536 47 52MB
German Pages 234 [242] Year 2010
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Neil A. Campbell Jane B. Reece Thomas M. Smith Robert L. Smith
Biologie für die Oberstufe
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Themenband
Ökologie
ein Imprint von Pearson Education München • Boston • San Francisco • Harlow, England Don Mills, Ontario • Sydney • Mexico City Madrid • Amsterdam
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GERMAN language edition published by PEARSON EDUCATION DEUTSCHLAND GMBH, Copyright © 2011. Authorized translation from the English language edition, entitled ELEMENTS OF ECOLOGY, 6th edition, by SMITH, ROBERT LEO; SMITH, THOMAS M., published by Pearson Education, Inc., publishing as Benjamin Cummings, Copyright © 2006 Pearson Education, Inc. GERMAN language edition published by PEARSON EDUCATION DEUTSCHLAND GmbH, Copyright © 2011. Fast alle Produktbezeichnungen und weitere Stichworte und sonstige Angaben, die in diesem Buch verwendet werden, sind als eingetragene Marken geschützt. Da es nicht möglich ist, in allen Fällen zeitnah zu ermitteln, ob ein Markenschutz besteht, wird das ®-Symbol in diesem Buch nicht verwendet.
Authorized translation from the English language edition, entitled BIOLOGY, 8th Edition by CAMPBELL, NEIL A.: REECE, JANE B., published by Pearson Education, Inc, publishing as Prentice Hall, Copyright © 2008 Pearson Education Inc.
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 13 12 11
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ISBN 978-3-86894-906-3 © 2011 Pearson Schule ein Imprint der Pearson Education Deutschland GmbH Martin-Kollar-Straße 10–12, D-81829 München/Germany Alle Rechte vorbehalten www.pearson-schule.de Lektorat: Andra Riemhofer, [email protected] Alice Kachnij, [email protected] Korrektorat: Petra Kienle, Fürstenfeldbruck Fachlektorat: Petra Samusch, David Schmidt Fachlektorat Lehrbuch (Campbell, Biologie): Prof. Dr. Anselm Kratochwil, Prof. Dr. Renate Scheibe, Prof. Dr. Helmut Wieczorek Übersetzung Lehrbuch (Campbell, Biologie): Dr. Thomas Lazar, Dr. Monika Niehaus, Dr. Sebastian Vogel, Dr. Coralie Wink Fachlektorat Lehrbuch (Smith / Smith, Ökologie): Prof. Dr. Anselm Kratochwil Übersetzung Lehrbuch (Smith / Smith, Ökologie): Dr. Dietmar Zimmer, Dr. Sebastian Vogel Einbandgestaltung: Thomas Arlt, [email protected] Fotonachweis: Shutterstock New York, Copyright Andrejs Pidjass Herstellung: Martha Kürzl-Harrison, [email protected] Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck- und Verarbeitung: Firmengruppe APPL, aprinta-druck, Wemding Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis
1
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
2.3.4
Ökologie: Eine Einführung Die Ökologie untersucht Lebewesen und ihre Lebensumwelt. . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Die Bestandteile eines Ökosystems sind hierarchisch geordnet . . . . . . . . . . . . . . 3 Die Ökologie hat eine bewegte Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Die Ökologie hat eine enge Verbindung zu anderen Disziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Die Ökologie verwendet verschiedene wissenschaftliche Methoden. . . . . . . . . . . . . 8
2.7
Pflanzen sind an unterschiedliche Lichtverhältnisse angepasst. . . . . . . . . . . . . . 42 Tiere werden durch die Tages- und Jahreszeiten beeinflusst. . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Abiotischer Faktor Wind. . . . . . . . . . . . . . . . 48 Das Klima – ein Zusammenspiel der abiotischen Faktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Das Klima kann auf unterschiedlichen Maßstabsebenen beschrieben werden. . . . . . 50 Unregelmäßige Klimaschwankungen. . . . . . . 53 Abiotischer Faktor Boden . . . . . . . . . . . . . . . 54 Böden bestehen aus verschiedenen horizontalen Schichten. . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Eine wichtige Eigenschaft von Böden ist das Wasserhaltevermögen . . . . . . . . . . . . 55 Die Ionenaustauschkapazität ist wichtig für die Produktivität von Böden. . . . . . . . . . . 55 Pflanzen passen sich variierenden Nährstoffverhältnissen im Boden an . . . . . . . 57 Tiere werden von den Nährstoffverhältnissen des Bodens indirekt beeinflusst. . . . . . . . . . . 58 Unvorhersagbare Umweltveränderungen. . . . 59
3
Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
2.3.5 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4
2
Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
2.1 2.1.1
Abiotischer Faktor Temperatur. . . . . . . . . . . . 14 Strategien der Temperaturregulation – Endothermie und Ektothermie. . . . . . . . . . . . 15 Wärmeabgabe und Wärmeaufnahme – zwei Faktoren im Gleichgewicht . . . . . . . . . . 16 Abiotischer Faktor Wasser. . . . . . . . . . . . . . . 21 Wasser zirkuliert zwischen Erdoberfläche und Atmosphäre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Wasser hat wichtige physikalische und chemische Eigenschaften. . . . . . . . . . . . 23 Wasser strömt vom Boden durch die Pflanze in die Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Anpassungsmechanismen der Pflanzen an die Wasserverfügbarkeit. . . . . . . . . . . . . . 29 Anpassungen an die Wasserverfügbarkeit bei Landtieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Anpassungsstrategien bei Wasserbewohnern. 35 Abiotischer Faktor Solarstrahlung . . . . . . . . . 36 Die Natur des Lichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Die Strahlungsintensität – breitengradabhängige und jahreszeitliche Schwankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Die Photosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2.1.2
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2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.3 2.3.1 2.3.2
2.3.3
2.6.5
3.1 Konkurrenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.1.1 Intraspezifische Konkurrenz. . . . . . . . . . . . . . 68 3.1.2 Interspezifische Konkurrenz. . . . . . . . . . . . . . 69 3.1.3 Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip . . . . . . . . . . . 70 3.1.4 Ökologische Nische. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.2 Räubertum (Prädation) . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.2.1 Ein mathematisches Modell beschreibt die Räuber-Beute-Beziehungen. . . . . . . . . . . 73 3.2.2 Schutzmechanismen gegenüber Räubern . . . 75 3.2.3 Jagdstrategien der Räuber. . . . . . . . . . . . . . . 79 3.3 Andere Formen der Wechselwirkung. . . . . . . 80 3.3.1 Parasitismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.3.2 Herbivorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.3.3 Symbiose (Mutualismus). . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.3.4 Parabiose und Metabiose . . . . . . . . . . . . . . . 87
iii
Inhaltsverzeichnis
4
Populationsökologie
4.1 4.1.1
Eigenschaften von Populationen. . . . . . . . . . 91 Populationen werden durch ihre Individuendichte und Individuenverteilung charakterisiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.1.2 Populationen besitzen eine Altersstruktur . . . 94 4.1.3 Die Verbreitung von Populationen und ihre Individuendichte variieren zeitlich und räumlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4.1.4 Das Metapopulationskonzept. . . . . . . . . . . . 97 4.2 Populationswachstum. . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4.2.1 In einer idealen, unbegrenzten Umwelt wachsen Populationen exponentiell. . . . . . . . 99 4.2.2 Das logistische Wachstumsmodell: langsameres Populationswachstum bei Annäherung an die Umweltkapazität. . . . 104 4.2.3 Regulationsmechanismen des Populationswachstums. . . . . . . . . . . . . . 108
6 6.1 6.1.1
6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.2 6.2.1 6.2.2
6.2.3
5
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5.1
Terrestrische Ökosysteme Ökosystem Wald. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Unterschiedliche klimatische Verhältnisse führen zur Ausbildung unterschiedlicher Waldtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Wälder verfügen über eine vertikale Schichtung – der Stockwerkbau . . . . . . . . . . 152 Die Vegetationsstruktur des Waldes beeinflusst die Verteilung der Solarstrahlung. 154 Der Waldboden – ein Ort ausgeprägter Destruententätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Das Ökosystem Wald zeichnet sich durch seine Artenfülle aus. . . . . . . . . . . . . . . 159 Ökosystem Wüste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Geografische Verbreitung der Wüsten der Erde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Der Mangel an Niederschlag – das charakteristische klimatische Merkmal der Wüsten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Ausweichen und Vermeiden – zwei grundlegende Strategien der Wüstenbewohner. . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Ökosysteme
In einem Ökosystem herrschen komplexe Nahrungsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.1.1 Nahrungsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 5.1.2 Nahrungsnetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5.1.3 Energiefluss zwischen den trophischen Ebenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Stoffkreisläufe im Ökosystem – 5.2 Stoffe werden wiederverwertet. . . . . . . . . . . 127 5.2.1 Allgemeines Modell der Stoffkreisläufe. . . . . 127 5.2.2 Der Kohlenstoffkreislauf. . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.2.3 Der Stickstoffkreislauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.2.4 Der Phosphorkreislauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.2.5 Biologische Akkumulation von Stoffen . . . . . 135 5.3 Ökosysteme unterliegen Veränderungen. . . . 136 5.3.1 Artendiversität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5.3.2 Theorie der mittleren Störungen. . . . . . . . . . 137 5.3.3 Sukzession. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
7 7.1 7.1.1
Aquatische Ökosysteme
Ökosystem See. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Ein See kann in verschiedene Zonen unterteilt werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 7.1.2 Die Organismengemeinschaften der verschiedenen Zonen des Sees unterscheiden sich voneinander. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 7.1.3 Mit der Wassertiefe ändern sich auch die einfallende Lichtmenge und die Wassertemperatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 7.1.4 Dimiktische Seen – Phasen der Stagnation und Zirkulation wechseln sich ab. . . . . . . . . . 175 7.1.5 Seen lassen sich nach ihrem Nährstoffgehalt in verschiedene Typen einteilen. . . . . . . . . . . 179 7.1.6 Eutrophierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Inhaltsverzeichnis
7.2 7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6
Ökosystem Fließgewässer. . . . . . . . . . . . . . . 182 Die Wasserströmung hat grundlegenden Einfluss auf das Ökosystem Fließgewässer. . . 183 Viele Süßwasserorganismen sind an das fließende Gewässer angepasst . . 185 Das Saprobiensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Ökosystem Meer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Meere gliedern sich in verschiedene Lebensbereiche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Meere verfügen über eine hohe Konzentration an gelösten Stoffen . . . . . . . . 192 In Meeren ist die Sauerstoffverteilung nicht gleichmäßig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Der Lebensbereich Meer stellt besondere Anforderungen an seine Bewohner. . . . . . . . 193 Der Meeresboden ist ein besonderer Lebensraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Korallenriffe sind hochkomplexe Ökosysteme. 197
8
Humanökologie
8.1 8.1.1 8.1.2 8.2
Bevölkerungswachstum und -versorgung . . . 202 Die menschliche Bevölkerung . . . . . . . . . . . . 203 Umgang mit Ressourcen. . . . . . . . . . . . . . . . 207 Der Mensch als Gefahr für die biologische Vielfalt. . . . . . . . . . . . . . . 209 8.2.1 Die drei Ebenen der biologischen Vielfalt. . . . 209 8.2.2 Drei Gefahren für die biologische Vielfalt. . . . 212 8.2.3 Biologische Vielfalt und das Wohlergehen des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 8.3 Schutz und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 8.3.1 Errichtung von Schutzgebieten. . . . . . . . . . . 216 8.3.2 Renaturierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Globaler Klimawandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8.4 8.4.1 Treibhausgase verändern das Erdklima. . . . . . 220 8.4.2 Klimaveränderungen beeinflussen Ökosysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 8.4.3 Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
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Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
v
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Vorwort Der Campbell ist seit seinem ersten Erscheinen in Deutschland im Jahr 1997 in relativ kurzer Zeit zu einem Standardwerk und dem Biologiebuch für Studierende und Biologieinteressierte geworden, das in keinem Bücherregal fehlen darf. Was ihn bis heute im Vergleich zu seiner Konkurrenz in besonderem Maße auszeichnet, sind seine gut zugängliche und deutliche Sprache und die hervorragenden Abbildungen, die selbst anspruchsvolle Sachverhalte in eindrucksvoller Weise greifbar und damit verständlich machen. Die Schule hat in den letzten Jahren den Campbell ebenfalls für ihre Zwecke entdeckt: Viele Lehrer nutzen ihn für ihre Unterrichtsvorbereitung und manche Leistungskurse statten sich mit ihm aus, um sich effektiv auf das Abitur vorzubereiten, obwohl das Buch eigentlich auf den ersten Blick aufgrund seines Formates, seines Gewichtes und seiner Inhaltsfülle für die Schule ungeeignet erscheint. Umso mehr waren wir von der Idee des Pearson Verlages begeistert, den Campbell und in diesem Fall speziell den Ökologieteil des Campbells für die Schule zu bearbeiten. Die Hauptaufgabe war es dabei, die umfangreiche und eher auf die Bedürfnisse von Studierenden zugeschnittene Darstellung des Gesamtbandes didaktisch auf die für Schülerinnen und Schüler wesentlichen Themen der Ökologie zu reduzieren, ohne dabei einerseits den Anspruch auf Vollständigkeit und angemessene Vertiefung zu verlieren und andererseits zu starke Pauschalisierungen vorzunehmen. Bei der Bearbeitung konnten wir neben dem Campbell auf ein zweites hervorragendes Ökologiewerk, den ebenfalls bei Pearson erschienenen Smith&Smith, zurückgreifen, sodass einige nicht im Campbell enthaltene Aspekte aus diesem Werk ergänzt werden konnten und das vorliegende Buch daher auch für „Kenner“ des Campbells einiges Neues zu bieten hat. Zentrales Anliegen dieses Lehrwerkes ist es, in Anlehnung an das große Vorbild Campbell, in einer leicht verständlichen Sprache abstrakte Sachverhalte klar nachvollziehbar darzustellen, sodass Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit besitzen, sich gegebenenfalls auch im Selbststudium die Inhalte der Ökologie anzueignen. Dieses Ziel vor Augen, sind sämtliche aus dem Campbell und dem Smith&Smith entnommenen Texte sprachlich überarbeitet worden. Didaktische Elemente wie Beispielkästen geben den Texten zusätzliche Struktur, „Merke“und„Schon-gewusst“-Kästen liefern weitergehende
Informationen oder sollen zum Nachdenken anregen. Am Ende jedes Unterkapitels gibt es Wiederholungsfragen, die von den Schülern mithilfe der vorangehenden Texte des Unterkapitels eigenständig gelöst werden können. Die Antworten zu den Wiederholungsfragen sind auf der Companion Website des Pearson-Verlages zu finden. Die Zugangsdaten zu dieser Website mit den Aufgabenlösungen und umfangreichen Zusatzmaterialien sind auf der letzten Umschlagseite zu finden. Bei der Strukturierung der Inhalte weicht das vorliegende Werk von der Vorgehensweise des Campbells ab und folgt eher dem „klassischen Schulweg“. Obwohl die Ökologie in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat und sich zu einer immer wichtiger werdenden Teildisziplin der Biologie entwickelt, ist sie eine Wissenschaft, die hinsichtlich ihres Komplexitätsgrades und Anspruches häufig unterschätzt wird. Die im Vergleich zur Genetik recht „einfach“ wirkenden Inhalte verleiten viele Schülerinnen und Schüler dazu, nicht richtig hinzuschauen und wichtige Details zu überlesen, und auch Lehrer neigen manchmal dazu, die Ökologie in der Oberstufe zu Gunsten anderer Teildisziplinen im Unterricht recht zügig zu behandeln, da den Schülerinnen und Schülern noch am ehesten zugetraut wird, die Ökologieinhalte im Hinblick auf das Abitur selbstständig nachzubereiten und zu verstehen. Ob im Grundkurs, im Leistungskurs oder für das Selbststudium zuhause, die vorliegenden Texte liefern einen umfassenden Überblick über die Ökologie – umfassender als man es in vergleichbaren Lehrwerken für die gymnasiale Oberstufe findet. Daher ist dieses Werk streng genommen auch ohne Weiteres als Einstiegslektüre für Biologiestudierende oder Studierende der Umweltwissenschaften im Grundstudium geeignet. Unser besonderer Dank gilt dem Verlag Pearson Studium, insbesondere Herrn Christian Schneider und Frau Andra Riemhofer sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Pearson, die uns unterstützt haben und uns die Freiheit gelassen und uns das Vertrauen entgegengebracht haben, ein Unterrichtswerk nach unseren Vorstellungen zu gestalten.
Petra Samusch David Schmidt
Kapitel 1 Ökologie: Eine Einführung Die Ökologie untersucht Lebewesen und ihre Lebensumwelt
Die Bestandteile eines Ökosystems sind hierarchisch geordnet
Die Ökologie hat eine bewegte Vergangenheit
Die Ökologie hat eine enge
Verbindung zu anderen Disziplinen
Die Ökologie verwendet verschiedene
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wissenschaftliche Methoden
1 Ökologie: Eine Einführung
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Abbildung 1.1: Warum wandern Grauwale?
Mehrere Satelliten umkreisen die Erde und übermitteln die Daten über die jährliche Wanderung der Grauwale (⇒ Abbildung 1.1). Wenn erwachsene und neugeborene Grauwale ihre Geburtsorte nahe der Halbinsel Baja California (Mexiko) verlassen, machen sie sich in Gruppen auf eine bemerkenswerte, 8000 Kilometer lange Wanderung. Ihr Ziel ist das Nordmeer, wo sie sich von Flohkrebsen, Ruderfußkrebsen und kleinen Fischen ernähren. Mithilfe der Satelliten können Biologen die Wanderung und die Entwicklung der Grauwalbestände verfolgen, die bereits kurz vor dem Aussterben standen und deren Bestände sich jetzt wieder erholt haben. Vor 100 Jahren waren die Grauwalbestände durch den Walfang auf wenige hundert Individuen geschrumpft. Heute, nachdem die Tiere seit 70 Jahren vor der Bejagung geschützt sind, wandern jährlich wieder mehr als 20.000 Individuen in die Arktis. Welche Umweltfaktoren sind für die geografische Verbreitung der Grauwale verantwortlich? Wie wirken sich Unterschiede im Nahrungsangebot auf ihre Bestandsgröße aus? Solche und andere Fragen sind das Thema der Ökologie. Mit der aufkommenden Umweltbewegung der späten 1960er und frühen 1970er Jahre rückte die Ökologie – ein Begriff, der bis dahin nur recht wenigen Biologen etwas sagte – plötzlich in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die verheißungsvolle neue Wissenschaft sollte zum Wegweiser für die Beziehungen der Menschen zu ihrer Umwelt werden und der Begriff „Ökologie“ wurde zu einem Allerweltswort, das im Folgenden überall in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern auftauchte – wenn auch oft in nicht korrekter Form. Selbst heute wird Ökologie oft noch mit Begriffen wie „Umwelt“, „Umweltschutz“ oder „Umweltschutzbewegung“ gleichgesetzt, doch Ökologie ist weder das eine noch das andere.
1.2 Die Bestandteile eines Ökosystems sind hierarchisch geordnet
1.1
Die Ökologie untersucht Lebewesen und ihre Lebensumwelt
Lebewesen wie die Grauwale stehen mit ihrer Umwelt in vielerlei Wechselbeziehungen. Die Umwelt eines jeden Organismus ist ein Bereich mit konkreter räumlicher und zeitlicher Ausdehnung. Sie kann so riesig und weitgehend stabil sein wie ein Ozean oder so klein und vergänglich wie eine Pfütze nach einem Frühlingsregen. Einflüsse der unbelebten Natur (abiotische Faktoren) wie etwa die Lichtintensität, die Temperatur und die Feuchtigkeit eines Lebensraumes beeinflussen grundlegende physiologische Prozesse, die für das Überleben und Wachstum der Organismen unentbehrlich sind. Ein Tierindividuum muss nach Nahrung suchen, um lebenswichtige Nährstoffe für den Bau- und Betriebsstoffwechsel zu gewinnen. Gleichzeitig muss es sich dabei gegebenenfalls vor anderen Einflüssen der belebten Natur (biotische Faktoren) schützen, damit es nicht selbst zur Nahrung anderer Organismen wird. Es muss „Freund“ von „Feind“ unterscheiden können und dabei zwischen potenziellen Paarungspartnern und Räubern differenzieren. Diese Einheit aus Lebensraum (Biotop) und Lebensgemeinschaft (Biozönose) bildet das, was man in der Ökologie als Ökosystem bezeichnet. Die Ökologie ist demnach die Wissenschaft von den Wechselwirkungen der Organismen untereinander und ihrer abiotischen Umwelt.
Die Bestandteile eines Ökosystems sind hierarchisch geordnet
Ein Ökosystem, bestehend aus der Lebensgemeinschaft der Organismen und der abiotischen Umwelt, weist zahlreiche Organisationsund Komplexitätsebenen auf. Auf einer ersten und untersten Ebene reagieren einzelne Individuen (⇒ Abbildung 1.2a) auf die abiotische Umwelt und können diese beeinflussen. Auf der nächsthöheren Ebene bilden Individuen einzelner Arten Populationen (⇒ Abbildung 1.2b) (= Gruppen von Individuen der gleichen Art), in einem Wald etwa eine
Betrachten wir ein natürliches Ökosystem wie beispielsweise einen Wald. Klima sowie Nährstoff- und Wasserhaushalt des Bodens bilden die abiotische Komponente eines Waldes. Diese umfasst strahlungsenergetische, physikalische, chemische und strukturelle Elemente. Die biotische Komponente eines Waldes umfasst alle Organismen (Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen), die dort leben. Die Beziehungen dieser Lebewesen untereinander sind insofern komplex, da jeder Organismus nicht nur auf die abiotischen Umweltfaktoren reagiert, sondern diese auch aktiv verändert und dadurch selbst zu einem Umweltfaktor wird. Der Kronenraum der Bäume fängt das meiste Sonnenlicht auf und nutzt es zur Photosynthese. Weil deswegen vergleichsweise wenig Sonneneinstrahlung den Boden unter der Baumkrone erreicht, ist dort die Temperatur geringer. Dadurch werden die Lebensbedingungen derjenigen Pflanzenarten beeinflusst, die am Boden wachsen. Vogelarten, die am Boden in der Kraut- und Streuschicht nach Insekten suchen, senken deren Anzahl und verändern damit auch die Lebensbedingungen für andere Tiere, die sich ebenfalls von Insekten ernähren. Durch die Verringerung der Insektenmenge beeinflussen die Vögel zudem indirekt die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen dort lebenden Insektenarten.
Beispiel
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1.2
3
1 Ökologie: Eine Einführung
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Abbildung 1.2: Ebenen der biologischen Organisation
Population von Stieleichen. Diese Populationen können nach Kriterien wie Individuenzahl, Vermehrungsrate oder Altersaufbau genau beschrieben werden. Die Individuen einer Population können miteinander, aber auch mit Individuen anderer Arten interagieren; sie bilden gemeinsam eine Lebensgemeinschaft (⇒ Abbildung.1.2c). Pflanzenfresser konsumieren Teile von Pflanzen, Räuber töten ihre Beute und fressen sie und
1.2 Die Bestandteile eines Ökosystems sind hierarchisch geordnet
Abbildung 1.3: Welche charakteristischen Anpassungen an seinen Lebensraum zeigt der Ocotillostrauch?
Die Bandbreite der ökologischen Forschung 1. Ökologie des Einzelorganismus (Autökologie) Die Ökologie des Einzelorganismus beschäftigt sich mit der Frage, wie sich das einzelne Individuum seiner abiotischen (unbelebten) und biotischen (belebten) Umwelt anpasst, um eine größtmögliche Überlebenschance zu gewährleisten.
2. Populationsökologie Eine Population ist die Gesamtheit der Individuen einer Art, die in einem bestimmten, zusammenhängenden Siedlungsraum durch Reproduktion und Konkurrenz interagieren. In der Populationsökologie geht man der Frage nach, welche Faktoren sich auf Populationen auswirken und wie und warum Populationsgrößen sich im Laufe der Zeit verändern (Populationsdynamik). Welche Umweltfaktoren wirken sich auf die Fortpflanzungsrate von Hirschmäusen aus?
3. Ökologie der Lebensgemeinschaften Eine Lebensgemeinschaft oder Biozönose ist eine Gruppe von Populationen verschiedener Mikroorganismen, Pflanzen- und Tierarten, die sich an einem Ort infolge ähnlicher Ansprüche an ihre abiotische und biotische Umwelt einstellt. Die Ökologie der Lebensgemeinschaften oder Biozönologie beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, welche Wechselbeziehungen zwischen den Arten bestehen. Welche Faktoren beeinflussen die Diversität (= Mannigfaltigkeit) der Pflanzen- und Tierarten eines Waldes?
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4. Ökologie der Ökosysteme Ein Ökosystem umfasst das Beziehungsgefüge zwischen den verschiedenen Organismenarten (Biozönose) in einem bestimmten Lebensraum (Biotop), einschließlich der abiotischen Faktoren, denen die einzelnen Individuen ausgesetzt sind. In der Ökosystemanalyse
liegt das Schwergewicht auf der Erforschung der sogenannten Energie- und Stoffströme zwischen den Organismen und ihrer abiotischen Umwelt (siehe Kapitel 5.1) sowie der biogeochemischen Kreisläufe (Kapitel 5.2). Welche Faktoren bestimmen die pflanzliche Biomasseproduktion eines Graslandökosystems in den gemäßigten Breiten?
5. Globale Ökologie Als Ökosphäre bezeichnet man die Gesamtheit aller Ökosysteme der Erde, die Biosphäre entspricht der Gesamtheit aller Biozönosen. In der globalen Ökologie werden die Energie- und Stoffkreisläufe der Ökosphäre, ihr Einfluss auf die Struktur und die Funktion der Großökosysteme (z. B. tropische Regenwälder oder Meere) sowie die Verbreitung der Organismen einschließlich ihrer Gemeinschaften untersucht. Welche Auswirkungen haben die verschiedenen Meeresströmungen auf die globale Verbreitung des Krills (= Kleinkrebse), der Teil des Zooplanktons ist, von dem sich die Bartenwale ernähren?
jeder Einzelne von ihnen konkurriert in der Regel um begrenzte Ressourcen. Die Lebensgemeinschaften leben in einem bestimmten Lebensraum und bilden gemeinsam ein Ökosystem (⇒ Abbildung 1.2d). Die Ökosphäre beziehungsweise Biosphäre stellt die höchste Organisationsebene dar und umfasst die Gesamtheit aller Ökosysteme der Erde (⇒ Abbildung 1.2e). Die Ökologie trägt den unterschiedlichen Ebenen der biologischen Organisation, vom einzelnen Individuum bis hin zur gesamten Biosphäre Rechnung. So gibt es für jede der ökologischen Hierarchieebenen charakteristische Forschungsrichtungen, die die Wechselwirkungen und das Beziehungsgeflecht auf den jeweiligen Ebenen untersuchen. 5
1 Ökologie: Eine Einführung
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1.3
Abbildung 1.4: Charles Darwin (1809–1882) im Alter von 31 Jahren (Gemälde von George Richmond aus dem Jahr 1840).
Die Ökologie hat eine bewegte Vergangenheit
Die Ursprünge der meisten Wissenschaften, etwa Mathematik, Chemie oder Physik, lassen sich leicht nachzeichnen. Bei der Wissenschaft der Ökologie ist das anders, denn ihre Wurzeln sind weit verzweigt. Obwohl der Begriff Ökologie erst Mitte des 19. Jahrhunderts entstand und ein weiteres Jahrhundert benötigte, um in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang zu finden, ist das dahinter stehende Konzept schon viel älter. Bereits Aristoteles (384–322 v. Chr.) machte an den unterschiedlichsten Organismenarten eine Vielzahl ökologischer Beobachtungen und zeichnete diese systematisch genau auf. Ein Buch von Hippokrates von Kos (um 460–370 v. Chr.), dem berühmtesten Arzt der Antike, wird später auch als Die Schrift von der Umwelt bezeichnet. Hierin erläutert Hippokrates den Einfluss verschiedener Umweltfaktoren auf die Gesundheit des Menschen, so zum Beispiel der des Klimas, der Witterung, der Jahreszeiten, des Wassers und Bodens, aber auch den der jeweiligen Lokalität und der Lebensgewohnheiten. Der große Kreislauf der Natur als ein notwendiges Geschehen für die Entstehung neuen Lebens ist der Inhalt der Schrift De rerum natura des römischen Philosophen Lukrez (96–55 v. Chr.). Er erkannte ein Fundamentalgesetz der Ökologie, nämlich dass wesentliche Prozesse in der Natur zyklisch (= in Form von Kreisläufen) verlaufen. Einen weiteren wichtigen Ursprung hat die Ökologie, wie wir sie heute kennen, in der Pflanzengeografie. Bedingt durch die Entwicklung der Seefahrt und die Fülle von Expeditionen, die auf bis dahin noch weitgehend unbekannten Kontinenten durchgeführt wurden, begannen Botaniker im 19. Jahrhundert mit der Erforschung und Kartierung der Pflanzenwelt der Erde. Die Grundlage für diese Bestrebungen stellte eine einheitliche Pflanzensystematik zur Benennung und Eingruppierung unbekannter Arten dar. Als deren Begründer ist der Schwede Carl von Linné (1707–1778) zu nennen, dessen „binäre Nomenklatur“ bis heute Gültigkeit bei Pflanzen und Tieren besitzt. Linné befasste sich zudem mit vielen ökologischen Fragestellungen und auf ihn geht der Begriff des Habitats (Lebensraums) zurück. Frühen Pflanzengeografen wie dem deutschen Naturforscher Ale xander von Humboldt (1769–1859) fiel auf, dass Regionen mit ähnlichem Klima auch eine vom Lebensformtyp her ähnliche Pflanzenwelt beherbergen. Die Erkenntnis, dass strukturelle und funktionelle Eigenschaften von Pflanzen einer bestimmten Region die vorherrschenden Umweltbedingungen (insbesondere das Klima) widerspiegeln, machte den Weg frei für eine neue Generation von Wissenschaftlern, die die Zusammenhänge zwischen Botanik und Pflanzengeografie untersuchten. Charles Darwin (1809–1882) lieferte mit seinen Vorstellungen von der „natürlichen Selektion“ als Mechanismus für die Entstehung neuer Arten einen Schlüssel zum Verständnis der Zusammenhänge zwischen Organismen und ihrer Umwelt – dem Schwerpunktthema der Ökologie. Mit den Fortschritten von Biologie, Physik und Chemie im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden auch im Bereich
1.4 Die Ökologie hat eine enge Verbindung zu anderen Disziplinen
der Ökologie weitere Forschungsgebiete. Luftaufnahmen, zunächst aus Flugzeugen, später dann sogar von Satelliten, erlauben Wissenschaftlern Datenmessungen aus der Ferne und einen ganz neuen Blick auf die Erde.
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1.4
Die Ökologie hat eine enge Verbindung zu anderen Disziplinen
An den komplexen Interaktionen innerhalb eines Ökosystems ist eine Vielzahl von physikalischen, chemischen und biologischen Prozessen beteiligt. Bei der Untersuchung dieser Prozesse und Wechselwirkungen ist die Ökologie somit auf die Hilfe anderer Wissenschaften angewiesen. Dadurch wird die Ökologie zu einer interdisziplinären Wissenschaft, die jedoch grundlegend auf den biologischen Basisdisziplinen Pflanzenwissenschaften, Mykologie (= Pilzkunde), Zoologie, Mikrobiologie und biologischer Systematik fußt. Um das Zusammenspiel von Organismen mit ihrer Umwelt besser verstehen zu lernen, benötigen Ökologen darüber hinaus Erkenntnisse aus vielen Bereichen der Geowissenschaften wie Mineralogie, Geologie, Geografie, Hydrologie (= „Wissenschaft des Wassers“) und Klimatologie. Pflanzen beeinflussen beispielsweise durch ihre Wasseraufnahme die Bodenfeuchtigkeit und die Eigenschaften des Oberflächenabflusses des Wassers. Die Abgabe von Wasser an die Atmosphäre durch pflanzliche Transpiration (= Verdunstung) erhöht den Wasserdampfgehalt der Atmosphäre und beeinflusst dadurch regionale Niederschlagsverteilungen. Die Verfügbarkeit von Nährstoffen und Wasser sind grundlegend für das Pflanzenwachstum und werden durch die geologische Beschaffenheit eines Gebietes bestimmt. Bei allen genannten Zusammenhängen sind offensichtlich „nichtbiologische“ Wissenschaftsdisziplinen entscheidend beteiligt, um zu erklären und zu verstehen, wie einzelne Organismen auf ihre Umwelt reagieren und diese zugleich selbst beeinflussen.
Abbildung 1.5: Im Rahmen seiner Untersuchungen an Vogelarten des Rost-Archipels (Lofoten, Norwegen) führt Anker Nilson Messungen an Küken des Papageitauchers durch. 7
1 Ökologie: Eine Einführung
1.5
Die Ökologie verwendet verschiedene wissenschaftliche Methoden
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Beispiel
Auf welche Weise kommen Ökologen zu Aussagen über die Umwelt und welche Methoden liegen ihren Untersuchungen zugrunde? In erster Linie stellen Beobachtungen und Erhebung und Auswertung von Daten zentrale Arbeitsweisen der ökologischen Forschung dar. Dieses Vorgehen erfordert oftmals praktische Untersuchungen in der Natur statt reiner Schreibtisch- und Laborarbeit. Dennoch haben Laborexperimente und statistische Auswertungen im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmende Bedeutung bei der Überprüfung aufgestellter Arbeitshypothesen erlangt. Alle genannten wissenschaftlichen Bestrebungen haben jedoch eines gemeinsam: Sie dienen zum Sammeln von Daten, um damit Hypothesen zu überprüfen. Eine Hypothese ist eine vorweggenommene Annahme, die ein Wissenschaftler macht, um ein beobachtetes Phänomen zu erklären. Es muss sich dabei um eine überprüfbare Aussage über Ursache und Wirkung eines Phänomens handeln. Eine Hypothese kann auf einer Beobachtung im Freiland oder im Labor basieren sowie auf Ergebnissen aus früheren Untersuchungen. Wenn eine Hypothese mehrfach auch von verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern überprüft und nie widerlegt werden konnte, erhält sie den Rang einer Theorie.
Wenn man zum Beispiel die Auswirkungen des globalen Klimawandels auf den Zustand einzelner Baumarten überprüfen möchte, ist es nicht nötig, jahrzehntelang den Einfluss trockenerer oder feuchterer Jahre auf die Vitalität der Bäume zu verfolgen, um möglichst repräsentative Ergebnisse zu erzielen, die auch für die Zukunft Prognosen erlauben. Man kann stattdessen auch unter kontrollierten Bedingungen auf besonders eingerichteten Versuchsflächen trockene und feuchte Verhältnisse simulieren und die Reaktion der einzelnen Baumindividuen und -arten analysieren. Mit einem solchen experimentellen Versuchsansatz nahmen Paul Hanson vom Oak Ridge National Laboratory in Tennessee (USA) und seine Kollegen ein gigantisches Experiment in Angriff, das mehr als zehn Jahre Zeit in Anspruch nahm. Auf einer großen, unberührten Waldfläche fingen sie ein Drittel der auftreffenden Niederschläge auf und leiteten diese auf eine zweite Fläche; eine dritte Fläche ließen sie als Kontrolle unangetastet (⇒ Abbildung 1.6). Durch Vergleiche der Wachstumsgeschwindigkeit und Überlebensrate der einzelnen Baumindividuen der verschiedenen Untersuchungsflächen konnten die Wissenschaftler unter anderem feststellen, dass die Individuen des Amerikanischen Blumenhartriegels bei Trockenheit häufiger abstarben als die Individuen aller anderen untersuchten Gehölzarten.
Rinnen
Röhren
trockenere Bedingungen
feuchtere Bedingungen
Normalbedingungen
Die Rinnen fangen ein Drittel des Niederschlages auf, der auf die Versuchsfläche fällt.
Röhren leiten das Wasser von der trockeneren zur feuchteren Versuchsfläche.
Die dritte Versuchsfläche erhält die Niederschlagsmenge unter Normalbedingungen.
Abbildung 1.6: Wie reagiert ein Wald auf Veränderungen der Niederschlagsmenge? Im Wassereinzugsgebiet Walker Branch in Tennessee (USA) erzeugten Wissenschaftler mit einem komplizierten Rinnen- und Röhrensystem in verschiedenen Teilen eines Waldes künstlich „trockene“ und „feuchte“ Bedingungen.
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1.5 Die Ökologie verwendet verschiedene wissenschaftliche Methoden
800 700 Produktivität [g/(m2 · J)]
Wissenschaftler nutzen die aus Beobachtungen und Experimenten gewonnenen Erkenntnisse zur Erstellung von Modellen. Die ermittelten Daten sind zunächst auf den speziellen Fall der durchgeführten Messung oder Beobachtung beschränkt. Wie Fotografien stellen Daten die Situation an einem gegebenen Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt dar. Anhand der aus diesen und aus anderen Daten gewonnenen Erkenntnisse können Modelle erstellt werden, die Vorhersagen darüber erlauben, was unter den gegebenen Bedingungen an anderen Orten und zu anderen Zeitpunkten geschehen könnte. Modelle sind abstrakte, vereinfachte Darstellungen natürlicher Phänomene oder real existierender Systeme, in denen die wesentlichen Vorgänge und Elemente deutlich gemacht werden. Sie erlauben uns auf der Grundlage einer Reihe von Annahmen die Vorhersage gewisser Verhaltensweisen oder Reaktionen. Das Sammeln von Daten, das Formulieren und Überprüfen von Hypothesen, das Aufstellen von Theorien sowie die Entwicklung von Modellen, die Vorhersagen ermöglichen, bilden das Rückgrat der naturwissenschaftlichen Methode. Forschung ist ein stetiger Prozess des Prüfens und Verbesserns von Konzepten mit dem Ziel, Erklärungen für die Vielfalt an Naturphänomenen zu finden, die wir auf unserem Planeten beobachten, und um auch solche Erscheinungen, die auf den ersten Blick scheinbar nichts miteinander zu tun haben, in einen Zusammenhang zu stellen. Eine detailliertere Darstellung des naturwissenschaftlichen Forschungs- und Erkenntnisgewinnungsprozesses würde den Rahmen dieses Buches sprengen, es sei jedoch darauf verwiesen, dass wissenschaftliche Konzepte keine dauerhaften und absoluten Wahrheiten darstellen, da sie lediglich unsere Interpretationsversuche für Naturerscheinungen sind. Wir sind gezwungen, uns auf die Untersuchung nur eines Teiles der Natur zu beschränken, weil wir immer vereinfachen müssen, um einzelne Phänomene verstehen zu können. Damit ist Wissenschaft im Wesentlichen ein Vorgang des ständigen Sich-selbst-Verbesserns im Rahmen eines kontinuierlichen Überprüfungs- und Diskussionsprozesses. So könnte eine Hypothese in der Ökologie etwa lauten, dass die Verfügbarkeit von Stickstoff der wichtigste limitierende (= begrenzende) Faktor für das Wachstum und die Produktivität von Pflanzen (Gewinn an Pflanzenbiomasse in einem bestimmten Zeitraum) in den Prärien Nordamerikas ist. Zur Überprüfung dieser Hypothese können Wissenschaftler Daten auf verschiedene Weise sammeln. Ein erster Ansatz wäre eine Freilandstudie. Dabei würden die verfügbare Stickstoffmenge und die Produktivität des Pflanzenwachstums an verschiedenen Orten gemessen werden (⇒ Abbildung 1.7). Beide Faktoren variieren an verschiedenen Standorten des Landschaftsmosaiks. Wenn tatsächlich der Stickstoffgehalt im Boden die Produktivität der Pflanzen begrenzt, dann sollte der Anteil produzierter pflanzlicher Biomasse bei steigendem Stickstoffgehalt zunehmen. Hierzu würde ein Ökologe zunächst die Stickstoffverfügbarkeit und die Phytomasse an verschiedenen Stellen in der Region messen. Dann könnte er die Beziehung zwischen den beiden Variablen Stickstoff und Produktivität grafisch darstellen.
600 500 400 300 200 100 0
2
4
6
8
10
Stickstoffverfügbarkeit [g/(m2 · J)]
Abbildung 1.7: Zusammenhang zwischen Pflanzenproduktivität und Stickstoffverfügbarkeit in einem Grasland-Ökosystem.
W iederholun g s f ra g en 1
1. Definieren Sie die Begriffe Population, Lebensgemeinschaft und Ökosystem. 2. Stellen Sie dar, inwiefern die Analyse der abiotischen Faktoren für das Grundanliegen der Ökologie, die Wechselbeziehungen der Organismen untereinander und zu ihrer Umwelt zu verstehen, nützlich sein könnte. 3. Ein Ökologe beobachtete, dass sich eine bestimmte Vogelart hauptsächlich von großen Grassamen ernährt und nicht von kleineren Samen, die ebenfalls in dem Lebensraum der Art vorhanden sind. Er stellte die Hypothese auf, dass die Vögel die größeren Samen deshalb auswählen, weil sie einen höheren Stickstoffgehalt aufweisen als die kleineren Samen. Zur Überprüfung der Hypothese wurde der Stickstoffgehalt verschieden großer Samen gemessen. Tatsächlich enthielten die größeren Samen eine höhere Stickstoffkonzentration. Aufgabe: Stellen Sie begründet dar, ob durch dieses Ergebnis die Richtigkeit der Hypothese des Ökologen bewiesen ist.
9
Zusammenfassung
1 Ökologie: Eine Einführung
Die Ökologie untersucht Lebewesen in ihrer Lebensumwelt (1.1) Lebewesen sind untrennbar über Wechselbeziehungen mit ihrer Umwelt verbunden. Umwelteinflüsse werden je nach Ursprung in solche der unbelebten Natur (abiotische Faktoren) und Einflüsse der belebten Natur (biotische Faktoren) unterschieden. Die Einheit aus Lebensraum (Biotop) und Lebensgemeinschaft (Biozönose) bilden ein Ökosystem. Die Ökologie ist demnach die Wissenschaft von den Wechselwirkungen der Organismen untereinander und ihrer abiotischen Umwelt. Die Bestandteile eines Ökosystems sind hierarchisch geordnet (1.2) Der kleinste Baustein eines Ökosystems ist das Individuum. Die Individuen einer Art bilden innerhalb eines bestimmten Gebietes eine Population. Die Populationen der unterschiedlichen Arten stehen miteinander in zahlreichen biotischen Wechselbeziehungen und bilden zusammen die Lebensgemeinschaft eines Ökosystems. Die Ökologie trägt den unterschiedlichen Ebenen der biologischen Organisation Rechnung und es gibt für jede der ökologischen Hierarchieebenen charakteristische Forschungsrichtungen.
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Die Ökologie hat eine bewegte Vergangenheit (1.3) Die Wurzeln der Ökologie sind weit verzweigt und reichen bis in die Antike zurück. Aus Umweltbeobachtungen entwickelte
sich im Laufe der Zeit eine systematische Umweltforschung, die insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert zu einer eigenen biologischen Fachdisziplin wurde. Die Ökologie hat eine enge Verbindung zu anderen Disziplinen (1.4) Ökologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die sich bei der Erforschung von Wechselwirkungen der Lebewesen untereinander und mit ihrer Umwelt der Mithilfe zahlreicher anderer Wissenschaftsdisziplinen wie Chemie, Physik und Mathematik bedient. Grundsätzlich fußt die Ökologie jedoch auf den Fachdisziplinen der Biologie. Die Ökologie verwendet verschiedene wissenschaftliche Methoden (1.5) Beobachtung und Erhebung und Auswertung von Daten sind zentrale Arbeitsweisen der ökologischen Forschung. Dieses Vorgehen erfordert oftmals praktische Untersuchungen in der Natur, doch auch Laborexperimente und statistische Auswertungen haben im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmende Bedeutung bei der Überprüfung aufgestellter Arbeitshypothesen erlangt. Die Bildung von Hypothesen und das Aufstellen und Überprüfen von Modellen sind wichtige Methoden der ökologischen Forschung.
Antworten zu den Wiederholungsfragen finden Sie unter: www.pearson-schule.de
Kapitel 2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben Abiotischer Faktor Temperatur Abiotischer Faktor Wasser Abiotischer Faktor Solarstrahlung Abiotischer Faktor Wind Das Klima – ein Zusammenspiel
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der abiotischen Faktoren
Abiotischer Faktor Boden Unvorhersagbare Umweltveränderungen
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
!
Merke Abiotische Faktoren
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Die abiotischen Faktoren sind die Umweltfaktoren der unbelebten Natur. Hierzu zählen unter anderem die Einflüsse von Temperatur, Wasser in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, Wind, Solarstrahlung und Bodenbeschaffenheit.
Rote Riesenkängurus gibt es nur in Australien und sonst nirgendwo auf der Erde. Sie kommen dort vor allem in den trockeneren Regionen im Landesinneren vor, wo der Niederschlag relativ gering ist und von Jahr zu Jahr starken Schwankungen unterliegt. An den Rändern des Kontinents hingegen, wo ein relativ feuchtes Klima herrscht, findet man sie zumeist nicht (⇒ Abbildung 2.1). Warum ist das so? Auf diese Frage versucht die Ökologie eine Antwort zu finden, indem sie genau untersucht, welche Faktoren auf Individuen einwirken und somit ihr Vorkommen und ihre Verbreitung bestimmen. Hierzu unterteilt man alle auf Lebewesen einwirkenden Einflüsse in zwei große Gruppen: in die biotischen (belebten) und die abiotischen (unbelebten) Umweltfaktoren. Zu den biotischen Faktoren gehören all diejenigen Einflüsse, die von anderen lebenden Organismen ausgehen. Dies kann eine Bedrohung durch Feinde, Konkurrenz um Nahrung, aber auch eine Lebensgemeinschaft sein, die zum gegenseitigen Vorteil besteht. Zu den abiotischen Faktoren zählen die klimatischen Faktoren Temperatur, Wasserverfügbarkeit, Wind und Solarstrahlung, sowie nichtklimatische Umweltfaktoren wie zum Beispiel die Beschaffenheit des oberflächennahen Untergrunds mit seinem Nährstoffangebot und seiner Wasserspeicherfähigkeit. Beide Arten von Umweltfaktoren, sowohl die biotischen als auch die abiotischen, wirken sich auf das Verbreitungsmuster von Arten und die Häufigkeit der Individuen innerhalb ihres Verbreitungsgebietes aus. Dieses Kapitel beschäftigt sich zunächst mit den abiotischen Umweltfaktoren. Dabei wird die allgemeine Darstellung der Faktoren zur besseren Veranschaulichung eng mit konkreten Beispielen aus der Pflanzen- und Tierwelt verknüpft.
Kängurus/km2 Nordaustralien: heißes, feuchtes 0 – 0,1 Klima mit 0,1–1 jahreszeitlicher 1–5 Trockenheit 5–10 10 –20 > 20 Grenze des Verbreitungsgebiets (Artareal)
Südaustralien: kühle, feuchte Winter und heiße, trockene Sommer
Abbildung 2.1: Verbreitung und Häufigkeit der Riesenkängurus in Australien, ermittelt durch Luftbildanalyse.
Rote Riesenkängurus kommen vor allem in den trockeneren Regionen im Landesinneren vor, wo der Niederschlag relativ gering ist und von Jahr zu Jahr starken Schwankungen unterliegt.
Südwestaustralien: feuchtes, kühles Klima
Abiotische Umweltfaktoren
Toleranzkurven
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Abbildung 2.2: Willie Shoemaker und Wilt Chamberlain.
G = Grenze der Lebensfähigkeit (Pessimum) W = Wachstum R = Reproduktion O = Optimum
Vitalität
Besäße die Erde eine einzige große, konstante und homogene Umwelt, dann könnte möglicherweise eine einzelne Art allen anderen Arten in ihrer Fähigkeit sich zu entwickeln, zu wachsen und sich zu reproduzieren, überlegen sein. Dies ist jedoch nicht der Fall, da die Umweltbedingungen inhomogen sind. So verwundert es niemanden, dass beispielsweise ein Eisbär an völlig andere klimatische Umweltbedingungen angepasst sein muss als eine Wüsteneidechse. Darüber hinaus ändern sich jedoch meist auch die Umweltbedingungen innerhalb eines bestimmten Lebensraums ständig, beispielsweise mit dem Wechsel der Jahreszeiten. Um auf Umweltveränderungen reagieren zu können, stehen einem Organismus nicht unendlich viele Möglichkeiten zur Verfügung. So sind sowohl der Eisbär als auch die Wüsteneidechse sehr gut an extreme Temperaturen und Temperaturschwankungen in ihren jeweiligen Lebensräumen angepasst. Im Lebensraum des jeweils Anderen könnten sie jedoch nicht für längere Zeit überleben. Die Eigenschaften, die es einem Individuum ermöglichen, unter bestimmten Umweltbedingungen erfolgreich zu sein, begrenzen also zumeist gleichzeitig den möglichen Erfolg unter anderen Umweltbedingungen. Ein offensichtliches Beispiel für dieses Konzept aus unserer Gesellschaft sind die Sportler Wilt Chamberlain, ein berühmter Basketballspieler, und Willie Shoemaker, eine „Jockey-Legende“. Mit seiner Körpergröße von 1,49 m hätte Shoemaker niemals ein professioneller Basketballspieler werden können und der 2,15 m große Wilt Chamberlain hätte niemals als Erster ein Derby gewonnen. Die Gesamtheit der Merkmalseigenschaften, die eine Person in einer dieser beiden Sportarten brillieren lässt, verhindert zugleich, dass sie auch in der anderen Sportart erfolgreich sein kann. Ebenso bilden die Fähigkeiten von Organismen zugleich auch deren Grenzen. Wenn man unter Laborbedingungen die Reaktion eines Organismus auf die Variation eines einzelnen, bestimmten Umweltfaktors beobachtet, erfasst und grafisch auswertet, so erhält man ein bezüglich seiner Form charakteristisches Diagramm. Diese Auftragung der Intensität der Lebensprozesse (körperliche oder Stoffwechselaktivität, Reproduktionsrate, Wachstum, etc.) gegen einen Umweltfaktorgradienten wird als Toleranzkurve bezeichnet. ⇒ Abbildung 2.3 zeigt schematisch eine solche Toleranzkurve für das Beispiel der Reaktion eines Organismus auf die Variation des Umweltfaktors Temperatur.
G
W R O R W Umweltgradient (Temperatur)
G
Abbildung 2.3: Beispiel einer Toleranzkurve für die Reaktion eines Organismus auf die Variation des Faktors Temperatur. Die Endpunkte der Kurve geben die Ober- und Untergrenze für das Überleben des Organismus an (G). Innerhalb dieser Spanne kann der Organismus wachsen (W) und sich reproduzieren (R).
An den Eckpunkten erreicht jeder Organismus seine Toleranzgrenzen, in diesem Fall die minimale beziehungsweise maximale vom jeweiligen Organismus tolerierte Temperatur (Tmin und Tmax). Diese Eckpunkte können hinsichtlich ihrer absoluten Lage bei unterschiedlichen betrachteten Arten relativ verschieden sein (Vgl.: Eisbär und Wüsten eidechse). Im gesamten Temperaturbereich zwischen Tmin und Tmax, Toleranzbereich oder Toleranzbreite genannt, ist für den Organismus ein Überleben möglich. Die Breite des Toleranzbereichs schwankt bei verschiedenen Arten teilweise erheblich. Arten mit einem breiten Toleranzbereich werden als euryök (im Falle des Umweltfaktors Temperatur konkreter als eurytherm), solche mit schmalem Toleranzbereich als stenök (beziehungsweise stenotherm) bezeichnet. Jenseits des Toleranzbereichs ist ein Überleben für Organismen der jeweils betrachteten Art nicht mehr möglich. Innerhalb des Toleranzbereichs schließt sich sowohl bei Tmin als auch bei Tmax ein Bereich an, in dem der Organismus zwar überleben kann, in dem jedoch weder Wachstum noch größere körperliche Aktivität möglich ist und innerhalb dessen viele Arten Phänomene wie Kälte- oder Wärmestarre (= Torpor) zeigen. Dieser Bereich wird als Pessimum bezeichnet. Weiter zur Mitte des Diagramms und für den Organismus zu günstigeren Umweltbedingungen hin, erreicht man eine Grenze, innerhalb derer der Organismus nicht nur in der Lage ist zu überleben, sondern darüber hinaus genügend Ressourcen zur Verfügung hat, um sich zu reproduzieren. Im Zentrum eines Umweltfaktorengradienten befindet sich der Vorzugsbereich (Präferendum) des betrachteten Organismus. Für jede Art kennzeichnet dieser Bereich ein Temperaturintervall, innerhalb dessen die Individuen der Art eine besonders gute Anpassung besitzen. Das Optimum (O) bezeichnet diejenige Temperatur, bei der der Organismus am besten angepasst ist und die höchste Intensität seiner Lebensprozesse erreicht. Die Abbildung ist selbstverständlich stark schematisiert und kann in ihrem Verlauf, je nach betrachteter Art und betrachtetem Umweltfaktor, sehr unterschiedlich sein. So können die Kurvenverläufe mehr oder weniger stark „verzerrt“, abgeflacht oder verbreitert sein, der generelle Verlauf entspricht jedoch dem allgemein beschriebenen Typ.
13
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Abbildung 2.4: Im heißen Wasser eines Geysirs in Nevada (USA) wachsen orangefarbene und gelbe Bakterienkolonien.
Temperaturoptimum für ein typisches Enzym des Menschen
Reaktionsgeschwindigkeit
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2.1
0
20
Temperaturoptimum für ein Enzym eines thermophilen Bakteriums
40 60 Temperatur (°C)
80
100
Abbildung 2.5: Temperaturoptimum für die Enzymaktivität beim Menschen und bei einem thermophilen Lebewesen.
Abiotischer Faktor Temperatur
Welchen Einfluss hat die Temperatur auf das Vorkommen und die Verbreitung einzelner Organismenarten? Inwiefern werden physiologische und verhaltensbiologische Prozesse durch die jeweilige Umwelttemperatur bestimmt? Diese und andere bedeutenden Zusammenhänge zwischen Temperatur und Individuum werden im folgenden Abschnitt näher beleuchtet und erklärt. Leben ist nur in bestimmten Temperaturbereichen möglich. Zellen können absterben, wenn das in ihnen enthaltene Wasser bei Temperaturen unter 0 °C gefriert, und die Proteine der meisten Organismen denaturieren bei Temperaturen über 45 °C. Nur wenige Organismenarten mit hochspezialisierten Anpassungen können bei sehr hohen oder sehr niedrigen Temperaturen einen aktiven Stoffwechsel aufrechterhalten, so zum Beispiel thermophile Bakterien, die in Geysiren leben (⇒ Abbildung 2.4). Ihr Leben findet in einem Temperaturbereich statt, den andere Organismenarten nicht mehr tolerieren können. Die meisten Organismenarten zeigen ihre höchste Stoffwechselrate in einem ganz bestimmten, eingeschränkten Temperaturbereich. Liegt die Umgebungstemperatur außerhalb davon, sind manche Tierarten – insbesondere Säugetiere und Vögel – gezwungen, ihre Körpertemperatur mit zusätzlichem hohem Energieaufwand konstant zu halten. Der Prozess, durch den Tiere ihre Körpertemperatur innerhalb eines für sie tolerierbaren Bereichs halten, wird als Thermoregulation bezeichnet. Thermoregulation ist für das Überleben eines Organismus von größter Bedeutung, weil die meisten biochemischen und physiologischen Prozesse sehr empfindlich auf Veränderungen der Körpertemperatur reagieren. Schon 10 °C Temperatursenkung verringern die Geschwindigkeiten der meisten chemischen Reaktionen – und nichts anderes sind die oben genannten ständig in jedem Lebewesen ablaufenden Prozesse – um den Faktor 2–3. Man spricht in diesem Zusammenhang von der RGT-Regel (Reaktionsgeschwindigkeits-TemperaturRegel). ⇒ Abbildung 2.5 verdeutlicht diesen Zusammenhang am Beispiel des Temperaturoptimums für die Enzymaktivität beim Menschen und bei einem thermophilen Bakterium. Enzyme sind Proteine, die chemische Reaktionen katalysieren und auf diese Weise die Stoffwechselprozesse in lebenden Organismen in außerordentlichem Maße beschleunigen. Bei niedrigen Temperaturen ist die Enzymaktivität (und damit auch die Reaktionsgeschwindigkeit) jedoch sehr gering. Aus diesem Grunde halten sich potenziell verderbliche Lebensmittel, wie beispielsweise Milch, weitaus länger, wenn man sie im Kühlschrank aufbewahrt: Die Enzyme von in der Milch enthaltenen Milchsäurebakterien arbeiten aufgrund der niedrigen Temperatur so langsam, dass der Prozess des „sauer Werdens“ erheblich langsamer abläuft als bei Raumtemperatur. Umgekehrt sind jedoch der Reaktionsgeschwindigkeitserhöhung durch Temperatursteigerung Grenzen gesetzt. Wenn die Temperatur zu stark ansteigt, werden Proteine durch die Hitze funktionsuntüchtig gemacht (denaturiert). Dieser Prozess ist jedem bekannt, der schon einmal Eier gekocht oder in der Pfanne gebraten hat und darüber hinaus nicht umkehrbar: So wird ein einmal gekochtes Ei bekanntlich weder durch Abkühlen noch durch
2.1 Abiotischer Faktor Temperatur
andere Behandlung wieder roh. Aus dem selben Grund kann zu hohes Fieber tödlich sein, denn auch beim Menschen führt eine zu starke Körpertemperaturerhöhung zu einer Denaturierung der Eiweißstoffe. Letztlich sind die zu geringe Reaktionsgeschwindigkeit bei zu tiefen und die Proteindenaturierung bei zu hohen Temperaturen die Ursache für den charakteristischen Verlauf von Temperaturtoleranzkurven. Sowohl die Breite als auch die Lage des Toleranzbereichs ist jedoch von Art zu Art verschieden und ein Ergebnis der Anpassung an die jeweils vorherrschenden Umweltbedingungen.
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Merke ReaktionsgeschwindigkeitsTemperatur-Regel Die Reaktionsgeschwindigkeits-TemperaturRegel, kurz RGT-Regel genannt, besagt, dass bei einer Temperaturabsenkung oder -erhöhung von 10 °C die Geschwindigkeit der meisten chemischen Reaktionen um den Faktor 2–3 sinkt bzw. ansteigt.
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2.1.1 Strategien der Temperaturregulation – Endothermie und Ektothermie Tiere lassen sich nach der Art ihrer Temperaturregulation einteilen. Einige Tiergruppen halten ihre Körpertemperatur unabhängig von der Außentemperatur weitgehend konstant. Dazu benötigen sie endogene, also von innen kommende Wärme, die durch Stoffwechselreaktionen bereitgestellt wird. Diese Tiere bezeichnet man als Homoiotherme, „gleichwarme“ oder „endotherme“ Tiere (Thermoregulatoren). Hierzu zählen Vögel und Säugetiere. Fische, Amphibien, Reptilien und alle Wirbellosen sind Poikilotherme „wechselwarme“, „ektotherme“ Tiere (Thermokonformer). Sie beziehen Wärme vor allem aus der Umgebung und ihre Körpertemperatur ändert sich daher mit der Umgebungstemperatur. Eine dritte Gruppe reguliert die Körpertemperatur je nach Umgebungsbedingungen und Stoffwechselsituation entweder endotherm oder ektotherm. Diese Tiere bezeichnet man als heterotherm. Hierzu gehören beispielsweise viele Fledermäuse, Bienen und Hummeln sowie Kolibris. Endothermie und Ektothermie sind keineswegs thermoregulatorische Modelle, die sich gegenseitig ausschließen. Ein Vogel beispielsweise ist vorwiegend endotherm, doch er wärmt sich unter Umständen an einem kalten Morgen in der Sonne, ganz ähnlich, wie es eine ektotherme Eidechse tut. Auch beim Menschen ist das „Sonnenbaden“ als Verhaltensweise zur Erlangung eines angenehmen Körpergefühls beliebt und wird in den entsprechenden Jahreszeiten gerne angetroffen. Endotherme Tiere können selbst angesichts starker Temperaturschwankungen ihrer Umwelt eine stabile Körpertemperatur aufrechterhalten. Beispielsweise sind nur wenige ektotherme Tiere aktiv, wenn die Außentemperaturen unter den Gefrierpunkt fallen, wie es im Winter auf einem Großteil der Erdoberfläche der Fall ist, während viele endotherme Tiere unter diesen Bedingungen weiterhin aktiv bleiben (⇒ Abbildung 2.6). In einer kalten Umgebung produzieren Endotherme genug Wärme, um die Temperatur ihres Körpers deutlich über der Umgebungstemperatur zu halten. Endotherme Wirbeltiere verfügen zudem über Mechanismen, um ihren Körper in einer heißen Umgebung zu kühlen; dadurch können sie Hitzebelastungen ertragen, die für die meisten Wirbellosen nicht tolerierbar sind. Reichen diese Regulationsmechanismen jedoch nicht mehr aus, da die Umgebungstemperaturen über einen längeren Zeitraum zu hoch oder zu niedrig sind, treten Kälte- oder Hitzetod ein. Da Ektotherme Wärmeenergie aus der Umgebung direkt nutzen, statt zu diesem Zweck Nahrung metabolisch abzubauen, kann ein ekto-
(a) Ein Walross ist endotherm, das bedeutet, die Körpertemperatur wird unabhängig von der Umgebungstemperatur konstant gehalten.
(b) Eine Eidechse ist ektotherm, das bedeutet, die Körpertemperatur wird durch die Umgebung erhöht oder gesenkt.
Abbildung 2.6 Endothermie und Ektothermie. 15
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
40
Körpertemperatur (°C)
Fischotter (endotherm)
30
20 Forellenbarsch (ektotherm) 10
0
10 20 30 Umgebungstemperatur (°C)
40
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Abbildung 2.7: Beziehung zwischen Körpertemperatur und Umgebungstemperatur bei einem wasser lebenden endothermen Tier und einem wasserlebenden ektothermen Tier.
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Merke Gesetzmäßigkeiten der Thermodynamik Energie kann zwar übertragen und umgewandelt, nicht aber erzeugt oder vernichtet werden. Im Verlauf jeder Energieübertragung geht ein Teil der Energie als Wärme verloren und ist für Arbeitsprozesse nicht mehr verfügbar. Darüber hinaus wird Wärme immer von einem wärmeren Objekt auf ein kälteres übertragen und niemals umgekehrt: Das heiße Wasser im Wasserkocher kühlt sich langsam ab und erwärmt dabei die umgebende Raumluft, niemals kühlt sich der Raum ab und erwärmt dabei das Wasser im Wasserkocher …
thermes Tier mit weniger als zehn Prozent der Nahrungsenergie auskommen, die ein endothermes Tier vergleichbarer Größe benötigt – ein Vorteil, wenn Nahrungsquellen knapp sind. Ektotherme können zudem im Allgemeinen starke Schwankungen ihrer Körpertemperatur tolerieren. Insgesamt gesehen ist Ektothermie in den meisten Lebensräumen eine effiziente und erfolgreiche Strategie; das zeigt sich auch in der Fülle, Artenvielfalt und dem großen Verbreitungsgebiet ektothermer Tiere. Ein populäres Missverständnis in diesem Zusammenhang ist, dass Ektotherme „kaltblütig“ und Endotherme „warmblütig“ sind. Ektotherme haben nicht unbedingt eine niedrige Körpertemperatur. Tatsächlich weisen viele Eidechsen, wenn sie in der Sonne baden, eine höhere Körpertemperatur als Säuger auf. Auch bei Pferden bezeichnen diese Begriffe lediglich den „Charakter“ bestimmter Pferderassen (synonym mit temperamentvoll und genügsam) und ausdrücklich nicht die Körpertemperatur dieser endothermen Tiere. Daher sind die Bezeichnungen kaltblütig und warmblütig irreführend und werden in der Biologie nicht mehr verwendet.
2.1.2 Wärmeabgabe und Wärmeaufnahme – zwei Faktoren im Gleichgewicht Nach den Gesetzen der Thermodynamik gilt auch in der Biologie, dass Wärme stets von einem wärmeren auf ein kälteres Objekt übertragen wird. Voraussetzung für Thermoregulation ist daher die Fähigkeit des Tieres, den Wärmeaustausch mit der Umgebung zu kontrollieren. Der Schlüssel zur Thermoregulation liegt somit darin, Wärmeabgabe und Wärmeaufnahme im Gleichgewicht zu halten. Tiere tun dies mittels Mechanismen, die entweder den Wärmeaustausch insgesamt verringern oder den Wärmeaustausch in eine bestimmte Richtung begünstigen. Vor allem endotherme Lebewesen sind auf Mechanismen angewiesen, die den Wärmeaustausch mit der Umgebung regulieren, da sie eine bestimmte Körpertemperatur aufrechterhalten müssen. Im Folgenden werden einige Strategien vorgestellt, die alle dem Zweck dienen, Wärmeaufnahme und Wärmeabgabe im Gleichgewicht zu halten. Wärmeisolierung Eine wichtige thermoregulatorische Anpassung bei Säugern und Vögeln ist die Wärmeisolierung. Diese verringert den Wärmeaustausch zwischen einem Tier und seiner Umwelt. Das Funktionsprinzip entspricht dem einer Thermoskanne oder eines Wärmedämmsystems an einem Gebäude – eine schlecht wärmeleitende Substanz, wie zum Beispiel Styropor, verhindert die Wärmeabgabe an die Umwelt und isoliert auf diese Weise das warme Innenleben gegenüber der kalten Umgebung. Gute „biologische“ Wärmeisolatoren sind Haare, Federn und Fettschichten. Landlebende Säuger und Vögel reagieren auf Kälte, indem sie ihr Fell beziehungsweise ihr Gefieder sträuben. Dadurch können sie ein dickeres Luftpolster festhalten und, da Luft ein schlechter Wärmeleiter ist, somit die isolierende Wirkung ihres Fells oder ihres Gefieders verstärken. Wasser hingegen verringert die Fähigkeit von Fell und Federn zur Wärmeisolierung. Daher produzieren einige Tierarten fetthaltige,
2.1 Abiotischer Faktor Temperatur
Oberfläche und Volumen von Lebewesen spielen wichtige Rollen für Wärmehaushalt und Stoffwechsel Die Oberfläche und das Volumen eines jeden Körpers wachsen in unterschiedlichen Potenzen. Dieser etwas spröde und mathematisch anmutende Satz hat eine Reihe wichtiger, praktischer biologischer Konsequenzen. Stellen Sie sich einen Würfel mit einer Kantenlänge von 1 cm vor. Die Oberfläche des Würfels beträgt 6 ∙ 1 cm ∙ 1 cm = 6 cm2 und sein Volumen 1 cm3. Wenn Sie sich jetzt vorstellen, dass Sie die Kantenlänge des Würfels auf 2 cm verdoppeln, beträgt seine Oberfläche 6 ∙ 2 cm ∙ 2 cm = 24 cm2 und hat sich somit vervierfacht. Gleichzeitig ist das Volumen jedoch auf 8 cm3 angewachsen und hat sich dadurch verachtfacht! Mit der Vergrößerung des Würfels ändert sich darüber hinaus das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen (in unserem Beispiel von 6 : 1 = 6 auf 24 : 8 = 3)1. Stellen Sie sich nun vor, Sie würden beide Würfel (aus dem gleichen Material) so lange in einen Backofen legen, bis diese durchgehend auf 100 °C erwärmt sind und würden sie anschließend heraus nehmen – beide Würfel begännen abzukühlen. Der größere Würfel verfügt über eine größere Oberfläche, über die der Wärmeaustausch mit der Umgebung stattfinden kann. Wäre in unserem Beispiel die Oberfläche die einzige Einflussgröße, dann müsste der große Würfel schneller auf Raumtemperatur abküh-
len als der kleine. In Wahrheit verhält es sich jedoch genau anders herum und der kleine Würfel kühlt weitaus schneller ab als der Große. Die Ursache ist, dass der große Würfel in seinem größeren Volumen weitaus mehr Wärme speichern kann als der kleine Würfel und dass seine Oberfläche im Verhältnis zum Volumen kleiner ist. Bis hier hin haben wir uns einem physikalischen Gedankenexperiment gewidmet – was hat das mit Biologie zu tun, werden Sie mit Recht fragen! Die dargestellten Gesetzmäßigkeiten sind nicht nur auf Würfel begrenzt, sondern gelten für alle Körper – auch für Lebewesen. Da auch bei jedem Lebewesen der Wärmeaustausch mit der Umgebung über die Körperoberfläche stattfindet, verliert beispielsweise ein größeres Tier mehr Wärme über die Körperoberfläche als ein kleines Tier. Gleichzeitig besitzt jedoch ein großes Tier ein größeres Körpervolumen (in dem es Wärme produzieren bzw. speichern kann) und dieser Effekt überwiegt, genau wie bei den Würfeln, den Einfluss der Oberfläche. Aus diesem Grund können es sich sehr große Tiere wie Elefanten, Nilpferde, Nashörner, Giraffen, Elche, Kühe, Gorillas, etc. „leisten“, sehr niedrige Stoffwechselraten zu besitzen und für ihre Ernährung auf kalorienarme Pflanzennahrung wie Blätter und Gräser zurückzugreifen, während sehr kleine Tiere wie Mäuse oder Spitzmäuse auf enorme Stoffwechselraten und kalorienreiche Nahrung wie Getreide oder Fleisch angewiesen sind.
1 Zum besseren Verständnis sind die Einheiten weggelassen worden.
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Bergmann und Allen – zwei Klimaregeln Das beschriebene Verhältnis von Oberfläche zu Volumen spielt jedoch nicht nur dann eine Rolle, wenn man verschiedene Lebewesen aus unterschiedlichen „Artkreisen“ hinsichtlich ihrer Ernährungsweisen und Stoffwechselraten vergleicht, sondern hat auch in Form einiger „entmathematisierter Faustregeln“, den so genannten „Ökogeographischen Regeln“, beim Vergleich von Lebewesen innerhalb eines Artkreises Einzug in die Ökologie gehalten. Die wohl bekanntesten dieser Regeln sind die, nach ihren jeweiligen „Entdeckern“ benannte, Bergmann´sche und Allen´sche Regel. Carl Bergmann und Joel Asaph Allen entdeckten Zusammenhänge zwischen der Größe von homoithermen Lebewesen (Bergmann) beziehungsweise den Proportionen ihres Körpers (Allen) und den vorherrschenden Temperaturen in den Lebensräumen von Tieren. So stellte Bergmann fest, dass bei Tieren nahe verwandter homoiothermer Arten die Körpergröße vom Äquator bis zu den Polen hin zunimmt. Demnach finden sich die größten homoithermen Arten innerhalb des Artkreises z.B. Eisbären oder Kaiserpinguine in den kältesten Regionen. Allen erkannte, dass Körperanhänge wie Ohren und Schwänze mit der geografischen Breite kleiner werden, da sie umso schneller auskühlen können, je größer sie sind. Umgekehrt kann über solche Anhänge mit zunehmender Größe mehr Wärme an die Umgebung abgegeben werden. Daher verfügen beispielsweise Wüstenhase und Wüstenfuchs über sehr große Ohren, während diese bei Schneehase und Polarfuchs wesentlich kleiner ausgebildet sind.
wasserabstoßende Substanzen, mit denen sie ihr Fell oder Gefieder „imprägnieren“. Da Menschen Federn oder Fell fehlen, müssen sie zur Wärmeisolierung hauptsächlich auf Kleidung zurückgreifen. Die „Gänsehaut“ ist ein Überbleibsel des Haareaufrichtens, das wir von unseren 17
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Umgebung TU
felltragenden Vorfahren geerbt haben. Die Dicke der Wärmeisolierung kann darüber hinaus jahreszeitlichen Schwankungen unterliegen. Das dicke Winterfell vieler Säuger wird beispielsweise im Sommer durch ein dünneres Sommerfell ersetzt. Diese Anpassungen helfen endothermen Tieren, das ganze Jahr hindurch eine konstante Körpertemperatur beizubehalten. ⇒ Abbildung 2.8 zeigt schematisch die wärmeisolierende Wirkung einer Muskel- und Fettschicht. Eine besonders wichtige Rolle spielt die Wärmeisolierung für die Thermoregulation von meeresbewohnenden Säugern wie Walrossen und Walen. Diese Tiere schwimmen in Wasser, dessen Temperatur deutlich unter der Kerntemperatur ihres Körpers liegt. Direkt unter der Haut weisen Meeressäuger daher eine sehr dicke isolierende Fettschicht auf, die als Blubber bezeichnet wird. Die Isolierwirkung des Blubber ist so effektiv, dass Meeressäuger eine Kerntemperatur von 36–38 °C aufrechterhalten können, ohne mehr Nahrungsenergie als Landsäuger ähnlicher Größe zu benötigen.
Muskeln und Fett
Tierkörper TI I
Körperoberfläche TO
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Abbildung 2.8: Temperaturverteilung in einem Tierkörper. Die Oberflächentemperatur des Körpers (TO) gleicht sich automatisch der Umgebungstemperatur (TU) an. Durch die isolierende Wirkung der Muskel- und Fettschicht (I) wird die Temperatur des Körperkerns (TI) trotz niedriger Außentemperaturen hoch gehalten. (Die zusätzliche isolierende Wirkung der Körperbehaarung wird in dieser Abbildung nicht berücksichtigt.)
23° 7,5°
Grundtemperatur des Körpers 37°
5°
37° 35° 14°
Lufttemperatur –30°
36°
37°
31°
32°
25°
26°
19°
20°
14°
15°
10°
11°
8° 0°
Abbildung 2.9: Das Gegenstromprinzip, gezeigt am Arktischen Wolf. Rechts wird der Blutdurchfluss durch eine Arterie und Vene einer Vorderextremität demonstriert. Durch Wärmeübertragung wird das kalte venöse Blut erwärmt und es fließt mit einer höheren Temperatur zum Körperinneren zurück.
Anpassungen des Kreislaufsystems Kreislaufsysteme stellen eine Hauptroute für den Wärmefluss zwischen dem Körperinneren und dem Körperäußeren dar. Anpassungen, die das Maß der Durchblutung nahe der Körperoberfläche regulieren oder die Wärme im Körperkern zurückhalten, spielen daher bei der Thermo regulation eine entscheidend wichtige Rolle. Bei Temperaturveränderungen in ihrer Umgebung verändern viele Landwirbeltiere die Menge an Blut (und damit an Wärme), die zwischen ihrem Körperkern und ihrer Haut zirkuliert. Nervensignale führen zu einer Erweiterung der Blutgefäße nahe der Körperoberfläche. Infolge des größeren Gefäßdurchmessers steigt die Durchblutung der Haut. Bei Endothermen erwärmt der erhöhte Blutdurchfluss die Haut und erhöht somit die Menge an Körperwärme, die an die Umgebung abgegeben wird. Der umgekehrte Prozess, der als Gefäßverengung bezeichnet wird, verringert die Durchblutung und den Wärmetransfer, indem er den Durchmesser der oberflächennahen Gefäße verringert. Dieses Phänomen ist auch uns Menschen nicht unbekannt, man denke nur an Wintertage, in denen die Hände und die Ohren aus diesem Grund sehr schnell auskühlen, wohingegen man seltener über kalte Oberschenkel klagt oder an die Größenänderungen des männlichen Hodensacks in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur als Anpassung an die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung einer konstanten Temperatur (unterhalb der Körperkerntemperatur) für die Produktion fertiler Spermien. Viele Vögel und Säuger verringern ihre Wärmeverluste mithilfe eines Gegenstromaustauschers, bei dem benachbarte Flüssigkeiten in entgegengesetzte Richtungen strömen, was die Transferraten von Wärme oder gelösten Stoffen maximiert. Der Wärmetransfer erfordert eine antiparallele Anordnung von Blutgefäßen, die man als Gegenstrom-Wärmeaustauscher bezeichnet. Wenn Gewebe auf diese Weise angeordnet sind, verlaufen Arterien und Venen in enger Nachbarschaft. Strömt warmes Blut durch die Arterien, überträgt es Wärme auf das kalte Blut
2.1 Abiotischer Faktor Temperatur
in den Venen, das aus den Extremitäten zurückkehrt. Da Arterien und Venen nach dem Gegenstromprinzip angeordnet sind und das Blut in ihnen in entgegengesetzte Richtungen strömt, kommt es auf der ganzen Länge des Austauschers zu einem Wärmeaustausch. Kühlung durch Wärmeabgabe mittels Verdunstung Landlebende Tiere verlieren Wasser mittels Verdunstung über die Haut und beim Atmen. Wasserverdunstung ist ein energieaufwändiger (= im chemischen Sinne endothermer) Prozess, da bei der Verdunstung einzelne Wassermoleküle aus der flüssigen in die Gasphase überführt werden müssen und für diesen Vorgang Energie benötigt wird. Daher wird der Körperoberfläche Wärme entzogen, wenn Wasser verdunstet und der Körper kühlt ab. In analoger Weise funktioniert das aus dem Sport bekannte Eisspray. Wenn die Umgebungstemperatur über der Körpertemperatur liegt, nimmt der Körper Wärme aus der Umgebung auf und gewinnt zusätzlich Wärme aus seinem Stoffwechsel, so dass Verdunstung (Evaporation) der einzig bleibende Weg ist, um einen raschen Anstieg der Körpertemperatur zu verhindern. Bei manchen Tieren wird die Thermoregulation durch Verdunstungskühlung durch weitere spezielle Anpassungen unterstützt, die den beschriebenen Kühleffekt deutlich verstärken können. Bei Vögeln und vielen Säugern spielt Hecheln eine wichtige Rolle. Manche Vögel weisen im Mundboden eine stark durchblutete Tasche auf und Flatterbewegungen dieser Tasche unterstützen und verstärken die Verdunstung.
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Verhaltensreaktionen Sowohl Endotherme als auch Ektotherme kontrollieren ihre Körpertemperatur durch Verhaltensreaktionen. Letztere halten dadurch ihre Körpertemperatur annähernd konstant. Amphibien begeben sich beispielsweise bevorzugt an Orte, wo sie sich in der Sonne wärmen können. Wird es ihnen zu warm, suchen sie einen schattigen Platz oder eine andere kühle Umgebung auf. Ähnlich reagieren auch Reptilien, die ihre Körpertemperatur im Tagesverlauf sehr konstant halten, indem sie zwischen warmen und kühleren Orten pendeln. Auch wenn Ektotherme nicht genug Wärme zur Thermoregulation produzieren, beeinflussen viele Arten ihre Körpertemperatur durch ihr Verhalten, sei es, dass sie Schatten suchen oder sich in der Sonne aufhalten (Abbildung 2.6b) Viele terrestrische Wirbellose können ihre Körpertemperatur durch dieselben Mechanismen regulieren wie ektotherme Wirbeltiere. Die Wüstenheuschrecke beispielsweise muss eine bestimmte Körpertemperatur erreichen, um aktiv zu werden. An kalten Tagen orientiert sie sich daher so, dass ihr Körper ein Maximum an Sonnenlicht absorbiert. Andere terrestrische Wirbellose nehmen bestimmte Körperhaltungen ein, die es ihnen erlauben, die Absorption von Sonnenwärme zu maximieren oder zu minimieren (⇒ Abbildung 2.10). Zu den extremeren Verhaltensanpassungen mancher Tiere gehören Überwinterung oder Abwanderung in geeignetere Klimazonen.
Abbildung 2.10: Thermoregulatorisches Verhalten bei einer Libelle. Die „Obeliskenhaltung“ einer Libelle ist eine Anpassung, die den Anteil der Körperoberfläche, der dem Sonnenlicht ausgesetzt ist, minimiert. Diese Körperhaltung hält die Wärmeaufnahme möglichst gering. 19
2.2 Abiotischer Faktor Wasser
Abbildung 2.22: Transport von Wasser und Mineralstoffen vom Wurzelhaar ins Xylem.
Caspary-Streifen Endodermiszelle
d über die wände der
apoplastischer Transportweg
4 symplastischer Transportweg
5
Caspary-Streifen Plasmamembran 1
enwasser
apoplastischer Weg
2
3 4
symplastischer Weg
Wurzelhaar
Rhizodermis kontrollierter Zugang zum Zentralzylinder. Die radialen und
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5
Tracheen (Xylem)
Endodermis Stele (Zentralzylinder) primäre Rinde
tralzylinder gelangen, indem sie durch die Zellmembranen diffundieren und sozusagen den direkten Weg nehmen, indem sie die Zellen durchqueren. Damit nicht ungehindert beliebige Stoffe in das Innere der Pflanze gelangen können, gibt es eine Barriere in der Wurzelrinde, die dafür sorgt, dass nur bestimmte Stoffe in den Zentralzylinder gelangen. Die Zellwände der innersten Schicht der Wurzelrinde (= Endodermis) sind durch Einlagerungen (Caspary-Streifen) so präpariert, dass für die meisten Stoffe ein unkontrolliertes Eindringen nicht mehr möglich ist. Wasser und Mineralstoffe müssen stattdessen die Plasmamembran einer Endodermiszelle passieren und unterliegen dabei einer Kontrolle und Auswahl (⇒ Abbildung 2.22). Wasser und Mineralstoffe gelangen auf diesem Weg aus dem Boden in das Xylem und bilden dort den so genannten Xylemsaft. Durch Massenströmung wird dieser Xylemsaft über große Entfernungen bis in die Blätter transportiert, wo sich die Leitgefäße in viele winzige Verästelungen, die als Blattadern erkennbar sind, aufzweigen. Treibender Motor der Massenströmung ist die Wasserpotenzialdifferenz zwischen Blatt und Wurzel. Diese entsteht durch Verdunstung von Wasser aus den Blattzellen am Blattende des Xylems. Durch die Verdunstung wird das Wasserpotenzial an der Luft-Wasser-Grenzschicht erniedrigt. Ein allgemeines Bestreben der Natur ist es jedoch, Unterschiede (= Potenziale) immer wieder auszugleichen und ungleiche Zustände in ein Gleichgewicht zu bringen. Durch die Verdunstung des Wassers am Blatt wird daher weiteres Wasser durch das Xylem nach oben gezogen 27
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Abbildung 2.23: Der Transport des Xylemsafts.
Xylemsaft Blattzellen Spaltöffnung Wassermolekül Transpiration
Außenluft
Wasserpotenzial-Gradient
Anhaftung durch Wasserstoffbrückenbindung Xylemzellen
Massenströmung im Xylem
Zellwand
Zusammenhalt durch Wasserstoffbrückenbindung
Wassermolekül Wurzelhaar Bodenpartikel Wasser
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Wasseraufnahme aus dem Boden
(Zugspannung, Saugspannung), um den Wasserverlust im Blatt auszugleichen. Die Transpiration fungiert somit als Zugkraft und der Transpirationssog auf den Xylemsaft wird über die gesamte Strecke von den Blättern bis zu den Wurzelspitzen und sogar bis in die Bodenlösung hinein übertragen (⇒ Abbildung 2.23). Dank der Kohäsion des Wassers durch Wasserstoffbrückenbindungen ist es möglich, eine Xylemsaftsäule von oben hochzuziehen, ohne dass sich die Wassermoleküle trennen. Wassermoleküle, die das Xylem im Blatt verlassen, üben daher Sog auf die angrenzenden Wassermoleküle aus, und dieser Sog wird Molekül für Molekül über die gesamte Wassersäule im Xylem weitergegeben. Währenddessen sorgt die starke Adhäsion der Wassermoleküle (wiederum durch Wasserstoffbrückenbindungen) an die hydrophilen Zellwände dafür, dass die nach unten gerichtete Schwerkraft kompensiert wird. Der gesamte Vorgang ist daher vergleichbar mit dem Trinken durch einen Strohhalm. Im Strohhalm befindet sich beim Trinkvorgang eine stehende Flüssigkeitssäule. Durch das Saugen am Strohhalm bildet sich ein negatives Druckpotential und dieser Unterdruck wird dank der
2.2 Abiotischer Faktor Wasser
Kohäsion der Flüssigkeitsteilchen über die Flüssigkeitssäule bis hinunter ins Glas übertragen, wo weiteres Getränk eingesogen wird.
2.2.4 Anpassungsmechanismen der Pflanzen an die Wasserverfügbarkeit Landpflanzen haben eine Reihe von Anpassungen gegenüber Schwankungen der Niederschläge und Unterschiede in der Bodenfeuchte entwickelt, denn Pflanzen befinden sich grundsätzlich in einem Dilemma: Wie können sie so viel CO2 wie möglich aus der Luft aufnehmen und gleichzeitig so wenig Wasser wie möglich verlieren? Spaltöffnungen sind in diesem Zusammenhang die wichtigsten Vermittler zwischen den widerstreitenden Erfordernissen von CO2-Aufnahme und Wasserrückhaltung.
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Öffnen und Schließen der Spaltöffnungen – eine Möglichkeit der Wasserregulation Bei trockenen Luft- und Bodenbedingungen reagieren Pflanzen mit einer teilweisen Schließung ihrer Spaltöffnungen beziehungsweise einer Verkürzung der Öffnungsdauer (⇒ Abbildung 2.24). Zu Beginn einer solchen Wasserstressperiode verschließt die Pflanze ihre Stomata (= Spaltöffnungen) während der heißesten Tageszeit und nimmt zu günstigeren Tageszeiten wieder ihre normalen Stoffwechselaktivitäten auf. Wird Wasser knapper, öffnen sich die Stomata nur noch in den kühleren, feuchteren Morgenstunden. Durch dieses Verhalten wird einerseits der Wasserverlust durch Transpiration reduziert, zugleich verringert sich jedoch auch die CO2-Diffusion in die Blätter und die Wärmeabgabe durch Verdunstung. Damit sinkt die Photosyntheserate und die Blatttemperatur kann ansteigen. Viele Pflanzenarten reagieren auf Wasserstress durch ein Einrollen der Blätter, zum Beispiel der Strandhafer, das Federgras oder viele Habichtskräuter (⇒ Abbildung 2.25), was zu einem zusätzlichen Verschluss der Stomata führen kann. Bei anderen Pflanzenarten sinkt der Blattinnendruck und die Blätter wirken welk. Durch beide Strategien verringern die Pflanzen den Wasserverlust und die Wärmeaufnahme durch Verkleinerung der zur Sonnenstrahlung orientierten Blattfläche.
Abbildung 2.24: Eine offene und eine geschlossene Spaltöffnung.
Xerophyten – Kämpfer gegen die Trockenheit Pflanzen, die an Wüsten und andere wasserarme Gebiete als Lebensraum angepasst sind, werden als Xerophyten (gr. xeros, trocken) bezeichnet. In Wüsten fallen nur unregelmäßig Niederschläge, doch wenn es regnet, ist die Vegetation in Kürze wie umgewandelt, da viele Wüstenpflanzen das Risiko des Vertrocknens umgehen, indem sie ihren kurzen Lebenszyklus in den ebenso kurzen niederschlagsreichen Zeiten zum Abschluss bringen. Längerlebige Arten besitzen besondere Anpassungen, mit deren Hilfe sie die unwirtlichen Bedingungen in der Wüste überstehen können. ⇒ Abbildung 2.26 zeigt einige Anpassungen der Xerophyten. Viele Xerophyten besitzen verhältnismäßig kleine Blätter und minimieren auf diese Weise den Wasserverlust durch Transpiration. In Extremfällen, wie beispielsweise bei Kakteen, sind die Blätter stark
Abbildung 2.25: Unter Trockenstress rollt das kleine Habichtskraut seine Blätter zusammen. 29
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Oleander ( kleines Bild) ist im trockenen Mittelmeerklima verbreitet. Die Blätter besitzen eine dicke Cuticula und mehrschichtiges Epidermisgewebe, die beide zur Verminderung des Wasserverlusts beitragen. Die Spaltöffnungen sind in Vertiefungen eingesenkt. Durch diese Anpassung wird die Transpirationsrate herabgesetzt, da die Stomata vor heißen, austrocknenden Winden geschützt sind.
Cuticula
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100 µm
Der Ocotillostrauch eine im Südwesten der USA und in Nordmexiko häufige Pflanze, ist die meiste Zeit im Jahr unbelaubt und vermeidet damit übermäßige Wasserverluste (rechts). Nach starken Regenfällen treibt er sofort aus (unten und kleines Bild); die kleinen Blätter verdorren aber rasch und fallen ab, wenn der Boden wieder austrocknet.
Trichome („Haare“)
obere Epidermis (mehrschichtig)
Spaltöffnungen
untere Epidermis (mehrschichtig)
Vertiefung
Hier eine Nahaufnahme des Greisenhaupt-Kaktus, einer mexikanischen Wüstenpflanze. Die langen, weißlichen Haare tragen zur Reflexion des Sonnenlichts bei.
Abbildung 2.26: Einige morphologische Anpassungen bei Xerophyten.
oder augenscheinlich sogar vollständig zurückgebildet, die Photosynthese findet bei solchen Pflanzen vorwiegend in den Sprossen statt. Darüber hinaus besitzen viele xerophytische Pflanzen Dornen als Schutz vor und Anpassung an Pflanzenfresser, da sie in Gebieten mit ohnehin kargem Angebot an pflanzlicher Nahrung und Wasser für diese eine besonders verlockende Mahlzeit darstellen. Die Sprosse vieler Xerophyten sind fleischig, da die Pflanzen dort Wasser für längere Trockenperioden speichern und ihre Wurzeln erstrecken sich meist entweder oberflächennah über einen weiten Bereich um möglichst effizient das Niederschlagswasser zu nutzen oder bis in große Tiefen um das Grundwasser zu erreichen und auf diese Weise in größerem Maße von Niederschlägen unabhängig zu sein. Xerophyten kommen jedoch nicht nur in Wüsten, sondern auch in anderen Lebensräumen mit begrenzter Süßwasserverfügbarkeit, wie Dauerfrostregionen und Meeresküsten, vor.
2.2 Abiotischer Faktor Wasser
Abbildung 2.27: Pflanzen oder Kieselsteine?
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Sukkulente – wasserspeichernde Pflanzen Pflanzen mit der Fähigkeit zur Wasserspeicherung werden als Sukkulente bezeichnet. Hierzu verfügen Pflanzenarten wie Kakteen oder Wolfsmilchgewächse über Wasserspeichergewebe in Spross oder Blättern. Seltener wird Wasser in den Wurzeln gespeichert. Bei den Kakteen übernimmt die Wasserspeicherung der Stamm, nicht die Blätter, wie oftmals fälschlicherweise angenommen wird. Die Blätter sind bei Kakteen zu Dornen umgewandelt und fungieren als Fraßschutz. Ein eindrucksvolles Beispiel für Sukkulenz liefert die Pflanzengattung der Lebenden Steine. Diese Pflanzen leben weitestgehend unterirdisch, lediglich zwei wasserspeichernde Blätter ragen teilweise aus der Erde und sehen aus wie Kieselsteine.
S chon g ewusst ?
Viele Pflanzen der trockenen Standorte können jahrelang im Samenstadium überdauern. Erst bei günstigen Feuchtigkeits- und Temperaturverhältnissen keimen sie sofort, blühen und bilden eine große Anzahl neuer Samen aus. Fällt der Regen aus, bleiben sie in ihrem Ruhestadium. Solche Pflanzen werden als Pluviotherophyten bezeichnet, was so viel wie Regenpflanzen bedeutet.
Hygrophyten und Hydrophyten – Pflanzen der Feuchtgebiete Hygrophyten (= Feuchtpflanzen) und Hydrophyten (= Wasserpflanzen) haben mit der Wasserverfügbarkeit keine Probleme – im Gegenteil, sie stehen teilweise buchstäblich „bis zum Hals“ in selbigem und haben daher besondere Anpassungen an die gute Wasserverfügbarkeit und die ihnen eigene Notwendigkeit zur erhöhten Transpiration ausgebildet. So bilden beide Gruppen von Pflanzen ausschließlich schwache Festigungsgewebe und ihre Blätter sind daher sehr zart. Die Wurzeln solcher Pflanzen sind wenig ausgeprägt, da sie nahezu ausschließlich der mechanischen Verankerung und nur in untergeordneter Rolle der Wasserversorgung der jeweiligen Pflanzen dienen, oder sie fehlen sogar vollständig. Die Spaltöffnungen der Hygrophyten liegen an exponierter Stelle, da die Luftfeuchtigkeit in den Lebensräumen dieser Pflanzen üblicherweise so hoch ist, dass die Transpiration aufgrund einer nur 31
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
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Abbildung 2.28: See mit Seerosen
geringen Wasserpotenzialdifferenz zwischen Blattinnerem und Blatt äußerem und der damit einhergehenden geringen Neigung zur Verdunstung stark eingeschränkt ist. Teilweise wird die Transpirationsrate durch weitere spezielle Anpassungen zusätzlich und „absichtlich“ erhöht, um den Wassertransport innerhalb der Pflanzen überhaupt aufrecht erhalten zu können. Hydrophyten leben oftmals ganz untergetaucht und blühen sogar unter Wasser, andere entfalten an der Luft ihre Blüten. Manche von ihnen, wie beispielsweise die Seerose (⇒ Abbildung 2.28), bilden Schwimmblätter aus, die ihre Spaltöffnungen auf der Blattoberseite haben. Die Blätter solcher Schwimmblattpflanzen sind reich an luftgefüllten Zellzwischenräumen (= Aerenchymen), was einerseits der Trans piration förderlich ist und andererseits dafür sorgt, dass die Dichte der Blätter geringer als die des umgebenden Wassers ist, so dass die Blätter aufschwimmen. Andere Hydrophyten wiederum schwimmen vollständig frei auf der Wasseroberfläche. Aufsitzerpflanzen
Abbildung 2.29: Der Geweihfarn, ein Epiphyt. Dieser tropische Farn wächst auf großen Felsen, Klippen und Bäumen. Er besitzt zwei Arten von Wedeln: verzweigte Wedel, die einem Geweih ähneln, und rundliche Blätter, die an der Basis des Farns einen „Kragen“ bilden.
Aufsitzerpflanzen, auch Epiphyten genannt, besiedeln Baumstämme und Äste. Hierzu zählen zum Beispiel Vertreter der Bromeliengewächse, der Orchideengewächse und der Farnpflanzen. Epiphyten betreiben Photosynthese und nehmen Wasser und Mineralien über das Regenwasser auf. Zahlreiche Arten verfügen über spezifische Trockenanpassungen, da ihre Wurzeln keinen Zugang zu einer Wasserquelle besitzen. Hierzu gehören Schuppenhaare als Verdunstungsschutz und das
2.2 Abiotischer Faktor Wasser
„Velamen radicum“ bei Orchideen. Bei Letzterem handelt es sich um ein Gewebe aus abgestorbenen Zellen, das die Wurzeln umhüllt und mit seiner schwammartigen Struktur Wasser und in ihm gelöste Nährstoffe schnell aufnehmen, speichern und weitergeben kann.
2.2.5 Anpassungen an die Wasserverfügbarkeit bei Landtieren Landtiere verfügen über drei Hauptmethoden um Wasser und gelöste Substanzen zu gewinnen und für sich verfügbar zu machen: Auf direktem Wege durch die Aufnahme wasserhaltiger Nahrung oder durch Trinken sowie indirekt durch ihren Stoffwechsel. Landtiere verlieren Wasser mit Kot und Urin, durch Verdunstung über die Haut sowie durch das Ausatmen feuchter Luft. Bei den Wirbeltieren münden bei allen Amphibien, Reptilien, Vögeln und einigen wenigen Säugetieren die Harn- und Geschlechtsgänge in eine Kloake. Aus diesem Kloakenbereich, aber auch über den Enddarm, resorbieren sie Wasser wieder in den Körper zurück. Säugetiere verfügen über Nieren, die aus dem Primärharn den konzentrierten Endharn (Urin) erzeugen. Ein Großteil des Wassers im Primärharn geht daher wieder in die Blutbahn und steht dem Organismus somit wieder zu Verfügung. Der Mensch beispielsweise bildet pro Tag im Durchschnitt 180 Liter Primärharn; ausgeschieden werden jedoch nur 0,5–2 Liter des in den Nieren aufkonzentrierten Endharns.
S chon g ewusst ?
Der Mensch bildet pro Tag im Durchschnitt 180 Liter Primärharn. Daraus werden rund 99 Prozent des Wassers sowie fast alle Zucker, Aminosäuren, Vitamine und andere organische Nährstoffe zurückgewonnen und wieder ins Blut transportiert, so dass nur rund 1,5 l Endharn (= Urin) pro Tag ausgeschieden werden.
