Briefe, die neueste Litteratur betreffend: Teil 15 [Reprint 2022 ed.]
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Briefe/ die

Neueste Litteratur betreffend.

XV»'

Theil.

Berlin, 1763. bey Friedrich Nicolai.

des fünfzehnten Theils. Zweihundert und zweiund vierzigster Brief. Ver­ theidigung wider die lieblose Gesinnungen die Hr. Reimarus dem Recensenten seiner Berrachrungen über dre Triebe der Thiere schuld, gegeben hatC- ; Zweyhunderr und drey und vierzigster Brief. Ver­ theidigung der Briefe die neueste Litteratur be,

treffend wider verschiedene urrgegründete Beschuldignngen. S. 31 Zweyhunderr und vierund vierzigsterBrief. Einige

allgemeine Anmerkungen über das Genie der Deutschen und den Zustand der deutschen Littera­ tur. S. 5; Kweyhunderr Und fünf und vierzigster Brief.

Anpreisung der göttlichen Ordnung rc. von Hrn. O. C. R Süßmtlch. Anmerkung über die Zunahme der politischen Philosophie in diesem S. 63

Jahrhundert.

Zweihundert und sechs Und vierzigster Brief. Dorlwiag eines Klans tu

einer

ähnlichen

Zweyhundeer und sieben und vierzigster Brief. Auszug einiger Merkwürdigkeiten aus des Hrn. Süsimilchs Schrift,

S- 8;

Zweyhunderr und acht und Vierzigster Brief. Anmerkungen über dieWegräumungender Hin/

S- 89

verrusse der Ehen und Geburten

Zweyhunderr und neun und vierzigster Xnief-

Don den Beförderungsmitteln derselben. S. 107 Zweyhunderr und fünfzigster Brief, sonder Vor,

sorge gegen den Tod.

S- 119

Zweyhunderr und ein und fünfzigster Brief

Der/

besserung einer Stelle in Dalemberts tteberfekung einiger Stücke aus dem Tacitus.

S. 129

Zweyhundert uttd zwey und fünfzigster Brief. Ast­

preisung der patriotischen Vorstellungen und sichern Mittel arme Staaten zu bereichern. S.

37

Zweyhunderr und drey und fünfzigster Brief. Be­

urtheilung

der Schrift:

Der Sonderling. S. 161

Zweyhunderr und vier und fünfzigster Brief Be,

MtheilttttL

der R^euzzüge des

Philologen.

E. 171

Briefe,

Briefe,

die neueste Litteratur betreffend.

Fünfzehnter Theil.

Briefe, die neueste Litteratur betreffend.

I. Den i. Julii 1762.

Zweyhlmdert und zwey und vierzigster Brief.

^^er Anhang, mit welchem Herr Reimarn» sei» Werk von den Trieben der Thier« vermehret hat, ist, wie alles was aus dieser Feder fließt, überaus lchuLwerth Er handelt in dem, selben von den verschiedenen Determinativ» nett der Naturkraste, und ihren mancherley Stufen, bey welcher Gelegenheit er, die Erin­ nerungen, welche ich in den Briesen * wider sein System rinflieffen lassen, umständlich widerlegt. Ich halte mich für die Mühe, die ich mir bey der Beurcheilung dieses Werks gegeben, sattsam belohnt, da ich durch meine Einwürfe dem Herri» A 2 Der» • S. i;v. u- f. Briefe.

fünfzehnter Theil.

4

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Verfasser veranlasset, seine Gedanken mehr in) Licht zu setzen- und drin Publico einige Bogen zu liefern, die es mit Nutzen und Vergnügen lesen wird. — Ob ich nunmehr völlig überzeugt seyUnd mein Mrecht so erkenne, wie es der Hr. Vers. Mir zu erkennen geben will, daran ist nichts gele­ gen. Genug! das Publicum, welches meins Einwürfe gelesen, kau nunmehr auch des Herrn Verfassers Widerlegung lesen, und urtheilen. —

Mein Stillschweigen, hat ein jeder das Recht ausznlegen, wie es ihm gut dünkt- Ich habe Meine Gründe, mich ferner alles Widerspruchs zu enthalten; gesetzt auch, ich wäre in oder dem andern Pünkte nicht vollkommen befriedigt. Desto nöthiger aber finde ich es, mich vor dsit Aage» des unpartheyi'chen Publikums wider die lieblose und hassenswerthe Gefiunungen zu recht­

fertigen, die mir Herr R. Schuld giebt. Ich wäre es sehr Wohl jüfrieden gewesen, wenn mir der Herr D. meine Unwissenheit in den härtesten Ausdrückungen vorgrworfen hätte, und noch weit mehr, wenn er in dem wahren philosophischen Tone, den et in der rrstrn Hälfte seiner Widrrle-

guag

guug annimmt, sortgefahren wäre. Ich will mich gern M systematischen Vorurtheils beschul­

digen, gern an die Regeln einer gesunden Logik erinnern, und meines Irrthums überführen lassen. Wenn er mir aber in der Folge durchaus Absich­ ten andichten will, die ein aufrichtiger Mensch zu haben, sich schämen muß, wenn eS in meinen Augen ein Hauptperbrechen gewesen seyn soll,

daß er gegen dssLeibniysthe System von per porherbestimten Harmonie einige Erinnerun­ gen gemacht, und ich aus dieser Ursache mich hcstissen haben soll, einige von seinen Gedanken gi widerlegen; wenn ich ferner des Vorsatzes be­ schuldiget werde, seine Meinungen lächerlich zu machen, wenn ich zu diesem Ende (einen Ver­ trag geflissentlich per (teilet und verdrehet, guch, wie mir nicht undeutlich zu verstehen gege­ ben wird, mich in meiner Beurtheilung des. saty, rischen Salzes und bittern Spottes bedienet haben soll; so finde ich mich genöthigct, von dem

Urtheile des Herrn Vers, an billigere und unpartheyische Richter zu appcllircn. Der mindeste Ausdruck in meinen Briefen, der die Absicht verA 3 räch,

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räch, lächerlich zu machen/ zu spotten, oder;« satirisiren, soll zu meiner Verurthcilnng hinrei­ chend seyn. Ich kann dieses mit den allcrzuvrrtraulichsten Gewissen nicdcrschrcibcn, ohne meine Briese zu überlesen, denn ich bin mir vollkommen der Gesinnungen bewußt, mit welchen ich mich hinqesetzt hatte, ein philosophisches Werk zu beur­ theilen, das mir alle Aufmerksamkeit und Ach» tting zu verdienen schien. In einer solchen Ver­ fassung kan mir unmöglich ein übelgesinnter Aus­ druck entfahren seyn. Habe ich den Vorttag des Herrn R. verstellt und verdrehet? Wenn ich es gethan hader so ist es gewiß nicht mit Vorsatz geschehen. Wenigstens wüßte ich nicht, waS mich dazu veranlasset haben Kate? Ich habe kein anders System von de» Trieben der Thiere, das ich durch dergleichen Ranke empor zu bringen hoffen kann. Mein zeit­ liches Glück hängt auch auf keinerley Weise weder von der vorherbcstimten Harmonie, noch von ir­ gend einer andern philosophischen Meinung ab, daß ich es jemanden verargen könte, der Erinne­ rungen dawider macht, daß ich ihn sogar deswe­ gen

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fltit auf eine so nnrcdliche Weise chikaniren sollte. Habe ich die Gedanken des Herrn R. anders vor­ getragen, als ich gesollt; so ist es auS Unachtsam­ keit, oder wenn man lieber will, aus Unwissen­ heit geschehen. Sie wissen; ich bin auf der phi­ losophischen Fechtschule ein Fremdling, und in den Regeln derselben sehr schlecht unterrichtet. Ich gebe mir Mühe eines andern Gedanken zu begrciffen, und wenn ich sie begriffen zu haben glaube; so führe ich dieselbe so an, wie ich sie ver­ siehe. Ob ich di» Nehmlichen Worte anführe, deren sich jener bedienet, oder andere an ihre Stelle setze, die mir denselben Sinn $u haben scheinen, darum bekümmere ich mich nicht. Die­ se dialektische Behutsamkeit ist nöthig, so ost man disputirek, auf Universitätsart, um Recht zu ha­ ben, um seine eigene Meinung über die Meinung eines andern zu erheben, kurz, so ost man »neu Gegner hat, den man durchaus besiegen, oder mit Schande jürück treten muß. Ich habe nie, mals weder Lust noch Gelegenheit gehabt, mich in einen solchen gelehrten Zweykamps einjulassen. Ich lese ju meinem Vergnügen, ich erzehle Ihnen, A 4 was

was ich gelesen, tu Ihrer Nachricht, und mache Einwürfe, nicht um Recht ju haben, sondern um zu lernen, um Ihnen i» teigen, daß ich mit Nachdenken lese, um den Vers, wenn meine Er« inncrungen einigen Schein, haben, Gelegenheit zu geben, seine Gedanken in ein helleres Licht m si» tzcn. Dieses sind einzig und allein meine Absich« ten, so ost ich Ihnen schreibe, und daher bind« ich mich an keine Regeln der Disputirkunst. Ich bin so weit von dem Besorgnisse entfernt gewesen, durch meine Anmerkungen den Hru. R. zu beleidige«, daß ich vielmehr dafür hielte, es müsse einem Manne von seiner Denkungsart an, genehm seyn, eine Recension von seinem Werk« zu lesen, die etwas mehr als einen blossen Auszug enthielte, die ihm zu erkennen gebe, was ein an« derer bey Durchlesung seines Werks gedacht, und was in seinem Buche etwa für Leser meines glei» chen noch undeutlich seyn dürste. Er kann un« möglich, dachte ich, an dem kriechenden Tone eines Schülers Geschmack finde«, der mit einer dummen Bewunderung nachbetet, ohne;u dem ßen, und Beyfall giebt, ohne verstanden zu haben. Em

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9

Ein ungrheuchelter Widerspruch muß einem Mann, der nicht nur gelesen, sondern verstände« seyn will, weit angenehmer seyn. Aber daß mir Herr, R. Schuld geben werde, ich wollte sein System lächerlich uiachen, seinen Vortrag beflis, sentlich verdrehen, dem Leser Staub in die Au« gen streuen, um den Beyfall zu verringern, mit welchem sein Werk ausgenommen worden, titi solcher Argwohn ist mir so wenig in den Sinn ge­ kommen, daß ich in der That nicht wenig erstaunt hin, als ich ihn rum ersten male wahrgenommen. Eine Stelle in meinen Briesen, über welche Herr R sich am meisten bcschwchret, ist die, wo von hem Weinen, den Bewegungen und Gcberde« -er Kinder, die Rede ist. Er spricht in dem An, hange (h. 29 ) nIch möchte aber in der That „wohl wissen, wie der Pers, allen Entfach und „Scheu für sich selbst hat überwinden können, „daß er mir, wider meinem klaren von ihm selbst „angeführten Worte andichtet, als ob ich bcwei,,sen wollte; die Kinder übten ihre Bewegungen „ans Absicht; das Weinen um Mitleid zu erre» „gen, die Minen um ihre Gemüthsbewegungen A 5 ».durch

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—~i-

„durch diese Zeichen |u erkennen zu geben.

„Ich

„weis nicht, spricht er, * was Hr. R hierdurch ^»beweisen will. Wo ich nicht irre; so gilt der

„Einwurf der Epikurer vollkommen, die Kinder „weinen nicht um Mitleiden ;«erregen; svu-

„dern sie erregen Mitleiden, well wir aus.eigener Erfahrung wissen, daß das Gefühl der Schmer« ,,;cn von solchen Tönen begleitet zu werden pfle„get.,. Soll dieses ein Einwurf gegen meine» „Beweis seyn; so muß er setzen, daß ich behaup„ten wollte die Kinder weinten aus Absicht, um „Mitleid zu erregen- Run hatte der Vers, selbst „ meine eigenen Worte ans derselben Seite an„geführet, da ich sage: „Dieses ist der Kinder „ihre erste natürlich bestimte Fertigkeit, ohn» „daß sie selbst wissentlichen Vorsatz haben,

„daß dadurch ein zu Mitleid»« reiyender „Laut sollte ausgedruckt werden. „ — Wik mut'? Ist nicht hier die Verfälschung offenbar?—.

Mm Verzeihung! Niemals habe ich den Herrn R. die Meinung andichten wollen, als weinten die

Kinder aus Absicht, nm Mitleiden zu erregen. Ws » S. Briefe.

8Ur Theil S. m-

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II

Wo sage ich dieses? Oder wenn ich dieses hätte thun wollen, warum hätte ich wohl seine eigene

Worte angeführt, die offenbar das Gegentheil be­ haupten. Allein Herr 91. hat (§. 139.) die Fer­

tigkeit der Kinder durch Minen und Bewegungen ihre Gemüthsbeschaffenhcit zu erkennen zu geben, eine angrbohrne Rnnstfertigkeit genennt. Ich schloß hieraus, daß Herr N. der Meinung sey,

den Kindern sey j. V- die Fertigkeit zu weinen aus keiner andern Ursache angebohrcn, als damit sie MiÜcidcn erregen mögen, ob sic gleich selbst die, scn wissentlichen Vorsatz niemals haben, denn nur in diesem Verstände kan solches eine angebohrne Kunstfertigkeit genennt werden. „Da

„wissen auch jarte Kinder, spricht Herr R. an „der angeführten Stelle, von Natur ihre Ges „mäthsbefchaffenheit und Leidenschaften, Ver„gnügm, Begierde, Schmer, und Furcht in ih„ren Minen gleichsam zu mahlen und abjubid „den. —- Allein eben diese Stellung, Minen

„und Geberden lassen sich auch, durch fleißige „Uebung, von Rednern, Schauspielern, von „Heuchlern und Gauklern ausdruken. --- Alsbcnn

«denn heißt ein jeher solche Geschicklichkeit in dm „Minen eine Kunst, tptil sie durch Uebung M Fertigkeit gekracht ist. Ist es aber darum we,, Niger eine Kuustserrigkeit, weil sie uns anqebo-

„ren ist.,. Ich glaubte also, Herr R. wolle hierdurch beweisen, daß die Natur auch bey den Menschen den Manges der Vernunft und des Überlegten Vorsatzes, durch angebohrne Fertig­ feiten vnh determinirtc Kräfte yi ersetzen pflege,

und so wie Erwachsene z B. weinen, umMttleidcn t» erregen; so liesse die Natrir auch Kindex zu diesem Endzwecke weinen. Ich sage hierauf: .»Wo ich nicht irre; so gilt hier der Einwurf der „Epikurer vollkommen, so einsaitig er auch in „den Fallen ist, in welchen sie ihn anzubnngen, „gedenken. Die Kinder weinen anfangs nicht „um Mitleiden ;u erregen, usw. Hierdurch wollte ich zu verstehen geben, daß man in beson­ dern Fällen nicht allezeit aus hem Erfolge aus die ursprüngliche Absicht der Natur schliessen könne.

Das Weinen ist den Kindern nicht als eine Kunstsertigkeit gegeben worden, um Mitlciden zu erre­ gen, sondern diese Bewegung der Muskeln iß mit

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einer gewissen leidenden Gemüthsbeschaffenheit durch natürlich wi'irkcnde Ursachen verbunden, und erregt nur deswegen Mitleiden» weil wir aus eigener Erfahrung wissen- daß das Gefühl der Schmerjen von solchen Tönen begleitet ;u werden Pflegt. Wenn dieses wahr ist- so ist die Fertig­ keit zu weinen keine angeborne Kunstfertigkeit zu nennen, denn die Erwachsenen- die Redner, Schauspieler n. s. w. weinen um Mitleiden jn er­ regen, bey den Kindern aber hak das Weinen nur zufälliger weise diese Wurkung, indem wir von der Wirkung auf die Ursache schliessen. Hr. R. fragt zwar, „warum will die Seele z. B bey ».einem Schmerze im Fusse, daß die Lunge zum »»Schreyen angestrengt, und das Gesicht zu einer ».weinerlichen Mine gezogen werde. „ Allein die Ursache des erstem ist so schwehr vielleicht nicht zu errathen. Man weis ans der Erfahrung, daß das Schreym und Weinen die Schmerzen lindert. Ueberhaupt wird durch eine jede heftige Bewegung in einem gesunden Theile de- Leibes, die Schmer­ zen an einem andern Theile gemildert, daher ma» bey heftigen Schmerzen mancherley Bewegungen w»

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vorzunehmcn, |U stampfen, zu laufen, sich in di« kippen zu beissen u s. w. pflegt. Das Schreye» ist eine heftige Bewegung, die uns sehr leichte ankömt, dabey wir auch den Vortheil haben, daß wir durch den gewaltsamen kaut die Sinne be­ schäftigen, wodurch der Eindruck des Schmerzens etwas verdunkelt wird. Die Linderung der Schmerzen scheinet also der vornehmste Endzweck des Weinens und Schreyens zu seyn, und die Erregung des Mitlcidens ist nur eine zufällige Wirkung, die hernachmals auch zur Absicht wer­ den kan. — Dieses waren eigentlich meine Ge­ danken, aber nicht, daß ich dem Henn N. die Meinung andichten wollte, als weinten die Kin­ der aus wissentlichem Vorsatze., um Mitlcide» zu erregen. Die Worte, die Rinder weinen um Mitleiden zu erregen, deren ich mich be­ dient, begreiffen eben so wenig, und noch weit weniger einen wissentlichen Vorsatz in sich, als der Ausdruck, da wissen auch zarte Rinder ii. s. w. den Herr R. selbst hat. Ich wollte nm so viel sagen, den Rindern ist von ttatuOdas weinen nicht gegeben, »m Mitleiden zu erregen

erregen ». s. w. Meine Gedanken können falsch und irrig seyn, aber Sie sehen doch so viel, daß ich sie aufrichtig gehabt habe, und sie ohne allen Entfach und Scheu für mich selbst zu über« winden, vortragen konte.

Daß ich (S. 264. u. s) die genauere und am gebohrne Bestimmung des Herrn R. eine uner­ worbene und eingepflanzte Richtung genennt, ist nach meiner Weise keine solche Mishandliing, M Hk. R. glaubt. Ich habe ja vorher (S. 251 u s.) diese seine Hypothese, so viel ich davon ver­

standen, deutlich genug auseinander gesetzt. Ob ich in der Folge, wenn von derselben die Rede ist. Und ich nur mit einem Worte anjeigcn will, was ich meine,' Richtung anstatt Bestimmung sage, da doch der Leser meine vorige Erläuterung noch in frischen Andenken haben muß, schien mir voll­ kommengleichgültig. Wie gesagt! die dialektische Behutsamkeit ist mein Fach nicht. Ich gehe nie­ mals mit falschen Auslegungen nm, und besorge

auch keine. Ich sage ferner; „ Es lasse sich schwerlich erwei-

»,sen, daß die Fertigkeit, die Augenaxrn tu richten

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„in einer gewissen Distanz vorzustellen ang^ »,borcn fty... Abermals eine Verdrehung mei­ ner Worte und Meinung? ruft Herr R aus. O! daß doch Herr R allenthalben Verdrehungen finden will! ».Ich sage nicht, fährt er fort, daß », es uns angeboren sey, die Dinge in einer ge„ wissen Distanz vorzustellen, sondern sie vor „Und ausser UnS Zu stellen.,, Ich finde diese beiden Redensarten noch immer gleichbedeutend. Wenn eS ein Vorzug des Gesichts von den unedlern Sinnen des Gefühls, Geschmacks und Ge­ ruchs seyn soll, daß wir die sichtbaren Dinge vor uns und ausser uns stellen; so müssen wir sie auch in einiger Distanz vor UNS stellen; denn was ich Mik den Fingern betaste, stelle ich mir auch als ausser mir seyend vor, aber das Gesicht hat den Vorzug, daß es die Dinge in einiger Distanz vor sich stellt.

ihre Beschluß folgt künftig.

Briefe, die neueste Litteratur betreffend. II. Den 8. Julii 1762.

