Analekten für die Litteratur: Teil 4 [Reprint 2022 ed.]
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Analekten fük - i e Litteratur. Von

Gotthold Ephraim Leßing.

Vierter Theil. «t—

Bern und Leipzig, in der Hallerschrn Buchhandlung,

■■ in-

Hamburgische

Dramaturgie.

daß er Ihn selbst von ihrem Vater Heinrich nicht würde erduldet haben r und so begab er sich vom Hofe. Der Brief, de» or an den Kanzler Egerton über diesen Vorfall schrieb, ist Mit dem würdigsten Stolze abgefaßt, und er schien fest entschlossen, sich der Königin nie wieder zu nähern. Gleich­ wohl finden mir ihn bald darauf wieder in ihrer völlige» Gnade, und in der völligen Wirksamkeit eines ehrgeizigen Lieblings. Diese Versöhnlichkeit, wenn sie ernstlich wat, macht uns eint sehr schlechte Idee von ihm i und keine viel

bessere, wenn sie Verstellung war. Zn diesem Falle war er wirtlich rin Verräther, der sich alles gefallen ließ, bis er den rechten Zeitpunkt gekommen zu seyn glaubtet Ei» elender Weinpacht, den ihm die Königin nahm, brachte ihn am Ende weit mebr auf, als die Ohrfeige r und der Zorn über diese Verschmälerung seiner Einkünfte, verblen* bete ihn so, da- er ohne alle Ueberlegung losbrach. So finden wir ihn in der Geschichte, und verachten ihn. Aber nicht so bey dem Banks, der seinen Aufstand zu der un» Mittelbaren Folge der Ohrfeige macht, und ihm weiter keine treulosen Absichten gegen seine Königin beylegt. Sei» Fehler ist der Fehler einer edeln Hitze, de» er bereuet, -er ihm vergeben werd, und derchloS durch die Bosheit seiner Femde der Strafe nicht entgeht, die ihm geschenkt war.

Lvn. Den t?ten Novembbee 1-67.

Banks hat di« nrmtichen Worte beybehalten, die Esser über die Ohrfeige ausstieß. Nur daß er ihn dem einen Heinriche noch alle Heinriche in der Welt, mit samt Ale» -andern, bryfügrn läßt.') Sein Essex ist überhaupt zu ») AO. III.

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B»«a

The Subtilty, and fflbman in your Sex, I scoear , that had yeu been a Man you durft not t Nay, your bald Bather Harry durft not thu Have done — Why fay I him ? Not all thc HaTryl i Nor Alexanders seif, Teere he alive , Shou'd boaft of such a deed en EJsex dont

bessere, wenn sie Verstellung war. Zn diesem Falle war er wirtlich rin Verräther, der sich alles gefallen ließ, bis er den rechten Zeitpunkt gekommen zu seyn glaubtet Ei» elender Weinpacht, den ihm die Königin nahm, brachte ihn am Ende weit mebr auf, als die Ohrfeige r und der Zorn über diese Verschmälerung seiner Einkünfte, verblen* bete ihn so, da- er ohne alle Ueberlegung losbrach. So finden wir ihn in der Geschichte, und verachten ihn. Aber nicht so bey dem Banks, der seinen Aufstand zu der un» Mittelbaren Folge der Ohrfeige macht, und ihm weiter keine treulosen Absichten gegen seine Königin beylegt. Sei» Fehler ist der Fehler einer edeln Hitze, de» er bereuet, -er ihm vergeben werd, und derchloS durch die Bosheit seiner Femde der Strafe nicht entgeht, die ihm geschenkt war.

Lvn. Den t?ten Novembbee 1-67.

Banks hat di« nrmtichen Worte beybehalten, die Esser über die Ohrfeige ausstieß. Nur daß er ihn dem einen Heinriche noch alle Heinriche in der Welt, mit samt Ale» -andern, bryfügrn läßt.') Sein Essex ist überhaupt zu ») AO. III.

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The Subtilty, and fflbman in your Sex, I scoear , that had yeu been a Man you durft not t Nay, your bald Bather Harry durft not thu Have done — Why fay I him ? Not all thc HaTryl i Nor Alexanders seif, Teere he alive , Shou'd boaft of such a deed en EJsex dont

Viel Prahler r und ti fehlet wenig, da- er nicht ein eben fe großer Gasconier ist, als der Essex des GasconierS Calxrenede. Dabey erträgt er sein Unglück viel ju klemmn« thig. und ist bald gegen die Königin eben so kriechend, als «r vorher vermesse« gegen sie war. Banks hat ihn zu sehr «ach dem Leben geschildert. Lin Karakter, der sich so leicht Vergißt, ist kein Karakter, und eben daher der dramati­ schen Nachahmung unwürdig. In der Geschichte kann man dergleichen Widersprüche mit sich selbst, für Verstel­ lung halten, weil wir in der Geschichte doch selten das Innerste de- Herzens kenne« lernen: aber in dem Drama werde« wir mit dem Helden allzu vertraut, als daß wir nicht gleich wissen sollten , ob seine Gesinnungen wirk­ lich mit den Handlungen, die wir ihm nicht zugetrauet hätten, übereinstimmen, oder nicht. Ja, sie mögen eS, »der sie mögen es nicht: der tragische Dichter kann ihn in beydm Fällen nicht recht nutzen. Ohne Verstellung fällt der Karakter weg; bey der Verstellung die Würde desselben. Mit der Elisabeth hat er in diesen Fehler nicht fallen können. Diese Frau bleibt sich in der Geschichte immer so Vollkommen gleich, als es wenige Minner bleiben. Ihre Zärtlichkeit selbst, ihre heimliche Liebe zu dem Essex, hat er mit vieler Anständigkeit behandelt; sie ist auch bey ihm Hewiffermaßen nach ein Geheimniß. Seine Elisabeth klagt nicht, wie die Elisabeth des Corneille, über Kälte und Verachtung, über Gluth und Schicksal z sie spricht von keinem Gifte, das sie verzehre; sie jammert nicht, -aß ihr der Undankbare eine Suffslk vorziehe, nachdem sie ihm doch deutlich genug zu verstehen gegeben, -aß er um sie allein seufzen solle, u. s. w. Keine von diesen Armseligkeiten kömmt über ihre Lippen. Sie spricht nie als eine Verliebte; aber sie handelt so. Man hört es nie, aber man sieht es, wie theuer ihr Essex ehedem gewesen, und noch ist. Eini-

ge Funken Eifersucht verrathen sie; sonst würde man sie schlechterdings für nichts, als für seine Freundin halten

können. Mit welcher Kunst aber Banks ihr« Gesinnungen gegen -en Graftn in Aktion ju setzen gewußt, -aS können fol­ gende Semen des dritten Aufzuges zeigen.------ Die Kö­ nigin glaubt sich allein, und überlegt den unglücklichen Zwang ihres Standes, der ihr nicht erlaube, nach der wah­ ren Neigung ihres Herzens zu handeln. Indem wird sie di« Nottingham gewahr, die ihr nachgekommen. — Die AöniginT'Du hier, Nottingham? Ich glaubte,

ich sey allein. Nottingham. Verzeihe, Königin, daß ich so kühn bin. Und -och befiehlt mir meine Pflicht, noch kühner zu seyn.— Dich bekümmert etwas. Ich muß fragen, — aber erst auf

meine» Knien Dich um Verzeihung bitten, daß ich es fra­ ge — Was ists, das Dich bekümmert? Was ist eS, da-

diese erhabene Seele so tief herab beuget?

Oder ist Dir

nicht wohl ? Die Römgin. Steh auf; ich bitte dich. — Mir ist ganz wohl. — Ich danke dir für deine Liebe. — Nur unruhig, ein wenig unruhig bin ich, — meines Volks we­ gen. Ich habe lange regiert, und ich fürchte, ihm nur zu lange. Es fängt an, meiner überdrüßig zu werden. Neue Kronen sind wie neue Kränze; die frischeste», sind die lieblichsten. Meine Sonne neiget sich; sie hat in ih­ rem Mittage zu sehr gewärmet; man fühlet sich zu heiß; man wünscht, sie wäre schon untergegangen. — Erzähle mir doch, was sagt man von der Ueberkunft -es Esser ? ' Nottingham. — Von seiner Ueberkunft—sagt man — nicht das Beste. Aber von ihm— er ist für eine» sp tapfern Mann bekannt — Die Königin. We?. tapfer? da er ynr sh, -renrt ? Der Derräther:

Nottingham. Gewiß/ «s war nicht gut — Die Römgin. Nicht gut! nicht gut ? - Weiter nichts ? Nottingham. ES war eine verwegene,ftevelhafteThat.

Die Röntgin. Nicht wahr, Nottingham ? — Meinen Befehl so gering zu schätzen! Er hätte den Tod dafür vev» dient. — Weit geringere Verbrechen haben hundert «eit

gelicbtern Lieblingen den Kopf gekostet.

Nottingham. Za wohl.

Und doch sollte Ester,

bey so viel größerer Schuld, mit geringerer Strafe davon

kommen? Er sollte nicht sterben ? DieRönigin. Er soll!— Er soll sterben, und in den empfindlichsten Martern soll er sterben! — Seine Pein sey, wie sein« Verrätherey, die größte von allen! — Und

dann will ich seinen Kopf und seine Glieder, nicht unter

den finstern Thoren, nicht auf den niedrigen Brücken, auf den höchsten Zinnen will ich sie aufgesteckt wissen, damit feder, der vorübergeht, sie erblicke und auSruf«: Siehe da, den stolzen undankbaren Essex 1 Diesen Essex, welcher der Gerechtigkeit seiner Königin trotzt«'. — Wohl gethan!

Nicht mehr als er verdiente! — Was sagst du, Notting­

ham? Meinst du nicht auch? — Du schweigst ? Warum

schweigst du ? Willst du ihn noch vertreten? Nottingham. Weil Du eS denn befiehlst, Königin so will ich Dir alles sagm, was die Welt von diesem (lot» Ittt, undankbaren Manne spricht — Die Königin. Thu daS! — Laß hören r was sagt die Welt von ihm und mir ? Nottingham. Don Dir, Königin? — Wer ist

der von Dir nicht mit Entzücken und Bewunderung sprä­ che? Der Nachruhm emeS »erstorbenen Heiligen ist nicht

lauterer, als Dein Lob, von dem aller Zungen ertönen. Nur

dieses einzige wünschet man, und wünschet eS mit den heis­ seste» Thränen, die au- der reinsten Lieb« gegen Dich

rntspringen, — dieses einzige, daß Du geruhen möchtest, ihren Beschwerden gegen diesen Esser abzuhelftn, einen solchen Derräther nicht länger zu schützen, ihn nicht länger der Gerechtigkeit und -er Schande vorzuenthalten, ibn end» lich der Rache zu überliefern. — Die Aönigin. Wer hat mir vorzuschreibrn r Nottingham. Dir vorzuschreibrn! — Schreibet man hem Himmel vor, wenn man ihn in tiefester Unterwerfung anstehet r — Und so flehet Dich alles wider den Mann an, dessen Gemüthsart so schlecht, so boshaft ist, daß er eauch nicht der Mühe werth achtet, den Heuchler zu fpi* len. — Wie stolz! wie aufgeblasen! Und wir unartig, pöbelhaft stolz; nicht anders als ein elender Lakey auf sei* nen bunten verbrämten Rock! — Daß er tapfer ist, räumt man ihm ein; aber so, wie es -er Wolf oder der Bär ist, blind zu, ohne Plan und Vorsicht. D«e wahre Tapfer­ keit , welche eine edle Seele über Gluck und Unglück erhebt, ist fern von ihm. Die geringste Beleidigung bringt ihst aus > er tobt und raset über ein Nichts; alles soll sich vor ihm schmiegen ; überall will er allein glänzen, allein hrv, vorragen. Luzifer selbst' der -en erste» Saamen des La­ sters m dem Himmel ausstrenete, war nicht ehrgeiziger und hcrrschsüchtiger, als er. Aber, so wie dieser aus denz Himmel stürzte---------Die Aönigin. Gemach, Nottingham, gemach', — Du eiferst dich ja ganz aus dem Athen. — Ich will nichts mehr hören — (bey Seite) Gift und Blattern auf ihr» Zunge! — Gewiß, Nottingham, du solltest dich schäu­ men, so etwas auch nur nachzusagen; dergleichen Nieder­ trächtigkeiten des boshaften Pöbels zu wiederholen. Und «S ist nicht einmal wahr, daß der Pöbel das sagt. Er denkt es auch nicht. Aber ihr, ihr wünscht, daß er «s sagest möchte.

Nottingham. Ich erstaune, Königin — Die Rönigin. Worüber ? Nottingham. Du gebothest mir selbst, zu reden — Di «Rönigin. Ja, wenn ich eS nicht bemerkt hätte, tote gewünscht dir dieses Geboth kam 1 wie vorbereitet du darauf wärest! Auf einmal glühte dein Gesicht, flammte dein Auge; das volle Herz freute sich, überzuflieffcn, und jedes Wort, jede Gebehrde hatte seimn längst abgezielten Pfeil, der jeder mich mit trist. Nottingham. Verzeihe, Königin, wenn ich in dem

Ausdrucke meine Schuldigkeit grfehlet habe. Ich maß ihn Nach Deinem ab. Die Rönigin. Nach meinem? — Ich bin seine Kö« Nigin. Mir steht eS frey, dem Dinge, das ich geschaffen habe, mitzuspielen, wie ich will. — Auch hat er fich der gräßlichsten Verbrechen gegen meine Person schuldig ge­ macht. Mich hat er beleidiget; aber nicht -ich. — Wo­ mit könnte dich der arme Mann beleidiget haben? Du hast keine Gesetze, dir er übertreten, keine Unterthanen, die et bedrücken, keine Krone, nach -er er streben könnte. Wat

findest du denn also für ein grausames Vergnügen, einen Elenden, der ertrinken will, lieber noch auf den Kopf zu schlagen, als ihm die Hand zu reichen r

Nottingham. Ich bin zu tadeln — ' Die Rönigin. Genug davon!— Seine Königin, hie Welt, das Schicksal selbst erklärt sich wider diesen Mann,

und doch scheimt er dir kein Mitleid, keine Entschuldigung zu verdienen! — Nottingham. Ich bekenne es, Königin l —

Die Rönigin.. Geh, es sey dir vergeben! — Stuft mir gleich die Rutland her. —

L VIII. Dm roten November 1767. Nottingham geht, und bald darauf erscheinet Rutland. Man erinnere sich, daß Rutland, ohne Wissen der Koni» gin, mit dem Essex vermählt ist. Die Königin. Kömmst du, liebe Rutland ? Ich habe «ach dir geschickt. — Wie istS ? Ich finde dich, seit einiger Jett, so traurig. Woher diese trübe Wolke, die dein hol­ des Auge umziehet ? Sey munter, liebe Rutland; ich will dir einen wackern Mann suchen. Rutland. Großmüthige Frau- Ich verdiene es nicht» daß meme Königinn so gnädig auf mich herabstehet. Die Königin. Wie kannst du so reden? — Ich liebe dich; ja wohl liebe ich dich.—Du sollst er daraus schon ft» hen' —- Eben habe ich mit der Nottingham, der wider­ wärtigen l — einen Streit gehabt; und zwar — über Mylord Essex. Rutland. Har Die Königin. Sir hat mich recht sehr geärgert. Ich konnte sie nicht länger vor Augen sehen. 1 Rutland. (bey Seite) Wie fahre ich bey diesem theuern Namen zusammen Mein Gesicht wird mich verrathen. Ich fühle es; ich werde blaß — und wieder roth. — Die Königin. Was ich dir sage, macht dich erröHen? — Rutland. Dein so überraschendes, gütiges Vertrauen, Königin.— Die Königin. Ich weiß, daß du mrM Vertrauen ver­ dienest. -— Komm, Rutland, ich will dir alles sagen. Du sollst mir rathen. Ohne Zweifel, liebe Rutland',

rr Mir- du es auch gehört Haden, wie sehr das Volk wider

-en armen, unglücklichen Mann schreyet ; was für Ver­ brechen es ihm zur Last leget.

Aber das Schlimmste weiht

du vielleicht noch nicht? Er ist heute aus Irrland -ngek-mmen, wider meinen ausdrücklichen Befehl; und hat

die dortigen Angelegenheiten in der größten Verwirrung

grlaffen. Rutland» Darf ich Dir, Königin, wohl sagen, was ich denke? — Das Geschrey des Volkes, ist nicht immer

die Stimme der Wahrheit,

Sein Haß ist öfters so ungc-

gründet —-

Die Rönigtn. Du sprichst die wahren Gedanken met# Ittr Seele. —- Aber, liebe Rutland, er ist dem phngeach, tet zu tadeln. — Komm her, meine Liebe; laß mich an -einen Dusen mich lehnen.-— 0 gewiß, man legt mir

«S zu nahe! Nein, so will ich mich nicht unter ihr Joch -ringen lassen.

Sie vergessen, daß ich ihre Königin bin»

-—Ah, Liebe $ so ein Freund hat mir längst gefehlt, ge­

gen den ich so meinen Kummer ausschütten kann; — Nutland» Siehe meine Thränen, Königin —-Dich

so leiden zu sehen, die ichs» bewundere! —O, daß mein guter Engel Gedanken in meine Seele, und Worte auf meine Zunge legen wollte, den Sturm in Deiner Brust zu beschwören, und Balsam in Deine Wunden zu gießen l

Die Römgin. O, so wärest du mein guter Engel! Mitleidige, beste Rutland ! — Sage, ist es nicht Scha-, de, daß so ein braver Mann ein Derräther seyn soll? daß so ein Held, der wie rin Gott verehret ward, sich so er­

niedrigen kann, mich um einen kleinen Thron bringen zu

wollen ? Rutland» Das hätte rr gewollt? das könnte er wolsm? Nein, Königin, gewiß nicht, gewiß nicht! Wie oft

-abe ich ihn yon Dir sprechen hören l mit welcher Ergogrbenheit,

benheit, mit welcher Bewunderung, mit kvelchem Entzückr» habe ich ihn von Dir sprechen hiren l Die Rönigin. Hast du ihn wirklich von mir spreche« hören? Rutl. Und immer alSjeinm Begeisterten, au« dem nicht kalte Ueberlegung, au« dem ein inneres Gefühl spricht,-esse« er nicht mächtig ist. Sie ist, sagte er, die Göttin ihres Ge­ schlechts, so weit über alle andere Frauen erhaben, -aß das, was wir in diesen am meisten bewundern, Schönheit und Reitz,in ihr nur dieSchatten find,ein größereSLicht dagegen abzusetzen. Jede weibliche Vollkommenheit verliert sich in ihr, wie der schwache Schimmer eines Sternes in dem alle« überströmenden Glanze des Sonnenlichts Nichts übersteigt ihre Güte; die Huld selbst beherrschet, in ihrer Person, tiefe glückliche Insel; ihre Gesetze sind au« dem ewigen Gesetzbuche des Himmel« gezogen, und werden dort von Engeln wieder ausgezeichnet. — S, unterbrach er sich dann mit einem Seufzer, der sein ganze« getreue« Herz ausdrückte, o, daß sie nicht unsterblich seyn kann! Ich wünsche ihn nicht zu erleben, de» schrecklichen Augenblick, wenn die Gottheit diesen Abglanz von sich zurückruft, und mit eins sich Nacht und Verwirrung über Britanniea verbreiten. Die Römgin. Sagte er das, Rutland? Rutland. Das, und weit mehr. Immer so neu, al« wahr in Deinem Lobe, dessen unversiegene Quelle von den lautersten Gesinnungen gegen Dich überströmte — Die Rönigin. O, Rutland, wie gem glaube ich dem Zeugnisse, das du ihm giebst l Rutland» Und kannst ihn »och für einen Verräth« hallen i Die Rönigin. Nein r — aber doch hat er die Gesetze übrrtteten.------ Ich muß mich schämen, ihn länger zu

lßeßingo Ayaletten 4* V.

C

schützen. — -Ich darf es nicht einmal wagen, ihn z« sehen. Rutland. Ihn nicht zu sehen, K önigin ? nicht zu se­ ihen ? — Bey dem Mitleid, das seinen Thron in Deiner Seele aufgeschlagen, beschwöre ich Dich, — Du mußt ihn sehenSchämen ? wessen ? daß Dumit einem Unglück­ lichen Erbarmen hast? — Gott Hat Erbarmen: und Er­ barmen sollte Könige schimpfen?— Nein, Königin; sey auch hier Dir selbst gleich. Ja, Du wirst es; Du wirst ihn sehen, wenigstens einmal sehen. Die Rönigin. Ihn, der meinen ausdrücklichen Be­ fehl so gering schätzen können? Ihn, der sich so eigen­ mächtig vor meine Augen drengen darf? Warum blieb er nicht, wo ich ihm zu blieben befahl ? Rutland. Rechne ihm dieses zu keinem Verbrechen r Gieb die Schuld der Gefahr, in der er sich sahe. Erhörte, was hier vorgieng; wie sehr man ihn z» verkleinern, ihn Dix verdächtig zu machen suche. Er kam also, zwar ohn« Erlaubniß , aber in der besten Absicht; in der Absicht, sich zu rechtfertigen, und Dich nicht hintergehen zu lassen. Die Nönigin. Gut, so will ich ihn denn sehen, und will ihn gleich sehen. — L, meine Rutland, wie sehr wünsche ich es, ihn noch immer eben so rechtschaffen zu fin­ den, als tapfer ich ihn kenne ! Rutland. S, nähre diese günstige Gedanke! Deine kö­ nigliche Seele kann keine gerechtere Hägen. — Rechtschaf­ fen ! So wirst Du ihn gewiß finden. Ich wollte für ihn. schwören; bey aller Deiner Herrlichkeitfür ihn schwören, daß er es nie aufgehöret zu seyn. Seine Seele ist reiner als die Sonne, die Flecke« hat, und indische Dünste an sich ziehet, und Geschmeiß ausbrütet.— Du sagst, er ist' tapfer; und wer sagt cs nicht ? Aber «in tapferer Mann ist keiner Niederträchtigkeit fähig. Bedenke, wie er di«

Rebellen gezüchtiget; wie furchtbar er Dich dem Spanier gemacht , der vergebens die Schatze seiner Indien wider Dich verschwendete. Sein Name floh vor Deinen trn und Völkern vorher/ und ehe diese noch eintrafen, hatte schon sein Name gesiegt. Die Rönigin. (bey Seite) Wie beredt sie ist! ----Ha', dieses Feuer, diese Innigkeit, — das bloße Mitleid gehet so weit nicht. — Ich will es gleich hören r — (zu ihr) Und dann, Rutland seine Gestalt. — Antland. Recht, Königin; seine Gestalt.----- ' Nie hat eine Gestalt den innern Vollkommenheiten mehr ent­ sprochen i — Bekenn es, Du, die Du selbst so schön bist, daß man nie einen schönern Mann gesehen: So würdig, so edel, so kühn und gebieterisch die Bildung ! Ie-eGlied, in welcher Harmonie mit dem andern! Und doch das Ganz« von einem so sanften lieblichen umriffel Da­ wahre Modell der Natur, einen vollkommenen Mann $u bilden! Das seltene Muster der Kunst, die aus hundert Gegenständen zusammen suchen muß, was sie hier bey einander findet; Die Rönigin. (bey Seite) Ich dacht es! — Das ist nicht länger auszuhalten. - (zu ihr) Wie ist dir, Rutland ? Du geräthst außer dir. Em Wort, ein Bild überjagtdas andere. Was spielt so den Meister über dich ? Ist es blos deine Kömgm, ist es Esser selbst, was diese wahre, oder diese erzwungene Leidenschaft wirket? — ( bey Seite) Sie schweigt; — ganz gewiß, sie liebt ihn. — Was ha­ be ich gethan? Welchen neuen Sturm habe ich in meinem Busen erregt?u.s.w. Hier erscheinen Burleigh und di« Nottingham wieder, der Königin zu sagen, daß Essex ihren Befehl erwarte. Sr soll vor sie kommen. “ Rutland, sagt die Königin, wir sprechen einander schon «eiter; geh nur. — Nottingham, C r

;6 tritt du näher.» Dieser Zug der Eifersucht ist vortrefflich. Essex kömmt; und nun erfolgt die Seme mit der Ohrfeige. Ich wüßte nicht, wie sie verständigerund glücklicher vor­ bereitet seyn könnte. Essex anfangs, scheinet sich völlig unterwerfen zu wollen; aber, da sie ihm befiehlt, sich zu rechtfertigen, wird er nach und nach hitzig; er prahlt, er pocht, er trotzt. Gleichwohl hätte alles das dir Königin so weit nicht aufbringen können, wenn ihr Herz nicht schon durch Eifersucht erbittert gewesen wäre. Es ist ei­ gentlich die eifersüchtige Liebhaberin, welche schlägt, und die sich nur der Hand der Königin bedienet. Eifersucht überhaupt schlägt gern. — Ich, meines Theils, möchte diese Scenen lieber auch nur gedacht, als den ganzen Essex des Comeille gemacht haben. Sie sind so karaktrristisch, so voller Leben und Wahrheit, daß das Best« des Franzosm eine sehr armselige Figur dagegen macht.

LIX.

Don *4te« November 1767.

Nur den Styl des Banks muß man aus meiner Ueberketzung nicht beurtheilen. Von seinem Ansdrucke habe ich gänzlich abgehen müssen. Er ist zugleich so gemein und so kostbar, so kriechend und so hochtrabend, und das nicht von Person zu Person, sondem ganz durchaus, daß er zum Muster dieser Art von Mißhelligkeit dienen kann. Ich ha­ be mich zwischen beyde Klippen, so gut als möglich, durchzuschleichen gesucht; dabey aber doch an der einen lieber, als an der andern, scheitern wollen.

;6 tritt du näher.» Dieser Zug der Eifersucht ist vortrefflich. Essex kömmt; und nun erfolgt die Seme mit der Ohrfeige. Ich wüßte nicht, wie sie verständigerund glücklicher vor­ bereitet seyn könnte. Essex anfangs, scheinet sich völlig unterwerfen zu wollen; aber, da sie ihm befiehlt, sich zu rechtfertigen, wird er nach und nach hitzig; er prahlt, er pocht, er trotzt. Gleichwohl hätte alles das dir Königin so weit nicht aufbringen können, wenn ihr Herz nicht schon durch Eifersucht erbittert gewesen wäre. Es ist ei­ gentlich die eifersüchtige Liebhaberin, welche schlägt, und die sich nur der Hand der Königin bedienet. Eifersucht überhaupt schlägt gern. — Ich, meines Theils, möchte diese Scenen lieber auch nur gedacht, als den ganzen Essex des Comeille gemacht haben. Sie sind so karaktrristisch, so voller Leben und Wahrheit, daß das Best« des Franzosm eine sehr armselige Figur dagegen macht.

LIX.

Don *4te« November 1767.

Nur den Styl des Banks muß man aus meiner Ueberketzung nicht beurtheilen. Von seinem Ansdrucke habe ich gänzlich abgehen müssen. Er ist zugleich so gemein und so kostbar, so kriechend und so hochtrabend, und das nicht von Person zu Person, sondem ganz durchaus, daß er zum Muster dieser Art von Mißhelligkeit dienen kann. Ich ha­ be mich zwischen beyde Klippen, so gut als möglich, durchzuschleichen gesucht; dabey aber doch an der einen lieber, als an der andern, scheitern wollen.

, Ich habe mich mehr vor dem Schwülstigen gehütet, als

vor dem Platten.

Die mehresten hätten vielleicht gerade

das Gegentheil gethan; denn schwülstig und tragisch, hal­

ten viele so ziemlich für einerley.

Nicht nur viele, der

Leser: auch viele, der Dichter selbst. Ihre Helden sollten wie andere Menschen sprechen? Was wären das für Helden? Ampulle & Sesquipedalia verba ? Sentenzen und

Blasen und ellenlange Worte r das macht ihnen de« wah­ ren Ton der Tragödie. “ Wir haben es «»nichts fehlen lassen, sagt Diderot,

(man merke, daß er vornehmlich von seinen Landsleute«

spricht,)" das Drama aus -em Grunde zu verderben. Wir haben von den Alten die volle prächtige Derfifikation bey­

behalten , die sich doch nur für Sprachen von sehr abge­ messenen Quantitäten und sehr merklichen Aecenten, nur

für weitläusige Bühnen, nur für eine in Noten gesetzte und mit Instrumenten begleitete Deklamation so wohl

schickt: ihre Einfalt aber in der Verwickelung und dem Gespräche, und die Wahrheit ihrer Gemählde haben wir fahren lassen.,, Diderot hätte noch einen Grund hinzufügen können,

warum wir «ns den Ausdruck der alten Tragödien nicht

durchgängig zum Muster nehmen dürfen.

Alle Personen

sprechen und unterhalten sich da auf einem freyen, öffentli­ chen Platze, in Gegenwart einer neugierigen Menge Volks. Sie müssen also fast immer mit Zurückhaltung, und Rück­

sicht auf ihre Würde, spreche«; sie können sich ihrer Ge­

danken und Empfindungen nicht in den ersten den besten Worten entladen; sie müssen sie abmeffen und wählen. Aber wir Neuern, die wir den Chor abgeschaft, die wir «nsere Personen grißtentheils zwischen ihren vier Wänden ») Zweyte Unterredung hinter »em natürlichen Sohne. »ers. rg?. L 3

S. »en ue».

lassen: was können wie für Ursache haben, sie dem ohngeachtet immer eine so geziemende, so ausgesuchte, so rhe­ torische Sprache führen zu lassen? Sie hört niemand, als dem sie es erlauben wollen, sie zu hören; mit ihnen stricht niemand als Leute, welche in die Handlung wirk­ lich mit verwickelt, die also selbst im Affekte sind, und we­ der Lust noch Muße haben, Ausdrücke zu kontrolliern. Das war nur von dem Chore zu besorgen, der, so genau er auch in das Stück eingestockten war, dennoch niemals mit handelte, und stets die handelnden Personen mehr richtete, als an chrem Schicksale wirklichen Antheil nahm. Umsonst beruft man sich desfalls auf den höher» Rang der Personen. Vornehme Leute haben sich besser ausdrücke» gelernt, als der gemeine Mann: aber sie affektiren nicht unaufhörlich, sich besser auözudrücken, als er. Am wenig­ sten in Leidenschaften; deren icder seine eigene Beredsam­ keit hat, mit der allein die Natur begeistert, die in keiner Schule gelernt wird, und auf die sich -er Unerzogenste st gut verstehet, als der Polirteste. Bey einer gesuchten, kostbaren, schwülstigen Sprache kann niemals Empfindung seyn. Sie zeigt von keiner Em­ pfindung, und kann keine hervorbringen. Aber wohl ver­ trägt sie sich mit den simpelsten, gemeinst«», platteste« Worten und Redensarten., Wie ich Banks Elisabeth sprechen lasse, iveiß ich wohl, hat noch keine Königin auf dem ftanzösischm Theater ge­ sprochen. Den niedrigen vertraulichen Ton, in -em sie sich mit ihren Frauen unterhätt, würde man in Paris kaum einer gutm adelichen Landfrau angemessen finde«. “ Ist dir nicht wohl? — Mir ist ganz wohl. Steh auf, ich bitte dich. — Nur unruhig; «in wenig unruhig bin ich. — Erzähle mir doch. — Nicht wahr, Nottingham r

Thu darr Last höre«! — Gemach, gemach! — Du ei»

ferst dich aus dem Athem. — Gift und Blattern auf ihre

Junge I — Mir steht es ftey, dem Dinge, das ich geschaf­ fen hab«/ mitzuspielen, wie ich will. — Aufden Kopf

schlagen. — Wie ist« ? Gey munter, liebe Rutland; ich will dir einen wackern Manir suchen. — Wie kannst du so

reden? — Du sollst eS schon sehen. — Sie hat mich recht sehr geärgert. Ich konnte sie nicht länger vor Augen se­

hen. — Komm her, meine Liebe; laß mich an deinen Bu­

sen mich lehnen. — Ich -acht es l — Das ist nicht län­ ger auüzuhalten.,,------ Jawohl ist eSnicht auszuhaltenl würden die feinen Knnstrichter sagen------

Werden vielleicht auch manche von meinen Lesern sa­ gen. ------ Denn leider giebt es Deutsche, die noch weit

franzKsischer sind, als die Franzose».

Ihnen zu gefallen,

habe ich diese Brocken auf einen Haufen getragen.

kenne ihre Art zu kritisiren.

Ich

Alle die kleinen Nachläßigkei-

ten, die ihr zärtliches Ohr so unendlich beleidigen, die dem Dichter so schwer zu finden waren, die er mit so vieler Ue-

berlegung dahin und dorthin streuete, um den Dialog ge­ schmeidig zu machen, und den Reden einen wahrern An­ schein der augenblicklichen Eingebung zu ertheilen, reihe»

sie sehr witzig zusammen auf einm Faden, und wollen sich krank darüber lach'en.

Endlich folgt ein mitleidiges Ach­

selzucken : "man hört wohl, daß der gute Mann die große

Welt nicht kennet > daß er nicht viele Königinnen reden ge­ hört; Racine verstand das besser» aber Racine lebte auch bey Hofe.,, Dem ohngeachtet würde mich das nicht irre machen; Desto schlimmer für die Königinnen, wenn sie wirklich

nicht so sprechen, nicht so sprechen dürfen.

Ich habe eS

lange schon geglaubt, daß der Hof der Ort eben nicht ist ,

wo ein Dichter die Natur studiren kann. Aber wenn Pomp und Etiquette aus Menschen Maschinen macht, so ist eS C 4

das Werk des Dichters, aus diesen Maschinen wieder Men­ schen zu machen. Die wahren Königinnen mögen so ge­ sucht und affektirt sprechen, als sie wollen: seine Königinmn müssen natürlich sprechen. Er höre der Hekuba des Euripides nur fleißig zu; und tröste sich immer, wenn er schon sonst keine Königinnen gesprochen hat. Nichts ist züchtiger und anständiger als die simple Na­ tur. Grobheit und Wust ist eben so weit von ihr entfernt, als Schwulst und Bombast von dem Erhabnen. Das nehm­ liche Gefühl, welches die Grenzschcidung dort wahrnimmt, wird sie auch hier bemerken. Der schwülstigste Dichter ist daher unfehlbar auch der pöbelhafteste. Beyde Fehler sind unzertrennlich; und keine Gattung giebt mehrere Gelegen­ heit in beyde zu verfallen, als die Tragödie. Gleichwohl scheinet die Engländer vomehmlich nur der eine, in ihrem Banks beleidiget zu haben. Sie tadelten weniger seinen Schwulst, als die pöbelhafte Sprache, die er so edle und in der Geschichte ihres Landes so glänzende Personen führen lasse; und wünschten lange, daß sein Stück von einem Manne, der den tragischen Ausdruck mehr in seiner Gewalt habe, möchte umgcarbeitet werden.') DieseS geschah endlich auch. Fast zu gleicher Zeit machten sich Jones und Brook darüber. Heinrich JoneS, von Geburt ein Irrländer , war seiner Profeßion nach ein Maurer, und vertauschte, wie der alte Ben Johnson, seine Kelle ♦) (Cornpanion to the Theatre Val. II.p. IQ$.) — The Diktion ii every rohere very bad; and in Jörne P laces so Ionv , that it even becomes Unnatural. — And. I think, there eannot be a greater Proos of the little Encouragement this Age affords to Merit, thun that no Gent leman pojsest of a true Genius and Spirit of Poetry, thinks it Worth his Attention to adorn so celebrated a Part ofHifiory with that Dir gnity of ExpreJJion befitting Tragedy in general, but more particu, larly, where the Charakters areperhaps thegytatest the fflqrldevc*

mit der Feder. Nachdem er schon einen Band Gedichte auf Subscription drucken lassen, die ihn als einen Mann von großem Genie bekannt machten, bracht« er seinen Essex J7S3 aufs Theater., Als dieser zu London gespielt ward, hatte man bereits den von Heinrich Brook ttt Dublin ge­ spielt. Aber Brook ließ seinen erst einige Jahre hernach drucken; und so kann es wohl seyn, daß er, wie man ihm Schuld giebt, eben sowohl den Essex des Jones, als de« vom Banks, genutzt hat. Auch muß noch ein Essex vo« einem James Ralph vorhanden seyn. Ich gestehe, daß ich keinen gelesen habe, und alle drey nur aus den gelehr­ ten Tagebücher« kenn«. Von dem Essex des Brook, sagt ein französischer Kunstrichter, daß er das Feuer und da» Pathetische des Banks mit der schönen Poesie des Jones z« verbinden gewußt habe. Was er über die Rolle der Rutland, und über derselben Verzweiflung bey der Hinrich­ tung ihres Gemahls, hinzufügt,*) ist merkwürdig; man lernt auch daraus das Pariser Partrrr auf einer Seite ken­ nen, die ihm wenig Ehre macht. Aber einen spanischen Essex habe ich gelesen, der viel zu sonderbar ist, als daß ich nicht im Vorbeygehen, etwa» davon sagen sollte. —

LX.

De« r-ten November 1767, Er ist von einem Ungenannte», und führet den Titel: Für feine Gebiethen« -erben.*)

Ich finde ihn in einer Samm-

King vonKomödim, die Joseph Padrino zu Sevilien ge­ druckt hat, und in der er daS vier und siebzigste Stück ist. Wen« er verfertiget worden, weiß ich nicht; ich sehe auch nicht«, «»raus es sich ungefehr abnehmen ließe.

Das ist

klar, daß fein Verfasser weder die französischen und engli­

schen Dichter, welche die nehmliche Geschichte brardettet-

haben, gebraucht hat, noch von ihnen gebraucht worden.

Er ist ganz original.

Doch ich will dem Urtheile meiner

Leser nicht vorgreifm. Essex kömmt von Kiner Expedition wider die Spanier zurück, und will der Königin in London Bericht davon ab­

statten.