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Ausweichen oder Vermeiden – Zwei Strategien zur Aufrechterhaltung des Wasserhaushaltes In einer sehr trockenen Umwelt haben Tiere und Pflanzen besonders große Probleme mit der Aufrechterhaltung ihres Wasserhaushaltes. Tiere passen sich an diese Gegebenheiten an, indem sie mindestens eine von zwei möglichen Vermeidungsstrategien ausnutzen: entweder sie führen einen tages- oder jahreszeitlichen Ortswechsel durch (Ausweichen) oder sie vermeiden an Ort und Stelle über bestimmte Anpassungsstrategien nachteilige Auswirkungen. Tierarten der Wüsten und Halbwüsten entgehen der Trockenheit dadurch, dass sie die Region während der Trockenzeit verlassen und in Gebiete abwandern, wo genügend Wasser verfügbar ist. Diese Strategie verfolgen viele afrikanische Huftiere (⇒ Abbildung 2.31) und viele dort lebende Vogelarten. Zahlreiche Vogelarten, so zum Beispiel die Wüstenlerchen der Sahara, kommen wochenlang ohne Wasseraufnahme aus. Viele in Wüsten und Halbwüsten lebende Vogelarten führen bei Bedarf kurzzeitige Ortswechsel durch um an Wasserstellen zu gelangen. Dabei müssen jedoch oftmals sehr weite Strecken überbrückt werden. Flughühner der Alten Welt beispielsweise legen in der Namib oder Kalahari im südlichen Afrika zwischen Nist- und Wasserplatz Strecken bis zu 30 km zurück. Sie fliegen in großen Schwärmen, was sie gleichzeitig vor Räubern, wie zum Beispiel Greifvögeln, schützt. Eine Besonderheit dieser mit den Tauben verwandten Vögel ist das Phänomen, dass die Männchen das Brustgefieder ins Wasser tauchen und das in den Zwischenräumen aufgesogene Wasser zu den Jungen transportieren, um diese damit zu tränken. In Gebieten ohne regelmäßig wiederkehrende Niederschläge wirkt
Wasserhaushalt einer Kängururatte (2 ml/Tag) Aufnahme mit der Nahrung (0,2)
Wasserhaushalt eines Menschen (2500 ml/Tag) Aufnahme mit der Nahrung (750) Aufnahme mit Flüssigkeit (1500)
Wasseraufnahme (ml) aus dem Stoffwechsel (1,8)
aus dem Stoffwechsel (250)
Kot (0,09) Wasser- Urin abgabe (0,45) (ml) Verdunstung (1,46)
Kot (100) Urin (1500)
Verdunstung (900)
Abbildung 2.30: Wasserhaushalt bei zwei landlebenden Säugern. 33
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Abbildung 2.31: Physiologische Anpassungsmechanismen an große Wärme und Trockenheit beim afrikanischen Spießbock (T = Tag, N = Nacht). (T) signifikanter Anstieg der Körpertemperatur (T) kein Aufsuchen von Schatten (T) Hecheln erst bei sehr hohen Temperaturen
(T) Unterdrückung der Schweißbildung möglich
(T) signifikante Verringerung der Stoffwechselrate
(N) langsamere, effizientere Atmung
(N) signifikante Verringerung der Schweißabgabe
(N) niedrigere Körpertemperatur
Beispiel
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sich plötzlich niederfallender Regen stimulierend auf das Hormonsystem und die Fortpflanzung aus. Diese Beispiele zeigen Anpassungen an die besondere Schwierigkeit der Jungenaufzucht für Tiere in Wüstenund Halbwüstengebieten. Gegenüber den Ortswechslern gibt es jedoch auch zahlreiche Arten, die an Ort und Stelle Trockenperioden überstehen oder mit spezifischen physiologischen oder verhaltensbiologischen Anpassungen dem Wassermangel begegnen. Die nordamerikanische Wüstenschildkröte ist im Früh-
Anpassungen der Kamele Kamele können bis zu einem Viertel ihres Körpergewichtes an Wasser verlieren, ohne dass sie gesundheitlichen Schaden nehmen. Bei einem durchschnittlichen Körpergewicht von 500 kg sind dies etwa 125 Liter. Diese Menge kann von ihnen bei einem einzigen Trinkvorgang und innerhalb von 10 Minuten wieder aufgenommen werden. Im Vergleich dazu sind beim Menschen bereits zehn Prozent Wasserverlust absolut tödlich. Ein Kamel kann ohne Wasseraufnahme 17 Tage lang bei geringer und sechs Tage bei höherer Arbeitsleistung auskommen. Die Höcker der Kamele stellen entgegen der landläufigen Meinung keine Wasserspeicher im engeren Sinne sondern ein Fettwasserreservoir dar. Durch den physiologischen Abbau von 100 g Fett werden im Organismus 107 g Wasser gewonnen. Somit ist der Fettkörper eines Kamels gleichzeitig auch ein wichtiges Wasserreservoir. Kamele decken darüber hinaus weitere Teile ihres Wasserbedarfs aus der Nahrung und somit auch durch die in Pflanzen und Früchten enthaltene Flüssigkeit. Sie sind zudem in der Lage, bei extremer Hitze die Körpertemperatur zu erhöhen, um so Wasser für eine ansonsten in stärkerem Ausmaß notwendige Kühlung zu sparen. Denn auf diese Weise vermindert sich das Wärmegefälle zwischen der Körperoberfläche und der Außentemperatur. Bei Nacht wird dann die tagsüber zusätzlich produzierte Wärme ohne Wasserverlust an die Umgebung abgegeben. Kamele haben daher zu Zeiten von Trockenheitsstress tagsüber eine um 6 °C höhere Körpertemperatur als in der Nacht.
2.2 Abiotischer Faktor Wasser
jahr und Herbst ganztags aktiv, im heißen Sommer verbringt sie jedoch die Zeit der mittäglichen Hitze in einem selbst gegrabenen Gang in etwa 1 m Tiefe im kühlen Erdreich. Die bunte Schaufelfußkröte der südlichen Wüsten Nordamerikas vergräbt sich sogar in heißen Trockenperioden im Boden und verharrt in einer Art Schlafzustand, bis es wieder regnet. Viele Wüstensäugetiere haben, als weitere Anpassungen an Trockenheit und Hitze, keine oder nur reduzierte Schweißdrüsen; ihr Urin ist sehr konzentriert und der Kot sehr trocken. So besitzt zum Beispiel der Kot von Kamelen einen Wassergehalt von lediglich 40 Prozent, der Harn ist mit 65 Prozent Wassergehalt hochkonzentriert. Im Vergleich dazu enthält menschlicher Kot 80 Prozent, menschlicher Urin 95 Prozent Wasser.
2.2.6 Anpassungsstrategien bei Wasserbewohnern
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Wassertiere tauschen durch Osmose ständig Wasser mit ihrer Umgebung aus. Der osmotische Druck bewegt Wasser von der Seite höherer zu der Seite niedrigerer Wasserkonzentration durch die Zellmembranen – oder anders ausgedrückt: von der Seite mit der geringeren Konzentration gelöster Teilchen zu der Seite mit höherer Konzentration gelöster Teilchen. Auch in diesem Fall ist das Bestreben einen Potenzialausgleich zu erlangen der Antrieb des Vorgangs: die höher konzentriertere Lösung wird auf diese Weise verdünnt und die niedriger konzentrierte Lösung aufkonzentriert, so dass sich die Teilchenkonzentrationen insgesamt angleichen.
osmotischer Wasserverlust durch die Kiemen und andere Bereiche der Körperoberfläche
Aufnahme von Wasser und Ausscheidung Salz mit von Salz über der Nahrung die Kiemen
Salzwasser Aufnahme von Wasser und Salz durch das Trinken von Meerwasser
Ausscheidung von Salz und geringen Wassermengen mit dem mäßig konzentrierten Urin über die Nieren
Wasser
Aufnahme von Wasser und Salz mit der Nahrung
Merke
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Osmose ist die Diffusion von Wasser entlang seinem eigenen Konzentrationsgradienten, das heißt von einer Lösung geringerer Konzentration hin zu einer Lösung mit höherer Konzentration. Es handelt sich hierbei um eine gerichtete Bewegung von Teilchen durch eine selektiv durchlässige Trennschicht (Membran), die Räume unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung voneinander trennt.
Aufnahme von Salz über die Kiemen
osmotische Wasseraufnahme über die Kiemen und andere Bereiche der Körperoberfläche
Süßwasser Ausscheidung großer Wassermengen mit stark verdünntem Urin über die Nieren
Salz
(a) Osmoregulation bei einem Meerwasserfisch.
(b) Osmoregulation bei einem Süßwasserfisch.
Abbildung 2.32: Die Osmoregulation bei Knochenfischen im Meer und im Süßwasser im Vergleich. 35
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Salzdrüse Ausführgänge der Salzdrüse Nasenloch mit ausgeschiedener Salzlösung
Abbildung 2.33: Wie scheiden Seevögel überschüssiges Salz aus?
W iederholun g s f ra g en 2 . 2
1. Zeichnen Sie ein einfaches Diagramm des Wasserkreislaufes und beschreiben Sie den Vorgang
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2. Wasser verfügt über viele spezifische Eigenschaften. Nennen Sie Beispiele und beschreiben Sie, welche Auswirkungen und biologischen Bedeutungen die jeweiligen Eigenschaften besitzen. 3. Stellen Sie dar, was bei starker Temperaturerniedrigung beziehungsweise -erhöhung mit der wässrigen Umwelt einer Garnele, die unmittelbar an der Wasseroberfläche lebt, passieren würde, wenn Wasser keine Wasserstoffbrückenbindung ausbilden würde. 4. Erklären Sie den Langstreckentransport durch Massenströmung. 5. Oleander ist eine immergrüne Pflanze, die vor allem in trockenen Gebieten vorkommt. Im Querschnitt zeigt ein Oleanderblatt eine dicke Cuticula, eine mehrschichtige Epidermis und eingesenkte Spaltöffnungen. Erklären Sie diese Anpassungsmechanismen. 6. Der Plattwurm Phagocata vernalis bildet Schutzkapseln aus, in dem er die Trockenzeit übersteht. Erklären Sie begründend, welche Anpassungsstrategie gegen Wasserverlust dieses Tier verfolgt.
Süßwasserlebewesen sind hyperosmotisch; sie haben eine höhere Salzkonzentration in ihrer Körperflüssigkeit als die des sie umgebenden Wassers. Ihr Problem und Bestreben ist es daher, eine übermäßige Wasseraufnahme zu verhindern und überschüssiges Wasser wieder abzugeben. Süßwasserfische halten das osmotische Gleichgewicht, indem sie im Umgebungswasser gelöste Salze durch spezielle Zellen in den Kiemen aktiv aufnehmen sowie große Mengen an verdünntem Harn produzieren. Amphibien gleichen den Salzverlust durch die Aufnahme von Salzen aus, die sie durch die Haut und die Kiemenmembran transportieren. Meeresfische stehen im Vergleich zu den Süßwasserfischen vor dem umgekehrten Problem. Sie sind hypoosmotisch, das heißt, sie haben eine niedrigere Salzkonzentration als das umgebende Wasser. Wenn die Salzkonzentration der Umgebung höher ist als die des Körpers, neigen Organismen zur Dehydratation, da die osmotischen Kräfte dem Körper Wasser entziehen. In Meer- und Brackwasser müssen Salzwasserfische daher den Wasserverlust über Osmose und die damit einhergehende Anreicherung von Salzen im Körper vermeiden. Um mit den Problemen, die durch hohe Salzkonzentrationen im Lebensraum hervorgerufen werden, fertig zu werden, haben Organismen zahlreiche unterschiedliche Lösungsstrategien entwickelt. Die Körperflüssigkeiten von marinen Wirbellosen weisen das gleiche osmotische Potenzial auf wie das Meerwasser. Knorpelfische, wie Haie und Rochen, halten eine ausreichend große Menge Harnstoff im Blut zurück; sie stellen dadurch mit dem Meerwasser nahezu isoosmotische (= gleich konzentrierte) Verhältnisse her. Meeresvögel (zum Beispiel der Eissturmvogel) und Meeresschildkröten können, anders als wir Menschen, Salzwasser trinken, da sie über spezifische, das Salz abscheidende Nasendrüsen verfügen (⇒ Abbildung 2.33). Auch Möwen und andere Meeresvögel scheiden durch diese Drüsen Flüssigkeiten mit einem Salzgehalt von über fünf Prozent ab. Sturmvögel schleudern diese Flüssigkeit aktiv durch die Nasenlöcher heraus; bei anderen fließen sie aus eigenen Öffnungen ab. Bei marinen Säugetieren sind die Nieren das Hauptausscheidungsorgan für Salze.
2.3
Abiotischer Faktor Solarstrahlung
Irdisches Leben speist sich aus Sonnenenergie. Die Chloroplasten der Pflanzen wandeln Lichtenergie, die von der über 150 Millionen Kilometer entfernten Sonne zur Erde gelangt, in chemische Energie in Form von Elektronenpaarbindungen innerhalb von Zuckermolekülen und anderen organischen Verbindungen um. Dieser Umwandlungsprozess ist bekannt unter dem Namen Photosynthese. Vor allem für die photosynthesetreibenden Organismen, wie die grünen Pflanzen, ist die Solarstrahlung von entscheidender Bedeutung und bestimmt durch ihre Intensität das Vorkommen von Organismen erheblich. Starke Konkurrenz um das Licht herrscht beispielsweise in Wäldern, wo die Blätter des Kronendachs die größte Lichtmenge abfangen und die Vegetation der darunter gelegenen Strauchschicht daher nur noch wenig Licht erhält. In Gewässern begrenzt die Lichtintensität und -qua-
2.3 Abiotischer Faktor Solarstrahlung
lität in den unterschiedlichen Wassertiefen die Verbreitung von photosynthetisch aktiven Organismen. Allerdings ist nicht nur der Mangel an Sonnenlicht begrenzend für das Vorhandensein verschiedener Lebewesen, ein Zuviel an Sonnenlicht kann das Vorkommen von Organismen ebenfalls limitieren. In größerer Höhe über dem Meeresspiegel, ist die Atmosphäre aufgrund der Abnahme der Dichte der Atmosphärengase „dünner“: Sie absorbiert daher auch weniger ultraviolette Strahlung als auf Meereshöhe, sodass zum Beispiel die DNA oder bestimmte Proteine im Hochgebirge mit einer größeren Wahrscheinlichkeit geschädigt werden können, als dies im Tiefland der Fall wäre.
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2.3.1 Die Natur des Lichtes Licht ist Energie in Form elektromagnetischer Strahlung. Diese breitet sich von ihrer Quelle wellenförmig aus, ähnlich wie die Wellen in einem Teich, nachdem man einen Kiesel hineingeworfen hat. Elektromagnetische Wellen sind jedoch Störungen ansonsten gleichförmiger elektrischer und magnetischer Felder, nicht Störungen eines stofflichen Mediums, wie im Fall des Wassers. Der Abstand zwischen zwei Wellenkämmen oder Wellentälern wird als Wellenlänge bezeichnet. Die Wellenlänge elektromagnetischer Strahlung reicht von weniger als einem Nanometer (nm) bei Gammastrahlen bis hin zu mehr als einem Kilometer (km) bei Radiowellen. Der Gesamtbereich der elektromagnetischen Wellen wird als elektromagnetisches Spektrum bezeichnet (⇒ Abbildung 2.35). Der für Lebensprozesse wichtigste Teil des Spektrums ist ein schmaler Bereich von etwa 380–750 nm, der als sichtbares Licht bezeichnet wird, weil wir ihn durch unsere Augen wahrnehmen können. Obwohl die Sonne das volle Spektrum an elektromagnetischer Strahlung aussendet, wirkt die Erdatmosphäre wie ein selektiver Filter, der sichtbares Licht passieren lässt, einen erheblichen Anteil der verbleibenden Strahlung mit anderen Wellenlängen jedoch nicht.
2.3.2 Die Strahlungsintensität – breitengradabhängige und jahreszeitliche Schwankungen
Abbildung 2.34: In großer Höhe sind die Organismen einer starken ultravioletten Strahlung ausgesetzt. Darüber hinaus haben sie mit weiteren extremen Umweltbedingungen zu kämpfen, so mit tiefen Wintertemperaturen oder mit starkem Wind.
1m 103 nm 106 nm (109 nm) 103 m
10–5 nm 10–3 nm 1 nm Gamma- Röntgenstrahlen strahlen
UV
Infrarotstrahlung
Mikrowellen
Radiowellen
sichtbares Licht
380
450
500
kürzere Wellenlängen höhere Energie
550
600
650
700
750 nm
längere Wellenlängen geringere Energie
Abbildung 2.35: Das elektromagnetische Strahlungsspektrum. Weißes Licht ist ein Gemisch aus allen Wellenlängen des sichtbaren Lichtspektrums. Ein Prisma kann weißes Licht in seine Farbkomponenten zerlegen, weil es verschiedene Wellenlängen unterschiedlich stark beugt.
Aufgrund der annähernden Kugelform der Erde ist die Strahlungsintensität der Sonne je nach Breitengrad unterschiedlich groß. In den Tropen (den Regionen zwischen 23,5 Grad nördlicher und 23,5 Grad südlicher Breite), wo die Solarstrahlung direkt einfällt (die Sonne steht im Zenit), gelangt pro Flächeneinheit die größte Wärme- und Lichtmenge auf die Erde. In höheren Breiten fällt die Solarstrahlung schräg ein, so dass sich die Solarenergie über eine wesentlich größere Fläche verteilt und dadurch an Intensität verliert. Da die Erdachse schräg steht (Schiefe der Ekliptik), ist die Intensität der Solarstrahlung je nach Jahreszeit unterschiedlich. Unser Planet ist im Verhältnis zur Ebene seiner Umlaufbahn um die Sonne um 23,5 Grad geneigt; deshalb trifft in den Tropen die größte jährliche Strahlungsmenge ein, und die jahreszeitlichen Schwankungen sind am gerings37
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Abbildung 2.36: Breitengradabhängige Unterschiede in der Intensität der auftreffenden Solarstrahlung. mit flachem Winkel einfallende Solarstrahlung
90 °N (Nordpol) 60 °N 30 °N 23,5 °N (nördlicher Wendekreis)
Solarstrahlung senkrecht von oben (Zenit)
0 ° (Äquator) 23,5 °S (südlicher Wendekreis) 30 °S
mit flachem Winkel einfallende Solarstrahlung
60 °S 90 °S (Südpol)
Atmosphäre
Juni-Solstitium (Sonnenwende): Die Nordhalbkugel ist der Sonne zugewandt, die Tage sind dort am längsten und die Nächte am kürzesten (längster Tag: 21./22.Juni); die Südhalbkugel ist von der Sonne abgewandt, die Tage sind am kürzesten und die Nächte am längsten; Sommerbeginn in der nördlichen Hemisphäre, Winterbeginn in der südlichen Hemisphäre.
März-Äquinoktium: Der Äquator ist direkt der Sonne zugewandt; die Pole sind von der Sonne abgewandt; alle Regionen der Erde erleben zwölf Stunden Tageslicht und zwölf Stunden Dunkelheit (21. März).
60 ° N 30 ° N
0 ° (Äquator)
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30 ° S
konstante Neigung von 23,5° September-Äquinoktium (Tag-Nacht-Gleiche): Der Äquator ist direkt der Sonne zugewandt; die Pole sind der Sonne abgewandt; alle Regionen der Erde erfahren zwölf Stunden Tageslicht und zwölf Stunden Dunkelheit (23. September).
Abbildung 2.37: Jahreszeitliche Schwankungen der Strahlungsintensität.
Dezember-Solstitium: Die Nordhalbkugel ist von der Sonne abgewandt, die Tage sind am kürzesten und die Nächte am längsten (kürzester Tag: 21./22. Dezember); die Südhalbkugel ist der Sonne zugewandt, die Tage sind am längsten und die Nächte am kürzesten.
2.3 Abiotischer Faktor Solarstrahlung
ten. In Richtung der Pole nehmen die jahreszeitlichen Schwankungen der Solarstrahlung immer mehr zu. Daher finden sich ausgeprägte Jahreszeiten vor allem in den gemäßigten und arktischen Breiten diesseits und jenseits des Äquators, während in den tropischen Regionen über das ganze Jahr hinweg ähnliche Temperaturen herrschen.
2.3.3 Die Photosynthese Die Photosynthese ist der wichtigste Prozess für das Leben auf der Erde. Bei der Photosynthese wird Strahlungsenergie in Form von Licht von Pflanzen absorbiert und in chemische Energie umgewandelt. Dabei kommt es zu einer Abspaltung von Wasserstoff aus Wasser und zur Freisetzung von Sauerstoff. Der Wasserstoff wird auf Kohlenstoffdioxid übertragen und als Kohlenstoffverbindung (Zuckermoleküle, „Monosaccharide“) gebunden (siehe ⇒ Abbildung 2.38). Die Gesamtbilanz der Photosynthese kann in vereinfachter Form folgendermaßen dargestellt werden: 6 CO2 + 12 H2O
h · υ
C6H12O6 + 6 O2 + 6 H2O
6 Moleküle Kohlenstoffdioxid (CO2) und 12 Moleküle Wasser (H2O) werden bei dieser chemischen Reaktion mit Hilfe von Lichtenergie in ein Zuckermolekül (C6H12O6; Glucose), in 6 Wassermoleküle (H2O) und in 6 Sauerstoffmoleküle (O2) umgewandelt. Aus diesen Grundbestandteilen organischer Substanz werden sowohl in den Blättern als auch in anderen Pflanzenteilen zahlreiche weitere komplexere Kohlenstoffverbindungen wie Fettsäuren, Enzyme und andere Proteine synthetisiert.
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Licht- und Dunkelreaktion Die Photosynthese, eine komplexe Aufeinanderfolge von Stoffwechselreaktionen, kann in zwei Teilprozesse unterteilt werden: die Lichtund die Dunkelreaktion. Die Lichtreaktion beginnt mit der photochemischen Reaktion, bei der Chlorophyll (das die Strahlung absorbierende grüne Pflanzenpigment) Strahlungsenergie aufnimmt. Das Chlorophyll befindet sich in speziellen Zellstrukturen (Organellen), den Chloroplasten. Durch die Absorption eines Lichtquants (Photon) werden Chlorophyllmoleküle in einen energiereicheren, angeregten Zustand versetzt. Die Moleküle sind in dieser Form jedoch nicht stabil; sie kehren rasch in ihren Grundzustand zurück und setzen dabei die absorbierte Energie des Photons wieder frei. Die Energie wird jedoch nicht wieder als Strahlung oder in Form von Wärme freigesetzt, sondern nacheinander auf eine Reihe von so genannten Akzeptormolekülen übertragen. Im Laufe dieses Prozesses, der Elektronentransportkette der Photosynthese, entsteht schließlich aus der Verbindung ADP (Adenosindiphosphat) die Verbindung ATP (Adenosintriphosphat) und aus NADP+ (Nicotinamidadenin-dinucleotid-phosphat) NADPH + H+ (die reduzierte Form von NADP+). Die energiereiche Verbindung ATP und das starke Reduktionsmittel NADPH + H+, die in dieser Lichtreaktion entstehen, sind für den zweiten Schritt der Photosynthese, die Dunkelreaktion, entscheidend.
!
Merke Photosynthese Die Photosynthese ist ein Stoffwechselweg, bei dem Licht als Energiequelle zur Bereitstellung von Energie in Form von chemischen Bindungen in Kohlenhydraten genutzt wird.
39
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Blattquerschnitt Blattader
Blattgewebe
Spaltöffnungen
Abbildung 2.38: Die Orte der Photosynthese in einer Pflanze in steigender Vergrößerung.
Blättern
transportiert.
CO2
O2
Blattzelle
synthetisierten Zucker über die andere nicht photoeile der Pflanze. enthält ca. 30–40 Chloµm Größe. Eine Hülle,
Chloroplast
umgibt einen in diebezeichneten Innenraum darin. Ein ausgefeilverbundenen Membran-
5 µm
durchzieht das Stroma Kompartiment im InThylakoidlumen
. An
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Thylakoide zu so genannten Körnchen) aufgestapelt. Das Proteine gebunden, in äußere Hüllmembran
invaginierten PhotosynProkaryonten werden ebenfalls (siehe Abbildung 27.8b). Photosynthese in Pflanzen
Thylakoid Stroma
haben, wollen wir nun den Prozess selbst eingehender betrachten.
Edukte:
Produkte:
Granum
Thylakoidlumen
Membranzwischenraum innere Hüllmembran
einzelner Atome im Photosynthese: 12 H2OForschung 6 CO2 C6H12O6
jahrhundertelang den Vor6O
6 H2O
2
ihre Nahrung erzeugt,
einige Details noch imAbbildung 2.39: Das Schicksal einzelner Atome während der Photosynthese. Bruttogleichung der Photosynthese
1 µm
2.3 Abiotischer Faktor Solarstrahlung
CO2 + Ribulose-1,5-biphosphat → 2 x Triose-3-phosphat C1-Molekül C5-Molekül C3-Moleküle
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Diese Reaktion wird als Carboxylierung bezeichnet und wird durch das Enzym RubisCO (Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/Oxygenase) katalysiert. Die dabei zunächst entstehende 3-Phosphoglycerinsäure wird durch NADPH + H+ unter Wasserabspaltung und ATP-Verbrauch reduziert, wodurch je ein Molekül Triose-3-phosphat, NADP+ und ADP entstehen. Zwei Moleküle Triose-3-phosphat werden anschließend in eine C6-Verbindung umgewandelt. Aus weiteren C3-Verbindungen wird Ribulose-1,5-biphosphat regeneriert, das wieder in den Kreislauf gelangt. Auch die Synthese von Ribulose-1,5-biphosphat aus Triose-3-phosphat erfordert ATP. Dadurch begrenzt die Verfügbarkeit von Strahlungsenergie (Solarstrahlung) letzt-
H2O
e–
ATP
e–
e–
NADPH e–
e–
n Photo
e–
Das Mühlrad ermöglicht ATP-Synthese. e– Photo n
In der Dunkelreaktion erfolgt anschließend der Einbau von CO2 in ein Zuckermolekül. Die Dunkelreaktion hat ihren missverständlichen Namen aufgrund der Tatsache, dass sie keine unmittelbare Sonnenstrahlung benötigt. Es ist jedoch nicht so, dass dieser Prozess ausschließlich in der Dunkelheit oder in der Nacht abläuft. Im Gegenteil, die Dunkelreaktion ist auf die Verfügbarkeit von ATP und NADPH aus der Lichtreaktion angewiesen und damit letztlich indirekt doch von der essenziellen Ressource „Sonnenlicht“ abhängig. Der Prozess, bei dem CO2 eingebaut wird, beginnt bei den meisten Pflanzen damit, dass das CO2 auf eine Verbindung namens Ribulose-1,5-biphosphat, die aus 5 Kohlenstoffatomen besteht, übertragen wird.
Photosystem II
Photosystem I
Abbildung 2.40: Eine mechanische Analogie zur Lichtreaktion.
S chon g ewusst ? Die Dunkelreaktion heißt auch Calvin-Zyklus
Die zweite Teilreaktion der Photosynthese, die Dunkelreaktion, wird auch als CalvinZyklus bezeichnet. Dieser Name deutet auf den Entdecker dieser Reaktionsfolge, Melvin Calvin (US-amerikanischer Biochemiker, 1911–1997), hin. Es gelang ihm in den späten 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zusammen mit seinen Kollegen die einzelnen Schritte der Dunkelreaktion aufzuklären (Nobelpreis für Chemie 1961).
CO2
Licht NADP+ ADP + Pi Lichtreaktionen
CalvinZyklus
ATP NADPH
Chloroplast O2
[CH2O] (Zucker)
Abbildung 2.41: Eine Übersicht über die Photosynthese: Kooperation zwischen Licht- und Dunkelreaktion. 41
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
lich die Dunkelreaktion der Photosynthese über die Kontrolle der Synthese von Triose-3-phosphat und die Regeneration von Ribulose-1,5biphosphat. Dieser photosynthetische Stoffwechselweg, bei dem CO2 mit der C3-Verbindung 3-Phosphoglycerinsäure reagiert, heißt CalvinZyklus oder C3-Zyklus (⇒ Abbildung 2.42).
CO2
ATP
RubisCO Ribulose1,5-biphosphat Triose-3-phosphat C3-Zyklus ATP 3-Phosphoglycerinsäure
und NADPH + H+
Monosaccharide
Netto-CO2-Aufnahme [µmol/(CO2 · m2/s)]
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Abbildung 2.42: Einfache Darstellung des C3Stoffwechselweges (Calvin-Zyklus). Beachten Sie die Verbindung zwischen Licht- und Dunkelreaktion: Die Energie- und Reduktionsäquivalente der Lichtreaktion (ATP und NADPH + H+) werden zur Synthese der energiereichen Verbindung Triose-3-phosphat und der Regeneration von Ribulose-1,5-biphosphat benötigt.
20
maximale Nettophotosyntheserate
Lichtsättigungspunkt
10
Lichtkompensationspunkt 0 500
1000
1500
2000
PhAR [µmol/(m² · s)]
Die Verfügbarkeit von Strahlungsenergie beeinflusst die photosynthetische Aktivität von Pflanzen Die Sonnenstrahlung liefert die Energie für den Prozess der Photosynthese. Daher beeinflusst die für ein Blatt photosynthetisch ausnutzbare Strahlung (Photosynthetically Active Radiation = PhAR) auf direkte Weise die Photosyntheserate (⇒ Abbildung 2.43). Nimmt die Strahlungsintensität ab, sinkt als Konsequenz auch die bei der Photosynthese assimilierte CO2-Menge, bis sie schließlich der Menge des bei dem in den Zellen der Pflanzen gleichzeitig ablaufenden Prozesses der Zellatmung freigesetzten CO2 entspricht. An diesem Punkt ist die Nettophotosyntheserate gleich null. Der PhAR-Wert, bei dem dies geschieht, ist der Lichtkompensationspunkt. Bei Strahlungsintensitäten unterhalb des Kompensationspunktes übersteigt die durch die Atmung abgegebene Kohlenstoffdioxidmenge die durch die Photosynthese aufgenommene; damit entsteht ein Netto-CO2-Verlust vom Blatt an die Atmosphäre. Übersteigt die Strahlungsintensität den Lichtkompensationspunkt, steigt die Photosyntheserate mit steigender PhAR, wobei die Lichtreaktionen die Photosyntheserate begrenzen. Schließlich wird die Kapazitätsgrenze der Photosynthese erreicht. Den PhAR-Wert, ab dem bei steigender Strahlungsintensität keine Photosynthesesteigerung mehr zu beobachten ist, bezeichnet man als Lichtsättigungspunkt. Bei manchen Pflanzen, die an sehr schattige Lebensräume angepasst sind, sinkt die Photosyntheserate sogar bei Überschreiten des Lichtsättigungspunktes wieder ab. Diese hemmende Wirkung höherer Strahlungsintensitäten, die Photoinhibition, kann eine Folge der Überlastung der bei der Lichtreaktion beteiligten Stoffwechselreaktionen sein.
2.3.4 Pflanzen sind an unterschiedliche Lichtverhältnisse angepasst Licht ist ein besonders wichtiger Umweltfaktor im Leben der Pflanzen. Es wird nicht nur für die Photosynthese benötigt – Licht steuert außerdem viele Schlüsselprozesse beim Pflanzenwachstum und der Pflanzenentwicklung.
–10
Abbildung 2.43: Zusammenhang von photosynthetischer Aktivität (y-Achse) und verfügbarer Strahlungsintensität (x-Achse). PhAR: Photosynthetisch ausnutzbare Strahlung. Bei steigender Strahlungsintensität steigt die Photosyntheserate bis zu einem Höchstwert an, dem Lichtsättigungspunkt. Als Lichtkompensationspunkt bezeichnet man den PhAR-Wert, an dem die CO2-Aufnahme durch Photosynthese durch den CO2Verlust durch Atmung gerade ausgeglichen wird.
Sonnen- und Schattenpflanzen Pflanzen leben in der Regel in einer von zwei durch die Strahlungsintensität unterschiedlich geprägten Umwelten: entweder eher im Schatten (Schattenpflanzen) oder eher an offenen Stellen mit intensiverer Sonneneinstrahlung (Sonnenpflanzen). Um an diesen unterschiedlichen Standorten zu überleben, zu wachsen und sich zu vermehren, entwickelten Pflanzen eine ganze Reihe von physiologischen und morphologischen Anpassungen.
2.3 Abiotischer Faktor Solarstrahlung
Die Beziehung zwischen der Lichtverfügbarkeit und der Photosyntheserate ist bei Sonnen- und Schattenpflanzen unterschiedlich (⇒ Abbildung 2.45). Schattenpflanzen besitzen einen niedrigeren Lichtkompensationspunkt, einen niedrigeren Lichtsättigungspunkt und eine niedrigere maximale Photosyntheserate als Pflanzenarten an Standorten mit hoher Strahlungsintensität. Dieser Unterschied lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass weniger Energie für den Aufbau von Bestandteilen der Photosynthese verwendet wird. Dies bedeutet, dass beispielsweise die Konzentration des wichtigen Enzyms RubisCO bei Schattenpflanzen niedriger als bei Sonnenpflanzen sein kann. Stattdessen wird die durch die „Nichtsynthese“ eingesparte Energie von den Schattenpflanzen für die vermehrte Herstellung von Chlorophyll, dem Licht absorbierenden Pigment der Photosynthese, verwendet, so dass die geringen Strahlungsintensitäten optimal ausgenutzt werden können. Darüber hinaus haben Blätter an dunkleren Standorten im Allgemeinen eine größere Blattoberfläche als Sonnenblätter und sind flacher als diese (⇒ Abbildung 2.44). Bei geringeren Strahlungsintensitäten wird die Blattoberfläche für eine effizientere Strahlungsabsorption auf Kosten des Blattvolumens vergrößert. Die Zunahme der Blattfläche (photosynthetisch nutzbare Oberfläche) kann die verringerte Photosyntheserate bei niedriger Strahlungsintensität teilweise wieder ausgleichen. Die hier beschriebenen Reaktionen auf unterschiedliche Strahlungsverhältnisse können auch bei Pflanzen der gleichen Art auftreten, die unter verschiedenen Strahlungsbedingungen aufwachsen. Sie können sogar bei ein und demselben Pflanzenindividuum vorkommen, wenn Blätter einer unterschiedlich starken Strahlung ausgesetzt werden (Abbildung 2.44).
niedrige Strahlungsintensität unterer Baumkronenbereich
Abbildung 2.44: Beispiel für unterschiedliche Blattformen als Reaktion auf unterschiedliche Strahlungsintensitäten.
Lichtsättigung
5
20
hoher Strahlungsintensität
10 Lichtsättigungspunkte 0
–10
250 Lichtkompensationspunkte
750 PhAR [µmol/(m2 · s)]
niedriger Strahlungsintensität
1250
Fagus sylvatica Sonnenblatt
4 Nettophotosynthese [µmol/(m 2 · s)]
CO2-Aufnahme [µmol CO2/(m2 · s)]
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6 aufgewachsen bei
hohe Strahlungsintensität oberer Baumkronenbereich
3
(b)
Lichtsättigung
1 0
2 1 0
(a)
Schattenblatt
2
-1
60
200
600
Lichtkompensationspunkte
Schattenblatt Sonnenblatt
6
40
20 PhAR
[µmol/(m2
· s)]
Abbildung 2.45: Allgemeiner Zusammenhang zwischen Strahlungsintensität und Photosyntheseaktivität. 43
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
hohe Strahlungsintensität 20
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0
20
40
Ceiba pentandra
40 30 20 10 0
1,5
Myroxylon balsamum
10
50
niedrige Strahlungsintensität
Überlebensrate der Keimlinge (log [Zahl der Überlebenden + 1])
mittlere Wuchshöhe der Keimlinge [cm]
Abbildung 2.46: Überlebens- und Wachstumsrate von Keimlingen zweier Baumarten von der Insel Barro Colorado, Panama, ermittelt unter hohen und geringen Strahlungsintensitäten über einen Zeitraum von einem Jahr. Ceiba pentandra ist eine schattenintolerante Art, Myroxylon balsamum hingegen zeigt sich schatten tolerant (nach Augspurger, 1982).
0,9 0,3
Myroxylon balsamum 0
1,5 0,9 0,3
0
20 40 Zeit (Wochen)
20 40 Zeit (Wochen)
Ceiba pentandra 0
20 40 Zeit (Wochen)
Die Anpassungen von Sonnen- und Schattenpflanzen stellen zwei Alternativen dar, die miteinander nicht vereinbar sind. Es ist Pflanzen nicht möglich, unter hohen Strahlungsintensitäten hohe Nettophotosynthese- und Wachstumsraten zu erreichen und gleichzeitig die Fähigkeit zu besitzen, auch unter geringen Strahlungsintensitäten zu überleben und zu wachsen. Die Veränderungen des Stoffwechsel, der Physiologie, der Blattmorphologie und der Kohlenstofffixierung ermöglichen es nur Schattenpflanzen, die zum Überleben und Wachstum erforderliche Schwelle der Strahlungsintensität herabzusetzen. Zugleich hindern jedoch die gleichen Eigenschaften die Pflanze daran, an Standorten mit hoher Strahlungsintensität hohe Nettophotosyntheseraten und ein hohes Wachstum zu erzielen. Im Gegensatz dazu erreichen Sonnenpflanzen zwar bei hohen Lichtintensitäten hohe Nettophotosynthese- und Wachstumsraten, sie können jedoch unter Schattenbedingungen kaum noch Photosynthese betreiben, wachsen und letztlich überleben. Kurztag- und Langtagpflanzen: Anpassungen an Jahreszeiten Überlegen Sie sich, welche Konsequenzen es hätte, wenn eine Pflanze zum Beispiel blüht, ohne dass Bestäuber vorhanden sind, oder wenn ein Laubbaum mitten im Winter Blätter treibt. Es ist daher offensichtlich, dass die Jahreszeiten für den Lebenszyklus der meisten Pflanzen äußerst bedeutsame Ereignisse sind. Samenkeimung, Blüte und Beginn oder Ende der Knospenruhe sind Stadien im Leben der Pflanze, die gewöhnlich zu bestimmten Zeiten im Jahr auftreten. Der Umweltreiz, anhand dessen die meisten Pflanzen die Jahreszeit wahrnehmen, ist die Photoperiode – die relative Länge von Nacht und Tag. Eine physiologische Antwort – zum Beispiel Blütenbildung – auf die Photoperiode wird als Photoperiodismus bezeichnet.
2.3 Abiotischer Faktor Solarstrahlung
Anpassungen an hohe und niedrige Strahlungsintensität – die Studien von Stuart Davies Die Arbeiten des Ökologen Stuart Davies beschäftigen sich mit den Zusammenhängen zwischen Blattatmungsrate, Lichtkompensationspunkt und maximaler Photosyntheserate unter Bedingungen hoher und niedriger Strahlungsintensität. Davies untersuchte die Reaktion von neun Arten der Baumgattung Macaranga, die in den Regenwäldern der Insel Borneo (Malaysia) vorkommen. Er zog Keimlinge dieser Arten in einem Gewächshaus unter zwei unterschiedlichen Strahlungsbedingungen auf: hohe Strahlungsintensität (Gesamt-Tages-PhAR: 21,4 mol/[m² × d]) und geringe Strahlungsintensität (PhAR: 7,6 mol/ [m² × d]). Die niedrigeren Strahlungsintensitäten wurden durch eine Verdunklung des Gewächshauses mit Stoffbahnen erzeugt. Nach sechs Monaten wurden die Nettophotosyntheseraten der unter ver-
0.8 0.6 0.4 0.2 1
2
3
4
Lichtkompensationspunkt (PhAR) [µmol/(m2 · s)]
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(a)
(b)
5
6
7
8
15 10 5 0
1
2
3
4
5
1
2
3
4
(c)
Strahlungsintensität hoch niedrig
20
5
0
9
Arten 25
Strahlungsintensität hoch niedrig
10
6
Arten
7
8
5
7
8
9
Strahlungsintensität hoch niedrig
300 200 100 0
9
6
Arten 400
spezifische Blattfläche [cm²/g]
Blattatmung [µmol/(m2 · s)]
Strahlungsintensität hoch niedrig
maximale Nettophotosyntheserate [µmol CO2 /(m2 · s)]
15
1.0
0
schiedenen Strahlungsbedingungen (PhAR-Werten) aufgewachsenen Keimlinge bei den neun Arten gemessen. Die dabei ermittelten Photosynthesekurven (siehe zum Beispiel auch das Diagramm in Abbildung 2.43) erlauben eine Schätzung von Blattatmung, Lichtkompensationspunkt und maximaler Photosyntheserate am Lichtsättigungspunkt. Einen Vergleich der neun Arten zeigt ⇒ Abbildung 2.47. Die Blattatmungsrate bei den unter geringeren Strahlungsintensitäten aufgewachsenen Keimlingen war signifikant niedriger als der entsprechende Wert bei Individuen der gleichen Art, die bei höheren Strahlungsintensitäten aufwuchsen (Abbildung 2.47a). Die Verringerung der Blattatmung ging mit einer Verringerung des Lichtkompensationspunktes (Abbildung 2.47b) und der Nettophotosyntheserate am Lichtsättigungspunkt einher (Abbildung 2.47c). Diese Veränderungen der Photosyntheseaktivität bei Blättern von Pflanzen, die höheren oder niedrigeren Strahlungsintensitäten ausgesetzt waren, korrelierten auch mit Modifikationen der Blattmorphologie.
(d)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Arten
Abbildung 2.47: Arten der Baumgattung Macaranga.
Eine Tabaksorte namens ‚Maryland Mammoth’ lieferte erste Hinweise auf den Mechanismus, mit dessen Hilfe Pflanzen die Jahreszeiten wahrnehmen. Diese Sorte wurde sehr groß, gelangte aber im Sommer nicht zur Blüte, sondern blühte erst im Dezember in einem Gewächshaus. Nachdem man versucht hatte, die Blüte durch Variation von Temperatur, Feuchtigkeit und mineralischen Nährstoffen künstlich auszulösen, entdeckte man, dass diese Sorte durch die kürzeren Wintertage zur Blüte angeregt wurde. Wenn man die Pflanzen in lichtdichten Klimakammern mit wechselnden Tages- und Nachtlängen kultivierte, blühten 45
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
24 Stunden
Licht kritische Dunkelphase
Dunkelheit Lichtblitz
(a) Kurztag-(Langnacht-) Pflanze. Blüht, wenn die Nacht länger als eine kritische Dunkelphase ist (kritisches Minimum). Wenn die Dunkelphase durch Störlicht (Lichtblitz) unterbrochen wird, wird die Blühinduktion verhindert.
(b) Langtag-(Kurznacht-) Pflanze. Blüht nur, wenn die Nacht kürzer als eine kritische Dunkelphase ist (kritisches Minimum). Selbst ein Lichtblitz wirkt als künstliche Unterbrechung einer langen Dunkelphase und induziert damit die Blüte.
Lichtblitz
Abbildung 2.48: Photoperiodische Steuerung der Blütenbildung.
sie nur bei einer Tageslänge von 14 Stunden oder weniger. Sie konnten im Sommer nicht blühen, da die Sommertage auf der geografischen Breite von Maryland (USA) zu lang waren. ‚Maryland Mammoth’ wurde daraufhin als Kurztagpflanze bezeichnet, da sie anscheinend zur Blühinduktion eine Lichtperiode benötigte, die kürzer als eine kritische Lichtperiode war. Gartenchrysantheme, Weihnachtsstern und einige Sojabohnensorten sind ebenfalls Kurztagpflanzen, die meistens im Spätsommer, Herbst oder Winter blühen. Eine andere Gruppe von Pflanzenarten blüht nur, wenn die Lichtperiode länger als eine gewisse Stundenzahl ist. Diese Langtagpflanzen blühen im Allgemeinen im Spätfrühling oder im Frühsommer. Spinat blüht zum Beispiel erst, wenn die Tage 14 Stunden oder länger dauern. Auch Rettich, Salat, Iris und viele Getreidearten sind Langtagpflanzen. Tagneutrale Pflanzen, zum Beispiel Tomaten, Reis und Löwenzahn, werden durch die Photoperiode nicht beeinflusst und blühen unabhängig von der Tageslänge, sobald sie ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreichen.
Aktivitäten vieler Tiere, wie die Nahrungsaufnahme, das Anlegen von Nahrungsvorräten, die Reproduktion und bestimmte Ortsveränderungen werden durch die Tages- und Jahreszeiten beeinflusst. In den mittleren und höheren Breiten der nördlichen und südlichen Hemisphäre schwankt die Tages- und Nachtlänge mit den Jahreszeiten. Die dort lebenden Tiere passen deshalb ihre Aktivitäten dem variierenden Tag- und Nachtrhythmus an. Die Reproduktionszeit der meisten Tierarten der gemäßigten Breiten richtet sich eng nach den dort jahreszeitlich schwankenden Tageslängen. Bei Vögeln ist die Hauptbrutzeit während der länger werdenden Frühlingstage, Rotwild paart sich hingegen im Herbst. Das Signal für ein solches Verhalten ist eine bestimmte Photoperiode, das heißt das zu- oder abnehmende Verhältnis von Tag- zu Nachtlänge. Wenn der Anteil der hellen (oder dunklen) Stunden eines Tages eine bestimmte Schwelle übersteigt, dann wird eine bestimmte Antwortreaktion ausgelöst. Die „kritische“ Tageslänge ist genetisch fixiert
Flughörnchen haben die Eigenschaft, unabhängig von der Jahreszeit immer mit der Abenddämmerung aktiv zu werden. Wenn die kurzen Tage im Frühling wieder länger werden, wird das Flughörnchen ebenfalls jeden Tag ein wenig später munter.
20:00 19:30 19:00 Uhrzeit [h]
Beispiel
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2.3.5 Tiere werden durch die Tagesund Jahreszeiten beeinflusst
18:30 18:00 17:30 17:00 16:30 16:00 J
F
M A M
J
J
A
Monat
S
O N
D
J
Abbildung 2.49: Flughörnchen. Jahreszeitliche Variation des morgendlichen Aktivitätsbeginns von Flughörnchen (nach Decoursey, 1960).
2.3 Abiotischer Faktor Solarstrahlung
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Die Diapause, ein Stadium der Entwicklungshemmung bei Insekten der gemäßigten Breiten, wird durch die Photoperiode festgelegt. Die Tiere messen die Tageslänge sehr präzise. In der Regel liegt die „kritische“ Tageslänge zwischen 12 und 13 Stunden. Bereits ein Tageslängenunterschied von wenigen Minuten kann entscheiden, ob ein Insekt in Diapause fällt oder nicht. Für eine potenziell mehrere Generationen im Jahr ausbildende Insektenart kündigen die kürzer werdenden Tage im Spätsommer und Herbst den kommenden Winter an und lösen die Diapause aus. Im Spätwinter und Vorfrühling sind die wieder länger werdenden Tage oder die steigende Temperatur das Signal für die Insekten, sich weiterzuentwickeln. Als Diapausestadium können, je nach Art unterschiedlich, verschiedene Entwicklungsstadien dienen (Ei-, Larven-, Puppen- oder Adultstadium).
Beispiel
und von Individuum zu Individuum und von Art zu Art verschieden. Zumeist liegt sie aber zwischen 10 und 14 Stunden. Je nach Pflanzenund Tierart verschieden, messen die Individuen zu bestimmten Zeiten und über eine unterschiedliche Zeitdauer die tatsächlichen Tageslängen und reagieren auf eine bestimmte „kritische“ Tageslängenschwelle mit einer jeweils spezifischen Reaktion. Auch bei Säugetieren beeinflusst die Tageslänge bestimmte Verhaltensweisen wie beispielsweise das Anlegen von Wintervorräten und das Reproduktionsverhalten. Zahlreiche Tierarten bringen ihre Jungen nur zu einer bestimmten Jahreszeit zur Welt, so der Rothirsch oder das Schaf. Ihr Reproduktionszyklus wird durch das Hormon Melatonin ausgelöst. Melatonin wird bei Dunkelheit gebildet und in die Blutbahn abgegeben. In den kürzeren Tagen im Herbst steigt bei diesen Arten die Melatoninkonzentration, wodurch die Eireifung in den Eierstöcken beziehungsweise die Samenreifung in den Hoden stimuliert wird. Jahreszeitlich unterschiedliches Verhalten lässt sich oftmals ebenfalls als eine Reaktion auf veränderte Tageslängen erklären. So beginnt beispielsweise der Reproduktionszyklus des Weißwedelhirsches (⇒ Abbildung 2.51) im Herbst und die Jungen werden im darauffolgenden Frühjahr geboren, wenn in großen Mengen Nahrung höherer Qualität für das säugende Muttertier und die Jungen vorhanden ist. Im tropischen Mittelamerika, Heimat vieler fruchtfressender Fledermausarten, sind die Reproduktionszeiten an die Reifezeit der fleischigen Nahrungsfrüchte gekoppelt. Insekten erreichen in den Wäldern Costa Ricas ihre höchste Zoomasse zu Beginn der Regenzeit, und genau zu dieser Zeit bringen auch die insektenfressenden Fledermäuse dieser Gebiete ihre Jungen zur Welt.
(a) Larve (Raupe). (b) Puppe. (c) Spätes Puppenstadium.
Abbildung 2.50: Entwicklungsstadien bei Insekten.
(d) Schlüpfendes Adulttier.
(e) Adulttier (Imago).
47
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Abbildung 2.51: Reproduktionszyklus des Weißwedelhirsches im Jahreslauf. Der Zyklus wird durch die abnehmende Tageslänge im Herbst, wenn die Brunftzeit beginnt, und die zunehmende Tageslänge im Frühjahr, wenn das Geweihwachstum einsetzt, synchronisiert.
Geweihabwurf
Höhepunkt der Brunftzeit
Dezember Nackenbereich des männlichen Hirschen schwillt an.
Januar Oktober
Abstreifen September (Fegen) des Bastes vom Geweih August – September
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5. Stellen Sie dar, auf welche Weise die Verfügbarkeit von Wasser die Photosyntheserate einer Pflanze begrenzt. 6. Stellen Sie die Vor- und Nachteile eines niedrigen Lichtkompensationspunktes (LCP) für eine Pflanzenart, die an lichtarme Standorte angepasst ist, dar. 7. Nennen Sie Anpassungsstrategien von Pflanzenarten und -individuen, die an Standorten a) geringer und b) hoher Strahlungsintensität aufwachsen, und erläutern Sie unter Kosten / Nutzen Gesichtspunkten die Konsequenzen der jeweiligen Anpassungen.
Geweihwachstum beginnt.
Juni – September Juni
Aufzucht der Kälber
3. Erklären Sie die Aussage „Das Leben auf der Erde beruht auf Kohlenstoff“. 4. Fassen Sie die wichtigsten Abläufe der Photosynthese zusammen und entwickeln Sie eine einfache grafische Darstellung.
Nahrungsversorgung kritisch
April – Mai
Kitze verlieren ihre Flecken.
1. Erläutern Sie die Begriffe elektromagnetisches Spektrum, sichtbares Licht und Wellenlänge in eignen Worten. 2. Die Strahlungsintensität kann breitengradabhängig und jahreszeitlich variieren. Stellen Sie die Unterschiede dar.
Februar – März
Hauptwurfzeit
2.4
Abiotischer Faktor Wind
„Wind ist die gerichtete Bewegung von Luftmassen.“ Auf den ersten Blick erscheint diese Aussage trivial und das Phänomen Wind als abiotische Faktor in seiner Bedeutung für die Verbreitung und das Vorkommen von Lebewesen eher nebensächlich – weit gefehlt. Vor allem diejenigen von uns, die im Frühjahr unter Pollenallergien und Heuschnupfen leiden, wissen um das Potential des Windes bei der Verbreitung von Samenpflanzen. So können die Samen von Pflanzen wie zum Beispiel Ahorn, Löwenzahn oder Birke aufgrund ihres geringen Gewichts und teilweise vorhandenen speziellen „Fluganpassungen“ kilometerweit durch den Wind verbreitet werden und auf diese Weise schnell in neue Habitate gelangen, wo sie, wenn sie auf günstige Umweltbedingungen stoßen, auskeimen können. Wind hilft jedoch nicht nur bei der Erweiterung des Verbreitungsgebiets vieler Pflanzen, er kann auch zerstörerisch wirken. So sind die großen Baumindividuen, die das Kronendach eines Waldes bilden und zum Teil die anderen Baumarten überragen, und noch mehr einzeln ste-
2.4 Abiotischer Faktor Wind
hende Bäume der Offenlandschaft oder im Waldrandbereich besonders anfällig für Windbruch. Das Gleiche gilt für Baumindividuen, die auf schlecht entwässerten Böden wachsen: Ihre flachen Wurzeln sind nicht stark im Boden verankert, weshalb solche Individuen leicht im Sturm umgeworfen werden können. Auf den Felsen an Küstenstreifen kann eine durch Sturm hervorgerufene starke Brandung dafür sorgen, dass Felsblöcke umgedreht werden und dort lebende sessile (= festsitzende) Organismenarten nicht mehr überleben können. Die Bedeutung des Windes als abiotischer Faktor ist jedoch nicht allein auf regionale Phänomene oder bestimmte Lebensräume begrenzt. Wind spielt überall auf der Welt eine Rolle, da Luftmassen rund um die Erde zirkulieren. Die Erdatmosphäre ist nicht statisch, sondern in ständiger Bewegung, angetrieben durch das Aufsteigen und Absinken von Luftmassen und durch die Drehung der Erde um ihre Achse. Sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhalbkugel finden sich als Konsequenz dieser Phänomene drei Windsysteme: • Die Passate zwischen dem Äquator und dem 30° nördlicher sowie südlicher Breite (Hadley-Zellen). Diese zum Äquator wandernden Luftmassen werden aufgrund des Trägheitsgesetzes zu Nordost-Winden (Nordost-Passat). Auf der Südhemisphäre weht entsprechend der Südost-Passat. Die auf der Nordhalbkugel gegebene Rechtsablenkung sowie auf der Südhalbkugel die Linksablenkung, beruhen auf der Coriolisbeschleunigung, die auf jeden Körper wirkt, der sich in einem rotierenden Bezugssystem bewegt. • Westwinde in der Höhe über den gemäßigten oder mittleren Breiten, da polwärts strömende Luftmassen wegen der Coriolisbeschleunigung westliche Winde bewirken (Ferrel-Zelle oder Westwinddrift). • Polare Ostwinde in den Polarzellen.
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1. Erläutern Sie in eigenen Worten, warum der Wind für viel Pflanzen unverzichtbar ist, um den Fortpflanzungserfolg zu sichern. 2. Beschreiben Sie die drei Windsysteme der Nord- bzw. Südhalbkugel.
Abbildung 2.52: Stürme können im Bereich der Küste den vorderen Dünengürtel der Weißdünen durchbrechen und die dahinterliegenden Dünentäler im Bereich der Graudünen überfluten. 49
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
uator und dem 30° eite (Hadley-Zellen). Diese uftmassen werden tzes zu Nordostuf der Südhemider Südost-Pas-
66,5 ° N (nördlicher Polarkreis) 60 ° N Westwinde Rossbreiten
30 ° N
Nordostpassat Kalmenzone
0° (Äquator)
die auf jeden Südostpassat Rossbreiten
n, da polwärts en der CoriolisWinde bewirken
30 ° S
Westwinde 60 ° S 66,5 ° S (südlicher Polarkreis) Abbildung 2.53: Globale Windsysteme.
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2.5
Abbildung 2.54: Die aufgehende Sonne erwärmt die Morgenluft in diesem tropischen Regenwald auf Borneo; Nebel, der sich in der kühleren Nacht gebildet hat, beginnt zu verdunsten.
Das Klima – ein Zusammenspiel der abiotischen Faktoren
Wie kommt es, dass in einer bestimmten geografischen Region Tropenwälder vorkommen, Steppen, Savannen, Laubmischwälder, Nadelwälder oder Tundren? Derjenige Umweltfaktorenkomplex, der den größten Einfluss auf das Vorkommen von terrestrischen Großökosystemen ausübt und die Verbreitung von Organismen am meisten begrenzt, ist das Klima. Klima ist einer jener Begriffe, die wir oft nicht korrekt verwenden. Manchmal wird Klima auch mit Witterung oder Wetter verwechselt. Wetter ist die Kombination von Temperatur, Feuchtigkeit, Niederschlag, Wind, Bewölkung und anderen atmosphärischen Faktoren an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Witterung hingegen ist die typische Abfolge aller meteorologischen Erscheinungen in einem bestimmten Gebiet im jahreszeitlichen Rhythmus. Als Klima bezeichnet man den durchschnittlichen Verlauf der Witterung eines Gebietes, gemessen über einen längeren Zeitraum (zumeist 30–50 Jahre).
2.5.1 Das Klima kann auf unterschiedlichen Maßstabsebenen beschrieben werden Insbesondere die Temperatur und die verfügbare Wassermenge (Niederschläge, Oberflächenwasser, Grund- und Bodenwasser) haben einen großen Einfluss auf die Verbreitung der terrestrisch lebenden Organismen. Man kann die Klimaverhältnisse auf unterschiedlichen Maßstabs ebenen beschreiben: Das Makroklima (Großklima) kennzeichnet die klimatischen Eigentümlichkeiten größerer Gebiete (Länder, Kontinente) und damit einhergehend ein von der klimatischen Situation bedingtes und daher im großen Maße vom geographischen Breitengrad abhängi-
2.5 Das Klima – ein Zusammenspiel der abiotischen Faktoren
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ges Verbreitungsmuster einzelner Biome (=Großlebensräume) (⇒ Abbildung 2.55). ⇒ Abbildung 2.56 zeigt eine Auftragung der mittleren Jahresniederschläge gegen die mittlere Jahrestemperatur und zeigt, dass das Vorhandensein bestimmter Großbiomtypen an bestimmte Verhältnisse dieser beiden klimatischen Umweltfaktoren gekoppelt ist. Dies erklärt die globale Verteilung der Großbiome genauer und es fällt auf, dass beispielsweise die mittleren Jahresniederschläge in den borealen Nadelwäldern und in den Wäldern der gemäßigten Breiten weitgehend ähnlich sind, während sich die mittleren Jahrestemperaturen deutlich unterscheiden. Winterkalte Graslandschaften (in Nordamerika die Prärien, in Eurasien die Steppen) sind trockener als die beiden Waldbiome; noch trockener ist es in den Halbwüsten und Wüsten. Neben der mittleren Jahrestemperatur und dem mittleren Jahresniederschlag bestimmen weitere Umweltfaktoren das Vorkommen einzelner Biome. In manchen Regionen Nordamerikas begünstigt zum Beispiel eine besondere Kombination der Temperatur- und Niederschlagswerte einen Laubwald gemäßigter Breiten, in anderen – hinsichtlich der Temperaturen und Niederschlagswerte vergleichbaren – Regionen wachsen hingegen Nadelwälder. Wie lassen sich solche Unterschiede erklären? Sehr häufig stützt man sich bei makroklimatischen Daten auf jährliche Durchschnittswerte. Oftmals ist jedoch die jahreszeitliche Klimaverteilung bedeutsamer als der durchschnittliche Klimaverlauf, denn die meisten Organismen leben unter lokalen Bedingungen, die nicht exakt dem allgemeinen Makroklima des Gebietes entsprechen. So verkündet vielleicht der Wetterbericht an einem Tag für Ihre Stadt eine Temperatur von +28 °C bei klarem Himmel. Doch dies ist nur eine sehr allgemeine Angabe, denn die tatsächlichen Bedingungen an einer bestimmten Stelle in dieser Stadt mögen ganz andere sein. So herr-
tropische Wälder Savannen heiße Wüsten 30 °N nördlicher Wendekreis Äquator südlicher Wendekreis 30 °S
meditarranoide Gebiete Steppenlandschaften gemäßigter Breiten Laubwälder gemäßigter Breiten Boreale Nadelwälder und Pazifische Nadelwälder Tundra Hochgebirge kalte Wüsten
Abbildung 2.55: Die einzelnen Biome sind in der Abbildung deutlich voneinander abgegrenzt; in Wirklichkeit gibt es oft breite kontinuierliche Übergangszonen. 51
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Prärien
tropische Wälder
30 Laubwälder gemäßigter Breiten
15
Boreale Nadelwälder arktische und alpine Tundra
0
–15
0
100 200 300 400 mittlerer Jahresniederschlag (cm)
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Abbildung 2.56: Das Vorkommen nordamerikanischer Biomtypen in Abhängigkeit vom mittleren Jahresniederschlag und der mittleren Jahrestemperatur.
Abbildung 2.57: Sonnenstrahlung und die Himmelsrichtung von Hanglagen. Während der Nordhang noch mit Schnee bedeckt ist, hat der Südhang seine Schneebedeckung aufgrund der höheren Sonneneinstrahlung bereits verloren.
Beispiel
mittlere Jahrestemperatur (°C)
heiße Wüste
schen in der Nähe eines Badesees, im Schatten großer Bäume in einem Park, auf der überdachten Terrasse eines Cafés oder auf einer windexponierten Anhöhe andere Verhältnisse als auf einem frei gelegenen und staubigen Aschenplatz, einer engen Straßenschlucht an einer Hauptverkehrsader oder in einem ringsum geschlossen Talkessel. Innerhalb unterschiedlicher Bereiche eines Kontinents verhält es sich ganz ähnlich und es herrscht in einem bestimmten Landschaftstyp ein spezifisches Lokalklima (Ortsklima), etwa an zwei benachbarten Berghängen mit unterschiedlicher Himmelsrichtung (Exposition) und Neigung (Inklination). In einer bestimmten Pflanzengesellschaft herrscht ein spezifisches Habitatklima (Ökoklima) und direkt an der Bodenoberfläche das Klima der bodennahen Luftschicht, sowie unter Blättern oder in bestimmten Bodenschichten ein spezifisches Mikroklima. Auch das Relief („Geländegestalt“), insbesondere die Himmelsrichtung von Hanglagen (Exposition), beeinflusst lokale Klimabedingungen. In der Nordhemisphäre erhalten Süd- und Südwesthanglagen die meiste Sonnenstrahlung, Nordhänge die wenigste (⇒ Abbildung 2.57). In anderen Lagen liegt die Sonneneinstrahlung je nach Ausrichtung zwischen diesen beiden Extremen. Die durch die Himmelsrichtung der jeweiligen Hänge unterschiedliche Sonneneinstrahlung wirkt sich deutlich auf Feuchtigkeit und Temperatur an diesen Stellen aus. Das dortige Habitatklima reicht von den warmen, trockenen, stärker variierenden Bedingungen an Südhängen bis zu den kühlen, feuchten und eher gleichförmigen Bedingungen der Nordlagen. Da hohe Temperaturen und die damit einhergehenden hohen Verdunstungsraten den Böden und Pflanzen viel Wasser entziehen, ist die Verdunstung an Südhängen oft um 50 Prozent höher, ebenso die Durchschnittstemperatur. Die Bodenfeuchtigkeit hingegen fällt geringer aus. Am trockensten ist es in den oberen, nahe den Kämmen gelegenen Bereichen von Südhängen, wo neben der hohen Sonneneinstrahlung auch noch die stärksten Windbewegungen stattfinden. Am feuchtesten ist es hingegen am Fuß von Nordhängen.
An sonnigen, aber kühlen Tagen im Vorfrühling kann man Fliegen beobachten, die von dem aus dem Stumpf eines abgeholzten Baumes austretenden Pflanzensaft angezogen werden. Diese Fliegen sind trotz der Temperaturen um den Gefrierpunkt aktiv, weil der Baumstumpf während des Tages Sonnenlicht absorbiert und dadurch eine dünne Luftschicht über seiner Oberfläche erwärmt. An einem windstillen Tag bleibt diese warme Luftschicht nahe der Oberfläche. Ein ähnliches Phänomen tritt auf, wenn eine gefrorene Oberbodenschicht Sonnenstrahlen absorbiert und dadurch auftaut. An einem sonnigen Tag gegen Ende des Winters läuft man daher oft auf aufgetauten und aufgeweichten Wegen, obwohl die Lufttemperatur immer noch eisig ist.
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2.5 Das Klima – ein Zusammenspiel der abiotischen Faktoren
2.5.2 Unregelmäßige Klimaschwankungen
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Nicht alle Phänomene des Klimasystems treten, so wie der Lauf der Jahreszeiten der mittleren gemäßigten Breiten, regelmäßig und zyklisch auf. Typisch für das Klimasystem der Erde ist im Gegenteil Variabilität im globalen wie im regionalen Maßstab. Zwischen 300 und 800 n. Chr. führte eine Trockenheit in Eurasien zu einer Völkerwanderung aus dem Osten nach Europa. Während einer Warmphase des beginnenden Mittelalters ab etwa 980 n. Chr. besiedelten die Wikinger Grönland und betrieben dort Ackerbau und Viehzucht, der Weinbau fand in England eine weite Verbreitung. Ab dem 14. Jahrhundert verschlechterte sich das Klima in vielen Bereichen der Nordhemisphäre. Katastrophale Ernteausfälle in der Landwirtschaft durch Missernten, grassierende Epidemien, Aufgabe von Bauernhöfen, Kriege, Aufstände und Abwanderungen der Bevölkerung waren die Folge. Von 1309–1317 herrschte eine große Hungersnot. Im 15. Jahrhundert gaben die Wikinger Grönland auf. Im 16. Jahrhundert begann eine Epoche mit einer durchschnittlichen Abkühlung der Temperatur um etwa 1–1,5 °C, die man als die kleine Eiszeit bezeichnet. Während dieser kleinen Eiszeit fror nachweislich selbst der Bodensee im Winter einige Male vollständig zu. Die kleine Eiszeit dauerte unter zahlreichen kleineren Klimaschwankungen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Gletscher der Alpen erfuhren während dieser Zeit einen erheblichen Zuwachs und erreichten das Maximum ihrer Ausdehnung um 1850. Seit diesem Zeitpunkt gehen die Gletscher rapide zurück, verbunden mit einer allgemeinen Klimaerwärmung (⇒ Abbildung 2.58). Diese Beispiele veranschaulichen die Schwankungen der globalen Klimasysteme, die sich in Zeiträumen von einigen Jahrzehnten bis zu Jahrhunderten vollziehen. Dabei gehen Klimaentwicklung und Kulturgeschichte oft Hand in Hand.
1. Stellen Sie die Begriffe Makro-, Lokal-, Habi tat- und Mikroklima am konkreten Beispiel eines Sommertags in Deutschland dar.
(a)
2. Stellen Sie anhand des Diagramms in Abbildung 2.56 die wichtigsten Unterschiede zwischen einer trockenen Tundra und einer Wüste dar. 3. Untersuchen Sie, zum Beispiel mit Hilfe von Klimadaten, in welchem potenziellen natürlichen Biom Sie leben. Fassen Sie die charakteristischen abiotischen Merkmale zusammen und beurteilen Sie inwiefern sich diese Merkmale in Ihrer unmittelbaren Umwelt wiederfinden. 4. Die Fichte (Picea abies) kommt unter anderem großflächig und natürlich in den borealen Nadelwäldern Finnlands vor, sie tritt jedoch auch bei uns zum Beispiel im Harz, im Schwarzwald oder großflächig im Alpenraum natürlich auf. Leiten Sie aus dem Vorkommen der Fichte Aussagen über die klimatischen Verhältnisse dieser Gebiete ab und vergleichen sie diese mit dem vorherrschenden makroklimatischen Biomtyp. Begründen Sie die Abweichungen. 5. Was wäre, wenn? Angenommen durch die globale Erderwärmung stiege die Durchschnittstemperatur der Atmosphäre in diesem Jahrhundert um 4 °C an. Stellen Sie begründet dar, welches Biom unter diesen Umständen mit größter Wahrscheinlichkeit in vielen Regionen der Erde an die Stelle der Tundra treten würde.
(b)
Abbildung 2.58: Veränderungen im Bereich des Rhône-Gletschers (Berner Alpen, Schweiz) zwischen 1906 (a) und 2003 (b). 53
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
S chon g ewusst ?
2.6
Abiotischer Faktor Boden
Untersucht man einen „durchschnittlichen“ Boden bis in eine Tiefe von 30 cm, dann findet man pro Quadratmeter unter anderem Milliarden von Bakterien, 1.000.000 Nematoden (= Fadenwürmer), 100.000 Milben, 10.000 Enchytraeiden (= „Borstenwürmer“) und 80 Regenwürmer.
Die Wurzeln der meisten Pflanzen sind im Boden verankert und beziehen von dort die Nährstoffe und das Wasser für das Pflanzenwachstum. Der Boden mit seinem jeweiligen charakteristischen Mineraliengehalt, seiner Korngröße und seinem pH-Wert ist jedoch nicht nur ein abiotischer Umweltfaktor für Pflanzen, sondern genau genommen eher ein vielschichtiges, komplexes und dynamisches Ökosystem. Es wimmelt in ihm von Leben – er enthält Milliarden von Tieren, Bakterien und Pilzen in einer besonders hohen Artenvielfalt. Die Bodenbildung ist das Ergebnis von fünf Faktoren: Ausgangsgestein, Klima, biotische Faktoren, Relief und Zeit. Das Ausgangsgestein bildet das Substrat und den Untergrund, aus dem der Boden besteht. Das Klima beeinflusst die Bodenbildung durch Temperatur, Niederschläge und seine Einflüsse auf das pflanzliche und tierische Leben. Durch biotische Faktoren – Vegetation, Tiere, Bakterien und Pilze – gelangt organisches Material hinzu und wird mit den mineralischen Bestandteilen, die aus der Verwitterung stammen, vermischt und umgebaut. Es entsteht Humus. Das Landschaftsrelief beeinflusst den Bodenwassergehalt und das Ausmaß der Erosion. Die Bildung „reifer“ Bodentypen erfordert lange Zeiträume.
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2.6.1 Böden bestehen aus verschiedenen horizontalen Schichten Böden entwickeln sich aus dem Ausgangsgestein. Unter dem Einfluss von Klima, Relief und Vegetation sammelt sich im Laufe der Zeit totes organisches Material an der Oberfläche an und wird durch Bodenorganismen umgebaut. Mit zunehmender Dicke dieser organischen Auflage kommt es unter anderem durch den Sickerwassereinfluss sowie bodenchemische Reaktionen zur Verlagerung von Bodensubstanzen in tiefere Schichten. So bilden sich mit der Zeit Unterschiede zwischen dem so genannten Oberboden und dem Unterboden aus. Diese führen zu einer horizontalen Schichtung mit verschiedenen physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften. Gemeinsam bildet eine solche Abfolge von horizontalen Schichten ein Bodenprofil. Diese Schichten
Das Gesetz des Minimums – Die Liebig-Tonne „Eine Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied!“ Der Chemiker Justus von Liebig (1803–1873) machte die Anwendung dieser Redensart auf Zusammenhänge der Ökologie populär und gilt seitdem als Begründer der modernen Agrarchemie. Ähnlich wie die Stabilität des schwächsten Gliedes die Stabilität einer Kette begrenzt, oder besser minimiert, so begrenzt derjenige Faktor, der sich im Minimum befindet, das Wachstum von Pflanzen. Liebig machte in diesem Zusammenhang den Vergleich mit einer hölzernen Tonne populär: Die Höhe der kürzesten Daube (die Bretter, aus denen eine solche Tonne besteht) begrenzt die Menge an Wasser, die man in die Tonne einfüllen kann. Anders herum gesprochen: Wenn eine Fassdaube zu kurz ist, hilft eine Verlängerung der anderen Dauben nicht weiter. Auf Ökologie oder Landwirtschaft übertragen, bedeutet dies: Wenn
Getreide nicht gut wächst, weil beispielsweise im Boden ein Mangel an Stickstoffverbindungen herrscht, helfen andere Maßnahmen wie zusätzliche Bewässerung, das Ausbringen von Phosphatdünger etc. jeweils nicht, um das Pflanzenwachstum zu steigern. Nur die Zuführung von Stickstoffverbindungen löst das Problem und steigert das Pflanzenwachstum bis zu dem Punkt, an dem der nächste Umweltfaktor (die ursprünglich zweitniedrigste Daube) limitierend wird. Auf landwirtschaftlichen Nutzflächen sind zumeist die Nährstoffe in der Bodenlösung der das Wachstum der Pflanzen begrenzende Faktor. Die Anwendung des Gesetzes des Minimums auf die landwirtschaftliche Produktion führte in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Einsatz von Kunstdüngern und zu gewaltigen Produktivitäts- und Ertragssteigerungen. Erst seit dieser Zeit kann die Ernährung der Bevölkerung als gesichert angesehen werden und Hungersnöte, die zuvor in Folge von Missernten immer wieder auftraten, gehören seitdem in Deutschland der Vergangenheit an.
2.6 Abiotischer Faktor Boden
oder Bodenhorizonte sind bei frischen Profilen, etwa beim Straßenbau oder bei Ausschachtungsarbeiten für ein Gebäude, leicht zu erkennen (⇒ Abbildung 2.59).
A-Horizont, Oberboden: eine Mischung aus verwittertem Gestein mit unterschiedlicher Beschaffenheit sowie lebenden Organismen und verrottendem organischem Material.
Gräbt man nach einem kräftigen Regen ein Bodenprofil, fällt ein scharfer Übergang zwischen der durchnässten oberen und einer trockenen unteren Schicht auf. Regen, der auf die Bodenoberfläche fällt, sickert in den Boden ein. Aufgrund der Schwerkraft fließt das Wasser in die offenen Poren und Kapillaren des Bodens, wobei die Größe der Bodenpartikel und ihre räumliche Anordnung die Menge des aufgenommenen Wassers bestimmen. Eine große Porenweite an der Bodenoberfläche erhöht die Versickerung (Infiltration), daher haben grobkörnige Böden (z.B. Sand) eine größere Infiltrationsrate als feinkörnige (z.B. Lehm). Übersteigt die Wassermenge das Volumen, das die Zwischenräume der Bodenpartikel speichern können, ist der Boden wassergesättigt und das überschüssige Wasser fließt oberflächlich ab. Wenn das Wasser sämtliche Poren ausfüllt und aufgrund interner Kapillarkräfte festgehalten wird, ist der Boden an seiner so genannten Feldkapazität angelangt. Man versteht darunter die maximal mögliche Haftwassermenge natürlicher Böden mit freiem Wasserabzug. Die Wassermenge, die ein Boden über seine Feldkapazität hält, variiert mit den Korngrößen (Anteile von Sand, Schluff und Ton). Tonige und lehmige Böden haben eine wesentlich höhere Feldkapazität als sandige Böden. Wenn dem Boden durch Pflanzen und Verdunstung von der Bodenoberfläche Kapillarwasser entzogen wird, nimmt der Wassergehalt des Bodens ab. Mit abnehmendem Wassergehalt wird es jedoch für Pflanzen schwieriger dem Boden weiteres Wasser zu entziehen. Nimmt der Wassergehalt bis zu dem Punkt ab, wo die Pflanzen dem Boden kein Wasser mehr entziehen können, ist der so genannte permanente Welkepunkt erreicht. Die Differenz zwischen dem als Feldkapazität ermittelten Wassergehalt und demjenigen beim permanenten Welkepunkt bezeichnet man als die potenziell pflanzenverfügbare Wassermenge (⇒ Abbildung 2.60). Obwohl auch jenseits des permanenten Welkepunktes noch weiteres Wasser im Boden verbleibt, ist es so fest an die Bodenpartikel gebunden, dass die Wurzelsaugspannung der Pflanzen nicht ausreicht, um es aufzunehmen.
2.6.3 Die Ionenaustauschkapazität ist wichtig für die Produktivität von Böden Verschiedene Mineralien (= Ionenverbindungen oder Salze) lösen sich im Bodenwasser. Als so genannte austauschbare Nährstoffe stehen sie direkt für die Aufnahme und die Verwertung durch Pflanzen zur Verfügung. Aufgrund ihrer Ladung werden sie an entgegengesetzt geladenen Bodenpartikeln zeitweise gebunden und stehen in ständigem Austausch mit der Bodenlösung. Ein Ion ist ein geladenes Teilchen. Ionen, die eine positive Ladung tragen, nennt man Kationen, negativ geladene Ionen bezeichnet man als
B-Horizont, Unterboden: enthält wesentlich weniger organisches Material als der A-Horizont und ist nicht so stark verwittert. C-Horizont: besteht hauptsächlich aus zum Teil verwittertem Ausgangsgestein und dient als Ausgangsmaterial für die oberen Bodenhorizonte.
Abbildung 2.59: Bodenhorizonte.
pflanzenverfügbares Wasser 60
Wassergehalt [Vol.-%]
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2.6.2 Eine wichtige Eigenschaft von Böden ist das Wasserhaltevermögen
FK
nicht pflanzenverfügbares Wasser PWP
40
20
0 0
Sandboden
1
Schluffboden
1,8 2,5 3
4,2
Wasserspannung
Tonboden
5
7
[pF]
[cmWS]
Abbildung 2.60: Wasserspannung und Wassergehalt. Dargestellt ist die Beziehung zwischen Wasserspannung und Wassergehalt bei einem Sandboden, einem Schluffboden und einem Tonboden. FK = Feldkapazität, PWP = permanenter Welkepunkt, pF = Wert der Wasserspannung. Das pflanzenverfügbare Wasser ergibt sich aus der Differenz des Wassergehaltes bei FK und demjenigen beim permanenten Welkepunkt (PWP). Sowohl die Feldkapazität als auch der permanente Welkepunkt steigen von feineren zu gröberen Korngrößen an. Der höchste Wert an pflanzenverfügbarem Wasser wird in Böden mittlerer Korngröße erreicht. 55
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Aufnahme durch Pflanzen
Mg2+ 2+
Ca
Ca2+
2+
Mg
+
K
2+
Mg
Tonminerale, Oxide, Huminstoffe
Mg2+ Ca2+
+
K K+
+
K
Ca2+
2+
Ca
Ca
2+
Ca2+
K K+
+
Bodenlösung Ca2+
Mg2+ H+
Sickerwasserabfluss in das Grundwasser
Oberflächenabfluss
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Abbildung 2.61: Kationenaustausch im Boden. Kationen, die an negativ geladene Bodenpartikel gebunden sind, befinden sich in einem dynamischen Gleichgewichtszustand mit ähnlichen Kationen in der Bodenlösung. Kationen werden in der Bodenlösung kontinuierlich durch Kationen, die an Ton- und Humuspartikel angelagert sind, ersetzt. Zudem werden Kationen aus der Bodenlösung von Pflanzen aufgenommen und bei Übersättigung der Lösung und ausbleibenden Bindungsmöglichkeiten an Bodenpartikel über das Sickerwasser ausgewaschen.
Anionen. Chemische Elemente und Verbindungen können im Boden in Form von Kationen (etwa Calcium als Ca2+, Magnesium als Mg2+ oder Ammonium, NH4+) wie auch in Form von Anionen (zum Beispiel Nitrat, NO3–, oder Sulfat, SO42–) vorkommen. Die Bindung dieser Ionen aus der Bodenlösung an die Oberfläche von Bodenpartikeln hängt von der Zahl der im Boden zur Verfügung stehenden positiven oder negativen Ladungen ab. Die Gesamtzahl aller austauschbaren Kationen und Anionen im Boden (ausgedrückt in mol) bezogen auf ein bestimmtes Bodenvolumen (in der Regel 1 kg Substanz) bezeichnet man als Ionenaustauschkapazität. Die Gesamtzahl der an den Oberflächen von Tonund Humuspartikeln austauschbaren Kationen bezeichnet man als Kationenaustauschkapazität (KAK). Die negativen Ladungen schützen den Boden vor einem Verlust seiner positiv geladenen Nährstoffe. Da an den meisten Bodenpartikeln weniger positive als negative Ladungen vorhanden sind, werden Anionen wie Nitrate (NO3–) und Phosphate (PO43–) in geringerem Umfang im Boden gebunden und rascher ausgeschwemmt als Kationen, für die es mehr Bindungsstellen und somit auch ein größeres Rückhaltevermögen im Boden gibt. Da die im Boden befindlichen Kationen mit der Bodenlösung von den Pflanzen aufgenommen werden können und wichtige Pflanzennährstoffe sind, ist die KAK ein elementarer Messwert für die Bodenqualität; sie steigt mit zunehmendem Anteil von Ton und organischem Material. Auch der pH-Wert des Bodens und des Bodenwassers kann sich, je nach sauren oder basischen Bedingungen, direkt oder indirekt über die Löslichkeit von Nährstoffen auf die Bodeneigenschaften und somit auch auf das Pflanzenwachstum auswirken.
2.6 Abiotischer Faktor Boden
Abbildung 2.63: Blattlebensdauer, Stickstoffkonzentration und Photosynthese. Beziehung zwischen (a) Blattlebensdauer und Stickstoffkonzentration im Blatt sowie (b) zwischen Blattlebensdauer und Photosynthesehöchstrate für verschiedene Pflanzenarten unterschiedlicher Standorte. Jeder Punkt stellt das Ergebnis für eine Art dar. Arten mit langlebigen Blättern haben tendenziell niedrigere Blattstickstoffkonzentrationen und damit einhergehend niedrigere Photosyntheseraten (nach Reich et al., 1996).
Pflanzenmasse [g]
Agrostis stolonifera
2,0
1,0 Agrostis canina 0,4
0,2
0
81 27 3 9 Stickstoffkonzentration [ppm]
1
243
Abbildung 2.62: Veränderungen in der Wachstumsrate zweier Grasarten bei Zugabe unterschiedlicher Mengen an Stickstoff. Das Weiße Straußgras (Agrostis stolonifera) wächst auf nährstoffreichen Böden, das Sumpf-Straußgras (Agrostis canina) auf nährstoffarmen. A. canina reagiert nur bis zu einem bestimmten Stickstoffwert mit einer Erhöhung der Pflanzenmasse (nach Bradshaw et al., 1974).
100 Blatt-Stickstoffkonzentration [mg/g]
Wie kommen Pflanzen mit nährstoffarmen Böden zurecht? Da Pflanzen Nährstoffe für den Bau- und Betriebsstoffwechsel benötigen, beeinflusst die Wachstumsrate einer Pflanze gleichzeitig auch ihren Nährstoffbedarf. Schon in Abschnitt 2.3.4 wurde erwähnt, dass schattentolerante Pflanzen eine niedrigere Photosyntheserate besitzen als schattenintolerante, und zwar auch bei höheren Strahlungsintensitäten. Diese niedrigere Photosynthese- und Wachstumsrate bedeutet gleichzeitig einen geringeren Licht- und Nährstoffbedarf. ⇒ Abbildung 2.62 zeigt die Wachstumsreaktionen zweier Grasarten bei steigender Stickstoffverfügbarkeit. Diejenige Art, die an ihrem natürlichen Standort auf nährstoffreichen, stark stickstoffhaltigen Böden wächst, steigert ihre Wachstumsrate mit zunehmender Stickstoffkonzentration. Die andere Art, die nährstoffarme, wenig stickstoffhaltige Standorte besiedelt, erreicht schon bei der Hälfte der experimentell eingesetzten Stickstoffkonzentration ihre maximale Wachstumsrate und reagiert auf weitere Stickstoffgaben nicht durch gesteigerte Wachstumsaktivität. Einige Pflanzenökologen vermuten, dass niedrige Wachstumsraten eine Anpassung an nährstoffarme Böden darstellen. Ein Vorteil langsameren Wachstums ist, dass die Pflanze bei geringem Nährstoffvorkommen Stress vermeidet. Eine langsam wachsende Pflanze kann selbst bei geringer Nährstoffverfügbarkeit noch eine optimale Photosyntheserate aufrechterhalten und wichtige Stoffwechselfunktionen erfüllen, während eine Pflanzenart mit einer wesentlich höheren Wachstumsrate bereits Anzeichen von Stress zeigen würde. Ein zweiter Anpassungsmechanismus an eine nährstoffarme Umwelt betrifft die Lebensdauer von Blättern (⇒ Abbildung 2.63). Jede Blattentwicklung ist für die Pflanze mit Aufwand und energetischen Investitionen in Biomasse, Photosynthesepigmente, etc. verbunden. Diesen Aufwand kann man anhand der Menge an Kohlenstoff und der übrigen erforderlichen Nährstoffe bemessen. Bei einer niedrigen Photosyntheserate dauert es länger, bis sich der Aufwand für den Blattaufbau „amortisiert“ und die Investition Gewinne in Form von Photosyntheseprodukten abwirft. Daher haben Pflanzen unter nährstoffärmeren Bedingungen eher langlebige Blätter.
5,0 4,0 3,0
10
1
10
(a)
Nettophotosyntheserate [nmol/(g · s)]
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2.6.4 Pflanzen passen sich variierenden Nährstoffverhältnissen im Boden an
100
1000
Lebensspanne (Monate)
1000
(b)
100
10
1
10
100
1000
Lebensspanne (Monate)
57
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Die Fähigkeit von Landpflanzen, Bodennährstoffe zu erschließen, hängt darüber hinaus von der Wurzelmasse ab. Eine Möglichkeit für Pflanzen, die Nachteile eines nährstoffarmen Standortes auszugleichen, ist die verstärkte Wurzelbildung. Dies ist einer der Gründe für das langsame oberirdische Wachstum von Arten auf nährstoffarmen Böden, denn ähnlich wie bei begrenzter Wasserversorgung wird auch in diesem Fall Kohlenstoff auf Kosten der Blattbildung in die Bildung der Wurzeln verlagert. Die verringerte Blattfläche senkt die Rate der Kohlenstoffaufnahme durch die Photosynthese im Verhältnis zum Kohlenstoffverlust durch Atmung. Das Ergebnis ist ein geringerer Nettokohlenstoffgewinn und eine geringere Wachstumsrate.
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2.6.5 Tiere werden von den Nährstoffverhältnissen des Bodens indirekt beeinflusst Tiere benötigen Mineralstoffe und Spurenelemente sowie – von Tierart zu Tierart leicht variierend – bestimmte Vitamine und Aminosäuren, die sie nicht selbst herstellen können. Letztendlich stammen die meisten dieser Nährstoffe aus pflanzlichen Quellen, die ihrerseits die Nährstoffe für ihren Stoffwechsel aus dem Boden bezogen haben. Die Aufnahme der in Pflanzen gespeicherten Nährstoffe durch Tiere kann im Fall von Pflanzenfressern auf dem direkten Wege erfolgen oder im Fall von Fleischfressern auf dem „Umweg“ über eine oder mehrere Tierarten. Der Ursprung der Nährstoffe sind jedoch jeweils die Pflanzen. Daher beeinflusst das Angebot von Pflanzennahrung (Menge und Qualität / Nährstoffgehalt) die Ernährungsmöglichkeiten der Tiere. Ein wesentliches und besonders wichtiges chemisches Element für Tiere ist Natrium, das in vielen terrestrischen Ökosystemen zu den selteneren Spurenelementen zählt. In Gegenden mit geringem Natriumgehalt der Böden erhalten pflanzenfressende Tiere über die Nahrung oft zu wenig von diesem Element. So korreliert die Verbreitung von Elefanten im zentralafrikanischen Wankie-Nationalpark (Zimbabwe) eng mit dem Natriumgehalt der Trinkwasserquellen. Die meisten Elefanten findet man im Bereich derjenigen Wasserlöcher mit der höchsten Natriumkonzentration. Das in Australien eingeführte Wildkaninchen
Abbildung 2.64: Dickhornschaf und Schneeziege. (a) Das Dickhorn- oder Dallschaf kommt in den westlichen Gebirgen Nordamerikas vor, ebenso in Ostasien. (b) Die Schneeziege gehört zu den Verwandten der Gemse und kommt entlang der Baumgrenze in den Westlichen Kordilleren Kanadas bis nach Alaska vor.
(a)
(b)
2.7 Unvorhersagbare Umweltveränderungen
gelangt innerhalb seines Verbreitungsgebietes ebenfalls immer wieder in Gegenden mit Natriummangel und baut in einem solchen Mangelgebiet in Südwestaustralien außerhalb seiner Tragezeit Natriumreserven im Körper auf. Gegen Ende der Tragezeit sind die Reserven aufgebraucht; dann suchen die Tiere besonders natriumreiche Pflanzenarten und fressen davon ganze Pflanzenpopulationen kahl. Insbesondere im Frühjahr leiden Wiederkäuer unter massivem Mineralstoffmangel. Angezogen durch die neu austreibende Vegetation fressen zum Beispiel Dickhornschafe frische Pflanzentriebe, die reich an Kalium sind. Eine hohe Kaliumaufnahme stimuliert jedoch die Ausschüttung des Hormons Aldosteron, das unter anderem die Ausscheidung von Kalium und Magnesium stimuliert. Da die Magnesiumkonzentration im Gewebe und im Skelett bei Pflanzenfressern allgemein niedrig ist, kommt es bei diesen Tieren daher in Folge leicht zu Magnesiummangel. Dieser führt bei den betroffenen Tieren zu Durchfall und Muskelkrämpfen. Solche Mangelerscheinungen können bei weiblichen Säugetieren besonders zum Ende der Tragezeit und bei Hirschbullen zu Beginn des Geweihwachstums, also zu Zeiten eines hohen Mineralstoffbedarfes, auftreten. Um den Mineralstoffmangel im Frühjahr auszugleichen, suchen große Herbivoren oft elektrolytreiche Salzstellen auf, an denen sie ihren Mineralstoffbedarf durch Aufnahme mineralienreicher Erde stillen können (⇒ Abbildung 2.65). Obwohl an solchen Stellen in der Regel Natriumchlorid zu finden ist, wird von Tierphysiologen vermutet, dass es nicht das Natrium ist, das die Tiere anlockt, sondern das Magnesium sowie bei Dickhornschafen, Schneeziegen und Elchen auch das Calcium. Auch zahlreiche Insektenarten, zum Beispiel Schmetterlinge, nehmen Elektrolyte an mineralienreichen Bodenstellen auf.
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2.7 Unvorhersagbare Umweltveränderungen Was passiert mit den Lebensgemeinschaften eines Ökosystems, wenn sich die Umweltbedingungen durch eine Naturkatastrophe oder Ähnliches plötzlich und unvorhersehbar ändern? Die Zusammensetzung von Ökosystemen kann durch solche Störungen stark beeinflusst werden. Als Störung (engl. disturbance) bezeichnet man in der Ökologie ein bestimmtes Ereignis, das die Struktur und Funktion einer Lebensgemeinschaft reversibel (= umkehrbar) oder irreversibel (= unumkehrbar) beeinflusst, wie zum Beispiel Feuer, Sturm, Überschwemmungen, extreme Kälte, Trockenheit oder Krankheitsepidemien. Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen einmaligen Störungen (pulse disturbance) und Störungen, die dauerhaft wirken (press disturbance). Viele Störungen haben natürliche Ursachen wie Schneestürme, von Blitzschlag ausgelöste Brände, Wirbelstürme und Überschwemmungen. Eine Störung verursacht in der Regel den Tod von Individuen und den Verlust von Biomasse, sie kann aber gleichzeitig die abiotische Faktorenkonstellation so stark verändern, dass es zu einer Veränderung der jeweiligen Lebensgemeinschaft kommen kann. Sturmfluten spülen Sandbänke weg, besonders hohe Niederschläge oder die Schnee-
Abbildung 2.65: Eine „Salzlecke“, die von Weißwedelhirschen genutzt wird.
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1. Erläutern Sie, wie ein Boden beschaffen sein muss, damit die Wasserverfügbarkeit am größten ist. 2. Stellen Sie dar, welche Ionen bei starkem Regen eher aus dem Boden ausgewaschen werden – Kationen oder Anionen. Begründen Sie ihre Antwort! 3. Erklären Sie, inwiefern eine längere Lebensdauer von Blättern eine Anpassung an nährstoffarme Böden darstellen kann. 4. Erklären Sie begründet, warum Landwirte auf Schaf- oder Kuhweiden oftmals Salzsteine auslegen und warum pflanzenfressende Savannentiere wie Giraffen dazu neigen, an den Skeletten anderer Tiere zu lecken oder zu fressen. 59
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Abbildung 2.66: Der Hurrikan „Hugo“ verwüstete im Jahr 1989 in den Küstenebenen des US-Bundesstaates South Carolina zahlreiche Kiefernwälder.
schmelze verändern den Lauf von Bächen und Flüssen, schwemmen Sedimente weg und sorgen für neue Sedimentablagerungen. Solche Störungen können ein Ökosystem so stark verändern, dass manche Arten, die an die veränderten Prozesse besser angepasst sind, leicht überleben oder einwandern können, während andere lokal aussterben. Somit sind Störungen in der Lage, die Artenvielfalt sowohl zu verringern als auch zu vergrößern. Zwei besonders große Störfaktoren, die für dynamische Prozesse sorgen, sind Wind und Wasser. Hurrikane, die mit großen Windgeschwindigkeiten und starken Niederschlägen über eine Region ziehen, haben auf die dortigen Ökosysteme häufig besonders verheerende Auswirkungen (⇒ Abbildung 2.66). In der Karibikregion suchte der Hurrikan „Hugo“, der im Jahr 1989 Windgeschwindigkeiten von bis zu 260 Stundenkilometern erreichte, den Südosten der Vereinigten Staaten heim und verwüstete weite Landstriche. Hurrikans mit einer solch besonderen Intensität treten statistisch ungefähr alle 50–60 Jahre auf. Auch Brände können die Entwicklung von Lebensgemeinschaften nachhaltig beeinflussen. Treten zum Beispiel in einem bestimmten Gebiet vermehrt Brände auf, wird dadurch das Baumwachstum behindert, und eine Savanne entwickelt sich beispielsweise nicht zu einer Waldlandschaft, die für das dortige Standortklima ansonsten charakteristisch wäre.
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1. Nennen Sie natürliche und anthropogene Störungen, die zu Veränderungen eines Ökosystems führen können. 2. Die Drehkiefer gilt als eine sogenannte „Pionierart“, die nach Bränden in der Lage ist, schnell ein Gebiet zu besiedeln. Erläutern Sie diesen Zusammenhang, indem Sie auf die besonderen Anpassungen und Vorteile dieser Pflanze im Vergleich zu anderen Baumarten eingehen.
Abbildung 2.67: Auswirkung eines Großbrandes auf die Alleghany-Hochebene in West Virginia. Die Bodenvegetation wurde vom Feuer zerstört, es kam zur Bodenerosion, so dass das Muttergestein und der mineralische Boden freilagen. Der Wald konnte sich infolgedessen nicht mehr erholen.
2.7 Unvorhersagbare Umweltveränderungen
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(a)
Kurz nach dem Brand. Das Feuer hat eine fragmentierte Landschaft hinterlassen. Man beachte die nicht verbrannten Bäume im Hintergrund.
Cooke City
Gardiner Mammoth Hot Springs
Montana Wyoming
TowerRoosevelt
Norris
Canyon
West Madison Yellowstone Junction
Lake
Old Faithful Shoshone Lake
Yellowstone Lake
Lewis Lake
Grant Village
0
10 Meilen
Heart Lake
Yellowstone National Park Idaho
Brände sind für die Struktur und die Dynamik der Lebensgemeinschaften in den Wäldern des nordamerikanischen Westens ein wichtiger Umweltfaktor. Der Sommer 1988 war der trockenste in der gesamten Geschichte des Yellowstone-Nationalparks. Dennoch waren bis zum 15. Juli 1988 in der Yellowstone-Region nur 3440 Hektar von Feuer betroffen und das ungewöhnlich trockene Wetter schien sich nicht nennenswert auf das Brandgeschehen auszuwirken. Dann jedoch weiteten sich die Brände innerhalb einer Woche besorgniserregend aus. Schließlich wurde die überregionale Presse auf die Vorgänge aufmerksam. Teilweise durch die besorgte Öffentlichkeit veranlasst, entschloss sich die Parkverwaltung zur Bekämpfung aller Brände. Gegen Monatsende gerieten jedoch die größeren Brände bedingt durch die Trockenheit und starken Wind völlig außer Kontrolle. Am 20. August 1988, dem Tag der größten Zerstörungen von Waldbeständen durch das Feuer, breitete sich der Brand begünstigt durch den Wind über mehr als 60.000 Hektar aus. Zur Brandbekämpfung wurden über 25.000 Feuerwehrleute eingesetzt, aber das nützte kaum etwas. Die Brände wüteten weiter, bis durch den ersten Schnee im Herbst das Feuer allmählich nachließ. Als alle Brände gelöscht waren, waren in der Großregion Yellowstone rund 500.000 Hektar Wald durch Feuer zerstört, davon etwa 321.000 innerhalb des eigentlichen Nationalparks, das heißt rund 36 Prozent seiner Fläche (⇒ Abbildung 2.68). Für die Lebensgemeinschaften der Pflanzen und Tiere der Region hatten die Brände ganz unterschiedliche Folgen. Auf vielen der durch Feuer zerstörten Flächen hatte die Drehkiefer dominiert, eine Nadelbaumart, die jahrelang ihre noch nicht reifen Zapfen trägt. Die Samen bleiben in den Zapfen so lange potenziell keimfähig, bis die Baumkronen durch einen Brand vernichtet werden. Durch die Hitze öffnen sich die Zapfen, und die Samen werden freigesetzt. Nach einem Brand wurden diese Standorte sehr schnell von neuen Kiefernkeimlingen wiederbesiedelt. In anderen Regionen verjüngten sich nach solchen Brandereignissen auch zahlreiche andere feuerresistente Baumarten wie die EngelmannsFichte, die Felsen-Gebirgstanne, die Douglasie und die Weißstämmige Kiefer. Graslandschaften sahen schon nach wenigen Jahren wieder so aus wie vor den Bränden. Manche von Wapitihirschen bevorzugten Grasarten hatten sogar an Deckung zugenommen und waren nach den Bränden weiter verbreitet als zuvor und auch der Amerikanische
Schwarzbär war zur Nahrungsaufnahme auf den ehemaligen Brandflächen häufiger zu finden als auf solchen, die das Feuer verschont hatte. Bestimmte Vogelarten, die in Höhlen nisten, wie die Hüttensänger, wurden durch das Feuer begünstigt, denn es standen ihnen mehr abgestorbene Bäume mit Nistplätzen zur Verfügung. Dagegen verloren einige Vogelarten, die, wie der Bartkauz, auf große, alte und zusammenhängende Wälder angewiesen sind, ihren Lebensraum.
Wyoming
Die Brände im Yellowstone-Nationalpark
Flagg Ranch Brandflächen bis 15. Sept. 1988
Abbildung 2.68: Vom Feuer betroffene Bereiche des Yellowstone-Nationalparks und der Nachbarregionen im Sommer 1988.
(b)
Ein Jahr nach dem Brand. Die Lebensgemeinschaft beginnt sich zu erholen. Den Boden bedecken nun verschiedene krautige Pflanzen, zum Beispiel Lupinen, die durch das Feuer gefördert wurden.
Abbildung 2.69: Regeneration nach dem Brand im Yellowstone-Nationalpark.
