Biogas – Macht – Land: Ein politisch induzierter Transformationsprozess und seine Effekte [1 ed.] 9783737006798, 9783847106791


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Biogas – Macht – Land: Ein politisch induzierter Transformationsprozess und seine Effekte [1 ed.]
 9783737006798, 9783847106791

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Franziska Sperling

Biogas – Macht – Land Ein politisch induzierter Transformationsprozess und seine Effekte

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7370-0679-8 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de D.30  2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Daniela Duckhorn / Canard-Corne-Design

The point of departure for this inquiry is the belief that any technology represents a cultural invention, in the sense that it brings forth a world, it emerges out of particular cultural conditions and in turn helps to create new ones. Anthropologists might be particularly well prepared to understand these processes if they were open to the idea that science and technology are crucial arenas for the creation of culture in today’s world. Anthropologists must venture into this world in order to renew their interest in the understanding and politics of cultural change and cultural diversity. Arturo Escobar, Welcome to Cyberia (1994)

Inhalt

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Kapitel 2: Energiewirtschaft und Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . Deutsche Energiepolitik: Energiewende, EEG, Atomausstieg . Die Forschungsregion: Einbettung in landwirtschaftliche Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 3: Re-energizing Anthropology : Ein Forschungsprogramm . . Geschichtlicher Rückblick: Die Anthropologie und Energie . Energie und die Anthropologie politischer Felder . . . . . . Anthropology of Energy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energopower und Energopolitics . . . . . . . . . . . . . . . . Messiness: Die Energiewende und daraus entstehende Paradoxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Energopractices als Forschungsmethode . . . . . . . . . . .

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41 43 46 53 56

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63 69

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Kapitel 5: Forschungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Technische Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsgegenstand: Energiewirtschaft und Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . Re-energizing Anthropology . . . . . . . . . . . Zum Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 4: Forschungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . Re-energizing Anthropology : Ein Forschungsfeld in Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Temporalisierung der Feldforschung: Die einzelnen Feldphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsprinzipien und Auswertungstechniken . Tabellarische Übersicht der Gesprächspartner . . .

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Inhalt

Politische Rahmengestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom konventionellen Landwirt zum Biogasanlagenbetreiber . Porträts einzelner Landwirte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ökonomische Aspekte: Kreditvergabe und Versicherung bei Biogasanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modernes Unternehmertum in konservativ geprägter Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Feldakteure und Feldaktanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Biogas . . . . . . Die Position der Stadt- und Heimatpflege . . . . . . . . . . . Umwelt- und Naturschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vielschichtigkeit der Effekte durch Energieerzeugung mittels Biogas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Fallbeispiel eines Bioenergiedorfes . . . . . . . . . . . . . Kleinschwalbenheim und seine Energiegeschichte . . . . . . Wissen und Expertensysteme in Kombination mit dörflicher Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

108 137 148 171 187 200 200 214 225 238 266 268 272

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Kapitel 7: Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 6: Energo-Formationen: Biogas – Macht – Land . . . . . . . Formationen bestehender Energopower . . . . . . . . . . . Formationen bestehender Energopolitics . . . . . . . . . . Beobachtbare Energopractices: Handlungsweisen, Effekte, Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Entstehen neuer Energo-Formationen . . . . . . . . .

Kapitel 1: Einleitung

Forschungsgegenstand: Energiewirtschaft und Landwirtschaft Wenn man kritische Zeitdiagnosen ernst nehmen möchte, so sind die drei großen Referenzrahmen globaler Organisation – soziale, ökonomische, ökologische Systeme – in Bewegung. Zukunft, Richtung und Veränderungen erscheinen ungewiss. Sicher ist nur, dass keiner dieser Bereiche ohne Energie auskommen wird. Daher reicht es nicht mehr aus, Energie einfach als Teil anderer politischer Programme (Bildung, Arbeit, Sozialstaat, Gesundheit etc.) zu begreifen. Energieversorgung, Energieverbrauch und Energiesicherheit sind zentrale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das Zeitalter des billigen Öls, der billigen Kohle und des billigen Urans neigt sich dem Ende zu (vgl. Meadows/ Meadows/Randers 1998). »Peak Oil«, das Überschreiten des globalen Ölfördermaximums, und das daraus resultierende postfossile Zeitalter sind gute Beispiele dafür, wie sich Energie machtvoll in politische und gesellschaftliche Diskurse einschreibt. Derzeit existieren unterschiedliche Möglichkeiten, Energie zu produzieren – ressourcenschonende und weniger ressourcenschonende, risikoreiche und weniger risikoreiche. Gesellschaften und politische Akteure müssen sich vor dem Hintergrund von unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben zwischen den verschiedenen Optionen entscheiden, je nachdem, welches Risiko sie bereit sind zu tragen. In Deutschland wurde mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien im Rahmen der Energiewende der Weg »in eine sichere, umweltverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft« (BMWi 2014) geebnet. Am 9. Juli 2015 gab das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) bekannt, unter dem Namen »Energetische Biomassenutzung« Forschung und Entwicklung zur kosten- und energieeffizienten Nutzung von Biomasse im Strom- und Wärmemarkt auch weiterhin zu fördern.1 In der Vorbemerkung dieser Erklärung wird die politische Aufgabe der Energiewende hervorgehoben: 1 Bundesanzeiger vom 21. Juli 2015.

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Einleitung

»Eine der aktuell größten politischen Herausforderungen besteht in der erfolgreichen Umsetzung der Energiewende, die neben dem Atomausstieg den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Steigerung der Energieeffizienz umfasst. Mit der Energiewende soll die Energieversorgung klima- und umweltverträglicher gestaltet werden und die Abhängigkeit von Energieimporten reduziert werden. Gleichzeitig soll die Energieversorgung bezahlbar und verlässlich bleiben.« (Bundesanzeiger 2015)

Dass die Energiewende viel mehr ist als die schlichte Umsetzung eines politischen Programms, macht der US-amerikanische Politikwissenschaftler und Journalist Paul Hockenos deutlich. Er schreibt in seinem Artikel »The Energiewende« vom 15. 11. 2012 in der Wochenzeitung Die Zeit: »In diesen Tagen hält das deutsche Wort ›Energiewende‹ Einzug in die englische Sprache, wie vor langer Zeit angst und sauerkraut. Selbst die New York Times und der Economist benutzen es mittlerweile, wenn von Deutschlands historischem Plan die Rede ist, auf eine grüne, von erneuerbaren, nichtnuklearen Energiequellen gespeiste Wirtschaft umzustellen. Sein Debüt im englischen Sprachraum feierte der Ausdruck im Bostoner Christian Science Monitor, der am 26. April 2011 unter dem Eindruck der Nuklearkatastrophe von Fukushima ironisch bemerkte: ›Kanzlerin Angela Merkel verwendet den Ausdruck ›Energiewende‹, als handle es sich um eines ihrer letzten Wahlkampfthemen.‹« (Hockenos 2012)

Hockenos bezeichnet Deutschlands Vorhaben im Zuge der Energiewende weiter als »völlig einzigartig […], zumindest für ein industrielles Schwergewicht seines Kalibers« (Hockenos 2012). Deutschland poliere nicht nur sein Image mit einer Palette modischer erneuerbarer Energieträger auf, mehr noch, es arbeite darauf hin, gänzlich auf Kernenergie zu verzichten und sich nur mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Gleichzeitig versuche Deutschland die EU-Vorgaben zur Verringerung der Kohlendioxidemissionen einzuhalten, ohne dabei seine Exportstärke zu verlieren, so Hockenos. Aus diesem Grund sind für den amerikanischen Autor Übersetzungen wie energy transition (Energieübergang) oder energy switchover (Energiewechsel) für die deutsche Energiewende »einfach zu läppisch«. Hockenos postuliert, dass »ein Wandel dieses kolossalen Ausmaßes« in Anlehnung an Jeremy Rifkin (2011) eher als »dritte industrielle Revolution« beschrieben werden kann. Denn wenn sich unsere Energieträger ändern, verändert sich alles: der Verkehr, die Landwirtschaft, die Industrieproduktion, die städtische Architektur, die Wirtschaft, die Ressourcenverteilung, die auswärtigen Beziehungen, die Demokratie – und noch vieles mehr. Die Energiewende ist also ein Beispiel dafür, dass Energie im weitesten Sinne und Energiepolitik im engeren Sinne kultur- und gesellschaftsprägende Auswirkungen und Veränderungen mit sich bringen.2

2 Hockenos hebt im Fall Deutschlands die positive Konnotation des Wortes »Wende« hervor,

Forschungsgegenstand: Energiewirtschaft und Landwirtschaft

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In den letzten zehn Jahren sind im Zuge jener Energiewende in Deutschland knapp 8000 Biogasanlagen entstanden. Diese im Entstehen begriffene Technologie ist Forschungsgegenstand der vorliegenden Studie. Ihr Ziel ist es, am Beispiel eines bisher stark durch konventionelle Landwirtschaft geprägten Raumes die Transformation des ländlichen Raums empirisch darzustellen, der verursacht wird durch den Ausbau von erneuerbaren Energien. Dabei interessieren vor allem Effekte, Konsequenzen und Nebenfolgen dieser energiepolitisch induzierten Transformationen im Rahmen jener Energiewende. Energiewirtschaft und Landwirtschaft sind im Forschungsgegenstand dieser Studie aufs Engste miteinander verzahnt, da die im Entstehen begriffene Technologie der Energieerzeugung mittels Biogas – im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energieformen wie Windkraft und Photovoltaik – unmittelbar mit landwirtschaftlichen Produktionstechniken und -mechanismen verknüpft ist. Es geht also auch darum, hervorzuheben, dass hier die Verbindung einer Energieproduktionstechnologie und deren Materialität3 erlaubt, Schlüsse auf ungewollte Effekte und Nebenfolgen zu ziehen. Wegen der sehr hohen Dichte von Biogasanlagen, die so nirgendwo in Deutschland zu finden ist, wird der Landkreis Donau-Ries häufig als »BiogasWeltmeister« bezeichnet (vgl. Alt 2011, 198). Für den Leser dürfte nachvollziehbar sein, dass eben jene Biogasanlagen in der Landschaft der Forschungsregion Nördlinger Ries, welche geographisch einen Großteil des Landkreises ausmacht und als »Kornkammer Bayerns« bekannt ist, dem jeweiligen Betrachter stark ins Auge stechen. Daher kommt es in diesem Zusammenhang vor Ort häufig zu Problemen und Konflikten, die vielschichtig gelagert sind. Verfolgt man die derzeitige politische Diskussion zur Energiewende in Deutschland und insbesondere zur bioenergetischen Landnutzung, ist offensichtlich, dass die Produktion und der Ausbau erneuerbarer Energien starke Veränderungen auslösen: Auf der einen Seite entstehen Chancen und Risiken hinsichtlich der jeweiligen Landnutzung, auf der anderen Seite führt dies zu weitreichenden Auswirkungen auf die Infrastrukturen dieser Regionen. Der Boom der Biogasenergieerzeugung in der Forschungsregion hat seinen Ursprung in einem politischen Steuerungsinstrument: dem EEG (ErneuerbareEnergien-Gesetz). Anlagenbetreiber erhalten 20 Jahre lang eine festgelegte Vergütung für ihre erzeugte Energie. Die Vergütungssätze sollen einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen ermöglichen und sind nach Technologien und das sich deshalb dafür eigne, einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel Durchsetzungspotential zu verleihen. 3 In einer kritischen kulturanthropologischen Perspektive bedeutet der Blick auf Materialität(en) längst nicht nur die Auseinandersetzung mit Dingkultur, sondern die Einbeziehung materieller Bedingungen wie Umwelt(en) (Boden, Umgebungen, Klima), Infrastrukturen, rechtliche und politische Voraussetzungen, Räume und der Einsatz konkreter Technologien.

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Einleitung

Standorten differenziert. Gefördert wird die Erzeugung von Energie aus: Wasserkraft, Deponiegas, Klärgas und Grubengas, Biomasse, Geothermie, Windenergie, Solarenergie (vgl. EEG 2012). Bereits im Jahre 2000 wurde das EEG eingeführt, und zwar mit dem Ziel, »im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und den Beitrag Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung deutlich zu erhöhen« (EEG 2014, 7). Die Verknüpfung von garantierter Abnahme und garantierten Vergütungssätzen hat das EEG zu einem hoch effektiven politischen Steuerungsinstrument und Ordnungsprinzip der deutschen Energiewende werden lassen. Für diese Studie ergibt sich jedoch die große Herausforderung, ein für Wissenschaft, Technik und Kultur gültiges Konzept von Energie zu finden. Der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman konstatierte bereits in den 1960er Jahren: »It is important to realize that in physics today, we have no knowledge of what energy is. We do not have a picture that energy comes in little blobs of a definite amount« (Feynman et al. 1966, 59). Selbstverständlich gebe es Formeln, um eine numerische Menge, die immer konstant ist, zu berechnen. Aber nach Feynman ist dieses Zahlengemenge eine abstrakte Sache, die uns nichts über die Mechanismen und Ursachen der Sachverhalte erzählt, die die verschiedenen Formeln beschreiben. Energie wird daher in der vorliegenden Studie als Ressource, Konsumgut und nach der US-amerikanischen Anthropologin Laura Nader als Phänomenbereich zugleich gefasst. In einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Ressourcenbegriff weist die Kulturanthropologin Gisela Welz darauf hin, dass Ressourcen nicht der menschlichen Praxis vorgelagert sind, sondern vielmehr stets durch Technologien, Diskurse, Wissen und Recht produziert werden (vgl. Welz 2015). Dies gilt auch für das Verständnis des Begriffs in dieser Studie.

Re-energizing Anthropology Seit Beginn der Menschheit befinden wir uns in andauernden Transformationsprozessen, bloß hat sich die Geschwindigkeit der Veränderungen vor allem innerhalb der letzten 200 Jahre durch die Industrialisierung immer mehr beschleunigt. Diese zunehmende Beschleunigung der Wandelprozesse wurde vor allem im Bereich der Energie(-forschung) kaum berücksichtigt (Nader 2013, 319). Heute rücken insbesondere die Katastrophen, Engpässe und Konflikte, die in diesem Zusammenhang entstehen, in den Vordergrund. Als zentraler Faktor des 21. Jahrhunderts ist Energie wesentlicher Bestandteil alltäglicher Praktiken, politischer Kalküle, technologischer Entwicklungen, mechanischer und netzbasierter Handlungsmacht sowie umfassender Natur- und Umweltgestaltung.

Re-energizing Anthropology

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Bei der Auseinandersetzung mit dem Phänomenbereich Energie handelt es sich also um ein »emerging field« anthropologischer Forschung, das sich einerseits als ein ununterbrochen im Wandel befindliches anthropologisches Forschungsfeld zeigt und sich andererseits als ein neues theoretisches Feld anthropologischer Auseinandersetzung darstellt. Mit der Formulierung »Re-energizing Anthropology«, die Strauss et al. (2013) entnommen und in dieser Arbeit weiterentwickelt wurde, ist Folgendes gemeint: Die Anthropologie blickt zum einen auf einen »neuen«, bisher kaum beachteten Phänomenbereich – nämlich Energie, zum anderen und zugleich folgt daraus ein Re-energizing der Anthropologie, also die Aufgabe, mit neuen Forschungskonzepten und Forschungsansätzen das Phänomen Energie zu untersuchen. Dieser Studie liegt daher die These zugrunde, dass der Fokus der Analyse auf Energo-Formationen eine spezifische Zugangsweise zu Veränderungen angestoßen hat, die durch Energie-Technologien und -Politiken entstanden sind. Gleichzeitig handelt es sich hier um einen neuen Zweig der Anthropologie. Es geht bei der Beforschung von Energo-Formationen darum, neue Denkweisen über den Einsatz moderner Macht aufzuzeigen und danach zu fragen, wie Energie und Infrastrukturen mit Institutionen und Ideen politischer Macht einhergehen und sich wechselseitig verändern (Boyer 2011 und 2014, Coronil 2011, Drackl8/Krauss 2011, Howe 2011, Nader 2011, Rogers 2011, Szeman 2014). Der US-amerikanische Anthropologe Dominic Boyer, der diese Forschungsrichtung maßgeblich prägt, postuliert, dass anthropologische Forschungen über Energo-Formationen die Beziehungen zwischen den Logiken der Energieentwicklung, vorhandenen sozialen Einrichtungen, neuen Technologien, den geschichtlichen Begebenheiten der politischen Beziehungen und dem kulturellen Verständnis von Energie in den Blick nehmen, denn diese sind »vitally important forces affecting the pathways of energy transition« (Boyer 2011, 5). Atomkatastrophen, das Zurneigegehen der fossilen Brennstoffe, der Klimawandel und Umweltverschmutzungen haben die Grundlagen des heutigen biopolitischen Regimes in einer Weise erschüttert, dass sich neue Bedrohungen auftun, die die Menschheit vor unbekannte Herausforderungen stellt (vgl. Boyer 2014, 322f., Nader 2013, Strauss et al. 2013). Angesichts des heutigen wissenschaftlichen Konsenses über den anthropogenen Klimawandel, angesichts zunehmender gewaltsamer Konflikte aufgrund immer knapper werdender Energieressourcen sowie angesichts global wachsender Bemühungen, den Ausbau regenerativer Energieformen voranzutreiben, scheint es höchste Zeit, so Boyers eindringlicher Aufruf, eine Anthropology of Energy zu konzipieren. Auf dem Spiel steht ein alternativer Weg zum Verständnis der Wirkungsweise moderner Staaten und politischer Ökonomie. Obwohl wir uns im Zeitalter des Klimawandels, der Energiekrise(n) und der Energiewende(n) befinden, blieb die außerordentliche Bedeutung von Energie als integrierende Kraft für alle anderen Formen und

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Einleitung

Institutionen moderner Macht gerade in anthropologischen Forschungen auffällig randständig (vgl. Boyer 2011, 5).4 Dabei ist offensichtlich, dass sich politische Kultur nicht außerhalb ihrer jeweiligen energiepolitischen Ausgangslage denken lässt und dass sie sich in der Notlage, in der sie sich befindet, hartnäckig an den Wunsch nach Beständigkeit und Dauerhaftigkeit sowie an die Vergangenheit klammert. Hier setzt das Konzept der Energo-Formationen an: Hinsichtlich dieser Entwicklungen entwickelt Boyer die Konzepte Energopower und Energopolitics. Eine Anthropology of Energy will daher untersuchen, wie Voraussetzungen von Biomacht (dem Regieren über das Leben und die Bevölkerung) heute in grundlegenden Punkten mit Modalitäten der Energopower (der Nutzung von Elektrizität und Treibstoff) einhergehen und vice versa. Diese Vorstellung stellt eine Übertragung der Foucaultschen Konzepte der Biomacht und Biopolitik auf Energopower und Energopolitics dar, rückt aber die zentrale Rolle von Energie in den Mittelpunkt. Die vorliegende Studie fokussiert die Auswirkungen und Effekte des politisch induzierten Transformationsprozesses und dessen Politiken im Bereich der erneuerbaren Energien auf Energieversorgung mittels Biogas. Als strukturierendes Ordnungsprinzip schafft das EEG Räume für soziale und kulturelle Transformationsprozesse und Innovationen (vgl. Shore/Wright 1997, 2011). Weiterhin werde ich zeigen, wie Politiken (im Folgenden als Policies bezeichnet) durch einzelne Akteure und Gruppen inkorporiert werden, aber auch wie mit diesen und innerhalb dieser experimentiert wird und wie sich soziale und kulturelle Dynamiken entwickeln und aneinander reiben. Die andauernden Infrastrukturierungsprozesse, die von den verschiedenen Akteuren, Technologien und normativen wie moralischen Ordnungen ermöglicht, hervorgebracht, verworfen oder auch umgangen werden, rücken in der vorliegenden Studie in den Mittelpunkt. Damit werden lernende Prozesse betont, die nicht nur auf Feedback antworten, sondern sich in und durch die Prozesse verändern, die sie durchlaufen (vgl. Niewöhner 2014). Die Analyse der Energo-Formationen ermöglicht, dass bei diesen Transformationsprozessen im Rahmen der Energiewende politische Machtkonstellationen nicht vernachlässigt werden (vgl. Boyer 2011 und 2014, Drackl8/Krauss 2011, Beck 2013). Wie der Titel der vorliegenden Arbeit »Biogas – Macht – Land« bereits suggeriert, werden – ausgelöst durch eine im Entstehen begriffene Technologie, nämlich Energieproduktion aus Biogas – machtvolle und wirkungsmächtige Aushandlungsprozesse um Land(wirt)schaft in den Blick genommen. Anhand der vorliegenden Fallstudie lässt sich verdeutlichen, welche zentrale Rolle Energie in politischen Feldern übernimmt. Zugleich lassen sich genuine 4 Dominic Boyer bezieht sich nicht explizit auf die deutsche Energiewende. Er spricht vielmehr allgemein von mehreren notwendigen »energy transitions« in einem globalen Kontext.

Re-energizing Anthropology

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Besonderheiten bei Aushandlungs- und Transformationsprozessen von »Energie« ausmachen, die lange Zeit von sozialwissenschaftlichen Theorien nur nebensächlich berücksichtigt oder als Teil größerer Machtkalküle beschrieben wurden. Vielleicht ließe sich die Forschung auch schlicht mit Begriffen von Macht, Politik und Praxis beschreiben. Doch mit dem Präfix Energo- soll gerade nicht von verschiedenen (unübersichtlichen) Gefügen politischer Felder ausgegangen werden, in denen das Thema »Energie« gelegentlich als Einzelaktion auftaucht, sondern dieses vielmehr akzentuiert durch eine kulturanthropologische Auseinandersetzung beschrieben werden. Im Fokus dieser Studie sollen daher wirkungsmächtige Verbindungen zwischen politischen, ökonomischen, kulturellen und gesellschaftlichen Ordnungsprozessen offengelegt werden. Darüber hinaus wird hinterfragt, wie diese sich entwickeln oder gar ignoriert und ausgeschlossen bleiben konnten. Deutlich wird dies mehrfach in der vorliegenden Studie anhand der messiness (vgl. Beck 2013) – der Unordnung der Energiewende – mit all ihren unbeabsichtigten Nebenfolgen und Effekten. Diese messiness lässt das Feld der Energo-Formationen zu einem idealen Forschungsfeld für eine politisch informierte Anthropologie werden. Letztlich wird in dieser Studie ein bestimmter Implementierungsprozess, nämlich die Implementierung der Biogastechnologie, in einem bestimmten Zeitabschnitt unter/mit bestimmten Voraussetzungen dargestellt und weiterhin beschrieben, wie sich Akteursgruppen dazu verhalten. Es entstehen in diesem Zusammenhang immer wieder neue Opportunitätsstrukturen5 mit neuen Praxisformen und dadurch wiederrum neue moralische Ordnungsprinzipien wie Bewertungen, was gut bzw. richtig ist. Beispielsweise ergibt sich die Fragestellung, auf welche Weise mit der Energieproduktion aus Biogas ein nachhaltiger und umweltschonender Umgang mit der Natur entwickelt werden kann. Dabei geht es darum, wie in einer bestimmten definierten Situation – also regional, kulturell, institutionell, gesetzlich – verschiedene Akteure reagieren und miteinander in Interaktion treten. Da das EEG alle drei Jahre eine Neuauflage erfährt, ändern sich auch diese Opportunitätsstrukturen ununterbrochen. Daher lässt sich diese exemplarische Fallstudie auf den Untersuchungszeitraum und die zu diesem Zeitpunkt zugrunde liegenden Rahmenbedingungen eingrenzen. Mit der Perspektive, sowohl Institutionen und politische Programme als auch individuelle Handlungsfähigkeit in den Blick zu nehmen, liefert eine politisch orientierte Kulturanthropologie genuine Beiträge zum vielfach verflochtenen Feld von Energienutzung, -versorgung, -regelung und 5 Robert K. Merton (1938, 1968a) entwickelte das Konzept der Opportunitätsstruktur. Hierbei stellt er die strukturellen Zwänge der Handlungssituation von Akteuren in den Mittelpunkt. Damit rückt die Ungleichverteilung der Bedingungen in den Vordergrund, die Individuen und Gruppen mit verschiedenen Handlungsmöglichkeiten ausrüstet, gewisse Ziele zu erreichen, also Chancen zu ergreifen (vgl. Mackert 2010, 402).

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Einleitung

-verbrauch sowie Energiesicherheit. Die Implementierung neuer Technologien und daraus entstehende neue Opportunitätsstrukturen machen den exemplarischen Charakter der Fallstudie deutlich. Die vorliegende Studie versucht nicht darzustellen, was zukünftig mit Energiepolitik in Deutschland aus politikwissenschaftlicher Perspektive geschehen wird. Vielmehr interessiert aus einer kulturanthropologischen Sicht, wie Energo-Formationen verschiedene Akteure in Situationen, in denen sie ein bestimmtes kulturelles, ökonomisches oder soziales Repertoire haben, zusammenführen, diese miteinander reagieren und interagieren lassen und wie dadurch etwas Neues entsteht oder auch nicht. Die Aussagereichweite und der Fokus der vorliegenden Studie beziehen sich daher stärker auf Erklärungen und Sinngehalte über Technikeinsatz im Rahmen von Energo-Formationen und weniger auf die (politische) Zukunft der Energiewende in Deutschland. Dieser Studie liegt eine Doppelbewegung zugrunde. Sie zeigt, dass es sich bei der anthropologischen Auseinandersetzung mit Energie nicht nur um ein dynamisiertes Forschungsfeld handelt, sondern dass diese zugleich eine Dynamisierung des Faches Kulturanthropologie bedeutet. Anthropologisch Forschen heißt hier das Aktuelle, den Moment der Bewegung in den Blick zu nehmen und eine Anthropologie des Zeitgenössischen (Rabinow 2008) zu betreiben.