Beschluß des zweyhundert und zwey und vierzigsten Briefes. ^>as vor und ausser uns stellen des Herrn R. muß also so viel bedeuten, als in eini­ ger Entfernung von uns vorstcllen. Dieses habe ich wenigstens unter den Worten des Herrn R. verstauben, und ich habe sie so ausgedrückt, wie ich sie verstanden habe. Ja! sagt Herr R. »»Wenn man jenes hört, so klingt es so, als wir „von Natur die Weite der Entfernung oder die „Grösse des Abstandes wüßten.,, Es klingt so! Also habe ich mich ungeschickt ausgedrückt. Also hätte ich anstatt in einer gewissen Distanz, lie­ ber behutsamer in einiger Distanz sagen sollen. Um zu zeigen, daß wir zwar die sichtbaren Dinge fünfzehnter Theil. B uns

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uns von Natur in einiger Entfernung vorstelleth aber diese Entfernung ohne anhaltende Uebung nicht messen können. Ist es aber deswegen eine abermalige Verdrehung seiner Worte und Mei­ nung? Habe ich ihm denn würklich die falsche Meinung jugeschricben, nach welcher meine Wor­ te etwa klingen? Oder muß nicht ein jeder geste­ hen, daß ans meinen übrigen Worten nichts der­ gleichen zu schliessen, und das alles übrige in meinen Anmerkungen stehen bleiben kann, ich möchte diese, oder jene Redensart an die Stelle der gebrauchten übelklingenden Worte sitzen; Ja die Erinnerungen, die ich daselbst (S. 265.) wi­ der die Meinung des Herrn R- vorbringe, gebe« gar deutlich zu erkennen, daß ich dieselbe weder gemishandelt, noch unrecht ausgelegt, sondern bey den in einer gewissen Distanz vsrstellen in der That nichts anders gedacht habe, als Herr Si. bey seinem vor und ausser «ns stellen. Endlich soll ich wider die Fertigkeit, die Bil­ der des Gesichts umzukehren, (lüf eint listige Weise gestritten haben. Ich soll ein Haufen Di»

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bewiesen haben, die nicht jur Sache gehörenUN- die Hauptfrage ganz übergangen seyn. —« Unö dieses heißt auf eine listige Weise streiken?—» Q Herr R. hätte immer einfältige dafür setzen könnens damit wenigstens meine Aufrichtigkeit vaangrsochtrN geblieben wäre Jedoch wir wol­ le» schm! Sit haben die Erklärungßart gelesendie ich (S. 268. u. f.) ans den ttiyliusschen Schriften ansühre, wie eS möglich sei), daß sich die Gegenstände in imsern Augen würklich umkehten, «nd wir sie uns gleichwohl nicht anders vopstrllM- als wenn sie sich nicht umkehren sollten. Es ist unnöthig, diese Stelle hier abjuschrcibendenn Sie habe» unsere Briefe vermuthlich zuk Hand, und könne» sie nachschlagrn. Herr R. glaubet, daß alles, was ich daselbst ansühre, nichts erkläre, und die Hauptsache gar nicht be­ rühre. Set» Haupteinwurs dawider ist dieser: .»Wir heisse» in unserm Körper, spricht er, und „so in den umstehenden Körpern denjenigen Theil, „Oben, der unsern Scheitel nährt ist, als der „Fußsohle; Unten aber denjenigen, der unserer B s „Fuß-

„Fußsohle näher ist, als der Scheitel. Weint „mm ein Mensch vor mir stehet, den ich sehe; so „sind seine Füsse in meinen Augen meinem Scheitel „näher abgcbildet, als die übrigen Theile, solg„lich nach oben abgcbildet; hergegen sein Kopf ist „in meinen Augen meinen Fußsohlen naher abgv „bildet, als die übrigen Theile; folglich nach um „ten abgcbildet. Dennoch, wenn ich mir den „Menschen selbst nach diesem Bilde ausser mir „vorstelle, so stelle ich mir seinen jtopf dem meint« „gen naher vor, als seine Füsse, und seine Füsss „ den meinigen näher, als seinen Kopf. Folglich „kehre ich die Theile des Bildes nach der Vorstet„ lung des Gesichts um. „ Nichtsweniger als die­ ses, spricht inylius. Dieses ist doch wohl die Hauptfrage, nicht so? Wenn ich also hierauf ant­ worte; so kann man unmöglich sagen, daß ich die Hauptsache unberührt lasse, und mich amusire rin Hausen Dinge zu beweisen, davon die Frage nicht ist. Nun wohl! Meine Antwort ist mit wenigen Worte diese: Freylich würde ich dett Kopf dieses Menschen meinen Fußsohlen, und sei­ ns

ne Füsse meiner Scheitel näher sehen, wenn ich mich selbst anders, als vermittelst der Augen sehen fönst. Da ich aber mich selbst nicht anders sehen kann, als vermittelst des Bildes, das sich von mir selbst in meinem Ange abmahlet; so wird mein eigenes Bild gleichfalls von den sich im Auge durchkreuzenden Strahlen das oberste Unterst abgeschildert, und daher kömmt im Augenbildchen der Kopf des Menschen, der vor mir stehet, meiner Scheitel, und seine Füsse meinen Fußsohlen (in so weit solche gleichfalls aus der Hintern Wand deS Auges gbgrmahlet sind) näher zu stehen, so wie sie in der Natur ausser dem Auge würklich sind. Wenn ich cs merken sollte, daß die Strahlen den Gegenstand ans der Hintern Wand des Auges um­ gekehrt abmahlen; so müßte entweder mein eige­ nes Bild, oder etwa das^Pild eines einzigen Ge­ genstandes unverändert bleiben, unö sich in mei­

nem Auge so abmalcn, wie der Gegenstand in der Natur würklich an;utreff.n ist Da sie sich aber alle umgekehrt abmahlen, da mein eignes Bild selbst in meinem Auge das Oberste Unterst zu sieB 3 Heu

rs hen kömmt; so mahlet sich, was meiner Scheites naher ist, auch im Ange derselben näher ab, und was ausser mir den Fußsohlen näher iss, wird, auch im Bilde den daselbst abgemahlten Fußsohlen Näher seyn müssen; Daher denn uns alles so scheinen muß, als wenn sei» Bild von den sich im Auge durchkreutzcnde» Lichtstrahlen gar nicht um» gekehret worden wäre. Hieraus beziehet sich das Beyspiel von eiuein Bildchen in der Camera obfcora, das ich in meinem Briefe angeführt Daß durch diese allgemeine umgekehr te Warnehmung de? sichtbaren Gegenstände daS Gefühl, fa wie die übrigen Enrpßndungen nicht verwirret werden können. hat Herr Mylius in seiner Ab­ handlung gar deutlich aufeinander gesetzt. Doch dieses gehört nicht völlig zur Hauptfrage.' Ge­ nug! Sie sehen, daß ich bey dieser Gelegenheit nichts weniger, als auf eiue listige Weise zu Wer­ ke gegangen. Ich muß vielmehr so unglücklich ge« wesen seyn, mich entsetzlich links ausgcdrukt zu ha­ ben, weil ich sehe, daß em Mann wieHr Reimarus mich so. unrecht verstanden hat, denn er wen­ det

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2Z

bet ganze vier Seiten an diese Erklarungsart des Herrn Myliu» zu bestreiten, und ist noch immer im Zweifel, ob es nach derselben wahr oder nicht wahr sey, daß die Vorstellung die Bilder um­ kehre.

Hm R. behauptet in seinem Werke von den Trieben, es sey uns eine Fertigkeit angeboren, den Gegenstand eines Bildes, nach dem Maaffe des einfallenden Winkels, in der Vorstellung grösser zu machen, als das Bild ist- Ich erinnere (S. 278. u. f.) dawider: die Bemerkung an sich, daß wir uns den Gegenstand des Bildes grösser vorstcllen, als das Bild ist, diese Bemerkung sey noch ungewiß. Denn woher wisse« wir, wie groß der einfallende Winkel ist, ob er grösser, eben so groß) oder kleiner sey, als die Vorstellung, die wir uns von dem Gegenstän­ de machen? Etwa weil unser ganzes Auge so groß nicht ist, gls wir uns die Gegenstände vorstcllen? Und woher wissen wir die Grösse unseres Auges, vdcr unseres ganzen Leibes zu schätzen? Vermuth» D4 lich

lich weil wir Menschen und Menschenaugcn, «nß selbst gesehen und betrachtet haben, da wir denn wahrgrnommcn, daß wir uns gewisse Gegenstände grösser vorstellen, als uns selbst, und hieraus will man also schliessen, daß wir uns die Gegenstände auch grösser vor stellen, ass die Bilder sind, die sich von ihnen auf einem Theile unseres Leibes, in unserm Auge nehmlich, abmahle. Allein wer siehet nicht, daß wir in allen diesen Fallen Bild mit Bild, einfallendcn Winkel mit einsallendcn Wim kel, aber niemals Bild mit Begriff oder einsallenden Winkel mit. der Vorstellung .der Gegenstän­ de haben vergleichen können? Wir haben wohl gesehen, daß das Bild, oder der einsallcnde Win­ kel vor unserm ganzen Leibe so groß nicht sey, alS das Bild oder der einsallcnde Winkel von gewissen äusserlichen Gegenständen. Wir können also schliessen, daß das Bild des Gegenstandes, wenn wir es vermittelst der Augen sehen sollten, unS nicht so groß scheinen würde, als uns der Gegen­ stand scheinet. Woher wissen.wir aber das Bild in unserm Auge, mit der Vorstellung, die wir unS

uns von der Grösse des Gegenstandes machen |u vergleichen, und wodurch wöllen wir schliessen, daß jenes kleiner seyn müsse? — Ich sagte daher an dem angeführten Orte, die ganze Schwierigkeit, die einige Naturforscher bey dieser Erscheinung zu finden glauben, beruhe nun auf einer Unrichtigkeit im Ausdrucke- Wir sprechen: wir stellen uns den Gegenstand grösser vor, als das Bild davon im Auge ist. Wenn wir dieses sollten wahrnehmen können; so müßten wir von einem und demselben Gegenstand zwey Begriffe haben können, einen von der Grösse des Gegenstandes selbst, und den andern von der Grösse seines Bil­ des im Auge, um diese beide Grössen mit einan­ der vergleichest zu können. Da aber dieses nicht geschiehet, da das Bild und die Vorstellung des Gegenstandes ein und derselbe Begrif ist, und nicht anders getrennet werden können, als wenn man das Bild selbst wiederum als ei­ nen äusserlichen Gegenstand betrachtet; so kön» ncn wir mit Grunde der Wahrheit nichts weiter behaupten, als dieses: wir sehen die (gegen# B 5 stände

LS stände grösser, als wir ihre Bilder sthen würden, wenn wir sie von aussen betrach­ ten sollten. Diese Bemerkung aber hat nichts sonderbares, nichts, das man aus einer angcborncn Fertigkeit erklären wüste. Denn freylich muß das Bild des Bildes kleiner seyn, als das Bild

des Gegenstandes! *— Rein! spricht Hr. R. im Anhänge, der D- des Brieses verändert die Fra­

ge, „denn er macht beides, das Bild im Auge „und den abgebildetcn Körper znm äusserlichen „ Gegenstände des Gesichts. Die Frage aber ist, „ wen« gleich das BW im Ange kein äusserer Ge„genstand des Anges wird, sondern, so tvie eS „ist, als rin Gemälde auf der Hintern Wand des Anges betrachtet wird, ob kein gemeinschastli„chcs Maaß der Grösse sey, wodurch dieses mit „seinem Urbilde könne verglichen werden? Ich „sage ja: Der Winkel des gebrochenen Licht» „firahls giebt von beiden die Grösse; wenn ich „den weis, so kann ich so wohl bestimmen, wie

„groß das Bild im Auge von einem gegebene!» „Gegenstände seyn müsse, als im Gegentheile, „Wik

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„wie Vielmahl der Gegenstand in Gcgrnhaltung „des Bildes grösser werde.,, Ich betheure es Ihnen aufrichtig, daß ich von diesem Raisonnement nichts versiehe. Ist die Frage denn, ob der Gegenstand an und für sich selbst grösser sey, als sein Bild? dieses wird ja zugegeben. Man will aber behaupten, Saß wir uns den Gegenstand grös­ ser vorstellen, als das Bild ist, und diese« Wird eigentlich geleugnet. Hr. R. muß also be­ weisen, daß die Grösse, welche wir mit dem Slngenmaasse einem Gegenstände in der Vorstellung zlischrcibck, sich nach der wirklichen Grösse diese« Gegenstandes, und nicht nach der Grösse des Bil­ des richte. Dieses ist eigentlich die Hauptfrage, und dieses kann unmöglich erwieseu werden. Denn wir haben von dem Urbild» keinen andern Begris, als vermittelst deS Bildes, und die Vorstellung de« Bildes in der Seele machet de» Begris ans, Yen wir von dem Gegenstände haben. Woher weis ichs, daß meine Seele bey Beurtheilung der Grösse sich nach den Gegenständen selbst, und picht nach ihren Bildern richte? Ich weis wohl, so

so bald die Seele die Entfernung und Deutlichkeit beurtheilen lernt; so schließt sie sehr oste daranauf die Grüsse, und dieses Urtheil von der Grüsse

pflegt sich zuletzt in die Empfindung zu mischen,

und das Augenmaaß zu berichtigen.

Allein die­

ses sind alles erworbene Fertigkeiten, und davon ist die Rede nicht. Von Natur aber können wir die Grössen nicht anders beurtheilen, als nach hem Maaffc der Bilder, die Hr. N. selbst geste, het, und ich glaube, daß wir uns die Gegenstän­ de nicht grösser vorficllcn, als ihre Bilder sind, Wenigstens kann uns keine Erfahrung in brr Welt von dem Gegentheile überzeugen, denn wenn wir die würckliche Grüsse der Gegenstände erkennen

wollen; so müssen wir immer zu ihren Bildern zurückkehren, und wenn wir vergleichen, so ver­ gleichen wir Bild mit Bild, Vorstellung mit Vor­ stellung, Gegenstand mit Gegenstand, aber wip vergleichen niemals weder Bilder mit Vorstellun­ gen, noch Vorstellungen mit Gegenständen, denn diese haben kein gemeinschaftliches Maaß hex Grösse. —*

Ich

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29

Ich breche hier ab, um nicht das Ziel ;u über­ schreiten, das ich mir vorgesetzt habe. Meine Absicht ist keiueswegcs alhier den Hrn. R. zu wiLerlegen, oder die Gelegenheit zu erschleichen, das letzte Wort zu haben, indem Hr. R. am Ende des Anhanges zu verstehen giebt, daß er Nicht lnrhr antworten wolte. Sie sehen auch, daß ich die Hauptsache, worauf es hier ankommt, die genauere Determination der Lrafte, und verschiedene andere damit verbundene philosophische Sätze, in Ansehung welcher ich nicht völlig mit Hrn. R. einstimme, mit Stillschweigen übergehe. Wenn ich anders der listige Wortverdreher bin, für den mich Hr. R. zu halten scheinet; so kann es mir doch wohl vermitthlich nicht an Ränken ge­ fehlt haben, uvch in der Hauptmaterie eines und das andere zu chikaniteit. Allein, eben diese Be­ schuldigung wollte ich nun vor de» Augen dePublikums von mir ablehne««. Ich wollte zeigen, daß ich weder List, noch Untreue, weder vorsetzliche Verdrehung, noch sonst muthwillige Fechter­ fittiche gebraucht, sondern bloß meine Gedanken, ft

so gut oder so schlecht sie waren, vokgckrägra habe. TLenn ein elender Dichter oder Ucbersctzrt mir verhaßte Absichten Schuld giebt; so lache ich da;». Aber von einem Reimaruo kränkt mich rin solcher Vorwurf in dir Seele.

D.

Zwey-

3i Zweyhunderr und drey und vierzigster Brief.

(Sie haben von IHM Freunden noch tveiiij

Dkrthcidigungkn gelesen, obgleich die Anfälle aus die Briefe die neueste Litteratur betreffend eben nicht sogar selten sind. Wenn wir unsere Meinung von einer Schrift gesagt haben, wenn sie der Versaffer durch einige Gründe zu verthei» digen für gut gefunden hat; so erwarten wir mehrentheils ganz gelassen, was die Welt urtheilen wird, ohne ihr Urtheil durch weitere Vertheidigung zu stören. Wir schmeicheln uns zwar nicht, daß uns die Richter alle, oder allzeit, Recht ge­ ben werden; aber die von uns jedesmahl angeführten Gründe machen uns die Hosvung, daß man uns weder durchgehends, noch einstimmig verdammen werde, und daß die Kosten wenigstens compenfitet werden dürften. Nicht so gleichgültig können wir seyn, wenn man, anstatt unsere Meinungen zu widerlegen, uns böse Absichten und niederträchtige Gesinnungen Schuld

Schuld geben will. Eine solche Beschuldigung kann keinem Schriftsteller, dem sein gutes Gcwissen keiner Winkelzüge zeihet, gleichgültig seyn» Zwar haben wir solche Beschuldigungen mehr als einmahl verachtet, wenn sie von Leuten herkä­ men, deren schlechte Denkungsart, einem unpakthriischen Leser, so offenbar in die Augen fallen müße, daß eine weitere Vertheidigung ganz um nöthig war; Da wir aber so unglücklich gewesen sind, selbst von einem Manne, der aller Hoch­ achtung würdig ist, solcher Gesinnungen beschul­ diget zu werd«, so Habe» wir nicht ggnz schwei­ gen können, so ist der Brief entstanden, den Sie am vorigem Posttage von unserm D« empfange» haben. Der Beschluß folgt.

Briefe, die neueste Litteratur betreffend.

III. Den I s. Julii 1762.

Beschluß des zweyhundert und drey und vierzigsten Briefes.

unser Freund einmat diesen Punkt ;u seirx-/ ner Vertheidigung zu berühren genökhiget worden; so erlauben Sie mir, daß ich diese Gele­ genheit ergreift, um die Beschuldigung von unS abjulrhven, mit welchen von allen Seiten in unt gestürmt wird. Ohne mich auf die Anklage diefts oder jenes Schriftstellers insbesondere eüijulassen, werde ich mich überhaupt über das erklä­ ren, was hin und wieder mündlich oder schriftlich wider die Briese ringewendrt worden. Es wird daraus erhellen, in welchen Gesinnungen unsere Briefe geschrieben worden; Ob dis die achten Gefinnungen sind, die ein Kunstrichter Haven sollte, Fünfzehnter Theil. C und

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und ob sie würklich in unsern Briefen herschcn, mag abermals die unpartheiischr Welt beurtheilen. Es mißfällt vielen, daß wir unsere Mei­ nung gar ;u offenherzig, gar zss ohngescheut, sagen. Man setzt voraus, daß man bey Entdeckung seiner Meinung einen gewissen An­ stand beobachten mässe. Dis laugnrn wir nicht; nur ist die Frage, wie weit sich dieser Anstand erstrecken solle; denn Grenzen müssen ihm doch gesetzt werden, wo er nicht, wie gewöhnlich, in eine seichte Afterhöflichkeit ausatten soll» öle eines frrygebohrne- Menschen unwürdig ist, und in drk-That mehr beleidigen, als gefallen muß. Sollen wir diesem Anstand zufolge, niemals mit einem berühmten Manne verschiedener Meinung seyn dürfen, ohne vorher demüthigst um Verge­ bung zu bitten, daß wir so kühn sind, mit unsern Augen, nicht mit dm Seinigen z« sehen? — Es ist wahr, die Mode hat in Deusschland diese» kriechenden Anstand ringefühxet, aber wmn die Mode ausschweist; so ist es erlaubt, so ist cs an­ ständig,

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3s

ständig, sich derselben zu widersetzen. Wenn un­ sere berühmte Leute von den Vorurtheilen dieser Mode jurück kommen werden; so wird ihnen un­ sere ungehcuchclte Vertraulichkeit weit besser gefal­ len, als jener kriechende Bcttlerton, in welchen jeder wohlbeklcidete Mensch Excellenz betittelt wird» so daß für die wahre Excellenz kein Vorzug übrig bleibt. Wir lassen die Hochachtung für die Per­ son ungekränkt, aber von den Meinungen weiche« wir ohne Complimente ab, und sollten es auch die Meinungen des größten Mannes auf Erde« seyn. Der größte Mann, der mir seine Mei­ nung anbietet, der sie mir durch Gründe einrede« will, ist in diesem Augenblicke weder Doktor, noch Professor; sondern ein Mensch, wie ich, dem ich wohl ungescheuet widersprechen darf.

