anderen Parameter wie Orchesterbesetzung, Kürzungen oder Tempoproportionen 112 gingen die beiden Bearbeiter vergleichsweise behutsam mit dem Brucknerschen Original um. Ihren Willen zur Klangveränderung setzten sie dafür umso stärker mit Eingriffen in die dyna mischen Verläufe der Symphonie um. Daß diese Eingriffe bisweilen sogar den Brucknerschen Intentionen zuwiderlaufen konnten, ist an der Gestaltung des fortissimo-Blockes am Ende der Durchführung des Finales (vergleiche Graphik 6) gut zu beobachten:113 Dort gerät das Klangbild durch die ‘Entkernung’ geradezu aus dem Gleichgewicht; die Aufmerksamkeit des Hörers wird vom thematischen Geschehen in den Blechbläsern auf Unwesentliches, auf periphäre Begleitstimmen in den hohen ersten Violinen abgelenkt.
IV.4.1 Josef Schalks Briefe
an
Max
von
Oberleithner vom 31. Juli und
5. August 1891 Für die Bewertung des Bearbeitungskonzeptes von Schalk und Oberleithner sind — neben den Ergebnissen des direkten Vergleichs der Partituren — auch zwei Briefe von großer Bedeutung, welche Josef Schalk im Sommer des Jahres 1891 an Max von Ober leithner richtete.114 Viele der in diesem Abschnitt beschriebenen Unterschiede zwischen Erstdruck und Originalfassung fanden ihren direkten Niederschlag in diesen Briefen oder werden durch Schalks Ausführungen zumindest indirekt gestreift. Besonders aus dem zweiten Brief wurde schon mehrfach in der Bruckner-Literatur zitiert. Da beide Briefe bis heute jedoch noch nicht vollständig zugänglich gemacht wurden, sollen vor einer Besprechung ihres Inhaltes zunächst alle für die Bearbeitung der VIII. Symphonie relevanten Passagen abgedruckt werden.115
Gegenstand beider Briefe ist die Bearbeitung des Finales, dessen Partitur Josef Schalk zusammen mit dem ersten der Briefe an Oberleithner schickte. Die Vorgehensweise der Bearbeiter im Zusammenhang mit diesem Finale ist aber sicher ohne große Abstriche auf die anderen Sätze der Symphonie übertragbar.
112 Die Eingriffe in die Tempoproportionen sind hier noch nicht so einschneidend wie in den übrigen Bearbeitungen. 113 Vergleiche dazu auch die Einspielung der Erstdruck-Version durch die Münchner Philharmoniker unter Hans Knappertsbusch vom Januar 1963, erschienen 1996 bei MCA Records, MCD 80089 114 ÖNB-MS, Fonds 32 Oberleithner 168 115 In Anhang Illa (S. 436-444) sind beide Briefe vollständig im Faksimile wiedergegeben.
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Wien 31. Juli 1891 Sehr geehrter Herr! Nach einer Woche der angestrengtesten Arbeit habe ich die Partitur des Finales endlich druckreif gemacht. Es war kein kleines Stück. Die mehrfachen Änderungen die sich mir als durchaus nothwendig herausstellten, konnten nur durch peinlichste Gewissenhaftigkeit gerechtfertigt werden. Sie werden die darin enthaltenen Absichten auf deutlichere Wirkung oder Ausdruck leicht erkennen.
Außerdem war ich so glücklich eine sehr geeignete Kürzung von der letzten Seite des 24. Bogens bis zum Buchstaben Pp ausfindig zu machen, die sich ganz zwanglos bewerkstelligen lässt *) (an Stelle der vom Autor bezeichneten, der zwei der interessantesten Partien des Satzes zum Opfer gefallen wären.) Bei meiner Kürzung fällt nur eine ziemlich überflüßige Steigerung und die Wiederholung der ohnedies sehr gedehnten choralmäßigen Gesangsperiode aus. Leider werden Sie mit den Stimmen eine heillose Mühe haben, schon wegen der zahllosen Vortrags- u. Tempobezeichnungen. Möge Ihnen dabei dieselbe, nun von mir gewonnene Überzeugung tröstlich zur Seite stehen, daß die Sache äußerst wichtig ist u. geradezu eine Lebensrettung dieses Werkes bedeutet.
Dabei versichere ich Sie nochmals, daß nur das Allemothwendigste von mir geschehen ist, vieles mußte ich im Hinblick auf die Un verantwortlichkeit des Unternehmens unverändert lassen. Sollten Sie irgend welche Zweifel hegen, so bitte ich mich zu benachrichtigen.
[...] Von Lienau ist noch immer nichts eingetroffen. Er ist doch vertragsmäßig gebunden die Partitur bis zum Herbst (längstens Oktober) fertig zu stellen? Den Klavierauszug habe ich gleichzeitig mit der Revision der Partitur weiterge führt und bin mit dem Finale bis zum letzten Bogen fertig. Sie sehen, daß ich sehr fleißig war.
Erfreuen Sie mich recht bald durch ein paar Zeilen. Mit den herzlichsten Grüßen Ihr sehr ergebener
Josef Schalk
*) Im Druck muß wohl das Ganze gebracht werden!
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Wien 5. Aug[ust] 1891. Sehr geehrter Herr!
Ich eile unverzüglich zur Beantwortung Ihrer Fragen: 1. Die 6 Takte vor F [im Finale l müssen auch im Stich wegbleiben. Die so ganz unmotivirte Reminiszenz an die VII. hat mich hauptsächlich zu dem Entschluss gebracht sie zu streichen.
2. ) 4 Takte vor M.) Ich entsinne mich nicht hier die Hörner gestrichen zu haben. Es müsste nur in Folge eines ursprünglich anderen Projektes geschehen sein und dann irrthümlich beibehalten worden sein. Bitte sie wieder zu restituiren, natürlich p nichtf! Die Celli habe ich zur Unterstützung des einsamen Violinklanges, getheilt mit Sordinen, dazugesetzt was der feierlichen Wirkung gewiß zum Vortheil gereicht. 3. ) Buchstabe N. Gegen eine Bezeichnung der Holzbläser mit f nicht mfbin ich aus dem Grunde, weil eine gleichzeitige Verwendung von dreierlei dynamischen Graden hier gar keinen Sinn hat. Ihre Absicht Bruckner's Individualität damit zu Hilfe zu kommen würde dadurch keinesfalls erreicht. Wenn er bei Anhörung einer Probe gerade seinen starken Tag hat, so ist ihm selbst ein ff der Posaunen hier zu schwach. Daß aber ein so andauerndes heilloses Spektakel der Wirkung aller folgenden Steigerungen schadet, wird nicht nur uns beiden, sondern allen Urtheilsfähigen klar sein, weshalb ich auch die volle Verantwortung dafür übernehme. Dasselbe gilt von: 4. ) Buchstabe V. Ich finde, daß es nur zum Vortheil der Wirkung gereicht, wenn das Thema hier nicht bedeutend vorgetragen wird, sondern mehr andeutungswei se, also auch ohne Cresc. dasfp der Schlußnote bezeichnet ja nur einen Accent. Höchstens könnte man bei der Wiederholung (Takt 6 nach V ces) ein cresc. oderf geben, worauf das folgende dim. noch bedeutender wirkt. Das überlasse ich Ihrer Empfindung.
Bei Buchstabe Y. können Sie sich ruhig auf die volle Wirkung verlassen. Sie glauben nicht, wie wohlthätig der Anblick dieser Viertelpause jedem Bläser und selbst mitempfindenden Dirigenten sein wird. Gewiß wird auch ohne die Pause ganz so abgesetzt, aber es wäre unvorsichtig durch überflüssige Strenge, so gewaltige Leute kopfscheu zu machen. Ihr Vergleich mit der Ausführung des Pilgerchores in Bayreuth passt hier nicht. Dort wurde die Phrase zerstückelt, hier muß aber abgesetzt werden; nicht nur aus physischen Gründen, sondern nach den Gesetzen der Phrasierung.
5. ) Es freut mich, daß Ihnen die von mir vorgeschlagene Kürzung behagt. Aber den Buchstaben Z müssen wir aufmachen! Diese episodische Durchführung ist ganz unentbehrlich und für jeden Hörer äußerst reizvoll und beruhigend zwischen den beiden starken choralartigen Sätzen.
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Über die Beibehaltung habe ich übrigens schon mit dem Meister selbst seiner zeit Rücksprache genommen u. er war ganz einverstanden.
) Bei Buchstabe W [gemeint ist Buchstabe Ww] sollen die Hörner alles 6. andere übertönen, indeß wird dies auch durch ein einfaches fo[rte] marcato erreicht. — Bitte treiben Sie nur den Verleger wegen der Correkturen. Wenn Bruckner bei einer Probe aus der geschriebenen Partitur mitlesen müßte, wären alle unsere guten Absichten vereitelt und wir würden uns statt seines Dankes vielleicht gar seinen Fluch verdienen.
Indem ich Ihnen für Ihre langwierige Arbeit recht viel Geduld wünsche, grüße ich Sie herzlich als Ihr
ergebenster
Josef Schalk
Diese beiden Briefe sind unter verschiedenen Gesichtspunkten von großer Bedeutung. Zunächst lassen sie Rückschlüsse auf die Bearbeitungsprinzipien von Schalk und Oberleithner zu. So wird die anhand des Partiturvergleichs getroffene Beobachtung, daß die Bearbeitung in vielen Punkten relativ behutsam vorgenommen wurde, durch mehrere Aussagen bestätigt. Schon der erste Brief beginnt mit einer Rechtfertigung Josef Schalks für seine Eingriffe: „Nach einer Woche der angestrengtesten Arbeit habe ich die Partitur des Finales endlich druckreif gemacht. Es war kein kleines Stück. Die mehrfachen Änderungen die sich mir als durchaus nothwendig herausstellten, konnten nur durch peinlichste Gewissenhaftigkeit gerechtfertigt werden.“ Das Ziel Schalks wird im nächsten Satz deutlich: „Sie werden die darin enthaltenen Absichten auf deutlichere Wirkung oder Ausdruck leicht erkennen.“ Im weiteren Verlauf des Briefes heißt es: „Dabei versichere ich Sie nochmals, daß nur das Allemothwendigste von mir geschehen ist, vieles mußte ich im Hinblick auf die Unverantwortlichkeit des Unternehmens unverändert lassen.“
Auch für die in den Briefen konkret besprochenen Änderungen legte Josef Schalk gegenüber sich selbst und Oberleithner — und damit ebenso gegenüber dem Werk und der Nachwelt — genauestens Rechenschaft ab, indem er etwa die von ihm vorgeschlagene spieltechnische Erleichterung für einige Bläserstimmen des Tutti-Blockes ab Buchstabe Y (Takt 333 bis 344) im vierten Punkt des zweiten Briefes ausführlich rechtfertigte.116 Manche seiner Begründungen jedoch vermögen nicht restlos zu überzeugen oder werfen Fragen auf. So begründete Schalk die Streichung der Takte 93 bis 98 des Finales (Punkt 1 des zweiten Briefes) damit, daß es sich um eine „so ganz unmotivirte Reminiszenz an die VII. [Symphonie]“ handele, obwohl das Zitat von Bruckner so nahtlos in den Kontext der VIII. Symphonie eingepaßt wurde, daß es organisch aus dem Vorhergehenden zu entstehen scheint, keinesfalls aber als Fremdkörper wirkt.117
116 Es handelt sich um die Nummern 88 bis 90 der Vergleichsliste.
146
***
Zusätzlich zu Informationen über die Kriterien der Bearbeitung geben die Briefe auch Aufschluß über die jeweiligen Anteile Schalks und Oberleithners an der Druckvor lage. So läßt sich die von Leopold Nowak in der Einleitung zitierte These, wonach Oberleithner „den schriftlichen Verkehr mit dem Verleger“ erledigte, „während Josef Schalk die musikalische Einrichtung der Partitur besorgte“, nicht aufrechterhalten. Viel mehr war Oberleithner aktiv an der Erstellung der Druckvorlage beteiligt: Aus den Briefen geht eindeutig hervor, daß Schalk und Oberleithner ihre Ansichten über die Eingriffe in das Original austauschten und diskutierten. So eröffnete Schalk den ersten Brief mit einer entsprechenden Aufforderung an Oberleithner: „Sollten Sie irgend welche Zweifel hegen, so bitte ich mich zu benachrichtigen.“ Offenbar hatte Oberleithner tat sächlich einige Bedenken vorgebracht, denn der zweite Brief beginnt mit dem Satz: „Ich eile unverzüglich zur Beantwortung Ihrer Fragen“.
Auch vom Inhalt der Diskussionen legen die Briefe beredtes Zeugnis ab. So nahm Oberleithner manche Anregungen Schalks auf, wie etwa die im ersten Brief vorgeschla gene Kürzung „von der letzten Seite des 24. Bogens bis zum Buchstaben Pp“, denn im zweiten Brief konnte Schalk unter Punkt 5 schreiben: „Es freut mich, daß Ihnen die von mir vorgeschlagene Kürzung behagt.“ Bisweilen zeichnen sich in den Briefen aber auch unterschiedliche Standpunkte ab: Offensichtlich wollte Oberleithner der von Bruckner im Autograph als vi-de-Passage vermerkten Kürzung zwischen den Buchstaben Z und Aa117 118 Eingang in den Erstdruck verschaffen, was Josef Schalk unter Punkt 5 des zweiten Briefes vehement ablehnte. Andererseits wollte Oberleithner die Kürzung der „6 Takte vor F“ lediglich als Option verstanden wissen, worauf Schalk nun jedoch unter Punkt 1 betonte, daß diese Takte unbedingt „auch im Stich wegbleiben“ müßten. Für die unter Punkt 3 angesprochene dynamische Gestaltung übernahm Schalk ebenfalls „die volle Verantwortung“, und Ober leithners Zweifel bezüglich der klanglichen Folgen der Erleichterungen für die Bläser in den Takten 333 bis 344 zerstreute Josef Schalk unter Punkt 4 mit dem Satz: „Bei Buchstabe Y. können Sie sich ruhig auf die volle Wirkung verlassen.“ Manches, wie die dynamische Gestaltung der Takte 301 bis 308 (Punkt 4), überließ Schalk auch der „Empfindung“ Oberleithners.
Vergleicht man die in den Briefen genannten Punkte mit der Erstdruck-Ausgabe der VIII. Symphonie, so stellt man fest, daß Oberleithner die meisten Anregungen Schalks übernommen hatte. Lediglich ab Buchstabe Ww ließ er die Hörner im fortissimo spielen, und nicht, wie Josef Schalk es unter Punkt 6 des zweiten Briefes vorgeschlagen hatte, in einem „einfachen forte marcato“.
117 Ähnlich verfuhr Bruckner beispielsweise mit Motiven aus der V. Symphonie, welche er in den Motiv bestand der VI. Symphonie einfließen ließ. Daneben finden sich solche Selbstzitate auch in zahlreichen anderen Symphonien Bruckners und schaffen sogar Verbindungen zwischen seiner Symphonik und seiner Kirchenmusik. 1,8 Vergleiche dazu Kapitel 5, Abschnitt IV.6.4.2, S. 371 f.
147
Daß Oberleithner nicht nur organisatorische Aufgaben übernommen hatte und sich sein Wirken überdies nicht in Korrekturarbeiten nach den Anweisungen Josef Schalks erschöpfte, kann also als sicher gelten. Vermutlich hat Max von Oberleithner sogar die Hauptarbeit für die Erstellung der Erstdruck-Vorlage geleistet und dabei Anregungen und Änderungsvorschläge Josef Schalks mit eingearbeitet, wie es Thomas Leibnitz im eingangs wiedergegebenen Zitat ausführte. Dafür sprechen unter anderem zwei Passagen aus den Briefen. Die erstere weist auf umfangreiche Arbeiten Oberleithners hin: „Leider werden Sie mit den Stimmen eine heillose Mühe haben, schon wegen der zahllosen Vortrags- u. Tempobezeichnungen“, und am Schluß des zweiten Briefes wünscht Schalk Oberleithner für seine „langwierige Arbeit recht viel Geduld“.
Gestützt wird diese Vermutung auch die Aussage von Robert Haas, wonach in der Erstdruck-Vorlage die Zusätze in roter Tinte von der Hand Max von Oberleithners stammen.119 Dafür fiel Josef Schalk die Aufgabe zu, den vierhändigen Klavierauszug einzurichten. ***
Sind die Rollen von Schalk und Oberleithner für die Erstellung der Erstdruck-Vorlage also geklärt, so stellen sich nun die Fragen nach dem Verhalten der beiden Bearbeiter Anton Bruckner gegenüber und nach Bruckners Beteiligung an der Erstausgabe seiner VIII. Symphonie. Wie oben bereits ausgeführt, hatte Bruckner die Partitur-Abschrift, die als Erstdruck-Vorlage benutzt wurde, kurz nach Abschluß der Kopierarbeiten im Frühjahr 1890 durchgesehen. Danach scheint er sich aber nicht mehr um die Druckvorlage gekümmert zu haben: Die eigentliche Arbeit führten Schalk und Oberleithner in eigener Verantwortung durch. Zu einer Zusammenarbeit Bruckners mit seinen Helfern, wie noch kurz zuvor im Falle des Erstdruckes der IV. Symphonie oder der zweiten Druckfas sung der III. Symphonie, sollte es hier also nicht kommen. Darüber hinaus hielten Schalk und Oberleithner ihre Eingriffe in die Partitur vor Bruckner bis zur Uraufführung der Symphonie ganz bewußt geheim. Zwar hatte Josef Schalk einige Punkte bereits mit Bruckner besprochen (im zweiten Brief schrieb er: „Über die Beibehaltung [der von Bruckner im Autograph verfügten Kürzung bei Buchstabe Z; siehe oben] habe ich übrigens schon mit dem Meister selbst seinerzeit Rücksprache genommen u. er war ganz einverstanden“), aber im letzten Absatz desselben Briefes kommt Schalks — durchaus berechtigte — Sorge zum Ausdruck, daß Bruckner das ganze Ausmaß der Bearbeitung erkennen könnte: „Bitte treiben Sie nur den Verleger wegen der Correkturen. Wenn Bruckner bei einer Probe aus der [hand-] geschriebenen Partitur mitlesen müßte, wären alle unsere guten Absichten vereitelt und wir würden uns statt seines Dankes vielleicht gar seinen Fluch verdienen.“
Den ,Fluch“ Bruckners verdienten sich Schalk und Oberleithner indes nicht. Vielmehr schien der gewaltige Triumph der Uraufführung am 18. Dezember 1892 den beiden Bearbeitern recht zu geben: Die in Abschnitt III.4 dieses Kapitels angesprochene ‘StrafeAGA, Bd. 8, Vorwort
148
gie’, Bruckner durch den Erfolg einer Aufführung von der Richtigkeit und Notwendigkeit einer Bearbeitung zu überzeugen — eine Strategie, welche nur einige Jahre später im Zusammenhang mit der V. Symphonie lediglich an den fehlenden Aufführungsmöglich keiten in Wien scheitern sollte — ging hier voll und ganz auf.120 Bruckner, überwältigt vom Erfolg, kam nicht auf den Gedanken, Einspruch gegen die Eingriffe seiner Schüler zu erheben. Andererseits finden sich im Autograph keinerlei Hinweise darauf, daß Bruckner die Änderungen Schalks und Oberleithners nachtragen wollte. Dies hätte sicher zu einer erneuten Durchsicht der gesamten Partitur geführt und neben zahlreichen kleineren und größeren Änderungen am Notentext auch eine Reihe von Datumsangaben nach sich gezogen. Solche Spuren aber fehlen im Autograph.121
Obwohl Bruckner also die Uraufführung der VIII. Symphonie in ihrer Bearbeitung durch Max von Oberleithner und Josef Schalk miterlebte, muß der Erstdruck dennoch in die Reihe der Fremdbearbeitungen aufgenommen werden: Die Eingriffe wurden ohne Bruckners Wissen oder Beteiligung durchgeführt, ja sogar bis zur Uraufführung vor ihm geheim gehalten.
Von den Fremdbearbeitungen seiner Werke hatte Bruckner somit nur diejenige der VIII. Symphonie kennengelemt — im Unterschied zur Bearbeitung der V. Symphonie, und natürlich denen der VI. und IX. Symphonie, welche erst nach seinem Tode entstanden. Daß er die Bearbeitung der VIII. Symphonie allem Anschein nach akzeptierte, hing neben dem großen Erfolg der Aufführung sicher auch damit zusammen, daß Schalk und Oberleithner relativ behutsam und in weiten Teilen verantwortungsbewußt mit Bruckners Original umgegangen waren.
120 Siehe dazu auch Bruckners Dankesbrief an die Wiener Philharmoniker vom 21. Dezember 1892, in: Bruckner-Briefe, neue Folge, Nr. 277 121 Vergleiche die Datumsangaben in Kapitel 5, Abschnitt IV.6
149
V. FRANZ SCHALK UND DIE V. SYMPHONIE
V.l Zur Entstehung und ihrer
und frühen
Rezeptionsgeschichte der V. Symphonie
Bearbeitung
Wenige Monate, nachdem Josef Schalk und Max von Oberleithner die VHI. Symphonie für den Erstdruck des Werkes bearbeitet hatten, begann Franz Schalk, die V. Symphonie für die Uraufführung vorzubereiten.
Zu diesem Zeitpunkt waren seit der Komposition des Werkes bereits weit mehr als zehn Jahre verstrichen: Bruckner hatte seine V. Symphonie in der Zeit vom 14. Februar 1875 bis zum 4. Januar 1878 komponiert. Für diesen Zeitraum sind anhand der Skizzen mehrere Stufen der Textgestaltung nachweisbar.122 So wurde etwa die Baß-Tuba erst in einem späteren Arbeitsgang eingefügt. Diese am Notentext vorgenommenen Änderungen und Umformungen berechtigen jedoch nicht dazu, im Sinne der älteren Bruckner-Literatur von mehreren Fassungen zu sprechen.123 Auch von Bruckner vorgenommene kleinere Nachbesserungen, welche er — vermutlich zwischen 1878 und 1887 — in das Autograph und in eine Partitur-Abschrift eintrug, führten nicht zu einer vollkommen neuen Fassung der Symphonie. Der Weg der V. Symphonie von ihrer Entstehung bis zur Uraufführung und ersten Drucklegung war — wie bei vielen anderen Bruckner-Symphonien auch — verschlungen und kompliziert: Bruckner plante für den 16. Dezember 1882 eine Aufführung an zwei Klavieren durch Josef Schalk und Franz Zottmann, um die Symphonie dem Widmungs träger des Werkes, dem österreichischen ‘Minister für Cultus und Unterricht’ Carl von Stremayr, vorführen zu können. Diese mußte allerdings wegen einer Erkrankung der Tochter Stremayrs fallengelassen werden.124 Erst im Jahre 1887 setzte Josef Schalk die Aufführung durch. Trotz zum Teil erheblicher Verstimmungen und Spannungen zwischen den Ausführenden und Bruckner während der Probenarbeit125 wurde die Uraufführung der V. Symphonie an zwei Klavieren im Bösendorfersaal am 20. April ein überwältigender Erfolg für den Komponisten.126
Zu den folgenden Ausführungen zur Entstehung der V. Symphonie vergleiche AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, vorgelegt von Robert Haas und ergänzt von Leopold Nowak 123 Göllerich/Auer sprechen - unter Einbeziehung des Erstdrucks - von drei Fassungen (Göll./Auer, Bd. IV.1, S. 412). 124 Siehe dazu Leibnitz 1988, S. 52 f. 125 Nach Göll./Auer (Bd. IV.2, S. 525) wollten Schalk und Zottmann Bruckner mit der Uraufführung überraschen und teilten ihm ihr Vorhaben erst kurz vor der Generalprobe mit. Die dadurch bei Bruckner ausgelösten Reaktionen beschrieb Friedrich Klose (Meine Lehrjahre bei Anton Bruckner. Erinnerungen und Betrachtungen, Regensburg 1927, S. 140 bis 144, hier S. 142): „Bruckner, beleidigt, daß man für die Veranstaltung nicht ausdrücklich seine Einwilligung eingeholt, hatte sich mit dem Eigensinn des ober österreichischen ‘Mostschädels’ vorgenommen, alles schlecht zu finden, lediglich um Recht zu behalten, daß ohne ihn eine Aufführung des Werkes in seinem Sinne nicht zustande kommen könne.“ 1-6 Siehe dazu Göll./Auer und Klose, ebenda; auch Leibnitz 1988, s. 111 ff.
150
Die Uraufführung mit Orchester fand schließlich am 9. April 1894 im Stadttheater Graz unter der Leitung Franz Schalks statt, und ein Jahr später erfolgte im Wiener Verlagshaus Döblinger die Drucklegung des Werkes, so daß die Symphonie genau zwei Jahre nach der Uraufführung, im April 1896, veröffentlicht werden konnte.
Dieser Erstdruck weist allerdings gravierende Abweichungen von Bruckners Autograph auf.127 In der Frage der Urheberschaft dieser Abweichungen herrschte lange Zeit Unklar heit. Während noch Göllerich/Auer davon ausgingen, daß die Abweichungen von Bruckner selbst herrührten,128 vermutete Max Auer Ferdinand Löwe als den Hauptverantwortli chen'29 und war sich sicher, daß Franz Schalk „außer den Strichen im Finale lediglich für den Schlußchoral einen eigenen Bläserchor zugezogen“130 habe. Dieser Meinung schloß sich wenig später auch Hans Jancik an.131 Andere Forscher gingen von einer umfangreicheren Beteiligung Franz Schalks aus. Wie hoch diese aber anzusetzen war, ob sie — wenigstens zum Teil — mit Bruckners Einverständnis erfolgte und ob Franz Schalk allein für die Erstdruck-Ausgabe verantwortlich war, blieb lange unklar. So sprach Wilhelm Altmann von „Veränderungen von Schalk und anderen“,132 Walter Abendroth führte die „einschneidenden Veränderungen“ auf „Freunde und Werber“ zurück,133 und Leopold Nowak sprach 1951 von dem „unbekannten Herausgeber“.134 Auch die Frage, inwieweit der Erstdruck mit der von Franz Schalk uraufgeführten Version über einstimmte, mußte bis auf weiteres ungeklärt bleiben.135 Erst die im Jahre 1985 von Leopold Nowak herausgegebene und revidierte Ausgabe des Revisionsberichtes zur V. Symphonie von Robert Haas, vor allem jedoch die syste matische Auswertung des Fonds 18 ‘Schalk’ der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek durch Thomas Leibnitz im Jahre 1988 konnte hier endgültige Klarheit bringen. So ist es heute erwiesen, daß die durch den Erstdruck verbreitete Version der V. Symphonie das Ergebnis einer gewollten, tiefgreifenden Umarbeitung durch Franz Schalk war, und daß zudem bereits schon die Uraufführungs-Partitur im Wesentlichen dem zwei Jahre später veröffentlichten Erstdruck entsprach.136
127 Heute unter der Signatur Mus.Hs. 19.477 in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek 128 Göll./Auer, Bd. IV. 1, S. 392 ff.