Wie er anlangt, hört er, daß sie sich zwey Mei­

len von der Stadt auf dem LÄndgute einer ihrer Hofda­ men , Namens Blanea, befinde. Diese Blanca ist die Ge­ liebte des Grafen, und auf diesem Landgute hat er, noch

hey LebSzeiten ihres Vaters, viele heimliche Zusammen­ künfte mit ihr gehabt. Sogleich bezieht er sich dahin, und

bedient sich des Schlüssels, den er noch von der Garten­

thüre bewahret, durch die er ehedem zu ihr gekommen. Ls

ist natürlich,

daß er sich seiner Geliebten eher zeigen will, als der Königin. Als er durch den Garten nach ihren Zim­ mern schleichet, wird er, an dem schattichten Ufer eines

durch denselben geleiteten Armes der Temse, rin Frauen­ zimmer gewahr, (es ist ein schwüler Sommerabend,) da-

*) Dar la vida por fu Dama, el Conde de Sex; de un Ingenio de esta Corte.

mit dm bloßen Füßen in dem Wasser fitzt, und fich abküh­ let. Er bleibt voller Verwunderung über ihre Schönheit, stehen, ob sie schon das Gesicht mit einer halben Maske, bedeckt hat, um nicht erkannt zn werden. (Diese Schön­ heit, wie billig, wird weitläufig beschrieben, und beson­ ders werden über die allerliebsten weissen Füße in dem kla­ ren Wasser , sehr spitzfindige Dinge gesagt.) Nicht genug, daß der entzückt« Graf zwey krystallene Säulen in einem fliessenden Krystalle stehen fleht; er weiß vor Erstaune«, nicht, ob das Wasser der Krystall ihrer Füße ist, welcher in Fluß gerathen, oder ob ihre Füße der Krystall des Was«, sers find, der sich in diese Form kondenfirt hat.*) Noch verwirrter macht ihn die halbe schwarze Maske auf dem weissen Gesichte: er kann nicht begreifm, in welcher Ab♦) Las dos columnas beilas Metid dentro del rio, y como al vellas Vi un cryftal en el rio desatado, Y vi cryftal en ellas condenfado. No fupe fi las aguas que fe vian Eran sus pies, que liquides corrian, O ft sus dos columnas fe formaban De las aguas , que alli fe congelaban. Diese Aehnlichkeil treibt der Dichter noch wtiter, Iwmt rr beschreiben will, wie die Dame, das Wasser ;u kosten, eS mit

ihrer hohlen Hand geschöpft, und nach dem Munde geführt

habe. Diese Hand, sagt er, war dem klaren Wasser so ähnlich r dqß der Fluß selbst für Schrecken zusammenfuhr, weil er befurchst

tete, sie möchte einen Theil ihrer eigenen Hand mittrinken.

Qirifo prabar a cafo El agua , y fueron cryftalino vaso Sus manos, acercd las a los labios* Y entonces el arrayo llorö agravios, Y como tanto, en fin , fe parecia A sus manos aquello que bebia, Temi con fobrefalto (y no fue en vaao) Que fe bebiera parte de la mano.

ficht die Natur ein so göttliches Monstrum gebildet, und auf seinem Gesichte so schwarzen Basalt mit so glänzendem Helfenbeine gepaaret habe; ob mehr zur Bewunderung, »der mehr zut Verspottung i ’) Kaum hat sich das Frauen­ zimmer wieder «»gekleidet, als, unter der AuSmfung r Stirb, Tyrannin! tin Schuß auf fie geschieht, und gleich darauf zwey maSktrte Minner mit bloßem Degen auf fie los gehen, weil -er Schuß sie nicht getroffen zu haben scheinet. Esser besinnt sich nicht lange, ihr zu Hülfe zu eilen. Er greift die Mörder an, und fie entfliehen. Er will ihnen »ach; aber die Dame ruft ihn zurück, und bittet ihn, sein Leben nicht in Gefahr zu setzen. Sir sieht, daß er verwun­ det ist, knüpft ihr« Schärpe los, und giebt sie ihm, sich die Wunde damit zu verbinden. Zugleich, sagt sie,' soll diese Schärpe dienen, mich Euch zu seiner Zeit zu erkenne« zu geben; jetzt muß ich mich entfernen, ehe über den Schuß mehr Lermen entsteht; ich möchte nicht gern, daß die Kö­ nigin den Zufall erführe, und ich beschwöre Euch daher um Eure Verschwiegenheit. Sie geht, und Essex bleibt voller Erstaunen über diese sonderbare Begebenheit, über die er mit seinem Bedienten, Namens Cosme, allerley Betrachtungen anstellt. Dieser Cosme ist die lustige Per­ son des Stücks; er war vor dem Garten geblieben, als fein Herr hereingegangen, und hatte-en Schuß zwar ge­ hört, aber ihm doch nicht zu Hülfe kommen dürfen. Die Furcht hielt an der Thüre Schildwache, und versperrte ♦) Yo, que al principio vi, ciego, y turbado A una parte nevado Y en otra negro el roftro , Juzgue, mirando tan divino monstruo, Que la naturaleza cuidadofa Defigual uniendo tan hermofa, Quito hacer por aflbmbro, o por ultrage , De azabache y marfil un maridage.

ihm den Eingang.

Furchtsam ist Cosme für viere *); und

Las sind die spanischen Narren gemeiniglich alle. Essex be­ kennt/ daß er sich unfehlbar in die schöne Unbekannte ver­ liebt haben würde z wenn Bianca nicht schon so völlig Be­

sitz von seinem Herz genommen hätte, daß sie durchaus kei­ ner andern Leidenschaft darinn Raum lasse. Ilber z sagt ‘er, wer mag sie wohl gewesen seyn? Was dünkt dich/ Cos­

me ? — Wer wirds gewesen sey»/ antwortet Cosme/ als der Gärtners Frau, die sich die Beine gewaschen ? — **)

Aus diesem Zuge kann man leicht auf das Uebrige schlies­ sen. Sie gehen endlich beyde wieder fort; es ist zu spät geworden; das Haus könnte über den Schuß in Bewegung

gerathen seyn; Essex getraut sich daher nicht, unbemerkt zur Blanca zu kommen, und verschiebt seinen Besuch auf

rin andermal. Nun tritt der Herzog von Alanzon auf, mit Flora, der Blanca Kammermädchen.

(Die Scene ist noch auf dem

Landgute, in einem Zimmer der Blanca; die vorigewAuftritte waren in dem Garten. ES ist des folgenden LageS.) Der König von Frankreich hatte der Elisabeth eine Verbin­

dung mit seinem jüngsten Bruder vorgeschlagen.

Dieses

ist der Herzog von Alanzon. Trist, unter dem Vorwande einer Gesandschaft, nach England gekommen, um diese

*) Ruido de armas en la'Quinta, Y dentro el Conde ? Que aguardo, Que no vor ä focorrerle ? Que aguardo ? Lindo recado: Aguardo L que quiera el miedo Dexarme entrar:---------- -- — Cosme, que ha tenido un miedo Que puede valer por quatro. ♦♦) La muger del hortelano , Que fe lavaba las piernat.

Verbindung zu Stande zu bringen. Es läßt sich alles, sowohl von Seite» des Parlaments als der Königin, sehr wohl dazu an: aber indeß erblickt er die Blanca, und ver­ liebt sich in sie. Jetzt kömmt er, und bittet Floren, ihm in feiner Liebe behülstich zu seyn. Flora verbirgt ihm nicht, wie wenig er zu erwarten habe; doch ohne ihm da-, geringste von der Vertraulichkeit, in welcher der Graf mit ihr stehet, zu entdecken. Sie sagt blos, Blanca suche sich 1« verheyrathen, und da sie hierauf sich mit einem Man­ ne , dessen Stand so weit über den ihrigen erhaben sey, doch keine Rechnung machen könne, so dürfte sie schwerlich seiner Liebe Gehör grben. — (Man erwartet, daß der Herzog auf diesen Einwurf die Lauterkeit seiner Absichten betheuern werd«, aber davon kein Wort! Die Spanier sind in diesem Punkte lange so strenge und delikat nicht, al« die Franzosen.) Er hat einen Brief an die Bianca geschrie­ ben, den Flora übergeben soll. Er wünscht, eS selbst mit «lzutzhen, wa§ dieser Bries für Eindruck auf sie machen werde. Er schenkt Floren eine güldene Kette, und Flora versteckt ihn in eine anstossende Gallerte, indem Blanca mit Cosme hrrrintritt, welcher ihr die Ankunst seine« Herrn meldet. Essex kömmt. Nach den zärtlichsten Bewillkommungen der Blanca, nach den theuersten Versicherungen de« Grafen, wie sehr er ihrer Liebesich würdig zu zeigen wün­ sche, müssen sich Flora und Cosme entfernen, und Blanca bleibt mit dem Grafen allein. Sie erinnert ihn, mit wel­ chem Eifer und mit welcher Standhaftigkeit er sich um ihre Liebe beworben hab«. Nachdem sie ihm drey Jahre wider­ standen, habe sie endlich sich ihm ergeben, und ihn, unter Versicherung sie zu heyrarheu, zum Eigenthümer ihrer Ehre gemacht. ( Te hice duenno de mr honor: der Aus­ druck sagt im Spanischen ein wenig, viel.) Nnr die Feind«

schäft, welche unter ihren beyderseitigen Familien obge­

waltet , habe nicht erlaubt, ihre Verbindung $u vollzie­ hen. Esser ist nichts in Abrede, und fügt hinzu, daß, nach

dem Tode ihres Vaters und Bruders, nur die ihm aufgetragene Expedition wider die Spanier dazwischen gekom­ men sey. Nun aber habe er diese glücklich vollendet; nun wolle er unverzüglich die Königin ufn Erlaubniß zll ihrer

Vermählung antreten. — Und so kann ich dir den«, sagt Blanka, als meinem Geliebten, als meinem Bräu­ tigam, als meinem Freunde, alle meine Geheimnisse sicher

anvertrauen.*)-------

LXI.

Den iten December 1767. Hierauf beginnt sie eine lange Lrzehlung von dem Schick­

sale der Maria von Schottland.

Wir erfahren, (denn

Essex selbst muß alles das, ohne Zweifel, längst wissen,)

daß ihr Vater und Bruder dieser unglücklichen Königin

sehr zugethan gewesen; daß fie sich geweigert, an der Unter­ drückung der Unschuld Theil zu nehmen; daß Elisabeth sie daher gefangen setzen, und in dem Gefängnisse heimlich hin­ richten laffcn.Kein Wunder, daß Bianca dieElisabeth haßt,

daß sie fest entschlossen ist, sich an ihr zurächen.

Zwar hat

Elisabeth nachher sie unter ihre Hofdamen ausgenommen, und sie ihres ganzm Vertrauens gewürdiget. Aber Bianca ist unversöhnlich. Umsonst wählte die Königin, nur kürz«

♦) Bien podrd seguramente Revelarte intentös mios, Como a galan, como a dueimo t Como a efpofo, y conto a amigo.

schäft, welche unter ihren beyderseitigen Familien obge­

waltet , habe nicht erlaubt, ihre Verbindung $u vollzie­ hen. Esser ist nichts in Abrede, und fügt hinzu, daß, nach

dem Tode ihres Vaters und Bruders, nur die ihm aufgetragene Expedition wider die Spanier dazwischen gekom­ men sey. Nun aber habe er diese glücklich vollendet; nun wolle er unverzüglich die Königin ufn Erlaubniß zll ihrer

Vermählung antreten. — Und so kann ich dir den«, sagt Blanka, als meinem Geliebten, als meinem Bräu­ tigam, als meinem Freunde, alle meine Geheimnisse sicher

anvertrauen.*)-------

LXI.

Den iten December 1767. Hierauf beginnt sie eine lange Lrzehlung von dem Schick­

sale der Maria von Schottland.

Wir erfahren, (denn

Essex selbst muß alles das, ohne Zweifel, längst wissen,)

daß ihr Vater und Bruder dieser unglücklichen Königin

sehr zugethan gewesen; daß fie sich geweigert, an der Unter­ drückung der Unschuld Theil zu nehmen; daß Elisabeth sie daher gefangen setzen, und in dem Gefängnisse heimlich hin­ richten laffcn.Kein Wunder, daß Bianca dieElisabeth haßt,

daß sie fest entschlossen ist, sich an ihr zurächen.

Zwar hat

Elisabeth nachher sie unter ihre Hofdamen ausgenommen, und sie ihres ganzm Vertrauens gewürdiget. Aber Bianca ist unversöhnlich. Umsonst wählte die Königin, nur kürz«

♦) Bien podrd seguramente Revelarte intentös mios, Como a galan, como a dueimo t Como a efpofo, y conto a amigo.

tich, vor allen andern das Landgut der Bianca/ um die Iahrszeit einige Tage daselbst ruhig zu geniessen. — Die­ sen Vorzug selbst, wollte Bianca ihr zum Verderben ge­ reichen lassen. Sie hatte an ihren Oheim geschrieben, welcher, auS Furcht, eS m-chte ihm wie seinem Bruder, ihrem Vater, ergehen, nach Schottland geflohen war, wo er sich im Verborgnen aufhielt. Der Oheim war ge­ kommen; und kurz, dieser Oheim war eS gewesen, wel­ cher dir Königin in -em Garten ermorden wollm. Nun weiß Essex, und wir mit ihm, wer die Person ist, derer das Leben gerettet hat. Aber Blanca weiß nicht, daß eS Essex ist, welcher ihren Anschlag vereiteln müssen. Sie rechnet vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren sie Essex versichert, und wagt es, ihn nicht blos zum Mitschuldi­ gen machen zu wollen, sondern ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer Rache zu übertragen. Er soll sogleich an ihren Oheim, der wieder nach Schottland geflohen ist, schreiben, und gemeinschaftliche Sache mit ihm machen. Die Tyrannin müsse sterben; ihr Name sey allgemein ver­ haßt ; ihr Tod sey eine Wohlthat für das Vaterland, und niemand verdiene es mehr als Essex, dem Vaterlande diese Wohlthat zu verschaffen. Essex ist über diesen Antrag äußerst betroffen. Blanka, seine theure Blanca, kann ihm eine solche Verrätherey zuMuthen ? Wie sehr schämt er sich, in diesem Augenblicke, seiner Liebe I Aber was soll er thun ? Soll er ihr, wie es billig wäre, seinen Unwillen zu erkennen geben ? Wird sie darum weniger bey ihren schändlichen Gesinnungen blei­ ben ? Soll er der Königin die Sache hinterbringen? Da­ ist unmöglich: Blaue«, seine ihm noch immer theure Blanea, läuft Gefahr. Soll er sie, durch Biiten und Vor­ stellungen, von ihrem Entschlüsse abzubringen suchen? Er müßte nicht wissen, was für ein rachsüchtiges Geschöpf eine beleidigte

heleidigt« Frau ist; wie wenig es sich durch Flehe« erwei« chen, und durch Gefahr abschrecsen läßt. Wie leicht könnte sie seine Abrathung, sein Zorn, zur Verzweiflung btto« -en, daß sie sich einem g«dem entdeckte, der so gewissen« haft nicht wäre, und ihr zu Liehe alles unternehme?') — /Dieses in der Geschwindigkeit überlegt, faßt er den Dor« satz, sich zu verstellen, um den Roberto, so heißt der Oheim per Blancg, mit gsikfl seinen ^nh-ngern, in die Fasse in Docken, _____ _________ *) Ay tal traicion ! vive el Cielo , Que de amarla eftqi corrido. Blaqcq, que ps mi Hulxe duenno, Bianca, ä quien quiero, y eftimo, Me propone tal traicion ! Que bard, porque fi ofendido, Refpondiendo , como es jufto , . (Contra fu trajcion me irrito, No por esso ha de evitap Sq refqelto desatinp, Pues darle cuenta a la Rein^ Es impoffibile, pues quifo Mi fuerte, que tenga parte Bianca bst ^quefte delito. pues fi procure con ruegos pifuadirla, es desvgrio , Que es unai muger refyelt^ Animal tan vengathro f Que do fs dobla i los riefgof: Antes con afecto impio , JEn el mifmo rendimiento Ruelen agusar los filos | Y quizä defefperada De mi enojo, o nii desvio, 8s declarara con otro Mei)QS leal, menos fino Que quizä. por ella intente, Lo que yo hacer no he queridfl,

Eksitogd AnaMen 4$ V-

Blank« wird ungedultig, daß ihr Essex nicht sogleich antwortet. “ Graf, sagt sie, wenn Du erst lange mit Dir zu Rathe gehst, so liebst Du mich nicht. Auch nur zweifeln, ist Verbrechen. Undankbarer! — *)' Sey ru­ hig, Blanca I erwiedert Essex: ich bin entschlossen.----Und wozu ? — Gleich will ich Dir es schriftlich geben. „ Essex setzt sich nieder, an ihren Oheim zu schreiben, und indem tritt der Herzog aus der Gallerie näher. Er ist neu» giengzu schm, wer sich mit der Blanca so lange unter­ hält; und erstaunt, den Grafe» von Essex zu erblicken. Aber noch mehr erstaunt er über das, was er gleich darauf zu hören bekömmt, Essex hat an den Roberto geschrieben, und sagt der Blanca dm Inhalt seines Schreibens, das sofort durch den Cosme abschicken will. Roberto soll mit allen seinen Freunden einzeln nach London kommen; Essex will ihn mit seinen Leute» unterstützen; Essex hat die Gunst des Volks; nichts wird leichter seyn, als sich der Köni­ gin zu bemächtigen; sie ist schon so gut, als todt. — Erst müßt,ch sterbenruft auf einmal der Herzog, und kömmt auf sie los. Blanca und der Graf erstaunen über diese plötzliche Erscheinung; und das Erstaunen des letzter» ist nicht ohne Eifersucht. Er glaubt, daß Blanca den Her­ zog bey sich verborgen gehalten. Der Herzog rechtfertiget die Blanca, und versichert, Laß sie von seiner Anwesenheit nichts gewußt; er habe die Gallerie offen gefunden, und sey von selbst herrmgegangen, die Gemählde darin» zu be­ trachten. **) *) Si eftäs confultando , Conde., Allä dentro de ti mifino Lo que has de hacer, no me quleres. Ya el dudarlo fue delito. Vive Dios, que eres ingrato ! •♦♦) Por vida del Key mi hermano., Y per la que mas eiliraq.

Der Herzog. Bey dem Leben meines Bruders, He­ dem mir noch kostbarem Leben der Königin, bey — Aber genug, daß Ich eS sage: Bianca ist unschuldig. Und nur ihr, Mylord, haben Sie diese Erklärung $u danken. Auf Sie, ist im geringsten nicht dabey gesehm. Denn mit Leu­ ten, wie Sie, machen Leute, wie ich----Der Graf. Prinz, Sie kennen mich ohne Inreistl nicht recht? — De la Reina mi fennora , Y por — pero yo lo digo Que en mi es el mayor empennp De la verdad del decirlo, Que no tiene Bianca parte De estar yo aqui ■■ - ■■ * -

Y eftad mui agiadecido A Bianca, de que yo os dö, No fatisfacion, avifo De esta verdad, porque a vps, Hombres como yo — Cond. Imagina Que no me conoceis bien. Duq. No os havia conocidp Hafta aqui; mas ya os conozce, Pues ya tan otro os he visto Que os reconozco traidor. Cond. Quien fixere — Duq. Yo lo fliga,, Mo pronuncieis algo, Conde , Que na yo puedo fufriros. Cond. Qualquier cofa que yo intente «?— Duq. Mirad que estoi perfuadide Que hacer la traicion cobardes; Y afli quando os he cogido En un lance que me dä De que fois cobarde indicios , Non he de aprovechärme de eÜa» Y afli os perdona mi bfio Ego rato que teneis

D r

;r Der Herzog. Freylich habe ich Sie nicht recht gekannt. Aber ich kenne Sie nun. Ich hielt sie für einen ganj an» dern Mann: und ich finde, Sie sind em Perrülher. Der Graf. Wer darf das sagen ? Der Herzog. Ich l — Nicht «in Wort mehr! Ich Witt kein Wort mehr hören, Graf! Der Graf. Meine Absicht mag auch gewesen seyn— Der Herzog. Denn kurz: ich bin überzeugt, daß ein Derräther kein Herz hat. Ich treffe Sie als einen Derräther: ich muß Sie für einm Mann ohne Herz halten. Aber um so weniger darf ich mich dieses Vortheils über Sie bedieuen. Meine Ehre verzeiht Ihnen, weil Sie der Ihn« gen verlustig sind. Wären Sie so unbescholten, als ich Sie sonst geglaubt, so würde ich Sie zu züchtigen wissen. Der Graf. Ich bin der Graf von Essex. So hat mir noch niemand begegnen dürfen, als der Bruder des Königs von Frankreich, Der Herzog. Wenn ich auch der nicht wäre, der ich —

T

-------------- — w —wy.......... ....

El valor defininuido; Que a estar todo vos $ntero, Superia daros caftigo, Cond. ¥o foi el Conde de Sex Y nadle fe me ha atrevido Sino el hermano del Rey De Franda. — Duq. Yo tengo brie Para que fin fer quien foi, Pueda mi valor invicto Castigar, non digo yo Solo a vos, mös a vos mifme. Sienda leal, que es lo mas Con que queda encarecido. Y pues Ibis tan gran Soldado, No echeis a perder, os pido, Tantas heroicas hazannas £®ji un hecht tan indigno



.11

i.. i

,

bin, wenn nur Sie der wärm, der Sie nicht find, «in Mann von Ehre: so sollten Sie wohl empfinden, mit wem Sie zu thun hätten. — Sie der Graf von Essex? Wenn Sie dieser berufene Krieger find; wie können Sie so viele große Thaten durch ein« so unwürdige That verruchten wollen? —

LXIL De» 4ten December 1767,

Der Herzog fährt hierauf fort, ihm sein Unrecht, in

einem etwas gelinder» Tone, vorzuhalten. Er ermahnt ihn sich eines bessern zu besinnen $ er will es vergesse», waer gehört habe; er ifi versichert, daß Blanea mit dem Grafen nicht einstimme, und daß sie selbst ihm eben da­ würde gesagt haben, wenn er, -er Herzog, ihr nicht zuvorgekommen wäre. Lr schließt endlich r «Noch einmal, Graf; gehen Sie in sich l Stehen Sie von einem so schänd­ lichen Vorhaben ab l Werden Sie wieder Sie selbst r Wok» tat Sie aber meinem Rathe nicht folgen: so erinnern Sie sich, daß Sie einen Kopfhaben, und London einen Hen­ ker ! „ *) — Hiermit entfernt sich der Herzog. Essex ist in der äußersten Verwirrung; es schmerzt ihn, sich für «inen Derräther gehalten zu wissm; gleichwohl darf er «S jetzt nicht wagen, sich gegen den Herzog zu rechtferti*) Miradlo mejor, dexad Un intento tan indignö » Correljionded ä qüien Ibis» Y fino bastan avifbs» Mirad que ay Verdugo en tondres > Y en vos cabcza, harte OS digo»

*

L 3

bin, wenn nur Sie der wärm, der Sie nicht find, «in Mann von Ehre: so sollten Sie wohl empfinden, mit wem Sie zu thun hätten. — Sie der Graf von Essex? Wenn Sie dieser berufene Krieger find; wie können Sie so viele große Thaten durch ein« so unwürdige That verruchten wollen? —

LXIL De» 4ten December 1767,

Der Herzog fährt hierauf fort, ihm sein Unrecht, in

einem etwas gelinder» Tone, vorzuhalten. Er ermahnt ihn sich eines bessern zu besinnen $ er will es vergesse», waer gehört habe; er ifi versichert, daß Blanea mit dem Grafen nicht einstimme, und daß sie selbst ihm eben da­ würde gesagt haben, wenn er, -er Herzog, ihr nicht zuvorgekommen wäre. Lr schließt endlich r «Noch einmal, Graf; gehen Sie in sich l Stehen Sie von einem so schänd­ lichen Vorhaben ab l Werden Sie wieder Sie selbst r Wok» tat Sie aber meinem Rathe nicht folgen: so erinnern Sie sich, daß Sie einen Kopfhaben, und London einen Hen­ ker ! „ *) — Hiermit entfernt sich der Herzog. Essex ist in der äußersten Verwirrung; es schmerzt ihn, sich für «inen Derräther gehalten zu wissm; gleichwohl darf er «S jetzt nicht wagen, sich gegen den Herzog zu rechtferti*) Miradlo mejor, dexad Un intento tan indignö » Correljionded ä qüien Ibis» Y fino bastan avifbs» Mirad que ay Verdugo en tondres > Y en vos cabcza, harte OS digo»

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gen > er muß sich gedulden, bis es der Ausgang lehre, da­ rr da seiner Königin am getreuesten gewesen sey, als er «S am wmigsten iu seyn geschienen *). So spricht er mit sich selbst: zur Bianca aber sagt er, daß er den Brief sogleich an ihrm Oheim senden wolle, und geht ab. Vlanca des­ gleichen ; nachdem sie ihren Unstern verwünscht, sich aber noch damit getröstet, daß es kein Schlimmerer als der Herzog sey, r- 'chrr von dem Anschläge des Grafen wisse. Die Königin erscheinet mit ihrem Kanzler, dem sie es vertrauet hat, was ihr in dem Garten begegnet. Ece be­ fiehlt , daß ihre Leibwache alle Zugänge wohl besetze; und morgen will sie nach London zurückkehren. Der Kanzler ist der Meynung, die Mäuchelmörder aufsuchen zu lassen, Md durch ein öffentliches Edikt demjenigen , der sie an­ zeigen werde, «ine ansehnlich« Belohnung zu verheißen, sollte er selbst rin Mitschuldiger seyn. “ Denn da es ih­ rer zwey waren, sagt er, die dm Anfall thaten , so kann leicht einer davon ein ebm so treuloser Freund seyn, als er ein treuloser Unterthan ist. „ ") — Aber die Königin mißbilliget diesen Rath; sie hält eS für besser, den ganzen Dorfall zu unterdrücken, und es gar nicht bekannt wer­ den zu laffm, daß eS Menschen gegeben, die sich einer sol­ chen That erkühnen dürfen» "Man muß, sagt sie, die ♦) Non he de refponder al Duque Hast» que el suceslb mifmo Mutest e como fueron falsos De mi traicion lös indicios , Y que foi mas leal, quandb Mos trat dor he pareddö . Y pues fon dos los culpados Podrä fer, que alguno de ellos Entregue al otro que es llano, Que fers traidor amigo

Quien fue desleal vaflallo.

Welt glauben machen , daß die Könige so wohl bewacht werden, daß cs der Verrätherey unmöglich ist, an sie zu kommen. Ausserordentliche Verbrechen werden besser ver­ schwiegen, als bestraft. Denn das Beyspiel der Strafe ist von dem Beyspiele der Sünde unzertrennlich; und diesekann oft eben so sehr anreizen, als icnes abschrecken. „ *) Indem wird Essex gemeldet, und vorgelassen. Der Bericht, den er von dem glücklichen Erfolge seiner Expe­ dition abgestattct, ist kurz. Die Königin sagt ihm, auf eine sehr verbindliche Weise: “ Da ich Euch wieder erblicke, weiß ich von dem AuSgange des Krieges schon genug„*'). Gi« will von keinen nähern Umständen hören, bevor fie seine Dienste nicht belohnt, und befiehlt dem Kanzler, dem Grafen sogleich das Patent als Admiral von England auszufertigen. Der Kanzler geht; die K önigin und Essex sind allein ; das Gespräch wird vertraulicher; Essex hat die Schärpe um; die Königin bemerkt sie, und Essex wür­ de eS aus dieser bloßen Bemerkung schliessen, -aß er sie von ihr habe, wenn eres aus den Redender Bianca nicht schon geschloffen hätte. Die Königin hat den Grafen schon längst heimlich geliebt; und nun ist sie ihm sogar da« Leben schuldig.***) Es kostet ihr alle Mühe, ihre Neigung ♦) Y es gran materia de estado Dar a entender, que los Reyes Eftan en ii tan guardados Que aunque la traicion los bufque Nunca ha de poder hall arlos; Y affi el fecreto avetigue Enormes delitos, quando Mas que el castigo, efcarmientds Dö de exemplares el pecado. •♦) Que ya solo con miraros Sd el fucefTo de la guerra. *♦*) No bastaba, amor tyra«ino Una inclinacion tan fuerte, Sin que te aya ayudado Del deberie yo la vida ?

D 4

rr |u verbergen. Sie thut verschiedne Fragen, ihn ausztt« locken Und zu hiren , ob feilt Herz schon eingenommen, Und ob er es vermuthe, wem er das Leben in dem Garten gerettet. Das letzte giebt er ihr durch seine Antworten gewiffermaa-en jtt verstehe», und zugleich, daß et für eben diese Person mehr empfinde, «lS er derselbe» zu entdecken sich erkühnen dürfe. Die Königin ist auf dem Punkte, sich ihm zu erkennen ;U gebe»; doch siegt Noch ihr Stolz über ihre Liebe. Eben so sehr hat der Graf mit feinem Stolze zu käMpfett: er kann sich des Gedankens nicht entwehren, daß ihn die Königin liebe, ob er schon dir Ver­ messenheit dieses Gedankens erkennet. (Daß diese GceNe gtößtentheils aus Reden bestehen müsse, die jedes seitab führet, ist leicht zu erachten.) Sie heißt ihn gehen, u»d heißt ihn wieder so lange warten, bis der Kanzler ihm düPateNt bringe. Er bringt es; sie überreicht eS ihm; er bedankt sich, und das Seitab fingt Mit neuem Feuer an» Die Röntgt». Thörichte Liebe l — Essefi. Eitler Wahnsinn 1 — Die Röntgt«. Wie blind l Essex. Wie verwegen! — Die Römgin» Sb tief willst dir, daß ich Mich herab» sttze i — Essex. So hoch willst du, daß ich mich versteig« ? Die Rönigin. Bedenke, daß ich Königin bi« 1 Essex. Bedenke, daß ich Unterthan bin! Die Rönigin. Du stürzest mich bis in den Abgrund,-» Essex. Du erhebest mich bis zur Sonn«, — Die Rönigin. Ohiie auf meine Hoheit zü achte«. ■ Essex. Ohne meine Niedrigkeit zu erwögen. Die Rönigin» Aber, weil du meines Herzens dich htMeistrrt r — Essex. Aber, weil Du Mein« Stele Dich bemtchtt» sibt r “

Die Königin. So stirb da, And kömm nie auf die Zunge l Esstx» So stirb da, utid fdtrntt ttie übtt die kippen *)! (Ist Vas nicht eine sonderbare Art von Unterhaltung? Eie reden mit einander; und reden auch nicht mit einan­ der. Der eine hört, was der andere nicht sagt, und ant­ wortet auf das, was er Nicht gehört hatt Sie nehmen einander die Worte nicht auö dem Munde, sondern aus der Seele. Man sage jedoch nicht, daß nian em Spanier seyn muß, um an solchen unnatürlichen Künsteleyen Geschmaek zu finden. Noch vor einigen dreyßig Jahren fanden wir Deutsche eben so viel Geschmack daran; denn unsere Staats« und Heldenaktionen wimmelten davon , die in dllem nach den spanischen Mustern zugeschnitten waren:) Nachdem die Königin den Essex beurlaubet und ihm be­ sohlen, ihr bald wieder aufzuwarten, gehen beyde aufver­ schiedene Seiten ab, und machm dem ersten Aufzuge ein Ende. — Die Stücke der Spanier, wie bekannt, habe» deren nur drey, welche sie Jomadas, Tagewerke, nennen» Ihre allerälteste Stücke hatten viere: sie krochen, sagt kope de Dega, auf allen vieren, wir Kinder; denn eS wa*)

Rein. Loco Amor •- Cond. Necio impoflibik Rein. Qu£ cifcgo - Cond. Que temerario .. Rein. Me abates a tal baxeza Cond. Me quieres fubir tau alto

Rein. Advierte* que sei la Reina •*

Cond. Advierte* que sei vafallo -

Rein. Pues me humillas a el äbyfino

ä

Cond. Pues me acercas a los rayös —

Rein. Sin repatar mi grandeza Cond. Sin mirar mi humilde eftado -*

Rein. Ya que te miro acä dentro Cond. Ya que en mi te vas entrandd

Rein. Muere entre el pedio» y la voz. Cond. Muere entre el alma, y los labiOl*

rett auch wirklich noch Kinder von Komödien. DirveS wat der erste, welcher die vter Aufzüge auf drey brachte; und Lope folgte ihm darin», ober schon di« ersten StüSe seiner Jugend, oder vielmehr seiner Kindheit, ebenfalls in vieren gemacht hatte. Wir lernen dieses aus einer Stelle in des letzter» neuen Kunst, Komödien zu machen'); mit der ich aber eine Stelle des Cervantes in Widerspruch fin­ de*) **), wo sich dieser den Ruhm anmaßt, die spanische Komödie von fünf Akten, aus welchen fle sonst bestanden, aufdrey gebracht zu haben. Der spanische Liltexator mag diesen Widerspruch entscheiden; ich wtll mich dabey nicht aufhalten.

LXIIL

Den Sten December 1767.

Die Königin ist von dem Landgute zurückgekonunen; und Esser gleichfalls. Sobald er in London angelangt, eilt er nach Hofe, um sich keinen Augenblick vermissen zu lassen. Er eröffnet mit seinem Cosme den zweyten Akt, -er in dem *) Arte nuevo de hazer Comedias, die sich hinter des Lope Rimas befindet. El Capitan Virves infigne ingenio , Pufo en tres aflos la Comedia, que antes Andava en quadro, comö pies de ninno, Que eran entonces ninnas las Comedias, Y yo las efcrivi de onze, y doze annos, De i quatro astos, y de ä quatro pliegos, porque cada aElo un pliego contenia ♦♦) In der Vorrede zu seinen Komödien • Donde me atrevi a redo» cir las Comedias a tres Jörnadas, de dnco que teniam

rett auch wirklich noch Kinder von Komödien. DirveS wat der erste, welcher die vter Aufzüge auf drey brachte; und Lope folgte ihm darin», ober schon di« ersten StüSe seiner Jugend, oder vielmehr seiner Kindheit, ebenfalls in vieren gemacht hatte. Wir lernen dieses aus einer Stelle in des letzter» neuen Kunst, Komödien zu machen'); mit der ich aber eine Stelle des Cervantes in Widerspruch fin­ de*) **), wo sich dieser den Ruhm anmaßt, die spanische Komödie von fünf Akten, aus welchen fle sonst bestanden, aufdrey gebracht zu haben. Der spanische Liltexator mag diesen Widerspruch entscheiden; ich wtll mich dabey nicht aufhalten.

LXIIL

Den Sten December 1767.

Die Königin ist von dem Landgute zurückgekonunen; und Esser gleichfalls. Sobald er in London angelangt, eilt er nach Hofe, um sich keinen Augenblick vermissen zu lassen. Er eröffnet mit seinem Cosme den zweyten Akt, -er in dem *) Arte nuevo de hazer Comedias, die sich hinter des Lope Rimas befindet. El Capitan Virves infigne ingenio , Pufo en tres aflos la Comedia, que antes Andava en quadro, comö pies de ninno, Que eran entonces ninnas las Comedias, Y yo las efcrivi de onze, y doze annos, De i quatro astos, y de ä quatro pliegos, porque cada aElo un pliego contenia ♦♦) In der Vorrede zu seinen Komödien • Donde me atrevi a redo» cir las Comedias a tres Jörnadas, de dnco que teniam

königlichen Schlosse spielt. Cosme hat, auf Befehl deGrafen, sich mit Pistolen versehen müssen; der Graf hat heimliche Feinde; er besorgt, wenn er des Nachts spät vom Schlosse gehe, überfallen zu werden. Er heißt den Cos­ me, die Pistolen nur indeß in das Zimmer der Blanea zu tragen, und sie von Floren aufheben zu lassen. Zugleich dindet er die Schärpe los, weil er zur Blanca gehen will. Blanea ist eifersüchtig; die Schärpe könnte ihr Gedanken machen ; sie könnte sie haben wollen; und er würdesie ihr Abschlägen müssen. Indem er sie dem Cosme zur Verwah­ rung übergiebt, kömmt Blanea dazu. Cosme will sie ge­ schwind verstecken : aber e6 kann so geschwind nicht gesche­ hen , daß eS Blanea nicht merken sollte. Blanea mmmt den Grafen mit sich zur Königin; und Essex ermahnt im Abgehen dm Cosme, wegen der Schärpe reine« Mund zu halten, und sie niemanden zu zeigen. Cosme hat, unter seinen andern guten Eigenschaften/ auch diese, daß er ein Erzplauderer ist. Er kann kein Ge­ heimniß eine Stunde bewahren, er fürchtet ein Geschwür im Leibe davon zu bekommen; und das Verboth des Gra­ fen hat ihn zu rechter Zeit erinnert, daß er sich dieser Ge­ fahr bereits sechs und dreyßig Stunden ausgesetzt habe.*) Er giebt Floren die Pistole«, und hat den Mund schon auf, ihr auch die ganze Geschichte, von der maskirten Da­ me und Schärpe, zu erzählen. Doch eben besinnt er sich, daß es wohl eine würdigere Person seyn müsse, der er sein *) - - ■ ■■■ Yo no me acordaba De decirlo , y lo callaba , Y como me lo entrego , Ya por decirlo rebiento , Que tengo tal propriedad , Que en un Hora, ö la mitad, Se me hace poftema un cuentb.

Geheimniß zurrst mttthrik. Ls würde nicht lassen, wen« sich Flora rühmen könnte, ihn dessen -efivrtrt zu haben.') ( Ich muß von allerley Art des spanischen WitzrS eine kleine Probe einzuflechttn suchen.) Coftne darf auf diese würdiger« Person Nicht lange warkn. Bianca wird von ihrer Neugierde viel zu sehr gequält, daß sie sich nicht, sobald als möglich, von dem Grafen losmachcn sollen, um zu erfahren, waS Cosme vorhin s« hastig vor ihr zu verbergen gesucht. Sir kömmt also so­ gleich zurück, und nachdem sie ihn zuerst gefragt, warum er nicht schon nach Schottland abgegangen , wohm ihn der Graf schicken «ollen, und er ihr geantwortet, daß er mit ünbrechendrm Lage abretsen werde: verlangt sie zu wissen, was er da versteckt halte? Sie dringt in ihn: doch Cosme läßt nicht lange in sich dringen. Er sagt ihr alles, tvas er von der Schärpe weiß; und Blanca nimmt sie ihm ab. Die Art, mit derer sich seines Geheimnisses entledi­ get, ist äußerst eckel. Sein Magen will es nicht länger bey sich behalten > es stößt ihm auf; es kneipt ihn; er steckt den Finger in den Hals; er giebt eS von sich; und um einen bessern Geschmack wieder in den Mund zu bekom­ men , läuft er geschwind ab, eine Quitte oder Olive dar­ auf zu kauen.") Blanc» kann auS seinem verwirrten Ge« ♦) Alla Flora; ma$ no Sera Fersona nias grave No es bien que Flore fe alabs Que el cüento me desflord.

