Blaise Pascal: Das Heil im Widerspruch ; Studien zu den Pensées im Aspekt philosophisch-theologischer Anschauungen, sprachlicher Gestaltung und Reflexion [Reprint 2013 ed.] 9783110864151, 9783110072532


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German Pages 401 [404] Year 1978

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
I. Gott - Mensch - Welt
A Mitte als Maß und Widerspruch
1. Die Grundbewegung im Denken Pascals
2. Analogie und Diskontinuität
B Pascals Menschenbild
1. Die Struktur der menschlichen Seele
2. Corpus mysticum
3. Das Elend des Menschen ohne Gott
4. Pascal und die christliche Literatur des 20. Jahrhunderts
II. Die Sprache als Raum des personalen Vollzugs
A l’Esprit de Géométrie
1. Das Ringen um eine wissenschaftliche Sprache
2. Die Ordnungen im Bereich der Sprache
B Ästhetik und Stilistik im Bereich des Esprit de Finesse
1. Die Kunst der Überzeugung
2. Die Ausrichtung auf den Zuhörer
3. Die Natur im Aspekt der Schöpfung und der Heilsgeschichte
4. Das innere Sprachmodell
5. Pascal und die moderne Sprachsituation
III. Sprachgewalt und Denkbewegung
1. Grundaspekte der Rhetorik
2. Die Ausdruckskraft des Wortes
3. Die Dynamik in Pascals Satzstruktur
4. Das Bild
5. Das strukturelle Prinzip des apologetischen Dialogs
Literaturverzeichnis
1. Die Werke von Blaise Pascal
2. Lexika und Wörterbücher
3. Literatur zu Blaise Pascal und den mit ihm verbundenen Problemkreisen
Namenregister
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Blaise Pascal: Das Heil im Widerspruch ; Studien zu den Pensées im Aspekt philosophisch-theologischer Anschauungen, sprachlicher Gestaltung und Reflexion [Reprint 2013 ed.]
 9783110864151, 9783110072532

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Kummer Blaise Pascal — Das Heil im Widerspruch

W G DE

Irene Elisabeth Kummer

Blaise Pasca Das Heil im Widerspruch Studien zu den Pensees im Aspekt philosophisch-theologischer Anschauungen, sprachlicher Gestaltung und Reflexion

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1978

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Kummer, Irene Elisabeth Blaise Pascal, das Heil im Widerspruch : Studien zu d. Pensees im Aspekt philos.-theol. Anschauungen, sprachl. Gestaltung u. Reflexion. - 1. Aufl. - Berlin, New York : de Gruyter, 1978. ISBN 3-11-007253-X

© 1978 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. Berlin 30, Genthiner Straße 13 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin Einband: Lüderitz Sc Bauer, Berlin

Meinen Freunden Adi Rieser Hansruedi Kernf Verena Jucker-Kern in dankbarer Erinnerung an unsere Pascal-Gespräche im Tessin

Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um den Versuch einer Zusammenschau von Pascals philosophisch-theologischen Anschauungen, seinen Reflexionen zur Sprache sowie seiner eigenen sprachlichen Gestaltung im Hinblick auf die Fragmente der Pensees, die als eine Apologie des Christentums konzipiert waren. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die dialogische Grundstruktur des Werkes, die auf Überzeugung seiner Zeitgenossen ausgerichtet war, das >Heil im Widerspruch< zu allen vorgegebenen Denkmustern, Überzeugungen und Äußerungsformen zeigt und zu einer die dialektischen Positionen auf der anthropologischen, sprachtheoretischen, ästhetischen, stilistischen und pragmatischen Ebene vermittelnden Konzeption führt. Im ersten Teil wird unter dem Titel Gott-Mensch-Welt ein Grundriß der Pascalschen Anthropologie gegeben und diese zunächst unter dem metaphysisch-theologischen Gesichtspunkt des Gegensatzes von Analogie und Diskontinuität interpretiert. Die wesentliche theologische Leistung wird dabei in der dialektischen Vermittlung dieses Gegensatzes, die dem spezifischen Denkmodell Pascals entspricht, gesehen. Pascals Menschenbild wird anschließend von der erkenntnistheoretischen wie von der phänomenologischen Seite her beleuchtet und zu Aspekten der geistesgeschichtlichen Entwicklung bis ins 20. Jahrhundert in Beziehung gesetzt. Der zweite Teil mit dem Titel Die Sprache als Raum des personalen Vollzugs stellt Pascals theoretische Auffassung von Sprache dar, indem esprit de geometrie und esprit de finesse in ihrem unterschiedlichen sprachlichen und logischen Charakter herausgearbeitet und im Aspekt neuerer linguistischer und ästhetischer Theorien interpretiert werden. Der dritte Teil, Sprachgewalt und Denkbewegung, gibt eine Analyse von Pascals eigener Sprachgestaltung, wobei Entwicklung und Grundpositionen der abendländischen Rhetorik zur Erhellung herangezogen werden. Dabei zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen Pascals Sprachreflexion und seiner sich über alles Normative hinwegsetzenden sprachlichen Realisierung. Den ersten Anstoß zu dieser Auseinandersetzung mit Pascal verdanke ich der Lektüre von Edzard Schapers Roman >Der Aufruhr des GerechtenHeils im Widerspruch« verdichtet.

VIII

Vorwort

An dieser Stelle danke ich auch meinen Freunden und Bekannten, die mir Mut zu dieser Arbeit gemacht haben und durch wertvolle Anregungen zu ihrem Gelingen beitrugen, sowie denjenigen, die mir bei der Herstellung und Korrektur des Manuskriptes behilflich waren. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Arthur Rieh von der Universität Zürich und den Herren Professoren Roger Kempf und Gerhard Huber von der E T H Zürich für ihre wohlwollende Unterstützung der Arbeit. Meinen Dank aussprechen möchte ich auch für den Druckkostenzuschuß, den ich aus der Stiftung Landis & Gyr und aus dem Zentenarfonds der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zur Publikation der vorliegenden Arbeit erhalten habe. Zürich, im Februar 1978

Inhaltsverzeichnis Vorwort

VII

Einleitung

Die geistesgeschichtliche Situation in der Zeit Pascals 1 Leben und Werk Blaise Pascals 11 Grundtendenzen in Pascals geistiger Auseinandersetzung 21

1

I. Gott - Mensch - Welt A Mitte als Maß und Widerspruch

31

1. Die Grundbewegung im Denken Pascals

31

2. Analogie und Diskontinuität

52

B Pascals Menschenbild

90

1. Die Struktur der menschlichen Seele

90

Unterscheidung und Vereinigung 31 Esprit de geometrie und esprit de finesse 34 Die dialektische Bewegung und die Figur der Mitte 38 Methodische Voraussetzungen 52 Die Denkform des Jansenismus 54 Die innere Spannung im Jansenismus 59 Pascals Verhältnis zum Jansenismus 64 Die beiden Gottesauffassungen des Christentums 70 Die Vereinigung der beiden Grundhaltungen bei Pascal 72 Pascal, Schiller, Goethe - ein typologischer Exkurs 82

Der theologische Ansatz zu Pascals Erkenntnistheorie 90 Die verschiedenen Fähigkeiten der menschlichen Seele 92 Esprit und volonte 93 Die gegenseitige Beziehung von coeur und raison 102 Kritik der Positionen 105 Das Herz als Zentrum der Existenz 109

2. Corpus mysticum

Die Gemeinschaft 116

Die capacite vide im Menschen 123

Metanoia 127

3. Das Elend des Menschen ohne Gott

Der Aufbau der Fiktion 135 Die Kraft der imagination 137 Die Folgen der Selbsthörigkeit 143 divertissement 152 Der zwischenmenschliche Bereich 163 Der Mensch in der Gesellschaft 170

4. Pascal und die christliche Literatur des 20. Jahrhunderts Sprachnot und Bildlosigkeit 178 Feme zu Pascal 186

Wie von Gon sprechen? 182

Nähe und

115 135

177

II. Die Sprache als Raum des personalen Vollzugs A l'Esprit de Geometrie

195

X

Inhalt

1. Das Ringen um eine wissenschaftliche Sprache

195

Die Zeitsituation 195 Der Ansatz Pascals 198 definition und mot primitif 200 Natürliche und normiene Sprache 206 Sprachstruktur und Sprachkritik 214 »Linguistik der Lüge« 219 Die Metapher in der Wissenschaft 222

2. Die Ordnungen im Bereich der Sprache

231

B Ästhetik und Stilistik im Bereich des Esprit de Finesse 1. Die Kunst der Überzeugung

234 234

L'art de convaincre 234 L'art d'agreer 236

2. Die Ausrichtung auf den Zuhörer 238 3. Die Natur im Aspekt der Schöpfung und der Heilsgeschichte 246 Die verschiedenen Interpretationen von nature 246 nature en general 248

4. Das innere Sprachmodell

253

Die drei Dimensionen des sprachlichen Zeichens 253 Der Ausdruck 255 Die Darstellung 259 Norm und aktuelle Verwirklichung 261 Das Erfassen von Schönheit 271 Die drei Beziehungsfunktionen als Einheit 278

5. Pascal und die moderne Sprachsituation

284

III. Sprachgewalt und Denkbewegung 1. Grundaspekte der Rhetorik Einführung 293

293

Die Struktur des Rhetorischen 294

2. Die Ausdruckskraft des Wortes

300

Pascals gewagter Wortschatz 300 Angemessenheit als oberstes Stilprinzip 309 Das Schwergewicht des einzelnen Wones 311 Das Einzelwon im Kontext 315

3. Die Dynamik in Pascals Satzstruktur

320

claritas und obscuritas im rhetorischen System 320 Die rhythmische Struktur 321 Die Spannung zwischen Wiederholung und Entgegensetzung 332 Die »logische« Struktur 346

4. Das Bild

351

Die Entwicklung von Pascals bildhafter Sprache 351 Die Struktur der bildhaften Sprache 354 Die ontologische Bedeutung der Metapher 365

5. Das strukturelle Prinzip des apologetischen Dialogs Der Dialogpartner 368

Literaturverzeichnis

368

Die Struktur der Bewegung 372

379

1. Die Werke von Blaise Pascal 379 2. Lexika und Wörterbücher 380 3. Literatur zu Blaise Pascal und den mit ihm verbundenen Problemkreisen 380 Namenregister