129 Auer 1941, S. 444 130 ebenda, S. 413 f. 131 Artikel Löwe, Ferdinand, in: MGG, Bd. 8, Sp. 1105 f.
132 Wilhelm Altmann im Vorwort der Studienpartitur der Schalk-Bearbeitung, Ed. Eulenburg 4554, Berlin 1937 133 Walter Abendroth: Die Symphonien Anton Bruckners, Berlin 1940, S. 63 134 NGA, Bd. 5, Vorwort 135 „Ob schon damals auch alle anderen Änderungen, wie im Erstdruck, erfolgten, ist nicht bekannt.“ (Göll./Auer, Bd. IV.3, S. 387) 136 Vergleiche dazu Leopold Nowaks Ergänzungen zu den Ausführungen von Robert Haas in AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, vorgelegt von Robert Haas und ergänzt von Leopold Nowak, S. 55 ff., sowie die umfassende Schilderung in Leibnitz 1988, S. 178-191 (Entstehungsgeschichte der Uraufführungs-Partitur) und 198-203 (Entstehung der Erstdruck-Partitur)
151
Aus dem Briefwechsel der Brüder Schalk geht hervor, daß die Bearbeitung für die Uraufführung in der Zeit von Frühjahr/Sommer 1892 bis Herbst 1893 entstand und Franz Schalk sich bei seinen Eingriffen intensiv mit seinem Bruder beriet. Josef Schalk war es auch, der in dieser Zeit den Kontakt zwischen seinem in Graz engagierten Bruder und Anton Bruckner aufrecht erhielt. Der Umgang der Brüder Schalk mit Bruckner ist exemplarisch für die in Abschnitt III.4 geschilderte Situation. Thomas Leibnitz faßte sie in dem Satz zusammen: „Josef und Franz Schalk täuschten Bruckner ganz bewußt, offenbar aber in subjektiv bester Absicht und mit gutem Gewissen. Sie ließen ihn in dem Glauben, seine eigene Fassung solle in Graz aufgeführt werden und teilten ihm die Tatsache der Bearbeitung nicht mit.“137 Von der Richtigkeit ihres Vorgehens waren sie derart überzeugt, daß sie die Tatsache der Bearbeitung keineswegs vor Bruckner geheimhalten wollten: Bereits kurze Zeit nach der erfolgreichen Uraufführung bemühten sich die Brüder, allerdings vergeblich, eine Aufführung der Symphonie in Wien zu erreichen. Sie vertrauten darauf, daß Bruckner durch den Erfolg seines Werkes von der Notwendigkeit der Bearbeitung überzeugt würde, so wie es kurze Zeit zuvor im Zusammenhang mit der VIII. Symphonie der Fall gewesen war. Bruckner vor der Uraufführung zu informieren, hätte aus der Sicht der Brüder und ihren Erfahrungen mit Bruckner bei ähnlichen Gelegenheiten jedoch eine Gefährdung bedeutet: Es „ist wirklich ein Jammer, daß mit dem alten Herrn so schwer auszukommen“ ist, formulierte Franz Schalk in einem Brief an seinen Bruder vom 27. Mai 1894,138 als Bruckner, mißtrauisch geworden, von Josef Schalk „mit dem größten Ungestüm“139 sein Autograph der Messe in f-Moll zurückverlangt hatte. Mit diesem Verhalten der Schüler ihrem Lehrer gegenüber könnte es auch Zusammen hängen, daß Bruckner allem Anschein nach den Erstdruck seiner V. Symphonie nicht gekannt hat: Nirgends hat sich bis heute ein Beleg oder ein Hinweis dafür gefunden, und das, obwohl die Partitur immerhin ein halbes Jahr vor Bruckners Tod in Wien erschienen war! Abgesehen davon, daß Bruckner in den letzten Monaten seines Lebens alle ihm verbleibende Zeit und Kraft dem Finale seiner IX. Symphonie widmete und er auch mit dieser Arbeit aus Krankheitsgründen oftmals aussetzen mußte, werden Franz und Josef Schalk ihn sicher nicht zur Durchsicht der Partitur animiert haben, denn sie wollten ihn, wie erwähnt, durch einen Aufführungserfolg überzeugen. So werden sie alles darangesetzt haben, die Partitur bis zu einem Aufführungstermin vor Bruckner zu verbergen. Verbürgt scheint lediglich, daß Bruckner den Vorschlag Franz Schalks akzeptierte, bei der Uraufführung den Schlußchoral des Werkes von einem separaten, erhöht hinter dem Orchester postierten Bläserchor spielen zu lassen.140
1,7 Leibnitz 1988, S. 179
ebenda, S. 192 f. IW Vergleiche den Brief von Josef an Franz Schalk vorn 24. Mai 1894, zitiert in Abschnitt III.5 dieses Kapitels, S. 128 f.
1411 Leibnitz 1988, S. 184
152
V.2 Vergleich
der
Originalpartitur mit
V.2.1 Takt- und Tonartvorzeichnungen
der
Bearbeitung Franz Schalks 141
und
Orientierungsbuchstaben
Bei einem Vergleich zwischen der Originalpartitur und der Bearbeitung Franz Schalks142 fallen zunächst zahlreiche Takt- und Tonart-Wechsel innerhalb der einzelnen Sätze auf. Während bei Bruckner lediglich im Adagio das Alla-Breve ab Takt 163 von einem 4/4 -Takt abgelöst wird und Tonartwechsel innerhalb eines Satzes in der V. Sym phonie überhaupt nicht auftreten, ist der Alla-Breve-Takt des Kopfsatzes von Schalk in der Exposition ab Einsatz des zweiten Themas (Takt 101 bis 236), für den Großteil der Durchführung (Takt 283 bis 346) und in der Reprise ebenfalls ab Einsatz des zweiten Themas (Takt 381) bis zum Satzende in einen 4/4 -Takt geändert, womit immerhin 65 % des Satzes von dieser Änderung betroffen sind.
Änderungen der Taktart finden sich besonders häufig im Adagio: Zeichnete Bruckner zu Beginn des Satzes einen Alla-Breve-Takt vor und faßte die Viertel-Bewegungen in den Streichern zu Trioien zusammen, notierte Schalk für die Streicher einen 6/4-Takt. Auch im weiteren Verlauf des Satzes sind polymetrische Schreibweisen oft eingesetzt und können im Extrem sogar dazu führen, daß beispielsweise für die erste Flöte die Taktart für nur zwei Takte von 4/4 auf 12/8 wechselt (Takt 181 f.) oder der Wiedereintritt des originalen Metrums bei Takt 107 sukzessive abläuft.
Eine vollständige Übersicht über die Taktwechsel im Adagio bietet folgende Tabelle:143
Taktzahl
1 19 21 23 25 27 28 30 31 71 75 77 78 81
Metrum
Streicher 6/4; alle übrigen Stimmen 4/4 Viol. 4/4 Via. und Vc. 4/4 Klar, und Viol. 6/4 Ob. und Via. % Vc. 6/4 1. Klar.4/, Ob. und 2. Klar. 4/4 Streicher 4/4 Streicher 6/4 1. u. 2. Fl. und Klar. 6/4; Via., Vc. und Kb. 4/4 Via. 6/4 Ob. % 2. Klar.4/,
141 Als Referenz dienen die Erstdruck-Partitur (Ludwig Döblinger, Wien o. J. [1896], Platten-Nr. D-2080), die Partituren der AGA und NGA (jeweils Bd. 5) und die Beschreibungen der Quellen in AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, vorgelegt von Robert Haas und ergänzt von Leopold Nowak. 142 Die im folgenden aufgeführten Mittel, die Franz Schalk zur Bearbeitung der Originalpartitur einsetzte, treten selten allein auf, sondern überschneiden sich oder bedingen sich gegenseitig. Daher sind sie oft auch dort zu beobachten, wo nicht explizit auf sie verwiesen wird. 14'' Die Instrumentenabkürzungen folgen der Gesamtausgabe
153
82 85 93 95 103 107 163 181 183 201
l.u. 2. Fl. und Ob. 4/4 1. Klar. 4/4; Vc. und Kb. 6/4 3. u. 4. Hm. 6/4 3.U.4. Hm.%;Via. 4/4 Vc. und Kb. 4/4 Viol. 4/4 Viol. 12/8; alle übrigen Stimmen 4/4 l.u. 2. Fl. 12/8 l.u. 2.Fl.4/4 Viol. 4/4
Ist der Finalsatz bei Bruckner durchgehend als Alla-Breve notiert, änderte Schalk auch hier, indem er vom Beginn der Exposition (Takt 31 {29}144) bis zum Einsatz der Schlußgruppe in Takt 137 {135} einen 4/4 -Takt vorschrieb.145 Zusätzlich dazu änderte Schalk im Finale mehrmals die Tonart-Vorzeichnung: Mit Takt 83 {81} wechselte er nach E-Dur, mit Takt 93 {91} nach C-Dur, mit Takt 113 {111} nach F-Dur und mit Takt 223 {221} nach Des-Dur, um in Takt 252 {250} wieder zur Grundtonart B-Dur zurückzukehren.
Auch die Orientierungsbuchstaben der Partitur sind in der Schalkschen Bearbeitung verändert: Sind diese bei Bruckner in erster Linie nach formalen Gesichtspunkten gesetzt, so folgen sie in der Bearbeitung primär aufführungstechnisch-dirigentischen Kriterien.146147 Die Änderungen in der Takt- und Tonart-Vorzeichnung und im Setzen der Orientie rungsbuchstaben sollten für Dirigenten und Orchester die Lesbarkeit der Partitur und der Stimmen verbessern. Schalk erreichte etwa im Adagio durch die zahlreichen Takt wechsel eine weitgehende Vermeidung der Brucknerschen Viertel-Triolen. Allerdings führte diese Vorgehensweise dort zu einem bisweilen eher unübersichtlichen Partiturbild, welches die Vorteile der Trioien-Vermeidung erheblich relativiert; aus heutiger Sicht sind diese Eingriffe absolut entbehrlich. Zwei Punkte müssen Franz Schalk in diesem Zusammenhang indes zugute gehalten werden: Erstens finden sich auch in anderen Werken Bruckners Taktwechsel innerhalb eines Satzes und polymetrische Strukturen, so etwa mehrmals im Verlauf des Finales der IV. Symphonie (Fassung von 1880) zwischen der Hauptthemengruppe (2/2-Takt) und dem Seitensatz (4/4 -Takt), oder im Adagio der VIII. Symphonie, welches Bruckner im 4/4 -Takt notierte, ab Takt 185 jedoch für die Sechzehntel-Figurationen in den Streichern immer wieder auf einen 12/g-Takt auswich und von dieser Option bis zum Erreichen des Höhepunktes in Takt 239 (bzw. Takt 249 der alten Gesamtausgabe) Gebrauch machte. (Auch in Bruckners IX. Symphonie trifft man Taktwechsel an.'42) Zweitens experimentierte 144 Die Taktangaben in geschweiften Klammem beziehen sich auf die Erstdruck-Partitur. Fehlen diese Angaben, so stimmen die Taktzahlen von Originalfassung und Erstdruck überein. 145 In T. 31 setzte Schalk die Taktvorzeichnung lediglich in Klammern der Tempoanweisung hinzu; in T. 137 jedoch versah er jedes System der Partitur mit dem Alla-Breve-Zeichen. 146 Vergleiche dazu AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, S. 65, und Abschnitt VII.2.1 dieses Kapitels
147 Zu den Einzelheiten vergleiche Abschnitt VII.2.2 dieses Kapitels
154
offenbar bereits auch Bruckner im Adagio seiner V. Symphonie mit Taktwechseln und Polymetrik, und zwar nicht nur in einer Partitur-Abschrift (heute Mus.Hs. 36.693), sondern sogar in seinem Autograph der Symphonie.148 Dieser Umstand relativiert zu einem gewissen Teil das Vorgehen von Franz Schalk — wenn auch die Taktwechsel Bruckners durchaus nicht mit denen von Schalk übereinstimmen! Während die mehrfachen Änderungen der Tonartvorzeichnung im Finale und zahlrei che der Taktwechsel im Adagio ebenso wie die Verschiebung der Orientierungsbuchstaben zu den klanglich nicht relevanten Eingriffen Franz Schalks zu rechnen sind, folgen die Taktänderungen von 2/2 - in 4/4 -Metrum im Kopfsatz, Adagio und Finale der Intention, in die klangliche Erscheinung des Werkes verändernd einzugreifen: sie verlangsamen den Grundimpuls der Musik. Besonders deutlich wird dies bei einem Vergleich des Finale-Hauptthemas in der Originalfassung und der Bearbeitung: Durch den bei Schalk ab Takt 31 {29} vorgeschriebenen 4/4 -Takt wird der Charakter des Themas nachhaltig beeinflußt, obwohl Bruckner seine Vortragsweise durch zusätzliche Akzente auf den Schwerpunkten des2/2-Taktes unterstrich:
c? j J
i
ff (markiert , ,■ JJ
J~3i j J i i ■ ,
4~J J i Jli J J f
,
gestrichen)
i
i
(schwer) 1
Notenbeispiel 7: V. Symphonie, Rhythmus des Finale-Hauptthemas in der Originalfassung und der
Bearbeitung Franz Schalks
Das Finale enthält in der Schalkschen Bearbeitung auch eine interessante Inkonsequenz: Bruckner zitierte zu Beginn dieses Satzes kurze Abschnitte aus dem Kopfsatz und dem Adagio. In der viertaktigen Reminiszenz an das Adagio notierte Schalk aber weder einen 4/4-Takt noch in den Streichern einen 6/4 -Takt zur Vermeidung der Triolenschreibung, sondern behielt die Originalnotation Bruckners bei.
V.2.2 Eingriffe in
den verbalen
Notentext
Die Intention der Klangveränderung schlägt sich verständlicherweise auch in den (verbalen) Anmerkungen zum Notentext der Bearbeitung nieder. Franz und Josef Schalk unterschieden sich in ihrer Charakterstruktur grundlegend von ihrem Lehrer Anton Bruck ner. Ihr Wesen war bestimmt von Schöngeistigkeit und romantischer Schwärmerei, gepaart mit Intellektualität und vergeistigter Emotionalität.149 Dieser Unterschied wird am verbalen Notentext der Bearbeitungen, besonders der der V. Symphonie, manifest: Schalk fügte der Originalpartitur zahlreiche Spielanweisungen hinzu wie die Termini ausdrucksvoll, sehr zart, sehr weich, weich, ruhig, drängend, schwer oder dolce, die 148 Zu den Einzelheiten vergleiche AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, S. 58 ff. 149 Vergleiche dazu Leibnitz 1988, passim
155
sich in erster Linie auf den Ausdruck beziehen und die Gefühls- und Empfindungsebene ansprechen. Bei Bruckner dagegen tritt zwar die Spielanweisung dolce zu Beginn des Adagios dreimal auf, aber unter seinen sonstigen Anweisungen stellt sie eine Ausnahme dar. Seine — viel spärlicher gesetzten — Anweisungen beziehen sich primär auf die Spieltechnik der Instrumente. So finden sich bei Bruckner Begriffe wie spiccato, gezogen, marcato, kurz gestrichen oder hervortretend. Für diesen Unterschied zwischen Schalk und Bruckner findet sich eine besonders markante Stelle im ersten Satz, Takt 399 ff.: Dort notiert Bruckner die Anweisung hervortretend, während Schalk dieselbe Passage sehr ausdrucksvoll gespielt wissen möchte. Bisweilen veränderte Schalk auch die Bedeutung einer Brucknerschen Spielanweisung: Während dieser das zweite Thema des Adagios (ab Buchstabe B) mit der Anweisung Sehr kräftig, markig versah, beließ es Schalk bei der Vorschrift sehr breit. Manche verbalen Anmerkungen Franz Schalks schließlich entspringen seiner Erfahrung als Orchesterleiter und sind als Hinweise an den ausführenden Dirigenten zu sehen. In diesem Punkt ist seine Bearbeitung den Partituren Gustav Mahlers nicht unähnlich, wenngleich Mahlers Anweisungen ungleich häufiger anzutreffen sind und oftmals weit ‘wortreicher’ ausfielen.
V.2.3 Eingriffe
in die
Tempoproportionen
In der Bearbeitung Franz Schalks finden sich zahlreiche Abweichungen von den Hauptzeitmaßen der einzelnen Sätze. Dadurch setzte Schalk die Formteile nicht nur durch die oben beschriebenen Änderungen der Taktart, sondern zusätzlich durch die Tempi voneinander ab. Und wenn Bruckner beispielsweise in der VII. Symphonie Tem po-Modifizierungen nachtrug (vergleiche Kapitel 5, Abschnitt V.3), wird doch auch in diesem Punkt der Unterschied zwischen Franz Schalk und seinem Lehrer deutlich.
Neben Schalkschen Temposchwankungen im Kopfsatz (beispielsweise der langsame ren ‘Gesangsperiode’ in Exposition und Reprise, dem Etwas langsamer (4/4) in Takt 283 und dem Noch breiter ab Takt 303 der Durchführung oder dem Beschleunigten Haupt zeitmaß ab Takt 493) und dem Stretta-Effekt für den Schluß des Scherzos (accelerando für die letzten 14 Takte) ist es vor allem das Finale, welches von zusätzlichen Tem poschwankungen betroffen ist. Dort ist in der Originalfassung lediglich der Mittelteil des Seitensatzes in Exposition und Reprise (Takt 83 bis 92 bzw. 414 bis 423) etwas langsamer zu spielen. Sonst notierte Bruckner, außer einem molto ritenuto für die Takte 390 bis 397, für den ganzen Satz ein einheitliches Tempo. Die folgende Übersicht zeigt, welchen zusätzlichen Temposchwankungen der Satz dagegen in der Bearbeitung Franz Schalks unterworfen ist: Takt 67 {65} 83 {81} 107 (105} 137 (135}
156
Tempoangabe sehr mässig bewegt etwas breiter Breit Bewegt [72]
175 {173) 211 {209} 460 {342}
V.2.4 Eingriffe
in die
[Choraleinsatz] Sehr breit und feierlich [Durchführung] sehr ruhig [Reprise] Lebhaft (2/,)
Orchesterbesetzung
Franz Schalk fügte in allen vier Sätzen eine Flöte hinzu, im zweiten Satz eine Baß-Tuba und im Finale ein Kontrafagott, Becken, Triangel und einen zusätzlichen Blechbläserchor aus drei Trompeten, drei Posaunen, einer Kontrabaß-Tuba und vier Hörnern. Auch verwendete er, etwa im Adagio, gedämpfte Hörner. Flöte, Baß-Tuba und Kontrafagott bewirken wenig Klang Veränderungen. Sie ermöglichen allerdings Verdoppelungen und damit Klangfarbmischungen. Die erhöht hinter dem Orchester aufgestellten zusätzlichen Blechbläser dürften wohl eher optisch als akustisch gewirkt haben — sie spielen fast genau den Satz, den in der Originalfassung die Blechbläser im Orchester übernehmen, während diese in der Bearbeitung lediglich mit Füllstimmen betraut sind oder Instrumente aus anderen Orchestergruppen unterstützen.150 Becken und Triangel hingegen, zur Stei gerung des Schlusses ab dem Einsatz des separaten Bläserchores in Takt 465 der Schalk-Bearbeitung verwendet, verändern den Klangcharakter des Schlußchorals we sentlich. (Bruckner verhielt sich bekanntlich stets äußerst reserviert gegenüber einer Verwendung dieser Instrumente und benutzte sie nur in der VII. und der VIII. Symphonie und im symphonischen Chor Helgoland, in dem kurz vor Schluß (Takt 309) ein einzelner Beckenschlag ertönt.)
V.2.5 Änderungen Instrumentation
des klanglichen
und die
Gesamtbildes: Eingriffe in die
Dynamik
Neben der bloßen Benennung von Änderungen der Orchesterbesetzung ist vor allem die Verwendung dieser Instrumente von eminenter Bedeutung. Hier lassen sich für die Bearbeitung der V. Symphonie gravierende Eingriffe feststellen, die so gut wie jeden Takt der Partitur betreffen und über bloße Instrumentationsretuschen weit hinaus gehen. Daher können sie — im Unterschied zur VI., VIII. und IX. Symphonie — hier nicht lückenlos aufgeführt werden.151 Im folgenden wird daher nur auf die besonders markanten Beispiele für das Vorgehen Franz Schalks eingegangen.
Mit seinen Eingriffen beabsichtigte Franz Schalk, einen weicheren und gerundeteren Gesamtklang zu schaffen. Dazu setzte er in erster Linie Mischklänge, Klangauflockerun gen sowie dynamische Abschwächungen und Differenzierungen ein.
150 Der zusätzliche Bläserchor wirkte hauptsächlich als physische Entlastung für die Blechbläser im Orchester; er wurde in dieser Funktion jedoch erst notwendig durch die massive Kürzung Franz Schalks! Vergleiche dazu unten. 151 Eine genaue Auflistung findet sich in AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht
157
Notenbeispiel 8a: V. Symphonie (NGA), Kopfsatz, Takt 439 bis 444
158
Notenbeispiel 8b: V. Symphonie (Erstdruck), Kopfsatz, Takt 440 bis 446
159
Beispiele für Mischklänge, die, wie in Kapitel I ausgeführt, für Bruckners Musik die Ausnahme bilden, finden sich in Franz Schalks Bearbeitung in fast jedem Takt. Schon in der Introduction zum ersten Satz wendete Schalk diese Technik an: Der achtstimmige Blechbläsersatz in den Takten 18 bis 21 bzw. 26 bis 29 ist in seiner Bearbeitung zusätzlich auf die gesamte Holzbläsergruppe ausgedehnt.
In ähnlicher Weise ist auch der Einsatz des Chorals im Finale, ab Takt 175 {173}, gestaltet: Während Bruckner hier für die erste, zweite und vierte Choralzeile einheitlich einen reinen, geschlossenen Blechbläsersatz notierte, setzte Schalk die erste Choralzeile ohne Trompeten, Posaunen und Tuba (nur die Takte 5 bis 8 mit der ersten Trompete, jedoch lediglich poco forte), dafür aber mit Klarinette und Fagott. In den übrigen Choral zeilen griff Schalk noch stärker in die ursprüngliche Instrumentation Bruckners ein, und schwächte zudem die Dynamik um ein bis zwei Grade ab.
Auch das dritte Thema der ‘Gesangsperiode’ des Kopfsatzes (ab Takt 161), das bei Bruckner durch die klare Trennung der Orchestergruppen charakterisiert ist, wurde in der Schalkschen Bearbeitung auf Klangmischung angelegt: Das Thema der Holzbläser wird von den ersten Violinen verdoppelt, und das Gegenthema der tiefen Streicher wird durch das Fagott farblich gemischt. Außerdem wurden die Oboen von Schalk nur mit Liegetönen betraut. Sehr häufig schrieb Schalk Mischklänge, indem er eine reine Klangfarbe Bruckners durch Hinzufügung einer Stimme aus einer anderen Gruppe des Orchesters zu einer anderen Klangfarbe verband. Auf diese Weise wurden zahlreiche reine Streicher-Passagen Bruckners verändert.152
Auch in Tutti-Blöcken im fortissimo wurden die reinen Klangfarben Bruckners durch Mischtechnik aufgebrochen, wie etwa in der Coda des Kopfsatzes (ab Takt 465), wo in der Bearbeitung Franz Schalks Bratschen und Hörner den Part der Alt- und Tenor-Po saunen spielen. Einer Klangauflockerung begegnet man in der Schalk-Bearbeitung in der Reprise ab Takt 441. Jene Passage — ein für Bruckner durch die Trennung der Orchestergruppen, die konstante Dynamik in allen Stimmen und über den gesamten Zeitraum von elf Takten, die bis auf die Blechbläser in den letzten Takten unisono verlaufende Stimmfüh rung und den gleichzeitigen Einsatz aller Instrumente einer Orchestergruppe geradezu typisches Partiturbild (vergleiche Notenbeispiel 8a auf Seite 158) — ist hier nicht nur durch häufiges, nach dem Prinzip der ‘durchbrochenen Arbeit’ gestaltetes Pausieren der Stimmen in den Holzbläsern und vereinzelt auch den Streichern, sondern vor allem durch die fast restlose Eliminierung des charakteristischen Blechbläsersatzes in den Takten 441 bis 446 vollständig umgeprägt. (Vergleiche Notenbeispiel 8b auf Seite 159) Ähnliches gilt für die Parallelstelle in der Exposition (Takt 199 ff.): Auch dort sind im
152 In der langsamen Einleitung des Kopfsatzes und des Finales durch das Fagott, im Hauptthema des Kopfsatzes (T. 55-62) durch die erste Klarinette, sowie im Scherzo (T. 23-30) und im ersten Thema des Finales (T. 31-46 {29-44)) durch verschiedene Holzbläser.
160
Erstdruck nur noch Rudimente der ursprünglichen Instrumentation und ein geradezu ‘durchlöchertes’ Partiturbild geblieben.
Sehr häufig wurden — besonders bei für Bruckner so typischen Tutti-Blöcken im fortissimo — Abschwächungen der Blechbläser-Dynamik zur Entkernung des Klanges und damit zur Klangrundung eingesetzt. Das führte dazu, daß in jedem fortissimo-Block die Blechbläser mindestens einen Stärkegrad unter dem des übrigen Orchesters spielen.153 (Lediglich für eine einzige dieser Passagen, im Repriseneinsatz des Hauptthemas im Kopfsatz, Takt 363 ff., notierte auch Schalk für alle Stimmen einheitlich ein fortissimo.) Wo Schalk eine derartige Abschwächung nicht genügte, ersetzte er die thematisch bedeutsamen Partien der Blechbläser durch Füll- oder Liegestimmen,154 oder er verzichtete kurzerhand ganz auf die entsprechenden Instrumente. In solchen Fällen wurden allenfalls die weichen Hörner, nicht aber die strahlenden Trompeten oder die kräftigen Posaunen am Geschehen beteiligt.
Werden auf diese Weise die dynamischen Spitzen abgeschwächt, so versuchte Schalk umgekehrt, bei extrem leisen Passagen ausgleichend zu wirken, indem er dort die Dynamik um einen oder mehrere Grade anhob, etwa im Seitensatz des Kopfsatzes in Takt 106, 114, 147, 386 und 411, oder in Takt 192.155 Auch im Trio des Scherzos vermied Franz Schalk in den Takten 31 und 55/57/59 das dreifache piano der Originalpartitur.
Zu diesen gleichsam ‘vertikal’ wirkenden Eingriffen in die Dynamik und Besetzung kommen solche hinzu, die den horizontalen Verlauf der Musik verändern. So fügte Schalk in zahlreiche der hermetischen Klangflächen Bruckners ein plötzliches piano mit anschließendem crescendo ein (Takt 83/84 des Kopfsatzes), ließ einen fortissimo-Block mit einem decrescendo enden (Takt 49 bis 51 des Kopfsatzes) oder deutete eine gleich mäßige Klangfläche Bruckners durch ständiges An- und Abschwellen der Dynamik um (Takt 460 bis 485 {342 bis 367} des Finales).
Das letztgenannte Beispiel ist in der folgenden Graphik dargestellt: Während bei Bruckner alle Instrumente ein gleichbleibendes fortissimo spielen und lediglich für die Holzbläser an zwei Stellen dreifaches forte vorgezeichnet ist, zeigt das dynamische Relief der Bearbeitung große Schwankungen:156 (Vergleiche die Graphik auf der folgenden Seite)
153 Beispiele dafür finden sich in buchstäblich jedem fortissimo-Block der Schalk-Bearbeitung, etwa im ersten Satz, T. 15-29 oder T. 79-90. 154 Markante Beispiele dafür finden sich im Kopfsatz (T. 319-324 und 329/330), im Adagio (ab T. 85) oder im Scherzo (T. 15-21). IS Auch dieser Punkt erfährt eine leichte Relativierung durch Bruckner selbst: In der Partitur-Abschrift Mus.Hs. 36.693 änderte er das ppp in T. 192 zup (vergleiche AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, S. 81). 15’ Berücksichtigt werden muß hier allerdings, daß Franz Schalk auch an dieser Stelle massiv in die Instrumentation eingriff und dadurch ein direkter Vergleich zwischen Originalfassung und Bearbeitung nicht immer möglich ist.
161
A. Holzbläser:
B. Blechbläser:
C. Streicher:
Graphik 8: V. Symphonie, Finale, dynamisches Relief der Takte 460 bis 485 {342 bis 367} (I cm --2 Takte). Graue Linie: Originalfassung Bruckners; schwarze Linie(n): Bearbeitung Franz Schalks.
Sehr häufig sind in der Bearbeitung auch Klangverdickungen durch hinzugefügte Liegetöne und Umschichtungen des thematischen Materials von einer Orchestergruppe in eine andere anzutreffen. Erstere finden sich oft in den Mittellagen von Holz- oder Blechbläsern, etwa zu Beginn des Scherzos in Hörnern und Trompeten (Takt 5 bis 7 bzw. 7/8), in der langsamen Einleitung des Finales in Oboen, Klarinetten und Hörnern (Takt 17 bis 22 {15 bis 20}), oder auch im ersten Satz in den Takten 131 bis 144, in denen Franz Schalk die schwebenden Bläserklänge in der Zwischenepisode des Seiten satzes der Exposition mit Liegetönen in den Celli und Kontrabässen unterlegte.
