Biographische Denkmale: Teil 1 I. Freiherr Georg von Derssliger. II. Fürst Leopold von Anhalt – Dessau [Reprint 2022 ed.] 9783112668122, 9783112668115


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German Pages 223 [444] Year 1825

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Durchlauchtigster Kronprinz, Gnädigster Herr!
Vorwort
Freiherr Georg von Derfflinger
Fürst Leopold von Anhalt-Dessau
Kapitel 1
Kapitel 2
Nachweisung der gebrauchten Hülfsmittel
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Biographische Denkmale: Teil 1 I. Freiherr Georg von Derssliger. II. Fürst Leopold von Anhalt – Dessau [Reprint 2022 ed.]
 9783112668122, 9783112668115

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Preußische biographische

Denkmale.

Don

K. A. Varnhagen von Ense.

Erster Theil. I.

II.

Freiherr Georg von Derfflinger. Fürst Leopold von Anhalt - Dessau.

Berlin, 1825. Gedruckt

und

verlegt

bei G. Reimer.

Kronprinzen von Preußen.

Durchlauchtigster Kronprinz,

Gnädigster Herr!

^w. Königlichen Hoheit wage ich dies Buch zu überreichen, welchem der hohe Beifall, dessen sich die vorangegangenen Versuche zu erfreuen hatten, ein helles Ziel der feurigsten Beeiferung fein durfte. Doch mit dem Eifer konnte nicht in gleichem Maße das Selbst­ vertrauen steigen, sondern an dessen Statt vielmehr die Schüchternheit. Es sind Hel­ den des Vaterlandes, welche diesmal in ge­ schichtlichem Abbilde hervortreten sollen, und der Gegenstand erhöht hier inmitten so rei­ cher Lebensbeziehungen jeden Anspruch, wel­ cher an geschichtliche Behandlung gemacht werden kann; ihre höchste Beziehung aber findet diese in dem erhabenen Kreise, wo der große Beruf, neue Stoffe für die Geschicht-

schreibung belebend darzubieten, und der edle Geist, deren freie Sprache würdigend zu ver­

nehmen, so innig verbunden sind.

Von sol­

cher Betrachtung geleitet wünscht diese Zu­ eignung Ew. Königlichen Hoheit nicht nur

als ehrfurchtsvolle Huldigung, sondern zu­ gleich als Ausdruck der unterthänigen Bitte

zu nahen, daß Em. Königlichen Hoheit Nach­

sicht hier gnädigst gewähren wolle, was durch Verdienst allein zu erreichen mein Buch sich nicht anmaßen dürfte!

In tiefster Ehrfurcht ersterbend

Ew. Königlichen Hoheit «»terthänigst - gehorsamster K. A. Varnhagen von Ense.

Vorwort.

,Jdj gebe hier die Fortsetzung meiner biographi­

schen Versuche.

In Betreff der Behandlung bin

ich der früheren Art und Weise möglichst treu ge­ blieben.

beurtheilt,

Man hat die Darstellung meist günstig aber

dagegen

auf

die

geschichtliche

Wirklichkeit des Dargestellten mitunter zweifelnd hingeblickt, besonders da kein Prunk von Anfüh­ rungen dieselbe recht augenscheinlich im Einzelnen

verbürgte.

Man hat mir diese Nichtanführung

vin der Quellen vielfach vorgeworfen, sogar übersehn,

daß

Quellen benannt,

und im Eifer

ich denn doch öfters die

nur freilich im Texte selbst,

nicht unter demselben, wie sonst gewöhnlich ist.

Au dem letzteren habe ich mich noch jetzt nicht

entschließen können,

wiewohl ich die Angabe im

Allgemeinen nicht länger vorenthalten will.

sichern darf ich indeß,

Ver­

und wer sich die Mühe

giebt, irgend Einzelnes genauer nachforschend zu

prüfen, wird meine Versicherung bewährt finden,

daß ich mit Sorgfalt und Treue alle mir be­ kannte und zugängliche Ueberlieferung gesammelt,

ihren Sinn wohl zu fassen gesucht, und weder Gehalt noch Färbung derselben wissentlich verän­

dert habe.

Ich kann oft im Irrthum, zuweilen

ohne hinreichende Kunde, und dadurch häufig im Fehle gewesen sein, aber ich darf behaupten, daß

ich es nie durch absichtliche Willkür in Behand­ lung der Thatsachen bin. meiner fchen

Was der Recensent

biograpischcn Versuche in den Göttingkgelehrten Anzeigen (1824. Stück 143. ) in

IX

andrem Sinne, nämlich in Betreff der abgewoge­ nen Darstellung,

sagt:

„Vielleicht ist der Ver­

fasser im Stand von jeder Zeile Rechenschaft zu geben," eigne ich mir mit dem Bewußtsein vol­

len Rechtes vielmehr in Betreff der geschichtlichen

Wahrhaftigkeit an.

Indeß kann freilich die in­

nere Kritik und Erwägung, welche aus der ge­ gebenen Anschauung

eines belebten Ganzen

Abfassung jedes Einzelnen bedingt,

die

und aus der

jene „Rechenschaft" hervorgehn soll,

sich nicht

immer durch sogenannte Stellen äußerlich be­

legen lassen,

sondern muß durch geistige Beglei­

tung in den Zusammenhang der Materalien ge­

funden und erkannt werden.

Die

zuerst

preußischen

angekündigtc Gruppe

Feldmarschälle

erscheint

Bande noch nicht vollständig.

der

in

drei

diesem

Die Lebensbe­

schreibung Blüchers konnte mit denen Derfflingers und Deffau's nicht in demselben Bande Raum

haben, sondern wird für sich allein einen zweiten

X

Derselbe ist schon weit vorgerückt, und

füllen.

kann bald Nachfolgen;

wenigstens wünschte ich

nicht, daß durch den Zwischenraum die Zusam­

mengehörigkeit,

welche dem ganzen Inhalte so

viele fruchtbare Bezüge und besondere Ansichten eröffnet, aus den Augen verloren würde.

Die

Verschiedenheit des Umfanges dieser drei Lebens­ beschreibungen folgt übrigens, bei gleichem Maß­

stabe, von selbst aus der Verschiedenheit des Ge­ halts.

Die Erzählung von Blüchers Leben, wor­

in eine ganze Reihe großer Schlachten vorkommt,

die zu Weltbegebenhciten geworden sind, fordert

einen andern Raum, als das Leben Derfflingers, der als Obcrfeldherr keine,

Leopolds,

oder als das Leben

der in solcher Eigenschaft nur Eine

Schlacht geliefert hat.

In dem Leben des letzte­

ren dagegen sind andre Seiten nur durch eine Vielheit genauer Umstande

zu vergegenwärtigen

gewesen.

Zwei Bemerkungen habe ich noch zu machen,

in Hinsicht mancher Mißlichkeit des Stoffes und

xt mancher

Derbheit

des Ausdrucks.

Ich hoffe,

man wird an beiden keinen Anstoß nehmen.

Was

die erstere betrifft, so wäre nichts damit gewon­ nen, sie zu umgehn; in Deutschland läßt die lit­

terarische Aufmerksamkeit sich nichts entschlüpfen; was Einer absichtlich am Wege liegen laßt, brin­

gen ihm zehn Andre nur mit desto lauterem An­

ruf in Erinnerung, und das Aergerniß, daS ver­

mieden sein wollte, wird dann in Tadel und Vor­

wurf nur vervielfacht.

Was die Derbheit des

Ausdrucks betrifft, so gehört sie dem Karakter der Zeit und der Person oft allzu wesentlich an, als

daß man sie missen dürfte. Kriegömannes,

Das Bild

eines

z. B. von Leopolds Art, bedarf

oft starker Striche, und die Eigenheit seiner Züge laßt sich nicht,

um hier ein Gleichniß anzuwen-

dcn, in zierlicher Reinschrift wiedergcben, sondern

cs müssen, wenn der wahre Karakter nicht verlo­ ren gehn soll, auch die Verunstaltungen der Schrift

mitübcrtragen werden.

Doch wird man hoffent­

lich anerkennen, daß ich dennoch stets bemüht war

XII

ju mildern, was ganz abzuweisen die geschichtliche Treue meinem sonst wohlgefühlten Bedenken nicht verstatten wollte.

Berlin, im April 1825. K. A. Varnhagen von Ense.

Freiherr Georg von Derfflinger.

Freiherr Georg von Derfflinger.

Vkicht minder al« die heimischerzeugten Helden eine« Staates gehören der Eigenkraft desselben zu Ruhm und Ehre die frrmdgeborenen an, welche der Machtanziehung solchen Kreises folgend in des­ sen ureigentlicheS Wesen durch That und Leben übcrgegangen und verschmolzen find. Der preußi­ sche Feldmarschall Georg Reichsfreiherr von Derff­ linger war von Geburt kein Preuße; ihm aber, wie den beiden nachfolgenden Feldherren, deren Leben hier zusammengestellt ist, wurde der bil­ dungsreiche Staat, für welchen ohnehin kein Deut­ scher je billig als Fremder anzusehen fein mag, zum Baterlande der Wahl, zum Schauplatze des Verdienstes und zur Heimath der Gefinnungen. Derfflingers Geburt und Herkunft find, gleich der vieler andern Kriegshelden, in dunkler Nie­ drigkeit fast verdeckt geblieben. Man weiß nur,

4 daß er im Marz des Jahres 1606. in Oesterreich ob der Enns geboren worden. Seine Keltern, evangelische Bauersleute, verließen um ihres Glau­ bens willen jene Heimath, wo die Katholischen jede Gewalt und Unterdrückung gegen die Prote­ stanten ausübten, in welchen sie nur Abtrünnige und Aufrührer sehn wollten, die von ihren Irr­ wegen zur alten Ordnung durch alle Mittel zurückzubringen Recht und Pflicht fei. Die Bedräng­ ten aber zogen meistentheils alle Härte der Ver­ folgung und Noth und Elend einem Rückwege vor, der für sie nur mit Verletzung des Gewissens mög­ lich war. Die mit Stürmen und Leiden aller Art verbundene Auswanderung mag für Derfflinger schon in früher Kindheit eine lehrreiche Schule der Erfahrung gewesen sein, diese Folge von ersten Eindrücken die Richtung seines Lebens tief ent­ schieden haben. Die Reformation rückte damals, nach großen Vorkämpfen, den machtvollen Ge­ schichtsbewegungen entgegen, durch welche die kirch­ lichen Streitverhältnisse für lange Zeit zu einer Art gesetzlicher Ausgleichung gelangen sollten, und Derfflinger war bestimmt, in jenen Bewegungen die Bahn seines Lebens und seiner Schicksale zu finde«. Ueber seine frühere Jugend ist nichts wei­ ter bekannt; Erziehung und Unterricht scheint er

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nur aus de» zufälligen Darbietungen eines dürf­ tigen Umhertreiben» empfangen zu haben. Er selbst war in späteren Zähren über seine frühesten Schicksale geheimnißvoll, und schon damals ver­ zichtete man, je darüber etwas Zuverlässiges zu erfahren. Der Sage nach, di« schon zu seinen Lebzeiten in Aller Munde war, und lange nach­ her noch als Wahrheit galt, kam er als armer Schneidergeftll in seinem sechszehnten Jahre eben aus der Lehre, und wollte von Tangermünde über die Elbe seinen Weg nach Berlin nehmen, die Schiffer aber wiesen ihn zurück, weil er nicht ver­ mögend «ar das Fährgeld zu bezahlen. Traurig am Ufer stehend sah er jedoch, daß viele Leute gleichwohl unentgeltlich Lbergesetzt wurden; die Kriegsleute, hieß es, kämen überall frei durch. Da meinte Derfflinger, so wäre es ja besser, in der Welt ein Kriegsmann zu sein, als ein Schnei­ der, warf unwillig sein Bündel mit dem Hand« werkszeug in den Strom, wandte sich zu den Truppen, und ließ sich auf der Stelle als Reiter anwerben. Die Namen Tangermünde und Ber­ lin dürften in dieser Erzählung wohl am wenig­ sten Zuverlässigkeit haben; eher möchte der Her­ gang nach Böhmen zu versetzen sein, wohin Derfflingrrs Arltern auf der Auswanderung ihre Zu-

6 flucht genommen habe» sollen, und woher die fol­ genden Angaben ihn selbst als Krieger zurrst hervertreten lassen. Welcherlei Kriegsdienst« er zuerst genommen, ist nicht mit Sicherheit anzugeben. Furchtbare Zeitläufte, im Jahre 1618. zu Prag in blutigen Kämpfen begonnen, hatten schon den wilden Sturm dreißigjähriger Zerrüttungen eröffnet, in welchen die Fahnen vieler Partheien und Anfüh­ rer den Streitern mannichfache Wahl und oftma­ ligen Wechsel boten. Die Böhmen, in ihrer Glau­ bensfreiheit und andern heiligsten Gerechtsamen fich verletzt haltend, erklärten ihre Pflichten gegen den Kaiser für aufgehoben, und riefen Friedrich V. Kurfürsten von der Pfalz als ihren neugewählten König au». Durch die Schlacht auf dem weiße» Berge bei Prag am 8. November 1620. verlor die­ ser jedoch bald wieder das Reich, zu dessen Be­ hauptung seine Kraft nicht ausreichte, und nur seine Anhänger fetzten für die Sache, die er selbst verloren gab, noch eine Zeitlang den Krieg beharr­ lich fort. Unerschütterlichen Muthes kämpfte der tapfre Graf Matthäus von Thur» in Schiessen gegen die Kaiserlichen Kriegsvölker, bis er endlich durch deren Uebermacht eingeschloffen in Glatz nach tapferer Gegenwehr im Oktober 1622. die Bedin-

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gung freien Abzug« erhielt. Mit Soo. Dragonern zog er nach Sachsen, wo sich den protestantischen Waffen ein neuer Sammelort zeigte; unter diesen Begleitern des Grafen von Thurn soll Derfflinger gewesen sein.