61
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Zusammenfassung
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
Ein Kernthema der Ökologie ist die Erfassung und Quantifizierung von äußeren Einflüssen, welche auf Individuen einwirken und somit deren Vorkommen und Verbreitung beeinflussen. Man unterscheidet in diesem Zusammenhang grundsätzlich zwischen abiotischen und biotischen Faktoren. Abiotischer Faktor Temperatur (2.1) Leben ist nur in bestimmten Temperaturbereichen möglich, daher ist es für das Überleben eines Organismus von größter Bedeutung die Körpertemperatur innerhalb eines für ihn tolerierbaren Bereiches zu halten (Thermoregulation). Je nach Art der Regulation ihrer Körpertemperatur kann man Tiere in drei Kategorien einteilen: Poikilotherme, Homoiotherme und Heterotherme. Poikilotherme Tierarten, bei denen die Köpertemperatur mit der der Umgebung schwankt, sind auf Wärmezufuhr von außen angewiesen (= ektotherm / wechselwarm). Tierarten, die über die Verstoffwechselung energiereicher organischer Verbindungen selbst Körperwärme erzeugen können, bezeichnet man als endotherm / gleichwarm. Manche Tiere sind heterotherm, das heißt, dass sie eine je nach äußeren Umweltbedingungen zeitweise endotherme und zeitweise ektotherme Lebensweise besitzen. Im Tierreich sind verschiedene Strategien realisiert, um die Wärmeaufnahme und die Wärmeabgabe im Gleichgewicht zu halten. So verringern Wärmeisolierungen wie Haare, Federn und Fettschichten den Wärmeaustausch zwischen einem Tier und seiner Umwelt. Anpassungen des Kreislaufsystems oder Kühlung durch Wärmeabgabe mittels Verdunstung stellen weitere Strategien der Thermoregulation dar. Viele Tierarten regulieren ihre Körpertemperatur durch ihr Verhalten. Zum Erwärmen suchen sie sonnige, warme Stellen auf, zum Abkühlen schattige Orte. Besondere physiologische Mechanismen wie Kältezittern oder die zitterfreie Thermogenese, aber auch die Gefrierpunkt erniedrigung von Körperflüssigkeiten durch Einlagerung von „Frostschutzsubstanzen“ sind spezielle Anpassungen um auch ungünstige thermische Verhältnisse durchzustehen. Abiotischer Faktor Wasser (2.2) Wasser ist Grundlage allen Lebens und auf der Erde allgegenwärtig. So sind alle Meeres- und Süßwasserlebensräume direkt oder indirekt als Elemente eines globalen Wasserkreislaufes miteinander verbunden, innerhalb dessen Wasser von der Atmosphäre zur Erdoberfläche und zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurück in die Atmosphäre gelangt. Wasser verfügt über eine Vielzahl von Eigenschaften, die ökologisch und biologisch sehr bedeutsam sind: Wasser besitzt eine charakteristische Molekülstruktur und ist eine polare Substanz. Zwischen Wassermolekülen bilden sich Wasserstoff-
brückenbindungen aus, die den Zusammenhalt der Teilchen stark erhöhen. Darüber hinaus ist Wasser ein hervorragendes Lösungsmittel für polare Substanzen und verfügt über eine enorme Oberflächenspannung, was ebenfalls durch die Wasserstoffbrückenbindungen bedingt wird. Die spezifische Anordnung der Wassermoleküle verleiht Wasser ein besonderes Dichte-Temperatur-Verhältnis, welches man als Dichteanomalie des Wassers bezeichnet. Wasser kann zudem beträchtliche Wärmemengen aufnehmen, speichern und zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgeben, weshalb größere Gewässer als eine Art „Temperaturpuffer“ wirken. Ein Großteil des Wassers wird durch die Transpiration der Pflanzen verdunstet. Wasser strömt dazu vom Boden durch die Pflanze in die Atmosphäre. Hierzu gibt es einen effektiven Langstreckentransport innerhalb der Pflanze, die Massenströmung. Treibender Motor der Massenströmung ist die Wasserpotenzialdifferenz (und damit einhergehende Sogwirkung) zwischen Blatt und Wurzel. Pflanzen haben eine Vielzahl von Anpassungsmechanismen an die Wasserverfügbarkeit ausgebildet. Grundsätzlich kann die Wasserabgabe durch das Öffnen und Schließen der Stomata reguliert werden. Für viele Lebensräume sind je nach Wasserverfügbarkeit jedoch ganz spezielle Anpassungen erforderlich: So gibt es in Wüsten und anderen wasserarmen Gebieten hochgradig angepasste Trockenpflanzen (Xerophyten) und die ebenso stark spezialisierten Hygro- und Hydrophyten sind die Pflanzen der Feuchtgebiete und Gewässer. Landtiere müssen ihren Wasserverlust, der durch Verdunstung, Atmung und Exkretion zustande kommt, ausgleichen, indem sie Wasser mit der Nahrung aufnehmen, trinken und / oder den Wasserverlust reduzieren. Durch bestimmte Stoffwechselprozesse wird darüber hinaus im Körper Wasser gebildet. Arten in trockenen Regionen können den Wasserverlust durch vielerlei Anpassungen (nächtliche Lebensweise, Resorption von Wasser) begrenzen. Wasserorganismen müssen die Aufnahme von zu viel Wasser verhindern und überschüssiges Wasser wieder abgeben können. Süßwasserfische halten ihr osmotisches Gleichgewicht beispielsweise durch Absorption und Speicherung von Salz in speziellen Körperzellen und durch die Abgabe großer Mengen wässrigen Urins aufrecht. Abiotischer Faktor Solarstrahlung (2.3) Die auf die Erde eintreffende Solarstrahlung stellt einen wesentlichen abiotischen Faktor für den Erfolg von Leben dar. Ein Mangel aber auch ein Zuviel an Sonnenlicht ist begrenzend für das Vorkommen verschiedener Organismen. Licht ist eine Erscheinungsform der elektromagnetischen Strahlung und um-
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fasst diejenigen Wellenlängenbereiche, die auch die Photosysn these energetisch antreiben. Das Ausmaß der auf der Erde eintreffenden Sonnenstrahlung variiert stark mit der jeweiligen geografischen Breite. Aufgrund der Neigung der Erdachse (Schiefe der Ekliptik) verändert sich in bestimmten Regionen der Erde die Menge täglich auftreffender Solarstrahlung im Jahresverlauf und es entstehen dort Jahreszeiten mit unterschiedlichen Temperatur- und Niederschlagswerten. Über die Photosynthese wird Strahlungsenergie der Sonne zur Synthese von Glucose aus CO2 und H2O verwendet. Das Enzym „RubisCO“ katalysiert den entscheidenden Schritt bei der Kohlenhydratsynthese. Die Strahlungsenergie, die eine Pflanze an ihrem jeweiligen Standort erreicht, beeinflusst und limitiert gegebenenfalls deren Photosyntheserate. Pflanzenarten können Lichtpflanzen (schattenintolerant) oder Schattenpflanzen (schattentolerant) sein. An geringe Strahlungsintensitäten angepasste Pflanzenarten haben eine entsprechend geringere Photosynthese-, Atmungs-, Stoffwechsel- und Wachstumsrate als Lichtpflanzen. Die Blätter zahlreicher Pflanzenarten verändern als Reaktion auf unterschiedliche Lichtintensitäten ihre Blattmorphologie. Pflanzen und Tiere werden in ihrer Aktivität von den Tagesund Jahreszeiten beeinflusst. Langtagpflanzen benötigen eine bestimmte Mindest-Tageslänge, um zur Blüte zu gelangen. Bei Kurztagpflanzen muss ein solcher Schwellenwert unterschritten sein. Viele jahreszeitliche Aktivitätsschwankungen von Tieren sind ebenfalls von der Tageslänge abhängig. Die längeren Tage im Frühjahr und die kürzeren Tage im Herbst lösen bei Tieren spezifische Verhaltensweisen wie Wanderungen, Anlegen von Wintervorräten oder den Beginn der Reproduktion aus. Abiotischer Faktor Wind (2.4) Wind, eine gerichtete Bewegung von Luftmassen, spielt bei der Erweiterung des Verbreitungsgebietes vieler Pflanzen eine bedeutende Rolle, da manche Samen kilometerweit durch den Wind mitgetragen werden können. Neben diesen positiven Effekten, ist die zerstörerische Kraft des Windes nicht zu unterschätzen. Erreicht der Wind zu hohe Geschwindigkeiten droht bei Bäumen Windbruch, in Extremfällen können sogar ganze Lebensräume durch windbedingte Veränderungen zerstört werden. Wind ist nicht nur ein regionales Phänomen, global betrachtet kann man auf der Nord- und der Südhalbkugel drei Windsysteme unterscheiden: die Passate, die Westwinde und die polaren Ostwinde.
Das Klima – ein Zusammenspiel der abiotischen Faktoren (2.5) Die vier abiotischen Faktoren Temperatur, Niederschlag, Solarstrahlung und Wind haben den größten Einfluss auf das Klima. Klima ist der für ein Gebiet charakteristische langfristige durchschnittliche Verlauf der Witterung. Als Witterung bezeichnet man die typische Abfolge aller meteorologischen Erscheinungen in einem Gebiet im jahreszeitlichen Verlauf. Wetter ist der Zustand der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Man kann die Klimaverhältnisse auf unterschiedlichen Maßstabsebenen beschreiben: das Makroklima kennzeichnet die klimatischen Eigentümlichkeiten größerer Gebiete (Länder, Kontinente). Unter Lokalklima versteht man das Klima eines kleineren Gebiets wie zum Beispiel eines Talbodens oder Berggipfels. Das Mikroklima bezeichnet die klimatischen Verhältnisse einzelner Strukturen innerhalb eines Lebensraumes. Nicht alle Phänomene des Klimasystems treten regelmäßig auf. Es gibt Schwankungen, die sich in Zeiträumen von einigen Jahrzehnten, Jahrhunderten oder Jahrtausenden vollziehen. Im Laufe der Erdgeschichte waren häufiger größere Klimaschwankungen zu verzeichnen.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Abiotischer Faktor Boden (2.6) Die mineralische Zusammensetzung des Ausgangsgesteins und des Bodens, der pH-Wert, die Mineralstoff- und Wasserverfügbarkeit, die Humusform, der Körnungsgrad der Bodenpartikel, die art- und zahlenmäßige Zusammensetzung der Bodenorganismen und viele andere Faktoren bestimmen das Vorkommen einzelner Pflanzenarten und damit wiederum auch das bestimmter Tierarten, die sich von diesen ernähren. Die Menge an Wasser, die ein Boden halten kann, stellt eine je nach Bodenart spezifische Eigenschaft dar. Wenn Wasser sämtliche Poren und Kapillaren ausfüllt, hat der Boden seine spezifische Feldkapazität erreicht und ist wassergesättigt. Wenn der Feuchtigkeitsgehalt im Boden so weit absinkt, dass ihm Pflanzen kein Wasser mehr entziehen können, ist der permanente Welkepunkt erreicht. Bodenpartikel haben eine wichtige Funktion als Kationenaustauscher und damit Bedeutung für die zeitweilige Speicherung von Nährstoffen. Pflanzen können sich an die Bodenverhältnisse anpassen. An „magere“ Böden angepasste Pflanzen weisen niedrigere Wachstumsraten und eine höhere Blattlebensdauer auf. Die Verfügbarkeit von Mineralstoffen ist entscheidend für die Verbreitung, das Verhalten, das Wachstum und die Reproduktion von Lebewesen. Der Boden ist Hauptlieferant von Mineralstoffen und diese werden von den Lebewesen entweder
63
Zusammenfassung
2 Abiotische Umweltfaktoren – ihr Einfluss auf das Leben
auf direktem Wege (bei Pflanzen über die Wurzeln, bei Tieren beispielsweise durch Salzlecken an Wasserstellen) oder indirektem Wege (über die Nahrungskette) aufgenommen. Unvorhersagbare Umweltveränderungen (2.7) Naturkatastrophen wie Feuer, Sturm, Überschwemmungen, extreme Kälte oder Krankheitsepidemien können die Umweltbedingungen eines Lebensraumes plötzlich und gravierend
ändern und somit zu tiefgreifenden Veränderungen in den Lebensgemeinschaften eines Ökosystems führen. Die Arten, die an die veränderten Bedingungen besser angepasst sind, überleben leichter oder können schneller einwandern, während andere Arten lokal aussterben können. Man unterscheidet zwischen einmaligen Störungen und dauerhaft wirkenden Störungen.
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Antworten zu den Wiederholungsfragen finden Sie unter: www.pearson-schule.de
Kapitel 3 Biotische Umwelt faktoren – Einflüsse der belebten Natur
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Konkurrenz Räubertum (Prädation) Andere Formen der Wechselwirkung
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
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Abbildung 3.1: Wie viele verschiedene Beziehungen zwischen einzelnen Arten dokumentiert diese Abbildung?
Achten Sie einmal auf Beispiele für Beziehungen zwischen verschiedenen Pflanzen- und Tierarten, wenn Sie das nächste Mal durch einen Park, einen Wald oder über Ihr Schulgelände gehen. Sie werden vielleicht Schmetterlings- und Wildbienenarten wahrnehmen, die sich von Nektar ernähren und Blüten bestäuben, oder Sie beobachten eine Amsel, die die Beeren einer Vogelkirsche frisst und durch das spätere Ausscheiden der Samen zu deren Ausbreitung beiträgt, oder gar einen Turmfalken, der eine Feldmaus aufgespürt hat und sie ergreift – dies sind nur winzige Ausschnitte aus einer großen Vielfalt von Beziehungen zwischen verschiedenen Arten, die in einem Lebensraum vorkommen. Einige dieser sogenannten interspezifischen (= zwischenartlichen) Beziehungen sind leichter zu erkennen als andere. ⇒ Abbildung 3.1 zeigt auf den ersten Blick ein einfaches System zwischen einem Herbivor (= Pflanzenfresser) – der Schwärmerraupe – und ihrer Vorzugsnahrung, einer Tomatenpflanze. Die kleinen weißen Strukturen auf dem Rücken der Schwärmerraupe verraten jedoch, dass diese Raupe noch in Wechselbeziehung zu einer dritten Art steht: einer Schlupfwespe. Ein Wespenweibchen hat seine Eier in der Raupe abgelegt und die Larven, die aus den Eiern geschlüpft sind, ernähren sich zunächst vom Gewebe der gelähmten Raupe. Später entwickeln sie sich innerhalb weißer Kokons auf der Rückseite des Wirtes zu ausgewachsenen Schlupfwespen. Zuletzt stirbt die Raupe an dem Befall. Welche Faktoren wirken auf Individuen ein und bestimmen somit deren Vorkommen und Verbreitung? Erinnern wir uns an diese zentrale Frage der Ökologie, von der ausgehend wir bereits im zweiten Kapitel die Faktoren der unbelebten Natur untersucht haben. In diesem Kapitel werden die biotischen Umweltfaktoren, also die Einflüsse der belebten Natur, genauer betrachtet. Zu diesen zählen alle wechselseiti-
3.1 Konkurrenz
gen Beziehungen zwischen Individuen oder Populationen unterschiedlicher Arten. Beispiele können Konkurrenzsituationen um Nahrung oder Lebensräume sein, aber auch Räuber-Beute-Beziehungen zählen zu den biotischen Umweltfaktoren. Ein weiterer Aspekt der biotischen Faktoren sind die intraspezifischen (= innerartlichen) Wechselwirkungen, die sich vor allem in Form von Konkurrenz um Nahrung, Lebensraum und Fortpflanzungspartner zeigen und genau wie die zwischenartlichen Wechselwirkungen die Lebensbedingungen des Individuums in entscheidendem Maße beeinflussen. An den Stellen, wo innerartliche Wechselwirkungen in diesem Kapitel analysiert werden, wird ausschließlich die innerartliche Konkurrenz besprochen, also der Teil der Wechselwirkungen von Individuen und Populationen, der das Vorkommen und die Verbreitung der Art beeinflusst. Alle anderen Eigenschaften von Populationen, vor allem ihr Wachstum, sind Gegenstand des nächsten Kapitels.
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3.1 Konkurrenz In seinem Hauptwerk Ursprung der Arten schrieb Charles Darwin: „Wenn mehr Individuen entstehen als potenziell weiterleben können, dann muss es in jedem Fall einen Kampf ums Dasein (engl. struggle for life) geben, entweder zwischen Individuen der gleichen Art, oder zwischen Individuen verschiedener Arten, oder mit den physischen Umweltbedingungen.“ Dieses Prinzip der Konkurrenz (engl. competition) zwischen Arten ist einer der Eckpfeiler der Evolutionsbiologie und Ökologie. Darwin gründete seine Vorstellung der natürlichen Auslese auf das Vorhandensein von Konkurrenzbeziehungen, den „Kampf ums Dasein“. Konkurrenzbeziehungen entstehen auf vielen verschiedenen Gebieten. Konkurrenz bedeutet Wettbewerb um Nahrung, Raum oder andere ökologisch wichtige Ressourcen zwischen Individuen, die in ihren Lebensansprüchen ähnlich sind und nebeneinander vorkommen. Konkurrenz
Abbildung 3.2: Eine Gelbhalsmaus nagt in einem Wald im südlichen Niedersachsen an einer Eichel. Diese Maus ist nur eine von zahlreichen Arten dieses Ökosystems, für die Eicheln als Nahrungsressource eine große Rolle spielen. 67
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
Das Konzept der Traglast (carrying capacity) Das Konzept der „Kapazität“ oder „Traglast“ (engl. carrying capacity) eines Systems ist einer der zentralen Schlüssel zum Verständnis ökologischer Sachverhalte. Ein bestimmter Lebensraum kann bei ansonsten konstanten Umweltbedingungen immer nur eine begrenzte Anzahl von Individuen „tragen“. Stellen Sie sich eine Wiese vor: Sie könnten auf dieser Wiese immer nur eine begrenzte Anzahl von Schafen weiden, da die Ressourcen für die Ernährung der Schafe (unter anderem durch die Größe der Wiese) begrenzt sind. Angenommen, Ihre Wiese könnte eigentlich 50 Schafe ernähren, Sie weiden jedoch nur 40 Schafe darauf. In diesem Fall ist die Traglast des Systems nicht überschritten und Sie könnten die Schafe bedenkenlos für lange Zeit auf der Wiese belassen. Wenn Sie jedoch 60 Schafe auf die Wiese setzen, ist die Traglast des Systems überschritten und die Nahrungsressourcen reichen nicht mehr für alle Schafe aus. Es kommt daher
zwischen den Schafen zur Konkurrenz um die Nahrung (intraspezifische Konkurrenz). Sie könnten statt 50 Schafen eventuell auch zwei Elefanten auf der Wiese weiden, ohne dass die Kapazität des Systems überschritten wird. Ein dritter Elefant würde auch bei den Elefanten zu einer Überkonsumption und daher zu Nahrungsverknappung und intraspezifischer Konkurrenz führen. Sollten Sie jedoch in Gedanken versuchen, 50 Schafe UND zwei Elefanten auf der Wiese zu weiden, käme es wegen den ähnlichen Nahrungsansprüchen der Tiere zu interspezifischer Konkurrenz, da die Kapazitätsgrenzen des Systems bei weitem überschritten wären. Was in diesem Fall passieren könnte, wollen wir später betrachten. Solange die Ressourcenverfügbarkeit die Individuen nicht am Überleben, am weiteren Wachstum oder an der Reproduktion hindert, liegt keine Konkurrenz vor. Wenn die Ressourcen jedoch nicht für alle Individuen ausreichen oder sich nicht alle Individuen Zugang dazu verschaffen können, hat dies einen erheblichen (negativen) Einfluss auf die einzelnen Individuen und damit auch auf die Population.
zwischen Individuen der gleichen Art bezeichnet man als intraspezifische Konkurrenz. Bei der interspezifischen Konkurrenz konkurrieren Individuen von zwei oder mehreren Arten um eine begrenzte Ressource.
Intraspezifische Konkurrenz entsteht durch den Wettbewerb um begrenzte (limitierte) Ressourcen und ist daher eng mit der Individuendichte, also der Anzahl von Individuen pro Flächeneinheit, verbunden: Je größer die Individuendichte, desto stärker ist auch, bei ansonsten konstanten Umweltbedingungen, die intraspezifische Konkurrenz. Bei einer Ressourcenlimitierung kann eine Population eine von zwei möglichen Reaktionen zeigen: unvollständige oder vollständige Konkurrenz. Zur unvollständigen Konkurrenz kommt es, wenn das Wachstum und die Reproduktion bei allen Individuen der Population gleichermaßen beeinträchtigt werden. Die von den Konkurrenten in Anspruch genommenen Ressourcen reichen für die Aufrechterhaltung der Population nicht aus, da eine bestimmte Anzahl von Individuen (im Extremfall alle) diese Ressourcen nicht in ausreichendem Maße nutzen können. Der Erfolg der konkurrierenden Individuen ist unvollständig. Bei
Beispiel
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3.1.1 Intraspezifische Konkurrenz
Die Weibchen des Erbsensamenkäfers legen ihre Eier in die Samen von Bohnen. Die gleichzeitig schlüpfenden Larven des Käfers ziehen zunächst Wände in der Bohne ein, die dadurch in gleich große, gegeneinander abgegrenzte Kammern eingeteilt wird. In jeder dieser Kammern wächst je eine Larve auf. Steigt die Zahl der in einer Bohne gelegten Eier an, so sind die Kammern entsprechend kleiner und somit die Nahrungsressourcen, die jeder Larve zur Verfügung stehen, geringer. Da alle Larven vom Rückgang der Ressource gleichermaßen betroffen sind, kommt es zur unvollständigen Konkurrenz. Innerhalb derselben Käferart gibt es jedoch eine zweite Unterart, deren Larven keine Wände in die Bohne einziehen können. Bei dieser Unterart kommt es zwischen den Larven zur vollständigen Konkurrenz, die dazu führt, dass aus jeder Bohne nur eine Larve schlüpft.
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der vollständigen Konkurrenz können sich einige in der Konkurrenz überlegene Individuen innerhalb einer Population genügend Ressourcen für ihr Wachstum und ihre Reproduktion verschaffen. Da insgesamt nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen, verwehren sie somit den übrigen Individuen einen ausreichenden Zugang, so dass diese nicht genügend Ressourcen bekommen, um zu überleben und sich fortpflanzen zu können. In der Regel zeigt eine Population unter dem Druck der Ressourcenverknappung nur eine dieser beiden möglichen Reaktionsweisen. Die Folgen von vollständiger und unvollständiger Konkurrenz variieren. Extremformen von unvollständiger Konkurrenz können dazu führen, dass alle Individuen einer Population nicht genügend Ressourcen zum Überleben und zur Reproduktion erhalten und die Population daher lokal ausstirbt. Bei vollständiger Konkurrenz wird nur ein Teil der Population in Mitleidenschaft gezogen und zwar die unterlegenen und konkurrenzschwachen Individuen. Überleben, Wachstum und Vermehrung der erfolgreichen Konkurrenten tragen in einem solchen Fall zum Erhalt der Population bei. In vielen Fällen treten die konkurrierenden Individuen nicht in direkten Kontakt. Vielmehr wirkt sich die verringerte Ressourcenverfügbarkeit durch Anwesenheit und Nutzung anderer Individuen indirekt aus. So beeinflussen sich große Pflanzenfresser wie Zebras der afrikanischen Savanne nicht durch direkte Interaktion, sondern dadurch, dass sie die Nahrungsressourcen verkleinern. Wenn ein Baum in einem Wald über die Wurzeln Wasser aufnimmt, verringert er dadurch die für andere Pflanzen verfügbare Wassermenge im Boden. In diesen Fällen findet Konkurrenz über Ausbeutung (engl. exploitation) statt. In anderen Fällen interagieren Individuen direkt miteinander, indem sie andere an der Besiedlung eines Lebensraumes oder am Zugang zu den dort vorhandenen Ressourcen hindern. So verteidigen die meisten Vogelarten während der Brutphase aktiv den Bereich um ihr Nest. Diese Konkurrenzform bezeichnet man als Interferenz. Interferenz und Ausbeutung sind beides Spielarten der vollständigen Konkurrenz, da die konkurrenzstarken Individuen einen Vorteil gegenüber den unterlegenen Individuen erreichen.
mittlere Körpermasse [g]
3.1 Konkurrenz
1,0 5
0,8
40 60
0,6
160
0,4 0,2 0
1
2
3
5 6 4 Zeit (Wochen)
7
8
9
10
Abbildung 3.3: Beispiel einer unvollständigen Konkurrenz. Die Wachstumsraten von Kaulquappen des Asiatischen Ochsenfrosches nehmen rasch ab, je mehr Tiere (siehe Zahlenangabe) den gleichen Lebensraum besiedeln.
3.1.2 Interspezifische Konkurrenz Eine Beziehung, bei der sich die Populationen von zwei oder mehreren Arten aufgrund einer beschränkten Anzahl vorhandener und gemeinsam genutzter Ressourcen (zum Beispiel Raum oder Nahrung) negativ beeinflussen, bezeichnet man als interspezifische Konkurrenz. Interspezifische Konkurrenz wirkt sich entweder auf die konkurrenzüberlegene Art positiv aus und auf die konkurrenzunterlegene negativ (+ / −) oder sie hat für beide Arten eine negative Wirkung (− / −). Interund intraspezifische Konkurrenz schließen sich nicht aus, sondern treten meist zeitgleich innerhalb einer Lebensgemeinschaft auf. Eichhörnchen konkurrieren beispielsweise in Jahren geringer Eichelproduktion untereinander verstärkt um Eicheln. Zugleich nutzen jedoch auch Gelbhalsmaus (⇒ Abbildung 3.2), Rothirsch und Eichelhäher dieselbe Res69
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
Populationsdichte (Gesamtvolumen)
source. Aufgrund dieser Konkurrenzsituation müssen einzelne oder oft sogar mehrere der genannten Arten ihren „Speiseplan“ erweitern und dabei auf weniger begehrte Nahrung ausweichen. Wie im intraspezifischen Fall lassen sich auch bei der interspezifischen Konkurrenz zwei grundsätzliche Typen voneinander unterscheiden: Exploitation (Ausbeutung) und Interferenz. Nicht jede Ressource ist jedoch Ursache für Konkurrenzverhalten. Es gibt Ressourcen, die von den allermeisten Arten genutzt werden und dennoch keinen Konkurrenzdruck verursachen. So treten beispielsweise Lebewesen in terrestrischen Lebensräumen üblicherweise nicht in Konkurrenz um Sauerstoff.
Reinkultur 200
P. aurelia
150 100
Mischkultur
50 200 150
P. caudatum
100
Mischkultur
50 0
Reinkultur
2
4
6
8 10 12 14 16 18 Tage
20 22 24
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Abbildung 3.4: Konkurrenzexperimente mit zwei Arten von Pantoffeltierchen, Paramecium aurelia und P. caudatum, in Rein- und Mischkultur. In der Mischkultur verdrängt die Population von P. aurelia die Population von P. caudatum bis zu ihrem vollständigen Aussterben (nach Gause, 1994).
3.1.3 Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip Was geschieht in einer Lebensgemeinschaft, wenn zwei Arten miteinander um begrenzte Ressourcen konkurrieren? Diese Frage untersuchte der russische Ökologe Georgii F. Gause (1910–1986) im Jahr 1934 mit Hilfe von Laborexperimenten an den beiden nah miteinander verwandten Pantoffeltierarten Paramecium aurelia und Paramecium caudatum. Er züchtete die beiden einzelligen Arten unter konstanten Bedingungen und setzte den Kulturen jeden Tag die gleiche Nährstoffmenge zu. Ließ er die beiden Arten in getrennten Kulturen heranwachsen, nahm die Größe beider Populationen schnell zu. Brachte Gause die beiden Kulturen dagegen zusammen in ein Gefäß, starb nach einer gewissen Zeitspanne P. caudatum aus. Dies geschah, obwohl die beiden Arten sich nicht fressen oder anderweitig direkt schädigen können. Daraus zog Gause den Schluss, dass P. aurelia über einen Konkurrenzvorteil bei der Nahrungsbeschaffung verfügt, und verallgemeinerte, dass zwei Arten, die um die gleichen begrenzten Ressourcen konkurrieren, nicht an einem Ort nebeneinander und zum selben Zeitpunkt auf Dauer existieren können. Wenn keine weiteren Einflüsse hinzukommen, nutzt eine Art die Ressourcen effizienter als die andere und reproduziert sich entsprechend erfolgreicher und schneller. Schon ein geringfügiger Reproduktionsvorteil führt schließlich dazu, dass der unterlegene Konkurrent lokal ausstirbt, ein Phänomen, das man als Konkurrenz-AusschlussPrinzip bezeichnet. Das Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip setzt bestimmte Rahmenbedingungen zur Biologie und Ökologie der beteiligten Arten und zu vorhandenen Umweltbedingungen voraus – die Konkurrenz um eine begrenzte Ressource allein reicht nicht aus, damit der Konkurrenz-Ausschluss greift. Erstens wird angenommen, dass die Konkurrenten die gleichen Ressourcenansprüche haben, und zweitens, dass die Umweltbedingungen sich nicht verändern. Beide Annahmen sind in der Realität zumeist nicht erfüllt. Trotz dieser Einschränkungen hat das Modell des Konkurrenz-Ausschlusses den Blick für das Phänomen der Konkurrenz bei Pflanzen- und Tierarten geschärft und ist als Faustregel für die Interpretation ökologischer und evolutionsbiologischer Sachverhalte ein nützliches Handwerkszeug.
3.1 Konkurrenz
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3.1.4 Ökologische Nische Alle Pflanzen benötigen für ihren Stoffwechsel und ihr Wachstum begrenzte Ressourcen wie Licht, Wasser und Bodenmineralien. Aus diesem Grund gibt es zwischen gemeinsam vorkommenden Pflanzenarten praktisch in allen Fällen Konkurrenz um diese Ressourcen. Das Gleiche sollte auch für alle insektenfressenden Vogelarten eines Waldes, alle großen pflanzenfressenden Säugetiere in den Savannen Ostafrikas und alle Raubfischarten innerhalb eines Korallenriffs gelten. Wie ist es daher möglich, dass diese unterschiedlichen Gruppen potenzieller Konkurrenten dennoch im gleichen Ökosystem koexistieren können? Das in Abschnitt 3.1.3 vorgestellte Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip besagt, dass bei zwei Arten mit vollständig identischen Ressourcenansprüchen über kurz oder lang die eine Art die andere verdrängt. Doch wie unterschiedlich müssen zwei Arten in ihrer Ressourcennutzung sein, damit das Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip nicht greift. Oder anders gefragt: Wie ähnlich können zwei Arten in ihren Ressourcenansprüchen sein, um noch nebeneinander koexistieren zu können? Die Koexistenz von potenziellen Konkurrenten beruht auf der sogenannten „Nischendifferenzierung“ (Nischentrennung), d. h., eine Art nutzt die biotischen und abiotischen Ressourcen ihrer Umwelt auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Sie besitzt eine charakteristische ökologische Nische. Der amerikanische Ökologe Eugene Odum erklärte diesen Begriff mit folgender Analogie: Wenn der Lebensraum einer Art ihre „Adresse“ ist, dann ist die Nische ihr „ausgeübter Beruf“. Mit Hilfe des Begriffes der ökologischen Nische können wir das Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip neu formulieren: Zwei Arten können in einer Lebensgemeinschaft nicht auf Dauer nebeneinander existieren, wenn sie dieselben ökologischen Nischen besetzen. Dagegen ist die Koexistenz ökologisch sich gleich oder ähnlich verhaltender Arten in einer Lebensgemeinschaft dann möglich, wenn sich ihre ökologischen Nischen mehr oder weniger deutlich unterscheiden. Eine Ressourcenaufteilung zwischen Arten mit ähnlichen Umweltansprüchen führt zur Koexistenz dieser Arten in einer Lebensgemeinschaft (⇒ Abbildung 3.5). Man bezeichnet diesen Vorgang auch als Nischenaufteilung. Unter bestimmten Umständen kann die gegenwärtige Nischenaufteilung zwischen Arten auch das Resultat vergangener, inzwischen aber nicht mehr wirksamer interspezifischer Konkurrenz sein. In Anlehnung an Charles Dickens’ „A Christmas Carol“ spricht man auch vom „ghost of competition past”, also dem Geist der vergangenen Konkurrenz, der über die Konkurrenzvermeidung zu einer Nischentrennung geführt hat. Aufgrund bestimmter Konkurrenzsituationen besteht häufig ein Unterschied zwischen der fundamentalen Nische, die eine Art mit allen ihren morphologischen, physiologischen und verhaltensbiologischen Anpassungen potenziell ausfüllen könnte, und der realisierten Nische, jenem Anteil der fundamentalen Nische, der unter den gegebenen Umweltbedingungen tatsächlich verwirklicht werden kann. Die fundamentale Nische einer Art kann experimentell durch ihr Verhalten unter Konkurrenz und unter konkurrenzfreien Bedingungen überprüft werden. Getestet werden hierbei die Vitalität, die Überlebensrate und
!
Merke Ökologische Nische Unter einer ökologischen Nische versteht man die Summe aller von einer Art genutzten biotischen und abiotischen Ressourcen in ihrer Umwelt.
A. distichus sitzt auf Zaunpfählen und an anderen besonnten Stellen.
A. insolitus hält sich meist auf Ästen in schattigen Bereichen auf.
A. ricordii
A. insolitus A. aliniger A. distichus
A. christophei A. cybotes A. etheridgei
Abbildung 3.5: Ressourcenaufteilung bei Leguanarten der Dominikanischen Republik. In enger Nachbarschaft leben sieben verschiedene Arten der Gattung Anolis, die sich alle von Insekten und anderen kleinen Gliedertieren ernähren. Die Konkurrenz um Nahrung wird jedoch reduziert, da jede Anolis-Art einen anderen Lebensraum bevorzugt. 71
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
Abbildung 3.6: Löwin beim Angriff auf ein Kudu-Weibchen im Etosha-Nationalpark, Namibia.
W iederholun g s f ra g en 3 . 1
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1. Stellen Sie die Begriffe der inter- und intraspezifischen Konkurrenz mit ihren Unterformen tabellarisch dar. 2. Erläutern Sie die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit man die Nutzung einer Ressource durch zwei Arten eindeutig als Konkurrenz bezeichnen kann. 3. Stellen Sie begründet dar, welche Folgen nach dem Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip erwartet werden können, wenn zwei Arten mit genau derselben ökologischen Nische um eine Ressource konkurrieren. 4. Erläutern Sie den Begriff der ökologischen Nische in eigenen Worten. 5. Lesen Sie sich den Informationskasten zum Konzept der Traglast gut durch. Diskutieren Sie dann folgende Überlegung: Angenommen, Elefanten zeigten unter den gegebenen Bedingungen unvollständige und Schafe vollständige Konkurrenz: Was wären mögliche Folgen für die einzelnen Individuen und die Populationen, wenn es zu einer Kapazitätsüberschreitung käme?
der Reproduktionserfolg der Individuen bei unterschiedlichen Konkurrenzbedingungen.
3.2
Räubertum (Prädation)
Unter dem Begriff Prädation (von lateinisch praeda = Beute) versteht man in der Biologie eine Räuber-Beute-Beziehung, bei der eine Organismenart (der Räuber = Prädator) eine andere (die Beute) tötet und ganz oder teilweise als Nahrung nutzt (+ / – Wechselbeziehung). Bei dem Wort Prädation denkt man in der Regel daran, wie ein Löwe eine Antilope ergreift und auffrisst. Der Begriff steht aber für ein recht breites Spektrum verschiedener Beziehungen, da streng genommen auch ein Tier, das eine ganze Pflanze (samt Wurzeln) frisst und diese damit tötet, als Räuber bezeichnet werden kann. Selbst Pflanzenarten können ihrerseits Prädatoren von Tieren sein und diese mit Tentakeln, Fangblasen oder anderen Organen fangen und anschließend verdauen. Eine besondere Form der Prädation ist der Kannibalismus, wobei Räuber und Beute derselben Art angehören. Kannibalismus dient häufig dazu, die Populationsgröße einer Art zu regulieren. Ein Beispiel hierfür ist die Neigung von Hamsterweibchen ihre Jungen aufzufressen, wenn sie das Gefühl haben, der Platz im Käfig oder das Nahrungsangebot könnte für den Wurf nicht ausreichend sein. Bei Räuber-Beute-Systemen in der freien Natur handelt es sich zumeist nicht um isolierte, einfache Systeme, an denen lediglich zwei Arten beteiligt sind. Üblicherweise findet man stattdessen komplexe Interaktionsnetze, an denen im Normalfall mehr als zwei Arten beteiligt sind. Räuber-Beute-Beziehungen wirken sich bei den beteiligten Partnern immer auch auf den Reproduktionserfolg ihrer Populationen
3.2 Räubertum (Prädation)
aus. Die Räuberpopulation verringert die Größe der Beutepopulation und kann zu einem wichtigen Regulationsfaktor für deren Populationsdichte werden. Umgekehrt kann auch die Beutepopulation durch eine geringe Populationsdichte die Räuberpopulation regulieren. Im Folgenden stellen wir ein mathematisches Modell vor, das die Wechselwirkungen zwischen Räuber- und Beutepopulation beschreibt. Anschließend analysieren wir die zahlreichen Konsequenzen, die sich aus dieser einfachen Abstraktion von Räuber-Beute-Beziehungen ergeben.
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3.2.1 Ein mathematisches Modell beschreibt die Räuber-Beute-Beziehungen In den 1920er Jahren erforschten der Amerikaner Alfred Lotka und der Italiener Vittorio Volterra unabhängig voneinander den Einfluss von Prädation auf das Wachstum von Räuber- und Beutepopulationen und schlugen Möglichkeiten für eine mathematische Beschreibung vor. Dabei gingen sie von Gleichungen aus, die das Wachstum isolierter Populationen beschreiben (siehe Kapitel 4.2), und erweiterten diese um den Einfluss des Räubers auf die Beutepopulation und den der Beute auf die Räuberpopulation. Diese nach ihren „Entdeckern“ benannten Lotka-Volterra-Gleichungen stellen somit einen Zusammenhang zwischen Räuber- und Beutepopulation her, wobei jede der beiden Populationen die Dichte der anderen reguliert. Je größer beispielsweise die Räuberpopulation, desto höher ist als Folge der intensiven Bejagung die Sterberate der Beutepopulation und die Anzahl der Beuteindividuen nimmt ab. Ist die Anzahl der Beutetiere jedoch gering, können nicht mehr alle Räuber genug Nahrung finden, um zu überleben, so dass die Population der Räuber dementsprechend wenig später ebenfalls abnimmt. Dies hat wiederum zur Folge, dass sich die Beutepopulation erholen kann, da nun nicht mehr so viele Räuber zur Verfügung stehen und die Intensität der Bejagung somit geringer ist. Generell ist mit einem Wachstum der Beutepopulation aber erst dann wieder zu rechnen, wenn die Räuber entweder vollständig fehlen oder in ihrer Anzahl stark dezimiert sind. Hat sich die Beutepopulation regeneriert, beginnt der gerade beschriebene Kreislauf von vorne. Ein solcher Zyklus kann sich theoretisch beliebig lange fortsetzen, solange die Umweltbedingungen konstant bleiben und weder Beute noch Räuber in einem betrachteten Lebensraum aussterben. Daher sind über längere Zeiträume betrachtet im Falle konstanter Umweltbedingungen sowohl der Mittelwert der Beute- als auch der der Räuberpopulation konstant. Darüber hinaus liegt der Mittelwert der Beutepopulation zahlenmäßig stets höher als der der Räuberpopulation, da das Verhältnis von Beute zu Räuber stets größer als 1:1 ist. In anderen Worten ausgedrückt: Der Räuber wird in seinem Leben statistisch mehr als ein Beutetier benötigen. Im Verlauf der einzelnen Zyklen kann es jedoch durchaus sein, dass die aktuelle Räuberpopulationsdichte die Beutepopulationsdichte zeitweise übertrifft. Die Beziehungen zwischen der Räuber- und der Beutepopulation können grafisch dargestellt werden. Die grafische Auftragung der Dichte der Räuber- und Beutepopulationen (Y-Achse) gegen die Zeit (X-Achse) ergibt eine gleichmäßig steigende und fallende Schwankung
Abbildung 3.7: Die Venusfliegenfalle – ein Beispiel für einen pflanzlichen Prädator.
73
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
Abbildung 3.8: Grafische Darstellung von Räuber-Beute-Beziehungen nach dem LotkaVolterra-Modell. Der Verlauf der Kurven ist dadurch begründet, dass eine wachsende Räuberpopulation zunehmend mehr Beuteorganismen konsumiert, bis die Beutepopulation deutlich abgenommen hat. Die nun schrumpfende Beutepopulation kann die noch große Räuberpopulation nicht mehr ernähren; viele Räuber verhungern und können sich nicht mehr reproduzieren. Damit verringert auch die Räuberpopulation ihre Dichte schnell bis zu einem Punkt, an dem die Beutepopulation durch erneute Reproduktion ihre vorhergehenden Verluste wieder ausgleichen und weiter anwachsen kann. Damit kommt es automatisch wieder zu einem vermehrten Wachstum der Räuberpopulation.
N1 Beute Beute Räuber
T1
(Oszillation) für beide Populationen, wobei die Zyklen von Räuber und Beute phasenverschoben sind (⇒ Abbildung 3.8). Das Lotka-Volterra-Modell geht von einer gegenseitigen Regulation der Räuber- und Beutepopulation aus. Die Räuber reagieren auf die Veränderungen der Beutepopulation in zweierlei Weise: Zum einen fressen sie umso mehr, je mehr Beute vorhanden ist, und umso weniger, je geringer die Beutedichte ist. Zum anderen kann eine Räuberpopulation auf ein vermehrtes oder verringertes Beuteangebot mit einer höheren beziehungsweise niedrigeren Reproduktionsrate reagieren. Da die Reproduktion der Räuberpopulation im Vergleich zu ihrer Beute relativ langsam erfolgt, variiert die Größe einer Räuberpopulation beispielsweise auch durch Einwanderung von Räubern in Gebiete hoher Beutedichte. Ein solcher Einfluss wird vom Modell jedoch nicht berücksichtigt.
Zu Beginn der 1990er Jahre untersuchten Wissenschaftler des Instituts für Säugetierforschung in Warschau die Reaktion einer Wieselpopulation auf die Populationsdichte zweier Nagetierarten, der Rötelmaus und der Gelbhalsmaus, im Nationalpark Białowieża in Nordostpolen. 1990 führte ein starkes Überangebot an Eicheln, Hainbuchennüssen und Ahornfrüchten zu einem explosionsartigen Anstieg der Populationen von Rötelmaus und Gelbhalsmaus. Die Nahrungsfülle sorgte sogar für eine zusätzliche Nachkommenschaft während des Winters. Im Jahr darauf folgte ein fast vollständiger Zusammenbruch ihrer Populationen. Während die langjährige mittlere Populationsdichte im Gebiet zwischen 28 und 74 Tieren pro Hektar lag, betrug sie 1990 fast 300 und fiel im Folgejahr auf nur 8 Tiere pro Hektar ab. Ursache hierfür war der Verlauf der Räuberpopulation: Die Wieselpopulation folgte in ihrem Verlauf der Populationsentwicklung der Rötel- und Gelbhalsmaus. Normalerweise beträgt die Wieseldichte im Untersuchungsgebiet im Winter zwischen 5 und 27 Tieren pro 10 km² und reduziert sich im Vorfrühling auf Werte zwischen 0 und 19 Tieren. Nach der Geburt der Jungtiere steigt die Anzahl zum Sommeranfang auf 42–47 Tiere pro 10 km² an. Da die Reproduktion der Räuber immer eine bestimmte Mindestzeit benötigt, besteht normalerweise zwischen dem Anstieg einer Beutepopulation und der zahlenmäßigen Reaktion der Räuberpopulation eine gewisse Zeitlücke. In diesem Fall trat diese Situation nicht auf. Wiesel bekommen ihre Jungen im Frühjahr, wobei bei großem Nahrungsangebot auch zwei oder mehr „Würfe“ möglich sind. Die Jungtiere erreichen ihre Geschlechtsreife bereits ein Jahr nach ihrer Geburt und können sich dann ihrerseits reproduzieren. Während der oben beschriebenen Populationsentwicklung der Rötel- und Gelbhalsmaus mit besonders hohen Individuenzahlen konnte, aufgrund des sehr hohen Nahrungsangebots, bereits im gleichen Jahr die Wieseldichte auf 102 Tiere pro 10 km² anwachsen. Im Folgejahr sank sie dann auf 8 Tiere pro 10 km². Zu- und Abnahme der Wieselpopulation standen in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung der Populationsdichte von Rötel- und Gelbhalsmaus im Frühling. Größe der Rötelmaus- und GelbhalsmausPopulation [Individuen pro ha]
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Beispiel
Zeit
280 240 200 160 120
Index der Größe der Wieselpopulation (Anzahl pro 100 Fallen; Nachtfang) Anzahl registrierter Wieselindividuen auf Transsektstrecken von 2,122 km Länge (multipliziert mit dem Faktor 10)
1,6 1,2
80
0,8
40
0,4
0
M J J A S O N D J F MA MJ J A S O N 1990 1991
0
Index der Größe der Wieselpopulation
Populationsdichte
N1 Präd
Abbildung 3.9: Beispiel einer gegenseitigen Regulation von Räuber- und Beutepopulationen. Die y-Achsen zeigen die Populationsdichte der beiden Nagetierarten (links; grüne Kurve) und einen Index, der die Populationsdichte der Wiesel wiedergibt (rechts; Balken). Die braunen Balken stehen für Daten aus Fängen mit Lebendfallen, die orangefarbenen Balken für Daten aus Sichtbeobachtungen und durch Funkortung (Telemetrie).
3.2 Räubertum (Prädation)
An dem in diesem Kapitel beschriebenen Modell von Räuber-BeuteSystemen nach Lotka-Volterra ist darüber hinaus häufig kritisiert worden, es betone allzu stark die gegenseitige Regulation zwischen Räuber- und Beutepopulation. So gelten die Lotka-Volterra-Beziehungen eigentlich ausschließlich für reine Bisysteme, bestehend aus einem Räuber und einer Beute. Solche Systeme sind in Wirklichkeit jedoch selten, da in realen Ökosystemen üblicherweise die Beute von mehreren potenziellen Räubern bejagt wird und der Räuber zumeist auf mehrere potenzielle Beuten zurückgreift. Darüber hinaus steht der Räuber oftmals mit anderen Prädatoren in interspezifischer Konkurrenz und wird gegebenenfalls seinerseits von weiteren Prädatoren bejagt. All diese Einflüsse und Variablen werden vom Lotka-Volterra-Modell ebenfalls nicht berücksichtigt. Dennoch bleiben für Populationsökologen die Lotka-Volterra-Gleichungen aufgrund der relativ einfachen (mathematischen) Beschreibung eines regelmäßigen Zyklus, der tatsächlich, trotz der oben genannten Einschränkungen, bei vielen Räuber-Beute-Systemen nachweisbar ist, weiterhin von Bedeutung. Ihr vielleicht größter Wert besteht darin, dass dieses Modell den Blick für Räuber-Beute-Interaktionen in Ökosystemen schärft und die Bedingungen aufzeigt, die die Kontrolle von Beutepopulationen durch Räuber beeinflussen können.
!
Merke Das Lotka-Volterra-Modell im Überblick 1. Die Populationsgrößen von Räuber und Beute unterliegen regelmäßigen Schwankungen, wobei die Räuberpopulation der Beutepopulation in ihrem Verlauf mit einer gewissen Zeitverzögerung nachfolgt. 2. Die Mittelwerte der Räuber- und Beutepopulationen sind über längere Zeiträume betrachtet konstant, wobei der Mittelwert der Beutepopulation stets höher ist als der der Räuberpopulation. 3. Räuber- und Beutepopulationen regulieren sich gegenseitig. Werden beide Populationen dezimiert, so steigt die Populationsdichte der Beuteindividuen zeitlich stets vor der der Räuberindividuen an.
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3.2.2 Schutzmechanismen gegenüber Räubern Tierarten haben ein breites Spektrum verschiedener Anpassungen entwickelt, die das Aufspüren und den Fang durch Räuber verhindern sollen. Diese Merkmale werden als Schutz- und Abwehrmechanismen bezeichnet. Die einfachste Form eines solchen Mechanismus ist die Flucht, wie beim Feldhasen, bei der Amsel und bei Heuschrecken. Besonders kräftige Tierarten wehren sich direkt über den Kampf, so der Kaffernbüffel oder das Spitzmaulnashorn. Andere potenzielle Beutetiere suchen Verstecke auf, wie das Kaninchen oder die Zauneidechse. Der Übergang zur nächtlichen Lebensweise, wie beim Gartenschläfer, kann ebenfalls der Verringerung des Räuberdrucks dienen. Chemische Abwehrmechanismen sind bei zahlreichen Tiergruppen weit verbreitet. Einige Fischarten setzen Alarm-Pheromone (chemische Signalstoffe) frei, die bei Mitgliedern der gleichen oder verwandten Arten Fluchtreaktionen auslösen. Viele Gliedertiere, Amphibien und Schlangen schrecken Feinde durch geruchsintensive Substanzen ab (⇒ Abbildung 3.10). Den gleichen Zweck haben beispielsweise auch die stark und unangenehm riechenden Sekrete der Stinktiere. Tierarten, die sich vor Räubern schützen müssen, haben noch weitere Mechanismen der Anpassung entwickelt. Zur Tarnung werden Farben und Muster verwendet, die die Beute optisch mit dem Hintergrund verschmelzen lassen (⇒ Abbildung 3.11). Tierarten, die eine solche Anpassung zeigen, zeichnen sich durch eine Schutzfärbung aus, durch die sie in ihrer normalen Umwelt schwierig auszumachen sind. Beispiele für Tarnungen gibt es beispielsweise bei vielen Fischen, Reptilien und Bodenbrütern unter den Vögeln. Bei Insekten kommt es häufig zu einer Objektähnlichkeit der Körperform. Eine solche Tarn- und Verbergetracht bezeichnet man als Mimese. Bei Phytomimesen werden
Abbildung 3.10: Die Baumwanze Cosmopepla bimaculata scheidet ein flüchtiges Sekret aus Drüsen des Hinterleibes aus, das Fressfeinde abschreckt. 75
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
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Abbildung 3.11: Tarnfärbung der Flunder in den flachen Küstengewässern vor dem östlichen Nordamerika. Die meisten Flundern, auch die in Nord- und Ostsee vorkommende Flunder oder die Seezunge, können Hautfarbe und -muster rasch an die jeweilige Umgebung anpassen, was sie vor der Entdeckung durch Räuber wie auch Beute gut schützt.
Abbildung 3.12: Die Gespenstschrecke, ein Blattfresser, sieht einem Zweig zum Verwechseln ähnlich.
Pflanzen und Pflanzenteile nachgeahmt und die Tiere ähneln in Ruhestellung frischen oder trockenen Blättern, Zweigen, Borke oder Flechten. Beispielsweise ähneln Gespenstschrecken Zweigen und Blattheuschrecken Blättern (⇒ Abbildung 3.12). Sehr häufig dient diese Art der Tarnung jedoch nicht ausschließlich dem Schutz vor Fressfeinden, sondern auch dazu, selbst unerkannt Beute zu machen, so zum Beispiel beim Fetzenfisch, der in Küstengewässern lebt und durch eine Vielzahl blattförmiger Auswüchse in seinem Lebensraum, der große Mengen Tang aufweist, perfekt getarnt ist. Bei Zoomimesen besteht eine Ähnlichkeit eines Tieres mit anderen Tierarten. Tierarten, die für Räuber giftig sind, schlecht schmecken oder besonders wehrhaft sind, tragen oft Warnfarben, die zusammen mit auffälligen Mustern potenzielle Räuber abschrecken sollen (Aposematismus). So signalisieren die schwarzweißen Streifen des Stinktiers, das leuch tende Orange des Monarchfalters, die schwarzgelbe Färbung vieler Bienen- und Wespenarten sowie die auffällige Gelb-Rot-Schwarz-Färbung mancher Schlangenarten ihren Gegnern Gefahr. Potenzielle Räuber müssen jedoch mindestens einmal eine unangenehme Erfahrung mit solchen Beutetieren gemacht haben, um Warnfarbe oder -muster mit Ungenießbarkeit oder Schmerz in Verbindung zu bringen. Einige Tierarten, die den gleichen Lebensraum wie solche ungenießbaren Arten bewohnen, verfügen über optische Signale, die der Warnfarbe und dem Farbmuster der für Räuber „gefährlichen“ Arten ähneln (Scheinwarntracht). Es handelt sich in einem solchen Fall um die Nachahmung eines Vorbildes. Dieses Phänomen bezeichnet man als Bates’sche Mimikry; benannt nach seinem Entdecker, dem britischen Naturforscher H. E. Bates (1825–1992). Die ungefährlichen Arten sind die „Nachahmer“, die gefährlichen die „Vorbilder“. Hat der Räuber gelernt, das Vorbild zu meiden, weicht er auch dem Nachahmer aus. Besonders viele Fälle von Mimikry sind von Schmetterlingsarten bekannt, doch dieses Phänomen gibt es auch bei Wirbeltieren und besonders bei Schlangen, wo täuschend ähnlich aussehende giftige und ungiftige Arten existieren (⇒ Abbildung 3.14). Das populärste Beispiel unserer Breiten sind Schwebfliegen, die die schwarz-gelbe Warntracht verschiedener Wespen- und Bienenarten nachahmen. Von Müller’scher Mimikry, benannt nach Johann Friedrich Theodor Müller (1821–1897), einem deutsch-brasilianischen Zoologen, spricht man, wenn zwei oder mehrere ungenießbare oder giftige Arten ein ähnliches Farbmuster aufweisen. Müller’sche Mimikry ist deshalb so erfolgreich, weil ein Räuber lediglich Erfahrungen mit einer einzigen ungenießbaren oder giftigen Art gemacht haben muss, um auch alle anderen ungenießbaren und giftigen Arten mit einer ähnlichen Warnzeichnung zu meiden. Im Gegensatz zur Bates’schen Mimikry gibt es hier weder ein Vorbild noch einen Nachahmer, es handelt sich vielmehr um einen Fall von Signalnormierung und -verstärkung bei gleicher Signalbedeutung. Vermutlich verschafft dies allen beteiligten Arten einen erheblichen Vorteil, denn je ungenießbarer und wehrhafter sie als Beute sind, desto schneller und effizienter passen sich die Räuber an, indem sie jedes Beutetier mit diesem auffälligen Erscheinungsbild meiden.
3.2 Räubertum (Prädation)
(a)
(b)
Abbildung 3.13: Die auffälligen Farben des Monarchfalters (a) und des Zweifarbigen Blattsteiger-Frosches (b) warnen mögliche Fressfeinde vor der Giftigkeit der Tiere.
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Abbildung 3.14: Bates’sche Mimikry: Die Warnfärbung der giftigen Korallenotter (a) wird von der ungiftigen Dreiecksnatter (b) imitiert.
77
Beispiel
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
Müller’sche Mimikry Die schwarzgelben Streifen von (a) Feldwespe, (b) Kreiselwespe, (c) Wollbiene und (d) Jakobskrautbär warnen Räuber, dass die Tiere ungenießbar sind. Die vier Insektenarten sind nicht miteinander verwandt, sie nutzen jedoch das gleiche abschreckende Farbmuster zur Feindabwehr.
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Abbildung 3.15: Beispiele für Müller’sche Mimikry.
Das Tragen von Schalen, Stacheln oder Panzer stellt eine weitere Methode zur Verteidigung dar. Muscheln, Gürteltiere, Schildkröten und viele Käfer sind auf diese Weise über ihren Körperbau geschützt, wenn Gefahr droht. Stachelschweine, Seeigel und Igel besitzen allesamt Stacheln, die Feinde abschrecken sollen. Wiederum andere Tierarten zeigen ein spezifisches Abwehrverhalten. So können Tiere ihr Futtersuchverhalten an die Anwesenheit von Räubern anpassen. Einige Arten geben Warnlaute von sich, wenn sie einen Räuber entdecken. Oftmals dienen solche Alarmrufe zusätzlich dazu, andere Beutetiere herbeizulocken, um gemeinsam den Räuber in
Abbildung 3.16: Moschusochsen versammeln sich im Kreis mit Blick nach außen, um Angreifern gemeinsam Widerstand zu signalisieren. Im Zentrum dieser „Trutzburg“ werden die Jungtiere versammelt.
3.2 Räubertum (Prädation)
die Flucht zu schlagen. Eine weitere Abwehrstrategie besteht in Ablenkungsverhalten, zum Beispiel bei Vögeln das sogenannte „Verleiten“. Tiere, die ein solches Verhalten zeigen, lenken auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Räubers weg vom Nest oder den Jungtieren, indem sie zum Beispiel einen verletzten Vogel imitieren. Auch die Strategie des Totstellens, wie sie etwa bei Rüsselkäfern vorkommt, ist eine Möglichkeit, einem Räuber zu entkommen. Für einige Tierarten stellt Gruppenbildung (Familienverbände, Herden, Rudel, Schwärme) eine Form der Verteidigung dar. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Räuber eine ganze Gruppe von Individuen angreift. Durch eine plötzliche gemeinsame Flucht der ganzen Gruppe können Räuber darüber hinaus verwirrt werden, da sie sich nicht entscheiden können, welchen Individuen sie folgen sollen.
Ebenso wie Beutearten spezifische Anpassungen besitzen, um Räubern zu entkommen, verfügen auch die Räuber über teilweise hochspezialisierte Jagdtechniken. Dabei verfolgen sie im Prinzip immer eine von drei möglichen Jagdstrategien: Auflauern, Anpirschen und Verfolgen. Beim Auflauern wartet der Räuber darauf, dass ein Beutetier vorbeikommt. Diese Methode ist typisch für Krokodile, Eidechsen, einige Froscharten und manche Insekten. Obwohl diese Jagdweise eine relativ geringe Erfolgsquote besitzt und sich in relativ hohem Maße auf Zufälligkeiten verlässt, erfordert sie andererseits auch nur einen minimalen Energieaufwand. Tierarten, die Lauerer sind, dürfen, um möglichst erfolgreich zu sein, nicht sehr auffällig gefärbt oder strukturiert sein. Deshalb zeichnen sich nicht nur potenzielle Beuteindividuen, sondern auch viele Lauerer durch eine Mimese aus, so zum Beispiel die grün bis bräunlich getarnte Gottesanbeterin. Bei der zweiten Strategie (Anpirschen), wie sie Reiher und manche Katzenarten praktizieren, wird Beute gezielt gesucht und schnell und sicher ergriffen. Ein solcher überfallartiger Beuteerwerb findet sich auch bei Springspinnen. Die Suchzeit des Räubers kann lang sein, dafür ist die Verfolgungszeit sehr kurz.
Die Geierschildkröte nutzt eine Kombination von Tarnung und Mimikry, um unentdeckt zu bleiben und Beute anzulocken. Die Zunge der Geierschildkröte hat einen wurmförmigen sich regelmäßig bewegenden, rötlichen Fortsatz. Mit weit geöffnetem Maul lauert die Geierschildkröte im Bodenschlamm Fischen auf. Jeder Fisch, der den „Köder“ fressen will, wird selbst zur Beute und verzehrt, wenn die kräftigen Kiefer der Geierschildkröte sich schlagartig schließen.
Beispiel
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3.2.3 Jagdstrategien der Räuber
Abbildung 3.17: Die Geierschildkröte.
79
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
W iederholun g s f ra g en 3 . 2
1. Erläutern Sie in eigenen Worten den Begriff der Prädation. 2. Entwickeln Sie ein Schaubild zum LotkaVolterra-Modell, aus dem die gegenseitige Beeinflussung der Räuber- und Beutepopulationen ersichtlich wird. Benutzen Sie für Ihre Aussagen folgende proportionale und antiproportionale Zuordnungen: Je mehr …, desto …; Je weniger …, desto … 3. Das Lotka-Volterra-Modell der RäuberBeute-Beziehung geht von einer gegenseitigen Regulation von Räuber- und Beutepopulation aus, die zu regelmäßigen Schwankungen (Oszillationen) der beiden Populationsdichten führt (siehe Abbildung 3.8). Erklären Sie, warum die Räuberpopulation stets der Beutepopulation zeitlich „nachlaufen“ muss.
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4. Stellen Sie die verschiedenen Formen der Abwehrmechanismen gegen Feinde in einer Tabelle dar. 5. Stellen Sie kurz die drei verschiedenen im Text genannten Jagdstrategien dar und erläutern Sie begründet und in Hinblick auf Kompromissanpassungen (trade-offs) mögliche Vor- und Nachteile der jeweiligen Strategien.
Bei der dritten Strategie (Verfolgen) dagegen, die typisch für viele Greifvögel, Löwen, Wölfe und insektenfressende Fledermäuse ist, ist die Suchzeit minimal, weil der Räuber in der Regel weiß, wo sich die Beute befindet. Dafür ist die Verfolgungszeit und der damit einhergehende Energie- und Ressourcenaufwand jedoch umso größer. Bei praktisch allen ökologischen Sachverhalten und Diskussionen geht es immer wieder um die Frage der Kompromisse (engl. tradeoffs) zwischen den Erfordernissen der verschiedenen Umwelten und den ganz spezifischen „Lösungen“, die jede Art im Laufe ihrer Stammesgeschichte „gefunden“ hat. So sind alle drei dargestellten Jagdstrategien mit unterschiedlichen Vorzügen und Nachteilen ausgestattet und können stets als Kompromissanpassungen interpretiert werden. Lauer- und Pirschjäger verwenden allgemein relativ wenig Energie für den Beuteerwerb, benötigen jedoch relativ viel Zeit zum Aufspüren der Beute. Verfolgungsjäger benötigen hingegen viel Energie zum Fangen und Verarbeiten der Beute und investieren andererseits relativ wenig Zeit in den Vorgang der Beutesuche.
3.3
Andere Formen der Wechselwirkung
In den vorhergehenden Abschnitten haben wir erfahren, dass Lebewesen in Konkurrenz zueinander treten und zumeist in Räuber-BeuteBeziehungen leben, also interspezifische Beziehungen ausbilden. Darüber hinaus gibt es jedoch noch eine Reihe weiterer Formen der biotischen Wechselwirkungen. Hierzu gehören der Parasitismus, die Herbivorie, ferner der Mutualismus (= Symbiose), die Parabiose und die Metabiose. Im folgenden Unterkapitel werden diese unterschiedlichen Formen der Wechselwirkung dargestellt und mit Beispielen verdeutlicht. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass es viele Fälle gibt, bei denen eine präzise Abgrenzung zwischen den verschiedenen Beziehungstypen nicht eindeutig getroffen werden kann. Auch wenn die konkrete Zuordnung einer interspezifischen Beziehung zu einem der oben genannten Typen oftmals schwierig bis unmöglich ist, ist es praktisch immer möglich abzuschätzen, ob eine an einer solchen Beziehung beteiligte Art aus der gegebenen Wechselbeziehung einen Vorteil zieht oder dadurch einen Nachteil hat. Die Symbole + und – kennzeichnen die Auswirkung der einzelnen interspezifischen Beziehungen auf das Überleben und die Reproduktion des jeweiligen Partners. Eine 0 weist darauf hin, dass ein Partner durch die Interaktion nicht oder nur wenig beeinflusst wird.
3.3.1 Parasitismus Parasitismus (Schmarotzertum) ist eine Beziehung zweier Organismenarten, wobei die eine Art (der Parasit) sich von der anderen Art (dem Wirt) ernährt (+ / – -Interaktion). Parasiten, die im Körperinneren des Wirtes leben, bezeichnet man als Endoparasiten. Leben sie dagegen auf der Körperoberfläche des Wirtes, wie im Falle von Zecken oder Läusen, nennt man sie Ektoparasiten. Der Wirt wird vom Parasiten
3.3 Andere Formen der Wechselwirkung
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immer geschädigt, es kommt durch die Schädigung jedoch in der Regel nicht zum Tode des Wirtes. Eine besondere Form und Ausnahme in dieser Hinsicht ist der Raubparasitismus durch Parasitoide zum Beispiel bei Schlupfwespen und Raupenfliegen. Bei diesen werden die Eier des Parasitoiden auf oder in einem lebenden Wirtsorganismus abgelegt (Abbildung 3.1). Die aus den Eiern schlüpfenden Larven ernähren sich vom Körpergewebe des Wirtes und töten ihn schließlich am Ende ihrer Entwicklung. Nach den Schätzungen mancher Ökologen sind ein Drittel aller Organismenarten auf der Erde Parasiten. Nach der Körpergröße werden sie in zwei Gruppen eingeteilt: Mikro- und Makroparasiten. Zu den Mikroparasiten zählen Viren, Bakterien, manche Einzeller und kleinere Pilze. Sie entwickeln und vermehren sich schnell im Inneren ihres Wirts. Einen Befall mit parasitären Mikroorganismen bezeichnet man auch als Infektion. Im Vergleich zu der Lebensspanne des Wirtes ist eine Infektion meist von geringer Dauer. Die Übertragung von Wirt zu Wirt erfolgt im Allgemeinen auf direktem Wege und ohne sogenannten Zwischenwirt. Makroparasiten sind relativ groß und zumeist ohne Mikroskop zu erkennen. Zu ihnen zählen neben zahlreichen Ektoparasiten einzelne Vertreter der Plattwürmer wie der Kleine Leberegel, der ein breites Spektrum von Wirbeltieren befällt, der Große Leberegel, dessen Endwirt Rinder, Schafe, aber auch Schweine sind, sowie die Bandwürmer. Bei zahlreichen dieser Endoparasiten gibt es Entwicklungsphasen in Zwischenwirten, die Übertragung findet somit vom Endwirt auf den Zwischenwirt und wieder zurück zum Endwirt statt. Die detaillierten Generationszyklen solcher Parasiten können sehr kompliziert sein und unter anderem Larvenstadien und Phasen der geschlechtlichen Fortpflanzung und ungeschlechtlichen Vermehrung beinhalten.
Abbildung 3.18: Misteln sind Hemiparasiten (Halbschmarotzer). Sie sind zwar zur Photosynthese fähig, treiben aber Wurzeln in das Holz ihres Wirts und entziehen ihm Wasser und Nährstoffe. 81
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
Abbildung 3.19: Der Entwicklungszyklus des Pärchenegels.
1 Erwachsene Pärchenegel leben in den Blutgefäßen des menschlichen Darms. Der weibliche Pärchenegel passt genau in eine Längsfurche, die sich über die ganze Länge des größeren Männchens zieht (rechts, lichtmikroskopische Aufnahme).
5 Treffen sie wieder auf den Menschen, der mit kontaminiertem Wasser in Kontakt kommt (zum Beispiel bei der Arbeit in Reisfeldern), bohren sich die Larven durch die Haut und gelangen schließlich in die Blutgefäße.
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4 Ungeschlechtliche Vermehrung über zwei Generationen im Zwischenwirt führt zu einer anderen beweglichen Larve mit Gabelschwanz (ohne Bewimperung), die den Zwischenwirt verlässt und ins freie Wasser Schneckenwirt gelangt.
Männchen
Weibchen
1 mm 2 Pärchenegel vermehren sich in ihrem menschlichen Wirt geschlechtlich. Die befruchteten Eier gelangen mit dem Kot (Fäzes) des Wirts ins Freie. 3 Wenn der Kot in einen Tümpel oder eine andere Süßwasserquelle gelangt, entwickeln sich aus den Eiern bewimperte Larven. Diese Larven infizieren Wasserschnecken, die ihnen als Zwischenwirte dienen.
Bei pflanzlichen Parasiten unterscheidet man zwischen Hemiparasiten und Holoparasiten einerseits und zwischen Sprossparasiten und Wurzelparasiten andererseits. Sind die parasitär lebenden Pflanzen noch zur Photosynthese in der Lage, spricht man von Hemiparasiten (= Halbparasiten). Viele pflanzliche Parasiten haben die Photosynthese jedoch ganz aufgegeben und sind für ihre Versorgung mit Wasser und Nährstoffen vollständig auf ihre Wirte angewiesen, in diesem Fall werden sie als Holoparasiten (= „vollständige Parasiten“) bezeichnet. Zu den Wurzelparasiten zählen viele Braunwurzgewächse, wie zum Beispiel der Augentrost, die im Wurzelbereich ihres Wirts viele organische Stoffe, Wasser und weitere Nährstoffe aufnehmen. Gleiches gilt für die Sprosshemiparasiten, zu denen zum Beispiel die Mistel zählt. Beide Formen unterscheiden sich folglich durch ihre „Anzapfstelle“ am Wirtsorganismus. Darüber hinaus gibt es einige Pflanzen, die an Tieren parasitieren, so die nicht tötenden Fallenblumen (Aronstab) und die Täuschblumen (Ragwurz), die Tiere als Pollenüberträger nutzen. Besonders artenreich sind tierische Parasiten, die an Tieren leben; sie kommen praktisch in allen größeren Tiergruppen vor und beinhalten solch prominente „Plagegeister“ wie Mücken, Bremsen oder Zecken. Sonderformen sind der Brutparasitismus zum Beispiel des Kuckucks in Europa, der Kuhstärlinge in Nordamerika oder der Witwenvögel in Afrika. Viele Tierarten können an Pflanzen parasitisch leben, wie die Pflanzensaft saugenden Wanzen, Zikaden oder Blattläuse. Viele Parasiten durchlaufen einen komplizierten Lebenszyklus mit mehreren Wirtsorganismen. Der Pärchenegel Schistosoma zum Bei-
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3.3 Andere Formen der Wechselwirkung
spiel, mit dem heute weltweit rund 200 Millionen Menschen infiziert sind, besiedelt im Laufe seines Lebenszyklus zwei Wirte: den Menschen und Süßwasserschnecken (⇒ siehe Abbildung 3.19). Manche Parasiten beeinflussen das Verhalten ihrer Wirte, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Parasit von einem Wirtsorganismus auf einen anderen übertragen wird, erheblich steigt. Die parasitisch lebenden Kratzer bewirken zum Beispiel bei ihren Wirten (Krebsen) ein untypisches Verhalten: Diese verlassen nach dem Parasitenbefall ihre Verstecke und begeben sich ins Freie. Solche Krebse werden häufiger von Vögeln gefressen, die im Lebenszyklus des Parasiten das zweite Wirtsstadium darstellen. Ähnlich wie bei den Räuber-Beute-Beziehungen beschrieben, gibt es auch bei den Wechselbeziehungen zwischen Parasiten und ihren Wirten eine Reihe von Anpassungen als Schutz- und Abwehrmechanismen gegen Parasitenbefall. Einige dieser Mechanismen hemmen den Befall selbst, andere wiederum dienen zur Bekämpfung der Folgen, zum Beispiel im Fall von Infektionen. Unter die Schutz- und Abwehrmechanismen fallen zahlreiche Verhaltensweisen gegen einen Parasitenbefall. Vögel und Säugetiere entledigen sich der Ektoparasiten auf ihrer Körperoberfläche durch gezielte Körperpflege. Bei Vögeln besteht diese vor allem aus Gefiederputzen, wobei das Federkleid mit dem Schnabel und durch Kratzen mit den Krallen gesäubert wird. Auch durch das Aufsuchen bestimmter Habitate kann ein Parasitenbefall reduziert werden. So suchen beispielsweise Wildschweine gerne Suhlen auf und wälzen sich darin, um Parasiten von der Haut fernzuhalten. Die Bildung eines Schorfs auf der Haut kann ebenfalls einen Befall durch Parasiten erschweren. Ebenso gibt es die Möglichkeit, dass sich im Gewebe der Haut oder der Muskeln verhärtete Zysten bilden, die die Parasiten einschließen und dadurch isolieren. Pflanzen reagieren oft auf Bakterien- und Pilzbefall durch die Bildung von Gewebeverdickungen oder, wenn ihre Früchte befallen sind, ebenfalls durch Schorfbildung, um dadurch das Übergreifen der Parasiten auf angrenzendes gesundes Gewebe zu unterbinden. Die Mortalitätsrate von Wirtsorganismen kann ansteigen, obwohl der Parasitenbefall selber nicht unmittelbar zum Tode führt. Zecken zum Beispiel, die als Ektoparasiten an Elchen leben, schwächen ihre Wirte durch Blutentzug, was bei den Elchen zum Erbrechen und zum Verlust der Fellhaare führen kann. Dies wiederum hat zur Folge, dass befallene Elche häufiger an Unterkühlung sterben oder durch räuberische Wölfe gerissen werden. Hinsichtlich ihrer Populationsdynamik folgen die Wechselwirkungen zwischen Parasiten und ihren Wirten grundsätzlich den in Kapitel 3.2.1 dargestellten Gesetzmäßigkeiten der Lotka-Volterra-Beziehungen. Dies ist der Fall, da unter anderem sowohl die Populationsdichte der Wirtsorganismen Einfluss auf diejenige der Parasiten hat, als auch umgekehrt. Dennoch gibt es einige charakteristische Unterschiede, so übertrifft die Anzahl der Parasiten üblicherweise die Anzahl ihrer Wirte. Über die Frage ob die Lotka-Volterra-Regeln in gleicher Weise wie für Räuber-Beute-Beziehungen auch für Parasit-Wirt-Beziehungen gelten, kann man daher im Detail streiten.
!
Merke Parasiten Parasiten sind Organismen, die sich für ihre Ernährung auf Teile (Zellen, Gewebe, Körperflüssigkeiten) eines lebenden Organismus einer anderen Art stützen, diesen dabei jedoch üblicherweise lediglich schädigen und nicht töten.
83
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
3.3.2 Herbivorie
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Abbildung 3.20: Ein Karibik-Manati in Florida beim Fressen von Wasserhyazinthen.
Abbildung 3.21: Mit Dornen schützt sich diese Akazie gegen Pflanzenfresser.
Unter Herbivorie (Phytophagie) versteht man in der Ökologie eine + / – -Interaktion, bei der der Herbivor Teile von Pflanzen (oder Algen) verzehrt (Pflanzenfresser). Ein Tier, das eine komplette Pflanze frisst, könnte man demgegenüber als einen Räuber bezeichnen. In der Regel verkraften und überleben jedoch Pflanzenindividuen eine solche Herbivorie. In dieser Hinsicht handelt es sich daher bei Herbivorie eher um einen Parasitismus mit dem Herbivor als Parasiten und der Pflanze als Wirt als um eine Räuber-Beute-Beziehung. Herbivore Säugetiere und Insekten treten in den verschiedensten Biomen der Erde auf: Besonders artenreich sind sie in den Savannen, Steppen, Halbwüsten und Tundren. Dennoch handelt es sich bei den meisten Pflanzenfressern um Wirbellose wie Heuschrecken, Schmetterlingsraupen, Landschnecken und Käfer. Im Meer lebende Pflanzenfresser sind unter anderem marine Schnecken, Seeigel, manche tropische Fische und sogar einige Säugetiere wie die Seekühe oder Manatis (⇒ Abbildung 3.20). Man kann Herbivoren nach den jeweils konsumierten Pflanzenorganen in folgende Typen einteilen: Blatt- und Sprossherbivoren, Holzfresser, Pflanzensaftsauger, Wurzelherbivoren, Pollenfresser, Samen- und Früchtefresser. Herbivoren nehmen in der Regel – bezogen auf alle Biome der Erde – nur wenige Prozent der produzierten Pflanzenmasse auf (in manchen Biomen wie der Savanne mit großen Weidegängern jedoch bis zu 40 Prozent); dennoch gibt es auch Beispiele einer destruktiven Herbivorie. So nehmen Schneegänse ganze Salzmarschpflanzen mit Wurzeln auf, beispielsweise die Segge und den Strandwegerich. In diesem Fall verhalten sie sich wie ein Räuber und nicht wie ein „klassischer“ Pflanzenfresser, der, wie zum Beispiel Kühe, eine Wiese nur „abgrast“ und dabei die Pflanzen in einer Form zurücklässt, die ihnen eine Regeneration ermöglicht. Ebenso wie Räuber verfügen auch die Herbivoren über viele Sonderanpassungen. Zahlreiche herbivore Insektenarten tragen an ihren Beinen chemische Sensoren, mit deren Hilfe sie zwischen giftigen und ungiftigen sowie zwischen mehr oder weniger nährstoffreichen Pflanzen unterscheiden können. Ziegen und andere herbivore Säugetiere prüfen die Pflanzen über ihren Geruchssinn, weisen manche zurück und fressen andere. Häufig nehmen Herbivoren daher nur bestimmte Pflanzenteile auf, die beispielsweise besonders stickstoffreich oder wasserhaltig sind. Viele Herbivoren besitzen darüber hinaus hochgradig angepasste Mundwerkzeuge, bestimmte Zahnstrukturen oder Verdauungsorgane, die auf die Verwertung pflanzlicher Nahrung spezialisiert sind. Ein prominentes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Verdauungstrakt von wiederkäuenden Säugern. Pflanzen müssen sich in umgekehrter Weise und analog zu den Schutzmechanismen der Tiere vor Prädatoren vor Herbivorie schützen. Als Abwehrmechanismen dienen ihnen oftmals spezifische chemische Substanzen oder Strukturen wie Stacheln und Dornen. Zur biochemischen Verteidigung werden in der Regel sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe eingesetzt.
3.3 Andere Formen der Wechselwirkung
Sekundäre Pflanzenstoffe Sekundäre Pflanzenstoffe sind Substanzen, die von Pflanzen produziert werden und bei den essenziell lebensnotwendigen Prozessen wie Photosynthese, Wachstum oder Zellatmung keine Rolle spielen. Viele dieser Stoffe machen die Pflanzen für Fressfeinde schwerer verdaulich oder sogar ungenießbar. Obwohl diese Inhaltsstoffe chemisch äußerst vielfältig sind, kann man sie aufgrund ihrer Struktur grob in drei Gruppen unterteilen. Stickstoffverbindungen (z. B. Alkaloide wie Morphin, Atropin, Nikotin, Strychnin), Terpenoide (z. B. Öle, Latex, Harze) und Phenole (z. B. Tannine, Lignine). Da der biochemische Nutzen oder Zugewinn, den eine Pflanze durch die Synthese solcher Substanzen hat, unklar ist, bezeichnete man diese Substanzen als „sekundär“. Trotz des auf den ersten Blick unklaren Nutzens werden solche Sub stanzen von vielen Pflanzen in erheblichen Mengen produziert und manche Pflanzen werden vom Menschen gerade wegen der sekundären Inhaltsstoffe wirtschaftlich genutzt. Einige Beispiele hierfür sind Gewürzpflanzen wie Rosmarin oder Thymian, Kaffeebohnen und Tabak. Das Vorkommen der sekundären Pflanzenstoffe lässt sich praktisch immer in einem ökologischen und evolutionsbiologischen Kontext erklären: Die energetischen Kosten für die Synthese solcher Substanzen werden durch den ökologischen Nutzen für die Pflanze kompensiert, wenn man in Betracht zieht, dass die sekundären Pflanzenstoffe beispielsweise Bestäubungsinsekten anlocken oder als Fraßschutz gegen Herbivoren dienen können.
(b)
Tentakel
Mundregion mit Umfeld
Epidermis
Schlundrohr
Epidermis
Innenhaut Außenskelett
Wenn man den zeitlichen Verlauf der Populationsdichten von Herbivoren und den ihnen als Nahrungsquelle dienenden Pflanzen grafisch aufträgt, erhält man, ähnlich wie bei den Parasit-Wirt-Interaktionen, Kurven, deren Verlauf denen von Räuber-Beute-Systemen ähneln. Ähnlich wie bei Parasiten und ihren Wirten gibt es jedoch auch bei Pflanzen und Herbivoren charakteristische Abweichungen vom Modell der gegenseitigen Beeinflussung der Populationsdichten nach Lotka-Volterra.
Algen in der Innenhaut
Septen Basalplatte
Abbildung 3.22: (a) Fotografie von einzelnen Polypen der Großen Sternkoralle, (b) Anatomie eines Korallenpolypen mit der Lage der symbiontischen Algen.
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3.3.3 Symbiose (Mutualismus) Als Symbiose oder Mutualismus bezeichnet man eine Beziehung zwischen Individuen zweier Arten, die für die Angehörigen beider beteiligten Arten vorteilhaft ist (+ / +). Durch das Zusammenleben verbessern beide Arten ihre Überlebenschancen und ihren Reproduktionserfolg. An einem Mutualismus können Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen oder Pilze beteiligt sein. Mutualistische Beziehungen entstehen im Wesentlichen im Rahmen von Ernährungs-, Transport-, Schutz- und Siedlungsbeziehungen. Bei der Endosymbiose lebt einer der Symbionten im Körper des anderen, im Falle der Ektosymbiose außerhalb. Je nach Stärke der Bindung zwischen den beiden Partnern unterscheidet man zwischen einem fakultativen Mutualismus und einem für beide Partner lebensnotwendigen obligaten Mutualismus („echte“ Symbiose im engeren Sinne). Im Fall eines obligaten Mutualismus kann die Verbindung beider Partner so eng sein, dass man sie als regelrechte Doppelorganismen bezeichnen kann. Ein Beispiel hierfür sind riffbildende Korallen der Tropengewässer (zumeist Steinkorallen), die mit einzelligen Algen in Symbiose leben. Die Algen treten über 90 Prozent ihrer Photosyntheseprodukte an die Korallen ab und werden dafür von der Koralle mit Stickstoffverbindungen (zum Beispiel Aminosäuren) ver-
!
Merke Interspezifische Beziehungen im Überblick Interspezifische Beziehung
Art der Wechselbeziehung (positiv, negativ, neutral)
Konkurrenz
(+ / –) oder (– / –)
Prädation (Räuber-Beute-Beziehungen)
(+ / –)
Parasitismus
(+ / –)
Herbivorie
(+ / –)
Mutualismus / Symbiose
(+ / +)
Parabiose
(+ / 0)
Metabiose
(+ / 0)
85
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
Symbiontische Stickstofffixierung Ein unentbehrlicher Bestandteil vieler biologisch wichtiger Stoffe ist Stickstoff. Obwohl molekularer Stickstoff (N2) mit 79 Prozent den Hauptanteil der atmosphärischen Gase (= Luft) ausmacht, kann er von den meisten Lebewesen in dieser Form nicht genutzt werden, sondern er muss – wie im Fall der Pflanzen – als Ammoniumion (NH4+) beziehungsweise Nitration (NO3–) vorliegen. Eine Organismengruppe, die gasförmigen Stickstoff verwerten kann, sind Luftstickstoff fixierende Bakterien. Ein Teil von ihnen lebt frei im Boden oder an der Bodenoberfläche wie die Bakterien Azotobacter, Clostridium und Rhodospirillum oder die Blaualgen Anabaena, Nostoc und Calothrix. Ein anderer Teil lebt symbiontisch wie die Bakterien der Gattung Rhizobium. Schmetterlingsblütengewächse wie Klee, Erbsen und Boh-
nen geben Enzyme und Signalstoffe in ihren Wurzelbereich (Rhizo sphäre) ab und locken dadurch Bakterien der Gattung Rhizobium an. Die Rhizobien wandern in das Innere der Wurzelhaare, wo sie sich vermehren. Die infizierten Wurzelzellen schwellen an, es bilden sich kleine Verdickungen („Wurzelknöllchen“) (⇒ Abbildung 3.23). Dann beginnen die Bakterien, den gasförmigen Stickstoff aus der Luft zu Ammoniumverbindungen (NH4+) zu reduzieren. Bereits in dieser Phase kann die Pflanze den Stickstoff für ihr eigenes Wachstum nutzen. Man bezeichnet diesen Vorgang als symbiontische Stickstofffixierung. Die Bakterien erhalten von ihrer Wirtspflanze Kohlenstoffverbindungen und andere Nährstoffe, während die Pflanze unabhängig von anderen Stickstoffquellen von den Bakterien mit Stickstoff, den diese aus der Luft gewonnen haben, versorgt wird.
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Abbildung 3.23: Stickstoff fixierende Bakterien („Knöllchenbakterien“) der Gattung Rhizobium (a) infizieren die Wurzeln, worauf sich Verdickungen bilden (b). Die Bakterien entziehen der Pflanze Kohlenstoffverbindungen und geben im Gegenzug aus der Luft assimilierten Stickstoff an die Pflanze ab.
sorgt, die ohne die Korallen in den nährstoffarmen tropischen Meeren für die Algen nicht zu gewinnen wären. In den Bereich der Mutualismen gehören darüber hinaus beispielsweise auch die Blüten- / Blütenbesucher-Beziehungen, bei der die Pollenübertragung durch Tiere erreicht wird. Diese werden dafür beispielsweise mit Nektar oder Pollen versorgt. Eine Bestäubung wird unter anderem durch Insekten, Vögel, Fledermäuse oder Reptilien gewährleistet. Man sollte jedoch vorsichtig mit der Annahme oder Verallgemeinerung sein, dass mutualistische Beziehungen ein Beispiel für die Überlegenheit von Kooperationen oder altruistischem Verhalten im Allgemeinen darstellen. Untersuchungen weisen vielmehr darauf hin, dass jeder der beiden Partner versucht, den größten (Eigen-)Nutzen aus der mutu alistischen Beziehung zu ziehen, und dass Symbiosen keinesfalls aus einer reinen Kooperationsbereitschaft beider Partner erwachsen.
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3.3 Andere Formen der Wechselwirkung
3.3.4 Parabiose und Metabiose
W iederholun g s f ra g en 3 . 3
Eine Wechselbeziehung zwischen zwei Arten, die für die eine Art von Vorteil ist, der anderen aber weder nutzt noch schadet (+ / 0), bezeichnet man als Parabiose („Nebeneinanderleben“). Bei der Parökie nutzt eine Art den Schutz einer anderen. Viele ansonsten einzeln brütende Vogelarten der Meeresküsten, zum Beispiel Eiderenten, nisten in Brutkolonien aggressiver Seeschwalben und sind somit vor Prädatoren besser geschützt. Eine andere Form der Parabiose ist die Synökie (Einmietung). So leben viele Gliedertiere wie Schimmelkäfer oder Larven von Schmetterlingsmücken in Vogel-, Säugetier- oder Hummelnestern und ernähren sich dort unter anderem von Abfallstoffen, Nistmaterial oder Schimmelpilzen. Eine weitere Form der Parabiose ist die Epökie, die Besiedlung eines anderen Organismus. So leben Algen auf dem Panzer von Meeresschildkröten oder Rankenfußkrebse auf Walen. Die „Passagiere“ haben dabei eine feste Unterlage zum Siedeln und für ihren Wirt gibt es offenbar keine schädliche Auswirkung. Je nach Befallsrate besteht jedoch durchaus die Möglichkeit, dass sie den Fortpflanzungserfolg des Wirtes vermindern, da dieser bei der Nahrungssuche oder bei der Flucht vor natürlichen Feinden in seiner Beweglichkeit eingeschränkt wird. Dies ist jedoch nicht die Regel. Handelt es sich bei der Parabiose um eine Nahrungsbeziehung, so spricht man von Kommensalismus („Essen vom selben Tisch“). Schneehühner halten sich häufig in der Nähe von Rentierherden auf, denn die Rentiere schaffen vom Schnee freie Stellen, an denen die Schneehühner direkt die Vegetation zur Nahrungsaufnahme erreichen können. Die bisher vorgestellten Beziehungen zwischen Arten finden zum gleichen Zeitpunkt statt. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die eine Art erst die Lebensbedingungen für das Vorkommen einer zweiten Art schafft. Solche auf einer Folgenutzung beruhenden Bisysteme bezeichnet man als Metabiosen. Sie treten recht häufig auf; viele Vogelarten, so zum Beispiel die Hohltaube, der Kleiber oder die Dohle nisten in Baumhöhlen. Alle diese Tierarten können jedoch selbst keine Baumhöhlen bauen. Sie sind auf Spechte angewiesen, die diese einst für sich selbst hergestellt haben, dann aber nicht mehr nutzten. Alle beschriebenen interspezifischen Beziehungen – Konkurrenz, Prädation, Parasitismus, Herbivorie, Mutualismus, Parabiose einschließlich Kommensalismus und Metabiose – haben einen großen Einfluss auf die Struktur von Lebensgemeinschaften. Zwischen den einzelnen Beziehungstypen gibt es oftmals fließende Grenzen und Übergänge, so zum Beispiel zwischen pflanzensaftsaugenden Parasiten und „klassischen“ Herbivoren, zwischen Mutualismus und Parasitismus bei Mykorrhizen oder zwischen bestimmten Formen der Parabiose und des Parasitismus.
1. Erläutern Sie den Begriff des Parasitismus in eigenen Worten. Gehen Sie dabei auch auf die verschiedenen Formen ein. 2. Stellen Sie in einer Gesamtübersicht dar, welche Abwehr- und Schutzstrategien Pflanzenarten gegen herbivore Tierarten entwickelt haben und auf welche Weise Tierarten auf diese Anpassungen reagieren. 3. Die Wechselbeziehungen zwischen den Populationen von a) Parasiten und ihren Wirten und b) Pflanzen und Herbivoren ähneln in mancherlei Hinsicht den Wechselbeziehungen zwischen Räubern und ihrer Beute. Fassen Sie für a) und b) die Wechselbeziehungen zwischen den jeweiligen Populationen stichwortartig zusammen und leiten Sie daraus charakteristische Unterschiede hinsichtlich der gegenseitigen Regulation der Populationen ab. Beurteilen Sie begründet, inwiefern das Lotka-Volterra-Modell auf die Interaktionen zwischen Parasiten und ihren Wirten und Pflanzen und Herbivoren anwendbar ist, und diskutieren Sie Grenzen des Modells. 4. Erklären Sie mit Hilfe eigener Beispiele, was man unter Mutualismus versteht und welche verschiedenen Arten von Mutualismus es gibt. 5. Stellen Sie dar, weshalb man bei der Interaktion zwischen Leguminosen (Pflanzen) und Rhizobien (Bakterien) von einer mutualistischen Beziehung spricht. 6. Stellen Sie dar, auf welche Weise sich Konkurrenz, Prädation und Mutualismus in ihren Auswirkungen auf die beteiligten Populationen zweier Arten unterscheiden. 7. Schnecken fressen Algen, deren Wachstum von Nährstoffen gefördert wird, die über Düngemittel in Ökosysteme eingebracht werden. Auf welche Weise könnte die Nährstoffanreicherung des Wassers, das zur Bewässerung der Felder dient, das Auftreten von Schistosoma beeinflussen? Begründen Sie Ihre Antwort unter Einbeziehung von Abbildung 3.19. 87
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Zusammenfassung
3 Biotische Umweltfaktoren – Einflüsse der belebten Natur
Unter biotischen Umweltfaktoren werden alle Einflüsse der belebten Natur zusammengefasst. Hierzu zählen die wechselseitigen Beziehungen zwischen Individuen derselben Art (intraspezifische Beziehungen) oder unterschiedlicher Arten (interspezifische Beziehungen). Beispiele sind Konkurrenzsituationen um Nahrung oder Lebensräume, aber auch RäuberBeute-Beziehungen. Konkurrenz (3.1) Konkurrenz bedeutet Wettbewerb um Nahrung, Raum oder andere ökologisch wichtige Ressourcen zwischen Individuen, die in ihren Lebensansprüchen ähnlich sind und nebeneinander vorkommen. Konkurrenz zwischen Individuen der gleichen Art bezeichnet man als intraspezifische Konkurrenz. Bei der interspezifischen Konkurrenz konkurrieren die Individuen von zwei oder mehreren Arten um eine begrenzte Ressource. Treten die konkurrierenden Individuen nicht in direkten Kontakt miteinander, findet die Konkurrenz über Ausbeutung (engl. exploitation) statt. Interagieren die Individuen hingegen direkt miteinander, spricht man von Interferenz (engl. interference). Nach dem Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip können zwei Arten nicht am selben Ort und zur selben Zeit in einer Lebensgemeinschaft existieren, wenn sie die gleiche ökologische Nische besetzen. Unter der ökologischen Nische versteht man die Summe aller von einer Art in ihrer jeweiligen Umwelt genutzten biotischen und abiotischen Ressourcen. So können mehrere Arten durchaus den gleichen geografischen Lebensraum haben, solange sie unterschiedliche ökologische Nischen besetzen. Prädation (Räubertum) (3.2) Unter dem Begriff Prädation versteht man eine Räuber-BeuteBeziehung, bei der eine Organismenart (der Räuber = Prädator), eine andere (die Beute) tötet und ganz oder teilweise als Nahrung nutzt. Lotka und Volterra erforschten das Wachstum von Räuber- und Beutepopulationen und formulierten neben mathematischen Modellen verschiedene Regelmäßigkeiten bezüglich des Populationswachstums. So unterliegen die Populationsgrößen von Räuber und Beute regelmäßigen Schwankungen, wobei die Mittelwerte der Räuber- und Beutepopulationen über längere Zeiträume betrachtet konstant sind. Räuber- und Beutepopulationen regulieren sich gegenseitig. Die Prädation führt sowohl bei der Beute als auch bei den Räubern zu viel-
fältigen Anpassungen. Beutearten haben eine Vielzahl von Schutz- und Abwehrmechanismen ausgebildet, um sich erfolgreich gegenüber den Räubern zu verteidigen oder anderweitig zu schützen. Hierzu zählen unter anderem chemische und mechanische Abwehrmechanismen, Tarnungen, das Ausbilden von Warnfarben (Aposematismus und Müller’sche Mimikry), Scheinwarntrachten (Bates’sche Mimikry) oder ein spezifisches Abwehrverhalten. Bei den Jagdstrategien der Räuber unterscheidet man das Auflauern, Anpirschen und Verfolgen. Manche Räuber verwenden Tarntrachten oder Beuteattrappen, um leichter an Beutetiere zu gelangen. Andere Formen der Wechselwirkung (3.3) Parasitismus, Herbivorie, Mutualismus (= Symbiose), Parabiose und Metabiose stellen weitere Formen der Wechselwirkung zwischen Individuen verschiedener Arten und damit biotische Faktoren dar. Beim Parasitismus ernährt sich der Parasit von einem zweiten Organismus, dem Wirt, der dabei geschädigt, aber in der Regel nicht getötet wird. Abhängig vom Ort, an dem sich der Parasit aufhält, wird zwischen Ekto- und Endoparasiten unterschieden. Ektoparasiten leben auf dem Wirt, wohingegen Endoparasiten im Inneren ihres Wirts zu finden sind. Herbivoren fressen Teile von Pflanzen; die Pflanze jedoch überlebt in der Regel den Herbivorenfraß, so dass die Herbivorie als ein Sonderfall des Parasitismus anzusehen ist. Pflanzen haben verschiedene mechanische und chemische Abwehrmechanismen entwickelt, um sich gegen Herbivorie zu schützen. Beim Mutualismus, auch Symbiose genannt, profitieren beide beteiligten Arten von der Wechselbeziehung zwischen den Partnern. Ähnlich wie beim Parasitismus unterscheidet man je nach Ort des Zusammenlebens zwischen Endo- und Ektosymbionten. Bei der Parabiose profitiert eine Art von der Wechselbeziehung, die andere hat weder Vor- noch Nachteile. Handelt es sich um eine Nahrungsbeziehung, spricht man von Kommensalismus. Die Metabiose beschreibt eine Beziehung, bei der ein Nutzen für eine Art erst zeitlich verzögert eintritt. So nutzen manche Tiere Baumhöhlen als Lebensraum, die zuvor durch andere Tiere geschaffen wurden.
Antworten zu den Wiederholungsfragen finden Sie unter: www.pearson-schule.de
Kapitel 4 Populationsökologie
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Eigenschaften von Populationen Populationswachstum
4 Populationsökologie
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Abbildung 4.1: Soay-Schafe.
Auf dem unwirtlichen Archipel St. Kilda nordwestlich der schottischen Küste untersuchen Ökologen seit nunmehr 50 Jahren eine Population von Soay-Schafen (⇒ Abbildung 4.1). Diese Schafpopulation ist für Ökologen von besonderem Interesse, da sie seit 80 Jahren ohne den Einfluss des Menschen auf dem Archipel existiert. Durch die Isolation der Schafe bietet sich die einzigartige Gelegenheit, eine Tierpopulation zu beobachten, für die Nahrung in großer Menge zur Verfügung steht, natürliche Feinde fehlen und die Ein- und Auswanderung von Individuen ausgeschlossen ist. Wie die Ökologen zu ihrer Überraschung feststellten, schwankt die Anzahl der Schafe auf dem Archipel stark: Manchmal verändert sie sich von einem Jahr zum nächsten um mehr als 50 Prozent. Was man in der Ökologie unter einer Population versteht, ist genau definiert und wurde in Kapitel 1 bereits kurz dargestellt: Eine Population ist eine Gruppe von Individuen derselben Art, die ein bestimmtes abgrenzbares Gebiet bewohnen. Diese Definition enthält zwei wichtige Merkmale: Erstens müssen die Individuen ein und derselben Art angehören. Dabei muss (bei sich sexuell fortpflanzenden Organismen) die Möglichkeit einer Paarung zwischen den Individuen gegeben sein, damit die Population auf Dauer bestehen kann. Zweitens werden Populationen mit einem abgegrenzten Raum in Beziehung gebracht, den sie bevölkern. Das kann zum Beispiel eine Insel, eine Gebüschhecke, die als Begrenzung eines Ackers dient, oder aber auch ein ganzer Kontinent sein. Das Forschungsgebiet der Populationsökologie beschäftigt sich mit der Frage, wie sich biotische und abiotische Umweltfaktoren auf die zeitliche Entwicklung der Populationsgröße, die räumliche Verteilung der Individuen einer Population und auf die Altersstruktur und die Stabilität der Population gegenüber Störungen auswirken. Auf diese
4.1 Eigenschaften von Populationen
Weise versucht die Populationsökologie zu erklären, warum die Populationsgrößen mancher Tierarten starken Schwankungen unterliegen, wie wir es für das Beispiel der Soay-Schafe auf St. Kilda gesehen haben, während dies bei anderen Arten nicht der Fall ist. In diesem Kapitel untersuchen wir zunächst die Grundeigenschaften von Populationen, um dann auf dieser Basis das Populationswachstum, beziehungsweise die räumliche und zeitliche Dynamik von Populationen, genauer analysieren zu können.
4.1
Eigenschaften von Populationen
Populationen besitzen spezielle Eigenschaften. Da sie sich aus einzelnen Individuen zusammensetzen, verfügen sie über eine charakteristische Struktur, die über die räumliche Verteilung der Individuen, die Populationsdichte (Anzahl der Individuen pro Flächeneinheit) und den Anteil von Individuen bestimmter Altersklassen innerhalb der Population beschrieben werden kann.