Umschichtungen des Materials finden sich schließlich im Scherzo (Takt 189 {190}) oder im Finale (Takt 125 bis 128 {123 bis 126}) durch Tausch von Streichern und
162
Holzbläsern, oder gegen Ende des ersten Abschnittes in der Durchführung des Kopfsatzes, Takt 261 bis 266, in denen Schalk die Holzbläser in die Violinen legte, das Horn beibehielt, aber durch Bratschen, Celli und Fagott verstärkte und so einen für seine Bearbeitung typischen Mischklang erzeugte. Manche Eingriffe Franz Schalks in die Instrumentation dienten dem Versuch, nicht nur den Gesamtklang zu verändern, sondern die melodische Substanz der Musik hervor zuheben und die seiner Auffassung nach ‘ungünstige’ Instrumentation Bruckners zu korrigieren. Solch einem Fall begegnet man in der Bearbeitung schon in Takt 15 bis 17 bzw. Takt 23 bis 25 der Introduction des ersten Satzes. Hier spielen in der Originalfassung Holzbläser und Streicher im Unisono ein durch scharfe Punktierungen und Dreiklangs brechungen charakterisiertes Motiv, zu dem die gesamte Blechbläsergruppe auf den metrischen Schwerpunkten die jeweiligen Motivtöne verstärkt. Durch diesen Blech bläsereinsatz, der noch dazu auf der gleichen dynamischen Stufe erfolgt wie der der Streicher und Holzbläser, sah Franz Schalk offensichtlich die Gefahr, daß die Sechzehntelbzw. Zweiunddreißigstel-Noten des Motivs verdeckt würden.157 Aus diesem Grunde behielt er nur die Streicherstimmen bei, änderte jedoch die Bläser beträchtlich: Nun sind alle Stimmen am melodischen Geschehen beteiligt, und die ‘Stütztöne’ der Blechbläser sind — bis auf die beiden Töne der Trompete — völlig weggefallen. Besonders kraß treten diese Eingriffe in der Durchführung des Kopfsatzes zutage. Nachdem Bruckner zunächst alternierend die Motive der Introduction und das Hauptthema des Satzes verarbeitete, benutzte er im zweiten Abschnitt der Durchführung dieses Hauptthema, um ihm nun unter Verwendung virtuos gehandhabter Kontrapunktik das Motiv aus Takt 15 ff. der Einleitung gegenüberzustellen. Durch die ständigen, oft sich überlagernden Diminutionen, Umkehrungen und Engführungen entsteht bisweilen der Eindruck einer Überfülle des thematischen Materials, einer Überpräsenz der Motive, welche sicher zu einem bedeutenden Teil auf Bruckners Anspruch an Wissenschaftlichkeit und höchster Kunstfertigkeit, den er gerade mit seiner V. Symphonie verwirklichen wollte, zurückzuführen ist. Franz Schalks Absicht war es, durch gravierende Uminstru mentierungen dieser Überpräsenz Herr zu werden: In Takt 267 (Buchstabe K) werden in der Originalpartitur das Hauptthema und dessen Umkehrung in Engführung vorgestellt. Auf der zweiten Note des von tiefen Streichern und tiefen Blechbläsern gespielten Themas setzen die Holzbläser und die Trompeten mit der Themenumkehrung ein. Um zu verhindern, daß diese durch ihren strahlend hellen Klang das übrige thematische Geschehen zu sehr überdecken, sparte Schalk die Trompeten als Melodieträger fast gänzlich aus und ließ die Themenumkehrung neben den Holzbläsern zusätzlich von den ersten Violinen spielen.
157 Allerdings hängt die Deutlichkeit dieser Passage entscheidend von der jeweiligen Interpretation ab: Die Pausen in den Blechbläsern, die genau mit den Sechzehntel- und Zweiunddreißigstel-Noten des Motivs zusammenfallen, erlauben bei differenzierter Klangballance durchaus eine überzeugende Darstellung dieses Abschnitts.
163
Zu diesen enggeführten Umkehrungen des Hauptthemas tritt ab Takt 283 das Motiv aus Takt 15 ff. hinzu, welches zunächst gleichzeitig in seiner Originalgestalt, in der Umkehrung und auf seinen Rhythmus beschränkt erscheint, um dann ab Takt 291 auch in Diminution und Umkehrung der Diminution verwendet zu werden. Gerade diese Rhythmen sind es aber, die, von Posaunen, Trompeten und zuletzt auch Pauken stets im fortissimo und mit der Angabe marc.[ato] stacc.[ato] intoniert, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Um der Verdeckung des übrigen Geschehens entgegenzuwirken, entschloß sich Franz Schalk, diesen Rhythmus in Takt 283 ff. lediglich zweien der Hörner anzuver trauen und in Takt 287 ff. zwar von den Trompeten, aber nur im mezzoforte intonieren zu lassen. Zudem verwendete er nur die ersten beiden Trompeten, wodurch die Terz, der Ton b, entfiel. Die dritte Trompete benutzte Schalk, um den Themeneinsatz der Alt-Posaune imff marc.[ato] hervorzuheben. Ab Takt 303 treten diese markanten Rhythmen erneut auf, viermal hintereinander und in taktweisem Wechsel, wieder in den Posaunen und Trompeten. Hier verdecken sie in der Originalpartitur eine Diminution des Hauptthemas und die Umkehrung dieser Diminution, die zu gleicher Zeit abwechselnd in Klarinetten und Oboen im fortissimo erscheinen, zur Gänze. (Vergleiche Notenbeispiel 9a auf Seite 166) Dieser Umstand veranlaßte Franz Schalk zu einer seiner krassesten Instrumentationsänderungen: Er dünnte nicht nur die Instrumentierung der Rhythmen erheblich aus und schwächte sie dynamisch ab (jetzt erklingt der Rhythmus zuerst in Pauken und darauf nacheinander in Hörnern, Pauken und Trompeten), sondern er verstärkte vor allem das thematische Geschehen der Klarinetten und Oboen: In seiner Bearbeitung spielen nun alle Holzbläser die Melodielinie im Unisono, abwechselnd von zwei Hörnern und der ersten Trompete unterstützt. (Ver gleiche Notenbeispiel 9b auf Seite 167 f.)
V.2.6 Eingriffe in
die melodische
Substanz
Eingriffe in die melodische Substanz gehören zusammen mit dem Problem der Kürzun gen naturgemäß zu den schwierigsten und problematischsten Bereichen der Bearbeitung fremder Werke, und obwohl Franz Schalk sich im Falle der III. Symphonie nicht scheute, Bruckner selbstkomponierte Überleitungen vorzulegen,'58 setzte er dieses Mittel in der Bearbeitung der V. Symphonie — gemessen an den Änderungen der Instrumentation — relativ selten ein. So fällt die Streichung der Flötenstimme in Takt 130 des Adagios nicht besonders schwer ins Gewicht. Auffällig an der Partitur Franz Schalks ist hingegen die Stimmführung der Holzbläser in den Schlußtakten des Adagios, welche von der in den Partituren der alten und neuen Gesamtausgabe abweicht. Hier scheint Schalks Version jedoch auf Bruckner selbst zurückzugehen, wie aus der schon mehrfach erwähnten Partitur-Abschrift Mus.Hs. 36.693 hervorgeht.159 Die von Bruckner offenbar eigenhändig geänderten Schlußtakte stellen die umfangreichste und wichtigste Abweichung der Partitur-Abschrift Mus.Hs. 36.693*
Siehe dazu Leibnitz 1988, S. 133 oder NGA, Bd. 3/1-3, Revisionsbericht, S. 266 f. Siehe AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, S. 79 f.
164
vom Autograph Ms.Hs. 19.477 dar. Allerdings trug Bruckner diese Änderung, wie alle anderen, nur mit Bleistift in die Abschrift ein. So kommt ihr lediglich der Stellenwert eines Entwurfs zu. Zudem notierte er die letzte Note der Flöte als Viertel und nicht, wie im Erstdruck, als Ganze mit Fermate, und er fügte auch nicht die Sextparallelen in der Oboe hinzu!
Auch im Finale der Schalkschen Bearbeitung finden sich mehrere Eingriffe in die melodische Substanz. Wie diejenigen der übrigen Sätze sind sie von unterschiedlicher Bedeutung für das klangliche Ergebnis. In der Einleitung verwendete Bruckner mehrmals eine fallende Oktave, welche die Reminiszenzen an die vorangegangenen Sätze kom mentierend begleitet und gleichzeitig als Kemmotiv des ersten Finale-Hauptthemas auf das Kommende verweist. Es erscheint sechsmal in der Einleitung, sowohl in Viertel-, als auch in Achtel-Notierung. Schalk änderte die ersten beiden dieser Einwürfe (Takt 3 bzw. 5) von Viertel- zu Achtelnoten. Von größerer Bedeutung ist die ersatzlose Streichung eines Einwurfs der Holzbläser in Takt 230 {232}. Diesen Holzbläser-Einsatz, welcher einen durchaus markanten rhyth mischen Kontrapunkt zum dritten Einsatz des Fugenthemas darstellt, hielt Schalk offen sichtlich für überflüssig oder deplaciert, obwohl er sich, wie man unschwer erkennen kann, aus den Holzbläserfiguren der Takte 224 bis 227, besonders denen der Flöte in Takt 226 und 227, herleiten läßt.
Auch in den ersten Takten des Reprisen-Einsatzes, Takt 460 {342}, griff Schalk in die Substanz ein: Durch Diminution veränderte er die Gestalt des Schlußgruppenthemas so sehr, daß Robert Haas diese Passage in seine Verlagsprospekte als Werbung für die neue Gesamtausgabe aufnahm.160 Der Veränderung des Klangkolorits dienen schließlich die zusätzlich eingefügten Instrumente im Schlußchoral des Finales ab Takt 465 der Bearbeitung. Hier setzte Schalk nicht nur den vieldiskutierten separaten, erhöht hinter dem Orchester aufgestellten Bläserchor zur Entlastung der im Orchester spielenden Blechbläser ein, sondern ersetzte die rhythmisch strukturierte Klangfläche der Holzbläser bis Takt 485 durch hinzukompo nierte, bewegte Sechzehntel-Figurationen: Arpeggien und Triller in hohen Lagen verlei hen zusammen mit Becken und Triangel ab dem Choraleinsatz und den in Achtel-Triolen schmetternden Hörnern der Takte 504 bis 507 dem Schluß der Symphonie ein fest lich-prunkvolles, fast pompöses Gepräge, welches Bruckners ursprünglichen Intentionen kraß entgegensteht.
160 Vergleiche die Abbildung im Bruckner-Jahrbuch 1982/83, S. 59
165
Notenbeispiel 9a: V. Symphonie (NGA), Kopfsatz, Takt 303 bis 308
166
Notenbeispiel 9b: V. Symphonie (Erstdruck), Kopfsatz, Takt 299 bis 309
167
168
V.2.7 Abweichungen
in den
Satzlängen
Untersucht man die Längenunterschiede der einzelnen Sätze, so registriert man bereits für den Kopfsatz eine Abweichung um einen Takt. Dabei handelt es sich aber nur um Takt 512 der Bearbeitung, den letzten Pausen-Takt des Satzes, der in den Partituren der Gesamtausgabe fehlt. Bruckner strich diesen Takt zwar eigenhändig aus, jedoch lediglich im Autograph, Mus.Hs. 19.477. Auch der metrischen Logik nach ist der Pausentakt durchaus berechtigt.161 Stimmen die Längen des Adagios in den Partituren der Gesamtausgabe und dem Erstdruck überein, so findet sich im Scherzo wieder eine Abweichung, hier um zwei Takte. Wie in der IV. und VIII. Symphonie weist auch in der V. Symphonie das Scherzo eine große formale Nähe zur Sonatenhauptsatzform auf und ist somit nach beiden Formmodellen analysierbar. Franz Schalk fügte im ersten Formteil, der ‘Expositi on’, und in der Parallelstelle in der ‘Reprise’ je einen Takt ein (Takt 96/97 bzw. 341/342 der Bearbeitung): Nach einem Tutti im fortissimo wird der Satz nach nur einer Viertelpause im pianissimo bzw. dreifachen piano fortgesetzt. Um diesen Einsatz nicht durch den Nachhall des Vorangegangenen zu verdecken, notierte Schalk je eine eintaktige General pause. Auch hier trug Franz Schalk damit einem der Bleistift-Einträge Bruckners in Mus.Hs. 36.693 Rechnung: Dort notierte Bruckner über der Generalpause in Takt 96 bzw. 340 eine Fermate.162
Berücksichtigt man die Differenz zwischen komponierter und tatsächlich erklingender Musik, wie sie durch Wiederholungen einzelner Abschnitte entsteht, so ist eine weitere Kürzung Franz Schalks zu verzeichnen: Er verzichtete bei der Wiederholung des Scherzos auf ‘Exposition’ und ‘Durchführung’, wodurch das Scherzo nach dem Trio erst mit Takt 246 (Takt 245 der Originalfassung) einsetzt und somit 245 Takte (244 Takte der Origi nalfassung) entfielen. (Vergleiche Graphik 9 auf Seite 172) Griff Schalk mit dieser Kürzung nicht in die Substanz des Satzes ein, da dem Hörer des Werkes kein von Bruckner komponierter Takt vorenthalten wurde und sich Franz Schalks Strich zudem mit Berufung auf überlieferte Gattungstraditionen legitimieren läßt, weist das Finale Kürzungen auf, welche sowohl ihrer Länge als auch ihrer Bedeutung nach tief in die Substanz des Satzes eingreifen. Dabei wurde gerade der Finalsatz der V. Symphonie immer wieder um seiner Formvollendung willen bewundert. So zeigte Leopold Nowak an diesem Finale Anton Bruckners Formwillen 163 und schrieb an anderer Stelle: „Alle Meisterschaft künstlerischen Könnens in Form, Satz und Klang birgt diese Sym phonie, unvergeßlich für jeden, der einmal in den Dom ihrer Polyphonie, ihrer Melodien, ihres Chorals getreten ist.“ 164 Walter Abendroth schrieb, daß Bruckner „über den gewal tigen symphonischen Bau die ungeheuerlichste Schlußkuppel“ gewölbt habe, „die je ein Meister der Töne ersann und vollendete. In diesem Finalsatz haben wir die höchste 161 Vergleiche AGA/NGA, Bd. 5, Revisionsbericht, S. 56 162 Vergleiche ebenda, S. 81 163 Leopold Nowak: Anton Bruckners Formwille, dargestellt am Finale seiner V. Symphonie (1961), in: Nowak 1985, S. 43 ff. 164 NGA, Bd. 5, Vorwort
169
architektonische Leistung vor uns, die dem großen Erfinder und Gestalter gelungen ist, sowohl der Konzeption wie der Ausführung nach.“165 Auch Frank Wohlfahrt meinte, daß der Schlußsatz „nach Anlage und Aufbau zum Großartigsten an Formungskraft innerhalb unserer symphonischen Literatur“ gehöre,166 und für Wilhelm Furtwängler bedeutete er schlicht das „monumentalste Finale der Weltliteratur“.167 Dennoch unterzog Franz Schalk diesen Satz einer Kürzung von fast 20% seiner ursprünglichen Länge: Von 635 Takten strich er 123 Takte und schrieb im Rahmen dieser Kürzungen insgesamt 6 Takte um oder komponierte sie neu. Seine Kürzungen beziehen sich im einzelnen auf die Takte a) 13 und 14, b) 324 bis 353, c) 374 bis 459, d) 622 bis 625 und e) den Takt 635. (Vergleiche Graphik 10 auf Seite 173) Neukomponiert und den Kürzungen angegli chen wurden a) die Takte 322 und 323, b) 354 und 355, und c) 460 und 461. Während die Kürzungen a), d) und e) formal nicht ins Gewicht fallen, sind die anderen von umso größerer Bedeutung: Kürzung b) betrifft einen dreißigtaktigen Abschnitt der Durchfüh rung, und der Kürzung c), die immerhin sechsundachtzig Takte umfaßt, fielen der Hauptsatz und die gesamte ‘Gesangsperiode’ der Reprise zum Opfer. Dadurch aber wird die dem Satz zugrundeliegende Sonatenform in ihrer Balance empfindlich gestört, wenn nicht sogar zerstört, und der Satz somit in seinem formalen Ablauf unverständlich. Wenn man sich die vollendeten Proportionen dieses Finalsatzes vor Augen führt, stellt sich die Frage, warum Franz Schalk nicht von Bruckners eigenem Kürzungsvor schlag Gebrauch machte. Bruckner hatte nämlich die Takte 270 bis 373 zur Kürzung vorgeschlagen. Mit dieser Kürzung wäre zwar die Durchführung auf 59 Takte geschrumpft, aber die Gesamtform des Satzes wäre erhalten geblieben. Kurioserweise aber endet dieser — von Schalk aufgrund seines Eingriffs zwangsläufig unterschlagene — Kürzungs vorschlag Bruckners genau dort, wo die umfangreichste Kürzung Franz Schalks einsetzt: Am Beginn der Reprise!
V.3 Resümee Ohne einer Bewertung der Bearbeitung Franz Schalks im letzten Abschnitt dieses Kapitels vorgreifen zu wollen, kann hier bereits festgehalten werden, daß Schalks Eingriffe in die V. Symphonie in allen relevanten Parametern weit über die Bearbeitung der VIII. Symphonie durch seinen Bruder und Max von Oberleithner hinausgehen. Daß seine massiven Eingriffe zudem durch die Änderungen, welche Bruckner nachträglich an seinem Autograph der V. Symphonie vornahm, zwar relativiert, jedoch nicht oder nur zu einem kleinen Teil gerechtfertigt werden können, ging ebenfalls aus den Untersu chungen dieses Abschnittes klar hervor. Darüber hinaus brachte Franz Schalk an seiner Bearbeitung der V. Symphonie noch weitere Retuschen an. Das belegt sein persönliches Partitur-Exemplar des Erstdruckes,168 165 Walter Abendroth: Die Symphonien Anton Bruckners (vergleiche Anm. 133), S. 75 166 Frank Wohlfahrt: Anton Bruckners symphonisches Werk, Leipzig 1943, 8. 110 167 Anton Bruckner. Vortrag, gehalten anläßlich des Festes der Deutschen Bruckner-Gesellschaft in Wien 1939, in: Wilhelm Furtwängler: Brahms - Bruckner, Leipzig 1942, hier S. 27-29. Im Zusammenhang zitiert in Kapitel 4, Abschnitt X.l
170
in welches er weitere Änderungen eintrug, die vermutlich aus Aufführungserfahrungen mit der V. Symphonie resultierten. So dirigierte er die V. Symphonie seines alten Lehrers beispielsweise mit den Wiener Philharmonikern am 28. November 1909, oder, in seiner letzten Aufführung im Rahmen der Abonnements-Konzerte der Philharmoniker, wenige Jahre vor seinem Tode, am 11. und 12. Februar 1928.168 169 (Da Franz Schalk, wie in Kapitel 4, Abschnitt VI.3 beschrieben, in späteren Jahren von seiner Bearbeitung in einigen Punkten zugunsten einer Annäherung an das Brucknersche Original abwich, müssen seine hier zu besprechenden Einträge allerdings aus früherer Zeit stammen.) Die zusätzlichen Eingriffe betreffen — vor allem gemessen an Schalks früheren Änderungen — ausnahmslos Kleinigkeiten. So setzte Franz Schalk im Kopfsatz die ursprünglich von ihm gestrichene erste Trompete in Takt 173 bis 176 wieder ein und stellte dadurch den Mischklang der Original-Partitur wieder her; zusätzlich ergänzte er für die ersten Violinen jeweils ein Viertel (es’”) in Takt 177 bis 179. In Takt 201 ließ Schalk die Hörner die ersten drei Noten des Unisonos des übrigen Orchesters mitspielen, was zwar eine Zurücknahme einer früheren Änderung am Original bedeutet, jedoch aufgrund der extremen Ausdünnung des ursprünglich dichten Brucknerschen Satzes nur als unbedeutende Retusche eingestuft werden kann. Im Scherzo spielen drittes und viertes Hom in Takt 312 bis 319 {311 bis 318} unisono, erste und zweite Posaune spielen in Takt 340 {339} statt des Liegetones die Stimmen der Hörner und Trompeten mit, und in Takt 366 {364} verstärkt die Klarinette wie in den folgenden Takten die Oboe. Schließlich fügte Franz Schalk dem ersten Hom in Takt 244/245 {246/247} des Finales zur Klangmischung das Fagott hinzu und verstärkte in Takt 449 {567} das erste Hömerpaar mit dem zweiten.
168 ÖNB-MS, Fonds 18 Schalk 444/50 M Angaben zitiert nach der Aufführungs-Kartei im Historischen Archiv der Wiener Philharmoniker.
171
A.
Formaler Aufbau in der Originalfassung Trio
Scherzo
(Exposition)
B,
97
245
(Durchführung)
(Reprise)
341 382 I
Scherzo da capo 148 1
Coda
(Exposition)
97
245
(Durchführung)
(Reprise)
341 382
Coda
Formaler Aufbau in der Bearbeitung Franz Schalks
Scherzo
Trio
1
98
246
A
B
A
(Exposition)
(Durchführung)
(Reprise)
343 384 1
Coda
Scherzo da capo 148 1
(Reprise)
98 139
Coda
Graphik 9: V. Symphonie, Scherzo und Trio, Formaler Aufbau in der Originalfassung Bruckners und der Bearbeitung Franz Schalks
A. Formaler Aufbau in der Originalfassung (einschl. Bruckners Kürzungsvorschlag) Durchführung
Introd. Exposition
Reprise
Coda
Choral
Reprise
Coda
Choral
270-373 (vi-de)
B. Kürzungen Franz Schalks am Autograph Bruckners Durchführung
Introd. Exposition
t________ C.
Kürzungen Franz Schalks
Formaler Aufbau in der Bearbeitung Franz Schalks
Introd. Exposition 1
622-625 635
374-459
324-353
13-14
27
65
135
Durchführung
Reprise Coda
Choral
209
342
465
378
512
Graphik 10: V. Symphonie, Finale, formaler Aufbau in der Originalfassung Bruckners und der Bearbeitung Franz Schalks (I. - erste Themengruppe [Hauptsatz]; II. = zweite Themengruppe [Seitensatz]; III. = dritte Themengruppe [Schlußgruppe])
VI. JOSEF SCHALK UND DIE VI. SYMPHONIE VI. 1 Einleitung Anton Bruckner komponierte seine VI. Symphonie vom 24. September 1879 bis zum 3. September 1881. Bereits kurze Zeit später, am 11. Februar 1883, wurden die beiden Mittelsätze des neuen Werkes durch die Wiener Philharmoniker unter Leitung von Wilhelm Jahn uraufgeführt. Bis zur vollständigen Uraufführung und zur Drucklegung sollten jedoch noch einmal 16 Jahre vergehen: Erst gegen Ende des Jahres 1898 begann Josef Schalk, Partitur und vierhändigen Klavierauszug der VI. Symphonie zum Druck vorzubereiten,170 wie er es bereits sieben Jahre zuvor — damals zusammen mit Max von Oberleithner und mit großem Erfolg für Bruckner — mit der VIII. Symphonie getan hatte. Am 26. Februar 1899 konnte die Symphonie unter Leitung Gustav Mahlers von den Wiener Philharmonikern erstmalig als Ganzes, wenn auch mit erheblichen Eingriffen des Dirigenten, aufgeführt werden, und im Juli 1899 schließlich erschien im Wiener Verlagshaus Döblinger der Erstdruck des Werkes. Im Zusammenhang mit der Bearbeitung dieses Erstdruckes wird neben Josef Schalk immer wieder Cyrill Hynais erwähnt.171 Ein Jahr älter als Franz Schalk und Ferdinand Löwe, hatte Hynais auf Anregung Josef Schalks von 1883 bis 1885 am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien bei Bruckner Kontrapunkt, außerdem bei Julius Epstein Klavier studiert. Später leitete er unter anderem den Chor des Wiener Akademischen Wagner-Vereins. Wie die Brüder Schalk oder Ferdinand Löwe gehörte Hynais dem engsten Kreis um Bruckner an. So war er auch an den Druckvorbereitungen der VI. Symphonie beteiligt, für die er den ersten Satz der Stichvorlage abschrieb. Diese Partitur-Abschrift der Stichvorlage ist jedoch sehr dicht am Text des Autographs orientiert. Daher überrascht es nicht, daß die Verantwortung für die Änderungen an der Bruckner sehen Vorlage bei Josef Schalk zu suchen ist: „Die Unterschiede zu Bruckners Autograph finden sich im Bürstenabzug als Korrekturen mit Blaustift. Wie Schriftvergleiche mit Briefen von Josef Schalk aus dem Jahre 1899 ergeben haben, stammen diese Blaustift korrekturen von ihm.“ (Leopold Nowak172) Was Josef Schalk mit diesen ‘Korrekturen’ bezweckte, was sie im einzelnen bewirkten und auf welche Parameter der Komposition sie sich bezogen, soll im nächsten Abschnitt besprochen werden. Der besonderen Problematik des Erstdruckes der VI. Symphonie, welche daraus erwächst, daß die Partitur und die Stimmen in vielen Details nicht über einstimmen bzw. gegenteilige Aussagen enthalten, und die schon Georg Göhler in seinem vielzitierten Aufsatz aus dem Jahre 1919 angeprangert hatte,173 kann im Zusammenhang 1711 Vergleiche dazu die Briefe Josef Schalks an seinen Bruder, auszugsweise wiedergegeben in AGA/NGA, Bd. 6, Revisionsbericht, vorgelegt von Robert Haas und ergänzt von Leopold Nowak, S. 62 f. 171 Zu Hynais vergleiche etwa Andrea Harrandt: Artikel Hynais, Cyrill, in: Bruckner-Handbuch, S. 205 l7‘ AGA/NGA, Bd. 6, Revisionsbericht, vorgelegt von Robert Haas und ergänzt von Leopold Nowak, S. 88. Vergleiche auch ebenda, S. 56 175 Vergleiche Kapitel 4, Abschnitt II, S. 222-224
174
dieser Untersuchungen nicht Rechnung getragen werden. Auch daß Josef Schalk zwar im vierhändigen Klavierauszug, nicht jedoch in der Partitur Kürzungen vornahm, muß hier unberücksichtigt bleiben.174 Daher soll im folgenden neben dem sechsten Band der neuen Gesamtausgabe lediglich die Erstdruck-Partitur (Ludwig Döblinger, Wien o. J. [1899], Platten-Nr. D. 2300) als Referenz der Vergleiche dienen.