389

Einleitung Die geistesgeschichtliche Situation in der Zeit Pascals Blaise Pascal wurde ins 17. Jahrhundert hineingeboren, das den ersten Nachgeborenen der Neuzeit darstellt und ihren unmittelbaren Aufbruch auszutragen hatte^. Dieses Jahrhundert ist gekennzeichnet durch große innere Spannungen und eine extreme Widersprüchlichkeit der es beherrschenden politischen, wissenschaftlichen, philosophischen und religiösen Tendenzen. So stehen beispielsweise Absolutismus und demokratisch-liberale Ideen, analytisch-deduktive und synthetisch-intuitive Methode in Wissenschaft und Philosophie, Stoizismus und Hedonismus, Dogmatismus und Skeptizismus, Offenbarung und Vernunft als innerer Kampf zwischen religiösen und aufklärerischen Impulsen einander gegenüber; und schließlich bekämpfen sich Jesuitismus und Jansenismus in Frankreich bis aufs Blut. Diese Spannungen imd Gegensätze sind mitbedingt durch die grundlegende Auseinandersetzung der Epoche mit den neuentdeckten Kräften und Fähigkeiten des Menschen und der damit verbundenen Frage, wie mit ihrer Hilfe Bewältigung des Daseins auf den verschiedenen Ebenen möglich sei. Diese Auseinandersetzung geht in den verschiedensten Formen und Stufen seit dem 14. Jahrhundert vor sich und führt schließlich zu dem, was wir die Neuzeit nennen. Die Neuzeit ist zunächst durch das Phänomen der E x p a n s i o n gekennzeichnet. Den politischen Hintergrund bildet jene Dynamik, in der die Bedeutung der spanischen Herrschaft zurücktritt, während Frankreich, Habsburgs Gegenspieler, seinen Weg zur politischen, militärischen und kulturellen Hegemonie antritt. Es ist das Jahrhundert Richelieus, Mazarins, Ludwigs XIV. In dieselbe Zeit fällt das wirtschaftliche Aufblühen Hollands und die Formierung der englischen Seemacht. Dazu kommt die geographische Expansion durch die Entdeckung und Eroberung neuer Kontinente, die Visualisierung neuer Bereiche ' Für die vorliegende Gestaltung des geistesgeschichtlichen Überblicks verdanke ich wesentliche Impulse dem Vorlesungsskript von Wolfgang Binder >Die Epochen der neueren deutschen LiteraturLob der Torheit< von Erasmus einer satirischen Schrift — findet das selbständige, von allen gesetzten Autoritäten unabhängige Denken exemplarischen Ausdruck. Die Abwendung von den Autoritäten ist verbunden mit einer Rückkehr zu den Quellen, seien es der biblischen Urtext oder die antiken Originale. Dieser Wandel ist verbunden mit einem neuen Lebensgefühl. Der Mensch fühlt sich bestätigt und gestärkt durch die Fähigkeit des Findenund Entdeckenkönnens, durch seine politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leistungen. Das bedeutet: der Mensch entdeckt die Macht des Menschen, seine Autonomie. Die französiche Bezeichnung von Können und Macht mit demselben Wort zeigt die nahe Verwandtschaft von >Mächtigsein< und >Zu-etwas-imstande-seinSchein< und >SeinSchein< schwingt bedeutungsmäßig hin und her zwischen den Polen >scheinen< als >splendor< (Glanz), >erscheinen< auf der einen Seite, doch verblaßt der Schein zum bloßen Trug, so steht auf der andern Seite dieser leere Schein

Einleitung

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als Trugbild. In diesem Fluktuieren des semantischen Gehalts zeigt sich das Problem deutlich. In diesem Sinne ist Descartes' methodischer Zweifel zu verstehen. Daß die Möglichkeit eines Deus malignus, der eine Welt vorspiegelt, die es gar nicht gibt, überhaupt denkbar wird — auch wenn Descartes schließlich zur Überzeugung gelangt, daß Gott ein Deus benignus ist — kennzeichnet die Epoche, in der die Denkbarkeit einer solchen Scheinwelt gegeben ist. Wir sahen, daß in dieser Epoche immer wieder das Problem von Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit auftaucht. Die Unmittelbarkeit stammt aus der Erfahrung des Gegenüberseins eines Subjektes, aus der Fähigkeit, ein direktes Verhälmis eingehen zu können. Eine neue Innerlichkeit des um seine Existenz kämpfenden Gläubigen und das Bewußtsein, daß jedem Menschen die neuentdeckte Kraft und Macht zukommt, bestimmen diese Haltung. Wo nicht zugunsten der Unmittelbarkeit entschieden wird, zeigt sich die typische Struktur barocken Denkens: der analogische Aufbau der Welt. Dazu eine Vorüberlegung: Zu einem Menschenbild gehört immer auch ein Bild von der Welt. Noch Kepler hatte ja mit seinen Forschungen nichts anderes erstrebt, als die Harmonie der Schöpfung naturwissenschafdich zu bestätigen. Das kausal-deterministische Weltbild hat an die Stelle der Schöpfungsharmonie den mechanistischen Ablauf des Weltgeschehens gestellt: Gott. ist zwar höchste Vernunft, jedoch nicht personaler Gott, der handelnd in die Geschichte eingreift. Die Welt ist sinnvoll als durchschaubares und in sich streng gegliedertes Gebilde. Das ist eine Möglichkeit, die Welt von der menschlichen Vernunft her als Ordnungsgefüge zu begreifen. Wo sich die Welt zum leeren Schein verflüchtigt, wird der Gedanke an ein Ordnungsgefüge sirmlos oder höchstenfalls der Sinnerfülltheit eines jenseitigen Lebens gegenübergestellt. Es gibt jedoch noch eine andere, diese Epoche der Spannungen und Widersprüche beherrschende Tendenz: die Welt als Ordnungsgefüge zusammenzuhalten, inmitten der Erfahrung, daß die Welt nicht eindeutig ist, daß also Sein und Bedeutung nicht zusammenfallen, aber dennoch aufeinander bezogen bleiben. Das geschieht durch die Analogie. Das Sichtbare wird verstanden als vermittelndes Zeichen, Abbild des Ordogefüges. Dies bedeutet, daß der innere Ordo der Welt in jedem einzelnen Weltbereich analogisch wiederkehrt. Der Mensch selbst versteht sich als Mikrokosmos, der das Ganze des Alls vergegenwärtigt und vertritt. Auch die Dinge weisen analogisch auf einen höheren Ordo, dessen Abbild ihre niederen, bloß sinnlich-sichtbaren Ordnungsgefüge sind.

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Einleitung

Der Grundordo der Welt, gipfelnd in der Trinität Gottes, kehrt ebenfalls analog in jedem Weltbereich wieder. Das dazugehörige Denken ist dasjenige in Hierarchien und Repräsentationen. In dieser Struktur der Repräsentation liegt natürlich die Möglichkeit, die Vergegenwärtigung und Stellvertretung zu einer Selbstdarstellung zu machen, die nun wichtiger wird als der analogische Bezug, der umgewendet wird in eine Selbsterhöhung des Repräsentanten. Das Gesamtkunstwerk von Versailles beispielsweise, das glanzvoller Mittelpunkt aller Feste und Bälle war, ist gebaut wie ein weltliches Heiligtum. Ein anonymer Autor berichtet über den Glanz der Ausgestaltung und der Feste: »Die Halle, der Saal, die Zimmer, die Galerie und das Kabinett am Ende der ganzen Flucht erstreckt sich wie ins Unendliche. Stellen Sie sich vor, welch ein Glanz, von hunderttausend Kerzen entzündet, diese Zimmerflucht durchflutet! Mir wars, als stünde alles in Flammen; denn die strahlendste Sonne im Monat Juli scheint weniger blendend. Dazu kommt, daß die vergoldeten und versilbenen Möbel noch ihren eigenen Glanz haben. Die gesamte Ausstattung ist reich und prächtig: da gibt es Gobelins, Statuen, Gemälde, Portieren, Teppiche — und alles verschieden und selten«. (Lemonnier, L'Art fran^ais au temps de Louis XIV).

Im Spiegelsaal ist der junge König verherrlicht. Die ihn umgebenden Götter, Helden und mythischen Gestalten weisen in himmlische Höhen. Darunter steht »Le roi gouverne par lui-meme«, mit dem Datum 1661. Es ist eine Verherrlichung der absoluten Macht, die als Analogon himmlischer Macht verstanden werden kann, doch mehr im Sinne einer Selbsterhöhung als eines Hinweises auf die himmlische Macht. Das 17. Jahrhundert ist demnach das Zeitalter der Spannungen, des Gespanntseins zwischen die Extreme, die entweder als Gegensätze auseinander brechen oder als innerer Ordo in Analogiebeziehungen zusammengehalten werden. So können wir das Barockzeitalter aus seinem Durchspielen aller Beziehungsmöglichkeiten zwischen Schein und Bedeutung verstehen. Über diesen Begriff das >Scheins< läßt sich zusammenfassend folgendes sagen: >Schein< ist zunächst splendor, meint die Analogiebeziehung zum Überirdischen. Wo diese Dimension nicht mehr als die eigentliche, hinter der Erscheinung stehende erfahren wird, verblaßt der Schein zum bloßen Trug, wird zur vanitas alles Irdischen, das in unaufhebbarem Gegensatz zum Göttlichen steht. Weltflucht und Repräsentation heißen demnach die beiden Gegensätze des Vollzugs. Doch auch die Repräsentation vermag sich zu verselbständigen, die vordergründige Welt verdichtet sich zum Scheinen in sich selbst und um seiner selbst willen; der Schein wird dadurch schließlich zur Illusion, die Wirklichkeiten potenzieren sich —

Einleitung

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SO beispielsweise auf dem Theater - ohne noch Hinweischarakter zu besitzen. Das inmitten des großen Säkularisierungsprozesses aufgerichtete Ordogefüge des Barockzeitalters ist gerade um seiner Differenziertheit willen gefährdet, weil das Loslösen einzelner Kräfte aus dem Ganzen, das Nicht-einordnen-können diesem Ganzen zur Gefahr wird. Die Sorgfältigkeit der Integration ist jedoch von daher wieder derjenigen zu vergleichen, die aus dem Vorwärtsschreiten aufgrund der eigenen Denkvorgänge besteht, so etwa bei Descartes. So finden sich im Barockzeitalter die widersprüchlichsten, einander bekämpfenden Tendenzen und gleichzeitig der Versuch, die Welt nochmals als großartiges Ordnungsgefüge zu deuten, gerade aufgrund der Erfahrung einer Mehrschichtigkeit unseres Daseins. Die kurze Skizze versuchte, die Tendenzen der Epoche und ihre Voraussetzungen zu umreißen so wie verschiedene Antworten und Deutungen herauszustellen. Im folgenden soll nun versucht werden, Pascals Stellung inmitten dieser Tendenzen zu charakterisieren und seine eigene Konzeption als die Weise seiner Weltbewältigung herauszustellen. Sie umfaßt die Bereiche theologischer, anthropologischer, naturwissenschaftlicher, logischer, rhetorischer, sprachphilosophischer, methodischer, methodologischer und ästhetischer Überlegungen. Leben und Werk Blaise Pascals Pascals wissenschaftliche Laufbahn begann, als er mit sechzehn Jahren seinen Essai pour les coniques schrieb. Er versuchte darin, die Eigenschaften der Kegelschnitte — Hyperbel, Parabel, Ellipse — die er als perspektivische Abwandlungen des Kreises auffaßte, als Wiederholung eines gleichen Formprinzips darzustellen. Schon in dieser Arbeit manifestiert sich also ein analogisches Denkprinzip, das sich durch Pascals ganze Konzeption durchhalten sollte. Mit neunzehn Jahren war er dabei, eine Rechenmaschine zu konstruieren, welche sämdiche vier Grundoperationen der Arithmetik einwandfrei ausführen konnte. Anlaß dazu war, daß der Vater, der die Stelle eines königlichen Steuerkommissars in der Normandie erhalten hatte, unter den vielen Kalkulationen litt. Pascal war eben nicht nur ein Theoretiker sondern hatte die Fähigkeit, sein Wissen in Beziehung zum Alltag zu setzen. Er erreichte eine solche technische Perfektion, daß er die Maschine in einem serienmäßigen Fabrikationsprozeß herzustellen vermochte. Allerdings erhielt Pascal das Privileg auf seine Maschine erst 1649 zugesprochen, und das endgültige Modell wird sogar erst 1652 fertiggestellt. Noch in seinem Todesjahr hat er sich erfolgreich um die