**) Ya fe me viene ä la boca La purga. »— ------- ---------- a O que regueldos tan fecos Me vienen! terrible aprieto^ - **&*•*» Mi eftomago no lo lleva ; Vrotesto que es gran trabajo, Metd los dedos. 1

schwätze zwar nicht recht klug werden: sie versteht aber doch so viel daraus, Laß die Schärpe das Geschenk einer jpemt ist, in die Essex verliebt werden konnte, wenn er es nicht schon sey, "Denn er ist doch nur ein Mann; sagt sie. Und wehe der, die ihre Ehre einem Manne an­ vertrauet hat 1 Der beste, ist noch s» schlimm! „ *) —> Um seiner Untreue also znvorzukommen, will sie ihn ie eher je lieber heyrqthen. Die Königin tritt herein, und ist Äußerst niedergeschla­ gen, Plane« fragt, ob sie die übrigen Hofdamen rufen soll : aber die Königin will lieber allein seyn; nur Irene soll kommen, und vor dem Zimmer fingen, Blanc« geht auf der einen Seite nach Irenen ab, und von her andern kömmt der Graf. Essex liebt die Blanc« r aber er ist ehrgeizig genug, auch der Liebhaber der Königin seyn zu wollen. Er wirft sich diesen Ehrgeitz selbst vor; er bestraft sich deswegen; sein Herz gehört der Blanc«; eigennützige Absichten müs­ sen es ihr nicht entziehen wollen ; unächte Convenienz muß keinen ächten Affekt besiegen ’*). Er will sich assy lie¥ pues la purga he trocado, ¥ el ftcreto he vomitado pefde el prjncipio hafta el fin, Y fin dexar cofa alguna, Tal aseo me did al decillo, Voi A probar de un membrillo, O a mordar de una azeituna. —-

Es hombre al fin, y ay de aquella Que a yn hombre fid fu honor, Siendo tan malo el mejor. >*) Abate , abate las alas , No Tubas tanto, bufquemo$ Mas proporcionada esfera 4 tan limitade vufUe,

.r

der wieder entfernen, als er die Königm gewahr werd r und die Königin, als sie ihn erblickt, will ihm gleichfalls auSwrichen. Aber sie bleiben beyde. Indem fängt Ire­ ne vor dem Zimmer an zu singen. Sie singt eine RedonVilla, ein kleines Lied von vier Zeilen, dessen Sinn dieser ist; “ Sollten meine verliebten Klagen zu deiner Kennt­ niß gelangen: o so laß das Mitleid', welches sie verdienen, den Unwillen überwältigen, den du darüber empfindest, daß ich es bin, der sie führet.,, Der Königin gefällt das Lied; und Essex findet cS bequem, ihr durch dasselbe, auf «ine versteckte Weife, feine Liebe zu erkläre». Er sagt , er habe es gloffiret *), und bittet um Erlaubniß, ihr feine Bianca nie quiere, y a Bianca. Adoro yo ya en mi duenno ; Pues como de amor tan noble Por una ambicion me alexo ? No conveniencia baftarda Venza un legitime afectö.

♦) Die Spanier haben eine Art von Gedichten, welche sie Gloflas nennen. Sie nehmen eine oder mehrere Zeilen gleichsam zum Texte, und erklären oder umschreiben diesen Text so, daß sie die Zeilen selbst in diese Erklörung oder Umschreibung wiederum ein­ stechten. Den Text heißet! sie Mote oder Letra, und die Aus­ legung insbesondere Glofla, welches denn aber auch der Name des Gedichts überhaupt ist. Hier läßt der Dichter den Essex das Lied der Irene zum Mote machen, das aus vier Zeilen besteht, deren jede er in einer besondern Stanze umschreibe, die sich mit der umschriebenen Zeile schließt. Das Ganze sieht so aus: MOTE. Si acaso mit defuariot Liegaren a tut umbralet, La laßima de fer malet Jaulte cl horror de fer miss*

Glosse vorsagen zu dürfen. In dieser Glosse beschreibt er sich als den zärtlichsten Liebhaber, dem es aber die Ehr­ furcht verbiete , sich dem geliebten Gegenstände zu entde­ cken. /Oie Königin lobt seine Poesie: aber sie mißbilliget G L 0 S S A. Aunque et dolor me provoca De mis quexas , y no puedo, Que es mi ofadia tan poca , Que entre el refpeto. y el mied» Se me mueren en la tooca ; Y affi non llegan tan njios Mis males a tus orejas. Porque no han de fer oidos Si acafo digo mis quexas, Si acafo mis defuarus. El fer tan mal explicados Sea fu mayor indicio , Que trocando en mis cuidados El filencco, y vos fu oficio , Que da ran mas ponderados : Defde oy por eftas fennales Sean di ti conocidos, Que lin duda fön mis males Si algunos mas repetidos Llegaren a tus umbrales. Mas ay Dios ! que mis cuidados De tu crueldad conocidos, Aunque mas acreditados , Ser an menos adquiridos, Que con los otros mezclados Porque no fabiendot a quales Mas tu ingratitud fe deba Viendolos todos iguales Fuerza es que en conlmun te mucvaO L* lastima de for males. En mi este afecto violento Tu hermofo defden le causa > Tuyo, y mio es mi totmente ;

feine Art zu lieben. “ Line Liebe, sagt sie unter andern, die man verschweigt, kann nicht groß seyn; Henn Liebe wächst nur durch Gegenliebe, und der Gegenliebe macht man sich durch das Schwelgen muthwjllig verlustig.,,.

LXIV, Dm iitt« December 1767, Jf.

■ u- ..I

Der Graf versetzt, daß dje vollkommenste Liebe diesen, welche keine Belohnung erwarte; und Gegenliebe sey Be­ lohnung. Sein Stillschweigen selbst mache sein Glück r denn so lange er seine Liebe verschweige, sey« fie noch un­ verworfen , könne er sich noch von der süßen Borstellung täuschen lassen , daß sie vielleicht dürfe genehmiget wer­ den, Der Unglückliche sey glükksich, sh lange er noch nicht wisse', Tuyo, porqu.e eres la causa; Y mio , porque yo fiento: Sepan, Laura, tus desvios Qtie mis m^les fön tan huyor, Y en mis cuerdos defvarios Eftos que tienen de tuyos fitste et Horror de fer miet.

ES müssen ah er nicht eben atte Glossen so symmetrisch seyn , alS diese. Man hat alle Freyheit, Die Stanzen, die man mit den Zeilen des Mote schließt, so ungleich zu machen, als man will. Man braucht auch nicht atte Zeilen einzufiechten ; matt kann sich auf eine eine einzige einschränken, und diese mehr als einmal Wiederholen. Uebrigens gehören diese Glossen unter die ältern Gattungen der spanischen Poesie, die yach dem Bpscgn mz- Gap ßtlasso ziemlich aus der Mde gekommen,

feine Art zu lieben. “ Line Liebe, sagt sie unter andern, die man verschweigt, kann nicht groß seyn; Henn Liebe wächst nur durch Gegenliebe, und der Gegenliebe macht man sich durch das Schwelgen muthwjllig verlustig.,,.

LXIV, Dm iitt« December 1767, Jf.

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Der Graf versetzt, daß dje vollkommenste Liebe diesen, welche keine Belohnung erwarte; und Gegenliebe sey Be­ lohnung. Sein Stillschweigen selbst mache sein Glück r denn so lange er seine Liebe verschweige, sey« fie noch un­ verworfen , könne er sich noch von der süßen Borstellung täuschen lassen , daß sie vielleicht dürfe genehmiget wer­ den, Der Unglückliche sey glükksich, sh lange er noch nicht wisse', Tuyo, porqu.e eres la causa; Y mio , porque yo fiento: Sepan, Laura, tus desvios Qtie mis m^les fön tan huyor, Y en mis cuerdos defvarios Eftos que tienen de tuyos fitste et Horror de fer miet.

ES müssen ah er nicht eben atte Glossen so symmetrisch seyn , alS diese. Man hat alle Freyheit, Die Stanzen, die man mit den Zeilen des Mote schließt, so ungleich zu machen, als man will. Man braucht auch nicht atte Zeilen einzufiechten ; matt kann sich auf eine eine einzige einschränken, und diese mehr als einmal Wiederholen. Uebrigens gehören diese Glossen unter die ältern Gattungen der spanischen Poesie, die yach dem Bpscgn mz- Gap ßtlasso ziemlich aus der Mde gekommen,

wisse , wie unglücklich er sey '). Die Königin widerlegt diese Sophlstereyen als eint Person / der selbst daran gele­ gen ist , daß Essex nicht länger darnach handle; und Essex, durch diese.Widerlegung erdreistet, ist im Begriff, da« Bekenntniß zu wagen, von welchem die Königin behaup­ tet , daß es ein Liebhaber auf alle Weise wagen müsse, alff Bianca hereintritt, den Herzog anzumelden. Diese Er­ scheinung der Bianca bewirkt einen von den sonderbarste« Theaterstreichen. Denn Bianca hat die Schärpe um, die sie dem Cosme abqenommen, welches zwar die Königin, aber nicht Essex gewahr wird ”). *)

- El mas verdadero amor Es el que en ß mißmo quieto Destahsa, fin äsender A mas paga, o mas intento : La correspondencia es paga, T tener por blanco el precio Es querer por grangeria. —

Dentro esta del ßlencio, y del rcfpeto Mi amor, y ajß mi dicha esta segura , Presumiendo tal voz ( dulce locura! ) JQue es admitido del mayor sugeto. Dexandome engannar de eße concepto, JDura mi bien, porque mi enganno dura ; **Nedo sera la lengua, ß aventura Un bien que esta seguro en el secreto. — jQue es feliz quien no ßendo venturoso Nunca llega a saber, que es desdichad». ♦*) Por no morir de mal, quande Puedo morir de remedio , Digo pues , ea, ojsadia, Ella me alento, que temo ? — JQue sera bien que a tu Alteza —

(Sale Bianca con la vanda puesta.)

Bl. Sennora, el duque — Con. A LeßmgvAnulekten grB.

mal tiempe

E

Essep. So sey es gewagt! — FrischSie ermuntert Mich selbst/ Warum will ich an der Krankheit sterben, wenn ich an den Hülfsmitteln sterben kann ? was fürcht» ich «och r — Königin, wann denn also, — Vien« Bianca. Bl. Esta aguardando En la antecamara — Rein. Ay , cielo l Bl. Para entrar — Rein. Que es U que miro ! Bl. Licencia. Rein. Decid ; — que v«t 1 *Beeid que efpere , — estoi loca ! — Beeid, andad. Bl. Ta obedezco, Rein. Venid aca , volved. Bl. Que manda Vuestra Altera ? Rein. El dann• es eierte. — Decidle — no ay que dudar — Entretenedle un momento — Ay de mi 1 — mientras yo jalgo T dexadme. Bl. Que es aquesto ? Ta voi. Con. Ta Bianca je fue , Quiero pues valver — Rein. Ha zelos ! * Con. A declararme atrevido , Pues ß me atrevo, me atrevo En fe de jus pretenßones. Rein. Miprenda enpoder ageno ? Vive dies, pero es verguenza Que pueda tayito un afefto En mi. Con. Segun lo que dixo Vuestra Altira aqui , y jupuest», Que cueßa eara la dicha , Que fe compra con el miedo , Quiero morir nobelmente. Rein. Porque lo decis ? Con. Que ejpero » Si a vuestra Alteza ( que dudo ! ) Le declarajje mi afe&o , Algun amor - Rein. Que decis ? mi ? cemo , /oco , necio , Conoceijme ? Quien jbi yo ? Decid, grerew /oz ? grse jbjpecho, Hrre J? os huye la memoria. —

Blanc«. Der Herzog, Ihr» Majestät, — Essex. Blanc« könnte nicht ungelegener komme», Blanc«. Wartet in dem Vorzimmer, — Die Römgin. Ah l Himmel l Blanc«. Auf Erlaubniß,----Die Rönigin. Was erblicke ich r Blanc«. Hereintrete« zu dürfen. Die Rönigin. Sag ihm — Was seh ich! —- Sa­ chen , er soll warte».—Ich komme von Sinne» r — Veh, sag ihm da§. Blanc«. Ich gehorche. Die Rönigin. Bleib l Komm her! näher: — Bianca. Was befehlen Ihro Majestät ?— Die Rönigin. O ganz gewiß'. — Sag« ihm -LS ist kein Zweifel mehr l — Geh, unterhalte ihn eine» Augenblick, — Weh mir 1 — Bis ich selbst zu ihm her» auSkomme. Geh, laß mich: Bianca. Was ist das? — Ich -ehe. Essex. Dlanca ist weg. Ich kann nun wieder fortfahre», Die Röm'gin. Ha, Eifersucht! Essex. Mich zu erklären. — Was ich wage, wage ich auf ihre eigene Ucberredung. Die Rönigin. Mein Geschenk in fremden Händen! Bey Gott! — Aber ich muß mich schämen, daß eine Lei­ denschaft so viel über mich vermag ' Essex. Wenn denn also, — Wie Ihre Majestät ge» sagt, —und wie ich emräumen muß, — das Glück, welches man durch Furcht erkauft, — sehr theuer zu ste­ hen kömmt; — wmn man viel edler, stirbt: — so will auch ich, — Die Rönigin. Warum sagen Sie daS, Graf? Essex. Weü ich hoffe, daß, wann ich — Warum E -

fürchte ich mich noch ? — wann ich I hro Majestät meine

Leidenschaft bekennte, daß einige Liebe------

Die Rönigm. WaS sagen Sie da, Graf? An mich richtet sich -aS? Wie? Thor! Unsinniger! Kennen Sie mich auch ? Wissen Sie, wer ich bin ? Und wer Sie sind?

Ich muß glauben, daß Sieden Verstand verlohren.-----Und so fahren Ihre Majestät fort, den arme» Grafen

auszufenstern, daß cs eine Art hat! Sie fragt ihn, ob er nicht wisse, wie weit der Himmel über alle menschliche Erfrechungen erhaben sey ? Ob er nicht wisse, daß der

Sturmwind, der in den Olymp dringen wolle, auf hal­ bem Wege zurückbrausen müsse? Ob er nicht wisse, daß die Dünste, welche sich zur Sonne erhieben, von ihren Stralen zerstreut würden ? - Wer vom Himmel gefallen

zu seyn glaubt, ist Essex. und bittet um Verzeihung.

Er zieht sich beschämt zurück,

Die Königin befiehlt ihm,

ihr Angesicht zu meiden, nie ihren Pallast wieder zu be­ treten, und sich glücklich zu schätzen, daß sie ihm den Kopf lasse, in welchem sich so eitle Gedankm erzeugen können*).

Er entfernt sich; und die Königin geht gleichfalls ab, nicht

ohne uns merken zu lassen, wie wenig ihr Herz mit ihren Reden übereinstimmen.

Dlanca und der Herzog kommen an ihrer Stätt, die Bühne zu füllen. Blanca hat dem Herzoge es frey ge­ standen, auf welchem Fuße sie mit dem Grafen stehe; daß

er nothwmdig ihr Gemahl werden müsse, oder ihre Ehre

sey verlohren.

Der Herzog faßt den Entschluß, den er

wohl fassen muß; er will sich seiner Liebe cntschlagen :

und ihr Vertrauen zu vergelten, verspricht er sogar, sich *)

■ '■ ■ ■ ■ ■■ - -- No me T agradeccd el que os dexo Cabeza, enquc fe engendraron

Tun livianos penfanient&s.

vcms

,

bey der Königin ihrer anzunehmsn, wenn sie ihr die Ver­ bindlichkeit, die der Graf gegen sie habe, entdecken wolle. Die Königin kömmt bald, in tiefen Gedanken, wieder zurück. Sie ist mit sich selbst im Streit, ob der Graf auch wohl so schuldig sey, als er scheine. Vielleicht, daß es eine andere Schärpe war, die der ihrige» nur so ähnlich ist. — Der Herzog tritt sie an. Er sagt, er komme, sie um eine Gnade zu bitten, nm welche sie auch zugleich Blanca bitte. Bianca werd« sich näher darüber erklären» er wolle sie zusammen allein lassen: und so läßt er sie. Die Königin Mrd neugierig, und Blanea verwirrt. Endlich entschließt sich Blanea, zu reden. Sie will nicht länger von dem veränderlichen Willen eines Mannes ab­ hangen ; sie will es seiner Rechtschaffenheit nicht länger anheim stellen, was sie durch Gewalt erhalten kann. Sie siehet die Elisabeth um Mitleid an: die Elisabeth, die Frau; nicht die Königin. Denn da sie eine Schwachheit ihres Geschlechts bereuen müsse: so suche sie in ihr nicht die Königin, sondern nur die Frau *). *)

................. — —- Ta ejtoi resuelta ; No a la voluntad mudable De un hombre eße yo sujeta , Que aunque no sc que mi olvide, Es necedad, que yo quiera Dexar a fit corteßa Lo que puede hacer la fuerza. Gran Isabela , escuchadme, T al escucharme tu Alteza, Tonga au» mas que la atencion , La piedad con los orejas. Isabella os he llamado En efia ocafion, no Reina , Que quando vengo a deciros Del honor una fiaqueza , Que he heco como muger, Porque mejor os pareZca, No Reina, muger os busco. Solo muger os quisiera» —

E 3

LXV.

Den zten December 176?.

Du ? rtttr eitle Schwachheit? fragt die Königin. Bianca. Schmeicheleyen, Seufzer, Liebkosungen, «Nd besonders Thränen, sind vermögend, auch die reinste Lugend zu untergraben. Wie theuer kömmt mir dies» Erfahrung zu stehen! Der Graf — Die Römern. Der Graf? Was für rin Graf? — Bianca. Don Essex. Die Rönigin. Was höre ich? Bianca. Seine verführerische Zärtlichkeit —— Die Rönigin. Der Graf von Essex ? Bianca. Er selbst, Königin. — Die Rönigin. (bey Serie) Ich bitt des Lode-'. — Nun ? werter! Bianca. Ich zittere.-— Nein, ich darfeS nicht wa­ ge« — Die Königin macht ihr Muth, und lockt ihr «ach und «ach mehr ab, als Dlanca zu sagen brauchte; weit mehr, als sie selbst zu hören wünscht. Sie höret, wo und wie der Graf glücklich gewesen *); und als sie endlich auch hö­ ret, daß er ihr die Ehe versprochen, und daß Blanea auf die Erfüllung dieses Dersprechms dringe; so bricht der so *) Bl. Le Uame una noche obscura > , Rein. T vino a verre? Bl. Pluguiera A dios, que na fuera tont* Mi disdicha, * fu fineza. Vino mos galan que nunea < To que dos veces ciegaF Pot mi mal, estaba entonees Del amor, y las tinieblas

■■

lange zurückgehaltene StuW aufeinmql aus. Sie verbinet das leichtgläubige Mädchen .auf da« empfindlichste, und verbietet ihr schlechterdings, an dm Grafen weiter zu denken. Bianca erräth ohne Mühe, daß dieser Eifer der Königin/ Eifersucht seyn müsse: und giebt es ihr zu ver­ stehen. Die Königin. Eifersucht? — Nein; blos deine Auf­ führung entrüstet mich. — Und gesetzt, — ja gesetzt, ich liebte den Graft«. Wenn ich, — Ich ihn liebte, und eine andere wäre so vermeffm, so thöricht, ihn neben mir zu lieben, — was sag« ich, zu lieben? — ihn nur anzu­ sehen, — was sage ich, anzusehen? — sich nur ein Ge­ danke von ihm in den Sinn kommen zu lassen; das sollte dieser andern nicht das Lebe» kosten?— Du siehst, wie sehr mich eine blos vorausgesetzte, erdichtete Eifersucht aufbringt: urtheile daraus, was ich bey einer wahren thun würde. Jetzt stelle ich mich nur eifersüchtig ; hüte dich/ mich eS wirklich zu machen 1 *) *) Rein. Este es zelo, Bianca, Bl. Zehs » Annadiendose una letra,

Rein. Que decis ? Bl. Sennora, que Si acaso pqffible fuera, A no ser vos la que die» EJJas palabras , dixera , Que eran zelos. Rein, Que fön zelos ? No Jon zelos, es ofensa Que me estatis haczendo vos, Supongamos, que quistera, A et Conde en esta ocaston : Eues fi yo a el Conde quistera T alguna atrevida, loca Pre/umida, descompuesta Le quistera, que es querer ? Que le mirara, o le viert; Que es verle? No se que digt,

Mit dieser Drohung geht die Königin ab, und läßt die Dlanca in der äussersten Verzweiflung. Dieses fehlte noch zu den Beleidigungen, über die sich Bianca bereits zu be­ klagen hatte. Die K önigin hat ihr Vater und Bruder und Vermögen genommen, und nun will sie ihr auch den Gra­ fen nehmen. Die Rache war schon beschlossen; aber war­ um soll Blanca noch erst warten, bis ste ein anderer für sie vollzieht? Sie will ste selbst bewerkstelligen, und noch die­ sen Abend. 'Als Kammerfrau der Königin, muß sie sie auskleiden helfen; da ist sie mit ihr allein; und es kann ihr an Gelegenheit nicht fehlen. — Sie sieht die Köni­ gin mit dem Kanzler wrederkommen, und geht, sich z« ihrem Vorhaben gefaßt zu machen. Der Kanzler hält verschiedene Briefschaften, bis ihm die Königin nur auf einen Tisch zu legen befiehlt; sie will sie vor Schlafengehen noch durchsehen. Der Kanzler er­ hebt die ausserordentliche Wachsamkeit, mit der sie ihren Reichsgeschäften oblieger die Königin erkennt es für ihre Pflicht und beurlaubet den Kanzler. Nun ist sie allein und setzt sich zu den Papieren. Sic will sich ihres verlieb­ ten Kummers entschlagen, und anständigern Gorgey'überlassen. Aber das erste Papier, was sie in die Hände nimmt. No hai cosa que menos sea — No la quitara la vida ? La Jangre no la bebiera ? — Los zelos , aunque fingidos, Me arrebataron la lengua, T dispararon mj. enojö Mirad que no me deis zelos, £ue ji fingidos Je altera Tanto mi enojo, *ved vos, Si fitera verdad, qui hiciera Escarmentad en las burlas, No deis zelos 4t veras.

ist die Bittschrift eines Grafe» Felix. TineS Grafen, " Muß es denn eben, sagt sie, von einem Grafen seyn', was mir zuerst vorkimmt!» Dieser Zug ist vortrefflich.

Auf einmal ist sie wieder mit ihrer ganzen Seele bey dem­ jenigen Grafen, an den sie jetzt nicht denken wollte. Seine Liebe zur Bianca ist ein Stachel in ihrem Herzen, -er ihr

das Leben zur Last macht.

Bis sie der Lod von dieser Mar­

ter befrrye, will sie bey dem Bruder des LodeS Linderung suchen: und so fällt sie in Schlaf. Indem tritt Bianca herein, und hat eine von den Pisto­

len deS Grafen, die sie in ihrem Zimmer gefunden. (Der Dichter hatte sie, zu Anfänge dieses Akts, nicht vergebens dahin tragen lassen.) Sie findet die Königin allein un­

entschlafen : was für einen bequemern Augenblick könnte sie sich wünschen? Aber eben hat -er Graf die Blanca ge­ sucht, und sie in ihrem Zimmer nicht getroffen. Ohne Zweifel erräth man, was nun geschieht. Er kömmt also,

sie hier zu suchen, und kömmt eben noch zurecht, der Blanca in den mörderischen Arm zu fallen, und ihr die Pistole, die sie auf die Königin schon gespannt hat, zu entreissen Indem er aber mit ihr ringt, geht der Schuß los: die Kö­

nigin erwacht, und alles kömmt aus dem Schloff« herzu­ gelaufen.

Die Königin. (im Erwachen) Ha! Was ist das? Der Ranzler. Herbey, herbey! Was war das für ein Knall, in dem Zimmer der Königin? Was geschieht hier?

Essex, (mit der Pistole in der Hand) Grausamer Zufall! Die Königin. Was ist das, Graf?

Essex. Was soll ich thun?

Die Königin. Blanca, was issdaS? Blanca. Mein Lod ist gewiß!

Essex. In welcher Verwirrung befinde ich mich! Der Kanzler. Wie? -er Graf rin DerrLther r

Essex, (bey Seite) Wozu soll ich mich entschliessen t Schweige ich: so fällt das Verbrechen aus mich. Sage ich die Wahrheit: so werde ich der nichtswürdige Verklä­ ger meiner Geliebten, meiner Dlanea, meiner theuerste« Blanca. . Die Römgin. Sind Sie der Derrtther, Graf? Bist du «s, Blanca? Wer von euch war mein Retter? wer mein Mörder? Mich dünkt, ich hörte im Schlafe euch beyde rufen: Derrätherin! Derräther l Und doch kann nur eines von euch diesen Namen verdienen. Wen» eines von euch mein Leben suchte, so bin ich eS dem andrm schuldig. Wem bin ich eS schuldig, Grafr Wer suchte es, Dlanea r Ihr schweigt r — Wohl, schweigt nur! Ich will in die. ser Ungewißheit bleiben; ich will den Unschuldigen nicht wissen, um den Schuldigen zu kennen. Vielleicht dürste «S mich eben so sehr schmerzen, meinen Beschützer zu er­ fahren, als meinen Feind. Ich will der Blanca gern ihre Derrätherey vergeben, ich will sie ihr verdanken; wenn dafür der Graf nur unschuldig war.*) ♦)

Conde, vos fratdor ? Vos, Bianca ? El juicio esta indiferente , .Qual me libra, quäl ms mata. Conde, Bianca, re/pondedmr ! Tu a la Reina ? tu a la Reina ? Oid, aunque eonfufdmente: jda, traidora , dixo el Conde ; Bianca dixo: Traidor eres. Eftas razones de entraqtbof X entrambas cosas convienen : Uno de los dos me libra, Otto de los dos me ofende. Conde, quäl me daba vida ? Bianca, quäl mo daba muerte ? pecidmcl — no lo digais, Qjtt neutral valor quitre*

Aber der Kanzler sagt, wenn es die Königin schon hierbey wolle bewenden lassen, so dürfe er es-och nicht; das Verbrechen sey zu groß; sein Amt erfordere, «S zu er­ gründen ; besonders da aller Anschein flch wider -en ©tafett erkläre. Die Römgin. Der Kanzler hat Recht; man muß es untersuchen. — Graf, Essex. Königin ! — Die Rönigin. Bekennen Sie die Wahrheit.—(bey Seite) Aber wre sehr fürchtet meine Liede, sie zu höre«! — War es Blanca? Essex. Ich Unglücklicher! Die Rönigin. War es Blanea, die meinen Lod wollt« ? Essex. Nein, Königin; Blanca war es nicht. Die Rönigin. Sie waren es also? Essex. Schreckliches Schicksal!----- Ich weiß nicht. Die Rönigin. Sie wissen es nicht? — Und wie fimiitt dieses mörderische Werkzeug in Ihre Hand? — Der Graf schweigt, und die Königin befiehlt, ihn nach dem Tower zu bringe«. Blanca, -iS sich die Sache mehr aushellt, soll in ihrem Zimmer bewacht werden. Sie wer­ den abgeführt, und der zweyte Aufzug schließt. ' Per no saber el traidor ,

No Jaber el innocente. 2dejor es quedar confusa, En dudo mi juicio quede , Porque quando mire a algu.no , T de la traicion me acuerde, dl penjar, que es el traidor , Jßue es el leal tambien pienfi, To le agradeciera a Bianca, JQue ella la traidora fueffe , Solo a truque de que el Conde Fucra el, que ejtaba inneccntc.

LXVI.

Den i8ten December 1767.

Der dritte Aufzug

fängt sich mit einer langen Monolo­ ge der Königin an, die allen Scharfsinn der Liebe aufbtetet, den Grafen unschuldig zu finden. Die Vielleicht werden nicht gesparet, um ihn weder als ihren Mörder, »och als den Liebhaber der Blancg denken zu dürfen. Be­ sonders geht sie mit den Voraussetzungen wider die Blanea eilt wenig sehr weit: sie denkt über diesen Punkt über» Haupt lange so zärtlich und sittsam nicht, als wir es wohl wünschen möchtm, und als sie auf unsem Theatern den­ ken müßte *). Es kommm der Herzog, und der Kanzler: jener, ihr seine Freude über die glückliche Erhaltung ihres Lebens zu bezeigen; dieser, ihr einen neuen Beweis, der sich wi­ der den Essex äuffert, vorzulegen. Auf der Pistole, die ma« ihm auS der Hand genommen , steht sein Name; sie *) No pudo 1er que minticra’ Bianca en Io que me conto De gozarla el Conde. No, Que Bianca no lo fingiera: No pudo haverla gozado. Sin estar enamorado , Y quando tierno, y rendido, Entonces la haya querido, No puede haverla olvidado ? No le vieren mis antojos Entre acogimientos fabios, Mui callando con los labios , Mui bachiller con los ojos, Quando al decir fus enojos Yo fu defpecho renni ?

gehört ihm; und wem sie gehört/ der hat sie unstreitig auch brauchen wollen. Doch nichts scheinet den Esser unwidersprechlicher |U verdammen, als was nun erfolgt. Cosme hat/ bey an­ brechendem Tage, mit dem bewußten Briefe nach Schott­ land abgehen wollen, und ist angehatten worden. Seine Reise sieht einer Flucht sehr ähnlich, und eine solche Flucht läßt vermuthe«/ daß er an dem Verbrechen seiner Herrn Antheil könne gehabt haben. Er wird also vor den Kanzler gebracht, und die Königin befiehlt, ihn in ihrer Gegenwart zu verhören. Den Ton, in welchem sich Cosine rechtfertiget, kann man leicht errathen. Er weiß von nichts; und als ersagen soll, wo er hingewollt, läßt er sich um die Wahrheit nicht lange nöthigen. Er zeigt den Brief, den ihm sein Graf, an einen andern Grafen nach Schottland zu überbringen befohlen: und man weiß, was dieser Brief enthält. Er wird gelesen, und Cosme erstaunt nicht wenig, als erhört, wohin cs damit abgesehen gewe­ sen. Aber noch mehr erstaunt er über den Schluß dessel­ ben , worinn der Ueberbruiger ein Vertrauter heißt, durch den Roberto seine Antwort sicher bestellen könne. "Was höre ich? ruft Cosme. Ich rin Vertrauter ? Bey diesem und jenem ich bin kein Vertrauter; ich bin niemals einer gewesen, und ich will auch in meinem Leben keiner seyn. — Habe ich wohl das Ansehen zu einem Vertrau­ ten ? Ich möchte doch wissen, was mein Herr an mir ge­ funden hätte, um mich dafür zu nehmen. Ich, ein Ver­ trauter, ich, -em das geringste Geheimniß zur Last wird? Ich weiß, zum Exempel, daß Blanca und mein Herr ein­ ander lieben, und daß sie heimlich mit einander verheyrathet sind: eS hat mir schon lang« das Herz abdrücken wol­ len; und nun will ich es nur sagen, damit sie hübsch se­ hen, meine Herren, was für rin Vertrauter ich bin.

Schadt, daß es nicht etwas wichtigeres ist: ich würde e« eben so wohl sagen. „ *) Diese Nachricht schmerzt die Kö» nigin nicht weniger, als dir Ueberzeugung, zu der sie durch den unglücklichen Brief von der Derrätherey des Grafe« gelangt. Der Herzog glaubt, nun auch sein Stillschwei» gen brechen zu müssen, und der Königin nicht länger z« verbergen, was er in dem Zimmer der Bianca zufälliger Weise angehört habe. Der Kanzler dringt auf die Be­ strafung des Verräthers, und sobald die Königin wieder allein ist, reizen sic sowohl beleidigte Maiestäk, als ge­ kränkte Liebe, des Grafen Lod zu beschließen. Nunmehr bringt «ns -er Dichter zu ihm, in das Ge­ fängniß. Der Kanzler kömmt und eröfnet dem Grafen , daß ihn das Parlement für schuldig erkannt, und zum Lode verurtheilet habe, welches Urtheil morgendes Ta­ ges vollzogen werden solle. Der Graf betheuert ferne Un­ schuld. Der Ranzler. Ihre Unschuld, Mylord , wollte ich *) Que efcucho ? Sennores mios'! Dos mit demonios me lleven , Si yo confidente sei, Si lo he sido, o fi lo seere, Ni tengo intencion de ferlo. — ■ Tengo y® Cara de fer confidente ? Yo no se que ha vifto en mi Mi amo para tenerme En efta opiniou; y ä fe, Que me holgara de que fuesse Cosa de mas importancia ün fecretillo mui leve, Que rabio ya por decirlo , Que es que el Conde a Bianca quicre T Que estan cafados los dos En teeret« ■ -1 1

-na glauben: aber so viele Beweise wider Sie! — Ha­ ben Sie dm Brief an dm Roberto nicht geschrieben? Ist « nicht Ihr eigenhändiger Name? Essex. Allerdings ist er es.. Der Ranzler. Har der Herzog von Alanzon Sie, in -em Zimmer der Blanca, nicht ausdrücklich den Lod der Königen beschließe» hören? Essex. Was er gehört hat, hat er freylich gehört. Der Ranzler. Sahe di« Königin, als sie erwachte, nicht dir Pistolen in Ihrer Hand ? Gehört die Pistole, auf der Ihr Name gestochen, nicht Ihnen ? Essex. Ich kann es nicht läugnen. Der Ranzler. So sind Sir ja schuldig. Essex. Das läugne ich. Der Ranzler. Nun, wie kamen Sir dm» dazu, daß Sie -en Brief an den Roberto schrtrbm? Essex. Ich weiß nicht. Der Ranzler. Wie kam es denn, daß der Herzog dm verräthrrischm Dorsatz aus Ihrem eigne» Munde verneh­ men mußte r Essex. Weil «s der Himmel so wollte. Der Ranzler. Wie kam es dmn, daß sich da« mör­ derische Werkzeug in Ihren Händen fand r , Essex. Weil ich viel Unglück habe. Der Ranzler. Wmn alles das Unglück, und nicht Schuld ist: wahrlich, Freund, si> spielet Ihnen Ihr Schicksal einen harte» Streich. Sie werden ihn mit Ih­ rem Kopfe bezahlen müssen. Essex. Schlimm genug. ’) *) Cond. Solo el defcargo que tengo Es el eftar innocente. Setuscal. Aunque yo quiera creerlo Mo me dexan los indicies ,

"Wissen Ihr» Gnaden nicht, fragt Cosme der dabey jA, ob sie mich etwa mit hängen werden „ ’ Der Kanzler antwortet

Sen.

Sen.

Sen. Cond. Sen.

Cond.

Q>nd. Sen. Cond. Sen.

Y advertid , que ya no es tiempo I)e dilacion, que mannana Haveis de mojrir. Cond. Yo muero Innocente. Sen. Pues decid No escribisteis a Roberto Este carta ? Aquesta firma No es la vuestra ? Cond. No lo niego. El gran duque de Alanzon No o$ oyd en el aposento De Bianca trazar la muette De la Reina ? Cond. Aqueflb es cierto. Qiiando desberto la Reina No os hallo, Conde, a vos mefme Con la pistola en la mano? Y la pistola que vemos Vuestro nombre alli gravado No es vuestro? Cond. Os lo concede. Luego vos estais culpado. Esto folamente niego. Pues como escribisteis, Conde, La carta al traidor Roberto ? No lo ß. Sen. Pues como el DuqueQue efccucho yuestros intentos, Os convence en la traicion ? Porque affi lo quifo el cielo. Como hallando en vuestra mano Qs culpa el vil Instrumente? Porque tengo poca dicha. — Pues sabed, que li es defdicha Y no culpa, en tanto aprieto Os pone vuestra Fortuna , Conde amigo, que fupuesto Que no dai> otro defcargo, En fe de indicios tan ciertos, Mannana vuestra cabeza, Ha de pagar

antwortet Nein, weil ihn sein Herr hinlänglich gerecht» fertiget habe; und der Graf ersucht den Kanzler, zu ver­ statten, daß er die Blanea noch vor seinem Lode sprechen dürfe. Der Kanzler bedauert, daß er, als Richter, ihm diese Bitte versagen müsse; weil beschlossen worden, seine Hinrichtung so heimlich, als möglich, geschehen zu lassen, aus Furcht vor den Mitverschwomen, die er vielleicht so­ wohl unter den Großen, als unter dem Pöbel in Menge habe» möchte. Er ermahnt ihn, sich zum Lode zu berei­ ten , und geht ab. Der Graf wünschte blos deswegen die Blanea noch einmal zu sprechen, um sie zu ermahnen, von ihrem Vorhaben abzustehen. Da er es nicht münd­ lich thun dürfen, so will er eS schriftlich thun. Ehre und Liebe verbinden ihn, sein Leben für fie hinzugeben; bey diesem Opfer, das die Verliebten alle auf der Junge füh­ ren , das aber nur bey ihm zur Wirklichkeit gelangt, will er sie beschwörm, es nicht fruchtlos bleiben zu lassen. ES ist Nacht; er fetzt sich nieder zu schreiben, und befiehlt Losmen, den Brief, den er ihm hernach geben werde, sogleich nach seinem Lode der Bianca einzuhändigrn. Cosme geht ab, um indeß erst auSzuschlafen.

LXVIL

Den arten December 1767.

Slutt folgt eine Scene, die man wohl schwerlich erwar­ tet hätte. Alles ist ruhig und stille, als auf einmal eben die Dame, welcher Essex in dem ersten Akte das Lebe« rettete, in eben dem Anzuge, die halbe Maske auf dem Gesichte, mit einem Lichte in der Hand, zu dem Grafen Leßing, Analekten 4t D. F

antwortet Nein, weil ihn sein Herr hinlänglich gerecht» fertiget habe; und der Graf ersucht den Kanzler, zu ver­ statten, daß er die Blanea noch vor seinem Lode sprechen dürfe. Der Kanzler bedauert, daß er, als Richter, ihm diese Bitte versagen müsse; weil beschlossen worden, seine Hinrichtung so heimlich, als möglich, geschehen zu lassen, aus Furcht vor den Mitverschwomen, die er vielleicht so­ wohl unter den Großen, als unter dem Pöbel in Menge habe» möchte. Er ermahnt ihn, sich zum Lode zu berei­ ten , und geht ab. Der Graf wünschte blos deswegen die Blanea noch einmal zu sprechen, um sie zu ermahnen, von ihrem Vorhaben abzustehen. Da er es nicht münd­ lich thun dürfen, so will er eS schriftlich thun. Ehre und Liebe verbinden ihn, sein Leben für fie hinzugeben; bey diesem Opfer, das die Verliebten alle auf der Junge füh­ ren , das aber nur bey ihm zur Wirklichkeit gelangt, will er sie beschwörm, es nicht fruchtlos bleiben zu lassen. ES ist Nacht; er fetzt sich nieder zu schreiben, und befiehlt Losmen, den Brief, den er ihm hernach geben werde, sogleich nach seinem Lode der Bianca einzuhändigrn. Cosme geht ab, um indeß erst auSzuschlafen.

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Den arten December 1767.

Slutt folgt eine Scene, die man wohl schwerlich erwar­ tet hätte. Alles ist ruhig und stille, als auf einmal eben die Dame, welcher Essex in dem ersten Akte das Lebe« rettete, in eben dem Anzuge, die halbe Maske auf dem Gesichte, mit einem Lichte in der Hand, zu dem Grafen Leßing, Analekten 4t D. F

in das Gefängniß hereintritt. Es ist dir Königin. «Der Graf, sagt sie vor fich im Hereintretm, hat mir das Le­ ben erhalten: ich bin ihm dafür verpflichtet. Der Graf hat mir das Leben nehmen wollen: das schreyet um Rache. Durch seine Vrrurtheilung »st der Gerechtigkeit ein Ge­ nüge geschehen: nun geschehe es auch der Dankbarkeit und Liebe; „*) Indem sie näher köinmk, wird sie gewahr, daß der Graf schreibt. “ Ohne Zweifel, sagt sie, an seine BlaneaWas schadet daß? Ich komme aus Liebe, auS der feurigsten, uneigennützigsten Liebe: jetzt schweige die Eifersucht! —Graf I „—- Der Graf hört sich rufen, sieht hinter sich, und springt voller Erstaunen auf. "Was seh ich!----- Keinen Traum, fährt die König,n fort, sondern die Wahrheit. Eilen Sie, sich davon zu über­ zeugen , und lassen Sie uns kostbare Augenblicke nicht mit Zweifeln verlieren. — Sir erinnern sich doch merner r Ich bin die, der Sie das Leben gerettet. Ich höre, daß Sie morgen sterben sollen, und ich komme, Ihnen meine Schuld abzutragen, Ihnen Leben für Leben zu geben. Ich habe den Schlüssel des Gefängnisses z»» bekommen ge­ wußt. Fragen Sie mich nicht, wie ? Hier ist er nehmen Sie; er wird Ihnm die Pforte in den Park eröfnen; flie­ hen Sie, Graf, und erhalten Sir ein Leben, das mir s» theuer ist.»— Lssep. Theuer? Ihnm, Madam« ? *) El Conde me diö la vida. Y afli obligata me veo; El Conde me daba muerte, Y afli ofendida me quexo, Pues ya que con la sentencia Esta parte he fatisfecho, Pues cumpli con la jufticia, Cen ei amor cumplir quiero.

