Bis wir uns wiedersehen: Eine Mutter, ihre geraubten Kinder und der Plan, Hitler umzubringen 3806242186, 9783806242188

Sippenhaft für die Familien der Attentäter vom 20. Juli: die wahre Geschichte der Fey von Hassell Innsbruck, Dezember 1

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German Pages 480 [482] Year 2020

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Prolog
Teil I
Teil II
Teil III
Teil IV
Teil V
Teil VI
Epilog
Danksagung
Karten
Quellen
Abbildungsnachweis
Anmerkungen
Personenregister
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Bis wir uns wiedersehen: Eine Mutter, ihre geraubten Kinder und der Plan, Hitler umzubringen
 3806242186, 9783806242188

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CATHERINE BAILEY erzählt die packende Geschichte der Fey von Hassell, ihres Vaters Ulrich von Hassell, der im Herbst 1944 als Widerständler hingerichtet wurde, und ihrer von den Nazis geraub­ten Kinder. Und so entsteht das dramatische Panorama des Widerstands und des Chaos des untergehenden »Tausendjährigen Reichs«. Ein wahrer Thriller: voller Spannung, Dramatik und menschlicher Tragödien – und schließlich doch mit Happy End.

© privat

»Ich wurde von The Lost Boys gefesselt – es enthält mehr Spannung, mehr Handlung als jeder Thriller und ist von außergewöhnlicher Klarheit und Eleganz. Zu sagen, dass sie ›Geschichte zum Leben erweckt‹, ist ein Klischee, und doch ist es so wahr; sie ist eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen.« KATE ATKINSON »The Lost Boys ist eine kraftvolle, fesselnde Geschichte über eine Reise ins Herz der Dunkelheit – und die endgültige Flucht aus ihr.« SUNDAY TIMES

Die britische Bestsellerautorin Catherine Bailey erzählt die dramatische Geschichte einer zerrissenen Familie vor der Kulisse des untergehenden »Dritten Reichs«.

Wissen verbindet uns: Mehr Infos und Debatten zu diesem Buch wbg-community.de/wiedersehen www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4218-8

CATHERINE BAILEY

Bis wir uns wiedersehen

Ein mitreißender Geschichtskrimi

»Außergewöhnlich. Ein reichhaltiges und tiefes Porträt. …. eine spannende Lektüre.« THE GUARDIAN

»Bailey hat ein außergewöhnliches Talent, Geschichte zum Leben zu erwecken, und ›Bis wir uns wiedersehen‹ ist so spannend wie jeder Roman!« DAILY MAIL

CATHERINE BAILEY

Innsbruck, Dezember 1944: Die beiden zwei und vier Jahre alten Söhne der Diplomatentochter Fey von Hassell werden von der SS entführt und an einen unbekannten Ort verschleppt, während ihre Mutter zusammen mit Angehörigen der Familien Stauffenberg, Goerdeler u.a. durch verschiedene Lager im Reich geschleust wird: Sippenhaft für die Angehörigen der Attentäter vom 20. Juli.

»Ein wichtiges Buch, [das] sich liest wie ein schrecklicher Thriller.« DAILY TELEGRAPH

»Bailey hat ein Händchen dafür, Charaktere zum Leben zu erwecken … Faszinierend!« TIMES

Bis wir uns wiedersehen Eine Mutter, ihre geraubten Kinder und der Plan, Hitler umzubringen Umschlaggestaltung: © U1berlin / Patrizia Di Stefano Foto: Fey von Hassell (1943) mit ihren Söhnen Corrado und Roberto (rechts). © Roberto Pirzio-Biroli

Catherine Bailey Bis wir uns wiedersehen

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Catherine Bailey

Bis wir uns wiedersehen Eine Mutter, ihre geraubten Kinder und der Plan, Hitler umzubringen

Aus dem Englischen von Martin Richter

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Catherine Bailey, Bestsellerautorin und Dokumentarfilmregisseurin, arbeitete für »Bis wir uns wiedersehen« sehr eng mit der Familie der 2010 verstorbenen Fey von Hassell zusammen, insbesondere mit dem ältesten Sohn Corrado. Die 2019 in Großbritannien erschienene Original­ausgabe bekam glänzende Kritiken u. a. in The Guardian, The Times und im Daily Telegraph.

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel The Lost Boys. A Family Ripped Apart by War by VIKING . Viking is part of the Penguin Random House group of companies Copyright © Catherine Bailey, 2019 wbg Theiss ist ein Imprint der wbg © 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Kristine Althöhn, Mainz Satz: Arnold & Domnick, Leipzig Umschlaggestaltung: Patrizia Di Stefano / U1 Berlin; Fey von Hassell 1943  mit ihren Söhnen Corrado und Roberto (rechts). Foto: © Roberto Pirzio-Biroli Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4218-8

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF ): 978-3-8062-4219-5 eBook (epub): 978-3-8062-4220-1

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Inhalt

Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   5 Teil I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   8 Teil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   19 Teil III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  40 Teil IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  80 Teil V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Teil VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473

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Prolog

Innsbruck, 16. Dezember 1944 »Monika ruft Dampfschiff.« Diese rätselhafte Botschaft, die von der Voice of America nach Österreich gesendet wurde, stieß bei den wenigen Menschen, die sie entschlüsseln konnten, auf Erleichterung. Sie bedeutete, dass die Alliierten immer noch versuchten, Agenten nach Innsbruck zu schleusen, um Kontakt zum österreichischen Widerstand aufzunehmen. Es war sieben Uhr früh an einem Wintermorgen in der grauen alten Stadt zwischen den schneebedeckten Bergen. Eine dichte Wolkendecke hing über den Kuppeln und Kirchtürmen und verbarg den Himmel und die Gipfel der Nordkette. Am nördlichen Stadtrand endeten die barocken Straßen an den Bergen, die steil wie eine Wand bis auf 2500 Meter anstiegen. Der Eindruck, auf engem Raum eingepfercht zu sein, hielt sich in den Gassen und Durchgängen des mittelalterlichen Stadtkerns. An einem kalten, düsteren Tag wie diesem meinte man, sich am Fuß einer Schlucht zu befinden, wenn man an den hohen, schmalen gotischen Häusern vorbeiging. Dicke Rauchschwaden stiegen unter den Wolken auf. Am Vortag hatten amerikanische Flugzeuge die Stadt bombardiert und 259 Menschen getötet. In der Herzog-Friedrich-Straße bedeckte eine Schutzhülle das berühmte Goldene Dachl, gebaut im Jahr 1500 für Kaiser Maximilian. Zwischen den ausgebombten Häusern räumten Gruppen von Kindern aus den umliegenden Dörfern den Schutt weg. Sie wurden von SS -Leuten beobachtet, die an den Straßenecken s­ tanden 5

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und die Bombenentschärfer bewachten. Die zwangsrekrutierten Männer aus dem nahe gelegenen KZ Reichenau mussten die Blindgänger entschärfen. Die Alliierten waren jetzt überzeugt, die Endphase des Krieges werde nicht in der Reichshauptstadt Berlin stattfinden, sondern bei Innsbruck. Jüngste Geheimdienstberichte deuteten darauf hin, dass Hitler in den Bergen nahe der Stadt eine »Alpenfestung« errichtete. Von OSS -Agenten* erbeutete Pläne zeigten eine Kette unterirdischer Fabriken und Waffenarsenale. In diese abgelegene und uneinnehmbare Festung wollten Hitler und seine fanatischsten Anhänger sich zurückziehen, wenn die Wehrmacht geschlagen war. Von hier aus wollten sie den Kampf fortsetzen, verteidigt von SS -Elitetruppen und versorgt durch gewaltige Vorräte, die in bombensicheren Höhlen aufgetürmt worden waren. Falls Hitler hier aushielt, würde die Schlacht um die Festung nach Meinung der alliierten Generäle den Krieg um mindestens zwei Jahre verlängern und mehr Opfer fordern als alle bisherigen Kämpfe an der Westfront. Unter diesen Umständen waren Informationen aus Innsbruck, der Hauptstadt der Alpenfestung, plötzlich von hohem Wert. Allen Dulles, der Chef des OSS in der Schweiz, hoffte, in der Stadt ein Netzwerk aus Agenten zu rekrutieren. Sie sollten militärische Informationen liefern und den Vormarsch amerikanischer und britischer Truppen von der österreichischen Westgrenze aus unterstützen. Dulles wusste aber, dass Innsbruck dafür kein gutes Pflaster war. Im Herbst hatte die Gestapo alle ihr bekannten Nazigegner verhaftet. Sie ging von Haus zu Haus und zeigte damit ihre Entschlossenheit, jede Widerstandsaktion in einem Gebiet zu verhindern, das sie als ihre letzte Bastion ansah. Am frühen Nachmittag des 16. Dezember kehrte die US -Airforce zurück und bombardierte die Stadt zum vierten Mal in diesem Monat. »Nach Bombenabwurf wurde sofort scharf nach links abgedreht und Innsbruck umflogen«, berichtete ein Pilot. »Wegen der Wolken war eine Beobachtung der Ergebnisse nicht möglich.« *  Office of Strategic Services, Vorläufer der Central Intelligence Agency CIA

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Wenige Stunden später schrieb Anna Mutschlechner, die seit 47 Jahren in Innsbruck lebte, in ihr Tagebuch: »Alles befürchtete für diesen Tag einen neuerlichen Anflug. Und richtig, die feindlichen Flieger kamen, stifteten wieder viel Unheil. … Es wurde ein schwarzer Tag für Innsbruck. Die Altstadt, Marktgraben, Innrain, der städtische Friedhof u. s. w. wurden schwer geschädigt.« Es gab in der Stadt weder Gas noch Wasser, und der Friedhof war nun für Beerdigungen geschlossen. Im trüben Licht kam die einzige Farbe von den Feuern, die noch nicht gelöscht waren. »Als wir noch alle im Keller versammelt waren, kam die Botschaft, das P ­ hotoatelier von Fräulein Kummer  … brenne.« Auch »die Glasmalereifabrik in der Müllerstraße, … das Papierlager der Firma Warger, und gegenüber das Gasthaus Hellenstainer in der Andreas Hoferstraße, das Café Paul in der Maximilianstraße u. s. w.« brannten aus. »Die erste Nacht war unser Haus in einem Gestöber von Funken und brennenden Papierfetzen vom Lager Warger. Wenn es kein so trauriger Anlaß gewesen wäre, hätte man sich über das schaurig schöne Feuerwerk gefreut.« Dieser Angriff markierte einen Wechsel der Taktik. Neben den 200  Tonnen Bomben warfen die US -Maschinen Tausende von Propagandaflugblättern ab. Ebenso wie die Sendungen des Österreichischen Dienstes der BBC forderten sie die Innsbrucker zum Aufstand auf, um Hitler daran zu hindern, in Tirol letzten Widerstand zu leisten: »Tiroler, wir wissen von Euch, dass Ihr das nicht zulassen werdet. Ihr kennt Euer Land besser als die Nazibonzen, die heut zu Euch auf Besuch kommen. Ihr werdet dort sein und aufpassen, dass sich nicht ein Einziger von ihnen verstecken kann. Wir wissen, dass Tiroler heute schon überall gegen die Nazis kämpfen. … Wenn sich auch die Nazis heute noch bei Euch in Sicherheit fühlen, wir wissen es besser als sie: Ihr steht auf unserer Seite!« Doch die große Mehrzahl der Tiroler stand nicht aufseiten der Alli­ ierten. In Innsbruck waren die Bürger für die Nazis eingestellt. Sie hatten die aufkeimenden Widerstandsgruppen verraten. Im Schutz ihrer Berge fürchteten sie keine amerikanischen Bombenangriffe. Nach dem Angriff vom 15. Dezember flohen sie bei den vier kurzen Alarmsignalen der Sirenen in die bombensicheren Höhlen tief unter der Nordkette. 7

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Teil I 1 Im selben Dezember fuhr in einer klirrend kalten Nacht ein Wagen vorsichtig die Herrengasse entlang, vorbei an den ausgebrannten Häusern, die Innsbrucks reichsten Bürgern gehörten. Das Nummernschild und die blauen Scheinwerfer des schnittigen schwarzen Wagens mit der langen, niedrigen Motorhaube wiesen ihn als Gestapo-Auto aus. An der Ecke zum Rennweg bog er unter einem niedrigen Torbogen rechts ab, wobei die Räder auf dem Schnee rutschten. Zu welcher Stunde – und an welchem Tag – dies genau geschah, ist nicht festzustellen. Die offiziellen Dokumente über den schrecklichen Zweck dieser Fahrt wurden wenige Monate später vernichtet. Der Wagen fuhr ostwärts. Am Stadtrand bog der Fahrer, der die feldgraue Uniform der Waffen-SS trug, auf die Reichsstraße 31, die Hauptstraße durch das Inntal zur deutschen Grenze. Sein Auftrag war so geheim, dass er erst bei Dunkelheit von der örtlichen Gestapo-Zentrale losgefahren war. Wegen der Verdunkelung bestand keine Gefahr, dass andere Fahrer oder Passanten zwei seiner Fahrgäste sehen würden. Sie waren so klein, dass von außen nicht einmal ihre Köpfe sichtbar waren. Mit verrenktem Hals konnte der Fahrer die Kinder im Rückspiegel sehen. Die Jungen saßen neben einer NSV -Schwester,* die sie auf der Fahrt begleitete. Sie waren zwei und vier Jahre alt und hatten blaue Augen und lange blonde Haare, die in Locken fielen. Beide trugen lange, handgenähte Wollmäntel, die ihnen viel zu groß waren, als hätte jemand erwartet, sie würden hineinwachsen. *  Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, s. Kap. 2

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Außerhalb der Stadt nahm der Wagen auf der langen, geraden Straße durch den Talgrund an Fahrt auf. Ringsumher wurde die gefrorene Landschaft vom Mondlicht erhellt, das der Schnee reflektierte. Zu beiden Seiten erstreckten sich flache Felder bis an die Berge, die auf mehr als 2000 Meter über dem Tal aufstiegen. Die Straße selbst war schneefrei, ein dünner schwarzer Strich auf der weißen Fläche. Nach schweren Schneefällen hatten Traktoren und Schneepflüge sie geräumt. Stabsoffiziere des Oberkommandos der Wehrmacht benutzten sie oft, denn sie war der schnellste Weg von Norditalien, wo die Wehrmacht eine Serie von Niederlagen erlitten hatte, zu Hitlers Hauptquartier in Berchtesgaden. Die aneinandergeschmiegten Jungen waren Brüder. Offiziell gehör­ ten sie zu niemandem. Drei Monate zuvor hatte die SS sie mit Gewalt ihrer Mutter entrissen und ihre Identität gefälscht. Auf Befehl Heinrich Himmlers, des Reichsführers SS , hatte das Innenministerium die notwendigen Dokumente ausgestellt. Neue Geburtsurkunden mit falschem Namen und erfundenem Geburtsdatum und -ort erlaubten es der SS , als rechtmäßige Betreuer der entführten Kinder aufzutreten. Sie hießen jetzt »Vorhof«. Den älteren Jungen hatte das Ministerium »Konrad« genannt, den jüngeren »Robert«. Im blauen Scheinwerferlicht zeigten sich auf den Feldern seltsame, schneebedeckte Formen. Die parallel zur Straße laufende Bahnstrecke war die Hauptversorgungsroute für die Wehrmacht in Italien, und die Amerikaner hatten sie seit Wochen bombardiert. Trümmer von diesen Angriffen waren über die Felder verstreut. Der Inhalt umgestürzter Bahnwagen war mit Schnee bedeckt, und abgeschossene Flugzeuge waren an den Spitzen ihrer Propeller erkennbar. In dieser dünn besiedelten Gegend sah man manchmal ins Innere eines Hauses, dem die von Bomben zerstörte Außenwand fehlte. Im Lauf des Tages hatte die Gestapo ein streng geheimes Fernschreiben mit dem Befehl erhalten, die Kinder abzuholen. Es kam aus dem Reichsicherheitshauptamt, Himmlers Berliner Zentrale. Die beiden Jungen sollten in ein NSV -Waisenhaus in Wiesenhof gebracht werden, einem Bergdorf hoch über Innsbruck. Es war nicht weit. Bei Hall, einer wohlhabenden mittelalterlichen 9

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Stadt, zwölf Kilometer von Innsbruck entfernt, bog der Wagen in die Berge ab. Von hier aus waren es noch fünf Minuten zum Waisenhaus. Außerhalb der Stadt stieg die Straße steil an. Rechter Hand lag hinter einer langen Mauer ein ehemaliges Kloster, das jetzt als Heil­anstalt diente. Auf seinem Gelände befanden sich die frischen Gräber von über 200  Opfern des NS -Euthanasieprogramms. Männer, Frauen und Kinder von vierzehn bis neunzig Jahren waren von der Gestapo ermordet worden, weil sie körperlich oder geistig behindert waren. Weiter oben am Berg standen Häusergruppen zu beiden Seiten der Straße. Dies war der Rand von Absam, einem Dorf mit rund 1200 Einwohnern, von denen 98 % der NSDAP angehörten. Die Häuser waren hübsch im alpinen Stil dekoriert. Holzschnitzereien, eine jahrhundertalte Tiroler Tradition, hingen unter den Giebeln, und Fresken mit religiösen Szenen schmückten die Wände. Auf einigen war Maria Schutz zu sehen, die Schutzpatronin der Familien. Sie breitete die Arme um die Kinder aus, die sich unter ihren langen Mantel drängten. Im Dorfkern waren vor Kurzem zwei Linden gepflanzt worden, ein Geschenk des Tiroler Gauleiters Franz Hofer für die Treue der Gemeinde zur Partei. In der germanischen Mythologie, die von den Nazis gepflegt wurde, war die Linde heilig und ein Symbol der Gerechtigkeit. Unter ihren Ästen wurde Gericht gehalten; man glaubte, der Baum werde dabei helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Oberhalb von Absam wand sich die Straße durch einen Wald. Als sie ein Hochplateau erreichte, auf dem im Sommer Kühe grasten, verengte sie sich zu einer Spur. Hier lagen dichte, wellige Schneewehen, die vom Wind geformt waren, der ins Tal blies. Auf der einen Seite stieg der nackte Fels mehrere Hundert Meter zum Gipfel des Großen Bettelwurf empor. Der Weg schlängelte sich entlang des Berges und machte dann eine Kurve, an der jemand einen einsamen Bildstock für die Jungfrau Maria errichtet hatte. Gleich danach kam das Waisenhaus. Im schwachen Mondlicht waren seine Umrisse dem Fahrer vertraut. Er brachte oft Kinder in der Dunkelheit hierher.

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2 Das Haus lag im Finstern, die Fenster waren verdunkelt. Es hatte drei Stockwerke, an der Rückseite war ein neogotisches Türmchen zu erahnen. Trotz der angestrebten Pracht passte das Gebäude nicht ganz in seine Umgebung. Beengt von den Bergen und an drei Seiten von Wald umgeben, war seine lange schmale Form wenig anziehend. Große schwarze Balkenkreuze unterbrachen die weiß getünchten Außenmauern, und der Dachgiebel hing tief über den unteren Etagen, was die Fenster verdunkelte und dem Haus ein düsteres Aussehen gab. Die Vordertür aus dickem dunklem Eichenholz war im Verhältnis zum Gebäude klein. Darüber stand in schablonengemalten großen gotischen Buchstaben der Name des Waisenhauses. Wiesenhof. Für die Bewohner der einsamen Dörfer und Bauernhäuser entlang des Plateaus war es ein »verfluchtes« Haus, in dem es spukte und das jedem Unglück brachte, der dazu in Beziehung stand. Ein reicher Adliger, dessen Vermögen aus den nahe gelegenen Salzbergwerken stammte, hatte es zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Jagdschloss gebaut. 1878 verkaufte seine Familie es an einen Bauunternehmer, der ein Luxussanatorium daraus machen wollte. Er legte eine Leitung von den Salzbergwerken, um Kurbäder zu ermöglichen, dann baute er den Wiesenhof aus und errichtete ein zweites Hotel auf dem Gelände. Bevor die Arbeiten aber beendet waren, ging ihm das Geld aus, und als die Bank 1899 seine Kredite kündigte, beging er Selbstmord. Im folgenden Jahrzehnt versuchte eine Reihe von Besitzern erfolglos, das Sanatorium wiederzubeleben. Dann wurde es kurz vor dem Ersten Weltkrieg an Siegmund Weiss verkauft, einen wohlhabenden jüdischen Kaufmann aus Wien. Er vermietete es an die Wiener Anthroposophische Gesellschaft, die von dem österreichischen Mystiker und selbst ernannten Hellseher Rudolf Steiner gegründet worden war. Die Anthroposophie war eine geistige Bewegung, die körperliches und seelisches Wohlbefinden durch die Anwendung 11

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natürlicher Mittel fördern wollte, und in den 1930er-Jahren war der Wiesenhof eines der modischsten Sanatorien Europas geworden. Er wurde von Steiner-Schülern betrieben und bot alternative medizinische Behandlungen und Therapien. Zu seinen Besuchern zählten neben Prominenten und Adligen auch hohe NS -Funktionäre. Doch 1938 schien der »Fluch« des Wiesenhofs erneut zu wirken. In den Monaten nach dem Anschluss Österreichs wurden Tausende von Juden in Wien, dem Wohnort der Familie Weiss, festgenommen. Allein in der Nacht vom 9. zum 10. November waren es 8000. In derselben Nacht begingen weitere 680 Juden Selbstmord oder wurden ermordet. Walther Eidlitz, der Enkel von Siegmund Weiss, erinnerte sich: »Die Menge strömte über alle Donaubrücken, und die Männer erhoben drohend die geballten Fäuste gegen die dunklen Häuserwände und skandierten im Chor ›Tod den Juden! Tod den Juden!‹« Kurz darauf flüchtete er ins Ausland. Seine Mutter, die ihre Kindheit auf dem Wiesenhof verbracht hatte, wurde festgenommen und ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie 1941 starb. Auch ohne die jüdischen Besitzer setzten hohe Nazis und wohlhabende Gäste aus ganz Europa ihre Kuraufenthalte fort. Wie sich der Manager des Hauses, Rudolf Hauschka, aber erinnerte, brachte der Anschluss Österreichs das Sanatorium in »ernste Gefahren«: »man [hatte] jedoch stets das Bewusstsein, in einer Oase zu leben, die in jedem Moment durch einen Sandsturm zugedeckt werden könnte.« Er sollte recht behalten. Ein Ereignis, das Hitler als einen der schwersten persönlichen Schläge seines Lebens ansah und das die Ermittler mit dem Wiesenhof in Verbindung brachten, führte zu seiner Umwandlung vom Luxussanatorium zum staatlichen Waisenhaus. Es begann nach dem Anschluss Österreichs mit der Kontroverse um die Anthroposophen als Mieter. Drei Jahre zuvor hatte die anti-okkultistische Fraktion im Sicherheitsdienst die Anthroposophische Gesellschaft verboten. Zu ihren Gegnern zählten Propagandaminister Goebbels, SD - und Gestapo-Chef Reinhard Heydrich und Martin Bormann, der Leiter der Kanzlei des Führers. Sie brandmarkten die 12

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Gesellschaft als gefährliche, jüdisch kontrollierte Sekte, die durch ihre Verbindungen zu Kommunisten und Freimaurern zu einer geheimnisvollen internationalen Verschwörung gegen das deutsche Volk gehöre, und wollten die Bewegung völlig beseitigen. Doch die Anthro­ posophische Gesellschaft hatte auch mächtige Unterstützer innerhalb der Partei, darunter Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und SS -General Otto Ohlendorf. In den 1930er-Jahren waren Heß und Ohlendorf  – der später in Nürnberg des Mordes an 90 000 Juden angeklagt wurde – regelmäßig zu Gast auf dem Wiesenhof. Ohne sich Rudolf Steiners Lehren offiziell zu eigen zu machen, hielten beide manche Aspekte der Anthro­ posophie für vereinbar mit dem Nationalsozialismus, vor allem Steiners Ideen über biodynamischen Anbau. Die Gärten und Felder um den Wiesenhof herum wurden nach diesen Methoden bebaut. Der Zeitpunkt von Aussaat und Ernte wurde astrologisch bestimmt, und statt Dünger und Pestiziden benutzte man verschiedene homöopathische Mittel. Für Heydrich und Goebbels war dies okkultistische Quacksalberei. Solange die Anthroposophische Gesellschaft aber unter dem Schutz von Heß stand, konnten sie sie nicht verbieten. Sie setzten zwar Gerüchte über das »Hervortreten des israelitischen Elements« und verborgene Saboteure und Gegner in Umlauf, mahnten ihre Agenten aber zur Vorsicht. Gegen den Wiesenhof sollte nicht vorgegangen werden, er war aber streng zu beobachten. Hierfür setzte die Gestapo auch Hausangestellte aus dem Ort ein. Viele der Gärtner, Zimmermädchen und anderen Angestellten, die nötig waren, um den Luxus im Sanatorium zu garantieren, kamen aus Absam. Nach Aussagen der Dorfbewohner hatte die Gestapo auch eigene Agenten im Hotel. »Trotzdem wir mit der Umgebung die besten Beziehungen pflegten, hörte das Gemurmel nicht auf«, schrieb Rudolf Hauschka. »Mißtrauen spürte man aus allen Ecken herauskriechen, und später hörten wir, daß Spitzel, als Patienten getarnt, unser Tun beobachteten.« Die Vorurteile der Dorfbewohner gegen die jüdischen Besitzer des Sanatoriums und ihr Misstrauen gegen die neumodischen Ideen der 13

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Anthroposophen trieben sie dazu, der Gestapo über das Treiben auf dem Wiesenhof zu berichten. »Da ist alles falsch«, murmelten sie. »Es gehört nicht hierher.« In einer Gemeinde frommer Katholiken, deren Familien seit dem 15. Jahrhundert in den Salzbergwerken gearbeitet hatten, wurde der in ihrer Kultur verwurzelte Antisemitismus durch die NS -Propaganda verstärkt. Jeden Sonntag hörten sie bei der Messe, die Juden hätten den Sohn Gottes ermordet. Auf der anderen Seite des Tals war die Kirche in Rinn nach einem dreijährigen Jungen namens Anderl benannt, den angeblich die Juden im Mittelalter »ermordet« hatten. Sein Tod, der auf einem blutrünstigen Gemälde in der Kirche gezeigt wurde, war Teil der Tiroler Volksüberlieferung. In den rückständigen, selbstbezogenen Dörfern glaubten viele noch an die Legende, die Juden hätten aus dem Blut des Jungen Mazze für das Passahfest gebacken. Mit stillschweigender Billigung der Dorfbewohner führte die Gestapo im Frühjahr 1941 den letzten Schlag gegen die Anthroposophen. Am 18. April traf Rudolf Heß ein, um das Wochenende auf dem Wiesenhof zu verbringen. Um die Gestapo abzuschütteln, hatte er sich unter falschem Namen eingetragen. Eines Abends während seines Aufenthalts veranstaltete Heß, der sich mit Astrologen umgab und für Mystik und das Okkulte interessierte, eine Seance in seinem Zimmer. Sie wurde unter strengster Geheimhaltung durchgeführt, denn sie war ein offener Bruch von Hitlers Verbot okkulter Praktiken. Im Herbst 1938 hatte der Führer auf dem Nürnberger Parteitag verkündet: »Das Einschleichen mystisch veranlagter okkulter Jenseitsforscher darf daher in der Bewegung nicht geduldet werden. Sie sind nicht Nationalsozialisten, sondern irgend etwas anderes, auf jeden Fall aber etwas, was mit uns nichts zu tun hat.« Durch ihre Spitzel erfuhr die Gestapo von der Seance. Nach ihren Akten hatten die Teilnehmer den Geist Bismarcks beschworen – des preußischen Staatsmanns, der Deutschland vereinigt und in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein mächtiges Reich errichtet hatte. Sie hatten den Geist gefragt, wie der Krieg ausgehen werde, und durch Klopfzeichen antwortete er, Hitler werde den Krieg verlieren und zugrunde gehen und Deutschland werde in tiefes Unglück gestürzt werden. 14

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Drei Wochen später, am 9. Mai, flog Heß allein und ohne Ankündigung nach Schottland, eine närrische Mission, um einen Frieden mit England auszuhandeln. Sein Flug – nur wenige Wochen vor Beginn der Aktion Barbarossa, dem Angriff auf die Sowjetunion  – kam zu einem für das Regime empfindlichen Zeitpunkt, und sobald er bekannt wurde, begann die Suche nach einer plausiblen und das Gesicht wahrenden Erklärung. Im Mittelpunkt der Geschichte, die von den Gestapo-Berichten über die Seance auf dem Wiesenhof und Hitlers Schock über den persönlichen Verrat eines seiner engsten Freunde angeheizt wurde, stand Heß’ Neigung zu okkulten Lehren und Praktiken. Hans Frank, der Generalgouverneur des besetzten Zentralpolen, nahm an der Sitzung am 13. Mai teil, auf der die Krise besprochen wurde: »Als wir … von ihm auf dem Berghof empfangen wurden, war Hitler voll furchtbarer, schmerzerfüllter Gequältheit. Ich hatte ihn damals schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Ich war geradezu entsetzt über sein zerstörtes Aussehen. Ganz leise, stockend, mit einem dauernden Unterton einer unsäglichen Gedrücktheit sprach er zu uns … Hitler bezeichnete diesen Flug als eine reine Wahnsinnstat.« Dann sagte er: »Im übrigen scheint mir dieser Schritt stärkstens mitveranlaßt zu sein von dem astrologischen Klüngel, den Heß um sich in Einfluß hielt. Es ist daher Zeit, mit diesem Sterndeuterunfug radikal aufzuräumen.« Am nächsten Tag telegrafierte Bormann an Gestapo-Chef Heydrich: »Der Führer wünscht, daß mit den schärfsten Mitteln gegen Okkultisten, Astrologen, Kurpfuscher und dergl., die das Volk zur Dummheit und Aberglauben verführen, vorgegangen wird …« Das Ergebnis war die »Aktion gegen Geheimlehren und sogenannte Geheimwissenschaften« oder »Aktion Heß«. Hunderte Wunderheiler, Wahrsager, Grafologen und Christliche Wissenschaftler wurden festgenommen und verhört, alle »okkulten« Organisationen verboten, wie bereits 1935 die Anthroposophische Gesellschaft. Am 9. Juni 1941 durchsuchte die Gestapo den Wiesenhof. »Im Morgengrauen  … erschienen plötzlich einige Polizeiautos, und im Nu war die Kuranstalt von Gestapobeamten umstellt«, erinnerte sich Rudolf Hauschka. »Es begann eine gründliche Hausdurchsuchung, 15

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die Bibliothek, Büro, Buchhaltung und Korrespondenz wurden lastwagenweise abtransportiert. Auch meine wissenschaftliche Bibliothek, normale schulwissenschaftliche Chemiewerke, Botanikbücher und Anatomieatlanten wurden beschlagnahmt. Auf meine Frage, warum man mir die gewiß nicht verbotenen Bücher wegnähme, war die Antwort: ›Uns ist alles verdächtig, was Sie lesen.‹« Noch am selben Tag wurden Hauschka und seine Kollegen verhaftet und in das Gestapo-Gefängnis in Innsbruck gebracht. Kurz darauf wurde auf dem Wiesenhof die Bekanntmachung Dem Deutschen Reich einverleibt ausgehängt. Binnen weniger Monate wurde das Anwesen zu einer SS -Einrichtung. Im Wald unter dem Haus wurde eine Kaserne für SS -Gebirgsjäger gebaut und zur Belohnung verdienter Parteigenossen einige Häuser beschlagnahmt. Ein Bauernhaus mit atemberaubendem Blick über das Inntal ging an Franziska Kinz, eine von Hitler und Goebbels sehr bewunderte Filmschauspielerin. Nachdem der Wiesenhof acht Monate leer gestanden hatte, wurde er zunächst als Unterkunft für hohe SS -Offiziere genutzt und im Herbst 1942 an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV ) übergeben. Nun wurde er zu einem Waisenhaus für Kinder von zwei bis zwölf Jahren. Über die Zeit, als der Wiesenhof ein NSV -Kinderheim war, ist nur sehr wenig bekannt. Man nimmt an, dass über sechzig Kinder hier lebten, von denen nicht wenige von der SS entführt worden waren und falsche Identitäten bekommen hatten. Die örtlichen Familien, auf deren Loyalität die Gestapo in den Jahren gezählt hatte, als das Anwesen an die Anthroposophen vermietet war, arbeiteten weiter hier. Bei Kriegsende trieb die Angst vor Bestrafung dieselben Familien dazu, die Spuren des Geschehenen zu beseitigen. Sie vernichteten die Unterlagen über das Waisenhaus. Für den Rest ihres Lebens schwiegen die Angestellten darüber, wie sie die Kinder dort behandelt hatten und wie die Lebensbedingungen waren. Sie redeten nie darüber. Auch die Leute aus den umliegenden Dörfern, die zumindest von der Existenz des Waisenhauses gewusst hatten, schwiegen darüber. Es war, als hätte es den Ort niemals ge16

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geben. In den 1960er-Jahren wurde das Haus vom österreichischen Staat übernommen und zur Polizeiakademie umgewandelt. Heute gibt es Menschen, die seit dreißig Jahren oder länger in dem kleinen Dorf leben und nie von seiner früheren Geschichte gehört haben. Eine Frau sagte: »Niemand hat uns je erzählt, es wäre ein NSV -Kinderheim gewesen. Wir wussten nicht, dass es da war.« Zweifellos wussten aber viele von seiner Existenz. In manchen der hübschen chalet-artigen Häuser auf dem Plateau unter dem Großen Bettelwurf und in Absam sind Spuren ihres Wissens zu finden. Als das Waisenhaus bei Kriegsende geschlossen wurde, wurde es von den Einheimischen geplündert. Manche ihrer Nachkommen besitzen noch die Handtücher, mit denen die Kinder nach dem Baden abgetrocknet wurden. Sie sind blassblau und rosa und tragen die Initialen NSV . Vom Inneren bleibt nur noch ein flüchtiger Eindruck. Eine Frau, die das Haus nach dem Krieg betrat, erinnert sich an die Betten, in denen die Kinder geschlafen hatten. Sie waren mit Bildern von Wäldern und Blumen bemalt und wie in einem Schlafsaal im ehemaligen Speisesaal des Hotels aufgestellt. In diesem großen, hohen Raum mit fünf Fenstererkern hatten die berüchtigtsten Gäste des Wiesenhofs, Heß und Ohlendorf, diniert, bevor die Gestapo das Sanatorium schloss. Die Namen der Kinder, die Nacht für Nacht in diesen Betten schliefen, sind verloren. Ihre Wärter zerstörten die Akten mit den Einzelheiten  – ihrem Alter, ihren (Ersatz-)Namen und ihren besonderen Kennzeichen  –, weil sie wollten, dass ihre Geschichten vergessen würden. Die einzige Ausnahme waren die Brüder »Vorhof«. Trotz des bewussten kollektiven Vergessens, das diesen Teil Tirols nach Kriegsende erfasste, überlebt ein Fragment der Erinnerung. Es stammt von Frau Buri, die Oberschwester im Waisenhaus war, als die Jungen von der Gestapo dorthin gebracht wurden. In den Wochen nach ihrer Ankunft behielt Frau Buri die Brüder »Vorhof« im Auge. Konrad, der Vierjährige, war schüchtern und nervös und weinte stets, wenn er ins Bett gebracht wurde. Dagegen gewöhnte sich der 17

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zweijährige Robert anscheinend viel leichter an das Heim und begann nach einer Weile, fröhlich mit den anderen Kindern zu spielen. Sie und die anderen Angestellten waren beeindruckt, wie Konrad seinen kleinen Bruder beschützte und beaufsichtigte. Morgens half er dabei, Robert anzuziehen, und band ihm sogar die Schnürsenkel. Ihr engelhaftes Aussehen und ihre tadellosen Manieren unterschieden sie von den anderen Kindern. Sie sagten stets »Bitte« und »Danke«. Im Lauf der Wochen wurde Frau Buri immer neugieriger. Sie fragte sich, wer die Jungen sein könnten. Ins Register war in der Nacht ihrer Ankunft nur eingetragen worden: »Brüder Vorhof, Konrad und Robert, Mutter in Haft«. Sie wusste, dass »Vorhof« ein Deckname war. Die Gestapo veränderte stets die Namen der kleineren Kinder und gab nie Informationen, wer sie waren oder warum sie festgehalten wurden. Frau Buri und die anderen Angestellten konnten aber kaum glauben, dass die Mutter eine gewöhnliche Kriminelle sei, denn die Jungen hatten erzählt, sie wohnten in einem »großen Haus« und hätten Pferde. Eines Tages hörte sie mit, wie die Brüder miteinander schwatzten. Zu ihrem Erstaunen schienen sie ohne Anstrengung zwischen drei Sprachen zu wechseln – Deutsch, Englisch und Italienisch. Sie hatte gedacht, ihre Muttersprache sei Deutsch, denn die Jungen sprachen es fließend ohne jeden Akzent. Natürlich konnte ein Elternteil englisch oder italienisch sein, aber dass sie in drei verschiedenen Sprachen redeten, war rätselhaft. Und da war noch etwas: Die Mäntel der Jungen, die offensichtlich aus einem Erwachsenenmantel genäht waren, kamen ihr sehr ungewöhnlich vor. Das Tuch in einem ausgeprägten Preußisch Blau hatte dieselbe Farbe und Struktur wie die Mäntel deutscher Marineoffiziere. Sie versuchte die Jungen zu befragen. Wie sie denn hießen? »Robert« sagte, er heiße Robertino, aber »Konrad« sagte, er habe seinen Namen vergessen. Sie glaubte ihm nicht. Jeder Vierjährige würde seinen Namen kennen. Sie kam zu dem Schluss, dass »Konrad« die wahre Identität der Brüder verbarg. Er hatte sie nicht vergessen. Er wollte sie bloß nicht sagen.

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Teil II 3 »Geheim. AHQ DAF Vorstoß Castello di Brazzà 15.00; 5 Meilen NNO Udine. Ref C.3427.« Über dem Motorenlärm und dem Krachen und Quietschen der Federung des Jeeps, der mit hohem Tempo die unbefestigte Straße entlangfuhr, hörte man das Rauschen des Funkgeräts, unterbrochen von meist unverständlichen Stimmen. Robert Foster, der Befehlshaber der Desert Air Force (DAF ), fuhr im ersten Wagen, gefolgt von einer Kolonne aus rund fünfzehn Lastwagen mit Motorradeskorte. Sie fuhren nordwärts in Richtung Alpen. Vor ihnen erstreckte sich die gerade weiße Straße, zu beiden Seiten gesäumt von niedrigen Maulbeerbäumen, die in Fächerform beschnitten waren. Am nahen Horizont ragten die immer noch schneebedeckten Berggipfel in den Himmel. Sie erhoben sich aus der Ebene wie eine große Welle kurz vor dem Brechen. Es war der 12. Mai 1945. Fünf Tage zuvor, als die Deutschen kapitulierten und der Waffenstillstand verkündet wurde, war Fosters Vorgeschobenes Hauptquartier (AHQ ) gemeinsam mit dem Allgemeinen Hauptquartier auf halber Strecke auf der Hauptstraße zwischen Venedig und Treviso gewesen. Nun war es auf dem Weg nach Udine, einer mittelalterlichen Stadt in der Provinz Friaul nahe der jugoslawischen Grenze. Der Tag war windstill und warm gewesen, und die Hitze stieg von der staubigen Straße auf. Mit der kühlenden Abendluft kam der Geruch von wildem Thymian, der auf den Feldern wuchs, und auf dem trockenen Boden bildete sich Tau. Foster lehnte sich zurück und 19

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­atmete ein. Es war die vierte Verlegung seines Vorgeschobenen Hauptquartiers in einem Monat. Aber diesmal war der Krieg in Europa vorbei. Für ihn hatte der Krieg mit einem Erfolg geendet. Sechs Wochen zuvor hatte er die Operation Bowler geleitet, eine der schwierigsten Bombardierungen in Italien. Das Ziel war ein Konvoi deutscher Schiffe, der in der Lagune von Venedig vor Anker lag. Er hatte den Codenamen selbst gewählt. Er hatte sich damit abgefunden, wie groß das Risiko eines Fehlschlags war, und sie mit einem Anflug von schwarzem Humor Operation Bowler genannt, denn er wusste, falls ein anderer Teil Venedigs getroffen würde als der Hafen, wo die Schiffe lagen, würde er seinen Hut nehmen und schmählich ins Zivilleben zurückkehren müssen. Mit 47 Jahren hatte er eine lange und erfolgreiche Karriere in der Royal Air Force hinter sich. Er war im Ersten Weltkrieg Jagdflieger gewesen und mit zwanzig nach dem Abschuss von fünf feindlichen Flugzeugen mit dem Fliegerkreuz ausgezeichnet worden. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte man ihn zum Befehlshaber des Stützpunkts Wyton gemacht, wo er während der Luftschlacht um England Dienst tat. Es folgten hohe Posten im Kommando Mittelmeer, die in seiner Ernennung zum Befehlshaber der Desert Air Force gipfelten. Seine Rückkehr nach Italien war wie eine Heimkehr, denn trotz seiner Erziehung an der Public School in Winchester und der Militärakademie in Sandhurst war er in San Remo an der Nordwestküste Italiens aufgewachsen, wo sein Vater, ein Arzt, die englischen Gäste des beliebten Kurorts behandelt hatte. Foster hatte Wochen mit der Planung der Operation Bowler verbracht. Die Frage war, wie man Venedig bombardieren solle. Während die Alliierten noch vor einer so drastischen Maßnahme zurückschreckten, war der Hafen zu einer Drehscheibe feindlicher Schiffsbewegungen geworden. Die Zerstörung des Straßen- und Bahnnetzes in Norditalien bedeutete, dass die Deutschen ihren dringend benötigten Nachschub mit Schiffen nach Venedig transportierten. Dort wurde alles auf Kähne umgeladen und über Kanäle und Flüsse 20

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weiter verteilt. Die größte Schwierigkeit bestand darin, dass die Docks in der Südwestecke der Insel lagen, nur 300 Meter vom Canale Grande entfernt. Wohnviertel und unzählige wichtige historische Gebäude und Kulturdenkmäler befanden sich ganz in der Nähe. Wenn man sie schonen wollte, musste man irgendwie einen Plan entwickeln, durch den die Bomben direkt im Hafen landeten, einer Fläche von nur 650 mal 950 Metern. Am Nachmittag des 21. März hoben die Maschinen um 14.30 Uhr ab. Die Gruppe bestand aus 48 Mustangs und Kittyhawks, eskortiert von einer Staffel Spitfires. Über dem Ziel gingen die Maschinen aus 3000  Meter fast senkrecht in den Sturzflug und warfen ihre Bomben erst in letzter Sekunde ab. Der dramatische Sturzflug gefolgt vom niedrigen Abwurfpunkt war der einzige Weg, um sicherzustellen, dass die Bomben das Ziel genau trafen. In vier Wellen überflogen die Maschinen die Stadt. Die Piloten zielten so genau, dass viele Italiener sich auf den Dächern der Paläste am Canale Grande versammelten und ihnen zujubelten. In London und Washington wurde die Aktion als spektakulärer Erfolg gefeiert. Keines der historischen Gebäude der Stadt war beschädigt, und der Hafen war völlig zerstört worden und für die Deutschen unbrauchbar. Foster erhielt eine Flut von Gratulationstelegrammen. Eines kam vom Oberbefehlsheber der Royal Air Force für das Mittelmeer und den Nahen Osten, der den ungewöhnlichen Schritt unternommen hatte, eine Beschreibung der »sauberen kleinen Operation« an andere führende Militärs in Whitehall weiterzuleiten. Die vorausfahrenden Motorradfahrer signalisierten der Kolonne, zu bremsen. Präzise und synchron zeigten sie nach rechts. Vor ihnen lag etwas von der Straße zurückgesetzt ein imposanter Torbogen. Foster spähte durch die von den Motorrädern aufgewirbelten Staubwolken, um die Burg zu erkennen, deren Bombardierung er einen Monat zuvor spontan verhindert hatte. Er erinnerte sich an das Gelände von den Bildern der Luftaufklärung; die Ruinen einer anscheinend alten Festung und daneben die große Villa. Die etwas entfernten Scheunen und Bauernhäuser und die zurückgezogene Lage 21

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zwischen weitläufigen Wäldern und Feldern deuteten auf ein großes Landgut hin. Offensichtlich war es ein prächtiges Anwesen mit angelegten Wegen, die von einem kleeblattförmig angelegten See den weiten Park durchzogen. Er hatte sogar einen Swimmingpool gesehen. Einen Moment lang war er wieder im Planungsraum außerhalb von Bologna, einem dumpfen, fensterlosen Raum voller Spannung und Zigarettenrauch. In den letzten Tagen der Kämpfe in Italien (die am 9. April mit der letzten alliierten Offensive begannen) war die Desert Air Force eine Rekordzahl von 21 215 Einsätzen geflogen. An einem jener Tage – die nun ineinander verschwammen – hatte ein Adjutant ihm die Bilder der Burg gezeigt. Sie hieß Brazzà, und eine Aufklärungsmaschine hatte sie als Hauptquartier eines deutschen Bataillons identifiziert. Irgendetwas an der Burg erweckte Fosters I­ nteresse; wenn der deutsche Rückzug weiterging, konnte die DAF sie vielleicht übernehmen. Aus einer Laune heraus wies er seinen Adjutanten an, die Burg von der Liste der Bombenziele zu nehmen und als mögliches Vorgeschobenes Hauptquartier beim Vormarsch nach Österreich zu markieren. Die Zufahrt zur Burg war über einen Kilometer lang. Man konnte nicht sehen, wo sie hinführte; die überhängenden Äste der Bäume beiderseits des Weges erzeugten den Eindruck, durch einen langen Tunnel zu fahren. Während der Fahrt konnte Foster kaum glauben, dass die Burg sein Hauptquartier werden solle. Noch im April hätte er jemandem, der ihm gesagt hätte, er werde sie binnen eines Monats übernehmen, nicht geglaubt. Das Tempo des deutschen Zusammenbruchs hatte alle überrascht. Nur fünfzig Kilometer entfernt wurden auf den Bergpässen nach Österreich Zehntausende Wehrmachtssoldaten von den Alliierten in Pferchen gefangen gehalten. Ein von Steinkugeln gekröntes Tor war der Eingang zum Anwesen. Hinter einer Reihe von Stechpalmen wurde eine große Villa im palladianischen Stil sichtbar. An den Balkonen und Terrassen traten weiße Urnen im antiken Stil vor dem Schiefergrau des Hauses und dem tiefen Grün der umgebenden Bäume hervor. Die mittelalterliche Burg selbst erhob sich hinter der Villa und war viel stärker zerstört, als auf den Aufklärungsbildern erkennbar. In den hohen Wänden des Berg22

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frieds klafften Risse, und der befestigte Turm war weitgehend eingestürzt. Efeu und Clematis überwucherten die Steine, und im Garten rund um die Burg blühten die Rosen blassgelb, aprikosenfarben und scharlachrot. Bei diesem Anblick musste Foster lächeln. Es war der schönste Ort, den man sich vorstellen konnte. Wieder hatte der Vorteil der Luftaufklärung dazu geführt, dass sie das Allgemeine Hauptquartier bei der Suche nach dem besten Standort übertrumpft hatten. Es waren noch ein oder zwei Stunden bis Sonnenuntergang. Foster ließ den Offizier, der die Verlegung kommandierte, das Abladen der Lastwagen beaufsichtigen, während er die Burg und das Gelände erforschte. Rasch ging Foster zur Farm, um sich nach der langen Fahrt die Beine zu vertreten. Kein Mensch war zu sehen. Das ganze Anwesen mit seinen Scheunen und Nebengebäuden  – das rund vierzig Hektar Land umfasste – wirkte verlassen und vernachlässigt. Als er näher kam, sah er, dass die Gebäude in schlechtem Zustand waren; auf den Dächern fehlten Dachschindeln und Fensterscheiben waren zerbrochen. Hier und da standen Landmaschinen rostend in einer Ecke. Der Ort wirkte seit Langem verlassen. Während er aber die Innenhöfe und engen Durchgänge zwischen den Gebäuden durchquerte, hatte er das unbehagliche Gefühl, es sei jemand da. Die Tore einiger Scheunen standen offen, und Landwerkzeuge waren an die Wände gelehnt – Sensen und Hacken mit schimmernden Klingen, als habe sie gerade jemand gesäubert. Eine Reihe von Stühlen und manchmal ein einzelner Stuhl standen draußen und zeigten an, dass eine Gruppe oder ein einzelner Mensch gerade dort gesessen hatten. Als er an einer Reihe von Landarbeiterhäuschen vorbeikam, bemerkte er Pflanzen und Küchenutensilien auf den Fensterbänken. Die geisterhafte Anwesenheit von Leuten, die er nicht sehen konnte, verunsicherte ihn. Konnten sie ihn sehen? Wurde er beo­bachtet? In einer solchen Lage war er vorher noch nicht gewesen. Er und sein Stab hatten beim Vormarsch durch Italien einige große Landschlösser besetzt. Man hatte sie willkommen geheißen. Meist hatte der Besitzer 23

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oder ein Mitglied seiner Familie sie herumgeführt. Wo aber also die Besitzer der Burg? Die seltsame Leere und die Verwahrlosung des ­Anwesens deuteten auf nur kurz zurückliegende düstere Ereignisse hin. Foster ging auf demselben Weg zur Villa zurück. Als er an dem halbmondförmigen Blumenbeet im Zentrum des Hofs vorbeikam, sah er, dass jemand hindurchgefahren war. Die Reifeneindrücke waren noch frisch, und die Blumen lagen zerdrückt in den Reifenspuren. Er nahm an, die Deutschen hätten ihre Lastwagen beim Abzug rückwärts vor den Hauseingang gefahren, um sie zu beladen. Die Haustür stand halb offen. Er schob sie auf und betrat eine große Eingangshalle. Handgemalte Landkarten aus dem 16. Jahrhundert, Silberteller und ausgestopfte Antilopenköpfe mit spiralförmigen Hörnern zierten die Wände. In einer Ecke kam man hinter einem Gewölbebogen zu einer Steintreppe, die zum piano nobile führte, der Wohnetage. Die Stufen waren breit und flach. Am schmalen oberen Treppenabsatz befand sich eine dicke getäfelte Tür, eingefasst mit filigranen Mustern. Foster erwartete, die Tür werde verschlossen sein, aber sie öffnete sich zu einer Reihe miteinander verbundener Zimmer entlang der ganzen Länge der Villa. Das erste war vollkommen quadratisch. Obwohl es aber gut eingerichtet war und auf drei Seiten einen Blick auf die Gärten bot, war es sparsam möbliert. Das einzige bedeutende Möbelstück war eine edle Glasvitrine, in der man Porzellan und Silber aufbewahren konnte. Er ging hin und sah an den Rändern im Staub, dass die Fächer erst vor Kurzem geleert worden waren. Hatten die Deutschen den Besitz der Hauseigentümer geplündert? Oder hatten die Eigentümer selbst ihre Wertsachen in Sicherheit gebracht? Auch an den Wänden fehlten Bilder. Leere Flächen zeigten, dass dort einmal Familienporträts und Landschaftsansichten gehangen hatten. Alle anderen Zimmer waren groß, mit poliertem Holzparkett und wundervoll geschnitzten Kaminsimsen. Die Wände waren in hellen Farben gekalkt – Ocker, Aquamarin und Pistaziengrün. Es gab aber keinerlei persönlichen Besitz; nichts deutete an, wem das Haus gehörte oder welches Leben die Besitzer geführt hatten. Die fast an24

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dächtige Stille und die nachlässige Anordnung der wenigen Möbel ­erinnerten an die tote Atmosphäre eines Museums. Als Foster die Galerie entlangging, die beide Flügel des Hauses verband, schreckte ihn plötzlich ein kratzendes Geräusch auf, das aus der Etage darüber kam. Rechter Hand führte eine schmale Treppe hinauf, und als er hinaufging, wurde das Geräusch lauter. Er hatte keine Ahnung, was es sein könne. Das Einzige, was ihm ähnelte, hatte er einmal in Afrika gehört; es erinnerte ihn daran, wie nach einem Sandsturm ein Teppich auf dem Rasen ausgebürstet worden war. Die Treppe öffnete sich in einen riesigen, siebzig Meter langen Raum, der das gesamte Obergeschoss einnahm. Sofort war die Ur­ sache des Geräuschs klar. Mit über zwanzig Tischen hatte man den Raum in eine provisorische Seidenfabrik umgewandelt, und Tausen­de Seidenwürmer fraßen Maulbeerblätter. Manche der Raupen waren geschlüpft, und auf den Tischen an den Fenstern flatterten die Motten gegen die unteren Scheiben, um ans Licht zu kommen. Offensichtlich wurden sie von irgendjemandem gefüttert, aber auch von diesen Personen gab es keine Spur. Foster drängte sich an den Tischen vorbei zu einem Fenster. Die Berge waren jetzt blau, überglänzt vom Gold der letzten Sonnenstrahlen. Im Süden lag das Meer am Horizont – die Lagunen östlich von Venedig. In Richtung von Tarcento sah man die Glockentürme vieler Dörfer auf den Hügeln. Etwas näher  – vielleicht anderthalb Kilometer entfernt  – markierte eine Reihe von Pappeln die Hauptstraße nach Udine. Zwischen den Bäumen sah er den Verkehr. Er bewegte sich ausschließlich von Osten nach Westen. Wenige Stunden zuvor war er selbst auf dieser Straße gefahren. Die Kolonne war durch eine Reihe von Karren aufgehalten worden. Sie waren hoch mit Möbeln und Getreidesäcken beladen, in denen die Besitztümer der Familien steckten, die hinter ihnen her gingen. Mütter hatten Säuglinge auf dem Arm, und es gab Gruppen müder Kinder und älterer Verwandter, von denen einige auf den Karren auf Betten lagen oder auf Stühlen saßen. Die Karren waren eine bunte Mischung gewesen, Einspänner und leichte Kutschen, sogar alte Kaleschen mit Holzrädern und offene Zweispänner. 25

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Foster hatte die Lageberichte des Allgemeinen Hauptquartiers gesehen. Die Familien flohen aus ihrer Heimat im Osten der Provinz. Dieses Niemandsland, wo Italiener wie auch Slowenen wohnten, war ein umstrittenes Gebiet, das die Alliierten Italien zugesprochen hatten, um es für seinen Seitenwechsel im Ersten Weltkrieg zu belohnen. Nach Jahren der Verfolgung durch Mussolinis Faschisten forderten die Slowenen, alle hier lebenden Italiener als Faschisten zu brandmarken und das Gebiet Jugoslawien zuzuschlagen. Schon jetzt hatten jugoslawische Truppen unter Marschall Tito die Grenze überschritten und terrorisierten Städte und Dörfer. Über tausend Italiener waren spurlos verschwunden und Hunderte festgenommen und in Konzentrationslager deportiert worden, die zuvor von den Faschisten betrieben wurden. In einigen Städten hatten Armeepatrouillen fast die gesamte Bevölkerung festgenommen. Sie hielten sie in provisorischen Gefängnissen fest, wo Männer zwischen 18 und 65 systematisch ausgehungert wurden, bis sie sich freiwillig zu Titos Armee meldeten. Von seiner Position aus konnte Foster den Landschaftsgarten sehen, der sich bis zur Straße erstreckte. Seine Schönheit und Ruhe war unendlich weit entfernt von den Schrecken, die die Menschen erlebten, die jenseits der Pappeln vorbeizogen, und den vielen Morden, die Norditalien heimsuchten.

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4 Die Flut an streng geheimen Telegrammen an das Hauptquartier der Desert Air Force hatte in den zehn Tagen seit der deutschen Kapitulation nicht nachgelassen. Die Schuldzuweisungen nach dem Ende des Faschismus brachten Italien an den Rand des Bürgerkriegs. Nach der Befreiung gab es zahlreiche Morde, Hunderte von Leichen lagen in ganz Norditalien auf den Straßen von Städten und Dörfern. »Die Gesamtzahl unidentifizierter Leichen im Leichenschauhaus seit der Befreiung Mailands liegt jetzt über 400«, telegrafierte der britische Botschafter an das Außenministerium. »Das teuflische Merkmal all dieser Morde ist, dass vor der Erschießung alle Identifizierungsmerkmale sorgfältig entfernt worden sind. Es ist darum schwer zu sagen, ob hier Faschisten von Partisanen oder Partisanen von Faschisten hingerichtet wurden oder ob es Opfer persönlicher Racheakte waren.« In der Provinz Friaul war die Lage besonders explosiv. Binnen zehn Tagen waren Hunderte Italiener von anderen Italienern ermordet worden, was noch zu den von Titos Truppen begangenen Gewalttaten hinzukam. In Ziracco, einer kleinen Stadt in der Ebene etwa zwanzig Kilometer von der Burg entfernt, hatte es ein Dutzend Morde gegeben. Weiter südlich, in der Gegend von Manzano, hatte ein Partisanenkommandeur angeblich 43 Menschen erschießen lassen. Auf dem Weg durch Udine hatte Foster an diesem Nachmittag an einer Einsatzbesprechung im regionalen Hauptquartier der Alliierten Militärregierung teilgenommen, die im Moment Italien regierte. Die Mission Coolant – britische Spezialkräfte, die in dieser Gegend operierten – berichtete von der Entdeckung eines weiteren Massengrabs in Drenchia nahe der jugoslawischen Grenze. Die Leichen lagen »in einer Grube mit 30 Leichen, angeblich Italiener, die von Slowenen erschossen wurden.« Die Informationen deuteten darauf hin, dass die kommunistischen Garibaldi-Partisanen, von denen es im Raum Udine 4000 gab, sich mit den Jugoslawen zusammenschließen wollten, 27

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um einen k­ ommunistischen Staatsstreich durchzuführen. Die Einheit hatte erfahren, dass Mario Lizzero, »vielleicht der gefährlichste Garibaldi-Führer«, die Operation leitete: »Er ist intelligent und skrupellos und hat die völlige Kontrolle der Kommunistischen Partei. Seine gegenwärtige Aktivität ist die völlige Durchdringung aller Stadt- und Provinzverwaltungen inner- und außerhalb von Udine durch kommunistische Elemente.« Man warnte auch, dass »ein großes Netz von kommunistischen Agenten, die mit üppigen Mitteln ausgestattet sind«, in der ganzen Provinz aktiv sei. Sie hätten den Befehl, »Treviso und Venedig zu infiltrieren, um kommunistische Zentren aufzubauen.« Obwohl die Alliierten sich auf die Loyalität der etwa 8000 Mann starken antijugoslawischen Partisanen verlassen konnten, hatte ihr Hass auf den Kommunismus die Spannungen in der Region weiter verschärft. In Udine selbst, nur acht Kilometer von der Burg entfernt, wurde die Lage bedrohlich. Garibaldi-Kommandeure, die von geheimen Schlupfwinkeln um die Stadt herum operierten, stellten Listen von Personen zusammen, die sie für schwach und ängstlich hielten und von denen sie annahmen, sie könnten mit Geld und Lebensmitteln dazu bestochen werden, sich ihren Einheiten anzuschließen. Den örtlichen Mädchen sagte man, sie sollten keine Kontakte zu alliierten Soldaten haben. Viele hatten anonyme Drohbriefe erhalten, man würde ihnen sonst die Köpfe kahl scheren. In einigen Bezirken hatten die Kommunisten an die Häuserwände geschrieben »Zivio (Lang lebe) Tito«, »Zivio Stalin«, »Tukay je Jugoslavia« (Hier ist Jugoslawien). Während der Besprechung war ein Flugblatt herumgereicht worden. Es war eines von Hunderten, die am 2. Mai, dem Tag des hiesigen Waffenstillstands, über Udine abgeworfen worden waren. Seit dem Waffenstillstand bombardierten die jugoslawischen Flugzeuge, die an der Seite der Alliierten gekämpft hatten, nicht mehr die Stadt, waren aber mit einer abschreckenden Botschaft zurückgekehrt: Bürger von Udine, Heute bekommt ihr unsere Visitenkarte. Der Schrecken begleitet unseren siegreichen Marsch. Weint über den Ruinen eurer Häuser und denkt über eure Sünden nach, während ihr im Herzen auf die ENGLÄNDER wartet, 28

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die Beschützer der Bürger und Reichen. Wir sagen es euch ein für alle Mal, damit ihr es später wisst: FRIAUL GEHÖRT ZUR BOLSCHEWISTISCHEN EINFLUSSZONE , darum sind die Patrioten, die ihr unterstützen müsst, die kommunistischen Garibaldi-Patrioten. TUT IHR ES NICHT FREIWILLIG, DANN WERDET IHR ES UNTER ZWANG TUN . Im Lauf der nächsten 24 Stunden waren 200 jugoslawische Soldaten in die Stadt einmarschiert. Gleichzeitig waren 500  Mann auf der Flucht vor der slowenischen Einberufung aus Gorizia gekommen und hatten gebeten, in die antijugoslawischen Partisanenbrigaden aufgenommen zu werden. Der Friede in Europa hatte elf Tage gehalten. Die Intensität, mit der die Krise aufgeflammt war, angefacht durch Titos Drohung, den strategisch wichtigen Hafen Triest zu besetzen, bedeutete, dass man bei der Besprechung über eine letzte Schlacht redete oder – wenn die Kommunisten ihre Pläne zur Übernahme der Region vorantrieben – über die erste des Dritten Weltkriegs. In diesem »Hexenkessel gegensätzlicher Politik und Nationalitäten« spielte Fosters Desert Air Force eine wichtige Rolle. Neben Flügen über die Alpen, um Zehntausende von Wehrmachtssoldaten zu überwachen, die auf den Hauptpässen gefangen waren, sollten die Geschwader die zurückgelassenen Einheiten der Waffen-SS jagen, die sich in den Bergen versteckten. Außerdem sollten sie Stärke und Anordnung der jugoslawischen Truppen östlich von Udine erkunden und die Positionen der Garibaldi-Partisanen lokalisieren, die sich mit ihren Waffen in die Berge zurückgezogen hatten, um einen kommunistischen Staatsstreich vorzubereiten. Sanftes Abendlicht fiel ins Haus. Foster stand auf der kiesbestreuten Zufahrt vor dem Westflügel und schaute hinauf. Einige Räume hatte er noch nicht gesehen, aber er wusste nicht, wie er dorthin kommen solle. Er sah die Fenster, aber als er die Tür zu diesem Flügel öffnen wollte, war sie verschlossen gewesen. Da die Operationen früh am nächsten Morgen weitergingen, wollte er die Räume sehen, solange Zeit dazu war. 29

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5 Der Eingang zum Westflügel war über einen weißen Steinpfad zu erreichen, der von niedrigen, geschnittenen Hecken gesäumt wurde. Foster öffnete die Tür und betrat eine kleine Diele. Sofort bemerkte er den Gegensatz zu den leeren Zimmern im Rest des Hauses. An der einen Seite hingen Jacken an Garderobenhaltern, darunter stand eine Reihe Reitstiefel. Daneben hatte man dem Kopf einer Marmorbüste Sonnenhüte unterschiedlicher Größen und Formen aufgestülpt. Auf dem Tisch lag um zwei chinesische Vasen herum alles Mögliche, darunter Schlüsselbünde, eine Hundeleine, Samenpackungen und Rollen mit Blumendraht. Trotz des Durcheinanders hatte der Raum eine gewisse Ordnung. Die Reitstiefel standen sauber nach Größen aufgereiht. Die Wirkung war seltsam eindringlich. Am Ende der Reihe standen zwei winzige Paar Reitstiefeletten. Das eine sah aus, als gehöre es einem vier- oder fünfjährigen Kind, das andere war noch kleiner. Der Korridor jenseits der Diele lag im Halbdunkel. Als er das Licht anknipste, fiel sein Blick auf eine kleine Karte an der Tür rechter Hand. Auf das dicke weiße Papier war eine goldene Krone geprägt, darunter stand in schwarzer Tinte in einer verschnörkelten Schrift Camera del Victor Emmanuel III, S. M. Il Re d’Italia. Das Schlafzimmer von Vittorio Emmanuele  III ., Seiner Majestät, König von Italien. Es war eine verblüffende Entdeckung. Einen Moment lang konnte Foster glauben, die Burg gehöre dem König. Wenn sie ihm aber gehörte, warum musste dann eine Karte an der Tür darauf hinweisen, dass es sein Schlafzimmer war? Die Karte deutete eher darauf hin, dass der König nur vorübergehend hier gewohnt hatte. Was hatte ihn also in eine so abgelegene Ecke des Landes gebracht? Hatte er die Burg als Versteck während des Krieges benutzt? Der König – eine unpopuläre Figur und von seiner Unterstützung für das Mussolini-­Regime befleckt  – war bis zum Herbst 1943 italienischer Oberbefehlshaber 30

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gewesen und hatte einen Waffenstillstand mit den Alliierten ausgehandelt. Die Italiener nannten ihn Il Re Soldato (der Soldatenkönig) oder weniger schmeichelhaft Sciaboletta (kleiner Säbel), weil er nur 1,53 Meter groß war. Den Rest des Krieges hatte er unter Bewachung in einem Palast an der Amalfi-Küste verbracht. Zu Fosters Überraschung war die Tür nicht verschlossen. Er stieß sie auf, ging hinein und erwartete ein reich ausgestattetes großes Zimmer, eines Königs würdig. Doch der bescheidene und einfach möblierte Raum war wenig auffällig – bis auf die Tatsache, dass jemand noch vor Kurzem hier gewohnt zu haben schien. Die Karte an der Tür war irreführend, es war kein Schlaf-, sondern ein Wohnzimmer. Bücher mit Lesezeichen lagen auf den Tischen und Briefe lagen in sortierten Bündeln auf dem Boden, als habe sie jemand archivieren wollen. Ein Wasserkrug und ein halb volles Glas standen auf einem Beistelltischchen, und eine abgetragene Strickjacke hing über einem Stuhl. Am Fenster stand ein großer runder Tisch, mit einem Samttuch bedeckt. Foster ging hinüber und blieb vor den Fotos stehen. Über dreißig große und kleine Bilder waren auf dem Tisch arrangiert, alle in Silberrahmen. Er erkannte, dass es Familienbilder waren, denn dieselben Gesichter tauchten in unterschiedlichem Alter und an unterschiedlichen Orten wieder auf. Ein Gesicht fiel ihm auf. Es gehörte einem großen Mann mittleren Alters mit Adlerprofil und sauber geschnittenem Schnurrbart. Auf der linken Wange trug er zwei Schmisse. Auf einem der Bilder war er im Gespräch mit Adolf Hitler zu sehen, auf einem anderen schüttelte er Benito Mussolini die Hand. Es gab noch andere Fotos von Hitler an verschiedenen Orten. Stets stand derselbe große Mann in diskretem Abstand im Hintergrund, nur wenige Schritte hinter dem Führer. Seine Nähe zu Hitler legte nahe, dass er ein zuverlässiger Ratgeber war. Aber wer war er? Er trug keine Uniform. War er ein Diplomat oder ein Beamter?, fragte sich Foster. Und war er der Besitzer der Burg? Er nahm die Bilder vorsichtig in die Hand und betrachtete sie eines nach dem anderen. Es gab keine Beschriftungen; nichts sagte aus, wo oder wann sie gemacht waren. Nur zwei Fotos waren informell. Das eine war eine Familiengruppe. Der Mann, seine Frau und ihre vier 31

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Kinder – zwei Söhne und zwei Töchter – posierten auf einem Berggipfel für die Kamera. Auf dem zweiten stand er auf einem Steg am See; er trug eine Badehose, hatte den Arm um ein etwa zwölfjähriges Mädchen gelegt und lachte mit zurückgeworfenem Kopf. Vom Familienbild erkannte Foster das Mädchen als die eine Tochter wieder. Dann wandte er sich den anderen Fotos zu. Sie zeigten meist zwei kleine Jungen. Auf manchen waren sie Babys in den Armen einer hübschen blonden Frau, als sie etwas älter waren, waren sie zusammen aufgenommen. Mit ihren langen blonden Haaren und hellen, lachenden Augen sahen sie wie kleine Engel aus. Auf einem Bild saßen sie fröhlich bei zwei deutschen Soldaten auf dem Schoß. Foster erkannte den Hintergrund: Das Bild war draußen auf der Bank im ummauerten Garten gemacht worden. Neugierig verbrachte er einige Minuten damit, die Familienbeziehungen zu entziffern. Die Mutter der Jungen war das Mädchen vom Steg am See, etwa zehn bis zwölf Jahre später. In diesem Fall war ihr Vater – der Mann mit Hitler –, der Großvater der Jungen. Das Mädchen hatte einen schneidig aussehenden italienischen Offizier geheiratet. Auf ihrem Hochzeitsbild deutete sein markanter, mit Federn und Kokarden verzierter Helm darauf hin, dass er einem der schicken Kavallerieregimenter angehörte. Seltsamerweise gab es keine Bilder der Jungen mit ihrem Vater. Foster ging zur Tür, die ins nächste Zimmer führte. Es war ein Kinderzimmer mit zwei Betten und einem Kinderbett. Er nahm an, hier hätten die beiden Jungen von den Bildern geschlafen. Papiermobiles mit kleinen Elefanten hingen von der Decke herab. Auf einem Bett lag ein Teddybär an ein Kissen gelehnt; seine Glasaugen fehlten, und er wirkte plattgedrückt und schmuddelig. Er blickte sich kurz um und ging dann ins Wohnzimmer zurück. Unter den Hunderten von Büchern auf den Regalen sah er ein Exemplar von Hitlers Mein Kampf. Er nahm es aus dem Regal und merkte überrascht, dass es ungelesen war. Er war auch überrascht, dass viele der Bücher in englischer Sprache waren. Es gab Bände von Hansards Parlamentsdebatten und zahlreiche Ausgaben des Strand Magazine, eine davon mit einem weitsichtigen Artikel Winston Churchills unter dem Titel »Die Wahrheit über Hitler« von 1935. 32

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Während Foster einen Reiseführer über historische deutsche Städte durchblätterte – Städte, die von den Briten zerstört worden waren –, hörte er draußen ein Geräusch. Er ging zum Fenster und sah einen Mann im Garten arbeiten, der nicht mehr jung war und einen blauen Mechaniker-Overall mit Ölflecken trug. Er schien hier etwas zu sagen zu haben und war emsig mit dem Stutzen des Efeus beschäftigt, der die eine Hauswand überwuchert hatte. Sofort legte Foster das Buch hin und ging hinaus, um mit ihm zu sprechen. Hier war endlich jemand, der ihm vielleicht etwas über die unsichtbaren Bewohner des Hauses sagen konnte.

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6 Der Mann stellte sich als Nonino vor. Er sagte, er stamme aus einem Dorf in der Nähe und sei seit 57 Jahren Diener in Brazzà. Die alte Gräfin hatte ihn eingestellt, als er elf Jahre alt war. Er hatte als Kutscher angefangen und außen auf der Familienkutsche gestanden. Dann war er in den 1880er-Jahren Aufseher des Haushalts geworden, einer Zeit, als viele Gäste zu Besuch kamen. Damals, so erzählte er Foster, gehörte es zu seinen Pflichten, sich um die Pferde und Kutschen zu kümmern und die großen Murano-Kronleuchter zu polieren, und wenn abends nach dem Diner keine Musiker da waren, die auf den Zinnen der Burg spielten, leitete er einen Chor, der alte friaulische Lieder sang. Stolz erklärte er, drei Generationen der Familie gedient zu haben. Sein Vorname war Giuseppe, aber die Familie nannte ihn bei seinem Nachnamen. Sie sagten, er sei leichter auszusprechen und klinge freundlicher. Foster hoffte, dies werde die Geschichten auf die jetzige Generation lenken, aber der alte Mann scheute sich vor der Gegenwart und kehrte in eine noch entferntere Vergangenheit zurück. Die Familie heiße Pirzio-Biroli, sagte er, und stamme von den Savorgnans ab, einer der mächtigsten Adelsfamilien Norditaliens. Nach ihrer Niederlassung in der Burg um 1200 hätten sie jahrhundertelang das Friaul beherrscht und seien mit der Republik Venedig gegen Österreich verbündet gewesen. Sie hätten viele Anwesen besessen. Die Festungen, von denen aus sie die Region verteidigten, reichten auf einer fast hundert Kilometer langen Linie bis Venedig. Dann waren da die Familienpaläste, in denen er als junger Mann gedient hatte. Der Palazzo Savorgnan am Cannaregio-Kanal in Venedig, der Palazzo Brazzà in Udine und einer ganz in der Nähe des Trevi-Brunnens in Rom. Er schwieg einen Moment und schaute zur britischen Fahne, die über den Ruinen der Burg wehte. Dann schüttelte er den Kopf und sagte, es tue ihm leid, aber er müsse sagen, dass zu seiner Zeit schon alle möglichen Fahnen dort geweht hätten. Im letzten Krieg hatte die österreichische Armee die Burg besetzt, was für die Familie ein gro34

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ßes Unglück war. In einer Winternacht 1917 hatte sich ein Offizier im Weinkeller bedient und war danach eingeschlafen, ohne ein Kohlenbecken zu löschen, worauf das Haus niederbrannte. Auch die Fahne des königlichen Hauses von Savoyen hatte über der Burg geweht. Das war 1941, als der König von Italien Brazzà für kurze Zeit als Armeehauptquartier genutzt hatte. Danach waren die Deutschen gekommen und hatten das Hakenkreuz aufgezogen. Doch die alte Gräfin Cora di Brazzà Slocomb hatte stets die Stars and Stripes gehisst. Sie war Amerikanerin – eine reiche Erbin aus New Orleans. Mit einer Geste zum Haus hinüber sagte er, ihr Geld habe die neue Villa bezahlt, nachdem die alte niedergebrannt war. Eine amerikanische Gräfin? Foster war über diese unerwartete Information verblüfft. Sofort wollte er wissen, wie ihre Beziehung zu dem Mann war, den er auf den Fotos mit Hitler und Mussolini gesehen hatte. Hatte sie ihr Land verraten und mit den Faschisten paktiert? Aber er wollte den alten Mann nicht ausfragen. Es wäre unpassend, unangenehme Fragen zu stellen. Leute von der US -Army aus der Abteilung für Kriegsverbrechen waren bereits in der Gegend, und es war ihre Aufgabe, gegen mögliche Kriegsverbrecher und Kolla­ borateure zu ermitteln. »Wo ist die Familie jetzt?«, fragte er stattdessen. Der alte Mann schaute beiseite und schwieg längere Zeit, bevor er antwortete. Ruhig, aber mit zitternder Stimme sagte er, sie seien alle weg, denn in den letzten Jahren habe eine Reihe von Tragödien die Familie getroffen. Er erzählte Foster knapp, was geschehen war. Die alte Gräfin, die ihn als Jungen eingestellt hatte, war im letzten Jahr in einer Irrenanstalt in Rom gestorben. Ihre einzige Tochter war auch tot – mit fünfzig an Herzversagen gestorben. Graf Detalmo, der Brazzà von seiner Mutter erbte, war im Herbst 1943 verschwunden, als deutsche Truppen die Burg besetzten. Dann, am 27. September 1944, einem Datum, das er nie vergessen werde, hatte die Gestapo die Frau des Grafen und seine beiden zwei und vier Jahre alten Söhne verhaftet. Er zeigte auf das Fenster hinter ihnen und sagte, dort hätten die Gräfin und die Kinder gewohnt, als sie abgeholt wurden. Dann winkte er Foster, ihm zu folgen. Während sie den Garten vor dem Haus 35

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durchquerten, sprach er voller Wärme von der Gräfin. Sie hieß Fey und war schön, mit blondem Haar und hellblauen Augen. Sie war natürlich Deutsche, aber una bella tedesca. Zuerst war sie im Winter 1940 nach ihrer Heirat mit Detalmo ins Schloss gekommen. Ein Jahr später wurde der älteste Sohn Corrado – der kleine Corradino – geboren und im Januar 1943 Robertino. Die Jungen waren ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, blond und blauäugig. Schöne Jungen. Er blieb vor einer Holzbank stehen, die im Schatten einer Pinie stand. Die Bank sah in Richtung der Berge und war von Rosen eingerahmt, die an der weißen Wand dahinter emporrankten. Er erzählte Foster, dies sei Feys Lieblingsplatz im Garten gewesen. Nachdem der Graf fort war, habe er ihr bei der Leitung des Anwesens geholfen. In den Sommermonaten saßen sie jeden Morgen eine Stunde hier, um über die Seidenernte zu sprechen und welche Lebensmittel man anbauen solle. Sie waren ein Team, sagte er. Er ging in Richtung des Eingangstors weiter. Als er auf die Geschichte der Festnahme zurückkam, wurde er immer erregter. Zuerst hatte es keinen Ärger mit den Deutschen gegeben. Ganz im Gegenteil, die Soldaten, die die Burg besetzten, vergötterten die Kinder und spielten oft mit ihnen. Dann kam eines Abends der Befehl aus Berlin. Der kommandierende Oberst informierte Fey sofort, dass sie und ihre Söhne nach Deutschland gebracht werden sollten. Am nächsten Tag müssten sie bei Sonnenaufgang bereit zur Abreise sein. Er sagte aber, es gebe keinen Grund zur Sorge, sie würden nur ein paar Wochen weg sein und bald zurückkommen. Am Haupttor des Anwesens mit seiner Krone aus Steinkugeln und dem verschnörkelten Schnitzwerk blieb der alte Mann stehen und zog mit dem Fuß eine lange Linie in den Kies. Hier hatten sich alle versammelt, um Lebwohl zu sagen: die Angestellten, Freunde und Nachbarn und die Landarbeiter mit ihren Familien. Fey durfte nur so viel mitnehmen, wie sie tragen konnte, und er hatte ihr mit den anderen Angestellten in der Nacht geholfen, sich auf die Reise vorzubereiten. Sie hatten Salamis, Schinken und Dosen mit Kondensmilch für die Jungen eingepackt. Der Heeresarzt, der mit den deutschen Soldaten stationiert war, gab ihr sogar 300  Mark, die sie in den Saum ihres 36

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Mantels einnähen sollte. Bei der Erinnerung, wie Fey die schweren Koffer und die beiden für die Reise eingepackten Jungen zum Auto geschleppt hatte, traten ihm Tränen in die Augen. Jetzt waren sie verloren. Er glaubte nicht, sie je wiederzusehen. Mit tränenüberströmtem Gesicht sagte er, einer der deutschen Soldaten habe ihm erzählt, was nach der Abfahrt geschehen sei. Die erste Nacht hätten sie auf dem Bahnhof in Villach verbracht, wo sie mit den Flüchtlingen auf dem Boden schliefen. Als sie nach Innsbruck kamen, verhaftete die SS Fey und nahm ihr die Kinder weg. Der Soldat sagte, man habe den Jungen falsche Namen gegeben und sie an einem Ort versteckt, wo niemand sie finden würde – einem Waisenhaus irgendwo in Deutschland, wie er glaubte. Fey war eine Weile im Gestapo-Gefängnis in Innsbruck geblieben, dann schaffte die SS sie weiter. Das war alles, was der Soldat ihm sagen konnte. Seitdem waren sechs Monate vergangen, und es gab keine Spur mehr von ihr. Angesichts der idyllischen Szene um ihn herum konnte Foster kaum glauben, was er hörte. Auf den Feldern lag ein leichter Nebel, durch den sich die Zypressen erhoben, die Spitzen von den letzten Sonnenstrahlen beleuchtet. Drüben bei der Scheune lieferten Ochsengespanne Mehlsäcke ab. Die cremefarbenen Tiere standen friedlich und geduldig da, während die Karren abgeladen wurden. Welchen Grund konnte die SS gehabt haben, Fey und die Kinder festzunehmen? Der Befehl war aus Berlin gekommen, was darauf hindeutete, dass jemand von weit oben ihn gegeben haben musste. Es war ihm nicht gelungen, die Identität des Mannes mit den Schmissen zu erfahren, der mit Hitler und Musso­lini fotografiert war. Zum zweiten Mal hielt Foster sich aber zurück, den alten Mann zu befragen. Seine Trauer war ihm unangenehm; er wollte ihn nicht noch mehr belasten. Also wechselte er das Thema. Die Desert Air Force hatte ein paar gute Pferde erbeutet, die er zur Burg bringen wollte. Ob er die Ställe sehen könne? Sie lagen etwas entfernt in einem niedrigen Steingebäude hinter der Scheune. Beim Eintreten sah Foster die Reihen der leeren Boxen. Hier hatten die Deutschen ihre Pferde gehalten, und der Schweißgeruch der Tiere hing noch in der Luft. 37

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Als sie an den leeren Boxen vorbeigingen, beschrieb Foster, was er nördlich von Ferrara gesehen hatte, nachdem die Desert Air Force die Brücken über den Po bombardierte. Am Südufer des Flusses hatten sich Tausende Pferde in allen Farben, Formen und Größen auf den Feldern gedrängt. Aus Mangel an Benzin hatte die sich zurückziehende Wehrmacht für den Transport meist Pferdewagen benutzt. Als sie an den breiten Fluss kam, konnte sie die Tiere nicht hinüberbringen und ließ sie frei. Hier hatte die DAF die Pferde erbeutet, die er in Brazzà unterstellen wollte. Sie kamen zur letzten Box am Ende des Stalls, wo ein kleines weißes Pony stand. Der alte Mann blieb stehen, um ihm das Maul zu streicheln. Er sagte, es heiße Mirko und sei 27 Jahre alt. Er hatte den Jungen beigebracht, darauf zu reiten – wie zuvor schon ihrem Vater. Der Kleine – Robertino – hatte es angebetet. Sobald der Junge anfing zu laufen, war er jeden Morgen mit ihm hierhergekommen, um dem Pony einen Apfel zu geben. Erneut spürte der alte Mann ein starkes Gefühl des Verlusts. Er drehte sich schroff um und ging weg, wobei er murmelte, er habe zu tun. Auf dem Rückweg zum Haus beschäftigten die Geschichte der Mutter und ihrer zwei Söhne Foster weiter. Sein eigener Sohn war sechs Jahre alt. Trotz allem, was er im Krieg gesehen hatte, hinterließ der Gedanke, dass ihm so etwas hätte geschehen können, wenn die Deutschen England besetzt hätten, einen tiefen Eindruck bei ihm. Wo waren diese zwei- und vierjährigen italienischen Jungen? Niemand wusste es, aber angenommen, sie waren tatsächlich in ein deutsches Kinderheim gesteckt worden, wie waren sie zu finden? In Deutschland herrschte völliges Chaos: Das Land war von Osten und Westen gleichzeitig besetzt worden, und die Zerstörungen durch alliierte Bombardements und die großen Landschlachten waren gewaltig. Es war für Zivilisten schwierig und gefährlich, das Land zu durchqueren, und es herrschte Hungersnot und allgemeines Elend. Über zwei Millionen Menschen zogen durch Deutschland und versuchten, entweder in ihre Heimatländer zurückzukommen oder vor der Roten 38

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Armee im Osten zu flüchten. Die Chance, zwei namenlose Kinder zu finden, die vom Chaos verschluckt worden waren, war sehr gering. Außerdem konnten sie überall sein. Es gab viele dieser NS -Waisenhäuser, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich, Polen und der Tschechoslowakei. Hatte die SS die Jungen in Deutschland behalten oder sie in ein Kinderheim in den besetzten Ländern geschickt? Am traurigsten war aber der Gedanke, dass niemand nach ihnen suchen würde. Nach allem, was der alte Mann gesagt hatte, schien es wahrscheinlich, dass beide Eltern tot waren.

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Teil III 7 Villa Glori, Rom, 19. Oktober 1937 Um Punkt 9.30 Uhr an einem trüben, feuchten Morgen ritt Benito Mussolini auf einem weißen Pferd auf die riesige Piazza. Auf schwarzen Pferden folgten ihm die Chefs der italienischen Polizei. Eine Trompetenfanfare ertönte, und die auf dem Platz angetretenen 6000 Carabinieri hoben den rechten Arm zum Faschistengruß. Die Ovationen bei Mussolinis Erscheinen waren ohrenbetäubend, Tausende von Römern standen hinter den Absperrungen und an den Hängen. Es war der Tag der Polizei, und sie waren in die Villa Glori, einen Park an den Ufern des Tiber gekommen, um die Feiern zu sehen und einen Blick auf ihr Idol zu erhaschen. Nach der Eroberung Abessiniens (heute Äthiopien) stand Mussolinis Popularität auf ihrem Höhepunkt. In seiner Kanzlei im Herzen Roms förderte eine ganze Abteilung von fünfzig Beamten den Personenkult, den der Diktator genoss. Die Rufe Viva il Duce und Viva l’Impero schallten über den Platz, ein Echo des römischen Ave Imperator 2000 Jahre zuvor. Dreißig Meter hohe Hakenkreuzbanner und italienische Nationalflaggen hingen an Fahnenmasten und drapierten die Seiten der überdachten Tribüne für die Ehrengäste. Bedeckt von Schärpen, Orden und Gold- und Silberlitzen schwitzten sie in ihren Uniformen: Polizeichefs aus ganz Italien, Minister und Beamte, Prinz Colonna, der Gouverneur von Rom, und Vertreter des Vatikan in ihren langen roten Roben. Der Ehrengast war Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei. 40

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Er stand in schwarzer Uniform aufrecht mit ausdruckslosem Gesicht auf einem Podium, einen Zeremonialsäbel an der Seite. Nach außen hin war seine Anwesenheit eine Geste des guten Willens, welche die engen Beziehungen zwischen Italien und Deutschland signalisierte. Der wahre Zweck seines zweiwöchigen Rombesuchs war es aber, Mussolini dazu zu drängen, seine Polizei zum Kampf gegen »de[n] Jude[n] in seiner schlimmsten Form, der Gewaltherrschaft des alles zerstörenden Bolschewismus« einzusetzen. In diesem Sommer hatte Himmler den Bau eines neuen Konzentrationslagers in Buchenwald für Tausende von politischen Gefangenen befohlen, und weitere waren geplant. Er wollte den italienischen Diktator davon überzeugen, seinem Beispiel zu folgen. Als eine Militärkapelle die deutsche und die italienische Nationalhymne spielte, wurde es still in der Arena. Mit dem letzten Trompetenstoß der deutschen Hymne riss Mussolini sein Pferd herum und trieb es zum Galopp. Als er vor der Tribüne hin und her ritt, versetzte sein Machoauftritt die Menge in Erregung: Duce! Duce! Duce! brüllten Männer und schwenkten ihre Hüte. Frauen winkten mit Taschentüchern und schrien hysterisch; einige fielen beim Anblick ihres Idols in Ohnmacht. Zwei Männer auf dem Podium neben Himmler blieben von Mussolinis Theatralik und der Begeisterung der Menge unbewegt. Es waren Himmlers Stellvertreter Reinhard Heydrich, der Chef der Gestapo, und Ulrich von Hassell, der deutsche Botschafter in Italien. Heydrichs Aufstieg zur Macht war ebenso steil gewesen wie der Himmlers. Er war eine der bedrohlichsten Figuren des NS -Regimes, ein Mann, von dem selbst Hitler sagte, er habe ein »eisernes Herz«, der Gründer des Sicherheitsdienstes, der als Geheimdienst den Widerstand gegen die NSDAP aufdecken und bekämpfen sollte. Bei der Invasion Osteuropas 1939 war er direkt für die Einsatzgruppen verantwortlich, die hinter der Wehrmacht vorstießen und über zwei Millionen Menschen ermordeten. Im Januar 1942 berief er die Wannsee-Konferenz ein, auf der die Pläne für die »Endlösung der Judenfrage«  – die Ermordung von Millionen Juden in Konzentrationslagern – beraten wurden. 41

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Botschafter von Hassell  – Himmlers und Heydrichs Gastgeber während ihres kurzen Rombesuchs  – war eine imponierende Gestalt. Er war groß, hatte eine Adlernase und einen kurz geschnittenen Schnurrbart und trug die Uniform eines Generalmajors des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK ). Ihr blasses Grau kon­tras­ tierte mit den schwarzen, silbern geschmückten Uniformen der Polizeichefs zu seiner Rechten. Zwei Narben auf seiner linken Wange zeigten sofort seine andere Herkunft an. Diese »Schmisse« oder »Renommiernarben« stammten von Mensuren oder Fechtkämpfen, die vor dem Ersten Weltkrieg bei deutschen Studentenverbindungen beliebt gewesen waren. Sie waren geschätzte Zeichen von Ehre und Mut. Sieger in diesen Kämpfen war nicht, wer die Wunde schlug, sondern wer die Narbe davontrug und damit bewies, dass er eine Verwundung ertragen konnte. Während die beiden Polizeichefs außerhalb Deutschlands unbekannt waren, war Hassell für die Menge in der Arena eine vertraute Figur. Seit seiner Ernennung zum deutschen Botschafter 1932 hatte er die aufkeimende Freundschaft zwischen beiden Ländern gehegt. Auf Bildern von den großen Staatsanlässen, die in allen italienischen Zeitungen erschienen, war Hassell der Mann im Hintergrund, der hinter den beiden Diktatoren stand. Im Frühjahr 1934 hatte er ihre erste Begegnung in Venedig vermittelt, bei der die beiden Männer einander argwöhnisch umstrichen. Wenige Monate später, nach der Ermordung des österreichischen Kanzlers Engelbert Dollfuß, war es Hassells Aufgabe gewesen, die brüchige Freundschaft zwischen ihnen zu kitten. Mussolini, der Dollfuß nahegestanden und dessen Witwe persönlich die Todesnachricht überbracht hatte, machte die Nazis dafür verantwortlich. Mit seinem Segen hatte ein italienischer Journalist die Deutschen ein »Volk von Mördern und Päderasten« genannt. Erst nachdem Hitler Mussolinis Eroberung Abessiniens und den Austritt Italiens aus dem Völkerbund unterstützt hatte, war das Verhältnis zwischen den beiden Diktatoren wiederhergestellt worden. Nun näherte es sich seinem Höhepunkt. Einen Monat zuvor hatte Hassell Hitler und Mussolini auf einer Deutschlandreise begleitet. 42

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Von Hitler umschmeichelt und von den Rüstungsfabriken, die er besichtigte, und den Militärparaden zu seinen Ehren geblendet, überzeugte die Reise Mussolini, dass die Zukunft Italiens an der Seite des »Dritten Reichs« liege. Höhepunkt war die Berliner Kundgebung, die er mit Hitler besuchte und auf der er während eines Gewitters vor einer Million Menschen eine Rede hielt. »Sie sind wie verrückt nach mir«, prahlte er nach der Rückkehr vor seiner Geliebten. »Die gewöhnlichen Menschen waren vollkommen erobert. Sie haben meine Macht gespürt … Die Menge war während meiner Rede so groß, dass man ihr Ende nicht sehen konnte. Niemanden haben sie je so empfangen, keinen König, keinen Kaiser, niemanden. Ja, ich habe sie erobert. Sie haben die Macht gespürt … die roten Banner hinter uns, die Lichtstrahlen, die Fackeln … Wir gingen wie zwei Götter auf Wolken.« Am selben Abend sank die Temperatur, und dichte Nebelschwaden zogen durch die römischen Straßen; es war eine Nacht, in der der Geruch von »Schimmel, Mäusen und Kellern« in den feuchten Gassen hinter der Piazza Navona hing. Die Mercedes-Kolonne mit ihrer Eskorte auf scharlachroten Motorrädern brauchte länger als sonst, um durch den römischen Verkehr zu kommen. Hassell fuhr im ersten Wagen mit den beiden Polizeichefs. Dahinter fuhr ein Gefolge aus SS -Offizieren und Botschaftsbeamten. Der italienische Propagandaminister veranstaltete einen Ball für Himmler und Heydrich, und sie fuhren zur Villa Madama auf der anderen Tiberseite. Der Weg von der deutschen Botschaft führte sie am Kolosseum vorbei über die Piazza della Repubblica, aber der Nebel war so dicht, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte. Sogar die Parolen, die Anhänger des Duce mit weißer Farbe an die Mauern von Kirchen und Palästen geschrieben hatten, waren kaum sichtbar. Man sah nur die kleinen Punkte der Scheinwerfer anderer Autos auf der Straße und das schwache orange Leuchten der Kohlenbecken an den Straßenecken. Schattenhafte Figuren, manche davon kleine Kinder, saßen um die Feuer herum  – Bauernfamilien, die vom Land in die Stadt gekommen waren und die erste Kastanienernte mitbrachten. 43

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Nachdem die Kolonne den Tiber überquert hatte, nahm sie auf der Via di Villa Madama an Fahrt auf, die in vielen Kurven zum Palast hinaufführte. Hier war die Luft klarer und der Nebel ein dünner Dunst. Beiderseits der Straße verbargen efeubewachsene Mauern und hohe beschnittene Hecken die berühmten Schätze des Parks: das seltsame Elefantengrab für Annone, einen indischen Elefanten, den der Papst 1514  dem König von Portugal geschenkt hatte, und ­Bandinellis Giganten, zwei fünf Meter hohe Skulpturen, die den Eingang zu einem abgeschlossenen Garten bewachten. Die von Raffael zu Beginn des 16. Jahrhunderts für Kardinal G ­ iulio de Medici entworfene Villa stand auf dem Monte Mario oberhalb des Vatikan. Sie war einer der prächtigsten Treffpunkte der römischen Gesellschaft und hatte dem Grafen Frasso gehört, der mit der amerikanischen Erbin Dorothy Caldwell-Taylor verheiratet war. Nachdem sie in den 1920er-Jahren fünfzehn Millionen Dollar von ihrem Vater geerbt hatte, ließ die Gräfin die heruntergekommene Villa renovieren und gab dort aufwendige Partys für ihre Freunde aus Hollywood. Zu ihren Gästen zählten Filmstars wie Marlene Dietrich, Cary Grant, Fred Astaire, Ginger Rogers und Clark Gable. Nun war die Villa für offizielle Festlichkeiten an die italienische Regierung vermietet. Es war kurz vor neun Uhr, und der Vorplatz stand voller Luxuskarossen  – Delahayes, Bugattis, Daimlers. Es war üblich, dass ein Diener neben dem Chauffeur mitfuhr, und sie standen rauchend in Gruppen herum, ihre Livreen ebenso prächtig wie die glänzenden Wagen. Auf kleinen Silberabzeichen trugen sie am Revers die Wappen der ­Familien, denen sie dienten: Ruspoli, Colonna, Torlonia. Diese Familien besaßen große Teile Italiens, die kleinen Königreichen ähnelten, und gehörten dem päpstlichen Hochadel an. Die italienische Aristokratie hatte sich zum größten Teil hinter den Faschismus gestellt. Mussolinis Agrarreformen unterstützten Landgüter, die von der Depression um 1900 getroffen worden waren, und in ganz Italien hatte er die Autorität der Landbesitzer gestärkt, indem er ihnen höhere Posten in der Parteihierarchie gab. Seine stark antikommunistische Einstellung machte ihn noch anziehender für Familien, die im Fall einer Revolution den Verlust ihrer alten Schlösser und 44

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Paläste fürchteten. Ihre Beziehung war symbiotisch. Mussolini genoss den Glanz und das Prestige, die seine adligen Verbindungen ihm verschafften, und sie wiederum rissen sich darum, opulente Feste für die Faschisten auszurichten, um sich gut mit dem Regime zu stellen. Als Himmlers Kolonne vorfuhr, traten junge Männer mit Fackeln vor, die als Medici-Pagen ausstaffiert waren, um die Wagentüren zu öffnen. Hassell blieb diskret zurück, während der italienische Polizeichef Arturo Bocchini, der auch für Mussolinis persönliche Sicherheit verantwortlich war, seine deutschen Kollegen begrüßte. Der gepflegte Bocchini – Besitzer von achtzig Anzügen des teuersten römischen Schneiders – war der Sohn eines reichen Landbesitzers. Da er Himmler und Heydrich beeindrucken wollte, hatte er in Rom Rat bei Deutschen mit guten Beziehungen gesucht. Einer von ihnen war Eugen Dollmann, ein junger Akademiker, den Himmler manchmal als Dolmetscher einsetzte: »Ich riet ihm, sehr den glücklichen Umstand zu betonen, dass er aus Benevento stammte, nahe dem berühmten Schlachtfeld, wo der mutige Manfred, Lieblingssohn des großen Hohenstaufenkaisers Friedrich II ., Leben und Thron verloren hatte … ich riet ihm außerdem von übertriebener Höflichkeit und zu großer Freundlichkeit ab. Was in seiner Heimat als Voraussetzung gesellschaftlichen Lebens galt, konnte von Nordeuropäern nur zu leicht als Schwäche, Verweichlichung, Glätte und Mangel an Würde aufgefasst werden.« Das große Gefolge aus SS -Offizieren und Botschaftsbeamten blieb zurück, als Bocchini die beiden Polizeichefs und den Botschafter die Stufen zur Villa hinaufbegleitete. Er führte sie durch die gepflasterte Eingangshalle in einen großen Salon, wo die übrigen Gäste versammelt waren. Ein Orchester spielte im Hintergrund Musik aus Tannhäuser, während die Gäste umherflanierten und auf den Beginn des Essens warteten. Italiens führende Politiker und profaschistische Adlige waren eingeladen worden, dazu eine große Gruppe von Russen, die den Zaren und Rasputin gekannt hatten und während der Revolution aus Russland geflüchtet waren, ihre Juwelen in die Kleidung eingenäht. Auch Galeazzo Ciano war da, der erst 33-jährige neue Außenminister 45

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und Mussolinis Schwiegersohn. Bei seiner Ernennung hatte sein Schwiegervater ihm den höchsten Orden Italiens, den Collare della Annunziata, verliehen, dessen Träger in den Rang königlicher Vettern erhoben wurden. Den meisten anwesenden Frauen graute es davor, beim Diner neben dem arroganten und lüsternen Ciano zu sitzen: »Sein einziges Gesprächsthema war ein Strom von abgedroschenen Scherzen, begleitet von einer Menge Tätscheleien«, erinnerte sich eine, »bei Frauen eines ›gewissen Alters‹ blieb er stumm.« Armeen von Dienern hatten an den letzten Abenden die Kamine der Villa befeuert, um die Räume anzuwärmen, aber sie waren trotzdem kalt, und die mit Juwelencolliers und -tiaras geschmückten Damen trugen Pelzstolen um die Schultern. Beim Eintreten der deutschen Delegation verdrehten sie die Hälse, um einen Blick auf die Ehrengäste zu erhaschen. Heydrich mit seinem »scharfen, bleichen, asymmetrischen Gesicht« und Himmler mit seinem schwachen Kinn und aufgedunsenen Gesicht enttäuschten. Ilse von Hassell hörte eine Frau sagen, die Italiener bevorzugten die blonden, hochgewachsenen Männer, die sonst von den Nazis nach Italien geschickt wurden. Nur Botschafter Hassell im Frack mit weißer Fliege entsprach ihren hohen Ansprüchen. »Der Botschafter sah stattlich aus, und das wusste er«, vermerkte Himmlers Dolmetscher. »Die Blicke der römischen Damenwelt verweilten mit Vergnügen auf seinem aristokratischen Antlitz, und er ertrug dies mit ebensolchem Vergnügen.« Ein Gong ertönte, um die Gäste zum Essen im herrlichen salone der Villa zu rufen. Scharlachrote Rosen, die mit dem Sonderzug aus San Remo geliefert worden waren, schmückten die lange Tafel und verbreiteten einen fast betäubenden Duft. Hakenkreuzbanner und schwarze Faschistenfahnen mit dem Axtbündel als altrömischem Symbol für Macht und Einheit des Staates hingen direkt neben wunderbaren religiösen Szenen des Malers Giulio Romano von der Gewölbedecke herab. Himmler und Heydrich saßen als Ehrengäste in der Mitte der Tafel neben Ciano und Bocchini. Der etwas von ihnen entfernte Hassell saß neben Guido Buffarini Guidi, Staatssekretär im italienischen Innen46

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ministerium, einem Mann, für den nach den Worten eines seiner Bekannten »Politik, Intrigen und die heimliche Ansammlung von Macht das Leben und die größte Leidenschaft ausmachten.« Nach einer Weile begann der Staatssekretär von ein paar Gläsern Wein ermutigt, den Botschafter auszufragen. Er frage sich, was ein so gebildeter und bedeutender Mann diesen Landsleuten zu sagen habe und wie er mit ihnen auskomme? Himmler sei doch ein Idiot ohne jeden Verstand. Und Heydrich? Die Antworten gingen Buffarini Guidi gegen den Strich. Später am Abend hielt Hassell das unbehagliche Gespräch in seinem Tagebuch fest: »Als ich behauptete, er [Himmler] sei sehr klug und auch sonst ›empfehlenswert‹, …, blieb er skeptisch und als ich ablenkend die ›energische Persönlichkeit‹ von Heydrich rühmte, meinte er ablehnend: ›Auch diesen Typ kennen wir, das ist ein Brutaler, ein Bluthund!‹« Unter den profaschistischen und meist auch Hitler-freundlichen Gästen in der Villa Madama war Hassells Spitzname il freno (die Bremse); seine Opposition gegen ein militärisches Bündnis zwischen Deutschland und Italien war allgemein bekannt. Nur eine Handvoll Menschen – unter ihnen Heydrich und Himmler – wussten aber, wie weit seine Verachtung für das NS -Regime ging. Seit fast einem Jahr wurde er von Gestapospitzeln beobachtet. Sie arbeiteten als Diener in der Villa Wolkonsky, der Botschafterresidenz, und belauschten seine Gespräche, hörten sein Telefon ab und machten Listen von den »Gegnern«, die ihn aufsuchten. Die Berichte der Gestapo spiegeln die böswilligen Vorurteile wider, die damals in Deutschland um sich griffen: Hassell sei zu freundlich zu seinem jüdischen Zahnarzt; die Erziehung seiner Töchter in England sei ein Zeichen, dass er ein Anglophiler sei, dessen Interessen vor allem in England lägen; man hatte ihn negative Bemerkungen über die Italiener machen hören; er war mit regimefeindlichen Wissenschaftlern und Intellektuellen bekannt. Dieser soziale Kreis wurde nun genau untersucht. Hassell hatte vor allem Freunde unter antifaschistischen Adligen, etwa die Prinzessin Santa Herco47

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lani, Erbin der Familie Borghese; den Marchese Misciatelli, dessen Palazzo an der Piazza Venezia er regelmäßig besuchte; die Gräfin ­Pasolini, berühmt für ihre Teestunden mit prominenten Intellektuellen; und Irene di Robilant, die rebellische Tochter von Gräfin Robilant, die einen faschis­tischen Frauenverband leitete. Man vermerkte, dass Hassell jeden Morgen mit den Hercolanis ausritt. Es folgte das ­Frühstück in der Villa Wolkonsky, wo man sie über die Gefahren ihrer Regime diskutieren hörte. Heydrich hatte die Berichte an Mussolini und Außenminister Ciano weitergeleitet. »Unangenehm und heimtückisch«, war C ­ ianos Meinung, »er gehört unwiderruflich zur Welt der Junker, die 1914 nicht vergessen können, und die tief im Inneren dem Nationalsozialismus feindlich gegenüberstehen und keine Solidarität mit dem Regime empfinden.« Hassell war nicht von Hitler ernannt worden. Als er 1932  seinen Posten in Rom antrat, war er einer der letzten Botschafter der Weimarer Republik. Er war 1881 in Anklam geboren worden und entstammte einer hannoveranischen Familie aus altem Landadel. Seine Erziehung war für einen jungen Mann seiner Klasse typisch: Er besuchte das berühmte Prinz-Heinrich-Gymnasium in Berlin und lernte absolute Treue zum König von Preußen und preußischen Idealen wie Dienst und, wenn nötig, Opfer zum Wohl des Ganzen. Obwohl Hitler aber Männer mit Hassells Hintergrund verachtete, brauchte er ihre Fähigkeiten. In den ersten Jahren seiner Herrschaft beließ er die von der Weimarer Republik ernannten Botschafter auf ihren Posten, während er seine Macht festigte. Der vor 1933 von seinen Kollegen im Außenamt als möglicher künftiger Außenminister angesehene Hassell stand in hohem Ansehen. Einer nannte ihn »einen deutschen Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle« und bewunderte »seine natürliche, oft bezaubernde Liebenswürdigkeit, seine tiefe Bildung, seine ausgezeichnete Feder« und seinen »kühle[n], scharfe[n] Verstand.« Ein anderer pries seinen »überlegenen Humor«, seine diplomatische Gewandtheit und die »Unbeirrbarkeit seiner Grundanschauungen.« Der von Anfang an gegen Hitler eingestellte Hassell hatte sei48

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nen Posten in Rom benutzt, um für die Ideale zu kämpfen, an die er glaubte. Nach dem Debakel des Versailler Vertrags war er entschlossen, eine Brücke zwischen Deutschland und den Staaten Westeuropas zu bauen. Da er überzeugt war, man müsse zum Wohl Deutschlands und zur Sicherheit seiner Nachbarn einen Weg finden, es zu integrieren, spielte er eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen, die 1933 zum Vier-Mächte-Pakt führten – einer Initiative Englands, Italiens, Frankreichs und Deutschlands zur Erhaltung des Friedens in Europa. Hitler ratifizierte den Pakt jedoch nicht, und wegen seiner immer aggressiveren Außenpolitik stand Hassell zunehmend im Widerspruch zu den Anweisungen aus Berlin. Im Herbst 1937  wusste Hassell, dass er von Heydrichs Spitzeln beobachtet wurde und dass Hitler und seine Umgebung ihn ablösen wollten. Zu Beginn des Jahres hatte ihn Mussolini, den er oft sah, bei einem Gespräch in der Oper darauf aufmerksam gemacht. Sofort bat Hassell ihn, zu intervenieren, und bekundete seine Treue zum NS -­ Regime. Seine Bekundungen waren ein Bluff, der leicht aufgeflogen wäre, wenn die Gestapo die Tagebücher gefunden hätte, die in einer verschlossenen Schublade seines Schreibtischs lagen. Seit Antritt seines Postens hatte Hassell Personen und Ländern Codenamen gegeben, sogar Treffen und Begegnungen. Manchmal benutzte er mehrere: Hitler war »Inge« oder »Inges Chef«, Mussolini war »Dein Tischherr« oder »Calvino«, Himmler »Zöllinger«, England »Lady Hay«, Göring der »Herr mit dem Weinglas« oder »Sepps Bruder« und die NSDAP »Inges Familie«. Doch die Codenamen dienten vor allem seiner eigenen Unterhaltung; im Zusammenhang gelesen, wäre es der Gestapo nicht schwergefallen, sie zu entschlüsseln. Die Tagebücher ergaben eine vernichtende Anklageschrift. Von seiner Position im Zentrum der deutschen und italienischen Diktaturen aus hatte Hassell den Aufstieg des Faschismus aufgezeichnet und jede Abweichung von den Prinzipien, die er hochhielt, vermerkt – Vernunft, feste moralische Grundsätze und ein strenges Festhalten am Rechtsstaat. 49

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Doch sein patriotisches Pflichtgefühl, die angeborene Zurückhaltung und die Diskretion, die er in seinen vielen Jahren als Diplomat gelernt hatte, hielten ihn davon ab, das NS -Regime offen zu kritisieren. Abgesehen von gelegentlichen Ausbrüchen, die durch das schlechte Benehmen von NS -Funktionären ausgelöst waren, die Rom besuchten, sagen die Tagebücher uns wenig über den Menschen. Er verbarg seine Kritik sorgsam unter detaillierten trockenen Berichten über diplomatische Gespräche und interne Manöver in der Wilhelmstraße – dem Sitz des Auswärtigen Amts – und seinen Beobachtungen zur europäischen Außenpolitik. Nie schrieb er auf, was er wirklich fühlte. Sehr viel aufschlussreicher – und auch ironisch angesichts des Ziels der Gestapo, Hassells Widerstand gegen das Regime aufzudecken – ist dagegen das Tagebuch, das seine Tochter zur selben Zeit schrieb. Fey war zwölf Jahre alt, als ihr Vater den Posten in Rom antrat, und sie vergötterte ihn. Zwischen 1933 und 1937 dokumentierte sie seine Reaktion auf den Aufstieg des Nationalsozialismus und auch die negativen Gefühle, die er nicht schriftlich festhalten wollte, aber seiner Familie anvertraute. Im Gegensatz zu ihrem Vater schrieb Fey ganz unverschlüsselt. Sie versteckte ihr Tagebuch nicht, sondern ließ es in ihrem Zimmer in der Villa Wolkonsky herumliegen – wo die Gestapo es leicht hätte finden können. Ein Blick in ihr Tagebuch bietet eine viel intimere Sicht auf Has­ sell als die dichten, verschlüsselten Einträge in seinen eigenen Aufzeichnungen: 30. Januar 1933  Hindenburg … ernennt Hitler zum Reichskanzler. Papa ist außer sich. Am … 2. Mai werden in Deutschland die Gewerkschaften verboten und zugunsten der Deutschen Arbeitsfront aufgelöst. Papa meint, die Dinge entwickelten sich zunehmend schlimmer. 2. September 1933  Papa kommt aus Berlin zurück und erzählt von seinem jüngsten Gespräch mit Hitler. Es sei unmög50

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lich, Hitlers Redeschwall zu unterbrechen. Hitler führe stets das Wort, und zwar immer nur über das Thema, das ihn im Augenblick am meisten interessiere. Jedenfalls sind eine Diskussion und ein Ideenaustausch ausgeschlossen.  … Im Juli hatte Hitler alle Parteien verboten. Das war für Papa das Ende eines freien und demokratischen Staates. 7. Juli 1934  Wenige Tage später hören wir von dem Massaker, das Hitler mit Hilfe der SS angerichtet hat.* Papa ist verzweifelt. Ich habe ihn selten so blaß gesehen. Er ist der Meinung, daß die ausländische Presse völlig zu Recht die Nazis als Gangster bezeichnet. … Papa quälen unentwegt Fragen: Wird man sich von der Herrschaft der Nazis befreien können! Was kann er tun, um Schlimmeres zu vermeiden. 18. September 1935  Papa kehrt von dem alljährlich stattfin­ denden Nürnberger Parteitag zurück, an dem auch die Diplomaten teilnehmen mußten. Er ist entsetzt über die Atmosphäre dieser Veranstaltung, über deren militärisches Gepräge und insbesondere über die Ankündigung der »Nürnberger Gesetze«,  … Papa ist der Ansicht, daß dies für unser Land das Ende seiner Kultur bedeutet. Er ist besorgt um all unsere jüdischen Freunde. 12. Mai 1937  Bei Tisch spricht Papa nicht mehr über Politik. Auch nicht über die Nazis oder die Faschisten. Ihm ist zugetragen worden, daß Reinecke, der zweite Diener, für die SS spioniert. So ein Schwein! Aus politischer und gesellschaftlicher Sicht sagte Hassell zu diesen Tagen: »unerfreulichere und für mich schwierigere habe ich in meiner Laufbahn nicht erlebt.« Nach der Verkündung der Achse Berlin-Rom *  Die »Nacht der langen Messer«, in der SA -Chef Ernst Röhm und andere ermordet wurden.

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im Oktober 1936, einer Übereinkunft, die beide Länder informell verband, hatte es eine Flut von offiziellen Besuchen aus Deutschland gegeben. Hermann Göring, der Reichsluftfahrtminister, kam fünfmal auf Besuch, Himmler zweimal. Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und Robert Ley, der Chef der Deutschen Arbeitsfront und Herausgeber einer stark antisemitischen Zeitung, hatten ebenfalls in der Botschaft gewohnt, dazu eine Vielzahl von Ministern und Generälen. Begleiter mussten untergebracht, Essen und Empfänge veranstaltet, Besichtigungen organisiert und Einkaufsbummel arrangiert werden. »Kein Maß!«, schrieb Hassell in sein Tagebuch. Ganz abgesehen von den politischen Differenzen verletzte auch die Großspurigkeit der Besucher Hassells preußisches Temperament. Göring war der Schlimmste. Zu Hassells Verlegenheit hatte er im Januar bei einem Ball zu seinen Ehren im Palazzo Venezia die Smaragde auf den Tiaras der versammelten adligen Damen geprüft und verkündet, seine Frau besitze größere. Im April machte Göring auf dem Weg nach Neapel wieder in Rom Station: »Göring kommt in den nächsten Tagen ganz streng privat ›fast ohne Begleitung‹ = 5 Eisenbahnwagen!!« Der Besuch fing nicht gut an, als Hassell ihn in seiner Dienstkarosse abholte: »Unser Auto fand er völlig unzureichend; wir müßten, wie Ribbentrop, einen 200pferdigen Mercedes haben. Ich sagte, ich sei nicht Ribbentrop.« Am selben Tag zeigte er Göring Rom und endete am Vatikan als Höhepunkt der Tour. Während sie über den Petersplatz gingen, ignorierte Göring dessen Schönheit und redete über seine außenpolitischen Ziele: »Politische Ausführungen, vor allem zu Ilse, ganz im Stil des aus dem Kadettencorps hervorgegangenen Cäsar: ›Österreich müßten wir nun doch bald schlucken, das sei seine Lebensaufgabe, und die Tschechoslowakei dann auch; er glaube, es würde sich niemand mucksen!‹« Als der Luftfahrtminister schließlich stehen blieb und zum Petersdom aufschaute, war er unbeeindruckt und äußerte: »Ja, jetzt ist das noch das größte Bauwerk Europas, aber bald wird die Kongreßhalle in Nürnberg es weit übertreffen, denn sie ist doppelt so hoch und so breit. Wenn aber gar erst die Berliner Halle fertig sein wird, dann wird man die Peterskirche als Beleuchtungskörper in ihr aufhängen können!« 52

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Hassell kommentierte trocken: »Solche Gedanken inspirierte ihn [sic] der Petersplatz, der unter strahlend blauem Himmel in voller Pracht vor uns lag.« Die Anspannung, den Strom unangenehmer Besucher aus Berlin empfangen zu müssen und so zu tun, als stehe er loyal zum NS -Regime, forderte ihren Tribut. Er wurde wegen stressbedingter Verdauungsprobleme behandelt, und sein Arzt setzte ihn auf eine spezielle Diät. Wiederholt stellte Hassell sich die Frage, ob es richtig sei, einem Unrechtsstaat zu dienen. Stets kam er jedoch zum selben Schluss: »von außen« werde es unmöglich sein, die Außenpolitik der Nazis zu beeinflussen. Das Vorspiegeln der Loyalität war ein notwendiger Kompromiss, wenn er weiter für seine Prinzipien kämpfen und seinen Traum von einer besseren Zukunft Deutschlands innerhalb der Vereinigten Staaten von Europa am Leben halten sollte. »Pour moi l’Europe a le sens d’une patrie« (Für mich ist Europa wie ein Vaterland) – eine außergewöhnliche Äußerung für seine Zeit. Im Herbst 1937  erkannte Hassell jedoch die Unmöglichkeit seines Traums. Mussolinis Euphorie nach der Deutschlandreise zeigte, dass ein förmliches Bündnis mit Hitler unausweichlich war. In dem festen Glauben, eine solche Übereinkunft werde zum Krieg führen, besonders bei zwei so unberechenbaren und aufbrausenden Staatschefs, versuchte Hassell Hitler zu überzeugen, das Bündnis mit Italien auf kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu beschränken. Er hielt auch dann noch daran fest, als Mussolini und Göring ihn gewarnt hatten, weiterer Widerspruch könne zu seiner Entlassung durch Hitler führen. Sein einsamer Feldzug belastete auch seine Familie. Obwohl seine Frau Ilse und die vier Kinder entschieden gegen die Nazis waren, mussten auch sie ein Doppelleben führen. Die Söhne Hans Dieter und Wolf Ulli waren auf der Schule bzw. der Universität, aber die 19-jährige Fey und die 25-jährige Almuth lebten in der Villa Wolkonsky. Wegen der Gestapospitzel in der Botschaft hatte die Familie kein Privatleben mehr und keine Gelegenheit, ihre Feindschaft gegen das Regime offen auszusprechen. Nach der Nacht der langen Mes53

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ser begann Fey, damals fünfzehnjährig, Alpträume über die Nazis zu heben, die sie in ihrem Tagebuch aufzeichnete: »Ich träumte vom Golf von Neapel, das Meer lag fast schwarz unter einem intensiven gelben Vollmond. Langsam veränderte sich der Mond und nahm die Züge von Hitlers Gesicht an. Das Gelb wurde erdfarben und dann wie aus Eis. Zuletzt sah Hitlers Gesicht wie ein Totenkopf aus.« Mit sechzehn ­Jahren trat sie der örtlichen HJ -Gruppe bei, wo sie von einem jungen Mann schikaniert wurde, der als Gärtner in der Botschaft arbeitete. Er wollte den Gruppenleiter, einen guten Freund von ihr, verdrängen und hatte sich in Berlin beschwert, dieser sei ungeeignet, weil er die Gruppe in die Kirche mitnehme und in der »besseren Gesellschaft« verkehre. Feys Reaktion war die Formulierung eines Briefs nach Berlin, der ihre Unterstützung für den Leiter bekundete und für den sie die Unterschriften von zwanzig weiteren Mitgliedern sammelte. Als der Gärtner dies herausfand, forderte er sie auf, den Brief herauszugeben, und drohte, sie anzuzeigen, weil auf solche Aktivitäten in Deutschland jetzt die Todesstrafe stünde. Fey fand die Drohungen absurd, aber dennoch bedrückend. Vor dem Essen in der Villa Madama 1937  hatte es einen weiteren unangenehmen Zwischenfall gegeben, der ihre ältere Schwester ­Almuth betraf. Nach dem Aperitif in der Botschaft waren Hassell und seine Frau mit Heydrich und Himmler zu den Dreharbeiten für Antonius und Cleopatra in die neuen von Mussolini gebauten Filmstudios nach Cinecittà gefahren. Almuth fuhr in einem der Botschaftswagen mit Heydrich und seinem Stellvertreter Kurt Daluege. Bei der Ankunft ging sie zu ihren Eltern und bat sie ruhig, auf der Rückfahrt bei ihnen mitfahren zu dürfen, weil sie die kruden Scherze der Gestapochefs nicht aushielt. Der unausweichliche Schritt gegen Hassell kam am Tag nach Himmlers und Heydrichs Abreise aus Rom. Am Abend des 21. Oktober landete Joachim von Ribbentrop, der deutsche Botschafter in London, auf einem Militärflughafen außerhalb der Stadt. Der Zweck seiner Reise war geheim; die Presse berichtete, es sei ein privater Besuch mit seiner Tochter, die sich von einem Autounfall erholte. In 54

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Wirklichkeit kam Ribbentrop als Sonderbotschafter des Führers zu einem Geheimtreffen mit Mussolini. Er sollte den Diktator dazu bringen, dem Antikominternpakt beizutreten, einem Bündnis Deutschlands und Japans gegen die Ausbreitung des Kommunismus. Hassell empfing Ribbentrop am Flughafen. Als dieser aus dem Flugzeug stieg, überreichte er Hassell ein von Außenminister K ­ onstantin von Neurath unterzeichnetes Dokument, das Ribbentrop ermächtigte, alle Verhandlungen mit dem italienischen Diktator zu führen. Hassell durfte nicht mal an dem Treffen teilnehmen. Er sah es als persönlichen Verrat an; nur wenige Stunden vorher hatte Neurath ihm die Autorität zugesichert, Ribbentrops Plan zu durchkreuzen. Am Abend des nächsten Tages war der Beitritt Italiens zum Antikominternpakt beschlossene Sache. Er zeigte die Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik gegenüber England und Frankreich und wies nach Hassells Meinung in Richtung Weltkrieg. Mussolini unterzeichnete den Vertrag erst am 6. November. In der Zwischenzeit argumentierte Hassell bei Treffen mit Ribbentrop und Neurath weiterhin dagegen und lehnte den Pakt als »Blockbildung und gefährliche Abenteuerpolitik« ab. Wiederholt bat er um eine Privataudienz bei Hitler, um ihn davon abzubringen, Italien in den Pakt aufzunehmen. Doch der Führer wollte ihn nicht sehen. In Deutschland wie in Italien forderten Hassells Feinde bereits seine Ablösung. Am 27. Oktober traf Ciano mit Rudolf Heß zusammen, der ebenfalls in Rom war. »Ich ergriff die Gelegenheit, um von Hassells Kopf zu fordern, weil er schon zu lange ein doppeltes Spiel treibt. Ich habe die Gründe für unser Misstrauen ihm gegenüber dokumentiert. Heß nickte und wird mit dem Führer darüber sprechen. Er bat mich um Vorschläge für einen Nachfolger. Ich sagte ihm, ein Parteimann wäre in Ordnung. Das Bündnis zwischen zwei Ländern beruht vor allem auf der Identität der politischen Systeme, die ein gemeinsames Schicksal bestimmt. Simul stabunt, simul cadent. [Gemeinsam stehen wir, gemeinsam fallen wir.]« Anfang Dezember wurde Hassell entlassen. Die Demütigung war so groß für ihn, dass er die Einzelheiten nicht im Tagebuch festhielt. Es war Fey, die notierte: »Papa sagt, ihm bleibe nichts mehr zu tun, 55

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er könne das Schlimme nicht aufhalten. Und er fügt hinzu, recht sei ihm nur, daß er nicht selbst um seinen Abschied bitten muß, da sicherlich Ribbentrop und Ciano für seine Absetzung sorgen werden mit der Begründung, er sei für beide Regierungen eine Persona non grata, weil er sich ihrer aggressiven Politik in den Weg zu stellen suche.« Eine von Hassells letzten Handlungen vor der Abberufung war die Bitte an Himmler, der sich erneut in Rom aufhielt, die Verfolgung des Physikers und Nobelpreisträgers Werner Heisenberg zu beenden. Er war öffentlich in der SS -Zeitung Das schwarze Korps angegriffen worden, weil er es ablehnte, sich von Einsteins Relativitätstheorie zu distanzieren. Der Artikel nannte Heisenberg einen »weißen Juden« – ein NS -Begriff für judenfreundliche Arier –, der »verschwinden« müsse. Bei dem Gespräch in der Botschaft wiederholte Himmler, er werde Heisenberg nur rehabilitieren, wenn er sich von Einsteins Theorie löse. »Politik und Diplomatie verschaffen reiche Erfahrung auf dem Gebiete der Intrigen und Lügen«, schrieb Hassell im Januar 1938. Damals erwartete er noch, Hitler werde ihm einen anderen Posten anbieten. Nachdem er während seiner ganzen Karriere die Schmeicheleien seiner Zeitgenossen aus der Weimarer Republik gehört hatte, die ihn für den begabtesten Diplomaten seiner Generation hielten, litt er an Hybris. Er konnte nicht glauben, dass alles vorbei sein sollte. Seine Liebe zu Deutschland hatte auch sein Urteil getrübt. Obwohl die Anzeichen offensichtlich zunahmen – und von ihm gesehen wurden –, konnte er nicht glauben, dass sein Land sich ganz hinter die Nazis stellen werde. Diese »Gangster«, wie er sie nannte, seien nur eine vorübergehende Verirrung. Sobald sie entfernt seien, würde Deutschland wieder von der traditionellen preußischen Führungsschicht regiert werden. Die Reichskristallnacht – das Pogrom gegen die Juden am 9. November 1938 – war ein Wendepunkt für Hassell. Unter dem Vorwand des Mordes an dem deutschen Diplomaten Ernst von Rath durch einen jungen polnischen Juden in Paris führten SS und Gestapo mit Unterstützung zahlreicher Bürger im ganzen Reich eine Welle von Attacken auf Juden durch. Rund 250 Synagogen wurden angezündet, gleichzeitig über 7000 jüdische Läden und Firmen geplündert und jüdische Fried56

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höfe, Krankenhäuser, Schulen und Wohnungen zerstört, während Polizei und Feuerwehr zusahen. Dutzende Juden wurden ermordet und über 30 000 jüdische Männer festgenommen und in Konzentrationslager wie Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau gebracht. »Ich schreibe unter dem schwer lastenden Eindruck der niederträchtigen Judenverfolgung nach der Ermordung von Raths«, schrieb Hassell am 25. November in sein Tagebuch, zwei Wochen nach den Pogromen. »Seit dem Weltkriege haben wir noch niemals so an Kredit in der Welt verloren wie dieses Mal … Die wirklich schwere Sorge bezieht sich auf unser inneres Leben, das immer vollständiger und eiserner von einem solcher Dinge fähigen System erfaßt wird. … Tatsächlich unterliegt es keinem Zweifel, daß es sich um einen amtlich organisierten, zu ein und derselben Nachtstunde in ganz Deutschland losgelassenen Judensturm handelt – eine wahre Schande!« Zwei Tage später traf er sich mit Hugo Bruckmann, einem Verleger und frühen Unterstützer Hitlers: »Unterhaltung mit B[ruckmann] und Professor A. v. M[üller], was man tun könnte, um den Abscheu gegen diese Methoden zum Ausdruck zu bringen. Leider ergebnislos: ohne Macht hat man kein wirksames Mittel; einzige Folge wäre vielmehr Mundtotmachen oder Schlimmeres.« In den folgenden Monaten traf Hassell sich mehrmals heimlich mit zwei Männern, die seine Haltung teilten. Es waren Generaloberst Ludwig Beck, der gerade aus Protest gegen Hitlers Politik zurückgetretene Chef des Generalstabs des Heeres, und Carl Friedrich Goerdeler, ehemals Bürgermeister von Leipzig und Reichskommissar für Preisüberwachung. Gemeinsam bildeten sie unter Becks Führung den Kern des deutschen Widerstands, dessen Hauptziel die Beseitigung Hitlers und der Sturz des NS -Regimes war.