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Einleitung

Einführung des ersten Omnibusbetriebes in Paris, der sog. »carosses ä cinque sous« bemüht. Dabei entstand auch die wahrscheinlich erste Aktiengesellschaft des Kontinents. Ein Beweis dafür, daß ihn auch die Wendung zur Religion nicht zu einem weltflüchtigen Geist zu machen wußte. 1646 beginnt Pascal jene physikalischen Experimente, mit denen er in einen großen Streit der damaligen Zeit eingreifen sollte. Galilei hatte eine Anfrage von Brunnenbauern aus Florenz erhalten, die wissen wollten, warum man beim Bau eines Brunnens den Schacht nur bis zu einer gewissen Tiefe, bis zu etwa 10 m führen könne, wenn die Pumpe das Wasser noch nach oben befördern solle. Die Beantwortung übernahm nach dem Tode Galileis sein Schüler Torricelli. Dieser hatte für seine Versuche das Wasser durch die schwerste Flüssigkeit, das Quecksilber, ersetzt, und fand dabei, daß das Quecksilber in einem oben geschlossenen Glasrohr nicht ausfließt, wenn man die untere Öffnung in einem Gefäß mit Quecksilber unterhalb des Quecksilberspiegels von dem Verschluß befreit, bzw. daß diese Quecksilbersäule dann nur bis zu einer gewissen Höhe sinkt und dort anhält und - dies ist das Entscheidende den oberen Raum in der Glasröhre leerläßt. Aufregend war die Feststellung, daß oben in der Glasröhre sich ein Vakuum befindet. Diese Aussage stand in Gegensatz zur alten, auf Aristoteles zurückgehenden Physik, wonach die Natur keine Leere dulde oder - anthropomorph gesprochen - Furcht vor der Leere, einen horror vacui habe. Aristoteles hatte gemeint, daß es in der Natur kein Nichts gäbe. Die Verengung hing mit dem cartesianischen Materiebegriff zusammen, der mit dem Raum identisch ist. Der Begriff des »leeren Raumes« erscheint von da aus als ein Widerspruch. Gegen die verengte Deutung des aristotelischen Satzes, wonach es keinen leeren Raum geben sollte, zeugte Torriceiiis Versuch. In diesen Streit griff Pascal ein. Er fühne eine Folge sorgfältiger Versuche durch. Das Ergebnis war die Schrift Experiences nouvelles touchant le vide. Den Abschluß bildete der experimentelle Nachweis, daß die Höhe dieser Quecksilbersäule am Fuße und auf dem Gipfel eines Berges verschieden ist, Experimente, die er am Puy de Dome, dem höchsten Gipfel der Auvergne, durch seinen Schwager Perier ausführen ließ. Das Ergebnis ist wiederum in einigen Arbeiten bis zum Jahre 1653 festgehalten. Im Zuge dieser Forschungen stößt Pascal auf ein grundsätzliches Problem, das er in seiner Preface pour un traite du vide behandelt hat: in welchen Bereichen der Wissenschaft die Tradition zu respektieren sei und in welchen nicht. Das ist eine für die wissenschaftliche Situation des 17. Jahrhunderts typische Frage. Pascals Antwort ist bezeichnend, denn er beansprucht die Autonomie der Forschung für alle Bereiche, die dem

Einleitung

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menschlichen Geist angemessen seien. Davon ausgeschlossen bleibt die Theologie, welche auf der Überlieferung beruht. Damit sagt sich Pascal von allen dogmatischen Tendenzen in der Wissenschaft los und folgt den neuen Bemühungen, die Wissenschaft allein auf Deduktion und Experiment zu basieren, ohne jedoch die Theologie der rationalistischen Kritik preisgeben zu wollen. Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den leeren Raum gerät Pascal auch in Fragen der wissenschaftlichen Terminologie hinein, denn die Behauptung vom horror vacui stimmt nach Pascal nicht nur wissenschaftlich nicht, sie ist auch als sprachliche Ausdruckswiese unzureichend weil anthropomorph und verdeckt damit eine Leerstelle im Gefüge der kausalen Erklärungsmöglichkeiten. Pascal befindet sich auch mit seinen Bemühungen um die Frage nach dem Aufbau eines terminologischen Systems mitten in den Bemühungen seiner Epoche, eine wissenschaftliche Sprache zu finden, welche die Denkvorgänge möglichst formalisiert darzustellen vermag. Bezeichnend für Pascal sind sowohl das exakte und naturwissenschaftlich einwandfreie Vorgehen bei seinen physikalischen Versuchen wie die innere Notwendigkeit, sich mit den sich daraus ergebenden wissenschafts-theoretischen und methodischen Problemen auseinanderzusetzen — ein Grundzug, der ebenfalls zur Eigenart der Forschungen seit dem 16. Jahrhundert gehört. Im Überblick über Charakteristika in der Forschungsweise Pascals zeigt sich, wie sehr er den modernsten Tendenzen der rationalistischen Epoche folgte. Doch ist das nur eine Seite von Pascals Tätigkeit. Auffällig ist, auf wie vielen Gebieten sich Pascal betätigt hat. Freilich hat seine Vielseitigkeit nichts zu tun mit der enzyklopädischen Tendenz seiner Zeit, mit dem Ideal einer allumfassenden Wissenschaftssynthese. Er besaß zudem auch nicht ein allzu breites Wissen und war kein belesener und weit gebildeter Mann. Das Wesentliche ist jedoch, daß er nie versuchte, Mathematik, Physik, Anthropologie und Theologie in ein geschlossenes Weltbild und damit auf eine Ebene zu zwingen. Der Gedanke einer science universelle, wie er beispielsweise in der Universalmathematik eines Descartes lebte, hat Pascals heftigsten Widerspruch erfahren. Ordnung und Zusammenhang war seiner Überzeugung nach nicht durch Nivellierung und künstliche Synthetisierung zu gewinnen. Pascals Bestreben ging vielmehr dahin, die Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit eines jeden Bereiches der Wirklichkeit herauszustellen und abzugrenzen. Erst aufgrund dieser trennenden Differenzierung faßt er mögliche Synthesen und Relationen ins Auge. Eine direkte Formulierung dieses Prinzips finden wir in Pascals Brief an die Königin von Schweden 1652, welcher die Überreichung der

14

Einleitung

Rechenmaschine begleitete. Selbstbewußt grenzt Pascal hier zwei Seinsordnungen gegeneinander ab: die Ordnung der Macht, die er hier als ordre du corps bezeichnet und die Ordnung des Geistes, Vordre de l'esprit die der erstgenannten unendlich überlegen ist.: ». . . le pouvoir des rois Sur les sujets n'est, ce me semble, qu'une image du pouvoir des esprits sur les esprits qui leur sont inferieurs, sur lesquels ils excercent le droit de persuader, qui est parmi eux ce que le droit de Commander est dans le gouvemement politique. C e second empire me parait meme d'un ordre d'autant plus eleve, que les esprits sont d'un ordre plus eleve que les corps . . .« (Laf. S. 280 A).

Die untere Ordnung ist in ihrer Qualität unendlich geschieden von der oberen, und dennoch besteht eine Ähnlichkeitsbeziehung, indem die Herrschaft des Souveräns über seine Untertanen der Macht gleicht, die der geistig orientierte Mensch durch die Überzeugung auf andere Menschen gewinnt. Diskontinuität und Analogiebeziehung zwischen den Bereichen sind beide formuliert. Als Ideal zeichnet Pascal die Vereinigung von Geistigkeit und Unabhängigkeit - als die Vereinigung der beiden Ordnungen. Das Zitat stellt die Keimzelle der Ordnungslehre Pascals dar, die dann zum Kern seiner theologischen Konzeption werden wird, die einen eigenständigen Beitrag zur Geistesgeschichte bedeutet. In einem Vorgehen, das der auf Analogie gründenden Ordnung des Barockzeitalters zunächst widerspricht, erfüllt Pascal doch auf seine Weise das Anliegen seines Zeitalters: die auseinanderberstenden Aspekte der Wirklichkeit nochmals in einer umfassenden Ordnung zu bergen, die durch die Spannung zwischen Analogie und Diskontinuität gekennzeichnet ist. Neben den naturwissenschaftlichen und methodischen Arbeiten kommt Pascal auch in Berührung mit den religiösen Bemühungen seiner Zeit. Schon 1646 lernte die Familie Pascal die Schriften SaintCyrans, des geistlichen Führers von Port-Royal, kennen. 1648 entschließt sich Pascals jüngere Schwester Jacqueline, ins Kloster einzutreten. Mere Angelique, eine der großen Arnaulds, seit ihrem elften Lebensjahr Oberin von Port-Royal und fünf Jahre später deren Reformatorin, hatte einen tiefen Eindruck auf Jacqueline Pascal gemacht. 1653 nimmt sie den Schleier. Im gleichen Jahr unternimmt Pascal in Begleitung seiner drei Freunde, des Duc de Roannez, des Chevalier de Mere und Damien Mittons eine Reise ins Poitou. Hatte Pascal schon seit seiner Jugendzeit Kontakt mit der Gelehrtenwelt von Paris — er war bereits als Jugendlicher Mitglied einer jener noch nicht anerkannten Akademien, der Academie Mersenne gewesen — so scheint er auf jener Reise — zumindest nach dem etwas selbstgefälligen Bericht Meres - in die Welt des höfischen Umgangs eingeführt worden zu sein. Die Berührung mit Mere, der eine glänzende Gestalt des höfischen Lebens war, ist unbestritten. Er war Soldat, Sprach-

Einleitung

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kundiger, Gelehrter, kannte sich als Dilettant in Mathematik aus, betätigte sich als Moralphilosoph und galt als vollendete Verkörperung der honnetete. Sie war für ihn eine Haltung der aristokratischen Vornehmheit und Gediegenheit, die vom Herzen inspiriert und vom Geist geformt ist. Die drei zentralen Begriffe sind deshalb für ihn honnetete esprit — coeur. Für Pascal sind diese Anregungen außerordentlich wichtig, führten sie ihn doch zu zwei wesentlichen Aspekten seiner eigenen Konzeption. Einmal vermag er aufgrund der Betonung intuitiver Kräfte im Menschen gegenüber den rationalen analytisch-deduktive und synthetisch-intuitive Methode in der Wissenschaft zu unterscheiden und mit der Charakterisierung von esprit de geometrie und esprit de finesse einen wissenschaftstheoretischen Ansatz zu geben, der erst später grundlegend reflektiert werden sollte. Zugleich hat Pascal die spielerischen und zum Teil unverbindlichen Gedanken Meres zu einer Erkenntnislehre erweitert, für die der Begriff des coeur in Profilierung gegen denjenigen des esprit das Kernstück darstellt. Hat Mere Fähigkeiten und Möglichkeiten des Menschen in den Vordergrund gestellt, so ist der andere Begleiter, Damien Mitton, ein Libertinist, der nicht einmal mehr an sich selbst glaubt und ein vollendeter Skeptiker ist. Als solcher erscheint er später in den Pensees. Wurde auch die sogenannte »mondäne Epoche^ Pascals von seinen Hagiographen hochgespielt, so stimmt doch zumindest, daß ihn ein Jahr später der Ekel vor dieser Welt packte und er sich aus einem tiefen existentiellen Ungenügen heraus seiner frommen Schwester wieder annäherte. In der Nacht vom 23. November 1654 hat Pascal ein religiöses Grenzerlebnis, seine >Bekehrung< genannt. Das Zeugnis dieser intensiven Erfahrung — das sogenannte Memorial — hat Pascal später in seinen Rock eingenäht und als Erinnerung immer mit sich getragen. Zu Beginn des folgenden Jahres zieht er sich erstmals für einige Zeit nach Port-Royal des Champs zurück. Mit Leidenschaft und Intensität unterwirft sich Pascal den religiösen Übungen, und seine Askese nimmt zum Teil sehr extreme Formen an, so daß ihn sogar seine Schwester zur Mäßigung anhalten muß. Er erfährt den Glauben als existentielle Einforderung, die auch seine geistige Auseinandersetzung entscheidend prägt. Neben der großen theologischen Konzeption der Pensees sind es vor allem die Briefe und Opuscula, welche davon Zeugnis geben. Doch hat sich Pascal auch von diesem Zeitpunkt an nicht von den Wissenschaften zurückgezogen. 1654 macht er sich an ein neues mathematisches Problem. Es hat seinen Ursprung in zwei Fragen, die ihm sein Freund Mere in Bezug auf das Hasardspiel stellte. Daraus entwickelten sich Pascals Überlegungen, die ihn zur