Sm sächsischen Kriegsdienste, zu welchem jene Schaar größtentheils übertrat, wurde Derfflinger, der sich durch Muth und Wohlverhalten auszeich» nete, alsbald befördert, und war schon Offizier, als Gustav Adolf König von Schweden mit fei« nem Heer« von der pommerschen Küste, wo er im Sahre 1630. gelandet, zum Schutze der bedräng: ten Protestanten in das Innere von Deutschland rettend vordrang. Derfflinger säumte nicht, den schwedischen Fahnen sich anzuschließen. Der äu: ßere Wechsel, in jener Zeit häufig bas Ergebniß unstäter Selbstsucht, war oft auch bloß die Folge inneren Beharrens, da die erwählt« Sache selbst, die Sache des Glaubens» und des Vaterlandes, nicht immer denselben Erscheinungen unzweifelhaft verbunden blieb. Derfflinger aber war durch Ge­ schick und Gesinnung zu einem Krieger des prote­ stantischen Deutschland« geprägt, und der Funke dieses Berufs, dem di« früheste Jugend schon ihn zuwenden gewollt, erlischt seinem Wege nie, er

8 mag in Böhmen oder Sachsen, mit Schweden oder gegen Schweden die Waffen führen. Gustav Adolf erreichte indeß allzuschnell da« Ziel seiner Heldenbahn, am 6. November 1652. fiel er als Sieger in der Schlacht bei Lützen. Je­ doch sein Heer führte unter den Feldherren, die nach solchem Helden sich gebildet, den Kampf ge­ waltig fort. Die Heereszüge und Schlachten des dreißigjährigen Krieges sind in »inen festen Zusam­ menhang folgerechter und geregelter Kriegskunst, wie sie in neuerer Zeit sich dargestellt hat, schwer­ lich einzuordnen; der politische Zustand vonDcutschland, die Durchkreuzung und der Wechsel so vie­ ler Verhältnisse, die Schwerfälligkeit der meisten Bewegungen, welche in dem Uebergange aus einer alten Zeit in eine neue von der Entwickelung die­ ser letzter» in den Hülfsmitteln des Staats - und Kriegswesens noch so weit entfernt waren, alles die« gab den damaligen Unternehmungen und Er­ eignissen eine besondre Gestalt; die Kriegsbegeben­ heiten , wie gewaltig oft in ihrem Erscheinen und furchtbar in ihre« Folgen, behielten im Ganzen doch den Karakter großer Partheigänge, der«» ver­ einzelte kühne Schläge auf ein gemeinsames Ziel rasch zusammenzuwirken kaum bezweckten. Eine solche Art Krieg zu führen giebt weniger wissen-

9 schaftliche Feldzüge zu bewundern, als sie die Aus­ bildung allverbreiteter Tüchtigkeit und das Her­ vortreten persönlicher Heldenthat begünstigt. Die Gelegenheit zur Auszeichnung war demnach für Derfflinger in dem schwedischen Heere reich eröff­ net, und ohne daß wir wüßten, äU welche, dem Zusammenhänge der Begebenheiten oft unwichtige, nur durch sich selbst bedeutende Gefechte, Züge und Ausführungen seine Tapferkeit sich verloren, dürfen wir annehmen, daß dieselbe sich auf alle Weise glanzend bewahrt habe, da wir ihn, den Fremden und einzig durch Verdienst Empfohlenen, schon im Jahre 1655. als schwedischen Oberstlieu­ tenant erwähnt finden. Von nun an schimmert sein Antheil, wiewohl noch ohne zusammenhän­ gende Folge, doch in einzelnen Begebenheiten deut­ licher hervor. Zu Anfang« des Jahres 1656. zog der Feld­ marschall Banner die schwedischen KriegSvölker vor dem Andrang« der sächsischen Truppen, die wieder mit den Kaiserlichen verbunden fochten, aus der Mark Brandenburg seitwärts gegen die Elbe zu­ sammen, ging ««vermuthet bei Werben und Mag­ deburg auf das linke Ufer, und wandte sich auf­ wärts plötzlich nach Sachsen, hoffend durch diesen schnellen Einbruch die sächsischen Truppen von ih-

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rem drohenden Borbringen gegen Pommern zur Vertheidigung ihres eignen Landes zurückzurufen. Nachdem er Barby eingenommen, rückte Danner am 21. Januar vor Halle. Der Oberst­ lieutenant Derfflinger mit 200. Reitern machte den äußersten Vortrab; ihm waren iS. Kompanieen Dragoner auf das Feld entgegengerückt, er warf sich mit Ungestüm auf diese zahlreiche Reiterei, jagte sie zurück, und drang mit ihr zugleich in die Stadt, wo 600. Mann sächsischer Fußvölker eiligst abzogen, und 5oo. andere noch kaum die Moritz­ burg behaupteten. Der Kurfürst von Sachsen, wie Banner vorhergesehn, raffte auf die Nach­ richt von diesen Vorgängen eiligst seine Truppen aus der Gegend von Berlin zurück, ging bei Wit­ tenberg über die Elbe, und nach Halle den Schwe­ den entgegen, die zufrieden mit Erreichung ihres Zwecks eine Schlacht vermeidend hinter die Saale zurückwichen. Indessen wurde Banner gleichwohl durch das Uebergewicht der Kaiserlichen Waffen nach Pommern gedrängt, bis er durch die Schlacht bei Wittstock am 24. September auf's neue die Oberhand gewann, und siegend von der Ostsee wieder nach Sachsen vordringen konnte. Wäh­ rend er selbst im Januar des Jahres 1637. Tor­ gau einnahm und Leipzig angriff, sandte er den

11 Obersten von Pfuel mit fünf Regimentern nach Thüringen, um die Kaiserlichen dort wegzutreiben. Derfflinger und der Oberst Kars Gustav von Wrangel, welche einst als berühmte Feldherren einander entgegenstehn sollten, führten beide hier vereint den Vortrab; sie stießen bei Meinungen auf die feindliche Reiterei, und schlugen dieselbe nach hartnäckigem Kampfe völlig in die Flucht, worauf bald auch für Pfuel sich die Gelegenheit ergab, dem feindlichen Fußvolk eine Niederlage beizubringen. Richt lange nachher jedoch erreichte Derfflingern ein empfindlicher Wechsel des Glücks. Von dem Oberfeldherrn mit 1000. Reitern abgrschickt, um in der Grafschaft Mansfeld Brand­ schatzungen und Werbegelder einzutreiben, durfte er sich, da kein Feind in der Nähe war, für völ­ lig sicher halten, als er von dem Kaiserlichen Ober­ sten Druckmüller, der mit 2500. Reitern zwischen Halle und Merseburg heimlich über die Saale ge­ setzt hatte, so plötzlich überfallen wurde, daß seine ganze Truppe mit unendlichem Gepäck in die Hände des Feindes kam, und nur er selbst und etwa 6s. Reiter mit genauer Noth der Gefangen­ schaft entgingen. Derfflinger wurde jedoch durch solchen harten Unfall, gegen den im Kriege kein Anführer bloß durch seine alleinige Vorkehr je

12 ganz geschützt sein kann, weder gebeugt noch zu­ rückgesetzt; schon im folgenden Jahre finden wir ihn als Obersten. Inzwischen hatte Banner wiederum den Kai­ serlichen Waffen weichen und in Pommern gegen große Uebermacht rastlos kämpfe» müssen, bis im Sommer de« Jahres 1638. ihm ansehnliche Ver­ stärkungen aus Schweden rintrafen, und ihn in Stand setzten, neuerdings angriffsweise vorzudrin­ gen. Er führte hieraus den Krieg mit Nachdruck und Geschicklichkeit in Sachsen und Bohmen, bnnrt in Hessen und Westphalen, in Baiern und wieder in Böhmen, unter mannigfachem Wechsel fort, bi« er zuletzt, abermals der Uebermacht weichend, nach Niedersachsen gelangte, wo er zu Halberstadt im Mai des Jahres 1641. etwas über 40. Jahr alt an einem Fieber starb. Er «ar unstreitig einer der größten Kriegshelden jener Zeit, von dem gerühmt wurde, daß er mehr als 80,000. Feinde niedergemacht, 800. Fahnen genommen, und kein Treffen jemals verloren habe; den Kaiser­ lichen war er der furchtbarste Gegner; man hatte gesucht ihn zu gewinnen, und ihm den Reichsfürstenstand nebst den Oberbefehl gegen die Türken an­ geboten; sicherer, als diese verschmähten Anerbie­ tungen, meinten Argwöhnische, hab« Gift den Zweck

13 erreicht. Auf so bewegten Kriegszügen, in so vielfachen Gefechten und Begegnissen, konnte kei­ nem der Befehlshaber die Gelegenheit sich hervorzuthun erspart sein, die Auszeichnung selbst aber mochte in der nachdringendrn Fülle schnell wieder als Gewöhnliches sich eingeebnet finden; demnach darf nicht befremden, daß wir von Derfflinger während dieser thatenreichen Zeit nichts Einzelnes ausgezeichnet finden, aber wenn unter solchen Um« ständen die Thaten des Heeres zunächst in dem Feldherrn ihren Namen haben, so nimmt dagegen von dessen Ruhme auch der Untergeordnete mit Recht fein Theil zurück. Daß Derfflinger unter den Obersten dieser Kriegsschaaren einer der ange­ sehensten war, beweisen die bedeutenden Verrich­ tungen, in welchen er sogleich zu erscheinen hat. Das schwedische Heer, welches durch Banners Tod im schwierigsten Augenblicke des Oberbefehls» Habers entbehrte, war ungefähr 16,000. Mann stark, von welchen die Hälfte Fußvolk; nur dieses bestand dem größeren Theile nach aus eingebornen Schweden, der Sicherheit wegen wünschenswert, und durch die Umstände von selbst dargeboten, denn die freie Werbung in Deutschland brachte fast nur der Reiterei Zuwachs, da der Dienst zu Fuß we­ nig anlockte. Die 8000. Reiter dagegen waren

14 Kleist Ausländer, besonders Deutsche, tapfre, ver­ suchte Krieger, aber auch lediglich ihrem Hand­ werke und dessen hergebrachten Vortheilen anhän­ gend; sie gaben in der Stimmung ^rs Heeres den To» an, machten Bedingungen mancherlei Art, und erhoben oft ganz übermäßige Forderungen. Dem widerspenstigen Sinne der Truppen gab ihr Zustand diesmal nur allzugegründeten Anlaß zu den heftigsten Beschwerden. Im Lager herrschte Mangel und Unordnung; an Geld fehlte «s seit langer Zeit; bald auch gingen die Lebensmittel aus; Offiziere und Gemeine sahen sich genöthigt, ihre Pferde und sonstige Habe, sogar ihre Waffen zu verkaufen, um nur den Hunger zu stillen; die ganze Umgegend war aufgezehrt, die Partheien, welche sich «eiter vom Lager entfernten, um zu rauben und zu plündern, wurden häufig dabei von dem erbitterten Landvolk überfallen und nitdergemacht; eine gewaltige Gährung drohte den ganzen KriegSkörper aufzulösen. Di« Offiziere tra­ ten zusammen, und bestärkte» die Unzufriedenheit ihrer Soldaten; die Obersten selbst, durch enge Bande persönlicher Angehörigkeit ihren Regimen­ tern näher verknüpft, nahmen sich derselben eifrigst an, und kamen nach gepflogener Berathung über­ ein, zwei aus ihrer Mitte an den schwedischen