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8 Ebenhausen, Bayern, 6. März 1943 Das Haus, das einmal Hassells Schwiegervater Großadmiral von Tirpitz gehört hatte, stand allein am Rand des Dorfes. In der Nähe lag versteckt hinter alten Eiben eine Kirche, im Übrigen hatte man vom Haus aus freien Blick über das ganze Tal. Vom oberen Stock spähte Hassell durch die Ritzen der Fensterläden. Niemand war zu sehen, aber er wurde den Eindruck nicht los, dass er beobachtet wurde. Er nahm sein Fernglas aus der Schreibtischschublade, öffnete die Läden einen Spalt weit und fixierte den baumbestandenen Hügelkamm gegenüber. Als er das letzte Mal geschaut hatte, meinte er, zwei Männer am Waldrand gesehen zu haben. Nach einigen Minuten war er sicher, dass dort niemand sei. Er legte das Fernglas zurück in die Schublade und nahm einen Stapel Blätter heraus, die er in die Tasche stopfte. Dann ging er nach unten und hinaus in den Garten. Er blieb kurz stehen, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe sei, dann lief er über den Rasen zu einem alten Steinhäuschen. Der Garten war schön angelegt, und das Häuschen wirkte wie eine bewusst geplante Grotte. Hassell hatte die Rosen aber mit Absicht über die Ruine wuchern lassen. Er bückte sich, schob das Gestrüpp beiseite und suchte nach dem Loch. Es war ein Ritual, das er jedes Mal bei der Rückkehr nach Ebenhausen befolgte. In seiner Tasche steckten die letzten Seiten des Tagebuchs. Er machte nicht jeden Tag Eintragungen, denn es war nicht sicher, mit belastenden Papieren durch Deutschland zu fahren, und viel zu riskant, sie in seiner Berliner Wohnung zu lassen. Stattdessen wartete er, bis er in Ebenhausen war, um die Ereignisse der letzten ein oder zwei Wochen aufzuschreiben. Grundlage dafür waren Notizen, die er auf Zettel geschrieben und im Futter seines Jacketts verborgen hatte. Dann steckte er die neuen Einträge in die Teedose, die er nahe dem Häuschen versteckt hatte. 58

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Seine Einträge waren nicht so zurückhaltend wie seine römischen Tagebücher. Hassell konzentrierte sich auf die Verschwörung zum Sturz Hitlers und notierte jedes geheime Treffen, jedes Gerücht, das er über die körperliche und geistige Gesundheit des Führers hörte, und jedes Anzeichen für Widerstand. Seine Informanten gehörten zu den höchsten Rängen des NS -Regimes: Generäle beim Oberkommando der Wehrmacht, Agenten der Abwehr (des Militärgeheimdiensts), Außenamtsbeamte und Männer aus Hitlers unmittelbarem Umfeld. Es gab auch Berichte von Hassells Treffen mit Vertretern der amerikanischen und britischen Regierung, die einen Staatsstreich fördern könnten, wie er und Beck hofften. Für Hassell war das Tagebuch ein Dossier. Er arbeitete eng mit Hans Oster und Hans von Dohnányi zusammen, führenden Verschwörern bei der Abwehr, die ebenfalls Material über die Verbrechen des Regimes sammelten: Gräueltaten von SS und hohen Nazis, kriminelle und unmoralische Praktiken in der HJ , Profitmacherei und Gesetzesverstöße, Misshandlung von Gefangenen in Deutschland und den besetzten Ländern und Verfolgung der Juden. Das Material sollte nicht nur dazu dienen, Schlüsselpersonen von der Notwendigkeit eines Regimewechsels zu überzeugen, sondern auch die Täter bei Gerichtsverfahren zu belasten. Die Gefahr für Hassell war so groß und der Inhalt des Tagebuchs so explosiv, dass er es im Mai 1942 unterbrechen musste. Er ließ es im Versteck und hatte erst im Spätsommer wieder den Mut es weiterzuführen. »Ich habe leider seit mehreren Monaten keine Aufzeichnungen machen können, weil mir Ende April gewisse Nachrichten, die ich erhielt, gesteigerte Vorsicht zur Pflicht machten«, schrieb er am 1. August. Die Informationen kamen von Ernst von Weizsäcker, Hassells Maulwurf im Außenamt. Obwohl er als Staatssekretär einer der höchsten Beamten des Ministeriums war, traf er sich regelmäßig mit Hassell, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Sie waren seit Langem befreundet, und Weizsäcker wollte zwar nicht seinen Posten aufgeben, bekundete aber Unterstützung für den Sturz Hitlers. Am 29. April 59

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hatte er Hassell gebeten, ihn in seinem Haus zu besuchen. Hassell nahm an, es gehe um Hitlers jüngste Umbesetzung des Außenamts, doch zu seiner Bestürzung hatte Weizsäcker ihn zu sich gerufen, um den Kontakt abzubrechen. »Er schloß sorgfältig Fenster und Türen, erklärte sehr scharf betonend, er müsse sehr ernste Sachen mit mir besprechen, lehnte scherzhafte Antwort brüsk ab«, schrieb Hassell. »Er müsse mich ersuchen, ihn bis auf weiteres ›mit meiner Gegenwart zu verschonen‹.« Der Staatssekretär hatte Gerüchte gehört, man habe Hassell das ­Regime kritisieren und Hitlers Ablösung fordern hören, und sagte, dies habe ihn selbst in große Gefahr gebracht und »schlaflose Nächte gekostet.« »Als ich aufbegehrte, unterbrach er mich schroff«, fuhr Hassell fort. »Er überhäufte mich dann, erregt umhergehend, mit schwersten Vorwürfen. Ich sei unerhört unvorsichtig gewesen, ganz unerhört, ebenso übrigens ›mit Respekt zu vermelden‹ meine Frau. Das wisse man an gewissen Stellen [d. h. bei der Gestapo], behaupte auch, Material zu haben. Er müsse mich aufs schärfste auffordern, diese Art und Weise einzustellen usw. Sobald ich zu unterbrechen suchte, fuhr er auf und sagte immer wieder: ›Verstehen Sie mich doch! Wenn Sie mich nicht verstehen wollen, dann muß ich abbrechen!‹ … Ich ahnte gar nicht, wie ›die Leute hinter mir her‹ seien; ich würde auf Schritt und Tritt beobachtet: ich sollte nur ja alles verbrennen, was ich etwa an Aufzeichnungen hätte, womöglich über Gespräche, bei denen man das eine oder das andere sage (offenbar er selbst).« Als Hassell es im August für sicher hielt, das Tagebuch wiederaufzunehmen, schmerzte die Behandlung durch seinen Freund immer noch: »Dagegen ärgert mich dauernd der Gedanke an meine Unterhaltung mit K. [Weizsäcker], weil – auch wenn man alle taktischen Überlegungen, die denkbar sind, berücksichtigt und sogar anerkennen will – ein Verfahren übrig bleibt, was mir milde gesagt unbegreiflich bleibt.« Er bemühte sich, das Verhalten seines Freundes zu entschuldigen, und gab die Schuld den Umständen, unter denen die Gegner des NS -Regimes handeln mussten: »2. die von ihnen angewendeten Tscheka-Methoden, 3. ihre Minderwertigkeitskomplexe gegenüber der Oberschicht, 4. ihre instinktive Abneigung gegen jede 60

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wirkliche Persönlichkeit, 5.  die Tatsache, daß jede Opposition und Kritik auch aus den deutschesten Motiven als Verbrechen angesehen wird.« Seine Zusammenfassung endete mit einer für ihn charakteristischen trotzigen Bemerkung: »Persönlich war mir am interessantesten, daß nach beglaubigten Nachrichten eine unmittelbar gegen mich (und angeblich auch Ilse) gerichtete Abneigung Hitlers vorliegt. Nach der ganzen Entwicklung, die dieser Mann leider genommen hat, muß ich das als eine Ehre ansehen. Die Seiten, die Hassell an diesem kalten Märzmorgen im Versteck deponierte, zeigen seine Frustration: »Manchmal bin ich Berlin sehr satt. Ich habe Lust, nach E[benhausen] auszuwandern und nur zu schriftstellern. Aber es wäre doch wohl falsch und feige.« Wie Hassell und sein Kreis erkannten, bedeutete ein Staatsstreich nicht nur, Hitler zu ersetzen; man musste dem Machtapparat, der von Hundertausenden SS - und Gestapomännern gestützt wurde, die Kontrolle entwinden. Durchführung und Erfolg des Staatsstreichs hingen darum vom Militär ab: Einzig die Wehrmacht besaß die Waffen und die Macht, die für einen Regimewechsel nötig waren. Noch vor Kriegsbeginn hatten Beck, Goerdeler und Hassell ihre Energie darauf gelenkt, hohe Wehrmachtsoffiziere auf ihre Seite zu ziehen. Obwohl aber einige von ihnen von der Notwendigkeit überzeugt waren, Hitler zu stürzen, hatten sie keine aktive Unterstützung angeboten. Es gab zahlreiche Hindernisse. Jeder deutsche Soldat hatte einen Treueeid auf Hitler geschworen. Rein juristisch war er Oberster Befehlshaber. Solange er also nicht beseitigt war, konnte man nicht auf die Wehrmacht zählen. Außerdem war auch ohne den Treueeid die Haltung der meisten Offiziere vom Erfolg von Hitlers Kriegführung bestimmt. Solange der Diktator Schlachten gewann, sahen die Verschwörer kaum eine Chance, die Wehrmacht zur Mitarbeit zu gewinnen. In den ersten Kriegsjahren erkannten sie, dass die schnellen Siege bis zur Invasion der Sowjetunion und zunächst auch dort Hitlers Stellung gestärkt hatten. »Man kam zu dem Ergebnis, daß auch diesmal 61

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wieder nichts zu erwarten sei«, schrieb Hassell im Sommer 1941. »Es ist erstaunlich, daß in breiten Kreisen grade der Wehrmacht das Prestige von Hitler (nicht der Partei) immer noch groß ist und durch den Russenfeldzug bei Offizieren zunächst noch wieder gewonnen hat.« Für die kleine Gruppe von Generälen, die für die Argumente der Opposition aufgeschlossen waren, gab es ein weiteres Hindernis. Keiner war bereit, sich gegen Hitler zu stellen und einen Frieden mit den Alliierten abzuschließen, solange er nicht die Bedingungen kannte. Die beschämende Niederlage von 1918 und der Friedensvertrag von Versailles hatten zu Hitlers Aufstieg beigetragen, und kein General wollte Deutschland einer zweiten Demütigung aussetzen. Hassells Hauptaufgabe bei der Verschwörung, das Auskundschaften, ob günstige Friedensbedingungen mit den Alliierten möglich seien, war daher von zentraler Bedeutung. Um die Generäle zur Unterstützung eines Staatsstreichs zu bewegen, war seine größte Sorge, die Bedingungen zu klären, unter denen Deutschlands Feinde einem Waffenstillstand oder einem Separatfrieden mit dem »anderen« Deutschland zustimmen würden. Im Austausch gegen einen Regimewechsel und eine Beendigung des Krieges wollte Hassell die britische Zusicherung der künftigen Reichsgrenzen und vor allem das Versprechen, ein durch Hitlers Beseitigung geschaffenes Vakuum nicht militärisch auszunutzen. Zu diesem Zweck arbeitete er seit 1939  unermüdlich und unter hohem persönlichem Risiko an der Ausweitung seiner Kontakte im Ausland. Nach der Rückkehr aus Rom trat er einem Interessenverband namens Mitteleuropäischer Wirtschaftstag bei, der die europäische Wirtschaft studierte. Sein Beruf erlaubte es ihm, frei zu reisen, und er benutzte die Reisen als Deckmantel für seine Widerstandstätigkeit. Obwohl die Stempel in seinem Pass bedeuteten, dass die deutschen Behörden über seine Bewegungen informiert waren, konnte er die Treffen mit Vertretern der britischen Regierung geheim halten. Im Februar und Mai 1940 reiste Hassell nach Arosa in der Schweiz, wo er Kontakt zu James Lonsdale-Bryans aufnahm, einem Mittelsmann des britischen Außenministers Lord Halifax. Da er in Hitlers Beseitigung ein zentrales Kriegsziel sah, schien Halifax bereit, 62

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den Verschwörern Anreize für einen maßvollen Friedensschluss zu bieten. Sir Alexander Cadogan, der ständige Staatssekretär im Außenministerium, sah es jedoch anders. Nach einem Treffen mit ­Lonsdale-Bryans notierte er: »Lächerliche, abgedroschene Geschichte von einer deutschen Opposition, die Hitler stürzen will … diese Geschichte hörte ich zum 100. Mal.« Im Mai 1940 löste Anthony Eden Halifax ab, und Cadogans Haltung setzte sich durch. Hohe Beamte im Außenministerium glaubten nicht, dass ein Staatsstreich gegen Hitler wahrscheinlich oder dass Hassell glaubwürdig sei. In ihren Augen war er als Schwiegersohn von Großadmiral Tirpitz, dem Flottenchef des Kaisers, ein typischer Vertreter der einflussreichen preußischen Kaste, die für den Ersten Weltkrieg verantwortlich gewesen sei, die größte militärische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Außerdem hatte diese Kaste Hitler in den vergangenen Jahren unterstützt, nicht zuletzt Hassell selbst – zumindest auf den ersten Blick –, als er Botschafter auf dem wichtigen Posten in Rom war. Dieser politischen Linie blieb das Außenministerium treu. Anfang 1941  gingen an die britischen Botschaften in Bern, Stockholm und Madrid Telegramme mit dem ausdrücklichen Verbot, künftig auf Friedensfühler von möglichen Anführern eines deutschen Staatsstreichs zu reagieren. Erst nach einem Regimewechsel war England zu Verhandlungen bereit. »Ich bin sicher, daß wir unsere Linie absoluten Schweigens nicht verlassen dürfen. Nichts würde für unsere neuen Freunde in den Vereinigten Staaten verwirrender und im Verhältnis zu unserem neuen Alliierten Rußland gefährlicher sein als die Vermutung, daß wir solchen Ideen nachgehen. Ich bin absolut gegen den geringsten Kontakt«, schrieb Churchill im September 1941 an Eden. Hassell wollte nicht aufgeben. Im Januar 1942 traf er mit Carl Jacob Burckhardt, dem Vizepräsidenten des Roten Kreuzes, in Genf zusammen. Burckhardt sagte ihm, führende Kreise in England seien überzeugt, »mit einem anständigen Deutschland müsse man doch zu einem Arrangement kommen können.« Diese Botschaft widersprach der offiziellen britischen Haltung und Politik. Bei Hassell nährte sie jedoch die Hoffnung, eine Verständigung sei immer noch möglich. 63

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Diese Hoffnungen zerschlugen sich, als Churchill nach der Casablanca-Konferenz mit Roosevelt und Stalin im Januar 1943  verkündete, die Westmächte forderten die »bedingungslose Kapitulation« Deutschlands. Churchill bedauerte später, nicht auf die Friedensfühler der deutschen Opposition eingegangen zu sein. Nach dem Krieg gab er zu, er habe Stärke und Größe der Widerstandsbewegung unterschätzt: »In Deutschland gab es eine Opposition, die zu den edelsten und größten zählte, die es in der politischen Geschichte aller Nationen je gegeben hat. Diese Männer kämpften ohne Hilfe von innen oder außen, einzig angetrieben von der Unruhe ihres Gewissens.« »Wenn die Josephs [Generäle] den Ehrgeiz hatten, mit ihrem Eingreifen so lange zu warten, bis klar ersichtlich ist, daß uns der Gefreite in den Abgrund führt, so hat sich dieser ihr Traum erfüllt«, schrieb Hassell als Reaktion auf die alliierte Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation. »Das Schlimme ist nur, daß auch unsere sichere Voraussicht sich bestätigt hat, es werde dann zu spät und jedes neue Regime eine Liquidationskommission sein.« Hassell und sein Kreis erkannten, wenn die Wehrmacht Hitler nicht stürzen wolle, brauche man »irgendeine Teilaktion« – mit anderen Worten, seine Ermordung – in der Hoffnung, »das ganze Gebäude [werde] wie ein Kartenhaus zusammenstürzen.« Ein Mordanschlag schuf aber eigene Probleme. Hitlers jeweiliger Aufenthaltsort war zwar relativ leicht festzustellen, aber es war selten möglich, seine Bewegungen im Voraus zu kennen. Vielleicht wegen seines ausgeprägten Überlebensinstinkts vermied Hitler feste Zeitpläne und reiste, wenn irgend möglich, ganz kurzfristig. Er trug dann eine kugelsichere Weste und eine sehr schwere kugelsichere Kappe mit Bleieinlage, wie sein Adjutant Schmundt berichtete. Auf seinen Reisen waren die Sicherheitsvorkehrungen fast undurchdringlich; er hatte eine eigene SD -Leibwache sowie eine schwer bewaffnete SS -Eskorte. Sein Arzt war immer bei ihm, und er reiste mit einem eigenen Koch. Hitlers Privatflugzeug, eine Focke-Wulf Condor, besaß eine gepanzerte Passagierkabine, und an seinem Sitz war ein Fallschirm 64

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befestigt. Er fuhr immer im eigenen Wagen, und vier verschiedene Wagenkolonnen standen in seinen Hauptquartieren ständig in Bereitschaft. Die Autos hatten kugelsichere Reifen und Fenster und waren stark gepanzert. Es war also entscheidend, dass Hitlers Mörder jemand war, der Zugang zu ihm hatte. Da ein Attentäter nicht aus den Sicherheitskräften kommen würde, die dem Führer fanatisch ergeben waren, standen Hassell und sein Kreis bei der Suche nach einem potenziellen Kandidaten wieder ganz am Anfang. Der Attentäter musste der Wehrmacht angehören – jemand, der Hitler bei seinen Besuchen im Oberkommando nahe genug kommen konnte oder der ihn regelmäßig bei militärischen Lagebesprechungen sah. Hassell war pessimistisch. »Aber was trotz aller Bemühungen immer noch fehlt, ist die Initialzündung.« Er war auch über die Folgen eines gescheiterten Attentats besorgt: »Auch heute ist das Prestige Hitlers noch groß genug, um – wenn er auf den Beinen bleibt – ihm eine Gegenreaktion zu ermöglichen, die mindestens Chaos und Bürgerkrieg bedeutet.« Wenige Tage nach der Konferenz von Casablanca stiegen für kurze Zeit seine Hoffnungen wegen der Ereignisse an der Ostfront. Am 31. Januar kapitulierten 91 000 deutsche Soldaten bei Stalingrad nach einer der heftigsten Schlachten der Weltgeschichte, nachdem die Wehrmacht bereits 200 000 Mann verloren hatte. Obwohl Deutschland schon vorher Rückschläge erlebt hatte  – etwa in der Luftschlacht um England und auf See –, war Stalingrad der erste große Rückschlag zu Lande. »Die letzten Wochen haben die schwerste bisher erlebte Krise dieses Krieges gebracht«, schrieb ­Hassell am 14. Februar 1943  in sein Tagebuch. »Zum ersten Male gelingt es Hitler nicht, die Verantwortung abzuwälzen, zum ersten Male bezieht sich das kritische Raunen unmittelbar auf ihn. Insofern liegt eine echte Führungskrise vor: Die militärische bisher durch einige intuitive Lichtblicke, durch geglücktes Hasardieren, gegnerische Unfähigkeit und Zufälle verdeckte Unfähigkeit des ›genialsten Feldherrn aller Zeiten‹, das heißt des größenwahnsinnigen Gefreiten, steht im Vordergrunde. Das Opfern kostbarsten Blutes für unsinnige 65

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oder ­verbrecherische Prestigegesichtspunkte ist weithin klar. Da es sich diesmal um militärische Dinge handelt, gehen nun endlich auch Generälen die Augen auf, so daß sie erkennen, wohin die Wehrmacht gebracht worden ist und Deutschland im Begriffe steht gebracht zu werden. Angesichts eines Ereignisses, das in der deutschen Krieggeschichte einzig dasteht, sollten ja nun auch dem Blindesten die Schuppen von den Augen fallen.« Am 6. März, nachdem der erhoffte Staatsstreich ausgeblieben war, drückte Hassell seinen Zorn ungebremst aus: »Die zu Beginn meiner letzten Aufzeichnung erwähnte schwere Krise hat leider nicht das berühmte und bitter notwendige, sehnlich erhoffte reinigende Gewitter, nämlich den Systemwechsel gebracht … Alle Bemühungen, den Leuten Eisen ins Blut zu gießen, die mit ihrem Machtinstrument eine halb wahnsinnige, halb verbrecherische Politik stützen, blieben vergeblich. Dabei hätten allein schon die militärischen Ereignisse, das heißt die verantwortungslose Führung durch diesen größenwahnsinnigen, leichtfertigen Gefreiten ihnen den letzten Stoß geben müssen, wenn schon die innere Zersetzung und Zerstörung nicht dazu genügten.« Ungeachtet der Niederlage von Stalingrad konnte Hassell nicht verstehen, wie die Generäle mit ihrem Gewissen lebten. Wenn sie nicht aus politischen oder militärischen Gründen von der Notwendigkeit zum Aufstand überzeugt waren, warum hatten sie nicht auf die Brutalität von Hitlers Kommissarbefehl reagiert, der der Wehrmacht befahl, alle gefangen genommenen Politkommissare an der Ostfront zu ermorden, und vor allem auf den Massenmord an den Juden im Osten? Er konnte die Unbekümmertheit der Generäle kaum glauben, und sein Urteil war vernichtend: »Sie haben wohl technisches Können und physischen Mut, aber wenig Zivilcourage, gar keinen Überblick oder Weitblick und keinerlei innere, auf wirklicher Kultur beruhende geistige Selbständigkeit und Widerstandskraft, daher sind sie einem Manne wie Hitler völlig ausgeliefert. Der Mehrzahl sind außerdem die Karriere in niedrigem Sinne, die Dotationen und der Marschallstab wichtiger als die großen, auf dem Spiele stehenden sachlichen Gesichtspunkte und sittlichen Werte.  … Alle, auf die man gehofft 66

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hatte, versagen, und zwar insofern in besonders elender Weise, als sie alles, was ihnen gesagt wird, zugeben und sich auf die tollsten Gespräche einlassen, aber den Mut für die Tat nicht aufbringen. Mitmachen würden sie alle.« Hassell hatte recht in seiner Meinung über die Generäle als Gruppe, aber er täuschte sich darin, dass kein Einziger bereit sei, bei einem Attentat sein Leben zu riskieren. Während er schrieb, bereitete Generalmajor Henning von Tresckow mit Unterstützung von Generaloberst Beck und hohen Abwehroffizieren einen Anschlag auf Hitler an der Ostfront vor. Weil Hassell seit März 1942 von der Gestapo beobachtet wurde, hatte Beck, sein enger Vertrauter und der anerkannte Kopf seiner Widerstandsgruppe, keine Wahl, als ihn im Dunkeln zu lassen. Der 43  Jahre alte Tresckow war Erster Generalstabsoffizier der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront. Er entstammte einer preußischen Adelsfamilie mit langer militärischer Tradition. Im Lauf von 300 Jahren hatten 21 Generäle dieses Namens dem preußischen Staat gedient. Tresckow selbst hatte mit sechzehn Jahren das Eiserne Kreuz erhalten, als er 1918 an der Marne kämpfte. Ein Kommandeur hatte ihm früh prophezeit, er werde entweder Chef des Generalstabes oder als Rebell auf dem Schafott enden. Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Tresckow enga­ gierter Nazigegner. Wie Hassell trieb ihn die Pogromnacht vom 9. November 1938 in die Opposition. Er empfand sie als persönliche Demütigung und erkannte, »daß Pflicht und Ehre von uns forderten, alles zu tun, um Hitler und den Nationalsozialismus bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu Fall zu bringen und damit Deutschland und Europa vor der Gefahr der Barbarei zu retten.« Nachdem er im Oktober 1941 eine Gruppe von ähnlich gesinnten Offizieren um sich gesammelt hatte, schickte Tresckow seinen Cousin und Adjutanten Fabian von Schlabrendorff nach Berlin, um Beck die Nachricht zu überbringen, der Stab der Heeresgruppe Mitte sei »zu allem bereit«. Zuerst wollte Tresckow aber eine Garantie, dass England bald nach einem Regimewechsel Frieden schließen würde – eine Garantie, die Beck und Hassell ihm nicht geben konnten. 67

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Während im Winter 1942 – 43  die Kriegslage drückender wurde, schickte Tresckow eine zweite Botschaft an Beck, seine Gruppe sei jetzt bereit, Hitler zu beseitigen und damit die »Initialzündung« für den Staatsstreich zu liefern. Bei der ersten Gelegenheit würde sie in Aktion treten. Diese Gelegenheit kam erst Monate später, als Hitler im Januar 1943 das Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte in Smolensk besuchen sollte. Tresckow plante, Hitler während des Essens im Offizierscasino zu töten. Alle um den Tisch herumsitzenden zwei Dutzend Offiziere sollten auf ihn schießen – wodurch die Verantwortung kollektiv wurde und sicher war, dass wenigstens eine Kugel den Sicherheitsgürtel der SS durchdringen und ihr Ziel treffen würde. Es war aber notwendig, den Kommandeur der Heeresgruppe Mitte, Feldmarschall Günther von Kluge, einzuweihen, wenn auch nur, damit er nicht in die Schusslinie geriet. Obwohl Kluge sich als Gegner Hitlers bekannte, würgte er den Plan ab. Er sagte Tresckow, dies verletze die Grundsätze des Offizierskorps, denn es gehöre sich nicht, einen Mann einfach beim Essen zu erschießen. Dann wurde bekannt, dass Hitlers Besuch in letzter Minute abgesagt und auf den 13. März verschoben war. Diesmal wollte Tresckow ihn ermorden, wenn er das Hauptquartier verließ. Ausgesuchte Soldaten entlang des Weges sollten das Feuer mit Maschinenpistolen eröffnen. Auch diesmal musste Kluge informiert und seine Erlaubnis eingeholt werden. Doch in letzter Minute fehlte ihm die Charakterstärke, um dem Plan treu zu bleiben. Nach Schlabrendorffs Zeugnis wandte er immer wieder ein, »weder das deutsche Volk noch der deutsche Soldat würden im damaligen Zeitpunkt eine solche Tat verstehen. Man müsse warten, bis durch die ungünstige militärische Entwicklung die Notwendigkeit der Beseitigung Hitlers allgemein eingesehen werde.« Das Argument war spitzfindig. Tresckow wie Schlabrendorff meinten, der Widerstand des Feldmarschalls rühre wahrscheinlich daher, dass Hitler ihm gerade 250 000  Reichsmark zum Geburtstag geschenkt hatte. 68

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Da sie wussten, dass auf Kluge kein Verlass war, fassten sie einen Ausweichplan, von dem der Feldmarschall nichts wusste: »Wir wollten Hitler nicht erschießen, sondern ihn mittels einer in sein Flugzeug geschmuggelten Bombe während des Fluges beseitigen, um dadurch die politischen Nachteile eines Attentats zu vermeiden und ein Flugzeugunglück vorzutäuschen.« Es war Schlabrendorff gelungen, an britischen Sprengstoff zu kommen, der von gefangen genommenen SOE -Agenten* stammte – ein wichtiger Faktor, denn britische Zünder waren lautlos, während die deutschen leise zischten. Nachdem er den Sprengstoff in zwei Cognacflaschen gefüllt hatte, bat Tresckow Oberst Brandt, der in Hitlers Gefolge reiste, die Flaschen einem Freund im Hauptquartier Rastenburg in Ostpreußen mitzubringen. Die scheinbar unschuldige Bitte wurde erfüllt. Später am Tag flog Hitler nach Rastenburg. Schlabrendorff brachte das Paket zum Flugplatz und wartete auf Tresckows Signal. Dann machte er die Bombe scharf und übergab Brandt das Paket. Die Maschine hob in Begleitung von Jagdflugzeugen ab. Nach Tresckows Berechnungen sollte die Bombe dreißig Minuten nach dem Start explodieren. ­Schlabrendorff schrieb später: »Wir nahmen an, daß die erste Nachricht über den Unfall durch eines der begleitenden Jagdflugzeuge mittels Funkspruch gemeldet würde. Unsere Erregung während dieser Wartezeit war beträchtlich. Aber es geschah nichts.« Nun musste Schlabrendorff sich eine Entschuldigung ausdenken, um das Paket zurückzubekommen: »Wir waren zutiefst erschüttert. War es schon schlimm genug, daß das Attentat selbst mißglückt war, so schien es uns beinahe noch schlimmer, daß die Entdeckung der Bombe unsere Entlarvung und darüber hinaus den sicheren Tod für einen weiten Kreis wichtiger Mitarbeiter bedeutete.« Zu seiner Erleichterung bekam er heraus, dass Oberst Brandt die beiden Cognacflaschen noch hatte. Er flog nach Rastenburg, behauptete, das Paket sei *  Special Operations Executive, eine britische nachrichtendienstliche Sondereinsatztruppe während des Zweiten Weltkriegs.

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verwechselt worden, und nahm es zurück. Erst im Zug vom Führerhauptquartier zurück nach Berlin konnte er die Bombe entschärfen. Er schloss die Tür seines Schlafwagenabteils ab und packte das Paket vorsichtig aus. »Sorgsam entschärfte ich die Bombe und nahm den Zünder heraus. Als ich diesen untersuchte, stellte ich zu meinem Erstaunen folgendes fest: infolge der Betätigung der Zündvorrichtung war die oben beschriebene Flasche mit der ätzenden Flüssigkeit ordnungsgemäß zerbrochen. Die Flüssigkeit hatte den Draht zersetzt, der Schlagbolzen war nach vorne geschlagen, aber das Zündhütchen hatte sich nicht entzündet.« Schlabrendorff suchte die Schuld bei den Briten, denn er glaubte, der Zünder sei einer der wenigen Blindgänger, die bei der Endkontrolle durchgerutscht seien. Es war aber auch möglich, dass der Zünder wegen der extremen Kälte über Russland nicht funktioniert hatte. Eine Woche später, am 21. März, unternahmen Tresckow und Schlabren­ dorff ihren dritten Attentatsversuch auf Hitler. Anlässlich der Feierlichkeiten zum Heldengedenktag sollte Hitler eine Ausstellung eroberter Waffen im Zeughaus Unter den Linden besichtigen. Um etwaige Fragen zu beantworten, war ein Offizier der Heeresgruppe Mitte zu seiner Begleitung abgestellt. Diese Rolle übertrug Tresckow Rudolf-Christoph von Gersdorff, einem überaus mutigen 38  Jahre alten Oberst, der freiwillig diese Selbstmordmission übernommen hatte, um Deutschland zu retten. Gersdorff sollte die Bombe mit einem britischen Zehnminutenzünder unter seiner Kleidung verbergen und sich mit Hitler in die Luft sprengen. Hitler traf pünktlich um dreizehn Uhr in Begleitung von Himmler, Göring und Feldmarschall Wilhelm Keitel, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, am Zeughaus ein. Er hielt eine kurze Rundfunkrede und ging dann zum Eingang. Hier begrüßte Gersdorff mit erhobener rechter Hand den Führer und löste gleichzeitig mit der linken den chemischen Zünder aus. Während die Säure sich durch die Drähte fraß, versuchte Gersdorff so nah wie möglich bei Hitler zu bleiben. Doch als habe dieser eine Vorahnung von Gersdorffs Absicht, weigerte er sich stehen zu 70

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bleiben, um Ausstellungsstücke anzusehen. Er durchquerte rasch die Halle und verließ das Zeughaus nach zwei Minuten. Sein rascher Abgang, der seinen Zeitplan durcheinanderbrachte, wurde sogar in London bemerkt, wo die BBC die Radioübertragung abhörte. Wenige Minuten vor der Explosion eilte Gersdorff in eine nahe Garderobe, um die Selbstmordweste abzulegen. Im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte lauschte Tresckow der Radioübertragung mit einer Stoppuhr in der Hand. Als der Kommentator kurz nach Hitlers Betreten der Ausstellungshalle verkündete, er sei nun zum Ehrenmal gegangen, war Tresckow klar, dass auch dieser Anschlag gescheitert war. In Berlin hatte Hassell, der von Tresckows Attentatsversuchen nichts wusste, neuen Grund zur Verzweiflung. Am 11. März, zehn Tage vor Hitlers Besuch im Zeughaus, hatte er erfahren, sein jüngerer Sohn Hans Dieter sei an der Ostfront schwer verwundet worden. Eine Kugel hatte die Lunge durchschlagen, und er war in Gefahr, an der Wunde zu sterben. Man hatte ihn in ein Feldlazarett gebracht, und Hassell hoffte, er könne von der Front weggebracht werden. Er machte sich auch Sorgen um seinen älteren Sohn Wolf Ulli, der in Frankreich kämpfte. Aber wenigstens Fey und seine beiden kleinen Enkel C ­ orrado und Roberto waren sicher.

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9 Als Fey im Januar 1940 in Ebenhausen Detalmo Pirzio-Biroli heiratete, einen 25-jährigen Kavallerieoffizier, dem sie einige Jahre zuvor auf einem Ball in Rom begegnet war, konnte sie nicht aufhören zu weinen. Das Fest wurde von dem Wissen überschattet, dass der Familie durch Feys Hochzeit und den baldigen Kriegsdienst ihrer beiden Brüder die Trennung bevorstand. »Ich war wütend auf mich selbst, aber die Tränen liefen mir die Wagen herunter«, schrieb Fey. »Später fand ich heraus, dass mein Vater gerade noch seine Rede beenden konnte, bevor er rasch den Salon verließ, weil auch er seine Gefühle nicht beherrschen konnte. Gleichzeitig hatten Almuth und Hans Dieter sich im Keller versteckt, um sich auszuweinen. Es war zu lächerlich!« Als Jungvermählte in Kriegszeiten wussten sie, dass sie nicht viel Zeit zusammen haben würden, aber die ersten fünf Monate ihrer Ehe lebten sie in Detalmos Familienpalazzo in Rom. Als Fey dann im Frühjahr 1940 schwanger wurde, beschloss das Paar, vor der Hitze der Stadt nach Brazzà zu fliehen. Das Anwesen mit der Burg aus dem 12. Jahrhundert und den großen Ländereien war seit über tausend Jahren im Besitz der Familie von Detalmos Mutter, der di Brazzà Savorgnan. »Ich hatte von Bekannten und Verwandten so viel über Brazzà gehört, daß ich wirklich sehr neugierig geworden war. Meine Erwartungen waren zum Glück keineswegs zu hoch geschraubt«, schrieb Fey begeistert an ihre Eltern. »Es ist ein wunderbarer Flecken Erde, abseits von allen Wirren der Stadt. Er liegt auf einer Anhöhe, auf der einen Seite geht der Blick in die Paduanische Ebene, auf der anderen auf eine entzückende liebliche Landschaft wie im Alpenvorland bei uns. Man sieht die schneebedeckten Berge und ist doch in Italien. Das Haus ist groß, es gibt Ställe und Wirtschaftsgebäude und einige Bauernhäuser. … Im Haus gibt es sehr schöne Möbel, es ist mit Geschmack eingerichtet. Detalmo und ich haben im zweiten Stock ein Reich für uns mit pompösem Blick und viel Luft und Licht. … Heute früh war ich mit dem Gärtner in dem großen Gemüsegarten.« 72

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Fey begegnete auch Nonino, dem viel geliebten Diener der Familie: »Nonino war seit 45 Jahren Kutscher, Diener und Chauffeur in Brazzà und regelte alles so vollkommen, dass meine Hauptaufgaben nur darin lagen, die ungefähr 20 Blumenvasen zu füllen, Speisefolgen zu besprechen und mit der Köchin und dem Gärtner einzukaufen.« Das Paar war erst einen Monat dort, als Italien im Juni 1940 England und Frankreich den Krieg erklärte und Detalmo zu seinem Kavallerieregiment abreisen musste. Fey blieb da, um das Anwesen weiter zu führen und auf die Geburt von Corrado zu warten. Sie liebte den Frieden und das Grün von Brazzà, und mit seiner sauberen Luft und der reichlichen Lebensmittelversorgung war es für den Säugling perfekt. Nach Corrados Geburt im November sah sie aber die Ironie ihres stillen, ereignislosen Lebens im Gegensatz zum lauten Gesellschaftsleben in Rom: »Ich erzähle dir nur in wenigen Worten, was ich den Tag über tue«, schrieb sie an ihre Schwester Almuth in München. »Sobald der Kleine angezogen und gefüttert ist, sehe ich in der Küche, bei den Lebensmitteln, der Wäsche und der Hausarbeit nach dem rechten, um sicher zu sein, dass alles so gemacht wird, wie ich will. Dann gehe ich zur Farm und rede mit Bovolenta [dem Gutsverwalter] über alle möglichen Probleme – das Schwein, die Hühner, die Hasen und die Tauben. Er ist nie sehr erfreut, wenn ich komme; wenigstens habe ich diesen Eindruck, weil ich immer Sachen entdecke, die zu unserem Nachteil geregelt werden … Nachmittags kommt ­Corradino in seinen Laufstall. Er redet viel und ist sehr kräftig. Ich sitze dabei und stricke, was ich sehr gern tue, oder stopfe, was ich hasse! Nach dem Abendessen gehe ich gegen zehn Uhr ins Bett und lese.« Als Almuth einige Monate später zu Besuch nach Brazzà kam, hatte Detalmo Heimaturlaub. Sie sah das Paar zum ersten Mal seit der Hochzeit und war hingerissen von dem idyllischen Leben weit weg von den Schrecken und Entbehrungen des Krieges. »Ich komme mir wie im Traum hier vor«, schrieb sie an ihre Eltern. »Die Reise ging glatt und ein schmaler, aber reizender Detalmo in Uniform holte mich mit Nonino auf dem Pferdewagen ab. Die langsame Schuckelfahrt durch das duftende, warme südliche Land war zauberhaft. Als wir ankamen, standen Li (Fey), Marina und Cilla unter der Tür. Li ist 73

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eine richtig schöne Frau geworden. Ich mußte sie immer wieder ansehen.  … Wir gingen natürlich sofort Corradino besichtigen, der wirklich das Süßeste ist, was ich je gesehen habe.« Kurz nach Almuths Rückkehr nach München entdeckte Fey, dass sie wieder ein Kind erwartete. »Du weisst, dass ich unendlich traurig wäre, dich zu verlassen, wenn ich jetzt oder nach dem zweiten Baby sterben würde«, schrieb sie an Detalmo. »Sonst wäre ich nicht traurig, denn ich bin in diesen wenigen Jahren so glücklich gewesen. … Ich hatte eine schöne Kindheit, ein wunderbares Beispiel an meinen Eltern für praktisch alles. Ich habe erfahren, was echte Liebe zwischen einem Mann und einer Frau und was die Liebe für das eigene Kind bedeutet.« Im abgelegenen Brazzà schwankte aber ihre Stimmung, und sie war sehr in Sorge um ihre Familie in Deutschland und ihren Bruder Hans Dieter, der an der Ostfront kämpfte. Ihre Mutter hatte ihr geschrieben, ihr Vater werde ständig von der Gestapo beobachtet und die Gefallenenlisten in Russland seien schwindelerregend, berichtete sie Detalmo. Sie wünschte sich, der Krieg wäre vorbei ist und er könne nach Hause kommen. Detalmo war in Civitavecchia, einer Hafenstadt an der Westküste Italiens, und wartete auf die Entscheidung, ob er nach Nordafrika geschickt würde, wo italienische Truppen und Rommels Afrikakorps gegen die Engländer kämpften. Er schrieb an Fey, es sei auch möglich, dass er nach Udine versetzt würde, nur acht Kilometer von Brazzà entfernt. Doch er hatte das Gefühl, es sei illoyal, sein Regiment zu verlassen. Fey drängte ihn, die Versetzung anzunehmen; sie vermisse ihn nicht nur, sondern sie brauche auch seine Hilfe bei der Verwaltung des Anwesens. Als Detalmo ihrer Klagen müde war, schrieb er entschieden zurück: »Ich warne dich nochmal, Fey, mein Liebling: Beklag dich nicht. Klagen sind nicht nur Undankbarkeit gegenüber der Vorsehung, sie können auch Unglück bringen. Heute kam die Nachricht, dass sie Offiziere für die Schiffe nach Nordafrika brauchen. Wenn ich dorthin versetzt werde und monatelang zweimal in der Woche übers Meer fahre, würdest du sagen: ›Wie schön, als er in Civitavecchia war. Warum ist es nicht so geblieben?‹ Vielleicht versuche ich, nach Udine zu kommen, aber auch wenn das nicht passiert, beklag dich nicht! Ich 74

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habe ein starkes Gefühl, dass Klagen in unserer jetzigen Lage Unglück bringen! Du darfst nichts tun, als dich zu freuen und glücklich zu sein und Gott für das zu danken, was wir heute haben, denn bis jetzt haben wir gewaltiges Glück gehabt!« Die Vorsehung schien es jedoch gut mit ihnen zu meinen. Anfang 1942, kurz vor Robertos Geburt, wurde Detalmo tatsächlich nach Udine versetzt. Er sollte die Festungen kommandieren, die sich über die Ebene von San Daniele zogen, sechzehn Kilometer nordwestlich von Brazzà. Sie waren gebaut, um die vielen Armeen abzuwehren, die in den letzten tausend Jahren den Norden Italiens erobern wollten, und viele davon gehörten seinen Vorfahren oder standen auf deren Land. Das ganze Jahr 1942 über blieb Detalmo in Brazzà. Die Kinder gediehen prächtig, und er und Fey berichteten ihren Eltern in Berlin regelmäßig über ihren Fortschritt: »Die beiden Jungen entwickeln sich gut, haben aber ein sehr unterschiedliches Wesen. Corrado ist nervös und einfallsreich, Roberto ist langsam und immer etwas schläfrig«, schrieb Detalmo an seine Schwiegermutter. Für Fey waren die Kinder ein Anker der Stabilität in einer chaotischen Welt. »Ich liebe die kleinen Jungen so sehr«, schrieb sie an ihre Eltern. »Sie sind meine ganze Freude in diesen unsicheren Zeiten.« Fey und Detalmo wussten beide, dass sie weiterhin »gewaltiges Glück« hatten. Wie kaum ein anderer Ort in Europa blieb Brazzà vom Krieg unberührt. Die nächsten Kämpfe gab es Hunderte Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Alpen, und es war eine der wenigen Regionen, die nicht von den Alliierten oder den Achsenmächten bombardiert wurde. Die Idylle stand jedoch vor dem Ende. In einer kalten Nacht im Januar 1943 saß Detalmo vor einem prasselnden Feuer in der Bibliothek und schrieb an seinen Schwiegervater. Es sollte sein letzter Brief an ihn sein: Es ist zehn Uhr abends, und wir sind allein. Fey sitzt an ihrem Schreibpult, und wenn sie spricht, merkt man die Wirkung des Glühweins, den sie gegen ihre Erkältung trinkt. … Ohne Zweifel sind die glücklichsten Menschen Corradino und Roberto, die das Glück haben zwei und ein Jahr alt zu sein. 75

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20 Mal am Tag fallen sie in tiefste Verzweiflung, aber nie länger als 20 Sekunden. Sie haben Glück in Brazzà zu sein, wo es saubere Luft und genug zu essen gibt. Brazzà ist wie eine riesengroße alte Henne, die uns unter ihren breiten Flügeln schützt. Wenige Wochen später erfuhr Detalmo, dass er versetzt würde, nachdem er fast ein Jahr zu Hause gewesen war. Detalmos Loyalität war nicht ganz so offensichtlich, wie sie aussah. Er war nicht nur ein überzeugter Antifaschist und Bewunderer des berühmten italienischen Widerstandsführers Ugo La Malfa alias »­Cornali«, sondern hatte auch viele britische Verwandte und Freunde, für die er nichts als Wärme und Bewunderung empfand. Er war auch teilweise amerikanischer Abstammung, denn seine Großmutter mütterlicherseits, Cora Slocomb, kam aus einer reichen Familie aus New Orleans. Er hatte darum lange gehofft, eine Versetzung werde ihm die Gelegenheit bieten, seine Verbindungen zu den Alliierten auszubauen. Nun, da er als Übersetzer einem Lager mit britischen und amerikanischen Kriegsgefangenen in Mortara bei Mailand zugeteilt war, würde er Zugang zu den Alliierten haben und auch die Chance, mit »Cornali« zusammenzuarbeiten, der Widerstandsgruppen in den Industriegebieten Norditaliens organisierte. Bei seinem Regiment und zu Hause in Brazzà hatte er keine Möglichkeit gehabt, die Verbindungen zum britischen Geheimdienst zu halten, die er in den ersten Kriegsjahren für seinen Schwiegervater genutzt hatte. Im Februar 1940 war es Detalmo, der die Treffen zwischen Hassell und Halifax’ Mittelsmann Lonsdale-Bryans arrangiert hatte, mit dem er bekannt war. Da die Treffen streng geheim bleiben mussten, ließ Detalmo Lonsdale-Bryans nach Arosa in die Schweiz reisen und als Spezialisten auftreten, der Hassells ältesten Sohn wegen einer chronischen Bronchialkrankheit behandelte. Trotz dreier Treffen wurde aber nichts aus Detalmos Initiative. Offensichtlich glaubten die Briten nicht, dass der deutsche Widerstand fähig sei, Hitler auszuschalten und eine demokratische Regierung einzusetzen. 76

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Der Abschied von ihrem Ehemann war schwer für Fey, aber sie a­ kzeptierte, dass seine Versetzung ihm wenigstens die Möglichkeit gab, heimlich gegen das Mussolini-Regime zu arbeiten. Wegen ihrer Abgeschiedenheit in Brazzà fühlte sie sich sicher, ihrem Tagebuch alles anzuvertrauen: »Er ist froh darüber, weil er so mit der Untergrundbewegung von Mailand zusammenarbeiten kann. Obendrein braucht er nicht gegen die Alliierten zu kämpfen«, notierte sie. Auch seine Briefe munterten sie auf: »Fey, mein kleiner Liebling, sei guten Mutes und mach dir keine Sorgen«, schrieb er wenige Tage nach seiner Abreise. »Gib den Kleinen einen Kuss von mir, und ich schicke dir einen dicken, langen Kuss. Ich sehe dich und die Kinder als etwas so Großes und Schönes, dass es mir fast wie ein Traum vorkommt.« Fey sah Detalmo erst im Juni wieder, als er Urlaub bekam, um sie und die Kinder bei ihren Eltern in Ebenhausen zu besuchen. Es bot ihm auch die Gelegenheit, seinen Schwiegervater über die Entwicklungen in Italien zu informieren. Unter den kriegsgefangenen Engländern und Amerikanern in Mortara liefen Gerüchte um, die Alli­ierten bereiteten eine Invasion in Süditalien vor, und während ihres Aufenthalts in Ebenhausen kam die Nachricht, die Briten hätten Pantelleria besetzt, eine kleine Insel südlich von Sizilien. Aufgrund seiner Gespräche mit hohen Anführern der Resistenza war Detalmo überzeugt, eine Invasion werde den Sturz Mussolinis beschleunigen. Er hoffte auch, das Ende des faschistischen Regimes in Italien könne eine Revolte gegen Hitler auslösen. Fey war an den politischen Diskussionen zwischen ihrem Vater und ihrem Ehemann nicht beteiligt. Obwohl sie deren Haltung vorbehaltlos unterstützte, standen die Kinder für sie im Mittelpunkt, und sie war überglücklich, bei ihren Eltern zu sein, die die Jungen seit ­Robertos Geburt nicht gesehen hatten: »Die ganze Familie ist in Ebenhausen versammelt. Ich sitze am Schreibtisch im Wohnzimmer und schaue auf den blühenden Garten. Wie sehr liebe ich diesen Ausblick. Die Kinder erobern alle Herzen. Auch wenn eine Mutter so etwas nicht sagen sollte, ich finde, es sind wirklich ganz goldige und auch wohlerzogene Kinder. Von Detalmo höre ich abends, daß Papa seine Lage in Berlin zunehmend brisanter findet: Sie wollen ihm keine 77

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­ uslandsvisa mehr geben, und er wird ständig überwacht. Außerdem A ist er über das Verhalten der Wehrmacht verzweifelt. Beinahe niemand findet sich, der bereit wäre, die eigene Position oder gar Gefängnis oder Tod zu riskieren, um gegen Hitler vorzugehen.« Einen Monat nach ihrer Rückkehr mit den Kindern nach Brazzà bestätigten sich die Gerüchte, die Detalmo gehört hatte. Am 10. Juli landeten die Alliierten in Sizilien. Wie er vorhergesagt hatte, wurde Mussolini wenig später gestürzt und von den Alliierten an einem geheimen Ort im Apenninengebirge gefangen gesetzt. Detalmo und Hassell, die durch einen geheimen Boten miteinan­ der in Verbindung standen, hatten gehofft, Mussolinis Festnahme werde Hitlers Sturz beschleunigen. Anfang August schrieb Detalmo an Fey: »Ich erwarte Neuigkeiten von deinem Vater, keine persönlichen, sondern allgemeine, wenn du verstehst, was ich meine. Es muss viel da oben passieren. Hoffen wir, es ist zum Besten und nicht zum Schlimmsten.« Auch Fey war in großer Spannung. Sie antwortete: »Ich habe den gleichen Eindruck wie du. Mein Vater muss sehr beschäftigt sein, aber ich bin wie immer pessimistisch; es ist so viel schwieriger für ihn als für die Italiener.« Zwei Tage später schrieb sie erneut: »Wie du dir denken kannst, sind meine Gedanken bei meinem Vater, und ich bin nervös und ungeduldig. Ich habe jetzt wieder das Gefühl, dass er nichts erreichen wird. Ich bin sicher, dass er sein Bestes tut und versucht, aber ich wäre verzweifelt, wenn all seine Anstrengungen erfolglos blieben.« Den Juli und August verbrachte Fey in Brazzà und kümmerte sich um die Jungen und das Anwesen, während Detalmo in Mortara war. »Es ist so schön, wieder frei schreiben zu können und keine Angst vor dem Zensor und der politischen Polizei haben zu müssen«, schrieb er am 2. August. »Ich bin voller Zuversicht. Ich weiß, dass die Gesetze jetzt human, gerecht und vernünftig sind. Schluss mit den unterdrückenden und demütigenden faschistischen Gesetzen. Ich fühle nicht, dass meine Ehre und Würde als Mensch angegriffen wird  … Fey, mein Liebling, es tut mir leid, dass die Ereignisse nicht so waren, dass wir Zeit füreinander hatten. Das Leben ist dynamisch und saust wie der Wind. Die alte Zeit ist vorbei …« 78

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Am 3. September landeten die Alliierten auf dem italienischen Festland bei Salerno, 270 Kilometer südlich von Rom. Detalmo konnte seine Aufregung kaum bezähmen. »Die Ereignisse überschlagen sich!«, schrieb er an Fey. »Die 8. Armee ist in Kalabrien gelandet … Da Russland so unermüdlich gegen die Ostfront drängt, sollte sich die Lage sehr schnell verschlechtern. Deutschland muss sich auf sein Gebiet zurückziehen, und es ist nicht unmöglich, dass der Krieg in Europa in zwei Monaten vorbei ist.« Nicht lange zuvor hatte er sie aufgefordert, beim ersten Anzeichen von Gefahr nach Rom zu gehen und ihre Sicherheit und die der Kinder voranzustellen und die des Besitzes an zweite Stelle zu setzen. Da sie Brazzà nur ungern verließ und es als den sichersten Ort für die Kinder betrachtete, antwortete sie etwas scharf: »Ich bereite alles vor, damit ich abreisen kann, wenn die Dinge sich verschlechtern. Aber ich sage dir eines: Ich möchte Brazzà wegen der Kinder so spät wie möglich verlassen. Hier essen sie gut, und es ist nicht heiß. In Rom ist es heiß, und das Essen wird schlecht sein.« Detalmos lang gehegter Ehrgeiz war es, nach zwanzig Jahren Faschismus am Aufbau einer demokratischen Zukunft für Italien mitzuarbeiten. Der Moment, auf den er gewartet hatte, kam am 8. September, als Italien nach Geheimverhandlungen zwischen Marschall Badoglio, dem neuen Regierungschef, und den Alliierten, kapitulierte. Sobald der Waffenstillstand verkündet war, öffnete Detalmo die Tore des Lagers in Mortara und ermöglichte rund 3000 alliierten Kriegsgefangenen die Flucht. Dann verließ er sein Regiment und ging zu den Partisanen in den Untergrund. In Brazzà ging Feys »stilles und ereignisloses Leben« zu Ende. Wenige Stunden nach dem Waffenstillstand strömten deutsche Truppen über die Grenze, als Hitler Norditalien besetzte. Während diese Ereignisse abliefen, war Fey allein und von Detalmo abgeschnitten. Sie war gezwungen, die größte Entscheidung ihres Lebens zu treffen. War es besser, mit den Kindern in Brazzà zu bleiben, oder war es sicherer, wegzugehen? Unaufhaltsam wurden sie und die Jungen in die Nazikriegsmaschine hineingezogen. 79

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Teil IV 10 Anfang September 1943 trat eine große Wende in Italien ein, die Fey so beschrieb: Ich lebte einsam aber ruhig mit den beiden kleinen Jungen und meiner frisch verheirateten Schwägerin Marina in Brazzà.  … Im Haus und auf der Farm lief alles glatt, und der Krieg schien sehr weit entfernt zu sein. Dann sprach am 8. September unerwartet General Badoglio im Radio und verkündete, zwischen Italien und den Alliierten sei ein Waffenstillstand unterzeichnet worden. Er sagte, für Italien sei der Krieg vorbei. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Abend. Marina und ich aßen mit Augusto Rosmini, einem alten Freund von Detalmos Mutter. Er war ein würdevoller alter Herr mit grauem Haar und Spitzbart, der jeden Sommer nach Brazzà kam. Seit dem Tod seiner Frau trug er all ihren Schmuck unter seinen Kleidern, Ringe an verschiedenen Fingern und Goldarmbänder am ganzen Arm. Er war ein lustiger Mann, »ein guter Kerl«, wie Detalmo sagte. Nach Badoglios Erklärung sahen Rosmini und ich einander schockiert an. Marina konnte vor Freude kaum sitzen bleiben. … Ich dagegen wusste, dass unsere Mühen damit keineswegs vorüber waren. In ganz Italien standen deutsche Truppen, und die Nazis würden nie zulassen, dass das Land den Alliierten in die Hände fiel. Eine Zeit der Unordnung lag vor uns, und Italien konnte viel stärker zum Schlachtfeld werden als bisher. 80

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Schmerzvoll dachte ich an meine Familie in Deutschland; der Briefverkehr würde sicher schwieriger werden. Und Detalmo in Mortara? Was würde mit ihm passieren? Den ganzen nächsten Tag über hörten Fey und Rosmini die Meldungen im Radio. Die Wehrmacht hatte Rom bereits eingekreist und kämpfte mit der italienischen Armee um die Kontrolle der Stadt. Mittags hörten sie, dass deutsche Truppen Bologna, Venedig und Florenz besetzt hatten. Ab und zu kam ein Landarbeiter und brachte die Gerüchte aus der Nachbarschaft. Alliierte Schiffskonvois waren in der Bucht von Neapel gesichtet worden und bereiteten eine Landung nördlich von Rom vor  – was sich später nicht bewahrheitete. Neapel selbst lag nach einem alliierten Bombenangriff in Trümmern. In der Umgebung hatten die Deutschen die Bahnstrecken von und nach Udine übernommen, und Züge mit Truppen und Ausrüstung fuhren nach Süden. Wegen der chaotischen Zustände bei der Bahn wollte Rosmini unbedingt nach Hause, und noch am selben Tag verließ er Fey und Marina, die sich fragten, was zu tun sei. Am nächsten Morgen bat Fey Nonino, die Kutsche vor der Villa vorzufahren. Brazzà war völlig abgeschnitten; keine Post, keine Zeitungen, das Telefon tot. Auch der Bummelzug fuhr nicht mehr. Da sie unbedingt wissen wollte, ob Detalmo dafür sei, dass sie Brazzà mit den Jungen verlassen sollte, wollte Fey sich von Nonino nach Udine fahren lassen, um ihren Mann vielleicht von dort aus anzurufen. Statt der Hauptstraße nahmen sie die Nebenstraße, auf der sie sonst zweimal in der Woche zum Markt fuhren. Während sie die weißen Kieswege zwischen Maisfeldern und vorbei an Farmen und hübschen Dörfern auf den Hügeln entlangrollten, war Fey von dem Frieden besänftigt, der die beunruhigenden Radioberichte kontrastierte: »Es war ein ruhiger, wunderschöner Morgen. Die Feigen hingen an den Bäumen, und die Frauen arbeiteten auf den Feldern und pflegten die Weinstöcke entlang der Straße. Alles schien wie sonst auch. Der einzige Unterschied war, dass die Freudenfeuer der contadini für den Waffenstillstand noch vor den Höfen glimmten. Wir kamen an Frauen auf Fahrrädern vorbei, die Milch zur Molkerei brachten und 81

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die großen Kannen am Lenker balancierten. Jemand rief uns zu, ihre Männer wären von der Armee zurück.« Am Rand von Udine waren die Straßen voller italienischer Soldaten, die in ihre Dörfer zurückeilten. Nachdem sie von ihren Einheiten desertiert waren, hatten viele die Uniform gegen Zivilkleidung getauscht und waren nur an ihren Militärstiefeln erkennbar. Man hatte befohlen, italienische Soldaten in Arbeitslager in Deutschland zu deportieren, und, um der Festnahme zu entgehen, hatten die, die es sich leisten konnten, Wucherpreise für Kleidungsstücke bezahlt. Fey sprach mit einigen Soldaten. Sie erzählten von Chaos und Auflösung in der italienischen Armee, besonders unter den hohen Offizieren, die vor allem »verschwinden« wollten. Bei der Ankunft in Udine ging Fey in ihre gewohnte Bar an der Piazza San Giacomo. Hier hörte sie an Markttagen gern den örtlichen Klatsch. Der Platz aus dem 16. Jahrhundert mit seinem Kopfsteinpflaster und den hohen pastellfarbenen Häusern war einer der schönsten der Stadt, und während sie ihn überquerte, kam ihr die festliche Atmosphäre unpassend vor; massenweise feierten italienische Soldaten die Auflösung ihrer Einheiten, scheinbar gleichgültig gegenüber den anrückenden Deutschen. Sie standen schwatzend in Gruppen herum oder promenierten mit Frauen oder Freundinnen, frisch rasiert und im Schmuck ihrer neuen Zivilkleidung. Fey erfuhr rasch, dass die Deutschen alle Telefonleitungen in Norditalien übernommen hatten, sodass sie Detalmo nicht anrufen konnte. Die Bar war voller Leute, die Gerüchte und Informationen austauschten. Viele kannte sie. Pia Tacoli, die auf einem benachbarten Anwesen in Brazzà wohnte, war gerade nach einer schwierigen Reise aus Mailand eingetroffen. An allen Bahnhöfen hatten Wehrmachtssoldaten den Zug bestiegen und junge Männer nach ihren Papieren gefragt, und sie hatte einige als Frauen verkleidete Deserteure gesehen. Andere berichteten, dass sich viele alliierte Kriegsgefangene – die aus den von Faschisten bewachten Lagern entkommen waren  – in den Wäldern um die Stadt herum versteckten. Die Hauptsorge war aber, dass die kommunistischen Partisanen in den Bergen um Udine in der Zwischenzeit das Gebiet unter ihre Kontrolle bringen würden. 82

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Ein Mann hatte aber berichtet: »Sie sagen, gebt uns bloß eure Waffen, geht nach Hause, und wir kümmern uns um die Deutschen.« Bei der Rückkehr nach Brazzà erwartete Fey fast, Detalmo dort vorzufinden. Es waren so viele Soldaten in der Gegend, dass sie sich vorstellte, ihn jeden Moment die Zufahrt entlangkommen zu sehen. Von dem Besuch in Udine beruhigt, glaubte sie, es gebe keinen Grund, Brazzà zu verlassen. Die Umgebung war ruhig, und außer den Lastwagen mit Wehrmachtssoldaten auf der Hauptstraße – die fünf Kilometer vom Haus entfernt war – hatte sie keine Deutschen gesehen. Am Morgen des 12. September aber, vier Tage nach dem Waffenstillstand, verkündete der deutsche Befehlshaber in Italien, Feldmarschall Kesselring, im Radio, das von deutschen Truppen besetzte Gebiet, also ganz Italien nördlich von Rom, werde unter Kriegsrecht gestellt. Streiks oder alle anderen Versuche des Widerstands würden vor dem Kriegsgericht verfolgt. Eisenbahnen und Post würden unter deutsche Kontrolle gestellt, das bedeutete, Privatbriefe waren verboten und Telefongespräche stark eingeschränkt. Fey hörte Kesselrings Erklärung zusammen mit ihrer Schwägerin Marina. Gleich danach eilte einer der Landarbeiter herein und berichtete, eine große Zahl deutscher Soldaten mit Panzern und Flakgeschützen hätten das siebzehn Kilometer weiter nördlich gelegene Tarcento besetzt; weitere Truppen seien Richtung Udine unterwegs. »Marina geriet in Panik. Sie versuchte mich zu überreden, Brazzà zu verlassen und zu Verwandten in den Süden zu fahren. Mir schien es aber unvernünftig, mit meinen kleinen Kindern zu reisen. Für den Fall, dass Brazzà von den Deutschen besetzt würde, wäre meine Anwesenheit außerdem sicher von Vorteil: Ich sprach ja ihre Sprache und konnte nicht nur unsere Belange vertreten, sondern auch der Bevölkerung in unserer Gegend helfen. Im Augenblick ließ ich mich jedoch von Marina beeinflussen, zudem unser Verwalter Marchetti mir ständig Detalmos Ermahnungen wiederholte, daß im Falle einer Gefahr Haus und Hof jegliches Interesse für ihn verlören; es gelte dann einzig und allein, mich und die Kinder in den Süden zu retten.« Sie packten ein paar Sachen und verließen Brazzà noch am selben Nachmittag. »Es war eine echte Flucht«, erinnerte sich Fey. »Wir 83

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hinterließen alles so, wie es war, und gaben nur einige konfuse Anordnungen für das Dienstmädchen Cilla und für Nonino, Wäsche und Kleider bei den Bauern zu verstecken. Wir gaben unsere Anweisungen aber zu hastig und ungenau; … Auch deshalb wuchs mein Unbehagen, Brazzà zu verlassen, immer stärker.« Die Familien zu verlassen, die für sie arbeiteten, erschien ihr als ein Akt der Feigheit. Zwanzig Bauernfamilien arbeiteten in Brazzà, viele schon seit Generationen. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Pirzio-Birolis und ihren contadini war in einem Agrarsystem verankert, das bis aufs Mittelalter zurückging. Wie im größten Teil Nord- und Mittelitaliens bekamen die Bauern keinen Lohn und mussten den Grundbesitzern auch keine Pacht für ihr Land bezahlen, stattdessen herrschte die mezzadria, eine Naturalpacht. Als Gegenleistung für ihr Haus und die Nutzung der Felder, Farmgebäude, Karren und Pflugtiere, lieferten die Bauern die Hälfte jeder Ernte und die Hälfte des Gewinns aus dem Verkauf von Vieh, Gemüse, Eiern und Milch an den padrone ab. Neben Feldbau und Viehhaltung musste der capofamiglia (Familienvater) auch sein Land in Ordnung halten. In den Wintermonaten musste er die Gräben sauber halten, Mauern und Terrassen ausbessern, Bäume pflanzen, Weinreben beschneiden und Erntewerkzeuge instandsetzen. Dieser Vertrag betraf nicht nur ihn, sondern seine ganze Familie; die Frauen im Haushalt arbeiteten auf den Feldern und molken die Kühe, und auch vierjährige Kinder arbeiteten schon mit, indem sie Tiere fütterten, bei der Traubenlese halfen und das Heu in den Scheunen zusammendrückten. Das Verhältnis zwischen Grundherr und Bauer erforderte eine dauernde persönliche Interaktion, die weit über das Wirtschaftliche hinausging. Der padrone sollte seine contadini leiten und schützen; bei schlechtem Wetter oder Missernten sollte er eine Kapitalquelle sein, an die die Familien sich in Krisenzeiten wenden konnten. Viele Landbesitzer missbrauchten aber das Verhältnis, indem sie ihre Bauern tyrannisierten oder die Abrechnungen manipulierten und so den Anteil der contadini drückten. Mangelnder Kapitaleinsatz und das sofortige Kündigungsrecht des Grundbesitzers waren andere 84

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Quellen der ­Unzufriedenheit, und nach dem Ersten Weltkrieg führte die Härte des mezzadria-Systems zu Streiks und Aufständen in ganz Norditalien. Daraufhin unterstützten die Faschisten die Landbesitzer, schlugen die Aufstände nieder und schufen noch mehr Leid für unterdrückte Bauern auf Gütern, wo das System zusammengebrochen war. In Brazzà war das Verhältnis zwischen den Pirzio-Birolis und ihren Bauern aber harmonisch geblieben. Das verdankte sich vor allem den Anstrengungen von Detalmos amerikanischer Großmutter Cora di Brazzà Slocomb. Ihr Vater, ein Unternehmer aus New Orleans, hatte Mitte des 19. Jahrhunderts eine Kette von Eisenwarengeschäften gegründet und ihr ein Vermögen hinterlassen. Als junges Mädchen war Cora nach Europa geschickt worden, um ihre Erziehung abzurunden. Sie sprach Französisch, Deutsch und Italienisch und siedelte sich mit etwas über zwanzig Jahren in Rom an, wo sie eine versierte Malerin wurde und mit anderen Künstlern und Intellektuellen verkehrte. 1887 begegnete sie im Alter von 25  Jahren Graf Detalmo, einem Wissenschaftler und Ingenieur. Sie heiratete ihn und zog nach Brazzà, wo die Armut der umliegenden Dörfer und der niedrige Bildungsund Hygienestandard sie schockierten. Coras fortschrittliche Ideen bedeuteten, dass sie die traditionelle Art der Wohltätigkeit ablehnte, was für ihre Zeit und Herkunft ungewöhnlich war. Sie glaubte, es sei nicht genug, den Armen Geld zu geben, sondern man müsse ein Mittel finden, um ihren Status zu heben und ihnen mehr Würde zu geben. Als frühe Kämpferin für Frauenrechte beschloss Cora, einen Teil ihres Vermögens einzusetzen, um die Lage der Frauen in Brazzà zu verbessern. Da sie erkannte, dass deren Unterdrückung durch die Armut verschlimmert wurde, versuchte sie sie finanziell unabhängig zu machen. Sie nutzte den Rahmen der existierenden Seidenindustrie, wodurch die Frauen ihre Arbeit auf den Farmen weiterführen konnten. Im Frühjahr züchteten die Bauern in Brazzà Seidenraupen und verkauften sie an die Spinner in Tricesimo, dem Hauptmarkt für Seide im Friaul. Da sie die Chance sah, eine lokale Webindustrie aufzubauen, gründete Cora in einem der Dörfer auf dem Anwesen eine Schule für Spitzenklöppelei. Sie leitete selbst Design und Produktion und gründete nach dem Erfolg der ersten Schule sechs weitere, 85

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­ odurch Hunderte von Frauen aus der Umgebung eine zusätzliche w Einkommensquelle bekamen. Außerdem gründete sie eine Spielzeugfabrik in einer nahe gelegenen Stadt, wo Frauen Stofftiere herstellten, und ermutigte die Familie Delser, eine Keksfabrik für die »Biscotti Brazzà« zu eröffnen. Cora engagierte sich auch für andere soziale Fragen und war Mitte der 1890er-Jahre in den USA berühmt geworden, als sie sich für eine junge italienische Frau einsetzte, die wegen Mordes an ihrem Geliebten verurteilt worden war. Maria Barbella, erst die zweite Frau, die in den USA zum Tode veurteilt worden war, hatte den Mann getötet, nachdem er sie verführt und sein Heiratsversprechen gebrochen hatte. Mithilfe ihrer sozialen Stellung setzte Cora sich erfolgreich für eine Begnadigung ein und rettete Barbella vor dem elektrischen Stuhl. Sie nutzte ihre Bekanntheit auch, um für Spitzen aus Brazzà zu werben, und Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie weltberühmt geworden und gewannen Goldmedaillen auf Gewerbeausstellungen in London, Paris und Chicago. Als Fey Detalmo heiratete, war Cora noch am Leben, aber die beiden Frauen begegneten sich nie. 1906 erlitt Cora mit 44 Jahren einen geistigen Zusammenbruch, von dem sie sich nie wieder erholte, und wurde in eine private Nervenheilanstalt eingewiesen. Sie war sehr beliebt und die Erinnerung an sie blieb unter den Bauern in Brazzà lebendig. Als neue Besitzerin empfand Fey ihnen gegenüber Verantwortung, auch von dem Wunsch motiviert, Coras Vermächtnis zu ehren. Cora wäre nicht weggelaufen. Dieser Gedanke beschäftigte Fey, als sie Brazzà mit Marina und den Kindern verließ. Es gab keine Verzögerung am Bahnhof, und sie nahmen den ersten Zug nach Süden. Es war heiß und überfüllt, und der zwanzig Monate alte Roberto brüllte auf der ganzen Fahrt. Fey glaubte, er spüre die Angst und Nervosität im Eisenbahnwaggon, der voller Menschen auf der Flucht vor den Deutschen war. In Venedig stieg Marina aus, um bei ihrer Cousine, der Fürstin Pia Valmarana zu bleiben, die einen großen Palazzo am Canale Grande 86

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besaß, aber Fey beschloss, weiter nach Padua zu fahren, wo Detalmos andere Cousins, die Papafavas lebten. Den Papafavas gehörte mit Frassanelle eine der schönsten klassizistischen Villen im Veneto. Sie lag rund zwölf Kilometer westlich von Padua und war von einem großen Gut umgeben, das seit dem 13. Jahrhundert in Familienbesitz war. Fey hatte sie noch nicht besucht, aber Detalmo hatte ihr von der prächtigen Villa mit den beiden Hauskapellen und der berühmten Treppe erzählt, die durch den Wald den Hügel herunterlief und die Villa mit der Farm verband. Graf Novello Papafava stammte von den da Carrara ab, die im 14. Jahrhundert Padua beherrschten, und war ein engagierter Antifaschist. Wiederholt hatte er Detalmo die Villa als Zuflucht angeboten. Da sie wusste, dass der Graf acht Kinder hatte, fuhr Fey lieber dorthin als zum Palazzo der Fürstin Valmarana, der voller unschätzbarer Kunstobjekte und teurer Möbel und damit weniger kinderfreundlich war. Außerdem wollte sie weg von ihrer Schwägerin, deren unterschiedslose Vorliebe für die vornehme Gesellschaft, einschließlich ­faschistischer Adliger, sie störte. * Fey und die Jungen verließen Brazzà gerade rechtzeitig. Am Abend besetzten über 2000 deutsche Soldaten die Stadt. »Ich kam auf die Piazza Vittorio, als gerade die meisten Deutschen eintrafen«, schrieb ein Einwohner. »Es gab eine große Parade von Panzern und gepanzerten Wagen – alle von 18- oder 20-jährigen Burschen gefahren. Manche waren noch jünger. Sie trugen kurze Hosen und sahen aus, als hätten sie gerade Fußball gespielt. Sie tun mir leid, wenn ich daran denke, dass ihre Väter und älteren Brüder schon im Krieg gefallen sein müssen, und nun nehmen sie ihren Platz ein und werden wohl dasselbe Schicksal haben. Viele Einwohner sind gekommen, um diese monströse Parade zu sehen. Von niemandem sah ich ein Zeichen der Sympathie für die Deutschen. Keine freundliche Menge. Niemand winkte, niemand hob die Hand. Alle sahen nur zu. Sehr ernst und still. Die Deutschen waren verblüfft, und sogar sie schienen ­sprachlos 87

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wegen des schrecklichen Lärms dieser Fahrzeuge. In der Kaserne haben unsere Soldaten sich ergeben und werden von diesen Kindern bewacht. Die Polizisten sind weggelaufen und haben ihre Pistolen auf die Straße geworfen. Niemand stellt sich den Deutschen entgegen.« Wenige Stunden später hängten Gruppen von deutschen Soldaten Plakate an den Mauern der Innenstadt auf. Sie stammten vom Oberkommando und warnten die Bürger vor den Strafen, die unter dem Kriegsrecht galten: Achtung! Italienische Soldaten, die Widerstand gegen deutsche Befehle leisten, werden als Verräter behandelt! Die Offiziere und Kommandeure dieser Soldaten werden für ihr Handeln verantwortlich gemacht und ohne Nachsicht als Verräter erschossen! Anordnungen für Zivilisten! Zwischen 21 Uhr und 4 Uhr herrscht ein Ausgangsverbot. Alle Waffen im Besitz von italienischen Soldaten oder Zivilisten sind sofort abzugeben. Der unrechtmäßige Besitz solcher Waffen oder anderer Gegenstände, die zum militärischen ­Gebrauch bestimmt sind, wird mit dem Tode bestraft. Plünderungen und Sabotage werden ebenfalls mit dem Tode bestraft. Wer beim Abhören von britischen und amerikanischen Radiosendern erwischt wird, wird schwer bestraft. * Am selben Tag führten Waffen-SS und Fallschirmjäger einen kühnen Angriff auf ein Hotel hoch oben in den zentralitalienischen Abruzzen durch, wo Benito Mussolini gefangen gehalten wurde. Seit seiner Verhaftung am 25. Juli hatten die Alliierten den Ex-Diktator von einem Gefängnis zum nächsten geschafft, um seinen Aufenthaltsort geheim zu halten. Am 26. August entschieden sie sich jedoch für das Hotel Campo Imperatore, ein Skihotel in 2500 Meter Höhe im Gran 88

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S­ asso-Gebirge. Die Hotelgäste wurden weggeschickt und 200 Carabinieri zusammengezogen, um den Gefangenen zu bewachen. Hitler war über die Demütigung seines Verbündeten entsetzt und hatte am Tag nach Mussolinis Festnahme persönlich Otto Skorzeny, einen Hauptsturmführer der Waffen-SS , mit seiner Befreiung beauftragt. Skorzeny hatte viele Wochen gebraucht, um seinen Aufenthaltsort herauszufinden, und zwar durch das Abfangen verschlüsselter Funksprüche. Noch schwieriger war die Befreiung. Das Hotel Campo Imperatore lag am Rand eines Plateaus, was einen Fallschirmabsprung ausschloss. Luftbilder zeigten aber ein kleines Flugfeld in der Nähe. Skorzeny beschloss, mit einer ausgewählten Einheit in Lastenseglern zu landen – eine riskante Aktion, aber die einzig mögliche. Am frühen Nachmittag des 12. September sah Skorzeny bei der Vorbereitung der Landung, dass das Flugfeld nicht flach war, wie er gemeint hatte, sondern am Rand eines steilen Hügels lag. Es blieb nur, mit seinen Soldaten auf dem unebenen, aber flachen Gelände vor dem Hotel zu landen. Nur ein Lastensegler machte eine Bruchlandung, das Risiko zahlte sich aus, und obwohl die Carabinieri in der Überzahl waren, ergaben sie sich den Deutschen, ohne einen Schuss abzugeben, worauf diese das Gelände sicherten. Über Funk forderte Skorzeny eine kleine Fieseler Storch an. Nachdem sie auf dem kurzen, steinigen Plateau aufgesetzt hatte, wurde Mussolini aus dem Hotel geholt und hineingesetzt. Obwohl die Maschine nur für einen Passagier ausgelegt war, bestand Skorzeny darauf, ihn zu begleiten; zwölf SS -Männer hielten sie an den Tragflächen fest, während der Pilot den Motor auf Touren brachte. Auf ein Signal ließen sie los, und das Flugzeug hob ab, gewann aber nicht genug an Höhe, sodass ein Rad einen Felsen streifte. Die Maschine kam vom Kurs ab und senkte sich ins Tal. Nur das Können des Piloten verhinderte den Absturz; er bekam die Maschine unter Kontrolle, zog sie hoch, und Mussolini wurde sicher nach Rom gebracht. Zwei Tage später besuchte er Hitlers Hauptquartier bei Rastenburg in Ostpreußen. Sie kamen überein, dass Mussolini ins deutsch-besetzte Norditalien zurückkehren und von Salò am Gardasee aus den Marionettenstaat Repubblica Sociale Italiana regieren solle. 89

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Italien war nun offiziell geteilt. Die Alliierten und die Regierung von Marschall Badoglio kontrollierten das Gebiet südlich von Salerno, der weit größere Rest war in den Händen von Mussolinis Marionettenregime – de facto den Deutschen. Nach zehn Tagen in Frassanelle bekam Fey einen Anruf vom Gutsverwalter von Brazzà: »Marchetti war verzweifelt: SS -Truppen hatten Brazzà besetzt! Sie führten sich auf, als ob sie dort zu Hause seien und nähmen keine Rücksicht, berichtete Marchetti. Er hatte aber auch eine gute Nachricht für mich: Detalmo hatte sich gemeldet, er halte sich in der Nähe von Mailand versteckt. Ich brach sofort nach Brazzà auf – die Kinder ließ ich in Frassanelle zurück –, ich mußte wissen, was dort vor sich ging.« Die Lage am Bahnhof von Udine war bei ihrer Rückkehr chaotisch. Die Deutschen deportierten Tausende italienische Soldaten in Zwangsarbeitslager im Reich, und jeden Tag passierten drei oder vier Züge den Bahnhof. Die Soldaten waren ohne Wasser und Lebensmittel in Viehwaggons gesperrt, und die Bedingungen im Zug waren schrecklich. Auf dem Bahnsteig mit Fahrtrichtung nach Norden hatten Frauen aus der Stadt, die befürchteten, ihre Söhne und Ehemänner könnten in den Waggons sein, einen langen Tisch mit Brot, Essen und Zigaretten aufgebaut. Wenn die Züge hielten, eilten die Frauen hin, um die Sachen zu verteilen. Andere Frauen sammelten die Zettel auf, die Soldaten in der Hoffnung auf den Bahnsteig warfen, jemand werde sie an ihre Verwandten weiterschicken. Manchmal hielten die Züge nicht, und während die lange Reihe von Waggons den Bahnhof durchfuhr, regneten unzählige Zettel auf den Bahnsteig. Die fünfzehn Jahre alte Rosanna Boratto, die im Zentrum von Udine als Verkäuferin arbeitete, sammelte die Zettel jeden Morgen auf: »Ich wohnte nicht in Udine, stieg dort aber auf dem Weg zur Arbeit aus. Darum konnte ich nur zwischen 7.20  Uhr und 7.50 die Zettel aufsammeln, dann musste ich schnell zur Arbeit. … Die Soldaten warfen sie raus. Man konnte nur ihre Finger sehen, weil die Gitterstäbe in den Fenstern so eng waren, dass sie die Hand nicht hindurch bekamen. Die Zettel flatterten auf den Bahnsteig, und ich hob sie auf, 90

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ohne dass mich jemand daran hinderte. Ich schickte sie nicht gleich weiter, sondern behielt sie in meiner Handtasche. Eines Abends erzählte ich es meinen Eltern zuhause und zeigte ihnen die Zettel, die ich gesammelt hatte. Wir schickten alle ab.« Nonino wartete mit der Kutsche vor dem Bahnhof auf Fey. Auf der Fahrt durchs Zentrum sah sie, dass der Ort ganz anders war, als sie ihn vor zehn Tagen verlassen hatte. Die Deutschen waren überall, und die Einwohner eilten mit gesenkten Köpfen vorbei und wirkten besorgt. Überall hingen die neusten Erlasse des deutschen Oberkommandos an den Mauern von Kirchen und historischen Gebäuden. Einer war über den anderen geklebt worden, als die Zahl der unter dem Kriegsrecht strafbaren Vergehen anstieg. Der jüngste Erlass bezog sich auf alliierte Kriegsgefangene: »Alle alliierten Kriegsgefangenen sind auszuliefern. Italiener, die ihnen Unterschlupf, Nahrung oder Hilfe irgendwelcher Art gewähren, werden schwer bestraft.« Ein weiterer verkündete: »Die deutschen Behörden werden Personen, die Anordnungen nicht befolgen, sofort festnehmen und streng bestrafen.« Vor den Läden beluden Soldaten Wagen mit Nahrungsmitteln und anderen beschlagnahmten Waren. Die Faschisten stolzierten in ihren schwarzen Uniformen durch die Straßen, denn sie waren auf die Posten an der Spitze der öffentlichen Einrichtungen zurückgekehrt, die sie vor dem Sturz Mussolinis bekleideten. »Allgemein haben die Leute Angst, dass sie Rache und Vergeltung gegen die Leute ausüben werden, von denen sie im Frühsommer ersetzt wurden«, berichtete ein Einwohner. Weiterhin schilderte er die Geschäfte, die Faschisten von Depots aus führten, die zuvor der italienischen Armee gehörten: »Leute rollen große Fässer mit Olivenöl nach Hause und tragen große Kaffeesäcke auf dem Rücken weg. Sie holen sogar ballenweise Leder, Leinen, Pelze, Schuhe und Stiefel aus dem Depot in der Via Grazzano. … Die Leute, die das Zeug bekommen, sind die, die wissen, wie man sich behauptet, die Deutsch sprechen oder Freunde der Faschisten sind. Oder sie bezahlen 20 Lire am Eingang, um reinzukommen … Wer in Ungnade steht und beim Plündern erwischt wird, wird erschossen. In einem Lagerhaus sind schon drei Menschen von den Faschisten erschossen worden.« 91

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Als sie Udine verließ, bemerkte Fey, dass nur Frauen, Kinder und Alte auf den Straßen waren. Während der zwanzigminütigen Fahrt nach Brazzà erzählte Nonino ihr, was in ihrer Abwesenheit passiert war. Am 15. September, drei Tage nach ihrer Abreise nach Frassanelle, hatten die Deutschen ein Ultimatum gestellt: Alle Personen zwischen 18 und 45  Jahren, ausgenommen verheiratete Frauen mit Kindern, hatten vier Tage Zeit, eine Arbeitsstelle nachzuweisen. Nach Ablauf dieser Zeit würden die Menschen ohne Arbeit verhaftet und nach Deutschland deportiert werden. Um der Deportation zu entkommen, waren Hunderte Deserteure in die Berge zu den Partisanen geflüchtet. Andere versteckten sich in den Wäldern und in Scheunen. Vor der Flucht hatten sie Gewehre und Munition weggeworfen, sodass Kinder sie fanden und damit spielten. Außerdem hatte es eine Reihe von Morden durch Partisanen gegeben, die aus den Bergen kamen, um Faschisten zu töten und auch jene Personen, die sie der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigten. Beim Einbiegen auf die Zufahrt sah Fey zu ihrer Bestürzung, dass überall Fahrzeuge von SS und Wehrmacht standen: »Bei meiner Ankunft waren die SS -Leute eben im Begriff, Brazzà zu verlassen. Es waren Kampftruppen – kaum kann man sich im eigenen Haus etwas Schlimmeres vorstellen.« Danach war Fey überzeugt, ihr ursprünglicher Instinkt, in Brazzà zu bleiben, sei richtig gewesen. Da die Umgebung in Gesetzlosigkeit versank und die Ankunft weiterer deutscher Truppen möglich war, musste sie vor Ort sein, um das Haus und die Familien, die auf dem Gut arbeiteten, zu beschützen. Spontan beschloss sie, nach Frassanelle zurückzufahren, um die Jungen zu holen. Wenn sie und die Kinder hier lebten und sie so viele Freunde wie möglich versammelte, wäre es für andere Truppen schwer, das Haus zu besetzen. Ihr Plan erwies sich aber als kurzlebig: »In dem Moment, als ich den Zug besteigen wollte, um die Kinder zu holen, kam Nonino auf dem Fahrrad angejagt mit der schlechten Nachricht, daß gleich nach meiner Abfahrt aufs neue deutsche Soldaten das Haus besetzt hätten. Die Offiziere befänden sich gerade in Udine im Restaurant ›Al Monte‹ zum Mittagessen. Dorthin fuhr ich nun sofort und erklärte ihnen – wenn 92

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auch nicht ganz wahrheitsgetreu –, daß ich gerade nach Brazzà zurückkehren wollte, meine Kinder aber noch in Padua gelassen hätte, weil ich nicht wußte, wo ich sie unterbringen sollte, solange sich noch Truppen in unserem Haus befänden. Ich wüßte vor allem auch nicht, wo wir den Winter über bleiben sollten, und wäre ihnen deshalb unendlich dankbar, wenn sie mir ein paar Zimmer überlassen könnten. Erst waren sie unzugänglich, aber dann schlugen sie vor, daß wir uns am nächsten Tag in Brazzà weiter unterhalten sollten.« Entschlossen, so viel wie möglich zu verstecken, solange noch Zeit war, bat Fey die Offiziere, sie nach Hause fahren zu lassen: »In einem wunderschönen Fiat 1500, den sie sicher beschlagnahmt hatten, wurde ich nach Brazzà chauffiert.« Die Offiziere gehörten zum Luftnachrichten-Regiment  200, das für das Radarnetz der Luftwaffe im besetzten Italien zuständig war. Bei einem Treffen mit dem Quartiermeister der Einheit am nächsten Morgen vereinbarte sie, dass sie und die Kinder drei Zimmer im Erdgeschoss der Villa bewohnen würden. Es waren drei der besten Räume im Haus, ein geräumiges Wohnzimmer hatte eine Treppe zum Garten, das andere eine herrliche Terrasse mit Blick auf Modotto, ein pittoreskes Dorf, das Detalmos Familie gehörte. Zufrieden mit dem Ergebnis ihres Treffens kehrte Fey nach Padua zurück, um die Kinder zu holen. Als sie ihren Entschluss traf, war sie sich nicht über die Gefahr im Klaren, die aus den Widerstandsaktivitäten ihres Ehemanns erwuchs. Da sie von Detalmo seit dem Waffenstillstand nichts gehört hatte, wusste sie nicht, dass Agenten des Sicherheitsdiensts ihn in ganz Norditalien suchten. Bei ihrer Rückkehr erlebte sie eine unangenehme Überraschung: »Einer der SS -Offiziere, die bei uns gewohnt hatten, …erkundigte … sich dann nach der Familie Pirzio-Biroli, was mir unangenehm war, aber glücklicherweise wußte ich von dem Verbleib der meisten Familienmitglieder nichts. Er sagte, sie hätten einen Partisanenführer namens Pirzio-Biroli umbringen müssen, und wollte wissen, ob ich darüber informiert sei. Ich hatte keine Ahnung, konnte aber 93

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sofort ausschließen, daß es sich um Detalmo handelte, weil dies in Jugoslawien geschehen war und Detalmo dort nicht sein konnte. Ich dachte eher an Carlo, den Sohn von Onkel Alessandro, … Mit einem befreundeten Leutnant und einigen albanischen Partisanen beschloß er, den kleinen Flughafen von Tirana zu besetzen, der der einzige Flughafen des Landes mit strategischer Bedeutung war. Im letzten Augenblick wurden die Deutschen von einem Spitzel informiert. Die Angreifer wurden überrascht und ohne Ausnahme umgebracht. Der SS -Offizier äußerte außerdem den Verdacht, daß auch noch ein anderes Familienmitglied gegen die Nazis arbeite. Ich dachte sofort an ­Detalmo, aber der SS -Offizier bemerkte nichts, und es gelang ihm nicht, irgend etwas aus mir herauszubekommen. Wir verabschiedeten uns, beide unzufrieden über die Unterhaltung.« Sobald die unangenehme Befragung vorbei war, las Fey zwei Briefe von Detalmo, die in ihrer Abwesenheit gekommen waren. Sie waren mit »Giuseppe« unterzeichnet, ein Deckname, auf den sie sich geeinigt hatten. Sie öffnete schweren Herzens die Umschläge. Obwohl die SS offensichtlich nicht wusste, dass der Mann, den sie suchte, ihr Ehemann war, konnte Detalmo wegen der deutschen Soldaten in Brazzà nicht heimkommen. Ihre einzige Hoffnung war, dass er sich den örtlichen Partisanen anschließen und in den Bergen der Umgebung verstecken würde: Liebe Fey, schreibe mir solange nicht, bis ich Dir eine neue Adresse angebe, denn ich bin viel unterwegs. Auch für mich ist es schwierig, zu schreiben, außerdem weiß ich nicht, ob die Post funktioniert. Was mich betrifft, kannst du jedenfalls beruhigt sein. Es geht mir gut, und ich habe viel zu essen. Mein Leben ist momentan ziemlich abenteuerlich und aufregend. Ich umarme Dich. Giuseppe. Der zweite Brief war drei Tage später, auf den 15. September, datiert. Offenbar hatte er ihre Botschaft mit der Frage bekommen, ob sie Brazzà verlassen solle:

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Liebe Fey, ich weiß nicht, ob Dich dieser Brief erreicht. Ich habe Dir vor ein paar Tagen schon einmal geschrieben. … Ich wollte Dir nur sagen, daß ich jetzt dem Süden entgegenfahre. Bei nächster Gelegenheit will ich versuchen, Dir zu schreiben, aber ich weiß nicht, wann das sein wird. Von hier aus kann ich nicht beurteilen, was das Beste für Dich und die Kleinen ist. Überlege es Dir gut, laß Dir auch von unseren Freunden raten und entscheide dann. Ich kenne die Lage in Friaul überhaupt nicht und kann Dir deshalb keinen Rat geben. Hoffentlich sind wir bald wieder zusammen. Grüß mir Corradino und Robertino. Für Dich viele Küsse. Ich liebe Dich sehr und bin in Gedanken immer bei Dir! Dein Giuseppe. Fey war schockiert, dass Detalmo nach Süden ging. Es konnte nur bedeuten, dass es für ihn zu gefährlich war, im Norden zu bleiben, was immer er auch getan hatte. Für einen Moment kam ihr der Gedanke, seine Aktivitäten im Widerstand könnten ihre eigene Sicherheit und die der Jungen bedrohen. Sie kam aber zu dem Schluss, er hätte ihr in diesem Fall zur Abreise geraten. Sie und die Jungen richteten sich in ihren Zimmern rasch ein. Dann, am 2. Oktober, geschah etwas Aufregendes. »Detalmo hatte mir eine Nachricht zukommen lassen, er sei in Udine und hielte sich bei unseren guten Freunden Giacomuzzi versteckt. Nonino fuhr mich mit der Kutsche, die von unserem Pferd Mirko gezogen wurde, zur Trambahnstation von Torreano. Bei Giacomuzzis angekommen, war unsere Wiedersehensfreude groß.« Detalmo war etwas abgerissen und dünn, aber sonst in guter Verfassung. Fey verbrachte den Abend mit ihm bei den Giacomuzzis. Dort erklärte er ihr, dass er auf der Flucht vor der SS war. Seit dem Waffenstillstand, als er die Tore des Lagers in Mortara öffnete und Tausenden alliierten Kriegsgefangenen die Flucht ermöglichte, hatte er seine Verbindungen in der Widerstandsbewegung genutzt, um einigen Männern zu helfen, über die Alpen in die Schweiz zu kommen oder sich den alliierten Truppen im Süden anzuschließen. 95

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Da Detalmos Rückkehr nach Brazzà unmöglich war, beschlossen sie, er solle versuchen, nach Rom zu kommen, wo er untertauchen und eine aktive Rolle in der entstehenden Untergrundbewegung spielen konnte. Fey dagegen wollte unbedingt in Brazzà bleiben. Es war die beste Umgebung für die Kinder, und sie war zuversichtlich, mit den Besatzungssoldaten umgehen zu können. Außerdem konnte sie dort das Haus und die Bauern vor den Deutschen beschützen. Widerwillig stimmte Detalmo zu. Er sagte, die Entscheidung liege bei ihr, aber beim ersten Anzeichen von Gefahr solle sie nach Frassanelle gehen. Am nächsten Morgen kam Nonino mit der Kutsche zurück. Trotz des Risikos war Detalmo entschlossen, heimlich nach Brazzà zu kommen, um sich von den Jungen zu verabschieden. »Damit er aber nicht von den Deutschen entdeckt würde, fuhren wir über die Felder zum hinteren Garteneingang. Kaum waren wir im Haus, rief ich Ernesta und Mila, die mir in der Küche und mit den Kindern halfen, und schärfte ihnen ein: ›Ihr habt Dr.  Detalmo nicht gesehen. Sollten irgendwelche Deutschen neugierige Fragen stellen, dann sagt, es sei ein Händler gewesen, der landwirtschaftliche Erzeugnisse kaufen wollte.‹ Das alles war ein großes Risiko, aber Detalmos Wunsch war noch wichtiger. Spät am Abend mußte Detalmo uns wieder verlassen. Er schlich durch den Gemüsegarten, an dessen Ende Nonino mit der Kutsche wartete, um ihn nach Udine zurückzubringen.« Mit falschen Papieren fuhr er nach Rom. Fey war stolz auf ihn, obwohl sie nun mit den Kindern allein blieb.

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11 Um ihre kleinen Jungen und die Bauern auf dem Anwesen zu schützen, versuchte Fey, ein gutes Verhältnis zu den deutschen Soldaten aufzubauen. Damit wegen Detalmos Untergrundtätigkeit kein Verdacht auf sie fiele, strengte sie sich an, so entgegenkommend wie möglich zu sein. Rund vierzig Luftwaffensoldaten wohnten im Haus und in provisorischen Baracken im Park. Sie waren auf dem nahe gelegenen Flugplatz Campoformido stationiert und sollten alliierte Flugzeuge über der Region beobachten und die Verteilung von Flugzeugen und Nachschub für Luftwaffenstützpunkte im Süden koordinieren. Fey hatte vor allem Kontakt zu den beiden obersten Offizieren, Major Ottokar Eisermann und Leutnant Hans Kretschmann. Major Eisermann war ein wohlwollender Mann. Er machte die alltägliche Routine des Lebens unter deutscher Besatzung einfacher: »[Er] war um die 45 und etwas korpulent, seine Bewegungen bedächtig. Man merkte gleich, daß er ein großer Bewunderer der Weiblichkeit war, denn er ließ keine Gelegenheit aus, seine Komplimente anzubringen. Die gesellschaftlichen Pflichten, Versammlungen und Offiziersabende schienen ihm eine unangenehme Verpflichtung. Viel lieber ging er morgens spazieren, die Hände auf dem Rücken, begeistert über einen Baum, eine seltene Blume oder über das außergewöhnliche Licht dieser Landschaft.« Kretschmann, sein sehr viel jüngerer Adjutant war dagegen ganz anders. Er war groß, schlank, hatte tief liegende blaue Augen und war der politische Offizier der Einheit. In dieser Eigenschaft sollte er die Soldaten in der NS -Ideologie schulen und ihre Kampfmoral durch Übungsstunden und wöchentliche Vorträge steigern. Wie Eisermann war Kretschmann sehr höflich zu Fey, dennoch war sie von Anfang an vorsichtig: »Kretschmann war zu jung, um die Nazis zu durchschauen, er war von ihnen gleichsam ›erzogen‹ worden. Hitlers Propaganda hatte er kritiklos übernommen, eine eigene Meinung fehlte 97

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ihm völlig. In Gesellschaft bewegte er sich gewandt, spontan und selbstsicher. Er besaß auch einen gewissen Stil, aber man spürte, daß seine Höflichkeit nicht, wie bei Eisermann, angeboren oder anerzogen war. Er hatte sie genau wie die anderen Fächer auf der Militärschule lernen müssen. Aus diesem Grund blieb seine Höflichkeit oberflächlich, und in einem kritischen Moment würde er sie sicher sofort fallenlassen.« Der offensichtlich ehrgeizige Kretschmann hatte eine enge Beziehung zu seinen Untergebenen. Er trank viel und nahm sie in Bars in der Stadt mit, wo er nach dem Essen auf einen Tisch sprang und zu ihrer Begeisterung steppte. Er litt aber auch unter Depressionen, und sein unbeständiges Temperament war ein weiterer Grund für Feys Misstrauen. Während sie rasch gute Beziehungen zu den deutschen Soldaten aufbaute, brachte deren Animosität gegen die Italiener sie in eine schwierige Lage. Sie waren tief verärgert, dass sie Italien verteidigen mussten, nachdem die Italiener sie »verraten« hatten, und dies steigerte sich dadurch, dass zahlreiche Männer aus der italienischen Armee desertierten und es ihnen überließen, gegen die Alliierten zu kämpfen. Die Wut der Soldaten wurde durch die Aktionen der Partisanen gegen Wehrmachtspersonal noch weiter angefacht. Nach dem Waffenstillstand hatten Heckenschützen in der Umgebung mehrere Soldaten getötet. Andere waren in Hinterhalten und bei zufälligen Angriffen auf die Wachtposten von Depots und an den Hauptstraßen gestorben. Daher machten die Soldaten vor Fey und ihren Angestellten und Landarbeitern abschätzige Bemerkungen über die Italiener als »Volk von Eseltreibern und Kastanienröstern«. Mit Ausnahme der Faschisten, die von Mussolinis Rückkehr profitiert hatten, war der Widerwille der Einheimischen gegen die Deutschen ebenso groß. Die Deportationen, die Beschlagnahmung von Lebensmitteln und die Androhung der Todesstrafe und anderer Strafen, wenn sie die Befehle des Kriegsrechts nicht befolgten, erzeugten Hass, der durch ihre Angst gesteigert wurde. Fey sah sich in der Mitte zwischen beiden Gruppen gefangen: »Meine Lage als Deutsche in Brazzà war nicht sehr angenehm. Einer98

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seits lebten Menschen meiner Nationalität im Haus. Trotz ihrer Fehler verstand ich sie und sympathisierte manchmal mit ihnen. Andererseits musste ich die gebotene Distanz einer Italienerin gegenüber den Besatzern wahren. Also behandelte ich die Soldaten freundlich, aber reserviert. Ich zog nur im Interesse von Brazzà und den Einheimischen, die mich um Hilfe baten, Nutzen aus ihnen. Beispielsweise war ich oft versucht, das Angebot anzunehmen, im Auto nach Udine mitzufahren. Selbst in größter Eile lehnte ich aber standhaft ab. Ich wusste, wie solche kleinen Dinge einen falschen Eindruck erzeugen konnten.« Trotz Feys Anstrengungen, es beiden Seiten recht zu machen, verbreitete sich rasch, dass sie ein enges Verhältnis zu den Deutschen pflegte. Nun unternahmen Menschen lange Fußmärsche, um sie zu bitten, bei NS -Funktionären zu intervenieren, entweder für sie selbst, häufiger aber für einen Sohn oder Bruder, der deportiert werden sollte. »Sie hofften, daß ich aufgrund meiner deutschen Herkunft vielleicht etwas für sie erreichen könnte. Leider war das keineswegs immer der Fall. Negativ wirkte sich aus, daß die Deutschen meinen Mädchennamen kannten und das vorangestellte ›von‹ ihnen ausgesprochen verhaßt war. … So lief ich mit mehr oder weniger Erfolg von einer zuständigen deutschen Militär- oder SS -Kommandantur zur nächsten.« Brazzà lag in der Gemeinde Santa Margherita, die neun Dörfer umfasste, vier davon bloße Weiler. Für die 3160 Bewohner hatte sich das Leben seit dem Mittelalter wenig verändert, und jeder wusste, was der andere tat. Die Armut in den eng verwobenen Gemeinschaften, wo fast jeder mit jedem verwandt war und jene, die ein Fahrrad besaßen oder sich Hochzeitskleider leisten konnten, als wohlhabend galten, bedeutete, dass die Kirche und das Leben der anderen viel Aufmerksamkeit erfuhren. In diesen tief frommen Gemeinschaften wachte der Priester über die Moral und das Verhalten seiner Schäfchen und berichtete darüber an den Vatikan. Einmal im Jahr musste er einen Fragebogen ausfüllen, den der Vatikan an jeden Priester in Italien schickte, um über den moralischen und religiösen Zustand seiner Gemeinde Auskunft zu 99

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geben. Seine Antworten für das Jahr 1939, die er aus den Beichten und durch seine Stellung als führende Persönlichkeit gewann, zeigen, wie genau das Leben der Menschen beobachtet wurde: Wie hoch ist der Anteil der Kirchgänger in der Gemeinde?  99 %. Gibt es Gruppen in der Gemeinde, die gegen die katholische Kirche sind oder anti-katholische Propaganda verbreiten? Nein, außer zwei senilen alten Männern, die zum allgemeinen Gespött geworden sind. Wie ist das moralische Verhalten der Gemeindemitglieder? Unter den Jüngeren herrscht ein für diese Zeit typischer Geist der Gleichgültigkeit, und sittenloses Verhalten schleicht sich ein. Tragen Frauen provokative Kleidung?  Ja. Bleiben unzüchtig gekleidete Frauen der Kirche fern?  Ein paar. Betreten Frauen die Kirche barhäuptig?  Nein. Gibt es öffentliche oder private Skandale?  Ja, wegen der laxen Sitten der Frauen. Wie wird darauf reagiert?  Man redet mit ihren Müttern, und es wird in den Predigten angesprochen. Gibt es Flüche oder Trunksucht?  Ein wenig. Gibt es uneheliche Verhältnisse?  Ja, drei. Was ist die Zahl der unehelichen Geburten?  4. Ist der Geist der Familie noch stark?  Ja. 100

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Beten die Menschen noch den Rosenkranz?  Ja, außer wenn sie auf dem Feld arbeiten. Gibt es Juden in der Gemeinde?  Nein. Gibt es okkulte Praktiken und Seancen?  Nein, aber es gibt noch lokalen Aberglauben. Diese Kultur der Beobachtung bedeutete, dass die Bauern in Brazzà, die Feys wahre Loyalität kannten, ihr Informationen anvertrauten, die sie dann vor den Deutschen bewahren musste. Sie wusste, wo Deserteure sich verbargen, wo Landbesitzer auf ihren Gütern alliierte Kriegsgefangene versteckten, sie kannte sogar die Namen der örtlichen Priester, die an der Organisation der entstehenden Widerstandsbewegung in der Gegend mitwirkten. Obwohl das Vertrauen ihrer Angestellten sie rührte, bedeutete es, dass sie Eisermann und Kretschmann anlügen musste, wenn diese sie nach bestimmten Personen oder nach Orten fragten, die als Versteck für Deserteure oder alliierte Kriegsgefangene dienen konnten. Doch die Tatsache, dass die beiden Offiziere sie ins Vertrauen zogen, bewies, dass ihre Strategie funktionierte. Sie hatte sie zu überzeugen versucht, sie sei bloß eine naive junge Mutter. Wenn über den Krieg und die Nazis geredet wurde, äußerte sie keine Meinung, auch weil sie sich selbst nicht traute. Sie wusste, dass sie sich nicht in politische Diskussionen verwickeln lassen durfte, damit ihr Hass auf die Nazis nicht offenbar wurde. Neben der Anspannung, ein doppeltes Spiel mit Eisermann und Kretschmann zu spielen, hatte Fey noch andere Sorgen. Sie hatte ständige Auseinandersetzungen mit Bovolenta, dem Gutsverwalter von Brazzà, der ihre Methoden ablehnte. Er war ein gerissener Mann Ende sechzig, der nicht gern Anweisungen von einer Frau – schon gar nicht von einer Deutschen – entgegennahm, und Fey hegte den Verdacht, er betrüge sie, indem er das Gewicht des Getreides manipuliere, um die Differenz auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Außerdem machte sie sich Sorgen um ihre Eltern in Deutschland. 101

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Da private Briefe verboten waren, hatte sie seit dem Waffenstillstand nichts mehr von ihnen gehört. Die Alliierten bombardierten Berlin und München, und sie wollte unbedingt wissen, ob es ihnen gut gehe. Als sie Major Eisermann ihre Sorgen eröffnete, erlaubte er ihr, die Feldpost zu benutzen, sofern sie sich »Soldat August von Hassell« nenne und eine Feldpostnummer habe. »Hier ist alles Chaos«, schrieb sie Ende Oktober an ihre Mutter. »Ich glaube, Brazzà braucht mein wachsames Auge. Die Lage ist ziemlich schwierig; die Italiener hassen alles Deutsche. Ich habe nichts von dir gehört, was mir große Sorgen macht, besonders wenn ich von diesen schrecklichen Luftangriffen weiß. Dann ist da die Trennung von meinem lieben Mann für wer weiß wie lange, und schließlich ist mein Haus von Soldaten besetzt, so dass ich ein Gast im eigenen Haus geworden bin, ein höchst unangenehmes Gefühl.« Almuth, die bei ihren Elten in Ebenhausen wohnte, antwortete sofort. Sie begann den Brief mit einer kryptischen Nachricht, die bekräftigte, dass die »offizielle« Post – also die Feldpost – ihre einzige Möglichkeit war, in Verbindung zu bleiben: »Mein lieber kleiner Soldat. Offiziell geht die Post wieder, aber nur offiziell. Sag meiner Schwester [d. h. Fey], dass es immer noch keinen Zweck hat, direkt zu schreiben.« Dann beschrieb Almuth die Bombenangriffe auf München und Berlin. Obwohl es beruhigend war, ihre Familie in Sicherheit zu wissen, erhöhte die Nachricht von ihren beängstigenden Erlebnissen Feys Unruhe, und sie war auch darüber besorgt, dass es wegen der Zensur der Feldpost unmöglich war, herauszufinden, was wirklich geschah oder was sie wirklich dachten. Sie konnte nicht beurteilen, wie nahe ihr Vater und sein Kreis vor der Beseitigung Hitlers standen oder wie stark er durch die Gestapo gefährdet war. Vor allem vermisste Fey Detalmo. Er war seit fast einem Monat fort, und in dieser Zeit hatte sie nur eine Nachricht von ihm bekommen, dass er sicher in Rom angekommen sei. Ein Freund hatte sie nach Brazzà mitgebracht. Persönlich überbrachte Nachrichten waren das einzige Kommunikationsmittel, und es gab nur selten eine Gelegenheit dafür. Während der langen einsamen Abende in Brazzà, wenn sie die Jungen ins Bett gebracht hatte, las sie seine Briefe aus Mortara wie102

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der: »Ich vermisse dich und die Kinder sehr. Die lange Zeit in Brazzà endete so plötzlich, dass ich kaum Zeit hatte, ihr Ende zu bemerken. … Liebe kleine Fey, ich möchte, dass du spürst, ich bin immer ganz nah, direkt hinter dir. Darum darfst du keine Angst haben und dich nicht allein fühlen.« Anfang November erfuhr Fey von Major Eisermann, dass starke Wehrmachtsverbände in die Gegend verlegt würden. Nach einer Säuberungsaktion in Gorizia (Görz) im östlichen Friaul waren Tausende der kommunistischen Garibaldi-Partisanen nach Westen geflohen und versteckten sich in den Bergen hinter Brazzà. Sie kontrollierten jetzt einige Straßen und Pässe und bedrohten damit die deutschen Nachschubwege aus Österreich. Am selben Abend schrieb Fey eine kurze, angstvolle Nachricht an Detalmo, da sie befürchtete, die Gegend könne zum Kampfgebiet werden, und schlug vor, mit den Kindern zu ihm nach Rom zu kommen. Zufällig wollte eine Nachbarin am nächsten Tag nach Rom, und sie versprach, die Nachricht zu überbringen. Fey erwartete keine rasche Antwort, aber einige Tage später, als sie im Garten arbeitete, sah sie einen schäbig gekleideten Mann, den sie nicht kannte, die Zufahrt entlangkommen. Es war ein heller, frischer Morgen Mitte November, und die Jungen spielten neben ihr. Sie sah den Mann zur Haustür gehen und den wachhabenden Soldaten fragen, ob sie zu Hause sei. Sofort ahnte sie, dass er dem Widerstand angehörte und sein Leben riskierte, wenn er so offen zum Haus kam. Obwohl die Deutschen sie kommen und gehen ließen und ihre Besucher nicht überprüften, eilte sie über den Rasen und begrüßte den Mann wie einen alten Freund, um den Wachtposten nicht misstrauisch zu machen. Sobald sie allein waren, erzählte der Fremde ihr, er käme aus Rom und habe einen Brief von Detalmo. Sie führte ihn durchs Haus zu ihrem Wohnbereich und versicherte ihm, sie seien sicher. »Er teilte mir mit, dass er im Friaul sei, um in Kontakt zu den Partisanen zu treten. Er blieb eine Weile, und nach der Anstrengung, sowohl mit den Deutschen als auch den örtlichen Einwohnern auf gutem Fuß 103

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zu stehen, war es eine Erleichterung für mich, offen mit jemandem von ›außen‹ reden zu können. Wir sprachen über den Krieg, Detalmo, und ob ich mit den Kindern nach Rom gehen solle. Er sagte, es gebe in der Stadt genug zu essen und nur selten Luftangriffe. Er sagte auch, Detalmo vermisse uns und wolle, dass wir zu ihm kämen.« Detalmos Brief, der erste an Fey seit einem Monat, zeigte, dass er in der römischen Untergrundbewegung aktiv geworden war: Ich bin so froh, die Gelegenheit zu haben, dir zu schreiben. Ich habe die ganze Zeit so viel an dich gedacht, und unsere Trennung hat mir schwer auf der Seele gelegen. Ich habe niemanden von unseren üblichen Freunden gesehen, und niemand weiß, dass ich hier bin. Meine Hauptaufgabe wird diplomatisch sein und wohl Reisen nötig machen. Natürlich ist es noch zu früh, irgendetwas sicher vorherzusagen. Wir waren und sind auf vielen Gebieten sehr aktiv. Soweit ich sehe, werde ich keine militärischen Aufgaben mehr übernehmen. Auch weil ich nicht gerne deutsche Soldaten erschießen möchte. Ich denke immer, sie tragen die Uniform von Hans Dieter. Wir haben immer noch starke Zweifel an der Fähigkeit des italienischen Staatsschiffs, von alleine zu schwimmen. In jedem Fall bündeln wir unsere Anstrengungen für einen umfassenden Kampf, damit es funktioniert. Mein engster Freund wird sich um die Presse kümmern und ich um die Kontakte im Ausland. In meiner Freizeit lese ich politische Ökonomie, schreibe ein paar Artikel für die USA (Propaganda) und anderes. Der Vormarsch in Süditalien ist langsam, aber wir erwarten sehr bald große Aktionen, die das Ganze beschleunigen. Die Krise in Deutschland ist sehr akut und kann von jetzt an jederzeit zu allem führen. Mit einem Wort, ich glaube, wir werden uns vor dem Frühling wiedersehen und dann für immer. Wenn du dich hier sicherer fühlst, besteht die Chance, dass du mit den Kindern im Auto herkommst. Aber nur du kannst beurteilen, was das Beste ist. Stell bei deinen Überlegungen bitte deine Sicherheit und die der Kinder an die erste Stelle, die 104

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Sicherheit unseres Hauses und Eigentums an die zweite. Lass dich nicht durch Trägheit von der Reise abhalten, die Autofahrt ist einfach. In Rom gibt es genug zu essen. … Schick mir eine Antwort ohne Adresse, ohne meinen oder deinen Namen oder Namen von Orten und Leuten. Der Überbringer dieses Briefs wird dir meinen Decknamen sagen. Mein Schatz, ich liebe dich, und du lebst in meinen Gedanken als jemand sehr großes und wichtiges im Leben. Ich möchte bei dir sein und dich etwas trösten. Dies ist eine große Umwälzung, wie andere in der Geschichte. Wir müssen die neue Welt aufbauen. Lass uns nur an diese schwierige Aufgabe denken und vor allem, dass wir mit den Kindern unter dem Segen unserer großen Liebe arbeiten werden. Schieb alle traurigen Gedanken beiseite … Giuseppe Da sie immer noch unschlüssig war, was zu tun sei, blieb Fey eine weitere Woche in Brazzà. Trotz Eisermanns Warnung war die erwartete Offensive gegen die Partisanen ausgeblieben, und obwohl ihre Stellung zwischen Deutschen und Italienern unbehaglich war, glaubte sie, damit umgehen zu können. Sosehr sie Detalmo vermisste, blieb sie doch überzeugt, Brazzà, nicht Rom, sei der beste Ort für die Kinder, und sie wollte nicht fort, bevor es absolut notwendig war. Sie hielt es auch für unwahrscheinlich, dass Brazzà bombardiert werden würde. »Selbst wenn die Front Udine erreichte, bestand eine gute Chance, dass Brazzà unversehrt blieb, weil es nicht an der Hauptstraße lag. Ich war sicher, die Deutschen würden nicht in der Ebene von Udine kämpfen, sondern sich in leichter zu verteidigende Stellungen in den Alpen zurückziehen.« Dann sandte General Montgomery, der Befehlshaber der 8. Britischen Armee, am 28. November auf Radio London eine Botschaft an seine Truppen. Es war über zwei Monate her, dass die Alliierten bei Salerno auf dem italienischen Festland gelandet waren, und der erhoffte »Zweiwochenvorstoß« entlang der Küste nach Rom war von 105

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den deutschen Verteidigern gestoppt worden. Montgomerys Botschaft sollte die Kampfmoral steigern: »Die Zeit ist gekommen, die Deutschen nördlich von Rom zu treiben. Sie sind bezwungen, und wir können jetzt vorrücken.« Da Fey befürchtete, sie könne die Verbindung zu Detalmo ganz verlieren, wenn die Alliierten die Stadt besetzten, fuhr sie wenige Tage später nach Rom. Die Kinder nahm sie nicht mit. Falls sie dorthin umziehen wollten, würde sie nach Brazzà zurückkommen, um sie zu holen. Die Deutschen hatten alle Fahrzeuge beschlagnahmt, auch Taxis, und Fey musste vom Hauptbahnhof Termini laufen. Es hatte keine Gelegenheit gegeben, Detalmo von ihrer Ankunft zu benachrichtigen, und als sie ankam, war es eine Überraschung: »Er traute seinen Augen kaum, als er mich an der Tür sah. Es war so wunderbar, ihn zu sehen, und wir waren so glücklich, wieder zusammen zu sein. So viel war uns beiden passiert, dass es Jahre, nicht Monate zu sein schienen, seit wir uns heimlich am Hintereingang des Parks in Brazzà verabschiedet hatten.« Detalmo wohnte mit seiner Schwester Marina, die aus Venedig gekommen war, in einem Seitenflügel des Familienpalasts in der Via Panama. Die breite von Bäumen gesäumte Straße lag in einem vornehmen Viertel nahe den Katakomben der Priscilla. Marina, nicht Detalmo, war die offizielle Bewohnerin, und da die Deutschen ihn weiterhin im Norden suchten, hatte er seine Ankunft in der Stadt geheim gehalten. Wenn sie Besuch hatte, zeigte er sich nicht, und er traf sich nur mit Freunden, die sich wie er vor den deutschen Behörden versteckten. Fey kam in eine Wohnung, die vor Verschwörungsaktivitäten brodelte. Detalmo arbeitete für den Partito d’Azione, eine Mitte-links-­ Partei im Untergrund. Seine Aufgabe war es, die Verbindung zu britischen und amerikanischen Agenten zu halten, die getarnt in Rom operierten. Die Arbeit, den Boden für die demokratische Regierung zu bereiten, die sie sich nach der deutschen Niederlage erhofften, war gefährlich. Mehrere von Detalmos Freunden waren bereits verhaftet 106

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worden und saßen im berüchtigten Regina Coeli-Gefängnis am Ufer des Tiber. Tag und Nacht kamen und gingen Menschen, und jedes Zimmer wurde für einen anderen geheimen Zweck genutzt. Die Garage diente als Druckerei, wo Karten mit den Frontlinien hergestellt wurden, die entflohenen alliierten Kriegsgefangenen den Weg zu ihren Truppen im Süden erleichterten; der Keller diente zwei Partisanen als Unterschlupf, die hinter Kohlensäcken schliefen, und im ersten Stock war ein kleines Geheimzimmer gebaut worden, wo Menschen sich bei Polizeirazzien verstecken konnten. Andere Zimmer dienten als Versammlungsräume, wie Fey es schilderte: »Viel Zeit wurde damit verbracht, die Einzelheiten beim Verstecken einer bestimmten Person zu diskutieren. Es gab so viele, die versteckt werden mussten – Partisanen, Juden und Politiker im Untergrund. Detalmo hatte gute Verbindungen zum Vatikan und konnte viele in Nonnen- und Mönchsklöstern unterbringen. Da diese dem Heiligen Stuhl gehörten, waren sie extraterritorial und genossen diplomatische Immunität, darum waren sie vor den Deutschen sicher.«* Fey blieb drei Wochen in Rom. In dieser Zeit verschlechterte sich die Lage. Trotz Montgomerys Botschaft an die Truppen konnten weder die 8. Britische noch die neben ihr kämpfende 5. US -Armee die deutschen Linien durchbrechen. Mitte Dezember gruben beide Armeen sich in einer verwundbaren Stellung unterhalb des Klosters Monte Cassino für den Winter ein. Detalmo und Fey war klar, dass die Deutschen sich wahrscheinlich nicht aus Rom zurückziehen würden, wie manche in den Wochen zuvor spekuliert hatten. »Wir diskutierten stundenlang, ob ich mit den Kindern nach Rom kommen oder im Friaul bleiben solle«, schrieb Fey. »Es war in der allgemeinen Unsicherheit schwer zu entscheiden; von einer Minute zur nächsten konnten die Dinge sich dramatisch verändern. Die Lebensmittelversorgung in Rom war *  Mehrere Monate später, im Februar 1944, wurden einige davon von der SS durchsucht.

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unbeständig, und niemand wusste, wie lange noch Nachschub aus den umkämpften Provinzen kommen würde. Rom selbst konnte jederzeit zur Kampfzone werden. Schließlich war aber Detalmos Untergrundaktivität entscheidend, die uns bei Entdeckung alle gefährden würde, wenn wir in der Via Panama wohnten. Also wurde die Idee eines Familienwohnsitzes in Rom fallengelassen.« Fey kehrte am 17. Dezember nach Brazzà zurück. Die Lage in der Umgebung war ruhig, und sie freute sich, wieder bei den Jungen zu Hause zu sein. »Weihnachten stand vor der Tür, das erste, für das Corradino und Robertino alt genug waren. Am Tag nach meiner Ankunft begannen wir zu ihrer großen Aufregung mit den Vorbereitungen. An Heiligabend schmückte ich einen großen Weihnachtsbaum im Wohnzimmer. Als Nonino die Kerzen anzündete, öffnete ich die Türen, und die kleinen Jungen kamen freudestrahlend herein, gefolgt von den Hausmädchen Mila und Ernesta und schließlich den deutschen Offizieren. Sie taten mir leid, weil sie so weit von Zuhause entfernt waren, und ich wollte sie aufmuntern, indem ich sie in unseren Familienkreis einbezog. Einer verkleidete sich sogar als Weihnachtsmann und trug einen dicken Sack auf dem Rücken.« Von nun an gab es nur noch von Zeit zu Zeit Kontakt zu Detalmo. Die Alliierten bombardierten die Züge von und nach Rom und erschwerten es Kurieren, Briefe und Nachrichten zu überbringen. »Ich weiß nicht, was los ist. Keine Nachricht von dir seit langer Zeit«, schrieb er einen Monat nach Feys Abreise. »Es ist sehr beunruhigend, weil ich wissen möchte, wie es dir und den Kindern geht. Ohne Nachrichten fühle ich mich so isoliert … Ich habe die Negative, die du mir gabst, entwickeln lassen, das ist ein starker Trost. Die Mäntel der Kinder aus der Uniform von Großvater Tirpitz sind immer noch etwas groß! Corradino zeigt eine gewisse Ruhe, ein Selbstbewusstsein, aber Robertino schaut verärgert und unglücklich drein, weil er fotografiert wird. Das ist sehr lustig! Ich umarme und küsse dich von ganzem Herzen.« Fey war jetzt entschlossen, bis zum Ende des Krieges in Brazzà zu bleiben. Ihre ganze Furcht betraf den Mann, den sie liebte, und die Risiken, die durch ihre Verbindung zu ihm kamen. Doch die Ereig108

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nisse des nächsten Jahres zeigten, dass diese Furcht deplatziert war. Die echte Gefahr lauerte an dem Ort, von dem sie geglaubt hatte, er werde ihr und den Kindern Schutz bieten.

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12 Der Winter verlief ohne Zwischenfälle. »Wir hörten nie eine Kanone oder das Pfeifen einer fallenden Bombe, während im größten Teil Europas Bombenangriffe und der Apparat des Naziterrors das alltägliche Leben der Menschen bestimmten«, schrieb Fey. Dann wurde im Frühjahr 1944 Standartenführer Ludolf Jakob von Alvensleben zum SS - und Polizeikommandeur in Udine ernannt. Er war vorher Teil der Einsatzgruppe  D gewesen, einer berüchtigten paramilitärischen SS -Formation, die für Gräueltaten in Russland verantwortlich war. Über die Morde seiner Einheit auf der Krim wurde regelmäßig nach Berlin berichtet. So hieß es im Frühjahr 1942: »In der Berichtszeit konnten weitere Erfolge bezüglich der Ermittlung und Unschädlichmachung von unzuverlässigen Elementen aufgrund des weiter ausgebauten V-Männer-Netzes verzeichnet werden. … Vom 16. bis 28. 2. 42 wurden 1515 Personen erschossen, davon 729 Juden, 271 Kommunisten, 74 Partisanen, 421 Zigeuner, Asoziale und Saboteure.« Bei Kriegsbeginn hatte Alvensleben in Polen gedient, wo er in den Monaten nach der deutschen Invasion angeblich 4247 Polen ermorden ließ. Fey wusste nichts von dieser Vorgeschichte. Er kam aus einer alten preußischen Familie, die mit ihren Eltern bekannt war, und in der Hoffnung, sie könne die Verbindung nutzen, um einen Aufschub für Italiener zu erwirken, denen die Deportation drohte, lud sie ihn zum Tee ein. »Da ich wusste, dass er die SS und Gestapo leitete, erwähnte ich einen örtlichen Rechtsanwalt namens Feliciano Nimis, und sagte, Nimis’ Deportation nach Deutschland hätte katastrophale Folgen für die Familie. Zu meiner Überraschung stimmte Alvensleben zu, und der Befehl wurde zurückgezogen.« In der Hoffnung, den Standartenführer zu weiteren Begnadigungen zu bringen, lud Fey ihn noch mehrmals ein, doch es stellte sich heraus, dass Nimis ihr einziger Erfolg war. Der Anblick von Alvens110

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lebens Wagen auf der Straße nach Brazzà wurde von den Bauern auf den Feldern aber bemerkt. Wenige Wochen nach Alvenslebens Ernennung begann die SS mit Razzien in den Dörfern um Brazzà. Die Einwohner nannten sie ­rastrellamenti – Ausharken. Auf der Suche nach Männern zwischen 18 und 45 Jahren gingen die Soldaten von Haus zu Haus und durchkämmten Wälder, Ställe und Scheunen. Den ganzen Winter über hatten die Deutschen versucht, Männer im waffenfähigen Alter zu verpflichten. Wegen des Drucks der Alliierten von Süden brauchte die Wehrmacht ebenso Reserven wie die Arbeitsbataillone, die Verteidigungslinien an strategisch wichtigen Punkten in Mittelitalien errichteten. Wiederholt hatte man Befehle erlassen, dass sich Freiwillige melden sollten, aber nur wenig waren gekommen, und die Razzien sollten die aufstöbern, die sich versteckten. Die SS -Suchkommandos fuhren von Udine aus los. »Als ich heute morgen an der Kaserne vorbeiging, sah ich eine Kolonne von zehn Lastwagen herausfahren«, notierte Umberto Paviotti, ein Einwohner der Stadt, am 10. Mai. »In jedem saßen rund zehn schwerbewaffnete Deutsche, und auf dem Dach war ein fest montiertes Maschinengewehr. Die Ladeflächen waren leer.« Der vierzig Jahre alte Paviotti war vom Wehrdienst freigestellt, und seine Arbeit als Gewässervermesser bedeutete, dass er sich auf seinem Fahrrad frei bewegen durfte. Einige Tage später radelte er an der Schule vorbei, die die SS als Gefängnis für die verhafteten Männer beschlagnahmt hatte. »Es sind etwa 500. Man sieht sie aus dem Fenster hängen, alle rufen. Draußen stehen viele Frauen, die ihre Söhne und Ehemänner sehen wollen. Drei oder vier Deutsche und gut 20 von diesen verdammten Faschisten halten sie zurück … Ich hörte, die Männer wurden gewaltsam hergebracht, als sie aus Kirchen und Bars kamen, und aus ihren Häusern. Die Deutschen nahmen dabei alles mit, was sie wollten … In Nimis und Qualso haben ein paar von ihnen mit Hilfe der Faschisten alle Dorfbewohner aus den Häusern geholt. Sie hielten sie als Geiseln fest, durchsuchten solange ihre Häuser und nahmen alles Wertvolle mit – Geld, Gold, Silber, Kleidung usw.« 111

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Die Dörfer lagen in einem fünfzehn Kilometer-Radius von Brazzà. In Feletto Umberto, dem nächstgelegenen Ort – nur drei Kilometer über die Felder –, wurden die meisten jungen Männer, insgesamt 26, deportiert. Während die SS -Menschenjagden in vollem Gange waren, wurde auch die Wehrmacht in der Gegend sichtbarer. In Campoformido, der Luftwaffenbasis bei Brazzà, wurden die Bauern von den umliegenden Feldern verbannt. »Die Deutschen bauen Holzflugzeuge und Holzabwehrkanonen als Ablenkung für die alliierten Aufklärungsflug­ zeuge, die über der Gegend fliegen«, schrieb Fey an ihre Freundin Santa Hercolani, die Tochter von Scipio Borghese, dem Fürsten von Sulmona. »Die Leute fragen, was sie sich wohl denken? Glauben sie, die Alliierten werfen Holzbomben auf diese Holzflugzeuge?!« Auch die Partisanen steigerten ihre Aktivitäten; sie griffen Eisenbahnbrücken und Umspannwerke an und ermordeten zahlreiche Faschisten. In Povoletto, einem kleinen Dorf zehn Kilometer nordöstlich von Udine, rasierten kommunistische Partisanen sieben Frauen die Köpfe kahl, weil sie mit deutschen Soldaten geschlafen hatten. In dieser fieberhaften Atmosphäre kursierten wilde Gerüchte. »Mussolini baut in Venedig eine Massenvernichtungswaffe, sagen die Leute. Eine mit einem schrecklichen Todesstrahl, der 3000 Kilometer weit reicht und mit dem er den Krieg gewinnt«, berichtete Paviotti. »Im Radio heißt es, dass die Alliierten eine große Offensive im Süden gestartet haben. Die Leute sind wild auf Neuigkeiten, aber wir hören wenig und verstehen noch weniger.« In der Nacht des 14. Mai begannen die Alliierten mit dem Bombardement der Gegend. »Um vier Uhr früh hörten wir drei laute Explosionen aus Richtung Udine«, schrieb Fey an Santa. »Am nächsten Tag hörten wir Luftschutzsirenen und Maschinengewehrfeuer vom Flugplatz her. Die englischen Bomber flogen sehr tief, nahe bei Udine, und ihre Begleitjäger feuerten auf den Boden. Ein paar deutsche Maschinen griffen sie an, und wir sahen hoch über uns einen Luftkampf. Zum Glück wurde keine Maschine abgeschossen, aber es war beeindruckend. Als ich durch ein Dorf in der Nähe kam, hatte jemand ›Gott verfluche die Engländer‹ auf eine Wand geschrieben. Nach den Bombardierungen 112

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im Norden und nun hier wenden sich die Leute gegen die Briten und Amerikaner zugunsten der Russen, und Tausende schließen sich den kommunistischen Partisanen an. Obendrein ist es heiß und drückend, und Gewitter bedrohen die Heuernte. Unsere contadini schauen angespannt und missmutig, wenn sie auf dem Feld sind.« Die Bauern brauchten die Heuernte, um ihr Vieh das ganze Jahr über füttern zu können. Hagel und Gewitter kamen oft aus den Bergen, und in Brazzà benutzten sie immer noch das jahrhundertealte Warnsystem, bei dem in den einsamen Bergdörfern beim Herannahen des Sturms die Glocken geläutet wurden. Weiter unten läuteten die Dorfbewohner die eigenen Glocken, worauf die contadini aufs Feld gingen, um so viel Heu wie möglich zu ernten oder das Getreide zu schützen. So erklang die Warnung vor einem Sturm laut von jedem Glockenturm von den Bergen bis in die Ebene. Am 16. Mai schlug das Wetter um, und die alliierten Flugzeuge bombardierten nachts die Umspannwerke bei Triest. »Letzte Nacht kam schließlich der Sturm«, schrieb Fey an Santa. »Wenig Regen, aber gewaltige Donnerschläge und eine Menge Blitze. Die Kinder waren schon wach, weil vorher die Glocken in den Dörfern läuteten. Zwischen dem Donner hörten wir laute Explosionen aus den Bergen. Natürlich hatten die Jungen große Angst. Ich saß ein paar Stunden bei ihnen und brachte sie schließlich zum Schlafen, indem ich ihr Lieblingsschlaflied sang.« Es war das Wiegenlied von Brahms mit dem Refrain: »Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.« Am 24. Mai verschärfte der tödliche Anschlag auf zwei deutsche Soldaten außerhalb des Dorfs Premariacco, acht Kilometer von Brazzà entfernt, die Spannungen in der Gegend. Umberto Paviotti sprach am nächsten Tag mit den Dorfbewohnern: »›Es ist unvorstellbar, welche Folgen das haben wird‹, sagte ein Einwohner. ›Die Leute sagen, die Deutschen werden das ganze Dorf erschießen, alle Männer verhaften und sinnlose Vergeltung gegen die Unschuldigen üben.‹« Am nächsten Tag kam die SS ins Dorf und durchsuchte alle Häuser. »In einem Haus wurden ein paar Waffen gefunden, und sie sagten der 113

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Frau, sie solle sofort ihren Mann und ihren Sohn holen«, berichtete Paviotti. »Sie wusste aber nicht, wo sie waren. Also schossen sie zweimal auf sie, gossen Benzin ins Haus, zündeten es an und warfen die sterbende Frau hinein. Die Leute sagten, sie hörten sie schreien, dann war es still.« Als der Mörder der beiden Wehrmachtssoldaten auch zwei Tage später nicht gefunden war, beschloss Alvensleben, es sei Zeit, ein ­Exempel zu statuieren. Am Pfingstsonntag, dem 28. Mai, hatte Untersturmführer Johannes Kitzmüller Dienst im SS -Hauptquartier in Udine, als sein direkter Vorgesetzter, Obersturmführer Paul Möller, ihm befahl, dreißig Gefangene für die Hinrichtung aus den in den Dörfern festgenommenen Männern auszusuchen. »Ich war sprachlos und sogar Möller, der an so etwas gewöhnt war, wirkte etwas verstört. Als ich einwand, wir hätten nicht soviele Gefangene, die für ihre Verbrechen die Hinrichtung verdienten, erwiderte er brüsk: ›Ich hoffe, Sie finden unter 500  Gefangenen 30 für die Todesstrafe.‹ Dann ließ er mich gehen. Zuerst konnte ich diesen schrecklichen Befehl nicht befolgen und blätterte mindestens zwanzigmal das ganze Register durch, ohne einen einzigen Kandiaten zu finden. Also beschloss ich, wieder zu Möller zu gehen und ihm zu sagen, ich hätte niemanden gefunden. Ich hoffte, er würde jemand anderen damit betrauen. Als ich ihm sagte, ich hätte niemanden passendes gefunden, erwiderte er: ›Das ist Unsinn. Ihre Verbrechen sind unwichtig. Ich brauche Leute für eine Vergeltungsaktion, die Schrecken verbreitet.‹« 26 Gefangene wurden ausgewählt, davon 13 aus dem Weiler Feletto Umberto am Rand von Brazzà. Später wurden sie als »die 13 Märtyrer von Feletto Umberto« bekannt. Zwei von ihnen waren 21 Jahre alt, drei 20 Jahre, fünf 19 und drei 18 Jahre alt. Keiner von ihnen war an der Ermordung der deutschen Soldaten beteiligt gewesen. Sie waren am 9. Mai festgenommen worden und hatten zum Zeitpunkt der Morde im Gefängnis in Udine gesessen. Alvensleben traf die letzte Auswahl. Indem er Feletto Umberto seiner jungen Männer beraubte, wollte er eine Warnung an die ganze Gegend schicken. Das Dorf hatte eine lange Tradition subversiver Aktionen 114

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gegen die Faschisten, und die jungen Männer gehörten der »Fronte della gioventú« an, einer kommunistischen Partisanengruppe. Sie waren verhaftet worden, weil ein Spitzel ihre Verstecke verriet. Alvens­ leben wollte die Botschaft aussenden, die SS sei allmächtig und es gebe kein sicheres Versteck. Sowohl die Zahl der ausgewählten Gefangenen als auch Datum und Art ihrer Exekution sollten maximalen Schrecken in einer Bevölkerung verbreiten, deren Alltagsleben sich um ihren Glauben drehte. Die Männer sollten in zwei Gruppen zu dreizehn hingerichtet werden: die erste in Premariacco, wo die Wehrmachtssoldaten erschossen worden waren, die zweite im weiter südlich gelegenen San Giovanni al Natisone. Dreizehn war eine Zahl mit religiöser Bedeu­ tung: Jesus hatte mit zwölf Jüngern das Letzte Abendmahl gefeiert. Auch das von Alevensleben gewählte Datum war symbolisch: Pfingstmontag, der 29. Mai. Pfingsten, die Herabkunft des Heiligen Geistes zu den zwölf Aposteln, war ein wichtiges religiöses Fest in den Dörfern. Normalerweise dauerten die Feiern das ganze Wochenende. Die Dorfpriester, die als Zeichen der Flamme des Heiligen Geistes rote Gewänder trugen, verstreuten Rosenblätter auf den Straßen, Tauben wurden freigelassen, und es gab Feste an langen Tischen auf den Dorfplätzen. Vor allem war es eine Zeit der Erneuerung, in der die Dorfbewohner das neue Leben feierten, das der Heilige Geist ihrem Glauben einhauchte. Die Deutschen kündigten die Hinrichtungen nicht vorher an. Am Morgen des 29. Mai erschienen sie plötzlich in Premariacco und San Giovanni al Natisone. Auf der Piazza von Premariacco, die für die Hinrichtung der dreizehn Männer aus Feletto Umberto vorgesehen war, lagen immer noch die verstreuten Rosenblätter. Das rund 25 Kilometer von Brazzà entfernte Dorf war wie so viele in der Region eines der ärmsten Italiens. Die Rosenblätter waren die einzigen Farbflecken an einem Ort, den die Armut monochrom färbte. Die Dorfstraßen waren ungepflastert, schlammig im Winter und staubig im Sommer. Die Häuser aus ­ausgeblichenen weißen Steinen vom Bett des nahen Flusses waren unverputzt, die hölzernen Fensterläden hingen ungestrichen 115

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und ­verrottend in ihren Scharnieren. Drinnen waren die Wände bis auf Kruzifixe und gestickte Herz-Jesu-Bilder kahl. Der Landarbeiter Vittorio Zanuttini lebte in einem Haus nahe dem Dorfplatz: »Gegen acht Uhr früh wurde ich von ein paar deutschen Soldaten auf der Piazza angehalten, und sie befahlen, ich sollte die Vorbereitungen für eine Hinrichtung leiten. Voller Schrecken rannte ich zum Sekretär des Bürgermeisters, der mir riet, ihren Befehl zu befolgen. Ein deutscher Leutnant, der Seile trug, nahm mich mit in die Osteria ai Cacciatori und zeigte mir, wie ich die Knoten für die Schlingen machen sollte. Er sagte, wenn sie nicht hielten, würde ich selbst am Galgen enden. Währenddessen zwangen Soldaten draußen die Passanten, die Balken aufzubauen, die sie vom Bürgermeister geholt hatten.« Der Galgen bestand bloß aus einem Balken auf zwei senkrechten Pfeilern, wie ein Torpfosten. Dann brauchte man eine Bank, auf der die Verurteilten stehen sollten, und jemand wurde in die Kirche geschickt, um eine Kirchenbank zu holen. Während eine Gruppe von Soldaten den Bau des Galgens überwachte, durchkämmte eine andere das Dorf. Nur Frauen, Kinder und Alte waren noch da, und sie wurden von den Feldern und aus den Häusern geholt und gewaltsam zum Dorfplatz gebracht, um die Hinrichtung mitanzusehen. Vittorio Zanuttini war auf dem Platz, als die Lastwagen mit den dreizehn Männern aus Feletto Umberto eintrafen. »Gegen halb zehn fuhren zwei Lastwagen ins Dorf. Der eine war zivil und rot gestrichen. Darauf waren junge Männer in Zivil. Dahinter kam ein Militärlaster mit schwer bewaffneten deutschen Soldaten. Die jungen Männer mussten vom Laster steigen. Ich erinnere mich, dass sie lachten, miteinander redeten und rauchten. Ich weiß nicht, ob sie meinten, sie würden zu einem Arbeitseinsatz gefahren und die Deutschen wollten, dass sie etwas auf der Piazza bauten, aber offensichtlich hatten sie keine Ahnung, was ihnen bevorstand. Plötzlich gab ein deutscher Offizier einen Befehl, und man band ihnen die Hände auf den Rücken.« »Die Jungs kamen in ganz guter Stimmung an«, schrieb ein anderer Mann. »Sie glaubten wirklich, sie würden nach Hause gefahren. Man stelle sich vor, was sie fühlten, als der Laster vor dem Galgen hielt 116

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und die Soldaten ihnen die Hände auf den Rücken banden. Sie riefen, sie seien unschuldig. Sie schworen bei ihren Müttern und ihren Kindern. Sie baten um einen Augenblick, um zu beten oder etwas aufzuschreiben.« Der Dorfpriester fragte die Deutschen, ob er den Männern die Letzte Ölung geben könne, aber sie lehnten es ab, und er stellte sich an eine Mauer, wo er die Absolution gab, während er die Männer anschaute. »Alle mussten sich nebeneinander auf die Bank stellen«, fuhr ­Zanuttini fort. »Ich weiß, dass es 13 waren, weil ich soviele Schlingen drehen musste. Sie legten ihnen die Schlingen um den Hals und traten plötzlich die Bank weg, so dass sie in der Luft hingen. Es war ein Anblick, der einem den Magen umdrehte, und viele von uns mussten zusehen, weil die Deutschen uns mit Gewehren auf die Piazza getrieben hatten.« Auf Alvenslebens Befehl ließen die SS -Männer die dreizehn Leichen bis zum nächsten Nachmittag um fünf Uhr am Galgen hängen, damit die Leute sehen konnten, was mit Partisanen passiere. Hunderte kamen aus der ganzen Umgegend, um die makabre Szene zu sehen und die Geschichten zu hören, die im Dorf umliefen. Ein paar Tage nach der Hinrichtung kam Umberto Paviotti mit dem Rad ins Dorf: »Ich hörte vom Priester, dass er ihnen kein christliches Begräbnis geben durfte. Und ich hörte von jemandem, der bei der Hinrichtung anwesend war, die Deutschen wären danach kichernd um die Leichen herumgegangen. Ich hörte auch, dass nachdem die Leichen weg waren, zwei Partisanen kamen und das Seil holten. Sie schworen, sie würden Deutsche damit aufhängen.« In der Nacht nach den Hinrichtungen streifte ein deutsches Flugzeug den Glockenturm eines nahen Dorfs und stürzte ab. Die Bewohner deuteten es als Strafe Gottes »Die sieben Mann der Besatzung kamen ohne Flugzeug in den Himmel. Wie schade!«, schrieb Paviotti. Alvenslebens Vergeltungsaktionen gingen weiter. Am 30. Mai verhaftete die SS weitere 600  Männer aus Dörfern rund um Brazzà. Als sei der Tod von dreizehn jungen Männern noch nicht genug für 117

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­ eletto Umberto gewesen, kamen zwei Tage nach den Hinrichtungen F tausend Deutsche und Faschisten zurück und holten weitere Männer ab. Zwei Dorfbewohner wurden erschossen – einer wegen Fluchtversuchs, der andere wegen des Versuchs, die Soldaten anzugreifen. Als die Partisanen den Spitzel suchten, der die Männer verraten hatte, geriet auch Fey in Verdacht. Ein Landarbeiter in Brazzà war mit Familien in Feletto Umberto verwandt, und Geschichten über Feys Fraternisierung mit den Deutschen – die Teestunden mit Alvensleben, die Weihnachtsfeier mit den Wehrmachtsoffizieren, ihre Möglichkeit, Briefe über die Feldpost zu schicken – waren durchgesickert. Ihr Scheitern bei der Einflussnahme auf die Deutschen, dazu ihre Kenntnis der Verstecke von Männern in der Gegend fachten die Spekulation an, sie sei eine Kollaborateurin. Die Gerüchte wurden durch die physische Isolierung Brazzàs von den umliegenden Orten angefacht. Da Partisanenangriffe auf deutsche Truppen in der Region zugenommen hatten, wurden Wachtposten entlang der Zufahrt zur Villa aufgestellt und stacheldrahtverstärkte Gräben um den Park herum ausgehoben, was dem Ort das Aussehen einer Festung gab. Die Lage verkomplizierte sich weiter durch die Feindschaft zwischen verschiedenen Partisanengruppen. Während Brazzà und das Gebiet westlich davon von der Brigade Osoppo kontrolliert wurde, die liberalen und rechten Parteien nahestand, stand das Gebiet im Osten, einschließlich Feletto Umberto, unter der Kontrolle der meist kommunistischen Garibaldi-Partisanen. Sie waren weit stärker als die Brigade Osoppo und mit slowenischen Brigaden verbunden, die ebenfalls in diesem Gebiet operierten und Ansprüche auf die Region Friaul-Julisch Venetien erhoben. Unter der Osoppo-Brigade war Feys Loyalität unangezweifelt. ­Detalmos Cousin Alvise di Brazzà war einer ihrer Kommandeure, und die Brüder Ferdinando und Federico Tacoli, deren Familie das benachbarte Anwesen besaß, spielten ebenfalls eine Führungsrolle. »Die Arbeit der Osoppo ist wertvoll und mutig, aber ich kann ihnen nicht helfen«, schrieb Fey an Santa. »Die Anwesenheit der Deutschen hier bedeutet, dass ich nur passiven Widerstand leisten kann. Ich kann die Osoppo nicht verstecken oder ernähren so wie andere Landbesitzer. 118

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Die ­Garibaldi machen mir dagegen Angst. Sie sind meist Kommunisten und wollen alle Güter im Friaul enteignen, also bleibe ich auf Distanz.« Bald nach den Hinrichtungen in Feletto Umberto erfuhr Fey, dass sie auf der »Schwarzen Liste« der Garibaldi-Partisanen stand. Das bedeutete, sie war ein Ziel bei ihren Angriffen auf Kollaborateure. Häuser waren angezündet, Besitz zerstört und eine Reihe von Menschen ermordet worden. Um den Garibaldi zu zeigen, dass ihre Sympathien bei den Einheimischen lagen, wies sie ihren Gutsverwalter Bovolenta an, die Lebensmittel des Anwesens auf den Märkten billiger zu verkaufen. Aber das machte keinen Unterschied. Im Lauf der Wochen fühlte Fey sich immer überforderter. Die einzige Gelegenheit, ihre Gegnerschaft zu den Nazis zu beweisen, lag darin, Einfluss auf die Deutschen zu nehmen, um Deportationen zu verhindern. Mit Ausnahme des Anwalts Nimis war sie aber gescheitert. Sie dachte daran, Brazzà zu verlassen und auf das Gut der Papafavas bei Padua zurückzukehren, aber ohne Zugang zur Feldpost konnte sie nicht mit ihrer Familie in Deutschland in Verbindung bleiben, und dieser Gedanke war ihr unerträglich. Die Lage verschärfte sich rasch. Kollaborateure und Deutsche wurden fast täglich ermordet, und als Reaktion auf die Vergeltungsaktionen der SS schlossen sich Tausende den Garibaldi-Brigaden in den Bergen östlich von Brazzà an. Paviotti, der als Gewässervermesser auch abgelegene Dörfer hoch über der Ebene besuchen konnte, bemerkte die Stärke der Garibaldi-Bewegung: »Das Wort partigiani ist sogar unter den Kindern bekannt, und die Partisanen sind in diesen Dörfern Tag und Nacht unterwegs, gut versorgt von den Einwohnern. Die Leute sagen, bald werden die Kommunisten die Gegend kontrollieren. Schon jetzt errichten die Garibaldi-Leute oben in den Bergen Straßensperren mit Maschinengewehren. Als Reaktion haben die Deutschen angefangen, Fahrräder zu beschlagnahmen. Jemand sagte, sie brauchen 20 000. Es geht das Gerücht um, sie würden sie sammeln, damit sie damit flüchten können, wenn es nötig ist.« In dieser Zeit, als sie sich der wachsenden Gefahr bewusst war, hatte Fey die Kinder immer bei sich. »In einer Hand hielt ich Corradinos 119

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Händchen, in der anderen das noch kleinere von Robertino. Eines Tages rief unser Vetter Alvise di Brazzà, der in der Nähe wohnte, als er uns kommen sah: ›Ja, wen sieht man denn da? Da kommt Cornelia, die Mutter der Gracchen!‹« – eine Anspielung auf die römische Witwe, die ihr Leben ganz der Erziehung ihrer Söhne widmete. Es blieb nicht aus, dass die Jungen in Brazzà viel von den Wehrmachtssoldaten sahen, und meist war Fey dankbar für ihre Freundlichkeit. Sie brachten den Kindern Süßigkeiten mit und erlaubten ihnen, am Lenkrad ihrer Lastwagen zu sitzen. Einen Offizier sah Corrado aber öfter, als Fey lieb war – und manchmal sogar öfter, als sie wusste. Es war Leutnant Kretschmann, dessen stark nationalsozialistische Überzeugung sie von Anfang an bemerkt hatte. Als politischer Führungsoffizier der Einheit (NSFO ) war er den tagsüber im Haus, nicht auf dem Flugplatz in Campoformo, und von seinem Büro aus überblickte er den Garten. Häufig kam er heraus, wenn Fey und die Kinder vorbeigingen, und lud den vierjährigen Corradino ein, sein Telefon zu benutzen, »denn alles Technische faszinierte ihn«, wie Fey schrieb. Die Kinder, vor allem Corrado, vergötterten Kretsch­ mann, und wenn Fey in die Stadt musste und die Kinder zu Hause ließ, baten sie, bei ihm bleiben zu können statt bei den Dienstmädchen Cilla und Ernesta. Wenn Corrado verschwand, wusste Fey, wo sie suchen musste. »In Kretschmanns Arbeitszimmer standen die unterschiedlichsten technischen Geräte, deshalb machte sich Corradino oft selbständig und klopfte, wie Kretschmann mir erzählte, an seine Tür. Wenn er dann manchmal sagte: ›Jetzt habe ich zu tun, könntest du vielleicht später kommen?‹, antwortete Corradino freundlich, aber bestimmt: ›Natürlich, ich komme bald wieder‹, und trollte sich. Das waren seine kleinen privaten Ausflüge. Robertino hingegen ließ meine Hand nur selten los, und wenn er es doch einmal tat, wußte ich immer, wo ich ihn finden würde: im Stall. Ihn begeisterten Tiere über alles, ganz besonders unser Pferd Mirko, das unsere Kutsche zog.« Fey nahm an, solange die Deutschen in Brazzà blieben, würden sie und die Kinder sicher sein. Am 3. Juli griffen die Garibaldi-Partisa120

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nen aber die Villa einer Freundin im Nachbardorf Martignacco an, die ebenfalls besetzt war. Nach einem mehrstündigen Feuergefecht wurde die Villa angezündet. Am selben Tag töteten Partisanen drei Kilometer weiter östlich auf der Straße nach Tavagnacco einen Mann, weil er »zu pro-deutsch« war. Schon einige Wochen zuvor hatte Fey an ihre Mutter geschrieben: Die Lage wird mit jedem Tag komplizierter für mich. Die kommunistischen Partisanen haben mich auf ihre Schwarze Liste gesetzt, weil sie sagen, ich sei zu freundlich zu den Deutschen. Andererseits mögen mich die Leute aus der Umgebung, weil sie wissen, dass ich helfe, wo ich kann … Aber wenn kommunistische Partisanen plötzlich hier auftauchen würden, würden sie keinen Augenblick daran denken, nachzufragen, wie ich mich verhalten und was ich getan habe. Deshalb weiß ich wirklich nicht, was ich tun soll. Mein Gefühl sagt mir, hierzubleiben, und das werde ich schließlich sicher tun. Ganz sicher weiß ich aber nicht, was ich ohne Nonino tun sollte, meine große und unermüdliche Hilfe. Andreinas Haus [Gräfin Andreina di Caporiacco lebte in einem Nachbardorf] wurde gestern bei einem Partisanenangriff niedergebrannt. Sie hatte Deutsche im Haus. Jetzt greifen kommunistisch eingestellte Partisanen oft Häuser an. Ein paar Bauern hier ist es auch passiert. Die Partisanen nahmen Wäsche und Bücher weg und sagten, Lesen sei überflüssig. Sie wollten auch das Haus anzünden, aber die Bauern baten sie, es nicht zu tun, weil sie sonst obdachlos wären. Die Partisanen sagten: ›Gut, ihr seid ja nicht die Grundbesitzer, ihr seid bloß Bauern, also zünden wir es nicht an.‹ Ich verstecke weiter die wichtigsten Sachen. Ich habe das Silber vergraben, und Nonino half mir ein Loch im Park zu graben. Geschirr, Gläser und Wäsche sind bei unseren Bauern versteckt – alles für den Fall, dass ich weg muss oder es Feuer wegen Partisanenangriffen gibt.