Zum Aufbau Kapitel 2 fokussiert den Zusammenhang zwischen Energiewirtschaft und Landwirtschaft. Energieerzeugung mittels Biogas ist eine Technologie, die sich neben Photovoltaik und Windkraft in das Spektrum der erneuerbaren Energien eingliedern lässt und deren Ausbau maßgeblich durch das Projekt der Energiewende in Deutschland vorangetrieben wird. Um außerdem Rückschlüsse auf die landwirtschaftlichen Begebenheiten der Forschungsregion ziehen zu können, spielen agrarpolitische gesetzliche Regelungen wie die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) eine wichtige Rolle. Weiterhin weist die Forschungsregion hinsichtlich Energieerzeugung mittels Biogas geographische und geologische Besonderheiten auf. Kapitel 3 fokussiert die dieser Studie zugrunde liegenden Forderungen einer Re-energizing Anthropology, nämlich einerseits, sich mit einem »neuen« Phänomenbereich zu beschäftigen, den die anthropologischen Disziplinen bisher kaum beachtet haben: Energie. Andererseits folgt daraus ein theoretisches wie methodisches Re-energizing der Anthropologie, also die Aufgabe, eben jenes Phänomen Energie mit neuen Forschungskonzepten und Forschungsansätzen zu beforschen. Vor allem die lebensweltliche Bedeutung von Energie – also etwa

Zum Aufbau

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die Nutzung im Alltag – und die starke und nahezu omnipräsente Diskursivierung des Themas Energie verlangen geradezu nach einer kritisch-dekonstruierenden kulturanthropologischen Bearbeitung. Hierfür soll das vielsprechende Forschungskonzept der Energopower und Energopolitics herangezogen und mit der praxeologischen Forschungsmethode Energopractices für meine Studie fruchtbar gemacht werden. Die anschließenden Überlegungen zum Forschungsprogramm einer Anthropology of Energy fokussieren insbesondere Transformationsprozesse hinsichtlich ihrer Interdependenz mit Ebenen der energie-, agrar-, umwelt- und strukturpolitischen Entscheidungsfindung und institutionellen Gestaltung. Dazu gehört beispielsweise die Frage, wie durch gesetzliche Rahmenbedingungen moderne Technologien der Energieerzeugung und -nutzung im ländlichen Raum vorangetrieben werden und wie sich diese lokal manifestieren. In Kapitel 4 arbeite ich mein methodisches Vorgehen einer multi-sited-Feldforschung in Hinblick auf ein Forschungsfeld in Bewegung im Sinne einer Reenergizing Anthropology heraus. Auch für das methodische Vorgehen haben die nicht immer sofort offensichtlichen Nebenfolgen der Energieerzeugung mittels Biogas einen wichtigen Stellenwert. In Kapitel 5 stelle ich meine empirischen Befunde dar. Hierfür wurde dieses Kapitel in vier thematische Schwerpunkte eingeteilt: Technische und rechtliche Rahmenbedingungen (1), Vom konventionellen Landwirt zum Biogasanlagenbetreiber (2), Feldakteure und Feldaktanten (3) und Das Fallbeispiel eines Bioenergiedorfes (4). Vor allem weil in den nachfolgenden Kapiteln die Produktionsabläufe bei Energieerzeugung aus Biogas eine Rolle spielen, werde ich zunächst Technik und Funktionsweise einer Biogasanlage (1) skizzieren. Weiterhin werden hier der politische Entscheidungsfindungsprozess in Bezug auf das ErneuerbareEnergien-Gesetz (EEG), die beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungsweisen in der Forschungsregion, die unterschiedlichen beteiligten Akteursgruppen und die verschiedenen Aushandlungsprozesse, Diskurse und Handlungslogiken zu energiepolitischen Fragen auf europäischer und nationaler Ebene fokussiert. Veränderungen in der deutschen Landwirtschaft illustrieren, dass sich in der Forschungsregion viele Landwirte nach anderen Tätigkeitsfeldern wie dem Biogassektor umsehen (2). Fünf ausgewählte Porträts veranschaulichen bestimmte Handlungsoptionen der Betriebsführung einzelner Landwirte. Der Bau und Betrieb von Biogasanlagen ist sowohl eingebunden in Aspekte der Finanzierung als auch Kriterien der Versicherung. Außerdem ist durch die Biogasbranche ein zunehmend junges und modernes Unternehmertum in der sonst eher konservativen Forschungsregion entstanden. Aber Energieerzeugung aus Biogas hat nicht nur positive Effekte in der Forschungsregion (3). Durch Widerstände der Bevölkerung

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Einleitung

gegen Biogasanlagen und deren Betreiber bilden sich Bürgerinitiativen mit »Wutbürgern« (vgl. Sperling 2012), die sich in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlen. Im Übrigen werden in der Bevölkerung Befürchtungen und Sorgen in Bezug auf den Erhalt der Landschaft in der Forschungsregion laut, die aufgrund der Energieproduktion aus Biogas aufkommen. Zudem tun sich aus Sicht des Umwelt- und Naturschutzes ökologische Bedrohungen und Gefahren auf: Die Artenvielfalt geht zurück, die Landschaft verändert sich zunehmend und Lebewesen sind in Gefahr. Weitere unbeabsichtigte Effekte, die mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit der Biogasanlagenbetreiber zusammenhängen, sind unter anderem die stark gestiegenen Pachtpreise der Anbauflächen in der Forschungsregion und die daraus entstandenen Konflikte zwischen konventionellen Landwirten und Biogasanlagenbetreibern. Am Beispiel eines Bioenergiedorfes (4) in einem traditionell landwirtschaftlich bewirtschafteten Raum in Bayern lässt sich jedoch zeigen, wie sich eine Gemeinde mit 70 Haushalten durch die Biogastechnologie mit Strom und Wärme selbst versorgt und somit die Akzeptanz innerhalb einer Gemeinde gestärkt werden kann. Technologisierung, ökonomische Unabhängigkeit und ökologische Aspekte werden hier unter Rückgriff auf lokal gebundene Voraussetzungen der sozialen Koordination vorangetrieben. Das dargestellte Ineinandergreifen unterschiedlicher Strukturen verdeutlicht die Voraussetzungen des Wandels hin zu einer dezentralen, lokal eingebetteten Energieerzeugung. In Kapitel 6 nehme ich eine Übertragung der in Kapitel 3 vorgestellten theoretischen Konzepte auf die eigenen Forschungsergebnisse vor und diskutiere diese hinsichtlich der eingangs gestellten Aufforderung einer Re-energizing Anthropology. Es geht dabei in Anlehnung an Überlegungen von Dominic Boyer (2011 und 2014) und Stefan Beck (2013) darum, welche Formationen von Energopower, Energopolitics, Energopractices sich am Beispiel der Energieerzeugung mittels Biomasse in der Forschungsregion manifestieren. Zum anderen werden die Besonderheiten der Energieerzeugung anhand von Biogas erörtert, um Rückschlüsse auf Entwicklungen zu ziehen, die auf die Energiewende in Deutschland allgemein zutreffen. Schließlich geht es hier nicht nur um Energiepolitik als neues Themenfeld für kulturanthropologische Forschungen, sondern auch darum, wie die unterschiedlichen Formen des Energieproduzierens aufgrund verschiedener Machtkonstellationen Infrastrukturen hervorbringen oder verhindern und daher unterschiedliche Effekte nach sich ziehen (vgl. Boyer 2011 und 2014, Beck 2013, Niewöhner 2014). In Kapitel 7 fasse ich die durch den politisch induzierten Transformationsprozess entstandenen politischen Bezüge hinsichtlich des Ausbaus erneuerbarer Energien am Beispiel Biogas zusammen. Hierbei spielen entsprechend des Titels

Zum Aufbau

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dieser Studie »Biogas – Macht – Land« machtvolle und wirkungsmächtige Aushandlungsprozesse um Land(wirt)schaft durch die Implementierung der im Entstehen begriffenen Technologie, Energieproduktion aus Biogas, eine Rolle.

Kapitel 2: Energiewirtschaft und Landwirtschaft

Deutsche Energiepolitik: Energiewende, EEG, Atomausstieg Energieerzeugung mittels Biogas ist eine Technologie, die sich neben Wind- und Sonnenenergie, Wasserkraft und Geothermie in das Spektrum der erneuerbaren Energien eingliedern lässt. Dieses Kapitel greift daher die gesellschaftlichen Ereignisse und die politischen Steuerungs- und Förderinstrumente auf, die zum Ausbau dieser neuen Energieformen führen. In dieser Studie geht es vordergründig um die Vielschichtigkeit eines politischen Projekts, welches der britische Journalist Damian Carrington 2012 für die Tageszeitung The Guardian schlicht mit dem Wort »huge« umschreibt.6

Die Energiewende in Deutschland Schon in den 1990er Jahren, als die heutigen Entwicklungen noch nicht vorhersehbar waren, prognostizierte der SPD-Politiker Dr. Hermann Scheer eine Abwendung vom monopolistisch geprägten Energiemarkt und damit einhergehend einen Wandel zur Dezentralisierung der Energiewirtschaft. Diese Prognose war offensichtlich richtig, denn: »Allein im Jahr 2009 investierten Familien deutschlandweit mehr in die Solarstromerzeugung als die vier Stromkonzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall zusammen« (Scheer 2010, 67). Mit der Energiewende wird die ausnahmslose Transformation des Energiesystems eines Industrielandes bezeichnet, das die kohlenstoffbasierte Versorgung mit Energie aufgibt und zu einer nachhaltigen, erneuerbaren Energieversorgung überwechselt, so der Wirtschaftswissenschaftler Klaus-Dieter Maubach (vgl. Maubach 2014). Maubach weist zudem darauf hin, dass die Energiewende eine nötige 6 Carrington schreibt in seinem Artikel mit dem Titel: Germany’s renewable energy revolution leaves UK in the shade: »The ambition of Germany’s change of direction, universally called the Energiewende – energy transformation – is huge« (Carrington 2012).

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und schwierige Aufgabe darstellt, aber gerade in Deutschland leichter durchführbar sein könnte als in anderen Ländern. »Die Energiewende ist eine wichtige und eine gemeinschaftliche Aufgabe für diese und für kommende Generationen. Deutschland hat, vielleicht als eines der wenigen Länder der Welt, das Potential, eine solche Energiewende anzugehen […]. Es wird Kraft und Geld kosten sowie Geduld und Ausdauer brauchen, bis eine fundamentale Transformation des gesamten Energiesystems vollendet sein wird.« (Maubach 2014, XI)

Durch das Energiekonzept der Bundesregierung vom 28. September 2010 (vgl. Bundesregierung 2012) und dem Gesetzespaket zur Energiewende 2011 (vgl. BMWi 2012 und Bundesregierung 2012) liegt eine langfristige politische Strategie für den Klimaschutz und den Umbau zur Nutzung erneuerbarer Energien in Deutschland vor. Das zentrale, übergeordnete Ziel der deutschen Energiewende ist eine strikte Absenkung der Treibhausgas-Emissionen, deren größter Anteil energiebedingte CO2-Emissionen sind. Diese sollen in Deutschland bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 gesenkt werden (vgl. Henning/Palzer 2013). Für die energiebedingten CO2-Emissionen allein bedeutet diese Zielsetzung eine Reduktion um mindestens 85 Prozent bis hin zu einer in letzter Konsequenz nahezu emissionsfreien Energieversorgung. Die dafür wichtigen Maßnahmen sind die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien und die gleichzeitige Steigerung der Energieeffizienz (vgl. Nitsch et al. 2012). Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie7 (BMWi) geht es zusammengefasst also um folgende Ziele: Im Jahr 2022 soll das letzte Kernkraftwerk in Deutschland vom Netz genommen werden. Bis zum Jahr 2050 sollen 80 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien stammen, um unabhängiger von Öl- und Gasimporten zu werden. Im gleichen Zeitraum soll der Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase um 80 bis 95 Prozent gesenkt werden. Ein Hauptaugenmerk der Energiewende liegt auf der Effizienzsteigerung von Energie. Somit soll der Umbau der Energieversorgung zum »Innovationstreiber für den Industriestandort Deutschland« gemacht werden und damit »Wachstum sowie zukunftsfähige, sichere Jobs« schaffen. »Die Energiewende ist unser Weg in eine sichere, umweltverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft« (BMWi 2014). Hierbei wurde laut BMWi bereits einiges erreicht: Bis zu einem Viertel des Stroms stammt aus Wind, Sonne oder Biomasse. Auch der Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase wurde stärker als in allen anderen EU-Mitgliedstaaten bis 2012 gegenüber 1990 um fast 25 Prozent gesenkt. Was den Ausbau der erneuerbaren Energien und den 7 Durch die Bundesregierung unter Angela Merkel wurde das Ministerium 2005 als Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie benannt. Mit der Bildung des Kabinetts Merkel III am 17. Dezember 2013 wurde das Ministerium in Bundesministerium für Wirtschaft und Energie umbenannt. Die Abkürzung ist die gleiche geblieben: BMWi.

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effizienten Umgang mit Energie anbelangt, sind zudem »wichtige neue unternehmerische Geschäftsfelder« entstanden. Deutsche Unternehmen spielen hierbei eine wichtige Rolle und schaffen neue Arbeitsplätze. »Die Energiewende verbindet also wirtschaftlichen mit sozialem und ökologischem Erfolg« (BMWi 2014). Eigentlich klingt das wie eine deutsche Erfolgsgeschichte, die auch einer schnellen, zielstrebigen Umsetzung europäischer Maßnahmen nachkommt. In Europa ist der politische Prozess eines ganzheitlichen Umbaus der Energieversorgung mit der Roadmap 2050 (Energiefahrplan 2050), die im Jahr 2011 verabschiedet wurde, begonnen worden. Dieser schreibt vor, dass alle Staaten ihren Anteil der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050 auf 80 Prozent zu erhöhen haben (Europäische Kommission 2011). Dennoch werden gerade jetzt zahlreiche Widerstände, Konflikte und Probleme in Deutschland im Zusammenhang mit der Energiewende und dem Ausbau der erneuerbaren Energien offensichtlich, so der deutsche Anthropologe Stefan Beck, der hierfür den Begriff messiness nutzt. In der vorliegenden Studie geht es darum, diese messiness – also Unordnung(en) und Paradoxien der Energiewende (vgl. Beck 2013) – anhand von empirischen Beispielen aus meiner Forschung über Energieerzeugung mittels Biogas darzustellen. Ich verstehe in diesem Zusammenhang unter dem Begriff messiness, dass neben (oder gerade durch die Auseinandersetzung mit) den Paradoxien, Konflikten, Widerständen und Unordnung(en) vormals verborgene, als selbstverständlich genommene oder auch unbekannte Infrastrukturen zu Tage treten (vgl. Beck 2013, 2).

Energiewende 2050 und Atomausstieg 2022 Nicht erst seit der Katastrophe von Fukushima ist die Energiewende in Deutschland ein wichtiger Bestandteil politischer Kalküle, aber nach dem Reaktorunglück in Japan 2011 hat sie eine besondere Dynamik erhalten. In den Medien wird gerade deshalb häufig nicht trennscharf zwischen dem Atomausstieg 2022 und der Energiewende 2050 unterscheiden. Selbst die Kanzlerin Angela Merkel verwechselt die Energiewende mit dem Atomausstieg im September 2012 bei ihrer großen Pressekonferenz, als sie sagt, sie sei sicher, Deutschland schaffe die Energiewende, noch blieben zehn, elf Jahre, in denen die gesteckten Ziele erreicht werden können. Ebenso sind in der medialen Darstellung immer mehr Berichte zu finden, in denen die Energiewende als Folge des Atomausstiegs charakterisiert wird, und zwar als eine »übereilte, panikartige Reaktion« (Kemfert 2013, 24) auf das Atomunglück in Japan. Hingegen sind es zwei verschiedene Entwicklungen, konstatiert Claudia Kemfert, Wirtschaftswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Energieökonomie und Leiterin der

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Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Der Atomausstieg wurde im Jahre 2000 unter der rotgrünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder ausgehandelt, mit den Energieversorgungsunternehmen besiegelt und 2002 rechtskräftig. 2021 sollte der letzte Meiler vom Netz gehen und für jedes Kraftwerk wurden damals sogenannte Reststrommengen festgelegt, die es von dem Zeitpunkt an noch produzieren durfte. Seitdem war also beschlossen, dass 25 Prozent des Stroms aus Atomkraft bis 2022 ersetzt werden müssen (Kemfert 2013, 26ff.). Allerdings verlängerte die schwarz-gelbe Regierung 2010 die Laufzeit für Atomkraftwerke zeitgleich mit einem Konzept zum Ausbau der erneuerbaren Energien und machte somit den Ausstieg aus der Atomenergie wieder rückgängig. Unmittelbar danach ereignete sich aufgrund des Atomunglücks in Japan eine neue politische Kehrtwende: der erneute Ausstieg. Claudia Kemfert spricht daher vom »Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg« (Kemfert 2013, 26) aus der Atomenergie, um das politische Debakel zu veranschaulichen. Bereits 1980 veröffentlichte das Ökoinstitut (Institut für angewandte Ökologie) in Freiburg das Buch: »Energie-Wende. Wachstum, Wohlstand ohne Erdöl und Uran. Ein Alternativ-Bericht« und prägte erstmals den Begriff Energiewende. Gerade für deutsche Ohren bekam der zweite Teil des Substantivs Energie-Wende später einen neuen Klang. »Wende« bezeichnet in der politischen Diskussion die Bürgerproteste in der DDR im Jahr 1989, die letztendlich zum Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung führen. Als Folge ist der Begriff Energiewende in Deutschland mit einer einzigartigen Kombination von Wahrheit und Diskurs besetzt: Der Rahmenwechsel in der Energiepolitik gilt nicht nur als grundlegende Veränderung in den Lebensweisen, sondern auch als eine Transformation der politischen Ordnung, Verhaltensweisen, Machtverhältnisse und kosmologischen Orientierungen, nämlich die Beziehung zwischen Natur und Kultur (vgl. Beck 2013, 6). Im Jahre 1980 forderten Krause et al. eine »grundsätzliche und radikale Wende in der Energiepolitik der Bundesrepublik (und der Industriestaaten im allgemeinen)« (Krause et al., 1980, 13). Damals wurde diese umweltfreundliche Politik als revolutionär angesehen und zunächst von der linken, antikonservativen und antikapitalistischen Ökobewegung getragen (vgl. Maubauch 2014, 32ff.). Heute, so ist Claudia Kemfert überzeugt, ist eine nachhaltige Klimapolitik schon lange mehr als ein »Traum von Liebhabern grüner Utopien« (Kemfert 2013, 28). Sie argumentiert, dass eine nachhaltige, moderne Energieversorgung das wirtschaftliche Wachstum ankurbelt, Deutschland zum Marktführer auf dem Gebiet erneuerbarer Energien macht und den Umweltgefahren durch den Klimawandel oder den Atommüll entgegenwirkt (vgl. Kemfert 2013, 29). Wichtigstes politisches Steuerinstrument ist hierfür das Erneuerbare-Energien-

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Gesetz, kurz EEG genannt, das maßgeblich für den Ausbau der Energieproduktion mittels Biogas in der Forschungsregion verantwortlich ist.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) »Ohne politische Förderung wäre das großartige Projekt einer umweltfreundlichen Energiegewinnung undenkbar gewesen« (Kemfert 2013, 61). Einen maßgeblichen Schritt zu diesem Erfolg stellte das Stromeinspeisungsgesetz aus dem Jahre 1990 dar, der Vorläufer des heutigen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), das den Betreibern der ersten Wind-, Solar- und Biomasseanlagen eine sichere Abnahme des Stroms zu festen Abnahmepreisen garantierte. Die Preise liegen über dem normalen Marktpreis des Stroms. Somit wurde der Bau neuer Anlagen vereinfacht und die anfänglich hohen Innovationskosten besser kalkulierbar. »Zweck dieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer Effekte zu verringern, fossile Energieressourcen zu schonen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu fördern.« (EEG 2014 § 1, 1)

Nach § 1 Absatz 2 des Gesetzes für den Vorrang erneuerbarer Energien sollen bis zum Jahr 2020 mindestens 35 Prozent des Bruttostromverbrauchs durch erneuerbare Energien erzeugt werden, der Anteil an Strom aus regenerativen Energien soll also gegenüber 2013 um weitere 11 bis 12 Prozentpunkte steigen. Bis 2050 sollen, wie bereits erwähnt, sogar 80 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Weitere Zwischenziele für einen Ausbaukorridor der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sind folgendermaßen festgelegt: 40 bis 45 Prozent im Jahr 2025 und 55 bis 60 Prozent im Jahr 2035 (vgl. EEG 2014, § 1, 2). In den großen Tageszeitungen werden angesichts dieser gegenwärtigen Entwicklungen die EEG-Einspeisefördersätze schon lange nicht mehr ausschließlich unter Rubriken wie Geld und Investition thematisiert. Die Veränderung des Landschaftsbilds wird immer häufiger diskutiert, während die Begriffe Verspargelung, Verspiegelung und Vermaisung langsam aber sicher ihren Platz im allgemeinen Sprachgebrauch finden.8 Mit den Bezeichnungen Energiewirt und Offshore wird nicht mehr automatisch das Bild der grauen Männer aus der 8 Verspargelung bedeutet eine Veränderung des Landschaftsbildes durch Windkraftanlagen (deren Form an Spargel erinnert), Verspiegelung durch Photovoltaik-Anlagen und Vermaisung durch Biogasanlagen (wegen des zunehmenden Anbaus von Mais als Energiepflanze).

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Finanzberatung abgerufen. Die Bedeutung von Energieknappheit für den westlichen Lebensstil wird zunehmend über die Bezugnahme auf das EEG diskutiert. Dieses Gesetz hat die gerade geschilderten Diskurse über Energieknappheit und erneuerbare Energien politisch vorweggenommen. Als effektives Marktinstrument hat das EEG den Ausbau der erneuerbaren Energien weit vorangetrieben und schneidet im internationalen Vergleich im Ergebnis wesentlich besser ab als andere Modelle. Inzwischen dient das deutsche EEG als europaweiter Vorreiter der politischen Steuerung moderner Energiewirtschaft. Das Gesetz wird weltweit in 40 Ländern in unterschiedlichen Varianten kopiert, wovon 18 EU-Staaten sind, und als Vorbild für eigene Förderinstrumente herangezogen (vgl. Agentur für Erneuerbare Energien 2014). Aus diesen Gründen stellt das EEG einen gemeinsamen Bezugspunkt gesellschaftspolitischer Diskurse dar, indem es energie-, umwelt-, landwirtschaftsund regionalpolitische Fragestellungen miteinander verbindet. Es fördert vor allem neben den eben genannten Klima- und Umweltschutzzielen die wirtschaftliche Autonomie von Dörfern und Gemeinden außerhalb der Ballungszentren, es untergräbt die Energiemonopole der großindustriellen Energieunternehmen, es wertet wirtschaftliche Nutzung von Landschaft auf, aber verändert damit wiederum das Verhältnis von Landschaft, Gesellschaft und ökologischer Umwelt. Die Verknüpfung von garantierter Abnahme und garantierten Vergütungssätzen haben das EEG zu einem effektiven politischen Steuerungsinstrument werden lassen. Es regelt »die vorrangige Abnahme, Übertragung, Verteilung und Vergütung dieses Stroms einschließlich des Verhältnisses zu Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) sowie einschließlich Prämien für die Integration dieses Stroms in das Elektrizitätsversorgungssystem« (§ 2, Abs. 2, EEG 2012). Mit dem EEG erhalten Anlagebetreiber 20 Jahre lang eine festgelegte Vergütung für ihre erzeugte Energie.9 Damit gibt das EEG Anlagebetreibern eine kalkulatorische Sicherheit (vgl. Sperling 2014). In über 20 Jahren ist das EEG seit 2000 zu einem Regelwerk mit 66 Paragraphen und 133 Artikeln gewachsen, das im Laufe der Zeit durch zahlreiche Ausnahmeregelungen und Verordnungen ständig abgeändert und ausdifferenziert wurde. Alle drei Jahre wird die Fassung des Gesetzentwurfs novelliert und ermöglicht somit, unbeabsichtigten Nebenfolgen entgegenzuwirken und Schwachstellen auszubessern, die durch zumeist fehlende Erfahrungswerte entstanden sind. Schließlich handelt es sich bei Biogas, Photovoltaik und Windkraft um im Entstehen begriffene Technologien. Die vielseitigen und vielschichtigen Effekte 9 Die Vergütungssätze sollen einen wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen ermöglichen und sind nach Technologien und Standorten differenziert. Gefördert wird die Erzeugung von Energie aus: Wasserkraft, Deponiegas, Klärgas und Grubengas, Biomasse, Geothermie, Windenergie, Solarenergie (z. B. Photovoltaik).

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und Folgen sind daher häufig schwer abschätzbar. Viele dieser novellierten Reglementierungen und Änderungen sind Resümee verschiedener Kompromisse aus vorigen Aushandlungsprozessen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen. Das komplexe Gesetzeskonstrukt EEG soll schließlich den Umbau einer ganzheitlichen Energieinfrastruktur gestalten. Besonders schwierig erscheint die Koordination zwischen Bund und Ländern. Die festgeschriebenen Vergütungssätze für Ökoenergie sind das Mittel, mit dem das Plansoll für den Ökostromausbau von 35 Prozent bis 2020 und 80 Prozent bis 2050 erreicht werden soll (vgl. Kemfert 2013, 103). Ein Vorteil des EEG besteht darin, dass das Gesetz als marktregulierendes Instrument durch die EEG-Umlage auch kleinere und mittlere Stromproduzenten unterstützt und somit eine stärker dezentralisierte Versorgung ermöglicht (vgl. Maubach 2014 und Kemfert 2013, 87). Die Marktanteile, die sich derzeit in Hand der Energiekonzerne befinden, werden in Zukunft auf eine größere Zahl an kleineren Anbietern aufgeteilt, so die Agentur für Erneuerbare Energien 2014. Außerdem hat sich der Ausbau der erneuerbaren Energien als ein Motor für starkes Wirtschaftswachstum erwiesen10. Im Dezember 2010 schreibt das Magazin Der Fokus sogar über einen »Turbo für das Wirtschaftswachstum« durch den Ausbau der erneuerbaren Energien (vgl. Becker 2010). Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sind neue Wirtschaftszweige durch die neuen Technologien und deren Produktion und somit auch Arbeitsplätze entstanden (vgl. Edler/O’Sullivan 2010). Für den Bereich erneuerbarer Energien waren 2009 in Deutschland direkt und indirekt rund 340 000 Personen beschäftigt (vgl. BMU 2011). Das EEG und die finanziellen Anteile der Energiewende sind eingebettet in eine Stromökonomie. Seit das Stromeinspeisungsgesetz von 1990 überarbeitet und im Jahr 2000 in das EEG überführt wurde, stieg der Preis für fossile Brennstoffe nicht mehr an. In Claudia Kemferts Augen hatte daher die Förderung regenerativer Energien einen »kleinen Geburtsfehler, der sie bis heute belastet« (Kemfert 2013, 30). Der grüne Strom ist teurer als die fossilen Brennstoffe, weil die Ökostromzulage auf den Strompreis und damit auf den Verbraucher abgewälzt wird. Von Beginn an mussten also die Verbraucher die erhöhte Vergütung des Ökostroms11 zahlen. Der Staat hingegen 10 Das Handelsblatt spricht am 1. 6. 2012 von verschiedenen Profiteuren der Energiewende: »Die Energiebranche investiert in das überregionale Stromnetz über 30 Milliarden Euro. Während Siemens, ABB und Alstom an Großkomponenten liefern, freuen sich auch Mittelständler auf Aufträge« (Flauger/Höpner 2012). 11 Bei den tatsächlichen Kosten des Ökostroms handelt es sich, so Claudia Kemfert, in erster Linie um Innovations- und Produktionskosten, deren Höhe keine feste Größe hat, sondern ständigen Schwankungen unterliegt und tendenziell nach unten geht. Der Grund dafür ist, dass die Produktion von grünem Strom günstiger wird, je weiter neue Technologien sind und je mehr Anlagen hervorgebracht werden. Kemfert spricht vom sogenannten Skaleneffekt: »Je

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kommt für die Folgekosten der fossilen Brennstoffe auf.12 Die Differenz zwischen dem Börsenpreis und dem höheren Festpreis für grünen Strom wird auf den Strompreis umgeschlagen. Die sogenannte EEG-Umlage ist jene Anschubhilfe für Ökostromproduzenten, »ohne die sie auf dem Strommarkt gegen die etablierten Anbieter chancenlos wären« (Kemfert 2013, 61), die aber dem Stromverbraucher in Rechnung gestellt wird (vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 2014). Diese Kostenexplosion der Strompreise in den letzten Jahren droht die Akzeptanz der Energiewende zu gefährden. Hinzu kommt, dass die energieintensiven Industrien von der Zahlung der EEG-Umlage befreit sind und dies ebenfalls vom privaten Stromverbraucher getragen wird (vgl. Teevs 2013). Begründet wird die Befreiung von der Umlage mit der notwendigen internationalen Wettbewerbsfähigkeit vieler deutscher Unternehmen. Hierbei entwickelt sich ein weiterer paradoxer Nebeneffekt: Unternehmen, die knapp unter der Grenze des Verbrauchs liegen, bei dem sie von der Zahlung der Umlage befreit werden, lassen ihre Maschinen auch nachts und feiertags laufen, um somit weiterhin freigestellt zu bleiben (vgl. Brost et al. 2012). An dieser Stelle wird erneut deutlich, dass sich mit dem EEG ein eher unübersichtlicher Rechtsrahmen zur Klima- und Energiepolitik herausgebildet hat. Unübersichtlichkeit, Vielschichtigkeit und vertrackte Zusammenhänge sind Zeichen der messiness der Energiewende. Weiterhin führen diese Entwicklungen dazu, dass diese Rechtsrahmen schwierig öffentlichkeitswirksam vermittelbar sind. Gerade das EEG spielt für die Schwerpunkte der vorliegenden Studie eine wesentliche Rolle: Als Steuerungsinstrument der aktuellen deutschen Energiepolitik bewirkt es eine/die Energiewende in Deutschland und lässt zugleich neue gesellschaftliche Formationen mit beabsichtigten sowie unbeabsichtigten Nebenfolgen (vgl. Beck/Grande 2007) entstehen. Da alle Formen von regenerativer Energie gefördert werden, ist auch die Umsetzung immer verschieden. Land(wirt)schaft erfährt unter der Herstellung von neuen Techniken, Wissensformen und Praktiken im Zuge der Energieerzeugung eine andere Zuschreibung. Das EEG lässt sich also als eine Politische Technologie (Foucault 1991) beschreiben, welche als Instrument der Machtausübung eingesetzt wird.

größer die Produktion, desto geringer fallen die Kosten im Verhältnis zur produzierten Menge aus« (Kemfert 2013, 62). 12 Auch ohne Energiewende würde man heute höhere Preise für Strom bezahlen, sobald die Folgekosten von Atom- und Kohlestrom auf den Strompreis umgelegt und nicht durch Steuern finanziert würden. Noch schwieriger zu beziffern sind die Umweltschäden, die durch CO2-Emissionen verursacht werden (Kemfert 2013, 64ff.).