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Einleitung

Entdeckung der Wahrscheinlichkeitsrechnung führten, die er gleichzeitig und unabhängig von Fermat gefunden hat. Diese neue Arbeit ist nicht nur für die Mathematik von Bedeutung sondern auch für die Ausgestaltung von Pascals Ordnungslehre. In einer lateinischen Abhandlung Potestatum numericarum Summa, die zu den Arbeiten über das arithmetische Dreieck gehört, findet sich ein Abschnitt, der die Ordnungslehre formuliert, wie sie von Pascal auf den philosophisch-theologischen Bereich übertragen worden ist. Er führt darin aus, daß die Punkte den Linien, die Linien den Flächen und diese den Körpern nichts hinzuzufügen vermögen, ebensowenig wie die Zahlen erster Ordnung den Potenzen. Das bedeutet, daß die niedere Ordnung in Bezug auf die höhere ein Nichts ist und vernachlässigt werden kann, daß man also eine Größe einer höheren Ordnung um nichts vermehrt, wenn man ihr noch so viele Größen einer niederen Ordnung hinzufügt. Und er schließt mit den Worten: »J'ai tenu, ä ajouter ces quelques remarques familieres ä ceux qui pratiquent les indivisibles, afin de faire ressortir la liaison, toujours admirable, que la nature, eprise d'unite, etablit entre les choses les plus eloignees en apparence.» (Laf. S. 94 B)

Die Einheit der Natur wird sich für Pascal darin erweisen, daß in den Seinsordnungen dieselbe Spannung von Diskontinuität und Analogie herrscht wie in den mathematischen Ordnungen. Aus der entgegengesetzten Richtung kann man formulieren, daß die philosophische Voraussetzung für die analogische Übertragung des mathematischen Modells auf den Bereich der Anthropologie und Kosmologie darin bestand, daß es eine grundsätzliche strukturelle Einheit der Schöpfung gibt. Denn Pascal versteht die Analogie nicht nur als Denkmodell sondern als eine seinshafte Analogie zwischen mathematischer und anthropologischer Struktur. Und dieses von Pascal mit Hilfe der Mathematik formulierte Modell stellt eine eigenständige Deutung des Ordnungsgefüges im Kontext barocker Auffassungen dar. Die letzte Deutung des Gesamtkosmos gelingt nach Pascals Überzeugung nur von oben nach unten, wenn wir mathematisch sprechen wollen, d. h. in Bezug auf die Seinsordnungen vom ordre de la charite, der Ordnung der Liebe, her. Damit war es Pascal möglich, auch sein eigenes wissenschaftliches Tun zu situieren und zu werten. Im Rahmen der damaligen Zeit wäre die Weltflucht keine ungewöhnliche Reaktion gewesen, d. h. das Gefühl, diese Art der Arbeit sei vor dem Anspruch Gottes als ein Nichts zu erachten. Freilich gehört die geistige Arbeit nach Pascal einem Bereich an, welcher vom ordre de la charite unendlich geschieden ist, dennoch aber von oben her, aus diesem Verständnis, seinen Platz hat und von der Gesamtordnung her umgriffen wird. Doch reicht Pascals Konzeption der Seinsordnungen über seine theologische Relevanz hinaus und zeigt eine

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in der geistesgeschichtlichen Tradition einzigartige Verbindung zweier abendländischer Grundstrukturen. Unterdessen engagierte sich Pascal auch öffentlich für die Sache des Jansenismus. Am 31. Mai 1653 hatte Papst Innonzenz X. fünf Sätze aus dem Buch des Jansenius verdammt. 1656 wurde Antoine Amauld - der Bruder der Mere Angelique — Autor der Grammatik und Logik von PortRoyal und zahlreicher religiöser Schriften durch die Sorbonne verurteilt. Jetzt ließ sich Pascal in die Auseinandersetzung zwischen Jansenisten und Jesuiten hineinziehen. Er griff ein durch eine in kurzen Abständen erscheinende Folge von Flugschriften — angeblich Briefe an einen Freund in der Provinz, dem der unbekannte Verfasser berichtet, was für ein Streit in Paris um die Lehraussagen über die Gnade entbrannt sei. Der erste dieser Briefe datiert vom 23. Januar 1656, die letzten beiden dieser insgesamt 19 Briefe — der letzte ist Fragment — datieren vom 24. März und 1. Juni 1657. Pascal fingiert in diesen Briefen den unbeteiligten, unparteiischen Beobachter, der sich auf beiden Seiten Aufklärung über die Streitpunkte verschaffen will, um dadurch, während er die Gegenpartei sich scheinbar verteidigen läßt, diese Verteidiger dem Gelächter preiszugeben. Die Wirkung dieser Lettres Provinciales war unbeschreiblich. Die einzelnen Hefte erlebten Auflagen von über 10000 Exemplaren. Sie wurden durch königliches Dekret verboten und die Drucker verfolgt. In diesem Jahrhundert der Streitschriften — sie gehören zu einer der meistgepflegten literarischen Gattung jener Epoche - stellen diese Briefe einen Höhepunkt dar. Sie gehören wohl sogar zu den genialsten Streitschriften der Weltliteratur. Vollendete Kunst der Rhetorik zeigt sich in ihnen; sie sind voller Witz und Ironie, Genauigkeit des Denkes, Brillanz und bissiger Bosheit. Dieselbe rhetorische Meisterschaft finden wir in verwandelter Form in seiner Apologie des Christentums wieder. Pascal zeigte sich hier von seiner zupackenden, sprachmächtigen Seite, mit der er mehrmals in seinem Leben die Sache einer Minderheit oder einer übergangenen und vergessenen Optik vertrat. Noch im gleichen Jahr beteiligte sich Pascal beispielsweise an einer weiteren Jesuitenpolemik. Doch neben diesen polemischen Arbeiten entstehen die Ecrits sur la grdce, vier Abhandlungen über die Gnade, in denen Pascal in einem ausgewogenen lehrhaften Stil die katholische und das heißt für ihn augustinische — Lehre als die wahre Mitte, als juste milieu, darzulegen sucht. Trotz mancher Verzeichnungen anderer theologischer Ansichten ist sie eine beachtliche Leistung, heute aber kaum mehr von Interesse. Nur das Bemühen, auch hier eine Mitte herzustellen, ist in unserem Zusammenhang interessant. Wir begegnen mit diesen kämpferischen Auseinandersetzungen auch dem spezifischen Lebensrhythmus Pascals. Pascal kannte fast keine

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Kindheit und ebensowenig eine Jugendzeit und starb mit 39 Jahren. Die Krankheit hatte zudem fast sein ganzes Leben gezeichnet. Das Gefühl der Weite, des Vorschusses fehhe ihm deshalb auch in seiner Jugend. Ein Grundzug von Pascals Leben ist aus diesem .Grunde Unruhe und geistige Ungeduld. Er hat seine Kräfte immer wieder neu auf einen Brennpunkt hin konzentriert, suchte den Gegenstand in seinen Grundprinzipien zu erfassen und die eigene Erfahrung zu verstehen und auszudrücken. Die Herausforderungen, die ihm aus seiner Zeit entgegentraten, ergriff er mit Intensität. Seine Arbeit ist mehr ein spontanes — wenn auch methodisch sorgfältiges — Entwerfen, ein Zeichnen von Perspektiven, doch weiß sie weniger von allmählichem Reifen im Sinne einer organischen Integration denn von impetuösem Ergreifen und Ergriffensein. An die Stelle der Integration tritt die Konfrontation mit den mannigfaltigen Bereichen der Wissenschaft und des Lebens in ihrer Spannung und Grundsätzlichkeit. Jäh stieß Pascal in die verschiedensten Richtungen vor, um sich oft plötzlich wieder etwas Neuem zuzuwenden, sobald die grundsätzliche Erkenntnis formuliert war. Pascal hat Grundlagen für zukünftige wissenschaftliche Entwicklung gelegt ohne die Konsequenzen selbst voll durchzudenken und auszuschöpfen. Die Einsicht in die spezifische Eigengesetzlichkeit einzelner wissenschaftlicher Bereiche sowie eine mögliche Vereinigung von Gegensätzen war ihm als geistige Lebenserfüllung wohl das Wichtigste. In diesem Sinne verstand er sich wohl selbst als honnete homme, das heißt als universalen, an kein Spezialistentum gefesselten Gelehrten. Doch kannte Pascal nicht nur das Ergreifen sondern auch das Ergriffenwerden — und zwar nicht nur in dem Sinne, in dem Jede geistige Auseinandersetzung auch ein Ergriffensein bedeutet — sondern auch ein menschliches Ergriffensein, wie es in seinem religiösen Leben zum Ausdruck kommt. Es ist die Erfahrung einer Innigkeit und eines Friedens, die nicht aus dem Kampf, nicht aus seiner intensiven Dynamik stammt sondern aus der Erfahrung des Loslassens, des Sich-fallen-Lassens. Es mag sein, daß dies für den kämpferischen, klaren und um Ausgleich und Unterscheidung bemühten Geist etwas vom Kostbarsten war, was er gewinnen konnte: zu erfahren, was Sanftheit ist. Er selbst spricht von der Sanftheit — douceur — Gottes, und Gnade bedeutet ihm letztlich, sich der Sanftheit Gottes überlassen zu können. Ich spreche hier von einer existentiellen Erfahrung, die vor jeder theologischen Formulierung liegt, wie immer sie nachher auch ausgedrückt werden mag. Etwas später entstehen zwei wichtige Abhandlungen De l'esprit geometrique und De l'art de persuader. In dieser Abhandlung unterscheidet Pascal zwei Weisen der Überzeugung:

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l'art de convaincre, die er als Methode des Beweisens und Definierens realisiert ohne Ausrichtung auf den situativen Kontext und den Behandlungsgegenstand. L'art d'agreer ist demgegenüber eine Weise der Überzeugung, für die Pascal keine festen Regeln zu geben imstande ist, da es sich um ein Vorgehen handelt, das vor allem auf die soziokulturellen und individualpsychologischen Aspekte eingehen muß. Entsprechend dieser Auffassung ist Pascals Ästhetik — ausgehend von den Impulsen der über die klassischen Normen hinausweisenden Auffassung des Kreises um Chevalier de Mere — nicht normativ, sondern versteht sich als eine Relationsästhetik in mehrfacher Hinsicht. Er faßt die Schönheit als beau relatif, als das Liebenswerte, das auf die menschliche Natur im Aspekt der Schöpfung als auf das dem Menschen zugemessene Maß bezogen ist, das jedoch im Aspekt der Heilsgeschichte als beau relatif mit der Antwon des coeur auf die Ausrichtung zwischen Charitas und cupiditas verbunden ist und damit auch einen je persönlichen Charakter bekommt. Pascal geht für seine Kunst des Gefallens vom Ideal des honnete komme aus, das er jedoch in den Pensees relativiert und letztlich als Arrangement des gefallenen Menschen entlarvt. Doch auch die ästhetische Terminologie Pascals bezieht sich auf diejenige der Klassik. Doch Begriffe wie >le simple natureU, >le modele natureU haben keinen normativen Charakter sondern bestimmen formal eine Sprache, die nicht nur auf ihre eigene Schönheit als ornamentale Erfüllung wie im barocken Stil bezogen bleiben soll. Pascal hat eine Sprache im Sinn — und er schrieb sie auch — die situationsbezogen im weistesten Sinne ist und die Mittel dementsprechend wählt und sich deshalb über jedes System, das geschlossen ist, hinwegsetzt. Pascal hatte konsequent die Offenheit des wissenschaftlichen Systems vertreten. So benutzt Pascal auch die Stilmittel der Rhetorik, ohne sich auf mehr als deren formale Forderungen einzulassen, deren wichtigste wohl die Qualität des aptum ist. Doch auch die Rhetorik, verstanden als aptum und als verisimile, wird transzendiert in den ästhetischen Bereich, der wieder nur relativ — in Beziehung — aufgefaßt wird. Beide müssen jedoch nach Pascal von der Qualität des verum umgriffen sein, so daß das Rhetorische als vorläufige Ausformung erscheint und in der Apologie vor allem dazu dient, einen Prozeß in Gang zu setzen. In diesem Sinne klaffen Theorie und Praxis nicht auseinander, wenn der Kontext der von Pascal verwendeten Begriffe mit einbezogen wird. Die Überlegungen zu den profanen Wissenschaften, die sich aus den erwähnten Abhandlungen ergeben, haben für ihn exemplarischen Charakter, da er damit die Stellung des Menschen zur Erforschung der Natur und der dem menschlichen Geist angemessenen Dinge darstellen kann. Pascal erfüllt einerseits die durch den neuen wissenschaftlichen Geist