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Staatsrath Grubbe nach Hamburg zu senden, wo derselbe durch sein amtliches Ansehn schleunige Geldhülfe bewirken sollte. Die Obersten Derfflinger und Mortaigne wurden mit diesem Auftrage abgesandt, und ihre dringende Vorstellung, daß dieses ganze Heer sonst auseinandergehe und für Schweden unwiederbringlich verloren sei, ver­ mochte den schwedischen Bevollmächtigten Salvius, an welchen Grubbe mit jenen vereint sich wandte, auf eigne Gefahr 60,000. Thaler unverzüglich ih­ nen anzuweisen. Vollständigere Abhülfe, hieß es, könne ihren Beschwerde» erst nach dem Eintreffen Torstensons, des neuen Feldmarschalls, gewährt werden. Doch da sich dessen Ankunft stets verzö­ gerte, so wurde das Heer, dessen Stillung kaum auf Augenblicke bewirkt worden, bei schnell wieder gestiegener Noth nur um so heftiger laut. Schon früher hatten die Offiziere wegen allerlei Beschwer­ den und Forderungen zwei Abgeordnete aus ihrer Mitte nach Schweden gesandt, um sich unter dem neuen Oberfeldherrn mancherlei Vortheile und überhaupt ein freieres Dienstverhältniß auszube­ dingen; ihr langes Ausbleiben verursachte heftigen Argwohn, die Offiziere machten mit den Soldaten jetzt unverhohlen gemeine Sache, und die steigende Gährunq drohte in die gefährlichsten Bewegungen

16 auszubrechen. Schon näherten sich einerseits die Kaiserlichen Truppen, um von den Umständen, in denen sich das schwedische Heer befand, Vortheil zu ziehen, und andrerseits versuchten dänische Be­ fehlshaber, das schwedische Kriegsvolk zu ihren Fahnen zu verlocken. Salvius wurde von den Ab­ geordneten abermals dringend angegangen, zur Be­ schwichtigung des Aufruhrs sofort 400,000. Thaler zur Stelle zu schaffen, ferner zur Beruhigung der Gemüther feierlich zu erklären, zu welchem Ziel« eigentlich die Krone Schweden den Krieg fortzu­ setzen gesonnen sei, und welche Behandlung sie den Deutschen im Frieden festzusetzen meine? Die deutschen Krieger im schwedischen Heere sahen sich gewissermaßen als freie Bundesgenossen von Schwe­ den an, und glaubten dieser Krone nur verpflich­ tet zu sei«, insofern die Sach« des protestanti­ schen Deutschlands von ihr vertreten werde, nicht aber wo sie bloß den eignen Vortheil verfolge; die Freiheit von Deutschland, das Wohl des Vater­ landes, wurden in diesen Schaaren bei solcher Gelegenheit wenigstens oft genannt; allein auch der Vorwand huldiget der Sache, und manche ächte Gesinnung mochte mit jenem hier di« gleiche Bahn betreten. Der schwedische Bevollmächtigte erwiederte den Abgeordnete», wie ihm unmöglich

f.

17

258

Majestät kostbares Leben, rief er aus, komm' ich nicht zu bedrohen, sondern um zu bitten, da- Sie «s erhalten wollen! Ich sehe, daß ein geheimer Gram Ew. Majestät seit einiger Zeit am Herzen nagt, und daß ich selbst mit andern Augen ange­ sehen bin, al« sonst. Woher dies? Ich fühl« mich frei von Schuld. Haben Sie aber einen Verdacht gegen mich, so unterwerf' ich mich willig jeder Un­ tersuchung! Ja ich entkleide mich meines ReichsfürstenstandeS, und will bloß als Ihr Unterthan gerichtet werden. Habe ich mich gegen Ew. Maje­ stät worin vergangen, so stehe hier mein Kops da­ für ein!" Der König wurde durch diese leiden­ schaftlich ausgesprochenen Worte heftig bewegt, seine alte Zuneigung für Leopold erwachte in vol­ ler Stärke, er siel ihm um de» Hals, sah ihn starr an, und fragte wehmüthig: „ Sprecht Ihr den» wahr, und darf ich Euch noch trauen?" — Ja das dürfen Ew. Majestät, rief Leopold, indem er sich dem Könige zu Füßen warf, mein Leben hab' ich Ihrem Dienste gelobt, und all mein Blut will ich zum Zeugniß dafür hingeb«»! „Nun wohl, versetzt« brr König, ich will Euch trauen; hört mich an, und sagt dann selbst, ob mir nicht Ur, sache genug zum Verdachte gegeben war." — Hierauf erzählte der König d«n ganzen Hergang

259 Don Clements Mittheilungen, den Inhalt der Briefe des Prinzen Eugen, durch welch« Leopold der Theilnahme an strafbaren Einverständnissen be­ schuldigt worden. Dieser, ganz entrüstet, sprach heftig seinen Unwillen aus; nimmermehr habe Eu­ gen, betheuert« er, dergleichen von ihm schreiben, noch jemals selbst die Hand zu einem so schändli­ chen Komplotte bieten können; Clement müsse der ausgemachteste Schurke und abgefeimteste Betrüger sei», daß er solche Dinge zu behaupten und falsche Zeugnisse dafür zu schmieden wage. Leopold erbot sich gegen den König, solange in Verhaft zu blei­ ben, bis der Elende, der ihn so schmachvoll ange­ klagt, ihm persönlich gegenüberstande; er war un­ tröstlich, daß derselbe für jetzt so glücklich entkom­ men sei, man müsse seiner wieder habhaft werden, «» koste was es «olle. Der König meint« zwar, Clement werde gewiß von selbst «iedrrkehrrn, Leo­ pold aber drang auf beschleunigende Maßregeln. Nachdem der König nicht ohne Zöger» eingewilligt, griff Leopold sogleich die Sache mit kluger Be­ triebsamkeit an. Jablonski bekam Befehl, nach dem Haag zu reisen; ihm wurde der Major Dumoulin beigegebrn, ein entschlossener Offizier, von dessen Ergebenheit und Eifer Leopold schon aus dem Felde her versichert war. Jablonski langte 17 '

260 im Haag an, besuchte Clement, «ttb sagte ihm, die Herausgabe eines seiner Werk« habe ihn zu dieser Reise veranlaßt, bei dieser Gelegenheit aber der Kenig ihm aufgetragen, Clement der Fortdauer der Königlichen Gnade zu versichern; derselbe bezeige große« Verlangen ihn «iederzusehn, er wünsche dringend ihn über Dinge, die sich nicht schreiben ließen, wäre «S auch nur auf wenige Tage, zu sprechen, ihm solle freistehn jederzeit, sobald es ihm beliebte, wieder abzureisrn. Einige Tage dar, auf kam auch Dumoulin an, bestätigte alle», was Jablonski gesagt hatte, und brachte sogar von dem Könige selbst ein Schreiben an Clement, durch welche« dieser dringend zu einer Unterredung «in­ geladen wurde; der König erbot sich deßfall« sogar zur Reife nach Kleve, wenn Clement« Geschäfte ihm für jetzt nicht erlaubte», sich «eiter von Hol­ land zu entfernen. Clement machte nicht die ge­ ringste Schwierigkeit; arglos folgte er de» beiden Abgesandten nach Berlin. Mit aller Unbefangen­ heit und Beeiferung erschien er vor dem Könige, der, auf'« neue von ihm eingenommen, nicht glau, bcn konnte, daß derselbe, wenn «in Betrüger, so willig wiedergekommen war«. Der König sprach mit ihm in seinem Kabinet, und äußerte über die Anschläge des Wiener Hofe« einig« Zweifel, da

261 seitdem keine Spur von irgend einer Unterneh­ mung sich gezeigt habe. Clement berief fich auf die urkundlichen Schriften, die er ihm vorgewirfen; der König begehrte sie nochmals zu sehn, al­ lein Clement hatte sie in Holland zuruckgelassen, bei einem Freunde, mit dem er die Abrede getrof­ fen, sie nur ihm selbst zu eignen Händen wieder zu verabfolgen. Er erbot sich aber, die Schriften selbst zu holen. Der König wußte nicht, was er davon halten sollte; Clement schien bei der Sache ganz aufrichtig, ihm irgend Mißtrauen zu bezeigen, hätte alles verdorben; ohne jene Schriften aber konnte die Wahrheit zwischen Clements Aussage» und Leopolds Versicherungen nie rein an den Tag kommen; die Erlaubniß zur Abreise wurde dem­ nach ertheilt. Leopold, der hinter einem Vor­ hänge die Unterredung mit «»gehört, bot verge­ bens alles auf, damit der König den Betrüger nicht wieder frei davongehn ließe, sondern vielmehr Haft und Untersuchung gegen ihn ^erhinge; der König ließ Clement reisen, versprach ihm alle Si­ cherheit, und gab ihm nur den Major Dumoulin mit, der heimlich zwar beauftragt war, ihn nicht aus den Augen zu lassen, äußerlich aber jeder An­ ordnung Clements Folge zu leisten hatte. Dumoulin wohnte im Haag mit Clement in demselben

262 Hause, und dieser hielt ihn drei Tage in seinem Zimmer «ingrschlossen, damit seine gleichzeitige An­ kunft nicht bemerkt würde. Während dieser Zeit und «ährend noch vier Wochen, die er unter dem Vorwande von allerlei Geschäften im Haag hinzö« gerte, hätte Clement leicht seinem Aufseher ent­ schlüpfen kennen; allein er blieb, und bezeigte kei­ nerlei Besorgniß; und blieb nicht nur, wobei ihm in Holland allrnfallS noch Sicherheit genug dün­ ken konnte, sondern begab sich mit feinen Schrif­ ten sogar getrost auf den Rückweg nach Berlin. Erst in Kleve, sei es, daß er nunmehr auf preußischem Gebiet an seinem Gefährten etwa« Unheimliches zu spüren anfing, sei es, daß ihm wirklich einige seiner Papiere fehlten, fand er, baß er noch einiges vergessen habe, und wollt« wieder «ach dem Haag umkehren; allein Dumoulin litt es nicht, und erklärte trocken, jetzt müsse er mit «ach Berlin reisen. Clement sah nun, wie di« Sachen standen, und ohne Widerstreben, mit allem Anschein der Unschuld, sanft und gelassen wi« «in Lamm, folgt« et der ausgesprochenen Nothwendig­ keit. In Berlin angekommen, stieg er bei dem Minister von Marschall ab, der ihn zu Mittag bei sich behielt, und sehr höflich behandelte, nach dem Essen aber ihm erklärte, er sei ein Staatsgefange-

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n« unb werd« sogleich in Gewahrsam gebracht werben. Clement berief sich auf den König, auf die Versprechungen, die ihm ertheilt worden, auf seine freiwillig« Wiederkehr. Allein die Sache» hatten sich bereits sehr verändert. Leopold «ar bei dem Könige wieder im Besitz der alten Zunei­ gung, des alten Vertrauens, und hatt« durch sei­ nen Einfluß die Leitung der gerichtlichen Untersu­ chung dem Generalauditeur von Katsch übertragen lassen, ein Mann, auf den er zählen konnte, und der in dem schreckenden Rufe stand, niemand be­ sitze wie er die Geschicklichkeit, einen Angeklagte» zu verwirren und zu verderben. Noch am näm­ lichen Abend war in der Hausvoigtei, wohin der König selbst mit Eintritt der Dunkelheit sich be­ gebe» hatte, das erste Verhör. Clement antwor­ tete auf alle Fragen mit ruhiger Unbefangenheit, wie jemand, der sich nichts vorzuwerfen hat. Das­ selbe geschah in Spandau, wohin er des folgenden Tages gebracht wurde, bei einem zweiten Verhör, dem ebenfalls der König beiwohnte. Seine Fassung verließ ihn keinen Augenblick, er beharrte bei sei­ nen Aussagen, und berief sich auf die beigebrachte« Beweise, die in der That den Richter in Verle­ genheit bringen konnten, denn ihre Aechtheit schien kaum zu bezweifeln. Schon erklärte der König,