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Feys Furcht rührte nicht nur vom Angriff auf das Haus ihrer Freundin und dem Wissen her, dass sie auf der Schwarzen Liste der Garibaldi-Partisanen stand. Die kommunistischen Brigaden wollten zwar Kollaborateure und reiche Landbesitzer töten, aber es war bekannt, dass es ihnen an Waffen fehlte. Detalmos Cousin Alvise di Brazzà hatte ihr aber erzählt, es seien jetzt britische Spezialkräfte in der Gegend, die den Partisanen Waffen lieferten. Nachts weckte sie das Geräusch der Flugzeuge, immer kurz vor Mitternacht. Sie flogen niedrig über dem Haus, und sie hörte am Klang der Motoren, wenn sie den Kurs änderten und kreisten, um die Abwurfzone zu finden. Wenn sie aufstand und aus dem Fenster sah, waren sie nicht zu erkennen, aber sie sah ein schwaches oranges Leuchten auf dem Gipfel des Monte Joanaz, dem nächsten Gipfel einer Bergkette am Fuß der Alpen. Die Flugzeuge waren Dakotas und wurden von britischen und amerikanischen Spezialkräften genutzt. Sie waren schwarz gestrichen, um ihre Sichtbarkeit bei Nacht zu reduzieren, und manche hatten eine Flammensperre an den Abluftventilen der Motoren, um ihre Position noch stärker zu verbergen. Drinnen hingen besondere Verdunklungsvorhänge vor den Fenstern, damit die für Flug und Navigation nötigen Lichter benutzt werden konnten. Die Maschinen kamen aus Foggia, einem alliierten Flughafen in Süditalien, und warfen Waffen und anderen Nachschub für eine Partisanenbrigade auf dem Monte Joanaz ab. Das orange Leuchten kam von den Feuern, die die Männer anzündeten, um die Flugzeuge zu leiten. Britische Agenten leiteten die Abwürfe am Boden. Die Mission mit dem Codenamen Coolant (Kühlmittel) bestand aus zwei Offizieren und einem Funker und war die erste, die mit dem Fallschirm im Friaul landete. Sie waren in der Nacht des 9. Juni aus 2000 Metern über den Bergen östlich von Brazzà abgesprungen. Für Absprünge musste es klare Nächte mit Mondlicht geben, damit die Teams sehen konnten, wo sie landeten, und dies war eine wolkenlose Vollmondnacht gewesen. Für ihre sichere Ankunft hatten die 122

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Partisanen mehrere Kilometer Hochspannungsleitungen sabotiert, sodass die Gegend im Dunkeln lag. Obwohl es hinter den feindlichen Linien operierte, trug das Team britische Uniformen  – eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall der ­Gefangennahme. Die Genfer Konvention definierte die Rechte von Gefangenen in Kriegszeiten: wenn sie Uniform trugen, wurden sie als Kriegsgefangene behandelt, nicht als Spione, denen die sofortige Exe­kution drohte. Jeder Mann war mit fünfzig Kilo Waffen und Nachschub abgesprungen, im Übrigen verließen sie sich auf ihr Überlebenstraining. Alle Angehörigen der Special Operations Executive kannten die Regeln für das Überleben in feindlichem Gebiet, die aus den Erfahrungen früherer Aktionen abgeleitet waren. Major Duncan, der an der Mission Cisco Red* in Mittelitalien beteiligt gewesen war, hatte eine Liste von Verhaltensregeln für Agenten in Italien aufgestellt: 1. Bleibt nie an einem Ort: eine Nacht und ein Tag in einem Haus sind genug. 2. Lasst euch nicht von Kindern sehen; wenn es passiert, tut so, als wärt ihr Deutsche, wenn ihr in Uniform seid, oder ein Onkel, wenn ihr in Zivil seid. 3. Wenn die Partisanen sagen, 1000 Deutsche nähern sich auf der Straße, ist alles in Ordnung. Aber Vorsicht, wenn sie lachen oder glücklich sind! Sie werden leicht zu selbstsicher. 4. Traut keinem, überall sind Spitzel. 5. Je ärmer das Haus, desto sicherer; reiche Häuser gehören immer Faschisten. 6. Frauen, die auf dem Feld arbeiten, sind meist sicher. 7. Wenn ein Bauer sieht, dass ihr euch auf dem Feld versteckt, wird er vorbeigehen und so tun, als ob er euch nicht sieht. Später wird er zurückkommen, und wenn er wohlwollend *  Eine Mission zur Entführung oder Ermordung eines SS -Generals, der Vergeltungs­ aktionen in Mittelitalien ausgeführt hatte, bei denen Dutzende von Dorfbewohnern getötet wurden.

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ist, wird er fragen, ob ihr Hunger habt und Essen anbieten. Wenn er kein Essen mitbringt, entfernt euch schnell. 8. Jeder Bauernhof, auf dem junge Männer zu sehen sind, ist sicher; sie sind entweder aus der Armee desertiert oder aus Deutschland geflüchtet und genauso gefährdet wie ihr. 9. Wenn ihr in einem Haus übernachtet und gegessen habt, seid ihr sicher. Sie werden es den Deutschen nicht sagen, denn ihr Haus würde niedergebrannt, weil sie euch Unterschlupf geboten haben. Angesichts dieser unvorhersehbaren und gefährlichen Umgebung hatte Hauptmann Hedley Vincent, der 34-jährige Kommandeur von Coolant, das Team auf seine Mission vorbereitet, bevor sie von ­Foggia abhoben. Ziel war es, ein von Partisanen kontrolliertes Gebiet zu sichern, von dem aus die Hauptnachschublinien der Wehrmacht aus dem Reich angegriffen werden konnten. Zunächst war aber die Priorität, aus den Partisanen eine wirksame Kampftruppe zu machen, indem man ihnen Waffen, Sprengstoff, Lebensmittel und Kleidung lieferte. Vincent berichtete später: »Die Ausführung der Mission hing völlig von der sicheren Landung des Nachschubs in ausreichender Menge ab. Wir konnten nicht einfach in Städte und Dörfer gehen. In vielen Fällen mussten wir um ihn kämpfen und ihn verteidigen.« Es war Vincent, der den Monte Joanaz als Abwurfstelle auswählte. Er lag etwa tausend Meter über dem Meeresspiegel, bot Schutz vor Überraschungsangriffen, erlaubte die leichte Verteilung des Nachschubs nach dem Abwurf und war für die RAF -Mannschaft geeignet, die den Platz genau finden und den gefährlichen Anflug machen musste. Üblicherweise fand eine Lieferung gegen Mitternacht statt. Vincent und sein Team warteten in Canebola – einem abgelegenen Weiler von zehn bis zwölf Häusern – und lauschten der BBC , bis die verschlüsselte Nachricht über den bevorstehenden Abwurf kam. Dann kletterten sie 300  Meter auf den Gipfel des Monte Joanaz und entzündeten Feuer in T-Form. Wenn sie das Brummen der Maschine hörten, blinkten sie mit einer Lampe denselben Buchstaben in Morse-­ Zeichen, um den Piloten zu leiten. 124

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Der Erfolg der Abwürfe hing von der Präzision des Piloten ab; auf der einen Seite des Monte Joanaz ging es tausend Meter steil in die Tiefe, und wenn die Fracht etwas zu früh abgeworfen wurde, war sie verloren. Ein SOE -Offizier erinnerte sich, dass es auch noch andere Faktoren gab. »Nicht jedes abgeworfene Paket trifft den zentralen Landepunkt; wenn die Umstände stimmen, kann ein Beobachter mit guten Augen die Zahl der Fallschirme zählen, die sich geöffnet haben, und andere haben beobachtet, wo sie gelandet sind  – ein weiteres Argument für den Abwurf bei Mondlicht  –, aber manche können sich in einer Luftströmung fangen und zu weit getragen werden. Mit Glück werden sie am Morgen gefunden, nicht immer von den Partisanen. Schlechtes Timing vom Piloten oder dem Mann an der Abwurfluke kann den Abwurf zu weit auseinanderziehen.« Die Dorfbewohner kamen immer, wenn ein Abwurf erwartet wur­ de. Sie stellten sich an den Feuern auf und sammelten die Pakete ein, sobald sie den Boden berührten. Bündel aus Kleidern und Stiefeln kamen ohne Fallschirme herunter, und ein SOE -Agent erinnerte sich: »mit Ausrüstung im freien Fall wurde es eine gefährliche Operation.« Waffen, Munition und Sprengstoff schwebten aber in Kisten herab. Sie wurden von den Fallschirmen ausgeklinkt und von Männern, Frauen und Kindern hinab ins Dorf gebracht, die oft schwerste Lasten auf dem Rücken trugen. Die SOE -Männer, die Seite an Seite mit den Partisanen lebten und von ihrer Ortskenntnis und Loyalität abhängig waren, um zu überleben, lernten ihren Mut und ihr Engagement im Kampf gegen die Deutschen zu bewundern. Einer erinnerte sich: »Eine meiner lebhaftesten Erinnerungen ist, dass eine lange Reihe von Partisanen und freundlichen Dorfbewohnern enorme Lasten auf dem Rücken trugen, als sie die Ausrüstung aufgesammelt hatten, die nach einem Fallschirmabwurf über den ganzen Monte Joanaz verstreut war. Ich sah einen kleinen Jungen von kaum vier Jahren zwei schwere Armeeferngläser über steile Pfade hinauf und hinab bis nach Canebola tragen.« Den ganzen Juli und August gingen die Abwürfe fast täglich weiter. Nur die dunklen Nächte während des abnehmenden Mondes verhinderten sie. In diesen Sommermonaten sprangen vier weitere 125

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SOE -Teams in der Gegend ab. Ihre Missionen hießen Sermon, Bakers­ field, Ballonet und Tabella.

Während Fey im Bett lag und dem Kreisen der Flugzeuge lauschte, konzentrierte sich ihre Furcht ganz auf die Partisanen. Sie erkannte, dass sie in ihrem Eifer, die Kinder, das Haus und die Familien auf dem Anwesen ihres Mannes zu schützen, mitten unter den deutschen Truppen war.

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13 Ulrich von Hassells Gedanken waren oft bei seinem jüngsten Kind, und Anfang Juli sehnte er sich wieder danach, Fey zu sehen, die seiner Meinung nach »in ihrer Einsamkeit offenbar dringend der Hilfe bedarf.« Diese Sorge äußerte er einem Freund gegenüber bei einem der letzten Treffen der Verschwörer. An diesem Abend war Generaloberst Beck, der Anführer der Gruppe, in düsterer Stimmung, weil er die Hoffnung verloren hatte, Hitler zu stürzen. Seit dem Frühjahr 1943, als Henning von Tresckow dreimal bei Attentaten auf Hitler scheiterte, waren die Erfolgschancen noch gesunken. Die Niederlage bei Stalingrad war der Anfang des langen Rückzugs der Wehrmacht, und mit jedem militärischen Rückschlag reiste Hitler weniger. Er lehnte es ab, Hospitäler für verwundete Soldaten oder bombardierte Städte zu besuchen, weil er fürchtete, solche Anblicke könnten sein Mitleid auslösen und ihn dadurch schwächen. Er mied jetzt die Menschenmengen, mit deren Hilfe er früher sein Selbstbild gestärkt hatte. Er trat fast nicht mehr öffentlich auf und war nahezu unsichtbar, außer für sein Gefolge. Einer der wenigen, die ihn noch regelmäßig sahen, war Propagandaminister Goebbels, der am 2. März über seinen schlechten Zustand notierte: »Es ist tragisch, daß der Führer sich so vom Leben abschließt und ein so unverhältnismäßig ungesundes Leben führt. Er kommt nicht mehr an die frische Luft, findet keinerlei Entspannung mehr, sitzt in seinem Bunker, handelt und brütet.« Seit einiger Zeit hatte Hitler nicht einmal mehr Berlin besucht. ­Parallel zur militärischen Kraft des Reichs schwand seine eigene. Seine Hände begannen zu zittern, beim Gehen zog er den linken Fuß nach. Sein Gesichtsausdruck wurde gequält. Der einzige Hoffnungsschimmer für Hassell und seinen Kreis war es aber, dass »verzweifelte[s] Einzelvorgehen« nicht länger notwendig war. Wenn sie nur ein Mittel fanden, Hitler zu liquidieren, existierte jetzt ein ausgeklügelter Plan, um das NS -Regime zu stürzen. 127

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Diesen Plan hatte Hitler ursprünglich selbst gefordert, um einem möglichen Aufstand zu begegnen. Da er fürchtete, die über vier Millionen Zwangsarbeiter in Deutschland – von denen die meisten aus den besetzten Ländern deportiert waren – könnten revoltieren, hatte er die Wehrmachtsführung einen Notfallplan namens Unternehmen Walküre entwickeln lassen. Er bestand darin, das Ersatzheer im Reich zu mobilisieren, um einen Aufstand niederzuschlagen. Diesen Rahmen benutzte Tresckow in Zusammenarbeit mit General Olbricht, der ihn für Hitler entworfen hatte, um ihn zum Zweck eines Staatsstreichs umzumodeln. Sobald der Führer tot war, würden sie den Ausnahmezustand ausrufen und seinen Tod einem Putschversuch der SS zuschreiben. Diese Geschichte würde unwissende Teile der Wehrmacht zu der Annahme führen, sie handelten gegen eine verräterische Gruppe von SS -Offizieren, die sich gegen Hitler gewandt hatten. Parteifunktionäre und SS -Leute sollten verhaftet werden, erst dann würde die Operation als Staatsstreich sichtbar werden. Da Tresckow im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront stationiert war, lag die Führung des Staatsstreichs im Sommer 1943 fast ausschließlich bei Claus Schenk Graf von Stauffenberg, einem jungen Oberstleutnant, der als Stabsoffizier in Rommels Afrikakorps gedient und mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet worden war. Angesichts Hitlers Abneigung gegen das Reisen erforderten das Attentat und die Planung von Unternehmen Walküre, dass jemand in Deutschland präsent war, und nach seiner schweren Verwundung in Tunesien war Stauffenberg dem Stab von General Olbricht im Berliner Hauptquartier des Ersatzheers zugeteilt worden. Der 36  Jahre alte und äußerst gut aussehende Stauffenberg war nach übereinstimmenden Berichten außergewöhnlich mutig. Für Ilse von Hassell war er der Einzige mit Zugang zu Hitler, der den Mut und das Gewissen besaß, den Staatsstreich auszuführen, um die völlige Zerstörung Deutschlands zu verhindern. Wie Tresckow und Hassell entstammte er einer preußischen Adelsfamilie. Nachdem Stauffenberg anfänglich Hitlers militärischen Instinkt bewundert und für die Inva­sion Polens gewesen war, wurde er von den Gräueltaten gegen die 128

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Juden abgestoßen. Er war frommer Katholik und lehnte auch Hitlers Unterdrückung der Kirchen ab. Seine Planung für Walküre war minutiös. Er arbeitete bis spät in die Nacht in seinem Haus im Südwesten Berlins, um die zivilen und militärischen Maßnahmen auszufeilen, die eine Machtübernahme erfordern würde: die Verhaftung von Parteifunktionären, SS - und Gestapo-Leuten; die Besetzung von Ministerien, Eisenbahndepots, Kommunikationszentren, strategischen Einrichtungen und Zufahrtsstraßen. Unermüdlich suchte er in den oberen Rängen von Militär und Verwaltung des Reichs nach möglichen Verbündeten. Doch ein Hauptproblem blieb bestehen: die Beseitigung Hitlers. Schon im ersten Halbjahr 1944  hatten Stauffenbergs Helfer zwei Versuche dazu unternommen. Anfang Februar sollte Hitler eine Ausstellung von Uniformen im Zeughaus Unter den Linden besuchen – derselbe Ort, wo Oberst Gersdorff ein Jahr zuvor ein Attentat versucht hatte. Da er wusste, dass der 21-jährige Leutnant Ewald-Heinrich von Kleist Hitler durch die Ausstellung führen sollte, fragte Stauffenberg ihn, ob er einen Selbstmordanschlag mit einer Bombe unternehmen würde. Kleist bat um einen Tag Zeit, um darüber nachzudenken und mit seinem Vater, einem vehementen Gegner Hitlers, darüber zu sprechen. Die Antwort war kategorisch: Unter keinen Umständen dürfe er die Gelegenheit versäumen, eine so große Pflicht zu erfüllen. Wer eine solche Gelegenheit vorübergehen lasse, werde nie im Leben wieder glücklich sein können. Doch Kleists Gelegenheit kam nicht. Hitler verschob seinen Ausstellungsbesuch mehrmals und sagte ihn schließlich ganz ab. Der zweite Versuch kam einen Monat später. Diesmal rekrutierte Stauffenberg Eberhard von Breitenbuch, einen jungen Kavallerieoffizier, der als Adjutant von Feldmarschall Busch regelmäßig Zugang zu Hitler hatte.* Breitenbuch sollte am 11. März an einer militärischen Besprechung auf dem Berghof, Hitlers Residenz in den bayerischen Alpen, teilnehmen. Statt einer Sprengstoffweste wollte der ausgezeichnete *  Ernst Busch folgte im Oktober 1943 Feldmarschall Günther von Kluge als Befehlshaber der Heeresgruppe Mitte.

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Schütze Breitenbuch Hitler mit einer 7.65 mm-Browning erschießen, die er in der Tasche trug – eine ebenso selbstmörderische Aktion, denn Hitlers Leibwächter würden zweifellos zurückschießen. Als die Türen zum Besprechungsraum sich öffneten, entsicherte er die Pistole, wurde aber in letzter Minute nicht hereingelassen. Der SS -Sturmbannführer, der gerade Hitlers Ankunft verkündet hatte, hielt ihn mit den Worten »Heute, bitte, keine Ordonnanzoffiziere« auf. Breitenbuch durchlebte eine nervenzerfetzende Stunde, in der er sich fragte, ob sein Ausschluss bedeute, dass sein Vorhaben entdeckt worden sei. Der Durchbruch, auf den Stauffenberg lange gehofft hatte, kam am 1. Juli, als er zum Stabschef von Generaloberst Fromm, dem Befehlshaber des Ersatzheers, ernannt wurde. Das bedeutete, dass er von nun an regelmäßig an Besprechungen mit dem Führer teilnehmen würde. Stauffenberg hatte vier Kinder zwischen vier und zehn Jahren, und ein weiteres war unterwegs. Nachdem aber zahlreiche Attentatsversuche gescheitert waren, beschloss er, als eine der wenigen Personen mit Zugang zum zurückgezogenen Führer müsse er die Aufgabe selbst übernehmen. Hassell war an der Planung der Attentate nicht direkt beteiligt, weil er keinen Zugang zu Hitler hatte. Er war aber für den Fall eines erfolgreichen Staatsstreichs als Außenminister oder Staatssekretär im Außenamt vorgesehen. Ende 1943  hatte er mit Stauffenberg die Zusammensetzung der Regierung besprochen. Hassells Gruppe, mit der er seit Sommer 1939 die Beseitigung Hitlers angestrebt hatte, sollte die Regierung führen: Generaloberst Ludwig Beck als Reichspräsident und Carl Friedrich Goerdeler als Kanzler. Die Namen aller künftigen Kabinettsmitglieder wurden aufgeschrieben – eine Liste, die zum Todesurteil wurde, als die Gestapo sie später fand. Am Donnerstag, den 20. Juli 1944, hielt morgens um sechs ein Stabswagen vor Stauffenbergs Haus in Wannsee, um ihn zum Militärflugplatz Rangsdorf südlich von Berlin zu bringen. Er fuhr mit seinem Adjutanten Werner von Haeften und seinem Bruder Berthold, einem Marineleutnant. Berthold kam nur bis zum Flugplatz mit, aber 130

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Stauffenberg wollte ihn dabeihaben, um die nervöse Spannung zu lindern. Kein Wort durfte vor dem Fahrer über die Aktion fallen, die ihre Gedanken beschäftigte, während sie durch die morgendlichen Vororte fuhren. Die Bombe, die in ein Hemd gefaltet in Stauffenbergs Diplomatenkoffer lag, wog etwa ein Kilo. Sie war vom selben Typ wie bei früheren Attentatsversuchen und hatte einen britischen Zünder, der durch das Zerbrechen einer gläsernen Säurekapsel aktiviert wurde. Die Säure zerfraß einen Draht, der dann die Zündnadel freigab. Stauffenberg hatte darauf bestanden, dass der Draht sehr dünn sein müsse; die Säure würde ihn in etwa zehn Minuten zersetzen. Doch das war nur eine Schätzung, denn die Zeit hing auch von der Temperatur und dem Luftdruck ab. Eine zweite Bombe befand sich in Haeftens Aktenmappe. Die Besprechung im Führerhauptquartier Wolfsschanze sollte um dreizehn Uhr beginnen. Normalerweise dauerten die Flüge aus Berlin zwei Stunden, aber es gab eine Verzögerung, und Stauffenberg und Haeften landeten erst um 10.15 Uhr in Rastenburg. An der Landebahn erwartete sie ein Wagen, um sie zur Wolfsschanze zu bringen. Es war ein düsterer, abweisender Ort tief im Wald, rund achtzig Kilometer östlich von Königsberg, der alten Hauptstadt des Deutschen Ordens. Im tief liegenden sumpfigen Boden ruhten seit Jahrhunderten die Leichen von Soldaten. Hier hatte der Deutsche Orden 1410  in der Schlacht von Tannenberg eine schwere Niederlage erlitten. Napoleons Armee war 1813  hier aus Russland zurückmarschiert, und zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatten sich zwei eingekreiste russische Armeen Hindenburg ergeben müssen. Fünfzehn Kilometer verlief die Straße vom Flughafen durch dichten Wald. Es war ein heißer Tag mit Temperaturen um dreißig Grad, und Stauffenberg wie Haeften schwitzten heftig. Unterwegs mussten sie an drei SS -Kontrollpunkten halten und ihre besonderen Passierscheine zeigen. Nach dem ersten Tor, rund drei Kilometer vom Zentrum des Hauptquartiers entfernt, kamen ein breites Minenfeld und ein Befestigungsring; das zweite führte durch elektrischen Stacheldraht auf ein weiträumiges Gelände. Von hier waren es noch 800  Meter zu 131

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einem weiteren Kontrollpunkt, und von dort 200  Meter zum Eingang des innersten Bereichs, Sicherheitsring A, wo Hitler wohnte und arbeitete. Die dortigen Bunker  – würfelförmige, fensterlose Blockhäuser mit Tarnfarbe bemalt  – hatten angeblich sechs Meter dicke Mauern und Decken, und SS -Wachleute patrouillierten ständig. Obgleich Stauffenberg und Haeften problemlos in diese bedrohliche Anlage gelangten, war ihre Sorge, wie sie nach der Explosion der Bomben wieder herauskommen sollten. Ihr Plan war, sich auf Schnelligkeit zu verlassen; Haeften nahm nicht an der Besprechung teil und sollte dafür sorgen, dass ihr Stabswagen bereitstand, sobald die Bomben hochgegangen waren. Vorläufig mussten sie aber zwei Stunden auf den Beginn der Besprechung warten. Um 11.30 Uhr ging Stauffenberg in das Büro von Feldmarschall Keitel. Keitel war Hitlers Stabschef, und sie gingen die Einzelheiten von Stauffenbergs Vortrag durch. Der offizielle Grund für diesen Besuch war es, Hitler über die Aufstellung von zwei neuen ostpreußischen Divisionen zu informieren, die er am 19. Juli befohlen hatte, um den Vormarsch der Roten Armee aufzuhalten. Während Stauffenberg über den Stand der Divisionen sprach, informierte Keitel ihn plötzlich, die Besprechung sei um eine Stunde vorverlegt und werde nun um zwölf Uhr stattfinden. Da er nur noch fünfzehn Minuten Zeit hatte, bat Stauffenberg unter Hinweis auf die Hitze und Feuchtigkeit, sich irgendwo waschen und das Hemd wechseln zu können. Ein Offizier führte ihn zu einer Garderobe. Haeften wartete im Korridor, und beide betraten den Raum, um die Bomben bereit zu machen. Stauffenberg, der keine rechte Hand mehr hatte und an der linken nur noch drei Finger, benutzte eine besondere Greifzange, um die Glaskapsel zu zerbrechen und den Draht anzuschließen, während Haeften die andere Bombe vorbereitete. Sie waren erst ein paar Minuten im Raum, als sie von einem Stabsfeldwebel unterbrochen wurden. Die Besprechung mit Hitler werde gleich beginnen, und er solle Stauffenberg holen. Er sagte, er werde warten, während dieser sich fertig mache. Später sagte er aus, die beiden Männer seien mit einem Paket beschäftigt gewesen. 132

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Die Unterbrechung war der erste Rückschlag; da die Zeit knapp wurde und der Stabsfeldwebel danebenstand, konnten Stauffenberg und Haeften nicht beide Bomben aktivieren, und Haeften konnte nur verhindern, dass der Offizier etwas merkte, indem er die nicht aktive Bombe in seine Aktenmappe schob. Mit der einzigen aktivierten Bombe in seiner eigenen Aktenmappe folgte Stauffenberg seinem Begleiter aus dem Raum und wusste, dass sie in zehn Minuten explodieren würde. Kurz darauf kam die zweite Abweichung vom Plan. Militärische Besprechungen fanden meist im Führerbunker statt, doch wegen der Hitze war sie diesmal in einen benachbarten Kartenraum verlegt worden. Während der unterirdische Bunker aus Beton bestand, was die Wirkung der Bombe maximiert hätte, lag der Kartenraum in einem Holzbau und hatte zehn große Fenster, die alle offen standen. Eine Explosion würde hier erheblich weniger Schaden anrichten. Auf dem Weg zu diesem Gebäude bat Stauffenberg den Offizier, ihn so nah wie möglich bei Hitler zu platzieren. Die Verwundung in Nordafrika habe sein Gehör geschädigt, und er wolle »alles mitbekommen«, was der Führer sage. Bei Stauffenbergs Eintreffen hatte die Besprechung schon begon­ nen. Der Offizier bat die neben Hitler sitzenden Männer, weiterzurücken und Platz für ihn zu machen, dann stellte Keitel ihn als den Obersten vor, der über die neuen Divisionen berichten sollte. Nachdem er sich umgedreht hatte, um Stauffenbergs Gruß entgegenzunehmen, setzte Hitler die Besprechung fort. Stauffenberg setzte sich etwa zwei Meter von Hitler entfernt, stellte die Aktentasche auf den Boden und schob sie mit dem Stiefel unter den schweren Eichentisch. Drei Minuten waren vergangen, seit er die Bombe scharfgemacht hatte, und sie sollte in sieben Minuten explodieren. Er wartete noch etwa eine Minute, dann stand er auf und entschuldigte sich, er müsse dringend Berlin anrufen. Nach dem Anruf werde er sofort zurückkommen. Außerhalb des Gebäudes eilte er zu einem Büro am anderen Ende des Geländes, wo sein Mitverschwörer General Fellgiebel, der Chef des Funkwesens in Rastenburg, wartete. Sobald die Explosion zu 133

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hören war, sollte Fellgiebel Berlin anrufen, um Unternehmen Walküre in Gang zu setzen, und dann alle Verbindungen aus Rastenburg abbrechen. Das würde die Wolfsschanze vom Staatsstreich im übrigen Deutschland abschneiden. Stauffenberg und Fellgiebel warteten drei Minuten lang, dann kam die ohrenbetäubende Explosion, und eine dicke Rauchsäule stieg auf. Kurz darauf erschien Haeften mit dem Stabswagen. Am wichtigsten war jetzt, hinauszukommen, bevor das Gelände abgesperrt wurde. Als sie wegfuhren, fuhr ihr Wagen etwa fünfzig Meter entfernt am Besprechungsgebäude vorbei; durch die Bäume hindurch wirkte es völlig zerstört, und Sanitäter trugen Menschen auf Bahren heraus. Inzwischen ertönten Warnhupen. Ein Großalarm war ausge­löst, und die Wachtposten wurden verstärkt. Am ersten Tor hatten Stauffen­berg und Haeften Glück: Sie kannten den Posten, und nach wenigen Worten öffnete er den Schlagbaum und winkte sie durch. Auch am zweiten Tor durften sie nach kurzer Überprüfung ihrer Papiere passieren, doch am dritten Tor weigerte sich ein übereifriger Posten, sie durchzulassen, denn niemand dürfe das Gelände betreten oder verlassen. Stauffenberg versuchte, seinen Rang auszuspielen und schnauzte ihn im »Kasernenhofton« an, aber der Posten berief sich auf seine Befehle. Um wegzukommen, rief Stauffenberg den A ­ djutanten des Ortskommandanten an. »Hier Oberst Graf Stauffenberg an Außenwache Süd. Sie entsinnen sich, wir frühstückten heute morgen zusammen, Herr Rittmeister. Die Wache läßt mich wegen der Explosion nicht passieren. Ich bin aber in Eile. Auf dem Flugplatz wartet Generaloberst Fromm auf mich.« Ohne die Antwort abzuwarten, legte er auf und wandte sich dem Posten zu: »Sie haben gehört, Oberfeldwebel, ich darf passieren.« Doch der Posten bestand darauf, den Befehl persönlich entgegenzunehmen, und so gab es eine weitere Verzögerung, während er mit dem Adjutanten telefonierte. Als dieser ihm schließlich sagte, Stauffenberg dürfe passieren, hob er den Schlagbaum. Auf der Fahrt durch den Wald warf Haeften die zweite Bombe aus dem Fenster. Um 13.15 Uhr waren sie in der Luft und auf dem Rückflug nach Berlin.

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14 Der Schock stand allen ins Gesicht geschrieben. Es war fast ein Uhr nachts, und Fey war mit den etwa vierzig Männern des Luftwaffennachrichten-Regiments 200 im großen Salon von Brazzà versammelt. Einige Stunden zuvor hatte Goebbels in einer Sonderdurchsage erklärt, der Führer sei knapp einem Anschlag entronnen. Nun sollte Hitler selbst sprechen. Die Hitze der vergangenen Woche strahlte von den Wänden des stickigen Raums ab, und den Männern, die bewegungslos in grauen Uniformen dastanden, lief der Schweiß hinunter. Während sie schweigend warteten, waren die einzigen Geräusche die Heuschrecken im Garten und das Summen der Mücken, die vom Licht der offenen Fenster angezogen wurden. Um Punkt ein Uhr begann Hitler zu sprechen. Er redete mit leiser, stockender Stimme und klang müde und atemlos. Fey sah, wie die Männer sich angespannt nach vorne beugten, um seine Worte zu hören, die über dem Lärm der Heuschrecken draußen kaum zu hören waren. »Deutsche Volksgenossen und Volksgenossinnen«, begann Hitler. »Ich weiß nicht, zum wievielten Male nunmehr ein Attentat auf mich geplant und zur Durchführung gekommen ist. Wenn ich heute zu Ihnen spreche, dann geschieht es aber besonders aus zwei Gründen: erstens, damit Sie meine Stimme hören und wissen, daß ich selbst ­unverletzt und gesund bin; zweitens, damit Sie aber auch das ­Nähere erfahren über ein Verbrechen, das in der deutschen Geschichte seinesgleichen sucht. Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und zugleich mit mir den Stab der deutschen Wehrmachtsführung auszurotten.« Fey studierte die Reaktionen der Soldaten, als Hitler die Wirkung der Bombe beschrieb, die weniger als einen Meter von seinem Platz explodiert war. Im Licht des Kronleuchters in der Mitte des Raums sahen ihre Gesichter angespannt und verunsichert aus. 135

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Hitlers Stimme war jetzt stärker und voller Hass. Wiederholt beschimpfte er die Verschwörer, sie seien eine »ganz kleine Verräterund Verschwörerclique  … ein ganz kleiner Klüngel ehrgeiziger erbärmlicher Kreaturen«, die den Kampfgeist zersetzten. Während Fey seinem Ausbruch zuhörte, wurde sie von Euphorie erfüllt; das Attentat war gescheitert, aber es hatte ihn fast getötet: »Als ich die Nachricht vom Attentat im Radio hörte, durchströmte mich ein Gefühl des Triumphes, weil damit endlich deutlich wurde, daß es in Deutschland Menschen gab, die bereit waren, im Kampf gegen die Diktatur ihr Leben einzusetzen.« Hitler war mit kleineren Prellungen und Verbrennungen davongekommen. Wenige Stunden nach der Explosion begrüßte er Musso­ lini in der Wolfsschanze zu einem lange vorher angesetzten Treffen. Auf dem kurzen Weg vom Bahnhof ins Hauptquartier erzählte er Mussolini, was gerade geschehen sei. Er trug eine schwarze Kappe, hatte den rechten Arm in einer Schlinge und Watte in den Ohren, als er ihn direkt in den zerstörten Kartenraum führte. Der Dolmetscher, der sie begleitete, beschrieb die Szene so: »Die Tür zum Kartenzimmer war geborsten und lehnte zerbrochen an der gegenüberliegenden Barackenwand. Der Raum selbst bot ein Bild toller Verwüstung,  … Tische und Stühle lagen in wüstem Durcheinander zersplittert am Boden. Die Deckenbalken waren herabgestürzt und die Fenster mitsamt den Rahmen nach außen geflogen. Der große Kartentisch … war nur noch ein Haufen geborstener Bretter und geknickter Tischbeine.« Hitler führte Mussolini durch den Raum und zeigte, wie er sich mit dem rechten Ellenbogen auf den Tisch gelehnt hatte, als die Bombe hochging. »Hier, unmittelbar vor meinen Füßen, ist die Bombe explodiert«, sagte er. Er zeigte ihm die verbrannte Hose und die zerrissene Uniformjacke, die er getragen hatte. Mussolini war erschüttert, dass so etwas mitten im Hauptquartier des Führers geschehen könne, und gratulierte ihm, dem Anschlag entkommen zu sein. Für Hitler war es aber kein bloßes Entkommen: »Wenn ich mir alles noch einmal vergegenwärtige, …, so ergibt sich für mich aus meiner wunderbaren Errettung, …, daß mir eben nichts 136

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passieren soll, besonders da es ja nicht das erste Mal ist, daß ich auf wunderbare Weise dem Tode entronnen bin. … Nach meiner heutigen Errettung aus der Todesgefahr bin ich mehr denn je davon überzeugt, daß es mir bestimmt ist, nun auch unsere gemeinsame große Sache zu einem glücklichen Abschluß zu bringen!« Dies war die Botschaft, die Hitler dem deutschen Volk vermitteln wollte. Am Schluss seiner Radioansprache kam er auf das Thema der Vorsehung zurück: »Ich darf besonders Sie, meine alten Kampfgefährten, noch einmal freudig begrüßen, daß es mir wieder vergönnt war, einem Schicksal zu entgehen, das nicht für mich Schreckliches in sich barg, sondern das den Schrecken für das deutsche Volk gebracht hätte. Ich ersehe daraus auch einen Fingerzeig der Vorsehung, daß ich mein Werk weiter fortführen muß und daher weiter fortführen werde.« Hitler nutzte die Übertragung auch, um anzuordnen: »daß keine Militärstelle, kein Führer einer Truppe, kein Soldat irgendeinem Befehl dieser Usurpatoren zu gehorchen hat, daß im Gegenteil jeder verpflichtet ist, den Übermittler oder den Geber eines solchen Befehls entweder sofort zu verhaften oder bei Widerstand augenblicklich niederzumachen. … Ich bin der Überzeugung, daß wir mit dem Austreten dieser ganz kleinen Verräter- und Verschwörerclique nun endlich aber auch im Rücken der Heimat die Atmosphäre schaffen, die die Kämpfer der Front brauchen. Denn es ist unmöglich, daß vorn Hunderttausende und Millionen braver Männer ihr Letztes geben, während zu Hause ein ganz kleiner Klüngel ehrgeiziger erbärmlicher Kreaturen diese Haltung dauernd zu hintertreiben sucht. Diesmal wird nun so abgerechnet, wie wir das als Nationalsozialisten gewohnt sind.« Bei einem Treffen mit hohen NS -Funktionären hatte Hitler zuvor beschrieben, wie er »abrechnen« wolle. Er werde alle verräterischen Kreaturen, die ihm im Wege stünden, vernichten. Verräter am Busen des eigenen Volkes verdienten den schmählichsten Tod, und sie würden ihn erleiden! Er werde Rache üben, unerbittliche Rache, gegen alle, die daran beteiligt waren, und gegen ihre Familien, falls sie ihnen geholfen hatten. Ein für alle Mal werde er dieses ganze Schlangengezücht ausrotten, jawohl, ausrotten! 137

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Am Ende von Hitlers Ansprache am Morgen des 21. Juli um zehn Minuten nach eins waren fünf der führenden Verschwörer bereits hingerichtet worden, darunter Claus von Stauffenberg, der die Bombe gelegt hatte, und Generaloberst Ludwig Beck, Ulrich von Hassells engster Freund und der Mann, der nach einem erfolgreichen Staatsstreich Präsident werden sollte. * Als Fey mitten in der Nacht Hitlers Ansprache lauschte, kam ihr nicht in den Sinn, dass ihr Vater einer der Verschwörer sein könne. Hitler hatte nur einen Namen erwähnt: Oberst Claus von Stauffenberg. Beim Weihnachtsbesuch ihres jüngeren Bruders war Stauffenbergs Name in den Gesprächen über den Kreis ihres Vaters nicht gefallen.* Als aber die Tage und Wochen vergingen und sich zeigte, dass Hitler das gescheiterte Attentat zum Anlass nahm, alle zu verhaften und zu liquidieren, die er als Gegner ansah, wurde Fey immer unruhiger: »Während diese Ereignisse abliefen und immer mehr Menschen darin verwickelt wurden, machte ich mir schreckliche Sorgen um meinen Vater. Die Namen der hingerichteten Männer waren mir nur allzu bekannt. Obwohl sie vor allem Wehrmachtsoffiziere waren, waren viele mit meinem Vater befreundet. Ich hoffte, die ›zivilen‹ Widerstandsgruppen seien nicht entdeckt worden. Ein Monat verging. Von meiner Mutter kamen regelmäßig Briefe, in denen aber kein Wort über den Anschlag stand. Wie konnte es bei der scharfen Zensur anders sein? Sie erwähnte aber ›eine große Sorge‹. Das weckte meinen Verdacht, aber ich maß ihm kein großes Gewicht bei. Nach und nach beruhigte mich das Ausbleiben schlechter Nachrichten. Ich nahm an, falls mein Vater beteiligt sei, habe man ihn nicht entdeckt.« Tatsächlich hatte Fey im Verlauf des Sommers eigene Sorgen. Die Spannungen in der Region wurden immer stärker. Mithilfe der britischen SOE -Aktionen kontrollierten die Partisanen jetzt die Berge *  Hans Dieter erholte sich von der Verwundung, die er im März 1943 an der Ostfront erlitten hatte.

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nördlich und östlich von Brazzà, ein Gebiet von über 2500 Quadratkilometern bis zur österreichischen Grenze. Es blieben nur ein oder zwei isolierte deutsche Einheiten. Auf dem Monte Narat, den Fey vom Fenster aus sehen konnte, hatte es heftige Kämpfe gegeben, bei denen Hunderte deutsche Soldaten gefallen waren. Die SS reagierte mit brutalen Vergeltungsaktionen, brannte Häuser nieder und richtete wahllos Zivilisten hin. Allein in der letzten Juliwoche berichtete man von 90 Toten in Sutrio, 30 in Arta, 22 in Pramosio und 52 in Paluzza. In der Ebene gingen die Deportationen weiter, und da alle Männer im waffenfähigen Alter aus den Dörfern geflohen waren, verhaftete die SS jetzt Frauen, Kinder und Alte. »Udine ist voller Plakate der Garibaldi, die das Volk auffordern, sich zu erheben und dem Kommunismus zu folgen«, schrieb Fey Ende Juli an Santa Hercolani. »Wegen der schrecklichen SS -Festnahmen und Vergeltungsaktionen werden die Garibaldi-Brigaden immer größer, und um die Männer zu ernähren, die sich in den Bergen verstecken, gibt es immer mehr Überfälle auf Lagerhäuser und Läden. Immer noch kein Zeichen von D.« Seit dem 4. Juni, als die Alliierten Rom befreiten, hatte Fey auf ­Detalmos Heimkehr gewartet. Tausende von Widerstandskämpfern hatten die gefahrvolle Reise von Rom durch die feindlichen Linien unternommen, um sich den Partisanen im Norden anzuschließen und den Kampf gegen die Deutschen fortzusetzen. Wenn die Angestellten in Brazzà berichteten, sie hätten viele Männer heimlich durch die Dörfer zu den Partisanenverstecken in den Bergen ziehen sehen, konnte Fey ihre Aufregung kaum bezähmen. Sie wusste zwar, dass Detalmo wegen der deutschen Besatzung unmöglich nach Brazzà kommen konnte, nahm aber an, er werde sich der Osoppo-Brigade anschließen, von der viele Männer dem mittelinks-gerichteten Partito d’Azione angehörten. Ihre Verstecke waren nur fünfzehn Minuten mit dem Auto entfernt, sodass sie Detalmo dann regelmäßig sehen konnte. Nach den langen einsamen Monaten war der Gedanke, er werde in der Nähe sein, um sie und die Jungen im Notfall zu beschützen, ein großer Trost. Als die Wochen ohne ein Zeichen von Detalmo vergingen, wuchs 139

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Feys Unruhe. In einer Beziehung war ihr Leben jetzt etwas einfacher als zuvor. Obwohl sie als Frau eines reichen Landbesitzers und damit als Klassenfeind auf der schwarzen Liste der Garibaldi-Partisanen blieb, hatte die Ankunft der britischen SOE -Agenten zumindest die Gefahr gemindert, wegen »Kollaboration« mit den Deutschen angegriffen zu werden. Hedley Vincent, der Kommandeur der C ­ oolant-Mission, war schockiert, wie sehr die kommunistischen Ziele der Garibaldi-Kämpfer sie von der Zusammenarbeit mit der Osoppo abhielten, und hatte den beiden Gruppen befohlen, eine gemeinsame Führung zu bilden. Nur indem er drohte, die Mission  – und damit die dringend benötigten Nachschublieferungen  – zu beenden, und indem er die Osoppo überzeugte, dass Winston Churchill den Kommunismus verabscheue, war es Vincent gelungen, die beiden Organisationen zum Zusammenschluss zu bewegen. Die Führung der Osoppo hatte ihre Garibaldi-Kollegen informiert, dass Fey keine Kollaborateurin sei. Dennoch befürchtete sie, Brazzà könne angegriffen werden, weil die Deutschen in der Defensive waren. Als eine Führungsfigur des Partito d’Azione und Spross einer Familie, die seit Jahrhunderten zu den mächtigsten im Friaul gehörte, stand Detalmo in der Osoppo in hohem Ansehen, und Fey hoffte, wenn er zurück sei, könne er seinen Einfluss benutzen, um die Partisanen von der Schonung des Hauses zu überzeugen. Endlich kam in der ersten Augustwoche eine Botschaft von ihm. Sie enthielt die niederschmetternde Nachricht, dass er beschlossen hatte, in Rom zu bleiben. Sergio Fenoaltea, ein hoher Minister in der neu gebildeten demokratischen Regierung, hatte ihm einen Posten als sein politischer Sekretär angeboten, und Detalmo konnte diese Chance nicht ablehnen. Er wusste, dass seine Englischkenntnisse und seine Kontakte zu den Alliierten für den Partito d’Azione wichtig waren, und er bewunderte Fenoaltea, einen engen Mitarbeiter von Ugo La Malfa. Fey fühlte sich durch Detalmos Entscheidung verraten; dass er seine politische Loyalität über seine Familie gestellt hatte, brachte sie aus der Fassung. Da die Alliierten nun Mittelitalien erreicht hatten, waren sie auf unterschiedlichen Seiten der Front. Es bedeutete, dass sie und die Jungen für den Rest des Krieges in Brazzà allein sein würden. 140

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In den folgenden Monaten begann Fey seine »Desertation« als den Moment anzusehen, in dem etwas in ihrer Ehe zerbrach. Wenige Tage nach Detalmos Nachricht traf Fey ein weiterer Schlag: »Major Eisermann war im Begriff, Brazzà zu verlassen. Er hatte mich stets beschützt und mit seiner Abreise würde ich seine Hilfe und Unterstützung verlieren.« Vorher stellte Eisermann ihr noch seinen Nachfolger Oberst Dannenberg vor: »Er schien mir ganz sympathisch, aber ich spürte auch, daß er kein Rückgrat besaß und daß er niemals den Vorschlägen des ›politischen‹ Offiziers, nämlich denen des Adjutanten Kretsch­ mann, widersprechen würde.« All diese Anspannung wirkte sich auf Feys Gesundheit aus, und Ende August verbrachte sie mehrere Tage in einem Udineser Krankenhaus, um sich Bluttests zu unterziehen. Von hier schrieb sie einen vorsichtigen Brief an Santa Hercolani, in dem sie ihre Sorgen zusammenfasste: Meine Gäste haben jetzt fremde Leute bei sich, die kommen und Sachen stehlen, und man ist nicht mehr sicher.* Ich treffe dauernd Fremde im Korridor. Die Gäste bleiben dieselben, aber ihr Chef ist weg, und einer [Kretschmann] ist ein kompletter Rohling. Das macht mir Sorgen, nicht so sehr jetzt, aber für die Zukunft. Ich kann nur hoffen, dass D gesund ist und etwas Nützliches tut, weil es besser gewesen wäre, er wäre zurückgekommen, damit ich mich sicher fühle. Wann werden wir uns wiedersehen? Ich habe genug von dieser endlosen Trennung und den endlosen Gefahren. Ein gefährliches Leben kann ich aushalten, aber ich will nicht, dass es für immer so weitergeht. Ihren Vater erwähnte Fey in der Liste ihrer Sorgen nicht. Sie wusste noch nicht, dass er verhaftet worden war. *  Die Deutschen setzten Kosakeneinheiten für Vergeltungsaktionen in der Gegend ein.

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15 Nach der Katastrophe vom 20. Juli hätte Hassell flüchten können; er hätte versuchen können, unterzutauchen, sich bei Freunden zu verstecken oder mit falschen Papieren zu entkommen. Doch eine Flucht hielt er für unehrenhaft. Also blieb er in Berlin und wartete auf seine Verhaftung durch die Gestapo. Am 24. Juli aß er im Adlon, einem Luxushotel am Brandenburger Tor, wo auch NS -Funktionäre verkehrten. Am 26. Juli sah ihn Hans Bernd Gisevius im Frieden des Grunewalds am Rand Berlins spazieren gehen. Gisevius war Becks Verbindungsmann zu Allen D ­ ulles und wurde selbst von der Gestapo gesucht, deshalb versteckte er sich in einem Haus in der Nähe. »Sein Haupt war so merkwürdig gebeugt; es war, als suchte er Deckung vor einer ihn verfolgenden tödlichen Gefahr«, schrieb er über Hassell. »Unwillkürlich glaubte ich zu spüren, da sitzt jemandem der Tod im Nacken.« Gegen drei Uhr früh wurde Ilse von Hassell in Ebenhausen durch langes Türklingeln geweckt. Als sie öffnete, sah sie zwei Gestapobeamte und den Ortspolizisten. Almuth war bei ihr. Die Männer fragten, wo ihr Ehemann sei, und da sie wusste, dass er nie vorgehabt hatte, sich zu verstecken, sagte sie ihnen genau, wo er zu finden sei – in seinem Büro in Berlin. Bevor die Gestapoleute gingen, wollten sie seinen Schreibtisch und seine Papiere durchsuchen. Es gelang Ilse, sie von einem Fotoalbum abzulenken, in dem seine jüngsten Tagebuchnotizen lagen. Trotz ihrer Kooperaration wurden sie und Almuth festgenommen und in die Münchner Gestapozentrale gebracht, dort erneut verhört und dann in ein nahes Gefängnis überstellt. Wenige Stunden später wurde Hassell in seinem Büro im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung verhaftet; er empfing die Gestapobeamten an seinem Schreibtisch, als seien sie offizielle Besucher. Er wurde sofort zum Verhör ins Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht, bald darauf überstellte man ihn ins KZ Ravensbrück. Dieses berüchtigte Frauenlager hatte auch eine 142

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­ bteilung für sogenannte Prominente. Dort wurde Hassell menschA lich behandelt; er schrieb an Ilse, er dürfe im Hof spazieren gehen und bei gutem Wetter seine Suppe auf der Treppe des Blocks essen. Die ebenfalls in Ravensbrück gefangene Bildhauerin Puppi Sarre sah ihn und war erstaunt von seiner »überlegene[n] Heiterkeit, seiner Sicherheit in Haltung und Wesen.« Am 15. August wurde er aber nach Berlin zurückgebracht, und die Verhöre im RSHA begannen. Hassell wurde mit anderen Beteiligten an der Juli-Verschwörung in den Arrestzellen des Gebäudes gefangen gehalten, darunter Geheimdienstbeamte und hohe Offiziere. Obwohl sie nicht miteinander reden durften, konnten sie im gemeinsamen Waschraum am Ende des Zellengangs bruchstückhafte Gespräche führen. Fabian von Schlabrendorff,* der wegen Beteiligung an der Verschwörung inhaftiert war, erinnerte sich an Hassells Worte: »Der Tod ist mir sicher. Wenn sie herauskommen, grüßen Sie bitte meine Frau. Ihr gelten meine letzten Gedanken.« Hassell hinterließ keine Aufzeichnungen über seine »verschärfte Vernehmung« (so der Gestapoausdruck) durch Kriminalkommissar Habecker. Schlabrendorff beschrieb aber ausführlich, welche Behand­ lung die Gestapo bei allen Verschwörern anwandte: Die erste Methode bestand darin, daß sie den Häftling aus dem Gefängnis zur Vernehmung kommen ließen, um ihn dann eine unwahrscheinlich lange Zeit in einem Vorzimmer warten zu lassen. Weitere Methoden wurden sowohl einzeln als auch abwechselnd, unmittelbar hintereinander, angewandt. Meistens hatte man drei Beamte vor sich. Der eine bedrohte und überschüttete den Gefangenen mit Schimpfworten, der zweite sprach in ruhigem Tone auf ihn ein und erklärte, er möge sich doch erst einmal beruhigen und eine Zigarette rauchen. Der dritte Beamte versuchte es mit der Hervorkehrung des *  Schlabrendorff war auch an einem früheren Attentatsversuch auf Hitler beteiligt gewesen: Er hatte die Cognacflaschen, die sich im März 1943 in Hitlers Flugzeug von der Ostfront befanden, mit Sprengstoff präpariert.

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­ hrenstandpunktes. So war für jedes Naturell gesorgt, bis der E Häftling entweder einer Methode oder der Abwechslung der verschiedenen Methoden erlag. Wenn diese Methoden weder ein Geständnis noch die Namen von Komplizen herausbrachten, wurde die Folter angewandt. Hier sah Schlabrendorff sich drei Beamten und einer Sekretärin gegenüber: Man machte mich darauf aufmerksam, es sei jetzt die letzte Gelegenheit zu einem Geständnis. Als ich an meinem bisherigen Leugnen festhielt, griff man zum Mittel der Folterung. Diese Folterung wurde in vier Stufen vollzogen. Die erste Stufe bestand darin, daß meine Hände auf den Rücken gefesselt wurden. Dann wurde über beide Hände eine Vorrichtung geschoben, die alle zehn Finger einzeln umfaßte. An der Innenseite dieser Vorrichtung waren eiserne Dornen angebracht, die auf die Fingerwurzeln einwirkten. Mittels einer Schraube wurde die ganze Maschinerie zusammengepreßt, so daß sich die Dornen in die Finger einbohrten. Die zweite Stufe war folgende: Ich wurde auf eine Vorrichtung gebunden, die einem Bettgestell glich, und zwar mit dem Gesicht nach unten. Eine Decke wurde mir über den Kopf gelegt. Dann wurde über jedes der bloßen Beine eine Art Ofenrohr gestülpt. Auf der Innenseite dieser beiden Röhren waren Nägel befestigt. Wiederum war es durch eine Schraubvorrichtung möglich, die Wände der Röhren zusammenzupressen, so daß sich die Nägel in Ober- und Unterschenkel einbohrten. Für die dritte Stufe diente als Hauptvorrichtung das »Bettgestell«. Ich war, wie vorher, auf dieses gefesselt, während der Kopf mit einer Decke zugedeckt war. Dann wurde das Gestell mittels einer Vorrichtung entweder ruckartig oder langsam auseinandergezogen, so daß der gefesselte Körper gezwungen war, die Bewegung dieses Prokrustesbettes mitzumachen. In der vierten Stufe wurde ich mittels einer besonderen Fesselung krumm zusammengebunden und zwar so, daß der Körper 144

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sich weder rückwärts noch seitwärts bewegen konnte. Dann schlugen der Kriminalassistent und der Wachtmeister mit dicken Knüppeln von rückwärts auf mich ein, so daß ich bei jedem Schlag nach vorne überfiel und infolge der auf dem Rücken gefesselten Hände mit aller Gewalt auf Gesicht und Kopf schlug. Während dieser Prozedur gefielen sich alle Beteiligten in höhnenden Zurufen. Die erste Folterung endete mit einer Ohnmacht. … Viele meiner Gesinnungsfreunde,  …, haben solche Folterungen über sich ergehen lassen müssen. Wir alle machten die Erfahrung, daß der Mensch Dinge ertragen kann, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Wer von uns es noch nicht konnte, lernte beten und erlebte, daß das Gebet, und nur das Gebet in solchen Lagen Trost spendet und übermenschliche Kraft verleiht. In den kurzen Ruhepausen während der Verhöre benutzte ­Hassell die wenige ihm verbleibende Zeit, um seine Erinnerungen zu schreiben und solche Briefe, die ihm erlaubt waren. Er schrieb: »Eine Gefängniszelle ist ein guter Ort, um Lebenserinnerungen zu beginnen.  … Das verflossene Leben gestaltet sich vor dem geistigen Auge in stereoskopischer Plastik, man sieht es und sich ohne Hülle.« Er tippte, so schnell er konnte, und füllte 150 eng beschrieben Seiten, endete aber in der Periode von 1926 bis 1930, eine glückliche Zeit für ihn, als seine Kinder klein waren. In Briefen an Ilse gab er zu, dass seine Erinnerungen ihm Trost gaben. Auch sein Glaube stützte ihn; durch das Nachdenken darüber hatte er ein Gefühl des Friedens gewonnen. Gegen Ende des Manuskripts schrieb er drei Zeilen eines bekannten Kirchenlieds an den Rand: »Du kannst uns durch des Todes Türen/ Träumend führen/Und machest uns auf einmal frei.« Am 31. August schrieb Ilses verwitwete Mutter Frau von Tirpitz direkt an Hitler und bat ihn, Nachsicht mit ihrem Schwiegersohn zu üben. Hitlers Kanzleichef Bormann antwortete, der Führer könne keine »Gnade« walten lassen, denn Hassell habe gestanden und könne nicht freigelassen werden. 145

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Eine Woche später wurden Hassell und neun weitere Verschwörer vor dem Volksgerichtshof mit seinem berüchtigten Vorsitzenden ­Roland Freisler angeklagt. Auch das Gefolge aus Anwälten und Gerichtsbeamten konnte nicht den Schein eines fairen Prozesses erzeugen, denn Freisler war zugleich Ankläger und Richter. Mit Eckenkragen, weißer Fliege und roter Robe über dem Anzug genoss er es, die Hauptrolle im Drama zu spielen. Seine wichtigsten Kulissen waren der Richtertisch und dahinter eine große Hakenkreuzfahne, in deren Falten sich eine Kamera verbarg. Freisler verhielt sich außerordentlich inhuman: Er unterbrach die Angeklagten, schrie sie nieder, beleidigte und beschimpfte sie. Führende Wehrmachtsoffiziere und Adlige sollten wie gewöhnliche Kriminelle wirken und hatten keine Schnürsenkel, Gürtel und Hosenträger, damit sie beim Aufstehen ihre Hosen festhalten mussten. Ein Pressevertreter erinnerte sich, dass Freislers »Hass« sich vor allem gegen den »repräsentativen Hassell« richtete: »Ihn nannte Freisler schreiend den ›Vater der Lüge‹, bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hatte.« Der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt wohnte als militärischer Beobachter ebenfalls dem Prozess bei. In seinen Memoiren Was ich noch sagen wollte erinnerte er sich an Hassells würdevolles Auftreten: »Wenn Hassell von Freisler angesprochen wurde, stand er auf und blieb stehen, und wenn die Anrede zu Ende war, setzte er sich wieder hin; dabei verzog er keine Miene, machte keine Geste. Hassell ist als Held gestorben. Nach dem Krieg habe ich seiner Witwe einen Brief geschrieben. Ich sah es als meine Pflicht an, ihr zu sagen, welch großen Eindruck ihr Mann in seinen letzten Stunden auf mich gemacht hatte.« In diesem Brief vom Juni 1946 kam Schmidt zu dem Schluss: »Die ganze Verhandlung war eine einzige Schaustellung Freislers, der dabei Goebbels’sche Intelligenz und demagogische Zungenfertigkeit mit dem Jargon des Pöbels vereinigte. Dass diese Verhandlung aller Prozessordnung hohnsprach; dass keine Zeugen da waren; dass die Offizialverteidiger ganz offenbar erst in der voraufgehenden Nacht bestimmt worden waren; dass die Angeklagten kaum einen Satz voll146

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enden konnten, ohne unterbrochen zu werden; dass nur verhandelt wurde, was in den Freisler’schen Plan passte: Es war so bedrückend, dass ich es nicht vermochte, auch den zweiten Tag wieder hinzugehen.« Über ihren Ehemann schrieb er: »Er folgte der Verhandlung mit ­abgewandtem Blick und starren Gesichtszügen, denen die Verachtung für dieses Gericht abzulesen war, und gab die verlangten Antworten in knappster Form, ohne Freisler anzusehen. Ich glaube, dass selbst die SS -Führer im Zuhörerraum gemerkt haben, wer hier der eigentliche Sieger war … Sie werden verstehen, gnädige Frau, dass von dieser Zeit an der Konflikt zwischen der Erkenntnis des Endes, dem wir zusteuerten, und der soldatischen Pflichterfüllung gegen das Vaterland, zu der wir ja doch einmal unabdingbar erzogen waren, gerade in uns jüngeren Offizieren unerträglich wurde.« Hassell beendete seine Erklärung vor Gericht mit den Worten: »Eine Regierung, die erkennen muß, daß ihre Politik das Land in den Abgrund einer furchtbaren Katastrophe reißen wird, hat die Pflicht, rechtzeitig die Zügel einer anderen zu überlassen, damit diese versuchen kann, die Dinge zu wenden. Es ist keine Identität zwischen Regierung und Volk. Das Volk ist ewig, jede Regierung vorübergehend, aber verantwortlich.« Wie seine neun Mitangeklagten wurde Hassell am 8. September zum Tode verurteilt. Binnen zwei Stunden nach der Urteilsverkündung wurde die Strafe im Zuchthaus Plötzensee vollstreckt. Er hatte keine Zeit mehr, an seine Kinder zu schreiben. Ilse, seinem »Sonnenschein«, hinterließ er aber die folgenden Zeilen: Mein geliebtes Ilseken! Heute vor 30  Jahren habe ich meine französische Kugel bekommen, die ich bei mir trage.* Heute ist auch das Urteil des Volksgerichtshofes gefällt worden. Wenn es wie ich annehme vollstreckt wird, so endet nun das über *  Genau dreißig Jahre zuvor, am 8. September 1914, hatte Hassell in der Ersten Marneschlacht eine lebensgefährliche Verletzung erlitten. Reste der Kugel steckten immer noch in seinem Herzen.

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alle Maßen reiche Glück, das mir durch Dich geschenkt worden ist. Es war gewiß zu reich, um länger zu dauern! Ich bin auch in diesem Augenblick vor allem von tiefer Dankbarkeit erfüllt, gegen Gott und gegen Dich. Du stehst neben mir und gibst mir Ruhe und Stärke. Dieser Gedanke übertönt den heißen Schmerz, Dich und die Kinder zu verlassen. Gott lasse Deine und meine Seele einst sich wiederfinden. Aber Du bist im Leben; das ist mein ganzer Trost in allen Sorgen um Euch, auch den materiellen, und um die Zukunft der Kinder, daß du stark und tapfer bist, ein Fels, aber ein lieber süßer Fels!, für die Kinder. Sei immer so gut und gütig wie Du bist, verhärte Dich nicht. Gott segne Dich und segne Deutschland! … In tiefer Liebe und Dankbarkeit küsse ich Dich! Dein Ulrich Hitlers Rache endete nicht mit Freislers Urteilsspruch. Er wollte die Verurteilten »aufgehängt wie Schlachtvieh« sehen, und er wollte ihren langsamen Tod. Die Witwen erhielten die Nachricht vom Tod ihrer Ehemänner durch offizielle Kanäle und dazu eine Rechnung für die Hinrichtung über 585 Mark und 74 Pfennig. Eine Traueranzeige zu veröffentlichen, wurde ihnen verboten. Die von Hitler bestimmte Hinrichtungsmethode führte nicht zum Genickbruch, wie beim üblichen Hängen. Es war eine langsame und schmerzhafte Strangulation. Auf seinen Befehl wurden die Hinrichtungen gefilmt, damit er sie sich in Ruhe immer wieder ansehen konnte. Laut seinem Architekten Albert Speer verbrachte Hitler ganze Abende damit, die Filme anzusehen. Auch Speer war dazu eingeladen, lehnte aber ab. Er sah jedoch »zahlreiche andere, meist niedere SS -Chargen und Zivilisten, zu dieser Vorführung gehen; aber keinen einzigen Offizier der Wehrmacht.« Die Trostlosigkeit der Hinrichtungen, als die zehn Männer unter dem grellen Licht der Kameras in den Tod gingen, ist im Bericht eines Gefängniswärters festgehalten:

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Stellen Sie sich einen Raum mit niedriger Decke und geweißten Wänden vor. Unter der Decke war eine Schiene angebracht, an der zehn große Haken hingen, wie die, welche die Metzger brauchen, um ihr Fleisch aufzuhängen. In einer Ecke stand eine Filmkamera. Scheinwerfer gaben ein grelles, blendendes Licht wie in einem Atelier. In diesem sonderbaren kleinen Zimmer befanden sich der Generalstaatsanwalt des Reiches, der Scharfrichter mit seinen beiden Gehilfen, zwei Filmoperateure und ich selbst mit einem zweiten Gefängniswärter. An der Wand stand ein kleiner Tisch mit einer Flasche Kognac und Gläsern für die Zeugen der Hinrichtung. Die Verurteilten wurden hereingeführt; sie hatten nur ihre Sträflingsanzüge an und trugen Handschellen. Sie wurden in eine Reihe gestellt. Grinsend und unter Witzen machte sich der Scharfrichter zu schaffen. Er war in seinen Kreisen für seinen »Humor« bekannt. Keine Erklärung, kein Geistlicher, keine Journalisten. Einer nach dem anderen, alle zehn kamen dran. Alle zeigten den gleichen Mut. Das dauerte alles in allem fünfundzwanzig Minuten. Der Scharfrichter grinste ständig und machte dauernd seine Witze. Die Filmkamera arbeitete ohne Unterbrechung, denn Hitler wollte sehen und hören, wie seine Feinde starben. Am gleichen Abend, in der Reichskanzlei, konnte er sie auf der Leinwand betrachten.

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Teil V 16 Am 9. September, dem Tag nach der Verurteilung Hassells, lag Fey morgens um sieben friedlich im Bett, als es an der Tür klopfte: »Es war Leutnant Kretschmann. Sein Ausdruck war starr vor Entsetzen, das Gesicht bleich und die Augen weit aufgerissen. Er wagte es nicht, mich anzusprechen. Schließlich fragte ich ihn: ›Um Himmels Willen, was ist denn passiert?‹ Er antwortete nur: ›Welch ein Glück, daß Sie noch zu Hause sind.‹ ›Ja warum sollte ich denn nicht zu Hause sein?‹ ›Haben Sie denn gestern abend oder heute früh noch keine Nachrichten gehört?‹ ›Nein, ich hatte Gäste, aber nun sagen Sie mir doch endlich, was passiert ist.‹ ›Ihr Vater ist verhaftet und verurteilt worden. Sie haben ihn gehenkt.‹« Fey bemühte sich, keine Regung zu zeigen, aber während sie versuchte, die Fassung zu behalten, begann ihr ganzer Körper zu zittern. Ohne Umschweife sagte Kretschmann kalt, als politischer Offizier der Einheit sei es seine Pflicht, sie bei den Behörden zu melden. Auf sein Betreiben sei Oberst Dannenberg am Morgen nach Udine gefahren, um die Gestapo zu informieren, dass Ulrich von Hassells Tochter in der Nähe wohne. Sie sollte unter ständiger Beobachtung bleiben, während sie auf weitere Befehle aus Berlin warteten. Zitternd lag Fey da, während ihre Gedanken rasten. »Meine Gedanken flogen zu den Kindern? Waren sie auch in Gefahr? Mein Vater … ich durfte nicht einmal daran denken. Ich erkannte in diesem Augenblick auch, dass ich mit Major Eisermanns Versetzung meinen Schutz verloren hatte. Eisermann hätte es sicher anders gemacht; vielleicht hätte er mir sogar geholfen, mit den Kindern zu entkommen. 150

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Doch Dannenberg war anders veranlagt; er hätte nie den Mut aufgebracht, eine solche Entscheidung allein zu treffen.« Kretschmann konnte Fey nicht sagen, wie lange eine Antwort aus Berlin dauern würde; sie wusste aber, dass sie vor allem alles belastende Material vernichten musste, solange noch Zeit war. Sofort dachte sie an Detalmos Briefe aus Rom, dann erinnerte sie sich, dass er unter den Pseudonymen »Giuseppe« und »Isabella« geschrieben hatte. Ihre eigenen Tagebücher waren jedoch überaus problematisch. Es waren mehr als sieben Bände, die bis in ihre Kindheit in Rom zurückreichten: »diese Notizbücher hätten den eindeutigen Beweis dafür geliefert, wie sehr ich die Nazis haßte.« Fey hatte über das Wochenende Freunde zu Besuch. Sie fasste sich und sagte Kretschmann, es sei unter den gegebenen Umständen das Beste, wenn sie abreisten. Als er sie ein paar Minuten allein ließ, damit sie sich anziehen konnte, holte sie die Tagebücher aus einer Schreibtischschublade und packte sie in eine Tasche. Im Lauf des Vormittags verabschiedete sie sich von ihren Freunden und konnte die Tagebücher im Gepäck verstecken, während Kretsch­ mann ihr den Rücken zukehrte. In Berlin hatte Hitler Himmler damit betraut, an den Familien der Juli-Verschwörer – diesem »Schlangengezücht« – Rache zu nehmen. Wenig später beschwor der Organisator des Terrors das Prinzip der »Sippenhaft«. Es stammte aus dem germanischen Recht, war aber seit dem Mittelalter nicht mehr angewandt worden und wurde von Himmler wiederbelebt, um die Familien der Verschwörer zu bestrafen. Nach dieser Lehre offenbarte der Verrat krankes Blut nicht nur beim Schuldigen selbst, sondern auch bei seiner Familie. Sie war daher an dem Verbrechen mitschuldig. »Und bei der Blutrache wurde ausgerottet bis zum letzten Glied in der ganzen Sippe. Die Familie Graf Stauffenberg wird ausgelöscht bis ins letzte Glied«, verkündete Himmler vor Gauleitern am 3. August. Die folgenden Wochen brachten Massenverhaftungen von Verwandten der Hitler-Attentäter, bis hin zu Groß- und Schwiegereltern, Brüdern, Schwestern und Kindern. 151

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Ende August waren die Verhaftungen abgeschlossen. Über 180 »Sip­ penhäftlinge« waren inhaftiert worden. Da sie unter dem Namen ihres Mannes in Italien lebte, war Fey aber Himmlers Netz entkommen. Im Berliner Reichssicherheitshauptamt hatten die Ermittler, die Verwandte der Verschwörer finden sollten, sie nicht mit Ulrich von Hassell in Verbindung gebracht. Es hatte des eifrigen jungen Leutnants Kretschmann bedurft, um die Gestapo auf sie aufmerksam zu machen. Daraufhin wurde sie sofort tätig. Kurz nach zehn Uhr – nur drei Stunden, nachdem Fey von der Hinrichtung ihres Vaters erfahren hatte – kam Oberst Dannenberg mit einem SS -Mann, um sie abzuholen. Während sie ihre Sachen zusammensuchte, klammerten Roberto und Corrado, die spürten, dass etwas nicht stimmte, sich an sie. »Ich war entsetzt und verzweifelt bei dem Gedanken, die Kinder, die mich schweigsam mit verängstigten Augen ansahen, zurücklassen zu müssen. Mein einziger Trost war, daß Ernesta und Mila sich liebevoll um sie kümmern würden. Ich bat Ernesta, in meinem Bett im Kinderzimmer zu schlafen, und den Kleinen sagte ich, ich käme in wenigen Stunden zurück.« Draußen im Hof hatten sich Hausangestellte und Soldaten versammelt, um ihr Lebwohl zu sagen. Ein Stück weiter standen die Bauern des Anwesens. »Während mich der SS -Mann zu Dannenbergs Auto brachte, sah ich, wie die Familie Bovolenta mir entsetzt aus ihren Fenstern nachsah. Nonino weinte, Mila auch. Die deutschen Soldaten schienen erschüttert, ja fassungslos. Ernesta hatte ich gebeten, mit den Kindern im Haus zu bleiben, damit sie nicht sahen, wie ich fortgebracht wurde.« Oberst Dannenberg fuhr Fey nach Udine, und während der Viertelstunde im Wagen sagte niemand ein Wort. Im Stadtzentrum bog der Wagen in eine Seitenstraße und hielt vor einem großen Palazzo, den die Gestapo als örtliche Zentrale übernommen hatte. Das schöne ockerfarbene Gebäude aus dem 18. Jahrhundert mit gemeißelten Steinbalkonen lag hinter dem Dom. Wolken von roten Geranien wuchsen an den Säulen der Balkonbalustraden. Als Fey emporschaute, 152

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erkannte sie gleich, dass der Palast langjährigen Freunden von Detalmos Familie gehörte, bei denen sie zu Beginn ihrer Ehe einmal zum Essen gewesen war. Während der SS -Mann sie die Stufen zum Eingang hinaufbegleitete, kam eine Frau auf sie zu. Sie war mit einem führenden Rechtsanwalt in Udine verheiratet und bat sie um Hilfe für ihren Mann, den die Gestapo kürzlich verhaftet hatte, weil er eine Gruppe von Juden verteidigt hatte. Der SS -Mann stieß sie grob beiseite und sagte Fey, sie dürfe mit niemandem sprechen. Hilflos und von der ersten Annahme der Frau, sie sei mit den Deutschen im Bunde, gedemütigt, konnte Fey nur ein Zeichen machen, dass auch sie eine Gefangene sei. Im Palazzo ließ die Gestapo Fey warten, während sie beriet, was zu tun sei. Laut den Befehlen aus Berlin war sie im Gefängnis der Stadt in Einzelhaft zu halten. In den letzten Wochen hatte die SS aber Hunderte Männer und Frauen inhaftiert, und die Einzelzellen waren voll. An diesem Punkt – oder noch bevor sie festgenommen wurde – hätte der SS - und Polizeichef Ludolf von Alvensleben, den Fey mehrmals zum Tee eingeladen hatte, den Haftbefehl widerrufen können. Als fana­tischer Nazi verabscheute er jedoch die Juli-Verschwörer, und nach langer Wartezeit fuhr die Gestapo sie zum Gefängnis und übergab sie den Nonnen, die die Frauenabteilung betreuten. Fey beschrieb die dortigen Umstände: »Im Frauentrakt waren 150 Häftlinge in Zellen zusammengedrängt, die eigentlich für 40 vorgesehen waren. Die Frauen wurden von Nonnen aus dem Orden ›Ancelle della Carità‹ bewacht, die diesen Beruf schon seit Jahren ausübten. Da sie bis vor wenigen Monaten ausschließlich mit Verbrecherinnen zu tun gehabt hatten, war ihr Ton schroff und mürrisch. Die politischen Häftlinge waren empört, daß sie zusammen mit Verbrecherinnen untergebracht waren und schlafen mußten. In der einen Riesenzelle gab es keine Betten, 40 Frauen mußten eng aneinandergereiht ohne Decken auf Brettern schlafen, die man einfach auf den Fußboden gelegt hatte. Ich hatte dennoch Glück, ich mußte meine Zelle mit nur zwei anderen Frauen teilen. Für insgesamt 150 Häftlinge gab es nur eine einzige Toilette, die man zweimal am Tag benutzen durfte. Dafür wurden die Zellentüren geöffnet, und man mußte lange 153

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anstehen, bis man endlich in das primitive und unglaublich schmutzige Örtchen gelangte.« Die später als Santa Maria di Rosa heiliggesprochene Tochter eines reichen Adligen hatte den Orden der Mägde der Liebe 1840 gegründet. In ihrem Geburtsort Brescia, einer Industriestadt am Fuß der Alpen, widmete sie sich seit ihrer Jugend der Pflege der Kranken und Bedürftigen und lehnte Heiratsanträge ab, um sich um die Arbeiter in den Textilfabriken ihres Vaters zu kümmern. Sie pflegte sie während der Choleraepidemie von 1836 und gründete auf dem Anwesen ihrer Familie eine Frauengilde und ein Heim für taube Kinder. »Ich kann nicht ruhigen Gewissens schlafen gehen, wenn ich während des Tages eine noch so kleine Gelegenheit verpasst habe, ein Übel zu verhindern oder etwas Gutes zu fördern«, sagte sie einmal. Hundert Jahre später hatten die Mägde der Liebe sich von den Prinzipien ihrer Gründerin entfernt. Die Seelsorge war auf ein Minimum geschrumpft. Die Nonnen reinigten kaum die Zellen, und das Gefängnis war voller Mäuse und Ungeziefer. Die einzige Mahlzeit des Tages war ein Teller dünne Suppe. Damit die Nonnen nichts Nahrhafteres besorgen mussten, durften die Gefangenen Essen von Verwandten und Freunden erhalten oder in nahe gelegenen Restaurants bestellen. Ebenso wenig schienen die Mägde sich um die Seelen derer zu kümmern, die ihnen überantwortet waren. Die meisten Frauen waren inhaftiert, weil ihre Nachbarn sie denunziert hatten; sie wussten selten, warum sie dort waren. Bei der Gründung des Ordens war es das Ziel der hl.  Maria gewesen, »Übel zu verhindern« und Seelsorge zu bieten. Dennoch machten die Nonnen keinen Versuch, bei der Gestapo für die Frauen zu bitten oder ihnen geistlichen Rat zu spenden. »Ohne Zweifel  – was die Nonnen am besten konnten, war das Beten«, erinnerte sich Fey. »Morgens beim Wecken fingen sie damit an, vor und nach den Mahlzeiten ging es weiter, während des Toilettenganges, während des täglichen Hofgangs, abends – sie beteten ständig. Um 20 Uhr öffneten sie die Klappe in der Zellentür und riefen mechanisch mit hoher Stimme: ›Gelobt sei Jesus Christus!‹, und wir muß154

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ten antworten: ›In Ewigkeit Amen!‹ Jeden Morgen wurde in der kleinen Gefängniskapelle die Messe gelesen. Weil dies eine Abwechslung im monotonen Gefängnisleben bedeutete und wir zu dem Zweck die Zellen verlassen durften, ging beinahe jede zur Messe. Während uns das ständige, stereotype Beten auf die Nerven ging, war die Messe etwas Schönes, das Herz und Geist besänftigte.« Zu Feys Überraschung besuchte Leutnant Kretschmann sie am ersten Tag im Gefängnis. Er brachte Weißbrot und ein gebratenes Hähnchen von Nonino mit. Sein Verhalten war einschmeichelnd, seine Höflichkeit entwaffnend. Er wollte sie davon überzeugen, wie sehr sie in Brazzà vermisst werde; ohne sich seine eigene Schuld anmerken zu lassen, sagte er, die Soldaten seien so schockiert und traurig über ihre Festnahme, dass sie mit der Arbeit aufgehört und sich betrunken hätten. Er erzählte auch, er und Oberst Dannenberg täten für ihre Freilassung, was sie könnten. Fast jeden Tag kam einer der beiden Offiziere zu Besuch. Sie brachten Lebensmittel und Bücher mit und versicherten ihr, sie bald »aus dieser Hölle zu befreien«. Zunächst machte ihre Zuwendung Fey ­wütend. Sie waren für ihre Festnahme verantwortlich, wie konnten sie es also wagen, falschen Trost zu spenden? Mit der Zeit wurde sie aber von ihrer Sorge überzeugt. Die beiden Offiziere schienen sich für sie einzusetzen, und ihre Anstrengungen für ihre Freilassung schienen von echten Gewissenbissen motiviert. Außerdem durfte niemand anders sie besuchen, und es war schon ein Trost, »ein paar Worte mit jemandem von draußen wechseln zu können«. Am 19. September, nach zehn Tagen Haft, gelang es Kretschmann und Dannenberg, die Gestapo zu überzeugen, Fey nach Brazzà zurückkehren zu lassen. Sie musste aber unter strenger Beobachtung bleiben, bis weitere Anweisungen aus Berlin kamen. Als Fey nach Hause kam, erwarteten die Soldaten und Hausangestellten sie an der Zufahrt. Auch Corrado und Roberto waren dort. Als der Wagen vorfuhr, liefen sie zu ihr, um sie zu begrüßen. Kretsch­ mann brachte sie gleich nach drinnen und ließ Fey den Rest des Tages mit den Jungen allein: »Die Freude, die Kinder wiederzusehen, war 155

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unbeschreiblich.  … Ich kniete mich neben die Kinder; Corradino blieb ganz still und unbeweglich, und als ich vor lauter Freude, wieder bei den Kindern zu sein, meine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, wiederholte er immer wieder: ›Mama weint. Corradino will Mama trösten.‹ Robertino hingegen, der kleinere, wollte mir auch auf seine Weise seine Freude bekunden und robbte deshalb wie besessen auf allen vieren von einer Ecke des Zimmers zur anderen. Als ich dann abends mit ihnen betete, sagte Corradino: ›Mama darf nie mehr fortgehen, ohne Corradino Bescheid zu sagen. Das ist schrecklich.‹ In der Überzeugung, nie mehr von ihnen fort zu müssen, versprach ich es ihm.« Dieses Versprechen wurde von den Ereignissen der folgenden Tage durchkreuzt.

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17 Kretschmann hielt Fey und die Kinder gefangen. Unter penibler Beachtung der Gestapobefehle sperrte der junge Leutnant sie abends ein und ließ sie am Tag nicht hinausgehen. Für ihren Arrest hatte er neue Räume gewählt. Im Erdgeschoss des Ostflügels der Villa waren sie sicherer; die Fenster waren vergittert und machten eine Flucht unmöglich. Es war dieselbe Suite, die der italienische König während seines kurzen Aufenthalts in Brazzà im April 1941 bewohnt hatte. Auf der einen Seite schauten sie auf die Burgruine, auf der anderen auf die schöne Kapelle, in der die Heiraten, Taufen und Beerdigungen von Detalmos Vorfahren stattgefunden hatten, seit sie die Burg im 13. Jahrhundert erworben hatten. Die Zimmer waren aber kleiner als im Westflügel, und Fey vermisste den Blick in den Garten. Während sie auf weitere Anweisungen aus Berlin wartete und die Kinder unruhig wurden, weil sie eingesperrt waren, zogen die Tage sich hin. Aber sie war bei ihnen – das war die Hauptsache. Die Nachricht von ihrer Rückkehr verbreitete sich rasch, und Kretsch­mann erlaubte ihr, Besucher zu empfangen, was die Langeweile der Tage im Haus unterbrach. Freunde und Nachbarn kamen, und sie war fast keine Minute allein. Mit Erleichterung hörte sie, dass ihre Haft jeden Verdacht der Kollaboration mit den Deutschen zerstreut hatte. Während sie im Gefängnis war, hatten die Bauern für sie gebetet und beteten weiterhin für sie, was bewies, dass sie von ihnen akzeptiert wurde. Ihre Besucher erzählten ihr, was in der Gegend inzwischen geschehen war. Viele Soldaten waren hierher verlegt worden, und man befüchtete, die Wehrmacht wolle eine Offensive starten. Entlang des Kamms zwischen den Bergdörfern Faedis und Nimis, die zehn Kilometer östlich von Brazzà lagen, befestigten die Partisanen ihre Stellungen. Sie hatten Gräben ausgehoben und die Straße mit Stacheldraht und Barrieren gesperrt. In Udine beschlagnahmten die Deutschen 157

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zahlreiche Villen und holten die Vorräte an Pasta, Fleisch und Mehl aus den Lagerhäusern. Zugleich schienen die Faschisten neues Selbstbewusstsein gewonnen zu haben und stolzierten in ihren schwarzen Uniformen mit Pistolen, Dolchen und Handgranaten am Gürtel herum. Was Fey aber vor allem hören wollte, waren Nachrichten von ­Detalmo. Sie hatte seit Juni nichts mehr von ihm gehört, als er ihr schrieb, er bleibe in Rom. Am Morgen ihrer Festnahme hatte sie über das Rote Kreuz eine Nachricht an ihn gesandt, dass die SS sie nach Udine bringe und ihr Vater tot sei. Hatte er sie bekommen? Oder war seine Antwort hängen geblieben oder verloren gegangen? Sein Schweigen verstärkte das Gefühl der Verlassenheit, das sie spürte, seit sie erfahren hatte, er werde nicht heimkommen. Auch von ihrer Familie in Deutschland kein Wort. Zwei Wochen waren seit der Hinrichtung ihres Vaters vergangen, und sie hatten nicht geschrieben. In einer solchen Zeit so weit von ihrer Mutter, ihren Brüdern und ihrer Schwester entfernt zu sein, war zutiefst verstörend. Sie sehnte sich mit allen Fasern danach, bei ihnen zu sein, sie trösten und ihren Schmerz mit ihnen teilen zu können. Da sie nicht wusste, was mit ihnen geschehen war, machte sie sich ständig Sorgen. Allein und abgeschnitten von den Menschen, die sie liebte, wurde Fey durch einen Brief getröstet, der sie bei ihrer Rückkehr erwartete. Er kam von Santa Hercolani, der sie ihre Enttäuschung anvertraut hatte, dass Detalmo in Rom bleiben wollte. Sie war zehn Jahre älter als Fey und stand auch ihrer Mutter Ilse nahe. Sie waren Freundinnen geworden, als Ulrich von Hassell Anfang der 1930er-Jahre seinen Posten in Rom antrat. Obwohl Santa ihre Worte aus Angst vor dem deutschen Zensor vorsichtig gewählt hatte, merkte Fey, dass auch sie verzweifelt auf Nachrichten von Ilse wartete: Liebste Fey, ich wollte Dir nur sagen, daß ich Dir ganz nah bin. Du ahnst und verstehst bestimmt meine Verfassung und weißt, was ich fühle. Vergiß nie, in mir eine alte, eine uralte Schwester zu sehen, für mich bist Du viel mehr als eine Freundin. Wenn Du 158

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kannst, schreib mir, und wenn Du irgend etwas Näheres weißt, dann sag es mir bitte … Jetzt geht der wirkliche Sturm erst los, und ich denke an Deine Mutter, an Wolf-Ulli und an all das, was uns vielleicht für immer verloren geht … * Fey war seit zwei Tagen zu Hause, als ihre Nachbarin Pia Tacoli, die Schwester des Osoppo-Führers Ferdinando, zu Besuch kam. In den letzten Wochen hatten die Deutschen auch das Haus der Tacolis beschlagnahmt; es diente als Feldhospital für Soldaten, die im Kampf gegen die Partisanen verwundet worden waren. Diese Ironie amüsierte Pia und ihren Bruder, denn das Haus war eine Hochburg des Widerstands. Es lag gut einen Kilometer jenseits der Felder von Brazzà. An diesem Morgen machte Pia aber einen sorgfältigen Umweg. Als sie die Burgruine erreichte, wartete sie hinter einer Mauer, bis der Wachtposten, der auf dem Pfad vor Feys Fenstern patrouillierte, außer Sicht war. Pia wollte ihr einen Rettungsplan vorschlagen, den sie mithilfe der Osoppo-Partisanen entworfen hatte. Vor Feys Fenstern führte ein Weg durch den Wald zu einem kleinen Holztor an der Hauptstraße. Wenn es ihr gelänge, mit den Jungen aus dem Haus zu kommen, würde Pia dort mit einer Kutsche warten und sie zu den Partisanenverstecken in den Bergen bringen. Um das Risiko deutscher Vergeltungsmaßnahmen zu vermeiden, hatten die Männer und Frauen, die in den Wäldern von Brazzà arbeiteten, Schweigen gelobt. Fey erkannte, dass der Plan voller Gefahren war. »Der deutsche Wachtposten, der Tag und Nacht patrouillierte, musste umgangen werden. Ich hatte auch Angst um Pia, denn die Deutschen würden ihre Abwesenheit mit meinem Verschwinden verbinden. Der Hauptgrund, warum ich ihr mutiges Angebot ablehnte, war aber, dass ich schreckliche und willkürliche Vergeltungsaktionen gegen meine Familie befürchtete, wenn ich entkam. Ich konnte nicht das Risiko eingehen, dass meine Mutter und meine Schwester eingesperrt würden oder sogar wegen mir ins Konzentrationslager kämen.« 159

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Am vorigen Tag hatte Fey endlich einen Brief von ihrer Mutter bekommen. Sie stand mit Almuth im Ebenhausener Haus unter Hausarrest. Der Brief war undatiert, aber Fey schöpfte daraus Mut: »Sie sprach von einem kleinen Hoffnungsschimmer für das Leben meines Vaters. Erleichterung durchfloss mich. War der Radiobericht über den Tod meines Vaters falsch gewesen? Ich hatte schon ein Kapitel meines Lebens abgeschlossen, als ich im Udineser Gefängnis war und von Bildern seines schrecklichen Todes heimgesucht wurde. Obwohl es unsinnig erschien, im Radio eine solche Lüge zu bringen, traute ich den Nazis alles zu. Diese Idee, die entfernte Möglichkeit, dass mein Vater nicht mit den anderen hingerichtet worden sei, gab mir neue Hoffnung.« Die Nachricht von ihrer Mutter und der täuschende Trost der Routine in Brazzà mit ihrem vertrauten Tagesrhythmus und der treuen Unterstützung durch Nonino und Ernesta bedeutete, dass Fey die ­Gefahren ihrer Lage verdrängte. »Ich wusste, dass die Gestapo gründlich war, aber ich wusste noch nicht, wie gründlich.« Am Abend des 25. September – sechs Tage nach Feys Rückkehr nach Brazzà – erhielt Oberst Dannenberg einen Anruf von der Gestapo in Udine. Fey und die Kinder sollten nach Österreich deportiert werden; sie hatte 36 Stunden Zeit, ihre Abreise vorzubereiten. Der Anruf kam kurz bevor Dannenberg einen Umtrunk für Leutnant Kretschmann geben wollte, der am nächsten Tag versetzt werden sollte. Der Oberst lud Fey ein, daran teilzunehmen, doch nachdem sie die Gläser auf die Zukunft des Leutnants gehoben hatten, hatten weder er noch Kretschmann den Mut, ihr zu sagen, dass sie und die Kinder abgeholt werden sollten. Stattdessen schrieb Dannenberg ihr am frühen Morgen des nächsten Tages einen Brief, bevor er zu einem Termin wegfuhr, und ließ ihn durch seinen Adjutanten zustellen. Fey wurde in ihrem Schlafzimmer vom Geräusch des Briefs geweckt, der unter der Tür durchgeschoben wurde. Dannenberg schrieb:

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Liebe gnädige Frau! Es fällt mir sehr schwer, Ihnen diese Zeilen zu schreiben, es bleibt mir aber leider nichts übrig, als diese harte schriftliche Form zu wählen, weil dienstlich alles so ungünstig zusammentrifft. Ich muß heute vor 12 Uhr in Verona sein und vorher noch beim Regiment vorsprechen. Ich werde mich aber so beeilen, daß ich morgen vormittag bei Ihnen sein kann. Um es möglichst kurz zu machen: Man hat mir gestern vormittag mitgeteilt, daß Sie sich auf eine Reise vorbereiten müssen, deren Ziel zunächst Innsbruck ist. Die Kinder reisen mit Ihnen. Sie können Handgepäck mitnehmen, in das Sie das Nötigste für sich selbst, gnädige Frau, und die Kinder packen müssen. Am Bahnhof, wohin ich Sie selbst fahren werde, wird ein Reisebegleiter in Zivil sein, der Sie nach Innsbruck bringen wird. Ich habe mich bemüht, irgendwelche Einzelheiten zu erfahren, leider vergeblich. Ich kann Ihnen zum Trost aber sagen, daß ich den Eindruck habe, daß wir uns bald hier wiedersehen, vorausgesetzt, daß wir selbst noch hier sind. Also, liebe gnädige Frau, Kopf hoch, wenn es Ihnen auch schwer fällt. Man darf nie den Mut verlieren. Sie selbst haben mit der ganzen fraglichen Angelegenheit doch nichts zu tun! Immer zuversichtlich sein und sich nichts anmerken lassen. Mein neuer Adjutant wird Ihnen heute diesen Brief übergeben. Die genaue Zeit der Abreise weiß ich noch nicht, ich weiß nur, daß es Mittwoch früh sein soll. Genauerer Bescheid kommt noch während meiner Abwesenheit. Also nochmals, gnädige Frau: Kopf hoch!!! Ihr sehr ergebener Dannenberg Rasch las Fey den Brief noch einmal, um sicher zu sein, dass sie ihn richtig verstanden hatte. Der Inhalt warf sie fast um, und Mut war das Letzte, was sie verspürte: »Eine tiefe, grenzenlose Verzweiflung packte mich. Ich hatte zwar mit der schrecklichen Möglichkeit einer Deportation gerechnet, aber im Innersten hatte ich doch darauf gebaut, daß die Gestapo in Berlin einen derartig nebensächlichen Fall 161

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Innsbruck, 1939

Das Kinderheim Wiesenhof

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Die Villa in Brazzà

Ansicht von Brazzà mit Burg und Gutshof

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Robert Foster, Kommandeur der Desert Air Force

Nonino in Brazzà

Ulrich von Hassell mit Hitler und Mussolini in Venedig, 1934

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Ulrich von Hassell mit Mussolini in Rom, 1936

Fey, als 16-Jährige, mit ihrem Vater

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Die Familie von Hassell, um 1936 (von links nach rechts): Wolf Ulli, Hans Dieter, Ulrich, Almuth, Fey und Ilse. Heinrich Himmler mit Hassell (links) am Tag der Nationalen Polizei, Villa Glori, Rom, 1937. Rechts von Himmler Arturo Bocchini, Chef der italienischen Polizei, ganz rechts Reinhard Heydrich, Chef des SD und der Gestapo.

Generaloberst Ludwig Beck

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Generalmajor Henning von Tresckow

Fey 1942

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Fey und Detalmo bei ihrer Hochzeit in Ebenhausen, Januar 1940

Fey und Detalmo mit Corrado, November 1940

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Nonino und die Landarbeiter in Brazzà spannen Mirko für eine Ausfahrt an. Fey und Detalmo sitzen in der Kutsche.

Ulrich von Hassell mit seinen Enkeln Corrado und Roberto in Ebenhausen, Juni 1943

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wie den meinen übersehen könnte. Schließlich lebte ich alleine mit meinen zwei Kindern auf dem Land, und im Ausland! Jetzt stand ich vor vollendeten Tatsachen, nun griff der höllische Terror der Nazis auch nach mir.« Ihre Verzweiflung mischte sich mit Zorn, sie gab sich selbst die Schuld. Hätte sie nur auf Detalmo gehört und die Jungen nach dem Waffenstillstand nach Rom gebracht oder wenigstens das Angebot seiner Cousins angenommen, auf ihrem Gut Frassanelle bei Padua zu bleiben. Mit einem Anflug von Schuldgefühl merkte sie, dass sie sich zwar eingeredet hatte, sie sei in Brazzà geblieben, um das Haus und die Familien auf dem Gut zu schützen, in Wahrheit aber Angst gehabt hatte wegzugehen. Brazzà hatte sie beschützt. Es war ihre Schutzhülle gegenüber der Welt, es gab ihr Sicherheit. Durch ihre Schwäche hatte sie die Kinder gefährdet. Wenn ihnen etwas zustieß, war es ihre Schuld. Einige Minuten später kam der Adjutant zurück, um ihr zu sagen, sie werde am nächsten Tag bei Sonnenaufgang mit den Jungen abreisen. Da sie keine 24 Stunden Zeit mehr hatte, musste Fey noch viel erledigen: »Die Kinder besaßen weder kräftige Schuhe noch warme Wollsachen für den Winter im Norden. Der Schuster arbeitete die ganze Nacht durch. Die Strickfrau brachte mir spät abends die Pullover für die Kinder, die ich vor 14 Tagen bestellt hatte und die sie nun in Windeseile fertig gestrickt hatte. Ich bat Alvise di Brazzà, Bovolenta bei der Verwaltung zu helfen. Der deutsche Stabsarzt Dr.  Walther Lutz besorgte mir 300 RM , die ich zusammen mit 3000 Lire in mein Jackenfutter einnähte. Im Gepäck hatte ich fast nur Lebensmittel. Nach einem verbissenen Zweikampf zwischen Nonino und mir gelang es ihm, mir wahrhaftig einen ganzen Schinken und viele Salamis aufzudrängen. Anna Brazzà schenkte mir 600 Zigaretten, die sich später als das kostbarste Gut herausstellten. Familie Stringher brachte mir eine Unmenge Fleischkonserven, Milchdosen, Tee und Kekse.« Spätabends kam Pia Tacoli zum zweiten Mal in einer Woche. Als sie von Feys Schicksal erfahren hatte, war sie zu den Osoppo-Verste170

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cken in den Bergen geritten – ein gefährlicher Weg, auf dem man viele deutsche Kontrollpunkte umgehen musste. Sie hatte die Partisanen an den Hängen des Monte Joanaz gebeten, einen letzten Rettungsplan zu entwerfen. Was sie nun beabsichtigten, war riskant. Wenn Fey mit den Jungen am nächsten Morgen nach Udine fuhr, wollten die Partisanen dem Wagen auflauern und die deutschen Bewacher töten. Dazu konnte Fey sich nicht durchringen, sosehr sie es auch wollte. Die Gefahr, dass die Kinder ins Kreuzfeuer gerieten, war zu groß, und obwohl Oberst Dannenberg sich als schwach und feige erwiesen hatte, würde er sie zum Bahnhof in Udine fahren, und sie wollte nicht schuld an seinem Tod sein. Pia machte sich in den frühen Morgenstunden erneut auf den langen und gefährlichen Weg ins Gebirge, um den Partisanen zu sagen, sie sollten nicht angreifen. Nachdem sie weg war, schrieb Fey an ihre alte Erzieherin Lotti. Ihre größte Furcht war, sie und die Kinder könnten einfach »verschwinden«. Ihr Vater hatte sie vor Hitlers »Nacht und Nebel«-­Befehl gewarnt. Er betraf die Familien politischer Gegner in den besetzten Ländern und sollte den Widerstand niederschlagen, indem er eine Atmosphäre von Geheimnis und Furcht erzeugte. Der Erlass bestimmte, die Festgenommenen seien heimlich in Konzentrationslager in Deutschland zu transportieren, worüber die Angehörigen nicht ­informiert werden sollten. Die Nazis hatten sogar das Attribut »vernebelt« für diese »Verschwundenen« geprägt. Für einen solchen Fall schrieb Fey an Lotti. Oberst Dannenberg hatte ihr geschrieben, sie komme »zunächst« nach Innsbruck; er war zuversichtlich, man werde sie nicht lange festhalten. Aber er konnte sich genauso gut irren. Die Gestapo würde ihre wahren Absichten kaum einem Wehrmachtsoffizier mitteilen. Während sie schrieb, versuchte Fey sich den schlimmsten Fall vorzustellen. Wenn sie wirklich nach Deutschland fuhr, konnte sie nicht sicher sein, die Kinder mitnehmen zu können. Wenn sie »verschwand«, bestand die Gefahr, dass sie für immer verloren sein würden. Detalmo hatte die Kinder seit dem Sommer 1943 nicht gesehen, und seine einzigen Fotos von ihnen waren zehn Monate alt. Sie wuchsen so schnell und veränderten sich so stark; wenn sie im Lager starb und Detalmo die Kinder suchen 171

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musste, würde er sie wiedererkennen? Das Gleiche galt für ihre Mutter; sie hatte die Kinder zuletzt im Winter 1942 gesehen, als Roberto erst vierzehn Monate alt war. Irgendjemand musste unbedingt die aktuellsten Fotos bekommen, und Lotti war die naheliegende Wahl. Sie gehörte seit den 1920er-Jahren zur Familie, war nicht ins Netz der Gestapo geraten und lebte mit ihrer Schwester Anni ruhig in Hamburg. Fey äußerte den Grund, warum sie die Fotos schickte, nicht offen, wusste aber, dass Lotti sie verstehen werde: Liebes Lottchen! In Eile ein paar Zeilen. Heute kam die Nachricht, daß ich morgen nach Deutschland transportiert werden soll zusammen mit den Kindern. Du kannst Dir meine Gefühle vorstellen. Aber man muß auch in schweren Stunden den Mut nicht sinken lassen und auf bessere Zukunft hoffen. – Ich habe Sorge, daß wir für lange Zeit nicht in Verbindung sein werden. Deshalb schicke ich Dir hier noch die sehr gelungenen Aufnahmen der Kinder. … Es muß noch viel besprochen und erledigt werden, daß ich den Brief jetzt schließe. – Denk an uns, altes Lottchen und liebe Annuschka (Lottis Schwester, Anni) und seid vielmals gegrüßt von Eurer im Augenblick durch die Abschiedsstunde etwas verzweifelten und zusammengebrochenen Li.* * Am nächsten Morgen war Fey vor Sonnenaufgang auf. Das Wetter war umgeschlagen, und es regnete bei kühlen zehn Grad. Sie weckte die Kinder um vier Uhr früh und zog ihnen die neuen Schuhe und Pullover an, wobei sie sagte, sie würden zusammen auf Abenteuer ausziehen. Zwei Stunden später erschien Oberst Dannenberg in Begleitung eines SS -Manns, um sie zum Bahnhof zu fahren. Als sie aus dem Haus geführt wurden, sah Fey bewegt, dass die Angestellten an der Zufahrt warteten: »Alle waren wachgeblieben, um mich *  Li war Feys Spitzname.

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wegfahren zu sehen. Nonino, Pina [seine Frau], Ernesta, Mila und ­Bovolenta mit seiner großen Familie. Alle weinten verzweifelt. Ich tat, was ich konnte, um die Fassung zu behalten, damit die Kinder nicht noch mehr verstört würden … Mit einem letzten Blick auf die versammelten Freunde und Nachbarn drückte ich die Kinder an mich und stieg in Dannenbergs Wagen, ohne glauben zu können, dass man mich wirklich wegbrachte.«

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18 Am Bahnhof Udine übergab Oberst Dannenberg Fey und die Kinder einem Gestapomann. Der Vorplatz war voller Soldaten. Sie standen in langen Reihen in Kampfanzügen da und warteten darauf, die Militärzüge zu besteigen, die im Bahnhof dauernd ein- und ausfuhren. ­Eini­ge Waggons waren gepanzert, unter den Geschütztürmen war deutlich das Hakenkreuz zu sehen. Kosaken zu Pferde mit umgehängten Gewehren und Munitionsgürteln in den Satteltaschen reihten sich ebenfalls zur Verladung auf. Der Lärm war ohrenbetäubend; Feldwebel brüllten Befehle, und Soldaten fluchten über Kosaken, deren Pferde sich aufbäumten und ausschlugen. Es war 6.20 Uhr am Morgen und der Beginn der lang erwarteten Offensive gegen die Partisanen. »Der Schlag, den wir stets vorausgesehen, dem wir aber irgendwie zu entkommen gehofft hatten, kam am 27. September, als der Feind eine Großoffensive startete«, berichtete der örtliche SOE -Kommandeur am 4. Oktober nach London. »Früher oder später glaubte man, wenn die Partisanen genug Schaden anrichteten, würde der Feind zurückschlagen. Man glaubte auch, man könne seiner Vergeltung widerstehen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er genügend Kräfte und Material für eine Großoffensive hatte.« Seit fast drei Monaten kontrollierten die vom SOE ausgebildeten Partisanen die Berge oberhalb von Brazzà, ein Gebiet von großer strategischer Bedeutung für die Wehrmacht. Die Straße zum Plöckenpass war eine Hauptnachschubroute aus Deutschland; sie war auch eine der wenigen offenen Rückzugslinien, falls der Krieg in Italien verloren ging. Nur durch sehr starke Truppen konnten die Deutschen hoffen, die Stellungen der Partisanen zu erobern und sie aus den Bergen zu treiben. Westlich von Udine waren rund 10 000 Soldaten konzentriert worden, darunter Waffen-SS und Spezialeinheiten. Die Soldaten, die am Bahnhof die Züge bestiegen, waren die Speerspitze der Offensive. Der Gestapomann führte Fey und die Kinder durch das Gedränge zu einem Bahnsteig auf der anderen Seite des Bahnhofs, wo sie auf 174

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einen Zug nach Villach warten sollten. Er sagte, sie müssten lange warten. Das österreichische Villach lag 25 Kilometer vom Plöckenpass entfernt, und die Deutschen benutzten die Bahn, um die Partisanenstellungen anzugreifen. Während die Offensive im Gange war, fuhren auf der Strecke keine zivilen Züge. Nach dem frühen Aufstehen und der Aufregung, die abfahrenden Truppen zu sehen, schliefen die Jungen auf einer Bank sofort ein. Fey hatte jetzt Zeit zum Nachdenken und musste nicht mehr »Abenteuer« spielen. Der Gestapomann ließ sie mit ihren Gedanken allein. Stunde um Stunde ging sie auf dem Bahnsteig hin und her, vorbei an den deutschen Propagandaplakaten zur leeren Abfahrtstafel und zurück zur Bank, wo die Kinder schliefen. Sonst gab es nichts zu sehen; die Truppenzüge waren abgefahren und der Bahnhof verlassen. In beiden Richtungen liefen die leeren Gleise in die Ferne. Das lange Warten verstärkte ihr Elend. Sie wusste, der Zug würde schließlich kommen, wünschte sich aber, es wäre nicht so. Während sie auf und ab ging, versuchte sie, ihre Panik im Zaum zu halten, doch es gab zu viele Unsicherheiten. Auf dem Weg zum Bahnhof hatte Oberst Dannenberg zugegeben, dass die Gestapo sie von Innsbruck aus nach Deutschland schicken könne. Ihre größte Hoffnung war, es werde Ebenhausen sein, wo ihre Mutter unter Hausarrest stand. Aber wenn nicht dort, wo dann? Wieder dachte sie über die Möglichkeit nach, dass sie und die Kinder einfach verschwinden könnten. Ein Cousin von Detalmo mit Kontakten zum Roten Kreuz hatte versprochen, ihm eine Nachricht über das, was geschehen war, zu schicken. Aber würde sie weitergeleitet werden? Der Gedanke, er könne sie nie erhalten, machte sie noch verzweifelter. Wenn er wenigstens wüsste, dass sie und die Jungen festgenommen worden waren, könnte sie ihn sich dort vorstellen. Nach mehreren Stunden erschien Maria Nigris, eine enge Freundin. Sie war eine Nachbarin in Brazzà, hatte von Feys Deportation erfahren und war gekommen, um Lebwohl zu sagen. »Wie dankbar war ich ihr für diesen Liebesbeweis in einem Augenblick, in dem ich mich von Gott und der Welt verlassen fühlte«, erinnerte sich Fey. »Für sie war das riskant, da jeder Kontakt zu mir kompromittierte.« 175

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Maria leistete ihr ein paar Stunden Gesellschaft. Nicht lange nachdem sie gegangen war, eilte ein anderer Freund, Luciano Giacomuzzi, auf den Bahnsteig. Er war außer Atem und erleichtert, Fey zu sehen; nachdem er von ihrer Lage gehört hatte, war er nach Brazzà geradelt, um sie zu suchen, und wieder zurück nach Udine – zusammen dreißig Kilometer. Es war Luciano, der Detalmo versteckt hatte, als er aus Mortara gekommen war, um Lebwohl zu sagen, bevor er nach Rom zum Widerstand ging. Die Erinnerung an die kostbare Nacht, die sie in Giacomuzzis Haus miteinander verbracht hatten, war zu viel für Fey: »Als ich ihn kommen sah, wurde mir klar und schmerzlich bewußt, was ich nun verlor, und das Unbekannte, das mir bevorstand, wurde noch dunkler. Seit dem schweren Schlag, den mir die Nachricht versetzt hatte, daß ich fort müßte, weinte ich zum ersten Mal.« Selbst Fey kannte nicht das gewaltige Risiko, das Luciano mit seinem Kommen einging. Er war Direktor der Udineser Elektrizitätsgesellschaft und arbeitete für den britischen Geheimdienst. In den letzten Monaten hatte er Hedley Vincent, dem Leiter der Mission ­Coolant, Pläne der regionalen Stromversorgung verschafft, die es den Partisanen erlaubten, den Kampf der Deutschen zu sabotieren, indem sie einige Umspannwerke in den Bergen in die Luft jagten. In Udine arbeitete Luciano mit der Mission Adlestrop, ebenfalls unter Vincents Kommando. Die nach einem Flughafen in Gloucestershire benannte Mission war eine geheime Operation des Secret Intelligence Service (SIS ), dessen Agenten nach Udine eingeschleust worden waren, um mit »bestimmten zuverlässigen Personen« zusammenzuarbeiten, darunter Luciano. RAF -Maschinen hatten die drei Männer in den frühen Morgenstunden des 17. August auf dem Monte Joanaz abgesetzt. Sie waren in Zivil gekleidet, nicht in Uniform wie die SOE -Agenten, und hatten in der Stadt ein potenziell wichtiges Netzwerk aufgebaut. »Es scheint möglich, dass viele Tausend Unterstützer der Alliierten sich unter einer zentralen Leitung zusammenbringen lassen, um eine zivile Truppe zu bilden, die die allierten Armeen ebenso unterstützt wie die Partisaneneinheiten in den nahen Hügeln«, berichtete Vincent nach London. Wegen des Spitzelnetzes der Gestapo in Udine war ­Lucianos Arbeit für die Briten immer in Gefahr entdeckt zu 176

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werden. Obwohl er der Adlestrop- und der Coolant-Mission unter einem Decknamen bekannt war, wäre er bei Entdeckung seiner wahren Identität hingerichtet worden. Doch hier schwatzte er seelenruhig unter den Augen eines Gestapomanns mit Fey auf dem Bahnsteig. Mittags kam endlich der Zug nach Villach, fast sechs Stunden zu spät. Es war der erste zivile Zug, der seit Beginn der Offensive fahren durfte, und der Bahnsteig war überfüllt. Fey hielt die Kinder fest an der Hand und folgte dem Gestapomann, der seinen Dienstausweis schwenkte und einen Weg durch die Menge zum Zugabteil bahnte: »Die Kinder schliefen gleich ein. Sie waren so artig wie nie zuvor, als ob sie verstanden hätten, daß dies eine Zeit war, in der sie ruhig und folgsam sein müßten.« Villach war nur hundert Kilometer entfernt, aber die Fahrt dauerte dreizehn Stunden. Weiter vorne setzten die Deutschen gepanzerte Waggons ein, um die Stellungen der Partisanen zu beschießen, und wenige Kilometer außerhalb von Udine hielt der Zug in einem Tunnel. Als er mehrere Stunden später wieder hinausfuhr, war die Luft voller Geschützrauch. Auf den Hügeln im Osten stiegen nahe dem Dorf Nimis schwarze Rauchwolken über den Partisanenstellungen auf. Dies war Osoppo-Gebiet; dort wären Fey und ihre Söhne hingebracht worden, wenn sie dem Hinterhalt auf Dannenbergs Wagen am selben Morgen zugestimmt hätte. Für die Partisanen und die SOE -Agenten, die sie bewaffnet und ausgebildet hatten, erwies sich die Offensive als Katastrophe. Nach zwei Tagen fast ununterbrochener Kämpfe waren sie fast völlig eingeschlossen. Sie mussten sich zurückziehen, um nicht vernichtet zu werden, und flohen verfolgt von den Deutschen nach Osten. Aus einem Kloster in den Julischen Alpen schickte Hedley Vincent ein verschlüsseltes Telegramm nach London: WIR SIND IN CRAVERO 10 KM O.N.O. VON CIVIDALE. ALLE AUSRÜSTUNG GERETTET. ALLE DOKUMENTE UND NACHRICHTEN ZERSTÖRT. FEIND SETZT MEH­ RERE TAUSEND MANN EIN. HAT ALLE FRONTEN

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DURCHBROCHEN, BESETZT JETZT EINE ZONE, WO MASSENHAFT GEMORDET UND NIEDERGEBRANNT WIRD. UNSERE VERLUSTE MEHRERE HUNDERT MANN. VERSUCHE KONTAKT MIT VERBLIEBENEN PARTISANENEINHEITEN HERZUSTELLEN. ANSONS­ TEN HANDLUNGSUNFÄHIG. WEITERE INFORMA­ TIONEN, WENN LAGE KLARER .