Vielleicht erfordert dieser Anstand, daß wir den elenden Schriftstellern nicht so oft die Röche ins Gesicht jagen, (wenn anders noch einige un­ ter ihnen roth werden können), indem wir ihnen mit trockenen Worten sagen, wie eiend sie sind?—C 9. &

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Es ist wahr! die Liebe würbe auch diese Gelindig­ keit anständig finden. Allein, in gewisses Um­ ständen wird dieses sanfte Wesen jur Heuchelei), und in solchen Fällen würde man die Sache du Wahrheit Mid des Geschmacksverrathen, wenn man fich eine übertriebene Zärtlichkeit abhalten liesse, die Geissel der Critik mit Nachdruck ju führen. In diesen Umständen erfordert cs eines jeden Knnsirichtcrs Pflicht, seine Meinungen über die Werke des Geschmacks, öffentlich mit derselben Freymüthigkcit hcrauszusagen, mit welcher er sie in einem kleinen Zirkel, vor Freunden «nd Krimern hersagen würde. Und wir behaupten, daß sich Deutschland in eben diesen Umständen befinde.

Zn den Ländern, wo eine einzige Hauptstadt der Sitz der Gelehrten vom ersten Range, und zugleich der grösten Anzahl der Leute ist, die Ge­ lehrsamkeit und Geschmack besitzen, sind schriftli­ che Recensionen, öffentliche freymüthige Urtheile von peuen Büchern, nicht so höchstnöthig. Dis «euen Schriften werden leicht bekannt, in alle» Gesell-

Gesellschaften wird davon geredet, jedermann ur­ theilet davon ohne Uinständc, nach seiner Einsicht und nach seinem Geschmacke. Hier sind also die Recensionen von keiner Wichtigkeit, und sic wer­ den in diesen Ländern in der That sehr wenig ge­ achtet. In Deutschland aber, wo die Liebhaber der Gelehrsamkeit in vielen weit von einander ge­ legenen Städten zerstreuet sind, sind die schriftli­ chen Recensionen, sonderlich in gewissen Provin­ zen ganz unentbehrlich, und daher in Ansehung eines grossen Theils der Leser von nicht geringer Wichtigkeit. Wärmn sollten denn bcv uns die Recensenten nicht eben so freymüthig und unqchciichelt schreiben dürfen, als man in andern Ländern redet. Die Recensionen müssen in vie­ len Provinzen Deutschlandes, sogar dienen, neue Bücher erst bekannt zu machen. Heißt es nun nicht in solchen Umstände« das Publikum affen, und die Sache des guten Geschmacks verrathen, wenn man dem Leser in einer entfernten Provinz, der sich von dem Zustande der deutschen Litteratur einen Begrif machen will, anstatt einer frrimüthiC 3 gen

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gen Beuttheilung, bloß ein paar nichtsbedenteude Worte sagt, oder sehr mittelmäßige Schriften mit Lobeserhebungen begleitet, denen er, wen« er die Schrift selbst in die Hände bekomt, durch« aus widersprechen muß. Wenn man sich nach den gewöhnlichen Recensionen, von neuen Schrift ten wollte einen Brgrif machen, so wüste man glauben, daß in Deutschland lauter Meisterstücke zum Vorschein kämen. Allenthalben wird aus­ posaunet, wie viel Dank die gelehrte Welt

deni berühmten Verfasser oder dem geschick­ ten Neberseyer für seine vortrefliche Schrift schuldig sey. Wie sehr wird aber mehrentheilS ein Leser, der Geschmack hat, nicht seine Zeit bei seufzen müssen, wenn er diese trcfliche Schriften selbst in die Hand nimmt; er würde es gewiß dem Recensenten ungemeinen Dank wissen, wen«

er anstatt dem Verfasser Schmeichclcyen zu sagen, dem Leser lieber die Wahrheit gesaget hatte.

Dis ist unsere Absicht.

Wir lesen die Bücher

die wir vor «ns Haden, mit Aufmerksamkeit durch. Wir

39 Wir schreiben natürlich unb ohne Umstände die

Empfindungen und Gedanken nieder, die wir bey Durchlesung eines Buches gehabt haben, sie mö­ gen nün Schönheiten oder Fehler oder Aussichten zu weiteren Erfindungen oder Derbcffcrnngcn be­ treffen. Wir geben unsere Meinungen für nichts

weniger als für untrüglich aus, denn wir andern sie selbst gern, wenn man uns eines bessern beleh­ ret; wenn aber ein verständiger Leser, nachdem er unser Urtheil gelesen hat, das Bpch selbst noch­ mals eben so aufmerksam durchliefet, als wir eS durchgelesen haben, so wird er die Richtigkcitunserer Anmerkungen beurtheilen können, so wird er durch unsere Gedanken, wenn er denselben etwa» auch nicht völligen Beifall gönnen köntc, dennoch viclIrichk auf weitere Aussichten geführet werden. Dieses suchen wir zu erlangen, weil es dem Flore der Wissenschaften wirklich jutraglich ist. Aber eben deswegen müssen wir unsere Meinung frey und deutsch wegsagcn, ohne dem Leser durch Complimcnte Staub in die Augen ;u streuen.

Wir

sagen daher gerade ju, daß ein schlechtes Buch E 4 schlecht

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schlecht sey; und wenn der Zustand der deutsche« Gelehrsamkeit vollkommener werden soll, so muß eine Zeit kommen, wo eine solche Offenherzigkeit, weder zum Verdienste noch Vorwürfe, angercch«et werden kann, wo überhaupt, wie in Frank­ reich und England die besten und kühnsten Recensionsschreiber, weder bewundert noch beschimpft, sondern als nützliche Handarbeiter in dem gelehr­ ten Staate angesehen werden, um die sich nie­ mand bekümmert. Einige Leute meinen, daß unsere Briese allzu« witzig geschrieben waren. Dieser Vorwurf kommt mehrenthrils von Leuten her That envy wits as Erwuchs envy lovers.

Diese Leute verbinden mit dem Worte wiy einen weitschweifigen Begriff, und geben zu verstehen, daß wir als blosse wiylmge, keine ernsthafte Urtheile Wen köntcn. Die Verfasser der Briefe über die Litteratur, sind aber nichts weniger als Freunde von dem Misbrauche des Witzes, wie man aus mehr als einem Briefe beweisen könte. Es

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Es ist wahr, wir bedienen uns der natürliche« und ungezwungenen Schreibart, wozu uns der vertrauliche Driesstyl ein Recht giebrt. Ich lasse dahin gestellet seyn, vb eS dem besten Theil unse­ rer Leser unangenehm sey, wenn wir einen trocke­ nen Auszug , ein wenig munter zu machen suchen, ob es nicht zuweilen sehr natürlich sey, sich auf Unkosten eines schlechten Schrisistellers ein wenig lustig zu machen, und ob wir, anstatt uns jemals durch unsere bitterböse Gegner aus der Fassung bringen zu lassen, nicht besser thun, wenn wir sie belachen. Wenn man mit schlechten Schriftstel­ lern zu thun hat, muß man lachen, um nicht vor langer Weile zu vergehen; Aber wir enthalten «ns sorgfältig dieser muthwilligen Laune, so off wir von ernsthaften Sachen zu reden haben, und das Ansehen des Mannes', oder der Wahrheit, unserer ganze Aufmerksamkeit verdient. Eine sehr grosse Anzahl unserer Briese, wirb man eben so wenig - potiori witzig nennrn können, als man die unwitzige Schreibart eines gewissen Zeitungs­ schreibers, der mit dem Vorwürfe des Witzes imC 5 wer

mer am freigebigsten ist, philosophisch ttenntn kann. Ueberhaupt suchen wir keinen Witz, wir

brauchen ihn aber, wo er natürlich seinen Plaz finden kann. Man macht uns ferner den Vorwurf, daß wir m den zu beurtheilenden Schriften bloß

Fehler suchten. Freylich erfordert die Unpartheilichkcit, daß man so aut die Schönheiten als

die Fehler eines Buches anzeigen. Und wir glau» ben, wenn wirkliche Schönheiten in einem Werke vorhanden gewesen, daß wir diese niemals um angezeigt gelassen. Wik haben auch öfters gelm bet, und rin gegründetes Lob mit zwey Worten/

ist vielleicht wichtiger, muß dem Vers, unstreitig angenehmer seyn, als zehen Seiten leere Compli» mente, die andere Recensenten, um einen gewiß sen Anstand zu beobachten, dem Mittelmäßig­ sten zu machen pflegen. Es sind aber wichtige

Ursachen, warum sich rin unpartheiischer und gründlicher Recensent öfters mehr bey den Feh­

lern, als bey den Schönheiten verweilen mvfi» Ich will einige dieser, Ursachen anführen: t)

Es

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1) Es ist bekannt genug, wie sehr die böse wohnheit mittelmäßige Schriften ohne alle Masse zu loben, in Deutschland eingerissen ist. Man sagt nicht zu viel, wann man es dieser allzugrossen Gefälligkeit der Recensenten zuschreibt, daß eine so grosse Menge schlechter Schriften, sonderlich in den schönen Wissenschaften herauskommcn. Es ist also in Deutschland höchstnöthig, daß ein Re­ censent, der die Gründlichkeit liebt, bey der all, gemeinen Sucht zu loben, seinen Augen vorzüg­ lich mit auf die ungemeine Anzahl der Fehler richte, die zum Theil offenbar genug in die Au­ gen fallen, wenn sie der grosse Hausen der Recen­ senten nur sehen wollte. 2) Ein Recensent muß voraussetzen, daß er . für Leute schreibe, die die abgehandelte Materie schon verstehen, nicht für solche, die sie erst lernen wollen. Ist von den schönen Wissen­ schaften die Rede; für Leute die einigen Ge­ schmack haben. Solche Leute empfinden selbst di» Schönheiten, ohne daß in allen Fällen es nö­ thig

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thig.wäre, ihnen solche weitläufig zu jcrgliedrrn. Ein anders ist cs, wenn man Leuten die noch gar keinen Geschmack haben, erst Geschmack bcibringen will. Diesen freilich muß man aus den alten und neuern klaßischen Schriftstellern die Schön­ heiten vorlegen, und sie ihnen empfindlich zu ma­ chen suchen. Gesetzt aber ein Recensent wolte sei­ nen Lesern auch ein solches Collegium lesen , so wurde sich doch sehr leicht zeigen, daß die wenig­ sten Neuern zu Exempeln dienen köntrn, da nur !ehr wenige Bücher herauskommen, an denen viel

Schönheiten zu zergliedern sind.

3) Ist es eine Pflicht desjenigen, der andern Geschmack beibringen will, daß er bey Zergliede­ rung der Schönheiten, auch für den Fehlern war­ ne, so hat ein Recensent noch nöthiger für die Feh­ ler zu warnen, wenn er für eine Nation schreibt, die zwar einigen Geschmack hat, aber deren Ge­ schmack noch nicht gesetzt genug ist, daß sie in al­ len Fällen scheinbare Schönheiten, von wirklichen Fehlern, unterscheiden könne. Daß dieses bey den

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b«.it Deutschen Messe, wird, glaube ich, beina­ he niemand läugnen, der ein wenig in der neue­ sten deutschen Litteratur bewandert ist. Wenn es juma»)l Fehler giebt, die ansteckend sind, soll nicht ein Patriot laut dawider' reden. Seitdem ein berühmter Gelehrter zuerst seinen Namen zu höchstelenden Uebcrsctzuugcn misbrauchcn lassen, haben wir nicht eine Menge Nachahmer gesehen, die säst jedes bekante gute Buch der Ausländer, aufs liederlichste verhunzet haben, und haben wir nicht gesehen, daß man^sic fast in allen gelehrten Zeitungen ohne Untersuchung als vortrcflich angepricsen hat Haben denn nun die Verfasser der Briefe die neueste Litteratur betreffend, sogar unrecht, wenn sie ohne Umstände sagen, aber auch zugleich beweisen, daß ein solches Unwesen der gesunden Vernunft und der deutschen Sprache gleich gefährlich ist, daß die meisten von unsern Uebersetzern, unsere und die fremden Sprachen eben so wenig als die Materien verstehen, die in den übersetzten Büchern abgehandelt werden. Wir haben in allen dergleichen Fällen nur auf die Ehr­ erbietung

rrbietnng gesehen, die man der Wahrheit schuldig ist, und ans andere Umstande dcstowcniger geach­ tet, da wir keine besondere Verbindungen durchzusctzen haben, und von niemand GegcnschmeicheIcycn verlanget. Dahero hat zuweilen dasjenige, was einem andern würde den Mund gestopsct ha­ ben, uns vielmehr zu noch freierm Reden ermun­ tert. Wir wisicn ;. E sehr wohl wie viel Hoch­ achtung man einem Cremer, einem Zacharia, schuldig ist; aber wenn der eine von diesen Gelehr­ ten sehr wichtige Fehler in der Prosc, und der andere sehr wichtige Fehler in der Poesie durch ihr Ansehn autorisiren, so sagen wir noch einmahl so laut, daß dis unausstehlich sey, weil offenbar ist, daß eben die Fehler grosser Leute, bey dem nicht genug bestimmten Geschmack einer Nation am allergefahrlichstcn sind. Wir lassen uns wohl gefal­ len, daß manchem unser Verfahren hart Vorkom­ men mag, wenn nur. wahre Kenner einsehen, wie nöthig es ist.

4) Wir

4) Wir gestehen, daß wir schwer zu befriedigen sind. Wir westen eine Schrift nach dein voll­ kommensten Grad ab, dessen sie fähig seyn könte. Beurtheilen wir L. etwas aus dem Felde dec schönen Wissenschaften, so sind «ns die grossen Beispiele der Alten und der Besten unter den Neuern vor den Angen. Wenn wir manche neue Schrist damit vergleichen, so können wir freilich mit dem Lobe sogar verschwenderisch nicht seyn. Ja so gar gegen so vollkommene Muster gerechnet, scheinet uns manche Schrift gar keine als erborgte und falsche Schönheiten zu haben, und kein Wun­ der also, wenn wir bloß die Fehler sehr nachdrück­ lich rügen, obgleich mancher, der in solcher Schrift noch Schönheiten zu finden glaubt, ver­ langen möchte, daß man auch von den Schön­ heiten spreche» solte. Inzwischen suchen wir keinesweges bloß Fehler aus Tadelsucht, oder aus Liebe ZU Streitig, feiten. Wir suchen die letzteren vielmehr so viel als immer, möglich tu vermeiden. Es ist wahr, die

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die Liebe jur Wahrheit macht, daß wir unsere Meinung frey und ohne Umschweife entdecken, findet sich jemand dadurch beleidiget, so erwiedern wir nicht Schellworte mit Schcltworten, führet jemand eine Vertheidigung, so verlangen wir nicht das setzte Wort zu haben, sondern lassen das Publikum richten.

Dee Beschluß folgt künftig.

Briefe, die neueste Litteratur betreffend.

IV. Den 22* Julii 1762.

Beschluß des zweyhundert und drey und vierzigsten Briefes*

änden wir Lust an Streitigkeiten; so wür­ de es uns sehr leicht seyn, sie ins un­ endliche zu verlängern; denn viele von unser» Gegnern sind sehr rüstige Leute: so aber habe» wir uns möglichst davor gehütet; wir haben unS nie anders, als wenn es nicht ;u ändern war, kürjlich vertheidiget; bloß wenn einige Punkte, die der Gelehrsamkeit nicht gleichgültig waren, dabey tonten abgehandelt werden, sind wir etwas weit­ läufiger gewesen. Wir haben von manchen Sachen, nach Beschaffenheit der Umstände, lieber gar geschwiegen, um nicht in neue Streitigkeiten verwickelt i« werden. Ich will unter sehr vielen Beispielen nur rin rinstges ansühren: SirwunLuntzehnter Theil. D dem

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dern sich viellcicht, daß wir Ihnen von einem ge­ wissen sonst sehr nützlichem und schätzbarem Bu­ che, * das schon vor Jahr und Tag hcrausgrkommcn ist, Nichts gemeldet haben: Dis ist blos «ntcrbsieben, weil wir ;um voraus sahen, daß wir einige Anmerkungen würden machen müssen, welche als das Signal zu der Erneurung eines

Streites, hätten angesehen werden können, in dem man uns durch die härteste Beschuldigungen

schon einmahl zu einer weitläufigen Vertheidigung genöthigct hatte. Eben deswegen haben wir auch von den beiden letzter» Theilen des nordischen Aufsehers ** nichts sagen wollen.

So * Tellers Anmerkungen über bieCramerische Ueber# setziing der Psalmen.

** Zwar hatte uns Herr Cramer, durch folgende Stelle in seiner Dorrede des dritten Bande», ohnedem die Feder gänzlich aus den Händen ge­ wunden. Er sagt: „Ich ersuche meine Leser, „ihre Wünsche mit den meinigen zu verbinden, „daß GOtt mich und alle, die der Welt durch „ Schriften nützen wolle», regieten möge, sich darinnen

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So dreist wir auch unsere Meinung von Bü­ chern gesagt haben, so wenig haben wir jemals gesucht die Verfasser persönlich anjugreifen. Blos in den ersten Briesen ist eine Stelle stehen blieben, die in einem Privatbriefe Platz habm tonte, aber die billig beym öffentlichen Abdrucke hätte weg­ bleiben sollen. Ausser dieser Stelle biete ich einem jeden Wiedcrsacher Troz, nur eine einjige perfoi nalitat anzugeben. Wir reden nur von Schriftstellern als Schriftstellern, niemals von ihrer Person, niemals von ihrer moralischen oder polittzchen Seite. D 2 Wir »darinnen nicht- zu erlauben, «a- nicht zu Der« „herrligung seiner Ehre, »der zur Ausbreitung

»der Frömmigkeit, der Wahrheit, und eine«

„auch ihm gefälligen gurrn Geschmack», ge, „ reichen kann. „

Muste uns hjebey nicht aus

Hagedorn» moralischen Gedichten der Mann in den Sinn kommen, der:

S» schlau, wie ®t. Syran, -en Finger Gattet siehet. Wie war es möglich mit einem solchen Mann­ ferner im geringsten über den guten Geschmack

-« streiten-



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Wir heissen einen Schriftsteller der schlecht ist, ohne Umstände, einen schlechten Schrift« steiler, dis ist aber keinesweges eine Personali' tät, hindern ein Urtheil, das jeder Leser von Ge« schmack auch im Stillen fällen würde. — Schmei­ cheln wollen wir nicht, sondern die Wahrheit sa­ gen, wird diese aber manchem unangenehm, so ist weder die Wahrheit, noch der sie sagt, Schuld daran.

Re.

Zwey-

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fZ

Zweyhundert und vier und vierzig­ ster Brief. wird es endlich müde von Büchern tU schreiben, deren schlechter Styl nicht einmal durch

die Brauchbarkeit des Inhalts vergütet wird. Mas nüjt es Ihnen Bücher »u kennen, dir Sie nicht lesen sollen? Was nü;t es mir Bücher ;u le­ sen, die ich nicht nu;en soll? Man kann freylich bey einer solchen Verschwendung seiner Zeit die tweyfache Absicht haben, seine Nation auf den wahren Zustand ihres Geschmackes aufmerksam zu machen; und in schlechten Schriftstellern das Ge­ fühl der Schaam rege j» machen. Es ist aber schon um dir Erreichung der leztern Absicht ge­ than. Denn Who fhames a Scribbler? foreak One Cobweb thro*; He fpins the fügt seif-pleasing thread anew. Destroy bis fib or Sophistry — in vain, The Creature’s at bis dirty Work again: Thron’d on the Centre of his thin defigns, Proud of a vaste extent of flimzy lines. Pope's Ep..

