Bürgerliche und kleinbürgerliche ökonomische Theorien über den Sozialismus: (1917–1945) [Reprint 2021 ed.] 9783112527702, 9783112527696


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German Pages 336 [337] Year 1979

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Bürgerliche und kleinbürgerliche ökonomische Theorien über den Sozialismus: (1917–1945) [Reprint 2021 ed.]
 9783112527702, 9783112527696

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Bürgerliche und kleinbürgerliche ökonomische Theorien über den Sozialismus

(1917-1945)

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

DER

DDR

Schriften des Zentralinstituts für Wirtschaftswissenschaften Nr. 16

Bürgerliche und kleinbürgerliche ökonomische Theorien über den Sozialismus (1917-1945)

Herausgegeben in deutscher Sprache von Werner Krause

A K A D E M I E - V E R L A G • BERLIN 1 9 78

Titel der russischen Originalausgabe: EypjKya3Hiie H MejiKoßypwyaaHHe 3K0H0MinecKHe Teopna coqnajinaMa Mocraa 1975 • HaflaTentcTBO «Hayna»

Ins Deutsche übersetzt von Günter Wermusch

Leiter des Autorenkollektivs: S. A. Einleitung: S. A. Chavina 1. Kapitel: S. A. Chavina 2. Kapitel: S. A. Chavina 3. Kapitel: I. N. Dvorkin 4. Kapitel: W. Krause 5. Kapitel: S. J a . Osipova 6. Kapitel: A. M. Vascisin 7. Kapitel: *W. Krause 8. Kapitel Teil 1: L. G. Cizova N. K. Figurovskaja Teil 2: L. G. Cizova

9. 10. 11. 12. 13.

Teil 3: J a . A. Fajnberg Teil 4: L. G. Cizova Teil 5: L. G. Cizova Teil 6: N. K. Figurovskaja Teil 7: N. K. Figurov skaja unter Verwendung von Materialien J a . A. Fajnbergs Kapitel: G. G. Ter-Grigorjan Kapitel: A. I. Sein Kapitel: E. Szigeti Kapitel: F. J a . Poljanskij Kapitel: M. I. Suvorova

Erschienen im Akademie-Verlag, Berlin, Leipziger Str. 3—4 © der deutschen Ausgabe Akademie-Verlag, Berlin 1978 Lizenznummer: 202 • 100/50/78 Umschlaggestaltung: Nina Striewski Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 4966 Bestellnummer: 753 352 5 (2158/16) • LSV 0305 Printed in GDR DDR 24,— M

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

1

1. Abschnitt 1. Kapitel Die bürgerlich Theorie von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus" und ihr Scheitern

15

2. Kapitel Kritik der „neoklassischen ökonomischen Theorie des Sozialismus"

47

3. Kapitel Kritik der „technokratischen" und „Manager"-Modelle von der Wirtschaft des Sozialismus

87

4. Kapitel Josef A. Schumpeter über die Wirtschaft des Sozialismus

99

5. Kapitel Walter Euckens Modell der „zentralgeleiteten Wirtschaft"

112

2. Abschnitt 6. Kapitel Werner Sombarts Modelle vom „deutschen Sozialismus" — eine theoretische Grundlage des Nationalsozialismus

127

7. Kapitel Soziale Demagogie und imperialistische Praxis des deutschen Faschismus auf dem Gebiet der Ökonomie

145

3. Abschnitt 8. Kapitel Russische bürgerliche und kleinbürgerliche Ökonomen und die Kritik ihrer Konzeptionen über den Sozialismus und die Sowjetwirtschaft in den zwanziger Jahren

161

4. Abschnitt 9. Kapitel Karl Kautsky und die Theoretiker des Austromarxismus über die ökonomischen Probleme der sozialistischen Revolution und des Sozialismus

239

V

10. Kapitel Der Laboursozialismus 11. Kapitel Fragen der sozialistischen Wirtschaft in der ungarischen tischen Literatur

256 sozialdemokra271

12. Kapitel Der Zusammenbruch der ökonomischen Konzeptionen des Anarchismus nach dem Sieg der sozialistischen Revolution 288 13. Kapitel Kritik revisionistischer Auffassungen von der sozialistischen Wirtschaft . . . 305 Personenregister

.

326

EINLEITUNG

In die Periode der zwanziger bis Ende der dreißiger Jahre fällt fast die gesamte erste Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus, die durch den ersten Weltkrieg und die Große Sozialistische Oktoberrevolution ausgelöst worden war. Der erste Weltkrieg hatte die tiefen Widersprüche des Kapitalismus bloßgelegt und außerordentlich verschärft und erschütterte die Grundfesten des Imperialismus. Dieser Krieg hatte alle Formen imperialistischer Unterdrückung der Werktätigen in den kapitalistischen Ländern auf die Spitze getrieben, die Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft hervorgerufen und in der Kette imperialistischer Länder vielfach eine revolutionäre Situation geschaffen. Mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurde diese Kette an ihrer schwächsten Stelle durchbrochen. Der Kapitalismus hörte auf, ein einheitliches Wirtschaftssystem zu sein. Ein neues Zeitalter begann: das Zeitalter des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. In den Thesen des Zentralkomitees der K P d S U zum 100. Geburtstag Wladimir Iljitsch Lenins heißt es dazu: „Die Große Sozialistische Oktoberrevolution gab der Welt ein Modell für die Lösung der grundlegenden sozialen Probleme: Sturz der Macht der Ausbeuter und Errichtung der Diktatur des Proletariats; Verwandlung des Privateigentums, des Eigentums der Bourgeoisie und der Gutsbesitzer, in gesellschaftliches, in sozialistisches Eigentum; gerechte Lösung der Agrarfrage zugunsten der Bauern; Befreiung der abhängigen Völker vom kolonialen und nationalen Joch; Schaffung der politischen und ökonomischen Voraussetzungen für den Aufbau des Sozialismus." 1 Die Haupttriebkräfte der allgemeinen Krise des Kapitalismus, seine inneren Widersprüche im Stadium des Imperialismus und die Entwicklung des revolutionären Weltprozesses, bilden einen dialektischen Zusammenhang. Die Erschütterung der Grundlagen des Kapitalismus bewirkte einen Aufschwung der revolutionären Bewegung, die unter dem Einfluß der siegreichen Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auch in Deutschland und Ungarn zur Revolution führte. In beiden Ländern wurde sie jedoch vom internationalen Kapital mit Unterstützung der rechten Sozialdemokratie erstickt. Mit dem Ausscheiden Rußlands aus der Kette imperialistischer Länder ent1

Zum 100. Geburtstag Wladimir Iljitsch Lenins. Thesen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Berlin 1970, S. 16.

1

standen für die internationale Arbeitsteilung, die Produktion und den Austausch grundsätzlich neue Bedingungen, die durch die Existenz von zwei sozialökonomisch gegensätzlichen Systemen, des Kapitalismus und des Sozialismus, und durch die Teilnahme des ersten sozialistischen Landes an den internationalen Wirtschaftsbeziehungen gekennzeichnet waren. Der Bereich der kapitalistischen Weltwirtschaft hat sich dabei nicht nur eingeengt. Die Erfolge beim sozialistischen Aufbau, das krisenfreie und außerordentlich rasche Wachstum der sozialistischen Produktion, die guten Ergebnisse der planmäßig betriebenen Wirtschaft und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit in der U d S S R beeinflußten stark die Außen- und Innenpolitik der bürgerlichen Staaten und machten ein ganzes System von Maßnahmen zur Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaft notwendig. Die Zuspitzung der Widersprüche des Kapitalismus, vor allem des Grundwiderspruchs zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privatkapitalistischen Aneignung, war bereits in der ersten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus ein Ausgangspunkt für grundlegende Strukturwandlungen in der Wirtschaft. Aus den Bedingungen und Erfordernissen dieser Entwicklungsetappe des Monopolkapitalismus folgte die Notwendigkeit, die Einflußnahme des bürgerlichen Staates auf die Wirtschaft zu verstärken, die Notwendigkeit der staatsmonopolistischen Wirtschaftsregulierung. Der staatsmonopolistische Kapitalismus entstand in zwei Formen. Eine Form war die des militanten staatsmonopolistischen Kapitalismus, der die faschistische Diktatur im Interesse der reaktionärsten Gruppierungen der Monopolbourgeoisie ausnutzte (Deutschland, Italien). Die andere Form des staatsmonopolistischen Kapitalismus war der Versuch, die Produktionsverhältnisse durch die staatliche Wirtschaftsregulierung im Interesse der Monopole sowie durch gewisse Zugeständnisse an die Arbeiterbewegung mit Hilfe einiger bürgerlicher Reformen der neuen Stufe der kapitalistischen Vergesellschaftung der Produktion anzupassen. Diese Spielart des staatsmonopolistischen Kapitalismus entstand in Ländern mit parlamentarischer Ordnung (ihren deutlichsten Ausdruck fand sie in Roosevelts „New Deal" in den USA).2 Unter dem Einfluß der Erfolge des sozialistischen Landes und seiner wachsenden wirtschaftlichen Macht zeichnete sich bereits in der ersten Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus die Tendenz ab, bürgerliche Reformen und Teilzugeständnisse an die Arbeiterklasse zu einer entscheidenden Form des Kampfes der herrschenden Klassen um die Erhaltung ihrer Positionen und um die Rettung des Kapitalismus zu machen. Der bürgerliche Reformismus wurde zu einem Hauptinstrument des ideologischen Kampfes des Kapitalismus gegen den Sozialismus. Die Zuspitzung der inneren Widersprüche des Kapitalismus, die strukturellen Wandlungen in Wirtschaft und Politik der kapitalistischen Länder und die Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen Kapitalismus und Sozialismus 2

2

Vgl. Politische Ökonomie des heutigen Monopolkapitalismus, Berlin 1972, S. 27.

fanden ihren Ausdruck in einer entsprechenden E v o l u t i o n der bürgerlichen u n d kleinbürgerlichen politischen Ökonomie. Die rasche Entwicklung des staatsmonopolistischen K a p i t a l i s m u s verlangte eine theoretische Fundierung dieses Prozesses. S o entstanden bereits in der ersten E t a p p e Konzeptionen über die staatliche Wirtschaftsregulierung, die gegen E n d e dieser E t a p p e zur vorherrschenden Tendenz in der bürgerlichen politischen Ökonomie wurden. Die deutlichste Erscheinungsform der zunehmenden Krise der bürgerlichen politischen Ökonomie war der Niedergang und Verfall des klassischen Wirtschaftsliberalismus. E s k a m zu Veränderungen in der sozialen B a s i s des L i b e r a l i s m u s : Der Liberalismus entwickelte sich von einer Ideologie der kleinen und mittleren Unternehmer zu einem S p r a c h r o h r b e s t i m m t e r G r u p p e n des Großkapitals, die aus diesen oder jenen Gründen die Einmischung des S t a a t e s in die Wirtschaft zurückdrängen wollten. Auch der Inhalt des Liberalismus veränderte sich, hielt m a n doch die Konkurrenz in ihren monopolistischen F o r m e n durchaus mit der freien Konkurrenz für vereinbar. Der Reformismus in der bürgerlichen politischen Ökonomie breitete sich m i t der Entwicklung ihrer kleinbürgerlichen Richtung aus, deren R e p r ä s e n t a n t e n die Monopole a u s bürgerlich-liberaler Sicht angriffen. Sie zeigte sich auch in der Weiterentwicklung des Institutionalismus, der den B o d e n für d a s E n t s t e h e n der sozial-rechtlichen oder soziologischen Richtung in der bürgerlichen politischen Ökonomie bereitete. Außerdem gehörten zum bürgerlichen R e f o r m i s m u s a u c h die „Wohlstandslehre", die höchstmöglichen Wohlstand durch i gleichmäßigere Einkommensverteilung und gesellschaftliche Kontrolle über die W i r t s c h a f t propagierte, sowie die Theorie von der „ T r a n s f o r m a t i o n " des K a p i t a l i s m u s , zu deren Spielarten S c h u m p e t e r s Theorie von der „ S e l b s t a u f l ö s u n g " des K a p i t a l i s m u s zählte. Der Mythos, daß der K a p i t a l i s m u s die einzige und „ n a t ü r l i c h e " Wirtschaftsordnung und die spontane Marktkonkurrenz der beste Mechanismus sei, der a u t o matisch zum volkswirtschaftlichen Optimum führe, war zusammengebrochen. Dieser Zusammenbruch war vor allem eine Folge der schwersten zyklischen Wirtschaftskrise, die die Geschichte kannte, nämlich die von 1929-1933, die die kapitalistische Welt erfaßte und ihre Wirtschaft in einen S t r u d e l von Arbeitslosigkeit und Produktionsflaute hineinzog. Die Industrieproduktion der k a p i t a listischen L ä n d e r war 1932 auf 63 Prozent des S t a n d e s von 1929 zurückgegangen. U n d k a u m war im J a h r e 1937 der Vorkrisenstand wieder erreicht, fiel der I n d e x der Industrieproduktion der von einer erneuten zyklischen Krise erfaßten L ä n d e r im J a h r e 1938 auf 92,7 Prozent. 3 I m gleichen J a h r g a b es in den kapitalistischen Ländern 18 Millionen Arbeitslose. 4 Die Störung der Weltwirtschaftsbeziehungen drückte sich in zunehmenden Autarkietendenzen und in der U n t e r g r a b u n g der S t a b i l i t ä t des internationalen W ä h r u n g s s y s t e m s aus. Vgl. Socialistieeskoe 1939, S. 32. « Ebenda, S. 20.

3

stroitel'stvo

Sojuza

SSR

(1933—1938),

Moskva-Leningrad

3

Vor dem Hintergrund der fortschreitenden und sich vertiefenden allgemeinen Krise des K a p i t a l i s m u s und der sie widerspiegelnden Evolution der bürgerlichen politischen Ökonomie entwickelten sich bürgerliche und kleinbürgerliche ökonomische Konzeptionen v o m Sozialismus. Ihre Evolution war von den Haupttriebkräften der allgemeinen Krise des K a p i t a l i s m u s g e p r ä g t : von der Zuspitzung der inneren Widersprüche des K a p i t a l i s m u s und v o m Antagonismus zwischen K a p i t a l i s m u s und Sozialismus. Mit d e m Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, d e m Wiederaufb a u der v o m Krieg zerstörten Volkswirtschaft und ihrer sozialistischen Rekonstruktion wurde es möglich, die ökonomischen Vorzüge des Sozialismus, wie sie von den Begründern des Marxismus-Leninismus theoretisch nachgewiesen worden waren, Wirklichkeit werden zu lassen. D a s hatte Lenin im J a h r e 1923 gemeint, als er schrieb, daß die von der Revolution geborene neue Ordnung bei friedlichem sozialistischem A u f b a u die Möglichkeit gehabt hätte, „sofort einen solchen Schritt vorwärts zu tun, der die Voraussagen der Sozialisten gerechtfertigt hätte, der es den Sozialisten ermöglicht hätte, mit ungeheurer Schnelligkeit die Produktivk r ä f t e zu entwickeln, alle jene Möglichkeiten zu entfalten, die sich zum Sozialism u s verdichtet hätten, und aller Welt anschaulich, augenfällig den Beweis zu liefern, daß der Sozialismus gigantische K r ä f t e in sich birgt und d a ß die Menschheit jetzt in ein neues Entwicklungsstadium eingetreten ist, d a s überaus glänzende Perspektiven e r ö f f n e t " . 5 In den Fünfjahrplanperioden nach d e m Krieg wurde die F r a g e „Wer wen" im Inneren des Sowjetlandes endgültig entschieden. N a c h d e m d a s sozialistische W i r t s c h a f t s s y s t e m den K a p i t a l i s m u s besiegt hatte, ü b e r n a h m es in der Wirts c h a f t der U d S S R die ungeteilte Herrschaft. Im J a h r e 1937 betrug sein Anteil a m Nationaleinkommen 99,1 Prozent, an der industriellen B r u t t o p r o d u k t i o n 99,8, an der landwirtschaftlichen Bruttoproduktion 98,6 und a m U m s a t z der Einzelhandelsbetriebe 100 Prozent. 6 Die U d S S R lieferte den Beweis für die Lebensfähigkeit und hohe ökonomische E f f e k t i v i t ä t des Sozialismus. S o stieg ihr Nationaleinkommen im Zeitraum von 1929 bis 1937 auf d a s 3,3fache und die Industrieproduktion auf d a s 4,3fache. 7 Angesichts der tiefen Krise des kapitalistischen S y s t e m s , die einen schroffen G e g e n s a t z zu den Erfolgen der sozialistischen Wirtschaft bildete, angesichts der Unmöglichkeit, den K a p i t a l i s m u s weiter mit den veralteten Methoden der kompromißlosen Apologie zu verteidigen, konzentrierten sich die Ideologen des A n t i k o m m u n i s m u s d a r a u f , die „ U n e f f e k t i v i t ä t " und „ U n d u r c h f ü h r b a r k e i t " des Sozialismus nachzuweisen. 3 6

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4

W. I. Lenin, Lieber weniger, aber besser, in: Werke, Bd. 33, Berlin 1962, S. 486. Itogi vypolnenija vtorogo pjatiletnego plana razvitija narodnogo chozjajstva Sojuza S S R , Moskva 1939, S. 69. Socialisticeskoe stroitel'stvo Sojuza S S R (1933—1938), Moskva-Leningrad 1939, S. 18-32.

Im Mittelpunkt der bürgerlichen Wirlsclmftsliteratur über den Sozialismus, die in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg erschien, stehen die Schriften, die während der Diskussion um die effektive Nutzung der Ressourcen — bekannt geworden als „Debatte üder die Wirtschaftsrechnung im Sozialismus" — entstanden. Angeregt worden war die Diskussion durch einen Aufsatz von Ludwig Mises, dem Haupt der sogenannten Wiener Schule des Antisozialismus. 8 Diese Diskussion zog sich bis in die ersten Nachkriegsjahre hin und fand ihren Abschluß in einem Aufsatz des amerikanischen Ökonomen Abram Bergson, der die verschiedenen Gesichtspunkte systematisierte und Bilanz zog. 9 An der Diskussion hatten sich viele Ökonomen der verschiedensten Schulen und Richtungen der bürgerlichen politischen Ökonomie beteiligt. In gewisser Weise war diese Diskussion die Widerspiegelung der allgemeinen Krise des Kapitalismus in den bürgerlichen Sozialismustheorien. Sie drückte indirekt die Besorgnis der bürgerlichen Ideologen um das Schicksal des Kapitalismus aus. Im Vorwort zu dem Buch „Über die ökonomische Theorie des Sozialismus" von Oskar Lange und Fred Taylor charakterisierte der amerikanische Professor B. Lippincott die Diskussion als Anzeichen für eine Wandlung in der Art der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus. „Der Schwerpunkt wird darauf verlegt, nachzuweisen, weshalb die kapitalistische Wirtschaft nicht von der sozialistischen Wirtschaft verdrängt werden darf, wenn deren Realisierbarkeit und Vorzüge offenkundig sind. Die Erklärung dafür ist auch in der drängenden Frage zu suchen, ob das kapitalistische System künftig einen ebenso raschen wirtschaftlichen Fortschritt bieten kann wie in der Vergangenheit". 10 Wenn sich viele bedeutende bürgerliche Ökonomen den Problemen der sozialistischen Wirtschaft widmeten, so war das sehr bezeichnend. Der wissenschaftliche Sozialismus war aus einer Theorie zur Wirklichkeit geworden, und die bürgerlichen Theoretiker der verschiedensten Prägung konnten sich dem Wirken der objektiven Gesetze, die die unvermeidliche Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus bewirken, nicht länger verschließen und die generelle Tendenz der geschichtlichen Entwicklung mit Schweigen übergehen. Mit der Diskussion begann eine neue Etappe in der Entwicklung der bürgerlichen Theorien über die sozialistische Wirtschaft. Der britische Ökonom H. Dickinson schreibt, Mises habe ein neues Kapitel im langjährigen ideologischen Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus aufgeschlagen. Der Streit ging schon nicht mehr darum, ob der Sozialismus erstrebenswert sei, sondern 8

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Vgl. Ludwig v. Mises, Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 47. 13d., Tübingen 1920/1921. Abram Bergson, Socialist Economics, in: A Survey of Contemporary Economics, New York 1948. Oskar Lange, Fred M. Taylor, On the Economic Theory of Socialism, Minnesota 1938, S. 24.

d ä m m , ob die Wirtschaftsrechnung (die rationelle Nutzung der Ressourcen — d. Verf.) in einer total geplanten Wirtschaft möglich sei. 11 Die Diskussion trug einen formalen, scholastischen Charakter. Bürgerliche Wissenschaftler haben dies später selbst eingeräumt. Benjamin Ward, ein amerikanischer Ökonom und Soziologe, schreibt, daß die Diskussionsteilnehmer mit Ausnahme von Maurice Dobb (einem fortschrittlichen britischen Ökonomen, der auf marxistischen Positionen steht) nur in sehr nebelhaften Begriffen die sozialistische Sowjetwirtschaft erwähnten. 1 2 Dem realen Aufbau des Sozialismus in der UdSSR trug die Diskussion nicht Rechnung, aber im Grunde war ihre Spitze gegen das damals einzige sozialistische Land gerichtet. Die weitaus meisten Diskussionsteilnehmer leugneten die sozialistische Form grundlegender Umgestaltungen und weigerten sich, selbst den Aufbau des Sozialismus in der U d S S R anzuerkennen. Die Fruchtlosigkeit dieser Diskussion geben heute auch ihre aktivsten Teilnehmer zu. Voll Bitterkeit stellt H. Dickinson fest, daß alle Teilnehmer der Diskussion, die sich über einen Zeitraum von 20 Jahren hingezogen hatte, rückschauend zugeben mußten, daß sie fruchtlos war. 1 3 Den Problemen, die in der Diskussion erörtert wurden, sind mehrere Bücher sowie Aufsätze in theoretischen Zeitschriften gewidmet worden. Dabei war der Diskussionsgegenstand in keiner Weise genau abgegrenzt. Erörtert wurde die theoretische und praktische Realisierbarkeit der „Wirtschaftsrechnung", also die Möglichkeit des effektiven Wirkens des Sozialismus. Aber eine solche Fragestellung verlangt in erster Linie, den realen Wirtschaftsmechanismus zu analysieren, mit dem die Ressourcen der sozialistischen Gesellschaft rationell genutzt werden sollen. Die'bürgerliche politische Ökonomie aber konnte diese Frage weder klären noch richtigstellen. Der britische Sowjetologe Alec Nove sieht sich heute zu dem Eingeständnis gezwungen, daß die in der Diskussion vorgebrachten Konzeptionen für die Analyse des realen sozialistischen Wirtschaftssystems untauglich sein mußten, weil sie auf den künstlich konstruierten Voraussetzungen der orthodoxen (d. h. „neoklassischen" — d. Verf.) Theorie des Westens beruhten. 14 Bürgerliche Ökonomen wie Mises leugneten im Prinzip die Existenz eines objektiven Wirtschaftsmechanismus des Sozialismus. Die Autoren einiger bürgerlicher Sozialismusmodelle, wie zum Beispiel die deutschen Ökonomen Kläre Tisch und Herbert Zassenhaus, hatten versucht, ein System von Gleichungen aufzustellen, die die Preise der Produktionsfaktoren bestimmen, dabei aber die Frage nach den objektiven ökonomischen Formen und Methoden, mit denen diese Preise eine effektive Nutzung der Ressourcen gewährleisten können, so gut wie nicht " Vgl. The Economic Journal, 304/1966, S. 880. 12 Benjamin Ward, The Socialist Economy, New York 1967, S. 15. « Vgl. The Economic Journal, 304/1966, S. 880. Vgl. Alec Nove, Knappheit, Allokalion und Macht, in: Macht und ökonomisches Gesetz, Berlin (West) 1973, S. 66.

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berücksichtigt. Diese Betrachtungsweise ist auch für die ökonometrische Richtung der bürgerlichen politischen Ökonomie typisch. Schon die m a t h e m a t i s c h e n Modelle von Vilfredo Pareto und Enrico Barone enthielten einen W i d e r s p r u c h : Untersucht wurde ein S y s t e m von Gleichungen, die die Bedingungen des wirtschaftlichen Gleichgewichts beschreiben; aber der W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s , der sie verwirklicht, wurde nicht analysiert. Obwohl die F r a g e nach dem sozialistischen Wirtschaftsmechanismus ü b e r h a u p t nicht gestellt wurde, ließ die Diskussion doch deutlich werden, daß zwischen der wirtschaftlichen E f f e k t i v i t ä t und dem Wirtschaftsmechanismus ein untrennbarer Z u s a m m e n h a n g besteht. Sie zeigte, daß sich d a s Problem der rationellen N u t z u n g der Ressourcen nicht lösen läßt, wenn die m i t der Entwicklung des Wirtschaftsmechanismus verbundenen Probleme unbeachtet bleiben. Diese Schlußfolgerung aus der Diskussion findet sich auch in jüngeren bürgerlichen Untersuchungen über die wirtschaftliche E f f e k t i v i t ä t . Der westdeutsche Ökonom Ch. Watrin schreibt, daß a m Beispiel der Diskussion über die wirtschaftliche Kalkulation, die Mises eröffnet hatte, der enge Z u s a m m e n h a n g des E f f e k t i v i tätsproblems mit den Organisations- und Leitungsformen der Wirtschaft besonders offen zutage trete. D a die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft die optimalen Bedingungen f ü r die N u t z u n g knapper Güter zu ihrem Gegenstand erklärt hat, beansprucht sie a u c h die Priorität bei der L ö s u n g des Problems, wie die Ressourcen der sozialistischen Gesellschaft rationell genutzt werden können. Deshalb m a ß t sie sich an, eine Wirtschaftstheorie des Sozialismus schaffen zu wollen. Unter diesem A s p e k t wertete m a n auch die B e d e u t u n g der Diskussion für die Entwicklung der bürgerlichen politischen Ökonomie. Alle an der Diskussion Beteiligten, auch die Gegner von Mises, schrieben ihm d a s Verdienst zu, d a s Problem der rationellen Verteilung der Ressourcen der sozialistischen Gesellschaft auf die T a g e s o r d n u n g gesetzt zu haben. Die meisten Diskussionsteilnehmer leugneten den B e i t r a g der B e g r ü n d e r des Marxismus-Leninismus zur K l ä r u n g der mit der wirtschaftlichen E f f e k t i v i t ä t verbundenen Probleme und folglich auch zur E n t s t e h u n g der politischen Ökonomie des Sozialismus. Mises h a t in seinen Schriften wiederholt erklärt, daß der Marxismus den Prinzipien des utopischen Sozialismus folge und sich m i t den über die Grenzen der E x p r o p r i a t i o n der E x p r o p r i a t e u r e hinausgehenden Problemen nicht befasse. 1 3 George H a l m , ein Anhänger von Mises, schrieb, der Marxism u s sei keine Theorie des Sozialismus, sondern eine Theorie des K a p i t a l i s m u s , die den Sozialismus voraussage. „ U b e r d a s Wesen der zukünftigen W i r t s c h a f t finden sich bei M a r x nur wenige B e m e r k u n g e n " . 1 6 B e h a u p t u n g e n dieser A r t offenbaren sowohl den maßlosen H a ß der F ü r 15

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Vgl. Ludwig v. Mises, Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 47. Bd., Tübingen 1920/1921, S. 114. George N. Halm, Wirtschaftssysteme, Berlin (West) 1960, S. 4. 7

Sprecher des „freien" Unternehmertums gegenüber dem Sozialismus als auch d a s völlige Unvermögen, ihn zu begreifen. Ihre Verfechter meinen, sich den U m s t a n d zunutze machen zu können, d a ß der wissenschaftliche Sozialismus jedes utopische Vorhaben, vor d e m Sieg der sozialistischen Revolution „ P r o j e k t e " für die sozialistische Gesellschaft aufzustellen, ausschließt. Gerade d a s gehört zu den grundsätzlichen Momenten, durch die sich der wissenschaftliche Sozialismus v o m utopischen u n d kleinbürgerlichen Sozialismus unterscheidet. Zu der F r a g e , wie M a r x die Entwicklungstheorie auf die Entwicklung des künftigen K o m m u n i s m u s a n g e w a n d t h a t , schrieb L e n i n : „ B e i M a r x findet sich auch nicht die S p u r eines Versuchs, Utopien zu konstruieren, ins B l a u e hinein Mutmaßungen anzustellen über d a s , was m a n nicht wissen k a n n . " 1 7 Die ökonomische Lehre von M a r x , die aus der Analyse des K a p i t a l i s m u s und seiner Entwicklungstendenzen entstanden ist, enthält auch die allgemeinen methodologischen Prinzipien, die für die wissenschaftliche Analyse der sozialistischen Wirtschaft notwendig sind, und erklärt die Gesetze ihrer Funktionsweise. Die Gegner des Marxismus zeigen sich auf jede Weise bemüht, dieser unwiderlegbaren T a t s a c h e auszuweichen. S o sind für die Untersuchung des Wirtschaftsmechanismus und der wirtschaftlichen E f f e k t i v i t ä t des Sozialismus unter anderem folgende Prinzipien der marxistischen Methodologie von entscheidender B e d e u t u n g : — Die Verhältnisse des E i g e n t u m s an den Produktionsmitteln müssen in unlösb a r e m Z u s a m m e n h a n g mit dem Wirtschaftsmechanismus untersucht werden, wobei die Eigentumsverhältnisse d a s bestimmende Moment sind. — Der spezifische Charakter des durch die Eigentumsverhältnisse bedingten Wirtschaftsmechanismus ist klarzustellen. — Der Wirtschaftsmechanismus ist als Gesamtheit der v o m Charakter der gesellschaftlichen Produktion und Arbeit bedingten objektiven ökonomischen F o r m e n zu betrachten. — Die materielle Ursache für die Ablösung der Produktionsweise ist in der höheren wirtschaftlichen E f f e k t i v i t ä t der nächstfolgenden Produktionsweise zu suchen. — Die Planmäßigkeit ist gegenüber der S p o n t a n e i t ä t der Wirtschaft als höhere F o r m zu betrachten. Mit der Aufdeckung der Grundlagen, der B a s i s der kommunistischen Produktionsweise und ihrer beiden Phasen, des Sozialismus u n d K o m m u n i s m u s , haben die Klassiker des Marxismus auch einen unschätzbaren B e i t r a g zur K l ä r u n g der Probleme der E f f e k t i v i t ä t und des Wirtschaftsmechanismus im Sozialismus geleistet. Die Schlußfolgerung von Marx, daß der K a p i t a l i s m u s dem Sozialismus weichen muß, beruhte d a r a u f , daß er den Sozialismus als d a s effektivere Wirtschaftssystem betrachtete. Die Ursachen f ü r die höhere E f f e k t i v i t ä t der sozialistischen Wirtschaft sahen die Begründer des Marxismus unter anderem im gesellschaft« W. I. Lenin, Staat und Revolution, in: Werke, Bd. 25, Berlin 1970, S. 471.

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liehen Eigentum an den Produktionsmitteln, in der planmäßigen Führung der Volkswirtschaft, die Krisen und Arbeitslosigkeit ausschließt, in der planmäßigen Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnissen, und in der Beseitigung überflüssiger Kosten (faux frais), die sich aus der kapitalistischen Form der Zirkulation des Produkts ergeben. Bei den Klassikern des Marxismus finden wir auch eine Analyse der Grundzüge des sozialistischen Wirtschaftsmechanismus. Ein wesentliches Merkmal, durch das sich der Sozialismus von Karl Marx vom kleinbürgerlichen Sozialismus Lassalles unterscheidet, ist die „nüchterne Berechnung, wie die sozialistische Gesellschaft zu wirtschaften gezwungen sein wird" 1 8 . Von den Grundzügen des sozialistischen Wirtschaftsmechanismus, die wir in den Werken von Marx und Engels finden, seien genannt: die zentrale Planung und Leitung der Volkswirtschaft; die materielle Stimulierung der Werktätigen auf der Grundlage der Verteilung des Fonds für die individuelle Konsumtion, die sich nach der Menge und Qualität der aufgewandten Arbeit richtet; die gesellschaftliche Rechnungsführung; der Ausdruck und die Messung der für die Produktion verausgabten Arbeit, um auf die Einsparung von Arbeit hinzuwirken und die gesellschaftliche Arbeit entsprechend den Bedürfnissen zu verteilen, sowie zur Verteilung nach der Leistung. Da die Diskussionsteilnehmer die Priorität bei der Klärung des Problems der rationellen Verteilung der Ressourcen im Sozialismus beanspruchten, leugneten sie den Beitrag, den Lenin hierzu geliefert hat. Jene Form des Wirtschaftsmechanismus, die seinerzeit der objektiv notwendigen Politik des Kriegskommunismus entsprach, konnte den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus nicht vorantreiben. Beim Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik sah Lenin die Hauptaufgabe darin, „wirtschaften zu lernen", eine rationelle Wirtschaftsführung zu sichern. Die Arbeiten, die Lenin in jener Zeit verfaßt hat, zeichnen sich dadurch aus, daß sie in die Spezifik des Wirtschaftsmechanismus der Ubergangsperiode tief eindringen und dessen Zusammenhang mit den Problemen der effektiven Nutzung der materiellen Ressourcen und des Arbeitskräftepotentials herausstellen. In dieser Zeit wies Lenin auch nach, daß die wirtschaftliche Rechnungsführung eine spezifische Form für das Wirken der staatlichen sozialistischen Betriebe ist. Bereits in den Jahren 1921—1922 war Lenin zu dem Schluß gekommen, daß in der Ubergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus die Ware-Geld-Beziehungen genutzt werden können und müssen. Mit seinem ausgeprägten Verständnis für die geschichtliche Entwicklung konnte der große Theoretiker feststellen, daß sich das Wesen der Ware und der Ware-Geld-Kategorien in der Ubergangsperiode in dem Maße wandelt, wie sich ihr Inhalt, die in ihnen ausgedrückten Produktionsverhältnisse, verändern. Während der Diskussion über die „Wirtschaftsrechnung im Sozialismus" teilten sich die Diskussionsteilnehmer in zwei Gruppen. Eine Gruppe, die sich aus den „orthodoxen" oder „Alt-"Liberalen zusammensetzte, vertrat die Auffassung »8 Ebenda, S. 478.

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d a ß Wirtschaftsrechnung im Sozialismus unmöglich sei. Ihre Vertreter wollten die traditionellen Dogmen der bürgerlichen politischen Ökonomie aufrechterhalten, indem sie die Notwendigkeit der spontanen M a r k t k o n k u r r e n z „vom Gegensatz" herleiteten u n d die Unmöglichkeit einer effektiven Verteilung der Ressourcen im Sozialismus nachzuweisen suchten, wo dieser Mechanismus nicht v o r h a n d e n ist. Auf sie geht auch die I n t e r p r e t a t i o n der sozialistischen Planwirts c h a f t als „zentrale Verwaltungswirtschaft" oder „BefehlsWirtschaft" zurück, die zu Beginn der vierziger J a h r e in den neoliberalen Konzeptionen über die sozialistische W i r t s c h a f t weiterentwickelt wurde u n d heute die theoretische P l a t t form der reaktionärsten F o r m e n des A n t i k o m m u n i s m u s u n d Antisowjetismus bildet. Die Vertreter der zweiten Gruppe lehnten die Auffassung, d a ß Wirtschaftsrechnung im Sozialismus nicht möglich sei, ab u n d konstruierten hypothetische Modelle vom sozialistischen Wirtschaftsmechanismus, wobei sie ihre Vorstellungen dem Kapitalismus der freien Konkurrenz entlehnten. Sie stellten eine „neoklassische Theorie von der W i r t s c h a f t des Sozialismus" auf, bei der sie sich von der Konzeption Paretos u n d Barones leiten ließen, u n d g r ü n d e t e n die sogen a n n t e neue sozialistische Schule. Die G r ü n d u n g dieser Schule war Ausdruck des bürgerlich-reformistischen Suchens nach Wegen zur „ T r a n s f o r m a t i o n " des Kapitalismus, nach einer Alternative zum realen Sozialismus. Die Kritik des Modells v o m „Konkurrenzsozialismus" der „neuen sozialistischen Schule" ist heute besonders aktuell. Denn die heutigen bürgerlichen Modelle v o m „Marktsozialismus" stellen eine Art Synthese der „neoklassischen Theorie von der W i r t s c h a f t des Sozialismus" mit Elementen des Keynesianismus d a r . Sie bauen auf den Vorstellungen vom „Konkurrenzsozialismus" auf, die m a n modernisiert u n d dem G e d a n k e n g u t a n g e p a ß t h a t , das während der Nachkriegsentwicklung der bürgerlichen politischen Ökonomie e n t s t a n d e n ist. Ein enger Z u s a m m e n h a n g besteht auch zwischen den j ü n g s t e n rechtsrevisionistischen Modellen, die eine „Synthese von Plan u n d M a r k t " herstellen wollen, u n d der „neoklassischen Theorie von der W i r t s c h a f t des Sozialismus". Deshalb verlangt der Kampf gegen den Rechtsrevisionismus, die ideologischen Quellen dieser Modelle, die Konzeptionen v o m „Konkurrenzsozialismus", die von den R e p r ä s e n t a n t e n der „neuen sozialistischen Schule" aufgestellt wurden, gründlich zu untersuchen u n d einer kritischen Analyse zu unterziehen. Es ist ebenso notwendig, die Kritik der bürgerlichen Konzeptionen v o m entwickelten Sozialismus, in denen die Wirtschaftsreformen in der U d S S R u n d in anderen sozialistischen L ä n d e r n als Realisierung des Modells vom „Konkurrenzsozialismus" hingestellt werden, zu analysieren. Besondere B e d e u t u n g gewinnt angesichts des e r b i t t e r t e n Kampfes zwischen der bürgerlichen u n d der marxistisch-leninistischen Ideologie die W a h l der richtigen, wissenschaftlich f u n d i e r t e n Positionen f ü r die Kritik der Konzeptionen der „neuen sozialistischen Schule". Die „Neue Linke", die sich aus Vertretern des „linken" Revisionismus rekrutiert, kritisiert die Theorie vom „ K o n k u r r e n z -

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Sozialismus" von Positionen aus, die die Notwendigkeit von Ware-Geld-Beziehungen im Sozialismus leugnen. So sieht der amerikanische Ökonom P . R o b e r t s den H a u p t m a n g e l des Modells vom „Konkurrenzsozialismus" darin, d a ß es auf den Verhältnissen der W a r e n p r o d u k t i o n b e r u h t . Von d e r a r t unrealistischen Positionen aus ist die W i r k s a m k e i t der Kritik a m „Konkurrenzsozialismus" sehr zweifelhaft. Deshalb v e r l a n g t die heutige E t a p p e der Kritik an der „neoklassischen Theorie von der W i r t s c h a f t des Sozialismus" u n d an der rechtsrevisionistischen Konzeption v o m „Marktsozialismus" zugleich den Kampf gegen den „linken" Revisionismus. Trotz der unterschiedlichen sozialen, klassenmäßigen Basis h a t sich der bürgerliche Reformismus bei der I n t e r p r e t a t i o n der Probleme des Sozialismus seinem ideologisch-theoretischen I n h a l t n a c h dem rechtssozialistischen R e f o r m i s m u s angenähert. Einige Rechtssozialisten waren auch an der Diskussion beteiligt u n d schlössen sich der „neuen sozialistischen Schule" anIn der hier b e t r a c h t e t e n Periode gaben sich die Ideologen der Sozialdemokratie in der Regel als Marxisten aus. Zugleich aber u n t e r n a h m e n sie einen neuen Schritt, u m das Wesen der marxistischen Lehre in den F r a g e n der sozialistischen W i r t s c h a f t zu revidieren. Das zeigte sich besonders d a r a n , wie sie die sozialökonomische S t r u k t u r der sozialistischen Gesellschaft u n d ihren W i r t s c h a f t s m e c h a nismus darstellten. Schon Mitte der zwanziger J a h r e h a t t e n sozialdemokratische Theoretiker den Verzicht auf die staatliche F o r m des Volkseigentums v e r k ü n d e t . Sie identifizierten die Ü b e r t r a g u n g der wichtigsten P r o d u k t i o n s m i t t e l an den sozialistischen S t a a t m i t der E r r i c h t u n g eines d e m Wesen nach bürokratischen „Staatssozialismus". Auf d e m Heidelberger P a r t e i t a g der S P D im J a h r e 1925 sagte Rudolf Hilferding: „Zunächst m u ß t e n wir a b r ü c k e n u n d sind abgerückt von jener alten A n s c h a u u n g des Staatssozialismus, die noch bei einem großen Teil von uns eine Rolle gespielt hatte."19 Von einer unhistorischen I n t e r p r e t a t i o n des S t a a t e s ausgehend, die seinen Klassencharakter leugnete u n d ihn als A p p a r a t interpretierte, der stets über d e m Volk stand, stellten die Ideologen der Sozialdemokratie den sozialistischen S t a a t als Antipoden der Gesellschaft u n d des Volkes, als u n a b h ä n g i g e n E i g e n t ü m e r der P r o d u k t i o n s m i t t e l hin. Hilferding hielt das staatliche E i g e n t u m u n d die s t a a t liche Verwaltung der W i r t s c h a f t n u r während der Ubergangsperiode v o m Kapitalismus zum Sozialismus f ü r unerläßlich, weil er meinte, d a ß sie bereits im sozialistischen S t a d i u m absterben m ü ß t e n . Mit der These „Demokratie b e d e u t e t aber für uns noch etwas anderes im Gegensatz zum Obrigkeitsstaat" 20 , erklärte Hilferding die sozialistische W i r t s c h a f t s d e m o kratie f ü r u n v e r e i n b a r mit d e m staatlichen E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n . 19

Das Heidelberger Programm, in: Schriftenreihe Demokratie und Sozialismus. Sozialistische Dokumente, Offenbach am Main 1947, S. 11. 20 Ebenda, S. 13. 2

Ök. soz. Theorien

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Den W o r t e n nach grenzten sich Rudolf Hilferding u n d Karl K a u t s k y , dessen P r o g r a m m e n t w u r f dem Heidelberger P r o g r a m m der S P D zugrunde lag, von einer anarchosyndikalistischen I n t e r p r e t a t i o n des gesellschaftlichen E i g e n t u m s an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n ab. In der T a t aber reduzierten sie die Sozialisierung, also die sozialistische Vergesellschaftung der Produktionsmittel, auf die Selbstverwaltung der Produzenten. 2 1 Der Verzicht der Sozialdemokratie auf I n t e r p r e t a t i o n der staatlichen F o r m des Volkseigentums an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n als ökonomische Grundlage des Sozialismus s t a n d in engem Zusammenhang mit ihrem A n t i k o m m u nismus u n d Antisowjetismus, der bereits in den zwanziger u n d dreißiger J a h r e n in hoher Blüte s t a n d . Hilferding u n d K a u t s k y stellten das staatliche E i g e n t u m (Volkseigentum) an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n , seine Entwicklung zur führenden u n d vorherrschenden F o r m des E i g e n t u m s an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n , das E n t s t e h e n einer qualitativ neuen, der staatlichen F o r m der Wirtschaftsleitung in der U d S S R als Herausbildung eines „Sozialismus der Despotie" h i n . 2 2 Die Evolution der Sozialdemokratie in der G r u n d f r a g e der Wirtschaftstlieoriedes Sozialismus bestätigte ein weiteres Mal die Richtigkeit u n d den Weitblick von Lenins Kritik an den opportunistischen Entstellungen der Lehre von Marx u n d Engels über den S t a a t . Lenin schrieb, d a ß die Begründer des Marxismus im b e s t i m m t e n Sinne Zentralisten waren, gber sie f a ß t e n den demokratischen Zentralismus „keineswegs in dem bürokratischen Sinne auf, in dem die bürgerlichen u n d die kleinbürgerlichen Ideologen, d a r u n t e r auch die Anarchisten, diesen Begriff gebrauchen"23. Im Sozialismus bildet der S t a a t keinen Gegensatz zur Gesellschaft u n d zum Volk, sondern er realisiert die Verhältnisse des Volkseigentums im N a m e n der Gesellschaft, in ihrem A u f t r a g u n d in ihrem Interesse. Die staatliche Leitung der Volkswirtschaft ist eine u n a b d i n g b a r e Voraussetzung f ü r die planmäßige F u n k t i o n der im gesamtgesellschaftlichen Volkseigentum zus a m m e n g e f a ß t e n P r o d u k t i o n s m i t t e l . Die Ideologen der Sozialdemokratie stellten in der hier b e t r a c h t e t e n Periode drei Konzeptionen f ü r den sozialistischen W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s auf. Ausgehend davon, d a ß m a n die Notwendigkeit d e r W a r e n p r o d u k t i o n u n d des Wertgesetzes im Sozialismus leugnete, stellten einige dieser Ideologen (wie zum Beispiel der deutsche Sozialdemokrat O t t o N e u r a t h ) d a s Modell einer sozialistischen „ N a t u r a l w i r t s c h a f t " auf, das die Kompliziertheit der ökonomischen Verhältnisse des Sozialismus völlig außer a c h t ließ. Andere Theoretiker, wie Karl K a u t s k y , kamen zu dem Schluß, d a ß der Sozialismus wohl den W e r t u n d andere Ware-Geld-Formen, aber keine W a r e n p r o d u k tion kenne. Diese Konzeption interpretierte die Ware-Geld-Kategorien im Sozialismus als rechnerische Formen, die nicht Ausdruck von Ware-Geld-Beziehungen seien. 2» Ebenda, S. 14. 22 Ebenda, S. 11. 23 W. I. Lenin, S t a a t und Revolution, in: Werke, Bd. 25, Berlin 1970, S. 461.

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Weitere sozialdemokratische Ökonomen schließlich (wie der Labourist Evan Durbin und der französische Rechtssozialist Robert Mosse) reproduzierten in ihren Modellen von der sozialistischen Wirtschaft den Mechanismus der spontanen Marktkonkurrenz. So hatten die Ideologen der Sozialdemokratie bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren die Grundlagen für die heutigen opportunistischen Konzeptionen rechter als auch „linker" Prägung über die Wirtschaft des Sozialismus gelegt. Die vorliegende Monographie setzt die Untersuchungen fort, die in dem Buch „Bürgerliche und kleinbürgerliche ökonomische Konzeptionen des Sozialismus (Kritische Beiträge). 1848—1917" dargestellt wurden. Der erste Abschnitt analysiert die beiden Hauptrichtungen der bürgerlichen Konzeptionen von der Wirtschaft des Sozialismus, die aus der Diskussion über die Wirtschaftsrechnung im Sozialismus hervorgegangen sind: die Theorie von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus", Walter Euckens „neoklassische Theorie" von der Wirtschaft des Sozialismus sowie Joseph A. Schumpeters Modell von der sozialistischen Wirtschaft. In diesem Abschnitt werden auch Thorstein Vehlens „technokratische Sozialismuskonzeption" und James Burnhams „Managermodell" vom Sozialismus kritisch beleuchtet. Der zweite Abschnitt ist der sozialen Demagogie gewidmet, mit der sich die reaktionärsten Vertreter der bürgerlichen Ideologie, die den militanten staatsmonopolistischen Kapitalismus faschistischer Prägung für Sozialismus ausgaben, gewappnet hatten. Hier wird auch Werner Sombarts Modell vom „deutschen Sozialismus" analysiert, das zum theoretischen Fundament des Nationalsozialismus und der „sozialistischen" Phraseologie des deutschen Faschismus wurde. Der dritte Abschnitt der Monographie befaßt sich mit der Kritik an den Konzeptionen, die in den zwanziger Jahren von russischen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ökonomen unterschiedlicher politischer und theoretischer Orientierung ausgearbeitet wurden. In diesem Abschnitt werden die Anschauungen der Ideologen der konterrevolutionären Bourgeoisie entlarvt, die in verschiedenen antisowjetischen Schriften, vor allem in der Emigrantenliteratur, den „unvermeidbaren Untergang der Sowjetmacht, den Ruin der Sowjetwirtschaft" prophezeit hatten. Zudem werden hier die Konzeptionen jener russischen Ökonomen kritisiert, die zwar in den verschiedenen sowjetischen Institutionen und Organisationen tätig und an der Lösung der operativen Wirtschaftsprobleme beteiligt waren, jedoch die Grenzen der bürgerlichen Weltanschauung nicht verließen und die Probleme des sozialistischen Aufbaus allgemein von bürgerlich-liberalen Positionen aus interpretierten. Der Kritik der ökonomischen Sozialismuskonzeptionen, die von Reformisten sozialdemokratischer Prägung entwickelt wurden, ist der vierte Abschnitt dieser Arbeit gewidmet. Er befaßt sich auch mit dem antimarxistischen Wesen der revisionistischen 2*

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Auffassungen von der sozialistischen Wirtschaft und mit dem Kampf W. I. Lenins, der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und der ganzen internationalen kommunistischen Bewegung gegen die von rechts- und „links"revisionistischen Elementen verbreitete Ideologie. Das vorliegende Buch geht nicht auf alle antimarxistischen Sozialismustheorien ein, die von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Theoretikern zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg aufgestellt worden sind. Auch hat sich das Autorenkollektiv nicht das Ziel gestellt, die bürgerlichen, reformistischen und revisionistischen Konzeptionen aus rein historischer Sicht, vom Standpunkt der Geschichte des ökonomischen Denkens, zu analysieren. Es wollte vor allem darstellen, wie die Entwicklung der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Konzeptionen von der Wirtschaft des Sozialismus in dem betreffenden Zeitraum das Aufkommen und die spätere Evolution der heutigen bürgerlichen Anschauungen auf diesem Gebiet vorbereitet hat. Die vorliegende Arbeit will die theoretischen und ideologischen Quellen der neueren und neuesten Konzeptionen von der Wirtschaft des Sozialismus sowie ihren engen Zusammenhang mit den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Theorien nachweisen, die von den zwanziger bis zu den vierziger Jahren in Umlauf waren.

1. A B S C H N I T T 1. KAPITEL

Die bürgerliche Theorie von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus" und ihr Scheitern Zu den Begründern und aktivsten Verfechtern der Theorie von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus" gehörten neben dem bereits erwähnten Ludwig Mises der österreichische Ökonom Friedrich A. Hayek, der britische Ökonom Lionel Robbins, der Schweizer Ökonom Wilhelm Röpke, der deutsche Soziologe, Historiker und Ökonom Max Weber, der deutsche Ökonom Adolf Weber sowie andere Theoretiker, die überwiegend der Österreichischen Schule in der bürgerlichen politischen Ökonomie angehörten. Die anerkannten Führer dieser Gruppe von Diskussionsteilnehmern waren L. Mises und F. Hayek. Im Jahre 1936 veröffentlichte Mises ein Buch mit dem Titel „Socialism", in dem er seine früher geäußerten Ideen darlegte, nach denen eine sozialistische Wirtschaft nicht imstande sein sollte, ihre Ressourcen rationell zu nutzen und effektiv zu fungieren. 1 Die Vertreter der antikeynesianischen liberalen Richtung erhoben dieses Opus von Mises in den Rang „neuzeitlicher Klassik". Der amerikanische Ökonom Henry Hazlitt pries es als „ausführlichste Analyse des Sozialismus, die in der Weltliteratur nicht ihresgleichen findet" 2 . Und der französische Ökonom Louis Baudin schrieb, Mises habe den Sozialismus wissenschaftlich begründet, um ihm dann eine Niederlage beizufügen. 3 Die Leitsätze von Mises wurden zum Rüstzeug dieser Gruppe von Teilnehmern an der Debatte über die „Wirtschaftsrechnung im Sozialismus". F. Hayek trat im Jahre 1935 mit zwei Aufsätzen an die Öffentlichkeit, in denen er sich bemühte nachzuweisen, daß das volkswirtschaftliche Optimum im Sozialismus unerreichbar sei. 4 Die „orthodoxen" Liberalen L. v. Mises und F. Hayek repräsentierten in ihren theoretischen Auffassungen wie auch in ihren politischen Sympathien den rechten Flügel der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft. Unter der Herrschaft der Monopole wurde der „orthodoxe" Liberalismus Vgl. Ludwig v. Mises, Socialism. An Economic and Sociological Analysis, London 1951. Henry Hazlitt, Two of Ludwig von Mises Most Important Works, in: On Freedom and Free Enterprise, New York 1956, S. 35. 3 Louis Baudin, French Socialism, ebenda, S. 311. * Vgl. Friedrich A. Hayek, The Nature and History of the Problem; The Present State of the Debate, in: Collectivist Economic Planning, ed. by F. Hayek, S. 1—47, 201-205. 1

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objektiv zum Interessenvertreter der Monopolbourgeoisie. Deshalb war sein Eintreten für das freie Unternehmertum, seine antimonopolistische Haltung, vielfach nur ein demagogisches Lippenbekenntnis. Hinter der Apologie des freien Unternehmertums verbarg sich das Eintreten für eine durch nichts eingeschränkte freie Konkurrenz zwischen den Monopolgruppen. Der „orthodoxe" oder „Alt-" Liberalismus war nicht das, für was er sich ausgab: nicht der direkte Nachfolger des Liberalismus des 19. Jahrhunderts, sondern das Produkt seines Zerfalls, ein Produkt der allgemeinen Krise des Kapitalismus. 5 Die antimonopolistische Demagogie des „orthodoxen" Liberalismus war weniger gegen die kapitalistischen Monopole, deren Existenz die Vertreter dieser Richtung als „natürliches Resultat der Knappheit der Ressourcen und zufälliger Übergriffe" betrachteten, als gegen die Arbeiterklasse, ihre Organisationen und sozialen Errungenschaften gerichtet. Ebenso stand es um die antietatistische (antistaatliche) Haltung des „Altliberalismus". Gegen die Ausnutzung der Staatsmacht und der öffentlichen Finanzen im Interesse der Monopole hatte er nichts einzuwenden. Aber selbst aus der Sicht der Interessen der Monopolbourgeoisie agierte er kurzsichtig und engstirnig, indem er jede soziale Reform attackierte, zu der sich der bürgerliche Staat um der Erhaltung und Festigung der allgemeinen Bedingungen für die Herrschaft der Finanzoligarchie, um der Stabilisierung der kapitalistischen Wirtschaft willen gezwungen sah.

Die Grundzüge der Theorie von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus" Offene Apologie des Kapitalismus und des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Der neoklassischen Tradition folgend, stellte L. v. Mises das freie Unternehmertum als die effektivste Form der Wirtschaftsführung dar. Er behauptete, daß über die Spontaneität des Marktes die optimale Proportionalität in der Verteilung der Ressourcen hergestellt, die Reproduktion des Kapitals und die Befriedigung der konsumtiven Nachfrage am besten gewährleistet werden könnten. Er erklärte das Privateigentum zu einer unabdingbaren Voraussetzung für eine leistungsfähige Wirtschaft, für leistungsgerechte Einkommen und für den allgemeinen Wohlstand. „Wer die Gesellschaft und ihre Fortbildung will, muß auch, ohne Einschränkungen und Vorbehalte, das Sondereigentum an den Produktionsmitteln wollen" 6 , versicherte Mises. Mises glaubte an die „soziale Funktion des Sondereigentums", eine Theorie, die der Liberalismus schon im 18. Jahrhundert propagiert hatte und die in den zwanziger Jahren in der deutsch-österreichischen juristischen Literatur weit ver5 6

Vgl. K. M. Kozlova, Monopolii i ich burzuaznye kritiki, Moskva 1966, S. 175. Ludwig v. Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, Jena 1932, S. 479.

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b r e i t e t war. N a c h dieser Theorie b r i n g t d a s „ S o n d e r e i g e n t u m " a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n „die G ü t e r in die V e r f ü g u n g s g e w a l t d e r j e n i g e n , die sie a m b e s t e n zu v e r w e n d e n wissen . . ." Die V e r f e c h t e r dieser Theorie v e r t r a t e n die A n s i c h t , d a ß d a s P r i v a t e i g e n t u m v o m S t a n d p u n k t des Glücks d e r Gesellschaft, des F r i e d e n s , d e r F r e i h e i t u n d d e r E f f e k t i v i t ä t die a m besten geeignete F o r m sei u n d weniger im Interesse der E i g e n t ü m e r selbst, s o n d e r n des G e m e i n w o h l s liege. 8 U n t e r Verschleierung d e r k a p i t a l i s t i s c h e n A u s b e u t u n g stellten die V e r f e c h t e r d e r Theorie von der sozialen F u n k t i o n des „ S o n d e r e i g e n t u m s " d a s W e s e n des g r u n d l e g e n d e n P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e s des K a p i t a l i s m u s in völlig f a l s c h e m L i c h t d a r . Sie b e s c h ö n i g t e n die Rolle, die d a s P r i v a t e i g e n t u m i m W i r t s c h a f t s a p p a r a t des m o d e r n e n K a p i t a l i s m u s spielt, u n d a b s t r a h i e r t e n d a b e i v o n seiner historischen T e n d e n z , die v o n d e r E n t w i c k l u n g d e r P r o d u k t i v k r ä f t e b e s t i m m t wird. D e u t l i c h e r Beweis f ü r die m a k r o ö k o n o m i s c h e U n e f f e k t i v i t ä t des P r i v a t e i g e n t u m s ist die z u n e h m e n d e K l u f t zwischen den p o t e n t i e l l e n Möglichkeiten in d e r N u t z u n g d e r m o d e r n e n P r o d u k t i v k r ä f t e u n d d e m G r a d , in d e m diese Möglichk e i t e n g e n u t z t w e r d e n . Die L ä n d e r , in d e n e n d a s k a p i t a l i s t i s c h e P r i v a t e i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n in seinen h e u t i g e n m o n o p o l i s t i s c h e n F o r m e n h e r r s c h t , haben durch Wettrüsten, Umweltverschmutzung, durch Parasitismus und F ä u l n i s in d e n v e r s c h i e d e n s t e n F o r m e n kolossale Verluste zu t r a g e n . Die m a k r o ö k o n o m i s c h e U n e f f e k t i v i t ä t des P r i v a t e i g e n t u m s zeigt sich w e i t e r h i n d a r i n , d a ß d e m h o h e n N i v e a u d e r k a p i t a l i s t i s c h e n Vergesellschaftung d e r P r o d u k t i o n , d e n riesigen A u s m a ß e n der in der k a p i t a l i s t i s c h e n W e l t g e b i l d e t e n n a t i o n a l e n R e i c h t ü m e r eine V e r s c h ä r f u n g des E l e n d s , d e r Arbeitslosigkeit u n d d e r I n f l a t i o n , ein erhebliches Z u r ü c k b l e i b e n d e r Sozialleistungen, d e r K u l t u r u n d d e s B i l d u n g s wesens, die Krise d e r S t ä d t e u n d des ö f f e n t l i c h e n Verkehrswesens g e g e n ü b e r stehen. Die m i k r o ö k o n o m i s c h e U n e f f e k t i v i t ä t dieser E i g e n t u m s v e r h ä l t n i s s e zeigt sich in d e r w e i t g e h e n d e n Ü b e r t r a g u n g d e r o p e r a t i v e n L e i t u n g s f u n k t i o n e n a n l o h n a b h ä n g i g e s P e r s o n a l verschiedener R a n g o r d n u n g , in d e r T r e n n u n g d e r u n m i t t e l b a r e n L e i t u n g d e r P r o d u k t i o n u n d des A b s a t z e s v o m P r i v a t e i g e n t u m a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n . Bei d e m h e u t i g e n S t a n d d e r k a p i t a l i s t i s c h e n Vergesellschaft u n g u n d angesichts d e r wissenschaftlich-technischen R e v o l u t i o n , die die K o m pliziertheit der Technologie u n d O r g a n i s a t i o n d e r P r o d u k t i o n a n w a c h s e n l ä ß t u n d h o c h q u a l i f i z i e r t e Spezialisten e r f o r d e r t , wird m e h r als je z u v o r d e u t l i c h , wie n u t z l o s die K a p i t a l i s t e n k l a s s e u n d s o m i t d a s P r i v a t e i g e n t u m a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n , d a s sie v e r k ö r p e r t , f ü r die W i r t s c h a f t s f ü h r u n g ist. A u c h die Vergesellschaftung des E i g e n t u m s , wie sie sich im K a p i t a l i s m u s vollzieht, belegt d a s ; d a s individuelle P r i v a t e i g e n t u m a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n 7 8

Ebenda, S. 282. Vgl. Henry Hazlitt, Two of Ludwig von Mises Most Important Works, in: On Freedom and Free Enterprise, New York 1956, S. 36. 17

wird durch kollektive Formen (das E i g e n t u m der Aktiengesellschaften u n d des bürgerlichen Staates) abgelöst. Ebenso wie Mises setzten auch die anderen Verfechter des freien U n t e r n e h m e r t u m s die volkswirtschaftlichen Effektivitätskriterien mit den T r i e b k r ä f t e n der P r i v a t w i r t s c h a f t gleich. Zwischen der R e n t a b i l i t ä t des kapitalistischen U n t e r nehmens u n d der tatsächlichen volkswirtschaftlichen E f f e k t i v i t ä t , die sich im W a c h s t u m des Nationaleinkommens u n d der gesellschaftlichen P r o d u k t i v i t ä t der Arbeit a u s d r ü c k t , besteht jedoch ein antagonistischer Widerspruch. Dieser Widerspruch resultiert aus der Existenz des P r i v a t e i g e n t u m s an den P r o d u k tionsmitteln u n d dem ihm innewohnenden P r i m a t des Privatinteresses vor dem Interesse der Gesellschaft. Das Streben des Kapitals nach P r o f i t m a x i m i e r u n g geht in s t a r k e m Maße zu Lasten der Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft. Diese Tatsache erkennen auch m a n c h e bürgerliche Ökonomen an. Sie k o m m e n zu dem Schluß, d a ß die J a g d nach Maximalprofit aus verschiedenen G r ü n d e n die optimale N u t z u n g der Ressourcen verhindere. Völlig zu R e c h t sehen sie diese G r ü n d e in der H e r r s c h a f t der Monopole, die die P r o d u k t i o n willkürlich einschränken, in der unzureichenden Stimulierung der neuen Technik d u r c h den privaten P r o f i t sowie in den Schwierigkeiten, über die M a r k t w i r t s c h a f t eine rationelle V e r b r a u c h s s t r u k t u r herzustellen. 9 So ist es auch kein Zufall, d a ß die bürgerliche politische Ökonomie, insbesondere die Lehre v o m „wirtschaftlichen W o h l s t a n d " , von „inneren" u n d „äußeren" Kosten spricht. Auf diese Weise sollen die Kosten f ü r die P r o d u k t i o n einer W a r e im jeweiligen U n t e r n e h m e n von den Kosten auseinandergehalten werden, die der Gesellschaft, u n t e r a n d e r e m durch die U m w e l t v e r s c h m u t z u n g , entstehen. Diese Kosten erscheinen nicht in der Bilanz des kapitalistischen U n t e r n e h m e n s . Der Apologie des Kapitalismus u n d des P r i v a t e i g e n t u m s an den P r o d u k t i o n s mitteln war auch die von Mises entwickelte u n d von H a y e k u n t e r s t ü t z t e Doktrin von der sogenannten S o u v e r ä n i t ä t des Verbrauchers gewidmet. Nach dieser Doktrin sollte das u n m i t t e l b a r e Ziel der kapitalistischen P r o d u k t i o n die Befriedigung der k o n s u m t i v e n Nachfrage sein, sollten die Proportionen in der Verteilung der Ressourcen von der A k t i v i t ä t der Verbraucher auf dem Markt b e s t i m m t werden. Methodologisch geht die Doktrin von der „ S o u v e r ä n i t ä t der V e r b r a u c h e r " vom P r i m a t der Konsumtion aus. In d e m heutigen komplizierten M a r k t m e c h a n i s m u s spielt der Verbraucher tatsächlich eine aktive Rolle, Charakter u n d S t r u k t u r der p r o d u k t i v e n wie auch der individuellen Bedürfnisse aber hängen in erster Linie v o m E n t w i c k l u n g s s t a n d der P r o d u k t i o n ab. Die These, d a ß die kapitalistische P r o d u k t i o n , die in Wirklichkeit v o m P r o f i t streben beherrscht wird, auf die Befriedigung der Verbraucherbedürfnisse 9

Vgl. Peter J . D. Wiks, The Political Economy of Communism, Oxford 1962, S. 77; Alec Nove, Knappheit, Allokation und Macht, in: Macht und ökonomisches Gesetz, S. 69.

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gerichtet sei, beruht auf völlig absurden Unterstellungen, nach denen die kaufkräftige Nachfrage im Kapitalismus den gesellschaftlichen Bedürfnissen absolut a d ä q u a t sei und die Produktion unmittelbar der kaufkräftigen Nachfrage folge. In der kapitalistischen Gesellschaft bildet sich jedoch die kaufkräftige Nachfrage, die eine Erscheinungsform der gesellschaftlichen Bedürfnisse ist, auf der Grundlage antagonistischer Ausbeutungsverhältnisse, also der Verhältnisse der Produktion und Aneignung von Mehrwert, von Profit heraus. Deshalb enthält die kaufkräftige Nachfrage hier bereits die Faktoren, die die Abweichung dieser Nachfrage von den absoluten Bedürfnissen der Gesellschaft bewirken. Solange das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln besteht, können Korrekturen in der Einkommensverteilung diese verzerrte Widerspiegelung der Bedürfnisse in der kaufkräftigen Nachfrage keineswegs beseitigen. Ferner ist folgendes zu beachten: Die Unternehmer berücksichtigen zwar bei ihren Entscheidungen über Investitionen die Dynamik der kaufkräftigen Nachfrage, doch die von der Profitjagd stimulierte kapitalistische Produktion hat die Tendenz, sich über die Grenzen der kaufkräftigen Nachfrage hinaus auszudehnen. Diese Tendenz bleibt durch den technischen Fortschritt und die damit verbundene J a g d nach Surplusprofilen, durch die Entwicklung des Kredits und andere Faktoren, die der Produktion im Kapitalismus unabhängig von der Dynamik der kaufkräftigen Nachfrage gewisse Möglichkeiten zur Erweiterung bieten, erhalten. Unmittelbarer Zweck der kapitalistischen Produktion ist der Profit. Seine Maximierung erfolgt teilweise auch zu Lasten des Verbrauchers. Hinter der „Souveränität der Verbraucher" auf dem heutigen kapitalistischen Markt verbirgt sich die Konkurrenz in ihren verschiedenen, der Epoche der Monopolherrschaft innewohnenden preislichen und nichtpreisgebundcnen Formen. Zu den letzteren gehört vor allem die Konkurrenz auf dem Gebiet der Erzeugnisqualität, die Konkurrenz zwischen neuen Formen von Dienstleistungen für die Bevölkerung und bei der Produktion neuer Erzeugnisse. In einer Situation erbitterten Konkurrenzkampfes, in der man sich weitgehend der verschiedensten Druckmittel auf den Verbraucher (Reklame, Mode, Forcierung des moralischen Verschleißes von langlebigen Konsumgütern usw.) bedient, nimmt die Fetischisierung von Dingen, ihre Erhebung zu gesellschaftlichen Prestigesymbolen immer größere Dimensionen an. Unter diesen Verhältnissen ist die „ S o u v e r ä n i t ä t " des Verbrauchers nichts anderes als eine Fiktion. Die Struktur der individuellen Konsumtion wird vom kapitalistischen Business bestimmt, das die individuellen Bedürfnisse deformiert und den Verbrauchern einen bestimmten Verhaltensstereotyp aufzwingt. Mises und Hayek priesen den Kapitalismus aus der Sicht des „orthodoxen Liberalismus" und waren gegen jede Einmischung des S t a a t e s in die Wirtschaft. F ü r sie gab es keinen Unterschied zwischen staatlicher Regulierung der kapitalistischen Wirtschaft und sozialistischer Planung, zwischen „Interventionismus" und Planwirtschaft, zwischen staatsmonopolistischem Kapitalismus und Sozialismus.

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Die feindselige H a l t u n g selbst gegenüber den kapitalistischen F o r m e n der s taatlichen Wirtschaftsregulierung zeigt, wie reaktionär die Positionen von Mises, H a y e k und ihrer Nachbeter waren. Noch deutlicher wird dies, wenn m a n bedenkt, daß die hier analysierten Arbeiten dieser Theoretiker in den zwanziger und dreißiger J a h r e n geschrieben wurden, als die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft vor der A u f g a b e s t a n d , den K a p i t a l i s m u s zu retten. Dieser A u f g a b e hatten sich die Theoretiker des Iveynesianismus angenommen, die nachwiesen, daß die spontan wirkenden inneren K r ä f t e des K a p i t a l i s m u s nicht in der L a g e waren, die materiellen und Arbeitskräfteressourcen voll zu nutzen, und nach staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft (in den F o r m e n der staatsmonopolistischen Regulierung) verlangten. D a s B u c h von Mises „ S o c i a l i s m " und der Keynessche Titel „ T h e General Theory of E m p l o y m e n t , Interest a n d M o n e y " 1 0 erschienen f a s t gleichzeitig. Mises verkörperte den Rückschritt und d a s Nichtbegreifen der wirtschaftlichen Entwicklungsprozesse, die im Sozialismus oder auch im K a p i t a l i s m u s stattfinden. Auch die H a l t u n g von J o h n Maynard Keynes entsprach den Interessen des Monopolkapitals, aber er apologetisierte den K a p i t a l i s m u s doch auf realistischere Weise. S o erklärt sich auch die gehässige Einstellung von Mises und seinen Anhängern z u r ' U d S S R , die d a m a l s d a s einzige L a n d des Sozialismus war. Sie negierten die historische B e d e u t u n g des Sieges der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution für Theorie und P r a x i s des Sozialismus. Mises behauptete, d a ß B i s m a r c k s „ S i c h e r u n g s p l a n " und Hindenburgs K r i e g s p r o g r a m m Theorie u n d P r a x i s des Sozialismus weitaus mehr bereichert hätten als die Nationalisierung der Industrie und die F ü n f j a h r p l ä n e in der U d S S R . Angesichts der T a t s a c h e , daß die E n t s t e h u n g lind erfolgreiche Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft in der U d S S R die Hirngespinste, nach denen die Wirtschaft im Sozialismus scheitern müsse, widerlegte, ging Mises zum historischen Agnostizismus über. S o erfand er schnell die These, daß die sowjetische P r a x i s kein Argument zugunsten des Sozialismus sein könne, weil sich die Geschichte verschieden interpretieren lasse und für sich allein noch gar nichts besage. 1 1 Als erbitterte Gegner des historischen Fortschritts standen die Verfechter der Theorie von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des S o z i a l i s m u s " in ihren politischen Anschauungen rechtsgerichteten Strömungen nahe, wurden sie objektiv zu deren ideologischen Inspiratoren. *o John Maynard Keynes, The General Theory of Employment, Interest and Money, London 1936 (Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, erste deutsche Auflage, München und Leipzig 1936). 11 Ludwig v. Mises, Socialism. An Economic and Sociological Analysis, London 1951, S. 583. „Ob die Gesellschaft ein Gut oder ein Übel ist, mag verschieden beurteilt werden" (Ludwig Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, Jena 1932, S. 479). 20

Der s t r e i t b a r e A n t i s o w j e t i s m u s v o n Mises u n d H a y c k , der sich auf die t h e o r e tische P l a t t f o r m des A n t i s o w j e t i s m u s s t ü t z t e , h a t ihre N a m e n bei vielen h e u t i g e n ideologischen G e g n e r n des Sozialismus u n d K o m m u n i s m u s p o p u l ä r g e m a c h t . So s c h r e i b t der französische Ö k o n o m P e t e r Kende, d a ß sich viele h e r v o r r a g e n d e Ö k o n o m e n im W e s t e n d a m i t b e f a ß t h ä t t e n , Mises' A r g u m e n t e zu widerlegen. Doch h ä t t e n diese in gewissem Maße ihre A u s s a g e k r a f t bis h e u t e g e w a h r t . 1 2 In d e r m a r x i s t i s c h e n W i r t s c h a f t s l i t e r a t u r ist die K o n z e p t i o n v o n Mises u n d H a y e k wiederholt G e g e n s t a n d v o n K r i t i k e n gewesen. D e n n o c h ist die s y s t e m a t i sche Analyse dieser Theorie angesichts des oben D a r g e l e g t e n a k t u e l l geblieben. Sie ist u m so n o t w e n d i g e r , als verschiedene Thesen dieser Theorie, die d a r a u f g e r i c h t e t sind, die „ U n m ö g l i c h k e i t " einer rationellen V e r w e n d u n g d e r R e s s o u r c e n in d e r sozialistischen W i r t s c h a f t „ n a c h z u w e i s e n " , a u c h h e u t e noch v o n Ideologen d e s A n t i k o m m u n i s m u s , v o n S o w j e t o l o g e n v e r s c h i e d e n s t e r P r ä g u n g , die die h o h e w i r t s c h a f t l i c h e E f f e k t i v i t ä t des Sozialismus zu leugnen suchen, in U m l a u f g e s e t z t werden. Die subjektivistisch-individualistische

Methodologie

der

Analyse

Die m e t h o d o l o g i s c h e G r u n d l a g e d e r Theorie von d e r „logischen u n d p r a k t i s c h e n U n d u r c h f ü h r b a r k e i t d e s Sozialismus" w a r e n die s u b j e k t i v i s t i s c h e , i n d i v i d u a l i s t i sche B e t r a c h t u n g s w e i s e bei d e r Analyse d e r ö k o n o m i s c h e n E r s c h e i n u n g e n , die Gleichsetzung v o n O b j e k t i v i t ä t u n d S p o n t a n e i t ä t u n d d a m i t die L e u g n u n g d e r E x i s t e n z der p l a n m ä ß i g e n F o r m d e r W i r t s c h a f t sowie die Vorstellung v o m P r i m a t d e r Zirkulation u n d K o n s u m t i o n v o r der P r o d u k t i o n . Das S y s t e m d e r A n s c h a u u n g e n v o n Mises, H a y e k u n d i h r e r G e s i n n u n g s genossen zur W i r t s c h a f t des Sozialismus b e r u h t e s o m i t voll u n d g a n z auf d e n m e t h o d o l o g i s c h e n P o s i t i o n e n d e r s u b j e k t i v e n Schule d e r b ü r g e r l i c h e n politischen Ö k o n o m i e . D a f ü r s p r i c h t v o r allem die I n t e r p r e t a t i o n des A n a l y s e g e g e n s t a n d e s s e l b s t : das V e r h ä l t n i s des I n d i v i d u u m s zur Sache, d a s V e r h a l t e n d e r W i r t s c h a f t s s u b j e k t e , d a s v o n d e r K n a p p h e i t d e r V o r r ä t e im Vergleich zu d e n B e d ü r f n i s s e n b e s t i m m t wird. U n d so ist es keineswegs ein Zufall, d a ß bis h e u t e die v o n Lionel R o b b i n s , einem d e r a k t i v s t e n V e r f e c h t e r d e r T h e s e v o n d e r „ p r a k t i s c h e n U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus", s t a m m e n d e Definition des G e g e n s t a n d s d e r politischen Ö k o n o m i e als klassisch hingestellt wird. N a c h dieser Definition soll die politische Ö k o n o m i e die W i s s e n s c h a f t sein, die „ m e n s c h l i c h e s V e r h a l t e n als B e z i e h u n g zwischen Zielen u n d k n a p p e n , aber m e h r s e i t i g v e r w e n d b a r e n Mitteln untersucht"13. H a y e k stellte d e n Verzicht auf „die S u c h e n a c h einer illusorischen W e r t s u b s t a n z " u n d den Ü b e r g a n g zur Analyse der U m s t ä n d e , die die b e s o n d e r e n Ver12 Vgl. Peter Kcnde, Logique de l'économie centialisée. Un exemple: la Hongrie, Paris 1964, S. 491, 492, »3 Zitiert in: Roy F. Harrod, Dynamische Wirtschaft, Wien-Stuttgart 1949, S. 14.

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h a l t e n s f o r m e n d e r I n d i v i d u e n zu den Dingen b e d i n g e n u n d zur L ö s u n g des allgemeinen P r o b l e m s , d a s sich j e d e s m a l stellt, w e n n m i t k n a p p e n G ü t e r n e i n e r Vielzahl v o n Zielen g e n ü g t werden soll, als e n t s c h e i d e n d f ü r d e n F o r t s c h r i t t der W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t hin. 1 4 I n d e m m a n die A n a l y s e der P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e d u r c h die A n a l y s e d e s V e r h a l t e n s d e r Menschen zu Dingen u n d d e r d a r a u s r e s u l t i e r e n d e n P r o b l e m e , die „allen F o r m e n d e r w i r t s c h a f t l i c h e n O r g a n i s a t i o n der G e s e l l s c h a f t " g e m e i n sam sind, e r s e t z t e , f u n k t i o n i e r t e m a n die politische Ö k o n o m i e zu einer allgem e i n e n W i s s e n s c h a f t von der W i r t s c h a f t s f ü h r u n g u m , die auf die W i r t s c h a f t des e i n s a m e n J ä g e r s R o b i n s o n ebenso a n w e n d b a r ist wie auf eine Gesellschaft assoziierter sozialistischer P r o d u z e n t e n . T y p i s c h f ü r die A u t o r e n dieser K o n z e p t i o n w a r die individualistische Bet r a c h t u n g s w e i s e der ö k o n o m i s c h e n E r s c h e i n u n g e n . N a c h Mises ist der Mensch kein soziales, s o n d e r n eher ein antisoziales W e s e n . E r e r k l ä r t e d a s P r i v a t e i g e n t u m a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n zur einzig möglichen G r u n d l a g e f ü r eine e f f e k tive W i r t s c h a f t s f ü h r u n g , weil n a c h seiner M e i n u n g die v o m P r i v a t e i g e n t u m a u s g e h e n d e n individualistischen T r i e b k r ä f t e allein die m a x i m a l e N u t z u n g d e r Mittel g e w ä h r l e i s t e n k ö n n t e n . Rationelles W i r t s c h a f t e n , d. h. d a s W i r t s c h a f t e n m i t k n a p p e n Mitteln, sollte v o r allem d e n individualistischen A k t i v i t ä t e n v o r b e h a l t e n bleiben. 1 5 Zu den I l a u p t v e r d i e n s t e n v o n Mises z ä h l t e n seine A n h ä n g e r die I n t e r p r e t a t i o n der W i r t s c h a f t s t h e o r i e als Teil einer universellen W i r t s c h a f t — der Praxeologie (so bezeichnete m a n die L e h r e v o n d e r allgemeinen Logik jedes rationellen W i r l s c h a f t e n s , d a s auf die M a x i m i e r u n g irgendeiner G r ö ß e g e r i c h t e t w a r - d. Verf.). 1 0 I m G r u n d e g e n o m m e n „ v e r b a n n t e n " Mises u n d seine Gesinnungsgenossen m i t ihrer unsozialen, individualistischen I n t e r p r e t a t i o n des U n t e r s u c h u n g s o b j e k t s a u s d e r politischen Ö k o n o m i e den eigentlichen G e g e n s t a n d , n ä m l i c h die ö k o n o m i s c h e n Verhältnisse der Menschen, sie t r e n n t e n die politische Ökon o m i e v o n ihrer spezifischen sozialen Materie. D a s „ U m u n d Auf der W i r t s c h a f t " sah Mises in der „ D u r c h f ü h r u n g v o n T a u s c h o p e r a t i o n e n " , der der Vergleich des N u t z e n s d e r G ü t e r u n d des „ A r b e i t s l e i d s " z u g r u n d e liege. Die E i n h e i t dieses Vergleichs, d e r i n d i r e k t e n Messung der subj e k t i v e n W e r t s c h ä t z u n g e n , d a s M a ß f ü r die W i r t s c h a f t l i c h k e i t d e r B e t r i e b e sei d e r T a u s c h w e r t , „der a u s d e m Z u s a m m e n s p i e l d e r s u b j e k t i v e n W e r t s c h ä t z u n g e n aller a m T a u s c h v e r k e h r t e i l n e h m e n d e n W i r t e e n t s t e h t " 1 7 . N a c h Mises sollte 14

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Vgl. Friedrich A. Hayek, The Nature and History of the Problem, in: Collectivist Economic Planning, ed. by F. Hayek, S. 24. Vgl. Ludwig v. Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, Jena 1932, S. 91. Henry Hazlitt, Two of Ludwig von Mises Most Important Works, in: On Freedom and Free Enterprise, New York 1956, S. 37. Ludwig v. Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, Jena 1932, S. 92-93.

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dieser objektive Tauschwert, dessen Ausdrucksmittel in der Warenwirtschaft das Geld sei, nur elementar, auf der Grundlage des Privateigentums an den Produktionsmitteln Zustandekommen. Daraus folgte dann der S c h l u ß : Da es unter der Herrschaft des Gemeineigentums an den Produktionsmitteln keinen freien Markt gebe, auf dem allein, im Prozeß der Konkurrenz, der Anteil der Produktionsfaktoren am W e r t der Gebrauchsgüter und folglich ihr Preis bestimmt werden könnten, fehle es im Sozialismus an einem objektiven Maßstab für den Vergleich der Kosten mit den Ergebnissen der Produktion, und die Entscheidungen der Planungsorgane seien willkürlicher Art. 1 8 Mises, Hayek und andere Vertreter dieser Strömung identifizierten die objektiven ökonomischen Verhältnisse mit den Beziehungen des spontan wirkenden, also des kapitalistischen Marktes in der Form, in der sie sich im Bewußtsein der privaten Warenproduzenten widerspiegelten. Deshalb verneinten sie die Möglichkeit der planmäßigen Ausnutzung der ökonomischen Gesetze, die die B e wegung der Ware-Geld-Beziehungen steuern, und der diese Verhältnisse ausdrückenden Kategorien. Auf den hier dargestellten methodologischen Voraussetzungen der Konzeption von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus" basieren im wesentlichen die Theorien aller Vertreter der bürgerlichen W i r t schaftswissenschaft, die die ökonomischen Probleme des Sozialismus von den Positionen der Grenznutzentheorie, der subjektiven Schule in der bürgerlichen politischen Ökonomie, interpretieren. Ein Wesensmerkmal der hier analysierten Konzeption bestand darin, daß sie den Zusammenhang des Eigentums an den Produktionsmitteln mit dem Wirtschaftsmechanismus hervorhob. Trotz des ihr anhaftenden Ahistorismus anerkannte sie die vom gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln bedingte Spezifik der sozialistischen Wirtschaft. Hieraus ergab sich auch die zutiefst widersprüchliche und inkonsequente Einstellung der Vertreter dieser Konzeption zum sozialistischen Wirtschaftsmechanismus. Wohl erkannten sie die Spezifik dieses Mechanismus an. Da sie aber die Dialektik von Allgemeinem und Spezifischem entstellt wiedergaben, sahen sie diese Spezifik darin, daß die allgemeinen ökonomischen Gesetze und die sie ausdrückenden ökonomischen Formen zu wirken aufhören und daß im Sozialismus kein wirklicher Wirtschaftsmechanismus fungieren könne. Die gleichen Ansichten wie Mises vertrat in dieser Frage der bekannte deutsche Soziologe Max Weber. In seinen Arbeiten verbanden sich die methodologischen Hauptprinzipien der Historischen Schule in eklektizistischer Weise mit den Grundsätzen der Österreichischen Schule. Auch M a x Weber leitete die Spezifik des kapitalistischen Wirtschaftsmechanismus aus dessen Institutionen ab, die er in idealistischer Weise als Erscheinungsform des „kapitalistischen Geistes" interpretierte. Zu diesen Institutionen 18 Ebenda, S. 96-101.