264 al« Clement abgeführt war, derselbe sei offenbar kein Betrüger, und «ar schon im Begriff, seine Freilassung anzubesehlen, aber Katsch verhinderte es, indem er bat, hier nichts zu übereilen, sondern noch ein oder zwei Verhöre und ein wenig Folter zu erlauben, es würde sich dann wohl bald erge­ ben, was diesen Dingen zum Grunde liege. Am dritten Tage, nachdem das Verhör abermals frucht­ los abgelaufen, ließ Katsch wirklich die Henkers­ knechte eintreten, und alle Marterwerkzeug« vor den Augen des Angeklagten in Bereitschaft legen. Diesem gräßlichen Anblick vermochte der Unglück­ liche nicht zu widerstehn. Er warf sich dem Kö­ nige zu Füßen, und bekannte mit reuevollen ThrL, nen, sein« bisherigen Aussagen seien falsch, die Briefe von ihm selbst geschmiedet, das ganze Kom­ plet «ine Erdichtung. Hierauf erfolgten alsdann weitere Verhöre, in welchen Clement mehr und mehr seine Ränke darlegte; allein auch jetzt be­ nahm er sich fortwährend mit großer Geschicklich­ keit und Vorsicht, und seine scheinbar rückhaltlo, sen, aber doch abgemessenen Eingeständnisse gaben dem Könige noch keine Ueberzeugung. Al« Cle­ ment bekannte, er habe alle« nur ersonnen, um eine Summe Geldes zu erlangen, mit der er sich habe zurückziehen und rin ruhiges Leben beginnen

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wollen, konnte der König einen Beweggrund nicht gültig finden, dem das frühere Ablehnen feiner freigebigsten Anerbietungen auffallend widersprach. Clement schien bloß au« Furcht vor der Folter das­ jenige zu sagen, was er den Erwartungen der Fra­ genden gemäß glaubte; sein ängstliches Bemühen, mehr die Höfe von Wien und Dresden als sich selbst von Schuld frei zu sprechen, z«igte deutlich, daß er für jene Höfe ganz besondere Rücksichten habe; manche Aussagen that er nur gegen das ausdrückliche Bersprechen des König«, ihn keiner fremden Macht auszuliefern; es fanden sich bei al­ len feinen Geständnissen immer neue Spuren, daß er eü nicht unredlich mit dem Könige gemeint, und dieser blieb noch stets geneigt, eher den frühere» Aussagen zu glauben, als den jetzigen. Um Licht in dieser Verwirrung zu erhalten, sandte der Kö­ nig den Generallieutenant von Borck, nachherigen Feldmarschall, einen redlichen treuen Mann, der weder Leopolds noch Grumbkow« Freund und da­ her keiner Partheilichkeit für ihre Sache verdäch­ tig war, nach Dresden und Wien. An beiden Or­ ten wurde jede Theilnahme an dem vorgeblichen Komplotte bestimmt geläugnet; der Prinz Eugen, als ihm die Briefe gezeigt wurden, die er geschrie­ ben haben sollte, gestand, daß seine Handschrift so

266 gut nachgemacht sei, daß er selbst, wenn nicht der Inhalt widerstritte, sie für ächt halte» könnte. Er läugnete nicht seine frühere Verbindung mit Clement, betheuerte aber, niemals eigenhändig an ihn geschrieben zu haben. Er fügte hinzu, im Kriege würde er, wenn der Fall «inträte, und der Kaiser ihm diesen Auftrag ertheilte, den König von Preußen als Feind offen bekämpfen, aber nie zu einer Verschwörung gegen ihn die Hand bieten; einer solchen Nichtswürdigkeit werde nicht erst das Ende seiner Laufbahn Raum geben; sein Wort dürfe hier als seine Rechtfertigung gelten. Mit Borcks Verrichtungen «ar der König ausnehmend zufrieden, und beschenkt« denselben nach seiner Rück­ kehr ansehnlich. Allein noch immer konnte er sich nicht entschließen, jene Briefe sämmtlich für un­ tergeschoben zu halten, bis Clement, gedrängt und geängstigt, zuletzt selbst den vollen Beweis lieferte, und in Gegenwart des Königs dessen eigne Hand­ schrift so täuschend nachmachte, daß dieser selbst die ächte von der falschen nicht mehr zu unterscheide» wußte. Hierauf ließ der König, dem Augenschein selbst doch nur gezwungen nachgebend, dem gericht­ lichen Verfahren seinen Lauf. Clement sollte seine Mitschuldigen angeben, und wurde deßhalb auf's neue mit der Folter de-

267 droht; diesem Schrecknisse widerstand er auch dies, mal keinen Augenblick, er nannte Heidekamm, Leh­ mann und Bube, durch deren Hülfe ihm geheime Nachrichten und Aktenstücke zugekommen. Sie wurden sogleich verhaftet und nach Spandau ge­ bracht. Bube fand Mittel sich zu vergiften, die andern beiden aber verwickelten in ihre Bekennt­ nisse eine Menge angesehener Personen, die sofort festgrnommen wurde». Spandau füllte sich mit Verhafteten, auch der Unschuldigste fürchtete für seine Sicherheit, ganz Berlin schwebte geraume Zeit in Furcht und Schrecken. Katsch befriedigte bei diesen Untersuchungen zugleich seine und seiner Freunde Leidenschaften. Bei dem Kammerherrn von Troschke fanden sich Briefe des Slaatsministers von Kamecke, worin Leopold und Grumbkow übel mitgenommen waren; aus Rache wurde er beschuldigt, mit Clement in Verbindung gewesen zu sein. Glücklicherweise konnte er darthun, daß er jenen nie gekannt habe, warf aber nun seiner­ seits dem Könige vor, in Gegenwart Leopolds und Grumbkows, daß er diesen beiden allzu leichtgläu­ big folge, welche doch nur seine treuesten Diener von ihm zu entfernen suchten, um desto sicherer allein in seiner Gunst zu herrschen. Beide klagten dagegen, daß Kamecke schon längst nur trachte, sie

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zu verläumden, und legten zum Beweise dessen Briefe an Troschke vor. Der König wollte es da­ bei bewenden lassen, daß Kamrcke einige Entschul­ digungen machte, dieser aber verdarb alles durch seine Heftigkeit gegen den König selbst, dessen dies­ mal ganz ungemeine Geduld er endlich erschöpfte; er wurde auf der Stelle verhaftet, und nach Span­ dau abgeführt, späterhin aber auf seine Güter in Pommern verwiesen. Gleichen Sieg erhielt die Rache Leopolds in kurzem auch über sein« Feindin Frau von Blaspiel. Sie hatte dem Grafen von Flemming, mit dem sie in vertrautem Briefwechsel stand, nach Dresden unter andern von dem Könige geschrieben, er sei wie das heilige Grab inmitten der Ungläubigen, wodurch Leopold und Grumbkow bezeichnet sein sollten, ferner enthielt ihr Brief ein bitteres Urtheil über die Untersuchungen, welche in der Sache Elements noch immer fortwährten, das ganze Verfahren nannte sie grausam und tyran­ nisch, und beseufzte das Geschick derjenigen, welche in diesen wiedrrgekehrten Zeiten Neros und Caligula's leben müßten. Der Geheimrath von Pätsch, bei der Post beschäftigt mit Eröffnung der in's Ausland gehenden Briefe, brachte diesen an Leopold, in dessen schon erworbener Gunst er sich dadurch noch mehr zu befestige» strebte. Bon Zorn

269 und Freude beseelt,, berief Leopold seine Freunde, mit denen er sogleich di« nöthige Verabredung nahm. Abends, als Leopold und Grumbkow grade bei dem Könige waren, mußte Katsch sich melden lassen, und das beleidigende Schreiben überbringen. Der König gerieth in den größten Zorn, und ließ durch den Obersten von Marwitz, der grade im Vorzim­ mer «ar, die Fra« von Blaspiel herbeiholen. Es erfolgt« «in gewaltsamer Auftritt, in welchem di« beherzte Frau ihren Brief und seinen ganzen In­ halt anerkannte, und neuerdings die heftigsten Be­ schuldigungen gegen Leopold und Grumbkow schleu­ derte; sie hätten einen Anschlag gegen das Lebe» de» Königs gemacht, und unter dem Name» des Markgrafen von Schwedt die Vormundschaft an sich reißen wollen. Mit dem höchsten Unwillen zweifelnder Prüfung blickte beide der König an. Katsch kam ihnen zu Hülfe, und brachte Frau von Blaspiel durch Fragen nach Beweisen und durch Androhung der Folter in's Gedränge; fle stockte, verwirrte sich, und der König befahl, fle nach Span­ dau fortzuführen. Leopold, der durch Frau von Blaspiel den alten Verdacht des Königs einen Au­ genblick Wiederaufleben gesehn, «ar dergestalt au­ ßer sich, daß er gegen die verhaßte Feindin, als sie endlich durch di« Wache abgeführt wurde, feine

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rohe Wuth ohne Scheu vor des Königs Gegen, wart sogar mit unanständiger Pöbelgeberde aus­ brückte. Frau von Blaspirl erduldete ein hartes Gefängniß, wurde dann auf Fürbitte der Königin freigelassen, und mit ihrem Gemahl, der feine Mi» nisterstelle verlor, auf dessen Güter in Kleve ver­ bannt. Die Untersuchung gegen Clement dauerte in­ zwischen fort. Katsch that alles um die Verurtheilung zu beschleunigen, der König war bemüht, sie hinzuhalten, er konnt« ein günstiges Dorurtheil für den Unglücklichen nicht unterdrücken, er hielt ihn nicht für ganz schuldig, er wünschte ihn zu retten. Allen Verhören wohnte er bei, man sah ihn stets unterwegs zwischen Berlin und Spandau. Die Gegner bewirkten, daß zuletzt auch der Kaiser­ liche Resident von Voß bei den Verhören zugegen sein mußte, und Clements verändertes Benehme» bei dessen Anwesenheit bestärkte den König in der Meinung, daß der ganzen Sache noch irgend «in Geheimniß zum Grunde liege, und Clement nicht so schuldig sei, oder doch es nicht so allein sei, al» er selbst jetzt «olle glauben machen. Indeß mußte da» Gericht ihn nach seinen eignen Geständnissen als Staatsverbrecher verurtheilen. Der König wollt« ihn begnadigen, allein man stellte ihm vor.

271 daß die Höfe von Wien «nd Dresden in feiner Bestrafung eine Genugthuung zu empfangen hät­ ten; mit Widerstreben und Reue gab er dieser An­ ficht nach. Bis dm Tag vor Clements Hinrich­ tung ritt oder fuhr der König täglich zu ihm nach Spandau, sprach voll Güte mit ihm, hörte ihn gern erzählen, befragte ihn über seine Geschichte», und sagte ihm aufrichtig mit tiefem Bedauern: „Könnte ich dich retten, so machte ich dich zum geheimen Rath, aber so muß ich dich rädern las­ sen!" Endlich am 18. April 1710. empfingen Clement, Heidekamm und Lehmann zugleich ihre Strafe. Sie wurden von Spandau nach Berlin gebracht, Heidekamm auf dem Neumarkt des Adels schimpflich entsetzt, und auf Zeitlebens eingesperrt, Lehmann vor dem Spandauer Thor enthauptet, Clement auf dem Wege zum Richtplatz mit glü­ henden Zangen gezwickt und dann gehangen. Der König hatte des Letzteren Urtheil dahin gemildert; auch wurde sein Körper noch denselben Abend ab­ genommen und begraben. Er starb mit großer Standhaftigkeit, und hielt noch auf dem Schafot eine bewegliche Anrede an das versammelt« Volk; er sei zwar, sagte er, einer so schweren Straf« nicht schuldig, denn er habe nichts gethan, als was Minister und andre Staatsbeamte täglich «nge-

272 straft verübten, allein er sei gleichwohl «in großer Sünder, und habe Gott für sein Unglück zu dan­ ken, und halte deßhalb die 17. Monate seines Ge­ fängnisses in Spandau für die schönste Zeit seines Lebens, da er in dieser von so großen Irrwegen zur rechten Erkenntniß zurückgeführl worden. Sei» Tod erregte allgemeines Bedauern; sein feines Be­ tragen und günstiges Aeußere hatte jedermann für ihn eingenommen; man hielt ihn für einen na­ türlichen Sohn des Königs von Dänemark, oder auch des Regenten Herzog« von Orleans, dem er in der That sehr ähnlich sah. Der König gab sich lange nicht zufrieden, und äußerte nachher noch, er würde ihm bas Leben geschenkt haben, wenn die fremden Höfe seinen Tod nicht als Sühnopfer ihrer Ehre gefordert hätten; er entschuldigte ihn sogar noch damit, daß derselhe weder sein Unterthan noch in seinen Diensten, und im Grunde also ihm durch keine Pflicht verbunden gewesen, dagegen Heide­ kamm und Lehmann als wahre Berräther an ihm gehandelt hätten. Die übrigen Verhafteten er­ hielte» nach und nach die Freiheit wieder; eine allgemeine Verzeihung schnitt alles weitere Ver­ fahren ab; nur allein Troschke, dessen Briefe allzu beleidigend für den König gewesen, blieb einige Jahr« noch zu Spandau in strengstem Verhaft. Diese