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Mangelnde Akzeptanz für die Energiewende in der Öffentlichkeit Die Kritik an Steuererhöhungen bzw. zusätzlichen Abgaben, um die Energiewende zu ermöglichen, oder die Angst vor (visueller) Zerstörung der Landschaft durch Solar-, Biomasse- oder Windkraftanlagen sind klassische Anzeichen für eine mangelnde Akzeptanz der Energiewende. Ein zentraler Fokuspunkt in diesem Feld ist allerdings auch der Netzausbau. Keine Veränderung der Energieproduktion ist ohne die Frage der Stromnetze zu denken, gerade auch in Hinblick auf die Gewährleistung einer Dezentralisierung der Energieproduktion. Entsprechend erfordert eine (zum Teil) veränderte Stromproduktion auch eine Auseinandersetzung mit den Netzen, durch die der Strom schlussendlich Häuser, Fabriken, Straßenlaternen etc. erreicht. Von 1935, dem ersten Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes, EnWG13, bis 1996 bestanden in Deutschland sogenannte Gebietsmonopole der Energieversorgung. In dieser Zeit handelten die Energieversorger, zumeist Stadtwerke, mit den Kommunen Demarkationsverträge und Konzessionen aus, die für ein in den Verträgen begrenztes Gebiet gültig waren. Somit ergab sich eine Struktur kommunaler und damit dezentraler Energieversorgung mit übersichtlich großen Unternehmen (vgl. Krisp 2007 und Kemfert 2013, 44 ff). In den 1980er Jahren legte die EU-Kommission ein Arbeitsdokument mit dem Titel »Der Binnenmarkt für Energie« (EU-Kommission 1988, vgl. Palinkas 1989) vor, das die Liberalisierung der Energiewirtschaft in allen Mitgliedstaaten und mehr Wettbewerb im Energiemarkt gewährleisten sollte. Die EU-Richtlinie beabsichtigte, Netzbetreiber und Stromproduzenten entweder zu trennen oder aber den Netzzugang für dritte Stromanbieter staatlich zu kontrollieren, wenn sich die Netze im Besitz eines Stromproduzenten befinden (vgl. Kerebel 2014). Somit wirkte man dem Entstehen großer Konzerne entgegen, die allein im Besitz von Kraftwerken und Stromnetzen waren. Deutschland überging aber anders als die übrigen EU-Länder die Richtlinie und es entstanden große Energieversorgungsunternehmen, denen die Netze gehörten und die somit von ihren (kleinen) Konkurrenten hohe Nutzungsentgelte verlangen konnten. Auf diese Art wurden andere Anbieter vom Markt 13 Vgl. EnGW [Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung] 2005: »§ 1 Zweck des Gesetzes: (1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht. (2) Die Regulierung der Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetze dient den Zielen der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität und Gas und der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen. (3) Zweck dieses Gesetzes ist ferner die Umsetzung und Durchführung des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der leitungsgebundenen Energieversorgung.«

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gedrängt (Kemfert 2013, 44ff.). Weiterhin investierten die Energiekonzerne kaum in neue Netzleitungen (vgl. Maubach 2014). Im Jahr 2005 wurde der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) zusätzlich die Zuständigkeit für die Energieregulierung (Strom und Gas) übertragen und diese daher in Bundesnetzagentur umbenannt. Die Bundesregierung fügte sich dem Druck der EU und setzte mit der Bundesnetzagentur einen Schiedsrichter ein, der für die Einhaltung der Regeln des Wettbewerbs verantwortlich ist, allerdings die Unternehmen nicht zum Handeln zwingen kann (Kemfert 2013, 46ff.).14 Der Umbau dieser deutschen Stromerzeugungslandschaft im Rahmen der Energiewende stellt große Anforderungen an den Netzausbau. Die Kosten des Netzausbaus werden für die nächsten Jahre auf 946 Millionen bis 1,6 Milliarden Euro jährlich geschätzt, abhängig vom Szenario des Zubaus an erneuerbaren Energien (vgl. Haucap/Pagel 2014). Außerdem ist durch die EEG-Einspeisetarife die Ausbaugeschwindigkeit der erneuerbaren Energien schwer steuerbar, was eine zuverlässige Prognose des Netzausbaubedarfs erschwert. Deutschland produziert mittlerweile große Mengen an Windenergie durch Windparks in Norddeutschland oder in der Nord- und Ostsee. Für den Stromtransport fehlen derzeit die Leitungen zu den größten Stromverbrauchern im Westen und Süden Deutschlands. Das führt sogar dazu, dass Windräder abgeschaltet werden, weil der Strom nicht weitergeleitet werden kann (vgl. Che Berberich 2013). Durch mediale Inszenierungen wird weiterhin Angst vor den Neuerungen im Energiesektor geschürt. Schlagzeilen wie: »Die Versorgung mit grünem Strom ist nicht sicher«, »Die Energiewende ist zu teuer«, »Die Technologie-Entwicklung erneuerbarer Energien schreitet zu langsam voran«, »Im Winter drohen Blackouts« oder »Der Netzausbau ist zu teuer« finden sich derzeit in sämtlichen deutschen Tageszeitungen. Es gilt jedoch zu bedenken, dass es sich bei dem Prozess, die Energieversorgung eines ganzen Landes umzustellen, um ein durchaus langwieriges und risikobehaftetes Projekt handelt (vgl. Maubach 2014). Schließlich sind Biogas, Photovoltaik und Windkraft im Entstehen begriffene Technologien, die Effekte mit sich bringen, die nicht von vornherein abschätzbar sind. Gegen das Projekt Energiewende werden starke Antipathien geschürt, sodass die Stimmung in der Bevölkerung zu kippen droht (vgl. Beck 2013). Denn anfänglich war der Großteil der deutschen Bevölkerung für die Energiewende. Jedoch ist die Akzeptanz für neue Stromleitungen und -trassen, Biogasanlagen oder Windräder in der jeweiligen Nachbarschaft schwierig. Vielerorts bilden sich Bürgerinitiativen – Wutbürger, die gegen die vermeintliche Verschandelung der Landschaft aufbegehren. 14 Für ihre Tätigkeit im Energiebereich greift die Bundesnetzagentur auf das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und das Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) zurück (vgl. Bundesnetzagentur 2014).

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Sogar unter Ökostrom-Befürwortern gibt es Unstimmigkeiten: Während Klimaschützer den Bau neuer Stromnetze befürworten, halten Naturschützer dagegen. Wald- und Grundbesitzer andererseits fürchten um ihr Eigentum (vgl. Che Berberich 2013). Gerade die Akzeptanz bei der Bevölkerung scheint für das Gelingen und den Erfolg der Energiewende neben Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Preiswürdigkeit ein wichtiger – wenn nicht sogar der wichtigste – Dreh- und Angelpunkt zu sein. Steigende Energiepreise durch die EEG-Umlage, Probleme und Konflikte durch den Netzausbau, ökologische Aspekte und das sich verändernde Landschaftsbild – alles Formen der messiness – lähmen derzeit die Umsetzung der Energiewende.

Die Forschungsregion: Einbettung in landwirtschaftliche Strukturen Wie alle konventionell landwirtschaftlich geprägten Regionen in Deutschland ist die Forschungsregion agrarpolitischen gesetzlichen Veränderungen, Regelungen und nicht zuletzt der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union unterworfen. Aus diesem Grund werde ich hier zunächst die landwirtschaftliche Situation der Agrarpolitik in Deutschland und Europa beschreiben, um Rückschlüsse auf die Begebenheiten der Forschungsregion ziehen zu können. Diese Hintergründe sind für das Verständnis der empirischen Ergebnisse von Bedeutung. Schweine füttern, Kühe melken oder mit dem Traktor auf das Feld fahren sind typische Bilder, die uns Werbung, Tourismus oder Lebensstil-Zeitschriften anbieten, wenn es um Bauern, Bauernhöfe und das Idyll der Landwirtschaft geht – kurzum suggerieren diese Bilder eine romantische Vorstellung von Landwirtschaft. Doch diese Bilder entsprechen schon lange nicht mehr der Realität (wenn sie ihr überhaupt je entsprochen haben). Das Berufsprofil des Landwirts ändert sich. Es verändert sich schon seit einer ganzen Weile. Kleinstrukturierte und wenig spezialisierte landwirtschaftliche Betriebe sind überholt und vor allem nicht mehr rentabel. Diese Entwicklungen stehen in engem Zusammenhang mit Policies – gemeint sind hier Regelungsinstrumente, Förderprogramme, Gesetze, Reformen und jegliche Maßnahmen, »die darauf abzielen, die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für den Agrarsektor zu gestalten und den Ablauf der ökonomischen Prozesse im Agrarsektor zu beeinflussen« (Tissen 2009, 109). Es handelt sich kurz gesagt um Agrarpolitik. Da die Agrarpolitik seit Jahrzehnten der am stärksten vergemeinschaftete Politikbereich der Europäischen Union (EU) ist, wird die deutsche Agrarpolitik in wesentlichen Teilen von der Gemeinsamen

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Agrarpolitik (GAP) der EU bestimmt. Das im Nachkriegseuropa gestartete Projekt der »Gemeinsamen Agrarpolitik« macht sichtbar, wie eng Veränderungen in Agrarpolitik und Landwirtschaft verknüpft sind. Im Laufe der Zeit haben sich die Akzentsetzungen bei den Zielen der Agrarpolitik immer wieder verändert. Man könnte auch sagen: Die »Geschichte der Agrarpolitik in der Europäischen Union […] ist eine Geschichte der Reformen« (Kirschke/Häger 2008, 49). Neben kontinuierlich auftretenden Korrekturen und Ergänzungen der Strukturierung innerhalb der GAP werden auch immer wieder neue Anreize und Rahmenbedingungen geschaffen, in denen Agrarpolitik auf Ebene der Nationalstaaten stattfinden kann (vgl. Weingarten 2010). Besonders deutlich lässt sich dies zum einen in der Agrarmarkt- und -preispolitik wie auch in den anfänglich als Ausgleich für Preissenkungen eingeführten direkten Einkommenszahlungen an Landwirte beobachten. Diese Politikbereiche bilden die 1. Säule der zwei Säulen der GAP. Maßnahmen der 1. Säule werden ausschließlich aus dem EUHaushalt finanziert. Im Bereich der Politik für ländliche Räume, der sogenannten 2. Säule der GAP, obliegt die Ausgestaltung innerhalb des von der EU gesetzten Rahmens den Bundesländern.15 Während Umwelt-, Natur- und Tierschutz sowie der Verbraucherschutz erst in den 1990er Jahren in der GAP in Erscheinung traten, standen zu Beginn der GAP in den 1950er Jahren Technisierung und Effizienzsteigerung der Landwirtschaft im Vordergrund (vgl. Weingarten 2010).16 Um die Agrarmärkte zu regulieren, wurden Marktordnungen entwickelt, die für landwirtschaftliche Produkte die Preise anheben, die Landwirte schützen und deren Einkommen verbessern sollten, welche sich jedoch als ein grundlegender Konstruktionsfehler erwiesen (vgl. Weingarten 2010 und Kirschke/Häger 2008). Der Großteil der Marktordnungen brachte Mindesterzeugerpreise mit sich, welche über dem Weltmarktpreis lagen, einen hohen Außenschutz und staatliche Aufkäufe zur Preisstützung sowie Exportsubventionen beinhalteten, um Überschüsse auf dem Weltmarkt loszuwerden. In den späten 1970er und 1980er Jahren waren daher Schlagworte wie »Butter-« und »Getreideberge« oder »Milchseen« in Zusammenhang mit der Agrarpolitik nicht nur der deutschen Bevölkerung genauso geläufig wie immense Agrarausgaben und subventionierte Agrarex15 Maßnahmen der 2. Säule werden von der EU und dem jeweiligen Mitgliedstaat gemeinsam finanziert und von den Mitgliedstaaten über mehrjährige Programme zur ländlichen Entwicklung umgesetzt. Es handelt sich hierbei um Maßnahmen der Agrarstruktur- und der Agrarumweltpolitik sowie Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung (vgl. Weingarten 2010). 16 Gründe hierfür waren die Unterversorgung und der Hunger in den Kriegs- und Nachkriegszeiten, die hohen Ausgaben für Lebensmittel der Haushalte und die auffälligen strukturellen Einkommensprobleme in der Landwirtschaft (vgl. Petrick 2008 und Weingarten 2010). Auch in den 1960er Jahren waren maßgebliche Ziele der GAP die Ernährungssicherung und Produktivitätssteigerung.

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porte, die nachteilige Konsequenzen auf die Produzenten in Entwicklungsländern nach sich zogen (vgl. Weingarten 2010). Die (Überschuss-)Produktion war stark angestiegen. Daher rückten in den 1980er Jahren auch die schädlichen ökologischen Folgen der Intensivierung und regionalen Spezialisierung der Landwirtschaft in den Blick der Öffentlichkeit. Aufgrund dieser krisenhaften Probleme erzielte der damalige irische Agrarkommissar Ray MacSharry im Jahre 1992 eine maßgebliche Reform der europäischen Agrarpolitik, welche den Weg für eine am Markt orientierte Agrarpolitik ebnete und von der bisherigen einkommensorientierten Preispolitik absah (vgl. Weingarten 2010).17 Mit der Agenda 2000 wurde die beschriebene Reform einer noch stärkeren Marktorientierung – der Kürzung von Interventionspreisen – und einer Einkommensstützung über direkte Einkommenstransfers weiterentwickelt, welche von diesem Zeitpunkt an nicht mehr als Preisausgleichszahlungen, sondern als Direktzahlungen bezeichnet wurden.18 Weiterhin traten neue Herausforderungen in den Vordergrund: Klimawandel, erneuerbare Energien, Wassermanagement, biologische Vielfalt und Begleitmaßnahmen im Milchsektor. Aktuell heißt das, dass der Anteil der EU-Agrarausgaben am Gesamthaushalt in den letzten 20 Jahren von rund 75 auf 44 Prozent zurückging und 2013/14 bei weniger als 40 Prozent liegt (vgl. European Commission, DG Agriculture and Rural Development 2009 und Bundesfinanzministerium 2014). Wie bereits erwähnt, räumt die 2. Säule der GAP – anders als die 1. Säule für Direktbeihilfen und marktbezogene Ausgaben – als Instrument zur Entwicklung ländlicher Räume mehr Handhabe für die Mitgliedstaaten (in Deutschland also den einzelnen Bundesländern) für die Formulierung, Finanzierung und Umsetzung ein. Die EU-Verordnung zur »Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)« ist hierbei maßgebend.19 In Deutschland wird die

17 Hierbei spielten Kürzungen der Interventionspreise von 35 Prozent bei Getreide und die Einführung von flächengebundenen Preisausgleichszahlungen und einer obligatorischen Flächenstilllegung eine wichtige Rolle. Unter anderem wurde in diesem Zusammenhang der Weg für die Förderung umweltgerechter Produktionsverfahren in die GAP bereitet (vgl. Henrichsmeyer/Witzke 1994). 18 In diesem Zusammenhang wurden Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung als 2. Säule der GAP aufgewertet und Agrarstruktur- und Agrarumweltmaßnahmen sowie über den Agrarsektor hinausgehende Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung gefördert. 19 Die mehr als vierzig Maßnahmen der ELER-VO sind vier Schwerpunkten zugeordnet (vgl. Verordnung (EG) Nr. 1698/2005 des Rates vom 20. 09. 2005): 1) Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft; 2) Verbesserung der Umwelt und der Landschaft; 3) Lebensqualität im ländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft; 4) LEADER. Bei LEADER handelt es sich um ein Programm für die Verbindung von Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft. Dies bedeutet einen territorial ori-

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Agrarumweltpolitik auf der einen Seite stark von Vorgaben der EU beeinflusst: Die ELER-VO betrifft beispielsweise die Förderung umweltfreundlicher Produktionsverfahren. Die Nitrat- und Wasserrahmenrichtlinie berührt den Gewässerschutz, hingegen betreffen die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFHRichtlinie) und die Vogelschutzrichtlinie den Naturschutz (Natura 2000).20 Auf der anderen Seite gibt es jedoch Spielräume, innerhalb derer die Mitgliedstaaten die Vorgaben in nationales Recht umsetzen (vgl. Weingarten 2010). Beispielsweise liegen die Kompetenzen in bestimmten Bereichen wie dem Bodenschutz bis heute ausschließlich bei den Mitgliedstaaten. Auch die Agrarsozialpolitik liegt wesentlich in der Kompetenz der Mitgliedstaaten.21 Seit mehreren Jahrzehnten ist die Landwirtschaft als schrumpfender Sektor bekannt und weist eine Verringerung der Anzahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten von etwa 2,5 bis 3 Prozent pro Jahr auf (vgl. BMELV 2008). Aus diesem Grund haben in Deutschland neben der Agrarpolitik weitere Politikfelder an Bedeutung für die Landwirtschaft gewonnen. Die Energiepolitik hat mit der 2004 erfolgten Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) zu einem Boom in der Erzeugung von Biogas geführt (vgl. Gömann et al. 2007 und Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik beim BMELV 2007). Und auch die Klimapolitik wird in Zukunft vermehrt die Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft beobachten (Weingarten 2010, 12). Aufgrund der verschiedenen Reformen sind fundamentale Transformationsprozesse notwendig, die aufgrund von unterschiedlichen Regulierungsmechanismen, Aushandlungsinteressen, soziotechnischen Möglichkeiten und natürlich-geologischen Begebenheiten entstehen. Im Rahmen der GAP wurden bestimmte Verordnungen erlassen, die selbstverständlich nicht entkoppelt von Veränderungs-, Anpassungs-, Aneignungs- und Transformationsprozessen auf lokaler und regionaler Ebene nachvollzogen werden können. Vielmehr haben diese Regulierungsmechanismen die landwirtschaftliche Entwicklung und den Strukturwandel in der Forschungsregion hervorgerufen.

entierten, von privat-öffentlichen Partnerschaften (lokalen Aktionsgruppen) getragenen Entwicklungsansatz ländlicher Räume. 20 Diese Richtlinien spielen vor allem im Kapitel 5 dieser Arbeit eine Rolle, in dem es um Probleme im Bereich Umwelt- und Naturschutz durch Energieerzeugung mittels Biogas geht. 21 In diesem Falle heißt das für Deutschland, dass die Absicherung der Risiken Alter, Krankheit und Unfall für landwirtschaftliche Betriebe und mitarbeitende Familienangehörige nicht im Rahmen der allgemeinen Sozialversicherungssysteme liegen, sondern durch Sondersysteme unterstützt werden: landwirtschaftliche Alterssicherung, landwirtschaftliche Krankenversicherung, landwirtschaftliche Unfallversicherung. 70 Prozent (3,7 Milliarden Euro) des gesamten Agrarhaushalts des Bundes (5,29 Milliarden) entfielen 2009 auf die Agrarsozialpolitik (Weingarten 2010, 12).

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Geographische und geologische Besonderheiten der Forschungsregion Die Besonderheiten des Nördlinger Ries22 sind seine geologische Beschaffenheit, die Fruchtbarkeit des Bodens (Löss-Boden23) und die dadurch sehr gute Ausgangssituation für landwirtschaftliche Nutzung. Im Landschaftssteckbrief des Bundesamtes für Naturschutz [BfN] (2012) wird das Ries als »ackergeprägte offene Kulturlandschaft« bezeichnet, die in der Großlandschaft Süddeutsches Stufenland mit seinen Randgebirgen und dem Oberrheinischen Tiefland liegt und eine Fläche von 348 Quadratkilometer aufweist. Das Ries liegt im Grenzgebiet zwischen Fränkischer Alb und Schwäbischer Alb im Städtedreieck München, Stuttgart, Nürnberg. Das beinahe kreisförmige, flache Ries unterscheidet sich stark von der hügeligen Landschaft der Alb. Vorläufig wurde das Nördlinger Ries wegen der gefundenen Gesteine, allem voran wegen des Suevits24, als vulkanische Struktur angesehen. Erst 1960 wurde das sogenannte »Riesereignis« nachgewiesen. Tatsächlich wurde die Rieslandschaft durch den Einschlag eines Meteoriten (Asteroiden) vor etwa 14,6 Millionen Jahren geprägt. Das Nördlinger Ries gehört zu den am besten erhaltenen großen Impaktkratern Europas. Es zeichnet sich durch den 80 bis 100 Meter tief eingesenkten Meteoritenkrater aus, dessen kreisrunder Kessel einen Durchmesser von 20 bis 24 Kilometer hat. Das flache, weitgehend unbewaldete Kraterbecken mit seinen 25 Kilometer Durchmesser und dem bis zu 150 Meter hohen Kraterrand sind sehr gut in der Landschaft erkennbar. Der Rieskrater selbst ist dicht besiedelt. Aufgrund dieser geologischen Besonderheiten wurde das Nördlinger Ries im Mai 2006 als Nationaler Geopark zertifiziert, der Geopark Ries. Er umfasst neben dem Einschlagskrater Nördlinger Ries und dem Riesrand auch die Gebiete mit den heute noch erhaltenen Auswurfmassen des Einschlags. Durch das GeoparkProjekt soll das geologische Naturerbe der Öffentlichkeit besser vermittelt werden und die regionale Tourismusentwicklung vorangetrieben werden (vgl. Geopark Ries 2014). Der zum großen Teil ebene Boden des Nördlinger Ries hat eine Höhenlage von 405 bis 440 m ü. NN. Der Untergrund im westlichen Ries wird von sedimentären Kraterfüllungen, Auswurfmassen und Lössbedeckung bestimmt. Im Osten beeinflusst die breite, versumpfte und anmoorige Niederung des Flusses 22 Die Bezeichnung »Nördlinger Ries« für die Forschungsregion wurde beibehalten, jedoch sind alle Ortsnamen fiktiv, wenn dadurch die Identität der Person erkennbar ist. 23 Löss ist weltweit das Ausgangssubstrat für die ackerbaulich günstigsten Böden. Es handelt sich um ein homogenes, urgeschichtetes, hellgelblich-graues Sediment, das vorwiegend aus Schluff besteht. 24 Suevit ist ein sogenannter Impaktit, also ein Gestein, das durch den Aufprall eines Meteoriten entstanden ist.