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zählte er d a s Privateigentum, die Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln, die Möglichkeit, die Produktionskosten zu berechnen, d a s S y s t e m wirtschaftlicher Sanktionen und ein rationelles Geldsystem. E b e n s o r ä u m t e Weber ein, daß es unter den Bedingungen der sozialistischen Vergesellschaftung der Produktion eines spezifischen Mechanismus bedürfe, dessen Möglichkeit er ebenso wie Mises verneinte. 1 9 Auf die Inkonsequenz in der Methodologie von Mises und seiner A n h ä n g e r hatten auch ihre Gegner in der D e b a t t e a u f m e r k s a m gemacht. Sie kritisierten Mises, weil er die universellen Grundsätze der Wirtschaftstheorie, unter denen sie die künstlichen Konstruktionen der Grenznutzentheorie verstanden, auf den Sozialismus für unanwendbar erklärt hatte. Ungerechtfertigt von einer Gleichheit zwischen Marxismus und Historiseher Schule ausgehend, warfen ihm diese Opponenten in der Diskussion über die „Wirtschaftsrechnung im Sozialism u s " in der F r a g e nach d e m Charakter der Gesetze Zugeständnisse an den M a r x i s m u s und an die Historische Schule vor. Besonders deutlich zeigte sich der Unterschied in den methodologischen K o n zeptionen der beiden Richtungen bei der Interpretation des Produktionsmittelpreises unter sozialistischen Verhältnissen. Während Mises den Preis als A u s d r u c k der realen Verhältnisse im W a r e n a u s t a u s c h betrachtete (natürlich in der m y s t i fizierten F o r m , in der sich diese Verhältnisse in den Vorstellungen der k a p i t a listischen Produktionsagenten widerspiegeln und in den Theorien der Österreichischen Schule reproduziert werden), trennten seine Kontrahenten den Preis von dem sozialen Inhalt, indem sie den Preis als einfachen I n d e x der Gütersubstitution, als Koeffizienten der Alternativkombinationen der P r o d u k t i o n s f a k toren interpretierten. Sie warfen Mises vor, er verwechsle d a s Wesen des Preises mit seinen historischen Erscheinungsformen. S o wurden Mises u n d seine Anhänger gerade für d a s kritisiert, was in ihrer Konzeption der historischen Wahrheit a m nächsten k a m : für die Feststellung des Z u s a m m e n h a n g s des Wirtschaftsmechanismus mit dem E i g e n t u m an den Produktionsmitteln. Die marxistisch-leninistische politische Ökonomie des Sozialismus löst die Probleme des spezifisch sozialistischen Wirtschaftsmechanismus auf g r u n d s ä t z lich andere Weise. Sie sucht die L ö s u n g nicht im Verzicht auf die A u s n u t z u n g der den verschiedenen sozialökonomischen Formationen gemeinsamen ökonomischen F o r m e n , sondern in der planmäßigen Anwendung dieser F o r m e n , die, in 19

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In einem im Jahre 1922 postum veröffentlichten Buch, das fas t gleichzeitig mit Mises' Aufsatz „Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen" erschien, schrieb Weber: „Mit der Annahme, daß sich ein Rechnungssystem ,schon finden' bzw. erfinden lassen werde, wenn man das Problem der geldlosen Wirtschaft nur resolut anfasse, ist hier nicht geholfen: das Problem ist ein Grundproblem aller ,Vollsozialisierung', und von einer rationalen Planwirtschaft' jedenfalls kann keine Rede sein, solange in dem alles entscheidenden Punkt kein Mittel zur rein rationalen Aufstellung eines Planes bekannt ist" (Max Weber, Grundriß der Sozialökonomik, III. Abteilung, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1947, S. 55—56).

organischer E i n h e i t m i t d e n v o m gesellschaftlichen E i g e n t u m a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n h e r v o r g e b r a c h t e n u n d die b e s t i m m e n d e Rolle im sozialistischen W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s spielenden spezifischen ö k o n o m i s c h e n Gesetzen u n d K a t e g o r i e n , neue, sozialistische P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e a u s d r ü c k e n . Die G r u n d l a g e des sozialistischen W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s bildet die z e n t r a l e P l a n u n g d e r V o l k s w i r t s c h a f t , d e r e n o b j e k t i v e N o t w e n d i g k e i t d u r c h d a s allgem e i n e (staatliche) V o l k s e i g e n t u m a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n b e d i n g t wird. Bei dieser F o r m des gesellschaftlichen E i g e n t u m s sind die P r o d u k t i o n s m i t t e l in d e r ganzen Gesellschaft d i r e k t m i t d e r A r b e i t s k r a f t v e r b u n d e n . Die P r o d u k t i o n erfolgt auf R e c h n u n g d e r Gesellschaft, die sich d a s gesellschaftliche P r o d u k t u n m i t t e l b a r a n e i g n e t u n d d a r a u s die R e p r o d u k t i o n s f o n d s bildet. D e s h a l b legt die g a n z e Gesellschaft u n d n u r sie allein v o n einem Z e n t r u m a u s die e n t s c h e i d e n den stofflichen u n d w e r t m ä ß i g e n P r o p o r t i o n e n d e r R e p r o d u k t i o n fest. In diesem P r o z e ß werden die W a r e - G e l d - K a t e g o r i e n a u s g e n u t z t , die hier z w a r eine wichtige, doch u n t e r g e o r d n e t e Rolle spielen. „ D a s Z e n t r a l k o m i t e e der P a r t e i u n d die S o w j e t r e g i e r u n g gehen d a v o n a u s , d a ß d a s F ü h r e n d e u n d M a ß g e b e n d e eine r i c h t u n g w e i s e n d e P l a n u n g ist u n d d a ß die W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n z u r F e s t i g u n g d e r p l a n m ä ß i g e n L e i t u n g d e r Volkswirts c h a f t u n d z u r F ö r d e r u n g der I n i t i a t i v e der B e t r i e b e u n d V e r e i n i g u n g e n n a c h den G r u n d s ä t z e n der w i r t s c h a f t l i c h e n R e c h n u n g s f ü h r u n g g e n u t z t w e r d e n k ö n n e n u n d m ü s s e n . Die W 7 are-Geld-Beziehungen h a b e n bei u n s einen n e u e n , d e m Sozialismus eigenen I n h a l t " . 2 0

Die Leugnung Verselbständigung an den

der Möglichkeit der Betriebe

einer relativen bei allgemeinem

ökonomischen Volkseigentum

Produktionsmitteln

Zu d e n G r u n d m ä n g e l n d e r Theorie v o n der „logischen u n d p r a k t i s c h e n U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus" g e h ö r t e , d a ß sie die realen ö k o n o m i s c h e n Prozesse negierte u n d v o n p r i m i t i v e n , v e r e i n f a c h t e n V o r s t e l l u n g e n v o m Sozialism u s ausging. D e s h a l b grenzen sich a u c h viele bürgerliche T h e o r e t i k e r v o n ihr a b . So schrieb d e r a m e r i k a n i s c h e Ö k o n o m W a l t e r B u c k i n g h a m , d e r die Diskussion analysierte, d a ß d a s „ ö k o n o m i s c h e S y s t e m v o n Mises u n d H a y e k allgemein zu R e c h t a b g e l e h n t wird, weil es die reale W e l t zu sehr v e r e i n f a c h t " 2 1 . Die B e g r e n z t h e i t der bürgerlichen politischen Ö k o n o m i e , ihre U n f ä h i g k e i t , z u m W.esen d e r E r s c h e i n u n g e n v o r z u d r i n g e n , t r i t t in d e r b e t r a c h t e t e n T h e o r i e besonders k l a r z u t a g e . Das wird sehr d e u t l i c h , wenn m a n a n a l y s i e r t , wie die b ü r g e r lichen Ö k o n o m e n die S t r u k t u r des gesellschaftlichen E i g e n t u m s i n t e r p r e t i e r e n . 20

21

Direktiven des XXIV. Parteitages der KPdSU zum Fünfjahrplan für die Entwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR in den Jahren 1971—1975. Referat von A. N. Kossygin, Moskau/Berlin 1971, S. 57. Walter S. Buckingham, Theoretical Economic Systems, New York 1958, S. 346.

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Lenin, der den Marxismus auf die neuen Bedingungen angewandt und schöpferisch weiterentwickelt hatte, begründete in den J a h r e n 1921 und 1922 die Notwendigkeit, daß die staatlichen sozialistischen Betriebe wirtschaftlich selbständig handeln u n d verhältnismäßig wirtschaftlich verselbständigt sein müßten. Wiederholt h a t Lenin betont, wie wichtig es sei, den Großbetrieben u n d wirtschaftlichen Vereinigungen größtmögliche finanzielle und wirtschaftliche Selbständigkeit zu gewähren. 2 2 Dieser Leninsche Leitgedanke, der in der marxistisch-leninistischen politischen Ökonomie des Sozialismus weiterentwickelt und auf die Verhältnisse des reifen Sozialismus a n g e w a n d t wurde, blieb den Autoren der Theorie von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des S o z i a l i s m u s " ein Brief mit sieben Siegeln. In den in der ersten H ä l f t e der dreißiger J a h r e erschienenen oder neu aufgelegten Arbeiten behaupteten diese Theoretiker nach wie vor, daß die gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel jede wirtschaftliche Selbständigkeit der sozialistischen Betriebe ausschließe. Eine b e s t i m m t e wirtschaftliche Verselbständigung der Volkseigentum darstellenden sozialistischen Betriebe war für sie gleichbedeutend mit der Ü b e r g a b e der Betriebe in Gruppeneigentum, wie sie der Syndikalismus forderte. \lises und seine Anhänger stellten sich die Alternative so v o r : Entweder Selbstverwaltung der Betriebe und Zweige und Gruppeneigentum oder eine Unterstellung der Betriebe unter ein Obrigkeitsorgan, bei der die Betriebe jede wirtschaftliche Selbständigkeit aufgeben. 2 3 Bei allgemeinem Volkseigentum sei die ganze Wirtschaft einzig und allein d e m Willen eines allwissenden u n d allumfassenden zentralen Organs unterworfen. Die ökonomische Selbständigkeit der sozialistischen Betriebe ist die spezifische Bewegungsform des allgemeinen Volkseigentums, die F o r m , in der seine nichtantagonistischen Widersprüche gelöst werden. Sie unterscheidet sich grundlegend von der Arbeitsweise solcher Betriebe, die auf der B a s i s des Gruppeneigentums an den Produktionsmitteln, also nach den Prinzipien des S y n d i k a l i s m u s , handeln. Die ökonomische Selbständigkeit der sozialistischen Betriebe ist relativer Art. D a s bedeutet, daß es ökonomische Selbständigkeit der Betriebe nur in den Grenzen des zentralen Plans gibt, daß die Tätigkeit der einzelnen Betriebe und ihrer Vereinigungen d e m allgemeinen Volksinteresse untergeordnet ist. Zugleich gibt es infolge der nichtantagonistischen Widersprüche des allgemeinen Volkseigentums neben u n d in Verbindung mit den gesamtgesellschaftlichen Interessen die relativ selbständigen ökonomischen Interessen der Betriebe und ihrer Kollektive. U m diese Interessen zu realisieren, müssen die wirtschaftlichen 22

23

26

Vgl. W. I. Lenin, Entwurf einer Resolution: zu den Fragen der Neuen Ökonomischen Politik, in: Werke, Bd. 32, Berlin 1961, S. 455. Vgl. Ludwig v. Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, Jena 1932, S. 248; Lionel C. Robbins, The Great Depression, London 1934, S. 147.

Grundeinheiten des allgemeinen Volkseigentums in gewissem Maße ökonomisch selbständig sein. Der Funktionsmechanismus des allgemeinen Volkseigentums stellt sich somit als ein kompliziertes System dar, das von der Einheit der zentralen Leitung u n d der ökonomischen Selbständigkeit der Betriebe u n d ihrer Vereinigungen bei führender Rolle des zentralen Plans gekennzeichnet ist.

Leugnung des untrennbaren Zusammenhangs von Distribution Produktion sowie der objektiven Distributionsgesetze

und

Auch in der Darstellung der Distributionsprobleme gingen die Vertreter der These von der „logischen und praktischen Undurchf ührbarkeit des Sozialismus" von falschen methodologischen Voraussetzungen aus, die die wissenschaftliche Unhaltbarkeit dieser Theorie deutlich machen. Sie bestanden erstens in der Trennung der Distributionsverhältnisse von den Produktionsverhältnissen und zweitens in der Behauptung, daß die Distributionssphäre in der sozialistischen Gesellschaft das P r i m a t vor der Produktionssphäre habe. Die Verfechter dieser Theorie stellten die These auf, daß ein spezifisches H a u p t merkmal des Sozialismus in der Unabhängigkeit der Distribution von der Produktion bestehe. So schrieb der norwegische Ökonom Trygve Hoff in seinem 1938 erschienenen Buch „Die Wirtschaftsrechnung in der sozialistischen Gesellschaft", Produktion u n d Distribution seien in der sozialistischen W i r t s c h a f t zwei Sphären, die nicht unbedingt miteinander z u s a m m e n h ä n g e n . E r r ä u m t e sogar die Möglichkeit zweier unterschiedlicher Geldeinheiten für Produktion u n d Distribution ein. Auf diese Weise leitete man ab, daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln eine unabdingbare Voraussetzung und das spontane Zustandekommen der Preise auf dem Markt die einzig mögliche F o r m f ü r die Verbindung von Produktion u n d Distribution seien. Dabei unterstellte m a n eine F o r m dieses Zusammenwirkens, bei der die Distribution jede selbständige Bedeutung verliert. Vorstellungen dieser Art, die der Apologie des freien U n t e r n e h m e r t u m s dienen, beruhen auf der Produktionsfaktoren- und der Grenznutzentheorie. Die Vertreter der subjektiven Schule betrachteten die Einkommen der Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital u n d Boden) als Preis f ü r deren Leistung u n d behaupteten, daß die auf dem Markt unter der Wirkung von Nachfrage u n d Angebot zustande kommenden Preise der Produktionsfaktoren deren Grenzprodukten entsprächen. Auf diese Weise entstehe der unlösbare Zusammenhang von Distribution u n d Produktion u n d werde das Distributionsprinzip bestimmt. Bei diesem Versuch, Kapital u n d Boden als der Arbeit gleichwertige Wertschöpfer hinzustellen und auf diese Weise die kapitalistischen Ausbeutungsver24

3

Vgl. Trygve J. B. Hoff, Economic Calculation in the Socialist Society, London 1949, S. 33. * Ök. soz. Theorien

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hältnisse zu verschleiern, waren die V e r f e c h t e r der „logischen u n d p r a k t i s c h e n U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus" v o n der O b e r f l ä c h e der E r s c h e i n u n g e n , s t a t t v o n d e r e n Wesen ausgegangen. Sie w a r f e n d e n A r b e i t s p r o z e ß u n d seine k a p i t a l i s t i s c h e F o r m , Dinge u n d gesellschaftliche Verhältnisse in einen Topf u n d e n t s t e l l t e n so den C h a r a k t e r des Z u s a m m e n h a n g s von P r o d u k t i o n u n d D i s t r i b u tion im K a p i t a l i s m u s . F ü r die I n t e r p r e t a t i o n dieses Z u s a m m e n h a n g s im Sozialismus k o n n t e n diese A n s c h a u u n g e n keine t h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e b i e t e n . Der o b j e k t i v e M e c h a n i s m u s des Z u s a m m e n w i r k e n s v o n P r o d u k t i o n u n d D i s t r i b u t i o n wird d u r c h d a s spezifische S y s t e m ö k o n o m i s c h e r I n t e r e s s e n u n d S t i m u l i d e r sozialistischen Gesellschaft hergestellt, d a s u n m i t t e l b a r im P r o d u k t i o n s p r o z e ß e n t s t e h t u n d v o n i h m b e s t i m m t wird, d a s in der D i s t r i b u t i o n s s p h ä r e in E r s c h e i n u n g t r i t t u n d zusätzliche M e r k m a l e a n n i m m t . A u c h die These v o m P r i m a t d e r D i s t r i b u t i o n s s p h ä r e in der sozialistischen Gesellschaft ist u n h a l t b a r . Mises m e i n t e , d a ß die D i s t r i b u t i o n n u r in der sozialistischen Gesellschaft eine selbständige B e d e u t u n g e r h a l t e u n d z u m ö k o n o m i s c h e n H a u p t p r o b l e m werde. Diese „Verteilungs-" K o n z e p t i o n , die bereits auf d e n englischen Ö k o n o m e n J o h n S t u a r t Mill (Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s ) z u r ü c k g e h t , ist f ü r die b ü r g e r l i c h e politische Ö k o n o m i e zur T r a d i t i o n g e w o r d e n . Sie lag a u c h d e m Vulgärsozialismus z u g r u n d e , d e r d e n Sozialismus h a u p t s ä c h l i c h als P r o b l e m d e r „ g e r e c h t e n " Vert e i l u n g i n t e r p r e t i e r t e . U n d in diesem F a l l beriefen sich die V e r f e c h t e r d e r T h e o r i e v o n d e r „logischen u n d p r a k t i s c h e n U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus" auf r e f o r m i s t i s c h e S o z i a l i s m u s k o n z e p t i o n e n , wie sie von T h e o r e t i k e r n der r e c h t e n S o z i a l d e m o k r a t i e e n t w i c k e l t worden w a r e n . In diesen K o n z e p t i o n e n w u r d e d a s W e s e n der sozialistischen U m g e s t a l t u n g d e r Gesellschaft v o r allem auf V e r ä n d e r u n g e n in d e n D i s t r i b u t i o n s v e r h ä l t n i s s e n r e d u z i e r t , w ä h r e n d d a s P r i v a t e i g e n t u m u n d der bürgerliche S t a a t e r h a l t e n bleiben sollten. Auf diese Weise e n t s t e l l t e n Mises, H a y e k u n d ihre N a c h b e t e r bei der „ U n t e r s u c h u n g " d e r P r o b l e m e der sozialistischen W i r t s c h a f t d a s V e r h ä l t n i s v o n Allg e m e i n e m u n d B e s o n d e r e m , Allgemeinem u n d Spezifischem. Sie w a r e n d a v o n a u s g e g a n g e n , d a ß die allgemeinen m e t h o d o l o g i s c h e n Prinzipien auf d e n Sozialism u s n i c h t a n w e n d b a r seien u n d die allgemeinen soziologischen u n d ö k o n o m i schen Gesetze (die sie n a t ü r l i c h im Sinne der s u b j e k t i v e n Schule auslegten) im Sozialismus n i c h t w i r k e n . I m wirklichen W i r t s c h a f t s p r o z e ß bilden alle R e p r o d u k t i o n s p h a s e n einen u n t r e n n b a r e n Z u s a m m e n h a n g . E s w a r „ ü b e r h a u p t f e h l e r h a f t " , schrieb M a r x , „ v o n der sog. Verteilung W e s e n s zu m a c h e n u n d d e n H a u p t a k z e n t auf sie zu legen. Die jedesmalige Verteilung der K o n s u m t i o n s m i t t e l ist n u r Folge d e r Verteilung der P r o d u k t i o n s b e d i n g u n g e n s e l b s t ; letztere Verteilung a b e r ist ein C h a r a k t e r der P r o d u k t i o n s w e i s e selbst". 2 5 25

28

Kail Marx, Kritik des Gothaer Programms, in: Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke, (im folgenden M KW) Bd. 19, Berlin 1969, S. 22.

Die Produktion liefert das Produkt und bestimmt die Formen seiner Verteilung. Dieser Grundsatz trifft auf die allgemeinen Kategorien zu, die auf allen Entwicklungsstufen der gesellschaftlichen Produktion und damit auch im Sozialismus wirken. So, wie die Verhältnisse der kapitalistischen Produktion und ihre Gesetze, vor allem das Mehrwertgesetz, die kapitalistischen Verteilungsgesetze bestimmen, so bestimmen auch die sich in der sozialistischen Produktion herausbildenden Verhältnisse und die sie steuernden Gesetze den Charakter und die objektiven Formen der Verteilung des gesellschaftlichen Produkts und des Nationaleinkommens. Aus der absurden These, daß im Sozialismus die Verteilung unabhängig von der Produktion sei, zogen die Autoren der hier analysierten Theorie den ebenso unbegründeten Schluß, daß es in der sozialistischen Gesellschaft keine Gesetze gebe, die die Verteilung der lebensnotwendigen Güter regeln. Die planmäßige Wirkungsweise der Distributionsgesetze im Sozialismus war für sie Verdrängung der objektiven Gesetze durch willkürliche Handlungen. Aus ihrer Sicht war die Distribution die einzig objektive Form, die auf der Bestimmung der auf die einzelnen Produktionsfaktoren entfallenden Teile des Produkts durch die Konkurrenz beruhte. Und da es im Sozialismus keine vom Markt bestimmte spontane Verteilung der Arbeitskräfte und Lohnregelung gibt, kamen Mises und seine Nachbeter zu dem Schluß, daß es im Sozialismus überhaupt unmöglich sei, „zwischen der Bedeutung einer Arbeitsleistung für die Gesellschaft und ihrer Beteiligung am Ertrag des gesellschaftlichen Produktionsprozesses eine Verbindung herzustellen". Sie behaupteten, daß ohne freien Markt keine wirtschaftlich begründete Differenzierung des Arbeitsentgelts nach Menge und Q u a lität der Arbeit vorgenommen werden könne. Deshalb müsse die Vergütung der Arbeit willkürlich sein.2® In Wirklichkeit aber verfügt der Sozialismus über einen spezifischen Mechanismus für die Herstellung der Übereinstimmung zwischen den Anteilen jedes Werktätigen am Fonds für die individuelle Konsumtion und der geleisteten Arbeit. Dieser Mechanismus enthält Formen, über die die Gesetze der Verteilung des gesellschaftlichen Einkommens sowie die Kategorien vor allem der unmittelbaren Produktion wie notwendiges Produkt, gesellschaftliche und individuelle materielle Stimuli der Produktion und andere realisiert werden. Das notwendige Produkt, das die Bedingungen für die Reproduktion der Arbeitskraft bildet, kommt den Beschäftigten der materiellen Produktion in verschiedenen Formen zu: in Form der Löhne und Gehälter, der Vergütung der genossenschaftlich arbeitenden Bauern, der Leistungen aus den Prämienfonds und aus den Fonds für die gesellschaftliche Konsumtion. Diese objektiven ökonomischen Formen stellen zwischen dem Wohlstand des Werktätigen und seiner persönlichen Arbeitsleistung in der Produktion sowie an 26

3*

Ludwig v. Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungeil über den Sozialismus, Jena 1932, S. 135-136. 29

die Gesamtergebnisse des B e t r i e b e s und der Volkswirtschaft einen engen Zus a m m e n h a n g her. I n d e m die sozialistische Gesellschaft die persönlichen S t i muli planmäßig anwendet, m a c h t sie das A u s m a ß , in dem die Bedürfnisse des Individuums befriedigt werden, direkt von der Q u a n t i t ä t und Q u a l i t ä t der Arbeit abhängig, die der W e r k t ä t i g e geleistet h a t . Auf diese Weise werden alle Mitglieder der Gesellschaft an der E n t w i c k l u n g der gesellschaftlichen Produktion und der E r h ö h u n g ihrer E f f e k t i v i t ä t materiell interessiert. Die Ideologen des A n t i k o m m u n i s m u s m a c h t e n keinen Unterschied zwischen der Verteilung n a c h der Arbeitsleistung und dem W i r k e n des Wertgesetzes. Sie offenbarten ihr absolutes Unverständnis für das Gesetz der Verteilung n a c h der Arbeitsleistung. Sie meinten, d a ß sich das W e r t g e s e t z schon deshalb n i c h t als Verteilungsprinzip anwenden lasse, weil die Arbeiten unterschiedlich seien und die verschiedenen Q u a l i t ä t e n der A r b e i t sich in Arbeitsstunden n i c h t ausdrücken ließen. 2 7 A b e r die Differenzierung des Lohnes n a c h Q u a n t i t ä t und Q u a l i t ä t der Arbeit h a t m i t der v o m W e r t g e s e t z diktierten Äquivalenz gar nichts zu t u n , sie m a c h t vielmehr den Anteil des W e r k t ä t i g e n a m individuellen Konsumtionsfonds von seiner Arbeitsleistung abhängig. I m Sozialismus unterscheiden wir zwei Prozesse: den Wertbildungsprozeß und die Verselbständigung des Teils v o m neugeschaffenen W e r t , der zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse der P r o duzenten entsprechend der Menge und Q u a l i t ä t ihrer Leistungen und der Arbeitsbedingungen sowie in gewissem Maße entsprechend den Endergebnissen der A r b e i t der B e t r i e b e dient. Die Vergleichbarkeit der sozial ungleichartigen Arbeiten, die für die E r z e u gung des P r o d u k t s aufgewandt werden, wird über den W e r t und seine F o r m e n hergestellt. Die Verteilung nach der Arbeitsleistung ist nicht Ausdruck der Warenbeziehungen zwischen der sozialistischen Gesellschaft und ihren einzelnen Mitgliedern und wird deshalb auch n i c h t v o m W e r t g e s e t z geregelt. D a die Arbeit kollektiven C h a r a k t e r t r ä g t , wird die Verteilung n a c h der Q u a l i t ä t , den B e dingungen und Ergebnissen der Arbeit des einzelnen W e r k t ä t i g e n von der Verteilung n a c h den Endergebnissen der Leistung des B e t r i e b s k o l l e k t i v s , also n a c h dem W e r t des erzeugten P r o d u k t s , ergänzt. Zugleich aber m u ß , da die W a r e Geld-Beziehungen weiterbestehen, die Verteilung n a c h der Leistung in Geld erfolgen, also unter Ausnutzung der W a r e - G e l d - F o r m e n .

Die Leugnung der Möglichkeit eines echten im Sozialismus

Wirtschaftsmechanismus

B e i der B e h a n d l u n g des W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s gingen die T h e o r e t i k e r der „logischen und praktischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus" von der Altern a t i v e „ P l a n oder M a r k t " aus. S o schrieb Mises: „Die A l t e r n a t i v e ist d i e : e n t 27 Ebenda, S. 112-113.

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weder Sozialismus oder Verkehrswirtschaft". Das Hauptziel des Sozialismus sah er in der Liquidierung des Marktes. 2 8 Die Alternative „Plan oder Markt" fußt darauf, daß der Markt als freies Spiel der kapitalistischen Konkurrenz aufgefaßt wird. In der Tat ist ein solcher Markt mit der sozialistischen Planung der Volkswirtschaft, m i t dem Sozialismus unvereinbar. Die Alternative von Mises aber ist von Grund auf falsch, weil sie die planmäßige Bewegungsform der Ware-Geld-Beziehungen, der Marktbeziehurgen, und deren Ausnutzung in der sozialistischen Wirtschaft ausschließt. Für Mises und seine Anhänger, die nur die Existenz von spontanen W a r e Geld-Beziehungen zuließen, war eine planmäßige Form der W i r t s c h a f t s d y n a mik unvorstellbar. Für sie war der wissenschaftliche Sozialismus eine naturalwirtschaftliche Theorie. Ein solches „naturalwirtschaftliches" Sozialismusmodell war von einigen deutschen und österreichischen Theoretikern des Reformismus entwickelt worden. Einem der bekanntesten Modelle, das von Otto Neurath stammt, lag die These zugrunde, daß die sozialistische Gesellschaft ihren Volkswirtschaftsplan nur in Naturalgrößen aufstellen und alle Berechnungen nur in Naturalform anstellen könne. „Im Wirtschaftsplan der sozialistischen Gesellschaft fehlt selbst die Einheit, auf welche alles bezogen werden kann", schrieb 0 . Neurath. „Es kann eine genaue zahlenmäßige Feststellung aller vorhandenen Bestandteile des Lebensbodens vorgenommen werden, es können die Lebenslagenbestandteile zahlenmäßig bestimmt werden, aber man kann eine solche Naturalreehnung niemals auf eine Einheit reduzieren . . ." 2 9 . Der Amerikaner P a u l M. Sweezy, der seinerzeit das gesellschaftliche Eigent u m an den Produktionsmitteln noch mit der Warenproduktion für vereinbar hielt, schrieb 1949 zu Recht, Mises habe einen Fehler gemacht, indem er wenig durchdachte Sozialismusvorstellungen, die die Vorzüge der reinen „Naturalwirtschaft" beschrieben, mit dem Sozialismus schlechthin identifiziert habe. 3 0 Das Modell von der sozialistischen „Naturalwirtschaft" drückte einige reale Prozesse aus, die für die Sowjetwirtschaft zur Zeit des Kricgskoinimmismns typisch waren: eine infolge der zerstörten volkswirtschaftlichen Verflechtungen und der Geldentwertung beträchtliche Naturalisierung der Wirtschaft. In dieLudwig v . Mises, Socialisni. A n Economic and Sociological Analysis, London 1951, S. 1 4 1 - 1 4 2 . 2 9 Otto Neurath, W i r t s c h a f t s p l a n und Naturalreehnung, Berlin 1923, S. 42. 30 Vgl. Paul M. Sweezy, Socialism, New Y o r k 1 9 4 9 , S. 2 2 3 - 2 2 4 . Im J a l n e 1 9 7 0 schreibt Sweezy schon anders: „ W e r sich f ü r den M a r k t einsetzt, s t a t t ihn zu bekämpfen, fördert den Kapitalismus und nicht den Sozialismus, gleich welche A b sichten er auch hege" (Paul Sweezy, Charles Bettelheim, Lettres sur quelques problèmes actuels du socialisme, Paris 1970, S. 15). Für ihn sind die W a r e - G e l d - F o r m e n dem entwickelten Sozialismus wesensfremde Kategorien, die sein e f f e k t i v e s W i r k e n verhindern. 28

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sem Modell wurde völlig ignoriert, daß die Politik des Kriegskommunismus eine notgedrungene Maßnahme war; es trug auch der Dynamik der realen Prozesse überhaupt nicht Rechnung. In ihm wurden die Naturalbeziehungen verabsolutiert, und ohne jede Beweisführung wurde die Möglichkeit einer Naturalrechnung deklariert; es stellte somit die Beziehungen und Verflechtungen der Übergangswirtschaft und des Sozialismus in völlig falschem Licht dar. In Wirklichkeit ist die primitive Naturalwirtschaft dem Sozialismus wesensfremd. Die planmäßige Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die Zweige, der Ergebnis-Kosten-Vergleich in der Produktion verlangen die einheitliche Erfassung und den einheitlichen Ausweis des Arbeitsaufwands; das erfolgt im Sozialismus mit Hilfe der Ware-Geld-Formen. Mises und seine Anhänger ignorierten die Entwicklung des sowjetischen ökonomischen Denkens jener Zeit. In Ubereinstimmung mit der marxistischen Betrachtung des Wirtschaftsprozesses unter dem Aspekt der Arbeitswerttheorie und mit der These, daß Gebrauchswerte, die unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen, nicht vergleichbar sind, suchte die sowjetische Wirtschaftstheorie nach Formen für die ökonomischen Bindungen zwischen dem sozialistischen Sektor und den anderen sozialökonomischen Sektoren sowie innerhalb des sozialistischen Sektors. Diskutiert wurden auch die Formen und Einheiten für die gesellschaftliche Messung der Arbeit. Die Ideologen des Antisozialismus ignorierten in ihren spekulativen Überlegungen die Wirklichkeit, die Praxis des sozialistischen Aufbaus in der U d S S R . Aus der Verallgemeinerung der Wirklichkeit hatte Lenin auch die Theorie der Ware-Geld-Beziehungen für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus entwickelt. Die schöpferische Weiterentwicklung der Leninschen Methodologie für die Analyse der Ware-Geld-Beziehungen führte die marxistischleninistische politische Ökonomie des Sozialismus zu dem Schluß, daß es auch im entwickelten Sozialismus Warenproduktion geben würde. Da Mises davon ausging, daß es im Sozialismus weder Warenproduktion noch Warenzirkulation geben könne, interpretierte er die Ware-Geld-Hebel (wie zum Beispiel den Preis), deren sich die Praxis des sozialistischen Aufbaus weitgehend bediente, als dem Kapitalismus entlehnte Formen. Er schrieb, daß die volkswirtschaftlichen Berechnungen in der U d S S R auf den Produktionsmittelpreisen beruhe, wie sie auf dem kapitalistischen Weltmarkt zustande kommen. 3 1 Der Logik seiner Konzeption entsprechend betrachtete er die realen Ware-GeldBeziehungen als etwas dem Sozialismus Fremdes, ihm von außen Aufgedrängtes. Doch ist die Behauptung von Mises, daß der Sozialismus die Ware-Geld-Formen, insbesondere das Preissystem, dem Kapitalismus einfach entlehnt habe, von der Wirklichkeit ebenso widerlegt worden, wie seine ganze theoretische 31

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Vgl. L u d w i g v. Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, J e n a 1932, S. 116.

K o n s t r u k t i o n . Die P r e i s s t r u k t u r in d e r U d S S R u n t e r s c h e i d e t sich b e k a n n t l i c h sehr wesentlich v o n d e r auf d e m k a p i t a l i s t i s c h e n M a r k t . Das historisch e n t s t a n d e n e , d e n spezifischen B e d i n g u n g e n e n t s p r e c h e n d e P r e i s s y s t e m des S o w j e t l a n d e s w a r d u r c h einen b e s t ä n d i g e n U n t e r s c h i e d im Preisn i v e a u f ü r K o n s u m g ü t e r u n d P r o d u k t i o n s m i t t e l g e k e n n z e i c h n e t . D a b e i lagen die K o n s u m g ü t e r p r e i s e ü b e r u n d die P r o d u k t i o n s m i t t e l p r e i s e u n t e r d e m W e r t . I m e n t w i c k e l t e n Sozialismus, m i t der V e r v o l l k o m m n u n g des P l a n p r e i s s y s t e m s v e r r i n g e r t sich diese K l u f t allmählich, n ä h e r n sich die Preise d e m gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand. Der p l a n m ä ß i g e C h a r a k t e r des P r e i s s y s t e m s u n d d e r P r e i s b i l d u n g e r m ö g l i c h t , die Verteilungs- u n d U m v e r t e i l u n g s f u n k t i o n des Preises a k t i v a n z u w e n d e n , u m in b e s t i m m t e n G r e n z e n j e n e k o n k r e t e n A b w e i c h u n g e n d e s Preises v o m W e r t festzulegen, die d e n I n t e r e s s e n d e r V o l k s w i r t s c h a f t u n d d e r L ö s u n g d e r sozialen A u f g a b e n a m b e s t e n e n t s p r e c h e n . Das b e t r i f f t die S e n k u n g d e r Preise f ü r t e c h nisch h o c h q u a l i f i z i e r t e W a r e n , die Differenzierung d e r Preise f ü r l e b e n s n o t w e n d i g e W a r e n , langlebige G e b r a u c h s g ü t e r u n d L u x u s a r t i k e l u n d die v e r h ä l t n i s m ä ß i g e E r h ö h u n g d e r Preise f ü r gesundheitsschädliche W a r e n . Mises u n d seine A n h ä n g e r b e h a u p t e t e n , d a ß es in d e n B e z i e h u n g e n zwischen d e n in gesellschaftlichem E i g e n t u m befindlichen B e t r i e b e n keine W a r e - G e l d B e z i e h u n g e n (und d a m i t a u c h keine Preise) geben k ö n n e . 3 2 Sie v e r t r a t e n die A n s i c h t , d a ß d e r a r t i g e B e z i e h u n g e n n u r auf der Basis des P r i v a t e i g e n t u m s o d e r d e s gesellschaftlichen G r u p p e n e i g e n t u m s möglich seien. In d e n letzten J a h r e n h a t sich in d e r s o w j e t i s c h e n W i r t s c h a f t s l i t e r a t u r i m m e r m e h r der S t a n d p u n k t d u r c h g e s e t z t , d a ß die E x i s t e n z v o n V e r h ä l t n i s s e n d e r W a r e n p r o d u k t i o n u n d -Zirkulation, d a m i t a u c h v o n W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n zwischen d e n s t a a t l i c h e n (volkseigenen) Betrieben, v o n d e n B e s o n d e r h e i t e n d e s Volkseigentums a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n i m sozialistischen S t a d i u m u n d des v o n ihnen g e p r ä g t e n C h a r a k t e r s der u n m i t t e l b a r gesellschaftlichen A r b e i t h e r v o r g e r u f e n wird. 3 3 Die sozialökonomische U n g l e i c h a r t i g k e i t d e r A r b e i t , die d e r e n materielle S t i m u l i e r u n g n o t w e n d i g m a c h t , v e r l a n g t , d a ß die sozialistischen B e t r i e b e die A r b e i t s p r o d u k t e n a c h d e m Ä q u i v a l e n z p r i n z i p a u s t a u schen. Diese Ä q u i v a l e n z in d e n A u s t a u s c h b e z i e h u n g e n zwischen d e n B e t r i e b e n ist n u r d u r c h d e r e n relative V e r s e l b s t ä n d i g u n g möglich, bei d e r sie d e n E r s a t z - , L o h n - u n d A k k u m u l a t i o n s f o n d s aus d e m W e r t d e r v o n i h n e n h e r g e s t e l l t e n E r zeugnisse bilden. Dieser ä q u i v a l e n t e A u s t a u s c h d e r A r b e i t s p r o d u k t e zwischen 32

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Vgl. Ludwig v. Mises, Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen, ia: Archiv für Sozial Wissenschaft und Sozialpolitik, 47. Bd., Tübingen 1920/1921, S. 105; Ludwig Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus, Jena 1932, S. 111; Lionel C. Robbins, The Great Depression, London 1934, S. 152-153. Vgl. V. M. Batyrev, Tovarno-deneznye otnosenija, finansv i kredit v socialisticeskom chozjajstve (Voprosy teorii), gl. I, II, Moskva 1970; Ja. A. Kronrod, Zakon stoimosti i socialisticeskaja ekonomika, razdel I, Moskva 1970; A. W. Batschurin, Planung und Wirtschaftsleitung, Berlin 1975, Kap. 9.

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den relativ verselbständigten Betrieben l ä ß t sieh infolge der nichtantagonistischen Widersprüche der u n m i t t e l b a r gesellschaftlichen Arbeit n u r über die Produktion u n d den Austausch dieser Arbeitsprodukte in W a r e n f o r m realisieren. I m Sozialismus v e r ä n d e r t sich das Wesen der Verhältnisse der W a r e n p r o d u k t i o n u n d -Zirkulation, so ihre Wirkungsweise, ihr Wirkungsbereich u n d ihre Stellung in der ökonomischen S t r u k t u r der Gesellschaft von G r u n d auf. Die sozialistischen Bedingungen ä u ß e r n sich in den indirekten Ware-Geld-Beziehungen zwischen den sozialistischen Betrieben, im Absatz ihrer Erzeugnisse u n d in der Versorgung mit P r o d u k t i o n s m i t t e l n ; zwischen den sozialistischen Betrieben u n d den Mitgliedern der Gesellschaft im K o n s u m g ü t e r h a n d e l ; zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft im Handel m i t Erzeugnissen der individuellen Nebenwirtschaften. Diese Verhältnisse sind den direkten, nicht an den äquivalenten A u s t a u s c h gebundenen Beziehungen untergeordnet u n d ergänzen sie. Der Wirkungsbereich der Verhältnisse der W a r e n p r o d u k t i o n ist begrenzt. Ihre Bewegung t r ä g t planmäßigen Charakter. Einen zentralen Platz in der Konzeption von Mises n a h m die These ein, d a ß es im Sozialismus keinen M a r k t u n d keine Preise f ü r P r o d u k t i o n s m i t t e l gäbe, während sie f ü r K o n s u m g ü t e r diese Möglichkeit einräume. Die Einheit von Reproduktionsprozeß u n d Umschlag des gesellschaftlichen G e s a m t p r o d u k t s bedingt jedoch, d a ß all seine Teile, u n a b hängig von ihrer ökonomischen Zweckbestimmung, W a r e n f o r m besitzen. Sie bedingt folglich auch das einheitliche Wesen des Geldes, eine spezifische Ware, nämlich allgemeines Äquivalent in allen Bereichen der sozialistischen W i r t s c h a f t zu sein. I m Sozialismus repräsentieren sich die Warenaustauschbeziehungen im wesentlichen als organisierter Markt, also als sich planmäßig entwickelnde sozialistische Warenzirkulation, die auf dem gesellschaftlichen E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n in seinen beiden F o r m e n , dem staatlichen u n d dem genossenschaftlichen E i g e n t u m , b e r u h t , u n d die den Ubergang der K o n s u m g ü t e r aus dem gesellschaftlichen in persönliches E i g e n t u m v e r m i t t e l t . Die k o n k r e t e n Formen u n d der Grad der P l a n m ä ß i g k e i t der verschiedenen W a r e n s t r ö m e des organisierten Marktes sind unterschiedlich. Die Bewegung der P r o d u k t i o n s m i t t e l in der Zirkulationssphäre weist bekanntlich gegenüber der Bewegung der Kons u m g ü t e r einige spezifische Merkmale auf. Doch sind beide Ausdruck von W a r e n austauschbeziehungen. Am deutlichsten zeigt sich der M a r k t c h a r a k t e r des Umschlags der Erzeugnisse der sozialistischen Betriebe im Einzelhandel m i t Konsumgütern, wo der Verbraucher ihre U b e r e i n s t i m m u n g m i t den Bedürfnissen u n m i t t e l b a r p r ü f t . Beim System der kontingentierten Materialversorgung ist er a m s t ä r k s t e n verborgen, obgleich auch diese in Ware-Geld-Form s t a t t f i n d e t u n d Ausdruck der realen Zirkulation der P r o d u k t i o n s m i t t e l , eines realen Wechsels der W e r t f o r m e n ist. F ü r Mises waren P r o d u k t i o n s m i t t e l m a r k t u n d Produktionsmittelpreise Ins t r u m e n t a r i e n , die n u r der kapitalistischen Gesellschaft i m m a n e n t seien, da es hier K o n k u r r e n z u m die P r o d u k t i o n s f a k t o r e n gäbe. Bei dieser Fragestellung,

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die sich in den meisten Fällen nicht gerade durch E x a k t h e i t und Präzision ausdrückte, warf Mises Produktionsmittel und Produktionsfaktoren in einen Topf. U m aber die Spezifik der Wirkungsweise der sozialistischen Gesellschaft zu begreifen, ist es sehr wichtig, den Unterschied zwischen beiden zu sehen. Als Resultat der Produktion, als Teil des gesellschaftlichen Gesamtprodukts sind die Produktionsmittel eine Ware, die einen Preis hat und in den spezifischen Formen des organisierten Marktes realisiert wird. Die im Produktionsprozeß verwendeten Produktionsmittel nehmen als Träger der sozialistischen Produktionsverhältnisse die sozialökonomische Form von gesellschaftlichen Produktionsfonds an. Die Produktionsgrundfonds sind ebensowenig Waren wie die anderen Produktionsfaktoren (Arbeitskräfte und Boden). Dennoch vollzieht sich ihr Verbrauch und ihr E r s a t z in Wertform, weil diese mit der Warenbewegung (Realisierung der Fertigproduktion: Produktionsmittel und Konsumgüter) einhergeht. Die Erfassung des übertragenen Grundfondswertes auf den Erzeugniswert, in Gestalt der Abschreibungen, und die F o n d s a b g a b e sind die ökonomischen Formen, die der Gesellschaft ermöglichen, den Aufwand an vergegenständlichter Arbeit für die Produktion zu berechnen und ihre Einsparung zu stimulieren. Im Verlauf der Diskussion über die „Wirtschaftsrechnung im Sozialismus" präzisierten die Anhänger von Mises einige Formulierungen zur Markt- und Preisfrage. L. Robbins, G. H a l m und andere stellten die F r a g e schon nicht mehr nach dem Markt und den Preisen für Produktionsmittel, sondern nach dem Markt für Produktionsfaktoren (Kapital, Boden, Arbeit) und den auf diesem Markt zustande kommenden Preisen in Gestalt von Zins, Rente, Lohn und Profit. Sie betrachteten den elementaren Produktionsfaktorenmarkt und den damit verbundenen Mechanismus des Kapitalflusses zwischen den Zweigen als einzig möglichen Mechanismus zur Regulierung der Proportionen. Und da sie davon ausgingen, daß ein solcher Markt im Sozialismus ebenso fehle wie der Kapitalfluß zwischen den Zweigen, zogen sie den Schluß, daß es hier überhaupt keinen ökonomischen Mechanismus gäbe. Aber wenn der Sozialismus auch die Warenform und den Markt für Produktionsfaktoren abschafft, so erzeugt er doch seinen eigenen ökonomischen Mechanismus. Die Hauptrolle in diesem Mechanismus spielt die zentrale Verteilung der Produktionsfaktoren, die planmäßige Festlegung der Grundproportionen der Reproduktion entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft. In diesem ökonomischen Mechanismus spielen die Ware-Geld-Beziehungen nicht die bestimmende Rolle. D a aber die Warenform die allgemeine F o r m des Produkts ist, vermitteln die Ware-Geld-Kategorien auch die planmäßige Bestimmung der volkswirtschaftlichen Grundproportionen und deren Realisierung. Die wichtigsten Proportionen des Volkswirtschaftsplanes, die die Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts und des Nationaleinkommens betreffen, werden in Wertform geplant. Zugleich vermitteln die Ware-GeldFormen nicht nur die Bewegung der Produktionsfaktoren, sie sind auch ein

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•wesentliches E l e m e n t des w i r t s c h a f t l i c h e n F u n k t i o n s m e c h a n i s m u s u n d h a b e n e i g e n s t ä n d i g e B e d e u t u n g . Sie spielen bei d e r Verteilung u n d S t i m u l i e r u n g d e r gesellschaftlichen A r b e i t , bei d e r E r m i t t l u n g u n d E i n h a l t u n g d e r v o l k s w i r t schaftlichen P r o p o r t i o n a l i t ä t eine sehr wesentliche Rolle. Die p l a n m ä ß i g ges t a l t e t e n W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n ermöglichen eine zusätzliche o b j e k t i v e K o n trolle ü b e r die U b e r e i n s t i m m u n g der p l a n m ä ß i g p r o d u z i e r t e n Erzeugnisse m i t den gesellschaftlichen B e d ü r f n i s s e n . A u s g e h e n d v o n einer d o g m a t i s c h e n Auslegung d e r M a r x s c h e n Lehre ü b e r Zins, P r o f i t , L o h n u n d R e n t e zogen die Ideologen des Antisozialismus d e n S c h l u ß , d a ß diese K a t e g o r i e n im Sozialismus n i c h t wirken k ö n n t e n . F ü r sie w a r die g r u n d l e g e n d e V e r ä n d e r u n g des sozialen I n h a l t s dieser K a t e g o r i e n , d e r F o r m ihrer A n w e n d u n g u n d ihrer Rolle im W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s g l e i c h b e d e u t e n d m i t d e r e n völliger L i q u i d i e r u n g oder m i t ihrer V e r w a n d l u n g in rein f o r m a l e , rechnerische K a t e g o r i e n o h n e realen ö k o n o m i s c h e n I n h a l t . I n seinem B u c h „Socialism" schrieb Mises, die Sozialisten h ä t t e n keinerlei k l a r e Vorstellung v o n der Bild u n g d e r E i n k o m m e n der P r o d u k t i o n s f a k t o r e n . D a r a u s erkläre sich a u c h die S c h l u ß f o l g e r u n g v o n Marx, d a ß im Sozialismus die Kategorien L o h n , P r o f i t u n d R e n t e u n d e n k b a r seien. 3 4 N a t ü r l i c h i n t e r p r e t i e r e n die B e g r ü n d e r des M a r x i s m u s diese K a t e g o r i e n als spezifisch k a p i t a l i s t i s c h e K a t e g o r i e n . P r o f i t , Zins u n d R e n t e , die v e r w a n d e l t e F o r m e n des M e h r w e r t s sind, d r ü c k e n im K a p i t a l i s m u s Beziehungen zwischen d e n v e r s c h i e d e n e n G r u p p e n der Bourgeoisie sowie zwischen d e n A u s b e u t e r k l a s s e n aus, u n d d a m i t Verhältnisse d e r A u s b e u t u n g d e r A r b e i t d u r c h d a s K a p i t a l . M a r x u n d Engels h a t t e n sich n i c h t das Ziel gestellt, den F u n k t i o n s m e c h a n i s m u s d e r sozialistischen W i r t s c h a f t detailliert wiederzugeben. U n d so h a b e n sie a u c h nichts ü b e r die k o n k r e t e n B e w e g u n g s f o r m e n des M e h r p r o d u k t s u n d des n o t w e n d i g e n P r o d u k t s geschrieben, obgleich sie wiederholt die N o t w e n d i g k e i t dieser E i n t e i l u n g in der sozialistischen Gesellschaft h e r v o r g e h o b e n h a b e n . D a Gewinn, R e n t e u n d Zins, die E i n k o m m e n d e r sozialistischen Gesellschaft, G e l d f o r m h a b e n , k o n n t e n sie in den W e r k e n d e r B e g r ü n d e r des M a r x i s m u s schon d e s h a l b n i c h t erscheinen, weil diese v o n Verhältnissen a u s g e g a n g e n w a r e n , u n t e r d e n e n es keine W a r e - G e l d - B e z i e h u n g m e h r geben würde. D u r c h die schöpferische W e i t e r e n t w i c k l u n g d e r marxistisch-leninistischen politischen Ö k o n o m i e des Sozialismus, d u r c h die V e r a l l g e m e i n e r u n g der E r f a h r u n g e n a u s d e m A u f b a u des Sozialismus w u r d e die o b j e k t i v e N o t w e n d i g k e i t der E x i s t e n z solcher Kategorien wie Gewinn, R e n t e u n d Zins i m Sozialismus n a c h g e w i e s e n . D e r sozialistische S t a a t n u t z t diese ö k o n o m i s c h e n H e b e l bei d e r p l a n m ä ß i g e n L e i t u n g d e r V o l k s w i r t s c h a f t in b r e i t e m Maße aus. Die A b s c h a f f u n g des M e h r w e r t s u n d der von i h m a u s g e d r ü c k t e n A u s b e u t u n g s v e r h ä l t n i s s e v e r ä n d e r t g r u n d l e g e n d sowohl d e n sozialen I n h a l t als a u c h die 34

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Vgl. Ludwig v. Mises, Socialism. An Economic and Sociological Analysis, 1951, S. 154-155.

London

V e r w e n d u n g s f o r m e n von Gewinn, R e n t e u n d Zins. I m Sozialismus r e p r ä s e n t i e r e n sie Verhältnisse der u n m i t t e l b a r gesellschaftlichen P r o d u k t i o n u n d A n e i g n u n g d e s M e h r p r o d u k t s . Die k o n k r e t e spezifisch sozialistische F o r m v o n G e w i n n , R e n t e u n d Zins, die d a r i n b e s t e h t , d a ß sie spezifische G e l d e i n k o m m e n d e r sozialistischen Gesellschaft u n d ihrer Betriebe, v e r s e l b s t ä n d i g t e Teile d e r P r o d u k t i o n s k o s t e n sind, e r g i b t sich a u s d e m Z u s a m m e n w i r k e n d e r Gesetze d e r sozialistischen P r o d u k t i o n , D i s t r i b u t i o n u n d Zirkulation. Die N o t w e n d i g k e i t , die K a t e g o r i e n Gewinn, R e n t e u n d Zins i m Sozialismus a u s z u n u t z e n , e r g i b t sich d a r a u s , d a ß die sozialistischen B e t r i e b e n a c h d e n G r u n d s ä t z e n d e r w i r t s c h a f t l i c h e n R e c h n u n g s f ü h r u n g a r b e i t e n . In d e r sozialistischen W i r t s c h a f t b e s t e h e n die F u n k t i o n e n von Gewinn, Zins u n d R e n t e d a r i n , d a ß sie die rationelle W i r t s c h a f t s f ü h r u n g u n d d e n e f f e k t i v e n E i n s a t z d e r lebendigen A r b e i t , d e r in d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n v e r g e g e n s t ä n d l i c h t e n A r b e i t sowie d e r N a l u r v o r r ä t e d u r c h die Betriebe stimulieren. Aus der Negierung d e r Möglichkeit u n d N o t w e n d i g k e i t , G e w i n n , Zins u n d R e n t e als ökonomische Hebel a u s z u n u t z e n , folgte logischerweise die These d e r bürgerlichen Ö k o n o m e n , d a ß die sozialistischen B e t r i e b e keine w i r t s c h a f t liche R e c h n u n g s f ü h r u n g b e t r e i b e n k ö n n t e n . Mises b e h a u p t e t e , d a ß es o h n e einen freien M a r k t , o h n e die auf i h m z u s t a n d e k o m m e n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l p r e i s e u n m ö g l i c h sei, die K o s t e n zu e r m i t t e l n u n d die E r g e b n i s s e m i t d e n A u f w e n d u n g e n zu vergleichen. Mises u n d die a n d e r e n V e r f e c h t e r d e r K o n z e p t i o n v o n d e r „logischen u n d p r a k tischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus" e n t s t e l l t e n die A r b e i t s w e r t t h e o r i e , i n d e m sie ihr W e s e n auf die u n m i t t e l b a r e Messung des A r b e i t s a u f w a n d s in A r b e i t s z e i t e i n h e i t e n r e d u z i e r t e n . 3 5 Aus d e r U n m ö g l i c h k e i t dieser Messung schloß m a n , d a ß die w i r t s c h a f t l i c h e R e c h n u n g s f ü h r u n g u n m ö g l i c h sei. Die u n m i t t e l b a r e E r f a s s u n g des A r b e i t s a u f w a n d s in A r b e i t s z e i t e i n h e i t e n wird erst in d e r h ö c h s t e n P h a s e d e r k o m m u n i s t i s c h e n F o r m a t i o n möglich sein, w e n n die B e d i n g u n g e n e n t f a l l e n , die die A u s n u t z u n g der W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n u n d des W e r t g e s e t z e s n o t w e n d i g m a c h e n . I m Sozialismus werden A u f w a n d u n d E r gebnis d e r P r o d u k t i o n ü b e r die P l a n p r e i s e a n e i n a n d e r gemessen, die auf d e r p l a n m ä ß i g e n A u s n u t z u n g des W e r t g e s e t z e s b e r u h e n . W e n n g l e i c h d a s W e r t g e s e t z im Sozialismus n i c h t m e h r H a u p t r e g u l a t o r d e r P r o p o r t i o n e n ist, w i r k t es hier d o c h als preisregulierendes Gesetz, als Gesetz der Preise; z u g r u n d e liegen m u ß d e m Preis der gesellschaftlich n o t w e n d i g e Arb e i t s a u f w a n d . J e m e h r die W a r e n p r e i s e diesem A u f w a n d a n g e n ä h e r t sind, u m so g e n a u e r wird die real erzeugte W e r t m a s s e wiedergegeben, u n d u m so g ü n s t i g e r sind die B e d i n g u n g e n f ü r die w i r t s c h a f t l i c h e R e c h n u n g s f ü h r u n g d e r B e t r i e b e . 35

Vgl. Ludwig v. Mises, Wie Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 47. Bd., Tübingen 1920/1921, S. 106; Trygve J. B. Hoff, Economic Calculation in the Socialist Society, London 1949, S. 5 4 - 5 5

37

Die Ideologen des Antisozialismus wollten nachweisen, daß von den sozialistischen Betrieben kein „Antrieb zu Reformen und Verbesserungen der Produktion" ausgehe, daß sie „ein totes Glied im Organismus der Volkswirtschaft" 3 0 darstellen. F ü r sie waren das Privateigentum an den Produktionsmitteln sowie die privatwirtschaftlichen Interessen und Stimuli unabdingbare Voraussetzungen für die effektive Arbeit der Betriebe, für ihre materielle Verantwortlichkeit und wirtschaftliche Initiative. Auch diese These der bürgerlichen Ökonomen war eine Folge simplifizierter Vorstellungen vom Sozialismus, des Negierens der spezifischen ökonomischen Interessen der sozialistischen Betriebe und ihrer Kollektive, des mangelnden Verständnisses für das komplizierte Zusammenwirken dieser Interessen mit denen der ganzen Gesellschaft und ihrer einzelnen Mitglieder. Die Wechselbeziehungen zwischen den Interessen der Gesellschaft, der Betriebe und ihrer Kollektive sowie den Interessen der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft tragen planmäßigen Charakter und werden durch die Pläne für die Entwicklung der Volkswirtschaft garantiert. Eine zusätzliche Form für ihre Realisierung bildet die wirtschaftliche Rechnungsführung der Betriebe. Sie ist die Form der Bewegung und Lösung der nichtantagonistischen Widersprüche. Die wirtschaftliche Rechnungsführung stellt die direkte Verbindung zwischen den Einkommen des Betriebes, seines Kollektivs und seiner einzelnen Beschäftigten mit den Ergebnissen der Wirtschaftstätigkeit her, sie bringt den individuellen Arbeitsaufwand in Ubereinstimmung mit dem gesellschaftlich notwendigen Aufwand und dient auf diese Weise der bestmöglichen Erfüllung des Plans, d. h. den Interessen des ganzen Volkes. Die effektive Erfüllung der Auflagen des Volkswirlschaftsplans wird über das S y s t e m der individuellen, gesellschaftlichen und kollektiven Stimuli gewährleistet, die die Interessen der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft, der Betriebe und ihrer Kollektive realisieren. Solche Stimuli sind heute der Lohn, der Prämienfonds und der Investitionsfonds, die Fondszuführung, die die rationelle Nutzung der Produktionsfonds stimuliert, und andere Instrumente der wirtschaflliehen Rechnungsführung.

Die Negierung

der Möglichkeit

einer

effektiven

Wirtschaft

im

Sozialismus

Von der These, daß eine wirtschaftliche Rechnungsführung der Betriebe im Sozialismus nicht möglich sei, kam Mises zu dem Schluß, daß der Sozialismus auf betrieblicher Ebene nicht effektiv sein könne. Indem er die spontan zustande kommenden Preise und Gewinne als einzig mögliche Regulatoren für die Verteilung und effektive Nutzung der Produktionsfaktoren hinstellte, wollte er ,.naeh36

38

L u d w i g v. Mises, Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 47. B d . , Tübingen 1920/1921, S. 111.

weisen", d a ß a u c h auf d e r E b e n e d e r V o l k s w i r t s c h a f t d e r Sozialismus u n e f f e k t i v sein müsse. U n t e r d e r H e r r s c h a f t des V o l k s e i g e n t u m s k ö n n e d a s P r i n z i p , m i t m i n i m a l e n K o s t e n b e s t m ö g l i c h e Ergebnisse zu erzielen, n i c h t v e r w i r k l i c h t werd e n : „Sozialismus ist A u f h e b u n g d e r R a t i o n a l i t ä t d e r W i r t s c h a f t " . 3 7 Mises p r o phezeite K a p i t a l a u f z e h r u n g , Z e r s t ö r u n g der n o r m a l e n gesellschaftlichen K o o p e r a t i o n d e r A r b e i t u n d a n d e r e S c h r e c k e n . D e r Sozialismus sei „ Z e r t r ü m m e r e r dessen, was J a h r t a u s e n d e d e r K u l t u r m ü h s a m g e s c h a f f e n h a b e n " . 3 8 Viele bürgerliche Ö k o n o m e n , d a r u n t e r a u c h einige A n h ä n g e r v o n Mises, s a h e n sich gezwungen, die U n h a l t b a r k e i t dieser Thesen z u z u g e b e n . So schrieb G. H a l m , d a ß die V o r a u s s e t z u n g e n , v o n d e n e n a u s g e h e n d Mises n a c h w e i s e n wollte, d a ß j e d e r Versuch, eine f u n k t i o n s f ä h i g e , rationelle sozialistische W i r t s c h a f t zu s c h a f fen, z u m S c h e i t e r n v e r u r t e i l t sei, e x t r e m gewesen w ä r e n . 3 9 U n d A. B e r g s o n schrieb in einem R e s ü m e e ü b e r die Ergebnisse d e r Diskussion, d a ß die P r a x i s die S c h l u ß f o l g e r u n g e n v o n Mises ü b e r d e n H a u f e n g e w o r f e n h a b e : „ H e u t e ist allgemein a n e r k a n n t , d a ß Mises' A r g u m e n t e haltlos s i n d " . 4 0 F . H a y e k v e r s u c h t e , d e n S t a n d p u n k t v o n Mises zu präzisieren, i n d e m er versicherte, d a ß dessen T h e s e v o n d e r „ U n m ö g l i c h k e i t des S o z i a l i s m u s " u n g e w o l l t sei u n d Mises d a m i t die U n m ö g l i c h k e i t einer W i r t s c h a f t s r e c h n u n g i m Sozialism u s g e m e i n t habe/* 1 H a y e k sowie R o b b i n s u n d H a l m zogen sich, u m m i t 0 . L a n g e zu s p r e c h e n , in die zweite Verteidigungslinie z u r ü c k . Sie v e r n e i n t e n n i c h t m e h r die t h e o r e t i sche Möglichkeit einer r a t i o n e l l e n Verteilung d e r R e s s o u r c e n in d e r sozialistischen Gesellschaft, s o n d e r n d e r e n p r a k t i s c h e D u r c h f ü h r b a r k e i t . U n t e r t h e o r e tischer Möglichkeit v e r s t a n d e n sie die Möglichkeit, ein S y s t e m v o n G l e i c h u n g e n zu f i n d e n , d a s die S t a t i k der sozialistischen Gesellschaft b e s c h r e i b e ; als p r a k t i sche U n d u r c h f ü h r b a r k e i t b e z e i c h n e t e n sie die angebliche U n m ö g l i c h k e i t , dieses G l e i c h u n g s s y s t e m auf die B e d i n g u n g e n des gesellschaftlichen E i g e n t u m s a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n , u n t e r d e n e n es k e i n e n f r e i e n M a r k t f ü r die P r o d u k t i o n s f a k t o r e n gebe, a n z u w e n d e n . R o b b i n s schrieb, t h e o r e t i s c h sei die Möglichkeit, d a ß auf m a t h e m a t i s c h e m Wege ein P r e i s s y s t e m f ü r die P r o d u k t i o n s f a k t o r e n g e f u n d e n u n d die r e l a t i v e E f f e k t i v i t ä t i h r e r v e r s c h i e d e n e n K o m b i n a t i o n e n e r m i t t e l t w e r d e n k ö n n e , n i c h t ausgeschlossen. „ A b e r in d e r P r a x i s ist diese L ö s u n g n i c h t realisierbar. Sie e r f o r d e r t e , d a ß Millionen G l e i c h u n g e n auf der G r u n d l a g e v o n Millionen s t a t i s t i s c h e n Tabellen a u f g e s t e l l t w e r d e n , die auf

» Ebenda, S. 104. 38 Ludwig v. Mises, Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den^Sozialismus, Jena 1932, S. 424. 39 Vgl. George N. Halm, Wirtschaftssysteme, Berlin (West) 1960, S. 169-170. 40 Abram Bergson, Socialist Economics, in: A Survey of Contemporary Economics, New York 1948, S. 412. 41 Vgl. Friedrich A. Hayek, The Nature and History of the Problem, in: Collectivist Economics Planning, ed. by F. Hayek, S. 36.

39

Millionen Gleichungen beruhen. Aber bis zu der Zeit, d a die Gleichungen gelöst sind, veralten die Informationen, auf die sie sich gründeten, u n d es muß erneut gerechnet w e r d e n " . 4 2 E b e n s o wie Mises erkannten H a y e k , Robbins, H a l m und andere bürgerliche Ökonomen zwar die Spezifik des Sozialismus an, doch verneinten sie zugleich die Möglichkeit eines echten Wirtschaftsmechanismus im ökonomischen S y s t e m des Sozialismus. D s h a l b konnten sie d a s Problem der rationellen Verteilung d e r Ressourcen nicht einmal stellen, von seiner L ö s u n g g a n z zu schweigen. Mit der raschen Entwicklung der elektronischen Rechentechnik in der Gegenwart werden die Voraussetzungen für die Anwendung moderner m a t h e m a t i s c h ökonomischer Methoden in der Planung der Volkswirtschaft geschaffen. Die Vorzüge der sozialistischen Planwirtschaft eröffnen dem A u f b a u eines S y s t e m s der automatisierten Produktionsleitung weite Perspektiven und demonstrieren so die praktische Möglichkeit, viele komplizierte Aufgaben bei der E r m i t t l u n g d e s wirtschaftlichen O p t i m u m s zu lösen. Obgleich aber die effektive N u t z u n g der Ressourcen mathematisch-ökonomische Modelle für die Berechnung der q u a n t i t a t i v e n Seite des Reproduktionsprozesses, für die E r m i t t l u n g seiner P a r a m e t e r verlangt, kann sie mit diesen Mitteln allein nicht gewährleistet werden. Sie erfordert vor allem einen dem sozialistischen gesellschaftlichen E i g e n t u m a d ä q u a t e n Wirtschaftsmechanismus. An die Stelle der spontanen Verteilung der Produktionsfaktoren mit Hilfe des Marktes tritt im Sozialismus ihre planmäßige und unmittelbare Verteilung durch die Gesellschaft; die elementare S c h a f f u n g einer gesellschaftlichen Proportionalität durch den Markt weicht einer planmäßig geregelten Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die Zweige und Bereiche der Volkswirtschaft entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnissen. Diese planmäßigen Direktbeziehungen, die nur für den Sozialismus typisch sind, werden mit Hilfe der Ware-Geld-Formen realisiert u n d verflechten sich mit den planmäßig geregelten Ware-Geld-Beziehungen, die die Bewegung des gesellschaftlichen P r o d u k t s vermitteln. Bei der Konkretisierung der These von der praktischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t der Wirtschaftsrechnung im Sozialismus stellten H a y e k , Robbins, H a l m und andere die These auf, daß die E f f e k t i v i t ä t der sozialistischen Produktion niedriger sei als die der kapitalistischen. S o schrieb H a y e k : „ E s gibt keinerlei Anlaß zu erwarten, daß die Produktion zurückgeht oder die Planungsorgane die Ressourcen ü b e r h a u p t nicht nutzen können, oder daß d a s Produktionsvolumen niedriger sein wird als vor Beginn der Planung. Aber es kann g e s a g t werden, daß d o r t , wo die Verwendung der Ressourcen von einer Zentralstelle b e s t i m m t wird, die Produktion bei sonst gleichen Bedingungen niedriger sein wird als unter d e m Marktpreismechanismus." 4 3 42 43

40

Lionel C. Robbins, The Great Depression, London 1934, S. 151. Friedrich A. Hayek, The Preseut State of the Debate, in: Collectivist Economic Planning, ed. by F. Hayek, S. 204.

Wenn

wir Angaben

über die langfristige E n t w i c k l u n g

der

sozialistischen

W i r t s c h a f t heranziehen, dann wird deutlich, wie u n h a l t b a r die verleumderische These der Ideologen des Antisozialismus von der im Vergleich zum

Kapitalis-

mus niedrigeren wirtschaftlichen E f f e k t i v i t ä t des Sozialismus ist. Diese Angaben beweisen, d a ß die Vorzüge des Sozialismus die Möglichkeit eröffnen, die gesellschaftlichen

Ressourcen bestmöglich zu nutzen und langfristig o p t i m a l e

E f f e k t e zu erzielen/«4 Den Beweis für die gegenüber dem

Kapitalismus höhere E f f e k t i v i t ä t

der

sozialistischen W i r t s c h a f t liefern die gleichbleibend hohen W a c h s t u m s r a t e n des Nationaleinkommens und der A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t in den L ä n d e r n des Sozialismus. I m J a h r e 1 9 7 1 h a t t e

das Nationaleinkommen der U d S S R das 4 9 f a c h e

und die Stundenleistung in der Industrie das 2 9 f a c h e des S t a n d e s v o n 1 9 1 3 erreicht. 4 5 Derartige W a c h s t u m s r a t e n k e n n t kein kapitalistisches I n d u s t r i e l a n d . W e n n das P r o d u k t i o n s a u f k o m m e n der russischen Industrie im J a h r e 1 9 1 3 n u r 12,5 P r o z e n t von dem der U S A - I n d u s t r i e betragen h a t t e , so erzeugte die sowjetische Industrie 1 9 7 1 bereits über 75 Prozent des Ausstoßes der U S A - I n d u s t r i e . U n d die R e l a t i o n in der A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t in der Industrie v e r ä n d e r t e sich von 11 auf 5 4 P r o z e n t . 4 6 Die These von der im Vergleich zum Kapitalismus niedrigeren

Effektivität

des Sozialismus gehörte bei den Theoretikern des „ ä l t e r e n " Liberalismus zur Apologie des spontanen Marktes. In seinem B u c h „ T h e R o a d to S e r f d o m " , das 1 9 4 5 erschien, setzte H a y e k noch i m m e r seine Hoffnungen auf die „ u n s i c h t b a r e H a n d " — auf die inneren K r ä f t e des Kapitalismus —, indem er e r k l ä r t e , d a ß , verglichen

m i t dem unpersönlichen Mechanismus des Preissystems, „der die

K e n n t n i s der bedeutungsvollen

Wirtschaftsdaten

übermittelt,

alle

Einzelak-

tionen aufeinander a b s t i m m t " , die „Methode der zentralen S t e u e r u n g unglaublich plump, primitiv und u n z u r e i c h e n d " 4 7 sei. S o verneinten die V e r t r e t e r der Theorie von der „logischen und praktischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialism u s " die E f f e k t i v i t ä t jeder, auch in kapitalistischen F o r m e n praktizierten, s t a a t lichen Regulierung. Die P r a x i s in den kapitalistischen Ländern h a t j e d o c h gezeigt, d a ß die langfristige staatsmonopolistische Regulierung in ihren verschiedenen F o r m e n einem bedeutsamen F a k t o r für die Einwirkung auf den

zu

Reproduktionsprozeß

geworden ist. Die Wirtschaftsprogrammierung, die höchste F o r m der s t a a t s Eine eingehende kritische Analyse der die hohe wirtschaftliche Effektivität des Sozialismus leugnenden bürgerlichen Konzeptionen findet sich in folgenden Arbeiten: S. A. Chavina, Kritika burzuaznych vzgliadov na zakonomernosti socialisticeskogo chozjastvovanija, Moskva 1968, Kap. V I I I ; Ju. J a . Ol'sevic Effektivnost' ekonomiki socializma. Kritika burzuaznych i reformistskich koneepeij, Moskva 1972, Kap. II. « Narodnoe chozjajstvo SSSR. 1922-1972, Moskva 1972, S. 48. « Ebenda, S. 64, 47 Friedrich A. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, Erlenbach-Zürich 1952, S. 75. 44

41

monopolistischen Regulierung, stellt den Versuch dar, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse dem gegenwärtigen Entwicklungsstand der Produktivkräfte anzupassen und den zunehmenden Widersprüchen des Kapitalismus unter den Verhältnissen seiner allgemeinen Krise entgegenzuwirken. Die indikativen Pläne beinhalten nicht nur die laufende, sondern auch die langfristige strukturelle Regulierung der kapitalistischen Wirtschaft. Sie fördern die Konzentration der Produktion sowie die Entwicklung der strategisch wichtigen Wirtschaftzweige und -bereiche. Der staatsmonopolistische Inhalt dieser Wirtschaftsprogrammierung macht sie jedoch widersprüchlich und setzt ihr Grenzen. Die kapialistische Planifikation ist an den spontanen Marktmechanismus gebunden, der auch weiterhin die Rolle des Hauptregulators der Proportionen spielt, so daß der Wirtschaftsprozeß im wesentlichen spontan abläuft. Das Monopolkapital nutzt die Vorteile der staatlichen Programmierung, um seine Positionen zu festigen und die Ausbeutung der Werktätigen zu intensivieren. In Weiterentwicklung der Alternative „Plan oder Markt" stellte Mises im Jahre 1940 die These von der Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Sozialismus auf, die er besonders präzise in seinem Lehrbuch „Nationalökonomie" formulierte. Hier schrieb Mises, theoretisch sei es nicht schwierig, die Verkehrswirtschaft von der Planwirtschaft, den Kapitalismus vom Sozialismus genau abzugrenzen. Diese beiden Systeme einer auf Arbeitsteilung beruhenden Wirtschaft seien leicht voneinander zu unterscheiden. Zwischen ihnen gebe es keine Zwischenstufen, keine Mischsysteme. 48 Natürlich sind Kapitalismus und Sozialismus entgegengesetzte, einander ausschließende Wirtschaftssysteme. Und wenn die Verfechter der gegenwärtigen Konvergenztheorie diese These angreifen, dann ist dies kein Zufall. Denn diese bürgerlichen Theoretiker, die eine aus Elementen des Kapitalismus und Sozialismus bestehende „Mischwirtschaft" für möglich halten, beschuldigen Mises der unrealistischen „Schwarz-Weiß-Malerei". 49 Aber wenn Mises von der Alternative „Kapitalismus oder Sozialismus" sprach, dann verstand er unter Sozialismus jede Einmischung des Staates in die Wirtschaft, die automatisch den Übergang zur planmäßigen Leitung von Produktion und Distribution nach sich ziehe. Doch schließt der Kapitalismus die Einmischung des bürgerlichen Staates in die Wirtschaft, die letzlich im Interesse der Monopole erfolgt, keineswegs aus, und sie f ü h r t in den kapitalistischen Ländern auch nicht zur planmäßigen Entwicklung der Wirtschaft. Obgleich die staatmonopolistische Regulierung die materiellen Voraussetzungen des Sozialismus im Kapitalismus schafft, ändern 48 49

Vgl. Ludwig v. Mises, Nationalökonomie, Genf 1940, S. 646. Vgl. Hannelore Hamel, Konvergenz der Wirtschaftssysteme. Thesen pro und contra, in: F. Blaich, J. Bog, G. Gutmann, K. P. Hensel, Wirtschaftssysteme zwischen Zwangsläufigkeit und Entscheidung, Stuttgart 1971, S. 128.

42

doch selbst ihre höchsten Formen — Programmierung und Planifikation — nichts an der Natur des Kapitalismus, können sie seine ihm innewohnenden Mängel und Widersprüche nicht beseitigen. Die sozialistische Planung der Volkswirtschaft unterscheidet sich grundlegend von der Wirtschaftsprogrammierung in den kapitalistischen Ländern. Diese Unterschiede werden vom grundsätzlich verschiedenen Klasseninhalt des sozialistischen und des bürgerlichen Staates, von den prinzipiellen Unterschieden zwischen den sozialistischen und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und den sie regelnden Gesetzen bestimmt. An die Stelle der spontanen Verteilung der Ressourcen durch den Markt setzt der Sozialismus die planmäßige Festlegung der Proportionen der Reproduktion entsprechend den gesellschaftlichen Bedürfnissen auf der Grundlage der bewußten Ausnutzung des Systems der ökonomischen Gesetze. Auf diese Weise werden die für den Kapitalismus typischen riesigen unproduktiven Verluste, die Vergeudung von lebendiger und vergegenständlichter Arbeit, beseitigt und die Voraussetzungen für eine rationelle Nutzung der Naturvorräte sowie für den sparsamen Einsatz von lebendiger und vergegenständlichter Arbeit geschaffen.

Die Konfrontation der

von Planung

und wirtschaftlicher

Freiheit

Persönlichkeit

Zu Recht verbanden die Autoren der Konzeption von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus" das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln mit der zentralen Leitung der Volkswirtschaft. Aber sie setzten die grundsätzlich verschiedenen (sozialistischen und kapitalistischen) Formen der staatlichen Einwirkung auf die Wirtschaft einander gleich, identifizierten sie mit Totalitarismus. So verbrämte Hayek in seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft" das Wesen des Nationalismus und stellte ihn als Spielart des Kollektivismus, also einer Gesellschaft hin, die auf dem gesellschaftlichen Eigentum beruht. Um die Unhaltbarkeit und den verleumderischen Charakter derartiger Behauptungen zu erkennen, braucht man nur an das soziale Wesen des Faschismus, die Diktatur der reaktionärsten Schichten der Monopolbourgeoisie, an die Beibehaltung des kapitalistischen Großbesitzes und des Mechanismus der Marktkonjunktur im faschistischen Deutschland zu denken 5 0 . Mit ihren Grundthesen wurde die Konzeption von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus" zum Vorläufer der Theorie von der „Befehlswirtschaft", die in der Sowjetologie weite Verbreitung erfahren hat. Mises und Hayek waren es, die die Grundgedanken für die Darstellung der sozialistischen Wirtschaft als „BefehlsWirtschaft" geäußert hatten. In dieser Wirtschaft gibt es, dieser Theorie zufolge, keinen Wirtschaftsmechanismus, die Beziehungen 50

4

Vgl. dazu auch das siebente Kapitel des vorliegenden Buches. ö k . soz. Theorien

43

zwischen den Zweigen u n d Betrieben werden durch „Befehl" der Zentralstellen hergestellt u n d sind so rein administrativer Art. Zusammen m i t Max Weber sind Mises u n d H a y e k die Begründer der Theorie v o m bürokratischen Sozialismus. Die ganze Nation, b e h a u p t e t e Mises, bilde ein einziges Arbeiterheer im Zwangsdienst. 5 1 All diese Verleumdungen des Sozialismus basieren auf der Entstellung des Wesens der sozialistischen P l a n u n g , die von den bürgerlichen Theoretikern als Gegensatz zur Anwendung der ökonomischen Gesetze, zu den ökonomischen Leitungsmethoden u n d den materiellen Stimuli hingestellt wird. Theorie u n d P r a x i s haben die U n h a l t b a r k e i t solcher Alternativen wie „Plan oder M a r k t " , „Bedürfnisse u n d Interessen der ganzen Gesellschaft oder Bedürfnisse u n d Interessen des Einzelnen", „staatliche W i r t s c h a f t s l e n k u n g oder Freiheit der Persönlichkeit" längst erwiesen. Die Kategorien u n d Verhältnisse, die sie enthalten, schließen einander nicht a u s ; u n t e r der H e r r s c h a f t des Volkseigentums bilden sie eine organische Einheit. Die Widersprüche zwischen den Interessen der ganzen Gesellschaft u n d denen der einzelnen Kollektive u n d Mitglieder der Gesellschaft, zwischen der Notwendigkeit, die Volkswirtschaft von einem Z e n t r u m aus zu leiten, u n d der ökonomischen Selbständigkeit der S t r u k t u r e i n h e i t e n der W i r t s c h a f t , zwischen der zentralen Wirtschaftsleitung u n d der Entwicklung der gesellschaftlichen Selbstverwaltung sowie der wirtschaftlichen Freiheit der Persönlichkeit tragen n i c h t a n t agonistischen Charakter. Das Mittel, m i t dem sie gelöst werden, ist die sozialistische Demokratie, also die F o r m , in der die Leitung von W i r t s c h a f t u n d Gesells c h a f t ausgeübt wird. Die sozialistische W i r t s c h a f t s d e m o k r a t i e verbindet die Teilnahme der Werktätigen an der Wirtschaftsleitung m i t den zentralisierten F o r m e n der Koordinierung des Wirtschaftslebens. In Gestalt ihrer Vertreter in den staatlichen Machtorganen entscheiden die W e r k t ä t i g e n ü b e r die wichtigsten F r a g e n des politischen u n d wirtschaftlichen Lebens. In den verschiedensten F o r m e n sind die W e r k t ä t i g e n in den Betrieben an der Leitung der gesellschaftlichen P r o d u k t i o n beteiligt. Die sozialistische W i r t s c h a f t s d e m o k r a t i e verbindet die U n t e r o r d n u n g jedes einzelnen Mitglieds der Gesellschaft u n t e r die A u t o r i t ä t des S t a a t e s in W i r t s c h a f t u n d Politik mit der wirtschaftlichen Freiheit der Persönlichkeit, die d u r c h den u n m i t t e l b a r gesellschaftlichen Charakter der P r o d u k t i o n u n d der Arbeit, d u r c h die Nichtexistenz von A u s b e u t u n g sowie d a d u r c h g a r a n t i e r t ist, d a ß sich die W e r k t ä t i g e n das M e h r p r o d u k t direkt oder indirekt selbst aneignen. D a r a u s ergibt sich auch der spezifisch sozialistische Charakter der wirtschaftlichen Freiheit des I n d i v i d u u m s als P r o d u z e n t u n d K o n s u m e n t . Die zentrale Festlegung der wichtigsten 51

Vi

Proportionen

der

Reproduktion

Vgl. Ludwig v. Mises, Socialism. An Economic and Sociological Analysis, London 1951, S. 529.

verlangt die planmäßige Aus- und Weiterbildung der Arbeitskräfte entsprechend den Bedürfnissen der Volkswirtschaft, ihres steigenden Niveaus und ihrer sich verändernden Struktur. Einen beträchtlichen Teil der dafür notwendigen Kosten trägt die Gesellschaft. Auf diese Weise wird die Beschäftigung der gesamten arbeitsfähigen Bevölkerung in der gesellschaftlichen Produktion garantiert. Die unmittelbar gesellschaftliche Aneignung der Produktionsmittel bewirkt und verlangt, daß alle Mitglieder der Gesellschaft die gleichen Bedingungen für den Zugang zu den volkseigenen Produktionsmitteln und für die Einbeziehung ihrer Arbeitskraft in die gesellschaftliche Produktion erhalten. Die Gesellschaft garantiert die allgemeine Vollbeschäftigung und sichert jedem Werktätigen die freie Wahl des Berufs und Arbeitsplatzes entsprechend seinen Neigungen, seiner körperlichen und geistigen Entwicklung und nach dem gesellschaftlichen Ansehen dieser oder jener Art der Betätigung. Zugleich aber muß dem erreichten Stand der gesellschaftlichen Arbeitsteilung entsprechend die Ausübung der in Art, Qualität und Bedingungen verschiedenen Arbeitsfunktionen bestimmten Menschengruppen übertragen werden. Die sozialökonomischen Unterschiede in der Arbeit machen es notwendig, daß eine materielle Vergütung gewährt und der Lebensstandard der Mitglieder der Gesellschaft von ihrer gesellschaftlich nützlichen Arbeitsleistung abhängig gemacht wird. Die materiellen Stimuli, eine Art ökonomischen Anreizes zur Arbeit, deren sich die sozialistische Gesellschaft neben der moralischen Stimulierung bedient, bilden indirekte Formen der planmäßigen Verteilung der Arbeitskräfte. Zu ihnen gehören die Lohndifferenzierung entsprechend derQualifikation des Werktätigen, der Kompliziertheit der Arbeit und der Arbeitsbedingungen nach Zweigen und Regionen sowie die Differenzierung der Zuführungsnormative für die Prämienfonds. So erfolgt die planmäßige Verteilung der Arbeitskräfte auf die Bereiche und Zweige der Volkswirtschaft sowie auf die Betriebe auf der Grundlage der ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Diese Gesetze determinieren die Verteilung des gesamten Arbeitskräfteaufkommens in den notwendigen Proportionen und stellen jedem Einzelnen die Wahl seines Berufes und Arbeitsplatzes frei. 52 Die Unterordnung der sozialistischen Produktion und die Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen, die planmäßige Entwicklung der Volkswirtschaft, die Verteilung nach der Arbeitsleistung, die in Geldform erfolgt, sowie das Wirken des Wertgesetzes und des Gesetzes von Nachfrage und Angebot in der sozialistischen Wirtschaft bilden die ökonomische Grundlage für die Freiheit der Mitglieder der Gesellschaft als Konsumenten. Die im Sozialismus herrschende Direktbeziehung zwischen Produktion und Konsumtion bedeutet, daß sich die Struktur der sozialistischen Produktion nicht 62

•4*

Vgl. I. Ja. Oblomskaja, Sistema licnych materialnych stimulov pri socializme, Moskva 1972, S. 5 1 - 5 3 . 45

über spontane Wert-Preis-Differenzen gestaltet, sondern auf der Grundlage der Erkenntnis und Ausnutzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Bei der Aufstellung der Volkswirtschaftspläne wird auch die Dynamik der kaufkräftigen Nachfrage analysiert und zugrunde gelegt. Die Direktbeziehung zwischen Produktion und Konsumtion, Produktion und kaufkräftiger Nachfrage wird durch eine indirekte Beziehung ergänzt. Sie drückt darin aus, daß entsprechend der Marktlage, dem Verhältnis von Nachfrage und Angebot, das in den Preisen berücksichtigt wird, Korrekturen an den Produktionsplänen vorgenommen werden. Die sozialistische Gesellschaft plant die Gesamtbedürfnisse und die Gesamtnachfrage über die Berechnung der Nachfrage der Wirtschaftsregionen und sozialen Gruppen nach den einzelnen Waren und Warengruppen. Aber auf die individuelle Konsumtion und die Entwicklung der individuellen Bedürfnisse wirkt sie nur indirekt ein, nämlich über die planmäßige Verteilung der Einkommen, die planmäßige Preisbildung und die Entwicklung der Konsumgüterproduktion. Auf diese Weise wird jedem einzelnen Mitglied der Gesellschaft die freie Konsumwahl gewährleistet. Die Theorie von der „logischen und praktischen Undurchführbarkeit des Sozialismus" stand im Widerspruch zur Wirklichkeit. Die Erfolge, die die UdSSR bereits von den ersten Schritten des sozialistischen Aufbaus an aufweisen konnte, sind deutlicher Beweis für diese Feststellung. Die aller Welt bekannten wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften des sozialistischen Weltsystems und der zu ihm gehörenden Ländern liefern immer neue Beweise für den Bankrott dieser Konzeption.