Auch die deutschen Verluste waren hoch gewesen, über 500  Tote, Verwundete oder Vermisste. Nachdem die Partisanen sich aus Nimis zurückgezogen hatten, rückten Waffen-SS und Kosaken ein, um die Verluste zu rächen. Sie wurden von zwei der verhasstesten, brutalsten Männer in der Region kommandiert – Sturmbannführer Ludolf von Alvensleben, der SS - und Polizeiführer von Udine, und Alfredo ­Patriarca, der Führer der faschistischen Miliz in Tolmezzo. Sie gingen von Haus zu Haus, verhafteten die Bewohner und trieben sie am Ende des Dorfes zusammen. 36 Männer wurden zur Deportation nach Deutschland bestimmt, zwölf weitere einer nach dem anderen vor ihren Nachbarn und Verwandten erschossen. Die Soldaten ließen ihre Leichen liegen und plünderten dann das Dorf. Sie töteten alles Vieh und luden es zusammen mit Möbeln und anderem Besitz auf Lastwagen. Dann zündeten sie auf Alvenslebens Befehl die Häuser an. Während sie abbrannten, mussten die überlebenden Frauen und Alten zusehen, wie Kinder, die sich vor den Deutschen versteckt hatten, vom Faschistenführer Patriarca in die Flammen zurückgeworfen wurden. Es war fast dunkel, als der Zug mit Fey und den Jungen die Bergkette am Rand der Ebene erreichte. Weiter nördlich verlief die Strecke nach Villach durch die Schlucht des Flusses Fella. In der öden Gegend stieg der blanke Fels zu beiden Seiten auf Hunderte von Metern an. Da die Säuberungsaktionen noch liefen, hatten Militärzüge Vorrang, und es gab endlose Fahrtunterbrechungen auf Abstellgleisen und in Tunneln. Im Lauf der endlosen Stunden bedeutete die erzwungene Nähe des kleinen Abteils, dass Fey mit dem Gestapobeamten reden musste. Zu ihrer Überraschung ließ er durchblicken, er halte ihre Deportation für 178

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absurd. Sie drängte ihn, ihr genau zu sagen, wohin sie und die Kinder gebracht würden. War es Ebenhausen, wo ihre Mutter lebte? Er wusste es nicht. Seine Anweisungen besagten nur, sie nach Innsbruck zu bringen und an eine andere Gestapostelle zu übergeben. Als sie in Villach ankamen, war es ein Uhr nachts, und sie hatten den Anschluss nach Innsbruck verpasst. Der nächste Zug kam erst am frühen Morgen, und der Bahnhof war voller Menschen, die ebenfalls gestrandet waren. Der Gestapomann führte Fey und die Jungen in eine große Halle, wo Hunderte von Frauen und Kindern auf dem Boden schliefen. Die Notunterkunft war nach Geschlechtern getrennt, und er sagte, er werde bei Sonnenaufgang wiederkommen. Wegen des ständigen Gemurmels lag Fey stundenlang wach. »Ich war voller Sorgen über den nächsten Tag, und Bilder meines Vaters und Detalmos, von Brazzà und allem, was ich kannte und liebte, suchten mich heim. Zum Glück legten die Kinder sich ohne Murren neben mich. Ihre unschuldigen, vertrauensvollen Gesichter schienen mir das einzig Gute, das mir noch blieb.« Ein Gestapomann wartete auf dem Bahnsteig, als ihr Zug am folgenden Nachmittag in Innsbruck einfuhr. Er brachte sie erst auf ein Polizeirevier, wo sie stundenlang warten mussten, und fuhr sie dann zu einem Gebäude der Gestapo am Stadtrand. Drinnen wurden Fey und die Kinder eine Treppe hinauf und einen scheinbar endlosen Korridor entlanggeführt. Durch die Gitter des offenen Verschlags an seinem Ende blickten ausgezehrte, furchtsame Gesichter, die Fey Angst machten, und sie fasste die Hände der Kinder instinktiv fester. Diese sagten kein Wort, stellten keine Fragen, sondern trotteten mit ernsten Gesichtern neben ihr her: Zwei SD -Männer kamen auf mich zu, der eine in Zivil, der andere trug die schwarze SS -Uniform und blickte mir finster entgegen. Plötzlich brüllte er mich an: »Sie sind also die Tochter dieses Verbrechers, dessen Kopf wir haben rollen lassen. Dieser Hund! Dieses Schwein! Was erwarten Sie denn von uns? Sollen wir Sie mit Samthandschuhen anfassen?« Diesen Sätzen 179

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folgte ein boshaftes Gelächter. Der SS -Mann, der mich nach Innsbruck begleitet hatte, verabschiedete sich. Er war sehr höflich zu mir gewesen … Obwohl er zur SS gehörte, war er für mich die letzte Erinnerung an Italien. Wie glücklich konnte er sein, wieder dorthin zurückzukehren … Tränen verschleierten meinen Blick, dann strömten sie immer heftiger; leider blieb das auch dem brutalen SS -Mann nicht verborgen. Von neuem brüllte er: »Hören Sie doch mit dem Gewimmer auf! Seien Sie nicht so entsetzlich blöd!« Fey war einem Zusammenbruch nahe, verbarg aber ihre Angst wegen der Kinder. Obwohl es sie schockieren musste, dass ihre Mutter weinte und angeschrien wurde, zeigten sie keine Reaktion. Fey erwartete ein Verhör, wurde aber nach einigen Minuten von dem Beamten in Zivil in ein Hotel im Zentrum von Innsbruck gefahren. Der Albergerhof, ein schickes Hotel mit 110 Zimmern, lag am Südtiroler Platz, nahe dem Bahnhof. Er war auf dem Höhepunkt der Habsburgermonarchie erbaut worden, ein imposantes vierstöckiges Gebäude, auf dessen Dach sich ein dekoratives Minarett erhob. Drinnen war das Hotel gemütlich eingerichtet; in den Salons standen chintzbezogene Sofas um die großen Kamine herum, und Bilder von Ski- und Jagdszenen schmückten die Eichenpaneele an den Wänden. Zu ihrem Erstaunen wurde Fey in ein großes komfortables Zimmer geführt, wo ein Zimmermädchen bereitstand. Aus dem Fenster sah sie die Berge und den belebten Platz. Hinter dem Hotel lag sogar ein Garten, wo sie mit den Jungen sitzen konnte. »Nach den schrecklichen Dingen, die ich erwartet hatte, kam es mir wie das Paradies vor. Der Luxus war kaum zu glauben. Als ich beim Auspacken darüber nachdachte, hielt ich es aber für ein gutes Zeichen. Die Gestapo hatte mich nicht verhört: vielleicht brauchte ich nur noch einmal dieselben Routinefragen zu beantworten und konnte dann mit den Jungen nach Brazzà zurück.« Als sie am nächsten Morgen nach festem Schlaf erwachte, ging Fey mit den Jungen zum Frühstück hinunter. Noch Jahre später erinnerte sie sich, wie stolz sie sich fühlte, als ihre »kleinen Prinzen« mit 180

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untadligen Manieren im Speisesaal neben ihr saßen. Sie verbrachten einen glücklichen Vormittag im Garten, dann brachte sie die Kinder ins Hotelzimmer zu ihrem Mittagsschlaf. Kurz darauf klopfte es an der Tür. Als sie öffnete, stand sie vor zwei Gestapomännern, die sie noch nie gesehen hatte: [Sie] behaupteten, sie wollten mich lediglich darauf vorberei­ ten, daß ich ein paar Tage mit ihnen gehen müßte, um »all die Angelegenheiten, die zwischen uns in der Schwebe sind, zu klären.« Die Kinder könnten mich verständlicherweise nicht begleiten, sie würden aber in einem guten Kinderheim untergebracht und zu diesem Zweck in die Obhut zweier NS -Fürsorgerinnen gegeben, die schon zu uns unterwegs seien. Corradino hatte ein paar Worte aus unserer Unterhaltung aufgefangen und fragte mich ganz aufgeregt, ob ich fortgehen würde. Ich verneinte das und wandte mich erneut an den einen Gestapo-Mann mit den Worten: »Sagen Sie mir bitte die Wahrheit! Handelt es sich wirklich nur um einige Tage oder um einen längeren Zeitabschnitt? Es macht mir nichts aus, wenn Sie mir sagen, wie es sich wirklich verhält, ich bitte Sie sogar sehr darum, denn dann kann ich mich innerlich darauf einstellen.« Er antwortete nur: »Ich versichere Ihnen, es handelt sich nur um ein paar Tage, höchstens drei. Sie können ganz beruhigt sein!« In der Absicht bestätigend zu lächeln, brachte er nur ein Grinsen zustande, dieses typische verlegene Grinsen. Immer das gleiche, nur Lügen. Die NS -Fürsorgerinnen kamen und fragten kurz nach den Gewohnheiten der Kinder. Daß das eine reine Formsache war, zeigte sich daran, daß sie nicht den geringsten Versuch machten, Kontakt mit den Kindern aufzunehmen. Ich zog ihnen die Mäntelchen an und sagte zu Corradino: »Weißt du, die Mama kommt gleich nach. Und ihr macht jetzt einen schönen Spaziergang.« Robertino fand das großartig und ging ohne Schwierigkeiten mit, während Corradino wie ein Wilder zu toben und zu schreien begann. Er versuchte, sich mit aller Gewalt von 181

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der Hand der Fürsorgerin loszureißen, und sie hatte Mühe, ihn nach draußen zu bringen. Instinktiv wollte ich genauso losschreien wie er, aber ich mußte mich den Kindern zuliebe beherrschen, außerdem wollte ich der Gestapo gegenüber keine Schwäche zeigen. Ich zuckte mit keiner Wimper. Aber ich hörte Corradino noch auf der Treppe schreien. Dann fragte einer der Gestapomänner, ob sie bitte ihre Sachen packen könne, als sei die Szene eben gar nicht vorgefallen. Er versprach, während ihrer Befragung darauf aufzupassen, das Gepäck werde ganz sicher sein. Einige Minuten später führten die beiden Männer sie ab. Auf der Hoteletage waren vierzig Zimmer, aber der Korridor war menschenleer, alle Türen geschlossen. Offensichtlich hatten die anderen Gäste Corradinos Schreien gehört, aber nicht einer war gekommen, um nachzusehen, was passierte. Als Fey den Korridor entlangging, hatte sie das Gefühl, die Leute ständen mit angehaltenem Atem hinter den Türen und lauschten. Ein ähnliches Gefühl hatte sie, als sie an dem alten Mann vorbeikam, der eifrig das Treppengeländer polierte. Der Hotelangestellte hatte sie und die Kinder gegrüßt, als sie mit den Kindern zum Frühstück ging. Nun konzentrierte er sich mit übertriebenen Bewegungen ganz auf das Polieren und schaute nicht auf, als die drei vorbeigingen. Vor dem Hotel wartete ein Auto. Als die Gestapoleute sie durchs Stadtzentrum fuhren, erinnerte sich Fey, dass die Jacke mit dem eingenähten Geld in einem der Koffer steckte. Ihr gesamter Besitz war ­beschlagnahmt worden; sie besaß nichts als die Kleider, die sie trug. Als sie in die fremden Straßen hinausspähte, quälte sie die Frage, wohin die Kinder gebracht worden seien. Wenn sie nur glauben konnte, sie werde in ein paar Tagen wieder bei ihnen sein, wie der Agent versprochen hatte. Voller Angst bat sie ihn um weitere Informationen. Er nannte ihren Aufenthaltsort nicht, denn das sei verboten. Dann versicherte er ihr – entgegen seinem früheren Versprechen –, in »ein oder zwei Wochen« würde sie freigelassen und mit ihren Jungen wieder vereint werden. 182

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19 In der Adamgasse  1, dem Gestapogefängnis im Zentrum von Innsbruck, übergaben die Agenten Fey an einen Wärter. Er schrie sie an und führte sie einen langen fensterlosen Gang entlang, der von trübem Glühbirnenlicht erhellt wurde. Sie gingen an Zellen vorbei, deren Metalltüren Gucklöcher hatten, und ihre Schritte hallten auf dem Steinboden wider. Am Ende des Ganges schob der Wärter sie in eine winzige Zelle und schlug die Tür hinter ihr zu. Die Zelle war 3 x 2 Meter groß. Auf dem Boden lag Stroh, sodass es wie in einem Tierpferch aussah. Drei Stockbetten standen an der Wand, und in die Backsteinwände gekratzte Botschaften bedeckten jeden freien Fleck. Es war draußen sehr kalt, und die Zelle war ungeheizt. Das Fenster ging nach Osten und in Blickrichtung der Bahngleise und auf den Fluss Sill. Fey hörte die Züge und das ferne Tuten der Frachtkähne, sah aber nur einen kleinen Fleck Himmel. Die Gestapozentrale nahm einen ganzen Block gegenüber dem Erzbischöflichen Palast im Zentrum der Altstadt ein. Den größten Teil des Tages lag ihre schmucklose Fassade im Schatten des Domturms, der sich direkt hinter dem Palast erhob. Auf dem Gehsteig vor dem Gebäude patrouillierten SS -Männer. Damit Freunde und Verwandte den Gefangenen keine Zettel zuwarfen oder Botschaften zuriefen, hatten sie den Befehl, jeden, der herumlungerte, zu erschießen. Über 6800  Menschen waren seit Kriegsbeginn hierhergebracht worden. Nur wenige ließ die Gestapo vor Gericht stellen; die meisten wurden nach Dachau oder in ein anderes Konzentrationslager geschickt. Die Innsbrucker Gestapo war Berlin direkt verantwortlich und hatte 100 – 120 Mitarbeiter. Dazu gehörten Fahrer, Dolmetscher, Telefonistinnen und viele Sekretärinnen – meist junge, unverheiratete Frauen, die als sogenannte Notdienstverpflichtete eingezogen waren. Die einzelnen Abteilungen waren für die unterschiedlichen Bedrohungen zuständig. Es gab eine für feindliche Agenten, eine für 183

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Fremdarbeiter und Saboteure und eine für die Sicherheit von Industrie und Funkwesen. Die Hauptarbeit der Gestapo betraf aber die Festnahme und Deportation »unerwünschter Personen« und »politischer Gegner«. Die erste Kategorie umfasste Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen, die zweite Kommunisten, Sozialdemokraten, Monarchisten, katholische Priester, »Rundfunksünder«  – die BBC oder Voice of America hörten – und »Meckerer«. Mit vierzig Mann war der operative Kern aus Ermittlern und Verhörbeamten vergleichsweise klein. Ein Beamter äußerte: »Man brauchte keinen großen Apparat; wir verließen uns darauf, dass die Tiroler ihre Nachbarn und Verwandten denunzierten, was sie mit großem Eifer taten.« Die Innsbrucker Gestapo wurde von Werner Hilliges geleitet. Er war im Herbst 1944 41  Jahre alt, ein korrupter Mann, der auf dem Schwarzmarkt ein Vermögen gemacht hatte und viel trank. Seine Skrupellosigkeit war legendär. Im Sommer 1943 hatte Hilliges in Reichenau, einem SS -geführten Arbeitslager außerhalb von Innsbruck, einem Gefangenen, der seine Befehle infrage stellte, aus kurzer Entfernung ins Gesicht geschossen. Sein Stellvertreter war SS -Hauptsturmführer Friedrich Busch, der die Verhöre leitete. Mit vierzig Jahren war er aus der Gestapozentrale in Paris, wo er angeblich französische Bürger gefoltert und ermordet hatte, nach Innsbruck versetzt worden. Die Beamten, die diesen beiden Männern unterstanden, kamen von SS und Grenzpolizei. Die meisten waren Österreicher aus den abgelegenen Dörfern Tirols oder den Arbeitervierteln der Städte im Inntal. Viele waren uneheliche Kinder und als Außenseiter in frommen katholischen Gemeinden aufgewachsen, wo dies ein großes Stigma darstellte. Für Schulabbrecher ohne berufliche Qualifikation brachte eine Gestapokarriere Macht und Status und bot einen Aufstieg für Männer, die sonst Arbeiter geblieben wären. Täglich fanden Verhöre statt, die bis zu vier Stunden dauerten. Die Gefangenen wurden aus dem Gefängnis in der Adamgasse 1, wo Fey inhaftiert war, in die Zentrale in der Herrengasse gebracht. Die Verhörräume waren kaum möbliert, sie enthielten nur zwei Tische und die Foltergeräte, die die Gestapo benutzte, um Aussagen zu erzwingen. 184

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Einer der Hauptverhörbeamten war Kriminalsekretär Walter ­ uettner. Er war kaum 1,50  Meter groß, dünn, nervös und blickte G rastlos umher; sein Spitzname war »die kleine Ratte«. Er begann gern mit freundlicher Überredung: »Seien Sie nicht dumm. Wir wissen alles«, sagte er zu seinen Opfern. »Denken Sie an Ihre Familie, Ihre Eltern, machen Sie es sich nicht schwerer.« Wenn das nichts nützte, wurden andere Beamte hinzugerufen und die Gefangenen mit Holzknüppeln auf den Körper und ins Gesicht geschlagen. Dann zogen die Beamten sie aus und schlugen ihnen mit Peitschen auf die Genitalien. Sie benutzten auch Pistolen, die sie den Gefangenen in den Mund rammten, um die Zähne auszubrechen. Wenn diese »gewöhnlichen« Schläge nicht ausreichten, wurden »extreme Maßnahmen« ergriffen. Die Hände des Gefangenen wurden an seine Fußknöchel gebunden, dann ein doppelläufiges Gewehr zwischen seinen Armen und Knien hindurchgeschoben. Zwei Mann auf jeder Seite hoben ihn hoch und legten das Gewehr zwischen den beiden Tischen auf, sodass der ­Gefangene dazwischen mit dem Kopf nach unten hing. Dann wurde ihm Wasser in Mund und Nase gegossen. Fey hörte, wie die Wärter die Gefangenen nach den Verhören zurück in die Zellen brachten. Durch das Guckloch in der Metalltür konnte sie sie auf dem Korridor vorbeigehen sehen, bis sie aus dem engen Blickwinkel verschwanden. Sechs Tage waren seit ihrem Eintreffen vergangen, und die Gestapo hatte sie immer noch nicht verhört. Der Anblick der geschundenen Körper und das Stöhnen und Schreien derer, die noch bei Bewusstsein waren, peinigten sie. Es war dasselbe Gefühl, als würde man einen schrecklichen Verkehrsunfall sehen, doch sie konnte nicht vorbeifahren und ihn vergessen. Höchstwahrscheinlich würde sie die Nächste sein. Tag und Nacht lief die Terrormaschinerie weiter. Von Zeit zu Zeit verlegte die Gestapo Gruppen von Gefangenen in KZ s in Deutschland und weiter im Osten. Sie wurden zufällig ausgewählt, um Platz zu schaffen und Quoten zu erfüllen, die von Berlin bestimmt wurden. Fey hatte seit vielen Jahren von den Lagern gewusst; als Himmler sie Mitte der 1930er-Jahre einführte, hatte ihr Vater ihr erzählt, sie 185

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­ ienten der Inhaftierung von Juden und Nazigegnern. Erst jetzt, als d sie die Erzählungen im Gefängnis hörte, erkannte sie aber das Ausmaß der Gräueltaten, die dort stattfanden. In der Adamgasse wurden die Verlegungen durch Rufe der Wärter in den Korridoren angekündigt, und Fey lauschte ängstlich, während die Namen aufgerufen wurden. Dann kamen die eiligen Schritte, das Öffnen und Zuschlagen der Zellentüren und die furchtsamen Stimmen der Gefangenen, die hinaus zu den wartenden Lastwagen gezerrt wurden. Am Anfang teilte sie die Zelle mit einer anderen Frau, einer hübschen jungen Österreicherin namens Emma, die freundlich lächelte. Die Gestapo hatte sie eingesperrt, weil sie Schweinefleisch auf dem Schwarzmarkt verkauft und sich auch geweigert hatte, in einem Hotel zu arbeiten, wo sie schlecht behandelt wurde. Als sie zuerst ins Gefängnis kam, war sie im siebten Monat schwanger und heftig geschlagen worden. Sie verlor das Kind. Wegen der ständigen Festnahmen kamen drei weitere Gefangene zu Fey und Emma in die Zelle: »zwei Kroatinnen und eine Serbin …, ziemlich vulgäre Personen, die nur über unerfreuliche Dinge sprachen, Läuse hatten, schmutzig waren, und deren Haut von einem widerlichen Ausschlag bedeckt war.  … Eine der beiden Kroatinnen bat mich jeden Morgen, ihre Schultern, die von abscheulichen Schwären übersät waren, mit einer Salbe einzuschmieren.  … eine meiner Zellennachbarinnen [hätte] dringend von einem Arzt untersucht werden müssen, weil sie ständig an starken Leibschmerzen litt. Immer wieder versuchte ich die Wachen zu überzeugen, daß sie einen Arzt kommen lassen müßten, aber meine Bitten wurden nur mit Geschrei beantwortet. Der Aufseher duzte mich, wurde wütend und zum Schluß schlug er die Zellentür zu und brüllte: ›Blöde Kuh! Sei nicht so frech! Nimm dich bloß in acht, sonst laß ich dich nach Ravensbrück bringen!‹« Die Bedingungen in der überfüllten Zelle waren primitiv. Es gab kein Waschbecken, und ein stinkender Eimer, der nur alle 24 Stunden geleert wurde, diente als Toilette für die fünf Frauen. Es gab nichts zu tun, nichts zu lesen und nur wenig zu essen. Das Essen bestand aus Schwarzbrot und einer wässrigen, stinkenden Suppe. Jeden Tag 186

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träumte Fey von dem Schinken und den Salamis, die in ihren Koffern schimmelten oder wahrscheinlicher von der Gestapo verspeist wurden. Sie und die anderen Frauen durften nur zweimal täglich die Zelle verlassen, um dreißig Minuten auf dem Hof hinter dem Gefängnis umherzugehen und um sich im Baderaum zu waschen, der sich ein Stück den Korridor entlang befand. Die Arrangements waren primitiv; die Frauen wuschen sich in einer langen Gemeinschaftswanne, die einem Schweinetrog ähnelte und fünf oder sechs Kaltwasserhähne hatte. Die Wärter betrachteten ihre nackten Körper und machten lüsterne und beleidigende Bemerkungen. Wie Fey rasch merkte, standen die österreichischen Wärter in dem Ruf, die brutalsten im NS -Gefängnissystem zu sein, noch brutaler als ihre deutschen Kollegen im Norden. Sie genossen es, die Gefangenen zu quälen und zu beschimpfen. »Einer ihrer Lieblingsspäße war es, vor den Zellentüren zu stehen und mit ihren Schlüsseln zu klimpern. Dieses aufreizende Benehmen betonte die Tatsache, daß man eingesperrt und völlig ohne Hoffnung war.« Ständig hatte sie das Gefühl, durchs Guckloch beobachtet zu werden. Oft ging mitten in der Nacht das Licht in der Zelle an. Der Schalter befand sich im Gang, und es amüsierte die Wärter, die verblüfften Gesichter der Frauen zu sehen, wenn sie aufwachten und befürchteten, zum Verhör abgeholt zu werden. Manchmal blieben die Wärter draußen stehen und schalteten das Licht an und aus, was Schlafen unmöglich machte; ein andermal betraten sie die Zelle und rissen den Frauen die Decken weg. Sie behaupteten, sie müssten Selbstmorde verhindern, weil einige Gefangene versucht hätten, sich mit versteckten Messern umzubringen, aber es war nur ein weiteres Beispiel für ihre Lüsternheit. In der ersten Woche war Fey trotz der schrecklichen Bedingungen im Gefängnis und ihrer Sehnsucht nach den Kindern zuversichtlich, man werde sie bald freilassen. Sie sagte sich, sie müsse nur noch ein oder zwei Wochen aushalten, dann werde sie mit den Jungen wieder vereint sein, wie der Gestapobeamte versprochen hatte. Abgesehen vom Hunger und der Qual der überfüllten Zelle mit ihrem Gestank nach Schweiß und Exkrementen war ihre größte 187

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Schwierigkeit, sich die Zeit zu vertreiben: »Meine Hauptbeschäftigung war, täglich in der Zelle auf und ab zu gehen, wie ein Tier im Käfig. Bis zu 300mal ging ich hin und her und sagte mir dabei die Gedichte her, die ich auswendig konnte. Das half mir, nicht an die Kinder und an meinen Vater zu denken. Manchmal überlegte ich auch, was ich bei einem Verhör sagen würde. Das Verhör fand aber nie statt. Ich hatte mir heimlich einen Bleistift besorgt und mir Wahrsage-Karten angefertigt. Jeden Tag baten mich meine Gefährtinnen, ihnen die Zukunft vorauszusagen. Selbstverständlich war das Ergebnis immer das gleiche: Sie würden am nächsten Tag entlassen werden. Das trat natürlich nicht ein, aber sie richteten dennoch ihren Glauben darauf. Ich versuchte auch, Serbisch zu lernen, aber ohne Erfolg.«

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20 Es war der Morgen des 10. Oktober, und die Gestapo hatte Fey nach anderthalb Wochen Gefängnis immer noch nicht zum Verhör geholt. Panik erfasste sie, als sie in der Zelle auf und ab ging, von der Tür zwischen den Stockbetten und dem stinkenden Eimer zur Wand gegenüber. An der Tür drehte sie sich nach rechts, an der Wand nach links. Diesen alten Gefängnistrick hatte ihr eine der jugoslawischen Frauen beigebracht: Wenn man sich immer in dieselbe Richtung umdrehte, wurde einem schnell schwindlig. Sie dachte an ihre Lage, nicht an Gedichte. Dass die Gestapo sie vergessen hatte und sich nicht um eine Mutter scherte, die von ihren Kindern getrennt war, erfüllte sie mit hilflosem Zorn, der so stark war, dass sie den Verstand zu verlieren glaubte. Wo waren die Jungen? Wie behandelten die Fürsorgerinnen sie? Und Detalmo und ihre Familie in Deutschland? Wussten sie, wo sie war? Wusste irgendjemand, wo sie war? Zwei weitere Tage vergingen. Dann erschien am Nachmittag des 12. Oktober  – fast zwei Wochen nach ihrer Inhaftierung  – ein Gestapobeamter. Fey erkannte ihn sofort wieder: Es war einer der beiden, die sie ins Gefängnis gebracht hatten. Er bedeutete ihr, ihm zu folgen, und führte sie in ein Büro an der Vorderseite des Gebäudes. Fey wollte unbedingt wissen, was mit den Kindern sei, und war verblüfft, als er mit einem prosaischen Detail begann, sobald sie saßen: »Als erstes bat er mich, die Hotelrechnung zu begleichen  – ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Außerdem kam er sich ganz besonders großzügig vor, als er mir mitteilte, er habe den Schinken und die Würste an die Luft hängen lassen, damit sie nicht schlecht würden; er würde mir etwas bringen lassen, leider sei einiges aber schon verdorben. Mir war sofort klar, daß er log, er hatte gewiß mit Vergnügen die Sachen selbst verzehrt! Er fügte noch hinzu, daß er täglich auf eine Antwort aus Berlin warte, daß ich bald in Freiheit entlassen würde und daß 189

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es den Kindern gut ginge. Ich wußte nicht, was ich ihm überhaupt glauben konnte.« Dann übergab der Beamte ihr zwei Briefe. Der erste kam von ihrem Bruder in Berlin: Liebe kleine Schwester, Gestern erreichte mich die Nachricht von Deiner Verhaftung. Du kannst Dir vorstellen, wie entsetzt ich war. Ich habe mich nun gleich hier bei der Geheimen Staatspolizei erkundigt, und mir wurde gesagt, daß ich an Dich unter der Anschrift Staatspolizeistelle Innsbruck schreiben könnte. Ich habe diese Anschrift auch an Mutti weitergeleitet, die sich sicher auch gleich mit Dir in Verbindung setzen wird. Vielleicht kann sie oder Almuth nach Innsbruck fahren und Sprecherlaubnis bekommen. Man versicherte mir, daß die Kinder in einem guten Kinderheim untergebracht sind und daß Du sie nach Deiner Freilassung wieder bei Dir haben wirst. – Mutti wußte schon von Deiner Verhaftung, weil sie vom Kommandanten in Brazzà, Dannenberg, einen Brief mit der »netten« Nachricht bekommen hatte. Ich lege diesen Brief, den mir unsere Mutter schickte, bei. Es besteht kein Zweifel: Der Brief zeigt deutlich, in welchen Zeiten wir leben. Ich denke in großer Liebe an Dich. Dein getreuer Bruder W U Als sie den Brief ihres Bruders sah, spürte Fey eine Welle der Erleichterung. Wenn die Gestapo in Berlin sagte, sie werde die Kinder bei ihrer Freilassung zurückbekommen, musste es stimmen. Der Brief stammte vom 9. Oktober. Es waren nur wenige Tage vergangen, seit Wolf Ulli mit ihnen gesprochen hatte, und er war zuversichtlich, sie werde bald wieder in Brazzà sein. Kaum fähig, ihre Erregung zu zügeln, las sie den Brief sorgfältig noch einmal. Es war der erste von ihrem Bruder seit der Hinrichtung ihres Vaters; dass er seinen Tod nicht erwähnte, war rätselhaft. Offenbar hatte Wolf Ulli beim Schreiben gewusst, die Gestapo werde den Brief lesen, doch es kam ihr seltsam vor, dass er nicht seine Trauer 190

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oder sein Mitgefühl geäußert hatte, wie verschlüsselt auch immer. Das passte nicht zu ihm. Sie war auch erstaunt, dass er sich gleich bei der Gestapo erkundigt hatte, als er von ihrer Festnahme hörte. Sicher war doch die ganze Familie verhaftet worden, sobald der Anteil ihres Vaters an der Verschwörung gegen Hitler bekannt geworden war? Warum war Wolf Ulli also nicht inhaftiert worden? Es schien nur eine mögliche Erklärung zu geben: Es bewies, dass ihr Vater doch nicht hingerichtet worden war. Als sie sich Oberst Dannenbergs Brief zuwandte, erinnerte sie sich an all die Zeiten, als er in Brazzà mit den Kindern gespielt, sie verwöhnt und auf den Lastwagen der Soldaten hatte sitzen lassen. Gleich nach der Verkündung der Hinrichtung ihres Vaters war er aber nach Udine gefahren und hatte die Gestapo informiert, dass Ulrich von Hassells Tochter in der Nähe wohne. Dannenberg hatte den Brief am 29. September geschrieben – zwei Tage, nachdem er sie und die Kinder persönlich der Gestapo übergeben hatte. Beim Lesen erstaunte sie seine ölige Doppelzüngigkeit: Sehr verehrte gnädige Frau! Ich bedaure, Ihnen Ihren Brief an Ihre Tochter zurückschicken zu müssen, desgleichen ein zweites Schreiben aus Hamburg. Ich bitte Sie, dieses Schreiben weiterleiten zu wollen, da uns die genaue Anschrift fehlt. Sie wollen entschuldigen, daß beide Schreiben geöffnet worden sind, doch habe ich die unangenehme Aufgabe, die einlaufende Post überwachen zu müssen. Ich habe nun die Pflicht, Ihnen von den Vorgängen hier zu berichten. Ihre Frau Tochter ist in der Ihnen bekannten unglücklichen Angelegenheit nach Bekanntwerden des Urteils in Untersuchungshaft genommen worden. Ich habe ihr alle möglichen Erleichterungen verschaffen (ich bin der Nachfolger von Oberstlt. Eisermann) und sie auch besuchen können, ihr auch meinen Adjutanten oder einen anderen meiner Herren geschickt. Es gelang mir schließlich durch meine persönliche Botschaft, die gnädige Frau wieder ins Schloß zu holen; sie mußte sich die dauernde Anwesenheit meines Adjutanten 191

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­gefallen lassen, war aber bei ihren Kindern und konnte für die Verwaltungsdinge sorgen. Dann kam plötzlich der Befehl, daß Ihre Tochter mit den Kindern unter Begleitung eines Herrn in Zivil nach Innsbruck zu reisen habe. Ich habe sie selbst in meinem Wagen vorgestern früh zur Bahn gebracht. Die endgültige Adresse weiß ich noch nicht, auch nicht, was man weiterhin mit ihr vorhat. Mir ist nur soviel bekannt, daß dort Vernehmungen stattfinden sollen. Ein etwas unglücklicher Umstand ist dabei, daß Ihre Tochter mit einem italienischen Offizier verheiratet ist, der jetzt auf der Gegenseite kämpft. Sobald ich etwas Genaueres weiß, werde ich mir erlauben, Ihnen Mitteilung zu machen. Ob Korrespondenz möglich ist, glaube ich bezweifeln zu müssen. Immerhin habe ich Ihrer Tochter geraten, den Versuch zu machen, ob mit mir selber ein Briefwechsel möglich ist. – Den Abschied zu schildern, erlassen Sie mir bitte. Aber es ist beachtlich, wie sehr das italienische Personal an Ihrer Tochter hängt! … Soweit die bisherigen Vorgänge. Ich empfehle mich Ihnen, sehr verehrte gnädige Frau – ergebenst – Dannenberg Oberstleutnant und Kdr. Nach dem Gespräch wurde Fey von einem Wärter wieder in ihre Zelle gebracht. Da sie meinte, bald wieder nach Brazzà zurückzukommen, fand sie die folgenden Tage noch unerträglicher. Während sie zuvor nur selten an die Kinder gedacht hatte, um nicht verrückt zu werden, dachte sie nun ständig an sie. Sie träumte stundenlang davon, sie in den Armen zu halten und neben ihnen aufzuwachen; sie machte sich viele Sorgen, wie sie nachts schliefen und ob sie sich ohne sie aneinanderschmiegen könnten. Fey hatte erwartet, wenige Tage nach dem Gespräch mit dem Gesta­pomann entlassen zu werden, aber das geschah nicht. Ohne Nachrichten wurde sie immer aufgeregter. »Die Last des Leidens und Unglücks in diesem Gefängnis hatte ihre unvermeidliche Wirkung auf mich, und ich wurde immer deprimierter und ängstlicher, als die Tage ohne Nachricht von den Kindern verstrichen. Sie waren so sehr 192

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Teil meiner Existenz, meines Wesens geworden, dass ich mich ohne sie nur als halber Mensch fühlte.« Die zweite Woche im Gefängnis endete, dann die dritte und immer noch keine Nachricht von der Gestapo. 23  Tage nach ihrer Einlieferung hatte sie dann das Gefühl, endlich werde etwas geschehen: Ich wurde von der Gestapo auf den Dachboden des Gefängnisses zu meinen Koffern gebracht, die ich in Gegenwart der Wache öffnen sollte. Ich konnte mir saubere Kleidung herausnehmen. Dann bestach ich die Wache mit einigen Zigaretten, damit ich selbst auch ein paar Päckchen mit in die Zelle nehmen konnte. Dabei bemerkte ich voller Wut, daß von den 600 Zigaretten, die ich aus Italien mitgenommen hatte, 300 fehlten. … Der nächste Tag, der 22. Oktober, war mein Geburtstag, ich wurde 26 Jahre alt. Da öffnete sich morgens die Zellentür, und die Wache sagte: »Du bist frei.« Es schien das schönste Geburtstagsgeschenk meines Lebens – und sollte dann tatsächlich einer der grauenhaftesten Tage meiner Gefangenschaft werden. Ich sammelte meine Sachen zusammen, verabschiedete mich von meinen Zellengefährtinnen, die natürlich neidisch waren, und ging zum Gefängnisausgang hinunter. Unten erwartet mich ein Gestapo-Mann in Zivil, der sich mit den Worten an mich wandte: »Wir werden eine kleine Reise machen!« Ich fragte sofort, wohin es gehen solle, denn nun machte mich das alles unsicher. »Ich weiß nur, daß ich Sie nach Schlesien bringen soll.« »Und meine Kinder?« »Wieso? Haben Sie Kinder?« »Ja, ich habe zwei Kinder. Man hat sie mir bei meiner Verhaftung weggenommen.« »Tut mir leid, über deren Schicksal weiß ich nicht Bescheid. Ich habe keine Ahnung, wo Ihre Kinder sind. Jedenfalls bitte ich Sie, auf der Reise vernünftig zu sein. Machen Sie keine Szenen, die böse Folgen haben könnten. Im Gegenteil, tun Sie, als ob wir uns schon lange kennen.« 193

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Fey hätte den Mann gern angeschrien, wo ihre Kinder seien, aber er stand nur da und zuckte die Schultern, als gehe ihn das alles nichts an. Sie stand stumm und wie versteinert da und konnte das eben Gehörte kaum fassen. Nachdem der Gestapomann sie mit einer Frau in Zivil aus dem Gefängnis geführt hatte, fuhren sie zum Bahnhof, wo sie lange auf den Zug warten mussten. »Meine Verzweiflung war unendlich, ich konnte meiner Tränen einfach nicht mehr Herr werden. Ich fühlte mich so ohnmächtig in den Händen dieser Verbrecher! Weit fort von den Kindern schickten sie mich, die Gott weiß wo waren. Es gab keine Möglichkeit, etwas von ihnen zu erfahren. Von Zuhause hatte ich auch keine Nachricht. Es war für mich das absolute Grauen.« Als der Zug schließlich abfuhr, war er völlig überfüllt. Er bestand aus Viehwaggons, es gab keine Bänke, und der Boden war mit Stroh bedeckt. Zwei Tage zuvor hatten die Alliierten Innsbruck bombardiert und die armen Arbeiterviertel am Stadtrand getroffen. Die wie Vieh im Zug zusammengepferchten Männer und Frauen waren meist Flüchtlinge. Sie waren hungrig und erschöpft, nachdem sie den Schutt ihrer Häuser durchsucht hatten, und schleppten ihre wenigen geretteten Habseligkeiten. Fey, die immer noch im Schockzustand und von den beiden Gesta­ po­leuten bewacht war, suchte sich einen Platz. Als der Zug Innsbruck verließ, hatte sie keine Ahnung, wohin in Deutschland sie gebracht würde. Sie spähte durch die Ritzen zwischen den Metalllamellen und sah auf der einen Seite die Berge ansteigen. Doch sie konnte die Schilder der Bahnhöfe, die sie passierten, nicht lesen – die Nazis hatten sie als Vorsorge vor einer alliierten Invasion überstrichen. Ihre einzige Hoffnung war, man würde sie ins Haus ihrer Mutter in Ebenhausen bringen, das rund 150 Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Alpen lag. Ein paar Stunden nach Fahrtbeginn durfte Fey sich auf das Trittbrett des Wagens stellen, um frische Luft zu schnappen. Sie schaute hinaus und war von der ungewohnten Landschaft verwirrt. Sie kannte die Gegend nahe dem Starnberger See, in der das Haus ihrer Mutter 194

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lag. Die Alpen blieben schon zurück, aber zu beiden Seiten der Strecke lag dichter Wald, wo Hügel mit Feldern hätten sein sollen. Ängstlich musterte sie die Häuser in den kleinen Dörfern am Weg. Statt weißer Bauernhäuser mit Giebeldächern und hübscher Holzdekoration wie in Bayern sah sie Häuser aus Backstein oder aus einer primitiven Art von Flechtwerk mit Lehmbewurf. Als sie dann sah, wie die Sonne im Westen unterging, merkte sie, dass der Zug ostwärts fuhr, weg von Deutschland. Auf dem Trittbrett »stand eine freundliche Frau, der es gelang, mir ein Blatt Papier und einen Bleistift zu verschaffen. Auf die eine Seite schrieb ich die Adresse meiner Mutter, auf die andere, daß man mich nach Osten brächte und ich keine Nachricht von den Kindern hätte. Als wir wieder einmal an einem Bahnhof hielten, warf ich den Zettel auf die Gleise.« Stunde um Stunde fuhr der Zug durch dichten Wald. Beim Hinausstarren auf die gleichförmige Landschaft schien es Fey, als werde die Reise nie enden. Sie versuchte, sich eine Karte Mitteleuropas vorzustellen. Waren das die alten böhmischen Wälder? Oder war sie irgendwo anders? Vielleicht in Schlesien oder Galizien? Nach zwei Tagen im Zug kamen sie durch Städte und Dörfer, die von den Sowjets bombardiert worden waren. In neun Monaten war die Rote Armee 2000 Kilometer vorgerückt und stand nun vor Warschau. Zehntausende Flüchtlinge flohen vor ihr nach Westen. Fey sah sie vom Zug aus: In langen Reihen gingen sie neben den Gleisen dem Zug entgegen. Jede Spur von Hoffnung und Glück war aus ihren Gesichtern verschwunden, sie trotteten schweigend voran. Häufig musste der Zug auf ein Abstellgleis ausweichen, um einen Militärzug vorbeizulassen. Der Anblick so vieler junger Soldaten, die für die Ostfront bestimmt waren, schockierte sie: »Mir kam es vor, als trüge jeder von ihnen auf der Brust unsichtbar dieses Schild mit der Aufschrift, das man auf allen Bahnhöfen und Plätzen lesen konnte: ›Alle Räder müssen rollen für den Sieg.‹« An ausgebombten Bahnhöfen musste Fey auf ihren Koffern sitzen und mit ihren Bewachern auf einen Anschlusszug warten: »Während der langen Aufenthalte auf den traurigen Bahnhöfen, die großenteils stark beschädigt waren, hatte ich Gelegenheit, all die Menschen, die 195

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nun seit vier Jahren diesen Krieg erlebten, zu beobachten. Auf den ersten flüchtigen Blick konnte man glauben, daß der Zusammenbruch unmittelbar bevorstünde. Die Frauen waren schlecht gekleidet, ihre Mimik nervös und ihre Gesichter scharf gezeichnet, das Eisenbahnpersonal war ausschließlich weiblich. Es war ein Hin- und Herschieben von Menschenmassen wie nie zuvor. Ganze Dörfer und Städte von Flüchtlingen bewegten sich von Osten nach Westen, während die Truppen von Westen nach Osten verlegt wurden – dies alles scheinbar in einem unglaublichen Durcheinander. Aber wenn man genauer hinschaute, entdeckte man etwas anderes. Wenn auch die Züge mit großer Verspätung ein- und ausfuhren, so funktionierte doch alles, so hatte man sich offenbar doch in der Situation eingerichtet.« Verblüfft sah sie Soldaten und Offiziere auf Heimaturlaub, als sei an beiden Fronten alles in Ordnung. Diese Effizienz inmitten von Tod und Zerstörung erstaunte sie immer wieder. Langsam fuhr der Zug unter ständigen Luftangriffen weiter, und »nach drei Tagen Fahrt erreichten wir einen kleinen Ort namens Bad Reinerz tief in den niederschlesischen Wäldern. Es war ein hübscher Ort, ruhig, ordentlich und von Bergen umgeben. Das also war das geheimnisvolle Ziel, das meine Bewacher mir aus irgendwelchen Gründen nicht sagen wollten.«

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21 Ein SS -Offizier wartete auf dem Bahnsteig, als der Zug einfuhr. Er trug eine makellose schwarze Uniform und eine Mütze mit Totenkopf­ abzeichen. Als Fey aus dem Zug stieg, begrüßte er sie mit übertriebener Höflichkeit, legte die rechte Hand auf den Bauch und verbeugte sich steif, während er mit der linken ihre Hand nahm und einen Handkuss andeutete. Von einem solchen Mann fand sie die Geste unerträglich. Nach einem kurzen Austausch von Dokumenten verschwanden die Gestapobegleiter, und der Offizier führte sie zu einem kleinen Auto ohne militärische Abzeichen. Vom Bahnhof fuhr er aus der Stadt nach Süden ins Tal. Fey saß auf dem Vordersitz neben ihm und roch das Lederöl seiner Pistolentasche und seiner schwarzen Schaftstiefel. »Wir sprachen kein Wort. Ich war immer noch außer mir vor Schmerz über den Verlust der Kinder und war ängstlich und verwirrt. Wohin fuhr er mich? In ein anderes Gefängnis? Doch dass er mich mit solcher Höflichkeit behandelte, schien dagegen zu sprechen.« Wenige Kilometer außerhalb von Bad Reinerz bog er nach rechts auf eine einspurige Straße ab. Schweigend fuhren sie immer weiter bergauf, während die Straße in Haarnadelkurven um den Berg führte. Dichter Wald verstellte den Blick zu beiden Seiten. Ein paar Hundert Meter unter dem Gipfel erreichten sie einen schmalen Weg, an dem ein Holzschild in gotischer Schrift warnte: Halt! Dieses Hotel ist geschlossen! Darunter stand die SS -Rune. Ohne darauf zu achten, fuhr der Fahrer weiter. Einige Minuten später hielten sie vor einem großen, imposanten Chalet. Es war vier Stockwerke hoch, mit einem Dachgiebel und wirkte zugleich vornehm und gemütlich. Handbemalte Holzläden schmückten die Fenster, und eine breite Terrasse erlaubte es, die Aussicht zu genießen. Beim Aussteigen war Fey von der Schönheit überwältigt: »Ich war völlig verwirrt. Plötzlich war ich in die zivilisierte Welt zurückgekehrt. Beim Betrachten der ganzen Szene hatte ich das Gefühl zu träumen.« 197

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Die Hindenburg-Baude, so der Name des Hotels, stand auf einer Hochebene. Im Osten ging der Blick kilometerweit über das Tal von Kladsko (Glatz) an der Neiße; in der Nähe erhob sich ein Kirchturm über den Feldern, umringt von vereinzelten Bauernhäusern. Der einzige Fleck in der sonst idyllischen Landschaft war eine Hakenkreuzfahne, die an einem Fahnenmast vor dem Hoteleingang wehte. Fey schauderte beim Anblick der vertrauten Farben, die in der blassen Wintersonne leuchteten. Der SS -Offizier nahm ihre Koffer und führte sie in die Hotelhalle. Mit derselben Förmlichkeit wie zuvor  – als seien sie auf einer vornehmen Party  – stellte er sie einem gut aussehenden Jüngling vor. Neben ihm stand seine Schwester, eine auffallende Frau um die dreißig. Als sie ihre Namen hörte, verstand Fey, dass sie hier bis zum Kriegsende gefangen sein würde, sofern die SS sie nicht liquidieren wollte. Es waren Otto Philipp und Marie-Gabriele (Gagi) von Stauffenberg, Cousin und Cousine von Claus von Stauffenberg, dem Atten­ täter des 20. Juli. Kaum hatten sie ein Gespräch begonnen, als ein Hoteldiener erschien, um ihr Gepäck nach oben zu tragen. Sie folgte ihm in ein Zimmer im ersten Stock. Es war hell, geräumig und hübsch ausgestattet mit einem großen Bett, Waschbecken und Kleiderschrank und einer Kommode aus Mahagoni. Der Anblick des Zimmers machte sie noch trauriger; es erinnerte sie an die Skiferien mit Detalmo. Seit fünf Monaten hatte sie nichts mehr von ihm gehört; wenn sie an ihn dachte, spürte sie nur Leere. Bevor der Hoteldiener ging und sie auspacken konnte, gab er ihr zwei Briefe. Der eine stammte von ihrer Großmutter Marie von Tirpitz und war ihr aus dem Innsbrucker Gefängnis nachgeschickt worden: Meine geliebte Li, habe tausend Dank für Deinen lieben Brief vom 2. Oktober. Ich war sehr gerührt darüber, daß Du meines uralten Geburtstags in dieser schweren Zeit gedacht hast, noch dazu aus dieser schmerzlichen Trennung von Deinen lieben, herzigen Bübchen heraus. Hoffentlich kannst du wenigstens hie und da 198

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Nachricht von ihnen bekommen. Und wie gerne würden wir Dir etwas Liebes tun, z. B. Dir etwas zur Stärkung schicken. Wenn Du Erlaubnis hast, so schreibe mir über diesen Punkt. … Hast Du erfahren, daß Almuth und Dieter hofften, Dich letzten Mittwoch im Innsbrucker Gefängnis zu besuchen? Leider wurde ihnen dort gesagt, daß Du bereits woanders hingebracht worden seist. Wohin wohl? … Ich segne Dich in großer Liebe. Deine alte Großmutti. Tränen der Enttäuschung stiegen in ihr auf, als sie den Brief las. Sie wusste, dass sie noch im Gefängnis gewesen war, als ihre Geschwister kamen. Wenn die Gestapo ihr nur erlaubt hätte, sie zu sehen, nur für ein paar Minuten. Der einzige Trost war, dass ihr Vater nicht erwähnt wurde. Es war fast zwei Monate her, seit Kretschmann ihr erzählt hatte, er sei hingerichtet worden; seitdem hatte sie Briefe von ihrer Mutter, ihrem Bruder und nun von ihrer Großmutter bekommen. Keiner hatte seinen Tod erwähnt. Ermutigt von der Überzeugung, ihr Vater sei noch am Leben, wandte Fey sich dem zweiten Brief zu. Er kam von Lotti, die auf ihren Brief aus Brazzà mit den Fotos der Jungen antwortete: Mein lieber Hase, einsam und verlassen bist Du und doch nicht alleine. Alle, die dich lieb haben, sind bei Dir, nicht nur heute, sondern jeden Tag. Da fliegen so viele warme innige Wünsche aus tiefstem Herzen zu Dir, so manches Gebet schließt Dich mit ein, und über uns breitet sich doch Gottes Hand, wenn es auch im Augenblick bitter schwer ist, noch daran zu glauben … Mein lieber tapferer Kämpfer, einsames kleines Geburtstagskind, es denkt in Liebe und Fürbitte an Dich Deine alte Lotti. Fey packte die wertvollen Briefe sorgfältig weg, nahm sich vor, ein »Kämpfer« zu sein, wie ihre alte Kinderfrau sagte, und ging hinunter, 199

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um die anderen Gäste kennenzulernen. Dort sprachen Gagi und Otto Philipp von Stauffenberg, denen sie schon vorgestellt worden war, mit einem älteren Paar und einem mageren jungen Mann Anfang zwanzig, dessen geschorener Kopf ihn entstellte. An der Art, wie sie miteinander redeten und scherzten, erkannte Fey sofort, dass sie derselben Familie angehörten. Offensichtlich hatten sie sich eine Weile nicht gesehen. Während sie mit ihnen schwatzte, erfuhr sie ihre Geschichte. Obwohl Claus von Stauffenberg ihr Cousin war, war die Familie nicht in das Attentat verwickelt gewesen. Sie waren nur inhaftiert worden, weil sie denselben Namen trugen. Die Eltern hießen Clemens und Elisabeth. Sie war eine schlanke, schicke Frau Anfang sechzig und kurz nach dem 20. Juli verhaftet worden. Die Gestapo hatte sie ins Gefängnis München-Stadelheim gebracht, wo sie fast drei Monate inhaftiert war. Mitte August waren auch ihre drei Kinder Otto ­Philipp, Gagi und Markwart festgenommen worden. Der achtzehnjährige Otto Philipp und seine ältere Schwester Gagi waren im fränkischen Nördlingen eingesperrt. Der 23 Jahre alte Markwart wurde ins KZ ­Dachau geschickt, wo er im Block für medizinische Experimente arbeiten musste. Clemens, ein sanfter und offensichtlich sehr gebrechlicher Mann, war erst am Tag zuvor festgenommen worden. Die SS hatte ihn in der Klinik, wo er wegen Herzbeschwerden behandelt wurde, aus dem Bett geholt und direkt ins Hotel gebracht. Nach diesen furchtbaren Erlebnissen war die Familie zum ersten Mal wieder vereint. Fey war von ihrer Geschichte berührt, beneidete sie aber um ihre Wiedersehensfreude. Ihre Nähe und der intime Umgang miteinander erinnerte sie an ihre eigene Familie. Das Verhältnis zwischen Clemens und Elisabeth war besonders berührend; während Elisabeth sich etwas aufregte und frotzelte, ihr Mann hätte seiner Gesundheit zuliebe in der Klinik bleiben sollen, flüsterte Clemens Fey zu, in den drei Monaten der Trennung von seiner Frau habe er sich völlig verloren gefühlt und wohl kaum noch länger überleben können. Während sie redeten, trafen weitere Gefangene ein. Als sie in die Hotelhalle kamen, riefen ihre Wächter die Namen einem SS -Offi­ zier zu, der die Neuankömmlinge auf einer Liste abhakte. Als sie die 200

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Namen hörte, musterte Fey die abgehärmten Gesichter, während ihr Herz erwartungsvoll raste. »Goerdeler«, »Gisevius«, »Hofacker«. Dies waren die führenden Familien des deutschen Widerstands  – Menschen, die ihr Vater erwähnt und mit denen er eng zusammengearbeitet hatte. Jeden Augenblick erwartete sie, eigene Verwandte hereinkommen zu sehen. Am Nachmittag und frühen Abend kamen weitere Gefangene. Fey verbrachte viel Zeit in der Eingangshalle und kam ein- oder zweimal in der Stunde herunter, weil sie hoffte, ihre Mutter und ihre Geschwister könnten unter den Neuankömmlingen sein. Doch das trat nicht ein. 17 der 21 Gefangenen, die von der SS in die Hindenburg-Baude gebracht wurden, gehörten den drei Familien Stauffenberg, Hofacker und Goerdeler an. Die Zusammensetzung der Familiengruppen wies daraufhin, wie weit Himmlers Sippenhafterlass sich erstreckte. Die Goerdelers, von denen sechs Personen im Hotel waren, waren die unmittelbaren Verwandten Carl Friedrich Goerdelers, der bei einem erfolgreichen Staatsstreich deutscher Kanzler geworden wäre. Neben seiner Frau und den beiden Töchtern waren auch seine Schwiegertochter, seine Nichte und ihr älterer Bruder da. Goerdeler selbst wartete im Zuchthaus Berlin-Plötzensee auf seine Hinrichtung. Wenige Tage vor dem 20. Juli, nachdem er die Liste seiner Kabinettsmitglieder abgeschlossen hatte, versteckte er sich, war aber Mitte ­August verhaftet worden, nachdem eine Frau ihn erkannt und bei der Gestapo denunziert hatte. Cäsar von Hofacker, ein hoher Luftwaffenoffizier und Cousin Claus von Stauffenbergs, war am 25. Juli in Paris verhaftet worden. Er war die rechte Hand des Militärbefehlshabers von Frankreich, Carl-Heinrich von Stülpnagel, und ein zentrales Mitglied der Verschwörung. Wenige Stunden nach der Explosion der Bombe hatten er und Stülpnagel über tausend Gestapo- und SS -Leute verhaften lassen. Als klar wurde, dass der Putsch gescheitert war, hatte Hofacker die Chance, zu entkommen, war aber stattdessen in seinem Büro geblieben und hatte 201

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gesagt, es sei besser, wenn die Welt wisse, was geschehen sei. Wenige Tage später, während er brutal gefoltert wurde, hatte die SS auch seine Familie festgenommen. Seine Frau und zwei ihrer Kinder – ein Mädchen von fünfzehn und ein Junge von sechzehn Jahren – waren unter den Sippenhäftlingen in der Hindenburg-Baude. Die größte Gruppe stellten die Stauffenbergs. Neben dem Cousin und der Cousine sowie deren Eltern, die Fey bei ihrer Ankunft kennenlernte, gehörten dazu Claus von Stauffenbergs 72  Jahre alte Schwiegermutter, seine Schwägerin, sein Bruder Alexander und ein weiterer entfernter Cousin, Markwart von Stauffenberg. In der Familie hieß er Onkel Moppel. Er war Wehrmachtsoberst und traf in Uniform ein. Die übrigen drei Gefangenen waren ein Ehepaar mittleren Alters namens Arthur und Hildegard Kuhn und Annelise Gisevius, eine unverheiratete Lehrerin Anfang vierzig. Der Sohn der Kuhns, Joachim, ein Infanterieoffizier an der Ostfront und Träger des Eisernen Kreuzes, war schon früh in die Verschwörung gezogen worden. Er war ein enger Freund Henning von Tresckows und hatte den britischen Sprengstoff für die Bombe besorgt. Nach dem Scheitern des Staatsstreichs und Tresckows Selbstmord hatte Kuhn versucht, dessen Ruf zu schützen. Er brachte seine Leiche aus dem Wald zurück, wo Tresckow sich mit einer Handgranate umgebracht hatte, und berichtete dem Oberkommando der Wehrmacht, er sei durch einen Partisanenangriff ums Leben gekommen. Später wurde Kuhn von der Roten Armee gefangen genommen und in ein Gefängnis in der UdSSR überstellt, er bis 1956 blieb. Annelise Gisevius war die Schwester von Hans Bernd, einem hohen Mitarbeiter im Amt Ausland / Abwehr, dem militärischen Geheimdienst. Als Gegner des Naziregimes hatte er eng mit Ulrich von Has­ sell zusammengearbeitet und war Verbindungsmann zum Vatikan und zum amerikanischen Geheimdienstchef Allen Dulles. Annelise war anstelle ihres Bruders verhaftet worden, der seine Kontakte benutzte, um der SS nach dem Attentat zu entkommen. Außer Annelise war Fey als einzige Gefangene allein im Hotel, alle anderen waren mit ihren Familien da. Außerdem waren die ande202

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ren bis auf zwei Personen in den Monaten nach ihrer Festnahme ­bevorzugt behandelt worden. Sie erhielten von der Gestapo einen besonderen Status, Einzelzellen und zusätzliche Essensrationen. Als »gewöhnliche« Gefangene in Innsbruck waren Feys Erlebnisse viel traumatischer gewesen.

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22 Fey wurden den anderen Gefangenen förmlich vorgestellt, als sie sich im Speisesaal des Hotels zum Abendessen versammelten. Die Cousins und Cousinen sahen sich zum ersten Mal seit ihrer Festnahme, und ein Gewirr freudiger Stimmen füllte den Raum. Mit dem Gefühl, ausgeschlossen zu sein, und der Angst um ihre Familie nahm Fey an einem der Tische Platz. Der Saal mit Eichenpaneelen und einer niedrigen Fachwerkdecke schien sich seit dem letzten Jahrhundert wenig verändert zu haben. Die Paneele waren mit tiefbrauner Patina bedeckt, und im großen Kamin brannte ein Feuer. Auf den Tischen lagen weiße Tischdecken, die Wände waren mit Geweihen und hübschen Porzellantellern geschmückt. Ohne die allgegenwärtigen Hitlerbilder und die NS -Plakate und -Symbole daneben hätte die Wirkung bezaubernd sein können. Seit ihrer Festnahme hatte Fey über sechs Kilo an Gewicht verloren. Ein Blick durch den Saal ließ leicht erkennen, wer von den übrigen Sippenhäftlingen ebenfalls schlecht behandelt worden war. Der 23-jährige Markwart von Stauffenberg war zwei Monate in Dachau inhaftiert gewesen, Baronin Anni von Lerchenfeld in Ravensbrück. Die Cousins nannten sie Tante Anni. Sie war eine Respekt gebietende Dame Anfang siebzig und in ihrer Jugend eine berühmte Schönheit gewesen. Nun war ihr Haar ungepflegt, und ihr schäbiges schwarzes Kleid hing ihr von den Schultern herunter. Niemand wusste, warum Markwart nach Dachau gekommen war, aber Fey hörte, dass Tante Anni den Nazis besonders verhasst war. Sie war nicht nur Claus von Stauffenbergs Schwiegermutter, sondern ihr Ehemann Hugo von Lerchenfeld war 1923 auch mitverantwortlich gewesen für die Inhaf­ tierung Hitlers nach dem misslungenen Hitler-Ludendorff-Putsch in München. Beim Essen drehte sich das Gespräch natürlich um das Attentat vom 20. Juli. Fey, die neben Claus von Stauffenbergs älterem Bruder 204

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Alex saß, hörte fasziniert zu. Alle tauschten Informationen aus, die sie von Freunden, Verwandten oder von Mithäftlingen hatten, und die meisten Einzelheiten waren ihr neu. Während ihrer Isolierung in Brazzà war das Radio die einzige Informationsquelle gewesen. In Innsbruck kam sie nicht mit den Familien zusammen, die in die Verschwörung verwickelt waren. Jede Einzelheit des Attentatsversuchs wurde nun diskutiert – sein Hintergrund und sein Scheitern. Gegen Ende des Abends wandte das Gespräch sich den Hinrichtungen und Tausenden von Festnahmen zu. »Bei diesen Geschichten über den Bombenanschlag und das Schicksal der Beteiligten sagte niemand etwas über meinen Vater. Ich war zu nervös, um zu fragen, aber gewiss war eine ausbleibende Nachricht eine gute Nachricht, und ich hielt weiter an meiner Hoffnung fest.« Es gab aber Neuigkeiten über andere Mitglieder ihrer F ­ amilie: »Ein Neuankömmling brachte Nachrichten von meiner Mutter und meiner Schwester Almuth, die meine Sorge um sie sehr milderten. Anscheinend waren sie Ende Juli festgenommen und in München inhaftiert worden. Mein Bruder Wolf Ulli war aber in Berlin zur ­Gestapozentrale geeilt und hatte angeboten, an ihrer Stelle eingesperrt zu werden. Er, nicht sie, sei zuletzt mit seinem Vater zusammen gewesen. Wolf Ullis Beharrlichkeit und Mut verblüffte die Gestapo so, dass sie ihn mit einem Brief nach München schickte, der die Umwandlung von Haft in Hausarrest für meine Mutter und A ­ lmuth anordnete. Der Fall war einzigartig. Noch außergewöhnlich war, dass Wolf Ulli selbst frei blieb. Angesichts dessen, was mit mir passiert war, schien es so unlogisch.« Fey erfuhr das von Lotte  – eigentlich Ilse-Lotte  –, der Frau des in Paris festgenommenen Obersten Cäsar von Hofacker. Sie war mit ihren beiden ältesten Kindern da. Die anderen Kinder, ein neunjähriger Junge und zwei Mädchen von sechs und zwölf Jahren, waren ihr von der SS entrissen worden. Später am Abend stellte Lotte Fey den beiden anderen Frauen vor, die man ebenfalls von ihren kleinen Kindern getrennt hatte, und rasch stellte sich ein intuitives Verständnis zwischen ihnen ein: »In unserer Gruppe hatte jeder ein anderes, hartes Schicksal zu tragen, aber wir vier Frauen, Mika Stauffenberg, 205

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Ilselotte Hofacker, Irma Goerdeler und ich litten gemeinsam unter der furchtbaren Sorge, nicht zu wissen, was aus unseren Kindern geworden war.« »Mika« war Maria Gräfin von Stauffenberg, die Ehefrau von Claus’ ältestem Bruder Berthold. Sie hatte ihre Kinder zuletzt in der Nacht des 22. Juli gesehen, als SS -Leute im Familienschloss Lautlingen auf der Schwäbischen Alb eintrafen. Nachdem sie das Schloss durchsucht und versiegelt hatten, brachten sie sie weg und ließen die vierjährige Tochter und den fünfjährigen Sohn in der Obhut der Gestapo. Die von den Nazis als »Bolschewistin« gebrandmarkte Mika war Mitte vierzig und im zaristischen Russland aufgewachsen. Sie hatte mit ihrem Mann eng bei der Vorbereitung des Walküre-Plans zusammengearbeitet und den Entwurf der Erklärung überarbeitet, die dem deutschen Volk Hitlers Tod verkünden sollte. Berthold war am 10. August hingerichtet worden, wenige Wochen nach Mikas Festnahme. Fey war von dem Mut, mit dem sie den Verlust ihres Mannes und ihrer Kinder trug, beeindruckt: »Als Kind hatte sie schon eine brutale Zeit durchlebt, die Russische Revolution, danach war ihre F ­ amilie nach Deutschland geflüchtet. Sie war eine schöne Frau, die sich langsam bewegte und sprach.« Vielleicht hatten ihre Erfahrungen ihr Stärke gegeben. Irma Goerdeler, die Frau von Carl Friedrichs ältestem Sohn, war Mitte August von ihren Söhnen  – einem neun Monate alten Säugling und einem dreijährigen Jungen – getrennt worden. Als die SS gekommen war, um die Kinder abzuholen, hatte man ihr nur gesagt, sie kämen auf ein Gut auf dem Land. Seitdem hatte sie nichts mehr gehört. Sie wusste auch nicht, was aus ihrem spurlos verschwundenen Mann geworden war. Von den drei Frauen war es Lotte, zu der Fey sich am stärksten hingezogen fühlte: »[Sie] war stets guter Dinge, aber auch energisch. Ihr Herz war von purem Gold. Über das Schicksal ihres Mannes war sie sich im unklaren, da sie bisher noch keine offizielle Nachricht von seinem Tod erhalten hatte.« Dazu kam die Sorge um ihre drei jüngsten Kinder. Sie waren Anfang August aus der Berliner Wohnung geholt worden. »Diese Sorge um unsere verlorenen Kinder verband 206

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uns. Es war eine große Erleichterung, mit jemandem zusammen zu sein, der die ständige Qual verstand, die so eine Trennung erzeugte. Lotte zeigte aber nie ihr Leid. Immer blieb sie nach außen heiter, um ihre beiden älteren Kinder nicht zu belasten. Ich dagegen fühlte mich durch das Geschehene irgendwie verkrüppelt und konnte meinen Kummer kaum verbergen.« * Durch den Trost Lottes und der anderen Mütter, deren Kinder vermisst wurden, gewann Fey langsam ihre Kraft zurück. Das Essen in der Hindenburg-Baude war gut und die Bergluft erholsam. Das Personal kümmerte sich gut um die Gefangenen, putzte ihre Zimmer und bediente sie bei den Mahlzeiten. Abgesehen von der Isolation und der ständigen Bewachung war es wie der Aufenthalt in einem Luxushotel. Das Hotel war von der SS sorgfältig ausgesucht worden, denn es lag weit entfernt von Menschen, die aus Neugier angezogen werden konnten. Es lag inmitten von Tannenwäldern in mehr als tausend Metern Höhe über dem Tal von Kladsko (Glatz). Außer ein paar einsamen Bauernhöfen gab es kilometerweit keine anderen Häuser. Zwei SS -Männer bewachten die Sippenhäftlinge rund um die Uhr. Es war jedoch erlaubt, Spaziergänge zu machen und Briefe zu schreiben und zu empfangen. Beim Essen saßen die Wachen an einem eigenen Tisch in der Ecke des Saals und erlaubten den anderen ungestörte Gespräche. Die laxe Bewachung bedeutete, dass die Gefangenen über die Möglichkeit einer Flucht sprechen konnten, aber sie hatten keine Ausweise und wagten es nicht, Vergeltungsmaßnahmen zu provozieren, denn es war klar, dass alle darunter leiden müssten, wenn jemand flüchtete. Die polnische Besitzerin des Hotels »war sehr schlau; heute war sie mit der SS einig, aber morgen hätte sie sich ebensogut mit jeder anderen Macht verständigt. Sie ließ erkennen, daß sie in ihrem Inners­ ten unsere Bewacher ablehnte. … Aber wir wagten es nicht, mit der Hotelbesitzerin offen zu sprechen, da sie ebensogut ein Spitzel sein 207

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konnte. Ihre Bediensteten waren Kriegsgefangene, Polen und Russen, mit denen sich Mika und Anni manchmal heimlich unterhielten; sie beobachteten den Verlauf des Krieges mit großer Freude, denn wenn die Dinge sich weiter so entwickelten, würden sie bald zu ihren Familien zurückkehren können.« Jeder Kontakt zur einheimischen Bevölkerung war verboten. Dennoch verbreiteten sich Gerüchte über das SS -geführte Versteck, und von Zeit zu Zeit waren am Waldrand Gruppen von Wanderern zu sehen, die einen Blick auf das Hotel werfen wollten. Eines Morgens sah Fey aus dem Fenster, als unten plötzlich ein Mann auftauchte: »Er richtete seine geballte Faust auf unsere Fenster und sagte: ›Man muß endlich Schluß machen mit diesem Gesindel!‹ Aber da er sehr leise sprach und vorsichtig um sich schaute, begriffen wir, daß er in Wirklichkeit die Nazis meinte.« Abgeschnitten von der Außenwelt entwickelte die Gruppe schnell eine Alltagsroutine. Nach dem Frühstück gab es ein Gebet, danach lange Spaziergänge in der Umgebung, bei denen man einander seine Geschichte erzählte. Nachmittags wurde gelesen, Bridge gespielt oder man organisierte Gruppenaktivitäten – Musikabende, Zeichenunterricht und Vorträge von Alex von Stauffenberg, der als Professor für Alte Geschichte in Würzburg gelehrt hatte. In ihrer erzwungenen Nähe entwickelte sich zwischen den Gefangenen eine besondere Bindung. Trotz unterschiedlicher Charaktere und Erlebnisse waren sie in Trauer und Sorge vereint. Getrennt von Kindern und anderen Familienmitgliedern, deren Schicksal sie nicht kannten, machten sie sich ständig Sorgen. Ohne Informationen konnten sie sich den körperlichen und seelischen Schmerz ihrer Lieben nur vorstellen. Die mangelnde Logik der Gestapomethoden steigerte ihre Unruhe noch; es gab keine befriedigende Antwort auf die Frage, warum eine bestimmte Person ins Konzentrationslager und eine andere ins Gefängnis gekommen war oder warum sie nun in einem komfortablen Hotel festgehalten wurden. Zwangsläufig bildeten sich aber Grüppchen, als die Gefangenen die Eigenheiten der anderen kennenlernten und über manche Personen geflüstert wurde: »Ständigen und amüsanten Gesprächsstoff bot 208

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­ nnelise Gisevius, das letzte Mitglied unserer Gruppe in der HindenA burg-Baude. Sie war nicht mehr jung und als Geisel für ihren Bruder Hans Bernd Gisevius verhaftet worden,  … Bei der Festnahme trug Fräulein Gisevius nur ein dünnes Sommerkleid und fror deshalb ständig. Alle gaben ihr Sachen zum anziehen, von denen die meisten nicht passten, und so sah sie recht seltsam aus. Außerdem hatte die arme Frau ein rundes Gesicht mit einer Himmelfahrtsnase, auf der eine riesige Brille thronte. Sie lächelte ständig. Sie war einsam, und ihre Art der Freundlichkeit war ein wenig peinlich. Die Leute waren nicht gern zu lange in ihrer Gesellschaft, denn wie Tante Anni redete sie ununterbrochen.« Besagter Tante Anni, die mit »riesigen Pantoffeln« durch die Korri­ dore streifte, ging Fey ebenfalls lieber aus dem Weg: »Sie erzählte endlos von ihrer Zeit in Rußland, als ihr Mann in einer Festung eingesperrt war und sie Tag und Nacht unterhalb der Festungsmauern wartete, um ihm bei der Flucht, die ihm schließlich gelang, behilflich sein zu können.  … Sie hatte eine so blühende Phantasie, daß man nicht wußte, was stimmte und was erfunden war.« Am Ende der ersten Woche hatte die Gruppe sich in Grüppchen aufgespalten, und es entstanden Familienzimmer als Treffpunkte. Ohne eigene Verwandte verbrachte Fey ihre Zeit mit den Stauffenbergs: »Ich wurde immer mehr in ihren Kreis gezogen, nannte sie bald bei ihren Spitznamen und verbrachte die meiste Zeit des Tages mit dem einen oder anderen von ihnen. Sie gaben mir ein Gefühl von Trost und Sicherheit zurück, das ich an dem schrecklichen Tag in Innsbruck verloren hatte, als man mir die Kinder wegnahm.« Von allen Stauffenbergs hatte Claus’ älterer Bruder Alex die meiste Faszination für Fey. »Alex war Ende 30 und sehr groß, sein Haar war nie ganz ordentlich gekämmt. Er hatte ein fein gemeißeltes Profil und stets ein Funkeln im Auge. Er war mir am ersten Tag aufgefallen, als er die Hindenburg-Baude betrat. Wie Onkel Moppel trug er immer noch seine Offiziersuniform seit dem Tag, als er bei seinem Regiment in Griechenland verhaftet worden war. … Er machte den Eindruck eines starken Mannes, was aber nicht stimmte, wie ich später herausfand. Er war voller Charme und Wärme, wenn auch nicht besonders 209

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gutaussehend im üblichen Sinn. … Obwohl ich Alex von Anfang an höchst anziehend fand, fühlte ich mich wie ein uninteressantes kleines Schulmädchen neben diesem welterfahrenen Mann, der so viel älter schien als ich.« Um nicht ständig an ihre Kinder zu denken, gab Fey einigen Gefangenen Italienischunterricht. Gegen Ende der ersten Woche nahm Alex an ihren Stunden teil. »Durch seine Griechisch- und Lateinkenntnisse verstand Alex viel mehr von der Struktur der Sprache als die anderen und oft auch mehr als ich. Ich war etwas verlegen, wenn er zu den Stunden kam, teils weil er so viel älter und gebildeter war als ich, teils weil er sich ständig über meine Ausdrucksweise amüsierte. Natürlich lernte Alex schneller Italienisch als die anderen. Da wir täglich im Wald spazieren gehen durften, entwickelten Alex und ich die Gewohnheit zusammen zu gehen und dabei nur Italienisch zu sprechen. Zu Beginn sprach er stockend, aber als die Zeit verging und ich ihm ständig Fragen stellte, verbesserte sich nicht nur sein Italienisch, sondern ich erfuhr auch viel mehr über ihn und seine Familie.« Alex war im Januar 1943 bei Stalingrad schwer verwundet worden. Nachdem man ihn für dienstunfähig erklärt hatte, wurde er nach Athen versetzt, wo er als Offizier im Ersatzheer diente. 1933 war er 28  Jahre alt gewesen und von Anfang an ein Gegner der Nazis. Als Professor für Alte Geschichte in Würzburg folgte er nicht dem offi­ziellen NS -Geschichtsbild, stellte die machthungrigen Kaiser als Ideal infrage und lehnte es ab, die Germanen im Dienste irrationaler Rassentheorien zu glorifizieren. Am Morgen nach dem Attentat hatte die SS ihn verhaftet. In den Stunden davor hatten Freunde ihm die Gelegenheit geboten, nach Ägypten zu fliehen, was er aber als unehrenhaft ablehnte. Bald verbrachten Fey und Alex die meiste Zeit zusammen, sie saßen beim Essen nebeneinander und machten morgens und nachmittags lange Spaziergänge. Feys Schüchternheit in seiner Gesellschaft legte sich rasch. Zum ersten Mal seit Wochen konnte sie durch ihn wieder ­lachen: »Seine extreme Unordentlichkeit und Zerstreutheit waren typisch für den zerstreuten Professor, über den man in Büchern liest. Dennoch war sein Benehmen jung, fast jungenhaft. Er sah stets die 210

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lustige Seite der Dinge. Beim Essen lehnte er sich mit dem Stuhl zurück, stieß mich an und machte mit verschmitztem Lächeln boshafte Bemerkungen über jedermann, besonders unsere ›Gastgeber‹ (die SS ). Die stets ernsthaften Kuhns, unsere Tischnachbarn, hatten keine Ahnung, worüber wir lachten, und schienen manchmal etwas verstört davon.« In den langen Stunden, in denen sie einander Gesellschaft leisteten, sah Fey eine andere Seite von Alex, die ihrem ersten Eindruck eines gelassenen, zuversichtlichen Mannes widersprach: »Alex sprach viel über seinen jüngeren Bruder Claus, dessen Talent als Offizier, psychologische Einfühlungskraft und außergewöhnlicher Charme ihn rasch in der Wehrmacht aufsteigen ließen. … So war Claus ideal dazu geeignet, um ein Attentat auf Hitler auszuführen. Er war auch einer der wenigen hohen Wehrmachtsoffiziere, die den Mut und die Entschlusskraft dazu besaßen. Das Scheitern des Attentats und die Hinrichtung seiner Brüder Claus und Berthold hatte Alex schwer getroffen. Er sprach über ihre gemeinsame Zeit. Alle Brüder waren sehr musikalisch: einer spielte Violine, einer Bratsche und Alex Klavier. Alex erzählte, sie seien ein recht erfolgreiches Trio gewesen.« Fey spürte aber auch, dass Alex vom Scheitern der Verschwörung belastet wurde  – nicht nur wegen der Hinrichtung von Claus und Berthold. Zu ihrer Überraschung vertraute er ihr an, seine Brüder hätten ihm nichts vom geplanten Staatsstreich erzählt, und er sei davon völlig überrascht worden. Die Erkenntnis, dass sie den Plan geheim gehalten hatten, weil sie glaubten, ihm nicht vertrauen zu können, war sehr schmerzhaft. Alex erklärte, dass sie nicht befürchteten, er könne sie verraten, sondern er könne zu unvorsichtig sein. Wiederholt hatten Claus und Berthold ihn gewarnt, seine hitzköpfige Opposition gegen Hitler könne zu viel Aufmerksamkeit auf die Familie ziehen und ihre Arbeit für den deutschen Widerstand gefährden. Er verstand, warum sie ihn ausgeschlossen hatten, fühlte sich aber von seinen Brüdern unterschätzt; zugleich hatte er auch das Gefühl, einen Anspruch nicht erfüllt zu haben. Alex erzählte auch von seiner Frau Melitta, genannt Litta. Sie war Testpilotin der Luftwaffe und trug das Eiserne Kreuz und die Front211

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flugspange in Gold mit Brillanten, zwei der höchsten Orden. Die ­beiden waren sich im Frühjahr 1931 begegnet, als sie ihn zur Hochzeit eines gemeinsamen Freundes nach Berlin flog. Sie heirateten erst im Sommer 1937. Littas Vater war Jude, und unter den Nürnberger Rassengesetzen brauchte sie eine »Deutschblütigkeitserklärung«, um einen Nichtjuden zu heiraten. Erst nachdem die Luftwaffe die Bedeutung ihrer Arbeit anerkannte, hatten sie es riskiert, die Erklärung zu beantragen. Ihre Arbeit, das Testen der Genauigkeit von Cockpitinstrumenten in Kampfflugzeugen, war gefährlich. Dazu gehörten senkrechte Sturzflüge aus 5000  Metern, die erst in letzter Sekunde abgebrochen wurden. Litta absolvierte bis zu fünfzehn Flüge pro Tag und war stolz auf ihre Fähigkeit, den dabei erzeugten gewaltigen Fliehkräften zu widerstehen, ohne dass ihr wie den meisten Piloten schwindlig wurde. Wegen ihrer Arbeit und den langen Dienstreisen für die Luftwaffe hatten sie sich seit Kriegsbeginn selten gesehen, und er vermisste sie sehr. Nach dem 20. Juli war auch Litta erst verhaftet, dann aber von der Gestapo wieder entlassen worden, weil Göring persönlich ihre kriegswichtige Tätigkeit bestätigte. Alex wiederum fragte Fey nach ihrem Leben: »Zuerst wollte ich nicht darüber sprechen. Es war zu schmerzhaft, mich an die Zeit zu erinnern, bevor mir die Kinder weggenommen wurden. Ich schämte mich auch für das, was geschehen war, als sei es meine Schuld. Niemand sollte sehen, wie groß mein Kummer war, und ich hatte Angst, wenn ich offen mit Alex redete, würde er schlechter von mir denken. Doch unter seinen sanften Fragen erzählte ich ihm meine Lebensgeschichte in der Botschaft in Rom und in Brazzà und schilderte meinen Vater und seine Ideale, Detalmo und meine Angst wegen der Kinder. Als ich das tat, ließen seine Unterstützung und seine Sympathie mich erkennen, dass ich keine Angst zu haben brauchte, und zum ersten Mal seit Innsbruck konnte ich mit mir und dem, was geschehen war, ins Reine kommen.« Während die Wochen vergingen, setzte der Winter ein und Schnee fiel. Tagsüber verbrachten sie weiterhin viele Stunden zusammen, machten lange Spaziergänge über die leeren weißen Felder und durch eiszapfengeschmückte Wälder. In dieser frostigen Landschaft, 212

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die Fey »ätherisch« vorkam, fand sie sich immer mehr zu Alex hingezogen: Auf unseren langen Spaziergängen erkannte ich nach und nach, was ich an Alex so anziehend fand. … Ich hatte meine Kindheit außerhalb Deutschlands verbracht und war in Italien aufgewachsen und hatte dort geheiratet. Außer meiner Familie hatte ich nur die schlimmsten und tragischsten Seiten meiner Heimat kennengelernt, die mit einem bestimmten historischen Moment verbunden waren: Nationalsozialismus, Hitlerjugend, SS und Gefängnis, die Trennung von meinen Kindern und meiner Familie. … Alex war der erste, der mir die positiven und guten Seiten des deutschen Volkes zeigte: humanistische Kultur, Geistigkeit, moralische Integrität. Er symbolisierte die Seite Deutschlands, nach der ich mich in Italien unbewusst gesehnt hatte. … Hier war ein Mann, der den »vollkommenen« Deutschen meiner Phantasie verkörperte, groß, männlich, ein Gentleman. Und dann sein Charakter: auf der einen Seite heiter und mit viel Sinn für Humor, auf der anderen melancholisch, fast traurig. Vielleicht wegen all dem, was Alex durchgemacht und verloren hatte, hatte er mutig reagiert und sich der Zukunft zuversichtlich gestellt. Er war überaus belesen, liebte neben der Geschichte auch die Poesie und konnte viele Goethe-Gedichte, die ich liebte, auswendig. Er schrieb auch selbst Gedichte. In der Monotonie und Ungewissheit der Tage in der Hindenburg-Baude halfen diese Spaziergänge und Gespräche uns, unsere Hilflosigkeit zu vergessen, unsere Trauer um die Gestorbenen und meine Angst um die Kinder. Diese wachsende Freundschaft wurde von unschätzbarem Wert und Trost, si­ cherlich für mich, aber ich glaube für uns beide. In dieser unwirklichen und schwierigen Lage verliebte Fey sich in ihn. Sie hatte das Gefühl, dies werde erwidert, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. 213

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Ihre gemeinsame Zeit endete abrupt am 30. November, fünf Wochen nach der Ankunft in der Hindenburg-Baude. Früh am Morgen wurde Fey durch Rufe und das Geräusch ­schwerer Schritte geweckt, die aus der Halle die Treppe heraufkamen. Kurz darauf kamen SS -Leute durch den Korridor und schlugen an ihre Tür. »Schutzstaffel! Alle aufstehen! Abtransport! Packen Sie sofort Ihre Koffer!« Fassungslos lag sie da und lauschte, wie sie den Korridor entlanggingen, um die anderen zu wecken. »Alle aufstehen! Alle aufstehen! Seien Sie um sieben Uhr bereit!« Fey zog sich rasch an und fand dann die anderen in der Hotelhalle vor. »Niemand hörte das Wort ›Transport‹ gern, denn wir alle hatten insgeheim gehofft, weiter in der Hindenburg-Baude zu bleiben. Natürlich sagte man uns nicht, warum wir so unerwartet abgeholt oder wohin wir gebracht würden. Einige waren über den plötzlichen Befehl so bestürzt, dass sie zu weinen begannen.« Als alle gepackt hatten, versammelte die SS sie auf dem Vorplatz. Ein Wehrmachts-Lkw wartete mit laufendem Motor. Die Abgase wehten in schwarzen Schwaden über den geräumten Schnee neben dem Hoteleingang. Es war Sonnenaufgang, und über den im tiefen Schatten liegenden Hängen erhoben sich die Berggipfel in goldenem Licht. Fey dachte, wie wenig der stinkende Lastwagen und die schwarzen Uniformen in die sonst so schöne Umgebung passten. Trotz der Mahnung zur Eile standen sie stundenlang in der Kälte. Auf dem Lkw war nicht genug Platz für alle 21 Personen, und ein zweiter musste für das Gepäck aus Bad Reinerz kommen. Vor dem Bahnhof des Ortes befahlen Soldaten ihnen, vom Wagen zu steigen. Mehr als die grobe Art, mit der die Soldaten sie antrieben, belastete es Fey, nicht zu wissen, wohin sie transportiert würden. »In Reinerz mußten wir aussteigen, es erwarteten uns 21 Uniformierte, so daß auf jeden von uns ein bewaffneter Mann kam! Einfach lächerlich! Jetzt waren wir also wieder richtige Gefangene, das Leben im Hotel hatte uns das fast schon vergessen lassen. Die Hoffnung in ein anderes Hotel verlegt zu werden, schwand zusehends, und in gleichem Maße steigerte sich unsere Furcht, in ein KZ gebracht zu werden. Um den für uns bestimmten Waggon dritter Klasse zu erreichen, mußten wir 214

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über die Gleise gehen, zwischen zwei Reihen von Soldaten hindurch, die das Gewehr auf uns gerichtet hielten. Ich fand es mehr ­komisch als beängstigend. Natürlich war das Abteil für 21  Personen viel zu klein, wir mußten uns ganz eng aneinander drängen, so daß sich keiner mehr rühren konnte. Die Fenster waren vergittert und plombiert. Die Luft war schier zum Ersticken.« Die Soldaten, die im nächsten Waggon mit dem Gepäck saßen, bewachten die Gruppe abwechselnd zu zweit. Fey fand die Wehrmachtssoldaten im Vergleich zur SS »einigermaßen verträglich«, und im Lauf der Reise kamen sie ins Gespräch. Sie berichteten ihr vom Krieg und den gewaltigen deutschen Verlusten an der Ostfront. Zwischen dem 1. Juni und Ende August waren fast eine Million Mann als tot, vermisst oder verwundet registriert worden. Innerhalb von sechs Monaten waren die Russen 800 Kilometer vorgestoßen und bedrohten jetzt Ostpreußen. Wenn sie Erfolg hatten, waren es von der Grenze Westpreußens bis Berlin nur 500 Kilometer. Ein Soldat klärte Fey schließlich über ihr Reiseziel auf: »schließlich erfuhren wir, daß wir uns auf dem Weg nach Danzig befanden, besser gesagt auf dem Weg zum Ende der Welt, nämlich in der Nähe der russischen Front. Im Fall des totalen Zusammenbruchs, konnten wir leicht in die Hände der Russen fallen, und dann würden wir wohl in Sibirien landen – dann, so dachte ich, wäre es fast noch besser, von den Nazis erschossen zu werden.« Bei Dunkelheit erreichte der Zug Breslau und hielt. Die Wehrmacht musste unbedingt Truppen an die Front bringen, darum mussten alle zivilen Züge über Nacht stehen bleiben. Fey nahm an, man werde sie in ein Hotel bringen, wo sie sich waschen und ausruhen könnten, doch die Soldaten trieben sie in einen großen fensterlosen Saal: »Es herrschte eine eisige Kälte. Man warf uns Holz hinein, mit dem wir einen winzigen Ofen heizen konnten, dann drehte sich der Schlüssel im Schloß um.« Der Saal war sehr primitiv. Es gab keine Betten, nur ein paar Bänke und den kalten Steinboden. Der Kontrast zu dem komfortablen Hotel der letzten Nacht konnte nicht größer sein. »Auf der einen Seite des Raumes befand sich eine Toilette, jedoch ohne Tür. Ilselotte und ich hängten eine Decke davor, die aber die ›Benutzer‹ nur 215

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zum Teil verdeckte. Man konnte ihren Oberkörper sehen, und das brachte uns natürlich zum Lachen.« Um vier Uhr früh am nächsten Morgen wurden sie im Dunkeln durch den eiskalten Bahnhof zurück zu ihrem Waggon gebracht. Ihre Wachen waren jetzt SS -Leute statt Wehrmachtssoldaten. Die 380 Kilometer nach Danzig sollten 36 Stunden dauern. Indem sie sich zusammenquetschten, konnten die Gefangenen etwas Platz im Waggon machen und abwechselnd schlafen. Ab und zu kamen Wachen herein, um sie zu verspotten; sie deuteten an, diese Reise werde ihre letzte sein: »›Es wird klüger sein, daß ihr all eure Vorräte aufeßt. Man kann nie wissen …‹ Vor dem Schlafengehen ermahnte uns ein anderer: ›Bitte, bleibt ganz ruhig. Setzt euch hin und versucht etwas zu schlafen. Das wird das beste für euch sein …‹ Fragend schauten wir einander an.« Auf halber Strecke gab es einen unangenehmen Zwischenfall, der die Spannung im Abteil erhöhte. Bei einem der häufigen Stopps an kleinen Bahnhöfen stiegen zwei SS -Offiziere in den Zug und befahlen Alex und Onkel Moppel (Markwart von Stauffenberg), die noch in Uniform waren, ihre Schulterstücke, Kragenabzeichen und andere Rangabzeichen abzugeben. Beide weigerten sich. Obwohl sie keine Loyalität zur Wehrmacht mehr empfanden, symbolisierten ihre Regimentsuniformen die Werte, an die sie und die Verschwörer des 20. Juli glaubten: Ehre, Anständigkeit und Mut. Es kam zu einem heftigen Streit, der immer lauter wurde. Die zwischen Lotte und Otto Philipp eingezwängte Fey schaute angstvoll zu: »Die SS -Leute begannen Beleidigungen gegen Alex und Onkel Moppel zu brüllen und tobten auf fast hysterische Art. … Wir anderen waren von der Auseinandersetzung zutiefst schockiert.  … Viele in unserer Gruppe erlebten zum ersten Mal die Brutalität, die sich unter der schleimigen Höflichkeit verbarg, die sie so oft zeigten. In diesem Augenblick war mir die Grobheit der Gefängniswärter in Innsbruck tausend Mal lieber.« Schließlich endete der Streit mit einem Kompromiss. Die SS willigte ein, Alex und Onkel Moppel zivile Kleidung zu geben, damit sie ihre Uniformen nicht zu entehren brauchten. 216

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Es gab noch einen anderen Grund für Feys Verstörung, den sie niemandem sagen konnte. Der Verlust der Uniformen bedeutete, ihr Ziel werde höchstwahrscheinlich ein Konzentrationslager sein. Soldaten, die ins Lager kamen, ihre Rangabzeichen zu nehmen, war eine Standardprozedur der SS . Die Behörden wollten nicht, dass andere Häftlinge von der Inhaftierung deutscher Offiziere erfuhren. Fey wusste, dass Männer und Frauen in den Lagern getrennt wurden, und sie hatte große Angst, von Alex getrennt zu werden. Sobald die SS -Leute gegangen waren, trösteten die Familien in der Grupppe einander, denn sie verstanden, dass man sie trennen würde. Fey fühlte sich entsetzlich allein und sah schweigend zu, wie sie sich umarmten. Der Gedanke, Alex zu verlieren, war unerträglich. Seit sie die Hindenburg-Baude verlassen hatten, hatte es keine Gelegenheit mehr gegeben, sich von den anderen zurückzuziehen. Immer aber, wenn sich auf der ganzen langen Reise ihre Blicke im vollgestopften Abteil trafen, schaute er sie an und lächelte. Nun würde sie ihm nicht einmal allein Lebwohl sagen können. Während der Zug langsam weiterfuhr, konnte Fey an nichts anderes denken. Sie fragte sich, was sie sagen würde, wenn sie durch ein Wunder ein paar Minuten gemeinsam verbringen könnten. Sie wusste, sie würden sich wahrscheinlich nie wiedersehen. Hätte sie den Mut, ihm ihre Gefühle zu offenbaren? Doch wie konnte sie das tun? Ihr Glaube an die Heiligkeit der Ehe bedeutete, dass eine Affäre undenkbar war. Gleichzeitig war seine Anziehungskraft so stark, dass sie sich nach dem kleinsten Wort oder der kleinsten Geste sehnte, die ihr zeigte, dass er genauso empfände. Am späten Nachmittag des 2. Dezember traf die Gruppe schließlich in Danzig ein. Ihre Fahrt hatte 55 Stunden gedauert. Aber die Reise war noch nicht vorbei. Ein anderer Zug wartete, um sie an ihr Ziel zu bringen, das die SS immer noch verschwieg. Zwei Stunden später erreichten sie einen kleinen Landbahnhof, wo man sie im Waggon warten ließ, bis ein Polizeilastwagen eintraf. In der Dunkelheit erstreckte sich die flache, ausdruckslose Landschaft, aber sie sahen Sanddünen, darum mussten sie nah am Meer sein. 217

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»Während wir da saßen, sagte niemand ein Wort«, erinnerte sich Fey. »Wer mit seinen Lieben zusammen war, wollte die letzten Augenblicke miteinander festhalten. Lotte tröstete ihren Sohn, und sagte, es würde alles gut und er müsse mutig und stark sein. Hildegard Kuhn weinte leise mit dem Kopf an der Schulter ihres Mannes, und Gagi und die beiden kleinen Stauffenberg-Söhne hielten die Hände ihrer Eltern. Alex’ Blicke waren ebenso verzweifelt wie meine Gefühle.« Sie hatten keine Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch gehabt. »Als wir unser Ziel erreichten, waren wir von schlaflosen Nächten, Hunger und nervöser Spannung erschöpft. Wir hatten keine Ahnung, wo wir gehalten hatten, aber draußen schien es kalt und öde zu sein. Ohne zu wissen, was als Nächstes kam, mussten wir stundenlang in dem stehenden Zug mit verschlossenen Fenstern warten. Schließlich wurden wir hinaus in die kalte Nacht getrieben und in einen Polizeilastwagen gestoßen. Drinnen war es dunkel, aber nach kurzer Fahrt konnte ich durch eine Ritze neben meinem Sitz sehen, dass wir an einem endlosen Stacheldrahtzaun vorbeifuhren, der mit großen Suchscheinwerfern beleuchtet wurde.« Während der Lastwagen durchs Lagertor fuhr, steckte Alex Fey einen Zettel zu, auf den er Rilkes Gedicht »Liebeslied« geschrieben hatte: Wie soll ich meine Seele halten, daß sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie hinheben über dich zu andern Dingen? Ach gerne möchte ich sie bei irgendwas Verlorenem im Dunkel unterbringen An einer fremden stillen Stelle, die Nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen. Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher Geiger hat uns in der Hand? O süßes Lied. 218

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23 Der Lastwagen hielt an, und sie hörten, wie sich draußen Stimmen näherten. Sekunden später lösten die Wachtposten die Bolzen an der hinteren Klappe und rollten die Plane hoch. Sie befanden sich auf einem knapp hundert Quadratmeter großen Innenhof. Vom grellen Flutlicht und der eiskalten Luft aufgeschreckt, hielten die Gefangenen die Hände vors Gesicht. Dann hörten sie aus dem Schatten eine Stimme brüllen: »Wegtreten! Marsch, Marsch!«, und die Wachen entfernten sich. Als sie vom Laster kletterten, fanden sie sich vor einem langen niedrigen Gebäude wieder. Der Wind roch nach Meer, und der Boden war sandig wie am Strand. An einer Seite des Hofs, der von doppeltem Stacheldraht umgeben war, lag eine hohe Mauer; die in regelmäßigen Abständen am Zaun angebrachten weißen Porzellanisolatoren zeigten an, dass alles unter Strom stand. Auf der anderen Seite der Mauer war das Lager in Dunkelheit gehüllt; schwach sahen sie die Umrisse von Wachtürmen, die drohend in den Himmel ragten. Eine einsame Gestalt im langen schwarzen Mantel ging im Scheinwerferlicht mitten auf dem Hof auf und ab. Der Kragen war gegen die Kälte hochgeschlagen. Er war mittelgroß und besaß die Statur und das Gesicht eines Kämpfers, ein eckiges Kinn und eine platte Nase, die anscheinend schon mehrmals gebrochen gewesen war. Dies war der Kommandant des KZ Stutthoff, SS -Sturmbannführer Hoppe. Er hob die Hand, um für Ruhe zu sorgen, und sagte mit hoher Stimme: Ihr seid sogenannte ›Sippenhäftlinge‹ im Zusammenhang mit dem Komplott vom 20. Juli. Diese Baracke steht euch zur Verfügung. Ihr könnt euch abends bis neun Uhr auch außerhalb der Baracke bewegen. Solltet ihr danach noch draußen gesehen werden, haben die Wachen Schießbefehl. Es ist verboten, mit den Wachen zu sprechen. Ihr dürft euch nicht laut beim Nachnamen nennen. Die Baracke müßt ihr selbst sauberhalten. 219

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Jeden Morgen um acht Uhr wird kontrolliert, bis dahin muß alles in Ordnung sein. Ihr müßt für euch selbst kochen und eure Wäsche waschen. Die Frauen werden die Strümpfe für die Häftlinge stopfen, die Männer werden Holz hacken und den Ofen heizen. Ihr dürft eure eigenen Kleider anziehen und seid nicht verpflichtet, Häftlingskleidung zu tragen. … Im Übrigen könnt ihr eure Zeit nach eigenem Gutdünken verbringen. Ich werde euch Bücher aus der Lagerbibliothek besorgen. Wenn ihr Fragen habt, könnt ihr euch an den Untersturmführer wenden, der für euch zuständig ist. Es ist erlaubt, alle vierzehn Tage nach Hause zu schreiben. Damit drehte der Kommandant sich um und ging weg, während sein Untersturmführer ihnen die Unterkunft zeigen sollte. Er trat aus dem Schatten der Baracke heraus, stellte sich höflich vor und führte sie hinein. Als sie die Stufen in den Holzbau hinaufstiegen, verspürte Fey große Erleichterung: »Jedenfalls waren wir froh, daß man uns nicht getrennt hatte, so daß wir alles andere darüber vergaßen.« Vor allem war sie noch mit Alex zusammen. Durch das Gedicht kannte sie seine Gefühle. In der Baracke betraten sie einen großen Saal, der die ganze Breite des Gebäudes einnahm. In einer Ecke stand ein Holzofen, daneben befand sich ein Küchenbereich mit Schränken voller Geschirr, Töpfen und Pfannen. Zu beiden Seiten des Saals lagen vier große Schlafräume für jeweils bis zu fünfzehn Personen und ein kleinerer Lagerraum für Holz und Kohle. Außerdem gab es einen großen Waschraum mit fließend Warm- und Kaltwasser. Alles war sehr sauber und roch nach frischer Farbe und Bauholz. Ein paar Räume hatten sogar eine angenehme Aussicht auf den Wald, der das Lager umgab. Während er die Gruppe umherführte, schien Untersturmführer Foth, ein kleiner blasser Mann in der schwarzen Uniform der Allge­ meinen SS , sich beliebt machen zu wollen, indem er ihre und seine Bedeutung betonte. Die Baracke sei speziell für die Gruppe gebaut worden, und sie seien »Sondergefangene« in einer »Sonderabteilung« des Lagers Stutthof. Der Befehl war von »oben« – »ganz weit oben« – 220

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gekommen, und der Bau hatte den Codenamen Haudegen 1 erhalten. Der Kommandant hatte ihn persönlich ausgewählt, um für ihre Bedürfnisse zu sorgen. Sie sollten zu niemand anderem Kontakt haben. Er sagte, es sei eine Ehre, dafür ausgewählt worden zu sein. Fey und die anderen waren von der Eröffnung, die Baracke sei extra für sie gebaut worden, wie vor den Kopf geschlagen. »Es ergab keinen Sinn. Als Verwandte von Männern, die sich zum Mord an Hitler verschworen hatten, wussten wir, dass hohe Nazis uns hassten. Wir hatten stets den Gedanken im Hinterkopf, man könne jeden Moment unsere Hinrichtung befehlen. Warum hatten wir also diese geräumige Baracke bekommen? Wer hatte den Befehl gegeben? Und zu welchem Zweck? Was immer der Grund war, wir konnten nichts tun und machten uns daran, unser neues Quartier so bequem wie möglich zu gestalten.« Die beiden kleinen Lagerräume an beiden Enden der Baracke bekamen Fräulein Gisevius und Tante Anni, »denn niemand von uns wollte unter ihrem Redeschwall leiden.« Die anderen Räume wurden in Männer- und Frauenquartiere aufgeteilt oder Familien zugewiesen. Die sechs Goerdelers teilten zwei Räume, die Kuhns sowie Clemens und Elisabeth von Stauffenberg hatten eigene Zimmer. Fey teilte sich einen Raum mit Gagi, Mika, Lotte und deren fünfzehnjähriger Tochter Ännerle. Als sie ihr Gepäck aus dem Saal holte, begegnete Fey Alex im Korri­ dor. Sie konnten nur wenige Worte wechseln. »Alex fragte mich rasch, ob es mir gut gehe, dann bot er an, meine Koffer zu tragen. Als ich mich bückte, um sie abzusetzen, flüsterte er mir ins Ohr. Der Raum, den er sich mit seinen Cousins teilte, lag direkt neben dem, den ich mit den Frauen teilte. Die Wände waren sehr dünn, und man hörte jedes Wort. Wenn ich das Bett nahm, das direkt an der Wand neben seinem stand, könnten wir abends und morgens miteinander sprechen. In den folgenden Wochen taten wir das auch. Wir redeten immer Italienisch, es war unsere private Sprache geworden.« Da sie auf engem Raum mit den anderen lebten, war dies Feys und Alex’ einzige Möglichkeit, ungestört zu reden. Es gab wenig zu tun, und die Zeit verging langsam. Trotz der Versprechen des 221

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­ agerkommandanten gab es wenig zu essen, und die Gruppe kochte L nicht ihre eigenen Mahlzeiten. Stattdessen brachte Untersturmführer Foth mittags einen Kessel mit dünner Mehlsuppe, in der ein paar Kartoffel- und Karottenstücke schwammen, sonntags auch unidentifizierbare Fleischstückchen. Manchmal war Sand in der Suppe, wenn der Wind darüber blies, während der Kessel aus der Lagerküche gebracht wurde. Abends kam Foth mit ihrer zweiten Mahlzeit, einem Stück Schwarzbrot und wässrigem Kaffee, dazu manchmal etwas Käse. Tagsüber saß Fey mit den anderen im großen Saal, wo der Ofen stand, der die einzige echte Wärme spendete. Die Gruppen, die sich in der Hindenburg-Baude gebildet hatten, blieben zusammen, doch die Kälte zwang sie nun im selben Raum zusammen. Fey empfand immer mehr Nervosität: »Familie Goerdeler, die sich oft über sehr anspruchsvolle Themen unterhielt, bewunderte im besonderen Rilke; oft rezitierte sie aus seinen Gedichten.« Da Alex für sie ein Rilke-Gedicht aufgeschrieben hatte, störte es sie, es von ihnen zu hören. Dr. ­Goerdeler leitete die Rezitationen. Er war etwa sechzig Jahre alt und schnell verärgert. Wenn er sich nicht über etwas beschwerte oder ein Gedicht rezitierte, saß er stumm und brütend da. Währenddessen saß »eine kleine Gruppe, die aus den Kindern Hofacker, ›Onkel Moppel‹, Markwart junior und mir bestand, … häufig um den einzigen Ofen, und ›Onkel Moppel‹ und Markwart erzählten komische, meist auch reichlich unanständige Geschichten, die immer großes Gelächter zur Folge hatten. Selten verstand ich die Pointe, aber ich lachte doch mit.« Nachmittags spielte sie Bridge mit Alex, Markwart und Otto Philipp. Die in Haudegen  1 abgesonderten Sippenhäftlinge hatten keine Möglichkeit, von dem zu erfahren, was wenige Hundert Meter weiter von ihrer Baracke vorging. Die vier Meter hohe Mauer, die sie vom Rest des Lagers trennte, blockierte ihre Sicht auf den riesigen Komplex: die vielen Baracken und Fabrikhallen, die Galgen und Gaskammern, das Netz der Straßen und die einspurige Bahnlinie, die unheilverheißend im Wald verschwand. Die Mauer verhinderte auch ihren Kontakt zu anderen Gefangenen. Die Regeln über ihre Inhaftierung waren so streng, dass sie niemanden sehen und von 222

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niemandem gesehen werden durften. Die Wachtposten durften die Baracke nicht betreten, nicht einmal die Sondergefangenen ansehen. Das bedeutete, dass immer, wenn Fey und die anderen sich auf dem Hof Bewegung verschafften, die Wachen auf den Wachtürmen ihnen den Rücken zukehrten. Dieser unheimliche Anblick verwirrte sie; sie verstanden nicht, warum ihre Anwesenheit so ein Geheimnis war. In diesen ersten Wochen war Foth der Einzige, den die Sippenhäftlinge sahen. Er brachte Kuchen und Süßigkeiten zu Ännerle von Hofackers Geburtstag und arrangierte, dass sie Pakete mit warmer Kleidung bekamen. Sie fanden ihn »anständig und hilfsbereit«. Seine Pflichten in Haudegen 1 nahmen aber nur einen kleinen Teil seiner Zeit in Anspruch. Daneben leitete er das Judenlager, wo er sich den Ruf des sadistischsten aller SS -Offiziere in Stutthof erworben hatte. Ein Häftling sagte später aus: »Dieser Mann fühlte sich nicht wohl, wenn er im Lauf des Tages nicht einen Gefangenen umgebracht hatte.« Gelegentlich hörte man jenseits der hohen Mauer Stimmen, die in slawischen Sprachen redeten; die Sippenhäftlinge hörten auch den Lärm der Industriebetriebe und das Heulen der Sirenen, die die Gefangenen zur Arbeit riefen. Mit der Zeit hörten sie auch Geräusche, die sie mit Angst erfüllten. Eine Woche nach der Ankunft wurden sie um vier Uhr morgens vom Prasseln von Flammen geweckt. Als sie aus dem Fenster der Baracke sahen, erblickten sie das Leuchten eines hundert Meter entfernt im Wald brennenden Feuers. Funken flogen in der kalten Luft, und als die Flammen höherschlugen und der Wind den Rauch in ihre Richtung trieb, kam ein ekelhafter Geruch, der nur von brennendem Fleisch herrühren konnte. Es kamen noch andere Geräusche: »Nachts hörten wir das Bellen der Hunde, es war ein Alptraum«, erinnerte sich Fey. »Wenn sie bellten, bedeutete es, daß Häftlinge einen Fluchtversuch gemacht hatten.«

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24 Zehntausende Männer, Frauen und Kinder waren im KZ Stutthof inhaftiert, das 37 Kilometer östlich von Danzig an der Ostseeküste lag. »Das Lager hatte so gewaltige Ausmaße, daß man es mit dem Auge nicht erfassen konnte. Es schien sich ins Endlose zu dehnen«, schrieb eine Gefangene. An den meisten Tagen der kalten Wintermonate zog Nebel von der Ostsee herein, der kein Licht durchließ und das Gefühl verstärkte, wie in Eis eingeschlossen zu sein. Der auf allen Seiten von Wasser umgebene und von tausend SS -Leuten bewachte Ort umfasste 1,2  Quadratkilometer und war sorgfältig ausgesucht worden. Die Weichsel im Westen und die Kanäle, die durch Sümpfe und Marschland zum Meer verliefen, machten ein Entkommen fast unmöglich, und man verließ sich darauf, dass die Deutschen in den nahen Fischerdörfern alle geflohenen Gefangenen verraten würden. Das Lager war 1939 nach der Invasion Polens eröffnet worden. Ursprünglich war es für 4500 Polen gedacht, darunter Lehrer, Priester und andere Angehörige der Bildungsschicht, die als politisch unzuverlässig galten, aber bald stieg die Zahl der Gefangenen, als die Wehrmacht nach Osten vorstieß. Nach einem Besuch Himmlers im Winter 1942 wurden dreißig neue Baracken für russische Kriegsgefangene errichtet. Sie wurden von Häftlingen gebaut, und die Fundamente bestanden aus den Knochen von Gefangenen, die an Typhus und anderen im Lager grassierenden Seuchen gestorben waren: »Es waren so viele Leichen, daß diese Öfen vierundzwanzig Stunden in Betrieb waren und es doch nicht ganz schafften«, erinnerte sich ein Gefangener. »Deswegen wurden sie nicht ganz verbrannt, die Knochen blieben noch hart. Eine Gruppe von Häftlingen leerte die Knochen aus den Öfen, füllte damit die Wagen und zog sie zu den Wegen, an denen wir bauten. Man füllte mit den Knochen die Räume zwischen den Steinen, damit sie fester wurden, an Stelle der kleinen Steine.« 224

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Nachdem die Baracken fertig und diverse Arbeitslager und Fabri­ ken für die neuen Gefangenen gebaut waren, konnte Stutthof bis zu 25 000  Insassen aufnehmen. Als die Sippenhäftlinge im Dezember 1944 ankamen, waren es aber 60 000. Es waren nicht die sowjetischen Kriegsgefangenen, wie von Himmler 1942 geplant. Nach einer Serie von Niederlagen an der Ostfront herrschte extremer Arbeitskräftemangel im Reich, und die deutsche Kriegsanstrengung hing nun von den gewaltigen Reserven in den SS -Arbeitslagern und Ghettos in allen besetzten Ländern ab. Ab dem Sommer 1944, als die Rote Armee diese Lager zu befreien drohte, wurden Zehntausende Insassen evakuiert. Rund 47 000 Gefangene waren zwischen Juni und Oktober in Stutthof eingetroffen, viele von ihnen aus Auschwitz. »Fernschreiben, Funksprüche gingen zwischen Berlin und Stutthof hin und her, um den Herren in Berlin das Unmögliche klarzumachen, daß Stutthof nicht mehr aufnahmefähig war. … Berlin versprach nur, selbst Sorge tragen zu wollen, daß die Häftlinge in Arbeiter abgestellt werden« [sic], sagte SS -Hauptsturmführer Meyer aus. Als klar wurde, dass viele dieser Menschen nicht arbeitsfähig waren, schickte Berlin eine weitere Anordnung: Um die Ernährungskosten für diese Gefangenen zu sparen, solle man sie töten. Die Massenmorde an Gefangenen hatten im Juni 1944 begonnen, verbrämt als »Sonderbehandlung«. Um zu entscheiden, wer von den Neuankömmlingen leben oder sterben solle, leitete Oberscharführer Foth mit anderen höheren SS -Offizieren die Selektion beim Eintreffen der Transporte. In den vier Monaten von Juni bis Ende Oktober hielten 26 Züge an dem kleinen Haltepunkt außerhalb des Lagers, jeder mit 1500 – 2000 Gefangenen. Die Züge kamen aus dem Ghetto von Kowno (heute Kaunas), aus dem KZ Kaiserwald in Lettland und aus Auschwitz. Nach der baltischen Offensive der Roten Armee im Oktober waren die Zahlen in die Höhe geschossen; nun brachte jeder Zug über 4000 Gefangene. Von den 47 000  Menschen, die mit den Transporten eintrafen, waren über 60 % Juden und über die Hälfte Frauen. Ihre Fahrt in den 225

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überfüllten Viehwaggons, häufig bei eisigen Temperaturen, hatte viele Tage gedauert. Nun trugen sie »den säuerlichen Geruch von getrocknetem Schweiß,  …, den Gestank von Urin und Exkrementen, von dem wir uns nicht befreien konnten«, wie sich eine Frau erinnerte. Massenkontrolle und das Verhindern von Massenpanik waren sehr wichtig für die SS -Wachen, die bei einem großen Transport weit in der Unterzahl waren. Aus diesem Grund versuchten sie den Zielort der Gefangenen zu verschleiern. Bei der Ankunft der Züge in Stutthof stand auf dem Stationsschild »Waldlager«, und Musikkapellen erwarteten sie auf dem Bahnsteig. Vom Haltepunkt marschierten die Gefangenen durchs Lagertor, dann vorbei an der Villa des Kommandanten Hoppe mit ihrem gepflegten Garten auf einen großen Appellplatz. Männer und Frauen wurden sofort getrennt, auch Mütter von ihren kleinen Kindern. Bei den meisten Transporten waren einige Gefangene dabei, die wegen Vergehen gegen das NS -Regime zum Tode verurteilt waren. Sie wurden von Foth und den anderen SS -Leuten ausgesondert und ins Krematorium gebracht, wo sie in den Hinterkopf geschossen oder gehängt wurden. Nach einer Schätzung wurden zwischen 10 000 und 20 000 Gefangene sofort nach der Ankunft ermordet. Die anderen standen auf dem von den früheren Massen festgestampften Boden des Appellplatzes, um durchgezählt zu werden. Die dreizehnjährige Schoschana Rabinovici kam mit einem Transport von 3155 Gefangenen aus Kaiserwald: »Wir mußten uns zum Appell aufstellen, und nachdem man uns wieder und wieder gezählt hatte, erschien ein Offizier, der auf Deutsch eine Rede hielt. Seine Stimme war schreiend und bellend zugleich: ›Ab jetzt seid ihr keine Menschen mehr, ihr seid Nummern, nur Nummern, so werden wir euch rufen, und so müßt ihr antworten, mit eurer persönlichen Nummer und auf deutsch. Von dem Moment an, da ihr durch das Tor geschritten seid, habt ihr jedes Recht verloren, euch ist nur das Recht geblieben, für das Deutsche Reich zu arbeiten. Eure einzige Möglichkeit, hier wegzukommen, ist, durch den Schornstein zu fliegen.‹ Mit diesen Worten deutete er mit dem Finger auf einen Schornstein, der am Ende des 226

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Lagers zu sehen war und aus dem schwarzer, stinkender Rauch aufstieg. Nun bemerkten wir auch den seltsamen, süßlichen Geruch von verbranntem Fleisch, der sofort an uns kleben blieb und uns bis zum Ende nicht mehr verließ.« Die folgende Prozedur war bei allen Transporten dieselbe. Nach dem Anwesenheitsappell wurden die Gefangenen in eine Halle getrieben, wo sie sich ausziehen und ihre Habseligkeiten dem Magazin übergeben mussten. Dann folgte eine Durchsuchung der Körperöffnungen nach Wertsachen  – Mund, Nase, Ohren, Rektum und Genitalien. Schließlich wurde ihnen eine Zahl in den Arm tätowiert, und sie erhielten Häftlingskleidung. Während politische Gefangene gestreifte Uniformen trugen, bekamen Juden Zivilkleider mit ihrer Nummer und einem gelben Stern auf dem Rücken. Die Kleider wurden mehrmals verwendet und stammten von denen, die im Lager durch Krankheit oder Ermordung gestorben waren. Dann wurden die Gefangenen wieder zum Appellplatz geführt und mussten sich in einer Reihe aufstellen. Es folgte die Selektion, die über ihr Überleben entschied. Oberscharführer Foth, ein Arzt und andere SS -Offiziere standen am Anfang der Reihe, und die Wachen ließen die Gefangenen einzeln vortreten. Trudi Birger, die im Sommer 1944 sechzehn Jahre alt war, kam mit ihrer Mutter in einem Transport von 2169 Frauen aus dem Ghetto von Kowno. »Wir rückten in dieser dichten Reihe fremder Frauen, von denen sich aus Furcht keine vorwärtsbewegen wollte, langsam einem Punkt entgegen, wo wir von einer Ungewißheit in die nächste gestürzt werden sollten. Wir wurden vorangeschoben von den hinter uns nachdrängenden Frauen, angetrieben von den Kapos mit ihren Peitschen und den Wächtern, die mit ihren Hunden längs des Stacheldrahtzauns standen. … Jetzt standen nicht mehr viele Frauen zwischen uns und dem Arzt, der die Selektion vornahm. Meine ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf ihn. Im nächsten oder übernächsten Augenblick sollte er über mein Schicksal entscheiden. Er war ein hochgewachsener, gutaussehender blonder Mann in einer NS -Uniform. … Was mich selbst betraf, war ich wegen seiner E ­ ntscheidung nicht be227

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sorgt. Ich hatte gelernt, ein fröhliches Gesicht zu machen und so gerade dazustehen, wie ich nur konnte, um zu zeigen, daß ich voller Energie und guten Willens war. Doch im Fall meiner Mutter war ich mir nicht sicher. Nach ihrem Aussehen zu schließen, war sie den Sechzig näher als den Vierzig. … Und das Kleid, das man ihr im Lager gegeben hatte, ein formloser, schwarzer Fetzen, ließ sie auch nicht jünger erscheinen.« Während die Frauen sich vor dem Arzt aufreihten, gingen die Wachen an ihnen entlang und holten die Schwangeren und jene heraus, die offensichtlich zu schwach für die Arbeit waren. Viele litten nach Jahren der Unterernährung an Hungerödemen. »SS -Leute in schwarzen Uniformen ließen uns Aufstellung nehmen und befahlen, einzeln an ihnen vorüberzugehen und die Beine zu zeigen. Wer sehr viele Geschwüre an den Beinen hatte, wurde gleich weggejagt.« Der politische Häftling Krzysztof Dunin-Wąsowicz wurde zur Registrierung der Neuankömmlinge mit den SS -Leuten eingeteilt. Er beschrieb, dass die Frauen manchmal zu schwach waren, um zu stehen: »Es kam ein Transport von 150 Frauen aus dem Außenlager Thorn. Sie waren in elendem Zustand. Manche konnten nicht aufstehen, sie lagen nur stöhnend am Boden. Viele waren schwanger oder hatten gerade entbunden. Alle waren sehr dünn und hatten Wunden an den Beinen.« Der Arzt untersuchte die Frauen, die die Spitze der Schlange erreicht hatten. Zuerst befühlte er ihre Armmuskeln, dann fragte er, ob sie an Krankheiten litten. »Er blickte jede Frau, die sich vor ihn schleppte, prüfend und unpersönlich an und suchte nach Mängeln an ihr, die sie als Arbeitskraft untauglich machten«, schrieb Trudi Birger. »Mit knappen, kalten Handbewegungen und beinahe wortlos schickte er einige auf die linke, andere auf die rechte Seite. Unter uns war niemand, der nicht wußte, was das zu bedeuten hatte.« Trudi und ihre Mutter bestanden die Selektion, aber Tausende Frauen wurden ausgesondert. Die als arbeitsunfähig eingestuften wurden in getrennte Baracken gesperrt, wo sie an Krankheiten starben, oder von den Lagerwachen kurzerhand ermordet, durch Gas, ­Injektionen oder Ertränken. 228

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In den Baracken der jüdischen Frauen bestimmte Foth, wer getötet werden solle. »Die Todesurteile wurden von Oberscharführer Foth willkürlich verhängt«, schrieb Dunin-Wąsowicz. »Die Wachen und Kapos waren ebenso eifrig, aber wenn es um das Töten von Juden ging, war Foth ohne Zweifel der grausamste und skrupelloseste. Als einmal die Gaskammer nicht funktionierte, erschlug dieser blutdürstige Sadist die Frauen mit eigenen Händen.« Dunin-Wąsowicz schilderte auch, dass Foth, ein Vater von acht Kindern, besonders gern schwangere Frauen herauspickte: »Einmal floh eine junge schwangere Jüdin aus einer zum Tode verurteilten Gruppe und versteckte sich auf dem Dachboden der Baracke. Foth führte die Suche an, fand sie und brachte sie triumphierend zur Gruppe zurück.« Nach dem Krieg sagte der SS -Offizier Hans Rach aus, Foth habe auch die Baracken mit den Frauen durchkämmt, die der Arzt als arbeitsfähig eingestuft hatte, um neue Opfer zu suchen: »Jeden Tag befahl er einen mehrstündigen Appell und wählte die kranken und schwachen Frauen aus. Er beurteilte ihren Zustand nach ihren Beinen und zwang die jüdischen Frauen, Wettrennen zu machen. Wer nicht rennen konnte, wurde auf einen Wagen verfrachtet und zur Gaskammer gebracht. Wenn die Kammer voll war wurde die Tür geschlossen. Otto Knott, der eine besondere Ausbildung im Konzentrationslager Lublin bekommen hatte, kletterte aufs Dach und warf das Zyklon B durch eine spezielle Öffnung in die Kammer … Auch Foth tat das.« »Ich möchte, daß niemand die nackte Grausamkeit in den Lagern vergißt«, schrieb Trudi Birger in ihren Erinnerungen an die Zeit in Stutthof. »Es waren nicht nur unpersönliche Todesfabriken, wo Menschen in Gaskammern und Krematorien zu einer Art makabrem Produkt ›verarbeitet‹ wurden. Hier konnten sadistische, bestialische Kriminelle ihre grausamsten und groteskesten Phantasien an unschuldigen Opfern austoben.« Obwohl nach den Lagerbestimmungen die Wachen die Gefangenen nicht prügeln durften, gab es keine Regeln gegen Mord, willkürliche Misshandlungen oder alltägliche Schikanen. Gefangene wurden aus nichtigen Gründen  – Rauchen auf der Latrine oder Singen  – oder zur Unterhaltung der Wachen erschossen. Einer ihrer Lieblingsspäße 229

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war es, das Lagertor zu öffnen und Gefangene zum Hinausgehen zu reizen; dann erschossen sie sie auf der Flucht. Ein andermal hetzten sie ihre Schäferhunde auf die Gefangenen. Ein SS -Mann gab später zu, dass die Hundeführer ihre Tiere »spaßeshalber« auf die von der Arbeit zurückkehrenden Insassen hetzten, »um die Häftlinge ein bißchen munter« zu machen. Gefangene mussten beim Vorübergehen der Wachen strammstehen und die Mütze abnehmen. Nachts wurden junge Mädchen aus ihren Kojen zu den SS -Baracken gezerrt und mussten wie auf dem Laufsteg stolzieren, damit die Wachen ihre Opfer aussuchen konnten. Die Blockältesten oder Kapos führten eine eigene Schreckensherrschaft. Sie waren Gefangene, die von der SS zur Aufsicht der Arbeitskommandos und Leitung der Baracken ausgesucht waren. Sie mussten keine Zwangsarbeit leisten und bekamen Extrarationen, dafür erleichterten sie der SS die Kontrolle. Dieses in allen Konzentrationslagern angewandte System wurde eingeführt, um die Lager mit weniger SS -Leuten führen zu können; ohne die Kapos hätten die Behörden nicht das Funktionieren der täglichen Abläufe erreicht. 1941 waren Häftlinge der Kategorie A aus deutschen Gefängnissen nach Stutthof überstellt worden und dienten dort als Kapos, nicht die zahlreichen politischen und religiösen Häftlinge. Sie waren Mörder, Sexualstraftäter und Mitglieder von Banden und wegen ihrer Brutalität ausgesucht. Vor einer Gruppe von Generälen verkündete Himmler im Juni 1944, die Kapos erklärten den »Erfolg« des KZ -Systems. Er beschrieb die »Organisation dieses verdienstvollen Niederhaltens des Untermenschen« und schilderte ihre Rolle gegenüber den anderen Gefangenen: »In dem Moment, wo er Kapo ist, schläft er nicht mehr bei denen. Er ist verantwortlich, daß die Arbeitsleistung erreicht wird, daß bei keinem eine Sabotage vorkommt, daß sie sauber sind, … In dem Moment, wo wir mit ihm nicht zufrieden sind, ist er nicht mehr Kapo, schläft er wieder bei seinen Männern. Daß er dann von denen in der ersten Nacht totgeschlagen wird, das weiß er.« Die Kapos taten alles, um die Wachen von ihrer Eignung für diese Aufgabe zu überzeugen. Laut den Zeugnissen von Überlebenden 230

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erschlugen sie manchmal Gefangene mit Gummiknüppeln oder Peitschen. Schläge waren alltäglich, wie Schoschana Rabinovici sich erinnerte, die aus dem Ghetto von Wilna (Vilnius) deportiert worden war: »Aus Erfahrung hatten wir gelernt, bei Schlägen zu schweigen. Wenn man schwieg, beruhigten sich die Schläge schneller.« Genowefa Larysz, der Kapo von Baracke  23, wo weibliche jüdische Gefangene lebten, war am berüchtigtsten. Jeden Morgen zwang sie die Frauen beim Appell mehrere Stunden nackt mit erhobenen Armen vor ihr zu stehen. Wer dies nicht durchhielt oder auf die Toi­ lette musste, wurde von ihr mit heißer Suppe begossen. Dann trat sie sie, schlug ihnen einen eisenrandigen Eimer über den Kopf und ließ ihre Namen von den SS -Leuten auf die Liste der Hinrichtungskandidaten setzen. Viele Gefangene versuchten, sich bei den Kapos einzuschmeicheln. Schoschanas Mutter Raja benutzte ihr Können als Näherin, um aus dem Futter einer Steppdecke einen Satinpyjama für ihren Kapo Anna zu machen. Als Gegenleistung bat Raja, der Barackentoilette zugeteilt zu werden, wodurch sie Extrarationen bekam: »Für diese Arbeit fanden sich nicht viele Freiwillige, denn die meisten Frauen litten an Durchfall und Ruhr, und die Toiletten waren sehr schmutzig. Die Toilettenfrau mußte die ganze Zeit in dem Raum mit den Klobecken sitzen, sie mußte auf Sauberkeit achten, die zehn Becken reinigen und für eine geordnete Benutzung durch die Frauen sorgen. Wenn Anna zum Klo ging, mußte die Verantwortliche alle Frauen, die in einer Schlange warteten, hinausjagen und die Toilette zu Annas alleiniger Benutzung freihalten. Spöttisch sagte die Blockälteste dann: ›Macht Platz, die Königin geht scheißen.‹« Arbeitsfähige und kranke Häftlinge lebten unter denselben Bedin­ gungen. Jede Holzbaracke war ursprünglich für 450  Menschen gebaut worden, beherbergte aber über tausend. Sie schliefen zu dritt in dreistöckigen Holzbetten – zwei in der einen Richtung, einer dazwischen in der anderen. Die Betten waren keinen Meter breit, aber viele Gefangene schätzten sich glücklich, sie zu haben, denn manche Baracken waren so überfüllt, dass die Gefangenen auf dem Boden 231

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schlafen mussten. Es gab fast nichts zu essen, und fast alle Insassen litten an Symptomen der Unterernährung – Schwindel, Halluzinationen und Muskelschwund, was jede Bewegung schmerzhaft machte. Morgens bekamen sie einen Napf Suppe: »Den Löffel hatten sie uns auch abgenommen und es war nicht anders möglich, als daß man etwaige Kartoffel- und Möhrenstücke mit dem Finger herausfischte«, erinnerte sich eine Frau. Abends bekamen sie ein kleines Stück Brot mit Fett. Um den Hunger zu betäuben, trugen die Arbeitskolonnen Menschenknöchelchen in der Tasche, die sie nach der Aussage einer anderen Gefangenen »wie Bonbons gelutscht haben.« Die Schichten für die Arbeitsfähigen dauerten achteinhalb Stunden. Die Arbeit war unterschiedlich. In Stutthof gab es mehrere Fabri­ ken, darunter ein Werk für Flugzeugteile von Focke-Wulf und eine Fabrik, in der Uniformen von an der Ostfront gefallenen Soldaten aufgearbeitet wurden. Einige Frauen arbeiteten als Kürschnerinnen in der Pelzabteilung und besserten die Kragen der Mäntel aus, die von Granatsplittern und Kugeln zerrissen und häufig blutbespritzt waren. Die meisten Gefangenen mussten aber draußen arbeiten. An ihrem ersten Tag in Stutthof wurde die aus dem KZ Kaiserwald evakuierte Maria Rolnikaite mit anderen Frauen zur Arbeit auf einem deutschen Bauernhof geschickt: »Der Begleitposten fesselt uns die Hände auf dem Rücken und bindet uns dann alle mit einem Strick aneinander. Das Ende des Stricks macht er am Wagen fest. Dann setzt er sich neben den Bauern, und es geht los. Der Gaul ist nach der langen Wartezeit gut ausgeruht und verfällt bald in einen munteren Trab. Wir müssen rennen, damit uns der Strick nicht ins Fleisch schneidet.« Trudi Birger und ihre Mutter wurden zum Bau von Panzerfallen eingeteilt. Im Dezember 1944 war die Front nur noch 250 Kilometer von Stutthof entfernt, und die Deutschen errichteten verzweifelt Befestigungen um die Städte in der Gegend. »Die Arbeit war schwerer als jede andere zuvor«, schrieb Trudi. »Mit Hilfe von Pickeln und Schaufeln mußten wir tiefe Gruben in die Erde graben und sie an den Rändern glattklopfen. … Die Panzerstellungen waren drei oder vier Meter tief. … Ich mußte auf dem Boden der Grube stehen und mit der Schaufel Erdreich nach oben, hoch über meinen Kopf wer232

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fen. Ich arbeitete im Schatten dieser hohen Erdwände, während unser ­ ewacher, mit seinem Maschinengewehr bewaffnet, oben stand und B feixend zusah, wie sehr mich die Arbeit anstrengte.« In diesem November brach im Lager Typhus aus. Wegen der Übervölkerung und der katastrophalen hygienischen Verhältnisse konnte er sich ungehindert ausbreiten. Der SS -Sanitäter Otto Knott sagte aus, die schnelle Ausbreitung der Krankheit habe es unnötig gemacht, die Gefangenen zu vergasen: »Als Anzahl der [durch Gas] getöteten Häftlinge würde ich eine Zahl von höchstens 3000 – 4000 nennen, ohne mich allerdings festzulegen. Da die meisten der Häftlinge des Lagers an Flecktyphus verstarben, war eine kontinuierliche Vergasungsaktion gar nicht erforderlich.« Mitte Dezember waren 7000 Menschen an der Seuche gestorben. »Ich habe mich im Schlaf an einen Leichnam geschmiegt«, berichtete Maria Rolnikaite. »Während der Nacht merkte ich das natürlich nicht. Ich kroch, da ich schrecklich fror, dicht an den Rücken meiner Nachbarin heran und schob die Hände unter ihre Achseln. Mir schien, als ob sie sich bewegte und meine Finger an sich preßte. Morgens aber stellte sich heraus, daß sie tot war!« Tagelang blieben die Leichen in den Baracken liegen. Als aber immer mehr Gefangene starben, teilten die Wachen, die nicht selbst in Berührung mit den Toten kommen wollten, »Bestattungskommandos« ein, um sie zu entfernen. Maria war eine der acht Frauen, die das in ihrer Baracke tun mussten: »Die Aufseherin gibt mir eine Ohrfeige und drückt mir Schere und Flachzange in die Hand. Dann müßte ich eben die Leichen entkleiden und ihnen die Goldzähne ausbrechen. Sollte ich es dabei wagen, mir einmal einen Zahn anzueignen, könnte ich den Weg ins Jenseits gleich zusammen mit meinen ›Patientinnen‹ antreten.« Die Bedingungen in Stutthof waren so schrecklich, dass man eine Zahl von 47 000 dort gestorbenen Gefangenen annimmt, die meisten durch Krankheit. Anfang Dezember starben nicht weniger als 125  Insassen täglich. Schoschana Rabinovici bewohnte die Baracke 233

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neben der von Maria. »Morgen für Morgen trugen die Frauen die Toten der Nacht aus den Blocks und legten sie neben die Wand. Von dort wurden sie auf Handwagen abgeholt und hinter den Zaun gebracht. Da die Krematorien nicht mehr ausreichten, fing man an, die Toten auf Scheiterhaufen zu verbrennen. Diese Scheiterhaufen brannten nicht weit vom Zaun des jüdischen Frauenlagers, und wir konnten sie sehen. Erst wurde Holz aufgestapelt, darauf kamen Leichen, dann wieder Holz und so weiter. Hatte der Stapel eine Höhe von etwa fünf Metern erreicht, schütteten die Deutschen Brennstoff darüber und zündeten ihn an. Der brennende Scheiterhaufen sah aus, als würden Teufel darauf tanzen. Während das Holz brannte, zogen sich die Körper zusammen, und plötzlich bewegten sich die Toten, hoben Hände und Füße, krümmten sich und setzten sich auf.« Der politische Gefangene Władysław Boniński war dem »Kre­ matoriumskommando« zugeteilt, das die Scheiterhaufen errichten musste: »Die Feuer wurden zwischen vier und fünf Uhr morgens angezündet. Etwa 20 von uns arbeiteten dort, und die Vorbereitung dauerte den ganzen Tag. 900 Leichen wurden gleichzeitig verbrannt, und sie brannten 20 – 24 Stunden lang.«

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25 Während Fey und die anderen in der Baracke Haudegen 1 den Feuerschein der Scheiterhaufen sahen und die brennenden Leichen rochen, kannten sie nicht das Ausmaß der Gräueltaten, die wenige Hundert Meter weiter geschahen. Die hohe Mauer vor der Baracke schirmte das Lager vor ihren Blicken ab, und sie konnten sich nicht mit den anderen Gefangenen verständigen. Ihr Essen kam aber aus der Lagerküche, wo die »gewöhnlichen« Häftlinge arbeiteten. Zwei Wochen nach der Ankunft in Stutthof wurden die meisten krank, auch Fey: »Fast alle erkrankten an Ruhr, so auch ich, und wir mußten wochenlang im Bett bleiben. Als der Kommandant erfuhr, daß so viele von uns erkrankt waren, bekam er es offenbar mit der Angst zu tun. Und so erfuhren wir ein neues, merkwürdiges Detail.« Fey verstand endlich, warum sie am Leben gelassen worden waren. Der Befehl, dass niemand von ihnen sterben dürfe, kam von Himmler: »Wir waren Geiseln, und Geiseln sind nur lebendig von Nutzen.« Für welchen Zweck Himmler sie aber haben wollte, konnte der Kommandant nicht sagen. Sehr beunruhigt fragte Hoppe Dr.  Goerdeler, der ausgebildeter Arzt war, welche Medikamente er brauche, und ordnete Bluttests für alle Sippenhäftlinge an. Da ihre Haft streng geheim war, führte ein zuverlässiger SS -Arzt die Tests durch – einer jener Ärzte, die jeden Tag den Kranken und Alten im Lager tödliche Injektionen verabreichten. Die Ergebnisse zeigten, dass Gagis Halsschmerzen vom Scharlach kamen. Fey hatte die Krankheit als Kind gehabt, und da sie eine der wenigen war, die wieder aufstehen konnte, wurde beschlossen, sie mit Gagi in einen Isolationsraum zu verlegen, wo sie sie unter Goerdelers Aufsicht pflegen konnte. Es ging auf Weihnachten zu, und Fey schnitt im Krankenzimmer Krippenfiguren aus Pappe aus, um ihre Gedanken von den Jungen abzulenken. Nach zehn Tagen allein mit Gagi durfte Fey am Weihnachtstag herauskommen, nachdem sie Hände und Kleidung desinfiziert hatte. 235

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Die halbe Gruppe, einschließlich Alex, lag noch krank im Bett, und sie versammelte sich mit den anderen im Gemeinschaftsraum. Am Vormittag kam Oberscharführer Foth und brachte einen kleinen Weihnachtsbaum und einige Weihnachtsgeschenke mit, die er mit den besten Wünschen verteilte. Foth hatte den Heiligabend auf dem Appellplatz verbracht, wo die Wachen die Häftlinge versammelt hatten. »An Weihnachten stellten die Deutschen auf dem Hauptplatz der Appellplätze im alten Lager einen schönen Tannenbaum auf, groß und mit brennenden Kerzen geschmückt«, erinnerte sich Schoschana Rabinovici. »Alle Häftlinge des Lagers, des alten und des neuen, wurden spät abends zum Appell gerufen. Dieser Appell dauerte stundenlang. Plötzlich wurde ein junger Pole mitten auf den Platz gebracht. Da erst fiel uns auf, daß neben dem festlich geschmückten Baum ein Galgen errichtet war. Nachdem die Offiziere sich lange unterhalten und den Jungen immer wieder beschimpft hatten, wurde er vor aller Augen aufgehängt. Am Abend dieses hohen christlichen Festes mußten die Häftlinge den Gehenkten betrachten. Als wollten die Deutschen uns damit mitteilen, daß trotz des Festes die Grausamkeiten nicht aufhörten. Der junge Mann war wegen Brotdiebstahls zum Tode verurteilt worden.« Fey nahm Chinin, das sie in Brazzà in ihren Koffer gesteckt hatte, um die Krankheit abzuwehren, aber am zweiten Weihnachtstag bekam sie Halsschmerzen und Fieber. Auch andere zeigten Anzeichen einer schweren Krankheit, und Lagerkommandant Hoppe erschien erneut und ordnete weitere Bluttests an. Die Ergebnisse zeigten, dass Fey, Mika und Goerdelers Nichte Jutta Typhus hatten. Lotte von Hofacker und ihre Tochter Ännerle hatten Scharlach, und Frau Anneliese Goerdeler und ihre Tochter Benigna litten an Bazillendysenterie, einer potenziell gefährlichen und sehr ansteckenden Form der Krankheit. »Um wenigstens den Anschein zu erwecken, er habe die Lage unter Kontrolle, ließ der Lagerkommandant ein Krankenzimmer für uns sieben organisieren«, erinnerte sich Fey. Anstelle der Holzpaletten, auf denen sie sonst schliefen, wurden richtige Betten aus dem Lagerhospital geholt. Durch den engen Kontakt im Krankenzimmer 236

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bestand die Gefahr, dass sie sich gegenseitig ansteckten. »Nach diesem scharfsinnigen Befehl verschwanden die Wachen wieder wochenlang und überließen uns unserem Schicksal.« Die eigentliche medizinische Versorgung übernahm Goerdeler. Fey hatte Fieber, und mit einem alten Stethoskop und den Medikamenten, die Hoppes Wachen an der Hintertür der Baracke ablegten, kümmerte er sich täglich um sie. »Ich bekam jeweils eine Spritze, um mein durch die Temperaturschwankungen zwischen 36  Grad und 40  Grad geschwächtes Herz zu stützen. Dr.  Goerdeler hatte selbst einen chronischen Schnupfen. Immer, wenn er sich über mich beugte, hing ein Tropfen an seiner Nase, und ich fürchtete mich vor dieser ›drohenden Gefahr‹.« Doch der Tropfen fiel nie. Drei Wochen lang war Fey schwer krank. »Zum ersten Mal dachte ich, ich würde es nicht schaffen. Der Gedanke, so fern von meiner Familie und meinen Freunden zu sterben, peinigte mein fieberndes Hirn. Ich dachte dauernd an meine Söhne und fürchtete für ihre Zukunft, wenn ich nicht mehr da wäre. Nachdem ich sie an die SS verloren hatte, glaubte ich, nur ich allein könne sie wiederbekommen. Während das Fieber in meinem Kopf pochte, hörte ich das tägliche Geheul der Sirenen und das Krachen der Bomben.« Die Rote Armee rückte immer näher. Die anderen Frauen in dem provisorischen Krankenzimmer waren ebenfalls schwer krank, und in dieser Zeit traf aus Berlin ein Brief des Volksgerichtshofs an Lotte von Hofacker ein, ihr Ehemann sei hingerichtet worden. Da sie und ihre Tochter Ännerle mit Scharlach ans Bett gefesselt waren, hatte ihr vierzehnjähriger Sohn Eberhard von Hofacker den Brief geöffnet. Er ging sofort zu Goerdeler und bat, seiner Mutter die Nachricht mitteilen zu dürfen. Goerdeler lehnte aber ab, denn beide Frauen waren in kritischem Zustand, und er befürchtete, dies könne ihre Genesung gefährden. Vier Tage lang trug Eberhard das traumatische Wissen vom Tod seines Vaters mit sich herum. Es war der zweite Schlag binnen weniger Monate. Der ernsthafte Junge, der älter wirkte als er war, verarbeitete immer noch die Beteiligung seines Vaters am 20. Juli. Der 1930 geborene Eberhard war unter dem Nationalsozialismus aufgewachsen. 237

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Seit dem Eintritt in die Hitler-Jugend war er der Propaganda über den »Feind« ausgesetzt gewesen, und die Vorstellung, sein Vater habe sich an einer Verschwörung gegen Hitler beteiligt, kam als schrecklicher Schock. Fey bemerkte seine Unruhe bei der ersten Begegnung: »Man spürte, dass ein Teil von ihm sehr litt. Zugleich fühlte er sich für seine Mutter und seine Schwester verantwortlich. Er war jetzt der ›Mann‹ in der Familie und wollte stark sein.« Erst als Lottes Zustand sich besserte, änderte Goerdeler seine Meinung. Das Ansteckungsrisiko war zu groß, um Eberhard ins Krankenzimmer zu lassen, aber der Arzt erlaubte ihm, einen Brief an seine Mutter zu schreiben. Ännerle war aber immer noch in kritischem Zustand. Mit all seiner Autorität beschwor Goerdeler ihn, die furchtbare Nachricht vor seiner Schwester zu verbergen. Am 10. Januar, drei Wochen nach der Hinrichtung seines Vaters, schrieb Eberhard den Brief. Er dachte an die Reaktion seiner Mutter und wollte es ihr schonend beibringen. Zugleich hatte er aber große Angst, seine Schwester zu verlieren. Da er nicht wusste, wie er Lotte abhalten solle, ihre Trauer auszudrücken und Ännerle zu beunruhigen, schrieb er oben über die Seite: »Bitte erst ganz durchlesen!!!« Liebe Mutti! Ich muß Dich heute leider auf die sehr ernste und traurige in beiliegendem Brief enthaltene Nachricht vorbereiten. Bitte, liebe Mutti, erschrecke deshalb nicht zu sehr, wenn ich Dir sagen muß, daß unser heißgeliebter Vater doch nicht mehr lebt, was Dir in dem Brief vom Volksgerichtshof offiziell mitgeteilt wird. Ich erhielt diesen Brief schon am vergangenen Samstag Nachmittag, zusammen mit den beiden anderen Briefen. Es ist ein furchtbarer Schlag für uns alle, besonders aber für Dich, und Du kannst Dir denken, wie mir fast das Herz stehen blieb, als ich diesen Brief so ahnungslos öffnete. Gerade weil wir uns in letzter Zeit mit Recht so große Hoffnungen gemacht hatten, trifft es uns heute umso furchtbarer, und ich kann es auch bis heute noch nicht verstehen, daß uns der Liebe Gott so Schreck238

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liches antun mußte, aber er wird es ja wissen. Es tut mir so Leid, daß ich Dich in diesem schweren Leid und bitteren Schmerz ganz allein lassen muß, aber tröste Dich etwas in dem Gedanken an uns und die Kleinen, wie wir es uns ja im Gefängnis schon so fest vorgenommen hatten. Nun habe ich noch eine große Bitte an Dich, nämlich: Behalte bitte diese Nachricht vorläufig ganz für Dich, sage sie bitte auf keinen Fall Ännerle oder den übrigen Kranken im Krankenzimmer (insbesondere der alten Frau Goerdeler wegen) und lasse Dir nach Möglichkeit nach außen hin nichts anmerken. Denn: Nach Ansicht von Herrn Dr. Goerdeler sowie allen übrigen Menschen hier, kann Ännerle, die doch wohl auf dem Höhepunkt des Scharlachs jetzt angekommen ist, diese Nachricht seelisch nicht vertragen, und wenn, würde es für sie nur einen ernsten Rückschlag bedeuten. … Ich weiß, daß Du Dich furchtbar zusammennehmen mußt, aber Du wirst es schaffen. Später, wenn es ihr einmal viel besser geht, kann man es ihr ja sagen! Wir müssen und wir werden es schaffen. Dies Schicksal, und sei es noch so schwer, werden wir meistern. So, Du Liebe, nun lebe wohl, alles, alles Gute, Dein Eberhard Goerdeler machte sich ebenso große Sorgen um Fey und seine Schwägerin Anneliese, die beide in kritischem Zustand waren. Cäsar von Hofackers Hinrichtung war spät gekommen; die Verwandten der anderen Sondergefangenen waren gleich nach dem Attentat hingerichtet worden. Da er wusste, dass Fey ihren Vater am Leben glaubte und auch Anneliese Goerdeler überzeugt war, ihr Ehemann sei sicher, befürchtete er, die Nachricht von Hofackers Hinrichtung könne ihnen den Mut nehmen. Als erfahrener Arzt wusste er, dass Hoffnung der Schlüssel für das Leben des Patienten ist. Aus diesem Grund hatte er auch mit Alex gesprochen. Wie alle anderen in der Gruppe bemerkte Goerdeler das enge Verhältnis zwischen Alex und Fey. Da er wusste, dass ihr Leben in Gefahr war, hielt er es für wichtig, dass Alex sie besuche. Voller Takt 239

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und mit einem Feingefühl, das seiner brüsken Art widersprach, gab er ihm einen Vorwand, das Krankenzimmer zu betreten. Unter der Bedingung, dass er den Patientinnen fernbleibe, übertrug er Alex die Aufgabe, sich um den Ofen zu kümmern. Alex wachte über die kranke Fey, sonst durfte niemand außer Goerdeler ins Zimmer: »Alex kam morgens und nachmittags, um Holz für den Ofen zu bringen. Ich hörte ihn, wenn er eintrat, mit seinem Arm voller Holz raschelte und den kleinen Eisenofen in der Ecke anheizte. Ich hätte gern mit Alex gesprochen, aber ich war zu schwach, um viel zu sagen. Dann kam er unerwartet an einem Nachmittag Anfang Januar zu mir herüber und drückte mir ein Stück Papier in die Hand. Darauf hatte er ein Gedicht geschrieben.« Es war das erste Gedicht, das Alex für Fey schrieb, und zum ersten Mal offenbarte er die Stärke seiner Gefühle: Und wie ein Blütenregen unter Bäumen Ein linder Duft, mit dem ich Dich begrüß, Ist meine Sehnsucht, wundersam und süß, Die nur der Traum erfüllt: so laß mich träumen. Und sei mir Trost da wir in finstern Schächten Hingleiten sonder Steuer sonder Stern, Du unerreichbar mir und schmerzlich fern, Doch atmend nah in schweren Zwölfernächten. Erst als es Fey besser ging, ging ihr die volle Bedeutung des Gedichts auf: »Die letzten Verse versteht man nur mit einer zusätzlichen Erklärung: Alex’ Bett stand im angrenzenden Zimmer genau parallel zu meinem, nur durch die Wand getrennt. Die ›Zwölfernächte‹, die er erwähnt, sind die Nächte zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar. Was man in diesen Nächten träumt, wird sich im Lauf der nächsten zwölf Monate erfüllen.« Mitte Januar hielt Goerdeler Fey für gesund genug, um das Krankenzimmer für kurze Zeit zu verlassen. Sie war immer noch schwach und 240

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hatte Schwindelanfälle, und Alex machte ihr Tee und kümmerte sich darum, dass sie so gut wie möglich ernährt wurde. In Anwesenheit der anderen konnten sie nie ungestört sprechen, und mit der Zeit sahen sie einander immer weniger. Draußen war es klirrend kalt, in manchen Nächten bis zu 25 Grad Frost, sodass die Gruppe die meiste Zeit des Tages angezogen im Bett verbrachte. Neben Alex und dem achtzehnjährigen Otto Philipp waren die Männer zu schwach, um das Holz zu hacken, das die Wachen draußen auf dem Hof ließen, und es wurde unmöglich, die kleinen Öfen zu beheizen. Lagerkommandant Hoppe, der sich um ihr Überleben sorgte, stellte dafür zwei weibliche russische Gefangene ab, und erst jetzt erfuhren sie von den grauenhaften Lebensumständen im übrigen Lager. Obwohl die Frauen kein Deutsch sprachen, konnten Mika von Stauffenberg und Tante Anni Russisch. Zum ersten Mal hörte Fey, dass im Reich und in den besetzten Gebieten systematisch Gaskammern benutzt wurden, und sie war zutiefst entsetzt, als sie die Wahrheit über Oberscharführer Foth erfuhr. Die nur wenige Meter von ihrer Baracke verübten Grausamkeiten beschäftigten die Gruppe. Da sie spürten, dass eine Art Endspiel bevorstand, machten sie sich Gedanken über ihr eigenes Schicksal. Obwohl sie kein Radio und keine Zeitungen hatten, war die deutsche Niederlage offensichtlich. Sowjetische Flugzeuge überflogen ständig das Lager, manchmal im Tiefflug über die Baracke hinweg. Bald hörten sie auch das Grollen von Artillerie in der Ferne. Onkel Moppel konnte als Veteran des Ersten Weltkriegs an der Lautstärke der Explosionen abschätzen, wie weit die Front entfernt war. Er warnte, es seien nur noch dreißig Kilometer. »Wir waren entsetzt bei dem Gedanken, den Russen in die Hände zu fallen«, erinnerte sich Fey. Der Grund war ihre Verbindung zu hochrangigen Wehrmachtsoffizieren, die den Feldzug in Russland geführt hatten. Dass diese eine Verschwörung gegen Hitler durchgeführt hatten, war dabei unwichtig. Höchstwahrscheinlich würden sie nach Sibirien in einen Gulag geschickt werden. Wegen des raschen Vormarsches der Roten Armee war es wichtig, zu entkommen. In der letzten Januarwoche war aber ein Entkommen 241

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aus Stutthof immer unwahrscheinlicher, ob für die SS -Leute, die 60 000 Gefangenen oder die Sippenhäftlinge. Der Beginn der sowjetischen Winteroffensive hatte die größte Massenflucht der Geschichte ausgelöst, und der einzige Weg – die schmale Straße durch den Wald am Lager vorbei – wurde von 450 000 Deutschen blockiert, die um ihr Leben flohen.