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geforderte Methode der wissenschaftlichen Forschung und setzt sich gleichzeitig den durch die ausschließliche Abstützung auf die Begründung durch das eigene Denken in die Wege geleiteten Säkularisation entgegen. Auch die wissenschaftliche Betrachtung unterliegt dem Ordnungsdenken, das konstitutiv für das Selbstverständnis des Menschen ist. Sowohl die Idealmethode wie die damit verbundene Evidenz der ersten Prinzipien und ein definierbares Endziel der Forschungen liegen außerhalb des durch methodische Reflexion zu gewinnenden Bereichs. Gleichzeitig jedoch verläßt Pascal mit seinen Reflexionen zum Beginn eines terminologischen Systems, zu den mots primitifs, mit der Berufung auf die nature, die lumihe naturelle und in den Fragmenten der Pensees auf die synthetisier^de Fähigkeit des coeur einerseits den Rahmen mittelalterlichen Denkens in Wesenheiten zugunsten phänomenologischer Beschreibung, zugunsten des Denkens der modernen Naturwissenschaften. Andrerseits läßt Pascal den Beginn wissenschaftlichen Tuns nicht nur als nicht hinterfragbar stehen, er relativiert in den Pensees auch immer wieder die Fundamente der Erkenntnistheorie, wenn auch mit apologetischer Absicht verbunden. Die arriere-pensee dürfte nicht nur der Hinweis auf die allein sichere Erkenntnis in der paradoxen Einheit der im Glauben gegebenen darte-obscurite sein sondern ebenso die Einsicht, daß das wissenschaftliche Tun in einem Bereich der Mitte mit methodischen Mitteln ausschreitbar ist, jedoch nach oben und unten an einen Bereich des nicht Hintergehbaren stößt, wo die aufgestellten Prämissen nur die Relativität der Existenz auszudrücken vermögen. Pascals persönliches Leben ist gezeichnet. Er hat nur wenige Stunden seines Lebens ohne Schmerzen verbracht. Doch dies genügt ihm Stunden seines Lebens ohne Schmerzen verbracht. Doch dies genügt ihm nicht. Er trug unter seinen Kleidern einen Gürtel der Kasteiung mit Stacheln, um sich willentlich Schmerzen zuzufügen und damit seinen hochfahrenden, ungeduldigen Charakter zur Demut zu zwingen. Seine Krankheit steigerte sich gegen Ende des Jahres 1661, und von da an werden die Aufzeichnungen zur Apologie selten. Immer stärker befaßt sich Pascal nun, im Schatten des nahen Todes, mit seinem persönlichen Leben, mit seinem Sterben. Ein Zeugnis dieser Auseinandersetzung ist sicher die Pri^e pour le hon usage des maladies. Und doch hat er sich in seinem Todesjahr in einen letzten Kampf hineingewagt. Schon im Jahre 1653 hatte Papst Innonzenz fünf Sätze aus dem »Augustinus« des Jansenius verdammt und die Jansenisten zu deren Widerruf verpflichtet. Der Gewissenskonflikt war groß. Entweder mußten die Jansenisten sich selber aufgeben oder die Autorität des Papstes in Frage stellen. Unter der Führung Antoine Arnaulds suchte sich Port-Royal aus der Verlegenheit zu helfen. Man gab dem Papste in

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der Verurteilung der fünf fraglichen Sätze recht, betonte aber gleichzeitig, daß sie im »Augustinus« nicht aufzufinden seien. Dann konnte der Widerrtjf nicht die Preisgabe der jansenistischen Überzeugung bedeuten. Es wird ein Hirtenbrief erwirkt, der diese Unterscheidung anerkennt, nachdem die Petites Ecoles von Port-Royal aufgelöst worden waren und dem Kloster untersagt wurde, weitere Novizinnen aufzunehmen. A m 4. Oktober starb Jacqueline Pascal, aufgezehrt durch den Gewissenkonflikt. Pascal hatte sich immer mehr gegen die Spitzfindigkeit Amaulds und Nicoles aufgelehnt. Er richtete eine scharfe Schrift gegen sie, in der er zum klaren Widerstand gegen den Papst aufforderte, weil dieser die jansenistische Wahrheit unterdrücken wolle und sich darum nicht nur in der Tatbestandsfrage irre. Da er auf erbitterten Widerstand Port-Royals stieß, das sich bedingungslos unterwerfen wollte, gab Pascal den Kampf auf. Es ging in seinem Denken um die verite opposee zur Autorität des Papstes, wie er sie in folgendem Fragment zum Ausdruck brachte: » E n considerant l'Eglise comme unite, le pape, qui en est le chef, est c o m m e tout. En la considerant comme multitude, le pape n'en est qu'une partie. Les Peres l'ont consideree, tantot en une maniere, tantot en l'autre; et ainsi ont parle diversement du pape. Mais en etablissant une de ces deux verites, ils n'ont pas exclu l'autre. La multitude qui ne se reduit pas ä l'unite est confusion; l'unite qui ne depend pas de la multitude est tyrannie.« (Fr.

604- 871).

Hier wird der grundlegende dialektische Denkprozeß greifbar, der Pascals Auseinandersetzung kennzeichnet. Die Wahrheit erschließt sich nach seiner Überzeugung erst im Einbeziehen der gegensätzlichen Aspekte und Möglichkeiten, wie wir das anhand verschiedener Bereiche von Pascals Werk erkennen konnten. Deshalb läßt sich Pascal auf keine Ideologie festlegen. Doch dieser Denkprozeß steht auch - so zeigt das letzte Beispiel — in engster Verbindung mit dem eigenen Handeln. Sein allerletztes Werk war die Einfühnmg der Omnibuslinie in Paris, dann spürte er, daß der Tod ganz nahe war. Er bat und flehte um die Kommunion, aber man weigerte sich, ihm diese Bitte zu erfüllen, vielleicht aus Angst vor dem Verlust des Mannes. Daraufhin bat er, man möge ihn in den Gliedern der Kirche kommunizieren lassen und solle ihn zu den Ärmsten und Elendesten bringen, damit er dort sterben könne. Da endlich gab man seinem Drängen nach, und er empfing die Sterbesakramente. Kurz darauf verlor Pascal das Bewußtsein und starb am 19. August 1662. Grundtendenzen in Pascals geistiger Auseinandersetzung Zusammenfassend können wir die wichtigsten Tendenzen folgendermaßen zusammenstellen:

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Pascal war seinem Wesen nach ein Kämpfer, der in die wissenschaftlichen wie theologischen Auseinandersetzungen seiner Zeit eingriff — vehement, polemisch zum Teil, in brillant gekonnter Attacke. Diese kämpferische Seite ist eng verbunden mit seinem Willen zum Dialog. Das Gegenüber dieses Dialogs ist aus den Zügen seines eigenen Wesens und denjenigen von Freunden und Gegnern zusammengesetzt und bleibt deshalb auch immer wieder Auseinandersetzung mit sich selbst. Damit verbunden ist auch Pascals rhetorische Kunst, die den Angriff in sprachliche Vielstimmigkeit verwandelt. Darin liegt bei allem rational durchdachten Können auch eine Freude am Spielerischen, am Rhythmus der einander widersprechenden Gedankenfolgen und an den elementaren und irrationalen Kräften der Sprache. Deshalb sprengt auch Pascals Theorie der sprachlichen Kommunikation und des Stils die Normen seiner Epoche, und die sprachliche Realisierung schlägt ihnen zeitweise geradewegs ins Gesicht. Pascals Werk ist zu verstehen als eine unmittelbare Auseinandersetzung mit den Tendenzen seiner Zeit, auch wo es nicht explizit kämpferische Attacke ist. Diese Auseinandersetzung läßt sich nun auf ganz verschiedenen Ebenen greifen. " Pascal gehört mit der engen Verbindung von Forschung und methodischer Besinnung ganz in die Bemühungen seiner Epoche, die darauf angelegt waren, eine methodische Begründung des eigenen Denkens zu finden. Dabei treten Probleme der Sprache und des richtigen Sprechens im Sinne des Aufbaus eines terminologischen Systems in den Vordergrund. Doch auch in diesem Bereich entwickelt Pascal eine Theorie, die in einem wesentlichen Punkt von den Überlegungen der damaligen Logiker abweicht und durchaus modernen Überlegungen zur Sprachtheorie vergleichbar ist. Der wissenschaftlichen Sprachkonzeption steht eine kommunikative gegenüber, so wie der analytisch-deduktiven Methode eine intuitiv-synthetische, die allein dem Lebendigen gerecht zu werden vermag. Damit verbindet Pascal zwei grundsätzliche Möglichkeiten seiner Epoche und weist ihnen den gemäßen Platz zu. Er verbindet sie so, daß sie nicht nur zwei grundsätzliche Forschungsmethoden sondern auch zwei menschliche Grundhaltungen darstellen, die erst zusammen eine ganzheitliche Beziehung zur Welt ergeben. Von diesem ganzheitlichen Ansatz her läßt sich auch Pascals Erkenntnistheorie verstehen, die rationale und intuitive Kräfte als Grundlage der Beziehung zur Welt im weitesten Sinne versteht. Doch Pascals Integration unterscheidet sich von den enzyklopädischen Bemühungen seiner Zeit, die danach strebten, die verschiedensten Bereiche miteinander zu verbinden, sei dies unter naturwissenschaftlichem

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oder metaphysischem Vorzeichen. Pascals Denken hingegen zielte darauf, zunächst Eigenheit und Eigenständigkeit der verschiedenen Bereiche zu erfassen, deren Gesetzlichkeit herauszustellen, um durch diese Unterscheidung das In-Beziehung-setzen zu ermöglichen und eine ganzheitliche Konzeption zu finden, die auf der klar erkannten Wertigkeit der einzelnen Bereiche basiert. Mit dem Prinzip von Unterscheidung und Vereinigung hängt ein anderes zusammen, das eine der wichtigsten Antworten auf die Gegensätzlichkeit der Epoche darstellt; das Denken in verites opposees, Pascals dialektische Denkstruktur. Das Einbeziehen der gegensätzlichen Wahrheiten bewahrt Pascal davor, einer Gruppe, einem Lager oder einer Ideologie zu verfallen. Der von Pascal so in Gang gesetzte Denkprozeß ist prinzipiell unabschließbar - selbst im Raum des Glaubens. In den Pensees läßt sich zudem eine Hintergründigkeit finden, die sich im Kleide der Ironie darstellt und — sei es noch so verdeckt — auch die letzte Position, die Pascal ausspricht, in das Zwielicht des Vorläufigen taucht. So hebt Pascal auch seine eigene Position immer wieder auf. Das Denken in verites opposees ist jedoch nicht nur eine Theorie sondern eine Struktur, die Denken und Handeln miteinander in Beziehung setzt. Führte das Bewußtsein von der Vielschichtigkeit und Differenziertheit der Wirklichkeit, wie es für die Epoche kennzeichnend war, Pascal zu dieser Denkstruktur, so brachte sie für Pascal auch die Verpflichtung, sich für eine nicht beachtete Wahrheit einzusetzen, selbst auf die Gefahr hin, der Einseitigkeit bezichtigt zu werden. Pascals Denken ist deshalb nicht nur auf die dialektische Struktur innerhalb seines Werks hin zu sehen sondern auch im Kontext der konkreten Situation, auf die Denken und damit verbundenes Handeln bezogen sind. Pascal erarbeitete auch eine neue theologische Anthropologie und Kosmologie, welche in ihrer letzten Ausformung eine Verbindung zwischen seinen philosophischen imd seinen mathematischen Einsichten darstellt. Die Grundkonzeption ist durch die beiden Stichwörter der Diskontinuität der verschiedenen Ordnungen und der Analogie der inneren Struktur der Ordnungen gekennzeichnet. Sie findet ihren letzten Ausdruck in der theologischen Lehre von den verschiedenen Seinsordnungen. Diese Ausformung ist nicht zu verstehen als eine Mathematisierung des anthropologischen und des theologischen Bereichs sondern im Sinne eines Denkmodells, das selbst als Analogie bei aller Diskontinuität auf jene Bereiche übertragen wird. Die Möglichkeit der analogischen Übertragung beruht für Pascal auf der Einheit der Natur als Schöpfung. Nur aus einer — wie immer verstandenen — Vorstellung von der Einheit des Kosmos läßt sich eine solche Übertragung rechtfertigen und durchführen.