273 Diese Geschichte Clements, in welche Leopold so wesentlich verflochten war, bedurfte hier um so mehr einer umständlichen Erzählung, Alls in die­ selbe zugleich alle Angaben niederzulegen waren, ans welchen sich die schwarzen Beschuldigungen be­ urtheilen lassen, die gegen Leopold zuerst aus die­ ser Quelle sich erhoben, und von daher in manchen Ableitungen sich erhalten haben, deren herange«achsenes Ansehn doch über den ersten Ursprung nicht täuschen darf. Clement selbst schrieb im Ge­ fängnisse noch ein ausführliches Bekenntniß, worin er das Wahre und Falsche, wie er es zu sei­ nen Ränken gemischt, getreulich anzugebrn sucht. Inmitten der Lügen und Betrügereien, zu denen er sich bekennt, blickt immer noch eine Spur bes, serer Eigenschaften durch, denen man einige Theil­ nahme nicht versagen kann. Die frühe Kunde ge­ fährlicher Geheimnisse und das unseligst« Talent solche Stoff« zu behandeln, führten ihn, gegen die Anlagen seines Herzens, in das traurigste Verderbr». Seiner späteren Aufrichtigkeit darf bei der Stimmung, welche sein Gemüth in der Prüfung des Todes bewährte, kaum ein Zweifel entgegen­ stehn. Sein handschriftlich aufbewahrtes Bekennt­ niß ist hie« daher unbedenklich zur Ergänzung an­ derweitiger Nachrichten benutzt worden, unter «el»veu6. Denkmale. I.

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chen immer noch di« von Pöllnitz obenanstehn, der allerdings in dem, was die Vorgänge am Hofe be­ trifft, noch.,zumeist kundig und glaubhaft dün­ ken mag. Nach diesen gewaltigen Stürmen, au» welchen Leopold zwar siegreich, doch nicht ohne heftigsten Kampf und gefahrvollste Erschütterung hervorgegangen, blieb er zwar nebst Grumbkow im Besitz de» alten Ansehns und Einflusses, allein sie wag­ ten nicht so leicht, durch neue Unternehmungen den nur allmählig beruhigten Sinn des König» wieder aufzuregen. In dem Kriegswesen und des­ sen vielfachen Arbeiten und Beschäftigungen hatte Leopold ohnedies einen festere» Halt und eine'wür­ digere Bedeutung, als ihm die Ränke eines Hof­ lebens je geben konnten, dessen höchste Gunst für ihn mehr nicht zu vermögen schien, als was auch durch Verdienst «eit edler ihm gewahrt blieb. Unermüdet war in jenem Gebiete feine Sorgfalt und Thätigkeit. Die Anstalten und Arbeiten des Krieges, die Musterungen und Waffenübungen der Truppe», waren immerfort, was auch sonst sich ereignen mochte, das unerläßlichste Tagewerk. Wenn die Trommel gerührt wurde, so «ar jeder andre Bezug vergessen; der Geist des Kriegsdien­ stes ergriff alles mit unbedingter Gewalt. Von

275 Sonnenaufgang bi« ju Sonnenuntergang wurden die Soldaten geübt, ihre Waffen, ihr Anzug be­ sichtigt. Die Ordnung und Pünktlichkeit wurde mit unerbittlicher Strenge bis zu dem Geringfü­ gigsten ausgedehnt. Die Kleidung war für Offiziere und Gemeine ein Gegenstand sorgfältigster Genauigkeit. Sie wurde kürzer und knapper ein­ gerichtet, sowohl um zu sparen, al« um dem Sol­ daten rin rascheres Aussehn zu geben. Der Un­ terschied zwischen Großem und Kleinem, zwischen Wesentlichem und Unwichtigem, verschwand gänz­ lich , über alle« erstreckte sich eine gemeinsame Re­ gelmäßigkeit, durch eine überall gegenwärtige, furchtbare Kriegszucht bewacht. Der Schritt, die Haltung des Soldaten, kamen nicht weniger al» feine Tapferkeit in Betracht, jeder Unfall wurde gleich einem Verbrechen bestraft; wegen Fehlgriffen an dem Gewehr, fchlechtgeputzter Rockknopfe, an­ gespritzter Wasserflecke an den weißen Stiefeletten, erfolgten unmäßige Stockprügel; diese wurden so gewöhnlich, daß sie zum Dienste zu gehören schie­ nen, und kein Exerciern ohne sie geschehen konnte. Rücksichtslose Härte und durchfahrende Grobheit mußte» auch Offiziere und Generale von ihren Vorgesetzten im Dienste gefühllos hinnehmen; nur in wenigen, von der Meinung vorbehaltenen Fäl.18 *

— 276 len bürst« darin «in« Beleidigung des Ehrenpunk« t«s zu finden fein. Unbedingter, schneller Gehor­ sam durchlief alle Stufen der Befehlsmacht, grau­ same Strafe ereilte schrecklich jede Säumniß, jede Abweichung. Das Heer, in ganzer Ausdehnung auf diese Weise bearbeitet, gestaltete sich zu einem einzig gegliederten Körper, der willenlos jedem Ge­ brauche sich fertig fügte, inmitten aller Gefahr nur allein der Zucht folgt«, und durch diese jede vor­ handene Eigenschaft steigerte, jede fehlende ersetzte; der Anblick, welchen die so dressirten Truppen, wohl schicklich in dieser Gestalt vorzugsweise dem ernsten Spiele hoher Macht sich eignend, bei der Parade, auf dem Uebungsfrlde, bei jedem Ausrükken und Erscheinen darboten, flößte Bewunderung und Ehrfurcht ein. Doch Leopold, welcher nächst dem König« als der Schöpfer dieses einzige« Heer­ wesens dasteht, «ar allzusehr Krieger selbst, um sich den prächtigen Anblick genügen zu lassen; über­ all ging er auf die wahre Bestimmung zurück, der auch jene qualvolle Kleinmristerei stets wesentlich dienen mußte. Mit dunkler Durchschauung, sagt Berenhorst, scheint der Fürst aus seinen Erfahrun­ gen die Folge gezogen zu haben, den Schluß, daß r« eigentlich das Feuer sei, aber physisches mit moralischem verbünde.«, was den Sieg zubereite,

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und baß, man sage was man wolle, gut schießen, rasch laden, Unerschrockenheit und wüthiger An­ griff am sichersten zum Ziele führe. Sein Haupt» augenmerk war demnach, den preußischen Truppe» im Gewehrfeuer eine entschiedene Ueberlrgenhrit zu schaffen. Der eisernen Ladstocke, dieser wichtigen Verbesserung, die er erfand und einfuhrte, ist schon gedacht worden. Damit da« Bajonet beim Laden und Schießt» nicht erst, wie früherhin geschehn mußte, abzunehmrn wäre, änderte er dasselbe, und ließ die verlängerte Klinge seitwärts ausbiegen. Bride Einrichtungen sind noch heutiges Tages, und zwar im ganze» Bereich europäischen Heerwesens eingeführt. Die Truppen selbst, ehemals in vier Glieder gestellt, die nicht alle zugleich feuern könn» teil, ordnet« er in drei Glieder, und wollte sogar nur zwei übrig lassen, damit in verlängerter Linie zum ungehinderten Schießen die ganze Mannschaft Raum gewänne. Das Feuer mit Pelotons und ganzen Bataillons, welches die Truppen auf der Stelle und im Vorrücken mit strengster Ordnung und fertigster Schnelligkeit auözuführen gelernt, glich einer wandelnden Batterie, und erschien von unwiderstehlichster Wirksamkeit. Gegen die 2üh griffe der Reiterei erfand er das Heckefeuer, wobei je zwei und zwei Rotten fünf Schritt aus dem

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Viereck vorliefen, in zwei Gliedern feuerten, und darauf sogleich zurücktraten, um durch andre er­ setzt zu «erden. Seine rege Thätigkeit bereichert« das Exerciren auch sonst mit vielen Handgriffen, Stellungen und Bewegungen, häufig zweckmäßigen und ersprießlichen, zuweilen auch zwecklosen, bei welchen übertriebene Künstelei jeden Nutzen ausschloß. Dies alles betraf jedoch hauptsächlich und fast ausschließlich das Fußvolk, und zwar da» schwere Linienfußvolk, in welchem die ganze Stärke und Kraft des Heeres bestand. Bon der Reiterei, welche in der vorhergehenden Zeit die Hauptwaffe «ar, hatte Leopold, obwohl selbst ein tüchtiger und verwegener Reiter, nur «ine sehr geringe Mei­ nung; sie war durch bedeutende Beispiele seiner eignen Kriegserfahrung frühzeitig bestimmt worden, in dem Treffen bei Höchstädt hatte er das baireuthische Kürasfierregiment gleich von Anfang die Flucht ergreifen und mehrere andre Reiterregi­ menter mitfortreißen sehn, während bas Fußvolk in fester Ausdauer dem überlegenen Feinde Stand hielt; auch in der Schlacht bei Malplaquet «ar die Reiterei zweimal gewichen, und hatte Schutz bei dem Fußvolk nehmen müssen. Friedrich Wil­ helm I. faßte von daher nicht weniger als Leopold eine Geringschätzung für alle Reiterei, und blieb

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dieser Waffe zeitlebens abgeneigt; ihr Werth sei ganz vom Zufall abhängig, hieß es, und nie könne man auf sie mit Gewißheit rechnen. In Folg« dieser Ansicht wurden die Reiter kaum als solche behandelt; ihre Uebungen waren meist nur zu Fussihre Waffe das Fruergewehr, wie bei de» übrigen Truppen, ihre schweren wohlgrfütterten Pferde blieben unbrauchbar für schnelle Bewegungen; wenn die Zurüstung in gehörigem Stand und ftU les nach Borschrift blank und geputzt war, wurde von der Reiterei nichts weiter verlangt, als was auch das Fußvolk leistete. Auch wegen der größe­ ren Kosten, welche die Reiterei verursacht, wurde sie weniger begünstigt; der König wollte ein gro­ ßes und dabei möglichst wohlfeiles Heer unterhal­ ten, die unausgesetzte Vermehrung der Truppen konnte demnach fast nur im Fußvolk Statt finden. Diese Vermehrung betrieb der König mit rastlosem Eifer, zum Staunen und zur Unlust der andern Mächte, welche solchen Anwacha der preußischen Kriegsmacht mit sorgenvoller Eifersucht sahen, Friedrich der Große erzählt, der König habe schon sehr früh, «ährend er als Kronprinz in den Nie­ derlanden der Belagerung von Dörnick beiwohnte, den Streit zweier englischen Generale, ob der Kö­ nig von Preußen ohne fremde Hülfsgelder wohl

280 15,000. ober gar eo,ooo. Mann zu bezahlen im Stande wäre, durch den feurigen Ausruf abgethan: „Sobald der König mein Vater will, kann er 3o,ooo. Mann halten!" Die Generale schwiegen damals, dem lebhaften Prinzen eine solche ver­ meinte Uebertreibung nachsehenb. Ihm aber wurde, al» er in ber Folge den Thron bestiegen, da» Emporbringen seiner Kriegsmacht ein Ehren, punkt. Der Erfolg brachte seinem Ausspruch über­ volle Bestätigung. Schon jetzt hielt er gegen So,ooo. Mann kriegsfertig unter Waffen, und noch immerfort wurde deren Zahl vermehrt. Die Hälfte dieser Truppen waren Ausländer, deren Herbeischaffung auf alle Weise betrieben wurde; ansehnliche Große und gute Gestalt waren dabei schon immer unerläßlich, ausgezeichnet riesenhafte Leute aber wurden noch besonders für eine Lieb­ lingsschaar des Königs aus allen Weltgegenden mit größten Kosten aufgebracht. Leopold huldigte die­ ser Vorliebe des Königs, ohne dieselbe in gleich hohem Maße zu theilen. Den lebendigsten An­ theil aber nahm er an allen Thätigkeiten, welche unmittelbar die Vermehrung der Heeresmacht, die bessere Einrichtung des ganzen Kriegsstaates an­ gingen. Die zahlreichen Werbungen im Auslande verdankten größtentheils seiner Anlage und Betrei»