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4.1.1 Populationen werden durch ihre Individuendichte und Individuenverteilung charakterisiert Eine Population besitzt zu jedem Zeitpunkt eine charakteristische räumliche Ausdehnung, die ihr Siedlungsgebiet darstellt. Innerhalb dieses Siedlungsgebiets treten die Individuen mit einer bestimmten Häufigkeit (= Abundanz) beziehungsweise Individuen- oder Populationsdichte auf. Eine Population kann innerhalb einer Flächen- und Raumeinheit über natürliche Grenzen verfügen wie beispielsweise die Schafe auf einer Insel. In der Praxis werden die Grenzen oft aus pragmatischen Gründen von Wissenschaftlern mehr oder weniger willkürlich festgelegt, so zum Beispiel im Rahmen einer Bestandserfassung von Stieleichen im Landkreis Emsland. Wenn die Populationsgrenzen bekannt sind, kann man im nächsten Schritt die Individuendichte und die Individuenverteilung bestimmen. Die Individuendichte ist dabei die Anzahl der Individuen je Flächen- oder Raumeinheit, also die Anzahl der Eichen je Quadratkilometer im Landkreis Emsland oder auch die Anzahl von Escherichia- coli-Bakterien je Milliliter Flüssigkeit in einem Reagenzglas. Unter Individuenverteilung versteht man die Anordnung der Populationsmitglieder entweder im Raum oder über Raum und Zeit betrachtet. Für sessile (= festsitzende oder immobile) Organismen kann man die Größe und Individuendichte einer Population ermitteln, indem man alle Individuen des Siedlungsgebietes zählt, zum Beispiel alle Stieleichen im Emsland. Bei großen Säugetieren, die wie Kaffernbüffel oder Elefanten in Herden leben, ist manchmal eine genaue Zählung vom Flugzeug aus möglich. In den meisten Fällen jedoch ist es kaum praktikabel oder sogar unmöglich, auf diese Weise alle Individuen einer Population zu erfassen. Stattdessen bedient man sich verschiedener Stichprobenverfahren, mit denen man die Individuendichte und die Gesamtgröße einer Population abschätzen kann.
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Merke Population Die Gesamtheit der Individuen einer Art, die ein bestimmtes, zusammenhängendes Siedlungsgebiet bewohnen und sich dort über mehrere Generationen fortpflanzen, wird als Population bezeichnet.
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4 Populationsökologie
Bestimmung der Individuendichte: Fang-Wiederfang-Methode
Durchgang markierten Tiere (m) an der geschätzten Gesamtpopulation (N) entsprechen:
Die direkte Zählung von Individuen zur Ermittlung der Populationsgröße ist für sehr viele Tierarten schwierig bis unmöglich, da diese beispielsweise sehr versteckt leben oder sehr scheu sind. Dennoch gibt es Methoden, um auch für solche Tierarten relativ verlässliche Schätzungen der Individuendichte zu erhalten. Eine häufig angewandte Methode zur Schätzung der Individuendichte, die besonders für solche Tierarten geeignet ist, ist die Fang-Wiederfang-Methode. Alle Fang-Wiederfang-Verfahren basieren auf dem gleichen Prinzip: Durch Zufallsstichproben werden Individuen aus einer Population gefangen, markiert und wieder freigelassen. Nach einer bestimmten Zeit, die lang genug sein muss, um eine möglichst vollständige Durchmischung der markierten Tiere mit dem Rest der unmarkierten Population zu gewährleisten, werden auf die gleiche Weise erneut Individuen aus der Population gefangen und die Anzahl der markierten (Wiederfänge) sowie der unmarkierten Tiere festgestellt. Bei einem solchen Schätzverfahren geht man davon aus, dass markierte und unmarkierte Individuen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit gefangen werden können, das heißt, dass die Individuen durch die Markierung in ihrem Verhalten und ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit nicht beeinträchtigt werden. Darüber hinaus sollte gewährleistet sein, dass in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Stichprobe keine Individuen ein- oder auswandern (geschlossene Population), geboren werden oder sterben. Der Ökologe Günter Köhler und sein Diplomand Jörg Klingelhöfer markierten im Rahmen von Fang-Wiederfang-Untersuchungen 93 Individuen des Großen Heidegrashüpfers (⇒ Abbildung 4.2) auf einer Wiese an den Hängen der Kernberge bei Jena. Zwei Stunden später wurde die Fläche erneut beprobt und es wurden insgesamt 68 Tiere gefangen, von denen 38 markiert waren. Das Verhältnis der wiedergefangenen und markierten Tiere (x) zur Gesamtzahl der beim zweiten Mal gefangenen Tiere (n) sollte dem Anteil der im ersten
x / n = m / N oder umgestellt nach der Populationsgröße: N = m × n / x Auf der Grundlage der Daten würde die geschätzte Populationsgröße 93 × 68 / 38 = 166 Individuen betragen. Generell muss klar sein, dass Fang-Wiederfang-Verfahren nur Schätzwerte liefern, nicht aber dem Anspruch einer genauen Populationsgrößenbestimmung gerecht werden können. Schätzungen der Individuendichte und Populationsgröße sind daher stets mit einer nicht zu unterschätzenden Ungenauigkeit behaftet.
Abbildung 4.2: Großer Heidegrashüpfer mit einem nummerierten Plättchen zur individuellen Markierung.
Die Individuendichte ist keine statische Eigenschaft, sondern ändert sich, wenn Individuen zu einer Population hinzukommen oder ihr verloren gehen. Eine Vergrößerung der Population erfolgt über die Natalität (= Geburten) und durch Immigration (= Einwanderung). Zur Natalität zählt man in diesem Zusammenhang jedoch nicht nur Geburten im engeren Sinne als Ergebnis sexueller Fortpflanzung, sondern allgemein eine Erhöhung der Individuenzahl. Diese kann bei vielen Arten auch das Ergebnis ungeschlechtlicher Vermehrung sein. Faktoren, die die Verringerung der Individuenzahl einer Population bewirken, sind die Mortalität (= Sterbeziffer) und die Emigration (= Auswanderung) von Individuen aus einer Population. Nicht nur innerhalb des gesamten möglichen Verbreitungsgebietes einer Art sind die Individuen und Populationen oftmals ungleichmäßig verteilt – man denke nur beim Menschen an die unterschiedlichen Bevölkerungsdichten des Ruhrgebietes und der Hochalpen. Auch innerhalb des Siedlungsgebietes einer Population kann die Individuendichte lokal beträchtlich schwanken. So können in einem Siedlungsgebiet, das für die Untersuchung einer Population in regelmäßige Quadrate aufgeteilt wurde, einige Quadrate keine, andere hingegen überdurchschnittlich viele Individuen aufweisen (⇒ Abbildung 4.3). Die Variabilität der
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4.1 Eigenschaften von Populationen
lokalen Individuendichte liefert Populationsökologen wichtige Hinweise über die Umweltfaktoren, die auf eine Population einwirken, und über die sozialen Wechselbeziehungen zwischen den Individuen innerhalb der Population. Darüber hinaus eignen sich oftmals bestimmte Habitate in einem Siedlungsgebiet besser als Wohn- oder Nahrungsraum für die Populationen einer Art als andere und bestimmen auf diese Weise ebenfalls die räumlichen Verteilungsmuster der Individuen. Am häufigsten findet man die geklumpte (aggregative, gehäufte) Verteilung vor, bei der die Individuen sich an einzelnen Stellen des Siedlungsgebietes in höherer Individuenzahl aufhalten als an anderen. Häufig geht die geklumpte Verteilung von Individuen mit einer ebenso geklumpten Verteilung ihrer limitierenden Ressourcen einher. So treten Pflanzen und Pilze oft an Stellen auf, an denen die Boden- und Nährstoffverhältnisse ihre Etablierung und ihr Wachstum begünstigen. Zum Beispiel lässt sich das geklumpte Vorkommen von Brennnesseln mit dem ungleichmäßigen und lokal gehäuften Vorkommen hoher Stickstoffkonzentrationen im Boden erklären. Eine geklumpte Verteilung von Tieren oder Pflanzen kann auch mit dem Fortpflanzungsverhalten oder dem Fortpflanzungstyp der jeweiligen Art korrelieren. Eintagsfliegen, die als erwachsene Tiere nur einen oder zwei Tage überleben und sich vermehren können, schwärmen häufig in großer Anzahl aus, ein Verhalten, das ihre Paarungschancen verbessert. Seesterne finden sich in den Bereichen der Gezeitenbecken zusammen, wo für sie viel Nahrung verfügbar ist und wo sie sich erfolgreich vermehren können (⇒ Abbildung 4.4a). Auch in Rudeln lebende Raubsäuger sind Beispiele für eine geklumpte Verteilung von Individuen. Eine regelmäßige (homogene) Verteilung mit ungefähr gleichen Abständen zwischen den Individuen ist oft die Folge starker innerartlicher (intraspezifischer) Konkurrenz um begrenzte Ressourcen (siehe Kapitel 3.1.1), denn intraspezifische Konkurrenz ist immer eine Funktion der Individuendichte: Je größer die Individuendichte, desto größer ist, bei ansonsten konstanten Umweltbedingungen, auch die intraspezifische Konkurrenz (⇒ Abbildung 4.4b). Daher kommt es durch den Konkurrenzdruck zu einem Mindestabstand zwischen den Mitgliedern einer Population. Regelmäßige Verteilungen sind häufig bei Tierpopulationen, wo Einzeltiere ein Gebiet (Revier) zur ausschließlich eigenen Nutzung verteidigen, wie zum Beispiel bei koloniebrütenden Vogelarten oder in Pflanzenpopulationen mit Konkurrenz um Bodenressourcen wie Wasser und Nährstoffe (Abbildung 4.4b). Die regelmäßige Verteilung von Individuen einer Population ist nicht so häufig wie die geklumpte. Bei der zufälligen Verteilung gruppieren sich die Individuen einer Population nach Zufallskriterien. Eine solche Verteilung tritt auf, wenn zwischen den Individuen einer Population keine Wechselwirkungen herrschen oder wenn sich wichtige Ressourcen relativ gleichmäßig innerhalb eines Lebensraumes verteilen. So sind Pflanzen, deren Samen vom Wind ausgebreitet werden, wie zum Beispiel der Löwenzahn, in einem homogenen Lebensraum zufällig verteilt (⇒ Abbildung 4.4c). Die zufällige Verteilung kommt in der Natur nicht so häufig vor, wie man es vielleicht erwarten würde; die meisten Populationen zeigen zumindest eine gewisse Tendenz zur geklumpten Verteilung.
3
2 1
Abbildung 4.3: Verteilungsmuster von Individuen innerhalb ihre Siedlungsgebietes. Die Zahl der roten Punkte gibt die Anzahl der Individuen einer Population an. Die Individuendichte ist definiert als die Anzahl der Individuen pro Flächeneinheit. Das Gitter teilt das Verbreitungsgebiet in Quadrate von gleicher Größe ein. Bei einer angenommenen Kantenlänge jedes Quadrates von 1m ist die Individuendichte von Quadrat 1 gleich 5 Individuen / m2, von Quadrat 2 2 Individuen / m2 und die von Quadrat 3 gleich null (leeres Quadrat).
93
4 Populationsökologie
4.1.2 Populationen besitzen eine Altersstruktur
(a) Gehäufte (aggregative, geklumpte) Verteilung. Wenn Nahrung reichlich zur Verfügung steht, finden sich viele Tiere wie diese Seesterne zu Gruppen zusammen.
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(b) Regelmäßige (reguläre) Verteilung. Vögel, die auf kleinen Inseln nisten wie diese Königspinguine auf Südgeorgien im antarktischen Ozean, nehmen oft regelmäßige Abstände ein. Diese werden durch aggressive Interaktionen zwischen Nachbarn aufrechterhalten.
(c) Zufällige Verteilung. Viele Pflanzenarten wachsen wie hier der Löwenzahn aus Samen heran, die vom Wind ausgebreitet werden, an zufälligen Stellen landen und dann keimen.
Abbildung 4.4: Typische Verteilungsmuster von Individuen in einer Population: gehäuft, regelmäßig, zufällig.
Außer in denjenigen Fällen, wo eine ganze Generation in einem einzigen Jahr zur Reproduktion kommt und in demselben Jahr auch stirbt (wie es bei einjährigen Pflanzen- und vielen Insektenarten der Fall ist), haben Populationen immer eine Altersstruktur, das heißt, es leben Generationen aus verschiedenen Jahren gleichzeitig nebeneinander. Innerhalb solcher Populationen können daher drei populationsökologisch bedeutsame Altersklassen voneinander unterschieden werden: das präproduktive, das reproduktive und das postproduktive Stadium. Eine Population von Menschen könnten wir auf diese Weise in die Gruppen Kinder und Jugendliche in der Ausbildung, Erwachsene im Erwerbsalter und ältere Menschen einteilen. Die Bestimmung der Altersstruktur einer Population erfordert zunächst eine Methode zur Altersermittlung der jeweiligen Populationsmitglieder. Bei Menschen ist das in den meisten Fällen kein Problem, wohl aber bei Tier- und Pflanzenarten. Daten über das Lebensalter von Tieren kann man je nach Art auf recht unterschiedliche Weise gewinnen (⇒ Abbildung 4.5). Die genaueste, aber auch die schwierigste Methode besteht darin, Jungtiere zu markieren und ihren weiteren Lebensweg präzise zu verfolgen. Ein solches Vorgehen erfordert sehr viele markierte Tiere und großen Zeitaufwand. Aus diesem Grund bedient man sich meist anderer, weniger aufwändiger und zeitraubender, dafür aber auch oft nicht so genauer Methoden. Eine dieser Methoden ist die Untersuchung einer repräsentativen Stichprobe von Tierkadavern, um das Alter des Tieres zum Todeszeitpunkt zu bestimmen. Zoologen gelingt dies bei Rotwild und anderen Huftieren zum Beispiel über den Abnutzungsgrad der Zähne, aus den Wachstumsringen im Zahnzement von carnivoren und herbivoren Tieren oder über die jährlichen Zuwachsringe des Gehörns zum Beispiel beim männlichen Alpensteinbock. Bei Vögeln kann man durch die Analyse des Gefieders (Veränderungen und Abnutzung) juvenile (= Jungtiere) von adulten (= „erwachsenen“) Tieren unterscheiden.
4.1.3 Die Verbreitung von Populationen und ihre Individuendichte variieren zeitlich und räumlich Die meisten Organismen sind in irgendeinem Stadium ihrer Entwicklung zu einem gewissen Grad mobil und können demnach ihre Population verlassen, was einen direkten Einfluss auf die lokale Populationsdichte hat. Bewegen sich die Individuen innerhalb ihres Siedlungs- oder Verbreitungsgebietes und tragen sogar noch zu seiner Vergrößerung bei, spricht man von Ausbreitung. Wenn Individuen eine Population verlassen, bezeichnet man dies als Abwanderung (Emigration), kommen Individuen zu einer Population hinzu, liegt Zuwanderung (Immigration) vor. Viele Organismen, insbesondere Pflanzen, sind auf passive Ausbreitungsmechanismen mit Hilfe von Schwerkraft, Wind, Wasser und Tieren angewiesen. Die so zurückgelegten Entfernungen hängen vom Ausbreitungstyp ab und es gibt zahlreiche Anpassungen an die verschiedenen
4.1 Eigenschaften von Populationen
!
Merke Die Altersklassen von Populationen Innerhalb von Populationen können drei populationsökologisch bedeutsame Altersklassen voneinander unterschieden werden:
adult
juvenil
adult
(a)
juvenil
(b)
neonatal
(c)
1. das präproduktive Stadium 2. das reproduktive Stadium 3. das postproduktive Stadium
adult
juvenil
juvenil
adult
(d)
Abbildung 4.5: Beispiele für in der Ökologie gebräuchliche Methoden zur Altersbestimmung bei Vogel- und Säugetierarten. (a) Die Schwungfeder eines erwachsenen Truthuhns ist abgerundet, die eines Jungtieres läuft spitz zu. (b) Bei juvenilen Virginiawachteln laufen die Schwungfedern im Gegensatz zu denen der Adulttiere ebenfalls spitz zu. Die Deckfedern der juvenilen Tiere sind darüber hinaus blassgelb gefärbt, die der Adulttiere nicht. (c) Beim Grauhörnchen unterscheiden sich adulte von juvenilen Tieren an den farbigen Streifen der Schwanzbehaarung. Bei den Jungtieren sind die Schwarz-WeißStreifen entlang des Schwanzsaums deutlicher ausgeprägt als bei den Adulttieren. (d) Bei Fledermäusen können Unterschiede der Fingerknochenstruktur zur Altersbestimmung dienen. Diese Unterschiede lassen sich bei lebenden Tieren ertasten.
25.000 50.000 100.000 200.000 300.000 400.000
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400.000 500.000
Typen. Die meisten Samen entfernen sich jedoch nicht weit von der Mutterpflanze und ihre Zahl nimmt daher mit wachsender Entfernung rasch ab (⇒ Abbildung 4.6). Mobile Tiere können sich grundsätzlich aktiv ausbreiten, doch viele Arten sind trotzdem auf passive Ausbreitungswege, beispielsweise über Wind oder Wasser, angewiesen. So werden die Nachkommen einiger Spinnenarten wie die Baldachin- und Zwergspinnen, die sich an einem Spinnfaden durch die Luft tragen lassen, durch den Wind ausgebreitet. Bei Tieren können sich theoretisch sowohl die Jung- als auch die Adulttiere ausbreiten und es gibt keine festen Regeln, wer diese Möglichkeit nutzt. Zahlreiche Faktoren wie Überbevölkerung, Temperaturänderungen, Qualität und Menge der zur Verfügung stehenden Nahrung sowie die Tageslänge können als Auslöser eine Rolle spielen. Oftmals suchen Tiere für eine Besiedelung solche Habitate aus, die von derselben Art noch nicht besetzt sind. Dabei hängt die Entfernung, die sie zurücklegen, unter anderem auch von der Populationsdichte der umlie-
samentragender 2000 Baum
100.000 50.000
Abbildung 4.6: Jährlicher Samenniederschlag von Tulpenbäumen. Die Linien und Zahlen geben Bereiche gleicher Samendichte an. Bei dieser Baumart werden die Samen durch den Wind ausgebreitet; die Samendichte nimmt mit zunehmender Entfernung vom Spenderbaum schnell ab. 95
4 Populationsökologie
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genden Populationen sowie von der Verfügbarkeit geeigneter unbesetzter Lebensräume ab. Anders als bei den Wanderungsbewegungen in eine Richtung (Emigration, Immigration) handelt es sich bei Migration um Wanderungen, bei denen die Tiere wieder an den Ausgangspunkt zurückkommen. Migrationen können jahreszeitlich erfolgen, aber auch täglich. Fledermäuse verlassen allabendlich ihre Ruheplätze in Höhlen und Bäumen, fliegen zu ihren Jagdgebieten und kehren erst in den Morgenstunden wieder zurück. Regenwürmer ziehen sich im Herbst in tiefere Bodenschichten zurück und verbringen den Winter unterhalb der Frostzone. Erst im Frühjahr wandern sie wieder nach oben. Grauwale verbringen den Sommer in den nahrungsreichen Gewässern der Arktis und überwintern dann in den warmen Gewässern vor Kalifornien, wo sie auch ihre Jungtiere zur Welt bringen (⇒ Abbildung 4.7). Jedes Jahr legen sie zwischen Alaska und Mexiko 20.000 km zurück. Die Ausbreitung sorgt für eine veränderte räumliche Verteilung von Individuen und führt damit letztlich auch zu variierenden Populationsdichten. Aufgrund von Abwanderungen kann die Populationsdichte in einzelnen Gebieten abnehmen, während sie in anderen aufgrund von Zuwanderung zunimmt, oder es können sogar neue Subpopulationen (= Unter- oder Teilpopulationen) in bislang von dieser Art unbewohnten Habitaten entstehen.
(b)
(a)
Abbildung 4.7: Migrationen zweier Wirbeltierarten. (a) Halsringenten brüten im Nordosten Amerikas und fliegen zum Überwintern in einem Korridor entlang der Küste nach South Carolina und Florida. (b) Grauwale verbringen die Sommer in der Arktis im Bereich der Beringstraße und die Winter im Golf von Kalifornien und in den Gewässern vor der Halbinsel Baja California.
Winterquartier
4.1 Eigenschaften von Populationen
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4.1.4 Das Metapopulationskonzept Wie bereits in Abschnitt 4.1.1 betrachtet, findet man Gruppen von Individuen in der Natur oftmals in geklumpten Verteilungen vor. Diese Erkenntnis lässt sich auch auf die Verteilung von Individuenverbänden (= lokale Populationen) innerhalb des gesamten Verbreitungsgebietes einer Population erweitern. Eine lokale Population wird in der Populationsökologie als Subpopulation bezeichnet. Die Subpopulationen einer Art bevölkern innerhalb des Verbreitungsgebietes der Art oftmals nicht das gesamte Verbreitungsgebiet, sondern lediglich in mosaikartiger Weise angeordnete begrenzte Areale. Wenn man beispielsweise die gesamte Fläche von Deutschland als potenzielles Verbreitungsgebiet für Hasen annimmt, ist es sinnvoll, davon auszugehen, dass die Hasen nicht überall und mit der gleichen Populationsdichte vorkommen, da viele Flächen sich nicht für die Besiedelung durch Hasen eignen. In Wahrheit wird man daher eine mehr oder wenige große Anzahl von unterschiedlich großen „Verbreitungsinseln“ finden, innerhalb derer Hasen vorkommen und die durch Gebiete, in denen keine Hasen vorkommen (können), voneinander isoliert sind. Wenn mehrere dieser Subpopulationen so eng miteinander verbunden sind, dass zwischen ihnen ein gelegentlicher Individuenaustausch stattfindet, bilden sie eine Metapopulation. Während zwischen Subpopulationen innerhalb einer Metapopulation noch Individuenaustausch möglich ist, kommt es zwischen den Metapopulationen in der Regel nicht zu einem Individuenaustausch. Die Subpopulationen einer Metapopulation unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich ihrer Größe und in ihrem Separationsgrad (= „Trennungsgrad“) von anderen Subpopulationen. Diese Eigenschaften bestimmen mit darüber, wie viele Individuen zwischen den einzelnen Subpopulationen wechseln. Subpopulationen mit vielen Individuen können zum Beispiel mehr Auswanderer (Emigranten) an andere Subpopulationen abgeben, ohne dass ihr eigener zahlenmäßiger Bestand gefährdet ist, als kleine Subpopulationen. Ein lokales Aussterben einer Subpopulation kann unter anderem durch Naturkatastrophen, Krankheiten oder intensive Bejagung durch effiziente Prädatoren hervorgerufen werden und ist umso wahrscheinlicher je kleiner und lokal begrenzter eine Subpopulation ist. Stirbt eine Subpopulation aus, wird der einst von ihr besiedelte Lebensraum durch neue Einwanderer (Immigranten) aus anderen Subpopulationen neu besiedelt. Für manche Tierarten ist ein solches lokales Aussterben mit anschließender Neubesiedelung aus angrenzenden Subpopulationen ein relativ häufiges und „normales“ Phänomen. Das Metapopulationskonzept macht einerseits deutlich, wie wichtig Immigration und Emigration von einzelnen Individuen für die Erhaltung von Populationen und Arten sein können. Außerdem trägt dieses Phänomen zur Aufrechterhaltung des Genflusses zwischen den einzelnen Subpopulationen bei. Während innerhalb einer Subpopulation Panmixie (ein vollständiger Austausch aller Gene und Allele innerhalb des Genpools) herrscht, ist zwischen den Subpopulationen der Gen- und Alleltransfer eingeschränkt. Über das Metapopulationskonzept lassen sich darüber hinaus, als wichtige ökologische und umweltschutzbio
(a)
(b)
Abbildung 4.8: Metapopulation. a) Ein Beispiel für eine mosaikartige Verbreitung von Lebensräumen demonstrieren die Seen dieser sibirischen Tundra. Wasserorganismen bewohnen die einzelnen Seen verschiedener Größe und Form. Dazwischen liegen Bereiche, die für sie als Lebensraum ungeeignet sind. Die Populationen der verschiedenen Wasserorganismen der einzelnen Seen bilden räumlich abgrenzbare Subpopulationen aus, die in ihrer Gesamtheit eine größere Metapopulation der Region darstellen. Zwischen den Subpopulationen ist, zum Beispiel hervorgerufen durch starke Überschwemmungen, potenziell ein Individuenaustausch möglich. b) Abstrahierte Darstellung: Nach dem Metapopulationskonzept bildet eine Art innerhalb ihres Verbreitungsgebietes (gestrichelte Linie) lokale Populationen (Subpopulationen) aus (rote Kreise), zwischen denen einzelne Individuen (Pfeile) über Zu- und Abwanderung wechseln können.
97
W iederholun g s f ra g en 4 . 1
1. Definieren Sie in eigenen Worten die Begriffe Population, Individuendichte und Individuenverteilung. 2. Stellen Sie sich eine Population von 50 Wolfsindividuen vor. Erstellen Sie ein Gitternetz bestehend aus 5 x 5 Quadraten und skizzieren Sie ein hypothetisches Verbreitungsmuster für diese Population. Gehen Sie a. von einer geklumpten, b. von einer regelmäßigen und c. von einer zufälligen Verteilung aus. Erklären Sie begründet, welches der drei Verteilungsmuster Sie für Wölfe erwarten würden.
Beispiel
4 Populationsökologie
Sehr deutlich zeigt sich die Zu- und Abwanderung von Individuen zwischen verschiedenen Subpopulationen des Wegerich-Scheckenfalters (⇒ Abbildung 4.9), der in Europa weit verbreitet ist und bis in die Mongolei vorkommt. Diese Schmetterlingsart kommt in ungefähr 500 Grünlandhabitaten der Åland-Inseln (Finnland) vor, ihr potenzieller Lebensraum auf der Inselgruppe ist aber mit rund 4000 geeigneten Habitatinseln noch wesentlich größer. Regelmäßig entstehen an zuvor noch unbesiedelten Stellen neue Subpopulationen, während an anderen Lokalitäten Subpopulationen aussterben, so dass sich die Lage der ungefähr 500 jeweils besiedelten Habitatinseln ständig verändert. Die Subpopulationen auf den Åland-Inseln befinden sich in einem Gleichgewicht zwischen Aussterben und Neubesiedlung.
ÅlandInseln
3. Nennen Sie verschiedene Möglichkeiten, wie die Altersstruktur einer Population bestimmt werden kann.
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4. Stellen Sie dar, auf welche Weise die Zuwanderungsrate die Dynamik einer lokalen Population beeinflusst, und erklären Sie die Bedeutung des lokalen Aussterbens einer Subpopulation und den Prozess der Neubesiedlung von Habitatinseln auf der Ebene der Populationsdynamik. 5. Beschreiben Sie, auf welche Weise Größe und räumliche Anordnung von Habitatinseln (Subpopulationen) zueinander die Dynamik einer Metapopulation beeinflussen können. Berücksichtigen Sie in diesem Zusammenhang vor allem die Aussterbe- und Kolonisationswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von Abstand und Erreichbarkeit der einzelnen Habitatinseln. 6. Der Wapiti, der nordamerikanische Rothirsch, hält sich im Sommer in den Bergen auf und wandert im Winter ins Tiefland. Erläutern Sie diese Art der Wanderungsbewegung und nennen Sie mögliche Gründe.
5 km
besetzte Habitatinsel unbesetzte Habitatinsel
Abbildung 4.9: Die Metapopulationsstruktur des Wegerich-Scheckenfalters. Auf den Åland-Inseln besiedeln die Subpopulationen dieser Schmetterlingsart (schwarze Kreise) zu einem bestimmten Zeitpunkt immer nur einen Teil der geeigneten Habitatinseln (weiße Kreise). Die Individuen wechseln zwischen den Subpopulationen und besiedeln dabei immer wieder neue, geeignete Habitatinseln, während andere Subpopulationen lokal aussterben.
logische Anwendung, populationsdynamische Prozesse in von Natur aus fragmentierten (= inselartigen) Lebensräumen verstehen. Im Zusammenhang mit der vom Menschen verursachten Fragmentierung zahlreicher Ökosysteme (zum Beispiel Waldinseln innerhalb landwirtschaftlicher Nutzflächen) liefert das Metapopulationskonzept (siehe Kapitel 8.2.2) wichtige wissenschaftliche Grundlagen für die Erhaltung von gefährdeten Pflanzen- und Tierarten, deren Überleben oftmals nur durch ein Netzwerk von Habitatinseln, Korridoren und Schutzgebieten gewährleistet werden kann.
4.2 Populationswachstum
Abbildung 4.10: Elefantenherde im Amboseli-Nationalpark (Kenia). Die kleine Gruppe besteht aus erwachsenen Elefantenkühen und Jungtieren verschiedenen Alters.
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4.2 Populationswachstum Die Individuenzahl von Populationen (= Populationsgröße) ist keine Konstante, sondern verändert sich im Laufe der Zeit. Individuen werden geboren oder wandern zu, andere sterben oder wandern ab. Der Begriff des Populationswachstums beschreibt die Veränderungen der Individuenzahl einer Population und wird durch das Zusammenwirken der vier genannten Einflussfaktoren, die Geburtenrate (Natalität) und die Zuwanderung (Immigration) einerseits sowie die Sterberate (Mortalität) und Abwanderung (Emigration) andererseits, beeinflusst. Der Begriff des Populationswachstums ist tendenziell missverständlich, da der Begriff „Wachstum“ im normalen Sprachgebrauch üblicherweise immer mit „Zugewinn“ oder „Anstieg“ gleichgesetzt wird. Wenn wir uns die vier genannten Einflussfaktoren nochmals vergegenwärtigen, fällt es jedoch leicht, sich Bedingungen auszumalen, unter denen die Individuenzahl nicht zu-, sondern abnimmt. In einem solchen Fall sprechen Populationsökologen, ähnlich wie beispielsweise auch Wirtschaftswissenschaftler, von einem „negativen Wachstum“ oder „negativen Zugewinn“. Populationen, bei denen eine Zu- und / oder Abwanderung stattfinden kann, bezeichnet man als offene Populationen. Solche, bei denen dies nicht der Fall ist, nennt man geschlossene Populationen.
4.2.1 In einer idealen, unbegrenzten Umwelt wachsen Populationen exponentiell Verallgemeinernd gesprochen besitzen die Populationen aller Pflanzenund Tierarten das Potenzial, sich außerordentlich stark zu vermehren, wenn für sie Ressourcen im Überfluss zur Verfügung stehen. Im Labor ist dieses als exponentielles Populationswachstum bezeichnete Phänomen unter anderem bei Bakterien in Zellkulturen nachweisbar. Das Populationswachstum vieler Bakterien ist bei niedriger Zellzahl und unter kons99
Beispiel
4 Populationsökologie
Beispiel: Vermehrungspotenzial von Bakterien Ein Bakterium verdoppelt sich unter idealen Laborbedingungen alle 20 Minuten durch Zweiteilung. Nach 20 Minuten sind daher zwei Bakterien vorhanden, nach 40 Minuten sind es vier und nach 60 Minuten bereits acht. Wenn sich die Reproduktion mit dieser Geschwindigkeit fortsetzen würde, ohne dass Individuen absterben, wäre die Zahl der Bakterien nach eineinhalb Tagen so groß, dass sie die gesamte Erde mit einer 30 Zentimeter dicken Schicht bedecken würden.
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Abbildung 4.11: Der Owen Lake in Kalifornien. Für die Rosafärbung des Seebodens sorgen Billionen sogenannter Halobakterien („salzliebende Bakterien“), die durch den hohen Salzgehalt des Wassers ideale Wachstumsbedingungen vorfinden.
tanten Laborbedingungen ausschließlich von der Teilungsgeschwindigkeit der betreffenden Zellen abhängig. In der Natur findet unbegrenztes (exponentielles) Wachstum jedoch offenkundig nicht über längere Zeit hinweg statt, da mindestens eine der beiden Vorbedingungen – niedrige Individuenzahl und konstante abiotische Umweltbedingungen – früher oder später nicht mehr erfüllt ist. Exponentielles Wachstum endet folglich immer dann, wenn irgendeine der zum Überleben notwendigen Ressourcen für das Populationswachstum begrenzend wird. Die Analyse des Populationswachstums in einer idealisierten Umwelt ohne Grenzen zeigt jedoch, welche Vermehrungsrate eine Art potenziell besitzt und unter welchen Bedingungen die maximale Vermehrungsrate einer Art auftreten könnte. Stellen wir uns eine Population aus wenigen Individuen vor, denen eine ideale Umwelt keinerlei Grenzen für ihre Entwicklung auferlegt. Limitierend wirken für die Population unter diesen Bedingungen lediglich biologische Einschränkungen, die sich aus ihrem eigenen Lebenszyklus ergeben, wie zum Beispiel das Vorliegen bestimmter Paarungszeiten oder die Zeitspanne bis zur Geschlechtsreife der Jungtiere. Die Veränderung der Populationsgröße innerhalb eines bestimmten Zeitraumes kann daher folgendermaßen ausgedrückt werden:
4.2 Populationswachstum
Veränderung der Populationsgröße = (Geburten + zugewanderte Individuen) – (Todesfälle + abgewanderte Individuen). Der Einfachheit halber wollen wir für die weiteren Betrachtungen die Auswirkungen von Zu- und Abwanderung vernachlässigen. Aus der obigen Gleichung folgt somit: Veränderung der Populationsgröße = Zahl der Geburten – Zahl der Todesfälle. Wie können Populationsökologen berechnen, ob und um welchen Betrag eine Population unter den gegebenen Bedingungen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne wächst? Um eine solche Frage zu beantworten, verwendet man Differenzialgleichungen.1 Wenn N die Populationsgröße und t die Zeit ist, ist ∆N die Veränderung der Populationsgröße und ∆t der Zeitraum, über den man das Populationswachstum betrachtet.2 Hieraus ergibt sich folgende Gleichung:
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∆N / ∆t = B – D
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Merke Exponentielles Populationswachstum In einer idealen Umwelt ohne Ressourcenbegrenzung besitzt eine Population eine konstante Vermehrungsrate und wächst daher exponentiell. Das Populationswachstum ist unter diesen Bedingungen letztendlich nicht von äußeren Faktoren, sondern nur von der Teilungsgeschwindigkeit der Zellen bzw. dem Fortpflanzungszyklus abhängig.
Dabei ist B (engl. birth) die Anzahl der Geburten in der Population während des berücksichtigten Zeitraumes und D (engl. death) ist die Anzahl der Todesfälle. Zu lesen wäre dieser Term als: Die Änderung der Individuenzahl einer Population mit der Zeit ergibt sich zu „Zahl der Geburten“ minus „Zahl der Todesfälle“. Die Aussage ist logisch richtig, dennoch ist der Term für die Beschreibung des Populationswachstums einer realen Population oder den Vergleich zwischen verschiedenen Populationen wenig geeignet. Warum ist das so? Dafür gibt es vor allem einen Grund: Bei den Größen B und D handelt es sich um nicht skalierte Größen (Größen ohne Bezugsbasis), da erstens sowohl die Zahl der Geburten als auch die Zahl der Todesfälle von der Länge des betrachteten Zeitraumes abhängen. Zweitens sind darüber hinaus sowohl die Geburten- als auch die Sterbezahlen entscheidend von der Größe der Population abhängig. Gibt es beispielsweise in einer Population innerhalb eines Jahres 100 Geburten und 50 1 Die Bearbeiter dieses Buches kennen den Gesichtsausdruck, den ein nicht geringer Teil von Ihnen, liebe Leser, gerade aufgesetzt hat, ziemlich genau. Wir werden uns daher bemühen, die Darstellung der mathematischen Grundlagen so knapp und, wenn uns dies gelingt, übersichtlich wie möglich zu halten, nicht ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass auch und gerade die Ökologie eine naturwissenschaftliche Teildisziplin ist, die bei ihren Auswertungen und Modellen zahlreiche und komplexe mathematische und statistische Verfahren verwendet. Da es sich bei diesem Buch um ein Lehrbuch für Ersthörer und ‑leser handelt, wollen wir es jedoch sowohl an dieser Stelle als auch im weiteren Verlauf des Textes nicht mit den mathematischen Spitzfindigkeiten übertreiben. 2 Der griechische Buchstabe Delta oder ∆ bezeichnet in der Naturwissenschaft immer eine Veränderung zwischen zwei Zuständen, so ist ∆T beispielsweise die Änderung der Temperatur. 101
4 Populationsökologie
Todesfälle, dann ergäbe sich daraus in absoluten Zahlen eine Zunahme der Populationsgröße um 50 Individuen. Für eine Population von insgesamt 500 Individuen entspräche dies einem Wachstum von zehn Prozent, ist die betrachtete Population allerdings 5000 Individuen stark, so läge das Wachstum nur bei einem Prozent. Ohne eine entsprechende Bezugsbasis sind folglich die Änderungen absoluter Individuenzahlen relativ wenig aussagekräftige Größen. Um besser vergleichbare Aussagen und Prognosen über das Wachstum einer Population treffen zu können – ein wichtiges Teilgebiet der Populationsökologie – ist man daher auf skalierte Größen angewiesen. Solche skalierten Größen stellen die Pro-Kopf-Geburtenrate und die Pro-Kopf-Sterberate dar. Die Pro-Kopf-Geburtenrate (b) entspricht der Anzahl der Individuen, die je Zeiteinheit von einem sich durchschnittlich reproduzierenden Individuum der Population hervorgebracht werden. Finden zum Beispiel in einer Population von 1000 Individuen während eines Jahres 34 Geburten statt, liegt die jährliche Pro-Kopf-Geburtenrate bei 34 /1000 oder b = 0,034. Entsprechend kann man die Pro-Kopf-Sterberate (d) berechnen. Sterben im Laufe eines Jahres 16 Individuen in einer Population von 1000 Individuen ist d = 0,016 (16 / 1000). Für jede beliebige Population gilt, dass die Anzahl der Geburten dem Produkt der Individuenzahl und der Pro-Kopf-Geburtenrate entspricht: B = bN
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Wenn zum Beispiel die jährliche Pro-Kopf-Geburtenrate 0,034 beträgt und die Population aus 500 Individuen besteht, ist B = 0,034 × 500 B = 17 Geburten pro Jahr Entsprechend können wir mit Hilfe der Pro-Kopf-Sterberate berechnen, mit wie vielen Todesfällen wir je Zeiteinheit in einer Population beliebiger Größe zu rechnen haben. Unter Verwendung der beiden Größen b und d können wir die Gleichung für das Populationswachstum in alternativer Form neu formulieren, da die Differenz aus den Produkten von Pro-Kopf-Geburtenrate und Populationsgröße und Pro-Kopf-Sterberate und Populationsgröße ebenfalls der Änderung der Individuenzahl einer Population innerhalb eines bestimmten Zeitraums entspricht: ∆N / ∆t = bN–dN In der Populationsökologie interessiert man sich vor allem für den Unterschied zwischen der Pro-Kopf-Geburten- und der Pro-Kopf-Sterberate. Dieser wird als Pro-Kopf-Wachstumsrate (r) bezeichnet: r = b–d
4.2 Populationswachstum
2000 Populationsgröße (N)
Der Wert von r gibt an, ob eine Population wächst (r > 0) oder schrumpft (r < 0). Ein Bevölkerungs-Nullwachstum (zero population growth oder ZPG) ist dann gegeben, wenn die Pro-Kopf-Geburten- und ProKopf-Sterberate gleich sind (r = 0). In einer solchen Population ereignen sich sowohl Geburten als auch Sterbefälle, aber sie gleichen sich genau aus. Mithilfe der Wachstumsrate können wir die Gleichung für die Veränderung der Populationsgröße letztmalig neu formulieren als ∆N / ∆t = rN Die Gleichung gilt in dieser Form nur für einen festgelegten Zeitraum (häufig wie in dem zuvor genannten Beispiel bezogen auf ein Jahr) und berücksichtigt weder Zu- noch Abwanderung von Individuen. Die Veränderung der Individuenzahl innerhalb des betrachteten Zeitabschnittes ist demnach das Produkt aus Wachstumsrate und Individuenzahl der Population. Wenn Individuen unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen und sie alle Möglichkeiten ihrer Reproduktionsfähigkeit ausschöpfen können, kommt es zu einem exponentiellen Populationswachstum. Die Pro-Kopf-Zunahme erreicht unter solchen Bedingungen den für die jeweilige Art möglichen Maximalwert, der als rmax bezeichnet wird. Die Gleichung für das exponentielle Populationswachstum lautet
dN = 1,0N dt 1500
dN = 0,5N dt
1000
500
0
0
5 10 Anzahl der Generationen
15
Abbildung 4.12: Exponentielles Populationswachstum. Die Grafik vergleicht zwei Populationen mit unterschiedlichen Werten von rmax. Steigt dieser Wert von 0,5 auf 1,0, dann beschleunigt sich der Anstieg der Populationsgröße, was sich in der relativen Steigung der Kurven bei jeder einzelnen Populationsgröße widerspiegelt. Beide Populationen wachsen exponentiell und mit konstanter Geschwindigkeit!
Die Größe einer exponentiell wachsenden Population nimmt mit konstanter Geschwindigkeit zu3, was in einem Diagramm, in dem man die Populationsgröße gegen die Zeit aufträgt, zu einer J-förmigen Kurve führt (⇒ Abbildung 4.12). Eine exponentielle Wachstumskurve ist für solche Populationen charakteristisch, die einen neuen, konkurrenzfreien und ressourcenreichen Lebensraum erobert haben oder durch eine Katastrophe dezimiert wurden und sich nun wieder erholen können.
Die Elefantenpopulation im Krüger-Nationalpark in Südafrika wuchs ungefähr 60 Jahre lang exponentiell an, nachdem man die Tiere erstmals vor der Jagd geschützt hatte (⇒ Abbildung 4.13). Irgendwann richteten die immer zahlreicher werdenden Elefanten in der Vegetation des Parks so große Schäden an, dass ein Zusammenbruch ihrer Nahrungsgrundlage abzusehen war. Um die anderen Tierarten im Ökosystem des Parks rechtzeitig zu schützen, schränkte die Parkverwaltung das Wachstum der Elefantenpopulation durch Geburtenkontrolle und durch den Export von Elefanten in andere Länder ein.
8000 6000 4000 2000 0 1900
Abbildung 4.13: Exponentielles Wachstum der Elefantenpopulationen im Krüger-Nationalpark (Südafrika).
Beispiel
3 Eine konstante Wachstumsgeschwindigkeit meint in diesem Zusammenhang, dass r konstant ist, NICHT, dass die Individuenzahl konstant, beziehungsweise linear, ansteigt!
Elefantenpopulation
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∆N / ∆t = rmaxN
1920
1940
1960
1980
Jahr
103
4 Populationsökologie
Es sei an dieser Stelle nochmals angemerkt, dass es sich bei den in diesem Unterkapitel dargestellten Differentialgleichungen um ein mathematisches Modell handelt. Grundsätzlich lässt sich das Wachstum vieler Populationen mit ihrer Hilfe darstellen. Bei der Betrachtung realer Populationen bleibt für den Ökologen das Problem bestehen, dass es in der Praxis extrem schwierig sein kann, die einzelnen Variablen, nämlich N, b, d und / oder r, zu bestimmen. Wie wir in Abschnitt 4.1.1 gesehen haben, ist es im Einzelfall kompliziert genug, die Individuenzahl einer Population zu bestimmen oder auch nur annähernd genau zu schätzen. Wie viel komplizierter erscheint es vor diesem Hintergrund daher beispielsweise, die Geburtenzahl oder die Zahl der Todesfälle innerhalb eines Termitenbaus, für Regenwürmer in einem Feld oder für Eichhörnchen in einem großen Waldgebiet genau zu ermitteln.
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4.2.2 Das logistische Wachstumsmodell: langsameres Populationswachstum bei Annäherung an die Umweltkapazität Jeder Lebensraum besitzt ein bestimmtes biologisches Fassungsvermögen, das als Umweltkapazität oder kurz K bezeichnet wird. Die Umweltkapazität beschreibt die maximale Populationsgröße, die in einem gegebenen Gebiet von den zur Verfügung stehenden Ressourcen dauerhaft am Leben erhalten werden kann. Mit zunehmender Individuendichte wird für die einzelnen Individuen innerhalb der Population der Zugang zu den lebenswichtigen Ressourcen wie Energie in Form von Sonnenlicht oder Nahrung, Nistplätzen, Schutzorten vor natürlichen Feinden, verfügbaren Nährstoffmengen, Wasser und anderen wichtigen abiotischen und biotischen Faktoren immer mehr erschwert. Es kommt zunächst zu verstärkter intraspezifischen Konkurrenz (vgl. Abschnitt 3.1.1) und möglicherweise bei Erreichen der Kapazitätsgrenze auch zum Rückgang der Populationsgröße. Das zuvor beschriebene Modell des exponentiellen Populationswachstums mit seinem theoretisch unbegrenzten, konstanten Wachstum kommt demnach dauerhaft in der Natur nicht vor und kann langfristig das Verhalten der meisten realen Populationen nicht befriedigend erklären. Populationsökologen wenden daher das logistische Modell des Populationswachstums an, das zusätzlich zu den Annahmen des exponentiellen Modells die Veränderung der Wachstumsrate einer Population berücksichtigt, wenn sich diese zahlenmäßig ihrer Kapazitätsgrenze nähert. Man erhält nach diesem Modell bei grafischer Auftragung der Individuenzahl gegen die Zeit eine sigmoide, also S-förmige, Wachstumskurve (⇒ Abbildung 4.14), wohingegen beim exponentiellen Wachstum mit einer J-förmigen Kurve zu rechnen ist (siehe Kapitel 4.2.1). Die Individuenzahl von Populationen steigt nach dem logistischen Modell in absoluten Zahlen bei mittleren Populationsgrößen am stärksten an, weil einerseits bereits eine relativ große Zahl von Individuen vorhanden ist, die sich reproduzieren können, und andererseits Fortpflanzungspartner, Raum und alle anderen Ressourcen in genügend großer Zahl zur Verfügung stehen und somit nicht limitierend wirken.
4.2 Populationswachstum
Hohe Populationsdichten in Kombination mit limitierten Ressourcen; ein solches Szenario ist für eine reale Population in vielen Fällen gegeben und beeinflusst das Wachstum der Population tiefgreifend. Wenn Individuen unter diesen Bedingungen in hohem Maße der intraspezifischen Konkurrenz unterworfen sind und sich keine für ihre Reproduktion ausreichenden Ressourcen verschaffen können, geht als Folge die Pro-Kopf-Geburtenrate (b) zurück. Wenn die Individuen der Population nicht genügend Energie für die Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels aufnehmen können oder wenn Krankheiten oder Parasiten mit zunehmender Individuendichte häufiger werden, steigt unter Umständen die Pro-Kopf-Sterberate (d). Sowohl ein Rückgang von b als auch eine Zunahme von d führen zu einer Abnahme der Wachstumsrate (r) einer Population. Um die Veränderung der Wachstumsrate für den Fall, dass die Populationsgröße sich der Umweltkapazität nähert, zu berücksichtigen, muss die Gleichung für das exponentielle Populationswachstum modifiziert werden. Man erhält das logistische Modell des Populationswachstums. Da ein Lebensraum immer nur eine begrenzte maximale Populationsgröße „tragen“ kann, muss dieser Wert in die mathematische Betrachtung mit einbezogen werden. Für die maximale Populationsgröße nach Erreichen der Umweltkapazität wird der Wert K angenommen. In diesem Wert spiegelt sich somit die maximale Anzahl an Individuen einer Art wieder, die in einem Lebensraum dauerhaft überleben können. Zieht man von diesem Wert die tatsächliche Größe der Population ab, also K–N, dann erhält man die Anzahl an Individuen, die zusätzlich noch in dem Lebensraum leben könnten, bevor die Umweltkapazität des Lebensraumes überschritten ist. Durch Division durch K erhält man (K–N) / K, das Verhältnis von „noch freien Plätzen“ zu K, oder anders ausgedrückt: der für jede Individuenzahl (N) unterschiedliche Anteil von K, der noch für ein weiteres Populationswachstum zur Verfügung steht. Multipliziert man die exponentielle Wachstumsrate rmaxN mit (K–N) / K, verändert sich daher mit zunehmendem oder abnehmendem N auch die momentane tatsächliche Wachstumsrate:
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dN / dt = rmax N ((K–N) / K) Wenn N im Vergleich zu K sehr klein ist, geht der Term (K–N) / K gegen eins und das Populationswachstum ist ungebremst (exponentiell). Wenn N jedoch groß ist, wird der Term deutlich kleiner als 1 und das
exponentielle Wachstum wird um diesen Faktor gebremst. Ist N = K, kommt das Populationswachstum zum Stillstand. Tabelle 4.1 zeigt Berechnungen für die Wachstumsrate einer hypothetischen Population nach dem logistischen Modell, wobei rmax = 1,0 je Individuum und Jahr ist. Trägt man N gegen die Zeit auf, erhält man mit dem logistischen Modell eine sigmoide (S-förmige) Kurve (die rote Linie in ⇒ Abbildung 4.14). Am effizientesten reproduzieren sich die Individuen dann, wenn die tatsächliche Wachstumsrate im höchsten ist. Dies ist, wie das Beispiel stellvertretend zeigt, bei einer mittleren Populationsgröße der Fall, denn unter diesen Bedingungen ist nicht nur eine reproduktionsfähige Population von bereits erheblicher Größe vorhanden, sondern den Individuen der Population stehen auch noch genug Nahrung und andere wichtige Ressourcen zur Verfügung. Wenn N sich an K annähert, geht das Populationswachstum drastisch zurück, da der Einfluss der limitierenden Faktoren stark zunimmt.
exponentielles Wachstum dN = 1,0N dt
2000 Populationsgröße (N)
Das logistische Modell des Populationswachstums
1500
K = 1500 logistisches Wachstum dN = 1,0N 1500 – N dt 1500
1000
500
0
0
5 10 Anzahl der Generationen
15
Abbildung 4.14: Logistisches Populationswachstum. Wenn die Populationsgröße (N) sich der Umweltkapazität (K) annähert, geht die Wachstumsrate der Population zurück. Die rote Linie zeigt das logistische Wachstum in einer Population, in der rmax = 1,0 ist und K = 1500 Individuen umfasst. Die blaue Linie zeigt zum Vergleich eine Population, die mit dem gleichen rmax weiterhin exponentiell anwächst.
Tabelle 4.1: Logistisches Wachstum einer hypothetischen Population (K = 1500) Populationsgröße (N)
*
Potenzielle Zuwachsrate (rmax)
(K–N) / K
Pro-Kopf-Zuwachsrate rmax ((K–N) / K)
Tatsächliche Wachstumsrate * rmax N ((K–N) / K)
25
1,0
0,98
0,98
+ 25
100
1,0
0,93
0,93
+ 93
250
1,0
0,83
0,83
+208
500
1,0
0,67
0,67
+333
750
1,0
0,50
0,50
+375
1000
1,0
0,33
0,33
+333
1500
1,0
0,00
0,00
0
Gerundet auf die nächste ganze Zahl.
105
Zahl der Daphnia-Individuen/50 ml
Anzahl der ParameciumIndividuen/ml
4 Populationsökologie
1000 800 600 400 200 0 00
5
10 Zeit (Tage)
15
(a) Eine Paramecium-Population im Labor. Das Wachstum von Paramecium aurelia in kleinen Kulturen (schwarze Punkte) entspricht annähernd einem logistischen Wachstum (rote Kurve), wenn konstante Umweltbedingungen geboten werden.
180 150 120 90 60 30 0 00
20
40
60
80 100 Zeit (Tage)
120
140
160
(b) Eine Daphnia-Population im Labor. Das Wachstum einer Population von Wasserflöhen (Daphnia) in einer kleinen Laborkultur (schwarze Punkte) entspricht nicht dem logistischen Modell (rote Kurve). Diese Population wächst über die Umweltkapazität ihrer künstlichen Umweltbedingungen hinaus und pendelt sich erst dann bei einer annähernd stabilen Populationsgröße ein.
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Abbildung 4.15: Logistisches Wachstum und „overshoot“ (= Überschießen einer Population über die Kapazitätsgrenze).
Bei geringeren Populationsgrößen reicht die Zahl der sich reproduzierenden Individuen (noch) nicht aus, um großen zahlenmäßigen Zuwachs zu produzieren. Bei höheren Populationsgrößen stehen zwar genügend Individuen für die Reproduktion zur Verfügung, die Nähe zur Kapazitätsgrenze limitiert jedoch die Ressourcen und die Reproduktionsrate sinkt, unter anderem bedingt durch die zunehmende intraspezifische Konkurrenz innerhalb der Population. Laborpopulationen können bei konstanten Umweltbedingungen gezüchtet werden, ohne dass beispielsweise natürliche Feinde oder konkurrierende Arten das Wachstum der Populationen einschränken können. Das Wachstum solcher Laborpopulationen mancher kleinerer Tierarten, zum Beispiel Käfer und Krebstiere, aber auch mancher Mikroorganismen wie Pantoffeltierchen entspricht bei begrenzten Ressourcen recht gut einer S-förmigen Wachstumskurve (⇒ Abbildung 4.15a). Einige Grundannahmen, auf denen das logistische Modell beruht, treffen eindeutig nicht auf alle Populationen zu. Das Modell geht zum Beispiel davon aus, dass Populationen sich sofort auf ein verringertes Wachstum einstellen und daher auf einem kontinuierlichen Weg die Umweltkapazität erreichen können. In Wirklichkeit tritt aber häufig vor Erreichen der Kapazitätsgrenze und bevor die negativen Auswirkungen der hohen Individuendichte „greifen“ eine Verzögerung auf. Wird zum Beispiel die Nahrung für eine Population zum limitierenden Faktor, so geht die Reproduktionsleistung der Population zurück. Die Weibchen der Population können sich jedoch für kurze Zeit mithilfe ihrer Energiereserven noch weiter reproduzieren. Dies kann dazu führen, dass die Population vorübergehend über die Umweltkapazität hinaus anwächst, wie es in ⇒ Abbildung 4.15b unter anderem für Wasserflöhe dargestellt ist. Ein solches Überschießen einer Population über die Kapazitätsgrenze des Systems wird im Englischen als „overshoot“ bezeichnet. Die direkte
4.2 Populationswachstum
Folge des overshoot ist ein Teilzusammenbruch der Population, da die Auswirkungen der Ressourcenknappheit zu einer deutlichen Erhöhung der Mortalitätsrate innerhalb der Population führen. Verringert sich die Population in Folge unter die Grenze der Umweltkapazität, kommt es auch im Wachstum zu einer Verzögerung, bevor wieder eine größere Anzahl von Nachkommen geboren wird. Die Populationsgröße pendelt sich letztlich in einer Wellenbewegung um die Kapazitätsgrenze herum ein. Wieder andere Populationen schwanken so stark, dass die Umweltkapazität für sie nur schwer zu ermitteln ist. Es gibt darüber hinaus noch weitere Einschränkungen bezüglich der Gültigkeit des Modells. So wird zum Beispiel im Modell angenommen, dass die Umweltkapazität K konstant ist. In echten Lebensräumen und damit auch für echte Populationen kann diese jedoch Schwankungen unterliegen, so zum Beispiel je nach Temperatur- oder Niederschlagsverhältnissen zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Zudem lässt sich die Umweltkapazität bei den meisten „Nicht-Labor-Systemen“ nur sehr schwer abschätzen. So ist beispielsweise die Kapazitätsgrenze der gesamten Erde Gegenstand aktueller wissenschaftlicher Diskussion, wenn es um die Frage geht, wie viele Menschen die Erde überhaupt im ökologischen Sinne „tragen“ kann (siehe Kapitel 8.1). Das logistische Modell ist trotz all dieser Einschränkungen für das Verständnis des Populationswachstums von großer Bedeutung und es ist darüber hinaus als Mittel zur Abschätzung sehr hilfreich, wenn man
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K- und r-Strategie Je nachdem, wie niedrig oder hoch die Individuendichte in einer Population ist, sagt das logistische Modell des Populationswachstums unterschiedliche Wachstumsraten voraus. Bei hoher Individuendichte stehen jedem Individuum nur wenige Ressourcen zur Verfügung und die Population wächst langsam. Ist die Individuendichte dagegen niedrig, stehen pro Kopf relativ viele Ressourcen zur Verfügung, so dass die Population schneller wächst. In jedem der beiden Fälle werden unterschiedliche Aspekte des Lebenszyklus begünstigt. Bei hoher Individuendichte sind besonders solche Anpassungen förderlich, mit
deren Hilfe die Individuen auch bei geringer Ressourcenverfügbarkeit überleben und sich reproduzieren können. Hierzu zählt eine hohe Konkurrenzfähigkeit und effiziente Ressourcennutzung. Man spricht in diesem Zusammenhang von der K-Strategie, der Anpassung an Populationsgrößen nahe der Kapazitätsgrenze. Bei niedriger Individuendichte dagegen sind eher Anpassungen förderlich, die eine schnelle Reproduktion ermöglichen, wie zum Beispiel die Produktion zahlreicher, hinsichtlich der Körpergröße kleiner Nachkommen. Es handelt sich hierbei um die r-Strategie, eine Anpassung an möglichst hohe Wachstumsraten.
Abbildung 4.16: Beispiele für r- und K-Strategie. (a) Das Flecken-Querzahnmolchweibchen legt viele Eier ab, die es dann sich selbst überlässt. (b) Beim Rotrücken-Waldsalamander legt das Weibchen nur wenige Eier ab, die es dann bewacht, bis die Jungen schlüpfen.
107
4 Populationsökologie
bestimmte komplexere Sachverhalte herleiten will. In der Naturschutzbiologie ist das Modell beispielsweise von großer Bedeutung, da man mit seiner Hilfe voraussagen kann, wie schnell eine Population wachsen wird, nachdem sie dezimiert wurde, oder man kann auf Grundlage des Modells die nachhaltige Nutzungsrate für Fische und Wildtiere abschätzen. Außerdem lässt sich mithilfe des Modells eine Aussage über kritische Populationsgrößen treffen, unterhalb derer Populationen bestimmter Arten mit Sicherheit aussterben werden.
4.2.3 Regulationsmechanismen des Populationswachstums
!
Merke Regulationsmechanismen des Populationswachstums
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Das Wachstum einer Population wird durch dichteabhängige (z. B. Ressourcenverfügbarkeit, Infektionsgefahr) und dichteunabhängige Faktoren (z. B. Witterungsschwankungen, Naturkatastrophen) reguliert.
Wie wir im vorangegangenen Abschnitt gesehen haben, stoßen schnell wachsende Populationen innerhalb kurzer Zeit an die Kapazitätsgrenzen ihrer Umwelt, wodurch die Geschwindigkeit des Populationswachstums abnimmt und sich schließlich einem Nullwachstum annähert. Bislang wurde im Rahmen dieses Kapitels angenommen, dass der Grund für die Abnahme des Populationswachstums vor allem in der Zunahme der intraspezifischen Konkurrenz zu sehen ist. Tatsächlich wird die Individuendichte innerhalb der Population jedoch meist von verschiedenen Einflussfaktoren reguliert. Man spricht in diesem Zusammenhang von dichteabhängigen Faktoren, wenn die Intensität der auf die Population einwirkenden Faktoren mit der Individuendichte innerhalb der Population korreliert, wie im Falle der intraspezifischen Konkurrenz. Die Individuendichte muss allerdings nicht immer der Grund für die Begrenzung des Populationswachstums beziehungsweise der Populationsgröße sein. Es gibt auch andere, nicht mit der Individuendichte korrelierende Faktoren (dichteunabhängige Faktoren), deren Einfluss oftmals überwiegt. Dichteabhängige Faktoren Wenn für eine wachsende Anzahl von Individuen der Zugang zu wichtigen Ressourcen begrenzt oder unmöglich wird, steigt die Mortalität innerhalb der Population, während die Geburtenrate und folglich auch das Populationswachstum sinken. Nimmt die Populationsgröße hingegen ab, sinkt mit ihr auch die Mortalität; die Geburtenrate und das Populationswachstum steigen wieder an. Solche positiven und negativen Rückkopplungseffekte regulieren in erheblichem Maße die Populationsgröße. Die Ressourcenverfügbarkeit stellt den wohl wichtigsten, aber nicht einzigen, dichteabhängigen Faktor der Populationsregulation dar. In Pflanzen- und Tierpopulationen herrscht eine erhebliche Konkurrenz um Nahrung und andere Ressourcen. Revierverhalten (Territorialverhalten) stellt bei vielen Wirbeltier- und manchen Wirbellosenarten einen Weg dar, um die Individuendichte einer Population zu regulieren und zu begrenzen. In einem solchen Fall wird ein beanspruchter Raum oder eine Ressource von einem Individuum oder einem Brutpaar gegenüber den Individuen derselben Art verteidigt. Wenn es infolge zunehmender Individuendichte zur Verringerung des zur Verfügung stehenden Ressourcenraumes kommt, werden wegen des Revierverhaltens die in der
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4.2 Populationswachstum
Konkurrenz überlegenen Individuen die begrenzten Ressourcen effi zienter nutzen (vergleiche Kapitel 3.1.1). Da Reviere verteidigt werden, macht es biologisch „Sinn“, die Reviergrenzen optisch (bei vielen Vogelarten durch Schauflüge), akustisch durch Gesänge oder Rufe oder olfaktorisch über Duftstoffe zu markieren (⇒ Abbildung 4.17). Die Individuendichte kann sich darüber hinaus noch auf andere Weise auf die Vitalität und die Überlebenschance eines Individuums auswirken. In vielen Fällen korreliert die Ansteckungsrate von Krankheiten mit der Größe der Individuendichte. Bei Pflanzen ist die Infektionsrate durch pathogene Pilze an solchen Orten besonders hoch, an denen die Wirtspopulation dicht gehäuft auftritt. Auch bei Tieren wächst in der Regel die Infektionsrate mit Zunahme der Individuendichte an. So greift beispielsweise die Tuberkulose, eine Lungenkrankheit, die im Wesentlichen durch das Bakterium Mycobacterium tuberculosis verursacht und durch Niesen oder Husten einer erkrankten Person übertragen wird (Tröpfcheninfektion), in dicht bevölkerten Großstädten schneller um sich als im ländlichen Raum. Räuber (vergleiche Kapitel 3.2) können ein weiterer dichteabhängiger Faktor sein, der zu einer erhöhten Mortalität ihrer Beuteart führt, wenn sie mit zunehmender Individuendichte auf eine immer größere Anzahl Beutetiere treffen und diese töten. Wenn die Population der Beutetiere wächst, ernähren sich Räuber in der Regel bevorzugt von dieser einen spezifischen Beuteart. Wenn eine andere Beuteart eine höhere Individuendichte erreicht, wechseln sie dann zu dieser über (prey switching). Giftige Stoffwechselendprodukte können ebenfalls als von der Populationsdichte abhängiger Regulationsmechanismus dienen. In Laborkulturen von Mikroorganismen reichern sich mit dem gesteigerten Populationswachstum immer mehr Stoffwechselendprodukte an und führen zu toxischen Umweltbedingungen. Ethanol ist zum Beispiel ein Endprodukt, das Hefezellen unter sauerstofffreien Bedingungen erzeugen. Wein hat in der Regel einen Alkoholgehalt von weniger als 13 Prozent, da dies die maximale Ethanolkonzentration ist, welche die Weinhefe „noch erträgt“, bei höheren Ethanolkonzentrationen vergiftet sich die Hefe daher sozusagen selber. Diese Beispiele für dichteabhängige Faktoren, die Einfluss auf die Regulation der Populationsgröße nehmen, zeigen, auf welche Weise sich zunehmende Individuendichten auf Reproduktion, Wachstumsund Überlebensraten auswirken können und dafür sorgen, dass Populationen nicht dauerhaft ungebremst (exponentiell) wachsen können. Die Beispiele liefern jedoch keine Erklärung dafür, warum manche Populationen drastischen Schwankungen der Individuendichte unterliegen, während andere über lange Zeiträume eine weitgehend konstante Populationsgröße besitzen. Um solche Phänomene zu erklären, müssen dichteunabhängige Regulationsmechanismen mit einbezogen werden.
Abbildung 4.17: Reviermarkierung.
Dichteunabhängige Faktoren Extreme Temperaturen oder hohe Niederschlagsmengen und die mit diesen Phänomenen in Verbindung zu bringenden Naturkatastrophen 109
In den nördlichen Breiten der gemäßigten Zone ist der Winter oft streng. Die tiefen Temperaturen und Schneefälle haben Auswirkungen auf die physiologische Konstitution vieler Tierarten und auf die Nahrungsverfügbarkeit. Bei Populationen des Weißwedelhirsches im nordöstlichen Minnesota (USA) konnte eine Beziehung zwischen der mittleren im Frühjahr geborenen Kälberzahl pro Weibchen, (⇒ Abbildung 4.18a) und den Schneehöhen in den vorangegangenen Wintern nachgewiesen werden. So ist eine Zunahme der Schneehöhen mit einer Verringerung der Kälberanzahl pro Hirschkuh verbunden. Dies führt in der Folge zu jährlichen Populationsschwankungen (⇒ Abbildung 4.18b).
1,0 Kälber pro Hirschkuh
Beispiel
4 Populationsökologie
0,8 0,6
0
jährliche Veränderungen der Populationsgröße [%]
(a)
8 10 12 Summe der Schneehöhen der drei vorangegangenen Winter [m]
0,9
0,6
0,3
0
– 0,3
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(b)
8 10 Summe der Schneehöhen der drei vorangegangenen Winter [m]
12
Abbildung 4.18: Korrelation zwischen der Schneemenge der letzten drei Winter und einer Weißwedelhirsch-Population in Nordost-Minnesota. (a) Kälber pro Kuh. (b) Prozentuale Schwankung der Populationsgröße im Folgewinter (nach Mech et al., 1987).
wie Trockenheit, Feuer und Überschwemmungen können die Geburtenund Sterberate einer Population erheblich beeinflussen. Ihr Einfluss auf eine Population korreliert jedoch nicht, wie im Fall der dichteabhängigen Faktoren mit der Individuendichte und wird daher als „dichteunabhängig“ bezeichnet. Übersteigt die Intensität bestimmter abiotischer Faktoren, und nichts anderes sind die dichteunabhängigen Faktoren, die Toleranzgrenzen eines Individuums beziehungsweise einer Art, können die Folgen für die Population verheerend sein. Solche Einflüsse behindern das Wachstum, die Reproduktion, die Vitalität und Mobilität und erhöhen die Sterberate innerhalb einer Population, was im Extremfall zum Aussterben lokal begrenzter Populationen führen kann. Die mit den jährlichen Witterungsschwankungen einhergehende unterschiedliche Intensität bestimmter abiotischer Faktoren erklärt zudem die starken Populationsschwankungen der in der Einleitung zu diesem Kapitel erwähnten Soay-Schafe auf dem Archipel St. Kilda. Generell ist es daher wichtig, sowohl den Einfluss der dichteabhängigen als auch den der dichteunabhängigen Faktoren gemeinsam zu betrachten, um Aussagen über die Entwicklung einer Population treffen zu können. Beide Arten von Einflüssen können durchaus zeitgleich relevant sein und das Populationswachstum beeinflussen.
Schneeschuhhasen
160 120
Luchse
9
80
6
40
3
0
1850
1875
1900
1925
0
Anzahl der Luchse (in 1000)
Anzahl der Schneeschuhhasen (in 1000)
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Ein Beispiel für Populationszyklen (charakteristische, regelmäßig wiederkehrende Populationsverläufe) sind die Bestände der Schneeschuhhasen und Luchse im hohen Norden Kanadas und Alaskas, die in Zeiträumen von zehn Jahren schwanken. Luchse sind Räuber, die sich auf die Schneeschuhhasen als Beutetiere spezialisiert haben. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ihre Anzahl mit der der Schneeschuhhasen steigt und fällt (⇒ Abbildung 4.19, vergleiche Kapitel 3.2). Warum aber steigt und fällt die Anzahl in einem Zyklus von zehn Jahren? Zur Beantwortung dieser Frage hat man drei wichtige Hypothesen formuliert. Erstens könnten die Zyklen durch winterliche Nahrungsverknappung verursacht werden. Schneeschuhhasen fressen im Winter die jungen Zweige von Weiden, Birken und kleinen Sträuchern. Warum sollte jedoch die Verfügbarkeit dieser Nahrungsquelle in Zehnjahresintervallen schwanken? Diese Frage ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Zweitens könnten die Zyklen auf die Wechselbeziehungen zwischen Räuber und Beute zurückzuführen sein. Neben Luchsen fressen auch viele andere Raubtiere die Schneeschuhhasen und möglicherweise werden die Beutetiere dabei im Übermaß genutzt. Drittens könnte die Population der Schneeschuhhasen mit der Sonnenfleckenaktivität schwanken, die ebenfalls zyklisch variiert. Ist sie niedrig, entsteht in der Atmosphäre weniger Ozon und mehr UV-Strahlung gelangt an die Erdoberfläche. Als Reaktion produzieren die Pflanzen mehr UV-blockierende Substanzen und weniger Verbindungen, die Herbivoren abschrecken; auf diese Weise steigt für die Schneeschuhhasen die Qualität der Nahrung. Untersuchungen der drei vorgestellten Theorien ergaben, dass alle drei möglichen Ursachen in ihrer Gesamtheit den Zyklus der Schneeschuhhasenpopulation bewirken, wobei die verfügbare Nahrungsmenge tatsächlich eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Beispiel
4.2 Populationswachstum
W iederholun g s f ra g en 4 . 2
1. Erklären Sie begründet, weshalb eine konstante maximale Wachstumsrate einer Population (rmax) zu einer J-förmigen Wachstumskurve und nicht zu einem linearen Populationsanstieg führt. 2. Stellen Sie begründet dar, ob auf einer neu entstandenen Vulkaninsel oder in einem Regenwald exponentielles Populationswachstum bei Pflanzen wahrscheinlicher ist. 3. Deutschland hatte im Jahr 2006 eine Bevölkerung von ungefähr 82 Millionen Menschen. Stellen Sie dar, wie groß in diesem Jahr das Netto-Bevölkerungswachstum gewesen wäre, wenn man annimmt, dass auf 1000 Einwohner 14 Geburten und acht Todesfälle kommen und zusätzlich Ein- und Auswanderung (die in Wirklichkeit einen beträchtlichen Umfang haben können) außer Acht lässt. 4. Wenn ein Landwirt ein Feld nicht mehr bewirtschaftet und brachliegen lässt, wird dieses rasch von schnell wachsenden, krautigen Pflanzenarten besiedelt. Erklären Sie begründend, ob diese Pflanzenarten eher der K- oder der r-Selektion unterliegen. 5. Nennen Sie drei von der Individuendichte abhängige Faktoren, welche die Populationsgröße beeinflussen, und erläutern Sie, auf welche Weise diese für eine negative Rückkopplung sorgen.
Jahr
Abbildung 4.19: Populationsschwankungen von Schneeschuhhasen und Luchsen.
111
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Zusammenfassung
4 Populationsökologie
Die Populationsökologie ist ein Teilgebiet der Ökologie, das sich unter anderem mit der Entstehung von Populationen, ihrer Dynamik in Raum und Zeit, ihrer Struktur sowie ihrem Altersaufbau befasst und das die Faktoren untersucht, die zu Veränderungen von Dynamik und Struktur führen. Eigenschaften von Populationen (4.1) Populationen werden durch ihre Individuendichte (Anzahl der Individuen pro Flächeneinheit) und Individuenverteilung charakterisiert. Da ein bestimmtes Gebiet nur selten über eine einheitliche ökologische Eignung als Lebensraum für eine Art verfügt, verteilen sich die Individuen von Populationen zumeist nicht regelmäßig über das Habitat. Man unterscheidet daher zum Beispiel zwischen einer geklumpten oder aggregativen Verteilung und einer zufälligen Verteilung. Der ebenfalls mögliche Fall einer regelmäßigen Verteilung ist eher idealtypisch und kommt in Wirklichkeit selten vor. Die Altersstruktur einer Population wird durch die Zahl oder den relativen Anteil der Individuen verschiedener Altersklassen definiert. Die Individuen einer Population können in der Regel drei verschiedenen populationsökologisch wichtigen Gruppen angehören: präproduktive, reproduktive und postreproduktive Altersklasse. Die meisten Organismen sind in irgendeinem Lebensstadium zu einem gewissen Grad mobil. Einige Organismen (unter ihnen die meisten Pflanzen) breiten sich passiv aus und sind dabei von einer Vielzahl von Ausbreitungsmitteln abhängig (zum Beispiel Wind, Wasser, Tiere). Die meisten Tiere hingegen sind mobil und können sich daher aktiv ausbreiten. Verlassen sie dabei ihren Lebensraum, um beispielsweise in einer anderen Population zu leben, spricht man von Emigration (Abwanderung). Stoßen Individuen zu einer Population neu dazu, spricht man von Immigration, einer Zuwanderung. Gründe für Wanderungsbewegungen können beispielsweise die Suche nach Paarungspartnern oder nach einem konkurrenzfreien Lebensraum sein. Bei einigen Arten gehört die regelmäßige Wanderung zwischen verschiedenen Gebieten zu ihrem Lebenszyklus; man spricht in solchen Fällen von Migration. Eine Metapopulation ist eine Gruppe von Subpopulationen. Zwischen den Subpopulationen herrscht ein gelegentlicher Austausch von Individuen durch Zu- und Abwanderung. Zwischen Metapopulationen ist dies in der Regel nicht der Fall.
Populationswachstum (4.2) Der Begriff des Populationswachstums beschreibt die Veränderungen der Individuenzahl einer Population. Lässt man Zu- und Abwanderung außer Acht, entspricht die Wachstumsrate einer Population (das heißt die Pro-Kopf-Zunahme oder -Abnahme) der Differenz zwischen Geburten- und Sterberate (Natalitätsund Mortalitätsrate). Die exponentielle Wachstumsgleichung dN / dt = rmax N beschreibt das potenziell mögliche Populationswachstum in einer Umwelt, die keine Beschränkungen auferlegt. Dabei ist rmax die maximale Wachstumsrate (Pro-Kopf-Zunahme) und N die Anzahl der Individuen in der Population. Exponentielles Wachstum lässt sich in keiner Population lange aufrechterhalten. Das logistische Wachstumsmodell stellt ein realistischeres Modell des Populationswachstums dar, indem es die Umweltkapazität (K) einbezieht, das heißt die maximale Populationsgröße, der die Umwelt eine Lebensgrundlage bieten kann. Nach der logistischen Gleichung dN / dt = rmaxN (K–N) / K flacht sich das Wachstum ab, wenn die Populationsgröße sich der Umweltkapazität annähert. Das logistische Modell ist darüber hinaus nützlich zur Schätzung der Wachstumsmöglichkeiten einer Population. Die Individuendichte innerhalb der Population wird meist von verschiedenen Einflussfaktoren reguliert: den dichteabhängigen und den dichteunabhängigen Faktoren. Die dichte abhängigen Faktoren bewirken ein Ansteigen der Mortalitätsrate mit zunehmender Individuendichte und ein Absinken der Natalitätsrate. Durch diese negative Rückkopplung kann die Population am Ende in der Nähe ihrer Umweltkapazität stabilisiert werden. Dichteabhängige limitierende Faktoren sind unter anderem die intraspezifische Konkurrenz um begrenzte Nahrung oder um knappen Raum, der zunehmende Einfluss natürlicher Feinde, Krankheiten, Stress durch Überbevölkerung oder die Anreicherung giftiger Stoffwechselendprodukte. Liegt eine dichteunabhängige Populationsregulation vor, ändern sich Natalitäts- und Mortalitätsrate mit steigender Individuendichte nicht. Bei diesen Faktoren handelt es sich überwiegend um sich verändernde Umweltbedingungen oder Naturkatastrophen, die ihrerseits zu Populationsschwankungen führen.
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Kapitel 5 Ökosysteme
In einem Ökosystem herrschen
komplexe Nahrungsbeziehungen
Stoffkreisläufe im Ökosystem –
Stoffe werden wiederverwertet
Ökosysteme unterliegen
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Veränderungen
5 Ökosysteme
Jedes Individuum und jede Art ist mit der unbelebten und belebten Umwelt aufs Engste verbunden. Diese Tatsache ist in den vorangegangenen Kapiteln ausführlich dargestellt worden. Obwohl viele der dort betrachteten Wechselbeziehungen bereits seit langem bekannt waren, wurden sie lange Zeit nicht in einem großen und übergeordneten Gesamtzusammenhang betrachtet. Erst im Jahr 1935 wies der britische Botaniker A. G. Tansley auf die wechselseitige Beeinflussung und gegenseitige Abhängigkeit zwischen Individuen und ihrer Umwelt hin und kreierte für dieses Beziehungsgeflecht den Begriff Ökosystem. In der Zeitschrift Ecology schrieb er:
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Das grundlegende Konzept ist … das ganze System (im Sinne der Physik), das nicht nur den Organismenkomplex umfasst, sondern auch den gesamten Komplex der physikalischen Faktoren, die das bilden, was wir Umwelt nennen … Wir können sie [die Lebewesen] nicht von ihrer besonderen Umwelt trennen, mit der sie ein physikalisches System bilden … Die so entstandenen Systeme … sind die Grundeinheiten der Natur auf dem Antlitz der Erde … Diese Ökosysteme, wie wir sie nennen können, sind von ganz unterschiedlicher Art und Größe. Nach Tansley bilden somit in einem Ökosystem die biologischen und physikalischen Bestandteile der Umwelt ein einziges, verflochtenes und untrennbares Ganzes. Der Begriff des Ökosystems brachte einen ganz neuen, umfassenderen Ansatz für die Untersuchung der Natur mit sich. Spricht man mit einem Ökologen, der „lediglich“ das Verhalten von Populationen oder Lebensgemeinschaften erforscht, über die ökologischen Eigenschaften eines Waldes, so bekommt man etwas über Arten zu hören – über die Dynamik ihrer Populationen, ihre Wechselbeziehungen und Gesetzmäßigkeiten der Artenvielfalt. Unterhält man sich dagegen über denselben Wald mit einem Ökosystemspezialisten, so ergibt sich ein ganz anderes und viel abstrakteres Bild: Es geht um Energie und Materie und häufig verschwimmen die Grenzen zwischen belebten und unbelebten Bestandteilen. Für einen Ökosystemspezialisten ist der Wald ein System aus verschiedensten Organismen sowie ihrer unbelebten Umwelt, wobei alle Bestandteile Energie und Materie verwerten und austauschen. Gerade die Tatsache, dass in Ökosystemen Energie und Stoffe ausgetauscht werden, es also Nutzungsketten und Kreisläufe gibt, zeigt einen Aspekt von Ökosystemen, der auf der Ebene der Populationen alleine nicht beschrieben werden kann. Ökosysteme sind darüber hinaus räumliche Gebilde. Sie haben Grenzen, die sich allerdings vielfach nur schwer definieren lassen. So ist auf den ersten Blick das aquatische Ökosystem eines Sees sicher etwas anderes als das terrestrische Ökosystem am Ufer. Bei näherem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass die Grenze zwischen aquatischem und terrestrischem Ökosystem durchaus nicht so scharf gezogen ist wie zunächst angenommen. Manche Uferpflanzen sind entweder teilweise untergetaucht oder im umgebenden Boden verwurzelt und zapfen das hoch stehende Grundwasser mit ihren Wurzeln an. Amphibien wechseln zwischen Land und Wasser und die Bäume am Ufer verlie-
Ökosysteme
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Abbildung 5.1: Beispiele für zwei aquatische Ökosysteme ganz unterschiedlicher Größe und Struktur. Sowohl der Bergsee als auch das gezeigte Kleingewässer in einer Höhle sind jeweils ein eigenes Ökosystem, obwohl sie sich hinsichtlich ihrer Größe, Artenzahl und ökosystematischen Struktur gravierend unterscheiden.
ren zumindest einen Teil ihrer Blätter in den See und tragen auf diese Weise zu der Gesamtmenge an toter organischer Materie bei, die im See vorhanden ist und von der sich die Destruenten (Zersetzer) am Seeboden ernähren. Ungeachtet der genannten Schwierigkeiten haben Ökosysteme zumindest in der Theorie räumliche Grenzen und wenn man diese Grenzen definiert hat, kann man das Ökosystem vor dem Hintergrund seiner Umgebung betrachten. Was aus der Umgebung in das Ökosystem hineingelangt, ist der Input. Was das Ökosystem verlässt und in die Umgebung „fließt“, bezeichnet man als Output.
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5 Ökosysteme
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Merke Trophische Struktur
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Unter einer trophischen Struktur (trophisch = sich auf die Ernährung beziehend) versteht man die Nahrungsbeziehungen innerhalb eines Ökosystems, die den generellen Weg des Energieflusses in dem betreffenden System charakterisieren.
5.1
In einem Ökosystem herrschen komplexe Nahrungsbeziehungen
Alle lebenden Dinge und somit auch die aus diesen Lebewesen aufgebauten Ökosysteme unserer Erde benötigen Energie, um existieren zu können. Diese Energie stammt für alle höheren Organismen auf direktem oder indirektem Wege aus der Solarstrahlung1. Je nachdem, wie die Organismen diese Energie für ihren Bau- und Betriebsstoffwechsel beziehen, unterscheidet man in Ökosystemen grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Ernährungsweisen. Autotrophe („selbsternährende“) Organismen (auch Produzenten genannt), synthetisieren im Rahmen der Photosynthese organische Verbindungen, ohne dabei andere Organismen aufzunehmen, und nutzen dazu die Energie der Solarstrahlung auf direktem Wege. Autotrophe Organismen stellen die Trophieebene (= Ernährungsstufe) dar, von der letztlich alle anderen Organismen leben. Die wichtigsten autotrophen Organismen sind die grünen Pflanzen und photosynthetisch aktiven Bakterien. Bei der heterotrophen („sich von anderen ernährenden“) Ernährungsweise werden tote oder lebende Organismen(-teile) aufgenommen, um durch deren Abbau und Verdauung Energie und bestimmte organische Verbindungen zu erhalten, die für das Überleben notwendig sind. Heterotrophe Organismen nutzen, egal welche Nahrung sie zu sich nehmen, letztlich die Energie der Solarstrahlung auf indirektem Wege. Die im Rahmen der Photosynthese chemisch gespeicherte Energie steht somit nicht nur den autotrophen Pflanzen für den Bau- und Betriebsstoffwechsel zur Verfügung, sondern wird über Nahrungsbeziehungen in Ökosystemen an heterotrophe Organismen weitergegeben und bildet die Grundlage für das gesamte übrige Leben auf der Erde. Der heterotrophe Teil der Organismen eines Ökosystems kann je nach bevorzugter Nahrungsquelle in unterschiedliche Gruppen unterteilt werden. Während sich die Herbivoren von Pflanzen und anderen Primärproduzenten ernähren, fressen Carnivore Fleisch, das von Pflanzenfressern oder Fleischfressern stammen kann. Sowohl Herbivore als auch Carnivore fasst man unter dem Überbegriff der Konsumenten zusammen, da sie sich von der zuvor von den Produzenten produzierten Biomasse ernähren. Eine weitere wichtige Gruppe heterotropher Organismen sind die Destruenten. Sie werden auch als Reduzenten (engl. decomposer, vgl. auch „Kompost“) bezeichnet, da sie organische Substanz abbauen. Ihre Nahrungsgrundlage ist Detritus, totes organisches Material, das zum Beispiel aus den Überresten toter pflanzlicher und tierischer Organismen oder aus Exkreten und Exkrementen stammt. Viele Destruenten werden ihrerseits von Carnivoren gefressen. Zwei wichtige Gruppen der Destruenten sind Bakterien und Pilze (⇒ Abbildung 5.2). Pilze sind hervorragend für den Abbau organischen Materials ange1 Ausnahmen stellen einige „Exoten“ wie bestimmte Mikroorganismen dar, die beispielsweise in der Lage sind, aus unterseeischen Vulkanen austretenden Schwefelwasserstoff zu oxidieren, und auf diesem Weg durch Chemosynthese Energie gewinnen. Solche und andere Sonderfälle sollen im Rahmen dieses Buches jedoch zu Gunsten eines besseren Allgemeinverständnisses nicht weiter behandelt werden.
5.1 In einem Ökosystem herrschen komplexe Nahrungsbeziehungen
passt, zu dem auch die ansonsten praktisch unzersetzbare Zellulose und das Lignin in Pflanzenzellwänden gehören. Tatsächlich kann fast jedes kohlenstoffhaltige Material – von Flugzeugbenzin bis zur Anstrichfarbe – zumindest von einigen Pilzarten abgebaut werden. Erwartungsgemäß beschäftigen sich daher viele biotechnologische Projekte mit dem möglichen Einsatz von Pilzen für den biologischen Schadstoffabbau. Noch wichtiger als die reine Zersetzung toter pflanzlicher und tierischer Substanz ist jedoch eine andere Funktion der Destruenten: Sie wandeln organische Verbindungen in anorganische Verbindungen („Mineralstoffe“) um, die auf diese Weise erneut für die Produzenten zugänglich werden. Somit greifen die Destruenten in den Stofffluss im Ökosystem ein und schließen den biogeochemischen Kreislauf des Ökosystems. Ohne die Tätigkeit der Destruenten würde das Leben auf der Erde zum Stillstand kommen, da sich der Detritus unzersetzt ansammeln würde und die chemischen Bestandteile für die Synthese neuen organischen Materials bald erschöpft wären. Produzenten, Konsumenten und Destruenten stehen demnach in enger Verbindung zueinander und bilden auf der Ebene der Nahrungsbeziehung komplexe Beziehungsgeflechte aus. Im Folgenden werden wir zunächst die Nahrungsketten, relativ einfache Nahrungsbeziehungen, näher betrachten, um auf dieser Basis dann die komplexere Stufe, die sogenannten Nahrungsnetze, zu untersuchen.
Abbildung 5.2: Pilze bei der Zersetzung eines abgestorbenen, gebrochenen Baumstammes.
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Die Bedeutung der Destruenten – Ein Gedankenspiel Stellen Sie sich einen einzelnen Laubbaum auf einem ansonsten leeren Feld vor. Der Baum ist ein autotropher Organismus, er benötigt für sein Leben und Wachstum lediglich Sonnenlicht, CO2, Wasser und Mineralstoffe. Da es auf dem Feld keine anderen Pflanzen gibt, besitzt dieser Baum keine Konkurrenten und kann alle Ressourcen maximal für sich ausnutzen. Geht man davon aus, dass die Sonne jeden Tag scheint und genügend Niederschläge fallen, stehen Licht und Wasser, aber auch das in der Luft befindliche CO2 für den Baum in nahezu unbegrenzter Menge zur Verfügung. Dennoch könnte der Baum, wenn es keine Destruenten gäbe, unter diesen Bedingungen nur eine begrenzte Zeit überleben. Der Grund ist folgender: Die Menge der Mineralstoffe im Boden ist begrenzt. Jedes Jahr produziert der Baum etwa 25.000 Blätter, die er im Herbst abwirft. Für die Produktion der Blätter benötigt der Baum jedoch die Nährstoffe aus dem Boden, da er aus ihnen unter anderem Aminosäuren und DNA-Basen synthetisiert. Ohne die Nährstoffe aus dem Boden könnte der Baum daher irgendwann keine Blätter oder anderweitige Biomasse mehr produzieren. Mit jedem Blatt, das er ausbildet, reduziert sich jedoch die Menge der Mineralstoffe im Boden und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis für ihn keine Mineralstoffe mehr verfügbar wären. Darüber hinaus müsste der Boden unter dem Baum im Laufe der Jahre meterhoch mit Blättern bedeckt sein. Eventuell würde dieser Blätterberg sogar schneller wachsen als der Baum selber, so dass dieser letztendlich an seinen eigenen Abfallprodukten „ersticken“ würde. Es ist der Verdienst der Destruenten, dass der hier beschriebene Vorgang keine „Einbahnstraße für Bodennährstoffe“ darstellt und dass man in Wäldern spazieren gehen kann, ohne sich durch meterhohe Berge von Blättern kämpfen zu müssen. Ohne die Destruenten würden Kohlenstoff, Stickstoff und andere Elemente im organischen Material gebunden bleiben. Die Destruenten zersetzen in mehreren Schritten die abgeworfenen Blätter, setzen dadurch die in den Blättern befindlichen Nährstoffe wieder frei und recyceln somit die Bodennährstoffe, da diese sich nun wieder im Stoffkreislauf befinden und in einer für den Baum verfügbaren Form vorliegen. Pflanzen und die von ihnen lebenden Tiere würden ohne diese Rückführung der ursprünglich dem Boden entnommenen Elemente zugrunde gehen. Leben wie wir es kennen, wäre daher ohne die Destruenten nicht möglich.
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5 Ökosysteme
5.1.1 Nahrungsketten Quartärkonsumenten
Carnivoren
Carnivoren Tertiärkonsumenten
Carnivoren
Carnivoren
Sekundärkonsumenten Carnivoren
Carnivoren
Primärkonsumenten Herbivoren
Zooplankton
Primärproduzenten Pflanze Nahrungskette an Land
Phytoplankton Nahrungskette im Meer
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Abbildung 5.3: Beispiele für terrestrische und marine Nahrungsketten. Die Pfeile kennzeichnen den Weg von Energie und Nährstoffen durch die verschiedenen Trophieebenen einer Lebensgemeinschaft.
Struktur und Dynamik einer Lebensgemeinschaft hängen zu einem großen Teil von den Nahrungsbeziehungen zwischen den Organismenarten, der sogenannten trophischen Struktur der Lebensgemeinschaft, ab. Beteiligt an dieser Struktur sind auf der untersten Trophieebene die Produzenten, die den Ausgangspunkt jeder Nahrungskette darstellen, da sie durch ihre autotrophe Lebensweise als einzige Organismengruppe in der Lage sind, Energie in Form von Biomasse und Nahrungsenergie neu in das System zu bringen. Die nächste Trophieebene stellen die Primärkonsumenten dar. Sie sind Pflanzenfresser (Herbivoren) und nehmen die von den Produzenten fixierte Nahrungsenergie auf, um ihrerseits mit deren Hilfe unter anderem Biomasse aufzubauen. Die Fleischfresser (Carnivoren) stellen die übrigen Ordnungen der Konsumenten dar. So ist die insektenfressende Spitzmaus ein Konsument zweiter Ordnung (Sekundärkonsument), da sie die von den Konsumenten produzierte Nahrungsenergie nicht direkt, sondern erst über den „Umweg“ Insektenkörper erhält. Die Schlange, die die Spitzmaus frisst, ist ein Konsument dritter Ordnung (Tertiärkonsument) und schließlich stellt der schlangenfressende Greifvogel einen Konsumenten vierter Ordnung (Quartärkonsument) dar. Stellt man diese Beziehungen grafisch dar, ergibt sich eine bestimmte Abfolge der Organismen. Es entsteht eine sogenannte Nahrungskette, bei der jede der genannten Trophieebenen ein eigenes Kettenglied darstellt. Die Arten auf den unterschiedlichen Trophieebenen interagieren miteinander über zahlreiche der in Kapitel 3 besprochenen biotischen Wechselwirkungen. So herrscht zwischen den verschiedenen Produzentenarten sowohl intra- als auch interspezifische Konkurrenz um beispielsweise Licht, Wasser und Nährstoffe. Die Herbivoren verringern die Biomasse der Produzenten, während sich diese mit Hilfe unterschiedlicher Fraßschutzstrategien gegen den Einfluss der Herbivoren zu „wehren“ versuchen. Zwischen den Konsumenten erster und denen aller höheren Ordnungen herrschen Räuber-Beute-Beziehungen und ebenfalls zahlreiche wechselseitige Anpassungsmechanismen. Einige wichtige Konsequenzen aus diesem Aufbau werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch vertiefter erläutert; an dieser Stelle sollte man allerdings schon einmal im Hinterkopf behalten, dass es sich bei Nahrungsketten und trophischen Strukturen um dynamische Phänomene handelt. Wenn beispielsweise zwischen einem Sekundärkonsumenten und seiner Beute, einem Primärkonsumenten, eine Räuber-Beute-Beziehung nach Lotka-Volterra herrscht, dann sollten die Populationsschwankungen der Beute innerhalb einer Nahrungskette nicht nur die Populationsdichte des Räubers beeinflussen, sondern auch Auswirkungen auf die des „Räubers des Räubers“ haben können. Die bislang betrachteten Nahrungsketten sind Lebendfresserketten, die auch als Phytophagen-, Herbivoren- oder Abweidenahrungsketten bezeichnet werden. Bei den Lebendfresserketten besteht die Quelle, aus der die Konsumenten erster Ordnung ihre Energie beziehen, aus lebender pflanzlicher Biomasse. Rinder auf der Weide, Rehe im Wald, Kaninchen auf Graslandflächen und pflanzenfressende Insekten sind Beispiele für Konsumenten erster Ordnung in Lebendfresserketten.
5.1 In einem Ökosystem herrschen komplexe Nahrungsbeziehungen
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In Ökosystemen gibt es darüber hinaus jedoch eine zweite Hauptnahrungskette: die Zersetzerkette. Destruenten gewinnen in dieser ihre Energie dadurch, dass sie abgestorbene organische Substanz abbauen. In der Zersetzerkette sind verschiedene wirbellose Tiere wie Schnecken, Käfer, Tausendfüßler, Asseln und Regenwürmer, aber auch Pilze und Bakterien, die Konsumenten erster Ordnung. Sie werden alternativ auch als Saprophagen bezeichnet, da sie sich von toter organischer Sub stanz ernähren. Betrachtet man die in ⇒ Abbildung 5.4 dargestellten Nahrungsketten genauer, könnte der Eindruck entstehen, dass die Organismen einer festen und für sie charakteristischen trophischen Ebene zugeordnet sind. Wenn jedoch der Greifvogel beispielsweise statt einer Schlange eine Spitzmaus erbeutet, ist er in diesem Moment definitionsgemäß nicht mehr Quartärkonsument, sondern Tertiärkonsument. Viele andere Konsumenten, wie zum Beispiel der Mensch oder der Rotfuchs, sind Allesfresser (Omnivore) und gehören, je nachdem, auf welcher Trophiestufe sie in die trophische Struktur eines Ökosystems eingreifen, mehreren trophischen Ebenen an, da sie neben pflanzlicher Nahrung auch tierische Substanzen zu sich nehmen. Möchte man diese Beziehungen berücksichtigen, reichen Nahrungsketten alleine nicht mehr aus und es entstehen komplexere Strukturen, die sogenannten Nahrungsnetze.
Sommer
Winter
Lebendfresserkette R
Zersetzerkette
Carnivoren
Carnivoren
R
R
R
Herbivoren
Saprophagen
R
R
Primärproduzenten
Detritus
Abbildung 5.4: Die beiden Teile eines Ökosystems: Lebendfresserkette und Zersetzerkette. Orangefarbene Pfeile zwischen den trophischen Ebenen symbolisieren den mit der Nahrungsaufnahme verbundenen Energiefluss. Die blauen Pfeile weisen auf den respirationsbedingten Energieverlust (Energieverlust zum Beispiel durch Muskelbewegung, Wärmeproduktion etc.) hin. Die auf diese Weise verlorene Energie steht den Organismen nicht zur Produktion von Biomasse zur Verfügung. Die braunen Pfeile stellen eine Kombination aus abgestorbenem organischen Material (nicht konsumierte Biomasse) und Ausscheidungsprodukten dar.
Herbst
Frühjahr
Abbildung 5.5: Der Rotfuchs – ein typischer Allesfresser. Er ernährt sich sowohl von pflanzlicher als auch von tierischer Substanz. Seine Nahrungszusammensetzung verändert sich unter anderem mit den Jahreszeiten. Beachten Sie das Übergewicht von Früchten und Insekten im Sommer und das von kleinen Nagetieren und Kaninchen im Winter und Frühling. 119
5 Ökosysteme
5.1.2 Nahrungsnetze Wie in Kapitel 3 bereits angedeutet, ist es in realen Ökosystemen oftmals so, dass ein Räuber die Auswahl zwischen mehreren für ihn in Frage kommenden Beuten hat und dass eine Beute zumeist von mehreren potenziellen Räubern bejagt wird. Der Biologe Charles Elton erkannte in den 1920er Jahren diesen und weitere Zusammenhänge und formulierte, dass Nahrungsketten sich in der Regel kreuzen und zu komplizierten Nahrungsnetzen verknüpft sind. Die Trophiebeziehungen innerhalb einer Lebensgemeinschaft können daher zumeist zutreffender als Nahrungsnetz anstatt als isolierte Nahrungskette dargestellt werden, wobei die Pfeile zwischen den Arten die Richtung des Energieund Nährstofftransfers angeben. Bei einer Lebensgemeinschaft in der Antarktis handelt es sich bei den Primärproduzenten um Phytoplanktonorganismen, wie zum Beispiel Algen und photosynthetisch aktive Einzeller, die Krill und Ruderfußkrebsen als Nahrung dienen (⇒ Abbildung 5.6). Diese sind ihrerseits wieder Beute verschiedener räuberischer
Mensch
Krabbenfresserrobbe
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Pottwale
kleinere Zahnwale
Bartenwale
Vögel
Seeleopard
Fische
Seeelefanten
Tintenfische
Zoophages Plankton Ruderfußkrebse
Krill
Abbildung 5.6: Ein Nahrungsnetz im Südpolarmeer. Die Pfeile bezeichnen die Richtung der Nahrungsenergie von den Produzenten (Phytoplankton) zu den verschiedenen Konsumentenstufen. Die Destruenten wurden in der Abbildung aus Gründen der Übersichtlichkeit weggelassen; sie greifen auf jeder Trophie ebene ein.