2 VI.
Vergleich
der
Originalpartitur
mit der
Bearbeitung Josef Schalks
Wie schon im Zusammenhang mit der Bearbeitung der VIII. Symphonie, finden sich auch hier wieder etliche Bereiche, in denen Josef Schalk auf schwerwiegende Eingriffe in das Brucknersche Original verzichtete oder dieses sogar gänzlich unangetastet ließ. So stimmt neben den Orientierungsbuchstaben auch die Orchesterbesetzung mit dem Autograph Bruckners überein. Wechsel der Tonarten innerhalb eines Satzes finden sich weder im Original noch in der Bearbeitung, und unterschiedliche Taktarten bzw. Takt wechsel innerhalb eines Satzes treten nur im Trio und im Finale auf: In ersterem änderte Schalk den 2/4 -Takt Bruckners in einen 4/8 -Takt, und für die Takte 177 bis einschließlich 244 des Schlußsatzes notierte er statt des vorgeschriebenen Alla breve einen 4/4 -Takt. Auch die Längenabweichungen von Originalfassung zu Bearbeitung weisen keine bedeutenden Änderungen auf: Lediglich im Trio ließ Josef Schalk den zweiten Teil wiederholen und komponierte dafür einen Überleitungs-Takt hinzu, wodurch die Sym phonie um 29 Takte an Länge zunahm. Dieser Änderung kommt die gleiche Bedeutung zu wie der Kürzung Franz Schalks im Scherzo der V. Symphonie: Hier wie dort handelt es sich um Takte, welche lediglich wiederholt (resp. nicht wiederholt) wurden, womit dem Hörer kein von Bruckner komponierter Takt vorenthalten wurde. Der entscheidende Unterschied zum Scherzo der V. Symphonie — und zu allen anderen Fremdbearbeitungen — liegt jedoch darin, daß hier, bezogen auf die tatsächlich erklingenden Takte, die Bearbeitung länger ausfiel als das Brucknersche Original!175 Auch Bruckners Spielanweisungen und Artikulationsvorschriften wurden von Josef Schalk weitgehend beibehalten. Selten ergänzte er im Zusammenhang mit dynamischen Abschwächungen ein Weich oder sehr ruhig, lediglich zu Beginn des Adagios verzichtete er auf Bruckners Anweisung markig, und auch die Änderung der für Bruckner typischen Streicher-Artikulation (Staccato-Keile) in Staccato-Punkte, welche dem Rhythmus des Kopfsatz-Hauptthemas und am Beginn des Scherzos vorgeschrieben ist, stellte — ge messen an der klanglichen Wirkung — einen relativ unbedeutenden Eingriff dar.
VI.2.1 Eingriffe in
die
Tempoproportionen
Anders verhält es sich mit den Eingriffen in die Tempoproportionen der Originalfas sung: Neben einzelnen eingefügten Fermaten (Adagio Takt 140 oder Finale Takt 144/145 und 357/358) und kurzen Ritardandi (etwa Kopfsatz Takt 80 oder die Parallelstelle Takt 268, Finale Takt 72 oder 196) finden sich dort auch spürbare Änderungen längerer 174 Vergleiche zu diesen Punkten den Revisionsbericht 175 Vergleiche dazu die Übersicht in Anhang II
175
Abschnitte. So enthält die folgende Aufstellung neben beibehaltenen Anweisungen Bruck ners auch Modifizierungen und zahlreiche hinzugefügte Temposchwankungen:176 Takt
Originalfassung
Bearbeitung von Josef Schalk
Erster Satz: 1 Majestoso 49 Bedeutend langsamer 101 111 121 129 145 174 183 191 accelerando 195 Tempo wie anfangs 245 bedeutend langsamer 281 (Tempo T'“) 285 289 295 303 309 353 Tempo wie anfangs 267 molto ritard.
Maestoso Bedeutend langsamer gemässigtes Hauptzeitmass (etwas breit) Ruhig beginnend (dann ein wenig belebend) (nach und nach beruhigend) Ruhig. Noch ruhiger. (ein wenig belebend) (wieder ruhiger) accelerando Tempo wie anfangs Bedeutend langsamer Gemässigtes Hauptzeitmass (etwas breit) (ein wenig belebend) Ruhig beginnend (dann ein wenig belebend) (beruhigend) Sehr ruhig und feierlich Tempo wie anfangs molto rit.
Adagio: 1 45 53 133 141
Sehr feierlich (Largo) -
Sehr feierlich Sehr ruhig (ohne zu schleppen) Grave. Grave. Sehr breit.
Scherzo: 1 89 93 105
Nicht schnell -
Ruhig bewegt, (etwas gemessen) etwas gemächlich Hauptzeitmass poco accelerando
Trio: 1
Langsam
Die Achtel wie eben vorher die Viertel
Finale: 1 47
Bewegt, doch nicht zu schnell -
Bewegt, doch nicht zu schnell (etwas breit)
176 Die Schreibweise der Quellen wurde beibehalten.
176
53 65 93 97 125 129 135 145 177 211 245 272 285 299 311 327 331 332 341 356 359 363 367 371 385
langsamer Tempo T"° bedeutend langsamer Tempo r‘ langsamer a Tempo langsam semp(re) accelerando semp(re) ritard. a Tempo -
Hauptzeitmass Gemässigtes Hauptzeitmass (langsamer) Tempo I. Schnell Wieder ruhiger Schnell Im Hauptzeitmass Bedeutend langsamer Sehr gemässigtes Hauptzeitmass Im Hauptzeitmass (nach und nach belebend) (nach und nach beruhigend) Gemässigtes Hauptzeitmass (etwas gedehnt) (langsamer) poco a poco accelerando Im Hauptzeitmass (zögernd) (allmälig belebend) rit. a Tempo Beschleunigtes Hauptzeitmass
Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, behielt Josef Schalk die Brucknerschen Angaben weitgehend bei. Lediglich die Rückkehr zum Grundtempo verzögerte er im Kopfsatz (Takt 281) und im Finale (Takt 331) etwas, und die Tempovorschrift des Trios (Takt 1) präzisierte er. Auch tauschte er an zwei Stellen (Adagio, Takt 45 und Scherzo, Takt 1) Brucknersche Termini gegen gleichlautende aus. Bedeutsam sind jedoch die Tempo schwankungen, welche Schalk in allen Sätzen den Brucknerschen Anweisungen hinzu fügte. Entsprechen dabei diejenigen im Adagio noch am meisten Bruckners Intentionen, so sind die starken Tempomodifikationen in den Ecksätzen, beispielsweise im Seitensatz von Exposition und Reprise des Kopfsatzes, genauso wie in der Bearbeitung der V. Symphonie eher den Vorstellungen des Schülerkreises um Bruckner verpflichtet als den Anforderungen einer Brucknerschen Partitur. Das Gleiche gilt für Schalks Eingriffe im Scherzo.
VI.2.2 Eingriffe in
die Instrumentation
Die Änderungen der Instrumentation fallen für den Erstdruck der VI. Symphonie in ihrer Gesamtheit eher unbedeutend für das klangliche Endergebnis aus. So betreffen, wie in der VIII. Symphonie auch, etwa ein Drittel der Abweichungen tiefergelegte Stimmen, meist der Holzbläser.'77 Neben vereinzelt höhergelegten Stimmen178 oder Auf fütterungen durch Liegetöne'79 finden sich auch Noten, welche verlängert oder verkürzt bzw. hinzugefügt oder weggelassen wurden.180 Die übrigen Nummern beziehen sich auf 177
Retuschen anderer Art, etwa Änderungen der Tonhöhe. Sicher sind einige der Nummern auf Irrtümer oder Versehen Josef Schalks oder des Stechers zurückzuführen.'81 Von allen Änderungen fallen wohl am meisten die gestrichenen Blechbläser in Takt 110 des Kopfsatzes (Nr. 16), der um ein Viertel vorgezogene Hom-Rhythmus in Takt 41/42 des Scherzos (Nr. 55), die weitergeführten Rhythmen der Posaunen und der Baß-Tuba in Takt 105/106 des gleichen Satzes (Nr. 61), sowie die Veränderungen der Paukenstimme gegen Ende des Finales (Nr. 98) ins Gewicht.
VI.2.3 Abweichungen
in der dynamischen
Gestaltung
Durch die bisher genannten Eingriffe wurde das Gesamtklangbild der VI. Symphonie oft nur unwesentlich modifiziert. Mit den Mitteln der dynamischen Gestaltung jedoch erreichte Josef Schalk zum Teil erhebliche klangliche Veränderungen. Nach den diesbe züglichen Ausführungen zu den Bearbeitungen der VIII. und V. Symphonie überrascht es nicht mehr, daß auch hier von diesen Änderungen hauptsächlich Bruckners Tutti-Flä chen im zwei- oder dreifachen forte betroffen sind: Lediglich drei von ihnen blieben unberührt.*178 182 181 179 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch hier die als Entkernung beschriebene Abschwächung der Blechbläser-Dynamik um ein oder zwei Grade in den etwa dreißig Tutti-Blöcken der VI. Symphonie. Davon sind zwei Drittel der Blöcke betroffen, oftmals in Verbindung mit einer allgemeinen Abschwächung der Dynamik. Manchmal unterglie derte Josef Schalk dynamisch einheitliche Klangflächen Bruckners, wie in den Takten 25 bis 40 des Kopfsatzes, oder er wandelte Blöcke in Steigerungen um, wie im Adagio in Takt 125 bis 128, im Scherzo in Takt 33 bis 43 oder im Finale in Takt 225 bis 228 und 277 bis 285. Einige besonders prägnante Eingriffe sollen nun anhand ihrer dynamischen Reliefs näher besprochen werden. Als erstes Beispiel dient eine Passage aus der dritten Themen gruppe der Reprise des Kopfsatzes. Dort ist besonders gut zu beobachten, wie — zusätzlich zu der Entkernung des Klanges — eine fortissimo-Fläche durch eine kontinuierliche dynamische Steigerung anstelle des Brucknerschen übergangslosen Wechsels von drei fachem piano zu zweifachem forte erreicht wird: (Vergleiche die Graphiken der folgenden Seiten)
Nr. I, 2, 7, 8, 9, 14, 17, 19, 22, 25, 28, 31, 35, 42, 57, 58, 66, 67, 68, 69, 76, 79, 86, 87, 91, 92, 94, 95 und 96. Den gleichen Effekt erreichte Josef Schalk auch mit Nr. 51, 53, 54, 56 und 75. 178 Nr. 13, 52, 72 und 93 179 Nr. 45, 48, 64 und 74
,8" Nr. 3, 6, 10, 27, 29, 32, 47, 49, 56, 65, 70, 71, 73, 77, 78, 80, 83, 84, 89, 97 und 100
181 In Frage kommen dafür die Nummern 3, 4, 12, 21, 24, 37, 38, 41, 44, 46, 66 und 88. 182 T. 113-128, 135-144 und 367-370 des Finales
178
A. Originalfassung:
B. Bearbeitung:
Graphik 11: VI. Symphonie, Kopfsatz, dynamisches Relief der Takte 281 bis 294 (1 cm = 2 Takte)
Im ersten Tutti-Block des Scherzos verwandelte Schalk das Erreichen einer fortissimo-Fläche in eine sich bis zur letzten Note kontinuierlich fortsetzende Steigerung. Eine derartige dynamische Expansion ist besonders im Erstdruck der VI. Symphonie anzutref fen. Daß dabei sogar die Brucknersche Dynamik um einen Grad überschritten wird, ist charakteristisch für die VI. Symphonie: Ähnliches findet sich auch noch in den Takten 29 bis 39 des Finales.
A. Originalfassung:
179
B. Bearbeitung:
Graphik 12: VI. Symphonie, Scherzo, dynamisches Relief der Takte 1 bis 14 (1 cm = 2 Takte; die oberen Linien geben die zeitweilige dynamische Hervorhebung der Melodiestimmen wieder.)
Im dritten Beispiel, den Schlußtakten des Scherzos, ist zu Beginn wiederum die ‘Glättung’ der Bruckner-typischen ‘Terassen-Dynamik’ zu beobachten. Zudem wird hier die Schlußnote nicht nur im Gegensatz zu Bruckner über ein gewaltiges Crescendo erreicht, sondern auch nach einem vorherigen Absacken der Dynamik um zwei Grade. Die auf diese Weise geschaffene, noch wirkungsvollere, auf ‘Effekt’ angelegte Schluß steigerung, welche ebenso typisch für die Bearbeitung der VI. Symphonie ist, steht mit ihrer Betonung des Punktuellen im Gegensatz zur flächigen, dynamisch konstanten Anlage der Satzschlüsse bei Bruckner: A. Originalfassung: fff ff
f
mf 93
108
B. Bearbeitung:
Graphik 13: VI. Symphonie, Scherzo, dynamisches Relief der Takte 93 bis 108 (1 cm = 2 Takte; die oberen Linien geben die zeitweilige dynamische Hervorhebung der Melodiestimmen wieder.)
180
Im vierten Beispiel ist zu Anfang die Entkernung des Klanges besonders deutlich. Josef Schalk erreichte dadurch eine kontinuierliche Steigerung von Takt 385 bis zum Schluß des Finales, welche zudem noch durch die Unterschlagung der beiden pianissimo-Takte 397 und 398 unterstützt wird. Ebenfalls gut zu beobachten ist die punktuelle Betonung des Satzschlusses durch das bei mezzoforte einsetzende crescendo der Posaunen, der Baß-Tuba und der Pauke in den letzten drei Takten: A. Originalfassung: fff
ff f
mf
397/398
B. Bearbeitung: fff ff f
Pos., B.-Tb., Pk.
mf
Tromp.
Graphik 14: VI. Symphonie, Finale, dynamisches Relief der Takte 385 bis 415 (1 cm -- 3 Takte)
Der Schluß des Kopfsatzes soll als letztes Beispiel besprochen werden. Sehr gut sind hier, bis etwa Takt 347, die Übereinstimmungen zwischen Bruckner und Josef Schalk zu erkennen. Genauso deutlich werden aber auch noch einmal die Unterschiede, ja Gegensätze zwischen Bruckner und seinem Schüler, besonders in den Abschwächungen der abrupten Dynamikwechsel Bruckners, der allmählich sich aufbauenden Schlußsteige rung und dem für den Erstdruck der VI. Symphonie typischen Crescendo der letzten Takte: (Vergleiche die Graphiken der folgenden Seiten)
181
A. Originalfassung:
B. Bearbeitung:
Graphik 15: VI. Symphonie, Kopfsatz, dynamisches Relief der Takte 309 bis 369 (1 cm = 5 Takte; die oberen Linien geben die zeitweilige dynamische Hervorhebung der Melodiestimmen wieder.)
VI.3 Resümee Vergleicht man die Ergebnisse dieses Abschnittes mit der Bearbeitung der V. Sym phonie, so erkennt man in Instrumentation, Form und thematisch-melodischer Substanz gravierende Unterschiede. Auch die Änderungen der Dynamik, welche für die VI. Sym phonie die wichtigsten und schwerwiegendsten Eingriffe darstellen, wurden von Franz Schalk im Erstdruck der V. Symphonie noch übertroffen. Eine viel größere Nähe scheint dagegen zur Bearbeitung der VIII. Symphonie zu bestehen: Hier wie dort kaum Kürzungen, bis auf einen einzigen hinzugefügten Bekkenschlag im Finale der VIII. Symphonie keine Änderungen der Orchesterbesetzung, Beibehaltung der Brucknerschen Orientierungsbuchstaben, sowie ebenfalls kaum schwer wiegende Eingriffe in die Instrumentation. Auch Änderungen des verbalen Notentextes fallen in beiden Bearbeitungen — im Gegensatz zu den Eingriffen in die Dynamik — oftmals kaum ins Gewicht. Dennoch zeigt die Bearbeitung der VI. Symphonie ihr ‘eigenes Gesicht’. So ist die Entkernung der fortissimo-Blöcke hier offensichtlich stärker vorangetrieben, und auch die dynamische Gestaltung der Schlüsse dieser Blöcke durch plötzliches Herunterführen der Dynamik mit anschließendem steilen Crescendo kann als typisch für die Bearbeitung der VI. Symphonie gelten. 182
Bedenkt man, daß die Erstdruck-Vorlage der VIII. Symphonie von Josef Schalk und Max von Oberleithner gemeinsam erstellt wurde, überrascht die weitgehende Überein stimmung zwischen den Bearbeitungen dieser und der VI. Symphonie. Die dennoch vorhandenen kleineren Unterschiede stehen möglicherweise damit in Verbindung, daß Josef Schalk für den Erstdruck der VI. Symphonie allein verantwortlich war und seine Entscheidungen mit niemandem absprechen mußte. Zudem lag zwischen den Bearbei tungen der VIII. und der VI. Symphonie ein Zeitraum von siebeneinhalb Jahren.
Weitere vier Jahre nach der Bearbeitung der VI. Symphonie durch Josef Schalk fertigte Ferdinand Löwe die Bearbeitung der IX. Symphonie an. Daß diese letzte der Bearbeitungen noch einmal ganz anders ausfiel als diejenigen der Brüder Schalk und Max von Oberleithners, zeigt der nächste Abschnitt dieses Kapitels.
183
VII. FERDINAND LÖWE UND DIE IX. SYMPHONIE VII. 1 Einleitung Spätwerke bedeutender Komponisten sind oftmals von einer Aura des Geheimnisvollen, wenn nicht gar von Legenden oder Mythen umgeben. Auf das Gesamtschaffen eines Komponisten bezogen, stehen dabei immer wieder zwei Aspekte im Vordergrund: der der Retrospektive und der der Innovation. So sprach etwa Manfred Wagner im Zusam menhang mit Anton Bruckner von einem „Kompendiencharakter der 9. Sinfonie“ 183 und betonte damit den erstgenannten Aspekt. Eine solche Betrachtungsweise läuft jedoch Gefahr, das stark innovative Element gerade dieser letzten Symphonie Bruckners zu übersehen. Darauf verwies beispielsweise Mathias Hansen, der dieses Element zwei Bereichen, „vor allem Klangfarbe und Form bildung“,184 zugeschrieben wissen wollte.
„Mit ihrer Fülle an terzverwandschaftlichen Beziehungen, an kühnen Modulationen und Ausweichungen, an Alterationen und Rückungen gehören Bruckners Symphonien zur ‘progressivsten’ Musik, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde.“ 185 Mit diesen Worten faßte Constantin Floros die Modernität der Brucknerschen Musik zusammen, und diese Charakterisierung trifft — naturgemäß — besonders auf jenes Werk zu, an welchem Bruckner gleichsam ‘bis zum letzten Lebenstag’ arbeitete: seine IX. Symphonie. Das Innovative findet sich beispielsweise in einer nochmals gestei gerten Monumentalität, einer neuartigen Dissonanzbehandlung und neuen formalen Lö sungen wie den Repriseneinsätzen im ersten Satz und im nicht vollendeten Finale, außerdem in der einmaligen Tatsache, daß Bruckner das zweite Thema des Finales direkt aus dem ersten abgeleitet hatte.
Neu an der IX. Symphonie ist auch, daß hier Konflikte, im Gegensatz zu allen vorangegangenen Symphonien, offen und mit allen Konsequenzen in der Symphonie ausgetragen, mitunter dann aber ergebnislos abgebrochen werden. So kommt es im Adagio in Takt 206 zu einem katastrophalen, ja vielleicht — abgesehen vom Auftreten des Kopfsatz-Hauptthemas vor Beginn der Coda im Finale der VIII. Symphonie — zu dem destruktivsten Höhepunkt, den Bruckner je komponierte.186 Über diese Passage und die daraus für den Hörer erwachsenden Rezeptionsprobleme schrieb der Bruckner-Diri gent Günter Wand: „Die im Vergleich zu den früheren Symphonien stärkere Schroffheit des Klangbildes der Neunten, manchmal wie eine bewußte Distanzierung wirkend, ist eine Folge größter Konsequenz in der polyphonen Stimmführung, die manches Ohr bei der ersten Begegnung irritiert. Sie ist Ausdruck einer Weltabgewandtheit und inneren Wahrhaftigkeit, die, nach so vielen ekstatischen Visionen jenseitigen Glanzes, auch die
181 Bruckner. Leben, Werke, Dokumente, Mainz 1983, S. 344 184 Bruckner, Leipzig 1987, S. 302 185 Constantin Floros: Bruckner — der Progressive, in: Bruckner-Symposium Leipzig 1987, S. 147 186 Siehe dazu auch unten, Abschnitt VII.2.8
184
abgründigste Dissonanz zu artikulieren fähig ist. Dieser furchtbare Schrei, in dem die Klage der Menschheit über das verlorene Paradies bis an das Ende der Zeit zu tönen scheint, kann aus sich heraus keine Auflösung, keine Erlösung finden. Ihm folgt Stille, dann die Hinwendung in die Geborgenheit des Glaubens.“187
Auch das Scherzo und das Trio sind ohne direktes Vorbild: Schon zu Beginn des Scherzos bestimmen scharfe, penetrante Dissonanzen das Bild, und auch das Trio ist kein gemütlich-idyllischer Ländler, sondern im Gegenteil eher eine rasend schnell vor beihuschende, in fahles Licht getauchte, schattenhaft-spukartige Nachtszene, in der nur manchmal die Erinnerung an die alte Ländler-Seligkeit aufschimmert. Hier zeichnet sich also ein grundlegender Unterschied zu den vorhergehenden Sym phonien Bruckners ab — und damit auch ein höherer Schwierigkeitsgrad für die Rezipi enten: für Publikum, Orchester und nicht zuletzt für ihre Dirigenten. Wie in Abschnitt III.3.3 dieses Kapitels beschrieben, gehörte Ferdinand Löwe zu den Gründern des Wiener Konzert-Vereins, und einige Zeit später fiel ihm, dem erfahrenen und verdienten Bruckner-Dirigenten, die Aufgabe zu, mit dem Konzertvereins-Orchester die IX. Symphonie zur Uraufführung zu bringen. Über die näheren Umstände berichtete Max Auer: „Nun, da Löwe sein eigenes Orchester herangebildet hatte, ging er selbst daran, den letzten Liebesdienst an seinem Meister zu erfüllen. Zwar war in musikalischen Kreisen, ja selbst in dem engeren Freundeskreis des Verstorbenen die Meinung verbreitet, die nachgelassenen Sätze seien zu skizzenhaft, ja unaufführbar. Auch Löwe meinte ursprünglich, man tue dem Meister mit der Bekanntgabe keinen Dienst. Endlich, nach eifrigem Studium der drei fertigen Sätze, begann er aus den nach dem Original geschrie benen Stimmen Orchesterproben zu halten. In jeder der zahlreichen Proben wurde, wie der Cellist Laser berichtet, eifrig gefeilt und instrumental geändert, und da das wachende Auge des Meisters nun nicht mehr über dem Jünger ruhte, geschah in Abänderung des Originaltextes des Guten zuviel.“188
Bemerkenswert ist, daß Löwe dieser Schilderung Auers zufolge trotz intensiven Stu diums der Partitur zunächst unvoreingenommen an die Probenarbeit heranging und erst in deren Verlauf sukzessive die schwerwiegenden Eingriffe vomahm, welche im Erstdruck dokumentiert sind. In dieser Gestalt konnte das Werk schließlich am II. Februar 1903 mit überwältigendem Erfolg uraufgeführt werden. Mit dem noch im gleichen Jahr publi zierten Erstdruck189 war der Schlußpunkt unter die Reihe der in dieser Arbeit untersuchten Fremdbearbeitungen Brucknerscher Symphonien gesetzt. Gleichzeitig waren damit auch alle Symphonien Bruckners im Druck erschienen. Im Gegensatz zur V., VI. und VIII. Symphonie ist im Falle der IX. Symphonie der Bearbeiter als Herausgeber des Erstdruckes vermerkt. Darüber hinaus fügte Ferdinand Löwe dem Erstdruck sogar ein kurzes Vorwort bei, in dem er jedoch lediglich auf die 187 Zitiert nach Wolfgang Seifert: Günter Wand: So und nicht anders. Gedanken und Erinnerungen, Hamburg 1998, S. 363 f. 188 Göll./Auer, Bd. IVA, S. 40 f. 189 Das Vorwort ist mit August 1903 datiert.
185
Problematik einer Aufführung der Symphonie mit angefügtem Te Deum einging und die Meinung vertrat, daß „das Werk in der vorliegenden Form sehr wohl als ein Ganzes zu wirken vermag“; die massiven Änderungenen von Löwes Hand blieben unerwähnt.
2 VII.
Vergleich
der
Originalpartitur
mit der
Bearbeitung
Ferdinand Löwes 190
Obwohl zur IX. Symphonie Anton Bruckners bereits im Zuge der alten Gesamtausgabe ein Revisionsbericht erschien, findet sich in ihm — im Gegensatz zu den Revisions berichten der V. und VI. Symphonie — keine Auflistung der Unterschiede zwischen Autograph und Erstdruck. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die IX. Symphonie nicht von Robert Haas, sondern von Alfred Orel herausgegeben worden war. Haas hatte in seinen Revisionsberichten die Abweichungen mit großer philologischer Akribie aufge führt, wenn er sich auch die (Be-)Wertung dieser Abweichungen für andere Publikationen vorbehielt. Bei Orel findet sich jedoch lediglich der Hinweis: „Die starken Abweichungen im einzelnen aufzuzählen, erscheint untunlich“.191 Auf diesen Hinweis folgen einige allgemein gehaltene Anmerkungen zum Erstdruck. Demnach verfolgte Alfred Orel ein anderes Editionskonzept als Robert Haas, für den der Themenkomplex der ‘Eingriffe fremder Hände’ in Bruckners Partituren in den dreißiger Jahren immer stärker zu einer zentralen Motivation für sein Handeln und seine wissenschaftliche Arbeit avancierte.192 Es mag noch hinzugekommen sein, daß die Beschäftigung mit den Skizzen und Materialien zur IX. Symphonie, besonders zum Finale, Orels ganze Aufmerksamkeit absorbierte und eine intensive Auseinandersetzung mit dem Erstdruck als weniger bedeutsam er scheinen ließ.193
Auch in der Folgezeit blieb eine nähere Untersuchung der Eingriffe Ferdinand Löwes in Bruckners IX. Symphonie aus. Eine solche Untersuchung soll daher in diesem Abschnitt vorgenommen werden, wobei, wie schon in den vorhergehenden Abschnitten, die Ände rungen des Bearbeiters ihrer Auswirkung auf das klangliche Endergebnis nach geordnet wurden. Trotz der immensen Fülle von Änderungen wurde eine Vergleichsliste der Instrumentations-Abweichungen aufgestellt. Andere Parameter können jedoch lediglich anhand ausgewählter Beispiele besprochen werden.
VII.2.1 Orientierungsbuchstaben Wie bereits Franz Schalk in der V. Symphonie, setzte auch Ferdinand Löwe in seiner Bearbeitung der IX. Symphonie die Orientierungsbuchstaben nach primär dirigier- bzw. probentechnischen Gesichtspunkten. Wie er dabei im einzelnen vorging, soll im folgenden erläutert werden.
190 Als Referenz dienen die Erstdruck-Partitur (Ludwig Döblinger, Wien o. J. [1903], Platten-Nr. D. 2895) und Bd. 9 der NGA. 191 AGA, Bd. IX, Vorwort, S. 3* 192 Vergleiche dazu auch Kapitel 4, Abschnitt IX.2.4 193 Der Vorlagenbericht Orels befaßt sich auf seinen 144 Seiten ausführlich mit den Skizzen zum Werk.
186
Während Bruckner die Buchstaben immer nach formalen Kriterien gesetzt hatte, verzichtete Löwe gerade an formalen Einschnitten im Satzverlauf auf diese Art der Markierung. So entfernte er etwa im Kopfsatz die Buchstaben bei Einsatz des Hauptthemas (vor Takt 63), zu Beginn des Seitensatzes (vor Takt 97), beim Repriseneinsatz (vor Takt 333) oder vor Beginn des Seitensatzes in der Reprise (Takt 421), da sie für die Probenarbeit überflüssig waren: Eine schnelle und sichere Verständigung zwischen Dirigent und Orchester war an den entsprechenden Stellen allein durch die Prägnanz der formalen Einschnitte gewährleistet. Dafür ergänzte Löwe dort Buchstaben, wo keine sonstigen Anhaltspunkte für eine solche Verständigung gegeben waren.194
Diese Eingriffe bedingten neben der anderen Verteilung auch eine zum Teil größere Verschiebung der einzelnen Buchstaben. So ist etwa bei Bruckners Buchstabe E im Erstdruck bereits das H erreicht, bei F das K, bei J das N und bei M das Q. Verwendete Löwe hier aber dennoch die gleiche Anzahl Buchstaben wie Bruckner, so benutzte er — bei ansonsten gleicher Vorgehensweise wie im Kopfsatz — im Scherzo drei Buchstaben mehr, im Trio dagegen einen Buchstaben weniger. Außerdem zählte er das gesamte Scherzo, einschließlich des Trios und der Wiederholung des Scherzos, von A bis LI durch. Im Adagio hielt Löwe sich dagegen sehr genau an die Brucknerschen, an der Form ausgerichteten Orientierungsbuchstaben, obwohl auch hier das Setzen von Buchstaben innerhalb einzelner Phrasen der Probenarbeit sicherlich zugute gekommen wäre. Lediglich gegen Ende des Satzes verzichtete er auf vier Buchstaben Bruckners (S, V, X und Z), wodurch das Adagio im Erstdruck nicht bei Z endet, sondern dort, wo Bruckner Y gesetzt hatte, mit Buchstabe V schließt. Vermutlich empfand Löwe die von Bruckner teilweise im Abstand von nur zwei Takten geschriebenen Buchstaben (U-V-W bzw. Y-Z) als für den praktischen Gebrauch übertrieben eng gesetzt.