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26 Der sowjetische Angriff auf Ostpreußen begann am frühen Morgen des 13. Januar in dichtem Nebel. Drei Armeen  –  fast 1,7  Millionen Mann  – standen 580 000 deutschen Soldaten gegenüber, darunter 80 000 schlecht bewaffnete Jungen und alte Männer vom Volkssturm. Die Temperatur lag an diesem Morgen bei minus zehn Grad, und eine dünne Reifschicht bedeckte die sowjetischen Panzer, sodass sie in der schneebedeckten Landschaft besser getarnt waren. Auf ihre Geschütztürme hatten die Mannschaften Parolen geschrieben: »Vorwärts in die Höhle der Faschisten!« und »Rache und Tod den deutschen Okkupanten!« Als »blinde[s] Gefühl der Rache« beschrieb ein Veteran die Einstellung der Rotarmisten, als sie das Reichsgebiet erreichten. Nach den Verbrechen der Wehrmacht in Russland waren nun die Deutschen an der Reihe zu leiden. Über zwölf Millionen sowjetische Zi­ vi­listen waren von den Deutschen seit der Invasion der UdSSR ermordet worden. Einen Monat vor dem Angriff hatte Hitler befohlen, dass »die Besatzungsmacht denjenigen Schrecken verbreitet, der allein geeignet ist, der Bevölkerung jede Lust zur Widersetzlichkeit zu nehmen.« Nun hatten Kommandeure der Roten Armee ihre Truppen angestachelt, straflos Vergewaltigung, Raub und Mord zu begehen. Die Hasspropaganda sollte die Soldaten zu härterem Kampf ermutigen, sie war auch notwendig, um nach vier Jahren die Kriegsmüdigkeit zu bekämpfen. Major Lew Kopelew, der spätere Dissident, der unter Stalin wegen antisowjetischen Verhaltens inhaftiert wurde, hielt die Worte seines Vorgesetzten Sabaschtanskij von der politischen Verwaltung der 50. Armee fest: »Du weißt ja, uns allen steht der Krieg bis hier! Dieser verfluchte Krieg hat uns alle verbittert und verdreckt, uns alle, die Soldaten im Kugelhagel mehr als die übrigen. Solange wir im eigenen Lande kämpften, war alles einfach: wir kämpften um unsere Häuser, um den Feind zu verjagen, zu vernichten, um das Land zu befreien. Weißt du ja alles selbst. Aber jetzt – du und 243

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ich, wir wissen, daß man Hitler und dieses ganze giftige Nazigezücht endgültig und mit den Wurzeln ausrotten muß. Aber der Soldat, der schon das vierte Jahr an der Front steht, mehr als einmal verwundet war, der weiß nur, daß er irgendwo ein Zuhause hat, daß seine Frau und seine Kinder hungern. Und immer noch muß er weiterkämpfen, nun aber nicht mehr, um sein Haus, sein Dorf zu verteidigen, sondern um im Feindesland anzugreifen – vorwärts! … Das heißt: was ist zu tun, damit der Soldat Lust zum Kämpfen behält? Erstens: Er muß den Feind hassen wie die Pest, muß ihn mit Stumpf und Stiel vernichten wollen. Und damit er seinen Kampfwillen nicht verliert, damit er weiß, wofür er aus dem Graben springt, dem Feuer entgegen in die Minenfelder kriecht, muß er zweitens wissen: Er kommt nach Deutschland, und alles gehört ihm – die Klamotten, die Weiber, alles! Mach, was du willst! Schlag drein, daß noch ihre Enkel und Urenkel zittern!« Zunächst stießen die Sowjets auf heftigen deutschen Widerstand und kamen nur langsam voran. Nach wenigen Tagen bröckelte aber die Verteidigung, und die Rote Armee stieß rasch über den gefrorenen Boden vor. Ostpreußen war weitgehend flach und bewaldet, und der nahende Artilleriedonner erzeugte in den abgelegenen Städten und Dörfern große Angst. Tief eingegraben in die Gedanken der Bewohner waren die Bilder der Gräueltaten aus Nemmersdorf im Nordosten der Provinz. Die Rote Armee hatte die Stadt im Oktober 1944 für kurze Zeit besetzt, und nach der Wiedereroberung durch die Wehrmacht hatte Goebbels Propagandaeinheiten geschickt, um die »grauenvollen bolschewistischen Verbrechen« zu filmen. Es gab Berichte über verstümmelte Leichen, nackte Frauen, die an Scheunentore genagelt waren, und Säuglinge mit eingeschlagenen Köpfen. Dutzende Frauen und Mädchen waren viele Male von Rotarmisten vergewaltigt worden, bevor sie ermordet wurden. Die Panik bei dem Gedanken, ein ähnliches Schicksal zu erleiden, verbreitete sich rasend schnell und wurde dadurch verstärkt, dass es keine Pläne für die Evakuierung der Zivilbevölkerung gab. Da die NS -Funktionäre behaupteten, die Wehrmacht werde jeden feind244

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lichen Angriff zerschmettern, galt schon das Reden über Evakuierung als Verrat. Sie drängten die Bewohner Ostpreußens, ihre Provinz bis zum Letzten zu verteidigen, und drohten jedem Flüchtling mit Strafen, während sie gleichzeitig ihr eigenes Verschwinden vorbereiteten. Darum wurde der größere Teil der Bevölkerung erst evakuiert, als die Explosionen der sowjetischen Artillerie schon ihre Fensterscheiben zerspringen ließen. Inzwischen waren sie in Städten ohne Wasser, Gas und Strom isoliert und warteten auf den von den Nazis versprochenen Transport, der aber nie kam. Alle motorisierten Fahrzeuge waren von der zurückweichenden Wehrmacht beschlagnahmt worden, und die Züge fuhren nicht mehr. Selbst für Ostpreußen war es ein bitterkalter Januar, und die Aussicht, tage- und nächtelang auf eisigen Straßen entlangzuziehen, war beängstigend. Manche wählten den Selbstmord und nahmen Zyankalikapseln, die in den Apotheken frei verfügbar waren. Andere flohen in die Wälder und gruben sich Höhlen im Schnee, in denen sie von den Rotarmisten unbemerkt zu bleiben hofften. Die meisten flüchteten aber auf den Straßen. Es herrschte völlige Verwirrung. »Eine Panik erfaßt die Menschen, als der Ruf laut wird: ›Die Russen sind in der Nähe!‹ … Auf einmal kommt ein Mann zu Pferde geritten und ruft mit lauter Stimme: ›Rette sich wer kann. In einer halben Stunde wird der Russe da sein.‹ Eine lähmende Angst überfällt uns.« In den letzten zehn Januartagen flohen rund zwei Millionen Ostpreußen ins Ungewisse. Die Einziehung aller Männer zum Volkssturm bedeutete, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge Frauen, Kinder und Alte waren. Mütter mussten Pferde anspannen und den Familienbesitz aufladen, dazu Lebensmittel und anderes, um die kommenden Tage im Freien zu überleben. Mit jedem verfügbaren Transportmittel – Heuwagen, Karren, sogar Kinderwagen – zogen sie aus ihren Städten und Dörfern über die Straßen. Eilig gebastelte Planen aus Teppichstreifen bedeckten den Besitz, den sie auf die Wagen geladen hatten. »Traurig und unendlich rührend zugleich wirkten oft diese ärmlichen Leiterwagen, aus deren Innerem ganz vermummte Kinderköpfchen neugierig hervorsahen«, berichtete eine Frau. »Die an den Sprossen 245

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­angebundenen Töpfe und Kannen klatterten laut. Oft trottete ein Schaf oder eine Kuh hinterher.« In Schnee und Eis kam man nur langsam voran. Immer wieder hielten die Kolonnen, weil Wagen überladen waren und Achsen brachen. Auf dem eisigen Boden kamen die unterernährten Pferde nur schwer vorwärts, und manchmal lag der Schnee so tief, dass sie ausgespannt werden mussten, während die Frauen die Wagenräder freigruben. Manche Wagen wurden von Ochsen gezogen, deren unbeschlagene Hufe von der Straße wund waren und rote Blutspuren im Schnee hinterließen. Die Flucht der »Trecks« bedeutete, dass Städte, die im 13. Jahrhundert vom Deutschen Orden gegründet worden waren, dessen Wappen ein schwarzes Kreuz ähnlich dem Hakenkreuz trug, binnen Tagen, manchmal binnen Stunden verlassen waren. Die von Süden und Osten vorstoßenden Rotarmisten betraten Geisterstädte, wo das einzige Zeichen der früheren Bewohner die Hunde auf den Straßen und die an den Türen angehefteten Botschaften waren. In der Hoffnung auf ihre Rückkehr waren sie für Männer bestimmt, die an der Front kämpften. Auf einer stand: »Lieber Papa! Wir müssen mit dem Pferdewagen nach Alt-P. fort. Von dort weiter mit dem Schiff ins Reich.« In den verlassenen Städten wüteten die Sowjetsoldaten. Der Nachrichtenoffizier Leonid Rabitschew von der 31. Armee beschrieb die Plünderung von Goldap im Osten der Region: »Durch die eingeschlagenen Schaufensterscheiben wurde der gesamte Inhalt von Läden auf die Straße geworfen. Tausende Paar Schuhe, Teller, und Radioapparate, Hausrat, Medikamente und Lebensmittel lagen wild durcheinander. Kleider, Kissen, Federbetten, Bilder, Grammofone und Musikinstrumente wurden aus den Fenstern der Wohnhäuser geworfen. Die Straßen waren davon verstopft.« Wenige Stunden später erreichten die Truppen im Wald von Rominten das Jagdhaus Hermann Görings, das einmal dem Kaiser gehört hatte, und zerstörten weltvolle Bilder und Möbel. Mit schwarzer Farbe schmierte ein Soldat das Wort »Chui« (Schwanz) über eine Aphrodite von Rubens. Die sinnlose Zerstörung war nicht nur von Rache, sondern auch von Neid 246

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motiviert. »Deutsche Dörfer wirkten im Vergleich zu unseren wie der Himmel«, schrieb ein Offizier. »Alles war kultiviert. Es gab so viele schöne Häuser. Sie hatten so viel mehr als wir.« Die Abscheu vor allem Deutschen war so stark, dass ein Rotarmist sagen konnte: »Selbst die Bäume waren der Feind.« In jeder Stadt gingen die Zerstörungen weiter. Der Soldat Efraim Genkin erlebte die Plünderung von Gumbinnen mit, das 35 Kilometer nördlich von Goldap lag. »Die Deutschen hatten alles stehen und liegen lassen«, schrieb er an seine Familie nach Hause. »Unsere Leute fielen wie eine riesige Horde von Hunnen in die Häuser ein. Alles wird in Brand gesteckt, die Daunen aus Kissen und Federbetten fliegen umher. Jedermann, vom Soldat bis zum Obersten, schleppt Beute fort. Wunderbar eingerichtete Wohnungen und luxuriöse Häuser waren binnen weniger Stunden nur noch Müllhalden, wo Gardinen in der Marmelade aus zerbrochenen Gläsern lagen.  … Diese Stadt wurde gekreuzigt.« Drei Tage später schrieb er nach dem Verlassen von Gumbinnen: »Soldaten sind zu rasenden Bestien geworden. Auf den Feldern liegen zu Hunderten abgeschossene Rinder, auf den Straßen Schweine und Hühner mit abgeschlagenen Köpfen. Die Häuser wurden ausgeraubt und angezündet. Was nicht fortgeschleppt werden kann, wird zerschlagen und verwüstet. Zu Recht laufen die Deutschen vor uns weg wie vor der Pest.« Die rasch vorrückenden sowjetischen Truppen holten die Trecks bald ein. Wind und Schneefall dämpften jedes Geräusch; die Menschen in den Flüchtlingskolonnen, die sich Tücher und Schals gegen die Kälte um den Kopf gebunden hatten, hörten und sahen die vom Frost getarnten Panzer oft erst, wenn sie ganz nah waren. Manchmal fuhren die Panzer einfach weiter und zermalmten alles in ihrem Weg. Wenn die Truppen anhielten, dann um junge Mädchen und Frauen zu vergewaltigen. Leonid Rabitschew beschrieb die Szenerie außerhalb von Goldap: Alle Straßen waren mit Frauen, Kindern und Greisen verstopft. Ganze Familien zogen langsam auf Bauernwagen, anderen Gefährten oder zu Fuß in Richtung Westen. Unsere P ­ anzertruppen, 247

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Infanterie, Artillerie und Nachrichteneinheiten holten sie ein und bahnten sich den Weg, indem sie die Pferdewagen mit all ihrer Habe einfach in die Gräben zu beiden Seiten der Straße schoben. Dann trieben Tausende Soldaten die alten Frauen und Kinder beiseite. Ihre Pflicht und die vor ihnen zurückweichenden deutschen Einheiten waren vergessen, als sie sich über die Frauen und Mädchen hermachten. Frauen, Mütter und ihre Töchter liegen links und rechts der Straße, und vor jeder steht eine lachende Gruppe Männer mit heruntergelassenen Hosen. Frauen, die bereits bluten und das Bewusstsein verloren haben, werden zur Seite gezerrt. Kinder, die ihnen helfen wollen, werden erschossen. Lachen, Brüllen und Grölen, Schreie und Stöhnen vermischen sich. Und die Kommandeure der Soldaten – Majore und Oberstleutnante – stehen auf der Straße. Manche lachen, andere befehligen auch diese Situation und achten darauf, dass alle Soldaten an die Reihe kommen. Das ist kein Initiationsritus und hat mit Rache an den verfluchten Besatzern nichts zu tun, sondern es ist nichts anderes als höllischer, diabolischer Gruppensex. Ein Stück weiter traf Rabitschew auf einen weiteren Treck. Dieser war von sowjetischen Panzern überrollt worden: »Leichen von Frauen, alten Leuten und Kindern, dazwischen Kleidung und umgestürzte Wagen, so weit das Auge reicht.« Als er später am Tag ein Nachtquartier für seine Einheit finden sollte, sah er weitere Gräueltaten: »Ich führte meinen Zug zu einem Dörfchen zwei Kilometer von der Chaussee entfernt. In allen Häusern stoßen wir auf die Leichen von Kindern, Alten und Frauen, die vergewaltigt und erschossen wurden. Wir sind so müde, dass wir sie gar nicht beachten. Wir sind so erschöpft, dass wir uns zwischen die Leichen legen und sofort einschlafen.« Rabitschews Einheit erreichte Goldap am 20. Januar  – eine Woche nach Beginn der Offensive. Inzwischen waren Zehntausende Menschen aus Ostpreußen getötet oder gefangen, aber Hunderttausende waren noch unterwegs nach Westen. Für bis zu eine halbe Mil248

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lion Flüchtlinge war es zu spät. Am 24. Januar erreichten Vorauskommandos der Roten Armee Elbing (heute Elblag), blockierten die Route nach Westen und schlossen die Flüchtlinge auf einem Stück Land entlang der Ostseeküste ein. Hier kämpften auch die letzten verbliebenen Wehrmachtseinheiten mit dem Rücken zum Meer. Dieses etwa 65  Kilometer lange und 20  Kilometer breite Gebiet reichte bis zu den Dünen des Frischen Haffs, das wenige Kilometer östlich von Stutthof von einer schmalen Landzunge gebildet wurde. Nur zwei Fluchtmöglichkeiten blieben der halben Million Menschen übrig, und beide waren extrem gefährlich. Der eine Weg führte nach Pillau, dem Hafen am Eingang des Haffs. Die Alternative war die Überquerung des zugefrorenen Haffs zur schmalen Landspitze gegenüber. Von dort konnten sie den Hafen Danzig erreichen, um hoffentlich übers Meer nach Westen evakuiert zu werden. Um Pillau zu erreichen, musste man die Sowjettruppen außerhalb von Königsberg umgehen. Da keine Zeit mehr blieb, entschlossen die Flüchtlinge sich für den zehn Kilometer langen Weg übers Eis. Die Gräben entlang der Straße zum Frischen Haff kündeten von ihrer Tragödie. Sowjetische Luftangriffe, Erschöpfung und die extre­ me Kälte hatten ihren Preis gefordert, und Pferde und Menschen lagen tot oder sterbend neben Wäsche, Töpfen und Pfannen, Bildern und wertvollen Möbelstücken – allem, was Menschen zurückgelassen hatten, um ihre Last zu erleichtern oder auf ihren Wagen Platz für Fußgänger zu schaffen. Nun mussten die Menschen am Strand des Haffs warten, bis sie an der Reihe waren, übers Eis zu gehen. Ständiger Artilleriebeschuss ging nieder, und sowjetische Flugzeuge beschossen die Kolonnen mit Maschinengewehren. Der bleierne Himmel über dem Haff verschmolz mit dem grauen Eis, und es war unmöglich, die Landspitze zu sehen, die die Familien erreichen wollten. Das einzig Gute war der Schnee, der am 24. Januar dreißig Zentimeter hoch fiel und die Zufahrtsstraßen selbst für die Panzer der Roten Armee unpassierbar machte. In dieser Nacht begannen die endlosen Kolonnen unter Lebensgefahr das Frische Haff zu überqueren. Obwohl das Eis einen halben Meter dick war, hatten sowjetische Geschosse große Löcher hinein249

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geschlagen, sodass Wehrmachtssoldaten den Weg mit Bäumen und Ästen markieren mussten. In manchen Fällen brachen ganze Wagen und Familien ins Eis ein. Gertrud Dannowski überquerte das Haff nach der Flucht aus einem 25  Kilometer entfernten Dorf: »Die Geschosse und Eisstücke krachten auf dem Blechdach des Wagens. Schießen, Schreien und Gekreische durchbrachen die Stille der Nacht. Es war sich immer jeder selbst der Nächste, um so schnell wie möglich das brüchige Eis verlassen zu können. Im Morgengrauen kam nun erst der fürchterliche Anblick: Leichen über Leichen, Menschen und Pferde. Oft stachen nur noch die Wagendeichseln aus dem Eis, der Tod hatte reiche Ernte gehalten.« »Das Eis brach, und an manchen Stellen mussten wir uns durch 25 Zentimeter tiefes und schmerzhaft kaltes Wasser schleppen«, erinnerte sich ein Flüchtling, der das Haff zu Fuß überquerte. »Wir prüften das Eis mit Stöcken … Oft glitten wir aus und hielten uns schon für verloren. Mit den völlig durchnässten Kleidern war jede Bewegung schwierig. Doch die nackte Angst trieb uns trotz der eisigen Kälte weiter.« Andere, die zu Fuß unterwegs waren und nach dem anstrengenden Treck aus ihren Städten und Dörfern bereits erschöpft waren, waren dankbar, mitgenommen zu werden. Lotte Ehrich und ihre beiden kleinen Kinder konnten auf dem Wagen eines Bauern mitfahren: »Schon in der ersten halben Stunde brach sich das Fohlen, das neben dem Wagen herging, beide Beine und mußte zurückgelassen werden. Kurz darauf geriet eines der beiden stämmigen Pferde, die den Wagen zogen, in ein Eisloch und mußte mühsam mit einer Axt befreit werden. Der Bauer zitterte am ganzen Körper vor Furcht, auch dieses Tier könnte sich die Beine brechen, denn ein Pferd allein hätte die Strapazen nicht bewältigen können. Auch waren wir genötigt, in riesigen Abständen zu fahren und stundenlang auf der gleichen Stelle stehen zu bleiben. Jeder, der zu überholen versuchte, wurde mit den wildesten Schimpfwörtern belegt und fast tätlich bedroht.« Tausende starben, aber Hunderttausende überlebten den gefährlichen Weg übers Eis. Auf der anderen Seite führte nur eine Straße über die 250

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dünne Landzunge nach Danzig, von wo aus sie ins Reich evakuiert zu werden hofften. Sie war nicht breiter als zwei Wagen und führte keine zwei Kilometer von der Küste entfernt direkt am KZ  Stutthof vorbei – nur wenige Meter vor dem Haupttor. Hier verengte sich die Straße zwischen zwei 90-Grad-Kurven. Nach dem 24. Januar, als 450 000 Menschen auf ihr flüchteten, dauerte es nicht lange, bis sie verstopft war.

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27 Am 25. Januar heulten um fünf Uhr früh die Lagersirenen. Fey öffnete die Augen und lauschte auf Flugzeuggeräusche. Über dem Heulen hörte sie Artilleriefeuer in der Nähe, aber als die Minuten vergingen und keine Flugzeuge das Lager überflogen, wurde klar, dass dies kein Fliegeralarm war. Stattdessen kamen vom Hauptlager Geräusche, die großen Tumult anzeigten: Motorenanlasser, gebrüllte Befehle, bellende Hunde. Es konnte nur eines bedeuten: Die Russen waren ganz nah. Auch die anderen Frauen waren wach. Sie wappneten sich gegen die Kälte, stiegen aus dem Bett und versammelten sich am Fenster. Es war dunkel und schneite heftig. Weiße Suchscheinwerfer blitzten im Süden am Himmel, aber von ihrem Blickwinkel aus war nicht zu sehen, was vorging. Durch das Schneegestöber, das von den Scheinwerfern am Zaun erhellt wurde, erkannten sie nur die hohe Mauer, die ihnen die Sicht aufs Lager versperrte. »Was würde unser Schicksal sein, wenn wir den Russen in die Hände fielen?«, fragte sich Fey. »Ich dachte, die SS -Wachen würden uns einfach im Lager lassen und flüchten.« Auf der anderen Seite der Mauer war das Licht in allen Baracken eingeschaltet. Normalerweise war dies die ruhige Zeit, bevor das Lager erwachte, aber nun waren alle auf dem Weg zum Appellplatz. Die Sirene heulte immer noch, und der Schnee umwehte die Reihen der insgesamt etwa 25 000  Männer und Frauen, die auf den schmalen Wegen zwischen den Baracken gingen. Alle zwanzig Schritte standen Kapos mit Stöcken und Gruppen von SS -Leuten mit Schäferhunden und trieben die Gefangenen zur Eile. Es herrschten zehn Grad Frost, und ein starker Wind blies in Böen vom Meer. Eine Flotte von Motorrädern war am Haupttor geparkt, um die Häftlingskolonnen zu eskortieren. Da die Russen 45  Kilometer entfernt in Elbing standen, bereitete der Kommandant die Evakuierung 252

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von Stutthof vor. In den letzten Tagen hatten die Wachen rund um die Uhr belastende Dokumente vernichtet; nun hatte Berlin befohlen, die Gefangenen wegzubringen, bevor die Rote Armee eintraf. Um sechs Uhr sprach Lagerkommandant Hoppe über Lautsprecher zu den versammelten Insassen. »Beim Frühappell rief die SS die deutschen Häftlinge heraus und versprach ihnen die Freiheit, wenn sie ›ihr Vaterland vor den bolschewistischen Horden verteidigen würden‹«, erinnerte sich die politische Gefangene Meta Vannas. »Die Kriminellen erklärten sich einverstanden. Einzelnen deutschen Kommunisten gelang es, in dieser Gruppe unterzutauchen und auf diese Weise aus dem Lager zu kommen.  … der eisige Wind drang bis auf die Knochen. Jedoch waren die Häftlinge am ersten Tag trotz allem optimistisch eingestellt. Von Osten hörte man den stärker werdenden Donner der Artillerie. Wir hofften, in den allernächsten Tagen durch die Rote Armee befreit zu werden.« Die übrigen Häftlinge und weitere 20 000 aus den Außenlagern von Stutthof sollten nach Lauenburg (heute Lebork) in Pommern marschieren, etwa 120 Kilometer westlich. Alle 25 Minuten sollte eine von 41 Kolonnen aus 1000 – 1500 Gefangenen das Lager verlassen. Sieben Tage waren für die Strecke angesetzt. Für jeden Gefangenen war eine Ration von einem halben Brot, einer halben Packung Margarine und einem Stück Käse vorgesehen. Die Begleitung bestand aus SS -Männern mit Maschinenpistolen und Revolvern auf Motorrädern. Wer auf dem Marsch zurückblieb, würde erschossen. Kaum hatten die ersten beiden Kolonnen das Lager verlassen, ging der Evakuierungsplan des Kommandanten schief. Auf der Straße draußen reichte die Schlange aus Flüchtlingen und Wagen über sechzehn Kilometer zurück bis nach Kahlberg am Strand des Haffs, wo die Trecks das Eis überquert hatten. »O, diese Nehrungstraße! Sie sollte das schrecklichste Erlebnis unserer Flucht werden«, berichtete eine Frau. »Zu dem völlig aufgeweichten Boden wies die Straße ein tiefes Schlagloch nach dem andern auf, jedes von der Größe eines halben Zimmers. … Dadurch nun, daß die Wagen in unabsehbar großer Zahl immer einer hinter dem andern fuhren, entstanden noch viel mehr Stauungen und Stockungen als sonst. Ein Drittel der Wagen etwa war 253

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schon auf dem Eis liegen geblieben, ein weiteres Drittel ging hier kaputt. Wenn wieder jemand vor uns einen Radbruch hatte, dauerte es stets einige Stunden, bis wir weiterfahren konnten. … So kamen wir tatsächlich während eines ganzen langen Tages nur 3 – 5 km vorwärts.« Nun, da der Wind den Schnee zu Wehen zusammentrieb, war der sechzehn Kilometer lange Zug stecken geblieben. Das Bild vor dem Lagertor war entsetzlich. Menschen und Pferde starben am Straßenrand; verängstigte Kinder liefen hin und her und suchten ihre Mütter; alte und junge Frauen schaufelten die Räder frei oder die Schneewehen von der Straße. Da die Russen ihnen auf den Fersen waren, versuchten die Menschen verzweifelt weiterzukommen, und wenn jemand sich vorzudrängen suchte, brachen Prügeleien aus. Zu beiden Seiten der Straße lag dichter Wald. Dazwischen konnten die SS -Leute keinen Weg durch den Flüchtlingszug bahnen, um die Gefangenen vorwärtszutreiben. Bei Einbruch der Dunkelheit lag der Schnee einen Meter hoch. Von den 41 Kolonnen hatten nur sieben das Lager verlassen. Um drei Uhr nachts marschierte die achte Kolonne mit 820 Männern los. Der Schnee hatte aufgehört, und die Flüchtlinge waren wieder in Bewegung. Die dreizehnjährige Schoschana Rabinovici und ihre Mutter Raja sollten mit der nächsten Kolonne von 1300 meist jüdischen Frauen aufbrechen. Sie waren von Oberscharführer Foth geweckt worden, der in ihre Baracken gekommen war und ihnen befohlen hatte, sich auszuziehen. Vor dem Marsch müssten ihre Kleider desinfiziert werden, und er sagte, sie sollten sich waschen, bevor sie zurückkämen. Wenige Minuten später trieben die Wachen die Frauen aus der Dusche auf den Hof. »Schnee, Frost, Eis, klirrende Kälte – keines dieser Worte kann auch nur annähernd ausdrücken, was ich empfand, als ich in der Nacht vom 25. auf den 26. Januar nackt im Freien stand«, schrieb Schoschana später: Ich befand mich inmitten eines Knäuels von Frauen, die versuchten, sich gegenseitig zu wärmen, indem sie ihre nackten Körper aneinander rieben. Die Kälte hüllte uns ein, doch die 254

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schrecklichste Kälte kam von unten. Wir standen auf Eis und Schnee, und wir konnten nicht stillstehen, die Kälte brannte an unseren Fußsohlen. Wir hüpften also von einem Bein auf das andere, in der Enge oft auch auf die Füße der anderen. … Manchmal wurde ich von den Händen der Frauen, die außerhalb des Kreises standen und versuchten, hineinzukommen, abgedrängt. Wir schoben und wurden geschoben, ununterbrochen schoben wir und wurden geschoben. … Raja befand sich die ganze Zeit neben mir und kämpfte für uns beide um einen Platz im Knäuel der Körper, rieb mir den Rücken mit ihren eiskalten Händen und trieb mich zur Bewegung an. Doch ich wollte nicht mehr. Plötzlich zerbrach ich. Diese Kälte kann man sich nicht vorstellen. Mir kam es vor, als breite sich die Kälte nicht nur auf der Haut aus, als wären nicht nur meine Beine so gefühllos, daß es mir egal war, ob jemand drauftrat, als wären nicht nur meine Hände so erfroren, daß ich sie nicht mehr bewegen konnte – mir war auch innerlich kalt, im Bauch. … Wieder im Knäuel versuchte ich, neben Frauen zu stehen, die größer waren als ich, damit ich wenigstens gegen die kalte Luft von oben etwas geschützter war. Wegen der Kälte mußten wir immer wieder urinieren, und auch ich konnte mich nicht zurückhalten. Die Frauen ließen das Wasser laufen, während sie eng zusammenstanden, über ihre eigenen Beine und die der anderen. Das störte niemanden, im Gegenteil. Der Urin war warm und erwärmte für einen winzigen Moment die Füße, einen segensreichen Moment. Die Stunden gingen vorbei, ich konnte sie nicht zählen. Raja sagte immer wieder, das sei vermutlich das letzte Leid, denn wir hatten gehört, daß die Front schon nicht mehr weit war. Sie tröstete mich: ›Gut, daß der Wind vom Meer heute nicht so stark ist, gut, daß es diese Nacht nicht schneit.‹ Und so weiter. Nein, in dieser Nacht schneite es nicht, in dieser Nacht gab es keinen Wind. Die Luft war gefroren und stand so starr, daß es schien, als könne man sie mit einem Messer schneiden. Es war fünfundzwanzig Grad unter Null. Eine Frau kauerte sich 255

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auf den Boden und konnte nicht mehr aufstehen. Eine andere brach zusammen. Hände streckten sich aus, um sie aufzuheben, doch es war zu spät, man konnte ihr nicht mehr helfen. Vorbei. Bei Tagesanbruch kamen die Kleider der Frauen aus der Desinfek­ tionskammer zurück. Man befahl ihnen, sich anzuziehen, und gab ihnen Becher mit schwachem Tee. Dann erschien ein Motorrad, gefolgt von einem schwarzen Wagen mit Lagerkommandant Hoppe und weiteren SS -Offizieren. »Wir erhielten den Befehl, uns in Viererreihen aufzustellen und uns in Richtung Haupttor in Bewegung zu setzen«, erinnerte sich Schoschana. »So begann der Todesmarsch.« * An diesem Tag verließen nur noch zwei Kolonnen Stutthof. Kurz nachdem Schoschanas Kolonne abmarschiert war, begann es wieder zu schneien. Wegen der Straßenverhältnisse gab der Kommandant die Evakuierung der restlichen dreißig Kolonnen mit zusammen 36 000 Häftlingen auf. Da die Rote Armee näherkam und das Wetter ständig schlechter wurde, war seine Priorität jetzt die Evakuierung der Sondergefangenen.

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28 Wegen des heftigen Schneefalls befahl Hoppe Fey und den anderen erst am folgenden Nachmittag um vier Uhr – dem 27. Januar –, ihre Sachen zu packen und sich für die Abfahrt vorzubereiten. Über 48 Stunden waren seit den ersten Sirenen vergangen, und sie hatten ängstlich gelauscht, wie das ferne Artilleriefeuer näherkam, und befürchtet, die SS werde sie den Russen überlassen. »›Ihr brecht in einer Stunde auf!‹, befahl Hoppe. ›Wer nicht fertig ist, wird zurückgelassen!‹« Acht aus der Gruppe, darunter Goerdeler, der zuletzt auch krank geworden war, waren zu schwach zum Stehen. Fey bezweifelte, dass sie eine lange Reise überleben würden: »›Onkel Moppel‹ hatte hohes Fieber, und wir befürchteten, daß er sich bei uns angesteckt, daß er ­Typhus haben könnte! Clemens Stauffenberg hatte geschwollene Hände und Füße und große Atemschwierigkeiten.« Lotte und ­Ännerle von Hofacker hatten sich noch nicht vom Scharlach erholt. Die Stärkeren halfen den anderen beim Packen und sammelten Decken für die Reise. Dann ließ Hoppe sie in den Schneesturm hinausmarschieren. Diejenigen, die zu schwach zum Laufen waren, wurden in zwei provisorische Krankenwagen verfrachtet, die anderen mussten im Dunkeln zur Bahnstation am Eingang des Lagers stolpern, wo im vorigen Sommer die Züge mit Zehntausenden »gewöhnlichen« Gefangenen gehalten hatten. »Dort erwartete uns ein alter Dritter-Klasse-Waggon«, erinnerte sich Fey. »Er hatte keine Heizung, die meisten Fenster waren zerbrochen. Der Schnee kam in Böen herein und lag in großen Haufen auf den Bänken. Draußen heulte der Wind, und es war eiskalt. Ich bemühte mich, einen Platz neben gesunden Menschen zu finden, weil ich die Gesellschaft der kranken nicht mehr ertrug.« »Wir mussten den Schnee von den Bänken fegen«, erinnerte sich die fünfzehnjährige Ännerle von Hofacker. »Zwei Öfen gaben etwas Wärme, aber das war umsonst, weil der Waggon keine Türen hatte. 257

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Wir legten uns unter Decken und Mäntel auf die Bänke, aber wir froren immer noch. Es dauerte eine Stunde, bis alles bereit war. Wir mussten warten, bis ein anderer Waggon an unseren angekoppelt war. Schließlich kam der Kommandant, um sich zu verabschieden. Wir wurden von zwei SS -Wachen begleitet – Kupfer und Fräulein Papke.« Keinem der Sondergefangenen war klar, wie privilegiert sie waren. Da die Straße nach Danzig mit Flüchtlingen verstopft war, hatte die SS ihre Evakuierung allem anderen zivilen und militärischen Verkehr übergeordnet. Ab dem 24. Januar, als die Rote Armee die letzte wichtige Zugverbindung ins Reich unterbrach, war die winzige Linie von Stutthof nach Danzig der einzige Landweg nach Westen. Der Evakuierungsbefehl für die Sippenhäftlinge war schon am 25. Januar gekommen, aber der Schnee hatte die Abfahrt des Zuges verhindert, und er hatte seitdem gewartet. Der Zug fuhr ganz langsam ab, und der eisige Wind blies zur offenen Tür herein. Nach wenigen Hundert Metern traf die Strecke, die nur aus einem Gleis bestand, auf die Straße nach Danzig und lief parallel dazu weiter. Gaslampen erleuchteten in bestimmten Abständen den Weg und warfen grünlich-weiße Lichtkegel. Durch das Schneegestöber sahen Fey und die anderen die Flüchtlingskolonne. Sie war nur zehn Meter vom Zug entfernt, aber der Schnee dämpfte jedes Geräusch. Wie eingefroren stand die endlose Reihe aus Wagen, Tieren und Menschen bewegungslos und stumm da – ein düsteres Zeichen für ein Unheil weiter vorne. Fey, die zwischen Alex und Eberhard von Hofacker saß, war krank vor Angst. »Abgesehen von den Luftangriffen waren wir in unserer Baracke in Stutthof völlig vom Krieg getrennt gewesen. Nun waren wir mitten darin und fuhren ins Ungewisse. Würden die Russen uns einholen? Waren sie vor oder hinter uns? Angesichts der endlosen Reihen von Flüchtlingen war ich überzeugt, es sei das Ende für uns alle.« Zehn Minuten nach der Abfahrt von Stutthof blieb der Zug wieder stehen. Das Gleis war vom Schnee blockiert, und SS -Leute kamen in den Waggon und riefen nach Freiwilligen, um beim fast unmöglichen Freischaufeln zu helfen. Alex meldete sich. Zwei Stunden spä258

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ter kam er durchnässt und durchgefroren zurück. Grimmig erzählte er, der Wagen hinter ihnen sei ein offener Viehwaggon voller ungarischer und deutscher Soldaten, denen die SS Spionage vorwarf. Einige waren bereits erfroren, und die Wachen hatten ihre Leichen einfach hinausgeworfen. Der Zug bewegte sich immer noch nicht. Er stand auf offenem Gelände am Rand von Steegen, wo das Gleis sich von der Straße nach Danzig entfernte. Um dem Stau auszuweichen, waren Flüchtlinge zu Fuß oder auf Pferden der Bahnstrecke gefolgt, und reihenweise zogen sie als schemenhafte Gestalten vorbei. In der Dunkelheit konnte Fey nichts erkennen. Erst als es hell wurde, erkannte sie, was um sie herum vorging: »Schweigend und düster wanderten sie beharrlich über das Gleis nach Westen, fort aus der zerstörten Öde von Hitlers Reich im Osten. Manche trugen zerrissene Uniformen und Mäntel, aber die meisten waren nur in Wollsachen gehüllt, die sie im letzten Moment gerettet hatten. Viele, die zu schwach zum Gehen waren, waren zusammengebrochen und lagen tot oder sterbend neben toten Maultieren und Pferden.« Das führte ihnen die eigene Lage vor Augen: »das Jammern über unsere eigene Situation verging uns. Ein italienisches Sprichwort sagt: ›Man muß immer rückwärts schauen – der, der sich beschwerte, nur Feigen zu essen zu haben, entdeckte, als er sich umdrehte, einen anderen, der die weggeworfenen Schalen aß.‹ Das mag ein banaler Trost sein, und doch zeigt uns erst der Blick auf die uns umgebende, noch schlimmere Realität die eigene Situation im richtigen Größenverhältnis.« Angesichts des Schreckens vor ihren Augen prägten sich Fey zwei Bilder ein. Das erste war Fräulein Papke in ihrem pelzbesetzten SS -Mantel, die ruhig ein belegtes Brot aus ihrem Proviant aß, während sie den Kopf verdrehte, um die Tragödie draußen zu sehen. Das zweite war ein kleiner Junge, der unbeweglich im Schnee lag: »Einer der SS -Wachleute hob ihn auf … Ich dachte zuerst, er sei tot, aber nach einer kräftigen Massage durch den SS -Mann kam er wieder zu Bewusstsein und bekam etwas zu essen. Kurz darauf wurde er einer Gruppe Soldaten auf dem Rückzug übergeben. Dieser Vorfall hatte eine starke Wirkung auf mich und versetzte mich wieder in 259

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Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, weil ich ans Schicksal meiner Kinder dachte. Ich fühlte mich hohl und gefühllos und konnte stundenlang mit niemandem sprechen.« Mittags standen sie immer noch vor Steegen. Kupfer, der den Transport leitete, wusste nicht, was zu tun sei, und schickte einen Funkspruch nach Stutthof. Um zwei Uhr kam eine Gruppe von Gefangenen, um die Strecke freizuschaufeln. Jemand hatte Mäntel und Decken über die Türöffnung gehängt, um die eiskalte Luft draußen zu halten, aber dennoch blies der Wind durch jede Ritze des Waggons hinein. »Sich zu erleichtern, bedeutete, in den Sturm hinauszugehen, wo die Hände binnen Sekunden so steif wurden, dass man die Knöpfe nicht aufbekam. Gleichgültig und schweigend saßen wir Stunde um Stunde aneinandergekauert und zitternd und konzentrierten uns nur auf Wärme und Überleben. Nach vielen Stunden mussten die wenigen noch gesunden Männer erneut aussteigen und den Gefangenen beim Schneeschaufeln helfen. Schließlich ruckte der Zug vorwärts.« Gegen sieben Uhr abends erreichten sie die Weichselmündung. Sie lag nur sechzehn Kilometer von Stutthof entfernt, und sie hatten über 24 Stunden im Zug gesessen. Von der Fähre, die sie hinüberbringen sollte, war nichts zu sehen. Entlang des Ufers kampierten Zehntau­ sende Flüchtlinge auf den Feldern, die Reihe der Wagen erstreckte sich, so weit man sehen konnte. Der Schnee hatte endlich aufgehört, und es war eine klare Vollmondnacht. Das flache Land an der Danziger Bucht bot keinen Schutz, und als Fey umherschaute, befürchtete sie, sie seien ein leichtes Ziel für sowjetische Flugzeuge. Fünf Stunden lang warteten sie angespannt auf die Fähre. Als sie schließlich kam, wollte der Fährkapitän ihren Zug nicht an Bord lassen. Er sagte zu Kupfer, er sei nur befugt, Soldaten und Flüchtlinge zu befördern, keine KZ -Gefangenen. Ännerle von Hofacker wurde Zeuge der Auseinandersetzung: »Kupfer legte sich mit dem Fährmann an: ›Das sind keine Gefangenen, es sind Verwandte von SS -Angehörigen und haben damit Vorrang, sogar vor Soldaten.‹ Gegen seinen Willen gehorchte der Fährmann voller Ärger. Als er unsere Waggons hinauffuhr, lud er sie so gewaltsam, dass sie über die Puffer der Fähre hinab­ hingen und um ein Haar ins Wasser fielen.« 260

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Es war zwei Uhr nachts, als die Fähre auf der anderen Seite festmachte, aber ihre Reise war noch nicht vorbei. »Als wir mehr tot als lebendig in Danzig ankamen, hatten wir in 37 Stunden eine Strecke von 30  Kilometern zurückgelegt«, berichtete Fey. »An eine Weiterfahrt war offenbar nicht zu denken, es gab keine Waggons, und das Eisenbahnnetz war völlig überfüllt durch Truppentransporte und Flüchtlinge.« Vor dem Bahnhof musste sich die Gruppe in eine Schlange männlicher Gefangener einreihen, die auf Lastwagen stiegen. Zu ihrem Schrecken entdeckte sie, dass es Gefangene aus den offenen Waggons aus Stutthof waren. Dass sie mit Männern transportiert wurden, die die SS wie Tiere behandelt hatte, erfüllte Fey mit Sorge: »Es deutete auf eine Änderung in unserem Status hin. Ich war überzeugt, wo immer wir hingebracht würden, würde es schlimmer sein als in unserer Baracke in Stutthof.« Zwei Stunden später hielten die Lastwagen auf einer abgelegenen Landstraße. Oben auf dem Hügel sah Fey ein Tor. Die Anlage war mit hohem Stacheldraht und spanischen Reitern – x-förmigen spitzen Stangen – gesichert. »Die Zufahrt war verschneit, also mussten wir vom Lastwagen steigen. In unserem geschwächten Zustand war es unmöglich, durch die tiefen Schneewehen zum Tor halb zu klettern, halb zu schwimmen. Einer nach dem anderen brachen wir erschöpft auf dem Weg zusammen. Da die SS -Leute sahen, dass wir es nie schaffen würden, schickten sie Häftlinge aus dem Lager, um uns zu helfen. Mit roher Gewalt zerrten sie uns hinauf wie Schlitten. Ich glaubte, wir würden es nie schaffen, besonders Clemens und Onkel Moppel. … Entgegen allen Erwartungen waren wir noch alle am Leben.« Die Gefangenenkolonnen, die Stutthof in den Tagen vor Fey und den anderen verließen, waren immer noch unterwegs. Der Marsch nach Lauenburg sollte sieben Tage dauern, in Wirklichkeit erreichten die Überlebenden des Todesmarschs ihr Ziel aber erst eine Woche später. Schätzungsweise 4500 Menschen starben – die meisten aus den getrennten Kolonnen jüdischer Gefangener. Als die Behörden schließlich erkannten, dass die Straße nach Danzig der einzige Fluchtweg 261

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nach Westen war, erhielten Truppen und Zivilisten Priorität, und Juden durften sie nicht mehr benutzen. Sie waren gezwungen, Nebenstraßen zu nehmen, oft bloße Pfade, auf denen Tausende erfroren oder von der SS erschossen wurden, weil sie zurückblieben. Weitere 5000  Gefangene  – alles jüdische Frauen  – verließen das Lager Ende Januar. Da sie die Straße nach Danzig nicht nehmen durften, befahl Hoppe ihnen, nach Osten zur Hafenstadt Pillau zu marschieren. Von dort wollte die SS sie mit Schiffen evakuieren. Als am 30. Januar keine Schiffe kamen, wurden bei einem der letzten Massenmorde des Kriegs 3000 Frauen auf dem Eis aufgereiht und erschossen.

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29 »8.45 im Lager. Müssen unten am Eingang aussteigen und zu Fuß in eine Baracke, die auf der Höhe liegt, laufen. Ziemlich steil. … Es kommt uns ein Haufen SS entgegen, ergreift voller Mitleid unser Gepäck und uns selbst und schleppt uns nach oben. Sie halten uns für Flüchtlinge (SS -Angehörige?). Wir waren aber auch restlos erschöpft und erledigt. … Tante Anni legt sich mit Fieber hin, Verdacht einer Lungenentzündung.« Dies notierte Gagi von Stauffenberg am Ende der qualvollen Reise aus Stutthof eilig in ihrem Tagebuch. Nachdem die Gruppe den Hügel hinaufgezerrt worden war, wurde sie zu einer Baracke gebracht. In der vorigen Nacht hatten dort Wehrmachtssoldaten auf dem Weg an die Front geschlafen und ihren Müll hinterlassen. Niemand hatte gelüftet, und es stank nach Schweiß. »Unser Elend war vollständig, unser Mut verbraucht«, schrieb Fey. Das acht Kilometer südlich von Danzig gelegene Matzkau war ein Strafvollzugslager für SS -Angehörige. Es konnte 1600 Gefangene fassen, die für Verletzungen der Disziplin bestraft wurden. Zu ihren Vergehen gehörten Ungehorsam, Befehlsverweigerung, Trunkenheit, Bestechlichkeit und Homosexualität. Die Strafen waren streng: Wer zu flüchten versuchte, wurde sofort erschossen, und es gab aufgebockte Tische, auf denen die Gefangenen ausgepeitscht wurden, und Hinrichtungskommandos. Homosexuelle wurden im »Dritten Reich« verfolgt. Himmler hatte bei seiner Ernennung zum Reichsführer SS ihre Zahl auf 7 – 10 Prozent der deutschen Männer geschätzt: »Das bedeutet, wenn das so bleibt, daß unser Volk an der Seuche kaputtgeht. … Ein gutrassiges Volk, das sehr wenig Kinder hat, besitzt den sicheren Schein für das Grab.« Er schwor, diese »Seuche« auszumerzen, und befahl der ­Gestapo, Listen von schwulen Männern anzulegen. 100 000 wurden festgenommen, und von diesen etwa 50 000 inhaftiert. In Matzkau 263

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­ urden Gefangene, die nach einer Befragung durch den Lagerarzt w als unfähig galten, sich von ihrer Homosexualität zu lösen, zur Kastration bestimmt. An ihrem ersten Tag in Matzkau schliefen die Sippenhäftlinge bis spätabends, dann wurden sie vom Lagerarzt geweckt. Nachdem er sie einzeln untersucht hatte, verkündete er, sie würden neue Betten mit Federmatratzen bekommen, und eine Gruppe Gefangener würde die Baracke reinigen. Um Onkel Moppel und Tante Anni, die beide schwer krank waren, wollte er sich im Lagerhospital persönlich kümmern. Niemand aus der Gruppe hatte seit Stutthof etwas gegessen. Fey berichtete: »An unserem Ankunftstag wurde uns warmes Essen versprochen, das aber nicht bei uns ankam, weil die Häftlinge, die es bringen sollten, auf dem Weg durch das Lager wie Tiere alles in sich hineingeschlungen hatten. Abends gegen zehn Uhr wurde ein neuer Versuch gemacht, und diesmal kam das Essen wirklich bei uns an. Verglichen mit unseren vorhergehenden Erfahrungen war es eine richtige Luxusmahlzeit: schmackhafter Kartoffelsalat mit kleinen Wurst­stückchen.« Das Frühstück am nächsten Morgen war ebenso gut. Zum ersten Mal seit Woichen bekamen sie frisches Obst und Toast mit Honig. Das gute Essen und die offensichtliche Besorgnis des Arztes zeigten, dass die SS sie am Leben halten wollte. Aber sie konnten sich nicht sicher sein und blieben nervös. Wenige Tage nach der Ankunft hatte Fey Angst vor der Benutzung des Duschraums: »Die Wachen begleiteten uns auf dem Weg durch das riesige Lager, dann traten wir in eine Art Halle, die den Gaskammern, die uns die beiden russischen Gefangenen in Stutthof beschrieben hatten, erschreckend glich. Aber die Tür wurde nicht hinter uns geschlossen, und aus unzähligen Duschen kam kochendheißes Wasser – kein Gas.« Die Tage vergingen, und sie warteten, was die SS als Nächstes tun würde. Männer und Frauen waren in der Baracke getrennt, und ihre Wache patrouillierte und sorgte dafür, dass es keinen Kontakt gab. Fey fand sie unangenehm: »Eine gemeine und arrogante SS -Ange­ hörige, Fräulein Papke, war unsere Bewacherin. Wir sollten diese 264

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unangenehme Figur bald gut kennenlernen, die immer graue Uniform und schwarze Lederstiefel trug. Sie hatte ein mageres, spitzes Gesicht und ihren stechenden dunklen Augen entging nichts. Ständig setzte sie kleinliche Vorschriften durch.« Die Gefangenen waren überzeugt, sie kenne ihr Schicksal, aber natürlich sagte sie nichts. Es gab nur wenig zu tun, und Fey verbrachte die Zeit damit, den SS -Wachen beim Drillen der Gefangenen draußen auf dem Hof zuzusehen: »Sie mußten jeden Morgen in der eisigen Kälte von fünf bis sieben Uhr Übungen machen, und die SS -Männer hatten den größten Spaß daran, sie durch den Schnee robben zu lassen.« Eine Gruppe von Gefangenen kam täglich in die Baracke, um zu putzen und das Essen zu bringen. Gegen Ende der ersten Woche teilte einer von ihnen etwas mit, was die Sondergefangenen zutiefst erschütterte. Am Morgen ihrer Ankunft hatten Fey und Gagi gehört, wie die Insassen sie als »SS -Angehörige« bezeichneten. Sie hielten das für ein Missverständnis oder eine falsche Vermutung, aber der Gefangene erzählte, die Lagerleitung habe die anderen Insassen vor der besonderen Gruppe der Neuankömmlinge gewarnt. Sie seien »SS -Angehörige«, und ihre Namen seien streng geheim. Wenn ein ­Insasse ihre wahre Identität erfahre, werde er erschossen. Unter den gegebenen Umständen erzeugte das Wissen, nun mit der SS verbunden zu sein, große Sorge. Die Front lag fünfzig Kilometer entfernt bei Marienburg. Obwohl sie weiter von der Roten Armee entfernt waren als in Stutthof, war das keine sichere Entfernung: »Jeden Tag kauerten wir auf dem Boden der Baracke beim ohrenbetäubenden Lärm der Luftkämpfe über uns und fürchteten, jede Minute könne uns eine Bombe treffen. Auch die Vorstellung, die SS könne uns einfach dem Feind überlassen, verbreitete sich. Die Furcht, den Russen in die Hände zu fallen, beherrschte alles.« Falls die Rote Armee das Lager überrannte, würde man sie ohne Weiteres erschießen. Ihr neuer Status war unter den Insassen bekannt, und irgendjemand würde sie sicher verraten. Egal, was sie sagten, die Russen würden ihnen nicht glauben. Die Gruppe wollte unbedingt weg und lebte in ständiger Sorge. Obwohl sie dankbar für das reichliche Essen waren, bedeutete es, 265

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dass die SS etwas mit ihnen vorhatte. Offensichtlich wurden sie zu einem bestimmten Zweck »gemästet«. »Als die Tage vergingen, und unsere Gesundheit sich besserte, verbrachten wir viel Zeit damit, über den Grund für unsere Haft zu spekulieren. Die meisten glaubten, Himmler halte uns für seine eigenen Zwecke am Leben, vielleicht um uns als Tauschobjekte in den letzten Stunden des Reichs zu benutzen. Doch wir wussten nicht, zu welchem Zweck oder wie lange wir von Nutzen bleiben würden. Wir glaubten nicht, dass Hitler, der geschworen hatte, die Familien der Verschwörer auszumerzen, von unserem Überleben wusste. Das war wohl der Grund, warum wir einander nicht mit unseren Nachnamen anreden durften.« Deshalb war es auch Wachen wie Häftlingen bei Todesstrafe verboten, die Identität der Sondergefangenen zu verraten. Fey war sich der bitteren Ironie ihrer Lage bewusst. Ihr Überleben hing von Himmlers Überleben ab. Wenn er getötet wurde oder die ­Alliierten jeden seiner Versuche ablehnten, »Geiseln« zu benutzen, um seine Haut zu retten, würde die Gruppe keinerlei Wert mehr haben. Sie würden ihren Schutz verlieren und als »SS -Angehörige« in große Gefahr geraten. Angesichts ihrer prekären Situation dachte Fey ständig an Corrado und Roberto: »Ich konnte nur hoffen, dass ihre Lage besser war als meine und dass sie noch am Leben waren. Besser nicht darüber nachdenken. Denk nicht daran, sagte ich mir. Ich hatte große Angst um mich selbst, aber noch größere, wenn ich an daran dachte, was den Kindern geschehen konnte.« »2.–5. Februar 1945. Wegen Abtransport nichts gehört. Tante Anni L. nun auch Typhus festgestellt, wird wohl nicht zu retten sein«, schrieb Gagi in ihr Tagebuch. Eine Woche war seit der Ankunft in Matzkau vergangen, und Baronin Anni von Lerchenfeld hatte seitdem immer wieder das Bewusstsein verloren. Am Nachmittag des 6. Februar starb sie. In ihren letzten Tagen waren ihre Gedanken bei ihrer Tochter Nina, der Witwe Claus von Stauffenbergs, die gerade von einem Kind entbunden worden war. 266

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Obwohl Fey Tante Anni wegen ihrer Geschwätzigkeit aus dem Weg gegangen war, war sie ebenso getroffen wie die anderen: »Dieser erste Todesfall unter den Sippenhäftlingen hatte eine tiefe Wirkung. Wir hatten uns so eng aneinandergeschlossen, dass Tante Annis Tod das Ende für uns alle anzukündigen schien. Bis dahin hatten wir allen Schwierigkeiten getrotzt. Nun fühlten wir uns besiegt. Einige von uns brachten ihre tiefe Wut in der Forderung zum Ausdruck, Tante Anni solle auf einem nahegelegenen Gut beerdigt werden, das der Familie von Alex von Stauffenbergs Frau gehörte.« Am Abend legten sie ihren Leichnam in einen schwarzen Sarg, geschmückt mit Kiefernzweigen, die sie von den Bäumen am Zaun nehmen durften. »Der Lagerkommandant drückte sogar sein Beileid aus. Was für ein lügnerischer Heuchler, dachte ich. Viel später fanden wir heraus, dass die SS trotz des raschen Vormarsches der russischen Armee Anni auf dem Gut beerdigt hatte. Was für ein unlogisches Verhalten! Einerseits die Gaskammern, andererseits diese Geste. Es wäre so leicht, so typisch für sie gewesen, sich nicht darum zu kümmern.« Nach weiteren zwei Tagen kam Fräulein Papke am Vormittag des 8. Februar eilig in die Baracke und rief: »Macht euch fertig! Ihr brecht heute auf.« Während Fey und die anderen Frauen ihre Sachen zusammensuchten, ging Papke herum und gab weitere Anweisungen. »Nehmt ja nur alles mit, auch Nägel und Schrauben, reißt auch die Haken aus den Schränken. Es wird uns alles nützlich sein. Ans Stehlen muß man sich halt gewöhnen!« Fey verspürte etwas Hoffnung. »Ein solcher Befehl von Papke, die normalerweise so streng die Vorschriften durchsetzte und so auf ihre Würde bedacht war, gab mir das Gefühl, der Zusammenbruch des ›Tausendjährigen Reichs‹ stehe ganz kurz bevor. Wir taten wie geheißen und nahmen alles aus der Baracke mit, was noch nützlich sein konnte.«

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30 Fey stand auf dem Hof und sah die SS -Leute die Sachen auf den Lastwagen laden, die sie und die anderen auf Fräulein Papkes Anordnung »gestohlen« hatten. Es war zehn Uhr vormittags am 8. Februar, und sie sollten binnen einer Stunde aufbrechen. Als sie den an der Barackentür aufgetürmten Krempel sah, darunter Fußbodendielen, Garderobenhalter aus Metall und einen alten eisernen Ofen, fragte sie sich, wofür und unter welchen Umständen er noch »nützlich« sein könne. Beunruhigenderweise hatte Papke wieder nicht das Ziel der Fahrt verraten. Es war ein kalter, klarer Tag, und die Sonne glitzerte auf dem Schnee. Trotz der Erleichterung, wieder unterwegs zu sein, war Fey niedergeschlagen. Wenige Minuten zuvor hatte sie sich stumm von Onkel Moppel verabschiedet, der nicht bei Bewusstsein war. Er litt an Fleckfieber, und sie wusste, dass es meist zum Tode führte. Der stets höfliche und freundliche Ex-Kavallerieoffizier war eine Vaterfigur für sie geworden, und sie bezweifelte, ihn je wiederzusehen. Seine Verwandten waren noch bei ihm im Lagerkrankenhaus, als sie ging, und sie erkannte an ihren Gesichtern, dass sie auf das Schlimmste vorbereitet waren. Die SS brauchte mehrere Stunden, um aufzuladen. Schließlich fuhr der Lastwagen mit den Sippenhäftlingen mittags durchs Lagertor ­hinaus. Sie waren hinten mit ihrem Gepäck zusammengepfercht und redeten nur wenig. Alle spürten den Schmerz, so kurz nach Tante Anni auch Onkel Moppel zu verlieren. Zehn Minuten später hielten sie an einer kleinen Bahnstation im Tal unterhalb von Matzkau. Ein einzelner Viehwaggon, der für ihren Transport vorgesehen war, stand auf einem Nebengleis. Jetzt verriet Papke, dass sie nach Danzig fahren sollten, von wo sie ins Reich evakuiert würden. Papke hatte aber nicht gesagt, wie sie evakuiert werden sollten. »Die Angst vor Schiff ist groß«, notierte Gagi, als der Zug losfuhr. Über 268

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die kürzliche Versenkung der Wilhelm Gustloff – das größte Schiffsunglück der Geschichte – war in der deutschen Presse breit berichtet worden, und man hatte ihnen von der Tragödie erzählt. Das größte deutsche Kreuzfahrtschiff war am 30. Januar von Gotenhafen (heute Gdynia), dem Hafen bei Danzig, abgefahren. Die Gustloff war das erste große Schiff, das die Stadt nach Beginn von Unternehmen Hannibal erreichte, wie die deutsche Marine die Massenevakuierung von Zivilisten von der Ostseeküste nannte. Danzig war zum Ziel Hunderttausender Flüchtlinge geworden, die verzweifelt den Russen zu entkommen suchten. Binnen drei Wochen waren 400 000 in die Stadt gekommen, wodurch die Bevölkerung auf fast eine Million anstieg. Dazu gehörte die erste Welle der Trecks, die vor Kurzem über das Eis des Frischen Haffs gekommen waren. Sie kampierten am Kai von Gotenhafen oder lebten in hastig von den Behörden errichteten Lagern, und ein Entkommen war am ehesten mit dem Schiff möglich. Die Gustloff war für 2000 Passagiere gebaut, doch beim Anlegen waren 6600 – 9000 Menschen an Bord gestürmt. Kurz nach dem Auslaufen nahm ein sowjetisches U-Boot ihre Verfolgung auf, und 35 Kilometer auf See feuerte es drei Torpedos ab. Das Schiff sank in weniger als einer Stunde mit dem Bug voran. Zwischen 5300 und 7400 Menschen starben – weit mehr als die 1500 auf der Titanic. Unter den Opfern waren schätzungsweise 5000 Kinder. Viele starben direkt durch die Torpedotreffer oder ertranken im eindringenden Wasser, andere wurden im panischen Ansturm auf die Rettungsboote erdrückt. Die meisten erforen aber im eisigen Wasser der Ostsee, als Passagiere von den Decks in die überfüllten Rettungsboote sprangen und sie zum Kentern brachten. Der Viehwaggon fuhr um vier Uhr nachmittags ab, kam aber erst um ein Uhr nachts in Danzig an, normalerweise eine Fahrt von weni­ ger als einer Stunde. Flüchtlinge blockierten die Gleise, und es gab endlose Aufenthalte, bis sie wieder frei waren. Auf der ganzen Fahrt erschreckten Fey die Rufe von draußen und das ständige Hämmern an die Wände des Waggons, wenn Flüchtlinge mitgenommen werden wollten. »Papke und Kupfer hatten die Türen verriegelt und standen 269

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daneben, um jeden zu erschießen, der mit Gewalt einbrach. Bei jedem Halt schlugen Leute mit Gegenständen gegen die Wände des Waggons. Es war schrecklich, diesem verzweifelten Hämmern zuzuhören, aber ich hatte auch Angst, der Waggon könne überrannt werden und die Wachen zu schießen beginnen. Wenn Kugeln in dem engen, vollgestopften Raum umherflogen, konnte es jeden von uns treffen.« Als sie Danzig schließlich erreichten, war auch der Bahnhof voller Flüchtlinge, von denen die meisten auf dem Boden schliefen. Es herrschte Verdunkelung. Papke und Kupfer tasteten sich durch die Halle vor und führten die Gruppe zu einer Metallbrücke, die die Gleise überspannte. Beim Hinübergehen sah Fey die Kräne des nahen Hafens. Die Luft war feucht und roch nach Meer, was sie zum Schaudern brachte. Es erinnerte sie an Stutthof. Soldaten mit Maschinenpistolen bewachten den Bahnsteig auf der anderen Seite. Beim Herannahen der Gruppe machten sie Platz. Der Bahnsteig war unheimlich leer, einzelne SS -Männer patrouillierten, und rote und grüne Lichter bewegten sich im Dunkel, wenn die Bahnwärter mit ihren Laternen geräuschlos umhergingen. Ein Güterzug stand zur Abfahrt bereit, und die Gruppe wurde ans vordere Ende des Zugs geführt, wo ein Waggon für sie reserviert war. Als Fey den Bahnsteig entlangging, vorbei an der langen Reihe geschlossener Waggons, spürte sie, dass sie voller Menschen waren. Dünne Rauchsäulen zogen aus den hohen Fenstern, und sie hörte Stimmen von drinnen. Kurz nach dem Einsteigen ruckte der Zug an, hielt aber wenige ­Minuten später wieder auf einem Verschiebebahnhof. Hier blieb er bis zum Morgen stehen. Der Waggon hatte keine Bänke und war zwar geräumiger als der Viehwaggon, aber die in Kopfhöhe umlaufenden Fenster hatten keine Scheiben mehr, und es war eisig kalt. Um das Beste aus ihrer Lage zu machen, stellten die Männer den in Matzkau aus der Barackenwand gerissenen Ofen auf und zündeten die »gestohlenen« Paraffinlampen an. Fey half den anderen Frauen beim Auspacken: »Papkes Rat, Nägel und Schrauben aus Matzkau mitzunehmen, erwies sich als sehr brauchbar, denn so konnten wir an den Wänden des Waggons unsere Sachen aufhängen.« Lebensmittel, Kleider und Schuhe hingen über ihren Köpfen. Jede Ritze in 270

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den Wänden wurde mit irgendetwas zugestopft. »Wir konnten uns alle gleichzeitig hinlegen, das war immerhin etwas. Es war aber nicht genug Platz, um sich umzudrehen.« Den ganzen nächsten Tag blieb der Zug stehen. »Wir liegen nebeneinander wie die Heringe«, schrieb Gagi in ihr Tagebuch, und danach: »Herumstehen auf Abstellgleis. Zweite Nacht im Wagen.« Auch dann hieß es: »Unverändert. Dritte Nacht im Wagen.« Die Wachen erlaubten ihnen, nacheinander kurz auszusteigen. Sie durften aber nur entlang ihres Waggons gehen, denn die dahinter waren voller Gefangener, die sie nicht sehen sollten. Es gab kein Wasser im Zug, und die Toilette bestand aus einer großen Holzwanne neben der Kabine des Bremsers. Trinkwasser bekamen sie, indem sie Schnee neben den Gleisen sammelten und auf dem Ofen abkochten. Auch für eine oberflächliche Wäsche auf dem Trittbrett des Waggons benutzten sie Schnee. Papke und Kupfer gingen abwechselnd los, um Lebensmittel zu besorgen. Da die Stadt praktisch abgeschnitten und voller Flüchtlinge war, gab es nur wenig, und sie lebten von Fischkonserven, Brot und Käse und ein paar Kartoffeln und Kohlköpfen, aus denen sie Suppe kochten. Der Verschiebebahnhof stand voller Waggons und Lokomotiven und lag nahe den Docks, deshalb war er ein wichtiges Ziel für die Alli­ierten. Amerikanische und britische Bomben fielen Tag und Nacht auf das Gebiet. »Das Pfeifen der Bomben und das Heulen der Jagdflugzeuge wurde ebenso gewohnt wie das Atmen«, erinnerte sich Fey. »Weder Fräulein Papke noch ihr neuer Assistent, ein kahler, recht sanftmütiger Wachtposten namens Kupfer, hatten eine Ahnung, wann es weiterginge. Es musste daran liegen, dass die Gleise bei Luftangriffen zerstört worden waren oder vielleicht waren sie völlig durch Truppentransporte blockiert.« Da sie die Spannungen innerhalb der Gruppe spürten, erlaubten Papke und Kupfer einen Spaziergang an den nahen Docks. Es war ein schöner Morgen und das erste Mal nach vier Monaten Gefangenschaft, dass Fey das Gewimmel gewöhnlicher Leute »draußen« mitbekam:

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Bedingt durch den Krieg mußte auch sonntags gearbeitet werden. Sicher taten das die Menschen gezwungen, aber sie lebten wenigstens ein wirkliches Leben im Vergleich zu unserem so eingeschränkten, abgeschotteten Leben als Häftlinge – dieser Unterschied wurde uns dadurch ganz deutlich. Die schwache Sonne beleuchtete die Szene und schien in ihrer ewigen Gleichförmigkeit aus dem dunstigen Blau des nördlichen Himmels auf uns herab. Der herrliche Tag, die Möglichkeit, frei auf der Mole herumzugehen, und das emsige Treiben vor unseren Augen, all das berauschte uns zutiefst. Die Tatsache, am Leben zu sein und die Schönheiten der Natur betrachten zu dürfen, rührte uns zu Tränen. Wir empfanden ein Gefühl der Dankbarkeit Gott gegenüber und waren glücklich über alles, was das Leben noch für uns bereit hielt.  … Aber dieser Moment der Hoffnung war sofort zerstört, wenn ich an meine beiden kleinen Buben dachte: Wo waren Corradino und Robertino? Lebten sie noch? Waren sie vielleicht krank? Hatten sie Sehnsucht nach zu Hause? Verlangten sie nach mir? Wieviel quälende und grausame Fragen, auf die es nach fünf Monaten der Trennung keine Antwort gab! Später am Nachmittag verließ der Zug den Verschiebebahnhof. Die wieder im Waggon eingesperrte Fey wurde bald nervös: »Papke und Kupfer sprangen hinein und zogen die Türen vor dem hellen Sonnenschein zu. Der langsam schneller werdende Waggon schwankte von einer Seite zur anderen. Unser so sorgfältig aufgehängter Besitz fiel auf unsere Köpfe herunter. Das trieb mich zusammen mit dem Gefühl des Erstickens und den ständigen Luftangriffen fast in den Wahnsinn. Ich war sicher, wir würden bald getroffen werden.« Der Zug fuhr nach Südwesten Richtung Neustettin, das nur zwanzig Kilometer von der Front entfernt lag. Durch die Ritzen in den Waggonwänden sahen sie noch Hunderte Flüchtlinge neben den Gleisen immer nach Danzig wandern. Nun, da sie gegen den Strom fuhren, sahen sie ihre Gesichter, nicht ihre Rücken. Der Anblick ihres Elends aus der Nähe war herzzerreißend, und jetzt entschloss Lotte 272

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sich, ihrer Tochter mitzuteilen, was sie seit der Abfahrt aus Stutthof verschwiegen hatte. In der Enge des Güterwaggons zog sie ihre Tochter zu sich und sagte ihr, dass ihr Vater tot sei. Lotte wählte diesen Moment, weil sie glaubte, es werde Ännerle helfen, ihre Trauer zu relativieren, wenn sie so viel fremdes Leiden sah. Nah bei ihnen klammerte sich Fey weiterhin an die Hoffnung, ihr Vater sei am Leben; noch hatte niemand seine Hinrichtung bestätigt. Nach einer weiteren Nacht im Waggon hielt der Zug in Lauenburg, achtzig Kilometer nordwestlich von Danzig. Papke sagte der Gruppe, es sei nur ein kurzer Halt, und sie würden bald weiterfahren. Doch anderthalb Stunden später befahl sie ihnen auszusteigen. Soldaten führten sie zu einem verlassenen Gebäude nahe dem Bahnhof, das einmal als Nervenheilanstalt gedient hatte. Dort blieben sie elf lange Tage. * Papke und Kupfer wiesen der Gruppe drei Räume zu: einen für die Männer, einen für die Frauen und einen Gemeinschaftsraum, wo der Ofen aufgestellt wurde, den sie im Zug mitgebracht hatten. Es war immer noch eisig kalt, und der Ofen war die einzige Wärmequelle im ganzen Haus. Wegen der Windböen draußen qualmte er ständig und füllte den Raum mit Rauchwolken. »Nach einigem Umbauen des Rohres gelingt wieder die Wärme«, notierte Gagi zwei Tage nach der Ankunft. »Zwischendurch Dauerlauf auf dem Gang zur Erwärmung.« Fräulein Papke saß in einer Ecke gebannt am Radio, das sie inzwischen immer bei sich hatte. Trotz der Propaganda, die die deutschen Kriegsberichte färbte, waren die Neuigkeiten düster. Die Rote Armee hatte die Oder überschritten und stand nur sechzig Kilometer vor Berlin. Fey freute sich über Papkes Unbehagen, als von sowjetischen Vergeltungsaktionen berichtet wurde: »In Bromberg seien alle SS -Leute umgebracht worden. Bei dieser Nachricht war die Reihe des Entsetzens an Fräulein Papke, sie wurde totenbleich. Von diesem Tage an hörte man ihre schrille Kommandostimme nicht mehr auf den Korridoren.« 273

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Fey erkannte jedoch, dass Papkes Schicksal auch ihr eigenes sein könne. Wenn die Gruppe den Russen in die Hände fiele, würde man sie als »SS -Angehörige« erschießen. Zu wissen, dass ihr Leben vom Überleben des Naziregimes abhing, schmerzte sie zutiefst. Seit ihrer Kindheit in Rom, als ihr Vater sich zuerst mit dem Regime überwarf, hatte sie Hitlers Sturz herbeigesehnt. Beim Abhören der Nachrichten freute sie sich instinktiv bei jedem Anzeichen, dass dieser Moment näher rückte. Doch die harte Logik ihrer Situation – abgesehen von irgendwelchen Plänen Himmlers für die Gruppe – besagte, dass es zunächst am wichtigsten war, den Sowjets zu entkommen, und nur die SS hatte Zugang zu den Transportmitteln. Darum hoffte ein Teil von ihr, die Nazis würden noch etwas länger durchhalten. Da die Furcht, von den Russen erwischt zu werden, die Sippenhäftlinge erneut stark beschäftigte, lauschten sie den Nachrichten genauso fieberhaft wie Fräulein Papke. Obwohl die Front 150 Kilometer weiter südlich von Lauenburg verlief, war die Rote Armee atemberaubende 200  Kilometer täglich nach Westen vorgestoßen. Fey wusste, dass sie Gefahr liefen, ebenso eingekesselt zu werden wie die Flüchtlinge in Ostpreußen. »Wir hörten, dass die Russen sich Stettin näherten. Wenn sie die Stadt eroberten, würde das unseren Fluchtweg blockieren. Nach den Radioberichten schien es, als verteidige die Wehrmacht einen schmalen Landkorridor zwischen Stettin und Stargard. Aber wie lange noch? Ich war außer mir vor Ungeduld, wegzukommen und keine Zeit mehr zu vergeuden. Berlin wurde jede Nacht bombardiert, und es war offensichtlich, dass wir uns beeilen mussten, um nicht von den Russen eingekreist zu werden.« Jeden Morgen sagte Papke der Gruppe, die Abfahrt sei möglich, und sie müssten jederzeit dafür bereit sein. Doch zu ihrer Enttäuschung und ohne ersichtlichen Grund wurde die Abreise ständig verschoben. Die knappen Eintragungen in Gagis Tagebuch lassen die demo­ra­ lisierende Unsicherheit dieser Tage erkennen:

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Abreise immer noch fraglich. Abreise noch unbestimmt … Gerücht über morgige Abfahrt. Wie üblich Abfahrt auf den morgigen Tag verschoben. Am 17. Februar, fünf Tage nach der Ankunft in Lauenburg, verriet Kupfer, dass ein Zug für sie am Bahnhof warte. Verlegen erzählte er der Gruppe, es sei derselbe, der sie aus Matzkau hergebracht habe, und seitdem habe er auf einem Abstellgleis gewartet. Dunkel fügte er hinzu, der Zug dürfe nicht ohne das »lebende Inventar« abfahren. Dann erklärte er zu ihrem Schrecken, sie seien das »lebende Inventar«. Ohne weitere Befehle aus der SS -Zentrale könnten weder sie noch der Zug weiterfahren. Die Bedeutung war klar. Himmler hatte ihre Abfahrt noch nicht autorisiert. Es folgten zwei Tage des Rätselratens über den Grund der Verzögerung. Hatte Himmler sie aufgegeben? Besaßen sie keinen Wert mehr für ihn? Um seine Motive zu ergründen, lauschten sie dem Radio. Wenige Wochen zuvor hatte Hitler ihn zum Kommandeur der Heeresgruppe Weichsel ernannt, und von dort wurden regelmäßig Niederlagen gemeldet. Ihre einzige Hoffnung war, die Verzögerung komme nur daher, dass sie auf Himmlers Prioritätenliste weiter unten stünden. Diese Hoffnung wurde belebt, als am 19. Februar Onkel Moppel in Begleitung von zwei SS -Wachen auftauchte. Alle freuten sich, ihn zu sehen und Fey besonders. »Er war dünn und sehr schwach, aber wie durch ein Wunder am Leben. Was für eine starke Konstitution! Als Onkel Moppel uns sah, traten ihm Tränen in die Augen. Wir waren ebenso glücklich, als hätten wir gehört, wir sollten befreit werden, so stark sind die Bindungen des gemeinsamen Leidens.« Seltsamerweise hatte die SS Markwart von Stauffenberg zunächst von Matzkau nach Stutthof zurückgebracht. Das Gebiet wurde noch von der Wehrmacht gehalten, und die Russen hatten das KZ noch nicht befreit. Sobald seine Wachen merkten, dass die Sippenhäftlinge nicht mehr da waren, drehten sie um. Da noch Zehntausende Flüchtlinge auf den Straßen waren, waren beide Teile der Fahrt entsetzlich. 275

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Der Irrtum deutete auf ein Verwaltungschaos, in der SS -Zentrale hatten sich offensichtlich Meldungen gekreuzt. Gleichzeitig unterstrich die Mühe, die die SS auf sich genommen hatte, um Onkel Moppel zurück zur Gruppe zu bringen, ihre Bedeutung. Ganz oben waren sie immer noch Teil einer Agenda. Man hatte sie nicht aufgegeben. Endlich verkündete Papke am 23. Februar, sie würden tatsächlich aufbrechen. Sie beantwortete zwar keine Fragen nach ihrem Ziel, erlaubte aber den Männern, Glasscheiben aus der Nervenheilanstalt mitzunehmen, um sie im Waggon einzusetzen. Clemens von Stauffenberg war zu schwach, um zu stehen, und Dr. Goerdeler vermutete, er werde die Reise ohne sein Bett nicht überleben. Sobald das Bett im Zug war, gab es nicht mehr genug Platz für alle, um sich hinzulegen, deshalb mussten sie abwechselnd schlafen. Pünktlich um neun Uhr morgens fuhren sie ab. Papke erlaubte Fey, auf dem Trittbrett zu sitzen, sofern sie sie im Auge behalten könne. »Es war ein schöner Tag, darum fuhren wir mit offenen Türen. Ich saß auf dem Treppchen, schaute auf die Landschaft und versuchte die beunruhigenden Gedanken über meine Kinder beiseite zu schieben. In den Kurven sah ich, dass der Zug ungewöhnlich lang war und alles zu transportieren schien: Gefangene, Soldaten, Flüchtlinge, sogar Vieh, das ich vom Ende des Zugs muhen hörte. Während der häufigen Stopps konnten wir unsere Notdurft verrichten, aber weil der Zug stets ohne Vorwarnung weiterfuhr, hatte ich große Angst, zurückzubleiben oder in einen Waggon mit fremden Menschen springen zu müssen. Die Idee, bei einer solchen Gelegenheit zu flüchten, kam mir nicht und wohl auch niemand anderem. Schon der Gedanke, in dieser verschneiten Gegend ohne Papiere, Geld oder Lebensmittel allein zu sein, genügte, um ihn sofort zu verwerfen.« Auch Alex beschäftigte sie. Seit der Abfahrt von der Hindenburg-­ Baude am 30. November waren die beiden nicht mehr allein miteinander gewesen. Die Anspannung, ihre Gefühle ständig vor den anderen verbergen zu müssen, hatte sie zermürbt. Zu Beginn der Reise aus Matzkau konnte sie sich mit Alex noch auf Italienisch unterhalten, wie schon in Stutthof. Doch in dem engen Eisenbahnwaggon hörten 276

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stets andere mit, die ihre Privatgespräche manchmal störend fanden. Nun konnten sie sich nur noch mit Notizen und Gedichtzeilen austauschen, die sie auf kleine Zettel schrieben und einander gaben, wenn es möglich war. In den folgenden Tagen waren sie aber so darauf konzentriert, die Reise zu überleben, dass auch dies aufhörte. Der Zug fuhr jetzt parallel zur Front nach Westen. Westpommern war schwer bombardiert worden und überall lagen Trümmer – entgleiste Züge, brennende Fahrzeuge und zahllose zerstörte Häuser. Die Luftangriffe gingen noch weiter, und als sie der Front näher kamen, schien es Fey, als stünden sie unter besonderem Schutz: »Bei dieser Zugfahrt muß Gott seine schützende Hand über uns gehalten haben, denn kaum erreichten wir einen Bahnhof, hörten wir schon, daß der vorige zerbombt oder von den Russen eingenommen worden war. Vielleicht war doch dort oben beschlossen, daß ich Corradino und Robertino wiedersehen sollte?« Dann hielten sie am Morgen des 25. Februar am Rand von Stargard. Dies war der gefährlichste Teil ihrer Reise. Die Front lag nur wenige Kilometer weiter südlich, und die Rote Armee versuchte die Wehrmacht einzukesseln, indem sie den Korridor zwischen Stargard und Stettin eroberte. Draußen liefen Soldaten am Zug entlang und riefen: »Gegenangriff! Alle in Deckung!« Papke und Kupfer verriegelten die Türen und befahlen der Gruppe, sich auf den Boden zu legen. Sekunden später begann das Feuer. Sie standen nur wenige Meter neben einer Panzerabwehrkanone; während sie in dem engen Raum lagen, waren der Lärm und die Erschütterungen von den Explosionen entsetzlich. Der Angriff dauerte den ganzen Tag. In den Feuerpausen sahen sie Infanteristen aus Gräben im flachen Boden vorrücken. Am quälendsten war der Anblick des langen Zuges mit Viehwaggons voller Frauen und Kinder, der neben ihnen gehalten hatte. Die Waggons waren offen, und sie hörten die Schreie der verängstigten und frierenden Kinder. Während sie auf dem Boden des Waggons kauerten, erwarteten sie, dass die Russen jeden Moment das Feuer der Panzerabwehrstellung 277

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erwidern würden. Wunderbarerweise geschah das nicht, und nach zwölf schrecklichen Stunden fuhr der Zug weiter. Papke und Kupfer hielten die Türen geschlossen. Fey lag wach und hörte das ständige Hämmern, wenn Flüchtlinge an die Wände des Waggons schlugen, um hereinzukommen. Sie hatte den Eindruck eines völligen Zusammenbruchs. Die Alliierten bombardierten die Strecke vor ihnen, und der Zug kam bald wieder zum Stehen. Die folgende Episode hatte für die Lage der Gruppe eine dramatische Bedeutung: Es war ein Wehrmachtsoffizier, der folgende Unterhaltung mit Fräulein Papke führte: »Bitte aufmachen. Wir müssen noch ein paar Leute bei euch unterbringen!« »Unmöglich. Ich habe die Anweisung, niemand hereinzulassen!« »Dummes Zeug! Hier sind halberfrorene Frauen und Kinder. Wir müssen einen Platz für sie finden.« »Wir reisen mit ›Ehrenhäftlingen‹, sie stehen unter dem besonderen Schutz von SS -Reichsführer Himmler.« »Oh, Gott, ich scheiß auf den Heini, dieses dreckige Schwein.« Die Grobheit des Offiziers und Papkes verblüfftes Schweigen brachten die Gruppe zum Lachen; noch mehr lachten sie aber aus Erleichterung. Als »SS -Angehörige« hatte die Drohung einer sofortigen Hinrichtung seit Matzkau über ihnen geschwebt, doch nun hatte Papke verraten, dass ihr Status sich verändert hatte. Himmler hatte  – aus welchem Grund auch immer – beschlossen, sie seien wieder Sippenhäftlinge. Die nächsten beiden Tage fuhr der Zug von Abstellgleis zu Abstellgleis. Siebzig Kilometer weiter südlich bombardierten die Amerikaner Berlin. Es war der größte Angriff seit Monaten mit 1207 Bombern und 726 Jägern. Eine Frau beschrieb die Szene in Potsdam, als Zivilisten und Soldaten zu entkommen suchten: »Seine breiteste Vollendung fand der Eindruck des Chaotischen im Potsdamer Straßenbild, wo neben den friedlichen alten Straßenbahnen und den ländlichen Lan278

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dauern und Kutschen die schweren Panzer durch die Straßen rollten. In langen Zügen schleppten sich die Trecks über die Plätze, und eine graue Masse aus Soldaten, Flüchtlingen, Ausländern, Eingeborenen schob sich drängend durch die engen Gassen. Zerlumpte Gestalten neben eleganten Potsdamerinnen, verlauste Landser neben geschnie­ gelten Offizieren, dreckige, barfüßige kleine Kinder neben blitzenden Kinderwagen, graue alte müde Frauen neben aufgedonnerten Fräuleins, Pferde, Hunde, Kühe, Schafe, Katzen, das alles drängte sich in unabsehbarer Masse durch die Panzersperren auf der Brücke; Damen der besten Potsdamer Gesellschaft hasteten um die Wette mit armen Frauen nach den vom Lastauto fallenden Kohlen und nach dem guten Dünger der Pferdeäpfel, nach zufällig herumliegenden Kartoffeln, und Männer jeglicher Kategorie bückten sich unauffällig nach den kleinen Kippen … Welch entsetzliche Veränderung im Ablauf eines Jahres! Nein, nun war nichts mehr zu verheimlichen – so sieht kein Volk aus, das im Begriff ist, den ›Endsieg‹ zu erringen!« Als die Sippenhäftlinge am 27. Februar in Eberswalde am Rand Berlins eintrafen, hing über den Ruinen noch Rauch. Auch hier kamen sie nicht weiter, denn die Amerikaner hatten die Gleise vor ihnen zerstört. Inzwischen war Clemens von Stauffenberg in kritischem Zustand. Er atmete schwer und wurde Stunde um Stunde schwächer. Die anderen fürchteten, er werde sterben. Dr. Goerdeler gab ihm höchstens noch zwei Tage. Fey war erstaunt über die schnelle Reaktion der SS : »Wir wandten uns an den SS -Mann Kupfer, dem sofort klar war, daß er etwas unternehmen mußte. Es reichte ihm, daß schon Anni Lerchenfeld während dieses Transports gestorben war; deshalb setzte er sich mit dem Reichssicherheitshauptamt, das für jede uns betreffende Entscheidung zuständig war, in Verbindung. Kupfer erhielt umgehend die Anweisung, Clemens und Elisabeth ins Krankenhaus des KZ Oranienburg transportieren zu lassen. Der Abschied war traurig und schmerzlich. Um sieben Uhr abends kam ein einziger SS -Mann, um sie abzuholen. Das Licht einer einzigen Kerze beleuchtete recht und schlecht unser armseliges Lager. Clemens wurde auf einer Bahre hinausgetragen. Elisabeth folgte ihm ernst und aufrecht. Ihre Beherrschung 279

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war bewundernswert, denn sie mußte ihre drei Kinder bei uns zurücklassen, ohne zu wissen, ob und wann sie sie wiedersehen würde. Es war ganz still im Waggon, denn es gab in dieser Situa­tion kein tröstendes Wort mehr.« Der Abschied war so trostlos, dass Gagi ihn später am Abend kaum in ihrem Tagebuch erwähnen konnte: »Papi abends 19 Uhr mit Mami im SKW [Sanitätskraftwagen] nach Sachsenhausen-Oranienburg ins Lazarett. Schwerer Abschied. Wird man sich wiedersehen?« Auf der Bahnstrecke ging es nicht vorwärts. Die Luftangriffe gingen weiter, und die Gleise wurden ebenso rasch wieder zerstört, wie sie repariert waren. So blieben die Sippenhäftlinge mehrere Tage in Eberswalde. Erst am 2. März ging es weiter – diesmal nach Westen, weg von Berlin. Um sechs Uhr am nächsten Morgen befahl Papke ihnen, ihre Sachen zusammenzupacken. Nach zehn Tagen im Zug waren sie jetzt noch eine Stunde von ihrem Ziel entfernt: Buchenwald.

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31 »Jedem das Seine« stand in großen gusseisernen Buchstaben über dem Tor von Buchenwald. Ein grauer, feuchter Tag brach an, und Kupfer und Papke waren verschwunden. Fey versuchte zu verstehen, was der Offizier und eine unsichtbare Wache auf der anderen Seite des Tors zueinander sagten. Der unverwechselbare, ekelhafte Gestank des Krematoriums hing in der Luft und setzte sich in ihrer Nase fest. Durch das Gittertor sah sie Hunderte Gefangene umhergehen, deren schwarz-weiß gestreifte Häftlingskleidung vom trüben Licht abstach. Das Gelände war von einem doppelten, an manchen Stellen vier Meter hohen Stacheldrahtzaun umgeben. Instinktiv schaute sie hinauf und zählte die Wachtürme. Es waren 22. Schreckliche Angst erfasste sie. Warum hier? War es ein vorübergehender Aufenthalt oder war es das Ende? Das Tor öffnete sich nicht, und nach langem Warten wurden Fey und die anderen vom Haupteingang über einen riesigen Platz weggeführt. An seinem Ende stieg Rauch aus einem großen Fabrikkomplex auf, der ebenfalls von Wachtürmen umgeben war. Zum ersten Mal sah Fey ein Konzentrationslager von so nah: »Angeführt von zwei anderen SS -Wachen gingen wir durch dieses riesige Lager, einer richtigen Stadt vergleichbar. In einem Teil standen etwa 200  Baracken, in denen Gefangene aller möglichen Nationalitäten lebten, die zur Zwangsarbeit verurteilt waren. Die verschieden großen Baracken dienten als Küchen und als Lagerhallen, als Mordstätten und Folterkammern.« Auch Menschenversuche wurden hier durchgeführt. Überall marschierten Kolonnen von menschlichen Skeletten. Vereiterte Wunden in ihren Gesichtern stammten von den Schägen des Wachpersonals. Fey konnte kaum glauben, was sie sah, und wurde vom selben Gefühl hilfloser Wut erfasst wie bei dem Gedanken an den Raub ihrer Kinder durch die SS . Zehn Minuten später erreichte die Gruppe eine halbmondförmige Linie von Kasernen – die Unterkünfte der SS . Hier bogen die ­Wachen 281

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in eine schmale schuttbedeckte Gasse zwischen ausgebombten Gebäuden. An ihrem Ende stand eine hohe rote Backsteinmauer mit einer Tür. Nach dem Klopfen öffnete sich die Tür, und nach einer Diskussion zwischen den SS -Leuten und der Wache an der Tür fanden sie sich im Hof eines langen, niedrigen Gebäudes wieder. Nach den schrecklichen Dingen, die sie gesehen hatte, war Fey von der Szene vor ihren Augen verblüfft: »Beim Betreten der Baracke sah ich mich von vielen Fremden umringt. Plötzlich ertönten freudige Ausrufe, und Menschen fielen einander in die Arme. Es stellte sich heraus, dass die Fremden ebenfalls Verwandte von Verschwörern des 20. Juli waren.« Unglaublicherweise waren Onkel Moppels Kinder vollzählig da. Alle drei waren aus einem nahen Gefängnis nach Buchenwald überstellt worden: die 24-jährige Ines, die 22-jährige Alexandra und ihr 15-jähriger Bruder Clemens. Auch Goerdelers Frau Anneliese fand ihre Söhne Reinhard und Ulrich, dazu Ulrichs Frau Irma. Die noch vom Gang durchs Lager benommene Fey brach angesichts der vielen glücklichen Gesichter in Tränen aus: »Ich wusste, dass wir sicher waren. Unser Schicksal würde nicht das der armen Geschöpfe draußen sein. Aber andere in der Gruppe hatten ihre Kinder gefunden, und meine waren nicht da, darum war ich inmitten all dieser Freude verzweifelt.« Die Gefangenen begrüßten sich noch eine Weile und tauschten Neuigkeiten aus. »Ich fühlte mich allein und niedergeschlagen wegen meiner Kinder, als ich plötzlich den Namen Maria von Hammerstein hörte. Obwohl ich sie selbst nicht gut kannte, war sie eine der engsten Freundinnen meiner Mutter. Ihre Tochter und ihr Sohn waren bei ihr. … Maria sprach von der Hinrichtung meines Vaters als etwas Zurückliegendem, denn sie wusste nicht, dass ich noch immer hoffte, sie sei nicht geschehen. Ich unterdrückte meine aufsteigenden Schluchzer und gab vor, mit den Tatsachen vertraut zu sein, als sie seine Hinrichtung beschrieb. … Maria erzählte, wie mein Vater vor dem Volksgerichtshof vom schlimmsten und fanatischsten Nazirichter Roland Freisler angeklagt worden war. Bei den Kreuzverhören beeindruckte mein Vater das Publikum aus Parteifunktionären und Regierungs282

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beamten so sehr, dass es nach außen drang. Man sagte, es sei nicht klar gewesen, wer der Angeklagte und wer der Ankläger sei. Beim Gedanken an meinen Vater, der sich so ehrenvoll verteidigte, konnte ich meine Gefühle nicht länger zügeln. Ich murmelte eine Ausrede und eilte aus der Baracke, um mit meinem Schmerz allein zu sein.« Fey verstand nun, warum ihre Mutter in den wenigen Briefen, die sie schrieb, nichts von der Hinrichtung ihres Vaters gesagt hatte. Da sie wusste, dass Fey allein und weit weg von ihr eingesperrt war, wollte sie sie vor der Wahrheit beschützen. »Wie mußte sich meine Mutter allein fühlen, jetzt, da man ihr den liebsten Menschen in ihrem Leben auf diese Weise genommen hatte. In diesen ersten Tagen in Buchenwald konnte ich meine Gedanken gar nicht lösen von ihrem und meinem eigenen abgrundtiefen Schmerz, der uns so eng verband.« Zum ersten Mal seit Stutthof teilten Fey und die anderen sich Zimmer zu zweit und zu dritt, statt alle in einem Raum zu leben. Die Zimmer waren warm, und in jedem standen ein Tisch, ein Schrank, ein Waschtisch und ein Ofen, auch die Stockbetten hatten richtige Matratzen. Das Essen war ausreichend, und sie bekamen Mehl, um ihr eigenes Brot zu backen. Ab und zu brachten die Wachen ihnen sogar etwas Besonderes – Bier, Kakao oder echten Kaffee. Die Baracke war völlig vom Rest des Lagers getrennt und hieß Sonderbau 15. Ihre Position war streng geheim, ihre isolierte Lage absichtlich. Sie beherbergte rund vierzig Gefangene, deren Gesichter laut Himmlers Befehl niemand sehen durfte. Neben den Verwandten der Verschwörer des 20. Juli waren dort Persönlichkeiten, die Widerstand gegen Hitler geleistet hatten – manche von ihnen im Zentrum des Regimes. Fritz Thyssen, der ehemalige Chef von Deutschlands größtem Stahlkonzern war der bekannteste der Prominenten, wie die SS sie nannte. Anfang der 1930er-Jahre hatte er aus Bewunderung für Hitler eine Million Reichsmark an die NSDAP gespendet und sich für Hitlers Wahl zum Reichskanzler engagiert. Entsprechend der Rassenpolitik der Nazis entließ er jüdische Angestellte aus seinen Fabriken. Er begrüßte auch das Verbot der linken Parteien und der Gewerkschaften. 283

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Erst nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 brach Thyssen mit dem Regime. Er legte sein Reichstagsmandat und die Mitgliedschaft im Preußischen Staatsrat nieder und wurde zum offenen Kritiker der NS -Kriegspolitik. Aus einem Schweizurlaub schickte er im September 1939 ein Telegramm an Göring, in dem er gegen den Überfall auf Polen protestierte. Göring antwortete mit einer Garantie für Thyssens Sicherheit, wenn er nach Deutschland zurückkehre. Als dieser ablehnte, wurde sein Vermögen beschlagnahmt und ein Haftbefehl auf ihn ausgestellt. Ein Jahr später wurde er von Vichy-Frankreich ausgeliefert und nach Berlin zurückgebracht. Von dort kam er ins KZ Sachsenhausen. Neben Thyssen waren unter den Gefangenen im Sonderbau 15 auch Verwandte hoher Generäle, etwa Gertrude Halder, die Ehefrau von General Franz Halder, dem Generalstabschef des Heeres von 1938 bis 1942. Ulrich von Hassell und sein Kreis hatten in den ersten Kriegsjahren zusammen mit ihm geplant, Hitler zu stürzen. Doch Halder, der laut Hassell den Eindruck »eines schwachen, nervlich stark mitgenommenen Mannes« machte, hatte sie im Stich gelassen. Obwohl er im Frühjahr 1940 eine Pistole in der Tasche trug, um Hitler bei einer der regelmäßigen Besprechungen zu erschießen, konnte er sich nicht dazu durchringen. Halder hatte seinen Posten behalten  – Has­sell nannte ihn verächtlich einen »technische[n] Handlanger« Hitlers  – und beim Angriff auf die Sowjetunion Mitverantwortung für Verbrechen an der Zivilbevölkerung auf sich geladen. Erst im Herbst 1942 trat er wegen Differenzen mit Hitler über die Kriegführung zurück. Obwohl Halder nicht am 20. Juli beteiligt gewesen war, wurden er und seine Frau verhaftet, nachdem die Gestapo seine Verbindungen zur Hassell-Gruppe und seine Beteiligung an früheren Attentatsversuchen aufdeckte. Weitere Prominente wurden anderswo in Buchenwald versteckt. Nur fünfzig Meter vom Sonderbau 15 war Léon Blum, der französische Premierminister 1936 – 37, mit seiner Frau in einem Bunker unter dem Falkenhof inhaftiert. Dieses neogotische Gebäude beherbergte Adler, Falken und andere Raubvögel. »Ich war in den Händen der Nazis, weil ich für sie mehr als ein politischer Franzose war, näm284

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lich ein sozialistischer Demokrat und ein Jude«, schrieb Blum. »Die gleichen Gründe, die aus mir einen verabscheuungswürdigen Gegner machten, machten aus mir auch eine kostbare Geisel, da ich nicht nur beim französischen Staat und seinen Verbündeten, sondern auch für den Sozialismus und die internationale Demokratie einen Austauschwert darstellte.« Trotz der Gefahr, in der Blum als Jude und sozialistischer Politiker schwebte, war er nicht geflohen, als die Wehrmacht im Juni 1940 Frankreich besetzte. Er wurde festgenommen und von der Vichy-­ Regierung vor Gericht gestellt, dann im April 1943 mit seiner Frau nach Buchenwald deportiert. In seinen Memoiren schreibt er über diese Zeit: »Die Worte der Einsamkeit und der Einsperrung sind unfähig, das Dasein zu charakterisieren, das wir zwei Jahre in diesem Haus in Buchenwald geführt haben. Niemand, nur die SS -Wache, drang dorthin ein. Wir gingen niemals fort, außer drei- oder viermal zum Zahnarzt, das war nachts und mit dem Auto. … Die 25 oder 30  SS -Leute, die uns bewachten, bewegten unaufhörlich die Maschinenpistole am Schulterriemen hin und her und hielten den Hund an der Leine in dem schmalen Rundweg, angelegt zwischen dem Stacheldrahtzaun und dem Haus, wie gefühllose und stumpfe Schatten. In Wahrheit war dieses Haus weniger ein Gefängnis als ein Keller oder ein Grab: Man konnte dort nur leben, indem man sich vor der Außenwelt verschanzte. Dieses Abgeschnittensein war so real, daß einige meiner Freunde, die uns im Lager Buchenwald vorangegangen waren und mehr als 18 Monate dort waren, unsere Anwesenheit nicht ahnten.« Auch in den Zellen unter den Quartieren der SS waren Prominente eingesperrt, unter ihnen der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Als evangelischer Pfarrer und offener Gegner von Hitlers Judenverfolgung hatte er Mitte der 1930er-Jahre die Christen dazu aufgerufen, den Nazis zu widerstehen, denn es sei Aufgabe der Kirche »nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.« Zu diesem Zweck baute Bonhoeffer ein Untergrundnetzwerk auf, das christliche Werte und Praktiken schützen sollte. Bei Kriegsbeginn ging er zur Abwehr, dem Militärgeheimdienst. Dank seines Postens und seiner ökumenischen Kontakte im 285

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Ausland diente er als Kurier für den deutschen Widerstand und reiste nach Norwegen, Schweden und in die Schweiz, um den Alliierten Friedensangebote zu überbringen. Er war auch an Fluchtaktionen der Abwehr beteiligt, um deutsche Juden in die Schweiz zu schleusen. Bonhoeffer war gemeinsam mit drei anderen Gefangenen nach Buchenwald gekommen: dem in Tunesien gefangen genommenen britischen Luftwaffenmajor und SOE -Agenten Hugh Falconer, dem katho­lischen Widerständler Josef Müller und Hauptmann Ludwig ­Geh­re. Müller hatte über Papst Pius  XII . Friedensangebote aus Has­ sells Kreis an den amerikanischen und britischen Geheimdienst geleitet. Der Abwehroffizier Gehre war in Tresckows Plan zur Ermor­dung Hitlers im März 1943 eingeweiht gewesen. Neben diesen vier Männern saßen noch weitere »Sondergefangene« in den Zellen unter den SS -Quartieren: Wassilij Kokorin, ein Neffe des sowjetischen Außenministers Molotow; General von Falkenhausen, ehemals Militärgouverneur im besetzten Belgien; Hermann Pünder, ein Politiker der katholischen Zentrumspartei und späterer Mitbegründer der CDU ; sowie Hauptmann Sigismund Payne Best, ein britischer Spion, der im November 1939 von der Gestapo im holländischen Grenzort Venlo entführt worden war. Himmler betrachtete diese Gefangennahme als großen Coup. Payne Best, der für die neue »Abteilung Z« des britischen Geheimdiensts arbeitete, war von als Widerstandskämpfern getarnten Gestapoagenten festgenommen worden, als er eine angebliche Verschwörung gegen Hitler unterstützen wollte. Der Sonderbau 15, der Falkenhof und die Zellen, wo Payne Best und die anderen einsaßen, waren nur einen Steinwurf voneinander entfernt, doch wegen der strengen Abschottung wusste keine Gruppe etwas von der Existenz der anderen. Für die vierzig Gefangenen im Sonderbau 15 war aber offensichtlich, dass Himmler seine Prominenten zusammenzog. Die Sippenhäftlinge trafen zuerst ein; am Ende der zweiten Märzwoche, nachdem das Reichssicherheitshauptamt Befehle an Konzentrationslager überall im Reich geschickt hatte, stieg die Zahl der Gefangenen in der Baracke auf über sechzig. Zu der bunten Sammlung der Häftlinge 286

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zählten auch Isa Vermehren, eine berühmte Filmschauspielerin und Kabarettistin; Gräfin von Plettenberg, die dem katholischen Widerstand angehörte; Verwandte von Wehrmachtsoffizieren, die sich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft dem Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen hatten; und zahlreiche Offiziere, denen die Beteiligung am 20. Juli vorgeworfen wurde. Die im Gemeinschaftsraum der Baracke versammelte Gruppe besprach ihre Lage im Licht der Informationen, die von den Neuankömmlingen kamen. Offensichtlich hatte die SS -Führung alles sehr genau geplant; hinter den Verschiebungen der Gefangenen stand die Absicht, alle Prominenten zusammenzuziehen, wo sie für einen künftigen Plan jederzeit leicht greifbar waren. Aber für welchen Plan? Himmlers Apparat funktionierte immer noch nach denselben Methoden: völlige Willkür in allen Entscheidungen, keine Erklärungen und strengste Geheimhaltung. Während die Tage vergingen und sie auf Himmlers nächsten Schritt warteten, wurde die Sorge der Gefangenen wegen der Unsicherheit ihrer Lage von der Angst vor dem Elend draußen abgelöst. Die hohe Mauer, die den Sonderbau 15 umschloss, verbarg zwar das Lager, aber sie hörten, wie Menschen von den Wachen gewaltsam weggeschleppt wurden und wie Schüsse fielen. Fey erinnerte sich, dass sie genau wussten, was vorging: »Die SS ließ weibliche russische Häftlinge die Kohlen bringen, und durch sie erfuhren wir von den schrecklichen Umständen im übrigen Lager.« In Buchenwald gab es keine Gaskammern, formal war es ein A ­ rbeits-, kein Vernichtungslager. Dennoch starben dort 56 000  Gefangene. Hunger, Krankheit, unmenschliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, Hinrichtungen, tödliche Injektionen und medizinische Experimente – es gab viele Todesursachen. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 1945 wurden 13 000 Tote registriert. In diesem Winter kamen zwar Tausende Juden nach langen, brutalen Märschen aus Konzentrationslagern in Polen nach Buchenwald, aber sie waren die Minderheit. Vor dem sowjetischen Vormarsch war es Praxis in Buchenwald gewesen, Juden zur Vergasung 287

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in Vernichtungslager wie Auschwitz weiterzuschicken. Von den etwa 80 000  Gefangenen im März 1945 waren die meisten »Politische«  – Personen, die von SS und Gestapo in Deutschland und den besetzten Ländern verhaftet worden waren. Rund dreißig Nationalitäten waren vertreten, und es gab Deserteure, Widerstandskämpfer, Priester, Schriftsteller, Schauspieler, Sinti und Roma, Kommunisten, Monarchisten und »Arbeitsscheue« – Menschen, die vom Regime als asozial eingestuft wurden, weil sie keine Arbeit fanden oder suchten. Die KZ -Häftlinge lebten etwa 300  Meter vom Sonderbau  15 entfernt im eigentlichen Lager. Dort standen über hundert Baracken, und die Bedingungen waren grauenhaft; in vielen Baracken gab es weder Betten noch Bänke, und die Insassen schliefen ohne Matratzen oder Decken auf dem Boden. In einem Block lebten 850 Kinder, alles Jungen. Die meisten waren Juden und viele von ihnen Waisen. Viele waren aus Auschwitz hergebracht worden, wo sie ihre Eltern sterben gesehen hatten. Der jüngste »Partisan«, wie die SS diese Kinder nannte, war erst drei Jahre alt. Die Arbeitsbedingungen waren hart. Gefangene, einschließlich Kindern ab sieben Jahren, mussten vierzehn Stunden täglich im nahe gelegenen Steinbruch oder den Rüstungsfabriken am Südrand des Lagers arbeiten. Ihr Tag begann mit dem Durchzählen auf dem gefürchteten Appellplatz, wo auch Hinrichtungen und Bestrafungen stattfanden. An einer Ecke des Platzes stand das Krematorium, und man benutzte Leichen, um die Gefangenen zu verspotten. Häufig befahl der wachhabende Offizier über Lautsprecher den Berufsverbrechern, die die Öfen bedienten: »Die Vögel vom Krematorium mal rausgucken!« Dann hielten diese Leichen vor die Fenster. Block 46 und 50 dienten medizinischen Versuchen. NS -Ärzte und -Wissenschaftler probierten an Häftlingen neue Medikamente und medizinische Techniken aus. Die Versuchskaninchen wurden von der SS gewaltsam ausgesucht, meist Kommunisten, Sinti und Roma oder Homosexuelle. Bei einem Experiment wurde 800  »Patienten« ein Typhusimpfstoff gespritzt, dann wurden sie mit dem Virus angesteckt. Der Impfstoff wirkte nicht, und 700 von ihnen starben an der Krankheit. Man versuchte auch, Homosexualität zu »heilen«, indem 288

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man ein synthetisches Hormon in die Lenden spritzte, um eine Veränderung des Sexualtriebs zu bewirken. Es gab noch andere Experimente. Um die Wirksamkeit einer Wundsalbe für Verbrennungen zu testen, wurden Häftlingen schwere Verbrennungen mit weißem Phosphor zugefügt. Ein SS -Chirurg benutzte einen speziell konstruierten Apparat, um Teile der Leber zu entfernen, woran die Opfer allesamt starben. Bei einem anderen Test sollte die tödliche Dosis eines giftigen Alkaloids bestimmt werden. Laut der Aussage eines Häftlings wurde das Gift vier sowjetischen Kriegsgefangenen gespritzt, und als es sich nicht als tödlich erwies, wurden sie im Krematorium erdrosselt und danach »seziert«. Als man den Arzt bei einem Nachkriegsprozess über die medizinischen Experimente in Buchenwald befragte, vertei­ digte er sich damit, er sei ein »gesetzlich bestallter Scharfrichter«. Zwischen Block 46 und dem Lagerkrankenhaus stand der Sonderbau. Hinter diesem neutralen Namen verbarg sich das Lagerbordell. 1942 schrieb Himmler an Gruppenführer Oswald Pohl, den Chef des Wirtschafts-Verwaltungshauptamts der SS , in den Lagern sollten »den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden.« Um die Produktivität zu erhöhen, wurden die Bordelle eingeführt. Durch schwere Arbeit verdienten die Gefangenen sich zusätzliches Essen und Geld, und Himmler meinte, Prostituierte würden einen zusätzlichen Anreiz bieten. Angefangen mit dem österreichischen KZ Mauthausen eröffnete die SS ab 1942 zehn Lagerbordelle, das größte in Auschwitz. Juden waren ausgeschlossen, weil die Nürnberger Gesetze von 1935 sexuelle Beziehungen zwischen Juden und »Ariern« verboten. Als das Bordell in Buchenwald 1943 eröffnete, wurden achtzehn junge Frauen aus Ravensbrück überstellt. Vor Beginn der Arbeit bekamen sie im Lagerkrankenhaus Kalziumspritzen, Desinfektionsbäder, bessere Nahrung und Höhensonne. Einige wurden zwangssterilisiert. Die Besuche waren streng reglementiert. Das jeden Abend von sieben bis zehn Uhr geöffnete Gebäude schloss bei Wasser- und Stromausfällen, Luftangriffen und Radioübertragungen von Hitlerreden. Um die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten zu verhindern, 289

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­erhielten die Männer vor und nach dem Besuch Desinfektionssalbe, und die Frauen wurden regelmäßig auf Tripper und Syphilis untersucht. Südlich des Hauptlagers lag der große Bereich der SS -Wohnblocks. Hier, fünfzig Meter vom Sonderbau 15 entfernt, lebten die SS -Leute in gut ausgestatteten Kasernen mit Läden, Krankenhaus und Kino. Es gab sogar einen Zoo, in dem Bären und Affen gehalten wurden. Der Luxus ihres Lebens wurde noch grotesker durch den ständigen Strom von Häftlingen, die unter ihren Fenstern zum Steinbruch und zu den Fabriken marschierten. * »Ich bin nie geprügelt worden, ich bin nie geschlagen worden, mir ist nie der Kopf rasiert worden, mir ist keine Nummer tätowiert worden, ich habe nie an einem Arbeitseinsatz teilnehmen müssen, sondern wir blieben einfach von morgens bis abends im Block sitzen«, schrieb Isa Vermehren, eine der Gefangenen im Sonderbau 15. Dennoch verspürte sie ständige Angst, sie war »das bestimmende psychologische Moment«: »Angst vor Kälte und Hunger, vor Strafe und Schmerz  …, vor dem Verkannt-, Verachtet-, Verratenwerden, Angst vor der eigenen und fremden Not, Angst vor der Verzweiflung, Angst vor dem Bösen in mir und rund um mich herum, Angst vor dem leiblichen und seelischen Tode«. Die bekannte Schauspielerin und Kabarettistin war 28 Jahre alt, als sie in Buchenwald inhaftiert wurde. Sie war für Lieder berühmt, die die Nazis aufs Korn nahmen, und trat in Kabaretts in ganz Deutschland auf, bis sie 1938 als Novizin in die Gesellschaft vom Heiligsten Herzen Jesu (oder Sacré Cœur-Schwestern) eintrat. Vor der Ankunft in Buchenwald erlebte Isa im Gegensatz zu den anderen Häftlingen im Sonderbau  15 den Schrecken eines Kon­ zentrationslagers aus der Nähe. Sie war 1943 festgenommen und nach Ravensbrück geschickt worden, nachdem ihr Bruder nach England floh und eine Stelle bei der BBC annahm. Obwohl sie in den 290

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zehn Monaten dort bevorzugt behandelt worden war, überblickte ihr Zellenfenster den Appellplatz, und nun sah sie »ein Schauspiel, das nicht von Menschen gespielt wird, und es hat eine lange Zeit gedauert, bis das, was ich sah, den Zugang zu meinem Herzen fand, so sehr wollte sich dieses davor verschließen, das, was da draußen geschah, wirklich zu begreifen.« Nach Kriegsende erzählte sie einige der Szenen, die sie mit ansah, einem britischen Ermittler von Kriegsverbrechen: »Es gab eine besondere Zelle nicht weit von meiner, wo die Prügelstrafen ausgeführt wurden, und ich hörte die Geräusche und die Schreie der bestraften Frauen. Ich wusste, dass es Hinrichtungen gab. Der Exekutionsplatz lag hinter einer Mauer nahe dem Krematorium, etwa fünf Meter von meiner Zelle entfernt. Ich hörte die Schritte der Menschen, die dahin gingen und auch die Schüsse. Die Erschießungen fanden abends nach zehn Uhr statt, und das war die Stunde, wenn man nervös wurde. Ich hörte etwa 60 Hinrichtungen mit, und soweit ich wusste, waren es meist polnische oder russische Frauen.« Isas Erfahrungen in Ravensbrück führten nicht zum Verlust ihres Glaubens: »Das, was man da sehen konnte an Schrecklichem zwischen den Menschen, wie die sich gegenseitig gequält und verachtet und bespuckt und geschlagen … haben, … dieses alles hat sich Jesus Christus ja auch von uns gefallen lassen.« Sie brachten sie aber dazu, sich zu fragen, ob sie je ein wahrer Christ sein könne. Als gläubiger Mensch wusste sie, dass ihre Angst angesichts der Umstände in Ravensbrück und dann in Buchenwald eine Schwäche war: Sie sollte auf Gott vertrauen. Und sie sollte selbstlos sein, erst an andere Menschen und dann an sich selbst denken. Die Situation im Rest des Lagers war aber so schrecklich, dass sie sich vom Leiden um sie herum abwandte und auf das eigene Überleben konzentrierte. Im Kampf ums Überleben war sie zu einer Toten ohne seelische Bedürfnisse geworden. Das meinte sie, wenn sie vom »Bösen in mir« schrieb. Isa Vermehrens Gewissenskrisen waren für die Häftlinge im Sonderbau 15, die meist fromme Katholiken oder Protestanten waren, nicht ungewöhnlich. Fey erinnerte sich, dass alle Schuld wegen ihrer privilegierten Situation empfanden. »Man redete wenig über 291

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die Vergangenheit oder überhaupt über etwas außer der unmittelbaren Zukunft. Es ist überraschend, wie wenig man sich mit anderen Menschen wirklich austauschte.« Alle schienen sich in sich selbst zurückzuziehen. Als erst eine, dann zwei Wochen damit vergingen, auf weitere Ereignisse zu warten, vertraute sich Fey aber Alex an. Sie waren zwar nie allein, aber es war ein offenes Geheimnis, dass sie zueinander hingezogen waren, und die anderen blieben auf Distanz, damit sie offen reden konnten. Wenn sie ruhig im Gemeinschaftsraum zusammensaßen, sprachen sie stundenlang. Fey, die immer noch um ihren Vater trauerte und sehr enttäuscht war, ihre Kinder nicht in Buchenwald gefunden zu haben, wurde durch Alex’ Anwesenheit getröstet; ihm gegenüber konnte sie sich Gefühle eingestehen, die sie vor anderen verschwieg – den Neid auf andere in der Gruppe, die mit ihren Kindern wieder vereint waren. Manchmal spielten die beiden Bridge mit Markwart und Otto Philipp oder übersetzten gemeinsam Dantes Vita Nuova. Alex hatte den Text ausgewählt; ob der Grund darin lag, dass Dantes Liebe zu Beatrice seine Gefühle für Fey widerspiegelte, sagte sie nicht. Doch es war eine passende Wahl, denn das Werk verkörperte das mittelalterliche Konzept der höfischen Liebe – eine höchst formelle, häufig unerfüllte Liebe. In den seltenen Momenten, wenn Fey nicht mit Alex zusammen war, gab sie einem neu eingetroffenen zehnjährigen Jungen Unterricht. Er war mit seiner Mutter, Frau Schröder, einer evangelischen Pfarrersfrau, und seinen vier und sieben Jahre alten Geschwistern festgenommen worden. Ihre Inhaftierung war eine Strafe für den Gottesdienst, den der Pfarrer auf Radio Moskau hielt. Er war Kriegsgefangener und gehörte dem Nationalkomitee Freies Deutschland an, einer kommunistisch gelenkten Widerstandsorganisation, die von der Sowjetunion aus agierte. Da es keine Nachricht von Corrado und Roberto gab, fühlte Fey sich zu dem Jungen hingezogen: »Ich gab die Stunden … ebenso sehr für mich selbst wie für ihn. Während ich ihm Grundrechenarten und 292

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Sprachen beibrachte, dachte ich an meine eigenen Kinder. War es besser, wenn sie bei ihrer Mutter waren und dadurch schreckliche Szenen im Lager miterlebten, oder ging es ihnen besser im Kinderheim? Obwohl das natürlich reine Spekulation war, hielt es mich davon ab, mir schlimmere Dinge vorzustellen, die Corradino und Robertino geschehen sein konnten.« Die Spannung in der Baracke stieg mit jedem Tag. Die Amerikaner kamen näher, und die russischen Frauen berichteten, die Häftlinge im Hauptlager befürchteten, Himmler würde vor ihrer Ankunft die Liqui­dierung aller Gefangenen anordnen. »Die Tage ohne Neuigkeiten waren eine Qual«, erinnerte sich ­Ännerle. »Wir hatten absolut keine Ahnung, wie die Dinge sich entwickeln würden.« Dann traf am Morgen des 14. März aus heiterem Himmel ein SS Mann aus Berlin ein.