Phytoplankton (Produzenten)
5.1 In einem Ökosystem herrschen komplexe Nahrungsbeziehungen
Carnivoren, darunter andere Planktonorganismen, Pinguine, Robben, Fische und Bartenwale. Ein weiteres wichtiges Bindeglied in diesen Nahrungsnetzen sind die Tintenfische. Sie sind carnivor und ernähren sich von Fischen und Zooplankton, werden jedoch ihrerseits von Robben und Zahnwalen gefressen. Als Wale noch regelmäßig wegen ihres Fleisches gejagt wurden, standen die Menschen in diesem Nahrungsnetz an der Spitze (Top- oder Apexräuber). Nachdem viele Walarten heute durch die Jagd stark dezimiert sind, nutzen die Menschen für ihre Ernährung bevorzugt niedrigere Trophieebenen und fangen sowohl Garnelen als auch Fische. Viele Ökosysteme und damit auch die darin befindlichen Nahrungsnetze sind sehr komplex aufgebaut, weshalb sie zu Untersuchungszwecken oftmals auf zweierlei Weise vereinfacht werden müssen, um überhaupt eine systematische Betrachtung zu ermöglichen. Einerseits kann man innerhalb einer Lebensgemeinschaft Gruppen mit ähnlichen Eigenschaften zu funktionellen Gruppen zusammenfassen. Auf diese Weise verringert man die Komplexität des Systems, indem man es strukturell reduziert. In Abbildung 5.6 wurden zum Beispiel mehr als 100 Arten von Phytoplanktonorganismen als Primärproduzenten zusammengefasst. Alternativ kann man ein Nahrungsnetz auch dadurch vereinfachen, dass man nur einen Teil des Netzes analysiert, der gegebenenfalls mit der übrigen Lebensgemeinschaft nur geringfügig interagiert (sektorielle Reduktion). ⇒ Abbildung 5.7 zeigt als Beispiel einen Teil eines Nahrungsnetzes für Nesselquallen und junge Streifenbarsche in der Chesapeake Bay an der Atlantikküste der USA.
Nesselqualle
junger Streifenbarsch
Fischlarven
Fischeier
Zooplankton
Abbildung 5.7: Teil eines Nahrungsnetzes im Flussmündungsgebiet der Chesapeake Bay an der Atlantikküste der USA. Nesselquallen und junge Streifenbarsche sind die wichtigsten natürlichen Feinde der Fischlarven. Wenn die Nesselquallen Zooplankton fressen, sind sie Sekundärkonsumenten (schwarze Pfeile), wenn sie jedoch Fischlarven zu sich nehmen, die selbst als Sekundärkonsumenten zum Zooplankton gehören, werden sie zu Tertiärkonsumenten (rote Pfeile).
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5.1.3 Energiefluss zwischen den trophischen Ebenen Alle Organismen benötigen Energie, um ihre Stoffwechselprozesse aufrechterhalten zu können. Nach den Gesetzen der Thermodynamik, die wir schon in Kapitel 2 angesprochen haben, kann Energie jedoch weder neu gewonnen werden noch verloren gehen, sondern sie wird weitergegeben und umgewandelt. Auf Ökosysteme angewandt, muss demnach Energie ständig von außen in das System hineingelangen. Dort wird die Energie weitergegeben und verlässt, beispielsweise in Form von Wärme, schließlich das Ökosystem wieder. Im Prinzip lässt sich der Energietransfer durch ein Ökosystem von seiner Zufuhr (Input), in der Regel Solarstrahlung, bis zur Abgabe von Wärme (Output) aus dem System über die Organismen nachverfolgen. Würde die Sonne nicht ständig Energie zur Erde liefern, würden die meisten Ökosysteme ihre Existenz verlieren. Grüne Pflanzen und andere photoautotrophe Organismen wandeln die eintreffende Sonnenenergie über die Photosynthese in chemische Energie um. Die Gesamtmenge an Energie ändert sich bei diesem Vorgang zwar nicht, ein Teil der eingestrahlten Sonnenenergie wird jedoch auf diese Weise für biologische Organsimen verfügbar gemacht. Die Summe aller Energiemengen, die in organischen Molekülen gespeichert oder als Wärme abgegeben werden, muss jedoch genauso groß sein, wie die Gesamtmenge an Solarenergie, die zuvor von der Pflanze oder von anderen photoautotrophen Organismen aufgenommen wurde. Bei jeder Energieumwandlung geht eine bestimmte 121
5 Ökosysteme
Energiemenge als Wärme (= nicht für Arbeit nutzbare Energie) verloren. Somit beträgt auch die Effizienz des Energietransfers zwischen den trophischen Stufen innerhalb eines Ökosystems nie 100 Prozent. In der Ökosystemforschung beschäftigt man sich mit der Energiebilanz zwischen aufgenommener, umgewandelter, gespeicherter und abgegebener Energie und dem Energiefluss zwischen den einzelnen Ebenen und Bereichen des Systems. Dabei möchte man verstehen, welche Faktoren den Energiehaushalt und den Energiefluss des Ökosystems steuern. Anhand solcher Erkenntnisse lässt sich feststellen, wie viele Organismen ein Lebensraum ernähren kann oder wie viele Nahrungsmittel Menschen in einer bestimmten Region produzieren können.
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Merke Primärproduktion
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Die Primärproduktion stellt die von den Primärproduzenten, das sind alle autotrophen Organismen, erzeugte Biomasse dar. Man unterscheidet zwischen Bruttoprimärproduktion (BPP) und Nettoprimärproduktion (NPP).
Brutto- und Nettoprimärproduktion Bevor wir den Energiefluss durch die trophischen Ebenen genauer betrachten, ist es zunächst wichtig zu wissen, wie viel der von der Sonne bereitgestellten Energie überhaupt insgesamt von den photoautotrophen Organsimen zur Produktion von Biomasse verwendet wird, die dann in die Nahrungsketten fließt. Jeden Tag treffen auf die Erdatmosphäre Sonnenstrahlen mit einem Gesamtenergieinhalt von rund 1022 Joule (1 J = 0,238 cal (Kalorie)). Diese auf die Außengrenze der Erdatmosphäre auftreffende Solarstrahlung wird als Solarkonstante bezeichnet. Legt man den globalen Durchschnittsverbrauch des Jahres 2006 zugrunde, würde diese Energiemenge den Bedarf der gesamten Erdbevölkerung für ungefähr 25 Jahre decken. Die Menge an Solarstrahlung, die die Erdoberfläche erreicht, bezeichnet man als Globalstrahlung. Im Durchschnitt handelt es sich dabei jedoch nur um etwa 46 Prozent des Strahlungsbetrages der Solarkonstante. Nur ein kleiner Anteil der Globalstrahlung, nämlich nur der Teil, der die Vegetation erreicht, wird für die Photosynthese genutzt. Diese Nutzung ist jedoch nicht vollständig, da nur bestimmte Wellenlängenbereiche durch die Photosynthesepigmente absorbiert werden (vergleiche Kapitel 2.3.3). Deshalb werden nur ungefähr ein bis fünf Prozent des sichtbaren Lichts, das auf Organismen mit der Fähigkeit zur Photosynthese trifft, auch in chemische Energie umgewandelt. Dennoch erzeugen die Primärproduzenten der Erde zusammen insgesamt die gigantische Menge von über 150 Milliarden Tonnen (150 × 1012 kg) organischen Materials pro Jahr. Zu Bedenken ist, dass die Primärproduzenten ihrerseits selber Energie benötigen, um ihren Betriebsstoffwechsel aufrechtzuerhalten. Anders ausgedrückt: Ein Teil der von den Pflanzen in der Photosynthese produzierten energiereichen organischen Moleküle wird von diesen selbst konsumiert. Die gesamte organische Substanz, die im Laufe eines Jahres durch die photoautotrophen Organismen auf dem Wege der Photosynthese in einem Ökosystem gebunden wird, bezeichnet man als Bruttoprimärproduktion (BPP). Dieses organische Material wird jedoch aus den oben genannten Gründen nicht vollständig im Rahmen des Baustoffwechsels in den Primärproduzenten gespeichert. Lediglich der Differenzbetrag zwischen der BPP und der von den Pflanzen für ihren eigenen Stoffwechsel benötigten Biomasse- und Energiemenge (R) wird als Biomasse assimiliert und als Nettoprimärproduktion bezeichnet. Die Netto-
5.1 In einem Ökosystem herrschen komplexe Nahrungsbeziehungen
primärproduktion (NPP) errechnet sich demnach aus der Bruttoprimärproduktion unter Abzug der Biomasse R, die von den Primärproduzenten im Rahmen des eigenen Betriebsstoffwechsels verbraucht wird: NPP = BPP – R Die Nettoprimärproduktion drückt diejenige Biomasse (und damit auch Energie) aus, die je Flächen- und Zeiteinheit zum Ökosystem hinzukommt (g / (m2 · a) · Jahr; gesprochen: Gramm pro Quadratmeter und Jahr). In vielen Ökosystemen macht die Nettoprimärproduktion ungefähr die Hälfte der Bruttoprimärproduktion aus. Die Nettoprimärproduktion ist eine wichtige Größe, denn sie repräsentiert die gespeicherte chemische Energie, die den Konsumenten im Ökosystem zur Verfügung steht. In der Regel wird die Biomasse als Trockenmasse des organischen Materials gemessen und entspricht der Pflanzenmasse, die in einem Ökosystem in einem bestimmten Zeitraum jeweils neu hinzukommt. Die Nettoprimärproduktion eines Ökosystems entspricht jedoch nicht der gesamten Biomasse innerhalb des Ökosystems und darf daher auch nicht mit dieser verwechselt werden.
von der Raupe aufgenommene Phytomasse
200 J
Exkremente
67 J
100 J
Zellatmung
33 J Wachstum
Abbildung 5.8: Energieverteilung eines herbivoren Tieres innerhalb der Nahrungskette. Weniger als 17 Prozent der Nahrung einer Raupe werden tatsächlich für die Sekundärproduktion (Aufbau eigener Körpersubstanz) genutzt.
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Energietransfer zwischen Trophieebenen: Effizienz meist unter zehn Prozent Da bei jeder Energieumwandlung Energie in Form von Wärme verloren geht und Lebewesen große Teile der mit ihrer Nahrung aufgenommenen Energie für Vorgänge wie Bewegung oder Fortpflanzung nutzen und eben nicht in Form körpereigener Stoffe speichern, stellt sich die Frage, wie viel Energie auf einer Trophiestufe tatsächlich von den Konsumenten höherer Ordnungen genutzt werden kann und wie viel Energie in biologisch nutzbarer Form auf den darunter gelegenen Trophiestufen verloren geht. Betrachten wir das Beispiel eines einzelnen Individuums, einer Raupe. Ernährt diese sich von einem Blatt, so fließen nur ungefähr 33 von 200 Joule, also ein Sechstel der Gesamtenergie des Blatts, in den Aufbau körpereigener Substanz der Raupe ein (⇒ Abbildung 5.8). Einen Teil der übrigen Energie nutzt die Raupe zur Zellatmung, den Rest scheidet sie wieder aus. Die in den Exkrementen enthaltene Energie verbleibt teilweise im Ökosystem, zum größten Teil geht sie jedoch als Wärme verloren, da das organische Material der Exkremente in die Zersetzerkette gelangt und von Destruenten konsumiert wird. Auch die Energie, die für die Atmung der Raupe genutzt wird, verlässt als Wärme das Ökosystem. Nur diejenige Energie, die von den Herbivoren (durch Aufbau körpereigener Substanz oder die Produktion von Nachkommen) als Biomasse gespeichert wird, steht den Sekundärkonsumenten als Nahrung zur Verfügung. Diese lineare Weitergabe der Energie von Trophiestufe zu Trophiestufe ist der Grund dafür, dass man von einem Energiefluss durch Ökosysteme spricht und nicht von einem Energiekreislauf. Als trophische Effizienz bezeichnet man den Anteil der Biomasse und Energie, der von einer Trophieebene in die nächste übergeht. Die trophische Effizienz liegt in der Regel bei ungefähr zehn Prozent, das Spektrum reicht jedoch je nach Ökosystemtyp von fünf bis zu 20 Pro-
S chon g ewusst ?
Fleischkonsum ist unter energetischen Gesichtspunkten relativ ineffizient. Durch den unmittelbaren Verzehr von Getreide kommt ein Mensch als Primärkonsument zu wesentlich mehr Kalorien, als wenn er Fleisch zu sich nimmt, das von Tieren stammt, die mit der gleichen Menge Getreide gefüttert wurden. Global betrachtet könnte die Landwirtschaft wesentlich mehr Menschen ernähren – wahrscheinlich alle –, und gleichzeitig wären weniger landwirtschaftliche Anbauflächen erforderlich, wenn die Menschen sich als Primärkonsumenten ausschließlich von pflanzlichen Lebensmitteln ernähren würden. 123
5 Ökosysteme
Tertiärkonsumenten
10 J
Sekundärkonsumenten
100 J
Primärkonsumenten Primär produzenten
1000 J
10.000 J 1.000.000 J Sonnenlicht
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Abbildung 5.9: Eine idealisierte trophische Pyramide. Bei der gezeigten Pyramide besitzt jede Stufe der Nahrungskette eine Nettoproduktionseffizienz von zehn Prozent. Die Primärproduzenten wandeln jedoch nur ungefähr ein Prozent der aufgenommenen Sonnen energie in Nettoprimärproduktion um.
zent. Somit werden im Schnitt etwa 90 Prozent der Energie, die auf einer Trophieebene zur Verfügung steht, nicht auf die nächsthöhere Trophieebene weitergegeben. Dieser Verlust multipliziert sich entlang einer Nahrungskette. Werden zum Beispiel zehn Prozent der verfügbaren Energie von den Primärproduzenten auf die Primärkonsumenten übertragen und von dieser Energiemenge gelangen wiederum nur zehn Prozent zu den Sekundärkonsumenten, so steht den Sekundärkonsumenten letztlich nur ein Prozent (zehn Prozent von zehn Prozent) der Nettoprimärproduktion der Produzenten zur Verfügung. Wenn wir uns die Nahrungsketten aus Abbildung 5.3 nochmals vergegenwärtigen und in ihnen die unterschiedliche Biomasse / Individuenzahl oder den unterschiedlichen Energieinhalt der einzelnen trophischen Stufen mit berücksichtigen wollen, gelangen wir zu einer charakteristischen Darstellungsweise: Den Energieverlust der einzelnen Stufen der Nahrungskette kann man in einer trophischen Pyramide darstellen. Darin sind die verschiedenen Trophieebenen stufenweise übereinander angeordnet (⇒ Abbildung 5.9). Die Breite der einzelnen Stufen entspricht der jeweiligen Nettoproduktion der einzelnen Trophieebenen (angegeben in Joule). Die Breiten der trophischen Stufen einer Nahrungspyramide sind keine konstanten und invariablen Größen, sondern unterliegen, zum Beispiel je nach Witterung oder gemäß dem Lotka-Volterra-Modell der Räuber-Beute-Beziehungen, zeitlichen Schwankungen; sie werden mal schmaler und mal breiter. Diese Oszillationen sollten umso ausgeprägter sein, je weniger artenreich ein Ökosystem ist. Zusätzlich können die Schwankungen der Biomassemengen auf den einzelnen trophischen Stufen Auswirkungen auf die Angehörigen der „benachbarten“ Trophiestufen besitzen. Die Ökosystemforschung versucht die Wechselwirkung der Arten auf den unterschiedlichen Stufen durch Modelle der wechselseitigen Beeinflussung und Kontrolle erklärbar und voraussagbar zu machen.
Bottom-up- und Top-down-Kontrolle in Nahrungsnetzen Das „Bottom-up“- und das Top-down-Modell stellen zwei Modelle zur Erklärung von Regulationsmechanismen in Nahrungsnetzen dar. Das Bottom-up-Modell geht dabei von einem Einfluss der niedrigen auf die höheren Trophieebenen aus. Wenn die Breite der untersten Stufe der Nahrungspyramide geringer wird, dann „schrumpfen“ alle darüber gelegenen Stufen mit. Andersherum führt eine Erhöhung der pflanzlichen Biomasse, also eine Verbreiterung der untersten Stufe dazu, dass alle darüber liegenden Stufen mitwachsen. Nach dem Bottom-up-Modell üben vor allem die Nährstoffverhältnisse und der Einfluss anderer abiotischer Faktoren den größten Einfluss auf die Häufigkeit der Primärproduzenten und deren Nettoprimärproduktion aus. Sind weniger Pflanzen vorhanden, wirkt sich dies negativ auf die Anzahl der Herbivoren aus, was wiederum Auswirkungen auf die Konsumenten zweiter, dritter usw. Ordnung hat. Soll sich nach diesem Modell die Struktur einer Lebensgemeinschaft ändern, muss dies also durch qualitative oder quantitative Parameter auf der untersten Trophieebene geschehen, so dass es im Nahrungsnetz zu Auswirkungen auf den höheren Trophieebenen kommen kann (↓↓↓↓ beziehungsweise ↑↑↑↑). Setzt man zum Beispiel dem System mineralische Nähr-
stoffe zu, um das Wachstum der Vegetation zu vergrößern, sollte nach dem Bottom-up-Modell auch die Biomasse der höheren Trophieebenen anwachsen. Das Top-down-Modell dagegen postuliert den umgekehrten Fall: Nach diesem Modell wird die Organisation einer Lebensgemeinschaft vorwiegend durch die Auswirkung der Räuber auf die trophische Struktur bestimmt: Räuber dezimieren die Herbivoren, diese verringern daher die Phytomasse in geringerem Ausmaß und die Pflanzen gedeihen dadurch besser und verringern ihrerseits in größerem Maß die Menge mineralischer Nährstoffe im Boden (↑↓↑↓ oder ↓↑↓↑). Für einen See mit vier Trophieebenen sagt das Modell voraus, dass die Entfernung von großen Raubfischen (tertiäre Konsumenten) zu einer Vermehrung der kleinen Raubfische (sekundäre Konsumenten) führen wird; diese wiederum verringern die Anzahl der Herbivoren und die Masse des Phytoplanktons steigt, wodurch letztlich die Konzentration an mineralischen Nährstoffen im Seewasser sinkt. Hätte der See nur drei Trophieebenen, dann stiege durch das Entfernen der sekundären Konsumenten die Anzahl der Herbivoren an, die Menge des Phytoplanktons würde sinken und die Konzentration der gelösten Nährstoffe stiege in Folge an. Jeder Eingriff wirkt sich nach diesem Modell von oben nach unten mit abwechselnden positiven und negativen Effekten aus.
5.1 In einem Ökosystem herrschen komplexe Nahrungsbeziehungen
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Die Energiehypothese und die Hypothese der dynamischen Stabilität erklären die Länge von Nahrungsketten Nahrungsketten (egal ob als isolierte Nahrungsketten oder als Ausschnitt aus einem komplexeren Nahrungsnetz betrachtet) sind in der Regel relativ kurz und reichen in realen Ökosystemen üblicherweise nur bis zu Konsumenten dritter oder vierter Ordnung. Warum ist das so? Um dies zu erklären, gibt es zwei wichtige Hypothesen. Die Energiehypothese ist ein Beispiel für eine „bottom up“ Regulation und besagt, dass die Länge einer Nahrungskette durch die Ineffizienz der Energieübertragung entlang der Kette begrenzt wird. Nur rund zehn Prozent der Energie, die in der Biomasse einer Trophieebene gespeichert ist, tritt in die der nächst höheren Trophieebene ein. Wenn demnach die Ebene der Produzenten aus 100 Kilogramm Pflanzenmasse besteht, kann sie Konsumenten erster Ordnung mit einer Biomasse (Gesamtmasse aller Individuen in einer Population) von ungefähr zehn Kilogramm und Konsumenten zweiter Ordnung mit einer Biomasse von einem Kilogramm hervorbringen. Für Konsumenten dritter und vierter Ordnung würde ein solches System jedoch nur noch 100 g beziehungsweise 10 g Biomasse zur Verfügung stellen. Dieser fortschreitende Energieverlust entlang der Nahrungskette setzt der Anzahl der Carnivoren, die ein Ökosystem auf der obersten Ebene ernähren kann, enge Grenzen. Nur ungefähr 0,1 Prozent derjenigen Energiemenge, die durch Photosynthese fixiert wird, fließt durch das gesamte Nahrungsnetz bis zu einem Tertiärkonsumenten und erreicht zum Beispiel eine Schlange oder einen Hai. Die Energiehypothese sagt zudem voraus, dass Nahrungsketten in Lebensräumen mit hoher Nettoprimärproduktion länger sein sollten als in Lebensräumen mit geringerer Photosyntheseleistung, da die Ausgangsmenge an Energie, die den verschiedenen Konsumentenordnungen zur Verfügung steht, größer ist. Wenn ein Konsument vierter Ordnung eine Masse von fünf Kilogramm besitzt, so fußen diese fünf Kilogramm Quartärkonsumentenmasse auf 50 Tonnen Pflanzenmaterial, die ein Ökosystem hervorbringen muss, um den Quartärkonsumenten indirekt ernähren zu können. Die oberste Ebene, die der Spitzenräuber der Nahrungskette, zeichnet sich daher stets durch eine relativ geringe Individuenzahl beziehungsweise Populationsdichte aus. Die Energiehypothese erklärt daher indirekt auch einerseits, warum große Raubtiere oftmals solitär (einzelgängerisch) leben und andererseits, warum sie über große Jagdreviere verfügen müssen, welche sie für sich in Anspruch nehmen und gegen Eindringlinge verteidigen. Eine zweite Hypothese bezüglich der Länge von Nahrungsketten ist ebenfalls ein Beispiel für „bottom up“ Regulation. Nach der Hypothese der dynamischen Stabilität sind lange Nahrungsketten nicht so stabil wie kürzere. Populationsschwankungen auf den unteren Trophieebenen verstärken sich auf höheren Ebenen, was zum lokalen Aussterben der Spitzenräuber der Nahrungskette führen kann. In einer unvorhersagbaren Umwelt müssen die Spitzenräuber sich von umweltbedingten Belastungen, die in der gesamten Nahrungskette die Nahrungsversorgung vermindern (zum Beispiel einem besonders strengen Winter), erholen können. Je länger eine Nahrungskette ist, desto langsamer erholen sich die Spitzenräuber von solchen umweltbedingten Rückschlägen. Diese 125
5 Ökosysteme
biogeochemischer Kreislauf
Tertiärkonsumenten
Energiefluss
Mikroorganismen und andere Destruenten
Detritus
Sekundärkonsumenten
Primärkonsumenten
Primärproduzenten Wärme
W iederholun g s f ra g en 5 . 1
1. Erklären Sie, warum man die Energieübertragung in einem Ökosystem als Energiefluss und nicht als Energiekreislauf bezeichnet. Stellen Sie dabei dar, warum ein Ökosystem ständig mit neuer Energie versorgt werden muss.
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2. Erläutern Sie in eigenen Worten und an selbst gewählten Beispielen die Begriffe Nahrungskette und Nahrungsnetz. Klären Sie dabei auch, warum Nahrungsketten in der Regel kurz sind. 3. Erklären Sie, warum große räuberische Arten oftmals einzelgängerisch leben, und ermitteln Sie überschlägig die Menge an Pflanzenmasse, die notwendig ist, um einen Grizzly-Bären (gedacht als Quartärkonsument) von 600 kg zu ernähren. 4. Stellen wir uns eine offene Landschaft mit fünf Trophieebenen vor: Pflanzen, Heuschrecken, Schlangen, Waschbären und Rotluchse. Angenommen, wir setzen zusätzliche Rotluchse aus. Stellen Sie begründet dar, wie sich die Phytomasse der Pflanzen verändern würde, wenn a) das Bottom-upModell zutrifft und b) das Ökosystem topdown kontrolliert wird. 5. Stellen Sie an einem selbst gewählten Beispiel dar, weshalb das lokale Aussterben von Arten die trophischen Beziehungen innerhalb von Ökosystemen destabilisieren kann.
Sonne
Abbildung 5.10: Überblick über den Energie- und Nährstofffluss in einem Ökosystem. Energie wird von einem Ökosystem aufgenommen, strömt durch das Ökosystem hindurch und verlässt es wieder; chemische Nährstoffe dagegen durchlaufen Kreislaufprozesse innerhalb des Ökosystems oder in globalem Maßstab. In diesem allgemeinen Schema tritt Energie (orangefarbene Pfeile) in Form von Solarstrahlung in das Ökosystem ein, fließt in Form biochemischer Energie durch das Nahrungsnetz und wird schließlich als Wärme an die Umgebung wieder abgegeben. Viele Nährstofftransfers (blaue Pfeile), die durch die verschiedenen Trophieebenen laufen, führen letztlich zu abgestorbenem organischem Material (Detritus); von dort gelangen die Nährstoffe, die von den Destruenten aufbereitet worden sind, wieder zu den Primärproduzenten zurück.
Hypothese sagt voraus, dass Nahrungsketten in einer unvorhersagbaren Umwelt kürzer sein sollten als in einer stabilen Umwelt. Ein weiterer Faktor, der die Länge der Nahrungsketten begrenzt, ist die Körpergröße der Carnivoren, die in der Regel von einer trophischen Ebene zur nächsten zunimmt. Die Körpergröße und die Ernährungsweise eines Carnivoren geben Aufschluss über die benötigte Nahrungsmenge und ihre Qualität. So existiert bei jeder Räuberart eine Obergrenze der Beutegröße. Jedoch ist die Beutegröße für eine Räuberart nicht nur nach oben hin limitiert; von wenigen Ausnahmen abgesehen können große Carnivore auch von sehr kleinen Nahrungsportionen (= Beutetieren) nicht leben, da sie ansonsten pro Zeiteinheit zu viele Tiere erbeuten müssten und daher nicht genügend Nahrung zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels aufnehmen könnten. Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, dass Ökosysteme im Hinblick auf den Energiefluss stets lineare Systeme sind, wohingegen die meisten Stoffe und chemischen Elemente sich in Form von Stoffkreisläufen durch das System bewegen. Diesen Zusammenhang verdeutlicht ⇒ Abbildung 5.10. Nachdem in diesem Unterkapitel das Hauptaugenmerk auf den linearen Aspekten des Stoff- und Energieflusses in Ökosystemen gelegen hat, widmet sich das nächste Unterkapitel den Stoffkreisläufen.
5.2 Stoffkreisläufe im Ökosystem – Stoffe werden wiederverwertet
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5.2
Stoffkreisläufe im Ökosystem – Stoffe werden wiederverwertet
Auch Masse kann, genau wie Energie, weder entstehen noch verloren gehen. Dieses Gesetz der Massenerhaltung stellt die Grundlage für die Betrachtung des Stoffflusses in Ökosystemen dar. Anders als die Energie, die in Form von Sonnenenergie täglich aufs Neue unseren Planeten erreicht, müssen chemische Elemente innerhalb der Biosphäre ständig wiederverwertet werden, da die Anzahl ihrer Atome zwar unvorstellbar groß, aber dennoch endlich ist und sie daher nur in begrenzten Mengen zur Verfügung stehen. Unsere Erde stellt somit hinsichtlich des Energieflusses ein offenes System dar, währenddessen sie in Bezug auf die zur Verfügung stehenden chemischen Elemente ein geschlossenes System ist, da keine Materie in nennenswerten Mengen die Erde verlassen oder erreichen kann.2 Lediglich Meteoriten, die hin und wieder auf der Erde einschlagen, stellen eine Quelle für „neue“ Materie dar. Das Leben auf der Erde ist aus diesen Gründen auf die Wiederverwertung von Nährstoffen angewiesen. Solange ein Organismus lebt, werden seine organischen Bestandteile zum größten Teil kontinuierlich ersetzt, da Nährstoffe assimiliert und Stoffwechselendprodukte abgegeben werden. Nachdem der Organismus gestorben ist, findet durch die Tätigkeit der Destruenten ein Abbau der komplexen organischen Stoffe, aus denen sein Körper bestanden hat, statt (Remineralisierung). Durch den Abbau der komplexen organischen Moleküle zu einfacheren (zumeist anorganischen) Verbindungen werden die Vorräte an Nährstoffen (Stickstoff, Phosphor, Kalium, Calcium und andere) immer wieder aufgefüllt und diese stehen daher im Anschluss den Organismen aller Trophiestufen erneut zur Verfügung, um organisches Material aufzubauen. Da an den Nährstoffkreisläufen sowohl biotische als auch abiotische Bestandteile beteiligt sind, bezeichnet man sie auch als biogeochemische Kreisläufe. Die genaue Analyse der biogeochemischen Kreisläufe innerhalb einzelner Ökosysteme sowie des Stoffflusses zwischen den einzelnen Bereichen der gesamten Biosphäre ist ein weiteres wichtiges Ziel der Ökosystemforschung. Im Folgenden werden die wichtigsten Stoffkreisläufe beschrieben.
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Merke Gesetz der Massenerhaltung Das Massenerhaltungsgesetz ist eine wichtige Grundregel der Chemie und besagt, dass sich bei chemischen Reaktionen die Summe der Massen aller beteiligten Substanzen nicht ändert.
5.2.1 Allgemeines Modell der Stoffkreisläufe Bei Stoffkreisläufen lassen sich zwei grundsätzliche Haupttypen voneinander unterscheiden: Gaskreisläufe und Sedimentkreisläufe. Grundlage dieser Einteilung ist das Hauptreservoir, aus dem die jeweiligen Stoffe in die Ökosysteme eintreten. Stoffe mit Gaskreisläufen, wie der Kohlenstoff in Form von CO2, Sauerstoff und Teile des Stickstoffes kommen aus der Atmosphäre und 2 Lediglich die beiden Gase Helium und Wasserstoff können unseren Planeten verlassen, da ihre Dichte so gering ist, dass sie aus der Erdatmosphäre heraus ins Weltall „wegdiffundieren“ können.
127
5 Ökosysteme
Abbildung 5.11: Die allgemeine Struktur des bio geochemischen Kreislaufes eines Ökosystems. Zur Vereinfachung sind in der Abbildung alle höheren Trophieebenen weggelassen worden.
Input aus der Atmosphäre Ökosystem Nettoprimärproduktion
interner Kreislauf
Bestandesabfall Aufnahme ins Pflanzengewebe
abgestorbenes organisches Material
Aufnahme durch die Pflanzen
Output
Zersetzung/Mineralisation Bodennährstoffe
Output
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Input aus der Gesteinsverwitterung
gelangen von dort aus in die Ökosysteme. Eine Gemeinsamkeit all dieser Kreisläufe ist daher auch, dass die daran beteiligten Stoffe aufgrund ihres gasförmigen Aggregatzustandes über ein hohes Maß an Mobilität verfügen und potenziell jeden terrestrischen Lebensraum erreichen können. Innerhalb der Kreisläufe in den Ökosystemen befinden sich die Stoffe zwar zumeist in „nichtgasförmigen Verbindungen“, zu irgendeinem Zeitpunkt gelangt ein Kohlenstoff-, Stickstoff- oder Sauerstoffatom jedoch wieder in die Gasphase und kann in dieser in andere Ökosysteme überwechseln. Bei den Sedimentkreisläufen befindet sich das wichtigste Reservoir des betreffenden chemischen Elements im Boden oder im Gestein. Elemente mit Sedimentkreisläufen sind beispielsweise Phosphor und alle Metalle (Calcium, Natrium, Eisen, Magnesium, …), die in der Regel in Form von Ionenverbindungen (= Salzen), die im Wasser (Grundwasser, Fließgewässer, Seen und Meere) gelöst sind, den Produzenten der Ökosysteme zur Verfügung stehen. Die Sedimentkreisläufe der einzelnen Nährstoffe unterscheiden sich untereinander im Detail, im Wesentlichen besteht jeder Mineralstoffkreislauf jedoch aus zwei Bereichen: Einerseits befinden sich die Stoffe im Gestein und in den Mineralien, andererseits sind sie als Salze im Wasser gelöst. Mineralsalze werden durch physikalische und chemische Verwitterungsprozesse unmittelbar aus dem Gestein freigesetzt. Da sie wasserlöslich sind, treten sie in den Wasserkreislauf ein. Mit dem Wasser werden sie durch den Boden in Bäche und Seen transportiert und gelangen schließlich ins Meer, wo sie über sehr lange Zeiträume verbleiben. Ein Teil der Salze kehrt durch Sedimentationsprozesse wieder ins Gestein zurück, wenn es zu Salzablagerungen kommt oder wenn sie in Kalkstein eingebunden werden. Durch Verwitterung können diese Salze später erneut in den Kreislauf eintreten. Mit Ausnahme des gerichteten Transports durch Wasser sind
5.2 Stoffkreisläufe im Ökosystem – Stoffe werden wiederverwertet
Elemente mit Sedimentkreisläufen grundsätzlich relativ immobil und können nur begrenzt in andere Ökosysteme überwechseln. So wird ein Phosphatanion, das von einer Pflanze aufgenommen wird, nach Absterben der Pflanze durch den Abbau der Destruenten an praktisch derselben Stelle wieder in den Boden gelangen, an der die Pflanze es zuvor entzogen hat. Denkbar ist auch, dass dieses Phosphatanion Teil der Nahrung eines Herbivoren wird und auf diese Weise über die Nahrungskette eine gewisse, wenn auch eingeschränkte, räumliche Verbreitung erfährt. So stellt der Transport eines Atoms auf andere Kontinente, der für Elemente mit Gaskreisläufen nicht unwahrscheinlich ist, für Elemente mit Sedimentkreisläufen eher die Ausnahme dar. Die biogeochemischen Kreisläufe der unterschiedlichen chemischen Elemente, die sowohl für autotrophe als auch für heterotrophe Organismen unentbehrlich sind, unterscheiden sich zwar im Detail, sie besitzen jedoch alle eine gemeinsame Grundstruktur mit drei verschiedenen schematischen Prozessen: Input, interner Kreislauf und Output (⇒ Abbildung 5.12).
CO2 in der Atmosphäre
Photosynthese
Atmung
industrielle Verbrennung
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Diffusion
Diffusion
anorganische Abfallstoffe
Hydrogencarbonate Photosynthese
Plankton Zersetzung
Atmung
Carbonifikation Torf Meeresalgen
fossile Energieträger
Kohle
Absterben sich zersetzende Organismen
Erdöl, Erdgas
Abbildung 5.12: Der Kohlenstoffkreislauf in terrestrischen und aquatischen Ökosystemen. 129
5 Ökosysteme
Die Abgabe von Stoffen aus einem Ökosystem (Output) stellt einen Verlust dar, der durch eine entsprechende Zufuhr ausgeglichen werden muss, wenn es nicht insgesamt zu einem Rückgang innerhalb des Stoffreservoirs des Ökosystems kommen soll. Je nachdem, um welchen biogeochemischen Kreislauf es sich im Einzelnen handelt, kann der Output auf unterschiedlichen Wegen erfolgen. Kohlenstoff wird beispielsweise von den Organismen über die Atmung in Form von anorganischem CO2 in die Atmosphäre abgegeben. Stoffe können ein Ökosystem jedoch auch in Form organischen Materials verlassen. Organisches Material wie Blätter oder Holz kann beispielsweise durch das Oberflächenwasser des Bodens und das Wasser der Bäche und Flüsse aus dem Ökosystem heraus transportiert werden.
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5.2.2 Der Kohlenstoffkreislauf Kohlenstoff ist der wichtigste Grundbestandteil aller organischen Verbindungen und spielt eine entscheidende Rolle bei der Fixierung und Umwandlung der Strahlungsenergie der Sonne. Diese wird im Rahmen der Photosynthese (siehe Kapitel 2.3.3) in die biologisch nutzbare Energie chemischer Bindungen innerhalb von Zuckermolekülen überführt. Die Quelle des nutzbaren Kohlenstoffes ist das Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre und in den Gewässern, welches den photoautotrophen Organsimen als Ausgangsmaterial für die Photosynthese dient. Die Photosynthese entzieht daher zusammengefasst der Luft und dem Wasser CO2 und baut es innerhalb der Produzentenstufe in Form organischer Verbindungen in die Ökosysteme ein. Der Kohlenstoff gelangt, zusammen mit der Energie der chemischen Bindungen, über die Nahrungsketten zu den Konsumenten. Produzenten und Konsumenten oxidieren den Kohlenstoff der organischen Moleküle durch ihre Zellatmung, „entwerten“ ihn dabei energetisch und setzen ihn schließlich in Form von CO2 wieder in die Atmosphäre frei. Der Kohlenstoff im Gewebe von Pflanzen und Tieren geht nach deren Tod in das Reservoir des abgestorbenen organischen Materials ein und wird durch den Stoffwechsel der Destruenten ebenfalls zu CO2 umgewandelt und wieder in die Atmosphäre entlassen. Der Mensch greift in immer größerem Ausmaß in diesen Kreislauf ein, indem er fossile Energieträger verbrennt oder durch großflächige Brandrodungen eine zusätzliche Freisetzung von CO2-Mengen verursacht. Im Meer ist das Oberflächenwasser der wichtigste Ort des Kohlenstoffaustausches mit der Atmosphäre. Im Oberflächenwasser wird der Kohlenstoff physikalisch durch die Strömungen bewegt und gelangt biologisch über die Photosynthese des Phytoplanktons in die Nahrungskette. Durch den Kohlenstoffdioxidaustausch zwischen den Ozeanen und Meeren und der Atmosphäre nehmen diese Gewässer jährlich insgesamt rund eine Gigatonne (Gt = eine Milliarde Tonnen) Kohlenstoff auf und über die Ablagerung in den Sedimenten gehen ihnen jährlich 0,5 Gt Kohlenstoff verloren. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß von Primärproduktion und Zersetzung bestimmen in den Ökosystemen über die Geschwindigkeit des Kohlenstoffkreislaufes. Sowohl die Primärproduktion als auch die
5.2 Stoffkreisläufe im Ökosystem – Stoffe werden wiederverwertet
Zersetzung werden ihrerseits stark von Umweltfaktoren wie Temperaturund Niederschlagsverhältnissen beeinflusst. In Ökosystemen mit feuchtwarmen Umweltbedingungen, beispielsweise im tropischen Regenwald, laufen beide Prozesse sehr schnell ab und entsprechend rasch schließt sich auch der Kohlenstoffkreislauf. In kühlen und / oder trockenen Ökosystemen hingegen erfolgen die beiden Prozesse wesentlich langsamer. Bei sehr niedrigen Temperaturen findet nur eine außerordentlich langsame Zersetzung statt, so dass abgestorbenes organisches Material häufig akkumuliert wird. Dies ist zum Beispiel in den Tundren der Fall. Auch in Sümpfen und in Marschbereichen, wo sich abgestorbenes Material unter Wasserabschluss und bei wenig oder völlig fehlendem Sauerstoff anreichert, ist die Zersetzung unvollständig oder sie unterbleibt ganz. Das organische Material wird unter diesen Bedingungen als Rohhumus oder Torf abgelagert und nur sehr langsam abgebaut oder es bleibt unzersetzt in einem Reservoir erhalten. In geologischen (= sehr großen) Zeiträumen sind aus solchem angehäuften, nur teilweise oder nicht abgebauten organischen Material die fossilen Brennstoffe (Öl, Kohle und Erdgas) entstanden. So stammt Kohle aus der Karbonzeit (vor 345–280 Millionen Jahren), als ein großer Teil der Erde mit einer reichhaltigen Sumpfvegetation bedeckt war.
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Es gibt auf der Erde etwa 1023 g Kohlenstoff, das sind 100 Millionen Gt (Gt = Gigatonnen; 1 Gt sind eine Milliarde [109] Tonnen oder 1015 Gramm). Diese Menge ist bis auf einen kleinen Anteil im Gestein gebunden und nimmt daher nicht aktiv am globalen Kohlenstoffkreislauf teil. Das Kohlenstoffreservoir, das zu dem Kreislauf beiträgt, hat nach Schätzungen eine Größe von 55.000 Gt. Davon entfallen etwa 10.000 Gt auf Kohlenstoff aus fossilen Lagerstätten. Der größte Anteil an für den Kreislauf nutzbarem Kohlenstoff ist nicht etwa auf dem Land zu finden. Alle Organismen der terrestrischen Ökosysteme enthalten zusammen schätzungsweise nur etwa 1500 Gt Kohlenstoff. Es sind die Ozeane und Meere, die den restlichen Kohlenstoff, vorwiegend in Form von Hydrogencarbonat- und Carbonationen, binden.
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5.2.3 Der Stickstoffkreislauf Stickstoff ist ein unentbehrlicher Bestandteil unter anderem von Proteinen, die ihrerseits Bestandteil aller lebenden Gewebe sind. In der Regel steht Stickstoff den Produzenten jedoch nicht in elementarem Zustand (N2), zum Beispiel in Form von Luftstickstoff, sondern chemisch gebunden und in Form von zwei unterschiedlichen stickstoffhaltigen Verbindungen zur Verfügung: als Ammonium (NH4+) und als Nitrat (NO3–). Durch die Tätigkeit von Vulkanen und bei Bränden werden solche stickstoffhaltigen Verbindungen in die Atmosphäre freigesetzt, die später und an anderer Stelle durch die Auswaschung durch Niederschläge wie Regen und Schnee oder Dunst- und Nebeltröpfchen oder als Feinstaub zurück auf die Erde und in den Boden gelangen. Unabhängig von der Quelle der Verbindungen und der Form des Eintrages stehen die auf diese Weise in ein Ökosystem gelangten stickstoffhaltigen Verbindungen direkt für die Aufnahme durch die Produzenten zur Verfügung. Wäre dies jedoch die einzige Quelle stickstoffhaltiger Verbindungen, so würden die terrestrischen Ökosysteme mit der Zeit an Stickstoffverbindungen verarmen, da immer auch ein Teil der Moleküle über das Oberflächen- oder Grundwasser aus dem Boden ausgewaschen und über Bäche und Flüsse letztlich in die Meere eingetragen wird, wodurch sie den terrestrischen Systemen nicht mehr zur Verfügung stehen. Es müssen also, damit die terrestrischen Ökosysteme dauerhaft funktionieren können, ständig „neue“ Stickstoffverbindungen hinzukommen. Was jedoch ist die Quelle dieser Verbindungen? Elementarer Stickstoff ist Hauptbestandteil der Luft und somit in allen terrestrischen Ökosystemen in sehr großen Mengen vorhanden. Da das Stickstoffmolekül jedoch extrem reaktionsträge ist, ist Stickstoff in dieser Form nicht bioverfügbar. Der Stickstoff muss daher, bevor er 131
5 Ökosysteme
NO3–-Fixierung durch Blitze Regen Luftstickstoff=N2
Stickstoffoxide
Protein symbiontische N2-fixierende Bakterien
Vulkantätigkeit
Ausscheidung
Feuer (Waldbrand) Verbrennung
Absterben
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N2-fixierende Cyanobakterien
Harnstoff
N2-fixierende freilebende Bakterien (Boden)
denitrifizierende Bakterien
Auswaschung Zersetzende Bakterien
NO3– von Nitratbakterien
Nitrifikation durch Bodenbakterien (Zersetzung)
NO2– von Nitritbakterien
Abbildung 5.13: Der Stickstoffkreislauf.
NH3+NH4+ in Boden und Wasser
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5.2 Stoffkreisläufe im Ökosystem – Stoffe werden wiederverwertet
von den Produzenten verwertet werden kann, chemisch oder biologisch „fixiert“ (in eine chemische Verbindung überführt) und auf diese Weise bioverfügbar gemacht werden. Er gelangt deshalb auf jeweils einem der genannten zwei verschiedenen Wege in das Ökosystem hinein, deren jeweilige Bedeutung je nach Ökosystem deutlich variieren kann (⇒ Abbildung 5.13). Der erste Weg, die chemische Fixierung, bedarf einer außerordentlich hohen Energiemenge, die als Aktivierungsenergie benötigt wird, um das extrem reaktionsträge Stickstoffmolekül zu spalten. Eine solch hohe Energiemenge liefern in der Natur praktisch nur Blitzschläge. Erst nach der Spaltung des N2-Moleküls kann sich Stickstoff mit dem Sauerstoff und Wasserstoff des in der Atmosphäre enthaltenen Wasserdampfs verbinden. Die bei diesem Vorgang entstehenden Ammoniak- und Nitratmoleküle werden im Anschluss durch Niederschläge auf die Erdoberfläche transportiert. Der zweite Weg der Stickstofffixierung ist biologischer Natur und liefert etwa 90 Prozent der jährlich neu fixierten und in den Stickstoffkreislauf einfließenden Stickstoffmenge. Bewerkstelligt wird die biologische Stickstofffixierung durch symbiontische Bakterien oder Pilze, die in mutualistischen Beziehungen mit bestimmten Pflanzenarten leben (siehe Kapitel 3.3.3). Die Symbionten können drei verschiedene anorganische Verbindungen des Stickstoffes verwerten und bioverfügbar machen: Ammonium (NH4+), Nitrat (NO3–) und elementaren Stickstoff (N2). Darüber hinaus gibt es im Boden frei lebende Bakterien und sogenannte Blaualgen, die Luftstickstoff fixieren können, indem sie wie die symbiontisch lebenden Stickstofffixierer und analog zu den bei der chemischen Fixierung beschriebenen Prozessen den molekularen Luftstickstoff (N2) zunächst enzymatisch in zwei freie Stickstoffatome (N) spalten. Diese beiden Stickstoffatome verbinden sich im Anschluss mit Wasserstoff zu zwei Molekülen Ammoniak (NH3). Die biologische Stickstoff fixierung erfordert jedoch, ebenso wie die chemische Stickstofffixierung in der Atmosphäre, beträchtliche Energiemengen. Ammonium (NH4+) kann, wenn es einmal in den Boden gelangt ist, von den Pflanzen über ihre Wurzeln direkt aufgenommen werden. Das Ammonium gelangt jedoch nicht nur auf einem der beiden beschriebenen Wege der Luftstickstofffixierung in den Boden, sondern auch über die Tätigkeit mikrobieller Destruenten (zum Beispiel verschiedener Pseudomonas-Arten) als Abbauprodukt von organischen Stickstoffverbindungen (vor allem von Proteinen). Bei der Tätigkeit dieser Mikroorganismen wird Ammoniak als Abfallprodukt frei, ein Vorgang, den man als Ammonifikation bezeichnet (⇒ Abbildung 5.14). Die meisten Böden besitzen einen Überschuss an H+, so dass Ammoniak (NH3) durch Aufnahme eines H+-Teilchens schnell zu Ammonium (NH4+) umgesetzt wird. Da NH3 ein Gas ist, kann Stickstoff in Form von NH3 auch wieder in die Atmosphäre entweichen, wenn der pH-Wert des Bodens bei etwa 7 im neutralen Bereich liegt, so dass nur wenige H+-Ionen zur Verfügung stehen, die mit dem Ammoniak zu Ammonium reagieren können. Ein besonders starkes Ausmaß kann diese Ausgasung auf landwirtschaftlichen Nutzflächen erreichen, wo sowohl Stickstoffdünger als auch Kalk (zur Verminderung des Säuregehaltes im Boden) in großem Umfang eingesetzt werden.
N2-Fixierung bakterieller Stickstoff pflanzlicher Stickstoff
Stickstoff im abgestorbenen organischen Material
Assimilation
N2 Luftstickstoff Ammoni- Denitrifikation fikation
NO4+ Ammonium
NO3– Nitrat Nitrifikation
Abbildung 5.14: Bakterielle Beteiligung am Stickstoffkreislauf.
133
5 Ökosysteme
Land pflanzen 3000
interner Kreislauf
transportierte Partikel 1,0
12 Zufluss über Fließgewässer
60 Böden 200.000
Bergbau abbaubares Gestein 10.000
reaktiviert 2
Ozeane
gebunden 19
90.000 1000
interner Kreislauf
Sedimente 4 × 109
2
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Abbildung 5.15: Der globale Phosphorkreislauf. Die Stoffflüsse sind in Einheiten von Millionen Tonnen Phosphor pro Jahr angegeben.
In manchen Ökosystemen konkurrieren die Pflanzenwurzeln mit zwei Gattungen von Bakterien um das NH4+, die es ebenfalls für ihren Stoffwechsel benötigen. Die Mikroorganismen der ersten Gruppe (Nitrosomonas) oxidieren Ammonium (NH4+) zu Nitrit (NO2–), eine zweite Gruppe (Nitrobacter) oxidiert das Nitrit (NO2–) zu Nitrat (NO3–). Diesen Vorgang bezeichnet man als Nitrifikation. Das auf diese Weise entstandene Nitrat kann seinerseits wieder in zwei verschiedene Prozesse einfließen. Zum einen nehmen es Pflanzenwurzeln auf und das auf diese Weise assimilierte Nitrat steht im Anschluss den Produzenten und mit ihnen allen höheren trophischen Stufen für die Produktion von Biomasse zur Verfügung. Zum anderen existiert unter anaeroben Bedingungen die Möglichkeit einer Denitrifikation: Bei diesem Vorgang reduzieren Bakterien das NO3– zu N2O oder N2. Diese beiden Gase kehren dann in die Atmosphäre zurück. Die für eine solche Denitrifikation notwendigen anaeroben Bedingungen kommen in den meisten terrestrischen Ökosystemen jedoch nur selten vor und wenn doch, dann nur zu bestimmten Jahreszeiten. Häufig und bedeutend sind diese Vorgänge jedoch in Feuchtgebieten und in den Bodensedimenten aquatischer Ökosysteme. Da sowohl die Stickstofffixierung als auch die Nitrifikation über Lebewesen erfolgt, werden diese Vorgänge, wie die Lebewesen auch, stark von den jeweiligen Umweltbedingungen, unter anderem von der Temperatur und der Feuchtigkeit, beeinflusst. Einer der wichtigsten Einflussfaktoren ist jedoch der pH-Wert des Bodens: Stickstofffixierung und Nitrifikation laufen in stark saurem Boden in der Regel nur in einem sehr
5.2 Stoffkreisläufe im Ökosystem – Stoffe werden wiederverwertet
begrenzten Umfang ab, da die Bakterien, in denen diese Prozesse ablaufen, unter solchen Bedingungen deutlich in ihrer Aktivität gehemmt werden.
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5.2.4 Der Phosphorkreislauf Organismen benötigen Phosphor in Form von Phosphatanionen (PO43–) als wichtigen Bestandteil von Nucleinsäuren, Phospholipiden und ATP sowie für andere energiespeichernde Moleküle und als mineralischen Bestandteil von Knochen und Zähnen. Phosphor kommt in der Atmosphäre, anders als Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff, praktisch nicht vor und ist daher ein typisches Beispiel für ein chemisches Element mit einem Sedimentkreislauf. Unter natürlichen Bedingungen ist Phosphatmangel oftmals ein limitierender Faktor für die Biomasseproduktion der Primärproduzenten vieler Ökosysteme. Insbesondere in aquatischen Ökosystemen stellt Phosphatmangel einen wichtigen Bottom-up-Regulationsmechanismus dar. Die wichtigsten Reservoire für Phosphat sind Gesteine und natürliche Phosphatvorkommen. Aus diesen Gesteinen und Mineralien wird das Phosphat durch Verwitterung, Auswaschung und Erosion freigesetzt und gelangt auf dem Weg über das Oberflächen- und Grundwasser letztlich ins Meer. In terrestrischen Ökosystemen stammt nahezu der gesamte zur Verfügung stehende Phosphor aus der Verwitterung von Calciumphosphatmineralien. In den meisten Böden steht jedoch nur ein kleiner Anteil der vorhandenen Phosphatmenge den Pflanzen zur Verfügung, der größere Teil ist chemisch in den Mineralien gebunden und nicht bioverfügbar. Die einzelnen Glieder der Nahungsketten scheiden beträchtliche Mengen des über die Nahrung aufgenommenen Phosphats wieder aus. In aquatischen Ökosystemen wird ein Teil des ausgeschiedenen Phosphats wieder vom Plankton aufgenommen und in den Nahrungsnetzen weitergegeben, ein anderer Teil wird in den Sedimenten am Gewässerboden abgelagert (Sedimentation). Aus diesem Grund herrscht daher im Oberflächenwasser häufig ein Phosphatmangel, während die tieferen Schichten eines Gewässers mit Phosphat gesättigt sind.
5.2.5 Biologische Akkumulation von Stoffen Bestimmte chemische Substanzen befinden sich nicht in Stoffkreisläufen, sondern bewegen sich entlang der trophischen Stufen, wobei sie jedoch, anders als die Energie, von der immer nur ein geringer Teil in biologisch nutzbarer Form die nächsthöhere Stufe erreicht, entlang der Stufen aufkonzentriert und angereichert werden. Beispiele für solche Substanzen sind vor allem Schwermetallionen und chlorhaltige organische Verbindungen wie DDT, PCBs oder Dioxine. Diese Stoffe sind biologisch nicht abbaubar, da es keine Organismen gibt, die über Enzyme verfügen, die chemische Reaktionen der betreffenden Substanzen katalysieren könnten, und daher in Ökosystemen persistent (beständig). Da die genannten Substanzen darüber hinaus gut in Fetten löslich (lipophil) sind, werden sie nach der Aufnahme, zum Beispiel über die Nahrung, von den betroffenen Organismen im Fettgewebe gespeichert. Wenn 135
Eier der Silbermöwe 124 ppm
PCB-Konzentration
Beispiel
5 Ökosysteme
Amerikanische Seeforelle 4,83 ppm
Stint 1,04 ppm
Zooplankton 0,123 ppm
Phytoplankton 0,025 ppm
W iederholun g s f ra g en 5 . 2
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1. Fertigen Sie eine Übersichtsskizze eines allgemeinen Stoffkreislaufes an. Erläutern Sie dabei die Unterschiede zwischen Sedimentund Gaskreislauf. 2. Erklären Sie in eigenen Worten den Kohlenstoffkreislauf. Fertigen Sie dazu eine Skizze an und erläutern Sie insbesondere, in welcher Form die Photosynthese und die Zersetzung in den Kohlenstoffkreislauf eingebunden sind. 3. Beschreiben Sie die folgenden Teilprozesse des Stickstoffkreislaufes: Fixierung, Ammonifikation, Nitrifikation, Denitrifikation. 4. Erklären Sie den Ursprung des Phosphors im Phosphorkreislauf. 5. Erläutern Sie, was man unter der Akkumulation von Stoffen versteht.
Biologische Akkumulation konnte man unter anderem in den Nahrungsnetzen der großen nordamerikanischen Seen nachweisen: Dort liegt die PCB-Konzentration in den Eiern von Silbermöwen, die im Nahrungsnetz ganz oben stehen, fast 5000-mal so hoch wie im Phytoplankton auf der untersten Trophieebene (⇒ Abbildung 5.16). Ein spektakulärer Fall von biologischer Akkumulation, der Carnivoren auf der obersten Stufe des Nahrungsnetzes erheblich schädigte, betraf das DDT, eine Verbindung, die zur Bekämpfung von Stechfliegen, landwirtschaftlichen Schädlingen und anderen Insekten eingesetzt wurde. In den ersten zehn Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Einsatz von DDT stark zu; über die ökologischen Folgen wusste man damals jedoch noch nicht in vollem Umfang Bescheid. Erst in den 1950er Jahren stellte sich durch wissenschaftliche Untersuchungen heraus, dass das DDT in der Umwelt erhalten bleibt und vom Wasser auch in Gebiete transportiert wird, die weit von seinem Einsatzort entfernt liegen. Eines der ersten Anzeichen, dass DDT zu einem ernsthaften Umweltproblem werden würde, war ein Rückgang der Populationen von Pelikanen, Fischadlern und anderen Vogelarten, die als Räuber am obersten Ende der Nahrungskette stehen. Die Anreicherung des DDT im Gewebe dieser Vögel beeinträchtigt zum Beispiel die Calciumeinlagerung in den Eierschalen. Beim Ausbrüten der Eier zerbrachen diese unter dem Gewicht des Brutvogels, was einen katastrophalen Rückgang der Reproduktionsraten zur Folge hat. Die Verwendung von DDT ist in den meisten westlichen Industrieländern seit den 1970er Jahren verboten.
Abbildung 5.16: Biologische Akkumulation von PCB in einem Nahrungsnetz der großen nordamerikanischen Seen.
diese Organismen von einem anderen Organismus einer höheren trophischen Stufe konsumiert werden, nimmt dieser die gesamte Lebensdosis seiner Beute auf und lagert sie seinerseits ebenfalls vollständig im Fettgewebe ein. Aus diesem Grund enthalten Organismen hoher trophischer Stufen oftmals Konzentrationen der genannten Giftstoffe, die mehrere tausend Mal höher sind als die Umweltkonzentration in ihren Gewässern oder den Böden terrestrischer Ökosysteme.
5.3
Ökosysteme unterliegen Veränderungen
Noch vor wenigen Jahrzehnten herrschte in der Ökologie allgemein die Ansicht, Lebensgemeinschaften müssten sich in einem mehr oder weniger stabilen Gleichgewichtszustand befinden, solange sie durch den menschlichen Einfluss nicht nachhaltig gestört werden. Gemäß dieser Vorstellung vom „Gleichgewicht der Natur“ war die interspezifische Konkurrenz der entscheidende Faktor, der über die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft bestimmt und ihre Stabilität aufrechterhält. Da die Ökologie in jüngerer Zeit vermehrt ihr Augenmerk auf dynamische Prozesse in Ökosystemen legt, gelangte man jedoch zu der Erkenntnis, dass die meisten Lebensgemeinschaften nicht statisch organisiert sind, sondern unter dem ständigen Einfluss dynamischer Prozesse einem steten Wandel unterliegen. Im Folgenden analysieren wir an einigen Beispielen, auf welche Weise sich Störungen auf die Struktur und Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften auswirken können.
5.3 Ökosysteme unterliegen Veränderungen
5.3.1 Artendiversität Die Artendiversität oder Biodiversität von Lebensgemeinschaften – die Vielfalt unterschiedlicher Organismenarten innerhalb einer Lebensgemeinschaft – umfasst zwei wichtige Größen. Die eine ist der Artenreichtum, die andere ist die relative Häufigkeit oder Abundanz der einzelnen Arten, der prozentuale Anteil, den die jeweilige Art an der Gesamtzahl der Individuen einer Lebensgemeinschaft ausmacht. Stellen wir uns zur Verdeutlichung und als Beispiel zwei Waldbestände vor, in denen sich jeweils insgesamt 100 Individuen auf vier Baumarten (A, B, C und D) verteilen:
A
B
C
D
Gemeinschaft 1 A: 25% B: 25% C: 25% D: 25%
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Gemeinschaft 1: 25A, 25B, 25C, 25D Gemeinschaft 2: 80A, 5B, 5C, 10D Der Artenreichtum ist in beiden Lebensgemeinschaften der gleiche, denn beide enthalten vier Baumarten, aber in ihrer relativen Häufigkeit unterscheiden sich diese Baumarten stark voneinander (⇒ Abbildung 5.17). In der Gemeinschaft 1 sind alle vier Baumarten in gleicher Anzahl vertreten, in dem zweiten Wald hingegen dominiert Art A, während die anderen Bäume aufgrund ihrer geringen Individuenzahl nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die meisten Beobachter würden wohl daher der Gemeinschaft 1 intuitiv eine größere Biodiversität zuschreiben. Die Anzahl der Arten und ihre relative Häufigkeit in einem abgrenzbaren Lebensraum zu ermitteln, ist nicht immer einfach. Man kann dies durch verschiedene Stichprobenverfahren erreichen, aber da die meisten Arten in einer Lebensgemeinschaft relativ selten sind, ist es unter Umständen schwierig, eine ausreichend repräsentative Stichprobe zu erhalten, die man seinen Berechnungen zugrunde legen kann. Ebenso problematisch ist die zahlenmäßige Erfassung sehr beweglicher oder sehr verborgen lebender Individuen in einer Lebensgemeinschaft, wie Milben, Fadenwürmer oder die große Anzahl verschiedener Mikroorganismen (siehe auch Kapitel 4.1.1). Eine Erfassung der Artendiversität ist daher in vielen Fällen eine schwierige Aufgabe, sie ist aber nicht nur für die Aufklärung der Struktur von Lebensgemeinschaften unverzichtbar, sondern auch essenziell für die Bestrebungen zum Erhalt der Biodiversität der Ökosysteme der Erde.
Gemeinschaft 2 A: 80% B: 5% C: 5% D: 10%
Abbildung 5.17: Welcher Wald zeigt die größere Artendiversität? Die ökologische Forschung kommt zu folgendem Schluss: Lebensgemeinschaft 1 besitzt eine größere Artendiversität; in die Beurteilung fließen dabei sowohl der Artenreichtum als auch die relative Häufigkeit (Abundanz) der einzelnen Arten ein.
5.3.2 Theorie der mittleren Störungen Welche Einflussfaktoren entscheiden darüber, ob es in einer Lebensgemeinschaft eine große Artendiversität gibt oder nicht? Sogenannte „Störungen“ stellen, wie man heutzutage weiß, einen wichtigen Faktor für die Artendiversität von Lebensgemeinschaften dar. Als Störung bezeichnet man Ereignisse, die dynamische Prozesse in Lebensgemeinschaften hervorrufen (siehe auch Kapitel 2.7). Einige Lebensgemeinschaften werden durch Stürme beeinträchtigt; Gleiches gilt für die Wirkung der anbrandenden Wellen im Bereich der Meeresküsten. Viele Flüsse, Seen und kleinere Gewässer frieren in den kalten Jahreszeiten zu; die Schmelze des Schnees in den Gebirgen lässt Flüsse und Seen über 137
5 Ökosysteme
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Einige Arten haben auf die Struktur und die Erhaltung einer Lebensgemeinschaft einen besonders großen Einfluss; aus diesem Grund bezeichnet man sie auch als Schlüsselarten. Innerhalb der Schlüsselarten gibt es einerseits solche, die innerhalb einer Lebensgemeinschaft in besonders hoher Anzahl und Biomasse vertreten sind (dominante Arten) und andererseits solche, die auch ohne Ausbildung einer großen Biomasse eine entscheidende Schlüsselrolle für die Lebensgemeinschaft einnehmen (Schlusssteinarten). Dominant sind in einer Lebensgemeinschaft diejenigen Arten, die in größter Anzahl vorhanden sind oder mit der Gesamtheit ihrer Individuen die höchste Biomasse besitzen. Daher besitzen dominante Arten einen großen Einfluss auf das Vorkommen und die Verteilung der anderen Arten in der Lebensgemeinschaft sowie auf die sogenannten Systemfunktionen (beispielsweise Wasserhaushalt oder Produktivität eines Ökosystems). Die Rotbuche zum Beispiel ist die in Mitteleuropa dominante und häufigste Laubbaumart. Durch ihre hohe Konkurrenzkraft schließt sie in den Laubwäldern Europas daher viele konkurrierende Baumarten aus und wirkt darüber hinaus auf zahlreiche Standortfaktoren und ‑prozesse ein, so den Wasserhaushalt und den Beschattungsgrad. Die Frage, warum eine Art in einer Lebensgemeinschaft dominant wird, ist jedoch nicht leicht zu beantworten. Einer Hypothese zufolge haben dominante Arten gegenüber anderen einen Konkurrenzvorteil bei der Nutzung begrenzter Ressourcen wie Wasser oder Nährstoffen. Eine andere Erklärung besagt, dass es dominanten Arten besser gelingt, natürliche Feinde oder Krankheiten in ihrem Einfluss zu begrenzen. Die zuletzt genannte Hypothese würde darüber hinaus eine Erklärung dafür liefern, warum zufällig oder vom Menschen absichtlich eingeschleppte Arten außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes häufig eine besonders hohe Biomasse erreichen. Solche invasiven Arten entgehen nach der Hypothese ihren natürlichen Feinden und Krankheitserregern, die ansonsten ihre Population in einem Top-down-Prozess begrenzen würden. Anders als dominante Arten sind Schlusssteinarten in einer Lebensgemeinschaft nicht in großer Anzahl oder in hoher Biomasse
anzutreffen. Sie üben aber, da sie entscheidende ökologische Schlüsselfunktionen besitzen, einen wesentlich größeren Einfluss auf die Lebensgemeinschaft aus, als es ihre Biomasse erahnen lässt. Ein Beispiel für eine Schlusssteinart ist der Seestern Pisaster ochraceus, der sich an der nordamerikanischen Westküste von der Kalifornischen Miesmuschel ernährt. Obwohl die Seesternart in ihrer Individuenzahl nicht allzu häufig ist, hat ihre Anwesenheit einen großen Einfluss auf die Artendiversität der Lebensgemeinschaft. Um diese Bedeutung nachzuweisen, entfernte man in einem Experiment die einzelnen Individuen des Seesterns in einem Bereich der Gezeitenzone. Als Folge nahm die Artendiversität in diesem Bereich ab (⇒ Abbildung 5.18), da die Miesmuscheln das gesamte Felssubstrat besiedelten und andere Felsbewohner verdrängten. Obwohl die Seesternart nur über relativ wenige Individuen verfügt, schränkt sie als Räuber die Dominanz einer anderen Art ein (Top-down-Kontrolle) und gewährleistet dadurch eine hohe Artendiversität in der Lebensgemeinschaft.
Anzahl der vorhandenen Arten
Schlüsselarten
20 15
mit Pisaster (Kontrolle)
10 5 0
ohne Pisaster (Experiment) 1963 ’64 ’65 ’66 ’67 ’68 ’69 ’70 ’71 ’72 ’73 Jahr
Abbildung 5.18: Entwicklung der Artendiversität mit und ohne die Anwesenheit von Pisaster ochraceus.
die Ufer treten und setzt Auengebiete unter Wasser. All diese Störungen beeinflussen die Struktur und Dynamik von Lebensgemeinschaften. Für viele terrestrische Lebensgemeinschaften spielt darüber hinaus Feuer als natürlicher Faktor eine bedeutende Rolle, zum Beispiel in zahlreichen Savannenlandschaften der Erde. Brände tragen in diesen Gebieten zur Aufrechterhaltung der Struktur und Artenzusammensetzung bei. Die Art, Häufigkeit und Stärke der möglichen Störfaktoren sind von einer Lebensgemeinschaft zur anderen unterschiedlich. Das jeweilige Störungspotenzial der einzelnen genannten Einflussfaktoren ergibt sich in der Regel aus Häufigkeit und Intensität der Störfaktoren; ist das Störungspotenzial eines Einflussfaktors in einem bestimmten Lebensraum niedrig, so kann dies sowohl auf geringe Häufigkeit als auch auf niedrige Intensität zurückzuführen sein. Nach der Hypothese der mittleren Störungen, die von Joseph Connell (University of California, USA) und Ralph Slatyer (Australian National University, Canberra) aufgestellt wurde, ist die Artendiversität bei einem mittleren Niveau der Störungen am größten. Zu häufige und zu starke Störungen verringern die Artendiversität: Sie führen zu
Stressbelastungen, die viele Arten nicht mehr tolerieren können. Eine Lebensgemeinschaft kann so häufigen und so starken Störungen ausgesetzt sein, dass Arten mit einem langsameren Wachstum oder geringerem Kolonisationsvermögen ausgeschlossen bleiben. Das andere Extrem ist ein zu niedriges Störungspotenzial: In solchen Fällen kann es zu einer Verminderung der Artendiversität kommen, da es dominanten Arten gelingt, die weniger konkurrenzfähigen Arten zu verdrängen. Ein mittleres Störungsniveau kann somit gleichzeitig die größte Artendiversität begünstigen, da es auch weniger konkurrenzfähigen Arten ausreichende Lebensräume und Ressourcen bietet. Bei einem mittleren Niveau der Störungen herrschen nur in den seltensten Fällen so extreme Bedingungen, dass die Toleranzbreite oder die Regenerationsfähigkeit potenzieller Arten einer Lebensgemeinschaft zum Überleben nicht ausreicht. Für das Zutreffen der Hypothese der mittleren Störungen spricht eine Vielzahl von Untersuchungen an terrestrischen und aquatischen Lebensgemeinschaften. In einer dieser Untersuchungen verglichen neuseeländische Ökologen die Artendiversität verschiedener Gruppen wirbelloser Tiere im Bachbett von periodischen Fließgewässern, die mit unterschiedlicher Häufigkeit und Intensität überflutet waren (⇒ Abbildung 5.19). Wenn die Überflutung sehr häufig oder sehr selten vorkam, herrschte nur eine geringe Artendiversität vor. Bei häufigen Überflutungen hatten viele Arten Schwierigkeiten, sich in dem Bachbett dauerhaft anzusiedeln, bei seltenen Überflutungen wurden manche Arten von überlegenen Konkurrenten verdrängt. Den höchsten Artenreichtum wirbelloser Tierarten beobachtete man in Bächen mit einer mittleren Häufigkeit und Intensität der Überflutungen, wie es den Voraussagen der Hypothese der mittleren Störungen entspricht. Untersuchungen an vielen Orten auf der Welt weisen darauf hin, dass Lebensgemeinschaften ständig dynamischen Prozessen unterliegen. Natürliche Störungen und die Regeneration durch Wachstumsund Fortpflanzungsprozesse sorgen für einen permanenten Wandel. Es liegen daher immer mehr Erkenntnisse darüber vor, dass viele Lebensgemeinschaften sich nicht in einem statischen Gleichgewichtszustand befinden, sondern stete Störungen und dadurch hervorgerufene dynamische Prozesse der Normalfall sind.
Abbildung 5.19: Überprüfung der Hypothese der mittleren Störung. Man bestimmte verschiedene Wirbellosengruppen an jeweils zwei Lokalitäten von insgesamt 27 Fließgewässern Neuseelands. Die Intensität der Überflutung des jeweiligen Bachbettes wurde an jeder dieser Lokalitäten erfasst. Die Anzahl der Gruppen wirbelloser Tiere war bei einer mittleren Überflutungsintensität am höchsten.
Anzahl systematischer Gruppen
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5.3 Ökosysteme unterliegen Veränderungen
35 30 25 20 15 10 0,9 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 2,0 Störungsintensität (logarithmische Skalierung)
139
5 Ökosysteme
5.3.3 Sukzession
Beispiel
Veränderungen in der Struktur und Zusammensetzung terrestrischer Lebensgemeinschaften lassen sich gut verfolgen, wenn nach einem größeren Störungsereignis, zum Beispiel nach einem Vulkanausbruch oder nach dem Rückzug eines großen Gletschers, Bodenflächen völlig vegetationsfrei sind. Solche Flächen bleiben jedoch nicht vegetationsfrei, sondern werden im Laufe der Zeit von verschiedenen Arten besie-
Die Prozesse einer Primärsukzession kann man am Beispiel eines Gletschervorfeldes an der Glacier Bay in Alaska gut nachvollziehen, wo sich die Gletscher seit dem Jahr 1760 um mehr als 100 Kilometer zurückgezogen haben (⇒ Abbildung 5.20). Untersucht man die Pflanzengesellschaften des Gletschervorfeldes in unterschiedlicher Entfernung vom heutigen Gletscherstand, kann man die verschiedenen Sukzessionsstadien zeitlich nachzeichnen. (1) Zuerst wird die vom Gletscher freigegebene Fläche von Pionierarten besiedelt, darunter Leber- und Laubmoose, Breitblättriges Weidenröschen, einzelne Individuen der Silberwurz, eines immergrünen Zwergstrauches, und Individuen verschiedener Weidenarten. (2) Nach ungefähr 30 Jahren dominiert die Silberwurz in der Pflanzengesellschaft. (3) Einige Jahrzehnte später wandern Erlen in das Gebiet ein und bilden dichte Bestände. Während der nächsten beiden Jahrhunderte werden die Erlen zunächst durch Sitkafichten und (4) später durch eine Kombination aus Westamerikanischen Hemlocktannen und Berg-Hemlocktannen verdrängt. In Bereichen, in denen Wasser schlecht abfließen kann, wird der Boden des Fichten-Hemlock-Waldes moorig und zunächst von Torfmoosen besiedelt, die große Wassermengen aufnehmen können und den Säuregehalt des Bodens steigern, bis die Bäume schließlich absterben. Rund 300 Jahre nach dem Rückzug des Gletschers besteht die Vegetation in schlecht entwässerten, flacheren Gebieten aus Mooren und an gut entwässerten Berghängen aus Fichten-Hemlock-Wäldern.
1941 1907
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2 Silberwurzstadium 1 Pionierstadium, Breitblättriges Weidenröschen als dominierende Art
0 5 10 15 1860 Kilometer Glacier Bay Alaska
1760
4 Stadium mit Sitkafichte, Westamerikanischer Hemlocktanne und Berg-Hemlocktanne
3 Erlenstadium
Abbildung 5.20: Primärsukzession eines Gletschervorfeldes an der Glacier Bay in Alaska. Die verschiedenen Blautöne auf der Karte charakterisieren den zeitlichen Rückzug des Gletschers seit dem Jahr 1760, den man aus historischen Quellen ableiten kann.
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5.3 Ökosysteme unterliegen Veränderungen
delt, die nach und nach von anderen Arten abgelöst werden. Diese werden zu einem noch späteren Zeitpunkt wiederum durch andere Arten ersetzt, ein Ablauf, den man als ökologische Sukzession bezeichnet. Von Primärsukzession spricht man, wenn der Vorgang in einem zuvor unbelebten Gebiet beginnt und eine erstmalige Neulandbesiedlung stattfindet. In solchen Fällen hat sich noch kein Boden gebildet, der den Pflanzen als Substrat für ihr Wachstum dienen könnte. Dieses Szenario ist zum Beispiel bei einer kurz zuvor entstandenen Vulkaninsel, in Gletschervorfeldern, an bisher nicht besiedelten Wildflussufern oder an Meeresküsten mit starker Dynamik vorzufinden. Zunächst sind in solchen Gebieten häufig nur autotrophe und heterotrophe Bakterien und Einzeller vorhanden. Die ersten mehrzelligen Organismen, die ein solches Neuland besiedeln, sind in der Regel Flechten und Moose, die aus vom Wind angewehten Sporen heranwachsen. Durch die physikalische und chemische Verwitterung des Gesteins und durch organisches Material aus den zersetzten angesammelten Überresten der ersten Organismen entsteht Boden. Wenn nach längerer Zeit genug Boden als Wachstumssubstrat vorhanden ist, werden die Flechten und Moose in der Regel von konkurrenzstärkeren Kräutern und Gräsern überwachsen, denen schließlich Sträucher und Bäume folgen. Diese Pflanzenarten gehen aus Samen hervor, die aus benachbarten Gebieten über den Wind angeweht oder von Tieren ausgebreitet wurden. Am Ende wird die Fläche von einer Pflanzengesellschaft besiedelt, die als Schlussgesellschaft (= Klimaxgesellschaft) das letzte Stadium der Sukzession darstellt. Bis sich ein solches Schlussstadium der Lebensgemeinschaft durch Primärsukzession bildet, vergehen bei Pflanzengesellschaften häufig Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende. Sekundärsukzession findet statt, wenn bereits entwickelte Organismengemeinschaften einer sehr starken Störung unterliegen und die Entwicklung der Organismengemeinschaft von Neuem wieder beginnt. In der Regel bleibt der Boden jedoch beim Störereignis erhalten. In solchen Fällen erreicht ein Gebiet daher innerhalb relativ kurzer Zeit seinen ursprünglichen Ausgangszustand nahezu zurück. Sekundärsukzessionen folgen häufig auf einen menschlichen Eingriff. Rodet man zum Beispiel ein Waldgebiet zunächst für die landwirtschaftliche Nutzung und lässt dann die Flächen später brachliegen, siedeln sich als erste Arten häufig krautige Pflanzen an. Sie können entweder in der Samenbank des Bodens noch vorhanden sein oder über Tiere oder den Wind das Gebiet erreichen. Auf die krautigen Pflanzen folgen dann, wie bei der Primärsukzession auch, im Laufe der Zeit Sträucher und Bäume.
W iederholun g s f ra g en 5 . 3
1. Erklären Sie in eigenen Worten den Begriff der Artendiversität. 2. Zwei Lebensgemeinschaften, die die gleiche Anzahl von Arten enthalten, unterscheiden sich in der relativen Häufigkeit der Arten. Nennen Sie mögliche Gründe, warum das so sein könnte! 3. Erklären Sie, warum sowohl ein hohes als auch ein niedriges Störungsniveau in der Regel zu einem Rückgang der Artendiversität führt. 4. Was wäre, wenn? In den meisten Prärien kommt es regelmäßig, im typischen Fall alle paar Jahrzehnte, zu Bränden. Stellen Sie dar, wie sich die Artendiversität einer Prärie voraussichtlich entwickeln würde, wenn es 100 Jahre lang keine Brände gäbe. Begründen Sie Ihre Antwort. 5. Der Mensch beugt gegen Waldbrände vor und löscht sie nach Möglichkeit umgehend, weshalb ihre Häufigkeit und ihr Ausmaß üblicherweise geringer sind, als unter natürlichen Bedingungen anzunehmen. Stellen Sie begründet dar, a) welche Auswirkungen dieses Verhalten auf die Artendiversität von Wäldern haben kann und b) welche Auswirkungen zu erwarten sind, wenn doch einmal ein seltener, aber dafür umso heftigerer Waldbrand auftritt.
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Zusammenfassung
5 Ökosysteme
Die biologischen, chemischen und physikalischen Bestandteile der Umwelt fügen sich in einem Ökosystem zu einem einzigen verflochtenen Ganzen zusammen. Gleichzeitig sind Ökosysteme darüber hinaus dynamischen Prozessen unterworfen, da beispielsweise Stoffe, Energie und Lebewesen ein Ökosystem sowohl als Output verlassen als auch als Input in dieses hineingelangen. In einem Ökosystem herrschen komplexe Nahrungsbeziehungen (5.1) Je nachdem, auf welchem Wege Individuen an die für ihr Überleben notwendige Energie gelangen, unterscheidet man zwischen zwei grundlegend verschiedenen Ernährungsweisen: Autotrophe Organismen (Produzenten) nutzen auf direktem Wege die Energie der Sonne, um ihren Bau- und Betriebsstoffwechsel aufrechtzuerhalten. Heterotrophe Organismen nehmen lebende oder tote Organismen auf und beziehen die für sie notwendige Energie aus deren Abbau. Die heterotrophen Organismen unterteilen sich je nach Art der Nahrung in verschiedene Gruppen. Zu den Konsumenten gehören die Herbivoren (Pflanzenfresser) und die Carnivoren (Fleischfresser). Die Destruenten bauen totes, organisches Material ab und werden daher auch als Zersetzer bezeichnet. Sie wandeln bei ihrer Tätigkeit das abgestorbene organische Material in anorganische Verbindungen um und machen diese daher für die Produzenten erneut verfügbar. In Nahrungsketten und den komplexeren Nahrungsnetzen werden Nahrungsbeziehungen abgebildet und der Stoff- und Energiefluss von den Produzenten über die verschiedenen Konsumentenstufen von Ökosystemen nachvollzogen. Die Organismen einer Nahrungskette kann man in Gruppen einteilen, die man als trophische Ebenen bezeichnet. Die erste und unterste trophische Ebene bilden die autotrophen Organismen. Auf der nächsten Ebene befinden sich die Herbivoren, die von den autotrophen Organismen leben. Carnivoren, die sich von Herbivoren ernähren, bilden die dritte und alle weiteren höheren Ebenen von trophischen Pyramiden. Die Energie fließt auf zwei Wegen durch ein Ökosystem: einerseits durch die Lebendfresserkette und andererseits durch die Zersetzerkette. Den größten Teil der Produktion verwerten Destruenten, die sich von totem organischem Material ernähren. Verbunden sind die beiden Hauptnahrungsketten einerseits durch die Zufuhr toten organischen Materials. Dieser Detritus der Lebendfresserkette dient als Input für die Zersetzerkette. Wenn Carnivoren Destruenten fressen, wechselt andererseits und entgegengesetzt ein Teil der Biomasse und Energie der Zersetzerkette in die Lebendfresserkette über. Die Energie- und Biomassemenge, die in eine Ebene eingeht, nimmt mit jeder aufsteigenden Ebene der trophischen Pyramide ab, da nicht die gesamte Energie und Biomasse der jeweiligen
Ebene für die Biomasseproduktion der nächsthöheren Ebene verwertet werden kann. Nach einer Faustregel werden nur zehn Prozent der Energie, die in der Biomasse einer trophischen Ebene gespeichert sind, auf die nächsthöhere Ebene weitergegeben. Trägt man Biomasse oder Energieinhalt der Individuen auf den aufeinanderfolgenden Ebenen in ein Diagramm ein, erhält man daher eine Stufenpyramide. Stoffkreisläufe im Ökosystem – Stoffe werden wiederverwertet (5.2) Stoffe befinden sich in ständigen Kreisläufen zwischen den lebenden und den unbelebten Bestandteilen der Biosphäre. Durch diese Kreisläufe erhalten Pflanzen und Tiere die Stoffe, die für ihr Überleben und Wachstum notwendig sind. Alle Stoffkreisläufe haben eine charakteristische Struktur aus drei Grundelementen: Input (vom Reservoir kommend), interner Kreislauf und Output (ins Reservoir zurückkehrend). Der Kohlenstoffkreislauf ist untrennbar mit dem Energiefluss verbunden. Kohlenstoff wird von Pflanzen in Form von Kohlenstoffdioxid aufgenommen und in organische Verbindungen eingebaut, von den heterotrophen Organismen als Hauptbestandteil von Pflanzen- und Tiergewebe konsumiert und durch deren Atmung erneut in Form von Kohlenstoffdioxid freigesetzt. Aus dem Detritus wird der Kohlenstoff durch die Tätigkeit der Destruenten ebenfalls in Form von Kohlenstoffdioxid freigesetzt. Mit welcher Geschwindigkeit der Kohlenstoff ein Ökosystem durchläuft, hängt von dem Umfang der Primärproduktion und der Zersetzungsrate ab. Beide Vorgänge laufen in warmen, feuchten Ökosystemen schneller ab als in kälteren oder trockeneren. In stark von Wasser beeinflussten Lebensräumen wird der Kohlenstoff des Detritus unter sauerstofffreien Bedingungen in Form von Rohhumus oder Torf gespeichert. In langen geologischen Zeiträumen bildeten sich auf diese Weise die fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas. Obwohl Stickstoff in elementarer Form in nahezu unbegrenzten Mengen in der Atmosphäre vorkommt, können Pflanzen ihn nur in chemisch gebundener Form, beispielsweise als Ammonium (NH4+) oder Nitrat (NO3–) verwerten und in die Biomasse der Ökosysteme einbauen. Daher sind sie auf die Fixierung des atmosphärischen Stickstoffes angewiesen. Dies kann in einem ersten Schritt entweder durch symbiontische (zum Beispiel Knöllchenbakterien) oder durch frei im Boden vorkommende Luftstickstofffixierer geschehen, die ein wichtiger Bestandteil des Stickstoffkreislaufes sind. Weitere wichtige Prozesse innerhalb des Stickstoffkreislaufes sind zudem die Ammonifikation (Abbau von stickstoffhaltigen Verbindungen durch Destruenten unter Bildung von Ammoniak), die Nitrifikation (bakterielle Oxidation von Ammoniak zu Nitrit und Nitrat) und die Denitrifikation (Umsetzung von stickstoffhaltigen Verbindungen zu
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gasförmigem Stickstoff). Das größte Stickstoffreservoir ist die Atmosphäre; in der Biomasse und in den Böden von terrestrischen Ökosystemen befinden sich dagegen nur vergleichsweise geringe Mengen von Stickstoff. In die Ozeane gelangen stickstoffhaltige Verbindungen vorwiegend in gelöster Form mit dem Süßwasser der Flüsse sowie durch Niederschläge. Phosphor ist unter natürlichen Gegebenheiten nur in geringen Mengen in Ökosystemen vorhanden. Da Phosphat im Boden gebunden ist und der Phosphorkreislauf keine gasförmigen Stoffe enthält, findet er meist relativ lokal begrenzt in den Ökosystemen statt. Phosphor wird von den Organismen als wichtiger Bestandteil von Nucleinsäuren, ATP oder von Knochen und Zähnen benötigt und ist als Phosphat (PO43–) in anorganischer Form für die Organismen verfügbar. Durch Verwitterung des Gesteins wird der Boden mit Phosphat angereichert, wobei ein Teil in das Grund- und Oberflächenwasser gelangt. Ein weiterer Teil wird von den Primärproduzenten aufgenommen, in organische Verbindungen eingebaut und über die Nahrungsnetze verteilt. Durch Abbau von Detritus gelangt das Phosphat wieder in den Boden oder in das Wasser zurück. Ein Zuviel an Phosphat kann in Ökosystemen erhebliche Auswirkungen haben. Bestimmte chemische Substanzen befinden sich nicht in Stoffkreisläufen, sondern werden entlang der trophischen Stufen aufkonzentriert und angereichert. Beispiele für solche Substanzen sind Schwermetallionen und chlorhaltige organische Verbindungen wie DDT, PCBs oder Dioxine.
Ökosysteme unterliegen Veränderungen (5.3) Die meisten Lebensgemeinschaften sind nicht statisch organisiert, sondern unterliegen einem steten Wandel, da sie unter dem ständigen Einfluss von dynamischen Prozessen und Störungen stehen. Die Artendiversität von Lebensgemeinschaften umfasst zwei wichtige Größen: den Artenreichtum und die relative Häufigkeit der einzelnen Arten. Sie ist in der Ökologie eine wichtige Größe für die Aufklärung der Struktur von Lebensgemeinschaften und bei der Schätzung der „Stabilität“ von Ökosystemen. Dynamische Prozesse, die zu Ungleichgewichten und Veränderungen von Lebensgemeinschaften führen, werden oftmals durch Störungen hervorgerufen. Nach der Hypothese der mittleren Störungen fördert ein mittleres Störungsniveau die Artendiversität, wohingegen ein hohes oder niedriges Störungsniveau zu einer Abnahme der Diversität führen. Als Sukzession bezeichnet man die Abfolge von Lebensgemeinschaften, bedingt durch Klima, Boden oder die Lebenstätigkeit von Organismen. Eine Primärsukzession folgt auf eine erstmalige Besiedlung von sich neu bildenden Substraten, in Gebieten, wo noch kein Boden vorhanden ist; bei einer Sekundärsukzession handelt es sich um eine Wiederherstellung des ehemaligen Zustandes nach einer stärkeren Störung und bei noch vorhandener Bodenstruktur.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Antworten zu den Wiederholungsfragen finden Sie unter: www.pearson-schule.de
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Kapitel 6 Terrestrische Ökosysteme
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Ökosystem Wald Ökosystem Wüste
6 Terrestrische Ökosysteme
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Merke Unterschied Biom – Ökosystem
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Im Gegensatz zu Ökosystemen stellen Biome eher statische und vor allem anhand klimatischer Gegebenheiten geografisch voneinander getrennte Großlebensräume dar. Der Begriff Ökosystem kann hingegen unterschiedliche Dimensionen besitzen und beinhaltet im eigentlichen Wortsinn, wie bereits beschrieben, einen höheren Abstraktionsgrad und eine charakteristische Dynamik von Stoffkreisläufen und Energieflüssen. Wird der Begriff des Ökosystems jedoch für die Gesamtheit aller Wälder eines Typs benutzt, wie zum Beispiel für die tropisch-subtropischen Regenwälder, dann wird er dabei prototypisch für eine bestimmte Lebensgemeinschaft und gleichbedeutend mit dem Begriff Biom verwendet. Das Ökosystem kann sich jedoch auch auf einen ganz bestimmten Wald oder auf die nähere Umgebung der Wurzel eines bestimmten Baumes beziehen. In diesem Sinne des Wortes gibt es Tausende einzelner Ökosysteme in einem Biom.
Die im vorangegangenen Kapitel dargestellten Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten für die Stoff- und Energieflüsse innerhalb von Ökosystemen stellen zusammen mit den Kerninhalten der ersten vier Kapitel die allgemeinen theoretischen Grundlagen dar, um die ökologischen Beziehungen innerhalb realer Ökosysteme verstehen zu können. In den nachfolgenden beiden Kapiteln verlassen wir die Ebene der allgemeinen Darstellung und untersuchen beispielhaft verschiedene konkrete Ökosysteme, die teilweise in unseren Breiten und teilweise an anderen Stellen der Erde zu finden sind. Dabei behandelt dieses Kapitel zunächst die unterschiedlichen terrestrischen Ökosysteme, während sich das nächste Kapitel den aquatischen Lebensräumen widmen wird. Um terrestrische Lebensräume zu definieren und voneinander abgrenzen zu können, gibt es verschiedene Klassifikationsmöglichkeiten. Im Jahr 1939 führten die Ökologen F. E. Clements und V. E. Shelford ein Verfahren ein, mit dem man die Verbreitung der Vegetation der Erde und der mit dieser verbundenen Tierwelt in einem Klassifikationssystem zusammenfassen kann. Solche biotischen Einheiten, beziehungsweise Großlebensräume, bezeichneten Clements und Shelford als Biome. Ein Biom stellt demnach eine durch Pflanzenformationen abgegrenzte Lebensgemeinschaft mit den in ihr lebenden Tierarten und sonstigen Organismen dar. Der Geobotaniker Heinrich Walter gliederte die Erde in neun unterschiedliche Biome: 1) tropische Regenwaldgebiete, 2) tropisch-subtropische Regenzeitenwälder und Savannen, 3) heiße Halbwüsten und Wüsten, 4) mediterrane warmtemperate Hartlaubwälder, 5) Lorbeerwälder, 6) kühltemperate Laub abwerfende Wälder, 7) winterkalte Steppen, Halbwüsten und Wüsten, 8) winterkalte Nadelwaldgebiete oder Taiga (boreale Zone) und schließlich 9) Tundren und polare Wüsten (polare und subpolare Zone). Darüber hinaus gibt es noch Hochgebirgsgebiete und mehr oder weniger breite Übergangszonen (Ökotone) zwischen den einzelnen Biomtypen (siehe Abbildung 2.55). Die verschiedenen Biomtypen unterscheiden sich deutlich hinsichtlich des Spektrums der in ihnen vorkommenden Lebensformen. Wie wir in den vorhergehenden Kapiteln gesehen haben, gibt es eine Vielzahl an abiotischen und biotischen Faktoren, die auf die Organismen innerhalb eines Bioms einwirken und die somit das Vorkommen einzelner Pflanzenarten und damit einhergehend indirekt wiederum auch das Vorkommen bestimmter Tierarten bestimmen. Temperatur und Wasserverfügbarkeit sind dabei die beiden wichtigsten Faktoren, die in terrestrischen Biomen über das Ausmaß der Primärproduktion beziehungsweise über das Wachstum von Pflanzen und den Artenreichtum von Tieren entscheiden. Terrestrische Biome mit besonders geringer Primärproduktivität sind in der Regel entweder durch extreme Hitze und Trockenheit charakterisiert, wie zum Beispiel die Wüsten, oder durch große Kälte und Trockenheit, wie die arktische Tundra oder die Eiswüsten der Pole. Eine besonders hohe Primärproduktion findet sich in Biomen mit hohen Temperaturen und hohen Niederschlagsmengen. Zwischen diesen Extremen liegen unter anderem die Wälder gemäßigter Breiten, die ein „durchschnittliches“ Klima und eine mittlere Primärproduktivität aufweisen. Die klimatischen Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen lassen sich über die reale Evapotranspiration ausdrücken, wor-
6.1 Ökosystem Wald
6.1
Ökosystem Wald
Als vor etwa 370 Millionen Jahren die ersten komplexen Pflanzenarten das Festland eroberten, bildeten sich überall dort Wälder, wo die Umweltbedingungen nicht „zu extrem“ für deren Existenz waren. Bis heute sind Wälder, egal in welcher Ausprägung, ein dominierender und vor allem lebensnotwendiger Bestandteil unserer Umwelt. Im Folgenden werden wir uns zunächst mir der geografischen Verbreitung von Wäldern und ihren dem Klima angepassten unterschiedlichen Ausprägungen beschäftigen. Danach werden charakteristische Phänomene des Ökosystems Wald, wie der Stockwerkbau, die besonderen Strahlungsverhältnisse und seine Artenfülle näher beleuchtet.
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6.1.1 Unterschiedliche klimatische Verhältnisse führen zur Ausbildung unterschiedlicher Waldtypen Wälder kommen weltweit, je nach klimatischen Verhältnissen an ihren jeweiligen Standorten, in ganz unterschiedlichen Ausprägungen vor. Eine grobe Einteilung unterscheidet zwischen dem tropischen Wald, den Laubwäldern gemäßigten Breiten und den borealen und pazifischen Nadelwäldern. Wenn von tropischem Wald die Rede ist, denkt man zumeist unwillkürlich an den tropischen Regenwald. Dieser ist jedoch nur eine mögliche Ausprägung tropischer Wälder und kommt zwischen dem nördlichen und südlichen Wendekreis in den äquatorialen und subäquatorialen Regionen vor (⇒ Abbildung 6.2). In diesen Gebieten sind die Temperaturen das ganze Jahr über hoch und es regnet nahezu täglich. Per Definition besitzen tropische Regenwaldgebiete darüber hinaus Unterschiede von weniger als 5 °C Durchschnittstemperatur zwischen dem wärmsten und dem kältesten Monat. Es liegt ein Tages- und kein Jahreszeitenklima vor, denn die Tag-Nacht-Unterschiede der Temperatur sind in diesen Gebieten größer als die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen. Begibt man sich aus der Äquatorzone in Regionen der Tropen mit abwechselnden Regen- und Trockenzeiten, ist tropischer Trockenwald der vorherrschende Waldbiomtyp (⇒ Abbildung 6.3). Die Länge der Trockenzeit ist von der geografischen Breite abhängig. Mit zunehmender
3000 Nettoprimärproduktion (Kohlenstoff g/m2 Jahr)
unter man die jährliche Gesamtmenge der Transpiration durch Pflanzen und der Evaporation von Boden- und Wasserflächen versteht. Die reale Evapotranspiration wird in der Regel in Millimeter pro Jahr angegeben (siehe Kapitel 2.2.1) und steigt mit der Niederschlagsmenge und der Intensität der Solarstrahlung in einer Region an. ⇒ Abbildung 6.1 zeigt für ausgewählte Biome die positive Korrelation zwischen der Nettoprimärproduktion und der realen Evapotranspiration auf. In diesem Kapitel werden exemplarisch die terrestrischen Ökosysteme „Wald“ und „Wüste“ näher vorgestellt; der Schwerpunkt liegt dabei auf der geografischen Verbreitung sowie den spezifischen abiotischen und biotischen Merkmalen der beiden genannten Biomtypen.
tropische Wälder
2000 Wälder gemäßigter Breiten 1000
Gebirgsnadelwälder Graslandschaften gemäßigter Breiten arktische Tundra
Halbwüste 0
0
500
1000
1500
reale Evapotranspiration (mm H2O/Jahr)
Abbildung 6.1: Korrelation zwischen Nettoprimärproduktion und realer Evapotranspiration in sechs ausgewählten terrestrischen Biomtypen.
!
Merke Biome stellen die potenziell natürliche und nicht die reale Situation dar Bei der wissenschaftlichen Betrachtung terrestrischer Biome muss stets berücksichtigt werden, dass der Mensch große Teile der Erdoberfläche durch die Schaffung landoder forstwirtschaftlicher Nutzflächen sowie den Bau von Städten, Verkehrswegen und Industrieanlagen verändert hat. Durch diese massiven Eingriffe des Menschen sind die ursprünglichen, natürlichen Biome vielerorts weitgehend verdrängt worden. So werden auf Biomkarten viele Regionen im Osten Nordamerikas oder in Mitteleuropa als Laubwälder der gemäßigten Breiten gekennzeichnet; in Wirklichkeit ist aber von den ursprünglichen Wäldern kaum noch etwas übrig. Somit geben Biomkarten die potenziell natürliche und nicht die reale Situ ation wieder. 147
6 Terrestrische Ökosysteme
Gatun °C 27,1
40
29 m 3149 mm
30 20 10
60°
0
J FMAMJ J A SOND
180°
500 400 300 200 100 0
Abidjan 7m 120°2069 mm60°
°C 26,7
40
30 20 10 0
J FMAMJ J A SOND
500 400 300 200 100 0
0° 60° °C 40
26,4
Ipoh 39 m 120° 2551 mm
30 20 10 0
J FMAMJ J A SOND
Madang 500 400 300 200 100 0
180° °C 40
27,3
6m 3509 mm
30 20 10 0
60°
J FMAMJ J A SOND
40°
500 400 300 200 100 0
40°
Iquitos
104 m 2845 mm
°C 26,4
40
20°
30 20
0°
10 0
20°
J FMAMJ J A SOND
20°
500 400 300 200 100 0
0° 20°
40°
40° Manaus
Uaupes °C 25,2
40
84 m 2915 mm
60°
30 20 10 0
J FMAMJ J A SOND
500 400 300 200 100 0
°C 26,7
40
47 m 2102 mm
30 20 10 0
J FMAMJ J A SOND
Yabassi 500 400 300 200 100 0
°C 27,5
40
40 m 2540 mm
30 20 10 0
J FMAMJ J A SOND
Bogor 500 400 300 200 100 0
°C 25,0
40
265 m 4230 mm
60°
30 20 10 0
J FMAMJ J A SOND
500 400 300 200 100 0
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Abbildung 6.2: Die geografische Verbreitung der tropischen Regenwälder und eine Auswahl von Klimadiagrammen dieser Regionen mit der durchschnittlichen monatlichen Temperatur- und Niederschlagsverteilung (verändert nach Archibold, 1995).
Abbildung 6.3: Ein tropischer Trockenwald in Costa Rica. Die meisten dieser Trockenwälder sind in Mittelamerika verschwunden, da die Flächen zu landwirtschaftlichen Zwecken gerodet wurden.