VII.2.2 Takt- und Tonart-Vorzeichnungen Wechsel der Taktart innerhalb der Sätze finden sich in der IX. Symphonie an mehreren Stellen. So ist der zweite Themenkomplex des Kopfsatzes bei seinem Auftreten in der Exposition (Takt 97 bis 166), der Durchführung (Takt 303 bis 332) und der Reprise (Takt 421 bis 458) jeweils nicht im 2/2 -, sondern im 4/4-Takt notiert, ebenso wie die Episode zwischen den Buchstaben O und P in der Reprise. Diese Taktart-Wechsel behielt Löwe nur teilweise bei: Den Übergang in das ursprüngliche Metrum in Takt 167 verlegte er in Takt 153, und auf den Wechsel in der Durchführung (Takt 303 bis 332) verzichtete er vollkommen. Dafür schrieb er für die Takte 417 bis 420 einen überflüssigen Taktwechsel in einen 3/2 -Takt vor, um die Trioien in halben Noten zu vermeiden. Weisen Scherzo und Trio weder im Erstdruck noch im Original Taktwechsel auf, so schrieb Löwe im Adagio in Takt 187 bis 207 für alle Holzbläser und die Hörner einen 12/8 -Takt zur Vermeidung der Brucknerschen Sextoien vor (nur die Fagotte wechseln bereits in Takt 199 zum ursprünglichen 4/4 -Takt zurück). Etwa nach Takt 18 (A), 70 (D), 84 (E), 104 (F), 114 (G), 144 (J), 182 (L), 320 (R), 344 (S), 386 (T), 452 (V), 470 (W) oder 540 (Z).
187
Zusätzlich finden sich in der IX. Symphonie Wechsel der Tonartvorzeichnung, welche Löwe allerdings unverändert in den Erstdruck übernahm: Der zweite Themenkomplex in der Exposition des Kopfsatzes ist nicht in d-Moll, sondern in der Dominante A-Dur niedergeschrieben, und außerdem wechselt in ihm die Vorzeichnung noch zweimal zu C-Dur: das erste Mal für die achttaktige Passage von Takt 123 bis 130, das zweite Mal für den Übergang zur dritten Themengruppe (Takt 141 bis 166). Auch im Adagio ist das zweite Thema nicht in E-Dur, der Grundtonart des Satzes, sondern in As-Dur notiert (Takt 45 bis 76).
VII.2.3 Eingriffe in den
in die
Orchesterbesetzung
und
Abweichungen
Satzlängen
Bei der Orchesterbesetzung orientierte Ferdinand Löwe sich auffallend dicht am Autograph: Er verzichtete auf Becken, Triangel oder Harfen und fügte lediglich ein Kontra-Fagott und gelegentlich eine Piccolo-Flöte hinzu.195 Ferner tauschte er — bedingt durch Bruckners Tonartwechsel — bisweilen die B-Klarinetten gegen A-Klarinetten aus, wie etwa im Kopfsatz ab Takt 97. Häufig notierte Löwe zudem die Cello-Stimme im Tenor-Schlüssel anstelle des von Bruckner verwendeten Violin-Schlüssels.
Die Satzlängen ließ Löwe weitestgehend unangetastet; nur in der Schlußsteigerung des Scherzos entfernte er die Takte 243 bis 246. Da diese Kürzung jedoch nur den ersten Durchlauf des Scherzos betrifft und die Wiederholung formal vollständig mit der Originalfassung übereinstimmt, ging dem Hörer hier kein von Bruckner komponierter Takt verloren.
VII.2.4 Eingriffe
in den verbalen
Notentext
und die
Artikulation
Wie schon Josef Schalk im Erstdruck der VI. Symphonie, schwächte auch Ferdinand Löwe mehrmals die Streicher-Artikulation ab, indem er Staccato-Keile durch einfache -Punkte ersetzte, etwa in Takt 27 bis 39 des Kopfsatzes. Ebenso erfuhren Bruckners Spielanweisungen Abschwächungen, wenn Löwe beispielsweise im Adagio für das erste Thema in Takt 1 und 77 oder für die Streicher in Takt 144/145 auf die Anweisung markig bzw. marc.[ato] verzichtete oder mehrmals ein weich, dolce oder ausdrucksvoll hinzusetzte.196
Vergleicht man jedoch diese Abschwächungen mit den Eingriffen Franz Schalks im Erstdruck der V. Symphonie, so fällt die Zurückhaltung auf, mit der Ferdinand Löwe hier Bruckners Spielanweisungen veränderte oder ergänzte. Viele seiner Zusätze entspre chen Bruckners Intentionen, wie das ausdrucksvoll für den Beginn der Seitensatzgruppe des Kopfsatzes (Takt 97), welches von Bruckner erst in Takt 115 gesetzt wurde; vor allem aber fielen Löwes Änderungen bei weitem nicht so ‘sentimental’ wie diejenigen Franz Schalks aus: Lediglich einmal notierte Ferdinand Löwe eine emotional sehr aufge ladene Spielanweisung: dolente für die erste Oboe in Takt 139 des Adagios. 195 Etwa im Trio, T. 105-109
196 Etwa im Kopfsatz in T. 277 für die Klarinetten oder T. 280 für Flöten und Oboen.
188
VII.2.5 Eingriffe in
die
Tempoproportionen
Die folgende Übersicht beschränkt sich auf die bedeutsamsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Kleinere Verzögerungen mit darauf folgendem a tempo, wie sie etwa in Takt 177/179, 189/191 und 477/479 des Kopfsatzes auftreten, wurden nicht vollständig erfaßt.
Takt
Originalfassung
Bearbeitung von Ferdinand Löwe
Erster Satz 1 51 61 63 73 75 97 153 161 165 167 213 219 303 321 325 333 355 375 376 381 399 421 459
Feierlich. Misterioso riten. Tempo F"0 ritard. Tempo I Langsamer langsamer accel. sempre riten. Moderato Langsamer Langsamer accel. poco a poco Tempo wie Anfangs Langsamer Langsam a tempo Langsamer Langsamer Moderato
Feierlich, (misterioso) Allmählich etwas belebend poco riten. Tempo I. (sehr breit) Etwas langsamer, (sehr ruhig) Tempo 1. (sehr ruhig) riten. Ruhig allmählich noch ruhiger Sehr ruhig Allmählich etwas belebend
Scherzo 1 147 160
Bewegt, lebhaft allmählich bewegter a tempo
Bewegt, lebhaft -
Trio 1 53 77 113 137 153 205 229
Schnell Langsamer a tempo -
Schnell Etwas ruhiger Wieder schnell Etwas ruhiger Tempo I. Etwas ruhiger Wieder schnell
Tempo I. (Streng im Zeitmass) Gemessen ein wenig belebter a tempo Zögernd Sehr ruhig Ruhig
189
Adagio 1 13 45 57 77 109 121 129 173 191 207 211 218 223 225
Langsam, feierlich -
Sehr langsam Etwas bewegter Tempo wie im Anfänge -
Sehr langsam Sehr langsam
Sehr langsam. (Feierlich) Sehr allmählich etwas fliessender Sehr breit Ein wenig bewegter Tempo I. Sehr allmählich etwas bewegter Wieder breiter Sehr ruhig (doch nicht schleppend) Nach und nach ein wenig belebter Wie zu Anfang (sehr allmählich fliessender) (immer allmählich wieder zurückhalten) (noch mehr zurückhalten) Erstes Zeitmass. (Sehr langsam)
Vergleicht man die Tempoangaben Bruckners und Löwes, so stellt man zunächst in zahlreichen Punkten Übereinstimmungen fest. Häufig wählte Löwe jedoch nicht die gleichen Formulierungen wie Bruckner, was den Sinn einer Anweisung leicht verändern konnte. Lediglich an einer einzigen Stelle verkehrte Löwe Bruckners Angabe in ihr Gegenteil: In Takt 375 des Kopfsatzes notierte Bruckner langsam, während Löwe einen Takt darauf ein wenig belebter vorschrieb. Zudem verzichtete er im Scherzo auf ein Brucknersches Accelerando. Der bereits an den anderen untersuchten Bearbeitungen beobachteten Tendenz, die einzelnen Formteile eines Satzes durch ein je eigenes Grundtempo voneinander abzuset zen, begegnet man auch hier. So hob Löwe die lyrischen Passagen des Trios durch ein etwas langsameres Tempo von den übrigen Partien ab.
Auch das Adagio erfuhr Differenzierungen: Während sich bei Bruckner die letzte Tempoangabe in Takt 173 findet, ist der Satz bei Löwe bis zum Schluß durch eine Reihe weiterer Temposchwankungen unterteilt.
VII.2.6 Abweichungen in
der dynamischen
Gestaltung
In der IX. Symphonie finden sich wie in allen anderen Bearbeitungen besonders krasse Eingriffe in Bruckners dynamische Gestaltung, wenn sich auch Löwes Eingriffe zum Teil von denjenigen der Brüder Schalk und Max von Oberleithners unterscheiden. So blieben von den knapp 20 Brucknerschen Tutti-Klangflächen im zwei- oder dreifachen forte lediglich fünf von Änderungen gänzlich unberührt. Und wenn Ferdinand Löwe von dem Mittel der Klangentkemung durch dynamische Herunterstufung der Blechbläser auch nur in der Hälfte der untersuchten Klangblöcke Gebrauch machte, so wandelte er dafür andererseits einige Klangflächen Bruckners in dynamische Entwicklungen um (Takt 269 bis 276 des Kopfsatzes oder Takt 145 bis 150 im Adagio), was nicht dadurch zu rechtfertigen ist, daß Bruckner selbst in seiner IX. Symphonie einige dynamisch sehr differenzierte Steigerungszüge (beispielsweise im Kopfsatz, Takt 285 bis 301) schrieb.
190
In Takt 245 bis 252 des Kopfsatzes ging Löwe sogar über Bruckners Dynamikvorschriften hinaus. Zudem behandelte er teilweise die einzelnen Stimmen bzw. Orchestergruppen dynamisch sehr differenziert und verwandelte ihre Statik in dynamische Wellenbewe gungen. Dies gilt etwa für Takt 89 bis 113 und 203 bis 247 des Scherzos. Gut zu beobachten sind diese Umwandlungen auch in Takt 17 bis 24 des Adagios:
17
24
Graphik 16: IX. Symphonie, Adagio, dynamisches Relief der Takte 17 bis 24 (1 cm = 1 Takt)
Wie bei den anderen Bearbeitern auch, sind Löwes Eingriffe in die Dynamik nicht nur auf die Klangflächen im Tutti beschränkt: So ist auch das Hauptthema des Adagios (Takt 1 bis 8) im Erstdruck teilweise entkernt und in Takt 6 und 7 durch ein unnatürliches Diminuendo entstellt worden. Abschwächungen erfuhren im gleichen Satz auch die Passage ab Takt 129, wo Löwe die ersten Violinen im piano und dolce statt im forte einsetzen ließ und für die Begleitstimmen pianissimo statt mezzoforte notierte, oder Takt 181 ff., wo die markanten Streicher-Pizzicati im mezzoforte statt im fortissimo erklingen. In Takt 207 schließlich ließ Löwe das Orchester nach dem großen Höhepunkt des Satzes nicht im pianissimo bzw. piano einsetzen, sondern hob den Neuansatz durch ein forte bzw. forte-piano hervor.
VII.2.7 Eingriffe in
die Instrumentation
Wie in Kapitel 1, Abschnitt II.2 ausgeführt, verwendete Bruckner sehr selten gestopfte bzw. gedämpfte Blechbläser oder gedämpfte Streicher. Zwei Ausnahmen finden sich jedoch im Kopfsatz der IX. Symphonie: In Takt 161 bis 166 und 355 bis 366 benutzte Bruckner gestopfte Hörner. Untersucht man daraufhin die Instrumentation des Erst druckes, so bemerkt man einige weitere solcher Instrumentationseffekte: Im Kopfsatz, Takt 227 bis 229 und 233 bis 235, ließ Löwe das fünfte und sechste Hom mit Dämpfer spielen, und für die Takte 150 bis 159 des Scherzos schrieb er gestopfte Trompeten vor. Auch Streicher mit der Spielanweisung con sordino verwendete Löwe mehrmals, so im Kopfsatz die hohen Streicher in der dritten Themengruppe der Exposition (Takt 167 bis 190), die erste Violine in Takt 238/239, die erste und zweite Violine in Takt 459 bis 478 sowie die zweite Violine zu Beginn der Coda (Takt 519 bis 530). Im Scherzo spielen die ersten Violinen von Takt 117 bis 134 mit Dämpfer, und im Trio erste und zweite Violine, Viola und Cello bis Takt 68 und erste Violine von Takt 79 bis 109 und 157 bis 261. Gedämpfte Streicher finden sich schließlich noch in drei Passagen des Adagios: In den Takten 73 bis 76 für Viola und Cello, 85 bis 91 für erste und zweite Violine und Viola und 163 bis 171 für alle Streicher.
191
Vergleicht man diese Unterschiede in der Spielart der Instrumente mit den übrigen Uminstrumentierungen, welche Ferdinand Löwe am Autograph vomahm, dann schrump fen sie allerdings zu Marginalitäten zusammen: Die in Anhang IV wiedergegebene Vergleichsliste verzeichnet allein für den Bereich der wirklichen InstrumentationsÄnderungen nicht weniger als 580 Unterschiede.197 Wenn man untersucht, wie sich diese 580 Nummern auf die 1324 Takte der drei vollendeten Sätze der IX. Symphonie verteilen, so registriert man den höchsten Wert mit 226 Nummern für den Kopfsatz. Es folgen das Scherzo mit 162, das Adagio mit 125 und das Trio mit 67 Änderungen.198 Auch bei Unterteilung der Änderungen in verschiedene Gruppen zeigt sich für fast jede eine Häufung im Kopfsatz und eine der Gesamtverteilung zumindest nicht gegenläufige Aufteilung auf die übrigen Sätze:199
Hbl. schwächer besetzt Bbl. schwächer besetzt Stimmen tiefergelegt Stimmen höhergelegt Material umgeschichtet Liegetöne hinzugefügt sonstige Hinzufügungen allgemeine Retuschen Weglassungen Mischklänge erzeugt
Kopfsatz
Scherzo
Trio
Adagio
Summe
22 10 8 1 18 31 16 58 46 39
9 8 2 19 12 8 35 48 20
5 6 2 13 4 3 4 33 -
7 3 1 8 24 6 38 30 7
43 27 12 2 58 71 33 135 157 66
Ein erster Blick in die Vergleichsliste zeigt deutlich, daß sich die Mehrzahl der Abweichungen auf mehrere zusammenhängende Takte erstreckt; nur wenige Nummern beziehen sich auf einzelne Töne, bei denen es sich zum Teil sicher um Druckfehler oder Versehen handelt (Nr. 55), zum Teil vielleicht aber auch um den Versuch Löwes, tatsächliche oder vermeintliche Fehler Bruckners zu korrigieren oder einzelne Töne ihrem Kontext anzugleichen (Nr. 270, 275, 351 oder 541). Nur sehr wenige Takte ließ Löwe unbearbeitet, so im Kopfsatz die Takte 10 und 13 bis 20, eine viertaktige Episode kurz vor Einsatz der Durchführung (Takt 215 bis 218), die ersten vier Takte der Durchführung des Gesangsthemas (Takt 303 bis 306) oder sogar 22 zusammenhängende Takte in der Reprise (die Überleitung zum Seitensatz von 197 Aufgrund der Materialfülle mußte auf eine vollständige Aufnahme auch der unbedeutenden Abweichungen verzichtet werden.
198 Setzt man diese absoluten Zahlen zusätzlich in Beziehung zu den Satzlängen, dann ergeben sich rein statistisch betrachtet für den Kopfsatz 40, für das Scherzo 65, für das Trio 25 und für das Adagio 50 Änderungen je 100 Takte. (Dabei ist allerdings zu bedenken, daß bei einer solchen Aufstellung natürlich alle Nummern nur gleichwertig und nicht ihrem Wesen und ihrer Bedeutung nach behandelt werden können, weshalb es bei einer Überbewertung solcher Zahlen leicht zu Fehlinterpretationen kommen kann.)
199 Manche der Nummern mußten mehreren Kategorien zugeordnet werden, weshalb die Gesamtsumme die Anzahl der Nummern der Liste übersteigt.
192
Takt 399 bis 420). Auch im Adagio blieben einige wenige Passagen unberührt: neben den Takten 173 bis 180 die ersten zwölf Takte der zweiten Themengruppe (Takt 45 bis 56).
Somit sind fast alle Takte der Symphonie von Änderungen betroffen. Die Qualität dieser Änderungen jedoch steht im Gegensatz zu ihrer Quantität: In aller Regel wurden die Eingriffe von Löwe relativ behutsam vorgenommen und beziehen sich oft nur auf Kleinigkeiten, welche erst im Gesamtzusammenhang und in Verbindung mit anderen Änderungen ins Gewicht fallen. Wie aus der Übersicht hervorgeht, wurden im Erstdruck besonders häufig einzelne oder mehrere Töne gestrichen. So verzichtete Löwe in Takt 171 bis 178 des Kopfsatzes auf die mit den Streicher-Bässen unisono spielenden Bratschen (Nr. 69) oder entfernte die erste Note des gleichen Instruments in Takt 141 (Nr. 54). In Takt 278 fehlt die letzte Note der tiefen Streicher (Nr. 115); vermutlich paßte Löwe sie an die Violinen an. Ebenso entfernte er in Takt 135/136 die stützenden Hom-Quinten (Nr. 49). Auffällig ist die Streichung der Horn-Figur in Takt 128 bis 130 (Nr. 42), da Löwe mit diesem Eingriff einen Brucknerschen Mischklang von Hom und Cello aufhob.
Auch kleinere Hinzufügungen sowie Retuschen aller Art durch Oktavieren und Ver längern oder Verkürzen einzelner Noten finden sich im Erstdruck überall: Mehrmals fügte Löwe dem Brucknerschen Tonsatz die Pauke hinzu (Nr. 100, 111, 139, 207, 290 und 294), in Takt 62/63 des Scherzos ergänzte er die Trompete (Nr. 259), und in Takt 240, 242 und 244 des Trios jeweils zu Taktbeginn Viertel-Akkorde der zweiten und dritten Klarinette und des Fagotts (Nr. 449), welche im Erstdruck exakt die von den Hörnern gelassenen Lücken auffüllen. Die lange Reihe der Retuschen beginnt mit der Vereinheitlichung der Hörner bereits in Takt 21 bis 26 des Kopfsatzes (Nr. 3), setzt sich fort über die Streichung der oberen Oktave der Kontrabässe in Takt 122 (Nr. 38), dem Verlängern des fünften und sechsten Horns in Takt 122/123 (Nr. 39) und die Ersetzung der Holzbläser-Repetitionen in Takt 139 bis 144 des Kopfsatzes gegen Halbe bzw. Viertel (Nr. 52), bis sie mit den geänderten Tonhöhen der Tuba, Violine und Viola im letzten Takt des Adagios ihr Ende findet (Nr. 580).
Schließlich treten vereinzelt auch Tiefer- bzw. Höherlegungen einzelner Stimmen für einen oder mehrere Takte auf, wie etwa die Verlegung der ersten Klarinette um eine Oktave nach unten in Takt 201 bis 204 des Trios (Nr. 440) oder die Verlegung der Flöte um eine Oktave nach oben in Takt 94 bis 99 des Adagios (Nr. 497).
Weit bedeutender als diese Retuschen können sich auf das klangliche Endergebnis jedoch die Umschichtungen innerhalb einer Orchestergruppe oder von einer Gruppe in eine andere, das Erzeugen von Mischklängen durch Hinzufügung einer Parallelstimme in einer anderen Orchestergruppe, sowie das Hinzufügen von meist tiefen Liegetönen auswirken, welche ebenso zur Klangrundung und -auffüllung dienten und oft gleichzeitig Mischklänge erzeugten. Löwes Umschichtungen sind beispielsweise in den Takten 210 bis 214 des Scherzos zu beobachten: Dort verlegte er die mit Fagott und Streichern im 193
Unisono spielenden Blechbläser in Oboe und Klarinette (Nr. 360 und 361). (Vergleiche Notenbeispiel 10a und 10b auf den Seiten 195 bis 197) Die komplette Verlegung eines Abschnittes von einer Orchestergruppe in eine andere findet sich im Kopfsatz vor dem Eintritt der Coda: Während bei Bruckner einem achttaktigen Blechbläser-Satz (Takt 509 bis 516) ein viertaktiger Holzbläser-Satz vorangeht, verlagerte Löwe die zweite Hälfte dieses Holzbläser-Satzes (Takt 507/508) in die Streicher (Nr. 205).
Umschichtungen in Verbindung mit Mischklängen treten besonders deutlich zu Beginn des Scherzos auf. In der Originalfassung folgt die Instrumentation einer klaren Hierarchie: Spannungsreiche Akkorde in den Holzbläsern, zu denen im zweiten Durchgang die Trompete hinzukommt, eröffnen mit einem markanten Rhythmus eine Klangfläche, auf der sich in den Streichern das thematische Geschehen als Dialog von erster Violine und tiefen Streichern abspielt. (Vergleiche Notenbeispiel 11a auf Seite 200) Löwe strich zunächst die Liegetöne der Holzbläser (Nr. 227), um darauf die thematischen Linien der hohen bzw. tiefen Streicher von Holzbläsern mitspielen zu lassen (Nr. 229 und 231) oder ganz durch Holzbläser zu ersetzen (Nr. 230 und 232). Die so erreichte Klangmischung verändert Partitur- und Klangbild nachhaltig. (Vergleiche Notenbeispiel 11b auf Seite 201) In Takt 115 bis 121 des Kopfsatzes — einer Episode, welche das Seitenthema in der Umkehrung vorstellt —, fügte Löwe den melodieführenden Stimmen der ersten Klarinette und des Cellos das dritte Hom hinzu (Nr. 36). Im ersten Abschnitt der Durchführung des Kopfsatzes werden die beiden ersten Hauptgedanken des Satzes (Takt 1 ff. und Takt 19 ff.) von Bruckner alternierend verar beitet. Dabei spielen in Takt 265 bis 268 die Fagotte eine Gegenstimme zu den hohen Holzbläsern und der ersten Violine. Hier verstärkte Löwe die Fagotte, indem er die Celli zur Klangmischung und -Verstärkung hinzufügte (Nr. 107).
In Takt 59 bis 63 des Adagios schließlich (bzw. der Parallelstelle in Takt 136 bis 139) ergänzte Löwe die ersten beiden Klarinetten (Nr. 482 bzw. Nr. 521), welche sich in Viertel- und Achtel-Fortschreitungen am Verlauf der Streicher-Stimmen orientieren und damit den Klang voller und runder gestalten. Die von Löwe erzeugten Mischklänge erstrecken sich jedoch nicht nur auf die Haupt stimmen des Tonsatzes, sondern ebenso auf reine Begleitfiguren oder unbedeutende Nebenstimmen: In Takt 387 bis 390 des Kopfsatzes ließ Löwe die Figurationen der ersten Violine von der ersten Flöte mitspielen (Nr. 151), und für dieselben Takte, in welchen bereits Bruckner für die Hauptstimme einen Mischklang von Fagott, fünftem bis achtem Horn, Baß-Posaune, Kontra-Baßtuba, Cello und Kontrabaß notiert hatte, fügte Löwe zusätzlich zu diesen noch die dritte Trompete hinzu (Nr. 152).
194
Notenbeispiel 10a: IX. Symphonie (NGA), Scherzo, Takt 208 bis 226
195
196
Notenbeispiel 10b: IX. Symphonie (Erstdruck), Scherzo, Takt 210 bis 220 197
Mischklänge oder Liegestimmen können oft auch ganz ohne thematischen Bezug auftreten. So unterlegen Fagott und Streicher den reinen Blechbläser-Klang der Takte 249 bis 252 des Kopfsatzes, indem sie ihre Liegestimmen der vorangehenden Takte fortsetzen (Nr. 101), und in Takt 21 bis 25 des Trios füllte Löwe den Streicher-Klang, welcher im Original lediglich durch die Flöte angereichert wurde, durch Hinzufügung von Klarinette und Fagott auf (Nr. 391). Wie in diesen beiden Beispielen, ist das Fagott auch sonst, besonders im Kopfsatz, sehr häufig mit zusätzlichen Liegetönen betraut, welche dem übrigen Geschehen unterlegt sind. Oft übernimmt das Fagott zu diesem Zweck die Liegestimmen der tiefen Streicher, manchmal auch die der tiefen Blechbläser.200 Dienten die Mischklänge und Liegetöne in aller Regel der Klangrundung, so setzte Ferdinand Löwe zur Auflockerung bzw. Lichtung des Klanges die Verringerung der Besetzungsstärke von Holz- oder Blechbläsern ein. Diese Tendenz zur Bläser-‘Ausdünnung’, welche für zahlreiche Takte der Symphonie gilt, in denen die Bläser in größerer Besetzung eingesetzt werden,201 wertete in vielen Fällen die Bedeutung des Streicher-Sat zes auf, der seinerseits von Ausdünnungen fast nicht betroffen ist und auch sonst weit weniger verändert wurde als die Bläser. Auflockerungen des Klangbildes erreichte Löwe mitunter dadurch, daß er, ähnlich wie Franz Schalk in der V. Symphonie, einzelne Passagen in Anlehnung an das Prinzip der ‘durchbrochenen Arbeit’ umgestaltete. Eine solche Setzweise findet sich zum Beispiel in den Flöten und der ersten Oboe in Takt 51 bis 58 des Kopfsatzes (Nr. 10) oder in der Aufteilung der Klarinetten-Figur auf Oboe und Klarinette in den Takten 109 bis 113 des Scherzos (Nr. 299). An der Parallelstelle (Takt 239 bis 242) verteilte Bruckner das Motiv zwar bereits selbst auf zweite und dritte Oboe und zweite Klarinette, aber auch hier griff Löwe ein und ordnete die einzelnen Stimmen nach dem Prinzip der ‘durchbro chenen Arbeit’ neu (Nr. 382). Von diesen Änderungen sind auch die Blechbläser betroffen: Dies gilt beispielsweise im Scherzo für die alternierende Hörner-Besetzung der Takte 160 bis 182 (Nr. 322), ebenso für die erhebliche Ausdünnung des bei Bruckner besonders ab Takt 219 in sich geschlossenen, kompakten Holzbläser- und Hörner-Satzes (Nr. 362). (Vergleiche Notenbeispiel 10a und 10b auf den Seiten 195 bis 197)
VII.2.8 Eingriffe in
die harmonische und melodische
Substanz
Im Gegensatz zu der Masse der Eingriffe in die Instrumentation der IX. Symphonie zeigte sich Ferdinand Löwe mit Hinzukomponierungen und sonstigen Eingriffen in die melodische Substanz äußerst zurückhaltend. Aber auch hier sind die wenigen Änderungen oft lediglich als Retuschen zu werten: In den Takten 225/226 des Kopfsatzes führen Celli und Kontrabässe die Bewegung der vorangehenden Takte fort (Nr. 89), dafür fehlt der Liegeton der ersten Flöte (Nr. 88). Durch diese Hinzufügung erscheint das Hom-Solo in einem anderen Licht: Seine formale Brücken-Funktion wird abgeschwächt und auf Gut zu beobachten ist dies etwa bei den Nummern 6, 17, 28, 35, 41, 57. 73, 86, 112, 143, 148, 173, 184, 187, 210, 222, 286, 490, 492, 495, 524, 534 und 537. 2111 Beispielsweise im Kopfsatz Nr. 1, 33, 53, 64, 68, 77, 79, 91, 105, 119, 122, 125, 127, 148, 156, 161, 166, 170, 181, 190, 193 und 208.