2. K A P I T E L

Kritik der „neoklassischen ökonomischen Theorie des Sozialismus" Die sozialen, klassenmäßigen Positionen der Vertreter der „neoklassischen ökonomischen Theorie des Ihre Einschätzung des Kapitalismus und ihr Verhältnis zur In Opposition

Sozialismus". UdSSR

zu den Anhängern der Theorie von der „logischen und prakti-

schen Undurchführbarkeit des Sozialismus" in der Diskussion über die „ W i r t schaftsrechnung im Sozialismus"

stand eine

Gruppe von

Wirtschaftstheore-

tikern, die in ihren sozialen, klassenmäßigen Positionen, politischen gungen

und

allgemeinen

theoretischen

die eine „über den Klassen stehende propagierte.

Sie

stand im großen

und

also

auf

ökonomischen

und

vertrat

Arthur

Denkens

Vertreter

ganzen

dem

eines

ein

Ideologe

sehr

Zwischenschichten,

der

gemäßigten des

linken die

der bürgerlichen Gesellschaft.

Pigou,

inhomogen

ökonomische Theorie

bürgerlichen Demokratie, Schichten

Auffassungen

Zu

auf

Interessen dieser

Reformismus.

Kleinbürgertums

Positionen

des

Zu

den

der

bürgerlichen

unterschiedlicher

Gruppe

nichtmonopolistischen

und

des Sozialismus"

den

Flügel

Uberzeuwar

gehörte

auch

Bourgeoisie

und

Sprechern

der

und der demokratisch

gesinnten

Intelligenz, zählten solche Vertreter des radikalen bürgerlichen Reformismus wie

Henry

des

sozialdemokratischen

lichen

Dickinson

Ideologie

in

und Robert Hall. Sie selbst standen den der

Reformismus

nahe,

Arbeiterbewegung

Ideologen

der den Einfluß der widerspiegelte

(Robert

bürgerMosse,

Eduard Heimann). Diese Theoretiker kritisierten den

Kapitalismus von

bürgerlich-reformisti-

schen Positionen aus. Obgleich sie meist eine optimale Verteilung der Ressourcen im Kapitalismus theoretisch für möglich hielten, erkannten sie doch, daß in der kapitalistischen Praxis das volkswirtschaftliche Optimum nicht realisiert wird. Der britische Wirtschaftstheoretiker A . Pigou, der zur Cambridger

Schule

gehörte und im Jahre 1937 das Buch „Sozialismus versus Kapitalismus" veröffentlichte, sah die

Ursache

in der

Herrschaft

der Monopole,

in der

mit

dem Reklamerummel verbundenen Verschwendung, in der ungleichen Verteilung der Einkommen und Ressourcen zugunsten der begüterten Klassen sowie in den Unterschieden zwischen den Produktionskosten in den kapitalistischen Unternehmen und den gesellschaftlichen Produktionskosten 1 . Pigou erkannte

47

an, daß der Sozialismus auf dem Gebiet der Stimulierung der Arbeit, der Vollbeschäftigung, der Mobilisierung der Ressourcen für die Akkumulation und im Bildungs- und Gesundheitswesen dem Kapitalismus überlegen ist. I m Gegensatz zu vielen anderen Repräsentanten der „neoklassischen" ökonomischen Theorie vom Sozialismus berief er sich auf den sozialistischen Aufbau in der U d S S R , sprach er von der Notwendigkeit, diese Erfahrungen auf verschiedenen Gebieten zu nutzen. Aber als echter Vertreter des bürgerlichen Reformismus glaubte Pigou, daß die Mängel des Kapitalismus beseitigt und einige Wesenszüge des Sozialismus übernommen werden könnten, ohne den Kapitalismus abzuschaffen. Wenn die Ubergriffe der Monopole bekämpft werden müssen, so meinte er, so heiße das noch nicht, daß der Kapitalismus dem Sozialismus weichen müsse. 2 „Ich wäre für die allgemeine S t r u k t u r des Kapitalismus, würde sie aber über das Steuersystem allmählich so verändern, daß die Ungleichheit im Besitz und in den Möglichkeiten abgebaut wird; ich würde eine Seite aus dem B u c h ,Sowjetrußland' heranziehen und die Investitionen im Gesundheits- und Bildungswesen e r h ö h e n . " 3 U m den Kapitalismus zu „transformieren", schlug Pigou auch eine Reiheanderer Maßnahmen v o r : gesellschaftliche Kontrolle über die Monopole; Nationalisierung der B a n k von England und einiger Industriezweige und Steuerung der Investitionen. Aber auch diese Maßnahmen gingen über die Grenzen bürgerlichdemokratischer Umgestaltungen nicht hinaus. Reformistisch waren auch Pigous Illusionen, daß einige Vorzüge des Sozialismus in einem regulierten Kapitalismus realisierbar wären. Pigous Überzeugungen und politische Sympathien kam der amerikanische WirtschaftstheorelikerAbba Lerner, sehr nahe, derbei bürgerlichen Ideologen noch heute als typischer Repräsentant dieser Richtung gilt 4 . E r interpretierte den F u n k tionsmechanismus der kapitalistischen Wirtschaft und dessen innere Widersprüche von keynesianischen Positionen aus. So stellt Lerner in seinem 1944 veröffentlichten B u c h „Die kontrollierte W i r t s c h a f t " die Wirtschaft der kapitalistischen Länder und besonders der U S A als „antikollektivistisch" dar, „weil sie die Frage ignoriert, wie die bestehenden ökonomischen Institute den gesellschaftlichen Interessen dienen" 3 . Mit dem von ihm konstruierten Modell einer „kontrollierten W i r t s c h a f t " wollte er drei Hauptaufgaben lösen: die Auslastung aller Ressourcen, vor allem des Arbeitskräfteaufkommens; die Verringe1

Vgl. A r t h u r C. Pigou, Socialism versus Capitalisai, London 1937, S. 37—44.

2

E b e n d a . S. 45.

3 E b e n d a , S. 1 3 7 - 1 3 8 . 4

Vgl. J o s e p h A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, B e r n 1 9 4 6 , S. 2 8 1 ; P e t e r Kendo, Logique de l'économie centralisée. Un e x e m p l e : la Hongrie, Paris 1964, S. 4 3 7 .

5

Abba P. Lerncr, The Economies of Control. Principles oT Welfare Economies, New Y o r k 1944, S. 2.

48

rung der enormen Ungleichheit in den Einkommen und Vermögen; die Beseitigung der Monopole mit der für sie typischen Ausbeutung und Verschwendung. 6 Lerner übte Kritik am Liberalismus, der gegen jegliche Einmischung des Staates in die Wirtschaft war und für den Schutz des Privatinteresses eintrat, sowie an der Weigerung, die Wirtschaftstätigkeit als Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse des Volkes zu sehen. Zugleich aber attackierte er den wissenschaftlichen Sozialismus, den er wegen der Forderung nach „hundertprozentigem Kollektivismus" und Abschaffung der Privatunternehmen als „dogmatisch" bezeichnete. In seiner Theorie von der „kontrollierten Wirtschaft" verlangte Lerner, in der Wirtschaft die „Vorzüge des Kapitalismus mit denen des Kollektivismus zu verbinden" (Lerner bezeichnete den Sozialismus als „Kollektivismus"). Diese Theorie war eine der ersten Varianten der Konvergenztheorie, die zwei J a h r zehnte später weite Verbreitung fand. In Lerners „kontrollierter Wirtschaft" wurde der Verzicht auf theoretische Prinzipien zum Grundsatz erhoben. Die Theorie sollte praktischen Nutzenserwägungen weichen. Deshalb bezeichnete Lerner die „kontrollierte Wirtschaft" auch als „pragmatischen Kollektivismus". „Der Angelpunkt dieser Konzeption besteht darin, daß weder der Kollektivismus noch das Privatunternehmertum als Organisationsprinzipien der Gesellschaft betrachtet und beide als gleich geeignete Mittel anerkannt werden. Das Hauptprinzip für die Organisation dieser Wirtschaft ist, daß jeweils das Prinzip angewandt wird, das der Gesellschaft am besten d i e n t . " 7 Hinter Lerners Absicht, über den Kapitalismus und Sozialismus zu hinwegzusehen und sich nur von praktischen Nutzenserwägungen leiten zu lassen, stand die dürftig bemäntelte Forderung nach Schutz des Privateigentums und des blindwirkenden Mechanismus der kapitalistischen Konkurrenz. Deshalb stellte er sich die Kontrolle über die Wirtschaft als eine im Vergleich zur staatsmonopolistischen Regulierung der Kriegswirtschaft vereinfachte und abgeschwächte staatliche Regulierung vor. Und so war es auch kein Zufall, daß er die enge Verwandtschaft des „pragmatischen Kollektivismus" mit dem „liberalen K a p i t a l i s m u s " hervorhob. „Der erstere setzt eine kollektivistische Organisation voraus, mit Ausnahme der Bereiche, in denen die Konkurrenz dem gesellschaftlichen Interesse besser dient. Letzterer ist dort zugunsten der freien Konkurrenz ausgerichtet, wo dies möglich ist, und er läßt die kollektive Organisation dort zu, wo die Konkurrenz aus technischen Gründen nicht möglich ist. Beide bewirken ein und dasselbe."8 Alles bisher Dargelegte kennzeichnet die Positionen dieses vielzitierten Vertreters der „neoklassischen ökonomischen Theorie des Sozialismus" als bürgerlichen Reformismus mit kleinbürgerlichem Einschlag, der sie dem sozialdemo6 8

Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 4.

7

Ebenda, S. 5.

49

kratischen Reformismus annähert. Auf Lerners „ p r a g m a t i s c h e n K o l l e k t i v i s m u s " trifft voll u n d ganz d a s zu, was M a r x seinerzeit über den kleinbürgerlichen Sozialismus Proudhons g e s a g t h a t t e : „ D i e Philanthropen (Marx meinte d a m i t die Vertreter der kleinbürgerlichen Schule der ökonomischen R o m a n t i k — d. Verf.) wollen . . . die Kategorien erhalten, welche der Ausdruck der bürgerlichen Verhältnisse sind, ohne den Widerspruch, der ihr Wesen a u s m a c h t und der von ihnen unzertrennlich ist. Sie bilden sich ein, e r n s t h a f t die bürgerliche P r a x i s zu bek ä m p f e n , u n d sie sind mehr Bourgeoisie als die a n d e r e n . " 9 Kleinbürgerlich war auch die Konzeption von der „ W o h l s t a n d s w i r t s c h a f t " , die Lerner, Pigou folgend, entwickeil hatte. Beide Theoretiker meinten, daß d a s M a x i m u m an Wohlstand glcicli dem M a x i m u m des Nutzens sei, d a s heißt der Gesamtbefriedigung der subjektivistisch interpretierten Bedürfnisse aller Individuen bei einer solchen Verteilung ihrer E i n k o m m e n sei, die deren Grenznutzen nivelliere. Der Mechanismus, der dies a u t o m a t i s c h bewirke, sollte die „ v o l l k o m m e n e " , durch nichts beeinträchtigte Konkurrenz sein. Wohlstand wie auch wirtschaftliche Gleichheit wurden von den Produktionsverhältnissen getrennt u n d als klassenlose, moralisch-ethische Kategorien hingestellt. Die Umverteilung der Eink o m m e n wurde zum H a u p t f a k t o r erhoben, der d a s N u t z e n s m a x i m u m gewährleiste. Als typischer R e p r ä s e n t a n t der radikal gesinnten bürgerlichen Intelligenz beteiligte sich auch der Oxforder Professor H. Dickinson, Verfasser mehrerer Aufsätze und eines Buches mit dem Titel „Die Wirtschaftstheorie des S o z i a l i s m u s " , an der Diskussion über die „Wirtschaftsrechnung im Sozialismus". Dickinson ging d a v o n aus, daß der Marktmechanismus f ü r d a s Problem der optimalen Verteilung der Ressourcen eine gewisse Lösung sei, der jedoch Klassenprivilegien u n d Ausbeutung im K a p i t a l i s m u s entgegenwirkten. E r zählte sich zu den Reformisten, die im Privateigentum an allen stofflichen Produktionsmitteln, darunter auch an den Naturreichtümern, ein Hindernis für die vollständige N u t z u n g der Weltressourcen zum Wohl der Menschheit sahen. 1 0 Auch in Dickinsons Absicht, die Mängel, die „schlechtesten" Seiten des K a p i t a l i s m u s abzuschaffen und seine „ s t a r k e " Seite, die spontane Marktkonkurrenz, beizubehalten, trat die der „neoklassischen ökonomischen Theorie des Sozialismus" innewohnende kleinbürgerliche „ R o m a n t i k " deutlieh zutage. Mit seinem Modell von einem Sozialismus, der auf der Grundlage der „Willensfreiheit" geleitet werden sollte, ignorierte Dickinson in seinem B u c h die sowjetischen Erfahrungen. In einer nachträglichen Wertung der Diskussion berief er sich im J a h r e 1966 auf den angeblichen Mangel an zuverlässigen D a t e n über die Planwirtschaft in der U d S S R . Dabei g a b er zu, daß die Diskussion rein theoretisch und viel zu a b s t r a k t geführt worden war. 1 1 9 Karl Marx, Das Elend der Philosophie, in: MEW, Bd. 4, Berlin 1969, S. 143. Vgl. Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 5—6. 11 Vgl. The Economic Journal, 304/1966, S. 880. 10

50

Ein weiterer britischer Teilnehmer an der Diskussion, Professor R . Hall, beh a u p t e t e , d a ß der Konkurrenzmechanismus im staatsmonopolistischen K a p i t a lismus d a s volkswirtschaftliche Optimum nicht a u t o m a t i s c h herstellen könne. Aber wenn Hall diesen Mechanismus seinem Modell von der sozialistischen W i r t schaft zugrunde legte, hüllte er sich, im Gegensatz zu Dickinson, über die sowjetische P r a x i s nicht in Schweigen, sondern stellte der S o w j e t w i r t s c h a f t sein Modelf gegenüber. Er r ä u m t e ein, d a ß es der Sowjetgesellschaft gelungen w a r , bei ihren Menschen gewaltige Energien zu wecken, bezeichnete jedoch die d i r e k t e Volkswirtschaftsplanung als unrationell u n d behauptete, sie schließe die W i r t s c h a f t s rechnung aus. Entgegen den vom Leben selbst b e s t ä t i g t e n u n l e u g b a r e n F a k t e n schrieb er v o m Mißerfolg des russischen Experiments, der auf den Mangel an einem effektiven W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s zurückzuführen sei. 1 2 Die rechtssozialistischen Diskussionsteilnehmer setzten die Sowjet Wirtschaft m i t der R ü s t u n g s w i r t s c h a f t in Hitlerdeutschland gleich. So schrieb Robert Mosse, Professor an der U n i v e r s i t ä t von Grenoble und eifriger Verfechter der „neoklassischen ökonomischen Theorie des Sozialismus", von der „realen P l a n w i r t schaft in der U d S S R u n d im faschistischen D e u t s c h l a n d " 1 3 . So zeigte sich die V e r w a n d t s c h a f t der ideologischen u n d theoretischen Positionen der verschiedenen Vertreter der sogenannten neuen sozialistischen Schule, der reformistischen Ideologen bürgerlicher und sozialdemokratischer P r ä g u n g bei der Beurteilung der S o w j e t w i r t s c h a f t m i t aller Deutlichkeit. Die einen wie die anderen verleumdeten den sozialistischen Charakter der S o w j e t w i r t s c h a f t u n d setzten die staatsmonopolistische Regulierung im faschistischen Deutschland m i t der sozialistischen P l a n u n g gleich. Von den übrigen Verfechtern der „neoklassischcn ökonomischen Theorie des Sozialismus" abweichende politische Auffassungen v e r t r a t der polnische Wissenschaftler 0 . Lange, der seinerzeit zu den führenden V e r t r e t e r n dieser Theorie gehörte. In der Zeit von 1939 bis 1945 lehrte L a n g e an der U n i v e r s i t ä t von Chicago (USA). Er gehörte d a m a l s zum linken Flügel der S o z i a l d e m o k r a t i schen P a r t e i Polens. 1 '' 1 L a n g e s Aufsatz „Zur Wirtschaftstheorie des Sozialismus", den er in einem gleichnamigen S a m m e l b a n d veröffentlichte, w u r d e b a l d weithin b e k a n n t : Lange stellte hier drei Varianten für die Beseitigung der W i d e r s p r ü c h e des K a p i t a l i s m u s d a r : den Ubergang zum Sozialismus, die R ü c k k e h r z u m Kapit a l i s m u s der freien Konkurrenz u n d die staatliche Kontrolle über die P r o d u k t i o n u n d die Investitionen. Die R ü c k k e h r zum K a p i t a l i s m u s der freien K o n k u r r e n z 12

13

M

Vgl. Robert L. Hall, The Economic System in a Socialist State, London 1937, S. 233 bis 255. Robert Mosse, The Theory of Planned Economv. A Study of Some Recent Works, in: International Labour-Review, Bd. X X X V I , 3/1937, S. 373. Später wurde 0 . Lange zu einem aktiven Funktionär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei und des polnischen Staates. Von 1957 bis 1962 war er Vorsitzender des Wirtschaftsrates der polnischen Regierung. Seine Ansichten hatten sich zu dieser Zeit grundlegend gewandelt.

51

sei wegen der Ausmaße der modernen Unternehmen unmöglich, stellte Lange fest. Staatliche Kontrolle über die Produktion und die Investitionen hieße Produktionsplanung ohne Abschaffung des Privateigentums. Allerdings hegte Lange zu R e c h t Zweifel am Erfolg einer solchen Planung, weil sie schließlich darauf hinauslaufen würde, daß die Kapitalgesellschaften und Banken zu ihren Gunsten die Kontrolle über die Planungsorgane ausüben. Deshalb können die „Monopole, die Restriktions- und Interventionspolitik nur abgeschafft werden, wenn das Privateigentum an den Produktionsmitteln beseitigt wird, das zur Fessel des wirtschaftlichen Fortschritts geworden i s t . . . Der Sozialismus ist die einzig akzeptable Lösung". 1 5 I m Unterschied zu anderen Anhängern der „neoldassischen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft" t r a t Lange für den revolutionären Widerstand gegen die herrschenden Klassen, für die unverzügliche Sozialisierung der Großindustrie und der Banken ein.

Die methodologischen Grundlagen der ,.neoklassischen von der sozialistischen Wirtschaft"

Theorie

Die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " bauten ihre Sozialismusmodelle auf der Grundlage der bürgerlichen politischen Ökonomie auf. Sie wollten die wirtschaftliche Effektivität des Sozialismus mit Hilfe des gleichen theoretischen Apparats nachweisen, dessen sich die Ideologen des Liberalismus bedient hatten, um den Sozialismus zu diskreditieren und die Unmöglichkeit einer rationellen Wirtschaft im Sozialismus nachzuweisen. So wurden die Konzeptionen der sogenannten neoklassischen Schule der bürgerlichen politischen Ökonomie, die Grenznutzen- und Grenzproduktivitätstheorie, die Produktionsfaktorentheoric, die Theorie vom wirtschaftlichen Gleichgewicht und von der Wohlstands Wirtschaft, für den Sozialismus zurechtgestutzt. Das Bemühen, die ökonomische Theorie des Sozialismus auf dem Marginalismus (der Grenznutzentheorie und den damit zusammenhängenden Lehren) aufzubauen, den Sozialismus mit bürgerlichem ökonomischen Gedankengut zu verbinden, war für die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " bezeichnend, die sich in der sogenannten neuen sozialistischen Schule vereinigten, in deren Namen diese Wirtschaftstheoretiker auftraten. F ü r d i e „neoklassische Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " war die Methodologie der subjektiven Schule der bürgerlichen politischen Ökonomie typisch. Ihre Grundzüge bestanden in der subjektiv-psychologischen Deutung der wirtschaftlichen Vorgänge und Erscheinungen, im Individualismus, in der Verabsolutierung allgemeiner ökonomischer Gesetze und Kategorien, im Primat der Kon15

52

Oskar Lange, Fred M. Taylor, On the Economic Theory of Socialism, Minnesota 1938, S. 120-121.

sumlion vor der Produktion und in der Trennung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse. Sehr deutlieh zeigte sich der S u b j e k t i v i s m u s in der normativen B e t r a c h t u n g des Sozialismus, die von der „neuen sozialistischen S c h u l e " eingeführt worden war. Die Vertreter dieser Schule gaben zu, daß die von den Neoldassikern verfochtene Theorie des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts, die als Modell des „reinen" K a p i t a l i s m u s der freien Konkurrenz vorgestellt worden war, nur sehr entfernt an die wirkliche kapitalistische Wirtschaft erinnere. S o schrieb Dickinson: „Die kapitalistische Gesellschaft gleicht d e m Wirtschaftsideal nur unvollkommen. Die großartigen S y s t e m e des wirtschaftlichen Gleichgewichts, wie sie von B ö h m - B a w e r k , Wieser, Marshall und Cassel beschrieben wurden, beschreiben die Wirtschaft nicht wie sie ist, sondern als prophetische Erscheinung einer künftigen sozialistischen W i r t s c h a f t . " 1 6 Die Anhänger der Theorie v o m wirtschaftlichen Gleichgewicht g a b e n zu, d a ß ihre Lehre nicht von der Wirklichkeit, sondern von Wunsch Vorstellungen a u s ging. „ D i e Theorie erweist sich . . . als außerordentlich fruchtbar, wenn m a n sie n o r m a t i v auffaßt. Sie ist in der T a t unwiderlegbar, wenn sie als Doktrin dessen verstanden wird, was zur Vermehrung der Gesamtbefriedigung g e t a n werden könnte und sollte." 1 7 A u s der T a t s a c h e , daß im Sozialismus die bewußte Anwendung der ökonomischen Gesetze und die planmäßige Gestaltung der ökonomischen Verhältnisse möglich und notwendig wird, zogen die Vertreter der „neuen sozialistischen Schule" den Schluß, daß erst der Sozialismus den Weg zur schöpferischen Anwendung der theoretischen Leitsätze v o m wirtschaftlichen Gleichgewicht als Normen freilege, die von der Politik des sozialistischen S t a a t e s unmittelbar realisiert werden. S o schrieb E d u a r d H e i m a n n : „ D i e ,unsichtbare H a n d ' wird sichtbar g e m a c h t . . . D a s S y s t e m des allgemeinen Gleichgewichts erreicht hier seine logische Volle n d u n g . " 18 Die Normativmethode, die sich die Anhänger der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " anstelle der „ a l t e n " K a u s a l m e t h o d e und der „ j ü n g e r e n " formal-funktionellen Methode auserkoren hatten, b e s t a n d darin, daß die gesellschaftlichen, insbesondere die ökonomischen Verhältnisse als v o m Bewußtsein erzeugte logische „ N o r m e n " und „ W e r t u n g e n " a u f g e f a ß t wurden. Diese subjektivistisch-teleologische Methode basiert auf der L e u g n u n g des objektiven Charakters der sozialistischen Produktionsverhältnisse u n d der sie ausdrückenden Gesetze und Kategorien. D a m a n die planmäßig ausnutzbaren ökonomischen Gesetze des Sozialismus als „ N o r m e n " hinstellte, die von der Wirtschaftspolitik realisiert werden, k a m es Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 205. E d u a r d Ileimann, Geschichte der volkswirtschaftlichen Lelirmeinungen, furt/Main 1949, S. 239. is Ebenda, S. 240.

46

17

Frank-

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zur subjektivistischen Gleichsetzung von „ P l a n m ä ß i g k e i t " u n d „ N o r m a t i v i s m u s " . Auf diese Weise stellten die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " die planmäßige Organisation der Produktionsverhältnisse u n d deren bewußte Kontrolle als vom Willen u n d Bewußtsein der Menschen abhängig d a r . R. Hall charakterisierte die Produktionsverhältnisse des Sozialism u s so: „Es liegt auf der H a n d , d a ß es in einem kollektivistischen S t a a t keine notwendigen ökonomischen Verhältnisse gibt u n d d a ß diese völlig willkürlicher A r t sein können u n d sich keiner deduktiven Analyse unterziehen lassen. Denn wenn eine Zentralstelle die F o r m e n der wirtschaftlichen A k t i v i t ä t der Gesells c h a f t aufzwingt, d a n n kann sie ihr alles aufzwingen, was sie in der Lage ist, durchzuführen."19 Der Versuch, die Kausalmethode der ökonomischen Analyse durch die Norinat i v m e t h o d e zu ersetzen, war völlig u n h a l t b a r . Ebenso wie in jeder sozialökonomischen Ordnung tragen die ökonomischen Verhältnisse auch im Sozialismus objektiven Charakter. Die A r t der Verhältnisse, die sich zwischen den Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft in der materiellen P r o d u k t i o n gestaltet, wird vom Entwicklungsstand der P r o d u k t i v k r ä f t e b e s t i m m t . Die planmäßige Organisation der Verhältnisse zwischen den Menschen, die voraussetzt, d a ß die Gesellschaft die Entwicklungsgesetze dieser Verhältnisse e r k e n n t u n d a u s n u t z t , ä n d e r t nichts an deren objektivem Charakter. Sie bedeutet, d a ß die Verhältnisse in den materiellen Produktionsprozessen b e w u ß t reguliert werden. Besonders deutlich zeigte sich der Psychologismus der „neoklassisclicn Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " in ihrem Hedonismus 2 0 . So b e s t i m m t e n die Vertreter dieser Theorie mit Hilfe ihrer psychologisch definierten Nutzenskategorien das Ziel der sozialistischen Gesellschaft als maximalen G e s a m t n u t z e n oder durchschnittlichen N e t t o n u t z e n je Einwohner. Dieses M a x i m u m sollte sich im Zustand des Gleichgewichts von selbst ergeben u n d Kriterium f ü r den optimalen Gang des Wirtschaftsprozesses sein. R. Mosse schrieb, d a ß die P l a n w i r t s c h a f t nach dem von der neoklassischen Theorie konstruierten Modell das „hedonistische Ziel u n d den Mechanismus des Grenzgleichgewichts" erhalte. 2 1 Eine Voraussetzung für die hedonistische I n t e r p r e t a t i o n des Ziels der sozialistischen Gesellschaft war das Postulat, d a ß die I n t e n s i t ä t der verschiedenarti19 20

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Robert L. Hall, The System in a Socialist State, London 1937, S. 44—45. Hedonismus ist ein der Ehtik entlehnter Begriff, nach dem das Genießen als höchstes Gut gilt und Motiv und Ziel allen Handelns ist. In bürgerlichen Wirtschaflstheorien, vor allem in der Grenznutzentheorie, dient der Hedonismus zur Lobpreisung egoistischer Handlungsweisen der „Wirtschaftssubjekte". Indem jedes einzelne „Wirtschaftssubjekt" in der Jagd nach m a x i m a l e m N u t z e n die bestmögliche A u s n u t z u n g der ihm zur Verfügung stehenden Produktionsfaktoren sichere, trage es zum Wohl der ganzen Gesellschaft bei. Robert Mosse, The Theory of Planned E c o n o m y . A S t u d y of some Recent Works, in: International Labour-Review, Bd. X X X V I , 3/1937, S. 393.

gen individuellen B e d ü r f n i s s e vergleichbar sein m ü ß t e . 2 2 D e r Methodologie d e r s u b j e k t i v e n Schule folgend, b e t r a c h t e t e n die V e r t r e t e r d e r „ n e u e n sozialistischen S c h u l e " die B e d ü r f n i s s e als psychologische E m p f i n d u n g e n u n d d e n N u t zen als Maßeinheit dieser E m p f i n d u n g e n . I n d e s s e n lassen sich die als s u b j e k t i v e E m p f i n d u n g e n d e r v e r s c h i e d e n e n I n d i v i d u e n d e f i n i e r t e n B e d ü r f n i s s e n i c h t messen. E s g i b t keine Möglichkeit, die I n t e n s i t ä t u n t e r s c h i e d l i c h e r B e d ü r f n i s s e vergleichbar zu m a c h e n , a u c h n i c h t ü b e r d e r e n B e w e r t u n g in N u t z e n e i n h e i t e n . Die M a r x s c h e L e h r e v o m D o p p e l c h a r a k t e r d e r A r b e i t u n d d e r v o n ihr p r o d u z i e r t e n W a r e h a t n a c h g e w i e s e n , d a ß die B e d ü r f n i s s e ebenso q u a l i t a t i v unterschiedlich u n d auf kein einheitliches Maß r e d u z i e r b a r sind wie die G e b r a u c h s w e r t e , m i t d e n e n sie b e f r i e d i g t w e r d e n . M a r x schrieb, d a ß die V e r s c h i e d e n h e i t d e r gesellschaftlichen Maße f ü r die Q u a n t i t ä t d e r n ü t z l i c h e n Dinge „ a u s der verschiedenen N a t u r d e r zu m e s s e n d e n Geg e n s t ä n d e . . ." e n t s p r i n g t . 2 3 Mittels eines o b j e k t i v e n K r i t e r i u m s , nämlich des Geldes, l ä ß t sich z w a r die k a u f k r ä f t i g e N a c h f r a g e messen, a b e r n i c h t die I n t e n s i t ä t u n t e r s c h i e d l i c h e r Bed ü r f n i s s e vergleichbar m a c h e n . Der G e l d a u s d r u c k d e r B e d ü r f n i s s e k ö n n t e h ö c h stens die D y n a m i k u n d S t r u k t u r der E i n k o m m e n sowie die P r e i s d y n a m i k ausd r ü c k e n . A b e r er k ö n n t e d e n E i n f l u ß d e r sowohl die K o n s u m t i o n als a u c h die P r o d u k t i o n b e t r e f f e n d e n sozialökonomischen F a k t o r e n auf die I n t e n s i t ä t d e r B e d ü r f n i s s e n i c h t eliminieren. Der H e d o n i s m u s d e r „neoklassischen Theorie v o n d e r sozialistischen W i r t s c h a f t " w a r eng m i t der individualistischen u n d k o n s u m o r i e n t i e r t e n B e t r a c h tungsweise bei d e r Analyse der sozialistischen W i r t s c h a f t v e r b u n d e n . In einer gewissen Z u s a m m e n f a s s u n g d e r A n s i c h t e n der V e r f e c h t e r dieser T h e o r i e s c h r i e b Mosse, d a ß , w e n n m a n der h e d o n i s t i s c h e n Lösung d e r P r o b l e m e d e r sozialistischen Gesellschaft z u s t i m m e , also e i n r ä u m e , d a ß d a s Ziel des Sozialismus d e r m i t m a x i m a l e m G r e n z n u t z e n , m i n i m a l e m A u f w a n d u n d Gleichheit des Grenzn u t z e n s aller G ü t e r u n d L e i s t u n g e n e r r e i c h b a r e m a x i m a l e W o h l s t a n d sei, d a n n m ü ß t e n die in der N a c h f r a g e z u m A u s d r u c k k o m m e n d e n v o r r a n g i g e n B e d ü r f n i s s e der K o n s u m e n t e n d a s ö k o n o m i s c h e H a u p t k r i t e r i u m bei d e n E n t s c h e i d u n g e n sein. 2 4 D a m i t h a t t e n die V e r t r e t e r d e r „ n e u e n sozialistischen S c h u l e " in d e r Diskussion ü b e r die „ W i r t s c h a f t s r e c h n u n g im Sozialismus" die W a f f e n v o n L. Mises, F . H a y e k u n d a n d e r e r i h r e r O p p o n e n t e n — die h e d o n i s t i s c h e D o k t r i n v o n d e r „ S o u v e r ä n i t ä t des V e r b r a u c h e r s " — auf ihre U r h e b e r selbst g e r i c h t e t . Diese D o k t r i n g e h t v o m P r i m a t des I n d i v i d u u m s , seiner B e d ü r f n i s s e g e g e n ü b e r d e r Gesellschaft u n d d e n g e s a m t e n gesellschaftlichen B e d ü r f n i s s e n , v o m P r i m a t d e r K o n s u m t i o n v o r d e r P r o d u k t i o n aus. D e s h a l b ist sie m e t h o d o l o g i s c h u n h a l t b a r 22

Vgl. Oskar Lange, Fred M. Taylor, On the Economic Theory of Socialism, Minnesota 1938, S. 100. 23 Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, in: MEW, Bd. 23, Berlin 1974, S. 50. 24 Vgl. Robert Mosse, The Theory of Planned Economy. A Study of some Recent Works, in: International Labour-Review, Bd. X X X V I , 3/1937, S. 377.

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u n d w e d e r auf d e n K a p i t a l i s m u s u n d erst r e c h t n i c h t auf den Sozialismus a n wendbar. Die b e s t i m m e n d e Rolle i m R e p r o d u k t i o n s p r o z e ß spielt die u n m i t t e l b a r e P r o d u k t i o n , ihre Verhältnisse p r ä g e n die Verhältnisse in allen a n d e r e n R e p r o d u k t i o n s s p h ä r e n u n d d a m i t a u c h in d e r K o n s u m t i o n . W i e M a r x feststellte, prod u z i e r t die P r o d u k t i o n „ G e g e n s t a n d d e r K o n s u m t i o n , Weise der K o n s u m t i o n , T r i e b d e r K o n s u m t i o n " 2 5 . Dieser auf alle P r o d u k t i o n s w e i s e n z u t r e f f e n d e Zus a m m e n h a n g v o n P r o d u k t i o n u n d K o n s u m t i o n k a m in einem g r u n d l e g e n d e n m e t h o d o l o g i s c h e n P r i n z i p der politischen Ö k o n o m i e des M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s z u m A u s d r u c k : i m P r i m a t der P r o d u k t i o n v o r der K o n s u m t i o n . Auf d e n Sozialismus a n g e w a n d t , b e d e u t e t dieses P r i n z i p , d a ß bei d e r H e r a u s b i l d u n g u n d B e f r i e d i g u n g der individuellen B e d ü r f n i s s e C h a r a k t e r u n d N i v e a u der E n t w i c k l u n g u n d S t r u k t u r der P r o d u k t i v k r ä f t e d e r sozialistischen Gesells c h a f t sowie die V e r v o l l k o m m n u n g d e r ö k o n o m i s c h e n V e r h ä l t n i s s e im P r o d u k t i o n s p r o z e ß die b e s t i m m e n d e Rolle spielen. D a s Maß, in d e m die individuellen u n d kollektiven B e d ü r f n i s s e u n d I n t e r e s s e n b e f r i e d i g t w e r d e n , h ä n g t v o n d e r B e f r i e d i g u n g der B e d ü r f n i s s e u n d I n t e r e s s e n d e r g a n z e n Gesellschaft a b , also v o m S t a n d d e r sozialistischen P r o d u k t i o n . J e größere A u s m a ß e die P r o d u k t i o n d e r m a t e r i e l l e n G ü t e r a n n i m m t , je h ö h e r die W a c h s l u m s r a t e n d e r P r o d u k t i o n sowie d e r P r o d u k t i v i t ä t der gesellschaftlichen A r b e i t sind, u m so m e h r R e s s o u r c e n k a n n die sozialistische Gesellschaft u n t e r s o n s t gleichen Bed i n g u n g e n f ü r die K o n s u m t i o n bereitstellen. In den Sozialismusmodellen, die v o n d e r i n d i v i d u a l i s t i s c h e n W o h l s t a n d s k o n z e p t i o n a u s g e h e n , wird u n t e r s t e l l t , d a ß die gesellschaftlichen Ressourcen auf der G r u n d l a g e der „individuellen P r ä f e r e n z e n v o n Millionen W i r t s c h a f t s s u b j e k t e n " v e r t e i l t w e r d e n ; die V e r t r e t e r d e r „neoklassischen Theorie v o n d e r sozialistischen W i r t s c h a f t " stellten d e n Sozialismus als eine Gesellschaft d a r , die „ e r s t m a l s in d e r Geschichte einen wirklichen I n d i v i d u a l i s m u s v e r w i r k l i c h e n k a n n " 2 6 . D e r I n d i v i d u a l i s m u s v e r l a n g e eine m i k r o ö k o n o m i s c h e B e t r a c h t u n g des W i r t s c h a f t s p r o z e s s e s , die d e n I n t e r e s s e n der einzelnen W i r t s c h a f t s e i n h e i t e n , den F a m i l i e n u n d U n t e r n e h m e n , die H a u p t r o l l e zuschriebe. D a m i t a b e r werde u n m ö g l i c h , die o p t i m a l e M a k r o s t r u k t u r d e r sozialistischen Gesellschaft herzustellen, die W a c h s t u m s r a t e n u n d P r o p o r t i o n e n zu b e s t i m m e n , die d e m allgemeinen gesellschaftlichen I n t e r e s s e e n t s p r e c h e n u n d die g e s t a t t e n w ü r d e n , die n i c h t a n t a g o n i s t i s c h e n W i d e r s p r ü c h e zwischen d e n individuellen u n d k o l l e k t i v e n I n t e r e s s e n einerseits u n d d e n I n t e r e s s e n d e r Gesells c h a f t a n d e r e r s e i t s zu lösen. W i e bereits e r w ä h n t w u r d e , w a r es f ü r die Methodologie der „ n e o k l a s s i s c h e n Theorie v o n d e r sozialistischen W i r t s c h a f t " t y p i s c h , die ö k o n o m i s c h e n Verh ä l t n i s s e v o n d e n sozialen zu t r e n n e n u n d sie m i t e i n a n d e r zu k o n f r o n t i e r e n . 25

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Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: MEW, Bd. 13, Berlin 1972, S. 624. Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 26—27.

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Die Vertreter dieser Theorie stellten die ökonomischen Verhältnisse so dar, als w ären sie von den sozialen Verhältnissen unabhängig. Die Kategorien, über die sie sich äußerten, interpretierten sie als Kategorien der „allgemeinen Logik wirtschaftlichen Verhaltens", die unabhängig von der sozialen Form der Produktion seien. Im Wirtschaftsprozeß, der als Nutzung des knappen Angebots an Ressourcen für die Befriedigung der Bedürfnisse eines gegebenen Systems interpretiert wurde, hätten die Kategorien bei der Sicherung der optimalen Nutzung der Produktionsfaktoren besonders technische Funktionen. Davon ausgehend schrieb E. Heimann, daß die „Nationalökonomie" ein technischer Wissenszweig sei und die Produktivität des Kapitals technischen Charakter trage. 27 Ein bezeichnendes Beispiel für die Trennung der ökonomischen von den sozialen Verhältnissen war die Interpretation des Preises als quantitativer Ausdruck der Verbindung zwischen den Einheiten unterschiedlicher Waren, der die Funktion ihres Knappheitsgrades sei.28 Der „neoklassischen Theorie von der Wirtschaft des Sozialismus" zufolge- ist der Preis nicht Ausdruck der realen Ware-Geld-Beziehungen in ihrer spezifischen Form und nicht von ihnen abhängig. Lenin hat wiederholt darauf hingewiesen, wie falsch die Trennung der ökonomischen von den sozialen Verhältnissen ist. In einer Kritik an der von TuganBaranovskij praktizierten Unterscheidung zwischen den „soziologischen" und „ökonomischen" Kategorien bei Peter Struve schrieb Lenin: „Ich verstehe absolut nicht: welchen Sinn kann eine solche Unterscheidung haben?? wie kann das Ökonomische außerhalb des Sozialen stehen???" 29 Als Geldform des Wertes drückt der Preis die Verhältnisse der Warenproduktion und des Austauschs in historisch bestimmter Form aus. Auch im Sozialismus bleibt der Preis die spezifische Wertkategorie, die den indirekten quantitativen und qualitativen Ausdruck der individuellen und kollektiven Arbeit als abstrakte, gesellschaftlich notwendige Arbeit vermittelt. Zugleich aber verändern sich Inhalt und Form des Preises sowie seine Rolle in der Volkswirtschaft von Grund auf; denn im Sozialismus drückt er völlig andersgeartete Verhältnisse aus, nämlich Verhältnisse, die durch das gesellschaftliche Eigentum assoziierter sozialistischer Warenproduzenten geprägt sind. Da die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft" einen Trennungsstrich zwischen den ökonomischen und sozialen Verhältnissen zogen und die ökonomischen Verhältnisse als nicht sozial determiniert betrachteten, leugneten sie auch den spezifischen Charakter der ökono27

Vgl. Eduard Heimann, Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen, Frankfurt/Main 1949, S. 200. 28 Vgl. Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 115. 29 W. I. Lenin, Brief vom 27. Juni 1899 an A. N. Potressow, in: Werke, Bd. 24, Berlin 1962, S. 23. 57

m i s c h e n Verhältnisse des Sozialismus sowie die e n t s p r e c h e n d e n K a t e g o r i e n u n d Gesetze, die ihre B e w e g u n g b e s t i m m e n . Sie b e h a u p t e t e n , d a ß die Spezifik des Sozialismus n i c h t in die eigentliche ökonomische S p h ä r e , s o n d e r n in die der sozialen Verhältnisse gehöre. Folglich sei sie n i c h t G e g e n s t a n d d e r politischen Ö k o n o m i e , s o n d e r n a n d e r e r L e h r e n v o n d e r Gesellschaft u n d v o m Menschen (der Soziologie, der Psychologie usw.). So schrieb H e i m a n n , die Diskussion h a b e b e k r ä f t i g t , „ d a ß d e r U n t e r s c h i e d der beiden S y s t e m e m e h r auf gesellschaftlichen E i n r i c h t u n g e n u n d psychologischen A n t r i e b s k r ä f t e n als auf w i r t s c h a f t lichen S t r e i t f r a g e n b e r u h t " 3 0 . D a r a u s ist eine g r u n d l e g e n d e These d e r „ n e u e n sozialistischen S c h u l e " abgeleitet, n ä m l i c h die These von der „ I d e n t i t ä t d e r w i r t s c h a f t l i c h e n F u n k t i o n e n im K a p i t a l i s m u s u n d Sozialismus". Diese These, die zuerst v o n d e m V e r t r e t e r d e r ö s t e r r e i c h i s c h e n Schule F . Wieser ausgesprochen w o r d e n war, w u r d e in d e r Diskussion ü b e r die „ W i r t s c h a f t s r e c h n u n g im Sozialismus" w e i t e r e n t w i c k e l t . So ist die S c h l u ß f o l g e r u n g der h e u t i g e n bürgerlichen T h e o r e t i k e r ü b e r die d a m a l i g e Diskussion, d a ß d e r e n „eigentlicher R a h m e n v o n Wiesers P o s i t i o n e n abgesteckt worden war"31, durchaus berechtigt. Die V e r t r e t e r der „neoklassischen Theorie v o n d e r W i r t s c h a f t des Sozialism u s " v e r a b s o l u t i e r t e n einige reale f u n k t i o n e l l e Z u s a m m e n h ä n g e allgemeiner A r t (zum Beispiel die f u n k t i o n e l l e A b h ä n g i g k e i t v o n Preis, A n g e b o t u n d N a c h f r a g e ) , die d e n W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n in j e d e r P r o d u k t i o n s w e i s e eigen sind, u n d s e t z t e n sie a n die Stelle der k a u s a l e n Z u s a m m e n h ä n g e . Sie i n t e r p r e t i e r t e n die f u n k t i o n e l l e n Z u s a m m e n h ä n g e in s u b j e k t i v - p s y c h o l o g i s c h e r Weise, e r h o b e n sie zu „ a l l g e m e i n e n " Gesetzen, die allen ö k o n o m i s c h e n S y s t e m e n eigen seien, u n d l e u g n e t e n die E x i s t e n z spezifischer ö k o n o m i s c h e r Gesetze des Sozialismus. An die K o n z e p t i o n v o n Wieser a n k n ü p f e n d , schrieb H e i m a n n : „ A u c h ein sozialistisches S y s t e m , w e n n es wirklich r a t i o n a l , d. h. frei v o n willkürlicher u n d t y r a n n i s c h e r V e r z e r r u n g ist, m u ß in spezifischer F o r m die allgemeinen Regeln d e r W i r t s c h a f t s t h e o r i e z u r Anwendung bringen."32 A. L e r n e r wollte die ö k o n o m i s c h e n Gesetze d u r c h die „Regel d e r o p t i m a l e n N u t z u n g d e r R e s s o u r c e n " ersetzen, die d e r „kollektivistischen k o n t r o l l i e r t e n u n d d e r n i c h t k o n t r o l l i e r t e n W i r t s c h a f t " g e m e i n s a m seien. In einer kollektivistischen W i r t s c h a f t sollten diese „ R e g e l n " f ü r d a s o p t i m a l e F u n k t i o n i e r e n des g a n z e n S y s t e m s b e w u ß t a n g e w a n d t u n d den I n h a l t des allgemeinen P l a n s der w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g bilden. I n einer n i c h t k o n t r o l l i e r t e n W i r t s c h a f t d a gegen, die keinen d e r a r t i g e n P l a n h a b e , k ö n n e d a s W o h l s t a n d s m a x i m u m n u r m i t 30

31 32

Eduard Heimann, Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen, Frankfurt/Main 1949, S. 235. Benjamin Ward, The Socialist Economy, New York 1967, S. 25. Eduard Heimann, Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen, Frankfurt/Main 1949, S. 234.

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tels eines kostspieligen und komplizierten, korrigierend eingreifenden Regulierungsapparates realisiert werden. 33 Wenn sowohl die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft" als auch ihre Opponenten in der Diskussion über die „Wirtschaftsrechnung im Sozialismus" die Existenz spezifischer ökonomischer Gesetze des Sozialismus leugneten, so erklärt sich dies dadurch, daß beide Objektivität mit Spontaneität verwechselten. Da die bürgerlichen Theoretiker nur die spontan wirkenden Marktbeziehungen für objektiv hielten, formulierten sie diese in ihren Wirtschaftsmodellen des Sozialismus als „Regeln", an die sich die Unternehmensleitungen halten sollten. Diese „Regeln" waren die subjektivistisch-normative Widerspiegelung der Funktionsbedingungen privatkapitalistischer Unternehmen. Die den verschiedenen Wirtschaftssystemen gemeinsamen funktionellen Zusammenhänge zwischen Preis, Nachfrage und Angebot, zwischen den im Preis ausgedrückten Aufwendungen und Ergebnissen der Produktion sind die äußere Erscheinungsform des Wirkens der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungsgesetze (Wertgesetz, Gesetz von Nachfrage und Angebot usw.). Diese Gesetze stehen in Wechselwirkung mit den spezifischen Gesetzen, die die spezifischen ökonomischen Verhältnisse der jeweiligen Produktionsweise ausdrücken und im System der ökonomischen Gesetze jeder Produktionsweise die bestimmende Rolle spielen. Im Sozialismus wirken die allgemeinen ökonomischen Gesetze nicht nur in besonderer, nämlich planmäßiger Form. Indem sie die historisch bestimmten sozialistischen Produktionsverhältnisse ausdrücken, bilden sie einen untrennbaren Teil des spezifischen Systems der ökonomischen Gesetze des Sozialismus. Die Wechselwirkung mit den spezifischen ökonomischen Gesetzen verändert den Bereich und die sozialen Folgen des Wirkens dieser Gesetze sowie ihre Rolle in der Wirtschaft des Sozialismus von Grund auf.

Das Ziel der Produktion und die sozialökonomischen des Sozialismus

Bedingungen

Die subjektivistisch-psychologische Interpretation der ökonomischen Verhältnisse durch die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft" und der für ihre Methodologie typische Hedonismus waren ursächlich für die teleologische Konzeption vom Ziel der sozialistischen Produktion. Nach dieser Konzeption wird das Ziel der sozialistischen Produktion vom zentralen Planungsorgan vorgegeben, und es existiert danach unabhängig vom System der Produktionsverhältnisse. 33

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Abba P. Lerner, The Economics of Control. Principles of Weifare Economics, New York 1944, S. 6 4 - 6 5 . Ök. soz. Theorien

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Die Leugnung der objektiven Bedingtheit des Ziels lag aueh der These von der „Mannigfaltigkeit" der Entwicklungsziele der W i r t s c h a f t im Sozialismus zugrunde. Obgleich sieh die meisten Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft"' hinsichtlich der hedonistischen Lösung einig waren, postulierten sie alle die Möglichkeit, d a ß das zentrale Planungsorgan der wirtschaftlichen Entwicklung die verschiedenartigsten Ziele vorgibt. Natürlich sind die laufenden und perspektivischen Ziele, die konkreten wirtschaftlichen Aufgaben in der Entwicklungsetappe der sozialistischen W i r t s c h a f t unterschiedlich. Diese Ziele können auch nicht willkürlich vorgegeben werden. Bei ihrer Festlegung gehen die Planungsorgane vom Wirken der ökonomischen Gesetze des Sozialismus u n t e r den konkreten historischen Bedingungen der jeweiligen E t a p p e , von der Analyse der realen Prozesse und Tendenzen der wirtschaftlichen Entwicklung aus. Auch die Bedingungen des O p t i m u m s , die auf den verschiedenen Entwicklungsetappen der sozialistischen W i r t s c h a f t entstehen, t r a g e n konkreten historischen Charakter. Allerdings dürfen die laufenden u n d perspektivischen Aufgaben der W i r t schaftspolitik nicht mit dem Ziel der gesellschaftlichen P r o d u k t i o n verwechselt werden. Letzteres ist die F o r m , in der die Seite der materiellen Prozesse zum Ausdruck k o m m t , die von den Produktionsverhältnissen der betreffenden Produktionsweise u n d den sie lenkenden Gesetzen gebildet wird. Im Sozialismus besteht das Ziel der Produktion darin, die Bedürfnisse der Mitglieder der Gesellschaft bestmöglich zu befriedigen. Deshalb sind die Bedingungen des Optim u m s vor allem die Bedingungen, u n t e r denen langfristig der m a x i m a l mögliche Konsumtionsfonds erreicht wird. Die Optimierung des Konsumtionsfonds wird durch die A u f r e c h t e r h a l t u n g der m a x i m a l möglichen W a c h s t u m s r a t e n d e r erweiterten Reproduktion, also durch die u n t e r den jeweiligen Bedingungen notwendige u n d hinreichende A k k u m u l a ü o n s r a t e u n d maximale W a c h s t u m s r a t e n der gesellschaftliehen A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t gewährleistet. Aus der These von der „Mannigfaltigkeit der Ziele" leiteten die bürgerlichen Theoretiker den Leitsatz von einer „Vielfalt der Sozialismusmodelle" ab. So b e h a u p t e t e R. Hall: „ J e nach den Zielen, die sich diese (sozialistische — d. Verf.) Gesellschaft stellt, wird eine Vielfalt von Systemen möglich sein." 3 4 Auch Pigou v e r t r a t die These von der „Vielfalt der Sozialismusmodelle". E r ging davon aus, d a ß sowohl der Kapitalismus als auch der Sozialismus zahlreiche Modelle einschließe, die sich in ihren Grundzügen voneinander u n t e r scheiden 3 5 . Da die Verfechter der Konzeption von der „Vielfalt der Sozialismussysteme u n d -modelle" den objektiven Charakter der ökonomischen Gesetze u n d Kategorien des Sozialismus leugneten, konstruierten sie diese Modelle als einfache mechanische Gesamtheit dieser oder jener willkürlich ausgewählten Merkmale. 34 35

Robert L. Hall, The Economic S y s t e m in a Socialist State, London 1937, S. 44—45. Arthur C. Pigou, Socialism versus Capitalism, London 1937, S. 135.

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R . Mosse meinte hierzu d a ß sieh theoretisch zwei Typen der P l a n w i r t s c h a f t unterscheiden lassen, nämlich m i t gesellsehafllichem E i g e n t u m und ohne dieses. 3 6 Die verschiedenen Ziele wurden m i t unterschiedlichen F o r m e n des Eigent u m s an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n und verschiedenen W i r t s e h a f l s m e e h a n i s m e n verbunden. 0 . L a n g e und F . T a y l o r untersuchlen in ihrem B u c h „Zur W i r t s e h a f l s l h e o r i e des Sozialismus" drei Modelle für die Regulierung der Proportionen der P r o duktion. I m ersten Modell sollten die Proportionen in der P r o d u k t i o n , ausgehend von der „ S o u v e r ä n i t ä t des V e r b r a u c h e r s " und der auf dem K o n s u m g ü t e r m a r k t zustande kommenden realen Preise, festgelegt werden; im zweiten unterstellten sie freie W a h l der Verbraucher, die Verteilung der K o n s u m g ü t e r sollte über die Marktpreise erfolgen, jedoch die Proportionen in der Produktion und Verteilung sollten nicht nach diesen Preisen, sondern nach kalkulierten Preisen und n a c h der Präferenzskala des zentralen Planungsorgans e r m i t t e l t werden. I m d r i t t e n Modell war die freie W a h l der V e r b r a u c h e r und des Arbeitsplatzes ausgeschlossen und sollte es nur Kalkulationspreise geben. Die Ressourcen sollten nach den Entscheidungen und Urteilen des zentralen Planungsorgans und die K o n s u m güter über Normen und Rationierung verteilt werden. 3 7 Natürlich n u t z t jedes sozialistische L a n d das S y s t e m der ökonomischen Gesetze und Kategorien in den konkreten F o r m e n aus, die den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen des jeweiligen Landes in einer b e s t i m m t e n E n t wicklungsetappe entsprechen. Doch bedeutet die Mannigfaltigkeit der konkreten Erscheinungsformen und der planmäßigen Ausnutzung der ökonomischen Gesetze und Kategorien des Sozialismus in dessen verschiedenen E t a p pen und in den verschiedenen sozialistischen L ä n d e r n keineswegs, daß es wesentlich unterschiedliche S y s t e m e des Sozialismus gäbe. Als Produktionsweise, als P h a s e der kommunistischen sozialökonomischen F o r m a t i o n ist der Sozialismus von einheitlichem W e s e n , das von den allen sozialistischen Ländern gemeinsamen Produktionsverhältnissen v e r u r s a c h t ist. Diese gemeinsamen und unumgänglichen Verhältnisse sind das allgemeine Volkseigent u m an den entscheidenden P r o d u k t i o n s m i t t e l n , der planmäßige Verlauf des Wirtschaftsprozesses, wirtschaftliche Gleichheit und wirtschaftliche F r e i h e i t der Persönlichkeit, die organische E i n h e i t der allgemeinen gesellschaftlichen Interessen und der individuellen und kollektiven Interessen, das P r i m a t der gesamtgesellschaftlichen Interessen vor denen der Individuen u n d K o l l e k t i v e in den einzelnen B e t r i e b e n , die daraus folgende zentrale F e s t l e g u n g der H a u p t proportionen der Produktion, die Verteilung des F o n d s der individuellen K o n sumtion entsprechend der Menge und Q u a l i t ä t der aufgewandten Arbeit, die Ware-Geld-Beziehungen für den U m s a t z des erzeugten P r o d u k t s und andere. 3C

37

Vgl. Robert Mosse, The Theory of Planned Economy. A Study of some Recent Works, in: International Labour-Review, Bd. X X X V I , 3/1937, S. 379. Vgl. Oskar Lange, Fred M. Taylor, On the Economic Theory of Socialism, Minnesota 1938, S. 9 5 - 9 6 .

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Die meisten Anhänger der „neoklassisclien Theorie von der sozialistischen Wirts c h a f t " sahen im gesellschaftlichen E i g e n t u m an den Produktionsmitteln die notwendige Grundlage für die industrielle Großproduktion. Von diesem Postul a t gingen Heimann, Dickinson, Hall und andere Theoretiker in ihren Modellen aus. Doch glaubten diese Wirtschaftstheoretiker, daß d a s gesellschaftliche Eigent u m an den Produktionsmitteln für den Funktionsmechanismus der sozialistischen Gesellschaft nicht die entscheidende Rolle spiele. D a s gesellschaftliche E i g e n t u m an den Produktionsmitteln allein, so stellten sie fest, sei nicht entscheidend f ü r die Verteilung der K o n s u m g ü t e r und der Arbeitskräfte auf die Volkswirtschaftszweige sowie für die Grundsätze, nach denen die Warenproduktion geregelt wird. Man unterstellte, daß die sich auf dem K o n s u m g ü t e r m a r k t spontan herausbildenden Preise auch unter der Herrschaft des gesellschaftlichen E i g e n t u m s d a s bestimmende Kriterium in der Produktion u n d Verteilung bleiben. S o verwundert es auch nicht, wenn der amerikanische Sowjetologe Nicolas Spulber bei der Analyse des Diskussionsmaterials zu der Feststellung k a m : „ D i e westlichen Sozialismustheorien postulierten die Nationalisierung der Produktionsmittel, was der marxistischen G r u n d a u f f a s s u n g v o m Sozialismus entsprach. Zugleich aber wurde in der westlichen Diskussion nachdrücklich festgestellt, daß die E i g e n t u m s f o r m (d. h. d a s gesellschaftliche oder p r i v a t e E i g e n t u m an den Produktionsmitteln) in keiner unmittelbaren Beziehung zur Wirtschaftsrechnung stehe u n d diese von anderen Elementen a b hänge."38 In der L e u g n u n g der T a t s a c h e , daß d a s E i g e n t u m an den Produktionsmitteln für den Wirtschaftsmechanismus der sozialistischen Gesellschaft ausschlaggebend ist, waren sich alle Anhänger der„neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " einig. Die meisten von ihnen sprachen sich de facto gegen die entscheidende Rolle des gesellschaftlichen E i g e n t u m s an den Produktionsmitteln aus, den Worten nach aber hoben sie deren Notwendigkeit hervor. N u r wenige bürgerliche Ökonomen machten den Versuch, diese ablehnende H a l t u n g theoretisch zu begründen. Schon in den dreißiger J a h r e n wandten sie die von den amerikanischen Wirtschaftstheoretikern Adolf Berle und Gardiner Means für den K a p i t a l i s m u s aufgestellte These, daß d a s E i g e n t u m an den Produktionsmitteln von der L e i t u n g s f u n k t i o n zu trennen sei und die Macht an d a s M a n a g e m e n t übergehe, auf den Sozialismus a n . 3 9 Von dieser These ausgehend, zogen die bürgerlichen Theoretiker den Schluß, d a ß bei einer wirksamen zentralen Kontrolle über die Wirtschaft d a s gesell 38

39

62

Nicolas Spulber, The Soviet Economy. Structure, Principles, Problems, New York 1969, S. 193. Vgl. Adolf A. Berle, Gardiner C. Means, The Modern Corporation and Private Property, New York 1933.

schaftliche E i g e n t u m an den Produktionsmitteln für die kollektive Aneignung entweder ü b e r h a u p t nicht notwendig sei oder nur sekundäre B e d e u t u n g habe. Ausschlaggebend sei allein der Ü b e r g a n g der Leitungsfunktionen an die Gesellschaft. S o setzte Herbert Zassenhaus, ein deutscher Vertreter der „neuen sozialistischen S c h u l e " , die kollektive Aneignung m i t der Kontrolle über die Wirtschaftstätigkeit gleich. Entscheidend sei der Ü b e r g a n g der Unternehmerfunktion an ein wirtschaftliches Verwaltungsorgan, die T a t s a c h e des Privateigent u m s werde mehr oder weniger unerheblich. 4 0 Noch deutlicher m a c h t e sich Lerner zum Fürsprecher des P r i v a t e i g e n t u m s . In seinem Modell v o m „pragmatischen K o l l e k t i v i s m u s " stellte er die Kontrolle des S t a a t e s über die Wirtschaft als eigenständigen, von der F o r m des Eigent u m s an den Produktionsmitteln unabhängigen F a k t o r hin, der d a s Wirken der Privatunternehmen d e m gesellschaftlichen Interesse unterordnen könne. Der S t a a t m ü s s e die Kontrolle dazu benutzen, in j e d e m Einzelfall die H e r r s c h a f t derjenigen E i g e n t u m s f o r m e n (privater oder gesellschaftlicher Art) festzulegen, die dem Interesse der Gesellschaft a m besten diene. 4 1 Die Spezialisierung der Leitungsfunktionen, die Trennung der L e i t u n g v o m E i g e n t u m an den Produktionsmitteln, auf die schon M a r x hingewiesen hatte, h a t nichts d a m i t zu tun, daß die Eigentümer der Produktionsmittel wirtschaftlich machtlos sind, keine Kontrolle über die Produktion ausüben und sich folglich d a s erzeugte P r o d u k t nicht aneignen. Der K a p i t a l i s t eignet sich den Mehrwert mit Hilfe von ihm bezahlter Manager an, deren Oberschicht selbst zur herrschenden K l a s s e gehört. I m K a p i t a l i s m u s p r ä g t die H e r r s c h a f t des P r i v a t eigentums an den Produktionsmitteln d a s Wesen der staatlichen Regulierung und Kontrolle. Im Sozialismus gehört die wirtschaftliche Macht der ganzen Gesellschaft, weil d a s Volk E i g e n t ü m e r der Produktionsmittel ist. Der sozialistische S t a a t , der diese wirtschaftliche Macht a u s ü b t , realisiert sie im N a m e n , im A u f t r a g u n d im Interesse des Eigentümers, d. h. der Gesellschaft. Der A n t a g o n i s m u s zwischen körperlicher und geistiger Arbeit (die Leitungstätigkeit ist eine F o r m der geistigen Arbeit) ist beseitigt. Die Mitglieder der Gesellschaft, die L e i t u n g s f u n k tionen ausüben, sind nicht mehr Träger von Ausbeulungsverhältnissen. Die werktätigen Massen selbst beteiligen sich aktiv an den verschiedenen F o r m e n der Produktionsleitung. Selbst die Theoretiker der „neuen sozialistischen S c h u l e " , die in der Ablösung des Privateigentums durch d a s gesellschaftliche E i g e n t u m den wichtigsten Strukturwandel bei der sozialistischen U m g e s t a l t u n g der Gesellschaft sahen, wollten d a s P r i v a t e i g e n t u m an den Produktionsmitteln konservieren. 40

41

Zitiert nach: Robert Mosse, The Thcory of Planned Economy. A Study o! some Recent Works, in: International Labour-Review, Bd. X X X Y I , 3/1937, S. 378. Vgl. Abba P. Lerner, The Economics ol Control. Principlcs of Weifare Economics, New York 1944, S. 2. 63

In ihren Modollen sollte d e m P r i v a t e i g e n t u m in allen E n l w i c k l u n g s s t a d i e n der sozialistischen W i r t s c h a f t eine wesentliche Rolle in der K l e i n i n d u s l r i e , i m H a n d w e r k u n d in der L a n d w i r t s c h a f t v o r b e h a l t e n bleiben. So setzte sich R . Hall d a f ü r ein, d a ß s t a a t l i c h e r s e i t s kontrollierte k a p i t a l i s t i s c h e K l e i n u n t e r n e h m e n e r h a l t e n bleiben sollten, die m i t den s t a a t l i c h e n Betrieben k o n k u r r i e r e n k ö n n t e n , u m so „die L ü c k e im W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s a u s z u f ü l l e n " 4 2 . Die R e p r ä s e n t a n t e n dieser Schule b e h a u p t e t e n , d a ß die U n t e r n e h m e n nicht sozialisiert werden d ü r f t e n , die drei B e d i n g u n g e n erfüllen. Das sollte erstens die H e r r s c h a f t der freien Konkurrenz, zweitens das P r i v a l k a p i t a l kleineren Ausm a ß e s u n d d r i t t e n s die Erzeugnisse der K l e i n u n t e r n e h m e n betreffen, die nicht t e u r e r seien als die der G r o ß u n t e r n e h m e n . Diesen Kriterien entspreche, so m e i n ten diese W i r t s c h a f t s t h e o r e t i k e r , die K l e i n i n d u s l r i e u n d d a s H a n d w e r k . In der „neoklassischen Theorie von der W i r t s c h a f t des S o z i a l i s m u s " w u r d e d a s gesellschaftliche E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n nur in einer F o r m , n ä m l i c h in der des s t a a t l i c h e n E i g e n t u m s d a r g e s t e l l t . N a t ü r l i c h k a n n m a n theoretisch u n t e r s t e l l e n , d a ß d a s V o l k s e i g e n t u m in der s t a a t l i c h e n F o r m die einzige F o r m des gesellschaftlichen E i g e n t u m s ist. A b e r d a s setzt v o r a u s , d a ß die P r o d u k t i v k r ä f t e in der L a n d w i r t s c h a f t ebensoweit e n t w i c k e l t sind wie in der I n d u s t r i e u n d die L a n d w i r t s c h a f t zu einem Zweig der m e c h a n i s i e r t e n Großp r o d u k t i o n geworden ist. In m a n c h e n L ä n d e r n k a n n dieser E n t w i c k l u n g s s t a n d der P r o d u k t i v k r ä f t e in der L a n d w i r t s c h a f t bereits im K a p i t a l i s m u s oder in der Ü b e r g a n g s p e r i o d e erreicht werden. In a n d e r e n L ä n d e r n d a g e g e n w i r d dies erst auf einer gewissen, sehr hohen E n t w i c k l u n g s s t u f e des S o z i a l i s m u s möglich. U n d wie die historischen E r f a h r u n g e n der U d S S R u n d a n d e r e r sozialistischer S t a a t e n beweisen, n i m m t in diesem F a l l d a s gesellschaftliche E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n zwei Formen a n : d a s a l l g e m e i n e V o l k s e i g e n t u m und d a s genossenschaftliche E i g e n t u m , wobei d a s Volkseigentum (das s t a a t l i c h e E i g e n t u m ) die f ü h r e n d e Rolle h a t . Das P r i v a t e i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n d a g e g e n e x i s t i e r t u n t e r den Verhältnissen der Ü b e r g a n g s p e r i o d e v o m K a p i t a l i s m u s z u m S o z i a l i s m u s sowohl in der F o r m des gewerblichen K l e i n e i g e n t u m s als a u c h in F o r m des k a p i t a l i s t i schen E i g e n t u m s . U n t e r b e s t i m m t e n historischen Gegebenheiten k a n n d a s p r i v a t e K l e i n e i g e n t u m an P r o d u k t i o n s m i t t e l n in b e g r e n z t e m Maße a u c h im Sozialismus, besonders in dessen Anfangsperiode, noch l ä n g e r e Zeit fortbestehen. In d e m Maße aber, wie d a s allgemeine V o l k s e i g e n t u m ( s t a a t l i c h e s E i g e n t u m ) die sozialökonomischen R e p r o d u k t i o n s b e d i n g u n g q n b e s t i m m t , wird a u c h die Möglichkeit ausgeschlossen, die vom P r i v a t e i g e n t u m h e r v o r g e b r a c h t e n Ausb e u t u n g s v e r h ä l t n i s s e zu erweitern. Kleine, auf der persönlichen Arbeit des E i g e n t ü m e r s b e r u h e n d e P r i v a t b e triebe können in einigen wenigen V o l k s w i r t s c h a f t s z w e i g e n wie z u m Beispiel i m H a n d e l und in der D i e n s t l e i s t u n g s w i r t s c h a f t , wo sie m i t h e l f e n , b e s t i m m t e 42

64

Roberl L. llall, 'l'lic J'.conomic System in a Sozialist Slate, London 1937, S. 146.

gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen, noch längere Zeil erhalten bleiben. Allerdings müssen dem kleingewerblichen Privateigentum bestimmte, enge Grenzen gesetzt werden, weil sonst die Bedingungen erhallen blieben, die Elemente der wirtschaftlichen Ungleichheit, der Differenzierung der materiellen Lage der Werktätigen hervorbringen. Auch die Effektivität der kleinen Privatbetriebe, die nur beschränkte Möglichkeiten des Finanzaufkommens und der Realisierung der Ergebnisse des wissenschaftlich-technischen Fortschritts haben, ist verhältnismäßig gering. Mit der Gestaltung seines eigenen Wirtschaftsmechanismus schafft der Sozialismus grundsätzlich andere materielle und moralische Stimuli für den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt, als sie die freie Konkurrenz zu bieten vermag.

Die

Verteilungstheorie

der „neuen

sozialistischen

Schule"

Da die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft" die sozialen Verhältnisse von den ökonomischen trennten und die liauptunterschiede zwischen Sozialismus und Kapitalismus auf die sozialen Unterschiede reduzierten, sahen sie die Spezifik des Sozialismus in den Distributionsverhältnissen. 0 . Lange, der die Vorzüge des Sozialismus hervorhob, sprach von zwei Hauptmerkmalen, die den Sozialismus von einer Wirtschaft unterschieden, die auf dem Privateigentum beruht. Für ein Hauptmerkmal hielt er die Einkommensverteilung/' 3 Lange stellte fest, daß gerade deshalb die Analogie der Verteilung der Ressourcen im Kapitalismus der freien Konkurrenz und im Sozialismus formalen Charakters sei. „Formell sind die Prinzipien der Verteilung der Ressourcen die gleichen, die wirkliche Verteilung aber kann ganz anders sein.'"'' 1 Die Verfechter dieser Konzeption hoben zu Recht hervor, daß ein wesentlicher Vorzug des Sozialismus, der die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Gleichstellung aller Mitglieder der Gesellschaft schafft, darin besteht, daß es im Sozialismus nichterarbeitete Einkommen — die ökonomische Form der Realisierung des Privateigentums an den Naturschätzen, am Grund und Boden, an den Produktionsfonds und am finanziellen Aufkommen (also an den objektiven Produktionsfaktoren) — nicht gibt. Aber ebenso wie die zu dieser Gruppe zählenden Ökonomen interpretierten auch ihre Opponenten in der Diskussion die Den zweiten grundsätzlichen Unterschied zwischen Sozialismus und

Kapitalismus

sah L a n g e in der Zugänglichkeit der I n f o r m a t i o n e n und in der Möglichkeit,

auf

dieser Basis alle potentiellen K o m b i n a t i o n e n der P r o d u k t i o n s f a k l o r e n v o r z u n e h m e n . D a r a u s leitete er die Möglichkeit kumulativer Absclnvächungen von N a c h f r a g e und P r o d u k t i o n und das F e h l e n zyklischer S c h w a n k u n g e n im Sozialismus a b (vgl. Oskar L a n g e , F r e d M. T a y l o r , On t h e E c o n o m i c T h e o r y of Socialism, Minnesota

1938,

S. 1 0 3 - 1 0 6 ) . > Oskar Lange, F r e d M. T a y l o r , On the E c o n o m i c T h e o r y of S o c i a l i s m ,

v

Minnesota

1938, S. 99.

65

Distributionsprozesse von der Theorie der Produktionsfaktoren a u s . Deshalb gaben sie den grundlegenden Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalism u s als die Ursache aus, die d a s Mißverhältnis zwischen Produktion und Distribution im sozialistischen W i r t s c h a f t s s y s t e m bedinge. D a diese Theoretiker die Spezifik des Sozialismus in den Distributionsverhältnissen suchten, behaupteten sie, in der Planwirtschaft werde die Einkommensverteilung zu einer „unabhängigen u n d sogar überwiegenden T ä t i g k e i t " 4 5 . Die Vertreter der „neuen sozialistischen S c h u l e " trennten die Distribution von der Produktion, sie leugneten den objektiven Charakter der Distributionsverhältnisse und -gesetze u n d meinten, die sozialistische Gesellschaft könne auf dem Gebiet der Verteilung willkürlich, nach G u t d ü n k e n handeln. Diese These beruhte auf d e m Gedanken von J . S t . Mill. Mill h a t t e gemeint, daß im Gegens a t z zur Produktion, deren Gesetze f ü r alle Gesellschaftsformen gleich seien (womit er die Gesetze der kapitalistischen Produktion meinte), die Menschen sich in der Verteilung jede Freiheit erlauben. M a r x h a t t e diesen Gedanken scharf attackiert und von einem „rohen Auseinanderreißen von Produktion und Distrib u t i o n " geschrieben, d a s ihr wirkliches Verhältnis entstellt. 4 6 Die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " konstruierten ein Zweistufenschema der Verteilung des Nationaleinkommens. N a c h diesem S c h e m a sollte d a s Nationaleinkommen zunächst zwischen den Produktionsfaktoren verteilt werden (die sogenannte funktionelle Verteilung); dann sollten die E i n k o m m e n , die die ökonomische Realisierungsform des Eigent u m s der Gesellschaft a m Geldkapital, an den N a t u r - und Produktionsressourcen darstellen, in der Gesellschaft und zwischen ihren Mitgliedern umverteilt werden. N a c h A b z u g des Akkumulationsfonds stehen sie als soziale Dividende, also unabhängig v o m Arbeitsbeitrag jedes Mitglieds der Gesellschaft, zur individuellen Verfügung. Die innere Widersprüchlichkeit dieser Konstruktion zeigt sich vor allem in der „funktionellen" Darstellung der Distribution. Einerseits stellten ihre Verfechter d a s Wesen der Primärverteilung des Nationaleinkommens verzerrt d a r , d a sie d a v o n ausgingen, daß zwischen Produktion und Distribution kein Zus a m m e n h a n g bestehe. Sie leugneten den objektiven Charakter der Primärverteilungsprozesse und sahen in den E i n k o m m e n der Werktätigen der sozialistischen Produktion rein rechnerische Kategorien, die keine realen ökonomischen Verhältnisse ausdrücken. H . Dickinson zum Beispiel zog aus d e m richtigen Gedanken, daß nach der E n t e i g n u n g der Grundeigentümer u n d K a p i t a l i s t e n die ganze Gesellschaft die Produktionsmittel in Besitz nimmt u n d verwaltet und sich d a s erzeugte P r o d u k t aneignet, den falschen Schluß, daß die Aufglie46

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66

Vgl. Robert Mosse, The Theory of Planned Economy. A Study of some Recent Works, in: International Labour-Review, Bd. X X X V I , 3/1937, S. 393. Vgl. Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: MEW, Bd. 13, Berlin 1961, S. 619.

derung des Nationaleinkommens in die Primäreinkommen nur auf d e m Papier zustande komme (ein „ S c h a t t e n d a s e i n " führen, wie die bürgerlichen Ökonometriker von heute sagen würden). S o schrieb Dickinson: „Analytisch besteht d a s gesellschaftliche P r o d u k t a u s folgenden E l e m e n t e n : Vergütung der Arbeit, des B o dens, der E r w a r t u n g u n d des Risikos. Hinsichtlich der Verteilung a b e r bildet es einen einheitlichen unteilbaren F o n d s , der nach beliebigen Prinzipien aufgeteilt werden k a n n . " 4 7 Andererseits stellten die Vertreter der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " die Verteilung des Nationaleinkommens der kapitalistischen Gesellschaft in der F o r m dar, wie sie sich in den Oberflächenerscheinungen zeigt u n d die der bürgerlichen Vulgärökonomie die H a n d h a b e gibt, die E i n k o m men als natürliches P r o d u k t und E n t g e l t der Produktionsfaktoren hinzustellen. In dieser Inkonsequenz drückte sich der Widerspruch zwischen der These von der „ I d e n t i t ä t " der Produktionsfaktoren im Produktionsprozeß u n d der Anerkennung der Spezifik aus, die der Verteilung des erzeugten P r o d u k t s innewohnt. Die Produktionseinkommen seien im K a p i t a l i s m u s u n d Sozialismus die gleichen, verteilt aber würden sie auf unterschiedliche Weise. Folglich, so wollen diese bürgerlichen Ökonomen glauben machen, können diese E i n k o m men die reale Bewegung der materiellen Güter und die Verhältnisse, unter denen sie stattfindet, nicht widerspiegeln. E . Heimann schrieb, d a ß d a s K a p i t a l seine ihm eigene ökonomische F u n k t i o n in allen Wirtschaftssystemen a u s ü b e . Die ökonomischen Funktionen der Produktionsfaktoren seien es, die die Unterschiede zwischen den beiden Einkommensströmen (Lohn u n d Profit) hervorbringen, selbst wenn sie keine entsprechenden Unterschiede in den sozialen u n d klassenmäßigen Positionen ihrer E m p f ä n g e r bedeuten. 4 8 Dieser falschen Interpretation des tatsächlichen Prozesses der Nationaleinkommensverteilung u n d der Bildung der Primäreinkommen lag eine fehlerh a f t e Konzeption von den ökonomischen Stimuli zugrunde. F ü r die Theoretiker der „neuen sozialistischen S c h u l e " war sie lediglich eine Kategorie der Verteilung. Sie leiteten die Spezifik der materiellen Stimuli nicht aus den Verhältnissen a b , wie sie sich im unmittelbaren Produktionsprozeß gestalten, sondern nur a u s den Besonderheiten der Verteilung. Heimann schrieb d a z u : „ K a p i t a l existiert und Gewinn entsteht in beiden (Systemen — d. Red.). K a p i t a l gehört und Gewinn erwächst einer besonderen Klasse von Privateigentümern im kapitalistischen und der G e s a m t h e i t — wie diese auch immer organisiert sein m a g — im sozialistischen S y s t e m . Dieser Unterschied in der E i n k o m m e n s v e r t e i l u n g bedingt in beiden S y s t e m e n andersartige Antriebskräfte und k a n n so zu einem Unterschied in Leistungsfähigkeit und S t a b i l i t ä t führen. . . . " 4 9 Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 98. Eduard Heimann, Geschichte der ökonomischen Lehrmeinungen, Frankfurt/Main 1949, S. 198. « Ebenda. 47

48

67

D a die V e r t r e t e r der „ n e u e n s o z i a l i s t i s e h e n S c h u l e " die S p e z i f i k d e r m a t e r i e l len S t i m u l i

aus den Verteilungsprozessen

herleiteten, s e t z t e n sie die p e r s o n -

ellen S t i m u l i im S o z i a l i s m u s m i t d e n e n in d e r p r i v a t k a p i t a l i s t i s c h e n u n d einf a c h e n W a r e n w i r t s c h a f t gleich. S o s a h D i c k i n s o n in d e n finanziellen

Stimuli

e i n e M e t h o d e , die f ü r eine T a u s c h w i r t s c h a f t c h a r a k t e r i s t i s c h s e i . 5 0 W e n n die b ü r g e r l i c h e n W i r t s c h a f t s t h e o r e t i k e r S t i m u l i u n d P r o d u k t i o n

von-

e i n a n d e r t r e n n t e n , so war dies u n t e r a n d e r e m d a r a u f z u r ü c k z u f ü h r e n , d a ß sie keinen Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n d e n m a t e r i e l l e n S t i m u l i u n d d e n ö k o n o m i s c h e n I n t e r e s s e n s a h e n — eine F o l g e

d e r W i d e r s p r ü c h e in d e r A n a l y s e d e r S t r u k t u r

d e s gesellschaftlichen E i g e n t u m s an den Produktionsmitteln.

Einerseits

ver-

a b s o l u t i e r t e die „ n e o k l a s s i s c h e T h e o r i e v o n d e r s o z i a l i s t i s c h e n W i r t s c h a f t " die Selbständigkeit der Wirtschaftsebenen (Betriebe, Vereinigungen), u m anderers e i t s ihre t a t s ä c h l i c h e w i r t s c h a f t l i c h e V e r s e l b s t ä n d i g u n g u n t e r d e r H e r r s c h a f t d e s g e s e l l s c h a f t l i c h e n E i g e n t u m s a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n zu l e u g n e n . I m S o z i a l i s m u s f i n d e t d i e s e V e r s e l b s t ä n d i g u n g in den G r e n z e n d e s a l l g e m e i n e n Volkseigentums

an d e n

P r o d u k t i o n s m i t t e l n s t a t t , d a s alle B e r e i c h e ,

Zweige

u n d B e t r i e b e d e r V o l k s w i r t s c h a f t z u e i n e m einheitlichen G a n z e n v e r e i n t .

Es

b r i n g t k e i n e n a n d e r e n E i g e n t ü m e r an d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n h e r v o r . Zugleich ist die r e l a t i v e ö k o n o m i s c h e V e r s e l b s t ä n d i g u n g d e r w i r t s c h a f t l i c h e n Grundeinheiten,

also d e r B e t r i e b e u n d ihrer V e r e i n i g u n g e n , eine g a n z

reale

s t r u k t u r e l l e B e w e g u n g s f o r m des einheitlichen V o l k s e i g e n t u m s . S i e b r i n g t spezif i s c h e , n u r d e m S o z i a l i s m u s eigene F o r m e n d e r ö k o n o m i s c h e n I n t e r e s s e n h e r v o r : d i e I n t e r e s s e n d e r W i r t s c h a f t s e i n h e i t e n u n d ihrer K o l l e k t i v e . Die e r s t e r e n werd e n ü b e r d e n G e w i n n u n d die a u s i h m g e b i l d e t e n F o n d s f ü r die E n t w i c k l u n g d e r P r o d u k t i o n m a t e r i a l i s i e r t . Die I n t e r e s s e n d e r K o l l e k t i v e d e r G r u n d e i n h e i t e n d e r V o l k s w i r t s c h a f t m a t e r i a l i s i e r e n sich in d e n a u s d e m G e w i n n g e b i l d e t e n P r ä m i e n f o n d s . S o m i t s t e l l t sich die V e r t e i l u n g d e s N a t i o n a l e i n k o m m e n s u n d d i e Bild u n g d e r P r i m ä r e i n k o m m e n in P r o z e s s e n d a r , die die realen V e r h ä l t n i s s e a u s drücken.