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Wörnitz die Landschaft. In der Landschaft überwiegt die intensive Ackernutzung. Zu den wichtigen Lebensräumen für Flora und Fauna zählen Fließgewässer, die aber häufig begradigt und tiefergelegt sind. Außerdem stellen die Feuchtgebiete im östlichen Bereich der Landschaft unter anderem Lebensraum für gefährdete Wiesenbrüter dar. Das Ries zählt in Bayern zu den Individuenstärksten Großlebensräumen des Großen Brachvogels (Numenius arquata). Einige Teile der Landschaft liegen im EU-Vogelschutzgebiet Nördlinger Ries und Wörnitztal. In den südlichen Riesrandhöhen finden sich Magerrasen und Wacholderheiden. Abgesehen davon ist das Ries eine weitflächig ausgeräumte Agrarlandschaft (vgl. Bundesamt für Naturschutz 2012 und Geopark Ries 2014). In der Region ist der Boden reich an Mineralien und sehr fruchtbar. Ackerbau existiert bereits seit einigen Jahrhunderten. Folglich siedelten sich Familienbetriebe mit klein-strukturierten Acker- und Anbauflächen an. Das Ackerland ist daher sehr wichtig, nicht nur wegen seiner Qualität, sondern auch, weil es immer schon ein wesentlicher Bestandteil der Lebensmittelproduktion war und immer noch ist. Aufgrund der verschiedenen Nahrungsmittelkrisen Ende des letzten Jahrhunderts sahen sich jedoch ein Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe maßgeblich unter Druck: BSE, Maul- und Klauenseuche, die Schweinegrippe und andere Krankheiten erforderten höhere Standards für Lebensmittelhygiene und Gesundheitssicherheit. Dies hatte hohe Investitionen seitens der Landwirte in die Modernisierung ihrer Betriebe zur Folge. Die meisten landwirtschaftlichen Unternehmen waren gezwungen ihre Produktion neu zu strukturieren bzw. auf andere agrarische Betriebszweige zu wechseln. Für viele war daher die Biogasproduktion eine Möglichkeit, ihr Unternehmen weiterzuführen. Aktuell spielt der Anbau von Mais eine besondere Rolle: Es handelt sich um eine Energiepflanze, die sich als äußerst rentabel für die Bestückung von Biogasanlagen erweist und daher viel angebaut wird (vgl. AELF Nördlingen 2014). Ursprünglich wurde Mais in der konventionellen Landwirtschaft als Viehfutter verwendet, aber im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Produkten war er nicht hoch angesehen. Mais spielt dagegen heute gerade wegen der sehr guten Energieleistung eine dominante Rolle in der landwirtschaftlichen Produktion. Naturschützer fürchten, dass darunter der komplette Wiesen- und Feldzyklus leidet und der Boden sich, was Flora und Fauna anbelangt, von einem artenreichen zu einem artenarmen Grünland verändert. Es gibt daher auch starke Kritik am Umbruch von Grünland zur Nutzung als Ackerfläche für Maisanbau. Äußerst problematisch gestaltet sich für konventionelle Landwirte vor allem der Anstieg der Pachtpreise, den die Biogasbetreiber verursachen. Weiterhin beunruhigt viele Bewohner aus ethischen Gründen die Tatsache, dass Ackerland zur Energieerzeugung und nicht wie traditionell zur Lebensmittelproduktion verwendet wird. Tatsächlich ist die öffentliche Meinung über Biogas so negativ,

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dass das Landwirtschaftsamt Biogasbetreibern Lehrgänge mit dem Titel anbietet: Wie Sie sich so verhalten, dass Sie nicht die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Landwirtschaft und Energieerzeugung mittels Biogas im Nördlinger Ries Im Landkreis Donau-Ries25 gibt es ca. 2500 landwirtschaftliche Betriebe. Die durchschnittliche Größe eines Betriebs liegt bei 30 Hektar. Die gesamte landund forstwirtschaftliche Fläche des Landkreises beläuft sich auf 106 304 Hektar. 68,8 Prozent der Fläche, 73 125 Hektar, werden landwirtschaftlich genutzt. 80 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ist Ackerland. Wichtigste Anbaukulturen sind Winterweizen mit 28,2 Prozent der Ackerfläche und Silomais mit 27,5 Prozent der Ackerfläche (vgl. AELF Nördlingen 2014). Die Biogasentwicklung im Landkreis Donau-Ries nahm bereits im Jahr 1997 seinen Anfang, als die erste Biogasanlage mit 22 Kilowatt (kWh) Leistung in Betrieb genommen wurde. Im Verlauf der nächsten sechs Jahre stieg die Anzahl auf 14 Biogasanlagen mit einer installierten Leistung von 2600 kWh. Jedoch war im Jahre 2003 das Interesse anderer Landwirte an diesem neuen Geschäftsmodell eher gering. Mit dem Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 2004 änderte sich die Situation so abrupt, dass man häufig vom »Biogasboom« (vgl. Marquart 2012, Mößner/Eder 2012, Gebbink 2013) spricht. Schlechte wirtschaftliche Aussichten und Erzeugerpreise von unter zehn Euro je Dezitonne Getreide verursachten in den konventionellen Betriebszweigen der Landwirtschaft über die Jahre hinweg einen Investitionsstau. Hingegen vereinfachten die gesetzlich garantierten Einspeisevergütungen 2004 den Einstieg in den Biogasbetriebszweig. Im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft konnten sowohl Voll- als auch Nebenerwerbsbetriebe wieder Gewinne erwirtschaften. In den Jahren 2004 bis 2008 wurden 52 neue Biogasanlagen, aber auch 18 Gemeinschaftsanlagen errichtet, was deutschlandweit eine Besonderheit darstellt (vgl. AELF Nördlingen 2014). Anfangs verfügten die Anlagen im Vergleich zur installierten Leistung über eine gute Flächenausstattung. Somit konnten auch kleinere bzw. im Nebenerwerb geführte Betriebe in die Biogasbranche einsteigen. Jedoch überförderte der

25 Die Zahlen des Landwirtschaftsamtes erstrecken sich auf den ganzen Landkreis Donau-Ries. Meine Feldforschung jedoch bezog sich nur auf die Region Nördlinger Ries, die ein großes Teilgebiet des Landkreises Donau-Ries ausmacht. Deshalb spreche ich in der vorliegenden Studie vom Nördlinger Ries. Zugleich ist auch nur das Nördlinger Ries geologisch eine Besonderheit, denn damit wird der oben beschriebene Impaktkrater bezeichnet.

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eingeführte Güllebonus26 und der erhöhte NawaRo-Bonus (Bonus für Strom aus nachwachsenden Rohstoffen)27 des EEG 2009 Biogasanlagen. Gegenüber den anderen landwirtschaftlichen Betriebszweigen schnitten Anlagenbetreiber finanziell deutlich besser ab. In den Jahren 2009 bis 2011 wurden im Landkreis dann zwar immerhin noch 19 neue Biogasanlagen errichtet, aber durch die Erweiterung der bereits bestehenden Anlagen explodierte die installierte elektrische Leistung geradezu. Die Konsequenzen daraus waren eine drastisch zunehmende Flächenkonkurrenz, bedeutend steigende Substratpreise und eine zunehmend negative gesellschaftliche Stimmung gegen Biogasanlagen und deren Betreiber. Die Abneigung der Bevölkerung gegen Biogas wurde insbesondere durch die immer größeren Anlagen, die sichtbare Ausweitung des Maisanbaus und den damit einhergehenden Problemen verstärkt. In diesem Zeitraum wurden die dieser Studie zugrunde liegenden empirischen Daten erhoben. Mit dem EEG 2012 wurde dem Bau von Neuanlagen stark entgegengewirkt, da Biogasanlagen mit einer Leistung von über 75 kWh bereits zu diesem Zeitpunkt kaum noch rentabel waren. Aufgrund des Bestandsschutzes entwickelten sich die bestehenden Biogasanlagen weiter. In den Jahren 2012 bis Mitte 2014 wurden zwar nur fünf kleine 75 kWh-Biogasanlagen und eine Anlage mit über 75 kWh Leistung neu gebaut, die real installierte Leistung aber stieg dennoch auf knapp 50 Megawatt (MW) an. Seit 2014 existieren 91 Anlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 60 000 kWh im Landkreis (vgl. AELF Nördlingen 2014). Seit 2014 vermarkten die Biogasanlagen im Landkreis ihren Strom direkt und erzeugen diesen bedarfsgerecht. Aus diesem Grund wurde der BiogaspoolSchwaben-Nord gegründet, der Biogasanlagen bei der Vermarktung ihres Stromes unterstützt. Mit den Verordnungen im EEG 2014 ist die bedarfsgerechte Stromerzeugung die einzige Entwicklungsperspektive für Biogasanlagen. Es ist daher davon auszugehen, dass dieser Trend zur bedarfsgerechten Stromerzeugung fortdauern wird (vgl. AELF Nördlingen 2014). Die Forschungsregion wird häufig aufgrund der sehr hohen Dichte von Biogasanlagen, die so nirgendwo in Deutschland zu finden ist, als »Biogas-Weltmeister« (vgl. Alt 2011, 198) bezeichnet. In diesem Zusammenhang dürfte nachvollziehbar sein, dass die zahlreichen Biogasanlagen in der Landschaft dem jeweiligen Betrachter sofort ins Auge stechen und zu Konflikten führen. Die derzeitige politische Diskussion zur Energiewende in Deutschland und im Besonderen zur bioenergetischen Landnutzung 26 Der Güllebonus fördert Biogasanlagen, deren Substratmischung zu mindestens 30 Prozent aus Gülle, also tierischen Exkrementen, besteht. 27 Als NawaRo-Bonus wird eine Zusatzvergütung für Strom bezeichnet, der aus nachwachsenden Rohstoffen produziert wird.

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macht deutlich, dass der Ausbau von erneuerbaren Energien große infrastrukturelle Veränderungen aufwirft. Zwar entstehen Möglichkeiten und Risiken in Bezug auf die spezifische Landnutzung, jedoch kommt es zu umfassenden Auswirkungen auf die lebensweltlichen Umgebungen dieser Regionen.

Kapitel 3: Re-energizing Anthropology: Ein Forschungsprogramm

Die Energie- und Rohstoffversorgung der Zukunft ist eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Global steigt der Energiebedarf, wichtige Ressourcen werden knapper und verteuern sich. Daher erscheint gerade Energie ein zentraler kulturanthropologischer Forschungsgegenstand zu sein. Energie ist sowohl fester Bestandteil politischer, kultureller und ökonomischer Diskurse als auch im alltäglichen Handeln fest verankert. Dies wird sofort bemerkbar, sobald eine Begrenzung oder Veränderung der Energieversorgung auftritt. Die Notwendigkeit einer energiepolitischen Neuorientierung erscheint insbesondere vor dem Hintergrund des globalen Erdölfördermaximums, klimaschädlicher Auswirkungen der beim Verbrennen von Erdöl und Erdgas entstehenden Treibhausgase und der grundsätzlichen Begrenztheit fossiler Rohstoffe mehr als dringlich. Dass dies sowohl politische, ökonomische und soziale Programme erzeugt als auch beobachtbare lokale Auswirkungen hervorbringt, verdeutlicht das Potential einer anthropologischen Herangehensweise. Es geht darum, eine analytische Perspektive für eine Anthropology of Energy zu entwerfen. Bisher gibt es wenig anthropologische Forschungen im Themenspektrum Energie. Es handelt sich hierbei um einen ganz singulären Bereich des Faches, der sich noch nicht zu den schon etablierten Feldern kulturanthropologischer Forschung zählen lässt.28 Vielmehr wurde dieser oft nur marginal behandelt und gerade über Energieerzeugung im Allgemeinen und über nachhaltige Energieerzeugung im Speziellen, wie sie meine Fallstudie zur Biogasenergieerzeugung verfolgt, lassen sich kaum Studien finden. Dennoch handelt es sich um ein wichtiges und vor allem zukunftsweisendes Forschungsfeld der Anthropologie. So ist der Titel dieses Kapitels »Re-energizing Anthropology« dem von Strauss et al. (2013) herausgegebenen Sammelband »Cultures of Energy : Power, Practices, Technologies« entnommen. Darin fordern die Herausgeber Sarah Strauss, Stephanie Rupp und Thomas Love einerseits, sich mit einem »neuen« Phäno28 So stehen hingegen beispielsweise Studien zu globalen Migrationsprozessen schon länger im Blickfeld anthropologischer Forschungen (vgl. Hess/Tsianos 2007, Römhild 2007).

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menbereich zu beschäftigen, den die anthropologischen Disziplinen bisher kaum beachtet haben – nämlich Energie. Andererseits folgt daraus für die Autoren zugleich ein theoretisches wie methodisches Re-energizing der Anthropologie. Dies bedeutet, dass es auch notwendig ist, das Phänomen Energie mit neuen Forschungskonzepten und Forschungsansätzen zu beforschen. Gerade die anthropologisch-ethnographischen Disziplinen besitzen hinsichtlich ihrer methodischen Orientierung und theoretischen Grundierung enormes Potential, wichtige Beiträge für ein transdisziplinäres Forschungsfeld zu liefern. Meine Arbeit greift diese programmatische Perspektivierung dahingehend auf, dass die Auseinandersetzung mit Energie nicht nur ein dynamisiertes Forschungsfeld ist, sondern zugleich die Dynamisierung des Faches Kulturanthropologie bedingt. Die amerikanische Anthropologin Laura Nader konstatiert, dass seit dem Beginn der Menschheit permanente Transformationsprozesse beobachtbar sind, sich jedoch ihre Geschwindigkeit vor allem innerhalb der letzten 200 Jahre durch die westliche Industrialisierung zunehmend beschleunigt (vgl. Nader 2013). Gerade im Bereich der Energie(-forschung) wurde diese enorme Beschleunigung der Wandelprozesse als Schlüsselvariable stark vernachlässigt. Es geht heute nicht mehr nur um »currents and flows« (Nader 2013, 319), sondern vielmehr um die Folgen einer Reihe von Engpässen, Katastrophen und Widerständen. Die Macht der Energie verändert die Welt und fließt in den verschiedensten Formen in natürlichen und sozialen Kreisläufen. Energie ist ein Feld in Bewegung, das sich über soziale und physische Räume zieht (vgl. Strauss et al. 2013). Die lebensweltliche Bedeutung von Energie – also etwa die Nutzung im Alltag – und die starke und nahezu omnipräsente Diskursivierung des Themas Energie verlangen geradezu nach einer kritisch-dekonstruierenden kulturanthropologischen Bearbeitung. Die Überlegungen zum Forschungsprogramm einer Anthropology of Energy werden ausgehend von Forschungen zu erneuerbaren Energien in Deutschland (Sperling 2014, Sperling 2012) konkretisiert. Diese nehmen insbesondere Transformationsprozesse in ihrer Interdependenz mit Ebenen der energie-, agrar-, umwelt- und strukturpolitischen Entscheidungsfindung und institutionellen Gestaltung in den Blick. Dazu gehört beispielsweise die Frage, wie durch gesetzliche Rahmenbedingungen moderne Technologien der Energieerzeugung und -nutzung im ländlichen Raum vorangetrieben werden und wie diese sich lokal manifestieren.

Geschichtlicher Rückblick: Die Anthropologie und Energie

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Geschichtlicher Rückblick: Die Anthropologie und Energie Noch weit davon entfernt, sich als anthropologisches Forschungsgebiet zu etablieren, taucht der Begriff der Energie bereits in den 1940er Jahren in der anthropologischen Forschungsliteratur auf, als der US-amerikanische Anthropologe Leslie White den Versuch unternahm, eine Evolutionary Anthropology im Fach wiederzubeleben, bei der im weitesten Sinne ökologisch argumentiert wird (vgl. White 1949, 1959). Leslie White beschreibt Evolution29 als eine Wechselbeziehung zwischen Menschen bzw. der Menschheit und ihren Umgebungen.30 Hierbei ist für White Energie der zentrale konzeptionelle Schlüssel zum Verständnis menschlichen Lebens: »Everything in the universe may be described in terms of energy. Galaxies, stars, molecules and atoms may be regarded as organizations of energy. Living organisms may be looked upon as engines which operate by means of energy derived directly or indirectly from the sun. The civilizations or cultures of mankind, also, may be regarded as a form or organization of energy.« (White 1943, 335)

Indem er Energie als »the capacity for performing work« beschreibt, benutzt Leslie White hierbei einen sehr weiten Begriff von Energie, den er dann mit Verweis auf die Entwicklung der Nutzung von Kohle, Öl und Wasserkraft hinsichtlich der technischen Energieproduktion konkretisiert. Einer evolutionärorientierten Perspektive der Anthropologie folgend, argumentiert Leslie White, dass die Entwicklung von Kulturen in wesentlichen Teilen auf den Fähigkeiten basiert, Energie nutzbar und konkret anwendbar zu machen. Kurz zuvor kam es im Jahre 1942 in Amerika zur ersten kontrollierten nuklearen Kettenreaktion. Der Weg in das »Atomzeitalter« war geebnet.31 »Wind, water, waves, tides, solar 29 Anthropologische Auseinandersetzungen unter der Voraussetzung von Ko-Evolution wurden in den letzten Jahren maßgeblich von dem deutschen Soziologen Manfred Faßler (2005, 2011) gerade im Zusammenhang mit informationalen Bedingungen in Bezug auf epigenetische Veränderungen und im Bereich kulturökologischer Forschung vorangetrieben. 30 Manfred Faßler greift dies als kybernetisches Modell auf, indem es um die Wechselwirkungen in Systemen geht. Energieflüsse spielen hier eine ganz entscheidende Rolle. Er nennt dies eine Triple-Helix, die verantwortlich ist, Koevolution voranzutreiben und aus Energie-, Informations- und Stoffströmen besteht (vgl. Faßler 2005 und 2006). Es basiert auf der Behauptung, dass Menschen nur überleben können, wenn sie sich organisieren, also ihre Stoff- und Energieströme ständig neu verbinden. Neben Stoff- und Energieströmen müssen wir auch noch Informationsströme organisieren und uns an sie anpassen. Die Helix ist dann deshalb getrippelt, weil sich zwischen den drei Ebenen die koevolutionären Prozesse vollziehen. Im Laufe der Menschheitsgeschichte verändern sich die Beziehungen unter den Dreien immer wieder, zurzeit mit einem starken Zug in Richtung Information (vgl. Faßler 2005 und 2006). 31 Otto Hahn und Fritz Straßmann entdeckten im Jahre 1938 die induzierte Kernspaltung von Uran, die hauptsächlich von Lise Meitner und Otto Frisch 1939 theoretisch gefasst wurde. Die praktischen Anwendungsmöglichkeiten der Kernspaltung waren offensichtlich, als Fr8d8ric

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Re-energizing Anthropology: Ein Forschungsprogramm

boilers, photochemical reactions, atomic energy, etc., are sources which might be tapped or further exploited. One of the most intriguing possibilities is that of harnessing atomic energy« (White 1943, 351). In den 1970er und 1980er Jahren erschienen eine Reihe anthropologischer Studien, die zwar eine kritische Haltung gegenüber Folgen von Energieformen der Industriestaaten für die Dritte Welt einnahmen, aber wenig an energetischer Kulturtheorie und Transformationsprozessen in der eigenen Gesellschaft interessiert waren. Vielmehr konzentrierten sie sich auf die Einflüsse von Energie bzw. Energiepolitik auf »indigene Gemeinschaften« (vgl. Jorgeson et al. 1978, Nordstrom et al. 1977). Mit einem starken Bezug auf Energie veranlassten jene Anthropologen größere Debatten über die Rechte indigener Völker, Umweltauswirkungen und Ressourcenausbeutung (vgl. Barker 1997, Love/Garwood 2011, Sawyer 2004, Sawyer/Gomez 2012). Diese anthropologischen Forschungen zu Energie lassen sich im Kontext einer kritischen Anthropologie verorten, die der (neoliberalen und imperialistischen) Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik vor allem der Vereinigten Staaten von Amerika kritisch gegenübersteht. Zentrale Impulse kamen hierbei von nichtwestlichen Anthropologen, die in den USA ausgebildet worden sind (vgl. Escobar 1995, Tsing 2005). Sie teilen im Prinzip die Perspektive, sich zum Fürsprecher für indigene Gruppen zu machen, deren Umwelt und Lebensgrundlage durch die rücksichtslose Durchsetzung der Ressourcennutzungsinteressen der westlichen Welt geschädigt oder zerstört wird. In den 1970er, 1980er und 1990er Jahren hat dieses Forschungsprogramm einen großen Teil der Anthropologie gestärkt, der für die Rechte der nichtwestlichen postkolonialen Gruppen eintrat. Der Bereich der Energie(-forschung) ist zwar ein Teil hiervon, reiht sich allerdings ein in andere als ebenso wichtig angesehene Themen wie die Abholzung von Wäldern oder die Überfischung der Meere.32 Eine Schlüsselfigur im Bereich der Energieforschung ist die US-amerikanische Anthropologin Laura Nader. Sie nimmt im Bereich der anthropologischen Auseinandersetzung mit Energie eine Brückenposition ein. Zum einen kommt Nader ursprünglich aus dem Kontext jener Bewegung, die Kritik an der Beund IrHne Joliot-Curie nachwiesen, dass eine Kettenreaktion möglich ist. Während des Zweiten Weltkrieges wurden diese Erkenntnisse zunächst für die militärische Forschung genutzt. Enrico Fermi gelang am 2. Dezember 1942 im Rahmen des Manhattan-Projekts in einem Reaktor in Chicago (Chicago Pile One) die erste kontrollierte nukleare Kettenreaktion. Dies geschah nur wenige Monate vor Whites Veröffentlichung. Robert Oppenheimer leitete das Manhattan-Projekt und entwickelte die Atombombe, die am 16. Juli 1945 erstmals erfolgreich gezündet wurde (Trinity-Test). Gleichzeitig brachte es die deutsche Forschungsgruppe unter Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker bis zum Kriegsende nicht fertig, einen funktionierenden Kernreaktor zu entwickeln (Uranprojekt) (vgl. Laurence 1948 und Jungk 1956). 32 Unter den Stichwörtern »Developmentalisms« und »Environmentalisms« beschreibt der USamerikanische Anthropologe Michael Herzfeld diese Arbeits- bzw. Forschungsfelder als zentralen Bestandteil einer kritischen Anthropologie (vgl. Herzfeld 2001).

Geschichtlicher Rückblick: Die Anthropologie und Energie

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nachteiligung oder Unterdrückung indigener Gruppen oder postkolonialer Gesellschaften durch die Ressourcennutzung der westlichen Industrienationen übte und dem amerikanischen militärisch-industriellen Komplex kritisch gegenüberstand.33 Zum anderen fungierte sie bereits Ende der 1970er Jahre als Mitglied im US National Academy of Science’s Committee on Nuclear and Alternative Energy Systems (CONAES) und interessierte sich für populäre wie auch wissenschaftliche Weltbilder, die auf die Ablehnung der Konzepte von Energieeinsparung und Energiewende zielten (vgl. Nader/Beckerman 1978 und Nader 1980). Ihre Annäherung an das Forschungsfeld Energie kam zunächst eher über die Eliten-, Institutionen- und Expertenforschung.34 Ihr Ansatz war daher, die Vorstellungen der Experten nachzuzeichnen.35 Als erste (weibliche) Anthropologin, die die Gemeinschaft der Energiepolitiker und Energiewissenschaftler beforschte, war sie von der »Kultur der Energieexperten« zum einen fasziniert, zum anderen erschrocken von der nüchternen und technokratischen Herangehensweise, die wenig dazu veranlasste, über kulturelle Folgen zu reflektieren. 33 Nader selbst forschte unter anderem über indigene Völker im mexikanischen Kolonialstaat Oaxaca (vgl. Nader 1964). 34 In »Barriers to Thinking New about Energy« (1981) thematisiert Nader die Unfähigkeit von Energieexperten, über einen Zusammenhang zwischen ihrer Ausbildung, ihren institutionellen Loyalitäten und ihrem allgemeinen Gruppendenken zu reflektieren und zu abstrahieren. Das Energieproblem ist ihr zufolge kein technisches Problem, sondern vielmehr ein soziales. Menschen machen Fehler, also geht es darum, diese Erkenntnis in die Technologien einzubauen, aber auch Technologien auf dieser Basis zurückzuweisen. Das schwierigste Problem dabei sei, so Nader, Energieexperten dazu zu bringen, sich selbst und die Art ihrer Denkweisen zu hinterfragen (vgl. Nader 1981). Nader stellte zu ihrer Überraschung fest, dass bei ihren Kollegen der Energiewissenschaft der weit verbreitete Konsens des 19. Jahrhunderts vorherrschte, dass technologischer Fortschritt gleichbedeutend mit sozialem Fortschritt sei. Die Möglichkeit, dass jene Experten selbst vielleicht ein Teil des Problems seien, war neu für diese, weil sie sich selbst außerhalb des Problems sahen (Nader 2004, 776). Nader führte diese Entwicklung auf die starke Spezialisierung und Hierarchisierung von Scientific Communities zurück, in denen Standardisierung kreatives Denken über zukünftige Entwicklungen im Bereich Energie lähmte. 35 In ihrem Energy Reader (Nader 2010) stellt Nader aus diesem Grund Beiträge zusammen, die nicht in erster Linie von Anthropologen oder Sozialwissenschaftlern stammen. Es handelt sich hauptsächlich um Physiker, Ingenieure, Ökonomen, Historiker, Chemiker, Juristen, Schriftsteller, weil Anthropologen – wie Nader selbst schreibt – mit »specialist talents« (Nader 2013, 319) zusammenarbeiten müssen, die anders als »gewöhnliche« Experten eine anthropologische Perspektive teilen, und zwar eine, die »dots forward and backwards« (Nader 2013, 319) verbindet, in der sie mit Demut und Ehrfurcht über die prekäre Natur der menschlichen Überlebensfähigkeit »the precarious nature of human survivability« (Nader 2013, 319) denken. Des Weiteren erarbeiten Laura Nader und Stephen Beckerman in »Energy as it Relates to the Quality and Style of Life« (Nader/Beckermann 2010, 219–246), dass Vorstellungen von mehr Energie = mehr Lebensqualität nicht notwendigerweise konstant zutreffend sind, und fordern, dass solche allgemein assoziierten Vorstellungen entkoppelt werden müssen.

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Re-energizing Anthropology: Ein Forschungsprogramm

Der Anthropologe Dominic Boyer – selbst im Bereich der Energieforschung tätig – hebt Laura Naders besondere Rolle hervor, da sie als »the only scholar to have researched the expert imagination of energy futures in such depth« (Boyer 2014, 315) zu verstehen ist. Erst über die letzten Jahre hinweg sind einige wichtige Fallstudien zu diesem Thema entstanden36, die neue theoretische Herausforderungen aufwerfen und die zur Reflexion über »political power through energic power« (Boyer 2014, 315) aufrufen. Angesichts einer weiterführenden Auseinandersetzung mit Energie aus anthropologischer Perspektive konstatiert Dominic Boyer : »[…], it seems as though energy has at long last become a subject worthy of serious attention in social-cultural anthropology« (Boyer 2014, 316).

Energie und die Anthropologie politischer Felder »The biggest turning point for humanity since agriculture has been industrialization and mass production and the ways these have reshaped daily lives, societies, and the planet.« (Nader 2010, 4)

Folgt man Laura Nader, geht der Einfluss der Industrialisierung weit darüber hinaus, technologische Erneuerungen und veränderte Arbeitsformen zu beschreiben. Sie betont, dass die Industrialisierung die einschneidendsten Veränderungen seit Beginn der Landwirtschaft hervorgebracht hat (Nader 2010, 4f.). Im Hinblick auf Naders vorgenommene Akzentuierung des Themas Energie wird deutlich, dass das Argument zentraler Neukonfigurationen des Alltags bzw. alltäglicher Praxen, sozialer Ordnungen und schlussendlich des gesamten Planeten durch die Industrialisierung dahingehend zu vervollständigen ist, dass alle Phasen der Industrialisierung immer auch eng mit dem Aspekt Energie verknüpft sind bzw. ohne Energie überhaupt nicht (oder zumindest nur sehr schwer) zu denken sind. Zwar wurden Wasser und beispielsweise Holz schon seit Langem als Energieträger genutzt, aber Kohle, Öl oder Atomstrom schienen und scheinen immer noch Schlüsselelemente industrieller und sozialer Sicherheit zu sein, während gleichzeitig ihre Verwendung, Entwicklung, Vermittlung und Implementierung auf alle Bereiche des menschlichen Lebens Einfluss nimmt. Es geht hier nicht darum, von einer teleologischen Entwicklung zu sprechen, in der sich die Menschheit auf eine bestimmte Energieform hinbewegen wird, sondern darum, die vielfältigen Verwerfungen und Veränderungen in der Ver36 Vor allem existieren seit dem letzten Jahrzehnt zahlreiche anthropologische Publikationen zum Thema Klimawandel, in denen es um Nachhaltigkeit, Umweltverschmutzungen und -katastrophen geht (vgl. Chakrabarty 2009, Crate/Nuttall 2009, von Storch/Krauß 2013, Henning 2005).

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wendung von bestimmten Energieformen hervorzuheben, wie Laura Nader weiter schreibt: »[e]nergy transitions are no longer seen as unilineal, revolutionary events in history, but as uneven, incremental, socioculturally conceptualized and, to some extent, globalized changes« (Nader 2010, 5). Aufgrund neuer Notwendigkeiten, die Transformationen von derzeitigen Energieressourcen hin zu zukünftigen Möglichkeiten der Energiegewinnung auszugestalten, entstehen Paradigmenwechsel, die sich nicht allein technologisch oder ökonomisch beschreiben lassen.