281 bring ihren lebhaften Fortgang; nicht mindere» Berdirnst hatte er bei der Anordnung und Besor­ gung de» Kantonwesens, durch welches die Aushe­ bung inländischer Mannschaft geregelt «ar. Nie­ mand verstand so wie er schnell und tüchtig neue Schaaren fertig zu schaffen. Sei« kraftvoller Wille, sein gewaltsamer Eifer drang in alle Bahnen de» Wirken» unwiderstehlich ein. Sein schar­ fer Verstand ließ keine Seite der mannigfachen Kriegsgeschäft« ««durchforscht, da» Zweckmäßige, Bortheilhafte fand sein mit gesunder Kraft stet» auf die Sache gerichteter Sinn unter allen Um­ ständen leicht heraus. So war sein Beirath und seine Mitwirkung dem König« höchst ersprießlich bei der Umgestaltung de« Verpstegwesen», bei Er­ richtung stehender Vorrathskammern, beim Guß «euer Geschütze, bei Gründung der Gewehrfabriken in Potsdam und Spandau, einer Klingenfabrik in der Grafschaft Mark, de» Salpeterwerks in Mag­ deburg, bei dem Kasernrnbau in Potsdam, bei Stiftung des großen Waisenhauses daselbst, und bei so vielen andern nützlichen Anlagen und Un­ ternehmungen, welche Friedrich Wilhelms I. sorg­ same Thätigkeit hervorrief. Vorzüglichen Eifer widmete Leopold noch insbesondere dem Festungs­ wesen, mit dessen gefammten Zweigen er durch Er-

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fahrung genau bekannt war. Einen geschätzten Kriegsbaumeistcr, den Oberstlieutenant von Wal­ rave, hatte er schon im Jahre 1715. aus holländi­ schen Diensten in preußische herübergezogen, und unter dessen Leitung .die Festungswerke von Mag­ deburg verbessern lassen; späterhin setzte derselbe «nter Leopolds Aufsicht auch die Werke von We­ sel, Stettin, Spandau, Küstrin und Kolberg in neuen Stand, half Memel und Pilla« und die Reichsfestung Philippsburg befestigen, und erbaut« zuletzt in der Sternschanze von Magdeburg den Kerker, in welchem er selbst als Staatsverräther fein Leben unglücklich beschließen sollte! Zu den mannigfachen Musterungen und Ue­ bungen der Truppen, zu den sonstigen Anstalten und Thätigkeiten des Krieges, fe wie zur Jagd und anderer Vergnügung, begleitete Leopold den König auf seinen Reisen und Fahrten fast unaus­ gesetzt. Im December de» Jahres 1710. machte er mit dem Könige eine Reis« nach Hamburg, dar­ auf im folgenden Jahre nach Stettin, wo die Landstände von Pommern in Gemäßheit der im Frieden mit Schweden erfolgten Abtretung ihrem neuen Herrscher die Huldigung leistete», und die Bürgerschaft zum Zeichen des landesherrlichen Ver­ trauen« zum erstenmal wieder in ihren Waffen er-

283 schien. Entferntere Reisen nach Königsberg, nach Kleve, wiederholte Ausflüge nach Stettin, Magde­ burg und Dessau, wechselten mit einander ab. In solcher stete» Genossenschaft und bei der innigen Uebereinstimmung der Thätigkeit und Neigungen mußte die letzte Spur der widrigen Eindrücke, welche dem Könige gegen Leopold geblieben sein konnten, leicht vertilgt «erden. Dieser stand wie ehemals auf dem Gipfel der Gunst und de« Ver­ trauens. Der König verlieh ihm gegen geringen Kaufpreis die großen Güter Bubainen und Norkütten in Litthauen, die seinetwegen mit besonde­ ren Vorrechten ausgestattet wurden. Leopolds An­ sehn im Heere, sein Gewicht am Hofe, sein Ein­ fluß bei allen Staatsberathungen, schienen auf's Neue und fester als je gegründet. Neue Verwikkelungen jedoch, die ihn mit Grumbkow entzwei­ ten, gaben in dessen Feindschaft ihm ein Gegen­ gewicht, durch welches seine Wirksamkeit zwar nicht gebrochen, doch wiederum zumeist auf den Boden zurückgeleitet wurde, der seinem Berufe vorzugs­ weise eignete. Die Veranlassung jener Mißhelligkeiten, die sogar in Zweikampf auszubrechen droh­ ten, wird verschieden erzählt; der Ursachen waren schon seit längerer Zeit mehrere vorhanden. Noch immer gab Leopold die Hoffnung nicht auf, feinen

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Neffen den Markgrafen Friedrich von Schwedt mit einer der Königlichen Prinzessinnen vermählt zu sehen. Die Königin dagegen bezweckt« für ihre Kinder eine Doppelheirath mit dem Hause Han­ nover, und hatte die Einwilligung des Königs be­ dingungsweise dazu schon erlangt. Als aber der großbritannische Hof nicht eifrig genug entgegen­ kam, sondern Schwierigkeiten und Zögerungen ein­ treten ließ, brach der König die Sachen plötzlich ab. Bald nachher entstanden «egen der Gewalt­ thaten, welche die preußischen Werber begingen, und wegen der Maßregeln, welche die hannöver­ schen Behörden dagegen nahmen, neu« Irrungen zwischen beiden Höfen; der König glaubte sich be­ leidigt, rüstete sich zum Kriege, und wollte seine Tochter sogleich mit dem Markgrafen von Schwrdt vermähle». Alles schien den Wünschen Leopolds hier entgegen zu kommen, er haßte das Haus Han­ nover, welches «r beschuldigte, dem seinigen den Besitz des Herzogthums Lauenburg vorzuenthalten, und mit der Befriedigung dieses Hasse» sollte nun zugleich seiner Kriegsbegier «in Oberbefehl, seinem Ehrgeize jene Vermählung gewährt sein. Allein Grumbkow, der die politischen Geschäfte geschickt zu führen wußte, dagegen im Kriege den ersten Platz nicht behaupten konnte, wünscht« den Bruch

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abzuwenben. Er verband sich zu diesem Zwecke mit der Königin, und die Sachen wurden friedlich beigelegt, und die früheren Aussichten zur näheren Verbindung mit Hannover stellten sich wieder her. Als im Jahre 1725. der König von England nach Deutschland kam, besuchte ihn der König von Preu­ ßen zu Herrnhausen, wo hierauf am 5. September sogar «in Vertheidigungsbündniß zwischen Preußen, England und Frankreich zu Stande kam, in der Absicht, dem zu Wien geschloffenen Bunde Oester­ reichs und Spaniens das Gegengewicht zu halten. Mit dieser Wendung «ar Leopold in allem Be­ tracht höchst unzufrieden. Sein ganzer Zorn brach gegen Grumbkow aus, von dem er laut sagte, er sei von England mit Geld bestochen worden. Die schnöde Verachtung, die Leopold feinem Gegner öf­ fentlich bezeigte, reizte diesen zu beißender Erwie­ derung; ein Wortwechsel erhob sich, und Leopold wußte seiner Wuth keine Gränze». Anfangs wollte der König die Sache vermitteln, als ihm aber ge­ sagt worden, welch ungeheure Worte Leopold in seiner rücksichtslosen Kraftsprache ausgestoßen, mochte er nichts mehr damit zu thun haben. Die beiden Gegner, von ihren Zeugen begleitet, fanden sich auf verabredetem Platze vor dem Köpenicker Thor ein. Leopold kam voll Ungestüm an, und so

286 wie et von weitem feinen Feind nut erblickte, zog et den Degen, und tief jenen mit Grobheiten zum Kampfe hervor. Grumbkow ließ fich aber nicht aus seiner Fassung bringen, und wünschte den ab­ geschmackten Handel in Güte beizulegen. Leopold, der sich als Beleidigter benahm, drang seinerseits nicht weiter aus Genugthuung, drehte dem Gegner mit Hohn den Rücken, stieg zu Pferde, und ritt für sich allein nach der Stadt zurück. Grumbkow empfand dies Benehmen fast ärger als das voriges; er sah ein, daß er nie hoffen dürfe, Leopolds Freund­ schaft wiederzugewinnen, er schwur ihm daher selbst ewigen Haß, und Pöllnitz, der es erzählt, verbürgt sich, daß niemals ein Eid^ gewissenhafter fei gehal­ ten worden. Der König, unzufrieden mit Grumbkows Benehmen, und doch erfreut, daß die Sache nicht schlimmer abgelaufen war, ließ denselben ei­ nige Tage Verhaft halten, und der Geschichte wurde nicht weiter gedacht. Grumbkow behauptete nach wie vor seine Wirksamkeit in den Staatsge­ schäften', und wenn Leopold in der Gunst des Kö­ nig« ihn neben sich dulden mußte, so vermochte hinwieder Grumbkow noch weniger jenen von sei­ ner Stelle zu verdrängen, auf welcher die Kraft hohen AnsehnS in selbstständigem Verdienst ihn befestigt hielt. Leopold schaltete in den Sachen

287 des Kriegswesens mit gewohntem Gewalteifer; das Feld der politischen Thätigkeit gewann mehr und mehr Grumbkow, der seine Verbindungen geschick­ ter zu knüpfen, seine Anhänger sicherer festzuhalten wußte. Die Königin und fast der ganze Hof nah­ men für ihn Parthei. Zn de» auswärtigen Ver­ hältnissen blieb da» Herrnhäuser Bündniß für den Augenblick überwiegend, und England und Frank­ reich suchten den König von Preußen sogar anzu­ reizen, sein« Ansprüche auf Schlesien geltend zu machen, und in diese Provinz mit gewaffnetee Hand einzufallen; der König fand jedoch Bedenken de» Kampfplatz ganz allem zu betreten, und ver­ langt« deßhalb hannöversche Hülfe truppen, an wel­ cher zwar wohlbegründeten doch unwillkommenen Forderung die ganze Sache sich wieder zerschlug. Leopold, fortwährend dem Kaiserhaus« zugethan, sah mit Verdruß diese Richtung gegen dasselbe, und hielt sich in finsterem Trotze von ihr entfernt. Bald aber sollte sie verändert «erden, doch, selt­ sam genug, ohne Leopold» Antheil noch Frommen. Der Kaiserliche Hof sandte den General Grafen von Seckendorf nach Berlin, einen Staatsmann, in welchem Scharfblick und Geist mit rüstigster Gewandtheit und niedrigster Gesinnung in genaue­ stem Vereine standen. Dieser durchschaute bald,

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baß Leopold, wiewohl ein Freund Oesterreichs, dem­ selben hier weniger bedeutend sei, als Grumbkow, und versuchte daher zuvörderst diesen zu gewinnen, den er schon früher aus den Feldzüge« in den Nie­ derlanden und von der Belagerung von Stralsund her persönlich kannte. Der König sah dem Herrn­ häuser Bündnisse wenig Ernst zum Grunde liegen, und war nicht abgeneigt, zu seinen früheren Ver­ bindungen zurückzukehren, wofür auch Grumbkow unter solchen.Umstände» stimmen mußte. Secken­ dorf bewirkte daher ohne große Schwierigkeit, daß der König unter gewisse» Bedingungen, durch ei­ nen zu Wusterhausen am ie. Oktober 1736. ge­ schlossenen geheimen Vertrag, sich dem Kaiser wie­ der näherte. Seckendorf wußte durch sein kluges Benehmen in hohem Grade di« Gunst des Königs zu gewinnen, und sich darin als Kaiserlicher Ge­ sandter während eines vieljährigen Aufenthalts in Berlin dauernd zu behaupten. Er knüpfte die engsten Verhältnisse mit Grumbkow, der gern eine Verbindung einging, deren Grundlage gegenseitiger Vortheil «ar; für den niedrigsten sogar zu bm häßlichsten Geschäfte» sich verbunden zu haben, wurden sie in der Folg« laut beschuldigt! Leopold sah auf diese Weise seine Gegner am Hof« selbst von derjenigen Seite her vermehrt, von welcher ihm