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32 Der Mann hieß Lenz und kam vom Reichssicherheitshauptamt aus Berlin. Er war groß, schlank und hatte ein langes blasses Gesicht. Seine unterwürfige Art erschien Fey sofort verdächtig: »Er war einer der klassischen öligen Typen, mit guten Manieren und Leutseligkeit. Er lächelte freundlich, sagte, er stünde uns zur Verfügung, und fragte, ob wir Beschwerden oder Fragen hätten. Natürlich bestürmten wir Frauen ihn mit Fragen nach unseren Kindern.« Lenz antwortete, die Kinder würden von der Gestapo »erzogen«. Er behauptete, sie seien fröhlich und würden gut betreut. Als Beweis zeigte er drei Briefe, die er Lotte von Hofacker überreichte. Sie kamen von ihren jüngsten Kindern – der zwölfjährigen Christa, dem neunjährigen Alfred und der sechsjährigen Goldi. Lotte las mit Erstaunen, dass sie tatsächlich »sehr glücklich« zu sein schienen. Lenz erklärte auch, Lottes Kinder seien wie die beiden Jungen von Irma Goerdeler – der jüngere erst sechs Monate alt – und Mika von Stauffenbergs sechsjähriger Sohn und fünfjährige Tochter in einem NSV-Kinderheim in Bad Sachsa, gut neunzig Kilometer von Buchenwald entfernt. Von Corrado und Roberto wusste er aber nicht viel. Sie seien nicht bei den anderen Kindern, sondern in einem kleineren Heim, sagte er zu Fey und behauptete, ihr am nächsten Tag mehr sagen zu können. »Er versprach Tausend Dinge, sogar Informationen über die Gesundheit der Kinder und ihren genauen Aufenthaltsort. Obwohl ich im Herzen wusste, dass er nur immer neue Lügen erzählen würde, wollte ich ihm verzweifelt glauben.« Ermutigt durch Lenz’ scheinbare Kooperation bedrängte die Gruppe ihn mit weiteren Fragen. Warum wurden sie in Buchenwald festgehalten? Was war der Zweck ihrer Haft, wenn ihre Verwandten inzwischen hingerichtet und die Fälle abgeschlossen waren? Lenz antwortete, es sei durchaus möglich, dass sie in den nächsten zehn Tagen freigelassen würden, fügte aber hinzu: »Nichts ist sicher.« 294

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Bevor er ging, verteilte er zahlreiche Briefe, die die Gestapo der Gruppe viele Wochen lang vorenthalten hatte. Für Fey war nur der Brief einer Freundin aus Dresden dabei, der den Schrecken der britischen Bombenangriffe auf die Stadt schilderte. Es war ein weiterer Schlag neben dem Fehlen von Nachrichten über die Jungen. Seit der Abfahrt aus Brazzà hatte sie nichts von ihrer Mutter gehört und angenommen, man habe ihr die Briefe vorenthalten. Doch nun schien es so, als habe sie gar nicht geschrieben. Natürlich gab es keine Nachricht von Detalmo. Obwohl Fey wusste, dass der Kontakt zu ihm unmöglich war, hoffte ein Teil von ihr immer noch, er werde einen raffinierten Weg finden, ihr eine Nachricht zu schicken. Vierzehn Monate waren vergangen, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. In seiner letzten Nachricht, die von einem Partisanenkurier überbracht wurde, hatte er ihr gesagt, er werde nicht nach Hause kommen und habe beschlossen in Rom zu bleiben. Das war im August gewesen, nun war es Mitte März. Da die Kinder vielleicht für immer verloren waren, musste sie mehr denn je von ihm hören. War er immer noch in Rom? Wusste er, dass sie und die Jungen verhaftet worden waren? Vielleicht war die Botschaft, die sie durch das Rote Kreuz geschickt hatte, ja nicht angekommen. Aber Nachbarn aus Brazzà hatten ihm über das Partisanennetzwerk auch Botschaften geschickt. Sein Schweigen war eine große Enttäuschung und verstärkte das Gefühl der Verlassenheit, das sie seit Langem spürte. Fey verbrachte die nächsten 24  Stunden damit, angespannt auf Lenz zu warten, um die Informationen über die Jungen zu hören, die er mitbringen wollte. Wie sie schon befürchtet hatte, gab es keine. Er machte sich nicht einmal die Mühe zu lügen, sondern sagte nur, er habe ihren Aufenthaltsort nicht erfahren. Entweder hatten seine Vorgesetzten im RSHA ihre Gründe, dies geheim zu halten, oder die Jungen waren verschollen. Sie nahm allen Mut zusammen und fragte, wie groß ihre Chance sei, wieder mit ihnen vereint zu werden: »Er zuckte bloß die Achseln und sagte, wenn sie am Leben seien, würden sie neue Namen tragen. Er bezweifelte, ob ich sie je finden würde. Bis dahin hatte ich mich gewehrt, an das Schlimmste zu denken – dass sie tot oder für immer verschollen waren. Doch die Tatsache, dass 295

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alle anderen Kinder an einem Ort waren und meine verschwunden, raubte mir alle Hoffnung, sie wiederzusehen. Der Gedanke der dauerhaften Trennung von meinen Kindern brachte mich an den Rand des Wahnsinns.« Gerade als Fey glaubte, ihren Tiefpunkt erreicht zu haben, geschah etwas, das sie ganz in die Isolation trieb. Neutral hielt sie das außergewöhnliche Ereignis fest, das am Morgen des Tages nach Lenz’ zweitem Besuch stattfand: »Am 16. März kreiste eine Fieseler-Storch lange über unserer Baracke. … Es war Litta Stauffenberg, die Frau von Alex, die ihren Mann besuchen kam.« Litta war eine der höchstdekorierten Pilotinnen der Luftwaffe und suchte seit fast zwei Monaten nach Alex. Offiziell leitete sie immer noch die Versuchsstelle für Flugsondergeräte, wo sie Piloten in der Anwendung optischer Geräte für die Nachtlandung ausbildete, an deren Entwicklung sie mitgewirkt hatte. Sie flog auch weiter als Testpilotin und testete Zielvorrichtungen für Stukas, was Sturzflüge aus großer Höhe erforderte. Ihre Energie war aber ganz darauf gerichtet, Alex zu finden. »Sie hatte darauf bestanden, daß sie die Belastung durch ihre kriegswichtigen Aufgaben nur durchstehen könne, wenn sie einmal im Monat ihren Mann sehen und sprechen könnte«, erinnerte sich Nina von Stauffenberg, die Witwe von Claus. Nach Stutthof hatte Litta die Spur ihres Mannes verloren. Bis dahin konnte sie als Trägerin des Eisernen Kreuzes II . Klasse und des Militärfliegerabzeichens in Gold mit Brillanten und Rubinen über seine Bewegungen auf dem Laufenden bleiben, indem sie mit hochrangigen Regimevertretern in Kontakt blieb. Nachdem aber Gerüchte über ihre Gegnerschaft zum Regime aufkamen, erhielt sie keinen Zugang mehr zu geheimen Informationen. Unbeirrt und unter großem Risiko, von alliierten Maschinen abgeschossen zu werden, flog sie über ganz Norddeutschland und versuchte Alex’ Spur wiederzufinden. Von Stutthof aus, wo sie Ende Januar landete, folgte sie jedem Hinweis, wie unbestimmt auch immer. Statt der Jagdflugzeuge, die sie sonst flog, wählte sie eine unbewaffnete Fieseler-Storch. Diese kleine einmotorige Maschine konnte auf kur296

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zen Pisten starten und landen und mit einer Geschwindigkeit von nur 140 Kilometern knapp über den Baumwipfeln fliegen, wo sie von feindlichen Piloten nicht gesehen wurde. Bis dahin war ihre Suche, die viele Flugstunden erforderte, ergebnislos geblieben, doch Mitte März erhielt sie einen Hinweis von einem Gestapobeamten aus Lauenburg. Er sagte ihr, Alex und die anderen hätten mehrere Wochen in der Stadt verbracht, eingesperrt in einer umgebauten Nervenheilanstalt, und vor Kurzem seien sie südlich von Berlin gebracht worden. Er bezweifelte aber, dass sie durch die russischen Linien gekommen seien. Vermutlich seien sie gefangen genommen worden und hätten wohl nicht überlebt. Aufs Geratewohl beschloss Litta nach Buchenwald zu fliegen – das nächste KZ südlich von Berlin. Vor dem Abflug bepackte sie die Maschine mit Vorräten – Kaninchenfleisch, Obst, Gemüse und Kleidung für Alex mit kleinen darin verborgenen Botschaften. Der Flug aus Würzburg, wo sie gerade stationiert war, dauerte drei Stunden. Wenn Alex in Buchenwald war, war das größte Problem, die Baracke zu finden, in der er inhaftiert war. Anfang Januar hatte sie ihn in Stutthof besucht. Fey hatte von dem Besuch nichts erfahren, weil sie zu dieser Zeit schwer krank war. Aus der Luft sahen die vielen Reihen von Baracken in Buchenwald alle gleich aus. Litta kreiste mehrmals niedrig über dem Lager und suchte ein Signal ihres Mannes. Dann entdeckte sie eine heftig winkende Gruppe auf dem Hof einer Baracke; von den Fenstern aus machten andere Zeichen mit Taschentüchern und Betttüchern. Sie landete auf einem Feld so nahe wie möglich bei dem isolierten Gebäude und zeigte den Wachtposten ihre Papiere. Das Eiserne Kreuz an ihrer Fliegerjacke war eine hervorragende Referenz, und die Wachen führten sie zum Sonderbau 15. Wenige Minuten später öffnete sich die Tür in der Mauer, und Alex wurde herausgebracht. »Alles war sehr geheim und fast wie ein Wunder«, erinnerte sich seine Schwägerin Mika von Stauffenberg. Die Wachen traten weg und ließen das Paar in der schmalen, schuttübersäten Gasse allein. Sie redeten 45  Minuten lang. Ihr G ­ espräch ist nicht dokumentiert, aber Gagi und Ännerle schrieben in ihren 297

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­ agebüchern, Litta habe Neuigkeiten von den Kindern in Bad Sachsa T gebracht und von Elisabeth und Clemens von Stauffenberg, die noch im KZ  Sachenhausen inhaftiert waren. Um Alex’ Familie zu helfen, wo immer sie konnte, war Litta mit Essenspaketen und warmer Kleidung zu beiden Orten geflogen. Sie hatte auch Nina von Stauffenberg besucht, die in der Nähe von Frankfurt inhaftiert war. Sechs Monate nach Claus’ Hinrichtung bekam Nina im Januar ihr fünftes Kind: »Litta dachte an alles. Sie fand einen Gestapobeamten, der einen Schwangerschaftsgürtel auftrieb, sie schickte mir Lebertran,  … Sie befand sich in einer schwierigen Doppelsituation: Vertrauensperson der Gestapo und Betreuerin der Gefangenen.« Nach dem Treffen mit Alex ging Litta zu ihrem Flugzeug zurück, eine große, auffallende Gestalt: schlank und blond, mit hohen Wangenknochen und ausgeprägtem Profil, gekleidet in Luftwaffenuniform, langen braunen Lederstiefeln und brauner Pilotenlederjacke. Nach dem Abheben flog sie über der Baracke drei Kreise. Es war ihre Art des Abschieds. Litta wusste, dass sie stets in Gefahr war, von den Amerikanern abgeschossen zu werden, die den westdeutschen Luftraum jetzt beherrschten. Trotzdem flog sie zwischen dem 17. März und dem 1. April noch acht Mal nach Buchenwald. Wegen ihrer Testflüge konnte sie zwar meist nur vorbeifliegen, aber dreimal landete sie und sprach mit Alex. Für die Sippenhäftlinge und vor allem für Gagi war sie der »fliegende Engel«. Nachdem sie erfahren hatte, dass die Rote Armee kurz vor der Befreiung des KZ  Sachsenhausen stehe, flog Litta zum Lager, um Elisabeth und Clemens von Stauffenberg zu retten, ohne auf die Gefahr durch sowjetische Flugzeuge zu achten. Nachdem sie die Wachen überzeugt hatte, das Paar freizulassen, brachte sie Clemens in ein Militärlazarett und flog dann mit Elisabeth zu Gagi nach Buchenwald. Gagi schrieb später, ohne Littas waghalsige Rettungsaktion wären ihre Eltern wohl gestorben. Litta dachte an alles und bereitete sich heimlich auch schon auf die Befreiung Buchenwalds vor. In der Hoffnung, die Gruppe werde bei Ankunft der Amerikaner freigelassen werden, bestach sie einige Einwohner, ihr ein Haus in Laufnähe vom Lager zu vermieten. Sie hor298

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tete dort Lebensmittel, Decken und andere wichtige Artikel, um es zu einer Zuflucht für die Sonderhäftlinge zu machen, wenn der Augenblick da war. »Das Fliegen war ihr Element, und sie war eine Pilotin von seltenem Können und Mut«, schrieb Fey über Litta. Aber mehr schrieb sie nicht. Sie schilderte nicht, was sie empfand, als Alex die Baracke verließ, um auf der anderen Seite der Mauer seine Frau zu treffen. Zumindest muss sie sich wegen der Entfremdung von Detalmo schrecklich allein gefühlt haben. Sie musste auch die Blicke und geflüsterten Spekulationen der anderen aushalten, für die ihre Affäre mit Alex, so platonisch sie sein mochte, kein Geheimnis war. Obwohl Fey aber ihre Gefühle für sich behielt – oder sich vielleicht nach den schrecklichen Nachrichten von Lenz so niedergeschlagen fühlte, dass sie sie nicht ausdrücken konnte –, tat sie etwa zur Zeit von Littas drittem Besuch etwas Außergewöhnliches: »Nur um einmal für kurze Zeit dieser Festung zu entkommen, gab ich vor, starke Zahnschmerzen zu haben, und ließ mich zum Zahnarzt bringen. Abermals verwundert sah ich die riesige Barackenstadt vor mir.« Sie sah einen Lastwagen voller Leichen vorbeifahren, doch niemand schien darauf zu achten. Es hieß, 200 – 300 Häftlinge würden jeden Tag an Typhus und Hunger sterben. Auf dem Rückweg vom Zahnarzt sah sie noch eine groteske Szene: »Häftlinge in den grauweiß gestreiften Kitteln, die von der Arbeit zurückkamen, ihr Blick verzweifelt oder schon wie leblos die Augen, statt Wangen dunkle Höhlen, die Haare wie üblich geschoren. … Sie marschierten in Viererreihen. Wenn sie zu langsam gingen, schlugen ihnen die Wachen mit dem Gewehrkolben in den Rücken. Der Gefangenenzug wurde von einer Musikkapelle angeführt, die unentwegt Marschmusik spielte. Am Ende der Strecke angelangt, stellten sich die ›Musikanten‹ am Straßenrand auf, und diese armseligen Kreaturen mußten an ihnen wie bei einer Parade vorübermarschieren. Konnte es etwas Sadistischeres geben?« Die von Lenz genährte Hoffnung auf Freilassung war verschwunden. Fast drei Wochen waren vergangen, seit er der Gruppe gesagt hatte, 299

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sie würde möglicherweise in den nächsten zehn Tagen freigelassen. »Wir warteten und warteten, aber natürlich geschah nichts«, erinnerte sich Ännerle. Fey war wenigstens von einem Brief ihrer Mutter etwas ermutigt worden: »Du beklagst Dich über den Mangel an Briefen, aber ich habe alle 14 Tage, wie erlaubt, geschrieben«, schrieb Ilse. Außer der Neuigkeit, dass Feys Bruder Hans Dieter, der nach dem 20. Juli festgenommen worden war, in Küstrin inhaftiert war, hatte sie wenig gesagt. Offensichtlich wusste sie, dass die Gestapo den Brief lesen würde. Zumindest wusste Fey aber nun ihre Mutter in Sicherheit. Jeden Tag gab es Fliegeralarm, und am Abend des 31. März verfehlte eine amerikanische Bombe den Sonderbau 15 nur um Haaresbreite. »Der Luftzug ließ die Baracke erzittern, Türen und Fenster flogen auf«, berichtete Gagi. »In unserem Zimmer einige Scherben. Der Schreck war größer als der Schaden.« Um acht Uhr am nächsten Morgen, dem Ostersonntag, versammelten sich alle in der Gasse, um das Tedeum und »Lobet den Herrn« zu singen. Später hörten sie das Grollen von Artillerie. Die US  Army stand bei Eisenach, kaum achtzig Kilometer vom Lager entfernt. Aufgeregt versammelten sie sich um das Radio. Es würde nur noch wenige Tage dauern, bis sie da waren. Mit den Russen im Osten war die Wehrmacht praktisch eingekreist. Diesmal schien es, als könne die SS sie unmöglich noch wegbringen. Als die weiblichen russischen Häftlinge mittags ihr Essen brachten, erzählten sie, die Wachen packten zusammen und bereiteten ihre Flucht vor. Sie sagten auch, die kommunistischen Gefangenen sammelten Waffen, um gegen die SS zu revoltieren. Es war klar, dass die Wachen angespannt waren; während der Artilleriedonner lauter wurde, beobachtete die Gruppe, wie sich das Benehmen der beiden Aufseherinnen im Sonderbau 15 veränderte. Beide hatten identische blonde Dauerwellen und hießen Fräulein Knocke und Fräulein Rafforth. Sie sahen in ihren SS -Uniformen lächerlich aus und gingen meist im Korridor auf und ab, wobei sie Anordnungen brüllten. Nun zeigten beide Anzeichen von Hysterie. »Fräulein Knocke hatte im Geiste ihre Uniform schon ausgezogen und bewarb sich nach Kräf300

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ten um die Sympathie der ihr anvertrauten Gefangenen«, beobachtete Isa Vermehren. »Sie bemühte sich um einen intellektuellen Anstrich und benutzte viele und häufig falsche Fremdwörter. In den acht Tagen unseres Dortseins machte sie eine ganz sichtbare Wandlung durch: die anfangs zur Schau getragene, etwas gönnerhafte Überlegenheit wich immer mehr einer wachsenden Nervosität, die in den letzten vierundzwanzig Stunden in fliegende Angst ausartete.« Fräulein Rafforth dagegen – »das Robusteste und Ordinärste, was ich je in Röcken habe herumlaufen sehen« – reagierte ganz anders. Ihr Leben drehte sich um ihre vielen SS -Liebhaber, und sie dachte fast nur darüber nach, welche Wirkung die Ankunft der Amerikaner auf ihr Liebesleben haben würde. »Sie war gutmütig und grundsätzlich harmlos, aber wie sollte man das noch als normal bezeichnen, wenn sie in völliger Nichtachtung dieser über und über mit allen Spannungen geladenen Atmosphäre aufjuchzend ihre anderthalb Zentner auf einen ächzenden Stuhl warf und laut grölend wieder und wieder die Schlagerzeile wiederholte: ›In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine.‹« Zwei SS -Männer namens Dittmann und Sippach bewachten die Prominenten in den Zellen unter den SS -Quartieren. Sippach, ein entwaffnend »angenehm wirkender junger Kerl«, wie ein Gefangener bemerkte, war berüchtigt für seine Teilnahme an Hinrichtungen im Lager. Er prahlte damit, dass er »das Erschießen und Aufhängen genoss«, und behauptete, Dutzende russische Kriegsgefangene getötet zu haben, wofür er mit Schnaps und Zigaretten belohnt worden sei. Sippach hatte mehr Angst vor der Vergeltung der russischen Gefangenen als vor den Amerikanern, wie der in Venlo gefangen genommene britische Spion Payne Best festhielt: »Er sagte mir selbst, sie würden ihn in Stücke reißen, wenn sie ihn zu fassen bekämen. Er war schon zuvor attackiert worden und trug eine hässliche Narbe am Hals, die vom Messer eines russischen Gefangenen stammte.« Dittmann dagegen wollte bleiben und bis zum Letzten kämpfen. Er war ein brutaler Mann Anfang fünfzig und begann, die Gefangenen beim Nahen der Amerikaner zu bedrohen: »Ich habe dann immer noch meine Pistole mit einem Schuss für Sie und einem für mich«, sagte er zu Payne Best. »Sie kommen hier niemals lebend raus.« 301

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Am Ostermontag, dem 2. April, erzählten die russischen Frauen eine Neuigkeit. Bei Tagesanbruch mussten sich siebzehn Gefangene, meist Verbrecher mit langen Strafen, für einen geheimen Einsatz am Tor melden. Auf Geheiß der SS sollten sie in Schichten einen 10 – 15 Meter langen mannstiefen Graben ausheben. Im Lager fürchtete man, dies deute auf Hinrichtungen hin und die SS lasse ein Massengrab für die Leichen von Häftlingen anlegen, die sie umbringen wolle. Payne Best in seiner Zelle unter den SS -Quartieren war pessimistisch. »Es war ein schrecklicher Monat«, schrieb er in sein Tagebuch. »Bezweifle sehr, dass ich je nach Hause komme. Werde wahrscheinlich mit einer Pistolenkugel hingerichtet, wenn unsere Truppen zu nah kommen. Einzige echte Hoffnung ist eine Luftlandung unserer Truppen. Die Deutschen sagen, wir wollen sie vernichten, und sehen keinen Grund, die von uns zu schonen, die in ihrer Gewalt sind.« Am Morgen des 3. April erreichten die Amerikaner das kaum zwanzig Kilometer entfernte Erfurt. Am selben Tag verdoppelte die SS die Bewachung vom Sonderbau 15 und den Zellen, wo Payne Best und die anderen sich befanden. Keiner der Gefangenen ahnte, was nun geschah. Am 3. April gegen Mittag war Fey in ihrem Zimmer, als sie draußen einen Tumult hörte. SS -Leute stürmten durch den Korridor und riefen: »Packt eure Sachen. Ihr dürft nur soviel mitnehmen, wie ihr auf den Knien halten könnt.« In einer Stunde sollten sie aufbrechen. Ihr erster Gedanke war: Wie? Dem ständigen Geschützdonner und den vielen amerikanischen Jägern am Himmel nach zu urteilen, war das Lager eingekreist. Isa Vermehren war im Gemeinschaftsraum bei den anderen, als sie dies hörten: »Lautes Wutgeheul der Sippe Stauffenberg war die Antwort und eigensinniges Kopfschütteln vom alten Thyssen, Verzweiflungsseufzer von Frau Schroeder, und bei allen zusammen entschlossener Widerstand. Fräulein Gisevius bewegte sich für mehrere Stunden vor Aufregung mehr fliegend als gehend durch die Räume, und die ganze Baracke mutete an wie ein aufgescheuchter Hühnerstall.« 302

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Alle eilten weg, um zu packen, und protestierten, eine Stunde sei nicht genug. Der Befehl, nur Handgepäck mitzunehmen, erzeugte Unwillen, und die meisten in der Gruppe, auch Fey, missachteten ihn: »Die Dinge, die wir über 1500  Kilometer weit getragen hatten, waren für uns wertvoll. Sie waren nicht bloß Dinge, sie verkörperten alles, was von uns übrig war: Fotografien unserer Familien, Kleider, die wir in glücklicheren Zeiten getragen hatten, und Objekte aller Art von persönlichem Wert … Ich hatte immer noch ein paar Sachen der Kinder, die sie zurückgelassen hatten, als sie mir in Innsbruck weggenommen wurden: Spielsachen, Socken, ihre kleinen Leibchen und ein Zeichenbuch von Corrado.« Nur weniges wurde dagelassen, und um ein Uhr lag der Gepäckberg im Korridor. Isa war verblüfft über die schiere Menge: »Angefangen bei den schweren, reichen Lederkoffern der Familie Thyssen, etwa zwölf an der Zahl, über den Stauffenbergschen Haufen riesiger Kabinenkoffer, zahllosen Handgepäcks, formloser Rucksäcke und Bündel bis zu den Kisten, Kästen und Schachteln aller übrigen.« Sie selbst machte es anders: »Mit am vernünftigsten benahmen Gisela [von Plettenberg] und ich uns: bedächtig packten wir das Unentbehrlichste in je eine kleine Handtasche, das weniger Wichtige in einen großen Koffer und das Entbehrliche in einen Pappkarton. Diesen, so beschlossen wir, wollten wir an der ersten Straßenecke und den Koffer an der zweiten fallen lassen. Von den beiden Handkoffern hingegen und meiner Ziehharmonika wollten wir uns nie trennen, und wenn wir darüber zusammenbrechen sollten.« Aus einer Stunde wurden zehn. Die SS -Leute sagten ihnen, die Verzögerung liege daran, dass es keine Fahrzeuge gebe. Das Warten zehrte an den Nerven, während die Lagersirene ständig heulte. Isa ­ärgerte sich, dass die anderen sich nur um ihr Gepäck sorgten: »Zuerst einmal trugen sie es alles hinaus und bauten es auf längs der Mauer des Eingangstores. Dann fing es an zu regnen, da trugen sie alles wieder herein. Dann meinten sie, daß es ja doch noch etwas länger dauern würde bis zur Abfahrt, und fingen an, es wieder auszupacken, umzupacken und wieder einzupacken.« Der Nachmittag verging ohne ein Zeichen der baldigen Abfahrt. 303

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Man brachte Essen in die Baracke, und es wurde weiter ausgepackt, um an Teller und Besteck zu kommen. Um acht Uhr versammelte Fey sich mit den anderen im Gemeinschaftsraum, um dem Wehrmachtsbericht zu lauschen. Alle hofften, die Amerikaner würden das Lager erreichen, bevor die SS sie wegbrachte. Die Nachrichten waren nicht ermutigend. Anscheinend leistete die Wehrmacht bei Erfurt Widerstand. Eine Stunde später kam Fräulein Knocke totenbleich herein und sagte, alles sei vorbei. Laut der BBC , die sie in der SS -Baracke gehört hatte, waren die Amerikaner keine zwanzig Kilometer mehr vom Lager entfernt. Dann eilte sie in die Wachstube. Sie war so aufgeregt, dass sie die Tür nicht schloss, und Isa sah sie ihre SS -Ausweise verbrennen und die Hoheitszeichen von der Uniform abtrennen. Sie hatte sich einen Wehrmachts-Marschbefehl besorgt und bereitete die Flucht vor. Die Sonderhäftlinge gingen gegen zehn Uhr schlafen. Alle waren in ausgelassener Stimmung, denn sie glaubten, das Lager werde am nächsten Tag von den Amerikanern befreit werden. Gegen halb zwölf wurden sie von einer Trillerpfeife geweckt. Isa kam als Erste heraus: »Der Vorraum hatte sich mit bewaffneten SS -Männern gefüllt, … von der Eingangstür bis zu den Omnibussen hinter der Mauer auf der Straße stand alle zwei Meter je ein Posten zu beiden Seiten des Weges mit der schußbereiten Maschinenpistole in den Händen. Wir wurden einzeln mit Namen aufgerufen, mußten uns dem Transportführer vorzeigen, und dann leuchtete das huschende Licht einer abgeblendeten Taschenlampe uns über die holprigen Steine zum Auto.« Drei graue Wehrmachtsbusse mit verdunkelten Fenstern warteten auf der Straße: einer für die Sippenhäftlinge, einer für die Prominenten aus den Zellen unter den SS -Quartieren und einer für den französischen Ex-Premier Léon Blum und seine Frau. Die Rücksichtslosigkeit und das Aussehen des Transportleiters machten Fey Angst: »Er war ein kalter blauäugiger Typ mit hohen Wangenknochen und schrie uns an, mit unseren Beschwerden aufzuhören und alles für die sofortige Abfahrt mitzunehmen. … Später entdeckte ich, dass dieser Mann, Obersturmführer Ernst Bader, einer 304

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berüchtigten SS -Einheit angehörte, die Hinrichtungen durchgeführt hatte. … Die beiden weiblichen SS -Angehörigen, die uns die ganze Zeit in Buchenwald bewacht hatten, waren nirgends zu sehen. Wir wurden von Baders SS -Leuten, die den starken Mann mimten, gewaltsam in drei Busse geschoben. Es war nicht mal genug Platz für die Hälfte von uns, also wurden wir in den gekrümmtesten Stellungen zwischen das Gepäck gequetscht.«

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33 Die Buskolonne fuhr mit verdunkelten Fenstern die ganze Nacht und hielt erst am nächsten Morgen. »Es war eine schreckliche Fahrt«, erinnerte sich ein Passagier, »es gab kein Licht, wir hatten nichts zu essen oder zu trinken  … keiner von uns konnte sich buchstäblich einen Zentimeter rühren, weil unsere Beine im Gepäck feststeckten und unsere Arme an den Körper gepresst waren.« Inzwischen wusste jeder, dass Obersturmführer Bader, der Transportleiter, ein Henker war. Eine der Wachen hatte es Payne Best bestätigt: »Dieser Bader gehörte zur wichtigsten Gestapo-Hinrichtungseinheit und reiste von einem Konzentrationslager zum nächsten, wie ein Kammerjäger, der Ratten ausmerzte. Wir alle erkannten, dass die Wahl eines solchen Mannes zu unserem Aufseher nichts besonders Gutes verhieß.« Bald nach Tagesanbruch hielt die Kolonne am Straßenrand. Die vorne sitzende Fey sah, dass sie auf halber Höhe eines sanft abfallenden Hügels standen: »Während dieser Pausen hätten wir dringend austreten müssen, aber man verbot es uns unter Drohungen: ›Tut euch nicht so wichtig! Wir können euch auch noch ganz anders behandeln!‹ Maria Hammerstein jedoch ließ sich nicht einschüchtern. Ihre Stimme nahm einen leicht militärischen Ton an: ›Wenn ihr mich nicht sofort aussteigen laßt, setze ich euch mitten in den Bus einen Bach.‹ Die Männer taten, als hörten sie nichts. Daraufhin zwängte sie sich energisch zwischen uns und dem Gepäck durch und warf sich mit einer solchen Wucht gegen die SS -Wachen, daß diese wankten. Da gaben sie auf. Eine Wache stieg hinter ihr aus und richtete das Gewehr auf sie, bis sie fertig war. Einer nach dem anderen durften wir nun auch austreten.« Kurz darauf hielt ein schwarzer Mercedes hinter den geparkten Bussen. Zwei Gestapobeamte stiegen aus, sprachen kurz mit Bader und ließen Josef Müller, Franz Liedig  – einen Marineoffizier mit Verbindungen zu den Verschwörern bei der Abwehr – und Ludwig 306

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Gehre holen. Die drei hatten bei der Abwehr eng mit Admiral C ­ anaris auf den Sturz Hitlers hingearbeitet. Payne Best erinnerte sich: »Der Berg von Gepäck wurde auseinandergenommen, und nach schwieriger Suche fand man ihre Taschen. Mit einem kurzen Lebwohl und ›bis später‹ stiegen die drei Männer aus … wir alle waren sicher, dass unsere Freunde in den Tod gingen und wir sie zum letzten Mal sahen. Aber das Leben geht weiter, und bald täuschten wir gute Laune vor, um unsere wahren Gefühle zu verbergen.« Er merkte auch, dass jemand ein Dorf erkannt hatte, durch das sie fuhren: »Nach kurzer Diskussion kamen wir zu dem Schluss, wir seien auf dem Weg nach Flossenbürg. Das war nicht gut, denn Flossenbürg diente vor allem zur Liquidierung unerwünschter Gefangener.« Unter den Gefangenen in Payne Bests Bus war auch Dr. Sigmund Rascher, der früher zu Hitlers persönlichem Stab gehört hatte. Bis zu seiner Verhaftung wegen Betrugs im Frühjahr 1944 hatte Rascher mit Himmlers Unterstützung medizinische Versuche an Häftlingen durchgeführt. Er hatte in Dachau mit Polygal experimentiert, einer Substanz aus Rüben- und Apfelpektin, die die Blutgerinnung unterstützen sollte. Seine Experimente sollten zeigen, ob es für die Blutstillung bei Schusswunden geeignet sei. Um die Wirkung zu testen, gab man Häftlingen eine Polygal-Tablette und schoss sie dann in den Hals oder in die Brust. Raschers Anwesenheit auf dem Transport beunruhigte die anderen, denn sie untergrub die Theorie, Himmler wolle sie am Leben lassen, um sie als Geiseln zu benutzen. Raschers SS -Karriere hatte geendet, als er beim Versuch, sich stärker bei Himmler einzuschmeicheln, behauptete, ein Mittel zur Verlängerung der Gebärfähigkeit gefunden zu haben. Er gab seine Frau als Beispiel an und schickte dem Reichsführer Fotos ihrer drei Kinder, die angeblich geboren worden waren, als sie schon über 48 war. In seinem Eifer für die Steigerung der deutschen Geburtenrate benutzte Himmler die Fotos für Propagandazwecke und fühlte sich persönlich verraten, als herauskam, dass das Ehepaar die Kinder entführt hatte. Es schien unwahrscheinlich, dass er einen Mann verschonen würde, der ihn öffentlich bloßgestellt und den er zu seinem persönlichen Feind erklärt hatte. 307

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Gegen Mittag hielt Baders Kolonne vor dem Eingang zum KZ Flossenbürg. Er ließ alle Gefangenen in den Bussen, die von den Wachen abgeschlossen wurden. Es folgte eine lange Wartezeit, während der er und seine Männer mit der Lagerleitung in der Kommandantur sprachen, einem einschüchternden Gebäude, das die Passagiere in den Bussen durchs Tor sahen. Payne Best erinnerte sich: »Als sie herauskamen, sagte einer, der freundlicher war als die anderen: ›Ihr müßt weiterfahren, sie nehmen euch hier nicht auf. Zu voll.‹ Diese Nachricht nahmen wir ganz ohne Bedauern auf, und Rascher wurde recht optimistisch und sagte uns mit der Autorität eines KZ -Experten, offensichtlich wolle man uns nicht liquidieren, denn Flossenbürg sei nie so voll, dass nicht noch Platz für ein paar Leichen sei.« Die Kolonne fuhr weiter, und Fey bemerkte, wie sich das Verhalten der Wachen veränderte: »Zu dieser Zeit waren Bader und Stiller ratlos, und die Wachen wurden nervös und gereizt wegen der Last, die wir für sie waren (wie einer sagte). Als einer der Stauffenbergs halb im Spaß vorschlug, er habe Freunde in der Gegend, die ›entzückt‹ wären, uns aufzunehmen, wurden die Wachen noch wütender. Wir dagegen lachten herzlich! Schließlich beschloss Bader, uns mangels eines geeigneten KZ ins Regensburger Gefängnis zu bringen, das gleich darüber informiert wurde.« In der Dämmerung erreichten sie die eindrucksvolle mittelalterliche Stadt an der Donau. Es hatte zu regnen begonnen, und Bader leitete die Kolonne durch die dunkler werdenden Kopfsteinpflasterstraßen und hielt ab und zu vor einem Gebäude. Vorsichtig fuhren sie durch schmale Torbögen, die unterschiedliche Stadtteile markierten, und über Plätze mit Stadtpalästen und Kirchen mit Zwillingstürmen. Nach einer Weile kamen die Gebäude ihnen bekannt vor, und es war klar, dass Bader keine Ahnung hatte, wohin er wollte. Eine der Wachen sagte, wenn sie hier keine Unterkunft für die Nacht fänden, wüssten sie nicht, was zu tun sei. Schließlich hielten sie vor dem Landesgefängnis, einem großen weißen Gebäude aus dem 16. Jahrhundert, das als einziges groß genug war, um die sechzig Gefangenen unterzubringen. Bader und seine Leute befahlen ihnen auszusteigen und führten sie durchs Eingangs308

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tor in eine große Vorhalle und eine steile Eisentreppe hinauf. Oben ging es weiter durch einen Korridor, wobei sie ihnen die Gewehrkolben in den Rücken stießen, dann schoben sie jeweils vier oder fünf Gefangene in eine kleine, schmutzige Zelle. Fey teilte eine Zelle mit den Hofackers: »Als sie begannen, die Türen abzuschließen, verlor Major Dietrich Schatz, ein junger Offizier, der seit Buchenwald bei uns war, die Beherrschung und brüllte: ›Sie haben kein Recht, uns wie Verbrecher einzusperren! Wir sind keine gewöhnlichen Gefangenen!‹ Seltsamerweise ließ Schatz’ Ausbruch die Wachen innehalten. Es folgte eine Stunde erhitzter Diskussionen, bis Untersturmführer Stiller den Gefängnisdirektor holte, einen würdevollen Mann mit Glatze und Kneifer. Der Direktor erklärte voller Ernst: ›Die Vorschriften besagen, dass die Zellentüren jederzeit verschlossen sein müssen. Es kann keine Ausnahme geben. Ich bedaure, dass diese Vorschriften ungeachtet Ihres Status’ eingehalten werden müssen!‹ Damit wurden der immer noch laut aufbegehrende Schatz und wir anderen zurück in unsere schmutzigen kleinen Zellen gedrängt und die Eisentüren fest hinter uns verriegelt.« Auf der einen Gefängnisseite überblickten die Zellen den Bahnhof. Obwohl die Alliierten die historische Innenstadt von Regensburg weitgehend verschont hatten, war der Bahnhof ein Bombenziel. »Niemals habe ich so ein Chaos gesehen«, schrieb Payne Best. »Lokomotiven und Waggons lagen auf dem Rücken, ausgebrannte Wagen standen in langen Reihen, und Gleise standen wie Drahtbündel empor.« Gegen zehn Uhr ertönte Fliegeralarm, und der gefangene SOE -Agent Falconer beobachtete den Bombenangriff: »Das Ziel war der Verschiebebahnhof, und da er vom Gefängnis nur durch eine Mauer getrennt war, und unser Zellenfenster ihn überblickte, hatten wir einen hervorragenden Blick auf ein sehr gutes Präzisionsbombardement. Unser Interesse kühlte aber stark ab, als ein großes Metallstück die Fensterscheibe zertrümmerte und an die gegenüberliegende Wand schlug.« Falconer schlug an die Zellentür und forderte, herausgelassen zu werden. Als sie sich öffnete, rannte er am Wärter vorbei und öffnete die Riegel der anderen Zellentüren. »Die Wärter, denen man gesagt hatte, 309

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sie sollten uns höflich behandeln, wussten nicht, was sie tun sollten«, erinnerte sich Payne Best. »Ich hörte einen alten Wärter zu einem anderen sagen: ›Versuch sie wieder in die Zellen zu bringen. Sie wissen wohl nicht, dass sie gehorchen müssen.‹ Ab und zu brüllte einer: ›Jeder zurück in seine Zelle!‹, aber das löste nur Gelächter und lauten Jubel aus. Dann hatte einer die schlaue Idee, Essen in die Zellen zu stellen, und nach einer Weile waren die meisten von uns wieder eingesperrt. Als aber erneut Fliegeralarm ertönte und wir in einen Schutzraum im Keller gebracht wurden, ging der Spaß von neuem los.« Am nächsten Morgen ließen die hilflosen Wärter die Zellentüren offen, »das sensationellste Ereignis in der Geschichte des Regensburger Gefängnisses!«, wie Fey vermerkte. Nun hatten auch die unterschiedlichen Gruppen aus Buchenwald zum ersten Mal Gelegenheit, einander kennenzulernen. Für Payne Best ähnelte die Atmosphäre eher einer Party als einem Morgen im Gefängnis. Bader hatte den Befehl, bis Sonnenuntergang in Regensburg zu bleiben, denn die Gefahr durch Tiefflieger war zu groß, um die Gefangenen bei Tageslicht zu transportieren. Himmlers strenges Geheimhaltungsgebot bedeutete, dass die einzelnen Gruppen einander nicht kennen, geschweige denn in Kontakt zueinander kommen durften. Zu Baders Unwillen hatte es den ganzen Nachmittag über Fliegeralarm gegeben, und er musste mit ihnen im Schutzraum unter dem Gefängnis sitzen, während sie ihre »Party« fortsetzten. Kurz vor Sonnenuntergang befahl er ihnen ungeduldig, sich reisefertig zu machen. Wenige Minuten später versammelten sie sich bei den Bussen. Die Wachen sagten, sie sollten sich wieder auf ihre alten Plätze setzen, und so setzte Fey sich nach vorne. »Wir schienen immer noch kein genaues Ziel zu haben; die Verwirrung unter den Wachen war noch größer als vorher. Eine Frau sagte, sie habe von einer Wache gehört, wir sollten ins KZ Dachau gebracht werden, um weitere Befehle abzuwarten. Anscheinend hatte Bader aber in Dachau angerufen und erfahren, dort sei kein Platz für uns.« Bei der Abfahrt von Regensburg merkten die Gefangenen, dass sie nach Osten fuhren, und das beunruhigte sie. 310

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Es begann zu regnen, und im Lauf der Nacht regnete es immer stärker. Die Straße schien völlig tot zu sein, und stundenlang passierten sie niemanden. Die Felder zu beiden Seiten waren voller Bombenkrater, und am Straßenrand lagen ausgebrannte Autowracks. Die Busse fuhren mit Holzgas, und das abwechselnde Anfahren und Aussetzen wegen der ungleichen Treibstoffzufuhr für den Motor machte Schlaf unmöglich. Ab und zu gaben die vorne Sitzenden den Standort nach hinten durch, und er wurde wie beim Stille-Post-Spiel denen erzählt, die nicht aus den verdunkelten Fenstern sehen konnten. Isa saß ganz hinten: »Diese nächtliche Fahrt … war mehr als nervtötend. Nicht nur wirkte sich das ewig sich wiederholende Aussetzen des Motors lähmend und aufreizend zugleich auf unsere Stimmung aus, sondern vor allem peinigte das Ungewisse, Dunkle, Geheimnisvolle, dieser nächtlichen Unternehmung. …, es ängstigte uns, daß das Reiseziel so nahe der tschechischen Grenze gelegen war und so weit ab von der westlichen Front, und mit dem tieferen Eindringen in die zerklüftete Unwirtlichkeit des Bayerischen Waldes steigerte sich das Gefühl der Ausgeliefertheit.« Mit der Morgendämmerung besserte sich aber die Stimmung. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, die Bäume hatten Knospen, und die Schlüsselblumen blühten. Sie folgten dem Lauf der Donau durch eine Gegend, die vom Krieg fast unberührt geblieben war. »Die angenehme Fahrt führte durch liebliches Hügelland, vorbei an ruhigen Bauernhäusern und Feldern und ab und zu einem Tannenwald«, schrieb Payne Best. Bei Deggendorf überquerten sie die Donau und fuhren hinauf in die bayerischen Hügel. »Es war die Art von Reise, für die in ruhigeren Zeiten Touristen Geld ausgaben«, bemerkte Hugh Falconer trocken. Gegen elf Uhr hielten sie vor einem Gasthof in Schönberg, einem Dorf mit großen pastellfarbenen Häusern im Wald. Bader stieg aus und ging hinein, um mit dem Wirt zu reden. Einige Minuten später kam er wieder. Die Unterkunft war noch nicht fertig, und sie mussten warten. Einige Dorfbewohner hatten sich um die Busse versammelt, meist alte Frauen in Bauerntracht, die die Gefangenen unbewegt anstarrten. Bader hatte dem Wirt erzählt, sie seien Familienangehörige 311

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von SS -Personal, und das hatte sich rasch verbreitet. »Die Wirkung war, dass die Einwohner nichts mit uns zu tun haben wollten«, erinnerte sich Ännerle. Fey erfuhr später, dass das Dorf schrecklich unter dem örtlichen Volksgerichtshof gelitten hatte, einem von Hunderten, die die Nazis etabliert hatten: »Es gab keine Berufsrichter; jeder zufällig anwesende Nazifunktionär hatte die Macht, jedermann verhaften zu lassen. Wenn jemand denunziert wurde, gab es keine Untersuchung der Beweise. Es wurde kurzer Prozess gemacht, oft mit dem Erschießungskommando. Es genügte, etwas gegen den Krieg gesagt zu haben oder mit Soldaten verwandt zu sein, die desertiert waren oder sich sogar ergeben hatten. Die meisten Leute lebten in Angst vor den Behörden und versuchten, unauffällig zu bleiben.« Das RSHA hatte befohlen, zwei Schulen im Ort für die Neuankömmlinge zu räumen, was den Unwillen der Einwohner noch steigerte. Die Schulen dienten als Feldlazarette, und den ganzen Vormittag hinkten kranke und verwundete Soldaten an den Bussen vorbei, um sich Betten im nächsten Dorf zu suchen. Wie Fey beschrieb, war das lange Warten unter den Blicken der schweigenden, feindseligen Menge unbehaglich, außerdem hatten sie seit der Abfahrt aus Regensburg nichts mehr gegessen: »Bader sagte, für unsere Verpflegung sei nichts vorbereitet worden. Das Dorf mit 700 Einwohnern hatte schon 1300 Flüchtlinge, und als der Bürgermeister hörte, es seien noch etwa 60 dazu gekommen, weigerte er sich, ihnen etwas von seinen Reserven zu geben. Die Gestapo hatte sie gebracht, die Gestapo musste sie auch ernähren. Bader sagte, er könne nichts tun, weil er keinen Treibstoff mehr habe, um Nahrungsmittel zu suchen, also müssten wir darauf verzichten.« Nach mehreren Stunden verschwand er wieder, und Ännerle und einige andere konnten mit den Dorfbewohnern sprechen: »Wir verloren keine Zeit, ihnen die Lage zu erklären und heimlich unsere Namen zu sagen, zum Beispiel Stauffenberg, Goerdeler und Lindemann.* Das Ergebnis war verblüffend! Alle Einwohner waren auf *  Lina Lindemann war die Ehefrau von General Fritz Lindemann, einem der Verschwörer des 20. Juli.

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unsere Seite und wollten uns helfen. Sie sagten, sie würden uns Essen bringen.« Die Schulen – eine Jungen- und eine Mädchenschule, die nebeneinander am Dorfplatz lagen – waren bis sieben Uhr abends geräumt. Für die sechzig Gefangenen gab es vier große Räume. Da es sehr viel mehr Männer als Frauen waren, schliefen die Sippenhäftlinge zum ersten Mal seit ihrer Festnahme im selben Raum. »Ein paar komische Szenen ereigneten sich in diesen überfüllten Räumen, wo Männer und Frauen gemeinsam schliefen«, erinnerte sich Fey. »Zum Beispiel hatten die Wachen ein kleines Becken zum Waschen in der Mitte des großen Raums aufstellen lassen. Wir verabredeten, dass die Männer auf den Flur gehen würden, wenn sich die Frauen wuschen, und umgekehrt. Das funktionierte sehr gut, aber als wir dran waren, fragte der alte Fritz Thyssen (der ›Stahlbaron‹), ob es uns etwas ausmache, wenn er dableibe, denn er könne sich nur langsam anziehen und müsse sich noch rasieren. Er versicherte uns, wegzuschauen, wenn wir Frauen nackt seien. Wir hatten aber nicht den Winkel seines Rasierspiegels bemerkt. Er hatte uns die ganze Zeit im Blick. Als wir ihm halb amüsiert vorwarfen, er sei ein alter Lustmolch, erwiderte er, er habe schon viele Frauen im ›Evaskostüm‹ gesehen und man solle alten Männern solche ›kleinen Freuden‹ erlauben. Als sei das noch nicht genug, schlich er abends zu den Betten der Frauen und machte ihnen altmodische Komplimente.« Die Dorfbewohner hielten ihr Versprechen und brachten viele Lebensmittel in die Küche, wo das Essen für die Gefangenen zubereitet wurde. Nach wenigen Tagen kam aber heraus, dass die Köchinnen die Lebensmittel für sich behielten, und man musste einen Weg finden, sie anders hineinzuschmuggeln. »Stiller und die meisten SS -Leute verschwanden bald nach unserer Ankunft«, erinnerte sich Hugh Falconer. »Das hatte den Vorteil, dass die Gestapo mit nur zwei Männern (von denen einer Wache hielt) immer nur eine Seite des Hauses beobachten konnte. Da wir Fenster auf allen vier Seiten hatten, konnten wir sie öffnen und mit jedem Passanten reden, der stehenbleiben und schwatzen wollte. Viele waren zu nervös dafür, aber einer, der jeden Morgen kam, um sich zu erkundigen, wie es uns ging, war der Bürgermeister des Dorfs.« 313

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Als der Bürgermeister merkte, dass die Lebensmittel nicht durchkamen, organisierte er eine Gruppe von Leuten, die das Essen nachts brachten. Für die fünfzehnjährige Ännerle waren das »mitternächtliche Festmähler«: »Wenn die Sonne über Schönberg unterging, ließen wir die Puppen tanzen! Jeden Abend, wenn die Wache ging, und es dunkel wurde, gingen ein paar von uns mit einem langen Seil zum Fenster, und warteten auf die hergeschmuggelten Sachen. Vor allem zum Bäcker hatten wir ein enges Verhältnis. Jeden Abend band er einen Eimer voller Brot, Butter, Äpfel und Schokolade an das Seil. Oft schickten wir den Eimer zwei- oder dreimal leer nach unten, und er füllte ihn wieder!« Allein bei einer Lieferung gab es zwanzig Laib Brot, zwei Pfund Butter, zwei lange Würste, zwei Päckchen Tabak, zwei Päckchen Zigaretten, zwei große Tüten Kekse und Süßigkeiten und ein Eimerchen Marmelade. Isa hatte die Aufgabe, den Blums etwas zu bringen, die eine Etage höher wohnten. Um die Geheimhaltung aufrecht zu erhalten, hatte Bader eine Tür auf dem Korridor anbringen lassen, die stets verschlossen war. »Diese Tür war wirklich albern, wenn man bedenkt, daß man unser Zimmer ohne Schwierigkeiten durch das Fenster mit Hilfe einer Regenrinne und eines anderen Daches ganz unbemerkt verlassen konnte und daß auch in dem Haus durch einen Lichtschacht die bequemste Begegnungs- und Bewegungsmöglichkeit zwischen unten und oben gegeben war.« Sosehr die Gruppe sich aber über Bader und sein sinnloses Festhalten an den Vorschriften lustig machte, sosehr hatte sie noch Angst vor ihm. Wenige Tage nach der Ankunft sahen sie aus einem Fenster, wie Bader und seine Leute Pastor Dietrich Bonhoeffer mit einem schwarzen Wagen wegbrachten. Später erfuhren sie, dass Bonhoeffer nach Flossenbürg gebracht worden war, wo man ihn am nächsten Tag zusammen mit Admiral Canaris und anderen Abwehrleuten hängte, die gegen Hitler gearbeitet hatten. Der Aufenthalt in Schönberg dauerte zwei Wochen. Für Fey brachte er die Zeit zurück, die sie mit Alex in der Hindenburg-Baude verlebte. Obwohl Littas Besuche sie erschüttert hatten, standen sie und 314

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Alex einander so nah wie zuvor, und sie schliefen nebeneinander in dem großen Raum, den sie mit den anderen teilten. Zum ersten Mal seit Monaten konnten sie ins Grüne gehen: »Das Wetter wurde rasch besser, und mit viel Ausdauer überzeugten wir Stiller, uns jeden Tag einen Spaziergang unter Aufsicht von zwei Wachen machen zu lassen. Natürlich durften wir den Einwohnern nicht unsere Nachnamen sagen. (Wie lächerlich, da sie offensichtlich wussten, wer wir waren!) Die Freude, frei miteinander umherwandern zu können, nachdem wir soviele lange, kalte Monate eingesperrt gewesen waren, ist kaum zu beschreiben. Es war ein berauschendes Gefühl. Der Frühling war gekommen. Die Wiesen waren voller Blumen, die Wälder voller Vögel. Für einen Moment lang schienen die Schrecken des Krieges in den Hintergrund zu treten.« Doch Fey konnte sich nicht über die Spaziergänge mit Alex freuen: »Der Gedanke an die Kinder peinigte mich immer noch; ich konnte den schrecklichen Tag in Innsbruck nicht vergessen. Ich wusste, dass meine Sorgen und meine Angst um sie nichts halfen und ich mich elender vor den anderen fühlen würde, aber ich konnte es nicht verhindern. Dass ich nichts tun konnte, machte mich nur noch aufgelöster. Man muss weitermachen, sagte ich mir immer wieder.« Obwohl Alex sein Bestes tat, um sie zu trösten, spürte sie, dass auch er aufgewühlt war. Ihre Beziehung war zwar platonisch geblieben, aber sie spürte, dass er sich gegenüber Litta schuldig fühlte. Doch sie sprachen nicht darüber, und im Lauf der Zeit trübte die Mischung aus ihrem Unglück und seiner Belastung ihr Verhältnis. Litta hatte Alex seit seiner Abfahrt aus Buchenwald nicht gesehen. Am Ostersonntag notierte Gagi: »Litta wieder über uns geflogen. … Fliegt aber nur über uns, wenn das Wetter schön ist.« Das war am nächsten Tag nicht der Fall: »Wetter sehr windig. Litta kam leider nicht.« Mehrere Tage lang blieb das Wetter schlecht, und erst am Donnerstag, den 5. April, hob Litta in Weimar, wo sie jetzt stationiert war, mit einer zweisitzigen Kunstflugmaschine ab. Der Flug nach Buchenwald dauerte nur zehn Minuten, aber inzwischen kontrollierten die Amerikaner den Luftraum, und es war extrem riskant, bei Tageslicht zu 315

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fliegen. Sie flog nicht höher als dreißig Meter, knapp über den Baumwipfeln, und kam ohne Zwischenfall ans Ziel. Wenn sie sonst über dem Lager gekreist war, hatten Leute aus dem Sonderbau  15  gewinkt, doch diesmal kam kein Lebenszeichen. Im Tiefflug über der Baracke sah sie, dass sie leer war. Ein paar Hundert Meter weiter waren Leichen an der Krematoriumsmauer aufgetürmt. Sogar aus der Luft nahm sie den durchdringenden Geruch wahr, der über dem Lager hing. Da sie nicht wusste, ob Alex doch wie seine Brüder hingerichtet oder ob er wieder abtransportiert worden war, landete sie auf einem nahen Flugfeld. Tief besorgt rief sie die Lagerleitung in Buchenwald an. Die Sekretärin sagte ihr, die Sippenhäftlinge seien weggebracht worden, verriet aber nicht, wohin. Hubertus von Papen-Koeningen, ein Freund und Fliegerkamerad, war bei ihr und erinnerte sich, wie sehr sie die Nachricht traf: »Gräfin Stauffenberg war restlos geschockt und mußte sich hinlegen.« Der überzeugte Nazigegner, der zwei Brüder an der Ostfront verloren hatte, rief dann von sich aus das Lager noch einmal an. Er gab vor, ein von Himmler persönlich unterschriebenes Dokument aus Berlin zu haben, das er dem Lagerkommandanten übergeben müsse. Es funktionierte. Er erfuhr, dass Alex am 3. April nach Straubing überstellt worden war. Am nächsten Tag bekam Litta einen Flugbefehl für einen »kriegswichtigen Sondereinsatz« – eine bemerkenswerte Leistung, denn dieser nicht näher ausgeführte Einsatz bestand darin, nach Straubing zu fliegen, um den Bruder des Mannes zu besuchen, der um ein Haar Hitler getötet hätte. Straubing erwies sich als falsche Spur, aber nachdem Litta nach Regensburg weitergeflogen war, konnte sie erneut ihren Dienstrang und ihren Charme ausspielen, um von einem Gestapobeamten den Aufenthaltsort ihres Mannes herauszubekommen. Er sagte ihr, Alex sei keine 48 Stunden zuvor aus dem Landesgefängnis geholt worden und auf dem Weg nach Schönberg. Dann gab er ihr eine Besuchserlaubnis. Der Morgen des 8. April war hell und klar, und um sieben Uhr war Litta in der Luft. Es waren nur rund 35 Kilometer nach Schönberg. Sie folgte der Bahnlinie Straubing-Passau und konnte in nur zehn 316

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Meter Höhe fliegen. Als sie durch ein kleines Dorf kam, stand ein verwundeter Soldat vor der Tür seines Hauses. Verblüfft schaute er der ungewöhnlich niedrig fliegenden Maschine nach. Wenige Sekunden später donnerte ein amerikanischer Kampfjet vorbei. Leutnant Thomas A. Norbourne von der Aufklärungseinheit des 15. Geschwaders der US Air Force, der die Gleise nach Zügen absuchte, folgte derselben Bahnstrecke. Da er Littas Maschine für einen Focke-Wulf-Jäger hielt und eine so unerwartete Gelegenheit nicht verpassen wollte, feuerte er »zwei Salven von fünf bis acht Schüssen«. Ein pensionierter Eisenbahner sah den Angriff. Littas Flugzeug schmierte nach links ab und stürzte dann in ein Feld. Es gab kein Explosionsgeräusch und keinen Rauch. Der Eisenbahner fuhr mit dem Rad zur Absturzstelle und traf unterwegs auf einen französischen Kriegsgefangenen, der in der Nähe arbeitete. Die beiden Männer waren als Erste am Absturzort. Zu ihrer großen Überraschung sahen sie eine elegante Frau Anfang vierzig auf dem Pilotensitz. Wegen ihrer Gelassenheit hielten sie sie nicht für schwer verletzt. »Sie sagte nur: ›Bitte helfen Sie mir‹«, berichtete der Eisenbahner. Ein Bein schien gebrochen zu sein, und der andere Fuß wirkte »unnatürlich verdreht«. Kurz darauf kamen Soldaten, und ein Luftwaffenarzt untersuchte Litta. Ein Krankenwagen brachte sie ins Hospital eines nahe gelegenen Flugplatzes, wo sie wenige Stunden später starb. Als Todesursache wurde auf dem Totenschein ein Schädelbasisbruch angegeben. Seltsamerweise wurden bei ihren Sachen viel Geld und Wertgegenstände gefunden. Ihre Schwester Jutta spekulierte, der Flug nach Schönberg im Zweisitzer sei ein »kühne[r] Rettungsversuch« für Alex gewesen, »der schon lange geplant war und zu dem es nun höchste Zeit schien.« Dass sie beabsichtigt hatte, mit ihm zu den Alliierten zu fliegen, um ein neues Leben im Westen anzufangen, schien sich durch das »unverhältnismäßig viele« Geld bei ihr zu bestätigen. Die Nachricht von Littas Tod erreichte Alex erst vier Tage später. Fey war in diesem Moment bei ihm in Schönberg: »Stiller rief Alex nach draußen, um ihm die traurige Botschaft zu übermitteln. Als er wieder 317

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hereinkam, war er kreidebleich. Er hatte seine Frau sehr geliebt. Seine Beherrschung war bewundernswert. Der Tod seiner Frau, die Hinrichtung seiner beiden Brüder, die Zerstörung seines Hauses durch einen Bombenangriff, bei dem auch seine ganze, so sorgfältig über Jahre zusammengestellte Bibliothek verbrannte – das alles hatte seine ganze Vergangenheit ausgelöscht. Wir versuchten wohl, ihn zu trösten, aber wie mag er sich in diesem Augenblick unter so vielen Menschen gefühlt haben! Andererseits wollte er nicht allein sein, er bat Elisabeth und mich, uns zu ihm zu setzen. Unsere Freundschaft half ihm vielleicht doch auch in diesem Moment etwas.« * Gerüchte über eine bevorstehende deutsche Kapitulation bestimmten die letzten Tage in Schönberg. Im Osten war Wien an die Sowjets gefallen, im Westen hatten die Amerikaner Köln erobert. Chaotische Kolonnen sich zurückziehender Soldaten strömten durch das abgelegene Dorf, direkt unter den Schulfenstern vorbei. Obwohl die Sondergefangenen das Ende des Krieges herbeisehnten, waren die Soldaten doch Deutsche, und die Szenen waren erschütternd, wie Isa festhielt: »Ungeordnete Haufen von Soldaten in verdreckten und zerschlissenen Uniformen kamen über die Landstraße, müde Pferde zerrten schwere Wagen mit zerrissenen Planen den Berg herauf, klappernde, vernachlässigte Lastkraftwagen fuhren das unwahrscheinlichste Gepäck über den Markt: neben Maschinengewehren und Gasmasken lagen Matratzen und Bettgestelle, neben Benzinkanistern und Munitionskisten standen Wäschekörbe und Vogelbauer. Um so aufreizender wirkte daneben die unverändert sichere Haltung unseres Transportführers, der ganz durchdrungen schien vom Ewigkeitsbewußtsein seiner Macht.« Solche Leute »schritten durch das Heute, als wäre es zugleich auch das Gestern und das Morgen, entzogen schienen sie dem Ablauf der Zeit, dem Eindruck der sie umgebenden Wirklichkeit, dem Zugriff der Wahrheit – der Mann im Mond könnte einem nicht fremder sein.« Beim Anblick der besiegten Armee machte Ännerle sich Sorgen über ihre jüngeren Geschwister in Bad Sachsa: »Die Angst um die 318

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Kleinen wuchs. Wo waren sie? Im Harz war viel gekämpft worden, und wir machten uns Sorgen, dass ihnen etwas geschehen war.« Gagi erkannte, dass sie es ohne Litta wohl nicht erfahren würden: »Armer Alex und damit auch keine Nachrichtenmöglichkeit über die Kinder in Bad Sachsa«, schrieb sie in der Nacht, als Litta ums Leben kam. Am 15. April holte die SS die Gefangenen aus der unteren Etage. Das war die Gruppe von Payne Best, die unter den SS -Quartieren in Buchenwald inhaftiert gewesen war. Fey erfuhr von Oberscharführer Bader, sie sei nach Flossenbürg gebracht worden, wo man Bonhoeffer und andere Verschwörer des 20. Juli hingerichtet hatte: »Ihre Abholung war entmutigend. Wir Gefangenen erwarteten, sie nie mehr zu sehen, und glaubten, die nächsten zu sein. Inmitten des ganzen Chaos schien es zweifelhaft, dass jemand in Berlin uns immer noch als wertvoll betrachtete. Am wahrscheinlichsten war, dass auch wir nach Flossenbürg kommen würden.« Am nächsten Tag kam der vertraute Befehl, die Sachen zu packen und in einer Stunde zur Abfahrt bereit zu sein. Diesmal ging es schnell. Während die Gruppe die bereitstehenden Busse bestieg, sah sie mit Erstaunen, dass trotz vieler SS -Wachen die meisten Dorfbewohner gekommen waren, um Lebwohl zu sagen. Sie standen schweigend in den Türen ihrer Häuser oder schauten aus den Fenstern. Ännerle war vom Mut der Zahnarztfrau beeindruckt, die unter dem Vorwand, noch Geld von ihnen zu bekommen, herüberkam und ihnen Essen für die Reise gab. Als sie Schönberg verließen, war es schon dunkel. Der einzige Trost war, dass sie nicht in Richtung Flossenbürg fuhren. Sie erreichten zuerst Landshut und bei Tagesanbruch München. Wenige Stunden zuvor war die Stadt von amerikanischen Maschinen heftig bombardiert worden, und fast alles brannte. Gagi notierte ihre Eindrücke: »Überall Kolonnen aufgelöster Truppenteile, ein trauriges Bild, Flüchtlinge auf der Straße. Landshut brennt. Andauernd Alarm – viel Stehen und langsames Fahren mit abgeblendetem Licht. Überall der Himmel rot von Bränden.« Fey konnte kaum ihren Augen trauen, als sie München erreichten. Das Haus ihrer Mutter in Ebenhausen lag kaum zwanzig Kilometer 319

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südlich, und sie kannte die Stadt gut. Bei der Fahrt durch die ruinengesäumten Straßen überfielen sie Kindheitserinnerungen an Einkaufstouren mit ihren Eltern und Kaffeebesuche, die ein besonderes Erlebnis gewesen waren: »Von weitem schien alles intakt, schienen alle Gebäude noch zu stehen. Aber je näher wir kamen, desto deutlicher sahen wir: nur noch Mauern und Fassaden, dahinter gähnende Leere, einige Menschen streiften umher, Autos gab es keine mehr. München war zu einer von tiefem Schweigen beherrschten Geisterstadt geworden.« Beim Verlassen der Stadt fühlte sie sich zerrissen: »Kaum 20 Kilometer war ich von Mutti und Almuth entfernt. Ich hätte Ebenhausen ja zu Fuß erreichen können – aber mir fehlte der Mut. Die Haftzeit hatte mich bereits passiv und ängstlich gemacht, ich wollte unter keinen Umständen alleine sein.« Wenig später bogen die Busse von der Hauptstraße ab. Auf einem Wegweiser stand »Dachau 7 km«.

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34 Gegen Mittag hielt der Bus an einem Seiteneingang des Lagers. Das vier Meter hohe Doppeltor aus solidem Eichenholz, war geschlossen. Bader sprang aus dem Bus und verschwand. Vorher befahl er den Wachen, die Gefangenen einzusperren; auf keinen Fall dürften sie den Bus vor seiner Rückkehr verlassen. Es war warm und schwül, und Staubwolken von vorbeifahrenden Militärfahrzeugen wehten durch die offenen Fenster herein. Zu beiden Seiten der Straßen verliefen hohe Mauern; der große Bronzeadler über dem Tor verstärkte das Gefühl des Eingesperrtseins. In den Klauen hielt er ein Hakenkreuz, und die Spannweite seiner Schwingen war fast so breit wie das Tor. Alle Gefangenen im Bus hatten bei dem Wort »Dachau« ein beklemmendes Gefühl. Es war das älteste und berüchtigtste KZ in Deutschland. Himmler, damals Kommandeur der Politischen Polizei in Bayern, hatte es 1933 offiziell als »erstes Konzentrationslager für politische Gefangene« eröffnet. Im ersten Jahr waren etwa 5000 Personen, vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftler inhaftiert worden. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurden über 10 000 jüdische Männer dort interniert. Fey erinnerte sich, dass ihr Vater von Freunden und Kollegen gesprochen hatte, die als Juden oder Regimegegner aus Dachau »verschwunden« waren. Auch andere in der Gruppe kannten solche Menschen. Nach Feys Worten waren alle von Angst erfüllt: »Die Luft wurde immer heißer und stickiger. Als die Minuten und Stunden vergingen, wurden die Menschen nervös und gereizt. Schlimmer noch, weil wir nicht aussteigen konnten, mussten sich einige von uns an ihrem Platz erleichtern. Ich saß neben einem dieser unglücklichen Opfer!« Kurz vor drei  – fast drei Stunden nach der Ankunft  – erschien Bader mit einem weiteren SS -Mann. Sie befahlen, alle sollten ihre Taschen umpacken und nur das Nötigste behalten, dann gingen sie wieder, kamen aber wenige Minuten später zurück und widerriefen die 321

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Fey mit ihrer Mutter Ilse von Hassell und Detalmo in Ebenhausen, Juni 1943

Detalmo und Corrado im Garten von Brazzà. Kurz nach Entstehen dieses Fotos wurde Detalmo zum Kriegsgefangenenlager in Mortara versetzt.

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Das Hotel Campo Imperatore, aus dem Mussolini am 12. September 1943 durch ein deutsches Kommandounternehmen befreit wurde.

Cora di Brazzà Slocomb, um 1890

Leutnant Hans Kretschmann mit Corrado in Brazzà, 1942

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Corrado mit den Luftwaffenoffizieren in Brazzà, 1943

Die „13 Märtyrer von Feletto Umberto“, Premariacco, 29. Mai 1944

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Der verwüstete Kartenraum in der Wolfsschanze, 20. Juli 1944

Claus von Stauffenberg

Ulrich von Hassell vor dem Volksgerichtshof, September 1944

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Captain Sigismund Payne Best

Melitta von ­Stauffenberg

Alexander von ­Stauffenberg

Bombenschäden in München

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Die Befreiung von Buchenwald, April 1945

Das Hotel Pragser Wildsee

Der Blick aus einem der Hotelzimmer

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Eines der Suchplakate, die Fey und Detalmo im Sommer 1945 verschickten

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Ewald Foth (Zweiter von rechts) beim Stutthof-Prozess in Gdańsk, ­Januar 1947

Himmlers Leiche kurz nach seinem Selbstmord durch Blausäurevergiftung, fotografiert von einem britischen Armee­ angehörigen

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Anweisung. Dieses Spielchen dauerte mehrere Stunden und ärgerte Isa Vermehren maßlos: »Beide Männer kamen wohl drei- oder viermal zu uns während des Tages und brachten stets neue Befehle mit, und im Augenblick, wo wir uns anschickten, dem Befehl Rechnung zu tragen, verließen sie uns wieder mit der Bemerkung, sie wollten nur noch mal sehen und kämen dann gleich wieder; wenn sie dann nach zwei Stunden zurückkamen, widerriefen sie alles zugunsten neuer Anordnungen. Sie gaben auch zu, daß alles drunter und drüber gehe, daß man gar nicht so recht mehr durchfinden könne, daß alles etwas schwierig sei, aber die Weise, wie sie das sagten und dabei gönnerhaft lächelten, war so unverschämt und ohrfeigenhaft, daß es mühsam war, sich zu beherrschen.« Nach weiteren zwei bis drei Stunden durften sie endlich aussteigen, wurden durchs Tor geführt und sollten dann vor einem großen Backsteingebäude warten. Fey sah, »dass sich hinter dem Gebäude eine Stadt aus Häusern, Baracken und Straßen erstreckte, so weit das Auge reichte. Obwohl es erst Mitte April war, stach die Nachmittagssonne erbarmungslos nieder.« Nach einer Stunde Warten erschien ein SS -Offizier und befahl den männlichen Gefangenen, sich an der Wand des Gebäudes aufzustellen. Nachdem er sie in Augenschein genommen hatte, brüllte er, sie sollten ihm folgen. Man brauchte Rekruten für den Volkssturm – Himmlers letztes Aufgebot aus Jungen und alten Männern –, und sie sollten sich einer lokalen Einheit anschließen. »Wir Frauen bekamen es mit der Angst zu tun, viele begannen aus Verzweiflung zu weinen«, schrieb Fey, »wir befürchteten nämlich, daß es sich nur um einen Vorwand handelte und daß sie in letzter Minute unsere Männer erschießen würden.« Die SS ließ die Frauen noch drei Stunden vor dem Gebäude stehen. Es war schon dunkel, als etwa zehn Stunden nach der Ankunft der Lagerkommandant Obersturmbannführer Eduard Weiter erschien. Er entschuldigte sich und erklärte, man habe nicht vor, Männer und Frauen zu trennen, alles sei ein bedauerliches Missverständnis gewesen. Der 55 Jahre alte Weiter leitete das KZ Dachau seit 1943.

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Zehntausende waren in dieser Zeit gestorben.* Doch nun stand er hier und entschuldigte sich. Es tue ihm sehr leid, dass sie so lange warten mussten, aber Dachau sei überfüllt, und es sei sehr schwierig gewesen, eine angemessene Unterkunft für so bedeutende Gäste zu finden. Er habe sein Bestes getan, aber trotzdem sei das Quartier, zu dem man sie bringen würde, weit schlechter, als sie es verdienten, und er hoffe, sie würden die Unzulänglichkeiten entschuldigen. Er schlug die Hacken zusammen, verbeugte sich und fügte dann hinzu, sie würden ihre Männer in der Baracke finden. Fey und die anderen kletterten zurück in den Bus. Die Baracke lag außerhalb des Hauptlagers, und sie fuhren ein kurzes Stück auf der »Straße der SS «, der vierspurigen Zufahrt. Im Dunkeln konnten die Frauen nicht die Blumen und die prächtigen Villen neben der Straße sehen, doch als die Amerikaner zehn Tage später das KZ befreiten, fuhr ein Oberstleutnant der 7. US -Armee auf derselben Straße: »Nach der eindrucksvollen Wuchtigkeit der grauen Kommandantur und der Kasernen, des gepflegten Rasens, der hohen Mauern und schwarzen Gittertore hätte man meinen können, auf ein Internat für reiche Mädchen im Vorort einer unserer Großstädte zuzufahren«, schrieb er. »Alles war so sauber, ordentlich und gepflegt.« Die »Begrüßungsrede« hatte der Lagerkommandant in den letzten Tagen schon öfter gehalten. Nach Monaten des Manövrierens, der gefährlichen Reisen in der Nähe der vorrückenden alliierten Armeen mit großen SS -Eskorten, hatte Himmler seine Prominenten an einem Ort zusammengezogen. Während Europa die letzten Kriegswochen durchlitt, war Obersturmbannführer Weiter nun der Wächter über 137 Männer, Frauen und Kinder, die der Reichsführer SS als Tauschobjekte bei künftigen Verhandlungen mit den Westalliierten benutzen wollte. *  Wie viele Menschen insgesamt in Dachau starben, ist unbekannt. Beim amerikanischen Militärtribunal im Lager im November 1945 erklärte die Anklage, 161 939 Gefangene seien zwischen 1940 und 1945 im Lager registriert worden und über 25 000 von ihnen gestorben. Laut einem offiziellen Bericht fielen 14 700 dieser Todesfälle in den Zeitraum von Januar bis April 1945.

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Der Bus mit den Sippenhäftlingen war der letzte, der in Dachau eintraf. Vom 8. bis zum 17. April – dem Tag ihres Eintreffens – waren über vierzig Sondergefangene aus Flossenbürg, Sachsenhausen und anderen Lagern in ganz Deutschland hergebracht worden. Sie wurden in streng bewachten Gebäuden im Hauptlager untergebracht, wo die 35 000 Dachauer Häftlinge sie nicht sehen konnten. Die Neuankömmlinge trafen auf andere Prominente, von denen viele schon monatelang dort waren. In einer Baracke lebten Mitglieder des Hauses Wittelsbach, das zwei deutsche Kaiser und bis 1918 die bayerischen Könige gestellt hatte. Eine andere beherbergte Prinz Xavier de Bourbon, den spanischen Thronanwärter. Die Gestapo hatte ihn in Frankreich verhaftet, als sie seine Verbindungen zu Widerstandsführern aufdeckte, und nach achtzehn Monaten Einzelhaft im Dachauer Hungerbunker wog er keine vierzig Kilo mehr. Prinz Leopold von Preußen, ein Cousin des letzten deutschen Kaisers, war ebenso hart behandelt worden. Der Spross einer der reichsten Familien Europas war verhaftet worden, nachdem die Diener in seinem Schloss ihn bei der Gestapo als Homosexuellen denunzierten. Bei der Ankunft in Dachau im September 1944 hatte man ihn zum Latrinenreinigen eingesetzt, und er war fast an Diphterie gestorben. Nach seiner Genesung steckte der Lagerkommandant ihn als Putzer und Laufburschen für die Prostituierten ins Lagerbordell. Auf Befehl des Reichssicherheitshauptamts in Berlin hatte Weiter das Bordell Anfang April geschlossen, um Raum für die Neuankömmlinge zu schaffen. Viele aus dieser bemerkenswerten Ansammlung von mutigen Menschen waren in ihren Heimatländern berühmt. Unter ihnen waren Geistliche, Widerstandsführer, hochrangige Militärs, ehemalige Minister, Journalisten, hohe Beamte und Wissenschaftler aus ganz Europa. Zu den bekanntesten gehörten Monsignore Gabriel Piguet, der Bischof von Clermont-Ferrand, der im Vichy-Frankreich verhaftet worden war, weil er Juden und regimefeindlichen Priestern Unterschlupf gewährte; der griechische Oberbefehlshaber Feldmarschall Alexandros Papagos; der italienische Partisanenführer General Sante Garibaldi, ein Enkel des berühmten Politikers und Freiheitshelden; der Kunstschreiner Georg Elser, der 1939 ein Attentat auf 332

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Hitler und andere NS -Führer in München verübte; Pastor Martin Niemöller, der sich gegen die Kontrolle der evangelischen Kirche durch die Nazis aufgelehnt hatte; der frühere ungarische Premierminister Niko­laus von Kallay; der französische Ex-Premier Léon Blum; und Kurt Schuschnigg, der österreichische Kanzler zur Zeit des Anschlusses. Dazu kam ein nicht geringes britisches Kontingent. Mit Ausnahme von Hauptmann Payne Best, der als Spion in Venlo festgenommen worden war, waren die vierzehn Männer Kriegsgefangene. Zwei davon trugen den Namen Churchill: Oberstleutnant Jack Churchill, der bei einer Kommandoaktion in Jugoslawien gefangen genommen worden war, und der SOE -Offizier Peter Churchill, der bei Kriegsbeginn vier Geheimmissionen in Frankreich geleitet hatte, für die er mehrere Orden bekam. Himmler glaubte zu Unrecht, die beiden Männer seien mit Winston Churchill verwandt. Drei der britischen Kriegsgefangenen waren nach dem Massenausbruch aus Stalag Luft  III im März 1944 – dem Vorbild für den Film Gesprengte Ketten – aus unerfindlichen Gründen nicht wie die anderen von der SS erschossen worden.* Es waren Staffelkommandant »Wings« Day und die Leutnants Sydney Dowse und »Jimmy« James. In der Nacht des 23. September 1944 war es den dreien gelungen, durch einen Tunnel aus dem KZ Sachsenhausen zu entkommen, aber sie waren am nächsten Tag wieder gefangen worden. Es gab auch polnische, ungarische und sowjetische Kriegsgefangene, darunter mehrere Generäle der Roten Armee, sowie Wassilij Kokorin, den Neffen von Außenminister Wjatscheslaw Molotow. Was Himmler eigentlich von den Alliierten im Austausch gegen diese 137 Gefangenen erreichen wollte, ist unmöglich zu sagen. Nur wenige Dokumente über die Prominenten haben den Krieg überdauert. Es gibt aber Informationsfragmente, die wenigstens Spekulationen über *  76 Männer entkamen am 25. März 1944 aus dem Lager. 73 wurden wieder gefangen, die meisten nach wenigen Tagen. Auf persönlichen Befehl Hitlers wurden fünfzig von ihnen erschossen.

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Himmlers Absichten nach dem 17. April erlauben, als die Sippenhäftlinge in Dachau eintrafen. Zahlreiche Quellen  – Telegramme des amerikanischen Geheimdienstes und der britischen Regierung, abgehörte deutsche Funksprüche und Gespräche der Gefangenen mit ihren Bewachern – deuten an, dass Himmler ursprünglich plante, die Prominenten gegen sein eigenes Leben einzutauschen; möglicherweise wollte er sie sogar als menschliche Schutzschilde benutzen. Damit dies möglich war, musste er während des amerikanischen Vormarsches auf Dachau bis zum letzten Moment die Kontrolle über sie behalten. Himmlers oberste Priorität war es also, die Gefangnen an einen sicheren, für die Alliierten unerreichbaren Ort zu bringen. Am geeignetsten dafür waren die österreichischen Alpen. Am 17. April war klar, dass der Krieg für Deutschland vorbei war. In Berlin, 560 Kilometer nördlich von Dachau, hatte Hitler seinen Bunker unter der Reichskanzlei seit drei Monaten nicht mehr verlassen. Am Tag zuvor hatten 2,5 Millionen sowjetische Soldaten mit 6150 Panzern und 42 000 Geschützen von Süden und Osten den Angriff auf die Hauptstadt begonnen. Im Westen war eine Stadt nach der anderen von britischen und amerikanischen Truppen erobert worden. Berlin war nahezu eingeschlossen. Schon jetzt berichteten Agenten des amerikanischen OSS , dass hohe Nazis in Alpenverstecke flüchteten. In dieser Woche schickte Fred Mayer, der im Februar mit der dreiköpfigen Operation G ­ reenup über Österreich mit dem Fallschirm abgesprungen war, eine ­verschlüsselte Botschaft an das OSS -Büro im süditalienischen Bari: ZWEI SONDERZÜGE MIT MITARBEITERN DER HÖCHS­ TEN REICHSFÜHRUNG HABEN BERLIN AM 14. APRIL VER­ LASSEN. PASSAGIERE JETZT IM GEBIET IMSTERBERG. 18  MITGLIEDER DES INNENMINISTERIUMS IM HOTEL POST. UNTERSTAATSSEKRETÄR VON BURGSDORFF IN GARMISCH-PARTENKIRCHEN.

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Wenige Tage später telegrafierte Mayer, dass auch Himmler in der Gegend sei: HIMMLER IN DER NACHT VOM 17. MIT STAB IN IGLS BEI INNSBRUCK IM HOTEL GRUENWALDER HOF EIN­ GETROFFEN. DREI SS-DIVISIONEN ERWARTET, DAVON BIS JETZT ERST EIN REGIMENT DER LEIBSTANDARTE * DORT, SEINE KOMPANIE  A VERHAFTET ALLE POTENZIELL GE­ FÄHRLICHEN POLITISCHEN. QUELLE KRIPO.

Der Grünwalder Hof in einem abgelegenen Tal nahe dem Brenner gehörte der Fürstenfamilie Thurn und Taxis. Dass Himmler das Luxushotel als Versteck für sich und vielleicht auch für die Prominenten ausgewählt hatte, wird durch eine Reihe von Funksprüchen des RSHA belegt, die Lothar Rohde, ein Häftling in Dachau, abfing. Rohde war ein brillanter junger Elektroingenieur, der wegen des Hörens von Feindsendern verhaftet worden war. Nach brutalem Verhör und der Drohung, hingerichtet zu werden, behauptete er, er stünde kurz davor, die Zündung alliierter Flugzeuge mit einem Funkstrahl sabotieren zu können. Als Hitler davon hörte, befahl er, den Ingenieur zu verschonen, weil er darauf hoffte, ein »Wunderstrahl« werde die Luftangriffe auf Deutschland beenden. Der Führer befahl auch, Rohde solle eine besondere Einrichtung in Dachau bekommen, um seine Waffe zu entwickeln. Er saß mit anderen Prominenten im Kommandanturarrest, der Gefangenen unter direkter Kontrolle von Lagerkommandant Weiter vorbehalten war, und hatte einen eigenen Raum mit neuester Funkausrüstung. Seine »Forschung« war der perfekte Deckmantel. Da es niemanden wunderte, dass er den Tag mit Kopfhörern auf den Ohren verbrachte, konnte er hören, was er wollte, ohne Entdeckung fürchten zu müssen. Statt an seinem Projekt zu arbeiteten, lauschte er BBC -Sendungen und hörte Funksprüche zwischen Gestapo- und Wehrmachtsstellen *  Die 1. SS -Panzerdivision »Leibstandarte Adolf Hitler« war eine Eliteeinheit der Waffen-SS und anfangs für Hitlers Sicherheit zuständig.

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in der Umgebung und zwischen den Kommandeuren britischer und amerikanischer Flugstaffeln über dem Lager ab. Am Morgen des 17. April fing Rohde eine Reihe von Funksprüchen der Gestapo auf, nach denen er und andere Prominente in die Alpenfestung gebracht werden sollten, Hitlers Zufluchtsort in den Bergen. Payne Best saß wie Rohde im Kommandanturarrest: »Stunde um Stunde brachte Rohde uns Nachrichten, wir sollten in die Schweiz gebracht und dem Internationalen Roten Kreuz übergeben werden, wir sollten in ein Schloss am Bodensee kommen und schließlich, wir sollten über den Brenner nach Italien gebracht werden.« Der Grünwalder Hof, wo Himmler an diesem Abend eintraf, war nur wenige Kilometer vom Brenner entfernt. Obwohl die Funksprüche den Reichsführer SS nicht explizit nannten, enthüllte Rohdes Abhörarbeit, dass die Prominenten »Geiseln waren, deren Leben gegen die von Nazigrößen eingetauscht werden konnten.« Wegen einer Planänderung in letzter Minute, deren Grund unklar ist, wurde keiner der Prominenten an diesem Tag weggebracht. Payne Best erfuhr von einem Wächter, sie sollten in Dachau bleiben, bis eine »andere Unterkunft« gefunden sei. Himmlers Absicht, sie wegzubringen, erklärt aber vielleicht, warum die Sippenhäftlinge zunächst so lange vor dem Lager warten mussten. Was immer der Grund für die Planänderung war, eine Botschaft von OSS -Agent Mayer an das Alliierte Militärhauptquartier kurz nach seiner Meldung, Himmler halte sich im Grünwalder Hof auf, widerlegte dessen Nutzung als Versteck. Damit die US Air Force das Hotel bombardieren konnte, schickte Mayer den genauen Standort dank der Informationen, die er von einem Wehrmachtsdeserteur erhalten hatte. Ungewöhnlicherweise hatte man nahe dem abgelegenen Hotel einen Luftschutzbunker gebaut: GRUENWALDER HOF LIEGT ETWA 3 KM VON IGLS AN DER STRASSE NACH PATSCH  … LUFTSCHUTZBUNKER DES HOTELS IN DEN FELSEN AUF DER OSTSEITE DER STRASSE NACH PATSCH ETWA ZEHN METER ÜBER HOTEL. EINGANG DIREKT VON DER STRASSE. BESITZER HEISST ­A RNOLD.

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Als das Alliierte Hauptquartier Mayers Botschaft am 18. April um 14 Uhr erhielt, war Himmler fort. Über einen Monat lang war der Reichsführer  SS schon unterwegs und blieb selten länger als eine Nacht an einem Ort. Während das »Dritte Reich« um ihn herum zusammenbrach, hatte er seine Energie darauf verwandt, für seine persönliche Sicherheit zu sorgen. Um Verhandlungen mit den Alliierten vorzubereiten, hatte er sich hinter Hitlers Rücken mit Vertretern des Jüdischen Weltkongresses und des Roten Kreuzes getroffen. Bei diesen Treffen wollte Himmler sein Bild bei den Alliierten verändern. Da er wusste, dass der Abscheu vor dem Holocaust, der vor allem mit seinem Namen verbunden war, die Alliierten davon abhalten würde, ihn als glaubwürdigen Verhandlungspartner zu akzeptieren, bestand seine Strategie darin, sich als glaubwürdig zu präsentieren. Er wollte sie überzeugen, dass er humanitär und versöhnlich eingestellt sei und vor allem das Leiden der Juden und anderer Häftlinge in den Konzentrationslagern erleichtern wolle. Obwohl er die Ermordung von fast sechs Millionen Juden und vieler weiterer Opfer durch ein systematisches Programm ethnischer und politischer Säuberung geleitet hatte, glaubte er seltsamerweise, ein paar Gesten des guten Willens würden ausreichen. Aus diesem Grund informierte er Mitte März über seinen Masseur und Leibarzt Felix Kersten das schwedische Außenministerium, man werde die Konzentrationslager beim Anmarsch der Alliierten nicht sprengen. Außerdem versprach er, die Morde in den Lagern würden aufhören und die Insassen übergeben, nicht evakuiert werden. Gleichzeitig arrangierte er ein Treffen mit Graf Bernadotte, dem Vizepräsidenten des schwedischen Roten Kreuzes, um über die Freilassung von 10 000 jüdischen Häftlingen zu verhandeln. Die Schamlosigkeit von Himmlers Brief an Kersten, in dem er ihn darüber informierte, man habe 2700 jüdische Männer, Frauen und Kinder in die Schweiz gebracht, ist atemberaubend: »Es ist dies praktisch die Fortsetzung des Weges gewesen, den meine Mitarbeiter und ich lange Jahre hindurch konsequent verfolgten, bis der Krieg und 337

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die mit ihm einsetzende Unvernunft in der Welt seine Durchführung unmöglich machten. Sie wissen ja, dass ich in den Jahren 1936, 37, 38, 39 und 40 zusammen mit jüdischen amerikanischen Vereinigungen eine Auswandererorganisation ins Leben gerufen habe, die sehr segensreich gewirkt hat. Die Fahrt der beiden Züge in die Schweiz ist die trotz aller Schwierigkeiten bewusst vorgenommene Wiederaufnahme dieses segensreichen Verfahrens.« Anfang April traf sich Himmler ein zweites Mal mit Graf Bernadotte. Eine Woche später schickte Sir Victor Mallet, der britische Botschafter in Schweden, ein streng geheimes Telegramm ans Londoner Außenministerium, das das Gespräch zusammenfasste: HEUTE BERICHTETE GRAF BERNADOTTE MIR STRENG VERTRAULICH ÜBER SEIN VIERSTÜNDIGES GESPRÄCH MIT HIMMLER IN BERLIN VON LETZTER WOCHE: IM GEGENSATZ ZU BERNADOTTES GESPRÄCH MIT IHM VOR DREI WOCHEN GAB HIMMLER DIESMAL ZU, DASS ALLES VORBEI SEI. BERNADOTTE SCHLUG VOR, DER RICH­ TIGE WEG SEI DIE SOFORTIGE KAPITULATION, DIE ZAHL­ LOSE LEBEN RETTEN WERDE. HIMMLER ANTWORTETE, DAS WÜRDE ER BEGRÜSSEN, ABER HITLER LEHNE ES AB UND ER FÜHLE SICH DURCH SEINEN TREUEEID AN HITLER GEBUNDEN. BERNADOTTE ÄUSSERTE, SEINE TREUE ZUM DEUTSCHEN VOLK SEI WICHTIGER, ABER HIMMLER ER­ WIDERTE, ER VERDANKE ALLES DEM FÜHRER UND KÖNNE IHN NICHT AM ENDE VERLASSEN. HIMMLER WIRKTE KEINESWEGS NERVÖS, SONDERN VERNÜNFTIG UND IM BESITZ SEINER ENERGIE UND ORGANISATIONSFÄHIGKEIT. ER HATTE SOGAR ZEIT, SICH FÜR EIN BUCH MIT RUNEN­ INSCHRIFTEN ZU INTERESSIEREN, DIE ANSCHEINEND IMMER SEIN HOBBY WAREN. HIMMLER BEMERKTE, ER WISSE, DASS ER DIE NUMMER 1  AUF UNSERER LISTE DER KRIEGSVERBRECHER SEI. BERNADOTTE ANTWORTETE, ES SEI NUR NATÜRLICH, DASS ER ALS KRIEGSVERBRECHER ANGESEHEN WERDE, DENN ER SEI CHEF DER GESTAPO,

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DEREN ABSTOSSENDE GRAUSAMKEITEN BEWIESEN SEIEN. ICH FRAGTE BERNADOTTE, OB ER HIMMLER FÜR EINEN SADISTEN HALTE, UND BERNADOTTE SAGTE, ZU SEINER ÜBERRASCHUNG SEI DAS NICHT DER FALL. HIMMLER SELBST SAGTE IHM, ER WISSE, DASS MAN IHN AUSSERHALB DEUTSCHLANDS FÜR BRUTAL HALTE, ABER IN WIRKLICH­ KEIT LEHNE ER GRAUSAMKEIT AB UND MAN HABE IHN IM AUSLAND GANZ FALSCH DARGESTELLT …

Der hohe Beamte im Außenministerium, der das Telegramm erhielt, kritzelte darunter: »Ich halte das für dummes Zeug, Bernadotte ist hereingelegt worden.« Zehn Tage nach dem zweiten Gespräch mit Bernadotte traf sich Himmler mit Norbert Masur, dem schwedischen Vertreter des Jüdischen Weltkongresses, der vor dem Krieg aus Deutschland geflüchtet war, auf Kerstens Anwesen Hartzwalde achtzig Kilometer nördlich von Berlin. Es war der Abend des 20. April – Hitlers Geburtstag –, und Himmler traf nach zwei Uhr nachts direkt von der gedämpften Geburtstagsfeier im Führerbunker unter dem Garten der Reichskanzlei ein. Laut Masur war Himmler »elegant gekleidet in seiner gutsitzenden Uniform, die mit Abzeichen und Orden geschmückt war. Er wirkte kultiviert, machte trotz der späten Stunde einen lebhaften Eindruck und war äußerlich ruhig und beherrscht.« Zum ersten Mal traf Himmler sich mit einem Juden zu einem direkten Gespräch. Fast sofort begann er mit einer Apologie des Holocaust, die 45 Minuten dauerte. Er sagte Masur, er habe in den späten 1930er-Jahren für die Juden »eine humane Lösung durch Auswanderung« geplant, aber andere Länder hätten sie nicht aufnehmen wollen. Er fuhr fort: »Der Krieg brachte uns mit den proletarisierten ostjüdischen Massen in Berührung, und das führte neue Probleme mit sich. Wir konnten in unserem Rücken keinen derartigen Feind dulden. Die jüdischen Massen waren mit Epidemien infiziert, insbesondere Fleckfieber. Ich selbst habe Tausende meiner besten SS -Männer durch diese Epidemien verloren. Und die Juden haben den Partisanen geholfen.« 339

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Auf Masurs Frage, »wie die Partisanen Hilfe von den Juden hätten bekommen sollen, die doch in den Ghettos eingesperrt waren«, antwortete Himmler: »Die Juden haben den Partisanen Informationen übermittelt. Außerdem haben sie im Ghetto auf unsere Truppen geschossen. … Um die Epidemien zu begrenzen, waren wir gezwungen, Krematorien zu bauen, in denen wir die Leichen der zahllosen Menschen verbrennen konnten, die durch diese Krankheiten umgekommen waren. Und daraus will man uns jetzt einen Strick drehen!« Weiter beklagte er sich über die »Gräuelpropaganda« der Alliierten über die Lebensumstände in Belsen und Buchenwald, die gerade von den Amerikanern befreit worden waren: »Niemand ist in den letzten zwölf Jahren so mit Schmutz beworfen worden wie ich. Ich habe mich darum nie geschert, auch in Deutschland darf jeder Einzelne über mich schreiben, was er will. Aber bisher sind die Berichte über die Konzentrationslager zur Hetze gegen uns verwendet worden, und das ermuntert mich nicht gerade dazu, weitere Lager zu übergeben.« Himmler war schon vorher über Masurs Forderungen informiert worden: Keine weiteren Juden sollten mehr ermordet werden, und die verbliebenen Juden sollten in den Lagern bleiben und unter keinen Umständen evakuiert werden. Er hatte seinem Geheimdienstchef Walter Schellenberg gegenüber behauptet, das alles bereits angeordnet zu haben. Unter der Bedingung völliger Geheimhaltung des Gesprächs mit Masur willigte er dann auch ein, weitere Gefangene freizulassen, und wiederholte sein Versprechen, die Lager nicht zu evakuieren. Es erstaunt nicht, dass er dieses Versprechen brach. Das Treffen endete gegen halb fünf Uhr morgens, und Himmler fuhr direkt zum Sanatorium Hohenlychen, weitere fünfzig Kilometer nördlich, wo er mit Graf Bernadotte frühstückte. Er wiederholte die Zusicherungen, die er Masur gegeben hatte, und bot auch an, Frauen aus dem KZ Ravensbrück freizulassen. Drei Tage später, am 23. April, arrangierte Himmler in dem Bewusstsein, genug getan zu haben, um den Alliierten als glaubwürdiger Verhandlungspartner zu erscheinen, ein viertes Treffen mit ­Bernadotte, das um 23 Uhr im schwedischen Konsulat in Lübeck stattfinden sollte. Wegen eines schweren Luftangriffs mussten die beiden im Keller 340

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­ uflucht suchen, und das Gespräch begann erst um Mitternacht bei Z Kerzenlicht. Binnen weniger Stunden lag das Gespräch in streng geheimen Berichten in London, Moskau und Washington vor. Der amerikanische Botschafter in Schweden fasste den Inhalt in einem Telegramm an das US -Außenministerium zusammen: 1 GRAF BERNADOTTE TRAF HIMMLER IN LÜBECK UM 1 UHR [sic] AM MORGEN DES 24. APRIL AUF WUNSCH HIMMLERS. 2 HIMMLER SAGTE, HITLER SEI SO KRANK, DASS ER VIELLEICHT SCHON TOT SEI UND NICHT LÄNGER ALS ZWEI TAGE LEBEN WERDE (GENERAL SCHELLEN­ BERG, HIMMLERS STABSOFFIZIER, SAGTE, HITLER HABE EINEN GEHIRNSCHLAG ERLITTEN, DARUM BESITZE ER, HIMMLER, VOLLE AUTORITÄT. 3 HIMMLER BAT DIE SCHWEDISCHE REGIERUNG, EIN TREFFEN MIT EISENHOWER FÜR IHN ZU ARRANGIE­ REN, UM DIE KAPITULATION AN DER GESAMTEN WESTFRONT (EINSCHLIESSLICH HOLLAND) ZU AR­ RANGIEREN. BERNADOTTE FRAGTE, OB DIE KAPI­ TULATION AUCH FÜR NORWEGEN UND DÄNEMARK GELTEN WÜRDE. HIMMLER WILLIGTE EIN, DASS SEINE TRUPPEN SICH IN NORWEGEN UND DÄNE­ MARK DEN AMERIKANISCHEN, BRITISCHEN ODER SCHWEDISCHEN TRUPPEN ERGEBEN SOLLTEN. * 4 HIMMLER SAGTE, ER HOFFE, DEN KAMPF AN DER OSTFRONT FORTSETZEN ZU KÖNNEN, UND LEGTE FEST, SEIN ANGEBOT GELTE NUR FÜR DIE WEST­ ALLIIERTEN.

*  Laut einem Bericht an Winston Churchill sagte Bernadotte zu Himmler, er werde sein Angebot nur dann an die Amerikaner übermitteln, wenn er auf diese Bedingung eingehe.

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Himmler hegte keinen Zweifel, dass die Alliierten sein Angebot annehmen würden. Nach dem Treffen mit Bernadotte fuhr er ins Sanatorium Hohenlychen zurück, wo er Hitlers Architekt und Minister Albert Speer begegnete und ihm von seinem Vorschlag an Eisenhower erzählte: »Die Welt, in der Himmler sich bewegte, war phantastisch«, schrieb Speer in seinen Memoiren. »›Ohne mich kommt Europa auch in Zukunft nicht aus‹, meinte er. ›Eine Stunde mit Eisenhower und er wird der gleichen Überzeugung sein! Sie werden bald erkennen, daß sie auf mich angewiesen sind – oder sie bekommen ein heilloses Durcheinander.‹« Nicht ein einziges Mal in seinen Gesprächen mit Bernadotte erwähnte Himmler die Prominenten. Auch in den SS - und Wehrmachtsfunksprüchen, die von den Codebrechern in Bletchley Park aufgefangen wurden, oder in den Botschaften zwischen dem Reichsführer und anderen NS -Größen tauchen sie nicht auf. Anscheinend waren Himmlers 137  Sondergefangene ein Geheimnis, das nur er und die Wachen kannten, die für ihre Sicherheit verantwortlich waren – eine Karte, die er im Ärmel behielt und erst in direk­ten Verhandlungen mit Eisenhower ausspielen wollte.

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35 Während Himmler mit den feigen Versuchen zur Wiederherstellung seiner Reputation beschäftigt war, sorgte Lagerkommandant Weiter in Dachau dafür, dass es den Prominenten gut ging  – und das inmitten eines Lagers, in dem täglich Hunderte an Typhus starben und wo in den Jahren unter Weiters Kommando Tausende an Krankheiten gestorben oder von der SS ermordet worden waren. Viele der männlichen Prominenten waren im früheren Bordell untergebracht. Genau wie in anderen Lagern bestand es aus einer großen Wartehalle, von der kleinere Räume abgingen, in denen die Prostituierten ihren Dienst verrichteten. Staubiger Flitter und vergilbte Papiergirlanden, die den »Erholungssalon« aufheitern sollten, hingen immer noch von der Decke, und zusätzliche Betten waren für die Gefangenen gebracht worden. Sie teilten sich die Räume nach Nationalitäten. Zum Erstaunen der britischen Kriegsgefangenen waren die katholischen Bischöfe so erbost darüber, in einem Bordell untergebracht zu sein, dass sie darauf bestanden, den »Bau von jeder Spur der Sünde zu reinigen.« Payne Best schrieb: »Jede Ecke wurde gründlich mit Weihwasser geschrubbt und gereinigt« und »ein Raum als Kapelle geweiht, wo täglich die Messe gelesen wurde.« Gegenüber dem Bordell lag der Kommandanturarrest. Dort war die Gruppe inhaftiert, die ein paar Tage vor den Sippenhäftlingen aus Schönberg abtransportiert worden war, unter ihnen die Thyssens, die Blums, General von Falkenhausen, die Schuschniggs und Payne Best. Zuerst kam Payne Best das Quartier luxuriös vor, die Räume waren groß und hell, hatten einen schicken Parkettboden, und in den Gemeinschaftsbädern gab es reichlich heißes Wasser und die Toiletten funktionierten. Draußen gab es sogar einen Garten mit Liegestühlen zum Sonnenbaden. Bald erfuhr er aber vom Gärtner, dass der Bau für Hinrichtungen benutzt worden war. Er war ein früherer Clown, der wegen eines Witzes über Goebbels von der Gestapo eingesperrt worden war, und er pflegte nun den Garten für die Prominenten. 343

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Als Payne Best ihn kennenlernte, legte er gerade ein neues Blumenbeet unter einer Mauer an: »Er zeigte mir Tausende von Einschüssen an der Mauer und beschrieb, wie die Gefangenen durch einen schmalen Gang hereingebracht wurden, sich mit dem Gesicht zur Wand stellen mussten und dann ins Genick geschossen wurden. Er sagte, beim Umgraben des Beets habe er kiloweise Pistolenkugeln entfernt.« Himmler hatte sein Versprechen, die Hinrichtungen einzustellen, nicht gehalten, und nun erfuhr Payne Best, dass Georg Elser, dessen Anschlag auf Hitler im November 1939 fast geglückt wäre, am selben Nachmittag im Garten erschossen worden war. Elsers Zeitbombe im Münchner Bürgerbräukeller hatte während einer Gedenkveranstaltung zum Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923  acht Menschen getötet und 62  verletzt. Die Bombe war pünktlich explodiert, aber da hatten Hitler und andere NS -Größen den Saal schon verlassen. Für Payne Best war die Hinrichtung Elsers ein schlechtes Zeichen. Er selbst war einen Tag nach dem Attentat in Venlo festgenommen und zu Unrecht der Mitwirkung an dem Attentat im Auftrag der britischen Regierung angeklagt worden. Da sie über ihr Schicksal im Dunkeln tappten und Himmlers Pläne nicht kannten, beherrschte die drohende Hinrichtung das Denken der Gefangenen. »Ein plötzlicher Tod war nie auszuschließen; jeden Moment konnte der Befehl kommen, einen oder uns alle zu vergasen, zu erschießen oder zu hängen«, erinnerte sich Payne Best. General Delestraint wurde als zweiter Gefangener im Kommandanturarrest hingerichtet. Der persönliche Freund Charles de Gaulles und prominente Widerstandskämpfer hatte die Armée Secrète kommandiert, eine 150 000 Mann starke paramilitärische Einheit, die de Gaulle zum Kern einer künftigen französischen Armee machen wollte. Eines Morgens kam ein SS -Mann herein und holte den General ab. Er wurde durchs Lager zum Krematorium geführt und dort erschossen. Niemandem tat es aber leid, als wenige Tage später ein weiterer Gefangener erschossen wurde. Es war Dr. Rascher, der die medizinischen Versuche in Dachau geleitet hatte. Für Hugh Falconer, der eine Zelle mit ihm teilte, war die Hinrichtung jedoch so unangenehm wie traumatisch. 344

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Wie Falconer in seinen Memoiren schreibt, war Rascher überzeugt, in Dachau umgebracht zu werden, damit seine medizinischen Forschungen nicht den Alliierten bekannt würden oder weil Himmler sich für die falschen Behauptungen rächen wollte, die er über die Verlängerung der Gebärfähigkeit aufgestellt hatte. Seit seiner Ankunft saß er in der Zellenecke mit dem Gesicht zur Wand und dem Rücken zur Tür – »und er weigerte sich, diese Position aufzugeben.« Als der unvermeidliche Moment kam, war Falconer mit ihm in der Zelle: Gegen halb eins kam das Mittagessen. In diesen Zellen gab es eine knapp 50 Zentimeter hohe quadratische Klappe in der Tür, die sich von außen öffnen ließ, um das Essen hindurchzugeben. Als wir drankamen, ging ich, um die Essnäpfe für Rascher zu holen, der immer noch Angst hatte, sein Gesicht zu zeigen. Statt mir das Essen zu geben, bückte sich der SS -Mann, so dass er mein Gesicht sehen konnte. Als er mich erkannte, brüllte er: »Nicht du, der andere!« »Schon gut, geben Sie’s mir«, sagte ich. »Der andere fühlt sich nicht wohl.« »Nein«, beharrte er, »jeder muss sein eigenes Essen holen.« Ich hatte keine Wahl, als beiseite zu treten, und Rascher kam mit dem größten Widerwillen zur Tür, wobei er seitlich an der Wand ging und sein Gesicht zu verbergen suchte. Als er an die Tür kam, feuerte der SS -Mann ihm zwei Schüsse aus seiner Luger in den Bauch und schlug die Klappe zu. Die großkalibrigen Kugeln auf so kurze Entfernung schleuderten Rascher weit zurück, und er lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Boden. Offensichtlich konnte ich nichts für ihn tun  … eine Kugel muss seine Wirbelsäule getroffen haben, denn er starb schnell, ohne noch einmal zu Bewusstsein zu kommen. Ich glaube, meine Diagnose ist richtig, denn ich suchte einige Zeit in der Zelle, fand aber nur eine Kugel. Ich erwartete fast, die Wache würde mit meinem Essen zurückkommen – auf das ich wenig Appetit hatte – oder, was wahrscheinlicher war, um den einzigen Zeugen des kaltblütigen 345

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Mords zu liquidieren, aber ich blieb fast den ganzen Nachmittag mit dem blutigen Leichnam ungestört. Abgesehen von Himmlers Feind Rascher war es die Zufälligkeit der Hinrichtungen, die die Gefangenen entnervte; es schien keine Logik zu geben, wen die SS umzubringen beschloss und wen nicht. In dieser nervenraubenden Umgebung klammerten sie sich an die Hoffnung, von den Amerikanern gerettet zu werden. Der ebenfalls im Kommandanturarrest inhaftierte Kurt Schuschnigg führte in dieser Zeit Tagebuch: »Die Amerikaner im Vormarsch auf Donau und Lech«, schrieb er am 18. April. »Man hört gelegentlich Kanonendonner. Die Luftangriffe auf die Umgebung von München intensivieren sich täglich. Wir alle fiebern der Entscheidung entgegen. Wenn nur um Gottes Willen diesmal das Lager nicht wieder im letzten Moment evakuiert wird …« Doch am 20. April erfuhr er, dass die SS in der vorigen Nacht einige Prominente evakuiert hatte. »Die wildesten Gerüchte flattern im Umlauf. … Was mit uns Zurückgebliebenen geschehen soll, ist noch ungewiß. Angeblich sollen wir folgen. Aber es geht auch die Saga, daß das gesamte Lager dem Internationalen Roten Kreuz übergeben wird. Das wäre natürlich herrlich; ich kann bei unserem Pech nicht daran glauben.« Seine nächsten Einträge lauteten nur: »Wir warten«, »Wir warten noch immer«, »Wir warten weiter.« Auch Payne Best, der aus dem Kommandanturarrest ins frühere Bordell verlegt worden war, saß wie auf glühenden Kohlen. Rohde hatte mit seiner Funkausrüstung Kontakt zu Leuten aufgenommen, die eine Botschaft durch die Frontlinien zu den US -Truppen an der Donau schmuggeln wollten, und Payne Best hatte gehört, einer von ihnen sei »höchstwahrscheinlich durchgekommen«. Am Morgen des 24. April nahmen die Flüge über dem Lager zu, und Payne Best sichtete einige Maschinen, die anscheinend Aufklärungsflugzeuge waren. »Wir alle wurden sehr aufgeregt und hofften auf eine rasche Befreiung«, schrieb er in sein Tagebuch. Doch diese Hoffnungen sollten sich zerschlagen. 346

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Rund 650 Kilometer weiter nördlich war Himmler nach dem letzten Treffen mit Graf Bernadotte nachts um halb fünf nach Hohenlychen zurückgekehrt. Später wurde Schellenberg in sein Zimmer gerufen: »Er lag noch im Bett und sagte, er fühle sich krank.« Vom 17. bis 24. April pendelte Himmler zwischen Berlin und Norddeutschland, und wegen seiner Unsicherheit, ob Bernadotte seinen Kapitulationsvorschlag an Eisenhower übermitteln werde, ließ er die meisten Sonderhäftlinge in Dachau. Nur eine Handvoll Gefangene waren in die Alpen gebracht worden. Als er dann zuversichtlich war, Eisenhower werde verhandeln, gab er am 24. den Befehl, die übrigen Gefangenen an einen sicheren Ort in Tirol zu bringen. Dort oben in den Bergen würden sie »sicher« sein, bis die Verhandlungen mit Eisenhower beginnen konnten. Payne Best und die anderen verbrachten den Vormittag an den Fenstern des Bordells und beobachteten die US -Flugzeuge über dem Lager. Dann kam gegen Mittag ein SS -Mann herein und sagte, sie würden um 17 Uhr abfahren. Ungläubig und verzweifelt suchten sie ihre Sachen zusammen, doch gegen halb vier erhielten ihre Hoffnungen wieder Auftrieb. »Als wir gerade fertig gepackt hatten, sahen wir ein halbes Dutzend US -Kampfflugzeuge über dem Lager, die offensichtlich ein Ziel am Boden beschossen«, berichtete Payne Best. »Garibaldi, der die Anlage des Lagers kannte, sagte, sie beschossen den Fuhrpark, und etwas später hörten wir, dass fünf Busse, die für uns bereit standen, zerstört waren, so dass wir an diesem Tag nicht mehr abfahren konnten. Wir sollten am nächsten Tag um 17 Uhr bereit sein. Unsere Hoffnungen stiegen auf den Siedepunkt, und ich glaubte allmählich, Rohdes Mann habe wirklich die Botschaft überbringen können und man versuche jetzt, unseren Abtransport zu verhindern. Am nächsten Nachmittag versammelten wir uns alle um das Fenster, von dem aus der Fuhrpark zu sehen war, und warteten auf unsere Freunde, die Flieger. Die Zeit verging, drei, vier, fünf Uhr. Dann sollten wir unser Gepäck zu den Lastwagen bringen  … endlich kam wieder das Geräusch tief fliegender Maschinen und von Maschinengewehren. Zurück ins Haus und ans Fenster. Sechs oder 347

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zehn Maschinen im Sturzflug über dem Fuhrpark, die anscheinend mit Maschinengewehren und Bordkanonen schossen  … Drei der fünf Busse brannten, und wir hörten von 13 Opfern. Auch an diesem Tag also kein Transport, und wir alle tanzten von einem Fuß auf den anderen.« Eine Stunde später verließ Payne Bests Gruppe aber trotzdem ­Dachau. Drei Busse waren zerstört, aber die SS hatte als Ersatz drei Lastwagen aus München geholt. Auf der anderen Seite des Lagerzauns, viele Hundert Meter vom Lager entfernt, wussten die Sippenhäftlinge nichts von Rohdes Informationen. In der letzten Aprilwoche wussten sie auch nicht, dass andere Prominente weggebracht wurden. Im SS -Krankenhaus an der Straße der SS teilten sie einen Flügel mit den Ehefrauen der Männer, die über viele Tausende Gefangene in Lagern wie Dachau geherrscht hatten. Diese Frauen waren nun Flüchtlinge und benutzten das Krankenhaus als Zwischenstation auf ihrem Weg nach Süden, um den Alliierten zu entkommen. Isa Vermehren war verblüfft darüber, wie sie sich in dieser Lage verhielten: »Etwa zehn bis fünfzehn Frauen höherer SS -Führer aus Oranienburg und anderen Konzentrationslagern saßen dort mit einer Unzahl kleiner Kinder und Bergen von Gepäck – ›ach, das ist ja nur unser Handgepäck. Wissen Sie, unsere großen Sachen sind ja alle verlorengegangen. Sie, ich hatte da noch so viel Bohnenkaffee dabei, und all das schöne Silber. Wissen Sie, mein Mann, der Obersturmbannführer …‹ … Diese SS -Damen waren unablässig damit beschäftigt, ›letzte Vorbereitungen‹ zu treffen für eine gute, satte Weiterfahrt, sie erwiesen sich wirklich als brave Ehefrauen ihrer Männer.« Sie glaubten tatsächlich, sie könnten dem Schrecken der Vergeltung entkommen oder was das Schicksal sonst für sie bereithielt. Alle sagten, ihre Männer würden »spätestens morgen eintreffen«, und sie erwarteten noch weiteres Gepäck. Auf die Frage nach ihrem Ziel kam aber nur ein Achselzucken und ein »Ach, irgendwohin« oder »Wir werden schon durchkommen« oder »Frauen und Kindern wird man ja nichts tun, wir können ja schließlich nichts dafür.« 348

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Zahlreiche SS -Leute und ihre Familien kamen ins Krankenhaus, um Zuflucht zu suchen. Eines Morgens sahen Isa und Fey Fräulein Rafforth, ihre Aufseherin aus Buchenwald. Sie war kurz vor der Ankunft der Amerikaner aus dem Lager geflüchtet. »Wie immer war sie krachmunter, krachordinär und wohl noch dicker als in Buchenwald«, schrieb Isa. »Sie erzählte, daß Fräulein Knocke tatsächlich bei Nacht und Nebel der westlichen Front entgegengegangen sei. Sie hingegen habe zusammen mit dem anderen SS -Personal des Sonderbaues ganz herrliche Tage gehabt, ohne Arbeit, mit nichts anderem ausgefüllt als mit Essen und Schlafen. Ihre Schilderung von dem, was sie während dieser Tage verpraßt hatten an Essen, Schokolade, Alkohol, Zigaretten war tatsächlich ganz unwahrscheinlich. Demnach muß die SS -Kantine über ganz erstaunliche Vorräte verfügt haben, die man keineswegs bei noch so gutem Appetit in fünf Tagen bewältigen konnte.« Fey beschrieb, dass Rafforth ihnen auch von der Evakuierung Buchenwalds vor der Ankunft der amerikanischen Panzer erzählte: »Kurz vor dem Ende waren rund Tausend Gefangene in 20  Viehwaggons gepfercht worden, mit Proviant für drei oder vier Tage. Die Fahrt von Buchenwald hatte aber zwei Wochen gedauert, und die Waggons trafen in Dachau voller Toter und Sterbender ein! Ich war schockiert, dass in Deutschlands letzten Zuckungen noch so viele unschuldige Menschen, wie diese armen Gefangenen, starben. Was war der Sinn dieses monströsen Sadismus? Alles stand doch schon vor dem Zusammenbruch!« Die Bewachung im Krankenhaus war nicht sehr streng, und Fey und die anderen konnten sich frei bewegen. »Um von den SS -Familien wegzukommen, verbrachten wir die meiste Zeit im Krankenhausgarten, der geräumig und gepflegt war. Unsere Wachen erschienen nur selten und waren so sichtbar mit den eigenen Problemen beschäftigt, dass wir wenig Kontakt zu ihnen hatten.« Alle Wachen hörten alliierte Sender, die von der Eroberung einer deutschen Stadt nach der nächsten berichteten. Die Russen hatten den Stadtrand von Berlin erreicht und beschossen Regierungsgebäude in der Leipziger Straße und Unter den Linden. Der deutsche Rundfunk 349

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verkündete, die Hauptstadt stehe vor »ihrer größten Prüfung«, und gab die Schuld dafür, dass die Russen »so tief eingedrungen waren«, »deutschen Verrätern«, die die Rote Armee geführt hätten: »Viele sind entlarvt worden und man hat kurzen Prozess mit ihnen gemacht, jeder wurde bei der Entdeckung an einer Laterne oder in einem Torweg aufgehängt.« Während die Prominenten im Hauptlager meinten, schon in wenigen Tagen von den Amerikanern befreit zu werden, hegten die Sippenhäftlinge keine solchen Illusionen. In fünf Monaten hatte die SS sie siebenmal verlegt: von der Hindenburg-Baude nach Stutthof, dann nach Matzkau, Buchenwald, Lauenburg, Regensburg, Schönberg und schließlich nach Dachau. Stets kamen die Transporte in letzter Minute. Es schien unvorstellbar, dass die SS sie wegbringen würde, während um sie herum Deutschland zusammenbrach, aber es war vorher schon oft geschehen, und sie zweifelten nicht, es werde erneut geschehen. Fey hatte vor allem zwei Sorgen. Die erste war, sie könnten im unwahrscheinlichen Fall, dass sie bei der Ankunft der Amerikaner noch in Dachau wären, mit den SS -Familien zusammengeworfen werden. Täglich berichtete der deutsche Rundfunk von der Erschießung gefangener SS -Leute durch alliierte Soldaten, die nach den Gräueltaten, die sie entdeckt hatten, nicht viele Fragen stellten. Ihre zweite – und nächstliegende  – Sorge war das Risiko, von einer amerikanischen Fliegerbombe getötet zu werden. Tag und Nacht heulte der Fliegeralarm. Die Amerikaner warfen Hunderte Tonnen von Bomben über München ab, das nur zwanzig Kilometer südlich von Dachau lag. Die Angriffe waren so heftig, dass Fey das Gefühl hatte, auf einem Schiff in sehr rauer See zu stehen. Wenn nachts die Sirene heulte, versuchten die Wachen, die Gruppe in einen Luftschutzkeller im nahe gelegenen SS -Ausbildungslager zu bringen. Zuerst wollten viele von ihnen nicht dorthin. Sie hielten die Schule für ein viel wahrscheinlicheres Ziel als das Krankenhaus mit dem Roten Kreuz auf dem Dach. »Wenn die SS -Leute uns holen wollten, versteckten wir uns in den Schränken, unter den Betten und an anderen unmöglichen Stellen. Das ging aber nur so lange, 350

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bis die SS -Männer uns auf die Schliche kamen und uns zwangen, in den Luftschutzkeller zu gehen.« Irgendwann schienen sie aber aufzugeben: »Ich machte mir nicht die Mühe, aufzustehen, mich anzuziehen und an einen anderen Ort zu gehen, wo die Chance, getroffen zu werden, mindestens ebenso groß war.« In der Nacht des 24. April, als die US -Kampfflugzeuge den SS -Fuhrpark besonders heftig angriffen, ignorierte Fey den Alarm wie üblich: »Alle liefen rasch zum Luftschutzkeller, sogar die unerschütterliche Maria von Hammerstein, die mit mir dablieb. Plötzlich fand ich mich allein inmitten der erzitternden Baracke. Vielleicht war es die Einsamkeit, vielleicht der Lärm und die Blitze, aber plötzlich hielt ich es nicht mehr aus. Ich geriet in Panik und war überzeugt, die nächste Sekunde werde meine letzte sein. Ich sprang aus dem Bett, ergriff meine Kleider und zog mich in zehn Sekunden an. Noch während ich mir die Hosen hochzog und mit nicht zugebundenen Schuhen rannte ich so schnell mich die Beine trugen. Der Hof war mit unheimlichem orangem Licht von den ›Weihnachtsbäumen‹ erleuchtet (Ballons mit Phosphorfackeln, die Bombenziele erleuchteten). Es war fast taghell! Ich rannte voller Angst zum Ausbildungslager. Endlich kam ich durch die offene Tür ins Gebäude. Ich blieb kurz stehen, um mich zu beruhigen, ging dann die Treppe hinunter, und setzte mich zu den anderen. Eine Wache grinste zynisch. Ich schaute nur auf den Boden und versuchte, nicht mehr zu zittern.« Fey gab zu, dass sie erschöpft und mit den Nerven am Ende war: »In dieser Zeit war ich wieder von Sorge um meine Kinder verzehrt. Ganz Deutschland war ein großes Bombardierungsziel geworden; Städte standen in Flammen, und sogar auf dem Land war der Boden von russischen, britischen und amerikanischen Panzern zerfurcht. … Was konnte in dieser Lage Corradino und Robertino geschehen? Ich wollte ausbrechen, sie finden und retten! Ich fühlte mich so hilflos und gefangen, dass ich es kaum aushielt.« Und es ging immer noch weiter. Am 26. April um neun Uhr früh – 48 Stunden vor der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner – kam der Befehl zum Packen. 351

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Es folgte das unvermeidliche Warten, und als die Sippenhäftlinge das Krankenhaus verließen, diesmal zu Fuß, war es fast dunkel. Sie waren 37 und wurden von den Wachen die Straße der SS entlanggeführt, vorbei an den Villen mit dem gepflegten Rasen, zum Eingang des Hauptlagers. Wegen der Bombenschäden an der Zufahrtstraße mussten sie durch das Lager zur Bahnstation laufen, von wo aus Busse sie nach Süden bringen sollten. Das Ziel der Reise verrieten die Wachen nicht, einer spottete, es sei eine Fahrt ins Blaue. Der Weg zum Bahnhof vorbei an scheinbar endlosen Reihen von Baracken dauerte eine halbe Stunde. Sie lagen hinter Stacheldraht und überwuchertem Gelände. Fey erfuhr später, dass sie voller kranker und sterbender Gefangener waren, insgesamt etwa 42 500, die zu schwach für die Evakuierung waren. Himmler hatte sein Versprechen, die Evakuierung der Lager einzustellen, nicht gehalten. In Dachau war sie seit drei Tagen im Gange. Rund 5000  Häftlinge waren schon am 24. und 25. April mit Zügen weggebracht worden, 7000 weitere sollten an diesem Abend zu Fuß aufbrechen. Sie sollten nach Tirol marschieren, in eines der letzten vom Reich kontrollierten Gebiete, und in unterirdischen Rüstungsfabriken arbeiten. Als die Sippenhäftlinge den Appellplatz erreichten, stießen sie auf die Gefangenen, die abends gehen sollten. Fey wurde in dem Gedränge fast zu Boden geworfen: »Es waren Tausende und Abertausende. Das ganze Lager schien aufzubrechen und aus allen Richtungen zum Appellplatz zu strömen. … Schulter an Schulter gingen sie langsam in völliger Stille zum Tor.« Die Wachen bahnten mit Knüppeln einen Weg durch die Gefangenen und führten die Sippenhäftlinge zu einem anderen Appellplatz, der abgesperrt worden war. Auf dieser Fläche tobte hektische Aktivität: SS -Leute jeden Rangs liefen hin und her, Motorräder kamen an und fuhren weg, Lkws fuhren rasch weg. Aus der Luft beobachteten US -Maschinen das Geschehen. Die SS ließ sich nicht stören, denn sie wusste, dass die Anwesenheit Tausender Gefangener die Flugzeuge vom Schießen abhielt. In einer Ecke des Platzes waren drei Lastwagen geparkt. Während 352

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die Sippenhäftlinge darauf warteten, sie zu besteigen, ging ein leises Murmeln durch die Massen der Häftlinge auf der anderen Seite der Postenkette. Kurt Schuschnigg wurde mit seiner Frau und Tochter vom Kommandanturarrest hergeführt. Im Lager waren viele Österreicher inhaftiert, sowohl Juden als auch Widerstandskämpfer. Einige erkannten den früheren Kanzler: »Wir ziehen durch die schmale Gasse; entlang lebendiger Mauern«, schrieb er. »Auf einmal streckt sich da und dort eine zerschundene Hand entgegen; aus müden Augen werden Wiedersehensgrüße lebendig – es werden immer mehr – hundert, tausend? Wortfetzen fliegen auf: Servus und Du –; ob sie nun nach alter Gewohnheit die abgearbeiteten Hände offen zum Gruß entgegenstrecken oder zur Faust geballt – das sind ja die Unseren – Leidensgefährten – Menschen – Landsleute – Oesterreicher! … Und das war vielleicht mein größtes Erlebnis!« Die Sippenhäftlinge, die als Letzte nach Dachau gekommen waren und es als Letzte verließen, waren mit zwei anderen Gruppen von Sondergefangenen zusammen: den Angehörigen von Offizieren wie General von Seydlitz, die sich in sowjetischer Gefangenschaft dem Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen hatten, und den Politikern Kurt Schuschnigg und Léon Blum. Nach dem Besteigen der Lastwagen warteten sie mehrere Stunden. Ihr Konvoi konnte nicht abfahren, bevor nicht alle Häftlingskolonnen das nahe Tor passiert hatten, um den Marsch über die Alpen anzutreten. Léon Blum schrieb in seinen Memoiren: »Der Anblick der Evakuierung ist das Schrecklichste, woran ich mich erinnern kann  … Die Gefangenen wurden mit Gummiknüppeln die Straße entlang getrieben, und wer nicht weiter gehen konnte, wurde auf der Stelle erschossen.« Auch Fey konnte das Tor sehen: »Dünn und ausgebrannt schlurften sie in ihren Holzschuhen voran. Manche Häftlinge waren zu schwach, um überhaupt noch zu laufen, und ich sah einige auf allen vieren. Die Wachen gingen zu ihnen hin und stießen sie mit ihren Gewehren. Wenn sie nicht aufstehen konnten, wurden sie ins Genick geschossen. Als ich diese schrecklichen Szenen hilflos vom Lastwagen aus sah, wäre mir beinahe schlecht geworden. Was hatte die mörderische SS mit diesen Tausenden müder, wankender Menschen vor? Dann passierten nach 353

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Stunden die letzten Gefangenen das Tor und unser Konvoi aus Lastwagen und Bussen fuhr langsam ab.«* Der Konvoi fuhr nach Süden Richtung Österreich und umging dabei München. Die Fahrer wollten ihr Ziel unbedingt vor Tagesanbruch erreichen. Isa Vermehren erinnerte sich: »Es konnte unserer Nervosität nur recht sein, daß die Wagen ein scharfes Tempo fuhren, wenngleich wir das Wachsen der Entfernung zur westlichen Front wie ein schmerzhaftes Ziehen zu spüren meinten. Sich der evidenten Sinnlosigkeit dieser Reise zu fügen, war ein Akt wirklicher Tugend, und es kostete uns alle ein gut Teil Beherrschung, die eigene verzweifelte Gereiztheit nicht am andern auszulassen.« Sie erreichten Österreich über den Scharnitzpass und waren bei Sonnenaufgang in einem tiefen Tal zwischen Bergen, deren schneebedeckte Gipfel im ersten Sonnenlicht rosig leuchteten. In den folgenden Stunden hielt der Konvoi zweimal kurz an. Beim ersten Mal hielten die Lastwagen neben einem Brotwagen, den die SS wundersamerweise an diesen isolierten Punkt bestellt hatte. Die Planen auf den Lastwagen waren nicht richtig befestigt, und die Gefangenen konnten sich aus dem offenen Lieferwagen so viel Brot holen, wie sie wollten. Der zweite Halt war ungeplant. US -Maschinen kreisten über dem Tal, und die Fahrer mussten von der Straße auf einen Waldweg fahren und unter Bäumen halten, um nicht beschossen zu werden. Kurz vor zehn hielt der Konvoi am Arbeitslager Reichenau außerhalb von Innsbruck, und die Wachen befahlen den Gefangenen abzusteigen. Hinter einem Stacheldrahtzaun sahen sie vor niedrigen Holzbaracken Dutzende von Männern auf Liegestühlen sitzen oder umhergehen und miteinander sprechen. Das waren die Prominenten, die am 20. und 25. April aus Dachau abtransportiert worden waren. Einige waren den Sippenhäftlingen aus Schönberg bekannt, wo sie *  Von den 7000  Häftlingen, die Dachau in dieser Nacht verließen, starben über 1000  auf dem Marsch in die Alpen. In dieser letzten Kriegswoche erschossen S­ S -Leute jene, die nicht Schritt halten konnten. Andere starben an Erschöpfung oder Unterernährung.

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gemeinsam in den beiden Dorfschulen inhaftiert gewesen waren. Isa beschrieb die Freude beim Wiedersehen: »Als wir erschöpft von der nächtlichen Fahrt die Wagen verließen, fielen wir geradezu in die geöffneten Arme von etwa hundert anderen Ehren-Sonder-Sippen- und sonstigen Häftlingen, und der Empfang eines langerwarteten besten Gastes kann sich nicht anders abspielen.  … in einer Welle echten sympatheins – des echten Mit- und Zusammenleidens ging unser ganzer Krieg zu Ende.« Fey war ebenso überwältigt: »Es war wie eine Überraschungsparty zum Geburtstag mit lauter lange verlorenen Freunden! Wir begannen miteinander zu schwatzen und von unseren Schicksalen zu erzählen … Die Menschen gingen frei von einer Gruppe zur nächsten und sprachen sich mit Namen an (was zuvor verboten gewesen war). … Die Gruppe der ›Sondergefangenen‹ war auf rund 120  Personen aus 15  oder 16  Ländern angewachsen. Einschließlich der Sippenhäftlinge stellte die deutsche Gruppe wahrscheinlich ein Drittel, der Rest umfasste Briten, Franzosen, Ungarn, Italiener, Griechen und andere Nationalitäten. Unterhaltungen wurden in allen europäischen Sprachen geführt, der Ort war ein wahrer Turm von Babel!« Es waren fünfmal mehr Gefangene als SS -Leute, und die Wachen ließen sie in Ruhe und zogen sich in eine Baracke in der Mitte des Lagers zurück. Die Sonne schien, und die Berge waren ein prächtiger Anblick. In dieser berauschenden Atmosphäre wurden Stühle zusammengestellt, Tee gekocht und Zigaretten herumgegeben. Isa Vermehren war besonders glücklich, in dem Durcheinander den britischen Flieger Sydney Dowse zu treffen. Er war an vier Ausbruchsversuchen beteiligt gewesen, auch aus dem berühmten Stalag Luft  III . In Sachsenhausen war er nahe der Zelle ihrer Eltern eingesperrt gewesen. Seit sie im Winter 1943  inhaftiert worden waren, hatte sie nichts mehr von ihnen gehört, und es war ein Trost, von Dowse zu hören: »Meine Mutter, so erzählte er mir, habe den größten Teil ihres täglichen Spaziergangs unter seinem Fenster verbracht, und die Unterhaltungen mit ihr seien die einzige und ungeduldig erwartete Abwechslung des Tages für ihn gewesen. Er hingegen habe bei einem Spaziergang immer Gelegenheit gefunden, einen Gruß in 355

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den Fensterkasten des elterlichen Zellenfensters zu werfen, sei es eine Blume oder ein paar Zigaretten, ein paar Kekse. Zu Weihnachten hätten sie sich die herzlichsten Grüße in den Schnee geschrieben.«* Diese Begegnungen waren für alle Gefangenen sehr emotional. Für den seit 1939 inhaftierten Payne Best waren die Gespräche mit den britischen Kriegsgefangenen aber weniger angenehm: »Zum ersten Mal seit fast fünfeinhalb Jahren konnte ich frei mit meinen Landsleuten reden, Männern, die dank ihres unbezähmbaren Mutes und der Weigerung, sich geschlagen zu geben, die Helden all ihrer Mitgefangenen waren. Alle waren sehr nett und freundlich zu mir, aber im Herzen schämte ich mich, dass ich, während sie immer wieder ausgebrochen waren, bloß in meiner Zelle gesessen und das Leben eines gut genährten prämierten Pudels geführt hatte.« Angesichts so vieler Gefangener, von denen alle eigene Informationen mitbrachten, hoffte Fey, etwas über die Jungen zu erfahren: »An diesem Nachmittag suchte ich eifrig nach Leuten, die mir vielleicht etwas über Kinder sagen konnten, die noch von der SS festgehalten wurden. Doch niemand wusste etwas, nur dass manche noch in ›Kinderheimen‹ waren oder geänderte Namen hatten und vielleicht zur Adoption freigegeben worden waren. Verzweifelt, aber um Fassung bemüht, ließ ich das Thema schließlich fallen, als ich nichts herausbekam. Tatsächlich wollte niemand mit Problemen behelligt werden, die nicht unmittelbar waren und an denen man nichts ändern konnte. Tod und Zerstörung waren überall, und das wichtigste war, zu überleben und frei zu kommen. Ich muss zugeben, dass es auch mir immer leichter fiel, die Sorge um die Jungen beiseite zu schieben – wenigstens vorübergehend.« Die meisten Gefangenen glaubten, alles sei vorüber und sie würden noch ein oder zwei Tage in Reichenau festgehalten und dann freigelassen werden. Payne Best war jedoch skeptisch: »Eines gefiel mir *  Wie Isa waren Kurt und Petra Vermehren festgenommen worden, nachdem ihr Sohn, Dr. Erich Vermehren, an nazifeindlichen Sendungen der BBC mitzuwirken begann.

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gar nicht, und das war, dass ich Obersturmführer Bader und eine größere Zahl seiner Leute im Lager gesehen hatte. Wenn man vorhatte, uns freizulassen, warum waren Bader und seine Leute, die mit der ­Liquidierung unerwünschter Gefangener befasst waren, dann mit uns mitgeschickt worden?« Obwohl Fey nicht glaubte, man werde sie alle liquidieren, teilte sie Payne Bests Skepsis aus anderen Gründen: »Warum sollte die SS uns plötzlich gehen lassen, nachdem sie uns von einem Lager zum nächsten gekarrt und solche Mühen unternommen hatte, uns am Leben zu halten? Inzwischen war recht klar, dass wir Geiseln waren, nicht bloß Gefangene. Aber welchen Nutzen konnten wir noch für hohe Nazis haben?« Himmler hielt sich an diesem Tag – dem 27. April – im Oberkommando der Wehrmacht in Rheinsberg auf und wartete immer noch auf eine Antwort der Westalliierten. Sein Angebot, mit General Eisenhower zusammenzutreffen, um die Kapitulation der deutschen Truppen im Westen zu arrangieren, hatte am 25. April Präsident Truman und Winston Churchill erreicht. Am Nachmittag des 25. trat Churchills Kriegskabinett in Whitehall zusammen. Das Protokoll der Sitzung zeigt, dass Churchill vermutete, Himmlers Abneigung, an der Ostfront zu kapitulieren, solle einen Keil zwischen England, die USA und die Sowjetunion treiben. »Der Premierminister sagte, diese wichtige Entwicklung müsse unverzüglich Marschall Stalin mitgeteilt werden. Er sei der Meinung, wir sollten gleichzeitig klarstellen, dass zumindest für die Regierung Seiner Majestät nicht weniger als die bedingungslose Kapitulation gegenüber allen drei Großmächten in Frage komme. Man solle Himmler mitteilen, dass deutsche Soldaten sich überall den alliierten Truppen oder ihren Vertretern ergeben sollten, entweder einzeln oder in Einheiten; bis dahin würden die Angriffe der Alliierten an allen Fronten mit äußerster Kraft weitergehen. Es bestehe kein Grund, dass Himmler mit General Eisenhower zusammentreffen solle, wie er vorgeschlagen hatte; es sei sogar unpassend, dass ein solcher Vorschlag einer allgemeinen Kapitulation mit einem militärischen Kommandeur besprochen werden solle.« 357

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Als sie von Himmlers Vorschlag erfuhren, lehnten Truman und Churchill ihn rundheraus ab. Aus ungeklärten Gründen – vielleicht wegen ihrer Verachtung für den Mann, den sie als den nach Hitler brutalsten Kriegsverbrecher ansahen  – hatten aber weder der amerikanische Präsident noch der britische Premier Himmler bis zum Morgen des 27. April geantwortet. Immer noch zuversichtlich, dass Eisenhower verhandeln würde, ordnete Himmler an diesem Nachmittag an, die Prominenten in ein Hotel in Tirol zu bringen. Gegen drei Uhr bemerkte Payne Best in Reichenau einen Wandel im Benehmen der Wachen. Als sie aus der Baracke kamen, wohin sie sich den Tag über zurückgezogen hatten, standen sie jetzt in Gruppen am Lagereingang und besprachen sich. Aus ihrer verschwörerischen Haltung und der Art, wie sie über die Schulter zu den Gefangenen blickten, schloss er, dass etwas im Gang war. Als er Stiller, einen der SS -Offiziere, allein stehen sah, ging er zu ihm hinüber. Er kam mit dem jungen Mann relativ gut aus und hielt ihn für leichter beeinflussbar als die anderen Wachen. »Ich verwickelte ihn in ein Gespräch und erfuhr, dass wir nachts nach Südtirol weitertransportiert werden sollten. Er sagte, er werde uns zu einem Hotel bringen, wo wir die Ankunft unserer Truppen erwarten würden, und seine Befehle besagten, er solle unsere Freilassung in geordneter Weise durchführen. Wie immer war er sehr freundlich und höflich.« Als Untersturmführer Stiller mit Isa Vermehren sprach, war er weniger höflich. Er hatte den Befehl, »uns irgendwohin fortzubringen, zu verstecken, dorthin zu bringen, wo der Feind uns nicht finden könne.« Diese Befehle sollten sich noch in derselben Nacht ändern. * Während die SS -Leute die Gefangenen in die Busse vor dem Lager steigen ließen, war Graf Bernadotte mit Himmlers Geheimdienstchef 358

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Schellenberg zusammen, der nach Schweden geflogen war, um das Telegramm zu besprechen, in dem Truman Himmlers Angebot ablehnte: EINE DEUTSCHE KAPITULATION KANN NUR UNTER DER BEDINGUNG ANGENOMMEN WERDEN, DASS DIESE KAPI­ TULATION AN ALLEN FRONTEN SOWOHL VOR GROSS­ BRITANNIEN UND DER SOWJETUNION ALS AUCH VOR DEN VEREINIGTEN STAATEN VOLLSTÄNDIG STATT­ FINDET. IST DIESE BEDINGUNG ERFÜLLT, SO MÜSSEN DIE DEUTSCHEN STREITKRÄFTE AN ALLEN FRONTEN UND AUF ALLEN KRIEGSSCHAUPLÄTZEN SOFORT VOR DEN ÖRTLICHEN KOMMANDANTEN DER ALLIIERTEN DIE WAFFEN STRECKEN. WO AUCH IMMER DER WIDERSTAND FORTDAUERTE, WERDEN DIE ANGRIFFE DER ALLIIERTEN FORTGESETZT, BIS EIN VOLLSTÄNDIGER SIEG ERRUNGEN IST.

Schellenberg hatte große Angst, diese schlechte Nachricht an Himmler weiterzugeben. Er wartete bis Mitternacht, bevor er sein Hauptquartier anrief: »Von Flensburg aus versuchte ich Himmler zu erreichen, bekam aber nur [Himmlers persönlichen Referenten] Brandt ans Telefon. Dieser fragte mich sogleich aufgeregt nach den Ergebnissen. Ich teilte ihm den ungünstigen Verlauf mit, fügte jedoch hinzu, Graf Bernadotte wünsche noch einmal mit Himmler wegen der Frage der deutschen Armeen in Skandinavien zu sprechen. Dieser Vorschlag wurde scharf abgelehnt. Es hieß, ich hätte mich allein bei Himmler zu melden. … Ich mußte nun damit rechnen, daß Himmler mich als den Anstifter für seinen Friedensschritt bezeichnen und für den Fehlschlag verantwortlich machen würde. Es lag auch im Bereich der Möglichkeit, daß ich nunmehr liquidiert werden konnte. Um mich abzuschirmen, kam mir der Gedanke, mich mit einem Astrologen, den Himmler persönlich kannte und auf den er große Stücke hielt, in Verbindung zu setzen und ihn zu bitten, mich zu begleiten. Er sollte Himmler ein Horoskop stellen, und ich war mir sicher, daß dies seine Reaktion auf die Enttäuschung dämpfen würde.« 359

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Als Schellenberg am folgenden Morgen Himmler traf, wusste dieser schon, dass Truman sein Angebot abgelehnt hatte. Da sie erkannten, dass der Kontakt hinter Hitlers Rücken versucht worden war, hatten die Alliierten es an die Nachrichtenagentur Reuters durchsickern lassen, um womöglich das Verhältnis zwischen dem Führer und seinem SS -Chef zu stören. Am frühen Morgen des 28. April beherrschte die Meldung die Schlagzeilen und Radionachrichten auf der ganzen Welt. Wann genau Himmler von Trumans Ablehnung erfuhr – ob Brandt es ihm sagte oder ob er tief in der Nacht noch Radio hörte –, ist unbekannt. Es gibt auch keinen Bericht eines Augenzeugen über seine Reaktion. Für die Prominenten waren die Folgen aber katastrophal. Da es nun keine Möglichkeit mehr gab, sie als Druckmittel bei möglichen Verhandlungen mit General Eisenhower einzusetzen, war ihr Leben wertlos geworden. Irgendwann zwischen Mitternacht und neun Uhr morgens am 28. April befahl Himmler Obersturmführer Bader, alle 137  Gefan­ge­ nen zu liquidieren. Schellenbergs Zögern, vor allem, um seine eigene Haut zu retten, hatte ihnen aber einen Aufschub gewährt. Hätte Himmler von Trumans Entscheidung erfahren, als sie noch in Reichenau waren, wären sie vielleicht dort umgebracht worden. Als er davon erfuhr, hatten sie das Lager aber schon verlassen und befanden sich auf dem Weg zu dem Hotel in Südtirol.