Energie als öffentliches Politikfeld: Die Ölkrise Gerade die Industrialisierung zeigt, wie sehr Energie in politische Felder eingebettet ist. Spätestens seit der ersten Ölkrise 1973, als die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen deutlich wurde, zeigt sich, dass Energie nicht nur als Bestandteil von Hinterzimmerpolitik und korporativen Interessen zu fassen ist. Energie (und mit ihr alle Aspekte der Energieerzeugung, der verschiedenen Energieformen und der Versorgungssicherheit) erhält sowohl eine größere (mediale) Aufmerksamkeit als auch einen festen Platz im politischen Tagesgeschäft. So wurde 1974 die Internationale Energieagentur (IEA) gegründet, um unter den Stichworten »Energiesicherheit«, »Ökonomische Entwicklung« und »Umweltschutz« eine Kooperationsplattform für Erforschung, Entwicklung, Markteinführung und Anwendung von Energietechnologien zu schaffen. Durch die Ölkrise wurde der Öffentlichkeit das Energieproblem besser zugänglich und greifbar (Nader 2010, 10). In diesem Zusammenhang wurden in der Bundesrepublik Deutschland das Energiesicherungsgesetz (1975) erlassen, autofreie Sonntage verordnet und Kampagnen wie »Energiesparen – unsere beste Energiequelle« (vgl. Pehnt 2013) gestartet. 1976 veröffentlichte Amory B. Lovins in der Zeitschrift Foreign Affaires seinen Text Energy Strategy : The Road Not Taken?, der einen großen öffentlichen Aufschrei zur Folge hatte, da er technisch begründete Entscheidungen in der Energiepolitik kritisierte. Lovins argumentierte, dass Maßnahmen in Zusammenhang mit Energiepolitik eben nicht ausschließlich aufgrund technischer Kriterien, sondern vor allem aufgrund soziopolitischer Faktoren ausgewählt werden sollten. Der von Lovins als soft path bezeichnete Weg (die Nutzung von erneuerbaren Energien) sei günstiger, effizienter und erfordere weniger zentralisierte Kontrolle als der hard path (die Verwendung konventioneller Energieträger wie Kohl, Öl und Atom) (vgl. Lovins 1977). Zwar gelang es nicht, durch Amory B. Lovins’ Analyse die möglichen politischen Entwicklungen in Gang zu setzen, aber durch die öffentliche Debatte stand nun die Verknüpfung von Energy Policies und politischen Konsequenzen auf der Agenda (Nader 2010,

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166–198). Hierbei geht es insbesondere darum, verschiedenartige gesellschaftspolitische Veränderungen, ein Demokratieverständnis und Vorlieben für bestimmte Energieträger zusammenzubringen. Dies beinhaltete Fragen wie »Sind Energieentscheidungen demokratisch?« oder »Prallen diese Entscheidungen auf Demokratie?« (Nader 2010, 8). Die Prozesse, die politisches Handeln von Entscheidungsträgern ermöglichen und notwendigerweise mit der Umsetzung und Verwirklichung einer Energiewende verbunden sind, lassen sich daher als unmittelbar an die Vergangenheit und Gegenwart gekoppelt und zugleich tief verankert in den Energieinteressen der Energy Policy & Politics (Nader 2010) beschreiben.37 Das bedeutet im Sinne einer Dynamisierung anthropologischer Auseinandersetzungen mit Energie, dass Politics & Power in anthropologische Forschungen miteinbezogen werden müssen, um »past roots and current ramifications of our energy dilemmas« (Nader 2010, 7) zu verstehen. »[T]he unprecedented politicization of the energy problem during the 1960s and the 1970s made it […] impossible to tackle the issue merely from a supply / demand perspective. The failure to accomplish a full-fledged third transition away from fossil fuels shows not only that energy transitions are not straightforward but include discussions about what is implied in energy needs if they are to be carried out democratically. Swapping fuels and changing technologies remakes societies in fundamental ways.« (Nader 2010, 5)

Es reicht nicht aus, lediglich politische Programme zu beforschen, die im Zusammenhang mit Energy Policy & Politics stehen. Auch wenn diese Verbindung nicht sofort ersichtlich ist, sind es gerade die unbeabsichtigten Nebenfolgen von Energy Policies wie steigende Energiekosten, verschiedene externe Auswirkungen wie Umweltverschmutzungen, Unfälle und sogar Verlagerung lokaler Gemeinschaften (siehe Kohle-Tagebau oder Atommüll-Lagerung), an denen offensichtlich wird, dass eine ganzheitliche Annäherung an das Thema Energie nicht allein technologisch oder entlang politischer Interessenlagen gedacht werden kann, sondern vielmehr sozial und kulturell gefasst werden muss. Energie schafft komplexe politische Felder, die sich anthropologisch beforschen 37 Im Englischen unterscheidet man zwischen Polity, Politics und Policy/Policies. Als Polity werden Strukturen angesehen, die politisches Handeln erst ermöglichen. Das kann beispielsweise die staatliche Struktur bzw. die Form, wie ein Staat ist, sein oder aber das institutionelle Gefüge der EU. Neben Polity unterscheidet man im Englischen zwischen Politics und Policy. Im Deutschen gibt es aber für das englische Wort Policy kein eindeutiges Analogon. Es wird genauso wie Politics mit Politik übersetzt. Politics sind Prozesse, die politisches Handeln ermöglichen, wie zum Beispiel Wahlen und andere Abstimmungsprozesse: »He went into politics«, heißt demzufolge, dass die Person im Politikbereich arbeitet. Policy hingegen ist das Ensemble sämtlicher Praxen, Maßnahmen, Strategien, Programme, Aushandlungen, Planungen, Modelle politischen Handels, wie beispielsweise die Energiewende oder Energiepolitik allgemein. Aus diesem Grunde werden in dieser Studie die englischen Begriffe verwendet.

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lassen. Der Begriff politisches Feld beschreibt hier nicht die monodirektionale Durchsetzung bestimmter politischer Energie-Programme, sondern bezieht sich immer im Sinne einer »Anthropology of Policy« auf die Verflechtung von Akteuren und Aktanten und ihren Handlungsmustern.

Anthropology of Policy Als Annäherung an eine Analyse zum Ausbau erneuerbarer Energien am Beispiel der Energieproduktion mittels Biogas kann auf die Programmatik einer Anthropology of Policy (vgl. Shore/Wright 1997) zurückgegriffen werden. Mit dem im Jahre 1997 veröffentlichten Sammelband »Anthropology of Policy. Critical perspectives on governance and power« konzipierten die beiden Sozialanthropologen Cris Shore und Susan Wright ein Forschungsprogramm für anthropologische Untersuchungen von Policies. Nach Shore und Wright sind Policies zentrale Instrumente und Ordnungsprinzipien der Regierungsführung und erschaffen somit neue Technologien der Macht. Diese erste Annäherung fokussieren Cris Shore und Susan Wright gemeinsam mit Davide Perk in ihrem neuen Band »Policy Worlds. Anthropology and the Analysis of Contemporary Power« (2011) im Hinblick auf Bruno Latours Konzept des »Aktanten« (1996). Somit sind Policies nicht nur »produktiv, performativ und kontinuierlich umstritten« (Shore et al. 2011, 1), sondern sie besitzen auch eine Agency in Form von Handlungsvermögen bzw. Handlungsfähigkeit und interagieren als »Aktanten« mit anderen »social agents« (Shore et al. 2011, 3). Mit Rückgriff auf Arjun Appadurai (1986) sprechen die Autoren von Policies, die ein komplexes soziales Leben führen und wechselseitige Beziehungen mit Institutionen und anderen Artefakten pflegen, »they shift action; and, like machines, they perform tasks and are endowed with certain competencies« (Shore et al. 2011, 3). Policies sind keine definitiven Phänomene, sondern vielmehr »Assemblagen« (Collier/ Ong 2005, Marcus/Saka 2006, Welz 2009), die sich dauernd in ihrer Zusammensetzung und Dimension ändern können (Shore et al. 2011, 20). Mit diesem prozesshaften und handlungsorientierten Ansatz von Policy grenzen sich die Autoren daher klar von politikwissenschaftlich geprägten Konzeptionen der eindeutigen Begrenzung von Policies ab (Shore et al. 2011, 4f.). Gerade das Handlungsvermögen von Individuen, die Regulationen durch Policies ausgesetzt sind, rückt hier in den Blickwinkel anthropologischer Forschung. Die »political subjects« (Shore et al. 2011, 17), zum Beispiel in Form von menschlichen Subjekten, sind nicht durch eine Disziplinierungsmacht passive Körper, sondern vielmehr skeptische und reflexive Subjekte. Sie sind in der Lage, politische Strategien aufzudecken und entgegengesetzte Handlungsmuster hervorzubringen (vgl. de Certeau 1988).

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Als Forschungsperspektive ergibt sich daraus, zu untersuchen, unter welchen Umständen, in welchen Verbindungen und mit welchen Taktiken sich Gruppen erfolgreich bestimmten Policies widersetzen und somit Einfluss nehmen. Im Hinblick auf das Forschungsfeld geht es also auch darum, die Verbindungen und Logiken einer Policy zwischen den verschiedenen Politikbereichen, den institutionellen Einrichtungen, den Wissens- und Machtkomplexen und den unterschiedlichen Ebenen politischen Handelns (lokal, regional, national, global) aufzuzeigen (vgl. Adam 2011). Somit werden sowohl Machttechniken als auch Handlungsspielräume offensichtlich, die gerade aus diesen verschiedenartigen Verbindungen und Reibungen folgen, indem sich beispielsweise aus dem Nebeneinander von regionalen und nationalen Regulierungsmechanismen neuartige Handlungsspielräume für unterschiedliche Akteursgruppen entwickeln (vgl. Adam 2011, Shore et al. 2011). Die von Shore, Wright und Perk entwickelte Perspektive aufgreifend, betonen die beiden Kulturanthropologen Jens Adam und Asta Vonderau die Verwobenheit und Komplexität momentaner politischer Prozesse (Adam/Vonderau 2014). Hierbei erscheinen ihnen drei Punkte besonders wichtig: Erstens können sich politische Prozesse und mit ihnen verbundene machtdurchzogene Raumordnungen realisieren, ohne dass eine zentrale Stelle sie initiiert oder kontrolliert. In Anlehnung an Eyal Weizman sprechen die Autoren von einem »strukturierten Chaos« (Weizman 2008, 11), welches gegebenenfalls absichtsvoll in Kauf genommen wird. Zweitens kann eine Vielfalt von Akteuren mit unterschiedlichsten Intentionen und Rollen Teil eines politischen Feldes werden und an politischen Prozessen ohne zentrale Steuerung beteiligt sein. Der Fokus auf materielle Formen und räumliche Arrangements kann drittens als Ausdruck politischer Rationalitäten, als Effekt von Konflikten und somit als Materialisierung von Machtstrukturen interpretiert werden (Adam/Vonderau 2014, 8). Phänomene der Wechselwirkung zwischen politischer Steuerung und der alltäglichen Aushandlung, der Oszillation zwischen Unterworfenheit politischer Reglementierungen zum einen und eigenmächtigem (und dann auch politischem) Handeln zum anderen, sowie die wechselseitige Strukturierung von Handlungspotentialen zwischen Akteuren und Aktanten auf unterschiedlichen sozialen Ebenen und mit unterschiedlichen Machtinstrumenten stehen in einer solchen Programmatik im Vordergrund. Die Übertragung derartiger konzeptioneller Ansätze auf die vorliegende Thematik ist nicht nur naheliegend, sondern meines Erachtens notwendig. In gewisser Weise lässt sich argumentieren, dass Produktion, Versorgung und Konsum von Energie in modernen Gesellschaften stets in hohem Maße politisch reguliert waren. Energie ist politisch und war es schon immer. So werden die aktuellen Veränderungen hin zur Produktion und zum Konsum erneuerbarer Energien, ihrer hier ebenso als Formen einer politischen Strukturierung von Handlungsfeldern und sozialen Beziehungen

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diskutiert, welche bis in die individuellen Lebenswelten hineinreichen. Es lässt sich schließen, dass diese Veränderungen direkt auf den politischen Charakter von Energie an sich zurückzuführen sind, der sich nun in den Orientierungen, den Beziehungen, den Handlungspotentialen von Landwirten, Handwerkern und Gemeinderäten manifestiert. Energie wird zu einem Alltagsphänomen, oder anders gesagt: Die Energieproduktion wird nicht politisiert, sondern vielmehr veralltäglicht. Das geht ganz wesentlich mit der Relevanz und den neuen Möglichkeiten der dezentralen Energieversorgung einher. Ansätze der soziologischen und kulturanthropologischen Europäisierungsforschung ermöglichen, politische Governance-Strukturen über mehrere Ebenen hinweg in ihrer Wirkungsweise nachzuvollziehen (vgl. Beck 1997, Beck/Grande 2007, Hess/Tsianos 2007 und 2010, Römhild 2007 und 2010, Lottermann/Welz 2009, Walters 2012). Die politisch induzierte Transformation des ländlichen Raums kann hier als Regime im Sinne eines Ergebnisses sozialer Auseinandersetzungen beschrieben werden, die in immer wieder zu erneuernden institutionellen Kompromissen münden (vgl. Beck 1997, Beck/Grande 2007). Die Nebenfolgen derartiger Wirkungszusammenhänge und der Mehrebenen-Charakter nationaler Wandlungsprozesse rücken damit automatisch als Effekte des Regimes ins Zentrum einer Forschung einer Anthropology of Policy. Das ErneuerbareEnergien-Gesetz als ausführendes Ordnungsprinzip der aktuellen Energiepolitik ist nicht nur Motor einer Energiewende in Deutschland, sondern verursacht gleichzeitig neue soziale Formationen – mitsamt beabsichtigten wie unbeabsichtigten Nebenfolgen (vgl. Beck/Grande 2007). Die Strukturen, auf die das EEG angewendet wird, sind sehr unterschiedlich – gefördert werden schließlich alle Formen von regenerativer Energie – daher ist auch die Umsetzung immer verschieden. Landwirtschaft erhält somit nicht nur eine neue Bedeutung, sondern es werden auch neue Praktiken, Techniken, Wissensformen, Branchen und Berufe erzeugt. Auf unbeabsichtigte Nebenfolgen wird alle drei Jahre in Form einer Novellierung des Gesetzes reagiert. Es handelt sich – um mit Michel Foucault (1991) zu sprechen – um eine Politische Technologie, also ein Instrument der Machtausübung. Somit versteht sich diese Studie auch als Beispiel und Plädoyer für eine politisch informierte Kulturanthropologie. Ohne die intensive Aufarbeitung der politischen Grundierung können soziale Wandlungsphänomene wie die Energiewende und das Beispiel bioenergetischer Dezentralisierung nicht angemessen verstanden werden. Das EEG regelt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien in vor allem ländlichen, landwirtschaftlich geprägten Gegenden vorangetrieben wird. Mit Rückgriff auf eine Anthropology of Policy lässt sich untersuchen, welche Auswirkungen Policies im Bereich der erneuerbaren Energien auf die Energieversorgung haben. Das EEG schafft als strukturierende Policy Räume für soziale und kulturelle Transformationsprozesse und Innovationen (vgl. Shore/

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Wright 1997, 2011). Eine solche Form der Politik(en) kann durchaus als produktive Formation bezeichnet werden. Die empirischen Beispiele sind zugleich Effekt und Formation einer Art von Machtausübung, die im Bereich der erneuerbaren Energien Einzug erhält. Es wird gezeigt, wie Policies durch einzelne Akteure und Gruppen inkorporiert werden und wie sich mit dem Bau von Biogasanlagen soziale und kulturelle Dynamiken entwickeln. Gerade auch die unbeabsichtigten Nebenfolgen, die Konflikte und Probleme, die ein Gesetz wie das EEG mit sich bringt, sind zentraler Ansatzpunkt kulturanthropologischer Forschung. Die Perspektive der Anthropology of Policy bietet einen grundsätzlichen Zugang zum Themenfeld, der das Zusammenspiel politischer Programme und ihrer Nebenfolgen fokussiert, indem »Formierungsprozesse politischer Felder, in deren Rahmen Räume geordnet, Ressourcen verteilt, Menschen kategorisiert und kulturelle Bedeutungen produziert werden« (Adam/Vonderau 2014, 9ff.) in den Blick genommen werden. Darüber hinaus geht es bei einer Anthropologie politischer Felder auch darum, Beziehungen zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren in Machtkonstellationen und somit das »Zusammenfließen heterogener Elemente zu komplexen Formationen des Politischen« aufzuspüren (Adam/Vonderau 2014, 10). Jens Adam und Asta Vonderau betonen die Prozesshaftigkeit und den experimentellen Charakter politischer Felder und die unterschiedlich verflochtenen Akteurskonstellationen, die an Aushandlungen von Policies teilnehmen. Informelle Politikformen und Verbindungen verschiedener Dynamiken, die erst in einem lokalen Kontext sichtbar werden, lassen sich ebenso beschreiben, wie die Beziehungen zwischen politischen Diskursen, materiellen Effekten und Rationalitäten sowie die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen politischer Eingriffe und Maßnahmen (Adam/Vonderau 2014, 14). Für Adam und Vonderau heißt dies für empirische Forschungen, dass »die Topografie des ethnografischen (Forschungs-)Feldes durch die assemblageartigen Beziehungen zwischen Orten und Institutionen, Individuen und materiellen Formen, Praktiken und Diskursen, Objekten und symbolischen Bedeutungen bestimmt wird, die sich im Rahmen des Konstituierungs- und Wirkungsprozesses einer Policy entwickeln« (Adam/Vonderau 2014, 19). Das gesamte Ensemble der Akteure und Aktanten konstituiert somit das Feld anthropologischer Politikforschung. Diese Akteure und Aktanten sind in der Lage, »innerhalb des Aushandlungsraums einer Policy ›Effekte‹ zu erzielen«. Formationen des Politischen sind deshalb außerdem auch ein Oberbegriff für die theoretischen Modelle – Assemblagen, Dispositive, Apparate, Netzwerke –, die verwendet werden, um ein solches Beziehungsgeflecht zu ergründen (Adam/ Vonderau 2014, 20ff.). Bietet die Anthropologie politischer Felder eine grundsätzliche Perspektive, sich dem Themenfeld Energieerzeugung mittels Biogas anzunähern, benötigt das Forschungsdesign angesichts der messiness (Beck

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2013) des Forschungsfeldes, hinsichtlich seiner konzeptionellen Rahmung und seines analytischen Vokabulars eine stärkere Fokussierung, die Energie im Zusammenhang mit anthropologischer Forschung beschreibt, welche sowohl politische Gefüge und Machtkonstellationen als auch konkrete Praktiken berücksichtigt.

Anthropology of Energy Eine Anthropology of Energy als Bestandteil anthropologischer Arbeitsbereiche ist ein neu entstehendes Forschungsgebiet. Zwar sind seit dem letzten Jahrzehnt zahlreiche anthropologische und sozialwissenschaftliche Publikationen zum Thema Klimawandel entstanden, in denen es im weitesten Sinne um Nachhaltigkeit, Umweltverschmutzungen und -katastrophen geht (vgl. Chakrabarty 2009, Crate/Nuttall 2009, von Storch/Krauß 2013, Krauß 2009, Henning 2005). Angesichts der tiefgreifenden und weitreichenden Transformationen werden allerdings erst in den letzten Jahren verstärkt – auch durch Fallstudien unterfüttert – Energie, Energienutzung und Energiepolitik in den Blick genommen (vgl. Ferguson 2005, Henning/Leijonhufvud 2014, Willow/Wylie 2014). Einen wichtigen Teilbereich nehmen hierbei Forschungen ein, die Praktiken der Energienutzung im Alltag untersuchen (vgl. Pink/Leder Macklay 2012, Shove/ Walker 2014) und diese in einen Zusammenhang mit der Bedeutungszuschreibung von Energie setzen (vgl. Strauss et al. 2013, Wilhite 2013). Der Anthropologe Harold Wilhite hebt hierbei hervor, dass Energie weit weniger als zentraler Akteur denn vermittelt auftreten kann: »People do not consume energy per se, but rather the things energy makes possible, such as light, clean clothes, travel, refrigeration and so on« (Wilhite 2005, 2). Menschen nehmen Energie als unsichtbar, allmächtig und gefährlich wahr – oder als wünschenswert und unverzichtbar, aber auch unzuverlässig. Derzeit sind gerade im Bereich der Forschungsrichtung Science and Technology Studies (STS) einige empirische Studien entstanden, die sich speziell mit den Veränderungsprozessen durch erneuerbare Energien befassen (vgl. Delicado et al. 2014, Levidow et al. 2013, Späth/Rohracher 2010, Walker et al. 2010, Wirth 2014). In ihrer Einleitung Powerlines: Cultures of Energy in the Twenty-first Century zum Sammelband »Cultures of Energy : Power, Practices, Technologies« beschreiben Sarah Strauss, Stephanie Rupp und Thomas Love (2013), wie Einstellungen zu Energie Konsum bestimmen: »Our uses of energy simultaneously shape our cultural concepts of and beliefs about energy« (Strauss et al. 2013, 10). Die Autoren plädieren für eine solche Anthropology of Energy, die kulturelle Vorstellungen von Energie erforscht, also wie sie gedacht, entwickelt und im Alltag genutzt wird. Fragen nach Energienutzung und Speicherung sind von

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entscheidender Bedeutung, jedoch hat, wie bereits erwähnt, die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema – vor allem in Bezug auf menschliche Werte, Überzeugungen und Verhaltensweisen – bisher nur minimal stattgefunden. Eine solche Anthropology of Energy argumentiert, dass die menschliche Nutzung von Energie nur durch »cultural frameworks« verstanden und erfahrbar gemacht werden kann. Denn trotz des rasanten Tempos technischer Innovation sind es vor allem kulturelle und politische Aspekte und Phänomene, die daran hindern, effektiv auf die enormen Herausforderungen im Energiebereich zu reagieren, jedoch weniger technische (Strauss et al. 2013, 10). Durch ethnographische Fallstudien wird nachvollziehbar, dass Produktion, Verteilung und Verbrauch von Energie fast nie der einfachen Logik der neoklassischen Wirtschaftseffizienz folgen; vielmehr neigen Menschen dazu, ihre verschiedenen Bezugssysteme unter technischen, wirtschaftlichen, kulturellen Voraussetzungen zu wechseln, wenn es um den Verbrauch von Energie geht (Pink/Leder Macklay 2012). Paradoxerweise haben Menschen sich schnell daran gewöhnt und sich zunehmend davon abhängig gemacht, billige Energie zu konsumieren, um an der »burgeoning global expectation of continuous economic growth, material accumulation, and ›progress‹« (Strauss et al. 2013, 10) festzuhalten. Die Macht der Energie verändert die Welt und fließt in den verschiedensten Formen in natürlichen und sozialen Kreisläufen. Energie ist ein Feld in Bewegung, das sich über soziale und physische Räume zieht. Aus diesen Gründen ist es längst höchste Zeit für anthropologische Forschungen: Und zwar darüber, wie Menschen Energie in ihren verschiedenen Qualitäten erfahren und nutzen, wie sie sich auf die Quantität verlassen, und wie sie sich beides, sowohl Qualitäten als auch Quantität von Energie, nutzbar machen und aneignen, »to construct socially meaningful worlds« (Strauss et al. 2013, 11). Dementsprechend müssen für die Skizzierung einer Anthropology of Energy drei zentrale Punkte berücksichtigt werden. Erstens finden Interaktionszusammenhänge mit Energie in verschiedenen Formen statt. Sie unterscheiden sich nicht nur in Aussehen und Funktion, sondern auch durch ganz verschiedene Qualitäten, die Frequenzen, Stromstärken und materielle Beschaffenheit umfassen. Zudem sind sie auch an verschiedene Energiequellen gebunden, die konstant oder nur begrenzt genutzt werden können (Strauss et al. 2013, 12). Daher muss sich eine Anthropology of Energy zwischen den Gesetzen der Physik (zum Beispiel den technischen Bedingungen), den Chancen und Einschränkungen ökologischer Systeme und kulturellen Prozessen hin und her bewegen. Darüber hinaus sind diese verschiedenen Realitäten materiell, rhetorisch und metaphorisch ganz wesentlich miteinander verflochten (Strauss et al. 2013, 12). Zweitens ist eine Anthropology of Energy zwangsläufig politisch. Die Notwendigkeit von Institutionen, Energieströme zu regeln, zu lenken und zu

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strukturieren, und Wechselverhältnisse von Energieflüssen und partikularer Handlungsmacht machen deutlich, dass eine Anthropology of Energy nicht nur in politische Handlungsfelder eingebettet ist, sondern selbst eine politische Rolle übernimmt. Mit der Perspektive, sowohl Institutionen und politische Programme als auch individuelle Handlungsfähigkeit in den Blick zu nehmen, bewegen sich kulturanthropologische Forschungen zu Energie in der Nähe einer »Engaged Anthropology« (vgl. Low/Merry 2010). Eine politisch orientierte Kulturanthropologie kann hier genuine Beiträge zum vielfach verflochtenen Feld von Energienutzung, -versorgung, -regelung und -verbrauch sowie Energiesicherheit liefern. Drittens muss eine Anthropology of Energy auch die vielen verschiedenen umkämpften Bedeutungen von Energie analysieren (Strauss et al. 2013, 12). Zwar wird Energie als zentraler Dreh- und Angelpunkt wahrgenommen, doch häufig tritt diese Qualität von Energie gegenüber der Wahrnehmung zurück, Energie sei weniger »Hauptakteur« als Mittel zum Erreichen konkreter Ziele. Anthropologen sind in der Lage, die Arten von konzeptionellem und sozialem Wandel nachzuzeichnen, welche die globalen Abhängigkeiten von fossilen Brennstoffen (insbesondere in wohlhabenden Gesellschaften) mit sich bringen werden (Strauss et al. 2013, 11). Es geht also darum, dass Anthropologen der Frage nachgehen müssen, was passiert, wenn sich die Quantität oder Qualität der Energieflüsse verändert, und mit ihr die sozialen Arrangements und kulturellen Verständnisse, die sich durch ein bestimmtes Energie-Regime entwickelt haben (Strauss et al. 2013, 13). Dieser Aspekt einer Anthropology of Energy fragt beispielsweise danach, wie Menschen Energie in ihren verschiedenen Qualitäten erfahren und nutzen, wie sie sich auf die Quantität verlassen und wie sie sowohl Qualitäten und Quantität von Energie nutzbar machen. Dieser Bereich einer Anthropology of Energy analysiert die zahlreichen verschiedenen umkämpften Bedeutungen von Energie. Diese Herangehensweise ist wichtig und weiterführend. Allerdings orientiert sie sich in der Fokussierung von Praktiken der Bedeutungszuschreibung eher an klassischen anthropologischen Fragestellungen. Neben Endverbrauchern, technischen Geräten, die in lokalen Aneignungspraktiken beobachtbar sind, und Stoffströmen, die durch das Umlegen eines Schalters, dem Griff zur Fernbedienung oder der Nutzung einer Steckdose sichtbar werden, gehören auch politische Programme, ökologische Systeme, Gesetzgebungen sowie technische oder soziale Infrastrukturierungsprozesse in das Forschungsspektrum einer Anthropology of Energy. Die vielschichtigen sozialen, ökonomischen und politischen Beziehungen, die im Kontext von Energie rhetorisch, metaphorisch und materiell entstehen, werden durch die im Folgenden vorgestellten Konzepte Energopower und Energopolitics für eine analytische Annäherung greifbar gemacht.