198
die von Löwe neu geschriebenen Stimmen verteilt. Eine weitere Ergänzung findet sich am Übergang vom Trio zur Wiederholung des Scherzo-Teils (Takt 261 bis 264): Dort ersetzte Löwe die viertaktige Generalpause durch Achtel-Repetitionen der Pauke (Nr. 455). Die einzige wirkliche Hinzukomponierung im engeren melodischen Sinne betrifft die Generalpause der Takte 301 und 302 des Kopfsatzes, in welche Löwe ein dreitöniges Motiv von dritter Oboe und erster Klarinette einfügte (Nr. 121).
Auch die Änderungen der Harmonik fallen äußerst spärlich aus: Neben der Auffüllung der ‘hohlen’ Quint-Oktav-Klänge zu d-Moll-Dreiklängen (Nr. 226 bzw. 388), mit denen Bruckner Kopfsatz und Scherzo schloß, ist hier nur noch die Abschwächung der gewaltigen Dissonanz auf dem Höhepunkt des Adagios zu nennen: Notierte Bruckner dort einen Tredezimen-Akkord in Gis (gis, his, dis, fis, a, c und e) mit der Septime fis als Baßton, so verwandelte Löwe diesen Akkord durch Entfernung der Töne c und e (Nr. 557) in einen gebräuchlicheren Nonen-Akkord, wodurch nun die Dissonanz erheblich ‘entschärft’ wurde.
199
Notenbeispiel 1 la: IX. Symphonie (NGA), Scherzo, Takt 1 bis 10
200
Notenbeispiel 11b: IX. Symphonie (Erstdruck), Scherzo, Takt 1 bis 22 (Aus drucktechnischen Gründen wurde nicht der Beginn des Scherzos abgedruckt, sondern der Beginn der Wiederaufnahme nach dem Trio.)
201
VIII. ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION
VIII. 1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten
zwischen den
Bearbeitungen
Die Bearbeitungen, welche Franz und Josef Schalk, Max von Oberleithner und Ferdi nand Löwe an der V., VI., VIII. und IX. Symphonie Vornahmen, verfolgten prinzipiell vergleichbare Ziele. Diese wurden schon in Abschnitt III.4 dieses Kapitels als Versuche beschrieben, die als problematisch erfahrenen Eigenschaften der Symphonien Bruckners durch Uminstrumentierungen, Änderungen der Dynamik und Kürzungen gefälliger zu machen und ihnen so zum Durchbruch bei Kritik und Publikum zu verhelfen.
Diese Einschätzung konnte durch die vorausgegangenen Untersuchungen bestätigt werden. Wenn man jedoch die Ergebnisse dieser Untersuchungen Revue passieren läßt, dann stellt man fest, daß die Wege, dieses Ziel zu erreichen, und die Anzahl der dazu verwendeten Mittel höchst unterschiedlich ausfielen. So weist die VIII. Symphonie in ihrer Bearbeitung durch Max von Oberleithner und Josef Schalk für Orientierungsbuch staben und Tonart-Vorzeichnungen eine vollkommene und für Spielanweisungen, satz interne Taktwechsel, Orchesterbesetzung, Tempoproportionen und Längenabweichungen eine weitgehende Übereinstimmung mit Bruckners Original auf. Auch die Eingriffe in die Instrumentation fielen in Qualität und Quantität fast ausnahmslos unbedeutend aus: Überall finden sich längere Passagen ohne Eingriffe, im Kopfsatz von bis zu 50 Takten, im Adagio von über 20 Takten. Im Scherzo änderten die Bearbeiter sogar nur viermal die Instrumentation. Dafür lag der Schwerpunkt der Eingriffe eindeutig auf dem Gebiet der dynamischen Gestaltung: Vor allem die Dynamik von Bruckners flächig angelegten Tutti-Klangblöcken im fortissimo war von Absenkungen um einen oder mehrere Stärke grade, Entkernungen und Differenzierungen aller Art betroffen. Franz Schalk griff in seiner Bearbeitung der V. Symphonie noch stärker in die Dynamik ein: Nur für eine einzige Brucknersche Tutti-Passage blieb die ursprüngliche Dynamik erhalten. Darüber hinaus veränderte er aber auch alle anderen Parameter: Er setzte einen Großteil der Orientierungsbuchstaben neu, fügte zahlreiche Takt- und Ton art-Wechsel ein und änderte massiv Spielanweisungen und Tempoproportionen. Die bedeutendsten Änderungen jedoch betreffen Orchesterbesetzung, Instrumentation, the matisch-melodische Substanz und Form: So fügte Franz Schalk dem Brucknerschen Orchester nicht nur eine dritte Flöte, Baß-Tuba und Kontra-Fagott hinzu, sondern auch Becken und Triangel, welche vor allem gegen Ende des Finales — zusammen mit den ebenfalls hinzugefügten separaten elf Blechbläsern — auf sich aufmerksam machen. Außerdem veränderte er den Klang der Musik durch extreme Umschichtungen, Liegetöne und Mischklänge, griff in die melodische Substanz ein, indem er von einzelnen Motiven bis hin zu einigen Takten Umkomponierungen vomahm, und entstellte durch massive Kürzungen die Form, wenn er allein im Finale zusammen fünf Passagen mit insgesamt 123 Takten entfernte. In keinem dieser Punkte wird die Bearbeitung Franz Schalks von denen Josef Schalks, Oberleithners oder Löwes übertroffen oder auch nur erreicht.
Der Erstdruck der VI. Symphonie, von Josef Schalk in Eigenverantwortung erstellt, läßt sowohl Orientierungsbuchstaben als auch Orchesterbesetzung und melodisch202
thematische Substanz unangetastet. Tonart-Wechsel treten weder in der Originalfassung noch in der Bearbeitung auf, und Takt-Wechsel lediglich im Trio und für einen längeren Abschnitt des Finales. Längenunterschiede finden sich nur für das Trio, für dessen zweiten Teil im Erstdruck eine Wiederholung vorgeschrieben ist, womit die VI. Symphonie in der Bearbeitung Josef Schalks sogar an Länge gewann. Wie schon in der Bearbeitung der VIII. Symphonie, beschränkten sich die Eingriffe in die Instrumentation auch hier auf unbedeutende Retuschen, die Änderungen der Dynamik jedoch erwiesen sich als tiefgreifend. So wurden auch in der VI. Symphonie zwei Drittel aller Tutti-Klangblöcke Bruckners von Josef Schalk entkernt und einige von ihnen in Steigerungen verwandelt. Zusätzlich konnte als Besonderheit gerade dieses Erstdruckes das Zurückführen der Dynamik um einige Stärkegrade kurz vor Schluß eines Klangblockes ausgemacht werden, gefolgt von einem steilen crescendo zum Schlußton, welches die Dynamik manchmal sogar über die ursprüngliche des Originals hinausführte.
In Ferdinand Löwes Bearbeitung der IX. Symphonie schließlich finden sich die unterschiedlichen Vorgehensweisen der anderen Bearbeiter vermischt: Löwe ergänzte lediglich Kontra-Fagott und Piccolo-Flöte, ließ Bruckners Orchesterbesetzung ansonsten aber unangetastet. Ähnlich marginal fielen die Änderungen der Satzlängen aus, und die Eingriffe in die Tempoproportionen und die Spielanweisungen halten sich in überschau baren Grenzen. Auch Bruckners Takt- und Tonart-Wechsel behielt Löwe weitgehend bei, fügte aber den Takt-Wechseln noch einige eigene hinzu. Seine Eingriffe in die Dynamik fielen dagegen ähnlich umfangreich und ‘flächendeckend’ wie die der anderen Bearbeiter aus: Drei Viertel der Klangblöcke wurden verändert, allerdings nur etwa die Hälfte von ihnen dynamisch entkernt. Blieb Ferdinand Löwe damit in diesem Punkt hinter den Eingriffen Franz Schalks zurück, so änderte er wie dieser die Brucknerschen Orientierungsbuchstaben erheblich. Als Hauptveränderungsmittel dienten ihm jedoch seine Eingriffe in Bruckners Instrumentation: Die Vergleichsliste weist allein für diesen Punkt 580 Änderungen auf. Doch auch hier handelt es sich weitgehend um kleinere Retuschen, und auch mit Änderungen der melodischen und harmonischen Substanz hielt sich Ferdinand Löwe auffallend zurück.
VIII.2 Die Ursachen
der
Unterschiede
VIII.2.1 Biographische Aspekte
der
Bearbeiter
Die Ursachen für die teilweise extremen Unterschiede zwischen den Bearbeitungen sind unter anderem in den Persönlichkeiten und Begabungen und den daraus resultierenden unterschiedlichen Lebenswegen der Bearbeiter zu finden, wie sie in Abschnitt III dieses Kapitels beschrieben worden waren.
Josef Schalks beruflicher Werdegang war schon in Studienzeiten auf eine Pianisten-Laufbahn ausgerichtet. Folgerichtig führte ihn sein Weg zu einer Professur für Klavier am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. In Fragen der Kompositionstechnik sowie der Orchester-Behandlung und -Leitung war er jedoch vergleichsweise unerfahren, auch wenn er mehrfach sich bietende Gelegenheiten nutzte,
203
als Orchester- oder Chor-Dirigent vor die Öffentlichkeit zu treten. Daraus resultiert sicher seine relative Vorsicht und Zurückhaltung im Zusammenhang mit den Bearbeitun gen der VIII. und VI. Symphonie und der von ihm bekundete Respekt vor dem komposi torischen Willen Bruckners. So schrieb er in dem bereits in Abschnitt IVA dieses Kapitels zitierten Brief an Max von Oberleithner vom 31. Juli 1891: „Dabei versichere ich Sie nochmals, daß nur das Allemothwendigste von mir geschehen ist, vieles mußte ich im Hinblick auf die Unverantwortlichkeit des Unternehmens unverändert lassen.“ Andererseits hielt Josef Schalk Änderungen für absolut unausweichlich. So heißt es in demselben Brief: „Möge Ihnen dabei dieselbe, nun von mir gewonnene Überzeugung tröstlich zur Seite stehen, daß die Sache äußerst wichtig ist u. geradezu eine Lebensrettung dieses Werkes bedeutet.“ Besonders deutlich trat dieser Zwiespalt zwischen dem Wunsch, als Dirigent für Bruckner tätig zu werden, der Überzeugung, daß Bruckners Musik einer Bearbeitung bedürfe, und dem Empfinden des eigenen Unvermögens kurze Zeit davor in Erscheinung, als Josef Schalk sich mit Plänen trug, Bruckners Messe in f-Moll aufzuführen. Da er jedoch überzeugt davon war, daß das Werk zunächst umfassenden Eingriffen unterzogen werden müsse, versuchte er mehrfach, seinen Bruder zur Übernahme dieser Aufgabe zu bewegen. Weil Franz Schalk aber nur sehr zögerlich reagierte, sah sich Josef schließlich doch selbst vor diese Aufgabe gestellt: „An der Partitur des Kyrie habe ich mich nun selbst versucht. Die Arbeit hat mich lebhaft angeregt, aber ich tappe vielfach im Finstern, weil ich zu wenig Orchestererfahrung habe. Leider, leider!“ 202 Deswegen wollte er auf den Rat und die Hilfe des Bruders nicht verzichten: „Sobald du mir das Credo schickst werde ich Dir meinen Versuch zur Begutachtung vorlegen.“203 Diese Begutachtung fiel positiv aus. Drei Wochen vor der Aufführung204 schrieb Josef seinem Bruder: „Insbeson dere danke ich dir aber für die Correctur der Messe, es freut mich zu sehr, daß ich doch nicht zu viele Schnitzer gemacht habe.“205
Trotz der Bedenken Josef Schalks fielen die Eingriffe in die Partitur recht umfangreich aus. Besonders der Holzbläser-Satz wurde dabei durch zahlreiche Hinzufügungen verän dert.206 (Wie weit diese Eingriffe auf den Einfluß des jüngeren Bruders zurückzuführen sind, läßt sich nicht mehr ermitteln. Die Vermutung liegt jedoch nahe, daß Franz Schalk seinem Bruder die Scheu vor größeren Uminstrumentierungen nahm, da er selbst, wie seine Bearbeitung der V. Symphonie zeigt, in diesem Punkt wenig Hemmungen zeigte.)
Es überrascht kaum, daß Josef Schalks Bearbeitung neben Zustimmung auch auf Kritik stieß. So äußerte sich Siegfried Ochs, der Dirigent der Berliner Erstaufführung des Te Deums vom 31. Mai 1891, noch 1914 über den Erstdruck der Messe: „Natürlich
202 Brief von Josef an Franz Schalk vom 14. August 1890, zitiert nach Leibnitz 1988, S. 152 203 ebenda 2 linen zu setzen.
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Die frage, oh Bruckner bei y. Trioienbögen'oder legi für'.die'^y;.':S>;
1. ,und .2,. V. vorgeschrieben hat,muß offen bleiben,
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Ar.',im Hanuskript nicht doch ein Versehen sind und an deren Stelle 'Bau».--.' ,sen stehen'müßten,bleibt dahingestellt,In der praktischen Klangwirkung
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wirken sie wie ein Versehen.
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,Beite 83 bringt Löwe den Schluß gegenüber der Wiederholung .nach.?\v ;
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dem Trio verkürzt.Dies, sowie die überleitenden Takte der Pause vor dem ?
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''Trio,ebenso am Schluß desselben,sind mindestens keine unbedingt notwen*
digen Veränderungen urd
es müßte dem Ermessen des Dirigenten anheinge« ‘ . .
stellt werden ob er von denselben Gebrauch/ macht.
Die bei Br. fehlenden Tempobezeichnungen im Trio entsprechen
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zweifellos den Intentionen des Meisters.
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III. Satz.
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Die Übertragung des Accordes 4. Takt vor E (8.119), den Br, ^d.h \
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Tuben zuweist,ist deshalb eine zu weitgehende Änderung well der akzentu- . ■ | ierte Einsatz der Vc.v-Br, eine eigenartige Wirkung herbeifahrt,die von . Ar. selbst kaum so gedacht war, wenngleich L.'b Beweggrund,die Bpäter ' ■
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einsetzenden Tuben nicht vorwegzunehmen , durchaus verständlich ist.Ein Accord der Hrohnehin aus dem Vorhergehaeden folgerichtig abzuleiten,• •‘-. . i s
‘/.Würde am ehesten zwischen beiden Fassungen vermitteln.
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überraschend wirkt,daß L» das sempre cresc. 8. 129 untere Etile . ■' ••»m«.
in ein pp verwandelt.
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Alles in allem ergibt ein Vergleich der bilden Partituren,daß L.'s instrumentale Änderungen fast durchwegs eine wesentliche Verbessere1 ' / .
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uwg //// und , klarere Herausarbeitung der musikalischen Idte bedeuten.
Die ;Feinslnnlgkelt,Bachkanntnis und Treue,mit der L. verging, sind * .bewun ”-Y5;, .7 demswert.Immerhin darf nicht übersehen werden,daß wir aus 'der. Original * ' ... * “x - ,■ • • . partitur einen etwas anderen Br. kenuenlemen wie. aus der L.’eohen.Die : ' 7.:^ Übergänge sind in ersterer schroffer gege'nelnandergesteilt.Vieles' ist in-i
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der Nuancierung geradezu derb.L.vermittelt und mildert Übergänge.Es wäre
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-zu vezatsben lot. Auch können wir ,L.,' dem hervorragenden Kenner -Br.' e ,vpl“/.;
;.. ’;les',Vertrauen ..entgenbringen,daß seine Änderungen aus genauer. Kenntnis dori; -.'' .Eigenart des Meisters vorgenommen wurden.
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Eine präzise Beantwortung der gestellten drei fragen müßte nach; ‘
-.- ^meiner; Überzeugung folgende Gesichtspunkte ergeben:, 1 '■7,: . ad 71; Der .Urtext ist zwar fast durchwegs praktisch ausführbar,
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. steht aber an Spielbarkeit,orchestraler Zweckmäßigkeit und Klangwirkung.. ;> Hm. und Tromp. Artikulationszeichen wie Pos. 35) T. 141/142 36) T. 179 Pos. (nif) [ruhig] fehlt 37) T. 219 38) T. 223/224 1. Klar, jeweils erste Note ohne Keil 39) nach T. 232 Doppelter Taktstrich 40) T. 233 Hm. ohne Dächer 41) T. 233 [2/2 molto animato] fehlt 42) T. 248 Hbl. und Bbl. ohne Bindebögen 43) T. 277 Klar, mf statt f 44) T. 319 [7J fehlt 45) T. 342 2. Viol. Viertel mit Tenutobalken 46) T. 351 [etwas gedehnt] fehlt 47) T. 351 2. Viol. hervortretend fehlt 48) T. 354 [a tempo] fehlt 49) T. 354 Via. letzte zwei Noten ohne Bindebogen [breiter] fehlt 50) T. 359 [ruhig] fehlt 51) T. 363 52) T. 373 1. Tromp.und fff statt nur ff 53) T. 401/403 Klar, erste Note ohne > 486
T. 402 55) T. 413 56) T. 427/428 54)
Via. und Vc. erste Note ohne Tenutobalken [2/2 Alla breve] und nach und nach etwas schneller, fehlt cresc. / sempre cresc. statt cresc. sempre
2. SATZ. ADAGIO. Sehr feierlich und sehr langsam Substantielle Abweichungen: Trgl. und Bck. fehlen 57) T. 177 58) T. 177 bis 182 Pk. fehlt 2. Ten.-Tb. zwei Halbe statt Dreiviertel und Viertel 59) T. 192 Sekundäre Abweichungen: 2. Viol. letzte zwei Noten mit Bindebogen 60) T. 23 1. Viol. ohne sempre dim. 61) T. 29 2. Viol. nur die kurzen Bindebögen 62) T. 46/48 Klar, poco cresc. / dimin. 63) T. 54/55 Klar. Crescendogabel 64) T. 58/59 Vc. zusätzlicher Bindebogen von vierter auf fünfte Note 65) T. 87 1. Viol. ohne halbtaktige Bögen 66) T. 105 bis 108 1. Viol. zusätzlich Bindebögen von der ersten zur zweiten und 67) T. 109 bis 113 der dritten zur vierten Note; Bindebögen über die letzten vier Noten statt über die letzten drei 68) T. 115 1. Viol. ohne cresc. sempre 69) T. 117 1. Viol. erste Note f statt bereits in T. 116 70) T. 121 3. u. 4. Hm. erste Note ohne > 71) T. 125/126 3. u. 4. Hm. ohne Bindebögen 72) T. 131 Fl. und 2. Klar. dim. auf dem zweiten statt auf dem dritten Viertel 73) T. 138 Ob. cresc. statt Crescendogabel 74) T. 145 bis 148 Hm. andere Bindebögen 75) T. 149 1. Hm. ohne cresc. 76) T. 150/152 Vc. Bindebogen bis zur letzten Note 77) T. 156 1. Viol. Bindebogen erst ab der zweiten Note 78) T. 175 B.-Pos. anderer Bindebogen 79) T. 176 1. u. 2. Viol. fff ein Achtel vorversetzt 80) T. 177 fff sempre unter jedem System (außer Ten.- u. B.-Tb.) 81) T. 177 1. Viol. Bogen in Taktmitte fehlt 82) T. 177/179 2. Tromp. letzte zwei Noten Tenutobalken statt Staccatopunkte 83) T. 177 bis 180 1. u. 2. Tromp. jeweils zweite Takthälfte Crescendogabel 84) T. 180 2. Tromp. zweite und dritte Note Tenutobalken statt Staccatopunkte 85) T. 217 Str.pizz. statt T. 216
3. SATZ. SCHERZO. Sehr schnell Substantielle Abweichungen: 86) T. 243 A.- und T.-Pos. Stimmen vertauscht Sekundäre Abweichungen: 87) T. 12 1. Klar, ohne dim. 88) T. 49/50 Fag. Staccatokeile statt Bindebögen
487
89) 90) 91) 92) 93) 94) 95) 96) 97) 98) 99) 100) 101) 102) 103) 104) 105)
T. 69 T. 97 T. 109 T. 111 T. 118 T. 133 T. 137 bis 140 T. 145 T. 149 T. 169 bis 180 T. 181 bis 184 T. 217 T. 218 T. 222 T. 225 T. 227 T. 229/230
Str .ff stattff sempre Via. und Vc. ohnep 1. u. 2. Viol.pp statt ppp 2. Viol. Bindebogen und Keile wie in T. 110 1. Hm. erste Note ohne > Str.f cresc. statt fcresc. semp. 3. u. 4. Hm. ohne Keile 3. Hm. Achtel ohne Bogen Hm. und Str.p cresc. statt p cresc. semp. Tromp. Staccatopunkte statt -keile Klar. Staccatopunkte statt -keile 2. u. 3. Tromp. mit > Via. ohne Bindebogen 3. u. 4. Hm. ohnep Fl. ohne (cresc. sempre) Fl. cresc. Fag. Staccatokeile statt Bindebögen
TRIO. Etwas langsamer Keine substantiellen Abweichungen. Sekundäre Abweichungen: Kb./cresc. statt f 106) T. 21 1. Hm. ohnep 107) T. 73 Kb. ohne Anschwellung fehlt 108) T. 89 109) T. 94 Kb. pp sempre K.-Btb. Bindebogen fehlt 110) T. 105 bis 108 1. u. 2. Viol. > statt Keile 111) T. 114 FINALE. Bewegt, doch nicht schnell Substantielle Abweichungen: 112) T. 187 2. Klar, vierte Note d" statt e” 113) T. 256 2. Viol. (erste Stimme) vierte Note des’” statt b’ 114) T. 312 2. Klar, zweite Note fis” statt gis” 2. Ten.-Tb. letzte Note gis’ statt fis’ 115) T. 312 2. Tromp. e” statt gis” 116) T. 337 bis 339
Sekundäre Abweichungen: 117) T. 7/9 [ritard.] / [a tempo] fehlt [ritard.J / [a tempo] fehlt 118) T. 17/19 119) T. 52 Hm. zweite Note ohne mf 1. Fl. mf statt/ 120) T. 72 121) T. 90 bis 92 1. u. 2. Viol. Bindebogen nur über die letzten drei Noten 122) T. 103 Hm. mit > 123) T. 106 3. Tromp. und Ten.-Tb. ohne marc. sempre 124) T. 151 [ruhig] fehlt 125) T. 155 [a tempo] fehlt 126) T. 159 [ruhig] fehlt 127) T. 163 [nur ruhig bewegt] fehlt 128) T. 169/171 [ritard.] 1 [a tempo] fehlt
488
129) 130) 131) 132) 133) 134) 135) 136) 137) 138) 139) 140) 141) 142) 143) 144) 145) 146)
T. 188 T. 191 T. 199/201/203 T. 203 T. 235 T. 237 T. 246/247 T. 251/253 T. 281/283 T. 289/291 T. 294/295 T. 304 T. 306 T. 320 bis 322 T. 325/326 T. 326 T. 327/328 T. 329/330
Via. ohne (cresc. sempre) Str. ohne gestrichen Ten.-Tb. jeweils erste Note mit > 8.-Tb. erste Note ohne > Hm. ohne dim. Str. pp statt p Via. und Vc. marc. statt marc. sempre [ritard.] / [a tempo] fehlt [ritard.] / [a tempo] fehlt [ritard.] / [a tempo] fehlt 1. Viol. ohne Spitze sempre 1. Hm. vierte Note ohne p K.-Btb. ohne marc. sempre Hm. und Tromp. Viertel mit Keilen Tromp. ohne Keile B.-Pos., K.-Btb., Vc. und Kb. ff marc. statt ff marc. sempre Tb. ohne marc. sempre 3. u. 4. Hm. und Ten.-Tb. h ohne >
VIII. SYMPHONIE (Zweite Fassung, 1890) 1. SATZ. Allegro moderato Substantielle Abweichungen: Hm. umgestaltet 1) T. 101 Ob. und Klar.: Statt unisono mit der 1. übernimmt die 2. den 2) T. 103 Part der 3. Dafür 3. eine Oktave nach unten versetzt Pos. durchlaufende Viertel-Triolen statt Viertelpausen 3) T. 125/126 1. u. 2. Viol. durchlaufendes tremolo (auf geänderten Ton 4) T. 164 bis 172 höhen) 3. Hm. fehlt (vom 1. Fag. übernommen) 5) T. 169 bis 172 Hm. umgestaltet 6) T. 345/346
Sekundäre Abweichungen: B.-Pos. und K.-Btb. ohne Bindebögen 7) T. 123/124 1. u. 2. Hm. und Ten.-Tb. mit (>) 8) T. 176/177 1. u. 2. Tromp. ohne.(dim.) 9) T. 177 1. u. 2. Tromp. letzte drei Noten mit > 10) T. 178/179 1 u. 2. Hm., Ten.-Tb. und 2. Tromp. erste Note mit Dach H) T. 185 12) T. 185 bis 187 1.-3. Hm., Ten.-Tb. und 2. Tromp. ab letzter Note T. 185 jede Note mit > 1. u. 3. Tromp. zweite Note mit > 13) T. 186 3. Tromp. dritte Note mit Dach, dann bis T. 188 jede weitere 14) T. 186 Note mit > 1. Tromp. erste Note mit (>), dann bis T. 189 jede weitere 15) T. 187 Note mit > 16) T. 229 2. u. 3. Ob. und 3. Klar, mit Dach (3. Klar. Dach in Klammem) 17) T. 283 Ob. erste Note ohne > Klar, erste Note ohne (>) 18) T. 287
489
19) 20)
T. 292 T. 394/398
1. Tromp. erste beide Noten mit (>) 1. Viol. jeweils dritte Note mit (>)
2. SATZ. SCHERZO. Allegro moderato Substantielle Abweichungen: 21) T. 24 1. Viol. (unteres System) letzte Note a” statt f” 22) T. 152 2. Ob. Halbe des” und Viertel ges’ statt Dreiviertel des” 23) T. 158 1. Viol. (unteres System) letzte Note a” statt f”
Sekundäre Abweichungen: 24) T. 45 Tromp. letzte Note mit Staccatopunkt 25) T. 61 8. Hm. ohne Staccatopunkt TRIO. Langsam Keine substantiellen Abweichungen.