Diese Prozesse

mischen Interessen trifft

voll

und

lassen

sich

ohne Analyse des S y s t e m s

der

ökono-

d e r s o z i a l i s t i s c h e n G e s e l l s c h a f t n i c h t b e g r e i f e n . D a s gleiche

ganz

a u c h auf

die U m v e r t e i l u n g

u n d die B i l d u n g der S e k u n d ä r e i n k o m m e n

zu

des

Nationaleinkommens

wie b e i s p i e l s w e i s e die

Fonds-

a b g a b e , d e n Zins u n d die R e n t e n a b g a b e n , die als m a t e r i e l l e S t i m u l i f ü r d i e rationelle

Nutzung

der Produktions-

und

Geldfonds

sowie

der

natürlichen

Ressourcen dienen. I n f o l g e s c h w e r w i e g e n d e r m e t h o d o l o g i s c h e r F e h l e r k o n n t e n die V e r t r e t e r d e r „neoklassischen Problems

der

Theorie von der sozialistischen ökonomischen

Stimuli

nicht

W i r t s c h a f t " hinsichtlich

vorankommen.

Zwei

des

Jahrzehnte

s p ä t e r stellLe B . W a r d f e s t : „ D a s P r o b l e m d e r S t i m u l i w u r d e z w a r o f t a u f g e w o r f e n , blieb a b e r im H i n t e r g r u n d d e r D i s k u s s i o n " 5 1 . A. N o v e b e s t ä t i g t dit;s, 50 61

68

Vgl. Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 123. B e n j a m i n Ward, The Socinlist Kconomy, New York 1967, S. 36.

wenn er schreibt, das daß Konkurrenzmodell, das von der neoklassisclien Gleichgewichtstheorie ausgegangen war, der Organisation und den Stimuli der Wirtschaftstätigkeit der Planungsorgane und Betriebsleiter keine Beachtung gezollt h ä t t e . 5 2 In den Sozialismusmodellen der „neuen sozialistischen Schule" galten nur die Einkommen als real, die sich aus der individuellen Verteilung ergaben. Allerdings stellten die meisten Verfechter dieses Modells zu R e c h t fest, daß das wirtschaftliche Gleichgewicht eine ausgleichende Einkommensverteilung auf die Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft verlange. Dabei lehnten sie das Prinzip der Gleichmacherei ab, weil es keine Möglichkeit zur Stimulierung und proportionalen Verteilung der Arbeit auf die Zweige und Berufe böte. Das Schema der individuellen Verteilung, das in den Sozialismusmodellen am häufigsten anzutreffen war, beruhte auf der Kombination von zwei Prinzipien: der Verteilung nach der Produktivität und Schwere der Arbeit in F o r m differenzierter Löhne und einer von der Leistung und Art der Arbeit unabhängigen Verteilung in Gestalt einer sozialen Dividende aus gesellschaftlichen Konsumtionsfonds. Den Grundsätzen der „neoklassischen" Theorie treu bleibend, betrachteten die Anhänger der sogenannten neuen sozialistischen Schule den spontan wirkenden Markt als den einzig möglichen Regulator für die Verteilung des menschlichen Produktionsfaktors, der zudem auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes garantiere. Deshalb sahen sie in ihren Modellen vor, die zentralen Planungsorgane zu bevollmächtigen, in ihren Handlungen den spontanen Marktmechanismus nachzubilden oder zu imitieren, das heißt, diese Organe sollten zwar die Löhne festlegen, sie jedoch entsprechend dem Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot bei den jeweiligen Arbeitsarten verändern. Die „neoklassischen" Wirtschaftstheoretiker meinten, daß der Nutzen des vom Grenzarbeiter erzeugten Produks bzw. der Nutzen des Grenzprodukts, der das Lohnniveau in jedem Zweig bestimme, bei Ausgewogenheit von Nachfrage und Angebot auf dem Arbeitsmarkt der Arbeitsbelastung des Grenzarbeiters oder dem Grenzaufwand an der Arbeit entspreche, mit der dieses Produkt erzeugt worden sei. So sollten nach der Konzeption der „neuen sozialistischen Schule" die Unterschiede in der Grenzleistungsfähigkeit und Grenzlast der Arbeit die Grundlage für' die Differenzierung des Lohns im Sozialismus bilden. A. Bergson hat in seinem Überblick über die Diskussion dieses Prinzip der Lohndifferenzierung so formuliert: „Das Lohngefälle, das dem Leistungsgefälle entsprechend gegeben sein wird, entspricht zugleich auch den Unterschieden in der A r b e i t s l a s t . " 5 3 52

Vgl. Alec Novc,

Knappheit,

Gesetz, W e s t b e r l i n

Allokation und M a c h t , i n :

M a c h t und ö k o n o m i s c h e s

1 9 7 3 , S. 6 8 1 sowie F . P r y o r , P r o p e r t y a n d I n d u s t r i a l

Organi-

zation in Commnnist and Capitalist Nations, Indiana U n i v c r s i t y Press, 1973, S . 3 5 1 . 53

A b r a m B e r g s o n , Socialist E c o n o m i c s , i n : A S u r v e y of C o n t e m p o r a r y

Economics,

New Y o r k 1 9 4 8 , S. 4 3 7 .

69

Die bürgerlichen W'irtscliaftstheoretiker ignorierten im wesentlichen die T a t sache, d a ß die A r b e i t s k r a f t u n t e r den Verhältnissen des gesellschaftlichen Eigent u m s an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n , u n t e r denen sie direkt m i t den P r o d u k t i o n s mitteln v e r b u n d e n ist, a u f h ö r t W a r e zu sein. Die sozialistische Gesellschaft legt die Proportionen in der Verteilung der A r b e i t s k r ä f t e auf die Bereiche d e r Volkswirtschaft, auf die Zweige u n d Betriebe planmäßig fest. Ebenso p l a n m ä ß i g wird auf der Grundlage dieser direkten Verbindung auch der K o n s u m t i o n s f o n d s auf die Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft verteilt. Zum überwiegenden Teil wird dieser F o n d s in F o r m des Lohns verteilt, u n d zwar n a c h N o r m a t i v e n , die die Gesellschaft in Abhängigkeit von der Menge u n d Q u a l i t ä t der Arbeit festlegt. Die sozialistische F o r m der Einstellung von A r b e i t s k r ä f t e n , über die der W e r k t ä t i g e direkt in den Produktionsprozeß eingeschaltet wird, g a r a n t i e r t , d a ß jeder einzelne seinen Arbeitsplatz frei wählen k a n n , doch ist sie niemals Kauf u n d Verkauf von A r b e i t s k r a f t . In der sozialistischen W i r t s c h a f t ist es weder möglich noch notwendig, den spontan wirkenden A r b e i t s m a r k t , wie er f ü r den Kapitalismus typisch ist, nachzubilden oder seinen Mechanismus zu imitieren, u m auf diese Weise d a s Lohnniveau u n d die Arbeilskräftevcrteilung auf die Zweige zu regulieren. U n h a l t b a r war auch der Versuch der bürgerlichen W i r t s c h a f t s t h e o r e t i k e r , der Lohnregelung das Grenzproduktivitätsgesetz zugrunde zu legen, d a s von d e m Amerikaner J o h n Bates Clark s t a m m t . Hier abstrahierten sie von d e m H a u p t f a k t o r , der die Lohnbewegung im Sozialismus b e s t i m m t , nämlich von der Steigerung der A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t . Den Produktionszuwachs, den der Grenzarbeiter erzeugt, setzten sie einem Produktionszuwachs durch höheren Arbeitsa u f w a n d gleich, also bei unveränderlicher Größe der übrigen P r o d u k t i o n s f a k toren. Ein solcher Weg der Produktionssteigerung ist äußerst fragwürdig, weil selbst bei extensivem P r o d u k t i o n s w a c h s t u m — bei u n v e r ä n d e r t e r technischer A u s r ü s t u n g der P r o d u k t i o n — eine E r h ö h u n g des P r o d u k t i o n s a u f w a n d e s einen größeren P r o d u k t i o n s f o n d s erfordert. Als zusätzliche F o r m der Verteilung war in den hier dargestellten Sozialismusmodellen eine soziale Dividende vorgesehen. Sie sollte vor allem ein Hilfsmittel zur Angleiehung der Geldeinkommen sein. J e d e r Einzelne sollte aus einem v o n den P r o d u k t i o n s f a k t o r e n gebildeten u n d der Allgemeinheit gehörenden gesellschaftlichen Konsumtionsfonds seinen Anteil erhalten. Die E i n k o m m e n aus dem gesellschaftlichen Konsumtionsfonds sollten verteilt werden, ohne dabei den Z u s a m m e n h ä n g e n zwischen den individuellen, kollektiven u n d gesellschaftlichen Interessen R e c h n u n g zu tragen. Auf diese Weise bot die sozialistische Gesellschaft das gleichbleibende Bild einer großen Genossenschaft, in der die wirtschaftliche Gleichstellung durch Angleiehung der Geldeinkommen über die Distributionssphäre erreicht werden sollte. In Wirklichkeit wird in der sozialistischen Gesellschaft die völlige wirtschaftliche Gleichstellung aller ihrer Mitglieder d a d u r c h ermöglicht, d a ß die Bedingungen u n d die Art ihrer Arbeit einander angeglichen u n d die sozialökonomischen

70

Unterschiede in der Arbeit aufgehoben werden, was wiederum die Unterschiede in der Höhe der Einkommen verringert. Die Verteilung über die gesellschaftlichen Konsumtionsfonds realisiert das individuelle Interesse in dem Maße, in dem sie die individuellen Einkommen jedes Mitglieds der Gesellschaft (in gewissem Maße ohne Bezug auf die Arbeitsleistung) erhöht. Sie trägt dazu bei, das gesellschaftliche Interesse und damit auch das individuelle Interesse zu realisieren, weil sie den sozialen Aufgaben, der allseitigen Entwicklung jedes einzelnen untergeordnet ist. Die subjektivistische psychologische Methodologie brachte noch einen weiteren circulas vitiosus hervor, dem sich die „neoklassische Theorie von der sozialistischen Wirtschaft" bei der Darstellung des Verteilungsproblems ausgesetzt sah. Einei'seits postulierten die Vertreter dieser Theorie die Gleichheit der Gesamteinkommen für alle Mitglieder der Gesellschaft, andererseits behaupteten sie, •daß das bei gleichem Grenznutzen der Einkommen aller Individuen erreichbare Wohlstandsmaximum nur bei ungleicher Einkommensverteilung möglich sei, weil die Grenznutzen gleicher Einkommen wegen der unterschiedlichen Intensit ä t der Bedürfnisse für die einzelnen Individuen unterschiedlich sein würden. A. Lerner meinte dazu, die Verteilung nach den Bedürfnissen sei nur möglich, wenn „die Individuen mit mehr Genußfähigkeiten hinreichend hohe Einkommen erhalten, damit der abnehmende Grenznutzen ihrer Einkommen dem Grenznutzen des Einkommens der Individuen mit weniger Genußfähigkeiten (oder Wünschen und Bedürfnissen) und entsprechend niedrigerem Einkommen entspreche" 5 4 . Lerner gab zu, daß ein solches Verteilungsprinzip Mißbräuche und Ungleichheit zur Folge haben könne und die Grenznutzen der Einkommen D o verschiedener Individuen nicht vergleichbar seien. Deshalb setzte er sich f ü r die Einkommensverteilung nach dem Gleichheitsprinzip ein, weil davon das Maximum des wahrscheinlichen Gemeinwohls zu erwarten sei. So waren die Verteilungskonzeptionen „der neuen sozialistischen Schule" in die Zwickmühle gavierender Widersprüche geraten. Diese Widersprüche werden auch von bürgerlichen Theoretikern zugegeben. So schreibt P. Kende, die „neue sozialistische Schule postuliert in einem Atemzug Gleichheit und Differenzierung der Löhne" 5 5 . Die unlösbaren Widersprüche waren schließlich die Ursache für die Hilflosigkeit und Fruchtlosigkeit dieser Theorie. Der sozialistische

Wirtschaftsmechanismus

Äußerst widersprüchlich und inkonsequent war auch die Konzeption der „neuen sozialistischen Schule" vom Wirtschaftsmechanismus der sozialistischen Gesellschaft. Ihr Hauptwiderspruch bestand darin, daß einerseits behauptet wur54

55

Abba P. Lerner, The Economies of Control. Principles of Weifare Economies, New York 1944, S. 28. Peter Kende, Logique de l'économie centralisée. Un exemple : la Hongrie, Paris 1964, S. 437.

71

de, es gebe k e i n e realen ökonomischen F o r m e n und Z u s a m m e n h ä n g e , die einen spezifisch sozialistischen W i r l s e h a f l s m e c h a n i s m u s bildeten, a n d e r e r s e i t s a b e r sollte dieser M e c h a n i s m u s die Proportionen ähnlich u n d nach der gleichen A r t u n d W e i s e regeln, wie im K a p i t a l i s m u s . Die W u r z e l dieses W i d e r s p r u c h s lag in der T r e n n u n g zwischen ökonomischen u n d sozialen Verhältnissen, die, wie bereits e r w ä h n t , für die „neoklassische Theorie von der sozialistischen W i r t schaft" charakteristisch war. Ebenso wie ihre Opponenten in der Diskussion über die „ W i r t s c h a f t s r e c h nung i m S o z i a l i s m u s " k o n n t e n sieh a u c h die V e r t r e t e r der „neuen sozialistischen S c h u l e " nicht vorstellen, d a ß die a l l g e m e i n e n Gesetze der w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g p l a n m ä ß i g wirken, d a ß die W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n p l a n m ä ß i g ausg e n u t z t werden können u n d d a ß es spezifische F o r m e n ökonomischer Beziehungen g i b t , u n d sie setzten die o b j e k t i v e n ökonomischen V e r h ä l t n i s s e m i t d e n s p o n t a n e n M a r k t b e z i e h u n g e n gleich. Da sie d a v o n a u s g i n g e n , d a ß der S o z i a l i s m u s keinen M a r k t der P r o d u k t i o n s f a k t o r e n ( K a p i t a l , Boden, A r b e i t ) k e n n t , stellten sie den F u n k t i o n s m e c h a n i s m u s der W i r t s c h a f t im S o z i a l i s m u s als S c h e i n m e c h a n i s m u s hin, der keine realen sozialökonomischen Verhältnisse a u s d r ü c k e . In den Sozialismusmodellen von A. Pigou, R . Hall, F. T a y l o r , 0 . L a n g e u n d II. Dickinson w u r d e n n u r die W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n zwischen den L i e f e r a n ten u n d K o n s u m e n t e n von K o n s u m g ü t e r n für real e r k l ä r t . Der in d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n v e r k ö r p e r t e Teil des gesellschaftlichen P r o d u k t s , so m e i n t e n sie, sei keine W r are. Sie b e h a u p t e t e n , d a ß im Sozialismus die P r o d u k t i o n s f o n d s der P r o d u k t i o n s m i t t e l herstellenden B e t r i e b e ebensowenig einen realen ökonomischen Kreislauf vollziehen wie deren Erzeugnisse. Als G r u n d e i n h e i t der W i r t s c h a f t g a l t in diesen Modellen gewöhnlich der W i r t s c h a f t s z w e i g , die G e s a m t h e i t der B e t r i e b e einer B r a n c h e . Doch l e u g n e t e n sie die R e a l i t ä t der r e l a t i v e n ökonomischen S e l b s t ä n d i g k e i t der Zweigvereinig u n g e n ebenso wie die T a t s a c h e , d a ß die B e z i e h u n g e n dieser V e r e i n i g u n g e n m i t der g e s a m t e n Gesellschaft auf w i r t s c h a f t l i c h e r R e c h n u n g s f ü h r u n g b e r u h e n . Auch die A r t der Beziehungen zwischen den zu einer Vereinigung gehörenden B e t r i e b e n sowie zwischen den V e r e i n i g u n g e n selbst blieb in diesen Modellen u n g e k l ä r t . B e n j a m i n W a r d stellt d a z u fest, d a ß m i t den dort f o r m u l i e r t e n R e geln z w a r d a s a l l g e m e i n e N i v e a u von P r o d u k t i o n u n d K o n s u m t i o n sowie d a s N i v e a u der j e w e i l i g e n Einzelproduktion u n d der N u t z u n g der P r o d u k t i o n s f a k t o r e n bei den F a m i l i e n u n d F i r m e n e r m i t t e l t werden könne. U n b e a n t w o r t e t aber ließen sie die F r a g e , wie die W a r e n von B e t r i e b zu BeLrieb oder v o m B e t r i e b zur F a m i l i e k o m m e n . 5 6 Die S p e z i f i k des Sozialismus sahen die A n h ä n g e r der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " d a r i n , d a ß es in i h m keinen realen W i r t s c h a f t s v e r k e h r , k e i n e ökonomischen Beziehungen zwischen den Grundeinheit e n der W i r t s c h a f t g ä b e . Zugleich a b e r l e u g n e t e n sie, d a ß es einen spezifisch 56

72

Benjamin Ward, The Socialist Economy, New York 1967, S. 28.

s o z i a l i s t i s c h e n T y p u s , eine s p e z i f i s c h sozialistische W i r k u n g s w e i s e d e s W i r t s c h a f t s i n e c h a n i s m u s g ä b e . Die V e r a b s o l u l i e r u n g d e r a l l g e m e i n e n G e s e t z e u n d die D a r s t e l l u n g ihrer s p o n t a n e n W i r k u n g s w e i s e als e w i g e u n d u n v e r g ä n g l i c h e F o r m d r ü c k t e sich in d e n K o n z e p t i o n e n dieser W i r t s c h a f t s t h e o r e t i k e r in d e r V e r e w i g u n g d e r s p o n t a n e n F o r m d e r M a r k t b e z i e h u n g e n u n d in d e r D a r s t e l l u n g d e s K o n k u r r e n z m e c h a n i s m u s a l s einzig m ö g l i c h e r R e g u l a t o r d e r P r o p o r t i o n e n a u s . D a h e r werden a u c h d i e s e Modelle als „ L ö s u n g d e s P r o b l e m s d e r o p t i m a l e n Nutzung knapper Ressourcen durch Konkurrenz" bezeichnet.57 G r o b v e r a l l g e m e i n e r t s a h die K o n s t r u k t i o n d e s W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s in d e r „ n e o k l a s s i s c h e n T h e o r i e v o n d e r sozialistischen W i r t s c h a f t " so a u s : D i e K o n s u m g ü t e r p r e i s e sollten ü b e r die M a r k t k o n k u r r e n z a u f e i n e m N i v e a u zustande k o m m e n , d a s d a s Gleichgewicht von Nachfrage und A n g e b o t herstelle. A u f d i e s e W e i s e sollten sich die erforderlichen P r o p o r t i o n e n in d e r P r o d u k t i o n v o n K o n s u m g ü t e r n sowie die o p t i m a l e N u t z u n g d e s m e n s c h l i c h e n P r o d u k t i o n s faktors automatisch herausbilden. D a es in d e n m e i s t e n Modellen j e d o c h keinen s p o n t a n w i r k e n d e n M a r k t d e r P r o d u k t i o n s m i t t e l u n d d e r P r o d u k t i o n s f a k t o r e n g a b , w u r d e n die F u n k t i o n e n d e s M a r k t e s d e m z e n t r a l e n P l a n u n g s o r g a n ü b e r t r a g e n . E s sollte in seinen A k t i vitäten den Mechanismus der Marktkonkurrenz reproduzieren oder imitieren. So schrieb 0 . L a n g e : „ I n der sozialistischen Wirtschaft gleicht der Preisbildungsp r o z e ß d e n P r o z e s s e n d e s K o n k u r r e n z m a r k t e s . Die z e n t r a l e p l a n m ä ß i g e Leit u n g spielt die R o l l e d e s M a r k t e s . " 5 8 D i e zentrale, p l a n m ä ß i g e L e i t u n g sollte auf e x p e r i m e n t e l l e m W e g e , d u r c h A n n ä h e r u n g , d u r c h „ V e r s u c h e u n d F e h l e r " , also auf d i e s e l b e W e i s e , in d e r a u c h d e r s p o n t a n e M a r k t w i r k t , die P r o d u k t i o n s m i t t e l p r e i s e u n d d e n Zins (den P r e i s des Produktionsfaktors K a p i t a l ) auf einem Niveau festlegen, der den M a r k t „ b e r e i n i g e " . D a b e i sollte es sich u m d a s N i v e a u h a n d e l n , a u f d e m die N a c h f r a g e d e m A n g e b o t e n t s p r e c h e . W a s d a n n noch zu t u n w ä r e , sollte A n g e l e g e n h e i t d e r L e i t e r d e r Z w e i g v e r e i n i g u n g e n u n d B e t r i e b e sein, die sich v o n d e n R e g e l n leiten ließen, die die z e n t r a l e n P l a n u n g s o r g a n e f e s t g e l e g t h ä t t e n . Zu diesen R e g e l n z ä h l t e 0 . L a n g e die M i n i m i e r u n g d e r P r o d u k t i o n s g e s a m t k o s t e n , u m die P r o d u k t i o n s f a k t o r e n o p t i m a l zu n u t z e n , u n d die F o r d e r u n g , d a ß die P r e i s e d e n G r e n z k o s t e n e n t s p r e c h e n sollten, u m auf d i e s e W e i s e o p t i m a l e P r o d u k t i o n s g r ö ß e n zu erreichen. „ T a y l o r u n d L a n g e " , s c h r e i b t d e r a m e r i k a n i sche P r o f e s s o r L e o n i d H u r w i c z , „ m e i n t e n , d a ß die B e r e c h n u n g e n (die f ü r die e f f e k t i v e V e r t e i l u n g d e r R e s s o u r c e n erforderlich sind — d. Verf.) v o n d e n P l a n u n g s o r g a n e n u n d d e n einzelnen P r o d u k t i o n s e i n h e i t e n a u f i t e r a t i v e m W e g e v o r g e n o m m e n w e r d e n m ü ß t e n , d u r c h ein V e r f a h r e n , d a s d e m W i r k e n d e s M a r k t e s gleichkommt." 59 57 68

69

Der Begriff „Marktsozialismus" k a m erst viel später, in den sechziger J a h r e n , auf. Oskar Lange, Fred M. Taylor, On the Economic Theory of Socialism, Minnesota 1938, S. 83. Leonid Hurwicz, Centralization and Decentralization in Economic Process, i n : 73

Störungen im Verhältnis von Nachfrage und Angebot sollten in diesen Sozialismusmodellen durch die Bildung von Überbeständen oder E n g p ä s s e n oder aber durch die A u f t r a g s l a g e in den Betrieben bei dem jeweiligen Kostenniveau signalisiert werden. Wir bemerkten, daß in den Modellen der „neuen sozialistischen S c h u l e " die Proportionen durch N a c h a h m u n g des a u t o m a t i s c h wirkenden Preismechanismus des spontanen Marktes geregelt werden sollten. Steigende Preise sollten zur Ausdehnung der Produktion führen, weil sie die Möglichkeit böten, mit höheren Grenzkosten zu produzieren. Fallende Preise dagegen hätten einen P r o d u k t i o n s r ü c k g a n g zur Folge, weil die zulässigen Grenzkosten absinken würden. In den Produktionseinheiten, wo der Preis über den Produktionskosten liege, werde sich die P r o d u k tion ausdehnen u n d umgekehrt. D a s bewirke, daß Ressourcen aus den letzteren Produktionseinheiten in die ersteren fließen, behauptete R . Hall. 6 0 N a c h 0 . L a n ges Meinung sollte die Gleichheit von Grenzkosten und Preisen in der sozialistischen Wirtschaft die F u n k t i o n ausüben, die bei freier Konkurrenz die K a p i t a l wanderung zwischen den Zweigen spielt. 6 1 Der Markt der Ressourcen, der Konkurrenzkampf u m ihre Nutzung, war in diesen Modellen ein wichtiger Teil des Wirtschaftsmechanismus. Die Preise sollten die Verteilung der Ressourcen auf die Zweige regulieren. S o schrieb 0 . L a n g e : „ D i e Preise für das K a p i t a l und die natürlichen Ressourcen müssen v o m zentralen Planungsorgan so festgelegt werden, daß die Ressourcen in die Zweige fließen, die in der L a g e sind, diese Preise zu ,zahlen' . . . " C 2 . D a der Zins der Preis für d a s K a p i t a l ist, sollte ein einheitlicher Zinsfuß die Rolle des Regulators f ü r die Verteilung der Investitionen spielen. Die Analogie des von den Vertretern der „neoklassischen Theorie v o n der sozialistischen W i r t s c h a f t " konstruierten Funktionsmechanismus der sozialistischen Wirtschaft zum K a p i t a l i s m u s der freien Konkurrenz liegt auf der H a n d . Sie wird auch von den Vätern dieser Theorie selbst festgestellt u n d hervorgehoben. H. Dickinson hatte, wie er selbst einräumte, verschiedene, d e m „ k a p i t a listischen I n d i v i d u a l i s m u s " entlehnte E l e m e n t e in d a s Modell von der sozialistischen Gesellschaft eingebaut. 6 3 R . Mosse schrieb, daß Planungs- und Konkurrenzwirtschaft einander ähnlich seien. 0,4 P. K e n d e stellte fest, daß die G r u n d s ä t z e der „ S o u v e r ä n i t ä t des Verbrauchers" u n d der freien Konkurrenz noch nie so Comparison of Economic Systems, Ed. by A. Eckstein, University of California Press 1971, S. 92. 0 0 Vgl. Robert L. Hall, The Economic System in a Socialist State, London 1937, S. 120. 6 1 Oskar Lange, Fred M. Taylor, On tlie Economic Theory of Socialism, Minnesota 1938, S. 77. «2 Ebenda, S. 79. 6 3 Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 213. 6 4 Robert Mosse, The Theory of Planned Economy, A Study of some Recent Works, in: International Labour-Review, Bd. X X X V I , 3/1937, S. 380. 74

zwingend formuliert worden seien wie in den theoretischen Konstruktionen der „neuen sozialistischen S c h u l e " . 6 5 Doch kann die spontane Marktkonkurrenz die Proportionen der R e p r o d u k t i o n nie so regeln, wie es d a s gesellschaftliche E i g e n t u m an den Produktionsmitteln, die sozialistische vergesellschaftete Produktion v e r m a g . Konkurrenz bedeutet, d a ß sich die Proportionalität erst im Ergebnis von einander überlagernden A b weichungen, d a s heißt post f a c t u m ihren Weg durch die Disproportionalität bahnt. Diese, d e m K a p i t a l i s m u s der freien Konkurrenz innewohnende A r t der Proportionalitätsregelung ist mit massenhafter Vergeudung von Arbeit u n d materiellen Ressourcen verbunden. Sie bringt unvermeidlich zyklische Schwankungen hervor. Deshalb wird sie im Kapitalismus von heute durch ein S y s t e m der staatlichen Wirtschaftsregulierung ergänzt, d a s diese S c h w a n k u n g e n mildern soll. Zu Recht stellte M. D o b b in einer Rezension über d a s B u c h von L a n g e u n d T a y l o r fest, es dränge den Schluß auf, daß . . . die Labilität, d a s charakteristische Merkmal eines anarchischen Produktionssystems (das aus einer atomistischen A r t und Weise der Entscheidungsfindung u n d aus der K o n k u r r e n z hervorgeht), erhalten bleibt, und mit ihr auch die Möglichkeit von Disproportionen, die wir auch heute haben . . .' t 6 6 . Auch die optimale A b s t i m m u n g der laufenden und perspektivischen Bedürfnisse ist über den spontan wirkenden Markt nicht möglich. Der Markt kann ihnen nur unvollständig Rechnung tragen, weil er lediglich die laufenden zahlungsfähigen Bedürfnisse der Gesellschaft deutlich macht. D a m i t wird die L ö s u n g der perspektivischen A u f g a b e n der wirtschaftlichen Entwicklung erschwert u n d die Möglichkeit ausgeschlossen, die Hauptrichtungen des technischen Fortschritts u n d der Veränderung der Produktions- und K o n s u m t i o n s s t r u k t u r planmäßig festzulegen. Ein untrennbares E l e m e n t des sozialistischen W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s sollte, der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen W i r t s c h a f t " zufolge, die Konkurrenz auf dem K a p i t a l m a r k t sein. In den Modellen Taylors, L a n g e s , Dickinsons und Pigous sollte d a s zentrale Planungsorgan diesen Markt imitieren, indem es auf experimentellem Wege d a s Gleichgewicht zwischen den Produktionsmittelpreisen und d e m Zins herstellte. Lerner stellte in seinem Modell den K a p i t a l m a r k t als Markt d a r , der die reale K a p i t a l b e w e g u n g repräsentiert. In den Modellen von Kläre Tisch und Herbert Zassenhaus sollte der Zins auf m a t h e m a t i s c h e m Wege als F u n k t i o n von Nachfrage und A n g e b o t ermittelt werden. Die Geschichte der sozialistischen Wirtschaft h a t gezeigt, d a ß der Zins im Sozialismus eine ganz andere F u n k t i o n h a t als im K a p i t a l i s m u s . Der B a n k z i n s 65

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Peter Kende, Logique de l'économie centralisée. Ua exemple: la Hongrie, Paris 1964, S. 437. Maurice Dobb, Economic Theory and Socialism, London 1955, S. 125. Ök. soz. Theorien

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ist eine F o r m des in den sozialistischen Betrieben erzeugten M e h r p r o d u k t s . E r d r ü c k t die Beziehungen zwischen Gesellschaft u n d B e t r i e b a u s , Beziehungen direkter, nicht warengebundener A r t . D a d a s gesellschaftliche E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n ausschließt, d a ß die finanziellen A k k u m u l a t i o n s f o n d s , die über d a s K r e d i t s y s t e m verteilt werden, W a r e n f o r m annehmen, n i m m t a u c h d e r Zins nicht die F o r m des Preises f ü r die W a r e K a p i t a l an. D e s h a l b gibt es im S o z i a l i s m u s keinen K a p i t a l m a r k t . I m S o z i a l i s m u s ist der Zins weder der einzige noch der a u s s c h l a g g e b e n d e R e g u lator f ü r die Verteilung der K r e d i t m i t t e l auf die Zweige der V o l k s w i r t s c h a f t und die Wirtschaftsregionen des betreffenden L a n d e s . Die B e w e g u n g dieser Mittel ist g e p l a n t . D a b e i ist der Zins keineswegs nur eine rechnerische Größe. E r d r ü c k t die realen Verhältnisse der U m v e r t e i l u n g des M e h r p r o d u k t s a u s . Als E l e m e n t des sozialistischen W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s stellt der Zins eine K a t e g o r i e der wirtschaftlichen R e c h n u n g s f ü h r u n g dar, die die e f f e k t i v e N u t z u n g der K r e d i t m i t t e l u n d folglich der vergangenen Arbeit stimuliert. In allen Modellen, die von den Theoretikern der „ n e u e n sozialistischen S c h u l e " k o n s t r u i e r t worden waren, g a b es ein zentrales P l a n u n g s o r g a n . D o c h wurde hier die zentrale L e i t u n g des W i r t s c h a f t s p r o z e s s e s im wesentlichen entweder auf die N a c h a h m u n g des s p o n t a n e n M a r k t m e c h a n i s m u s oder auf d a s p a s s i v e Verfolgen d e r s p o n t a n entstehenden Proportionen reduziert. Heinz-Dietrich Ortlieb, ein Theoretiker der westdeutschen S o z i a l d e m o k r a t i e , schrieb über d a s Modell der „ P s e u d o k o n k u r r e n z " ( „ P s e u d o - C o m p e t i t i o n " ) : „ E i n e r ihrer ersten Verfechter war Heimann . . . E r t a t einen entscheidenden weiteren S c h r i t t zur m a r k t w i r t s c h a f t lichen V e r f a s s u n g der sozialistischen Ordnung, in der v o n einer straff d u r c h o r g a nisierten P l a n w i r t s c h a f t keine R e d e mehr sein k a n n . Abgesehen v o n einer zentralen E i n f l u ß n a h m e lediglich von K o m m a n d o h ö h e n a u s herrscht in dieser Ordn u n g die M a r k t p r e i s b i l d u n g . " 6 7 Die „neoklassische Theorie v o n der sozialistischen W i r t s c h a f t " begrenzte die F u n k t i o n e n des zentralen P l a n u n g s o r g a n s im wesentlichen auf die A u f t e i l u n g des N a t i o n a l e i n k o m m e n s in den A k k u m u l a t i o n s - u n d K o n s u m t i o n s f o n d s u n d auf die E r a r b e i t u n g der „ V e r h a l t e n s r e g e l n " f ü r die Leiter der F i r m e n . I m Modell v o n Dickinson, der versuchte, die P l a n u n g m i t der freien Preisbildung zu verbinden, sollte d a s zentrale P l a n u n g s o r g a n nur die allgemeinen Direktiven geben u n d f ü r die meisten Zweige weder die Preise noch die P r o d u k t i o n s g r ö ß e n festlegen. 6 8 In den Modellen v o m „ K o n k u r r e n z s o z i a l i s m u s " g a b es somit keinen einheitlichen, für alle W i r t s c h a f t s s e k t o r e n verbindlichen P l a n der w i r t s c h a f t lichen E n t w i c k l u n g . Anstelle eines zentralen P l a n s , der die B e d ü r f n i s s e der 67

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Vgl. Heinz-Dietrich Olllieb, Der gegenwärtige Stand der Sozialisierungsdebatte in Deutschland, in: Untersuchungen zur sozialen Gestaltung der Wirtschaftsordnung, hg. von Walter Weddigen, Westberlin 1950, S. 264. Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 194.

Volkswirtschaft berücksichtigt, sollte der Markt und anstelle der nicht an Äquivalente gebundenen Bewegung der Ressourcen die indirekte Ware-Geld-Verbindung fungieren. Die Beschränktheit der „neoklassischen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft" bestand darin, daß ihre Verfechter die Frage nach den Formen der aktiven zentralen Einflußnahme auf den Reproduktionsprozeß nicht einmal stellten. Sie leugneten nicht nur die Notwendigkeit der zentralen Festlegung der Proportionen, also der direkten Wirtschaftsregulierung, die dem Sozialismus eigen ist und sich auf die nicht an Äquivalente gebundene direkte Bewegung der Produktionsfaktoren stützt, sie befaßten sich auch nicht mit den Mitteln und Methoden der indirekten Wirtschaftsregulierung. Wenn einige Modelle vom „Konkurrenzsozialismus" dem zentralen Planungsorgan auch eine gewisse Rolle bei der Preisbildung beimaßen, so reduzierten sie diese Rolle doch auf das rein passive Fixieren der Preise, wie sie aus den spontanen Schwankungen von Nachfrage und Angebot entstehen. Die Anforderungen des Marktes sollten durch den Preis auf die Wirtschaftseinheiten übertragen werden. In den Sozialismusmodellen der „neuen sozialistischen Schule" gab es keinen anderen Mechanismus zur Abstimmung der partiellen Interessen der Wirtschaftseinheiten auf die Interessen der ganzen Gesellschaft als den imitierten Mechanismus der spontanen Preisbildung. So behauptete Lerner, die Aufgabe des Ministeriums für Wirtschaftsplanung bestehe darin, die entsprechenden Richtlinien zu geben und auf deren Einhaltung sowie auf das reibungslose Wirken des Preismechanismus zu achten. „Der gesellschaftliche Hauptnutzen des Preismechanismus besteht darin, daß er, richtig angewandt, die Mitglieder der Gesellschaft in der Jagd nach dem eigenen Vorteil zwingt, dem allgemeinen gesellschaftlichen Interesse zu entsprechen." 6 9 Wir hatten bereits festgestellt, daß optimale Proportionalität, eine planmäßige und bilanzierte Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft bei spontaner Marktwirtschaft nicht möglich sind. Auch die relative Preisstabilität, ein wesentliches Prinzip der planmäßigen Preisbildung, ist mit dem spontan wirkenden Marktmechanismus unvereinbar. Seine Ausnutzung würde ständiges Anwachsen der Preise und Inflation zur Folge haben. Die Ablehnung der zentralen Planung der Volkswirtschaft war gleichbedeutend mit der Befürwortung einer dezentralisierten Wirtschaftsleitung, die in den meisten der hier erwähnten Sozialismusmodelle auch das typische Merkmal des Wirtschaftsmechanismus war. A. Bergson kam bei einer Analyse dieser Modelle zu dem Schluß, daß dort die Handlungen der einzelnen Betriebe und Familien über den Markt zu einem einheitlichen Ganzen integriert werden.' 0 So war 69

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Abba P. Lerner, Economics of Control. Principles of Weifare Economics, New York 1944, S. 64, 67. -Abram Bergsoii, Socialist Economics, in: A Survey of Contemporary Economics, New York 1948, S. 441.

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H . Dickinson in seinem Modell d a v o n ausgegangen, daß die „wirtschaftliche A k t i v i t ä t dezentralisiert ist und von einer Vielzahl von Einzelorganen der kollektivistischen Wirtschaft betrieben wird . . ., die finanziell voneinander unabhängig sind . . . und ebenso geleitet werden, wie die einzelnen Unternehmen im K a p i t a l i s m u s " 7 1 . Diese dezentralisierte Organisation werde über die Preise und K o s t e n koordiniert. In den heutigen Arbeiten bürgerlicher u n d reformistischer Wirtschaftstheoretiker werden diese Modelle deshalb auch als „dezentralisierter S o z i a l i s m u s " 7 2 bezeichnet. Die Vorherrschaft der dezentralisierten F o r m der Wirtschaftsleitung, wie sie in diesen Modellen vorgesehen war, steht in unlösbarem Widerspruch z u m gesellschaftlichen E i g e n t u m an den Produktionsmitteln und zu dem dadurch bedingten P r i m a t des allgemeinen wirtschaftlichen Interesses. U m dieses Interesse u n d die ihm entsprechende F o r m der direkten wirtschaftlichen Verbindung wirklich realisieren zu können, bedarf es tatsächlich einer zentralisierten Wirtschaft. D a s bedeutet, daß die Zentralstelle den volkswirtschaftlichen Bedarf auf alle Wirtschaftseinheiten aufgliedert und für die entsprechende Aufteilung der für die Deckung dieses B e d a r f s erforderlichen materiellen Mittel und A r b e i t s k r ä f t e sorgt. Nur die zentralisierte F o r m der Wirtschaftsleitung kann die Produktionsund Arbeitsbedingungen ausgleichen und die Proportionen in der Produktion so verändern, d a ß die Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft optimal befriedigt werden. S e l b s t bürgerliche Historiker der ökonomischen Lehren waren gezwungen, die Widersprüchlichkeit der Modelle v o m „dezentralisierten S o z i a l i s m u s " zuzugeben. Der italienische Wirtschaftstheoretiker Claudio Napoleoni sieht die Schwäche der betreffenden Argumentation darin, daß sie die „ L ö s u n g des Berechnungsproblems im R a h m e n der Planung einem dem Marktmechanismus ähnlichen Mechanismus a n v e r t r a u t " . D a m i t verzichtet m a n „unweigerlich auf einige Vorzüge der zentral verwalteten Wirtschaft, j a setzt . . . den Grundgedanken der geplanten W i r t s c h a f t selbst aufs S p i e l " , schreibt Napoleoni. Die in einem solchen Modell beschriebene sozialistische Wirtschaft könne k a u m als Planwirtschaft bezeichnet werden, weil die Dezentralisierung der Entscheidungen bis zum E x t r e m getrieben werde. 7 3 Einige Vertreter der „neuen sozialistischen S c h u l e " , wie K l ä r e Tisch und Herbert Zassenhaus, meinten, d a s O p t i m u m könne auf rechnerischem Wege gefunden werden, wobei eine zentrale Stelle die von den Betrieben eingehenden Informationen verarbeiten sollte. Ihre Modelle wurden als „zentralistische Sche71 72

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Henry D. Dickinson, Economics of Socialism, Oxford 1939, S. 213. Vgl. Hans Raupach, Jörn Keck, Wirtschaft und Politik in der Krise der Tschechoslowakei, in: Osteuropa-Wirtschaft, Stuttgart, 4/1968, S. 260—261; Assar Lindbeck, Die Politische Ökonomie der Neuen Linken, Göttingen 1973, S. 47. Claudio Napoleoni, Grundzüge der modernen ökonomischen Theorien, Frankfurt/ Main 1968, S. 105-106.

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m a t a " bezeichnet. 7 4 S p ä t e r ist auf der B a s i s dieser Modelle die heutige Konzeption v o m „elektronischen M a r k t " entwickelt worden. (T. Coopmans, P. Wiles u. a.). D a s „zentralistische S c h e m a " ging von der zentralisierten Leitung des Wirtschaftsprozesses aus. A. Bergson schrieb, daß d a s „zentralistische S c h e m a " die Handlungen der Betriebe und Familien über die zentrale planmäßige Leitung direkt miteinander verbinde. 7 5 I m „zentralistischen S c h e m a " erreichte die Negation der relativen wirtschaftlichen Verselbständigung und der wirtschaftlichen R e c h n u n g s f ü h r u n g der Produktionseinheiten ihre logische Vollendung. Hier wurden die Produktionseinheiten zu Informationsspeichern und - m i t t l e m einer Zentralstelle. D a m i t wurde die absolute Zentralisierung der Wirtschaftsleitung postuliert, wobei nur die Informationen dezentralisiert werden sollten. Auf dieses S c h e m a berufen sich auch jene bürgerlichen Theoretiker der Gegenwart, die sich mit d e m Problem der Zentralisierung und Dezentralisierung befassen und dabei einen Unterschied zwischen der Zentralisierung der Leitung und der Macht einerseits u n d der Dezentralisierung des Informationsprozesses andererseits nachweisen wollen. 7 6 Wenn in den marktimitierenden Modellen der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen E i g e n t u m an den Produktionsmitteln und d e m Wirtschaftsmechanismus der H a u p l w i d e r s p r u c h war, dann war es im „zentralistischen S c h e m a " der Widerspruch zwischen der Zentralisierung der Wirtschaft und deri F o r m e n ihrer Verwirklichung. Die L e u g n u n g der materiellen Interessen der Betriebe und ihrer Kollektive sowie der einzelnen Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft in diesem S c h e m a hatte zur Folge, daß die Zentralisierung der W i r t s c h a f t zur Uberzentralisierung wurde, ohne daß ä d a q u a t e F o r m e n zu ihrer Realisierung vorgeschlagen wurden. Darin liegt auch der H a u p t g r u n d für die Lebensunfähigkeit dieses S y s t e m s . U n d d a s erklärt auch, weshalb die Hoffnungen der Anhänger der Konzeption v o m „elektronischen M a r k t " , die darauf setzten, daß nur die elektronische Rechentechnik weit genug entwickelt werden müsse, u m d a s „zentralistische S c h e m a " in der P r a x i s zu realisieren, vergeblich sind. Die Anhänger der „ K o n k u r r e n z m o d e l l e " sahen dagegen keinen Z u s a m m e n h a n g zwischen der Realisierung ihrer Modelle und der Entwicklung der Rechentechnik und Mathematik. Deshalb sind die Versuche einiger bürgerlicher und reformistischer Theoretiker von heute, die Irrealität dieser Modelle mit d e m unzureichen-

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Auch Dickinson hat im ursprünglichen Entwurf seines Modells, den er in dem Aufsatz „Price Formatjon in a Socialist Community" (in: The Economic Journal, December 1933) dargelegt hat, ein „zentralistisches Schema" vorgeschlagen. Abram Bergson, Socialist Economics, in: A Survey of Contemporary Eeonomics, New York 1948, S. 441. Vgl. Leonid Hurwicz, Cenralization and Decentralizalion in Economic Process, in: Comparison of Economic Systems. Ed. by Alexander Eckslein, University of California Press 1971, S. 96. 79

d e n E n t w i c k l u n g s s t a n d v o n W i s s e n s c h a f t u n d T e c h n i k zu e r k l ä r e n , o h n e auf i h r e wirklichen Mängel einzugehen, völlig u n h a l t b a r . 7 7 Bei d e r Analyse d e r Modelle, die die V e r t r e t e r d e r „ n e u e n sozialistischen S c h u l e " k o n s t r u i e r t e n , sei d a r a n e r i n n e r t , d a ß es sich u m rein h y p o t h e t i s c h e Modelle h a n d e l t e . Sie w a r e n t h e o r e t i s c h e K o n s t r u k t i o n e n eines W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s , die nie in die P r a x i s u m g e s e t z t w o r d e n sind. Zu R e c h t stellt d e r a m e r i k a n i s c h e Professor L l o y d R e y n o l d s fest, d a ß ein „ K o n k u r r e n z s o z i a l i s m u s " , in d e m die P r e i s b i l d u n g u n d die Verteilung d e r Ressourcen auf die gleiche Weise s t a t t f i n d e n wie im M a r k t m o d e l l d e r v o l l k o m m e n e n K o n k u r r e n z , „ m i t einer realen sozialistischen W i r t s c h a f t n i c h t s gemein h a t " 7 8 . Sein Kollege A l e x a n d e r E c k s t e i n h ä l t dieses Modell wie a u c h die Modelle v o n der „ v o l l k o m m e n e n K o n k u r r e n z " u n d einer „völligen B e f e h l s w i r t s c h a f t " f ü r reine F i k t i o n e n . 7 9 In d e r b ü r g e r l i c h e n L i t e r a t u r d e r G e g e n w a r t f i n d e t sich die T e n d e n z , die n e u e n B e d i n g u n g e n der W i r t s c h a f t s p o l i t i k in d e r U d S S R u n d d e n a n d e r e n sozialistischen L ä n d e r n E u r o p a s als Realisierung des Modells v o m „ M a r k t s o z i a l i s m u s " , d . h. v o m „ K o n k u r r e n z s o z i a l i s m u s " hinzustellen, d a s v o n d e n V e r t r e t e r n d e r „neoklassischen Theorie v o n d e r sozialistischen W i r t s c h a f t " a u f g e s t e l l t w o r d e n w a r . Diesen S t a n d p u n k t v e r t r e t e n insbesondere einige V e r f e c h t e r d e r „ K o n v e r g e n z t h e o r i e " , die in d e r W i r t s c h a f t s r e f o r m d e n V e r s u c h s a h e n , d a s Modell v o m „ M a r k t s o z i a l i s m u s " in die P r a x i s u m z u s e t z e n . 8 0 Der a m e r i k a n i s c h e S o w j e t o l o g e J . P r y b y l a z ä h l t d e n „ K o n k u r r e n z s o z i a l i s m u s " zu d e n möglichen P r o t o t y p e n d e r W i r t s c h a f t s r e f o r m . 8 1 A n d e r e bürgerliche S o w j e t o l o g e n , wie z. B. A b r a m Bergson, A. Erlich, G. Schröder, m e i n e n , d a ß diese E i n s c h ä t z u n g völlig u n h a l t b a r ist. Derartige Einschätzungen haben mit dem Wesen der neuen Bedingungen der W i r t s c h a f t s f ü h r u n g in d e n sozialistischen L ä n d e r n n i c h t s g e m e i n . Diese n e u e n B e d i n g u n g e n sind d a r a u f g e r i c h t e t , sowohl die W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n besser a u s z u n u t z e n als a u c h — u n d v o r allem — die z e n t r a l e p l a n m ä ß i g e L e i t u n g d e r V o l k s w i r t s c h a f t zu v e r v o l l k o m m n e n u n d die wissenschaftliche B e g r ü n d u n g d e r P l a n u n g zu v e r b e s s e r n . Die n e u e n B e d i n g u n g e n e n t s p r e c h e n d e n jeweiligen L a n d a b e r ist ein s p o n t a n der „ K o n k u r r e n z m o d e l l e " 77

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d e r W i r t s c h a f t s f ü h r u n g jedes sozialistischen L a n d e s historischen B e s o n d e r h e i t e n . I n k e i n e m sozialistischen w i r k e n d e r K a p i t a l m a r k t , jenes u n t r e n n b a r e E l e m e n t des Sozialismus g e s c h a f f e n oder a u c h n u r i m i t i e r t

Vgl. Jan S. Prybyla, Soviet Economic Reforms in Industry, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 107, 2/1971, S. 278; Assar Lindbeck, The Political Economy oi the New Lcft, S. 50-51. Lloyd G. Reynolds, The Tlu-ee Worlds of Economics, New Häven 1971, S. 286. Vgl. Alexander Eckstein, Indroduction zu: Comparison of Economic Systems, Universily of California Press 1971, S. 18. Willem Keizer, The Soviet Quest for Economic Rationality, in: Rotterdam University Press 197 J, S. 245. Jan S. Prybyla, Soviet Economic Reforms in Industry, in: Weltwirtschaftliches Archiv, Bd. 107, 2/1971, S. 277.

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w o r d e n . Der ü b e r w i e g e n d e Teil des A k k u m u l a t i o n s f o n d s wird in d e n sozialistischen L ä n d e r n z e n t r a l verteilt, o h n e die Mittlerrolle eines s p o n t a n e n M a r k t e s . Der v o n der „neoklassischen Theorie d e r sozialistischen W i r t s c h a f t " v o r g e schlagene M e c h a n i s m u s z u r R e g u l i e r u n g d e r P r o p o r t i o n e n ist f ü r die Vervollk o m m n u n g des sozialistischen W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s u n b r a u c h b a r , weil er d e m Wesen des Sozialismus w i d e r s p r i c h t . Die marxistisch-leninistische T h e o r i e l e h n t „alle irrigen K o n z e p t i o n e n a b , die a n die Stelle d e r f ü h r e n d e n Rolle d e r z e n t r a lisierten s t a a t l i c h e n P l a n u n g die R e g e l u n g d u r c h d e n M a r k t s e t z e n " , h e i ß t es in den Materialien des X X I V . P a r t e i t a g e s d e r K P d S U . 8 2 Die v o n d e r „ n e u e n sozialistischen S c h u l e " , k o n s t r u i e r t e n Modelle sind a u c h d e s h a l b u n g e e i g n e t , weil sie infolge ihres d u r c h u n d d u r c h s p e k u l a t i v e n C h a r a k t e r s w e d e r n a c h d e n realen ö k o n o m i s c h e n F o r m e n , die d e n W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s bilden, u n d n o c h viel weniger n a c h d e n k o n k r e t e n F o r m e n d e r z e n t r a l e n R e g e l u n g des W i r t s c h a f t s prozesses f r a g e n .

Das Problem

der wirtschaftlichen

Effektivität

Die G e g n e r v o n Mises u n d H a y e k in der Diskussion wollten die Realisierbar-* keit d e r W i r t s c h a f t s r e c h n u n g , also die Möglichkeit d e r r a t i o n e l l e n N u t z u n g d e r Ressourcen im Sozialismus n a c h w e i s e n . Sie stellten die w i r t s c h a f t l i c h e E f f e k t i v i t ä t in d e n M i t t e l p u n k t des Interesses u n d k a m e n zu d e m S c h l u ß , d a ß d e r Sozialismus in dieser H i n s i c h t d e m K a p i t a l i s m u s ü b e r l e g e n sei o d e r i h m j e d e n falls n i c h t n a c h s t e h e . A b e r w e d e r die T a t s a c h e , d a ß die „neoklassische T h e o r i e v o n d e r sozialistischen W i r t s c h a f t " wichtige F r a g e n d e r w i r t s c h a f t l i c h e n E f f e k t i v i t ä t a u f w a r f , noch die M e t h o d e n , die sie zu d e r e n L ö s u n g a n b o t , k ö n n e n realen A n s p r ü c h e n g e n ü g e n , weil die sozialökonomischen G r u n d p r o b l e m e d e r sozialistischen Gesellschaft— die E n t w i c k l u n g d e r sozialistischen E i g e n t u m s f o r m e n u n d d e r sozialen S t r u k t u r , die O r g a n i s a t i o n des o b j e k t i v e n W i r t s c h a f t s m e c h a n i s m u s — v o n d e n A n h ä n g e r n d e r „ n e u e n sozialistischen S c h u l e " in d e n H i n t e r g r u n d g e d r ä n g t w u r d e n . Zu R e c h t stellt d e r bereits e r w ä h n t e Ch. W a t r i n in einer R e t r o s p e k t i v e f e s t : „Man g l a u b l e , W i r t s c h a f t s s y s t e m e einzig u n d allein u n t e r E f f i z i e n z g e s i c h t s p u n k t e n b e h a n d e l n zu sollen, u n d m a n c h e A u t o r e n s a h e n die A u f g a b e d e r Ö k o n o m i k d a r i n , j e n e w i r t s c h a f t l i c h e n O r g a n i s a t i o n s f o r m e n zu f i n d e n , die d e n s t a t i schen E f f i z i e n z b e d i n g u n g e n G e n ü g e l e i s t e n . " 8 3 So wichtig die P r o b l e m e d e r w i r t s c h a f t l i c h e n E f f e k t i v i t ä t f ü r die A n a l y s e 82

83

A. N. Kossygin, Die Direktiven des XXIV. Parteitages der KPdSU zum Fünfjahrplan für die Elitwicklung der Volkswirtschaft der UdSSR in den Jahren 1971—1975, Moskau-Berlin 1971, S. 57. Christian Watrin, Kriterien zur Beurteilung der statischeil Effizienz von Wirtschaftssystemen, in: Beiträge zum Vergleich der Wirtschaftssysteme, Westberlin 1970, S. 56-57.

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und Einschätzung der Wirtschaftsordnung auch sind, so beschränkt sich die politische Ökonomie nicht nur darauf, die Kriterien des volkswirtschaftlichen Optimums und seines Wirkens zu finden. Das volkswirtschaftliche Optimum ist das Ergebnis aus der Wechselwirkung der ökonomischen Verhältnisse und der Gesetze des Sozialismus. Bevor die Wege zu seiner Realisierung analysiert werden können, muß die Gesamtheit der ökonomischen Verhältnisse im Zusammenhang mit der Entwicklung der Produktivkräfte untersucht werden. Aus der falschen Darstellung der ökonomischen Theorie des Sozialismus als Konzeption des wirtschaftlichen Optimums par excellence, losgelöst von den ökonomischen Verhältnissen und Gesetzen des Sozialismus, ergab sich auch die fehlerhafte Methodologie, deren sich die bürgerlichen Ideologen bei der Untersuchung des Problems der wirtschaftlichen Effektivität bedienten. Das trifft vor allem auf die unterstellten Prinzipien der Güterknappheit, der völligen Substituierbarkeit und Beweglichkeit der Produktionsressourcen und des unmittelbaren Inlensitätsvergleichs der individuellen Bedürfnisse zu. Das Knappheitsprinzip drückt die Tatsache aus, daß die Gesellschaft jeweils nur über begrenzte Ressourcen und Konsumgüter verfügt. Aber da die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft dieses Prinzip verabsolutiert und die Güterknappheit neben den Bedürfnissen zur Grundlage des Wirtschaftsprozesses macht, abstrahiert sie von dem, was diesen Prozeß bestimmt, nämlich von der Reproduktion der materiellen Güter. Andererseits muß auch die von den bürgerlichen Ökonomen als Ausgangsbasis angenommene Tatsache, daß Produktionsmittel und Konsumgüter nur begrenzt zur Verfügung stehen, vom Standpunkt der Reproduktion erklärt werden. Das Aufkommen am materiellen Gütern, das, an den ständig wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnissen gemessen, begrenzt ist, ergibt sich aus der relativ selbständigen Bewegung der Bedürfnisse, die mit der Entwicklung der Produktion entstehen. Was den realen Bedarf betrifft, so werden bei proportionaler Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf die Zweige und Bereiche der Volkswirtschaft die Produktionsmittel und Konsumgüter, die die Gesellschaft braucht, im allgemeinen diesem Bedarf entsprechend produziert. Unterscheiden müssen wir zwischen der Begrenztheit (Knappheit) der Güter und dem Mangel an ihnen, der infolge der Inkongruenz zwischen der jeweiligen konkreten Struktur der gesellschaftlichen Produktion und den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsteht. Derartige Engpässe werden durch die planmäßige Veränderung der Produktionsstruktur entsprechend der dynamischen Konsumtionsstruktur, also im Prozeß der erweiterten sozialistischen Reproduktion beseitigt. Ebenso wie das Knappheitsprinzip, beruht auch das Prinzip der völligen Substituierbarkeit und der Flexibilität der Produktionsressourcen darauf, daß von der realen Zweigstruktur der Volkswirtschaft und der daraus folgenden Spezialisierung in der Verwendung der Produktionsressourcen abstrahiert wurde. Man kann deshalb nur von einer partiellen Substituierbarkeit und nur von einer 82

r e l a t i v e n F l e x i b i l i t ä t der P r o d u k t i o n s r e s s o u r c e n (z. B . einzelner A r t e n v o n U m l a u f f o n d s u n d einiger G r u n d f o n d s e l e m e n t e ) sprechen. E i n e völlige S u b s t i t u i e r b a r k e i t u n d F l e x i b i l i t ä t der P r o d u k t i o n s r e s s o u r c e n ist im W i r t s c h a f t s p r o z e ß unmöglich. • Die relative Dringlichkeit, V o r r a n g i g k e i t der v e r s c h i e d e n e n B e d ü r f n i s s e u n d der relative N u t z e n d e r G ü t e r , die sie befriedigen, wird v o n d e n k o n k r e t e n Bed i n g u n g e n b e s t i m m t , v o n d e n e n die K o n s u m t i o n g e p r ä g t ist. I n den Modellen v o m „ K o n k u r r e n z s o z i a l i s m u s " sollte d a s P r o d u k t i o n s v o l u m e n (des Zweiges u n d Betriebes) e n t s p r e c h e n d d e m P r i n z i p d e r G r e n z n u t z e n schule der K o n g r u e n z v o n Preisen u n d G r e n z k o s t e n geregelt w e r d e n . Die P r a x i s beweist, d a ß dieses P r i n z i p schon im K a p i t a l i s m u s irreal i s t ; d e n n die realen Preise n ä h e r n sich n i c h t d e n G r e n z k o s t e n , sondern d e n gesellschaftlich d u r c h schnittlichen P r o d u k t i o n s k o s t e n . Das P r i n z i p d e r K o n g r u e n z v o n Preisen u n d G r e n z k o s t e n ist s t a t i s c h e r N a t u r . U n t e r G r e n z k o s t e n v e r s t e h t die bürgerliche W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t (wenn wir v o n d e n subjektivistisch-psychologischen A s p e k t e n d e r G r e n z n u t z e n t h e o r i e a b s e h e n ) d e n v a r i a b l e n Teil d e r P r o d u k t i o n s k o s t e n , also die A u s g a b e n f ü r R o h s t o f f e , Materialien, L o h n u s w . Dieser Teil d e r P r o d u k t i o n s k o s t e n ä n d e r t sich m i t d e m P r o d u k t i o n s v o l u m e n , a u c h w e n n die G r u n d f o n d s a u s s t a t t u n g u n d A r b e i t s p r o d u k t i v i t ä t gleichbleiben. D e s h a l b ist d a s P r i n z i p d e r K o n g r u e n z v o n P r e i s e n u n d G r e n z k o s t e n n u r u n t e r s t a t i s c h e n B e d i n g u n g e n , also f ü r k u r z - oder m i t t e l fristige Z e i t r ä u m e , in d e n e n keine d y n a m i s c h e n K r ä f t e w i r k e n , auf die E r mittlung der optimalen Produktionsgrößen anwendbar.84 I m K a p i t a l i s m u s d e r freien K o n k u r r e n z bilden die M a x i m a l k o s t e n , also die zusätzlichen P r o d u k t i o n s k o s t e n u n d der d a m i t v e r b u n d e n e individuelle E x t r a p r o f i t , ein E l e m e n t des M e c h a n i s m u s , m i t d e m der individuelle W e r t d e m gesellschaftlichen W e r t , also d e m M a r k t w e r t , angeglichen, die P r o f i t m a s s e u n d - r a t e reguliert wird. Solange der M a r k t p r e i s die m i t der V e r g r ö ß e r u n g d e r P r o d u k t i o n auf bisheriger t e c h n i s c h e r G r u n d l a g e v e r b u n d e n e n M e h r a u f w e n d u n g e n d e c k t , d e h n t sich die P r o d u k t i o n weiter a u s u n d u m g e k e h r t . M a x i m a l k o s t e n u n d E x t r a p r o f i t sind E l e m e n t des individuellen W e r t e s u n d bilden die D i f f e r e n z zwischen d e m individuellen W e r t u n d d e m gesellschaftlichen W e r t (dem P r o d u k t i o n s p r e i s ) der E r z e u g n i s e i n h e i t . Sie lassen sich also n i c h t e r m i t t e l n , w e n n die d u r c h s c h n i t t l i c h e n P r o d u k t i o n s k o s t e n u n d d e r D u r c h s c h n i t t s p r o f i t u n b e a c h t e t bleiben. I m d y n a m i s c h e n P r o z e ß des Ausgleichs d e r individuellen W e r t e z u m gesellschaftlichen W e r t , in d e m sich die P r o d u k t i o n auf d e n gesellschaftlichen Bedarf a n d e r jeweiligen W a r e einstellt, wiegen d i e S c h w a n k u n g e n v o n N a c h f r a g e u n d A n g e b o t e i n a n d e r a u f , v e r ä n d e r n sich d i e d u r c h s c h n i t t l i c h e n P r o d u k t i o n s b e d i n g u n g e n u n d P r o d u k t i o n s k o s t e n , die d e n M a r k t w e r t u n d d e n Preis b e s t i m m e n . D a s wird a u c h v o n b ü r g e r l i c h e n W i r t M Vgl. V. N. Kotov, Monopolistieeskije formy chosjajstvennych otnosenij, 1971, S. 82-83.

Moskva

83

sehaftstheorctikern zugegeben, die den Preisbildungsprozeß in der D y n a m i k analysiert haben. Im Sozialismus ist d a s Wertgesetz nicht der H a u p t r e g u l a t o r der Produktion. Der statische Charakter des Prinzips der Kongruenz von Preisen und Maximalkosten, die T a t s a c h e , daß es lediglich auf kurz- und mittelfristige Zeiträume anwendbar ist, die Unmöglichkeit, die Maximalkosten zu ermitteln, ohne von den Durchschnittskosten auszugehen, die folglich sowohl in der S t a t i k als auch — und ganz besonders — in der D y n a m i k die bestimmende Rolle spielen —, d a s alles schließt aus, daß dieses Prinzip im Sozialismus auch als allgemeines Prinzip der Preisbildung angewandt wird. Die von den Vertretern der „neoklassischen Wirtschaftstheorie des Sozialist m u s " konstruierten Modelle f ü r die optimale Verteilung der Ressourcen weisen alle Widersprüche der Grenznutzentheorie a u f . 8 5 D a s trifft auch auf die Identifizierung der Gesetze der Naturalwirtschaft mit denen der Warenwirtschaft zu. Die subjektivistischen Theorien v o m Grenznutzen und von der Grenzleistungsfähigkeit der Produktionsfaktoren sind d a s P r o d u k t oberflächlicher B e o b a c h t u n g der Besonderheiten der kapitalistischen Warenwirtschaft. I m Widerspruch zur R e a l i t ä t betrachteten sie die entwickelte Warenwirtschaft als S u m m e individueller Naturalwirtschaften. Aus d e m Abstrahieren v o n den WareGeld-Beziehungen einerseits und der Ü b e r t r a g u n g der Gesetze der N a t u r a l wirtschaft auf die Warenwirtschaft andererseits resultierte einer von jenen circuli vitiosi, die zu durchbrechen den Anhängern der subjektiven Schule nicht gegeben war. Sehr deutlich t r a t dieser Widerspruch in den Modellen vom wirtschaftlichen O p t i m u m zutage, dessen Zielfunktion d a s absolute N u t z e n s m a x i m u m sein sollte (also, analog zur Naturalwirtschaft, der m a x i m a l e Gütervorrat in Naturalform). Als I n s t r u m e n t aber, mit dem diese Zielfunktion verwirklicht werden sollte, h a t t e m a n den Preismechanismus ausersehen, wie er für die Warenproduktion u n d -Zirkulation typisch ist. E i n weiterer Widerspruch der Grenznutzentheorie bestand darin, daß ihre Verfechter in dem Bemühen, eine konsequente monistische Werttheorie zu schaffen, die die Grundlage des Preises aus der subjektiven Wertschätzung ableiten sollte, von der E x i s t e n z von Preisen ausgingen und sogar die qualitativen Unterschiede von Nutzen und Preis auslöschten. S o bestand d a s eigentliche Wesen der subjektiven Werttheorie in der vulgären Nachfrage-Angebots-Theorie. D a die Grenznutzentheoretiker die subjektiven Wertungen des Warenproduzenten und des individuellen „ W i r t s c h a f t s s u b j e k t s " , Preis und Grenznutzen in einen Topf warfen, verliehen sie den Bedürfnissen der Menschen und d e m Nut85

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Eine ausführliche Kritik dieser Widersprüche liefern folgende Werke marxistischer Wirtschaftstheoretiker: I. G. Bljumin, Kritika burzuaznoj politiceskoj ekonomii. Bd. 1, Sub'jektivnaja skola v burzuaznoj politiceskoj ekonomii, Moskva 1962; K. M; Kozlova i R. Entov, Teorija ceny, Moskva 1972.

zeli der Güter Eigenschaften, wie sie den subjektiven Wertungen innewohnen, die unter den Verhältnissen der Warenproduktion von den Preisen b e s t i m m t und an ihnen gemessen werden. Unschwer lassen sich diese Widersprüche der Grenznutzentheorie in den von der „neuen sozialistischen S c h u l e " konstruierten Modellen des O p t i m u m s erkennen. Sie waren statischer Art. Der „neoklassischen" Tradition treu bleibend, beschrieben sie die Bedingungen des statischen Gleichgewichts, unter denen, nach den Worten des amerikanischen Professors B . Lippincott, es keine Veränderungen gibt und die W i r t s c h a f t s k r ä f t e bilanziert sind. 8 6 Der statische Charakter dieser Modelle zeigte sich vor allem darin, daß die Verbraucherpräferenzen (die konsumtive Nachfrage) sowie die technischen Koeffizienten (das technische N i v e a u der Produktion) als unverändert angenommen wurden. D a die Vertreter dieser Theorie die Verteilung v o n der Produktion trennten, gingen sie von der gegebenen B e d a r f s s t r u k t u r a u s und betrachteten sie als exogenen F a k t o r . Doch läßt sich die A u f g a b e , den Nutzen oder den Verbrauchereffekt zu maximieren, nicht lösen, ohne der D y n a m i k des Verhältnisses zwischen E i n k o m m e n und Preisen Rechnung zu tragen. Sie b e s t i m m t die Präferenzen der Verbraucher, solange es Ware-Geld-Beziehungen gibt. D a s Preissystem, d a s den m a x i m a l e n Nutzen, also die optimale Verteilung der Ressourcen, gewährleisten sollte, war seinerseits von den Preisen abhängig. E s lief folglich d a r a u f hinaus, daß m a n auf eine monistische Preistheorie verzichtete u n d zur N a c h frage-Angebots-Theorie überging. Der eigentliche Mangel der statischen Modelle von der optimalen N u t z u n g der Ressourcen im Sozialismus bestand darin, daß m a n auch den technischen Fortschritt als exogenen, also unabhängigen F a k t o r hinstellte. Die Produktionsfonds wurden ebenso wie die lebendige Arbeit zu selbständigen P r o d u k t i o n s f a k toren erhoben und von der technischen Vervollkommnung der Produktion getrennt. Ihre Erweiterung wurde so als rein extensiver Weg zur E n t w i c k l u n g der Produktion hingestellt: Man stellte die Aufgabe, den A u f w a n d an lebendiger Arbeit j e Erzeugniseinheit in gleichem Maße zu minimieren, wie den A u f w a n d an vergegenständlichter Arbeit. Doch gerät die d e m statischen O p t i m u m entsprechende Verteilung der Ressourcen in Widerspruch zu den Interessen der wirtschaftlichen Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft. D a s wird auch von bürgerlichen Theoretikern festgestellt, die an der Diskussion über die „Wirtschaftsrechnung im S o z i a l i s m u s " beteiligt waren. B . W a r d schreibt, daß die merkwürdigste Unterlassungssünde in der Diskussion darin bestanden habe, daß der Einfluß der organisatorischen Veränderungen auf d a s T e m p o und die Art der Neuerungen ignoriert worden sei. D a die Diskussion v o n statischen Voraussetzungen ausgegangen sei, habe m a n die Neuerungen als exogene Tätigkeit betrachtet. Doch haben sie entscheidende B e d e u t u n g f ü r die 86

Vgl. Oskar Lange, Fred Minnesola 193S, S. C.

M. Taylor, On

the Economic

Theory

of

Socialism,

85

langfristige Perspektive, in der sich die Vorzüge des Sozialismus gegenüber d e m Kapitalismus m i t größerer I n t e n s i t ä t realisieren. 8 7 H . Dickinson r ä u m t h e u t e ein, d a ß P a r e t o s O p t i m u m n u r f ü r die Lösung mikroökonomischer, also lokaler Aufgaben der M a r k t w i r t s c h a f t geeignet, über ihre Grenzen hinaus jedoch u n a n w e n d b a r sei. Auf der Grundlage des M a r k t m e c h a n i s m u s können viele wichtige Entscheidungen in der individualistischen oder kollektiven W i r t s c h a f t nicht getroffen werden (zum Beispiel über Fragen der sozialen S t r u k t u r u n d d e r Einkommensverteilung, des „äußeren E f f e k t s " u n d der W a c h s t u m s r a t e n ) . 8 8 Die sozialistische W i r t s c h a f t entwickelt sich p l a n m ä ß i g u n d m i t hohen Wachst u m s r a t e n . Eine solchc D y n a m i k ist der W i r t s c h a f t der hochentwickelten kapitalistischen L ä n d e r fremd. Die sozialökonomischen Vorzüge des Sozialismus eröffnen dem F o r t s c h r i t t von Technik u n d Technologie breiteste Möglichkeiten. Die optimale Entwicklung der W i r t s c h a f t , also das dynamische O p t i m u m , d a s die Erkenntnisse des technischen F o r t s c h r i t t s realisiert, setzt ein W a c h s t u m der Investitionen, der Produktionsfonds voraus, bei dem auf der Grundlage wachsender F o n d s a u s r ü s t u n g je A r b e i t s k r a f t die P r o d u k t i v i t ä t der gesellschaftlichen Arbeit noch schneller steigt u n d sowohl der G e s a m t a u f w a n d als auch d e r A u f w a n d an lebendiger Arbeit je Erzeugniseinheit sinkt. Das alles zeigt, weshalb die von den Vertretern der „neuen sozialistischen Schule" konstruierten statischen Modelle der. optimalen N u t z u n g der Ressourcen nicht einmal die notwendige Einstellung zur Lösung der komplizierten Probleme des volkswirtschaftlichen O p t i m u m s finden k o n n t e n . Die Widersprüchlichkeit dieser Modelle, ihr Abrücken von der sozialistischen Wirklichkeit bedingten die wissenschaftliche U n h a l t b a r k e i t u n d die praktische O h n m a c h t der „neoklassischen" Wirtschaftstheorie des Sozialismus. 87

Benjamin Ward, The Socialist Economy, New York 1967, S. 37. 88 The Economic Journal, 304/1966, S. 882.

3. KAPITEL

Kritik der „technokratischen" und „Manager"-Modelle von der Wirtschaft des Sozialismus Vehlens

technokratische

Theorie

Eine Spielart der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Theorie von der sozialistischen Wirtschaft waren die „technokratischen" u n d „Manager"-Modelle. Die Ursprünge der technokratischen Theorien liegen schon im 19. J a h r h u n d e r t . In S a i n t - S i m o n s „ I n d u s t r i e s y s t e m " waren es die W i s s e n s c h a f t i e r u n d Ingenieure, die Gesellschaft und Produktion lenken sollten. Auch der französische Philosoph und Soziologe Auguste Comte v e r t r a t die Lehre von der Macht der Techniker und Ingenieure wie der Intelligenz überhaupt. Zu den bekanntesten „technokratischen" Modellen einer v o m K a p i t a l i s m u s unterschiedlichen Wirtschaftsordnung, die in der ersten E t a p p e der allgemeinen Krise des K a p i t a l i s m u s a u f k a m e n , gehörte d a s des amerikanischen Ökonomen Thorstein Veblen, einer äußerst widersprüchlichen Figur in der bürgerlichen politischen Ökonomie. Veblen war der Begründer und zugleich einer der bedeutendsten Vertreter der institutionalistischen Richtung. Der Institutionalismus bildete die amerikanische Variante u n d Fortsetzung der jüngeren Historischen Schule in der bürgerlichen politischen Ökonomie, die besonders in Deutschland weit verbreitet gewesen war. Die Vertreter des Institutionalismus suchten die Gesetzmäßigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung aus der Evolution von subjektiv-psychologischen Institutionen wie Sitten, Gewohnheiten und Denkweisen zu erklären. „ D i e Institutionen stellen in erster Linie weitverbreitete Denkgewohnheiten dar, die besondere Beziehungen und besondere Funktionen des I n d i v i d u u m s u n d der Gesellschaft b e t r e f f e n ; den Lebensplan, der aus der G e s a m t h e i t der in einer Gesellschaft jeweils wirksamen Institutionen besteht, kann m a n psychologisch als vorherrschende geistige Einstellung oder als L e b e n s a n s c h a u u n g bezeichnen." 1 Bei Veblen waren diese Institutionen also die „ D e n k g e w o h n h e i t e n " , von denen sich die Menschen in ihrem täglichen Leben leiten lassen. 2 Der Eklektizismus, der für viele bürgerliche Ökonomen t y p i s c h ist, t r a t in Vehlens Schriften besonders deutlich hervor. In seinen theoretischen Ivonstruk1 2

Thorstein Vehlen, Theorie der feinen Leute, München 1971, S. 144. Ebenda.

87

tionen v e r k n ü p f t e sich der für den Institutionalismus charakteristische subjektive Idealismus mit technologischem Fetischismus, Sozialdarwinismus u n d selbst mit R a s s i s m u s . Der amerikanische Historiker des ökonomischen Denkens B e n Seligman ist der Ansicht, daß Vehlens Institutionalismus der Technologismus zugrunde liege. E r schreibt: „ D i e für Vehlen typische B e t o n u n g der Technik u n d der Gewohnheit zur Arbeit läßt die Annahme zu, daß er die Arbeit als Grundlage der institutionellen Veränderungen b e t r a c h t e t e . " 3 N a c h Seligmans Darstellung ist bei Vehlen „der H a u p t f a k t o r , der der Veränderung der Institutionen zugrunde liegt, die Technik, weil die Denkgewohnheit der Menschen von ihrer Lebensgewohnheit b e s t i m m t w i r d " 4 . Die Klassen standen bei Vehlen nicht mit der Produktion und den Produktionsverhältnissen in Z u s a m m e n h a n g . Auf diesen U m s t a n d m a c h t auch Seligman a u f m e r k s a m . E r stellt fest, daß für Vehlen eine Dichotomie in Metaphysik, g r o b e m Materialismus und Idealismus, Technologie und Institutionen charakteristisch gewesen sei. Der Teclmologismus lag der Theorie v o m „ I n d u s t r i e s y s t e m " zugrunde, deren Begründer Vehlen war. Sic war die Vorläuferin der heutigen Konzeptionen von der „Industriegesellschaft". Diese Theorie unterschied zwei E n t w i c k l u n g s s t u fen des K a p i t a l i s m u s . Dabei sollte die erste S t u f e von der H e r r s c h a f t des U n t e r nehmers u n d die zweite von der des Finanziers gekennzeichnet sein. Vehlen wollte nachweisen, d a ß zu Beginn des 20. J a h r h u n d e r t s die Finanziers die „ I n d u s t r i e k a p i t ä n e " v e r d r ä n g t und die H e r r s c h a f t über d a s Business erobert hätten. D a s E i g e n t u m der Kapitalgesellschaften bezeichnete er als „ i n e x i s t e n t e s " oder „ u n g r e i f b a r e s " E i g e n t u m . „Dieses E i g e n t u m ist in all seinen Bedingungen und Geschäften unpersönlich, gleich, ob dies andere Kapitalgesellschaften oder die in der Industrie beschäftigten Arbeiter betrifft. Die Kontrolle u n d Leitung der Industrie ist die Kontrolle u n d Leitung durch die F i n a n z e n " 5 , schrieb Vehlen. Zweck dieser Kontrolle ist d a s „ G e l d m a c h e n " , der Profit. Zu R e c h t verwies Vehlen auf den Gegensatz zwischen P r o f i t j a g d u n d den Interessen der gesellschaftlichen Entwicklung, des technischen F o r t s c h r i t t s . Die Motive, die d a s Handeln der Finanzoligarchie b e s t i m m t e n , leitete er a u s der H e r r s c h a f t des Privateigentums a b . „ B e i d e m heutigen E i g e n t u m s s y s t e m ist diese E r w ä g u n g (die Produktion materieller Güter — d. Verf.) nicht entscheidend. Der S t i m u l u s des Business ist nicht die Produktion von Gütern, sondern d a s G e l d m a c h e n ; für die Kontrolle u n d L e i t u n g des Industriesystems aber sind die Interessen des Business e n t s c h e i d e n d . " 6 Ben B. Seligman, Osnovnye tecenija sovremennoj ekonomiceskoj mysli, Moskva 1968, S. 63. * Ebenda, S. 68. s Thorstein Vehlen, Absentee Ownership and Business Enterprise in Retent Times. The Gase of America, New York 1923, S. 83. 6 Thorstein Vehlen, The Theory of Business Enterprise, New York 1923, S. 34—35.

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Im Gegensatz zu den meisten bürgerlichen Ökonomen, die die H a u p t t r i e b k r a f t der gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g in der P r o f i t j a g d sahen u n d sehen, zeigte Vehlen, d a ß sie zum H e m m n i s f ü r den technischen u n d sozialen F o r t schritt wird. N a c h Vehlens Theorie h e m m e n die Businessmen, die die G e s c h ä f t e der U n t e r n e h m e n f ü h r e n , auch die Entwicklung der Industrie. Hierin sah Vehlen die Ursache f ü r die Vergeudung der Ressourcen, f ü r Ü b e r p r o d u k t i o n , f ü r die U n t e r a u s l a s t u n g der K a p a z i t ä t e n u n d Arbeitslosigkeit. Die R e p r ä s e n t a n t e n der Finanzoligarchie, die Monopolherren, bezeichnete er als P r o f i t j ä g e r u n d Ausbeuter. Den H a u p t w i d e r s p r u c h der neuen Stufe des Kapitalismus sah Vehlen im Widerspruch zwischen Industrie u n d Business, zwischen d e m technischen F o r t schritt u n d dem kapitalistischen System, das diesen F o r t s c h r i t t in den Dienst des Profitstrebens der F i n a n z m a g n a t e n stellt. „ D a s W a c h s t u m der Industrieu n t e r n e h m e n h a t die maschinelle Technologie zum F u n d a m e n t . Die maschinelle Industrie b r a u c h t das Business, u n d dieses k a n n sich ohne maschinelle P r o d u k tion nicht entwickeln. Aber deren Disziplin wirft die institutionelle G r u n d l a g e des Business u m . Die maschinelle Industrie ist m i t seinem schnellen W a c h s t u m u n v e r e i n b a r ; auf lange Sicht k a n n das Business m i t der maschinellen I n d u s t r i e nicht v o r a n k o m m e n . " 7 Vehlens Auffassung v o m Widerspruch zwischen Industrie u n d Business h a t t e m i t der Marxschen Definition des Grundwiderspruchs des Kapitalismus wenig gemein. Erstens stellte Vehlen das Business als Gesamheit psychologischer Beziehungen oder, wie er sich a u s d r ü c k t e , als Institution, hin. Zweitens b e t r a c h t e t e er die Industrie selbst nicht als Teil der P r o d u k t i v k r ä f t e , also als G e s a m t h e i t der stofflichen P r o d u k t i o n s f a k t o r e n u n d der lebendigen Arbeit, sondern lediglich als Technik, über die zu disponieren Aufgabe der Ingenieure u n d Techniker sei. Sie sollten nach Vehlens Ansicht die Seele des modernen „ I n d u s t r i e s y s t e m s " u n d deshalb Gegner des Business oder der Finanzoligarchie sein. „Obgleich die technischen Spezialisten in z u n e h m e n d e m Maße eine b e d e u t same Rolle in der Technologie gespielt haben und noch spielen, sind sie in keinem Fall die Herren des Industriesyslems oder der wirtschaftlichen Lage, weil das heutige W i r t s c h a f t s s y s t e m eine Mischung von Industrie u n d Business d a r stellt; die Leitung des Business aber ist nicht an die technischen Spezialisten ü b e r g e g a n g e n . " 8 Die technischen Spezialisten u n d das Business lösen sich v o n einander u n d werden zu Gegenpolen, stellte Vehlen fest. Der Gedanke, d a ß in den industriell fortgeschrittenen kapitalistischen L ä n dern ein Konflikt bestehe zwischen der Entwicklung der Technologie u n d der Industrie einerseits u n d dem Wirken der Businessmen, die sich von H a b g i e r u n d der J a g d nach persönlichen finanziellen Vorteilen leiten lassen, anderer7 Ebenda, S. 375. Thorstein Vehlen, Absentee Ownership and Business Enterprise in Recent Times. The Case of America, New York 1923, S. 256.