Entfernung vom Äquator nimmt die Länge der Trockenzeit zu; in manchen Regionen dauert sie daher bis zu acht Monaten. Während der Trockenzeit werfen in diesen Wäldern viele Bäume und Sträucher ihre Blätter ab. Bevor die Regenzeit beginnt, die dann häufig mehr Niederschlag mit sich bringt als die niederschlagsreichste Zeit im Regenwald, treiben die Bäume neue Blätter aus und während der Regenzeit verwandelt sich die Landschaft in ein üppiges Grün. Die Klimaverhältnisse der feuchten mittleren Breiten begünstigen die Entwicklung von Laubwäldern in dieser sogenannten gemäßigten Zone (⇒ Abbildung 6.4). Zu allen Jahreszeiten, auch im Sommer, kommt es zu nennenswerten Regenmengen; in manchen Waldregionen fällt im Winter Schnee. Der Winter dauert in der Regel drei bis vier Monate und die mittlere Temperatur des kältesten Monats liegt nahe oder unter 0 °C, im Extremfall sogar bei bis zu –20 °C. Die mitteleuropäischen Laubwälder werden von der Rotbuche dominiert, die gegenüber den übrigen etwa 50 mitteleuropäischen Baumarten die höchste Konkurrenzkraft besitzt und diese deshalb unter natürlichen Bedingungen weitgehend ausschließt. In den sommergrünen Laubwäldern der gemäßigten Regionen ist das Ende der etwa vier bis sechs Monate umfassenden Vegetationsperiode durch die Herbstfärbung des Laubs gekennzeichnet; kurz danach treten die Bäume nach
6.1 Ökosystem Wald
Harrisburg 102 m 120°1028 mm60°
Madison °C
30 20 10 0 -10 -20
7,9
286 m 795 mm
60°
J FMAMJ J A SOND
180°
120 100 80 60 40 20 0
°C 11,9
30 20 10 0 -10 -20
120 80 40
J FMAMJ J A SOND
0
0° 60° °C 30 20 10 0 -10 -20
Oxford 63 m 120° 652
10,1
Ryongyang mm
J FMAMJ J A SOND
120 100 80 60 40 20 0
180° °C 80 60 40 20 0 -20
9,4
34 m 925 mm
60°
J FMAMJ J A SOND
40°
250 200 150 100 50 0
40°
Louisville
144 m 1083 mm
°C 13,8
30 20 10 0 -10 -20
20° 0°
20°
J FMAMJ J A SOND
20°
120 100 80 60 40 20 0
0° 20°
40°
40° Kazan
Punta Areñas °C
30 20 10 0 -10 -20
5,7
5m
60°
448 mm
J FMAMJ J A SOND
120 100 80 60 40 20 0
°C
30 20 10 0 -10 -20
3,1
64 m 435 mm
J FMAMJ J A SOND
Hokitika
Kaifeng 120 100 80 60 40 20 0
°C 14,4
60
100 m 566 mm
200
40
150
20
100
0
50
-20
J FMAMJ J A SOND
0
°C 11,1
30
4m 2764 mm
60°
300
20
200
10
100
0
J FMAMJ J A SOND
0
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Abbildung 6.4: Geografische Verteilung der Wald-Ökosysteme in den gemäßigten Klimazonen der Erde und eine Auswahl von Klimadiagrammen dieser Regionen mit der durchschnittlichen monatlichen Temperatur- und Niederschlagsverteilung (verändert nach Archibold, 1995).
Blattfall in die Winterruhe ein. Im Frühjahr, wenn die Temperaturen steigen und die Tage länger werden, nehmen die Bäume das Wachstum wieder auf. Die borealen und pazifischen Nadelwälder findet man vorwiegend in einem breiten, den Pol umspannenden Gürtel auf der Nordhemisphäre und in Gebirgszügen, wo niedrige Temperaturen die Vegetationsperiode auf wenige Monate im Jahr begrenzen (⇒ Abbildung 6.5). In der unterschiedlichen Zusammensetzung und Struktur dieser Wälder spiegelt sich das breite Spektrum der Klimabedingungen wider, unter denen dieser Biomtyp vorkommt. Der boreale Nadelwald ist mit etwa 1,4 Milliarden Hektar der größte zusammenhängende Waldkomplex der Erde. Dieser Nadelwaldgürtel, der die hohen Breiten der nördlichen Hemisphäre umfasst, nimmt etwa 11 Prozent der gesamten Landflächen ein. Im borealen Nadelwald herrscht ein kaltes, kontinentales Klima mit starken jahreszeitlichen Temperatur- und Niederschlagsschwankungen. Der Sommer ist kurz, kühl und feucht, im langen harten Winter ist es trocken und es schneit längere Zeit. Große Teile des nördlichen borealen Nadelwaldes stehen unter dem dominierenden Einfluss des Permafrosts, der das Versickern von Wasser verhindert und für eine ständige hohe Bodenfeuchtigkeit sorgt. 149
6 Terrestrische Ökosysteme
Fairbanks °C –3,4
20
133 m 287 mm
0 -20 -40 J FMAMJ J A SOND
Kapuskasing 100 80 60 40 180° 20 0
°C
0,8
Härnosänd
215 m 858 mm
100 80 0 60 -20 40 120° 60° 20 -40 0 J FMAMJ J A SOND 20
°C
20
4,4
8m
697 mm
0
0° -20 60°
120°
-40 J FMAMJ J A SOND
Jakutsk 100 80 60 40 20 0
°C –10,2
20
100 m 213 mm
0 -20 180° -40 J FMAMJ J A SOND
60°
100 80 60 40 20 0
60°
40°
40°
20°
20°
0°
0°
20°
20°
Prince Rupert 16 m 40° °C 7,6 2399 mm
20
300
0 -20 -40
Aspen °C
200
60° J FMAMJ J A SOND
100 0
20
4,8
2412 m 471 mm
0 -20 -40 J FMAMJ J A SOND
Turukhansk 100 80 60 40 20 0
°C
20
-7,6
45 m 496 mm
0 -20 -40 J FMAMJ J A SOND
Onor 100 80 60 40 20 0
°C
20
-1,0
40°
180 m 570 mm
0 -20 -40
60° J FMAMJ J A SOND
100 80 60 40 20 0
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Abbildung 6.5: Geografische Verbreitung der winterkalten Nadelwaldgebiete in den gemäßigten Klimazonen der Erde und eine Auswahl von Klimadiagrammen dieser Regionen mit der durchschnittlichen monatlichen Temperatur- und Niederschlagsverteilung (verändert nach Archibold, 1995).
S chon g ewusst ?
Den trockensten Winter und die extremsten jahreszeitlichen Temperaturunterschiede findet man in Mittelsibirien, wo der Unterschied zwischen der jährlichen Höchst- und Tiefsttemperatur bis zu 100 °C (!) betragen kann.
Als Permafrost bezeichnet man ganzjährig gefrorene, tiefere Bodenschichten, die sich bis in Tiefen von mehreren hundert Metern erstrecken können. Permafrostboden entsteht, wenn die Bodentemperatur über längere Zeit unter 0 °C bleibt. Die oberen Bodenschichten tauen im Sommer auf und gefrieren im Winter erneut. Da der darunter gelegene und noch gefrorene Permafrostboden wasserundurchlässig ist, bleibt die Feuchtigkeit in den obersten Bodenschichten gestaut. Deshalb ist der Boden bereits bei geringem Niederschlag durchweicht, weshalb selbst in den trockensten Regionen der Arktis noch viele Pflanzenarten wachsen können. Die Nettoprimärproduktion ist in den borealen Wäldern in der Regel im Vergleich zu den Wäldern der wärmeren gemäßigten Breiten gering. Dafür sorgen geringe Nährstoffmengen im Boden, niedrige Temperaturen und eine kurze Vegetationsperiode. Die Zersetzung des Detritus verläuft unter den Bedingungen von Kälte und Feuchtigkeit ebenfalls nur langsam, so dass sich organisches Material unzersetzt anreichert. Neben der gerade vorgestellten Einteilung der Waldgebiete unserer Erde nach Biomtypen gibt es eine weitere Klassifikationsmöglichkeit, die die Lebensdauer der Blätter zugrunde legt und dadurch zwei große
6.1 Ökosystem Wald
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Gruppen voneinander abgrenzt. Blätter oder Nadeln, die nur für eine Vegetationsperiode ausgebildet werden, bezeichnet man als sommergrün. Bleiben sie dagegen länger als eine Vegetationsperiode erhalten, handelt es sich um immergrüne Blätter oder Nadeln. Sommergrüne Blätter sind ein charakteristisches Merkmal von Regionen mit einer deutlich abgegrenzten Vegetations- und Ruheperiode. Zum Ende der Vegetationsperiode werden die Blätter nach Resorption wichtiger organischer Stoffe in der Regel abgeworfen und zu Beginn der nächsten Vegetationsperiode werden neue Blätter ausgebildet. Eine weitere Unterteilung bei sommergrünen Blättern basiert auf der Art der Ruheperiode. Blätter, die im Winter abfallen, sind charakteristisch für gemäßigte Klimazonen, in denen die Ruhephase der kalten Jahreszeit (Temperaturen bis unter den Gefrierpunkt) entspricht (⇒ Abbildung 6.6a, b). In Regionen mit jahreszeitlichen Regen- und Trockenzeiten, insbesondere in den Subtropen und Tropen, werden die Blätter dagegen während der Trockenzeit abgeworfen (⇒ Abbildung 6.6c, d). Der Blattwurf hat den Vorteil, dass die Pflanze in dem Teil des Jahres, in dem eine Photosynthese aufgrund der ungünstigen Umweltbedingungen nur eingeschränkt möglich ist, keinen zusätzlichen Aufwand für ihre Erhaltung und Atmung betreiben muss.
Abbildung 6.6: Beispiele für Lebensräume mit Baumarten, die im Winter oder bei Trockenheit ihre Blätter abwerfen. Oben: ein Laubwald der gemäßigten Breiten in Virginia (USA) im Sommer (a) und im Winter (b). Unten: Baumsavanne in Zimbabwe (Afrika) während der Regenzeit (c) und in der Trockenzeit (d). 151
6 Terrestrische Ökosysteme
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Abbildung 6.7: Beispiel für immergrüne Bäume. (a) In der Kronenschicht dieses tropischen Regenwaldes in Queensland (Australien) dominieren immergrüne Laubbaumarten. (b) Immergrüne Nadelbäume (hier die Grannenkiefer) kommen in den höheren Lagen der Sierra Nevada im Westen Nordamerikas vor.
Auch die immergrünen Blätter kann man in zwei unterschiedliche Typen einteilen. Immergrüne Laubbäume (⇒ Abbildung 6.7a) sind in Regionen charakteristisch, in denen es keine voneinander abgrenzbaren Vegetationsperioden gibt. Dies ist beispielsweise in den tropischen Regenwäldern der Fall, in denen eine hohe Photosynthese- und Wachstumsrate das ganze Jahr über möglich ist. Dagegen herrschen Nadelbäume vor (⇒ Abbildung 6.7b), wenn die Vegetationsperiode sehr kurz ist oder wenn die Photosyntheseaktivität und das Pflanzenwachstum aufgrund geringer verfügbarer Nährstoffmengen stark limitiert sind. Die Bildung eines Blattes ist für die Pflanze mit „Kosten“ verbunden, die sich über die Zufuhr des Kohlenstoffes und der Nährstoffe, die zum Aufbau des Blattes benötigt werden, definieren lassen. Die Zeit, bis diese Produktionskosten (Kohlenstoff- und Nährstoffaufwand) „getilgt“ sind, hängt von der Photosyntheserate (Kohlenstoffzugewinn) ab. Lassen die Umweltbedingungen lediglich eine niedrige Nettophotosyntheserate zu, wird zur Bildung eines Blattes ein längerer Zeitraum benötigt. Ist die Photosyntheserate sehr niedrig, reicht eine einzige Vegetationsperiode dafür unter Umständen nicht aus. Eine Pflanze, die an solche Umweltbedingungen angepasst ist, kann es sich nicht „leisten“, ihre Blätter oder in diesem Fall ihre Nadeln abzuwerfen, denn das würde bedeuten, dass die Blätter oder Nadeln in jedem Jahr neu produziert werden müssten. Daher verfolgen immergrüne Nadelgehölze eine Strategie der Überlebensanpassung in einer Umwelt mit verkürzter Vegetationsperiode.
6.1.2 Wälder verfügen über eine vertikale Schichtung – der Stockwerkbau Jede terrestrische Lebensgemeinschaft hat eine charakteristische vertikale Struktur, die sich durch verschiedene Schichten beschreiben lässt und die man als Stockwerkbau bezeichnet. In Wäldern bestimmt im Wesentlichen die Wuchsform der Pflanzen – damit ist beispielsweise ihre Größe, die Verzweigung der Äste und die Gesamtheit der Blattflächen gemeint – die Struktur der einzelnen Schichten. Die Baumschicht prägt den obersten Bereich des Waldes und gliedert sich in eine obere Kronenschicht und eine darunter gelegene Stammschicht. Die Kronenschicht ist der für die Aufnahme der Solarstrahlung wichtigste Bereich der Baumschicht. In reich strukturierten Wäldern (zum Beispiel den tropischen Regenwäldern) existieren oftmals sogar mehrere Kronenschichten. Die Dichte und Schichtung dieses sogenannten Kronendachs hat wichtige Konsequenzen für die darunterliegenden Schichten. Ist das Kronendach relativ lückenreich, können große Mengen an Solarstrahlung in die tiefer gelegenen Schichten des Waldes gelangen. In solchen Fällen zeichnen sich die unteren Stockwerke des Waldes durch eine hohe Artenfülle aus. Unter einem dichten, geschlossenen Kronendach hingegen erreicht nur wenig Strahlung den Waldboden und entsprechend artenärmer sind daher die tiefer gelegenen Schichten solcher Gebiete ausgebildet. An die Baumschicht schließen sich die Strauchschicht, die Krautschicht (auch Feldschicht genannt) und die Bodenschicht an. Wie bei
6.1 Ökosystem Wald
der Baumschicht auch, ist bei diesen Schichten der Name selbst erklärend für die Art der Vegetation, die in ihnen zu erwarten ist. In der Krautschicht findet man allerdings nicht nur krautige Pflanzen, sondern auch Moose und Farne. Auf der Bodenschicht liegt in vielen Wäldern der borealen und gemäßigten Zone eine ausgeprägte Streuschicht, die sich aus abgestorbenem pflanzlichem und tierischem Material zusammensetzt. Der Stockwerkbau des Waldes bietet eine Fülle von Kleinlebensräumen für verschiedene Tierarten, die häufig zu gut voneinander abgrenzbaren Nahrungsnetzen gehören. So reicht das Spektrum von insektivoren (von Insekten lebende) Vogel- und Fledermausarten, die ihre Nahrung oberhalb des Kronenraumes suchen, bis zu kleinen Säugetieren und zahlreichen wirbellosen Tierarten, die in der Streuschicht oder in den oberen Bodenschichten auf Nahrungssuche gehen.
Stockwerkbau im tropischen Regenwald
Schicht mit bis über 45 m reichenden Einzelbäumen (Emergenten), die aus dem geschlossenen Kronendach des Regenwaldes herausragen
obere Baumkronenschicht
Baumschicht mit mittelgroßen und kleineren Bäumen
Höhe über dem Boden [m]
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In den tropischen Regenwäldern lassen sich in der Regel fünf Vegetationsschichten unterscheiden (⇒ Abbildung 6.9): eine Schicht mit bis über 45 m hohen Einzelbäumen (Emergenten), die aus dem geschlossenen Kronendach des Regenwaldes herausragen, eine obere Baumkronenschicht, eine niedrigere Baumschicht mit mittelgroßen und kleineren Bäumen, eine Strauch- und eine Bodenschicht mit
Stammschicht
Strauchschicht Krautschicht Bodenschicht
Abbildung 6.8: Stockwerkbau des Waldes.
krautigen Pflanzenarten und Farnen. Ein auffälliger Lebensformtyp der Regenwälder sind die Lianen, die vom Boden nach oben in die Kronenschicht wachsen und den Wald mit einem dichten Geflecht durchziehen. Lianen sparen den Aufwand von Stützgewebe, indem sie die Stabilität eines Trägerbaumes nutzen. Dadurch sind enorme Längen bei relativ geringer Dicke möglich. Die Rotangpalme, eine Liane, kann beispielsweise bei einer gleichmäßigen Dicke von 2–4 Zentimetern eine Länge von 240 Metern erreichen.
40 35 30 25 20 15 10
Strauchschicht mit krautigen Pflanzenarten und Farnen Bodenschicht
Kronenschicht
5 0
Abbildung 6.9: Die „Stockwerke“ eines tropischen Regenwaldes.
153
6 Terrestrische Ökosysteme
10% Reflexion an der Oberfläche des Kronendachs 100%
79%
7% 2%
2%
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Abbildung 6.10: Absorption und Reflexion der Solarstrahlung durch die Vegetation. Ein Mischwald reflektiert im Durchschnitt etwa zehn Prozent der einfallenden, photosynthetisch nutzbaren (aktiven) Strahlung (PhAR, siehe Kapitel 2.3.3) an der Oberfläche der Baumkronenschicht und absorbiert dort darüber hinaus auch den größten Teil der nicht reflektierten Strahlung. Die mittleren und unteren Schichten absorbieren ihrerseits den Großteil des „Restes“, so dass nur etwa zwei Prozent der insgesamt eintreffenden PhAR den Waldboden erreichen (nach Larcher, 1980).
6.1.3 Die Vegetationsstruktur des Waldes beeinflusst die Verteilung der Solarstrahlung Anderes als in aquatischen Lebensräumen, hängt die Menge an Solarstrahlung, die die Erdoberfläche erreicht, in terrestrischen Ökosystemen in entscheidendem Ausmaß von der jeweils vorherrschenden Vegetation ab. Laubwälder unserer Breiten werden beispielsweise im Sommer von einem dichten Kronendach geprägt, welches einen Großteil der Solarstrahlung direkt absorbiert beziehungsweise reflektiert. Ein dementsprechend geringerer Anteil der auftreffenden Solarstrahlung erreicht den Waldboden, wodurch man es als Spaziergänger an einem Sommertag in einem solchen Wald als verhältnismäßig kühl und dunkel empfindet (⇒ Abbildung 6.10). Nicht jeder Wald ist jedoch in dieser Hinsicht gleich. In manchen Wäldern erreicht noch relativ viel Solarstrahlung die Bodenoberfläche und sie erscheinen daher „licht“; andere Wälder hingegen erscheinen sehr dicht und dunkel. Die Strahlungsmenge, die an einer bestimmten Stelle in einem Vegetationsbestand auftrifft, wird grundsätzlich von der Menge der darüber liegenden Pflanzenmasse, insbesondere in Form der Blätter, bestimmt. Da Blätter sich jedoch je nach Pflanzenart in Form und Größe unterscheiden, ist ihre reine Anzahl allein kein gutes Maß für den beschriebenen Strahlungsverlust, denn neben der Größe der Blattfläche spielen auch die Stellung und die Wuchsrichtung der Blätter an der Pflanze eine Rolle. Der Anteil der Solarstrahlung, der das Kronendach eines Waldes durchdringen kann und die Bodenoberfläche erreicht, variiert daher sowohl mit der Anzahl als auch mit der Größe und Ausrichtung der vorhandenen Blätter. Obwohl beim Auftreffen auf ein Kronendach der größte Teil der Solarstrahlung abgefangen oder reflektiert wird, gelangt durch einzelne Blattzwischenräume und Öffnungen innerhalb der Kronenschicht immer noch ein Teil des Lichtes direkt auf die Bodenoberfläche und bildet dort Lichtflecken. Auf diese Lichtflecken können sich in einem Wald 70–80 Prozent der gesamten den Boden erreichenden Solarstrahlung konzentrieren (⇒ Abbildung 6.12). In vielen Regionen der Erde variiert die Menge der jeweils vorhandenen Blattmasse mit den Jahreszeiten. So werfen in den gemäßigten Breiten die meisten Laubbaumarten im Herbst ihre Blätter ab (vergleiche Kapitel 6.1.1). In solchen Wäldern verändert sich die Intensität der Solarstrahlung, die den Waldboden erreicht, besonders ausgeprägt in Abhängigkeit von der Jahreszeit (⇒ Abbildung 6.13). Im Vorfrühling der gemäßigten Breiten, wenn die Bäume gerade erst ihre Knospen ausbilden, ein Blattaustrieb aber noch nicht erfolgt ist, erreichen 20–50 Prozent der einfallenden Strahlung den Waldboden. In dieser Zeit kommen viele Frühjahrsgeophyten (auch Frühblüher genannt) wie das Buschwindröschen oder der Hohle Lerchensporn zur Blüte. Noch bevor das Kronendach der Bäume sich durch neue Blätter schließt und einen dichten Schatten auf den Waldboden wirft, haben sie ihren Vegetationszyklus abgeschlossen und vermeiden auf diese Weise die Konkurrenz der Bäume und Sträucher.
6.1 Ökosystem Wald
Der Blattflächenindex
26
26
24
24
22
22
20
20
18
18
16
16
Höhe [m]
Höhe [m]
Die Dichte einer Vegetationsschicht und mit dieser einhergehend der Anteil der auftreffenden Solarstrahlung, die den Erdboden erreicht, wird in der Regel auf der Basis der in der jeweiligen Vegetationsschicht vorhandenen Blattflächen angegeben. Um den Beschattungsgrad eines Blattes in Abhängigkeit von seiner Fläche bestimmen zu können, ermittelt man den sogenannten Blattflächenindex (engl. leaf area index), kurz LAI: Hierunter versteht man die Blattfläche in Bezug zur
darunterliegenden Bodenfläche (m² Blattfläche pro m² Bodenfläche). Ein LAI von 3 bedeutet demnach, dass über jedem Quadratmeter Bodenfläche 3 m² Blattflächen vorhanden sind (⇒ Abbildung 6.11). Je größer der Blattflächenindex ist, desto weniger Licht erreicht den Erdboden. Von der Oberfläche des Kronendaches bis zur Bodenoberfläche steigt die Summe der Blattfläche und der LAI an und entsprechend sinkt die in der jeweiligen Höhe noch vorhandene durchschnittliche Strahlungsintensität.
14 12 10 8 6 4
12 10 8 6
gesamte Blattfläche = 315 m2
4
2 0
14
2 75 25 50 Blattfläche [m2]
0
100
(b)
0,75 0,25 0,5 Blattflächenindex
1,00
(c)
10 m gesamte Blattfläche
(a)
überschattete Bodenfläche
=
Blattflächenindex (LAI)
Grundfläche = r2 = 78,5 m2
Abbildung 6.11: Ermittlung des Blattflächenindex (LAI). (a) Ein Baum mit einem Kronendurchmesser von 10 m überdeckt einen gleich großen Bereich auf dem Boden. (b) Gesamte Blattdichte (gesamte Blattflächen) in verschiedenen Höhen über dem Boden. (c) Blattflächenindex der verschiedenen Höhenschichten des Kronenbereiches. (d) Berechnung des LAI. Die gesamte Blattfläche umfasst 315 m², die überdeckte Grundfläche 78,5 m². Daher ist der LAI = 4.
1600
Abbildung 6.12: Verfügbarkeit von Sonnenlicht. Schwankungen der photosynthetisch nutzbaren Strahlung am Boden eines Mammutbaumwaldes in Nordkalifornien im Verlauf eines Tages. Die Ausschläge im Diagramm kennzeichnen Lichtfleckenbereiche in einem ansonsten dunklen Wald (durchschnittlicher PhAR-Wert: 30 µmol / [m² × s]). Die mittlere Lebensdauer eines Lichtflecks betrug an diesem Tag zwei Sekunden (nach Pfitsch und Pearcy, 1989).
PhAR [µmol/(m2 · s)]
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(d)
1200
800
400
0 6
8
10
12
14
16
18
Uhrzeit [h]
155
6 Terrestrische Ökosysteme
1500
2000
2500
3000
3500
4000
4500
4500
4000
3500
3000
2500
2000
PhAR [mol/Tag] 1500
40
Abbildung 6.13: Verfügbarkeit von Sonnenlicht. Schwankungen der photosynthetisch nutzbaren Strah lung in einem sommergrünen Laubwald im Jahresverlauf. Höhe über der Bodenoberfläche [m]
35
30
25
20
15
10 1000 5 500 Winter blattlos
Frühling blattlos
500 Frühling Blattaustrieb
Sommer Sommer Frühherbst Herbst Blatt- volle Blatt- volle Blatt- Blattverluste austrieb entfaltung entfaltung
Winter blattlos
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6.1.4 Der Waldboden – ein Ort ausgeprägter Destruententätigkeit Auf dem Boden vieler Wälder der borealen und gemäßigten Zone findet sich eine ausgeprägte Streuschicht. Diese Streuschicht wird jedoch selbst in Gebieten mit jährlichem Laubfall (man schätzt, dass in solchen Gebieten jährlich etwa 0,4 kg Streu auf einen Quadratmeter Waldboden fallen) nicht dicker. Der Grund für dieses Phänomen wurde in Kapitel 5.1 bereits allgemein erläutert: In der Streuschicht leben unzählige Organismen, die sich von totem organischem Material ernähren (Destruenten). Die Destruenten lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen: die Mineralisierer und die Zerkleinerer (Saprophage). Die Aufgabe der Mineralisierer ist es, die organischen chemischen Verbindungen aufzulösen, die sich beim Aufbau von Pflanzen- und Tiergewebe gebildet haben, und diese in anorganische Stoffe zurückzuführen (Mineralisation). Die Zerkleinerer nehmen totes abgestorbenes organisches Material auf, verdauen und nutzen es für ihren Bau- und Betriebsstoffwechsel und scheiden unverdautes organisches Material wieder aus. Hierdurch kommt es zur Humifizierung; darunter versteht man die Bildung von Humusstoffen, die zusammen mit Tonmineralen Tonhumuskomplexe aufbauen können und das Krümelgefüge des Bodens bilden. Diese Vorgänge werden unter anderem von verschiedenen Tierarten (z. B. Regenwürmern) durchgeführt (⇒ Abbildung 6.14). ⇒ Abbildung 6.15 zeigt schematisch die Verarbeitung von Buchenlaubstreu in den verschiedenen Schichten der Streuschicht und des Oberbodens. Das Bodenprofil beinhaltet zahlreiche Bereiche, in denen
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6.1 Ökosystem Wald
Abbildung 6.14: Saprophage Pilze und Bakterien sind wichtige Destruenten pflanzlichen und tierischen Gewebes: (a) Schmetterlingstramete; (b) Schuppiger Sägeblättling; beide zählen zu den Ständerpilzen. Zu den am weitesten verbreiteten kleineren Saprophagen gehören unter anderem Vertreter der Hornmilben (c) und Springschwänze (d). Doppelfüßer (e) und Regenwürmer kommen als große Zerkleinerer in terrestrischen Ökosystemen vor, eine ähnliche Rolle spielen in aquatischen Systemen verschiedene Arten von Weichtieren und Krebsen (f).
ganz unterschiedliche Bodenorganismen den Abbau des organischen Materials bewerkstelligen. Die unzähligen Organismenarten, die an der Zersetzung des toten organischen Materials mitwirken, kann man entsprechend ihrer Körpergröße und ihrer Funktion in mehrere große Gruppen einteilen. Am häufigsten werden Mikroorganismen und Pilze mit den Zersetzungspro157
6 Terrestrische Ökosysteme
Abbildung 6.15: Zersetzung von Buchenlaubstreu. Oben: Aufsicht, unten Vertikalprofil: Streuschicht (OL), Vermoderungsschicht (OF ) und humoser Oberboden (Ah): a: Buchenblätter mit größeren Fraß- und Kotspuren von Springschwänzen, b: Fraßbilder und Fäzes von kleinen Zweiflüglerlarven, c: Kot und Gang des Ringelwurms, d: Losungsballen von Schnakenlarven, e: Gänge und Kot von verschiedenen Ringelwürmern, f: Paket wenig zersetzter Blätter mit Kot von Vertretern der Hornmilben, g: Gänge des Regenwurms, h: Kot eines Regenwurms, i: Bohrgänge und Kot von anderen Wenigborstern.
cm 10
c e
5 0
b
c
g d
OL a Aufsicht OL/F
OF
Schnitt OL
f d g
Ah cm 1
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2
Zerkleinerer lassen sich aufgrund ihrer Körpergröße in vier Hauptgruppen einteilen: 1. Mikrofauna und Mikroflora ( 20 mm) mit Tausend füßern, Regenwürmern, Schnecken und kleineren Wirbeltieren.
c
b
OF
!
a
c e
Merke Die vier Hauptgruppen der Zerkleinerer
a
a
g
e
d i i
h
zessen in Verbindung gebracht. Bei den Mikroorganismen kann es sich entweder um aerob lebende Arten handeln, die für ihren Stoffwechsel Sauerstoff benötigen, oder es sind anaerob lebende Arten, die ihre Stoffwechselfunktionen ohne Beteiligung von Sauerstoff ausführen. Bakterien und Pilze geben Enzyme in das abgestorbene Gewebe des Detritus ab, die die darin enthaltenen komplexen organischen Verbindungen spalten. Ein Teil dieser Abbauprodukte wird anschließend von ihnen als Nahrung aufgenommen. Wenn eine bestimmte Artengruppe das tote organische Material so weit wie möglich genutzt hat, folgt eine andere Artengruppe von Bodenorganismen und führt die Zersetzung weiter. Beim Abbau des organischen Materials kommt es daher zu einer charakteristischen Nutzungskette der Organismen, bis schließlich alle im Detritus enthaltenen Substanzen zu anorganischen Stoffen abgebaut sind. Wie gut sich abgestorbenes organisches Material als Nahrung für Destruenten eignet, das heißt wie gut es zersetzt werden kann, hängt sowohl von seinem Nährstoffgehalt als auch von den darin enthaltenen sonstigen Kohlenstoffverbindungen ab. Generell kann die Kohlenstoffverbindung Lignin (ein pflanzlicher Holzstoff) von Bakterien nicht abgebaut werden; lediglich manche Pilzarten sind dazu in der Lage. Demnach entscheidet der Ligningehalt in Holz und Blättern darüber,
6.1 Ökosystem Wald
wie schnell deren Zersetzung vonstattengehen kann. Da Nadelhölzer in der Regel über einen höheren Ligningehalt verfügen als Laubhölzer, läuft die Zersetzung in Nadelwäldern deutlich langsamer ab als in Laubwäldern. Auch die abiotischen Umweltbedingungen haben unmittelbaren Einfluss auf die Tätigkeit der Destruenten. So wirken sich hohe Temperaturen und Feuchtigkeit positiv auf die Aktivität der Mikroorganismen aus, Kälte und Trockenheit hemmt sie.
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6.1.5 Das Ökosystem Wald zeichnet sich durch seine Artenfülle aus Kaum ein terrestrisches Ökosystem verfügt über eine derartig hohe Artenvielfalt wie der Wald. Dies liegt daran, dass die einzelnen Schichten des Waldes eine Vielzahl möglicher Lebensräume für viele verschiedene Tierarten bieten. Die größte Dichte und Vielfalt an tierischen Organismen findet man auf der Bodenschicht und unmittelbar darunter. Viele Tierarten, insbesondere die im Boden und in der Streuschicht vorkommenden Wirbellosen, verlassen diesen Lebensraum nicht. Andere, zum Beispiel Mäuse, Spitzmäuse und der Feuersalamander, graben sich im Boden oder Laub ein und suchen dort nach Unterschlupf und Nahrung. Größere Säugetiere des Waldes, wie der Rothirsch oder das Reh, ernähren sich von Kräutern und Sträuchern. Die Vögel bewegen sich relativ ungehindert zwischen den verschiedenen Schichten, bevorzugen aber in der Regel eine davon. ⇒ Abbildung 6.16 zeigt ein Nahrungsnetz für die borealen Wälder im Nordwesten Kanadas. Die Komplexität des Netzes zeigt deutlich die Artenfülle und die Vielfalt der gegenseitigen Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Arten der Lebensgemeinschaft. Robert MacArthur überprüfte als erster Ökologe den Zusammenhang zwischen der Vegetationsstruktur eines Waldes und dem Vorkommen von Tierarten. Zu diesem Zweck untersuchte er 13 strukturell unterschiedliche Lebensräume im Nordosten der USA, bestimmte dort die Artenvielfalt von Vögeln und verglich diese mit der Ausprägung der jeweils vorkommenden Schichtung der Wälder. Als Maß für die Schichtung des Waldes entwickelte er einen vertikalen Belaubungsindex. Dessen Wert ist umso größer, je mehr Schichten in einem Wald vorkommen. MacArthur konnte nachweisen, dass mit der Zunahme von vertikalen Vegetationsschichten in einem Wald auch die Vielfalt der vorkommenden Vogelarten wuchs (⇒ Abbildung 6.17).
S chon g ewusst ?
Bei einigen Tropenhölzern ist der Ligningehalt so hoch, dass sie jahrelang der Witterung ausgesetzt werden können, ohne dass sie morsch werden. Solche Hölzer werden vom Mensch daher in großem Ausmaß für die Anfertigung von Gartenmöbeln, Holzterrassen, Hafenanlagen und Ähnlichem genutzt. Ihre Gewinnung erfolgt teilweise nicht nachhaltig und in so großem Ausmaß, dass die Bestände mancher betreffender Hölzer dramatisch zurückgegangen sind.
W iederholun g s f ra g en 6 . 1
1. Beschreiben Sie die verschiedenen auf der Erde vorkommenden Waldtypen. Stellen Sie dabei insbesondere die wichtigsten Unterschiede zwischen tropischem Regenwald und tropischem Trockenwald dar. 2. Erklären Sie in eigenen Worten, was Permafrost ist und welchen Einfluss er auf Struktur und Produktivität borealer Waldökosysteme hat. 3. Erläutern Sie, welchen Einfluss die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen auf Struktur und Produktivität der Wälder gemäßigter Breiten besitzen. 4. Erläutern Sie in eigenen Worten die Absorption und Reflexion der Solarstrahlung durch die Vegetation in einem Wald. Beziehen Sie dabei Abbildung 6.10 ein. 5. Definieren Sie den Begriff Zersetzung und nennen Sie wichtige Destruenten pflanzlicher und tierischer Substanz. 6. Skizzieren, beschriften und beschreiben Sie die vertikale Schichtung eines Waldes. 7. Werten Sie das Nahrungsnetz für die borealen Wälder im Nordwesten Kanadas aus. Beurteilen Sie dabei, inwiefern der Schneeschuhhase eine zentrale Position innerhalb des Ökosystems einnimmt.
159
6 Terrestrische Ökosysteme
Steinadler
Sperbereule
Virginia-Uhu
Luchs
Kojote Rotfuchs
Habicht Buntfalke
Vielfraß
Rotschwanzbussard
Wolf
Kornweihe
Elch
Kleine Nagetiere
Rothörnchen
Ziesel
Schneeschuhhase
Moorschneehuhn
Fichtenwaldhuhn
Sperlingsvögel
Insekten Pilze
Zwergbirke
Grauweide
Büffelbeeren
Weißfichte
Balsampappel
Amerikanische Espe
Abbildung 6.16: Ein schematisiertes Nahrungsnetz für die borealen Wälder im Nordwesten Kanadas. Die dominanten Arten dieser Lebensgemeinschaft sind grün gekennzeichnet. Pfeile verbinden Räuber- und Beutearten. Pfeile, die zur gleichen Art (das heißt zum gleichen Kasten) zurückführen, symbolisieren Kannibalismus (verändert nach Krebs, 2002).
3 Artenvielfalt der Vögel
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Kräuter Gräser
2
1 0
0
0,5
1,0
Vielfalt des Belaubungsgrads
Abbildung 6.17: Korrelation zwischen der Vielfalt der Vogelarten und der Vielfalt des Belaubungsgrades in Laubwäldern des östlichen Nordamerikas. Die Untersuchung zeigte: Je mehr vertikale Vegetationsschichten es in einem Wald gibt, umso größer ist auch die Vielfalt der dort vorkommenden Vogelarten (verändert nach MacArthur und MacArthur, 1961).
6.2 Ökosystem Wüste
6.2 Ökosystem Wüste Wüsten stellen Biome tropischer und gemäßigter Breiten dar, die im Allgemeinen durch eine sehr geringe Niederschlagsmenge von unter 200 mm im Jahr gekennzeichnet sind (zum Vergleich: die Jahresniederschlagsmenge für Deutschland liegt bei etwa 700–800 mm). In Kapitel 2 haben wir bereits Wasser als wichtigen abiotischen Faktor kennengelernt. Das Fehlen bzw. lediglich periodische Vorhandensein von Wasser prägt in außergewöhnlicher Weise die Lebensgemeinschaften der Wüstenökosysteme der Erde.
6.2.1 Geografische Verbreitung der Wüsten der Erde Trockenregionen bedecken etwa 25–35 Prozent der Landoberfläche der Erde und zum größten Teil liegen diese Gebiete in einem Streifen zwischen 30 Grad nördlicher und südlicher Breite, dem Bereich der Wendekreise (⇒ Abbildung 6.18). Die Mehrzahl aller semiariden und ariden (= trockenen) Regionen findet man auf der Nordhalbkugel. Obwohl sicherlich jeder von uns über eine feste Vorstellung vom Aussehen einer Wüste verfügt, die mehrheitlich mit hoher Wahrscheinlichkeit endlos weitem Sand gleichkommen dürfte, bleibt festzuhalten, dass Wüsten nicht alle gleich aussehen. Durch Unterschiede hinsichtlich Feuchtigkeit, Temperatur, Bodenart, Ausgangssubstrat, Entwässe-
Barstow °C 17,8
180°
Riad 624 m 120° 105
°C 26,3
60°
mm
Termez 302 m 120° 133
17,4
Jacobabad mm
27,1
56 m
88 mm
30
30
30
30
30
30
30
30
20
20
20
20
20
20
20
20
10
10
10
10
10
10
10
0
0
0
0
0
0
60°
J FMAMJ J A SOND
J FMAMJ J A SOND
40
J FMAMJ J A SOND
40
180° °C
40
0
40
0° 60° °C
40
40
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653 m 108 mm
40
40
10
60°
J FMAMJ J A SOND
0
40°
40° 20°
20°
0°
0°
20°
20°
40°
40°
Antofagasta °C 16,6
849 m
60°
4 mm
Alexander Bay °C 18,5
40
40
30
30
20
21 m
52 mm
Bilma °C 26,8
40
40
30
30
20
20
10
10
0
0
40
J FMAMJ J A SOND
359 m
23 mm
William Creek °C 20,3
76 m 127 mm
60°
40
40
40
30
30
30
30
20
20
20
20
20
10
10
10
10
10
10
0
0
0
0
0
J FMAMJ J A SOND
J FMAMJ J A SOND
J FMAMJ J A SOND
0
Abbildung 6.18: Geografische Verbreitung der Trockengebiete (Wüsten) auf der Erde und eine Auswahl von Klimadiagrammen dieser Regionen mit der durchschnittlichen monatlichen Temperatur- und Niederschlagsverteilung (verändert nach Archibold, 1995). 161
6 Terrestrische Ökosysteme
S chon g ewusst ?
Die Sahara ist die größte Wüste der Erde. Sie nimmt in Nordafrika rund neun Millionen Quadratkilometer ein und erstreckt sich über die gesamte Breite des afrikanischen Kontinents bis zu den Wüsten der arabischen Halbinsel, die sich in östlicher Richtung nach Afghanistan und Pakistan fortsetzen und schließlich in Nordwestindien in der Thar-Wüste enden.
rung, Geomorphologie und Salzgehalt sowie einiger weiterer Faktoren kommt es zu Unterschieden in der Zusammensetzung der Vegetationen und Tierartengemeinschaften. Man unterscheidet darüber hinaus zwischen Wüsten mit und ohne Frösten, Wüsten und Halbwüsten und Wüsten, die aufgrund ihres Feuchtigkeitsgehaltes die Übergangszone zu Gras- oder Strauchlandschaften bilden. Innerhalb der kontinental gelegenen Wüsten findet man Abstufungen zwischen allen diesen Extremen. Je nach Ausgangssubstrat kann man außerdem Fels-, Schutt-, Sand-, Salz- oder Tonwüsten voneinander unterscheiden.
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6.2.2 Der Mangel an Niederschlag – das charakteristische klimatische Merkmal der Wüsten Das charakteristische klimatische Merkmal aller Wüsten ist nicht, wie vielleicht erwartet, eine ständige hohe Temperatur, sondern der Mangel an Niederschlag. Der Mangel an Wasser ist jedoch allgemein durch verschiedene klimatische Besonderheiten zu erklären und weder für jede Wüste gleich ausgeprägt noch gleich zu begründen. Die jährliche Verdunstung übersteigt in Wüsten jedoch stets die Menge der Niederschläge. Für die Entstehung und Existenz der meisten weltweiten Wüstengebiete ist eine der folgenden drei Erklärungen verantwortlich: Für die Wüsten um den 30. Breitengrad herum sind warme und trockene Fallwinde verantwortlich. Nachdem die Passate (siehe Kapitel 2.4) einen Großteil ihrer Feuchtigkeit in den Tropen verloren haben, wandern diese nun trockenen Luftmassen in Richtung Norden bzw. Süden. In den Rossbreiten, so wird der Bereich um 30 °N und S bezeichnet, sinken die Luftmassen herab und erwärmen sich. Die Erwärmung der absinkenden Luft und der wolkenlose Himmel führen zu einer intensiven Tageshitze. In solchen heißen Wüsten kann die Lufttemperatur tagsüber auf über 50 °C ansteigen. Zusätzlich ziehen Wind und Hitze durch Verdunstung Wasser aus der Erdoberfläche und dem Boden und verstärken die ariden Klimabedingungen, wodurch es schließlich zur Wüstenbildung kommt. Die Wüsten der gemäßigten Breiten liegen im Regenschatten von großen Gebirgszügen oder weit im Landesinneren in kontinentalen Regionen, in die feuchte Luft aufgrund der großen Entfernung zu den Meeren nur selten vordringt. Die Temperaturen sind in solchen Wüsten im Sommer sehr hoch, sie können jedoch während der Wintermonate weit unter den Gefrierpunkt sinken. Kalte Meeresströmungen tragen ebenfalls zur Entstehung trockener (Küsten-)Regionen bei. Besonders trocken ist es aus diesem Grund in einem schmalen Küstenstreifen in Chile (Atacama) und Peru. Die kalte
Abbildung 6.19: Drei Beispiele für heiße Wüsten: (a) Die Chihuahua-Wüste in Nuevo Leon (Mexiko). (b) Der Rand der Großen Victoria-Wüste in Australien. In dieser Wüste herrschen wie in der Chihuahua-Wüste Sträucher als dominante Vegetationsform vor. (c) Dünen in der saudi-arabischen Wüste in der Nähe von Riad. In dieser Wüste ist die Vegetation nur sehr spärlich ausgeprägt.
6.2 Ökosystem Wüste
0–1 00 mm 100–300 mm 300–500 mm 500–1000 mm 1000–2000 mm 2000–5000 mm > 5000 mm
Abbildung 6.20: Globale Jahresniederschlagsmengen.
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Meeresströmung des Humboldtstroms sorgt in diesen Gebieten bereits für eine Kondensation der feuchten Luft (und damit für Niederschläge), bevor die über dem Meer mit Wasserdampf aufgeladenen Luftmassen das Festland erreichen.
6.2.3 Ausweichen und Vermeiden – zwei grundlegende Strategien der Wüstenbewohner Trotz der anhaltenden und extremen Trockenheit beherbergen Wüstenökosysteme eine erstaunlich vielfältige Tierwelt mit einem breiten Artenspektrum von Käfern, Ameisen, Heuschrecken, Echsen, Schlangen, Vögeln und Säugetieren. Wie Lebewesen in Regionen größter Trockenheit überleben können, welche Anpassungen sie entwickelt haben oder welche Strategien sie verfolgen, wurde zum Teil bereits in Kapitel 2.2.5 erläutert. Grundsätzlich gilt, dass Ausweichen (der bewusste Ortswechsel von Tieren in ungünstigen Perioden und das Ausbilden von Überdauerungsstadien bei Pflanzen) und Vermeidung (nachteilige Auswirkungen werden durch Anpassungsstrategien umgangen) die beiden grundlegenden Prinzipien darstellen, mit deren Hilfe Tiere und Pflanzen es schaffen, unter den ungünstigen Umweltbedingungen der Wüsten zu überleben. Im Folgenden wird an einigen weiteren Beispielen vorgestellt, auf welche Weise Tiere mit Hilfe der beiden genannten Prinzipien den Spagat zwischen dem Mangelfaktor Wasser und der großen Hitze einerseits und den Erfordernissen zur Reproduktion und zum Überleben andererseits bewältigen. 163
Beispiel
6 Terrestrische Ökosysteme
Ein eindrucksvolles Beispiel der Wasserbeschaffung zeigt der Schwarzkäfer Onymacris, der in der Wüste Namib im Südwesten Afrikas vorkommt. Um an das lebensnotwendige Wasser zu gelangen, positioniert sich dieser Käfer in den noch verhältnismäßig kühlen Morgenstunden an einem Dünenkamm und macht einen „Kopfstand“. Er richtet dazu seinen Hinterleib steil nach oben, so dass an spezifischen Oberflächenstrukturen Luftfeuchtigkeit kondensieren kann und das Wasser über besondere Rinnensysteme zur Mundöffnung fließt. Die auf diese Weise täglich aufgenommene Wassermenge entspricht etwa 40 Prozent des Körpergewichtes des Käfers. Mit deutschem Namen wird Onymacris aufgrund seines besonderen Verhaltens auch als „Nebeltrinker-Käfer“ bezeichnet.
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Abbildung 6.21: Wasserbeschaffung des Schwarzkäfers Onymacris.
Ein gutes Beispiel für die Strategie der Vermeidung stellen viele Eidechsenarten dar. Sie stemmen mit Hilfe ihrer Extremitäten ihren Körper vom Untergrund ab und regulieren über ihre Körperhaltung die Wärmeleitung zwischen Körper und Untergrund. Außerdem suchen sie je nach Bedarf sonnige oder schattige Habitate auf oder vergraben sich sogar im Boden, um dort bei kühleren Temperaturen besonders hohe Außentemperaturen zu vermeiden. Wüstenkäfer, Heuschrecken und Skorpione zeigen ein ähnliches Verhalten. Sie heben den Körper ab, um den Kontakt mit dem Boden zu minimieren, oder wenden ihre Körperoberflächen dem Wind zu, um die Konvektionskühlung durch die an ihnen vorbeistreifenden Luftmassen zu erhöhen. Viele Wüstenbewohner haben sich alternative Quellen erschlossen, um ihren täglichen Wasserbedarf zu decken. So können manche reinen Fleischfresser als „Nichttrinker“ ihren gesamten Wasserbedarf über den Stoffwechsel decken. In Wüstenregionen besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Auftreten seltener Niederschlagsereignisse und der Zunahme der Populationsdichte bestimmter Nagetiere und Vögel. So wirkt sich plötzlich niederfallender Regen auf das Hormonsystem von Zebrafinken aus, die in den zentralasiatischen Wüsten heimisch sind, und stimuliert die Fortpflanzung dieser Tiere.
Die Kängururatte bewohnt tiefer gelegene Bereiche der Mojavewüste im Süden des US-Bundesstaates Kalifornien. Die Tiere sind körperlich gut in der Lage, lange Trockenperioden zu überstehen. Dennoch ist es erforderlich, dass alljährlich gewisse Niederschlagsmengen fallen, damit im Herbst und Winter ausreichend Wasser für das Wachstum der Futterpflanzen der Tiere zur Verfügung steht. Die Kängururatten paaren sich im Januar und Februar, wenn es durch Niederschläge zum Pflanzenwuchs gekommen ist und somit ausreichend wasser- und vitaminhaltige Nahrung für die trächtigen Weibchen vorhanden ist. Bei spärlichem Niederschlag fällt der Pflanzenwuchs geringer aus und damit einhergehend reduziert sich auch die Reproduktionsrate der Tiere – ein weiteres Beispiel für eine Bottom-up-Regulation in Nahrungsnetzen. Ein solch enger Zusammenhang zwischen Populationsdynamik, jahreszeitlichem Niederschlag und Pflanzenwachstum ist auch für andere Nagetiere und Vögel in vergleichbaren Wüstenregionen nachweisbar.
Beispiel
6.2 Ökosystem Wüste
Als Big-Bang-Fortpflanzung oder Semelparie (lat. semel, einmal und parere, hervorbringen) bezeichnet man eine Fortpflanzungsform, bei der sich Individuen im Laufe ihres Lebens nur einmal fortpflanzen. Semelparie kommt zum Beispiel bei der Agave (⇒ Abbildung 6.22) vor, die vor allem in der trockenen Klimazone Nord- und Mittelamerikas beheimatet ist. Diese Gebiete sind durch seltene und unregelmäßige Niederschläge sowie nährstoffarme Böden charakterisiert. Eine Agavenpflanze wächst mehrere Jahre lang heran und speichert in ihrem Gewebe so lange Nährstoffe, bis ein ungewöhnlich feuchtes Jahr auftritt. Ist dies der Fall, bringt sie einen langen Blütenstand hervor, produziert eine große Anzahl von Samen und stirbt anschließend ab. Ihr Lebenszyklus und ihre Fortpflanzungsform sind somit eine Anpassung an extreme trockenheiße Lebensräume.
Beispiel
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Wüstenlandschaften weisen eine nur spärliche Vegetation auf; der Anteil des vegetationsfreien Untergrundes beträgt auch bei Halbwüsten mehr als 50 Prozent. Dies ist ein im Vergleich zu anderen terrestrischen Biomen enorm hoher Wert. Bei den vorkommenden Pflanzen handelt es sich oftmals um einjährige Pflanzen, die die meiste Zeit als Samenstadium im Boden überdauern. Bei günstigen Feuchtigkeits- und Temperaturverhältnissen keimen sie sofort, blühen und bilden eine große Anzahl neuer Samen aus (r-Strategie). Bleibt der Regen aus, verbleiben sie im Samenstadium und „warten“ auf Regenfälle und damit einhergehend auf für sie günstigere Umweltbedingungen. Eine andere Strategie zeigen die Geophyten, die mit unterirdischen Speicherorganen (Zwiebeln, Knollen) lange Trockenzeiten überdauern. Sukkulenten, wie Kakteen in der Neuen Welt oder Wolfsmilchgewächse in der Alten Welt, verfügen als Anpassungsstrategie über Wasserspeichergewebe.
Abbildung 6.22: Die Agave ist ein Beispiel für Semelparie. Die Blätter der Pflanze sind an der Basis des großen Blütenstandes sichtbar. Die Agave reproduziert sich nur ein einziges Mal am Ende ihres Lebens.
165
6 Terrestrische Ökosysteme
W iederholun g s f ra g en 6 . 2
1. Nennen Sie regionale klimatische Besonderheiten, die zur Ausbildung von WüstenÖkosystemen führen können. 2. Beschreiben Sie mit Hilfe der Abbildung 6.18 die geografische Verbreitung der Trockengebiete der Erde. 3. Nennen und beschreiben Sie grundlegende Überlebensstrategien von Pflanzen- und Tierarten in Wüsten. Führen Sie dazu jeweils ein Beispiel aus. Nutzen Sie dazu auch die Informationen aus Kapitel 2.2.5.
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Abbildung 6.23: Aloe dichotoma kommt in den Wüstenregionen Südafrikas vom Namaqualand bis nach Namibia vor. Diese sukkulente Pflanze minimiert den Wasserbedarf für die Photosynthese, was ihr Überleben in der ariden Umwelt ermöglicht.
Ein weiterer charakteristischer Typus von Wüstenpflanzen sind Halbsträucher und Sträucher mit einem tiefreichenden Wurzelsystem. Ihre Wurzeln reichen bis in den Grundwasserbereich, so dass sie vom Niederschlagswasser unabhängig sind. Andere mehrjährige Pflanzen, darunter auch die verschiedenen Kakteenarten, haben flache Wurzeln, die häufig nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche verlaufen und die einen breiten Radius um die Pflanze umschließen. Dadurch wird gewährleistet, dass bei den seltenen Niederschlagsereignissen jeweils möglichst viel Wasser aufgenommen werden kann. Weitere Anpassungen der Wüstenpflanzen sind eine hohe Widerstandskraft gegen Hitze und Austrocknung und eine verringerte Blatt oberfläche. Verbreitet sind darüber hinaus auch mechanische Abwehrmechanismen gegen herbivore Tierarten wie Dornen und Stacheln sowie biochemische Verteidigungsmittel wie Giftstoffe in den Blättern einzelner Halbsträucher (siehe Kapitel 2.2.4).
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Alle terrestrischen Ökosysteme kann man bestimmten Biomen zuordnen. Grundlage für diese Einteilung sind die vorherrschenden Pflanzenformationen. Es gibt weltweit mindestens neun verschiedene terrestrische Biomtypen. Die terrestrischen Biome werden nach ihrer vorherrschenden Vegetationsstruktur, den Pflanzengesellschaften und der charakteristischen Tierwelt beschrieben. Klima und Boden spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle. Feuchtigkeit und Temperatur sind die wichtigsten Faktoren für die geografische Verbreitung der terrestrischen Biome beziehungsweise Ökosysteme. Ökosystem Wald (6.1) Wälder kommen weltweit in ganz unterschiedlichen Ausprägungen vor. Eine grobe Einteilung unterscheidet zwischen dem tropischen Wald, den Laubwäldern gemäßigter Breiten und den borealen und pazifischen Nadelwäldern. Beim tropischen Wald unterscheidet man zwischen tropischen Regenwäldern und tropischen Trockenwäldern. Die tropischen Regenwälder sind durch eine hohe Primärproduktion gekennzeichnet. Starke Niederschläge und gleichmäßig hohe Temperaturen begünstigen eine schnelle Mineralisation und eine entsprechend schnelle Wiederverwertung der Nährstoffe. Tropische Trockenwälder durchlaufen jedes Jahr eine in der Dauer variierende Trockenzeit mit einem Blattabwurf bei Bäumen und Sträuchern. Zu Beginn der Regenzeit wachsen die Blätter wieder nach. Viele tropische Regen- und Trockenwälder wurden bereits gerodet, um landwirtschaftliche Nutzflächen zu erhalten. Die Klimaverhältnisse in den feuchten mittleren Breiten begünstigen die Entwicklung von Wäldern, in denen sommergrüne Laubbäume vorherrschen. Man findet sie vor allem in Europa, im Osten Nordamerikas und in Ostasien. In den sommergrünen Laubwäldern der gemäßigten Regionen ist das Ende der Vegetationsperiode durch die Herbstfärbung des Laubes gekennzeichnet; kurz danach treten die Bäume nach dem Blattfall in die Winterruhe ein. Der boreale Nadelwald ist der größte zusammenhängende Waldkomplex der Erde und in ihm dominieren Kiefern, Fichten und Lärchen. Die Bodenschicht ist vor allem von Moosen und Flechten bedeckt. In der Taiga herrscht ein kaltes, kontinentales Klima mit starken jahreszeitlichen Temperaturschwankungen. Großen Einfluss auf die Vegetationsverteilung haben sowohl der Permafrost als auch Brände. Zu den wichtigsten Herbivoren der borealen Regionen gehören unter anderem Karibus, Rentiere, Elche und Schneeschuhhasen. Als Beutegreifer kommen Wölfe und Luchse vor. Wälder verfügen stets über eine vertikale Schichtung. Ein Laubwald gemäßigter Breiten verfügt über ein geschlossenes Kronendach. Hieran schließt sich nach unten die Stamm-
schicht an. Kronendach und Stammschicht bilden zusammen die Baumschicht. Strauch-, Kraut- und Bodenschicht sind weitere Schichten des Waldes. Auf der Bodenschicht liegt in vielen Wäldern eine ausgeprägte Streuschicht, die sich aus abgestorbenem pflanzlichem und tierischem Material zusammensetzt. Solarstrahlung, die durch ein Kronendach dringt, wird in ihrer Intensität abgeschwächt. Die Dichte der einzelnen Vegetationsschichten und die Ausrichtung der Blätter beeinflussen die Strahlungsmenge, die den Boden erreicht. Darüber hinaus variiert die den Boden erreichende Strahlungsmenge jahreszeitlich. In vielen Wäldern dringen nur 1–5 Prozent der auf die Oberfläche der Baumkronen treffenden Strahlung bis zum Boden vor. Die Streuschicht des Waldes stellt den Lebensraum für viele Organismen dar, die sich von totem, abgestorbenem Material ernähren (Destruenten). Die Destruenten unterteilen sich in die Mineralisierer, die die organischen Verbindungen in anorganische Verbindungen überführen, und die Zerkleinerer, die die organischen Verbindungen um- und abbauen, wobei letztlich jedoch organische Verbindungen bestehen bleiben. Auf diesem Weg kommt es zur Humifizierung, der Bildung von Humusstoffen. Die Vielzahl der Bodenorganismen, die an den Zersetzungsprozessen beteiligt sind, teilt man anhand ihrer Größe in verschiedene Gruppen ein. Die Geschwindigkeit der Zersetzung hängt von der Zusammensetzung des abgestorbenen anorganischen Materials und den in dem betreffenden Gebiet vorherrschenden klimatischen Bedingungen ab. Das Ökosystem Wald zeichnet sich durch seine Artenfülle aus. Die einzelnen Schichten des Waldes bieten eine Vielzahl von Habitaten für die unterschiedlichsten Tierarten. Die größte Dichte und Vielfalt an tierischen Organismen findet man jedoch auf der Bodenschicht und unmittelbar darunter. Vögel können sich relativ ungehindert zwischen den verschiedenen Schichten bewegen, sie bevorzugen jedoch in der Regel eine bestimmte Schicht.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Ökosystem Wüste (6.2) Wüsten machen ungefähr ein Siebtel aller Landflächen aus und sind im Wesentlichen auf zwei Gürtel zwischen dem 15. und 30. Grad nördlicher und südlicher Breite beschränkt. Wüsten sehen nicht überall gleich aus. Es gibt zahlreiche verschiedene Wüstentypen, unter anderem bedingt durch Unterschiede bezüglich Feuchtigkeit, Temperatur, Bodenart, Ausgangssubstrat, Entwässerung, Geomorphologie und Salzgehalt. Entsprechend kommt es auch zu Unterschieden in der Zusammensetzung der Vegetation und Tierartengemeinschaft. Die Gemeinsamkeit aller Wüsten ist der Mangel an Niederschlag, der unterschiedliche Ursachen haben kann. Die 167
Zusammenfassung
6 Terrestrische Ökosysteme
warmen und trockenen Fallwinde, die vom Äquator kommen, sind für die Wüsten um die Wendekreise herum verantwortlich. Sie bringen wolkenlose Himmel und damit einhergehend eine intensive Strahlungswärme mit sich, wodurch der Erdoberfläche viel Wasser durch Verdunstung entzogen wird. Die Wüsten der gemäßigten Breiten liegen im Regenschatten von großen Gebirgszügen oder weit im Landesinneren in kontinentalen Regionen. Kalte Meeresströmungen tragen zur Entstehung trockener
Küstenregionen bei. Die Mehrzahl aller semiariden und ariden Regionen findet man auf der Nordhalbkugel. In der lebensfeindlichen Umwelt der Wüsten haben zahlreiche Pflanzen- und Tierarten besondere Anpassungen entwickelt, um mit der Trockenheit und den hohen Temperaturen zurechtzukommen; sie passen sich zumeist entweder durch Ausweichen und / oder Vermeiden an. Trotz ihrer extremen klimatischen Bedingungen sind Wüsten die Heimat einer vielfältigen Tierwelt.
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Kapitel 7 Aquatische Ökosysteme
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Ökosystem See Ökosystem Fließgewässer Ökosystem Meer
7 Aquatische Ökosysteme
Seen Korallenriffe Ströme Hochseebereich der Meere (ozeanisches Pelagial)
30°N nördlicher Wendekreis
Flussmündungsgebiet (Ästuare)
Äquator
Gezeitenzonen
südlicher Wendekreis 30°S
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Abbildung 7.1: Die Verbreitung der großen aquatischen Biome.
Aquatische Lebensräume sind auf der ganzen Erde in großer Vielfalt verbreitet (⇒ Abbildung 7.1). Hinsichtlich ihrer Fläche machen sie den größten Teil der Biosphäre (= Summe aller Ökosysteme der Erde) aus. Man unterscheidet bei aquatischen Ökosystemen unter anderem zwischen limnischen (= Süßwasser-)Biomen und marinen (= Meeres-)Biomen1. In marinen Biomen herrscht in der Regel eine Salzkonzentration von ungefähr drei Prozent; Süßwasserbiome sind hingegen durch einen Salzgehalt von weniger als 0,1 Prozent charakterisiert. Die Ozeane stellen das größte aquatische Biom dar und bedecken rund 70 Prozent der Erdoberfläche. Wegen ihrer gewaltigen Größe haben sie weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Biosphäre. Das aus den Ozeanen verdunstende Wasser liefert den größten Teil der globalen Niederschläge und die Meerestemperaturen beeinflussen als wichtiger Faktor das globale Klima sowie die Verbreitungsmuster und die Dynamik der Windströmungen (siehe Kapitel 2.2 und 2.4). Außerdem liefern Meeresalgen und photosynthetisch tätige Meeresbakterien einen beträchtlichen Anteil des atmosphärischen Sauerstoffes und verbrauchen im Gegenzug große Mengen des atmosphärischen Kohlenstoffdioxids. Alle Süßwasserbiome verfügen über einen engen Kontakt zu den Böden und Organismenarten der an sie angrenzenden terrestrischen Biome. Die besonderen Eigenschaften eines Süßwasserbioms werden darüber hinaus vom Verlauf und der Geschwindigkeit der Wasserströmungen sowie durch das Klima, dem das Ökosystem ausgesetzt ist, beeinflusst. 1 Wie bereits in Kapitel 6 dargestellt, bezeichnet der Begriff „Biom“ eigentlich einen Großlebensraum, dessen Verbreitung vor allem von den jeweils vorherrschenden klimatischen Bedingungen bestimmt wird, während der Begriff des „Ökosystems“ zusätzlich zu den Strukturelementen des Bioms eine abstraktere Dimension von trophischen Stufen, Stoffkreisläufen und Energieflüssen beinhaltet. Oftmals werden beide Begriffe jedoch synonym verwendet.
7.1 Ökosystem See
In diesem Kapitel werden die wichtigsten aquatischen Ökosystemtypen – Seen, Fließgewässer und Meere – mit ihren jeweiligen charakteristischen Besonderheiten vorgestellt.
7.1 Ökosystem See Der Definition nach sind Seen größere stehende Gewässer, die keine direkte Verbindung zum Meer besitzen. Sie bilden sich in der Regel dort, wo in einem feuchten Gebiet geomorphologische Hohlformen (= eine Umschreibung für „Senken“) vorhanden sind, in denen sich Wasser sammeln kann (⇒ Abbildung 7.2). Während Seen zumeist ohne menschlichen Einfluss und auf natürliche Weise entstehen, versteht man unter einem Teich ein durch den Menschen angelegtes künstliches Gewässer. Solche Stillgewässer (stehende Gewässer) sind jedoch keine vollständig isolierten Einheiten, sondern sie sind durch Zu- und Ablauf sowie durch Niederschläge und Verdunstung in den lokalen und globalen Wasserkreislauf eingebunden. Man unterscheidet zwischen ausdauernden Stillgewässern (beispielsweise Seen und Weiher) und vergänglichen Kleingewässern (zum Beispiel Regentümpel oder Pfützen).
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7.1.1 Ein See kann in verschiedene Zonen unterteilt werden Ein See kann nach mehreren verschiedenen Kriterien in vertikale und horizontale Schichten und Bereiche unterteilt werden (⇒ Abbildung 7.3). Solche Kriterien können beispielsweise die eindringende Strahlungsmenge, die Entfernung zum Ufer oder die Wassertiefe sein. So unterscheidet man eine obere, stark durchlichtete euphotische Zone von einer dunklen aphotischen Zone. Die euphotische Zone wird auch als Epilimnion bezeichnet, die aphotische als Hypolimnion. Dazwischen liegt die Temperatursprungschicht beziehungsweise Thermokline (Metalimnion). Ferner kann man einen See in eine Uferzone (Litoral) und in das freie Wasser (Pelagial) unterteilen. Das Litoral gliedert sich in eine Spritzwasserzone (Supralitoral), eine Zone mit Wasserstandschwankungen (Eulitoral) und eine Zone mit dauerhafter Wasserbedeckung (Sublitoral). Das Licht dringt in diesen Bereichen in der Regel bis zum Gewässerboden vor. Die Bodenschicht wird als Benthal bezeichnet und besteht aus sandigem, lehmigem oder tonigem Untergrund sowie aus organischen und anorganischen Sedimentanteilen. Sie spielt bei der Zersetzung des organischen Materials eine besonders bedeutende Rolle. Das Benthal gliedert sich in das litorale Benthal (die euphotische Zone betreffend) und das Profundal (die aphotische Zone umfassend). Die unterschiedlichen Zonen des Sees besitzen verschiedene Namen und werden häufig getrennt beschrieben, hinsichtlich der Dynamik des Ökosystems See wechselwirken sie jedoch in hohem Maße miteinander und sind stark voneinander abhängig.
Abbildung 7.2: Stillgewässer bilden sich in Hohlformen der Landschaft. (a) Ein Gletschersee in den Rocky Mountains. (b) Seenlandschaft in der sibirischen Tundra.
S chon g ewusst ?
Die Tiefe von Stillgewässern kann von weniger als einem Meter im Fall eines Kleinstgewässers bis weit über 1000 Meter schwanken. Der Baikalsee hat beispielsweise eine Tiefe von 1741 Meter. Das Größenspektrum reicht von kleinen, weniger als einen Hektar umfassenden Seen bis zu großen Seen, deren Oberfläche mehrere tausend Quadratkilometer bedeckt, wie im Fall des Kaspisees (Kaspisches Meer, 386.400 km²). Manche Seen sind so groß, dass sie mit Ausnahme des Salzgehaltes in vielerlei Hinsicht ökologisch dem Meer ähneln. 171
7 Aquatische Ökosysteme
Schilfgürtel Schwimmblattgürtel Potamogeton-Gürtel Zone der toten Muscheln Epilimnion (euphotische Zone) Thermokline = TemperaturSprungschicht (Metalimnion)
Supralitoral Eulitoral Sublitoral Litoral
Hypolimnion (aphotische Zone) Benthal
Pelagial
Profundal
Abbildung 7.3: Zonierung eines Sees. Ein See kann nach verschiedenen Kriterien in Schichten und Bereiche unterteilt werden: nach der eindringenden Strahlungsmenge (euphotische und aphotische Zone), der Entfernung zum Ufer und der Wassertiefe (Litoral und Pelagial). Die euphotische Zone wird auch als das Epilimnion bezeichnet, die aphotische auch als Hypolimnion. Dazwischen liegt die Temperatursprungschicht (Metalimnion). Man unterscheidet ferner eine Bodenzone (Benthal) im Litoral und im Pelagial; Letztere wird auch als Profundal bezeichnet. Das Litoral gliedert sich in eine Spritzwasserzone (Supralitoral), eine Zone mit Wasserstandschwankungen (Eulitoral) und eine Zone mit dauerhafter Wasserbedeckung (Sublitoral).
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7.1.2 Die Organismengemeinschaften der verschiedenen Zonen des Sees unterscheiden sich voneinander Im vorangegangenen Abschnitt haben wir erfahren, dass ein See grob in die Uferzone (Litoral) und das freie Wasser (Pelagial) eingeteilt werden kann. Jede dieser Zonen verfügt über charakteristische Lebensformen. In der Uferzone bilden sich je nach Wassertiefe verschiedene Vegetationsgürtel aus (zum Beispiel Schwimmblattgürtel und / oder Schilfgürtel). Je nach Nährstoffverhältnissen variieren dabei die Pflanzengesellschaften in ihrer Artenzusammensetzung und Abundanz (siehe Kapitel 7.1.5). Mit einer reichhaltigen und vielgestaltigen Ufervegetation ist auch eine vielfältige Tierartengemeinschaft verbunden. So sind in den Uferzonen zum Beispiel Wasserflöhe, Ruderfußkrebse, Wassermilben, Wasserspinnen, Fliegen-, Libellen- und Käferlarven sowie Wanzen- und Schneckenarten und eine Vielzahl verschiedener Fischarten (insbesondere Jungfische) heimisch. Zahlreiche Insektenarten, unter anderem Libellen, Fliegen, Käfer und Kleinschmetterlinge, besiedeln zudem den Luftraum der Uferzone. Unter den Amphibien kommen beispielsweise der Seefrosch, der Kleine Teichfrosch und der Wasserfrosch vor. Eine besondere Bedeutung besitzt die Uferzone als Nahrungs- und Brutraum für eine artenreiche Vogelwelt, darunter zahlreiche Entenarten, der Schilfrohrsänger oder die Bartmeise.
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7.1 Ökosystem See
Die Lebensgemeinschaften des freien Wassers bestehen aus dem Plankton (aus dem Griechischen: das Getriebene / das Umherirrende), Kleinorganismen, die sich schwebend oder schwimmend im freien Wasser halten, aber nicht gegen die Wasserbewegung anschwimmen können (⇒ Abbildung 7.4), und dem Nekton, Organismen, die zu einer aktiven Eigenbewegung fähig sind wie zum Beispiel die Fische. Zum Phytoplankton gehören Bakterien, Blaualgen und zahlreiche ein- bis mehrzellige Algen sowie photosynthetisch aktive Einzeller. Die Phytoplanktonorganismen des offenen Wassers sind die wichtigsten Primärproduzenten und bilden die Ernährungsgrundlage für alle anderen Organismen des Sees. In der Wassersäule schweben darüber hinaus zahlreiche Vertreter des Zooplanktons, darunter Rädertiere, Wasserflöhe, Ruderfußkrebse, Muschelkrebse und andere, die die Primärkonsumenten des Ökosystems darstellen und sich vom Phytoplankton ernähren. Das Nekton des Freiwasserbereiches (Pelagial) besteht zum größten Teil aus Fischen, deren Verteilung im See vor allem vom Nahrungsangebot, dem Sauerstoffgehalt und der Temperatur des Wassers abhängt. Im Sommer bewohnen große Raubfische wie Flussbarsch, Rotauge und Hecht das wärmere Wasser des Epilimnions, im Winter ziehen sich diese Arten in größere Tiefen zurück. Forellen dagegen suchen im Laufe des Sommers wegen der zunehmenden Erwärmung des Oberflächenwassers immer größere Tiefen auf. Im Frühjahr und Herbst, wenn Sauerstoffgehalt und Temperaturen überall relativ ähnlich sind, halten sich Warmwasser- und Kaltwasserarten in allen Seetiefen auf. Darüber hinaus gibt es Organismen im See, die auf der Wasseroberfläche leben. Zu diesen Organismen zählen die zu den Wanzen gehörenden Wasserläufer oder die Taumelkäfer, aber auch einige Spinnenarten. Andere Arten besiedeln die Unterseite des Wasserhäutchens wie der Süßwasserpolyp, Planarien (Plattwürmer), Lungenschnecken und Mückenlarven. Die im Benthal, der Bodenzone des Sees, vorkommende Lebensgemeinschaft wird als Benthos bezeichnet. Für viele Bewohner des Benthals ist abgestorbenes organisches Material eine wichtige Nahrungsquelle. Es stammt aus dem produktiven Oberflächenwasser, sinkt auf den Seeboden und sammelt sich daher in der Bodenzone an. Die obere Schicht des Benthals ist demnach ein Ort großer Destruentenaktivität und diese sorgt dafür, dass der Sauerstoff in der Bodenzone des Sees je nach Jahreszeit fast vollständig aufgebraucht wird. Der Mangel an Sauerstoff in der Bodenschicht des Sees wird erst durch die Durchmischung der Wasserschichten im Frühjahr und Herbst wieder behoben (Kapitel 7.1.4). Die Wasserumwälzung hat auch auf das Vorkommen des Planktons entscheidenden Einfluss, denn durch die Wasserbewegungen wird das Plankton in größere Tiefen transportiert.
Abbildung 7.4: (a) Phytoplankton (Kieselalge); (b) Zooplankton mit Ruderfußkrebsen. 173
7 Aquatische Ökosysteme
Abbildung 7.5: Vorkommen verschiedener Organismenarten in unterschiedlichen Bereichen eines nordamerikanischen Sees.
Wasserskorpion
Amerikanischer Ochsenfrosch
Schwimmkäfer
Stockente
Schlammschnecke
Plankton
Litoral
Pelagial
Benthal Schwarzbarsch
Zierschildkröte
Zuckmückenlarven
Sonnenbarsch
Bisamratte
spektrale Transmission des Lichtes [%]
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7.1.3 Mit der Wassertiefe ändern sich auch die einfallende Lichtmenge und die Wassertemperatur
Wasseroberfläche
3 5 7 10 15 20 30
UV
300
V 390
UV = Ultraviolett V = Violett B = Blau
B
50 100 75 GE GR
O
510 620 Wellenlänge [nm] GR = Grün GE = Gelb
R 720
800
O = Orange R = Rot
Abbildung 7.6: Spektralverteilung der Solarstrahlung an der Erdoberfläche und in verschiedenen Wassertiefen in einem See (Angaben in Meter). Auffällig ist, wie schnell die langwelligen Infrarotstrahlen absorbiert werden. Schon in Tiefen von 10 m dringen sie nicht mehr vor. Die Fraktionen des blauen Strahlungsspektrums zeigen dagegen noch in 100 m Tiefe fast die Hälfte ihrer ursprünglichen Strahlungsintensität (nach Clark, 1939).
Wenn Solarstrahlung auf eine Wasseroberfläche trifft, wird ein gewisser Teil der Strahlung an der Wasseroberfläche reflektiert und in die Atmosphäre zurückgestrahlt. Der mengenmäßige Anteil der zurückreflektierten Strahlung hängt dabei vom Einfallswinkel auf die Oberfläche ab. Diejenige Strahlung, die in das Wasser eindringt, wird mit zunehmender Eindringtiefe durch zwei weitere Prozesse abgeschwächt. Erstens absorbieren oder streuen Schwebeteilchen und kleine Organismen (zum Beispiel das Phyto- und Zooplankton) die Strahlung. Die Streuung verursacht eine Verlängerung der von der Solarstrahlung durch das Wasser zurückgelegten Strecke und führt zu einer zusätzlichen Intensitätsabschwächung. Zweitens absorbiert das Wasser selbst einen Teil der Strahlung, weshalb selbst in vollkommen sauberem Wasser nur etwa 40 Prozent der kurzwelligen Strahlung eine Eindringtiefe von einem Meter erreichen. Wasser absorbiert jedoch bestimmte Wellenlängen stärker als andere. Am stärksten werden das sichtbare Rotlicht und die Infrarotstrahlung mit Wellenlängen über 750 nm absorbiert, weshalb Strahlung solcher Wellenlängen die geringsten Eindringtiefen erreicht. Dieser Vorgang reduziert die Energie der ursprünglich auf der Wasseroberfläche auftreffenden Solarstrahlung um die Hälfte. In größeren Tiefen folgt in klarem Wasser die Absorption von Gelb, gefolgt von Grün und Violett. Zuletzt dringt nur noch die Strahlung im blauen Wellenlängenbereich in tiefere Wasserschichten vor. Selbst in klarstem Meerwasser erreichen jedoch nur zehn Prozent dieser Strahlung eine Tiefe von mehr als 100 m.
7.1 Ökosystem See
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7.1.4 Dimiktische Seen – Phasen der Stagnation und Zirkulation wechseln sich ab
0
Wassertemperatur [°C] 5 10 15
20 Epilimnion warmes Oberflächenwasser geringerer Dichte
Wassertiefe
Die Temperatur auf der Erdoberfläche ist vor allem ein Ergebnis der einfallenden Solarstrahlung im langwelligen sichtbaren Wellenlängenbereich (rotes Licht) und „dahinter“ (Infrarot; IR). Diese Gesetzmäßigkeit gilt grundsätzlich auch für Gewässer. Wie wir gerade erfahren haben, wird jedoch der langwellige Strahlungsanteil von Wasser am stärksten absorbiert. Daher ist mit zunehmender Eindringtiefe und abnehmender Strahlungsintensität auch ein entsprechender Rückgang der Wassertemperatur verbunden. In stehenden Gewässern ohne nennenswerte Strömungsgeschwindigkeit und Verwirbelungen der Wassermassen wird deshalb vor allem das Oberflächenwasser von der Solarstrahlung erwärmt. Die Wassertiefe, bis zu der diese Erwärmung erfolgt, entspricht der Tiefe, in die die langwellige Solarstrahlung vordringt; tiefere Wasserschichten bleiben daher in stehenden Gewässern relativ kalt. Den Tiefenbereich, in dem die Temperatur am stärksten abfällt, nennt man die Thermokline (Temperatur-Sprungschicht). Die Tiefe, in der sich die Thermokline befindet, hängt von der Stärke der Solarstrahlung und von der Temperatur an der Wasseroberfläche ab. Unterhalb des Bereiches der Thermokline fällt die Wassertemperatur mit zunehmender Tiefe weiter ab, dieser Abfall erfolgt jedoch sehr viel langsamer als innerhalb der Thermokline. Aus diesen Gegebenheiten ergibt sich eine bestimmte Temperaturverteilung des Wasserkörpers eines Sees in Abhängigkeit von der jeweiligen Wassertiefe. Die Thermokline begrenzt eine obere Schicht von warmem Wasser geringerer Dichte, dem sogenannten Epilimnion, von einer tieferen Schicht mit kälterem Wasser höherer Dichte, dem Hypolimnion.
Thermokline Zone der abrupten Temperaturveränderung (Temperatursprungschicht) Hypolimnion kaltes Tiefenwasser höherer Dichte Sommer Herbst Winter
Abbildung 7.7: Temperaturgradient eines typischen Sees der gemäßigten Breiten. Das gezeigte Tiefenprofil kann man in drei Bereiche aufteilen: Epilimnion, Thermokline und Hypolimnion. Mit sinkenden Lufttemperaturen im Herbst kühlt sich das Oberflächenwasser ab und sinkt zu Boden. Zu dieser Zeit beträgt die Temperatur im gesamten See + 4 °C. Im Winter kühlt sich die Oberfläche weiter ab und es kann dort zur Eisbildung kommen. Zu Frühlingsbeginn kehrt sich der Prozess um, der See erwärmt sich langsam. Zunächst erreicht der See wieder eine überall gleichmäßige Temperatur von + 4 ° C und im Sommer bildet sich erneut eine Thermokline aus.
Die jahreszeitlichen Schwankungen der Intensität der Solarstrahlung führen nicht nur auf dem Festland zu Veränderungen der Oberflächentemperatur. In den meisten Seen der gemäßigten Breiten bewirkt die unterschiedliche Intensität der Solarstrahlung eine charakteristische jahreszeitliche Veränderung der thermischen Schichtung (⇒ Abbildung 7.7). Diese wird durch die Dichteanomalie des Wassers bedingt (siehe Kapitel 2.2.2): Da Wasser, anders als andere Stoffe, seine höchste Dichte bei + 4 °C besitzt, gilt umgekehrt auch, dass Wasser aller anderen Temperaturen eine geringere Dichte besitzt als Wasser mit einer Temperatur von + 4 °C. In einem stehenden Gewässer führt dies dazu, dass sich der Wasserkörper im Sommer entsprechend seiner jeweiligen Dichte übereinanderschichtet und dass das Wasser am Gewässerboden die höchste Dichte und eine Temperatur von + 4 °C besitzt. Da das erwärmte Oberflächenwasser eine geringere Dichte besitzt als das kältere Tiefenwasser, sinkt es nicht ab und die thermische Schichtung bleibt stabil erhalten. In den Gewässern der gemäßigten Breiten herrscht daher in den Sommermonaten eine sogenannte Sommerstagnation. Die Durchmischung des Wassers beschränkt sich während dieser Zeit ausschließlich auf das Epilimnion, dem durch die Solarstrahlung erwärmten Oberflächenwasser mit geringerer Dichte. An das Epilimnion schließt sich eine dauerhaft ausgeprägte Thermokline an, eine Zone der abrupten Temperaturver175
7 Aquatische Ökosysteme
Winter
Frühjahr
2° 4° 4° 4° 4°C
0°
4° 4° 4° 4° 4°C
1 Im Winter befindet sich das kälteste Wasser des Sees (0°C)
unmittelbar unter dem Oberflächeneis, in tieferen Schichten wird es immer wärmer und erreicht am Grund eine Temperatur von 4 °C. Dies hängt mit der Dichteanomalie des Wassers zusammen. Da die Dichte bei 4 °C am größten ist, friert ein See immer von oben nach unten zu.
Sommer
4°
2 Im Frühjahr erwärmt sich das Oberflächenwasser auf 4°C.
Nun können die an der Wasseroberfläche angreifenden Winde die Wassermassen in eine zyklische Bewegung bringen („Stromwalze“) und zu einer Umwälzung der Wassermassen in einem solchen See führen. Die Wassertemperatur beträgt in allen Schichten des Sees 4°C. Hierdurch kommt es zu einer vollständigen Durchmischung des Wassers bis in größere Tiefen, so dass das Tiefenwasser mit Sauerstoff und das Oberflächenwasser mit Nährstoffen angereichert wird.
Herbst
22° 20° 18° 8° 6° 5° 4°C
4° 4° 4° 4° 4°C
4°
Thermokline 3 Im Sommer besitzt ein See ein charakteristisches vertika-
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les Temperaturprofil: Das warme Oberflächenwasser ist durch die Thermokline getrennt (Temperatursprungschicht im Metalimnion mit abrupt wechselnder Temperatur).
4 Wenn sich das Oberflächenwasser im Herbst auf 4°C ab-
kühlt, können Winde die Wasseroberfläche wieder in Bewegung setzen und eine Vollzirkulation des gesamten Wasserkörpers bewirken. Dadurch kommt es wiederum zu einem Austausch von Sauerstoff und Nährstoffen in allen Schichten. Einen See mit einer zweimaligen Zirkulation im Jahr bezeichnet man als einen dimiktischen See.
Abbildung 7.8: Jahreszeitliche Umschichtungen in einem See, der im Winter zugefroren ist. Durch die hier gezeigte jahreszeitliche Umschichtung ist das Wasser des Sees im Frühjahr und Herbst in jeder Tiefe von gleicher Temperatur und mit Sauerstoff angereichert; im Winter und Sommer jedoch, wenn sich eine Temperaturschichtung ausbildet, ist die Sauerstoffkonzentration im Tiefenwasser geringer und in Oberflächennähe höher.
änderung. Unterhalb der Thermokline befindet sich der kühle Wasserkörper des Tiefenwassers, dessen Dichte mit zunehmender Wassertiefe zunimmt. Das Wasser am Gewässerboden besitzt, wie bereits beschrieben, die höchste Dichte und folglich eine Temperatur von + 4 °C. Im Herbst verändern sich diese Bedingungen, da die Intensität der Solarstrahlung abnimmt und damit einhergehend auch die Lufttemperatur sinkt. Die oberen Wasserschichten kühlen sich daher allmählich ab, wodurch das in ihnen enthaltene Wasser eine höhere Dichte erhält und absinkt. Gleichzeitig gelangt wärmeres Wasser der jeweils geringsten Dichte an die Oberfläche, wo auch dieses sich abkühlt. Der Abkühlungsprozess setzt sich so lange fort, bis die Temperatur im gesamten Wasserkörper ausgeglichen ist und + 4° C beträgt. Unter diesen Bedingungen können die an der Wasseroberfläche angreifenden Winde das
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7.1 Ökosystem See
Wasser besonders gut in Bewegung bringen und das Seewasser zirkuliert von der Oberfläche zum Grund und wieder zurück zur Oberfläche (Herbstzirkulation). Dieser Vorgang der vertikalen Durchmischung kann bis zur Eisbildung an der Oberfläche des Sees anhalten. Im Winter, wenn sich das Oberflächenwasser auf Temperaturen unter + 4 °C abkühlt, besitzt es aufgrund der Dichteanomalie eine geringere Dichte als das tiefer gelegene Wasser und bleibt daher an der Oberfläche. Ist der Winter kalt genug, gefriert das Wasser an der Oberfläche. Während dieser Phase spricht man von der sogenannten Winterstagnation, da, wie im Sommer, keine Wasserzirkulation im See stattfindet und der Wasserkörper aufgrund der Dichteanomalie des Wassers stabil geschichtet ist. Im Gegensatz zum Sommer befindet sich die wärmste Stelle des Sees jedoch am Grund. Wenn im Frühling das Eis taut und sich die Wasseroberfläche wieder erwärmt, kommt es bei einer gleichmäßigen Wassertemperatur des Sees von + 4 °C – analog zu den Verhältnissen im Herbst – erneut zu einer Vollzirkulation (Frühjahrszirkulation). Einen solchen See mit zwei vollständigen Durchmischungen im Jahr bezeichnet man als einen dimiktischen See. Bis hierhin handelt es sich bei den beschriebenen Zirkulations- und Stagnationsereignissen um rein physikochemische Phänomene. Mit diesen gehen jedoch wichtige biologische Prozesse einher, die im Folgenden beschrieben werden. Wie in terrestrischen Ökosystemen ist auch in Gewässern die Photosynthese Hauptlieferant für neu assimilierte Biomasse. Die Photosyntheseleistung der Produzenten, das sind im See vor allem das Phytoplankton und die Pflanzen des Litorals, wird jedoch durch mehrere Faktoren limitiert. Neben der Verfügbarkeit von Kohlenstoffdioxid stellen die Menge an Solarstrahlung und das Vorhandensein von anorganischen Nährstoffen limitierende Faktoren der Photosyntheseleistung dar. Da die photoautotrophen Organismen des Phytoplanktons für ihre Photosynthese vor allem auf die Rotlichtanteile der Solarstrahlung angewiesen sind, gilt, dass Photosynthese nur in den Bereichen eines Gewässers möglich ist, die von dieser Strahlung erreicht werden. Somit ist die Möglichkeit zur Photosynthese grundsätzlich nur in den obersten Gewässerschichten gegeben, da insbesondere die Rotlichtanteile der Solarstrahlung vom Wasser stark absorbiert werden (siehe ⇒ Abbildung 7.6). Diese obere Gewässerschicht, in der der Aufbau neuer Biomasse möglich ist, wird daher auch als trophogene Schicht oder Nährschicht bezeichnet. Wäre die Intensität der Solarstrahlung der einzige begrenzende Faktor, dann müsste folglich, einhergehend mit dem Wandel der Tageslängen und Temperaturen, in den Seen der gemäßigten Breiten die Biomasseproduktion im Sommer am höchsten sein, über den Herbst zum Winter hin abnehmen und über das Frühjahr hinweg zum Sommer hin erneut zunehmen. Dies ist jedoch nicht der Fall: Tatsächlich muss nämlich die durch die abwechselnde Zirkulation und Schichtung bedingte jahreszeitlich variierende Verfügbarkeit anorganischer Nährstoffe in die Betrachtung mit einbezogen werden. Abgestorbenes organisches Material wird, ebenso wie in terrestrischen Ökosystemen, von den Destruenten abgebaut und dabei schrittweise in anorganische Nährstoffe umgewandelt. Nur ein geringer Teil des Detritus
!
Merke Zirkulation im See Herbst- und Frühjahrszirkulation stellen wichtige Prozesse für das Ökosystem See dar. Durch die Zirkulation werden die Sauerstoffvorräte der tieferen Wasserschichten wieder neu aufgefüllt. Im Winter verringert sich der Sauerstoffgehalt in nicht gefrorenen Gewässern nur geringfügig, da der Sauerstoffbedarf der Organismen wegen der durch die Kälte bedingten geringen Stoffwechselleistung reduziert ist und darüber hinaus die Löslichkeit von Sauerstoff in kaltem Wasser höher ist als in warmem Wasser. Unter einer geschlossenen Eisdecke kann es jedoch aufgrund des fehlenden Gasaustausches zwischen Atmosphäre und oberen Wasserschichten zu einem bedrohlichen Sauerstoffmangel für Fische kommen. Nicht alle Gewässer entsprechen dem Typ eines dimiktischen Sees. Je nach geografischer Breite, Höhenlage und den jeweiligen klimatischen und jahreszeitlichen Bedingungen können verschiedene Seetypen unterschieden werden. So zeigen zahlreiche polare Seen mit permanenter Eisdecke überhaupt keine Durchmischung (amiktischer See) und in den Seen tropischer Breiten treten, aufgrund der fehlenden Jahreszeiten und der ganzjährig hohen Temperaturen, die auch im Hypolimnion über 20 °C betragen, nur selten Zirkulationen auf (oligomiktischer See).
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7 Aquatische Ökosysteme
wird bereits vor dem Absinken auf den Gewässerboden abgebaut. Die daraus freigesetzten Nährstoffe werden im Anschluss von photoautotrophen Organismen unverzüglich wieder aufgenommen und für die Assimilation neuer Biomasse verwendet. Unterhalb der trophogenen Schicht schließt sich die tropholytische Schicht oder Zehrschicht an, in der wegen des Mangels an Solarstrahlung keine Produzententätigkeit mehr möglich ist, in der jedoch sowohl verschiedene Konsumenten höherer Ordnungen (vor allem zahlreiche Fischarten) als auch die Mehrzahl der Destruenten vorkommen. Der weitaus größere Teil des Detritus sinkt in Richtung des Gewässerbodens und wird in der tropholytischen Schicht von den Destruenten abgebaut. Um den Abbauvorgang möglichst effizient und, wie wir noch sehen werden, gefahrlos für die Organismen aller trophischen Stufen des Gewässers durchzuführen, benötigen die Destruenten, genau wie in terrestrischen Ökosystemen auch, Sauerstoff für ihren Stoffwechsel. Nur wenn ausreichend Sauerstoff vorhanden ist, sind die Destruenten in der Lage, aeroben Stoffwechsel zu betreiben. Die Endprodukte dieses Stoffwechsels, nämlich sauerstoffhaltige Verbindungen wie Kohlenstoffdioxid (CO2), Nitrat (NO3–) und Sulfat (SO42–), sind für die photoautotrophen Organismen wichtige Nährstoffe. Wenn allerdings den Destruenten für den aeroben Stoffwechsel nicht genügend Sauerstoff zur Verfügung steht, kommt es zu dem angedeuteten potenziell gefährlichen Abbau organischer Substanz. Viele Destruenten gehen unter Sauerstoffmangel zu einem anaeroben Stoffwechsel über, an dessen Ende die Bildung von „Faulschlamm“ steht, der sauerstofffreie Verbindungen wie Methan (CH4), Ammoniak (NH3) oder Schwefelwasserstoff (H2S) enthält. Diese anaeroben Stoffwechselendprodukte sind jedoch zum Teil in erheblichem Maße toxisch für die Gewässerorganismen. Somit ergibt sich, insbesondere während der Phasen der Sommerund Winterstagnation, zusammengefasst die Situation, dass in der trophogenen Schicht von den Produzenten Photosynthese betrieben und unter Freisetzung von elementarem Sauerstoff Biomasse assimiliert wird, wofür die Produzenten unter anderem die aeroben Stoffwechselendprodukte der Destruenten am Gewässerboden benötigen, während die Destruenten in der tropholytischen Schicht unter Sauerstoffzehrung (= -verbrauch) den Detritus der Produzenten und Konsumenten in ebendiese aeroben Stoffwechselendprodukte umwandeln. Da der See jedoch während der Stagnationsphasen stabil geschichtet ist, findet keine Zirkulation und damit einhergehend auch keine Durchmischung des Seewassers statt. Daher bleibt während der Stagnationsphasen die trophogene Schicht zwar sauerstoffreich, verarmt aber durch die Tätigkeit der Produzenten in immer stärkerem Ausmaß an Nährstoffen, deren Mangel schließlich zum limitierenden Faktor für die Biomasseproduktion wird, während in der tropholytischen Schicht durch die Tätigkeit der Destruenten zunehmend mehr Nährstoffe gebildet werden, wodurch am Gewässerboden immer weniger Sauerstoff zur Verfügung steht. Durch die Zirkulationen in Frühjahr und Herbst steigen Nährstoffe, die durch die Zersetzung am Gewässerboden frei geworden sind, in die nährstoffärmeren Oberflächenschichten auf und stehen dort den Produzenten zur Verfügung, während gleichzeitig sauerstoffreiches Wasser in die tropholytische Zone gelangt.
7.1 Ökosystem See
Licht- und Nährstoffverfügbarkeit im jahreszeitlichen Verlauf Im Winter ist der See stabil geschichtet. Bedingt durch die geringe Intensität der auftreffenden Solarstrahlung (und die damit einhergehenden niedrigen Temperaturen) sowie die nach dem Herbst vorliegende geringe Nährstoffkonzentration in der Nährschicht findet nur in sehr geringem Ausmaß Biomasseproduktion statt. Die Destruenten am Seeboden bauen unter Sauerstoffverbrauch den im Herbst angefallenen Detritus ab, wodurch das Tiefenwasser zunehmend sauerstoffarm und nährstoffreich wird. Im Frühling setzt die Frühjahrszirkulation ein, wodurch das Seewasser durchmischt und gleichmäßig mit Sauerstoff und Nährstoffen angereichert wird, denn das nährstoffreiche Tiefenwasser gelangt in alle Seebereiche. Wenn sich das Oberflächenwasser erwärmt und sich die Schichtung ausbildet, stehen dem Phytoplankton daher ausreichend Nährstoffe zur Verfügung. Dadurch wird, einhergehend mit jahreszeitlich bedingt zunehmenden Solarstrahlungsintensitäten, eine vermehrte Biomasseproduktion möglich. Nachdem die Zirkulation zum Erliegen gekommen ist, stellt sich erneut eine stabile thermische Schichtung ein. Durch die hohe Biomasseproduktion der Produzenten kommt es zu einer stetigen Abnahme der Nährstoffkonzentrationen in der trophogenen Schicht. Als Folge begrenzt irgendwann der Nährstoffmangel und nicht der Mangel an Sonnenlicht die Aktivität der Produzenten und insbesondere in Flachwasserbereichen schrumpfen die Planktonbestände.
Im Sommer ist der See stabil thermisch geschichtet und der Nährstoffmangel in der trophogenen Schicht ist weiterhin limitierend für die Aktivität der Produzenten, weshalb zu dieser Jahreszeit, obwohl sowohl die Solarstrahlungsintensität sehr hoch ist als auch die hohen Wassertemperaturen in der Nährschicht das Ablaufen chemischer Reaktionen begünstigen (RGT-Regel, siehe Kapitel 2.1), das Ausmaß der Biomasseproduktion gering ist. Die großen Mengen an Detritus, die sich während des Frühlings am Seeboden sammeln, werden dort von den Destruenten (aerob) abgebaut. Für den Fall, dass die Menge an abzubauendem Detritus die den Destruenten für diesen Prozess zur Verfügung stehende Menge an Sauerstoff im Wasser übersteigt, besteht insbesondere zu dieser Jahreszeit die Gefahr, dass die Destruenten auf anaeroben Stoffwechsel „umschalten“ und in Folge toxische Stoffwechselendprodukte produzieren. Im Herbst setzt, durch die abnehmenden Temperaturen und durch den Wind bedingt, erneut die Zirkulation ein, wodurch die im Sommer in der Zehrschicht angefallenen Nährstoffe und Sauerstoff aus der Atmosphäre, wie bereits für den Frühling beschrieben, gleichmäßig im gesamten Wasserkörper verteilt werden. Da die Nährstoffkonzentration in der Nährschicht durch die Zirkulation bedingt erneut hoch ist, wird von den Produzenten zunächst viel Biomasse gebildet. Durch die Produzententätigkeit abnehmende Nährstoffkonzentrationen begrenzen, einhergehend mit abnehmenden Solarstrahlungsintensitäten und niedrigeren Temperaturen, schließlich wieder die Biomasseproduktion der Produzenten, bevor sich, durch die weiterhin sinkenden Wassertemperaturen bedingt, zum Winter hin erneut eine stabile Temperaturschichtung einstellt.
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7.1.5 Seen lassen sich nach ihrem Nährstoffgehalt in verschiedene Typen einteilen Zwischen den terrestrischen und aquatischen Ökosystemen besteht eine enge Wechselbeziehung, so dass sich in den Eigenschaften eines Sees auch die Umweltfaktoren der umgebenden Landschaft widerspiegeln. So gelangt beispielsweise das Wasser der Niederschläge über die Oberfläche der terrestrischen Ökosysteme in Fließgewässer und Seen. Dabei transportiert das Wasser Partikel unterschiedlicher Korngröße (Sand, Lehm, Ton) und wasserlösliche Nährstoffe mit sich. An Gewässer angrenzende und vom Menschen gedüngte landwirtschaftliche Nutzflächen tragen daher zum Eintrag von Nährstoffen in aquatische Ökosysteme bei und je nach Nährstoffverhältnissen bilden sich in diesen unterschiedliche Biozönosen aus. Als Oligotrophie bezeichnet man einen Zustand der Nährstoffarmut. Das Wasser oligotropher Seen ist klar und im Sonnenlicht von blauer oder blaugrüner Farbe, da der Phytoplanktonanteil gering ist. Aufgrund der geringen verfügbaren Nährstoffmengen ist in oligotrophen Seen die photosynthetische Aktivität der Produzenten gering, so dass folglich auch die Tätigkeit der Destruenten eingeschränkt ist. Dies hat wiederum zur Folge, dass die Sauerstoffkonzentration im Tiefenwasser ganzjährig hoch bleibt und die Bodensedimente größtenteils vollständig und unter aeroben Bedingungen mineralisiert sind. Da die Produzentenaktivität gering ist, kommen auch die Organismen höherer Trophiestufen, wie nach dem Bottom-up-Modell der Populationsregulation zu erwarten (siehe Kapitel 5.1.3), in oligotrophen Seen in der Regel nur in geringer Individuenzahl vor. 179
7 Aquatische Ökosysteme
Abbildung 7.9: Oligotropher See: der Erdfallsee im Naturschutzgebiet „Heiliges Meer“ westlich von Osnabrück.
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Abbildung 7.10: Eutropher See: das Große Heilige Meer im Naturschutzgebiet „Heiliges Meer“ westlich von Osnabrück.
Abbildung 7.11: Ein mesotropher See im Bayerischen Wald.
Oligotrophe Seen können mit der Zeit nährstoffreicher (eutropher) werden, wenn einlaufendes Wasser Sedimente und Nährstoffe in den See einträgt. Eutrophe Seen (vom griechischen eutrophos, „wohl genährt“) sind, wie ihr Name schon vermuten lässt, nährstoffreich und stellen daher das Gegenstück zu oligotrophen Seen dar. Am Gewässergrund ist der Boden in der Regel noch mit Sauerstoff versorgt; es kann jedoch als Folge hoher Destruentenaktivität zu starker Sauerstoffzehrung kommen. Die Menge des Detritus, der in den Bodensedimenten zersetzt werden kann, ist in eutrophen Seen hoch und die Individuenzahl und Artenfülle ist unter eutrophen Bedingungen besonders ausgeprägt. Rein optisch fallen eutrophe Seen durch das weiträumige Vorkommen von Schilfröhricht und Wasserlinsen auf, die sich im Röhricht einfinden, und auch Seerosenarten sind in eutrophen Seen weitverbreitet.
7.1 Ökosystem See
Mesotrophe Seen nehmen eine Mittelstellung zwischen den beiden gerade beschriebenen Seetypen ein. Unter mesotrophen Bedingungen nimmt im Vergleich zum oligotrophen See die Zahl der Pflanzengesellschaften und Pflanzenarten zu.