D 3

Die

54 -----Die andre Absicht erhalt bey der Ausführung zu ihrem Gefolge nur Haß und zuweilen noch mehr, Loch dis benimt ihrem Adel nichts. Einer Nation t» sagen, so weit und noch nicht weiter seyd ihr in eurem Geschmacke; jqt steht ihr an dem Ran­ de, wo ihr — nicht von der gröstenHöhe — denn so hoch seyd ihr noch nicht gestiegen, sonder» von irgend einem Absaze, wohin ihr endlich gelanget, tiefer als vorhin stürzen werdet, wenn ihr euch nicht in acht nehmet. Die andern Nationen sind vor euch, Deutsche! dichte genug an dem Ziele ihrer glorreichen Laufbahn hcrumgefahren; spatere Unter ihren Gemcs walten sich noch dazwischen drängen; und sind deswegen auf Nebenwege aus­ gefahren. Zu eurem Unglücke,'meine deutsche» Brüder! seyd ihr Zeitgenossen von den lczleni, euer zwcydeutiger Geist der Nachahmung preißt sie euch als Muster au: und da eure Periode, die erst aus der Halste ist, mit den andern sckog vollendeten zusammen stößt: so seyd chr in Gefahr den guten Geschmack zu verlieren, ehe er recht stark bey euch geworden ist. Dieses

5T Dieses einer Nation zu sagen, solte doch, glaube ich, etwas «Wehes seyn. Nur durch den ausgebildeten Geschmack wird eine Nation für sich bestehend, wenn ich diesen Ausdruck brauchen darf. Ihre Gesinnungen, ihre Maximen, ihre ganze Denkungsart werden ihr durch die Werke des Geistes bcygebracht. Muß sie diese von frem­

den und sogar neuern Nationen entlehne«: so fin­ det sich darinn entweder immer die Nüancc, wel­ che der Karakter der fremden Nation allen ihren Ausarbeitungen einpragt, oder sie dünkt sich we­ nigstens geringer als die fremde, und hat nicht daS Her; Original zu werden. Warum solte ich es nicht sagen? Waren wir Deutsche vor dreyßig Jahren nur soweit gewesen, als wir jetzt sind; so würde unser Königlicher Schriftsteller zu unserer Ehre ein deutscher Schriftsteller geworden seyn, und er schriebe nicht französisch, wenn er wie ein Deutscher handelt. Halten sie mir diesen Aus­ druck nicht für zu stolz. Ich wolte es wohl aus

der Geschichte erweisen, daß keine andere Nation,

ohne irgend einen Schwindel im Kopse, ohne irgend ein Puppenzeug, ohne grosse Vortheile die ihrvor-

D 4

gehalten

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gehalten werden, unter einerNeyhevonUnglück-« fällen mit gleicher Gedult, gleicher Standhaftigkeit, aushält, als eben die Deutsche. Ob aber daran was gelegen sey, daß ein Volk selbst Original ist: das können ihnen die Jahrbü­ cher der hrrschendrn und dienenden Völker zeigen, wenn sie noch daran zweifeln sollen. Wie können aber die Deutsche sich zu Urbildern erheben, wie könne» es unsre Schriftsteller? Enthusiasmus! liebster Freund, Enthusiasmus! nichts ohne die­ sen; alles, wenn er sich einmal der Nation bemeistert hat. Uber freylich ninß die vielleicht einem anhaltenden Kriege gleich zu rechucn find. Man hat auf einer Seite durch dir häufigern Erlaubnisse znm Heprate« für die Gemeine, und durch Stiftung eigener Armenhäuser für Soldatenkinder dem Uebel et­ was abhelfen; auf der andern Seite es fite nothwendig aus dem Grunde einer geringer« Tapferkeit bey Beweibeten erklären gewolt. Die G ä Hülfe

Hülfe ist unzureichend; der Grund aber nur alSdann wahr, wenn der Soldat nicht für em Vater­ land, sondern blos für Sold streitet, und der

Staat den verdienstvollen Benarbelen darben,

und die Kinder des Patrioteir nach Brodt gehen läßt.

Herr Philippi * behauptet in einer gewissen

Schrift, daß die Soldatenkinder auf dem Lande unter die Bauren zum dienen solten »ertheilt werden Die Schwierigkeit ist freylich, sie erst groß zu ziehen, so weit nemlich, daß sie allcnfals schon zum Hüten der Heerden können gebraucht wer­ den. Wenn eiber bey.Regimentern, deren Be­ fehlshaber ost Zulagen an ihre Soldaten, l blos wegen der Grüsse gegeben haben, eben diese Zu­ lagen auf Bcwcibcte mit Kindern so lange bis sie für die Dörfer tauglich sind, gewendet würden: so dürste diese Erziehung so sehr schwer nicht fal­ len, zumal da in den ersten Jahren die Kleidung ihren Eltern so viel nicht kostet. Nachher werden diese Kinder zur Arbeit gehärtet; der Bauer be­

kamt ' 3. A. Philippi, vergrößerter Staat- gr.r. Frft. und Leipzig- 17$t-

IOI

kamt Knechte und Mägde umsonst, der König

entweder gebohrne Soldaten, oder der Vcdientcnstand einen Zuwachs, der den sonst beträcht­ lichen Abgang auf dem Lande verniindert, oder gar aufhcbt. Wenn die Stiftungen sürdie Kin­ der an Soldatenwitwcn verwant würden, deren Männer im Dienste des Königes ihr Leben zuge-

setzt, und in die Fräulcinstiste nur Offirierwitwcn ausgenommen würden, in welchen Falle gewis^ die meisten Fräulein erst gnädige Frauen werden sol­ len, (und auf einige wenige kömt cs alsdenn nicht an): so dürste alsdann meiner Einsicht nach, der Schade bester aus dem Grunde gchcilct seyn.

Was bisher unter Hindernissen der Bevölke­ rung ist angeführt worden, rechne ich auf physi­ sche Ursachen, weil einjclne Personen durch ihre freye Bestimmung jn einem solchen Hindernisse, das- für sie erwächst, nichts beytragen, ob cs gleich andre moralische Wesen thun können. Nun sind die sittlichen Ursachen noch übrig. Diese bringe ich auf zwo: Aufwand oder Lu­

xus und Sitten. Nennen sie es auch Moden und Sitten. Eine Mode ist die für schöngehal» G 3

tcne

tene Anordnung des nicht nothwendigen im Leben. Unter Sitten verstehe ich die festgesetzte freye Handlungsweise nach dem Karakter, nach Grund»

fitzen und nach Beyspielen. Ich glaube als» Recht zu haben, diese Dinge ;u unterscheiden, ob gleich eins in das andre seinen Einfluß äusser» kann und meistens auffett. Der Herr V hat ein eigenes Kapitel, das die Ueberschrift führt: Yon der Schädlichkeit des Luxus.

Ich kenne keine schwerere Materie

die sich mehr einem allgemeinen Aussprüche wider» setzet, und davon mehr, sowohl für als gegen grschrieben worden. Mir geht eS dabey, wie Po» pen bey den dogmatischen Streitigkeiten: Ich war immer, sagt er, der Meynung des letzten, den ich gelesen hatte. Der Lux-.s auf einen ge­ wissen Grad getrieben, ist schädlich. Die gänzli­ che Verbannung desselben: wo hat sie ihre Gren­ zen? in dem bioffen Zustande der Natur oder dee ungebildeten Gesellschaft, eben so wie der Fort­ gang in de gänzlichen Entkräftung des Staates; hey unserer Handlung, bey den Fabriken, bei­ der Emcheilung der Stände, dir mm einmal qe>

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macht ist: was soll man sagen? das einzige viel­

leicht, das schon gesagt ist; daß er in grossen Staaten seine Folgen nicht so schnell und nicht so gewaltig änssert, als in kleinen, daß man auf Mittel denken müsse, die schrecklichsten unter sei­ nen Folgen zu hindern; welche Mittel nicht sowol in Gesetzen als in einem der ganzen Nation mitge» theilten Geiste bestünden, davon der grosse Vater des grösser» Sohne« ein-so glorreiches Bey­ spiel * gegeben hat; daß cnblid; eben dieser Luxus eines von den natürlichen Mitteln werde, wo­ durch die Vorsicht den Wechsel der menschlichen Dinge bewerkstelliget, und Königreiche erst unter­ gräbt, daß sie nach und nach sinke» und endlich bey ganz aufgehabeuer Zucht plötzlich in das Ver­ derben stürzen, «m auf ihren Trümmern neue Ge­ bäude mit gleicher Mäßigung im Anfänge anffüh-

ren zu lassen. G 4

Unter

* Die Vergleichung zwischen dem Grosse» Chur­ fürsten und Lndwig den XIV. ist von dieser Mei­ sterhand verfertiget worden; Ich wünschte, daß eine ähnliche zwischen Peter dem Großen, und Friedrich Wilhelm angestellct würde. Plutarch hätte sie nicht ausgelassen. - ' ——

Unter die nachthciligr Sitten wolte ich vor­ nehmlich Trägheit, Trunckenheit imb tiefe Unwissenheit rechne». Warum? weil diese ein« jig und allein etwas beständiges und allgemeines für eine ganze Nation werden können, da andre Laster nur auf eine Zeitlang und für einen Theil der Na­ tion schädlich sied. Ich möchte niemals in solchen Dingen etwas übertreiben. Man schadet der gu­ ten Moral sehr, wenn man diesem oder jenem Mißbrauche so gräßliche Folgen beylegt, die die Erfahrung nicht bestätiget. Enge Köpfe verwer­ fen nachher auch das andre, was wahr ist. Le­ sen Sir einmal das folgende, wasberHr.OC.R. (Th. i. S- 475-) aus einem franz Verfasser ansührt, und urtheilen Eie, ob ich Recht babe. „Das „Schauspiel fehlte noch zu unserm Verderben; — „unsre Schauplätze sind privilcgirte Oerter der „ öffentlichen Prostitution. Die Debauche ist da„selbst gleichsam in ihrem Vaterland, und die „ungestrafte Wer in seiner Gemächlichkeit. „Wenn eine Frau durch ihr böses und liederli„chcs Leben eine ganze Stadt geärgert hat: so „hat sie ein ohnsihlvares Mittel sich den Gesetzen „der

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10s

„ her Policcy zu entziehen, wenn sie sich unter die „Comödiantcn bezieht. Das Theater ist der „Ort, wo alle Reichthümer unserer Städte sich „ wie in einem Abgrunde verlieren. — Es heißt „bey denen, so am Ruder der Regierung sitzen, „daß man einem grossen Volke ein Amüsement „schaffen müsse: eine aüzuscharse Untersuchung gc„gen die, so ihre Geschicklichkeit auf dem Thea» „ter üben, könte sie alle Augenblick unterbrechen. „Allein diese Sätze haben unsere Bevölkerung „mehr als alle andre verringert „ Dieses letztere ist nun ganz offenbar falsch. Vergleiche« Sie dieselben mit dem Cälibat, mit zwanzig andern Ursachen, die einem Staate in diesem Stücke schgden.können. Wenn auch 200 Comödiantinnen j» Frankreich sind, und aus jede 20 Mannspersonen kommen, die nach und «ach in Verbindungen mit ihnen stehen, und zwar diese zwanzig noch ausser denen, die ohnehin nicht hatten heyrathcn dürfen, (worunter die Animaux indefiniflables vifs comme de moineaux des Voltaire eine gute Anzahl ausinachen:) wird denn dieses der Be­ völkerung mehr schaden als alles übrige. Ich G 5 bin

Bin weit entfernt die Unordnnnqen zu vertheidig gen; allein, eine Wahrheit durchs Uebertreiben iur Falschheit ;u machen, ist wohl das ärgerlichste Ding in der Welt. Hingegen möchte ich darüber eine gute Ab­ handlung lesen, wie viel die tüfe Unwissenheit eines Volkes an der Zunahme seiner Einwohner hindert. Diese Unwissenheit besteht nicht in dem Mangel blos spekulativer Wissenschaften, sonder» derer, die zur Erhaltung und Ausbesserung einer Gesellschaft unumgänglich nöthig sind. Sie ist eine Folge der Trägheit, und der erbärmliche Zu­ stand einiger Asrikgnischen Völker stellet rin leb­ haftes Gemählde davon dar, wend man sich an­ ders aiss Reiscbeschreibungcn verlassen kann.

Zwey«

io? Zweihundert und neun und vierzigster Brief. Dieser Brief soll der letzte von denen seyn, de­

ren Inhalt durch des Herrn Süßmilchs Schrift veranlasset werden. Weil Sie die Schrift ver­ muthlich selbst lesen werden: so habe ich ausser den auSgezogencn Verhältnissen fast nichts für Sie abqeschricben, sondern immer nur den Hauptin­ halt seiner Betrachtungen mit den meinigen-be­ gleitet, die hoffentlich auch die Ihrigen seyn wer­

ben. Wofür läsen wir auch solche Bücher, wenn sie uns nicht Anlaß zum Dcncken gaben? Ich bin meinen Eintheilungen zu folge bis zu den Deförderungsmitteln bey der Vorsorge für die Ehe« und Geburten gekommen; und zuerst muß ich die falschen durchgehen. Wenn ich mir ein

Ansehen geben wollte, so würde ich sage»: Die Pforten der Serrails springen auf: ich sehe die

Opfer der Begierden eines einzigen und noch öf­ ters ihrer eigenen, u. s. w. Doch ich will lieber demüthig sortfahrcn. Von der Viclweiberey ist

b>c Rede.

Diese ist bisher fast immer durch Gründe

roz

- ■■ ■ ■

Gründe bestritten worden, bey denen allemal eine Ausflucht blieb. Man fönte immer antwor­

ten: die Verschnittenen zur Bewachung der Serrails sind uw ein Mißbrauch; bey besinn Sitten zverden sie wol Wegfällen, Die Untreue der Weiber wird auch durch die Monogamie nicht ganz gehindert. Daß die Männer zu frühzeitig entkräftet werden, kömt nicht von der Polygamie, sondern von dem unmäßigen Gebrauche des Bey­

schlafes, der auch bey der Ehe mit einer einzigen Statt finden kann. Gesetzt, daß die Frauen nicht so oste schwanger würden, weit sie mit mehrern theilen Mißten: so ist auf der andern Seite der Vortheil, daß mehrere an Statt einer einzigen dasjenige erhalten, worauf sie alle Anspruch ha­ ben, und daß das Unglück, mit einer unfruchtba­ re» verbunden zu seyn, durch die nebenvorhandeneu gehoben wird. Kurz, so lange die Vermu­ thung bleibt, daß mehrere vom weiblichen, als männlichen Geschlechte vorhanden seyen; so lanae die erstern unter einander ein gleiches Recht zu den Heyrathcn haben: so lange kann die Polyga­ mie, (so wie das Heyrathen manchmal,) denKlug-

heits-

■•=—

-



IC9

heitsregeln gemäs widerrathen, aber nicht ganz verworfen werden. Dieses Stück nun, nemlich, die merkliche Gleichheit beyder Geschlechter um die Zeiten der Mannbarkeit/ kam aus.die Berechnung an, und siche, die genauesten Tabellen beweisen fast von allen Ländern einen Uebcrschuß der gebornen Knaben über die gebornen Mädchen, welcher Ueberschuß sich aber gegen Das Loste Jahr hin auf­ hebt, so daß meist eins durchs andre genommen, ein Männlein für ein Fräulein übrig bleibt. Doch damit wir genauer zu den Verhältnisse» selbst kommen, 21 Knaben gegen 20 Mädchen, oder 26 der erstem gegen 25 der letzter». — Dis macht in grossen Zahlen das beständige Gesetz aus. Bey dem ersten Anblicke hat man gleich geschlos­ sen, daß dieser Ueberschnß für die grösste Sterb­ lichkeit der Mannspersonen, die im Kriege, auf dem Meere, bey roc> andern gesahrlichen Arbei­ ten das Leben daran setzen, gerechnet sey. Aber wie eS mit den übereilten Schlüssen auf die göttli­ che Absichten geht: Plötzlich sind sie widerlegt, und eine Mengt erbaulicher Betrachtungen geht tu

HO

jU Schanden. Nemlich, es sterben wieder 27 Knaben gegen 25 Mädchen, so daß würeklich et­ was mehr Jungfern als Junggesellen vorhanden sind.

Denn da nach dieser Bemerkung iV Kna­

ben mehr sterben; vorher aber 2 ?Ucberschnß vor­

handen war; so fehlt 57 Theil gegen die Jahre der Mannbarkeit. Dieses macht stutzig. Der Herr V. giebt aber einen ziemlich sinnreichen Grund an, nm diese Ungleichheit zu erklären. In den Zählungen fin­ den sich immer mehr Witwen als Witwer; und dieses merklich mehr. In Pommern sind aL mche Witwen als Witwer. Dieses komt nach unserm V. meistens auch daher, weil mehr Witwer wie­ der heyrathcn als Witwen. Die erster» können also leicht den Ueberschuß von Jungfern wegneh­ men, und so kömt die Gleichheit heraus. Doch wenn dis auch nicht wäre; so wird doch niemals aus diesem Utberschusse dieNothwrndigkeit derPolygamie gefolgert werden können. Sogar in den war­ men Länder», wo man die grosse Ueberlegenbei» drr Anzahl an Mädchen über die Anzahl an Kna­ ben

Ben für ausgemacht angegeben hat, finden fich die nämlichen Gesetze in den Verhältnissen, wie in Europa, unser V. beweist dis mit Wen auS Amboina und Batavia in Ostindien- auch auS Tranquebar: Allenthalben die.Mädchcn gegen die Knaben, wie 25 :26. Eben so wenig hat China barinn eine Ausnahme, wo nach dem Bericht der Mißionaricn, die Herr Mairan darum befragt Hat, gewiß eben so viele Knaben als Mädchen gebvhren werden, ja am Ende weit mehr Knaben übrig bleiben, weil man mehr Mädchen aussetzt. Montesquieu führet das Exempel von Ban­ tam an, wo 10 Frauen gegen einen Mann kom­ men sollen; imglcichen Miaeo die Hauptstadt von Japan, wo fich 41503 mehr vom weiblichen Ge­ schlecht befunden haben. Dem erstem aber wi­ dersprechen die Nachrichten aus China und Tranquebar; und ans dem letzter» eihellet, daß nur immer unter 4 Mannspersonen einer hätte zwey Franc» nehmen dürfen; zu schweigen, baß sich in eine Hauptstadt sehr leicht mehr vom weiblichen Geschlechte ziehen, woraus aus das ganze fein Schluß zu machen ist. Wenn nun zu diesen unläugbaren

nr



— —-------- ■

läugbaren Beweisen die andre Unbequemlichkeiten gesezt werden, die aus der Polygamie fliessen: so ist freylich nicht abzuschen, was für sie noch tönte gesagt werdeir. Und doch lassen sich die Leute die­ ses nicht so leicht ausschwajen. Woher? ich wol­ le es wohl errathen.

Der Beschluß folgt.

Briefe,

die neueste Litteratur betreffend. VIII. Den 19. August 1762.

Beschluß des zweyhundert und neun und vierzigsten Briefes. m Jahr 1738 waren in allen Städten der al­ ten Preußischen Staaten, Geldern ausge­ nommen, 2x506 mehr vom weiblichen Geschlecht; in Berlin im Jahr 1737 waren 2217 mehr; im Jahr 1747 waren 6822 mehr. In der Stadt Brandenburg fürs Jahr 1736 waren 570 mehr» Dis non fällt in die Äugen. Man sieht an de« Orten, wo man lebt, mehr mannbare Mädchen, als weibbare Junggcstllrn. Daher wünscht man oste, daß die Polygamie erlaubt seyn möchte.