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seits, zieht sich mehr oder weniger durch alle Arbeiten Vehlens hindurch, u n d zwar beginnend mit d e m B u c h „Theorie des kommerziellen U n t e r n e h m e n s " , dessen erste Auflage 1904 erschien 9 . Vehlens Arbeit „ D i e Ingenieure und d a s P r e i s s y s t e m " , die vier J a h r e nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution erschien, gilt unter den bürgerlichen Ökonomen als „Manifest der Technologie". Hier schrieb Vehlen: Die „. . . . Spezialisten, Technologen, Ingenieure bilden den S t a b des Industriesyslems, u n d ohne ihre unmittelbare Leitung ist d a s Industriesystem nicht funktionsfähig. Der materielle Wohlstand der Gesellschaft ist untrennbar an d a s Wirken des Industriesystems und folglich an die unbedingte Kontrolle seitens der Ingenieure gebunden, die allein fähig sind, es zu l e i t e n . " 1 0 Die Entwicklung des Industriesystems gerate in W iderspruch zu der Tätigkeit der F i n a n z m a g n a t e n . Die initiativreichen L e u t e können sich nicht entfalten, weil „sich der Generals t a b der Industriespezialisten der Anordnungen der B e a m t e n unterwerfen und deren S a b o t a g e erdulden m u ß . " 1 1 Wie aber sollte diese technische Intelligenz beschaffen sein, die, nach Veblen, dazu berufen wäre, die Herrschaft der Finanzoligarchie, der „müßigen K l a s s e " zu stürzen? Sie sei keine homogene Gruppe, stellte Veblen fest. E i n Teil bestehe aus alten Ingenieuren, die dem S y s t e m des Business zu sehr v e r h a f t e t u n d nicht in der L a g e seien, dagegen zu revoltieren. Auch ein Teil der jungen Ingenieure sei korrumpiert. Beide ließen sich deshalb auch weiterhin von den Ideen der B a n k i e r s gängeln. S o setzte Veblen seine Hoffnungen auf die jungen Ingenieure, die noch nicht von der Psychologie des Business infiziert wären. „ D i e neue Generation von Ingenieuren, die in diesem J a h r h u n d e r t in die Industrie gekommen ist, hält nichts mehr von den Traditionen des kommerziellen Ingenieurt u m s , d a s aus den Männern der Technik gehorsame L e u t n a n t s der Finanziers macht."12 Veblen meinte, daß diese Gruppe von Ingenieuren „ v o n der unerbittlichen Logik der Technologie" erzogen wäre. U m d a s „ I n d u s t r i e s y s t e m " auf neue Grundlagen zu stellen, würden sie schließlich einen Generalstreik durchführen, der die Industrie paralysiere und d a s Business zum R ü c k z u g zwinge. S o war Vehlens Theorie v o m „ I n d u s t r i e s y s t e m " deutlich antimonopolistisch orientiert. Seine Kritik an den Monopolen enthielt für die damalige Zeit progressive und rationelle Elemente. Indessen trug die Propagierung der „ T r a n s f o r m a t i o n " des K a p i t a l i s m u s durch den Übergang der Macht an die Technokratie sehr verschwommene Züge. D a Veblen die A u f f a s s u n g e n der bürgerlichen u n d kleinbürgerlichen Intelligenz vertrat, war er kein Revolutionär, sondern ein kleinbürgerlicher R e f o r m a t o r . Schon in seiner nächsten Arbeit, die 1923 erschien 1 3 , 9 Vgl. Thorstein Veblen, The Theory of Business Enterprise, New York 1904. 10 Thorstein Veblen, The Engineers and the Price System, New York 1921, S. 69. » Ebenda, S. 55. " Ebenda, S. 74. 13 Vgl. Thorstein Veblen, Ownership and Business Enterprise in Recent Times. The Case of America, New York 1923.

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schrieb er, (laß ein Generalstreik der Ingenieure wohl k a u m realisierbar sei. Vehlen wollte d a s kapitalistische S y s t e m reformieren, s t a t t es radikal u m z u g e s t a l t e n . E b e n s o wie andere kleinbürgerliche Theoretiker prangerte auch Veblen viele Mängel des K a p i t a l i s m u s an, jedoch die wirklichen Wege, die zur Ablösung des K a p i t a l i s m u s durch eine neue, die sozialistische Gesellschaft, führen, sah er nicht. Der eigentliche Sinn der Konzeption v o m „ I n d u s t r i e s y s t e m " u n d von d e m ihr zugrunde liegenden Widerspruch zwischen Business und Industrie, zwischen Finanziers und Technikern bestand darin, daß d e m wissenschaftlichen Sozialismus eine kleinbürgerliche Alternative gegenübergestellt werden sollte. D a s wird auch aus Vehlens Lektionen über den Marxismus deutlich, die er schon 1906 gehalten hatte. 1 4 Als kleinbürgerlicher Reformist wollte er von der welthistorischen Mission der Arbeiterklasse nichts wissen. Mehr noch, er wollte sogar den Nachweis erbracht haben, daß die Monopolherren u n d die Arbeiter gemeinsame Interessen hätten. „ D i e Eigentümer der S y n d i k a t e u n d die (in Gewerkschaften) assoziierten Arbeiter haben die gleichen Besitzinteressen. Die Ingenieure aber bilden zahlenmäßig u n d in ihren Anschauungen keine inhomogene und aufgeblähte Vereinigung, wie die in Gewerkschaften zusammengeschlossenen Arbeiter, deren B e m ü h u n g e n durch die Anzahl und verschiedenartigen Interessen im Grunde genommen zum Scheitern verurteilt s i n d . " 1 5 Veblen begriff d a s Wesen der A u s b e u t u n g der Arbeit durch d a s K a p i t a l nicht. Ebensowenig h a t t e er begriffen, daß d a s Proletariat durch seine Stellung in der gesellschaftlichen S t r u k t u r der kapitalistischen Produktion die einzige K l a s s e darstellt, die d a z u berufen ist, die Herrschaft des K a p i t a l s zu beseitigen. Die Bedingung des K a p i t a l s ist die Lohnarbeit, schrieben M a r x und Engels. „ D e r Fortschritt der Industrie, dessen willenloser u n d widerstandsloser T r ä g e r der Bourgeois ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation. Mit der E n t w i c k lung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die G r u n d lage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert u n d die P r o d u k t e sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr U n t e r g a n g und der Sieg des Proletariats sind gleich u n v e r m e i d l i c h . " 1 6 Wenn Veblen die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse leugnete, d a n n deshalb, weil ihm d a s Wesen der Klassen in der kapitalistischen Gesellschaft verborgen blieb. D a s hinderte ihn, die Dialektik der Widersprüche zwischen den gesellschaftlichen P r o d u k t i v k r ä f t e n und der kapitalistischen F o r m der Aneignung zu erkennen. Die Opposition zur Macht der Finanzoligarchie und d a s 14

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Vgl. Thorslein Vehlen, The Socialist Economics of Karl Marx and his followers, in: The Quarterly Journal of Economics, Bd. X X , August 1906. Thorstein Veblen, The Engineers and the Price System, New York 1921, S. 79. Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW, Bd. 4, Berlin 1969, S. 473-474. Ük. soz. Theorien

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gleichzeitige Nichtbegreifen der Befreiungsrolle des Proletariats führte ihn zur Theorie von der Herrschaft der wissenschaftlich-technischen Intelligenz, deren modifizierte u n d der kritischen Schärfe ermangelnde F o r m sich später die Apologeten des Monopolkapitalismus zueigen g e m a c h t haben. Wie die Klassiker des Marxismus-Leninismus nachgewiesen hatten und der Verlauf der Weltgeschichte bestätigt hat, kann eine neue Gesellschaft nicht auf evolutionären Wege, mit dem Z a u b e r s t a b der Technokratie, der die Macht der F i n a n z m a g n a t e n in nichts auflöst, geschaffen werden, sondern nur durch die unter der F ü h r u n g der kommunistischen Partei vereinigte und in der Schule des K l a s s e n k a m p f e s gestählte Arbeiterklasse. Deshalb sind die Versuche m a n cher Ökonomen, Vehlen als „amerikanischen M a r x " hinzustellen, reine Demagogie. Auch der Technologismus, der technologische Fetischismus, gehörte zu den Grundlagen von Vehlens Modell der „neuen Gesellschaft". Unter Technokratie v e r s t a n d m a n die Herrschaft der wissenschaftlich-technischen Intelligenz. U m seine Theorie v o m Ü b e r g a n g der F ü h r u n g der Gesellschaft an die wissenschaftlich-technische Intelligenz zu begründen, wandte sich Vehlen der Technik und dem technischen Fortschritt zu. In Vehlens Arbeiten findet sich keinerlei geschlossene Konzeption von der neuen Gesellschaftsordnung, die mit der Errichtung der Macht der Technokratie entstehen sollte. Aus vereinzelten Äußerungen Vehlens lassen sich jedoch folgende, seiner Ansicht nach charakteristische Züge der neuen Ordnung ableiten. Vehlen behauptete, daß die Technokratie zunächst d a s Bereicherungsstreben, d a s Profitstreben der Finanziers abschaffen werde. Den Ü b e r g a n g zur neuen Gesellschaft sollten die Gruppen von „Produktionsingenieuren, die sich von keinen kommerziellen Vorurteilen leiten l a s s e n " 1 7 , vollziehen. Technikexperten sollten die Industrieunternehmen leiten, den technischen F o r t s c h r i t t voranbringen u n d ihn in den Dienst des „Gemeinwohls", also der Gesellschaft, s t a t t des großen Business stellen. N a c h Vehlens Theorie sollte die Macht in der Gesellschaft von einem Generals t a b des „ I n d u s t r i e s y s t e m s " oder einem „ R a t der Techniker" a u s g e ü b t werden. Die unmittelbare Leitung der Produktion sollten Zweigverbände (Gilden) von Ingenieuren übernehmen. N a c h Vehlens Worten wird der Verlauf der U m gestaltung in den U S A und den anderen industriell fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern „in der T a t d a v o n b e s t i m m t werden, was die Gilden der Tcchnikexperten t u n " 1 8 . Die Technikergilden sollten die Produktion planmäßig leiten und dabei bem ü h t sein, die Disproportionen sowie die unproduktiven Kosten, die durch die Herrschaft der Finanziers im „ I n d u s t r i e s y s t e m " entstanden waren, zu beseitigen. Sie „ m ü s s e n freie H a n d bei der Verfügung über die Ressourcen, A u s r ü s t u n 17 Thorstein Vehlen, The Engineers and the Price System, New York 1921, S. 55. 18 Ebenda, S. 133. 92

gen und Arbeitskräfte haben". 1 9 Auf diese Weise würden, so meinte Vehlen, die Wachstumsraten der Produktion steil ansteigen und es käme zu einer „gerechten Verteilung der Konsumgüter". Noch im Jahre 1918 sprach sich Vehlen für die Bildung eines speziellen staatlichen Organs aus, das die gerechte Einkommensverteilung bewerkstelligen sollte („Einkommensverwaltungen"). In diesem Organ sah Vehlen einen wichtigen Schritt zur Realisierung der Wirtschaftsplanung, die der Angleichung der Einkommen, der Vollbeschäftigung dienen und die Veruntreuung von Ressourcen verhindern würde. Die „Einkommensverwaltung" sollte eine „gerechte und ausreichende" Versorgung der Gesellschaft mit Waren und Leistungen sichern. Auf diese Weise stellte sich Veblen die neue technokratische Ordnung als eine Art Gildensozialismus vor. Der amerikanische Ökonom H. Eisner stellt zu Recht fest, daß das Verwaltungssystem, wie es Veblen vorgeschlagen hatte, „dem syndikalistischen Ideal einer industriellen Selbstverwaltungsorganisation, die die Notwendigkeit des Staatsapparats leugnet, sehr nahe kommt". 2 0 Veblen habe die „sozialistische Bewegung als Ausdruck der Erfordernisse rationellen Wirtschaftens" 2 1 betrachtet. Ebenso wie die anderen Varianten des Gildensozialismus trug auch Vehlens Modell der neuen Ordnung kleinbürgerlichen Charakter, stellte es eine Form des kleinbürgerlichen Sozialismus dar. Sehr deutlich wird dies bei Vehlens Einschätzung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Veblen gehörte zu den wenigen bürgerlichen Wissenschaftlern, die die Große Sozialistische Oktoberrevolution von deren ersten Schritten an begrüßten. Seine Sympathie gehörte nicht der russischen Bourgeoisie und nicht den Großgrundbesitzern, sondern dem Volk, und er begrüßte die Expropriation des kapitalistischen Großbesitzes. Er schrieb von der Kluft zwischen den Interessen der Eigentümer und den Interessen des einfachen Menschen und hob hervor, daß der Bolschewismus die „Eigentumsrechte und -privilegien" 2 2 in Frage stelle. Den proletarischen Charakter der sozialistischen Revolution in Rußland hatte Veblen jedoch nicht erkannt. Er hegte Sympathie für den „einfachen Menschen", aber er sah hinter diesen „einfachen Menschen" nicht die Arbeiterklasse, die mit der werktätigen Bauernschaft gegen Großgrundbesitzer und Kapitalisten, für Frieden und Sozialismus kämpfte. Auch den welthistorischen Charakter der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution stritt Veblen ab. Für ihn, wie auch später für Schumpeter, war sie keine Gesetzmäßigkeit, sondern ein Zufall, der für die westliche Welt, besonders aber für die Vereinigten Staaten ohne Bedeutung sei. Obwohl sich Veblen im «9 Ebenda, S. 54. H. Eisner, The Technocrats Prophets of Automation, Syracuse University Press, 1967, S. 22. 21 Ebenda, S. 18. 22 Thorstein Veblen, The Engineers and the Price System, New York 1921, S. 83.

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J a h r e 1921 anerkennend über die Erfolge S o w j e t r u ß l a n d s äußerte, folgerte er d o c h : „Allerdings b e d e u t e t das keineswegs, d a ß das, was die Bolschewiken g e t a n haben, in ähnlicher F o r m von der revolutionären Bewegung in Amerika, selbst ohne ausländische Intervention, verwirklicht werden k a n n . " 2 3 U n t e r den Verhältnissen des hochentwickelten Kapitalismus war f ü r Vehlen eine sozialistische Revolution u n d e n k b a r . „Die Sowjets h a t t e n Erfolg, weil das russische Volk a u c h nicht im e n t f e r n t e s t e n so industrialisiert war, wie seine westlichen Nachb a r n . " 24 Mit der Theorie, nach der die Teclmokratie die entscheidende T r i e b k r a f t der gesellschaftlichen Entwicklung sei, sollte im G r u n d e g e n o m m e n nachgewiesen werden, d a ß es in den industriell fortgeschrittenen kapitalistischen L ä n d e r n keine Voraussetzungen f ü r eine Revolution des Proletariats gebe. Das h a t t e Vehlen auch im Auge, als er schrieb: „Die Revolution des 20. J a h r h u n d e r t s k a n n n u r mit industriellen Wegen u n d Methoden besiegt u n d neutralisiert werden." 23 Die Halbheiten seiner kleinbürgerlichen Positionen b e s t i m m t e n auch die Widersprüchlichkeit der H a l t u n g Vehlens zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Hinter dem B e m ü h e n , den Geschichtsprozeß klassenneutral, v o m S t a n d p u n k t des „einfachen Menschen" u n d des T e c h n o k r a t e n zu analysieren, s t a n d letztlich der Verzicht auf die revolutionäre Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft. Nach Vehlens Tod hörten die T e c h n o k r a t e n auf, gegen das Kapital u n d gegen die Monopole F r o n t zu machen. Im J a h r e 1932 g r ü n d e t e n Scott u n d A c k e r m a n die „Technokratische Gesellschaft". Der positive Teil des P r o g r a m m s der Technokratie-Ideologen reduzierte sich auf die Feststellung, d a ß n u r die technische Intelligenz die Weltwirtschaftskrise von 1929—1933 überwinden könne. Dabei sollte die H e r r s c h a f t des Monopolkapitals u n a n g e t a s t e t bleiben. Diese bürgerliche Bewegung, der keinerlei Spuren von Opposition m e h r a n h a f t e t e n , blieb n u r wenige J a h r e am Leben. Sie zeugte deutlich davon, d a ß der eigentliche Sinn der Veblenschen „Revolution der Ingenieure" darin b e s t a n d , die Arbeiterklasse zu desorientieren u n d sie vom revolutionären Kampf abzuhalten. Die Widersprüchlichkeit der Konzeption von Vehlen v e r u r s a c h t auch die widersprüchlichen H a l t u n g e n der verschiedenen S t r ö m u n g e n der heutigen bürgerlichen Ökonomie zu ihr. Die meisten bürgerlichen Ökonomen der Gegenw a r t übergehen Vehlens bemerkenswerte Einschätzung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution mit Schweigen. Zugleich aber operieren sie m i t seinen A r g u m e n t e n , u m nachzuweisen, d a ß die E n t f a l t u n g der wissenschaftlich-technischen Revolution in den L ä n d e r n des Kapitalismus die Beständigkeit des Kapitalismus bewirkte u n d der Sieg des Sozialismus in der U d S S R u n d den anderen sozialistischen L ä n d e r n das Ergebnis der Rückständigkcit, des niedrigen E n t wicklungsstandes der P r o d u k t i v k r ä f t e in diesen L ä n d e r n gewesen sei. 23 Ebenda, S. 94-95.

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Ebenda, S. 95.

25 Ebenda, S. 99.

Technokratische Konzeptionen sind heute in den kapitalistischen Ländern des Westens weit verbreitet. Ihre Autoren, zu denen auch offene Apologeten des Monopolkapitals gehören, berufen sieh auf Vehlen, u m dessen Werke f ü r ihre Zwecke zu nutzen. Der amerikanische Ökonom J . Galbraith h a t in seinem vielzitierten Buch „Die moderne Industriegesellschaft" Vehlens Konzeption vom „Industriesystem" weiterentwickelt. 2 6 Deshalb ist die kritische B e t r a c h t u n g des technokratischen Modells von Vehlen nicht nur von geschichtlichem Interesse. James

Burnhams

„Manager"-Modell

vom

Sozialismus

F ü r die folgende E t a p p e in der Entwicklung der behandelten bürgerlichen Theorien von der sozialistischen Wirtschaft war die Theorie der „Managerrevolution" bezeichnend. Im J a h r e 1932 erschien das Buch „Die moderne Kapitalgesellschaft und das Privateigentum", dessen Verfasser, A. Berle und G. Means, Anhänger der Theorie Vehlens waren. Berle und Means wollten den Nachweis liefern, daß die Macht des Kapitals infolge der Trennung des Kapitaleigentums von der Kapitalfunktion schwinde und sich bereits aufgelöst habe. Diese These versuchten sie mit bestimmten Oberflächenerscheinungen der kapitalistischen Wirklichkeit zu begründen. Mit seinem System der Aktiengesellschaften steigert der Kapitalismus der Gegenwart die Trennung der Produktionsleitung vom Eigentum ins E x t r e m . Lenin schrieb d a r ü b e r : „Trennung des Kapitaleigentums von der Anwendung des Kapitals in der Produktion, die Trennung des Geldkapitals vom industriellen oder produktiven Kapital, die Trennung des Rentners, der ausschließlich vom E r t r a g des Geldkapitals lebt, vom Unternehmer u n d allen Personen, die an der Verfügung über das Kapital unmittelbar teilnehmen, ist dem Kapitalismus ü b e r h a u p t eigen. Der Imperialismus oder die Herrschaft des Finanzkapitals ist jene höchste Stufe des Kapitalismus, wo diese Trennung gewaltige Ausdehnung erreicht." 27 Berle u n d Means entstellten das Wesen der tatsächlichen Konzentration der 26 Allerdings wäre es falsch, daraus den Schluß zu ziehen, daß die moderne Theorie v o n der „Industriegesellschaft" auf dem Institutionalismus beruhe. Die Lehren der Vertreter des Institutionalismus spielten in der bürgerlichen politischen Ökonomie der dreißiger Jahre eine große Rolle. Der britische Historiker des ö k o n o m i s c h e n Denkens M. Blaug stellt in seinem Buch „Economic Theory in Retrospeel," (London 1970, S. 861) fest, daß es im heutigen ökonomischen D e n k e n keinerlei institutionalistische Richtung gäbe. Galbraith selbst hat sich auf einer Tagung der American Economic Association (Dezember 1973) v o m Institutionalismus abgegrenzt, der „die ökonomischen Prozesse nicht in ihrer Gesamtheit", sondern lediglich „das Verhalten verschiedener Institute oder Machtgruppen, wie Gewerkschaften, gigantische Kapitalgesellschaften und Staaten" betrachlc (Business W e e k , S. 1, 1974, S. 57). 27

W. I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: W e r k e Bd. 22, Berlin 1971, S. 242.

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Leitungsfunktionen in der Produktion auf lohnabhängiges Verwaltungspersonal, indem sie diesen Prozeß als Übertragung der wirtschaftlichen Macht und Kontrolle auf diese Manager ausgaben. Sie behaupteten, daß durch die Aktiengesellschaften die Bedingungen zur Entwicklung des Kapitalismus zu einer neuen Gesellschaft entstanden seien. So schrieben Berle und Means, daß die „Entwicklung der Kapitalgesellschaften eine stärkere Annäherung an kommunistische Formen (darstellt) als sie irgendwo sonst in unserem System anzutreffen ist" 2 8 . Die Konzeption von Berle und Means wurde von dem amerikanischen Ökonomen James Burnham, einem Reaktionär und ehemaligen Trotzkisten, aufgegriffen. Burnham sah in der Theorie von Means und Berle die „erstaunlichste Bestätigung" seiner Theorie der „Managerrevolution". In seinem Buch „The Managerial Revolution" versuchte er, die These zu begründen, daß sich die soziale Struktur des Kapitalismus automatisch „transformiert" und der Kapitalist durch Übertragung der Macht an die Organisatoren der Produktion, die mit den Ingenieuren die Produktion leiten, die Kontrolle über die Gesellschaft abgebe. 29 Nach Burnhams Theorie verschwindet die kapitalistische Gesellschaft, weil sich die Kapitalisten selbst von der Macht lösen. Der Kapitalismus weiche einer neuen herrschenden Klasse: den Managern. Diese neue herrschende Klasse, die Manager, sei in ihrem Wesen nicht kapitalistisch und nicht vom Profitstreben geleitet. Der Übergang zur „Managergesellschaft" finde in allen kapitalistischen Ländern statt, vor allem aber in den USA. Burnhams apologetische Konzeption steht in krassem Widerspruch zur Wirklichkeit. Die Manager bilden durchaus keine besondere Klasse. Es ist zwischen der Oberschicht der Administration in den Monopolgesellschaften in Gestalt der Direktoren, Präsidenten und Vizepräsidenten einerseits und den Administratoren, denen die operative Leitung von Produktion und Absatz obliegt, andererseits zu unterscheiden. Die ersteren beziehen riesige Gehälter und sind zugleich Großaktionäre. Sie kommen entweder direkt aus der Finanzoligarchie oder werden in sie einbezogen. Die letzteren, lohnabhängige Angestellte, stehen nach ihrer sozialen Lage der Arbeiterklasse nahe. Das tatsächliche Wesen der kapitalistischen Ordnung — die Ausbeutung von Lohnarbeit — bleibt in der „Managergesellschaft" unverändert. Die amerikanische Soziologe C. W. Mills stellt in seinen Untersuchungen fest: „Eigentum und Unternehmensleitung sind zwar heute nicht mehr in einer Person vereinigt, aber der Manager hat keineswegs den Eigentümer verdrängt oder enteignet, noch hat die Macht des (das Eigentum bildenden) Unternehmens über Menschen und Märkte nachgelassen. Macht und Besitz sind durchaus nicht voneinander geschieden. Aber die Macht des Besitzes ist stärker zusammengeballt als die Macht der einzelnen rechtlichen Eigentümer, die nicht so zentral zusammengefaßt ist." 3 0 28

Adolf A. Berle, Gardiner C. Means, The Modern Corporation and Private Property, N e w York 1932, S. 278. 29 Vgl. James Burnham, Das Regime der Manager, Stuttgart 1948. 30 Charles Wright Mills, Menschen im Büro, Köln 1955, S. 147.

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Die „Managergesellschaft" und die „Managerrevolution" sind Mythen, die B u r n h a m zur Verteidigung des K a p i t a l i s m u s erfunden h a t . N a c h B u r n h a m sollte die „Managergesellschaft" bereits keine kapitalistische Gesellschaft mehr sein. D a s Bündnis der „Administratoren, Experten, leitenden Ingenieure, P r o d u k tionsleiter, Propagandaspezialisten und T e c h n o k r a t e n " sollte d e m n a c h eine neue herrschende Klasse bilden. N a c h B u r n h a m s A u f f a s s u n g sollte d a s Managersystem „ d a s S t a a t s m o n o p o l aller wichtigen U n t e r n e h m u n g e n " 3 1 zur Folge haben. Bürokratische Leitungsmethoden sollten für dieses S y s t e m typisch sein. B u r n h a m meinte, daß die „neue herrschende K l a s s e " die ganze Wirtschaft planen könne, was im K a p i t a l i s m u s unmöglich ist. U n d obgleich sie nicht auf Profit a u s sei, bleibe sie doch eine Ausbeuterklasse. „ M a n könnte die Managerwirtschaft als ein S y s t e m korporativer A u s b e u t u n g im Gegensatz zur Einzelausbeutung des K a p i t a l i s m u s b e z e i c h n e n . " 3 2 Die Bürokraten u n d Manager setzen, so B u r n h a m , a n die Stelle der Privatunternehmen „ S o z i a l i s m u s und K o l l e k t i v i s m u s " u n d an die Stelle von „Freiheit und freier I n i t i a t i v e " die Planung. 3 3 So wurden im Modell der „Managergesellschaft" E l e m e n t e von Vehlens Technokratielehre, der Theorie von S c o t t u n d Ackerman (in der von Vehlens „ R e v o lution der Ingenieure" wenig übriggeblieben war) und von Berles und Means Theorie der „ M a n a g e r h e r r s c h a f t " miteinander v e r k n ü p f t . B u r n h a m abstrahierte von den realen Produktionsverhältnissen, indem er die E i g e n t u m s v e r h ä l t n i s s e durch Verhältnisse der Administration u n d Technologie ersetzte. Sein Modell der „neuen nichtkapitalistischen O r d n u n g " , das auf dieser unsicheren G r u n d l a g e a u f b a u t e , versuchte B u r n h a m mit den verschiedenen F o r m e n des s t a a t s m o n o polistischen K a p i t a l i s m u s in E i n k l a n g zu bringen, nämlich mit der Kriegswirts c h a f t des faschistischen Deutschlands und der staatlichen Wirtschaftsregulierung auf der Grundlage der bürgerlichen Reformen in den U S A zur Zeit von Roosevelts „ N e w D e a l " . Doch ließ er es d a m i t nicht bewenden und erklärte auch die sozialistische Ordnung in der U d S S R zur „ M a n a g e r g e s e l l s c h a f t " . Die H a u p t a u f g a b e von B u r n h a m s Konstruktionen bestand darin, völlig unterschiedliche ökonomische S y s t e m e wie den K a p i t a l i s m u s und Sozialismus miteinander zu identifizieren und den Sozialismus zu verleumden. B u r n h a m behauptete, d a s faschistische Deutschland, die U S A und die S o w j e t union hätten die gleiche Gesellschaftsordnung, in der ein und dieselbe „neue K l a s s e " herrsche: die K l a s s e der Organisatoren, B ü r o k r a t e n und T e c h n o k r a t e n . Von Haß gegen die sozialistische Gesellschaft in der U d S S R geleitet, b e m ü h t e sich B u r n h a m weniger, seine B e h a u p t u n g e n zu begründen als sie zu deklarieren. E s k a m ihm nicht darauf an zu überzeugen, wenn er den Sozialismus demagogisch als S p i e l a r t der „Managergesellschaft" bezeichnete. U n d indem er den Sozialismus zur Ausbeuterordnung erklärte, stellte er die realen Verhältnisse auf den K o p f . James Burnham, Das Regime der Manager, Stuttgart 1948, S. 327. 32 Ebenda, S. 151. 33 y g i . ebenda, S. 226.

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Burnham spekulierte auf bestimmte gleiche Tendenzen in der Entwickkung der maschinellen Großproduktion, der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und der Leitung der Produktion im Kapitalismus und Sozialismus. Mit der Anwendung dieses Modells auf die Wirtschaft der U d S S R sollte das Wesen des staatlichen Eigentums (des Volkseigentums) an den Produktionsmitteln und die sozialökonomische S t r u k t u r der sozialistischen Gesellschaft entstellt werden. Das staatliche sozialistische Eigentum war für Burnham Eigentum der S t a a t s bürokratie, der „neuen herrschenden Klasse", die von den unmittelbaren Produzenten getrennt sei und deren Gegensatz bilde. In Wirklichkeit bedarf jede maschinelle Großproduktion, wenn sie normal funktionieren soll, eines speziellen Leitungsapparates, der die verschiedenen Ebenen und Teile des Produktionsprozesses einander zuordnet und koordiniert. Doch darf der Leitungsprozeß nicht mit der Verfügung und Verwendung der Produktionsmittel verwechselt werden. Sie sind die Formen, in denen sich die Verhältnisse des Eigentums an den Produktionsmitteln realisieren. Im Sozialismus ist die Gesellschaft, das Volk, der eigentliche und einzige Eigentümer der entscheidenden Produktionsmittel. Die Realisierung des allgemeinen Volkseigentums und die planmäßige Leitung der Volkswirtschaft als eines einheitlichen Ganzen obliegen dem sozialistischen S t a a t , der im Namen, im Auftrag und im Interesse der Gesellschaft handelt. Entgegen der Behauptung Burnhams ist die staatliche Form des allgemeinen Volkseigentums keineswegs eine unvermeidliche Ursache zur Bürokratisierung der Gesellschaft. Die sozialistische Gesellschaft realisiert die Planung und zentrale Leitung auf der Grundlage der sozialistischen Demokratie, der verschiedenen Formen der Beteiligung der Volksmassen an der Wirtsehaftsleilung und im Interesse des Volkes. „Wir sind für den demokratischen Zentralismus", schrieb Lenin. „Und man muß sich eindeutig darüber klar werden, wie sehr sich der demokratische Zentralismus einerseits vom bürokratischen Zentralismus, anderseits vom Anarchismus unterscheidet." 3 4 Burnhams Modell der „Managergesellschaft" verfälschte das Wesen des staatlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und der Wirtschaftsleitung im Sozialismus. Und so war es kein Zufall, wenn es dem bürgerlichen Modell vom sozialistischen „ S t a a t s m a n a g e r t u m " in den fünfziger und sechziger J a h r e n als Vorbild diente. 3 5 Heute ist es eine werlverbreitete Form des Antisowjetismus, deren sich die Ideologen des Antikommunismus, angefangen von den hartnäckigsten Sozialismusgegnern bis zu den Theoretikern rechtssozialistischer und revisionistischer Prägung, in breitem Maße bedienen. 34

35

98

W . I. Lenin, Ursprünglicher Entwurf des Artikels „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht", in: Werke, Bd. 27, Berlin 1970, S. 196. Zur Kritik des „Staatsmanagertums" vgl. S. Chavina, Bürgerliche Konzeptionen über das Volkseigentum und den sozialistischen Wirtschaftsmechanismus, in: Ekonomiceskie nauki, 9/1971, S. 8 4 - 8 6 .

4. K A P I T E L

Joseph A. Schumpeter über die Wirtschaft des Sozialismus

Die Theorie fori der „Selbstzerslvrung"

des

Kapitalismus

Der bekannte bürgerliche Theoretiker Joseph Alois Schumpeter war Schüler Eugen von Böhm-Bawerks, eines führenden Repräsentanten der österreichischen Schule in der bürgerlichen politischen Ökonomie. Schumpeter war ein begeisterter Anhänger der Lausanner Schule, von deren Vertretern Leon Walras, Vilfredo Pareto und Enrico Barone die „reine" Theorie von der sozialistischen Wirtschaft entwickelt wurde. 1 Wie die meisten bürgerlichen Ökonomen ging auch Schumpeter von der Klassen- und Parteienneutralität der Wirtschaftswissenschaft aus. In einem postum veröffentlichten Werk zur Geschichte der ökonomischen Analyse stellte er fest: „. . . schließlich waren es bürgerliche' Ökonomen, die . . . die rationale Theorie der sozialistischen Wirtschaft entwickelten". An anderer Stelle in diesem Werk schreibt er: „Drei führende Autoren, Wieser, Pareto und Barone, die keinerlei Sympathien für den Sozialismus hegten, schufen das, was im Grunde genommen die reine Theorie der sozialistischen Wirtschaft darstellt, womit sie der sozialistischen Lehre einen Dienst erwiesen, den die Sozialisten selbst niemals zu leisten imstande gewesen sind." 2 Aus Schumpeters Feder stammen zahlreiche Bücher und Aufsätze. Bekannt sind besonders seine Arbeiten über die Theorie des Zyklus und der Wirtschaftsdynamik. Fragen des Sozialismus war sein Aufsatz „Sozialistische Möglichkeiten heule" 3 , gewidmet, der bereits nach dem ersten Weltkrieg erschien, und sein Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" 4 , das 1942 in New York veröffentlicht wurde und mehrere Auflagen erlebte. Die Österreichische und Lausanner Schule sind zwei Zweige der subjektiven Schule in der bürgerlichen politischen Ökonomie. Die Österreichische Schule (auch Wiener Schule genannt), die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von Carl Menger, Friedrich von Wieser und Eugen von Böhm-Bawerk vertreten wurde, hat die Grenznutzentheorie entwickelt. Von der Lausanner Schule, zu der Leon Walras und seine Anhänger gehörten, stammt die Theorie vom wirtschaftlichen Gleichgewicht. 2 Joseph A. Schumpeter, Geschichte der ökonomischen Analyse, 2. Halbband, Göttingen 1965, S. 1 0 8 3 - 1 0 8 4 und 1199. 3 Essays of Joseph A. Schumpeter, Ed. by R. Clemence, Cambridge (Mass.) 1 9 5 1 , S. 1 7 0 - 1 8 3 . * Joseph A. Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy, New York 1942. 1

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Schampeter ist eine recht diffizile und widersprüchliche Erscheinung in der bürgerlichen ökonomischen und soziologischen Wissenschaft. Sein ganzes System von Anschauungen, seine Konzeption vom Kapitalismus wie auch vom Sozialismus, sein Verhältnis zum Marxismus und zur U d S S R sind von Widersprüchen durchdrungen. Einerseits zeigte sich Schumpeter als Apologet des Monopolkapitalismus, andererseits aber prophezeite er dessen unausbleiblichen Untergang. Er erkannte die Möglichkeit der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus an, sprach von den Vorzügen des Sozialismus und verhehlte doch nicht seine Antipathie ihm gegenüber. Die grundlegenden Schlußfolgerungen des Marxismus über den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit und über die revolutionäre Rolle des Proletariats lehnte Schumpeter ab. Der Marxschen Mehrwerttheorie stellte er eine Konzeption entgegen, nach der die kapitalistische Wirtschaft auf der Grundlage der „Novation", der „Neuerertätigkeit des Unternehmers" beruhe. Schumpeter hat sich mit der Marxschen Theorie eingehend befaßt und einige Grundthesen aus ihr entlehnt, um sie auf eklektische Weise mit seinen Anschauungen zu verbinden. Bei der Konstruktion seines Sozialismusmodells in dem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie", das zu einer Zeit erschien, als bereits eine 25jährige Erfahrung aus der Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft vorlag, vermied es Schumpeter, die sowjetische Wirklichkeit zu analysieren. Wohl sah er sich gezwungen die vor der ganzen Welt offenkundigen Vorzüge des Sozialismus bei der Herstellung einer bewußten Arbeitsdisziplin und der Mobilisier rung von Akkumulationsmitteln zuzugeben. Aber er tat es doch äußerst selten und weniger im Text als in den Fußnoten. Und um die Richtigkeit seiner Thesen zu erhärten, berief er sich auf Prozesse, die in der sowjetischen Wirtschaft stattgefunden haben. Zugleich aber erklärt er völlig unmotiviert, kein Sozialist könne die russische Praxis als vollwertige Umsetzung des Sozialismusmodells anerkennen. Mit Bedauern konstatierte Schumpeter den Popularitätsverlust des Kapitalismus und die Ausbreitung einer Atmosphäre der Kapitalismusfeindlichkeit. Angesichts dessen zählte er die Vorzüge des Kapitalismus auf: eine hohe Wachstumsrate der Gesamterzeugung pro Jahr, darunter auch das Aufkommens an Massenkonsumgütern, die Entwicklung von Technik, Wissenschaft und Kunst, eine Verbesserung der Sozialgesetzgebung, die bürgerliche Lebensart, die Beseitigung der Armut usw. Wie diese Aufzählung zeigt, vermischte Schumpeter hier tatsächliche mit scheinbaren Leistungen des Kapitalismus. Besonders hob er dabei die Leistungen des Monopolkapitalismus hervor. Schumpeter war Apologet des Großkapitals. So betonte er allenthalben die dem Monopolkapitalismus innewohnende Tendenz zum technischen und wirtschaftlichen Fortschritt, ignorierte dabei aber die ebenfalls für das Monopol typische Tendenz zu Stagnation und Fäulnis. Schumpeter gehörte in der bürgerlichen Literatur zu den ersten, die die moderne Variante der bürgerlich-reformistischen Theorie von der „Transformation" des

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Kapitalismus in den Sozialismus vertraten. Er räumte ein, daß die gesellschaft-: liehe Entwicklung unvermeidlich zum Sozialismus führt und fragte: „Kann der Kapitalismus weiterleben?" Und er antwortete: „Nein, meines Erachtens nicht." 5 Wenn Schumpeter eine Konzeption von der „Selbstzerstörung" des Kapitalismus aufstellte und von der unvermeidlichen Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus ausging, betonte er zugleich, daß er ganz andere Ursachen für den Untergang des Kapitalismus und auch andere Wege für den Übergang zum Sozialismus sehe als die Marxisten. Die Spezifik dieser Variante der Theorie von der „Transformation" des Kapitalismus in den Sozialismus bestand darin, daß in ihr die „Selbstzerstörung" des Kapitalismus nicht aus den Widersprüchen und Mängeln, sondern aus der Entwicklung des Kapitalismus auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet und dem Wirken der für seinen Schutz bestimmten Einrichtungen abgeleitet wurde. Gerade die Erfolge des Kapitalismus, so meinte Schumpeter, untergraben die sozialen Einrichtungen, die ihn schützen, und schaffen „unvermeidlich" Bedingungen, unter denen er nicht existieren könne und die „auf den Sozialismus als seinen gesetzmäßigen Erben deuten" 6 . Zu den sozialen Einrichtungen, die mit der Entwicklung des Kapitalismus untergehen, zählte Schumpeter vor allem die wirtschaftliche Funktion des Unternehmers. Er ging von der apologetischen Konzeption vom „dynamischen Unternehmer" aus, nach der der Unternehmer, der neue Erzeugnisse und Produktionsmethoden einführe, der aktivste Faktor des wirtschaftlichen Fortschritts sei. Im heutigen Kapitalismus verliere die Unternehmerfunktion durch die Bürokratisierung der Leitung des wirtschaftlichen Fortschritts ihre Bedeutung. Auf einem bestimmten hohen Entwicklungsstand der Produktion und der Bedürfnisse entfalle wegen der Sättigung der Bedürfnisse die Notwendigkeit, die Arbeitsproduktivität zu steigern, und aus einer dynamischen kapitalistischen Wirtschaft werde eine statische Wirtschaft. Nach Schumpeters Konzeption kommt es neben der „Selbstzerslörung" des kapitalistischen Unternehmertums und dem Abbau der Unternehmerfunktionen zum Verfall der sozialen Schichten, die den Kapitalismus am Leben erhalten. Damit waren die Kräfte gemeint, denen die politische Führung der Gesellschaft oblag (bei Schumpeter ist dies nicht die Bourgeoisie, sondern eine feudale Oberschicht, die Aristokratie) sowie die Repräsentanten vorkapitalistischer Wirtschaftsformen, die kleinen und mittleren Produzenten, die für den Schutz der politischen Interessen der Großbourgeoisie notwendig seien. Schumpeter stellte die Konzentration des kapitalistischen Großbesitzes in den Händen einiger weniger Finanzmagnaten und die starke Entwicklung der AktienJoseph A. Schumpeter, S. 105. 6 Ebenda, S. 106.

5

Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie,

Bern

1946,

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gesellschaften als „Verflüchtigung des industriellen Eigentums" hin. Er meinte, die Aktiengesellschaften würden die materielle Substanz des Eigentums auflösen und seine Funktion damit wesentlich verändern. Neben der „Selbstzerstörung des industriellen Eigentums" konstatierte Schumpeter die „Verflüchtigung des Konsumenteneigentums", beispielsweise das scheinbare Desinteresse, ein eigenes Haus zu erwerben, was eine Folge der Auflösung des Familienlebens und einer entsprechenden Veränderung des bürgerlichen Lebensstils sei. Der „Bedcutungsverlust" der Unternehmerfunktion, die Zerstörung der „schützenden" sozialen Schichten, die „Verflüchtigung" des kapitalistischen Eigentums und der ökonomischen Motivationen führen zur „Selbstzerstörung" des kapitalistischen Systems, was sich in einer Verlangsamung des Fortschritts äußern könne. So h a t Schumpeter zwar einige Prozesse, die für den Monopolkapitalismus typisch sind, richtig erkannt, zum Beispiel die Verwandlung des individuellen kapitalistischen Eigentums in kapitalistisches Kollektiveigentum, die Trennung der Kapitalfunktion vom Kapitalcigentum und die Verwandlung der Bourgeoisie in eine Klasse, die für den normalen Verlauf der Produktion überflüssig wird. Falsch aber war die Interpretation, die er diesen Prozessen und ihren Auswirkungen gab. Die Theorie von der „Selbstzerstörung" des Kapitalismus ist eine bürgerliche Variante der reformistischen Theorie vom automatischen Zusammenbruch des Kapitalismus, die den Klassenkampf des Proletariats und die revolutionäre Umgestaltung der ökonomischen S t r u k t u r der kapitalistischen Gesellschaft als nicht notwendig erachtet. Schumpeter bestritt zwar nicht die Möglichkeit der Revolution, betrachtete sie allerdings als Einzelfall. Zur allgemeinen Gesetzmäßigkeit des Geschieh tsverlaufs erklärte er das allmähliche, evolutionäre Hineinwachsen des Kapitalismus in den Sozialismus. Wie alle bürgerlichen Reformisten sah auch er die Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung nicht im Klassenkampf. Zwar registrierte Schumpeter, daß die kapitalistische Entwicklung eine Arbeiterbewegung hervorruft, doch mißt er ihr nicht die Bedeutung zu, die sie tatsächlich besitzt, und er bestreitet faktisch die historische Mission der Arbeiterklasse, der Totengräber der bürgerlichen Gesellschaft zu sein. Für ihn war die Intelligenz die revolutionäre I l a u p l k r a f t . Die Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus sah Schumpeter als wahrscheinlich, aber nicht notwendig, als möglichen, aber nicht gesetzmäßigen Prozeß an. „Die kapitalistische oder sonst eine Ordnung der Dinge kann offenbar zusammenbrechen — oder die wirtschaftliche und soziale Entwicklung kann über sie hinausgehen — , und doch kann es geschehen, daß kein sozialistischer Phönix der Asche entsteigt." 7 In dem Aufsatz „Der Marsch in den Sozialismus", der im J a h r e 1950 erschien, zeigte Schumpeter sogar statt des Sozialismus eine andere Alternative zum Kapitalismus auf. 1 Ebenda, S. 98.

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Die L ä n d e r m i t ü b e r w i e g e n d k a t h o l i s c h e m B e v ö l k e r u n g s a n t e i l sollten S c h u m peters Vorstellungen zufolge ihre Gesellschaft im S i n n e d e r p ä p s t l i c h e n E n z y klika „ Q u a d r a g e s i m o a n n o " reorganisieren.

Entstellung

des sozialökonomischen

Wesens

des

Sozialismus

Mit d e m E r s e h e i n e n v o n S c h u m p e t e r s B u c h „ K a p i t a l i s m u s , Sozialismus u n d D e m o k r a t i e " t r a t die Diskussion ü b e r die w i r t s c h a f t l i c h e E f f e k t i v i t ä t des Sozialismus in d e r b ü r g e r l i c h e n W i r t s c h a f t s l i t e r a t u r in eine a b s c h l i e ß e n d e P h a s e . 8 S c h u m p e t e r s t a n d in dieser Diskussion auf den P o s i t i o n e n d e r „neoklassischen ö k o n o m i s c h e n Theorie v o m Sozialismus". E b e n s o wie die V e r t r e t e r d e r „ n e u e n sozialistischen S c h u l e " k r i t i s i e r t e a u c h er die Theorie v o n d e r „logischen u n d p r a k t i s c h e n U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus", wie sie v o n Mises u n d Hayelc e n t w i c k e l t w o r d e n w a r . Auf die H a u p t f r a g e der Diskussion, o b der Sozialismus f u n k t i o n i e r e n k ö n n e , a n t w o r t e t e S c h u m p e t e r : „ S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k a n n er es. Kein Zweifel ist d a r ü b e r möglich, w e n n wir e i n m a l a n n e h m e n , d a ß e r s t e n s die e r f o r d e r l i c h e S t u f e d e r industriellen E n t w i c k l u n g e r r e i c h t ist u n d d a ß z w e i t e n s Ü b e r g a n g s p r o b l e m e erfolgreich gelöst w e r d e n k ö n n e n . " 9 Die E r k e n n t n i s , d a ß die V e r ä n d e r u n g d e r gesellschaftlichen S t r u k t u r u n a b w e n d b a r ist, z w a n g S c h u m p e t e r , die G r e n z e n zu s u c h e n u n d a b z u s t e c k e n , in d e n e n eine U m g e s t a l t u n g der k a p i t a l i s t i s c h e n Gesellschaft d e m Bourgeois-Vers t a n d noch e r t r ä g l i c h erscheint. Dieser apologetische Zweck b e s t i m m t e a u c h die S c h l u ß f o l g e r u n g e n v o n S c h u m p e t e r s Analyse, die ein eigenartiges G e m i s c h v o n m e h r oder weniger realistischen u n d n ü c h t e r n e n E r w ä g u n g e n m i t z a h l r e i c h e n f a l s c h e n Schlüssen d a r s t e l l t . D e r partielle Realismus, der sich m i t einer die L e k t ü r e des B u c h e s „ K a p i t a l i s m u s , Sozialismus u n d D e m o k r a t i e " e r s c h w e r e n d e n Darstellungsweise u n d S p r a c h e v e r b i n d e t , k a n n n i c h t d a r ü b e r h i n w e g t ä u s c h e n , d a ß die t h e o r e t i s c h e n K o n s t r u k t i o n e n seines A u t o r s k a u m einen B e z u g s p u n k t z u m realen L e b e n h a b e n . S c h u m p e t e r geizte z w a r n i c h t m i t l o b e n d e n W o r t e n ü b e r die Vorzüge, die d e r Sozialismus n a c h seinem Modell a u f w e i s e n w ü r d e : E i n s p a r u n g v o n R e s e r v e k a p a z i t ä t e n , Beseitigung der Arbeitslosigkeit, schnellere u n d allgemeine V e r b r e i t u n g von k o s t e n s e n k e n d e n Verbesserungen, d a s A u f h ö r e n d e r R e i b u n g e n zwischen ö f f e n t l i c h e r u n d p r i v a t e r S p h ä r e , zwischen G e s c h ä f t s w e l t u n d S t a a t , V e r m e i d u n g d e r d a m i t v e r b u n d e n e n K o s t e n u n d Verluste, E i n s p a r u n g d e r V e r l u s t e a u s u n p r o d u k t i v e r B e s c h ä f t i g u n g , eine h ö h e r e P r o d u k t i v i t ä t . I n d e s s e n zeigte sich d a s Scholastische dieses Modells n i c h t n u r d a r i n , d a ß es v o n d e n E r f a h r u n g e n d e r s o w j e t i s c h e n W i r t s c h a f t n i c h t s wissen wollte. Die 8 ä

Vgl. die beiden ersten Kapitel in diesem Buch. Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Bern 1946, S. 2C7.

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Vorzüge, die S c h u m p e t e r dem Sozialismus z u e r k a n n t e , bezog er lediglich auf die „Logik der G r u n d p l ä n e " , auf die objektiven Möglichkeiten, die der Sozialismus in Wirklichkeit vielleicht gar nicht verwirklichen könne. Die mögliche Überlegenheit könne sich nach seiner Meinung in der P r a x i s sogar in Unterlegenheit verwandeln. 1 0 U n g e a c h t e t der E r f a h r u n g e n , die die Sowjetunion bereits g e m a c h t h a t t e , sollte nach Schumpeters Ansicht erst die Z u k u n f t zeigen, ob sich der Sozialismus bewähren werde. Das sozialistische System sei bis j e t z t n u r eine gedankliche Konstruktion, ein Denkbild. 1 1 E r konstatierte zwar einige wirkliche Prozesse der kapitalistischen W i r t s c h a f t , u n d er spürte, d a ß der Kapitalismus von der Geschichte zum U n t e r g a n g verurteilt ist. Aber dieser Sinn f ü r historische Betrachtungsweise verließ ihn ganz u n d gar, sobald es u m die positive Darstellung der Probleme der sozialistischen W i r t s c h a f t ging. Besonders deutlich wird die subjektivistische P r ä g u n g seines Sozialismusmodells in der These von der „kulturellen I n d e t e r m i n i e r t h e i t des Sozialismus", die Schumpeters Theorie an die Konzeption von der „Vielzahl der Sozialismusmodelle" a n n ä h e r t e . Zum ersten Mal h a t t e S c h u m p e t e r diese These in d e m A u f s a t z „Sozialistische Möglichkeiten h e u t e " aufgestellt, u m sie in dem Buch „Kapitalismus, Sozialismus u n d D e m o k r a t i e " weiter auszuführen. Aus dieser These folgt, d a ß die wirtschaftliche Organisation der sozialistischen Gesellschaft sowie ihr politischer u n d kultureller Ü b e r b a u (einschließlich der Stellung des Menschen in der Gesellschaft u n d der politischen Ordnung) die mannigfaltigsten F o r m e n h a b e n k ö n n e n . U n d wenn er erklärt, d a ß die sozialistische Gesellschaft sowohl aristokratisch als auch proletarisch, theokratisch wie auch antireligiös, energisch oder träge, kriegerisch oder friedliebend, nationalistisch oder internationalistisch, auf Gleichberechtigung b e r u h e n d oder u n g e r e c h t 1 2 sein könne, d a n n ist das bereits eine direkte E n t s t e l l u n g dieser Gesellschaftsordnung. Diese rein subjektivistische Auslegung der wirtschaftlichen, politischen u n d kulturellen Organisationsform der sozialistischen Gesellschaft erklärt sich d a r a u s , d a ß S c h u m p e t e r die objektiven Gesetzmäßigkeiten der wirtschaftlichen, politischen u n d kulturellen Entwicklung leugnet, die allen, den sozialistischen W e g beschreitenden L ä n d e r n , u n a b h ä n g i g von deren jeweiligen historischen Bedingungen, gemeinsam sind. Ebenso wie andere Opponenten von Mises a r g u m e n t i e r t e a u c h S c h u m p e t e r m i t den Thesen der Grenznutzentheorie u n d der Theorie v o m wirtschaftlichen Gleichgewicht, wie sie Wieser, P a r e t o u n d Barone v e r t r e t e n h a t t e n . Die V e r t r e t e r der Österreichischen u n d der L a u s a n n e r Schule h a t t e n die ökonomischen Verhältnisse u n d deren Gesetze bekanntlich als ewig u n d unveränderlich hingestellt. Sie gingen von einer „rationalen allgemeinen Logik des Wirtschaftsprozesses, d i e sich zur sozialen O r d n u n g n e u t r a l v e r h ä l t " , aus. S c h u m p e t e r entwickelte dieses 10 Ebenda, S. 313, 315. " Ebenda, S. 273.

104

11

Ebenda, S. 299.

Prinzip weiter u n d stellte die These von der „Ähnlichkeit" des Sozialismus u n d Kapitalismus auf. So schrieb er von einer „Familienähnlichkeit zwischen k o m m e r zieller u n d sozialistischer W i r t s c h a f t " 1 3 . Diese Ähnlichkeit ist seiner Ansicht n a c h nicht darin zu sehen, d a ß der Sozialismus einige E l e m e n t e des K a p i t a l i s m u s ü b e r n i m m t , sondern darin, d a ß beiden eine rationale Verhaltenslogik gemeinsam sei, die eine b e s t i m m t e formale Ähnlichkeit bewirke. Deshalb brauche der Sozialismus keine eigene Logik zu entwickeln. S c h u m p e t e r h a t zwar nie von einer „ K o n v e r g e n z " der beiden Systeme gesprochen, doch liegen in seinem Modell, d a s auf der Gleichsetzung der Kategorien u n d Gesetze des Sozialismus u n d Kapitalism u s b e r u h t , bereits die Voraussetzungen f ü r diese Theorie. Den Kapitalismus definierte S c h u m p e t e r als Spielart der „kommerziellen Gesellschaft", die auf d e m P r i v a t e i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n u n d d e r „Regelung des Produktionsprozesses durch P r i v a t v e r t r a g " beruhe. E r hielt das P r i v a t e i g e n t u m f ü r die einzig mögliche Eigenschaftsform u n d stellte das E i g e n t u m als Kategorie der „kommerziellen Gesellschaft" hin. 1 4 Deshalb a b s t r a hierte er bei der I n t e r p r e t a t i o n des Sozialismus, im Unterschied z u m Kapitalismus, von der herrschenden E i g e n t u m s f o r m . In Schumpeters Buch „Kapitalismus, Sozialismus u n d D e m o k r a t i e " finden wir folgende Definition des Sozialismus: „Mit sozialistischer Gesellschaft wollen wir ein institutionelles System bezeichnen, in d e m die Kontrolle über die P r o d u k tionsmittel u n d über die P r o d u k t i o n selbst einer Zentralbehörde zusteht, — o d e r wie wir auch sagen k ö n n e n — , in d e m grundsätzlich die wirtschaftlichen Belange der Gesellschaft in die öffentliche u n d nicht in die p r i v a t e S p h ä r e gehören." 1& Hier ersetzt S c h u m p e t e r die Kategorie Eigentum d u r c h die juristische Kategorie •„ Kontrolle". Das f ü h r t e dazu, d a ß er erstens auf die Analyse des gesellschaftlichen E i g e n t u m s an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n u n d vor allem ihrer staatlichen F o r m (des Volkseigentums) verzichtete u n d zweitens das Wesen der sozialistischen Vergesellschaftung der P r o d u k t i o n verfälschte. Dabei stellte er die Vergesells c h a f t u n g der P r o d u k t i o n als Übergang der Kontrolle an Machtorgane d a r , die angeblich im Gegensatz zum Volk s t ü n d e n . Die Lehre von Marx u n d Lenin über den S t a a t interpretierte S c h u m p e t e r auf seine Weise. So b e h a u p t e t e er u n t e r B e r u f u n g auf die Begründer des MarxismusLeninismus: „Der S t a a t . . . wird einen Teil der Asche bilden, aus der der sozialistische P h ö n i x erstehen wird. D a r u m h a b e ich ihn nicht in meiner Definition des Sozialismus verwendet. Selbstverständlich k a n n der Sozialismus d u r c h einen A k t des S t a a t e s einsetzen. Soweit ich sehe, bietet es aber keine Schwierigkeit» wenn m a n sagt, d a ß der S t a a t in diesem A k t stirbt, — wie dies von M a r x gezeigt u n d von Lenin wiederholt worden i s t . " 1 6 Diese These s t e h t in e k l a t a n t e m Widerspruch zu den Auffassungen v o n M a r x u n d Engels, wonach der S t a a t nicht n u r in der Ubergangsperiode e n t s c h e i d e n d e »3 Ebenda, S. 289. « Ebenda, S. 268.

" Ebenda, S. 267. « Ebenda, S. 271.

105

F u n k t i o n e n h a t , s o n d e r n a u c h in der e r s t e n P h a s e der k o m m u n i s t i s c h e n F o r m a tion, im Sozialismus. 1 7 I n d e m S c h u m p e t e r u n g e r e c h t f e r t i g t e r w e i s e all d a s auf d e n Sozialismus ü b e r t r u g , was die Klassiker des M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s auf die h ö h e r e P h a s e des K o m m u n i s m u s bezogen h a t t e n , wollte er nachweisen, d a ß die s t a a t l i c h e F o r m des V o l k s e i g e n t u m s a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n m i t ihrer L e h r e u n v e r e i n b a r sei. Die H e r r s c h a f t des s t a a t l i c h e n E i g e n t u m s (Volkseigentums) a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n in d e r U d S S R w a r f ü r ihn d e r Beweis d a f ü r , d a ß G. S c h m o l l e r , j e n e r V e r t r e t e r d e r j ü n g e r e n H i s t o r i s c h e n Schule in der b ü r g e r l i c h e n politischen Ökon o m i e , m i t seiner A n k ü n d i g u n g , es werde zu einer f o r t s c h r e i t e n d e n B ü r o k r a t i sierung u n d z u m „ S t a a t s s o z i a l i s m u s " k o m m e n , eher r e c h t g e h a b t h a b e als M a r x m i t seiner P r o g n o s e ü b e r die D i k t a t u r des P r o l e t a r i a t s u n d d e n Ü b e r g a n g zur klassenlosen G e s e l l s c h a f t 1 8 . S c h u m p e t e r s Sozialismusmodell u n t e r s t e l l t e die V e r s t a a t l i c h u n g , g e n a u e r gesagt die s t a a t l i c h e Kontrolle, im Bereich der G r o ß i n d u s t r i e , des V e r k e h r s wesens, d e r B a n k e n u n d des Versicherungswesens. Die L a n d w i r t s c h a f t sollte n i c h t v e r s t a a t l i c h t w e r d e n . H i e r z u h e i ß t es bei S c h u m p e t e r : „ U n s e r Sozialismus w ä r e i m m e r n o c h Sozialismus, w e n n die sozialistische L e i t u n g sich auf eine A r t v o n A g r a r p l a n u n g b e s c h r ä n k t e , die n u r g r a d u e l l sich v o n der P r a x i s u n t e r s c h i e d e , die bereits in E n t w i c k l u n g i s t . " 1 9 I n einem s p ä t e r e n A u f s a t z , seiner l e t z t e n S c h r i f t , h a t S c h u m p e t e r sogar einen b e d e u t e n d e n Teil v o n H a n d e l u n d I n d u s t r i e v o n d e r Sozialisierung ausgeschlossen; die s t a a t l i c h e K o n t r o l l e sollte n u r n o c h auf G r o ß b e t r i e b e b e s c h r ä n k t sein 2 0 . So e n t s p r i c h t die V e r s t a a t l i c h u n g in S c h u m p e t e r s K o n z e p t i o n bereits d e r P r a x i s des s t a a t s m o n o p o l i s t i s c h e n K a p i t a l i s m u s , in d e m einige W i r t s c h a f t s z w e i g e s t a a t l i c h k o n t r o l l i e r t u n d sogar n a t i o n a l i s i e r t werden u n d in d e m eine gewisse s t a a t l i c h e R e g u l i e r u n g der P r i v a t p r o d u k t i o n erfolgt. Die V e r s t a a t l i c h u n g k ö n n e sich im K a p i t a l i s m u s allmählich vollziehen, b e h a u p t e t e S c h u m p e t e r . So schrieb er, d a ß „eine allmähliche Sozialisierung innerhalb des kapitalistischen Rahmens n i c h t n u r möglich, s o n d e r n a u c h d a s v o r a u s s i c h t l i c h N a h e l i e g e n d s t e " 2 1 sei. S c h u m p e t e r s „ G r u n d p l a n " v o m Sozialismus g e h ö r t zu d e n e r s t e n V a r i a n t e n d e r h e u t i g e n „ t e c h n o k r a t i s c h e n " Sozialismusmodelle. A u c h sie setzen w i r t s c h a f t liche M a c h t u n d Kontrolle m i t der u n m i t t e l b a r e n L e i t u n g des P r o d u k t i o n s p r o zesses gleich, t r e n n e n sie v o n d e r A n e i g n u n g d e r P r o d u k t i o n s m i t t e l d u r c h d a s 17

Vgl. Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, in: MEW, Staat und Revolution, in: Werke, ßd. 25, S. 482. 18 Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und S. 99. « Ebenda, S. 324. 20 Joseph A. Schumpeter, The March into Socialism, in: Review, Bd. 40, 2/1950. 21 Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und S. 362..

106

Bd. 19, S. 20; W. I. Lenin, Demokratie, Bern 1946,

The American Ecocomic Demokratie, Bern 1946,

Volk und stellen den Sozialismus als Gesellschaft dar, in der die wirtschaftliche Macht und Kontrolle von Managern und Technokraten realisiert werde. In das Bewußtsein der Massen h a t sich der Sozialismus als einzig möglicher Ausweg aus den sozialen Katastrophen der Ausbeutergesellschaft eingeprägt. Die bürgerlichen Ideologen sehen sich gezwungen, den Erfolgen des real existierenden Sozialismus Rechnung zu tragen. Und so bemühen sie sich nach wie vor, Organisationsformen des Kapitalismus zu finden, die sich im Gewand des „Sozialismus" präsentieren lassen. Ebenso wie viele heutige bürgerlich-reformistische Sozialismusmodelle gab auch Schumpeters Konstruktion einen reformierten, zurechtgestutzten Kapitalismus als Sozialismus aus. Staatsmonopolistische F o r m e n werden als Ausdruck qualitativ neuer Verhältnisse interpretiert, die die Widersprüche und Gebrechen des Kapitalismus beseitigen sollen. Die Verschmelzung der großen Monopole mit dem S t a a t wird als Aufhebung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln hingestellt. Schumpeter, der wie viele andere bürgerliche Ökonomen auf dem Boden der Produktionsfaktorentheorie stand, hielt den elementar wirkenden Markt für die einzig mögliche Form der Verbindung von Produktion und Verteilung. E r räumte ein, daß es im Sozialismus keinen Arbeitskräftemarkt mehr geben werde und trennte davon ausgehend die Verteilung von der Produktion, um sie als unabhängige Sphäre zu behandeln. Seinen Worten nach hängen die Verteilungsformen vom politischen Aufbau der Gesellschaft ab. Allerdings seien sie vom wirtschaftlichen Standpunkt aus „vollständig willkürlich". In Schumpeters Modell werden die verschiedensten Grundsätze für die Verteilung des Konsumtionsfonds empfohlen. So schlägt er vor, an die Bevölkerung eine Art Anteilscheine auszugeben, die den jeweiligen Inhaber berechtigen, eine bestimmte Menge Konsumgüter zu erwerben. Die Kaufkraft jedes Anteilscheins sollte dabei vom Verhältnis zwischen der vorhandenen Warenmenge und dem Gesamtbedarf an Waren bestimmt werden. Auf diese Weise sollten alle Mitglieder der Gesellschaft gleichgroße Anteile am Verbrauch des jeweiligen Produkts erhalten. Das aber heißt nichts anderes, als Verteilung in Naturalform nach gleichmacherischen Prinzipien. Wir erkennen, daß Schumpeter von einer konstruierten Gesellschaft ausgeht, die die Züge eines Gleichheitskommunismus trägt. Wie seine Vorgänger, abstrahiert er von den Realitäten einer sozialistischen Gesellschaft, in der das Prinzip der Verteilung nach der Arbeitsleistung gilt und in der es keines Arbeitszertifikats anstelle des Geldes bedarf, um diesem Verteilungsprinzip gerecht zu werden.

Die Imitation des

Marktmechanismus

I m Gegensatz zu Mises, der die „logische Undurchführbarkeit des Sozialismus" propagierte, ging Schumpeter davon aus, daß eine effektive Nutzung der Ressourcen im Sozialismus theoretisch möglich wäre. Ganz im Geiste der Lausanner 8

Ok. soz. Theorien

107

Schult? sah er die Hauptaufgabe, den Gegenstand der Ökonomisehen Theorie des Sozialismus darin, ein System von Gleichungen zu finden und zu lösen, mit dem das wirtschaftliche Gleichgewicht hergestellt werden könne. Schumpeter formulierte das Problem im Sprachstil der „exakten Ökonomen" wie folgt: „Ergeben diese Daten und Regeln (des nationalen Verhaltens — d. Verf.), unter den Bedingungen einer sozialistischen Wirt schaft, Gleichungen, die voneinander unabhängig, unter sich vereinbar — das heißt frei von Widersprüchen — und genügend zahlreich sind, um die Unbekannten des Problems vor dem Zentralamt oder Produklionsministerium eindeutig zu bestimmen?" 2 2 Schumpeter bejaht diese Frage, da auch der Sozialismus eine „allgemeine Logik der wirtschaftlichen Wahlhandlungen" habe, die optimale Lösungen liefere. Unter „allgemeiner Logik der wirtschaftlichen Wahlhandlungen" ist hierbei ein konstruiertes Gleichungssystem zu verstehen, in der einem Vorrat an knappen Ressourcen ein unveränderliches System von Bedürfnissen gegenübergestellt wird. Zu einem Hauptelement dieses Systems wurde das Gesetz der Kongruenz der Preise und der Grenzkosten erklärt, demzufolge sich der Preis im Sozialismus an den Grenzkosten orientieren sollte. Wie alle Verfechter der Grenznutzentheorie betrachtete Schumpeter den Preis als Ausdruck des Grenznutzens, das heißt, er legte dem Preis die subjektive Wertung durch den Verbraucher zugrunde. In seinem Sozialismusmodell wurden die Ware-Geld-Formen nicht als Ausdruck der ökonomischen Verhältnisse der sozialistischen Produktion und Zirkulation dargestellt, in denen das Produkt der Arbeit notwendig Warenform annimmt, sondern als unhistorische „Mittel der rationalen Wahl". Diese Darstellung des Preises, der Produktionskosten und des Geldes ignorierte die grundsätzlichen Veränderungen, die sich im Sozialismus in Inhalt und Form der WareGeld-Beziehungen vollziehen. Den Regulator, der das wirtschaftliche Optimum herstellen sollte, sah Schumpeter, ebenso wie die Theoretiker des „Markt- oder Konkurrenzsozialismus", im Mechanismus der Marktpreise. Bei Konsumgütern sollte dieser Mechanismus spontan, automatisch wirken, das heißt, die Konsumgüterpreise sollten je nach den Schwankungen von Angebot und Nachfrage, nach der Dynamik der Vorräte veränderlich sein. 2 3 Nicht nur die Produktionsfaktoren, sondern auch die Produktionsmittel sollten nach Schumpeters Ansicht im Sozialismus keine Ware mehr sein und folglich auch keinen Preis mehr haben. Da es in diesem Bereich keinen wirklichen Markt geben werde, müsse dieser vom Zentralamt imitiert werden. Das Zentralamt, d a s die Produktionsmittel auf die zweiglichen Leitungsorgane verteile, habe sich dabei an bestimmte Regeln zu halten, die den spontan wirkenden Marktmechanismus imitieren könnten. Und Schumpeter resümiert: „Die Aufgabe einer jeden Industriekommission ist somit eindeutig bestimmt. Gerade so wie heule jede Unternehmung eines Industriezweiges mit vollkommener Konkurrenz weiß, was 22 Ebenda, S. 275.

108

23 Ebenda, S. 279.

und wieviel und wie sie zu produzieren hat, sobald die leelinisehcn Möglichkeiten, die Reaktionen der K o n s u m e n t e n (ihr Geschmack u n d ihr E i n k o m m e n ) und die Preise der Produktionsmittel gegeben sind, so würden auch die Industrieverwaltungen in unserem sozialistischen Gemeinwesen wissen, was sie zu produzieren und welche Mengen a n Produktionsmitteln sie v o m Zentralamt zu ,kaufen' haben, sobald dessen ,Preise' veröffentlicht sind u n d sobald die K o n s u m e n t e n ihre , N a c h f r a g e ' bekanntgegeben h a b e n . " 2 4 So braucht nach S c h u m p e t e r s Ansicht d a s Z e n t r a l a m t nur die S c h ä t z w e r t e (bei S e h u m p e t e r : „ P r e i s e " — d. Verf.) auf der Grundlage der Grenzkosten festzulegen, u m den R e g e l u n g s a u t o m a t i s m u s , der optimale Produktionsgrößen bei allen Produkten gewährleiste, zum Wirken zu bringen. Die Zweigverwaltungen würden die E r z e u g u n g der Güter, deren Schätzwert über den Grenzkosten liege, steigern, und die Produktion in den Betrieben einschränken, wo die Grenzkosten nicht gedeckt werden. E s liegt auf der H a n d , daß diese Art der Ressourcenverteilung den spontanen Marktmechanismus imitiert. E r schließt die indirekte Regulierung über den Preis ein, schließt aber andererseits die direkte planmäßige Herstellung der Proportionen nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen, wie sie für die sozialistische P l a n w i r t s c h a f t typisch ist, aus. F ü r die Verteilung der Investitionen und die Arbeitskräftelenkung schlug Sehumpeter verschiedene Varianten vor. Die Investitionen sollten nach ihrem Grenzeffekt auf die Betriebe u n d Zweige verteilt werden, d a s heißt nach der sogenannten Grenzleistung des K a p i t a l s . D a s bedeutet, d a ß mögliche Verbesserungen oder Interventionen unter der Bedingung d u r c h g e f ü h r t werden m ü s s e n , daß die noch a m wenigsten reizvolle Investition einen Gewinn abwerfe u n d daß dieser Gewinn den Prämien entspreche, die geboten werden müssen, u m Uberzeitarbeit oder S p a r e n hervorzurufen. Andererseits aber bewirke die Nivellierung der E i n k o m m e n , daß die A k k u m u l a t i o n s r a t e sinke. U m also eine höhere oder nur eine ebenso hohe A k k u m u l a t i o n s r a t e wie im K a p i t a l i s m u s zu erreichen, müssen sie in ähnlicher Weise festgelegt werden wie R ü s t u n g s a u f g a b e n , d a s heißt mittels Entscheidungen der zentralen Verwaltungsbehörde. F ü r die Arbeitskräftelenkung sah Sehumpeter zwei Möglichkeiten: autoritär, also durch Entscheidung der Zentralbehörden über die D a u e r der Arbeitspflicht u n d die Einschränkung der Wahl der B e s c h ä f t i g u n g oder die liberale H a n d h a b u n g der Arbeitskräftelenkung. I m letztgenannten Fall sollte die rationelle Aufteilung der Arbeitskräfte über ein spezielles Antriebssystem, mittels Prämien, erfolgen. Sehumpeter wollte mit seinem Sozialismusmodell also die spontane Verteilung der Investitionen und der A r b e i t s k r ä f t e (so wie sich diese F o r m e n in den Konstruktionen der Grenznutzentheorie vorfinden) mit ihrer zentralen Verteilung in E i n k l a n g bringen. D a m i t n a h m er bereits die Konzeption v o n der „sozialistischen Mischwirtschaft" voraus. E b e n s o wie diese verewigte auch S c h u m p e t e r s Modell 24 Ebenda, S. 282. 8*

109

die Formen der Proportionsregelung, die für den staatsmonopolistischen Kapitalismus kennzeichnend sind. Doch können Gewinn und Rentabilität im Sozialismus nie das entscheidende Kriterium für die Verteilung der Investitionen auf die Zweige und Betriebe sein. Die Lebensfremdheit und Primitivität von Schumpeters Sozialismusauffassung zeigt sich auch darin, daß er den Sozialismus als stationäre Gesellschaft betrachtet. In eklatantem Widerspruch zur Wirklichkeit stellte er den stationären, also unveränderlichen Zustand der Wirtschaft, bei dem sich alles wiederholt und nichts ändert, als typisch für die sozialistische Gesellschaft hin. Das Kriterium, zu dem Schumpeter aus seinem Effektivitätsvergleich zwischen Sozialismus und Kapitalismus gelangt, sieht er in dem über einen längeren Zeitraum betrachteten und in unveränderlichen Preisen ausgedrückten Volumen an Konsumgütern, das in ein und derselben Zeiteinheit erzeugt wurde. 25 Natürlich ist das Erzeugnisvolumen tatsächlich ein wichtiges Kriterium für die Effektivität eines Wirtschaftssystems. Doch kann es nicht das alleinige Effektivitätsmaß sein. Zu dem erreichten Stand und den Wachstumsraten der Produktion gehören außerdem noch die Daten über die Verteilung des Nationaleinkommens, über den Lebensstandard der Produzenten, über die Struktur und Qualität der erzeugten Waren, über die Art und Weise, in der der erzeugte Reichtum verwendet wird, und über die weiteren Perspektiven der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Wenn Schumpeter einräumt, daß der Sozialismus in der wirtschaftlichen Effektivität dem Kapitalismus schon deshalb überlegen ist, weil nichtarbeitende Elemente in ihm keinen Platz haben, so ist er in dieser Frage realistischer als andere bürgerliche Ideologen. Die Planung des Fortschritts, die systematische Koordinierung und Verteilung in Perioden neuer Wagnisse wäre recht wirksam und würde die Ursache der zyklischen Wellenbewegungen beseitigen, meint Schumpeter. Eine unbedingte Voraussetzung für das effektive Wirken des Sozialismus sah Schumpeter darin, daß dieser auf die Erfahrungen der Bourgeoisie zurückgreifen müsse. Ohne den „dynamischen Unternehmer", den er, ebenso wie Pareto und Sombart, als Repräsentanten der schöpferischen Elite der Gegenwart betrachtete, war für Schumpeter der sozialistische Betrieb undenkbar. „An sich verlangt eine erfolgreiche Lösung des Problems vor allen Dingen, daß dem Bürgerstamm gestattet wird, die Arbeit zu tun, für die er durch Fähigkeit und Tradition qualifiziert ist, und daß folglich für leitende Stellungen eine Selektionsmethode eingeführt wird, die auf Tauglichkeit basiert und nicht gegen den Exbourgeois differentiiert." 2 6 Mit der banalen Behauptung, daß die Bourgeoisie die Triebkraft der sozialistischen Gesellschaft sei, entstellte Schumpeter den Sozialismus. Es liegt auf der Hand, daß dies mit der Heranziehung von Fachkräften, die vor der Revolu25 Ebenda, S. 301.

110

™ Ebenda, S. 328.

tion mit der Bourgeoisie verbunden waren, zum Aufbau des Sozialismus, mit dem Zurückgreifen auf ihre reichen technischen und organisatorischen Kenntnisse, nichts gemein hat. Wenn Schumpeter in seinem Modell vom Sozialismus der Bourgeoisie die führende Rolle zugestand und den Werktätigen die gleiche Stellung einräumte wie im Kapitalismus, war das nichts anderes als ein Appell an den arbeitenden Menschen, sich mit seinem Schicksal abzufinden. Schumpeters Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" hat in der Debatte über die „Wirtschaftsrechnung im Sozialismus", besonders als Entgegnung auf die Thesen, die L. Mises, F. Hayek und andere Vertreter der liberalen Richtung vertraten, eine bestimmte Rolle gespielt. Und es ergänzte die bürgerliche Theorie von der sozialistischen Wirtschaft. Das Kokettieren mit dem Marxismus, das Eingeständnis, daß der Kapitalismus dem Untergang geweiht ist, und die Feststellung, daß dem Sozialismus die Zukunft gehört, haben Schumpeter aus der Masse der bürgerlichen Ideologen heraustreten lassen und seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" nachhaltigen Einfluß auf die rechtssozialistische Theorie und Propaganda eingebracht. Das Sozialismusmodell, das Schumpeter in diesem Buch darlegt, reiht sich in die zahlreichen Varianten des bürgerlichen „Sozialismus" ein und ist mit all ihren Mängeln behaftet.

5. K A P I T E L

Walter Euckens Modell der „zentralgeleiteten Wirtschaft"

Die Konstruktion von „Idealtypen der

Wirtschaftsorganisation"

Der Neoliberalismus, eine R i c h t u n g der bürgerlichen politischen Ökonomie, ist in den dreißiger J a h r e n unseres J a h r h u n d e r t s e n t s t a n d e n . Seine weiteste Verbreitung f a n d er in Deutschland, doch gibt es Anhänger in allen kapitalistischen Ländern. Zu den Begründern dieser R i c h t u n g zählt der deutsche bürgerliche Ökonom W a l t e r E u c k e n . E r gründete einen Arbeitskreis, dem u. a. die deutschen bürgerlichen

Ökonomen

Franz

Böhm,

A. Müller-Armack,

L . Miksch, A.

Rüstow,

F . A. L u l z und K . F . Maier angehörten. Aus diesem Kreis ist später die F r e i burger Schule der bürgerlichen politischen Ökonomie hervorgegangen. D e r deutsche Neoliberalismus ist auch unter dem N a m e n

Ordoliberalismus

bekannt

geworden (nach seinem J a h r b u c h „ O r d o " ) . W e s t d e u t s c h e T h e o r e t i k e r der Gegenwart zählen E u c k e n s W e r k „Die Grundlagen der N a t i o n a l ö k o n o m i e " , das im J a h r e 1 9 4 0 erschien, zu den b e d e u t e n d s t e n P u b l i k a t i o n e n der ersten H ä l f t e unseres J a h r h u n d e r t s auf dem G e b i e t der Methodologie der ökonomischen Analyse. E u c k e n s Ideen sind in der W i r t s c h a f t s l i t e r a t u r der B R D noch heute weit v e r b r e i t e t . I n den L e h r b ü c h e r n zur „Nationalö k o n o m i e " für die Hochschulen und U n i v e r s i t ä t e n der B R D wird der A b s c h n i t t über den Sozialismus a u c h heute noch n a c h E u c k e n s I n t e r p r e t a t i o n d a r g e b o t e n . Die F r e i b u r g e r Schule war aus der K r i t i k an den Theorien der Historischen Schule e n t s t a n d e n , die ausgangs des 19. und zu B e g i n n des 20. J a h r h u n d e r t s die bürgerliche politische Ökonomie prägte. I n einer K r i t i k an der

Historischen

Schule schrieb E u c k e n , daß sie zwar eine Menge von E r f a h r u n g e n g e s a m m e l t habe, ihr aber der G e d a n k e , d a ß alle wirtschaftlichen Erscheinungen zusammenhängen, verloren gegangen sei. Der Historischen S c h u l e h a b e es an d e m notwendigen theoretischen I n s t r u m e n t a r i u m gefehlt. 1 Die Aufgabe der ökonomischen Theorie sah E u c k e n nicht im S a m m e l n und B e s c h r e i b e n von

Informationen,

sondern darin, ..historische und statistische E r f a h r u n g m i t theoretischem Denken zum Zusammenwirken zu bringen" 2 . Die F r a g e nach dem Verhältnis zwischen empirischem und

theoretischem

1 Vgl. Waller Eucken, Unser Zeitalter der Mißerfolge, Tübingen 1951, S. 60, 64. 2 Ebenda, S. 61.

112

Wissen h a t t e zu Beginn des 20. J a h r h u n d e r l s schon M a x W e b e r gestellt. E r h a t t e einige neue P r o b l e m e in die Diskussion g e b r a c h t u n d u n t e r s u c h t (zum Beispiel die P r o b l e m e der sozialen S t r u k t u r d e r Gesellschaft u n d ihrer E n t w i c k l u n g s t e n d e n z e n ) , auf die die bürgerliche W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t zur J a h r h u n d e r t w e n d e g e s t o ß e n war. M a x W e b e r m e i n t e , d a ß sich d a s w i r t s c h a f t l i c h e u n d soziale V e r h a l t e n d e r Menschen m i t t e l s apriorischer t h e o r e t i s c h e r K o n s t r u k t i o n e n , s o g e n a n n t e r Idealt y p e n , beschreiben lasse. „ I n h a l t l i c h t r ä g t diese K o n s t r u k t i o n d e n C h a r a k t e r einer U t o p i e a n sich, die d u r c h g e d a n k l i c h e S t e i g e r u n g b e s t i m m t e r E l e m e n t e d e r Wirklichkeit gewonnen ist."3 E u c k e n e n t w i c k e l t e die v o n W e b e r a u f g e s t e l l t e n m e t h o d o l o g i s c h e n P r i n z i p i e n weiter u n d k a m zu d e m Begriff d e r „ i d e a l t y p i s c h e n W i r t s c h a f t " . So s c h r i e b e r : „ I d e a l e T y p e n o d e r I d e a l t y p e n sind — wie der N a m e s a g t — n i c h t A b b i l d e r d e r realen W i r k l i c h k e i t . Sie sind g e d a n k l i c h e Modelle . . . I n allem u n t e r s c h e i d e n sie sich g r u n d s ä t z l i c h v o n d e n R e a l l y p e n . " 4 E u c k e n s w i r t s c h a f t l i c h e „ I d e a l t y p e n " sind a b s t r a k t e K o n s t r u k t i o n e n , die er m i t t e l s „isolierter A b s t r a k t i o n " 5 , d a s h e i ß t d u r c h V e r a b s o l u t i e r u n g v o n Einzele r s c h e i n u n g e n u n d -Vorgängen, die a u s d e m S y s t e m der ö k o n o m i s c h e n V e r h ä l t nisse herausgelöst w u r d e n , g e w o n n e n h a t t e . E u c k e n wies a u s d r ü c k l i c h auf ihren U n t e r s c h i e d zu d e n „ R e a l t y p e n " , einer H a u p t k a t e g o r i e in d e n K o n z e p t i o n e n d e r H i s t o r i s c h e n Schule, hin. Die Historische Schule ist in i h r e m A g n o s t i z i s m u s in bezug auf die Möglichkeit, die ö k o n o m i s c h e W i r k l i c h k e i t t h e o r e t i s c h zu verallg e m e i n e r n , h ä u f i g sehr weit g e g a n g e n u n d h a t t e u n t e r „ R e a l t y p e n " die u n t e r schiedlichsten E r s c h e i n u n g e n dieser W i r k l i c h k e i t ( „ K a p i t a l i s m u s " , „ S t a d t w i r t schaft", „Hauswirtschaft") verstanden.6 Der Begriff „ i d e a l t y p i s c h e W i r t s c h a f t " sollte in E u c k e n s K o n z e p t i o n d a s H a u p t i n s t r u m e n t der t h e o r e t i s c h e n V e r a l l g e m e i n e r u n g sein. Mit seinen Idealt y p e n „ v e r b a n n t e " er die o b j e k t i v e n ö k o n o m i s c h e n Verhältnisse u n d die sie ausd r ü c k e n d e n Gesetze a u s d e m G e g e n s t a n d der W i r t s c h a f t s t h e o r i e . E r b e h a u p t e t e , d a ß n u r die „ I d e a l t y p e n " G e g e n s t a n d d e r theoretischen A n a l y s e sein k ö n n t e n . 7 Das A u s e i n a n d e r r e i ß e n v o n L o g i s c h e m u n d H i s t o r i s c h e m , d a s f ü r d e n Neoliber a l i s m u s t y p i s c h ist, weist einerseits auf einen s t a r k e n E i n f l u ß des K a n t i a n i s m u s hin, der sieh in dieser R i c h t u n g v e r s u c h t h a t t e , a n d e r e r s e i t s zeigt er, wie i n k o n s e q u e n t u n d w i d e r s p r ü c h l i c h die Lehre v o n d e n „ I d e a l t y p e n " ist. So b e z e i c h n e t e 3 4

3

6

7

Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1922, S. 190. Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, Jena 1940, S. 51. Da Eucken dieses Buch mehrmals überarbeitet hat, wird hier aus verschiedenen Auflagen zitiert. Näheres dazu vgl. S. A. Chavina, Kritika burzuaznych vzgljadov 11a zakonomernosti soeialisticeskogo chozjajstvovanija, Moskva 1968, S. 15—16. V gl. Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, lierliu-Gölüngenlleidelberg 1950, S. 234. Vgl. Waller Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, Jena 1940, S. 144—145.