Die Königin, Würde ich sonst so viel gewagt haben/ als ich wage ? Essex. Wie sinnreich ist daS Schicksal, das mich ver­ folgt l Ls findet einen Weg, mich durch mein Glück selbst unglücklich zu machen. Ich scheine glücklich, weil die mich • zu brfreyen kömmt, die meinen Lod will: oder ich bitt uzn so viel unglücklicher, weil die meinen Lod will, die mei­ ne Freyheit mir anbietet.—*) Die Königin verstehet hieraus genugsam, daß sie Essex kennet. Er verweigert sich der Gnade, die sich chm angetragcn, gänzlich; aber er bittet, sie mit einer andern zu vertauschen. Die Königin. Und mit welcher? Essex. Mit der, Madame, von der ich weiß, daß sie in Ihrem Vermögen steht, — mit der Gnade, mir daS Angesicht meiner Königin sehen zu lassen. ES ist die ein­ zige , um die ich es nicht zu klein halte, Sie an das zu er­ innern , waS ich für Sie gethan habe. Bey dem Leben, das ich Ihnen gerettet, beschwöre ich Sie, Madame, mir diese Gnade zu erzeigen. Die Königin, (vor sich) Was soll ich thun ? Vielleicht, wenn er mich sieht, daß er sich rechtfertiget! Das wünsche ich ja nur. Essex. Verzögern Sie mein Glück nicht, Madame.' Die Königin. Wenn Sie es denn durchaus wollen, Graf; wohl: aber nehmen Sie erst diesen Schlüssel; von ihm hängt Ihr Leben ab. Was ich jetzt für Sie thun darf, *) Ingeniosa mi Fortuna Hallo en la dicha mas nuev.® Modo de hacerme infeliz, Pues quando dichofo veo, Que me libra quien me mata., Tambien defdichado advierto, Que me mata quien me libra.

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könnte ich hernach vielleicht nicht dürfen. Nehmen Sie; ich will Sie gesichert wissen.') Essex, (indem er den Schlüssel nimmt) Ich erkenne diese Vorsicht mit Dank. -— Und nun, Madame, — ich brenne, mein Schicksal auf dem Angesichte der Königin, oder dem Ihrigen zu lesen. Die Römgin. Graf, ob beyde gleich eines sind, so gehöret doch nur daö, welches Sie noch sehen, mir ganz allein; denn das, welches Sie nun erblicken, (indem sie die Maske abnimmt) ist die Königin. Jenes, mit wel­ chem ich Sie erst sprach, ist nicht mehr. Essex. Nun sterbe ich zufrieden! Zwar ist eS daS Vor­ recht des königlichen Antlitzes, daß es jeden Schuldige» begnadigen muß, der« erblickt; und auch mir müßte diese Wohlthat de« Gesetze« zu Statten kommen. Doch ich will weniger hierzu, al« zu mir selbst, meine Zuflucht nehmen. Ich will e«wagen, meine Königinan die Dien­ ste zu erinnern, dir ich ihr und dem Staate geleistet —*) **). *) Pues fi esto ha de ter, primero Tomad, Conde, aquefta llave t Que fi ha de ter Instrument» De vuestra vida , quiza Tan otra, quitando el velo , Seid, que no pueda entonces Hacer lo que ahora puedo, Y conto a daros la vida Me empenne, por lo que os deb», Por fi no puedo defpues De esta liierte me prevengo»

*♦) MorirÄ vo confolado, Aunque fi par privilegio En viendo la cara al Rey Queda perdonado el reo ; Yo de este indulto, Sennora, Vida por ley me prometo;

Die Königin. An diese habe ich mich schon selb- er­ innert. Aber Ihr Verbreche»/ Traf z ist größer als Ihre Dienste. Essex. Und ich habe mir nicht- von der Huld meiner Königinzu versprechen? Die Königin. Nicht-. Essex. Wenn die Königin so strmg i-, so rufe ich die Dame an, der ich -aS Leben gerettet. Diese wird doch wohl gütiger mit mir verfahren r Die Königin. Diese hat schon mehr gethan, al- sie sollte: sie hat Ihnen den Weg geöfnet, -er Gerechtigkeit zu entfliehe». Essex. Und mehr habe ich um Sie nicht »«dient, um Sie, die mir Ihr Leben schuldig ist ? Die Königin. Sie haben schon gehört, daß ich dies« Dame nicht bin. Aber gesetzt ich wäre e- : gebe ich Ih­ nen nicht eben so viel wieder, al- ich von Ihnen empfan­ gen habe? Essex. Wo das? Dadurch doch wohl nicht, daß Sie mir den Schlüssel gegeben r

Die Königin. Dadurch allerdings. Essex. Der Weg, den mir dieser Schlüssel erössne« kann, ist weniger der Weg zum Leben, als zur Schande. Was meine Freyheit bewirken soll,muß nicht meiner Furcht­ samkeit zu dienen scheinen. Und doch glaubt die Königin, mich mit diesem Schlüssel, für die Reiche, die ich ihr er«

föchten, für das Blut, das ich um sie vergossen, für das

Leben, das ich ihr erhalten, mich mit diesem elenden

Schlüssel für alles das abzulohnen?') Ich will mein Le­ ben einem anständigern Mittel zu danken haben, oder ster­

ben. (indem er nach dem Fenster geht.) Die Königin. Wo gehen Sie hin?

Essex. Nichtswürdiges Werkzeug meines Lebens, und t*ti«cr Entehrung! Wenn bey dir alle meine Hoffnung be­

ruhet , so empfange die Fluth, in ihrem tiefsten Abgrun­ de, alle meine Hoffnung! (Er eröffnet das Fenster, und wirft den Schlüssel durch das Gitter m den Kanal) Durch die

Flucht, wäre mein Leben viel zu theuer erkauft.") Die Königin. Was haben Sie gethan, Graf? — Sie haben sehr übel gethan.

♦> Luego esta , que afli camino Abrirä a mi vida, abriendo, Tambien la abrirä a mi infamia; Luego esta, que Instrumente jDe mi libertad, tambien Lo havrä de fer de mi ntfedd. Esta , que solo me sirve De huir, es el desempenno De Reinos, que os he ganade, De servicios, que os he hecho, Y en fin, de esta vida, de esta, Que teneis oy por mi esfuerzo 7 . En esta fe cifra tanto ? — ♦♦) Vil instrumento De mi vida , y de mi infamia, Por esta rexa cayendo Del parque, que bäte el rio, Entre fus crystales quiero, Si fois mi efperanza, hundiros t Caed al humedo centro, Donde el Tamafis fepulte

Mi efperanza r y mi remedie.

Essex. Wann ich sterbe: so darf ich wenigstens laut sa­ gen , daß ich eine undankbare Königin hinterlasse. —-Will sie aber diese« Vorwurf nicht: so denke sie auf ei« anderes Mittel/ mich zu retten. Dieses unanständigere habe ich ihr genommen. Ich berufe mich nochmals auf meine Dienst«: es stehet bey ihr sie zu belohnen, oder mit dem Andenken derselben ihren Undank zu verewige». Die Königin. Ich muß das letztere Gefahr laufe«. — Denn wahrlich, mehr könnt« ich, ohne Nachtheil mein« Würde, für Sie nicht thun. Essex. So muß ich dann sterben r Die Königin. Ohnfehlbar. Die Frau wollte Sie ret­ ten : die Königin muß dem Rechte seinen Lauf lassen. Mor­ gen müsse« Sie sterben; und es ist schon morgen. Sie ha­ ben mein ganzes Mitleid > di« Wehmuth bricht mir das Herz; aber es ist nun einmal das Schicksal der Könige, daß sie viel wmigrr nach ihren Empfindungen handeln kön­ nen, als andere.—Graf, ich empfehle Sie der Vorsicht! «*»

LXV1IL Den r;ttn December 1767.

Noch einiger Wortwechsel zum Abschiede, noch einige Ausrufungen in der Stille: und beyde, der Graf und die Königin, gehen ab; jedes von einer besondern Seite. Im Herausgehen, muß man sich einbilden, hat Essex Cos­ me» den Brief gegeben, den er an die Blance geschrieben. Denn den Augenblick darauf kömmt dieser damit herein, und sagt, daß man seinen Herrn zum Eode führe; sobald es damit vorbey sey, »volle erden Brief, so wie er es vrr$4

Essex. Wann ich sterbe: so darf ich wenigstens laut sa­ gen , daß ich eine undankbare Königin hinterlasse. —-Will sie aber diese« Vorwurf nicht: so denke sie auf ei« anderes Mittel/ mich zu retten. Dieses unanständigere habe ich ihr genommen. Ich berufe mich nochmals auf meine Dienst«: es stehet bey ihr sie zu belohnen, oder mit dem Andenken derselben ihren Undank zu verewige». Die Königin. Ich muß das letztere Gefahr laufe«. — Denn wahrlich, mehr könnt« ich, ohne Nachtheil mein« Würde, für Sie nicht thun. Essex. So muß ich dann sterben r Die Königin. Ohnfehlbar. Die Frau wollte Sie ret­ ten : die Königin muß dem Rechte seinen Lauf lassen. Mor­ gen müsse« Sie sterben; und es ist schon morgen. Sie ha­ ben mein ganzes Mitleid > di« Wehmuth bricht mir das Herz; aber es ist nun einmal das Schicksal der Könige, daß sie viel wmigrr nach ihren Empfindungen handeln kön­ nen, als andere.—Graf, ich empfehle Sie der Vorsicht! «*»

LXV1IL Den r;ttn December 1767.

Noch einiger Wortwechsel zum Abschiede, noch einige Ausrufungen in der Stille: und beyde, der Graf und die Königin, gehen ab; jedes von einer besondern Seite. Im Herausgehen, muß man sich einbilden, hat Essex Cos­ me» den Brief gegeben, den er an die Blance geschrieben. Denn den Augenblick darauf kömmt dieser damit herein, und sagt, daß man seinen Herrn zum Eode führe; sobald es damit vorbey sey, »volle erden Brief, so wie er es vrr$4

sprechen, übergeben. Indem er ihn aber ansieht, erwacht seine Neugierde. "Was mag dieser Brief wohl enthalten? Eine Eheverschreibung ? die käme ein wenig zu spät. Die Abschrift von seinem Urtheile? die wird er -och nicht -er schicken, die es zur Wittwe macht. Dein Testament ? auch wohl nicht. Nun was denn ?„ Er wird immer be­ gieriger ; zugleich fällt ihm ein, wie eS ihm schon einmal fast das Leben gekostet hätte, daß er nicht gewußt, waS in-em Briefe seines Herrn stünde. "Wäre ich nicht, sagt er, bey einem Haare zum Vertrauten darüber gewor­ den ?'Hohl der Geyer die Dertrautschaft? Nein, das muß mir nicht wieder begegnen I „ Kurz, Cosme beschließt den Brief zu erbrechen; und erbricht ihn. Natürlich, daß ihn der Inhalt äußerst betroffen macht > er glaubt, ein Papier, das so wichtige und gefährliche Dinge enthalte, nicht geschwind genug los werden zu können ; er zittert über -en bloßen Gedanken, daß man es in seinen Händen finden könne, ehe er eS steywillig abgeliefert; und eilet, «s geraden Weges der Königin zu bringen. Eben kömmt die Königin mit dem Kanzler heraus. Cosme will sie -en Kanzler nur erst abfertigen lassen; und tritt bey Seite. Die Königin ertheilt dem Kanzler den lezten Befehl zur Hinrichtung des Grafen; sie soll sogleich, und ganz in der Stille vollzogen werden; das Volk soll nichts davon erfahren, bis der geköpfte Leichnam ihm mit stummer Junge Treue und Gehorsam zurufe. *) Den Kopf soll der Kanzler in den Saal bringen, und , nebst dem blutigen Beile, unter einen Teppich legen lassen; hierauf die Großen des Reichs versammeln, um ihnen mit ein« Verbrechen und Strafe z« zeigen, zugleich fie an die­ sem Beyspiele ihrer Psticht zu erinnern, und ihnen ein•> Hafta que el tronco cadaver Le flrva de muda lengua.

zuschärfen, daß ihre Königin eben so strenge zu seyn wisse, als fie gnädig seyn zu können wünsche: und das alles, wie sie der Dichter sagen läßt, nach Gebrauch und Sitte deLandeS *). Der Kanzler geht mit diesen Befehlen ab, und Cosme tritt die Königin an. “ Diesen Brief, sagt er, hat mir mein Herr gegeben, ihn nach seinem Lode der Dlanca ein­ zuhändigen. Ich habe ihn aufgemacht, ich weiß selbst nicht warum; und da ich Dinge darinn finde, die Ihr» Majestät wissen müssen, und die dem Grafen vielleicht noch zu Statten kommen können: so bringe ich ihn Ihr» Mazestät, und nicht der Blanea.,, Die Königin nimmt Len Brief, und liefet: "Bianca, ich nahe mich meinem letzten Augenblicke; man will mir nicht vergönnen, mit dir zu sprechen: empfange also meine Ermahnung schrift­ lich. Aber vors erste lerne mich kennen; ich bin nie der Derräther gewesen, der ich dir vielleicht geschienm; ich *) Y asli al salon de palacio Hareis que Ilamados vengan Los Grandes y los Milordes, Y para que alli le vean, Debaxo de una cortina Hareis poner la cabeza Con el sangriento cüchillo, Que amenaza junto a ella, Por symbolo de jufticia, Coftumbre de Inglaterra: Y en estando todos juntos, Monftrandome jufticiera, Exhortandolos primero Con amor a le obedienzia, Les monstrarfc luego al Conde , Para que todos atiendan, Que en mi ay rigor que los rinda, Si ay piedad que los atreva.

>o versprach, dir in der bewußten Sache behülflich zu seyn, blos um der Königin desto nachdrücklicher zu dienen, und den Roberto , nebst seinen Anhängern, nach London zu locken. Urtheile, wie groß meine Liebe ist , da ich dem ohngeachtet eher selbst sterben, als dem Leben in Gefahr setzen will. Und nun die Ermahnung: stehe von dem Vor­ haben ab , zu welchem dich Roberto anreizrt; du hast mich nun nicht mehr; und es möchte sich nicht alle Tage einer finden, der dich so sehr liebte, daß er dm Lod des Derrt» thers sürhich sterben wollte. „ — Mensch: ruft die bestürzte Königiy, was hast du mir ha gebracht? Nun ? sagt Cosme, bin ich noch ein Vertrau» *) Bianca en el ultimo trapce , Porque-hablarte no me dexan, He de efcribirte un consejo, Y tambien una advertencia; La advertencia es > que yo nunca Fui traidor, que la promefla De ayudar en lo que fabes, Fue por fervir a la Reina, Cogiendo a Roberto en Londres, Y a los que feguirle intentan; Para aquesto fue la carta : Esto he querido que fepas , Porque adviertas el prodigio De mi amor, que afli fe dexa Morir, por guardar tu vida. Este ha fido la advertenciat : ( Valgame dios!) e( consejo Es, que defistas la empressa A que Roberto te incita. Mira que fin mi te quedas , Y no ha de haver cada dia Quien por mucho que te quiera e Por confervarte la vida Por traidor la fuya piertfc.

ter? — “Eile, fliehe, deinen Herm zu retten i Sage dem Kanzler, einzuhalten:— Holla, Wachei bringt ihn augenblicklich vor mich, — den Grafen, — geschwind!,, Und eben wird er gebracht: sein Leichnahm nemlich. So groß die Freude war, welche die Königin auf einmal überströmte, ihren Grafen unschuldig zu wissen, so groß sind nunmehr Schmer; und Wuth, ihn hingerichtet zu fehm. Sie verflucht die Eilfertigkeit, mit -er man ihren Befehl vollzogen: und Bianca mag zittern! So schließt sich dieses Stück, bey welchem ich mein« Leser vielleicht zu lange aufgehalten habe. Vielleicht auch nicht. Wir sind mit den dramatischen Werken -er Spanier so wenig bekannt; ich wüßte kein einiges, welches man uns übersetzt, oder auch nur Auszugsweise mitgetheilet hin«. Denn die Virgin« des Augustin» de Montiano y Luyando ist zwar spanisch geschrieben; aber kein spanisches Stück: ein bloßer Versuch in der korrekten Manier -er Franzosen, regelmäßig aber frostig. Ich bekenne sehr gern, daß ich bey weiten so vortheilhaft nicht mehr davon denke, als ich wohl ehedem muß gedacht habm. *) Wenn das zweyte Stück des nemlichen Verfassers nicht besser gerathen ist; wenn die nmern Dichter der Nation, welche eben diesen Weg betreten wollen, ihn nicht glücklicher betreten ha­ ben : so mögen sie mir es nicht übel nehmen, wenn ich noch immer lieber nach ihrem alten Lope und Caldcron greife, als nach ihnen. Die ächten spanischen Stücke sind vollkommen nach der Art dieses Essex. In allen einerley Fehler, und einerley Schönheiten: mehr oder weniger; das versteht sich. Die Fehler springen in die Augen: aber nach den Schönheiten bürste man mich stagen. — Eine ganz eigene Fabel; «ne sehr sinnreiche Verwicklung; sehr viele, und sonder») Theatralische Bibliothek, erstes Stück, S. 117.

bare, und immer neue Lheater-reiche; die ausgespartestm Situationen; meistens sehr wohl angelegte und bis ans Ende erhaltene Karaktere; nicht selten viel Würde und Stärke im Ausdrucke. — Das find allerdings Schönheiten; ich sage nicht, -a«S die höchsten find; ich läugne nicht, daß sie zum Theil sehr leicht biS in das Romanenhafte, Abentheuerltchr, Unnatürliche, können getrieben werden, daß sie bey den Spaniern von dieser Uebertreibung selten srey find. Aber man nehme den meisten französischen Stücken ihre mecha­ nische Regelmäßigkeit: und sage mir, ob ihnen andere, als Schönheiten solcher Art, übrig bleiben ? Was haben sie sonst noch viel Gutes, als Verwicklung, und Theater­ streiche und Situationen. x Anständigkeit: wird man sagen. — Nun ja; Anstän­ digkeit. Alle ihre Verwicklungen find anständiger, un­ einförmiger ;, alle ihre Theaterstreiche anständiger, un­ abgedroschener; alle ihre Situationen anständiger, un­ gezwungener. Das kömmt von der Anständigkeit! Aber Cosme, dieser spanische Hanswurst; diese unge­ heure Verbindung der pöbelhaftesten Possen mit dem feyerlichstcn Ernste; diese Vermischung des Komischen und Tra­ gischen, durch die das spanische Theater so berüchtiget ist? Zch bin weit entfernt, diese zu vertheidigen. Wenn sie zwar blos mit der Anständigkeit stritte, — man versteht schon, welche Anständigkeit ich meyne; — wenn fie weiter keinen Fehler hätte, als daß fie die Ehrfurcht beleidigte, welche die Großen verlangen, daß fie der Lebensart, der Etiquette, dem Ceremoniel, und allen denGaukeleyen zu­ widerlief, durch die man den größer» Theil der Menschen bereden will, daß es einen kleinern gäbe, der von weit des» serm Stoffe sey, als er: so würde mir die unfinnigste Ab­ wechslung von Niedrig aufGroß, von Aberwitz auf Ernst,

von Schwarz auf Weiß, willkommener seyn, als die kalt» Einförmigkeit, durch die mich der gute Ton, die feine Welt, die Hofmanier, und wie dergleichen Armseligkeiten mehr heissen, unfehlbar einschläfert. Doch es kommen ganz an­ dere Dinge hier in Betrachtung.

LXIX. Den -sten December 1767.

Lope de Vega, ob er schon als Schipfer des spanischen

Theaters betrachtet wird, war es indeß nicht, der jenen Iwitterton einführte. DaS Volk war bereits so daran g

Tie letzten Worte sind es/ weswegen ich diese Stelle anführe. Ist es wahr, daß uns die Natur selbst, in die» ser Vermengung des Gemeinen und Erhabenm, des Possirlichcn und Ernsthaften, des Lustigen und Traurigen, jum Muster dienet i Es scheinet so. Aber wenn eS wahr ist', so hat Lope mehr gethan, als er sich vomahm; «hat nicht blos btt Fehler seiner Bühne beschöniget; « hat ei­ gentlich erwiesen, daß wenigstens dteler Fehler keiner ist; denn nichts kann ein Fehler sey», was eine Nachahmung der Natur ist. "Man tadelt, sagt einer von unsern neuesten Scribenten, an Shakrspear, — demjenigen unter allen Dich­ tern seit Homer, d« die Menschen, vom Könige bis zum Bettler, und von Julius Cäsar bis zu Jak Fallstaff, am besten gekannt, und mit einer Art von unbegreiflicher In­ tuition durch und durch gesehen hat, — daß seine Stücke keinen, oder doch nur einen sehr fehlerhaften unregelmäßi­ gen und schlecht ausgesonnenen Plan haben; daß komisches und tragisches darinn auf die seltsamste Art durch einan­ der geworfen ist, und oft ebendieselbe Person, dir uns durch die rührende Sprache der Natur, Thränen in die Augen gelockt hat, in wenigen Augenblicken daraufun< durch irgend einen seltsamen Einfall oder barokischen Aus­ druck ihrer Empfindungen, wo nicht zu lachen macht, doch Mas pues del arte vamos tan remotos»

Y en Efpanna le hazemos mil agravios, Cierren los Doctos efta vez los labios. Lo Tragico, y lo Comico mezclado, Y Terencio con Seneca, aunque fea, Como otro Minotaur© de Pafife, Haran grave una parte, otra ridicula, Qu« aquesta variedad deleyra mucho , Buen exemplo nos da naturaleza,

Que per tal variedad riese belle».

dergestalt abkühlt, daß es ihm hernach sehr schwer wird, uns weeder in die Fassung zu setzen, worinn er uns habe« möchte.----- Man tadelt das, und denkt nlcht daran, daß seine Stücke eben darin» natürliche Abbildungen deS menschlichen Lebens find.» “ Das Leben der meisten Menschen, ynd ( wenn wir es sagen dürfen) der Lebenslauf der großm StaatSkörper selbst, in so fem wir sie als eben so moralische Wesen betrachten, gleicht den Haupt - und Staatsaktionen im alte» gothischen Geschmacke in so vielen Punkten, daß man beynahe auf die Gedanken kommen möchte, die Er­ finder dieser letztem wäre» klüger gewesen, als man ge­ meiniglich denkt, und hätten, wofern sie nicht gar die. heimliche Absicht gehabt, das menschliche Leben lächerlich |u machen, wenigstens die Natur eben so getreu nachah­ men wollen, als die Griechen sich angelegen seyn ließen, sie zu verschönern. Und jetzt nichts von der zufällige» Aehnlichkeit zu sagen, daß in diesen Stücken, so wie im Leben, die wichtigsten Rollen sehr oft gerade durch die schlechtesten Akteurs gespielt werden, — was kann ähn­ licher seyn, als es beyde Arten der Haupt - und Staats­ aktionen einander in der Anlage, in dtr Abtheilung und Disposition der Scenen, im Knoten und in der Entwick­ lung zu seyn pflegen. Wie selten fragen die Urheber der einen und der andem sich selbst, warum sie dieses oder je­ nes gerade so und nicht anders gemachet haben ? Wie oft überraschen sie uns durch Begebenheiten, zu denen wir nicht im mindesten vorbereitet waren ? Wie oft sehen wir Personen kommen und wieder abtreten, ohne daß sich be­ greifen läßt, warum sie kamen, oder warum sie wieder verschwinden ? Wie viel wird in beyden dem Zufall über­ lassen ? Wie oft sehen wir dir grißesten Wirkungen durch die armseligsten Ursachen hervorgebracht? Wie oft dar Ernsthafte

Ernsthafte, und Wichtige mit einer leichtsinnigen Art,

und das Nichtsbedeutende mit einer lächerlichen Gravität

behandelt x Und wenn in beyden endlich alles so kläglich verworren und durcheinander geschlungen ist, daß man

an der Möglichkeit der Entwicklung zu verzweifeln an­ fängt : wie glücklich sehen wir durch irgend einen unter

Blitz und Donner auS papiernen Wolken herabspringenhen Gott, oder durch einen frischen Degenhieb, den Kno­ ten auf einmal zwar nicht aufgelöset, aber doch ausge­ schnitten, welches in so fern auf eines hinauölauft, daauf die eine oder die andere Art das Stück em Ende hat«

und die Zuschauer klatschen oder zischen können, wie sie wol­

len oder — dürfen.

UebrigenS weiß man, was für eine

wichtige Person in den komischen Tragödien, wovon wir

reden, der edle HannSwurst vorstellt, der sich, vermuth­ lich zum ewiger« Denkmal deS Geschinacks unserer Vorel­

tern , auf dem Theater der Hauptstadt des deutschen Rei­

ches erhalten zu wollen scheinet.

Wollte Gott, daß er

seine Person allein auf dem Theater vorstellte! Aber wie viel große Aufzüge auf dem Schauplatze der Welt hat

man Nlcht in allen Zeiten mit HannSwurst, — oder, welches noch ein wenig ärger ist, durch HastnSwurst, —aufführen gesehen x Wie oft haben die größesten Männer,

dazu gebvhren, die schützenden Genii eines Throns, die Wohlthäter ganzer Völker und Zeitalter zu seyn, alle ihre

Weisheit und Tapferkeit durch einen kleinen schnachischen Stretch von HannSwurst, oder solchen Leuten vereitelt se­ hen müssen, welche, ohne eben sein Wamms >und gelben

Hosen zu trage», doch gewiß seinen ganzen Karakter an

sich trugen x Wie oft entsteht in beyden Arten der TragiKomödien die Verwicklung selbst lediglich daher, daß Hannswurst durch irgend ein dummes und schelmisches

Lkßins» Analekten 4t B.

G

s« Stückchen vo» seiner Arbeit den geschydten Leuten, eh sie fichS versehen können, ihr Spiel verderbt ? „ — Wenn in dieser Dergleichyng des großen und kleinen, bes ursprünglichen und nachgebtldeten, heroischen Possen­ spiel« — (die ich mit Vergnügen aus einem Werke ab­ geschrieben / welches unstreitig unter die vortrefflichste» «nserS Jahrhunderts gehört, aber für das deutsche Pu­ blikum noch viel zu früh geschrieben zu seyn scheinet. In Frankreich und England würde eS das äußerste Anffehen gemacht haben; der Name seines Verfassers würde auf aller Zungen seyn. Aber bey uns ? Wir haben es, und damit gut. Unsere Großen lernen vor« erste an den * ** kaue»; und freylich ist der Saft au« einem französischen Roman lieblicher und verdaulicher. Wenn ihr Gebiß schärfer und ihr Magen stärker geworden, wenn sie indeß Deutsch gelernt haben, so kommen sie auch w»hk einmal über de» — Agathon. *) Dieses ist das Werk, von wel­ chem ich rede, vo» welchem ich eS lieber nicht an dem schick­ lichsten Orte, lieber hier al« gar nicht, sagen will, wie sehr ich «S bewundere: da ich mit der äußerste« Besremdüng wahrriehme, welches tiefe Stillschweigen unser« Kunstlichter darüber beobachte«, oder in welchem kalten «nd gleichgültigen Tone sie davon sprechen. ES ist de« erste «nd einzige Roman für den denkenden Kopf, von klastischem Geschmacke. Roman? Wir wollen ihm diesen Titel nur geben, vielleicht, daß eS einige Leser mehr da­ durch bekömmt. Die wenigen, die eS darüber verlieren möchte, ay denen ist ohnedem nicht« gelegen.) Zweyter Theil, L. 192.

LXX. Den lten Iamrar 176g. Wenn in dieser Vergleichung, sage ich, die satyrisch«

Laune nicht zu sehr vorstäch«: s» würde man sie für die beste Schutzschrift des komisch »tragischen, oder tragisch­ komischen Drama, (Mischspiel habe ich es einmal auf ir» gend einem Titel genannt gefunden) für di« gefliesten-« lichste Ausführung des Gedankens beym Lope halten dür­ fen. Aber zugleich würde sie auch die Widerlegung dessel­ ben seyn. Denn fie würde zeigen, -aß eben das Beyspiel der Natur, welches dir Verbindung -es feyerlichen Ern» fies mit der possenhaften Lustigkeit rechtfertigen soll, eben so gut jedes dramatische Ungeheuer, das weder Plan, noch Verbindung, noch Menschenverstand hat, rechtfertigen könne. Die Nachahmung der Natur müßte folglich ent­ weder gar kein Grundsatz der Kunst seyn; oder, wenn sie «S -och bliebe, würde durch ihn selbst die Kunst, Kunst zu seyn aufhören; wenigstens keine höhere Kunst seyn, al« etwa die Kunst, die bunten Adern des Marmors in GypS, nachzuahmen; ihr Zug und Lauf mag gerathen, wie er will, der seltsamste kann so seltsam nicht seyn, daß er nicht natürlich scheinen könnte; blos und allein.der schei­ net eS nicht, bey welchem sich zuviel Symmetrie, zu viel Ebenmaaß und Verhältniß, zu viel von dem zeiget, wa­ rn jeder andem Kunst die Kunst ausmacht; der künstlichste in diesem Verstände ist hier der schlechteste, und der wil­ deste der beste. Als Kritikus dürst« unsre Verfasser ganz andrrS spre­ chen. Was er hier so sinnreich aufstützen zu wollrn schei­ net, würde er, ohn« Zweifel al« eine Mißgeburt de« bar» G 2

barischen Geschmacks verdammen, wenigstens als die er­ sten Versuche der unter ungeschlachteten Völkern wieder auflebenden Kunst vorstellen, an deren Form irgend ein Zusammenfluß gewisser äusserlichen Ursachen, oder das

Ohngef.hr, den meisten, Vernunft und Ueberlegung aber den wenigsten, auch wohl ganz und gar keinen Antheil hatte. Er würde schwerlich sagen, daß die ersten Erfinder des MischspielS (da das Wort einmal da ist, warum soll

ich es nicht brauchen!) "die Natur eben so getreu nach­ ahmen wollen, als die Griechen sich angelegen seyn lassen,

sie zu verschönern.,. Die Worte getreu und verschönert, von der Nachah­

mung und der Natur, als dem Gegenstände der Nachah­ mung, gebraucht, sind vielen Mißdeutungen unterworfen.

CS giebt Leute, die von keiner Natur wissen wollen, wel­ che man zu getreu nachahmen könn«; selbst was uns in der Natur mißfalle, gefalle in der getreuen Nachahmung, ver­

möge der Nachahinnng. ES giebt andere, welche die Ver­ schönerung der Natur für eine Grille halten; eine Natur, die schöner seyn wolle, als die Natur, sey eben darum nicht Natur. Beyde erklären sich für Verehrer der einzigen Na­

tur, so wie sie ist: jene finden tn ihr nichts zu vermeiden; dresc nichts hinzuzusetzen. Jenen also müßte nothwendig das gothische Mischspiel gefalle»; so wie diese Mühe habe»

würden, an den Meisterstücken der Alten Geschmack zu

finden.

Wann dieses nun aber nicht erfolgte ? Wann jene, so große Bewunderer sie auch von der gemeinsten und alltäg­ lichsten Natur sind, sich dennoch wider die Vermischung deS Possenhaften und Interessanten erklärten ? Wann diese, so ungeheuer sie auch alles finden, was besser und schöner

seyn will, als dre Natur, dennoch das ganze griechische Theater, ohne den geringsten Anstoß von dieser Seite,

durchwandelten ? Wie wollten wir diesm Widerspruch er­ klären ? Wir würden nothwendig zurückkommen, und das, was ‘

wir von beyden Gattungen erst behauptet, widerrufen müs­

sen. Aber wie müßten wir widerrufen, ohne uns in neue Schwierigkeiten zu verwickeln? Die Vergleichung einer solchen Haupt- und Staatsaktion, über deren Güte wir streiten, mit dem menschlrchen Leben, mit dem gemeinen

Laufe der Welt, ist doch so richtig! Ich will etNlge Gedanken herwrrfen, dir, wenn fie nicht-' gründlich genug sind, doch gründlichere veranlassen kön­ nen. — Der Hauptgedanke ist dieser: es ist wahr, und

auch nicht wahr, daß die komische Tragödie, gothischer Erfindung, die Natur getreu nachahmet r sie ahmet sie nur in einer Hälfte getreu nach, und vernachläßiget die andere

Hälfte gänzlich; sie ahmet die Natur der Erscheinungen

nach, ohne im geringsten auf die Natur unserer Empfin­ dungen und Seelenkräfte dabey zu achten. In der Natur ist alles mit allem verbunden, aller

durchkreuzt sich, alles wechselt mit allem, alles verändert sich eines in daö andere.

Aber »ach dieser unendliche«

Mannichfaltigkeit ist sie nur ein Schauspiel für einen un­ endlichen Geist.

Um endliche Geister an dem Genusse des-

selben Antheil nehmen zu lassen, mußten diese das Vermö­ gen erhalten, ihr Schranken zu geben, die sie nicht hat; das Vermögen abzusondern, und ihre Aufmerksamkeit nach

Gutdünken lenken zu können. Dieses Vermögen üben wir in allen Augenblicken der Lebens; ohne dasselbe würde e6 für uns gar kein Leben ge­ be»; wir würden vor allzu verschiedenen Empfindungesi

nichts empfinden; wir würden ein beständiger Raub des gegenwärtigen Eindruckes seyn; wir würden träumen,

»hne ru wissen, was wir träumten, G 3

Die Bestimmung der Kunst ist, uit« in dem Reiche de« Schöne» dieser Absonderung zu überheben, uns die Firi» rung unserer Auftnerksamkeit zu erleichtern: Alles, was wir in der Natur von emem Gegenstände, oder einer VevHindung verschiedener Gegenstände, es sey der Zeit oder -em Raume nach, in unfttit Gedanken absondern, oder absondern zu können wünschen, sondert sie wirklich ab r und gewährt uns diesen Gegenstand, oder diese Verbin­ dung verschiedener Gegenstände, so lauter und bündig, als er nur immer die Empfindung, die sie erregen sollen, »erstattet. Wenn wir Zeugen von tütet wichtigen und rührende« Begebenheit sind, und eine andere von nichtigem Belange läuft queer ein: so suchen wir der Zerstreuung, die diese «nsdrohet, möglichstauszuweichen. Wirabstrahirenvon ihr; und es muß uns nothwendig eckeln, in der Kunst das wieder zu finden, was wir ans der Natur wegwünschten. Nur wenn eben dieselbe Begebenheit in ihrem Fortgän­ ge alle Schattirungm des Interesse annimmt, und eine nicht blos auf die andere folgt, sondern so nothwendig au« der andem entspringt; wenn der Emst das Lachen, die Traurigkeit die Freude, oder umgekehrt, so unmittelbar erzeugt, daß uns die Abstraktion des einen »der des andern unmöglich fällt: nur alsdenn verlangen wir sie auch in der Kunst nicht, und die Kunst weiß aus dieser Unmög­ lichkeit selbst Vortheil zu ziehen. — Aber genug hiervon: man sieht schon, wo ich hinaus will. — Den fünf und vierzigsten Abend (FreytagS dm raten Julius) wurden die Brüder des Hm. Romanus, und da« Orakel vom Saint-Foix gespielt. Das erstere Stück kann für rin deutsche« Original geltm, ob et schon, größtm Theils, aus den Prüdem de«

Leren» genommen ist. Man hat gesagt, -aß auch Malier« aus dieser Quelle geschöpft habe; und zwar seine Männer­ schule. Der Herr van Voltaire macht seine Anmerkungen über dieses Vergeben: und ich führ« Anmerkungen von dem Herrn von Voltaire so gem a«: Aus seinen gering­ sten ist noch immer etwas zn lernen: wenn schon nicht alle­ reit das, was er darin» sagt: wenigstens d«S, «aS er hätte sage« sollen. Primus fapientia gradus est, falsa intclligere; (wo dieses Sprüchelchen stehl, will mir nicht gleich beyfallen) und ich wüßte keinen Schriftsteller in der Welt/ an dem man es so gut versuchen könnte, ob man auf die­ ser ersten Stuff« der Weisheit stehe, als an dem Herrn von Voltaire: aber daher auch keinen, der uns die jweyte zu ersteige«, weniger behülfiich seyn könnte; fecusdus, vem cognofcere. Em kritischer Schriftsteller, dünkt mich, rich­ tet seine Methode auch am besten nach diesem Sprüchelche» ein. Er suche sich nur erst jemanden, mit -em er streite» kann: so kömmt er nach und nach in die Materie, und daübrige findet sich. Hierzu habe ich mir in diesem Werke, ich bekenne es austichtig, nun einmal die ftanzösischen Skri­ benten vornehmlich erwählet, und unler diesen besonders den Hm. von Voltaire. Also auch jetzt, nach einer kleine» Verbeugung, nur darauf zu 1 Wem diese Methode aber etwann mehr muthwillig als gründlich scheinen wollte: -er - soll wissen, daß selbst der gründliche Aristoteles sich ihrer fast immer bedient hat. Seiet Aristoteles, sagt einer von seine» Ausleger», der mir eben zur Hand liegt, quan-efe pugnam in suis libris. Atque hoc facit non temere, & cafu , sed certa ratione atque confilio nam labefactatis aliorum opinionibus, u. s. w. O des Pedante»würde der Hr. von Voltaire rufe«. —— Ich bi» es blos aus Mißtrauen i» mich selbst. .. “ Die Brüder des Leren», sagt derHr. »o»Voltajrk> G 4

können höchstens die Idee zu der Männerschule gegeben haben.

In den Brüdern sind zwey Alte von verschiedener

Gemüthsart, die ihre Söhne ganz verschieden erziehen ;

eben so sind in der Männerschule zwey Vormünder, ein sehr strenger und ein sehr nachsehender: das ist die ganze Aehnlichkeit.

In den Brüdern ist fast ganz und gar keine

Intrigue: die Intrigue in der Männerschule hingegen ist fein, und unterhaltend und komisch. Eine von den Frauen­

zimmern des Leren;, welche eigentlich die interessanteste Rolle spielen müßte, erscheinet blos auf dem Theater, um

niederzukommen. Die Isabelle des Molicre rst fast immer auf der Scene, und zeigt sich immer witzig und reizend, und verbindet sogar die Streiche, dresie chrem Vormunde spielt, noch mit Anstand.