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Diese Konzeption vermag auch zwei grundsätzliche Strukturen abendländischen Denkens in einer eigenwilligen Synthese zu vereinen. Pascals Modell läßt sich jedoch nur von seiner letzten Ausformung her ganz erfassen, wo Pascal die enge Dogmatik verläßt und die streng durchdachten Strukturen in ein personal verstandenes Modell der Begegnung, der Begegnung mit Gott, dem Mitmenschen und der Welt, überführt. Von da her ist auch Pascals phänomenologische Anthropologie zu verstehen, die auf der Dialektik von Sündenfall und Erlösung aufbaut. Das Zentnmi seiner Theologie ist die Gestalt Jesu, welche die menschliche Gestalt erst ermöglicht und gleichzeitig erfüllt. Der Mensch erfährt sich in seinem Widerspruch von Größe und Elend, in dessen Ausweglosigkeit erst der Blick auf den Glauben frei werden kann. Pascal konkretisiert diese Situation des Menschen in einer Phänomenologie, die sich durch eine Menge von scharf beobachteten und teilweise grotesk gezeichneten Details, Einzelbeobachtungen, in einem bildhaften Stil auszeichnet. Dadurch werden die Pensees streckenweise zu einem zeitkritischen Dokument, immer mit der Absicht, die absurde Situation des Menschen aufzuzeichnen. Die Mitte menschlicher Selbstverwirklichung als beziehungshafte Möglichkeit nennt Pascal coeur und bezeichnet damit die Dynamik der Seele selbst, sei es als Intuition, als Wertgefühl oder als Organ der Liebe und damit als intergrierende Kraft der menschlichen Person. In ihrem Aspekt eröffnet sich auch die Abgründigkeit des Menschen. Der Impetus, die zupackende Dialektik von Pascals Sprache vermag diese seelische Dynamik in Bewegung zu setzen, ja ihr zuzusetzen, bis der Mensch — von Extrem zu Extrem gejagt, stets widersprochen in seiner Tendenz, in einem Aspekt zu verharren, verwirrt in der Explosion der Gegensätze — innehält und bereit ist zu hören und zu begreifen, daß seine eigene Gestalt ein Paradoxon ist, das nur von der Gestalt Jesu her zu verstehen ist. Das dialektische Denken wird damit zur Grundlage des apologetischen Vorgehens in den Pensees. Vom Glauben her wird für Pascal auch die Schöpfung sichtbar, wird zur Gestalt und läßt sich in ihrer Einheit und Beziehungshaftigkeit entziffern. Die Beziehung zum göttlichen Du schafft auch die beziehungshafte Integration der Schöpfung, ohne daß der Mensch nicht stets wiederum neu vor die letzte Geheimnishaftigkeit Gottes und seiner Schöpfung gestellt wird. Pascals Werk ist dasjenige eines Naturwissenschaftlers, eines Denkers, der sich auf die konkrete Situation bezieht, aber auch eines gläubigen Menschen, der eine neue theologische Konzeption geschaffen hat, jedoch sich vor allem bemühte, sein Leben auf die erkannte Wahrheit einzurichten, die ihn immer wieder in anderer Weise einforderte.

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So versteht Pascal auch seine Sprache letztlich als imitatio Christi, dessen douceur und froideur sein großes Vorbild darstellt. Noch mehr jedoch ist die Sprache, der Freiheit des Menschen und damit auch seiner Willkür anheimgegeben, das Instrument von Pascals art de persuader. Durch sie realisiert Pascal die Denkbewegung der Dialektik, die der ontologischen dialektischen Struktur entspricht und gleichzeitig das >Heil im Widerspruch< zu geben sucht. Deshalb versucht Pascal in seiner Sprache paradox das Paradox des Menschen auszudrücken und eine Sprache zu sprechen, die den Menschen in seiner ganzen Unbeständigkeit und Widersprüchlichkeit und in seiner Erstarrung einzuholen und zu treffen sucht. Sein Ziel ist als Apologet, im Herzen der Menschen anzukommen, um seine Umkehr vorzubereiten, bis daß das Herz - wie es schon Aug;ustinus wollte — seine Ruhe in Gott findet. Da Pascal eine Sprache finden mußte, die all den Registern menschlichen Seins entsprechen konnte, sprengte sie alle Normen - ästhetische wie rhetorisch-stilistische und konnte, wie alle Sprache, die wirklich zu treffen vermag, die rationalen und emotionalen, irrationalen Kräfte der Sprache vereinen. Pascals Apologie war die erste, welche den neuen Geist der Wissenschaft, des kritischen Denkens, das sich aus dogmatischen und theologischen Bindungen gelöst hatte, nochmals auf den Glauben zu beziehen versuchte, gerade indem er die säkularisierenden Tendenzen ernst nahm und einbezog. Die Pensees sind also eigendich der erste Dialog des modernen Menschen mit dem Glauben. An manchen Stellen wird auch deudich, wie Pascals Denken nur im Forcieren der dialektischen Struktur die auseinanderklaffenden Denkweisen nochmals zusammenhalten konnte. Anhand dieses Werkes, das Fragment geblieben ist, wird die Gratwandening sichtbar, welche das Christentum der folgenden Jahrhunderte zu gehen hatte. Wo es sich nicht in Dogmatischen verschließen wollte, mußte es sich als extrem ausgesetzt erleben. Daß das auch seine eigene Chance war, wurde oft nur unter negativen Aspekten und im Zeichen eines Martyriums gesehen. In vielen Bereichen hat Pascal eigenständige Antworten auf die Fragen seiner Zeit gefunden und sich mit deren Grundanliegen auseinandergesetzt. Seine methodische Konzeption von esprit de geometrie und esprit de fmesse reicht über seine Zeit hinaus, ebenso seine Konzeption von coeur im Zusammenhang seiner Erkenntnislehre und Ontologie. Eigenständig ist im Rahmen der Theologie auch seine Ordnungslehre, die mehr gibt als nur einen neuen theologischen Ansatz. Die Überlegungen zur Sprache bieten eine neuen sprachtheoretischen Ansatz, und seine Auffassung von Rhetorik läßt sich mit neueren Kommunikadonsmodellen in Verbindung bringen, gerade weil sie nicht normativ ist. Das führt zum Ansatz der grundsätzlichen Beziehungsstruktur unserer Welt,

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die bei Pascal als Relationscharakter aller Seinsebenen konsequent durchgeführt ist. An diesem Punkt zeigen sich jedoch auch jene Beschränkungen, die Pascal als Kind seiner Zeit nicht zu überwinden vermochte, und die uns heute vielleicht besonders deutlich ins Auge fallen. Pascals Betonung der Beziehungsstruktur und des personalen Ansatzes haben ihn nicht zu einer Auffassung geführt, welcher den Heilsindividualismus der Epoche und das elitäre Christentum von Port-Royal überstiegen hätte. Der Begriff der Solidarität bleibt Pascal unbekannt, es sei denn, die Solidarität mit den Armen am Ende seines Lebens sei als solche bezeichnet. Die Gemeinschaft bleibt immer die Gemeinschaft der Gläubigen als Kirche Gottes, die mit der civitas terrena unmittelbar nichts zu tim hat und keine Solidarität mit den Menschen extra muros ecclesiae kennt. Aus diesem Grunde vermag Pascal auch keine christliche gesellschaftliche Konzeption zu schaffen sondern bleibt bei der scharfen Entlarvung naiv geglaubter Prämissen in der Bildung politischer und staatlicher Theorien stehen, um daran einmal mehr die Fragwürdigkeit der menschKchen Natur aufzuzeigen. Auch im Bereich des mitmenschlichen Kontaktes geht es Pascal um eine Entlarvung menschhcher Verhaltensweisen unter metaphysischem Aspekt und nicht um die Bildung eines Kommunikationsmodells zur Überwindung dieser Schwierigkeiten, die nur in der Gemeinschaft der Glaubenden als überwindbar gedacht sind. Ein interessantes kommunikatives Modell entsteht im Zusammenhang mit der Art de persuader. Wir sehen, daß alle jene Aspekte ausfallen, die auf eine Gemeinschaft zielen, die weiter gedacht wäre als der Corpus mysticum. Damit hängt ein weiterer Gesichtspunkt zusammen. Pascals Kirchenverständnis ist dort naiv, wo seine ahistorische Grundlage zum Vorschein kommt. Pascal verbindet mit seiner Epoche das Fehlen der geschichdichen Dimension und des geschichthchen Denkens als eines Denkens in differenzierten Entwicklungen. An dessen Stelle tritt entweder ein naiver Fortschrittsglaube im Bereich der Wissenschaft oder eine statische Auffassung von Kirche. Auch die exegetischen Teile von Pascals Pensees sind nur im Rahmen der Gesamtkonzeption von Bedeutung. Was die Darstellung des menschlichen Bereichs betrifft, ist sie zunächst vom apologetischen Ziel der Verunsicherung des ungläubigen Menschen her zu verstehen. Die Phänomenologie ist oft packend in der Schilderung absurder und grotesker Details und in der scharfsinnigen Analyse von Verhaltensweisen, die sich die Voraussetzungen schaffen, welche als Ziel des Handelns ausgegeben werden. Darin ist Pascal modernen psychologischen Forschungen oft sehr nahe. Gleichzeitig wohnt seinen Schilderungen jedoch auch etwas Holzschnittartiges inne, am ehesten dort, wo es um die Abgründigkeit des Menschen geht.

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Damit sind die wesentlichen Punkte zum Verständnis von Pascals Werk in seinen Neuerungen und Schwächen - so wie ich sie sehe kurz umrissen. Der folgende Versuch einer Zusammenschau der verschiedenen Bereiche von Pascals Werk hat zum Ziel, Pascal als eine Gestalt der Übergangszeit vom mittelälterlichen zum naturwissenschaftlichen Denken und damit als Zeitgenossen widersprüchlichster Tendenzen auf allen Gebieten des Lebens zu charakterisieren, der sich damit jedoch bewußt auseinandersetzte und aus dieser Auseinandersetzung eigene Denkmethoden und Konzeptionen im wissenschaftlichen und anthropologischtheologischen Bereich entwickelte. Besonders deutlich wird die Auseinandersetzung von der Anlage der Pensees als Apologie her, die eine exemplarische Begegnung zwischen Glaubendem und dem gebildeten, aufgeklärten Ungläubigen, Zweifelnden und Agnostiker - auch Stimmen in Pascal selbst — in einer sich langsam säkularisierenden Welt darstellt. Das manchmal etwas Gewaltsame in den Denkprozessen der Pensees ist auf die Gratwanderung innerhalb der Zeitsituation zurückzuführen, in der die Begegnung der Welten eine Frage und eine - immer wieder beschworene — Möglichkeit bleibt. Pascal, der zu den bedeutendsten Wissenschaftlern im Bereich der neuen methodologischen Reflexion gehört, versuchte die eigenständige Konzeption more geometrico in diejenige more theologico zu integrieren. In der folgenden Arbeit soll das Gewicht vor allem auf dem Auseinandersetzungscharakter von Pascals Werk liegen. Dabei ergibt sich eine Bewegung, die sich auf allen Gebieten, über die Pascal reflektiert, wiederholt: Die Positionen, die Pascal historisch antritt, werden auf zwei Arten unterlaufen. Einmal dadurch, daß die gegensätzlichen Positionen gegeneinander geführt werden und einander gegenseitig zerstören, und durch die Einführung des Unendlichen in das Denken Pascals als seine pensee de derriere la tete, welche seine höchste Reflexionsstufe darstellt.