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36 Der Konvoi aus sieben Bussen mit 137  Gefangenen und fünfzig SS und Gestapo-Leuten hatte Innsbruck kurz nach Sonnenuntergang verlassen. Während sie durch das Wipptal zum Brenner fuhren, standen die Silhouetten der Berge vor dem sich verdunkelnden Himmel. Die seit dem 18. Jahrhundert benutzte Straße stieg steil an. Nach der Frühlingslandschaft des Inntals spürten sie nun, wie es kälter wurde, als die Busse die scharfen Kehren umfuhren und der Schneegrenze immer näher kamen. Fey, die den Sinn der Reise nicht kannte, starrte aus dem Fenster. Sie war wieder am Ausgangspunkt angekommen; vor sechs Monaten hatte sie Innsbruck ohne die Kinder verlassen. Die Erinnerung an diesen Tag, die sie so sehr zu verdrängen gesucht hatte, wurde durch die vorüberziehende Landschaft nur stärker. Der Blick über das Tal und die Berge, die sie bei der Fahrt nach Osten vom Zug aus gesehen hatte, erinnerte sie an damals. Hunderte Italiener gingen die Straße entlang und bremsten den Konvoi. Sie waren nach der Besetzung Italiens durch die Wehrmacht 1943  in deutsche Arbeits- und Konzentrationslager deportiert worden und gingen nach der Befreiung durch die Alliierten nach Hause zurück. Manche schoben Karren, andere trieben ein paar Kühe, Schweine oder Esel. »Sie brauchten uns nicht leid zu tun, sie gingen ja in die richtige Richtung«, notierte der SOE -Offizier Peter Churchill grimmig. Auf der alten Straße dauerte es drei Stunden bis auf den Brennerpass, die Grenze zwischen Österreich und Italien. Hier oben blieben die Fahrer stehen, um die Motoren abkühlen zu lassen, und die SS -Männer stiegen aus und verschwanden in den Ruinen eines Betonbaus. Wegen des Vollmonds konnten die Gefangenen Schutt und die Ruine einer ausgebombten Kapelle erkennen. Alle Bergpässe in den Alpen waren von den Alliierten bombardiert worden, um größere Truppen- und Munitionstransporte zur Alpenfestung zu verhindern, 361

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und nach Falconers Worten hatten die Gefangenen vor allem Angst, von einer britischen oder amerikanischen Bombe getötet zu werden: »Wir stiegen alle aus und standen herum … Wir hörten nahezu pausenlos Bombenexplosionen und Maschinengewehr- und Granatfeuer von der Südseite des Passes. Deutsche, die nach Norden zogen, erzählten uns, der Verkehr werde permanent von Bombern und Tieffliegern angegriffen.« Obwohl es tiefe Nacht war und dichter Schnee lag, herrschte dichter Gegenverkehr. Auf der anderen Seite der Alpen führte die Wehrmacht auf einer Linie von Genua bis Triest ein Rückzugsgefecht gegen die Alliierten. Vier Tage später sollten die deutschen Truppen in Italien kapitulieren, und schon jetzt flüchteten Soldaten über den Brenner, um nicht in Gefangenschaft zu geraten. »Deutsche in Italien, die an einen Wagen und das notwendige Benzin kamen, versuchten verzweifelt zurück nach Deutschland zu kommen, um in der Zivilbevölkerung unterzutauchen«, schrieb Falconer. »Es kamen viele wichtig aussehende Dienstwagen, meist mit fünf oder sechs sehr jungen Offizieren.« Nach einigen Stunden kamen die Wachen zurück, und der Konvoi fuhr weiter. »Unsere Hauptsorge war, wo wir hinfuhren«, erinnerte sich Fey. »Wussten das eigentlich die SS -Leute? Wir sahen den Motorradfahrer an der Spitze der Busse. Er schlängelte sich durch den Verkehr, manchmal beschleunigte er und verschwand, um vorne zu erkunden. Dann kam er zurück und stoppte den Konvoi an einer Kreuzung oder einem Abzweig, um mit Bader und Stiller zu reden. Dann gab es viel Schulterzucken und Kopfschütteln.« Isa Vermehren glaubte, sie wüssten gar nicht, wo sie hinsollten, und improvisierten bloß. Der britische Kriegsgefangene »Jimmy« James schrieb B ­ aders Unentschlossenheit der Tatsache zu, dass er »den Kontakt zum Haupt­ quartier verloren hatte.« Doch Bader wusste genau, wo er sie hinbrachte. Der Grund für die zahlreichen Diskussionen mit dem Motorradfahrer lag in der Schwierigkeit, den genauen Standort des abgelegenen Hotels zu finden. 362

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Sein Befehl war gewesen, »uns irgendwohin fortzubringen, zu verstecken, dorthin zu bringen, wo der Feind uns nicht finden könne«, hatte Isa vor der Abfahrt aus Reichenau von Untersturmführer Stiller erfahren. Wenn irgendein Ort diese Anforderungen erfüllte, war es das Hotel Pragser Wildsee, wo Bader hinwollte. Es lag im Pustertal am Ende einer acht Kilometer langen Sackgasse und schaute auf einen kleinen See. Auf allen Seiten war es von Bergen umgeben, und der Fels stieg direkt vom See auf – eine kreidezeitliche Festung aus scharfen Spitzen, gezackten Gipfeln und scharfen Winkeln. Das Hotel Pragser Wildsee war nicht nur ein perfektes Versteck, sondern auch ein perfekter Ort für eine Massenhinrichtung. Bis zum vorigen Abend war es als Unterschlupf vorgesehen gewesen, wo die Prominenten während Himmlers Verhandlungen mit Eisenhower bleiben sollten, doch nun sollte das 180-Zimmer-Hotel Bader als Exekutionsplatz dienen. Als der Konvoi vom Brennerpass die S 49 nahm, die in östlicher Richtung durchs Pustertal führte, spekulierten die Gefangenen, die von Baders Plänen nichts wussten, noch über ihr Ziel. Fey berichtete: »Onkel Moppel war überzeugt, die SS wolle uns nach Bozen bringen, eine Provinzhauptstadt in Südtirol, wo die Nazis anscheinend ein letztes Gefecht planten; … Welche Ironie, so lange überlebt zu haben und dann in der letzten Schlacht des Krieges getötet zu werden!« Auch die britischen Kriegsgefangenen hielten Hitlers berühmte Alpenfestung für das wahrscheinlichste Ziel, und während der Konvoi das Tal durchfuhr, war Falconer erleichtert, dass die Wehrmachtsstellungen unbemannt waren: »Beim Einfahren ins Pustertal sahen wir, dass es auf eine Belagerung vorbereitet war. Im ganzen Tal gab es Panzerfallen, Unterstände an strategischen Punkten und ähnliche Befestigungen an den Zugängen der Seitentäler. Doch von SS oder Wehrmacht keine Spur.« Dann hielt der Konvoi auf freier Straße zwischen Monguelfo-­Tesido (Welsberg-Taisten) und Villabassa (Niederdorf) und fuhr rechts auf eine Haltebucht. Auf der einen Seite zogen sich Felder mit hübschen 363

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Bauernhäusern hinauf zu Föhrenwäldern, auf der anderen begann der Wald gleich hinter einer Bahnstrecke. Rund 400 Meter höher schlossen Bergspitzen das Tal ein. Bader befahl den SS -Leuten, eine Kette um die Busse zu bilden, und die Wachen stellten sich alle zehn Meter mit Maschinenpistolen auf. Von ihrem Platz aus sah Fey, was vorging: »Zwischen Bader und Stiller, die ausgestiegen waren, kam es zu einer lebhaften Auseinandersetzung. Dann gingen sie, ohne ein weiteres Wort an uns in Richtung Niederdorf davon. Wir blieben mit einigen Wachposten in den Bussen zurück.« Der Konvoi hatte kurz vor einer belebten Kreuzung gehalten. Das Schild mit der Aufschrift »Pragser Wildsee 8 km« hatte für Fey und die 136  übrigen Gefangenen keine Bedeutung. Der Grund für den Halt und den Streit zwischen Bader und Stiller war aber gewesen, dass das Hotel voll war. Am Tag zuvor hatten drei Wehrmachtsgeneräle mit ihrem Stab es mit Beschlag belegt, obwohl Franz Hofer, der Gauleiter von Tirol und Vorarlberg, es Baders Einheit zugewiesen hatte, und nun war das Hotel voller Soldaten. Das war ein weiterer Glücksfall für die Prominenten. So wie Schellenbergs Zögern, Himmler den Inhalt von Trumans Telegramm zu übermitteln, bevor die Fahrt nach Reichenau die Hinrichtung aufgeschoben hatte, hinderte nun die Anwesenheit der Wehrmacht im Hotel Pragser Wildsee Obersturmbannführer Bader daran, die Gefangenen dorthin zu transportieren, wo er sie ermorden wollte. Ohne dieses Ziel drohte ihm die Kontrolle zu entgleiten. Kaum war er losgegangen, um das RSHA anzurufen, forderten zwei Gefangene, sofort aus dem Bus gelassen zu werden. Es waren Oberst von Bonin, der verhaftet worden war, weil er seinen Soldaten während der sowjetischen Winteroffensive den Rückzug befohlen hatte, und Wilhelm Flügge, ein Flugzeugingenieur, der als politisch unzuverlässig galt. Erst später erfuhr Fey, dass die beiden von Baders Plan zur Liquidierung der Gruppe Wind bekommen hatten: »Auf der Fahrt nach Niederdorf hatten sich Bader und Stiller unterhalten in der Annahme, daß ihnen niemand zuhöre, weil wir todmüde wären und schliefen. Aber Bonin und Flügge taten nur so, als ob sie schlie364

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fen, tatsächlich lauschten sie, und so gelang es ihnen, einiges aufzuschnappen, das allerdings ausreichte, ihnen die Dramatik unserer Lage deutlich zu machen. Die beiden SS -Männer flüsterten sich zu: ›Was machen wir mit denen, die wir erledigen sollen?‹ – ›Wir haben den Befehl, Bomben unter den Fahrzeugen anzubringen, etwas früher oder gleich nach dem Moment.‹ Bonin und Flügge wußten nicht, was mit dem ›Moment‹ gemeint war, ihnen war jedoch klar, daß sie handeln mußten.« Der Kirchturm von Niederdorf war knapp zwei Kilometer von der Kreuzung entfernt. Bader und Stiller gingen dorthin, und nachdem sie um eine Straßenbiegung verschwunden waren, folgten Bonin und Flügge ihnen. Zu ihrer Überraschung hielt niemand sie auf. Auch andere Gefangene bemerkten die Gleichgültigkeit der Wachen und stiegen aus. Als Bonin und Flügge vorbeigingen, erzählten sie einigen rasch, was sie mitgehört hatten. Sie baten sie auch, es für sich zu behalten, um keine Panik zu verbreiten. Ihre Sorge bedeutete, dass Fey und die anderen Frauen und Kinder die nächsten 36 Stunden am Halteplatz verbrachten, ohne zu wissen, in welcher Gefahr sie schwebten. In Baders und Stillers Abwesenheit konnten die männlichen Gefan­ genen aussteigen. Einige, wie der britische Kriegsgefangene Jack Churchill verschwanden, doch die Mehrheit beschloss uneigennützig, dazubleiben und die wehrlosen Mitglieder der Gruppe zu beschützen. Bei der Suche nach einer Rettungs- oder Fluchtmöglichkeit traten rasch fünf Männer als Anführer hervor: der italienische Partisanenführer Sante Garibaldi, der britische Flieger »Wings« Day, General Georg Thomas, Oberst Bonin und Payne Best. An diesem Morgen wurden wichtige, wenn auch getrennte Initiativen in Gang gesetzt. Die erste war ein von Garibaldi und Day entworfener Rettungsplan. In Abwesenheit von Bader und Stiller gingen sie in die entgegengesetzte Richtung von Flügge und Bonin. Der Konvoi hatte nahe einem Bahnübergang gehalten, und zufällig hatten sie erfahren, dass der Bahnwärter dem Südtiroler Widerstand angehörte. Im Wald nicht 365

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weit von den Bussen entfernt befand sich eine Einheit von tausend Partisanen, die den Konvoi sofort angreifen und die Gefangenen befreien konnte, wenn man sie darum bat. Würden aber nach dem Angriff noch Gefangene am Leben sein? Angesichts der SS -Wachen um die Busse herum und die vielen Frauen, Kinder und Alten hielten Garibaldi und Day einen Angriff bei Tageslicht für zu riskant. Stattdessen beschlossen sie, ihn auf die kommende Nacht zu verlegen, sobald sie herausbekommen hätten, wie sie die SS -Leute überwältigen und den Gefangenen maximalen Schutz bieten konnten, wenn die Partisanen losschlugen. Während Day und Garibaldi im Bahnwärterhäuschen an den Einzelheiten des Angriffs arbeiteten, verfolgte Payne Best, der beim Konvoi geblieben war, eine andere Taktik. Da er spürte, dass einige Wachen nervös und angespannt waren, beschloss er, sie auszuhorchen. »Ich stand inzwischen mit einigen von ihnen auf ganz gutem Fuß, auch ein paar von Baders Leuten, die seit Schönberg bei uns waren, und obwohl sie auf Befehl auf uns geschossen hätten, schienen sie sich nicht darum zu reißen – ein oder zwei, mit denen ich redete, fanden es gar keine üble Idee, als erstes Stiller und Bader zu erschießen.« Payne Best redete auch mit Stiller selbst: »Er hatte offensichtlich Angst und neigte dazu, uns zu verschonen, in der Hoffnung, wir würden ein gutes Wort für ihn einlegen, wenn unsere Truppen ihn gefangennahmen. Er befehligte 30 Mann, Bader nur 20.« Selbst nach den mörderischen Standards der SS waren beide Einheiten sehr unterschiedlich. Baders Truppe aus fanatischen Nazis war von Anfang an für Liquidierungen aufgestellt worden, während Stillers Männer meist Ex-Wehrmachtssoldaten waren, die man nach ihrer Verwundung der SS zugeteilt hatte. Payne Best redete mit einigen von ihnen und meinte, keiner »hegte den leisesten Wunsch, sich an einem Massenmord zu beteiligen.« Wenn Stiller sich bestechen werden ließ, schien es möglich, die Männer zu überzeugen, den Gefangenen bei der Flucht zu helfen. Danach ging Payne Best zu dem Industriellen Fritz Thyssen und dem früheren Reichsbankpräsidenten und Wirtschaftsminister ­Hjalmar Schacht. Beide saßen im Bus der Sippenhäftlinge und ließen 366

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sich von Payne Best überzeugen, 100 000 Schweizer Franken als Belohnung für Stiller aufzubringen, wenn er den Konvoi an die Schweizer Grenze brachte und die Gefangenen hinüberließ. Doch Thyssen und Schacht hatten zu viel Angst, um Stiller das Angebot selbst zu machen, und Payne Best hielt es für zu gefährlich, ihm einen Vorschlag zu machen, der nur von anonymen Personen garantiert wurde. In diese angespannte Situation kam im strömenden Regen Anton Ducia. Der Konvoi, der inzwischen seit mehreren Stunden an der Straße stand, hatte die Aufmerksamkeit der vorübergehenden Einheimischen erweckt. »Die ersten Bauern kommen heran«, erinnerte sich Schuschnigg, »sie bleiben noch in Respektdistanz vor der zum Teil recht unfreundlichen SS -Wache, welche die Autos umstellt hat. Sie grüßen heimlich – da und dort blitzt es auf in den Augen – die Pusterer haben bald herausgefunden, was los ist.« Schuschnigg war in diesem Teil Tirols bekannt, der bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zu Österreich gehört hatte. Jemand hatte ihn erkannt und Ducia verständigt. Dieser kam sofort aus seinem Büro in Niederdorf und ging zu dem Konvoi. Der britische Gefangene James beschrieb Ducia als »jung und energisch wirkenden Mann«. Er stellte sich Stiller als Quartiermeister des Gebiets mit Autorität von Gauleiter Hofer vor, verschwieg aber, dass er auch der örtliche Kommandeur der Südtiroler Widerstandskämpfer war. Er zeigte seine Parteipapiere und bot an, eine Unterkunft für die SS -Leute und die Gefangenen in Niederdorf zu arrangieren. Obwohl Stiller ihn vorsichtig als Verbündeten akzeptierte, musste Ducia noch zweimal ins Dorf und zurück laufen, bevor Stiller dem neuen Standort zustimmte. Auf diesen Gängen konnte Ducia eine Botschaft an Payne Best übermitteln. Er sagte, er halte durch ein geheimes Funkgerät Kontakt zur US -Armee und habe gebeten, eine Rettungsaktion aus der Luft zu starten. Unterdessen war Bonin in Niederdorf zum Postamt gegangen und hatte versucht, Generaloberst von Vietinghoff anzurufen, einen alten Freund und Wehrmachtskameraden. Vietinghoff war Oberbefehlshaber der Heeresgruppe C in Italien, und sein Hauptquartier 367

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in Bozen lag nicht weit entfernt. Bonin wollte ihn bitten, eine Infan­ teriekompanie zu schicken, um die Gefangenen vor der SS zu schützen. Da er ihn nicht erreichte, sprach Bonin mit Generalmajor Rötti­ ger, dem Stabschef der Heeresgruppe  C, den er ebenfalls kannte. Röttiger stimmte prinzipiell zu, brauchte aber die Erlaubnis Vietinghoffs, der nicht im Hauptquartier war. Er versprach, bei seiner Rückkehr sofort mit ihm zu sprechen. Am Abend waren die Prominenten ihrer Befreiung nicht näher gekommen: Bonin hatte seinen Freund nicht erreicht, Thyssen und Schacht fehlte der Mut, um Stiller direkt zu bestechen, und der Partisanenangriff sollte erst am nächsten Abend stattfinden. Ducias Funkspruch an die US Army blieb ihre größte Hoffnung, aber in der Nähe gab es kein Flugfeld, und die Chance, dass die Amerikaner wertvolle Bodentruppen abzweigen würden, um Gefangene zu befreien, von denen über die Hälfte Deutsche waren, war gering. Bader wiederum stand bei seinem Befehl zur Liquidierung der Gefangenen vor unlösbaren Schwierigkeiten. Während die meisten Frauen und Kinder noch in den Bussen waren, waren die anderen nach Niederdorf gegangen und saßen jetzt in Cafés und Restaurants im ganzen Dorf. Logistisch war es unmöglich, sie umzubringen, bevor er sie an einem Ort zusammengebracht hatte, es sei denn, man erschoss sie einen nach dem anderen, was er ausschloss. In dieser Endphase des Krieges bei so vielen Zeugen riskierte er, sich schwer zu belasten. Über Informanten hatte Bader auch von dem bevorstehenden Partisanenangriff erfahren. Das mittelalterliche Dorf mit seinem Gewirr von Gassen, die vom Hauptplatz wegführten, war schwer zu verteidigen, und da die Partisanen angeblich über tausend Mann hatten, würden seine fünfzig SS -Männer überrannt werden. Unter diesen Umständen entschied Bader sich am frühen Abend dafür, die Kriegsgefangenen und die jüngeren Wehrmachtsoffiziere einzusperren. Aber in einem Ort, der sich seit dem 15. Jahrhundert kaum verändert hatte, war auch das nicht einfach. Niederdorf war eine der wenigen Kutschstationen im Pustertal, und sein Zentrum, die Piazza Santa Trinità, war von Häusern umgeben, die einmal rei368

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chen Kaufleuten gehört hatten. Mit ihren hübschen pastellfarbenen Fassaden und Giebeldächern waren sie seit der Zunahme des Tourismus zu Hotels geworden. Die kleinen Zimmer und zahlreichen Haustüren, von denen manche auf die Höfe dahinter führten, machten sie zu schlechten Gefängnissen. Das einzige sichere Gebäude war das Rathaus an der Piazza. Es war früher eine Zollstation gewesen, und die Fenster im Erdgeschoss waren vergittert. Bader verteilte Posten im ganzen Gebäude und schlug davor sein Hauptquartier auf  – die nebeneinander auf dem Platz geparkten SS -Versorgungslastwagen, die nicht in die pittoreske Umgebung passten. Den Kriegsgefangenen war klar, dass Bader bewusst die »Unruhestifter« einsperrte. James erinnerte sich, dass Day eine Vorverlegung des Partisanenangriffs überlegte, als sie hörten, die SS wolle sie im Rathaus einsperren. »Ein Angriff der Partisanen, die allein schon durch ihre Zahl die SS überwältigt hätten, vielleicht mit wenigen Verlusten, war besser als herumzusitzen und darauf zu warten, von Baders Leuten umgebracht zu werden.« Die deutschen Offiziere, die Bonins Plan vorzogen, lehnten das ab, was Spannungen erzeugte. Verständlicherweise vertrauten die britischen Kriegsgefangenen der Wehrmacht nicht und fanden die Idee, ihre Feinde um Hilfe zu bitten, abstoßend. »Wir wollten die Befriedigung, uns ohne deutsche Hilfe zu befreien«, schrieb James. Unter denen, die von der SS schließlich ins alte Zollhaus gesperrt wurden, war auch Fabian von Schlabrendorff, der Offizier, dessen Bombe in Hitlers Flugzeug im März 1943 nicht gezündet hatte und der mit Ulrich von Hassell eingesperrt gewesen war. »So standen wir, von einer SS -Mannschaft bewacht, ohne Unterkunft im strömenden Regen auf der Straße. Die Gesichtszüge der SS -Männer zeigten ihre innere Erschütterung. Der rasche Vormarsch der Alliierten hatte ihre Weltanschauung ins Wanken gebracht. Trotzdem begannen sie sich über die Frage zu unterhalten, wen sie von uns noch umbringen müßten.« Im Rathaus mussten die Gefangenen auf dem Steinboden schlafen, stellten nachts aber Wachen auf. Sie hätten ohne Waffen zwar 369

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nicht viel ausrichten können, wollten aber nicht unversehens im Schlaf ermordet werden. Der britische Offizier Hugh Falconer machte sich Sorgen wegen der großen Menge Stroh, die man ihnen gegeben hatte: »Wir besprachen, wie gut das Stroh brennen würde und wie gefährlich ein Feuer wäre, das nachts, wenn wir eingesperrt wären, ausbrechen würde. Wir waren im ersten Stock des Gebäudes, und es war recht hoch über der Erde. Wir beschlossen eine Wache aufzustellen, um im Notfall Alarm zu geben.« Während sie wach lagen und nicht einzuschlafen wagten, waren alle sich ihrer gefährlichen Lage bewusst. Es war nicht klar, wer wen zu erschießen plante. Würde die SS auf die Gefangenen schießen? Würden die Soldaten auf die SS schießen – falls und wann immer sie eintrafen? Oder würden die Partisanen auf SS und Soldaten schießen und auf jeden, der ins Kreuzfeuer geriet? Fünfzig Meter weiter befand sich Payne Best im Hotel Bachmann, wo er mit General Thomas und einigen anderen Gefangenen untergebracht war. Er verbrachte den Abend damit, mit den beiden SS -Wachleuten in der Küche zu trinken. In der Hoffnung auf Informationen hatte er sie betrunken gemacht, und um Mitternacht hatten sie glasige Augen. Der eine war Baders Quartiermeister Fritz: »Fritz war abwechselnd weinerlich und aufsässig, redete über seine Frau und unschuldigen Kinder oder dass er sich niemals lebendig gefangennehmen lassen würde«, berichtete Payne Best. »Er sagte, seine Frau und Kinder hätten keine Ahnung, dass er Hunderte, nein Tausende Menschen getötet hätte, und der Krieg wäre eine schreckliche Sache, aber daran seien die Juden und die Plutokraten in England und Amerika schuld. Der Führer sei ein guter Mensch und wolle nur den Frieden, genau wie die einfachen Leute überall, aber die Juden seien eine Plage, die alles auf ihrem Weg zerstöre … Dann zog er ein Papier aus der Tasche und sagte: ›Hier ist Ihr Exekutionsbefehl; übermorgen leben Sie nicht mehr.‹« Fritz erzählte, Bader wolle die Gefangenen in ein Hotel in den Bergen bringen, um sie dort zu erschießen. Danach würde das Hotel angezündet werden. In der hell erleuchteten Küche, vor der Besitzerin, 370

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die Töpfe und Pfannen abwusch, erklärte der betrunkene SS -Offizier Payne Best seine Einwände gegen Baders Plan: »Das gefällt mir gar nicht. Ich weiß, wie es ist, Leute mit Maschinengewehren zu erschießen, die Hälfte ist nicht richtig tot – die Kugeln sind zu klein und man kann nicht richtig zielen –, darum sind viele nicht tot, wenn das Haus angezündet wird.« »Herr Best, Sie sind mein Freund«, fuhr er fort. »Ich sage Ihnen, was wir machen. Bevor das Schießen losgeht, stellen Sie sich neben mich, damit ich Ihnen einen Schuss in den Hinterkopf geben kann … das ist die beste Art zu sterben – Sie werden überhaupt nichts merken – ich bin ein toller Schütze – schieße nie daneben.« Dann zog er eine Pistole hervor und erklärte die Technik: »Man darf sie nicht mit der Pistole berühren, sonst zucken sie, und der Schuss geht vorbei. Nein, man muss sorgfältig zielen, weil die Kugel einen bestimmten Lauf nehmen muss, um jemanden sofort zu töten, und man muss es schnell tun. Ich kann es fast ohne hinzusehen  … Drehen Sie sich mal um, ich zeig es Ihnen.« Payne Best versuchte ihn zu überzeugen, es sei Unsinn, noch in dieser späten Phase des Krieges jemanden zu erschießen, schließlich würde Fritz in ein paar Tagen auch ein Gefangener sein. »Das brachte ihn wieder in Wallung, und er sagte, niemand werde ihn gefangennehmen, alle SS -Männer würden bis zum letzten kämpfen, und sein Freund mit den glasigen Augen wachte soweit auf, um sagen zu können: ›Schießt sie alle ab – peng, peng, peng – am besten alle wegpusten.‹ Dann wischte er mit dem Arm Flasche und Gläser vom Tisch.« Payne Best ging zurück in sein Zimmer. Um drei Uhr wurde er von General Thomas geweckt. Endlich war eine Botschaft von Generaloberst Vietinghoff gekommen, ein Offizier und eine Infanterieeinheit seien unterwegs. Vietinghoff hatte auch Obergruppenführer Karl Wolff, den höchsten SS - und Polizeiführer in Italien, auf die Anwesenheit von »annähernd 160  prominenten Geiseln« im Gebiet Bozen aufmerksam gemacht. Wolff wiederum schickte eine geheime Nachricht an Feldmarschall Alexander, den alliierten Oberbefehlshaber für den ­Mittelmeerraum, und bat ihn um Hilfe bei der Rettung der Gefangenen. 371

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Diese außergewöhnliche Geste wird dadurch erklärt, dass Wolff noch am selben Tag im Königspalast von Caserta  – dem alliierten Hauptquartier bei Neapel – ein Dokument über die Kapitulation der deutschen Truppen in Italien unterzeichnete, das den Krieg in Italien beendete. Die Kapitulation war durch Verhandlungen mit US -Geheimdienstchef Allen Dulles vorbereitet worden und sollte drei Tage später, am 2. Mai, in Kraft treten. Die Geiseln waren jedoch immer noch nicht außer Gefahr. Als General Thomas Payne Best geweckt hatte, war Vietingshoffs Offizier schon in Niederdorf eingetroffen. Er hieß Major Wichard von Alvensleben und war der Bruder von Ludolf von Alvensleben, dem berüchtigten SS - und Polizeiführer von Udine. Vietinghoffs Befehle an Alvensleben waren unklar. Man sagte ihm nur, es gebe einen »Konvoi von Prominenten« in Niederdorf und er solle sich überzeugen, was der »Ärger« solle, und, »wenn nötig, Lebensmittel und Unterkünfte für sie besorgen.« Da die Verhandlungen in Caserta in einer kritischen Phase waren, hatte Vietinghoff seine Befehle bewusst vage gehalten, weil er gefährliche Elemente in der SS befürchtete. Er wusste aber, dass er seinem Major von Alvensleben vertrauen konnte, dessen Abscheu vor der SS mit Scham vermischt war: Die Teilnahme seines Verwandten Ludolf-Hermann von Alvensleben an Gräueltaten auf der Krim sowie sein Bruder Ludolf von Alvensleben als Polizeiführer in Udine hatten seine im Übrigen nazifeindliche Familie in Verruf gebracht. Auf Feys Frage sagte er später: »Das ist mein Bruder. Er ist das schwarze Schaf der Familie. Er ist stets ein Nazi gewesen. Reden wir nicht von ihm! Man kann nur hoffen, daß er das Ende des Krieges nicht überlebt hat!« Bei Alvenslebens Ankunft war es spätabends. Er ließ seine Kompanie vor dem Ort zurück und ging zu Fuß nach Niederdorf, um die Lage zu erkunden. In den leeren Straßen sah er kein Zeichen des Konvois oder der Prominenten, die um diese Zeit im Rathaus bewacht wurden oder auf Hotels und Gasthäuser verteilt waren. Als er sich der Piazza Santa Trinità näherte, sah er aber die SS -Männer mitten auf dem Platz. 372

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Der Anblick der fünfzig Mann starken Truppe verunsicherte ihn. Er hatte nur fünfzehn Soldaten, außerdem hatte er keine Befugnis zu einer Militäraktion, falls Bader sich weigerte, die Gefangenen zu übergeben. Dennoch brachte er bei Sonnenaufgang seine Männer am Rand des Platzes gegenüber der SS in Stellung. Wenige Stunden später hatte Bader unter dem Druck der Dorfbewohner, die forderten, die Gefangenen müssten etwas zu essen bekommen, keine andere Wahl, als sie aus ihren Nachtquartieren zu lassen. James schilderte, was er sah, als er aus dem Rathaus kam: Auf dem Platz standen die SS -Leute unsicher um ihre Wagen herum und vor ihnen Bader voller Hass und Trotz. Ihnen gegenüber standen rund 15 Soldaten unter dem Befehl eines jungen Leutnants. Die SS -Leute diskutierten erregt miteinander und wollten sich offensichtlich nicht einer Wehrmachtseinheit ergeben, deren Kommandeur von Alvensleben unsicher wirkte, was er tun solle … Ich sah Bonin, der die Lage zu beherrschen schien, neben den Wehrmachtssoldaten stehen. Er sagte zu Alvensleben, er übernehme die volle Verantwortung für das Handeln seiner Truppe, und er solle die SS -Männer entwaffnen. Der Feldwebel brüllte die Befehle, und rasch wurden zwei schwere Maschinengewehre aufgebaut und auf die SS gerichtet. Oberst von Bonin ging über den Platz zu Bader und sagte, die SS -Leute müssten die Waffen niederlegen. Wenn sie sich weigerten, würden die Maschinengewehre das Feuer eröffnen. Sie zögerten einen Augenblick, dann ließen sie die Waffen fallen … Bader bat wenig später um Benzin, um mit seinen Männern wegfahren zu können. Bonin verweigerte ihm das nicht nur, er war auch kaum davon abzubringen, alle SS -Männer an Ort und Stelle zu erschießen.

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37 An der Kreuzung außerhalb von Niederdorf saß Fey immer noch im Bus und wartete mit den anderen Frauen und Kindern: »Wir warteten angespannt auf Nachricht von den anderen. Ich war besonders um Alex besorgt, der mit den Kriegsgefangenen ins Rathaus gesperrt worden war. Kurz nach Sonnenaufgang sahen wir plötzlich einen Mann aus der Richtung von Niederdorf gelaufen kommen. Er war einer der ungarischen Kriegsgefangenen und rief und winkte mit den Armen, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Als er näherkam, sahen wir seine glückliche Miene. Wir konnten kaum glauben, was er erzählte: Bader und seine Leute waren weg. Wir stürzten aus dem Bus und eilten aufgeregt ins Dorf. Dort fanden wir die anderen feiernd im Hotel Bachmann. Zum ersten Mal bestellten wir Getränke wie gewöhnliche Leute!« Damit Bader keinen weiteren Ärger machte, hatte Vietinghoff ihm befohlen, zum Wehrmachtskommando in Bozen zurückzukehren. Doch die Feier dauerte nach Feys Worten nicht lange: »Alvensleben sagte, er und seine rund zehn Soldaten würden bei uns bleiben, aber als Beschützer, nicht als Wachen. Das seien die Befehle von General von Vietinghoff. Die Wehrmacht war besorgt, dass Bader und seine SS -Leute, die sich immer noch nahe bei Villabassa aufhielten, einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen könnten, den Liquidierungsbefehl auszuführen.« Es gab auch Berichte über Kämpfe zwischen verschiedenen Par­ tisanengruppen – Kommunisten, Pro-Österreicher und italienische Nationalisten – und es bestand die Gefahr, dass die Gefangenen ins Kreuzfeuer geraten könnten. Da er unter diesen Umständen das Hotel Pragser Wildsee für den sichersten Ort hielt, befahl Vietinghoff den Wehrmachtsgenerälen, es zu räumen. Am nächsten Tag stiegen die Gefangenen in die Busse, um zu dem sieben Kilometer entfernten Hotel zu fahren, das ohne Vietinghoffs Mut zum Ort ihrer Hinrichtung geworden wäre. 374

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Es schneite heftig, und sie mussten das letzte Stück zu Fuß zurücklegen, da die einspurige Straße zum Hotel unpassierbar war. Die Besitzerin Emma Heiss-Hellenstainer wartete am Eingang. »Nun waren alle froh, dem Leben wiedergegeben zu sein, dankbar für jedes gute Wort, für jede kleine Aufmerksamkeit«, schrieb sie in ihr Tagebuch. »Immer wieder wurde mir die Hand gedrückt und geküßt.« Nach dem Eintragen ihrer Namen ins Gästebuch wies sie ihnen Zimmer zu, und ein Gepäckträger führte sie nach oben. Das im Chalet-Stil mit umlaufenden Holzbalkonen erbaute vierstöckige 180-Zimmer-Hotel war ein eindrucksvolles Gebäude. Es lag in fast 2000 Metern Höhe und war vor dem Krieg ein Erholungsort für den europäischen Hochadel gewesen, der die spektakuläre Szenerie genoss. Im Winter war das Hotel meist geschlossen, und ohne Heizung waren seine komfortablen Zimmer und großen Salons mit ausgestopften Dachsen, Hirschköpfen, Habichten und Adlern eiskalt. James schrieb jedoch: »Nach meinen Jahren hinter Stacheldraht, Zellenmauern und Wachtürmen kam es mir wie ein wunderbarer Traum vor.« Auch Fey war von dem Hotel bezaubert: »Ich konnte den Blick nicht von meinem Fenster lösen, von den schneebedeckten Bergen, die sich steil über dem stillen, geheimnisvoll-traurigen See erhoben.« Es gab reichliches Essen, das von den Dorfbewohnern und Bauern geliefert wurde, und man stellte einen Dienstplan für Kochen und Küchendienst auf. Die Männer sammelten draußen Feuerholz für die Kamine, und unter Anleitung der Besitzerin machten alle Listen von dem, was sie brauchten. Viele besaßen nur die Kleider, die sie anhatten; sie brauchten Schuhe, Mäntel, Unterwäsche, Hemden, Hosen, Strümpfe, Rasiermesser, Haarbürsten, Socken und Zahnbürsten. Es gab auch einen Kasten für Beschwerden und Vorschläge, und die Zeiten der vier Messen, die täglich in der kleinen Kapelle am Seeufer gelesen wurden, standen auf einer Tafel. Hugh Falconer, der sich mit Radiotechnik auskannte, fand einen alten Apparat und reparierte ihn. Abends versammelte sich die Gruppe im Speisesaal und hörte BBC . Sie jubelten und klatschten, als gemeldet wurde, Hitler habe Himmler wegen dessen »Verrat« 375

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­entlassen und eine Elitetruppe aus Leibwächtern des Führers habe den Befehl erhalten, ihn zu suchen und hinzurichten. Draußen bildeten Alvenslebens Soldaten eine Kette um das Hotel. Sie standen meist außer Sicht im Wald hinter und neben dem Hotel, und die Gruppe bemerkte kaum ihre Anwesenheit. Als sie sich in der ersten Nacht schlafen legten, waren sie nach Peter Churchills Worten sehr erleichtert: »In dieser wunderbaren Umgebung fühlten wir unter dem Schutz von Alvenslebens Einheit, dass unsere Freiheit fast begonnen hatte.« Doch Himmler, der vor Hitlers Mördern aus Berlin geflohen war, war immer noch entschlossen, seine früheren Geiseln zu töten. Am nächsten Morgen, dem 1. Mai, warnte Generalmajor Vietinghoff Major Alvensleben vor der Anwesenheit zahlreicher SS -Leute in der Gegend. Später fragte sein Hauptquartier beim RSHA an, welchen Auftrag sie hätten. Die Abhör- und Entschlüsselungsspezialisten im britischen Bletch­ ley Park fingen diese Unruhe in Vietinghoffs Hauptquartier auf. Am Abend wurde die entschlüsselte Botschaft mit der Einstufung »Streng Geheim« in die Mappe für Winston Churchill mit den wichtigsten abgefangenen Funksprüchen des Tages gelegt. Auf diese Abschrift waren Absendetag und -stunde gestempelt: »14 Uhr 15, 1.5.1945« – 23 Stunden nach Hitlers Selbstmord im Bunker unter der Reichskanzlei und zehn Stunden vor Inkrafttreten der deutschen Kapitulation in Italien: AN REICHSFÜHRER SS HEINRICH HIMMLER VON A.O.K. 19 * IM GAU TIROL-VORARLBERG HALTEN SICH GROSSE NICHT KÄMPFENDE EINHEITEN VON WAFFEN-SS, SD UND GE­ STAPO IN DEN TÄLERN AUF. EINHEITEN BEFOLGEN KEINE BEFEHLE, IN DIE KÄMPFE EINZUGREIFEN, DA SIE ANGEB­ LICH EINE SONDERAUFGABE FÜR DEN REICHSFÜHRER SS *  KonradDas Armeeoberkommando der 19. Armee

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AUSFÜHREN. ERBITTEN BEFEHL VON REICHSFÜHRER SS AN A.O.K. 19

Falls das RSHA hierauf antwortete, wurde es nicht abgehört. Erst über fünfzehn Jahre später konnte Josef Hanser, der Pfarrer der Osttiroler Gemeinde Sillian, Licht auf die »Sonderaufgabe« werfen, die Himmler der SS gegeben hatte. Am 1. Mai bekam er Besuch von Hans Philipp, dem Gestapo-Chef von Sillian. Dieser zeigte ihm ein Schreiben der Gestapo, das ihn beauftragte, die Gefangenen wieder festzunehmen – entweder in Niederdorf oder im Hotel Pragser Wildsee – und über die Grenze nach Klagenfurt zu bringen, wo sie hingerichtet werden sollten. Man berichtet: »Dieser Befehl brachte ihn ganz durcheinander.« Der Pfarrer konnte ihn aber von dem Massenmord abbringen. Einige Stunden später schluckte Philipp aus Angst, den Befehl doch ausführen zu müssen, eine tödliche Dosis Veronal. Der Krieg in Italien endete am 2. Mai um Mitternacht. Philipps Selbstmord war einer der ersten von vielen, die SS - und Gestapoleute in den folgenden Tagen begingen. Schließlich erreichte am 4. Mai um 6.15  Uhr eine Kompanie der US  Army ohne Vorankündigung das Hotel. Jeeps und Panzerwagen donnerten die Zufahrt entlang, außen hielten sich italienische Partisanen fest. Als Erstes entwaffneten sie die Wehrmachtssoldaten. James kam gerade mit anderen aus der Gruppe von der Frühmesse in der Kapelle am See zurück: »Als wir näherkamen, sahen wir eine Reihe Fahrzeuge auf der Straße vor dem Hotel stehen, und da waren Soldaten, offensichtlich Amerikaner. Es schien unglaublich … Rasch teilten sie ihre Schokolade und Zigaretten mit uns, eine mobile Wäscherei wurde auf dem Rasen aufgebaut, und Netze wurden für Handball und anderen Sport aufgebaut. Unsere Rationen wurden um so köstliche und lange vermisste Dinge wie Waffeln mit Sirup und Eier mit Speck erweitert, aber sie entschuldigten sich, nur Frontrationen zu haben!« Die Deutschen in der Gruppe, die bedrückt waren, dass Alvens­ leben und seine Männer – ihre wahren Retter – nun Kriegsgefangene 377

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waren, freuten sich weniger: »Unsere Soldaten mussten die Waffen auf einen Haufen legen und kommen in Gefangenschaft. Ein erschütterndes Bild«, notierte Gagi von Stauffenberg in ihrem Tagebuch. Der Anblick der auf ihren Abtransport wartenden Männer erweckte auch bei Isa Mitleid: »Die Menge der deutschen Landser saß irgendwo still in der Sonne, die Beine weit von sich gestreckt, in ihren Zügen vielleicht den Ausdruck müder Traurigkeit. Es hatte ja wirklich nicht an ihnen und ihrem fehlenden Mut gelegen, daß der Krieg verloren war. Ihre Kraft war vergeudet worden, vergeudet und verschwendet auch das Blut und das Leben unzähliger Kameraden, verpraßt und verschlissen die materiellen Güter eines ganzen Volkes, verkauft und verspielt worden waren sie mit allem, was sie hatten, von einer Clique gewissenloser Halunken.« Die Effizienz der US -Truppen und ihre Ressourcen verblüfften die Gruppe. Fast sofort bekamen die alliierten Kriegsgefangenen GI -Uniformen, und alle mussten duschen und sich entlausen lassen. Wasser wurde aus dem See gepumpt und mit einem Ölofen aufgeheizt und Reihen von Duschen auf dem Rasen vor dem Hotel aufgebaut. Alle bekamen Seife und frische Handtücher, dann duschten die Soldaten um 14 Uhr, die Männer in der Gruppe um 15 Uhr und die Frauen um 16 Uhr. Am selben Abend führte die Army im Speisesaal den Film America vor. Kurt Schuschnigg schrieb in sein Tagebuch: »Die amerikanische Truppe macht einen gewaltigen Eindruck. Abgesehen von ihrer für unsere Begriffe einfachhin fantastischen Ausrüstung und Verpflegung.  … Sie tun, was sie können für uns: unaufdringlich, hilfsbereit, anteilnehmend, natürlich – mit einem Wort: menschlich. Das also ist Amerika. Die angeblich unsoldatische, durch und durch mechanisierte, und wie es manchmal hieß, der Dekadenz zuneigende Nation. Nun, – wir begreifen, daß sie den Krieg gewonnen hat!« Mit der US   Army kamen auch Horden von Kamerateams und Journalisten, die die berühmten Gefangenen interviewen wollten. Sie baten um Interviews mit Léon Blum, Prinz Xavier von Bourbon und Schuschnigg selbst. »Nur die Reporter behagen mir nicht«, notierte 378

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er, »was soll man schon sagen; man muß erst mühsam die Gedanken sammeln; und man begreift nur schwer, denn im Lauf der Jahre ging doch manches verloren.« * »In diesen ersten Tagen der Freiheit schien uns Prags wie das Paradies auf Erden«, erinnerte sich Fey. Die Freiheit bedeutete, jede Minute mit Alex verbringen zu können. Nach Monaten der erzwungenen Nähe zu anderen, waren sie allein. Trotz ihrer moralischen Bedenken hatte sie nicht die Willenskraft, ihren Gefühlen zu widerstehen. »Ich fand einen inneren Frieden mit Alex, den ich nie zuvor empfunden hatte«, schrieb sie. »Ich ertrug den Gedanken einer Zukunft ohne ihn nicht. Ich wollte ein neues Leben mit ihm beginnen.« Als Alex eines Nachts Fey bat, Detalmo zu verlassen und ihn zu heiraten, sagte sie ja.

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38 Am Nachmittag des 9. Mai traf Brigadegeneral Leonard Gerow, der Kommandeur der 15. Armee, im Hotel ein und teilte der Gruppe mit, er solle sie auf Anweisung des Alliierten Oberkommandos nach Neapel bringen, und sie sollten sich auf die Abfahrt vorbereiten. Pünktlich um neun Uhr am nächsten Morgen fuhr eine lange Wagenkolonne auf dem Hof vor dem Hotel vor. Fey fuhr in einem offenen Jeep mit Alex, Payne Best und Schuschnigg. Der Komfort dieser Fahrt war nicht mit den SS -Transporten zu vergleichen. Vor der Kolonne fuhr ein Panzerwagen, gefolgt von Lastwagen mit Ersatzteilen, falls ein Wagen liegen blieb. Dann kamen ein Krankenwagen, Militärbusse für die Älteren, weitere Panzerwagen und schließlich mehr Jeeps. Über ihnen flog eine US -Maschine zu ihrem Schutz, wie die amerikanischen Offiziere sagten. Der Konvoi fuhr entlang der Etsch durchs Gebirge und am Gardasee vorbei. Die vierstündige Fahrt nach Verona, von wo aus die Air Force die Gruppe nach Süden fliegen sollte, war staubig und die Straße von verlassenen deutschen Fahrzeugen gesäumt. »Überall sahen wir zerstörte Brücken, und es gab Tausende Flüchtlinge«, schrieb Fey. »Ich sah zum ersten Mal wieder Italien, seit ich Brazzà verlassen hatte, und es war herzzerreißend, in der schönen Landschaft die Verwüstungen des Krieges für das Land und seine Menschen zu sehen.« Bei der Ankunft in Verona wurde die Gruppe in einem Luxushotel untergebracht und abends mit Brathuhn, Spargel und Eis bewirtet. Am nächsten Morgen wurden sie nach einem üppigen Frühstück zum Flugplatz vor der Stadt gefahren. Dort sahen sie nach den Worten von Peter Churchill »rund 50 glänzende Transportflugzeuge, von denen jedes bequem 30 Passagiere aufnehmen konnte. Für die politischen Gefangenen wurde nicht gespart; mindestens sechs Maschinen waren für unseren Flug nach Neapel bestimmt.« Für die meisten Zivilisten der Gruppe war es der erste Flug, und nahe Florenz gingen die Piloten auf 1500 Meter herunter, damit sie die 380

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Stadt sehen konnten. 400 Kilometer weiter südlich gingen sie erneut herunter und flogen im Tiefflug über Monte Cassino, was besonders die Kriegsgefangenen interessierte. Sie kreisten zwei- oder dreimal über den Ruinen des Klosters, wo von Januar bis Mai 1945 115 000 alli­ ierte Soldaten gefallen, verwundet oder vermisst waren. In Neapel warteten bei der Landung zahlreiche Filmteams und ­Reporter. Hier endete für die Deutschen in der Gruppe die Vorzugsbehandlung. Getrennt von den anderen Nationalitäten wurden sie von bewaffneten amerikanischen Soldaten zu einem Hangar hinter dem Flugfeld geführt. »Die Amerikaner wussten offensichtlich nicht, was sie mit uns anfangen sollten«, schrieb Fey, »deshalb warteten wir stundenlang auf dem Flugplatz, während unsere Freunde aus anderen Ländern weggefahren wurden. In der Verwirrung des Augenblicks dachte niemand daran, Lebwohl oder Viel Glück zu sagen. Wir glaubten wohl, einander noch einmal zu sehen. Traurigerweise war es aber das letzte Mal, dass ich jemanden von den Nichtdeutschen sah. Ich merkte nicht einmal, dass die Ungarn wegfuhren – Menschen, die ich so gemocht und mit denen ich so viele Erlebnisse geteilt hatte.« Keiner der Deutschen hatte einen Pass, und ohne Papiere konnten die Alliierten ihre Identität nicht sicher bestimmen. Bevor sie wieder nach Deutschland zurückkehren konnten, mussten sie überprüft werden, damit keine Kriegsverbrecher unerkannt blieben. Nach langem Warten im Hangar kam ein amerikanischer Beamter und erklärte, sie würden nach Capri gebracht, wo es einen Stützpunkt der amerikanischen Spionageabwehr (Counter Intelligence Corps oder CIC ) gab. Ein britisches Schiff fuhr sie zur Insel hinüber. Sobald sie an Land gingen, wurden die Männer von den Frauen getrennt und in ein nahes Kriegsgefangenenlager gebracht. »Es war schrecklich, Alex und die anderen weggeführt zu sehen«, erinnerte sich Fey. »Die Wachen sagten, wir müssten getrennt bleiben, bis die Befragungen vorbei seien. Wir anderen wurden nach Anacapri am Südende der Insel gebracht und mit Bewachung in einem kleinen Hotel einquartiert. Die Amerikaner warnten uns, wir dürften das Hotel nicht verlassen, bis sie uns alle befragt und identifiziert hatten.« 381

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Das hoch an der Flanke des Monte Solaro gelegene Anacapri war ein wunderbarer Ort mit herrlichem Blick aufs Mittelmeer. Das Hotel Paradiso wurde seinem Namen jedoch nicht gerecht. Das bescheidene Gebäude mit der weißen Stuckfassade lag in einer engen Gasse. Die Zimmer waren klein, und es war mit 36 Grad für Mai ungewöhnlich heiß. Vier Personen schliefen in einem Zimmer, und die Hitze war zum Ersticken. Eine Woche verging, und nichts geschah. Eingesperrt im Hotel, von wo man nur in den winzigen Garten durfte, schilderte Isa die Stimmung: »nach kürzester Zeit schon war die Stimmung unerträglich! … im Versuch, einander auszuweichen, traten wir uns beständig auf die Füße. … Niemand kümmerte sich um uns, niemand brachte uns irgendeine Nachricht über das, was würde. … Sehr langsam, so hatte man den Eindruck, setzte sich die amerikanische Maschinerie in Gang.« Da sie merkten, wie sehr der Arrest die Frauen belastete, erlaubten die Soldaten ihnen schließlich, das Hotel zu verlassen. Niemand hatte Sommerkleidung, und das Rote Kreuz gab ihnen Badeanzüge, Strohhüte und Sandalen, damit sie zum Strand gehen konnten. Während sie sich auf der Insel frei bewegen durften, blieb den Männern dies verwehrt, und das deprimierte sie alle. Zu ihrer Erleichterung begannen nach zehn Tagen die Befra­ gun­gen. CIC -Leute, die Kriegsverbrecher suchten, führten die Verhöre durch. Die Sitzungen waren lang und mühsam. Die Beamten mussten genau wissen, wen sie freilassen und wen sie festhalten sollten. ­Sobald die einzelnen Geschichten doppelt geprüft waren, setzten Scotland-Yard-Beamte die Befragungen fort. Die Frauen sollten Details über die SS - und Gestapo-Männer liefern, die sie in den Lagern bewacht hatten – Namen, Dienstgrade, körperliche Merkmale (Größe, Körperbau, Augenfarbe und besondere Kennzeichen) und Fälle von Misshandlungen. Nach den Sitzungen machten Fey und die anderen in den wenigen verbleibenden Stunden lange Spaziergänge auf den Monte ­Solaro, der spektakuläre Blicke auf den Vesuv und Neapel bot. Es war ein seltsames und unnatürliches Gefühl, an einem so schönen, nicht vom 382

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Krieg berührten Ort zu sein, während ihre Familien zu Hause vielleicht hungerten. Sie schienen ein Gefängnis gegen ein anderes eingetauscht zu haben, und alle sehnten sich nach Hause. Das galt besonders für die Mütter in der Gruppe, die wussten, dass ihre Kinder im Kinderheim in Bad Sachsa warteten, wie Isa festhielt: »Für die Mütter, die noch in ständiger Sorge um ihre Kinder lebten, war es vollends unmöglich, zum ungetrübten Genuß der sie umgebenden Herrlichkeiten zu kommen, ihnen mußte jedes Verweilen in diesem Zaubergarten vorkommen wie eine Schuld an den Kleinen, die ängstlich auf ihre Rückkehr warteten.« In dieser schwierigen Zeit durchlebte Fey einen sehr privaten Kampf. Sie lebte nicht mehr abgeschieden mit Alex im Hotel Pragser Wildsee, ihr Gewissen quälte sie, und sie erkannte, dass sie ihr Versprechen, Detalmo zu verlassen, unmöglich halten könne. Auch an ihren Vater dachte sie häufig. Die alliierten Beamten, die die Befragungen durchführten, bewunderten seinen Mut und wollten alles über ihn wissen: über sein Leben, seinen Charakter, seine Motive für den Widerstand gegen Hitler. Dankbar für die Gelegenheit, das Gedächtnis ihres Vaters zu ehren, sprach Fey über sein Pflichtgefühl, seinen Glauben und seine strikten moralischen Prinzipien. Dies machte ihr bewusst, dass ihre Pflicht darin lag, bei Detalmo zu bleiben. Ihn zu verlassen, würde den Werten zuwiderlaufen, die ihr Vater sie gelehrt und für die er sein Leben gegeben hatte. Und sie dachte an die Kinder. Seit ihrem Gespräch mit dem Gestapo-Mann Lenz in Buchenwald hatte sie sich zwar an die Hoffnung geklammert, die Jungen würden gefunden werden, aber ein Teil von ihr hatte erkannt, dass sie sich früher oder später der Tatsache stellen müsste, sie seien unwiderruflich verloren oder tot. Bald nach ihrer Ankunft im Hotel kamen aber Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes zu ihr, die ihr neue Hoffnung gaben. Sie sagten, allmählich würden Familien wieder zusammengeführt, und es bestünden gute Aussichten, die Kinder zu finden. Radio Vatikan hatte sogar eine Liste vermisster Kinder übertragen, auf der auch Corrado und Roberto standen. Sollten die Jungen wie durch ein Wunder gefunden werden, 383

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so wusste Fey, dass sie durch eine Heirat mit Alex riskierte, sie wieder zu verlieren. Nach italienischem Recht würden die Kinder beim Vater bleiben. Nach dem 18. Mai, als Fey und die anderen schließlich das Hotel verlassen durften, hätte sie aber Detalmo ein Telegramm schicken können, um ihm zu sagen, sie sei in Sicherheit, wohlauf und auf Capri. Aber das tat sie nicht. Sie wollte Alex ein letztes Mal sehen, um ihre Entscheidung zu erklären und Abschied von ihm zu nehmen. Eine Woche verging, und es gab kein Anzeichen, dass die Amerikaner ihm erlauben würden, das Lager zu verlassen, wo er festgehalten wurde. Trotzdem schob Fey die Nachricht an ihren Ehemann auf. Nach den langen Befragungen verbrachte sie die meiste Zeit allein, sie schwamm vor dem Strand am Fuß des Monte Solaro oder wanderte über die Insel. »Die Schönheit der Insel machte mich noch niedergeschlagener«, schrieb sie. »Ich scheute mich vor Detalmo und vor der Zukunft.« Es war jetzt achtzehn Monate her, seit sie ihren Mann gesehen, und fast ein Jahr, seit sie von ihm gehört hatte. Ihr letzter Kontakt – die durch einen Kurier geschickte Botschaft, dass er in Rom bleibe – hatte während der Zeit in den Lagern an ihr gefressen. Unwillkürlich hatte sie das Gefühl, wenn er nach Hause gekommen wäre, statt sie und die Kinder zu verlassen, hätten die Dinge sich vielleicht anders entwickelt. Wäre er an jenem Morgen bei den Partisanen gewesen, hätte er vielleicht nach der Hinrichtung ihres Vaters einen eigenen Rettungsplan gehabt. Abgesehen von dieser Verstimmung und ihren Gefühlen für Alex – konnte eine Ehe einen solchen Abgrund von Trennung und Erlebnissen überstehen? Würde Detalmo jemals ganz verstehen, was sie durchgemacht hatte, sodass sie sich nicht dauerhaft allein fühlen würde? Am 25. Mai, als sie die Hoffnung aufgegeben hatte, dass Alex das Kriegsgefangenenlager verlassen dürfe, ging Fey zum Postamt in Anacapri. Die verbliebene Bewunderung, die sie für ihren Mann hegte, ließ in ihr gar nicht den Gedanken aufkommen, dass sein Schweigen bedeuten könne, er habe den Krieg nicht überlebt; sie zweifelte nicht 384

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daran, dass er politische Karriere machte und im Palast seiner Familie in Rom lebte. An diese Adresse schickte sie ihr Telegramm, das nur aus wenigen Worten bestand: BIN AUF ALLIIERTEM STÜTZPUNKT CAPRI. BITTE KOMM HER. IN LIEBE FEY.

Detalmo antwortete sofort, er werde am nächsten Tag kommen und sie abholen. Am nächsten Morgen erlaubten die Amerikaner Alex schließlich, das Lager zu verlassen. Er ging direkt zum Hotel Paradiso, aber es war zu spät. Fey war schon weggegangen, um Detalmo an der Fähre abzuholen. Sie ging zu Fuß über die Treppen, die sich um den Monte Solaro herumwanden und Anacapri mit dem Haupthafen Marina Grande verbanden. Die 921  Stufen zogen sich zwischen steilen Terrassen hinab, auf denen Weinstöcke und Ölbäume gepflanzt waren. Es war ein schöner, klarer Tag, und sie konnte über das Meer zum Festland sehen. Das Meer war von intensivem Türkis, und kleine Bote, deren Kielwasser nur eine dünne Spur war, fuhren im Hafen ein und aus. In Marina Grande ging sie in ein Café am Hafen, um auf die Fähre zu warten. »Die Lage war idyllisch«, erinnerte sie sich. »Das Café lag an einem kleinen Platz mit alten Häusern in verschiedenen Farben – blassblau, gelb und tiefes pompejanisches Rot. Ich saß da und beobachtete das Kommen und Gehen im Hafen; Fischer besserten ihre Netze aus, Frauen verkauften alle Arten von Obst und Gemüse, das sie hübsch vor sich auf den Ständen aufgebaut hatten. Ich hätte glücklich sein sollen. Der Krieg war vorüber, und ich war frei. Nach all dieser Zeit sollte ich Detalmo wiedersehen. Aber ich war sehr unglücklich.« Fey wartete am Kai, als die Fähre anlegte und Detalmo von Bord des kleinen Schiffs ging. »Wir waren so überwältigt, dass wir nicht wussten, was wir sagen sollten. Wir fanden keine Worte. Es war zu viel passiert.« 385

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Dann kam ein Moment, der ihr Herz zum Stillstand brachte. ­ etalmo war enttäuscht, Corrado und Roberto nicht zu sehen, und D bat Fey, sie zu holen. »Er hatte geglaubt, die Jungen wären noch bei mir, und ich musste ihm von Innsbruck erzählen.« Mehr konnte sie nicht schreiben. Feys kurzer Bericht über die ersten Tage mit Detalmo ist sachlich. Sie beschrieb nicht, worüber sie sprachen oder was sie fühlte, als sie ihn nach den langen Monaten der Trennung wiedersah. Sie war ganz von dem Abschied von Alex erfüllt und von den Menschen, mit denen sie so viel erlebt hatte: Statt gleich abzufahren, kamen wir überein, besser noch ein oder zwei Tage auf Capri zu bleiben, damit wir uns wieder aneinander gewöhnen konnten, bevor wir zurück nach Rom fuhren, und Detalmo die Menschen kennenlernen konnte, mit denen ich zusammengewesen war. Wir zogen in ein größeres, komfortableres Hotel in der Nähe und organisierten ein Essen für die engsten Freunde, die mit mir in den Gefängnissen und Lagern gewesen waren. Detalmo bestellte das Essen in einem Restaurant, wo wir abends mit allen Stauffenbergs, Hofackers und Hammersteins um einen langen Tisch saßen. Das Essen war köstlich, und der Wein floss reichlich. Detalmo und ich waren aber etwas enttäuscht, weil viele unserer Gäste keinen großen Appetit zu haben schienen. Später erfuhr ich, dass sie schon im Hotel gegessen hatten, weil sie noch an der »Gefängnismentalität« litten, nicht genug zu essen zu haben! ­… Obwohl der Abend mit Reden und Witzen sehr fröhlich war, hatte ich am Schluss einen Kloß im Hals. Musste ich all diese Menschen verlassen, die ich mehr zu bewundern gelernt hatte als alle Freunde zuvor? Besonders Alex. Wie sollte er nun mit dem schweren Leben ohne Frau, Familie und Heim fertig werden? Ich empfand Schmerz bei dem Gedanken, aber ich musste mich ohne Angst meiner eigenen Zukunft stellen und mein 386

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Leben in Italien mit Detalmo neu beginnen. Ich konnte nur hoffen, dass Alex es verstand. Am nächsten Morgen half mir Otto Philipp zum letzten Mal mit dem wenigen Gepäck, das ich noch hatte. Er kam mit uns zum Hafen, wo Detalmo das kleine Schiff zum Festland für uns gebucht hatte. Alex kam nicht hin. In meiner Hand hielt ich aber das letzte Gedicht, das er für mich geschrieben hatte: »… Denn Du bist mein: ich ruf es in der Winde Prall, Den Blitzstrahl, dem die Erde sich entgegenbäumt Und in das Meer, das in den Farbengrotten leuchtend schäumt; Und aus der Sterne Licht vernimmst Du meinen Hall.« Als das Schiff ablegte, brach mir das Herz. Ich begann hemmungslos zu weinen. Zu lange hatte ich meine Gefühle beherrscht. Ich schluchzte und schluchzte. Der arme Detalmo konnte mich nicht beruhigen.

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Teil VI 39 Detalmo hatte keinen der Briefe erhalten, die Fey in der Gefangenschaft geschrieben hatte, auch nicht die Telegramme, die Freunde aus Brazzà über das Rote Kreuz schickten, um ihm zu sagen, sie und die Jungen seien verhaftet worden. Zur Zeit ihrer Festnahme im September 1944 war Detalmo in Rom und arbeitete als politischer Sekretär von Sergio Fenoaltea, einem wichtigen Mitglied der ersten demokratischen Regierung Italiens seit zwanzig Jahren. In dieser Kriegsphase war Italien geteilt. Durch Mussolinis Marionettenregime kontrollierten die Deutschen den Norden des Landes, die Alliierten in Zusammenarbeit mit Premierminister Bonomis neuer Regierung den Süden. Detalmo war als Verbindungsmann zu den Alliierten und als Mitentwickler der politischen Strategie des Partito d’Azione eine prominente Figur. Das mit Zehntausenden Anfragen von Italienern nach Verwandten im nazibesetzten Norden überschwemmte Rote Kreuz hatte die Telegramme jedoch nicht weitergeleitet, und er hatte erst nach fünf Monaten von der Verhaftung Feys und der Kinder erfahren. In diesem Herbst machte die starke Befestigung der Wehrmachtsstellungen entlang der Gustav-Linie es für Partisanenkuriere fast unmöglich, Nachrichten zwischen Norden und Süden hin und her zu tragen. Erst nach der alliierten Winteroffensive im Januar 1945 veränderte sich die Lage, und erst im Februar bekam Detalmo durch einen Untergrundkurier Noninos Botschaft, dass Fey verhaftet und mit den Jungen nach Innsbruck deportiert worden war. Das erklärt, warum Detalmo bei der Ankunft auf Capri die Jungen zu sehen er388

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wartete: Er nahm an, sie seien während der ganzen Gefangenschaft bei Fey geblieben. * An dem Abend, als er und Fey aus Capri in Rom eintrafen, schrieb Detalmo einen Brief an seine Schwiegermutter, um ihr zu sagen, seine Frau sei wieder daheim. Es war sein erster Brief seit der Hinrichtung ihres Ehemanns im vergangenen September: 29. Mai 1945 Liebe Mutti Es ist schwer, Dir zu schreiben, und ich weiß nicht, wie ich ­anfangen soll. Ich bin sicher, Du kannst Dir meine Gedanken und Gefühle vorstellen. Der September 1944 war sehr ­schmerzhaft für mich, ich habe in jedem Augenblick an Dich gedacht. Dann erfuhr ich im Februar von Feys Deportation fünf Monate zuvor. Das machte es noch schlimmer. Ich zog mich von jeder Aktivität zurück und hatte das Gefühl, die Welt sei um mich herum eingestürzt. Ich erkannte, dass mein Leben ohne Fey nicht mehr viel Reiz haben würde, und erwartete mein Urteil. Fey ist verschont geblieben. Ich bekam sie gesund zurück, und sie legt ihren Brief an Dich bei. Nun hoffe ich, die beiden Kleinen zu finden. Wenn das geschieht, bleibt der Verlust eines Schwiegervaters, eines unersetzlichen Freundes. Meine Gedanken sind nicht allzu klar. Sie wechseln zwischen christlicher Geduld und anarchischer Rebellion. Ich kann nicht akzeptieren, was uns geschehen ist. Wenn ich immer noch kämpfen und für eine bessere Welt arbeiten möchte, dann nur aus Treue zu denen, die uns den Weg gezeigt haben. Vater ist uns ein großes Vorbild gewesen, und wir stehen noch in seinem Schatten. Es ist, als sei ein ewiges Denkmal in unseren Herzen errichtet worden. 389

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Fey war wunderbar. Etwas von Deinem Geist muss in ihr sein, sonst hätte sie die Gefängnisse und Lager nicht überstanden. Ich habe das Gefühl, sie ein zweites Mal zu heiraten. Wenn ich zehn Leben hätte, würde ich sie zehnmal heiraten. Liebe Mutti, bis wir von Dir hören, alles Liebe Detalmo Trotz seines berührenden Glaubens an Feys Fähigkeit, zu »überstehen«, überrascht es nicht, dass sie in den Wochen nach der Rückkehr nach Rom einem völligen Zusammenbruch nahe war. Da ihre Kinder immer noch vermisst waren und ihre Liebe zu Alex die Beziehung zu ihrem Ehemann abgelöst hatte, schien ihr ganzer Lebenssinn in der Vergangenheit zu liegen: in ihrer Kindheit in Rom, in den frühen Jahren ihrer Ehe, in den Kriegsjahren mit den Kindern in Brazzà und in den engen Bindungen, die sie zu den anderen Gefangenen in den Lagern geknüpft hatte. »Ich war 25 und hatte das Gefühl, mein Leben sei vorbei«, schrieb sie. Sie fand es überaus schwer, sich mit alltäglichen Dingen zu beschäftigen, konnte kaum essen und schlafen. Sie litt an Panikattacken und konnte sich nicht entspannen. Ihr Geist war ein ständiger Wirbel von Gedanken, die oft zu traumatischen Erlebnissen zurückkehrten, von denen sie glaubte, Detalmo könne sie trotz seiner Hilfe und Sympathie nicht verstehen. »Es war nicht sein Fehler; er war nicht hinter diesen Mauern gewesen.« Ihr Gefühl der Isolation wurde durch die Welt verstärkt, in der sie sich bewegte. Seine Arbeit für die Regierung bedeutete, dass man seine Teilnahme an offiziellen Essen, Empfängen und Cocktailpartys erwartete, die in den vornehmen Palazzi an der Via Veneto stattfanden. Während seiner Zeit im Widerstand hatte Detalmo die Nähe zwischen den Nazis und einigen der ältesten Adelsfamilien Roms direkt erlebt, und Fey hörte schockiert, wie sie sich nach der Befreiung der Stadt durch die Alliierten verhalten hätten: »Detalmo erzählte, daß innerhalb von 48 Stunden in den Cafés der Via Veneto die deutschen Offiziere durch amerikanische Offiziere abgelöst worden seien. 390

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Das sei selbstverständlich über die Bühne gegangen, ebenso wie man in einigen römischen Palazzi zuerst ein Abschiedsessen für den deutschen General Kesselring und ein paar Tage später ein Begrüßungsessen für den amerikanischen General Clark gegeben habe.« Bei der Rückkehr in diese Welt, die ihr aus der Kindheit so vertraut war, fühlte Fey sich völlig entfremdet. Jede Straßenecke brachte Erinnerungen zurück, an das Aufwachsen in der Botschaft, an Freunde aus der Schule, an Bälle und Partys, an ihren Vater. Aber es kam ihr falsch vor: »Das Leben in Rom hatte sich, verglichen mit der Vorkriegszeit, kaum verändert. … Im Grunde hatte das Grauen, das die Welt in den vergangenen Jahren kennengelernt hatte, in Rom nur wenige Menschen wirklich berührt; Namen wie Dünkirchen, Stalingrad, Narwick, Buchenwald oder Dachau hatten hier für kaum jemand eine Bedeutung.« Detalmo wollte, dass sie ihn zu Empfängen begleitete. »Er hoffte, es würde mir guttun, unter Menschen zu kommen, ich könnte so die Schrecken der Vergangenheit vergessen und nicht ständig voll Angst über das Schicksal unserer Kinder nachgrübeln. Sicher meinte er es gut mit mir, und ich nahm es gerne an, aber in meinem Innersten widerstrebte mir das alles. Nur widerwillig und fast ängstlich begegnete ich diesen mir unbekannten Menschen. Ich fühlte mich so unsicher wie nie zuvor in meinem Leben.« Feys Anstrengung, sich wieder an das normale Leben zu gewöhnen, war nicht ungewöhnlich. In ganz Europa betrauerten Millionen den Verlust geliebter Menschen und versuchten – mit oder ohne Erfolg –, nach Jahren der Trennung Beziehungen zu Ehemännern oder Ehefrauen wiederaufzubauen. Weitere Millionen  –  Gefangene, die die Konzentrationslager ohne die privilegierte Behandlung überlebt hatten, die Fey und den anderen Prominenten zuteilwurde, und Soldaten, die zu Lande, auf See und in der Luft gekämpft hatten – hatten viel Schlimmeres erlebt. Da so viele dies erlebt hatten, war es das normale Leben. In keinem Land gab es eine staatliche Reaktion auf diese kollektive emotionale Krise. Die Menschen mussten alleine lernen, damit umzugehen. Für Fey lag der Weg zur Gesundung darin, Detalmo ihre Erlebnisse und Gefühle zu erzählen. Zuerst kaufte sie sich aber einen F ­ ächer, 391

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um ihre Panikattacken zu kontrollieren: »Wenn ich spürte, dass mir die Hitze ins Gesicht stieg, begann ich mir heftig Luft zuzufächeln. Das verschaffte mir nicht nur Kühlung, es versteckte auch mein Gesicht und gab meinen Händen etwas zu tun. Es war verblüffend, wie ein so einfacher Trick wenigstens einen Teil meines Selbstvertrauens wiederherstellte.« Als sie erkannte, dass es ihr fast unmöglich war, mit Detalmo über ihre Erlebnisse zu reden, beschloss Fey, die Erinnerungen an ihre Gefangenschaft und ihre Zeit allein in Brazzà aufzuschreiben. Indem sie einen ehrlichen Bericht verfasste – einschließlich ihrer Beziehung zu Alex und ihres Ärgers gegenüber Detalmo, weil er sie und die Kinder alleingelassen hatte –, hoffte sie, er werde verstehen und sie könnten beginnen, ihre Ehe wiederaufzubauen. Doch auch wenn sie eine Distanz zu ihrem Ehemann empfand, der Verlust der Kinder verband sie. Beide spürten den Schmerz und waren in der Suche nach den Jungen verbunden. Dies wurde rasch durch Wut und Enttäuschung verstärkt. In Anacapri hatten sie mit der Planung der Suche begonnen. Deutschland und Österreich waren der offensichtliche Ausgangspunkt. Aber bei der Rückkkehr nach Rom entdeckten sie, dass die von der Alliierten Militärregierung erlassenen Regeln es ihnen verboten, mit der Suche zu beginnen. »Acht Monate lang hatte ich mich nach dem Moment gesehnt, an dem ich die Suche nach den Kindern beginnen könnte, aber ich blieb so hilflos und eingesperrt wie in den Lagern«, schrieb Fey. Weil Italien ein Krieg führender Staat gewesen war, waren alle Reisen für italienische Bürger verboten; wer weiter als zehn Kilometer fahren wollte, brauchte eine alliierte Erlaubnis. Mithilfe seiner Regierungsverbindungen setzte Detalmo alle Hebel in Bewegung, aber es war umsonst. »Als Reaktion auf unsere Bitten, nach Deutschland fahren zu dürfen, um die Kinder zu suchen, wiederholte ein Beamter nach dem anderen, das sei streng verboten. Wir versuchten mit allen Mitteln eine Reiseerlaubnis zu bekommen, aber man sagte uns: ›Was glauben Sie, was passiert, wenn wir jedermann in Europa seine vermisste Familie suchen lassen? Die Lage ist schon chaotisch genug!‹ 392

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Vielleicht weil ich in Deutschland die Massendeportationen, die Zerstörung der Städte und Dörfer, die endlosen Flüchtlingskolonnen gesehen hatte, neigte ich dazu, dies anzuerkennen. Detalmo wurde aber wütend und sagte bitter, von den ›Jedermännern‹, die der Beamte erwähnte, seien viele schon lange tot.« Über 19 Millionen Europäer waren im Krieg getötet und viele Millio­ nen aus ihrer Heimat vertrieben worden. Im Sommer 1945 gab es auf dem Gebiet des ehemaligen Deutschen Reichs über 25 Millionen Displaced Persons, wie die Alliierten Flüchtlinge und Heimatlose nannten. Ein großer Teil von ihnen waren Kinder. In diesem Krieg hatten Kinder in beispielloser Weise gelitten, mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Weltgeschichte. Sie waren ermordet und geraubt worden, hatten Hunger und Misshandlungen erlitten. Allein in den Konzentrationslagern waren bis zu 1,5  Millionen Kinder ermordet worden, davon etwa eine Million jüdische Kinder. Schätzungsweise weitere 50 000  Kinder aus besetzten Ländern, vor allem aus Polen, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und den Niederlanden, wurden »eingedeutscht«, d. h. ihren Familien weggenommen, ihres Namens beraubt und in NSV -Heimschulen oder Lebensborn-Kinderheimen untergebracht. Die SS hatte 1935 den Le­ bensborn-Verein gegründet, um »rassereine und gesunde Kinder« im Sinne der NS -Ideologie aufzuziehen. Durch Bombardierungen, Wehrdienst, Evakuierung, Deportation, Zwangsarbeit, ethnische Säuberung oder Mord waren zahlreiche Kinder von ihren Familien getrennt worden. Das Rote Kreuz schätzte, dass allein in Europa 13 Millionen Kinder ihre Eltern verloren hatten. In den letzten Kriegstagen wurde die verzweifelte Lage jener, die man zwischen den Ruinen der Städte fand, die auf den Straßen nach Westen wanderten oder in Flüchtlingslagern in ganz Europa untergebracht waren, mehr als deutlich. Allein in der sowjetischen Besatzungszone gab es 1,17 Millionen unbegleiteter Kinder, die meisten davon Deutsche. Schon 1943 hatten die Alliierten erkannt, dass die Vertriebenen bei Kriegsende ein großes Problem sein würden, und um eine Krise zu 393

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vermeiden, gründeten sie die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration). Als aber der Zeitpunkt da war, standen die Alliierten vor gewaltigen Herausforderungen – der Notwendigkeit, die vielen Flüchtlinge zu ernähren und unterzubringen und Kriegsverbrecher zu bestrafen –, sodass sie es nicht schafften, alle unbegleiteten Kinder zu identifizieren und ihren Familien wiederzugeben. Tragischerweise spielte auch Vergeltung eine Rolle beim Umgang mit diesen Kindern. Bei der Gründung der Kindersuchorganisation von UNRRA war einer der Grundsätze, die Suche nach vermissten Kindern, von denen es Hunderttausende gab, nicht auf »feindliche« Kinder auszudehnen. Die begrenzten Ressourcen der Agentur sollten »eingedeutschte« und »alliierte« Kinder (aus Ländern der siegreichen Nationen) identifizieren, dazu den geringen Prozentsatz jüdischer Kinder, die die Konzentrationslager überlebt hatten. Bei dem Versuch, sie wieder mit ihren Familien zu vereinigen, standen die Mitarbeiter der Agentur vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Bei vielen Familien waren beide Elternteile tot; Väter waren im Kampf gefallen, vermisst oder in Kriegsgefangenschaft; Mütter waren bei alliierten Bombenangriffen gestorben, verhungert oder als Zwangsarbeiter in der UdSSR verschwunden. Auch in Konzentrationslagern waren viele Eltern gestorben. Kinder in Flüchtlingslagern waren oft nicht zu identifizieren. Einige trugen zwar Namensschilder um den Hals oder hatten ihre Namen in der Kleidung eingenäht, aber die meisten nicht. Manchmal besaßen die Menschen, die sie begleiteten, Informationen, oft war aber nicht mehr bekannt als der Abfahrtsort ihres Zuges, Busses oder Schiffs. Auch ein Namensschild bestätigte nicht unbedingt die Identität. Ein Mitarbeiter schrieb: »Aus Erfahrung wissen wir, dass Kinder von diesen Transporten häufig falsche Namen tragen. … Der in die Kleidung eingenähte Name ist keineswegs entscheidend, denn in vielen Fällen hat sich gezeigt, dass Kinder – besonders die vom NSV losgeschickten – oft die Kleider anderer Kinder tragen.« Im Juni 1945 gab es kein wirksames System, um unbegleitete deutsche Kinder zu lokalisieren, zu unterstützen und zu ihren Familien zurückzubringen. Obwohl die alliierten Behörden ihr Bestes taten, durch Ernährung und Unterbringung in Flüchtlingslagern eine zeit394

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weise Stabilisierung zu erreichen, blieb es den Verwandten von »feindlichen« Kindern überlassen, sie zu finden. Die Mehrheit war vor der rasch vorrückenden Roten Armee geflohen, aber Hunderttausenden anderen war das nicht gelungen, weil sie entweder zu jung oder zu krank für die Reise waren oder verwundet. Manche blieben in Kinderheimen in Gebieten, die nicht mehr zu Deutschland gehörten, andere wurden nach dem Tod ihrer Mutter auf dem Treck von Sowjetsoldaten an der Straße aufgegriffen und in russische Kinderheime geschickt. Wieder andere waren bei Pflegeeltern, die sie nicht wieder hergeben wollten. Fey und Detalmo wussten nur zu gut, dass Corrado und R ­ oberto streng genommen zwar »alliierte« und »eingedeutsche« Kinder waren, da sie die italienische Staatsbürgerschaft besaßen und von den Nazis entführt worden waren, die ihnen eine falsche deutsche Identität gegeben hatten, dass die Alliierten sie aber als »feindliche« Kinder einstufen würden. UNRRA -Mitarbeiter durchforschten dieselben Lager, wo die Jungen sein konnten, auf der Suche nach jüdi­ schen, »eingedeutsch­ten« und »alliierten« Kindern, hatten aber die Anweisung, deutsche Kinder dort zu lassen. Und weil UNRRA -­ Unterlagen vertraulich waren, durften Eltern, die vermisste »feindliche« Kinder suchten, keinen Einblick darin nehmen. Es bestand eine geringe Chance, dass Corrado, der ein paar Brocken Englisch konnte, den Mitarbeitern seinen wahren Namen sagen könnte, aber würde er sich nach den traumatischen Erlebnissen noch an seinen Namen oder seine wenigen englischen Wörter erinnern? Fey klammerte sich an die Hoffnung, er könne es, aber im Herzen wusste sie, dass sie sich etwas vormachte. Ein Vierjähriger hatte kaum die Geistesgegenwart, mit UNRRA -Mitarbeitern zu sprechen. Den ganzen Juni über blieben Fey und Detalmo in Rom. »Diese Zeit war unerträglich frustrierend«, schrieb Fey. »Wir stellten uns hilflos vor, dass die Kinder nicht versorgt wurden, vielleicht sogar hungerten, während wir in Rom festsaßen und Zeit und Kraft mit dem ­ständigen Löchern von Bürokraten vergeudeten. Sie ließen sich nicht erweichen.« 395

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Um ihre Frustration zu überwinden, verbrachte Fey viel Zeit damit, Plakate und Broschüren mit den Erkennungsmerkmalen der Kinder zu verschicken. Sie gingen an jede Organisation oder Einzelperson, die ihr oder Detalmo einfielen: alle Bischöfe und Erzbischöfe in Deutschland und Österreich, das Italienische, Deutsche und Internationale Rote Kreuz, den britischen, französischen und amerikanischen Geheimdienst, die italienischen Botschafter in Washington und Warschau, an Radio Vatikan und an zahllose andere Adressaten. Die Steckbriefe im DIN  A4-Format wurden auf Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch und Italienisch gedruckt. Über den drei Fotos von Corrado und Roberto stand in großen Lettern: »Wir suchen diese Kinder!« Darunter folgten die Merkmale der Kinder und weitere Informationen, die Fey und Detalmo für nützlich hielten, um sie zu identifizieren. CORRADO PIRZIO-BIROLI 4 ½ Jahre alt geb. 25. November 1940 in Udine, Italien Haare: blond Augen: blau Gesichtsfarbe: blaß Sprache: Deutsch, einige italienische Worte Rufnamen: Corradino, Corradinchen Wörter, an die er sich erinnern sollte: Nonino (ein Diener), Mila (eine Köchin), Mirko (ein Pferd), Oberleutnant Kretschmann (ein deutscher Offizier) Kleidungsstücke: Marineblauer Mantel mit Kapuze, gemacht aus einem alten Militärmantel ROBERTO PIRZIO-BIROLI 3 ½ Jahre alt geb. 25. Januar 1942 in Udine, Italien Haare: blond Augen: blau Gesichtsfarbe: lebhafte Farben

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Sprache: Deutsch Rufnamen: Robertino, Robertinchen Kleidungsstücke: Marineblauer Mantel mit Kapuze, gemacht aus einem alten Militärmantel Es schmerzte Fey, Leutnant Kretschmann, den Hauptverantwortlichen für die Verhaftung der Kinder, unter jenen Namen nennen zu müssen, die Corrado vielleicht erkennen würde. Doch die Verbindung zwischen ihrem Sohn und dem in Brazzà stationierten Wehrmachtsoffizier bedeutete, dass sie ihn nicht auslassen durfte. Zu jedem Plakat, das sie verschickte, legte sie auch »Vorschläge zur Suche« bei. Sie zeigten ihre Verzweiflung und die Verbitterung über kirchliche und alliierte Stellen. Da sie deren Fähigkeit, eigenständig zu denken oder sich auch nur auf die Suche nach Corrado und ­Roberto zu konzentrieren, anzweifelte, versuchte sie, ihre Aufmerksamkeit zu erregen und für sie zu denken: 1. Am 29. Sept. 1944 wurden die Kinder in Innsbruck vom Gestapomann Tiefenbrunner entführt und zwei Frauen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt übergeben. Das deutet darauf hin, dass die Kinder in eines der vielen NSV Heime in Deutschland eingewiesen wurden. 2. Es gibt Hinweise, dass die Kinder unter falschen deutschen Namen eingewiesen wurden, damit ihre Eltern sie nicht finden könnten. 3. Es muss angenommen werden, dass die Kinder nach dem 29. Sept. zunächst in einem Heim in Innsbruck festgehalten wurden. Darum sollte die Untersuchung von Innsbruck ausgehen. Es ist aber aus Zeitersparnis geraten, auch in jedem anderen Heim in der Nähe zu suchen. 4. Man muss bedenken, dass a) die Bilder über ein Jahr alt sind b) die Kinder jetzt vielleicht kurze Haare haben c) sie sowohl ihre Namen wie ihre Muttersprache (Italienisch) vergessen haben 397

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d) der Kleine sich nicht an Zuhause erinnert, während der Ältere auf die angegebenen Worte und auf leichte italienische Ausdrücke reagieren sollte e) D IE SUCHE NACH DIESEN KINDERN IST DRIN­ GEND. JE MEHR ZEIT VERGEHT, DESTO MEHR WERDEN ALLE ÄHNLICHKEITEN MIT DEN BILDERN VERSCHWINDEN UND DIE KINDER NICHT MEHR AUFFINDBAR SEIN.

Ende Juni hatte Fey über 300 dieser Steckbriefe versandt: »Es war, als werfe man Steinchen ins Meer. Alle internationalen Organisationen wurden mit so vielen Anfragen bombardiert, dass es Monate oder Jahre dauern würde, bis sich jemand um den Fall der Pirzio-­BiroliKinder kümmerte. Das Schlimmste war das bange Gefühl, dass die Chancen, die Kinder zu finden, mit jeder Woche schrumpften. Sie waren verschollen, vielleicht im Osten, vielleicht ohne Namen. Wir konnten nicht nachlassen, aber wir konnten auch nichts tun.« Der Juni 1945 war in Rom außergewöhnlich heiß, und da ihre Anstrengungen zu nichts führten, sehnte Fey sich nach Brazzà. »Ich glaubte, alles sei besser, als sinnlos mit dem Kopf gegen die Mauern der Bürokratie zu stoßen. Ich hatte das Gefühl, in Brazzà, wo alles begonnen hatte, würde ich den Kindern irgendwie näher sein.« Doch Brazzà war von der Desert Air Force unter ihrem Kommandanten Robert Foster besetzt, und war als offizielles alliiertes Hauptquartier nicht zugänglich. Außerdem galt immer noch das Verbot für Italiener, weiter als zehn Kilometer zu reisen; ohne Erlaubnis würden Fey und Detalmo gar nicht hinkommen. Dann erfuhr Detalmo Mitte Juli, dass ein englischer Bekannter, Charles Medhurst, zu einem kurzen Besuch in Rom war. Medhurst, zuvor Luftfahrtattaché an der britischen Botschaft, war jetzt Befehlshaber der Royal Air Force für das Mittelmeergebiet und den Nahen Osten. Detalmo konnte ihn in seiner Suite im Grand Hotel ­erreichen und zu einem Drink einladen. Medhurst war sichtlich schockiert von der Geschichte der Hinrichtung Ulrich von Hassells und 398

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der Entführung der Kinder und bot an, seinen Freund Foster anzurufen, damit dieser vielleicht die notwendigen Genehmigungen und den Transport für die Rückkehr nach Brazzà organisieren könne. Mit einem Militärtelefon kam er sofort durch, was Fey und Detalmo verblüffte, die seit Wochen versuchten, Nonino zu erreichen. Zu Feys Freude konnten sie bald von einem Militärflugfeld außerhalb von Rom abfliegen: »Am nächsten Morgen bestiegen Detalmo und ich eine seltsam aussehende Militärmaschine, die drinnen ziemlich primitiv wirkte  – und sehr kalt, als sie über den Wolken flog. Doch wir kamen pünktlich an und wurden am Flugplatz in Treviso von einem britischen Stabswagen erwartet. Als wir durch die hübsche ländliche Gegend nach Brazzà fuhren, besserte sich meine Stimmung, sobald ich die vertrauten Wahrzeichen des Friaul erkannte. Endlich kam ich wirklich nach Hause.« Als sie vor dem Haus vorfuhren, kamen Nonino, Bovolenta und die drei Dienstmädchen herausgelaufen, um sie zu begrüßen. Mit seinen traurigen Echos des Tages, als Fey Brazzà mit den Kindern verlassen hatte, war es ein emotionaler Moment. Doch das Haus sah trotz der langen Einquartierung von Soldaten immer noch schön aus, und Fey hörte mit Freude, dass die Familien der Pächter nicht von den Deutschen verfolgt worden waren und das Anwesen in gutem Zustand war. Robert Foster, der Befehlshaber der Desert Air Force, war ebenfalls da, um sie zu begrüßen. Nach allem, was er von Nonino gehört hatte, war er erleichtert, dass das Paar den Krieg überstanden hatte. »Aber die Kinder wurden natürlich immer noch vermisst«, schrieb er später, »und ich sah, dass diese schöne junge Frau sehr unglücklich war.« Leider musste Foster den beiden sagen, das Haus sei voll und er könne keine Zimmer für sie frei machen. Nonino hatte ein freies Zimmer, und sie zogen in sein Haus, das die alten barchesse überblickte, die venezianischen Scheunen am Eingang des Anwesens. »Am gleichen Abend noch lud uns Marschall Foster in ›unserem Haus‹ zu einem Whisky ein. Diese Geste wurde bald zur täglichen Gewohnheit. Mit den etwa 20 recht sympathischen Offizieren freundeten wir uns bald an.« * 399

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Diese ersten Wochen in Brazzà machten Fey ausgeglichener. Jeden Morgen unternahm sie mit Detalmo und den Offizieren einen Ausritt: »Unser langgestreckter Stall, in dem außer den Kühen nur die Vollblutstute Ispido und das kleine Wagenpferd Mirko gestanden hatten, war inzwischen zu einem richtigen Rennstall geworden. An die 20 Pferde waren nun dort untergebracht, die die Engländer von den Österreichern beschlagnahmt hatten. Wir ritten praktisch täglich aus. Die Engländer veranstalteten ›paper hunts‹ – Schnitzeljagden – und ›point to points‹ – kilometerlange Ritte, die von köstlichen Picknicks unterbrochen wurden.« Fey hatte ihre Memoiren beendet und gab sie Detalmo zu lesen. Wie sie gehofft hatte, konnten sie über ihre Beziehung und Feys Zeit in den Lagern sprechen. Er verstand ihr Verhältnis mit Alex und auch, wie verlassen sie sich gefühlt hatte, als er nach der Befreiung Roms durch die Alliierten dort blieb. Detalmo erkannte, dass seine Entscheidung falsch gewesen war, und gab zu, es werde ihn sein Leben lang verfolgen, dass er sie und die Kinder nicht beschützt hatte. Als die Wochen ohne Nachrichten von den Jungen vergingen, mussten sie anfangen, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie vielleicht nie gefunden würden. Feys Mutter war ihre einzige Hoffnung. Sie lebte in Deutschland und konnte wenigstens nach den Kindern suchen. Aber wusste sie, dass die Jungen vermisst wurden? Sobald Fey und Detalmo in Rom eingetroffen waren, hatten sie ihr geschrieben, aber fast ein Monat war ohne Antwort vergangen. Die wenigen funktionierenden Telefone gehörten den Militärbehörden. Fey musste sich eingestehen, dass sie nicht einmal wusste, ob ihre Mutter noch am Leben sei.

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40 Ilse von Hassell hatte den Krieg überlebt, aber unter großen persönlichen Opfern. Sie lebte in Ebenhausen in dem Haus, das sie mit Ulrich geteilt hatte. »Er hat mich niemals enttäuscht«, schrieb sie später an Fey. »Sein klarer Charakter, sein überragender Geist, seine glühende Beherztheit und sein immer einsatzbereiter Mut beglückten mich jeden Tag. Ich bete zu Gott, daß sein Opfer, sein Leben hinzugeben, der Welt beweisen wird, daß es ein besseres Deutschland gab, … Und ich hoffe, daß die Welt begreift, daß es Männer gab, die bereit waren, uns unter Aufopferung ihres Lebens von diesem Übel zu befreien.« Die 1885 geborene Ilse war am Hof des letzten Kaisers als Tochter seines hochgeschätzten Ratgebers Großadmiral von Tirpitz aufgewachsen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte er die deutsche Marine zum ernst zu nehmenden Konkurrenten der Royal Navy gemacht. Ilse hatte ihre Jugend in der Umgebung der kaiserlichen Familie verbracht. Wilhelm  II . nannte sie »mein kleiner Zerstörer« wegen ihres starken Charakters und der Verwüstungen, die sie in den Herzen junger Männer anrichtete. Im Mai 1945 war Ilses bescheidener Haushalt weit von der Pracht des kaiserlichen Hofs entfernt. Wie so viele andere bestand er nur aus Frauen: ihrer 85-jährigen verwitweten Mutter, ihrer unverheirateten Schwester und Feys Schwester Almuth. Keiner ihrer Söhne war bis jetzt heimgekehrt. Hans Dieter war nach dem 20. Juli inhaftiert worden und dann vor den Russen in die französische Besatzungszone geflohen. Sein älterer Bruder Wolf Ulrich wurde hinter den sowjetischen Linien vermisst. Doch es waren Fey und ihre einzigen Enkel, um die sie sich am meisten sorgte. Ilse hatte Feys und Detalmos Briefe aus Rom nicht erhalten. Unglaublicherweise hatte sie aber der Notizzettel erreicht, den Fey am Tag der Abfahrt aus Innsbruck aus dem Zug warf. Die schnell gekritzelte Botschaft mit Ilses Adresse in Ebenhausen teilte ihrer Mutter mit, dass sie nach Osten transportiert wurde und die Gestapo ihr 401

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die Kinder weggenommen hatte. Das waren die einzigen Informationen, die Ilse besaß, und bei dem Chaos in Deutschland wusste sie nicht, ob ihre Enkel gefunden waren oder Fey überhaupt die Lager überlebt hatte. Als hingebungsvolle Großmutter war sie bei ihrer Tochter gewesen, als beide Jungen geboren wurden. Der Gedanke, sie könnten immer noch vermisst sein, machte sie verrückt. Doch in einer Zeit, als ein Viertel aller Deutschen vermisste Verwandte suchte, war es unmöglich, das herauszufinden. Die amerikanische Militärregierung in München wurde mit Anfragen von Menschen überflutet, die Informationen über ihre Familien suchten, und Ilse wusste, dass es sinnlos war, die Fahrt in die Stadt zu machen. Außerdem hatte sie kein Transportmittel. Busse und Bahnen fuhren nicht, die Gestapo hatte das Auto ihres Mannes beschlagnahmt, und zu Fuß waren es hin und zurück fünfzig Kilometer. Dann, fast einen Monat nach Kriegsende, sandte Prälat Dr. Johannes Neuhäusler, einer von Himmlers prominenten Häftlingen und später Bischof von München, ihr Nachrichten über Fey. Es ginge ihr gut und sie sei mit Detalmo in Rom. Er bestätigte aber, dass die Kinder immer noch vermisst würden. Man nahm an, sie seien irgendwo in Deutschland in ein NSV -Kinderheim gebracht worden, wo man ihnen neue Namen gegeben habe. Fey erzählte: »Meine Mutter erkannte, dass Detalmo und ich keine Erlaubnis bekommen würden, um in Deutschland nach Corradino und Roberto zu suchen. … Darum lag alles bei ihr. Sie wusste, dass sie die letzte Hoffnung war, unsere Familie wieder zu vereinigen, und es war typisch, dass sie diese Herausforderung mit aller Kraft annahm. Aber wo sollte sie in dem Chaos namens Deutschland beginnen? Zwei kleine Jungen, wahrscheinlich mit falschen Namen, unter den Millionen vermisster Menschen im ganzen Ex-Reich.  … Die SS , die Gestapo  – sie wussten vielleicht etwas über vermisste Kinder, aber wo waren sie? … Meine Mutter sagte später: ›Auch wenn ich gewusst hätte, wo ich suchen sollte, auch mit allen Pässen und Genehmigungen hätte ich es nur zu Fuß gekonnt. … Ganz Deutschland zu Fuß zu durchsuchen, schien verrückt und sinnlos; vielleicht 402

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waren die Kinder nicht einmal in Deutschland. Sie konnten überall sein: Österreich, Tschechoslowakei, Polen, überall!‹« Anfang Juni änderte sich ihre Lage. Bei der Trümmerbeseitigung in München wurde ein dunkelblauer BMW gefunden. Die Behörden konnten ihn als den nach Ulrich von Hassells Festnahme Ende Juli 1944 beschlagnahmten Wagen identifizieren. Nun hatte Ilse wenigstens ein Auto. Zuerst brauchte sie jedoch die notwendigen Benzinscheine und Reisegenehmigungen. Ihre Suche führte sie zum amerikanischen Militärhauptquartier in München, einem der wenigen intakten Gebäude. Der sechsstöckige Block hatte zuvor als Reichszeugmeisterei SA und NSDAP mit Uniformen und anderer Ausrüstung versorgt und war voller Einschusslöcher. Ilse hegte keine großen Hoffnungen. Drinnen warteten schon lange Schlangen von Menschen auf Benzingutscheine und Genehmigungen, um vermisste Verwandte zu suchen. »Natürlich trug ich immer meinen langen, schwarzen Witwenschleier, der mir die Türen leichter öffnete. In München ließ ich mich beim Military Governor Colonel Keegan persönlich anmelden. Er hörte mir voll Interesse zu, und niemals kann ich ihm dankbar genug für seine Hilfe sein. Nach zwei Stunden verließ ich sein Büro mit allem, was ich brauchte. Ich war nun im Besitz der verschiedensten Passierscheine, ich hatte Pässe und Benzingutscheine.« Abends plante Ilse lange mit Almuth, wo sie die Suche beginnen sollten. Da so viele Deutsche nach vermissten Verwandten suchten und keine Hilfe von den Behörden bekamen, gingen viele Gerüchte um, und es hieß, viele von der Gestapo entführte Kinder würden sich in Kinderheimen in Oberbayern befinden. Das war von Ebenhausen nur zwei Fahrstunden entfernt, und mangels einer besseren Spur beschlossen sie, dort anzufangen. Die Straßen waren frei bis auf gelegentliche Militärkonvois, und sie erreichten vormittags das Kinderheim von Rottach am Tegernsee. »Wir waren so unerfahren«, erinnerte sich Ilse, »wir hatten keine Ahnung, was wir erwarten sollten. Irgendwie glaubte ich, es würde Unterlagen geben und Menschen, die uns helfen könnten. Stattdessen 403

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war da nur eine abgerissen und deprimiert aussehende Heimleiterin. Wir begannen ihr sofort die Geschichte zu erzählen …, aber sie unterbrach uns ungeduldig. Für sie waren wir bloß zwei Leute mehr, die wegen vermisster Kinder zu ihr kamen. … ›Nein, die Kinder, die Sie suchen, sind nicht hier, auch nicht in einem der umliegenden Heime‹, sagte die Heimleiterin. ›Ich bin überall mit dem Rad hingefahren und habe alle Kinder identifiziert.‹ Das war es. Mehr konnte sie uns nicht sagen. Sie versuchte nicht, die Geschichte auszuschmücken oder den Schlag zu mildern.« Von der Größe ihrer Aufgabe überwältigt, kehrten Almuth und Ilse nach Ebenhausen zurück. Einige Tage später bekamen sie eine weitere Nachricht von Prälat Neuhäusler, der sie drängte, nach Bad Sachsa zu fahren. Dort waren die Kinder der Familien Stauffenberg und Goerdeler in einem NSV -Kinderheim gefunden worden, und es bestand die Chance, dass auch Corrado und Roberto dort waren. Doch er drängte zur Eile: Bad Sachsa lag in der neuen sowjetischen Besatzungszone und würde bald nicht mehr zu erreichen sein. Die Stadt lag über 500 Kilometer von Ebenhausen entfernt am Südrand des Harzes, und vor der Fahrt brauchten sie einen neuen Passierschein der Amerikaner. Nach langem Warten, um mit Colonel Keegan zu sprechen, erfuhren sie, er könne ihnen keinen Passierschein geben, weil die Amerikaner in der sowjetischen Zone keine Befugnisse hatten. Er glaubte aber, der Schein, den er Ilse schon gegeben hatte, würde sie bis zur Zonengrenze bringen, und riet ihr, ihr Glück zu versuchen. Ebenso wie Neuhäusler betonte er, man müsse schnell handeln. In der konfusen Lage hätten sie noch eine Chance. »Bevor wir aber starten konnten, musste das Auto repariert werden«, erzählte Ilse, »das hielt uns zwei Tage auf.« Hätte Fey mit ihrer Mutter in Verbindung gestanden, so hätte sie ihr sagen können, dass die gefährliche Reise sinnlos war. Sie wusste, dass die Jungen nicht in Bad Sachsa waren. Der Gestapo-Mann Lenz hatte es ihr gesagt. Die Fahrt nach Bad Sachsa dauerte einen ganzen Tag. In den letzten Kriegswochen waren die Amerikaner weit in die sowjetische 404

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Besatzungszone vorgestoßen, die sie mit Stalin im Oktober 1944 abgesteckt hatten. Nach der Ratifizierung des Abkommens zogen sie sich zurück, und die Straßen waren voller Army-Lastwagen mit Soldaten und Ausrüstung. Mit ihnen zogen Tausende Flüchtlinge, die nicht in der sowjetischen Zone bleiben wollten. Bei den häufigen Fahrtunterbrechungen redete Ilse mit einigen von ihnen und erfuhr, dass die Sowjets bereits Menschen daran hinderten, die Zone zu verlassen, und viele festsäßen. Die Fahrt dauerte länger als erwartet, darum übernachteten Ilse und Almuth in Göttingen. Alle Hotels waren voll, und sie mussten im Auto schlafen. Göttingen lag am Rand der britischen Zone, und am nächsten Morgen stellten sie sich beim britischen Militärhauptquartier an, weil sie immer noch auf einen Passierschein für Bad Sachsa hofften. Ilse erfuhr, die Russen hätten die Stadt drei Tage zuvor besetzt, darum sei der Zugang jetzt unmöglich. »Ich war völlig verzweifelt«, erzählte sie Fey später, »aber ich wusste, dass wir an diesem Punkt nicht umkehren konnten. Ich war überzeugt, die Kinder seien in Bad Sachsa. Also blieb ich standhaft.  … Ich bat und flehte, und schließlich gab der zuständige Offizier nach. Er glaubte zwar nicht, der Passierschein werde etwas nützen, aber er sagte: ›Ein Versuch schadet nichts, Madame.‹ Wir fuhren langsam weiter und tasteten uns von einem Dorf zum nächsten vor. Als wir das letzte Dorf vor Bad Sachsa erreichten, erzählten uns Flüchtlinge, der Vormarsch der Russen sei zum Stehen gekommen und am Beginn ihrer Zone sei ein Kontrollpunkt eingerichtet worden. Nervös fuhren wir im Kriechtempo an die Schranke heran. Bad Sachsa lag drei Kilometer dahinter.« An der Schranke stand ein britischer Sergeant. Da sie große Angst hatte, nicht wieder von drüben zurückzudürfen, versuchte Ilse ihn zu überzeugen, einen seiner Männer zu ihrer Begleitung abzustellen. Doch er blieb unerschütterlich. »Er sagte, er könne weder seinen Posten verlassen noch seine Männer mitschicken. Er versuchte mich zu überzeugen, aufzugeben und umzukehren. Als ich aber insistierte, riet er mir, alle Papiere, Geld und Schmuck dazulassen, zu Fuß zu gehen und nur die Fotos mitzunehmen. Dann fügte er unverblümt 405

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hinzu: ›Die Russen erkennen keine britischen oder amerikanischen Dokumente an; meistens haben sie keinen Respekt vor Frauen, besonders jungen Frauen. Lassen Sie deshalb um Himmels Willen Ihre Tochter da, und gehen Sie allein.‹« Ilse ging die verlassene Straße entlang und prägte sich bestimmte Wegmarken ein, falls sie vor den Russen über die Felder zurück in die britische Zone flüchten müsste. Als sie am frühen Nachmittag nach Bad Sachsa kam, war die Stadt wie ausgestorben. Da sie nicht wusste, wo das Kinderheim lag, suchte sie das Rathaus. Auch dieses war scheinbar verlassen, aber als sie gehen wollte, sah sie einen Mann allein in einem Büro im Erdgeschoss sitzen. Er stellte sich als der Bürgermeister heraus und war beeindruckt und erstaunt von ihrem Mut, in die Stadt zu kommen. Sofort bot er an, sie zum Waisenhaus zu fahren. Er sah auf die Uhr und sagte, sie müssten sich beeilen. Man käme nur durch, wenn die Russen gerade Wachwechsel hätten. »Das Kinderheim lag zauberhaft auf einer bewaldeten Anhöhe. Die freundliche Heimleiterin hörte meiner Erzählung verständnisvoll zu. Ihr zu Füßen saß ein kleiner Enkelsohn Goerdelers, der so mit einer Portion köstlicher Erdbeeren beschäftigt war, daß weder wir noch die Russen noch irgend jemand sonst ihn interessieren konnte. Die Heimleiterin schaute sich die Photos von den Kindern genau an und versicherte mir, sie noch nie gesehen zu haben. Ich war sehr betrübt. Meinen Vorschlag, den kleinen Goerdeler mitzunehmen, mußte sie aufgrund einer Order ablehnen, der zufolge die Kinder ausschließlich von ihren Eltern abgeholt werden durften. Der Bürgermeister fuhr mich bis zur Grenze zurück. Beim Abschied weinten wir beide, ich wegen der unauffindbaren Kinder, er wegen der verzweifelten politischen Lage. Almuth und Wendland – [ihr Fahrer] – hatten sich schon Sorgen um mich gemacht. In ihrer Phantasie sahen sie mich von den Russen verschleppt und vergewaltigt, ich aber war gesund und wohlauf zurückgekehrt.« –Tief enttäuscht fuhren sie nach Ebenhausen zurück. Was sollten sie noch tun? Da es keine andere Spur gab, beschlossen Ilse und Almuth nach Innsbruck zu fahren, wo man Fey die Kinder weggenommen hatte. 406

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Es war nur eine entfernte Vermutung, aber Almuth erinnerte sich an die Namen der zwei SS -Männer, mit denen sie und ihr Bruder zu tun hatten, als sie versuchten, Fey im Gestapogefängnis in der Adamgasse zu besuchen. Wenn sie diese Männer finden konnten, würde es vielleicht weiterführen. Zunächst brauchte Ilse einen weiteren Passierschein. »Wieder fuhren sie zu Colonel Keegans Büro nach München«, berichtete Fey. »Meine Mutter sah ihn inzwischen als alten Freund! Mit seiner langsamen, zögernden amerikanischen Stimme setzte er ihrem Plan einen Dämpfer auf und sagte: ›Ich fürchte, diesmal kann ich Ihnen nicht helfen, Frau von Hassell. Seit gestern ist Innsbruck unter französischer Kontrolle. Wenn Sie es noch für wichtig halten, müssen Sie sich an die neue französische Verwaltung wenden.‹« Ilse fragte ihn, ob er wenigstens herausfinden könne, ob die beiden SS -Leute noch in Innsbruck seien. Er rief einen amerikanischen Agenten dort an, der aber »nicht die geringste Ahnung« hatte, wie Keegan sagte. Laut dem Agenten waren alle SS -Leute aus der Stadt entkommen. »Sagen Sie der Dame, es ist hoffnungslos, wenn sie meint, sie könnte hier etwas ausrichten. Sie will auf einer sinnlosen Suche herumhetzen, und so wird sie die Kinder nie finden. Für so etwas wird ein besonderer Ausschuss eingerichtet werden. Man muss es systematisch machen.« München lag in der US -Besatzungszone, deshalb hatten die Franzosen dort keine Vertretung. Da sie nicht wusste, wie sie einen Passierschein bekommen sollte, eilte Ilse zum Büro für Displaced Persons. Die unterschiedlichen Besatzungszonen wurden gerade erst eingerichtet, und sie hoffte, die Beamten im Büro wüssten noch nicht, dass die Franzosen jetzt das Gebiet um Innsbruck kontrollierten. »Ich eilte dorthin und fand einen jungen und unschuldig aussehenden amerikanischen Sergeant«, erzählte sie. »Ich hatte Glück! Ohne Umstände schrieb er uns sofort einen offiziellen Passierschein für die Reise nach Innsbruck aus. Er war nur einen Tag gültig, aber so wertvoll wie Gold. Ich dankte ihm von Herzen, was ihn anscheinend etwas wunderte. Ich eilte die Treppe hinunter und zum Auto und rief Almuth zu: ›Ich hab ihn, ich hab ihn!‹« 407

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Innsbruck war 130 Kilometer von Ebenhausen entfernt, und sie fuhren am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang los. Bei der Fahrt über den Scharnitzpass nahmen sie denselben Weg wie der SS -Konvoi, der Fey und die anderen Prominenten zwei Monate zuvor aus Dachau nach Reichenau gebracht hatte. In Innsbruck gingen sie direkt zum Erzbischöflichen Palast gegenüber der früheren Gestapozentrale. Ilse hoffte, man wisse dort etwas über vermisste Kinder, aber als sie ans Tor klopfte, kam ein Diener und sagte, »die ehrwürdigen Herren« würden noch schlafen und dürften nicht gestört werden. Ilse war außer sich: »Ist das zu glauben? Ganz Europa lag in Trümmern, und die ehrwürdigen Herren schliefen!« Als Nächstes gingen sie zum Polizeipräsidium, wo sie Informationen über die SS -Männer zu bekommen hoffte, an deren Namen sich Almuth erinnerte. Auch hier stießen sie auf Gleichgültigkeit. Der leitende Beamte zuckte bloß die Achseln und sagte, die meisten SS - und Gestapoleute versteckten sich unter falschen Namen und mit falschen Papieren. Inzwischen war es fast zwölf Uhr, über die Hälfte des Tages, den der wertvolle Passierschein erlaubte, war schon vorbei. Verzweifelt beschlossen sie, sich zu trennen. Ilse würde es im Gefängnis versuchen, wo Fey eingesperrt gewesen war, und Almuth im Hotel Arlberger Hof. Nach den Worten des einen SS -Manns hatten Fey und die Kinder in ihrer ersten Nacht in Innsbruck dort gewohnt. Ilse konnte den Gefängnisdirektor sofort sprechen. Das unter den Nazis tätige Personal war nicht entlassen worden, und er hatte neun Monate zuvor den Posten innegehabt, als Fey in die Adamgasse 1 kam. Er erinnerte sich zwar gut an sie, wusste aber nichts über die Kinder: Für sie sei die SS zuständig gewesen, nicht er. Er zeigte aber Mitgefühl und riet Ilse, sich ans Jugendamt zu wenden. Möglicherweise würde dort jemand die Namen der NSV -Fürsorgerinnen kennen, die die Kinderheime der Umgebung geleitet hatten. Das Jugendamt befand sich im Rathaus, einem düsteren Barockgebäude. Drinnen fand Ilse sich in einem Labyrinth von Büros und 408

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Korridoren: »Ich eilte von einem Büro zum nächsten und fragte aufgeregt nach dem Jugendamt. Man schickte mich in Zimmer 140, aber alles war in solchem Chaos, dass niemand wusste, wo es war. Es war schon nach zwei Uhr, und der Passierschein galt nur noch knapp drei Stunden. Schließlich fand ich das Zimmer, aber es hieß: ›Tut uns leid, aber für vermisste Kinder sind wir hier nicht zuständig. Dafür gibt es ein eigenes Büro. Sie müssen in Zimmer …« Ilse wusste keinen Rat mehr und sagte dem Beamten, sie habe keine Zeit mehr, noch ein Büro zu suchen, ob er vielleicht ein paar Anrufe für sie machen könnte. Da er ihre Verzweiflung sah, rief er einige Leute an, die vermutlich etwas über Kinder wussten, die von der Gestapo entführt worden waren. »Nach vielen sehr diplomatisch gestellten Fragen  – natürlich wollte in dieser Zeit niemand jemals etwas mit der SS zu tun gehabt haben! – gelang es ihm, den Namen einer jungen Frau herauszubekommen, die mehrmals Kindertransporte unter Aufsicht der SS organisiert hatte. Als er sie dann endlich am Telefon hatte, wußte sie natürlich nichts über [Feys] Kinder oder vielmehr, sie wollte sich an nichts erinnern. Erst nach weiteren geschickten Fragen des Beamten war sie bereit, die Namen von vier Heimen und Kindergärten in der Nähe von Innsbruck zu nennen, in welche die Kinder möglicherweise gebracht worden waren.« Für unbeteiligte Passanten muss Ilse einen ungewöhnlichen ­Anblick geboten haben, als sie das Rathaus verließ. In Schleier und Trauerkleidern rannte sie durchs Stadtzentrum zurück zum Auto. Dort wartete Almuth auf sie. Auch sie hatte durch einen außergewöhnlichen Glücksfall eine wichtige Spur gefunden. Almuth hatte eine Weile gebraucht, um den Arlberger Hof zu finden, wo sie im letzten Oktober gewohnt hatte, als sie mit ihrem Bruder Fey besuchen wollte: »Ich wusste ungefähr, wo es war, aber ich konnte es einfach nicht finden. Innsbruck sah nach den Bombenangriffen ganz anders aus. Du kannst dir vorstellen, wie schockiert ich war, als ich nichts fand außer einem Schutthaufen und einem Mauerteil, wo das Hotel gewesen war!« Sie wollte schon aufgeben und zum Auto gehen, als sie einen schä409

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big gekleideten Mann im Schutt wühlen sah, der nach irgendetwas Brauchbarem suchte. Auf die Möglichkeit hin, dass er etwas über das Hotel wissen könnte, ging Almuth zu ihm hin. Unglaublicherweise stellte sich heraus, dass er Fahrer und Mann für alles im Hotel gewesen war. Sie hatte kaum begonnen, Fey und die beiden damals zwei und drei Jahre alten Jungen zu beschreiben, als sich seine Miene aufhellte und er sagte: »Natürlich! Ich erinnere mich gut an die schöne junge Dame und die beiden kleinen Jungen. Ich habe gerade die Treppe geputzt, als Polizistinnen kamen, um die Kinder abzuholen. Ein Kind hat wie wild geschrien und musste die Treppe hinuntergezerrt werden.« Almuth fragte, ob er sich noch an anderes erinnern könne. Er sagte, er habe gehört, wie die Frauen sich stritten, wohin sie die Jungen bringen sollten. Er versuchte, sich an die Namen der Kinderheime zu erinnern und sagte schließlich: »Wiesenhof und Allgäu«. * Beide standen auf der Liste, die Ilse vom Jugendamt bekommen hatte. Wiesenhof war das nächste, nur zwölf Kilometer außerhalb von Innsbruck, und der Beamte hatte gesagt, es sei ein Heim für Kinder zwischen drei und fünf. Dort fuhren sie zuerst hin. Als sie näher kamen, war Ilse zu aufgeregt, um die Umgebung wahrzunehmen  – den dichten Wald, der das dreistöckige Gebäude mit dem neogotischen Türmchen umgab, und die Felswand, die steil vom Plateau aufstieg. Sie sah nur ein großes weißes Haus. Frau Buri, die Heimleiterin, führte sie hinein, und Ilse zeigte ihr die Fotos der Kinder. »Sie lächelte und meinte: ›Ja, sicher, das sind doch die Brüder Konrad und Robert Vorhof!‹ Almuth stieß einen Freudenschrei aus, … und die Heimleiterin und ich brachen gleichzeitig in Tränen aus.« Frau Buri führte sie in einen großen Schlafsaal an der Rückseite des Hauses. Wenige Jahre zuvor, als der Wiesenhof ein anthroposophisches 410

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Sanatorium war, war hier der Speisesaal gewesen. Dreißig Kinder lagen in den Bettreihen und machten Mittagsschlaf. Ilse ging leise näher: »Mir klopfte das Herz, als ich die beiden blonden Köpfchen von Corradino und Robertino entdeckte. Dann schlichen wir uns wieder hinaus, wir konnten es kaum erwarten, daß sie aufwachten.« Während sie in Frau Buris Büro warteten, stellten sie ihr viele Fragen. Ging es den Jungen gut? Waren sie schon lange in dem Heim? Ilse musterte ihr Gesicht genau, um zu sehen, ob sie etwas zurückhielt oder log, war aber von ihrer Antwort beruhigt: »Sie gab zu, sich oft gefragt zu haben, wer sie sein könnten, weil die SS stets die Namen der kleineren Kinder änderte und nie sagte, wer sie seien oder warum sie ins Heim kämen.« Sie zeigte das Register, in das sie am Abend, als die Kinder gebracht wurden, eingetragen hatte: »Geschwister Vorhof, Konrad und Robert, Mutter verhaftet.« Die Kinder seien seit sieben Monaten im Wiesenhof. Konrad sei am Anfang sehr schüchtern gewesen und habe immer geweint, wenn er ins Bett gebracht wurde. Robert schien sich dagegen leichter anzupassen und begann bald fröhlich mit den anderen Kindern zu spielen. Sie sagte, die Brüder wollten nicht getrennt werden, und sie und die Angestellten seien besonders davon berührt gewesen, wie Konrad auf Robert aufpasste und ihm morgens beim Anziehen half. Ilse war stolz, als Frau Buri ihr erzählte, sie habe versucht, »Konrads« wahren Namen herauszubekommen, aber er habe ihn nicht gesagt. Ihre einzige Sorge war, dass die Jungen anscheinend »kurz vor oder kurz nach Weihnachten« ins Heim gekommen waren. Ilse wusste von der Botschaft, die Fey aus dem Zug geworfen hatte, dass die Gestapo die Jungen Ende September abgeholt hatte. Die Daten passten nicht zusammen. Wo waren sie von Oktober bis Dezember gewesen? Frau Buri wusste es nicht. Nachdem sie etwa eine Stunde geredet hatten, hörte sie die Kinder aufstehen. Frau Buri ging die Jungen holen, und nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür, und sie schob die beiden hinein und schloss taktvoll die Tür hinter ihnen. Ilse war sehr aufgeregt. »Ich beugte mich zu ihnen hinunter und 411

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fragte sie: ›Erinnert ihr euch an die Großmama?‹ Als Antwort legte mir Corradino sein kleines Ärmchen um den Hals und fragte: ›Gehen wir jetzt endlich heim?‹ Uns schien, daß er auch Almuth wiedererkannt hatte, denn er war rasch vetraut mit ihr. Man konnte spüren, wieviel leichter es ihm ums Herz war durch die Sicherheit, nicht mehr allein und verlassen zu sein.« Roberto erkannte sie jedoch nicht wieder. »Als ich ihn das letzte Mal sah, hatte er noch nicht einmal alle seine Zähnchen. Wie konnte ich sicher sein, daß er es wirklich war? Um einen unumstößlichen Beweis zu haben, versuchte ich, irgend etwas auf italienisch zu sagen. Aber sie hatten alles vergessen und sprachen nur einen fast unverständlichen österreichischen Dialekt. Ich zeigte ihnen einige Photos. Der Große rief gleich: ›Das ist Brazzà!‹, ›Das ist Mama!‹; aber der Kleine plapperte einfach alles nach, und wir konnten immer noch nicht ganz sicher sein. Da deutete er plötzlich mit seinen Fingerchen auf einen kleinen weißen Fleck, auf einem der Photos, der mir gar nicht aufgefallen war, und sagte: ›Das ist Mirko.‹ (Das war das Pferdchen, das in Brazzà die Kutsche zog.) Und so konnten wir sicher sein, daß es wirklich Robertino war.« Da der Passierschein nur noch eine Stunde gültig war, brachen Ilse und Almuth rasch auf und nahmen die Jungen mit. Beim Abschied sagte Frau Buri, sie hätten großes Glück gehabt. »Alle NS -Kinderheime wie der Wiesenhof sollten in den nächsten zehn Tagen geschlossen und nicht abgeholte Kinder zur Adoption durch Bauern in der Umgebung freigegeben werden. Dann wären sie wahrscheinlich für immer verloren gewesen.«

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41 Wegen der unterbrochenen Kommunikationswege zwischen Deutschland und Italien dauerte es weitere zwei Monate, bis Fey und Detalmo erfuhren, dass die Jungen gefunden waren. Am Morgen des 11. September 1945, genau ein Jahr nach ihrer ersten Festnahme in Brazzà, arbeitete Fey im Rosengarten neben der Kapelle, als Nonino mit einem Telegramm kam. Sie nahm an, es sei von Detalmo; er war in Rom und hatte schon drei oder vier geschickt. »Während ich mich weiter mit dem Gärtner unterhielt, öffnete ich so nebenbei das Telegramm. Ich begriff dessen Inhalt zunächst überhaupt nicht, las den Text immer wieder, konnte nicht glauben, was da wahrhaftig stand: DIE KINDER SIND GEFUNDEN WORDEN. SIE SIND BEI DEINER MUTTER. STOP. Unwillkürlich begann ich zu weinen. Ich zitterte am ganzen Körper und brachte kein Wort heraus. Ich konnte nur stammeln: ›Die Kinder! Die Kinder!‹« Sobald Ilse wieder in Ebenhausen war, hatte sie an eine Freundin in der Schweiz geschrieben und sie gebeten, Detalmo zu benachrichtigen. Deren Brief hatte ihn aber erst nach acht Wochen in Rom erreicht. Detalmos Hoffnung, Passierscheine für Deutschland zu bekommen, zerschlug sich. Er versuchte es überall, bekam aber immer wieder zu hören, italienische Bürger dürften noch nicht nach Deutschland reisen. Ein langer Monat verging. Dann bat ihn Premierminister Ferruccio Parri, dessen Privatsekretär Detalmo zu diesem Zeitpunkt war, einen Empfang im Grand Hotel zu Ehren von General Mark Clark zu organisieren. Im Juni 1944 hatte Clarks 5. Armee Rom befreit, und er war jetzt Oberbefehlshaber der US -Besatzungstruppen in Österreich. Hunderte von Offizieren und Politikern nahmen an dem Empfang teil. Detalmo, der schon alles versucht hatte und nicht mehr weiterwusste, wartete auf eine Chance, mit dem General zu sprechen. Der Augenblick kam, als er Clark von einer Gruppe Reporter weggehen sah. Er eilte zu ihm und bot ihm einen Whiskey an. Dann erzählte er ihm 413

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von seinem Schwiegervater und den vermissten Jungen und bat ihn um Hilfe. Mit einem Schlag war die undurchdringliche bürokratische Mauer durchbrochen. Clark war sichtlich bewegt und wies einen Offizier an, Detalmo einen Jeep und einen Passierschein zu geben, damit er »in besonderer Mission nach Deutschland reisen« könne. Er bat den Offizier auch, Ilse in Ebenhausen zu benachrichtigen, dass ­Detalmo kommen würde, um die Kinder abzuholen. Am nächsten Morgen wurden der Jeep und der unschätzbare Passierschein zu Detalmos Palazzo in der Via Panama gebracht. Mit den großzügigen Benzingutscheinen fuhr er die ganze Nacht bis nach Brazzà. Er hatte Fey vorher nicht erreichen können, und als er plötzlich auf der Zufahrt erschien, war sie sprachlos: »Da war er mit einem US Army-Jeep, in US -Uniform und Stiefeln und mit seiner alten italienischen Kavalleriekappe auf dem Kopf!  … Endlich würden wir wirklich losfahren! Nun konnte uns nichts mehr aufhalten!« Staffelkommandant Colin Falconer, der Nachfolger Fosters, bot ihnen sofort drei Zimmer im Erdgeschoss der Villa an, und sie verbrachten den Tag damit, sie herzurichten. Sie baten auch den Gemeindepfarrer, bei ihrer Rückkehr eine besondere Messe in der mittelalterlichen Kapelle in Brazzà zu feiern. Die Kapelle war dem hl. Leonhard geweiht, dem Schutzheiligen der Gefangenen,* und es schien angebracht, einen Dankgottesdienst abzuhalten, um die sichere Heimkehr der Kinder zu feiern. Nach der Messe sollte es ein großes Fest mit allen Bauern und Pächtern geben, das Fey mit Bovolenta plante: »Es sollte Wein, Wurst, Käse und Brot angeboten werden, und jemand sollte mit der Ziehharmonika zum Tanz aufspielen. Detalmo wollte bei dieser Gelegenheit alle unsere Bauern erstmals nach dem Krieg wieder zusammenbringen, um gemeinsam den Beginn eines neuen, ruhigeren Lebens zu feiern.«

*  Der hl. Leonhard, ein fränkischer Adliger des 6. Jahrhunderts, war einer der meistverehrten Heiligen des Spätmittelalters. Der Patensohn König Chlodwigs pflegte Gefangene und gründete später das Kloster Noblac. Der Legende nach zerbrachen den Gefangenen, die ihn im Gebet anriefen, die Ketten.

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Pünktlich um sechs Uhr am nächsten Morgen fuhren sie los nach Ebenhausen. Der Jeep war mit Proviant vollgepackt – Mehl und Zucker, einem großen Schinken, einem Laib Käse, Salamis, Obst und mehreren Hundert Eiern –, denn Fey wusste, dass ihre Mutter dies bei der Lebensmittelknappheit in Deutschland gut gebrauchen konnte. Es war schon Herbst, und die Blätter färbten sich golden und kupferrot vor dem Hintergrund der schneebedeckten Berge. »Detalmo und ich waren so fixiert darauf, nach Ebenhausen zu kommen, dass wir während der ganzen Fahrt kaum redeten. Wir schauten nur nach vorne und beteten, es möge nichts dazwischenkommen. An der Grenze gab es keine Pobleme. Die Passierscheine wirkten Wunder, und wir wurden bei jedem Kontrollpunkt wie sehr wichtige Persönlichkeiten durchgewinkt.« Nach einer fast zehnstündigen Fahrt ohne Pause fuhren sie um vier Uhr nachmittags über den Hügel hinter Ebenhausen, und Fey sah den vertrauten Kirchturm vor sich. »Je näher wir Ebenhausen kamen, desto unruhiger wurden wir.« Ilse hatte den Wagen auf der kiesbestreuten Zufahrt kommen hören und stand an der Haustür. »Aufrecht und erhobenen Hauptes stand Mutti vor mir, sehr abgemagert, in Trauerkleidung. Wir umarmten einander, und mir gelang es nur ›Arme Mutti!‹ zu sagen. Eine einzige Träne blitzte bei diesen Worten in ihren Augen, das war aber auch alles.« Sie äußerte den Schmerz über den Tod ihres Ehemanns nicht in Worten. Corrado und Roberto waren mit Almuth spazieren, und die Wartezeit kam Fey länger vor als alles in den letzten Monaten: Wir setzten uns zum Tee, als sei es das gewöhnlichste auf der Welt. Unser Gespräch verstummte oft. Detalmo und ich mussten immer wieder zur Tür schauen, während wir uns fragten, was wir nach einem Jahr vorfinden würden. Wir besprachen, wie wir reagieren sollten, wenn Corradino und Robertino hereinkamen. Sollten wir sie nach italienischer Art umarmen oder nordisch ruhig und gefasst bleiben? Schließlich entschieden wir uns für letzteres, um zu sehen, wie die Jungen sich verhalten würden. 415

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Nach einer Weile hörten wir Schritte, und die Tür ging auf. ­ lmuth kam herein, die Kinder an der Hand. Sie blieben auf der A Schwelle stehen. Niemand sagte ein Wort. Ich war den Tränen nahe. Die Kinder starrten uns neugierig an. Dann wurde Corradino rot, und Almuth beugte sich zu ihm herunter und fragte: »Kennst du sie noch?« »Ja, das ist Mama«, sagte er sofort. Dann zeigte Almuth auf Detalmo und fragte: »Kennst du auch den Mann da?« Er zögerte einen Moment, dann sagte er: »Ja, das ist Papa! Von dem Foto!« Nach ein paar stummen Sekunden machte Corradino sich los und lief zu Detalmo, der in der Ecke stand. Er fasste ­Detalmos Hose und stellte seine kleinen Füße auf Detalmos große Schuhe wie früher, als er klein war. Robertino kam zu mir, stieg auf meinen Schoß und saß dort, ohne ein Wort zu sagen. Er war für mich das wertvollste auf der Welt.

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Epilog Corrado war vier Jahre alt und Roberto drei, als Ilse sie im Kinderheim Wiesenhof fand. Da Corrado älter war, hat er noch einige Erinnerungen an diese Zeit. Bestimmte Szenen treten hervor: wie eine Fürsorgerin ihnen während eines Luftangriffs auf der Geige vorspielte; wie sie in den Wäldern Beeren pflückten und er auf Roberto aufpassen musste, damit er keine giftigen pflückte; wie man ihm sagte, wenn er zu viel weine, würde er den Wölfen im Wald zum Fraß vorgeworfen. Er erinnerte sich auch, einige Glasperlen verschluckt zu haben, mit denen sie Halsketten machten, worauf ein Arzt ihm sagte, er müsse ihm den Magen herausschneiden. Und er erinnert sich, dass er nach einem Luftangriff einen Toten auf der Straße vor dem Heim liegen sah. Er sieht seinen Körper noch vor sich – bis zur Hüfte in einem Abwasserrohr. Nach der Heimkehr hatte Corrado wiederholt den Alptraum, er und Roberto seien mit Fey in einem Konzentrationslager. Sie standen vor einem Graben, um erschossen zu werden. Später litt er unter Schüchternheit und Misstrauen gegenüber Menschen und glaubte nie, was man ihm sagte. »Als Teenager musste ich hart daran arbeiten, diese Paranoia zu überwinden«, sagte er. Es überrascht nicht, dass der Therapeut, zu dem er ging, die Wurzel dieses Misstrauens in dem Moment sah, als er seiner Mutter weggenommen wurde: »Meine Mutter sagte, wir würden nur einen Spaziergang machen. Sie versprach nachzukommen, aber natürlich konnte sie das nicht.« Heute leben Corrado und Roberto – inzwischen Ende 70 – immer noch in Brazzà. Beide Brüder haben erfolgreiche Karrieren hinter sich. Detalmo ging 1966 zur EWG , und Corrado schlug denselben Weg ein. Sein Weg als Wirtschaftsberater führte ihn nach Afrika, Japan und in die USA , wo er Geschäftsträger in der EU -Vertretung in Washington war. 1992 wurde er dann EU -Botschafter in Österreich, dem Land, wo die Gestapo ihn als Kind im Kinderheim versteckt hatte. Durch einen 417

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außergewöhnlichen Zufall war sein letzter Posten der des Kabinettschef beim EU -Kommissar für Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und Fischerei Franz Fischler. Fischler war auf einem Bauernhof nur wenige Hundert Meter vom Wiesenhof aufgewachsen, und seine Familie kannte den Bauern, der Corrado und Roberto adoptiert hätte, wenn Ilse nicht im letzten Moment gekommen wäre. Im Ruhestand hat Corrado Biografien seines Großonkels, des Entdeckers Pietro di Brazzà, nach dem Brazzaville im Kongo benannt ist, und seines Urgroßvaters Großadmiral Alfred von Tirpitz geschrieben. Er ist mit Cécile, einer belgischen Künstlerin verheiratet, und das Paar hat einen Sohn. Robertos Liebe zu Pferden machte ihn später zu einem der besten Reiter Italiens, 1964 wurde er mit 22 Jahren für die Mannschaft seines Landes bei der Olympiade in Tokio ausgewählt. Er nahm aber nicht teil, weil er seinen Abschluss in Architektur machen wollte. Am Wiederaufbau des Friaul nach dem verheerenden Erdbeben von 1976 beteiligte er sich maßgeblich und er ist auch bekannt für Landschaftsprojekte wie die Mitwirkung an der Rekonstruktion der Parks von Schloss Sanssouci in Potsdam. Er ist mit einer Südafrikanerin verheiratet und hat vier Kinder. Ilse lebte weiterhin in ihrem Haus in Ebenhausen, bis sie 1982 mit 96 Jahren starb. Nach dem Tod ihres Ehemanns widmete sie ihre letzten Jahrzehnte seinem Andenken. Gleich nach Kriegsende grub sie die Tagebücher aus, die er in dem Loch am Ende des Gartens vergraben hatte. Nur sie kannte die Codewörter, die er benutzt hatte, und verbrachte viele Monate mit der unermüdlichen Bearbeitung, bevor sie 1946 erschienen. In späteren Jahren war sie stets darum bemüht, das Andenken ihres Mannes zu verteidigen und am Leben zu halten, seinen Kampf für Gerechtigkeit und Anständigkeit und seine Grundbindung an moralische Werte, die über Staat und Volk standen. Ihre größte Freude waren aber die Sommermonate, die sie jedes Jahr mit Fey und ihren Enkeln in Brazzà verbrachte. »Natürlich war meine Mutter der Mittelpunkt bei den Hochzeiten der Kinder«, schrieb Fey. 418

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Alex von Stauffenberg wurde bis zum September 1945 von amerikanischen Ermittlern festgehalten. Er war vom Verlust Feys tief getroffen und schickte ihr weiterhin Briefe und Gedichte aus der Villa in Frankfurt am Main, die er nicht verlassen durfte. In diesen Monaten konnte er den Amerikanern nur schwer verständlich machen, dass er nicht mit seinem Mitgefangenen Feldmarschall von Rundstedt am selben Tisch sitzen könne. Als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd hatte Rundstedt in der Ukraine Ermordungen von Juden und Kommunisten zu verantworten. Nach dem 20. Juli 1944 hatte er bei der posthumen Ausstoßung von Alex’ Brüdern Claus und Berthold von Stauffenberg aus der Wehrmacht den Vorsitz geführt. Nach seiner Freilassung lebte Alex zunächst bei Freunden in Überlingen am Bodensee. In dieser Zeit erfuhr er, dass Fey wieder ein Kind hatte – eine Tochter namens Vivian –, was alle Hoffnungen, sie könne Detalmo verlassen und ihn heiraten, zunichtemachte. Drei Jahre vergingen, bevor er sich wieder der Welt stellen konnte. 1948 wurde er auf einen Lehrstuhl für Alte Geschichte nach München berufen. Gemeinsam mit Gerhard Ritter beauftragte ihn die Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944 mit der Sammlung allen verfügbaren Materials über den Widerstand, die aber außer Ritters Goedeler-Biografie zu keinen Veröffentlichungen führte. Er engagierte sich auch gegen die atomare Bewaffnung. 1949 heiratete er in zweiter Ehe Marlene Hoffmann, eine Witwe, die er in Überlingen kennengelernt hatte. Sie hatten zwei Töchter. Seine Tochter Gudula erinnert sich, dass er ein liebevoller, besorgter Vater war, ein großzügiger und zuverlässiger Mensch. Alex korrespondierte weiterhin mit Fey, und die beiden trafen sich verschiedentlich in Italien und Deutschland wieder. Ihre letzte Begegnung fand 1963 in Rom statt. Der fast 60-Jährige hatte nichts von seinem Charme verloren. Fey fand ihn ebenso auffallend wie damals in der Hindenburg-Baude. Wenige Monate später erhielt sie zu ihrer »großen Trauer« einen Brief von Markwart von Stauffenberg, der ihr mitteilte, Alex sei an Lungenkrebs gestorben. 419

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Isa Vermehren, Marie-Gabriele (Gagi) von Staufenberg und die anderen Sippenhäftlinge verließen Capri am 13. Juni, zwei Wochen, nachdem Detalmo Fey abgeholt hatte. Sie wurden nicht nach Deutschland geflogen, sondern zu einem britischen Lager für weibliche Militärangehörige in Versailles. Dort wurden sie weitere drei Tage befragt. »Alleinstehend, kein angenehmes Gefühl, ausgelöst durch die erst sehr unfreundliche Umgebung«, notierte Gagi in ihr Tagebuch. »Müssen zum Essen in eine englische Kantine, das Laufen zu unserem Tisch gleicht einem Spießrutenlaufen. Mika Stauffenberg hält diese fühlbare Feindseligkeit nicht mehr aus und geht an einen Tisch, um zu sagen, dass wir 20.-Juli-Angehörige sind. Es erfolgt kein Kommentar, aber seitdem fliegen beim Verlassen der Esstische Zigaretten, Schoko­ lade, Obst auf unseren Tisch.« Mitte Juni wurde Gagi nach München geflogen. Auf dem Heimweg nach Baden-Württemberg nahm sie an einer offiziellen Führung durch das KZ  Dachau mit Prälat Neuhäusler teil, der dort ebenfalls inhaftiert gewesen war. Sie hatte das Lager zwar kurz gesehen, als sie mit den anderen Sippenhäftlingen im Krankenhaus inhaftiert war, doch das wahre Ausmaß der Naziverbrechen kam erst jetzt ans Licht. »Der Gang durch das Lager ist grauenhaft, man möchte vor Scham in den Erdboden versinken«, schrieb sie danach. Ihr Vater Clemens von Stauffenberg erholte sich nie von der Behandlung durch die SS und starb im Februar 1949. Neun Monate später folgte ihm seine 55-jährige Ehefrau, deren Gesundheit ebenfalls von der Zeit im Konzentrationslagern untergraben war. Gagi blieb unverheiratet. 35  Jahre nach Ende des Krieges kehrte sie auf den alten Wohnsitz ihrer Eltern nach Jettingen zurück und beschloss, zum 70. Jahrestag ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft ihr Hafttagebuch zu veröffentlichen. Sie starb 2018 kurz vor ihrem 104. Geburtstag. Isa Vermehren begann nach der Freilassung und Heimkehr im Juni 1945 mit der Arbeit an ihrem Buch Reise durch den letzten Akt. Es schilderte ihre Erlebnisse in den Lagern und ihre Gedanken über das NS -Regime und seine Verbrechen. Nach dem Krieg wurde sie als Lehrerin ausgebildet und trat 1951 420

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in ein Kloster ein. Später wurde sie Direktorin eines katholischen Mädchengymnasiums. Sie befürwortete die Aufnahme des Ethikunterrichts in den Lehrplan: »Eine Gesellschaft ohne einen gewissen Wertekonsens hinsichtlich dessen, was sittlich gewollt und vom Einzelnen gefordert werden muss, ist dem Untergang geweiht.« Noch im Ruhestand war sie über zehn Jahre lang an der ARD -Sendung Wort zum Sonntag beteiligt. Sie starb 2009 mit 101 Jahren. Wie für die anderen Sippenhäftlinge in den späten 1940er- und 1950er-Jahren war es für Isa und Gagi schwierig, sich an das Nachkriegsdeutschland zu gewöhnen, in dem die Verschwörer des 20. Juli keineswegs allgemein anerkannt waren. Für manche waren sie Landesverräter, die ihren Treueeid auf den Führer gebrochen hatten. Die Familien der Verschwörer fanden oft nur wenig Verständnis und Unterstützung und konnten nur bei Freunden und Verwandten, die ihre politischen Ansichten teilten, auf Hilfe hoffen. Die Widersprüche innerhalb eines Landes, das zugleich den Wiederaufbau und die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte anstrebte, bedeutete, dass Claus von Stauffenbergs Witwe Nina nach dem Krieg mehrere Jahre lang eine Witwenpension verwehrt wurde. Das galt nicht für die Witwe von Roland Freisler, dem aggressiven Präsidenten des Volksgerichtshofs, der Tausende von Todesurteilen gegen Gegner des NS -Staats gefällt hatte und am 3. Februar 1945 starb, als ein amerikanischer Luftangriff das Gerichtsgebäude zerstörte. Hitler hatte geschworen, das »Schlangengezücht« auszurotten, das sich gegen ihn verschworen hatte. Die ihm verhassten preußischen Adelsfamilien sollten verschwinden. Als Nina von Stauffenberg 2006 mit 92 Jahren starb, standen in ihrer Todesanzeige die Namen ihrer vier noch lebenden Kinder und die Information: »12 Enkel und 20 Urenkel«. Sie hatten Hitlers Rache zunichtegemacht. In der Nacht des 9. Mai 1945 verließ Himmler Flensburg, den Re­ gierungssitz von Hitlers Nachfolger Admiral Dönitz. In dieser Nacht wurde um ein Uhr die bedingungslose Kapitulation der deutschen Truppen an allen Fronten wirksam. 421

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Er verließ Flensburg, um der Festnahme zu entgehen, und nahm nur fünf loyale SS -Leute mit: seinen Referenten, zwei Adjutanten, den Chef der Gestapo und seinen Sicherheitschef. Sie fuhren in vier Kübelwagen, hatten die Rangabzeichen von ihren Uniformen entfernt und trugen eine Mischung aus Zivil- und Militärkleidung. Himmler hatte seinen Schnurrbart abrasiert und trug die Papiere von Heinrich Hitzinger bei sich, einem Offizier der Geheimen Feldpolizei, dessen Identität er angenommen hatte. In den ersten beiden Nächten kampierte die Gruppe in einem Wald südlich von Flensburg und bereitete sich auf die Reise nach Süden vor. Sie wollte in den Harz, östlich von Göttingen. Dort hoffte Himmler laut seinem Adjutanten Werner Grothmann, sich verstecken zu können und dann in die Alpen zu kommen, sobald »der Lärm sich gelegt habe.« Als sie in der Nacht des 15. den Ort Marne nördlich der Elbmündung erreichten, mussten sie die Autos stehen lassen. Der Fluss war hier mehrere Kilometer breit, und sie bezahlten einem Fischer, der sie nicht erkannte, 500 Reichsmark, damit er sie in seinem Boot hinüberbringe. Die nächsten drei Tage lang wanderten sie langsam nach Süden, zusammen mit Hunderttausenden von Flüchtlingen und Wehrmachtssoldaten. Unterwegs schliefen sie unter freiem Himmel, in Bahnhöfen oder Scheunen. Die Nacht des 18. Mai verbrachten sie auf einem Hof bei Bremervörde, gleich neben einem Haus, in dem britische Soldaten einquartiert waren. Noch zwei Tage lang entkamen die sechs Männer der Gefangennahme. Dann wurden Himmler und seine Adjutanten Grothmann und Sturmbannführer Macher an einem Kontrollpunkt verhaftet, der von sowjetischen Kriegsgefangenen bewacht wurde. Die Soldaten übergaben die Männer einer britischen Patrouille. Ein Bericht auf der Grundlage von Werner Grothmanns späteren Verhören schildert diesen Moment: Himmler war in Zivil und trug eine schwarze Augenklappe, Grothmann und Macher waren halb in Uniform (Jacke und Mantel ohne Rangabzeichen) und halb in Zivil. Wegen dieser Verkleidung wurden sie von den Russen nicht erkannt … 422

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Sie wurden zu einem Lager in Seedorf bei Bremervörde gefahren, wo ihre Bewacher sie immer noch nicht erkannten. Grothmann sagte, das sei nicht verwunderlich gewesen, weil Himmler in Zivil war und ohne seine Brille wie ein gewöhnlicher deutscher Kleinbürger aussah und sehr schwer zu identifizieren war. Im Lager Seedorf stellte der wachhabende Offizier ihnen nur Routinefragen. Doch in den Papieren der Männer gab es Unstimmigkeiten, und sie wurden über Nacht in die Zellen gesperrt. Am nächsten Morgen wurden sie zu weiteren Verhören in ein anderes Lager überstellt. Auch hier flog ihre Tarnung nicht auf. Nach Grothmanns Worten nahmen die britischen Offiziere, die sie verhörten an, sie seien »deutsche Zivilflüchtlinge oder Wehrmachtsdeserteure«. Im Lauf des Tages wurden die drei Männer erneut überstellt. Wie zuvor blieben sie unentdeckt. Nach einer weiteren Nacht in britischen Zellen wurden sie am nächsten Morgen – fast 48 Stunden nach ihrer Verhaftung – ins Lager 031 gebracht, ein britisches Kriegsgefangenenlager bei Lüneburg. Captain Selvester vom Black Watch-Regiment, im Zivilleben Poli­ zeibeamter in Salford, leitete das Lager. »Damals versuchten viele deutsche Soldaten nach Hause zu kommen und besaßen meistens Papiere, die von höheren Offizieren ihrer Regimenter ausgestellt waren. Diese Soldaten wurden gestoppt und in gewöhnliche Kriegsgefangenenlager gesteckt, aber wenn es Zweifel an ihrer Identität gab, wurden sie zur weiteren Befragung in mein Lager geschickt … Bei solchen Gefangenen galt die Regel, dass sie in einer Reihe vor meinem Büro warteten und dann einzeln eintraten, worauf ich sie nach Namen, Adresse, Alter und Papieren fragte.« Am 23. Mai gegen 14 Uhr reihte Himmler sich in eine Schlange von rund zwanzig Gefangenen ein, die auf die Befragung durch Captain Selvester warteten. Mehrere Stunden später kam ein Wachtposten ins Büro und sagte dem Captain, drei der Gefangenen draußen machten Ärger. Anscheinend forderten sie, sofort vorgelassen zu werden. Aus Erfahrung wusste Selvester, dass dies sehr ungewöhnlich war; die meisten Gefangenen versuchten, so wenig Aufmerksamkeit wie 423

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­möglich auf sich zu ziehen. Misstrauisch geworden, wies er den Posten an, die drei Männer hereinzuführen. »Der erste, der in mein Büro kam, war schmächtig, sah krank aus und war in eine abgerissene Uniform gekleidet. Aber ihm folgten ­sofort zwei weitere Männer. Beide waren groß und wirkten soldatisch, der eine schlank und der andere kräftig. Der kräftige Mann hinkte etwas. Ich spürte etwas Ungewöhnliches und befahl einem meiner Sergeanten, die beiden Männer unter strenge Beobachtung zu nehmen und niemand zu erlauben, ohne meine Genehmigung mit ihnen zu sprechen. Sie wurden aus meinem Büro hinausgebracht, worauf der Schmächtige die schwarze Klappe abnahm, die er über dem linken Auge trug, und eine Brille aufsetzte. Seine Identität war sofort erkennbar, und er sagte mit sehr leiser Stimme: Heinrich Himmler.« Himmlers Motive, sich gerade jetzt zu stellen, sind unklar, aber am selben Abend wurde er zu einem kleinen Haus in der Ülzener Straße 31a in Lüneburg gefahren. »Um 22.45 wurde Himmler hereingebracht«, erinnerte sich Major Norman Whittaker, der Kommandeur der Second Army Defence Company. »Er war in eine Decke gehüllt. Er zeigte keine Arroganz. Er war unterwürfig und wusste, dass das Spiel aus war. Wir brachten ihn ins vordere Zimmer, und der Arzt begann mit der Leibesvisitation.« Colonel Michael Murphy, der Aufklärungschef im Stab General Montgomerys, leitete das Verhör. Da er bei Himmler das Risiko eines Selbstmords annahm, musste der Colonel wissen, ob er Gift bei sich trug, bevor er begann. Himmler musste sich ausziehen und nackt in die Mitte des Raums stellen. Von den Füßen nach oben untersuchte Captain Wells – ein praktischer Arzt aus Oxfordshire  – seinen Körper. Er nahm Anus, Nabel, Achseln und Ohren in Augenschein. Dann befahl er Himmler, den Mund zu öffnen, und nach Colonel Murphys Worten »sah er sofort einen kleinen schwarzen Knoten, der sich in einer Zahnlücke des rechten Unterkiefers seitlich abhob.« Bei dem Versuch, die Giftkapsel zu entfernen, steckte Wells Himmler zwei Finger in den Mund, doch dieser drehte den Kopf zur Seite und biss fest auf die Finger des Arztes. »Mein Gott! Es ist in seinem Mund. Er hat’s getan!«, rief Wells. 424

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Sofort stürzten sich Colonel Murphy und ein Sergeant auf Himmler, warfen ihn zu Boden und drehten ihn auf den Bauch, damit er nicht schlucken konnte. Gleichzeitig hielt Wells ihn an der Kehle und versuchte ihn zu zwingen, das Gift auszuspucken. »Das dramatische Tempo, mit dem der Tod eintrat, hatte ich kaum vorausgesehen«, schrieb er später. »Eine halbe Minute atmete er langsam und röchelnd, dann schlug der Puls noch eine Minute lang. Der Gestank aus Himmlers Mund war zweifellos der von Blausäure.« »Dieses üble Wesen hauchte sein Leben um 23.14 aus«, schrieb Major Whitaker. »Wir drehten ihn auf den Rücken, legten eine Decke über ihn und gingen hinaus.« Am 26. Mai wurde Himmlers Leiche, eingehüllt in Tarnnetz und mit Telefondraht umwickelt, an einen geheimen Ort außerhalb von Lüneburg gebracht und ohne religiöse Zeremonie begraben. Feldwebel Austin, im Zivilleben ein Müllmann, hob das Grab aus. Sonst waren nur noch drei Mitglieder der Second Army Defence Company anwesend. »Diese vier Personen waren die einzigen, die den Ort kannten«, heißt es im Kriegstagebuch der Einheit. Danach wurde die Karte mit dem eingezeichneten Standort dem Aufklärungschef der Zweiten Armee übergeben. Der genaue Ort des Grabs ist nach wie vor geheim. Mit Ausnahme von Oberscharführer Foth, dem Kommandanten des Judenlagers in Stutthof, ist nur wenig über das Schicksal der vielen SS -Leute bekannt, die die Sippenhäftlinge auf ihrer Reise durch die Lager bewachten. Kupfer war nach dem Krieg für kurze Zeit inhaftiert, aber die erhaltenen Dokumente sagen nichts aus über Fräulein Papke, die die Sippenhäftlinge mit Kupfer von Stutthof nach Buchenwald brachte, und enthalten auch nichts über die Aufseherinnen Rafforth und Knocke in Buchenwald. Foth wurde 1947 von einem polnischen Gericht wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt. Bei den sechs Stutthof-Prozessen, die von 1946 bis 1953 in Danzig und Tórun (Thorn) stattfanden, wurden insgesamt 72 SS -Leute und sechs Aufseherinnen schuldig gesprochen. 22 von ihnen wurden hingerichtet.