Dre Entwicklung in den Brü­

dern rst ganz unwahrscheinlich; es ist wider die Natur, daß «in Alter, der sechszrg Jahre ärgerlich und streng und gei­

zig gewesen, auf einmal lustig und höflich und freygebig

werden sollte. Die Entwicklung in der Männerschule aber, ist die beste von allen Entwicklungen des Molrere; wahr­ scheinlich, natürlich, aus der Intrigue selbst hergenom­ men, und, was unstreitig nicht das schlechteste daran ist,

tufferst komisch.

LXXI.

• Den rtetr Januar 176z.

Es scheinet nicht, daß der Herr von Voltaire, seitdem

er aus der Klass« bey den Jesuiten grkommm, den Terenz viel wieder gelesen habe.

Er spricht ganz so davon,

als von einen» alten Traume; es schwebt ihm nur noch

können höchstens die Idee zu der Männerschule gegeben haben.

In den Brüdern sind zwey Alte von verschiedener

Gemüthsart, die ihre Söhne ganz verschieden erziehen ;

eben so sind in der Männerschule zwey Vormünder, ein sehr strenger und ein sehr nachsehender: das ist die ganze Aehnlichkeit.

In den Brüdern ist fast ganz und gar keine

Intrigue: die Intrigue in der Männerschule hingegen ist fein, und unterhaltend und komisch. Eine von den Frauen­

zimmern des Leren;, welche eigentlich die interessanteste Rolle spielen müßte, erscheinet blos auf dem Theater, um

niederzukommen. Die Isabelle des Molicre rst fast immer auf der Scene, und zeigt sich immer witzig und reizend, und verbindet sogar die Streiche, dresie chrem Vormunde spielt, noch mit Anstand.

Dre Entwicklung in den Brü­

dern rst ganz unwahrscheinlich; es ist wider die Natur, daß «in Alter, der sechszrg Jahre ärgerlich und streng und gei­

zig gewesen, auf einmal lustig und höflich und freygebig

werden sollte. Die Entwicklung in der Männerschule aber, ist die beste von allen Entwicklungen des Molrere; wahr­ scheinlich, natürlich, aus der Intrigue selbst hergenom­ men, und, was unstreitig nicht das schlechteste daran ist,

tufferst komisch.

LXXI.

• Den rtetr Januar 176z.

Es scheinet nicht, daß der Herr von Voltaire, seitdem

er aus der Klass« bey den Jesuiten grkommm, den Terenz viel wieder gelesen habe.

Er spricht ganz so davon,

als von einen» alten Traume; es schwebt ihm nur noch

so was davon im Gedächtnisse ; und das schreibt er .auf gut Glück so hin, unbekümmert, ob non quod dicatur, sed quo gestu dicatur, specta; et videbis neque adhuc represlilse iracundiam , neque ad se rediiffe Demeam, Demea sagt zwar, ich mäßige mich, ich bin wieder bey mir: aber Gesicht und Gebehrde und Stimme verrathen genugsam, daß er sich noch nicht gemäßiget hat, daß er noch nicht wieder bey sich ist. Er be­ stürmt dm Micio mit einer Frage über die andere, und Mieio hat alle seine Kälte und gute Laune nöthig, um nur -um Worte zu kommen.

LXXII. Don 8ten Januar 1768.

Als er endlich dazu kömmt, wird Demea zwar eingetrie­

ben , aber im geringsten nicht überzeugt. Aller Vorwand über die Lebensart seiner Kinder, unwillig zu seyn, ist ihm benommen: und doch fängt er wieder von vorne an, zu nergeln. Mino muß auch nur abbrechen, und sich be­ gnügen , daß ihm die mürrische Laune, die er nicht än­ dern kann, wenigstens auf heute Frieden lassen will. Die Wendungen, die ihn Terenz dabey nehmen läßt, sind mei­ sterhaft. *) Demea. Nun gieb nur Acht, Mici», wie wir mit die■ ■ —" Dem. Ne nimium modo Bonae tuaeiftae nos rationes , Micio , * Et tuus ifte auiimus aequus fubvertat. Mic. Tace; Non fiet. Mitte jam iftaec; da te hodie mihi: Exporge frontem. Dem. Scilicet ita tenipus fert , Faciendum eft : ceterum rus cras cum filio Cum primo lucu ibo hinc. Mic. De nofte censeo r Hodie modo hilarum fac te. Dem. Et istam pfaltriam Una jlluc mecum huic abftraham. Mic. Pugnaveris. Eo pasto prorsum illic alligaris filium Modo facito , ut illam ferves. Dem. Ego iftuc videru. Atque ibi favillae plena, fumi, ac pollinis, Coquendo fit faxo et molendo; praeter haec Meridie ipso faciam ut stipulam colligat: Tarn excoftam reddam atque atram, quam carbo eft. Mit. Placet. Nunc mihi videre faperc. Atque equidem filium , Tum etiam fi nolit, cogam, ut cum illa una cubet Dem. Derides ? fortunatus, qui istoc animo fies :* Ego feutio. Mic. Ah, pergifhe ? Dem. Jam jam defino»

♦) — -

stn schinm Grundsätzen, mit dieser deiner lieben Nach­ sicht, am Ende fahren werden. Micro. Schweig doch I Besser, als du glaubest. — Und nun genug davon: Heute schenke dich mir. Komm Mr« dich auf. Demea. Mag« doch nur heute seyn ! War ich muß, das muß ich. — Aber morgen, so bald eS Lag wird, -eh ich wieder aufs Dorf, und der Bursche geht mit. — Micio. Lieber, noch eh« e« Tag wird; dächte ich. Sey nur heute lustig. Demea. Auch da- Mensch von einer Sängerin muß mit heraus. Micio. Vortrefflich! So wird sich -er Sohn gewiß nicht wegwünsche». Nur halte sie auch gut. Demea. Da laß mich vor sorgen! Sie soll in -er Mühle und vor dem Ofenloche, Mehlstaubö und Kohl­ staub« und Rauch« genug kriegen. Dazu soll sie mir am heissen Mittage stoppeln geh«, bi« sie so trocken, so schwarz gewordm, al« ein Löschbrand. Micio. Da« gefällt mir' Nun bist du auf dem rech­ ten Wege: — Und alsdenn, wenn ich wie du wäre, müßte mir der Sohn bey ihr schlafen, er möchte wollen »der nicht. Demea. Lachst du mich au« ? — Bey so einer Ge­ müthsart, freylich, kannst du wohl glücklich seyn. Ich fühl es, leider — Micio. Du fängst doch wieder an r Demea. Nu, nu; ich höre ja auch schon wieder auf. . Bey dem "Lachst du mich ausde« Demea, merkt Donatus an: Hoc Verbum vultu Demeae sic profertur; ut subrisisse videatur invitus. Sed rursus ego sentio , amare fevereqne dicit Unvergleichlich l Demea, dessen »oller Lmst e« war, daß er die Sängerin, nicht als Sän» -erin, sonderrn al« eine gemeine Sklavin halten und nutzen

wollte / muß über den Einfall des Micw lachen. Micro selbst braucht nicht zu lachen: n ernsthafter er sich stellt, desto besser. . Demea kann darum doch sagen: Lachst du mich aus ? und muß sich zwrngen wollen, sein eignes La­ uchen zu verbeissen. Er verberßt es auch bald, denn das "Ich fübl es leider» sagt er wieder m einem ärgerlichen und bittern Tone. Aber so ungern , so kurz das Lachm auch ist: so große Wirkung hat es gleichwohl. Denn einen Mann, wie Demea , hat man wirklich vors erste ge­ wonnen , wenn man ihn nur zu lachen machen kann. Le seltner ihm diese wohlthätige Erschütterung ist, desto län­ ger hält sie innerlich an; nachdem er längst alle Spur derselben auf seinem Gesichte vertilgt, dauert sie noch fort, ohne daß er es selbst werß, und hat auf fern nächstfolgen» IM Betragen einen gewissen Einfluß.— Aber wer hätte wohl bey cutcw Grammatiker so feine Kenntnisse gesucht ? Die alten Grammatiker waren nicht das, was wir netzt bey dem Namen denken. Es waren Leute von vieler Einsicht; das ganze weite Feld der Krrtik war ihr Gebiete. Was von ihren Auslegungen klaßischcr Schriften auf uns gekommen, verdient daher Nicht blos wegen dcr.Sprache studirt zu werden. Nur muß man die neuern Interpolationen zu unterscheiden wissen. Daß aber dieser Donatus (Aelius ) so vorzüglich reich an Be­ merkungen ist, dre unsern Geschmack bilden können, daß er die verstecktesten Schönheiten seines Autors mehr als irgend ein anderer zu enthüllen weiß: das kömmt vielleicht weniger von seinen größern Gaben, als von der Beschaf­ fenheit seines Autors selbst. Das römische Theater war, zur Zeit des Donatus, noch nicht gänzlich verfallen; die Stücke des Lerenz wurden noch gespielt, und ohne Zwei­ fel noch mit vielen von den Ueberlieferungen gespielt, die sich aus den bessern Zeiten des römischen Geschmacks her­ schrieben; .

schrieben: er durfte also nur anmerken, was er sahe und Hirte; er brauchte also nur Aufmerksamkeit und Treue, um sich das Verdienst zu machen, daß ihm die Nachwelt Feinheiten zu verdanken hat, die er selbst schwerlich dürfte ausgegrübelt haben. Ich wüßte daher auch kein Werk, aus welchem ein angehender Schauspieler mehr lernen könnte, als diesen Kommentar des Donatus über-en £e* renz: und bis das Latein unter unsern Schauspielern üb« kicher wird, wünschte ich sehr, daß man ihnen eine gute Uebersetzung davon in die Hände geben wollte. Es ver« steht sich, daß der Dichter dabey seyn, und aus dem Kom­ mentar alles wegbleiben müßte, was die bloße Wörter­ klärung betrift. Die Dacier hat in dieser Absicht den Do­ natus nur schlecht genutzt, und ihre Uebersetzung des Textes ist wäßrig und steif. Eine neuere deutsche, die wir haben, hat das Verdienst der Richtigkeit soso, aber das Verdienst der komischen Sprache fehlt ihr gänzlich; *) und Donatus ist auch nicht weiter gebraucht, als ihn die Dacier zu brau*) Halle 175).

Wunders halben erlaube man mir die Stelle dar»

aus anruführen, die ich eben jetzt übersetzt habe.

Was mir hier

aus der Feder geflossen, ist weit entfernt, so zu seyn , wie es seyn sollte : aber man wird doch ungefehr daraus sehen können, worinn

das Verdienst besteht, das rch dieser Uebersetzung abfprechen muß.

Demea. Aber mein lieber Bruder, daß uns nur nicht deine schönen Gründe, und dein gleichgültiges Gemüthe sie ganz un­

gar ins Verderben stürzen. Micro. Ach / schweig doch nur, das wird nicht geschehen. La­

udas immer seyn.

Ueberlaß dich heüte einmal mir.

Weg mit den

Runzeln von der Stirne.

Demea. Ja, ja, die Zeit bringt es so mit sich, ich nAiß ewohl thun. ^Aber mit anbrechendem Tage gehe ich wieder mit meinem Sohne aufs Land.

Micto. Ich werde dich nicht aufhalten, und wenn du die Nacht

Wieder gehn willst; sey doch heute nur einmal fröhlich. Demea. Die Sängerin will ich zugleich mit herausschleppem

Lkßmgo Analekten 4t v.

H

chen für gut befunden. ES wäre also keine gethan« Ar­ beit , was ich vorschlage: aber wer soll sie thun ? Die nichts besser« thun könnten, können auch dieses nicht: und die etwa« besserS thun könnte«, werden sich bedanken. Doch «Mich vom Terenz auf unsern Nachahmer zu femmtit. — ES ist doch sonderbar, daß auch Herr Roma» nuS den falschen Gedanken des Voltaire gehabt zu haben scheinet. Auch er hat geglaubt« daß am Ende mit dem Karakter des Demea eine gänzliche Veränderung vorgche r wenigstens Läßt er sie mir dem Karakter seines LysimonS vorgchen. " Ze Kinder, läßt er ihn rufen, schweigt doch; Ihr überhäuft mich i« mit Liebkosungen. Sohn, Bru, der , Vetter, Diener, alles schmrrchelt mir, blos weil Ich. einmal ein bißchen freundlich anSsehe. Bin ichs denn, »der bin ichs nicht? Zch werde wieder recht jung, Bruder1 ES ist doch hübsch, wen« man geliebt wird. Zch will auch gewiß so bleiben. Ich wüßte nicht, wenn ich so eine ver­ gnügte Stunde gchadt hätte. Und Fronttn sagt: Nun unser Atter sticht gewiß bald'). Dir Veränderung ist gar Micro. Da thust du wohl / dadurch wirst du machen, daß dein Gohn ohne sie nrcht wird leben kömwn.

Aber sorge auch, daß du

sie gut verhältst. Demea. Dafür werde ich schon sorgen.

Sie soll mir kochen /

und Rauch, Asche und Mehl sollen sie schon kenntlich machen.

Ausserdem soll sie mir in der größten Mittagshitze gehen und Aeh, ren lesen / und dann will ich sie ihm sp verbrannt und so schwarz /

wie Eine Kohle, überliefern. Micro. DaS gefällt mir; nun -seh ich recht ein , daß du weis-, lich handelst; aber dann kannst du auch deinen Sohn mit Gewalt

zwingen, daß er sie mit zu Bette nimmt. Demea. Lachst dn mich etwa aus ? Du bist glücklich / daß-du

ein solches Gemüth haft; aber ich fühle. Micio. Ach! hältst dn noch nicht imre?

Demea. Ich schweige schon. So soll es ohne Zweifel heissen, und nicht: stirbt ohrrmoglich halb. Für viele von unsern Schausiriölern ist es nöthig / auch solche Druckfehler anrumerken.

zu plötzlich.»

Jawohl; aber das Sprüchwort, und der

gemeine Glaube, von den unvermutheten Veränderungen, die einen nahen Lod vorbedcutcn, soll doch wohl nicht im Ernste hier etwas rechtfertigen?

LXXIIL

Den iiten Iamrar 1768. Die Schlußrede des Demea bey dem Lerenz, geht aus einem ganz andern Tone.

“ Wenn euch nur das gefällt:

nun so macht, wasihrwollt, ich will mich um nichts mehr bekümmern!,,

Er ist es ganz und gar nicht, der sich nach

der Weise der andern, sondern die andern sind es, die sich

nach seiner Werse künftig zu bequemen versprechen.------Aber wie kömmt es, dürfte man fragen, daß die letzten

Scenen mit dem Lysimon in unsern deutschen Drüdem, bey der Vorstellung gleichwohl immer so wohl aufgenom­

men werden? Der beständige Rückfall des Lysimon in sei­

nen alten Karakter macht sie komisch: aber bey diesem hätte

es auch bleiben müssen. — Ich »erspare das Weitere, bis zu einer zweyten Vorstellung dieses Stücks.

Das Orakel vom Saint-Foir, welches diesen Abend dm

Beschluß machte, ist allgemein bekannt, und allgemein beliebt.

Den sechs und vierzigsten Abend (Montags den loten Julius) ward Miß Sara,*)**)und den sieben und vierzigste«, Tages darauf, Nanine ♦*) wiederholt.

Auf die Nanine

folgte, der unvermuthete Ausgang, von Marivaux in ei­ nem Akte. *) S. den uten Abend, Seite 79**)

den r7ten / zrten und Z7ten Abend / Seite 119/157 iu H »

zu plötzlich.»

Jawohl; aber das Sprüchwort, und der

gemeine Glaube, von den unvermutheten Veränderungen, die einen nahen Lod vorbedcutcn, soll doch wohl nicht im Ernste hier etwas rechtfertigen?

LXXIIL

Den iiten Iamrar 1768. Die Schlußrede des Demea bey dem Lerenz, geht aus einem ganz andern Tone.

“ Wenn euch nur das gefällt:

nun so macht, wasihrwollt, ich will mich um nichts mehr bekümmern!,,

Er ist es ganz und gar nicht, der sich nach

der Weise der andern, sondern die andern sind es, die sich

nach seiner Werse künftig zu bequemen versprechen.------Aber wie kömmt es, dürfte man fragen, daß die letzten

Scenen mit dem Lysimon in unsern deutschen Drüdem, bey der Vorstellung gleichwohl immer so wohl aufgenom­

men werden? Der beständige Rückfall des Lysimon in sei­

nen alten Karakter macht sie komisch: aber bey diesem hätte

es auch bleiben müssen. — Ich »erspare das Weitere, bis zu einer zweyten Vorstellung dieses Stücks.

Das Orakel vom Saint-Foir, welches diesen Abend dm

Beschluß machte, ist allgemein bekannt, und allgemein beliebt.

Den sechs und vierzigsten Abend (Montags den loten Julius) ward Miß Sara,*)**)und den sieben und vierzigste«, Tages darauf, Nanine ♦*) wiederholt.

Auf die Nanine

folgte, der unvermuthete Ausgang, von Marivaux in ei­ nem Akte. *) S. den uten Abend, Seite 79**)

den r7ten / zrten und Z7ten Abend / Seite 119/157 iu H »

Oder, wie es wörtlicher und besser heissen würde: di« ««vermuthete Entwicklung. Denn eS ist einer von denen Titeln / die nicht sowohl den Inhalt anzeigen, als viel­ mehr gleich anfangs gewissen Einwendungen verbauen sol­ len, die der Dichter gegen semen Stoff, oder dessen Be­ handlung , vorher sieht. Ein Vater will seine Tochter an «inen jungen Menschen verheyrathen, den sie nie gesehen hat. Sie ist mit einem andern schon halb richtig, aber dieses auch schon seit so langer Zeit, daß es fast gar nicht mehr richtig ist. Unterdessen möchte sie ihn doch noch lie­ ber, als einen ganz Unbekannten, und spielt sogar, auf sein Angeben, die Rolle eiuerWahnwitzigen, um den neuen Freyer abzuschreckrn. Dieser kömmt; aber zum Glücke ist «S ein so schöner liebenswürdiger Mann, daß sie gar bald ihre Verstellung vergißt, und in aller Geschwindigkeit mit ihm einig wird. Man gebe dem Stücke einen andern Ti­ tel, und all« Leser und Zuschauer werden ausrufen : das ist auch sehr unerwartet! Einen Knoten, de» man in zehn Scenen so mühsam geschürzt hat, in einer einzigen nicht zu lösen, sonder« mit eins zu zerhauenNun aber ist die­ ser Fehler in dem Titel selbst angekündiget, und durch diese Ankündigung gewissermaßen gerechtfertiget. Denn, wenn es nun wirklich einmal so einen Fall gegeben hat: warum soll er nicht auch vorgestellt werde» können? Er sahe ja in der Wirklichkeit einer Komödie so ähnlich: und sollte er denn eben deswegen um so unschicklicher zur Ko­ mödie seyn?— Nach der Strenge, allerdings: denn alle Begebenheiten, die man im gemeinen Leben wahr« Komödien nennet, findet man in der Komödie wahren Be­ gebenheiten nicht sehr gleich; und darauf käme es doch ei­ gentlich an. Aber Ausgang und Entwicklung, laufen beyde Worte nicht auf eins hinaus? Nicht völlig. Der Ausgang ist,

daß Jungfer Argante den Erast und nicht bett Dorante heyrathet, und dieser ist hinlänglich vorbereitet. Denn ihre Liebe gegen Doranten ist so lau, so wetterläunisch; sie liebt ihn, weil sie seit vier Jahren niemanden gesehen hat, als ihn; manchmal liebt sie ihn mehr, manchmal weniger, manchmal gar nicht, so wir eS kömmt - hat sie ihn lange nicht gesehen, so kömmt er ihr liebenswürdig genug vor; sieht sie ihn alle Tage, so macht er ihr Langeweile; beson­ ders stossen ihr dann und wann Gesichter auf, gegen wel­ che sie DorantenS Gesicht so kahl, so unschmackhaft, s» eckel findet! Was brauchte rS also weiter, um sie ganz von ihm abzubringen, als daß Erast, den ihn ihr Vater bestimm­ te, rin solches Gesicht ist? Daß sie diesen also nimmt, ist so wenig unerwartet, daß cS vielmehr sehr unerwartet sey» würde, wenn sie bey jenem bliebe. Entwicklung hingegen ist ein mehr relatives Wort; und eine unerwartete Ent­ wicklung involvwet eine Verwicklung, die ohne Folge» bleibt, von der der Dichter auf einmal abspringt, ohne sich um die Verlegenheit zu bekümmern, in der er eine« Theil seiner Personen läßt. Und so ist eS hier: Peter wird es mit Doranten schon ausmachen; der Dichter empfiehlt sich ihm. Den acht und vierzigsten Abend (Mittwochs den arte« Julius) ward das Trauerspiel des Herrn Weiße, Richard der Dritte, aufgeführt: zum Beschlusse, Herzog Michel. Dieses Stück ist ohnstreitig eines von unsern beträcht­ lichsten Originalen: reich an große» Schönheiten, die ge­ nugsam zeigen, daß die Fehler, mit welchen sie verwebt sind, zu vermeiden, im geringste» nicht über die Kräfte des Dichters gewesen wäre, wenn er sich diese Kräfte mit selbst hätte zutrauen wollen. Scho» Shakespear hatte das Leben und den Tod des -ritten Richards auf die Bühne gebracht; aber Hr. Weiße H 3

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erinnerte sich dessen nicht eher, als bis sein Werk bereits fertig war. «Sollte ich also, sagt er, bey der Verglei­ chung schon viel verlieren: so wird man doch wenigstens finden, -aß ich kein Plagium begangen habe: aber viel­ leicht wäre es ein Verdienst gewesen, an dem Shakespear «in Plagium zu begehen. Vorausgesetzt, daß man eines an ihm begehen kann. Aber was man von dem Homer gesagt hat, es lasse sich dem Herkules eher seine Keule, als ihm ein DerS abbrin­ gen, das läßt sich vollkommen auch vom Shakespear sagen. Auf die geringste von scmen Schönheiten ist ein Stempel gedruckt, welcher gleich der ganzen Welt zuruft: ich bin ShakespearS! Und wehe der fremden Schönheit, die das Herz hat, sich neben ihr zu stellen. Shakespear will studirt, aber nicht geplündert seyn. Haben wir Genie, so muß uns Shakespear das seyn, was -em Landschaftsmahler die Camera obscura ist: ersehe fleis­ sig hinein, um zu lernen, wie sich die Natur in allen Fälle» auf Eine Fläche proirktiret; aber er borge nichts daraus. Ich wüßte auch wirklich in dem ganzen Stücke des Sha« kesprarS keine einzige Scene, sogar keine einzige Tirade, die Herr Weiße so hätte brauchen können, wie sie dort ist. Alle, auch die kleinsten Theile beym Shakespear, sind nach den großen Maaßen des historischen Schauspiels zugeschnit­ ten , und dieses verhält sich zu der Tragödie französischen Geschmacks, ungefehr wie rin weitläuft,gesFrescogemählde gegen ein Migniaturbildchen für einen Ring. Was kann man zu diesem aus jenem nehmen, als etwa rin Gesicht, «ine einzelne Figur, höchstens eim kleme Gruppe, die man sodann als ein eigenes Ganze ausführen muß ? Eben so wür­ den aus einzeln Gedanken beym Shakespear ganze Scene», «nd aus einzelnSeenc» ganzeAufzüge werden müffm. Denn «en» mau de» Lemet aus dem Kleide eines Rieft» für eine»

Iwerg recht nutzen will, so muß man ihm nicht wieder ei­ nen Ermel, sondern einen ganzen Rock daraus machen» Thut man aber auch dieses , so kann man wegen der Beschuldigung des Plagiums ganz ruhig seyn. Die meisten werden in dem Faden die Flocke nicht erkennen, woraus er gesponnen ist. Die wenigen, welche die Kunst verstehen, verrathen den Meister nicht, und wissen, daß ei» Goldkorn so künstlich kann getrieben seyn, daß der Werth der Form den Werth der Materie bey weitem übersteiget» Ich für mein Theil bedaure es also wirklich, -aß unserm Dichter Shakcspears Richard so spät beygefallen. Er hätte ihn können gekannt haben, und doch eben so original geblie­ ben seyn, als er jetzt ist: er hätte ihn können genutzt haben, ohne daß ein einziger übertragener Gedanke davon gezeugt hätte. Wäre mir indeß eben das begegnet, so würde ich Shakespears Werk wenigstens nachher als einen Spiegel genutzt haben, um meinem Werke alle die Flecken abzuwischen, die mein Auge unmittelbar darinn zu erkennen, nicht vermö­ gend gewesen wäre.----- Aber woher weiß ich, daß Herr Weiße dieses nicht gethan ? Und warum sollte er eS nicht gethan haben? Kann es nicht eben sowohl seyn, -aß er das, was ich für dergleichen Flecken halte, für keine hält? Und ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß er mehr Recht hat, als ich? Ich bin überzeugt, daß daS Auge des Künstlers größtenthritt viel scharfsichtiger ist, als daß scharfsichtigste seiner Be­ trachter. Unter zwanzig Einwürfen, die ihm diese machen, wird er sich von neunzehn erinnern, sie währcud der Arbeit sich selbst gemacht, und sie auch schon sich selbst beantwor­ tet zu haben. Gleichwohl wird er nicht ungehalten seyn, sie auch von audrrn machen zu hören: denn er hat eS gern, daß man über H 4

fein Werk urtheilet; fchaal oder gründlich, links oder recht«, gutartig oder hämisch, alles gilt ihm gleich; und auch -aS fchaalste, linkste / hämischste Urtheil, ist ihm lieber, als kalte Bewunderung. Jenes wird er auf die eine oder die andere Art in seinen Nutzen zu verwenden wissen: aber was sängt er mit dieser an? Verachten möchte er die guten ehrlichen Leute nicht gern, die ihn für so etwas ausserordentliches halten: und-och muß er die Achseln über sie zueken. Er ist nicht eirel, aber ist gemeiniglich stolz; und aus Stolz möchte er zehnmal lieber einen unverdienten Tadel, als ein un-er-ientes Lob, auf sich sitzen lassen. — Man wird glauben, welche Kritik ich hiermit vorberei­ ten will. — Wenigstens nicht bey dem Verfasser, — höch­ stens nur bey einem oder dem andern Mitsprecher. Ich weiß nicht, wo ich eS jüngst gedruckt lesen mußte, daß ich -ie Amalia meines Freundes auf Unkosten feiner übrigen Lustspiele gelobt hätte.*) — Auf Unkosten ? aber doch we­ nigstens der ftühern ? Ich gönne es Ihnen, mein Herr, daß man niemals Ihre ältern Werke so möge tadeln können. Der Himmel bewahre Sie vor -em tückischen Lobe r daß ihr letztes immer ihr bestes ist! —

LXX1V. De» i$te» Januar 176g.

Zur Sache. — Es ist vornehmlich der Karakter -es Ri­

chards , worüber ich mir die Erklärung -es Dichter­ wünschte. *) Eben erinnere ich mich noch: in de- Hrn. GchmidS Zusätzen w seiner Theorie der Poesie. G. 45.

fein Werk urtheilet; fchaal oder gründlich, links oder recht«, gutartig oder hämisch, alles gilt ihm gleich; und auch -aS fchaalste, linkste / hämischste Urtheil, ist ihm lieber, als kalte Bewunderung. Jenes wird er auf die eine oder die andere Art in seinen Nutzen zu verwenden wissen: aber was sängt er mit dieser an? Verachten möchte er die guten ehrlichen Leute nicht gern, die ihn für so etwas ausserordentliches halten: und-och muß er die Achseln über sie zueken. Er ist nicht eirel, aber ist gemeiniglich stolz; und aus Stolz möchte er zehnmal lieber einen unverdienten Tadel, als ein un-er-ientes Lob, auf sich sitzen lassen. — Man wird glauben, welche Kritik ich hiermit vorberei­ ten will. — Wenigstens nicht bey dem Verfasser, — höch­ stens nur bey einem oder dem andern Mitsprecher. Ich weiß nicht, wo ich eS jüngst gedruckt lesen mußte, daß ich -ie Amalia meines Freundes auf Unkosten feiner übrigen Lustspiele gelobt hätte.*) — Auf Unkosten ? aber doch we­ nigstens der ftühern ? Ich gönne es Ihnen, mein Herr, daß man niemals Ihre ältern Werke so möge tadeln können. Der Himmel bewahre Sie vor -em tückischen Lobe r daß ihr letztes immer ihr bestes ist! —

LXX1V. De» i$te» Januar 176g.

Zur Sache. — Es ist vornehmlich der Karakter -es Ri­

chards , worüber ich mir die Erklärung -es Dichter­ wünschte. *) Eben erinnere ich mich noch: in de- Hrn. GchmidS Zusätzen w seiner Theorie der Poesie. G. 45.

Aristoteles würde ihn schlechterdings «erworfcn haben ; zwar mit dem Ansehen des Aristoteles wollte ich bald fertig werden, wenn ich es nur auch mit feinen Gründen zu wer» den wüßte. Dir Tragödie, nimmt er an, soll Mitleid und Schrecken erregen: und daraus folgert er, daß der Held dersel­ ben weder ein ganz tugendhafter Mann, noch ein völliger Bösewicht seyn müsse. Denn weder mit deS einen noch mildes andern Unglücke, lasse sich jener Iweck erreiche«. Raume ich dieses ein : so ist Richard der Dritte, eine Tragödie, die ihres Zweckes verfehlt. Räume ich es nicht ein: so weiß ich gar nicht mehr, waS eine Tragödie ist. Denn Richard der Dritte, so rott ihn Herr Weiße ge­ schildert hat, ist unstreitig das größte abscheulichste Unge­ heuer , das jemals die- Bühne getragen. Ich sage, di« Bühne: daß es die Erde wirklich getragen habe, dara« zweifle ich. Was für Mitleid kann der Untergang dieses Ungeheuers erwecken? Doch, das soll er auch nicht; der Dichter hat «S darauf nicht angelegt; und es sind ganz andere Perso­ nen in seinem Werke, die er zu Gegenständen unsers Mit­ leids gemacht hat. Aber Schrecken ?----- Sollte dieser Bösewicht, der di« Kluft, die sich zwischen ihm und dem Throne bestmden, mit lauter Leichen gefüllet, mit den Leichen derer, die ihm das Liebste in der Welt hätten seyn müssen; sollte dieser blutdürstige, seines Blutdurstes sich rühmende, über seine Verbrechen sich kitzelnde Teufel, nicht Schrecken in vollem Maaße erwecken? Wohl erweckt er Schrecken; wenn unter Schrecken das Erstaunen über unbegreifliche Missethaten, das Entsetzm über Bosheiten, die unsem Begriff übersteigen, wenn darunter der Schauder zu verstehen ist, der uns bey

Erblickung vorsetzlicher Greuel, die mit Lust begangen werden, überfallt. Von diesem Schrecken Hat mich Ri» rhard der Dritte mein gutes Theil empfinde« lassen. Aber dieses Schrecken ist so wenig eine von den Ubfichlen des Trauerspiels, daß es vielmehr di« alten Dichter auf alle Weise zu mindern suchten, wenn ihre Personen irgend ein großes Verbrechen begehen mußten. Sir schoben öfters lieber die Schuld auf das Schicksal, machten das Vcrbre» chen lieber zu einem Verhängnisse einer rächenden Gottheit, verwandelten lieber den freyen Menschen in eine Maschine: rhe sie uns bey der gräßlichen Idee wollten verweilen lassen, daß dvrMensch vvnNatur einer solchcnVerderbniß fähig sey. Bey den Franzosen führt Crebillon den Beynamen deGchrecklichen.Ich fürchte sehr, mehr von -iesemSchrecken, welches in derTragödie nicht seyn sollte, als von dem ächten^ Das der Philosoph zu dem Wesen der Tragödie rechnet. Und dieses — hätte man gar nicht Schrecken nennen sollen. Das Wort, welches Aristoteles braucht, heißt Furcht: Mitleid und Furcht, sagt er, soll die Tragödie erregen; nicht, Mitleid und Schrecken. Es ist wabr, das Schrecken ist eine Gattung der Furcht; es ist eine plötz­ liche , überraschende Furcht. Aber ebendieses Plötzliche, - dieses Ueberraschcnde, welches die Idee desselben eimchließt, zeiget deutlich, daß die, von welchen sich hier die Einfüh» «img des Wortes Schrecken, anstatt des Wortes Furcht, Herschreiber,nicht eingesehen haben,was für eine Furcht Ari­ stoteles meyne.-Ich möchte dicseSWeges sobald nicht wieder kommen: man erlaub« mir also einen kleinen Ausschweif. "Das Mitleid, sagt Aristoteles, verlangt einen, der un­ verdient leidet: und die Furcht einen unsers gleichen. Der Böfewichtist weder dieses, noch jenes; folglich kann auch fein Unglück, weder das erste noch das andere erregen. „*) '

*> Im iZtt» Kapitel der Dichtkunst.

Diese Furcht, sage ich, nennen die neuern Ausleger und Uebersetzer Schrecken, und e6 gelingt ihnen , mit Hülfe dieses Morttausches, dem Philosophen die seltsam­ sten Händel von der Welt zu machen. “ Man hat sich, sagt einer auö der Menge, *) über die Erklärung des Schreckens nicht vereinigen tonnen; und in -er That enthalt sie in jeder Betrachtung ein Glied zu viel/ welches sie an rhrer Allgemeinheit hindert/ und sie allzu­ sehr emschränkt. Wenn Aristoteles durch den Zusatz un­ sers gleichen, nur blos die Aehnlichkeit der Menschheit verstanden hat, weil nemlich der Zuschauer und die han­ delnde Person beyde Menschen sind, gesetzt auch, daß sich unter ihrem Karakter, ihrer Würde und ihrem Range ein unendlicher Abstand befände: so war dieser Zusatz überfiüßig; denn er verstand sich von selbst. Wenn er aber die Meynung hatte/ daß nur tugendhafte Personen, oder sol­ che, die einen vergeblichen Fehler an sich hatten, Schre­ cken erregen könnten: so hatte er Unrecht; denn die Ver­ nunft und die Erfahrung ist ihm sodann entgegen. Das Schrecken entspringt ohnstreitrg aus einem Gefühl der Menschlichkeit: denn jeder Mensch ist ihm unterworfen, und jeder Mensch erschüttert sich, vermöge dieses Gefühls, bey dem widrigen Zufalle eines andern Menschen. Es ist wohl möglich, daß irgend jemand einfallen könnte, dieses von sich zu läugnen: allein dieses würde allemal eine Derläugnung seiner natürlichen Empfindungen, und also eine bloße Prahlerey aus verderbten Grundsätzen, und kein Einwurf seyn. — Wenn nun auch einer lasterhaften Per­ son, auf die wir eben unsere Aufmerksamkeit wenden, unvermuthet ein widriger Zufall zustößt, so verlieren wir den Lasterhaften aus dem Gesichte, und sehen blos den Menschen. Der Anblick des menschlichen Elendes über-

*) Hr. S. in tat Vorrede rrr s. komischen Theater, S. 31»

Haupt, macht uns traurig, und die plötzliche traurige Em­ pfindung, die wir sodann haben, ist das Schrecken.,, Gan; recht: aber nur nicht an der rechten Stelle! Denn was sagt das wider den Aristoteles ? Nichts. Ari­ stoteles denkt an dieses Schrecken nicht, wenn er von -er Furcht redet, in die uns nur das Unglück unsers gleiche« setzen könne. Dieses Schrecken, welches uns bey der plötz­ lichen Erblickung eines Leidens befällt, das einem andem bevorstehet, ist ein mitleidiges Schrecken, und also schon unter dem Mitleide begriffen. Aristoteles würde nicht sa­ gen, Mitleidrn lund Furcht; wenn er unter der Furcht «eiter nichts als eine bloße Modifikation des Mitleids verstünde. "Das Mitleid, sagt -er Derf. der Briefe über di« Em­ pfindungen, *) ist eine vermischte Empfindung, die aus der Liebe zu einem Gegenstände, und aus der Unlust über dessen Unglück zusammengesetzt ist. Die Bewegungen, durch wel­ che sich das Mitleid zu erkmnen giebt, sind von den einfa­ chen Symptomen der Liebe, sowohl als der Unlust, unter­ schieden, denn das Mitleid ist eine Erscheinung. Aber wie vielerley kann diese Erscheinung werden! Man ändere nur in dem bedauerten Unglück die einzige Bestimmung der Zeit: so wird sich das Mitleid«» durch ganz andere Kenn­ zeichen zu erkennen geben. Mit der Elektra, die über die Ume ihres Bruders weinet, empfinden wir «in mitleidi­ ges Trauern, denn sie hält das Unglück für geschehen, und bejammert ihren gehabten Verlust. Was wir bey den Schmerze» des PhiloktetS fühlen, ist gleichfalls Mit­ leiden, aber von einer etwas andem Natur; denn die Quaal, die dieser Tugendhaft« auSzustehen hat, ist gegen­ wärtig , und überfällt ihn vor unser» Augen. Wmn abrr •) Philosophische Schriften M Herrn Moses Mendelssohn, »weh» ter Theil, S. «.

Dedip sich entsetzt, indem das große Geheimniß sich plötz­ lich entwickelt; wenn Monime erschrickt, als sie den eifersüchtigen Mithridates sich entfärben sieht; wenn die tugendhafte DeSdemona sich fürchtet, da sie ihren sonst zärtlichen Sthello so drohend mit ihr reden höret: was empfinden wir da ? Immer noch Mitleiden! Aber mitleidiges Entsetzen , mitleidige Furcht, mitleidiges Schreken. Die Bewegungen sind verschieden, allein da« Wesen der Empfindungen ist in allen Fällen einerley. Denn, da jede Liebe mit der Bereitwilligkeit verbunden ist, «ns an die Stelle des Geliebten zu setzen: so müssen wir alle Arten von Leiden mit der geliebten Person thei­ len, welches man nachdrücklich Mitleiden nennet. Wa­ rum sollten als» nicht auch Furcht, Schrecken, Zorn, Eifer­ sucht, Rachbegier, und überhaupt alle Arten von unange­ nehmen Empfindungen, sogar den Neid nicht ausgenom­ men, aus Mitleiden entstehen können?----- Man sieht hieraus, wie gar ungeschickt der größte Theil der Kunst­ richter die tragischen Leidmschaftrn in Schrecken und Metleiden rinthrilet. Schrecken und Mitleiden! Ist denn das theatralische Schrecken kein Mitleiden ? Für wen er­ schrickt der Zuschauer, wenn Merope auf ihre« eignen Sohn den Dolch ziehet? Gewiß nicht für sich, sondern für den Argisth, dessen Erhaltung man so sehr wünschet, und für die betrogne Königin, die ihn für den Mörder ihre« Sohnes ansiehet. Wollen wir aber nur die Unlust über -as gegenwärtige Uebel eines andern , Mitleiden nennen: so müssen wir nicht nur das Schrecken, sondern alle übrige Leidenschaften, die «ns von einem andem mit« -«theilet werde«, von -em eigentlichen Mitleiden unter­ scheiden.»—

LXXV.