Sekundäre Abweichungen: 26) T. 25 Kb. ohne arco
3. SATZ. ADAGIO. Feierlich langsam; doch nicht schleppend (Aufgrund der Einfügung nach T. 208 verschieben sich die Taktzahlen der AGA.) Substantielle Abweichungen: 27) T. 11/12 Kb. Taktmitte ein Achtel ergänzt 28) T. 14 Hm. fehlt Fag., 1. u. 2. Hm., 1. Tromp. und K.-Btb. erste Note fehlt 29) T. 24 30) T. 24/25 2. Tromp. und Pos. ergänzt 31) T. 32 3. u. 4. Hm. und A.-T.-Pos. fehlt 32) T. 42 Fag., 1. u. 2. Hm., 1. Tromp. und K.-Btb. erste Note fehlt 2. u. 3. Tromp. und Pos. ergänzt 33) T. 42/43 34) T. 60 Fl. erste und zweite Note fis” ’ — fis” statt cis” — cis’ ’ 35) T. 60 Klar, fehlt 36) T. 66/67 1. Klar, in Verlängerung des Achtellaufes zwei Noten (Achtel a und g) ergänzt 37) T. 67 2. Viol. (erste Stimme) Ganze g’ statt Halbe e’ und g’ 38) T. 70 2. Viol. (erste Stimme) letzte Note fehlt, dafür zweite Note Halbe 39) T. 75/76 Ob. einfach statt doppelt besetzt 40) T. 76 Klar, einfach statt doppelt besetzt Fl. doppelt statt dreifach besetzt 41) T. 77/78 42) T. 78 1. Klar, drei Achtel ergänzt 43) T. 78 Kb. ganze Note statt Halbe und Achtel 44) T. 99/100 1. Hm. Diastematik geändert 45) T. 112 3. Hm. fünfte Note h statt cis’ 46) T. 122 1. u. 2. Hm. und Via. Rhythmus an Thema angeglichen, 3. u. 4. Hm. Noten ergänzt 47) T. 124 3. Klar. Ganze cis” statt Dreiviertel cis’ und Viertel cis” 48) T. 126 1. Tromp. f” statt f 49) T. 129 bis 132 Hm. fehlt (von Tb. übernommen) 50) T. 141/142 1. Viol. ganze Noten tremolo es” 3. u. 4. Hm. statt 1. u. 2. Hm. 51) T. 141 bis 144 490
52) 53) 54) 55) 56) 57) 58) 59)
T. T. T. T. T. T. T. T.
150 151/152 157 160 160 165/166 169 bis 176 186
60) T. 188
61) 62) 63) 64) 65) 66) 67) 68)
T. 194 T. 197 bis 204 T. 198 T. 198/199 T. 199/200 T. 205 bis 208 T. 208 nach T. 208
69) T. 209 70) T. 209 71) T. 209/210
72) T. 209/210 73) T. 210 74) T. 223/224 75) T. 223 bis 226 76) T. 224 77) T. 226
78) T. 231 bis 234 79) T. 235/236 80) T. 236 81) T. 241/242
82) T. 243 83) T. 243 84) T. 245 85) 86) 87) 88) 89) 90) 91)
T. T. T. T. T. T. T.
250 250/251 252 272 272/274 274 280/281
Fl. a’ fehlt 1. Viol. ganze Noten tremolo es” Viol. solo f” statt b’ Fag. umgestaltet; 1. Hm. Halbe b’ statt Achtel b’ Viol. solo Noten ergänzt; 1. Viol. ganze Pause 3. Ob. unisono mit 2. Ob. statt zwei ganzer Pausen Klar, fehlt 3. Hm. zweite Note und Via. zwölfte Note es’ statt e’; Via. vierzehnte und fünfzehnte Note f statt es’ Vc. (erste Stimme) vierte Note des statt Des und achte Note As statt Des 2. Hm. zweite Note as’ statt f 2. Tromp. unisono mit 1. Tromp. statt ganzer Pausen A.-Pos. zweite Note d statt d’ 3. u. 4. Hm. unisono mit 1. u. 2. Hrn. statt Pausen Ten.-Tb. fehlt 2. Klar, unisono mit 1. Klar, statt mit 3. Klar. Hm. letzte Note fehlt (in AGA T. 209 bis 218) siehe unter „Abweichungen in der Satzlänge“ (in AGA T. 219) 1.-4. Hm. erste Note fehlt A.-T.-Pos. Rhythmus des Themas statt Liegetöne (in AGA T. 219/220) 1. u. 2. Fag. Liegetöne statt unisono mit 3. Fag. Ten.- u. B.-Tb. eine Viertel, dann Pausen (in AGA T. 220) 1. Klar, letzte beide Noten c’” statt des’” (in AGA T. 233/234) 2. Klar, unisono mit 1. Klar, statt mit 3. Klar. (in AGA T. 233 bis 236) 2. Ob. unisono mit 3. Ob. statt mit l.Ob. (in AGA T. 234) Ob. ganze Noten (in AGA T. 236) 2. u. 3. Tromp. jeweils erste Note c” und b’ statt ges’ und ges’ (in AGA T. 241 bis 244) nur 1. Klar, statt 1. u. 2. Klar, unisono (in AGA T. 245/246) 2. Klar, unisono mit 1. Klar, statt mit 3. Klar. (in AGA T. 246) A.-Pos. fehlt (in AGA T. 251/252) Fag. in Vierteln und Halben rhythmisiert statt Liegetöne (in AGA T. 253) 2. Ten.-Tb. ges statt es 1. u. 2. Viol. zweite Note Achtel statt punktierter Viertel (in AGA T. 255) 2. Viol. zu f als zweite Stimme a hinzuge fügt, dafür nicht in 1. Viol. (in AGA T. 260) Hm. leicht umgestaltet (in AGA T. 260/261) Pos. ergänzt (in AGA T. 262) 2. Vc. und Kb. es bzw. Es statt c bzw. C (in AGA T. 282) 1. Viol. zweite Note des” statt b’ (in AGA T. 282/284) 2. Ten.-Tb. zweite Note as statt Pause (in AGA T. 284) 1. Viol. zweite Note des” statt as’ (in AGA T. 290/291) Hrn. Viertel-Pausen durch Noten ersetzt
491
92)
T. 285
(in AGA T. 295) 2. Ten.-Tb. Viertel es statt zwei Achtel ges und es
Sekundäre Abweichungen: Tb., Via. und Vc.pp statt p; Viel, pp statt mf 93) T. 11 Tb. cresc. ergänzt 94) T. 12 Klar, p statt mf 95) T. 13 1. u. 2. Viol.p cresc. semp. statt cresc. semp. 96) T. 13 2. Hm. ohne dim. 97) T. 46 Pos. > statt Dächer 98) T. 78 2. Ob. und Klar, ohne ganztaktige Bindebögen 99) T. 85/86 2. Fl. und 1. Ob. jeweils letzte zwei Noten ohne Bindebogen 100) T. 87 Fl., 1. u. 2. Ob., 1. u. 2. Klar., Fag., Hm., B.-Pos. und K.-Btb. 101) T. 125/127 jeweils erste Note Dächer statt > Fag. ohne Bindebögen 102) T. 125/127 1. u. 2. Viol. ohne trem. 103) T. 125 bis 127 Hm., B.-Pos. und K.-Btb. erste Note Dach statt > 104) T. 126 B.-Pos. und K.-Btb. zweite Note mit (>) 105) T. 126 Hbl. und Bbl. ohne Bindebögen 106) T. 126/128 A.-T.-Pos. mit Dach (in Klammem) 107) T. 127 108) T. 128 Hm. erste Note Dächer statt > A.-T.-Pos. letzte Note ohne > 109) T. 128 1. u. 2. Viol. Bindebögen wie in T. 133 statt Tenutobalken 110) T. 129 bis 132 111) T. 135 2. Viol., Via. und Vc./statt Via. und Vc. dim. semp. 112) T. 135 poco a poco ritard. statt T. 137 ritard. 113) T. 149/151 nachgebend und a tempo fehlt 114) T. 165/166 Fl., Ob. und Klar, jeweils nur ein Bindebogen über beide Takte 115) T. 167 3. Ob. NGA ohne#(vgl. dazu Nr. 57) 116) T. 167 1. Tromp. ohne marc. 117) T. 167 Fl., 1. u. 2. Ob. und 1. Klar, erste Note ohne Dach 118) T. 180 1. Viol. dim. 119) T. 181 2. Viol., Via. und Vc. dim. statt dim. semp. 120) T. 181 Kb. pp statt ppp 121) T. 185 bis 208 Via. Bindebögen geändert 122) T. 186 1. Viol.pp statt p 123) T. 191 Ob., Klar., Fag. und Hrn. mf statt/ 124) T. 194 Fag. ohne Bindebögen 125) T. 196 Ob., Klar., 1. u. 2. Hrn. und 2. Viol. erste Note ohne > 126) T. 197 bis 208 Viol. Bindebögen geändert 127) T. 205 bis 208 Vc. und Kb. Bindebögen geändert 128) T. 206/208 Hbl. und Bbl. zweite und dritte Note mit > 129) T. 208 Hm. erste Note mit Dach (in Klammem) statt > 130) T. 209 (in AGA T. 219) Hm. marc. semp. statt marc. 131) T. 211 bis 222 (in AGA T. 221 bis 232) durchlaufende Sechzehntel (Via.; ab T. 218 2. Viol.) Bindebögen geändert 132) T. 216 (in AGA T. 226) erste Takthälfte Crescendogabel, zweite Takthälfte Decrescendogabel 133) T. 217 (in AGA T. 227) pp statt p 134) T. 221/222 (in AGA T. 231/232) mf/ cresc. 135) T. 223 (in AGA T. 233) 4. Hm. mit >
492
136) 137) 138) 139) 140)
T. T. T. T. T.
141) 142)
T. 248 T. 263 bis 265
231 234 239 239/241/243 247 bis 249
(in AGA T. 241) 2. Viol. zwölfte Note ohne > (in AGA T. 244) Hbl. (cresc.) statt cresc. semp. (in AGA T. 249) Etwas bewegter fehlt (in AGA T. 249/251/253) Harfen jeweils erste Note ohne > (in AGA T. 257 bis 259) Str. ppp — Crescendogabel — pp cresc. semp. statt p------ cresc. semp. (in AGA T. 258) 1. Viol. zweite Note mit > (in AGA T. 273 bis 275) 1. Viol. jeweils auf dem letzten Viertel Crescendogabel —mf— Crescendogabel
Abweichungen in der Satzlänge: Nach T. 208 sind 10 T. aus der ersten Fassung eingefügt (in NGA Bd. 8/1 T. 225 bis 234, in AGA T. 209 bis 218). In diesem Abschnitt keine substantiellen Abweichungen. Sekundäre Abweichungen (Die Taktzahlen beziehen sich auf Bd. 8/1 der NGA): (in AGA T. 210) Ob. zweite Takthälfte (cresc.) 143) T. 226 (in AGA T. 211) 2. Viol. und Via. (cresc.) ergänzt 144) T. 227 Ob. zu Taktbeginn (p) 145) T. 228 146) T. 230 (in AGA T. 214) Tb .(cresc.) Tb. Haltebögen in den nächsten Takt 147) T. 230 148) T. 231 Fl. (f) 149) T. 231 Tb. (f) 150) T. 232 Ob. ohne dim. 151) T. 234 (in AGA T. 218) 2. Viol. und Via. mit Tenutobalken (in Klam mem)
FINALE. Feierlich, nicht schnell (Aufgrund der Einfügungen verschieben sich die Taktzahlen der AGA.) Substantielle Abweichungen: 152) T. 18 (T. - AGA) Vc. und Kb. erste Note eine Oktave nach oben versetzt 153) T. 210 bis 214 (in AGA T. 210 bis 230) siehe unter „Abweichungen in der Satzlänge“, I.) 154) nach T. 236 (in AGA T. 253 bis 256) siehe unter „Abweichungen in der Satzlänge“, II.) 155) T. 341/342 (in AGA T. 361/362) 5. u. 6. Hm. g statt d’ 156) T. 376 (in AGA T. 396) 3. Hm. dritte Note c” statt b’ 157) T. 378 (in AGA T. 398) 1. Viol. a’ fehlt 158) T. 379 bis 384 (in AGA T. 399 bis 404) Fl. und Ob. ergänzt 159) T. 446 (in AGA T. 466) Tromp. Viertel statt Dreiviertel 160) T. 549 (in AGA T. 569) 2. Viol. letzte Note g’ statt b’ 161) T. 550 (in AGA T. 570) 2. Viol. letzte Note g’ statt es’ 162) T. 564 (in AGA T. 584) 1. Viol. (oberes System) Viertel eine Oktave nach oben versetzt 163) T. 565/566 (in AGA T. 585 bis 598) siehe unter „Abweichungen in der Satzlänge“, III.) 164) T. 577 bis 582 (in AGA T. 609 bis 616) siehe unter „Abweichungen in der Satzlänge“, IV.) 165) nach T. 636 (in AGA T. 671 bis 674) siehe unter „Abweichungen in der Satzlänge“, V.) 493
166) 167)
T. 670 T. 673/674
(in AGA T. 708) erste Takthälfte Via. umgestaltet (in AGA T. 711/712) Via. wie in T. 672
Sekundäre Abweichungen: 168) T. 201 (T. = AGA) 2. Klar, erste Note ohne > 169) T. 564 (in AGA T. 584) 2. Viol. und Via. Halbe mit Tenutobalken 170) T. 575 (in AGA T. 607) 1. u. 2. Hmf (cresc.) statt f 171) T. 583 (in AGA T. 617) viel langsamer fehlt 172) T. 636 (in AGA T. 670) Vc. letzte Note (f) fehlt 173) T. 667/669/671/673/675/677 (in AGAT. 705 ... 715) alle Stimmen (außer Str. und Pk.) jeweils erste Note im Takt mit Dach (ab T. 673 in Klammem) 174) T. 670 (in AGA T. 708) Hbl. zweite Note mit > 175) T. 674 (in AGA T. 712) Tromp. erste Note mit (>) 176) T. 698/700/702/704 (in AGA T. 736 ... 742) jeweils zu Taktbeginn und auf der Taktmitte Pag., K.-Fag., 3. u. 4. Hm., Vc. und Kb. mit (>), Pos. und K.-Btb. mit > 177) T. 699 (in AGA T. 737) Fl., Klar, und 1. Tromp. jeweils letzte drei Noten mit Staccatopunkten (in Klammem) 178) T. 705 bis 707 (in AGA T. 743 bis 745) jeweils zweite Note Fag., K.-Fag., 3. u. 4. Hm., Vc. und Kb. mit (>), Pos. mit >
Abweichungen in der Satzlänge: (Die Taktzahlen beziehen sich auf Bd. 8/1 der NGA) ) T. 210 bis 214 fehlt, dafür sind 21 T. aus der ersten Fassung eingefügt (in NGA Bd. I. 8/1 T. 222 bis 242, in AGA T. 210 bis 230).
Substantielle Abweichungen: 179) T. 222 (in AGA T. 210) Pk. letzte drei Noten fehlen 180) T. 222 7. Hm. f" statt d” 181) T. 222 Hbl. dreifach statt doppelt besetzt Sekundäre Abweichungen: 182) T. 223 (in AGA T. 183) T. 225 (in AGA T. 184) T. 227 (in AGA T. 185) T. 232 bis 238 (in AGA T.
211) Hm. (p) 213) Klar, cresc. 215) Klar, (f) 220 bis 226) 1. Fl. ohne Haltebögen
) II. Nach T. 236 sind 4 T. aus der ersten Fassung eingefügt (in NGA Bd. 8/1 T. 265 bis 268, in AGA T. 253 bis 256). In diesem Abschnitt keine Abweichungen.
) III. T. 565 und 566 fehlt, dafür sind 14 T. aus der ersten Fassung eingefügt (in NGA Bd. 8/1 T. 601 bis 614, in AGA T. 585 bis 598) Substantielle Abweichungen: 186) T. 601 (in AGA T. 585) Hm. fehlt
494
Sekundäre Abweichungen: (in AGA T. 585) Str. sehr markig statt dim. 187) T. 601 (in AGA T. 591 bis 594) Bl. Bindebögen für jede Stimme statt 188) T. 607 bis 610 nur für jedes System (in AGA T. 594) Str. (cresc.) 189) T. 610 (in AGA T. 595) 3. Klar, zweite Note mit > 190) T. 611
) IV. T. 577 bis 582 (in AGA T. 609 bis 616) erheblich umgestaltet; dadurch 2 T. länger. Ein Vergleich ist nicht möglich.
) V. Nach T. 636 sind 4 T. aus der ersten Fassung eingefügt (in NGA Bd. 8/1 T. 687 bis 690, in AGAT. 671 bis 674) In diesem Abschnitt keine substantiellen Abweichungen. Sekundäre Abweichungen: 191) T. 690 (in AGA T. 674) Vc.ffsemp.) statt/
IX. SYMPHONIE Feierlich, Misterioso. Substantielle Abweichungen: 1) T. 537 1. Viol. letzte Note g” statt f”
Sekundäre Abweichungen: 1. Viol. fünfte Note Tenutobalken nicht in Klammem 2) T. 108 1. Hm. ohne mf 3) T. 119 Vc. erste Note ohne > 4) T. 127 und 129 Vc. u. Kb. ohne/? 5) T. 131 Via. Bindebogen nicht in Klammern 6) T. 137 2. Ob. fünfte Note ohne Tenutobalken 7) T. 178 1. Klar, mf nicht in Klammem 8) T. 200 * Decrescendogabel bei 3. u. 4. statt 5. u. 6. Hm. 9) T. 200 8. Hm. erste Note ohne > 10) T. 206 3. Tromp. letzte beide Noten mit > H) T. 209 12) T. 212 2. Viol. > nicht in Klammem 13) T. 211 4. Hm. zweite Note Tenutobalken statt > 14) T. 211/212 1. u. 2. Viol. jeweils zweite Note mit > 15) T. 212 2. Viol. letzte beide Noten > nicht in Klammern 16) T. 213 3. u. 4. Hm. erste Note ohne > 17) T. 215 3. Klar, pp 18) T. 222 Vc. ohne (dim.) 19) T. 243 3. u. 4. Hm. Dächer nicht in Klammem 20) T. 259 * 7. u. 8. Hm. > nicht in Klammem 21) T. 263 2. u. 3. Fl. > nicht in Klammern 22) T. 271 7. u. 8. Hm. Dächer nicht in Klammem 23) T. 289 * Hbl. Bindebögen erst ab der ersten Note (ohne Auftakt) 24) T. 296 7. u. 8. Hm. ohne Tenutobalken
495
25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43) 44) 45) 46)
T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T. T.
298 336 337 339 343 358 361/362 363/364 366 367 371 371 380 381 bis 386 454 486 521 535 539 545 546 562
3. u. 4. Hm. ohne Tenutobalken Tromp. ohne > bzw. (>) 3. Tromp. Dächer nicht in Klammem 3. Klar. Dach nicht in Klammem 3. Fl. ohne Dächer Fag. > nicht in Klammem Ob. ohne Crescendogabel K.-Btb. ohne cresc. und/ K.-Btb. ohne/ 2. Tromp. ohne/ 2. u. 3. Fag. ff in Klammem 2. Tromp. ohnej/ Via. ohne div. 3. Ob. Haltebögen nicht in Klammem 2. Hm. Bindebogen in Klammem 1. Klar, zweite Note ohne > 2. u. 3. Klar, erste Note ohne > 3. Fl. erste Note ohne > 1. Fl. erste Note mit > 3. Ob. ohne > 1. u. 2. Hm. ohne Dächer 1. Tromp. ohne >
SCHERZO. Bewegt, lebhaft Keine substantiellen Abweichungen. Sekundäre Abweichungen: Pk. ohne trem. 47) T. 50 48) T. 78 1. Tromp. zweite Note mit Staccatopunkt 49) T. 83 1. Viol. erste Note mit Staccatopunkt 50) T. 99 3. Fag. ohne > 2. Klar, p in Klammem 51) T. 129 52) T. 130 bis 134 2. Viol. und Via. ohne Staccatopunkte 1. u. 2. Hm. Achtel ohne Staccatopunkte 53) T. 167 54) T. 176 1. Fag. erste Note Staccatopunkt nicht in Klammem 55) T. 176 Pk. Achtel ohne Staccatopunkte 56) T. 183 bis 186 1. Klar, ohne Staccatopunkte 1. Hm. zweite Note ohne Staccatopunkt 57) T. 195
Trio. Schnell Substantielle Abweichungen: 58) T. 42 2. Viol. (zweite Stimme) g’ statt gis’ 59) T. 165 1. Fl. zweite Note h” statt eis’” Sekundäre Abweichungen: 60) T. 59 1. Ob. mf in Klammern 61) T. 71 1. Klar, ohne p 62) T. 94/96 Hm. > nicht in Klammern 63) T. 157/158 5. Hm. erste Note mit > 64) T. 201 7. Hm. ohne >
496
65) T. 221 66) T. 246/248/250
7. u. 8. Hm. ohnep Hm. mit >
ADAGIO. Langsam, feierlich Substantielle Abweichungen: 2. Tromp. letzte Note e” statt d” 67) T. 5 2. Tromp. letzte Note e” statt d” 68) T. 81 69) T. 134 2. Viol. erste Note f statt fes’ Ob. 1 zweite Note cis” statt c” 70) T. 146
Sekundäre Abweichungen: Ob. ohne > 71) T. 9 72) T. 15 2. u. 3. Klar./in Klammem Tromp. jeweils erste Note ohne > 73) T. 18/19 2. Hm. Bindebogen in Klammern 74) T. 51/52 * 3. u. 4. Hm. Crescendogabel nicht in Klammem 75) T. 51/52 1. Klar, mf in Klammem 76) T. 55 Tromp.nicht in Klammem 77) T. 81 * 78) T. 81 * A.-T.-Pos.j^in Klammern 79) T. 82/83 1. Klar. Bindebogen an Kontext angeglichen 80) T. 83/84 * Vc. u. Kb. Bindebogen nicht in Klammem 81) T. 91/92 * Vc. u. Kb. Bindebogen nicht in Klammem 82) T. 103 Hm. ohne > 83) T. 115/116 Bindebogen von 115 auf 116 erstes Achtel nicht in Klammern 84) T. 145 Vc. u. Kb. ohne (>) 85) T. 151 Hm. pp in Klammem 86) T. 167 1. Ob., 2. u. 3. Klar., Pag. und 2. Viol. vor cresc. sempre ist (mp) ergänzt 87) T. 178 Via. cresc. nicht in Klammem 88) T. 212 2. u. 3. Klar, cresc. in Klammem 89) T. 229 1. u. 2. Hm. ohnefpj, 3. Hm. ohne p * Vergleiche dazu auch das Vorwort zur Partitur der alten Gesamtausgabe, Seite 4*.