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1. D i e Grundbewegung im Denken Pascals D i e widersprüchlichen Tendenzen seiner Zeit führten Pascal einerseits zu sorgfältigen methodischen Unterscheidungen und Zuordnungen, andererseits z u anthropologischen und theologischen Deutungen, welche diese Widersprüchlichkeiten als Ausdruck des paradoxen Aufbaus der Welt u n d der Paradoxalität des menschlichen Wesens begreifen, also als Daseinsparadox und als Glaubensparadox. D i e Denkbewegung, die dieser Konzeption zugrunde hegt, ist eine dynamische, die unabschließbar ist und die Situation, in der sie sich vollzieht, stets mitberücksichtigt. D i e folgenden Kapitel versuchen dieser Bewegung nachzugehen, die letztlich zur Ausbildung von Pascals eigener Philosophie führte. Unterscheidimg und Vereinigung Wenn m a n Pascals Tätigkeit im Überblick betrachtet, so fällt auf, daß er seine eigenen wissenschaftlichen Schritte immer wieder in methodischer Überlegung, in unterscheidendem Verfahren eingeholt hat, um sie zu legitimieren, zu fundieren und dadurch auch die erreichte Stufe so zu festigen, daß sie ihm als methodischer Gewiim für die nächste Stufe dient. Gleichzeitig gewinnt Pascal durch Unterscheidung und Verbindung auch eine erweiterte Applikation seiner Ergebnisse auf andere Gebiete. D e r Vorgang läßt sich an folgendem Beispiel zeigen: Pascal stieß im Zuge seiner Experimente über den Luftdruck auf die Spannung zwischen tradiertem Wissen und neuer wissenschaftlicher Erkenntois. E s mußte sich die Frage stellen, o b der Mensch das Recht habe, die neue Erkenntnis gegen die Autorität der Alten — des Aristoteles im speziellen — durchzusetzen. Pascal argumentiert nicht aus der Legitimation der naturwissenschaftlich erhärteten Wahrheit allein. D a z u wäre eine Prämisse notwendig, die Pascal nie ungeprüft aufstellen würde: die Unfehlbarkeit der menschlichen Vernunft. Dies ist jedoch der Kernpunkt des Problems: Vernunft gegen Überlieferung. Pascal vermag dem Problem nur beizukommen, indem er die Frage um den horror vacui ganz grundsätzlich anpackt und nach Q u e l l e und Erkenntnisprinzip in den Wissen-

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Schäften überhaupt fragt. Es ist laut Pascal zu unterscheiden zwischen Anmaßung und Legitimität des menschlichen Tuns. Pascal gewiimt seine Konzeption im Vergleich der verschiedenen Wissenschaftszweige. Er beansprucht die Freiheit der Forschung nur für die Bereiche, die dem menschlichen Geist angemessen sind, nämlich experience und raisonnement. Gerade die Theologie, um die es Pascal ja vor allem geht, ist nach seiner Überzeugung dem menschlichen Geist nicht adäquat, hier hat er sich der Offenbarung zu beugen. Wir sehen, wie die Macht des neuen, selbstbewußten Wissenschaftsgeistes noch hineingebunden bleibt in eine als gottgewollt verstandene Ordnung. Es gibt für Pascal also einen ordre des siences, der durch distinction herausgearbeitet werden kann. Die erste Forderung Pascals heißt demnach: ä faut distinguer. Durch die Unterscheidung erst ist es möglich, die Ordnung herzustellen. Wie aber kann der methodische Ansatz zur Unterscheidung selbst gewonnen werden? Die Frage läßt sich zunächst grundsätzlich anhand des angeschnittenen Wissenschaftsproblems erörtem. Dieses kann so formuliert werden: Stellt das Altertum oder die Vemunft in Dingen der Wissenschaft die Autorität dar? Für Pascal ist diese Frage schon von vornherein falsch gestellt. Er geht nie von dieser Struktur des >EntwederOder< aus: » C e n'est p a s que mon intention soit de corriger un vice par un autre, et de ne faire nulle estime des anciens, parce que Ton en fait trop. J e ne pretends pas bannir leur autorite pour relever le raisonnement tout seul, quoique l'on veuille etablir leur autorite seule au prejudice du raisonnement . . .« (Laf. S. 2 3 0 A ; Preface Sur le traite du vide)

Es ist nicht richtig, ein bestimmtes Prinzip auf Kosten eines anderen unbesehen als allein gültiges hinzunehmen. Die Frage müßte also nach Pascal heißen: Gibt es Bereiche, in denen das Altertum die Autorität beanspruchen darf, oder gibt es solche, m denen die Vernunft sie beanspruchen darf? Und die Antwort bildet die importante distinction zwischen den verschiedenen Bereichen der Wissenschaft. Etwas anders ausgedrückt hieße das Prinzip: Die Autorität der Antike wie diejenige der Vernunft und des Experimentes sind echte Möglichkeiten; das Problem, das nun gelöst werden muß, ist das der Zuordnungen. Und hier liegt nun die zweite Fehlerquelle: » . . . c o m m e si le respect qu'on a p o u r les anciens philosophes etait de devoir, et que celui que l'on p o n e aux plus anciens des Peres etait seulement de bienseance! J e laisse aux personnes judicieuses ä remarquer l'imponance de cet abus qui pervertit l'ordre des sciences avec tant d'injustice . . .« (Laf. S. 2 3 1 A ; Preface sur le traite du vide)

Das Prinzip des Unterscheidens schließt also das Denken in Alternativen aus. Gegenpositionen werden aufgestellt, um Unterscheidungen

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und Zuordnungen vorzunehmen, nicht um ein Extrem zu verabsolutieren und die Gegensätze ins Unvereinbare auseinanderzusprengen. Von der Richtigkeit des Denkens hängt also die Konstituierung der Ordnung ab, jener Ordnung, die das ganze Dasein mit seinen auseinanderstrebenden Kräften in äußerster Differeilzierung noch zusammenhält. Deshalb ist das Denken ein Akt der Sittlichkeit: »Toute notre dignite consiste donc en la pensee. C'est de lä qu'il nous faut relever et non de I'espace et de la duree, que nous ne saurions remplir. Travaillons donc ä bien penser: voilä ie principe de la morale.« (Fr. 200—347)

Ein zweites Beispiel für Pascals methodischen Ansatz bildet das Problem der Definitionen. Eine inhaltliche Kritik lassen wir vorläufig beiseite. Auch hier gibt es zwei extreme Positionen: alles oder nichts definieren. Letzteres macht die wissenschafdiche Terminologie unmöglich, alles definieren zu können, wäre das Ideal. Pascal entscheidet sich jedoch für keines der beiden Extreme. Es ist nun bezeichnend, wie Pascal das Ergebnis seiner Reflexion definien: »Cet ordre le plus parfait entre les hommes, consiste non pas ä tout definir ou ä tout demontrer, mai ä se t e n i r d a n s ce m i l i e u de ne point definir les choses claires et entendues de tous les hommes, et de definir toutes les autres; et de ne point prouver toutes les choses connues des hommes, et de prouver toutes les autres. Contre cet ordre pechent egalement ceux qui entreprennent de tout definir et de tout prouver et ceux qui negligent de le faire dans les choses qui ne sont pas evidentes d'elles-memes.« (Laf. S. 350A; De l'esprit geometrique)

Fähigkeit und Unfähigkeit des Menschen - wie sie Pascal versteht sind wiederum das Maß, an dem er die Zuordnung mißt. Pascal sucht also nicht einfach die Unterscheidung und Zuordnung zwischen gegebenen Extremen. Dies würde ja die Vorstellung präjudizieren, daß diese Gegensätze einfache, reale Gegebenheiten wären. Vielmehr ist es so, daß in seinen methodischen Überlegungen das Problem in der Betrachtung durch Pascal diese antithetische Struktur annimmt. Der eigentliche methodische Kern ist also das, was wir zuerst als das Vorgegebene behandelt haben: die Fassung des Problems in Gegensätze. Pascals Methode besteht demnach in den folgenden Schritten: 1. Fassung des Problems in zwei entgegengesetzte Möglichkeiten, welche zwei extreme Ansichten — verites opposees — darstellen. 2. Es folgt die distinction, welche 3. die Zuordnung, den ordre, ermöglicht, in welchem die verites opposees als diesen verschiedenen Bereichen zugeordnet erscheinen. Der Rückgriff auf anthropologische Kategorien bei naturwissenschaftlichen Überlegungen erscheint bis zu einem gewissen Grade als fragwürdig und verhindert in unserem Beispiel eine genauere methodische

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Unterscheidung, schon deshalb, weil die Etablierung der beiden Extreme — alles definieren, nichts definieren — künsthchen Charakter hat. Fruchtbar wurde Pascals Verfahren beispielsweise in der Unterscheidung von esprit de geometrie und esprit de finesse, weil hier nicht mit Hilfe von anthropologischen Kategorien ein methodisches Problem gelöst wird sondern methodische Überlegungen zu zwei verschiedenen Methoden der Wirklichkeitsbewältigung angestellt werden. Die Zuordnimg erscheint aus dem Kontext heutiger wissenschaftstheoretischer Überlegungen als zentral. Zudem liegt im rein theoretischen und abstrakten theologischen Bereich die Gefahr näher, die Extreme so anzusetzen, daß jene Mitte herauskommt, die man braucht. Das Fassen in Gegensätze wird darm zu einem nur pädagogischen oder didaktischen Schema. Das Arbeiten mit Gegensätzen hat jedoch einen viel grundlegenderen Aspekt. Pascal gibt uns selbst explizit den Schlüssel zu seiner Denkbewegung: »Les deux raisons contraires. Ii faut commencer par lä: sans cela on n'entend rien, et tout est heretique; et meme ä la fin de chaque verite il faut ajouter, qu'on se souvient de la verite opposee.« (Fr. 5 7 6 - 5 6 7 )

Laut Pascal macht das Verharren bei einer einmal gefundenen Wahrheit den Menschen zum Häretiker oder zu einem Ideologen. Die Ideologie zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß sie aus sich selbst eine Gegenideologie auf den Plan ruft. Und der einseitige Geltungsanspruch macht, daß die siegende der bekämpften Ideologie auf verblüffende Weise gleicht. Mit dieser Denkbewegung konnte Pascal zwei grundlegend verschiedene Denkstrukturen als polare Möglichkeiten sehen und als solche auch in einem umgreifenden Ideal zusammenführen. Esprit de geometrie und esprit de finesse Pascal setzt das Vorwärtsschreiten par progres dem Erfassen der Welt d'une vue gegenüber. Im Kontext der wissenschaftlichen Zeitsituation läßt sich der Unterschied zwischen esprit de geometrie und esprit de finesse, wie Pascal die beiden Grundmöglichkeiten nennt, folgendermaßen charakterisieren: Der esprit de geometrie nimmt seinen Ausgangspunkt in den Elementen und verbindet sie, in kleinen Schritten vorwärtsschreitend, miteinander, entkleidet sie aller Eigentümlichkeit in qualitativem Sinne und verwandelt sie in quantitative Beziehungen. Das.hervorstechendste Merkmal dieser Denkart ist der langsame Processus als Weiterschreiten, beginnend bei den TeUen und fortschreitend zum Ganzen. Welteroberung als lückenlose Erfassung des Ganzen in seiner Oberflächenstruktur: das ist