Den ryten Ianuar 176g. Diese Gedanken sind so richtig, so klar, so einleuchtend, daß unS dünkt, ein jeder hätte sie haben können, und ha» den müssen. Gleichwohl will ich die scharfsinnigen Be­ merkungen des neuen Philosophen dem alten nicht unter­ schieben; ich kenne jenes Verdienste um die Lehre von de« vermischten Empfindungen zu wohl; dir wahre Theorie derselben haben wir nur ihm zu danken. Aber was er so -ortrefflich auseinandergesctzt hat, daS kaun doch Aristote­ les im Ganzen ungefehr empfunden haben: wenigstens ist rS unläugbar, daß Aristoteles entweder muß geglaubt ha­ ben , die Tragödie könne und solle nichts als das eigentli­ che Mitleid, mchtS als dir Unlust über das gegenwärtige Uebel eines andern, erwecken, welches ihm schwerlich zuzutrauen; oder er hat älle Leidenschaften überhaupt, die «ns von einem andern mitgetheilet werden, unter dem Worte Mitleid begriffen. Denn er, Aristoteles, ist eS gewiß nicht, der die mit Aecht getadelte Eintheilung der tragischen Leidenschaften tn Mitleid und Schrecken gemacht hat. Man hat ihn falsch verstanden, falsch übersetzt. Er spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Giebel eines andern, für diesen andern, erweckt, sondem es ist die Furcht, welche aus unserer Aehnlichkeit mit -er leidenden Person für uns selbst entspringt ; es ist die Furcht, daß die Uuglücksfälle, die wir über diese verhän­ get sehen, unS selbst treffen können; es ist die Furcht, daß wir der bemitleidete Gegenstand selbst werden könne». Mit

tttiem Worte: dies« Furcht ist daß auf uns selbst bezog««« Mitleid. Aristoteles will überall aus sich selbst erklärt werden» Wer «nS «inen neuen Kommentar über seine Dichtkunst liefern will, welcher den Dacierschen weit hinter sich läßt, dem rathe ich, vor allen Dingen die Werke des Philosophen vom Anfänge biS zum Ende zu lesen. Er wird Aufschlüsse für die Dichtkunst finden, wo er sich deren am wenigsten vermuthet; drsonderS muß er die Bücher der Rhetorik und Moral studiren. Man sollte zwar denken, diese Aufschlüsse müßten die Scholastiker, welche die Schriften des Aristo­ teles an den Fmgern wußten, längst gefunden haben. Doch die Dichtkunst war gerade diejenige von seinen Schrif­ ten, um die sie sich am wenigsten bekümmerten. Dabey fehlten ihnen andere Kenntnisse, ohne welche jene Auf­ schlüsse wenigstens nicht ftuchkbar werden konnten: sie kannten das Theater und die Meisterstücke desselben nicht. Die authentische Erklärung dieser Furcht, welche Ari­ stoteles dem tragischen Mitleidbcyfüget, findet sich in dem fünften und achten Kapitel des zweyten Buchs seiner Rhe­ torik. ES war gar nicht schwer, sich -»eser Kapitel zu erinnern; gleichwohl hat sich vielleicht keiner seiner Ausle­ ser ihrer erinnert, wenigstens hat keiner den Gebrauch davon gemacht, der sich davon machen läßt. Denn auch die, welche ohne sie einsahen, daß diese Furcht nicht da­ mitleidige Schrecken sey, hätten noch ein wichtiges Stück auS ihnen zu lernen gehabt: die Ursache nemlich, warum der Stagirit dem Mitleid hier die Furcht, und warum nur -die Furcht, warum keine andere Leidenschaft, und warum nicht mehrer« Leidenschaften, brygesellel habe. Von die­ ser Ursache wissen sie nichts, und ich möchte wohl hören, was sie aus ihrem Kopfe antworten würden, wenn man sie fragte: warum z, E. dir Tragödie nicht ebensowohl Mit-

12g

51 r 1' 1 ' - -------------------------------- ----------------leid und Bewunderung, als Mitleid und Furcht, errege» könne und dürfe? .

Es beruhet aber alles auf dem Begriffe, densich Aristo-

tcles von dem Mitleiden geinacht hat. Er glaubte nemlich,

daß das Uebel, welches der Gegenstand unsers Mitleidens

werden solle, nothwendig von der Beschaffenheit seyn müsse, daß wir eS auch für uns selbst, oder für eines von den Unseigen, zu befürchten hätten.

Wo diese Furcht nicht sey,

könne auch fein Mitleiden Statt finden. Denn weder der,

den das Unglück so tief herabgedrückt habe, daß er weiter nichts für sich zu fürchten sähe, noch der, welcher sich fe vollkommen glücklich glaube, daß er gar nicht begreife,

woher ihm ein Unglück zustoffen könne, weder der Ver­ zweifelnde noch der Uebrrmüthige, pflege mit andern Mit-

keid zu haben.

Er erkläret daher auch das Fürchterliche

' und das Mitleidswürdige, eines durch das andere. Alles

das, sagt er, ist uns fürchterlich, was, wenn es einem an­ dern begegnet wäre, oder begegnen sollte, unser Mitleid

erwecken würde*) :mnd alles daS finden wir mitleidswürdig, was wir fürchten würden, wenn es uns selbst bevor­

stünde. Nicht genug also, daß der Unglückliche, mit dem

wir Mitleiden haben sollen, sein Unglück nicht verdiene,

ob er es sich schon durch irgend eine Schwachheit zugezo'gen: seine gequälte Unschuld, oder vielmehr seine zu hart heimgesuchte Schuld, sey für uns verlohren, sey nicht vermögend, unser Mitleid zu erregen, wenn wir kein«

Möglich-

*) ßf S'

ctTTÄtoS «ixe», noch kläglicher ist es, wenn es Dichter giebt, die selbst daran zweifeln. Aber alle Gattungen können nicht alles bessern; wenigstens nicht jedes so vollkommen, wie das andere; was aber iede am vollkommensten bestem kann, worinn es ihr keine andere Gattung gleich zu thun vermag, das allein ist ihre eigmtlrchr Bestimmung.

LXXVIII.

Den -yten Januar 1768. 8. Da die Gegner des Aristoteles nicht in Acht nahmen, was für Leidenschaften er eigentlich, durch das Mitleid und die Furcht der Tragödie, in uns gerciniget haben wollte: so war eS natürlich, daß sie sich auch mit der Rei­ nigung selbst irren mußten. Aristoteles verspricht am Ende seiner Politik, wo er von der Reinigung der Leiden­ schaften durch die Musik redet, von dieser Reinigung in seiner Dichtkunst weitläuftiger zu handeln. “ Weil man aber,/agt Corneille, ganz und gar nichts von dieser Ma­ terie darinn findet, so ist der größte Theil seiner Ausleger aus die Gedanken gerathen, -aß sie nicht ganz auf unS ge­ kommen sey.,, Gar nichts 11ch meines Theils glaube, auch schon in -cm, was unS von seiner Dichtkunst noch übrig, eS mag viel oder wenig seyn, alles zu finden, was er einem, der mit seiner Philosophie sonst nicht ganz un-

bekannt ist, über diese Sache zu sagen für nöthig halten konnte. Corneille selbst bemerkte eine Stelle, die uns, nach seiner Meynung, Licht genug geben könne, die Art und Weise zu entdecken, auf welche die Reinigung der Leidenschaften in der Tragödie geschehe: nemlich die, wo Aristoteles sagt, "das Mttleid verlange euren, der unver­ dient leide, und die Furcht einen unsers gleichen, „ Die­ se Stelle ist auch sehr wichtrg, nur daß Corneille einen falschen Gebrauch davon machte, und nicht wohl anders als machen konnte, weil er einmal dre Reinigung der Lei­ denschaften überhaupt im Kopfe hatte. "DasMitleid mit dem Unglücke, sagt er, von welchem wir unsersglei­ chen befallen sehen, erweckt in uns die Furcht, daß uns ein ähnliches Unglück treffen könne; diese Furcht erweckt die Begierde, ihm auszuweichen; und diese Begierde ein Be­ streben, die Leidenschaft, durch welche die Person, die wir bedauern, sich ihr Unglück vor unsern Augen zuziehet, zu reinigen, zu mäßigen, zu bessern, ja gar auszurotten; indem einem jeden die Vernunft sagt, daß man die Ursa­ che abschneiden müsse, wenn man die Wirkung vermeiden wolle. „ Aber dieses Raisonnement, welches die Furcht blos zum Werkzeuge macht, durch welches das Mitleid die Reinigung der Leidenschaften bewirkt, ist fatsch, und kann unmöglich die Meynung des Aristoteles seyn; weil so nach die Tragödie gerade alle Leidenschaften reinigen könnte, nur nicht die zwey, die Aristoteles ausdrücklich durch sie gereiniget wissen will. Sie könnte unsern Zorn,unsere Neugier­ de, unsern Neid, unsern Ehrgeitz, unsern Haß und unsere Liebe reinigen, so wie eS die eine oder die andere Leiden­ schaft ist, durch die sich die bemitleidete Person ihr Unglück zugezogen. Nur unser Mitleid und unsere Furcht müßte sie ungereiniget lassen. Denn Mitleid und Furcht sind die Leidenschaften, die in der Tragödie wir, nicht aber die

U4handelnden Personen, empfinden; sind die Leidenschaften, durch welche die handelnden Personen uns rühren, nicht aber die, durch welche sie sich selbst ihre Unfälle zuziehen. Es kann ein Stück geben, in welchem sie beydes sind: das weiß ich wohl. Aber noch kenne ich kein solches Stücke ein Stück nemlich , in welchem sich die bemitleidete Per­ son durch ein übelverstandenes Mitleid , oder durch eine übelverstandene Furcht ins Unglück stürze. Gleichwohl würde dieses Stück das einzige seyn, in welchem, so wie es Corneille versteht, das geschehe, was Aristoteles will, daß es in allen Tragödien geschehen sott: und auch in die­ sem emzigen würde es Nicht auf die Art geschehen, auf die es dieser verlangt. Dieses einzige Stück würde gleichsam der Punkt seyn, in welchem zwey gegen einander sich nei­ gende gerade Linien Zusammentreffen, um sich in alle Un­ endlichkeit nicht wieder zu begegnen. — So gar sehr konnte Dacier den Sinn des Aristoteles nicht verfehlen. Er war verbunden, auf die Worte seines Autors aufmerk-samer zu seyn, und diese besagen es zu positiv, daß unser Mitleid und unsere Furcht, durch das Mitleid und die Furcht der Tragödie, gereiniget werden sollen. Weil er aber ohne Zweifel glaubte, daß der Nutzen der Tragödie sehr gering seyn würde, wenn er blos hieraufeingeschränkt wäre: so ließ er sich verleiten, nach der Erklärung des Corneille, ihr die ebenmäßige Reinigung auch aller übri­ gen Leidenschaften beyzulegen. Wie nun Corneille diese für sein Theil leugnete, und in Beyspielen zeigte, daß sie mehr ein schöner Gedanke, als eine Sache sey, die gewöhn­ licher Weise zur Wirklichkeit gelange: so mußte er sich mit ihm in diese Beyspiele selbst einlassen, wo er sich denn sp in der Enge fand , daß er dre gewaltsamsten Drehungen und Wendungen machen mußte, um seinen Aristoteles mit sich durch zu bringen. Ich sage, seinen Aristoles: denn der rechte

rechte ist weit entfernt, solcher Drehungen und Wendung

gen zu bedürfen.

Dieser, um es abermals und abermals

zu sagen, hat an keine andere Leidenschaften gedacht, wel­ che das Mitleid und die Furcht der Tragödie reinigen solle,

als an unser Mitleid und unsere Furcht selbst; und eS ist ihm sehr gleichgültig, ob die Tragödie zur Reinigung det

übrigen Leidenschaften viel oder wenig beyträgt.

An k*

ne Reinigung hätte sich Dacier allein halten sollen: aber freylich hätte er sodann auch einen vollstäiidigern Begreif damit verbinden müssen.

"Wie die Tragödie, sagt er,

Mitleid und Furcht errege, um Mitleid und Furcht zü reinigen, das ist nicht schwer $u erklären. Sie erregt sie, indem sie unS das Unglück vor Augen stellet, in das un*

ferS gleichen durch nicht vorfetzliche Fehler gefallen sind; und sie reiniget sie, indem sie u»S mit diesem nemlichert

Unglücke bekannt macht, und unS dadurch lehret, esweder allzusehr zu fürchten, noch allzusehr davon gerührt

zu werden, wann eS uns wirklich selbst treffen sollte. —

Sie bereitet die Menschen, die allerwidrigsten Zufälle muthig zu ertragen, und macht die Allerelcndesten geneigt,

sich für glücklich zu halten, indem sie ihre Unglucksfälle mit weit großem vergleichen, die ihnen die Tragödie vor­ stellet. Denn in welchen Umständen kann sich wohl ein

Mensch finden, der bey Erblickung eines OedipS, eines Philottets, eines OrestS, nicht erkennen müßte, -aß alle

Uebel, die er zu erdulden, gegen die, welche diese Män­ ner erdulden müssm, garnicht in Vergleichung kommen?»

Nun ist das wahr; diese Erklärung kann dem Dacier nicht »iel KopfbrechmS gemacht Haden.

Er fand sie fast mit

den nemlichen Worten bey einem Stoiker, der immer ein Auge auf die Apathie hatte. Ohne ihm indeß einzuwenden, -aß das Gefühl unsers eigenen Elendes nicht viel

Mitleid neben sich duldet; daß folglich bey dem Elende»,

Lestings Dialekten gr B.

K

dessen Mitleid nicht zu erregen ist, die Reinigung oder Lin­ derung seiner Betrübniß durch das Mitleid nicht erfolgen

kann: will ich ihm alles, so wie er es sagt, gelten lassen. Nur fragen muß ich: wie viel er nun damit gesagt ? Ob

er im geringsten rmchr damit gesagt, als, daß das Mitleid unsere Furcht reinige ? Gewiß nicht: und das wäre doch nur kaum der vierte Theil der Forderung des Aristoteles. Denn wenn Aristoteles behauptet, daß die Tragödie Mit­

leid und Furcht errege, um Mitleid und Furcht zu reini­

gen: wer sieht nicht, daß dieses weit mehr sagt, als Da­ cier zu erklären für gut befunden ' Denn, nach den ver­

schiedenen Kombinationen der hier vorkommenden Begriffe/ muff der, welcher den Sinn des Aristoteles ganz erschöpfen

will, stückweise zeigen, i. wie das tragische Mitleid un­

ser Mitleid, 2. wie die tragische Furcht unsere Furcht, Z. wie daS tragische Mitleid unsere Furcht, und 4. wie die tragische Furcht unser Mitleid reinigen könne und wirk­ lich reimge. Dacier aber hat sich nur an den dritten Punkt gehalten , und auch diesen nur sehr schlecht, und auch die­ sen nur zur Helfte erläutert. Denn wer sich um einen richtigen und vollständigen Vegriffvon der Aristotelischen

Reinigung der Leidenschaften bemüht hat, wird finden, daß jeder von jenen vier Punkten einen doppelten Fall in-

sich schließet.

Da nemlich, es kurz zu sagen, diese Rei­

nigung in nichts anders beruhet, als in der Verwand­ lung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten, bey jeder Tugend aber, nach unserm Philosophen, sich drsseitS

und jenseits ein Extremum findet, zwischen welchem sie inne stehet: so muß die Tragödie, wenn sie unser Mitleid

in Tugend verwandeln sott, uns von beyden ErtremrSdeS Mitleids zu reinigen vermögend seyn; welches auch von

der Furcht zu verstehen. Das tragische Mitleid muß nicht

allein, in Ansehung des MttleidS, die Seele desjenigen^

reinigen , welcher zu viel Mitleid fühlet , sondern auch desjenigen, welcher zu wenig empfindet. Die tragische Furcht muß Nicht allein , in Ansehung der Furcht, die Seele desjenigen reinigen, welcher sich ganz und gar kei­ nes Unglücks befürchtet, sondern auch desjenigen, den ein jedes Unglück, auch das entfernteste, auch das un­ wahrscheinlichste, in Angst setzet. Gleichfalls muß daS tragische Mitleid, in Ansehung der Furcht, dem was zu viel, und dem was zu wenig, steuern: so wie hinwiederum die tragische Furcht, in Ansehung des Mitleids. Dacier aber, wie gesagt, hat nur gezeigt, wie das tragische Mit­ leid unsere allzu große Furcht mäßige : und noch nicht einmal, wie es dem gänzlichen Mangel derselben abhelfe, oder sie in den, welcher allzu wenig von ihr empfindet, zu einem heilsamern Grade erhöhe; geschweige, daß er auch das Uebrige sollte gezeigt haben. Die nach ihm gekommen, haben, was er unterlassen, auch im geringsten nicht er­ gänzet ; aber wohl sonst, um nach ihrer Meynung, den Nutzen der Tragödie völlig außer Streit zu setzen, Dinge dahin gezogen, die dem Gedichte überhaupt, aberkeineSwegeS der Tragödie, als Tragödie, insbesondere zukom­ men ; z. E. daß sie die Triebe der Menschlichkeit nähren und stärken; daß sie Liebe zur Tugend und Haß gegen daS Laster wirken solle, u. f. w. *) Lieber! welches Gedicht sollte daS nicht? Soll es aber ein jedes: so kann es nicht das unterscheidende Kennzeichen der Tragödie seyn; so kann eS nicht das seyn, was wir suchten. *) Hr. Cnrtius in seiner Abhandlung von der Absicht des Trauer­ spiels , hinter der Aristotelischen Dichtkunst.

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U! LXXIX. Den rtep Februar 176s.

lind «UN wieder auf unsern Richard zu kommen. — Ri­

chard also erweckt eben so wenig Schrecken, als Mitleid: weder Schrecken indemgemißbrauchten Verstände/ für die Plötzliche Ueberraschung des Mitleids; noch in dem eigent­ lichen Verstände des Aristoteles/ für heilsame Furcht/ daß «nS ein ähnliches Unglück treffen könne. Denn wenn er diese erregte/ würde er auch Mitleid erregen; so gewiß er hinwiederum Furcht erregen würd« / wenn wir ihn unsers Mitleids nur im geringsten würdig fänden. Aber er ist f» ein abscheulicher Kerl/ so ein eingefleischter Leusel/ in dem wir so völlig keinen einzigen ähnlichen Jug mit uns selbst finden / daß ich glaube, wir könnten ihn vor unsern Klugen den Martern der Hölle übergeben sehen, ohne das geringste für ihn zu empfinde«/ ohne im geringsten zu fürch­ te«/ daß, wenn solche Strafe nur auf solche Verbrechen folge, sie auch unserer erwarte. Und was ist endlich daS Unglück/ die Straft/ die ihn trift? Nach so vielen Misftthaten / die wir mit anfthenmüssen, hören mir, daß er mit dem Degen in der Faust gestorben. Als der Königi« dieses erzählt wird / läßt sie der Dichter sagen: Dieß ist etwas!----Ich habe mich nie enthalten könne« / bey mir nachzuspre­ chen : nein / LaS ist gar nichtsWie mancher gute König ist so geblieben, indem er seine Krone wider einen mächtigen Rebellen behaupten wollen ? Richard stirbt doch, als ein Mann, auf dem Bette der Ehre. Und so rin Lod sollte mich für den Unwillen schadlos halten, den ich das ganze Stück dmch, über den Triumph seiner Bosheit rmpfun-

dm? (Ich glaube, die griechische Sprgche ist die einzige, welche rin eigenes Wort hat, diesen Unwillen über das Glück eines Bösewichts, auszudrücken : *) Sein Lod selbst, welcher wenigstens meine Gerechtigkeits­ liebe befriedigen sollte, unterhält noch meine Nemesis. Du bist wohlfeil weggekommen! denke ich: aber gut, daß rS noch eine andere Gerechtigkeit giebt, als die poetische: Man wird vielleicht sagen: «unwohl! wir wollen de« Richard aufgeben; daS Stück heißt zwar nach ihm; aber er ist darum nicht der Held desselben, nicht die Person, durch welche die Absicht der Tragödie erreicht wird; er hat nur daS Mittel seyn sollen, unser Mitleid für andere zu erregen. Die Königin, Elisabeth, -iePrinzen, errege« diese nicht Mitleid ? — . Um allem Wortstreite auSzuweichen : ja. Aber was ist es für eine fremde, herbe Empfindung, di« sich in mein Mitleid für diese Personen mischt r die da macht, daß ich mir dieses Mitleid ersparen zu können wünschte? DaS wünsche ich mir bey dem tragischm Mitleid doch sonst nicht; ich verweile gern dabey; und danke dem Dichter für eine so süße Quaal. Aristoteles hat es wohl gesagt, und da« wird e« ganz gewiß seyn! Er spricht von einem , von einem Gräß­ lichen, das sich bey dem Unglücke ganz guter, ganz un­ schuldiger Personen finde. Und sind nicht die Königin, Elisabeth, die Prinzen, vollkommen solche Personen r WaS haben sie gethan? wodurch haben sie eS sichzugezogen, daß sie in den Klauen dieser Bestie sind ? Ist es ihre Schuld, daß sie ein näheres Recht auf den Thron haben, als er? Besonders die kleinen wimmernden Schlachtopfer, die noch kaum rechts uud links unterscheiden können ’ Wer wird läugnen , -aß sie unsern ganzen Jammer ver*) Arist. Rhet. lib. II. cap. 9.

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n® dienen ? Aber istdieserIammer, der mich mit Schaudern an die Schicksale der Menschen denken läßt/ dem Murren wider die Vorsehung fleh zugesellet, und Verzweiflung von weiten nachschleicht, ist dieser Jammer — ich will nicht fragen, Mitleid ? — Er heisse, wie er wolle. — Aber ist er das, was eine nachahmende Kunst erwecken sollte? Man sage nicht : erweckt ihn doch die Geschichte; gründet er sich doch auf etwa«, das wirklich geschehen ist.-Das wirklich geschehen ist? es sey: so Wirdes seinen guten Grund in dem ewigen unendlichen Zusammenhang« aller Dinge haben. In diesem ist Weisheit und Güte, was uns in den wenigen Gliedern, die der Dichter her« ausnimmt, blindes Geschick und Grausamkeit scheinet. Aus diesen wenigen Gliedern sollte er ein Ganzes machen das völlig sich rundet, wo eines aus dem andern sich völlig erklärt, wo keine Schwierigkeit aufstößt, derentwegen wir die Befriedigung nicht in seinem Plane finden, son­ dern sie außer ihm, in dem allgemeinen Plane der Din­ ge, suchen müssen; das Ganze dieses sterblichen Schöpfers sollte ein Schattenriß von dem Ganzen des ewigen Schö­ pfers seyn; sollte uns an den Gedanken gewöhnen, wie fich in ihm alles zum Besten auflöse, werde es auch in je­ nen geschehen: und er vergißt, diese seine edelste Bestim­ mung so sehr, daß er dir unbegreiflichen Wege der Vorsicht mit in seinem kleinen Zirkel flicht, und geflissentlich un­ sern Schauder darüber erregt ? — O verschonet uns da­ mit, ihr, die ihr unser Herz in eurer Gewalt habt? Wo­ zu diese traurige Empfindung ? Uns Unterwerfung zu leh­ ren ? Diese kann uns nur die kalte Vernunft lehren; und wenn die Lehre der Vernunft in un« bekleiden soll, wenn wir, bey unserer Unterwerfung noch Vertrauen und fröh­ lichen Muth behalten sollen: so ist es höchst nöthig, daß

wir an die verwirrenden Beyspiele solcher unverdiente« schrecklichen Verhängnisse so wenig, als möglich, erin­

nert werden. Weg mit ihnen von der Bühne l Weg, wen«

es seyn könnte, aus allen Büchern mit ihnen l — Wenn nun aber die Personen des Richards keine einzi­

ge , die erforderlichen Eigenschaften hat, die sie haben müßten, falls er wirklich das seyn sollte, was er heißt: wodurch ist er gleichwohl ein so interessantes Stück ge­

worden, wofür ihn unser Publikum hält ? Wenn er nicht

Mitleid und Furcht erregt: was ist denn seine Wirkung? Wirkung muß er doch haben, und hat sie.

Und wenn er

Wirkung hat: ist es nicht gleichviel, ob er diese, oder ob er jene hat? Wenn er die Zuschauer beschäftiget, wenn

er sie vergnügt: was will man denn mehr? Müssen sie

denn, nothwendig nur nach den Regel» des Aristoteles,

beschäftiget und vergnügt werden ? Daö klingt so unrecht nicht: aber es ist daraufzu ant­

worten.

Ueberhaupt: wenn Richard schon keine Tragö­

die wäre, so bleibt er doch ein dramatisches Gedicht; wenn ihm schon die Schönheiten der Tragödie mangelten,

so könnte er doch sonst Schönheiten haben.

Poesie -eS

Ausdrucks; Bilder; Tiraden ; kühne Gesinnlliigen; ei­ nen feurigen hinreissenden Dialog; glückliche Veranlas­

sungen für den Akteur, den ganzen Umfang seiner Stim­

me mit den mannichfaltigsten Abwechselungen zu durch­ laufen , seine ganze Stärke in -er Pantomime zu zeige«, u. s. w. Don diesen Schönheiten hat Richard viele, und hat

auch noch andere, die den eigentlichen Schönheiten -er Tragödie näher kommen. Richard ist ei» abscheulicher Bösewicht: aber auch die

Beschäftigung unsers Abscheues ist nicht ganz ohne Ver­ gnügen; besonders in der Nachahmung.

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Auch das Ungeheuere in den Verbrechen participiret von Len Empfindungen, welche Größe und Kühnheit in uns erwecken. Alles , was Richard thut, ist Greuel; aber alle diese Greuel geschehen in Absicht auf etwas; Richard hat ei­ nen Plan ; und überall/ wo wir einen Plan wahrnehmen/ wird unsere Neugierde rege; wir wartey gern mit ab, ob er ausgeführt wird werden, und wie er eS wird werden; wir lieben das Zweckmäßige so sehr / daß es uns, auch un­ abhängig von der Moralität des Zweckes , Vergnügen gewähret. Wir wollten/daß Richard seinm Zweck erreichte; und wir wollten, daß er ihn auch nicht erreichte. DaS Errei­ chen erspart uns das Mißvergnügen/ über ganz vergebens angewandte Mittel: wenn er ihn nicht erreicht, so ist so viel Blut völlig umsonst vergossen worden; da eß einmal vergossen ist, möchten wir cs nicht gern, auch noch blos vor langer Weile, vergossen finden. Hinwiederum wäre dieses Erreichen das Frohlocken der Bosheit; nichts Hö­ pen wir ungerner; die Absicht intereßirte uns, als zu er­ reichende Absicht; wmn sie aber nun erreicht wäre, wür­ den wir nichts als das Abscheuliche derselben erblicken, würden wir wünschen, daß sie nicht erreicht wäre; diesen Wunsch sehen wir voraus, und uns schaudert vor der Er­ reichung. Die guten Personen des Stücks lieben wir; ein« so zärtliche feurige Mutter, Geschwister, die so ganz eines in dem andern leben; diese Gegenstände gefallen immer, erregen immer die süßesten sympathetischen Empfindun­ gen , wir mögen sie finden, wo wir wollen. Sie ganz ohne Schuld leiden zu sehen, ist zwar herbe, ist zwar für unsere Ruhe, zu unserer Besserung kein sehr ersprießliches Gefühl: aber «s ist doch immer Gefühl.

Und so nach beschäftiget uns das Stück durchaus, und vergnügt durch diese Beschäftigung unsere Seelenkräfte. Das ist wahr; nur die Folge ist nicht wahr, die man dar­ aus zu ziehen meynet: nemlich , daß wir also damit zu­ frieden seyn können. Ein Dichter kann viel gethan, und doch noch nichtdamit verthan haben. Nicht genug, daß sein Werk Wir­ kungen auf uns hat : es muß auch die haben, die ihm, vermöge der Gattung, zukommen; es muß diese vornehm­

lich haben, und alle andere können den Mangel derselben

auf keine Weise ersetzen; besonders wenn die Gattung von der Wichtigkeit und Schwierigkeit, und Kostbarkeit ist, daß alle Mühe und aller Aufwand vergebens wäre, wenn sie weiter nichts als solche Wirkungen hervorbringen woll­

te , die durch eine leichtere und weniger Anstalten erfor­ dernde Gattung eben sowohl zu erwalten wären. Ein Bund

Stroh aufzuheben, muß man keine Maschinen in Bewe­

gung setzen ; was ich mit dem Fuße umstoffen kann, muß ich nicht mir einer Mine sprengen wollen; ich muß keinen Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu verbrennen.

LXXX.

Den sten Februar 1768.

Wozu die saure Arbeit der dramatischen Form ? wozu ein Theater erbauet, Männer und Weiber verkleidet, Ge­ dächtnisse gemartert, die ganze Stadt auf einen Platz ge­

laden ? wenn ich mit meinem Werke, und mit der Auf­ führung desselben, weiter nichts hervorbringen will, als

einige von den Regungen, die eine gute Erzählung, vyy

Und so nach beschäftiget uns das Stück durchaus, und vergnügt durch diese Beschäftigung unsere Seelenkräfte. Das ist wahr; nur die Folge ist nicht wahr, die man dar­ aus zu ziehen meynet: nemlich , daß wir also damit zu­ frieden seyn können. Ein Dichter kann viel gethan, und doch noch nichtdamit verthan haben. Nicht genug, daß sein Werk Wir­ kungen auf uns hat : es muß auch die haben, die ihm, vermöge der Gattung, zukommen; es muß diese vornehm­

lich haben, und alle andere können den Mangel derselben

auf keine Weise ersetzen; besonders wenn die Gattung von der Wichtigkeit und Schwierigkeit, und Kostbarkeit ist, daß alle Mühe und aller Aufwand vergebens wäre, wenn sie weiter nichts als solche Wirkungen hervorbringen woll­

te , die durch eine leichtere und weniger Anstalten erfor­ dernde Gattung eben sowohl zu erwalten wären. Ein Bund

Stroh aufzuheben, muß man keine Maschinen in Bewe­

gung setzen ; was ich mit dem Fuße umstoffen kann, muß ich nicht mir einer Mine sprengen wollen; ich muß keinen Scheiterhaufen anzünden, um eine Mücke zu verbrennen.

LXXX.

Den sten Februar 1768.

Wozu die saure Arbeit der dramatischen Form ? wozu ein Theater erbauet, Männer und Weiber verkleidet, Ge­ dächtnisse gemartert, die ganze Stadt auf einen Platz ge­

laden ? wenn ich mit meinem Werke, und mit der Auf­ führung desselben, weiter nichts hervorbringen will, als

einige von den Regungen, die eine gute Erzählung, vyy

iu jedem zu Hause in seinem Winkel gelesen, ungesehr auch hervorbringen würde. Die dramatische Form ist die einzige, in welcher sich Mitleid und Furcht erregen läßt; wenigstens können in keiner andern Form diese Leidenschaften auf einen so hohen Grad erreget werden: und gleichwohl will man lieber alle andere darin» erregen, als diese; gleichwohl will man sie lieber zu allem andern brauchen, als zu dem, wozu sie so vorzüglich geschickt ist. Das Publikum n»mmt vorlieb.— Das ist gut, und auch nicht gut. Denn man sehnt sich nicht sehr nach der Tafel, an der man immer vorlieb nehmen muß. Es ist bekannt, wie erpicht das griechische und römi­ sche Volk auf die Schauspiele waren; besonders jenes, auf das tragische. Wie gleichgültig, wir kalt ist dagegen un­ ser Volk für das Theater I Woher diese Verschiedenheit, wenn sie nicht daher kömmt, daß die Griechen vor ihrer Bühne sich mit so starken, so außerordentlichen Empfin­ dungen begeistert fühlten, daß sie.den Augenblick nicht er­ warten konnten, sie abermals und abermals zu haben: dahingegen wir uns vor unserer Bühne so schwacher Ein­ drücke bewußt sind , daß wir es selten der Zeit und des Geldes werth halten, sie uns zu verschaffm ? Wir gehen, fast alle, fast immer, aus Neugierde, aus Mode, aus Lan­ gerweile, aus Gesellschaft , aus Begierde zu begaffen und begast zu werden , ins Theater: und nur wenige, und diese wenige nur sparsam, aus anderer Absicht. Ich sage, wir, unser Volk,uitsere Bühne: ich nteyne aber nicht blos, uns Deutsche. Wir Deutsche bekennen es treuherzig genug, daß wir noch kein Theater haben. WaS eitle von unsern Kunstrichtern, die in dieses Bekennt­ niß mit einstimnren, und große Verehrer des französischen Theaters sind, dabey denken: das kann ich so eigentlich

nicht wissen. Aber ich weiß wohl, was ich -abey denke. Ich denke nemlich dabey : daß nicht allein wir Deutsche z sondern daß auch die, welche sich sett hundert Jahren ein Theater zu haben rühmen, ja das beste Theater von ganz Europa zu haben prshlen, — daß auch die Franzosen noch kein Theater haben. Kern Tragisches gewiß nicht! Denn Mich die Eindrücke, welche dre französische Tragödie macht, sind so flach, so kalt ! - Man höre einen Franzosen selbst davon sprechen. “ Bey den hervorstechenden Schönheiten unsers Thea­ ters, sagt der Herr von Voltaire, fand sich ein verborge­ ner Fehler, den man Nicht bemerkt hatte, weil das Publi­ kum von selbst keine höhere Ideen haben konnte, als ihm die großen Meister durch ihre Muster beybrachten. Der einzige Samt-Evremont hat diesen Fehler aufgemutzt; er sagt nemlich, daß unsere Stücke nicht Eindruck genug machten, daß das, was Mitleid erwecken solle, aufs höch­ ste Zärtlichkeit errege, daß Rührung die Stelle der Er­ schütterung, und Erstaunen die Stelle des Schreckens ver­ trete; kurz, daß unsere Empfindungen nicht tief genug giengen. Es ist nicht zu läugnen: Saint-Evremont hat mit dem Finger gerade auf die heimliche Wunde des fran­ zösischen Theaters getroffen. Man sage immerhin, daß Saint-Evremont der Verfasser der elenden Komödie Sir Politik Wouldbe, und noch einer andern eben so elenden, die Opern genannt, ist; daß seine kleinen gesellschaftlichen Gedichte das kahlste und gemeinste sind , was wir in dieser ' Gattung haben; daß er nichts als ein Phrasesdrechsler war: man kann keinen Funken Genie haben, und gleich­ wohl viel Witz und Geschmack besitzen. Sein Geschmack aber war unstreitig sehr fein, da er die Ursache, warum die meisten von unsern Stücken so matt und kalt sind, so ge­ nau traf. Es hat uns immer an einem Grade von Wärme gefehlt: das andere hatten wir alles.,-

Das «st: wir halten alles, nur nicht das, was wir ha­ ben sollten; unsere Tragödien waren vortrefflich, nur daß e6 kerne Tragödien waren. Und woher kam es, daß sie das nicht waren? "Diese Kälte aber, fährt er fort, diese einförmige Mat­ tigkeit, entsprang zum Theil von dem kleinen Geiste der Galanterie, der damals unter unsern Hofleuken und Da­ men so herrschte, und die Tragödie in eine Folge von ver­ liebten Gesprächen verwandelte, nach dem Geschmacke des CyruS und der Clelie. Was für Stücke sich hiervon noch etwa ausnahmen, die bestanden aus langen politischen RaisonnementS, dergleichen den Sertorius so verdorben, den Otho so kalt, und den Suren« und Attila so elend gemacht haben. Noch fand sich aber auch eine andere Ursache, die das hohe Pathetische von unserer Scene zurückhielt, und die Handlung wirklich tragisch zu machen verhinderte: und diese war, das enge schlechte Theater mit seinen arnn> seligen Verzierungen. — Was ließ sich auf einem Paar Dutzend Brettern, die noch dazu mit Zuschauern angefüllt waren, machen? Mit welchem Pomp, mit welchen Iurü« stungen konnte man da die Augen der Zuschauer bestechen, fesseln, täuschen? Welche große tragische Aktiva ließ sich da aufführen? Welche Freyheit konnte die Einbildungs­ kraft des Dichters da haben ? Die Stücke mußten aus lan­ gen Erzählungen bestehen, und so wurden sie mehr Ge­ spräche als Spiele. Jeder Akteur wollte in einer langen Monologe glänzen, und ein Stück, das dergleichen Nicht hatte, ward verworfen. — Bey dieser Form fiel alle theatralische Handlung weg; fielen alle die großen Aus­ drücke der Leidenschaften, alle die kräftigen Gemählde der menschlichen Unglücksfälle , alle die schrecklichen bis tit' das Innerste der Seele dringende Züge weg; man rührte das Herz nur kaum, anstatt es zu zerreissen,»

Mit der ersten Ursache hat «S seine gute Richtigkeit.

Galanterie und Politik laßt immer kalt > und noch ist eS keinem Dichter in der Welt gelungen, die Erregung des

Mitleids und der Furcht damit zu verbinden. Jene lassen

uns nichts als den Fat, oder den Schulmeister hören: und diese-fodern, daß wir nichts als den Menschen hören sollen.

Aber die zweyte Ursache ?------ Sollte es möglich seyn,

daß der Mangel eures geräumlichcn Theaters und guter Verzierungen, einen solchen Einfluß auf das Genie der Dichter gehabt hätte? Ist es wahr, daß jede tragische

Handlung Pomp und Zurüstungen erfordert? Oder sollte der Dichter nicht vielmehr sein Stück so «inrichten, daß eS

auch ohne diese Dinge seine völlige Wirkung hervorbrächte? Nach dem Aristoteles, sollte er es allerdings. “ Furcht und Mitleid, sagt der Philosoph , läßt sich zwar durchs Gesicht erregen; eS kann aber auch aus der Verknüpfung

der Begebenheiten selbst entspringen, welches letztere vor­ züglicher , und die Weise des bessern Dichters ist. Denn

die Fabel muß so eingerichtet sey», daß sie, auch ungese­ hen, den, der den Verlauf ihrer Begebenheiten blos an­ hört , zu Mitleid und Furcht über diese Begebenheiten brin­

get, so wie die Fabel des Oedtps, die man nur anhören darf, um dazu gebracht zu werden. Diese Absicht aber durch das Gesicht erreichen wollen, rrfodert weniger Kunst, und ist deren Sache, welche die Vorstellung des Stücks übernom­

men. » Wie entbehrlich überhaupt dir theatralischen Verzie­

rungen sind, davon will man mit den Stücken des Shakespears eine sonderbare Erfahrung gehabt haben. Welche Stücke brauchten, wegen ihrer beständigen Unterbrechung und Veränderung des Orts, des Beystandes der Scenen und der ganzen Kunst des Dekorateurs wohl mehr, als eben

diese? Gleichwohl war eine Zeit, wo die Bühnen, auf

welchen sie gespielt wurden , aus nichts be-an-en, als aus einem Vorhänge von schlechtem groben Zeuge/ der, wenn er ausgezogen war, die bloßen blanken, höchstens mit Mat­ ten oder Tapeten behangenen, Wände zeigt; da war nichts als die Embildung, was dem Verständnisse des Zuschauers und der Ausführung des Spielers zu Hülfe kommen konn­ te : und dem ohngeachtet/ sagt man, waren damals die Stücke des Shakespears ohne alle Scenen verständlicher, als sie es hernach mit denselben gewesen sind.*) Wenn sich also der Dichter um die Verzierung gar nicht zu bekümmern hat; wenn die Verzierung, auch wo sie nö­ thig scheinet, ohne besondern Nachtheil seines Stücks weg­ bleiben kann: warum sollte es an dem engen, schlechten Theater gelegen haben, daß uns die französischen Dichter keine rührendere Stücke geliefert? Nicht doch: es lag an ihnen selbst. Und das beweiset die Erfahrung. Denn nun haben ja die Franzosen eine schönere, gerüumlichere Bühne; keine Zuschauer werden nicht mehr darauf geduldet; die Cou­ lissen sind leer; der Dekorateur hat freyes Feld; er mahlt und ♦) (Cibber’s Lives of the Poets ofG. B. and Ir. Vol. II. p. 78.79.) Some have infinuated , that fine fcenes proved the ruin (rf acting — In the reign of Charles I. there was nothing more than a curtain of very coarfe stuff, upon the drawing up of which, the stage appeared cither with bare walls on the fi­ des , coarsli matted, or covered with tapeftry ; so that for the place originally reprefented, and all the successive changes, in which the poets of thofe times freely indulged themfelves, there was nothing to help the spectator’s understanding, or to aslist the actor’s Performance , but bare Imagi­ nation. — The fpirit and judgement of the actor’s fupplied all deficiencies , and made as some would infinuate , plays more intelligible witheut fcenes, than they afterwards were with them.

und bauet dem Poeten alles, was dieser von ihm verlangt: aber wo sind sie denn die wärmer» Stücke, die sie seitdem erhalten haben ? Schmeichelt sich der Herr von Voltaire, -aß seine Semiramis ein solches Stück ist? Da ist Pomp und Verzierung genug; ein Gespenst oben darein: und doch kenne ich nichts kälteres, als seine Semiramis.