497
Anhang VI
BIBLIOGRAPHIE
1. Werke und Selbstzeugnisse Anton Bruckner, Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe, im Auftrage der General direktion der Nationalbibliothek und der internationalen [ab 1938: deutschen] BrucknerGesellschaft herausgegeben von Robert Haas [IX. Symphonie herausgegeben von Alfred Orel], Wien/Leipzig 1930-1944 (- sog. ‘alte Gesamtausgabe’; Nachdrucke Wiesbaden und Leipzig, 1949-1952) Anton Bruckner, Sämtliche Werke. Kritische Gesamtausgabe, herausgegeben von der Generaldirektion der Österreichischen Nationalbibliothek und der Internationalen Bruckner-Gesellschaft unter Leitung von Leopold Nowak, Wien 1951 ff. (= sog. ‘neue Gesamtausgabe’) Auer, Max (HgAnton Bruckner, Gesammelte Briefe, Neue Folge, Regensburg 1924 Graflinger, Franz (Hg.): Anton Bruckner, Gesammelte Briefe, Regensburg 1924 Harrandt, Andrea und Schneider, Otto (t) (Hg.): Anton Bruckner, Briefe, Bd. 1 (18521886), Wien 1998 Maier, Elisabeth und Grasberger, Renate: Verborgene Persönlichkeit. Anton Bruckner in seinen privaten Aufzeichnungen, Wien, in Vorbereitung (- Anton Bruckner — Doku mente und Studien)
2. Biographien, Gesamtdarstellungen
und
Erinnerungsliteratur
Abendroth, Walter: Bruckner. Eine Bildbiographie, München 1958 Auer, Max: Bruckner, Zürich/Leipzig/Wien 1923 ders.: Anton Bruckner. Sein Leben und Werk, Leipzig 11931,21934,31941,41943,51947, 61949 Beck, Walter: Anton Bruckner. Ein Lebensbild mit neuen Dokumenten, Domach/Schweiz 1995 Benary, Peter: Anton Bruckner, Leipzig 1956 Blume, Friedrich: Artikel Bruckner, Joseph Anton, in: MGG, Bd. 2, Kassel 1952, Sp. 341-382 Brunner, Franz: Dr. Anton Bruckner. Ein Lebensbild, Linz 1895 (Reprint Graz 1974) Commenda, Hans: Geschichten um Anton Bruckner, Linz o. J. [1946] Daninger, Josef G.: Anton Bruckner, Wien 1924 Decsey, Emst '.Bruckner. Versuch eines Lebens, Berlin 1919 Dehnert, Max: Anton Bruckner. Versuch einer Deutung, Leipzig 1958 Doernberg, Erwin: Anton Bruckner, Leben und Werk, London 1960, dt. Ausg. München/Wien 1963 Eckstein, Friedrich: Erinnerungen an Anton Bruckner, Wien 1923 ders.: ‘Alte unnennbare Tage!' Erinnerungen aus 70Lehr- und Wanderjahren, Wien/Leipzig/Zürich 1936 (Reprint Himberg bei Wien 1988) Engel, Gabriel: The Life ofA. Bruckner, New York 1931 499
Fischer, Hans Conrad: Anton Bruckner. Sein Leben, Salzburg 1974 Göllerich, August: Anton Bruckner. Ein Lebens- und Schaffensbild, Bd. I Regensburg 1922 (Reprint Regensburg 1974); Bd. II-IV ergänzt und hg. von Max Auer, Regensburg 1928-1937 (Reprint Regensburg 1974) Gräflinger, Franz: Anton Bruckner. Bausteine zu seiner Lebensgeschichte, München 1911 ders.: Anton Bruckner. Sein Leben und seine Werke, Regensburg 1921 ders.: Anton Bruckner. Leben und Schaffen (Umgearbeitete Bausteine), Berlin 1927 ders.: Liebes und Heiteres um Anton Bruckner, Wien 1948 Grüner, Georg: Anton Bruckner, Leipzig 1924 Grebe, Karl: Anton Bruckner in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1972, "1996 Grüninger, Fritz .Anton Bruckner, Stuttgart 1922 ders.: Anton Bruckner. Der metaphysische Kem seiner Persönlichkeit und seiner Werke, Augsburg 1930,21949 ders.: Der Ehrfürchtige. Anton Bruckners Leben, dem Volke erzählt, Freiburg 1935 ders.: Der Meister von St. Florian. Wege zu Anton Bruckner, Augsburg 1950 Grunsky, Karl -.Anton Bruckner, Stuttgart 1922 Haas, Robert: Anton Bruckner, Potsdam 1934 Hansen, Mathias: Bruckner, Leipzig 1987 Hebenstreit, Josef: A. Bruckner, Dülmen 1937 Hruby, Carl: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner, Wien 1901 Keldorfer, Viktor: Erinnerungen an Bruckner, in: Die Warte (Beiblatt der Furche), Wien 1946 Kitzler, Otto: Musikalische Erinnerungen. Mit Briefen von Wagner, Brahms, Bruckner und R. Pohl, Brünn 1904 Klose, Friedrich: Meine Lehrjahre bei Anton Bruckner. Erinnerungen und Betrachtungen, Regensburg 1927 Kluger, Josef: Schlichte Erinnerungen an Anton Bruckner, in: Jahrbuch des Stiftes Klosterneuburg, Klosterneuburg 1910 ders.: Anton Bruckner und das Stift Klosterneuburg, in: In memoriam Anton Bruckner (Karl Kobald, Hg.), Zürich/Wien/Leipzig 1924 Knapp, Albert: Anton Bruckner. Zum Verständnis seiner Persönlichkeit und seiner Werke, Düsseldorf 1921 Kobald, Karl (Hg.): In memoriam Anton Bruckner. Festschrift des österreichischen Bun desministeriums für Unterricht, Zürich/Wien/Leipzig 1924 Kurth, Emst: Bruckner, 2 Bde., Berlin 1925 (Reprint Hildesheim 1971) Lang, Oskar: Anton Bruckner. Wesen und Bedeutung, München 1924,21942,21947 Langevin, Paul-Gilbert: Le Siede de Bruckner, Paris 1975 ders.: Anton Bruckner. Apogee de la Symphonie, Lausanne 1977 Laßl, Josef: Das kleine Brucknerbuch, Salzburg 1965,21972 Laux, Karl: Anton Bruckner. Leben und Werk, Leipzig 1940
500
Lemmermayer, Fritz: Erinnerungen an Rudolf Steiner, Franz Brentano, An ton Bruckner, Fercher von Steinwand, Robert Hamerling und andere Persönlichkeiten des österrei chischen Geisteslebens, Stuttgart 1929 (Reprint Basel 1992) Loerke, Oskar: Anton Bruckner. Ein Charakterbild, Berlin 1938 Louis, Rudolf:Anton Bruckner, München/Leipzig 1905, München21918 Maier, Elisabeth: Anton Bruckner. Stationen eines Lebens, Linz/München 1996 Moroianu, Mihai: Anton Bruckner, Bukarest 1972 Morold, Max: Anton Bruckner, Leipzig 1912,21920 Müller, Viktor: Anton Bruckner. Das verkannte Genie, Linz 1996 Myklebust, Olaf G.: Anton Bruckner. Geni og skjebne, Oslo 1995 Nowak, Leopold: Anton Bruckner. Musik und Leben, München/Wien 1964 ders.: Anton Bruckner, Musik und Leben, Linz 1973, '1995 Oberleithner, Max von: Meine Erinnerungen an Anton Bruckner, Regensburg 1933 Orel, Alfred: Anton Bruckner. Das Werk, Der Künstler, Die Zeit, Wien/Leipzig 1925 ders.: Anton Bruckner. Sein Leben in Bildern, Leipzig 1936 Raabe, Peter: Wege zu Bruckner, Regensburg 1944 Reich, Willi: Anton Bruckner. Ein Bild seiner Persönlichkeit, Basel 1953 Schaefer, Hansjürgen: Anton Bruckner. Ein Führer durch Leben und Werk, Berlin 1996 Schalk, Franz: Anton Bruckner. Betrachtungen und Erinnerungen (1921), in: Mk 24, 1932, S. 881-884 ders.: Briefe und Betrachtungen. Mit einem Lebensabriß von Victor Junk (Lili Schalk, Hg.), Wien 1935 Schenk, Erich: Um Bruckners Persönlichkeit, Wien 1951 Schönzeler, Hans Hubert: Bruckner, London 1970, dt. Ausg. Wien 1974 Steinbeck, Wolfram: Artikel Bruckner, (Joseph) Anton, in: MGG2, Personenteil, Bd. 3, Kassel 2000, Sp. 1037-1105 Stradal, August: Erinnerungen aus Bruckners letzter Zeit, in: ZfM 99, 1932, S. 853-860, 971-978 und 1071-1075 Tessmer, Hans: Anton Bruckner, Regensburg 1922 Wagner, Manfred: Bruckner. Leben, Werke, Dokumente, Mainz 1983 ders.: Anton Bruckner. Werk und Leben (=Musikportraits Bd. 1), Wien 1995 Watson, Derek: Anton Bruckner, London 1975 Wetz, Richard: Anton Bruckner. Sein Leben und Schaffen, Leipzig 1923 Winterberger, Hans: Anton Bruckner in seiner Zeit, Linz 1964 Wiora, Walter: Anton Bruckner oder Über das Ewige in der Musik, Freiburg 1948 Wolff, Werner: Anton Bruckner. Genie und Einfalt, dt. Ausg. Zürich 1948, 2198O
3. Einzelstudien, Aufsatzsammlungen, Ausstellungskataloge zu Persönlichkeit, Werk und Umfeld Anton Bruckners
und
Schrift
reihen
Abendroth, Walter: Die Symphonien Anton Bruckners, Berlin 1940 ders.: Vier Meister der Musik. Bruckner, Mahler, Reger, Pfitzner, München 1952
501
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Massenkeil und Wolfgang Niemöller, Hg.), Regensburg 1978 (= Studien zur Musik geschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 51) Wohlfart, Frank: Der Ur-Bruckner, in: DMK 2, 1937/38, S. 144-151 ders.: Anton Bruckners symphonisches Werk. Stil- und Formerläuterung, Leipzig 1943 Wünschmann, Theodor: Anton Bruckners Weg als Symphoniker, Steinfeld 1976 (- Beiträge zur Musikreflexion [Hans-Josef Irmen, Hg.], Heft 4) Zimmermann, Reinhold: Um Anton Bruckners Vermächtnis. Ein Beitrag zur rassischen Erkenntnis germanischer Tonkunst, Stuttgart 1939 Zwol, Cornelis van: Wie original ist eine Originalfassung?, in: Bruckner-Jahrbuch 1980 (Franz Grasberger, Hg.), Linz 1980 ders.: Bruckners Vierte Symphonie: nicht nur eine „Romantische ", in: Bruckner-Sympo sion 1980, Die Fassungen, Bericht (Franz Grasberger, Hg.), Linz 1981
4. Literatur
zu angrenzenden
Sachgebieten sowie allgemeine
und
WEITERFÜHRENDE LITERATUR
Abegg, Werner: Musikästhetik und Musikkritik bei Eduard Hanslick (- Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 44), Regensburg 1974 Adorno, Theodor W.: Zur Partitur des Parsifal, in: Richard Wagner und das neue Bayreuth (Wieland Wagner, Hg.), München 1962 ders.: Mahler. Eine Musikalische Physiognomik (- Gesammelte Schriften 13), Frankfurt/M. 1971 ders.: Versuch über Wagner (= Gesammelte Schriften 13), Frankfurt/M. 1971 ders.: Philosophie der neuen Musik (- Gesammelte Schriften 12), Frankfurt/M. 1976 ders.: Einleitung in die Musiksoziologie (= Gesammelte Schriften 14), Frankfurt/M. 1973 ders.: Ästhetische Theorie (= Gesammelte Schriften 7), Frankfurt/M. 1970 Agop, Rolf: Siegmund von Hausegger (1872-1948) aus der Sicht eines 36 Jahre alten Schülers, in: Bruckner-Jahrbuch 1989/90 (Othmar Wessely, Hg.), Linz 1993 Bauer-Lechner, Natalie: Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner (Herbert Killian, Hg.), Hamburg 1984 Becker, Heinz: Artikel Instrumentation, in: MGG, Bd. 6, Kassel 1957, Sp. 1252-1288 ders.: Geschichte der Instrumentation (= Das Musikwerk XXIV), Köln 1964 Bekker, Paul: Die Sinfonie von Beethoven bis Mahler, Berlin 1918 Berke, Dietrich: Artikel Denkmäler und Gesamtausgaben, in: MGG2, Sachteil, Bd. 2, Kassel 1995, Sp. 1109-1156 Berlioz, Hector: Grand traite d'Instrumentation et d'orchestration modernes, op. 10, Paris 1844. Ergänzt und revidiert von Richard Strauss, Leipzig 1905 Blaukopf, Kurt: Gustav Mahler oder Der Zeitgenosse der Zukunft, Wien/München/Zürich 1969 Blume, Friedrich: Artikel Romantik, in: MGG, Bd. 11, Kassel 1963, Sp. 785-845 Borchmeyer, Dieter: Das Theater Richard Wagners. Idee - Dichtung - Wirkung, Stuttgart 1982 Brosche, Günter (Hg.): Briefwechsel Richard Strauss — Franz Schalk, Tutzing 1983 511
Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, Text der zweiten Fassung von 1916 mit einem Nachwort von Wolfgang Dömling, Hamburg 1973 Dahlhaus, Carl: Die Musik des 19. Jahrhunderts (= Neues Handbuch der Musikwissen schaft, Bd. 6), Wiesbaden 1980 ders. (Hg.): Das Drama Richard Wagners als musikalisches Kunstwerk (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 23), Regensburg 1970 Danuser, Hermann: Die Musik des 20. Jahrhunderts (- Neues Handbuch der Musikwis senschaft, Bd. 7), Laaber 1984 Dräger, Hans Heinz und Wellek, Albert: Artikel Musik-Ästhetik, in: MGG, Bd. 9, Kassel 1961, Sp. 1000-1034 Engel, Hans: Artikel Bearbeitung, in: MGG, Bd. 1, Kassel 1949, Sp. 1458-1466 Einstein, Alfred: Die Romantik in der Musik, Stuttgart 1992 Erpf, Hermann: Lehrbuch der Instrumentation und Instrumentenkunde, Mainz 1959 Floros, Constantin: Die geistige Welt Gustav Mahlers in systematischer Darstellung (= Gustav Mahler Bd. 1), Wiesbaden 1977 ders.: Mahler und die Symphonik des 19. Jahrhunderts in neuer Deutung. Zur Grundlegung einer zeitgemäßen musikalischen Exegetik(= Gustav Mahler Bd. 2), Wiesbaden 1977 ders.: Gustav Mahler. Die Symphonien (- Gustav Mahler Bd. 3), Wiesbaden 1985 ders.: Musik als Botschaft, Wiesbaden 1989 ders.: Alban Berg. Musik als Autobiographie, Wiesbaden 1993 ders.: Johannes Brahms. „Frei, aber einsam“ — Ein Leben für eine poetische Musik, Zürich/Hamburg 1997 ders.: Gustav Mahler. Visionär und Despot. Porträt einer Persönlichkeit, Zürich/Hamburg 1998 ders.: Der Mensch, die Liebe und die Musik, Zürich/Hamburg 2000 Furtwängler, Wilhelm: Vermächtnis. Nachgelassene Schriften, Wiesbaden 21956 ders.: Ton und Wort. Aufsätze und Vorträge 1918 bis 1954, München l01982 Gal, Hans: Johannes Brahms. Werk und Persönlichkeit, Frankfurt/M. 1961 ders.: Brahms, Wagner, Verdi: Drei Meister, drei Welten, Frankfurt/M. 1975 Geck, Martin: Von Beethoven bis Mahler. Die Musik des deutschen Idealismus, Stuttgart/Weimar 1993 Georgiades, Thrasybulos: Musik und Sprache, Das Werden der abendländischen Musik, Heidelberg 1954,21974 Gieseler, Walter (Becker, Heinz): Artikel Instrumentation, in: MGG2, Sachteil, Bd. 4, Kassel 1996, Sp. 911-951 Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners, 6 Bde., Leipzig '1894 ff., 41905 ff. Glatt, Dorothea: Zur geschichtlichen Bedeutung der Musikästhetik Eduard Hanslicks, München 1972 Grasberger, Franz: Richard Strauss und die Wiener Oper, Tutzing 1969 Gregor-Dellin, Martin: Richard Wagner. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundert, München/Zürich 1980
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Haas, Frithjof: Zwischen Brahms und Wagner. Der Dirigent Hermann Levi, Zürich/Mainz 1995 Halm, August: Von zwei Kulturen der Musik, München 1913, Stuttgart31947 Hansen, Mathias: Arnold Schönberg. Ein Konzept der Moderne, Kassel 1993 Hanslick, Eduard: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst, Leipzig 1854, 121918, Wiesbaden ls1966,211989 Hausegger, Friedrich von: Die Musik als Ausdruck, Wien 1885,21887 Hellsberg, Clemens: Demokratie der Könige. Die Geschichte der Wiener Philharmoniker, Zürich/Wien/Mainz 1992 Holland, Dietmar: „Regeln gibt es keine": Bearbeitungen als schöpferische Leistung, in: 100 Jahre Münchner Philharmoniker (Gabriele E. Meyer, Hg.), München 1994 Kalbeck, Max: Johannes Brahms, 4 Bde., Berlin 1904-1914 Klemperer, Otto: „Anwalt guter Musik". Texte aus dem Arbeitsalltag eines Musikers, Berlin21993 Korn, L: Die Wiener Oper unter Richard Strauss und Franz Schalk, Diss. Wien 1964 Krause, Emst: Richard Strauss. Gestalt und Werk, Leipzig 1955 Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Cicago 1962, 21970, dt. Frankfurt/M. 1967, “1991 Kunitz, Hans: Die Instrumentation. Ein Hand- und Lehrbuch, 13 Teile, Leipzig 1957-1961 Kurth, Emst: Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners „ Tristan ", Bern/Leipzig 1920, Berlin31923 (Reprint Hildesheim 1985) ders.: Musikpsychologie, Bem 1931 Lorenz, Alfred: Das Geheimnis der Form bei Richard Wagner, 4 Bde., Berlin 1924-1933 ders.: Das „Gruppenprinzip“ in der Instrumentation des Ring, in: Bayreuther Festspiel führer 1937, S. 112-116 Mahler, Alma-Maria: Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe, Amsterdam 1949 Mann, Thomas: Wagner und unsere Zeit (Erika Mann, Hg.), Frankfurt/M. 1963 Meyer, Gabriele E. (Hg.): 100 Jahre Münchner Philharmoniker, München 1994 Müller, Ulrich und Wapnewski, Peter (Hg.): Richard-Wagner-Handbuch, Stuttgart 1986 Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden (Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Hg.), München 1980 Nowak, Leopold. Robert Haas zum Gedächtnis, in: Mf 14, 1961, S. 10-12 Piersig, Johannes: Das Fortschrittsproblem in der Musik um die Jahrhundertwende. Von Richard Wagner bis Arnold Schönberg (- Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahr hunderts, Bd. 53), Regensburg 1970 Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, Bd. VIII: Das neunzehnte Jahr hundert, Bd. IX: Das zwanzigste Jahrhundert (Golo Mann, Hg.), Berlin/Frankfurt/M. 1960 Reckow, Fritz: Zu Wagners Begriff der unendlichen Melodie, in: Das Drama Richard Wagners als musikalisches Kunstwerk (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahr hunderts, Bd. 23), Regensburg 1970 ders.: Artikel Unendliche Melodie (1971), in: Handwörterbuch der musikalischen Termi nologie (Albrecht Riethmüller, Hg.), Ordner V, Stuttgart
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Reich, Willi: Arnold Schönberg oder Der konservative Revolutionär, Wien 1968, München 1974 Rimskij-Korsakow, Nicolai: Grundlagen der Orchestration mit Notenbeispielen aus ei genen Werken (M. Steinberg, Hg.), 2 Bde., Berlin/Moskau 1913, dt. Ausg.: A. Elukhen, Berlin 1922 Salmen, Walter (Hg.): Beiträge z,ur Geschichte der Musikanschauung im 19. Jahrhundert (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 1), Regensburg 1965 Schälke, Rudolf: Geschichte der Musikästhetik in Umrissen, Berlin 1934 Schering, Arnold: Historische und nationale Klangstile, in: Jahrbuch Peters 34, 1927, S. 31-43 Schönberg, Arnold: Harmonielehre, Wien 1911,31922 ders.: Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik (= Gesammelte Schriften 1), Frankfurt/M. 1976 ders.: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Erwin Stein, Mainz 1958 Schopenhauer, Arthur: Werke in fünf Bänden (Ludger Lütkehaus, Hg.), Zürich 1988 Schröder, Gesine und Bösche, Thomas: Artikel Bearbeitung, in: MGG2, Sachteil, Bd. 1, Kassel 1994, Sp. 1321-1337 Stuckenschmidt, Hans Heinz: Ferruccio Busoni. Zeittafel eines Europäers, Zürich/Freiburg 1967 ders.: Schönberg. Leben, Umwelt, Werk, Zürich 1974 Thomas, Walter: Richard Strauss und seine Zeitgenossen, München/Wien 1964 Voss, Egon: Studien zur Instrumentation Richard Wagners (- Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 24), Regensburg 1970 ders.: Richard Wagner und die Instrumentalmusik. Wagners symphonischer Ehrgeiz, Wilhelmshaven 1977 Wagner, Cosima: Die Tagebücher (Bd. 1 1869-1877; Bd. 2 1878-1883), hg. v. Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München/Zürich 1976/77 Wagner, Richard: Gesammelte Schriften und Dichtungen in zehn Bänden (Wolfgang Golther, Hg.), Berlin o. J. [1914] Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe 1853 bis 1871 (Wolfgang Golther, Hg.), 84. bis 94. Auflage, Leipzig 1922 Wagner, Wieland (Hg.): Richard Wagner und das neue Bayreuth, München 1962 Walter, Bruno: Gustav Mahler. Ein Porträt, Wien/Leipzig/Zürich 1936, Berlin/Frankfurt/M. 21957 Walter, Frank: Hugo Wolf. Eine Biographie, Graz 1953 Wehnert, Martin: Artikel Romantik und romantisch, in: MGG2, Sachteil, Bd. 8, Kassel 1998, Sp. 464-507 Wellek, Albert: Musikpsychologie und Musikästhetik, Frankfurt/M. 1963, Bonn 21975 Werner, Heinrich: Hugo Wolf und der Wiener Akademische Wagner-Verein, Regensburg 1926 Wessely, Othmar: Musik und Theater in Linz zu Bruckners Zeit, Linz 1964 Wörner, Karl H.: Das Zeitalter der thematischen Prozesse in der Geschichte der Musik (= Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Bd. 18), Regensburg 1969
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Anhang VII
PERSONEN- UND WERKREGISTER Anmerkungen
Kursiv gedruckte Seitenzahlen beziehen sich auf die Anmerkungen. Wenn ein Name oder ein Werk zusätzlich zum Text auch in den Anmerkungen erscheint, wurde auf eine gesonderte Anführung verzichtet. Unberücksichtigt blieben das Inhaltsverzeichnis und die Unterschriften unter den Noten beispielen und Graphiken, außerdem die Faksimile-Abdrucke (Anhang III), die Ver gleichslisten (Anhang IV. und V) und die Bibliographie (Anhang VI).
A. Personenregister Abendroth, Walter 151,169,233 Adler, Guido 57,225,240 Adorno, Theodor W. 63, 72, 73 Agop, Rolf 230, 239 Aigner, Karl 384,390 Albrechtsberger, Johann Georg 40 Almeroth, Carl 124 Altmann, Wilhelm 151 Ambros, August Wilhelm 28, 67, 70 Antonicek, Theophil 9, 79, 86 Auber, Daniel-Fran?ois-Esprit 59 Auer, Max 8, 9, 11, 27-29, 32, 37, 41f, 44-46, 48f, 50, 51-53, 54, 55, 57, 67, 68f, 71f, 74, 84, 85-87, 90, 96, 122, 128,129,131f, 150, 151, 185, 213, 215, 222,224, 225, 227-230, 232-234, 236f„ 238, 239,240,242, 243, 246f„ 248, 249, 252-257, 258f., 267f„ 273f„ 276-278, 281, 282, 285-289,307, 309, 315, 343, 364, 383, 386f„ 392, 397, 410, 413f„ 418,426, 428f.
Bach, Johann Sebastian 40f., 58, 288 Barenboim, Daniel 400 Bauer-Lechner, Natalie 28,104,211 Beethoven, Ludwig van 38, 40,41, 42f., 45, 49, 57f., 61, 68, 73, 76f„ 208f„ 211, 230, 288 Bellini, Vincenzo 75
Berg, Alban 219 Berlioz, Hector 42f., 46,48, 58, 59, 74 Berrsche, Alexander 261 f. Biba, Otto 9 Bick, Josef 280 Bienenfeld, Elsa 276,282 Bizet, Georges 75 Blume, Friedrich 11 Böhm, Karl 285, 406 Bornhöft, Rüdiger 9,23, 305f. Bosse, Gustav (Verlag) 267 Botstein, Leon 410-412, 415, 429 Brahms, Johannes 30, 42, 43-45, 58, 66, 69, 74, 77, 83, 97, 104, 170, 282, 283, 335 Brauneis, Walther 216 Breitkopf & Härtel (Verlag) 228, 315, 317,319, 342, 344, 362f„ 365 Brosche, Günter 9,341, 343 Bruckner, Anton sen. (Bruckners Vater) 40, 82, 424 Bruckner, Ignaz 83 Bruckner, Maria Anna (Bruckners Schwe ster) 82f. Bruckner, Theresia (geb. Helm; Bruckners Mutter) 55, 82f„ 424 Buhz, Ida 82 Burg, Josef 407 Busoni, Ferruccio 5, 420 Büttner, Horst 220, 241
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Cage, John 101 Caldara, Antonio 42 Carragan, William 286 Celibidache, Sergiu 286, 429 Chlapik, Herbert 296 Christ, Victor 131, 310, 315f„ 342, 344, 355,414 Comini, Alessandra 216 Commenda, Hans 96 Czeike, Felix 216 Dahlhaus, Carl 60 Damisch, Heinrich 118, 253, 263, 265, 274 Decsey, Ernst 53, 86,113, 115, 224, 263, 266, 414 Distler, Hugo 75 Döblinger (Verlag) 151,753, 174k., 186, 427 Dorn, Ignaz 46, 424 Doemberg, Erwin 407 Dömpke, Gustav 27, 66, 68, 126 Dürmberger, Johann August 40
Eberle (Notenstecherei, Wien) 129, 270, 315, 317, 319, 338, 342, 344, 362, 365 Eckstein, Friedrich 41, 49, 50, 86, 252, 274, 414 Ehlers, Paul 230 Epstein, Julius 113k., 174 Eulenburg (Verlag) 409 Exl, Engelbert M. 262 Falcke, Wilm 283 Federhofer, Hellmut 240 Fetis, Francois-Joseph 44 Feuerbach, Ludwig 55 Filser, Benno (Verlag) 228k., 232, 239, 255, 281 Finscher, Ludwig 11 Floros, Constantin 7, 9, 42, 43, 50, 62, 69, 72, 74, 100, 184, 219, 305, 335, 336k., 352, 366 Fraenkel, Alexander 53 Franz Ferdinand, Erzherzog 218 Franz-Joseph L, Kaiser von Österreich 51, 131,732, 216k., 310 Freud, Sigmund 218
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Freundt, Cornelius 222 Frey, Wilhelm 68 Fuchs, Ingrid 9, 30, 63, 80, 87-89, 103, 722, 309, 410 Furreg, Norbert 268, 276 Furtwängler, Wilhelm 96, 170, 270, 280283,287,291,429 Fux, Johann Joseph 42 Geiringer, Karl 42 Gerigk, Herbert 414 Gielen, Michael 400 Gilliam, Bryan 410 Glasenapp, Carl Friedrich 63 Gmeiner, Josef 9 Göhler, Georg 174, 220, 222, 224-226, 231,249,417 Göllerich, August 8, 27-29, 32, 37, 41f, 44, 45f, 48f, 50, 57, 52-54, 55, 57, 67-69, 71f, 74, 85-87, 91, 722, 128, 129, 131f, 150, 151, 222, 224, 225k., 227f, 230, 239, 248f, 258f, 276, 288, 307, 309,375, 343, 364, 383, 386k., 392, 397, 414 Golther, Wolfgang 12,62 Graf, Max 264, 274 Graflinger, Franz 11, 72, 81, 93f, 128, 224, 307, 309, 310, 385, 387, 399 Grasberger, Franz 11, 40, 42, 79k., 81, 84, 98, 725, 276, 228, 305, 396, 405 Grasberger, Renate 57 Grebe, Karl 77k. Gregor-Dellin, Martin 56, 58 Gross, Johann (Verlag) 124 Gruber, Gernot 130, 336,341 Grunsky, Karl 224, 226, 268, 276 Gülke, Peter 30, 84, 98, 108 Gutmann, Albert P. (Verlag) 397, 426
Haas, Robert 8, 10k., 20k., 22, 23k., 30, 54, 79k., 99, 772, 727, 148, 150, 151, 753, 165,174, 186, 212, 227, 228, 232, 240-243, 250, 252-256, 260, 261-278, 280, 282, 286-288, 291k., 294, 296-307, 311-314, 328-332, 339k., 352-361, 366370, 373-375, 376, 379, 385-395, 398401, 403-416, 418f„ 426, 429 Hahn, Ingeborg 9
Hahn, Werner 9 Haitink, Bernhard 400 Halbreich, Harry 79, 100, 109, 407-409, 415f. Halevy, Jacques Francois 59 Halm, August 222,224 Hamann, Brigitte 216f. Hämmerle, Theodor 124 Händel, Georg Friedrich 40 Hansen, Mathias 30, 43, 97, 101, 109, 184 Hanslick, Eduard 53, 66k., 74, 83, 126, 214 Harrandt, Andrea 11, S3, 174, 227, 230, 403 Harten, Uwe 11,41, 221, 240, 410 Hartmann, Emil von 120 Haslinger, Carl (Verlag) 133 Hausegger, Friedrich von 229 Hausegger, Siegmund von 207, 228-230, 232, 233-240, 246-248, 252, 258-260, 262,277, 280k., 283, 285, 287,414,418, 425, 428k. Hawkshaw, Paul 9 Haydn, Joseph 40,41, 42, 49, 61 Haydn, Michael 40 Heller, Friedrich C. 9 Hellmesberger, Joseph 113 Hellsberg, Clemens 9 Helm, Theodor 22,28, 121,221 Herbeck, Johann 42, 58, 82, 86, 90 Herbeck, Max 86 Hess, Willy 286 Heuberger, Richard 29,41 Hilmar, Ernst 22, 211, 219 Hindemith, Paul 244 Hirsch, Richard 118 Hirschfeld, Robert 29 Hofmeyr, Leopold 131, 310, 315k., 317319, 322, 339, 344 Hohnsteiner, Johannes 40 Horn, Camillo 252 Hom, Erwin 30, 394, 410 Hruby, Carl 127k., 221, 224 Hueber, Johann Nepumuck (Bruckners Schwager) 52 Hueber, Rosalie (Bruckners Schwester) 49 Humperdinck, Engelbert 68
Hynais, Cyrill 21, 86, 174, 414, 432
Inbal, Eliahu 106, 398, 406 Isotta, Paolo 262
Jahn, Wilhelm 174, 426 Jancik, Hans 151,228 Jochum, Eugen 283f., 285, 287, 429 Junk, Victor 41, 86,114, 117, 245, 267
Kabasta, Oswald 262, 284, 287, 429 Kachelmayer, Katharina 91, 128 Kalbeck, Max 27k., 66, 126 Kantner, Leopold M. 81,125 Karajan, Herbert von 406 Kattinger, Anton 40 Keilberth, Joseph 99, 286, 429 Keldorfer, Robert 128 Keller, Rolf 8,129, 242 Kempen, Paul van 428 Killian, Herbert 28,104,211 Kirsch, Winfried 392 Kitzler, Otto 37, 44k., 70, 75, 76, 424, 428 Klemperer, Otto 258, 406 Klimt, Gustav 218 Klose, Friedrich 32, 48, 49, 85, 86, 127, 150, 252,277,414 Kluger, Josef 252 Knappertsbusch, Hans 143, 407,410 Konwitschny, Franz 285 Komgold, Erich Wolfgang 244 Korstvedt, Benjamin M. 470, 411k. Korte, Werner Fritz 30, 97 Koussevitzky, Serge 406 Kowar, Helmut 116 Krauss, Clemens 257, 428 Krenn, Franz 115,121 Krieger, Adam 75 Krzyzanowski, Rudolf 414 Kuhn, Thomas S. 218 Kurth, Emst 30, 33, 226 Lade, Ludwig 261 Lang, Oskar 20 Langevin, Paul-Gilbert 360, 407-409, 415 Leibnitz, Thomas 9, 11, 50k., 90/, 96, 517
113f, 1165, 118-121, 125, 128f, 130, 148,150, 1515,155,164,204,206,209, 211, 221, 243f., 246, 264, 266, 280, 281f, 394, 410, 412 Levi, Hermann 29, 81, 88, 90, 93-95, 119, 1265, 272, 307-313, 319, 371,377,385, 387, 393, 397, 424, 4265 Lieberwirth, Steffen 120,232 Lienau, Robert jr. 130,132,427 Ligeti, György 101 Liszt, Franz 425, 455, 575, 74, 76, 116, 230 Lorenz, Alfred 54 Louis, Rudolf 53,2215 Löwe, Ferdinand 10, 205, 86, 90, 92-94, 96, 108, 111, 113-124, 1285, 151, 174, 183-194, 1985, 2025, 205-207, 209211, 2135, 221, 224, 2295, 234-236, 237, 2385, 243, 245-247, 2575, 2605, 2635, 266, 2685, 271, 273-275, 2815, 291, 387, 394, 401, 407, 4095, 4135, 418, 424-428, 433 Löwe, Otto 414
Mack, Dietrich 58 Mahler, Gustav 22, 28, 42, 72, 77, 82, 86, 91, 104, 113, 115, 125, 156, 174, 2105, 218, 219, 2205, 2245, 244, 287, 414, 427 Maier, Elisabeth 9,40, 45, 51, 82-84, 86, 125, 419 Manet, Edouard 51 Mann, Golo 216, 218 Mann, Thomas 74 Masur, Kurt 393 Marschner, Bo 30 Marx, Adolf Bernhard 45, 49 Marx, Joseph 257, 265 Matacic, Lovro von 407 Mathis 265 Maximilian L, Kaiser von Mexiko 48, 50-52,417 Mayer, Johannes-Leopold