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Eucken die „Idealtypen" zwar als gedankliche Konstruktionen, behauptete aber zugleich, sie seien aus der konkreten Wirklichkeit gewonnen. 8 Kennzeichnend für die Lehre von der „idealtypischen Wirtschaftsform" ist ihr Pluralismus, der Verzicht auf eine monistische Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung. Einerseits legte Eucken den „idealtypischen Wirtschaftsformen" den Wirtschaftsprozeß zugrunde, während er andererseits behauptete, sie lägen auf der gleichen Ebene wie die sozialen, rechtlichen und religiösen Institutionen. Für Euckens Methodologie ist der Individualismus und die daraus folgende mikroökonomische Betrachtungsweise bei der Analyse des Wirtschaftsprozesses charakteristisch. Obgleich Eucken bemüht war, die wirtschaftlichen Zusammenhänge in ihrer Gesamtheit zu betrachten, figurierte als Ausgangspunkt der Analyse in seinem Modell die Einzelwirtschaft: „Es gibt nur einen Weg. der Erfolg verspricht. Durch eindringende Untersuchung der konkreten Betriebe, Haushalte oder Planstellen." 9 Mit seiner mikroökonomischen Betrachtungsweise identifizierte Eucken die Planung mit jeder Tätigkeit einzelner wirtschaftender Subjekte. Für ihn waren alle zweckgerichteten Aktivitäten von Betrieben und Hauswirtschaften in der „freien Marktwirtschaft" planmäßige Handlungen. Die für die bürgerliche politische Ökonomie traditionelle Robinsonade verschloß Eucken den Zugang zur Analyse der makroökonomischen Prozesse. In der Lehre von den „Idealtypen" zeigte sich deutlich das Primat der statischen gegenüber der dynamischen Betrachtungsweise, die für die Methodologie des Neoliberalismus typisch ist. Eucken wies nachdrücklich auf den statischen, konservativen Charakter der „idealtypischen Wirtschaftsformen" hin. Er meinte, daß ohne unveränderte Idealtypen der Wirtschaftsform, also ohne statische Analyse, die wirtschaftliche Entwicklung nicht erfaßbar sei.10 In Euckens Konzeption waren die „idealtypischen Wirtschaftsformen" das erste und grundlegende Glied der Analyse. Zur nächstfolgenden Stufe erklärte er die Analyse der „Wirtschaftsordnung", in der er die Kombination der unveränderten „idealtypischen Wirtschaftsformen" auf den verschiedenen Entwicklungsstufen der Wirtschaft, das heißt in der Dynamik, sah. „Jede Umgestaltung der Wirtschaftsordnung bewirkt eine Umlenkung des Wirtschaftsprozesses. Aber nicht umgekehrt. Nicht jede Verschiebung des Wirtschaftsprozesses braucht die Wirtschaftsordnung umzuformen", sehreibt Eukken." Die Trennung von Statik und Dynamik, die für Euckens Methodologie charak8

Vgl. Werner Krause, Wirtschaftstheorie unter dem Hakenkreuz, Berlin 1969, S. 196; Autorenkollektiv, Bürgerliche Ökonomie im modernen Kapitalismus, Berlin 1967, S. 5 8 - 6 4 . 9 Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern-Tübingen 1952, S. 60. 10 Vgl. ebenda, Godesberg 1947, S. 293. » Ebenda, S. 280

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teristisch ist u n d f ü r die sein Begriff der statischen „ W i r t s c h a f t s f o r m ' ' ein Beispiel ist, m a c h t e es i h m u n m ö g l i c h , die Vielfalt der ö k o n o m i s c h e n W i r k l i c h k e i t zu e r k e n n e n . L e t z t l i c h bewirke sie a u c h , d a ß die „ W i r t s c h a f t s o r d n u n g " , die E u c k e n als d y n a m i s c h e K a t e g o r i e a u s g a b , eine u n w i s s e n s c h a f t l i c h e K o n s t r u k t i o n blieb. Die Entstellung

des Wesens

der sozialistischen

Wirtschaftsleitung

E u c k e n u n t e r s c h i e d zwei „ I d e a l t y p e n " , n ä m l i c h die „ z e n t r a l g e l e i t e t e W i r t s c h a f t " u n d die „ V e r k e h r s w i r t s c h a f t " . Als G r u n d l a g e f ü r die E i n t e i l u n g d e r „ I d e a l t y p e n " d i e n t e E u c k e n die „ A r t d e r L e i t u n g des W i r t s c h a f t s p r o z e s s e s " 1 2 , u n t e r der er die F o r m v e r s t a n d , in der die A k t i v i t ä t e n d e r einzelnen W i r t s c h a f t s einheiten k o o r d i n i e r t w e r d e n . In einer V e r k e h r s w i r t s c h a f t seien die W i r t s c h a f t s s u b j e k t e ü b e r d e n M a r k t m i t e i n a n d e r v e r b u n d e n . I n einer z e n t r a l g e l e i t e t e n W i r t s c h a f t erfolge diese K o o r d i n i e r u n g n u r v o n einem Z e n t r u m a u s : die h o r i z o n t a l e K o o r d i n i e r u n g d e r H a n d l ü n g e n der einzelnen W i r t s c h a f t s e i n h e i t e n t r e t e h i n t e r der U n t e r o r d n u n g u n t e r ein einheitliches L e n k u n g s o r g a n z u r ü c k . Die A r t j e d e r W i r t s c h a f t s o r d n u n g , so b e h a u p t e t e E u c k e n , h ä n g e v o m v o r h e r r s c h e n d e n „ I d e a l t y p " a b . Überwiege die „ z e n t r a l g e l e n k t e W i r t s c h a f t " , d a n n h a b e m a n eine „ Z e n t r a l v e r w a l t u n g s w i r t s c h a f t " v o r sich. Auf diese Weise p a ß t e er die w i r t s c h a f t l i c h e E n t w i c k l u n g seinen a b s t r a k t e n „ I d e a l t y p e n " a n . E u c k e n v e r l a n g t e , v o n so „ u n g e n a u e n " Globalbegriffen wie „ K a p i t a l i s m u s " u n d . „ S o z i a l i s m u s " a b z u g e h e n u n d die m a r x i s t i s c h e „sozialökonomische F o r m a t i o n " d u r c h d e n Begriff „ W i r t s c h a f t s o r d n u n g " zu e r s e t z e n . D a E u c k e n u n t e r „ W i r t s c h a f t s o r d n u n g " das V o r h e r r s c h e n einer d e r b e i d e n „ i d e a l t y p i s c h e n W i r t s c h a f t s f o r m e n " v e r s t a n d , k o n n t e er völlig u n t e r s c h i e d l i c h e sozialökonomische S t r u k t u r e n m i t e i n a n d e r i d e n t i f i z i e r e n : die e i n f a c h e W a r e n p r o d u k t i o n m i t d e m K a p i t a l i s m u s der freien K o n k u r r e n z ; die S k l a v e n h a l t e r o r d n u n g u n d den k r i e g s w i r t s c h a f t l i c h e n s t a a t s m o n o p o l i s t i s c h e n K a p i t a l i s m u s m i t d e m Sozialismus. Auf diese Weise v e r s c h w a n d e n die g r u n d l e g e n d e n U n t e r s c h i e d e zwischen e i n e r auf a n t a g o n i s t i s c h e n K l a s s e n v e r h ä l t n i s s e n b e r u h e n d e n Gesellschaft u n d e i n e r Gesellschaft o h n e A u s b e u t u n g . E i n e d e r a r t i g e B e t r a c h t u n g s w e i s e m a c h t e j e d e wissenschaftliche P e r i o d i s i e r u n g d e r Geschichte u n m ö g l i c h . Sein v u l g ä r e r E v o l u t i o n i s m u s f ü h r t e E u c k e n zu einer B e t r a c h t u n g der ö k o n o m i s c h e n E n t w i c k l u n g als einer e i n f a c h e n W i e d e r h o l u n g e r s t a r r t e r F o r m e n , die sich n u r in q u a n t i t a t i v e n Verhältnissen voneinander unterschieden. Doch sind die „ ö k o n o m i s c h e n F o r m e n , u n t e r d e n e n die M e n s c h e n p r o d u z i e r e n , k o n s u m i e r e n , a u s t a u s c h e n , . . . vorübergehende und historische. Mit d e r E r w e r b u n g n e u e r P r o d u k t i v k r ä f t e ä n d e r n die Menschen ihre P r o d u k t i o n s w e i s e , u n d m i t d e r 12

Walter Eucken, Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Zweiter Band, Godesberg 1947, S. 9.

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P r o d u k t i o n s w e i s e ändern sie alle ökonomischen Verhältnisse, die bloß die f ü r diese b e s t i m m t e Produktionsweise notwendigen Beziehungen w a r e n " . 1 3 D a ß E u c k e n s Modelle wirklichkeitsfremd sind, stellen a u c h bürgerliche Wissenschaftler fest. S o schreibt Georg W e i p p e r t von der „ N o t w e n d i g k e i t eines anderen T h e o r i e - T y p u s , der nicht nur, wie in den S p e k u l a t i o n e n W. Euckens, auf der S e i t e der R a t i o u n d L o g i k steht, sondern in der geschichtlichen u n d sozialen Wirklichkeit sein entscheidendes K r i t e r i u m a n e r k e n n t " . 1 4 D a s Modell von der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " , d a s als theoretisches Instrum e n t zur A n a l y s e der ökonomischen E n t w i c k l u n g b e s t i m m t sein sollte, g e h ö r t s o m i t zu jenen leeren A b s t r a k t i o n e n , die d a s Wesen der realen ökonomischen Prozesse verzerren. In seiner Theorie von der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " ( „ Z e n t r a l v e r w a l t u n g s w i r t s c h a f t " ) f ü h r t e E u c k e n folgende V a r i a n t e n dieses „ W i r t s c h a f t s s y s t e m s " a n : 1. die „ t o t a l zentralgeleitete W i r t s c h a f t " , 2. die „zentralgeleitete W i r t s c h a f t m i t freiem K o n s u m g u t t a u s c h " , 3. die „zentralgeleitete W i r t s c h a f t m i t freier K o n s u m w a h l " , 4. die „zentralgeleitete W i r t s c h a f t m i t freier Wahl des B e r u f s u n d des Arbeitsp l a t z e s " 15. E i n Grenzfall der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " sei die „ t o t a l zentralgeleitete W i r t s c h a f t " , in ihr k o m m e d a s W i r t s c h a f t s s y s t e m d e r zentralgeleiteten Wirtschaft a m vollkommensten zum Ausdruck.16 Wenn die „ t o t a l zentralgeleitete W i r t s c h a f t " d a v o n gekennzeichnet sei, „ d a ß in ihr ü b e r h a u p t kein T a u s c h zugelassen ist u n d daß der E i n s a t z der p r o d u k t i v e n K r ä f t e , die Verteilung der P r o d u k t e u n d der K o n s u m auf G r u n d zentraler L e i t u n g s t a t t f i n d e t " 1 7 , d a n n unterstellte die zweite V a r i a n t e freien T a u s c h d e r K o n s u m g ü t e r . Diese V a r i a n t e verglich E u c k e n m i t einer militärischen E i n h e i t ( K o m p a n i e oder B a t t e r i e ) , in der die S o l d a t e n untereinander t a u s c h e n , „ u m die Portionen d e n jeweiligen B e d ü r f n i s s e n a n z u p a s s e n " 1 8 . Die dritte Variante, die „zentralgeleitete W i r t s c h a f t m i t freier K o n s u m w a h l " unterscheidet sich d a d u r c h , daß „ d e r Einzelne im R a h m e n seines E i n k o m m e n s k a u f t , was er w ü n s c h t " 1 9 . Dieses Modell bezeichnete E u c k e n als „ b e s c h r ä n k t freie K o n s u m w a h l " gegenüber der „ u n b e s c h r ä n k t freien K o n s u m w a h l " in einer „ V e r k e h r s w i r l s c h a f t " . In der K o n s t r u k t i o n der V a r i a n t e n der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " zeigte sich die Widersprüchlichkeit der , . I d e a l t y p e n " - M e t h o d e . E u c k e n ging d a v o n a u s , Marx an Pawel Wassiljewitsch Annerikow. 28. Dezember 1846, in: MEW, Bd. 27, Berlin 1963, S. 453. i 4 Zit. aus: Egon Edgar Nawroth, Die Sozial- und Wirtschaftsphilosophie des Neoliberalismus, Heidelberg und Löwen 1962, S. 392. 13 In der fünften Auflage der „Grundlagen der Nationalökonomie" ist Eucken von der Form der „zentralgeleiteten Wirtschaft mit freier Wahl des Berufs und des Arbeitsplatzes" wieder abgegangen. 16 Vgl. Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, Jena 1940, S. 97. 19 Ebenda, S. 99. " Ebenda, S. 96. « Ebenda, S. 97-98.

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d a ß die „zentralgeleitete W i r t s c h a f t " n u r einen, u n d dabei unveränderlichen „ I d e a l t y p " darstelle, eigentlich aber analysierte er vier „ I d e a l t y p e n " der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " . Auf diesen Widerspruch in E u c k e n s Modell m a c h e n auch bürgerliche Ökonomen a u f m e r k s a m u n d werfen ihm deswegen „Inkonseq u e n z " vor, „die einer Diskriminierung des Prinzips der Bildung von I d e a l t y p e n gleichkommt" 20 . Mit seiner Arbeit „Grundlagen der Nationalökonomie", in der er die Lehre von den beiden „idealtypischen W i r t s c h a f t s f o r m e n " d a r g e b o t e n h a t , verfolgte E u c k e n d a s Ziel, „eine positive Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft zu entwikk e l n " 2 1 . Bei der E r a r b e i t u n g dieser Theorie war Eucken, wie er selbst b e k a n n t e , von der Kriegswirtschaft des faschistischen Deutschlands ausgegangen. Bürgerliche Theoretiker stellen Euckens positive Theorie der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " offen als Gegensatz zur marxistisch-leninistischen politischen Ökonomie hin. F r a n z Böhm, der zu den profiliertesten Neoliberalen in der B R D gehört, erklärte dazu, d a ß die Grundlagen f ü r die Lösung der Kardinalprobleme der sozialistischen W i r t s c h a f t u n d der zentralgeleiteten W i r t s c h a f t ü b e r h a u p t zuerst von nichtsozialistischen Theoretikern ausgearbeitet worden seien, u n d dies h u n d e r t J a h r e nach Marx. 2 2 Nach Euckens Auffassung werde die zentralgeleitete W i r t s c h a f t von einer so hohen Zentralisationsstufe der P l a n u n g gekennzeichnet, bei der ein zentrales Planungsorgan das einzige P l a n u n g s s u b j e k t sei. Die wirtschaftlichen Verbind u n g e n zwischen den Betrieben werden hierbei völlig von a d m i n i s t r a t i v e n vertikalen Verbindungn des Z e n t r u m s m i t den Betrieben abgelöst. In seinen Ausf ü h r u n g e n zur „Art der Leitung des Wirtschaftsprozesses" sah E u c k e n n i c h t den Unterschied zwischen d e m sozialökonomischen u n d d e m Ü b e r b a u - A s p e k t der Leitung. F ü r ihn war die zentrale Leitung lediglich eine „ F o r m der W i r t s c h a f t s p o l i t i k " . 2 3 In Wirklichkeit ist jedoch die Leitung u n t e r sozialökonomischem Aspekt von den Produktionsverhältnissen geprägt u n d t r ä g t o b j e k t i v e n C h a r a k t e r . Als F u n k tion des Staates, also als F o r m der politischen Verhältnisse, h a t sie Ü b e r b a u c h a r a k t e r . Beide Seiten sind spezifischer Art, weil sie von dem herrschenden S y s t e m der Produktionsverhältnisse b e s t i m m t werden. Die Neolibcralcn identifizierten die zentrale P l a n u n g als eine Administration, die angeblich von jeder zentralen S t a a t s m a c h t a u s g e ü b t werde. N a c h E u c k e n „ h a t es W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n vorwiegend zentralverwallungswirtschaftlicher 20

Norbert Kloten, Zur Typenlehre der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung v o n AVirtschaft und Gesellschaft, Siebenter Band, Godesberg 1955, S. 125.

21

K. Paul Hensel, Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft, S t u t t gart 1959, S. 222. Vgl. Franz Böhm, Die Idee Ordo i m Denken W. Euckens, i n : Ordo. Jahrbuch für die Ordnung v o n Wirtschaft u n d Gesellschaft , Dritter Band, Godesberg 1950, S. 19—20. Walter Eucken, Die Wetlbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: Ebenda, Zweiter Baad, Godesberg 1947, S. 9.

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Art schon oft in der Geschichte gegeben; so in Ägypten und besonders im InkaStaat" 2 4 . Er betrachtete die zentrale Wirtschaftsregulierung in entwickelten Industrieländern als Übertragung dieser aus der Geschichte schon bekannten Lenkungsformen auf den modernen Wirtschaftsprozeß. 2 5 Bei einer derartigen Interpretation der zentralen Planung wird die Volkswirtschaftsplanung — eine spezifisch sozialistische Form der Leitung der Volkswirtschaft — mit jeder staatlichen Lenkung schlechthin, ungeachtet der herrschenden Gesellschaftsordnung und der Klassennatur des Staates, gleichgesetzt. Diese Auslegung berücksichtigt bei den verschiedenen Formen staatlicher Leitung nicht ihren sozialökonomischen Inhalt. Ausgehend davon, daß die sozialistische Planung der Volkswirtschaft von einem Zentrum aus erfolgt, rechnete Eucken die sozialistische Wirtschaft den „Zentralverwaltungswirtschaften" 26 zu. Unter Entstellung des Wesens der sozialistischen Leitung der Volkswirtschaft wollten die Theoretiker der „ZentralverwaltungsWirtschaft" die Wirtschaft der sozialistischen Länder mit der des faschistischen Deutschlands auf eine Stufe stellen: Hierin zeigt sich auch die extrem antikommunistische Tendenz dieser Theorie, die die Neoliberalen als engagierte Gegner des Sozialismus kennzeichnet. Die für die Theorie der „zentralgeleiteten Wirtschaft" typische Gleichstellung der kapitalistischen Unternehmensplanung und der staatsmonopolistischen Regulierung mit der sozialistischen Planung der Volkswirtschaft hatte heutige technokratische Konzeptionen, wie zum Beispiel die von Galbraith formulierte Theorie von der „modernen Industriegesellschaft", in gewissem Maße bereits vorweggenommen. Aber während Galbraith von der bürgerlich-reformistischen Kritik am spontanen Wirken der „freien Marktkräfte" ausgeht, bedient sich Eucken der erwähnten Gleichsetzung, um die staatskapitalistische Regulierung aus der Sicht der neoklassischen bürgerlichen Wirtschaftstheorie zu kritisieren. Die sozialistische Planung der Volkswirtschaft unterscheidet sich grundsätzlich sowohl von der kapitalistischen Unternehmensplanung als auch von der staatskapitalistischen Regulierung, wie hoch entwickelt diese auch sei. Sie umfaßt 24 25

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Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern-Tübingen 1952, S. 59—60. Vgl. Walter Eucken, Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Zweiter Band, Godesberg, 1947, S. 9. Eucken unterscheidet zwei Formen der „zentralgeleiteten Wirtschaft", die „einfache zentralgeleitete Wirtschaft oder Eigenwirtschaft", bei der es sich um „private wirtschaftliche Macht" handele (Haushaltungen, Betriebe usw.) und die „Zentralverwaltungswirtschaft", die durch die „öffentliche", also staatliche Wirtschaftslenkung gekennzeichnet sei (vgl. Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Zweiter Band, Godesberg 1947, S. 128, 141).

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sowohl die Wirtschaftsregulierung als auch die Prognostik, ohne sich auf sie zu reduzieren. Die sozialistische P l a n u n g b e r u h t auf der b e w u ß t e n A n w e n d u n g u n d Ausn u t z u n g der ökonomischen Gesetze im Interesse der ganzen Gesellschaft. Das gesellschaftliche E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n bietet die Möglichkeit, das T e m p o u n d die Proportionen der volkswirtschaftlichen E n t w i c k l u n g n a c h den Bedürfnissen der Gesellschaft zu planen, die d a f ü r notwendigen Investitionsfonds, materiellen Ressourcen u n d Lohnfonds sowie die d e m W a c h s t u m der konsumtiven Nachfrage entsprechenden Warenfonds bereitzustellen. Die I n t e r p r e t a t i o n , die E u c k e n der Planung in der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " gab, g e s t a t t e t e erstens, die Frage nach den Vorzügen der P l a n u n g auf d e r Basis des gesellschaftlichen E i g e n t u m s an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n gegenüber •der auf dem P r i v a t e i g e n t u m b e r u h e n d e n staatskapitalistischen Regulierung zu u m g e h e n , u n d zweitens, die Mängel der kapitalistischen Regulierung auch der sozialistischen P l a n u n g anzudichten. Das Modell von der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " entstellte das Wesen, die Methodologie u n d die Prinzipien der sozialistischen P l a n u n g . Nach E u c k e n s Darstellung werden hier bei der Aufstellung der Pläne „Ziffern aus älteren P l ä n e n . . . in die Pläne, die f ü r die Z u k u n f t (gelten), nicht selten ohne nähere P r ü f u n g ü b e r t r a g e n " 27 . Die sozialistische P l a n u n g b a u t auf der wissenschaftlichen Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung, die auch die Prognose des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, des Bevölkerungswachstums u n d des A r b e i t s k r ä f t e a u f k o m m e n s u m f a ß t , auf der Prognose der D y n a m i k der sozialökonomischen S t r u k t u r u n d der E n t w i c k l u n g der einzelnen Zweige u n d Regionen auf. Keineswegs reduziert sich die sozialistische P l a n u n g auf die E x t r a p o l a t i o n bereits v o r h a n d e n e r Tendenzen. Die langfristige Prognose ist das Vorstadium der Aufstellung des Volkswirtschaftsplans. In ihr werden die möglichen Varianten der wirtschaftlichen, sozialen u n d wissenschaftlich-technischen Entwicklung ermittelt. E u c k e n leugnete die ökonomische Selbständigkeit der wirtschaftlichen G r u n d einheiten u n d entstellte somit das Wesen der zentralen sozialistischen P l a n u n g . E r b e t r a c h t e t e die zentrale Leitung n u r in der F o r m der Uberzentralisation, die jede wirtschaftliche Selbständigkeit der Betriebe u n d ihrer Vereinigungen ausschließe. In Wirklichkeit aber v e r k ö r p e r t die sozialistische P l a n u n g der Volkswirtschaft eine F o r m der zentralen Leitung, die die ökonomische Selbständigkeit der Betriebe u n d die wirtschaftliche R e c h n u n g s f ü h r u n g voraussetzt. In den v o m Plan gesetzten Grenzen u n d zur Realisierung seiner Ziele k o m m t ein o b j e k t i v e r Wirtschaftsmechanismus zur Geltung, der die Einheit der gesamtgesellschaftlichen, kollektiven u n d Einzelinteressen verwirklicht. E r g r ü n d e t sich auf der Verbind u n g der zentral festgelegten P l a n a u f g a b e n mit der ökonomischen Selbständigkeit der Betriebe u n d auf der A u s n u t z u n g der Ware-Geld-Beziehungen. 27

Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern-Tübingen 1952, S. 64.

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Die E u c k e n s Modell z u g r u n d e liegende Ü b e r z e n t r a l i s a t i o n der L e i t u n g s e t z t einen Z e n t r a l i s i e r u n g s g r a d v o r a u s , bei d e m alle P r o d u k t i o n s p r o z e s s e bis hin zu d e n kleinsten Details v o n e i n e m Z e n t r u m a u s u n d n u r v o n diesem b e s t i m m t werden. Eine derartige Überzentralisation h a t mit der ökonomischen Wirklichkeit des Sozialismus n i c h t s zu t u n . Die einzelnen E n t w i c k l u n g s e t a p p e n der sozialistischen W i r t s c h a f t sind d u r c h verschiedene F o r m e n der V e r b i n d u n g d e r z e n t r a l e n L e i t u n g m i t d e r w i r t s c h a f t lichen S e l b s t ä n d i g k e i t der B e t r i e b e g e k e n n z e i c h n e t . In der g e g e n w ä r t i g e n E t a p p e vollzieht die sowjetische W i r t s c h a f t den U b e r g a n g auf ein Z w e i e b e n e n s y s t e m (Min i s t e r i u m — Betrieb) u n d D r e i e b e n e n s y s t e m (Ministerium — I n d u s t r i e v e r e i n i g u n g — Betrieb) der L e i t u n g der I n d u s t r i e . D a m i t w e r d e n die w i r t s c h a f t s l e i t e n d e n O r g a n e d e r P r o d u k t i o n n ä h e r g e b r a c h t , k ö n n e n die R e c h t e u n d P f l i c h t e n d e r v e r s c h i e d e n e n E b e n e n der Zweigleitung g e n a u e r a b g e g r e n z t u n d die Beweglichkeit u n d E l a s t i z i t ä t des L e i t u n g s a p p a r a t s v e r b e s s e r t w e r d e n . Die L e i t u n g d e r sozialistischen W i r t s c h a f t ist ein k o m p l i z i e r t e r u n d d y n a m i s c h e r P r o z e ß . Mit d e r f ü r die bürgerliche W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t t y p i s c h e n G e g e n ü b e r s t e l l u n g von z e n t r a l e n u n d d e z e n t r a l e n L e i t u n g s f o r m e n l ä ß t sie sich n i c h t e r k l ä r e n . I n d e m E u c k e n die sozialistische P l a n u n g v o m S t a n d p u n k t d e r „zentralgeleit e t e n W i r t s c h a f t " i n t e r p r e t i e r t e , k o n s t r u i e r t er einen G e g e n s a t z zwischen d e r P l a n u n g u n d der w i r t s c h a f t l i c h e n R e c h n u n g s f ü h r u n g d e r sozialistischen B e t r i e b e . E u c k e n e r k l ä r t e , d a ß die W i r t s c h a f t s p l a n u n g hier auf globalen s t a t t i n d i v i d u ellen B e w e r t u n g e n b e r u h e , so d a ß jedes rationelle W i r t s c h a f t e n u n m ö g l i c h werde. E r t r e n n t e die V o l k s w i r t s c h a f t s p l a n u n g v o n der betrieblichen P l a n u n g u n d b e z e i c h n e t e die K l u f t zwischen der o b e r s t e n u n d der u n t e r e n P l a n u n g s e b e n e als einen t y p i s c h e n W e s e n s z u g j e d e r „ Z e n t r a l v e r w a l t u n g s w i r t s c h a f t " einschließlich der sozialistischen W i r t s c h a f t . Diese K l u f t f ü h r e zu S t ö r u n g e n des P r o d u k t i o n s prozesses in d e n einzelnen B e t r i e b e n u n d m a c h e d e n z e n t r a l e n P l a n o r g a n c n j e d e exakte Kostenrechnung unmöglich.28 In W i r k l i c h k e i t a b e r stellt sich die sozialistische P l a n u n g als organische E i n h e i t der V o l k s w i r t s c h a f t s p l ä n e u n d der betrieblichen P l ä n e d a r . Die P l ä n e d e r sozialistischen B e t r i e b e werden auf die P l ä n e der Zweige u n d auf die g e s a m t e Volksw i r t s c h a f t a b g e s t i m m t . Die V o l k s w i r t s c h a f t s p l ä n e s t ü t z e n sich auf die P l ä n e d e r einzelnen B e t r i e b e . Diese P l ä n e weisen in der A u s s c h ö p f u n g d e r z u r V e r f ü g u n g s t e h e n d e n K r ä f t e u n d Mittel e t w a den gleichen I n t e n s i t ä t s g r a d a u f , d a ihre Ziele u n d A u f g a b e n sowie die M e t h o d e n zu d e r e n Realisierung — a u s g e h e n d v o n d e n s t a a t l i c h e n A u f l a g e n f ü r die einzelnen P l a n t e i l e — allseitig b e g r ü n d e t w e r d e n . Die Neoliberalen b e h a u p t e t e n , d a ß die z e n t r a l e L e i t u n g u n d ihre P l a n u n g s o r g a n e d e n A u f g a b e n , die a u s d e r K o n s u m g ü t e r v e r s o r g u n g e n t s t e h e n , in k e i n e r Weise g e r e c h t w e r d e n . 2 9 Sie wollten n i c h t w a h r h a b e n , d a ß in der sozialistischen 28

29

Vgl. Walter Eucken, Die Wettbewerbsordnung und ihre Verwirklichung, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Zweiter Band, Godesberg 1947, S. 8 - 1 0 . Vgl. Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern-Tübingen 1952, S. 101.

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Wirtschaft die Verbraucher Einfluß auf die Produktion ausüben; sie meinten, daß die zentralen Organe erstens die Akkumulationsquote zu hoch ansetzen würden und zweitens die Konsumtionsstruktur nicht richtig ermitteln könnten. Diese Konfrontation der zentralen Leitung mit der Befriedigung der individuellen Bedürfnisse verfolgte das Ziel, die sozialistische Planung so hinzustellen, als ignoriere sie die Bedürfnisse des Einzelnen und der Kollektive, als setze sie sich über die Interessen der Persönlichkeitsentwicklung hinweg. Ziel der zentralen Planung der Volkswirtschaft ist es, die individuellen Bedürfnisse zu entwickeln u n d dem Wachstum der P r o d u k t i v k r ä f t e entsprechend zu befriedigen, wobei sie sich von den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus leiten läßt. Jeder Volkswirtschaftsplan setzt sich zur Realisierung des Systems der ökonomischen Gesetze bestimmte Ziele. Dabei wird das Hauptziel in allen Entwicklungsetappen des Sozialismus vom ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus bestimmt, dessen Wesen darin besteht, daß die Gesellschaft die gesamte P r o d u k tion der stetigen Erhöhung des Wohlstands aller ihrer Mitglieder und der freien allseitigen Persönlichkeilsentwicklung jedes Einzelnen unterordnet.

Die wissenschaftliche Unhaltbarkeit der „positiven Theorie der zentralgeleiteten Wirtschaft" und ihre Unanwendbarkeit für den

Sozialismus

Wir h a t t e n schon festgestellt, daß Euckcn eine „positive Theorie der zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " konstruieren wollte, die auf seiner Planungskonzeption beruhte. Elemente dieser Konzeption waren die sogenannten Daten des Wirtschaftsplanes und Erfahrungsregeln. Zu den „Daten des Wirtschaftsplanes" zählte Eucken Bedürfnisse, N a t u r , Arbeit, den Vorrat an Gütern aus früherer Produktion, technisches Wissen, die rechtliche und soziale Organisation, die er subjektivistisch nicht nur aus den Traditionen und Sitten herleitete, sondern auch aus dem geistigen Milieu. 30 Als Ausgangspunkt betrachtete er dabei die Bedürfnisse. 3 1 Auf diese Weise schrieb er, den Traditionen der subjektiven Schule in der bürgerlichen politischen Ökonomie folgend, den Bedürfnissen das P r i m a t zu. Doch richtet sich das Maß, in dem die Bedürfnisse befriedigt werden, stets nach dem jeweils erreichten Entwicklungsstand der Produktion, ohne den die realen Bedürfnisse der Gesellschaft und ihrer einzelnen Mitglieder weder ermittelt noch befriedigt werden können. Eucken leugnete den objektiven Charakter der ökonomischen Gesetze. So schrieb e r : „Gesetze, nach denen sich die Geschichte u n d auch die Wirtschaftspolitik zwangsläufig entwickelt, kennen wir n i c h t . " 3 2 In Euckens Auffassung von 30

Vgl. Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, Jena 1940, S. 155—156. 31 Ebenda, S. 150. 32 Walter Eucken, Unser Zeitalter der Mißerfolge, Tübingen 1951, S. 66.

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d e r P l a n u n g g a b es s t a t t o b j e k t i v e r ö k o n o m i s c h e r Gesetze universelle, v o n d e r Gesellschaftsordnung unabhängige „Erfahrungsregeln". E u c k e n zufolge sollte es drei solcher universeller „ E r f a h r u n g s r e g e l n " g e b e n : E r s t e n s d a s s o g e n a n n t e erste Gossensche Gesetz, d a s er wie folgt z i t i e r t : „Bei j e d e m t e i l b a r e n B e d ü r f n i s wird i n n e r h a l b jedes B e d ü r f n i s a b s c h n i t t s d e r m i t der ersten Verwendungseinheit vorzunehmende Befriedigungsakt mit der höchsten I n t e n s i t ä t b e g e h r t , j e d e V e r w e n d u n g weiterer E i n h e i t e n derselben A r t wird m i t a b n e h m e n d e r I n t e n s i t ä t b e g e h r t , bis d e r S ä t t i g u n g s p u n k t e r r e i c h t i s t ; d a r ü b e r h i n a u s schlägt d a s Begehren in Widerwillen u m . " 3 3 Das Gossensche Gesetz a b e r ist d a s Gesetz des „ G r e n z n u t z e n s " , d a s v o n d e n T h e o r e t i k e r n der Österreichischen Schule z u g r u n d e gelegt u n d w e i t e r e n t w i c k e l t worden ist. Die zweite universelle „ E r f a h r u n g s r e g e l " sollte d a s „Gesetz v o m a b n e h m e n d e n E r t r a g " sein, d a s E u c k e n der a n g l o - a m e r i k a n i s c h e n Schule e n t l e h n t h a t t e . E r bezog sich d a b e i v o r allem auf die A r b e i t e n v o n T h . N. Carver, e i n e m V e r t r e t e r dieser Schule. Die t h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e des Gesetzes v o m „ a b n e h m e n d e n E r t r a g " b i l d e t d a s „Gesetz v o m a b n e h m e n d e n B o d e n e r t r a g " , d a s schon M a r x u n d L e n i n widerlegt h a t t e n . E b e n s o wie die T h e o r e t i k e r d e r a n g l o - a m e r i k a n i s c h e n Schule w a n d t e a u c h E u c k e n d a s Gesetz v o m „ a b n e h m e n d e n E r t r a g " n i c h t n u r auf die L a n d w i r t s c h a f t , s o n d e r n a u c h auf die I n d u s t r i e a n . Die d r i t t e „ E r f a h r u n g s r e g e l " sollte n a c h E u c k e n s A u f f a s s u n g d a r i n b e s t e h e n , d a ß der Leiter des Betriebes K a p i t a l i n v e s t i e r t , „. . . weil er weiß, d a ß gegebene A r b e i t s k r ä f t e u n d gegebene sachliche P r o d u k t i o n s m i t t e l in der Regel u m so m e h r K o n s u m g ü t e r erzeugen, je längere Zeit zwischen i h r e m E i n s a t z u n d d e r K o n s u m g u t r e i f e v e r s t r e i c h t " 3 4 . Diese d r i t t e „ E r f a h r u n g s r e g e l " ist eine T h e s e d e r K a p i t a l t h e o r i e B ö h m - B a w e r k s , die v o n E u c k e n in d e n R a n g eines U n i v e r s a l g e s e t z e s erhoben wurde. E u c k e n s „ E r f a h r u n g s r e g e l n " w a r e n also n i c h t s a n d e r e s als K o n s t r u k t i o n e n d e r G r e n z n u t z e n t h e o r i e , d e r e n U n r i c h t i g k e i t in d e r m a r x i s t i s c h e n L i t e r a t u r wiederh o l t nachgewiesen worden ist. Diese K o n s t r u k t i o n e n sind n u r d a s v e r z e r r t e A b b i l d einiger O b e r f l ä c h e n p r o z e s s e d e r p r i v a t k a p i t a l i s t i s c h e n W i r t s c h a f t i m B e w u ß t s e i n der Apologeten der k a p i t a l i s t i s c h e n P r o d u k t i o n . Die ö s t e r r e i c h i s c h e Schule h a t t e diese K o n s t r u k t i o n e n zu ewigen u n d u n i v e r sellen ö k o n o m i s c h e n Gesetzen e r k l ä r t . E u c k e n s t r i t t einerseits die E x i s t e n z ökon o m i s c h e r Gesetze ü b e r h a u p t a b u n d ging d a m i t , i m Vergleich zu d e n V e r t r e t e r n d e r ö s t e r r e i c h i s c h e n Schule, einen S c h r i t t z u r ü c k . A n d e r e r s e i t s a b e r s t u f t e er diese K o n s t r u k t i o n e n auf d e n R a n g v o n „ E r f a h r u n g s r e g e l n " z u r ü c k u n d k a m d a m i t i h r e m wirklichen W e s e n n ä h e r . Die W i d e r s p r ü c h l i c h k e i t v o n E u c k e n s K o n z e p t i o n zeigte sich hier d a r i n , d a ß die „ E r f a h r u n g s r e g e l n " sowohl f ü r die „ V e r k e h r s w i r t s c h a f t als a u c h f ü r die „zentralgeleitete W i r t s c h a f t " gelten sollten. N a c h E u c k e n „ h a t die E r f o r s c h u n g 33

Walter Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, Jena 1940, S. 157. M Ebenda, S. 160-161.

122

des zentralgeleiteten Wirtschaftssystems nicht nur den Zweck, die konkreten Erscheinungen der zentralgeleiteten Wirtschaft, wie sie in der Geschichte auftreten, zu erklären, sondern sie schafft zugleich den Boden für die Erkenntnis der Verkehrswirtschaft" 3 5 . Damit verfiel er in einen ganz offensichtlichen Widerspruch. Während er einerseits die Lebensunfähigkeit der „zentralgeleiteten Wirtschaft"' nachzuweisen bemüht war, wollte er andererseits an ihrem Beispiel sein Ideal, die „Verkehrswirtschaft", untersuchen. Durch die Isolierung der Planung und Leitung von den Produktionsverhältnissen wurde auch der spezifische Charakter der Produktionskonzentration im Sozialismus ignoriert. Eucken meinte, daß „wachsende Betriebsgröße zu Monopolen oder zur Zentralverwaltungswirtschaft . . 3 6 führe. E r setzte die sozialistischen Volkswirtschaftszweige mit den Monopolen gleich und dichtete ihnen „Gruppen-anarchische K ä m p f e " u m „Produktionsmittel oder Arbeitskräfte" an. 3 7 Da Eucken die Organisation der Wirtschaftsleitung als Grundlage für die Einteilung seiner „Idealtypen" diente, hatten in seiner Theorie die Eigentumsverhältnisse zu den Produktionsmitteln keine vorrangige Bedeutung. Wohl unterschied er in seinem Buch „Grundsätze der Wirtschaftspolitik" zwei Typen der „zentralgeleiteten Wirtschaft", nämlich: „Einen Typus mit Privateigentum und einen Typus mit Kollektiveigentum an Produktionsmitteln"38. Allerdings maß er diesen Unterschieden keine größere Rolle in der Funktionsweise der „zentralgeleiteten Wirtschaft" bei. Zugleich aber hob Eucken, der Tradition der liberalen Richtung folgend, zu Recht hervor, daß dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln die zentrale Form der Wirtschaftsleitung entsprechen müsse. Typisch für die neoliberale Richtung war, daß sie den Zusammenhang zwischen Eigentum, sozialökonomischer Ordnung der Gesellschaft und sozialen Problemen anerkannte. Doch entstellten ihre Repräsentanten die Art dieses Zusammenhangs, indem sie behaupteten, gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln und zentrale Planung seien mit wirtschaftlicher Freiheit und Gerechtigkeit unvereinbar. Eucken stimmte Alexander Rüstow darin zu, der festgestellt h a t t e : „Kollektiveigentum ermöglicht wesentlich höhere Grade und schärfere Formen sozialer Ungleichheit als Privateigentum." 3 9 Eine derartige Auslegung verzerrt das Wesen des gesellschaftlichen Eigentums a n den Produktionsmitteln und seine Rolle bei der Lösung der sozialökonomischen Probleme. Gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln bedeutet unmittelbare Verbindung der Arbeitskraft mit den Produktionsmitteln. D a m i t wird einerseits die Ausbeutung abgeschafft, und andererseits werden die Voraussetzungen für die Beseitigung der sozialökonomischen Unterschiede zwischen den 35 Ebenda, S. 177. 3 6 Walter Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Bern-Tübingen 1952, S. 78. 37 Ebenda, S. 79. 38 Ebenda, S. 60. 39 Zitiert ebenda, S. 273. 9

Ök. soz. Theorien

123

Menschen geschaffen u n d die völlige u n d allseitige w i r t s c h a f t l i c h e Gleichheit erreicht. Alle „ M ä n g e l " , die E u c k e n der v o n i h m als „ z e n t r a l g e l e i t e t e W i r t s c h a f t " bezeichneten sozialistischen W i r t s c h a f t a n d i c h t e t e , d o m i n i e r t e n in der a n g e b lichen U n m ö g l i c h k e i t , „ein g e s a m t w i r t s c h a f t l i c h e s Gleichgewicht" h e r z u s t e l len^. Die t r a d i t i o n e l l e n bürgerlichen W i r t s c h a f t s t h e o r i e n b e t r a c h t e n d e n Gleichgew i c h t s z u s t a n d als n o r m a l e n , t y p i s c h e n Z u s t a n d der W i r t s c h a f t . Sie bringen d a s Gleichgewicht einerseits m i t V o l l b e s c h ä f t i g u n g u n d a n d e r e r s e i t s m i t einer s t a b i l e n F i n a n z l a g e in Z u s a m m e n h a n g . N a c h E u c k e n ist d a s „Gleichgewichtsproblem . . . u n i v e r s a l e r N a t u r " 4 1 u n d die F u n k t i o n s f ä h i g k e i t der O r d n u n g „eine F r a g e d e s G l e i c h g e w i c h t s " 4 2 . E r b e h a u p t e t e , eine „zentralgeleitete W i r t s c h a f t " sei d u r c h s t ä n d i g fehlendes Gleichgewicht g e k e n n z e i c h n e t . I n d e r „ z e n t r a l g e l e i t e t e n W i r t s c h a f t " m i t gesellschaftlichem E i g e n t u m a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n zeige sich dies a m d e u t l i c h s t e n in „chronischer U n t e r v e r s o r g u n g b r e i t e r V o l k s s c h i c h t e n , die t r o t z V o l l b e s c h ä f t i g u n g u n z u r e i c h e n d m i t K o n s u m g ü t e r n beliefert w e r d e n " 43 . Den K o n s u m g ü t e r m a n g e l bezeichnete er als d a s soziale H a u p t p r o b l e m der „ z e n t r a l g e l e i t e t e n W i r t s c h a f t " u n d d a m i t a u c h des Sozialismus. D a s Modell v o n der „zentralgeleiteten W i r t s c h a f t " e r h o b zeitweilige Schwierigk e i t e n in d e r V e r s o r g u n g m i t K o n s u m g ü t e r n , die sich aus den spezifischen B e d i n g u n g e n des sozialistischen A u f b a u s in der U d S S R ergeben h a t t e n (Periode d e r sozialistischen R e k o n s t r u k t i o n , G r o ß e r V a t e r l ä n d i s c h e r Krieg, Zeit des W i e d e r a u f b a u s d e r V o l k s w i r t s c h a f t ) , zur G e s e t z m ä ß i g k e i t . Die h e u t e e r r e i c h t e n P r o d u k t i o n s a u s m a ß e , d a s gewaltige W a c h s t u m der W i r t s c h a f t s k r a f t u n d die g e w a c h senen w i r t s c h a f t l i c h e n Möglichkeiten der U d S S R h a b e n eine g r u n d l e g e n d e H i n w e n d u n g d e r g e s a m t e n W i r t s c h a f t auf die E r h ö h u n g des V o l k s w o h l s t a n d e s , auf die V e r b e s s e r u n g der Arbeits- u n d L e b e n s b e d i n g u n g e n möglich g e m a c h t . I n d e n Materialien des X X I V . P a r t e i t a g e s h e i ß t es, d a ß „ f ü r die E n t w i c k l u n g der L a n d w i r t s c h a f t u n d der Zweige, die W a r e n f ü r die B e v ö l k e r u n g p r o d u z i e r e n , noch n i e z u v o r so riesige finanzielle u n d materielle Mittel bereitgestellt w o r d e n sind wie i n diesem (d. h. im n e u n t e n — d. Verf.) P l a n j a h r f ü n f t " . 4 4 E i n t y p i s c h e s M e r k m a l d e r „ z e n t r a l g e l e i t e t e n W i r t s c h a f t " sei die I n f l a t i o n , m e i n t e E u c k e n . In der G e l d z i r k u l a t i o n einer z e n t r a l g e l e i t e t e n W i r t s c h a f t gebe es kein G l e i c h g e w i c h t : „ I n L ä n d e r n m i t z e n t r a l e r L e i t u n g des W i r t s c h a f t s p r o z e s s e s wird d a u e r n d eine größere G e l d m e n g e i m U m l a u f g e h a l t e n als n o t w e n d i g ist, u m die G ü t e r zu den f e s t g e s e t z t e n Preisen u m z u s e t z e n . " 4 5 E u c k e n b e h a u p t e t e , 41 Ebenda, S. 23. Vgl. Hans Buchner, Dämonen der Wirtschaft, München 1928.

12

150

ist lediglich bemerkenswert, weil er versucht, eine B r ü c k e zwischen der alten Volkswirtschaftslehre

und

dem

Wirtschaftsprogramm

des

„Nationalsozialis-

m u s " zu schlagen. E s s t e h t außer F r a g e , d a ß die R o m a n t i s c h e Schule der politischen

Ökono-

mie den faschistischen Demagogen m a n c h e A n k n ü p f u n g s p u n k t e g e b o t e n h a t . Der K a m p f gegen die liberalistische klassische S c h u l e der bürgerlichen

poli-

tischen Ökonomie und gegen den Materialismus, die H e r v o r h e b u n g der Rolle des S t a a t e s im W i r t s c h a f t s l e b e n , die Lehre v o m „geistigen K a p i t a l " , die S t a a t s m ä n n e r n , B e a m t e n und Offizieren viel Schmeichelhaftes b o t , und der Mystizismus h a t genügend gemeinsame S t a n d p u n k t e ergeben. A d a m Müller h a t t e d a s alte feudale R e g i m e vor der Großen Französischen R e v o l u t i o n verteidigt. Die F e d e r und B u c h n e r können aus seinem V o k a b u l a r vieles e n t n e h m e n , weil sie das historisch überlebte

Regime der Monopolbourgeoisie

gleichfalls

vor

einer revolutionären Bewegung verteidigen wollten. Der A u t o r k o m m t i m m e r wieder auf die R o m a n t i k zurück, sie ist für ihn die „beste geschichtliche deutsche Volkswirtschaftslehre",

deren Wesenszüge im W i r t s c h a f t s i d e a l

des

Na-

tionalismus wieder zutage treten würden.

Die „berufsständische Ordnung" — eine Variante der Ideologie des „Klassenfriedens" B u c h n e r selbst definierte die „nationalsozialistische staatspolitisch

organisierte

Gliederungsordnung

Volkswirtschaftslehre der

als

volksgenossenschaft-

lichen G e s a m t l e b e n s v e r r i c h t u n g " . 1 3 E i n e n besonderen P l a t z n i m m t bei B u c h n e r die Propagierung des S t ä n d e s t a a t s ein. Die geistigen Anleihen hierzu sind u n v e r k e n n b a r bei d e m faschistischen Italien B e n i t o Mussolinis Theorie system der

aufgenommen faßte

und bei O t h m a r S p a n n s

worden.

Das

Unternehmerorganisationen

Abwürgung

der

Arbeiterbewegung

Die dazu geschaffenen

„universalistischer"

italienisch-faschistische

Korporations-

und Gewerkschaften in

gemischten

zum

Organen

Zwecke

zusammen.

Zentral- und Provinzkomitees sollten, u n t e r der

Be-

zeichnung „ K o r p o r a t i o n e n " , alle Unternehmer-, Arbeiter- und übrigen Organisationen nach besonderen Produktionszweigen repräsentieren.

B u c h n e r preist

die italienische P r a x i s der Vereinigung von U n t e r d r ü c k u n g der

Werktätigen

m i t sozialer Demagogie als „Verwirklichung eines nationalsozialistischen Grundgedankens, der berufen ist, eine B r ü c k e zu schlagen zwischen A r b e i t und K a pital, Maschine und H a n d a r b e i t ,

Alleinbetrieb

und

Körperschaftswirtschaft,

und der das T o r m i t ö f f n e t zum großen, noch verschlossenen G e b i e t der volksgemeinschaftlichen S o z i a l p o l i t i k . " 1 4 Neben der ausdrücklichen 13 Ebenda, S. 19.

B e r u f u n g auf die P r a x i s des

Mussolini-Staates

« Ebenda, S. VIII.

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sieht Buchner außerdem noch den Spannschen „ w a h r e n " S t a a t als Vorbild f ü r den zukünftigen deutschen faschistischen S t a a t an. E r ü b e r n i m m t von S p a n n vor allem den „ S t ä n d e - S t a a t " - G e d a n k e n , dessen Gliederungsprinzipien der wirtschaftlichen Einheiten u n d Zusammenschlüsse u n d dessen Ansichten von der Vielfalt der E i g e n t u m s f o r m e n . Die berufsständische Ordnung, die einen unverkennbaren Angriff auf die bürgerlich-parlamentarische Ordnung darstellt, ist sowohl durch den italienischen Faschistenführer Benito Mussolini als auch durch die deutschen Hitlerfaschisten proklamiert worden. Wenn m a n sich die B e d e u t u n g der Themen Versailles, M a r x i s m u s und „ J u d e n t u m " veranschaulicht, die die Agitatoren der N S D A P ihnen beimaßen, dann k o m m t m a n allerdings nicht umhin festzustellen, daß d a s T h e m a Ständeordnung demgegenüber nur eine zweitrangige Rolle spielte. S o griffen sowohl die faschistische Mussolinipartei Italiens als auch die Hitlerpartei auf den S t ä n d e g e d a n k e n der katholischen Kleriker zurück. 1 5 F ü r ein politisches Regime, d a s unter Wahrung der Interessen der Bourgeoisie einerseits mit sozialen Phrasen operierte, andererseits aber alle sozialistischen und demokratischen Regungen u n d Einrichtungen zu unterdrücken beabsichtigte, bot sich die berufsständische Ordnung, wovon d a s K o r p o r a t i o n s s y s t e m der italienischen Faschisten eine Variante war, als eine Möglichkeit an, den beabsichtigten sozialökonomischen Veränderungen eine F o r m zu geben, die g e d a n k lich bereits ausgearbeitet vorlag. Die berufsständische Ordnung war ein erzwungener „ F r i e d e n " zwischen den Klassen, und sie ermöglichte, den Terror durch eine Demagogie zu verbrämen. Als kompetentester Interpret für die F r a g e der berufsständischen Ordnung g a l t in der Hitlerpartei M a x Frauendorfer. E r g a b als Motiv für die A u f n a h m e des S t ä n d e g e d a n k e n s folgendes a n : „Überwindung der drei Erscheinungsformen des liberalistisch-marxistischen S y s t e m s : der Demokratie, des Pazifismus u n d des Kollektivismus . . . Aus diesen Grundgedanken heraus bekennen wir Nationalsozialisten uns z u m organischen S t a a t s g e d a n k e n , zum ständischen S t a a t e , als A u s d r u c k s f o r m wahren Gemeinschaftslebens, und d a m i t zum S o z i a l i s m u s . " 1 6 Nach Meinung Frauendorfers soll „ a n Stelle der Demokratie eine organische Gliederung treten, u m die jetzige Atomisierung durch d a s Gefühl der Zusammengehörigkeit zu ersetzen. Der ständische A u f b a u wird d a s Mittel sein, u m 15

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Bekanntlich verkündete schon viel früher ein großer Teil der klerikalen Sozialtheoretiker, daß man mit der berufsständischen Ordnung eine Gesellschaftsordnung schaffe, die durch den Zusammenschluß der isolierten Individuen und Familien der Atomisierung aller Volkselemente entgegenwirken und somit den Klassenkampf beilegen könne. (Vgl. Harry Maier, Soziologie der Päpste, Lehre und Wirkung der katholischen Sozialtheorie, Berlin 1965, S. 193.) Max Frauendorfer, Der ständische Gedanke im Nationalsozialismus, München 1933, S. 22.

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dem Klassenkampf seine Grundlagen zu entziehen und ihn zu ersetzen durch eine organische Vertretung aller Interessen und geistige Teilnahme jedes einzelnen. Und das, was für die Nationalsozialisten Kapitalismus ist, unsittlicher Erwerb, Besitz und Gebrauch von Kapital, wird unmöglich gemacht sein durch ein System gegenseitiger Verantwortung und Kontrolle." 1 7 Damit h a t Frauendorfer offen dargelegt, daß das reaktionäre Dogma von der Beilegung des Klassenkampfes der Kernpunkt des faschistischen Ständegedankens ist. Die demagogische Idee, der Klassenkampf würde durch zwangsweisen Zusammenschluß von Unternehmern und Arbeitern in Berufsverbänden notwendig überlebt sein und aufhören, war auf die Untergrabung des Klassenbewußtseins der Arbeiter gerichtet. Die Gefahr dieser demagogischen Lehre liegt in der Absicht, in den Arbeitern das Gefühl zu erwecken, daß sie bei ständischer Organisation nicht mehr Ausbeutungsobjekt seien. Die Vertreter des S t ä n d e gedankens spekulierten darauf, daß das Klassenbewußtsein der Arbeiter durch das Gefühl überdeckt wird, ihre Interessen würden in dem Berufsstand vertreten, und daß ein Klassenantagonismus daher gar nicht mehr bestehe. Außerdem sollten m i t Hilfe der Ständeideologie Zwangsvereinigungen von Unternehmer- und Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften) geschaffen, die Kampforganisation der Arbeiterklasse praktisch aktionsunfähig gemacht und der Willkür der Unternehmer und der faschistischen Funktionäre ausgesetzt werden. Die berufsständische Idee sahen die Faschisten allerdings lediglich als eine notwendige Ergänzung ihrer chauvinistischen und antimarxistischen Hetze an. Bereits zur Mitte des J a h r e s 1933 t r a t in der Frage des „ständischen Aufbaus" ein Kurswechsel ein. Nachdem Hitler Reichskanzler geworden und seine politische Macht in wenigen Monaten gefestigt war, konnte die N S D A P nicht umhin, in einigen sozialpolitischen Fragen, die sie in ihrer Propaganda vor dem 30. J a n u a r 1933 nicht umgehen konnte, Farbe zu bekennen. Es ist bekannt, wie Hitler die Vertreter des Finanzkapitals und der Großindustrie schon vorher davon in Kenntnis gesetzt hatte, daß die polemischen Ausfälle gegen das Privateigentum und für die „Brechung der Zinsknechtschaft" keinesfalls ernst zu nehmen seien. Die Verwirklichung des ständischen Aufbaus sollte verschoben werden. Mehrere J a h r e nach dem Erscheinen seiner Schrift über den „ständischen Gedanken im Nationalsozialismus", in der die berufsständische Gliederung des deutschen Volkes als Kernstück der zukünftigen Ständeordnung angesehen wurde, schreibt Frauendorfer, daß die Zusammenfassung nach Berufen als grundsätzliches Organisationsprinzip als eine Utopie erkannt wurde und daß deren Durchsetzung wirtschaftspolilischer Unsinn gewesen wäre. Aus taktischen Erwägungen gaben die deutschen Faschisten einige Maßnahmen zur Schaffung eines staatsmonopolistischen Regulierungsmechanismus als Beginn des Aufbaus der ständischen Ordnung aus. Diese Maßnahmen, " Ebenda, S. 28.

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wie die d u r c h d a s „Gesetz zur V o r b e r e i t u n g des organischen A u f b a u s d e r d e u t schen W i r t s c h a f t " v o m 27. F e b r u a r 1934 erfolgte U m w a n d l u n g d e r U n t e r n e h m e r v e r b ä n d e in „ R e i c h s g r u p p e n " , b e i n h a l t e t e n n i c h t s a n d e r e s als eine s t r a f fere O r g a n i s a t i o n d e r W i r t s c h a f t , die z u g u n s t e n d e r Monopole u n d gegen die Außenseiter betrieben wurde.18 N a c h k u r z e r Zeit h a t sich die faschistische P r o p a g a n d a zur F r a g e des „ s t ä n dischen A u f b a u s " v o l l s t ä n d i g ausgeschwiegen, n a c h d e r „ G l e i c h s c h a l t u n g " des gesellschaftlichen Lebens b e n ö t i g t e m a n im H i t l e r s t a a t die d e m a g o g i s c h e Losung nicht mehr. Die „antikapitalistische" eine Spekulation

Phraseologie

auf die Not der

Gregor Strassers



Werktätigen

E s ist bezeichnend, d a ß w e d e r F e d e r noch B u c h n e r n a c h 1933 eine größere Rolle in d e r H i t l e r p a r t e i oder in der W i r t s c h a f t s p o l i t i k spielte. Wie diese vers c h w a n d e n a u c h a n d e r e A u t o r e n von d e r politischen B ü h n e , u n d ihre Schrift e n , e i n s t m a l s als s o g e n a n n t e S t a n d a r d w e r k e der „Nationalsozialistischen Bib l i o t h e k " angepriesen, w u r d e n v o n d e n K u m p a n e n w e i t g e h e n d v e r l e u g n e t u n d totgeschwiegen. E i n enger G e f o l g s m a n n von Hitler, der d e r a n t i k a p i t a l i s t i s c h e n P h r a s e o l o gie im P a r t e i p r o g r a m m größere B e d e u t u n g beigemessen h a t t e als H i t l e r , w a r Gregor Strasser. Als F ü h r e r d e r N S D A P in N o r d d e u t s c h l a n d u n d m i t Hilfe einer Z e i t u n g (der v o n seinem B r u d e r O t t o S t r a s s e r redigierten „ B e r l i n e r Zeitung") u n d einer Zeitschrift (den „Nationalsozialistischen Briefen") p r o p a g i e r t e er die V e r s t a a t lichung der S c h w e r i n d u s t r i e u n d des G r o ß g r u n d b e s i t z e s z u g u n s t e n eines sog e n a n n t e n „ S t a a t s f e u d a l i s m u s " . S t r a s s e r s u c h t e a u c h K o n t a k t e zu d e n r e c h t s sozialistischen G e w e r k s c h a f t e n . H i t l e r h a t t e f ü r diese I d e e v o n A n f a n g a n wenig ü b r i g g e h a b t , d a sie i h m die S u c h e n a c h F ö r d e r e r n i n n e r h a l b d e r I n d u s t r i e u n d des G r o ß g r u n d b e s i t z e s erschwerte. Die D u r c h s e t z u n g des S t r a s s e r s c h e n W i r t s c h a f t s p r o g r a m m s g e g e n ü b e r d e m bisher v o n der P a r t e i l e i t u n g s a n k t i o n i e r t e n F e d e r s c h e n P r o g r a m m b e w i r k t e , d a ß d a s als „ u n a b ä n d e r l i c h " e r k l ä r t e F e d e r - P r o g r a m m , was d e n ö k o n o m i s c h politischen Teil a n b e t r i f f t , in d e r V e r s e n k u n g v e r s c h w a n d . Das ist n i c h t weit e r v e r w u n d e r l i c h , d e n n j e m e h r die N S D A P e r n s t h a f t d a r a n g l a u b e n k o n n t e R e g i e r u n g s p a r t e i zu werden, d e s t o m e h r m u ß t e d a s F e d e r - P r o g r a m m u n b e q u e m w e r d e n . G a n z abgesehen v o n der d e m a g o g i s c h e n L o s u n g d e r „ B r e c h u n g d e r Z i n s k n e c h t s c h a f t " m u ß t e n sich die k o n k r e t e n w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e n K o n z e p t i o n e n F e d e r s f r ü h e r oder s p ä t e r bestenfalls als U t o p i e n herausstellen. 1 9 18

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Vgl. dazu Walter Ulbricht, Der faschistische deutsche Imperialismus, Berlin 1952, S. 65. Am augenfälligsten waren dabei vielleicht die vorgeschlagenen Finanzierungsme-

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D a s im J a h r e 1932 vorgetragene Strassersche W i r t s c l i a f t s p r o g r a m m rückte jetzt die F r a g e der „ A r b e i t s b e s c h a f f u n g " stark in den Vordergrund. Die S c h a f fung von Arbeitsplätzen war angesichts der Depression in der W i r t s c h a f t u n d der d a m i t verknüpften sozialen N o t ein mehrfaches Bedürfnis. D a s S t r a s s e r sche W i r t s c h a f t s p r o g r a m m spricht daher in scharfen Worten v o n den negativen Folgen der Arbeitslosigkeit, ferner davon, daß ungenützte P r o d u k t i v k r ä f t e ein widernatürlicher Unsinn seien und daß die Arbeit selbst ein Mittel zur Kapitalbildung darstelle. Die Anklagen gegenüber einem „politisch-wirtschaftlichen S y s t e m " , d a s „die arbeitsfähigen und arbeitswilligen Volksgenossen an der E r a r b e i t u n g ihres Lebensunterhalts verhindert", gipfeln in der F o r d e r u n g nach einer „ p l a n mäßigen A r b e i t s b e s c h a f f u n g " . D a s F e d e r p r o g r a m m widmete der Finanzierungsfrage breiten R a u m ; es wurde jedoch bald als unreal betrachtet u n d enthielt eine unpopuläre Inflationsdrohung. Gregor Strasser befürwortete dagegen eine vorsichtige Kreditausweitung und beschränkte sich im wesentlichen d a r a u f , auf die öffentlichen Mittel hinzuweisen, die in Krisenzeiten für die Arbeitslosenunterstützung aufgewendet werden mußten. D a s war agitatorisch geschickter g e m a c h t u n d m u ß t e der breiten Bevölkerung einleuchten. D a s S t r a s s e r - P r o g r a m m wendete sich ausführlicher den faktischen Möglichkeiten der A r b e i t s b e s c h a f f u n g z u ; als Arbeiten, die Grundlage der Arbeitsbeschaffung sein sollen, nennt d a s P r o g r a m m „ L a n d e s k u l t u r a r b e i t e n , Errichtung von Eigenheimsiedlungen f ü r die Arbeiter, B a u von Verkehrswegen, K a n ä l e n u s w . " 2 0 E s ist bemerkenswert, daß in d e m P r o g r a m m Gregor S t r a s s e r s auch noch die Autarkiegedanken anklingen, die von seinem B r u d e r , Otto S t r a s s e r , rigoros vertreten wurden, der sich zu jener Zeit von der Hitlerpartei bereits getrennt hatte. Otto S t r a s s e r war für eine grundlegende U m g e s t a l t u n g eingetreten, für die er d a s E t i k e t t „ S o z i a l i s m u s " beanspruchte u n d die vor allem auf eine radikale Abtrennung v o m W e l t m a r k t hinauslief. 2 1 Als Konsequenz aus diesem A u t a r k i e s t a t u s ergab sich f ü r Otto S t r a s s e r die Reagrarisierung Deutschlands und der Niedergang der Technik.

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thoden, die die ernsthaften bürgerlichen Ökonomen unschwer als eine „Illusion" erkennen mußten. In einem Punkt des Programms war wie folgt formuliert worden: „Geldbeschaffung für alle großen öffentlichen Ausgaben (Ausbau der Wasserkräfte, Verkehrswege usw.) unter Vermeidung des Anlciheweges durch die Ausgabe zinsloser Staatskassenscheine bzw. auf bargeldlosem Weg." Dieses ohne regulierende Beschränkung auszugebende „Zusatzgeld", dessen „Strom bei Investitionen fließen sollte", und das in der Polemik unter dem Begriff „Federgeld" bekannt geworden ist, hätte, wie Adolf Weber später meinte, zweifellos eine heillose Inflation hervorgerufen, wenn es jemals zur Ausführung des Plans gekommen wäre. (Vgl. Adolf Weber, Hauptfragen der Wirtschaftspolitik, (West)-Berlin 1950, S. 23 ff. Zitiert nach Gerhard Kroll, Von der Weltwirtschaftskrise zur Staatskonjunktur, (West)-Berlin 1958, S. 31. Vgl. Otto Strasser, Aufbau des deutschen Sozialismus, Leipzig 1932. Ük. soz. Theorien

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Das P r o g r a m m Gregor Strassers e n t h ä l t neben den bereits e r w ä h n t e n Ged a n k e n auch Forderungen nach einer differenzierten A b w e r t u n g der W ä h r u n g , der Verstaatlichung des Bankwesens, nach Preiskontrolle, Beseitigung der Preisschere f ü r die L a n d w i r t s c h a f t , A b b a u der bäuerlichen Zins- u n d Steuerlast, Beschränkung der hohen Beamtengehälter, Investitionskontrolle f ü r die Industrie zur Vermeidung einer übermäßigen A u f b l ä h u n g der Industrie gegenüber der L a n d w i r t s c h a f t , nach Verstaatlichung der Monopole u n d staatlicher Aufsicht über die Aktiengesellschaften, großzügige Altersversorgung, Gewinnbeteiligung der Arbeit u n d öffentlichen Arbeitsdienst. Das P r o g r a m m Strassers bewies einige Anziehungskraft, u n d obwohl es nicht lange existierte, behielt es f ü r einige Zeit seinen Einfluß. Auch die U r h e b e r s c h a f t f ü r das W i r t s c h a f l s p r o g r a m m der N S D A P aus d e m J a h r e 1932 wird auf Gregor Strasser zurückgeführt. Ohne Zweifel haben in den Gliederungen der N S D A P soziale Illusionen F u ß gefaßt, die Gregor Strasser verbreitete, wobei er auf die Notlage des d e u t s c h e n Volkes spekulierte, das u n t e r der schweren Wirtschaftskrise litt. Die Ideen Strassers gerieten in Widerspruch zu den Interessen der Finanzmagnaten,, der wirklichen Beherrscher Hitlerdeutschlands. All das spielte eine große Rolle bei dem endgültigen Bruch zwischen Hitler u n d Gregor Strasser, der zur Niederlegung aller P a r t e i ä m t e r im Dezember 1932 d u r c h Strasser f ü h r t e . I m März 1933 wurde er nicht einmal m e h r in den Reichstag gewählt u n d während d e s sogenannnten R ö h m - P u t s c h e s ließ m a n ihn schließlich von der SS ermorden. Mit dem Ausscheiden Strassers verschwand auch das nach ihm b e n a n n t e P r o g r a m m in der Versenkung. Aber auch v o m F e d e r - P r o g r a m m war keine Rede mehr. In den 12 J a h r e n der Hitlerherrschaft wurde kein S c h r i t t zu ihrer Verwirklichung gemacht.

Die Praxis Kapitalismus

des Faschismus:

der militante

staatsmonopolistische

Nach dem 30. J a n u a r 1933, als die deutschen Faschisten als H a n d l a n g e r d e r Monopolbourgeoisie Zug u m Zug zur Liquidierung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie übergingen, wurden die faschistischen F ü h r e r in ihren W a h l u n d Parteitagsreden, in ihrer ganzen ideologischen P r o p a g a n d a , die die Zuk u n f t a n b e t r i f f t , noch unverbindlicher u n d unklarer. An Stelle eines P r o g r a m m s ließ das H i t l e r - K a b i n e t t v e r k ü n d e n , d a ß Vierjahrespläne zur „ R e t t u n g des B a u e r n u n d das Arbeiters" f ü h r e n würden. Eine „Volksgemeinschaft" sollte die E r f ü l l u n g des „nationalen Sozialismus" darstellen. Die Propagierung einer sogenannten Volksgemeinschaft diente z u n ä c h s t einmal dazu, die z u n e h m e n d e n Terrorakte gegen alle Antifaschisten sowie a n deren u n b e q u e m e n Personen zu rechtfertigen. Die Teilnahme von U n t e r n e h m e r n an den zahlreichen groß .angelegten F e s t v e r a n s t a l t u n g e n sollte den E i n -

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druck erwecken, als ob zwischen Kapitalisten und Werktätigen nunmehr eine echte Gemeinsamkeit heranwachse,- der Klassenkampf allmählich verschwinde und der Staat die Funktion übernommen habe, die noch bestehenden Gegensätze auszugleichen. Diesen Zielen diente die Bildung der „Deutschen Arbeitsfront", in der der Kapitalist und das Proletariat zwangsweise in einer Organisation vereinigt werden sollten, um den Klassenfrieden zugunsten einer ungestörten Ausbeutung der Werktätigen zu ermöglichen. Der Kapitalist als „Betriebsführer", das Proletariat als „Gefolgschaft" sollten in der „Organisation der schaffenden Deutschen der Stirn und der F a u s t " keine Arbeitskämpfe mehr austragen. Zwang Hitler die Arbeiter dazu, ihre Gewerkschaften zugunsten einer Vorgaukelung einer Interessengemeinschaft mit dem Kapital aufzugeben, so kettete er sie mit Hilfe des „Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit" vom 20. Januar 1934 noch stärker an die Unternehmer. In allen betrieblichen Angelegenheiten konnte der „Betriebsführer" über eine „Gefolgschaft" entscheiden, die ihm die „in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue" zu halten hatte. Ein Vertrauensrat, dem nur „Gefolgsleute" angehören durften, die jederzeit rückhaltslos für den nationalen Staat eintreten, sollte eine Beraterfunktion übernehmen und alle Streitigkeiten beilegen. Für größere Wirtschaftsbereiche hatte ein beamteter „Treuhänder der Arbeit" für die „Erhaltung des Arbeitsfriedens" zu sorgen. Mißliebige Kämpfer an der „Arbeitsfront" wurden kurzerhand kaltgestellt. Natürlich war damit der Klassenkampf keinesfalls aufgehoben, aber er spielte sich jetzt zwangsläufig im illegalen Rahmen und unter äußerst erschwerten Bedingungen für die Werktätigen ab. 2 2 Die Löhne waren im wesentlichen bereits während der Wirtschaftskrise diktatorisch festgesetzt worden; jetzt kam eine monopolistische Regelung des Arbeitsmarktes hinzu. 23 Die Beschränkung der Freizügigkeit wurde ergänzt durch die Arbeitsdienstpflicht für Jugendliche, die Lenkung des Berufseinsatzes der Schulentlassenen und die Einführung einer „allgemeinen Arbeitspflicht", die amtlicherweise die Zwangsdienstverpflichtung ermöglichte. Damit wurde den Werktätigen der letzte Rest von Bewegungs- und Berufsfreiheit genommen. 24 War die Liquidierung der Gewerkschaften im negativen Sinn eine Veränderung der sozialen Machtverhältnisse, so hatte der „deutsche Sozialismus" Hitlersclier Prägung keinerlei Einschränkung der Eigentumsverhältnisse zur Folge. Mit dem Einverständnis der Monopolbourgeoisie wurden lediglich einige Vgl. dazu Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, Berlin 1966. Vgl. Jürgen Kuczynski, Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 16, Studien zur Geschichte des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland 1918-1945, Berlin 1963, S. 147 ff. 24 Ebenda, S. 153. 22

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Korrekturen in dem organisatorischen Aufbau der Wirtschaft vorgenommen, die den Erfordernissen des staatsmonopolistischen Kapitalismus besser gerecht wurden. In der Agitation wurden diese Maßnahmen derart interpretiert, als ob nun auch die Kapitalistenklasse wesentlichen Reglementierungen unterworfen wurde. In Wirklichkeit diente die Umorganisation der deutschen Wirtschaft nur dem Aufbau der Rüstungswirtschaft und der Mobilmachung aller ihrer Ressourcen. Die deutschen Faschisten, die sich den Namen Nationalsozialisten zulegten, haben auch nach 1933 nicht darauf verzichtet, Maßnahmen als „sozialistisch" auszugeben, die den Erfordernissen der Entwicklung der krassesten Form des staatsmonopolistischen Kapitalismus dienten. Durch die Propaganda- und Agitationslosungen der Hitlerleute in den dreißiger Jahren haben sich viele Deutsche (und auch nicht weDige Menschen im kapitalistischen Ausland) über den Klassencharakter des „Nationalsozialismus" täuschen lassen. Daß sich ein gewisser Teil von Werktätigen (neben Kleinbürgern und Lumpenproletariern) von den Interessenvertretern der Monopolbourgeoisie betrügen ließ, hat sicher vielfache Gründe. Die Rüstungskonjunktur hat vor allem dazu beigetragen, daß es die Hitlerfaschisten vermochten, mit Hilfe ihres gigantischen Propagandaapparates glauben zu machen, daß sich der Lebensstandard des Volkes entscheidend verbessern lasse, wenn man nur das „ J u d e n t u m " ausschalten könne, das an allen Mißständen der Weimarer Republik die Schuld trage und wenn es gelänge, deutschen Volk im Osten Europas „Lebensraum" zu verschaffen. Ergänzt wurde dieser Propagandafeldzug durch Korrumpierung von Teilen der Werktätigen, ferner durch Einrichtungen wie die Organisation „Kraft durch Freude", mit deren Hilfe vielen Arbeitern, die in der Weimarer Republik das schwere Los der Arbeitslosigkeit zu tragen hatten, Theater- und Konzertbesuche, Wanderungen, Reisen und Urlaubsaufenthalte ermöglicht wurden. Solche Unternehmen, wie auch andere Kampagnen („Schönheit des Arbeitsplatzes", „Volkswagenbau", „Winterhilfswerk" u. ä.) sollten die Illusion erzeugen, daß die Lebensweise der Angestellten und Arbeiter im Rahmen der „Volksgemeinschaft" auf das Niveau der besitzenden Klassen angehoben werde. Die kleinen Händler und Gewerbetreibenden, denen man den Schutz vor dem „raffenden Kapital" und der Konkurrenz durch die großen Warenhäuser versprochen hatte, sahen sich zwar betrogen, jedoch profitierten einige von ihnen durch die Enteignung jüdischer Unternehmen und durch die Verbesserung der Konjunkturlage. Eine besondere Rolle spielte die Agrarpolitik in der sozialen Demagogie der Hitlerfaschisten. Der Zulauf, den die faschistische Partei aus Kreisen der Landbevölkerung erhielt, erklärt sich nicht zuletzt aus dem Versprechen, daß der „Nationalsozialismus" die „Rettung der deutschen Bauern" bringen werde. Wurden die fortschrittlichen Landarbeiter- und Bauernorganisationen auch zerschlagen, so täuschten sich die Werktätigen auf dem Lande jedoch anfäng-

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lieh über den wahren Charakter der neugeschaffenen Ersatzorganisation, den „Reichsnährstand". Dieser „Reichsnährstand" war eine Zwangsorganisation, mit deren Hilfe ein straffer Leitungs- und Überwachungsapparat auf dem Dorf eingerichtet wurde. Mit Hilfe eines unglaublichen Kults des „gesunden Bauerntums", mit einigen Maßnahmen wie der Einführung von Erzeugerfestpreisen, die sich zunächst positiv für die Bauern auswirkten, und der Schaffung einer nationalsozialistischen Dorfaristokratie durch den Erlaß eines „Erbhofgesetzes" sowie durch das Versprechen, Siedlungsland zu erhalten, gelang es den Hitlerfaschisten, viele Bauern darüber zu täuschen, daß sich die Lage der Landbevölkerung insgesamt und auf die Dauer nicht verbesserte. Die harten Realitäten, gesteigerte Ausbeutung der Werktätigen, unermeßlicher Profit- und Machtzuwachs der Monopolbourgeoisie, offener und brutaler Terror, am Ende Massenvernichtung in Konzentrationslagern und die schrecklichen Folgen des von den Hitlerfaschisten entfachten zweiten Weltkrieges, haben jedoch bald gründlich alle Illusionen über den Nationalsozialismus zerstört. Das Leben bestätigte die Richtigkeit der marxistisch-leninistischen Analyse des sozialen klassenmäßigen Charakters als „offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Zinanzkapitals" und demonstrierte die Unhaltbarkeit der demagogischen Konzeptionen seiner Ideologen.

3. A B S C H N I T T 8. KAPITEL

Russische bürgerliche und kleinbürgerliche Ökonomen und die Kritik ihrer Konzeptionen über den Sozialismus und die Sowjetwirtschaft in den zwanziger J a h r e n l . Die Grundrichtungen

der antimarxistischen

Konzeptionen

Nachdem die russische Arbeiterklasse die politische Macht erkämpft hatte und im Sowjetland der Aufbau des Sozialismus begonnen worden war, sahen sich die Marxismusgegner gezwungen, ihre Kritik am Marxismus neu zu durchdenken. Das Nebeneinanderbestehen mehrerer sozialökonomischer Sektoren in der Wirtschaft des Sowjetlandes, die komplizierte Verflechtung von überlebten und neu entstehenden Verhältnissen drückten sich auch in der Wirtschaftstheorie aus, in der zu den Grundfragen des wirtschaftlichen Aufbaus ein erbitterter Kampf zwischen der alten und der neuen Ideologie ausgefochten wurde. Die komplizierten Probleme des Aufbaus der neuen Wirtschaft führten zu scharfen theoretischen Auseinandersetzungen. Der eigentliche Gegenstand der wirtschaftlichen Diskussionen war der Sozialismus als Gesellschaftsordnung, die den Kapitalismus ablöst. In den Diskussionen wurden die ersten Ergebnisse des wirtschaftlichen Aufbaus erörtert, die unterschiedlichen theoretischen Leitprinzipien überprüft und eine neue Wirtschaftspolitik ausgearbeitet. Die Bourgeoisie hatte die beherrschende Stellung in der Wirtschaft eingebüßt, und die Angriffe ihrer Ideologen gegen Theorie und Praxis wurden immer erbitterter. In der klassenbedingten politischen Richtung der nichlmarxistischen Konzeptionen von der sozialistischen Wirtschaft hatten sich gegenüber der Zeit vor der Revolution erhebliche Veränderungen vollzogen. Erstens: Da die Ideologen der Bourgeoisie ihre einstige Stellung in der Wirtschaftswissenschaft eingebüßt hatten, befaßten sie sich intensiv mit Konzeptionen, die darauf gerichtet waren, den Sozialismus zu untergraben. Zweitens kam es unter den Vertretern der nichtmarxistischen Wirtschaftskonzeptionen zu einer deutlichen Abgrenzung zwischen den aktiven Gegnern des Sozialismus und solchen bürgerlichen Theoretikern, die einzelne Grundsätze des wissenschaftlichen Sozialismus mehr oder weniger anerkannten. Drittens bildete sich unter den bürgerlichen Wirtschaftstheoretikern eine neue politisch-ideologische Abgrenzung in der Haltung zur Sowjetmacht heraus. Während die eine Richtung gegann, die Diktatur des Proletariats zu bekämpfen, arbeiteten die Vertreter der anderen Richtung in dieser oder jener Form mit der Sowjetmacht zusam-

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m e n , obgleich sie im allgemeinen in den G r e n z e n der bürgerlichen W e l t a n s c h a u u n g blieben. Z u r e r s t g e n a n n t e n R i c h t u n g d e r bürgerlichen W i r t s c h a f t s t h e o r i e g e h ö r t e n die u n v e r h o h l e n e n Gegner der S o w j e t m a c h t u n d des Sozialismus wie P . S t r u v e , S. N. P r o k o p o v i c u n d B. D. B r u c k u s . Diese e n t s t e l l t e n d a s W e s e n d e r w i c h t i g s t e n w i r t s c h a f t l i c h e n M a ß n a h m e n der S o w j e t m a c h t , s a g t e n d e n unvermeidlichen Zusammenbruch voraus und suchten nachzuweisen, d a ß sich eine V o l k s w i r t s c h a f t auf sozialistischem Wege n i c h t entwickeln k ö n n e . D a r ü b e r h i n a u s waren einige v o n ihnen, wie beispielsweise P . S t r u v e , a k t i v e Ideologen d e r K o n t e r r e v o l u t i o n u n d g e h ö r t e n weißgardistischen Regier u n g e n a n . N a c h d e r Zerschlagung d e r K o n t e r r e v o l u t i o n gingen sie in die E m i g r a t i o n u n d s e t z t e n von d o r t in d e n v e r s c h i e d e n e n weißgardistischen E m i g r a n t e n o r g a n i s a t i o n e n d e n K a m p f gegen die S o w j e t m a c h t f o r t . Zu d e n e r k l ä r t e n G e g n e r n der S o w j e t m a c h t g e h ö r t e n a u c h A u t o r e n , die k e i n e n weißgardistischen R e g i e r u n g e n a n g e h ö r t e n , sich a b e r u m P u b l i k a t i o n s o r g a n e s c h a r t e n , die offensichtlich a n t i s o w j e t i s c h e r P r ä g u n g w a r e n . So s c h r i e b B . D. B r u c k u s f ü r die Zeitschrift „ E k o n o m i s t " , d a s O r g a n der i n d u s t r i e ö k o n o m i s c h e n A b t e i l u n g d e r Russischen T e c h n i s c h e n Gesellschaft, die sich a u s d e r S o w j e t m a c h t feindlich g e s i n n t e n b ü r g e r l i c h e n I n t e l l e k t u e l l e n u n d e h e maligen F a b r i k b e s i t z e r n z u s a m m e n s e t z t e . L e n i n bezeichnete diese Z e i t s c h r i f t als „ a u s g e s p r o c h e n e s Z e n t r u m d e r W e i ß g a r d i s t e n " 1 . Die f ü r diese Z e i t s c h r i f t t ä t i g e n b ü r g e r l i c h e n Ö k o n o m e n k e h r t e n ihre Wiss c n s c h a f t l i c h k e i t h e r a u s u n d spielten sich als D e m o k r a t e n a u f , v e r f o c h t e n a b e r in W i r k l i c h k e i t die S a c h e d e r K o n t e r r e v o l u t i o n . „ I n W i r k l i c h k e i t stellt diese Z e i t s c h r i f t . . . ein O r g a n m o d e r n e r A n h ä n g e r d e r L e i b e i g e n s c h a f t d a r , die sich n a t ü r l i c h in die T o g a der W i s s e n s c h a f t l i c h k e i t , des D e m o k r a t i s m u s u. dgl. m . h ü l l e n " 2 , schrieb L e n i n . Die zweite R i c h t u n g w u r d e v o n Ö k o n o m e n u n t e r s c h i e d l i c h e r politischer u n d t h e o r e t i s c h e r O r i e n t i e r u n g r e p r ä s e n t i e r t , die sich auf v e r s c h i e d e n e Gebiete der W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t spezialisiert h a t t e n . I h r g e h ö r t e n ehemalige Soz i a l r e v o l u t i o n ä r e , Menschewiki, K o n s t i t u t i o n e l l e D e m o k r a t e n u n d scheinbar u n p a r t e i i s c h e bürgerliche P r o f e s s o r e n wie A. A. Sokolov, N. D . K o n d r a t ' e v , A. A. M a n u i l o v , L. N. J u r o v s k i j , I. Ch. Ozerov, L. N. L i t o s e n k o , A. Dezen, V. A. B a z a r o v , N. N . S a p o s n i k o v , Y. G. G r o m a n u n d a n d e r e an. F a s t a u s n a h m s los z ä h l t e die s o g e n a n n t e p r o d u k t i o n s o r g a n i s a t o r i s c h e Schule auf d e m Gebiet d e r A g r a r ö k o n o m i e (A. V. C a j a n o v , A. N . Celincev, N . P . M a k a r o v , A. A. R y b n i k o v ) d a z u , die sich a m V o r a b e n d der R e v o l u t i o n g e b i l d e t h a t t e u n d die die I n t e r e s s e n u n d B e d ü r f n i s s e der w o h l h a b e n d e n S c h i c h t e n auf d e m L a n d e v e r trat. 1

2

W. I. Lenin, Brief an F. E. Dzierzynski vom 19. Mai 1922,in: Briefe, Bd. IX, Berlin 1974, S. 271. W. I. Lenin, Über die Bedeutung des streitbaren Marxismus, in: Werke, Bd. 33, Berlin 1962, S. 221.