Um Ihnen nun ganz aufrichtig meine Gedam ken ju sagen: die Polygamie kann niemals durch fünfzehnter Theil. H M

114

------ sm

ein Gesetz eingesührt werden, weil unstreitig der einen Hälfte der Mannspersonen die Weiber entjogen würden; der häufigen Unmöglichkeit meh­ rere Frauen zu ernähren, und andrer Folgen jetzt nicht zu erwähnen. Auf der andern Seite aber sieht man durch die genaue Abtheilung der ver­ schiedenen Stände des Lebens, und durch die

Schwierigkeit des Unterhaltes so viele Personen

nnverhcyrathet. Was sangen wir mit ihnen an,? Lin Staat der blos aus die Bevölkerung sehen wolte, hätte, deucht mir, nur zwey Mittel, sich zu helfen. Entweder, er besorgt eine genaue Ein­ schränkung des Aufwandes und dadurch Erleichte­ rung znm Heyrathen; oder es tönte auch ein jedes unbemannetes Mädchen von. 35 Jahren dem Staat anheim fallen. Hiedurch erhalt er das Recht, es an jemand aus beständig oder nur ans

eine Zeitlang zu verheyrathen, dagegen er aber die Erziehung und Versorgung der Külder über sich nimmt. Doch alles recht überlegt, glaube

ich, müssen wir gestehen, daß so wie nicht alle fruchtbare Gegenden unsers Erdbodens genutzek, und

Iks

und alle Früchte genossen werden, auf nämliche

Art, manche Zcugungskrast unangewannt liegen bleibe, ohne daß wir alle Absichten einer solchen Einrichtung zum Nichtdrauche einsehen können. Von den Ehen auf 5 Jahre oder wenn sie so wollen, Lustral-Ehen läßt sich ein gleiches

Urtheil fällen.

Durch Gesetze sie emzusührcn,

wäre rasend. Ausnahmen finden sich oste: aber sie überwiegen die Allgemeinheit nicht.

Nach den falschen Beförderungsmitteln verdie­ nen wol die wahren eben so weitläufig ausge*

führt zu werden.

Allein, ausser den Gränze»

meiner Briefe muß ich von Rechtswegen auch dir Langeweile vor Augen haben, die ich ihnen durch die Länge «reines Auszuges, oder eigentlicher, mei­

ner Parallel-Gedanken mit den Ausführungen des Herrn R. S verursachen kann. Ich muß als» einzelne Anmerkungen machen.

Der V. dringt

mit dein Mirabeau vornemlich auf eine gute

H 2

Ein»

US

v

------------

Eintheilung der Accker und auf die Zerstreuung der Einwohner auf das kand und in kleinere Städte. Gerade das Gegentheil von der ängstli-

chen Beinühung mancher Leute alles in die Haupt­ stadt tu ziehen. Das 15k Kapitel von den Acker­ gesetzen der Römer, und die Anmerkungen über öen Nachtheil grosser Städte. Th. I. 114 432»

493. II. 435.573 sind mcrkwlirdig. Der Hr.V. hat die Vertheidigung der Leibrenten und Tontinen, wodurch eben sehr viele vorn Lande und aus den Provinzen in die grosse» Städte gezogen wer­

den, so ziemlich auf sich genommen; gegen welche doch Mirabeau in seinem Menschenfreunde mit sh bittern Eifek losgrhct. Die Fabriken, die eine grosse Quelle der Bevölkerung sind, aber

auch wieder eine reiche Quelle von Nachtheilen abgcben können, hat unser V. mit vielem Scharfsinne brvrtheilt. Die wichtigste und fruchtbarste Eintheilung derselben, wornach sich auch das Urtheil über ihre Güte oder Schädlichkeit bald fällen läßt, beruht wohl darauf, ob der Vorrath der Mate­ rialien

halten im Lande selbst angetroffen oder von aussen hereingeschaffet werde. Durchaus setzt er sie dem Ackerbau nach, aus Gründen Pie sie Th. 2. S. 63 u. s. bey ihm lesen können, Die Sitten des Volkes! Eines der wichtig­ sten Stücke zur Bevölkerung. Wie bringt man einem Volke Sitten bey? dadurch daß man ihm einen lebendigen Athem einblaset. Nicht eher wird ein Volk Sitten, vortheiihafte Sitten für einen Staat haben, als wenn es vortheilhafk für seinen Staat denkt. Gebt ihm erst einen Geist! Und wer soll diesen geben? Grosse dieser Erde! wenn ihr grosse Thaten mit euren eigenen Unter­ thanen für das Wohl eures Staates gethan habt; so lernt die Leute kennen, welche diese Thaten zu schönen Beyspielen ausznarbeiten wissen; denkt als Bürger, und euer Volk wird sodann wie ihr denken, und was ihr denkt, lesen und füh­ len; Handelt als Bürger. Man wird eure Handlungen, und die Handlungen aller rechtH 3 schaffens

schaffe»«« vorstellen, und euer Volk wird gute Sitte« haben. So lange es aber noch die Ko» pie von andern Völkern ist, wie ihr die Kopie von ander« Fürsten. — 25.

Zwey-

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II9

Zweyhundert und fuufzigster Brief. Noch ein Brief, meiner Zusage jnwider, den

aber ein Zufall veranlasset hat. Ich brach ncmlich gestern plötzlich im Schreiben ab, weil ich in eine alljnstarke Versuchung fiel, über den Artikel der Sitten weitläufig zu werden. Heute suhle ich mich stärker, um manches zu unterdrücken, und ich fahre sogleich fort. Von der Anmassung der Rinder für den Staat habe ich schon bey dem Soldaten -Cclibat geredet. Ich komme also endlich aus die Vorsorge gegen den Lod. Man wird diese leicht in die Vorbereitungen,

ehe die Gefahr gegenwärtig wird, und in dir Sorgfalt, wenn sic es ist, absondcrn. Die Policey mit aller ihrer Vorsicht, Dertheilung der Einwohner aus das Land- die Aussendung der Aerzte und Hrbanimcn, werden zum ersten Stück hinreichend seyn. Der Herr Vers schlagt vor, daß die jungen Theologen wenigstens einige derselben sich zugleich ans die Arzncykunde legen

sollen. Wenn der Prediger aus den Kirchengel­ dern auch eine kleine Halisapothekc anschaffete,

H

4

und

X1Q Md kein Küster gewählt würde, der nicht ein» Ader zu ösnen verstünde: so würde roobi mancher Kranker gerettet werden. Bey den Krankheiten selbst, besonders bey epidemischen solte wohl der kandesherr sich am geschäftigsten als ein beküm-

nrrrter Vater für seine Kinder beweisen. Die Register der Sterbendm dienen ausser der Ent^ dcckuiig einer ganz wunderbaren Ordnung, auch jur Kentnis derer Krankheiten, welche eine nähe­ re Aufmerksamkeit erfordern. Dahin gehören die ssonvnlfionen der Kinder,

die Zahl derer Kinder, welche daran sterben, Has sich verdoppelt. Unter 2500p Todten waren vor­ her in London vhngefchr 40. q solcher Kinder, jetzt steigt ihre Zahl bis an äooo. Der Herr V. sucht die Ursache davon in dem Verderben der Sitten, die Schlagflüsse sind ebenfalls von 5 bis auf 13 unter tausend gestiegen, so wie die Lethar­ gie von 4 bis auf i2. Aus den nämlichen Ursa­ chen, daß unter der Rubrik von Schkagflüssen in Merlin so viele Todte sind, rührt wohl daher, weil die Fieber vorzüglich sich meistens durch ei­

nen apypleetischen Zufall in den Tod endigen, und nachher

, — ... -

„ ■

III

Mchhcr die gemeinen Leute es mit der Apoplexie verwechseln, und als eine solche es dem Küster anzcigen. Hingegen die an der Colik gestorbene sind von 170 bis auf 7, die Krankheiten der Drüsen vor» 19 bis auf 4, die in den Wochen gestorbene von 14 bis auf 8 vermindert worden: Die Aufnahme der Medicin ist Ursache hievon; daß die Einpfro­ pfung der Blattern hier nicht vergessen worden, können sie leicht vermuthen. Der Herr V. ver­ theidigt sie mit allen möglichen Gründen — ich solte denken, bey dieser Frage mußte das abstrakte und jeder einzelne Fall gehörig unterschieden wer­ den; Abstrakt angesehen läßt sich wohl nichts da­ gegen einwenden. — Wenn aber ein Vater seinem Kinde soll die Blattern einpsropfen lassen: so muß er unstreitig auch aiss die Geschicklichkeit des Arz­ tes sehen, den er bey der Hand hat, und aus die Denkungsart derer, die gleichen Antheil an dem Kinde nehmen. Woferne das Kind durch die Unwissenheit des Arztcs verunglückt: darf wohl dein Vater diese Unwissenheit nicht mit zugerechnet werden? und wenn es durch erneu Zufall verH 5 unglückt,

«»glückt, und die Mutter j. E. schreibt es aus Ikthum der Einpfropfung zu, und leidet ihr ganzeLeben hindurch an Gewissensbissen, so wie ihr' Mann durch Vorwürfe: soltcn diese Dinge nicht

mit in die Ueberlegnng gezogen werden? Ich glau­ be immer, daß unter solchen Umständen der ein­

zelne Fall für die Entscheidung schwer ist. Ein sehr vernünftiger Arzt hat mir gesagt: „In klri„ ncn Städte» weite ich eben nicht leicht die Ein„Pfropfung einführen.

Unter gemeinen Leuten

„sterben mir so viele Kinder nicht an den Blat„tern, sie müßten den« gewaltig bösartig seyn, „weil gemeine Leute den Kindern durch einr über„triebrne Sorgfalt nicht so leicht schaden. Hin„ gegen können sic bey der Vorbereitung zur Jn-

„ oculaiion leicht was versehen, und ei» einziges „Ltind, das alsdann stürbe, müßte dem Arzte „alles Zutrauen benehmen, woraus doch so vieles

„ ankommt. „ Die Menge der gewaltsam gestor­ benen «gebt einen schaudernden Anblick, die merk­ würdigsten darunter find die vom Söffe gestorbe­ ne, zu denen man nicht nur die todtgefundene auf der Strasse, welche von dm Ermvwcten unter­ schieden

=====

I2Z

schieden werden, sondern auch viele hektische mit Recht zählen kann. Zunächst die Selbstmörder, deren sich unter jedem tausend Todten zween fin­ den, ferner die Opfer der Lustscnche, von denen man nur die armseligsten, die in Lappen wandel« trn, hat nahmhaft machen können, da andre, welche noch besser gekleidet zu diesem Todtenaltar treten, unter andern Rubriken der Krankheiten vorkommen. Der Herr V. nennt diese Krankheit meistens mit dem Namen der Franzosen. Hierbcy fällt mir ein, daß sich einst ein Franzose gegen mich über diese Benennung als über eine Grobheit ge­ gen seine Nation beklaget. Ich versprach ihm, daß Wir sie abschaffen walten, sobald seine Nation sich gegen die Neapolitaner anheischig machte, die Krankheit nicht mehr mal de Naples zu nennen. Es ist sonderbar, daß im Anfänge dieser epidemi­ schen Krankheit kein Geheimnis auch bey den grössesten Herren daraus gemacht worden. Von dm berühmten Arzte Vesalius ist eine Schrift in klein Folio noch vorhanden, darin» er die Ge­ schichte der Neapolitanischen Krankheit, womit, der

9

124

der Großmächtigste Kayser und Herr, Carl der

Vte, befallen gewesen erzählet. Ich komme wieder zurück. Auch derer Kinder die von Ammen erdrückt worden, ist eine grosse

Anzahl.

Aus icooo Todte sind bis 45 gekom­

men, die aber doch wieder vermindert worden. Ich habe dje schönste Ordnung bis «ris Ende oufbchalten; Nichts ist schöner; als die Ordnung

der Sterbenden nach dem Alter, von tausend Gebornen treten bis zum Lösten Jahre 500 wie­ der ab, in den 18 folgenden Jahren und in de» nächsten 24, also bis ,um 73 Jahr noch zyo, von 74 bis 80 wieder 50, von dar bis 85 also in 5 Jahren 25, in nochmals; Jahre» 15 und end­ lich der kleine Liest von 10. Die gröste Sterblichkeit herrscht unter Kindern

-on der Geburt bis zum ersten Jahr.

Von tauftnd

• Der Titel der Schrift ist:

Andre® Vefalii, do

tadice Chynx, epistola: de modo & ration$ propinandi radicis Chynx Decocti, quo nupep invictiflimus Carolus V. Imperator ufus ,eft: in lucem edita a Francisco Vefalio fratrc.

Venetiis

1^42. 8vo. und nachher Bafiles apud Joannen^ Oporinum 1546. in Folio.

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rrs

fettb sterben nach einer Mittelzahl 293. Vom rsicn bis zum 2ten Jahr jetzt sich schon eia grosser Sprung, der Sterbenden find nur go Im 13, 14, 15(01 Jahr sind die wenigsten. Immer mit 2, welches also die ficherste Zeit des Lebens ja ftyn scheint. Jedem fällt sogleich die Frage ein, warum läßt der Schöpfer so viele Kinder, ehe sie noch die Absichten eines eigenen Lebens erreicht haben, so frühe vom Schauplatze wieder abtreten? „Es ist schwer, wo nicht unmöglich, sagt unser „V. (Th. s. S.ZI2 ) einen hinreichenden Grund „ anjUgcbcn, wenn wir blos bey dieser Welt wol„ len sichen bleiben, die göttliche Offenbarung „giebt uns aber einen Aufschluß, indem sie die „Zeit und Ewigkeit in Verbindung setzt, uild uns „belehret, daß dieses kurze Leben blos eine Zeit „ der Uebung and Zubereitung sey aus die Ewig» „keit. Da nun das Verderben und die Versüh« „rung in der Welt so sehr groß ist: so bringt Gott „ die eine Hälfte in Sicherheit, n f. w. Es scheint mir, daß der Herr V. durch seine« Grund nichts weniger, als die Auflösung der Schwierigkeit Hebe, auch nicht habe geben wollen.

Den«

126

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Denn wenn dieses Leben eine Zeit der Prüfung ist: warum wird rü für so viele Kinder keine Zeit der Prüfung? Tausende treten ab, ohne daS Rechte vom Linken unterscheiden zu können. Nimmt Gott sic weg, weil ihr Verstand könte verderbt werden: warum nur die eine Hälfte und nicht auch die andre? Hätten die Verstorbene der Versuchung untcrgelegen: so hat er sie offenbar vor der Verdamnis gewaltsam bewahrt: wäre« sie alle treu geblieben: so sind der Welt Exempel entzogen. Mit einem Worte: es bleibt uns nichts übrig, als in tiefer Demuth anznbcten, sobald von den Absichten des Schöpfers die Rede ist. Selbst die Offenbarung lehrt uns nicht unsre eigentliche Bestimmung. Sie zeigt uns Mittel zu unsrer Vollkommenheit. Aber die Bestiinmung des Menschen heißt nicht seine Vollkommenheit über­ haupt, sondern das Quantum, welches er zur Vollkommenheit des Ganzen beytragen soll, wor­ aus sich auch seine Würde bestimmen läßt, so fern er seinen Beytrag scinerFreyheit gemäß entrichtet. Unsre Schwäzer über dir Würde und Hoheit des Menschen, worunter auch Murg sehr oste ge­ hört;

1

„ - »----- -- —L

127

hört; unsre Schwäzer haben nicht einmal einen richtigen Begriff davon; daher denn die unver­ schämten Verkleinerungen des Menschen durch die Spötter, noch immer so viel Gewicht behalten, und ein Landide bey vielen die vermeinte Ueberzeugung, welche ttachtgedanken geben sotten, wieder schwä­

chet. Man kann nicht sorgfältig genug seyn, bey Materien ein leeres Geschwätze zu vermeiden, über

welche sogar Seraphim ein tiefeL Schweigen beob­ achten. Unser Daseyn auf der Erde macht eine» kleinen Theil des Ganzen aus: wer will sein Verhält­

nis dagegen bestimmen? Wer will sagen, wo sich ein Glied zur genauern Verbindung der Kette anschmie­ gen müsse, welches Glied seiner selbst aber nie bewußt

wird, und nach den Gesetzen der Natur hervorgebeacht, blos zum Zusammenhänge dienet? Warum

es nun seiner nicht bewußt werde, und blos seineKraft in der Anknüpfung gezeigt habe; nachher aber seine» Ort wieder verlasse, ohne doch die geänsserte Kraft wieder auszuheben, die noch in ihrer Würkung bleibt? darüber kann es selbst kein Urthest Men. Wir mögen die Ordnung bewundern, darüber

erstaunen.

Unser Nachforschen mag die Gesetze ent­ decken,

128

;

" - —........ ~~1

decken, denen diese Ordnung folget. Aber nur d« Unendliche Geist schwebt auf dem Wasser, und weis, warum sich Ebenen zeigen, wo vorher der Ocean gp brauset, und da Menschen wohnen, wo erst Fische schwammen. Unsre Vernunft sieht die Verbindun­ gen; fast niemals das warum dererselbrn. Wir sehen genug um diesen Verbindungen gemäs zu han­ deln; und der HErr über alles sieht mit Wohlgefal­ len auf Geschöpfe herab, die den Zusammenhang durch tugendhafte Handlungen befestigen, und da­ durch seine höchste Absichten mit allen untergeord­ neten erfüllen. Ich bin am Ende Meines seltsamen Auszuges. Aber so seltsam er auch seyn mag t so werden Sir dar­ aus sehen, daß des Hrn. Süfimikchs Schrift eine dcrlcbrreichesten ist, die sie lesen können. Es wäre vielleicht möglich sie etwas naher zusammen zu zie­ hen. Aber selbst seine Widerholuugen werden durch diesen oder jenen neuen Zusatz nicht blosse Widcrholungen. Sein Styl ist plan und deutlich, wie er seyn mußte. Manchmalweitschweifig; doch dis vergiebt man leicht. Wenigstens ich, der ich säst glrichrVergrbung für diesen langenAuszug von ihnen erbitten muß. B

Briefe, die neueste Litteratur betreffend.

IX. Den r6. August 1761.

Zweyhundert und ein und fünfzigster Brief.

ie müssen nnn schon von Zeit ju Zeit über meinen Lrcitus etwas von mir lesen. Als ich vor ein Paar Wochen Alemberes Versu­ che einer Übersetzung einzelner Stücke aus dem Taeitus durchlief, gerietst ich auf den Einfall die Uebersetzung etwas näher zu prüfen, und zugleich eine deutsche daneben zu wagen, damit ich Zerfüh­ re, welche Sprache den alten Römer am besten ausdrücken tönte Run vermeine ich bey einem sehr kurzen Stücke sogar einen Alemberr aufzween oder drey Fehlern ertappet zu haben. Urtheilen Sie über das französische und deutsche nach dem lateinischen, welches ich unter die beyden Cvlum« nen der erstem schreiben will. Fünfzehnter Theil. I Karat-

e

Karaktrr des Galba, Neros Nach­ folger. Dieses Ende nahm Galba in einem Alter von

73 - Zähren, nachdem er unter fünf Kayser» in blühenden Umstanden gelehrt, glücklicher unter der Herrschaft.anderer als während der (einigen. Sein Haus war von altem Adel, von grossen Mitteln; sein eigener Kataster unbestimmt, mehr lasterfrey als tngcndsam. Er war nicht ganz sorgloe um seinen Rus, aber damit auch

Nicht prahlerisch; Nach ftemden Schatze nicht lüstern, mit dem (einigen sparsam, mit demöft ftnüichrn geisig. Rechtschaffene Leüte unter feinen

Freunden und Freygelassenen, litte er wenn cs ei­

nige

Tac. Hist. 1, 49. Hunt exitrfn häbuit Jtr. Galba, Tribut Ö* 'fexaginta annls > foituna emensus,

quitique pviiicipes prospertl alieno imperio feheior, quam

---------- ----------

izr

Portrait de Galba, Successeur de Neron. *>infi finit Galba ä l’äge de foixante & treixe

ans, ayant jo ui de fa Fortune fous cinq Em*

pereurs, & plus heureux fous le regne d’autrui que pendant le fien, Sa NobieHe

etoit ancienne, Esprit medio ere;

fes bicns immenses, fon plutot fans vices que ver-

tueux, il neue ni mepris ni avidite pour la gloire; avare des deniers publics, il me-

nageoit fon bien, fans defirer celui d’au­ trui ; il f pportoit fans peine la vertu de fes amis & de fes affranchis, quand ils en avoient,

& ignoroit aufli leurs vices avec une Fetus in familia nobilitas, ipfi medium

iMaj

exti

q am cum iirtutibtis.

nec incunefts, na

non

avarus.

nee venditator j

appetens,

Eama

Pecunia (die-

parcus,

publica

libertoramque,

ubi in

fite

Avncorum

ma-

Ingenium,

3 2

bonos

Lzr

^ssssss

Lige waren, um sich, und darinn ist er tadellos; Die Bösewichte darunter kante er nie, aus strafba­ rer Unwissenheit. Allein, seine hohe Geburt und die gefährlichen Zeiten halfen ihm, daß man das Weisheit nannte, was Trägheit war. Bey gu­ ten Kräfte» that er sich als Soldat in Deutschland hervor. Asrica verwaltete er als Proconsul mit Mäßigung, und das disseitige Spanien, als er schon älter war, eben so gerecht. Im Prrvatsiande schien er grösser als ein Privatmann, und einstimmig zur Regierung fähig, wenn er nie regiert hätte.

bonos incidißet > - fine reprehenßone, pa­ riern; ß mali forent, usque ad udpam igna-

rus. Sed claritas natalium, metus temporum obteuttri, ut qtiod Jeguitia eratf sapienria vocaretur. Dum zigebat militari laude apud Germanias fioruit.

atas, Procousul

one indifference coupable.