LXXXI. Den -ten Februar 176g.

2öill ich denn nun aber damit sagen, daß kein Franzose fähig sey, em wirklich rührendes tragisches Werk zu ma­ chen ? daß der volatile Geist der Nation einer solchen Arbeit nicht gewachsen sey ? — Ich würde mich schämen, wenn mir das nur eingekommen wäre. Deutschland hat sich noch durch keinen BouhourS lächerlich gemacht. Und ich, für mein Theil, hätte nun gleich die wenigste Anlage dazu. Denn ich bin sehr überzeugt, -aß kein Volk in der Welt irgend eine Gabe des Geistes vorzüglich vor andern Völkern erhalten habe. Man sagt zwar: -er tiefsinnige Englän­ der, der w tzige Franzose. Aber wer hat denn die Theilung gemacht? Die Natur gewiß nicht, die alles unter alle gleich «ertheilet. Ls giebt eben so viel witzige Engländer, alwitzige Franzosen, und eben so viel tiefsinnige Franzosen, als tiefsinnige Engländer: der Braß von -em Volke aber ist keines von beyden. — Was will ich denn? Ich will blos sagen, was dir Fran­ zosen gar wohl haben könnten, -aß sie das noch nicht ha­ ben : die wahre Tragödie. Und warum noch nicht haben?— Dazu hätte sich der Herr von Voltaire selbst besser kennen müssen, wenn er es hätte treffen wollen. Leßingo Analekten 4r D.

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und bauet dem Poeten alles, was dieser von ihm verlangt: aber wo sind sie denn die wärmer» Stücke, die sie seitdem erhalten haben ? Schmeichelt sich der Herr von Voltaire, -aß seine Semiramis ein solches Stück ist? Da ist Pomp und Verzierung genug; ein Gespenst oben darein: und doch kenne ich nichts kälteres, als seine Semiramis.

LXXXI. Den -ten Februar 176g.

2öill ich denn nun aber damit sagen, daß kein Franzose fähig sey, em wirklich rührendes tragisches Werk zu ma­ chen ? daß der volatile Geist der Nation einer solchen Arbeit nicht gewachsen sey ? — Ich würde mich schämen, wenn mir das nur eingekommen wäre. Deutschland hat sich noch durch keinen BouhourS lächerlich gemacht. Und ich, für mein Theil, hätte nun gleich die wenigste Anlage dazu. Denn ich bin sehr überzeugt, -aß kein Volk in der Welt irgend eine Gabe des Geistes vorzüglich vor andern Völkern erhalten habe. Man sagt zwar: -er tiefsinnige Englän­ der, der w tzige Franzose. Aber wer hat denn die Theilung gemacht? Die Natur gewiß nicht, die alles unter alle gleich «ertheilet. Ls giebt eben so viel witzige Engländer, alwitzige Franzosen, und eben so viel tiefsinnige Franzosen, als tiefsinnige Engländer: der Braß von -em Volke aber ist keines von beyden. — Was will ich denn? Ich will blos sagen, was dir Fran­ zosen gar wohl haben könnten, -aß sie das noch nicht ha­ ben : die wahre Tragödie. Und warum noch nicht haben?— Dazu hätte sich der Herr von Voltaire selbst besser kennen müssen, wenn er es hätte treffen wollen. Leßingo Analekten 4r D.

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Ich meyne: sie haben eS noch nicht; weil sie es schon lange gehabt zu haben glauben. Und in diesem Glauben werden sie nun ftrylich durch etwas bestärkt, das sie vor­ züglich vor allen Völkern haben: aber das ist keine Gabe , der Natur: durch ihre Eitelkeit. Es geht mitden Nationen, wie mit einzeln Menschen.— Gottsched (man wird leicht begreifen, wie ich eben hier aufdirscn falle,) galt in seiner Jugend für einen Dichter, weil man damals den DerSmachcr von dem Dichter noch nicht zu unterscheiden wußte. Philosophie und Kritik setz­ ten nach und nach diesen Unterschied ins Helle: und wenn Gottsched mit dem Jahrhunderte nur hätte fortgehen wol­ len , wenn sich seine Einsichten und sein Geschmack nur zu­ gleich mit den Einsichten und dem Geschmacke seines Zeit­ alters hätten verbreiten und läutern wollen : so hätte er vielleicht wirklich aus dem VerSmacher ein Dichter werden können. Aber da er sich schon so oft den größten Dichter hatt« nennen höre», da ihn seine Eitelkeit überredet hatte-, daß er es sey: so unterblieb jenes. Er konnte unmöglich erlangen, was er schon zu besitzen glaubte: und je älter er ward, desto hartnäckiger und unverschämter ward er, sich in diesem träumerischen Besitze zu behaupten. Gerade so, dünkt mich, ist eS den Franzosen ergangen. Kaum riß Corneille ihr Theater ein wenig aus der Barbarey: so glaubten sie es der Vollkommenheit schon ganz nahe. Racine schien ihnen dir letzte Hand angelegt zu ha­ ben ; und hierauf war gar nicht mehr die Frage, (die eS zwar auch nie gewesen,) ob der tragische Dichter nicht »och pathetischer, noch rührender seyn könne, als Corneille und Racine, sondern dieses ward für unmöglich angenommen, nnd alle Beeiferung der nachfolgenden Dichter mußte sich darauf rinschränken, dem «inen oder dem andern so ähn­ lich zu werde» als möglich. Hundert Jahre haben sie sich

selbst/ und zum Theil ihre Nachbarn mit, Hintergangene ,in» komme emer, und sage ihnen das, und hire, was st« antworten l Von beyden aber ist «S Corneille, welcher den meisten Schaden gestiftet, und auf ihre tragischen Dichter den ver­ derblichsten Einfluß gehabt hat. Denn Raeine hat nur durch seine Muster verführt: Corneille aber, durch seine Muster und Lehren zugleich. Diese letzter» besonders, von der ganzen Nation (biauf einen oder zwey Pedanten, einmHedclin, einen Da­ eier, die aber oft selbst nicht wußten, was fie wollten,) als Srakelsprüche angenommen, von allen nachherigen Dich­ tem befolgt: habe«, — ich getraue mich, eS Stück vor Stück zu beweisen, — nichts anders, als das kahlste, wäßrigste, untragischste Zeug hervorbringen können.' Die Regeln des Aristoteles find alle auf die höchste Wir­ kung der Tragödie kalkulirt. Was macht aber Corneille damit? Er trägt fie falsch und schielend genug vor; und weil er fie doch noch viel zu strenge findet r so sucht er, bey einer nach der andern, quelquc moderation , quelque favorable Interpretation; entkräftet und verstümmelt, deu­ telt und vereitelt eine jede, —- und warum? pour n’etre pas oblige de condamner beaucoup de poemes que Hous aVons vu reuffir für nos theatres; um nicht viele Gedicht« verwerfen zu dürfen, die auf unsern Bühnen Beyfall ge­ funden. Eine schöne Ursache 1 Ich will die Hauptpunkte geschwind berührm. Einig« davon habe ich schon berührt; ich muß fl« aber, des Zu­ sammenhanges wegen, wiederum mitnehmen. i. Aristoteles sagt: die Tragödie soll Mitleid und Furcht erregen. — Corneille sagt: o ja, aber wie eS kömmt; beydes zugleich ist eben nicht immer nöthig; wir find auch mit einem zufrieden; jetzt einmal Mitleid, ohne Furcht r r r

ein andermal Furcht, ohne Mitleid. Den» wo blieb ich, ich der große Corneille, sonst mit meinem Rodrigue und meiner Chimene ? Die guten Kinder erwecken Mitleid; und sehr großes Mitleid: aber Furcht wohl schwerlich. Und wiederum: wo blieb ich sonst mit meiner Kleopatra, mit meinem PrusiaS,- mit meinem Phokas ? Wer kann Mttleid mit diesen Nichtswürdigen haben ? Aber Furcht erregen sie doch. — Go glaubte Corneille: und dir Franzosen glaub­ te« es ihm nach. r. Aristoteles sagt: die Tragödie soll Mitleid und Furcht erregen; beydes, versteht sich, durch eine und eben dieselbe Person. — Corneille sagt, wenn es sich so trist, recht gut. Aber absolut nothwendig ist eö eben nicht; und man kann sich gar wohl auch verschiedener Personen bedienen, diese zwey Empfindungen hervvrzubringen: so wie Ich in meiner Rodogune gethan habe. — Das hat Corneille gethan: und die Franzosen thun es ihm nach. z. Aristoteles sagt: durch das Mitleid und die Furcht, welche dir Tragödie erweckt, soll unser Mitleid und unser« Furcht, und was diese» anhängig, gereiniget werden. — Corneille weiß davon gar nichts, und bildet sich ein, Ari­ stoteles habe sagen wollen: die Tragödie erwecke unser Mitleid, um unser« Furcht zu erwecken, um durch dies« Furcht die Leidenschaften in uns zu reinigen, durch die sich der bemitleidete Gegenstand sein Unglück zugezogen. Ich will von dem Werthe dieser Absicht nicht sprechen: genug, daß eS nicht die Aristotelische ist; und daß, da Corneille seine» Tragödien eine ganz andere Absicht gab, auch noth­ wendig seine Tragödien selbst ganz andere Werk« werden mußten, als die waren, von welchen Aristoteles seine Ab­ sicht abstrahiret hatte; es mußten Tragödien werden, wel­ ches keine wahren Tragödien waren. Und das sind nicht allein sein«, sondern alle französische Tragödien geworden;

weil ihre Verfasser alle, nicht die Absicht des Aristoteles, sondern die Absicht des Corneille, sichvvrsetzten. Ich habe schon gesagt, daß Dacier beyde Absichten wollte verbunden wissen: aber auch durch diese bloße Verbindung, wird die erstere geschwächt, und die Tragödie muß unter ihrer höch­ sten Wirkung bleiben. Dazu hatte Dacier, wie ich gezeigt, von der erstem nur einen sehr unvollständigen Begriff, und es war kein Wunder, wenn er sich daher einbildete, daß die französischen Tragödien seiner Jett, noch eher die erste, als zweyte Absicht erreichten. “ Unsere Tragödie, sagt ex, ist , zu Folge jener, noch so ziemlich glücklich, Mitleid und Furcht zu erwecken und zu reinigen. Aber diese gelingt ihr nur selten, die doch gleichwohl die wichtigere ist, und sie reiniget die übrigen Leidenschaften nur sehr wenig, oder, da sie gemeiniglich nichts als LiebeSintriguen enthält, wenn sie ja eine davon reinigte, so würde es einzig und allein die Liebe seyn, woraus denn klar erhellet, daß ihr Nutzen nuv sehr klein ist.*),, Gerade umgekehrt! ES giebt noch eher französische Tragödien, welche der zweyten, als welche der ersten Absicht eine Genüge leisten. Ich kenne verschiedene französische Stücke, welche die unglücklichen Folgen irgend, einer Leidenschaft recht wohl ins Licht setzen r aus denen man viele gute Lehren, diese Leidenschaft betreffen-, zie­ hen kann: aber ich kenne keines, welches mein Mitleid in dem Grade erregte, in welchem die Tragödie es erregen sollte, in welchem ich, aus verschiedenen griechischen und ♦) (Poet, d’Arist. Chap. VI. Rem. 8.) Notre Tragödie peut reustir assez dans la premiere partie, c’est-ä-dire , qu’elle peut exciter & purger la terreur & la compaflion. Mais eile parvient rarement ä la derniere, qui est pourtant la plus utile, eile purge peu les autres paflions, ou comme eile roule ordinairement für des intrigues d’amour, st eile en purgeoit quel,qu’une, ce feroit celle-lA feule, & par-lä il est aife de voir qu’elle ne feit que peu de fruit. r 3

l6* «nglifche» Stücken gewiß weiß, daß sie es erregen kann» Verschiedene französische Tragödien sind sehr fein«, seh« unterrichtende Werke, die ich alles Lobes werth halte: nur daß es keine Tragödie» sind. Die Verfasser derselben konn­ ten nicht anders, als sehr gute Köpfe seyn; sie verdienen, zym Theil, unter den Dichtem keinen geringen Rang: nur daß sie keine tragische Dichter sind; nur daß ihr Cor­ neille und Racine, ihr Crebillon und Voltaire von dem we­ nig oder gar nichts haben, was den Sophokles zum So­ phokles , -en Euripides zum Euripides, den Shakcspear zum Shakespear macht. Diese sind selten mit den wesent­ lichen Foderunge» des Aristoteles im Widerspruch: aber jene desto öfterer. Denn nur weiter —

L XXXII.

Den irten Februar 176g.

4. Aristoteles sagt: man muß keinen ganz guten Mann, ohne alle sein Verschulden, in der Tragödie unglücklich »perdm lasse»; de»» so was sey gräßlich: — Ganz recht, sggt Corneille; “ ein solcher Ausgang erweckt mehr Un­ willen und Haß gegen den,. welcher das Leiden verursacht, als Mitleid für de«, welchen «6 trift. Jene Empfindung also, welche nicht die eigentlich« Wirkung der Tragödie seyn soll, würde, wenn sie nicht sehr fein behandelt wä­ re , diese ersticken, die doch eigentlich hervorgebracht wer­ den sollt«. Der Zuschauer würde mißvergnügt weggehe», «eil sich allzuviel Zorn mit dem Mitlciden vermischt, welches ihm gefallen hätte, wenn er es allein mit wegnetz«en können. Aber — kömmt Corneille hinten uach;

l6* «nglifche» Stücken gewiß weiß, daß sie es erregen kann» Verschiedene französische Tragödien sind sehr fein«, seh« unterrichtende Werke, die ich alles Lobes werth halte: nur daß es keine Tragödie» sind. Die Verfasser derselben konn­ ten nicht anders, als sehr gute Köpfe seyn; sie verdienen, zym Theil, unter den Dichtem keinen geringen Rang: nur daß sie keine tragische Dichter sind; nur daß ihr Cor­ neille und Racine, ihr Crebillon und Voltaire von dem we­ nig oder gar nichts haben, was den Sophokles zum So­ phokles , -en Euripides zum Euripides, den Shakcspear zum Shakespear macht. Diese sind selten mit den wesent­ lichen Foderunge» des Aristoteles im Widerspruch: aber jene desto öfterer. Denn nur weiter —

L XXXII.

Den irten Februar 176g.

4. Aristoteles sagt: man muß keinen ganz guten Mann, ohne alle sein Verschulden, in der Tragödie unglücklich »perdm lasse»; de»» so was sey gräßlich: — Ganz recht, sggt Corneille; “ ein solcher Ausgang erweckt mehr Un­ willen und Haß gegen den,. welcher das Leiden verursacht, als Mitleid für de«, welchen «6 trift. Jene Empfindung also, welche nicht die eigentlich« Wirkung der Tragödie seyn soll, würde, wenn sie nicht sehr fein behandelt wä­ re , diese ersticken, die doch eigentlich hervorgebracht wer­ den sollt«. Der Zuschauer würde mißvergnügt weggehe», «eil sich allzuviel Zorn mit dem Mitlciden vermischt, welches ihm gefallen hätte, wenn er es allein mit wegnetz«en können. Aber — kömmt Corneille hinten uach;

dennmit einem Aber muß er nachkommen, —aber, wen» diese Ursach wegfällt, wenn es der Dichters» eingerichtet, daß der Tugendhafte, welcher leidet, mehr Mitleid für sich, als Widerwillen gegen dm erweckt, der ihn leiden läßt: alsdenn?----- O alsdenn, sagt Corneille, halte ich dafür, darf man sich gar kein Bedenken machen, auch dm tugendhaftesten Mann auf dem Theater im Unglücke zu zeigen.,, ♦) — Ich begreife nicht, wie man gegen ei­ nen Philosophen ft in den Tag hmeinschwatzen kann ; wie man sich das Ansehen geben kann, ihn zu verstehe«, indem man ihn Dinge sagen läßt, an die er nie gedacht hat. Das gänzlich unverschuldete Unglück eines rechtschaf­ fenen Mannes , sagt Aristoteles, ist kein Stoff für da« Trauerspiel; denn es ist gräßlich. Aus diesem Denn, aus dieser Ursache, macht Corneille ein Insofern, eine bloße Bedingung , unter welcher «S tragisch zu seyn aufhört. Aristoteles sagt: eS ist durchaus gräßlich, un­ eben daher untragisch. Corneille aber sagt: eS ist untra­ gisch , insofern es gräßlich ist. Diese« Gräßliche findet Aristoteles in dieser Art des Unglückes selbst: Corneille aber setzt eS in den Unwillen, den es gegen den Urheber desselben verursacht. Er sieht nicht, oder will nicht sehen, daß jenes Gräßliche ganz etwas anders ist, als dieser Un­ wille ; daß wenn auch dieser ganz wegfällt, jenes doch noch in seinem vollen Maaße vorhanden seyn kann : genug, daß vorS erste mit diesem Quid pro quo verschiedene voll seinen Stücken gerechtfertiget scheinm, die er so wmig wider die Regeln deS Aristoteles will gemacht haben, daß er vielmehr vermessen genug ist, sich einzubilden, eS habe dem Aristoteles blos an dergleichen Stücken gefehlt, um seine Lehre darnach näher einzuschränken, und verschiedene *) J’eftime qu’il ne saut point faire de diflicultl d’expofer für lä scdne des Hommes tr£s- vertueux.

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r6it Manieren daraus zu abstrahiren, wie dem ohngeachtet das Unglück des ganz rechtschaffenen Mannes ein tragischer Gegenstand werden könne. En voici, sagt er, deux oq trois manieres, que peut-etre Ariftote n’a fü preveir, parce qu’on n’en voyoit pas d’exemples für les theatres de fön tems. Und von wem sind diese Exempel? Von wem anders/ als von ihm selbst?. Und welches sind jene zwey oder drey Manieren ? Wir wollen geschwind sehen. —? "Die erste/ sagt er / ist / wenn ein sehr Tugendhafter durch einen sehr Lasterhafte verfolgt wird, der Gefahr aber entkömmt/ und so, daß der Lasterhafte sich selbst da­ rinn verstricket/ wie es in der Rodogune und im Heraklius geschiehet, wo es ganz unerträglich würde gewesen seyn, wenn in dem ersten Stücke Antiochius und Rodo­ gune / und in dem andern Heraklius, Pulcheria und Martian umgekommen wären, Cleopatra und Phokas aber triumphiret hatten. Das Unglück der ersten erweckt ein Mitleid/ welches durch den Abscheu, den wir wider ihre Verfolger Faben, nicht erstickt wird, weil man beständig Host, daß sich irgend ein glücklicher Zufall eräugnen wer­ de , der sie nicht unterliegen lasse.» Das mag Corneille sonst jemanden weiß machen / daß Aristoteles diese Manier nicht gekannt Habel Er hat sie so wohl gekannt/ daß er sie/wo nicht gänzlich verworfen, wenigstens mit ausdrück­ lichen Worten für angemessener der Komödie als Tragö­ die erklärt hat. Wie war es möglich, daß Corneille die­ ses vergessen hatte ? Aber so geht eS allen, die voraus ihre Gacke zu der Gacke der Wahrheit machen. Im Grunde gehört diese Manier auch gar nicht zu dem vorhabenden Falle. Denn nach ihr wird der Tugendhafte nickt un­ glücklich , sondern befindet sich nur auf dem Wege zum Unglücke; welches gar wohl mitleidige Besorgnisse für Ihn erregen kann z ohne gräßlich zu seyn. — Nun, die

zweyte Manier! " Auch kann es sich zutragen, sagt Cor­ neille, daß em sehr tugendhafter Mann verfolgt wird , und auf Befehl eines andern umkimmt, der nicht laster­ haft genug ist, unsern Unwillen allzusehr zu verdienen, indem er in der Verfolgung , die er wider den Tugend­ haften betreibet , mehr Schwachheit als Bosheit zeiget. Wenrt, Felix seinen Eidam Polyeukt umkommen läßt, so ist es nicht aus wüthendem Eifer gegen die Christen, der ihn uns verabscheuungswürdig machen würde, sondern blos aus kriechender Furchtsamkeit, die sich nicht getrauet, ihn in Gegenwart des Severus zu retten, vor dessen Hasse und Rache er in Sorgen stehet. Man fasset also wohl ei­ nigen Unwillen gegen ihn, und mißbilliget sein Verfah­ ren Z doch überwiegt dieser Unwille nicht das Mitleid, wel­ ches wir für den Polyeukt empfinden, und verhindert auch nicht, daß ihn seine wunderbare Bekehrung, zum Schluffe des Stücks, nicht völlig wieder mit den Zuhörern aussihnen sollte. „ Tragische Stümper denke ich, hat es wohl zu allen Zeiten, und selbst in Athen gegeben. Warum sollte es also dem Aristoteles an einem Stücke, von ähnlicher Einrichtung, gefehlt haben, um daraus eben so erleuchtet zu werden, als Corneille ? Possen ! Hie furchtsamen, schwankenden, unentschlossenen Karaktere, wie Felix, sind in dergleichen Stücken ein Fehler mehr, und ma­ chen sie noch oben darein ihrer Seits kalt und eckel, oh­ ne sie auf der andern Seite im geringsten weniger gräß­ lich zu machen. Denn, wie gesagt, das Gräßliche liegt nicht in dem Unwillen oder Abscheu, den sie erwecken: sondern in dem Unglücke selbst, das jene unverschuldet trift; daß sie einmal so unverschuldet trift als das andere, ihre Verfolger mögen böse oder schwach seyn, mögen mit oder ohne Vorsatz ihnen so hart fallen. Der Gedanke ist an und für sich selbst gräßlich, daß e6 Menschen geben kann,

die ohne alle ihr Verschulden unglücklich sind. Die Hei­ den hätten diesen gräßlichen Gedanken so weit von sich zu entfernen gesucht, als möglich: und wir wollten ihn näh­ ren x wir wollten uns an Schauspielern vergnügen, die ihn bestätigen ? wir ? die Religion und Vernunft überzeu­ get haben sollte, daß er eben so unrichtig als gottesläster-lich ist? — Das nemliche würde sicherlich auch gegen die dritte Manier gelten; wenn sie Corneille nicht selbst näher anzugeben, vergessen hätte. $. Auch gegen das, was Aristoteles von der Unschick­ lichkeit eines ganz Lasterhaften zum tragischen Helden sagt, als dessen Unglück weder Mitleid noch Furcht erregen könne, bringt Corneille seine Läuterungen bey. Mitleid zwar, gesteht er zu, könne er nicht erregen; aber Furcht allerdings. Denn ob sich schon keiner von den Zuschauern der Laster desselben fähig glaube, und folglich auch desselben ganzes Unglück nicht zu befürchten habe: so könne doch ein jeder irgend eine jenen Lastern ähnliche Unvollkommenheit bey sich hegen , und durch die Furcht vor den zwar proportionirten, aber doch noch immer unglücklichen Folgen der­ selben , gegen sie auf seiner Hut zu seyn lernen. Doch dieses gründet sich auf den falschen Begriff, welchen Corueille von der Furcht und von der Reinigung der in der Tragödie zu erweckenden Leidenschaften hatte, und wi­ derspricht sich selbst. Denn ich habe schon gezeigt, daß die Erregung des Mitleids von der Erregung der Furcht unzertrennlich ist, und daß der Bösewicht, wenn eS möglich wäre, daß er unsere Furcht erregen könne, auch nothwendig unser Mitleid erregen müßte. Da er aber dieses , wie Corneille selbst zugestehet, nicht kann, so kann er auch jenes nicht, und bleibt gänzlich ungeschickt, die Absicht der Tragödie erreichen zu helfen. Ja Aristo­ teles hält ihn hierzu noch für ungeschickter, als den ganz.

tugendhaften Mann; denn er will ausdrücklich, falls man den Held aus der mittlern Gattung nicht haben könne, daß man ihn eher besser als schlimmer wählen solle. Di« Ursache ist klar: ein Mensch kann sehr gut seyn, und doch noch mehr als «ine Schwachheit haben, mehr als einen Fehler begehen, wodurch er sich in ein unabschlicheS Un­ glück stürzet, das uns mit Mitleid und Wehmuth erfüllet, ohne im geringsten gräßltch zu seyn, weil eS die natürliche Folge seiueS Fehlers ist. — Was Du Bos *) von dem Ge­ brauch der lasterhaften Personen in der Tragödie sagt, ist das nicht, was Corneille will. Du Bös will sie nur zu den Nebenrollen erlauben; blos zu Werkzeugen, die HaupK Personen weniger schuldig zu machen; blos zur Abstechung. Corneille aber will das vornehmste Interesse auf sie be­ ruhen lassen, so wie in der Rodogune: und daS ist eigent­ lich was mit der Absicht der Tragödie streitet, und nicht jenes. Du Bos merket dabey auch sehr richtig an, daß daS Unglück dieser subalternen Bösewichter keinen Eindruck auf uns mache. Kaum, sagt er, daß man den Tod ürS NarciS im BritannikuS bemerkt. Aber also sollte sich der Dichter, auch schon deswegen, ihrer so viel als möglich enthalten. Dmn wenn ihr Unglück die Absicht der Tra­ gödie nicht unmittelbar befördert, wenn sie bloße Hülfs­ mittel sind, durch die sie der Dichter desto besser mit an» der» Personen zu erreichen sucht: so ist es unstreitig, daß das Stück noch besser seyn würde, wenn es die nemliche Wirkung ohne sie hätte. Je simpler eine Maschine ist, je weniger Fedem und Räder und Gewichte sie hat, desto vollkommmer ist sie. *) Reflexions er. T. L 8ett» XV.

LXXXIH.

Den isten Februar 1768. 6. Uttb endlich, die Mißdeutung der ersten und wesent­ lichsten Eigenschaft, welche Aristoteles für die Sitten der

tragischen Personen fodert'. Sie sollen gut seyn, die Sit­

ten. — Gut? sagt Corneille.

"Wenn gut hier so viel

als tugendhaft heiLn soll: so wird es mit den meisten al­ ten und neuen Tragödien übel aussehen, in welchen

schlechte und lasterhafte, wenigstens mit einer Schwach­ heit, die nächst der Lugend so recht nicht bestehen kann, behaftete Personen genug vorkommen.,. Besonders ist ihm für seine Cleopatra in der Rodogune bange. Die

Güte, welche Aristoteles fodert, will er also durchaus für keine moralische Güte gelten lassen > es muß eine andere Art

vonGüte seyn,die sich mit dem moralischBösrn eben sowohl

verträgt, als mit dem moralisch Guten. Gleichwohl meynrtAristotelcs schlechterdings eine moralische Güte: nur daß ihm tugendhafte Personen, und Personen, welche in ge­ wissen Umständen tugendhafte Sitten zeigen, nicht einer­ ley sind. Kurz, Corneille verbindet eine ganz falsche Idee mit dem Worte Sitten, und was die ProäresiS ist, durch welche allein, nach unserm Weltweisen, freye Hand­

lungen zu guten oder bösen Sitten werden, hat er gar

nicht verstanden.

Ich kann mich jetzt nicht in einen weit-

läustigen Beweis einlassen; er läßt sich nur durch den Zu­ sammenhang, durch die syllogistische Folge aller Idem des griechischen Kunstrichters, einleuchtend genug führen.

Ich »erspare ihn daher auf eine andere Gelegenheit, da es

bey dieser ohnedem nur darauf ankömmt, zu zeigen, was

für «inen unglücklichen Ausweg Corneille, bey Verseh-

lung -es richtigen Weges, ergriffen. Dieser Ausweg lief dahin: daß Aristoteles unter der Gute der Sitten den glänzenden und erhabenen Karakter irgend einer tugend­ haften oder strafbaren Neigung verstehe, so wie sie der ein­ geführten Person entweder eigenthümlich zukomme, oder, ihr schicklich beygelegt werden könne: le caraftere bril-» lant & eleve d’une habitude vertueufe ou criminellfe­ iern qu’elle eft propre & convenable ä la perfonne qu’ou dntiodiiit. “ Cleopatra in der Rodogune, sagt er, ist äußerst bist ; da ist kein Meuchelmord, vor dem sie sich scheue, wenn er sie nur auf dem Throne zu erhalten ver­ mag , -en sie allem in der Welt verzieht; so heftig ist ihre Herrschsucht. Aber alle ihre Verbrechen sind mit einer ge­ wissen Große der Seele verbunden, die so etwas Erha­ benes hat, daß man, indem man ihre Handlungen ver­ dammet , doch die Quelle, woraus sie entspringen, be­ wundern muß. Eben dieses getraue ich mir von dem Lüg­ ner zu sagen. Das Lügen ist unstreitig eine lasterhafte Angewohnheit; allein Dorant bringt seine Lügen mit ei­ ner solchen Gegenwart des Geistes, mit so vieler Lebhaf­ tigkeit vor, -aß diese Unvollkommenheit ihm ordentlich wohl läßt, und die Zuschauer gestehen müssen, daß die Gabe so zu lügen, ein Laster sey, dessen kein Dummkopf fähig ist.» — Wahrlich , einen verderblichern Einfall hätte Corneille nicht haben können I Befolget ihn in der" Ausführung, und es ist um alle Wahrheit, um alle Täu­ schung, um allen sittlichen Nutzen der Tragödie gethan! Denn die Tugend, die immer bescheiden und einfältig ist., wird durch jenen glänzenden Karakter eitel und romam? tisch: das Laster aber, mit einem Firniß überzogen, -er uns überall blendet, wir mögen es aus einem Gesichts» punkte nehmen, aus welchem wir wollen. Thorheit, bloß durch die unglücklichen Folgen von -em Laster abschrecken /*

*7'8 wollen , indem man die innere Häßlichkeit desselben ver­ birgt ! Die Folgen sind zufällig > und die Erfahrung lehrt, daß sie eben so oft glücklich als unglücklich fallen. Die­ se- bezieht sich auf die Reinigung -er Leidenschaften, wie sie Corneille sich dachte. Wie ich mir sie vorstelle, wie sie Aristoteles gelehrt hat, ist sie vollends nicht mit jenem trügerischen Glanze zu verbinden. Die falsche Folie, die so dem Laster «ntergelegt wird, macht, daß ich Vollkom­ menheiten erkenne, wo keine sind; macht, daß ich Mit­ leiden habe, wo ich keines haben sollte. -— Zwar hat schon Dacier dieser Erklärung widersprochen, aber aus untriftigern Gründen; und es fehlt nicht viel, daß die, wel­ che er mit dem Pater Le Bossu dafür annimmt, nicht eben so nachtheilig ist, wenigstens den poetischen Vollkommen­ heiten des Stücks eben so nachtheilig werden kann. Er meynrt nemlich, “ die Sitten sollen gut seyn,,, heisse nicht­ mehr als, sie solle» gut au-gedrückt seyn, qu’elles foient bien marqufes. Da- ist allerdings eine Regel, die, richtig verstanden, an ihrer Stelle, aller Aufmerksamkeit de- dra­ matischen Dichters würdig ist. Aber wenn es die fran« zöfischen Muster nur nicht bewiesen, daß man, «gutauS« drücken,, für stark ausdrücken genommm hätte. Man hat den Ausdruck überladen, man hat Druck auf Druck ge­ setzt, bis aus karakteristrten Personen, personisirte Ka« kaktere; aus lasterhaften oder tugendhaften Menschen, hagere Gerippe von Lastern und Tugenden geworden find.— Hier will ich diese Materie abbrechen. Wer ihr ge­ wachsen ist, mag die Anwendung auf unsern Richard selbst machen. Vom Herzog Mchel, welcher auf den Richard folgt«, brauche ich wohl nichts zu sagen. Auf welchem Theater wird er nicht gespielt, und wer hat ihn nicht gesehen »der gelesen ? Krüger hat indeß da-wenigste Verdienst-arumr

denn er ist ganz aus einer Erzählung in dm Bremischen Beyträgen genommen. Die vielen guten satyrischen Zü­ ge, die er enthält, gehören jenem Dichter, so wie der ganze Verfolg der Fabel. Krügern gehört nichts, als die dramatische Form. Doch hat wirklich unsere Bühne an Krügern viel verlohren. Er hat Talent zum niedrig Ko­ mischen , wie seine Kandidaten beweisen. Wo er aber rührend und edel seyn will, ist er frostig und affekttrt. Hr. Löwen hatte seine Schriften gesammelt, unter welchen man jedoch die Geistlichen auf dem Lande vermißt. DicseS war der erste dramatische Versuch, welchen Krüger wagte, als er noch auf dem Grauen Kloster in Berlin studirte. Den neun nnd vierzigsten Abend, ( Donnerstags, den rzsten Julius) ward das Lustspiel deS Hrn. von Voltaire, die Frau, die Recht hat, gespielt, und zum Beschlusse des l'Affichard r Ist er von Familie? *) wiederholt. Die Frau, die Recht hat, ist eines von den Stücken, welche der Hr. von Voltaire für sein Haustheater gemacht hat. Dafür war eS nun auch gut genug. Es ist schon i7$8 zu Carouge gespielt worden: aber noch nicht zu Pa­ ris ; so viel ich weiß. Nicht als ob sie da, seit der Zeit, keine schlechtem Stücke gespielt hätten: denn dafür ha­ ben die MarinS und Le BretS wohl gesorgt. Sondern weil — ich weiß selbst nicht. Denn ich wenigstens möchte doch noch lieber einen großen Mann in seinem Schlaf­ rocke und seiner Nachtmütze, als einen Stümper in seinem Feyerkleide sehen. Karaktere und Interesse hat das Stück nicht; aber verschiedene Situationen, die komisch genug sind. Zwar ist auch das Komische aus dem allergemeinsten Fache, da. «s sich auf nichts als aufs Incogntto, auf Derkennungey ») 6. Kit i'tcn Abend, S, 97.

und Mißverständnisse gründet. Doch die Lacher sind nicht eckel; am wenigsten würden es unsre deutschen Lacher seyn, wenn ihnen das reinde der Sitten und die elende Ueber# setzung das mot pour rirenut nicht meistens so unverständ­ lich machte. Den fünfzigsten Abend ( Freytags den24stenJulius) ward Greffets Sidney wiederholt. Den Beschluß machte -er sehende Blinde. Dieses kleine Stück ist-von Le Grand , und auch nicht von ihm. * Denn er hat Titel und Intrigue und alles , einem alten Stücke des de Brosse abgeborgt. Ern Offizier, schon etwas bey Jahren, will eine junge Wittwe heyrathen, in die er verliebt ist, als er Ordre bekommt, sich zur Armee zu verfügen. Er verläßt seine Verspro­ chene , mit den wechselten Versicherungen der aufrich­ tigsten Zärtlichkeit. Kaum aber ist er weg, so nimmt die Wittwe die Aufwartungen des Sohnes von diesem Offiziere an. Die Tochter desselben macht sich gleichergestalt die Abwesenheit ihres Vaters zu Nutze, und nimmt einen jungen Menschen , den sie liebt, im Hause auf. Diese doppelte Intrigue wird dem Vater gemeldet, der, um sich selbst davon zu überzeugen , ihnen schreiben läßt, daß er sein Gesicht verloren habe. Die List gelingt; er kömmt wieder nach Paris, und mit Hülfe eines Bedienten, der um den Betrug weiß, sieht er alles, was in seinem Hause vorgeht. Die Entwicklung läßt sich errathen ; da der Offi­ zier an der Unbeständigkeit der Wittwe nicht länger zwei­ feln kann, so erlaubt er seinem Sohne, sie zu heyrathen, und der Tochter giebt er die nemliche Erlaubniß, sich mit ihrem Geliebten zu verbinden. Die Scenen zwischen der Wittwe und dem Sohne des Offiziers, in Gegenwart des letzten, haben viel Komisches; die Wittwe versichert, daß rhr der Zufall des Offiziers sehr nahe gehe* daß sie ihn aber darum

darum nicht weniger liebe; und zugleich giebt sie seinem Sohn, ihrem Liebhaber, einen Wink milden Augen , oder bezeigt ihm sonst ihre Zärtlichkeit durch Gebehrden.

Da» »st der Inhalt des alten Stücks vom de Vroffe, *) und

ist auch der Inhalt von dem neuen Stücke des Le Grand. Nur daß in d»esem die Intrigue mit der Tochter weggcblie-

ben ist, um jene fünf Akte desto leichter in Einen zu bringen. Aus dem Vater ist ein Onkel geworden , und was sonst

dergleichen kleine Veränderungen mehr sind.

Es mag

endlich entstanden seyn wie es will ; genug , es gefällt sehr.

Die Uebersetzung ist in Versen, und vielleicht eine

von den besten, die wir haben; sie ist wenigstens sehr flies­ sen- , und hat viele -rollige Zeilen.

LXXXIV. Den i-ten Februar 1768.

Den ein und fünfzigsten Abend (Montagsden ryten Ju­ lius) ward der Hausvater des Hrn. Diderot aufgeführt. -

Da dieses vortreffliche Stück, welches den Franzosen nur so so gefällt, - wenigstens hat es mir Müh und Noth kaum ein oder zweymal auf dem Pariser Theater erscheinen

dürfen, — sich, allem Ansehen nach, lange, sehr lange, und warum nicht immer? auf unsern Bühne« erhalten

wird r da es auch hier nicht oft genug wird können gespielt werden: so hoffe ich, Raum und Gelegenheit genug zu haben, alles auSzukramcn, was ,ch sowohl über das Stück

selbst, als über das ganze dramattsche System des Verfas­

sers von Zeit zu Zeit angemerkt habe.

») Hist, du Th. Fr. Tome VII. p. Leßings Analekten gr B.