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Der -ideologische K l a s s e n k a m p f in der Ü b e r g a n g s p e r i o d e w a r zugleich ein K a m p f u m die G e w i n n u n g b ü r g e r l i c h e r Spezialisten f ü r d e n A u f b a u des S o zialismus. D a s P r o l e t a r i a t s t a n d v o r d e r ä u ß e r s t schwierigen A u f g a b e , alle Spezialisten der a l t e n Schule h e r a n z u z i e h e n , obgleich die m e i s t e n b ü r g e r lichen I n t e l l e k t u e l l e n d e r S o w j e t m a c h t u n d d e r sozialistischen R e v o l u t i o n feindlich g e s i n n t w a r e n . „ D e r K o m m u n i s m u s k a n n n i c h t a u f g e b a u t w e r d e n o h n e Wissen, T e c h n i k u n d K u l t u r , diese aber sind im Besitz d e r b ü r g e r l i c h e n Spezialisten. Die m e i s t e n v o n i h n e n s y m p a t h i s i e r e n n i c h t m i t d e r S o w j e t m a c h t , doch ohne sie k ö n n e n wir d e n K o m m u n i s m u s n i c h t a u f b a u e n . " 3 Bürgerliche Ö k o n o m e n , A g r o n o m e n u n d I n g e n i e u r e w u r d e n in die A r b e i t a m ersten P e r s p e k t i v p l a n f ü r die w i r t s c h a f t l i c h e E n t w i c k l u n g des S o w j e t landes, a m G O E L R O - P l a n , einbezogen. A u c h in d e n S e k t i o n e n des S t a a t l i c h e n P l a n k o m i t e e s , des V o l k s k o m m i s s a r i a t s f ü r L a n d w i r t s c h a f t u n d des Volksk o m m i s s a r i a t s f ü r F i n a n z e n a r b e i t e t e n bürgerliche Spezialisten m i t . Sie beteiligten sich a n d e r A u f s t e l l u n g d e r V o l k s w i r t s c h a f t s b i l a n z , a n d e r B e r e c h n u n g des N a t i o n a l e i n k o m m e n s u n d a n d e r A u s a r b e i t u n g d e r K o n t r o l l z i f f e r n . B ü r gerliche P r o f e s s o r e n s e t z t e n ihre L e h r t ä t i g k e i t a n d e n H o c h s c h u l e n f o r t . „ I n d e n R ä u m e n des S t a a t l i c h e n P l a n k o m i t e e s " , so schrieb d e r b e d e u t e n d e sow j e t i s c h e Ö k o n o m S. G. S t r u m i l i n , „ a r b e i t e t e n h e r v o r r a g e n d e V e r t r e t e r d e r bürgerlichen Intelligenz, w e i t h i n b e k a n n t e Ö k o n o m e n . Sie v e r s t a n d e n s e h r g u t , d a ß die N Ö P auf d e r G r u n d l a g e der M a r k t b e z i e h u n g e n d e m W e t t b e w e r b d e r E l e m e n t e des K a p i t a l i s m u s u n d Sozialismus ein weites F e l d b o t . " 4 Diese Ö k o n o m e n v e r t r a t e n bürgerliche u n d kleinbürgerliche A u f f a s s u n g e n . Sie b e t r a c h t e t e n die F r a g e des sozialistischen A u f b a u s a u s bürgerlich-liberaler S i c h t . Obgleich sie in S o w j e t r u ß l a n d l e b t e n u n d sich a n d e r L ö s u n g d e r w i r t s c h a f t lichen P r o b l e m e a k t i v beteiligten, blieb ihre W e l t a n s c h a u u n g d o c h i m w e s e n t lichen rein bürgerlich. E i n e d r i t t e R i c h t u n g schließlich w u r d e von b ü r g e r l i c h e n Ö k o n o m e n r e p r ä sentiert, die schon v o r d e r O k t o b e r r e v o l u t i o n d e n l i n k s e x t r e m e n Flügel d e s b ü r g e r l i c h e n L i b e r a l i s m u s gebildet h a t t e n . Diese R i c h t u n g s t a n d d e n I d e e n der bürgerlichen D e m o k r a t i e n a h e . D e r Kampf d e r P a r t e i u n d die V e r b r e i t u n g u n d E n t w i c k l u n g der m a r x i s t i s c h e n Theorie t r u g e n d a z u bei, d a ß es in d e r bürgerlichen Intelligenz zu e i n e m tiefgreifenden D i f f e r e n z i e r u n g s p r o z e ß k a m . Dieser ideologische D i f f e r e n z i e r u n g s p r o z e ß f ü h r t e bei e i n e m b e d e u t e n d e n Teil d e r bürgerlichen Ö k o n o m e n zu wirklichen w e l t a n s c h a u l i c h e n W a n d l u n g e n . So w u r d e n a u s d e n einstigen b ü r g e r l i c h e n W i s s e n s c h a f t l e r n S. I. Solncev, K. N . P a z i t n o v , P . N. P e r s i n , Z. S. K a c e n e l e n b a u m , V. V. S v j a t l o v s k i j u n d vielen a n d e r e n b e d e u t e n d e sowjetische Ö k o n o m e n . Der K a m p f a n d e r ideologischen F r o n t w a r also a u ß e r o r d e n t l i c h k o m p l i z i e r t . 3

W. I. Lenin, Rede auf der I. Konferenz über die Parteiarbeit auf dem Lande, in; Werke, Bd. 30, Berlin 1961, S. 132. * S. G. Strumilin, Izbrannye proizvedenija Bd. 2, Moskva 1963, S. 174.

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Die Vertreter der beiden ersten Richtungen der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft vereinen ihre Kräfte in dem Bestreben nachweisen zu wollen, daß der Sozialismus in Rußland nicht verwirklicht werden könne. Den Beginn des sozialistischen Aufbaus werteten sie als Zerstörung und Vernichtung von Produktivkräften. Die Ökonomen der zweiten Richtung waren bereit, mit der Sowjetmacht zusammenzuarbeite n, um ihre eigenen Konzeptionen in die Praxis umzusetzen, wobei sie sich bemühten, die Unumgänglichkeit einer bürgerlichen Entwicklung der Übergangswirtschaft zu begründen. Viele antimarxistische Ökonomen, die die Oktoberrevolution nicht akzeptierten, stellten die Behauptung auf, daß Sowjetrußland bei der Lösung der volkswirtschaftlichen Probleme unvermeidlich den kapitalistischen Weg gehen werde. Sie waren überzeugt, daß der Sowjetstaat, der inneren Logik der wirtschaftlichen Entwicklung folgend, gezwungen sein werde, mit der Wiederherstellung des Marktes auch die kapitalistischen Wirtschaftsformen zu restaurieren. Alle Formen der Regulierung und Planung, die den spontanen ökonomischen Gesetzen zuwiderliefen, qualifizierten sie als „Überbleibsel" des Kriegskommunismus oder als Rückfälle in diesen, die verschwinden würden. Die Ökonomen menschewistischer Orientierung (N. N. Suchanov, A. J . Finn-Enotaevskij und andere), die bestritten hatten, daß der Konflikt zwischen den Produktionsverhältnissen und den Produktivkräften im vorrevolutionären Rußland reif genug gewesen war, leugneten sogar, daß die Sowjetwirtschaft die Übergangsperiode zum Sozialismus überstehen würde. Sie glaubten, daß das an der Macht befindliche Proletariat infolge der wirtschaftlichen Rückständigkeit des Landes und des Mangels an den wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Aufbau des Sozialismus gezwungen sein würde, die Aufgaben zu lösen, die die russische Bourgeoisie nicht gelöst hatte, und auf dem gleichen Weg weiterzugehen, den der russische Kapitalismus gegangen war. „Wir würden es nicht als besonderes Unglück betrachten, wenn es bei uns «inen reinen Staatskapitalismus unter der Kontrolle der Sowjetmacht gäbe", schrieb Finn-Enotaevskij. ..In der Geschichte kommt es vor, daß eine vorzeitig Kur Macht gekommene Klasse gezwungen ist, die wirtschaftlichen Aufgaben zu lösen, die ihre Vorgänger nicht mehr lösen konnten oder nicht imstande waren zu lösen." 5 Finn-Enotaevskij, der somit der Ansicht war, daß die höchste F o r m des sowjetischen Wirtschaftssystem nur der Staatskapitalismus sein könne, verglich die Aufgabe, vor der die Bolschewiken standen, mit dem Wirken der J a k o biner während der Großen Französischen Revolution. Beide hätten nur den Boden für einen „neuen sozialen A u f b a u " 6 geebnet, also für die bürgerliche Entwicklung. Zugleich griff Finn-Enotaevskij die ökonomische Grundlage des Sozia5 6

A. F i n n - E n o t a e v s k i j , A. F i n n - E n o t a e v s k i j , 1920, S. 87.

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F i n a n s o v y j kapital i proizvoditl'nyj, Moskva 1926, S. 23. Sovremennoe polozenie mirovogo c h o z j a j s t v a , P e t r o g r a d

lismus, das Volkseigentum u n d die ökonomischen F u n k t i o n e n des S t a a t e s an. E r erklärte, d a ß die These von Marx über die Notwendigkeit der D i k t a t u r des Proletariats f ü r die Reorganisation der W i r t s c h a f t „keinesfalls auch den Übergang der gesellschaftlichen W i r t s c h a f t s f ü h r u n g an die S t a a t s m a c h t b e d e u t e t e " 7 . Die Vertreter der antimarxistischen S t r ö m u n g waren b e m ü h t , die Besonderheiten des „russischen" K o m m u n i s m u s auf jede Weise ü b e r z u b e t o n e n u n d ihn in Gegensatz zum „westlichen" oder „kultivierten" Marxismus zu bringen, der, wie sie b e h a u p t e t e n , auf einer ganz anderen „industriemäßigen", d e m „russischen" K o m m u n i s m u s f r e m d e n Ideologie beruhe. Rechtssozialistische u n d revisionistische Theoretiker der Gegenwart haben diese P h a n t a s t e r e i e n bereitwillig aufgegriffen. Die Herausbildung der nichtmarxistischen Sozialismuskonzeptionen war von einem erbitterten ideologischen Kampf u m die M a ß n a h m e n geprägt, die der S o w j e t s t a a t in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus t r a f . I m Feuer der Kritik standen vor allem solche entscheidenden M a ß n a h m e n wie die Nationalisierung der Industrie, des G r u n d u n d Bodens u n d der B a n k e n , das Außenhandelsmonopol u n d die W i r t s c h a f t s p l a n u n g . Die Vertreter der beiden ersten Richtungen waren sich darin einig, d a ß die M a ß n a h m e n der S o w j e t m a c h t eine grundlegende U m w ä l z u n g der sozialökonomischen Verhältnisse b e d e u t e t e n u n d die Basis f ü r eine völlig neue Organisation des Wirtschaftslebens nach sozialistischen Prinzipien schufen. Deshalb b e k ä m p f ten sie alle F o r m e n der sozialistischen Vergesellschaftung, vor allem aber die Konzentration der Wirtschaftsleitung in den H ä n d e n des S t a a t e s . Selbst die Vertreter der d r i t t e n Richtung, die die Erfolge des sozialistischen A u f b a u s anerk a n n t e n , k o n n t e n lange Zeit die aus der marxistisch-leninistischen SozialismusKonzeption abgeleiteten strategischen Ziele des P r o g r a m m s des sozialistischen A u f b a u s nicht begreifen. Die theoretischen u n d praktischen Lösungen, die von den Vertretern der kleinbürgerlichen u n d bürgerlichen Positionen f ü r die Entwicklungsprobleme der S o w j e t w i r t s c h a f t vorgeschlagen wurden, waren recht mannigfaltig. Sie wollten dem Sozialismus, der sich im Kampf mit dem Kapitalismus entwickelte u n d festigte, u n d der marxistisch-leninistischen Wirtschaftstheorie ihre eigene Konzeption vom Wesen der sozialistischen W i r t s c h a f t u n d von den Methoden der sozialistischen W i r t s c h a f t s f ü h r u n g entgegenstellen, die auf Thesen u n d Schlußfolgerungen der bürgerlichen politischen Ökonomie b e r u h t e n . 7

A. Finn-Enotaevskij, Karl Marx i novejsij socializm, Petrograd 1922, S. 104.

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2. Die methodologischen Grundlagen der bürgerlichen von der sozialistischen Wirtschaft

Konzeptionen

F ü r die hier analysierten antimarxistischen Theorien war das Bemühen charakteristisch, einzelne Grundgedanken des wissenschaftlichen Sozialismus, die oberflächlich interpretiert wurden, mit den Ideen der bürgerlichen politischen Ökonomie, die vor allem idealistischer Natur waren, zu verbinden. Diese Konzeptionen bauten auf einer subjektivistischen Methodologie auf, die die objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung, vor allem aber die Gesetzmäßigkeiten des Entstehens und der Entwicklung des Sozialismus, leugnete. Die meisten Ökonomen, die auf nichtmarxistischen Positionen standen, hielten eine politische Ökonomie des Sozialismus nicht für möglich. Sie brachten die politische Ökonomie ausschließlich mit dem spontanen Wirken der ökonomischen Gesetze in Zusammenhang und meinten, daß m i t der anarchischen kapitalistischen Wirtschaft auch die politökonomische Wissenschaft verschwinden müsse. Diese einschränkende Interpretation des Gegenstands der politischen Ökonomie war in der sowjetischen Wirtschaftsliteratur der zwanziger J a h r e gebräuchlich. Sie erklärt sich daraus, daß zu jener Zeit noch wenig Erfahrungen über die Funktionsweise der sozialistischen Wirtschaft vorlagen und daß sie von einigen mit der verabsolutierten These von der Eindeutigkeit und Ausgeprägtheit der Produktionsverhältnisse im Sozialismus verbunden wurde. Am weitesten ausgeprägt war die einschränkende Interpretation des Gegenstands der politischen Ökonomie in den Arbeiten von S. I. Solncev. In seinem Buch „Einführung in die politische Ökonomie. Gegenstand und Methode" hob Solncev hervor, daß die objektiven ökonomischen Gesetze nur in der kapitalistischen Warenwirtschaft, also in einer spontanen Wirtschaft, wirken können. „Soziale Verhältnisse aber und eine soziale Gesetzmäßigkeit können nur in einer (hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse) uneingeschränkten Gesellschaft ihren Platz finden; wo es Planwirtschaft gibt, brauchen wir nicht nach spontanen sozialen Gesetzmäßigkeiten suchen; dort bauen die Menschen ihr Wirtschaftsleben bewußt, nach einem eigenen Plan, nach eigenen ,Gesetzen' und eigenen Vorhaben auf; dort, in dieser Planwirtschaft, ist die politische Ökonomie als Sozialwissenschaft überflüssig." 8 Die russischen Ökonomen, die die Grundthesen der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft vertraten, gingen in ihren Konzeptionen von der sozialistischen Wirtschaft von der neokantianischen Auffassung des Verhältnisses von Kausalität und Bewußtsein aus. Die kausalen Zusammenhänge wurden in diesen Konzeptionen mit spontanen Beziehungen zwischen den Wirtschaftseinheiten identifiziert, bei denen es keine planmäßige Leitung der Volkswirtschaft gibt. Die Autoren dieser Konzeptionen ließen sich von dem neokantianischen Grundsatz leiten, 8

S. I. Solncev,Vvedenie v 1926, S. 93.

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politiceskuju ekonomiju. Predmet i metod, Leningrad

d a ß sieh objektive ökonomische Gesetze mit b e w u ß t gestellten Zielen nicht vereinbaren lassen. Am deutlichsten k a m dieser G e d a n k e in den Arbeiten von P. Struve, eines Ideologen der bürgerlichen Konterrevolution, z u m Ausdruck. E r sprach von einem „Dualismus des sozialökonomischen Prozesses", der darin bestehen sollte, d a ß an der gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g zwei T y p e n von P r o zessen, nämlich elementare u n d durch einen Willen gelenkte Prozesse, beteiligt seien. S t r u v e stellte die geschichtliche Entwicklung als Z u n a h m e der s u b j e k t i v e n F o r m e n der Wirtschaftsregulierung dar, wobei er den o b j e k t i v e n F a k t o r e n eine geringer werdende Rolle beimaß. In d e m Vortrag „Ergebnisse u n d Wesen der kommunistischen W i r t s c h a f t " , d e n S t r u v e 1922 in Berlin hielt, entwickelte er seine schon vor der Revolution aufgestellte These, nach der die sozialistische W i r t s c h a f t eine „ s u b j e k t i v - i d e o l o gische E i n h e i t " sein sollte, weiter. Diese „teleologische E i n h e i t " sollte jede Gesetzm ä ß i g k e i t der gesellschaftlichen Entwicklung ausschließen. Der S u b j e k t i v i s m u s w u r d e z u m konstituierenden Merkmal der „kommunistischen W i r t s c h a f t " erhoben. Die Notwendigkeit der politökonomisclien Wissenschaft leitete S t r u v e aus der Existenz des Warenfetischismus, der H e r r s c h a f t von Dingen ü b e r die Menschen, ab. Die „Verdinglichung" der gesellschaftlichen Verhältnisse, eine Erscheinung, d i e M a r x als Fetischismus der W a r e n w e l t bezeichnet h a t t e , sei, so b e h a u p t e t e S t r u v e , eine „psychologische Notwendigkeit". Die wissenschaftliche Analyse sollte sich, b e w u ß t oder u n b e w u ß t , gerade auf diesen „ W i r t s c h a f t s v e r k e h r " beschränken, weil der „fetischistische S t a n d p u n k t auch methodologisch der einzig richtige ist. Da die politische Ökonomie mit Hilfe zwischenwirtschaftlicher Kategorien die a b s t r a k t e F o r m des autonomwirtschaftlichen Verkehrs u n t e r s u c h t , k a n n u n d m u ß sie auf dem Boden des Fetischismus b l e i b e n . " 9 S t r u v e s Methodologie h a t auf die Herausbildung der bürgerlichen Sozialismustheorien in der russischen W i r t s c h a f t s l i t e r a t u r großen E i n f l u ß a u s g e ü b t . Ein großer Teil der Autoren dieser Theorien definierte den Sozialismus als „teleologische Einheit", die das Wirken objektiver ökonomischer Gesetze ausschlösse. Deshalb meinten sie auch, die politische Ökonomie solle n u r einen W i r t s c h a f t s t y p untersuchen, nämlich den unorganisierten T y p der T a u s c h w i r t s c h a f t , also den Kapitalismus. A. V. Cajanov b e h a u p t e t e , d a ß bei der Analyse des Sozialismus „ a u c h die ganze alte politische Ökonomie wegfällt . . . " 1 0 Auch L. N. J u r o v s k i j , V. J a . 2eleznov u n d andere leiteten die A b l e h n u n g der politischen Ökonomie als Wissenschaft d a r a u s ab, d a ß die politische Ökonomie n u r die fetischistischen F o r m e n der Produktionsverhältnisse untersuche, sich also auf die Analyse der „äußeren F o r m e n " dieser Verhältnisse beschränke. So legte L. N. J u r o v s k i j den Akzent auf 9 10

P. Struve, Chozjajstvo i cena, 1. Teil, Moskva 1913, S. 25. A. V. Cajanov, Das Problem der wirtschaftlichen Rechnungsführung im sozialistischen Staat, in: Ekonomiceskaja zizn, 225/1920.

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die q u a n t i t a t i v e V e r g l e i c h b a r k e i t d e r W i r t s c h a f t s g ü t e r u n d ü b e r t r u g d e n Gegens t a n d d e r politischen Ö k o n o m i e aus d e m Gebiet der ö k o n o m i s c h e n Verhältnisse auf d a s Gebiet der Verhältnisse zwischen Dingen. E b e n s o wie S l r u v e w a r er e n t schieden gegen eine „ S u b s t a n t i o n a l i s i e r u n g des W e r t e s " , weil er jegliche Versuche, den W e r t auf o b j e k t i v e ö k o n o m i s c h e Verhältnisse z u r ü c k z u f ü h r e n , f ü r m e t a physisch h i e l t 1 1 . V. J a . Zeleznov sah n u r d o r t eine ökonomische P r o b l e m a t i k , wo die ö k o n o m i schen Verhältnisse n i c h t n u r einen „ n a t u r a l e n " , s o n d e r n a u c h „ w e r t m ä ß i g e n " A s p e k t h a b e n , d a s h e i ß t i m G r u n d e n u r d o r t , wo die P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e d u r c h die B e w e g u n g d e r W i r t s c h a f t s g ü t e r , der „ r ä u m l i c h e n E r s c h e i n u n g e n d e r A u ß e n w e l t " , v e r m i t t e l t werden. 1 2 Die fetischistische I n t e r p r e t a t i o n der ö k o n o m i s c h e n E r s c h e i n u n g e n schloß eine wissenschaftliche B e t r a c h t u n g der P r o b l e m e des Sozialismus aus. D a die n i c h t m a r x i s t i s c h e n Ö k o n o m e n m e i n t e n , die sozialistischen P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e h ä t t e n keine g e g e n s t ä n d l i c h e A u s d r u c k s f o r m , l e u g n e t e n sie a u c h die Möglichkeit, diese Verhältnisse wissenschaftlich zu a n a l y s i e r e n . I h r e n I d e a l i s m u s in der I n t e r p r e t a t i o n der W i r t s c h a f t s p r o z e s s e der sozialistischen Gesellschaft r e c h t f e r t i g t e n diese Ö k o n o m e n gewöhnlich m i t d e m Verweis auf die „ E i n d e u t i g k e i t " u n d K l a r h e i t der sozialistischen P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e in P r o d u k t i o n u n d D i s t r i b u t i o n . W i r u n t e r s c h e i d e n zwischen d e n v e r w a n d e l t e n F o r m e n der P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e u n d d e n ö k o n o m i s c h e n F o r m e n , die sozialistische P r o d u k t i o n s v e r h ä l t nisse a u s d r ü c k e n , a b e r n i c h t m i t i h r e m W e s e n identisch sind. M a r x schrieb, die W i s s e n s c h a f t wäre überflüssig, w e n n I n h a l t u n d F o r m u n m i t t e l b a r z u s a m m e n fallen w ü r d e n . E r verwies a u c h auf die E i n d e u t i g k e i t u n d K l a r h e i t d e r P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e in einer Gesellschaft assoziierter P r o d u z e n t e n , wobei er j e d o c h n u r die g r u n d s ä t z l i c h a n d e r s g e a r t e t e n E r s c h e i n u n g s f o r m e n dieser V e r h ä l t n i s s e im Vergleich zur k a p i t a l i s t i s c h e n W a r e n w i r t s c h a f t klarstellen wollte. D a die auf bürgerlichen P o s i t i o n e n s t e h e n d e n Ö k o n o m e n m e i n t e n , d a ß I n h a l t u n d E r s c h e i n u n g s f o r m e n der P r o d u k t i o n s v e r h ä l t n i s s e identisch seien, k a m e n sie zu d e m S c h l u ß , d a ß es keine politische Ö k o n o m i e des Sozialismus geben k ö n n e . Die n e o k a n t i a n i s c h e Methodologie zeigte sich a u c h in der B e t r a c h t u n g des Sozialismus als eine v o m Kollektivwillen der Mitglieder der Gesellschaft k o n struierte Ordnung. M. I. T u g a n - B a r a n o v s k i j b e t r a c h t e t e d e n Sozialismus n i c h t als R e s u l t a t d e s n a t ü r l i c h e n G e s c h i c h t s v e r l a u f s , s o n d e r n als G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g , die auf d e r G r u n d l a g e apriorischen N a c h d e n k e n s ü b e r allgemeinmenschliche Ideale e n t s t e h e . E r b e h a u p t e t e , der Sozialismus sei weder g e s e t z m ä ß i g noch l e b e n s f ä h i g . I m G e g e n s a t z zu den n a t ü r l i c h g e w a c h s e n e n G e s e l l s c h a f t s f o r m e n sei die sozialistische 11

Vgl. L. N. Jurovskij, Ocerki po teorii ceny, Saralov 1919, S. 74. V. J a . Zeleznov, Zur Frage des Natural- und des Wertaspekts ökonomischer Erscheinungen, in: Voprosy konjunktury, Bd. 1, 1/1925, (Moskva), S. 10.

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Gesellschaft ein „ t r a n s h i s t o r i s c h e s I d e a l d e r M e n s c h h e i t " , eine „ k ü n s t l i c h e , e r d a c h t e F o r m des menschlichen Z u s a m m e n l e b e n s " 1 3 . Die philosophische B e g r ü n d u n g der sozialistischen W e l t a n s c h a u u n g s a h T u g a n B a r a n o v s k i j in K a n t s Idee v o n d e r „ G l e i c h w e r t i g k e i t " d e r m e n s c h l i c h e n P e r s ö n lichkeit, weil diese W e l t a n s c h a u u n g auf „ethischen P r i n z i p i e n b e r u h t " . 1 4 D a s ethische P r i n z i p h a t t e T u g a n - B a r a n o v s k i j auch seiner S o z i a l i s m u s k o n s t r u k t i o n z u g r u n d e gelegt. Die P e r s ö n l i c h k e i t des Menschen sei die „ g r ö ß t e K o s t b a r k e i t der W e l t " , d e s h a l b sei d a s Verlangen n a c h F r e i h e i t u n d Gleichheit f ü r alle Mitglieder d e r Gesellschaft d a s allgemein v e r b i n d l i c h e I d e a l des Sozialismus. J e d e P e r s ö n l i c h k e i t m ü s s e eine A r t „Selbstziel" darstellen, d e m die g a n z e G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g u n t e r w o r f e n werden müsse. „Die ideale m e n s c h l i c h e G e s e l l s c h a f t " , b e t o n t e T u g a n - B a r a n o v s k i j , „ m u ß zu eben diesem Reich der Ziele w e r d e n . " 1 5 Die allseitige E n t w i c k l u n g der P e r s ö n l i c h k e i t m ü s s e a u s sozialistischer S i c h t z u m „ o b e r s t e n u n d E n d z i e l des G e s e l l s c h a f t s v e r b a n d e s " w e r d e n . 1 0 A u c h der M a r x i s m u s f a ß t die u m f a s s e n d e , freie u n d allseitige E n t w i c k l u n g d e r P e r s ö n l i c h k e i t als d a s eigentliche Ziel des Sozialismus a u f . A b e r w e n n d e r M a r x i s m u s die E n t w i c k l u n g d e r P e r s ö n l i c h k e i t als H a u p t z i e l des Sozialismus b e t r a c h t e t , d a n n leitet er sie aus den Gesetzen der gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g a b . F ü r d e n M a r x i s m u s sind F r e i h e i t u n d Gleichheit kein t r a n s h i s t o r i s c h e s M e n s c h h e i t s ideal, d e m die W i r k l i c h k e i t a n g e p a ß t werden m u ß , s o n d e r n d a s o b j e k t i v e R e s u l t a t der W i r k l i c h k e i t selbst. W e n n der M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s die N o t w e n d i g k e i t d e r w i r t s c h a f t l i c h e n , sozialen u n d politischen Gleichheit h e r v o r h e b t , b e t r a c h t e t er sie als g r u n d l e g e n d e n W e s e n s z u g des realen S y s t e m s sozialistischer V e r h ä l t nisse. E i n e e i n d e u t i g e E r s c h e i n u n g s f o r m der s u b j e k t i v i s t i s c h e n Methodologie w a r die I n t e r p r e t a t i o n d e r p l a n m ä ß i g e n B e w e g u n g d e r ö k o n o m i s c h e n V e r h ä l t n i s s e des Sozialismus als willkürliche, v o m Willen der Gesellschaft u n d des S t a a t e s k o n s t r u i e r t e F o r m . So h a t t e n v o r allem die A u t o r e n des „ n a t u r a l i s t i s c h e n " Modells v o n der sozialistischen W i r t s c h a f t die P l a n u n g i n t e r p r e t i e r t . A. V. Cajanov, der zu diesen A u t o r e n g e h ö r t e , l e u g n e t e den o b j e k t i v e n C h a r a k t e r d e r ö k o n o m i schen Gesetze des Sozialismus, i n d e m er m e i n t e , d a ß der einheitliche Wille d e s S t a a t e s den W i r t s c h a f t s p r o z e ß willkürlich steuern k ö n n e . In Cajanovs Modell w a r die P l a n m ä ß i g k e i t in keiner Weise a n d a s gesellschaftliche E i g e n t u m a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n g e b u n d e n . Dieses E i g e n t u m w u r d e ü b e r h a u p t i g n o r i e r t u n d d e r P l a n als E r s c h e i n u n g s f o r m des s u b j e k t i v e n Willens h i n g e s t e l l t , d e r k e i n e n o b j e k t i v e n Gesetzen der w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g u n t e r l i e g e . E b e n s o l e i t e t e Cajanov den N a t u r a l c h a r a k t e r der sozialistischen W i r t s c h a f t d a r a u s a b , d a ß d e r S t a a t n a c h seinem E r m e s s e n u n d Willen die T a u s c h v e r h ä l t n i s s e a b s c h a f f e n könne. D u r c h die subjektivistisch-teleologische I n t e r p r e t a t i o n der ö k o n o m i s c h e n V c r 13

M. I. Tugan-Baranovskij, Socializm kak polozitel'noe ucenie, Petrograd 1918, S. 5, 7. 15 16 « Ebenda, S. 16. Ebenda, S. 9, 10. Ebenda, S. 13.

169

hältnisse des Sozialismus konnten die Ideologen des Antimarxismus ihren Konzeptionen von der sozialistischen Wirtschaft die Werttheorie der subjektiven Schule oder, nach ihrer eigenen Terminologie, die „subjektive Theorie des wirtschaftlichen Wertes" zugrunde legen. Wohl lehnten einige Vertreter der subjektiven Schule der bürgerlichen politischen Ökonomie, wie zum Beispiel L. N. Jurovskij, die Grenznutzentheorie in ihrer traditionellen Form ab, weil sie einsahen, daß die „Messung psychischer Verhaltensweisen" nicht möglich sei. Zugleich aber betonte auch er den „psychologischen" Charakter der Bewertung der Wirtschaftsgüter, behauptete er, daß das Materielle kein konstituierendes Merkmal der Definition" der ökonomischen Erscheinungen sei. 17 Hier trafen sich die „naturalistische" und die „Warenmarkt"-Konzeption von der Wirtschaft des Sozialismus. Die „naturalistische" Konzeption betrachtete die Bewertungen der Wirtschaftsgüter als rein subjektiv-rechnerische Bewertungen, wie sie das einzelne Wirtschaftssubjekt in einer Naturalwirtschaft anstellt. Cajanov sah Wert und Preis nicht als objektive ökonomische Kategorien („Phänomene", wie er sich ausdrückte) der sozialistischen Wirtschaft an, sondern entweder als „technische" oder als „rechnerische" Bewertungen der Wirtschaftsgüter. So schrieb er: „Es bleibt auch die Möglichkeit der willkürlichen distributiven oder rechnerischen Bewertung der Güter zu beliebigen Einheiten, die von den staatlichen Organen vorgenommen werden. Aber das sind eigentlich technische, an die Produktion oder Distribution gebundende Koeffizienten, keineswegs aber objektive Phänomene der Volkswirtschaft." 1 8 In Wirklichkeit tragen die Wertkategorien, die in der sozialistischen Wirtschaft ausgenutzt werden. (Geld, Preis, Produktionskosten und andere) objektiven Charakter. Sie drücken die im Sozialismus objektiv notwendigen WareGeld-Beziehungen aus, die Element des Systems der sozialistischen Produktionsverhältnisse sind. Die Anhänger der bürgerlichen „Marktkonzeption" von der sozialistischen Wirtschaft wollten nachweisen, daß die Herleitung der Bewertungen von einer objektiven Grundlage — dem gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand — der Natur der sozialistischen Wirtschaft nicht entspreche, weil es dort angeblich keine objektiven wirtschaftlichen Verhältnisse gebe. Bestenfalls, so behauptete Tugan-Baranovskij, könnten die Preise der Wirtschaftsgüter in einer sozialistischen Gesellschaft Idealpreise sein, die jeder objektiven Grundlage entbehren. „In einer sozialistischen Wirtschaft nimmt der ganze Prozeß des Preisausdrucks in einer Geldeinheit ideellen Charakter an, weil die Geldeinheit selbst zu einer durchweg ideellen Einheit wird." 19 17 18

19

Vgl. L. N. Jurovskij, Ocerki po teorii ceny, S. 42. A. Cajanov, Die Wertsubstanz und das System der Arbeitsäquivalente, in: Ekonomiceskaja zizn 247/1920. M. I. Tugan-Baranovskij, Socializm kak polozitel' noe ucenie, Petrograd 1918, S. 108.

170

Auf der Grundlage ihrer subjektivistischen Methodologie leugneten die b ü r gerlichen Ökonomen zwar die Möglichkeit einer politischen Ökonomie des Sozialismus, t r o t z d e m konstruierten sie aber ihre Sozialismusmodelle, die sie der marxistisch-leninistischen Wirtschaftstheorie des Sozialismus entgegenzustellen versuchten.

3. Der Zusammenbruch verleumderischer der bürgerlichen Konterrevolution

Ideologien

Zur reaktionärsten R i c h t u n g der bürgerlichen Theorien von der sozialistischen W i r t s c h a f t gehörten die russischen Ökonomen u n d Soziologen, die die Sow j e t m a c h t offen b e k ä m p f t e n , indem sie sich zu Ideologen der bürgerlichen Konterrevolution m a c h t e n . Einige ihrer Arbeiten sind zu Beginn der zwanziger J a h r e in der U d S S R v e r f a ß t u n d veröffentlicht worden, andere erschienen in der Emigrantenpresse. Die gemeinsame P l a t t f o r m , die die Vertreter dieser R i c h t u n g des bürgerlichen ökonomischen Denkens vereinigte, war die Theorie von der „logischen u n d praktischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus", die zuerst von L. Mises v e r t r e t e n worden war. Zu den b e k a n n t e s t e n russischen Verfechtern dieser Theorie gehörte B. Bruckus, dessen Buch „Die sozialistische W i r t s c h a f t " in Berlin veröffentlicht wurde. Was er in diesem Buch darlegte, war der etwas erweiterte I n h a l t des Vortrages „Probleme der Volkswirtschaft in einer sozialistischen O r d n u n g " , den Bruckus im J a h r e 1920 in P e t r o g r a d u n d Moskau gehalten u n d 1922 in der Zeitschrift „ E k o n o m i s t " veröffentlicht h a t t e . B r u c k u s wollte den Nachweis liefern, d a ß die „ökonomischen Probleme des marxistischen Sozialismus unlösbar" u n d der „Untergang des Sozialismus u n v e r m e i d b a r " seien. E r schlug sogar „einige Zwischenschritte f ü r die R ü c k k e h r zur kapitalistischen O r d n u n g " vor. G e s t ü t z t auf die Theorie von der „logischen u n d praktischen U n d u r c h f ü h r barkeit des Sozialismus", wollten die eifrigsten Gegner der S o w j e t m a c h t die ökonomische Lehre des Marxismus-Leninismus widerlegen. Vor allem leugneten sie die Wissenschaftlichkeit des marxistischen Sozialismus. Deshalb versuchten sie nachzuweisen, d a ß es zwischen dem Marxismus u n d d e m utopischen Sozialismus keine Scheidegrenze gebe. So schrieb Bruckus, d a ß sich „im sogen a n n n t e n utopischen Sozialismus ebenso wissenschaftliche E l e m e n t e nachweisen lassen wie im sogenannten wissenschaftlichen Sozialismus unwissenschaftliche Elemente". Diese Gleichsetzung des Marxismus m i t d e m utopischen Sozialismus b r a u c h t e n die Apologeten des Kapitalismus, u m die Große Sozialistische Oktoberrevolution, die ein gesetzmäßiges historisches Ereignis, d a s o b j e k t i v notwendige R e s u l t a t des natürlichen historischen E n t w i c k l u n g s p r o zesses der Gesellschaft darstellte, als F r u c h t einer „utopischen D o k t r i n " , die ohne Z u k u n f t sei, zu diffamieren. 12

Ök. soz. Theorien

171

Die Gegner der S o w j e t m a c h t leugneten die konstruktive, schöpferische K r a f t des Marxismus. „Die russische u n d sowjetkommunistische P r a x i s versucht sich auf die Forderungen u n d Thesen des Marxismus zu stützen. Aber die ganze Tragik des sogenannten wissenschaftlichen, d. h. marxistischen Sozialismus besteht darin, d a ß er keinerlei positive Lehre von der k ü n f t i g e n Gesellschaftsordnung geliefert h a t " , schrieb Professor G. S v i t a u , ein weißgardistischer E m i grant. U m die marxistische Wirtschaftstheorie in Verruf zu bringen u n d ihre kons t r u k t i v e F u n k t i o n h e r a b z u m i n d e r n , stellte Bruckus, von diesen Positionen ausgehend, den Marxismus dem utopischen Sozialismus gegenüber. W ä h r e n d sich die utopischen Sozialisten noch mit der „ K o n s t r u k t i o n " des W i r t s c h a f t s s y s t e m s der k ü n f t i g e n Gesellschaft b e f a ß t h ä t t e n , habe sich Marx n i c h t systematisch m i t dieser Aufgabe beschäftigt, schrieb Bruckus. Marx u n d Engels h a t t e n bekanntlich die Grundlagen f ü r die politische Ökonomie des Sozialismus gelegt. Das k a m bei der Analyse der historischen E n t wicklungstendenzen des Kapitalismus, im Kampf gegen bürgerliche, kleinbürgerliche u n d opportunistische Entstellungen des Sozialismus sowie in der politischen Tätigkeit von M a r x u n d Engels als Organisatoren u n d F ü h r e r der internationalen proletarischen Bewegung zum Ausdruck. Die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus h a b e n nicht n u r die Entwicklungsgesetze des Kapitalismus e n t d e c k t , sie h a b e n dem P r o l e t a r i a t a u c h die R i c h t u n g der revolutionären Veränderung oder, wie sich Lenin a u s d r ü c k t e , die „großen Linien" der sozialistischen U m g e s t a l t u n g e n , gewiesen. Obgleich Bruckus dem Marxismus „nachlässiges" Verhalten zur Wirtscliaflstheorie des Sozialismus vorwarf, m u ß t e er doch zugeben, d a ß die Ausarbeitung der eigentlichen Grundsätze dieser Theorie das Werk von M a r x ist. D a n n a b e r b e h a u p t e t e er, d a ß die Marxisten schon z u m Z e i t p u n k t der proletarischen Revolution ü b e r eine detaillierte Theorie von der W i r t s c h a f t des Sozialismus als eine A r t Wegweiser u n d Nachschlagewerk verfügen m ü ß t e n . Wie unsinnig derartige Vorwürfe waren, h a t t e schon Lenin nachgewiesen. So schrieb er im S e p t e m b e r 1917: „Wir sind keine Doktrinäre . . . Wir b e h a u p t e n nicht, d a ß M a r x oder die Marxisten den Weg zum Sozialismus in all seinen Einzelheiten kennen. Das wäre Unsinn. Wir kennen die R i c h t u n g dieses Weges, wir wissen, welche Klassenkräfte auf diesem Wege f ü h r e n d sind, doch k o n k r e t , praktisch wird das nur die Erfahrung der Millionen zeigen, sobald sie die Sache in Angriff n e h m e n . " 2 0 Die in die Emigration gegangenen Ökonomen leugneten die Rolle der E r f a h r u n g f ü r die Herausbildung der Theorie u n d b e h a u p t e t e n , theoretische Leitsätze m ü ß t e n spekulativ, ausgehend v o m „reinen Spiel des Geistes", a b geleitet werden. Sie waren b e m ü h t , die H i n w e n d u n g zur E r f a h r u n g der Massen 20

W. I. Lenin, Aus dem Tagebuch eines Publizisten, in: Werke, Bd. 25, Berlin 1970 S. 289.

172

als Merkmal des Verzichts auf die Theorie selbst hinzustellen, als Mangel an einem klaren P r o g r a m m und an Vertrauen in die eigenen Handlungen. B e v o r die Arbeiterklasse an die Macht k a m , konnte die politische Ökonomie des Sozialismus noch kein geschlossenes S y s t e m sein. E r s t nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, während der theoretischen und praktischen Arbeit a m A u f b a u des Sozialismus, wurde sie B e s t a n d t e i l der politischen Ökonomie des Marxismus-Leninismus. Andererseits enthalten die Werke der B e gründer des M a r x i s m u s nicht nur die methodologischen Voraussetzungen f ü r die wissenschaftliche Analyse der sozialistischen Wirtschaft, sondern in groben Zügen auch eine Reihe wichtiger Gesetzmäßigkeiten ihrer Funktionsweise. Zugleich mit ihren wütenden Angriffen auf den M a r x i s m u s a t t a c k i e r t e n die bürgerlichen Ideologen auch die U m s e t z u n g der Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus in die P r a x i s . In ihren Veröffentlichungen wurden die wirtschaftlichen Erfolge des S o w j e t s t a a t e s verschwiegen, dagegen die Schwierigkeiten des sozialistischen A u f b a u s in einem L a n d , d a s v o m imperialistischen Krieg u n d besonders vom Bürgerkrieg ruiniert u n d v o m K a p i t a l i s m u s eingekreist war, auf jede Weise in den Vordergrund gestellt und Gerüchte über angebliche u n d tatsächliche Teilmißerfolge und Fehler auf diesem schwierigen Weg in U m l a u f gesetzt. Ihre H a u p t a u f g a b e b e s t a n d in dem Nachweis, daß der „ v e r w u n d b a r ste P u n k t des K o m m u n i s m u s seine Wirtschaft i s t " , daß sie seine „Achillesferse, sein organischer Mangel" sei. Die ideologische Ausrichtung ihrer Arbeiten war in einer Emigrantenzeitschrift formuliert: „Wir haben uns in diesem Organ der A u f g a b e angenommen, die Sowjetregierung auf dem Gebiet des volkswirtschaftlichen Lebens zu b e k ä m p f e n . " Man setzte die ganze P a l e t t e der Argumente in U m l a u f , mit denen die Theorie von der „logischen u n d praktischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des S o z i a l i s m u s " operierte, vor allem aber die These, d a ß d a s sozialistische W i r t s c h a f t s s y s t e m keine inneren K r ä f t e , keine eigenen B e wegungsgesetze habe. Die T a t s a c h e , daß im Sozialismus die spontanen Gesetze des K a p i t a l i s m u s nicht mehr wirken, diente als A r g u m e n t für die Schlußfolgerung, daß die ökonomischen Gesetze ü b e r h a u p t aufhören zu wirken. P. R j a b u s i n s k i j , der zu den Rädelsführern der bürgerlichen Konterrevolution gehörte, meinte, der U b e r g a n g v o m K a p i t a l i s m u s , dieser „natürlichen E n t wicklung des L e b e n s " , zum Sozialismus sei ein Verstoß gegen die ökonomischen Gesetze. „Wir wissen", drohte er, „ d a ß die natürliche Entwicklung des L e b e n s ihren Lauf n i m m t , und sie wird diejenigen, die gegen die ökonomischen Gesetze verstoßen, f u r c h t b a r b e s t r a f e n ! " 2 1 Ein weiterer „Hellseher" schrieb drei Wochen v o r d e r Oktoberrevolution,,,. . . wenn für d a s russische Volk die Gesetze der historischen Entwicklung nicht verbindlich sein sollten, dann wäre bei uns d a s Reich des Sozialismus realisierbar" 2 2 . 21

22

12'

Zitiert nach: Ekonomiceskoe polozenie Rosii nakanune Yelikoj Oktjabrskoj socialisticeskoj revoljucii, Teil 1, Moskva-Leningrad 1957, S. 200. M. Sul'gin, Die künftige Agrarordnung und die Landvermessung, in: Zemel-noe delo, 2/1917, S. 6. 173

Die russischen bürgerlichen

Ökonomen

P . S t r u v e , P . Sorokin,

S. Prokopo-

vic, B . B r u c k u s , die auf den Positionen der Theorie von der „logischen und praktischen

Undurchführbarkeit

des

Sozialismus"

standen,

interpretierten

die sozialistische Nationalisierung, m i t der die Industriebetriebe in die H ä n d e des Volkes übergingen, als „Zerstörung des W i r t s c h a f t s l e b e n s " . Auf einer T a gung des R a t e s der Belgischen Sozialistischen P a r t e i im J a h r e 1 9 2 0 in Brüssel bezeichnete A. Kerenskij die sozialistische Nationalisierung als

„terroristische

Zerstörung der I n d u s t r i e " durch die Arbeiterklasse. P . S t r u v e sah in der Nationalisierung eine „Verführung der Massen durch u n m i t t e l b a r e Vorteile aus der Besitzergreifung der B e t r i e b e " . Hier sei daran erinnert, daß M a r x und E n g e l s lange vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution im „Manifest der K o m munistischen P a r t e i " festgestellt haben, daß „für den Bourgeois das Aufhören des Klasseneigentums das Aufhören der Produktion selbst i s t . . . " 2 3 . Die Apologeten des Kapitalismus wollten nachweisen, daß die sozialistische Gesellschaft ohne kapitalistische U n t e r n e h m e r und ohne deren F ä h i g k e i t „Geld zu m a c h e n " , keine effektiv funktionierende P r o d u k t i o n organisieren und keine rationelle Nutzung der materiellen

Ressourcen und der A r b e i t s k r ä f t e gewähr-

leisten könne. P i t i r i m Sorokin b e h a u p t e t e , das sozialistische E i g e n t u m sei eine Anomalie, die das Gesetz des pyramidenförmigen Aufbaus der Gesellschaft, dem biologische F a k t o r e n zugrunde lägen, verletze. E i n e m Teil der Menschen h ä t t e die N a t u r einen P l a t z

an

der S p i t z e

der Stufenleiter der Gesellschaft,

anderen

dagegen auf den unteren Sprossen zugewiesen. „ U m reich zu sein, m u ß m a n die entsprechenden Q u a l i t ä t e n h a b e n . U m s o n s t , für nichts und wieder nichts gibt es keinen R e i c h t u m . . . Das gleiche gilt für die Armen. N i c h t alle können gute R ä u b e r , geschickte Staatskassenplünderer, Börsenspekulanten oder Geizkragen sein. In diesem Sinne sind sie ,zu R e c h t ' reich geworden, ebenso wie ,nach dem gleichen R e c h t ' andere, die in der Masse nicht über die für einen Reichen

erforderlichen

Eigenschaften

verfügten,

in die

Schicht

der

Armen

gerieten." Auf diese Weise b e k ä m p f t e n die Ideologen der bürgerlichen

Konterrevolu-

tion das gesellschaftliche E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n m i t einer überholten W a f f e . Sie restaurierten ganz einfach in etwas modernisierter F o r m die schon von M a r x verspotteten Mythen der bürgerlichen Vulgärökonomie

von

der „ A b s t i n e n z " des Kapitalisten als Quelle von K a p i t a l und P r o f i t und von den „besonderen T a l e n t e n " der Kapitaleigentümer, die die H e r k u n f t des K a pitals erklären sollten. Die Apologeten des P r i v a t e i g e n t u m s schrieben diesem E i g e n t u m auch „wertvolle Stimuli zur m a x i m a l e n A r b e i t s i n t e n s i t ä t zu" 2 4 . Die Ideologen der bürger23 Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest 24

der Kommunistischen Partei, in: MEW,

Bd. 4, Berlin 1959, S. 477. I. I. Evtichiev, Zemel-noe pravo, Moskva-Leningrad 1929, S. 22.

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liehen Ordnung prophezeiten, daß das sozialistische Eigentum „Rußland zu allgemeiner Armut und zum Chaos führt. So kommt es nicht zur Befreiung der Arbeit, sondern zur Befreiung von der Arbeit, so wird nicht das Recht auf Arbeit, sondern das Recht auf Nichtstun hervorgebracht." In der antisowjetischen Emigrantenzeitschrift „Russkij Ökonomist", die sich dureh außergewöhnliche Niedertracht und den vulgären Charakter ihrer Beiträge auszeichnete, schrieb ein Autor, daß das „ R e c h t auf Nichtstun . . . zur extrem formulierten sozialistischen Tendenz wird und der Sozialismus damit weniger die Befreiung der Arbeit als die Befreiung von der Arbeit propagiert". Schon zu Beginn der revolutionären Bewegung des Proletariats waren seine erbittertsten Gegner bemüht, den Kommunismus als Gesellschaft anarchistischer Nichtstuer hinzustellen. Marx und Engels erteilten im Manifest der Kommunistischen Partei diesen Verleumdern eine vernichtende Antwort: „Man h a t eingewendet, mit der Aufhebung des Privateigentums werde alle Tätigkeit aufhören und eine allgemeine Faulheit einreißen. Hiernach müßte die bürgerliche Gesellschaft längst an der Trägheit zugrunde gegangen sein; denn die in ihr arbeiten, erwerben nicht, und die in ihr erwerben, arbeiten nicht." 2 0 Die Vertreter der reaktionärsten Richtung im bürgerlichen ökonomischen Denken Rußlands betrachteten die aus dem Privateigentum an den Produktionsmitteln hervorgehenden materiellen Stimuli als einzige Form der Stimulierung der Arbeit, die der menschlichen Natur entspricht. F ü r sie war der materielle Anreiz zur Arbeit das Produkt des „ewigen und unausrottbaren Egoism u s " , der allen Menschen gleichermaßen innewohne. In den moralischen Stimuli, in der kommunistischen, freiwilligen und unentgeltlichen Arbeit für die Gesellschaft sahen sie eine „Negation der Grundgesetze der menschlichen Natur." Die Entstellung des Wesens der individuellen materiellen Stimuli zur Arbeit und die Leugnung der Rolle der moralischen Stimuli zeigte deutlich das völlige Unverständnis dieser Ökonomen für das wirkliche Wesen der Verhältnisse des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und für das durch dieses Eigentum gebrachte spezifische System der Interessen und Stimuli. Und während sie sich keine Mühe gaben, das zu begreifen, waren sie sehr schnell bereit, die Arbeit im Sozialismus als „Zwangsarbeit" hinzustellen; d a m i t nahmen sie eine der vom heutigen Antikommunismus sehr gern gebrauchten Verfälschungen vorweg. Dabei beriefen sie sich gewöhnlich auf Trockij, der von der Militarisierung der Arbeit gesprochen hatte. E s war auch kein Zufall, daß die Ideologen der Konterrevolution in ihrem Kampf gegen den Sozialismus, den Sowjetstaat und den Marxismus-Leninismus Trockij als Verbündeten gewählt hatten. Schon damals, als der Mythos vom „zwangsweisen" Charakter der Arbeit 25

K a r l Marx, Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, i n : B d . 4, S. 477.

MEW,

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im Sozialismus gerade erst im Entstehen war, fand er bei den denkenden Menschen im Ausland keine Anhänger. Kerenskij erinnerte sich später, wie empört man auf einer sozialistischen Versammlung im F r ü h j a h r 1920 in Paris seinen Worten entgegengetreten war, der Bolschewismus verdränge die hochqualifizierten Arbeiter, verringere die Arbeitsfähigkeit der Werktätigen und nehme ihnen alle Rechte. Die Ideologen der konterrevolutionären Bourgeoisie setzten die Freiheit des Privatunternehmertums mit ökonomischer Freiheit schlechthin gleich. Deshalb stellten sie die Existenz des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln als Liquidierung jeder ökonomischen Freiheit der Persönlichkeit hin. In seinem Vortrag auf einer Handels- und Industrietagung in Paris erklärte Struve unter stürmischem Beifall, daß der „schicksalhafte Untergang" der Wirtschaft Sowjetrußlands daraus resultiere, daß die Oktoberrevolution das Privateigentum an den Produktionsmitteln, dieses „Pathos der wirtschaftliehen F r e i h e i t " , vernichtet habe. Bruckus bemühte sich nachzuweisen, daß im Vergleich zur kapitalistischen Ordnung „die Bedingungen für die Entfaltung der freien Initiative in der sozialistischen Gesellschaft weit weniger günstig sind." Der Sozialismus beseitige den Wettbewerb und verurteile die Wirtschaft zu Konservatismus und Trägheit, behauptete er. Die emigrierte Großbourgeoisie, die sich der Unterstützung durch das internationale Kapital erfreute, wartete auf günstiges politisches Klima, um nach Rußland zurückzukehren und ihr einstiges Eigentum und die Macht wiedergewinnen zu können. Ihre Ideologen, die diesen Hoffnungen Ausdruck verliehen, „drohten" nicht nur mit dem Verschwinden aller und jeglicher Freiheiten, sondern auch mit dem Untergang von Kultur und Zivilisation überhaupt. Sie warfen der Arbeiterklasse Sowjetrußlands vor, daß die Nationalisierung der Industriebetriebe, der B a n k e n sowie des Grund und Bodens die Freiheit unterdrücke und die Zivilisation untergrabe. In dem bereits erwähnten Vortrag erklärte Struve, wenn sich „die Vertreter der Industrie, des Handels und der Finanzen Rußlands für die Grundlagen der Eigentums und der wirtschaftlichen Freiheit einsetzen, dann verteidigen sie nicht nur sich selbst, sie kämpfen für die Heimat und die Menschheit, für Kultur und F r e i h e i t " . Ökonomische Freiheit der Persönlichkeit im Sozialismus bedeutet Befreiung von der Gefahr der Arbeitslosigkeit, garantiertes R e c h t auf Arbeit, Verbindung der materiellen Interessiertheit jedes Werktätigen, jedes Betriebskollektivs und der ganzen Gesellschaft an der Steigerung der Arbeitsprodukt i v i t ä t ; Erweiterung der gewerkschaftlichen R e c h t e ; Teilnahme des ganzen Volkes an der Diskussion und Verwirklichung der von der kommunistischen Partei ausgearbeiteten Großvorhaben zur Entwicklung der Wirtschaft und K u l t u r ; hohe Aktivität der Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft bei der Aufstellung der Volkswirtschaftspläne und bei der Kontrolle über deren effektive Erfüllung. Ein grundlegendes Merkmal, das die sozialistische Wirtschaft vor der kapi-

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talistisclien W i r t s c h a f t auszeichnet, ist die planmäßige E n t w i c k l u n g der Volkswirtschaft. Die Theoretiker der bürgerlichen Konterrevolution wollten diesen gewaltigen Vorteil des Sozialismus als Schwäche hinstellen. So b e h a u p t e t e Bruckus, die „Schwäche" des Sozialismus liege gerade in seiner P l a n w i r t s c h a f t . I n d e m er auf die Schwierigkeiten bei der R e k o n s t r u k t i o n der Volkswirtschaft spekulierte u n d deren wirkliche Ursachen verfälschte, „erklärte" er diese Schwierigkeiten aus dem wachsenden Anteil des sozialistischen Sektors u n d der allseitigen Entwicklung der Planungsprinzipien sowie d a r a u s , d a ß es „der Macht schließlich gelungen ist, Herr der Lage zu werden". Die Theoretiker der konterrevolutionären Bourgeoisie versuchten, das sozialökonomische Wesen der sozialistischen P l a n u n g u n d ihre Rolle beim Aufschwung der Volkswirtschaft zu entstellen. Sie verleumdeten die Planungstätigkeit der Organe des S o w j e t s t a a t e s als allumfassende Bürokratisierung des Wirtschaftslebens, die den W e t t b e w e r b vernichte u n d den wirtschaftlichen Unternehmungsgeist ersticke. Der einheitliche Volkswirtschaftsplan wurde in •der Emigrantenzeitschrift „Russkij Ökonomist" als „grandiose alles ausschöpfend e Organisation u n d B ü r o k r a t i e " dargestellt; er „verlangt, d a ß die Volksmassen ihm untergeordnet werden . . . Daraus folgt die Erziehung zu passiver U n t e r ordnung, zu gehorsamer Trägheit, zu Unselbständigkeit u n d B e v o r m u n d u n g . . .". Es seien „zahllose Gleichungen mit zahllosen U n b e k a n n t e n u n d m i t nicht erschöpfenden u n d unerschöpflichen D a t e n " , f ü r die es „keine eindeutige Lösung geben k a n n " , deshalb werde die Planung zur „ U n a b w e n d b a r k e i t sozialer E r p r o b u n g e n . . . zum sozialen E x p e r i m e n t " . Die Theoretiker der konterrevolutionären Bourgeoisie — Bruckus, Prokopovie, Zagorskij, S t r u v e — bedienten sich der gleichen A r g u m e n t e , die die Verfechter -der Theorie von der „logischen u n d praktischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus" g e b r a u c h t h a t t e n . Ihnen lag die Leugnung der Möglichkeit zugrunde, die ökonomischen Gesetze bei der P l a n u n g der Volkswirtschaft b e w u ß t a u s z u n u t z e n , •da m a n n u r die spontane F o r m ihrer Wirkungsweise über den M a r k t a n e r k a n n t e . Schließlich sollte d a n n die P l a n u n g der Volkswirtschaft eine reine Büroangelegenheit ohne wissenschaftliche Grundlage u n d Prinzipien sein. Den P l a n u n g s o r g a n e n d e r sozialistischen Gesellschaft bleibe nichts anderes übrig, als über die wirtschaftlichen F r a g e n voluntaristisch zu entscheiden. Die Anhänger der Theorie von der „logischen u n d praktischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus" prophezeiten, d a ß eine rationelle Verteilung der Ressourcen mit Hilfe der sozialistischen P l a n u n g unmöglich sei, so d a ß es zu einer „ S u p e r anarchie", zum nichtäquivalenten Austausch zwischen Arbeiterklasse u n d Baue r n s c h a f t komme. Der A u f b a u einer sozialistischen Gesellschaft sei eine U n m ö g lichkeit. Das Leben h a t diese Voraussagen der Apologeten des Kapitalismus •widerlegt. Nach der E r f ü l l u n g von drei F ü n f j a h r p l ä n e n war die U d S S R zu einer s t a r k e n sozialistischen Macht geworden. Die sozialistische P l a n w i r t s c h a f t h a t t e ihre Vorzüge der ganzen Welt d e m o n s t r i e r t ; sie k a n n t e weder Krisen noch Arbeitslosigkeit, die W i r t s c h a f t wies hohe W a c h s t u m s r a t e n auf, der W o h l s t a n d 177

des. Volkes stieg ständig an, u n d Wissenschaft u n d K u l t u r entwickelten sich rasch. So war es kein Zufall, wenn A n f a n g der dreißiger J a h r e , als die ganze fortschrittliche Welt begeistert von den Erfolgen des ersten P l a n j a h r f ü n f t s sprach, viele in der E m i g r a t i o n befindliche russische Theoretiker den spezifischen Charakter der planmäßigen Entwicklung der sozialistischen W i r t s c h a f t abzustreiten begannen. Sie erklärten, P l a n u n g bestehe in nichts anderem als in gewöhnlichen wirtschaftlichen Verfügungen, wie sie sowohl f ü r die N a t u r a l w i r t s c h a f t als auch f ü r die modernen kapitalistischen Trusts typisch seien. S t r u v e schrieb in jenen J a h r e n , d a ß ohne P l a n u n g jede P r o d u k t i o n sinnlos sei. Im Vorwort zu dem Buch „Die Planungsidee u n d die Ergebnisse des F ü n f j a h r p l a n s " von S. Prokopovic b e h a u p t e t e P. Miljukov, daß die P l a n u n g dem Wirtschaftsleben ü b e r h a u p t i m m a n e n t sei, besonders aber sei sie f ü r die Großproduktion t y p i s c h ; er erklärte also auch die kapitalistische W i r t s c h a f t zur P l a n w i r t s c h a f t . Die gleiche Auffassung v e r t r a t Prokopovic. M. Brajkevic, der die Ansichten der Monopolbourgeoisie ausdrückte, setzte die staatskapitalistische Regulierung mit der P l a n u n g der Volkswirtschaft gleich. E r schrieb, d a ß die P l a n u n g s t ä t i g k e i t im Kapitalismus auf der E r f a s s u n g der „natürlichen", also der spontanen Marktprozesse beruhe. Diese Ökonomen lehnten die sozialistische P l a n u n g der Volkswirtschaft ab, stellten sie als „allumfassende u n d t o t a l i t ä r e " P l a n u n g hin. Prokopovic u n d S v i t a u unterschieden zwei Typen von P l ä n e n : den direktiven u n d den partiellen Plan. „Der direktive Plan will die soziale S t r u k t u r der Gesellschaft ä n d e r n . . . die Volkswirtschaft des Landes in all ihren Teilen erfassen oder die über J a h r h u n d e r t e gewachsene Ordnung des Wirtschaftslebens R u ß l a n d s völlig v e r ä n d e r n " . Der angeblich starren u n d uneffektiven Direktivplanung wurde die „partielle P l a n u n g " gegenübergestellt, die neben der m a r k t o r i e n t i e r t e n S t r u k t u r der nationalen W i r t s c h a f t bestehe (also die staatskapitalistische Wirtschaftsregulierung). Die bürgerlichen Reaktionäre waren also deshalb gegen den Direktivplan des Sowjetstaates, weil er der sozialistischen U m g e s t a l t u n g der Gesellschaft diente. Indem die Theoretiker der bürgerlichen Konterrevolution die Möglichkeit der planmäßigen A u s n u t z u n g der Ware-Geld-Beziehungen leugneten, gingen sie ebenso wie die anderen Vertreter der Konzeption von der „logischen u n d p r a k t i schen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus" von der Alternative „Plan oder M a r k t " aus. Mit dem Übergang zur N Ö P begannen diese Theoretiker von der „kapitalistischen Renaissance" der W i r t s c h a f t s o r d n u n g des Sowjetlandes zu sprechen. Die sogenannte „ S m e n a v e c h " - S t r ö m u n g (vom russischen „smena v e e h " : Wechsel der Devise, Sinneswandel — d. Übers.), die u n t e r der russischen bürgerlichen Intelligenz e n t s t a n d e n war, stellte die These auf, d a ß m i t dem Übergang zur' N Ö P eine gegenläufige Bewegung der beiden Seiten eingesetzt h a b e : W ä h r e n d die S o w j e t w i r t s c h a f t begonnen habe, zur Wiederherstellung bürgerlicher Verhältnisse zurückzukehren, habe sich die Bourgeoisie an die sowjetische Wirklichkeit a n g e p a ß t u n d sei dazu übergegangen, sich der S o w j e t m a c h t zu n ä h e r n . So schrieb J u . Kljucnikov im J a h r e 1922: „Von n u n an beginnt der Prozeß

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der beiderseitigen Anpassung, nämlich der fordernden russischen Revolution an die Bedingungen des ausländischen Lebens und der instabilen Bourgeoisie verschiedener Länder an die Forderungen der russischen Revolution. Das eben ist der zweiseitige Prozeß, den wir die ganze Zeit für die einzige Möglichkeit gehalten haben, neue weltweite Erschütterungen zu vermeiden." Nach den Prophezeiungen der „Smenovecli"-Anhänger sollte dieser „zweiseitige Prozeß" damit enden, daß der Kapitalismus den Sozialismus aufsauge. Heute bedienen sich die Anhänger der Konvergenztheorie der gleichen Kunstgriffe, die schon die russischen Autoren vertreten hatten, als sie die These von der „friedlichen Transformation" der Sowjetwirtschaft in die kapitalistische Wirtschaft und der S o w j e t m a c h t in die Macht der Bourgeoisie verfochten. Die „ S m e novech"-Anhänger ignorierten den grundlegenden Wandel des Inhalts und der F o r m der Wirkungsweise sowie d e r Funktionen der allgemeinen ökonomischen und soziologischen Gesetze und der sie ausdrückenden Formen unter den Verhältnissen der Übergangswirtschaft. Den gleichen Weg gehen auch die Konvergenztheoretiker hinsichtlich der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, wenn sie die Wirtschaftsreformen in den sozialistischen Ländern als Anzeichen einer Annäherung an die Länder des Kapitalismus hinstellen. In der Entwicklung der Ware-Geld-Beziehungen sahen die Theoretiker der Konterrevolution ein • Anzeichen der „Kapitulation" des Sozialismus vor den kapitalistischen Methoden der Wirtschaftsführung und der ökonomischen Lehre des Marxismus vor den bürgerlichen ökonomischen Theorien, den Verzieht des Proletariats auf die Ideale des Sozialismus. Bruckus schrieb, die Sowjetregierung habe den Ausweg in der N Ö P gefunden, unter der die Direktiven des Plans angeblich den Direktiven des freien Marktes weichen. Aber diese Schlußfolgerung liege „schon nicht mehr auf der E b e n e der sozialistischen Wirtschaft, wie sie der Marxismus verstellt". Dabei berief er sich auf die Produktionsfaktorentheorie, die die kapitalistische Ausbeulung leugnet. Unter Bezugnahme auf die Kategorien Lohn, Gewinn und R e n t e in der S o w j e t wirtschaft zog dieser Apologet der Bourgeoisie den Schluß, daß die Theorie von Say allgemeine Bedeutung habe und „nicht zu ignorieren i s t " . Folglich könne sich auch der Sowjetstaat nicht über die „ewigen" ökonomischen Gesetze des Kapitalismus hinwegsetzen. Bruckus bediente sich der Produktionsfaktorentheorie, um den sozialistischen Charakter des staatlichen Sektors der Sowjetwirtschaft zu leugnen. In seinen theoretischen Konstruktionen trat die antikommunistische Ausrichtung der bürgerlichen Vulgärökonomie am deutlichsten zutage. Ausgehend davon, daß sich die Sowjetwirtschaft der Ware-Geld-Beziehungen und der sie ausdrückenden Gesetze und Kategorien bediente, schloß S. Zagorskij, ein Vertreter der konstitutionellen Demokraten, auf ihr kapitalistisches W e s e n : „Alle Kategorien der kapitalistischen Wirtschaft: W e r t , Ware, Markt, Preis, Mehrwert, Mehrprodukt, Lohn, Gewinn, Rente, Zins bleiben in der Volkswirtschaft Sowjetrußlands erhalten und entwickeln sich weiter."

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Die These, d a ß die Ware-Geld-Beziehungen die W i r t s c h a f t des Landes auf ein Gleis f ü h r e n , auf d e m sie allmählich zum Kapitalismus gelange, spielte in der bürgerlichen russischen L i t e r a t u r zu Beginn der zwanziger J a h r e die Rolle eines Axioms. Diese These verlangte keinerlei Beweis u n d sollte bar allen Zweifels sein. Die konsequente Ausnutzung der Ware-Geld-Beziehungen f ü r die Festigung d e r sozialistischen W i r t s c h a f t s f o r m e n , die Verdrängung u n d Liquidierung des kapitalistischen Sektors f ü h r t e n dazu, d a ß derartige Konzeptionen bereits E n d e d e r zwanziger J a h r e ihre Positionen in der bürgerlichen L i t e r a t u r e i n b ü ß t e n . Noch im J a h r e 1922 b e h a u p t e t e Bruckus, d a ß der Übergang zu den Ware-GeldBeziehungen in der U d S S R eine W i r t s c h a f t hervorbringe, die m i t Sozialismus nichts zu t u n habe. Aber schon 1929 erklärte er, d a ß die A u s n u t z u n g der W a r e Geld-Beziehungen d u r c h a u s nicht gleichbedeutend m i t d e m Übergang z u m Kapitalismus sei. Die Änderung seiner Ansichten erklärte Bruckus d a m i t , d a ß der privatkapitalistische Sektor in den ersten zweieinhalb J a h r e n N Ö P noch Hoffnungen auf die R e s t a u r a t i o n des Kapitalismus gegeben habe. „Aber schon 1927 waren die Blüten des Kapitalismus längst e n t b l ä t t e r t u n d seine F e u e r längst erloschen . . .". Die sozialistischen Betriebe n u r deshalb als kapitalistisch einzuschätzen, weil sie die Ware-Geld-Form haben, hieße, „auf der Oberfläche der Erscheinungen stehenbleiben, ohne in ihr Wesen einzudringen", h o b Bruckus, seine f r ü h e r e n Ansichten korrigierend, zu R e c h t hervor. E r warf Zagorskij vor, d a ß dieser dazu neige, „jede Entwicklung der Ware-Geld-Beziehungen d e m Konto des K a p i t a lismus gutzuschreiben. Natürlich ist das nicht richtig . . . Nur eine solche Volkswirtschaft, in der die kapitalistischen U n t e r n e h m e n die f ü h r e n d e Rolle spielen, verdient, kapitalistisch g e n a n n t zu werden". So sah sich Bruckus zu d e m Eingeständnis gezwungen, d a ß die A u s n u t z u n g der Ware-Geld-Beziehungen in der U d S S R zu Resultaten g e f ü h r t h a t t e , die denen, auf die die bürgerlichen Reaktionäre spekuliert h a t t e n , direkt entgegengesetzt waren, nämlich zur Niederlage der kapitalistischen W i r t s c h a f t s formen. Andererseits aber ging Bruckus n a c h wie vor von der falschen Alternative „ P l a n oder M a r k t " aus u n d v e r w a h r t e sich gegen den Gedanken, d a ß die WareGeld-Beziehungen eine neue Q u a l i t ä t a n n e h m e n u n d Ausdruck sozialistischer sozialökonomischer Verhältnisse werden k ö n n t e n . Deshalb sah er keinen anderen Ausweg aus d e m circulus vitiosus, in dem er sieh befand, als die im volkseigenen S e k t o r ausgenutzten Werlkategorien als ohne jeden historisch b e s t i m m t e n I n h a l t zu erklären. Der staatliche Sektor der S o w j e t w i r l s c h a f t , schrieb er, sei weder kapitalistisch noch wirklich sozialistisch, sondern etwas U n b e s t i m m t e s , eine W i r t s c h a f t „sui generis" (besonderer Art). Die Evolution, die die I n t e r p r e t a t i o n des Wesens der staatlichen Betriebe bei B r u c k u s erfuhr, war ein deutlicher Beweis f ü r den Z u s a m m e n b r u c h der ökonomischen „Wissenschaft" der bürgerlichen Konterrevolution, die u n t e r dem E i n -

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fluß des erfolgreichen A u f b a u s der sozialistischen Gesellschaft in der U d S S R zunichte gemacht wurde. Auch die Auffassungen von Bruckus zu den Problemen eines sozialistischen Weltwirtschaftssystems halten der Kritik nicht s t a n d . Zum H a u p t p r i n z i p f ü r die U n t e r s u c h u n g der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den L ä n d e r n des k ü n f t i g e n sozialistischen Weltsystems erklärte er den Verzicht auf die Analyse des sozialklassenmäßigen Charakters dieser Beziehungen. Bruckus forderte, von den „die Frage verdunkelnden sozialen Verhältnissen", „von den Klassenverhältnissen, die m i t ihrem Einfluß auf unsere emotionale Seite die Frage gewöhnlich verd u n k e l n " , zu abstrahieren. Das Leben h a t jedoch gezeigt, d a ß der Charakter der ökonomischen Bezieh u n g e n zwischen den L ä n d e r n der sozialistischen Gemeinschaft d a d u r c h b e s t i m m t wird, d a ß es in ihnen keine Klassen u n d sozialen G r u p p e n gibt, die wegen ihrer Position an feindlichen Beziehungen zwischen d e n L ä n d e r n interessiert wären. Darin besteht a u c h die sozialpolitische Grundlage f ü r die Festigung der Einheit der sozialistischen Länder, f ü r die Vertiefung der planmäßigen zwischenstaatlichen Spezialisierung u n d Kooperation der P r o d u k t i o n , f ü r die harmonische Verbindung der Interessen jedes einzelnen sozialistischen Landes m i t denen der ganzen Gemeinschaft. Auch die ökonomischen Beziehungen zwischen den L ä n d e r n der k ü n f t i g e n „sozialistischen W e l t w i r t s c h a f t " interpretierte Bruckus v o m S t a n d p u n k t der Produktionsfaktorentheorie. Kapital, Zins u n d Arbeit seien die ewigen P r o d u k tionsfaktoren, die sich u n v e r m e i d b a r a u c h die ökonomischen Beziehungen zwischen sozialistischen L ä n d e r n unterwerfen, sie zu gewöhnlichen Beziehungen machen, wie sie auch im Kapitalismus herrschen, u n d die „utopischen" Ideale des Sozialismus in nichts auflösen. Diese Auffassungen ignorierten die Spezifik, die der V e r k n ü p f u n g der nationalen außenwirtschaftlichen Interessen der sozialistischen L ä n d e r innewohnt, u n d ü b e r t r u g e n den Gegensatz sozialer Interessen, der f ü r die kapitalistische W e l t w i r t s c h a f t typisch ist, auf den Sozialismus. Die ökonomischen Interessen der einzelnen L ä n d e r in der sozialistischen W e l t w i r t s c h a f t sind nur relativ isoliert. Ihre nichtantagonistischen Widersprüche werden ü b e r den Mechanismus der etappenweisen A b s t i m m u n g u n d Verbindung der ökonomischen Interessen der einzelnen L ä n d e r ü b e r w u n d e n , u m die allgemeinen ökonomischen Interessen der ganzen sozialistischen Gemeinschaft bestmöglich zu befriedigen. Die Variante der Konzeption von der „logischen u n d praktischen U n d u r c h f ü h r b a r k e i t des Sozialismus", wie sie die Interessenvertreter der russischen konterrevolutionären Bourgeoisie entwickelten, war von einer derartigen F e i n d s c h a f t gegen den Sozialismus d u r c h d r u n g e n , d a ß sie h e u t e schon als Anachronismus erscheint. Die Bedingungen aber, die die neue E t a p p e der allgemeinen Krise des Kapitalismus mit sieh g e b r a c h t h a t u n d der Übergang i m m e r neuer L ä n d e r auf den Weg zum Sozialismus zwingen die Theoretiker der bürgerlichen W r elt, diese Variante aufzufrischen, „ u m die Menschen irrezuführen, u m ihnen die Vorstellung von einem nahezu paradiesischen Leben im Kapitalismus einzureden, u m

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don Sozialismus zu v e r l e u m d e n " 2 6 . Deshalb ist die eingehende Analyse ihrer L e h r e n , die Ergründung

ihres antiwissenschaftlichen

Wesens auch heute sehr

aktuell.

4.Tugan-Baranovskijs von der sozialistischen

eklektizistisch.es

Modell

Wirtschaft

Die Arbeiten T u g a n - B a r a n o v s k i j s zeichnen sich durch den Versuch aus, verschiedene und m i t u n t e r gegensätzliche Vorstellungen von den Organisationsformen der sozialistischen W i r t s c h a f t und den Methoden der sozialistischen W i r t s c h a f t s führung miteinander zu verbinden. Die bürgerliche L i t e r a t u r von heute zählt T u g a n - B a r a n o v s k i j zu den Marxis t e n . 2 7 Lenin dagegen bezeichnete ihn als „Muster eines E k l e k t i k e r s " . U n d zu den theoretischen Grundlagen der ökonomischen Konzeption T u g a n - B a r a n o v skijs schrieb Lenin, daß „dieser Professor Anhänger ein wenig des Marxismus, ein wenig der Volkstümlerideen, ein wenig der ,Grenznutzentheorie' ist . . . " 2 8 . Diese E i n s c h ä t z u n g trifft voll und ganz auch auf M. I. T u g a n - B a r a n o v s k i j s Arbeit „Der Sozialismus als positive L e h r e " zu, die im J a h r e 1 9 1 8 erschien. In dieser A r b e i t h a t er seine Sozialismuskonzeption a m konzentriertesten dargelegt. T u g a n - B a r a n o v s k i j e r k a n n t e die B e d e u t u n g der zentralen P l a n u n g an. E r meinte, daß bei der Ausarbeitung des Plans für die Organisation der P r o d u k t i o n dieses oder jenes Erzeugnisses von der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit ausgegangen werden müsse. Dazu aber sei es notwendig, die nationale P r o d u k t i o n in den Händen des S t a a t e s zu konzentrieren. Folglich müsse der sozialistische S t a a t zur entscheidenden wirtschaftlichen Organisation der sozialistischen Gesellschaft werden. „ W e n n die kapitalistische W a r e n p r o d u k t i o n verschwindet, m u ß die P r o p o r t i o n a l i t ä t der gesellschaftlichen Produktion über die planmäßige Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit erreicht werden. Ohne diese P l a n m ä ß i g k e i t ist die gesellschaftliche W i r t s c h a f t undenkbar, und diese P l a n m ä ß i g k e i t k a n n n u r durch die gesellschaftliche Leitung des ganzen gesellschaftlichen Produktionsprozesses hergestellt w e r d e n . " 2 a T u g a n - B a r a n o v s k i j hob hervor, daß die S t ä r k e der zentralen P l a n u n g die P l a n m ä ß i g k e i t und Harmonie in der E n t w i c k l u n g der gesellschaftlichen W i r t s c h a f t sei, die dem F o r t s c h r i t t der P r o d u k t i v k r ä f t e die besten Möglichkeiten biete. Doch

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L. I. Breshnew, Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der KPdSU an den X X I V . Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Moskau-Berlin 1971, S. 123. Vgl. Histoire sommaire de la pensée économique, Paris 1955. W. I. Lenin, Der ideologische Kampf in der Arbeiterbewegung, in: Werke, Bd. 20, Berlin 1961, S. 258. M. I. Tugan-Baranovskij, Socializm kak polozitel'noe ucenie, Petrograd 1918, S. 65.

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glaubte er, d a ß die zentrale P l a n u n g im Gegensatz zur ökonomischen Freiheit der Persönlichkeit stehe. E r b e h a u p t e t e , der Zentralismus schließe jede wirtschaftliche Initiative u n d Verantwortlichkeit der Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft f ü r die Entwicklung der gesellschaftlichen P r o d u k t i o n aus. Deshalb „entspricht er nicht dem Ideal der größtmöglichen Freiheit der P e r s ö n l i c h k e i t " 3 0 . F ü r T u g a n - B a r a n o v s k i j war Zentralismus ohne B ü r o k r a t i e u n d e n k b a r . E r beschuldigte den Zentralismus, d a ß dieser den gesellschaftlichen Mechanismus vom wirklichen Leben trenne u n d dessen individuelle Unterschiede ignoriere. Der Zentralismus begünstige zwar die Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums, doch „wird er den Interessen des werktätigen Menschen, der sich nicht zu einem einfachen Werkzeug des gesellschaftlichen Ganzen degradieren möchte, n i c h t entsprechen" 3 1 . U m der Freiheit der Persönlichkeit willen hielt es T u g a n - B a r a novskij f ü r notwendig, die zentrale P l a n u n g durch E l e m e n t e des munizipalen, genossenschaftlichen Sozialismus u n d sogar durch den Anarchosyndikalismus zu ergänzen. Die Anarchosyndikalisten, die für eine Scheinfreiheit des einzelnen e i n t r a t e n , verlangten praktisch, die zentrale Planung u n d d a m i t a u c h die ökonomischen F u n k t i o n e n des sozialistischen Staates abzuschaffen. Tatsächlich aber ist der Zentralismus in der Leitung der sozialistischen Volkswirtschaft ein demokratischer Zentralismus. Sein demokratischer C h a r a k t e r ist in den sozialökonomischen Bedingungen begründet, die sich aus d e m gesellschaftlichen E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n , aus der Freiheit v o n der Ausbeutung, aus der Aneignung des Mehrprodukts d u r c h die Gesellschaft u n d ihre Mitglieder ergeben. Die konsequente Befolgung des Prinzips des demokratischen Zentralismus, die die breite Teilnahme der Massen an der Leitung der W i r t s c h a f t sichert, ist eine zuverlässige Waffe im Kampf gegen die Bürokratie. Tugan-Baranovskijs Konzeption von der P l a n u n g b e r u h t e im G r u n d e d a r a u f , d a ß er die sozialistische W i r t s c h a f t mit der N a t u r a l w i r t s c h a f t gleichsetzte. Nach dieser Konzeption sollte sich die sozialistische Gesellschaft bei der Aufstellung des W i r t s c h a f t s p l a n s von den gleichen E r w ä g u n g e n leiten lassen wie der Privatbesitzer in einer N a t u r a l w i r t s c h a f t . Ziel der P l a n u n g sei die bestmögliche Befriedigung der Bedürfnisse der gesellschaftlichen Gruppe, die die W i r t s c h a f t betreibe. Diese Vermengung von N a t u r a l w i r t s c h a f t u n d s p o n t a n e r M a r k t w i r t s c h a f t war das typische Merkmal der Grenznutzentheorie. Obwohl T u g a n - B a r a n o v skij den Sozialismus im G r u n d e als N a t u r a l w i r t s c h a f t interpretierte, ü b e r t r u g er auf ihn die Gesetze des spontanen Marktes in der F o r m , in der sie sich an der Oberfläche der Erscheinungen einer kapitalistischen W i r t s c h a f t zeigt u n d wie sie in den Konstruktionen der subjektiven Schule verzerrt wiedergegeben werden. Indem er versuchte, die marxistische Arbeitswerttheorie m i t der G r e n z n u t z e n t h e o rie zu verbinden, wollte er nachweisen, d a ß die sozialistische Gesellschaft bei der 30 Ebenda, S. 83.