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Re-energizing Anthropology: Ein Forschungsprogramm

Energopower und Energopolitics »Recognizing and tracing the interactions of this multiplicity of forces will not only build a base of new anthropological knowledge but it will also help anthropologists to critically illuminate the limits of current western political discourse on energy transition.« (Boyer 2011, 5)

Besondere Bedeutung für diese Studie hat der Ansatz der Energopower und Energopolitics, weil dieser es ermöglicht, die Vielfalt der Zusammenhänge zwischen den Formen der jeweiligen Energieproduktion und den spezifischen politischen Projekten nachzuzeichnen. Im Umfeld des Center for Energy and Environmental Research in the Human Sciences (CENHS) der Rice University versuchen eine Reihe von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen – allen voran der US-amerikanische Anthropologe Dominic Boyer, Direktor des CENHS – neue Denkweisen auf Formationen und den Einsatz moderner Macht aufzuzeigen. Es geht ihnen dabei vor allem darum, zu untersuchen, wie Energie und Infrastrukturen mit Institutionen und Ideen politischer Macht zusammenhängen und wie diese sich wechselseitig verändern (Boyer 2011 und 2014, Coronil 2011, Drackl8/Krauss 2011, Howe 2011, Nader 2011, Rogers 2011, Szeman 2014). Boyer argumentiert, dass Atomkatastrophen, das Ende der fossilen Brennstoffe, der Klimawandel und Umweltverschmutzungen die Grundlagen des heutigen biopolitischen Regimes in einer Weise erschüttert haben, dass sich neue Bedrohungen auftun und die Menschheit vor unbekannte Herausforderungen gestellt wird (vgl. Boyer 2014, 322f.). Angesichts dieser Entwicklungen entwirft Boyer die Konzepte Energopower und Energopolitics. Der Ansatz der Energopower und Energopolitics ist für anthropologische Forschungen im Bereich Energie heuristisch reizvoll, weil er ermöglicht, die Vielfalt der Zusammenhänge zwischen den Formen der jeweiligen Energieproduktion und den spezifischen politischen Projekten nachzuzeichnen. Eine Anthropology of Energy will in diesem Sinne dann erforschen, wie Voraussetzungen von Biomacht (dem Regieren über das Leben und die Bevölkerung) heute in entscheidenden Punkten mit Modalitäten der Energopower (der Nutzung von Elektrizität und Treibstoff) zusammenhängen und umgekehrt: »We need to pay close attention, […] to the relations between logics of energy development, extant social institutions, emergent technologies, histories of political relations, and cultural understandings of energy, since all are vitally important forces affecting the pathways of energy transition.« (Boyer 2011, 5)

Dominic Boyer, der die Begriffe und Konzepte der Energopower und Energopolitics maßgeblich neu prägt, zieht seine theoretischen Überlegungen von Michel Foucaults Theorien des Sozialen. Boyer überträgt diese Vorstellung und

Energopower und Energopolitics

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stellt eine explizite Verbindung zwischen Biomacht und Biopolitik und Energopower und Energopolitics her. Der Begriff »Energo« erscheint mir hier deshalb so sinnvoll, weil der Begriff »Biomacht« in zunehmendem Maße so verwendet wird, dass der menschliche Körper in den Vordergrund gestellt wird, »Energo« hingegen erlaubt, jenseits der Körperflexibilität zu analysieren und zu argumentieren. Deshalb soll hier zunächst Foucaults Verständnis von Biomacht und Biopolitik dargestellt werden, um dann in einem nächsten Schritt Boyers Übertragung auf Formationen von Energopower und Energopolitics nachvollziehbar zu machen. Michel Foucault entwickelt seine Begriffe von Biomacht bzw. Biopolitik38 aus einer Analyse der umfassenden Transformation der Lebensweisen und Machtverhältnisse (vgl. Foucault 1997, 2004a, 2004b, 2005). Bezeichnet werden damit Machttechniken und -instrumente, die nicht auf den Einzelnen, sondern auf die gesamte Bevölkerung zielen (vgl. Foucault 2005, 230ff.), insbesondere auf die Regulierung ihrer Fortpflanzung, ihrer Gesundheit, ihrer Geburten- und Sterberate, ihrer Wohnverhältnisse durch statistische Messung. Foucault unterscheidet nicht systematisch zwischen Biomacht und Biopolitik, sondern verwendet die Begriffe oft synonym (vgl. Lemke 2004 und Folkers/Lemke 2014). Trotzdem lassen sich Tendenzen in den Verwendungsweisen der beiden Begriffe ausmachen (vgl. Folkers/Lemke 2014, 12). Stefanie Graefe hat darauf aufmerksam gemacht, dass Foucault mit Biopolitik zumeist die konkreten Techniken der Macht meint, die auf Sicherung und Steigerung von Lebensprozessen abzielen, hingegen es sich bei Biomacht häufig um den gesellschaftlichen und historischen Kontext handelt, in dem diese Techniken eingesetzt werden (Graefe 2007, 9). Biomacht bzw. Biopolitik39 bezweckt bei Foucault also zunächst vor allem die Regulierung der Bevölkerung (vgl. Foucault 1997, 2004a, 2004b).40 Um mit den Soziologen und Foucault-Experten Thomas Lemke und Andreas Folkers zu sprechen, meint Biopolitik die Bedingungen und Folgen der Steuerung von Lebensprozessen (vgl. Lemke/Folkers 2014).41 38 Die Begriffe Biopolitik bzw. Biomacht werden von Foucault zuerst im Buch Der Wille zum Wissen und in den Vorlesungen am CollHge de France von 1976 systematisch eingeführt und genauer erklärt. 39 In Anlehnung an Thomas Lemke verwende ich die Begriffe Biomacht und Biopolitik im Folgenden auch gleichbedeutend, werde aber später in Hinblick auf Stefanie Graefes (2007) Unterscheidung für die Konzepte Energopower und Energopolitics eine Differenzierung vornehmen. 40 »Bevölkerung ist eine Gruppe, die nicht einfach nur aus vielen Menschen besteht, sondern aus Menschen, die von biologischen Prozessen und Gesetzen durchdrungen, beherrscht und gelenkt sind. Eine Bevölkerung hat eine Geburtenrate, eine Alterskurve […], einen Gesundheitszustand« (Foucault 2005, 230ff.). 41 In ihrem Reader (2014) unterscheiden die Autoren werkgeschichtlich zwischen drei Akzentsetzungen: »Erstens steht Biopolitik für eine historische Zäsur im politischen Handeln

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Foucaults Konzept der Biopolitik liefert (wie gezeigt) eine gute Beschreibung der Art und Weise, wie Staaten die Lebenstätigkeit der Bevölkerung heute organisieren und verwalten. Die Grundidee der Biopolitik steht mit dem politischen Verlangen nach Sicherheit, und zwar dem »set of mechanisms through which the basic biological features of the human species became the object of political strategy« (Foucault 2004b, 1). Biopolitiken kennzeichnen unsere heutige Form der Macht, die mittels der Apparate von Wissen und einer Reihe von Disziplinarmaßnahmen durch den Staat koordiniert werden (vgl. Walters 2012). Was den zeitgenössischen Staat und das Subjekt verbindet, sind die verschiedenen Praktiken, mit denen Bevölkerungen für politische Zwecke regiert werden. In erster Linie ist dies das Ziel des Wirtschaftswachstums, das bei Wachstum »gesunde« Bevölkerungen erfordert. Das Wachstum bestätigt dann wiederum, dass die angewandten Disziplinierungsprozesse zur Formung der Bevölkerungen so funktionieren, wie sie sollen (vgl. Foucault 2004b). Für Foucault ist Gouvernementalität der grundlegende Zusammenhang zwischen Staat und Subjekt. Er meint mit dem Begriff »Gouvernementalität« drei Dinge: Erstens versteht er darunter das Ensemble von Institutionen, Verfahren, Analysen, Reflexionen, Kalkulationen und Taktiken, das die Ausübung dieser sehr spezifischen, wenn auch sehr komplexen Macht zum Ziel hat und politische Ökonomie als sein wesentliches technisches Instrument nutzt. Zweitens ist mit »Gouvernementalität« die Tendenz und Linie der Kräfte gemeint, die für eine lange Zeit in der gesamten westlichen Welt zur Entwicklung einer Reihe von spezifischen Regierungseinrichtungen (appareils) auf der einen Seite, und zur Entwicklung einer Reihe von Erkenntnissen (savoirs) auf der anderen Seite geführt hat. Drittens versteht er unter »Gouvernementalität« den Prozess, oder vielmehr die Ergebnisse des Prozesses, durch die der mittelalterliche Staat der Gerechtigkeit im 15. und 16. Jahrhundert zu einem Verwaltungsstaat wurde und somit nach und nach »governmentalisiert« wurde (Foucault 2004b, 108–109 und Foucault 1991). Für den Kulturwissenschaftler Imre Szeman ist das Problem des Regierens der Bevölkerung in direkter Weise mit Energie verbunden. Szeman argumentiert, dass der Zugriff auf immer größere Energiequellen, welche die Expansion von Industrie und Bevölkerung ermöglicht, eine zentrale Motivation für staatliches Handeln darstellt (Szeman 2014, 455). Die Konzepte Energopower und Energopolitics versuchen, hier anzusetzen und in Erweiterung von Foucaults Begriff der Gouvernementalität die Rolle der Energie in Foucaults Ansatz der und Denken, die sich durch eine Relativierung und Reformulierung souveräner Macht auszeichnet. Zweitens spricht Foucault biopolitischen Mechanismen eine zentrale Rolle bei der Entstehung des modernen (Staats-)Rassismus zu. In einer dritten Bedeutung setzt er ›Biopolitik‹ ins Verhältnis zu einer besonderen Kunst des Regierens, die erst in liberalen Gesellschaften entsteht« (Folkers/Lemke 2014, 9).

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Biomacht und Biopolitik konzeptionell neu zu fassen.42 Das bedeutet, dass eine biopolitische Analyse in jedem Falle notwendig ist, aber nicht ausreicht, um die komplexe Funktionsweise moderner Staaten und moderner Macht zu verstehen, vor allem im Zusammenhang mit deren Versuch der Nutzung und Kontrolle von Energie, denn »power over energy has been the companion and collaborator of modern power over life and population from the beginning« (Boyer 2011, 5). Aufbauend auf Foucaults Arbeit zu Biomacht nutzt Boyer daher den Vorschlag von Paul Rabinow und Nikolas Rose, die spezifischen Strategien und Auseinandersetzungen über Problematisierungen der kollektiven menschlichen Vitalität, Morbidität und Mortalität in den Blick zu nehmen und so über die Formen des Wissens, der Regime der Autorität und der Praxis der Intervention nachzudenken (Rabinow/Rose 2006, 197). In der Folge lässt sich das Biomacht-Konzept für die Bedingungen des 20. und 21. Jahrhunderts anwenden und die Wissenschaften, Politiken und Ökonomien des Lebens (mit Fokus auf Energie) zusammenführen (Boyer 2014, 321ff.). Energopower und Energopolitics sind keine alternativen Konzepte zu Biomacht und Biopolitik, sondern akzentuieren hinsichtlich der Dringlichkeit der Untersuchung der wesentlichen Funktion von Energie die Organisation und Dynamik politischer Kräfte in verschiedenen Größenordnungen, die Boyer als »ways of putting into words the increasing recognition that conditions of life today are increasingly and unstably intertwined with particular infrastructures, magnitudes, and habits of using electricity and fuel« (Boyer 2014, 323) beschreibt. In Boyers Perspektive findet Energie ihren Weg gerade jetzt in anthropologische Diskurse als die Folge von Krisenmomenten in den dominanten Energieregimen. Nicht nur stellen Energieunternehmen einen zentralen Bestandteil wirtschaftlicher Produktion dar, sondern die Sicherung bzw. Ausübung staatlicher Ordnung ist in wesentlichen Punkten auf Energie gegründet. In erster Linie handelt es sich also bei Energopower und Energopolitics um ein Forschungsprogramm, das politische Macht durch die doppelte Analyse von Energieressourcen und Energieproduktion überdenkt und durch das wir die Organisation und Dynamiken politischer Kräfte über verschiedene Skalen begreifen können. »I would describe energopower […] as an analytic method that looks in the walls to find the wiring and ducts and insulation, that listens to the streets to hear the murmur of pipes and sewage, that regards discourse on energy security today as not simply about

42 Obwohl Foucault vom Staat eingesetzte Praktiken und Prozesse der Gouvernementalität zur Ausführung der Biopolitik berücksichtigt, fehlt bei ihm Energie als ein entscheidender Teil der Geschichte der Entstehung des modernen Subjekts und der Verfassung des zeitgenössischen Staats (vgl. Szeman 2014, 455).

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the management of population […] but also about the concern that our precious and invisible conduits of fuel and force stay brimming and humming.« (Boyer 2014, 325)

Für einen heuristischen Zugriff liegt die Stärke der beiden Konzepte in der Möglichkeit der Analyse, Darstellung und Beforschung von Energie-Phänomenen – und dies nicht nur aufgrund ihrer methodischen, sondern vor allem auch aufgrund der im Folgenden dargestellten energo-politischen theoretischen Herangehensweise. Energopower und Energopolitics sind Diskurs und vorfindbares Phänomen zugleich, während sie auch als Zeichen der energo-materiellen Übertragungen und Transformationen in allen anderen gesellschaftspolitischen Phänomenen fungieren (Boyer 2014, 326). Mit dem Forschungsprogramm Energopower und Energopolitics werden zudem Diskurs, Materialität und Historizität erfasst. Nach Boyer ist Energopower keine »Art von Macht«, sondern vielmehr die konzeptionelle Beobachtungskategorie für Macht.43 Gerade jetzt in Anbetracht des Reaktorunglücks in Fukushima und/oder der Energiewende in Deutschland widerfährt der Anthropologie ein Moment höchster politischer und kultureller Dringlichkeit und Chance zugleich, eine Anthropology of Energy zu (er-)finden. Anthropologie kann mehr, als epistemische Dinge aus und in anderen Ländern zu sammeln und zu analysieren. Es geht gerade nicht um das »anderswo«, also nicht nur um das Erfassen anderer Orte, anderer Kulturen und Zeiten, sondern vielmehr um das, was mit Energie im Hier und Jetzt bei uns passiert und wie wir damit umgehen, »the signals of force and fuel surrounding us in the here and now, the humming of enablement« (Boyer 2014, 329). In meinen Augen handelt es sich hierbei also um neue Forschungen im Fach Kulturanthropologie, das eine Stärke in der Analyse, Darstellung und Beforschung von Energie-Phänomenen beweisen kann – und dies nicht nur aufgrund seiner methodischen, sondern vor allem auch aufgrund der eben dargestellten energo-politischen theoretischen Herangehensweise. Es ist nicht nur die Technikgeschichte, die Politikwissenschaft oder die Soziologie, sondern gerade die Kulturanthropologie, die einen wichtigen Beitrag in diesem Forschungsbereich leisten kann. Bei Dominic Boyers Ansatz zu Energopower und Energopolitics wird zwi43 Energopower und Energopolitics als Konzept erscheint gerade jetzt sinnvoll, weil eine Reihe von Ereignissen unsere Aufmerksamkeit auf Spannungen und Widersprüche zwischen staatlichen Bestrebungen und den Energiemächten gezogen hat. Ereignisse, wie die Ölkrisen der 1970er Jahre oder die Gewissheit des Anthropozän, helfen uns, neue Dimensionen der Macht zu sehen (Boyer 2014, 327). Genau aus diesen Gründen ist es dringend notwendig, dass sozial- und kulturwissenschaftliche Forschungen über Energie mit dem anthropogenen Klimawandel und der Notwendigkeit einer Energiewende in einen Zusammenhang gebracht werden. Die mediale Darstellung von extremen Wetter- und Verschmutzungsereignissen ist so allgegenwärtig, dass die Faktizität des Anthropozän zu einem Grundzug des Alltagswissens geworden ist.

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schen den Begriffen nicht trennscharf differenziert, daher will ich die beiden Konzepte für meine Forschung weiterentwickeln und wie folgt analytisch fassen. In Anlehnung an die beschriebenen Tendenzen der Begriffe Biomacht und Biopolitik bei Foucault (vgl. Graefe 2007, 9) lässt sich folgendermaßen zwischen Energopower und Energopolitics unterscheiden. Mit Energopower wird der gesellschaftliche, soziotechnische und kulturelle Kontext beschreiben, während Energopolitics die politischen Programme und Regierungstechniken umfasst. Um eine mögliche forschungsprogrammatische Einbettung einer Anthropology of Energy zu konkretisieren, wird sich der nächste Abschnitt mit der Energiewende in Deutschland auseinandersetzen und diese zu den beiden – größtenteils theoriebasierten – Konzepten von Dominic Boyer in Beziehung setzen, um sie dann wiederum um eine ethnographisch orientierte Perspektive zu erweitern. Mit Energopower ist der gesellschaftliche und kulturelle Kontext gemeint, konkret übertragen auf mein Forschungsszenario ist das die Energiewende in Deutschland. Gemeint sind hier aber auch die für die Energiewende nötigen Energieproduktionstechnologien und deren Materialität, die konkret zur Energiegewinnung verwendet werden – für die vorliegende Arbeit Biomasse. Außerdem betrifft Energopower Diskurse über Natur und Kultur, wie die im Zeitalter des Anthropozän notwendige Neudefinition menschlicher Beziehungen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, das eigenständige Hinterfragen der Kompetenz der Behörden und Institutionen, um über Themen wie Klimawandel, Nachhaltigkeit und die Energiewende der Industriegesellschaften zu sprechen und zu urteilen. Energopolitics beschreibt politische Programme und Regierungstechniken, wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), genauso wie die verschiedenen Regierungsformen und Formen des Regierens und des Sich-Selbst-Regulierens, aber auch Energieautarkie-Projekte, Protest (Wutbürger) oder das NIMBYSyndrom (Not-In–My-Backyard-Syndrom). Gemeint sind hier auch die politischen Strategien (de Certeau 1988), die im Namen zukünftiger Energie-Transformationen in kollektive Existenzen eingreifen.44 Ausgehend also von Boyers Aufforderung, sich anthropologisch informiert mit »the intersection of energic forces and fuels with projects of governance and self-governance across the world today« auseinanderzusetzen (Boyer 2014, 310), kann dies wie folgt für die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Studie konkretisiert werden. Die Projektförmigkeit dieser governance(-Strukturen) soll daher besonders betont werden, denn es handelt sich nicht um irgendwelche 44 Der Begriff »Strategien« beschreibt in Anlehnung an Michel de Certeau hier die konkreten (politischen) Verordnungen. Im Gegensatz zu alltagspraktischen Handlungen, welche die Freiräume zwischen den Ordnungsprogrammen nutzen, die de Certeau »Taktiken« nennt, soll hier insbesondere der kollektivierende Strukturierungsaspekt hervorgehoben werden.

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Formen oder Regime, sondern um Projekte von governance und self-governance across the world. Projekte, hier verstanden als temporäre Handlungszusammenhänge von Akteuren, gelten als Ursache für eine grundlegende Transformation der sozialen Beziehungen und ihrer räumlichen Bezüge (vgl. Lottermann/Welz 2009 und Faßler 2008). Anna Lowenhaupt Tsing fasst Projekte als kurzweilige Zusammenballungen von Deutungen und Strategien, und zwar »relatively coherent bundles of ideas and practices that are realized in particular times and places […]. Projects may articulate with each other, creating moments of fabled stability and power. They may also rub up against each other awkwardly, creating messiness and new possibilities.« (Tsing 2002, 472) Projekte können sich also auch aneinander reiben und dann Friktion erzeugen. Für Anna Lowenhaupt Tsing sind diese Momente entgegengesetzte, situative Verbindungen von Beziehungen, die Möglichkeiten für soziale Veränderungsprozesse des politischen Machtgefüges erzeugen: »the akward, unequal, unstable and creative qualities of interconnection across differences« (Tsing 2005, 4). Unterschiedliche Interessengruppen mit verschiedenen Zielen finden sich aufgrund von Notwendigkeiten zusammen, was in der vorliegenden Studie unter anderem am Beispiel des Wutbürgertums, des NIMBY-Syndroms, aber auch dem Bioenergiedorf gezeigt wird. Es handelt sich hierbei um Projekte mit unterschiedlichen Akteuren, Zielen, internen Zusammenhängen, Kopplungen und Organisationsstrukturen. Letztlich geht es in der vorliegenden Studie genau darum, nämlich zu untersuchen, in welcher Weise spezifische Formationen der Energieproduktion und deren Materialitäten (Energiewende, erneuerbare Energien: Biomasse) [Energopower] jeweils mit spezifischen politischen Projekten der verschiedenen Regierungsformen und Formen des Regierens und des Sich-Selbst-Regulierens (wie dem Erneuerbare-Energien-Gesetz oder aber Energieautarkie oder Protest) [Energopolitics] zusammengehen, sich entwickeln, diese erzeugen, möglich machen, verhindern und auch nicht zustande kommen lassen. Beobachtbar wird dies anhand Energopractices, die durch die Auseinandersetzung mit dem empirischen Material offengelegt werden sollen. Der nachfolgend einzuführende Begriff Energopractices bezeichnet in meiner Annäherung die durch einen praxeologischen Forschungsansatz aus Energopower und Energopolitics resultierenden Handlungsweisen, Folgen und Nebenfolgen, die auf der Mikroebene beobachtbar sind. Es ergibt sich also eine Art Dreiklang des theoretischen Konzepts.

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Messiness: Die Energiewende und daraus entstehende Paradoxien Dieses Zusammenspiel sowie das analytisch-methodische Potential eines praxeologisch informierten Zugangs durch Energopractices lässt sich anschaulich am Beispiel der Energiewende verdeutlichen. Die Trocknungsgemeinschaft Kinzingen, das Energiedorf Kleinschwalbenheim, das durch die Abwärme einer Biogasanlage beheizte Krankenhaus in Taberlingen, aber auch die sich durch das erhöhte Verkehrsaufkommen belästigt fühlende Bürgerinitiative sowie aufgebrachte Jäger, besorgte Umweltschützer, vom Aussterben bedrohte Feldhasen und die immerfort sich ausbreitenden Maisfelder – ohne die deutsche Energiewende gäbe es diese Phänomene, Akteure und ihre zum Großteil ungewollten Effekte überhaupt nicht. Daher ist es von zentraler Bedeutung, mein Forschungsprojekt im Kontext der Energiewende anzusiedeln. Der Begriff und das Konzept »Energiewende« hatte eine anders gelagerte Energiezukunft zum Ziel und wurde bereits im Jahr 1980 in einem viel beachteten Gutachten des Freiburger Öko-Instituts (Krause et al. 1980) in deutsche(n) politische(n) Debatten eingebracht. Ähnlich schon wie in der Veröffentlichung »Die Grenzen des Wachstums« des Club of Rome in den 1970er Jahren ging es hierbei darum, eine wissenschaftsbasierte Prognose für eine Energieerzeugung ohne Nutzung von Atomenergie und Erdöl darzulegen (vgl. Wirth 2014). Der Bericht versprach Vereinbarkeit von Wohlstand, Wirtschaftswachstum und ökologischer Nachhaltigkeit durch einen Wechsel von nuklearer und fossiler Energie auf erneuerbare Energieträger. Von Anfang an war der Begriff »Energiewende« eng mit der anschließenden ökologischen Bewegung in Deutschland verbunden, ein Erbe der Studentenbewegung von 1968 und ihrer antikapitalistischen Neigungen. Der Widerstand gegen Atomkraft fokussierte sich zunächst auf eine Kritik an der »economy of plutonium«, die vor allem in Zusammenhang mit dem militärisch-industriellen Komplex gebracht wurde (Beck 2013, 5). Zwar wurde bereits vor dem Reaktorunglück von Fukushima im März 2011 von der Energiewende gesprochen, aber angesichts der Katastrophe in Japan hat die Bundesregierung (öffentlichkeitswirksam) den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Während Ende 2022 der letzte Atommeiler vom Netz gehen soll, hat sich die Bundesregierung im Rahmen einer nationalen Klimaschutzstrategie das ambitionierte Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken (vgl. Bundesregierung 2014). Dies beinhaltet eine drastische Senkung der Nutzung fossiler Brennstoffe gegenüber einer Steigerung des Anteils regenerativer Energien im deutschen Energiemix. Das zentrale Instrument hierfür ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Das EEG garantiert Abnahmepreise für Ökostrom, macht langfristige Investitionen für Betreiber von Solar-, Wind- und Biomasseanlagen aufgrund der 20-jährigen

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Sicherheit in ihrer Rentabilität besser abschätzbar, ermöglicht die gezielte Nutzung von Ökostrom durch den Endverbraucher und vereinfacht zusätzlich die Genehmigungsverfahren für den Bau von Wind-, Solar und Biomasseanlagen (vgl. EEG 2009 und 2012). In den letzten Jahren hat das EEG den verstärkten Ausbau von Windkraft, Photovoltaik und Energiegewinnung aus Biomasse ermöglicht und teilweise zu einem Anstieg des Strompreises geführt. Kurz gefasst lässt sich unter der Energiewende das politische Projekt verstehen, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, bis 2050 die Energieproduktion und -konsumption in Deutschland von fossilen und nuklearen Energieträgern auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Um dies zu ermöglichen, wurden finanzielle Anreize durchgesetzt, bestimmte Regelungen eingeführt und spezielle Technologien gefördert. Mit dem Atomausstieg nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima wurde die bereits voranschreitende Energiewende sogar noch beschleunigt. Die Energiewende ist ein vielschichtiges Projekt, in dem veränderte politische Sachlagen, Feedback-Effekte oder reziproke Entwicklungen Nebenfolgen generieren, die dann wieder Teil des gesamten Projekts werden. Für eine kulturanthropologische Auseinandersetzung ist es produktiv, diese energiepolitisch induzierten Transformationen im Zusammenhang ihrer Effekte, Konsequenzen und Nebenfolgen zu untersuchen (vgl. Sperling 2014, Sperling 2012). Im Zuge der Energiewende finden nicht nur unterschiedliche Akteure (u. a. Politiker, Energiekonzerne, Interessengruppen, Landwirte) und Aktanten (u. a. EEG, Technologien, Richtlinien) zusammen, sondern das Projekt selbst weist aufgrund verschiedenster Effekte, Konsequenzen und Nebenfolgen keine stringente Ordnung auf bzw. aus. Dies bedeutet nicht ein mögliches Scheitern des Projekts, sondern vielmehr, dass seine Nicht-Ordnung andere Potentiale besitzt und auch anders beschrieben werden muss (Abrahamson 2002, Law 2004, Marcus 1994).