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7.1.6 Eutrophierung Unter dem Begriff Eutrophierung versteht man die Anreicherung von Nährstoffen in Ökosystemen. Oft ist diese Anreicherung eine Folge menschlichen Wirtschaftens (anthropogene Eutrophierung), da durch Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Bergbau, Industrieanlagen und Siedlungsbau insbesondere Stickstoff-, Phosphor- und organische Verbindungen auf direktem Weg, zum Beispiel über Abwässer, oder auf indirektem Weg, beispielsweise durch den Eintrag über den Abfluss von Oberflächenwasser, in aquatische Systeme eingeleitet werden. Dadurch kommt es zu einem Überangebot an Nährstoffen im See und man spricht in Extremfällen von einem hypertrophen See. Eigentlich sollte man denken, dass eine gute Nährstoffversorgung positive Einflüsse auf Ökosysteme besitzt. Wie bei vielen anderen Dingen auch, kommt es jedoch auf die Dosierung an. Ein Zuviel an Nährstoffen kann dramatische Auswirkungen für das Ökosystem See besitzen und letztlich zum „Umkippen“ des Gewässers führen. Darüber hinaus ändert sich die Artenzusammensetzung und -häufigkeit in aquatischen Ökosystemen mit zunehmendem Nährstoffgehalt des Gewässers. Was genau passiert, wenn ein Gewässer „umkippt“? Durch die erhöhte Nährstoffzufuhr kommt es im See zu einem verstärkten Wachstum der Produzenten (Wasserpflanzen und Algen) und als Folge zu einer Zunahme der Populationsdichten der Konsumenten. Die erhöhte Produktivität des Ökosystems führt zu einer verstärkten Freisetzung von Nährstoffen und organischen Verbindungen, so dass das Wachstum der Pflanzen weiter stimuliert wird. Oftmals kommt es in solchen Gewässern zur Ausbildung regelrechter Algenteppiche, die dem See eine trübgrüne Farbe verleihen und die im See lebenden Organismen vom Sonnenlicht abschneiden (siehe ⇒ Abbildung 7.12). Detritus fällt in großen Mengen an und sinkt zu Boden, wo er von den Destruenten, insbesondere von Bakterien, zersetzt wird. Durch ihre Tätigkeit verbrauchen die Destruenten der Bodensedimente und der unteren Wasserschichten den vorhandenen Sauerstoff, bis schließlich aerobes Leben in diesem Bereich des Sees nicht mehr möglich ist. Infolge des „Umschaltens“ einiger Destruenten auf anaeroben Stoffwechsel kommt es am Gewässerboden zur Bildung von Faulschlamm. Dieser wird, mitsamt seinen für viele Seeorganismen toxischen Inhaltsstoffen, bei der nächsten Zirkulation des Sees in allen Gewässerbereichen verteilt und sorgt für das Absterben vieler Seeorganismen. Der Faulschlamm ist es auch, der den charakteristischen Geruch eines „umgekippten“ Gewässers nach Methan und Schwefel ausmacht. Wenn die anaeroben Abbauprozesse gegenüber den aeroben Prozessen dominieren, gilt letztendlich der See als „umgekippt“. In vielen Gebieten Zentraleuropas, insbesondere in Bereichen mit Intensivlandwirtschaft, sind hypertrophe Gewässer zahlreich vertreten, da durch den Einsatz von Düngemitteln und Gülle Stickstoffverbindun-
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Merke Fischsterben durch Sauerstoffmangel In eutrophen Seen kann es insbesondere in Sommernächten zu einem Fischsterben durch Sauerstoffmangel kommen. Die Ursache für dieses Phänomen ist der hohe Nährstoffgehalt und die damit einhergehende und „bottom-up“ regulierte große Menge an Biomasse und hohe Sauerstoffzehrung eines solchen Gewässers. In den Sommermonaten ist die Löslichkeit für Sauerstoff im warmen Seewasser besonders gering. Dar über hinaus benötigt die große Zahl und Masse der Organismen im Ökosystem eine beträchtliche Menge an Sauerstoff für ihren Stoffwechsel. Während der Tagesstunden, wenn die Sonne scheint, produzieren die photosynthetisch aktiven Organsimen im See Sauerstoff, der den hohen Sauerstoffverbrauch durch aerobe Stoffwechselprozesse teilweise ausgleicht. In den Nachtstunden betreiben jedoch sowohl die Produzenten als auch die anderen Organismen im See aerobe Stoffwechselprozesse und entziehen dem Wasser auf diese Weise den Sauerstoff. Insbesondere größere Raubfische, die schnelle Schwimmer sind und einen hohen Sauerstoffbedarf besitzen, können daher in Sommernächten durch den Sauerstoffmangel im Wasser ersticken.
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7 Aquatische Ökosysteme
Abbildung 7.12: Hypertropher See Rieselfelder Münster.
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W iederholun g s f ra g en 7 . 1
1. Entwerfen Sie eine Skizze eines Sees, in der Sie die verschiedenen, abgrenzbaren Zonen einzeichnen. Klären Sie anschließend die von Ihnen verwendeten Begriffe. 2. Erläutern Sie, wie sich Menge und Qualität der Solarstrahlung mit zunehmender Wassertiefe verändern. 3. Erläutern Sie in eigenen Worten, warum es unter bestimmten Rahmenbedingungen in Seen zu einer jahreszeitlichen Schichtung von Temperatur und Sauerstoffgehalt kommt. 4. Erklären Sie die Unterschiede zwischen oligotrophen, mesotrophen, eutrophen und polytrophen Gewässern. Entwickeln Sie einen Maßnahmenkatalog, wie man die durch den Menschen verursachte Eutrophierung von Gewässern verhindern bzw. rückgängig machen könnte.
gen und Phosphate in großen Mengen über den Oberflächenabfluss in Seen oder deren zuführende Flüsse und Bäche eingetragen werden. Einleitungen aus Kläranlagen, in denen sich in früheren Zeiten phosphathaltige Waschlaugen befanden, trugen insbesondere bis zum Verbot des Einsatzes von Phosphaten in Waschmitteln zu einem übernormalen Nährstoffangebot bei. Nachdem experimentell bewiesen worden war, dass Phosphat und nicht Stickstoff der in Süßwasserlebensräumen die Biomasseproduktion der Produzenten limitierende „Mangelfaktor“ ist, wurde der Einsatz von Phosphaten in Waschmitteln in Deutschland gesetzlich begrenzt. Ist ein Gewässer erst einmal stark eutrophiert oder umgekippt, kann es nur durch große und langfristige Anstrengungen wieder in einen weniger nährstoffreichen und weniger „kritischen“ Zustand zurückversetzt werden. Einige Maßnahmen, die in diesem Zusammenhang angewendet werden, sind beispielsweise das Ausbaggern und Deponieren von Faulschlamm, das Einblasen von Sauerstoff oder Luft in die tropholytische Schicht des betroffenen Gewässers, das Begrenzen des Eintrags von Nährstoffen über Maßnahmen des Gewässermanagements und über Kompensationszahlungen an Landwirte für das Anlegen unbewirtschafteter Gewässerrandzonen, der Bau effizienterer Kläranlagen und die Vermeidung des Eintrags industrieller Abwässer.
7.2
Ökosystem Fließgewässer
Das typische Merkmal von Fließgewässern ist ihre Strömung. Ihre Fließrichtung und Strömungsgeschwindigkeit werden jeweils von den Gegebenheiten der Landschaft, also Reliefstruktur und Bodenbeschaffenheit, vorgegeben. Oberirdisch verlaufende mittelgroße bis große Fließgewässer werden als Flüsse, kleinere als Bäche bezeichnet. Fließgewässer entspringen zumeist aus im Landesinneren gelegenen Quellen, sie können jedoch auch den Abfluss von Seen bilden oder im Bereich von Gletschern aus Schmelzwasser entstehen. Unmittelbar nach Verlassen der Quelle führt
7.2 Ökosystem Fließgewässer
ein Bach noch relativ wenig Wasser, er vereint sich jedoch nach und nach mit anderen Bächen. Weitere Quellen können das Fließgewässer zusätzlich speisen und Wasser des Oberflächenabflusses tritt ihm hinzu. Auf diese Weise werden Bäche zu Flüssen oder sogar Strömen und nehmen dabei viele andere Fließgewässer in sich auf. Innerhalb eines Wassereinzugsgebietes kann man Fließgewässersysteme hierarchisch gliedern (⇒ Abbildung 7.13). Ein kleiner Quellfluss ohne weitere Nebenflüsse bildet einen Wasserlauf erster Ordnung. Verbinden sich zwei Bäche der gleichen Ordnung miteinander, entsteht ein Wasserlauf höherer Ordnung. Durch Vereinigung zweier Bäche erster Ordnung entsteht auf diese Weise ein Bach zweiter Ordnung und beim Zusammenfließen zweier Bäche zweiter Ordnung entsteht ein Wasserlauf dritter Ordnung. Die Ordnung eines Wasserlaufes nimmt dann zu, wenn er sich mit einem zweiten Wasserlauf gleicher Ordnung vereinigt, nicht jedoch durch die Vereinigung mit einem Bach niedrigerer Ordnung. Fließgewässer stellen durch ihre Dynamik ganz unterschiedliche Ansprüche an die in ihnen vorkommenden Lebensgemeinschaften. Da sich in einem Fließgewässer Bereiche mit turbulenter Strömung und Bereiche mit ruhiger Strömung abwechseln, sind auch die Anfordernisse in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich und variieren. Im Folgenden werden wir daher Fließgewässer in ihrem Verlauf von der Quelle bis zur Mündung näher betrachten und dabei den Fokus auf ihre charakteristische Besonderheit, die Wasserströmung, legen.
Grenze des Wassereinzugsgebietes Erste Ordnung Zweite Ordnung Dritte Ordnung Vierte Ordnung
Größeres Fließgewässer höherer Ordnung
Abbildung 7.13: Hierarchie der Wasserläufe in einem Wassereinzugsgebiet.
7.2.1 Die Wasserströmung hat grundlegenden Einfluss auf das Ökosystem Fließgewässer
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Fließgewässer lassen sich nach Art der Strömung in unterschiedliche Bereiche unterteilen Betrachtet man ein Fließgewässer von seiner Quelle bis zur Mündung, kann man verschiedene Bereiche unterscheiden. Oftmals wechseln sich dabei in Fließgewässerökosystemen zwei miteinander in Verbindung stehende Lebensraumtypen ab: Bereiche mit turbulenter Strömung (zum Beispiel Stromschnellen) und Bereiche mit laminarer Strömung (Strömung ohne Turbulenzen, von lat. lamina „Platte“) wie beispielsweise in Abschnitten größerer Fließgewässerbreite und -tiefe. Vorgänge, die sich in den turbulenten Bereichen abspielen, wirken sich auf den stromabwärts gelegenen ruhigeren Bereich aus und umgekehrt. Ein Fließgewässerbett im Oberlauf eines Flusses ist häufig schmal, besitzt einen grobsteinigen Untergrund und ist durch abwechselnde lotische (schnell fließende Bereiche in der Mitte) und lenitische Bereiche (ruhige Stillwasserzonen im Uferbereich) charakterisiert. Das Wasser fließt schnell und bildet an größeren Steinen und Kiesflächen eine turbulente Strömung aus, zusätzlich treten häufig kleinere Wasserfälle und Stromschnellen auf. Weiter stromabwärts sind Ströme in der Regel breit und im Mittellauf mäandrierend (hin und her pendelnd, Flussschleifen bildend), wobei in den Schleifen mitgeführte Sedimente als Sande und Tone abgelagert werden. Es kommt in diesen Flussbereichen jedoch weder zu Verwirbelungen noch zu Turbulenzen. Im Unterlauf 183
7 Aquatische Ökosysteme
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Abbildung 7.14: Fließgewässer. (a) Ein schnell fließender Gebirgsbach. Der Gewässergrund besteht vorwiegend aus Gesteinsblöcken und Kies, eine turbulente Strömung überwiegt; lotische Bereiche dominieren. (b) Ein langsam fließender Wasserlauf ist tiefer, hat ein geringeres Gefälle und ist durch eine laminare Strömung charakterisiert. Es überwiegen lenitische Bereiche.
herrschen Bedingungen mit langsamer Fließgeschwindigkeit vor. Dieser Fließgewässerabschnitt hat daher eine gewisse Ähnlichkeit mit stehenden Gewässern. Die Strömungsgeschwindigkeit eines Fließgewässers wird durch viele Faktoren beeinflusst. Form und Gefälle des Flussbettes, aber auch seine Breite und Tiefe sowie die Oberflächenstruktur des Untergrundes, die Niederschlagsmenge und die Geschwindigkeit der Schneeschmelze wirken sich auf die Strömungsgeschwindigkeit aus. Schnell fließende Wasserläufe haben eine Strömungsgeschwindigkeit von 50 Zentimetern pro Sekunde oder mehr. Bei solchen Geschwindigkeiten reißt die Strömung alle Teilchen mit einem Durchmesser von unter fünf Millimetern mit und hinterlässt einen steinigen Untergrund. Bei Hochwasser beschleunigt sich die Strömung zusätzlich; sie transportiert dann Steine und Kies mit sich, schleift mit dieser Fracht das Fließgewässerbett ab und verändert durch Erosion und Ablagerung von Sedimenten den Fließgewässerverlauf und die Landschaft. Wenn das Gefälle bei zunehmender Breite und Tiefe des Gewässers und damit einhergehendem größeren transportierten Wasservolumen abnimmt, sammeln sich mitgeschleppte Partikel der Ton-, Schluff-, Lehm- und Sandfraktion sowie totes organisches Material am Gewässerboden an. Der Nährstoffgehalt von Bächen und Flüssen nimmt daher vom Oberlauf zum Unterlauf hin zu. Darüber hinaus ändern sich mit der Strömungsgeschwindigkeit auch die Eigenschaften eines Fließgewässers (⇒ Abbildung 7.14) und die Artenzusammensetzung seiner Lebensgemeinschaft. In Bereichen, in denen ein Fließgewässer in einen See oder ein Fluss in das Meer einmündet, sinkt die Strömungsgeschwindigkeit plötzlich stark ab. Dadurch werden große Mengen von Sedimenten im Mündungsbereich fächerförmig abgelagert, wodurch ein Flussdelta entstehen kann (⇒ Abbildung 7.15). Oftmals bilden sich mehrere Mündungsarme aus, die durch Ablagerungs- und Erosionsprozesse ihren Verlauf ständig ändern und zu großen Überflutungszonen führen können. In einer Deltaregion können zahlreiche Fließwasserrinnen, Seen und Sümpfe mit dazwischenliegenden Inseln entstehen. Material, das der Fluss nicht im Delta abgelagert, wird ins offene Wasser transportiert, sinkt dort zu Boden und kann dadurch zu einer weiteren Vergrößerung des Deltas beitragen.
Abbildung 7.15: Ein Flussdelta, das durch die Ablagerung von Flusssedimenten gebildet wurde.
7.2 Ökosystem Fließgewässer
Sauerstoffversorgung in Fließgewässern
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Die Sauerstoffversorgung in Fließgewässerökosystemen ist, wie in stehenden Gewässern auch, nicht vergleichbar mit der Sauerstoffversorgung terrestrischer Ökosysteme. Selbst unter idealen Bedingungen ist nämlich die Löslichkeit von Gasen in Wasser relativ gering. In Lebensräumen des Festlandes kommt es, wegen des hohen Sauerstoffgehaltes der Luft, nur in ganz seltenen Fällen zur Konkurrenz um Sauerstoff oder zu Sauerstoffmangel, in aquatischen Lebensräumen hingegen ist die Sauerstoffversorgung für Organismen selbst in der Nähe des Sauerstoffsättigungsbereiches des Wassers eingeschränkt. Im Gegensatz zur Konzentration von 0,21 l O2 pro Liter Luft in der Atmosphäre (21 Volumenprozent), erreicht die Löslichkeit von Sauerstoff in 0 °C kaltem Süßwasser einen Höchstwert von nur 0,01 l pro Liter (ein Prozent). Bei höheren Wassertemperaturen nimmt dieser Gehalt sogar noch weiter ab, da die Löslichkeit von Gasen in Wasser allgemein mit steigender Temperatur sinkt. Daher ist der Sauerstoffgehalt in aquatischen Lebensräumen oft der begrenzende Faktor für die Atmung und die Stoffwechselaktivität der dort lebenden Organismen. Der Oberlauf eines Fließgewässers ist in der Regel sauerstoffreich, da das ständige Aufwirbeln von Wasser an Steinen, an Unregelmäßigkeiten des Gefälles und im Bereich von Stromschnellen für einen stärkeren Kontakt des Wassers mit der Atmosphäre und somit auch für eine erhöhte Sauerstoffaufnahme sorgt. Der Sauerstoffgehalt liegt daher in Oberläufen nahe dem für die betreffende Temperatur bestehenden Sättigungspunkt. Weiter stromabwärts enthält das Wasser in der Regel weniger Sauerstoff, da mit steigender Temperatur die Sauerstofflöslichkeit in Wasser und bei laminarer Strömung das Ausmaß der Sauerstoffaufnahme sinkt. Darüber hinaus reduziert sich der Sauerstoffgehalt durch den Sauerstoffverbrauch der Wasserorganismen. Die Strömungsgeschwindigkeit beeinflusst die Wassertemperatur Die Strömungsgeschwindigkeit besitzt einen großen Einfluss auf die Temperatur von Fließgewässern, da in Flussbereichen mit hoher Strömungsgeschwindigkeit, bedingt durch die Dynamik des Wassers, die Solarstrahlung das Wasser nur in begrenztem Maße erwärmen kann. Flüsse sind daher in ihrem Oberlauf in der Regel durch kaltes Wasser charakterisiert. Weiter stromabwärts, wo meist bereits zahlreiche Nebenflüsse hinzugekommen sind und die Strömungsgeschwindigkeit geringer ist, ist das Wasser üblicherweise wärmer und durch das mitgeführte Sediment getrübt.
7.2.2 Viele Süßwasserorganismen sind an das fließende Gewässer angepasst Ein Fließgewässer zeigt bezüglich der in ihm vorherrschenden Lebensgemeinschaften eine charakteristische Zonierung von der Quelle bis zur Mündung. Der Oberlauf von Fließgewässern zeichnet sich durch Algen- und Moosarten wie zum Beispiel die Rotalge Lemanea (⇒ Abbil
Abbildung 7.16: Rotalge Lemanea im Bereich turbulenter Strömung (rechts) bei Niedrigwasserstand (Fließrichtung von rechts nach links): Hochschwarzwald. 185
7 Aquatische Ökosysteme
dung 7.16) und punktuell auch durch Wasserflechten aus. „Leitfische“ dieser Zone sind Forelle und Äsche, unter den Wirbellosen dominieren in diesem Bereich insbesondere die Larven von Eintagsfliegen, Steinfliegen und Köcherfliegen. Ferner kommen Strudelwürmer, Flohkrebse, Süßwassermilben und an das Wasserleben angepasste Käferarten vor. Der Mittellauf ist durch Pflanzen wie beispielsweise Wasserhahnenfußarten und verschiedene Moosarten geprägt. Barbe und Brachsen sind Leitfische des mittleren, aber auch unteren Flussbereiches. Zudem spielt im Unterlauf zusätzlich das Phytoplankton eine große Rolle. Die Uferzonen sind je nach Relief mit Röhrichten und mit Auenvegetation bewachsen.
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Anpassungsstrategien an starke Strömungen Die Bewohner von Bächen und Flüssen laufen Gefahr, durch die Strömung mitgerissen und verdriftet zu werden, und haben daher spezifische Anpassungen an das Leben in der Strömung entwickelt (⇒ Abbildung 7.17a). Viele Tierarten, die in Fließgewässern mit starker Strömung vorkommen, besitzen eine Stromlinienform, die der fließenden Welle nur wenig Widerstand bietet. Die Larven vieler Insektenarten sind stark abgeflacht und verfügen über breite, flache Extremitäten, mit denen sie sich an der Unterseite von Steinen, wo nur eine schwache Strömung herrscht, festklammern können. Die Larven mancher Köcherfliegenarten bauen sich schützende Gehäuse aus Sand und kleinen Kieselsteinen, die sie an der Unterseite von Steinen festkleben. Wasserschnecken und Plattwürmer heften sich mit ihrer klebrigen Unterseite fest an das Substrat an und bewegen sich in der Strömung zwischen den Steinen und dem Kies. Manche Pflanzen, so das Wassermoos, heften sich an Steinen fest. Algen bilden in Bereichen starker Strömung oftmals kissenförmige Kolonien oder einen gelartigen Überzug, der die Oberfläche von Steinen und Felsen bedeckt. Alle Tierarten, die für Fließgewässer mit einer starken Strömung charakteristisch sind, benötigen für ihr Überleben fließendes Wasser mit einer hohen, nahe bei der Sättigung liegenden Sauerstoffkonzentration, das mit ihren den Sauerstoff absorbierenden Oberflächen (zum Beispiel Kiemen) in ständigem Kontakt bleibt. In langsam fließenden Gewässern, in denen nur eine geringfügige Strömung herrscht, treten keine Arten mit Stromlinienform mehr auf. In solchen Gewässern kommt zum Beispiel in Mitteleuropa der Flussbarsch vor, der sich mit seinem schmaleren Körper gut zwischen dicht stehenden Wasserpflanzen hindurch schlängeln kann. Lungenschnecken und Eintagsfliegen treten in langsam fließenden Gewässern an die Stelle der auf den Steinen lebenden Insektenarten. Fische des Gewässerbodens, wie der Schwarze Zwergwels in Nordamerika beziehungsweise der mitteleuropäisch verbreitete Wels, ernähren sich von Organismen, die sich im schlammigen Boden befinden. Auf der Wasseroberfläche treten Wasserläufer auf und im Wasser schwimmen zahlreiche Insekten, so zum Beispiel der Rückenschwimmer, der zu den Wasserwanzen gehört (⇒ Abbildung 7.17b). In Fließgewässerabschnitten mit starker Strömung fehlen diese Arten.
7.2 Ökosystem Fließgewässer
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Abbildung 7.17: Lebensformen (a) in einem schnell fließenden und (b) in einem langsam fließenden Bach Nordamerikas. Schnell fließender Bach: (1) Kriebelmückenlarve; (2) netzbauende Köcherfliege; (3) Köcherfliegenröhre; (4) Wassermoos; (5) Kraushaaralge; (6) Eintagsfliegennymphe; (7) Steinfliegennymphe; (8) Wassermünzenkäfer; (9) Schlammfliegenlarve; (10,11) Kieselalgen; (12) Schnakenlarve. Langsam fließender Bach: (13) Nymphe einer Großlibelle; (14) Wasserläufer; (15) Kleinlibellenlarve; (16) Ruderwanze; (17) Kugelmuschel; (18) grabende Eintagsfliegennymphe; (19) Schlammröhrenwurm; (20) Flusskrebs. Der Fisch in dem schnell fließenden Bach ist ein Bachsaibling. Bei den Fischen in dem langsam fließenden Bach handelt es sich von links nach rechts um einen Flusshecht, einen Schwarzen Zwergwels und einen Schwarzbarsch.
Ernährungstypen in Fließgewässern In Fließgewässern unterscheidet man bei wirbellosen Tieren zwischen vier wichtigen Ernährungstypen: Bohrer, Weidegänger, Sammler und Zerkleinerer (⇒ Abbildung 7.18). Viele Insektenlarven, wie Köcherfliegen- und Steinfliegenlarven, stellen Zerkleinerer dar. Sie ernähren sich von gröberem, totem organischem Material, insbesondere von Blättern, die in das Wasser fallen. Die Zerkleinerer bauen dieses Material ab, sie fressen es jedoch weniger aufgrund des Energiegehaltes, sondern ernähren sich von den Bakterien und Pilzen, die auf dem Detritus vorkommen. Zerkleinerer assimilieren rund 40 Prozent des aufgenommenen Materials und geben 60 Prozent in Form von Exkrementen wieder ab. Die Blätter, die von den Zerkleinerern zerlegt und von Mikroorganismen teilweise abgebaut wurden, bilden zusammen mit den Exkremen187
7 Aquatische Ökosysteme
Abbildung 7.18: Die vier wichtigsten Ernährungstypen einer Fließgewässerlebensgemeinschaft: Bohrer, Weidegänger, Sammler und Zerkleinerer. Blätter und anderes vorwiegend kleineres organisches Material werden von Bakterien und Pilzen zersetzt.
Weidegänger
Sammler
Zerkleinerer
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Bohrer
ten der wirbellosen Tiere das sogenannte feinere partikuläre organische Material. Diese Partikel treiben stromabwärts, setzen sich am Gewässerboden ab und werden von zwei weiteren Ernährungstypen unter den wirbellosen Tieren aufgenommen, den Filtrierern und Sammlern. Zu den Filtrierern gehören die Larven der Kriebelmücken mit ihren Filterfächern und die netzbauenden Köcherfliegen. Sammler, wie die Larven der Zuckmücken, nehmen Partikel vom Gewässerboden auf. Beide Gruppen beziehen, ebenso wie die Zerkleinerer, einen großen Teil ihrer Nahrungsenergie aus Bakterien, die an den feinen Detritusteilchen haften. Während Zerkleinerer, Filtrierer und Sammler sich von Detritus ernähren, besteht die Nahrung der Weidegänger aus den Algenschichten auf Steinen und Kies. Zu dieser Gruppe gehören zahlreiche Käferlarven und verschiedene mobile Köcherfliegenlarven. Das Material, das sie von den Steinen aufnehmen, gelangt zu einem großen Teil als feineres partikuläres organisches Material in die Strömung. Eine weitere Gruppe, die Bohrer, gräbt Gänge in das wasserdurchtränkte Holz von Ästen und von im Wasser liegenden Baumstämmen. Die Detritusfresser und Weidegänger dienen räuberischen Insektenlarven sowie Fischen als Nahrung. Diese Räuber sind jedoch nicht ausschließlich auf Wasserinsekten als Nahrungsgrundlage angewiesen; sie fressen darüber hinaus in großem Umfang wirbellose Tiere, die vom Land in das Fließgewässer fallen oder hineingespült werden.
7.2.3 Das Saprobiensystem Das Saprobiensystem stellt ein biologisches Verfahren zur Gewässergütebestimmung von Fließgewässern dar. Grundlage des Verfahrens ist die Bestimmung von sogenannten saprophagen Zeigerarten, Organismen, die sich von fäulnisfähigen organischen Substanzen ernähren. Zeigerarten sind allgemein Lebewesen, die hinsichtlich eines bestimmten Umweltfaktors, in diesem Fall dem organischen Nährstoffgehalt des
7.2 Ökosystem Fließgewässer
Wassers, stenök sind (einen schmalen Toleranzbereich besitzen, siehe Kapitel 2) und daher nur bei ganz bestimmten Nährstoffgehalten vorkommen. Da die ökologischen Ansprüche der Saprobionten bekannt sind, kann man somit ermessen, wie sauber das Wasser sein muss, damit die Tiere darin leben können. Die Individuen der jeweiligen Zeigerarten reagieren darüber hinaus zumeist sehr sensibel auf Veränderungen des Nährstoffgehaltes des Wassers und somit der Umweltbedingungen, so dass das Fehlen bzw. Vorkommen bestimmter Arten Rückschlüsse auf die Qualität des überprüften Gewässers zulässt. Da die Saprobionten, je nach Art, unterschiedlich empfindlich auf sich verändernde Umweltbedingungen reagieren, wird jedem Zeigerorganismus ein Wert (g), die allgemeine Gewichtung, zugeordnet. g kann Werte von 1, 2, 4, 8 oder 16 annehmen. Ein Organismus mit einem hohen g-Wert weist eine geringe Toleranzbreite bezüglich sich verändernder Umweltbedingungen auf und besitzt daher für die betreffende Güteklasse eine höhere Aussagekraft als ein Organismus mit einem geringeren g-Wert und einer größeren Toleranzbreite. Darüber hinaus ist jedem Zeigerorganismus ein charakteristischer Saprobienwert (s) zugeordnet, der einen Ausdruck für die Gewässergüte darstellt. Steinfliegenlarven benötigen zum Leben sehr sauberes Wasser, ihnen ist daher der Saprobienwert 1 zugeordnet, Schlammröhrenwürmer sind demgegenüber weniger anspruchsvoll und besitzen einen Saprobienwert von 3,8. Findet man einen Zeigerorganismus in einem bestimmten Gewässer, dann ist die alleinige Tatsache seines Vorkommens jedoch noch nicht aussagekräftig, es kommt zusätzlich auf seine Häufigkeit (h) an. Der Saprobienwert s mal der Häufigkeit h mal der allgemeinen Gewichtung g einer Zeigerart ergibt die Einzelsumme der Zeigerart:
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s × h × g = Einzelsumme einer Zeigerart Da man in einem Fließgewässerabschnitt jedoch üblicherweise nicht nur eine Zeigerart findet, muss die obige Rechnung für alle gefundenen saprobiontischen Arten durchgeführt werden. Der Saprobienindex ist das Ergebnis einer solchen Berechnung und korreliert mit der Gewässergüte. Er setzt sich aus der Gesamtsumme aller Einzelsummen ∑ges, geteilt durch die Gesamthäufigkeit aller Zeigerarten mal der Gesamtzahl der allgemeinen Gewichtung: hges × gges zusammen. ∑ges _________ = Saprobienindex hges × gges Mithilfe des auf diese Weise ermittelten Saprobienindex kann das untersuchte Gewässer einer Gewässergüteklasse zugeordnet werden (⇒ Abbildung 7.19). Liegt der Saprobienindex beispielsweise bei 1–1,5, dann liegt die Gewässergüteklasse I vor, das Gewässer gilt als unbelastet bzw. sehr gering belastet. Bei Güteklasse IV hingegen hat der Saprobienindex einen Wert von 3,5–4,0 und das Gewässer ist übermäßig verschmutzt.
W iederholun g s f ra g en 7 . 2
1. Skizzieren Sie den Verlauf eines Fließgewässers von der Quelle bis zur Mündung. Zeichnen Sie dabei die unterschiedlichen Bereiche des Fließgewässers ein, die im Verlauf zu erwarten sind. 2. Stellen Sie in eigenen Worten dar, wie sich der Sauerstoff- und Nährstoffgehalt bzw. die Wassertemperatur von der Quelle bis zur Mündung verändert, und erklären Sie begründet. 3. Wählen Sie aus Abbildung 7.17a drei Lebensformen aus und erläutern Sie deren Anpassungsstrategien an die starke Strömung. Benutzen Sie als Hilfestellung den entsprechenden Abschnitt im Text. 4. Erläutern Sie in eigenen Worten, auf welche Weise und auf Basis welcher Grundannahmen die Gewässergütebestimmung mithilfe des Saprobiontenindex durchgeführt wird. Erklären Sie dabei auch, was man unter einer Zeigerart versteht. 5. Werten Sie die Ergebnisse der Gewässergütebestimmung der Lutter aus. Ermitteln Sie den Saprobienindex und stellen Sie dar, welche Rückschlüsse man auf die Gewässergüte ziehen kann.
189
7 Aquatische Ökosysteme
Gewässergüte
Saprobien
klasse
index
I
1,0–1,4
Beschreibung
Ökologischer Zustand angelehnt an EU-WRRL
Reines, stets annähernd sauerstoffgesättigtes, nährstoffarmes Wasser
Sehr gut (1)
Geringer Bakteriengehalt Unbelastet bis sehr
Mäßig dichte Besiedlung mit Algen, Moosen, Strudelwürmern, Insektenlar-
gering belastet
ven Laichgewässer für Salmoniden
I–II
1,5–1,7
geringe anorganische Nährstoffzufuhr und organische Belastung, jedoch
Gut (2)
ohne nennenswerte Sauerstoffzehrung Dicht und meist in großer Artenvielfalt besiedelt
Gering belastet
Salmonidengewässer II
1,8–2,2
Mäßige Verunreinigung und gute Sauerstoffversorgung Sehr große Artenvielfalt und Individuendichte von Algen, Schnecken, Kleinkrebsen, Insektenlarven
Mäßig belastet*
Wasserpflanzenbestände können größere Flächen bedecken Artenreiche Fischgewässer II–III
2,3–2,6
Belastung mit organischen, Sauerstoff zehrenden Stoffen bewirkt einen
Mäßig (3)
kritischen Zustand Rückgang der Artenzahl bei Makroorganismen; einige Arten neigen zu
Kritisch belastet
Massenentwicklungen; fädige Algen können flächendeckende Bestände bilden Fischsterben infolge Sauerstoffmangel möglich III
2,7–3,1
Starke organische, Sauerstoff zehrende Verschmutzung, meist niedriger
Unbefriedigend (4)
Sauerstoffgehalt; örtlich Faulschlammablagerungen
Stark verschmutzt
Kaum Algen und höhere Wasserpflanzen, jedoch Massenentwicklung von Schwämmen, Egeln, Wasserasseln; Kolonien von Wimperntierchen und Abwasserbakterien Periodische Fischsterben sind möglich III–IV
3,2–3,4
Eingeschränkte Lebensbedingungen durch sehr starke Verschmutzung mit
Schlecht (5)
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organischen, Sauerstoff zehrenden Substanzen, oft durch toxische Einflüsse Sehr stark
verstärkt;
verschmutzt
zeitweilig kein Sauerstoff, ausgedehnte Faulschlammablagerungen Besiedlung durch Mikroorganismen, Wimperntierchen, Schlammröhrenwürmer, Rote Zuckmückenlarven Fische nicht auf Dauer anzutreffen
IV
3,5–4,0
Übermäßige Verschmutzung durch organische, sauerstoffzehrende Abwässer;
Übermäßig
Sauerstoff über lange Zeit in niedrigen Konzentrationen vorhanden oder
verschmutzt
gänzlich fehlend; Fäulnisprozesse herrschen vor Besiedlung fast ausschließlich durch Mikroorganismen (Geißeltierchen, Wimperntierchen, Bakterien); bei starker toxischer Belastung biologische Verödung Fische fehlen
Abbildung 7.19: Übersicht über die Gewässergüteklassen in Deutschland. Quelle: Schriftenreihe der Vereinigung deutscher Gewässerschutz e. V., Band 64: Ökologische Bewertung von Fließgewässern, www.vdg-online.de *gesetzlich vorgeschriebenes Qualitätsziel in Deutschland.
7.3 Ökosystem Meer
Bestimmung der Gewässergüte der Lutter Im Herbst 2005 untersuchte eine ökologische Arbeitsgemeinschaft des Carl-Severing-Berufskollegs in Bielefeld die Lutter mithilfe des Saprobiontensystems. Die Bestimmung und Auswertung der Zeigerarten führte zu folgenden Ergebnissen: Organismus
Gr. 1
1
Dreieckskopf Strudelwurm
8
2
„weißer“ Strudelwurm
3
großer Schneckenegel
4
Rollegel
5
Flussnapfschnecke
6
Schlammschnecke
7
kleine Flussmuschel
8
Kugelmuschel
9
Flussflohkrebs
10
Flohkrebs
11
Wasserassel
12
Steinfliegenlarve
13
Eintagsfliegenlarve
14
Köcherfliegenlarve
15
Gr. 2
Gr. 3
Gr. 5
Anzahl h 9
1,6
8
115,2
72
4
4
2,2
8
70,4
32
1
2,2
8
17,6
8
1
3
2,7
4
32,4
12
6
2
4
48
24
5
5
1,1
1,6
8,8
8
1
1,8
8
14,4
8
1
1
2,2
4
8,8
4
15
15
2
8
240
120
2
22
2
4
176
88
1
1 1 4
1
2
1
4
2
8
6
1 6
4
3
Schmetterlingsmücke Summe
Gr. 4
15
7
16
24
Gewichtung g
Berechnung h × s × g
Berechnung h × g
5
5
2,7
4
54
20
2
3
1,3
4
15,6
12
2
30
1,4
4
168
120
2
2
1,5
8
24
16
1
3,4
4
13,6
4
39
108
1006,8
548
1 22
Index s
Abbildung 7.20: Übersicht über die in der Lutter gefundenen Zeigerorganismen. Insgesamt wurden an fünf Stellen der Lutter Proben entnommen und untersucht (Gr. 1–Gr. 5). Der Wert h gibt die Häufigkeit, der Wert s den Saprobienindex und der Wert g das Indikatorgewicht der jeweiligen gefundenen Arten an.
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Quellenangabe: Dr. C. Lieshoff, Maria-Stemme-Berufskolleg der Stadt Bielefeld
7.3
Ökosystem Meer
Meere bedecken etwa 70 Prozent der Erdoberfläche und stellen damit flächenmäßig die umfangreichsten Ökosysteme der Erde dar. Die Weltmeere (Ozeane) besitzen eine durchschnittliche Tiefe von 4000 Metern, ihr tiefster Punkt liegt sogar mehr als zehn Kilometer unter der Wasseroberfläche. In Meeren herrschen charakteristische Umweltbedingungen vor, die wiederum ganz bestimmte Anforderungen an die in ihnen vorkommenden Lebensgemeinschaften stellen. So ist beispielsweise der obere, von der Solarstrahlung beeinflusste Bereich der Meere im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Wasserkörpers sehr klein. Alle Meere sind durch Oberflächen-, Zwischen- und Tiefenströmungen miteinander verbunden, werden von Wellenbewegungen und Gezeiten beeinflusst und sind durch ihren relativ hohen Salzgehalt charakterisiert.
Abbildung 7.21: Offenes Meer im Inselarchipel von Hawaii mit einem Buckelwal.
191
7 Aquatische Ökosysteme
Epipelagial Mesopelagial Bathypelagial Abyssopelagial Hadopelagial
Tiefe [m] 200 1000 2000 3000 4000 5000 6000
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Abbildung 7.22: Lebensbereiche des Meeres.
7.3.1 Meere gliedern sich in verschiedene Lebensbereiche Das Meer gliedert sich als Lebensraum in zwei Bereiche: das Pelagial, die Zone des freien Wassers, und das Benthal, die Zone des Meeresbodens. Das Pelagial kann wiederum in zwei unterschiedliche Regionen unterteilt werden: die neritische Region oder Flachmeerregion und die ozeanische Region oder Hochsee über der Tiefsee. Da die ökologischen Bedingungen sich mit der Wassertiefe ändern, unterteilt man das Pelagial in eine Reihe weiterer Schichten oder Zonen (⇒ Abbildung 7.22). Von der Oberfläche bis in eine Tiefe von 200 Metern reicht das Epipelagial, die euphotische oder durchlichtete Zone. Diese Zone ist sowohl in der neritischen als auch in der ozeanischen Region ausgebildet und in ihr herrschen starke Gradienten von Lichtintensität, Temperatur und Salzgehalt. Nur auf die ozeanische Region beschränken sich die folgenden Zonen: Von 200–1000 Meter schließt sich das Mesopelagial an; in diese Tiefe dringt kaum noch Licht vor und der Temperaturgradient ist wesentlich geringer und unterliegt kaum jahreszeitlichen Schwankungen. Das Mesopelagial enthält eine Schicht mit geringerem Sauerstoffgehalt, welcher oftmals mit maximaler Nährstoffkonzentration (Stickstoff- und Phosphorverbindungen) einhergeht. Es folgt das völlig dunkle Bathypelagial, in dem Licht ausschließlich durch die Biolumineszenz verschiedener Organismen gespendet wird; in dieser Zone herrschen darüber hinaus niedrige Temperaturen und hohe Drücke. Das Abyssopelagial schließlich reicht von 4000 Metern bis zu den größten Meerestiefen hinunter. Zusätzlich abgegrenzt wird die hadale Zone mit einzelnen Bereichen der Tiefseegräben, die bis in über 10.000 Meter Tiefe reichen.
7.3.2 Meere verfügen über eine hohe Konzentration an gelösten Stoffen Im Gegensatz zu Süßwasser besitzen die Meere eine viel höhere Konzentration an gelösten Stoffen. Tatsächlich bilden die Ozeane ein riesiges Auffangbecken verschiedener anorganischer und organischer Substanzen und der Zufluss von Süßwasser in die Meere erhöht, einhergehend mit der Verdunstung von Wasser in die Atmosphäre, kontinuierlich die Konzentration der gelösten Substanzen. Der gesamte Salzgehalt (Salinität) wird in Gramm Salze pro Liter Wasser angegeben. Die Salinität des offenen Meeres variiert unter anderem je nach Breitengrad, Meerestiefe, Temperatur, Niederschlagsverhältnissen und Süßwasserzufluss großer Ströme und beträgt im Mittel etwa 35 Promille (3,5 Prozent). Der Salzgehalt von Süßwasser schwankt im Gegensatz dazu zwischen 0,065 und 0,30 Promille. Über geologische Zeiträume hinweg (Hunderte Jahrmillionen) hat sich der Salzgehalt der Ozeane erhöht und steigt weiterhin an.
7.3 Ökosystem Meer
0
7.3.3 In Meeren ist die Sauerstoffverteilung nicht gleichmäßig
1000
Tiefe [m]
Wie in Seen ist auch in den Meeren der Sauerstoff nicht gleichmäßig auf die verschiedenen vertikalen Schichten verteilt (⇒ Abbildung 7.23). Ein typisches ozeanisches Sauerstoffprofil zeigt ein Maximum in den obersten 10–20 Metern, wo die photosynthetische Aktivität und Diffusionsprozesse über die Atmosphäre zu einer Sauerstoffsättigung des Meerwassers führen können. Mit zunehmender Tiefe nimmt der Sauerstoffgehalt ab. Im offenen Meer erreichen die Sauerstoffkonzentra tionen in Tiefen zwischen 500 und 1000 m ein Minimum; diese Region nennt man daher auch Sauerstoffminimumzone. Anders als in vielen Seen, wo der jahreszeitliche Zusammenbruch der Thermokline und die dadurch ausgelöste Durchmischung von Oberflächen- und Tiefenwasser zu einem dynamischen Gradienten von Temperatur und Sauerstoffgehalt führen kann (siehe Kapitel 7.1.3), wird in Ozeanen, durch die begrenzte Tiefe der Oberflächenmischung bedingt, der vertikale Gradient der Sauerstoffverfügbarkeit das ganze Jahr hindurch konstant aufrechterhalten.
Sauerstoffminimumzone
2000 3000 4000 5000
0
1
2
3 cm3 O2 pro l
4
5
6
Abbildung 7.23: Vertikales Sauerstoffprofil im tropischen Atlantik. Bis zur sogenannten Sauerstoffminimumzone nimmt die Sauerstoffkonzentration ab. Darunter erhöht sie sich wieder, was seinen Grund auch im Zufluss von kaltem, sauerstoffreichem Tiefenwasser aus den Polarregionen hat.
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7.3.4 Der Lebensbereich Meer stellt besondere Anforderungen an seine Bewohner Vom Schiff oder Flugzeug aus gesehen erscheint das offene Meer sehr eintönig und wie eine „blaue Wüste“, denn anders als an Land sind auf offener See kaum Anzeichen von Leben oder von abgrenzbaren Lebensgemeinschaften zu erkennen. Der Lichtmangel in den größeren Wassertiefen der Ozeane, die besonderen Sauerstoffbedingungen in den unterschiedlichen Meeresbereichen und die hohe Konzentration an gelösten Stoffen haben bei den Bewohnern der Meere zu einer Reihe von speziellen Anpassungen geführt. Im Folgenden soll der Schwerpunkt vor allem auf die besonderen Lichtverhältnisse und die Nahrungsbeziehungen in marinen Lebensräumen gelegt werden. In Kapitel 2.2.6 wurden bereits einige wichtige Anpassungsstrategien an den Salzgehalt des Meeres dargelegt. Anpassungen an den Lichtmangel Organismen in Ozeantiefen zwischen 200 und 1000 m sind typischerweise silbergrau oder tiefschwarz, wohingegen Lebewesen in noch größeren Tiefen (tiefer als 1000 m) oftmals die Pigmentierung fehlt. Weitere Anpassungen an den Lichtmangel sind entweder vollständig zurückgebildete oder riesige Augen, die die Aufnahme geringster Lichtmengen ermöglichen (⇒ Abbildung 7.24). Die Bewohner der Tiefsee sind in der Regel Lauerräuber, die ihre Beute mit leuchtenden Ködern anlocken (zum Beispiel Anglerfische). Ihre Muskulatur ist schwach entwickelt, der Kiefer und der Magen sind jedoch bei einem Teil dieser Arten extrem dehnbar. Auf diese Weise wird ein breites Beutespektrum erfasst und es können große Nahrungsmengen aufgenommen werden.
Abbildung 7.24: Der in Tiefen bis 1200 m im Nordatlantik und Mittelmeer vorkommende Tiefsee-Beilfisch. 193
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7 Aquatische Ökosysteme
Viele Organismen der Tiefsee haben besondere Organe entwickelt, die durch chemische Reaktionen Licht erzeugen können; dieses Phänomen wird als Biolumineszenz bezeichnet. Manche Fische dieser Bereiche tragen Reihen von Leuchtorganen an den Körperseiten und leuchtende Köder, mit denen sie Beute anlocken und Artgenossen erkennen können. Das Phänomen der Biolumineszenz ist jedoch nicht ausschließlich auf Fische beschränkt. So erzeugen zum Beispiel verschiedene Kopffüßer der Tiefsee ebenso Licht, wie Leuchtkrebse oder Leuchtquallen. Die Leuchtorgane der Tintenfische, Krillkrebse und Fische besitzen zum Teil Reflektoren, Zerstreuungslinsen und Blenden und manche Arten, wie die „Wunderlampe“, stoßen sogar leuchtende Wolken aus, um ihren Feinden zu entkommen. Autotrophe photosynthetisch aktive Organismen können auf Licht nicht verzichten, daher bleibt ihre Verbreitung auf die oberen Wasserschichten beschränkt, in die das Licht einige Dutzend oder auch wenige hundert Meter tief vordringt. In flachen, küstennahen Gewässern handelt es sich bei den dominierenden autotrophen Organismen um am Substrat festgeheftete Algen, die wegen ihres Lichtbedarfs auf eine Tiefe von maximal 120 Metern beschränkt sind. Am häufigsten kommen, insbesondere an Felsküsten, Braunalgen vor; weitere weit verbreitete große Meerespflanzen sind die Rotalgen. Sie kommen in größerer Artenzahl und Dichte in den tropischen Meeren vor, wo manche Arten in Tiefen bis zu 120 Meter hinab reichen. Im freien Wasser stellt das Phytoplankton die dominierenden autotrophen Organismen dar und offenbar gibt es in jedem Meer oder Meeresbereich spezifische dominante Arten. Die Küsten- und Flachmeerregionen sind allgemein planktonreicher als die Hochsee. In Meeresbereichen, in denen Wasser in die Tiefe transportiert wird, konzentrieren sich Dinoflagellaten (eine Gruppe von Einzellern) dicht unter der Wasseroberfläche. Ihre größte Populationsdichte erreichen sie in warmen Gewässern und sie können dort im Sommer im Oberflächenwasser derart hohe Konzentrationen annehmen, dass sie das Meer rot oder braun verfärben. Für Wirbeltiere sind Dinoflagellaten in solch hoher Zahl häufig giftig. Anpassungen an die Nährstoffund Nahrungsverfügbarkeit Da das Medium „Wasser“ die zum Leben notwendigen Nährstoffe enthält, sind viele Lebewesen der Meere so klein, dass sie die Nährstoffe direkt und in gelöster Form aus dem Wasser aufnehmen können. Je kleiner ein Organismus ist, desto größer ist seine Oberfläche im Verhältnis zu seinem Volumen. Daher steht bei kleinen Lebewesen im Verhältnis mehr Oberfläche für die Absorption von Nährstoffen und die Aufnahme von Solarstrahlung zur Verfügung, als dies bei größeren Organismen der Fall wäre. Zu den sehr kleinen Lebewesen des Meeres gehören das Phytoplankton und das Zooplankton. Die wichtigste Gruppe des Zooplanktons sind die Ruderfüßer, die sich vom Phytoplankton ernähren. Damit sich die Zooplanktonorganismen von den kleinen Phytoplanktonorganismen ernähren können, müssen sie in der Regel ebenfalls sehr klein sein: Ihre
7.3 Ökosystem Meer
Größe liegt zwischen 0,5 und 5 Millimetern. Die Ruderfüßer sind unter den herbivoren Zooplanktonorganismen die häufigsten Tiere und daher vermutlich auch die individuenreichste Tiergruppe der Erde. In der Antarktis dominieren unter diesen Herbivoren die Krillkrebse, die ihrerseits den Bartenwalen und den Pinguinen als Nahrung dienen. Vom herbivoren Zooplankton ernährt sich darüber hinaus das carnivore Zooplankton, zu dem unter anderem die Larven von Rippenquallen und Pfeilwürmern gehören. In noch größerem Maße als die Verfügbarkeit von Solarstrahlung wirken sich die verfügbaren Nährstoffe in verschiedenen Regionen begrenzend auf die Primärproduktion der Meere und Seen aus. Die Nährstoffe, die die Primärproduktivität im Meer am meisten limitieren, sind entweder Stickstoff- oder Phosphorverbindungen. Ihre Konzentration ist in der euphotischen Zone sehr niedrig, da sie vom Phytoplankton schnell aufgenommen werden und der Detritus rasch in die tieferen Schichten des Meeres oder Sees absinkt. Durch experimentelle Anreicherungen von Nährstoffen (vergleiche auch Infokasten zum Phytoplanktonwachstum) kann genauer bestimmt werden, welcher Nährstoff der entscheidende limitierende Faktor ist. Praktische Anwendung findet diese wissenschaftliche Erkenntnis unter anderem bei der Verhütung von „Algenblüten“, die durch einen übermäßigen Nährstoffeintrag und die damit verbundene intensive „Düngung“ des Phytoplanktons verursacht werden. Ist
Abbildung 7.25: Die kleinen Krillkrebse werden von Bartenwalen gefressen; sie sind ein essenzieller Bestandteil der Nahrungskette im Meer.
Begrenzende Faktoren des Phytoplanktonwachstums
Experiment: Abwässer der zahlreichen Entenfarmen im Bereich der Moriches Bay transportieren erhebliche Stickstoff- und Phosphormengen in die Gewässer vor der Küste von Long Island bei New York. Um festzustellen, welcher dieser Nährstoffe das Phytoplanktonwachstum in dieser Region limitiert, züchteten John Ryther und William Dunsten von der Woods Hole Oceanographic Institution (Massachusetts, USA) den Phytoplanktonorganismus Nannochloris atomus in Wasserproben, die sie an mehreren Stellen (auf der Karte mit A bis G gekennzeichnet) entnommen hatten. Manchen Kulturen setzten sie zusätzliches Ammonium (NH4+) oder Phosphat (PO4–3 ) zu. Ergebnis: Das zugesetzte Ammonium löste in den Kulturen ein starkes Phytoplanktonwachstum aus, Phosphatzugabe hatte keine stimulierende Wirkung. Schlussfolgerung: Da das Wasser ohnehin Phosphat in erheblichen Mengen enthielt und sich das zusätzlich zugesetzte Phosphat nicht auf das Wachstum von Nannochlorus auswirkte, während die Phytoplanktondichte bei Zugabe der Stickstoffverbindung stark anstieg, gelangten die Wissenschaftler zu der Schlussfolgerung, dass Stickstoff und nicht Phosphor das chemische Element ist, das in diesem Ökosystem das Wachstum des Phytoplanktons limitiert. Quelle: J. H. Ryther and W. M. Dunstan, Nitrogen, phosphorus, and eutrophication in the coastal marine environment, Science 171:1008– 1013 (1971).
Long
d
Islan
C y B uth Ba o S eat
D
E
F
G
Shinnecock Bay
Moriches Bay
Gr
A
Atlantik
Abbildung 7.26: Übersicht über die Küsten von Long Island.
30 Dichte des Phytoplanktons (Millionen Zellen je ml)
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Fragestellung: Welcher Nährstoff begrenzt die Phytoplanktonproduktion vor der Küste von Long Island?
angereichert mit Ammonium
24
angereichert mit Phosphat
18
Kontrolle ohne Nährstoffzufuhr
12 6 0
A
B
C D E Beprobungsort
F
G
Abbildung 7.27: Entwicklung der Phytoplanktondichte bei unterschiedlichen Nährstoffkonzentrationen.
195
7 Aquatische Ökosysteme
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S chon g ewusst ?
In manchen aquatischen Ökosystemen steht die Biomassepyramide „auf dem Kopf“: In diesen Ökosystemen überwiegen die Primärkonsumenten gegenüber den Primärproduzenten (⇒ Abbildung 7.28). Der Grund für dieses atypische Verhältnis ist, dass in solchen Ökosystemen die Phytoplanktonorganismen sehr schnell wachsen und sich reproduzieren und darüber hinaus in erheblichem Maße vom Zooplankton gefressen werden, so dass sie keine größere Individuendichte oder Phytomasse aufbauen können. Das Phytoplankton hat daher eine kurze Umsatzrate und die von diesem produzierte Biomasse ist im Vergleich zur tatsächlichen photosynthetischen Produktionsrate niedrig. Da sich die Biomasse des Phytoplanktons kontinuierlich und schnell erneuert, kann es unter diesen Bedingungen eine Zooplanktonmasse (Primärkonsumenten) ernähren, die wesentlich größer ist als seine eigene Biomasse. Trophieebene Primärkonsumenten (Zooplankton) Primärkonsumenten (Phytoplankton)
Trockenmasse (g/m2) 21 4
Abbildung 7.28: Pyramide der Biomasse. Die Zahlen geben die Trockenmasse sämtlicher Organismen der jeweiligen Trophieebene an.
der auslösende Faktor erkannt, kann sein Eintrag in das Ökosystem reduziert oder gar verhindert werden. In mehreren großen Meeresgebieten ist jedoch die Dichte des Phytoplanktons trotz relativ hoher Nährstoffkonzentrationen recht gering. In der Sargassosee zum Beispiel, die bei den Bermuda-Inseln zwischen Florida und den Azoren im südwestlichen Atlantik liegt, ist das Wasser besonders klar, da die Phytoplanktondichte in diesem Gebiet äußerst niedrig ist. In einer Reihe von Experimenten stellte sich heraus, dass die Primärproduktion dort durch die verfügbaren Mengen von Eisen begrenzt wird. Das Eisen im Meer stammt zum größten Teil aus Stäuben, die durch den Wind vom Festland eingetragen werden. Meeresbereiche, die besonders weit vom Festland entfernt liegen, erhalten jedoch auf diesem Wege nur sehr geringe Einträge. Besonders hoch ist die Primärproduktion in Regionen, in denen kaltes und besonders nährstoff- und sauerstoffreiches Tiefenwasser an die Meeresoberfläche gelangt. Da eine kontinuierliche Nährstoffnachlieferung das Wachstum des Phytoplanktons anregt (Bottom-up-Regulation), welches im Meer die Grundlage der Nahrungsnetze bildet, sind solche Auftriebsgebiete kalten und nährstoffreichen Tiefenwassers besonders fischreich und deshalb auch beliebte Fischereigebiete. Die größten Auftriebsgebiete finden sich im Südpolarmeer sowie vor den Küsten Perus, Kaliforniens und Westafrikas. Zum Teil beginnt die Nahrungskette in marinen Ökosystemen jedoch nicht beim Phytoplankton, sondern bei noch kleineren Organismen. Im Meer besteht etwa die Hälfte der Biomasse aus Bakterien und Einzellern, darunter sowohl photosynthetisch aktive als auch heterotrophe Arten. Photosynthetisch aktive kleine Einzeller (2–20 μm) und Blau algen (1–2 μm), die im Meer für einen großen Teil der Primärproduktion sorgen, geben eine beträchtliche Menge organischer Substanzen direkt und in gelöster Form in das sie umgebende Wasser ab. Diese können dann von heterotrophen Bakterien genutzt werden, die ihrerseits wiederum von heterotrophen Einzellern gefressen werden. Hierdurch wird das Planktonnahrungsnetz an der Basis durch einen geschlossenen Mikroorganismennahrungskreislauf ergänzt (⇒ Abbildung 7.29), der in die marine Nahrungskette mit ihren weiteren trophischen Ebenen mündet. Diejenigen Organismen, die das Zooplankton fressen und die Energie auf die höheren trophischen Ebenen übertragen, bilden das Nekton. Die Organismen des Nektons können sich mit Hilfe ihrer Fortbewegungsorgane aktiv schwimmend frei innerhalb des Pelagials bewegen. Das Größenspektrum des Nektons reicht von kleinen Fischen, Tintenfischen, Krebsen und Meeresschildkröten bis hin zu großen Haien, Rochen und Walen. Zum Nekton gehören darüber hinaus auch Robben und Meeresvögel wie beispielsweise die Pinguine. Bartenwale, die im Meer zu den größten Organismen des Nektons gehören, ernähren sich von den unverhältnismäßig kleinen Krillkrebsen, indem sie riesige Wassermengen filtrieren. Pottwale dagegen jagen Kalmare von 1– 4 Meter Größe sowie Riesenkalmare, die je nach Art 2–5 Meter und größer werden können.
7.3 Ökosystem Meer
2 x 104
7.3.5 Der Meeresboden ist ein besonderer Lebensraum
Fischlarve 2 x 103 Zooplankton
2 x 102 Größe [mm]
Der Meeresboden wird auch als Benthal bezeichnet und die dort vorkommende Lebensgemeinschaft als Benthos. In der dunklen Tiefsee kann keine Photosynthese stattfinden, daher besteht die Lebensgemeinschaft am Meeresboden (mit Ausnahme der Bereiche um die unterseeischen Hydrothermalquellen) ausschließlich aus heterotrophen Organismen und ist zwingend auf den „Niederschlag“ aus organischem Material angewiesen, der zum Boden herabsinkt. Abgestorbenes Phyto- und Zooplankton sowie die Kadaver von Walen, Robben, Vögeln, Fischen und wirbellosen Tieren liefern den verschiedenen Des truentengruppen vielfältige Nahrung und trotz Dunkelheit und Tiefe findet man in den benthischen Lebensgemeinschaften eine große Artenvielfalt. Eine enorm große Vielfalt weist erstaunlicherweise der Boden der Tiefsee auf. In mehr als 50 Stichproben, mit denen insgesamt eine Fläche von lediglich 50 Quadratmetern erfasst wurde, fand man beispielsweise 707 Arten von Borstenwürmern und 426 Arten von Ranzenfußkrebsen. In der Nahrungskette des Benthos spielen die Bakterien der Sedimente eine Schlüsselrolle. Insbesondere dann, wenn Detritus in großen Mengen vorhanden ist, erhöht sich ihre Zahl gewaltig und sie können unter solchen Bedingungen in der obersten Bodenschicht eine Biomasse von mehreren Zehntelgramm je Quadratmeter erreichen. Die Bakterien nutzen die gelösten Nährstoffe, synthetisieren Proteine und werden ihrerseits für andere Organismen zu Protein- und Fettlieferanten.
2 x 101
2 x 100
2 x 10–1
Große Wimperntierchen
heterotrophe kleine Einzeller
photoautotrophe Organismen
kleine Einzeller
Blaualgen heterotrophe Bakterien gelöstes organisches Material
Abbildung 7.29: Der Mikroorganismennahrungskreislauf und seine Anbindung an das Nahrungsnetz des Planktons. Autotrophe Organismen sind auf der rechten Seite des Diagramms dargestellt, heterotrophe auf der linken Seite.
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7.3.6 Korallenriffe sind hochkomplexe Ökosysteme In den warmen, flachen Gewässern tropischer Inseln und im Bereich tropischer Küsten gibt es Korallenriffe, Ökosysteme von besonders großer Artenvielfalt und Produktivität in den ansonsten nährstoffarmen Meeren (⇒ Abbildung 7.30). Sie sind biogenen („natürlichen“) Ursprungs und bilden eine einzigartige Ansammlung toten Skelettmaterials, das von Carbonat-(Kalk-)produzierenden Organismen ausgeschieden wurde. Die derzeitige weltweite Gesamtfläche aller Riffe beträgt etwa 600.000 km². Die „Baumeister“ der Riffe sind lebende Korallen, insbesondere Steinkorallen und Feuerkorallen, aber auch Kalkrotalgen, grüne Kalkalgen, Moostierchen, Röhrenwürmer, Foraminiferen (Einzeller mit Gehäusen, die zumeist aus Kalk bestehen) und Muscheln. Zooxanthellen (= symbiontische, photosynthetisch aktive Algen) leben eng mit den riffbildenden Korallen vergemeinschaftet und ermöglichen es den Korallen zu wachsen. Dadurch beschränkt sich das Vorkommen dieser Organismengruppe jedoch auf Tiefen, in denen ausreichend Licht für die Photosynthese zur Verfügung steht. Damit das Korallenskelett entstehen kann, muss Calcium aus dem Wasser chemisch ausgefällt werden. Dies geschieht jedoch nur bei hoher Temperatur, bei hohem Salzgehalt des Wassers und bei geringer Kohlenstoffdioxidkonzentration. Aus diesem
197
7 Aquatische Ökosysteme
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Abbildung 7.30: Ein Korallenriff im Toten Meer.
W iederholun g s f ra g en 7 . 3
1. Beschreiben Sie in eigenen Worten die verschiedenen Lebensbereiche in einem Meer und ordnen Sie diesen charakteristische Lebewesen zu. 2. Erläutern Sie in eigenen Worten, was man unter einem typischen ozeanischen Sauerstoffprofil versteht. 3. Erläutern Sie den Mikroorganismennahrungskreislauf mithilfe von Abbildung 7.29. 4. Korallenriffe sind hochkomplexe Ökosysteme. Nehmen Sie Stellung zu dieser Aussage.
Grund beschränkt sich das Verbreitungsgebiet der riffbildenden Korallen auf flache, warme tropische Gewässer mit Wassertemperaturen von 20–28 °C und auf Tiefen von weniger als 45 Metern. Die meisten Korallenarten bilden Kolonien, wobei ihnen die Kalkskelette der vorangegangenen Generationen als Substrat dienen. Wenn Korallen die Wasseroberfläche erreichen, stellen sie ihr Wachstum ein. Ein Riff besiedeln neben den Korallen auch zahlreiche krustenförmige oder fadenförmige Rot- und Grünalgen, Bakterien und eine außerordentlich große Vielfalt verschiedenster Tiergruppen, die mit den wachsenden Korallen assoziiert sind: Riesenmuscheln, zahlreiche Weichtiere, Stachelhäuter, Krebstiere, Borstenwürmer, Schwämme und eine große Vielfalt von Fischarten. Die vor der Küste gelegenen Korallenriffe sind Bereiche hoher Produktivität (1500–5000 g Kohlenstoff (C) / m2 / Jahr) im ansonsten relativ nährstoffarmen Meer, das eine geringe Produktivität besitzt (15–50 g C / m2 / Jahr). Der Stoffkreislauf ist in Riffbereichen kurzgeschlossen, da dort Bakterien als Destruenten wirken, das anfallende tote organische Material sofort wieder abbauen und den Primärproduzenten zur Verfügung stellen. Neben dem Aufbau des Riffs kommt es jedoch auch zu erosiven (abbauenden) Prozessen. Zusätzlich zur physikalischen Zerstörung durch Wellenschlag gibt es bestimmte Organismenarten, die den Abbau eines Riffs bewirken. So beißen Papageienfische ganze Korallenäste ab, zermahlen das Kalkskelett und nehmen nur das Polypengewebe auf. Der Dornenkronenseestern weidet das Korallengewebe ab und lässt den nackten Kalk zurück, der dadurch der physikalisch-chemischen Zersetzung ausgesetzt ist. Darüber hinaus können Steinkorallen von nicht verkalkenden Weichkorallen überwachsen werden und absterben. Ferner gibt es im Kalk bohrende Organismen wie Bohrschwämme und Bohrmuscheln, die die Erosion des Riffs beschleunigen können.
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Aquatische Lebensräume sind auf der ganzen Erde in großer Vielfalt verbreitet und besitzen einige Besonderheiten, die erstaunliche Anpassungsstrategien ihrer Bewohner hervorgebracht haben. So zeichnen sich die Wasserkörper aquatischer Ökosysteme in der Regel durch mehr oder weniger starke Strömungen, eine ungleiche Verteilung von Sauerstoff, Nährstoffen und Licht und, im Falle mariner Lebensräume, eine hohe Salzkonzentration aus. Ökosystem See (7.1) Seen bilden sich dort, wo genügend Wasser vorhanden ist und wo es geschlossene geomorphologische Hohlformen gibt, in denen sich das Wasser sammeln kann. Ein See ist durch eine charakteristische vertikale und horizontale Schichtung gekennzeichnet. Man unterscheidet zwischen einer durchlichteten, euphotischen (Epilimnion) und einer dunklen, aphotischen Zone (Hypolimnion). Zwischen dem Epilimnion und dem Hypolimnion liegt die Temperatursprungschicht beziehungsweise Thermokline (Metalimnion). Ferner kann man ein Stillgewässer in eine Uferzone (Litoral) und in das freie Wasser (Pelagial) unterteilen. Die Bodenschicht eines Gewässers wird als Benthal bezeichnet. Für die Menge und Verteilung der in Seen vorkommenden Organismen ist die jahreszeitlich wechselnde Verfügbarkeit von Licht, Temperatur und gelösten Gasen entscheidend. Bezüglich der Lebensgemeinschaften kann man in einem See verschiedene Zonen unterteilen. Das Litoral wird beispielsweise zumeist von bewurzelten Pflanzen besiedelt und das Pelagial ist die Zone des pflanzlichen und tierischen Planktons sowie des frei schwimmenden Nektons. In den tieferen Gewässerschichten, in die das Licht kaum noch vordringt, schwankt die organismische Vielfalt je nach Temperatur und Sauerstoffversorgung. Das Benthal ist ein Ort intensiver biologischer Aktivität: Hier findet die Zersetzung des Detritus über die Destruenten statt. Im Gewässerboden dominieren anaerobe Bakterien. Mit zunehmender Wassertiefe ändern sich in einem See die einfallende Lichtmenge und die Wassertemperatur. Abhängig vom Einfallswinkel und der Absorption und Streuung von Lichtstrahlen an Schwebeteilchen, kleinen Organismen und den Wassermolekülen selber, erreichen nur etwa 40 Prozent der auftreffenden kurzwelligen Strahlung eine Wassertiefe von einem Meter. Die Wassertemperatur schwankt in einem See mit dem Lauf der Jahreszeiten. Im Sommer besteht in einem dimiktischen See ein vertikaler Temperaturgradient, der zu einer Schicht von warmem Oberflächenwasser und einer Schicht kühleren Wassers unterhalb der Thermokline führt. Wenn die Oberfläche im Herbst auf + 4 °C abkühlt, gleicht sich die Temperatur im gesamten Gewässer an und es kommt zu einer Vollzirkulation des Wasserkörpers, angetrieben durch die Einwirkungen des Windes an
der Wasseroberfläche (Herbstzirkulation). Im Winter ist die Wassertemperatur über dem Gewässergrund am höchsten (Winter stagnation). Eine ähnliche Durchmischung wie im Herbst findet auch im Frühjahr statt, wenn sich das Wasser im gesamten See wieder auf + 4 °C erwärmt hat (Frühjahrszirkulation). Unter bestimmten Bedingungen (sehr tiefe oder windgeschützte Seen) erreicht die Zirkulation nicht den Gewässergrund. Je nach Breitengrad und Höhe über dem Meeresspiegel gibt es noch verschiedene weitere Mixistypen. Aufgrund der ungleichen Verteilung der Solarstrahlung im See ist die Produzententätigkeit vorwiegend auf die oberste Gewässerschicht beschränkt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der trophogenen Schicht oder Nährschicht. Darunter liegt die tropholytische Schicht oder auch Zehrschicht. In ihr sind die Destruenten aktiv, die unter Sauerstoffverbrauch organische Abfallprodukte zersetzen und dabei wichtige Nährstoffe wie Nitrate, Sulfate und CO2 freisetzen. Wird Sauerstoff in der Zehrschicht infolge der stabilen Schichtung des Sees im Sommer und Winter zu einem Mangelfaktor, schalten einige Destruenten auf einen anaeroben Abbau um. Bei diesem Stoffwechselweg fallen giftige Abbauprodukte an, es kommt zur Bildung von Faulschlamm. Seen können stark von der sie umgebenden Landschaft beeinflusst werden. Man unterscheidet grob zwischen oligotrophen (nährstoffarmen), mesotrophen (Bereich mittlerer Nährstoffkonzentration und Produktivität), eutrophen (nährstoffreichen) und hypertrophen Gewässern (übermäßig hoher Nährstoffreichtum). Die meisten Seen der gemäßigten Breiten unterliegen in heutiger Zeit einer durch den Menschen bedingten Eutrophierung, da ihnen große Nährstoffmengen – insbesondere Stickstoff- und Phosphorverbindungen – aus Landwirtschaft, Industrie und privaten Abwässern zugeführt werden.
Zusammenfassung
Zusammenfassung
Ökosystem Fließgewässer (7.2) Fließgewässer entspringen einer Quelle; Form und Gefälle des Flussbettes, seine Breite und Tiefe sowie die Oberflächenstruktur des Untergrundes, die Niederschlagsmenge und die Geschwindigkeit der Schneeschmelze wirken sich auf die Strömungsgeschwindigkeit des Fließgewässers aus. Innerhalb eines Fließgewässers kann man lotische Bereiche mit schnell fließender Strömung von lenitischen Bereichen mit langsamer Strömung abgrenzen. Die Strömung transportiert Nährstoffe und organisches Material flussabwärts und Fließgewässer zeigen vom Oberlauf bis zur Mündung einen Gradienten sich kontinuierlich verändernder Umweltbedingungen. Im Oberlauf herrschen hohe Strömungsgeschwindigkeit, großer Sauerstoffreichtum und niedrige Wassertemperatur bei geringer Primärproduktion vor. Wächst das Fließgewässer zu einem mittelgroßen Bach oder Fluss an, steigt die Wassertemperatur 199
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Zusammenfassung
7 Aquatische Ökosysteme
und mit abnehmendem Gefälle sinkt die Strömungsgeschwindigkeit; die Menge an Algen und bewurzelten Pflanzen nimmt zu. Aufgrund der veränderten Ressourcensituation wechselt die Artenzusammensetzung von Fischen und Wirbellosen. Große Flüsse und Ströme besitzen einen hohen Anteil an feinerem organischem Material, die Menge an Phytoplankton nimmt zu und es dominieren Filtrierer und Fische, die ihre Nahrung am Boden suchen. Organismen, die unter Bedingungen einer starken Strömung leben, sind gut an diese Verhältnisse angepasst. Manche von ihnen sind stromlinienförmig oder stark abgeflacht, um der turbulenten Strömung zu entgehen. Andere suchen ruhigere Bereiche auf, leben unter Steinen oder heften sich an diesen fest. In langsam fließenden Gewässern mit ihrer geringeren Strömung treten Arten auf, die über andere Anpassungen verfügen. Nach Leitfischen kann man von der Quelle bis zur Mündung verschiedene Abschnitte unterscheiden. Auch die wirbellosen Arten zeigen eine deutliche Zonierung. Die Wirbellosen der Fließgewässer lassen sich in verschiedene Gruppen einteilen: Zerkleinerer, Filtrierer und Bohrer, die zu den Destruenten zählen, sowie die Weidegänger, die sich als Primärkonsumenten vornehmlich von Algen ernähren. Die Gewässergüte eines Fließgewässers kann mithilfe des Saprobiensystems bestimmt werden. Hierbei handelt es sich um ein biologisches Verfahren, das auf dem Vorkommen bestimmter Zeigerorganismen beruht. Unter Zeigerorganismen versteht man Lebewesen, die nur in einem bestimmten Lebensbereich vorkommen und demnach für diesen charakteristisch sind (schmaler Toleranzbereich). Zur Untersuchung der Gewässergüte werden Saprobien, also Lebewesen, die sich von totem, organischem Material ernähren (Pilze, Bakterien, Einzeller, aber auch kleine Insektenlarven und Würmer), auf ihr Vorkommen hin untersucht. Jeder Zeigerart ist ein Saprobienwert zugeordnet, der umso geringer ist, je höher die Ansprüche der betreffenden Art an die Wasserqualität sind. Durch Probenentnahme in Fließgewässern können demnach die Artzusammensetzung und die Häufigkeit des Vorkommens der einzelnen Arten bestimmt und anschließend ausgewertet werden, so dass Aussagen über die Wassergüte möglich werden. Ökosystem Meer (7.3) Meere sind unter anderem durch hohen Salzgehalt, Wellengang, Gezeiten, Tiefe und große Ausdehnung charakterisiert. Das Meer gliedert sich als Lebensraum in zwei Bereiche: das
Pelagial, die Zone des freien Wassers, und das Benthal, die Bodenzone. Das Pelagial lässt sich wiederum in zwei Regionen unterteilen: die neritische Region oder Flachmeerregion und die ozeanische Region oder Hochsee, die über der Tiefsee liegt. Von der Oberfläche bis in 200 Meter Tiefe reicht das Epipelagial, die euphotische oder durchlichtete Zone. Von 200–1000 Meter schließt sich das Mesopelagial an, es folgt das völlig dunkle Bathypelagial; hier herrschen niedrige Temperaturen und hohe Druckverhältnisse. Auch in Meeren kann man eine Zonierung der Lebewesen je nach Wassertiefe und Umweltbedingungen erkennen. Im Oberflächenwasser dominiert das Phytoplankton. Das Litoral und die neritische Zone sind planktonreicher als das offene Meer. Die winzigen Organismen des Planktons, die in gemäßigten und tropischen Gewässern den größten Anteil der Biomasse stellen, haben für die Primärproduktion die größte Bedeutung. Photosynthetisch aktive Einzeller und Blaualgen geben einen beträchtlichen Teil ihrer organischen Substanzen direkt und in gelöster Form in das sie umgebende Wasser ab, diese können dann von heterotrophen Bakterien genutzt werden. Die Produzenten werden ihrerseits von heterotrophen Einzellern gefressen. Hierdurch existiert ein geschlossener Mikroorganismennahrungskreislauf, der in die Nahrungskette mit mehreren weiteren trophischen Ebenen mündet. Vom Phytoplankton ernähren sich die herbivoren Zooplanktonorganismen; diese werden vom carnivoren Zooplankton verzehrt. Die größte Vielfalt des Zooplanktons, darunter auch Fischlarven, findet man in den Flachmeeren über den Kontinentalsockeln und in Auftriebszonen kalten Tiefenwassers; am geringsten ist die Vielfalt im offenen Meer. Die größeren Lebensformen bilden das frei schwimmende Nekton; hier reicht das Spektrum von kleinen Fischen bis zu Haien und Walen. Den Meeresboden bezeichnet man auch als Benthal, die dort vorkommende Lebensgemeinschaft als Benthos. Die Zusammensetzung des Benthos unterscheidet sich je nach Meerestiefe und Art des Untergrundes. Die dort lebenden Organismenarten sind ausschließlich heterotroph und auf das organische Material angewiesen, das bis zum Boden herabfällt. Zum Benthos gehören Filtrierer, Sammler, Detritusfresser und Räuber. Korallenriffe sind hochkomplexe Ökosysteme hoher Produktivität und größter biologischer Vielfalt in den ansonsten nährstoffarmen tropischen Meeren. Sie sind biogenen Ursprungs; ihre „Baumeister“ sind insbesondere die Steinkorallen und die Feuerkorallen.
Antworten zu den Wiederholungsfragen finden Sie unter: www.pearson-schule.de
Kapitel 8 Humanökologie
Bevölkerungswachstum und -versorgung
Der Mensch als Gefahr
für die biologische Vielfalt
Schutz und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme
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Globaler Klimawandel
8 Humanökologie
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Abbildung 8.1: „Erdaufgang“, im Vordergrund die Mondoberfläche.
Dieses Farbfoto eines „Erdaufgangs“ wurde am 24. Dezember 1968 vom Apollo-8-Astronauten William A. Anders aufgenommen. Ein führender Umweltforscher bezeichnete es später einmal als das aussagekräftigste Umweltfoto aller Zeiten. Es verdeutlicht wahrscheinlich mehr als jedes andere Bild die Endlichkeit unseres Planeten angesichts der immensen Weite des Weltalls. Was die ganze Menschheitsgeschichte hindurch als grenzenlose Weite empfunden worden war, schrumpfte plötzlich zu einer winzigen Kugel im All zusammen: ein Planet mit begrenzten Ressourcen, voll gepackt mit einer rasch wachsenden Bevölkerung und unter anderem bedroht durch die Nutzung von Atmosphäre, Böden und Ozeanen als Abladeplatz für unseren „Wohlstandsmüll“ wie Kohlenstoffdioxid, Schwermetalle und chlorierte Kohlenwasserstoffverbindungen. Unter den vielen Umweltproblemen, mit denen die Menschheit heute konfrontiert ist, erweisen sich bei genauer Betrachtung vier umfangreiche und miteinander zusammenhängende Faktorenkomplexe als entscheidend: Bevölkerungswachstum, Bedrohung der Artenvielfalt, Nachhaltigkeit und globaler Klimawandel. Diese Umweltprobleme sind ökologischer Natur und um ihre Ursachen zu verstehen, Lösungen zu finden und die Folgen zu mildern, ist die Ökologie als Wissenschaft unabdingbar.
8.1 Bevölkerungswachstum und -versorgung In Kapitel 4.2 dieses Buches haben wir betrachtet, auf welche Weise das Wachstum von Populationen erklärt und beschrieben werden kann. Es wurde festgestellt, dass Populationen dazu tendieren, bei fehlender Ressourcenlimitierung exponentiell (und somit sehr rasch) anzuwachsen. Wenn jedoch die Ressourcenverfügbarkeit limitiert ist, wachsen Populationen tendenziell nach dem logistischen Wachstumsmodell. Demnach
8.1 Bevölkerungswachstum und -versorgung
nähern sie sich nach einem anfänglichen starken Anstieg der Individuenzahl letztendlich einer Populationsgröße an, die durch die Kapazitäten des Lebensraumes (gerade noch) ausreichend versorgt werden kann. Dabei kann es jedoch dazu kommen, dass die Population zunächst über die Kapazitätsgrenze hinaus anwächst (overshoot) und sich erst nach einem Teilzusammenbruch langsam im Bereich ihrer maximalen Populationsgröße „einpendelt“. Nach welchem der beiden genannten Wachstumsmodelle wächst die menschliche Erdbevölkerung? Wenn die Erde ein Lebensraum mit begrenzten Ressourcen ist, dann kann sie keiner unendlich hohen Zahl von Menschen dauerhaft als Lebensraum dienen. Wie groß ist jedoch die maximale Erdbevölkerung, die dauerhaft von der Erde „getragen“ werden kann, und welche Maßnahmen sollten getroffen werden, um ein „Überschießen“ der Erdbevölkerung zu vermeiden? Diese und weitere Fragen werden wir im Nachfolgenden untersuchen. Dabei werden zunächst die Konzepte der Populationsdynamik gezielt auf die menschliche Bevölkerung angewandt.
S chon g ewusst ?
In nur einem Jahr wächst die Bevölkerung auf der Erde um eine Zahl, die der gesamten Bevölkerung Deutschlands entspricht. Jeden Tag wächst die Erdbevölkerung derzeit um ungefähr 200.000 Menschen an. Dies entspricht der Einwohnerzahl einer Stadt von der Größe Lübecks oder Erfurts.
8.1.1 Die menschliche Bevölkerung
Betrachtet man die Entwicklung der menschlichen Bevölkerung, kann man die Mitte des 17. Jahrhunderts als Wendepunkt betrachten. Bis zu diesem Zeitpunkt stieg die Erdbevölkerung recht langsam an und man schätzt, dass die Erde damals von ungefähr 500 Millionen Menschen bevölkert wurde. Während der nächsten 200 Jahre verdoppelte sich die Anzahl auf eine Milliarde, eine weitere Verdoppelung auf zwei Milliarden folgte in der Zeit von 1850 –1930 und bis zum Jahr 1975 war die Erdbevölkerung dann auf vier Milliarden Menschen angewachsen. Heute liegt die Erdbevölkerung bei mehr als 6,8 Milliarden Menschen und sie nimmt jedes Jahr zu – Schätzungen zufolge um weitere 75 Millionen Menschen. Nach den Voraussagen der Populationsökologie werden im Jahr 2050 zwischen 7,8 und 10,8 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Allerdings sind diese Schätzungen mit großen Fehlern behaftet, da die genaue Erhebung der menschlichen Populationsgröße sehr schwierig ist. Der explosionsartige Anstieg der menschlichen Bevölkerung seit dem Jahr 1650 lässt sich näherungsweise durch das exponentielle Wachstumsmodell beschreiben (⇒ Abbildung 8.2). Beim menschlichen Bevölkerungswachstum handelt es sich um einen bemerkenswerten Einzelfall, denn höchstwahrscheinlich konnte noch nie eine Population irgendeiner Art über einen so langen Zeitraum hinweg ein derart starkes Wachstum aufrechterhalten. Der Grund für diese Tatsache dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit in der immer ausgeprägteren und effizienteren Ressourcennutzung durch den Menschen zu suchen sein, dem es beispielsweise gelang, die Technisierung der Landwirtschaft immer weiter voranzutreiben und durch den Einsatz von Landmaschinen, Kunstdüngern, Bewässerungen, Insektiziden, Fungiziden und Herbiziden die Erträge um ein Vielfaches zu steigern.
7 6 5 4 3 Die Pest
2 1
8000 v. Chr.
4000 3000 2000 1000 0 v. Chr. v. Chr. v. Chr. v. Chr.
Erdbevölkerung (Milliarden)
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Globale Entwicklung
0
1000 2000 n. Chr n. Chr
Abbildung 8.2: Das Wachstum der menschlichen Bevölkerung (Daten von 2006). Die Erdbevölkerung ist während der gesamten Menschheitsgeschichte fast kontinuierlich angewachsen. Seit der industriellen Revolution (ab etwa 1850) nimmt ihr Wachstum einen exponentiellen Verlauf an. Was in dem hier dargestellten Maßstab nicht zu erkennen ist: In den letzten Jahrzehnten hat sich das Wachstum der Erdbevölkerung wieder leicht abgeschwächt; die Ursache hierfür ist vor allen Dingen eine weltweit sinkende Geburtenrate. 203
8 Humanökologie
2,2 2,0 jährliche Zunahme (%)
1,8 1,6 1,4
2005
1,2 Hochrechnung
1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0 1950
1975
Jahr
2000
2025
2050
Abbildung 8.3: Prozentuale jährliche Zunahme der Erdbevölkerung (Daten aus dem Jahr 2005). Der abrupte Rückgang in den 1960er Jahren hat seine vorwiegende Ursache in einer Hungersnot in China, der ungefähr 60 Millionen Menschen zum Opfer fielen.
Die Erdbevölkerung wächst nach wie vor rasch an, die Wachstumsrate (der prozentuale jährliche Anstieg) verringerte sich jedoch seit den 1960er Jahren (⇒ Abbildung 8.3). Die jährliche Zunahme der Erdbevölkerung erreichte im Jahr 1962 mit 2,2 Prozent ihren Höhepunkt; bis in das Jahr 2005 war sie auf 1,15 Prozent gesunken. Die derzeitigen Wachstumsmodelle sagen einen weiteren Rückgang der jährlichen Wachstumsrate auf knapp über 0,4 Prozent im Jahr 2050 voraus. Wenn die Bevölkerung bis dahin auf neun Milliarden angewachsen sein sollte, würden jährlich jedoch immer noch 36 Millionen Menschen hinzukommen. Die Verringerung der Wachstumsrate während der letzten vier Jahrzehnte zeigt, dass die Erdbevölkerung sich von einem „echten“ exponentiellen Wachstum entfernt, denn Grundlage für ein solches ist eine konstante Wachstumsrate. Die Abweichung ist die Folge einer grundlegend veränderten Populationsdynamik, die einerseits auf Krankheiten wie AIDS, andererseits auf eine gezielte Geburtenkontrolle zurückzuführen ist. Regionale Unterschiede der Bevölkerungsentwicklung Bisher war in diesem Kapitel von der Gesamtentwicklung der Erdbevölkerung die Rede, die Bevölkerungsentwicklung ist jedoch regional betrachtet sehr unterschiedlich. In stabilen regionalen Bevölkerungsgruppen sind Geburten- und Sterberate gleich (wobei die Effekte von Zu- und Abwanderung außer Acht gelassen werden). Zwei Situationen können zu einer solchen stabilen Bevölkerungsdichte führen:
50 Geburten- oder Sterberate je 1000 Menschen
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Bevölkerungs-Nullwachstum = hohe Geburtenrate – hohe Sterberate oder Bevölkerungs-Nullwachstum = niedrige Geburtenrate – niedrige Sterberate
40 30 20 10 0 1750
1800
1850
1900
1950
2000 2050
Jahr Schweden
Geburtenrate Mexiko Sterberate
Geburtenrate Sterberate
Abbildung 8.4: Demografischer Übergang in Schweden und Mexiko zwischen den Jahren 1750 und 2025 (Daten aus dem Jahr 2005).
Den Wechsel vom ersten zum zweiten Zustand bezeichnet man als demografischen Übergang. ⇒ Abbildung 8.4 vergleicht den demografischen Übergang in Schweden, einem der am stärksten industrialisierten Länder der Erde, und Mexiko, einem Land mit einer nur geringen Industrialisierung. In Schweden dauerte der demografische Übergang von 1810–1960, also ungefähr 150 Jahre. In Mexiko wird sich der Wandel nach Vorausberechnungen zufolge etwa im Jahr 2050 vollziehen; das heißt, er wird nahezu die gleiche Zeit in Anspruch nehmen, wie in Schweden. Seit dem Jahr 1950 nimmt die Sterberate in den meisten Entwicklungsländern deutlich ab, bei der Abnahme der Geburtenrate zeigen sich jedoch größere regionale Unterschiede. Am stärksten ist der Geburtenrückgang in China, was seine Gründe in der staatlich gelenkten „EinKind-Politik“ hat. In den meisten Regionen des mittleren und südlichen Afrika ist die Geburtenrate jedoch nach wie vor extrem hoch. In den Industrieländern herrscht nahezu Bevölkerungs-Nullwachstum (Wachstumsrate ungefähr 0,1 Prozent im Jahr) und die Vermehrungsrate entspricht in etwa der Anzahl der Eltern (Fertilitätsrate insgesamt 2,1 Kinder je Frau). In Kanada, Deutschland, Japan und Großbritannien, liegt die Fertilitätsrate sogar weit unter diesem Wert und die Bevölke-
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60
80
50
Lebenserwartung (Jahre)
rungszahl dieser Länder geht insgesamt zurück. Die genannten Länder sind daher zwingend auf Zuwanderung angewiesen, wenn sie ihre Bevölkerungszahlen konstant halten wollen. Das weltweite Bevölkerungswachstum (1,15 Prozent pro Jahr) konzentriert sich zum größten Teil auf die weniger industrialisierten Länder (Länder der sogenannten Dritten Welt), in denen heute rund 80 Prozent aller Menschen leben. Das Bevölkerungswachstum des Menschen ist durch ein weiteres besonderes Merkmal charakterisiert: Menschen sind in der Lage, durch Familienplanung und Empfängnisverhütung das Populationswachstum gezielt zu beeinflussen. Der Schlüssel zum demografischen Übergang in den weniger industrialisierten Ländern liegt in einer Verringerung der Familiengröße. Gesellschaftlicher Wandel, wachsende Bildungschancen und Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau führen heute in vielen Kulturkreisen dazu, dass sich die Zeitpunkte der Eheschließung und der Nachkommenschaft „nach hinten“ verschieben. Dies verringert die Wachstumsrate der Bevölkerung und führt schließlich zu einem Bevölkerungs-Nullwachstum mit niedriger Natalitäts- und Mortalitätsrate. Unter den politisch Verantwortlichen und den Vertretern der verschiedenen Weltreligionen bestehen jedoch große Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Frage, wie stark man die globalen Bemühungen zur Familienplanung unterstützen soll und darf. Die Säuglingssterblichkeit, die Anzahl der Säuglinge, die vor Erreichen des ersten Lebensjahres sterben, und die Lebenserwartung, die durchschnittliche voraussichtliche Lebensdauer, die einem Menschen ab einem gegebenen Zeitpunkt bis zu seinem Tod verbleibt, sind in den verschiedenen Ländern der Erde sehr ungleich und zeigen deutliche regionale Unterschiede. ⇒ Abbildung 8.5 stellt die durchschnittliche Säuglingssterblichkeit und Lebenserwartung in den Industrie- und Entwicklungsländern der Erde für das Jahr 2005 einander gegenüber. Diese Durchschnittswerte unterscheiden sich bereits deutlich; sie repräsentieren jedoch keinesfalls das in Wirklichkeit noch viel breitere Spektrum unterschiedlicher Lebensbedingungen. Im Jahr 2005 lag die Säuglingssterblichkeit in Afghanistan bei 16,3 Prozent, in Japan dagegen nur bei 0,3 Prozent; die Lebenserwartung bei der Geburt betrug in Afghanistan 43 und in Japan 81 Jahre. Global ist die Lebenserwartung zwar seit dem Jahr 1950 angestiegen, in jüngerer Zeit ist sie jedoch in einigen Regionen, unter anderem in den Staaten der früheren Sowjetunion sowie im mittleren und südlichen Afrika, wieder rückläufig. In Angola betrug die mittlere Lebenserwartung im Jahr 2005 ungefähr 39 Jahre und war damit nur etwa halb so hoch wie die mittlere Lebenserwartung in Japan, Schweden, Italien und Spanien. In den genannten Regionen verringert sich die Lebenserwartung unter anderem durch das Zusammenwirken gesellschaftlicher Missstände, geringer oder fehlender Infrastruktur und von Infektionskrankheiten wie AIDS, Malaria oder Tuberkulose. Die Altersstruktur der Bevölkerung eines Landes, das heißt die relative Anzahl der Individuen unterschiedlichen Alters in der Bevölkerung, ist im Vergleich verschiedener Regionen der Erde sehr unterschiedlich. In der Regel stellt man die Altersstruktur grafisch in Form einer „Pyramide“ dar, wie in ⇒ Abbildung 8.6 zu sehen ist. Stellen junge Menschen den Hauptanteil der Bevölkerung, wie es für Afghanistan der Fall ist, verfügt die Pyramide über einen breiten Sockel. Die große Zahl von Menschen
Säuglingssterblichkeit (Todesfälle je 1000 Geburten)
8.1 Bevölkerungswachstum und -versorgung
40 30 20 10
0
60
40
20
0 Industrie- Entwickländer lungsländer
Industrie- Entwickländer lungsländer
Abbildung 8.5: Säuglingssterblichkeit und Lebenserwartung. Die Daten stammen aus dem Jahr 2005.
205
8 Humanökologie
schnelles Wachstum Afghanistan Männer Frauen
Alter 85 + 80 – 84 75 – 79 70 – 74 65 – 69 60 – 64 55 – 59 50 – 54 45 – 49 40 – 44 35 – 39 30 – 34 25 – 29 20 – 24 15 – 19 10 – 14 5–9 0–4
10
8 6 4 2 0 2 4 6 8 Anteil an der Bevölkerung (%)
10
langsames Wachstum USA Männer Frauen
kein Wachstum Italien Männer Frauen
Alter 85 + 80 – 84 75 – 79 70 – 74 65 – 69 60 – 64 55 – 59 50 – 54 45 – 49 40 – 44 35 – 39 30 – 34 25 – 29 20 – 24 15 – 19 10 – 14 5–9 0–4
8 6 4 2 0 2 4 6 8 Anteil an der Bevölkerung (%)
8 6 4 2 0 2 4 6 8 Anteil an der Bevölkerung (%)
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Abbildung 8.6: Alterspyramiden für die menschliche Bevölkerung dreier Länder. Datengrundlage ist das Jahr 2005; seit 2007 beträgt die jährliche Wachstumsrate in Afghanistan 2,6 Prozent, in den USA 0,9 Prozent und in Italien 0,0 Prozent.
S chon g ewusst ?
Antoni van Leeuwenhoek, eigentlich ein Pionier des Mikroskopierens, stellte im Jahr 1679 mit 13,4 Milliarden Menschen die erste bekannte Schätzung bezüglich der Kapazitätsgrenzen der Erde auf.
im reproduktiven Alter treibt in Ländern mit einer solchen Altersstruktur das explosive Bevölkerungswachstum weiter voran. Für die USA ist die Altersstruktur bis hin zu den Gruppen höheren Alters jenseits der Vermehrungsphase relativ gleichmäßig; eine stärker vertretene Altersgruppe erkennt man nur im Zusammenhang mit dem „Babyboom“, der nach dem Zweiten Weltkrieg ungefähr 20 Jahre lang anhielt. Die Vermehrungsrate in den USA liegt heute zwar insgesamt bei 2,1 Kindern je Frau – was ungefähr einem Nullwachstum entspricht –, durch den Einfluss der Einwanderung wird die Bevölkerung der USA jedoch Prognosen zufolge bis ins Jahr 2050 weiterhin langsam ansteigen. Für Italien besitzt die Pyramide ein schmales unteres Ende, das heißt Individuen unterhalb des vermehrungsfähigen Alters sind in der Bevölkerung unterrepräsentiert. Diese Situation ist der Grund dafür, dass für Italien ein Bevölkerungsrückgang vorausgesagt werden kann. Mit Hilfe solcher grafischen Darstellungen der Altersstruktur einer Bevölkerung kann man nicht nur die weitere Bevölkerungsentwicklung eines Landes voraussagen, sondern auch Aufschlüsse über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb des Landes gewinnen. So lässt sich zum Beispiel prognostizieren, dass das Erreichen eines demografischen Übergangs, einhergehend mit hohen Bildungsniveaus und einer für die Bewohner des Landes zufriedenstellenden Arbeitsplatzsituation für Afghanistan in der absehbaren Zukunft ein wichtiges Ziel darstellt, das jedoch nur erreicht werden kann, wenn dem Bildungssystem und der Schaffung von Arbeitsplätzen seitens der Politik und der Gesellschaft eine hohe Priorität eingeräumt wird.
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8.1 Bevölkerungswachstum und -versorgung
8.1.2 Umgang mit Ressourcen
W iederholun g s f ra g en 8 . 1
Keine andere ökologische Frage ist so bedeutend wie die nach der zukünftigen Größe der Erdbevölkerung und den damit verbundenen globalen Auswirkungen. Prognosen hängen davon ab, welche Annahme man über den zukünftigen Verlauf und die Höhe der weltweiten Geburten- und Sterberate macht. Populationsökologen rechnen für das Jahr 2050 mit einer Erdbevölkerung zwischen 7,8 und 10,8 Milliarden Menschen, oder mit anderen Worten: Wenn nicht eine Katastrophe eintritt, kommen in den nächsten vier Jahrzehnten durch die Dynamik des Bevölkerungswachstums schätzungsweise eine bis vier Milliarden Menschen zur derzeitigen Erdbevölkerung hinzu. Aber wie viele Menschen kann die Biosphäre der Erde überhaupt nachhaltig ernähren? Wird die Erde im Jahr 2050 überbevölkert sein oder ist sie etwa schon heute überbevölkert? Schon seit über drei Jahrhunderten versuchen Wissenschaftler, die Kapazitätsgrenzen der Erde im Hinblick auf die menschliche Bevölkerung abzuschätzen und sie gelangen bei ihren Schätzungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Der Durchschnitt der Schätzungen liegt in einer Größenordnung von 10–15 Milliarden Menschen. Über die Antwort auf die Frage, wie hoch die Umweltkapazität der Erde tatsächlich ist und welche Faktoren das Bevölkerungswachstum letztlich am ehesten einschränken werden, können wir nur spekulieren. Möglicherweise wird die zur Verfügung stehende Nahrungsmenge ein wichtiger Faktor sein. Mangelernährung und Hunger sind in manchen Regionen der Erde weit verbreitet, ihre Ursache ist heutzutage allerdings nicht mehr die unzureichende Nahrungsmittelproduktion, sondern eine ungleichmäßige globale Verteilung der produzierten Nahrungsressourcen. Vielleicht wird das Wachstum der Erdbevölkerung eines Tages auch durch den zur Verfügung stehenden Siedlungsraum begrenzt werden. Die Konflikte um dessen Nutzung werden mit zunehmender Weltbevölkerung mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls zunehmen und gleichzeitig werden immer mehr landwirtschaftliche Nutzflächen als Siedlungs- und Industrieraum verloren gehen. Wenn es darum geht, wie eng Menschen nebeneinander leben können, scheint es jedoch kaum Gren-
1. Erklären Sie, auf welche Weise sich die Altersstruktur einer Bevölkerung auf deren Wachstumsrate auswirkt.
Der ökologische Fußabdruck Menschen besitzen zahlreiche notwendige Bedürfnisse: Wir benötigen Nahrung, Wasser, Brennstoffe, Baumaterial und andere Ressourcen wie Kleidung und Transportmittel. Diese Bedürfnisse können genutzt werden, um die Umweltkapazität der Erde abzuschätzen, indem man den ökologischen Fußabdruck der Menschheit ermittelt. Unter dem ökologischen Fußabdruck wird diejenige Fläche verstanden, die notwendig ist, um den Lebensstil und den Lebensstandard eines Menschen (unter Fortführung heutiger Produktionsbedingungen) dauerhaft zu gewährleisten. Auf diese Weise lässt sich ermitteln, wie viel Land- und Wasserfläche ein Mensch, eine Stadt oder ein Staat benötigt, um alle für ihn verbrauchten Ressourcen nachhaltig produzieren und alle von ihm erzeugten Abfälle aufnehmen zu können. Um den
2. Erläutern Sie in eigenen Worten, was man unter einem demografischen Übergang versteht. 3. Stellen Sie dar, wie sich das Wachstum der Erdbevölkerung in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Beantworten Sie diese Frage sowohl im Hinblick auf die Wachstumsrate als auch auf die Anzahl der Menschen, die jedes Jahr hinzukommen. 4. Werten Sie die drei Alterspyramiden für die menschliche Bevölkerung (Abbildung 8.6) aus. Welche Rückschlüsse auf die zukünftige Bevölkerungsentwicklung lassen sich für die einzelnen Länder ziehen? 5. Stellen Sie Möglichkeiten der Einflussnahme auf Ihren eigenen ökologischen Fußabdruck dar und diskutieren Sie die Sinnhaftigkeit der jeweiligen Maßnahmen.