Mais fa naiffan«.

ce & le malheur des tems firent donner ä cette indolence le nom de philofophie, Dans la vigueur de läge il fe diftingua ä la guerre de Germanie; Proconful modere

en Afr/que, il gouverna dans la vielleffe l’Espagne citerieure avec la meine juflicc; au deffus dun particulier, jusqu’i ce qü’il eüt cefle de letre,

& digne de Fempire,

au jugement de tout le monde tant qu’il ne

regna pas.

consul Africm moderate; Jam senior, ci* teriorem Hifpaniam pari Justitia contiuuit ; major privato visus, dum privatim fuit, y

omnium consensu

capax imptrii,

nist vnpe-

raffet.

Jz

Bey

134

—-------------

~

Dey

unterstrichenen

dm

finden,

Sie

wie

und

weiche,

ich

daß

Stellen

vom

ich

mit

hoffe,

mir.

telmäßig.

Recht.

deucht

D>s ist unrichtig,

zuweilen

Medius

heißt

jwar

Aber

hier!

Tacitus

nicht von

noch

den

ab«

Son esprit

Medium Ingenium soll heissen:

etoit mediocre.

werden

akmbett

Fähigkeiten

mit­

redet

hier

des Galba.

Alles zunächstfolqcnde geht auf den moralischen Karakter;

und das unmittelbar damit verknüpf­

te magis extra vitia &c scheinlich meine Uebersetzunff.

rechtfertiget augen­ Alenibert hat

es mit dem nächsten kam« nec incuriofus ver-

lßindm wollen, sich

zu

seinem

weil er wohl gemerkt,

daß es

esprit mediocre nicht schicke;

aber leider schickt es sich auch zu dem andern

nicht;

Denn der lasterhafteste Mensch kann fa-

rnx venditator seyn.

Beyläufig ist eben dieser

Pinselzug sehr nachlaßig oder wol gar falsch im sranzöfischen ausgedrückt.

Ein

weit

grösserer Fehler steckt in dem il

fupportoit Ians peine la vertu de fes amis;

fine

--- ------- ■■■=

IST

Sine reprehenfione patiens solte dieses heissen? Nimmermehr.

Und denn wie reimt es sich j«

dem übrigen Ä'arakter des Galba? Er wäre ein

Ungeheuer gewesen,

wenn er mit Verdruß Tu­

gendhafte nm sich gelitten.

Alcmbcrt hat nicht

gemerkt, daß fine reprehenfione und ufque ad culpam im Gegensatze sichen.

an ihm aussctzcn,

Man kann nicht

daß er die tugendhafte vom

Hofe verbannt; ingenhimextra vitia magis, aber er tragt die Schuld seiner Unwissenheit in

Absicht" auf lasterhafte Freunde und Bediente, quam cum virtutibus; lind so War er patiens amicorum si Boni, fine reprehenfione, aber fi mali, ignarus usque ad culpam,

NiJ? impernffet kann Nicht durch tant qu’il ne regna nas gegeben werden.

Der omnium con-

fenfus geht nicht blos auf die Zeitgenossen des

Galba; auch alle Nachkommen würden ihn zur Negierung fähig gehalten haben,

wnferne man

ihn nicht aus dem Throne und die darauf began­ gene Fehler gesehen hätte.

Der Unterschied in

dem Gedanken ist merklich.

34

Die

Die Erndte würde, ich nolte es fast sagen, beträchtlich seyn, wenn man die ganze Uebersctzung des Hrn. 2i, so durchnehmcn wolte. Und Hal so­ gar ein so grosser A. ann gefehlt: wie schwer muß e^seyu, bey dieser Alkut allen Schlaj abzuhalren. 25.

Zwey-

=====

137

Zweyhundert und zwey und fünfzigster Brief.

Ich hatte eben eine Rede im Thucydides ausge«

leien; «nb da ich nach löblicher Gewohnheit manchmahl von einem Buche jum andern streife: so fiel ich auf ♦ wenige Bogen, die aus meinem Schreibtische lagen. Urtheilen Sie von meinem Vergnügen, als ich darinn fihr viel Aehnlichkeit mit dem einsaitigen Ernste der Griechen zu erbli­ cken glaubte; fast gar nichts von dem gedunsenen Wesen einiger schwermütigen Modeseribenten, dieMoral vortragen wollen. Ich belausche schon seit geraumer Zeit die Herren Schweizer, und sii scheine» mir endlich das Erdreich gefunden zu ha­ ben, zu dessen Anbau fie Talent besitzen. Die Poesie kann niemals viele, zu ihrem Vortheile be­ schäftigen; und wenn eine ganze Nation darauf verfallet: so leibet die Dichtkunst bey den Zeit­ genossen, und die Dichter leiden bey der ttachrvelt. Aber man kann ja auch, in Prosa schreiben. I 5 Ach * Patriotische Vo'stelluneen und sichre Mittel arme Staaten zu der«check, in zwey Abschnitte». 1761,

Ach wenn das mancher wüßte! Nur fragt flchs immer, was oder wie und für wen man schrei­

ben soll. — Kein Klagelied bey dieser Materie^ wie Sie mir zu vermuthen scheinen, das verspre­ che ich Ihnen aus mein Wort. Ader eine Amnerknng, die vielleicht nicht ganz unerheblich ist. Daß die Leser, welche man beym Schreiben vor Augen hat, die Materien und den Styl be­ stimmen, ist ausgemacht, solle ich denken. Nun

behaupte ich, daß uns die Franzosen in der Wahl dieser Leser schändlich verführt haben. Ihr» Schriftsteller arbeiteten eigentlich für de» Hof und für Paris, und diese bestimmeten jenen denTom Darunter aber war ein grosser Theil des schönen

Geschlechtes. Wir arme Deutsche sanden hinge­ gen unsre Hose und unser schönes Geschlecht, wel­ ches zu lesen Lust hatte, schon von den Ausländem in Beschlag genommen Nichts desto weniger wollen wir für beyde schreiben, und oste stellet» eine Landjungscr den * ganzen schönern Theil der Schöpfung bey uns vor. Darüber blieben wir von Leuten, die blos gesunden Verstand hat­ te« • Eine Redensart aus unsern Wochenschriften.

— —----------- 139

ten und ein abgeschmacktes Tändeln verabschcurteu, ungelesen, und die ehrlichen Leute an ihrem Theile hatten auch nichts zu lesen. Dis war nun eben ntchr schwer zu merken. Was also für Rath?

Unsre Schulphilosophie solte schön eingcklcidct werden. Und dazu war wieder ein Fontenelle

das Muster; obgleich diesem ein Hof und ein Pa­

ris den Ton angegeben hatte, und seine Materie vom Hypothesensioffe war; also tauglich genug,

um unter einer geschickten Hand angenehme Figu­ ren und gefällige Verzierungen anzunchmen. Darnach svlten sich nun streng erwiesene Lehrsätze

bequemen.

Und was für Lehrsätze noch dazu?

Solche, die in der bildlichen Gestalt auch die bildlicheSchwachheit an sich nehmen, und gebrech­ lich werden, sobald mein ihnen Fleisch und Blut

giebt.

Wird man eS den Leuten niemals laut ge­

nug vorsagen können, daß cs Wahrheiten giebt, die man ihrer Deutlichkeit nicht berauben kann, ohne ihrer Gewißheit zu schaden, und die ihre Deutlichkeit verlieren, sobald sic aus ihrer Stelle

gerückt, und ihrer bcstimmcten Zeichen beraubt werden. Nun

I4o

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'

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Nun war noch die Moral übrig. Und auch in dieser setzten fvjr uns;u enge Grenzen. Wir redm

entweder nur von den ungezwungenen Pflichten des einzelnen und haußlichen Menschen; man sol­ le denken; wir gehörten keinem Staate an; es gäbe unter uns keine Bürger; oder wir steigen gar zu kleinen Anständigkeiten herunter, die wir

mit einer abgenutzten satyrischen Einkleidung recht angenehm, so Gott will, vortragen; und so bleibt immer noch der gemeine Mann, der ausser den Predigten, und ausser dem Bibellesen, noch an, dem Unterricht geniessen solle, so bl eitzt immer dieser

gemeine Mann ununterrichtet. Wie sollen doch aber nun Liebezum Vaterland, Eifer bey der Er­ ziehung seiner minder, Standhaftigkeit im angewichnen Dienste, Zufriedenheit mit dem Stande worinn man ist, wie sollen alle diese herrlichen

aber gesellschaftlichen Tugmden recht bekannt un­

beliebt werdenwenn der allcrgrösseste Theil der Bürger, der ost noch am ersten zu bewegen wä-

re, nicht anders weiß, daß er mit andern ver­ bunden ist, als daher, weil er sie einerley Steurrn mit ihm darbringen sieht? Von den Predigern

darf

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darf man nicht erwarten, daß sie diesen Unter­ richt aus sich nähmen. Sie haben sich einmal ge­ wisse Materien gewählt, über welche sie nicht wegschreiten. Hier ist also die Lücke, welche unsre deutsche Prosaische Schriftsteller noch auszufüllen haben, und für welche seit einiger Zeit die Schweiz rühmlich gearbeitet. Kür den Bürger! Für den Bürger! würde ich jedem prosaischen Schrift­ steller jurusen, dessen Absicht nicht wäre blos spe­ kulative Wahrheiten vorjutragen. Und was soll denn der Bürger lernen? ich habe es schon gesagt; Nur ist es nicht in allen Staatsverfassunge» ei­ nerley. Die Engländer schreiben beständig für ihr Volk, aber diesen können wir freylich nicht nach­ ahmen, die Gründe davon fallen jedem selbst in dir Augen; Doch könten wir folgendes thun, deucht mir: die Pflichten, die Gesinnungen, wel­ che für jede Gesellschaft gehören, bekannt machen «ud einschärfen. Wenn wir eine Wochenschrift gehabt hätten, mit der Aufschrift: der Bürger: so würde darin« schon vorgrarbeitet seyn. Ja Halle

142

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Halle ist vor einigen Jahren: der Gesell'ge ge­ schrieben worden. Aber anstatt die grdffe Ge­ selligkeit zu lehren, haben sich jene Verfasser mit der kleinern Art sich in kleinen Zusammenkünften zu betragen, beschäftiget — Aus weisen Gründen vermuthlich; Denn ausserdem, daß zu einer solchen Schrift ein genauer Plan wäre erfordert worden, davon die Herren Wochenschreiher nichts wissen; ausserdem, sage ich, hätten sie die süßliche Satyre nicht anbringen können, die noch immer eine Gattnng von Lesern bezaubert, und der andern das Buch aus der Hand zwingt. Noch- mehr! was für rioe Einfalt des Styls, was für eine griechische Beredsamkeit gehört nicht dazu, um diese wichtige Materien recht faßlich nnd zugleich würdig vvrzutragcn. Ich möchte f st sagen, daß hierin« der starke Unterschied zwischen den Alten und Neuen läge. Jene wollen immer den Willen zu etwas bereden. Diese wollen immer dem Verstände und höchstens dem Witze etwas zu schaffen geben; Bey den er­ ster» war die Beschäftigung der übrigen Seelen­ kräfte

krästt eia Mittel, zu ihrem Zwecke zu gelangen,

unb die Anwendung, welche sie von diesem Mit­ tel machten, war immer unvermerkt. Die Neu­ ern , die sich fast mit dem Wilken nichts zu thun machen, erreichen auch oste nicht einmal ihren andern Zweck; weil man nicht iminer aufgelegt

ist, etwas zu begreiffen; aber immer etwas zu wollen; und weit auch der Vorsatz das tüolkn zu erregen, die Wege in den Verstand ösiiet. Wer etwa bey dieser Anmerkung denken wolte, baß wir des schönern Vortrages, und wenn ja das Wort nöthig ist, des witzigen imd aufge­ räumten alsdann verlustig gehen würden, hätte mich gewis nicht verstanden. Sokrares Ironie!

meine Herren; und denn verbrennen sie ganze Bände-von ihre» Satyren; unter andern auch die neueste Gatyristix Liblioehek. Wenn nur erst der gesunde Verstand des Bürgers Nahrung hat, wenn nur erst der wahre Sensus commu­

nis, wreihn Shafkt sbury nennt, das ist, dicEmPfindnng dessen, was zu der Ordnung und znm Wohl des Ganzen etwas beytragen kann, recht be­

kannt

i44

====?

sannt ist: so wird die Einpfindung des Schöne» wohl entstehen: die nichts anders ist, als daSGefühl einer solchen Ordnung nach Absonderung deS Nützlichen.

Der Beschluß folgt.

Briefe, die neueste Litteratur betreffend.

X. Den 2. September 1762.

Beschluß des zweihundert und zwey und fünfzigsten Briefes. @0 ost sich eine neue Dahn ösnet, müssen

wir »ns in Deutschland vor dem Gedräage der Nachahmer fürchten. Durften denn wohl bey den olympischen Spielen die Knaben sich un­ ter die Kämpfer mischen? Aber doch besorge ich, bey dieser Art Schriften weniger von diesem Haufen, als bey irgend einer andml Art der Schrif­ ten. Da hier Einfalt und Deutlichkeit herrschen muß: so giebt es ;u viele Richter, und diese Rich» ter können nicht bestochen werden. Das Publi­ kum, vor welchem man mit einer solchen Arbeit erscheint, ist ;u groß und jU unpartheyisch; als daß man lange ungestraft schlecht bleiben könte. Wer von dem Tone, davon ich Ihnen nun Bey» Fünfzehnter The«». K ft>id

spiele aus der angerühmten Schrift geben will, zu viel abwcicht, hat den Weg zum Herzen seiner Bürger verloren. — S. 5.

„Es ist nicht so fast der Ort, geliebte

„Mitbürger, wo etwa eine Nation wohnet, svn-

„dern die Nation selbst ist das eigentliche Vatcr„land. Welche Lieblichkeit, welchen Reiz, wür< „ de dieser oder jener anmiithigc Erdstrich für ei« „ ncn iiingcborncn Menschen haben, der darin« „unter fremden, unbekannten, widriggesinnten, „gehäßigen, feindseligen und verabschruete« „ Schaaren seine Tage schmachtend und elend vcr„streichen (lassen) müßte; - inzwischen daß seine „Mitbürger, seine Landesleute anderwärts ihren „Sitz aufgcschlagen hätten. O stünde der cinge-

„ tauschte Sitz mit seinem anerbornen Vaterlande „in keinen Stücken zu vergleichen: so würde ihn

„dennoch sein Trieb immerfort nach seiner Nation, „nach seinen Mitbürgern, nach seinen Landeslen„ten lenken; deren sreundlichere Gesellschaft ihm „tanscndlnal werther,

verwandeb„ tes

147 i, kes Vaterland wäre! * Laßt uns also nicht auf „die Erbe, worauf wir wandern, sondern aus „unsre Gcschrtcn das steifste Augenmerk richten, „sie innig lieben, mit ihnen vertraulich leben, und „ihnen unsre Gefälligkeiten, un're Zärtlichkeit „Widmen. Nur sie sind unser Vaterland, und „ dem sollen wir getreulich dienen, —

S. 8- „ Gleichwie eint schwache Hand einzel„ne, ob zwar starke Rühre mit leichter Mühe „bricht, hingegen eine Menge derselben in ei» ;,nen Bund gestochten sich auch von den stärksten „Männmr schwerlich brechen läßt: eben so blei« „ bm wir vor tausendfältigen Anfällen, wenn wie K s „fest * Da ich hier aus einen Imperativus Koste, der unim Deorschen besonders bey den Ueberietzungen aus dem französischen und lateinischen ängstiget t so will ich ihnen einen Einfall zur Prüfung vorle­ gen. — Wenn wir unser daß dazu brauchten, und die Periode damit anfiengen: Z. E. hier: tdaß wir «Iso unser Augenmerk richten: Cinf, ge Schweizer haben versucht zu sagen: richten wir: aber die Zweydeutigkeit wird zu groß-

148

„fest zusammen halten, geschirmet; so bald aber „ einer vom andern abweicht, unterliegt bald die„scr bald jener.------- S. n. Meine Anrede „wird denjenigen mißfallen, die Gott, den Näch„sten, das Vaterland und die Freyheit verläug„nen; und die Zufriedenheit, die ächte Seelen „ohne den unrühmlichen Besitz schnöden Ueber„flusses suhlen, auf keine Weise in ihren unarti„ gen Gemüthern empfinden. Doch ihr-alle, die „ihr in der Klasse dieser Unmenschen stehet, rr„ muntert euch und wartet getrost zu; denn ich „will dermalen nicht näher zu eurem versteinerten „Herzen reden, Hadern blos das schöne Deihälc„.nis eines glückliche« Mcltalters in etwelche» ,, Staatsgebäuben zeigen; und hernach aussühr„kicher abhandcln, wie arme Bürger wieder br „ reichert werden können. Dieses lrztere muß au„genehm zu hören seyn.„ —

Ich kann unmöglich alles abschreiben: Sie se­ hen unstreitig schon dir Wendungen, die mit der Alten ihren so viel ähnliches haben. Die Ab­ handlung des ersten Stückes sagt de« Gelehrten vom

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vom Handwerke nichts neues; aber wohl Bür­ gern, die in diesen Materien nicht von Hause aus unterrichtet worden. Was man bey solchen Ab­ fichten fordern muß, ist vornemlich dis, daß nichts falsches vorgetragcn werde, und ich besinne mich eben nicht etwas unrichtiges, wenigstens meinen Einsichtelf nach, hier gesunden zu haben; es wä­ re denn die Dervielsältigung der Sprachen beym berühmten Thurinbau, die ich lieber aus natür­ lichen Folgen als aus einem Wunderwerke erklä­ ren wolte. Der zweyte Abschnitt ist unstreitig wichtiger, der Vers, fängt ihn folgendermassen an. S, 76 „ Viele stellen sich mein Versprechen als ein prah„lerischcs Hochsprechen vor, und bilden sich'ein, „ich werde mein Wort uimmrrmchr Halten köm „nut: sie mögen aber mit ihren mißtrauenden „zweifeln so lange inne halten, bis sie diesen Zweyten „Abschnitt dnrch werden blättert haben. Ich habe „mir darin zu zeigen vorgenornmen, wie leicht et „ sey, in dem innersten einer jede» Republik uner„schypfiiche Reichthümer ausfündig zu machen, so K 3 „ferne

IfS

„ferne nur die Bürger einmal auswachen, und „unverdrossene Hande an das heilsamste Werk „legen, und nicht selbst an ihrem Heile verzwei« „fein; sonst wären sie wariich auch selbst Schuld „daran, wenn sie sämtlich arm verbleiben, und „zulezt, da ihnen kümmerlich da» Brodt, „und da» Wasser sparsdm, oder gar keine Nah« „ rung im verödeten Vaterlaiidc $u statten kom« „men, nach fremder Vögel Art in grossen Hau« „ fen weitabgelegene Welten durchstreichen müß« „ten.„ — S. so. „Jedoch fönte ich in den „That unmöglich mein Wort halten, wenn ich „um sämtlicher Republiken heutige Beschaffen« „ heit mich nicht vollständig erkundigen dürfte. — „ S. 83 Es entstehet nun die Frage, wie die „Menschen, die die ersten Augenblicke jedes kom« „menden Morgens mit Gott und ihrem ewigen „ Heyl, die meiste Tageszeit mit Arbeit und Pfle« „ ge ihrer häuslichen Angelegenheiten, die sie aus „Liebe und zur Ehre Gottes, als auch zum Nm „zen ihrer selbst und des Nächsten verrichten, tv „ttige wenige Stunden aber mit nöthiger Rast jtunE> Leibs und Semüthserquickimg zubringen, „elend,



—=====

Isk

„ elend, mangelhaft »nd arm seyn können? Weil „ja diese Plagen Strafen eines sündigen Volkes „sind; woraus richtig folget, daß unsre heutigen „Republikaner entweder nicht arm oder nicht tu« „ gcndhaft sind. „ Diese Folge ist so richtig nicht, als sich der V. wohl einbildct. Daß wir eiumal schulgcrecht verfahren. Der wahre Sa; ist: Die Strafen eines sündigen Volkes sind Armuth, Mangel imd Elend. Kann ich nun geradezu umkehren? Gewis nicht nach der Logik. Aber jiun Theil; Einige Armuth, einiges Elend, ei» Niger Mangel sind Strafen eines sündigen Volkes. Folglich muß erst erwiesen werden, daß die herr­ schenden Gebrechen in einer Republik zu dieser besondern Gattung des einigen gehören. Dieses aber itesie sich von dem Elende und der Armuth, welche aus Müßiggänge und unnützem Aufwande entstehen, leicht darthun. Dann gehn die Fol­ gen ohne Schwierigkeit fort. Bey solchen prak­ tischen Sazcn komt es hauptsächlich auf eine

genaue Bestimmung an, weil die geringste Un­ richtigkeit Zweifel zurückläßt, die alle gute darauf gebatikte kehren fruchtlos machen. K 4

„Man

Jf» „Maa wandre von einem Orte zum andern; „man frage wo man teil!; so heißt es cinmüthigr --der Müßiggang hat die guten krutc arm ge„ macht. Nun nimmt mich nicht mehr Wunder, >, daß viele Bürger arm sind. Es wärt ein Wun„dcr über alle Wunder, wenn müßige Bürger „ reich wären.