Die messiness der Energiewende »While the designers of the German Energiewende considered public education crucial in order to raise energy awareness and to create energy responsible citizens, one of the lesser ironies of the Energiewende is that it educates the masses about the limits of planned socio-technical change and the intricacies involved in orderly transitions of large-scale socio-technical systems.« (Beck 2013, 2)

In »No brownouts in Germany – towards an analysis of energopractices and renewable democracies after Fukushima« argumentiert der Anthropologe Stefan Beck, dass die Energiewende unerwartete Paradoxien schafft (vgl. Beck 2013). Er nennt zwei Beispiele, die derzeit in Deutschland zu beobachten sind: Zum einen steigen die Energiepreise für Privathaushalte wegen eines Über-

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schusses an erneuerbaren Energien. Zum anderen sind die umweltfreundlichen Pumpspeicherwasserkraftwerke, die in der Vergangenheit dafür verwendet wurden, einen Speicher für Spitzenlasten vor allem am Tag zu bieten, nicht mehr wirtschaftlich aufgrund des tagsüber überschüssig verfügbaren Solarstroms (Beck 2013, 1). Gleichzeitig benötigt jedoch jede zukünftige Energieversorgung aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne solche Speicher »als Rückgrat der Versorgungssicherheit« (Sachverständigenrat für Umweltfragen 2011). Zusätzlich entwickelt sich aufgrund der hohen Strompreise die Angst eines infrastrukturellen Zusammenbruchs alter Leitungen und dann einem kalten Winter. Alle sind gegen Atomkraft, aber keiner will eine neue Stromtrasse in der Nachbarschaft. Deutschland kämpft mit der Energiewende. Verursacht bzw. verstärkt wird der Missmut in der deutschen Gesellschaft durch Tageszeitungen, die mit Schlagzeilen wie den folgenden Antipathien schüren: »Die Energiewende macht den Strom teurer!«, »Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist zu teuer!«, »Mit der EEG-Umlage steigen die Kosten des Ökostromausbaus«, »Das EEG führt zu einer Kostenexplosion«.45 Es wird deutlich, dass seit der politischen Entscheidung, den Betrieb von Kernkraftwerken einzustellen, der Atomausstieg nicht nur Befürworter findet, sondern es zunehmend auch eine öffentliche Abneigung gegen die Energiewende gibt. Diese Antipathie hat teilweise ganz unterschiedliche Gründe wie beispielsweise ökologische Bedenken, steigende Strompreise, die Veränderung des Landschaftsbildes, Lärmbelästigung. Als Reaktion darauf, so Beck, versucht die Regierung gerade die Energiewende zu verlangsamen, um diese paradoxen, unbeabsichtigten und ungewollten Effekte in den Griff zu bekommen und kontrollierbar zu machen. Eigentlich sollten der Atomausstieg und die Steigerung der Produktion von erneuerbaren Energien lebensbedrohliche Risiken wie Radioaktivität, das ungelöste Problem der Lagerung des Atommülls sowie die Bedrohungen des Klimawandels, der durch die Nutzung von fossilen Brennstoffen verursacht wird, reduzieren. Doch Entscheidungen, öffentliche Statements und Gesetze führen zu allgemeiner Verwirrung (vgl. Bauchmüller/Müller 2014). Dies zeigt sich eben auch daran, dass Kanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz die zeitlichen Ziele des Atomausstiegs 2022 und der Energiewende 2050 miteinander verwechselt. So scheint es, dass durch die Energiewende nur noch mehr Probleme und Risiken in anderen Bereichen des Energiesystems entstehen bzw. sichtbar werden (Beck 2013, 2). Die Energiewende wird zu einem »wicked problem« (Rittel/Webber 1973). Neben (oder gerade 45 Es ist tatsächlich vielmehr so, dass konventionelle Energieformen immer teurer werden (vgl. Kemfert 2013). Siehe hierzu ausführlich Kapitel 2 zur Energiewende und die Erläuterung zum EEG und zur Energie.

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durch die Auseinandersetzung mit) solchen Paradoxien treten zudem vormals verborgene, als selbstverständlich genommene oder auch unbekannte Infrastrukturen zu Tage (Beck 2013, 2). Beck beschreibt diese Entwicklung als zunehmende Bewusstwerdung der Auswirkungen von »irreducible systemic complexity« und der Erkenntnis, dass die politischen Institutionen und die etablierten Verantwortlichen der Planungsprozesse nur unzureichend in der Lage sind, auf diese Komplexität zu regieren (Beck 2013, 2). Somit wird die Energiewende zu einem Projekt, das (a) weit über den durch die Politik definierten Rahmen hinausreicht, (b) multi-direktional verläuft, (c) (wachsende und) verschiedene Gruppen von Akteuren und Aktanten umfasst, die nicht notwendigerweise Teil der ursprünglichen Projektplanung waren, (d) verschiedene Aneignungspraktiken und Folgeregime nach sich zieht, (e) über eine nicht simpel reduzierbare Vielschichtigkeit verfügt und somit (f) eine verstrickte Unordnung (messiness) besitzt. Doch für Stefan Beck ist es gerade diese messiness, also die Unordnung der Energiewende, welche die Energiewende zum idealen Forschungsfeld für Anthropologen werden lässt. Die offensichtlichen Fehler der Regierung ermöglichen genauso wie ihr überraschender Erfolg Einblicke in für gegeben genommene, größtenteils verdeckte Handlungsmuster (Beck 2013, 2). Die Energiewende legt offen, was Beck als kosmologische Orientierungen verschiedener Akteure auf allen Ebenen beschreibt und was unerwartete, unabsehbare soziale Innovationen erzeugt. In dieser Studie ist es also von Bedeutung, diese messiness der Energiewende nicht als einen bedauerlichen Nebeneffekt anzusehen, sondern, wie Stefan Beck vorschlägt, diese vielmehr als einen sozialen Prozess oder als totale soziale TatSache im Sinne von Mauss und Durkheim zu fassen, der fundamentale rechtliche, wirtschaftliche, moralische, soziale, kulturelle und materielle Veränderungen mit sich bringt, die einen stark unplanbaren Charakter haben (Beck 2013, 2). Dadurch kann die Energiewende nicht nur als ein soziotechnisches Problem verstanden werden, sondern als ein Prozess, der nichts weniger ist als »an existential revolution in the ways of life of one of the more advanced industrial societies« (Beck 2013, 2; vgl. Nader 2010). Hier können gerade die unintendierten und überraschenden Effekte aus einer anthropologischen Perspektive zur Erkenntnis von fest verwurzelten, nicht hinterfragten Verstehensweisen, Verhaltensformen und Mustern von Praxis in einer modernen industrialisierten Gesellschaft führen, so Beck (2013, 3). Es wird deutlich, dass vergleichende Analysen der lokalen, regionalen oder nationalen Besonderheiten oder »Pfadabhängigkeiten« (vgl. Pierson 2000) unverzichtbar sind, damit nicht nur die messiness von Infrastrukturierungsprozessen erfasst wird, sondern auch die entscheidenden Heterogenitäten und Widersprüche beobachtet werden können (Beck 2013). Unter Infrastrukturierungsprozessen versteht der Anthropologe Jörg Niewöhner (2014) aus einer

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praxistheoretischen Perspektive lernende Prozesse, die »Tendenzen [verkörpern], Konflikte in die eine und nicht eine andere Richtung aufzulösen« (Niewöhner 2014, 344ff.). Bei diesem Ansatz geht es darum, die Effekte dieser Prozesse daraufhin zu untersuchen, welchen spezifischen Umgang sie mit Konflikten nicht nur ermöglichen und hervorbringen, sondern auch rechtfertigen. Infrastrukturierung ist nicht trivial, so Niewöhner, denn es handelt sich immer um Prozesse, die auf Feedback reagieren und die durch die Prozesse, die in und durch sie ablaufen, selbst verändert werden. Es geht hier also um die Gestaltungspraxis von Wechselwirkungsprozessen und Austauschbeziehungen. Niewöhner beurteilt diese Prozesse der Infrastrukturierung als Versuch einer spezifischen Vernetzung von Akteuren, Technologien und Ordnungen (vgl. Niewöhner 2014, 344ff.). Stefan Beck schlägt eine praxeologische Herangehensweise vor, die materielle Umgebungen, infrastrukturelle Bedingungen, kulturelle Orientierungen, Kreativität und Widerstand und vor allem die differenzierten sozialen Felder, in denen Menschen handeln, berücksichtigt.46 Bereits vor Stefan Becks Auseinandersetzung mit der Energiewende haben Anthropologen wie Paul Rabinow oder George Marcus den Begriff der messiness verwendet und daran das produktive Potential anthropologischer Forschung geknüpft. Paul Rabinow fordert Anthropologen auf, aufmerksam für unerwartete und inkonsistente Ereignisse zu sein. Ähnlich schreibt Beck: »It means being attentive to messiness, un-orderliness, or nonregularity« (Beck 2013, 4). Anthropologisch Forschen bedeutet das Hier und Jetzt, den Moment der Bewegung in den Blick zu nehmen und eine anthropology of the contemporary (Rabinow 2008) oder »anthropology of the moderns« zu betreiben (Berliner et al. 2013). Gerade angesichts der messiness jüngster Transformationsprozesse der Energiewende erfordert eine Analyse, sowohl die historischen Bedingungen, 46 Angesichts dieser Perspektive ist es wichtig, nicht in eine der beiden typischen theoretischen Fallen der Sozialwissenschaften zu stolpern (Beck 2013, 4). Zum einen besteht die Gefahr einer über-sozialen Darstellung menschlicher Praktiken, die in der Folge deterministische oder teleologische Modelle konstruiert. Solche Modelle setzen voraus, dass die Praktiken einer »versteckten Logik« folgen, die sich »hinter dem Rücken« der Akteure abspielt, der aber dennoch mehr oder weniger alle Akteure folgen. Auf der anderen Seite kann eine Forschung Gefahr laufen, eine naive unter-soziale Darstellung menschlicher Praxis in Zusammenhang mit Infrastruktur zu geben. Damit würde sie dem Sachverhalt voluntaristische Modelle zugrunde legen, die voraussetzen, dass menschliche Akteure auf frei verfügbarer Wissensbasis nach Zweck-Mittel-Rationalitäten handeln und Technologie oder Infrastruktur als inaktive, neutrale Einheiten ohne kulturelle Prägung und Prägemacht sehen. Stefan Beck weist darauf hin, dass diese Überbetonung menschlicher Praktiken in Kombination mit teleologischen Vorstellungen menschlicher Entwicklung bei Timothy Mitchell in Carbon Democracies nicht vollständig vermieden werden kann (Beck 2013, 4). Auch wenn Mitchell darauf aufmerksam macht, dass eine eigentümliche Menge an Beziehungen unter Öl, Gewalt, Finanzen, Know-how und Demokratie entstanden ist (Beck 2013, 3).

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Konfigurationen und Konstellationen von Macht und Wissen zu beobachten als auch eine sensible Untersuchung von Eventualitäten, Umgestaltungen und Unwägbarkeiten. An die Auseinandersetzung mit erneuerbaren Energien knüpft sich die Aufgabe, die Unterschiede zwischen den Formen von erneuerbaren Energien in den Blick zu nehmen und zu fragen, wie Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse jeweils verschiedenartige soziale, technologische, wirtschaftliche und politische Relationalitäten formen. Stefan Beck appeliert in diesem Zusammenhang insbesondere auch dazu, diese Verschiedenartigkeit ähnlicher Energieerzeugung zu untersuchen (Beck 2013, 3). Beispielsweise bestehen große Unterschiede zwischen Offshore-Windparks einerseits, die erhebliche Unternehmensinvestitionen erfordern, und Bürger-finanzierten lokalen Windparks andererseits, die zu energieautarken Gemeinden führen.47 Ebenso lässt sich nach den Unterschieden fragen, die zwischen großen Biomassekraftwerken, geführt von multinationalen Unternehmen, und kleinen Biogasanlagen, betrieben von Landwirten in ländlichen Gebieten, bestehen. Letztere bestücken ihre im Verhältnis kleinen Anlagen mit Substrat aus benachbarten landwirtschaftlichen Betrieben, beheizen lokale Schulen über Fernwärmeleitungen und setzen die verarbeitete Biomasse, den Gärrest, wieder als willkommenen Dünger für ihre Böden ein (vgl. Sperling 2014).48 Eine praxeologische Herangehensweise an die jüngsten Veränderungen im Energiesektor verschiedener Industriegesellschaften wird sich daher darum bemühen, den kreativen Opportunismus der Akteure, ihr Glücksspiel, ihre Versuche, bestehende Ressourcen zu kapitalisieren, und ihre individuellen oder kollektiven Utopien zu verfolgen (vgl. Fish 1998, 420). Um der Anforderung gerecht zu werden, nicht nur staatliche oder industrielle Machtverhältnisse oder bloße gesetzliche Regelungen zu beschreiben, sondern um aktuelle energo-politische Transformationsprozesse aus der Perspektive einer Anthropologie des Zeitgenössischen zu fassen, führt Stefan Beck den Begriff Energopractices ein (Beck 2013, 4). Das Konzept der Energopractices stellt ein wichtiges analytisches Element dar, welches ergänzend zu den bereits beschriebenen Konzepten Energopower und Energopolitics zu verstehen ist.

47 In Kapitel 5 wird als Fallbeispiel ein solches Bioenergiedorf dargestellt. 48 Ausführlich werde ich auf diese neuen landwirtschaftlichen Produktionsmechanismen und -techniken in Kapitel 5 eingehen.

Energopractices als Forschungsmethode

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Energopractices als Forschungsmethode Als theoretische Rahmung und methodisch-analytische Perspektive für die vorliegende Studie gehe ich von einem Dreiklang der analytischen Begriffe aus, mit denen hier gearbeitet werden soll: Unter dem Begriff Energopower wird der gesellschaftliche und kulturelle Kontext, das heißt die Energiewende in Deutschland, in den Blick genommen. Die Perspektive auf Formationen von Energopolitics stellt politische Programme und Regierungstechniken wie das EEG in den Mittelpunkt. Die Auseinandersetzung mit den in der Feldforschung gesammelten Daten wird durch den Begriff Energopractices gefasst. Anhand einer praxeologischen Herangehensweise bzw. eines praxeologischen Forschungsansatzes werden Handlungsweisen, Folgen und Nebenfolgen auf Mikroebene beobachtbar und analysierbar, die aus Formationen von Energopower und Energopolitics resultieren. Ganz grundsätzlich wird das Konzept der Energopractices von Boyers Konzept der Energopower und Energopolitics gespeist. Zudem werden nach Beck unter dem Begriff Energopractices auch insbesondere Unvollständigkeiten und oft improvisierte Formen im Forschungsfeld erfasst. Mit den Begriffen Energopower und Energopolitics lassen sich zwar machtvolle Strukturierungsmechanismen und Einflussfaktoren beschreiben. Aber ein riesiges, laufendes, heterogen soziales, technologisches, wirtschaftliches und kulturelles Experiment wie die Energiewende kann eben nicht im anthropologischen Sinn der Feldforschung beobachtbar gemacht werden. Welche methodischen Instrumente sind also nötig, um eine Veränderung zu verstehen, die verschiedene Blickwinkel auf die Interaktion mit lokalen, regionalen, nationalen und transnationalen Mustern der Praxis gleichzeitig zulässt? Folgt man Stefan Beck, so lässt sich mit dem Begriff Energopractices eine methodische Perspektive formulieren, die klassische anthropologische Methodenformen (Interview, teilnehmende Beobachtung, Dokumentenanalyse etc.) zusammendenkt mit den verschiedenartigen Einbettungen aller dieser Praktiken – seien es normative, materielle oder soziokulturelle Einbettungen (vgl. Granovetter 1985). Als Perspektive bedeutet der Zugang über Energopractices, dass Innovationen oder Transformationen der Energiepolitik – wie jeder soziale Prozess – als mehrfach eingebettet in politische Prozesse, philosophische sowie alltägliche Umwelten, materielle Infrastrukturen, soziale Netzwerke, wirtschaftliche und rechtliche Ordnungen, kulturelle Prägungen, Kreativität und Widerstand, historische Erfahrungen, verschiedene Arten von Wissen und vor allem in differenzierte soziale Felder, in denen Menschen handeln, analysiert werden. Hiermit sind sowohl lokale, regionale, nationale als auch grenzüberschreitende Dimensionen der oben genannten Faktoren gemeint. Dies mag zunächst als triviale Tatsache erscheinen. Jene ist aber für die auffällige Unordnung und die vielen unintendierten sowie

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unerwarteten Effekte der Energiewende in Deutschland verantwortlich (Beck 2013, 6). In diesem gesellschaftlichen Experiment namens Energiewende lässt sich ein breites Spektrum von Akteuren aus ganz verschiedenen sozialen Bereichen beobachten, die zwar mehr oder minder entsprechend bestimmter Strukturierungen agieren, aber eben auch innerhalb von und mit den Infrastrukturen experimentieren (Beck 2013, 6).49 Es geht also auch um die Erforschung der Subjektivierungsprozesse, in denen Individuen durch ihre täglichen Routinen intervenieren können und somit ihre Umwelten umgestalten und ein neues, nachhaltiges, individuelles oder kollektives Verhalten schaffen (Beck 2013, 5). Die Stärke des häufig in der Anthropologie angewendeten praxeologischen Zugangs ist, dass eben sämtliche materielle Umgebungen, infrastrukturelle Bedingungen, Widerstand und Kreativität, kulturelle Orientierungen und vor allem die verschiedenartigen sozialen Felder, in denen Menschen handeln, beachtet werden (Beck 2013, 4). Auch in der vorliegenden Studie über Energieerzeugung mittels Biogas werden durch diese Herangehensweise verschiedenartige, vielschichtige Wechselwirkungen beschrieben, wie landwirtschaftliche Voraussetzungen und materielle Umgebungen (guter Boden – schlechter Boden), Einflüsse der Gesetzgebung (EEG) wie der Güllebonus oder der Maisdeckel, Fragen nach Energieautarkie, Phänomene wie NIMBY (das »Not-In–My-Backyard-Syndrom«), Macht- und Wissenskonstellationen, genauso wie sich aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens belästigt fühlende Bürgerinitiative, immerfort wachsender Maisfelder, aufgebrachte Jäger, auf den Feldern Schaden anrichtende Wildschweine, vor dem Aussterben bedrohte Rotmilane und besorgte Umweltschützer – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das Zusammenspiel verschiedener Akteure und Aktanten, das nicht von vornherein offensichtlich ist, wird sichtbar gemacht. Dieser Studie liegt entsprechend die Ansicht zugrunde, dass »[t]he point is that all transitions are accompanied by corresponding changes or displacement in cultures« (Nader 2010, 4), die es ermöglicht, eben diese Veränderungen zu beforschen. Als theoretische Rahmung und methodisch-analytische Perspektive für anthropologische Forschungen lässt sich von einem Zusammenspiel der analytischen Begriffe ausgehen: Unter dem Begriff Energopower wird der gesellschaftliche und kulturelle Kontext, das heißt die Energiewende in Deutschland, in den Blick genommen. Die Perspektive auf Energopolitics stellt politische Programme und Regierungstechniken wie das EEG in den Mittelpunkt. Die Auseinandersetzung mit den in der Feldforschung gesammelten Daten wird 49 So argumentiert auch Manfred Faßler 2005 in Erdachte Welten, indem er Experiment & Innovation als Kippfigur neben beobachtbarer, im Moment geschehender Praxis und auf Dauer gestellter kultureller Programme hervorhebt.

Energopractices als Forschungsmethode

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durch den Begriff Energopractices gefasst. Durch einen praxeologischen Forschungsansatz werden Handlungsweisen, Effekte und Nebenfolgen auf Mikroebene beobachtbar und analysierbar, die aus Formationen von Energopower und Energopolitics resultieren. In Kapitel 6 werden diese analytischen Begriffe hinsichtlich des empirischen Materials aufgegriffen und ausführlich diskutiert.

Kapitel 4: Forschungsdesign

Re-energizing Anthropology: Ein Forschungsfeld in Bewegung »Power over energy has been the companion and collaborator of modern power over life and population from the beginning.« (Boyer 2011, 5)

Methoden werden immer als zentraler Teil von Wissenspraxis verstanden. Sie sind nicht einfach Werkzeug, um eine Wirklichkeit »da draußen« mehr oder weniger genau abzubilden, sondern, so argumentieren die Anthropologen Stefan Beck, Jörg Niewöhner und Estrid Sørensen (2012), Methoden tragen zu »spezifischen Konfigurierungen von Realität« bei (Beck et al. 2012, 16). Es geht darum, als Forscherin den methodischen Zugriff transparent zu machen, auch weil die Form und die Reichweite von Wissen nie unabhängig von den Methoden diskutiert werden, mit denen es produziert wurde. »Unterschiedliche Methoden produzieren unterschiedliche Formen von Wissen« (Beck et al. 2012, 16). Statt von einer »Repräsentation von Wirklichkeit« zu sprechen, ist es von zentraler Bedeutung, das Hervorbringungspotential der jeweiligen Methoden nicht außer Acht zu lassen. Methoden haben einen argumentativen Charakter und sind nicht nur Mittel zum Zweck (Beck et al. 2012, 16). Meine Studie untersucht Perspektiven auf neue Energie-Infrastrukturierungen am Beispiel von Energieerzeugung mittels Biogas in Bayern. Für meine Forschung erschien mir ein »multi-sited« Ansatz (Marcus 1995; vgl. auch Welz 1998) mit Feldschwerpunkt auf der Untersuchungsregion Nördlinger Ries sinnvoll, da sich insbesondere dort die Veränderungen durch Energieproduktion aus Biogas manifestieren. Die Region bildet in vielerlei Hinsicht Aspekte der messiness und Unordnungen der Energiewende ab. Genau hier lassen sich beabsichtigte und unbeabsichtigte (Neben-)Folgen beobachten, die es bei einer Forschung im Rahmen einer Anthropologie politischer Felder darzustellen gilt. Gerade empirisch greifbare, materielle Spuren im physischen Raum bieten einen möglichen Zugang, um »unterschwelligen, zunächst schwer fassbaren politischen Rationalitäten, Regierungslogiken und Machtrelationen ethnografisch

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Forschungsdesign

nachzuspüren« (Vonderau/Adam 2014, 9). Der Politikbereich Energie und dessen Policies erscheinen hierfür geradezu prädestiniert. Anthropologische Forschungen über Energo-Formationen stellen nicht nur ein rein konzeptionell wichtiges Feld zukünftiger anthropologischer Fragestellungen dar, sondern es ist auch »one of the important and pressing issues in anthropology today«, argumentiert Dominic Boyer (2011, 7). In einer solchen Forschung müsse die Forscherin vor allem die Verbindungen zwischen den Logiken der Entwicklungen im Bereich Energie, der politischen Entscheidungsfindung, des jeweiligen kulturellen Verständnisses von Energie und den neu entstehenden Technologien verfolgen, weil diese alle »vitally important forces affecting the pathways of energy transition« darstellen (Boyer 2011, 5). Diese Wechselwirkungen der Vielzahl von Einflüssen aufzuspüren, stellt nicht nur einen Ausgangspunkt für neues anthropologisches Wissen dar, sondern beleuchtet auch kritisch – und damit appelliert Dominic Boyer an die Verantwortung der anthropologischen Forscherin – die Grenzen des derzeitigen westlichen politischen Diskurses über Energieknappheit (Boyer 2011). Energo-Formationen und deren Policies werden in dieser Studie als ein komplexes Geflecht von Machtrelationen verstanden, die verschiedene Orte, Akteursgruppen, Wissensbestände und Ressourcen miteinander verknüpfen und lokale, nationale und globale Ebenen durchdringen (vgl. Adam 2011). Entsprechend ruft ein solch vielfältig verflochtenes Forschungsfeld neue Forschungsansätze auf den Plan. Susan Wright und Sue Reinhold haben für die ethnographische Forschungspraxis die Methode des »studying through« entwickelt. So lassen sich Netzwerke und Beziehungen aufzeigen, die ein politischer Prozess – in dieser Studie die im Zuge der Energiewende vorangetriebene Implementierung von Biogasanlagen im Nördlinger Ries – zwischen lokalen und institutionellen Ebenen, gesellschaftlichen Kontexten, Akteurskonstellationen, Medien und alltagsweltlichen Praktiken entwickelt (Shore/Wright 1997, Wright/ Reinhold 2011, Shore/Wright 2011, 11). Es handelt sich hierbei um eine »multisited ethnography« (Marcus 1995) mit unterschiedlichen akteurszentrierten Forschungsmethoden, die helfen sollen, die Wege nachzuzeichnen, »in which power creates webs and relations between actors, institutions and discourses across time and space« (Shore/Wright 1997, 14). Ähnlich bezweckte Laura Nader bereits im Jahr 1969 in »Up the Anthropologist« den Bereich anthropologischer Forschung auch auf Industriegesellschaften auszuweiten und politische Prozesse und Entscheidungsfindungen – gerade im Bereich Energie – miteinzubeziehen. Sie skizzierte dafür eine Perspektive des »studying up, down, and sideways« (Nader 2013, 317). Meine Feldforschung fand in einem Zeitraum von zwei Jahren von August 2010 bis August 2012 statt. Der lange Zeitraum der Erhebung gründet darauf, dass ich, wie Gisela Welz (2013) es nennt, temporalisierte Feldforschung be-

Re-energizing Anthropology: Ein Forschungsfeld in Bewegung

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trieben habe, also die Forschung in mehrere, zeitlich gestaffelte Feldaufenthalte aufgeteilt habe. Die Zeitlichkeit ist auch deshalb ein wichtiger Aspekt, weil es sich bei dem Forschungsauftrag Re-energizing Anthropology um eine Aufforderung an die Forscherin handelt, sich auf ein sehr dynamisches Forschungsfeld und dessen messiness einzulassen. Festmachen lässt sich das in der vorliegenden Studie an verschiedenen Aspekten: Das nur für einen bestimmten Zeitraum gültige EEG und seine Novellen, die Energiewende, das Reaktorunglück in Fukushima und der deutsche Atomausstieg sind nur ein paar Beispiele, die hier aufgeführt werden können. Ein Forschungsfeld im Kontext Energie wackelt an allen Ecken und Enden, es zwickt und ist unordentlich (messiness). Einer der vielen Aspekte, derentwegen ethnographische Feldforschung über Energo-Formationen so zugkräftig ist, ist jedoch genau diese Dynamik des Feldes. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue politische Beschlüsse getroffen, neue technologische Entwicklungen die Aufmerksamkeit auf sich lenken oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse kommuniziert werden.

Figuring out Ethnography50 Auch wenn die anthropologischen Disziplinen auf eine Vielzahl von Methoden zurückgreifen, liegt die ethnographische Herangehensweise oft im Kern des kulturanthropologischen Methodendesigns. »[A]nthropology’s sense of self is rooted in ethnography […] Ethnography is the anthropologist’s pride and joy, the discipline’s life-blood on which all else in their craft depends. It empowers the reader and it empowers the critic.« (Vincent 2004, 2)

Ethnographie bedeutet nach der deutschen Anthropologin Michi Knecht (2012) dreierlei: Zum einen die Methode der teilnehmenden Beobachtung bzw. Feldforschung, zum zweiten die textuelle oder visuelle Darstellung der Ergebnisse und zum dritten einen »Empirie-Theorie-Nexus« (Knecht 2012, 245), der für das Fach eine wichtige, theoriegenerierende Rolle darstellt. Gerade in der Kulturanthropologie werden spätestens seit den 1980er Jahren unter der Überschrift Writing Culture Debate und Krise der Repräsentation die Schwierigkeiten und Herausforderungen ethnographischen Schreibens diskutiert (vgl. Clifford 1988, Marcus/Fischer 1986 und Knecht/Welz 1995). Eine einzig gültige Repräsentation 50 Hier beziehe ich mich auf den von der US-amerikanischen Anthropologin Kim Fortun 2009 veröffentlichten Essay »Figuring out Ethnography«, in: Marcus, George E. / Faubion, James D. (Hg.) Fieldwork Is Not What it Used to Be. Learning Anthropology’s Method in a Time of Transition. Ithaca/London: Cornell University Press, 167–172, in der Fortun beispielsweise mit ihrer laundry list recht pragmatische Anleitungen für das Schreiben ethnographischer Texte gibt.