ökologischen Fußabdruck der gesamten Menschheit abschätzen zu können, addiert man alle ökologisch produktiven Flächen auf der Erde und dividiert deren Summe durch die Erdbevölkerung. Eine solche Berechnung führt zu etwa zwei Hektar (ha) ökologisch produktiver Fläche, die für jeden Menschen auf der Erde durchschnittlich zur Verfügung stehen. Berücksichtigt man, dass ein Teil der Fläche für den Natur- und Umweltschutz zur Verfügung gestellt werden soll, reduziert sich der Betrag auf 1,7 ha pro Person: Dieser Wert ist der Maßstab, den man mit dem tatsächlichen ökologischen Fußabdruck eines Landes vergleichen kann. Wer Ressourcen verbraucht, deren Produktion mehr als 1,7 ha pro Person erfordert, nutzt einen überproportionalen und nicht nachhaltigen Anteil der globalen Gesamtressourcen. Für einen Bewohner Deutschlands liegt der ökologische Fußabdruck bei etwa 3,4 ha, für einen Bewohner der USA bei ungefähr 9,7 ha.
207
8 Humanökologie
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Beispiel
zen zu geben, solange die Nahrungs- und Wasserversorgung ausreicht und darüber hinaus genügend Platz für die Entsorgung der Abfälle vorhanden ist. Dies belegen die Megametropolen der Erde. Möglicherweise wird dennoch die Kapazität der Umwelt, Abfälle aufzunehmen, eines Tages zu einem limitierenden Faktor für die Erdbevölkerung. Das Ende der Reichweiten verschiedener nicht erneuerbarer Ressourcen wie bestimmter Metalle und der fossilen Brennstoffe könnte ebenfalls zum Erreichen der globalen Umweltkapazität beitragen oder diese sogar deutlich verringern. Im Falle einer besonderen Ressource, dem Trinkwasser, geht der Bedarf vieler Bevölkerungsgruppen schon heute weit über die lokalen und sogar regionalen Versorgungsmöglichkeiten hinaus. Mehr als eine Milliarde Menschen haben bereits derzeit keinen Zugang zu einer ausreichenden Wasserversorgung, mit der sie ihre grundlegenden hygienischen Bedürfnisse decken könnten. Um nachhaltig mit Ressourcen wie Trinkwasser umzugehen, darf die Geschwindigkeit, mit der die Ressource entsteht oder bereitgestellt wird, nicht unter der ihrer Nutzung liegen. Leider wird diese Grundregel in vielen Fällen nicht befolgt, was dramatische Auswirkungen haben kann, wie das Beispiel des Aralsees zeigt.
Das einfache Prinzip einer nicht nachhaltigen Nutzung von Wasser verdeutlicht das Beispiel des Aralsees in Zentralasien (⇒ Abbildung 8.7). Im Jahr 1963 hatte der See eine Fläche von 66.100 km2. Bis ins Jahr 1987 waren 27.000 km2 der Seefläche ausgetrocknet. Etwa 60 Prozent des Wasservolumens waren verloren gegangen und die Salzkonzentration des Seewassers hatte sich verdoppelt. Die Reduzierung des Wasservolumens des Aralsees hatte ihre Ursache vor allem darin, dass man seine Zuflüsse umgeleitet hatte, um landwirtschaftliche Flächen in der Region bewässern zu können. Dies führte zu einem erheblich verminderten Zufluss in den See. In Zusammenhang mit der hohen Evaporationsrate in dem ariden Gebiet verringerte sich die Fläche des Aralsees zunehmend. Wenn sich der Verlust im derzeitigen Umfang weiter fortsetzt, könnte der Aralsee bis zum Jahr 2020 völlig verschwunden sein. Nördlicher Aralsee
Aralsee
(b)
1960
Südlicher Aralsee
1999
2002
Abbildung 8.7: (a) Der Aralsee in Zentralasien ist ein Beispiel für eine nicht nachhaltige Ressourcennutzung. (b) Veränderungen der Größe des Sees von 1960–2002 (schematisiert). Da Wasser der Zuflüsse zu Bewässerungszwecken umgeleitet wurde, nahm das Volumen des Sees von 1963–1987 um 60 Prozent ab. Bleibt dieser Zustand weiter erhalten, wird der Aralsee aller Voraussicht nach bis zum Jahr 2020 völlig verschwunden sein.
Nach dem Studium dieses Unterkapitels sollte verständlich sein, dass sich die maximale Größe der Erdbevölkerung, die durch die Umwelt kapazität der Erde vorgegeben wird, nur schwer genau ermitteln lässt. Wie viele Menschen unser Planet dauerhaft ernähren kann, hängt jedoch zweifellos davon ab, welcher Lebensqualität sich jeder einzelne von uns erfreut und wie die begrenzten Ressourcen zwischen den Men-
8.2 Der Mensch als Gefahr für die biologische Vielfalt
schen und Staaten verteilt werden. Allerdings können wir Menschen, im Gegensatz zu anderen Organismen, selbst entscheiden, ob wir mit Hilfe gesellschaftlicher Veränderungen ein Bevölkerungs-Nullwachstum erreichen möchten oder ob uns dieses früher oder später durch Ressourcenknappheit, Seuchen, Kriege und Umweltzerstörung auf dem Weg einer höheren Sterblichkeitsrate aufgezwungen wird. Nachdem in diesem Buch bereits mehrfach von dem Begriff Biodiversität oder biologische Vielfalt die Rede war, wird im nächsten Unterkapitel der negative Einfluss des Menschen auf eben diese ausführlich dargestellt.
8.2
Der Mensch als Gefahr für die biologische Vielfalt
Das Aussterben von Organismenarten ist ein natürliches Phänomen, das existiert, seit sich Leben auf unserem Planeten entwickelt hat. Dass jedoch der Rückgang der biologischen Vielfalt in neuerer Zeit stark zugenommen und inzwischen ein überaus dramatisches Ausmaß angenommen hat, liegt in einer durch den Einfluss des Menschen begründeten ebenfalls stark zunehmenden Aussterberate. Da man die Anzahl der derzeit lebenden Arten nicht genau kennt und lediglich abschätzen kann, lässt sich die Geschwindigkeit des Artensterbens nicht präzise bestimmen. Eines aber wissen wir mit Sicherheit: Sie ist hoch und der Mensch bedroht weiterhin auf allen Ebenen die globale biologische Vielfalt.
8.2.1 Die drei Ebenen der biologischen Vielfalt Die biologische Vielfalt, häufig auch als Biodiversität bezeichnet, kann man auf drei wichtigen Ebenen analysieren: genetische Vielfalt, Artenvielfalt und Vielfalt der Ökosysteme (⇒ Abbildung 8.8).
Artenvielfalt im Ökosystem eines Mammutbaumwaldes an der Küste
Vielfalt von Lebensgemeinschaften und Ökosystemen in einem Landschaftsraum
Abbildung 8.8: Drei Ebenen der biologischen Vielfalt. Die stark vergrößert dargestellten Chromosomen im oberen Diagramm symbolisieren die genetische Vielfalt innerhalb einer Population.
Genetische Vielfalt Als genetische Vielfalt bezeichnet man einerseits die genetische Variabilität der Individuen innerhalb einer Population. Der Begriff umfasst darüber hinaus jedoch auch die genetischen Unterschiede der Individuen einer Art zwischen den Populationen, die in der Regel mit den Anpassungen an lokal unterschiedliche Umweltbedingungen zusammenhängen. Stirbt eine Population aus, verliert die betreffende Art einen Teil ihrer genetischen Vielfalt. Dieser genetische Verlust ist unwie-
Übertragen von der Spornzikade kam es beim Reis zu einem explosionsartigen Befall des pathogenen rice grassy stunt virus (RGSV). Biologen suchten bei rund 7000 Populationen von Reisarten und ihrer engsten Verwandten nach resistenten Genotypen gegen das Virus. Nur ein Wildtyp des Indischen Reises erwies sich als resistent gegen den Erreger und es gelang, die resistenten Sippen in kommerziell verwendete Reissorten einzukreuzen. Heute ist die ursprüngliche resistente Wildform an ihren natürlichen Standorten jedoch offenbar ausgestorben.
Beispiel
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genetische Vielfalt in einer Maulwurfspopulation
209
8 Humanökologie
derbringlich und verringert mögliche erfolgreiche Anpassungen einer Art an sich verändernde Umweltbedingungen in der Zukunft. Die Verringerung der genetischen Vielfalt der gesamten Biosphäre hat Auswirkungen auf das Wohlergehen der Menschen. Wenn beispielsweise Wildpopulationen von Pflanzenarten aussterben, die eng mit landwirtschaftlichen Nutzpflanzen verwandt sind, verlieren wir wichtige genetische Ressourcen, die zur Erhaltung und Verbesserung der Nutzpflanzen herangezogen werden könnten, zum Beispiel für die gezielte Züchtung von neuen und gegen bestimmte Krankheiten resistenten Sorten. Artenvielfalt Die Artenvielfalt, also die Anzahl der Organismenarten in einem Ökosystem oder in der gesamten Biosphäre, steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses hinsichtlich der globalen Krise der Biodiversität. Eine Art kann lokal aussterben und dies ist in der Populationsökologie kein seltenes Phänomen (siehe Kapitel 4): Globales Aussterben hingegen bedeutet, dass die betroffene Art an keinem Ort und in keinem Ökosystem mehr vorhanden und damit ein für alle Mal von unserem Pla-
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Fakten zum Artensterben Nach Angaben der IUCN sind 12 Prozent der etwa 10.000 bekannten Vogelarten und fast 20 Prozent der knapp 5000 bekannten Säugetierarten gefährdet. Wie die Zusammenstellung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) Deutschland zeigt, sind von den 3001 in Deutschland vorkommenden Farn- und Blütenpflanzen vier Prozent ausgestorben, fünf Prozent vom Aussterben bedroht, neun Prozent stark gefährdet und 12 Prozent gefährdet. Nach weiteren Angaben des Bundesamtes für Naturschutz sind in Deutschland zwölf Säugetierarten ausgestorben, unter anderem der Wisent und Auerochse, das Wildpferd, der Europäische Nerz und der Braunbär. 16 Vogelarten gelten als ausgestorben oder verschollen, dazu zählen Rothuhn, Schlangenadler, Waldrapp und Gänsegeier. Viele weitere ausgestorbene oder verschollene Arten lassen sich unter den Wirbellosen auflisten. Allein in Deutschland sind bereits 252 der bekannten Käferarten und 34 Großschmetterlingsarten ausgestorben. Ungefähr 20 Prozent der weltweit bekannten Süßwasserfische sind entweder ausgestorben oder ernsthaft bedroht. Zur Kategorie 0 zählen in Deutschland vier Fischarten des Süßwassers, darunter zum Beispiel der Europäische Stör. Nach einem Bericht des Wissenschaftsmagazins Science, der im Jahr 2004 erschien und sich auf weltweite Untersuchungen von über 500 Wissenschaftlern an Amphibien stützte, sind 32 Prozent aller bekannten Amphibienarten entweder stark vom Aussterben bedroht oder zumindest hochgradig gefährdet.
Abbildung 8.9: Kurz vor dem Aussterben. Die Bilder zeigen drei Arten des „Hundred Heartbeat Club“, wie der Biologe E. O. Wilson von der Harvard University sie nennt: Arten, die nur noch mit weniger als 100 Individuen auf der Erde vertreten sind. Der Jangtse-Flussdelfin wurde seit dem Jahr 2004 nicht mehr gesehen und dürfte bereits ausgestorben sein.
(a) Philippinenadler
(b) JangtseFlussdelfin
c) JavaNashorn
8.2 Der Mensch als Gefahr für die biologische Vielfalt
neten verschwunden ist. Seit dem Jahr 1963 führt die Internationale Naturschutzunion (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources, IUCN) eine Rote Liste gefährdeter Tier- und Pflanzenarten der Erde. Auch in Deutschland wird die Gefährdung von Arten durch die Einstufung in Rote-Liste-Kategorien wiedergegeben. Dabei bedeuten: 0 = ausgestorben oder verschollen, 1 = vom Aussterben bedroht, 2 = stark gefährdet, 3 = gefährdet, 4 = potenziell gefährdet (nur bei Roten Listen der Bundesländer), R = extrem selten, G = Gefährdung anzunehmen, D = Daten mangelhaft, V = Vorwarnliste (noch ungefährdet, aber verschiedene Faktoren könnten in den nächsten zehn Jahren eine Gefährdung herbeiführen).
Die dritte Ebene der Biodiversität ist die der Vielfalt der Ökosysteme. Da die Populationen der verschiedenen Tier- und Pflanzenarten innerhalb von Ökosystemen im Rahmen komplexer Netzwerke interagieren, kann das lokale Aussterben einer Art sich gleichzeitig und in oftmals schwer vorhersehbarer Weise auf den Artenreichtum der gesamten Lebensgemeinschaft auswirken. Manche Ökosysteme wurden durch den Menschen bereits schwer geschädigt, andere verändern sich mit ungeheurer Geschwindigkeit. Auch in Deutschland sind nach einer Veröffentlichung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) aus dem Jahr 2007 etwa 72 Prozent der 690 verschiedenen Lebensraumtypen im Rückgang begriffen oder sogar akut von der Vernichtung bedroht. Es sind jedoch durchaus Erfolge von naturerhaltenden Umweltschutzmaßnahmen zu verzeichnen, auch wenn bei diesen oftmals nur die weitere Schädigung oder ein weiterer Rückgang der Flächen verlangsamt oder aufgehalten werden konnte. Dank der Nationalparks konnten beispielsweise an den Küsten naturnahe Salzrasen sowie Dünenökosysteme im Bestand erhalten werden. Gleiches gilt für einige Auenwälder und Weidengebüsche an Flussund Bachufern und auch der starke Rückgang verschiedener Waldtypen, wie naturnäherer Buchenwälder und naturnäherer Wälder der montanen und subalpinen Stufe, ist ebenfalls aufgehalten worden. Ein Drittel aller Biotoptypen Deutschlands gingen in ihrem Flächenbestand jedoch weiter zurück.
Flughunde sind eine Säugetierfamilie aus der Ordnung der Fledertiere. Auf zahlreichen Pazifikinseln sind sie für die Bestäubung von Pflanzenarten und die Ausbreitung der Pflanzensamen von großer Bedeutung; dennoch werden sie vom Menschen bejagt und wegen ihres Fleisches erlegt (⇒ Abbildung 8.10). Durch die intensive Bejagung stehen daher einige Flughund-Arten kurz vor dem Aussterben. Biologen fürchten, dass durch das mögliche Aussterben der Flughunde gleichzeitig auch die einheimische Pflanzenwelt des Samoa-Archipels nachhaltig geschädigt werden würde, denn dort sind mehr als 79 Prozent der Baumarten auf die Bestäubung und Samenausbreitung durch Flughunde angewiesen.
Beispiel
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Vielfalt der Ökosysteme
Abbildung 8.10: Der gefährdete Marianen-Flughund, ein wichtiger Blütenbestäuber. Er ist auf westpazifischen Inselgruppen (Nördliche Marianen, Guam, Palau, Mikronesien) beheimatet.
211
8 Humanökologie
8.2.2 Drei Gefahren für die biologische Vielfalt Der Mensch verursacht, mehr als alle anderen Organismenarten auf der Erde, häufige und massive Störungen in Ökosystemen (siehe Kapitel 5.3.2) und gefährdet durch viele verschiedene Tätigkeiten die lokale, regionale und globale Biodiversität. Die Gefahren, die hierdurch entstehen, lassen sich drei großen Bereichen zuordnen: Lebensraumverlust, eingeschleppte Arten und übermäßige Nutzung. Lebensraumverlust
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Abbildung 8.11: Lebensraumfragmentierung in einem Vorgebirge am Rand von Los Angeles (USA). Die Erschließung von Bauland begrenzt in den einzelnen Tälern den Lebensraum für die meisten Pflanzen- und Tierarten ausschließlich auf schmale Streifen der Hügelketten.
Wenn nach einer vom Menschen verursachten Störung kein anderer Lebensraum als Alternative zur Verfügung steht oder wenn eine Art nicht zu einem großräumigeren Ortswechsel in der Lage ist, bedeutet jeder einzelne Lebensraumverlust das lokale oder im schlimmsten Fall sogar das vollständige Aussterben der betroffenen Art. Durch Holzgewinnung, Rodung, Siedlungsbau, Bergbau, den Bau von Industrieanlagen und Landwirtschaft wurden beispielsweise große Waldgebiete in den USA und in Europa zu kleinen Flächen voneinander getrennter Waldinseln zerstückelt. Die Umwandlung eines einheitlichen natürlichen Bioms in vom Menschen veränderte (Nutz-)Flächen, die nur noch von kleinen „Resten“ des ursprünglichen Biomtyps unterbrochen werden, bezeichnet man als Fragmentierung von Lebensräumen. Solche Fragmentierungen von Lebensräumen können sich über riesige Gebiete erstrecken, so zum Beispiel im Bundesstaat Veracruz an der Ostküste Mexikos, wo die Rodung des tropischen Regenwaldes – vorwiegend aus Gründen der Rinderzucht – zum Verlust von rund 91 Prozent der ursprünglichen Waldflächen führte – zurück blieb ein Mosaik aus kleinen Waldinseln. Eingriffe des Menschen in Lebensgemeinschaften sind jedoch keineswegs auf die stark besiedelten Gebiete Nordamerikas und Europas beschränkt und darüber hinaus stellen sie kein neues Problem dar. Ebenso wenig ist der Lebensraumverlust auf terrestrische Ökosysteme begrenzt, er findet auch in aquatischen Lebensräumen in großem Umfang statt und ist in diesen zu einer ernsthaften Bedrohung für die biologische Vielfalt geworden. Eingeschleppte Arten Zahlreiche Pflanzen- und Tierarten wurden durch den Menschen aus anderen Klimazonen in ihre heutigen Verbreitungsgebiete unabsichtlich eingeschleppt oder absichtlich eingeführt (adventive Arten). Bei Pflanzen unterscheidet man im Gegensatz zu im Sinne des Wortes „einheimischen“ Arten (Apophyten) zwischen in prähistorischer Zeit eingebürgerten (Archäophyten) und in „neuerer“ Zeit angekommenen Arten (Neophyten). Analoge Zuordnungen gibt es bei adventiven Tierarten (Archäozoen, Neozoen). Allein in Deutschland sind mindestens 417 Neophyten und 262 Neozoen nachweislich dauerhaft eingebürgert. Durch die Verschleppung mit Schiffen oder Flugzeugen hat sich die Ausbreitung adventiver Arten in den letzten Jahrzehnten beträchtlich beschleunigt. Wenn adventive Arten in für sie „neuen“ Lebensräumen von ihren natürlichen Feinden, Parasiten und Krankheitserregern
Die Braune Nachtbaumnatter und die Wandermuschel sind Beispiele für die katastrophalen Auswirkungen, die invasive Arten auf einheimische Lebensgemeinschaften besitzen können. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte die Braune Nachtbaumnatter als „blinder Passagier“ mit einem militärischen Truppentransport auf die Insel Guam (Abbildung 8.12a). Seit dem Eintreffen der Braunen Nachtbaumnatter sind auf der Insel zwölf Vogel- und sechs Echsenarten, die ihr als Beute dienen, ausgestorben. Die Wandermuschel wurde vermutlich im Jahr 1988 mit dem Ballastwasser von Schiffen aus Europa in die großen nordamerikanischen Seen eingebracht. Wandermuscheln bilden dichte Kolonien auf festem Substrat und nehmen dadurch den einheimischen Arten den Lebensraum. Sie besiedeln darüber hinaus Schiffsrümpfe, verstopfen Wasserentnahmevorrichtungen und beeinträchtigen die Wasserversorgung von Haushalten und Industrie, wodurch sie Schäden in Milliardenhöhe verursachen.
(a)
(b)
Die Braune Nachtbaumnatter kam als „blinder Passagier” nach Guam.
Eingeschleppte Kudzupflanzen in South Carolina.
Beispiel
8.2 Der Mensch als Gefahr für die biologische Vielfalt
befreit sind, die ihre Reproduktion im ursprünglichen Verbreitungsareal eingeschränkt hatten, können sie sich unter den neuen Umweltbedingungen unter Umständen sehr schnell vermehren und daher zu einer Bedrohung der einheimischen Arten werden (siehe Kapitel 5.3.1). Solche Arten bezeichnet man auch als invasive Arten. Neben solchen unbewusst und eher zufällig angesiedelten Arten wurden jedoch auch eine ganze Reihe weiterer Arten vom Menschen absichtlich in andere Kontinente eingeführt, die sich in ihrer neuen Umgebung zu invasiven Spezies entwickelten. Dabei verfolgte man „gute Absichten“, die Folgen des Tuns waren aber häufig katastrophal.
Der Europäische Star wurde im Jahr 1890 von einer Bürgerinitiative im New Yorker Central Park angesiedelt, weil man dort alle Pflanzen und Tiere heimisch machen wollte, die in Shakespeares Dramen erwähnt werden. Diese Vogelart breitete sich jedoch schnell über ganz Nordamerika aus, vermehrte sich zu einem Bestand von 100 Millionen Individuen und verdrängte viele einheimische Singvogelarten.
Beispiel
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Abbildung 8.12: Zwei eingeschleppte Arten.
Übermäßige Nutzung Von übermäßiger Nutzung spricht man dann, wenn der Mensch in freier Natur lebende Organismenarten (im Unterschied zu domestizierten oder kultivierten Arten wie Getreide oder Nutztieren) mit einer so großen Intensität nutzt, dass sich deren Populationen nicht mehr erholen können. Besonders betroffen und gefährdet sind in diesem Zusam213
8 Humanökologie
Schleppnetzfischerei Die Schleppnetzfischerei, bei der Schiffe große, mit Gewichten beschwerte Netze über den Meeresboden ziehen, hat ähnliche ökologische Auswirkungen wie die Rodung eines Waldes oder das Umpflügen eines Feldes (⇒ Abbildung 8.13). Insbesondere bei der Verwendung von Grundschleppnetzen werden Korallenbänke zerstört und es werden darüber hinaus viele nicht nutzbare Organismenarten über dem Meeresboden und aus dem Sediment mitgefangen. Man rechnet bei der Schleppnetzfischerei mit einem Beifang (= nicht kommerziell verwertbarer Anteil eines Fangs) von 80–90 Prozent, der häufig ungenutzt und in totem Zustand direkt wieder dem Meer zugeführt wird. Unter den Beifang fallen viele tote Jungfische, aber auch tote Wale und Delfine, die in den Netzen ertrinken. In einem Durchschnittsjahr werden Schleppnetze über eine Fläche von 15 Millionen Quadratkilometern des Meeresbodens geführt; dieses Gebiet ist ungefähr so groß wie Südamerika und 150-mal größer als die Waldfläche, die jedes Jahr abgeholzt wird.
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Abbildung 8.13: Folgen der Schleppnetzfischerei am Meeresboden. Die Fotos zeigen den Meeresboden vor der Küste Nordwestaustraliens vor (oben) und nach dem Durchziehen eines Schleppnetzes (unten).
menhang solche Arten, die lediglich über ein kleines Verbreitungsareal verfügen. Große Organismenarten mit einer niedrigen Reproduktionsrate wie Elefanten, Wale und Nashörner sind durch übermäßige Nutzung ebenfalls besonders stark gefährdet, da sie lange Zeit benötigen, um einmal dezimierte Populationen wieder zu regenerieren und ihre Populationen darüber hinaus bei fortgesetzter Bejagung relativ leicht vollständig zusammenbrechen können. Zu erwähnen bleibt, dass sich übermäßige Nutzung natürlich nicht nur auf die Ausbeute von Lebewesen beziehen kann. Während diese jedoch grundsätzlich die Möglichkeit besitzen, ihre Populationen zu regenerieren, gibt es andere Ressourcen, die nicht nachwachsen und daher auch nicht nachhaltig genutzt werden können. Beispiele für nicht erneuerbare Ressourcen sind Bodenschätze wie Aluminium, Kupfer oder Zink. Darüber hinaus gibt es Ressourcen, die ebenfalls als nicht erneuerbar eingestuft werden, obwohl sie sich neu bilden können. Dies gilt zum Beispiel für fossile Brennstoffe wie Kohle, Erdöl und Erdgas. Solche Ressourcen werden als nicht erneuerbare Energieträger bezeichnet, da ihre Neubildung Zeiträume in der Größenordnung von Jahrmillionen erfordert (siehe Kapitel 5.2.2) und die Geschwindigkeit der Neubildung daher im Vergleich zur Nutzung unter praktischen Gesichtspunkten gleich null ist.
8.2.3 Biologische Vielfalt und das Wohlergehen des Menschen Die Biodiversität ist für den Menschen eine unentbehrliche natürliche Ressource, in der vermutlich bis weit in die Zukunft hinein ein unglaubliches Lösungspotenzial für viele denkbare Probleme steckt, denn viele bedrohte Arten könnten uns beispielsweise möglicherweise nicht nur Nahrung, sondern auch Natur- und Arzneistoffe liefern. Rund 25 Pro-
In den 1970er Jahren entdeckte man, dass das Madagaskar-Immergrün besondere Alkaloide enthält, die das Wachstum von Krebszellen hemmen (⇒ Abbildung 8.14). Diese Entdeckung führte zur Entwicklung neuer Therapieverfahren gegen zwei bis dahin tödliche Krebsformen und erst von diesem Zeitpunkt an konnte man beide Krankheiten in den meisten Fällen heilen. In Madagaskar sind jedoch noch fünf weitere Immergrünarten heimisch und eine davon steht bereits kurz vor dem Aussterben. Mit dem Verlust dieser Arten (wie aller anderer Arten auch) würde gleichzeitig jeder medizinische Nutzen unwiederbringlich verloren gehen, den sie vielleicht zu bieten hätten.
Beispiel
8.2 Der Mensch als Gefahr für die biologische Vielfalt
W iederholun g s f ra g en 8 . 2
1. Erläutern Sie in eigenen Worten, auf welchen drei Ebenen sich biologische Vielfalt manifestiert. 2. Die aus Nordamerika stammende Kanadische Goldrute ist eine Pflanze mit einer Wuchshöhe von 50–200 cm, die dazu neigt, Monodominanzbestände auszubilden. Erläutern Sie mögliche Konsequenzen für ein europäisches Ökosystem, in das die Kanadische Goldrute eingeschleppt würde. 3. Nennen Sie die drei wichtigsten Bedrohungen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Gehen Sie auch auf die Art und Weise der möglichen Schädigungen ein.
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Abbildung 8.14: Das Madagaskar-Immergrün, eine Pflanzenart, die Menschenleben rettet.
zent der in Apotheken verkauften Medikamente enthalten Wirkstoffe, die ursprünglich aus Pflanzen stammen. Jeder Verlust einer Art ist mit dem Verlust einzigartiger Genkombinationen verbunden, von denen manche möglicherweise außerordentlich nützliche Proteine codieren können. Wahrscheinlich sterben jedoch Millionen von Arten aus, bevor wir sie überhaupt näher analysieren und etwas über ihre Biologie und ihren potenziellen Nutzen erfahren konnten, und mit jeder ausgestorbenen Art verliert die Menschheit unwiederbringlich kostbares genetisches Potenzial. Mit einem Verlust der Artenvielfalt einhergehend kann auch die Funktion von Ökosystemen beeinflusst und sogar gestört werden. Dies hat für den Menschen in vielerlei Hinsicht tiefgreifende Auswirkungen, da Ökosysteme eine Vielzahl von Leistungen erbringen, man spricht in diesem Zusammenhang von ökologischen Dienstleistungen, die für den Menschen das Leben auf der Erde erst möglich machen oder erheblich erleichtern. Ökosysteme reinigen beispielsweise unsere Luft und unser Wasser, sie entgiften und zersetzen unsere Abfälle und vermindern die Auswirkungen von Wetterextremen und Überschwemmungen. Bestimmte Organismenarten bestäuben unsere Nutzpflanzen, bekämpfen Schädlinge und schaffen und erhalten die Böden unserer landwirtschaftlichen Nutzflächen. Wenn wir die Biodiversität verringern, berauben wir die Ökosysteme unseres Planeten immer stärker ihrer funktionellen Fähigkeiten, die für unser eigenes Überleben entscheidend sind und mit zunehmender Erdbevölkerung immer entscheidender werden dürften.
4. Immer dann, wenn es aufgrund übermäßiger Nutzung einer Art zu einer Dezimierung der Bestände kommt, steigen die Preise für das die Art betreffende wirtschaftliche Gut. Erklären Sie den Teufelskreis, der sich aus dieser wirtschaftlichen Entwicklung ergibt. 5. Was wäre, wenn? Gehen wir von zwei Populationen ein- und derselben Fischart aus. Die eine Population lebt im Mittelmeer, die andere in der Karibik. Zwei mögliche Szenarien können entwickelt werden: (1) Beide Populationen reproduzieren sich getrennt und (2) die adulten Individuen beider Populationen wandern in die Mitte des Atlantiks, um sich dort zu reproduzieren. Stellen Sie dar, welches der beiden Szenarien zu einem größeren Biodiversitätsverlust führen würde, wenn zum Beispiel die Mittelmeerpopulation so stark durch Fischfang dezimiert wird, dass sie ausstirbt. Begründen Sie Ihre Antwort.
S chon g ewusst ?
Man schätzt, dass die Wissenschaft bis heute gerade einmal zehn Prozent der weltweit etwa 250.000 Pflanzenarten analysiert hat. Vermutlich könnte ein beträchtlicher Anteil dieser Pflanzen enorme wirtschaftliche Bedeutung erlangen. 215
8 Humanökologie
8.3
Schutz und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme
Im vorangegangenen Unterkapitel haben wir gesehen, welche Faktoren negativen Einfluss auf die biologische Vielfalt unserer Erde haben und welche Konsequenzen damit für die betreffenden Arten, aber auch den Menschen verbunden sind. Die Bewahrung von Lebensräumen einschließlich ihrer Lebensgemeinschaften ist letztlich die effektivste Methode zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Zeitgemäßer Naturschutz konzentriert sich daher nicht mehr allein auf die Erhaltung einzelner Arten, sondern hat das Ziel, die biologische Vielfalt ganzer Lebensgemeinschaften, Ökosysteme und Landschaften zu konservieren. Eine solch umfassende Vorgehensweise setzt jedoch voraus, dass man die ökologischen Zusammenhänge in den betreffenden Lebensgemeinschaften, Ökosystemen und Landschaften kennt. Der vorbeugende Schutz und die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme stellen die beiden grundlegenden Maßnahmen dar, um die biologische Vielfalt auch für die kommenden Generationen zu erhalten.
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8.3.1 Errichtung von Schutzgebieten Naturschutzgebiete im weiteren Sinne sind Inseln der biologischen Vielfalt in einem Meer von Lebensräumen, die von Menschen in unterschiedlichem Ausmaß aus Naturschutzsicht negativ beeinflusst oder gar geschädigt wurden. In Deutschland unterscheidet man in diesem Zusammenhang Nationalparks, Biosphärenreservate, Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete, Naturparks, Meeresschutzgebiete, Wasserschutzgebiete, Naturdenkmale und Geschützte Landschaftsbestandteile. Der „richtige“ Umgang mit den Schutzgebieten und ihre ideale Größe geben immer wieder Anlass für kontroverse Diskussionen. Während einige den Ansatz verfolgen, lediglich die Schutzgebiete auszuweisen und sie sich dann selbst zu überlassen, verfechten andere ein kontrolliertes Management für solche Schutzgebiete. Letztlich zeigen neuere Erkenntnisse, dass dynamische Prozesse und Störungen ein wichtiger systemerhaltender Funktionsbestandteil der meisten Ökosysteme sind. Daher sind durch den Menschen reglementierte Maßnahmen, die eine natürliche Dynamik nicht zulassen oder gar zu verhindern suchen, in der Vergangenheit gescheitert. So ist es zum Beispiel nicht zielführend und unrealistisch, eine durch Feuer gefährdete Lebensgemeinschaft – beispielsweise eine Hochgrasprärie oder einen trockenen Kiefernwald – als Schutzgebiet auszuweisen, wenn man nicht gleichzeitig regelmäßig wiederkehrende Brände zulässt. Ohne diese wichtigen und prägenden Störungen werden nämlich an das Feuer angepasste Arten in den meisten Fällen durch andere konkurrenzstärkere Arten verdrängt und die Artenzusammensetzung verändert sich, wodurch die biologische Vielfalt im Schutzgebiet möglicherweise sogar zurückgeht. Die andere wichtige Frage ist, ob man lieber wenige große oder viele kleine Schutzgebiete einrichten soll. Für ausgedehnte großflächige Schutzgebiete spricht vor allem die Tatsache, dass große Tierarten mit
8.3 Schutz und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme
Kategorie
Schutzziel
Schutzgebiete Naturschutzgebiet (NSG)
Gebiet mit hohen Schutzauflagen, Erhaltung gefährdeter Tier- und Pflanzenarten und Lebens gemeinschaften.
Nationalpark (NTP)
Großräumiges Gebiet mit Primärstandorten, eingeschränkter menschlicher Nutzung sowie Besiedlung und daher teilweise natürlicher Dynamik.
Landschaftsschutzgebiet (LSG)
Großräumiges Gebiet, das für die Erhaltung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts beziehungsweise zum Schutz der Eigenart von Landschaften oder wegen der besonderen Bedeutung für die Erholung ausgewiesen wurde.
Naturpark
Großräumiges Gebiet, das überwiegend aus Landschaftsschutz- und Naturschutzgebieten besteht, geeignet für Erholung.
Biosphärenreservat
Nach dem UNESCO-Programm „Man and the
(europäische Kategorie)
Biosphere“ (MaB) gibt es in dieser Schutzkategorie eine Kernzone (core area, mindestens drei Prozent der Gesamtfläche). Diese muss als Naturschutzgebiet oder Nationalpark ausgewiesen sein. Daneben existieren eine Pufferzone (buffer zone, mindestens zehn Prozent der Gesamtfläche) sowie randlich anschließend eine Entwicklungszone (transition zone, mindestens 50 Prozent der Gesamtfläche). Kernzone und Pufferzone müssen zusammen 20 Prozent der
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Gesamtfläche ausmachen. Die Fläche soll insgesamt in der Regel mindestens 30.000 Hektar umfassen. Mit Ausnahme der Kernzone sind menschliche Nutzungen (Tourismus, Land- und Forstwirtschaft) vorhanden. Insbesondere „gewachsene Kulturlandschaften“ sind in Ostdeutschland zu Biosphären reservaten erklärt worden. Schutzobjekte Naturdenkmal
Schutzzweck sind Einzelobjekte der Natur (geologische Besonderheiten, Quellen, Baumindividuen und anderes), in manchen Fällen handelt es sich jedoch auch um kleine Flächen unter 5 Hektar mit gefährdeten Arten und Lebensgemeinschaften.
Geschützter Landschaftsbe-
Gebiete mit bemerkenswerten Elementen des Orts-
standteil
und Landschaftsbilds (Baumgruppen, Streuobstbestände und anderes).
Tabelle 8.1: Die Kategorien der Schutzgebiete / Schutzobjekte in Deutschland. 217
8 Humanökologie
0
50
100
Kilometer Ye llow stone R.
Montana YellowstoneNationalpark
Montana Idaho
ak
Grand TetonNationalpark
eR
Idaho
.
Wyoming
Sn
Sho
ne s ho
R.
Wyoming
Die minimale überlebensfähige Populationsgröße (MVP) für ein kurzfristiges Überleben liegt bei 50 Individuen.
Die minimale überlebensfähige Populationsgröße (MVP) für ein langfristiges Überleben liegt bei 500 Individuen.
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Abbildung 8.15: Biologisch natürliche Grenzen des Aktivitätsraumes für die Grizzlybären im Yellowstone- und Grand Teton-Nationalpark. Diese Grenzen (durchgezogene und gestrichelte rote Linie) schließen die Flächen ein, die zur Aufrechterhaltung einer lebensfähigen Mindestpopulation von 50 beziehungsweise 500 Bären notwendig sind. Schon das kleinere der beiden Gebiete ist größer als die beiden Nationalparks zusammen, deren Ausdehnung etwa der vierfachen Fläche des Saarlandes entspricht.
ausgedehntem Aktionsradius, wie zum Beispiel der Grizzlybär, möglichst große Lebensräume benötigen. Größere Schutzgebiete haben im Verhältnis zu ihrer Fläche darüber hinaus einen geringeren Umfang als kleine Schutzgebiete und werden deshalb in geringerem Ausmaß von den angrenzenden Gebieten beeinflusst. Je mehr man jedoch über die Aufrechterhaltung überlebensfähiger Mindestpopulationen gefährdeter Arten in Erfahrung bringt, desto mehr wird deutlich, dass die meisten Nationalparks und anderen Schutzgebiete viel zu klein sind. Das Gebiet, das benötigt würde, damit eine Population Grizzlybären der Yellowstone-Region langfristig überleben kann, ist zum Beispiel mehr als zehnmal so groß wie der Yellowstone- und der Grand Teton-Nationalpark zusammen (⇒ Abbildung 8.15). Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Realität wird man viele bestehende Schutzgebiete nicht vergrößern und die meisten neu eingerichteten Gebiete werden ebenfalls zu klein sein. Wahrscheinlich müssen daher also auch private und öffentliche Flächen im Umfeld der Schutzgebiete ihren Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt leisten, damit diese dauerhaft erhalten werden kann. Die Naturschutzökologie beschäftigt sich in neuerer Zeit vor allem mit der Errichtung von sogenannten Korridoren und Trittsteininseln als weitere Schutzmaßnahme. In fragmentierten Lebensräumen kann ein Korridor, ein bandartiger Streifen, der isolierte größere Lebensräume miteinander verbindet, eine Migration von Individuen zwischen Populationen ermöglichen und für einen genetischen Austausch zwischen den Populationen sorgen. Das Gleiche ermöglichen auch Trittsteininseln, die als kleine Habitatinseln und Zwischenstationen zwischen ansonsten isolierten größeren Habitatfragmenten einen genetischen Austausch gewährleisten. Korridore können daher die Ausbreitung von Tierarten begünstigen und das Ausmaß der Inzucht in den immer kleiner werdenden Populationen verringern. Wie man nachweisen konnte, verstärken Korridore den Austausch vieler verschiedener Organismengruppen, darunter Käfer, Schmetterlinge, Feldmäuse und sogar Pflanzenarten.
8.3.2 Renaturierung Wenn genügend Zeit zur Verfügung steht und Quellen für eine Wiederbesiedlung vorhanden sind, können sich Lebensgemeinschaften durch das in Kapitel 5.3.3 beschriebene Sukzessionsgeschehen von den meisten Störungen aus eigener Kraft erholen. Ein solcher Vorgang kann jedoch manchmal Jahrhunderte in Anspruch nehmen, insbesondere dann, wenn der Mensch die Umwelt zuvor nachhaltig geschädigt hat. Die Fläche der vom Menschen geschädigten Ökosysteme nimmt global betrachtet zu, denn die natürliche Wiederherstellung durch Sukzessionsprozesse geht in der Regel langsamer voran als die Schädigung durch den Menschen. Beispielsweise verliert in vielen tropischen Regionen der Boden nach der Rodung der Wälder schnell seine Produktivität und wird daher schon wenige Jahre nachdem man ihn für landwirtschaftliche Zwecke „erschlossen“ hat, wieder aufgegeben (⇒ Abbildung 8.16). Ökosysteme werden jedoch nicht nur durch landwirtschaftliche Erschließungen nachhaltig geschädigt, auch die Auswirkungen des Bergbaus und von Ölkatastrophen sind Beispiele für Störungen, von
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8.4 Globaler Klimawandel
deren Folgen sich die betroffenen Ökosysteme nur langsam erholen können. Die Renaturierungsökologie verfolgt das Ziel, geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen oder in einen „naturnäheren Zustand“ zu überführen. Man unterscheidet zwischen Restauration (Rückführung in den ursprünglichen, definierten historischen Zustand mit verschiedenen, meist technischen Maßnahmen), Restitution (aktive Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustandes; in jedem Fall mit technischen Mitteln beziehungsweise Maßnahmen) und Rehabilitation (Wiederherstellung von ganz bestimmten Biotopqualitäten oder ökologischen Prozessen, zum Beispiel die Wiedervernässung im Hochmoor oder ReMäandrierung an einem Fließgewässer). Im weiteren Sinne werden auch diese Maßnahmen mit dem Begriff „Renaturierung“ umschrieben. Das Methodenspektrum reicht von der Wiederansiedlung von Arten und der Renaturierung von Habitaten bis hin zu Versuchen, ganze Lebensgemeinschaften im Rahmen eines wieder funktionierenden Ökosystems entstehen zu lassen. Dabei steht das Erreichen eines naturnäheren Zustandes beziehungsweise eines Zustandes, der einem „naturschutzfachlich wertvollen Leitbild“ entspricht, im Vordergrund. Es kann sich hierbei sowohl um natürliche Ökosysteme als auch um hoch diverse Systeme der gewachsenen Kulturlandschaft handeln. Bei der Renaturierung geht man dabei grundsätzlich von der Hypothese aus, dass sich die Schädigungen zumindest teilweise wieder rückgängig machen lassen. Diese Hypothese besitzt jedoch in einigen Fällen nur eingeschränkte Gültigkeit. So muss man, beispielsweise bei der Renaturierung eines Tagebaugebietes, der Landschaft zunächst mit Hilfe schwerer Maschinen ein neues Oberflächenrelief geben, bevor man anschließend Mutterboden ausbringen und mit der eigentlichen Renaturierung beginnen kann. Bei der Beseitigung von Giften in Ökosystemen bedient man sich oftmals Organismen – meist Bakterien, Pilzen oder Pflanzen. Diese biologische Entgiftung wird als biologische Sanierung bezeichnet. Manche Pflanzen, die an schwermetallhaltige Böden angepasst sind, können potenziell toxische Metalle wie Zink, Nickel, Blei und Cadmium in hoher Konzentration in ihrem Gewebe anreichern. Solche Pflanzenarten kann man in Rekultivierungsgebieten einsetzen, die durch Bergbau oder andere Tätigkeiten des Menschen mit den betreffenden Schwermetallen kontaminiert und dadurch geschädigt sind. Wenn man anschließend die Pflanzen erntet, entfernt man zusammen mit diesen auch einen Teil der Schwermetalle aus dem Ökosystem.
8.4 Globaler Klimawandel Zahlreiche gasförmige Substanzen sind Produkte der Tätigkeiten des Menschen und entstehen beispielsweise als Folge industrieller Produktion oder motorisierter Fortbewegung. Früher glaubte man, die Atmosphäre der Erde könne solche Stoffe in unbegrenzten Mengen aufnehmen; heute wissen wir jedoch, dass die Kapazität der Erdatmosphäre nicht unendlich ist und dass die vom Menschen produzierten Gase grundlegende Veränderungen in der Zusammensetzung der Atmo-
Abbildung 8.16: Zerstörung des tropischen Waldes in der indonesischen Provinz Westkalimantan.
W iederholun g s f ra g en 8 . 3
1. Informieren Sie sich über Schutzgebiete in Ihrer Umgebung und ordnen Sie diese einer der ausgewiesenen Kategorien in Tabelle 8.1 zu. 2. Entwickeln Sie mithilfe Ihres Wissens über die Struktur von Lebensgemeinschaften einen Verhaltenskatalog, wie man sich in Schutzgebieten am besten verhalten sollte, um die Artenvielfalt zu schützen. 3. Erklären Sie in eignen Worten, was man unter dem Begriff der Renaturierungsökologie versteht. 4. Stellen Sie sich vor, Sie seien der Bürgermeister einer Kommune, in der es früher eine Zinkhütte gab. Auf dem großen und in attraktiver Lage gelegenen Areal ist der Boden außerordentlich stark mit Zink und weiteren Schwermetallen belastet. Ihre Kommune möchte das Gelände gerne als Baugebiet ausweisen, zuvor muss der Boden jedoch saniert werden. Diskutieren Sie, welche Kriterien für den Einsatz einer biologischen Sanierung und welche eher für eine konventionelle Sanierung sprechen. 219
CO2-Konzentration (ppm)
390 380 370
Temperatur
360 350 340 330
CO2
320 310 300
1960 1970 1980 1990 2000 1965 1975 1985 1995 2005 Jahr
14,9 14,8 14,7 14,6 14,5 14,4 14,3 14,2 14,1 14,0 13,9 13,8 13,7 13,6
Mittlere globale Temperatur (°C)
8 Humanökologie
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Abbildung 8.17: Zunahme des Kohlenstoffdioxidgehalts in der Troposphäre und Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen, gemessen auf dem Mauna Loa (Hawaii). Von den normalen jahreszeitlichen Schwankungen abgesehen, ist die Kohlenstoffdioxidkonzentration (blaue Kurve) von 1958–2007 kontinuierlich angestiegen. Die Durchschnittstemperaturen (rote Kurve) schwankten im gleichen Zeitraum zwar stärker, auch bei ihnen erkennt man jedoch eindeutig einen Trend zur Erwärmung.
sphäre herbeiführen, die in letzter Konsequenz auch auf die Biosphäre zurückwirken. Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, auf welche Weise sich die Zunahme der Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre auf Ökosysteme auswirken könnte und welche möglichen Folgen für die Biodiversität und für den Menschen zu erwarten sind.
8.4.1 Treibhausgase verändern das Erdklima Seit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert nimmt, bedingt durch das Verbrennen fossiler Energieträger und durch großflächige Brandrodungen, die CO2-Konzentration in der Troposphäre, der untersten Atmosphärenschicht der Erde, kontinuierlich zu. Nach Messungen an in Eis eingeschlossenen Luftblasen und mit zahlreichen anderen wissenschaftlichen Methoden konnte man nachweisen, dass die Luft vor dem Jahr 1850 einen CO2-Gehalt von ungefähr 274 ppm aufwies (engl. ppm = parts per million; in diesem Fall: 274 CO2-Teilchen pro Million Luftteilchen). Seit dem Jahr 1958 liefert eine Messstation vom Gipfel des Mauna Loa auf Hawaii genaue CO2-Werte und zu Beginn der Messungen lag die CO2-Konzentration bei einem Wert von 316 ppm (⇒ Abbildung 8.17). Heute übersteigt die Konzentration bereits 380 ppm, was einer Steigerungsrate von etwa 40 Prozent gegenüber der Mitte des 19. Jahrhunderts entspricht. Wenn die CO2-Emissionen weiter mit der gleichen Geschwindigkeit ansteigen, wird die Konzentration des Gases in der Atmosphäre im Jahr 2075 fast doppelt so hoch sein wie zu Beginn der Industriellen Revolution. Eine der prognostizierbaren Auswirkungen der steigenden atmosphärischen CO2-Konzentration betrifft die Zunahme der pflanzlichen Produktivität. Steigert man in einem geschlossenen Raum (zum Beispiel in einem Gewächshaus) künstlich die CO2-Konzentration, wachsen die meisten Pflanzenarten schneller. Aus diesem Grund werden in zahlreichen Gewächshäusern Nutzpflanzen in CO2-angereicheter Atmosphäre gezüchtet. Wenn man diesen Befund auf die gesamte Biosphäre überträgt, dann ist davon auszugehen, dass bei steigender atmosphärischer CO2-Konzentration die pflanzliche Biomasseproduktion in den terrestrischen und aquatischen Ökosystemen der Erde ebenfalls zunehmen wird. Da nicht alle Pflanzenarten in gleichem Maße mit einer Produktivitätssteigerung auf die Erhöhung der CO2-Konzentration reagieren, könnte es jedoch sein, dass es aufgrund der unterschiedlich guten Anpassung an die veränderten abiotischen Umweltbedingungen (CO2Konzentration der Luft) zu einer Veränderung der Artenzusammensetzung und ‑häufigkeit in den Ökosystemen kommt. Die natürlich vorkommenden Treibhausgase wie Wasserdampf, Kohlenstoffdioxid (CO2), Ozon (O3), Methan (CH4) und Distickstoffoxid (N2O = Lachgas), sind zwar für sichtbares Licht durchlässig, sie reflektieren jedoch zu einem großen Teil die ursprünglich von der Sonne eingestrahlte und von der Erde reflektierte Infrarotstrahlung zur Erde zurück. Durch diesen Vorgang wird ein Teil der Sonnenwärme in der Troposphäre eingefangen. Gäbe es diesen natürlichen Treibhauseffekt nicht, läge die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche bei –18 °C und Leben, wie wir es kennen, wäre praktisch unmöglich.
8.4 Globaler Klimawandel
Das FACTS-I-Experiment
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Um besser einschätzen zu können, wie sich der CO2-Gehalt der Troposphäre auf die Wälder der gemäßigten Breiten auswirken wird, nahmen Wissenschaftler der Duke University (Durham, USA) im Jahr 1995 das Forest-Atmosphere Carbon Transfer and Storage Experiment (FACTS-I) in Angriff. Sie beeinflussten künstlich die CO2-Konzentration, der die Bäume in definierten Waldarealen ausgesetzt sind. Das Experiment umfasst sechs Untersuchungsflächen in einem 200 Hektar großen Wald aus Weihrauchkiefern. Die Untersuchungsflächen sind kreisförmig angeordnet (Durchmesser etwa 30 Meter) und jeweils von einem Ring aus 16 Türmen umgeben (⇒ Abbildung 8.18). Auf drei der sechs Flächen wird von den Türmen aus ein Gasgemisch versprüht, das ungefähr das Eineinhalbfache der heutigen atmosphärischen Kohlenstoffdioxidkonzentration enthält. Instrumente auf einem höheren zentral stehenden Turm messen ständig Windrichtung und Windgeschwindigkeit und regulieren die Anlage so, dass die CO2-Konzentration innerhalb der Untersuchungsfläche konstant gehalten wird. Alle anderen Faktoren wie Temperatur, Niederschlag, Windrichtung und -geschwindigkeit sind auf den Untersuchungsflächen und auf den benachbart gelegenen Kontrollflächen, die der normalen Atmosphäre ausgesetzt sind, den gleichen natürlichen Schwankungen unterworfen. Mit der FACTS-I-Studie untersucht man, wie sich eine erhöhte atmosphärische CO2-Konzentration auf das Wachstum der Bäume, die Kohlenstoffkonzentration im Boden, die Insektenbestände, den Wassergehalt des Bodens, das Wachstum der Pflanzen der Feldschicht und auf andere Parameter auswirkt. Zehn Jahre lang produzierten die Bäume auf den Versuchsflächen jährlich 15 Prozent mehr Holz als die Bäume auf den Kontrollflächen. Dieses verstärkte Baumwachstum ist von großer Bedeutung für die Holzproduktion und Kohlenstoffspeicherung, es liegt jedoch viel niedriger, als man aufgrund von Gewächshausexperimenten erwartet hatte. Offenbar wirken sich die verfügbaren Mengen an Stickstoff und anderen Nährstoffen in realen Ökosystemen limitierend auf die Fähigkeit der Bäume aus, das zusätzliche atmosphärische CO2 zu nutzen.
Einstrahlung der Sonne 100
Abbildung 8.18: Ein Großversuch: Welche Auswirkungen hat eine erhöhte CO2-Konzentration auf einen Baumbestand? Von kreisförmig angeordneten Türmen aus wird in einem Versuchswald der Duke University über der Hälfte der Untersuchungsflächen Kohlenstoffdioxid in einer Menge abgegeben, die konstant um 200 ppm höher liegt, als dies in der heutigen Troposphäre der Fall ist.
Abstrahlung ins All 6
Rückreflexion an Wolken, an der Erdoberfläche latente sowie diffuse Strahlung Wärmestrahlung 30 von der 30 Absorption Erdoberfläche durch Wolken, Evaporation, fühlbare 117 Wasserdampf, Transpiration, Wärme Aerosole, Ozon Interzeption 7 19 23 51
Tr du (Stra eibh r Wa ch a hlun ause sse tmo sab ffek rda sp s t hä orp m un pf, K risch tion da e n ohle Ga 11 dere ndio se: 1 ) xid langwellige Rückstrahlung zur Erdoberfläche 96
Energiebilanz (in die Atmosphäre eintreffende Solarstrahlung = 100): Aufnahme: 51 + 96 = 147 Abgabe: 30 + 117 = 147
Abbildung 8.19: Der Treibhauseffekt. 221
8 Humanökologie
Temperaturveränderung [°C]
6 5 4 3 2 1
CGCM1 CCSR / NIES CSIRO Mk2 ECHAM3 / LSG GFDL_R15_a HadCM2 HadCM3 ECHAM4 / OPYC DOE PCM Tatsächliche Werte
0 –1 –2 1850
1890
1930
1970
2010
2050
2090
Jahr
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Abbildung 8.20: Prognosen verschiedener Klimamodelle bezüglich der Entwicklung der Temperatur im Vergleich zum Mittelwert des Zeitraumes von 1961–1990 (nach IPCC, 2001).
S chon g ewusst ?
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist die mittlere Oberflächentemperatur der Erde um 0,6 °C (± 0,2 °C) gestiegen. Das Jahr 2005 war das weltweit wärmste Jahr seit Beginn der Messungen. Der Rekord wurde in den Jahren 2006 und 2007 zwar nicht gebrochen, dennoch war es auch in den Jahren 2006 und 2007 auf der Erde außergewöhnlich warm. Die globale Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche lag 2007 um 0,41 °C über dem Jahresdurchschnitt der Jahre 1961–1990 und das Jahrzehnt von 1998–2007 ist nach Angaben der World Meteorological Organization (WMO) das wärmste Jahrzehnt, seit es Messungen gibt.
Die natürlichen Treibhausgase werden durch menschliche Tätigkeiten in ihrer Menge und anteiligen atmosphärischen Zusammensetzung beeinflusst. Darüber hinaus produziert der Mensch zusätzlich „synthetische“ Treibhausgase, die in der Natur praktisch nicht vorkommen, wie zum Beispiel die Fluorkohlenwasserstoffe (H-FKW / HFCs) und das Schwefelhexafluorid (SF6). Steigende Konzentrationen dieser langlebigen Treibhausgase können den Wärmehaushalt der Erde beeinflussen. Der deutliche Anstieg des CO2-Gehaltes der Atmosphäre während der letzten 150 Jahre gibt wegen des zeitlichen Zusammenfallens mit einem globalen Temperaturanstieg aus wissenschaftlicher Sicht Anlass zur Besorgnis. Schon seit über 100 Jahren wird untersucht, ob und wie stark sich die Erde durch die Treibhausgase erwärmt und in welchem Ausmaß die Nutzung fossiler Energieträger durch den Menschen zu dieser Erwärmung beiträgt (anthropogener Treibhauseffekt). Heute ist die weitaus überwiegende Mehrzahl der Fachwissenschaftler davon überzeugt, dass die globale Erderwärmung bereits begonnen hat und sich im Laufe dieses Jahrhunderts massiv verstärken wird (⇒ Abbildung 8.20). Für das Zutreffen von Klimamodellen und Hochrechnungen spricht auch der Zusammenhang zwischen CO2-Gehalt der Atmosphäre und Durchschnittstemperaturen in prähistorischer Zeit. Um den atmosphärischen CO2-Gehalt früherer Zeiten abschätzen zu können, misst man unter anderem die CO2-Konzentration in Luftblasen, die in Gletschereis eingeschlossen und in manchen Fällen bis zu einer halben Million Jahre alt sind. Aufschlüsse über die Temperaturen zu prähistorischer Zeit kann man mit verschiedenen Methoden gewinnen, unter anderem durch Analyse der urzeitlichen Vegetation anhand von Fossilien oder durch Untersuchung chemischer Isotope in Sedimenten und Korallen. Schon bei einem Temperaturanstieg um weitere 1,3 °C wäre die Erde wärmer als zu jedem anderen Zeitpunkt während der letzten 100.000 Jahre. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse muss man jedoch Vorsicht walten lassen. Der gefundene Zusammenhang zwischen Erderwärmung und ansteigenden CO2-Konzentrationen ist rein statistisch, das heißt, es ist nicht klar, ob die angenommenen physikochemischen Mechanismen, die diesen Zusammenhang erklären, tatsächlich wirksam sind. Gegen einen direkten Zusammenhang spricht beispielsweise, dass bei genauen Analysen der CO2-Konzentrationen aus „Gletschereisdaten“ und den mit ihnen assoziierten historischen Temperaturen festgestellt wurde, dass historische Anstiege der CO2-Konzentration zeitlich versetzt nach dem Ansteigen der Temperatur auftraten. Ob die Erderwärmung eine Konsequenz erhöhter Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre ist oder ob die Erhöhung der atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen eine Konsequenz der Erderwärmung ist, die auch durch andere Faktoren verursacht werden könnte, ist nicht geklärt und entwickelt sich gegenwärtig zu einem interessanten wissenschaftlichen Disput. Ökologisch ist dieser Streit jedoch bedeutungslos, da die Organismen der Erde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sowohl mit der Erwärmung konfrontiert als auch den erhöhten Treibhausgaskonzentrationen ausgesetzt sein werden. Darüber hinaus sind die weltweiten Vorräte der fossilen Brennstoffe Erdgas, Erdöl und Kohle, ebenso wie die Uranvorräte, begrenzt und somit
8.4 Globaler Klimawandel
endlich, während der weltweite Energiebedarf weiterhin ansteigt. Vor diesem Hintergrund ist es in Hinblick auf die Notwendigkeit einer vermehrten Nutzung regenerativer Energiequellen letztlich egal, ob ein anthropogener Treibhauseffekt letztgültig und zweifelsfrei beweisbar ist oder nicht.
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8.4.2 Klimaveränderungen beeinflussen Ökosysteme Die Ökosysteme, in denen bis heute die stärkste Erwärmung stattgefunden hat, sind die der nördlichsten Breiten, insbesondere die borealen Nadelwälder und die Tundra. Wenn in solchen Gebieten durch das Abtauen von Schnee und Eis dunklere Erdoberflächen freigelegt werden, die mehr Strahlung absorbieren als helle Oberflächen, reflektieren diese Ökosysteme weniger Strahlung in die Atmosphäre zurück. Die Erwärmung verstärkt sich dadurch weiter und greift insbesondere auf die Permafrostschichten des Bodens (siehe Kapitel 6.1.1) über. Im Sommer 2007 hatte das Meereis im Nordpolargebiet die geringste Ausdehnung seit Beginn der Aufzeichnungen und den Klimamodellen zufolge wird es dort am Ende dieses Jahrhunderts im Sommer überhaupt kein Eis mehr geben, wodurch die Lebensräume für Eisbären, Robben und Seevögel dramatisch schrumpfen würden. Außerdem wächst die Wahrscheinlichkeit von Bränden in den borealen Wäldern bei den dann dort herrschenden höheren Temperaturen. In den borealen Wäldern im Westen Nordamerikas und in Russland sind in den letzten Jahrzehnten bereits doppelt so große Flächen durch Brand beeinflusst worden wie zuvor. Im Gegensatz zum derzeitigen Klimageschehen setzte der Klimawandel früherer geologischer Erdepochen langsamer ein, so dass die Pflanzen- und Tierpopulationen genügend Zeit hatten, darauf zu reagieren; sei es durch Abwanderung in klimatisch günstigere Gebiete oder durch Anpassungsprozesse. Einen schnellen Klimawandel überstehen viele Organismenarten vermutlich nicht; dies gilt insbesondere für viele Pflanzenarten und für weniger mobile Tierarten, die sich nicht ohne Weiteres über große Gebiete ausbreiten können. Außerdem sind viele Lebensräume heute wesentlich stärker fragmentiert und durch den Menschen verändert als in früheren Zeiten, was die Möglichkeiten der Organismen, über große Entfernungen zu wandern, zusätzlich einschränkt. Die Ökologie ist von einer vollständigen Analyse der möglichen Folgen des globalen Klimawandels noch weit entfernt. Es scheint jedoch außer Frage zu stehen, dass Temperatur- und Niederschlagsveränderungen in dem von den Modellen vorhergesagten Ausmaß einen signifikanten Einfluss auf die Verbreitung und das Vorkommen terrestrischer wie aquatischer Ökosysteme haben werden.
8.4.3 Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Menschen Klimaveränderungen werden eine Reihe von direkten und indirekten Auswirkungen auf den Menschen haben: der Anstieg des Meeresspiegels bedroht die Lebensräume des Menschen, Klima und Wetter sind 223
8 Humanökologie
Abbildung 8.21: Langzeitmessungen der Meeresspiegelhöhe aus sechs Küstenregionen der Erde: Takorandi (Afrika), Honolulu (Hawaii, Pazifik), Sydney (Australien), Bombay (Asien), San Francisco (Nordamerika) und Brest (Europa). (Nach Houghton et al., 1996).
8000
Takorandi
Meeresspiegel [mm]
Honolulu
Sydney 7500 Bombay
San Francisco
7000
1800
Brest
1850
1900
1950
2000
Jahr
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Schlüsselfaktoren der Landwirtschaft und damit der Ernährung des Menschen, und auch direkte gesundheitliche Folgen durch Naturkatastrophen oder veränderte klimatische Bedingungen sind nicht nur denkbar, sondern wahrscheinlich. Anstieg des Meeresspiegels Vor etwa 18.000 Jahren, auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit, lag der Meeresspiegel etwa 100 Meter niedriger als heute. Als das Klima wieder wärmer wurde und die Gletscher schmolzen, stieg der Meeresspiegel an. Im letzten Jahrhundert ist der Meeresspiegel jährlich durchschnittlich um 1,8 mm angestiegen (⇒ Abbildung 8.21). Dies ist ein Ergebnis der allgemeinen globalen Erwärmung in diesem Zeitraum und steht im Zusammenhang mit dem Schmelzen der Gletscher und der thermischen Ausdehnung des Meerwassers. Im Jahresbericht des Weltklimarates (IPCC) aus dem Jahr 2001 wurde geschätzt, dass der mittlere Meeresspiegel zwischen den Jahren 1990 und 2100 zwischen 0,09 und 0,88 m steigen wird, mit zum Teil beträchtlichen regionalen Unterschieden. Ein Anstieg dieser Größenordnung wird zwangsläufig ernste Auswirkungen auf küstennahe Gebiete haben. Ein großer Teil der Menschheit lebt in Küstenregionen und 13 der 20 größten Städte der Erde sind Küstenstädte. Besonders vom Anstieg des Meeresspiegels gefährdete Regionen sind Flussdeltas, niedrig gelegene Länder wie die Niederlande, Surinam oder Nigeria sowie die kleinen, flachen Inseln im Pazifik und in anderen Meeren. Bangladesch, ein Land mit 150 Millionen Einwohnern, umfasst die Flussdelta-
8.4 Globaler Klimawandel
Gebiete von Ganges, Brahmaputra und Meghna (⇒ Abbildung 8.22). Etwa sieben Prozent des bewohnbaren Landes, gleichzeitig Wohngebiet von 6 Millionen Menschen, liegen nicht einmal einen Meter über dem Meeresspiegel. Schätzungen des Meeresspiegelanstieges infolge einer Kombination von Landsenkungen durch Grundwasserentnahme und globaler Erderwärmung belaufen sich auf 1 m bis zum Jahr 2050 und 2 m bis ins Jahr 2100. Andere Küstenregionen Südostasiens und Afrikas würden in ähnlicher Weise von dem prognostizierten Anstieg des Meeresspiegels betroffen sein. Ein Anstieg des Meeresspiegels hätte darüber hinaus bedeutende Folgen für küstennahe Ökosysteme. Zu diesen Folgen zählen beispielsweise die direkte Überflutung tiefliegender Feucht- und Trockengebiete, die Erosion der Küsten durch Verlust von Sediment, der Anstieg der Küstengewässer sowie zunehmende Überflutungen und Sturmfluten. Mündungsbereiche und Mangrovenökosysteme würden besonders empfindlich auf einen Meeresspiegelanstieg in der prognostizierten Höhe reagieren. Ein tieferes Eindringen von Salzwasser in ein Flussmündungsgebiet infolge eines Meeresspiegelanstieges hätte verheerende Auswirkungen und kann zur Versalzung der Uferzonen des Mündungsgebietes führen. Flussmündungen und Mangrovenwälder sind zudem von besonderer Bedeutung für die Fischerei und eine Beeinträchtigung oder Vernichtung dieser Gebiete hätte für die Fischereiwirtschaft schlimme Folgen, denn über zwei Drittel der für den menschlichen Verzehr gefangenen Fische, aber auch andere Tiere, insbesondere viele Vogelarten, sind zumindest während bestimmter Abschnitte ihrer Individualentwicklung von Küstenmarschen und Mangrovenökosystemen abhängig.
Bangladesch
1m
1m
N
Golf von Bengalen 0
50
100
Kilometer
Abbildung 8.22: Landgebiete in Bangladesch, die bei einem Meeresspiegelanstieg von 1 m überflutet werden würden (dunkelgrüne Flächen; nach Nicholls und Leatherman, 1995).
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Der Klimawandel bedroht die Landwirtschaft Trotz großer technologischer Fortschritte sowie verbesserter Nutzpflanzenzüchtungen und Bewässerungsmethoden bleiben Klima und Wetter die Schlüsselfaktoren für die landwirtschaftliche Produktion. Globale Klimaveränderungen würden das Problem der Ernährung der Erdbevölkerung weiter verschärfen, insbesondere wenn diese, wie prognostiziert, in den nächsten 50 Jahren weiter anwächst (siehe Kapitel 8.1). Eine der einfachsten Methoden zur Beurteilung der möglichen Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft ist die Untersuchung von Veränderungen des Verbreitungsgebietes bestimmter Nutzpflanzen in Abhängigkeit von den klimatischen Bedingungen. So würde zum Beispiel ein Anstieg der mittleren Tagestemperatur um 1 °C den „Maisgürtel“ der USA beträchtlich nach Norden verschieben (⇒ Abbildung 8.23a). Eine ähnliche Situation zeigt ⇒ Abbildung 8.23b für eine Nordwärtsverlagerung des Reisanbaus in Japan. In beiden Fällen würde eine Verschiebung der Anbauzonen wesentliche Veränderungen der regionalen Landnutzung voraussetzen, was mit entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Kosten verbunden wäre. Obwohl derartige Analysen einen groben Eindruck von den potenziellen Veränderungen für die Landwirtschaft liefern können, bedarf die Einschätzung der tatsächlichen Auswirkungen auf die globale Nahrungsmittelproduktion und die Märkte eines intensiveren und interdisziplinären Ansatzes.
S chon g ewusst ?
Ein Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter würde in Ägypten 12 Prozent der landwirtschaftlichen Produktionsfläche mit gleichzeitig 7 Millionen Einwohnern betreffen. Ein Anstieg von nur 50 cm würde an der Ostküste Chinas eine Fläche von etwa 40.000 km² überfluten, Gebiete, in denen heute über 30 Millionen Menschen leben. 225
8 Humanökologie
Abbildung 8.23: Regionale Verlagerung potenziell geeigneter Anbauflächen für Nutzpflanzen aufgrund des Klimawandels gemäß Voraussagen des Klimamodells des Goddard Institute for Space Studies: (a) Maisanbau in den USA (heutiger Maisgürtel gekennzeichnet durch die schwarze Linie) (nach Blasing und Solomon, 1983), (b) Reisanbau in Nordjapan (dunkelgrün: geeignete Flächen) (nach Yoshino et al., 1988).
(a)
Maisanbau ohne Bewässerung Maisanbau mit Bewässerung
N
Hokkaido
Tohoku
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0
Ausgangssituation (1951–1980)
Kilometer 100 200
bei Verdopplung der CO2-Konzentration
(b)
Die anzunehmenden Veränderungen würden jedoch auf jeden Fall das gegenwärtige Ungleichgewicht bei der Nutzpflanzenproduktion zwischen Industrie- und Entwicklungsländern noch weiter verstärken. Die Ergebnisse genauerer Untersuchungen deuten auf einen Anstieg der Produktion in den Industrieländern hin, die sich überwiegend in den gemäßigten Breiten befinden. Die Produktion der Entwicklungsländer hingegen könnte um bis zu zehn Prozent abnehmen, was in diesen Gebieten die mangelhafte Ernährungssituation zusätzlich verschärfen würde. In vielen dieser Regionen werden sich die klimatischen Bedingungen für die Landwirtschaft bei einem Eintreten der vorhergesagten globalen Klimaveränderungen erheblich verschlechtern.
Zusammenfassung
Der Klimawandel beeinträchtigt direkt und indirekt die menschliche Gesundheit
W iederholun g s f ra g en 8 . 4
Der Mensch übt bereits seit der Steinzeit großen Einfluss auf seine Umwelt aus. Spätestens seit der „industriellen Revolution“ und der damit verbundenen Bevölkerungsexplosion bekommen die Veränderungen einen immer tiefgreifenderen Charakter. Bevölkerungswachstum, Bedrohung der Artenvielfalt und Klimawandel stellen Faktoren dar, die zu immer gravierenderen Umweltproblemen führen. Demgegenüber stehen Bestrebungen, durch gezielte Schutzmaßnahmen oder durch Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme dem fortgreifenden Wandel unserer Erde entgegenzutreten. Bevölkerungswachstum und -versorgung (8.1) Ungefähr seit dem Jahr 1650 wuchs die Erdbevölkerung exponentiell an; erst in den letzten 40 Jahren ist die Wachs-
2. Erläutern Sie unter Zuhilfenahme Ihres Wissens über die Vorgänge der Photosynthese, inwiefern eine erhöhte CO2-Konzentration die Photosyntheserate beeinflusst. 3. Stellen Sie mögliche Konsequenzen des Klimawandels für die Verbreitung und Ausdehnung terrestrischer Ökosysteme dar. 4. Diskutieren Sie potenziell mögliche Veränderungen, die für die Menschen in Deutschland mit einer Klimaerwärmung um 1 °C einhergehen könnten.
Beispiel
Dengue- und Gelbfieber sind Viruserkrankungen, die durch Stechmücken übertragen werden, und zwar durch die Gelbfiebermücke Aedes aegypti, die sich an das Leben in Städten angepasst hat. Diese Art lebt nur in Gebieten mit einer mittleren Tagestemperatur von mindestens 10 °C. Das Gelbfiebervirus benötigt eine Mindesttemperatur von 24 °C und ein feuchtes Klima. Zu Epidemien kann es in Gebieten kommen, in denen die Jahresdurchschnittstemperaturen über 20 °C liegen, also in den tropischen Regenwaldregionen. Derzeit kommt Gelbfieber in Afrika und Lateinamerika vor, es wurde jedoch auch schon in den nördlichen Breiten nachgewiesen (etwa in Bristol, Philadelphia und Halifax; USA), wo die Gelbfiebermücken als Larven in den Wassertanks aus den Tropen kommender Schiffe überlebt hatten. Ein Klimawandel hätte unmittelbaren Einfluss auf das Verbreitungsgebiet des Virus ebenso wie auf das Verbreitungsgebiet seines Vektors, der Gelbfiebermücke.
1. Erklären Sie, warum CO2 als Treibhausgas bezeichnet wird.
tumsrate um fast 50 Prozent gesunken. Wie man an der unterschiedlichen Altersstruktur erkennt, wächst die Bevölkerung mancher Staaten jedoch nach wie vor schnell, während sie in anderen Staaten stabil bleibt oder sich sogar verringert. Im ersteren Fall hat der sogenannte demografische Übergang noch nicht stattgefunden. Hierunter versteht man einen Wechsel im Bevölkerungswachstum, bei dem zuerst die Mortalität und anschließend die Natalität abnimmt. Dadurch sinkt die spezifische Wachstumsrate und es kommt zu einer Population mit „Nullwachstum“ bei niedriger Geburten- und Sterberate. Säuglingssterblichkeit und die allgemeine Lebenserwartung sind zwei Größen, die in den verschiedenen Staaten der Erde sehr unterschiedlich ausgeprägt sind und die Schere
Zusammenfassung
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Klimaveränderungen werden eine Reihe von direkten und indirekten Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben. Zu den direkten Folgen zählen verstärkter Hitzestress und eine Zunahme von Asthma und vielen weiteren Herzkreislauf- und Atemwegsleiden. Indirekte Folgen dürften eine Zunahme von Infektionskrankheiten und mehr Todesfälle und Verletzungen durch die steigende Anzahl an Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Wirbelstürme und anderes) sowie Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten aufgrund geänderter Landwirtschaftsproduktion sein. Neben der hitzebedingten Mortalitätszunahme an zunehmend mehr besonders heißen Tagen werden auch die Verbreitung und die Übertragungsraten vieler Infektionskrankheiten durch veränderte regionale Klimaverhältnisse beeinflusst werden. Ansteckende Krankheiten entstehen durch Viren, Bakterien oder eukaryotische Einzeller. Einige Erkrankungen werden durch Überträgerorganismen (Vektoren) auf den Menschen übertragen. Wichtigste Überträger sind Insekten, die selbst von dem Krankheitserreger nicht betroffen sind. Durch Insekten ausgebreitete Viren sind für ein breites Spektrum von Krankheiten verantwortlich.
227
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Zusammenfassung
8 Humanökologie
zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten verdeutlichen. Wie groß die Umweltkapazität der Erde für den Menschen ist, d. h., wie viele Menschen überhaupt auf der Erde leben können, weiß man nicht genau. Als ökologischer Fußabdruck wird diejenige Fläche auf der Erde verstanden, die notwendig ist, um den Lebensstil und den Lebensstandard eines Menschen dauerhaft zu ermöglichen. Er ist ein Maß dafür, wie nahe wir uns an der Umweltkapazität der Erde befinden. Angesichts einer Weltbevölkerung von etwa 6,8 Milliarden Menschen nutzen wir schon heute viele Ressourcen nicht nachhaltig. Der Mensch als Gefahr für die biologische Vielfalt (8.2) Biologische Vielfalt manifestiert sich auf drei verschiedenen Ebenen: genetische Vielfalt, Artenvielfalt und Ökosystemvielfalt. Mit der genetischen Vielfalt ist die Anzahl von unterschiedlichen genetischen Varianten (Allelen) gemeint, durch die sich eine Population an wechselnde Umweltverhältnisse anpassen kann. Stirbt eine Population aus, verliert die betreffende Art unwiederbringlich einen Teil ihrer genetischen Vielfalt und kann sich somit immer schlechter an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen. Die Artenvielfalt ist wichtig für die Aufrechterhaltung der Strukturen und Funktionen einer Lebensgemeinschaft und die Vielfalt der Ökosysteme hat letztlich unschätzbare Bedeutung für die Nährstoffkreisläufe. Gefahren für die biologische Vielfalt unserer Erde liegen vor allem in der Zerstörung von Lebensräumen, im Einschleppen invasiver Arten und der übermäßigen Nutzung von Arten. Die Lebensraumzerstörung ist eine Folge der wachsenden Erdbevölkerung und der daraus resultierenden menschlichen Aktivitäten. So muss der menschliche Lebensraum immer weiter ausgedehnt werden, um die wachsenden Bedürfnisse zu befriedigen. Nicht einheimische Tier- und Pflanzenarten, die beabsichtigt oder unbeabsichtigt aus einer anderen Klimazone eingeschleppt wurden, bezeichnet man als adventive Arten. Problematisch für die Artenvielfalt werden sie erst dann, wenn sie durch Prädation, Herbivorie, Konkurrenz oder Habitatveränderungen zu einer Reduzierung oder gar einem lokalen Aussterben einheimischer Arten führen. Man bezeichnet sie dann als invasive Arten. Die biologische Vielfalt stellt für den Menschen einen nicht zu unterschätzenden Wert dar. Zahlreiche Organismenarten liefern dem Menschen Nahrung, Kleidung, Arzneistoffe und bestimmte Ökosystemdienstleistungen. Da bis heute nur ein Bruchteil aller Pflanzen- und Tierarten vollständig erforscht sind, führt jeder Verlust einer Art auch zum Verlust ihres potenziellen Nutzens.
Schutz- und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme (8.3) Vorbeugender Schutz und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme sind die beiden grundlegenden Maßnahmen, um die biologische Vielfalt zu erhalten. Angesichts des ständig wachsenden Drucks des Menschen auf die Naturlandschaft hängt der Schutz der Artenvielfalt immer stärker von der Einrichtung gesetzlich ausgewiesener Schutzgebiete ab. Zur Klassifikation von Schutzgebieten gibt es eine Reihe von Kategorien. Der Grad der menschlichen Nutzung ist dabei abgestuft und spielt insbesondere für die Erhaltung einer vielfältigen Kulturlandschaft eine große Rolle. In Deutschland unterscheidet man Nationalparks, Biosphärenreservate, Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete, Naturparks, Meeresschutzgebiete, Wasserschutzgebiete, Naturdenkmale und Geschützte Landschaftsbestandteile. Viele der gegenwärtigen Schutzbestrebungen konzentrieren sich auf die Erhaltung der bereits existierenden Schutzgebiete, wobei die Einrichtung von Pufferzonen und Korridoren ihren Schutzwert erhöht. In den letzten Jahren wurden beträchtliche Anstrengungen unternommen, um durch den Menschen beeinträchtigte und geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen. Dies ist die Aufgabe der Renaturierungsökologie, deren Ziel es ist, ein Ökosystem durch die Anwendung umweltwissenschaftlicher und ökologischer Methoden wieder in einen ähnlichen Zustand zu versetzen, wie er vor der Störung durch den Menschen herrschte. Man unterscheidet zwischen Restauration, Restitution und Rehabilitation. Das Spektrum reicht von der Wiederansiedlung von Arten und der Renaturierung von Habitaten bis hin zu Versuchen, ganze funktionsfähige Ökosysteme wieder entstehen zu lassen. Unter biologischer Sanierung versteht man die biologische Entgiftung von mit Schadstoffen belasteten Ökosystemen durch Organismen (Bakterien, Pilze oder Pflanzen). Globaler Klimawandel (8.4) Der Mensch produziert durch seine Aktivitäten viele verschiedene Gase, die in die Atmosphäre entweichen. Die Kapazität unserer Erdatmosphäre ist jedoch endlich, so dass in letzter Konsequenz Veränderungen der Atmosphäre auf die Biosphäre zurückwirken. In den letzten 200 Jahren hat die atmosphärische Konzentration von Kohlenstoffdioxid nicht zuletzt durch die Verbrennung fossiler Energieträger beständig zugenommen. Kohlenstoffdioxid ist ein Treibhausgas, es absorbiert langwellige, von der Erdoberfläche abgegebene Wärmestrahlung, wodurch sich die Erdatmosphäre erwärmt. Da auch die Konzentration anderer Treibhausgase seit einiger Zeit ständig ansteigt, gibt es Anlass zur Sorge bezüglich möglicher Auswirkungen auf das Erdklima.
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Steigende Konzentrationen von CO2 und anderen Treibhausgasen könnten die mittlere Erdtemperatur bis zum Jahr 2100 um 1,4 °C bis 5,8 °C ansteigen lassen. Diese Erwärmung wird als anthropogener „Treibhauseffekt“ bezeichnet. In der Regel reagieren Pflanzen auf einen Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration mit höheren Photosynthese raten. Auf längerfristige CO2-Erhöhungen reagieren verschiedene Pflanzen unterschiedlich. Die Langzeiteffekte auf die Nettoprimärproduktion werden derzeit noch untersucht. Klimaveränderungen haben Einfluss auf die bestehenden Ökosysteme. Bei einer Veränderung von Temperatur und Niederschlägen wird sich auch die Verbreitung und Häufigkeit von Tier- und Pflanzenarten verändern. Klimaveränderungen beeinflussen die Konkurrenzsituation zwischen Arten und damit die Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften. Der Mensch wird direkt und indirekt ebenfalls von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein. Der Spiegel der Weltmeere steigt gegenwärtig um etwa 1,8 mm pro Jahr. Bis zum Jahr 2100 wird der Anstieg Schätzungen zufolge zwischen 9 und 88 cm betragen, wenn die polaren Eiskappen in zunehmendem Maße schmelzen und sich das erwärmte Meerwasser ausdehnt. Ein Meeresspiegelanstieg dieser Größenordnung wird erhebliche Auswirkungen auf die Organismenwelt der Küstenregionen haben und menschlichen Siedlungsraum zerstören.
Der Klimawandel wird zudem die globale Agrarproduktion erheblich beeinträchtigen. Zwar wird ein Rückgang der Nutzpflanzenproduktion infolge zunehmender Trockenheit durch teilweise gesteigerte Photosyntheseraten bei erhöhten CO2-Konzentrationen kompensiert werden, dennoch sagen die derzeitigen Klimamodelle einen Rückgang der Weltgetreideproduktion voraus. Dieser Rückgang erfolgt nicht gleichmäßig verteilt über alle Regionen. In den Industrieländern der gemäßigten Breiten wird die Produktion leicht zunehmen, in den Entwicklungsländern der Tropen nimmt sie jedoch sehr stark ab. Dadurch verschärft sich die dortige schlechte Ernährungssituation der Bevölkerung noch mehr. Letztlich hat der Klimawandel auch direkte und indirekte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Aufgrund zunehmender Todesfälle im Zusammenhang mit durch Hitze verursachten Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen wird ein Anstieg der allgemeinen Mortalitätsrate erwartet. Zu den indirekten Auswirkungen auf die Gesundheit zählen häufigere Todesfälle durch Hitze sowie durch klimabedingte Naturkatastrophen und darüber hinaus Veränderungen der Ernährungsweisen bei einem Wechsel der Agrarproduktion. Die Verbreitungsgebiete und Infektionsraten einer Reihe durch Insekten übertragbarer Krankheiten wie Malaria, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Klima stehen, dürften sich vergrößern.
Zusammenfassung
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Antworten zu den Wiederholungsfragen finden Sie unter: www.pearson-schule.de
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Index A abiotisch 12 abiotische Faktoren 3, 12 Abundanz 137 Abwanderung 94, 99 Abwehrverhalten 78 Abyssopelagial 192 adventive Arten 212 aerober Stoffwechsel 178 Agave 165 Algen 181, 195 Allen´sche Regel 17 Allesfresser (Omnivore) 119 allgemeine Gewichtung 189 Aloe dichotoma 166 Altersstruktur 94, 205 amiktischer See 177 Ammoniak 133 Ammonifikation 133 Ammonium 131, 133 anaerober Stoffwechsel 178 Anionen 56 Anpirschen 79 Anstieg des Meeresspiegels 224 Apexräuber 121 aphotische Zone 171 Apophyten 212 apoplastischer Transport 26 Aposematismus 76 aquatische Biome 170 aquatisches Ökosystem 114 Aralsee 208 Archäophyten 212 Archäozoen 212 Artensterben 209 Artenvielfalt (Artendiversität) 137, 159, 210 Atacama 162 Auflauern 79 Aufsitzerpflanzen 32 Ausbeutung 69 Ausmaß der Primärproduktion 146 Aussterberate 209 Ausweichen 163 Autökologie 5 autotropher Organismus 116, 117
B Baikalsee 171
Bakterien 116 Bates’sche Mimikry 76 Bathypelagial 192 Baumschicht 152 Benthal 171, 192, 197 Benthos 173, 197 Bergmann´sche Regel 17 Bevölkerungs-Nullwachstum 103, 204 Bewahrung von Lebensräumen 216 Big-Bang-Fortpflanzung 165 Biodiversität 137 biogeochemischer Kreislauf 117, 127 biologische Akkumulation 135 biologischer Schadstoffabbau 117 biologische Sanierung 219 biologische Stickstofffixierung 133 biologische Vielfalt 209 Biolumineszenz 194 Biomasse 125 Biome 51, 146 Biosphäre 5 biotische Faktoren 3, 12 biotische Wechselwirkungen 118 Biotop 3, 5 bioverfügbar 133 Biozönologie 5 Biozönose 3, 5 Blattflächenindex (LAI) 155 Blattwurf 151 Boden 141 Bodenbildung 54 Bodenhorizonte 55 Bodenprofil 54 Bodenschicht 152 Bohrer 188 boreal 147 boreale Nadelwälder 149 Bottom-up-Modell 179 Bottom-up-Regulation 124, 125, 135, 165 Brandrodungen 130 braunes Fettgewebe 20 Bruttoprimärproduktion (BPP) 122
C Calvin-Zyklus 42 Carnivore 116 Caspary-Streifen 27 chemische Abwehrmechanismen 75
chemische Stickstofffixierung 133 Chemosynthese 116
D DDT 135, 136 decomposer 116 demografischer Übergang 204 Denitrifikation 134 Destruenten (Zersetzer) 115, 116, 117, 119 Detritus 116, 126, 178 dichteabhängige Faktoren 108 Dichteanomalie des Wassers 24, 175 dichteunabhängige Faktoren 108 dimiktische Seen 175, 177 Dioxine 135 dominante Arten 138, 160 durchlichtete Zone 192 dynamische Prozesse 136
E Effizienz des Energietransfers 122 eingeschleppte Arten 138, 212 Eingriffe des Menschen 147 Ektoparasiten 80 Ektosymbiose 85 ektotherm 15 elektromagnetisches Spektrum 37 Emergenten 153 Emigration 92 Endodermis 27 Endoparasiten 80 Endosymbiose 85 endotherm 15 Energiefluss 119, 121, 123 Energiehypothese 125 Energietransfer 123 Energieumwandlung 121 Epilimnion 171, 175 Epipelagial 192 Epiphyten 32 Epökie 87 Erdgas 131 Ethanol 109 Eulitoral 171 euphotische Zone 171, 192 euryök 13 eutroph 180
Index
eutrophe Seen 180 Eutrophierung 181 Evaporation 22 Evapotranspiration 22 exponentielles Populationswachstum 103 Exposition 52
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F FACTS-I-Experiment 221 Fang-Wiederfang-Methode 92 Faulschlamm 178, 181 Feldkapazität 55 Feldschicht 152 Fertilitätsrate 204 Filtrierer 188 Flachmeerregion 192 Fleischfresser (Carnivoren) 118 Flussdelta 184 fossile Brennstoffe 131 Fragmentierung von Lebensräumen 212 freies Wasser 171 Frühblüher 154 Frühjahrszirkulation 177
G Gaskreisläufe 127 Geburtenrate 99 Gefrierpunkterniedrigung 20 Gegenstrom-Wärmeaustauscher 18 geklumpte Verteilung 93 genetische Vielfalt 209 Geophyten 165 geschlossene Populationen 99 Gesetz der Massenerhaltung 127 Gesetze der Thermodynamik 16 Gewässergüteklassen 190 Gleichgewicht der Natur 136 Gletscher 140 globale Ökologie 5 globales Aussterben 210 Globalstrahlung 122 Graslandschaften 51 Grizzlybären 218 Grundwasser 22
H Habitat 6 Habitatklima 52 hadale Zone 192
Hemiparasiten 82 Herbivoren 116 Herbivorie (Phytophagie) 84 Herbstzirkulation 177 heterotherm 15 heterotrophe Organismen 116 Hochsee 192 Holoparasiten 82 Homoiotherme 15 Humboldtstrom 163 Humifizierung 156 humoser Oberboden 158 Hundred Heartbeat Club 210 hydrologischer Kreislauf 21 Hydrophyten 31 Hygrophyten 31 hyperosmotisch 36 hypertropher See 181 Hypolimnion 171, 175 hypoosmotisch 36 Hypothese der dynamischen Stabilität 125 Hypothese der mittleren Störungen 138
I Immigration (= Einwanderung) 92 Individuendichte 91 Individuenverteilung 91 Infrarot (IR) 175 Input 115, 121 Interferenz 69 interspezifische Beziehungen 66, 80 interspezifische Konkurrenz 68, 69, 118 Interzeptionsverdunstung 22 intraspezifische Konkurrenz 68 intraspezifische Wechselwirkungen 67 invasive Arten 213 Ion 55 Ionenaustauschkapazität 56 Ionenverbindungen 128
J Jahresniederschläge, mittlere 51 Jahrestemperatur, mittlere 51 jahreszeitliche Umschichtungen 176 Jangtse-Flussdelphin 210 J-förmige Kurve 104
K Kältestarre 13 Kängururatte 165 Kannibalismus 72, 160 Karbonzeit 131 Kaspisee (Kaspisches Meer) 171 Kationen 55 Kationenaustauschkapazität (KAK) 56 Klima 50 Klima der bodennahen Luftschicht 52 Klimaxgesellschaft 141 Koexistenz 71 Kohäsion 24 Kohle 131 Kohlenstoffdioxid 130 Kohlenstoffkreislauf 129, 130 Kohlenstoffreservoir 131 Kommensalismus („Essen vom selben Tisch“) 87 Konkurrenz 67 Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip 70 Konsumenten 116 Konzept der Traglast 68 Korallenriffe 197 Krautschicht 152 Kronenschicht 152 Krümelgefüge des Bodens 156 K- und r-Strategie 107 Kurztagpflanzen 46
L laminare Strömung 183 Langtagpflanzen 46 Laubwälder gemäßigter Breiten 147, 148 Lebendfresserketten 118 Lebenserwartung 205 Lebensgemeinschaft 5 Leitfische 186 lenitische Bereiche 183 Lianen 153 Licht 37 Lichtflecken 154 Lichtkompensationspunkt 42 Lichtmenge 174 Lichtsättigungspunkt 42 Licht- und Dunkelreaktion 39 Lignin 117, 158 limnische (= Süßwasser-)Biome 170 Litoral 171 litorales Benthal 171 logistisches Modell des Populationswachstums 105, 106 231
Index
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lokales Aussterben 125 Lokalklima 52 Lösungsmittel 25 lotische Bereiche 183 Lotka-Volterra-Gleichungen 73
M Makrofauna 158 Makroklima 50 Makroparasiten 81 Mangel an Sauerstoff 173 marine (= Meeres-)Biome 170 Marschbereiche 131 Massenströmung 26 Megafauna 158 menschliche Bevölkerung 203 Mesofauna 158 Mesopelagial 192 mesotroph 181 mesotrophe Seen 181 Metabiosen 87 Metalimnion 171 Metapopulation 97 Meteoriten 127 Migration 96 Mikrofauna 158 Mikroflora 158 Mikroklima 52 Mikroorganismen 157 Mikroorganismennahrungskreislauf 196 Mikroparasiten 81 Mimese 75 Mineralisation 156 Mineralisierer 156 Mineralstoffe 117 Modelle 9 Mortalität 92 Müller’sche Mimikry 76 Mutualismus 85
N Nährschicht 177 Nährstoffkreisläufe 127 Nährstoffverfügbarkeit 57 Nahrungsbeziehungen 116 Nahrungsenergie 118 Nahrungskette 118 Nahrungsnetze 119, 120 Natalität 92 naturerhaltende Umweltschutzmaßnahmen 211
natürlicher Treibhauseffekt 220 Naturschutzgebiete 216 Nekton 173, 196 Neophyten 212 Neozoen 212 neritische Region 192 Nettoprimärproduktion (NPP) 122, 123 Nettoproduktionseffizienz 124 nicht erneuerbare Ressourcen 214 Nichttrinker 164 Niederschlag 21 Nischentrennung 71 Nitrat 131 Nitrifikation 134 Nitrobacter 134 Nitrosomonas 134 Nutzungskette 114, 158
O Oberflächenspannung 24, 25 Objektähnlichkeit 75 obligater Mutualismus 85 offene Populationen 99 offenes System 127 Ökologie 2 Ökologie der Lebensgemeinschaften 5 Ökologie der Ökosysteme 5 ökologische Dienstleistungen 215 ökologische Nische 71 ökologischer Fußabdruck 207 ökologische Sukzession 141 Ökosphäre 5 Ökosystem 3, 5, 114 Ökosystemanalyse 5 Ökotone 146 Öl 131 oligomiktischer See 177 Oligotrophie 179 Optimum 13 Ordnung eines Wasserlaufes 183 Ordnungen der Konsumenten 118 Osmose 35 Output 115, 121 overshoot 106 Ozeane 170
P Parabiose 87 Parasitismus (Schmarotzertum) 80 Parasitoide 81 Parökie 87
Passate 49 pazifische Nadelwälder 147, 149 PCB 135, 136 Pelagial 171, 192 Permafrost 150 permanenter Welkepunkt 55 persistent 135 Pessimum 13 Pflanzenfresser (Herbivoren) 118 Phosphate 182 Phosphatmangel 135 Phosphorkreislauf 134, 135 Photoinhibition 42 Photoperiode 44, 46 Photoperiodismus 44 Photosynthese 36, 39, 116, 130 photosynthetisch ausnutzbare Strahlung (Photosynthetically Active Radiation = PhAR) 42, 154 Phytoplankton 120, 173 Pilze 117, 157 Pionierarten 140 Plankton 173 Poikilotherme 15 polar 23 polare Ostwinde 49 Population 3, 5, 90 Populationsdichte 91 Populationsgröße 100 Populationsökologie 5, 90 Populationsschwankungen 118 Populationswachstum 99 potenziell pflanzenverfügbare Wassermenge 55 Prädation 72 Prärien 51 press disturbance 59 Primärkonsumenten 118 Primärsukzession 141 Produktion von Biomasse 119 Produzenten 116, 118 Profundal 171 Pro-Kopf-Geburtenrate 102 Pro-Kopf-Sterberate 102 Pseudomonas 133 pulse disturbance 59
Q Quartärkonsument 118
Index
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R Räuber 109 Räuber-Beute-Beziehung 72, 118, 124 reale Evapotranspiration 146 Regenerationsfähigkeit 139 Regulationsmechanismen 124 Rehabilitation 219 relative Häufigkeit 137 Remineralisierung 127 Renaturierung 218 respirationsbedingter Energieverlust 119 Ressourcenaufteilung 71 Ressourcenverfügbarkeit 108 Restauration 219 Restitution 219 RGT-Regel 14, 179 Rohhumus 131 Rotbuche 138, 148 Rote Liste 211 r-Strategie 107, 165 RubisCO 41, 43 Ruheperiode 151
S Sahara 162 Salinität 192 Samenbank 141 Saprobienindex 189 Saprobiensystem 188 Saprobienwert (s) 189 Saprophagen 119 Sauerstoff 178 Sauerstoffmangel 177 Sauerstoffminimumzone 193 Sauerstoffversorgung in Fließgewässern 185 Sauerstoffvorräte der tieferen Wasserschichten 177 Sauerstoffzehrung 178 Säuglingssterblichkeit 205 Saugspannung 28 Schattenpflanzen 42 Schiefe der Ekliptik 37 Schilfgürtel 172 Schleppnetzfischerei 214 Schlüsselarten 138 Schlussgesellschaft (= Klimaxgesellschaft) 141 Schlusssteinarten 138 Schutz- und Abwehrmechanismen 75, 83
Schwermetallionen 135 Schwimmblattgürtel 172 Sedimentation 135 Sedimentationsprozesse 128 Sedimentkreislauf 127, 128, 135 See 171 sekundäre Pflanzenstoffe 85 Sekundärkonsument 118 Sekundärproduktion 123 Sekundärsukzession 141 Semelparie 165 sichtbares Licht 37 Solarkonstante 122 sommergrün 151 Sommerstagnation 175 Sonnenpflanzen 42 Spaltöffnungen 22, 29 spezifische Wärmekapazität 23 Spitzenräuber 125 Spritzwasserzone 171 Sprossparasiten 82 Stammschicht 152 stenök 13 Steppen 51 Sterberate 99 Stichprobe 137 Stickstoffkreislauf 131, 132 Stillgewässer (stehende Gewässer) 171 Stockwerkbau 152 Stoffkreislauf 117, 127 Stomata 22 Störung (engl. disturbance) 59, 136, 137, 212 Störungspotenzial 138 Strauchschicht 152 Streuschicht 153, 156 Strömungsgeschwindigkeit 184 Stromwalze 176 Sublitoral 171 Sukkulente 31, 165 Sukzession 140 Sümpfe 131 Supralitoral 171 symbiontische Stickstofffixierung 86 symplastischer Transport 26 Synökie 87 Systemfunktionen 138
T tagneutrale Pflanzen 46 Tarnung 75 Teich 171
Temperatur-Sprungschicht 175 terrestrisches Ökosystem 114 Tertiärkonsument 118 Theorie der mittleren Störungen 137 Thermodynamik 121 Thermokline 175 Thermoregulation 14 Toleranzbreite 13, 139 Toleranzgrenze 13 Toleranzkurve 13 Top-down-Kontrolle 124, 138 Top-down-Modell 124 Topräuber 121 Torf 131 trade-off 80 Transpiration 22, 25 Treibhauseffekt 222 Treibhausgase 220 Trinkwasser 208 Trittsteininseln 218 Tropen 37 Tropenhölzer 159 Trophieebene 116, 118 trophische Effizienz 123 trophische Pyramide 124 trophische Struktur 118 trophogene Schicht 177 tropholytische Schicht 178 tropischer Wald 131, 147 Tundren 131
U übermäßige Nutzung 213 Uferzone 171 Umweltkapazität der Erde 104, 207 Umweltkonzentration 136 unregelmäßige Klimaschwankungen 53 unvollständige Konkurrenz 68 unvorhersagbare Umwelt 125
V Vegetationsgürtel 172 Vegetationsperiode 151 Velamen radicum 33 Verdunstungskühlung 19 Vermeidung 163 Vermoderungsschicht 158 Versickerung 55 vertikale Durchmischung 177 Vielfalt der Ökosysteme 211
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Index
vollständige Konkurrenz 69 Vollzirkulation 176 Vorzugsbereich (Präferendum) 13 Vulkanausbruch 140 Vulkane 131
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W Wachstumsrate 204 Wärmeisolierung 16 Wärmeleitfähigkeit 23 Wärmestarre (= Torpor) 13 Warnfarben 76 wassergesättigt 55 Wasserkreislauf (hydrologischer Kreislauf) 21, 22, 128, 171
Wasserpotentialdifferenz 27 Wasserstoffbrücken 23 Wasserströmungen 170 Weidegänger 188 Wellenlänge 37 Weltklimarat (IPCC) 224 Westwinde 49 Wetter 50 Windbruch 49 Winterstagnation 177 Witterung 50 Wurzelknöllchen 86 Wurzelparasiten 82 Wüste 51, 161 Wüstenheuschrecke 19
X Xerophyten 29 Xylemsaft 27
Z Zehrschicht 178 Zeigerarten 188 Zellulose 117 Zerkleinerer (Saprophage) 156, 187 Zersetzerkette 119, 123 zitterfreie Thermogenese 20 Zooplankton 173 Zuwanderung 94
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