31 Ebenda, S. 82-83.

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Aufstellung des Wirtschaftsplanes von zwei Erwägungen ausgehen müsse: Bei jedem Produkt müsse sie einerseits den Grenznutzen und andererseits den Arbeitswert berücksichtigen. „Der Grenznutzen und der Arbeitswert sind die beiden Grundelemente für die Aufstellung des Plans der sozialistischen Wirtschaft. " 3 i Die Ausgangskategorie der sozialistischen Wirtschaft war bei TuganBaranovskij der subjektive wirtschaftliche Wert, den er für eine ewige Kategorie hielt, die auf jede Wirtschaftsordnung zutreffe. „Jede Wirtschaft hat einen subjektiven Wert, der sich in einer Größe ausdrückt, den das wirtschaftende Individuum in seiner Wirtschaftstätigkeit diesem oder jenem Wirtscliaflsgegenstand verleiht." 33 Aus dem Schema vom abnehmenden Grenznutzen, das der Mitbegründer der Grenznutzentheorie Carl Menger aufgestellt hatte, zog Tugan-Baranovskij folgenden Schluß: Wenn die Gesellschaft für die Herstellung dieses oder jenes Produktes (der Einfachheit halber wird- unterstellt, daß in der Gesellschaft zwei Produkte hergestellt werden) über eine bestimmte Anzahl von Arbeitseinheiten verfüge, dann sei die gesellschaftliche Verteilung der Arbeit dort am günstigsten, bei der der größte Gesamtnutzen erreicht werde. So sollten zur Aufstellung des Wirtschaftsplans bei jedem Produkt die zwei Grundkategorien — der Nutzen und der Arbeitswert jeder Produkteinheit — einander gegenübergestellt werden. Die Größe des Wertes dieses oder jenes Produkts, schrieb Tugan-Baranovsskij, werde in der sozialistischen Gesellschaft von der Menge dieses Produkts bestimmt. Die Menge aber hänge hauptsächlich vom Arbeitswert des Produkts ab. Die sozialistische Gesellschaft müsse den Arbeitswert jedes Produkts erfassen und ausgehend davon sowie von der Nutzenskurve des Produkts den Plan der gesellschaftlichen Produktion ermitteln. Der Fehler der Konzeption Tugan-Baranovskijs bestand erstens in der subjektiven Interpretation des Nutzens, in dessen Bezug auf subjektive Einschätzungen, zweitens in der Gleichsetzung von Wert und Arbeitsaufwand schlechthin, in der Negierung des historisch vergänglichen Charakters dieser Kategorie; drittens verstand er unter Arbeitswert den tatsächlich anfallenden und nicht den gesellschaftlich notwendigen Aufwand; viertens hielt es Tugan-Baranovskij zur Aufstellung des Wirtschaftsplans für völlig ausreichend, „für jedes Produkt Nutzenskurven und Arbeitswertkurven" zu zeichnen, womit er das ganze Problem von der realen Funktionsweise des Ware-Geld-Mechanismus und vom Wirken des Wertgesetzes im Sozialismus trennte. Den Prinzipien der Preisbildung in der sozialistischen Gesellschaft legte TuganBaranovskij die These von den „logischen" Kategorien der Wirtschaft zugrunde, die allen Produktionsweisen und damit auch dem Sozialismus immanent sein sollten. Zu ihnen zählte er zwei „grundlegende und nicht wegzudenkende" Kategorien : die subjektive Wertschätzung (cennost') und den Wert. 32 Ebenda, S. 100. 184

33 Ebenda, S. 99.

Tugan-Baranovskij behauptete, im Sozialismus bleibe die subjektive Wertschätzung, die neben dem Arbeitsaufwand den Preis bestimme, erhalten. Die Größe der Wertschätzung werde in der sozialistischen Wirtschaft im allgemeinen von den gleichen Faktoren bestimmt, wie in der kapitalistischen Wirtschaft, nur mit dem Unterschied, daß im Sozialismus „der Einfluß des Arbeitsfaktors unmittelbarer und entscheidend wird" 34 . Ebenso wie die Theoretiker der subjektiven Schule erklärte er dabei das Gesetz von Nachfrage und Angebot zur Realisierungsform des subjektiven Wertgesetzes. Tugan-Baranovskij sprach von einer „Arbeitsteilung" zwischen dem subjektiven Wertgesetz, das in Form des Gesetzes von Nachfrage und Angebot wirke, und dem Arbeitswertgesetz. Der Wirkungsbereich des erstgenannten Gesetzes sei die Preisregulierung auf dem Markt, der des zweiten die Regulierung der Verteilung der Arbeit in dem Zweige. „So wird der unmittelbare Preisregulator im Sozialismus ebenso wie im Kapitalismus das Verhältnis zwischen der gesellschaftlichen Nachfrage und dem gesellschaftlichen Angebot sein; über die Marktgrenzen hinaus aber wird im Sozialismus der Arbeitswert jedes Produkts zum Regulator des gesellschaftlichen Angebots, während im Kapitalismus der Produktionspreis dieser Regulator ist." 3 5 Diese willkürliche Konstruktion der „zwei Regulatoren" bestätigte erneut die Richtigkeit der marxistischen Kritik an der These der subjektiven Schule, nach der die vulgäre Theorie von Nachfrage und Angebot der eigentliche Kern der Grenznutzentheorie (der „subjektiven" Werttheorie) ist. 36 Um die Widersprüche der Grenznutzentheorie, die bei der Ableitung des Preises aus der subjektiven Wertschätzung im Grunde von der Existenz von Preisen ausging, zu überwinden, erklärte Tugan-Baranovskij das Gesetz von Nachfrage und Angebot zur Daseinsform des subjektiven Wertgesetzes. Er meinte, daß das Gesetz von Nachfrage und Angebot gleichwertig neben dem Arbeitswertgesetz wirke. Daß eine derartige Auslegung des Verhältnisses zwischen dem Wertgesetz und dem Gesetz von Nachfrage und Angebot falsch ist, liegt auf der Hand. In Wirklichkeit gibt es zwischen diesen Gesetzen eine Wechselwirkung, in der das Wertgesetz die bestimmende Rolle spielt. Das Wertgesetz ist das Gesetz (und folglich der Regulator) der Preise, während das Gesetz von Nachfrage und Angebot den Mechanismus der Realisierung ausdrückt. Die Produktion wird im Sozialismus auf der Grundlage der bewußten Ausnutzung des Systems der ökonomischen Gesetze des Sozialismus reguliert. Das Wertgesetz gehört zu diesem System, doch ist es weder der einzige noch der entscheidende Regulator der Produktion. Tugan-Baranovskij sah keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem Wirken des Gesetzes von Nachfrage und Angebot im Kapitalismus und im So3* Ebenda, S. 101-102. 35 Ebenda, S. 106. 36 Vgl. I. G. Bljumin, Kritika burzuaznoj politiceskoj ekonomii, Bd. 1, Sub'ektivnaja skola v burzuaznoj politiceskoj ekonomii, S. 149.

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zialismus. E r leitete die N o t w e n d i g k e i t der W e r t - P r e i s - A b w e i c h u n g aus dem P r i n z i p d e r „gleichmäßigen B e f r i e d i g u n g der B e d ü r f n i s s e aller B ü r g e r " ab, wobei er b e h a u p t e t e , d a ß die P r o p o r t i o n a l i t ä t von Preis u n d A r b e i t s a u f w a n d „gleichb e d e u t e n d ist m i t d e m Verstoß gegen d a s Gleichheitsprinzip, g l e i c h b e d e u t e n d m i t der A u s b e u t u n g der einen d u r c h die a n d e r e n " 3 7 . In W i r k l i c h k e i t a b e r d r ü c k t der Preis den W e r t aus, der a n der Menge der a b s t r a k t e n , gesellschaftlich n o t w e n d i g e n A r b e i t u n d n i c h t einfach p r o p o r t i o nal z u m A r b e i t s a u f w a n d gemessen wird. I m Sozialismus b e r u h e n die auf d e m W e r t b a s i e r e n d e n Preise n i c h t auf A u s b e u t u n g . Die Realisierung d e r Gesetze des Sozialismus, insbesondere des Gesetzes der Verteilung n a c h der Leistung, v e r l a n g t v i e l m e h r die möglichst u m f a s s e n d e E r f a s s u n g des A r b e i t s a u f w a n d s u n d die A n n ä h e r u n g der Preise an den W e r t . T u g a n - B a r a n o v s k i j b e t r a c h t e t e d a s Geld im Sozialismus als P r o d u k t „bew u ß t e r gesellschaftlicher T ä t i g k e i t " , die m i t einer „ W a r e " n i c h t s gemein h a b e . F ü r ihn e x i s t i e r t e es als bloßes fiktives Zeichcn o h n e inneren W e r t . U n a b h ä n g i g v o n der F o r m u n d der T e c h n i k des G e l d u m l a u f s seien die Geldeinheiten im Sozialismus n i c h t m e h r als einfache f i k t i v e Zeichen. 3 8 D e r G e h a l t der Geldeinheit w e r d e willkürlich festgelegt u n d d r ü c k e n i c h t d e n W e r t d e r G e l d w a r e , des Goldes, aus. T u g a n - B a r a n o v s k i j leitet diesen G e h a l t aus d e m V e r h ä l t n i s zwischen d e r z i r k u l i e r e n d e n G e l d m e n g e u n d der P r e i s s u m m e der W a r e n ab, wobei er im G r u n d e d a v o n ausging, d a ß d a s Geld im Sozialismus n u r P a p i e r g e l d sei, u n d wobei er die Gesetze der P a p i e r g e l d z i r k u l a t i o n auf den G e l d u m l a u f in d e r sozialistischen Gesellschaft ü b e r t r u g . I m Sozialismus, wo d a s Geld A u s d r u c k der sozialistischen P r o d u k t i o n s v e r hältnisse ist, h a t es einen völlig n e u e n I n h a l t , spielt es eine g a n z n e u e Rolle in der V o l k s w i r t s c h a f t . Gleichzeitig a b e r bleibt es die selbständige F o r m des W e r t e s , die p l a n m ä ß i g f ü r den stofflichen A u s d r u c k u n d f ü r die Messung des W a r e n w e r t e s g e n u t z t wird. Das b e d i n g t , d a ß die G e l d f o r m des W e r t e s a n eine b e s o n d e r e W a r e , d a s Gold, g e b u n d e n ist. In seiner A r b e i t „ D e r Sozialismus als positive L e h r e " lieferte T u g a n - B a r a n o v s k i j eine Klassifizierung der Sozialismusmodelle. U n t e r d e n Sozialismuss y s t e m e n im weiteren Sinne u n t e r s c h i e d er d e n Sozialismus i m engeren Sinne u n d d e n K o m m u n i s m u s . Folglich b e t r a c h t e t e er Sozialismus u n d K o m m u n i s m u s n i c h t als zwei a u f e i n a n d e r f o l g e n d e E n t w i c k l u n g s p h a s e n der k o m m u n i stischen G e s e l l s c h a f t s f o r m a t i o n , s o n d e r n als zwei in R a u m u n d Zeit n e b e n e i n a n d e r b e s t e h e n d e unterschiedliche Sozialismusmodelle. D e r Klassifizierung der S o z i a l i s m u s s y s t e m e legte T u g a n - B a r a n o v s k i j U n t e r schiede in d e n M e t h o d e n der V e r t e i l u n g des e r z e u g t e n P r o d u k t s z u g r u n d e , die in W i r k l i c h k e i t U n t e r s c h i e d e in den M e t h o d e n des A u s t a u s c h s u n d der K o n s u m t i o n sind. In d e n S y s t e m e n , die er d e m Sozialismus im engeren Sinne zu37

M. I. Tugan-Baranovskij, Socializm kak polozitel'noe ucenie, Petrograd 1918, S. 105. 38 Ebenda, S. 17, 111.

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rechnete, erfolge die Verteilung über das Geld und die Konsumgüterpreise. Hier bleiben die individuellen Geldeinkommen und folglich auch das persönliche Eigentum an Konsumgütern bestehen. Alle Mitglieder der Gesellschaft haben das Recht, nach eigenem Geschmack über ihre Einkommen zu verfügen. Die optimalen wirtschaftlichen Lösungen sollten in dieser „Geldwirtschaft" mit Hilfe der Preise gefunden werden, die als wichtigstes R i c h t m a ß dienen. In den sozialistischen Systemen vom zweiten Typ, das heißt in den kommunistischen Systemen, sollten die Produkte ohne Geld verteilt werden: die Konsumgüter gehen aus den gesellschaftlichen Magazinen direkt in die Konsumtion der einzelnen Personen ein. Aus diesem Grund bezeichnete Tugan-Baranovskij den Kommunismus als „Naturalwirtschaft", in der die Vorräte über den unmittelbaren Vergleich von Nutzen und Arbeitsaufwand verteilt werden. Hier seien die individuellen Einkommen und folglich auch das persönliche Eigentum an Konsumgütern abgeschafft. Obgleich Tugan-Baranovskij theoretisch die Möglichkeit völliger Konsumfreiheit im Kommunismus zuließ, stellte er ihn doch meist als gleichmacherische Kasernenordnung hin, in der die Konsumgüter auf der Grundlage einer Zwangsnormierung in Naturalform an die einzelnen Personen verteilt werden. Indem Tugan-Baranovskij Sozialismus und Kommunismus voneinander trennte und miteinander konfrontierte, entstellte er ihren sozialökonomischen Inhalt. Das Wesen des Sozialismus reduziert sich durchaus nicht auf eine „Geldwirtschaft". Auch die Interpretation der höchstentwickelten Gesellschaft, des Kommunismus, als Naturalwirtschaft und Kasernenordnung ist wissenschaftlich nicht haltbar. Wenn die Warenproduktion im Kommunismus abgeschafft wird, so entfällt damit keineswegs die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Buchführung über die für die Produktion aufgewandte lebendige und vergegenständlichte Arbeit. I m Kommunismus wird sie in Arbeitszeiteinheiten, ohne die Vermittlung des Wertes und seiner Formen erfaßt. Das eigentliche Wesen des Kommunismus als höchster Organisationsform des gesellschaftlichen Lebens, in der alle Voraussetzungen für die volle Entfaltung der Persönlichkeit geschaffen werden, schließt die Möglichkeit seiner Verwandlung in eine Art Kasernenordnung aus. Tugan-Baranovskijs Konzeption hatte nicht nur in Rußland, sondern auch in anderen Ländern großen Einfluß auf die bürgerlichen Konzeptionen von der sozialistischen Wirtschaft ausgeübt. Seine von der sowjetischen Wirtschaftswissenschaft längst widerlegten Ideen werden von bürgerlichen und revisionistischen Theoretikern der Gegenwart häufig fast wörtlich wiederholt. Deshalb kommt der kritischen Analyse dieser Konzeption vom S t a n d p u n k t des Marxismus-Leninismus große Bedeutung zu.

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Ok. soz. Theorien

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5. Kritik an der Gleichsetzung von Sozialismus und Naturalwirtschaft F ü r viele russische Ökonomen, die bürgerliche und kleinbürgerliche Auffassungen zur N a t u r der sozialistischen W i r t s c h a f t v e r t r a t e n , war typisch, d a ß sie den Sozialismus als Naturalwirtschaft interpretierten. S o schrieb L . N. Litosenko, daß das Ziel der Produktion in einer sozialistischen W i r t s c h a f t die Herstellung von P r o d u k t e n s t a t t von T a u s c h w e r t e n sei, weil „die sozialistische W i r t s c h a f t ihrem eigentlichen Wesen nach keine T a u s c h w i r t s c h a f t , sondern N a t u r a l w i r t s c h a f t " m i t a u t o r i t a t i v e r Verteilung der P r o d u k t e sei. 3 9 E i n eigenartiges Modell von der „sozialistischen N a t u r a l w i r t s c h a f t " e n t wickelte A. V . Cajanov. Dieses Modell stellte die sozialistische W i r t s c h a f t als eine a u t a r k e Naturalwirtschaft hin, in der es keinen W a r e n a u s t a u s c h gebe. Alle P r o d u k t e sollten in die Verfügung des S t a a t e s gelangen und an die Verbraucher verteilt, jedoch nicht v e r k a u f t werden. W e n n es schon einen privaten Austausch gebe, dann halte sich die staatliche W i r t s c h a f t doch von ihm fern, bleibe sie eine a u t a r k e N a t u r a l w i r t s c h a f t . Dementsprechend definierte Cajanov die sozialistische W i r t s c h a f t als „einheitliche, riesige, an die Arbeitsleistung gebundene N a t u r a l - K o n s u m w i r t s c h a f t " , deren Ziel in der „Herstellung d e r für die Befriedigung der ihr eigenen moralischen und materiellen Bedürfnisse notwendigen G ü t e r " bestehe. 4 0 Wie bereits erwähnt, h a t t e n in den zwanziger J a h r e n auch einige deutsche sozialdemokratische T h e o r e t i k e r ein Modell d e r „sozialistischen N a t u r a l w i r t s c h a f t " aufgestellt. Dieses Modell verzerrte die realen ökonomischen Verhältnisse des Sozialismus und simplifizierte die a k tuellen ökonomischen P r o b l e m e . Die Konzeption von der „sozialistischen N a t u r a l w i r t s c h a f t " b r e i t e t e sich in der Zeit des Kriegskommunismus aus. Die Politik des K r i e g s k o m m u n i s m u s war durch außerordentliche U m s t ä n d e notwendig geworden, so durch den Bürgerkrieg, die wirtschaftliche Zerrüttung, durch die E r s c h ö p f u n g der P r o d u k t i v k r ä f t e und die Deformierung des Geld- und F i n a n z s y s t e m s . Sie führte n o t gedrungen zur Naturalisierung der Beziehungen zwischen S t a d t und L a n d , zur Naturalisierung der Steuern und aller E i n k o m m e n , wie der L ö h n e , P r ä m i e n usw. Der Kriegskommunismus wirkte sich darin aus, d a ß eine R e i h e von 39

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Öko-

L. N. Litosenko, Das Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag und die optimale Verknüpfung der Produktionsfaktoren, in: Bjulleten' Gosudarstvennogo naucnoissledovatel'skogo instituta sel'skochozjajstnennoj ekonomii, Moskva, 1—4/1928, S. 74; L. N. Litosenko, Die Agrarkrise, in: Sel'skoe i lesnoe chozjajstvo, Moskva, 9 - 1 0 / 1 9 2 2 , S. 11. A. Cajanov, Der Begriff der Rentabilität der sozialistischen Wirtschaft, in: Trudy Vyssego Seminarija s.-ch. ekonomii i politiki pri Petrovskoj s.-ch. akademii, 2/1921, (Moskva), S. 13.

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nomen die zu dieser Zeit entstandenen ökonomischen Verhältnisse und Beziehungen für die dem Sozialismus allein entsprechenden hielt. Die von den Vertretern bürgerlicher und kleinbürgerlicher Positionen entwickelte Konzeption von der „sozialistischen Naturalwirtschaft" zeichnete sich dadurch aus, daß sie in der sozialistischen Wirtschaft eine Analogie zur Naturalwirtschaft früherer Jahrhunderte sah. So konstruierte Cajanov sein Sozialismusmodell, ausgehend von dem Plan einer bäuerlichen „Arbeits- und Konsum"-Wirtschaft, den er schon vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution unterbreitet hatte. Er zog keine exakte Grenze zwischen der bäuerlichen „Arbeits- und Konsum"-Wirtschaft und der sozialistischen Wirtschaft, wobei er die letztere nicht nur als Natural-, sondern auch als Konsum- und Arbeitswirtschaft betrachtete. Cajanov stellte die sozialistische Wirtschaft als eine Wirtschaft hin, deren Funktionsweise unmittelbar den Bedürfnissen der Produzenten und ihrer Familien untergeordnet und in der Unternehmer und Werktätiger miteinander identisch seien. Auf diese Weise warf Cajanov im Grunde genommen zwei grundlegend unterschiedliche soziale Wirtschaftstypen, die auf völlig verschiedenen Eigentumsformen basieren, in einen Topf. Er identifizierte den Sozialismus, der von den ersten Etappen seiner Entwicklung an auf der maschinellen Großproduktion und ausgedehnter Arbeitsteilung beruht, mit einer so primitiven Wirtschaft, wie der bäuerlichen Konsumwirtschaft, für die die manuelle Arbeit typisch ist und in der es keine Arbeitsteilung gibt. In den Arbeiten der Anhänger der „Naturalwirtscbafts"-Konzeption wurden die Grundzüge und Merkmale des Sozialismus sehr inkonsequent dargelegt; die meisten von ihnen glaubten nicht an die Realisierbarkeit der Prinzipien des Sozialismus. Cajanov schrieb über sein Modell vom Mechanismus der sozialistischen Wirtschaft, daß es durchaus nicht zu seiner Aufgabe gehöre, die Möglichkeit zu erörtern, „ob die sozialistische Wirtschaft, völlig verwirklicht und über lange Zeit erhalten werden kann". 4 1 Die Autoren der Konzeption von der „sozialistischen Naturalwirtschaft" stellten auch ein System der Naturalrechnung auf, das ihrer Spezifik entsprach. Ausgehend von der in den zwanziger Jahren weit verbreiteten Leugnung der Existenz der Warenproduktion und des Wertgesetzes im Sozialismus, interpretierten diese Ökonomen die Ware-Geld-Kategorien (Geld, Preis, Produktionskosten usw.) als Formen, die nur der spontanen kapitalistischen Wirtschaft immanent seien. Aus dem neuen Ziel der Produktion im Sozialismus und der Notwendigkeit, nach „neuen Kriterien für die ökonomischen Bewertungen, neuen Formen zur Konkretisierung der ökonomischen Aufgaben" 4 2 41

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A. Cajanov, Das Problem der sozialistischen Rechnungsführung im sozialistischen Staat, in: Ekonomiceskaja zizn, 225/1920. A. Cajanov, Der Begriff der Rentabilität der sozialistischen Wirtschaft, in: Trudy Yyssego Seminarija s.-ch. ekonomii i politiki pri Pctrovskoj s.-ch. akademii, 2/ 1921 (Moskva), S. 11.

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zu suchen, leiteton sie ab, daß es unmöglich sei, die Wertkategorien für die Messung der Kosten an den Ergebnissen der Produktion auszunutzen. C a j a n o v verglich die Suche nach den Wertkategorien in der sozialistischen Wirtschaft mit der Suche nach d e m „ S t e i n der Weisen". Dabei berief er sich d a r a u f , daß die Begründer des Marxismus die Warenproduktion und die Warenform des P r o d u k t s abgelehnt hatten. Da sich C a j a n o v aber bei der Wertanalyse nicht der marxistischen, sondern der bürgerlichen Methodologie bediente, betrachtete er den Wert als eine K a tegorie des Austausches ansLatt der Produktion. E r meinte, daß die Wertkategorien deshalb in der sozialistischen Wirtschaft nicht genutzt werden könnten, weil es in ihr keinen A u s t a u s c h g ä b e . „Als objektives ökonomisches Phänomen ist der Wert ein Phänomen, d a s im A u s t a u s c h entsteht. U n d d a der A u s t a u s c h entfällt, entfällt auch der Wert als objektives ökonomisches F a k t u m " / 1 3 D a s Modell von der „sozialistischen N a t u r a l w i r t s c h a f t " setzte an die Stelle der objektiven Wertkategorien „technische" oder „rechnerische" Bewertungen, die der S t a a t zum Vergleich der Wirtschaftsgüter willkürlich festzulegen hätte. In einer Kritik an C a j a n o v s These, die Wirtschaftsrechnung im Sozialismus trage unvermeidbar technischen Charakter, h a t t e S . G. Strumilin seinerzeit darauf verwiesen, daß auch in der sozialistischen Gesellschaft die Wirtschaftsrechnung mit objektiven ökonomischen Kategorien operiert. 4 4 In C a j a n o v s Modell von der sozialistischen Wirtschaft sollte sich die Wirtschaftsrechnung auf die E r f a s s u n g der Dinge in N a t u r a l f o r m beschränken. E s enthielt praktische Vorschläge für ein S y s t e m der Naturalrechnung. Dieses S y s t e m b a u t e völlig auf technischen Koeffizienten und Kennziffern auf, mit denen die einzelnen Kostenelemente und die einzelnen Erzeugnisse in N a t u ralform miteinander verglichen werden sollten. Die Rolle des zentralen Leitungsorgans in diesem S y s t e m sollte eine H a u p t v e r w a l t u n g spielen, die d a s P r o d u k t i o n s p r o g r a m m für die Betriebe aufzustellen u n d die Produktionskostennormative für die Volkswirtschaftszweige sowie die verschiedenen Erzeugnisse festzulegen hätte. Durch den Vergleich der tatsächlichen Materialkosten mit den „gesellschaftlich nützlichen" Kostennormativen sollte sie die E f f e k t i v i t ä t der einzelnen Betriebe und Produktionen beurteilen. Im Sozialismus übe die Norm der H a u p t v e r w a l t u n g „genau die gleiche F u n k t i o n aus wie die Preisrelationen des kapitalistischem, M a r k t e s " , schrieb C a j a n o v . „ D a s Zentrum der sozialistischen Produktion erfaßt und verarbeitet d a s gleiche Material auf bewußte Weise, d a s der kapitalistische Markt a u t o m a t i s c h , ohne irgendein wirtschaftliches Bewußtsein e r f a ß t . " 4 5 Wenn sich im K a p i t a l i s m u s die Ergebnisse 43

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A. Cajanov, Die Wertsubstanz und das System der Arbeitsäquivalente, in: Ekonomiceskaja zizn, 247/1920. Vgl. S. G. Strumilin, Das Problem der Arbeitsrechnung, in: Vestnik truda, 1—2, 1921, S. 64. A. Cajanov, Der Begriff der Rentabilität der sozialistischen Wirtschaft, in: Trudy

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der Wirtschaftsrechnung im Nettoprofit, in der Rente und in anderen Kategorien ausdrücken, so sollte das Kriterium für die volkswirtschaftliche Bewertung der sozialistischen Produktion in den „von der jeweiligen Hauptverwaltung als gesellschaftlich nützlich anerkannten Normen" bestehen. 4 6 Das System dieser Normen im Modell der „sozialistischen Naturalwirtschaft" sollten die Normen der „höchsten gesellschaftlichen Nutzleistung" bilden, also nicht der durchschnittliche, sondern der höchste Aufwand. 4 7 Das sollte vor allem die Normen für den A u f w a n d an lebendiger Arbeit betreffen. Cajanov betrachtete die „gesellschaftlich nützliche" Zeit „nicht als die für die Herstellung einer Gütereinheit notwendige Durchschnittszeit, sondern als Maximalzeit, die unter den sehlechtesten Produktionsbedingungen, die jeweils f ü r die Erfüllung eines zur Deckung des Konsumtionsplanes benötigten Auftrages genutzt werden muß; d. h. bei der Ermittlung der gesellschaftlich notwendigen Zeit ist die oberste gesellschaftlich nützliche Norm als Ausgangsgröße anzunehmen". 48 Cajanovs Modell postulierte zwar die Möglichkeil, mit Hilfe eines Systems von Naturalkennziffern verschiedene Erzeugnisse, die unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen, zu vergleichen, doch blieb es den Nachweis für diese Möglichkeit schuldig. Das gleiche t r i f f t auf die einzelnen Kostenelemente zu: Rohstoffe, Produktionsinstrumente und lebendige Arbeit, die in den Naturaleinheiten dieser Kosten verglichen werden sollten. Letzten Endes können diese Kosten auch deshalb nie als Effektivitätskriterium dienen, weil sie auf die sehlechtesten Produktionsbedingungen orientieren und so keine Stimuli zur Vervollkommnung der Produktion bieten. Die Idee, daß die Naturalrechnung die einzige oder wichtigste Form der gesellschaftlichen Rechnungsführung sein könnte, war völlig falsch. S. G. Strumilin, E. S. Varga und andere bedeutende sowjetische Ökonomen haben sie einer scharfen Kritik unterzogen. Strumilin hob dabei hervor, daß es ganz und gar unmöglich sei, die gesamte Vielfalt der Güter in einer modernen Gesellschaft zu berechnen, ohne diese Vielfalt vorher auf irgendeine Einheil zu beziehen. Will man dann noch alle einzelnen Güter, genau nach Sorten und Marken unterschieden, in Naturalform erfassen, dann dürfte selbst das größte Genie nicht imstande sein, diese Mannigfaltigkeit zu bewältigen. Strumilin betonte, daß für die ganze Vielfalt der Güter ein einheitliches Maß notwendig ist: „Um unsere

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Vyssego Seminarija s.—eh. ekonomii i politiki pri Pelrovskoj s.—ch. akademii, 2/1921 (Moskva), S. 36. A. Cajanov, Das Problem der sozialistischen Rechnungsführung im sozialistischen Staat, i n : Ekonomiceskaja zizn, 225/1920. A. Cajanov, Der Begriff der Rentabilität der sozialistischen Wirtschaft, i n : Trudy Vyssego Seminarija s.-ch. ekonomii i politiki pri Petrovskoj s.-eh. akademii, 2/1921, (Moskva), S. 37. A. Cajanov, Die Wertsubstanz und das System der Arbeitsäquivalcnte, i n : Kkonomiceskaja zizn, 247/1920.

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Wirtschaftsgüter zu erfassen, müssen wir sie einer vergleichenden Bewertung unterziehen und ein und dasselbe Äquivalent zugrunde legen." 49 Die „naturalistische" Konzeption vom Sozialismus hat den Prüfungen der Zeit nicht standgehalten. Im Verlauf der ökonomischen Diskussionen wurde sie als eine Auffassung überwunden, die dem wissenschaftlichen Begriff vom Wesen der sozialistischen Wirtschaft nicht entspricht.

6. Die Unhaltbarkeit der bürgerlichen von Plan und Markt

Konzeptionen

Mit dem Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik fand die „Ware-Markt"Konzeption über die Perspektiven der sowjetischen Wirtschaft weite Verbreitung. Am ausführlichsten hatte L. N. Jurovskij, ein Schüler Struves, sie in seinen Arbeiten dargelegt. Das Wesen dieser Konzeption bestand darin, daß der Ubergangscharakter der Sowjetwirtschaft geleugnet und als einfache Spielart, als Form der Warenwirtschaft hingestellt wurde. So schrieb Jurovskij: „Das derzeitige System ist nicht als mixtum compositum, als Gemisch aus Vergangenheit und Zukunft, zu verstehen. Es ist das System, der Warenwirtschaft, aber ein spezifisches." 50 L. N. Jurovskij unterschied zwei „aus der jüngsten Geschichte" bekannte Wirtschaftssysteme, deren Analyse seiner Ansicht nach auch den Schlüssel zur Klärung des Wesens der Sowjetwirtschaft bot. Diese zwei Systeme seien, so meint Jurovskij, das „Ware-Geld-System kapitalistischen Typs" und das „System der vollendeten kommunistischen Wirtschaft", das er mit der naturalwirtschaftlichen Organisation während des Kriegskommunismus gleichsetzte. Aus dem Vergleich der Sowjetwirtschaft mit diesen gegensätzlichen Organisationsformen der gesellschaftlichen Wirtschaft zog Jurovskij den Schluß, daß sich die Sowjetwirtschaft nur in ihrer sozialen Struktur von der kapitalistischen Gesellschaft unterscheide; alle übrigen Unterschiede wären unwesentlich, sie änderten nichts an der universellen Natur des ökonomischen Mechanismus der Ware-Geld-Wirtschaft. Um die von allen antimarxistischen Strömungen in den zwanziger Jahren vertretene These, die Sowjetwirtschaft sei lediglich eine besondere Form der Ware-Geld-Wirlschafl 51 , zu beweisen, setzte Jurovskij nicht nur die „vollendete kommunistische Wirtschaft" mit der Politik des Kriegskommunismus gleich, sondern bediente sich auch der bürgerlichen Auslegung vom „Grund49 60

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S. G. Strumilin ,Das Problem der Arbeitsrechnung, in: Vestniktruda, i—2/1921, S. 6 5 . L. N. Jurovskij, Zum Problem des Planes und des Gleichgewichts im sowjetischen Wirtschaftssystem, in: Vestnik finansov, 12/1926, S. 17. So definierte V. G. Groman die NÖP als „Übergang zur Warenwirtschaft, zur Geldwirtschaft in Form des Staatskapitalismus . . ." (V. Groman, Unsere Wirtschaftslage), in: Socialisliceskoe cliozjajstvo, 1/1924, S. 276.

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prinzip" der wirtschaftlichen Organisation der Gesellschaft schlechthin. Dieses Grundprinzip sollte nach J u r o v s k i j d a s „Gleichgevvichtsstreben" sein, denn „ein sehr wesentlicher Teil der theoretischen Beschreibung der W i r t s c h a f t besteht in der Feststellung, wie d a s Gleichgewicht in ihr realisiert wird, oder genauer, was in ihr den Gleichgewichtszustand bestimmt u n d wie in ihr die T e n d e n z zu diesem Zustand verwirklicht wird". 5 2 V. G. Groman charakterisierte d a s Gleichgewichtssystem als „höchstes P o s t u l a t " des Wirtschaftsorganismus. 5 3 Die fehlerhafte Theorie v o m Marktgleichgewicht ist die allgemeinste methodologische Grundlage aller bürgerlichen und opportunistischen Theorien über die Sowjetwirtschaft. Die B e h a u p t u n g , d a s Gleichgewicht sei der gewöhnliche, normale Z u s t a n d der kapitalistischen Produktion, gehört zu den a m weitesten verbreiteten Methoden der Apologie des K a p i t a l i s m u s , mit denen die „ H a r m o n i e " dieses Wirts c h a f t s s y s t e m nachgewiesen werden soll. In Wirklichkeit aber kann die Bewegung eines W i r t s c h a f t s s y s t e m s nicht v o m Gleichgewicht her erklärt werden, d a dieses selbst der E r k l ä r u n g bedarf. Der M a r x i s m u s betrachtet d a s Gleichgewicht der kapitalistischen P r o d u k t i o n als Tendenz, als relative, vorübergehende S t a b i l i t ä t im Verhältnis der Teile des S y s t e m s zueinander. In seinen Bemerkungen über Bucliarins B u c h „ D i e Ökonomik der T r a n s f o r m a t i o n s p e r i o d e " wies Lenin im J a h r e 1920 nach, wie unhaltbar die Darstellung der kapitalistischen Reproduktion als Gleichgewichtsz u s t a n d ist. E r lehnte den Gesichtspunkt des Gleichgewichts a b u n d stellte fest, daß m a n eher von der Notwendigkeit einer gewissen Proportionalität als objektives Moment sprechen müsse. 5 4 Wegen ihrer S p o n t a n e i t ä t und Anarchie ist eine Entwicklung der Wirtschaftszweige in der kapitalistischen Produktion nicht möglich. D a s Verhältnis zwischen den Zweigen entsteht hier durch d a s Wirken des Wertgesetzmechanismus spontan. Deshalb ist es falsch, d a s Gleichgewicht als ein „ G e s e t z " , als einen verbindlichen und universellen „ R e g u l a t o r " des Wirtschaftslebens zu betrachten. D a s Gleichgewichtsstreben kann schon deshalb nicht Regulator der sozialistischen Wirtschaft sein, weil, wie die bürgerliche politische Ökonomie bemerkt, nur von einem spontan z u s t a n d e kommenden Marktgleichgewicht die Rede ist. Im Sozialismus s c h a f f t d a s objektiv wirkende Gesetz der planmäßigen E n t wicklung die Möglichkeit und Notwendigkeit der proportionalen E n t w i c k l u n g . S o schrieb der sowjetische Ökonom A. Leont'ev (L. A. L e o n t ' e v ) : „ A u f b a u e n d auf den Besonderheiten und Vorzügen des sowjetischen W i r t s c h a f t s s y s t e m s , 52

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L. N. Jurovskij, Deneznaja politika Sovetskoj vlasti (1917-1927), Moskva 1928, S. 373. V. G. Groman, Über einige in unserer Volkswirtschaft empirisch wahrnehmbare Gesetzmäßigkeiten, in: Planovoe chozjajstvo, 1/1925, S. 91. Vgl. Leninskij sbornik, X I , S. 384.

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stellen wir die w i r t s c h a f t l i c h e n P r o p o r t i o n e n n i c h t n u r m i t a n d e r e n M e t h o d e n h e r , wir stellen a u c h P r o p o r t i o n e n her, die sich in i h r e m m a t e r i e l l e n I n h a l t v o n den R e l a t i o n e n wesentlich u n t e r s c h e i d e n , die v o m W e r t g e s e t z d i k t i e r t würden."55 D a s sowjetische W i r t s c h a f t s s y s t e m r e c h n e t e J u r o v s k i j d e m e r s t g e n a n n t e n W i r t s c h a f t s t y p , der W a r e n w i r t s c h a f t zu, in d e r alle ö k o n o m i s c h e n V e r h ä l t nisse „in Geld a u s g e d r ü c k t w e r d e n " u n d d a s Gleichgewicht zwischen d e n P r o d u k t i o n s z w e i g e n , zwischen A k k u m u l a t i o n u n d K o n s u m t i o n , zwischen A u ß e n h a n d e l u n d B i n n e n h a n d e l u s w . ü b e r den P r e i s m e c h a n i s m u s z u s t a n d e k o m m t . J u r o v skij stellte z w a r fest, d a ß ein b e t r ä c h t l i c h e r Teil der P r o d u k t i o n s m i t t e l d e m S t a a t gehöre u n d in einem sehr großen Teil d e r B e t r i e b e u n d E i n r i c h t u n g e n „die S t a a t s m a c h t d e r Organisierende i s t " , doch g l a u b t e er, d a ß diese B e s o n d e r h e i t e n a n d e r N a t u r d e r S o w j e t w i r t s c h a f t als W a r e - G e l d - W i r t s c h a f t n i c h t s ä n d e r t e n . D a ß d a s E n d p r o d u k t als W a r e realisiert wird, g e n ü g t e J u r o v s k i j , u m die Ü b e r g a n g s w i r t s c h a f t der U d S S R d e r W a r e - G e l d - W i r t s c h a f t v o m k a p i t a l i stischen T y p z u z u r e c h n e n , weil „das Gleichgewicht hier als Gleichgewicht einer W a r e - G e l d - W i r t s c h a f t e r r e i c h t wird . . .". Die Realisierung d e r K o n s u m g ü t e r ü b e r die W a r e - G e l d - B e z i e h u n g e n setze v o r a u s , d a ß der M a r k t die Rolle d e s „ K r i t e r i u m s u n d R e g u l a t o r s " b e h a l t e , „ d e n n jedes P r o d u k t g e h t letztlich in K o n s u m g ü t e r ü b e r u n d wird zu diesem Zweck hergestellt" 5 6 . Diese z e n t r a l e These, die zu d e m S c h l u ß v o n der N o t w e n d i g k e i t u n b e g r e n z t e n W i r k e n s des W e r t g e s e t z e s in der S o w j e t w i r t s c h a f t f ü h r t e , w a r d a s Result a t einer individualistisch-psychologischen Methodologie, des K o n s u m s t a n d p u n k t s , d e r f o r m a l e n E r h e b u n g des Preises z u m A u s g a n g s m o m e n t der W i r t s c h a f t s a n a l y s e . Sie w a r a u c h d a r a u f z u r ü c k z u f ü h r e n , d a ß die Spezifik d e r W i r k u n g s w e i s e des W e r t g e s e t z e s in der U b e r g a n g s p e r i o d e v o m K a p i t a l i s m u s z u m Sozialismus n i c h t begriffen worden war. Letztlich w a r d a s ein Versuch, die W i r t s c h a f t d e r U b e r g a n g s p e r i o d e m i t Hilfe der K a t e g o r i e n der bürgerlichen politischen Ö k o n o m i e zu i n t e r p r e t i e r e n u n d die Gesetze des K a p i t a l i s m u s auf die W i r t s c h a f t des im A u f b a u b e f i n d lichen Sozialismus zu projizieren. Die m e c h a n i s c h e Ü b e r t r a g u n g der Gesetze u n d K a t e g o r i e n des K a p i t a l i s m u s auf die sowjetische W i r k l i c h k e i t u n d v o r allem die D a r s t e l l u n g des s p o n t a n w i r k e n d e n W e r t g e s e t z e s als einzig möglichen R e g u l a t o r s bildete die t h e o retische G r u n d l a g e , auf d e r die allgemeinen u n d speziellen K o n z e p t i o n e n sowie die P r o g n o s e n ü b e r die E n t w i c k l u n g d e r W i r t s c h a f t d e r Ü b e r g a n g s p e r i o d e a u f b a u t e n , wie sie v o n den a n t i m a r x i s t i s c h e n Ö k o n o m e n in d e n z w a n z i g e r J a h r e n aufgestellt worden waren. Die m e t h o d o l o g i s c h e G r u n d l a g e f ü r die B e t r a c h t u n g der S o w j e t w i r t s c h a f t 65 66

A. Leont'ev, Zakon trudovych zatrat, 2. Auflage, Moskva 1930, S. 48. L. N. Jurovskij, Zum Problem des Planes und des Gleichgewichts im sowjetischen Wirtschaftssystem, in: Vestnik finansov, 12/1926, S. 20.

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und des Sozialismus u n t e r d e m Gesichtspunkt der Kategorien der kapitalistischen W i r t s c h a f t bestand darin, d a ß m a n O b j e k t i v i t ä t m i t S p o n t a n e i t ä t gleichsetzte u n d n u r die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen E n t w i c k l u n g als ökonomische Gesetze a n e r k a n n t e , die m a n f ü r ewig u n d allgemeingültig erklärte. F ü r die bürgerlichen Theoretiker war der Kapitalismus die ewige u n d „optim a l e " W i r t s c h a f t s f o r m . Sie glaubten, d a ß nur das s p o n t a n e Wirken des W e r t gesetzes das Gleichgewicht im W i r t s c h a f t s s y s t e m herstellen könne. Von diesem Ewigkeitsdogma der bürgerlichen politischen Ökonomie ausgehend, wurden auch die ökonomischen Erscheinungen der U b e r g a n g s w i r t s c h a f t eingeschätzt. Die bürgerlichen Vertreter der Konzeption einer sozialistischen M a r k t w i r t s c h a f t prophezeiten, d a ß die kapitalistische W i e d e r g e b u r t der ökonomischen Kategorien der S o w j e t w i r t s c h a f t u n d der Übergang zu kapitalistischen F o r men staatlicher Regulierung des spontanen M a r k t m e c h a n i s m u s u n a b w e n d b a r seien. Sie meinten, das sowjetische Geldsystem müsse unvermeidlich n a c h bürgerlichem Vorbild u m g e s t a l t e t werden, u n d wollten nachweisen, d a ß d a s Außenhandelsmonopol aufgehoben werden müsse, d a m i t die freie Gold- u n d Warenbewegung zwischen den L ä n d e r n entsprechend der N a c h f r a g e u n d d e m Angebot in den einzelnen L ä n d e r n sowie die freie Preisbildung u n d die p r i v a t e A k k u m u l a t i o n gewährleistet sei. Um seine Positionen zu erhärten, berief sich L. N. J u r o v s k i j auf einige Besonderheiten, die die Ware-Geld-Kategorien in zwanziger J a h r e n auszeichneten. Die Verschiedenheit der Methoden, deren sich der S o w j e t s t a a t bediente, u m den M a r k t in die H a n d zu b e k o m m e n u n d das q u a n t i t a t i v e Überwiegen des Sektors der kleinen W a r e n p r o d u k t i o n , diese ganz widersprüchliche u n d komplizierte Wirklichkeit der Übergangsperiode, wurde von den bürgerlichen Ökonomen als Kampf der „gesunden" Markttendenzen m i t den „ P l a n a n o m a lien" hingestellt, die letztlich der S p o n t a n e i t ä t des Marktes unterliegen m ü ß t e n . In Wirklichkeit spiegelten die Ware-Geld-Kategorien die sozialökonomischen Verhältnisse der Übergangsperiode wider u n d m a c h t e n folglich eine bedeutende W a n d l u n g durch. Sie waren schon nicht m e h r identisch m i t den analogen Verhältnissen der kapitalistischen Produktionsweise. Eine Besonderheit der N Ö P war von Anfang an das Nebeneinanderbestehen zweier M ä r k t e : eines organisierten u n d eines nichtorganisierten Marktes. E i n e qualitativ neue W a r e n p r o d u k t i o n war im E n t s t e h e n , u n d ihr Bereich sowie ihr Einfluß auf die Marktbeziehungen im Sektor der kleinen W a r e n p r o d u k t i o n u n d im kapitalistischen Sektor erweiterten sich. Gemessen an der P r o d u k t i o n von P r o d u k t i o n s m i t t e l n , die hauptsächlich auf das allgemeine Volkseigentum eingeschränkt war, t r u g die K o n s u m g ü t e r p r o d u k t i o n weniger planmäßigen Charakter. Die Herausbildung der grundlegenden neuen Ware-Geld-Beziehungen vollzog sich im Kampf m i t den spontanen m a r k t g e b u n d e n e n F o r m e n d e r Wirkungsweise des Wertgesetzes. Da die bürgerlichen Ökonomen darauf verzichteten, den sozialökonomischen Verhältnissen auf den G r u n d zu gehen, da sie nur die rein oberflächlichen q u a n -

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titativen Beziehungen untersuchten und die Preise als dominierende Kategorie betrachteten, m u ß t e n sie das Wesen der Prozesse verzerrt sehen. Die Ignoranz gegenüber der Analyse der Wirtschaft der Ubergangsperiode in den einzelnen Sektoren und ihrer Wechselwirkung war die Ursache des mangelnden Verständnisses dafür, daß die entscheidende Sphäre der Warenprod u k t i o n — die Produktion von Produktionsmitteln und von Konsumgütern in den staatlichen Betrieben — schon damals eine qualitativ neue Warenproduktion darstellte. Als führender Sektor übte die staatliche Wirtschaft entscheidenden Einfluß auf die Produktion und Zirkulation in allen übrigen Sektoren aus. Die Entwicklung einer völlig neuen Art der Warenproduktion, die Einschränkung der privaten Warenproduktion und ihre indirekte Regulierung m u ß t e n zu einer grundlegenden Veränderung des Charakters der Warenbeziehungen in der Übergangswirtschaft führen. Schon das erste S t a d i u m der N Ö P zeigte, daß die Produktion von Produktionsmitteln in Warenform u n d ihr Kreislauf in Form der Warenzirkulation die planmäßige Bewegung der Hauptmasse der Produktionsmittel innerhalb des staatlichen Sektors nicht ausschlössen. Die bürgerlichen Ökonomen aber gingen von der Alternative „Plan oder JVlarkt" aus. Der als Gesamtheit der Preise und Tauschgeschäfte verstandene Markt und das Wertgesetz, das als an den spontanen Markt gebundene „Gesetzmäßigkeit der Preisbildung" interpretiert worden war, wurden der sozialistischen Planung gegenübergestellt. Die Konfrontation des Plans mit den Ware-Geld-Beziehungen trug in den bürgerlichen Konzeptionen absoluten ChaTakter. So sollten Jurovskij zufolge n u r zwei Formen der gesellschaftlichen Regulierung möglich sein: entweder spontane Marktbeziehungen, die das Gleichgewicht des Wirtschaftssystems angeblich automatisch herstellen, oder Planung der Volkswirtschaft, die, wie jede Einmischung in das blindwirkende Wirtschaftsleben, unvermeidlich zur Wiederherstellung des Kriegskommunismus führen müssen. „Das System der vollendeten P l a n w i r t s c h a f t . . . ist der logische Gegensatz zum System der Warenwirtschaft" 5 7 , schrieb Jurovskij. Die Verfechter der Konzeption einer sowjetischen Marktwirtschaft behaupteten, die Wirtschaftspolitik des Sowjetstaates könne die Gesetzmäßigkeiten, die der spontanen Ware-Geld-Wirtschaft innewohnen — und die Sowjetwirtschaft sei eine ihrer- Formen — weder überwinden noch verändern. Sie prophezeiten, daß eine auf die Überwindung der spontanen Marktbeziehungen gerichtete Entwicklung der Planung und Regulierung nur zu einem System führen könne, das dem in der Epoche des Kriegskommunismus errichteten gleichkomme, also einer Planwirtschaft vom „Verteilertyp", wobei die Kategorie Preis aus dem Wirtschaftsverkehr entfernt u n d die gesamte Geld- und Finanzwirtschaft „naturalisiert" werden". 5 8 V. A. Bazarov erklärte: „Die Aufgaben 5' Ebenda, S. 17. L. N. Jurovskij, S. 46, 67.

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Deneznaja politika sovetskoj vlasti (1917—1927), Moskva 1928,

des Staates drehen sich in einem circulus viliosus. Man m u ß den M a r k t in die H a n d b e k o m m e n ; das aber heißt, ihn zu vernichten." 5 9 Da diese Ökonomen jede Veränderung der Wirkungsweise des Wertgesetzes in der S o w j e t w i r t s c h a f t negierten u n d nicht einmal den Gedanken zuließen, d a ß sie u n t e r d e m E i n f l u ß der grundlegend neuen ökonomischen Verhältnisse modifiziert werden könnte, meinten sie, d a ß auch seine äußeren Erscheinungsformen ausschließlich spontan entstehen. Sie waren der Auffassung, d a ß das Geld in der Übergangsperiode n u r als elementare Goldwährung fungieren könne. Das H a u p t hemmnis f ü r die Gesundung der S o w j e t w ä h r u n g sahen sie im Außenhandelsmonopol, das verhindere, d a ß die Kongruenz von W ä h r u n g u n d W a r e auf spont a n e m Wege hergestellt werde. J u r o v s k i j bezeichnete das im E n t s t e h e n befindliche prinzipiell neue Geldsystem als einfache Spielart der Papiergeldzirkulation m i t G o l d s t a n d a r d , deren Spezifik in den Methoden zur A u f r e c h t e r h a l t u n g der P a r i t ä t , in der möglichen (oder tatsächlichen) K l u f t zwischen W ä h r u n g s k u r s u n d K a u f k r a f t bestehe u n d in der die Kredit- u n d Geldzirkulation nicht d u r c h den Diskontsatz geregelt werde. So h a t t e die bürgerliche W e l t a n s c h a u u n g ein völlig verzerrtes Bild von den neuen Wesenszügen der Geldzirkulation in der U d S S R gezeichnet. Da die bürgerlichen Vulgärökonomen den Charakter der sozialökonomischen O r d n u n g u n d der sie b e s t i m m e n d e n Verhältnisse des E i g e n t u m s an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n ignorierten, b a u t e n sie die Analyse des Wirtschaftslebens auf der Charakteristik der äußeren F o r m e n des wirtschaftlichen Gleichgewichts auf. Sie b e t r a c h t e t e n die Ware-Geld-Beziehungen als den F a k t o r , der die G r u n d merkmale der Produktionsweise bestimme. Tatsächlich a b e r h ä n g e n die W a r e Geld-Beziehungen, ihre spezifische N a t u r und Rolle vor allem von der herrschenden Produktionsweise ab. Die Vertreter der antimarxistischen S t r ö m u n g in ökonomischen Denken hielten die spontanen Marktbeziehungen f ü r die allgemeine F o r m der wirtschaftlichen Verbindung zwischen den Produzenten. Sie m a ß e n der Spontaneit ä t des Marktes die Rolle des einzigen Regulators der Wirtschaftsprozesse bei. N. P. Makarov ließ n u r die „Wertigkeits"Analyse auf der Grundlage der sich s p o n t a n entwickelnden Beziehungen als W i r t s c h a f t s a n a l y s e gelten. 6 0 N. D. K o n d r a t ' e v teilte die Ansicht von V. A. Basarov, n a c h der n u r der M a r k t die „automatische Registrierung" schaffe, die die Ergebnisse der Tätigkeit jedes Wirtschaftszweiges u n d jedes Betriebes ausweise. Gestützt auf Lenins Lehre von der Übergangswirtschaft, von der A u s n u t z u n g der Ware-Geld-Beziehungen beim A u f b a u des Sozialismus, n a h m e n die P a r tei u n d die sowjetischen Ökonomen die neuen, ä u ß e r s t komplizierten politökonomischen Probleme, der Verbindung von Plan u n d Markt in Angriff. Das 69 60

Zitiert nach: S. G. Strumilin, Izbrannye proizvedenija, Bd. 2, S. 178. N. P. Marakov, Zur Frage der Wechselbeziehung zwischen Landwirtschaft Industrie, in: likonomiceskoje obozrenie, 10/1925, S. 80.

und

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P r o b l e m des Verhältnisses v o n P l a n u n d M a r k t w u r d e auf der X I . G e s a m t russischen P a r t e i k o n f e r e n z der K P R ( B ) sowie auf d e m X I I . , X I I I . , X V . u n d X V I . P a r t e i t a g gestellt. So hieß es in der R e s o l u t i o n der X I . P a r t e i k o n f e r e n z der K P R ( B ) : „Die H a u p t a u f g a b e der K P R auf d e m Gebiet d e r W i r t s c h a f t b e s t e h t d a r i n , die w i r t s c h a f t l i c h e A r b e i t der S o w j e t m a c h t so zu lenken, d a ß sie den M a r k t , a u s g e h e n d v o n seiner E x i s t e n z u n d seinen Gesetzen R e c h n u n g t r a g e n d , in die H a n d b e k o m m t u n d d u r c h s y s t e m a t i s c h e , s t r e n g d u r c h d a c h t e u n d auf d e r g e n a u e n B e a c h t u n g des M a r k t p r o z e s s e s b e g r ü n d e t e w i r t s c h a f t liche M a ß n a h m e n die R e g u l i e r u n g des M a r k t e s u n d der G e l d z i r k u l a t i o n selbst übernimmt." 1 1 1 In ihrer K r i t i k a n den a n t i m a r x i s t i s c h e n I n t e r p r e t a t i o n e n d e r W a r e - G e l d B e z i e h u n g e n wiesen die sowjetischen W i s s e n s c h a f t l e r n a c h , d a ß die b ü r g e r lichen Ö k o n o m e n v o n den t r a d i t i o n e l l e n v u l g ä r ö k o n o m i s c h c n D a r s t e l l u n g e n von M a r k t , W a r e u n d W e r t g e s e l z a u s g e g a n g e n w a r e n . Die m a r x i s t i s c h e n Vert r e t e r der W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t d e c k t e n die U n h a l t b a r k e i t d e r A l t e r n a t i v e „ P l a n oder M a r k t " auf u n d b e t o n t e n , d a ß sich d a s P l a n u n g s p r i n z i p n i c h t .gegen die M a r k t b e z i e h u n g e n s c h l e c h t h i n r i c h t e , s o n d e r n gegen die S p o n t a n e i t ä t , d a ß im K a m p f des P l a n s gegen die S p o n t a n e i t ä t d e r K a m p f des sozialistischen S e k t o r s gegen den k a p i t a l i s t i s c h e n S e k t o r u n d seine T e n d e n z e n n a c h d e m v o n Lenin f o r m u l i e r t e n P r i n z i p „ W e r w e n ? " z u m A u s d r u c k k o m m e . 6 2 Die E x i s t e n z des v e r g e s e l l s c h a f t e t e n sozialistischen S e k t o r s f ü h r t e o b j e k t i v zur Modifizierung der W e r t k a t c g o r i e n , zur V e r ä n d e r u n g ihres sozialen I n h a l t s . A u s g e h e n d v o n den bürgerlichen I n t e r p r e t a t i o n e n des W i r t s c h a f t s r e g u l a t o r s u n t e r b r e i t e t e n die V e r t r e t e r der a n t i m a r x i s t i s c h e n S t r ö m u n g ihren Begriff v o m W e s e n , von den Grenzen u n d v o m C h a r a k t e r der V o l k s w i r t s c h a f t s planung. D e r P l a n u n g m a ß m a n die Rolle eines passiven A n h ä n g s e l s des s p o n t a n e n W i r t s c h a f t s a b l a u f s bei. Die P l ä n e w u r d e n als P r o g n o s e n hingestellt, die n u r e m p f e h l e n d e n C h a r a k ter h ä t t e n , u n d der I n h a l t des P l a n s auf die V o r a u s s i c h t d e r allgemeinsten R i c h t u n g e n in d e r w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g r e d u z i e r ! . E i n e d e r a r t i g e A u f f a s s u n g v o m P l a n m u ß t e d a r a u f h i n a u s l a u f e n , d a ß die P l a n u n g n u r die A n t i z i p a t i o n ( V o r w e g n a h m e ) einer R e s u l t a n t e sei, die sich a u s dein freien Spiel d e r s p o n t a n e n F a k t o r e n e r g i b t . W e n n wir die s p o n t a n e R e s u l t a n t e v o r a u s s e h e n , „ d a n n geben, oder besser, ü b e r n e h m e n wir d a m i t eine b e s t i m m t e D i r e k t i v e in der O r g a n i s a t i o n u n s e r e r M a ß n a h m e n u n d H a n d l u n g e n " , schrieb N . D. K o n t r a t ' e v . 6 3 Mit a n d e r e n W o r t e n : D e r P l a n sollte die W i r t s c h a f t s p o l i 61

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KPSS v rezoljucijach i resenijach s-ezdov, konferencij i plenumov CK, Bd. 2, Moskva 1970, S. 301. Vgl. A. Leont'ev, Zur Frage des Charakters der Wirtschaft der UdSSR, in: Planovoe chozjajstvo, 4/1927, S. 115; A. Leont'ev, Das Gesetz des Arbeitsaufwands, seine methodologischen Wurzeln und praktischen Folgen, in: Socialisticeskoe chozjajstvo, 5/1929, S. 30. N. D. Kondral'ev, Plan und Prognose, in: Puti sel'skogo cliozjajstva, 2/1927, S. 11.

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t i k den Gesetzen d e r M a r k t s p o n t a n e i t ä t a n p a s s e n u n d d a b e i die s p o n t a n e n t s t e h e n d e w i r t s c h a f t l i e h e S i t u a t i o n n u r deshalb v o r w e g n e h m e n , d a m i t m a n sich d e m , was u n v e r m e i d b a r e i n t r i t t , besser angleichen k a n n . Dagegen m ü s s e j e d e r Versuch, irgendwelche R e g u l i e r u n g s m a ß n a h m e n zu t r e f f e n , in eine P l a n w i r t s c h a f t v o m T y p des K r i e g s k o m m u n i s m u s „ a u s a r t e n " . K o n d r a t ' e v v e r t r a t die A n s i c h t , d e r P l a n d ü r f e selbst f ü r die a l l g e m e i n s t e n T e n d e n z e n n u r q u a l i t a t i v e C h a r a k t e r i s t i k e n ohne e x a k t e n Z a h l e n a u s d r u c k e n t h a l t e n . Die „ m o d e r n e W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t u n d die s t a t i s t i s c h e M e t h o d e s i n d n i c h t . . . die G r u n d l a g e n f ü r die e x a k t e P r o g n o s e q u a n t i t a t i v e r Verä n d e r u n g e n der ö k o n o m i s c h e n W i r k l i c h k e i t . . . Bis j e t z t h a t die W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t die M e t h o d e f ü r die q u a n t i t a t i v e Messung w i r t s c h a f t l i c h e r E r s c h e i n u n g e n u n d f ü r d e n q u a n t i t a t i v e n A u s d r u c k d e r Gesetze des W i r t s c h a f t s w a c h s t u m s noch n i c h t in die H a n d b e k o m m e n . Sie liefert gewisse G r u n d l a g e n f ü r die A u f s t e l l u n g einer P r o g n o s e im Sinne des Hinweises auf allgemeine E n t wicklungstendenzen". Wegen der ständigen Veränderungen der ökonomischen W i r k l i c h k e i t k ö n n e ein P l a n nie e n d g ü l t i g sein, seine A u f s t e l l u n g sei schon d e m Wesen n a c h eine p e r m a n e n t e A r b e i t . 6 4 Das m e t h o d o l o g i s c h e H a u p t p r i n z i p d e r P l a n u n g sollte die „ g e n e t i s c h e " M e t h o d e sein, die B a z a r o v vorgeschlagen h a t t e 6 5 u n d die u n t e r a n d e r e m v o n K o n d r a t ' e v u n d G r o m a n v o r b e h a l t l o s u n t e r s t ü t z t w u r d e . Diese M e t h o d e ging v o n d e n s p o n t a n w i r k e n d e n T e n d e n z e n der gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g , v o n d e r E x t r a p o l a t i o n s p o n t a n e r G e s e t z m ä ß i g k e i t e n d e r V e r g a n g e n h e i t auf die k ü n f t i g e E n t w i c k l u n g aus. Bei dieser B e t r a c h t u n g s w e i s e schloß die „Gen e t i k " bereits die „Teleologie" ein, also d a s Ziel d e r s p o n t a n e n E n t w i c k l u n g z u m K a p i t a l i s m u s h i n ; d e n n schon die Möglichkeit einer P l a n u n g , die die v o m s p o n t a n e n W i r k e n des W e r t g e s e t z e s hergestellten P r o p o r t i o n e n s t ö r e n k ö n n t e , w u r d e a b g e l e h n t . J u r o v s k i j d r ü c k t e d a s m i t folgenden W o r t e n a u s : E i n e „ R e g u l i e r u n g in der W a r e - G e l d - W i r t s c h a f t , die d a s f ü r diese W i r t s c h a f t n o t w e n d i g e Gleichgewicht n i c h t s t ö r t , k a n n r u h i g ihr Ziel v e r f o l g e n " 6 6 . Seiner A u f f a s s u n g n a c h sollte d a s Gleichgewicht v o n N a c h f r a g e u n d A n g e b o t o b e r s t e s K r i t e r i u m der P l a n u n g sein. E i n e solche B e t r a c h t u n g s w e i s e lief auf die E n t w i c k l u n g d e r Ü b e r g a n g s w i r t s c h a f t in k a p i t a l i s t i s c h e r R i c h t u n g h i n a u s ; d e n n sie h ä t t e die I n d u s t r i a l i s i e r u n g , die K o l l e k t i v i e r u n g u n d d e n p l a n m ä ß i g e n B r u c h m i t d e n g e g e b e n e n P r o p o r t i o n e n u n m ö g l i c h g e m a c h t . U n t e r d e r H e r r s c h a f t des s p o n t a n w i r k e n d e n 64

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N. D. Kondrat'ev, Ein abschließendes Wort, in: Puti sei' skogo chozjastva, 3/1926, S. 127. Wegen dieser Einstellung hatten sich Kondrat'ev und seine Anhänger nicht an der Erarbeitung der ersten Kontrollziffern beteiligt. Bazarov bezeichnete die Prognose als „Genetik" und die Direktive als „Teleologie" (vgl. M. Birbraer, Zur Frage der Methodologie der Aufstellung von „Perspektivplänen", in: ßkonomiceskoe obozrenie, 6/1927, S. 94). L. N. Jurovskij, Deneznaja politika Sovetskoj vlasti (1917-1927), Moskva 1928, S. 384.

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Wertgesetzes lassen sich die Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus nicht verwirklichen. Wenn die bürgerlichen Ökonomen die „teleologische" Einstellung zur Planung kritisierten, dann deswegen, weil sie es ablehnten, den Planauflagen eine sozialistische Ausrichtung zu verleihen. Sie wandten sich entschieden gegen „Planvorschriften", Plananweisungen und Planauflagen und traten für einen Prognoseplan der spontanen Tendenzen ein. Das bürgerliche ökonomische Denken hält nur eine solche Planung für wissenschaftlich und ökonomisch begründet, die auf der „genetischen" Methode beruht. Seine Vertreter meinten, daß dort, wo die spontanen ökonomischen Gesetze aufhören, der Voluntarismus beginne. Eine Planung und Regulierung der Volkswirtschaft, die den spontanen Ware-Geld-Beziehungen nicht Rechnung trage, laufe auf die Realisierung einer „bewußt teleologischen Methode", also auf die Stellung von Zielen hinaus, die ökonomisch nicht fundiert sind. Eine solche Planung wurde mit Administration gleichgesetzt. Hieraus zog man den Schluß, daß die Planung das Verhältnis zwischen den materiellen Ressourcen und dem Bedarf für Akkumulation und Konsumtion nicht richtig erfassen könne und deshalb zur Störung des Gleichgewichts, zu Disproportionen und Krisen führe. Bazarov sah den Weg zur „Überwindung der Disproportionen im Verzicht auf die planmäßige Regulierung des Marktes", weil sich nur unter diesen B e dingungen die Möglichkeit eröffne, „eine Hochkonjunktur so auszunutzen, wie Privatkapitalisten sie genutzt hätten, wenn sie an der Stelle unserer S t a a t s betriebe gewesen wären . . . " . 6 7 Die Planungs- und Regulierungstätigkeit des Sowjetstaates und besonders das Außenhandelsmonopol, die Einführung eines festen Diskontsatzes, das Abgehen von der Einwechslung der Banknoten gegen Gold, die Festlegung und Regelung der Preise sowie die Lohnregelung wurdqn als „Anomalien" qualifiziert, „die den fein konstruierten Apparat des Wertgesetzes verstümmeln, die Wahrnehmung sich abzeichnender Disproportionen und die spontane Wiederherstellung des Gleichgewichts stören". Da die Maßnahmen des Sowjetstaates gegen die Spontaneität in der Geldzirkulation gerichtet waren, glaubten die bürgerlichen Ökonomen, die Sowjet Wirtschaft sei zur permanenten Krise verurteilt. „Der Markt wird seiner Fähigkeit beraubt, das Gleichgewicht wiederherzustellen und verfällt in den Zustand der Desorganisation, durch die es auf ihm bald zu einer Absatzkrise bei Fabrikerzeugnissen, bald zu einer Absatzkrise bei landwirtschaftlichen W a ren kommt", schrieb Kondrat'ev. 6 8 Dabei haben, so meinte J u r o v s k i j , „Maß67

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V. Bazarov, Fünf Jahre neue ökonomische Politik, in: Ekonomiceskoe obozrenie, 3/1926, S. 12, 13. N. D. Kondrat'ev, Das relative Ahsinken der Getreidepreise und seine Bedeutung, in: Sel'skoe i lesnoe chozjajstvo, 13—14/1923, S. 44.

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n a h m e n . . . , die sich a u s der S t ö r u n g des Gleichgewichts auf d e m M a r k t e r g e b e n , infolge d e r ihnen i n n e w o h n e n d e n Logik die E i g e n s c h a f t z u z u n e h m e n u n d sich zu vervielfältigen. W e n n a b e r d a s Gleichgewicht g e s t ö r t ist u n d n i c h t w i e d e r hergestellt wird, d a n n k a n n eine R e g u l i e r u n g s m a ß n a h m e , die i h r e A u f g a b e u n t e r U m g e h u n g des M a r k t g l e i c h g e w i c h t s lösen soll, n i c h t die einzige b l e i b e n , sie e r f o r d e r t i m m e r n e u e M a ß n a h m e n , v o n d e n e n die l e t z t e , die K e t t e schließ e n d e u n d eine wirkliche L ö s u n g — allerdings n i c h t in R i c h t u n g auf d a s M a r k t gleichgewicht hin, s o n d e r n von i h m weg — b i e t e n d e M a ß n a h m e die L i q u i d i e r u n g des M a r k t e s u n d die E r r i c h t u n g einer v o l l e n d e t e n s t r e n g p l a n m ä ß i g e n V e r t e i l u n g auf d e m e n t s p r e c h e n d e n G e b i e t ist." 6 9 Das t h e o r e t i s c h e S c h e m a v o m M a r k t g l e i c h g e w i c h t , d a s G r o m a n v o r g e l e g t h a t t e , zeigt, wie falsch die p r a k t i s c h e n E m p f e h l u n g e n w a r e n , zu d e n e n die auf d e m P r i n z i p d e r E x t r a p o l a t i o n u n d des Gleichgewichtsstrebens k o n s t r u i e r t e n bürgerlichen P l a n u n g s k o n z e p t i o n e n f ü h r t e n . N a c h G r o m a n s A u f f a s s u n g sollte die Analyse der S t a t i k u n d D y n a m i k d e r V o l k s w i r t s c h a f t b e s t i m m t e s t ä n d i g e R e l a t i o n e n zwischen d e n v e r s c h i e d e n e n Teilen d e r V o l k s w i r t s c h a f t o f f e n b a r e n , bei d e r e n E i n h a l t u n g d a s allgemeine Gleichgewicht e r r e i c h t werde. Aus der Analyse d e r W i r t s c h a f t R u ß l a n d s v o r d e m e r s t e n W e l t k r i e g k a m G r o m a n zu der F e s t s t e l l u n g , d a ß d a s V e r h ä l t n i s d e r „ W e r t i g k e i t " der l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n u n d industriellen W a r e n zur „allgemeinen W e r t i g k e i t " d e r g e s a m t e n W a r e n m a s s e 37 : 6 3 gewesen sei. Dieses V e r h ä l t n i s e r h o b G r o m a n z u m „Gesetz d e r Verteilung d e r W a r e n m a s s e a u s der l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n u n d industriellen P r o d u k t i o n auf S t a d t u n d L a n d . . .", d a er diese E i n t e i l u n g f ü r R u ß l a n d als n o r m a l e r k l ä r t e . 7 0 Diese empirisch a b g e l e i t e t e n s t a t i s c h e n u n d d y n a m i s c h e n Koeffizienten, die f ü r die r ü c k s t ä n d i g e a g r a r i s c h e S t r u k t u r d e r k a p i t a l i s t i s c h e n W i r t s c h a f t R u ß l a n d s t y p i s c h w a r e n , sollten n a c h G r o m a n s P l a n die P r o p o r t i o n e n der R e p r o d u k t i o n in einer sich e n t w i c k e l n d e n sozialistischen W i r t s c h a f t p r ä g e n . Sie w u r d e n in d e n R a n g ewiger G e s e t z m ä ß i g k e i t e n e r h o b e n . U n d diese G e s e t z m ä ß i g k e i t e n sollten die letztlich u n v e r ä n d e r l i c h e W e r t r e l a t i o n d e r W a r e n p r o d u k t i o n von I n d u s t r i e u n d L a n d w i r t s c h a f t b e s t i m m e n , die angeblich in allen E n t w i c k l u n g s e t a p p e n der V o l k s w i r t s c h a f t d a s d y n a m i s c h e O p t i m u m gewährleisten. I n d e n P l ä n e n , die b ü r g e r l i c h e Ö k o n o m e n u n t e r d e r L e i t u n g v o n G r o m a n a u s g e a r b e i t e t h a t t e n , f a n d e n sich u n t e r a n d e r e n solche b ü r g e r l i c h e n K o n z e p t i o n e n wieder, wie d e r „ A u s f a l l g e d a n k e " u n d die Theorie v o n d e r „ a b n e h m e n d e n Grenzleistungskurve". Die marxistisch-leninistische W i s s e n s c h a f t h a t in d e n zwanziger J a h r e n die f ü h r e n d e Rolle des P l a n s in d e r E n t w i c k l u n g der s o w j e t i s c h e n V o l k s w i r t s c h a f t 69

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L. N. Jurovskij, Deneznaja politika Sovetskoj vlasti (1917-1927), Moskva 1928, S. 384. V. G. Groman, Über einige in unserer Volkswirtschaft empirisch wahrnehmbare Gesetzmäßigkeiten, in: Planovoe chozjajstvo, 1/1925, S. 100.

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nachgewiesen, die sich in Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t d e n o b j e k t i v e n B e d i n g u n g e n u n d A u f g a b e n des sozialistischen A u f b a u s vollzog. Sie lieferte d e n Beweis, d a ß die b e w u ß t e A u s n u t z u n g d e r W e r t k a t e g o r i e n möglich u n d n o t w e n d i g ist. A u s g e h e n d v o n Lenins W e r k v e r t e i d i g t e n die sowjetischen Ö k o n o m e n in erb i t t e r t e m K a m p f m i t bürgerlichen K o n z e p t i o n e n die Idee v o n d e r V e r b i n d u n g der zentralen Planung mit der Ausnutzung der Ware-Geld-Beziehungen und e n t w i c k e l t e n sie weiter. E s w u r d e nachgewiesen, d a ß die sozialistische P l a n u n g n u r z u m s p o n t a n e n M a r k t , d e n die bürgerlichen Ö k o n o m e n d e r P l a n u n g zug r u n d e legen wollten, die A n t i t h e s e bildet. Die P l a n m ä ß i g k e i t , die m i t d e m spont a n e n , a n a r c h i s c h e n C h a r a k t e r der B e z i e h u n g e n u n v e r e i n b a r ist, stellt n u r u n t e r d e n V e r h ä l t n i s s e n des k a p i t a l i s t i s c h e n P r i v a t e i g e n t u m s a n d e n P r o d u k t i o n s m i t t e l n einen G e g e n s a t z zu den W a r e n b e z i e h u n g e n d a r . E i n e a u s f ü h r l i c h e K r i t i k a n der bürgerlichen P l a n u n g s m e t h o d o l o g i e lieferte V. V. K u j b y s e v auf d e r X V I . P a r t e i k o n f e r e n z . Gegen die b ü r g e r l i c h - r e s t a u r a t i v e n P l a n u n g s k o n z e p t i o n e n w a n d t e n sich a u c h die s o w j e t i s c h e n Ökonom e n G. M. K r z i z a n o v s k i j , S. G. S t r u m i l i n , M. G. B r o n s k i j , N . A. K o v a l e v skij, A. S. Mendel'son, L. N. K r i c m a n , L. A. L e o n t ' e v , R. E . V a j s b e r g u n d a n d e r e . B r o n s k i j , d e r die b ü r g e r l i c h - r e s t a u r a l i v e n B e s t r e b u n g e n , die P l a n u n g s m e t h o d e n der S p o n t a n e i t ä t des M a r k t e s u n t e r z u o r d n e n , e n t s c h i e d e n z u r ü c k wies, s c h r i e b : „ W e n n der P l a n n u r in der B e r e c h n u n g u n d V o r a u s b e t r a c h t u n g d e r W i r t s c h a f t s p r o z e s s e unseres L a n d e s b e s t ä n d e , wie es die. . . n i c h t m a r x i stischen Ö k o n o m e n wollen . . ., d a n n g ä b e es in u n s e r e m L a n d k e i n e n sozialö k o n o m i s c h e n F o r t s c h r i t t , d. h. keine solche E n t w i c k l u n g d e r P r o d u k t i v k r ä f t e , die die V e r g r ö ß e r u n g d e r sozialistischen E l e m e n t e g e w ä h r l e i s t e n u n d die k a p i t a l i s t i s c h e n E l e m e n t e s c h w ä c h e n w ü r d e , " d e n n „ j e d e s p o n t a n e L ö s u n g d e r W i r t s c h a f t s f r a g e n ist eine Lösung, die die k a p i t a l i s t i s c h e n E l e m e n t e der Wirtschaft stärkt".71 G e s t ü t z t auf Lenins L e h r e n e n t w i c k e l t e n die m a r x i s t i s c h e n Ö k o n o m e n die t h e o r e t i s c h e n u n d m e t h o d o l o g i s c h e n G r u n d l a g e n der P l a n u n g n i c h t n u r w e i t e r ; e r s t m a l i g in d e r Geschichte stellten sie a u c h P e r s p e k t i v p l ä n e f ü r die E n t w i c k l u n g der V o l k s w i r t s c h a f t a u f . Die E r a r b e i t u n g u n d A u f s t e l l u n g d e r ersten Volksw i r t s c h a f t s p l ä n e u n d v o r allem des ersten F ü n f j a h r p l a n s , w a r e n v o n u n v e r söhnlichen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n m i t d e n b ü r g e r l i c h e n Ö k o n o m e n begleitet. „Dieser K a m p f , d e n wir u m d e n P l a n u n d gegen die b ü r g e r l i c h e n E i n f l ü s s e f ü h r t e n , die d e n T r i u m p h d e r M a r k t s p o n t a n e i t ä t in u n s e r e r V o l k s w i r t s c h a f t a n s t r e b t e n , z i e h t sich wie ein r o t e r F a d e n d u r c h alle u n s e r e , m e t h o d o l o g i s c h e n ' Diskussionen u n d p r a k t i s c h e n E r f a h r u n g e n d e r e r s t e n J a h r e auf d e m G e b i e t der Planung."72 71

72

M. G. Bronskij, Der Plan, die Elemente und die Krisenerscheinungen unserer Wirtschaft, in: Socialisticeskoe chozjajstvo, 1/1929, S. 73; M. Bronskij, Die sozialistische Rekonstruktion unserer Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren, in: Socialisticeskoe chozjajstvo, 3/1929, S. 8. S. G. Strumilin, Izbrannye proizvedenija, Bd. 2, S. 177.

202

Die bürgerlichen Planungskonzeptionen k o n n t e n n i c h t n u r in t h e o r e t i s c h e r und methodologischer

Hinsicht überwunden werden. Die sowjetischen

Öko-

nomen lieferten auch den umfassenden Nachweis, daß alle P l a n b e r e c h n u n g e n und Prognosen der bürgerlichen Ökonomen praktisch u n h a l t b a r waren.

7. Die

Apologie

der privatkapitalistischen

Akkumulation

In der Leugnung der Vorzüge des sozialistischen W i r t s c h a f t s s y s t e m s gegenüber dem Kapitalismus waren sich ausnahmslos alle a n t i m a r x i s t i s c h e n Ökonomen einig. Die Apologie der bürgerlichen Ordnung und der k a p i t a l i stischen W i r t s c h a f t zeigte sich besonders deutlich daran, d a ß sie deren unbedingte Überlegenheit in der Lösung des A k k u m u l a t i o n s p r o b l e m s b e t o n t e n . In der F r a g e nach den Gesetzmäßigkeiten und Quellen der A k k u m u l a t i o n in der S o w j e t w i r t s c h a f t beriefen sich die Ideologen der bürgerlichen K o n t e r revolution auf den schon von M a r x verspotteten Mythos, n a c h d e m es vor längst vergangenen Zeiten einerseits ein Häuflein sparsamer Auserwählter, die R e i c h t ü m e r angehäuft, und andererseits viele Faulenzer gegeben h a b e , die alles, was sie h a t t e n , d u r c h b r a c h t e n . N. S t r u v e schrieb in der E m i g r a t i o n die „schicksalhafte U n v e r m e i d l i c h k e i t " des F i a s k o s des sozialistischen A u f b a u s liege darin begründet, daß die Nationalisierung den „wirtschaftenden S u b j e k t e n " die P r o d u k t i o n s m i t t e l genommen und sie den „ V e r b r a u c h e r s u b j e k t e n " übergeben habe, die a n s t a t t zu akkumulieren, das vergesellschaftete K a p i t a l n u r verzehren. Diese Ideologen legten die uralte Abstinenztheorie Nassau W . Seniors neu auf und erhoben den Kapitalisten in seiner Rolle als personifiziertes K a p i t a l zum W o h l t ä t e r . E i n e E m i g r a n t e n z e i t s c h r i f t schrieb, daß die K a p i t a l i s t e n L e u t e seien, „die aus ihrem Gewerbe riesige E i n k o m m e n beziehen . . . und n i c h t m e h r für ihren persönlichen V e r b r a u c h ausgeben als ihr bescheidener A n g e s t e l l t e r " . I m Gegensatz zur Bourgeoisie könne und wolle das von egalitärem K o n s u m denken erfüllte P r o l e t a r i a t keine Abstinenz üben und a b w a r t e n , so d a ß die A k k u m u l a t i o n zu einem unlösbarem P r o b l e m werde, schrieb B . B r u c k u s . I m J a h r e 1 9 2 8 veröffentlichte S . G. Strumilin B e r e c h n u n g e n , die die R i c h tigkeit der K r i t i k von M a r x an der Abstinenztheorie a m Beispiel des zaristischen R u ß l a n d s e r h ä r t e t e n . Strumilin wies nach, daß die russische Bourgeoisie die Hälfte des durch die Ausbeutung des Proletariats erzielten P r o f i t s für den parasitären Konsum v e r b r a u c h t h a t t e . 7 3 Die Apologeten des K a p i t a l i s m u s wollten nachweisen, d a ß das A k k u m u l a tionsproblem ohne die Bourgeoisie unlösbar sei. D a s gesellschaftliche E i g e n t u m an den P r o d u k t i o n s m i t t e l n und die E i n s c h r ä n k u n g und V e r d r ä n g u n g der „ k a p i t a l b i l d e n d e n " W i r t s c h a f t der NÖP-Bourgeoisie sahen sie als Zerstörung des Mechanismus der A k k u m u l a t i o n und als Untergrabung der erweiterten R e p r o 73

14

S. G. Strumilin, Ccerki sovetskoj ekonomiki, Moskva-Leningrad Ök. soz. Theorien

1930, S. 70—73. 203

d u k t i o n a n . D a r a u s folgte d a n n der S c h l u ß : U m die w a c h s e n d e A k k u m u l a t i o n zu sichern, m ü s s e diese Bourgeoisie u n t e r s t ü t z t , deren P o s i t i o n e n e r w e i t e r t u n d gefestigt w e r d e n , u n d z w a r a u c h m i t Hilfe des A u s l a n d s k a p i t a l s . Die sozialistische R e k o n s t r u k t i o n d e r V o l k s w i r t s c h a f t v e r l a n g t e Milliarden a n I n v e s t i t i o n e n . Sie a u f z u b r i n g e n , w a r ein kompliziertes P r o b l e m , a b e r die P a r t e i f a n d Wege zu seiner Lösung. I n der Resolution des A p r i l p l e n u m s des Z K d e r K P d S U (B) im J a h r e 1926 hieß es: „Die E x p r o p r i a t i o n der u n p r o d u k t i v e n Klassen (Bourgeoisie u n d Adel), die A n n u l l i e r u n g d e r S c h u l d e n , die K o n z e n t r a tion der E i n n a h m e n a u s d e r I n d u s t r i e u n d d e m s t a a t l i c h e n H a n d e l (Binnen- u n d A u ß e n h a n d e l ) sowie des g e s a m t e n K r e d i t s y s t e m s in den H ä n d e n des S t a a t e s u s w . ermöglichen a n sich bereits eine A k k u m u l a t i o n i n n e r h a l b des L a n d e s , die d a s f ü r d e n sozialistischen A u f b a u erforderliche E n t w i c k l u n g s t e m p o der I n d u s t r i e sichert."74 Die P e r i o d e des sozialistischen A u f b a u s w a r v o n einem r a s c h e n W a c h s t u m d e r E f f e k t i v i t ä t d e r gesellschaftlichen P r o d u k t i o n g e k e n n z e i c h n e t . So stieg d a s N a t i o n a l e i n k o m m e n w ä h r e n d des ersten P l a n j a l i r f ü n f t s u m m e h r als d a s l , 5 f a c h e u n d d a m i t schneller als d a s gesellschaftliche G e s a m t p r o d u k t . D a s industrielle u n d l a n d w i r t s c h a f t l i c h e B r u t t o p r o d u k t stieg in dieser Zeit u m 47 u n d d a s e n t s p r e c h e n d e N e t t o p r o d u k t u m 64 P r o z e n t . ' 5 D a s s t ä n d i g w a c h s e n d e N a t i o n a l e i n k o m m e n b i l d e t e die H a u p t q u e l l e d e r sozialistischen A k k u m u l a t i o n . E s w a r f ü r alle die Ö k o n o m e n , die auf d e m B o d e n d e r b ü r g e r l i c h e n W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t s t a n d e n , t y p i s c h , d a ß sie wie J . B. Clark u n d A l f r e d Marshall die A k k u m u l a t i o n als E r s p a r n i s s e , als persönliche S p a r r ü c k l a g e n auf K o s t e n d e r individuellen K o n s u m t i o n i n t e r p r e t i e r t e n . Die F r a g e n a c h d e n G e s e t z m ä ß i g k e i t e n u n d Quellen der A k k u m u l a t i o n w u r d e auf die A n a l y s e d e r F a k t o r e n r e d u ziert, die E i n f l u ß auf den Willen u n d d e n Anreiz z u m S p a r e n a u s ü b e n . Die I d e n t i f i z i e r u n g des N a t i o n a l e i n k o m m e n s m i t E r s p a r n i s s e n k a m a u c h in d e r ersten B e r e c h n u n g der N a t i o n a l e i n k o m m e n s g r ö ß c d e r U d S S R z u m A u s d r u c k , die L. N. L i t o s e n k o angestellt h a t t e . E r steigerte die individualistische B e t r a c h t u n g d e r ö k o n o m i s c h e n E r s c h e i n u n g e n bis ins E x t r e m u n d l e h n t e selbst d e n Begriff „ V o l k s w i r t s c h a f t " a b , weil m a n , wie er m e i n t e , v o n einer „ V o l k s w i r t s c h a f t " im w i s s e n s c h a f t l i c h e n Sinn n i c h t s p r e c h e n k ö n n e . I n d e r R e a l i t ä t gebe es n u r Millionen individueller E i n z e l w i r t s c h a f t e n u n d n u r einzelne P r o d u k t i o n s a r t e n , die „in W i r k l i c h k e i t in keiner Weise d u r c h ein einheitliches W i r t s c h a f t s s u b j e k t v e r e i n i g t sind u n d v o n k e i n e m einheitlichen w i r t s c h a f t l i c h e n Willen dirigiert w e r d e n " . D a b e i bleibe „diese S i t u a t i o n in der U d S S R z u m i n d e s t f ü r die L a n d w i r t s c h a f t voll g ü l t i g " 7 6 , d e r e n d o m i n i e r e n d e n C h a r a k t e r L i t o s e n k o s t ä n d i g 74

KPSS v rezoljucijach i resenijach s-ezdov konferencij i plenumov CK, Bd. 3, Moskva 1970, S. 313. 75 A. A. Barsov, Balans stoimostnych ebmenov mezdu gorodom i derevnej, Moskva 1969, S. 89. 7