11«.

M

darum nicht weniger liebe; und zugleich giebt sie seinem Sohn, ihrem Liebhaber, einen Wink milden Augen , oder bezeigt ihm sonst ihre Zärtlichkeit durch Gebehrden.

Da» »st der Inhalt des alten Stücks vom de Vroffe, *) und

ist auch der Inhalt von dem neuen Stücke des Le Grand. Nur daß in d»esem die Intrigue mit der Tochter weggcblie-

ben ist, um jene fünf Akte desto leichter in Einen zu bringen. Aus dem Vater ist ein Onkel geworden , und was sonst

dergleichen kleine Veränderungen mehr sind.

Es mag

endlich entstanden seyn wie es will ; genug , es gefällt sehr.

Die Uebersetzung ist in Versen, und vielleicht eine

von den besten, die wir haben; sie ist wenigstens sehr flies­ sen- , und hat viele -rollige Zeilen.

LXXXIV. Den i-ten Februar 1768.

Den ein und fünfzigsten Abend (Montagsden ryten Ju­ lius) ward der Hausvater des Hrn. Diderot aufgeführt. -

Da dieses vortreffliche Stück, welches den Franzosen nur so so gefällt, - wenigstens hat es mir Müh und Noth kaum ein oder zweymal auf dem Pariser Theater erscheinen

dürfen, — sich, allem Ansehen nach, lange, sehr lange, und warum nicht immer? auf unsern Bühne« erhalten

wird r da es auch hier nicht oft genug wird können gespielt werden: so hoffe ich, Raum und Gelegenheit genug zu haben, alles auSzukramcn, was ,ch sowohl über das Stück

selbst, als über das ganze dramattsche System des Verfas­

sers von Zeit zu Zeit angemerkt habe.

») Hist, du Th. Fr. Tome VII. p. Leßings Analekten gr B.

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Ich hole recht weit aus. — Nicht erst mit dem na­ türlichen Sohne, in Len beygefügtenUnterredungen, wel­ che zusammen im Jahre 1757 herauSkamen, hat Diderot sein Mißvergnügen mit dem Theater seiner Nation geäussert. Bereits verschiedene Jahre vorher ließ er es sich merken, daß er die hohen Begriffe gar nicht davon habe, nut welchen sich seine Landsleute täuschen, und Europa sich von ihnen täuschen lassen. Aber er that cs in einem Buche, in welchem man freylich dergleichen Dinge nicht sucht; in einem Buche, in welchem der persifflirende Ton so herr­ schet, daß den meisten Lesern auch das, was guter gesun­ der Verstand darinn ist, nichts als Posse nnd Höhnerey zu seyn schemet. Ohne Zweifel hatte Diderot seine Ursachen, warum er mit seiner Herzcnsmeynung lieber erst in einem solchen Buche hervorkommen wollte: cut kluger Mann sagt öfters erst mit Lachen, was er hernach im Ernste wie­ derholen will. Dieses Buch heißt Les Bijonx indiferets, und Diderot will es jetzt durchaus nicht geschrieben haben. Daran thut Diderot auch sehr wohl; aber doch hat er es geschrieben, und muß es geschrieben haben, wenn er nicht ein Plagiarius seyn will. Auch ist es gewiß, daß nur ein solcher junger Mann dieses Buch schreiben konnte, der sich einmal schämen würde, es geschrieben zu haben. Es ist eben so gut, wenn die wenigsten von meinen Le­ sern dieses Buch kennen. Ich will mich auch wohl hüten, «S ihnen werter bekannt zu machen, als es hier in meine« Kram dienet.----Ein Kaiser----- was weiß ich, wo und welcher? — hatte mit einem gewissen magischen Ringe gewisse Kleino­ de so viel häßliches Zeug schwatzen lassen, daß seine Fa­ voritin durcharrs nichts mehr davon hören wollte. Sie hätte lieber gar mit ihrem ganzen Geschlechte darüber bre-

chen mögen; wenigstens nahm sie sich auf die ersten vier­ zehn Lage vor, ihren Umgang einzig auf des Sultans Maiestäl und ein Paar witzige Köpfe einzuschränken. Diese waren, Selim un-Riccaric: Selim, ein Hofmann; und Rieearie, ein Mitglied der kaiserlichen Akademie, ein Mann, der das Alterthum studiret hatte, und ein großer Verehrer desselben war, doch ohne Pedant zu seyn. Mit diesen unterhält sich die Favoritin einsmals, und das Ge­ spräch fällt auf den elenden Ton der akademischen Reden, über den sich niemand mehr ereifert als der Sultan selbst, weil es ihn verdrießt, sich nur immer auf Unkosten seines Vaters und seiner Vorfahren darinn loben zu hören, und er wohl voraussieht, daß die Akademie eben so auch seine» Ruhm einmal dem Ruhme seiner Nachfolger aufopfern werde. Selim, als Hofmann, war dem Sultan in allem beygefallen; und so spinnt sich die Unterredung über -aS Theater an, die ich meinen Lesen« hier ganz mittheile. “ Ich glaube, Sie irrm sich, mein Herr': antwortete Riecarie dem Selim. Die Akademie ist noch jetzt das Heiligthum des guten Geschmacks, und «hre schönsten Lage haben weder der Weltweise noch der Dichter aufzuweise», denen wir nicht andere aus unserer Zeit entgegen setzen könn­ ten. Unser Theater ward für das erste Lheater in ganz Afrika gehalten, und wird noch dafür gehalten. Welch ein Werk ist nicht der Lamerlan des Luxigraphe! Es ver­ bindet das Pathetische des Enrisope mit dem Erhabnen des Azophe. ES ist das klare Alterthum! „ "Ich habe, sagt die Favoritin, die erste Vorstellung des Tamerlans gesehen, und gleichfalls den Faden des Stücks sehr richtig geführet, den Dialog sehr zierlich, «md das Anständige sehr wohl beobachtet gefunden.,, " Welcher Unterschied, Madam, unterbrach sie Riccarie, zwischen einem Verfasser wie Luxigraphe, der sich M -

durch Lesung der Alten genähret, und dem größten Theile unsrer Neuern!,, “ Aber diese Neuern, sagte Selim, die Sie hier so wacker über die Klinge springen lassen, sind doch bey weitem so verächtlich nicht, als Sie vorgeben. Oder wie? finden Sie kein Genie, keine Erfindung, kein Feuer, keine Karakterr, keine Schilderungen, keine Tiraden bey ihnen ? Was bekümmere ich mich um Regeln, wenn man mir nur Vergnügen macht? ES sind wahrlich nicht die Bemerkun­ gen des weise» Almndir und des gelehrten Abdaldyk, noch die Dichtkunst des scharssinmgen Facardiii, die ich alle nicht gelesen habe, welche es machen, daß ich die Stücke deS Aboulcazem, des Mouhardar, des Albakoukrc, und so vie­ ler andern Saracenen bewundere! Giebt es denn auch eine andere Regel, als die Nachahmung der Natur ? Und haben wir nicht eben die Augen, mit welchen diese sie studirten ? „ “ Die Natur, antwortete Riccaric, zeiget sich uns alle Augenb licke'in verschiedenen Gestalten. Alle sind wahr, aber nicht alle sind gleich schön. Eine gute Wahl daruuter zu treffe», das müssen wir aus den Werken lernen, von welchen Sie eben nicht viel zu halten scheinen. ES sind die gesammelten Erfahrungen, welche ihre Verfasser und de­ ren Vorgänger gemacht haben. Man mag em noch so vor-trefflicher Kopf seyn, so erlangt man doch nur seine Ein­ sichten eine nach der andern; und ein einzelner Mensch schmeichelt sich vergebens, in dem kurzen Raume seines Le­ bens, alles selbst zu bemerken, was in so vielen Jahrhun­ derten vor ihm entdeckt worden. Sonst ließe sich behaup­ ten , daß eine Wissenschaft ihren Ursprung, ihren Fortgang, und ihre Vollkommenheit einem einzigen Geiste zu verdan­ ken haben könne; welches doch wider alle Erfahrung ist.,, "Hieraus, mein Herr, antwortete ihm Selin», folget weiter nichts, als daß die Neuern, welche sich alle die Schätze

zu Nutzen machen können, die bis auf ihre Zeit gesammelt worben, reicher seyn müssen, als die Alten: oder, wenn ihnen diese Vergleichung nicht gefällt, daß sie auf den Schultern dieser Kolossen, auf die sie gestiegen, nothwen­ dig müssen weiter sehen können, als sie selbst. Was ist auch, in der That, ihre Naturlehrc, ihre Astronomie» ehre Gchiffskunst, ihre Mechanik, ihre Rechenlehre, i» Mrglei­ chung mit unsern? Warum sollten wir ihnen also m der Be­ redsamkeit und Poesie nicht eben sowohl überlegen seyn ? „ “ Selim, versetzte die Sultane, der Unterschied ist groß, und Rtceanc kann Ihnen die Ursachen davon ein andermal erkläre». Er mag Ihnen sagen, warum unsere Tragödien schlechter sind, als der Alten ihre: aber daß sie es sind, kann ich leicht selbst auf mich nehmen, Ihnen ju beweisen. Ich will Ihnen nicht Schuld geben, fuhr sie fort, daß Sie die Alten nicht gelesen haben. Sie haben sich nm zu viele schöne Kenntnisse beworben, als daß Ihnen das Theater dcr-Alten unbekannt seyn sollte. Nun setzen Sie gewisse Ideen, die sich auf ihre Gebräuche, auf ihre Sitten, auf ihre Religion beziehen, und die Ihnen nur deswegen an­ stößig sind, weil sich die Umstände geändert haben, bey Seite, und sagen Sie mir, ob ihr Stoffnicht immer edel, wohlgewählt und interessant ist? ob sich die Handlung nicht gleichsam von selbst einleitet? ob der simple Dialog dem Natürlichen nicht sehr nahe kömmt? ob die Entwicke­ lungen im geringsten gezwungen sind ? ob sich das Interesse wohl theilt, und die Handlung mit Episoden überladen ist ? Versetzen Sie sich in Gedanken in die Insel Alindala; un­ tersuche» Sie alles, was da vorgieng, hören Sie alles, was von dem Augenblicke an, als der junge Ibrahim und der verschlagene Forfanti ans Land stiegen, da gesagt ward: nähern Sie sich der Höhle des unglücklichen Polipsile > ver­ lieren Sie kein Wort von seinen Klagen, und sagen Sie M 3

Igo mir / ob das geringste vorkömmt, was Sie in der Läuschung stören könnte ? Nennen Sie mir ein einziges neue­ res Stück, welches die nemliche Prüfung aushalten, wel­ ches auf den nemlichcn Grad der Vollkommenheit Anspruch machen kann: und Siesollen gewonnen haben.,, "»Beym Brama! rief der Sultan, und gähnte; Ma­ dame hat uns da eine vortrefstiche akademische Vorlesung gehalten! „ "Ich verstehe die Regeln nicht, fuhr die Favoritin fort, und noch weniger die gelehrten Worte, in welchen man sie abgefaßt hat, aber ich weiß, daß nur das Wahre gefällt und rühret. Ich weiß auch, daß die Vollkommenheit ei­ nes Schauspiels in der so genauen Nachahmung dfirr Handlung bestehet, daß der ohne Unterbrechung betroge­ ne Zuschauer bey der Handlung selbst gegenwärtig zu sey» glaubt. Findet sich aber in den Tragödien, die Sie uns so rühmen, nur das geringste, was diesem ähnlich sähe?,.

LXXXV.

Don rzten Februar 1768.

“ Äöollen Sie den Verlauf darinn loben? Er ist meistens so vielfach «ud verwickelt, daß es ein Wunder seyn würde, wenn wirklich so viel Dinge tn so kurzer Jett geschehen wären. Der Untergang oder die Erhaltung eines Reichs, die Heyrath einer Prinzeßin, der Fall eines Prinzen, alles das geschieht so geschwind, wie man eine Hand umwendet. Kömmt es auf eine Verschwörung an ? im ersten Akte wird fie entworfen; im zweyten ist sie beysammen; im dritten werden alle Maßregeln genommen, alle Hindernisse geho-

Igo mir / ob das geringste vorkömmt, was Sie in der Läuschung stören könnte ? Nennen Sie mir ein einziges neue­ res Stück, welches die nemliche Prüfung aushalten, wel­ ches auf den nemlichcn Grad der Vollkommenheit Anspruch machen kann: und Siesollen gewonnen haben.,, "»Beym Brama! rief der Sultan, und gähnte; Ma­ dame hat uns da eine vortrefstiche akademische Vorlesung gehalten! „ "Ich verstehe die Regeln nicht, fuhr die Favoritin fort, und noch weniger die gelehrten Worte, in welchen man sie abgefaßt hat, aber ich weiß, daß nur das Wahre gefällt und rühret. Ich weiß auch, daß die Vollkommenheit ei­ nes Schauspiels in der so genauen Nachahmung dfirr Handlung bestehet, daß der ohne Unterbrechung betroge­ ne Zuschauer bey der Handlung selbst gegenwärtig zu sey» glaubt. Findet sich aber in den Tragödien, die Sie uns so rühmen, nur das geringste, was diesem ähnlich sähe?,.

LXXXV.

Don rzten Februar 1768.

“ Äöollen Sie den Verlauf darinn loben? Er ist meistens so vielfach «ud verwickelt, daß es ein Wunder seyn würde, wenn wirklich so viel Dinge tn so kurzer Jett geschehen wären. Der Untergang oder die Erhaltung eines Reichs, die Heyrath einer Prinzeßin, der Fall eines Prinzen, alles das geschieht so geschwind, wie man eine Hand umwendet. Kömmt es auf eine Verschwörung an ? im ersten Akte wird fie entworfen; im zweyten ist sie beysammen; im dritten werden alle Maßregeln genommen, alle Hindernisse geho-

den, und die Vcrschwornen halten sich fertig; mit näch­ stem wird eS einen Aufstand setzen, wird es zum Treffen kommen, wohl gar zu einer förmlichen Schlacht. Und daS alles nennen Sie gut geführt, interessant, warm, wahr­ scheinlich ? Ihnen kann ich nun so etwas am wenigsten vergeben, der Sie wissen, wie viel es oft kostet, die aller­ elendeste Intrigue zu Stande zu bringen, und wie viel Zeit bey der kleinsten politischen Angelegenheit auf Einleitun­ gen auf Besprechuugen und Berathschlagungen geht.,, "Esist wahr, Madame, antwortete Selim, unsere Stücke sind ein wenig überladen; aber das ist ein nothwen­ diges Uebel; ohne Hülfe der Episoden würden wir uns vor Frost nicht zu lassen wissen.,, "Das ist: um der Nachahmung einer Handlung Feuer und Geist zu geben, muß man die Handlung weder so vor­ stellen , wie sie ist, noch so, wie sie seyn sollte. Kann etwas lächerlicheres gedacht werden? Schwerlich wohl; es wäre denn etwa dieses, daß man die Geigm ein lebhaftes Stück, eine muntere Sonate spielen läßt, während daß die Zuhö­ rer um den Prinzen bekümmert seyn sollten, der auf dem Punkte ist, seine Geliebte, seinen Thron und sein Leben zu verlieren. „ "Madame, sagte Mongogul, Sie haben vollkommen Recht; traurige Arien müßte man indeß spielen, und ich will Ihnen gleich einige bestellen gehen. Hiermit stand er auf, und gieng heraus, und Selim, Riccaric und die Favoritin setzten die Unterredung unter sich fort. „ “ Wenigstens, Madame, erwiederte Selim, werde» Sie nicht läugnm, daß, wenn die Episoden uns ans der Täu­ schung herausbringen, der Dialog uns wieder hereinsetzt. Ich wüßte nicht, wer das besser verstünde, als unsere tra­ gische Dichter.,, " Nun so versteht eS durchaus niemand, antwortete M 4

mlrMirzoza. Das Gesuchte, das Witzige, daS Spielende,

das darinn herrsche, ist tausend und tausend Meilen von

der Natur entfernt.

Umsonst sucht sich der Verfasser zu

verstecken; er entgeht mcmcn Augen nicht, und ich erblicke ihn unaufhörlich hinter seinen Personen.

Cinna, Serro-

rius, Maximus, Acmilia, sind alle Augenblicke das Sprach­

rohr des Corneille.

So spricht man bey unsern alten Sa-

racenen nicht mit'rtnander.

Herr Riccaric kann Ihnen,

wenn Sie wollen, einige Stellen daraus übersetzen ; und

Sie werden die bloße Natur hören, die sich durch den Mund

derselben ausdrückt. Ich möchte gar zu gern zu den Neuern sagen: "Meine Herren, anstatt daß ihr euer» Personen

bey aller Gelegenheit Witz gebt, so sucht sie doch lkeber in

Umstande zu setzen, die ihnen welchen geben. „ " Nach dem zu urtheilen, was Madame von dem Ver­ laufe und dem Dialoge unserer dramatischen Stücke gesagt

hat, scheint es wohl nicht, sagte Selim, daß sie den Ent­

wicklungen wird Gnade wiederfahren lassen. „

" Nein, gewiß nicht, versetzte die Favoritin: es giebt hundert schlechte für eine gute.

Die eine ist nicht vorbe­

reitet ; die andere eräugnet sich durch ein Wunder. Weis der Verfasser nicht, was er mit einer Person, die er von Scene zu Scene ganze fünf Akte durgcschleppt hat, anfan-

grn soll: geschwind fertiget er sie mit einem guten Dolch­ stoße ab; die ganze Welt fängt an zu weinen, und ich, ich

lache, als ob ich toll wäre.

Hernach, hat man wohl jemals

so gesprochen, wie wir deklamiren? Pflegen die Prinzen und Könige wohl anders zu gehen, als sonst ein Mensch, der gut geht? Gestikuliern sie wohl »enials, wie Besessene

und Rasende? Und wenn Prinzeßinncn sprechen, sprechen sie wohl in einem so heulenden Tone ? Man nimmt durch­ gängig an, daß wir die Tragödie zu einem hohen Grade

der Vollkommenheit gebracht haben: und ich,meineSLheils,

halte es fast für erwiesen, daß von allen Gattungen -er Litteratur, auf die sich die Astikaner in den letzten Jahr­ hunderten gelegt haben, gerade diese die unvollkommenste geblieben ist.,, “ Eben hier war die Favoritin mit ihrem Ausfälle ge­ gen unsere theatralische Werke, als Mongogul wieder her­ einkam. Madame, sagte er, Sie werden mir einen Ge­ fallen erweisen, wenn Sie fortfahren. Sie sehen, ich ver­ stehe mich darauf, ttut Dichtkunst abzukürzen, wen« ich sie zu lang finde.» "Lassen Sie uns, fuhr die Favoritin fort, einmal an­ nehmen, es käme einer ganz ftlsch aus Angote, der in sei­ nem Leben von keinem Schauspiele etwas gehört hätte; dem es aber weder an Verstände noch an Welt fehle; der unge­ fehr wisse, was an einem Hofe vorgehe; der mit den An­ schlägen der Höflinge, mit der Eifersucht der Mmister mit den Hetzereyen der Werber nicht ganz unbekannt wäre,. und zu dem ich im Vertrauen sagte: “ Mein Freund, cs äußern sich in -em Seraglio schreckliche Bewegungen. Der Fürst, der mit seinem Sohne mißvergnügt ist, weil er ihn im Verdacht hat, daß er die Manimonbande liebt, ist ein Mann, den ich für fähig halte, an beyden die grausamste Rache zu üben. Diese Sache muß, allem Ansehen nach, sehr traurige Folgen haben. Wenn Sie wollen, so will ich machen, daß Sie von allem, was vorgeht, Zeuge seyn kön­ nen; „ Er nimmt mein Anerbieten an, und ich führe ihn in eine mit Gitterwerk vermachte Loge, aus der er das Theater sieht, welches er für den Pallast des Sultans hält. Glauben Sie wohl, daß Trotz alles Ernstes, in dem ich mich zu erhalten bemüht«, die Täuschung dieses Fremden einen Augenblick dauem könnte t Müssen Sie nicht viel­ mehr gestehen, daß er, bey dem steifen Gange des Akteurs, bey ihrer wunderlichen Tracht, bey ihren ausschweifenden

Gebehrden, bey dem seltsamen Nachdrucke ihrer gereim­ ten / abgemessenen Sprache, bey tausend andern Ungereimt­ heiten, die ihm auffallen würden, gleich in der ersten Scene mir ins Gesicht lachen und gerade heraus sagen würde, daß ich ihn entweder zum besten haben wollte, oder daß der Fürst mit samt stinem Hofe nicht wohl bey Sinnen seyn müßten.» " Ich bekenne, sagte Selrm, daß mich dieser angenom­ mene Fall verlegen macht; aber könnte man Ihnen nicht |it bedenken geben, daß wir in das Schauspiel gehen, mit der Ueberzeugung, der Nachahmung einer Handlung, nicht aber der Handlung selbst, beyznwohnen. „ "Und sollte denn diese Ueberzeugung verwehren, er­ wiederte Mrrzoza, die Handlung auf die allernatürlichste Art vorzustellen? „ — Hier kömmt daö Gespräch nach und nach auf andere Dinge, dre uns nichts angehen. Wir wenden uns also wieder , zu sehen, was wir gelesen haben. Den klaren lautern Diderot! Aber alle diese Wahrheiten waren damals in den Wind gesagt. Sie erregten eher keine Empfindung indem französischen Publiko, als bis sie mit allem didak­ tischen Ernste wiederholt, und mit Proben begleitet wur­ den , m welchen sich der Verfasser von einigen der gerüg­ ten Mangel zu entfernen , und den Weg der Natur und Täuschung bessereinzuschlagen, bemüht hatte. Nun weckte der Nerd die Kritik. Nun war es klar, warum Diderot das Theater seiner Natron auf dem Gipfel der Vollkom­ menheit nicht sahe, auf dem wir es durchaus glauben sollen; warum er so viel Fehler in -en gepriesenen Mck sterstücken desselben fand : blos und allein, um seinen Stücken Platz zu schaffen. Er mußte die Methode seiner Vorgänger verschrien haben, weil er empfand, daß in Befolgung der nemlichen Methode, er unendlich unter ih­ nen bleiben würde. Er müßte ein elender Lharlatan seyn,

der' allen fremden Thenak verachtet , damit kein Mensch andern als seinen kaufe. Und so fielen -re Paüssots über seine Stücke her. Allerdings hatte er ihnen auch/ in seinem natürlichen Sohne, manche Blöße gegeben. Dieser erste Versuch ist bey weitem das nicht, was der Hausvater ist. Zu viel Einförmigkeit m den Karakteren, das Romantische i.n die­ sen Karakteren selbst, ein steifer kostbarer Dialog, em pedantisches Geklingle von neumodisch philosophischen Sentenzen: alles das machte den Tadlern leichtes Spiel. Besonders zog die feyerltche Theresia (oder Constantia, wie sie in dem Originale heißt,) die so philosophisch selbst auf die Freyerey geht, die mit einem Manne, der sie nicht mag, so weise von tugendhaften Kmdern spricht, die sie mit ihm zu erzielen gedenkt, die Lacher auf ihre Seite. Auch kann man nicht läugnen, daß die Einkleidung, wel­ che Diderot den beygefügten Unterredungen gab, daß der Ton, den er darum annahm , ein wenig eitel und pom­ pös war; daß verschiedene Anmerkungen als ganz neue Entdeckungen darinu vorgctragen wurden, die doch nicht neu und dem Verfasser nicht eigen waren i daß andere Anmerkungen die Gründlichkeit nicht hatten, die sie in dem blendenden Vortrage zu haben schienen.

LXXXVL

Den 26ten Februar 1768.

3um Exempel, Diderot behauptete, *) daß es in der menschlichen Natur aufs höchste nur ein Dutzend wirklich

*) S. die Unterredungen hinter dem natürlichen Sohne Seile ^21. 22. d. uebcrs.

der' allen fremden Thenak verachtet , damit kein Mensch andern als seinen kaufe. Und so fielen -re Paüssots über seine Stücke her. Allerdings hatte er ihnen auch/ in seinem natürlichen Sohne, manche Blöße gegeben. Dieser erste Versuch ist bey weitem das nicht, was der Hausvater ist. Zu viel Einförmigkeit m den Karakteren, das Romantische i.n die­ sen Karakteren selbst, ein steifer kostbarer Dialog, em pedantisches Geklingle von neumodisch philosophischen Sentenzen: alles das machte den Tadlern leichtes Spiel. Besonders zog die feyerltche Theresia (oder Constantia, wie sie in dem Originale heißt,) die so philosophisch selbst auf die Freyerey geht, die mit einem Manne, der sie nicht mag, so weise von tugendhaften Kmdern spricht, die sie mit ihm zu erzielen gedenkt, die Lacher auf ihre Seite. Auch kann man nicht läugnen, daß die Einkleidung, wel­ che Diderot den beygefügten Unterredungen gab, daß der Ton, den er darum annahm , ein wenig eitel und pom­ pös war; daß verschiedene Anmerkungen als ganz neue Entdeckungen darinu vorgctragen wurden, die doch nicht neu und dem Verfasser nicht eigen waren i daß andere Anmerkungen die Gründlichkeit nicht hatten, die sie in dem blendenden Vortrage zu haben schienen.

LXXXVL

Den 26ten Februar 1768.

3um Exempel, Diderot behauptete, *) daß es in der menschlichen Natur aufs höchste nur ein Dutzend wirklich

*) S. die Unterredungen hinter dem natürlichen Sohne Seile ^21. 22. d. uebcrs.

komische Karaktere gibt, die großer Züge fähig wären; »ind daß die kleinen Verschiedenheiten unter den mensch­ lichen Karakteren nicht so glücklich bearbeitet werden könn­ ten, als die reinen unvermischtenKaraktere. Erschlug daher vor, nicht mehr die Karaktere, sondern dieStärrde auf dir Bühne zu bringen: und wollte die Bearbeitung dieser, zu dem besondern Geschäfte der ernsthaften Komö­ die milchen. “ Bisher, sagt er, ist in der Komödie der Karakter das Hauptwerk gewesen; und der Stand war nur etwas Zufälliges: nun aber muß der Stand das Haupt­ werk, und der Karakter das Zufällige werden. Aus bim Karakter zog man die ganze Intrigue: man suchte durch­ gängig die Umstande, in welchen er sich am besten äußert, und verband diese Umstände unter einander. Künftig muß der Stand, müssen die Pflichten, die Vortheile, dir Un­ bequemlichkeiten desselben zur Grundlage des Werks die­ nen. Diese Quelle scheint mir weit ergiebiger, von weit größerm Umfang«, von weit größerm Nutzen, als dir Quelle der Karaktere. War der Karakter nur ein wenig über­ trieben, so konnte der Zuschauer zu fich selbst sagen: das bin ich nicht. Das aber kann er unmöglich läugnen, daß der Stand, den man spielt, sein Stand ist • seine Pflich­ ten kann er unmöglich verkennen. Er muß das, was er hört, nothwendig auf sich anwendcn. „ Was Palissot hierwicdrr erinnert, *) ist nicht ohne Grund. Er laugnet eS, daß die Natur so arm an ur­ sprünglichen Karaktere» sey, daß sie die komischen Dich­ ter bereits sollten erschöpft haben. Mokiere sahe noch ge­ nug neue Karaktere vor sich, und glaubte kaum den aller­ kleinsten Theil von denen behandelt zu haben, die er be­ handeln könn:. Die Stelle, in welcher er verschiedne der­ selben in der Geschwliidegkeit entwirft, ist so merkwür« *) Petites Lettres für de grands Philofophes, Lettr. II.

dig als lehrreich , indem sie vermuthen läßt, daß der Mi­ santhrop schwerlich sein Non plus ultra in dem hohen Komischen dürfte geblieben seyn , wenn er länger gelebt hätte. *) Paliffot selbst ist nicht unglücklich , einige neue Karaktere von seiner eignen Bemerkung beyzufügen: den dumnren Mäcen, mit seinen kriechenden Klienten; den Mann, an seiner unrechten Stelle; den Arglistigen, des­ sen ausgekünstelte Anschläge immer gegen die Einfalt ei­ nes treuherzigen Biedermanns scheitern; den Scheinphi­ losophen; den Sonderling, den Destouches verfehlt ha*) (Impromptu de Verft lies, Sc. 2.) Eh! monpauvreMarquis, nous lui (ä Moliere) fournirons toujours assez de mutiere , & nous ne prenons guercs le chemin de nous rendre fages par tout ce qu’il fait & tout ce qu’il dit. Ciois-tu qu’il ait 6puife dans fes Comddies tous les ridicules des hommes, & fans fortir de la Cour, n’a-t-il pas encore vingt carafteres de gens, oü il n’a pas touchS ? N’a-t-il pas, par exemple, ceux qui fe fönt les plus grandes amiti6s du monde, & qui, le dos tourne, fönt galanterie de fe dechirer Pun l’autre ? N’a-t-il pas ces adulateurs L outrance, ces Hatteurs infipides qui n’aflaifonnent d’aucun fei les louanges qu’ils donnent, & dont toutes les flatteries ont une douceur fad» qui fait mal au coeur & ä. ceux qui les äcoutcnt? N’a-t-il pas ces läches courtifans de la faveur, ces perfides adorateurs de la fortune, qui vous encenfent dans la profp6rit£, & vous accablent dans la difgrace ? N’a-t-il pas ceux qui fönt toujours m^contens de la Cour, ces fuivans inutiles , ces incommodes aflidus, ces gens , dis-je, qui pour fervices ne peuvent compter que des importunites , & qui veulent qu'on les r^compenfe d’avoir obfede le Prince dix ans durans ? N’a-t-il pas ceux qui careflent egalement tout le monde, quipromenent leurs civilites, ädroite, d gauche, & courent ä tous ceux qu’ils voyent avec les meines embraffades , & les mSmes protestations d’amitie ? — — Va, va , Marquis, Moliere aura toujours plus de fujets qu’il n’en voudra , & tout ce qu’il a touchl n’est que bagatelle au prix de ce qui rette.

be; den Heuchler mit gesellschaftlichen Lugenden/ da der Religionvheuchler ziemlich aus der Mode sey. — Das sind wahrlich nicht gemeine Aussichten, die sich einem An­ ge, das gut ui die Ferne tragt, bis ms Unendliche erwei­ tern. Da ist noch Erndte genug für die wenigen Schnit­ ter/ die sich daran wagen dürfen Und wenn auch, sagt Palissot, der komischen Karaktere wirklich so wenige, und diese wenigen wirklich alle schon bearbeitet wären : würden die Stande denn dieser Verle­ genheit abhelfen? Man wähle einmal einen; z. E. den Stand des Richters. Werde ich ihm denn, dem Richter/ nicht einen Karakter geben müssen ? Wird er nicht trau­ rig oder lustig, ernsthaft oder leichtsinnig, leutselig oder stürmisch seyn müssen? Wird es nicht blos dieser Karakter seyn, der ihn aus der Klasse metaphysischer Abstrakte her­ aushebt, und eine wirkliche Person aus ihm macht ? Wird nicht folglich die Grundlage der Intrigue und die Moral des Stücks wiederum auf dem Karakter beruhen? Wird nicht folglich wiederum der Stand nur das Zufällige seyn? Zwar könnte Diderot hieraufantworten: Freylich muß die Person, welche ich mit dem Stande bekleide, auch ih­ ren individuellen moralischen Karakter haben; aber ich will, daß es ein solcher seyn soll, der mit den Pflichten und Verhältnissen des Standes nicht streitet, sondern aufs beste harmoniret. Also, wenn diese Person ein Richter ist, so steht es mir nicht frey, ob ich ihn ernsthaft oder leichtsinnig / leutselig oder stürmisch machen will: er muß nothwendig ernsthaft und Leutselig seyn, und jedesmal cs in dem Grade seyn, den das vorhabende Geschäfte erfodert. Dieses, sage ich, könnte Diderot antworten: aber zugleich hätte er sich einer andern Klippe genähert; nemlich her Klippe der vollkommenen Karaktere. Die Perso­ nen seiner Stände würden nie etwas anders thun, als was

sie nach Pflicht und Gewissen thun müßten; sie würden handeln , völlig wie es im Buche steht.

Erwarten wir

das in der Komödie ? Können dergleichen Vorstellungen

anziehend genug werden ? Wird der Nutzen, den wir da­ von hoffen dürfen, groß genug seyn, daß es sich der Mühe verlohnt, eine neue Gattung dafür fest zu setzen, und für

-diese eine eigene Dichtkunst zu schreiben? DwKltppe der vollkommenen Kclraktere scheinet mir Di­ derot überhaupt nrcht genug erkundiget zu haben. In seinen Stücken steuert er zmnllch gerade darauf los: und m sei­

nen kritischen Seekarten findet sich durchaus keine Warnung davor.

Vielmehr finden sich Dmge darum, die den Lauf

nach ihr hin zu lenken rathen.

Man erinnere sich nur,

was er, bey Gelegenheit desKontrasts unter denKarakreren, von den Brüdern des Deren; sagt.*) “ Die zwey kon­

trastieren Vater darum sind mit so gleicher Stärke gezerc!)net, daß man dem feinsten Kunstrichter Trotz bieten kann, die Hauptperson zu nennen ; ob es Mttio oder ob es Demea seyn soll ? Fällt er sem Urtheil vor dem letzten Auf­

tritte , so dürste er leicht mit Erstaunen wahrnehmen , daß der, den er ganzer fünf Aufzüge hindurch, für einen

verständigen Mann gehalten hat, nichts als ein Narr ist,

und daß der, den er für einen Narren gehalten hat,'wohl gar der verständige Mann seyn könnte. Man sollte zu An­

fänge des fünften Aufzuges dieses Drama fast sagen, der

Verfassersey durch den beschwerlichen Kontrast gezwungen worden, seinen Zweck fahren zu lassen, und das ganze Interesse des Stücks umzukehren.

Was ist aber daraus

geworden? Dieses, daß man gar nicht mehr weis, für

wen man sich intereßiren soll. Vom Anfänge her ist man für den Mreio gegen den Demea gewesen, und am Ende

ist man für keinen von beyden.

Beynahe sollte man einen

' *) 3n der Dichtkunst hinter -em Hausvater, S.

der uedeys.

-ritten Vater verlangen, der das Mittel zwischen diesen v zwey Personen hielte, und zeigte, rooruui sic beyde fehlten.,. Nicht ich! Ich verbitte mir ihn sehr, diese» dritten Vater ; eS sey in dem ncmlichen Stücke, oder auch allein. Welcher Vater glaubt nicht zu wissen, wie ein Vater seyn soll» Auf dem rechten Wege dünken wir uns alle: wir verlange» nur, dann und wann vor de» Abwegen zu bey­ de» Seiten gewarnet zu werden. Diderot hat Recht: es ist besser, wenn die Karaktere blos verschieden, als wenn sie kontrastirt sind. Kontrastirte Karaktcye sind minder natürlich und vermehren de« romantischen Anstrich, an dem es den dramatischen Be­ gebenheiten so schon selten fehlt. Für eine Gesellschaft, im gemeinen Leben, wo sich der Kontrast der Karaktere so abstechen- zeigt, als ihn der komische Dichter verlangt, werden sich immer tausend finden, wo sie weiter nichts als verschieden sind. Sehr richtig! Aber ist ein Karakter, der sich immer genau in dem graben Gleiße hält, das ihm Vernunft und Lugend vorschreibe», nicht eine noch sel­ tenere Erscheinung? Von zwanzig Gesellschaften im ge­ meinen Lebe», werden eher zehn seyn, in welchen man Väter findet, die bey Erziehung ihrer Kinder völlig ent­ gegengesetzte Wege einschlagen, als eine, die den wahre» Vater aufweisen könnte. Und dieser wahre Vater ist noch dazu immer der nemliche, ist nur ein einziger, da der Ab­ weichungen von ihm unendlich sind. Folglich werden die Stücke, die den wahren Vater ins Spiel bringen, nicht allein ledes vor sich unnatürlicher, sondern auch unter einander einförmiger seyn, als es die seyn könne«, welche Väter von verschiednen Grundsätzen rmführen. Auch ist es gewiß, daß die Karaktere, welche in ruhigen Gesell­ schaften blos verschieden scheine», sich von selbst kontrastire», sobald em streitendes Interesse sie in Bewegung setzt. 2a

Ja es ist natürlich, daß st« sich sodann beeifern, noch Wei« ter von einander entfernt zu scheinen, als sie wirklich sind.

Der Lebhafte wird Feuer und Flamme gegen den, der ihm zu lau sich zu benagen scheinet: und der Laue wird kalt

wie Eis, um jenen so viel Uebereilungen begehen zu las­ sen, als ihm nur immer nützlich seyn können.

LXXXVII.

LXXXVIII.

Den 4ten Marz 1768.

Unl> so find andere Anmerkungen des Palissot mehr, wen« nicht ganz richtig, doch auch nicht ganz falsch.

Er steht

den Ring, in den er mit seiner Lanze stossen will, scharf genug; aber in der Hitze des Ansprengens, verrückt die

Lanze, und er stößt den Ring gerade vorbey. Go sagt er über den natürlichen Sohn unter andern r “ Welch ein seltsamer Lite!der natürliche Sohn 1 War­

um heißt das Stück so? Welchen Einfluß hat die Geburt

desDorval? Was für einen Vorfall veranlaßt sie? In

welcher Situation giebt fie Gelegenheit? Welche Lück« füllt fie auch nur? Was kann also die Abstcht des Verfas­ sers dabey gewesen seyn ? Ein Paar Vetrachtungen über

das Dorurtheil gegen die uneheliche Geburt aufzuwärmen? Welcher vernünftige Mensch weiß denn nicht von selbst,

wie ungerecht ein solches Vorurtheil ist ?,, Wenn Diderot hierauf antwortete r Dieser Umstakd

war allerdings zur Verwickelung meiner Fabel nöthig ; ohne ihm würde es weit unwahrscheinlicher gewesen seyn, daß Dorval seine Schwester nicht kennet, und seine Schwe- so find andere Anmerkungen des Palissot mehr, wen« nicht ganz richtig, doch auch nicht ganz falsch.

Er steht

den Ring, in den er mit seiner Lanze stossen will, scharf genug; aber in der Hitze des Ansprengens, verrückt die

Lanze, und er stößt den Ring gerade vorbey. Go sagt er über den natürlichen Sohn unter andern r “ Welch ein seltsamer Lite!der natürliche Sohn 1 War­

um heißt das Stück so? Welchen Einfluß hat die Geburt

desDorval? Was für einen Vorfall veranlaßt sie? In

welcher Situation giebt fie Gelegenheit? Welche Lück« füllt fie auch nur? Was kann also die Abstcht des Verfas­ sers dabey gewesen seyn ? Ein Paar Vetrachtungen über

das Dorurtheil gegen die uneheliche Geburt aufzuwärmen? Welcher vernünftige Mensch weiß denn nicht von selbst,

wie ungerecht ein solches Vorurtheil ist ?,, Wenn Diderot hierauf antwortete r Dieser Umstakd

war allerdings zur Verwickelung meiner Fabel nöthig ; ohne ihm würde es weit unwahrscheinlicher gewesen seyn, daß Dorval seine Schwester nicht kennet, und seine Schwe-