Nun macht der Verf drey Klaffen der Uebel. Die erstere gehn hauptsächlich die Magistraten, die zweyte die Bürger, und die dritte die Unterfhqnen an. Ma» sieht schon vorher, was unter der ersten Rubrik etwa vorkockmen wird. Aber folgender Artikel verdient wohl angeführt zu wer­ den S. 93. „Die unbedächtliche Verwerfung „einer nützlichen Aufnahme neuer Bürger, die „das Glück der Alten fördern Fünfen, und die „thörichte Ausnahme andrer, die so unbemittelt „sie auch sind, dennoch öfters denen Alten auf der „ Haube sitzen, und durch tausend Schliche ihre „Handlungen, Gewerbe, Handwerke und Glück „verderben, sind der richtigsie Pfad, worauf „ganze Bürgerschaften an Bettelstab gebracht, »aller

IsZ -.aller Hände »ur Arbeit stumpf gemacht, und die „Hospitäler mit trähneowetthen Fanllenjem an„ gefüllt wer den, die ni< dem schändlichen Müs„siggange sich würden ergebe» haben, jo fern „ihnen nicht die Früchte ihres Schwciffcs und „die nöthige Unterhaltungen unbarmherzig wa-

„ren entzogen worden.»

Die Betrachtung geht

mit eben der Stärke noch fort; ich aber must ab? brechen. Sie vermuthe» wohl, daß der V. sich Wird in Schilderungen rinlaffen müssen, und ich

kann Ihnen versichern, daß das Kolorit stark ist. Ein Paar Beyspiele sollen ihr Zutrauen aus meine Aussage vermehre«. S. 124. „Die Töchter ge-

„horsamen den Eltern nicht mehr, und achte» „sich klug genug, sich selbst m regieren. Entwe? „der vermag ihr äusserlicher Ress ihnen einen „oder mehr Liebhaber zu zulocken; wo nicht, so „stellen sie sich geputzt, wie die geschminkte Jeza„bcl so lange an ihren Fenstern, oder auf den

„Straffen, oder gar in den Tempeln zur Schm „dar, bis sie einen nichtswürdigen Aufwärtcr fin„dcn. Sie mögen der Zeit nicht erwarten, bis „sic in he» Ehestand abgesyrdert werden; und

K 5----------------- „ gelingt

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„gelingt cs ihnen nicht, verlassen sic die schändli„ chen Ausschweifungen ihrer ungebändigten Zu»

„ gend doch nimmer; und da man sie nicht in star„kcr Hnt halt, und von gefährlichen Gelegenheit „ten abwendet, mißbrauchen sic sich selbst, behar» „rrn in einem schamlosen Wesen, und strecken, „wie ein reisender Mann der dürstet, ihren Mund „nach dem Brunnen, trinken von allem Wasser, „das am nächsten ist, setzen sich bey jeder Psüje „nieder, und thun gegen alle Pfeile ihre Köcher

„ ans, bis sie müde sind.

Wenn aber endlich Zu»

„gend und Anmut sie verlassen, werden sie ihren „Liebhabern und sich selbst beschwerlich, und be» „reuen alsdann in qnaakvoller Verzweiflung ihre „verwandelte Zierde und Reizungen, nicht ihre „Sünden und wohlfeil verkaufte Unschuld.» Eine andre Folge von Gemälden: S- 166. „Ist es nicht ärgerlich, wenn bey einigen Seel»

„sorgern die fettesten Einkünfte nicht znlangeu, „ihre überschwengliche Pracht und Verschwendung „zu bestreiten, und ost leichtgläubige Gläubiger

„mehr an ihnen, als mi .den liederlichsten Welt» „menschm

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15$

„Menschen einbüssen, indem sie das sürgestreckte „als gefunden anschen, und dencnjenigcn Bc„schwernis machen, die ihnen geholfen haben; „und da sie bis zum Empfang dir Hände dessen „küssen, der ihnen geben solte, und fast demüthig

„in ihren Verheissungen reden; wenn aber die „Zeit der Bezahlung kömt, Verlängerung und „Aufschub begehren, oder gar verdricsliche „te geben, und murren, oder so sie eS nicht wie„der geben können, den Gläubiger um sein Geld

„brtricgcn — wenn sie als Zweyzüngige Ohrem „bläser Unruhen anrichten, und grundlose, oder, „ob zwar begründete, doch annvch unbekannte „Werke.von ihrem Nebenmenschen ausplaudcrn; „ja sie gar durch Verläumdungm und Ehrab„schneiden, um allen Unterhalt, um Glück und „Ehre bringen, und weder Fleis, List, noch Bc-

„redsamkeit sparen, sie mit Straf und Verach„tnng zu belegen, und vollends zu verderben „ wenn'sie eines schwachen um Verzeihung und „ Gnade flehenden Feindes nicht einmal nm Got„tes willen schonen, und ihre ungebührliche, ja „ öfters ganz unverschuldete Rache, die besten

„Freunde

»Freunde, die nächsten ".Angehörigen empfinde« „lassen, und da sie selbst Rache üben wollen; Ra­

uche pom Herrn aus ihre Nacken reijen, die eb­ enen ihre Sünden ohne Zweifel behaltet?» Ich polte hier schliessen, aber ich muß wider mei­ nen Vorsar aus der lösten S noch etwas hin­ setzen, „Ist es nicht ärgerlich, wennrsinvie-

„ len Haußhaltungen so bunt und verworren zuge„hct, daß sie an Getümmel denen öffentliche« „Märkten, an Unehre heimlichen Schanbwinkeln, „an List und Betrug jüdischen Kramladen, gl» „Fluchen und Ravshäüdeln wilden Mördergrube« „und rauchende» Fleischbänken, an Mangel und

„Elend ausgeplünderten Scheunen, au Jammer, „Eckel und Uebcrdruß schaucrichten Gräber», ja „der düstern Hölle an Noth und Verzweiflung „gleichen.,,

Daß nun unsre zierliche und glatte

Wochenschreiber Herkommen, und ihre Stücke gegen diese Gemälde halten. Man fordert rbe« nicht, daß sie alle so ernsthaft aussehen sollen;

aber wenn ja Einförmigkeit herschen soll; und die­ se treffen wir bey unsern Satyristen nur zu häufig an:

ich lieber narte Figuren allegsals mit

Wun-

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Wunden sehen, als bekleidete, woran nur der Schlafrock und die Mütze lächerlich gemacht wird.

Beym Zurückblättern finde ich auf der ögffen S- noch einen Strich, und ich nrcrke, daß ich ih­ nen eine vortrefliche Schilderung der verderbten Oligarchie, da;» die Originale leider häufig ge­ nug sind, habe abschrriben wollen. Weil es aber einmal vergessen ist, so mag es bleiben.

L. Nachschrift. SBdi meine Briefe an Sie beynahe mein Kolkektanienbuch sind: so will ich folgende jween Ar­ tikel geschwinde noch besonders ein tragen. No. i. Sie erinnern sich noch, wie sehr man das Wort des Herrn Pitt im Englischen Parlamente: „Amerika ist in Europa erobert worden» ausge« zeichnet hat. Lesen Sie nun kommende Stelle m The-

ls8

-

s

Themistoclcs des Plutarch. Es war die Frage: Ob nach der Schlacht bey Salami» Xerxes in Griechenland solte eingeschlossen werden, welches durch Abwersung der Brücke beym Hcllespont hätte geschehen müssen, oder ob man suchen solte den Xerxes sobald als möglich aus Griechenland tu entfernen. Themistoclcs war für das lczlere. Weil er aber erst gerne des -Aristides Meynung wissen wolte, vor dem er sich schcucte, da er vor­ her mit ihm überworfen und nur während dieser grossen Noth wieder vereinigt gewesen: so stellte er sich als einen Anhänger der erster« Meynung mit dem Zusatze des wichtigsten Grundes dafür. e»ft«»o4 A’fij-Jij'a Xo-y«, •yiv^m liroiUTO Xvui Io r2v vetvrii, %iriirXivff«nA»S i’n E'xXne-oroi'lov, O Ve;, (ifn) Ino Ar«> ii In Xaßufiu, Utlt den Aristides durch seine Reden zu prüfen, dichtete sich Themistocles die Meynung an, daß sie^durch die Ucberfarth nach dem Hrüespont ;um Abwerfen der dor­ tigen Brücke gelangen woltrn, damit wir, sagte er, 21sie« in Europa erobern. Die Achnlich» lichkrit dieser beyden Gedanken von Thcmistocles und

=====

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ant) Pitt i|t zu stark, als daß man nicht eutivedcr vermuthen solle, des erster» seiner sey dem lezteru btfmit gewesen, oder einen neuen Beweis daraus hernehmen solte, daß gro.se Leute in einerley Si­ tuationen auf gleiche Art denken, wozu ich cur

neues Beyspiel aus einen andern Brief sparte.

No. 2. Lesen Sie einmal wieder die schöne Idee, die Montesquieu Th. i. p. 135. vom Despotis­ mus giebt. Quand les Sauvages de la Louifiane veulenc avoir du fruit, ils coupent larbre au pied, & cueillent le fruit, voila le gouverne-

ment defpotique.

Run lassen Sir sich folgende

Geschichte, deren Wahrheit ich verbürgen kann, dazu erzählen. Während diesem Kriege kommen Englische Soldaten in ein Dors im Paderbornischen; und einer darunter fordert aus einem Hau­ se Kirschen. Die Tochter des Hauses ist da willig, und verlangt nur die nöthige Zeit um sie zu pflücken. Der Engländer, dem die Zeit zu

sang daurt, droht dem Baum «mzuhaurn. DaS Mädchen fleht mit den Worten: laß er doch

I6o

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doch den Daum stehen, er ist ja alter als sein Vater. Umsonst, der Engländer haut ihn um, legt ihn auf einen Wagen, und sejt sich dar», um dir Kirschen davon abjueffen.

Briefe,

die neueste Litteratur betreffend» XL Den 9. S'pt mber 1762.

Zweihundert uifb drey und fünfzig­ ster Brief. t^^as was wir Ihnen ans der deutschen Litteratur überschreiben, ist freylich nicht allemal das allerneueste. Sehr oste gehören die Schriften, deren wir an Sir erwähnen, blos zu den Lienen. Inzwischen verlieren Sie dabey gcwis nicht viel; wo sie nicht gar dadurch gewinnen. Sie können unterdessen die Urtheile anderer einjiehen, oder beyläufig hören; und wir warten bis an den Abend des Tages, an dem sich der glänzende Fremdling zuerst gezeiget, um nicht durch die gemurmelten Lobsprüche bey der öffentlichen Au­ dienz verführt zu werden. Tragt sich vollends das Gerüchte mit der Sage, daß diese oder jene Schrift einen vornehmen Vater habe: so warten Fünfzehnter Theil. L wir,

wir, bis das natürliche Kind die Jahre erreichet, um seinen Verstand blicken zu lassen, damit wir nicht »ach dem gewöhnlichen Vorurtheilc, alle na­ türlichen Kinder vornehmer Leute für witzig auSschrcyen mögen. Manchmal dürfen Eie zwar dir Ursache unsers Schweigens nicht so tief suchen; sondern Sie finden sie ohne Mühe bey unserer Faulheit, die uns oste den Wahlspruch des be­ rühmten Molanuö ins Ohr rannet: Stultum eft laborare, cum quiefcere poffis. Doch das mag skvn, wie es will: Von der Schrift mit dem Ti­ tel der Sonderling, die schon 1761 hcrausge« kommen ist, ' erfahren Sie nur jezt erst etwas —< von uns wenigstens. Wenn wir diese Schrift für eine Sammlung von Ercrcitien ausgebm, so thun wir dem D. nicht Unrecht, oder gar Gewalt. Er selbst sagt in der Vorrede; „Ich habe gewisse Untergeben^ „Selbigen sollte ich zum Versuch einige Beyspiele „von Erzählungen, Schilderungen und andern „Sprachübungen gtbtn. Daraus entstanden „diese Blatter. — Ob die Versuche gerathen, „darüber

»Hannover, bey Richter, in r-

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».darüber lasse ich andre urtheilen. Mir selbst „gefallen sie nicht recht.,. Dismal tönten Sie also einen Augenblick der

güldenen Zeit erleben, darinn die Fehde zwischen dem Kunsirtchter und Schriststellcr aufgehoben, und beyde über den kützlichsten Punkt, über dm Werth des Buches einig sind. Dieser Zeit die

die gewisse Schriftsteller nie woltcu erscheinen sehen, sondern dem Kunstrichter »oller Gift ent« gegen rufen: D’$ ¥x er« Xioir« xaf «uSgowi» oyu«. nt»

O’»3"« Xvxaf Tt xaj «(ms AXX» xaxa ^gc.evir. kk er

S-vfxev etXXr.Xeie-iv

kLLk KOf c8 Buches mich unterzutauchen, ohne mich um das Stroh aus der Oberfläche viel zu bekümmern.

Weil die ganze kleine Schrift aus einzelnen Ge­ danken zusammengesetzct ist, die weiter keine Ver­ bindung unter einander haben, als die Namm der Moden, die in dem französischen Sak-Kalen£ S hxx■

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der dirses Jchrcs bey drin Monat April stehen,

nrmlich, daß es Namen dcr Moden sind: so darf ich nur die einzelnen Gedanken, die mir gefasten haben, nach der Reihe hersetzen Darüber gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich nicht leicht einen anslaffea werde, dcr deS Anmerkens werth ist. DaS übrige können Sie ungelesen lassen, ohne den V. zu beleidigen. Denn er muß billig genug seyn, zu glauben, daß vieles für seine Unterge­

bene neu seyn könne, was es für Sie, bey einer

starken« Belesenheit nicht mehr ist. Mein Ansprg fängt an. S. 4g. „Die Russen haben ein Sprichwort: „man empfängt den Mann nach dem Kleide, ünd „begleitetihn nach dem Verstände ., (Ich habe nicht leicht eine feinere, und zugleich natürlichere Anmerkung gelesen ) S. 54. ..Das Land der Weisheit und das

„Land der Thorheit liegen unter einem Himmels „ striche ganz nahe an einander. Die Einwohner „des Landes der Weisheit, welche in den ober»

„Gegenden, wo das Land der Narren anstößt, zu Hause gehören, nehmen vieles von ihre« i> Nach-

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lös

„Nachbarn an, und reden, wie gemeiniglich an „den Gräiijen geschiehet, eine gemengte Spra„che.„ (Diese gemengte Sprache hat mir un­ gemein gefallen.) S 6z. „Je weitläufiger der Lchrbcgris ist, in , desto mehreren Punkten kann dessen Umkreis be„ rührt werden; und von jeglichem geht eine Vinte nach dem Mittelpunkte. „ (Deucht ihnen nicht daß diese Linien,- die bey einer Dogmatik von je­ dem Punkte des Umkreises nach dem Mittelpunkte gehen, sehr gut ausgcdacht sind?) S- 64. „Gewisse Erschütterungen sind der „ Wahrheit vorthcilhast. Die Asche fallt dadurch „von den Kohlen, und was kaum noch glimmte, „wird wieder in heilsamen Brand gesetzet.,, S 68. „Ich verabscheue nichts mehr, als das „stinkende Nauchwcrk, so das Laster der Tugend „;n Ehren anzündet.» (Wenn der, welcher das Rauchfaß hält, vollends in einem schmutzigen Auf­ zuge erscheinet: so muß sich nothwendig die Sin», lichkcit empören.) S. 69. „Es giebt Schwärmer, die es gut „meynen, «nd die Ordnung nicht stören. — L 3 „Dickes

„Dickes Geblüt macht tiefsinnig; der Mensch „fängt Grilleni wenn er heute die Offcnbahrung

„liefet, und morgen die Zeitungen: so bestimmet »er übermorgen den jüngsten Tag.,, S 7- „Ein qereiscter Witzling sieht alles mit „demjeniqenMitleiden an, das er selber verdienet—

„Er glaubt ein Muster vorzustellen, und in der „That ist er oft, wie Richey sagt, ein Wurm, „der andre Würmer heckt. S- 83- . Ein Dichter, der schlechte Verse „machte, und sie allen Leuten vorlas, hatte ein „Paar junge Herren, welche eben zur Thüre hin„aus wollen, dahin gebracht, daß sie Stand „halten, und ihn anhörcn mußten. Er pflegte, „wenn er an eine, seiner Meynung nach, beson,.ders rührende Stelle kam, die Augen zu zuma« „chen, und sich einer süssen Entzückung zu über,

„lassen; einen solchen günstigen Moment mach, „teu sich die beyden Herren zu Nutze, und als „ der sanft hingcrückte Dichter die Augen wieder „Kfnete, waren seine Zuhörer verschwunden.,» (Diese Zeilen haben mir in einer sonst sehr mittel­

mäßigen Schilderung gefallen.)

S. io3.

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iS?