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Fey hörte aber noch einmal von Hans Kretschmann, dem jungen Leutnant, der sie im Herbst 1944 bei der Gestapo denunziert hatte. Sein Anruf kam wie aus heiterem Himmel an einem heißen Nachmittag des Sommers 1984. Seit dem Krieg waren fast vierzig Jahre vergangen, und nach Detalmos erfolgreicher Karriere als EWG -Diplomat, vor allem in Afrika, lebten sie halb im Ruhestand in Rom und Brazzà. Fey war in ihrer Wohnung im Zentrum Roms, als das Telefon klingelte. »Der Anrufer sprach Deutsch und fragte nach mir. Zuerst verstand ich nicht, aber dann merkte ich, dass es Hans Kretschmann war  … Er sprach genau wie damals, ausdruckslos und sachlich. Er war mit seiner Frau im Grand Hotel und nahm an einer Konferenz über das europäische Telefonwesen teil. (Er hatte einen hohen Posten im deutschen Telefonwesen.) Es würde ihn sehr freuen, wenn ich mich abends mit ihm und seiner Frau zu einem Drink im Hotel treffen würde, um über alte Zeiten zu reden.« Widerwillig ging Fey auf Kretschmanns Drängen ein und nahm die Einladung an. »Ich betrat die Hotelbar pünktlich um sieben Uhr, schon jetzt sehr aufgewühlt. Da saß er und sah ganz anders aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war dick geworden und wirkte viel kleiner als in meiner Erinnerung.« Von Anfang an war das Gespräch gezwungen. Kretschmann hatte ein Foto von Corrado und Roberto dabei, das er vorzeigte. Er wollte wissen, was aus den Jungen geworden sei. Fey antwortete höflich auf seine Fragen, war aber schockiert, als er über den Krieg zu reden begann. »Er schwelgte in Erinnerungen an die guten Zeiten, die er mit uns in Brazzà verbracht habe, und wie ›angenehm und friedlich es gewesen sei, als sein Regiment dort stationiert war.‹ Seine Frau lächelte; sie musste die Geschichte von der ›glücklichen‹ Zeit schon oft gehört haben.« Nach kurzer Zeit hielt Fey es nicht mehr aus, entschuldigte sich und ging. Beim Gehen gab Kretschmann ihr seine Karte und fragte, ob er sie in Brazzà besuchen dürfe. In dieser Nacht konnte sie nicht schlafen. »Warum wollte er mich besuchen? Ich konnte mir nur vorstellen, dass er sich irgendwie von 426

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seiner Vergangenheit als fanatischer Nazi reinigen wollte, vor allem von seinem herzlosen Verhalten, als er mich bei Gestapo und SS denunzierte. … Ich fühlte mich durch die Begegnung schrecklich ausgenutzt und verletzt.« Die Begegnung mit ihm weckte die schlimmsten Kriegserin­ne­run­ gen wieder auf – Erinnerungen, die sie mithilfe eines Psychiaters und durch die Konzentration auf ihre Familie und den Haushalt in Brazzà zum größten Teil kontrollieren konnte. Als sie sich mehrere Tage später immer noch von dem Treffen belastet fühlte, beschloss Fey, an Kretschmann zu schreiben. Ihr Brief hielt sich nicht lange mit den üblichen Höflichkeiten auf: »Ich schrieb, dass ich ihn, nachdem ich darüber nachgedacht habe, nicht wiedersehen wolle. Die Begegnung mit ihm hatte den Geist von Ereignissen wachgerufen, von denen ich mich zu lösen versuchte und für die er zum Teil verantwortlich war. Solche Dinge ließen sich natürlich nicht völlig aus dem Gedächtnis löschen, aber ich war von ihnen nicht zerstört worden und wollte es auch künftig nicht werden. Ich sagte, er solle verstehen, dass ich nicht rachsüchtig sei, sondern aus einem starken menschlichen Gefühl heraus schreibe. Am Schluss bat ich Kretsch­mann, den Brief seiner Frau zu zeigen, die ich sehr sympathisch fand. Ich war sicher, sie würde mich verstehen.« Feys Brief war offen und entschlossen. Doch sie schrieb später auch, dass sie Kretschmann vergab: »Er war jung und besaß keine andere Erziehung als die durch die Nazis. Vergebung ist eines der wichtigsten Gefühle im Leben.« In der persönlichen Auseinandersetzung mit ihren Erlebnissen war dies eine ihrer Maximen. Wie viele andere Gefangene der Konzentrationslager litt sie am Schuldgefühl der Überlebenden – einem Gefühl, das von dem Wissen verstärkt wurde, ihre Erlebnisse seien verglichen mit denen von Opfern des Holocaust »glimpflich« gewesen, wie sie es nannte. Ihre Beschäftigung mit deren Leiden und der Drang, die unbeantwortbare Frage nach dem Warum zu beantworten, ließ sie viele Memoiren von KZ -Überlebenden lesen. Viktor Frankls Buch Trotzdem Ja zum Leben 427

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sagen, in dem er über seine Gefangenschaft in Auschwitz und anderen Lagern berichtete, gewann große Bedeutung für Fey. Ihr ganzes Leben hatte sie es in ihrer Nähe und heftete Zettel mit Zitaten daraus an ihren Schreibtisch. »Meine Mutter beklagte sich nie über das, was ihr geschehen war, weil sie ihr Leiden als Teil ihres Schicksals ansah, das sie ohne Bitterkeit oder Rachegefühle annehmen musste«, sagte Corrado. Nach einem Bericht des Internationalen Suchdienstes suchten 1948 immer noch 42 000 Eltern in Europa nach ihren Kindern. Feys Dankbarkeit, wieder mit ihren vermissten Jungen vereint worden zu sein, schwand nicht bis zu ihrem Tod in Brazzà im Alter von 92 Jahren. Sie starb am 12. Februar 2010, fast vier Jahre nach Detalmo, der im März 2006 mit 91 Jahren gestorben war. Scheinbar waren sie rein zufällig gefunden worden, aber Fey sah es anders. Ihr geliebter Vater hatte über sie gewacht. In einem Interview nach dem Krieg sagte sie: »Er fand die Jungen.«

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Fey mit Corrado und Roberto im Sommer 1949

Fey in Brazzà, um 1995

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Danksagung Ich stehe tief in der Schuld von Corrado Pirzio-Biroli, ohne den ich das Buch nicht hätte schreiben können. Er gestattete mir nicht nur den Zugang zur bemerkenswerten Dokumentensammlung seiner Mutter in Brazzà, sondern wirkte auch an den Recherchen mit. Unermüdlich und geduldig beantwortete er jede Frage und war stets bereit, neue Wege der Untersuchung vorzuschlagen. Mit seinem nie erlahmenden Interesse an der Geschichte von Brazzà und als Autor der Biografie seines Urgroßvaters Admiral von Tirpitz hat er stets sein Wissen mit mir geteilt. Ich bin überaus glücklich über die Gelegenheit, so eng mit ihm zusammengearbeitet zu haben, und werde stets dankbar sein für seine Großzügigkeit und Ermutigung. Mein aufrichtiger Dank gebührt auch seiner Ehefrau Cécile ­Pirzio-Biroli, die mich zum Monte Joanaz ins Dorf Canebola fuhr, wo die Alliierten im Krieg Nachschub für die Partisanen abwarfen, und nach Niederdorf und ins Hotel Pragser Wildsee in Südtirol, wo die Sippenhäftlinge im Mai 1945 die letzten Tage vor der Befreiung durch die Amerikaner verbrachten. Ebenso danke ich Roberto Pirzio-Biroli für unschätzbare Einblicke in seine außergewöhnliche Familie. Der verstorbene David Forbes-Watt, Feys Schwiegersohn und Ehemann ihrer Tochter Vivian, war Ko-Autor von A Mother’s War. Sein Archiv enthält einen Schatz von Dokumenten, darunter Notizen, die er bei Gesprächen mit Fey und anderen über ihre Geschichte machte. Nach Vivians Tod 1995 heiratete David Helen. Ich bin ihr sehr dankbar für ihre Suche nach Material in den Papieren ihres Mannes und für ihre freundliche Erlaubnis, Auszüge aus seinem Buch benutzen zu dürfen. David und Helen besuchten Fey und Detalmo oft. Ich schätze Helen auch für die vielen angenehmen Stunden, in denen sie mir von Fey und dem Leben in Brazzà erzählte. Auch andere Familienarchive enthielten wertvolles Material. O ­ rsina Hercolani, die Enkelin von Santa Borghese Hercolani, widmete mir

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einen Tag Zeit, um mir die über viele Jahrzehnte reichende Korrespondenz zwischen ihrer Großmutter und Fey zu zeigen. Es war auch faszinierend, Mike Foster zu treffen, den Sohn von Robert Foster, der mir ein Exemplar der unveröffentlichten Memoiren seines Vaters gab, einer aufschlussreichen Schilderung seiner ersten Begegnung mit Fey und Detalmo und der Stationierung der Desert Air Force in Brazzà. Ebenso gebührt mein Dank Valerie Riedesel, der Tochter von Anna-Luise (Ännerle) von Hofacker, sowie Dr. Gudula Knerr-Stauffenberg, die ihre Erinnerungen an ihren Vater Alexander von Stauffenberg mit mir teilte. Bei einem Thema mit Quellen in so vielen europäischen Sprachen waren die Arbeit und Unterstützung anderer für mich unverzichtbar. Mein Dank gilt Angelica von Hase für die Suche nach Dokumenten in Deutschland und Polen und für hilfreiche Hinweise während der Recherchen; Lily Pollack für ihre Hilfe und Begeisterung, als ich begann; Lucy Lethbridge für die scharfsinnige Lektüre eines Teils des Manuskripts; und Dan Booth, Sarah Niccolini und meiner Mutter Carol für ihre Übersetzungen aus dem Italienischen. Luca Colautti und Pietro Feruglio im Friaul und Heinz Blaumeiser in Tirol fanden Quellen über Brazzà und das Kinderheim Wiesenhof. Ihr Material, darunter unveröffentlichte Memoiren, Artikel aus Lokalzeitungen und mündlich weitergegebene Erinnerungen, erlaubte mir Einblicke in das Leben während der NS -Zeit, die mir sonst entgangen wären, und ich danke ihnen sehr für ihre Beiträge. Ich bin auch Venetia Butterfield und dem ganzen Team bei Viking Books verpflichtet, besonders meiner Lektorin Mary Mount für ihre Ermutigung und klugen Anregungen. Dasselbe gilt für meine Agentin Georgina Capel, für Rosanna Forte für ihre Beschaffung von Illustrationen und für Sarah-Jane Forder, meine wunderbare Korrektorin. Es war mir auch eine große Freude, mit Alexandra Campbell zu arbeiten, und ich kann ihr nicht genug danken. Sie sah nicht nur deutsche, französische und italienische Briefe, Tagebücher und Bücher für mich durch, sondern kommentierte auch stets meine Ideen. Schließlich danke ich meiner Familie und meinen Freunden Sarah Cole, Dorothy Cory-Wright, Jasper McMahon, William Sieghart und Sara Tibbets für ihre Geduld und ihre Liebe und Unterstützung während der Entstehung dieses Buches.

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Malmö

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Bornholm

Ostsee

Nordsee

Rostock Hamburg

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Ravensbrück

Bremen

NIEDERLANDE

KönigsDanzig berg Stutthof Matzkau

Lauenburg

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Sachsenhausen

Arnheim

Magdeburg

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Berlin

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Posen

Warschau

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Bad Reinerz Auschwitz Protektorat Böhmen und Mähren

SCHWEIZ

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100

200 km

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Die Route von Fey von Hassell

MONTENEGRO (Okt. 1944 –Mai 1945) auf der Straße mit der Eisenbahn mit dem Flugzeug Konzentrationslager Tirana Vernichtungslager Grenze A Ldes B A»GroßNIEN deutschen Reiches«

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AOSTATAL

Aosta Comer See

Livorno

Pisa

La Spezia

LIGURIEN

Rapallo

Parma

Piacenza

Pavia

Mailand

LOMBARDEI

Ligurisches Meer

Savona

Po

Genua

PIEMONT

Lago Maggiore

Bologna

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Florenz

TOSKANA

Lucca

Villabassa Pragser Wildsee

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Faenza

Venedig

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Triest

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Operationszone Adriatisches Küstenland

Adria Pesaro

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100 km

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Operationszone Adriatisches Küstenland

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Tagliamento

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Frontlinie deutsch besetzte Gebiete sowjetisch besetzte Gebiete

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Die Invasion Ostpreußens 27. Januar 1945

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Stettin

Stargard

Leipzig

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Berlin

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Schwiebus

Liegnitz

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Landsberg

Stolp

Breslau

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Thorn

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100 km

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Radom

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Rastenburg

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Königsberg Heiligenbeil

Marienwerder

Danzig Matzkau

(Gdingen/Gdynia)

Pillau Gotenhafen

WESTPREUSSEN

Lauenburg

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Deutsch Krone

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Belgard

Köslin

Arnswalde

POMMERN

Kolberg

Ostsee

DEUTSCHES REICH

Rostock

Frontlinie deutsch besetzte Gebiete sowjetisch besetzte Gebiete

Die pommersche Front Februar 1945

Elbe

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N O RW E G E N LETTLAND

SCHWEDEN

Kurland

DÄ N E M A R K Kopenhagen

Nordsee

Gotenhafen Rostock Hamburg

DEUTSCHES

Wien

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Salzburg

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Padua

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Belgrad

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NEGR O Großdeutsches Reich im April 1945

Korsika

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Prag Nürnberg

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Breslau NIEDERSCHLESIEN

Regensburg

Straßburg

Warschau

Lodz

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Frankfurt

Luxemburg

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Memel

Ostsee

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Rom

200 km

Neapel

Frontlinie deutsch besetzte Tirana Gebiete alliierte und befreite Gebiete ALBANIEN neutrale Länder

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Quellen Es existieren viele verschiedene Quellen für Feys Geschichte: die Tagebücher, die sie ihr Leben lang führte, die Briefe an Verwandte und Freunde sowie die Memoiren La Storia Incredibile (1987), auf denen die englischen und deutschen Ausgaben Niemals sich beugen (1990) und A Mother’s War (1990) basieren. Sie machte auch ausführliche Notizen über die Widerstandsarbeit ihres Vaters und ihre Erfahrungen in den Konzentrationslagern, die sie in den Jahren nach dem Krieg aktualisierte. Diese Dokumente, dazu die unterschiedlichen Entwürfe für die italienischen, deutschen, französischen und englischen Ausgaben ihrer Memoiren liegen im Archiv in Brazzà, ebenso die des verstorbenen David Forbes-Watt, Feys Schwiegersohn und Ko-Autor von A Mother’s War. Während der Recherche zu diesem Buch und meiner Arbeit daran habe ich versucht, für jeden Teil der Erzählung alle Quellen einzusehen. Unvermeidlicherweise gibt es stilistische Unterschiede zwischen Texten, die veröffentlicht werden sollten, und persönlichen Briefen und spontanen Notizen, darum habe ich mich in allen Fällen bemüht, so nah wie möglich an Feys Stimme und Erfahrung heranzukommen, und habe oft mehrere Quellen für eine Szene benutzt. Anmerkung des Übersetzers: Für die deutsche Übersetzung konnten die unveröffentlichten Originalquellen nicht eingesehen werden.

Abbildungsnachweis Bildrechte: Die meisten Fotos werden mit freundlicher Erlaubnis des Familienarchivs in Brazzà reproduziert. Autorin und Verlag danken auch für die Erlaubnis zur Verwendung folgender Fotos: H. Huber (S. 162  oben), Gemeindemuseum Absam (S. 162 unten), Mike Foster (S. 164 oben links), Ullstein Bild / Getty Images (S. 164 unten, S. 166 Mitte und unten, S. 167 oben), Toni Schneiders / Bundesarchiv (S. 323 oben), ANPI Udine Fotoarchiv (S. 324 unten), Bundesarchiv (S. 325 beide unten), Nationaal Archief (NL ) (S. 326 oben links), Hulton Archive / Getty Images (S. 326 unten), Dr. Gudula Knerr-­Stauffenberg (S. 326 oben Mitte und rechts), Popperfoto / Getty Images (S. 327 oben), Zeitgeschichtsarchiv Pragser Wildsee (S. 327 unten links), Dea / S. Vannini / Getty Images (S. 327 unten rechts), Stutthof-Museum (S. 329 oben), Army Film and Photographic Unit (S. 329 unten).

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Anmerkungen Prolog S. 5 S. 5 S. 6 S. 6 S. 6 S. 6

S. 7 S. 7 S. 7

»Monika ruft Dampfschiff.«: Fritz Molden, Fepolinski und ­Waschlapski auf dem berstenden Stern: Bericht einer unruhigen Jugend. Wien 1976, S. 300. Am Vortag hatten: Thomas Albrich und Arno Gisinger, Im Bombenkrieg: Tirol und Vorarlberg 1943 – 1945. Innsbruck 1992, S. 277ff. Die Alliierten: Joseph E. Persico, Piercing the Reich: The Penetration of Nazi Germany by American Secret Agents During World War II . New York 1979, S. 10. Falls Hitler: ebd. Unter diesen Umständen: Jim Ring, Storming the Eagle’s Nest. London 2014, S. 240 – 244. Am frühen Nachmittag: Albrich und Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 307 – 310; Hauptquartier, 450. Bomber-Gruppe, Bericht S‑2, Mission Nr. 194, 16. Dezember 1944, www.450thbg.com/real/s2/1944/december. shtml [Stand: 10.3.2020]. »Alles befürchtete«: Roland Sila (Hrsg.), Von Zerstörung und Wiederaufbau: Das Tagebuch der Innsbruckerin Anna Mutschlechner 1944 – 1951. Innsbruck 2003, S. 36. »Als wir noch alle«: ebd., S. 36 – 39. Dieser Angriff markierte: Albrich und Gisinger, Im Bombenkrieg, S. 307 – 310; Zitat nach Peter Pirker, Codename Brooklyn: jüdische Agenten im Feindesland … Innsbruck 2019, S. 208; vgl. Gerald Schwab, OSS Agents in Hitler’s Heartland: Destination Innsbruck. New York 1996, S. 104.

Teil I  / 1 S. 8 S. 8 S. 9

Im selben Dezember: Aussage Frau Buri, Oberschwester, Waisenhaus Wiesenhof, Juli 1945, privates Familienarchiv. Beide trugen: ebd. Die Straße selbst: Matthias Breit, Leiter des Gemeindemuseums Absam, Gespräch mit der Autorin, Januar 2017.

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S. 10 S. 10 S. 10 S. 10

Auf seinem Gelände: The Times of Israel, 20. Oktober 2012. – Dem wider­ sprach 2014 eine Historikerkommission: https://medienportal.univie.ac.at/ uniview/wissenschaft-gesellschaft/detailansicht/artikel/keine-euthanasie-­ im-psychiatrischen-krankenhaus-in-hall/?no_cache=1. [Stand: 6.4.2020]. – Außerdem wären nicht Gestapo-Leute, sondern Ärzte die Täter gewesen. (Anm. d.  Übers. M. R.) Dies war der Rand: Peter Steindl, ehemaliger Vizebürgermeister von ­Absam, Gespräch mit der Autorin, Januar 2017. Im Dorfkern: Heinz Blaumeiser, Sozialhistoriker und ehemaliger D ­ ozent an der Universität Innsbruck, Gespräch mit der Autorin, Januar 2017. In der germanischen Mythologie: ebd. Im schwachen Mondlicht: Aussage Frau Buri.

2 S. 11 S. 11 S. 11 S. 11 S. 12

S. 12 S. 12 S. 12 S. 12 S. 13 S. 13 S. 13 S. 13 S. 13 S. 14 S. 14

Für die Bewohner: Heinz Blaumeiser und Peter Steindl, Gespräche mit der Autorin, Januar 2017. Ein reicher Adliger: ebd. Bevor die Arbeiten: Peter Steindl, Gespräche mit der Autorin, Januar 2017. Im folgenden Jahrzehnt: ebd. Allein in der Nacht: »Anschluss and Extermination: the fate of the ­Austrian Jews«, Holocaust Education & Archive Research Team, 2009; www.holocaustresearchproject.org/nazioccupation/anschluss.html [Stand: 13.3.2020]. Walther Eidlitz, der Enkel: Walther Eidlitz, Unknown India: A Pilgrimage into a Forgotten World. London 1952, S. 8. Seine Mutter: Information von Heinz Blaumeiser, Gespräch mit der ­Autorin, Januar 2017. Wie sich der Manager: Rudolf Hauschka, Wetterleuchten einer Zeitenwende. Bad Boll 1997, S. 118. Drei Jahre zuvor: Peter Staudenmaier, Between Occultism and Nazism: Anthoposophy and the Politics of Race in the Fascist Era. Leiden 2014, S. 111. In den 1930er-Jahren: Hauschka, Wetterleuchten, S. 118. Ohne sich Rudolf Steiners: Staudenmaier, Between Occultism, S. 104 f. »Hervortreten des israelitischen Elements«: ebd., S. 102, Anm. 1. »Trotzdem wir mit der Umgebung«: Hauschka, Wetterleuchten, S. 118. Die Vorurteile der Dorfbewohner: Heinz Blaumeiser, Gespräch mit der Autorin, Januar 2017. Auf der anderen Seite: Matthias Breit, Gespräch mit der Autorin, ­Januar 2017. Am 18. April: Leopold Dollonek, Tiroler Tageszeitung, 9. Februar 1949.

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»Das Einschleichen«: Hitler, 6. September 1938, zit. n. Max ­Domarus, ­Hitler: Reden und Proklamationen 1932 – 1945, I, 2: 1935 – 1938. ­München 1965, S.  894. Nach ihren Akten: Dollonek, Tiroler Tageszeitung, 9. Februar 1949. Sein Flug: Staudenmaier, Between Occultism, S. 229. »Als wir«: Hans Frank, Im Angesicht des Galgens. München 1953, S. 411. »Der Führer wünscht«: Bormann an Heydrich, 14. Mai 1941, BA  R58/6197/1: 19, zit. n. Uwe Werner, Anthroposophen in der Zeit des ­Nationalsozialismus. München 1999, S. 304; vgl. Staudenmaier, Between Occultism, S. 234. Das Ergebnis war: Staudenmaier, Between Occultism, S. 234. »Im Morgengrauen«: Hauschka, Wetterleuchten, S. 119. Kurz darauf: Heinz Blaumeiser, Gespräche mit der Autorin, Februar 2017. Binnen weniger Monate: Matthias Breit und Peter Steindl, Gespräche mit der Autorin, Januar 2017. Nachdem der Wiesenhof: Informationen von Heinz Blaumeiser. Man nimmt an: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der Autorin, ­November 2017; Frau Buri, Aussage. Die örtlichen Familien: Peter Steindl, Gespräch mit der Autorin, ­Januar 2017. Für den Rest ihres Lebens: ebd. »Niemand hat uns«: Gespräch mit der Autorin. Manche ihrer Nachkommen: Trude Egger, Einwohnerin des Dorfs ­Wiesenhof, Gespräch mit Heinz Blaumeister, Oktober 2017. Eine Frau: Heinz Blaumeiser, Gespräch mit der Autorin, Januar 2017. In den Wochen: Hier und im Folgenden Frau Buri, Aussage.

Teil II  / 3 S. 19 »Geheim. AHQ DAF «: Desert Air Force Operations Record Books, Commands, 1. Januar 1945 – 31. Mai 1945, AIR  24/444, The National ­Archives. Fünf Tage zuvor: Robert Foster, unveröff. Erinnerungen, undatiert, S. 19 ­privates Familienarchiv. Es war die vierte: Desert Air Force Operations Record Books, a. a. O. S. 20 Er hatte den: Gespräch mit Robert Fosters Sohn Mike Foster, September S. 20 2016. Mit 47 Jahren: ebd. S. 20 Während die Alliierten: Nachruf, Oberst Westlake, RAF , Daily T ­ elegraph, S. 20 26. Januar 2006. Die größte Schwierigkeit: »Operation ›Bowler‹«, AIR  23/1819, S. 21 The ­National Archives. Am Nachmittag des: ebd. S. 21

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Die Piloten zielten so genau: Nachruf, Oberst Westlake, a. a. O. Eines kam vom: Air Marshal Guy Garrod an Sir Norman H. Bottomley, 6. Mai 1945, AIR 20/3216, The National Archives. Foster spähte: Mike Foster, Gespräch mit der Autorin; Notizen über ein Gespräch zwischen David Forbes-Watt und Air Marshal C. L. ­Falconer, mit Foster in Brazzà stationiert (und später Kommandant der DAF ), ­undatiert, privates Familienarchiv. In den letzten Tagen: Desert Air Force Operations Record Books, a. a. O. Irgendetwas an der Burg: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der ­Autorin, November 2016. Noch im April: Foster, unveröff. Erinnerungen. Bei diesem Anblick: ebd. Während er aber: Gespräch zwischen Forbes-Watt und Falconer, a. a. O. Als er an dem: Foster, unveröff. Erinnerungen. Das Einzige: ebd. Nach Jahren der Verfolgung: Major ,Tommy‹ Macpherson (Oberst Sir ­Ronald Thomas Stewart Macpherson), Kommandant, SOE Coolant ­Mission, Lageberichte, Mai–Juni 1945, HS  6/852, The National Archives. Schon jetzt hatten: ebd.

4 S. 27

»Die Gesamtzahl unidentifizierter«: Sir Noel Charles an das Außenministerium, 16. Mai 1945, zit. n. David Stafford, Mission Accomplished: SOE and Italy 1943 – 1945. London 2012, S. 331. In Ziracco: Macpherson, SOE Coolant Mission, Lageberichte, a. a. O. S. 27 »in einer Grube«: ebd. S. 27 »vielleicht der gefährlichste«: ebd. S. 28 Garibaldi-Kommandeure: ebd. S. 28 S. 28 »Zivio Stalin«: David Stafford, Endgame 1945. New York 2007, S. 345. »Bürger von Udine«: Macpherson, Coolant Mission, Lageberichte, S. 28 a. a. O. »Hexenkessel gegensätzlicher«: Geoffrey Cox, Race for Trieste. London S. 29 1977, S. 158. Neben Flügen: ADV HQ DAF , Operationsberichte für April/Mai 1945, S. 29 Zusammenfassung der Ereignisse, AIR 24/444, The National Archives.

5 S. 30 S. 30

Das eine sah aus: Gespräch zwischen Forbes-Watt und Falconer, a. a. O. Als er das Licht: ebd.

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S. 31 S. 31 S. 31 S. 32 S. 33

Die Italiener nannten ihn: Angelo D’Orsi, »Vittorio Emanuele III «, Il Manifesto, 19. Dezember 2017. Er stieß sie auf: Gespräch zwischen Forbes-Watt und Falconer, a. a. O. Ein Gesicht fiel: ebd. Unter den Hunderten: ebd. Während Foster: ebd.

6 S. 34 S. 34 S. 34 S. 35 S. 35 S. 35 S. 35 S. 36 S. 36 S. 37 S. 37 S. 37 S. 38 S. 38 S. 38 S. 38 S. 39

Er sagte: Detalmo Pirzio-Biroli, Finestre e Finestrelle su Brazza e A ­ ltrove. Pasian di Prato (Udine) 2005, S. 78f. Die Familie heiße: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der Autorin, ­November 2016. Dann schüttelte er: Gespräch zwischen Forbes-Watt und Falconer, a. a. O. In einer Winternacht: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der Autorin, November 2016. Eine amerikanische: Gespräch zwischen Forbes-Watt und Falconer, a. a. O. Ruhig, aber: ebd. Während sie den Garten: ebd. Zuerst hatte es: David Forbes-Watt und Fey Pirzio-Biroli, Notizen, ­privates Familienarchiv. Hier hatten sich: ebd. Die erste Nacht: ebd. Angesichts der: Gespräch zwischen David Forbes-Watt und Air ­Marshal C. L. Falconer. Hier hatten die Deutschen: Foster, unveröff. Erinnerungen. Am Südufer: J. R. T. Hopper, Private Aufzeichnungen, Dokumente 6342, Imperial War Museum, London. Sie kamen: David Forbes-Watt und Fey Pirzio-Biroli, Notizen. Trotz allem: Foster, unveröff. Erinnerungen. Wo waren: ebd. Außerdem konnten sie: ebd.

Teil III  / 7 S. 40 S. 40 S. 41 S. 41

Um Punkt 9.30 Uhr: Il Messagero, 19. Oktober 1937. Die Ovationen: ebd. »de[n] Jude[n] in seiner«: Himmler, Rede bei der Amtseinführung zum Chef der Deutschen Polizei, 18. Juni 1936, zit. n. Peter Longerich, ­Heinrich Himmler. München 2007, S. 213. In diesem Sommer: Longerich, Himmler, S. 252.

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S. 41 S. 42 S. 43 S. 43 S. 44 S. 45 S. 45 S. 46 S. 46 S. 46 S. 46 S. 47 S. 47 S. 47 S. 47 S. 48 S. 48 S. 48 S. 48 S. 49 S. 49 S. 49 S. 49 S. 50 S. 51 S. 52 S. 52 S. 52 S. 52 S. 52

Mit dem letzten Trompetenstoß: Il Messagero, 19. Oktober 1937. »Volk von Mördern und Päderasten«: Eugen Dollmann, With Hitler and Mussolini: Memoirs of a Nazi Interpreter. New York 2017, S. 49. »Sie sind wie verrückt«: Christopher Duggan, Fascist Voices: An Intimate History of Mussolini’s Italy. London 2013, S. 282. »Schimmel, Mäusen und Kellern«: Il Messagero, 19. Oktober 1937. Es war kurz vor neun Uhr: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren, ­undatiert, privates Familienarchiv. »Ich riet ihm«: Dollmann, With Hitler, S. 54. Ein Orchester spielte: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. »Sein einziges Gesprächsthema«: Duchess of Sermoneta, Sparkle D ­ istant Worlds. London 1947, S. 134. »scharfen, bleichen«: Carl Jacob Burckhardt, zit. n. Dollmann, With Hitler, S. 96. die Italiener bevorzugten: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. »Der Botschafter«: Dollmann, With Hitler, S. 45. »Politik, Intrigen«: ebd., S. 97. Er frage sich: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. »Als ich behauptete«: Ulrich von Hassell, Römische Tagebücher und Briefe 1932 – 1938. München 2004, S. 207. dessen Interessen: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. »Unangenehm und heimtückisch«: Galeazzo Ciano, Diary 1937 – 1943. London 2002, S. 63. und lernte absolute Treue: So US -Geheimdienstchef Allen Dulles in seiner Einleitung zu The Ulrich von Hassell Diaries 1938 – 1944. New York 1947. »einen deutschen Edelmann«: Gottfried von Nostitz, zit. n. ­Gregor Schöllgen, Ulrich von Hassell 1881 – 1944: ein Konservativer in der ­Opposition. München 1990, S. 176. »überlegenen Humor«: Hans Bernd Gisevius, Bis zum bittern Ende. Hamburg 1947, II , S. 183. Hitler ratifizierte den Pakt: Dulles, Hassell Diaries. Im Herbst 1937 wusste Hassell: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. Zu Beginn des Jahres: ebd. Manchmal benutzte er: Hassell, Römische Tagebücher, S. 19f. »30. Januar 1933«: Fey von Hassell, Niemals sich beugen. Erinnerungen ­einer Sondergefangenen der SS . München 1993, S. 17 – 45. »unerfreulichere und für mich«: Hassell, Römische Tagebücher, S. 207. »Kein Maß!«: ebd., S. 190. Zu Hassells Verlegenheit: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. »Göring kommt«: Hassell, Römische Tagebücher, S. 195. »Unser Auto«: ebd. »Politische Ausführungen«: ebd.

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»Ja, jetzt ist das noch«: ebd., S. 196. »Solche Gedanken«: ebd. »Pour moi l’Europe«: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der Autorin, Oktober 2018. »Ich träumte vom Golf von Neapel«: Fey von Hassell, Niemals sich ­beugen, S.  27. »besseren Gesellschaft«: ebd., S. 31. Bei der Ankunft: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. nur wenige Stunden: ebd. »Blockbildung«: ebd. »Ich ergriff die Gelegenheit«: Ciano, Diary 1937 – 1943, S. 19. »Papa sagt,«: Fey von Hassell, Niemals sich beugen, S. 50. Er war öffentlich: Richard Beyler, »Werner Heisenberg, German ­Physicist and Philosopher«, Encyclopedia Britannica, https://www.britannia.com. Bei dem Gespräch: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. »Politik und Diplomatie«: Hassell, Römische Tagebücher, S. 209. Rund 250 Synagogen: »The Night of Broken Glass«, United States Holocaust Memorial Museum, https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/ article/the-night-of-broken-glass [Stand: 27.3.2020]. »Ich schreibe«: Ulrich von Hassell, Die Hassell-Tagebücher 1938 – 1944: Aufzeichnungen vom Andern Deutschland. München 1994, S. 62. »Unterhaltung mit B[ruckmann]«: ebd.

8 S. 59 S. 59 S. 60 S. 60 S. 60 S. 60 S. 61 S. 61 S. 61 S. 61 S. 61 S. 62 S. 62

Er arbeitete eng mit Hans Oster: Peter Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. München 1985, S. 159. »Ich habe leider seit mehreren«: Hassell-Tagebücher 1938 – 1944, S. 318. »Er schloß sorgfältig«: ebd., S. 316. »Als ich aufbegehrte«: ebd. »Dagegen ärgert mich«: ebd., S. 319. »2. die von ihnen«: ebd., S. 318. »Persönlich war mir«: ebd., S. 318f. »Manchmal bin ich«: ebd., S. 353. Jeder deutsche Soldat: Hoffmann, Widerstand, S. 315. Außerdem war auch ohne: Schöllgen, Hassell, S. 165f. »Man kam zu dem Ergebnis«: Hassell-Tagebücher 1938 – 1944, S. 257, 275. Um die Generäle zur Unterstützung: Schöllgen, Hassell, S. 111. Da er in Hitlers Beseitigung: Andrew Roberts, »The Holy Fox«: A Biography of Lord Halifax. London 1991, S. 184.

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»Lächerliche, abgedroschene Geschichte«: Schöllgen, Hassell, S. 121 (hier auf englisch). In ihren Augen: ebd., S. 123. Anfang 1941 gingen: ebd. »Ich bin sicher«: ebd., S. 123f. Im Januar 1942: ebd., S. 124. »In Deutschland gab es«: Richard Lamb, Churchill as War Leader. ­London 1991, S. 292. »Wenn die Josephs [Generäle]«: Hassell-Tagebücher 1938 – 1944, S. 345. »irgendeine Teilaktion«: ebd., S. 350. Ein Mordanschlag schuf aber: Michael Baigent und Richard Leigh, ­Secret Germany: Claus von Stauffenberg and the Mystical Crusade Against ­Hitler. London 1994, S. 33. Er trug dann: Hoffmann, Widerstand, S. 347. Auf seinen Reisen: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 33. »Aber was trotz aller«: Hassell-Tagebücher 1938 – 1944, S. 348. »Auch heute ist das Prestige«: ebd., S. 350. Obwohl Deutschland schon vorher: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 1. »Die letzten Wochen«: Hassell-Tagebücher 1938 – 1944, S. 347. »Zum ersten Male«: ebd. »Die zu Beginn«: ebd., S. 349f. »Sie haben wohl technisches«: ebd., S. 360. Er entstammte: Michael Balfour, Withstanding Hitler in Germany, 1933 – 1945. London 1988, S. 124. Ein Kommandeur hatte ihm: Bodo Scheurig, Henning von Tresckow: Eine Biographie. Oldenburg 1973, S. 67. »daß Pflicht und Ehre«: Fabian von Schlabrendorff, Offiziere gegen ­Hitler. [1946] Neue, durchgesehene und erweiterte Ausgabe von Walter Bußmann. Berlin 1984, S. 35. »zu allem bereit«: Hassell-Tagebücher 1938 – 1944, S. 278. »Initialzündung«: Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S. 64. Alle um den Tisch herumsitzenden: Baigent und Leigh, Secret G ­ ermany, S. 23. es gehöre sich nicht: ebd. »weder das deutsche«: Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S. 67. »Wir wollten Hitler«: ebd., S. 68. »Wir nahmen an«: ebd., S. 74. »Wir waren zutiefst«: ebd. »Sorgsam entschärfte ich«: ebd., S. 75. Hier begrüßte Gersdorff: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 25. Während die Säure: ebd.

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»Ich war wütend«: Fey von Hassell, A Mother’s War, S. 50. »Ich hatte von Bekannten«: Niemals sich beugen, S. 64f. »Nonino war seit 45 Jahren«: A Mother’s War, S. 55. »Ich erzähle dir nur«: ebd., S. 64. »Ich komme mir wie im Traum«: Niemals sich beugen, S. 69. »Du weisst, dass ich unendlich«: A Mother’s War, S. 63. »Ich warne dich nochmal«: ebd., S. 60. »Die beiden Jungen entwickeln sich«: ebd., S. 67. »Ich liebe die kleinen Jungen«: unveröff. Brief, privates Familienarchiv. »Es ist zehn Uhr abends«: A Mother’s War, S. 68. »Er ist froh darüber«: Niemals sich beugen, S. 71. »Fey, mein kleiner Liebling«: A Mother’s War, S. 69. »Die ganze Familie ist in«: Niemals sich beugen, S. 72f. »Ich erwarte Neuigkeiten«: A Mother’s War, S. 74. »Ich habe den gleichen Eindruck«: ebd., S. 76. »Wie du dir denken kannst«: ebd. »Es ist so schön, wieder frei«: ebd., S. 73. »Die Ereignisse überschlagen sich!«: ebd., S. 77. »Ich bereite alles vor«: ebd., S. 74.

Teil IV  / 10 S. 80 S. 81 S. 83 S. 83 S. 83 S. 83 S. 84 S. 84 S. 85 S. 85

»Ich lebte einsam aber ruhig«: A Mother’s War, S. 79 f. »Es war ein ruhiger«: unveröff. Brief, privates Familienarchiv. Ein Mann hatte aber: Umberto Paviotti, Udine sotto l’occupazione ­Tedesca, hrsg. v. Tiziano Sguazzero. Udine 2009, S. 5. Am Morgen des 12. September: Iris Origo, War in Val d’Orcia: An ­Italian War Diary, 1943 – 1944. London 1947, S. 61. »Marina geriet in Panik«: Niemals sich beugen, S. 78 f. »Es war eine echte Flucht«: ebd., S. 79. Zwanzig Bauernfamilien arbeiteten: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der Autorin. Das Verhältnis zwischen Grundherr: Sydel Silverman, Three Bells of ­Civilization: The Life of an Italian Hill Town. New York 1975, S. 61. Ihr Vater, ein Unternehmer: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der ­Autorin; Idanna Pucci, The Trials of Maria Barbella. New York 1997, S. 13 – 15. Coras fortschrittliche Ideen: Mariangela Toppazzini, »Un Americana Innamorata Del Friuli«, www.comune.moruzzo.ud.it/index.php?id=16128 [Stand: 2.4.2020].

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Da sie erkannte: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der Autorin. 1906 erlitt Cora: ebd. »Ich kam auf die Piazza Vittorio«: Paviotti, Udine, S. 4. »Achtung!«: ebd., S. 6. »Anordnungen für Zivilisten!«: ebd., S. 7. Hitler war über die Demütigung: Rupert Colley, Mussolini: History in an Hour. London 2013 (ebook). Es blieb nur, mit seinen Soldaten: ebd. Über Funk forderte Skorzeny: ebd. »Marchetti war verzweifelt«: Niemals sich beugen, S. 79. Die Deutschen deportierten: Paviotti, Udine, S. 11 f. »Ich wohnte nicht in Udine«: Zit. n. Una Disubbidienza Civile: Le ­Donne friulane di fronte all’ 8 Settembre 1943. Udine 2013, S. 46. »Alle allierten Kriegsgefangenen«: Paviotti, Udine, S. 15. »Allgemein haben die Leute Angst«: ebd., S. 8 – 11. Vor der Flucht hatten sie: ebd., S. 18. »Bei meiner Ankunft«: Niemals sich beugen, S. 79. »In dem Moment«: ebd., S. 80. »In einem wunderschönen Fiat«: ebd., S. 81. »Einer der SS -Offiziere«: ebd., S. 82. »Liebe Fey, schreibe mir«: ebd., S. 83. »Liebe Fey, ich weiß nicht«: ebd. »Detalmo hatte mir«: ebd., S. 84. »Damit er aber nicht«: ebd.

11 S. 97 S. 97 S. 98 S. 99 S. 99 S. 99 S. 100 S. 102 S. 102 S. 103 S. 103 S. 104 S. 105

»[Er] war um die 45«: Niemals sich beugen, S. 87. »Kretschmann war zu jung«: ebd. »Meine Lage als Deutsche«: A Mother’s War, S. 90. »Sie hofften, daß ich«: Niemals sich beugen, S. 85. Für die 3160 Bewohner: Vatikanischer Fragebogen, 1939, Archiv der ­Gemeinde Santa Margherita. Die Armut: Giorgio Botto, Nachkomme von Bauern in Brazzà, ­Gespräch mit der Autorin, November 2017. »Wie hoch ist der Anteil«: Vatikanischer Fragebogen. »Hier ist alles Chaos«: unveröff. Brief, privates Familienarchiv. »Mein lieber kleiner Soldat«: A Mother’s War, S.89. »Ich vermisse dich«: ebd., S. 69 f. »Er teilte mir mit«: ebd., S. 90. »Ich bin so froh«: ebd., S. 91. »Selbst wenn die Front«: ebd., S. 92.

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»Die Zeit ist gekommen«: Jane Scrivener, Inside Rome With the ­Germans. [1945] o. O. 2017, S. 62. »Er traute seinen Augen kaum«: A Mother’s War, S. 95. Tag und Nacht: ebd., S. 95 f. »Viel Zeit wurde damit verbracht«: unveröff. privates Familienarchiv. »Wir diskutierten stundenlang«: A Mother’s War, S. 96. »Weihnachten stand vor der Tür«: ebd., S. 97. »Ich weiß nicht«: ebd., S. 98.

12 S. 110 S. 110 S. 110

S. 110 S. 110 S. 111 S. 111 S. 112 S. 112 S. 112 S. 112 S. 113 S. 113 S. 113 S. 114 S. 116 S. 116 S. 116 S. 117 S. 117 S. 117 S. 118

»Wir hörten nie eine Kanone«: A Mother’s War, S. 101. Er war vorher: G. H. Bennett, The Nazi, the Painter and the Forgotten ­Story of the SS Road. London 2012, S. 61. »In der Berichtszeit«: »Ereignismeldung UdSSR Nr. 178« (9. März 1942), in: Klaus Michael Mallmann u. a. (Hrsg.), Deutsche Berichte aus dem Osten: Dokumente der Einsatzgruppen in der Sowjetunion. Darmstadt 2014, S. 201 – 203. Bei Kriegsbeginn: Bennett, The Nazi, S. 62. »Da ich wusste«: A Mother’s War, S. 86. »Als ich heute morgen«: Paviotti, Udine, S. 362. »Es sind etwa 500.«: ebd. »Die Deutschen bauen«: Fey Pirzio-Biroli an Santa Hercolani, undatiert, privates Familienarchiv. In Povoletto: Paviotti, Udine, S. 352. »Mussolini baut«: ebd., S. 360 – 363. »Um vier Uhr früh«: Fey Pirzio-Biroli an Santa Hercolani, 16.–17. Mai 1944, privates Familienarchiv. »Letzte Nacht«: ebd. »›Es ist unvorstellbar‹«: Paviotti, Udine, S. 375. »In einem Haus«: ebd. »Ich war sprachlos«: Walter Ceschia (Hrsg.), El Diario di Kitzmüller: ­Giorni di Caino 1943 – 1945. Udine 1977, S. 21. »Gegen acht Uhr früh«: Vittorio Zanuttini, zit. n. El Diario di Kitz­müller, S. 44 f. »Gegen halb zehn«: ebd. »Die Jungs kamen«: ebd. »Alle mussten sich«: ebd. »Ich hörte vom Priester«: Paviotti, Udine, S. 379. »Die sieben Mann«: ebd. »Die Arbeit der Osoppo«: Fey Pirzio-Biroli an Santa Hercolani, 26. Mai 1944.

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Bald nach den Hinrichtungen: A Mother’s War, S. 99. »Das Wort partigiani«: Paviotti, Udine, S. 402. »In einer Hand hielt ich«: Niemals sich beugen, S. 86. »denn alles Technische«: ebd. »In Kretschmanns Arbeitszimmer«: ebd. »Die Lage wird mit jedem Tag«: A Mother’s War, S. 99. Sie waren schwarz: Enrico Barbina, »The Modified Liberators, B-24J 42-51778«, https://thesolomoncrew.com [Stand: 13.5.2020]. ­ ccomplished: S. 122 Die Mission mit dem Codenamen: David Stafford, Mission A SOE and Italy 1943 – 1945. New York 2012, S. 133 – 143. S. 122 Sie waren in der Nacht: Harry Hargreaves, »The Sermon Mission to ­Friuli«, No. 1 Special Force and the Italian Resistance. Bologna 1990, II , S. 167. S. 123 »1. Bleibt nie an einem Ort«: 1 Special Force Report, WO 106/3929, The National Archives. S. 124 Angesichts dieser unvorhersehbaren: Major Hedley Vincent, Mission ­Report, WO 106/3929, The National Archives. S. 124 »Die Ausführung der Mission«: ebd. S. 124 Es war Vincent: Stafford, Mission Accomplished, S. 137. S. 124 Üblicherweise fand eine Lieferung: ebd. S. 125 Ein SOE -Offizier: Patrick Martin-Smith, unveröff. Erinnerungen, Nachlass Captain P. G. B. Martin-Smith, Documents 16757, Imperial War ­Museum. S. 125 Die Dorfbewohner kamen: Stafford, Mission Accomplished, S. 138. S. 125 »mit Ausrüstung im freien Fall«: Hargreaves, »The Sermon Mission to Friuli«, S. 169. S. 125 »Eine meiner lebhaftesten Erinnerungen«: David Godwin, »The British Mission to East Friuli«, No. 1 Special Force, S. 177. S. 125 Den ganzen Juli und August: Special Force Reports, WO 106/3929, WO  204/7301/HS 6/850, The National Archives.

13 S. 127 S. 127 S. 127 S. 127 S. 127 S. 128 S. 129 S. 129

»in ihrer Einsamkeit«: Hassell-Tagebücher, S. 435. Er lehnte es ab: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 34. »Es ist tragisch«: Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph ­Goebbels, II , 7: Januar–März 1943. München 1993, S. 454. Parallel zur militärischen Kraft: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 34. »verzweifelte[s] Einzelvorgehen«: Hassell-Tagebücher, S. 356. Für Ilse von Hassell: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. Er arbeitete bis spät: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 9. Die Antwort war kategorisch: Nachruf auf Ewald-Heinrich von Kleist, Daily Telegraph, 12. März 2013.

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S. 130 S. 130 S. 130 S. 131 S. 131 S. 131 S. 132 S. 132 S. 132 S. 133 S. 133 S. 134 S. 134

»Heute, bitte«: Eberhard Zeller, Geist der Freiheit: der 20. Juli. ­München 1963, S. 338. Ende 1943 hatte er: Ilse von Hassell, unveröff. Memoiren. Am Donnerstag, den 20. Juli: Roger Manvell und Heinrich Fraenkel, Der 20. Juli. Berlin 1964, S. 89. Sie war vom selben Typ: ebd.; Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 43. Es war ein düsterer, abweisender: ebd., S. 34. Nach dem ersten Tor: Zeller, Geist der Freiheit, S. 378. Die dortigen Bunker: ebd. Da er nur noch fünfzehn Minuten: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 43. Später sagte er aus: ebd. Während der unterirdische: Zeller, Geist der Freiheit, S. 380. »alles mitbekommen«: Hoffmann, Widerstand, S. 489. »Kasernenhofton«: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 46. »Hier Oberst Graf«: Zeller, Geist der Freiheit, S. 381 f.

14 S. 135 S. 136 S. 136 S. 136 S. 136 S. 136 S. 136 S. 137 S. 137 S. 137 S. 138 S. 139 S. 139 S. 140 S. 140 S. 141 S. 141

»Deutsche Volksgenossen«: Domarus (Hrsg.), Hitler: Reden und Proklamationen, II , 2, S. 2127 – 2129, zit. n. Zeller, Geist der Freiheit, S. 426. »ganz kleine Verräter- und Verschwörerclique«: Zeller, Geist der Freiheit, S. 427. »Als ich die Nachricht«: Niemals sich beugen, S. 99. Hitler war mit kleineren: Manvell und Fraenkel, Der 20. Juli, S. 99. »Die Tür zum Kartenzimmer«: Paul Schmidt, Statist auf diplomatischer Bühne 1923 – 45. Bonn 1950, S. 582 f. »Hier, unmittelbar vor meinen Füßen«: ebd., S. 583. »Wenn ich mir alles noch einmal«: ebd. »Ich darf besonders Sie«: Zeller, Geist der Freiheit, S. 427. »daß keine Militärstelle«: ebd. Bei einem Treffen: Dollmann, With Hitler, S.323. »Während diese Ereignisse abliefen«: A Mother’s War, S. 103. Allein in der letzten Juliwoche: Paviotti, Udine, S. 426. »Udine ist voller Plakate«: Fey Pirzio-Baroli an Santa Hercolani, 29. Juli 1944, privates Familienarchiv. Hedley Vincent, der Kommandeur: Stafford, Mission Accomplished, S. 139. Er wusste, dass: Corrado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der Autorin, ­ Oktober 2018. »Major Eisermann war im Begriff«: Niemals sich beugen, S. 97. »Er schien mir ganz sympathisch«: ebd.

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S. 141

»Meine Gäste haben jetzt«: Fey Pirzio-Baroli an Santa Hercolani, 30. August 1944, privates Familienarchiv.

15 S. 142 S. 142 S. 143 S. 143 S. 143 S. 144 S. 145 S. 145 S. 145 S. 145 S. 146 S. 146 S. 146 S. 147 S. 147 S. 147 S. 148 S. 148 S. 148 S. 148 S. 149

»Sein Haupt«: Gisevius, Bis zum bitteren Ende, II , S. 367. Gegen drei Uhr früh: Ilse von Hassell zit. n. Hassell-Tagebücher, S. 443. »überlegene[n] Heiterkeit«: ebd., S. 444. »Der Tod ist mir sicher«: ebd. »Die erste Methode«: Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S. 137. »Man machte mich darauf«: ebd., S. 138 f. »Eine Gefängniszelle«: Hassell-Tagebücher, S. 445. Er tippte, so schnell: ebd. »Du kannst uns«: ebd. Hitlers Kanzleichef Bormann: Bormann an den Chef der Sicherheits­ polizei und des SD , 2. September 1944, NS 6/25, Bundesarchiv Berlin. »repräsentativen Hassell«: Schöllgen, Hassell, S. 170. »Wenn Hassell«: Helmut Schmidt, Was ich noch sagen wollte. ­München 2015, S. 54. »Die ganze Verhandlung«: ebd. »Er folgte der Verhandlung«: ebd., S. 55. »Eine Regierung«: Schöllgen, Hassell, S. 172. »Mein geliebtes Ilseken!«: Hassell-Tagebücher, S. 440. »aufgehängt wie Schlachtvieh«: Marion Gräfin Dönhoff, »Um der Ehre willen«: Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli. Berlin 1996, S. 10. Die Witwen erhielten: ebd., S. 13. Die von Hitler bestimmte: Baigent und Leigh, Secret Germany, S. 63. »zahlreiche andere«: Albert Speer, Erinnerungen. Frankfurt a. M. 1987, S. 404. »Stellen Sie sich«: Manvell und Fraenkel, Der 20. Juli, S. 180.

Teil V  / 16 S. 150 S. 150 S. 151 S. 151 S. 151 S. 152 S. 152

»Es war Leutnant Kretschmann.«: Niemals sich beugen, S. 102. »Meine Gedanken«: A Mother’s War, S. 105. »diese Notizbücher«: Niemals sich beugen, S. 102. »Und bei der Blutrache«: Zit. n. Hoffmann, Widerstand, S. 639. Die folgenden Wochen: Robert Loeffel, »Sippenhaft, Terror and Fear in Nazi Germany«, Contemporary European History 16, 1 (2007), S. 56. »Ich war entsetzt«: Niemals sich beugen, S. 103. »Während mich der SS -Mann«: ebd.

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»Im Frauentrakt waren«: ebd., S. 104 f. Die später als Santa Maria di Rosa: »Spiritual Life«, Catholic Herald, 9. Dezember 2010. »Ohne Zweifel«: Niemals sich beugen, S. 105. »aus dieser Hölle«: ebd., S. 106. »ein paar Worte mit jemandem«: ebd. »Die Freude, die Kinder«: ebd., S. 106 f.

17 S. 157 S. 158 S. 159 S. 160 S. 160 S. 161 S. 161 S. 170 S. 171 S. 172 S. 172

Entlang des Kamms: Vincent, Mission Report, WO 106/3929; Paviotti, Udine, S. 465 – 473. »Liebste Fey«: Niemals sich beugen, S. 107. »Der deutsche Wachtposten«: A Mother’s War, S. 110. »Sie sprach von einem kleinen«: ebd. »Ich wusste«: ebd., S. 111. »Liebe gnädige Frau!«: Niemals sich beugen, S. 109. »Eine tiefe, grenzenlose Verzweiflung«: ebd. »Die Kinder besaßen«: ebd., S. 110 f. Die Nazis hatten sogar: Robert E. Conot, Justice at Nuremberg. New York 1993, S. 300. »Liebes Lottchen!«: Niemals sich beugen, S. 111. »Alle waren wachgeblieben«: A Mother’s War, S. 113 f.

18 S. 174 S. 174 S. 175 S. 176 S. 176 S. 176 S. 176 S. 177 S. 177

»Der Schlag, den wir stets«: Vincent, Mission Report, WO 106/3929. Nur durch sehr starke: ebd. »Wie dankbar war ich ihr«: Niemals sich beugen, S. 113. »Als ich ihn kommen sah«: ebd. In den letzten Monaten: Vincent, Mission Report. »bestimmten zuverlässigen Personen«: ebd. »Es scheint möglich«: ebd. »Die Kinder schliefen«: Niemals sich beugen, S. 114. WIR SIND IN CRAVERO : No 1 Special Force: operations instructions, situation reports, intelligence reports by agents, partisan activities etc., WO  204/7295, The National Archives. S. 179 »Ich war voller«: A Mother’s War, S. 116. S. 179 »Zwei SD -Männer«: Niemals sich beugen, S. 114 f. S. 180 »Nach den schrecklichen Dingen«: Niemals sich beugen, S. 115; A ­Mother’s War, S. 116.

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S. 181 S. 182

»[Sie] behaupteten, sie wollten«: Niemals sich beugen, S. 116 f. »ein oder zwei Wochen«: A Mother’s War, S. 119.

19 S. 183

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S. 184 S. 184 S. 184 S. 185 S. 185 S. 185 S. 186 S. 187 S. 188

Über 6800 Menschen: Wilfried Beimrohr, »›Gegnerbekämpfung‹: Die Staatspolizeistelle Innsbruck der Gestapo«, in: Rolf Steininger u. ­Sabine Pitscheider (Hrsg.), Tirol und Vorarlberg in der NS -Zeit. Innsbruck 2002, S. 131 – 150. Die einzelnen Abteilungen: Verhörbericht Busch, Friedrich Heinrich, Stellvertretender Gestapo-Chef von Innsbruck, 15. September 1945, 307th Counter Intelligence Corps Detachment, RG 263, Entry ­Z Z -8, Karton 34, National Archives and Records Administration, Washington DC . Die Hauptarbeit der Gestapo: Beimrohr, »›Gegnerbekämpfung‹«. »Man brauchte keinen«: Verhörbericht Busch. Er war im Herbst 1944: Deputy Theater Judge Advocate Office, 7708 War Crimes Group, United States Forces, 24. März 1947, Records of the Central Intelligence Agency, RG 263, Entry ZZ -18, Karton 34; Beimrohr, »›Gegnerbekämpfung‹«, S. 140. Im Sommer 1943: ebd. Mit vierzig Jahren: ebd. Die meisten waren Österreicher: Beimrohr, »›Gegnerbekämpfung‹«, S. 141. Einer der Hauptverhörbeamten: Schwab, OSS  Agents, S. 114. »Seien Sie nicht dumm«: ebd. Die Hände des Gefangenen: ebd., S. 117. »zwei Kroatinnen und eine Serbin«: Niemals sich beugen, S. 119, 123 f. »Einer ihrer Lieblingsspäße«: A Mother’s War, S. 121. »Meine Hauptbeschäftigung war«: Niemals sich beugen, S. 120.

20 S. 189 S. 190 S. 191 S. 192 S. 193 S. 194 S. 195 S. 195 S. 195 S. 196

»Als erstes bat er mich«: Niemals sich beugen, S. 121. »Liebe kleine Schwester«: ebd., S. 121 f. »Sehr verehrte gnädige Frau!«: ebd., S. 122 f. »Die Last des Leidens«: A Mother’s War, S. 126. »Ich wurde von der Gestapo«: Niemals sich beugen, S. 126 f. »Meine Verzweiflung war unendlich«: ebd., S. 128. »stand eine freundliche Frau«: ebd., S. 128 f. »Mir kam es vor«: ebd., S. 129. »Während der langen Aufenthalte«: ebd. »nach drei Tagen Fahrt«: A Mother’s War, S. 130.

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»Wir sprachen kein Wort«: A Mother’s War, S. 131. »Ich war völlig«: ebd. »Meine geliebte Li«: Niemals sich beugen, S. 133. »Mein lieber Hase«: ebd. Sie war eine schlanke, schicke Frau: Robert Loeffel, Family Punishment in Nazi Germany: Sippenhaft, Terror and Myth. London 2012, S. 145. Neben seiner Frau: ebd., S. 128. Der Sohn der Kuhns: Peter Hoffmann, Stauffenbergs Freund. Die tragische Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn. München 2007.

22 S. 204 S. 205 S. 205 S. 205 S. 206 S. 206 S. 206 S. 206 S. 206 S. 207 S. 207 S. 208 S. 208 S. 208 S. 209 S. 209 S. 209 S. 210 S. 210 S. 210 S. 211 S. 212 S. 212

Sie war nicht nur: A Mother’s War, S. 138. »Bei diesen Geschichten«: ebd., S. 134. »Ein Neuankömmling brachte«: ebd. »In unserer Gruppe hatte jeder«: Niemals sich beugen, S. 139. »Mika«: Loeffel, Family Punishment, S. 142 f. »Als Kind hatte sie schon«: ebd., S. 138. Irma Goerdeler: Irma Goerdeler, Aussage gegenüber S.I.B., Royal Military Police, Capri, 6. Juni 1945, WO  328/6, The National Archives. »[Sie] war stets guter Dinge«: Niemals sich beugen, S. 132. »Diese Sorge«: A Mother’s War, S. 135. Es war jedoch erlaubt: Valerie Riedesel, Freifrau zu Eisenbach, Geister­ kinder: Fünf Geschwister in Himmlers Sippenhaft. Holzgerlingen 2017, S. 130 »war sehr schlau«: Niemals sich beugen, S. 140. »Er richtete seine geballte Faust«: ebd. Die mangelnde Logik: Riedesel, Geisterkinder, S. 137. »Ständigen und amüsanten Gesprächsstoff«: A Mother’s War, S. 139 f. »Sie erzählte endlos«: Niemals sich beugen, S. 138. »Ich wurde immer mehr«: A Mother’s War, S. 135. »Alex war Ende 30«: ebd., S. 137. »Durch seine Griechisch- und Lateinkenntnisse«: ebd., S. 140 f. Als Professor für Alte Geschichte: Clare Mulley, The Women Who Flew for Hitler: The True Story of Hitler’s Valkyries. London 2017, S. 72. »Seine extreme Unordentlichkeit«: A Mother’s War, S. 137. »Alex sprach viel«: ebd., S. 141. Die beiden waren sich im Frühjahr: Mulley, The Women Who Flew for Hitler, S. 19. Ihre Arbeit: ebd., S. 115 – 118.

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S. 212 »Zuerst wollte ich nicht«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. S. 213 »Auf unseren langen Spaziergängen«: A Mother’s War, S. 142. S. 214 »Niemand hörte das Wort«: ebd., S. 143. S. 214 »In Reinerz mußten wir«: Niemals sich beugen, S. 141 f. S. 215 »einigermaßen verträglich«: ebd., S. 142. S. 215 »schließlich erfuhren wir«: ebd. S. 215 »Es herrschte eine eisige Kälte.«: ebd. S. 215 »Auf der einen Seite«: ebd. S. 216 »›Es wird klüger sein‹«: ebd., S. 143. S. 216 »Die SS -Leute begannen«: A Mother’s War, S. 147 f. S. 218 »Während wir da saßen«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. S. 218 »Als wir unser Ziel erreichten«: A Mother’s War, S. 148 f. S. 218 Wie soll ich meine Seele halten: Rainer Maria Rilke, Werke. Auswahl in zwei Bänden, I: Gedichte. Leipzig 1957, S. 157.

23 S. 219 S. 220 S. 221 S. 221 S. 221 S. 221 S. 222 S. 222 S. 223 S. 223

»Ihr seid sogenannte«: Niemals sich beugen, S. 146. »Jedenfalls waren wir froh«: ebd., S. 147. Codenamen Haudegen 1: Riedesel, Geisterkinder, S. 151 f. »Es ergab keinen Sinn«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »denn niemand von uns«: A Mother’s War, S. 151. »Alex fragte mich«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Familie Goerdeler«: Niemals sich beugen, S. 148. »eine kleine Gruppe«: ebd. »Dieser Mann fühlte sich«: Krzysztof Dunin-Wąsowicz, Obóz ­koncentracyjny Stutthof. Gdynia 1966, S. 83 f. »Nachts hörten wir«: Niemals sich beugen, S. 151.

24 S. 224 S. 224 S. 224 S. 224

»Das Lager hatte«: Trudi Birger (zusammen mit Jeffrey M. Green), Im Angesicht des Feuers. Wie ich der Hölle des Konzentrationslagers ­entkam. München 1990, S. 15. Der auf allen Seiten von Wasser: »Stutthof«, Holocaust Education and ­Archive Research Team, www.HolocaustResearchProject.org. Das Lager war 1939: Marek Orski, The Extermination of the Stutthof Concentration Camp Prisoners Using the Poisonous Cyclone B Gas. Oranienburg 2008, S. 1 f. Nach einem Besuch Himmlers: »Stutthof«, www.HolocaustResearchProject.org.

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S. 224

»Es waren so viele Leichen«: Gregori Semenjaka, zit. n. Hermann Kuhn (Hrsg.), Stutthof: Ein Konzentrationslager vor den Toren Danzigs. Bremen 1995, S. 121. S. 225 Rund 47 000 Gefangene: Andrej Angrick und Peter Klein, Die Endlösung in Riga: Ausbeutung und Vernichtung 1941 – 1944. Darmstadt 2006, S. 432. S. 225 »Fernschreiben, Funksprüche«: zit. n. Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 190. S. 225 Die Massenmorde an Gefangenen: Krzysztof Dunin-Wąsowicz, Obóz koncentracyjny Stutthof. Gdynia 1966, S. 83 f. S. 225 In den vier Monaten: Angrick und Klein, Die Endlösung in Riga, S. 432. S. 226 »den säuerlichen Geruch«: Birger, Im Angesicht des Feuers, S. 12. S. 226 Bei der Ankunft: Ein Foto des Stationsschilds in: Janina Grabowska, »K. L. Stutthof: Ein historischer Abriß«, in: Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 13; Musikkapellen: Birger, Im Angesicht des Feuers, S. 15. S. 226 Bei den meisten Transporten: »Stutthof«, www.HolocaustResearchProject.org. S. 226 Nach einer Schätzung: Angrick und Klein, Die Endlösung in Riga, S. 445. S. 226 »Wir mußten uns«: Schoschana Rabinovici, Dank meiner Mutter. Frankfurt a. M. 1994, S. 198 f. S. 227 »Wir rückten«: Birger, Im Angesicht des Feuers, S. 11 – 13. S. 228 »SS -Leute in schwarzen«: Maria Rolnikaite, zit. n. Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 142. S. 228 »Es kam ein Transport«: zit. n. Orski, The Extermination, S. 19. S. 228 »Er blickte jede Frau«: Birger, Im Angesicht des Feuers, S. 12. S. 229 »Die Todesurteile«: Dunin-Wąsowicz, Obóz koncentracyjny Stutthof. S. 229 »Einmal floh«: ebd. S. 229 »Jeden Tag«: ebd. S. 229 »Ich möchte«: Birger, Im Angesicht des Feuers, S. 136. S. 229 Obwohl nach den Lagerbestimmungen: Orski, The Extermination, S. 2 f. S. 230 Ein SS -Mann gab später zu: Aussage Albert Petlikau, 13.10.1976, 407 AR 91/65, Bd. 6, Bl. 1495, BA Ludwigsburg, zit. n. Angrick und Klein, Die Endlösung in Riga, S. 440 f. S. 230 Gefangene mussten: Semenjaka, zit. n. Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 121. S. 230 Nachts wurden: Birger, Im Angesicht des Feuers, S. 134. S. 230 Er beschrieb: Rede in der Ordensburg Sonthofen, 21. Juni 1944, NS  19/1041, zit. n. Bradley F. Smith und Agnes Peterson (Hrsg.), ­Heinrich Himmler: Geheimreden 1933 – 1945 und andere Ansprachen. Berlin 1974, S. 200. S. 231 »Aus Erfahrung«: Rabinovici, Dank meiner Mutter, S. 203. S. 231 Jeden Morgen: Orski, The Extermination, S. 18. S. 231 »Für diese Arbeit«: Rabinovici, Dank meiner Mutter, S. 202. S. 231 Sie schliefen zu dritt: Semenjaka, in: Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 122. S. 232 »Den Löffel hatten sie«: Erna Valk, zit. n. Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 149.

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»wie Bonbons«: Aussage Zbroja, 28. März 1968, 407 AR 91/65, Bd. 7, BA  Ludwigsburg, zit. n. Angrick und Klein, Die Endlösung in Riga, S. 442. Einige Frauen arbeiteten: Rabinovici, Dank meiner Mutter, S. 205 f. »Der Begleitposten fesselt«: Rolnikaite, zit. n. Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 143. »Die Arbeit war schwerer«: Birger, Im Angesicht des Feuers, S. 105. »Als Anzahl«: Aussage Knott, 24. September 1975, 407 AR 91/65, Bd. 6, BA Ludwigsburg, zit. n. Angrick und Klein, Endlösung in Riga, S. 441. »Ich habe mich«: Rolnikaite, zit. n. Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 143. »Die Aufseherin«: ebd., S. 144. Die Bedingungen in Stutthof: Angrick und Klein, Die Endlösung in Riga, S. 445. »Morgen für Morgen«: Rabinovici, Dank meiner Mutter, S. 208 f. »Die Feuer wurden«: zit. n. Orski, The Extermination, S. 5 f.

25 S. 235 S. 235 S. 236 S. 236 S. 237 S. 237 S. 237 S. 237 S. 238 S. 238 S. 240 S. 240 S. 240 S. 241

»Fast alle erkrankten«: Niemals sich beugen, S. 148 f. »Wir waren Geiseln«: ebd., S. 149. »An Weihnachten«: Rabinovici, Dank meiner Mutter, S. 207. »Um wenigstens den Anschein«: A Mother’s War, S. 155. »Nach diesem scharfsinnigen Befehl«: ebd. »Ich bekam jeweils eine Spritze«: Niemals sich beugen, S. 151. »Zum ersten Mal dachte ich«: A Mother’s War, S. 155. Da sie und ihre Tochter: Valerie Riedesel, Freifrau zu Ellenbach, Geisterkinder: Fünf Geschwister in Himmlers Sippenhaft. Holzgerlingen 2017, S. 173 – 177. »Man spürte, dass ein Teil«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Bitte erst ganz durchlesen!!!«: ebd., S. 177 f. »Alex kam morgens«: A Mother’s War, S. 156 f. Und wie ein Blütenregen: Niemals sich beugen, S. 153. »Die letzten Verse«: ebd. »Wir waren entsetzt«: ebd., S. 154.

26 S. 243 S. 243 S. 243

fast 1,7 Millionen Mann: Ian Kershaw, Das Ende: Kampf bis in den ­Untergang – NS -Deutschland 1944/45. Stuttgart 2011, S. 246 f. Auf ihre Geschütztürme: Antony Beevor, Berlin 1945: Das Ende, S. 29. »blinde[s] Gefühl«: Kershaw, Das Ende, S. 261.

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S. 243 S. 243 S. 244 S. 245 S. 245 S. 245 S. 246 S. 246 S. 246 S. 246 S. 246 S. 247 S. 247 S. 247 S. 247 S. 248 S. 248 S. 250 S. 250 S. 250

»die Besatzungsmacht«: »Ergänzung zur Weisung Nr. 33«, 23. Juli 1941, in: Walter Hubatsch (Hrsg.), Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939 – 1945. Frankfurt a. M. 1962, S. 144. »Du weißt ja«: Lew Kopelew, Aufbewahren für alle Zeit! Göttingen 1996, S. 128 f. »grauenvollen bolschewistischen Verbrechen«: zit. n. Kershaw, das Ende, S. 172. Selbst für Ostpreußen: ebd., S. 257. »Eine Panik erfaßt«: Josefine Schleiter, zit. n. Theodor Schieder (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, I, 1. Bonn 1953, S. 28. »Traurig und unendlich«: Lotte Ehrich, zit. n.: ebd., S. 90. Immer wieder hielten: Beevor, Berlin 1945, S. 61. Manche Wagen wurden: ebd. »Lieber Papa!«: ebd., S. 50. »Durch die eingeschlagenen«: Anthony Beevor, Der Zweite Weltkrieg. München 2012, S. 782. Mit schwarzer Farbe: ebd. »Deutsche Dörfer«: Leutnant Gennadi Klimenko, zit. n. Max Hastings, Armageddon: The Battle for Germany, 1944 – 45. London 2004, S. 308. »Selbst die Bäume«: Beevor, Berlin 1945, S. 46. »Die Deutschen hatten«: Beevor, Der Zweite Weltkrieg, S. 782. Alle Straßen waren: ebd., S. 779 f. »Leichen von Frauen«: ebd., S. 780. »Ich führte meinen Zug«: ebd. »Die Geschosse und Eisstücke«: Christian Habbe, »Die Zeit der Abrechnung«, Der Spiegel, 27. Mai 2011, www.spiegel.de/spiegel/spiegelgeschichte/ d-76574302.html [Stand: 6. Juni 2020]. »Das Eis brach«: Ulrich Merten, Forgotten Voices: The Expulsion of the Germans from Eastern Europe after World War I. London 2012, S. 44. »Schon in der ersten«: Lotte Ehrich, zit. n. Schieder (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung, I, 1, S. 94.

27 S. 252 S. 253 S. 253 S. 253 S. 253

»Was würde unser Schicksal«: A Mother’s War, S. 159. »Beim Frühappell«: zit. n. Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 152. Alle 25 Minuten sollte: Angrick und Klein, Die Endlösung in Riga, S. 443. Für jeden Gefangenen: Meta Vannas, in: Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 152. »O, diese Nehrungstraße!«: Lotte Ehrich, zit. n. Schieder (Hrsg.), Dokumentation der Vertreibung, I, 1, S. 96.

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S. 254 S. 256

»Schnee, Frost, Eis«: Rabinovici, Dank meiner Mutter, S. 210 – 212. »Wir erhielten«: ebd., S. 215.

28 S. 257 S. 257 S. 257 S. 257 S. 258 S. 259 S. 259 S. 259 S. 260 S. 260 S. 261 S. 261 S. 261 S. 261 S. 262

»Ihr brecht in einer Stunde«: A Mother’s War, S. 159. »›Onkel Moppel‹ hatte hohes«: Niemals sich beugen, S. 155. »Dort erwartete uns«: A Mother’s War, S. 160. »Wir mussten den Schnee«: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere Gefängnis­zeit«, unveröff. Memoiren, privates Familienarchiv. »Abgesehen von den Luftangriffen«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Schweigend und düster«: A Mother’s War, S. 161. »das Jammern über unsere«: Niemals sich beugen. S. 155 f. »Einer der SS -Wachleute«: A Mother’s War, S. 161. »Sich zu erleichtern«: ebd. »Kupfer legte sich«: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere Gefängniszeit«. »Als wir mehr tot«: Niemals sich beugen, S. 156. »Es deutete auf«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Die Zufahrt war verschneit«: A Mother’s War, S. 162. Schätzungsweise 4500 Menschen: Angrick und Klein, Die Endlösung in Riga, S. 443. Als am 30. Januar: ebd., S. 444.

29 S. 263

»8.45 im Lager«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, ­ ufzeichnungen aus unserer Sippenhaft 20. Juli 1944 bis 19. Juni 1945. A Stuttgart 2015, S. 97. S. 263 »Unser Elend war vollständig«: A Mother’s War, S. 162. S. 263 Die Strafen waren streng: Stuart B. T. Emmett, Strafvollzugslager der SS  und Polizei: Himmler’s Wartime Insitutions for the Dentention of ­Waffen-SS and Polizei Criminals. Stroud 2017, S. 170 f. S. 263 »Das bedeutet«: Bad Tölz, 18. Februar 1937, zit. n. Smith und Peterson (Hrsg.), Himmler: Geheimreden, S. 93 f. S. 263 100 000 wurden festgenommen: »Persecution of Homosexuals in the Third Reich«, United States Holocaust Memorial Museum, https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/persecution-ofhomosexuals-in-the-third-reich [Stand: 4. Mai 2020]. S. 263 f. In Matzkau wurden: Emmett, Strafvollzugslager, S. 152. S. 264 »An unserem Ankunftstag«: Niemals sich beugen, S. 157.

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»Die Wachen begleiteten«: ebd., S. 159. »Eine gemeine und arrogante«: A Mother’s War, S. 162. »Sie mußten jeden Morgen«: Niemals sich beugen, S. 157. »Jeden Tag kauerten wir«: A Mother’s War, S. 165 f. »Als die Tage vergingen«: ebd., S. 164. »Ich konnte nur hoffen«: ebd. »2.–5. Februar«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, ­Aufzeichnungen, S.  98. »Dieser erste Todesfall«: A Mother’s War, S. 163. »Der Lagerkommandant drückte«: ebd., S. 163 f. »Nehmt ja nur alles«: Niemals sich beugen, S. 161. »Ein solcher Befehl«: A Mother’s War, S. 167.

30 S. 268

»Die Angst«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, ­ ufzeichnungen, S.  99. A S. 269 Die Gustloff war das erste: Mertens, Forgotten Voices, S. 45. S. 269 Binnen drei Wochen: Beevor, Berlin 1945, S. 63. S. 269 Die Gustloff war für: ebd., S. 65. S. 269 »Papke und Kupfer hatten«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. S. 270 »Papkes Rat«: Niemals sich beugen, S. 163. S. 271 »Wir konnten uns alle«: A Mother’s War, S. 168. S. 271 »Wir liegen«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, ­Aufzeichnungen, S. 99 f. S. 271 »Das Pfeifen der Bomben«: A Mother’s War, S. 168 f. S. 272 »Bedingt durch den Krieg«: Niemals sich beugen, S. 162 f. S. 272 »Papke und Kupfer sprangen«: A Mother’s War, S. 170. S. 273 »Nach einigem Umbauen«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von ­Stauffenberg, Aufzeichnungen, S. 101. S. 273 »In Bromberg seien alle«: Niemals sich beugen, S. 164. S. 274 »Wir hörten, dass die Russen«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. S. 275 »Abreise immer noch fraglich«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von ­Stauffenberg, Aufzeichnungen, S. 101 f. S. 275 »lebende Inventar«: ebd. S. 275 »Er war dünn und sehr schwach«: A Mother’s War, S. 171. S. 276 »Es war ein schöner Tag«: ebd., S. 172. S. 277 »Bei dieser Zugfahrt«: Niemals sich beugen, S. 165. S. 278 Es war ein Wehrmachtsoffizier: ebd., S. 166. S. 278 »Seine breiteste Vollendung«: Isa Vermehren, Reise durch den letzten Akt: Ravensbrück, Buchenwald, Dachau. Eine Frau berichtet. Reinbek bei Hamburg 2003, S. 181.

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»Wir wandten uns an«: Niemals sich beugen, S. 166 f. »Papi abends«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, ­Aufzeichnungen, S.  104.

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»Angeführt von zwei anderen«: Niemals sich beugen, S. 167. »Beim Betreten der Baracke«: A Mother’s War, S. 175. »Ich wusste, dass wir«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Ich fühlte mich allein«: A Mother’s War, S. 176 f. »Wie mußte sich meine Mutter«: Niemals sich beugen, S. 170. Anfang der 1930er-Jahre: William L. Shirer, Aufstieg und Fall des ­Dritten Reiches. Frechen o. J., S. 138 f. S. 284 Er legte sein Reichstagsmandat: Fritz Thyssen, I Paid Hitler. London 1941, S. 39 – 42. S. 284 »Eines schwachen«: Hassell-Tagebücher 1938 – 1944, S. 184. S. 284 Obwohl er im Frühjahr: Nigel Jones, Countdown to Valkyrie: The July Plot to Assassinate Hitler. London 2008, S. 92. S. 284 »technische[n] Handlanger«: Hassell-Tagebücher 1938 – 1944, S. 231. S. 284 Obwohl Halder nicht: Hoffmann, Widerstand, S. 630. S. 284 »Ich war in den Händen«: zit. n. Hans-Günter Richiardi, SS -Geiseln in der Alpenfestung: die Verschleppung prominenter KZ -Häftlinge aus Deutschland nach Südtirol. Bozen 2015, S. 82. S. 285 »Die Worte der Einsamkeit«: ebd., S. 83. S. 285 »nicht nur die Opfer«: »Die Kirche vor der Judenfrage«, Dietrich Bonhoeffer Werke, 12. Gütersloh 1997, S. 353. S. 286 Bonhoeffer war gemeinsam: Hugh Mallory Falconer, The Gestapo’s Most Improbable Hostage. Barnsley 2018; Hoffmann, Widerstand, S. 268; S. ­Payne Best, The Venlo Incident. Barnsley 2009. S. 287 »Die SS ließ«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. S. 287 In Buchenwald gab es: David A. Hackett (Hrsg.), Der Buchenwald-­Report. München 2015, S. 106. S. 287 Hunger, Krankheit: Riedesel, Geisterkinder, S. 206. S. 287 Allein in den ersten drei: Mulley, The Women Who Flew for Hitler, S. 298. S. 288 Von den etwa 80 000 Gefangenen: Buchenwald-Report, S. 171. Beim letzten Appell im Lager am 3. April 1945 waren es 80 900 Gefangene. S. 288 Rund dreißig Nationalitäten: ebd., S. 120 – 122. S. 288 Die KZ -Häftlinge lebten: ebd., S. 73 f. S. 288 In einem Block lebten 850 Kinder: ebd., S. 28, 89 f. S. 288 »Die Vögel vom Krematorium«: ebd., S. 96. S. 288 Block 46 und 50: ebd., S. 99 – 101.

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Bei einem Experiment: General George S. Patton, War As I Knew It. New York 1947, S. 301. S. 288 Man versuchte auch: Buchenwald-Report, S. 108. S. 289 Ein SS -Chirurg: ebd., S. 266. S. 289 Bei einem anderen Test: Vivien Spitz, Doctors from Hell: The Horrific ­Account of Nazi Experiments on Humans. Boulder, CO . 2005, S. 210. S. 289 Als man den Arzt: ebd., S. 209. S. 289 Zwischen Block 46: Buchenwald-Report, S. 101. S. 289 »den fleißig arbeitenden Gefangenen: Himmler an Pohl, 23. März 1942, BA , NS 19/2065, zit. n. Mareike Fallett und Simone Kaiser, »Hauptsache, du überlebst«, Der Spiegel, 25. Mai 2009, www.spiegel.de/spiegel/ print/d-65489964.html [Stand: 6. Juni 2020]. S. 289 Als das Bordell: Buchenwald-Report, S. 101. S. 290 »Ich bin nie geprügelt worden«: Matthias Wegner, Ein weites Herz: Die zwei Leben der Isa Vermehren. Berlin 2004, S. 172. S. 290 »das bestimmende psychologische Moment«: ebd., S. 173. S. 291 »ein Schauspiel«: ebd., S. 171. S. 291 »Es gab eine besondere«: Isa Vermehren, Allied Forces Headquarters (Central Mediterranean), Statements by Former Political Prisoners, ­Second World War, WO  328/41, The National Archives. S. 291 »Das, was man da sehen konnte«: »Isa Vermehren: Es wahrhaben ­wollen«, Interview für die ZDF -Serie Zeugen des Jahrhunderts, 24. März 2002, www.youtube.com/watch?v=GVH rvwwkKm4. [Stand: 6. Juni 2020]. S.291 »Man redete wenig«: A Mother’s War, S. 177. S. 292 »Ich gab die Stunden«: ebd., S. 177 f. S. 293 »Die Tage ohne Neuigkeiten«: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere ­Gefängniszeit«.

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»Er war einer«: A Mother’s War, S. 178. Als Beweis: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere Gefängniszeit«. Lotte las mit Erstaunen: ebd. »Er versprach«: A Mother’s War, S. 178. Lenz antwortete: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere Gefängniszeit«. »Er zuckte bloß die Achseln«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Am 16. März«: Niemals sich beugen, S. 172. Offiziell leitete sie: Mulley, The Women Who Flew for Hitler, S. 295. »Sie hatte darauf bestanden«: Gerhard Bracke, Melitta Gräfin Stauffenberg: Das Leben einer Fliegerin. Berlin 1993, S. 206. Statt der Jagdflugzeuge: Mulley, The Women Who Flew for Hitler, S. 300. Vor dem Abflug: ebd.

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»Alles war sehr geheim«: ebd., S. 301. »Litta dachte an alles«: zit. n. Bracke, Melitta Gräfin Stauffenberg, S. 207. Lita wusste: Mulley, The Women Who Flew for Hitler, S. 301. »fliegende Engel: ebd. »Das Fliegen war«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Nur um einmal«: Niemals sich beugen, S. 173. »Häftlinge in den grauweiß«: ebd., S. 173 f. »Wir warteten«: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere Gefängniszeit«. »Du beklagst dich«: Niemals sich beugen, S. 172. »Der Luftzug«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, ­Aufzeichnungen, S.  109. Um acht Uhr am nächsten Morgen: ebd. »Fräulein Knocke«: Vermehren, Reise, S. 192 f. »angenehm wirkender«: Payne Best, Venlo Incident, S. 510. Er prahlte damit: Aussagen Horst Hoepner und Hermann Pünder, ­Allied Forces Headquarters (Central Mediterranean), Statements by Former Political Prisoners, Second World War, WO  328/14 und 328/30, The National Archives. »Er sagte mir selbst«: Payne Best, Venlo Incident, S. 524. »Ich habe dann immer noch«: ebd., S. 553. Am Ostermontag: Hackett (Hrsg.), Buchenwald-Report, S. 367. »Es war ein schrecklicher«: Payne Best, Venlo Incident, S. 555. »Packt eure Sachen«: Niemals sich beugen, S. 174. »Lautes Wutgeheul«: Vermehren, Reise, S. 194. »Die Dinge«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Angefangen bei«: Vermehren, Reise, S. 194 f. »Zuerst einmal«: ebd., S. 196. »Der Vorraum hatte«: ebd., S. 198 – 200. »Er war ein kalter«: A Mother’s War, S. 183 f.

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»Es war eine schreckliche«: Payne Best, Venlo Incident, S. 558. »Dieser Bader«: ebd., S. 587. »Während dieser Pausen«: Niemals sich beugen, S. 175 f. »Der Berg von Gepäck«: Payne Best, Venlo Incident, S. 561. »Nach kurzer Diskussion«: ebd., S. 560. Er hatte in Dachau: Robert L. Berger, »Nazi Science – The Dachau ­Hypothermia Experiments«, in: John J. Michalczyk (Hrsg.), ­Medicine, Ethics and the Third Reich: Historical and Contemporary Issues. ­Kansas City 1994, S. 95. »Als sie herauskamen«: Payne Best, Venlo Incident, S. 560.

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»Zu dieser Zeit waren«: A Mother’s War, S. 186. »Als sie begannen«: ebd. »Niemals habe ich«: Payne Best, Venlo Incident, S. 573. »Das Ziel war«: Hugh Mallory Falconer, The Gestapo’s Most ­Improbable Hostage. Barnsley 2018, S. 117. »Die Wärter, denen«: Payne Best, Venlo Incident, S. 572. »das sensationellste Ereignis«: A Mother’s War, S. 187. »Wir schienen immer noch«: ebd., S. 188. »Diese nächtliche Fahrt«: Vermehren, Reise, S. 204. Es war ein schöner: Payne Best, Venlo Incident, S. 575. »Es war die Art von Reise«: Falconer, Most Improbable Hostage, S. 121. »Die Wirkung war«: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere Gefängniszeit«. »Es gab keine«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Bader sagte«: ebd. »Wir verloren keine Zeit«: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere Gefängniszeit«. »Ein paar komische Szenen«: A Mother’s War, S. 189. »Stiller und die meisten«: Falconer, Most Improbable Hostage, S. 122. »Wenn die Sonne«: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere Gefängniszeit«. »Diese Tür war wirklich«: Vermehren, Reise, S. 205 f. »Das Wetter wurde rasch«: A Mother’s War, S. 190. »Der Gedanke an die Kinder«: ebd. »Litta wieder über uns«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, Aufzeichnungen, S. 109 f. Sie flog nicht höher: Mulley, The Women Who Flew for Hitler, S. 305. Ein paar Hundert Meter weiter: ebd. »Gräfin Stauffenberg war«: Bracke, Melitta Gräfin Stauffenberg, S. 224 »kriegswichtigen Sondereinsatz«: ebd., S. 227. Als sie durch: Mulley, The Women Who Flew for Hitler, S. 311. Leutnant Thomas A. Norbourne: ebd. »zwei Salven«: ebd. Ein pensionierter Eisenbahner: ebd. Die beiden Männer: ebd., S. 312. Seltsamerweise wurden: Bracke, Melitta Gräfin Stauffenberg, S. 232. »Stiller rief Alex«: Niemals sich beugen, S. 181. »Ungeordnete Haufen«: Vermehren, Reise, S. 211. »Die Angst um die Kleinen«: Anna-Luise von Hofacker, »Unsere ­Gefängniszeit«. »Armer Alex«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, ­Aufzeichnungen, S.  116. »Ihre Abholung«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Überall Kolonnen«: ebd.

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»Von weitem schien alles«: Niemals sich beugen, S. 181. »Kaum 20 Kilometer«: ebd., S. 181 f.

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Gegen Mittag hielt: Laut »Niemals sich beugen« war es das Haupttor; laut »A Mother’s War« war dies ein Metalltor; Riedesel, S. 246, schreibt, sie ­seien »gegen halb neun öffnete sich das schwere Eisen­gitter, und die Busse fahren ins Lager, nur um auf einem Seitenweg ­erneut zu halten.« Es war das älteste: »Dachau«, United States Holocaust Memorial ­Museum, https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/dachau Nach der Reichspogromnacht: ebd. »Die Luft wurde immer heißer«: A Mother’s War, S. 193. »Beide Männer kamen«: Vermehren, Reise, S. 214. »dass sich hinter dem Gebäude«: A Mother’s War, S. 193 f. »Wir Frauen bekamen«: Niemals sich beugen, S. 182. Es tue ihm sehr leid: Payne Best, Venlo Incident, S. 600. »Nach der eindrucksvollen«: Lt. Col. Walter J. (Mickey) Fellenz, kommandierender Offizier, 1. Bataillon, 22. Regiment, Bericht an den kommandierenden General der 42. Division der 7. US -Armee, 6. Mai 1945. Bei der Ankunft: Payne Best, Venlo Incident, S. 648. Dazu kam: siehe Sydney Smith, Wings Day. London 1968; B. A. »­Jimmy« James, Moonless Night: The Second World War ­Escape Epic. Barnsley 2002; Payne Best, Venlo Incident; Peter Churchill, The Spirit in the Cage. London 1954. Am Tag zuvor: Richard Bessel, Germany 1945: From War to Peace. ­London 2010, S. 104. ZWEI SONDERZÜGE : Schwab, OSS Agents, S. 173. HIMMLER IN DER NACHT : ebd. Rohde war ein brillanter: Payne Best, Venlo Incident, S. 611. Am Morgen des 17. April: ebd., S. 627. »Stunde um Stunde«: ebd. »andere Unterkunft«: ebd., S. 628. GRUENWALDER HOF : Schwab, OSS Agents, S. 173. Da er wusste: Roger Manvell und Heinrich Fränkel, Heinrich Himmler: Kleinbürger und Massenmörder. Berlin 1965, S. 185 f.; Longerich, Himmler, S. 745. »Es ist dies praktisch«: zit. n. Felix Kersten, Totenkopf und Treue: ­Heinrich Himmler ohne Uniform. Hamburg 1952, S. 358. HEUTE BERICHTETE : »Himmler’s Meeting with Count Bernadotte«, Sir Victor Mallet an Außenministerium, 13. April 1945, PR EM 3/197/6, The National Archives, zit. n. Peter Witte und Stephen Tyas, Himmler’s

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Diary 1945: A Calendar of Events Leading to Suicide. Stroud 2014, S. 113. S. 339 »Ich halte das«: ebd. S. 339 »elegant gekleidet«: Norbert Masur, »Ein Jude spricht mit Himmler«, in: Niklas Günther u. Sönke Zankel (Hrsg.), Abrahams Enkel: Juden, Christen, Muslime und die Schoa. Stuttgart 2006, S. 136. S. 339 »Der Krieg brachte uns«: ebd., S. 137. S. 340 »wie die Partisanen«: ebd. S. 340 »Niemand ist in den letzten«: ebd., S. 139. S. 340 Himmler war schon: Walter Schellenberg, Aufzeichnungen: Die ­Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler. Wiesbaden 1979, S. 359. S. 340 Drei Tage später: Manvell und Fränkel, Himmler, S. 217. S. 341 1 GRAF BERNADOTTE : Herschel V. Johnson an US -­Außenministerium, 25. April 1945, »Chronological Account of Himmler’s Surrender ­Offer«, The Department of State Bulletin, XII , Heft 306, 6. Mai 1945, S. 863; vgl. Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 157. S. 342 »Die Welt, in der«: Speer, Erinnerungen, S. 489.

35 S. 343 S. 343 S. 344 S. 344 S. 345 S. 345 S. 346 S. 346 S. 346 S. 346 S. 347 S. 347 S. 348 S. 349 S. 349 S. 349 S. 349 S. 350 S. 351 S. 351

Staubiger Flitter: Smith, Wings Day, S. 217. »Jede Ecke«: Payne Best, Venlo Incident, S. 637. »Er zeigte mir«: ebd., S.  615. »Ein plötzlicher Tod«: ebd., S. 546. Seit seiner Ankunft: Falconer, Most Improbable Hostage, S. 130. »Gegen halb eins«: ebd., S. 131 f. »Die Amerikaner im Vormarsch«: Kurt Schuschnigg, Ein Requiem in ­Rot-Weiß-Rot. Wien 1978, S. 498. »Die wildesten Gerüchte«: ebd., S. 498 f. »Wir warten«: ebd., S. 499. »Wir alle wurden«: Payne Best, Venlo Incident, S. 644. »Er lag noch im Bett«: Schellenberg, Aufzeichnungen, S. 361. »Als wir gerade«: Payne Best, Venlo Incident, S. 646. »Etwa zehn bis fünfzehn Frauen«: Vermehren, Reise, S. 215 f. »Wie immer war sie«: ebd., S. 197 f. »Kurz vor dem Ende«: A Mother’s War, S. 197. »Um von den SS -Familien«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. Der deutsche Rundfunk: The Times, 24. April 1945. »Wenn die SS -Leute«: Niemals sich beugen, S. 183. »Ich machte mir nicht«: A Mother’s War, S. 195. »Alle liefen rasch«: ebd., S. 196.

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»In dieser Zeit«: ebd. Rund 5000 Häftlinge: Richardi, SS -Geiseln, S. 152. »Es waren Tausende«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Wir ziehen«: Schuschnigg, Requiem, S. 500. »Der Anblick der Evakuierung«: Léon Blum, Le Dernier Mois. Paris 1946, S. 67 – 7 1. »Dünn und ausgebrannt«: A Mother’s War, S. 198. »Es konnte«: Vermehren, Reise, S. 220. »Als wir erschöpft«: ebd., S. 222 f. »Es war wie eine«: A Mother’s War, S. 201. »Meine Mutter«: Vermehren, Reise, S. 223 f. »Zum ersten Mal«: Payne Best, Venlo Incident, S. 658. »An diesem Nachmittag«: A Mother’s War, S. 204. »Eines gefiel mir«: Payne Best, Venlo Incident, S. 663. »Warum sollte die SS «: ebd. »Der Premierminister sagte«: Sitzung des Kriegskabinetts, 25. April 1945, PR EM 3/197/6, The National Archives. »Ich verwickelte ihn«: Payne Best, Venlo Incident, S. 662. »uns irgendwohin fortzubringen«: Vermehren, Reise, S. 226 f. EINE DEUTSCHE KAPITULATION : Graf Folke Bernadotte, Das Ende: meine Verhandlungen in Deutschland im Frühjahr 1945 und ihre politischen Folgen. Zürich 1945, S. 87. »Von Flensburg aus«: Schellenberg, Aufzeichnungen, S. 365 f.

36 S. 361 S. 362 S. 362 S. 362 S. 362 S. 363 S. 363 S. 364 S. 364 S. 364 S. 365 S. 366 S. 366 S. 367 S. 367 S. 367

»Sie brauchten uns«: Churchill, Spirit in the Cage, S. 211. »Wir stiegen alle aus«: Falconer, Most Improbable Hostage, S. 152. »Deutsche in Italien«: ebd., S. 153. »Unsere Hauptsorge war«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »den Kontakt«: James, Moonless Nights, S. 182. »Onkel Moppel war überzeugt«: A Mother’s War, S. 205. »Beim Einfahren«: Falconer, Most Improbable Hostage, S. 152. »Zwischen Bader und Stiller«: Niemals sich beugen, S. 188. Am Tag zuvor: Richardi, SS -Geiseln, S. 191. »Auf der Fahrt«: Niemals sich beugen, S. 189. Die erste war: Smith, Wings Day, S. 227 – 232. Würden aber: ebd., S. 228. »Ich stand inzwischen«: Payne Best, Venlo Incident, S. 667. »Die ersten Bauern«: Schuschnigg, Requiem, S. 501. »jung und energisch«: James, Moonless Nights, S. 184. Obwohl Stiller: Smith, Wings Day, S. 230.

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»Ein Angriff«: James, Moonless Nights, S. 186. »So standen wir«: Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler, S. 156. »Wir besprachen«: Falconer, Most Improbable Hostage, S. 154. »Fritz war abwechselnd«: Payne Best, Venlo Incident, S. 674 – 678. »Das gefällt mir«: ebd., S. 677. »Man darf sie nicht«: ebd. »Das brachte ihn«: ebd., S. 675. »annähernd 160«: Ricardi, SS -Geiseln, S. 216 f. »Konvoi von Prominenten«, James, Moonless Nights, S. 189, Anm. »Das ist mein Bruder«: Niemals sich beugen, S. 191. Er ließ seine Kompanie: James, Moonless Nights, S. 189, Anm. »Auf dem Platz«: ebd., S. 189 f.

37 S. 374 S. 374 S. 374 S. 375 S. 375 S. 375 S. 375 S. 376 S. 376 S. 377 S. 377 S. 378 S. 378 S. 378 S. 378 S. 378 S. 379 S. 379

»Wir warteten angespannt«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Alvensleben sagte«: A Mother’s War, S. 208. Da er unter diesen Umständen: Richardi, SS -Geiseln, S. 209. »Nun waren alle froh«: ebd., S. 235. »Nach meinen Jahren«: James, Moonless Nights, S. 191. »Ich konnte den Blick«: Niemals sich beugen, S. 192. Die Männer sammelten: Richardi, SS -Geiseln, S. 230 – 233. »In dieser wunderbaren«: Churchill, Spirit in the Cage, S. 221. AN REICHSFÜHRER : HW 1/3747, The National Archives, zit. n: Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 185. Erst über fünfzehn Jahre später: Richardi, SS -Geiseln, S. 238 f. »Als wir näherkamen«: James, Moonless Nights, S. 194. »Unsere Soldaten«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, ­Aufzeichnungen, S.  127. »Die Menge«: Vermehren, Reise, S. 240. Fast sofort: Richardi, SS -Geiseln, S. 254 f. »Die amerikanische Truppe«: Schuschnigg, Requiem, S. 503. »Nur die Reporter«: ebd., S. 503 f. »In diesen ersten«: Niemals sich beugen, S. 192 f. »Ich fand«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren.

38 S. 380 S. 380 S. 380

Vor der Kolonne: Churchill, Spirit in the Cage, S. 225. »Überall sahen wir«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. Bei der Ankunft in Verona: Niemals sich beugen, S. 195 f.

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»rund 50 glänzende Transportflugzeuge«: Churchill, Spirit in the Cage, S. 226. »Die Amerikaner wussten«:  Mother’s War, S. 215 f. »Es war schrecklich«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »nach kürzester Zeit«: Vermehren, Reise, S. 270 – 273. »Für die Mütter«: ebd., S. 273. »Die Schönheit der Insel«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Die Lage war«: ebd. »Wir waren so überwältigt«: ebd. »Statt gleich abzufahren«: A Mother’s War, S. 217 – 219; Gedicht: Niemals sich beugen, S. 199.

Teil VI  / 39 S. 389 S. 390 S. 390 S. 390 S. 391 S. 392 S. 392 S. 392 S. 393

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»Liebe Mutti«: A Mother’s War, S. 222. »Ich war 25«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Es war nicht«: ebd. »Detalmo erzählte«: Niemals sich beugen, S. 200. »Das Leben in Rom«: ebd., S. 200 f. »Wenn ich spürte«:  Mother’s War, S. 221. »Acht Monate lang«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. »Als Reaktion«: A Mother’s War, S. 221 f. Im Sommer 1945: Zahlen nach Tara Zahra, »Lost Children: Displacement, Family and Nation in Postwar Europe«, Journal of Modern ­History, 81, 1 (2009), S. 47 (Themenheft: »European Childhood in the Twentieth Century«). Allein in den Konzentrationslagern: »Children during the Holocaust«, United States Holocaust Memorial Museum, https://encyclopedia.ushmm. org/content/en/article/children-during-the-holocaust Schätzungsweise weitere 50 000: Verena Buser, »Displaced Children 1945 and the Child Tracing Division of the United Nations Relief and Rehabilitation Administration«, The Holocaust in History and Memory, VII (2014), S. 109 – 123 (Themenheft: »70 Years after the Liberation of the Camps«). Durch Bombardierungen: Zahra, »Lost Children«, S. 45. Das Rote Kreuz schätzte: Dorothy Macardle, Children of Europe. ­London 1949, S. 305. In den letzten Kriegstagen: Michelle Mouton, »Missing, Lost and ­Displaced Children in Postwar Germany: The Great Struggle to Provide for the War’s Youngest Victims«, Central European History, 48, 1 (2015), S. 54. Allein in der sowjetischen: ebd., S. 61.

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Schon 1943: ebd., S. 54. Als aber der Zeitpunkt: ebd., S. 56. Bei der Gründung: ebd., S. 55. Bei vielen Familien: ebd., S. 57. Kinder in Flüchtlingslagern: ebd., S. 63. »Aus Erfahrung«: Hans Szperlinski, der Gründer des deutschen ­Kindersuchdiensts, zit. n. ebd. Obwohl die alliierten Behörden: ebd., S. 55 f. Die Mehrheit war: ebd. »Diese Zeit war«: A Mother’s War, S. 223. CORRADO PIRZIO -BIROLI : Abbildung 36. »Es war, als werfe«: A Mother’s War, S. 223. »Ich glaubte«: ebd., S. 223 f. »Am nächsten Morgen«: ebd., S. 234. »Aber die Kinder«: Robert Foster, unveröff. Memoiren, undatiert, ­privates Familienarchiv. »Am gleichen Abend«: Niemals sich beugen, S. 203. »Unser langgestreckter Stall«: ebd., S. 204.

40 S. 401 S. 401 S. 401 S. 402 S. 403 S. 403 S. 404 S. 405 S. 405 S. 406 S. 407 S. 407 S. 407 S. 408 S. 408 S. 409 S. 409 S. 409 S. 410 S. 410

»Er hat mich«: Niemals sich beugen, S. 205. Ilse hatte ihre Jugend: Ilse von Hassell, unveröff. Memoren, undatiert, ­privates Familienarchiv. Wie so viele: Stafford, Endgame 1945, S. 461. »Meine Mutter erkannte«: A Mother’s War, S. 225 f. »Natürlich trug ich«: Niemals sich beugen, S. 210 f. »Wir waren so unerfahren«: A Mother’s War, S. 228. »Bevor wir aber«: ebd., S. 229. »Ich war völlig«: ebd., S. 230. »Er sagte«, ebd., S. 230 f. »Das Kinderheim«: Niemals sich beugen, S. 213. »Wieder fuhren sie«: A Mother’s War, S. 243. »nicht die geringste Ahnung«: ebd., S. 244. »Ich eilte dorthin«: ebd. »die ehrwürdigen Herren«: Niemals sich beugen, S. 214. »Ist das zu glauben?«: A Mother’s War, S. 244. »Ich eilte von«: ebd., S. 245 f. »Nach vielen sehr«: Niemals sich beugen, S. 215 f. »Ich wusste ungefähr«: A Mother’s War, S. 246. »Natürlich!«: ebd., S. 247. »Ja, sicher«: Niemals sich beugen, S. 216.

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S. 411 »Mir klopfte das Herz«: ebd. S. 411 »Sie gab zu«: A Mother’s War, S. 248. S. 411 »Ich beugte mich«: Niemals sich beugen, S. 217. S. 412 »Als ich ihn«: ebd. S. 412 »Alle NS -Kinderheime«: A Mother’s War, S. 250.

41 S. 413 S. 414 S. 414 S. 414 S. 415 S. 415 S. 415 S. 415

»Während ich mich«: Niemals sich beugen, S. 206. »in besonderer Mission«: A Mother’s War, S. 239. »Da war er«: ebd. »Es sollte Wein«: Niemals sich beugen, S. 207 f. »Detalmo und ich«: A Mother’s War, S. 240. »Je näher«: Niemals sich beugen, S. 208. »Aufrecht und erhobenen«: ebd. »Wir setzten uns«: A Mother’s War, S. 241.

Epilog S. 417 S. 418 S. 419 S. 419 S. 420 S. 421 S. 422 S. 422 S. 422 S. 422 S. 422 S. 423

»Als Teenager«: Corado Pirzio-Biroli, Gespräch mit der Autorin, ­November 2016. »Natürlich war«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. In diesen Monaten: Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder. Stuttgart 2004, S. 448. Seine Tochter Gudula: Dr. Gudula Knerr-Stauffenberg, Brief an die ­Autorin, 8. März 2018. »Alleinstehend, kein angenehmes«: Marie-Gabriele Schenk Gräfin von Stauffenberg, Aufzeichnungen, S. 129. »Eine Gesellschaft«: Isa Vermehren, Vortrag in Ravensbrück, 1993, zit. n. www.deutschlandfunkkultur.de/zum-100-geburtstag-von-isavermehren-der-mensch-muss.1278.de.html?dram:article_id=416251  Er verließ Flensburg: Longerich, Himmler, S. 757. Dort hoffte Himmler: Werner Grothmann, vorläufiges Verhör, ­Bericht 031/Misc 19, 24. Mai 1945, WO  208/4431, The National Archives, zit. n. Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 205. Der Fluss war: Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 207. Die Nacht des 18. Mai: Manvell und Fränkel, Himmler, S. 226. »Himmler war in Zivil«: Werner Grothmann, Zwischenbericht, 13. Juni 1945, WO  208/4474, The National Archives, zit. n. Witte und Tyas, ­Himmler’s Diary 1945, S. 211. »deutsche Zivilflüchtlinge«: ebd., S. 212.

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S. 423 S. 424 S. 424 S. 424 S. 424 S. 425 S. 425 S. 425 S. 425 S. 426 S. 426 S. 427 S. 427 S. 428

»Damals versuchten«: Aussage Captain T. Selvester (undatiert), WO  32/19603, The National Archives, zit. n. Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 215. »Der erste«: ebd., zit. n. Manvell und Fränkel, Himmler, S. 227. »Um 22.45«: »The Diary of Major Norman Whittaker«, zit. n. Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 218. »sah er sofort«: zit. n. Manvell und Fränkel, Himmler, S. 230. »Mein Gott!«: »The Diary of Major Norman Whittaker«, zit. n. Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 218. »Das dramatische Tempo«: Captain C. J. »Jimmy« Wells, zit. n. Paul van Stemann, »Himmler’s Night of Reckoning«, The Independent, 21. Mai 1995. »Dieses üble Wesen«: »The Diary of Major Norman Whittaker«, zit. n. Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 218. »Diese vier Personen«: Second Army Defence Company War Diary, WO  208/4474, The National Archives, zit. n. Witte und Tyas, Himmler’s Diary 1945, S. 222. Bei den sechs Stutthof-Prozessen: Janina Grabowska, »Die Verantwortung für die in Stutthof begangenen Verbrechen«, in: Kuhn (Hrsg.), Stutthof, S. 91 – 93. »Der Anrufer sprach Deutsch«: A Mother’s War, S. 251 f. »Warum wollte er«: ebd., S. 252 f. »Ich schrieb«: ebd., S. 253. »Er war jung«: Fey von Hassell, unveröff. Memoiren. Nach einem Bericht: Macardle, Children of Europe, S. 296.

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Personenregister Alexander, Harold  371 Alvensleben, Ludolf von  110 – 111, 114, 115, 117 – 118, 153, 178, 372 Alvensleben, Wichard von  372 – 374, 376 Astaire, Fred  44 Austin, Edwin  425 Bader, Ernst  304 – 306, 308, 310 – 312, 314, 319, 321, 357, 360, 362 – 366, 368 – 371, 373 – 374 Badoglio, Pietro  79 – 80, 90 Barbella, Maria  86 Beck, Ludwig  57, 59, 61, 67 – 68, 127, 130, 138, 142, 166 Bernadotte, Folke  337 – 342, 347, 358 – 359 Best, Sigismund Payne  286, 301 – 302, 306 – 311, 319, 326, 333, 336, 343 – 344, 346 – 348, 356 – 358, 365 – 367, 370 – 372, 380 Birger, Trudi  227 – 229, 232 Bismarck, Otto von  14 Blum, Léon  284 – 285, 304, 333, 353, 378 Bocchini, Arturo  45 – 46, 166 Bonhoeffer, Dietrich  285 – 286, 314, 319 Bonin, Bogislaw von  364 – 365, 367 – 369, 373 Boniński, Władysław  234 Bonomi, Ivanoe  388 Boratto, Rosanna  90 Borghese, Scipione  112 Bormann, Martin  12, 15, 145 Bovolenta (Gutsverwalter von ­Brazzà)  73, 101, 119, 170, 173, 399, 414 Brandt, Heinz  69 Brandt, Rudolf  359 – 360 Brazzà, Alvise di  118, 120, 122, 170 Brazzà, Anna di  170 Brazzà, Pietro di  418 Brazzà Savorgnan, Detalmo  siehe Pirzio-Biroli, Detalmo Brazzà Slocomb, Cora di  35, 76, 85 – 86, 323 Breitenbuch, Eberhard von  129 – 130

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Bruckmann, Hugo  57 Buffarini Guidi, Guido  46 – 47 Burckhardt, Carl Jacob  63 Buri, Frau (Oberschwester)  17, 410 – 412 Busch, Ernst  129 Busch, Friedrich  184 Cadogan, Sir Alexander  63 Caldwell-Taylor, Dorothy  44 Canaris, Wilhelm  307, 314 Caporiacco, Andreina di  121 Carrara, da (Familie)  87 Churchill, Jack  333, 365 Churchill, Peter  333, 361, 376, 380 Churchill, Sir Winston  32, 63 – 64, 140, 333, 341, 357 – 358, 376 Ciano, Galeazzo  45 – 46, 48, 55 Clark, Mark  391, 413 – 414 Daluege, Kurt  54 Dannenberg, H.  141, 150 – 152, 155, 160 – 161, 171 – 175, 177, 190 – 192 Dannowski, Gertrud  250 Dante Alighieri  292 Day, Harry »Wings«  333, 365 – 366, 369 Delestraint, Charles  344 Dietrich, Marlene  44 Dittmann (SS-Angehöriger)  301 Dohnányi, Hans von  59 Dollfuß, Engelbert  42 Dollmann, Eugen  45 Dowse, Sydney  333, 355 Ducia, Anton  367 – 368 Dulles, Allen  6, 142, 202, 372 Dunin-Wąsowicz, Krzysztof  228 – 229 Eden, Anthony  63 Ehrich, Lotte  250 Eidlitz, Walther  12 Einstein, Albert  56 Eisenhower, Dwight D.  341 – 342, 347, 357 – 358, 360, 363 Eisermann, Ottokar  97 – 98, 101 – 103,

105, 141, 150, 191 Elser, Georg  332, 344 Falconer, Colin  414 Falconer, Hugh  286, 309, 311, 313, 344 – 345, 362 – 363, 370, 375 Freisler, Roland  146 – 148, 282, 421 Fritz (Quartiermeister)  370 – 371 Falkenhausen, Alexander von  286, 343 Fellgiebel, Erich  133 – 134 Fenoaltea, Sergio  140, 388 Fischler, Franz  418 Flügge, Wilhelm  364 – 365 Foster, Robert  19 – 27, 29 – 38, 164, 398 – 399, 414, 430 Foth, Ewald  220, 222 – 223, 225 – 227, 229, 236, 241, 254, 329, 425 Frank, Hans  15 Frankl, Viktor  427 Frasso, Carlo di  44 Friedrich II.  45 Fromm, Friedrich  130, 134 Gable, Clark  44 Garibaldi, Sante  332, 347, 365 – 366 Gaulle, Charles de  344 Gehre, Ludwig  286, 305 – 306 Genkin, Efraim  247 Gerow, Leonard  380 Gersdorff, Rudolf-Christoph von  70 – 7 1, 129 Giacomuzzi (Familie)  95 Giacomuzzi, Luciano  176 Gisevius, Annelise  202, 209, 221, 302 Gisevius, Hans Bernd  142, 201, 209 Goebbels, Joseph  12 – 13, 16, 127, 135, 244, 343 Goerdeler (Familie)  201, 206, 221 – 222, 236, 239, 282, 294, 312, 404, 406 Goerdeler, Carl Friedrich  57, 61, 130, 201, 222, 235 – 240, 257, 276, 279 Göring, Hermann  49, 51 – 53, 70, 212, 284

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Grant, Cary  44 Grothmann, Werner  422 – 423 Guettner, Walter  185 Habecker, Walter  143 Haeften, Werner von  130 – 134 Halder, Franz  284 Halder, Gertrude  284 Halifax, Edward Wood, 1. Earl of  62 – 63, 76 Hammerstein, Maria von  282, 306, 351, 386 Hanser, Josef  377 Hassell, Almuth von  53 – 54, 72 – 74, 102, 142, 160, 166, 190, 199, 205, 320, 401, 403 – 410, 412, 415 – 416 Hassell, Fey von  siehe Pirzio-Biroli, Fey Hassell, Hans Dieter von  53, 71 – 72, 74, 104, 138, 166, 300 Hassell, Ilse von  46, 52 – 53, 61, 128, 142 – 143, 145, 147, 158, 166, 300, 322, 401 – 415, 417 – 418 Hassell, Ulrich von  41 – 43, 45 – 67, 71, 76, 78, 127 – 128, 130, 138, 142 – 143, 145 – 147, 150, 152, 158, 164 – 166, 169, 19, 202, 284, 286, 325, 369, 399, 403 Hassell, Wolf Ulli von  53, 71, 159, 166, 190 – 191, 205, 401 Hauschka, Rudolf  12 – 13, 15 – 16 Heisenberg, Werner  56 Heiss-Hellenstainer, Emma  375 Hercolani, Santa  47, 112, 139, 141, 158, 430 Heß, Rudolf  13 – 15, 17, 51, 55 Heydrich, Reinhard  12 – 13, 15, 41, 43, 45 – 49, 54, 166 Hilliges, Werner  184 Himmler, Heinrich  9, 40 – 41, 43 – 47, 49, 51, 54, 56, 70, 151 – 152, 166, 185, 201, 224 – 225, 230, 235, 263, 266, 274 – 275, 278, 283, 286 – 287, 289, 293, 307, 310, 316, 321, 329 – 331, 333 – 347,

352, 357 – 360, 363 – 364, 375 – 377, 402, 421 – 425 Hindenburg, Paul von  50, 131 Hitler, Adolf  6 – 7, 9, 12 – 16, 31 – 32, 35, 37, 41 – 42, 47 – 51, 53, 55 – 57, 59 – 7 1, 76 – 79, 89, 97, 102, 127 – 130, 132 – 133, 135 – 138, 143, 145, 148 – 149, 151, 164, 171, 191, 204, 206, 211, 221, 238, 241, 243 – 244, 259, 266, 274 – 275, 283 – 286, 289, 307, 314, 316, 333 – 339, 341 – 342, 344, 358, 360, 363, 369, 375 – 376, 383, 421 Hofacker, Ännerle von  221, 223, 236 – 239, 257, 260, 273, 293, 297, 300, 312, 314, 318 – 319, 430 Hofacker, Cäsar von  201, 205, 239 Hofacker, Eberhard von  237 – 239, 258 Hofacker, Ilse-Lotte von (»Lotte«)  205 – 207, 215 – 216, 218, 221, 236 – 239, 257, 272 – 273, 294 Hofer, Franz  10, 364, 367 Hoffmann, Marlene  419 Hoppe, Paul-Werner  219, 226, 235 – 237, 241, 253, 256 – 257, 262 James, Bertram »Jimmy«  333, 362, 367, 369, 373, 375, 377 Kallay, Nikolaus von  333 Keegan, Charles  403 – 404, 407 Keitel, Wilhelm  70, 132 – 133 Kersten, Felix  337, 339 Kesselring, Albert  83, 391 Kleist, Ewald-Heinrich von  129 Kluge, Günther von  68 – 69, 129 Knocke, Fräulein (Aufseherin)  300, 304, 329, 425 Knott, Otto  229, 233 Kokorin, Wassiliy  286, 333 Kopelev, Lew  243 Kretschmann, Hans  97 – 98, 101, 120, 141, 150 – 152, 155, 157, 160, 199, 323, 396 – 397, 426 – 427

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Kuhn, Arthur und Hildegard  202, 211, 218 Kuhn, Joachim  202 Kupfer (SS-Angehöriger)  258, 260, 269 – 273, 275, 277 – 279, 281, 425 La Malfa, Ugo (»Cornali«)  76, 140 Larysz, Genowefa  231 Leopold, Prinz von Preußen  332 Lerchenfeld, Anni von (»Tante Anni«)  204, 209, 221, 241, 263 – 264, 266 – 268, 279 Lerchenfeld, Hugo von  204 Ley, Robert  51 Liedig, Franz  306 Lindemann, Fritz  312 Lizzero, Mario  28 Lonsdale-Bryans, James  62 – 63, 76 Lotti (Erzieherin)  171 – 172, 199 Macher, Heinz  422 Mallet, Sir Victor  338 Manfred, König von Sizilien  45 Marchetti, Guido  83, 90 Masur, Norbert  339 – 340 Maximilian I.  5 Mayer, Fred  334 – 337 Medhurst, Charles  398 Medici, Giulio de (später Papst ­Clemens VII.)  44 Misciatelli, Marchese  47 Möller, Paul  114 Molotov, Wjatscheslaw  286, 333 Montgomery, Bernard  105 – 107, 424 Müller, Josef  286, 306 Murphy, Michael  424 – 425 Mussolini, Benito  26, 30 – 31, 35, 37, 40 – 42, 44 – 45, 48 – 49, 53 – 55, 77 – 78, 88 – 91, 98, 112, 136, 164 – 165, 323, 388 Mutschlechner, Anna  7 Napoleon I.  131 Neuhäusler, Johannes  402, 404, 420

Neurath, Konstantin von  54 – 55 Niemöller, Martin  333 Nigris, Maria  175 Nimis, Feliciano  110, 119 Nonino, Giuseppe  34, 73, 81, 84, 91 – 92, 95 – 96, 108, 121, 152, 155, 160, 164, 169 – 170, 173, 388, 396, 399, 413 Norbourne, Thomas A.  317 Ohlendorf, Otto  13, 17 Olbricht, Friedrich  128 Oster, Hans  59 Papafava (Famile)  87, 119 Papagos, Alexandros  332 Papen-Koeningen, Hubertus von  316 Papke, Fräulein (SS-Angehörige)  258 – 259, 264, 267 – 274, 276 – 278, 280 – 281, 425 Parri, Ferruccio  413 Pasolini, Maria  47 Paviotti, Umberto  111 – 114, 117, 119 Payne Best, Sigismund  siehe Best, ­Sigismund Payne Philipp, Hans  377 Piguet, Gabriel  332 Pirzio-Biroli (Familie)  34, 84 – 85, 93, 398 Pirzio-Biroli, Carlo  94 Pirzio-Biroli, Corrado  2, 36, 71, 73, 75, 120, 152, 155, 168 – 169, 266, 292, 294, 303, 322 – 324, 383, 386, 395 – 397, 404, 415, 417 – 418, 426, 428 – 429 Pirzio-Biroli, Detalmo  35, 72, 75, 85 – 87, 90, 93 – 97, 102 – 108, 118, 122, 139 – 141, 151, 153, 157 – 158, 168 – 171, 175 – 176, 179, 189, 198, 212, 295, 299, 322, 328, 379, 383 – 393, 395 – 396, 398 – 402, 413 – 417, 419 – 420, 426, 428 – 430 Pirzio-Biroli, Fey  2, 36 – 37, 50, 53 – 55, 71 – 75, 77 – 83, 86 – 87, 90 – 99, 101 – 108, 110, 112 – 113, 118 – 122, 126 – 127,

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135 – 136, 138 – 141, 150 – 155, 157 – 161, 165 – 172, 174 – 180, 182 – 187, 189 – 190, 192, 194 – 195, 197 – 218, 220 – 223, 235 – 241, 252, 257 – 261, 263 – 279, 281 – 283, 287, 291 – 292, 294 – 297, 299 – 300, 302 – 304, 306, 308 – 310, 312 – 315, 317, 319, 321 – 322, 328, 330 – 331, 349 – 353, 355 – 357, 361 – 365, 372, 374 – 375, 379 – 386, 388 – 392, 395 – 402, 404 – 411, 413 – 415, 417 – 420, 426 – 430, 432 Pirzio-Biroli, Marina  73, 80 – 81, 83, 86, 106 Pirzio-Biroli, Roberto  71, 75, 77, 86, 152, 155,169, 172,266, 292, 294, 383, 386, 395 – 397, 402, 404, 412, 415, 417 – 418, 426, 429 Pirzio-Biroli, Vivian  419, 429 Pius XII.  286 Plettenberg, Gisela von  287, 303 Pohl, Oswald  289 Pünder, Hermann  286 Rogers, Ginger  44 Rohde, Lothar  335 – 336, 346 – 348 Rolnikaite, Maria  232 – 233 Romano, Giulio  46 Rommel, Erwin  74, 128 Roosevelt, Franklin D.  64 Rosmini, Augusto  80 – 81 Rundstedt, Gerd von  419 Rabitschew, Leonid  246 – 248 Rabinovici, Raja  231, 254 – 255 Rabinovici, Schoschana  226, 231, 233, 236, 254 Rach, Hans  229 Rafforth, Fräulein (SS-Angehörige)  300 – 301, 349, 425 Raffael 44 Rascher, Sigmund  307 – 308, 344 – 346 Rath, Ernst von  56 Ribbentrop, Joachim von  52, 54 – 55 Rilke, Rainer Maria  218, 222

Ritter, Gerhard  419 Robilant, Irene di  47 Röttiger (Generalmajor)  368 Sarre, Puppi  143 Schacht, Hjalmar  366 – 368 Schatz, Dietrich  309 Schellenberg, Walter  340 – 341, 347, 358 – 360, 364 Schlabrendorff, Fabian von  67 – 70, 143 – 144, 369 Schmidt, Helmut  146 Schmundt, Rudolf  64 Schroeder, Frau (Gefangene)  302 Schuschnigg, Kurt von  333, 343, 346, 353, 367, 378, 380 Selvester, Thomas  423 Skorzeny, Otto  89 Slocomb, Cora  siehe Brazzà ­Slocomb, Cora di Speer, Albert  148, 342 Stalin, Josef  28, 64, 243, 357, 405 Stauffenberg, Alexander von  202, 204, 208 – 211, 213, 216 – 218, 220 – 221 – 222, 236, 239 – 241, 258, 267, 276, 292, 296 – 299, 314 – 317, 319, 326, 374, 379 – 381, 383 – 387, 390, 392, 400, 419, 430 Stauffenberg, Alexandra von  282 Stauffenberg, Berthold von  130, 206, 211, 419 Stauffenberg, Claus von  128 – 134, 138, 198, 200 – 202, 204, 206, 209, 211, 266, 296, 298, 325, 419 – 421 Stauffenberg, Clemens von (Vater von Gagi)  200, 221, 257, 261, 276, 279, 298, 420 Stauffenberg, Clemens von (Sohn von »Onkel Moppel«)  282 Stauffenberg, Elisabeth von  200, 221, 279, 298, 318 Stauffenberg, Gagi von  198, 200, 218, 221, 235, 263, 265 – 266, 268, 271,

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273 – 274, 280, 297 – 298, 300, 315, 319, 378, 420 – 421 Stauffenberg, Ines von  282 Stauffenberg, Maria von (»Mika«)  205 – 206, 208, 221, 236, 241, 294, 297, 420 Stauffenberg, Markwart von (»Onkel Moppel«)  202, 209, 216, 222, 241, 257, 261, 264, 268, 275 – 276, 282, 363 Stauffenberg, Markwart von (Sohn von Clemens und Elisabeth)  200, 204, 222, 292, 419 Stauffenberg, Melitta von (»Litta«)  211 – 212, 296 – 299, 314 – 317, 319, 326 Stauffenberg, Nina von  266, 296, 298, 421 Stauffenberg, Otto Philipp von  198, 200, 216, 222, 241, 292, 387 Steiner, Rudolf  11 – 13 Stiller, Edgar  308 – 309, 313, 315, 317, 358, 362 – 368 Stringher (Familie)  170 Stülpnagel, Carl-Heinrich  201

Vermehren, Kurt und Petra  356 Victor Emmanuel III.  30 Vietinghoff, Heinrich von  367 – 368, 371 – 372, 374, 376 Vincent, Hedley  124, 140, 176 – 177 Weiss, Siegmund  11 – 12 Weiter, Eduard  330 – 332, 335, 343 Weizsäcker, Ernst von  59 – 60 Wells, C. J.  424 – 425 Whittaker, Norman  424 Wittelsbach (Familie)  332 Wolff, Karl  371 – 372 Xavier, Prinz von Bourbon  332, 378 Zanuttini, Vittorio  116 – 117

Tacoli, Federico  118 Tacoli, Fernando  118 Tacoli, Pia  82, 159, 170 Thomas, Georg  365, 370 – 372 Thyssen, Fritz  283 – 284, 302, 313, 366 – 368 Tirpitz, Alfred von  58, 63, 108, 401, 418, 429 Tirpitz, Marie von  145, 198 Tito, Josip Broz  26 – 29 Tresckow, Henning von  67 – 7 1, 127 – 128, 167, 202, 286 Truman, Harry S.  357 – 360, 364 Valmarana, Pia  86 – 87 Vannas, Meta  253 Vermehren, Erich  356 Vermehren, Isa  287, 290 – 291, 301 – 302, 330, 348, 354 – 356, 358, 362, 420

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CATHERINE BAILEY erzählt die packende Geschichte der Fey von Hassell, ihres Vaters Ulrich von Hassell, der im Herbst 1944 als Widerständler hingerichtet wurde, und ihrer von den Nazis geraub­ten Kinder. Und so entsteht das dramatische Panorama des Widerstands und des Chaos des untergehenden »Tausendjährigen Reichs«. Ein wahrer Thriller: voller Spannung, Dramatik und menschlicher Tragödien – und schließlich doch mit Happy End.

© privat

»Ich wurde von The Lost Boys gefesselt – es enthält mehr Spannung, mehr Handlung als jeder Thriller und ist von außergewöhnlicher Klarheit und Eleganz. Zu sagen, dass sie ›Geschichte zum Leben erweckt‹, ist ein Klischee, und doch ist es so wahr; sie ist eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen.« KATE ATKINSON »The Lost Boys ist eine kraftvolle, fesselnde Geschichte über eine Reise ins Herz der Dunkelheit – und die endgültige Flucht aus ihr.« SUNDAY TIMES

Die britische Bestsellerautorin Catherine Bailey erzählt die dramatische Geschichte einer zerrissenen Familie vor der Kulisse des untergehenden »Dritten Reichs«.

Wissen verbindet uns: Mehr Infos und Debatten zu diesem Buch wbg-community.de/wiedersehen www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4218-8

CATHERINE BAILEY

Bis wir uns wiedersehen

Ein mitreißender Geschichtskrimi

»Außergewöhnlich. Ein reichhaltiges und tiefes Porträt. …. eine spannende Lektüre.« THE GUARDIAN

»Bailey hat ein außergewöhnliches Talent, Geschichte zum Leben zu erwecken, und ›Bis wir uns wiedersehen‹ ist so spannend wie jeder Roman!« DAILY MAIL

CATHERINE BAILEY

Innsbruck, Dezember 1944: Die beiden zwei und vier Jahre alten Söhne der Diplomatentochter Fey von Hassell werden von der SS entführt und an einen unbekannten Ort verschleppt, während ihre Mutter zusammen mit Angehörigen der Familien Stauffenberg, Goerdeler u.a. durch verschiedene Lager im Reich geschleust wird: Sippenhaft für die Angehörigen der Attentäter vom 20. Juli.

»Ein wichtiges Buch, [das] sich liest wie ein schrecklicher Thriller.« DAILY TELEGRAPH

»Bailey hat ein Händchen dafür, Charaktere zum Leben zu erwecken … Faszinierend!« TIMES

Bis wir uns wiedersehen Eine Mutter, ihre geraubten Kinder und der Plan, Hitler umzubringen Umschlaggestaltung: © U1berlin / Patrizia Di Stefano Foto: Fey von Hassell (1943) mit ihren Söhnen Corrado und Roberto (rechts). © Roberto Pirzio-Biroli