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das Ziel der neuen Wissenschaften, aber auch ihre Gefahr. Die Eigentümlichkeit der Dinge geht dabei verloren. Beim esprit de finesse handelt es sich um ein Organ, das die Dinge eher von innen her begreift, dimensional, nicht linear. Der esprit de finesse beginnt beim Ganzen, um dann zum Einzelnen vorzustoßen. Die Schau vollzieht sich im Augenblick, nicht im Fortschreiten. Die Methode des esprit de finesse ist nicht ein verschwommenes Ahnen, sondern ein genaues Sehen, das jedoch den Dingen nicht Gewalt antut, sondern sich nach ihnen richtet: die Genauigkeit liegt in der Bewegung, in der flexibilite, die sich der sich wandelnden Wirklichkeit anpaßt. Diese Haltung, die den Dingen keine Gewalt antut, sondern sie so beläßt, wie sie ihrem eigensten Wesen nach sind, ist auch fähig zum Erstaunen und Bewundern. Nicht umsonst setzt Pascal curiosite und admiration, contemplation und recherche avec presomption einander gegenüber. Der esprit de finesse, der in die Dinge eindringt, um sie in ihrem Wesen zu erfassen, der durch die innere Beziehung zu ihnen Wertentscheidungen fällt, vermag auch den Dingen ihren ihnen gemäßen Platz zuzuweisen, die ihnen gegenüber angemessene Haltung einzunehmen, sei es Bewunderung oder Verachtung. Hier liegt auch der Angelpunkt für Pascals Kritik am esprit de geometrie: dieser sieht die Proportionen als Wertunterschiede — vor allem in Bezug auf sich selbst im Verhältnis zu den übrigen Dingen - nicht und kennt nur den Zugriff, der allerdings den wissenschaftlichen Fortschritt ermöglicht. Der esprit de geometrie ist also den Prinzipien von Arithmetik und Geometrie zugeordnet, verfährt more geometrico und kann sich unabhängig von Situationskontext und Gegenstand im Bereich der von Pascal aufgestellten Regeln verwirklichen. Der esprit de finesse hingegen ist den Erscheinungen der Alltagswelt zugeordnet, d. h. dem Bereich des Lebendigen und Prozeßhaften, der Vielschichtigkeit des Lebens im soziokulturellen Rahmen und in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Dem esprit de geometrie entspricht also »der in den Regeln ( . . . ) gefaßte art de persuader und der esprit de finesse dem art d'agreer.«^ In seinen Abhandlungen über die Geometrie erklärt sich Pascal unfähig. Regeln über die Kunst zu gefallen zu geben. Dennoch ist es eine der wesentlichen Aufgaben des Vorgehens in den Pensees, die finesse anzuwenden. Und zwar aus einem doppelten Grund: einmal hat es Pascal mit Menschen zu tun und damit mit der Unbeständigkeit des menschlichen Wesens, auf das er sich als Apologet einlassen muß, imd dem nicht allein durch Vernunftargumente das Christentum nahezubringen ist. In diesem ' Jean-Pierre Schobinger, Reflexionen, S. 117. Vgl. d e n auch die Unterscheidung zwischen esprit de justesse und esprit de geometrie.

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Zusammenhang hebt Pascal die Zähflüssigkeit der Vernunft gegenüber der Flexibilität des Gefühls hervor und meint damit das synthetische Prinzip der finesse: »La raison agit avec lenteur et avec tant de vues sur tant de principes, lesquels il faut qu'ils soient toujours presents, qu'a toute heure eile s'assoupit ou s'egare manque d'avoir tous ses principes presents. Le sentiment n'agit pas ainsi; il agit en un instant et toujours est pret ä agir. II faut donc mettre notre foi dans le sentiment, autrement eile sera toujours vacillante. (Fr. 821-252)

Diese beiden Weisen der Erkenntnis zeigen wiederum, wie Pascal entweder vorhandene Tendenzen als verites opposees aufeinander bezieht, um die Verabsolutierung einer Position zu vermeiden und um dadurch eine Synthese zu schaffen, oder wie er zu einer vorherrschenden Strömung die Gegenposition selber setzt. Häufig benutzt jedoch Pascal die Grundströmungen seiner Zeit als Ausgangsposition, um sie dann zu vertiefen und zu transzendieren. Eine Gesamtschau der Dinge gelingt vor allem aufgrund des esprit de finesse, der alles d'une vue zu erfassen vermag. Das macht wiederum die FragiUtät der Erkenntnis des esprit de finesse aus, die auf jede Veränderung des von ihr Wahrgenommen seismographisch reagiert und dennoch vermag, auch im Wandel diesen selbst wieder als neue Einheit zu fassen. Der esprit de finesse ist es deshalb, der das innere Bezogensein der Elemente aufeinander wahrzunehmen und zu sehen vermag, daß die geringste Bewegung eines Teils auf das Ganze wirkt und dieses verändert. Dort jedoch, wo die Aufmerksamkeit nachläßt, der Mensch nicht räumlich und zeitlich das ganze Gewebe des Geschehens vor Augen hat, fällt er ins Ungeborgene, ist nicht bien retenn. So ist nicht die Struktur als statisches Gerüst entscheidend, sondern die Relation, die Beziehung. In der großen Darlegung der Situation des Menschen im Kosmos findet sich ein Fragment, das einen erschreckten Ausruf darstellt: »Le silence etemel de ces espaces infinis m'effraie.« Immer wieder hat man Pascal als Pessimisten mißverstanden, weil nicht klar war, daß diese Worte in den Mund des von Pascal gedachten Zuhörers gelegt waren. Ewald Wasmuth weist in diesem Zusammenhang auf seine Kontroverse mit Martin Buber hin. Das große Thema von Bubers Schrift >Das Problem des Menschen< ist der Wechsel von >Behaustheit< und >Hauslosigkeit innerhalb der abendländischen Geistesgeschichte: »In den einen (Epochen) lebt der Mensch in der Welt wie in einem Hause, in den andern lebt er in der Welt wie auf freiem Feld und hat zuweilen nicht einmal vier Pflöcke, ein Zelt aufzuschlagen^«. ^ Martin B u b e r , D a s P r o b l e m d e s Men.schcn. In: Dialogisches l.ebcn, S. 330.

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Buber weist unter diesem Aspekt auf die Spannung hin, welche die ersten Nachfahren der Neuzeit auszutragen hatten^. Als Beispiel der neuen Hauslosigkeit führt Buber Pascal an. Wie sehr Pascal die Bemühung seiner Zeit teilt, die gefährdete Ordnung auf seine ganz spezifische Weise zusammenzuhalten, haben die letzten Abschnitte gezeigt. Es ist jedoch wichtig zu sehen, daß Pascal gerade die neuen Weltsysteme als solche nicht interessiert haben. Es ging ihm um eine ganz andere Art von Ordnung'*. Wasmuth weist zu Recht darauf hin, daß Pascals Reflexion seiner mathematischen Einsicht entstammt und eigentlich das Prinzip der Differenzialrechnung anwendet^. »Hier aber haben die Unendlichen einen andern Gehalt, hier führen sie nicht zur Zerstörung des Hauses, sondern zum Bau eines neuen Kosmos, hier führen die Unendlichen nicht in das Weiter und Weiter des Kosmos, sondern sie weisen nach oben und nach unten, sie sind Ausdruck für die Schöidtmg der Ordnungen, deren höchste der ordo caritatis, die Ordnung der Liebe Gottes ist^.« Die Mathematik gibt das Denkmodell ab, mit dessen Hilfe Pascal auch im Bereich des Endlichen und Unendlichen eine genaue Beziehung schafft und den Menschen darin situiert. Pascal gewinnt in allen Bereichen seines Denkens eine neue Ordnung, die jedoch Relationscharakter trägt und aus diesen Beziehungen von den äußersten Positionen her ein neues Haus erbaut. Durch die mathematische Vorstellung wird auch der Geist der exakten Wissenschaften in diese Ordnung integriert; es ist gerade die Genauigkeit der Vorstellung in Analogie zum mathematischen Bereich, die nochmals den Bau dieser Ordnung erlaubt. Dies gelingt Pascal zunächst mit seiner Denkbewegung der verites opposees, in seiner Denkmethode der unterscheidenden Vereinigung. Das Vorwärtsschreiten Schritt für Schritt verbindet Pascal mit Descartes, jenes Abtasten, das sich der Welt stets neu versichern muß. Andererseits läßt er den Menschen im Dunkel der Widersprüche gehen, um ihn jedoch auf diese Weise vom Glauben her in eine neue Einheit zu ' »Aber in derselben Stunde, in der Bovillens die Welt als die amplissima domus des Menschen preist, brechen schon tatsächlich alle Mauern des Hauses unter den Schlägen des Kopemikus zusammen, von allen Seiten dringt das Unbegrenzbare ein, und der Mensch steht in einer Welt, die sich konkret nicht mehr als Haus empfinden läßt, ungesichert, aber erst mit einer heroischen Begeisterung für die Größe dieser Welt wie B r u n o , dann mit einer mathematischen Begeisterung für ihre Harmonie wie Kepler, schließlich jedoch, mehr als ein Jahrhunden nach dem Tode des Kopemikus und dem Erscheinen seines Werkes, erweist sich die neue Wirklichkeit des Menschen stärker als die neue Wirklichkeit der Welt.« ( a . a . O . S. 337) ^ Vgl. zu diesem Problem Artur Rieh, Pascals Bild vom Menschen. ' Vgl. Ewald Wasmuth, Die Philosophie Pascals, S. 66 ' a . a . O . S. 6 5 / 6 A n m .

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führen. Methodisch gesehen konstituiert sich die Einheit ebenso aus dem langsamen, systematischen Vorwärtsschreiten, der sorgfähigen distinction, dem Einhalten des ordre, wie der dialektischen Bewegung, je nach dem Gebiet, das Pascal behandelt. Beiden Möglichkeiten ist gemeinsam, daß sie von den äußersten Positionen her Einheit konstituieren, eine neue Mitte schaffen. So beispielsweise auch in bezug auf Tendenzen innerhalb des Barock selbst. So sind die beiden Extrempositionen bei Pascal vorhanden: die vanitas, die Scheinhaftigkeit des irdischen Daseins gegenüber der Repräsentationskultur des Barock, wie auch die Betonung eines inneren schaubaren Zusammenhangs in der Welt, gerichtet gegen das Erlebnis absoluter Scheinhaftigkeit. Die dialektische Bewegung und die Figur der Mitte Versuchen wir nun anhand der anthropologischen Überlegungen Pascals, seine Denkmethode nochmals von einer anderen Seite zu beleuchten. Alle Überlegungen zu Pascals Denken führen auf eine zentrale Denkfigur hin, die Figur der Mitte, so das Problem des Definierens in der Abhandlung De l'esprit geometrique, die Stellung des Menschen zwischen den beiden Unendlichen oder die Stellung der katholischoi Kirche innerhalb der Auseinandersetzung über die Gnade. Der folgende Satz — als Zusammenfassimg von Pascals Gedanken - bringt diese MittePosition in klarer Weise zum Ausdruck: »Apprenons par cette doctrine si pure ä defendre tout ensemble la puissunce de la nature contre les Lutheriens et l'impuissance de la nature contre les Pelagiens la force de la gräce contre les Lutheriens et la necessite de la gräce contre les Pelagiens sans ruiner le libre arbitre par la gräce comme les Lutheriens et sans ruiner la gräce par le libre arbitre comme les Pelagiens.« (Laf. S. 348B; Ecrits sur la gräce)

Sie ist im ganzen der Ecrits sur la gräce eher eine >verschobene Mitte