289 ihm vielmehr Freunde hätten kommen sollen. Sein Haß gegen Grumbkow erstreckte sich nun auch auf Seckendorf, und von beiden abgestoßen, geschont, gefürchtet, erschien er in seiner Stellung nur wür­ diger und in seinem Ansehn nicht schwächer. Die Königin, die bald dahin zurückkomme» mußte, in jenen Beiden erklärte Widersacher ihrer liebsten Wünsche zu erblicken, sah deßhalb wieder günstiger auf Leopold, und dieser gewann auf solche Weise innerhalb der Königlichen Familie «ach und nach rin besseres Verhältniß. Bevor wir Leopolds Leben in dieser Bah« «eiter verfolgen, müssen wir wiederum einen Blick auf seine anderweitigen Beziehungen zurückwerfen, in welchen sein« Eigenheit sich ungestört entfalte« konnte. Als Fürst seines eignen Landes führt« er unausgesetzt die strengst« Verwaltung; auf alle Weise suchte er seine Einkünfte zu vermehren und baares Geld zusammenzubringen. Den Auskauf der Rittergutsbesitzer und andrer Eigenthümer, de­ ren Grund und Boden ihm anstand, setzte er un­ unterbrochen mit Beharrlichkeit fort. Kein Hin­ derniß konnt« ihn abhalten, hierin selbst mit Ge­ walt seinen Wille» durchzusetzrn. Er meinte ein erstes Recht zu haben, in seinem Fürstenthume Besitzer zu sein, und keinen ander» neben sich zu Preuß. Denkmale. I. 19

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dulden. Die Edelleute von Werder, von Ziegesar, von Lechau, von Wülknitz, von Krosigk, und viele andere, mußten ihm ihre schönen Güter gegen die Kammertaxe überlassen, von dem altvererbten, theuren Besitz mit bittrem Schmerze weichen. Auch viele Bauerhöfe und Mühlen brachte er auf diese Weise an sich; selbst die Landpredigrr muß­ ten ihre liegenden Gründe ihm gegen geringen Jahrgehalt abtreten. Der bürgerliche Besitzer ei­ nes Gutes, welches Leopold begehrend ansprach, wollte dasselbe durchaus nicht verkaufen; für solche Fälle war bald Rath. Soldaten singen Händel mit ihm an, es entstand eine Schlägerei, der Mann wurde gefänglich eingezogen, und zum Soldaten gemacht. Unsägliche Qual wurde ihm angethan, man trieb ihn aus'« äußerste. Endlich, da er einst vor dem Thor« Schildwacht stand, ritt wie von ungefähr Leopold vorbei, redete ihn freundlich an, und fragte ihn, ob er wohl sein Gut ihm verkau­ fen wolle? Der Verzweifelte widerstand nicht län­ ger, man wurde sogleich des Handels einig, und ohn« Zögern erfolgte mit der baaren Kaufsumm« die Erlösung vom Soldatenstande. Alle Vorstel­ lungen und Bitten, aller Trotz und Widerstand, blieben gleich fruchtlos gegen dieses gewaltsame Verfahren; die Reichsgerichte gewährten keine

291 Hülfe, der Kaiser und die übrigen Fürsten schwiegen zu der Ungebühr. Landtage gab es schon seit älteren Zeiten nicht mehr; auch hätte Leopold schwerlich eine Beschränkung seines Willens durch Stände sich gefal­ len lassen. Nach einiger Zeit war das Werk völlig ausgeführt; das Land Dessau bot inmitten des deut­ sche» Reiches die in solcher Art einzige Erschei« nung dar eines Fürstenthums ohne Adel. Aller Grund und Boden war Krongut, die Einwohner bestanden nur noch aus Beamten, aus Pächtern und Gewerbsleuten. Die Folge «ar, daß bei den Unterthanen, für die kein Grundbesitz mehr mög­ lich blieb, nach und nach jeder ächte Wohlstand aufhörte; einigen Reichthum behaupteten nur die Juden, welche gegen ein jährliches hohes Schutz­ geld in großer Anzahl zu Dessau wohnen durfte«. Leopold war von diesem Gedanken des Alleinbesitzes dergestalt eingenommen, daß er dem Könige von Preußen ernstlich rieth, in seinen Landen gleichfalls den Adel auf solche Weise zu vertreiben, und al­ len Grund und Boden der Krone zuzueignen. Friedrich Wilhelm war einen Augenblick von de» großen Vortheilen gereizt, Grumbkow aber wider­ sprach sehr lebhaft, und erklärte die Sache für un­ ausführbar. Leopold berief sich auf sein eignes Beispiel; Grumbkow bemerkte, es sei ein Unter19 *

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schied zwischen einem großen Staat und einem klei­ nen, „Und dann, fügte er spöttisch hinzu, haben E«. Durchlaucht in Ihrem Lande ja auch nicht», als Juden und Bettler!" Den aufbrausenden Zorn Leopolds bei diesen Worten mäßigte der Kö­ nig, welcher auch weiter keine Lust bezeigte, auf den Vorschlag «inzugehn. Auch seinem Besitz in Preußen widmete Leopold seine thätige Sorgfalt; er ließ die Bewirthschaftung seiner dortigen Güter, die er durch späteren Ankauf noch vermehrte, durch Ansiedler aus Dessau fordern, alles wurde in den besten Stand gebracht, zu Bubainen überdies ein prächtiges Schloß erbaut; der König ertheilte ihm über den ganzen zusammengehörigen Besitz fernere ausgedehnte Freiheiten, und Leopold überließ den­ selben alsdann im Jahre 1724. feinem zweiten Sohne Leopold Maximilian zur Nutznießung. Seine nach Verhältniß außerordentlich vermehrten Einkünfte verwandte Leopold jedoch größtentheil» wieder auf die Emporbringung des Landes selbst. Fast kein Jahr verging, ohne daß er durch Anle­ gung neuer Dörfer oder Vorwerke, durch Urbar­ machung wüster Strecken, durch den Bau von Kir­ chen, Mühlen, Brücken, Straßen oder Dämmen, in dieser Hinsicht die erfolgreichste Thätigkeit be­ wiesen hätte. Bei aller Eeldbrgierde und Spar-

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fnmfeit war er bei Unglücküfällen und Nothstän­ den sogar freigebig, erließ Abgaben und Steuern, schenkte Holz und Steine zum Aufbau, nach Um­ ständen beträchtliche Geldsummen. Um nicht zum Wiederaufbau einer abgebrannten Kirche die her­ kömmlichen Geldsammlungcn im Auslande ge­ schehn zu lassen, gab er lieber aus eignen Mitteln gleich Haar den ganzen Bedarf. Diesem Sinne, für das Wohl des Landes zu sorgen, widersprach dagegen schneidend die unmäßige Leidenschaft zur Jagd. Fast überall «ar in damaliger Zeit diese Plage für die Unterthanen «ine der härtesten; nir­ gends aber mehr als in Dessau. Das ganze Land enthielt ein« Unzahl von wilden Schweinen, Hir­ schen, Rehen und Hasen; fle verwüsteten unge­ straft Felder und Gärten; höchstens verscheuchen durfte sie der Landmann von seinen Früchten, wer ein Wild gewaltsam verjagte oder gar tödtete, der hatte die härtesten Strafen, ja als WUddieb le­ benslängliche Ketten zu gewärtigen. Die zahllo­ sen Jagdhunde waren zur Fütterung und War­ tung unter die Bauern «ertheilt, welche bei harter Strafe dafür einstehn, und die verlorenen oder ge­ storbenen mit schweren Kosten ersetzen mußten. Die Jagden selbst gereichten zur Qual und oft zum Verderben der armen gezwungenen Theilneh-

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wer. Alle Sparsamkeit hörte hier auf, der größte Prunk und Aufwand trat an die Stelle, das zahlreichste Jagdgepränge und die glänzendste Festbewirthung, besonders wenn der König von Preußen, wie mehrmals geschah, sich zur Jagd in, Dessau einfand. Oft aber stürmte Leopold fast unbeglei­ tet in wilder Einsamkeit seiner Leidenschaft nach; sein Eifer kannte darin keine Gränze; einst ver­ folgte er einen Hirsch bis in die Gegend von Tor­ gau, wobei er mehrere Pferde todtritt, und einen Weg zurücklegte, der in seinen vielfachen Wen­ dungen leicht das Dreifache dec graden Entfernung betragen mochte. Keine Klage seiner Unterthanen durfte gegen solche Leidenschaft laut werden, kein Eifer nachlassen; sein Mißvergnügen brach in ge­ waltsame Härte, sein Zorn in wildes Verderben aus. Wie im Kriegswesen verlangte er überall unbedingten, augenblicklichen Gehorsam; den ge­ ringsten Fehl strafte er unbarmherzig mit roher Eigenmacht. Bei dieser Gemüthsart vermied er gleichwohl sehr, in eigentliche Gcrichtssachen und kirchliche Verhältnisse einzugreifen. Er ließ über­ haupt vieles bestehn, was er vorfand, und manches gern dahingestellt, was ihn nicht unmittelbar störte, oder persönlich zu nah berührte.

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Bei der grundübeln Anlage, welche hier zwischen Fürst und Unterthan nur den ertodtenden Wechsel gewaltthätig«» Tyrannei und feindseliger Furcht übrig zu lassen schien, war es Wunder ge­ nug , wie ganz anders doch oft bas Verhältniß in der Wirklichkeit hervortrat. Für manche Dinge hatte die Zeit ihren eignen Maßstab. Vieles er­ hielt schon dadurch eine andre Farbe, daß die Macht sich als Naturverhältniß, sei es im Kampf oder im Spiele, darstestte. Mit dem Geringsten aus dem Volke trat Leopold nach Gelegenheit und Zu­ fall in vertraulichste Gemeinschaft; seiner üblen Stimmung dagegen entging auch der Vornehmste nicht. Eine Fülle gesunden Menschenverstandes, derben Witzes und kraftvoller Laune zeichnete ihn meist auch in feinen rohesten Handlungen noch aus. Niemals hat ein Fürst im Volke größeren Antheil gehabt und beständiger behalten; muntres und ei­ genthümliches Leben gestaltete sich leicht um ihn her; er hatte nichts dagegen, wenn Andre sich wie er betrugen; zogen sie den Kürzern, so war das freilich ihre Sache. Unter der gemeinsten Volks­ klasse zu Dessau hatte er viele Lieblinge, meist wunderliche Kauze, mit denen er auf einem selt­ samen Fuße lebte. Wer dem andern die tollsten Streiche und den ärgsten Schabernack anthun

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konnt,, btt freut« sich des Sieges; die Sachen nahmen meist eine wenig scherzhafte Wendung; und für die Ehre, so vertrant mit ihrem Fürsten zu sein, mußten die Leute nicht selten mit Haut und Haaren bezahlen. Einem Schalk von Bäcker, mit dem er besonders gern verkehrte, hatte er einst «inen durchtriebenen Streich zu vergelten; er fuhr abends an dessen Hausthür an, und ließ den Mann herausrufen; in Hemdärmeln und mit bloßen Fü­ ßen in Pantoffeln erschien derselbe am Wagen­ schlage; Leopold sagte, sie wollten ein wenig plau­ dern, er soll« sich einsehtn, und mit ihm eine Spa­ zierfahrt machen; die geschmeichelte Eitelkeit konnte nicht widerstehn, unter lustigen Reden ging's in raschem Laufe zwei Meilen weit über Land; plötz­ lich ließ Leopold den Kutscher halten, der Schlag wurde geöffnet, der Fürst, hieß es, werde nun al­ lein weiter fahren, er dank« für angenehm« Unter­ haltung, und wolle den Mitgenommenen jetzt nicht länger von Hause zurückhalten; der verwundrrte Bäcker sah wohl, daß er angeführt war, es half kein Sperren, er mußte in seiner leichten Beklei­ dung mitten im schlechtesten Wetter aussteigen, und langsam zu Fuß im Dunkeln den weiten Weg zurücktappen, des anderen Tages der Spott und das Gelächter der ganzen Stadt! Unglücklicher

297 noch, als diesem Bäcker, konnte es einem bessaui, schen Präsidenten ergehn, der sich vom Trinkgelage, wo er alles schon hinreichend betrunken glaubte, nach Hause geschlichen; Leopold und seine roilbe Gesellschaft holten ihn aber zurück; kein Versteck schützt« gegen die stürmische Nachsuchung; auf ei­ nen Ochsen gesetzt und durch die Straßen geführt, mußte der arme Präsident den ärgsten Unfug er­ dulden, bis endlich das wildgemachte Thier den unbequemen Reiter hart zu Boden warf. 2(n sei­ ner Würde jedoch nahm der Präsident durch sol­ chen Vorgang in jener Zeit keinen Schaden. Ein in andrer Art gewaltsamer Scherz traf den Rath und die Bürgerschaft von Dessau bei Gelegenheit einer Bürgermeisterwahl. Leopold wollte fle auf einen seiner Günstlinge lenken, einen Franzosen, Namens Bonnafox, der in Dessau Postbeamter, aber bei seinen Mitbürgern gar nicht beliebt war, er durfte deßhalb keine einzige Stimme hoffen; ihm dennoch alle zu verschaffen, war für Leopold ein Leichtes. Das machte er so: bei der Wahl nahm er selbst den Vorsitz, und befahl den wählenden Rathsherren ihm ihre Stimmen versiegelt abzugeben; er saß vor einem Kaminfeuer, und empfing «ach einander die Stimmzettel; als fie beisammen waren, griff er einen heraus, öffnete ihn, las Bon-