S. 103. „Die Menschen haben oft wunder, „bare Einfälle. Ich war neulich bey einer Jmig„fer, welche verschiedene Hcirathen ausgeschla„ gen, und darüber das fünfzigste Jahrzurückge„ legt hatte. Selbige erzählte mir mit einer Art „desKummers, wie sie beständig etwas wimmern „hörte, und nicht anders glauben könnte, als „daß cs die wehklagende Stimme der Kinder wa« „re, welche von ihr nicht zur Welt gebracht wor„ den. Ich richtete sie so gut auf, als ich konnte; „bin aber versichert, daß, wenn ein gewisser tief„ denkender Philosoph dieses ©ei'-imniere gehöret, „ er daraus eine wichtige Beobachtung würde ge« „machet, und cs sür Seufzer möglicher Wesen „gehalten haben, deren ausgcbliebcnc Würkiich„keit gewissen Ecken der Welt das Unglück Me„zogen, nicht vorgestellct zu werden.,, (Dieses Einfalles, um einen nicht verstandenen metaphy­ sischen Satz lächerlich zu machen, dürste sich Vol­ taire nicht schämen.) S 108. „Selbstbey der heilsamenKirchcnver„besserumr blieb in vermiedener Absicht der Vev„stand unter dem Joche der alten Vorurih ile. L4 „Die

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„Die Grundsätze wurden verworfen, aber die „Folgen beybehalten. Die Ehe hielt man für „kein Sacrament; man taufte keine Glocks» „mehr; den Kirchengütern sprach man die Hei« „ ligkeit ab; und gleichwohl mußten es noch Geist« „liche seyn, welche über diese Sachen gerichtlich „erkannten. Einen Widerspruch suchte man „durch den andern zu heben. Dem Landesherr« „ wurden zween Köpfe aufgesetzt: bald regierte er „als Fürst, bald als oberster Bischof. Noch zu „unserer Zeit wird diese ungereimte Sprache ge„ führet; zum klaren Zeugnis, daß wenn gleich „ ein alter Schade gcheilet ist, die Narben sich so „ leicht nicht verlieren

Ein Urtheil des Vers, über unsre Dichter wird sehr sicher auf ihren Beyfall Anspruch machen, und wo möglich eine gewisse Sekte überführen, daß wir nicht die emsigen sind, die durch ihr ra­ sendes Gewäsche empört werden.

„Wie seufzt nicht die Vernunft, wenn im glän„ »enden Schimmer ein leeres Nichts erscheinet; „wenn der Dichter sein Talent zum Unsinn oder „zur

- ----------------- 16-

„jur Versfihrung mißbrauchet? Erblickt man da„ gegen in dem Schmucke und prachtvollen Kleide „der Musen das Kluge, das Wahre, das Rütz» „licht, so macht sich das Herz daraus ein rechtes „Empfindungsfest, da bewundert man einen Hal» „ler, dessen grosser Geist sich gleichsam mit der „Sprache hermnkampfet, die ihm Worte liefern „soll, um seine starke Gedanken auszudrücken. „Was für ein sanftes Vergnügen durchwallet ei„nen nicht, wenn die heimliche Kunst eines un„nachahmlichen Gellert» die Natur beschleichet, „sie an der Hand herumführet, jeden Schritt „lehrreich machet, und kurz ju sagen, nichts „suchet, und alles findet? Wit reizend, wie „erhaben ist nicht ein Cramer, ein Uz, rin wie„land und andre Dichter, welche die Grösse ih„rer Gaben, und die Anmuth ihres Gesanges „ nicht zum eiteln Spielwerke brauchen, sondern „der Andacht, der Tugend und der Verbesserung „der Sitten weihen.,, (Eine Anmerkung dar­ über, daß U; und Wieland neben einander ge­ setzt werden, bars ich wohl nicht erst hinschreiben, da sie Ihnen sogleich beyfallen wird. Aber ist L 5 nicht

170 nicht Hallers nnd Gellerts Karakterisirung vöd treflich gerathen?

Dis waren nun die guten Stellen, und wie gesagt, ich zweifle ob ich eine ausgelassen habe. Damit sie aber doch urtheilen können, was für Stroh ich weggeraumet habe, tim zu jenem

Lnrchzubrechcn: so will ich ein Paar Pröbchen -ersetzen. S. 56. erzählt der B. ein Histörchen von einem Engländer, welcher jeden Morgen in

freyer -tot fünfzig Verse zu heilsamer Bewegung feiner Lunge auSgcssrochen, „und weil ihm daS „Griechische viel schnarchender und daher zur „Ausleerung seiner Brust weit bequemer geschie, nen: so hätte er zu dieser Gesundheits-Uebung

„vorzüglich den Homerus gewahlct.., DaS Griechische solte schnarchender als andre Spra­ chen seyn, und das schnarchendeste Griechische im Homer? Ich kann mich irre«: wo nicht, so habe ich dis Histörchen im Schaftesbury gelesen.

Aber ich will wetten, daß das Wort schnarchend sehr falsch übersetzt ist. In der Schilderung, darinn der oben erwähnte Dichter mit de» beyden jungen Herren vorkömt, zeigt

leigt sich auch parallagramm, ein ticssnmigcr Meßkünstlrr, wclchcr dasHrauenzimmcr mit bett Quadraten der Winkel, so ihre Blumen und Zit« ternadeln machten, unterhielt. Ich wünschte wohl, daß kein Hofmeister mit seinen Untergebe­ nen von Sachen schwatzte, die er nicht versteht. Quadrate von Winkeln! Ucberhanpt sehen dir Schilderungen des V. denen in unsern gemeine» Wochenblättern so sehr ähnlich, daß der Vers, hierin» leider kein Sonderling ist. Weil ich alles gethan habe, was ein redlicher Ästann thun kann, einen Unbekanten nemlich nur von seiner guten Seite kennen zu lehren: so schlies­ se ich hier mit fröhlichem Herzen meinen Vries, ohne einmal zu erwähnen, daß ich fast nur abgr« schrieben habe.

V.

Zwey-

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Zweyhundert und vier und fünfzigster Brief. Leichtigkeit und nachdrückliche Kürze sind die vor­

nehmsten Tugenden eines Prosascribenten Die rntgegenstchrnde Fehler auf beiden Seiten sind unangenehm. Weitschweifigkeit erregt Lan­ geweile, und Dunkelheit Unwillen. Noch über­ windet sich mancher die düstersten Irrwege einer untcrirrdischcn Hole durchzureisen, wenn er am Ende erhabene und wichtige Geheimniffe erfahren kann. Wenn man aber von der Mühe eine« Dunkeln Schriftsteller zu rnträthselu, nichts als Einfalle zur Ausbeute hoffen darf, so bleibt der Schriftsteller wohl ungelesen. Das heisse eine beschwerliche Reise über die Aloen thun, um rin Feuerwerk anzusehcn. Das Mittel zwischen beiden Extremitäten zu finden, und zu halten, ist kein Werk des Genies, sondern des Geschmacks. Das Genie kennet nur seine eigene Kräfte, und nimmt die Grösse dersel­ ben allezeit zuin Maasstabe an. Es urtheilt von her Fassungskraft andrer nach der Seinigcn, oder vielmehr

======= 173 Vielmehr es siehet gar auf andere nicht, und weiß niemals das rechte Maaß der Einsicht zu treffen, die es bey seinen Lesern vvraussctzen kann. Da­ her kommen die Ungleichheiten, die man in dem Vortrage desselben zu bemerken pflegt. Wo daS Genie zufälligerweise nicht mehr voranssetzt, als die Leser wissen, da drückt es sich mit einer unnachahmllchen Leichtigkeit aus. Wo es dieses Ziel überschreitet, wird es dunkel, und wo es von seinem Feuer verlassen wird, weitschweifig und verwirrt. Daher scheinen die grossen Genies bald für Engel, bald für Kinder zu schreibe«. Hingegen lehret uns der Geschmack unser Abse­ hen allezeit auf eine gewisse Reihe von Lesern yt richten, durch Beobachtung und Nachdenken der höchsten und niedrigsten Stufen von Tinsichteu zu erfahren, die man ihnen Zutrauen kann, und end­ lich im Durchschnitt denjenigen Ausdruck zu wäh­ len, bey welchem der Geringste aus dieser Reihe nicht weniger, der Aufgeklärteste aber weit mehr denkt, als geschrieben stehet. Wer sich von dieser glücklichen Mittelstrasse ver­ lieret, ist in. Gefahr destvmehr davon abzukomMkN/

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wen, je mehr Genie er hat, so wie eia edlet Roß weiter vom Wege abführea kann, als ei« gemeines Zugpferd. Besonders pflegt die Bc> gicrde sich einen eigenen Weg zu bahnen, nm eia Original zu seyn, die besten Köpfe zu verführen. Diese- Begierde ist wie eine Seuche, die die ge­ sundesten und stärksten Temperamente dahin rast, und die Schwächlichen verschonet. Ich habe itzt einen Schriftsteller vor mir, der eine feine Beurtheilungskraft besitzt, viel gelesen und verdauet hat, Funken von Genie zeigt, und den Kern und Nachdruck der deutschen Sprache in seiner Gewalt hat, der also vermöge dieser er „Spiral (mit syllogistrschen Mittelbigriffen „von gleichen Stoffe!) gefunden, daß dieses „Bändchen, (welches ich die Ehre habe, Dir, „geneigter Leser! in die Tasche zu spielen,) nicht „Beängstigungen, sondern Kreuzzüge des Phi» „lologen heissen soll, denn tvie Eug.n, -------schlagt er die heuchelnden Trommeln, «Zier und dorr bricht et ein----------Siechbeee.

An einem andern Orte: „Das Commißörodt, „was dir Bürger zu Glbeon mit sich nahm««, „m« harr und sschimlichr — Also ist &at>» „ baka; und damit holla!» — So denn folget ein Spriichelge» aus dem Hiob, das sich hieher paßt, wie die Rabbala zum fchiuckchten Commißbrodte. — . Bey der Menge solcher ungereimten Grillen, die der Leser auf allen Seiten antrift, muß er auf den Verf. nothwendig den Verdacht werfe«, er wolle ihn zum Narren haben, oder träume mit offenen Augen. Da Sie dieses seltsame Bändchen vielleicht mit Unwillen wegwerfen, und die Geduld nicht haben werden,

iverdeir, die wörtlich schönen Stellen ans dem Wüste hervorznsuchcn; so will ich durch einige Beyspiele Ihre Aufmerksamkeit reizen. Wo das Fehlerhafte so sehr in die Augen fallt; da muß der unparthcyische Kunstrichker, wenn doch wirkliche Schönheiten vorhanden sind, die Schönheiten aufsuchen. In dein nicht viel bedeutenden Aussätze über eine akademische Frage, finde ich folgende sehr richtige Bemerkung: — „Modewahrheiten, „ Vorurtheile des Augenschein« und Anst Ken«, „die bey einem Volke circoliren, machen gleich» „sam die künstliche und zufällige Denkungsart „desselben aus und haben eine» besondern Einfluß „in seine Sprache. Der Augenschein der mathe„matifchen kchrart und das Ansehen der sranzösi„ schcn und englischen Schriftsteller haben bey uns „grosse entgegen gesetzte Veränderungen hrrvvrge„ bracht. Es ist ein eigen Glück für unsere Spra„ che gewesen, daß die Ucbcrsetzungs- und Demom „strirsucht sich einander gleichsam die Stange ge„halten-, die letzte würde sic zu einem Rosenkranz „ abgczahltcr Kunstwörter, und die erste zu einem „Netz gemacht haben, das gute und faule Fische „ allerley Gattung sängt und aufnimmt. „

Der zweyte Aussatz enthält vermischte Anmer­ kungen über die Wortfügung in der franzö­ sischen Sprache, aus welcher Hr .25. Ihnen einst das ganz von ungefähr angcflickte Urtheil über dcS Herrn von Moser Herrn und Diener, in einer Nachschrift angeführt hat. — Dieser Aussatz M 2 ist

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ist voll feiner Gedanken und sehr guten Anmerkungen, die sich der Leser bey Erblickung des albernen Holzschnittes, mit welchen ihn der Vers verunjicrt hat, wohl nicht versprechen wird. Hier find ein Paar Proben! „In der Vergleichung, welche man bey Ge­ diegenheit einer Streitfrage zwischen der lateini„schm und französischen Sprache eingestellt, ge„ riech man auch aus eine Untersuchung der Lehre „von den Inverstsven. Es ist bekannt, wie „weit die Freyheit in der römischen Sprache geht „ die Wörter zn versetzen, und daß inan in Schuj, len die Gewohnheit hat, diese Schönheit der al„tcn Schriftsteller, durch das sogenannte con« „struiren, zu vernichten; weil durch diesen metho„dischen Unfitg dem Ohr der Jugend die Uebung „des Wohlklangs, der zu einem lateinischen Pe„rioden gehört, mtzogm wird, und zugleich der „Nachdruck des Sinn's vielmals verloren geht, „wo durch die Stellung der Wörter die Ausmerk„samkcit des Lesers oder Zuhörers erweckt und „stuffenweise unterhalten werden soll.

„Die deutsche Sprache ist ihrer Natur nach „vor andern dieser Inversion fähig; and ihre „Kühnheit tragt mit zum Anschn unserer poeti„schcn Schreibart bey. Ich null ein leichtes Bey„ spiel anführen. Wir können ohne Abbruch der „Reinigkeit und Deutlichkeit sagen: Er hat mir „ das Buch gegeben. „Mir hat er das Buch gegeben. --Das Buch hat er mir gcgebey.

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„Gecken hat «r mir das Buch. Die erste „Wortfügung ist die geradeste; oder der Nach» „ druck derselben kann auf denjenigen, der gegeben „hat, gelegt werden. In der zwoten ruht der „Hanptbegrif auf dem Worte mir; in der dritten „weist man auf das Buch; in der letzten ans die „ Handlung des Zeitwortes. Man sicht hieraus, „daß die Inversion nicht schlechterdings willkühr„lich oder zufällig, sondern dem Urtheil des X)en „standes und des Gehörs unterworfen i(l.„

„Die Reinigkeit einer Sprache entzieht ihrem „Reichthum; eine gar zu gefesselte Richtigkeit, „ihrer Stärke und Mannheit. — In einer so „grossen Stadt, als Paris ist, liessen sich jähr„lich, ohne Aufwand, vierzig gekehrte Männer „ausbringen, die unfehlbar verstehen, was in „ihrer Muttersprache lauter und artig, und zum „Monopol dieses Trödelkrams nöthig ist. — „Einmal aber in Iahrhunderren geschieht cs, „daß ein Geschenck der Pallas, — ein t!7en, „ schenbild, — vom Himmel Mt, bevollmäch„tigt, den öffentlichen Schatz einer Sprache mit „Weisheit, — wie ein Sülly, zu verwalten, „oder mit Klugheit, — wie ein Colbert zu ver­ mehren.» Das Sinnreiche dieser Vergleichung deutlicher einzusehen, muß man wissen, daß der V im An­ fänge des Aufsatzes das Geld mit der Sprache verglichen, und an beyden nicht wenig ähnliche Eigenschaften gezeigt hat. Man begreift dadurch, wie er den guten Schriftsteller, welcher de« VorM 3 rath

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rath in seiner Sprache wohl zu gebrauchen weis, mit Bully, und dasOcnie, Pas seine Sprache ver­ mehret, mit Lotbere, gar füglich vergleichen tonte. Die Magi aus dem Morgenlande, zu Beth­ lehem, und das darauf folgende Rlaggedichr in Gestalt eines Sendschreibens über die Kirchen­ musik enthalten wenig merkwürdiges, ausser ei­ nem seltsamen Urtheil des Rapl,»el Fregoso, von welchem der V mit einiqm Grunde besorget, die Leser und Knnstrichter dürften über ihn einen ähn­ lichen Ausspruch thun. „kÄe malediäus Paulus „femper ita obfcure loquitur, utvix poflitin„ telligi, & fi haberen» cum in manibus, eum „ per capi’aos inter*rogarem „ Sodenn folget ein Auszug auS der keinen franz. Schrift. L'lnoculation du Bon-lens, und hier­ auf der Brief über unsere Recension der Neuen Heloise.

Was versiebet man unter Rleeblatt hellenisti­ scher Briefe? Sie können es unmöglich errathen. Ich habe diese Briese gelesen, und weis, daß ih­ rer dre.' sind, warum sie aber alle drey hellenistssch heissen sollen, da die ersten beyden vom Grie­ chischen und der dritte vom Hebräischen redet, begrciffe ich nicht. Jedoch so ist», wenn man nie­ mals, wie andere Leute reden will! Der erste handelt von der Schreibart des Neuen Testaments bestehet aber nur in witzigen Einfällen, die in einerernsthaftrn Sache nichts entscheiden, und also



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dis» ans Wohlstand weqblciben sollten. — Ich weis nicht was für Ohfervationes facras, der V. im Eingänge im Simie hat: Ich kann also nicht wissen, in wie weit das drolligte Urtheil gerecht, oder ungerecht seyn mag, das er davon fallt. „ Sie „vmvcisen mit gutem Grunde, schreibt er an seinen „Freund, den Leser bey dem Titel desBuchcs auf „der Proprietät des Worts: Obfervationes, ich „weis aorr keinen, warum man derqleichm Ob„fervationes eben facras, Uttd nicht profanas, „criticas u f. w. nennet, da fit doch in einem „Picknickans Profauscribcnkcn bestehet; frage al„soausHaqqai i, 13. Wenn jemand heilig Fleisch „ trüge in seines Kleides Geren, und rührte dar„ nach an mitscincm Geren Brodt, Gemüse, Wein, „Del, oder was es für Speise wäre, würde es „ auch heilig? — Die Priester antworteten und „sprachen: Nein!,,

Der twcyte Bries enthält sehr gute Gedanken über die Ordnung, in welcher man die griechische Schriftsteller lesen muß, und verdienet mit Auf­ merksamkeit gelesen zu werden. Er hat ansser sei­ nem innern Werthe noch das unentbehrliche ^Ne­ benverdienst, daß man ihn verstehen kann. Der Vers, bleibt so ziemlich im Gleise. Hier und da nur lockt ihn der Schimmer des Sinnreichen ein wenig seitwärts, und er verfolgt seine Einfalle so ängstlich, als wenn er befürchtete, er würde nie­ mals wieder welche haben Z B. „Ich mochte „eher die Anatomie für einen Schlüssel - zum „ r«ti9-i, — (Bis hicher war der spielende Einfall noch erträglich, aber der Vers, zerrt ihn weiter fort.) „Niemand als ein Prophet kann von die« „fett Beinen weissagen, daß Adern und Fleisch „darauf wachsen, und Haut sie überziehe. — „ Noch ist kein Odem in ihnen — bis der Pro„ phet zum Wind« weissagt, und des HErrn wort „zum Winde spricht „ — Wars der Irrwisch wohl werth, daß ihm der Vers, so weit nachgelauffe»? Der dritte Bries soll ein Urtheil des f;cinmg>tt ersetzen de» „Mangel unserer Geschichtschreiber. An Philv„sophie lohnt cs gar die Mühe nicht zu denken: „desto mehr systematische Kalender! — mehr „als Spinncnweben in einem verstörwll Schlosse. „Jeder Tagedieb, der Ruch nlarein und „Schw°iz-rde„tsch mit genauer Noth verstehet, „dessen Name aber mit der ganzen Zahl M. oder „ der halbe« des akademischen Thieres (vermuth­ lich Magister oder Doktor. Welch eine übertrie­ bene Neigung zum Räthselhaften!) gestempelt ist, „demonstriret Lügen, daß Bänke und die dar„ auf fitzende Rlöye, Gewalt! schreyen müssen, „wenn jene nur Ohren hatten, und diese, wie „wohl sie der leidige Spott Zuhörer nennt, mit „ihren Ohren zu hören geübt wären.,. — Der Nest bestehet aus einem lateinischen Auf­ sätze, und einigen deutschen Gedichten, die ziem­ lich deutlich, aber leider!, ziemlich schlecht find. — Ein Dr kmahl in Pröse macht den Beschluß, das nicht ganz misfallen wird — Ich glaube, Sie werden mit mir einstimmen, daß der Vers, bey allen seinen Fehlern, Genie »errathe, und daß ihm zum guten Schriftsteller nichts

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Nichts, als Geduld ftine Ideen auszubilden, Spar» samkeit im Gebrauche der Redezierathen, und Verläugnuug seiner Licblingsgrilleu fehlet. War für ein Unterschied zwischen einem solchen Man» und einem andern, der sich durch keinen ander» Titel zum Schriftsteller rechtfertigen kann, als durch das Talent so deutlich wie rin Krauterweib zu wüschen« Aber freylich! so lange der gute Kopf auf seinem Eigensinn beharret, und sich nicht bessern will so hat sein Antipode, der sich nicht bessern kann, die schönste Gelegenheit zu trumv phiren. *

s. • S. di« Hamburgischen Nachrichten aus de« Reiche der Gelehrsamkeit-

Ende des fünfzehnten Theils,