296 nafox, und warf den Zettel ins Feuer, so den zweiten, den dritten, und so immer Bonnafox bis zu Ende; so war denn Bonnafoz einstimmig zum Bürgermeister gewählt! Anfang« dachten die RathsHerren, cs hatten wirklich einige von ihnen diesen Namen geschrieben, al» aber gar kein andrer vor­ kam, wurde freilich zuletzt offenbar, daß im Gegen­ theil denselben kein einziger Stimmzettel enthal ten; ein Wahlverfahren, dem in seiner fast unver­ stellten Offenheit vor mancher künstlichen Ueberlistung noch allenfalls ein Vorzug gebühren mag! Theilte Leopold in solchem Verkehr nach Umstän­ den aus, so mußte er dafür nach Gelegenheit auch wieder tüchtig einnchmen. Den schreckenvollen Herrscher, wenn er ohne Beute von der Jagd heim­ kehrte, wagten die Jungen auf der Straße lärmend anzufallen, und den verdrießlich Beschämten mit spöttischem Geschrei „Aeh, er hat nicht«, er hat nichts!" bis zu seinem Schlosse zu verfolgen, Bon einer Bäuerin erzählt man, sie habe Butter in der Fürstlichen Küche feilgeboten, und von Leo­ pold, der dazugekommen, einen Preis gefordert, den er übermäßig finden wollte. In seinem gutgelaun­ ten Ingrimm, befahl er, die Bäuerin, so viel als nöthig entblößt, festzuhalten, und ihr die schon in der Küche abgelegten Bntterstücke, mit welchen ft,

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ihn habe schnellen wollen, auf höchst unsaubre Weise nachzuwerfen. Heulend nahm die Frau ihre mißhandelte Waare von dem Boden auf, und machte sich damit fort. Nach einiger Zeit siebt Leopold dieselbe Frau wieder, und fragt höhnisch, ob sie wieder so theure Butter habe? „Ist schon längst hier verkauft — erwiederte sie, in seine Küche zeigend, mit trotzigem Lachen — steht Er, ich habe ste um einen Dreier wohlfeiler gegeben, und da hat Er sie doch fressen müssen!" Er wollte rasend werden, aber das Stückchen war zu sehr in seinem Geschmack, um nicht der Bäuerin ihre selbst­ genommene Genugthuung zu gönnen. Gleich den Spartanern hielt er kühne List und Uebervortheilung ihres Preises werth. Was er bei der Bürgermeisterwahl geübt, ließ er sich auch selbst wieder anthun. Einem seiner Lieblinge aus dem Wolke hatte er eine Anweisung auf einige Klafter Holz geschenkt; zufällig ging er vorüber, als eben bas Holz ankam, statt einiger Klafter sieht er unge­ heure Borräthe. Kerl, schreit er den Empfänger an, wie viel Holz hab' ich dir angewiesen? „ Ach das war so wenig, versetzt dieser vertraulich lä­ chelnd, da hass ich noch ein Nüllechen zugesetzt!" Und das Nüllchen galt.

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Das rechte Gebiet aber seiner Eigenheiten und Kraftaußerungen war das Soldatenwesen. In diesem war Herz und Seele ihm erst recht daheim. Er war ein eigentlicher Soldatenfürst, das ganze preußische Heer gleichsam sein Volk. Mit der furchtbarsten Strenge und willkürlichsten Grausam­ keit verband er die zärtlichste Fürsorge, die ver­ traulichste Gemeinschaft. Sein Umgang mit den Kriegern war ein steter Wechsel von lustigen Ein­ fällen und Schwänken, von seltsamen Proben und Versuchungen, und von unbarmherzigen Qualen; Liebkosungen, gewaltige Stockprügel und freigebige Geschenk« waren gleicherweise an der Tagesord­ nung. Er selbst nahm auch seinerseits mit derben Scherzen vorlieb, und derselbe Kerl, dem ein Ver­ dacht, daß er Widerspenstiges auch nur denke, im Dienste die ungeheuersten Prügel zuzog, durfte zu andrer Zeit ungestraft seinem ganzen Zorn gegen den Feldherrn selbst Luft machen. Nach Umstän­ den von den Soldaten gefürchtet, geliebt und ver­ wünscht, war Leopold als Feldherr doch unausge­ setzt der Gegenstand ihrer höchsten Verehrung; fle hielten sich unter seiner Anführung für unüber­ windlich, ihn selbst für eine Art Hexenmeister, für kugelfest und unverwundbar, seine gedrungene Kraftsprache, von derben Flüchen untermischt, wo-

301 Mischen doch gute Gesinnungen durchschimmerte», durchfuhr die Gemüther wie zündendes Feuer. Vor dem Feinde, wußten sie, gab «S keine Schonung, und niemals hat ein Feldherr seine Schaaren leich­ ter in den sichern Tod geführt! Dafür theilte er auch stets Gefahr und Noth aller Art mit ihnen, begnügte sich mit gleicher Kost, mit gleichem Lager. Im Munde der Soldaten hieß er nur der alte Dessauer, oder der alte Fürst, zum Unterschiede von seinen fünf Söhnen, die alle im preußischen Heere dienten; am meisten aber wurde er kurzweg der Schnurrbart oder der alte Schwerenöther ge­ nannt, jenes wegen seines schwarzen Iwickelbartes, dieses wegen seines beliebtesten Fluchwortes, oder vielleicht auch wegen der vielen und entsetzlichen Plagen, mit denen er die Leut« heimsuchte. Sein eignes Regiment, seit dem Jahre 1718. ihm sehr bequem nach Halle verlegt, wurde durch seine un­ aufhörlichen Besuche und beständige Aufsicht ganz insbesondere gequält. Dasselbe war mit einem dritten Bataillon und dazu gehöriger dritten Gre­ nadierkompanie verstärkt worden; die Errichtung geschah in Dessau, fast alle preußischen Regimenter gaben Leute dazu her, und schon im März 1719. konnte das Bataillon fertig in Halle einrücken. Die Mannschaft de» ganzen Regiments bestand

302 aus lauter großen und schönen Leute»/ worunter viele Dessauer, die ihrem Landesherr» in Preußen dienen mußten; die Offiziere waren von trefflich­ ster Auswahl; ein großer Theil derselben empfing von Leopold ansehnliche Zulage, jeder Soldat ge­ noß doppelt« Löhnung. Das Regiment zeichnete sich nach dem Muster seines Inhabers durch große Schnurrbärte, durch sorgfältigste, wiewohl übrigens einfache Kleidung, durch außerordentliche Reinlich­ keit, Zucht und Abrichtung aus. Leopolds rastloser Eifer erhob dasselbe zum Vorbilde aller übri­ gen. Auf der kleinen Wiese bei Halle wurde» alle neuen Handgriffe und Bewegungen, welche später in das ganze Heer übergingen, zuerst versucht und eingeübt. Wohl ein denkwürdiger Boden, der als Schauplatz so vieler barbarischen Mißhandlungen und als Schule so vieler staunenswerten Kriegs­ erfolge für uns so zwiespältige Erinnerungen ver­ eint ! Beides schien damals in unauflöslicher Noth­ wendigkeit zusammengehörig. Der Soldat lebte von früh bis spät nur in Dienst und Abrichtung, die Vorschrift wurde sein einziges Gesetz. So hoch gestiegen ist die Kunst seitdem nicht wieder. Daß pünktlich und geschickt das Befohlene geschah, ge­ nügte nicht mehr; der Untadliche sollte noch untadlicher sein, und wurde absichtlich in Versuchung

303 geführt, um in vervielfachten Strafen dem Dienste stets wohlgefällige Opfer darzubringen. Leopold trat häufig Soldaten an, dk er kannte, machte sie vertraulich, verlangte kleine Gefälligkeiten, die eine Säumniß im Dienste verursachen, geringfügige Ge­ genstände, die dem Gebrauche einen Augenblick feh­ len konnten, oder er gab Aufträge, sogar Befehle, die im Streite widersprechender Gründe die Ka­ suistik des Dienstes übten; »er die Prüfungen be­ stand, wer das rechte Theil glücklich herauszugreifen wußte, der wurde lächelnd belobt, beschenkt; der Unglückliche, welcher der Lockung oder dem Irr­ thum nur um ein Haarbreit nachgab, wurde mit Schadenfreude gleich dem absichtlichsten Verbrecher zur härtesten Strafe verurtheilt. Häufig stellte Leopold die Schildwache» auf die Probe, bot ih­ nen Geschenke, ließ denen vor seiner Thüre Speis und Trank von seiner Tafel vorsetzen; «ehe dem, der solcher Güte trauen zu dürfen meinte! Wer ihm die Spitze bot, wer ihn sich zum Teufel scheeren hieß, oder ihn, wenn er nicht abließ, zu ver­ haften drohte, der war sein Mann. Inmitten aller Grausamkeit entstand auf diese Weise «in auf­ merksamer Wetteifer, ein schlauer Umgang, eine Art geistreichen Verkehrs, zwischen Leopold und seinen Soldaten, in deren Zahl unläugbar die durch-

304 triebensten Kerle waren. Zahllose Geschichten und Schnurren aus diesem Gebiete sind in Umlauf ge­ kommen; die wenigsten jedoch verbürgt, gewiß viele entstellt, manche kaum erzählbar. An tüchtigem Volköwitze fehlt es darin nicht. Einesmals trifft Leopold vor dem Thor am Wege einen Soldaten sitzend, der sich Ungeziefers zu entledigen sucht. „Kerl, was machst du da?" ruft er ihn an. Ich lause, antwortet jener barsch; und Leopold, indem er in die Tasche greift, versetzt zufrieden: „Da thust du wohl, mein Sohn! Nimm da den Thaler, und kauf dir ein neues Hemd!" Dies hat ein zweiter Soldat mit angesehn, eilt verstohlen vorvaus, und fetzt sich eine Strecke weiter, wo Leo­ pold sogleich vorbei muß, in gleicher Beschäftigung am Wege hin. Aber der Schnurrbart hat schon die ganze Sache durchschaut; „Was machst du, Kerl?" fragt er auch diesen, und behend: „Ich suche Läuse," antwortet der, des Thalers schon gewiß. „So?" versetzte Leopold, „Nun da geh nur — mit der Hand zurückzeigend — zu dem dort, der hat welche." Immer war Leopold in Bewegung, überall spürte er selbst umher, sah und hörte, «aö geschah, und wenn er nicht aller Orte» gegenwär­ tig sein konnte, so war doch nirgends auf seine Ab­ wesenheit zu rechnen. Wo man ihn am wenigsten erwar-

305 erwartete, trat er plötzlich hervor, ost au« der un­ kennbarste» Verkleidung. Einst hatten junge Des­ sauer, um nicht Soldaten zu werden, in Sachsen «inen Schlupfwinkel gewählt, wo schon ost Aus­ reißer den schärfsten Nachsuchungen entkommen waren. Im Gefühl ihrer Sicherheit saßen sie gutes Muthes beim Wirth und tranken, ein Leier­ mann spielte lustige Stückchen auf. Plötzlich hieß es, Leopold komme mit Soldaten, wie er denn in solchen Fällen auf die Landesgränzen nicht sonder­ lich zu achten pflegte. Der Wirth schob die ganze Gesellschaft in einen unterirdischen Keller, dessen Eingang von außen nicht zu entdecken «ar, und empfahl die tiefste Stille, bis der Sturm vorder wäre. Zm Augenblick war das Wirthshaus von preußischen Truppen erfüllt, mit Toben und Flu­ chen wurde jeder Winkel durchsucht, der Wirth verhört und bedroht, doch keine Nachforschung wollte zum Zwecke führen. Schon hofft« man, die wilden Gäste unverrichteter Sache, wie schon öf­ ters, sich zum Abzüge anschicken zu sehn. Da ließ plötzlich der Leiermann sein Spiel erklingen, und verrieth den geheimen Zufluchtsort. Die Beängsteten fuhren auf, sie drohten ihn umzubringen, wofern er noch einen Laut hören lasse. Er aber spielte mit stärkster Gewalt fort, und schrie dann Preuß. Denkmale, i.

so

306 mit einer Donnerstimme innen die Erschreckten und seine Leute draußen