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dessen, was Realität konstituiert, weist die Disziplin der Anthropologie zurück, so der US-amerikanische Anthropologe Michel Herzfeld (2001, xi). In Folge dieser reflexiven Wende, die zuerst in der angloamerikanischen Anthropologie in den 1980er Jahren, danach auch in Deutschland diskutiert wurde, werden ethnographische Texte nicht mehr als Abbildung erforschter Realität, sondern als Konstruktionen verstanden.51 Durch Feldforschung und Beobachtungen von Praxis werden soziale und kulturelle Wirklichkeit(en) von Menschen detailreich und konkret beschreibbar. Die Beschreibung basiert darauf, dass die Forscherin ihre eigenen Erfahrungen in der Feldforschung mit der beobachteten Praxis reflektierend analysiert. In diesem Zusammenhang fordert Michi Knecht ein neues Verständnis ethnographischen Arbeitens als »praxisorientierte, relationale, vergleichende, an Heterogenität interessierte und sich als offenen Prozess begreifende Forschung« ein (Knecht 2012, 245). Ethnographie handelt dementsprechend nicht nur vom Interviewführen und Beobachten, sondern auch davon, was die beiden Anthropologen Tom O’Dell und Robert Willim als »sensibility and open curiosity« bezeichnen (2011, 9). »[E]thnography is, to a very large extent, the art of understanding and illuminating the ephemeral, finding the intangible, and discovering overlooked aspects of the concrete and mundane. The trick is learning how to do this« (O’Dell/Willim, 11). Ähnlich formuliert es der US-amerikanische Anthropologe Richard Wilk, für den Ethnographie weit mehr als nur die »visible practice of fieldwork« umfasst, also mehr als Interviews und teilnehmende Beobachtung. Wichtiger sind vielmehr die »hidden technologies of distancing, re-learning, seeing the commonplace as unusual, finding telling details and gaps, an awareness of qualities and categories in addition to numbers and things« (Wilk 2011, 24). Es geht also darum, ein Gespür und eine Aufmerksamkeit als Forscherin zu entwickeln für die nicht von vornherein sichtbaren, ungewöhnlichen Details und Lücken während der Forschung. Die US-amerikanische Anthropologin Kim Fortun hebt den Aspekt hervor, dass es um eine ethnographische Beschreibung von Transformationsprozessen geht: Die Forscherin müsse also »pressure points« finden, an denen ein System sich ändert (Fortun 2009, 170). Ein solcher Ansatz ermöglicht, Ethnographie selbst als ein offenes System zu generieren. Gerade diese pressure points finden sich im Bereich des Paradigmas der Energiewende und 51 In der US-amerikanischen Debatte waren die Publikationen über die Problematisierungen ethnographischen Schreibens von Texten vor allem von James Clifford, Michael Fischer oder George Marcus ausschlaggebend für die Diskussion im Fach: The Predicament of Culture (Clifford 1988), Writing Culture (Clifford/Marcus 1986) und Anthropology as Cultural Critique (Marcus/Fischer 1986). In Deutschland haben Michi Knecht und Gisela Welz mit ihrer Publikation Ethnographisches Schreiben nach Clifford (1995) einen wichtigen Beitrag geleistet.

Temporalisierung der Feldforschung: Die einzelnen Feldphasen

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lassen sich gut auf meine eigene Forschung übertragen. Die »Druckpunkte« sind schon aufgrund der messiness des Forschungsfeldes nicht immer offensichtlich und nicht leicht zu entdecken. Oft bedingen sie Nebenfolgenregime oder finden sich an Punkten, die nicht im Sinne eines Planungsprozesses wie der Energiewende berücksichtigt (oder überhaupt bedacht) wurden.

Temporalisierung der Feldforschung: Die einzelnen Feldphasen »So rather than being in a place, ethnography is a directional flow, a series of movements which involve filters, modes of storage and connection, pattern recognition, and juxtaposition.« (Wilk 2011, 23)

Meine Feldforschung erstreckte sich insgesamt über einen Zeitraum von August 2010 bis August 2012 und mit ihr vollzog sich eine Erhebung, deren Vorgehen stark durch die sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten zugetragenen Ereignisse beeinflusst wurde.52 Die deutsche Energiewende selbst ist schließlich ein Beispiel dafür, dass Energie und Energiepolitik als kultur- und gesellschaftsprägend in Erscheinung tritt und Veränderungen mit sich bringt. Aus diesem Grund wird mit dem Paradigma der Wende argumentiert. Stefan Beck spricht nicht von ungefähr von einem »large-scale, society-wide experiment« (Beck 2013, 1). Am 11. März 2011 – ich hatte gerade meine ersten drei wichtigen Feldphasen im Nördlinger Ries absolviert – ereignete sich in Japan ausgelöst durch das Erdbeben und den Tsunami eine Reihe katastrophaler Unfälle und schwerer Störfälle im Kernkraftwerk Daiichi in Fukushima, die unter anderem eine massive Freisetzung von Radioaktivität in die Atmosphäre verursachten. Aufgrund der enormen Betroffenheit der deutschen Bevölkerung beschloss die Bundesregierung unter Angela Merkel nur drei Tage später am 14. März 2011 ein Moratorium für Kernenergie, welches besagte, alle 17 deutschen Atomkraftwerke einer Sicherheitsprüfung zu unterziehen und dazu die sieben ältesten Kraftwerke drei Monate lang stillzulegen (bzw. sie, wenn sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht in Betrieb befanden, abgeschaltet zu lassen). Der daraus resultierende Beschluss lautete, dass bis zum Jahre 2022 alle 17 Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gegangen sein sollten. Zusätzlich wurde die Erstellung eines Anforderungskatalogs zur Sicherheitsüberprüfung an die Reaktorsicherheitskommission (RSK) in Auftrag gegeben. Die Weichen für einen beschleu-

52 Auf die veränderte Zeitlichkeit und die damit verknüpften Herausforderungen der Feldforschung gehen George Marcus, Paul Rabinow, Tobias Rees und James Faubion in Form von mehreren Gesprächsdialogen ausführlich in ihrem Band »Designs for an Anthropology of the Contemporary« (2008) ein.

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nigten Ausbau der erneuerbaren Energien waren gestellt, denn anfänglich war die Energiewende in Deutschland als ein schrittweiser Prozess geplant. Diese Ereignisse fielen mitten in meine Erhebungsphase und bestimmten von nun an auch meine Forschung. Energie(-politik) und damit einhergehende Szenarien von Knappheit und möglichen Gefahren waren auf einmal in aller Munde. Gerade auch diese messiness der Energiewende und somit meines Forschungsfeldes erforderte einen flexiblen Umgang mit der Einteilung der Feldforschungsphasen. Diese Temporalisierung von Feldforschung (vgl. Welz 2013), also die Aufteilung der Forschung in mehrere, zeitlich gestaffelte Feldaufenthalte, meint zweierlei. Zunächst soll hiermit die Zeitlichkeit des Forschungsfeldes selbst bezeichnet werden: Die untersuchten sozialen Situationen zeigen sich zum Großteil nur temporär. Ein gutes Beispiel ist hier der 2014 politisch diskutierte Vorschlag einer Abwrackprämie für Biogasanlagen, der jedoch wieder verworfen wurde.53 Weiterhin lässt sich allein durch die beständigen Novellierungen des EEG, das maßgeblich für den Implementierungsprozess von Biogas im Nördlinger Ries verantwortlich ist, von einer starken Zeitlichkeit und Dynamik des Feldes sprechen. In diesem Zusammenhang wird die Frage nach dem Wann des Feldes neu diskutiert. »Das Feld findet nicht nur an verschiedenen Orten statt, sondern auch in verschiedenen Zeiten. Es wird in verschiedenen Rhythmen und in verschiedenen sequentiellen Bezügen entfaltet« (Scheffer 2007a, o. S.). Feldkonstitutionen sollten also, wie Thomas Scheffer vorschlägt, immer über ihre Zeitlichkeit beschrieben werden. Zum anderen spricht Gisela Welz von einer ganz pragmatischen Handhabung der Feldforschung bzw. der »seriellen Abfolge von mehreren Feldaufenthalten, während die Forscher dazwischen zeitweise nach Hause in ihre Herkunftsgesellschaften und zumeist auch an ihre Heimatuniversität oder Forschungseinrichtung, an der sie arbeiten, zurückkehren« (Welz 2013, 50). Gerade für viele Doktorandinnen und Doktoranden ist heute die auf mehrere Phasen aufgeteilte Forschung über sequenzielle Aufenthalte vor Ort eine übliche Form der Feldforschung (Welz 2013, 44). Genauso spielte sich auch meine Feldforschung ab, die ich mit Helena Wulff (2002) als yo-yo-fieldwork bezeichnen würde, also eine hüpfende Art der Feldforschung zwischen Forschungsfeld und Universitätsstandort (vgl. Welz 2013, 49). Auch waren die Feldforschungsaufenthalte nicht wie bei dem konventionellen Modell kontinuierliche Langzeitforschungen über mehrere Monate hinweg am gleichen Ort, sondern vielmehr ein-, zwei- oder dreiwöchige Besuche im Nördlinger Ries, Berlin und Brüssel, die dann aber vergleichsweise intensiv waren, was die Anzahl der Termine und die Dichte der Beobachtungen anbelangt (vgl. Welz 2013). Helena Wulff unterscheidet hierbei zwischen on-fieldwork 53 Vgl. hierzu: Weiß, Marlene (2014) Biogas wird abgedreht.

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während der Zeit, in der sich die Forscherin tatsächlich im Feld aufhält, und offfieldwork, bei dem die Forscherin zwar zeitweise nicht im Feld ist, jedoch mental damit verbunden bleibt, weil sie durch Informations- und Kommunikationstechnologien weiterhin in Kontakt mit dem Feld steht (Wulff 2002, 122). Sandra Appleby-Arnold beschreibt die beiden Modi in ihrer Doktorarbeit als on-site und off-site (2013, 77). In Bezug auf meine eigene Feldforschung führte ich beispielsweise von Frankfurt aus einige Telefonate oder schrieb E-Mails, um mit Gesprächspartnern in Kontakt zu bleiben und über die jeweiligen Ereignisse vor Ort informiert zu sein. Als hilfreich erwies sich dies vor allem, wenn ich thematische oder inhaltliche Nachfragen beim Verfassen von wissenschaftlichen Artikeln hatte. Der Vorteil der Einteilung in verschiedene Feldphasen lag bei rückliegender Betrachtung auch darin, dass ich die Zeiten »zwischen« den Feldphasen immer wieder für erste Auswertungen und Sichtung des Materials und Planung und Organisation der nächsten Schritte der Forschung nutzen konnte. Meine Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie in Frankfurt seit Oktober 2010 ermöglichte es mir, die Feldphasen in der semesterfreien Zeit durchzuführen. Insgesamt lässt sich meine Feldforschung in sechs Phasen an drei verschiedenen Orten, dem Nördlinger Ries, Brüssel und Berlin, einteilen. In einem Zeitraum von August 2010 bis August 2012 führte ich insgesamt 40 Interviews mit unterschiedlichen Gesprächspartnern (siehe tabellarische Übersicht am Ende dieses Kapitels). Die Länge der Gespräche variierte von 30 Minuten bis zu vier Stunden. Bei qualitativer Forschung ist die wechselseitige Abhängigkeit einzelner Bestandteile des Forschungsprozesses in starkem Maß gegeben und auch zu berücksichtigen (Flick 2006, 68). Somit lässt sich durch diesen Ansatz eine »gegenstandsbegründete Theoriebildung« nach Glaser und Strauss (1967) entwickeln. Den erhobenen Daten und dem untersuchten Feld wird hierbei Priorität gegenüber theoretischen Annahmen eingeräumt. Erst in Auseinandersetzung mit dem Feld und der Empirie werden Letztere formuliert (Flick 2006, 69). Grundsätzlich gilt für meine Forschung das Prinzip der Offenheit, dass die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes zurückstellt, bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes durch die Forschungssubjekte, also die Auseinandersetzung mit der Empirie, herausgebildet hat.

Erste Feldphase: Annäherung an das Forschungsfeld im Nördlinger Ries Während eines längeren Aufenthalts im August 2010 suchte ich ersten Kontakt zum Forschungsfeld im Nördlinger Ries. Das war die erste Phase meiner Forschung, bei der es in erster Linie darum ging, mir einen Überblick zu verschaffen und ein weitergehendes Sich-Einlassen (Flick 2006, 86) auf das Feld mit Refle-

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xion meiner eigenen persönlichen Verbindung zur Forschungsregion zu schaffen. Mit dem Forschungsfeld verbindet mich eine persönliche Nähe, da ich im Nördlinger Ries aufgewachsen bin. In diesem Zeitraum führte ich viele offene Gespräche mit einigen Biogasanlagenbetreibern, aber auch Anwohnern und konventionellen Landwirten, die ich nur teilweise aufzeichnete. Über das Schneeballprinzip (Flick 2006, 92) war der Einstieg zur Kontaktaufnahme für mich relativ einfach: Bekannte verwiesen mich an weitere Personen, die zu Gesprächspartnern wurde. Teilnehmende Beobachtung zieht sich durch alle Phasen meiner Feldforschung. Regelmäßig führte ich ein Feldforschungstagebuch, in welchem ich die Ereignisse, Eindrücke und Beobachtungen des jeweiligen Tages zusammenfasste. Grundsätzlich meint die Methode der teilnehmenden Beobachtung die »persönliche Teilnahme« der Forscherin an »der Praxis derjenigen, über deren Handeln und Denken« sie empirisches Material erheben will (Bohnsack et al. 2003, 151). Man geht hierbei von der Annahme aus, dass durch die unmittelbare Erfahrung von Situationen und durch die Teilnahme an face-to-face-Interaktionen Aspekte des Denkens und Handelns beobachtbar werden, die in Gesprächen oder Dokumenten über diese Interaktionen nicht in gleichem Maße erfasst werden könnten. Spradley beschreibt den Beginn einer ethnographischen Feldforschung als »descriptive observation« (Spradley 1980, 33), deskriptive Beobachtung. Diese ist wichtig, um einen Überblick über das Feld und über »what goes on there« zu erlangen. Die Forscherin orientiert sich erstmalig im Feld und gewinnt unspezifische Eindrücke. In dieser Zeit sollen die Komplexität des Feldes erfasst und die ersten konkreteren Untersuchungsfragen generiert werden (vgl. Schöne 2003). Das trifft auch auf meine erste Feldphase zu, in der es viel um Zuhören und Beobachten ging. Zwar hatte ich durch meinen persönlichen Bezug zur Region, einigen Recherchen vorweg sowie insbesondere durch meine Einarbeitung in die landwirtschaftliche Bioenergieproduktion gewisse Vorkenntnisse gewonnen, jedoch versuchte ich trotzdem in dieser Zeit meine Erwartungshaltung zurückzunehmen und in Kontakt mit dem Feld zu treten. Beobachtungsprotokolle und Feldnotizen aus der teilnehmenden Beobachtung sind in meinem Feldforschungstagebuch in allen Phasen festgehalten worden und fließen in die Auswertung mit ein. Ein weiterer großer Teil des Datenmaterials wurde mittels Interviews erhoben. Mit dieser offenen und flexiblen Form der Datenerhebung der qualitativen Sozialforschung ist es möglich, dem Interviewten einen relativ großen Freiraum zur Rekonstruktion von Erfahrungen und Eindrücken zu überlassen (vgl. Bohnsack et al. 2003). In der ersten Phase der Feldforschung führte ich hauptsächlich ethnographische und narrative Interviews mit biographischen Anteilen durch. Ethnographische Interviews sind freundliche Gespräche mit Interviewelementen, die oft während einer teilnehmenden Beobachtung stattfanden. Spradley beschreibt diese folgendermaßen:

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»It is best to think of ethnographic interviews as a series of friendly conversations into which the researcher slowly introduces new elements to assist informants to respond as informants. […] A few minutes of easygoing talk interspersed here and there throughout the interview will pay enormous dividends in rapport.« (Spradley 1979, 58)

Besonders für die Kontaktaufnahme zum Feld und die Einschätzung des Forschungsgegenstandes erwiesen sich diese Gespräche als sehr hilfreich. Eine genaue Anzahl dieser Konversationen kann ich jedoch nicht nennen – im Gegensatz zu den, in den späteren Feldphasen darauf folgenden anderen Interviewformen, die auch transkribiert wurden. Allerdings sind einige dieser ethnographischen Interviews in meinem Feldtagebuch zusammengefasst und protokolliert worden. Grundsätzlich werden Gesprächspartner bei der Form des narrativen Interviews aufgefordert über eine »Stegreiferzählung« eine »zusammenhängende Geschichte« zu einem bestimmten »Gegenstandsbereich« zu erzählen, die die wichtigen Ereignisse beinhaltet (Hermanns 1995, 183). Diese Art des Interviews wird häufig in der Biographieforschung verwendet (Flick 2006, 147). Ähnlich forderte ich meine Gesprächspartner auf, mir von ihrer persönlichen Biographie zu erzählen, beispielsweise fragte ich danach, warum sie sich zum Bau einer Biogasanlage entschlossen hatten oder wie lange sie schon im Nördlinger Ries Landwirtschaft betrieben. Somit erfuhr ich etwas über die individuelle Bedeutung von Energieerzeugung mittels Biogas und die persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen meiner Gesprächspartner. Über den ganzen Zeitraum meiner Feldforschung hinweg sammelte ich Artikel aus der lokalen Zeitung Rieser Nachrichten zum Thema Biogas, Strukturwandel in der Landwirtschaft und erneuerbare Energien im Nördlinger Ries, auch weil die lokale Tageszeitung eine bedeutsame Rolle in der öffentlichen Diskussion über Energieproduktion aus Biogas spielt. Diese Artikel wurden ebenfalls in die Auswertung des Materials miteinbezogen. Auch die Analyse von schriftlichen Papieren dient zur Erschließung von Machtfeldern und fließt damit in meine Forschung mit ein (vgl. Adam 2011). Gemeint sind hier Gesetzestexte wie das jeweilige EEG, parteipolitische Berichte wie beispielsweise ein Paper der Grünen Fraktion im Bundestag über stoffliche und energetische Nutzung von Biomasse und politische Stellungnahmen in Zeitungsinterviews.

Zweite Feldphase im Nördlinger Ries Dezember 2010 bis Januar 2011 Die zweite Feldphase fand wieder im Nördlinger Ries statt. Insgesamt führte ich in dieser Phase vierzehn Interviews mit fünf Anlagenbetreibern verschiedener Biogasanlagengrößen, einem Anlagentechnikunternehmer, einem Wärmetech-

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niker, zwei konventionellen Landwirten (im Ruhestand und noch praktizierend), dem Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF)54, dem Sprecher der Bürgerinitiative Anti-Lärmbelästigung, einem Tierarzt und einem Grundschullehrer. Mit einem der Biogasanlagenbetreiber, der zugleich das Nahwärmenetz des Bioenergiedorfes initiierte, führte ich ein vertiefendes zweites Gespräch. Vor allem bei den Anlagenbetreibern, den konventionellen Landwirten, aber auch den Technikern und dem Tierarzt handelte es sich um narrative Interviews mit stark biographischen Anteilen. Die anderen Interviews standen thematisch im Zusammenhang mit der Energieproduktion aus Biogas im Nördlinger Ries und handelten von der jeweiligen Positionierung des Gesprächspartners zu Biogas. Zusätzlich fließt wieder teilnehmende Beobachtung in die Auswertung meiner Daten mit ein. Meine Perspektive lenkte ich auf die für meine Fragestellung besonders wichtig erscheinenden Probleme, Prozesse und Personen (vgl. Schöne 2003). Spradley bezeichnet diese Phase der teilnehmenden Beobachtung »focused observation« (Spradley 1980, 33). Des Weiteren besichtigte ich die Anlage mit dem Nahwärmenetz, die Anlage der Biogaspioniere und die Anlage mit Trocknung der Trocknungsgemeinschaft. Somit erhielt ich einen ausgiebigen Einblick in die Betriebsabläufe einer Biogasanlage. Außerdem besuchte ich die Geschäftszentrale des Anlagentechnikunternehmens. Bei fünf konventionellen Landwirten wurden mir Einblicke in deren landwirtschaftliche Betriebe gewährleistet. Diese Besuche wurden in meinem Feldforschungstagebuch festgehalten. Die Gespräche fanden entweder in den jeweiligen Betrieben, im Landwirtschaftsamt oder bei den Interviewpartnern zu Hause statt.

Dritte Feldphase im Nördlinger Ries Februar 2011 In der dritten Feldphase, die hauptsächlich wieder im Nördlinger Ries stattfand, führte ich vornehmlich Experteninterviews. Bei dieser Form der Interviews geht es nicht um die Biographie des Interviewpartners, sondern um sein spezielles Expertenwissen (Meuser/Nagel 1991, 442–443). Meine Interviewpartner hier sind Experten in verschiedener Hinsicht, weil sie in unterschiedlichen Bereichen und auf unterschiedliche Art und Weise mit Biogas zu tun haben. Ich gehe hier von einem breiten Expertenbegriff aus, der erlaubt, eben nicht nur durchgängig geschulte Experten eines mehr oder weniger institutionalisierten Kontextes in den Blick zu nehmen. Energieproduktion durch Biogas ist eine im Entstehen begriffene Technologie und so lassen sich Experten im Hinblick auf einen 54 Da das AELF von meinen Gesprächspartnern allgemein immer als Landwirtschaftsamt bezeichnet wurde, werde ich diese Bezeichnung im Folgenden übernehmen.

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klassischen Expertenbegriff auch erst vorläufig konturieren. Institutionalisierungen im Sinne einer neu entstandenen Formation von Energopower werden womöglich erst noch vollzogen. Hier wird exemplarisch deutlich, dass die von Dominic Boyer als Kritik vorgebrachte Beschreibung des engen Expertenbegriffs gerade im Fall einer im Entstehen begriffenen Technologie ins Leere laufen würde: »Given the difficulties of gaining access, it perhaps should be unsurprising that, once ›inside‹, the ethnography of experts has tended to encamp itself near the professional, institutional and public dimensions of expert lives.« (Boyer 2008, 43–44) So nimmt die vorliegende Studie nicht ausschließlich aus Institutionalisierungsprozessen hervorgegangene Experten – die es zu großen Teilen noch gar nicht gibt – in den Blick, sondern fokussiert die teilweise durch try & error erlangte und offensichtlich unterschiedlich gelagerte Expertise der beteiligten Akteure. Als Erhebungsinstrument diente in dieser Phase ein leitfadengestütztes offenes Interview. Ein Leitfaden besteht aus Fragen, die gewisse Themenbereiche abdecken, aber so offen formuliert sind, dass narrative Anteile des Gesprächspartners jederzeit genutzt werden können (vgl. Bohnsack et al. 2003, 114). Es ist dadurch gekennzeichnet, dass »mehr oder minder offen formulierte Fragen in Form eines Leitfadens in die Interviewsituation ›mitgebracht‹ werden, auf die der Interviewte frei antworteten soll« (Flick 2006, 143). Der Vorteil dieser Interviewform liegt in der Offenheit und Flexibilität, denn die Forscherin kann selbst über die Reihenfolge der Fragen oder ein detaillierteres Nachfragen entscheiden (Flick 2006, 143). Der Frageleitfaden war für mich eine Gedächtnisstütze, denn meist reagierte ich offen und individuell auf die jeweilige Gesprächssituation. Auch nutzte ich für diese Feldphase keinen einheitlichen Frageleitfaden, sondern einen Leitfaden, der jeweils thematisch auf den einzelnen Gesprächspartner und dessen Expertise zugeschnitten war. Insgesamt führte ich in dieser Forschungsphase sieben Interviews. Zwei Gesprächspartner waren Wissenschaftler am Fachbereich Geographie der Universität Augsburg: Ein Professor für Kulturgeographie mit den Schwerpunkten Dorferneuerung und Denkmalpflege, Kulturlandschaftspflege und Wandel des ländlichen Raumes, unter anderem mit dem Fokus auf das Nördlinger Ries, und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der über ErneuerbareEnergie-Landschaften promovierte. Weitere Gespräche wurden mit einem Versicherungskaufmann für Biogas im Landkreis Donau-Ries, dem Leiter des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des benachbarten Landkreises, der jedoch selbst im Nördlinger Ries lebt, dem Stadt- und Heimatpfleger und Stadtarchivar der Stadt Ganzlingen, dem Verantwortlichen für die Biogaskreditvergabe der Behuf-Bank und dem Vorsitzenden der Rieser Naturschutzvereine geführt.

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Vierte Feldphase in Brüssel März 2011 Am Anfang meines Forschungsvorhabens ging ich von der Annahme aus, dass die Implementierung von Biogasanlagen im Nördlinger Ries ein EU-politisch induzierter Transformationsprozess sei. Dies erwies sich jedoch als nicht zutreffend, weil das EEG als deutsches Gesetz fungiert, das im Bundestag verabschiedet wird und verantwortlich für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland ist. Der Bereich der EU-Energiepolitik spielt zwar eine Rolle, aber eher untergeordnet als Instanz, die europäische Richtlinien vorgibt, aber die Verantwortlichkeit für energiepolitische Fragestellungen den einzelnen Nationalstaaten überlässt. Deutschland nimmt auf einer europäischen Ebene eine Sonder- und Vorreiterrolle ein, was den Ausbau erneuerbarer Energien im Zuge der Energiewende anbelangt. Viele andere europäische Länder haben das deutsche EEG kopiert. Vor allem jedoch die Energieproduktion mittels Biomasse in Deutschland, so bestätigten mir die befragten politischen Akteure in Brüssel, ist geradezu einzigartig im europäischen Vergleich. Die Feldphase in Brüssel war sehr aufschlussreich, um gerade diese deutsche Sonderrolle in einem europäischen Kontext zu begreifen. Die Besonderheit der Feldphase in Brüssel war vor allem, dass sich nur wenige Tage vorher das Unglück in Fukushima ereignete und die Diskussion über Atomenergie und ihre Gefahren in Deutschland sehr emotional und aufreibend geführt wurde. Zum Zeitpunkt der Feldforschung in Brüssel war jedoch der deutsche Atomausstieg noch nicht beschlossen. In Brüssel aber wurde bereits heftig über den »deutschen Alleingang« diskutiert. Die fünf Themenkomplexe des Frageleitfadens behandelten folgende Bereiche: - Was sind energie- und agrarpolitische Herausforderungen innerhalb der nächsten zehn Jahre? Bitte um Stellungnahme zum Atomausstieg und der Energiewende. - Welche Rolle spielt die EU und welche politischen Strategien sind hierbei wichtig? Welche Rolle hat Deutschland im Bereich Ausbau der erneuerbaren Energien? - Bitte um Stellungnahme zu folgenden Aspekten: Gewährleistung einer nachhaltigen Nutzung bei der Energieproduktion mittels Biogas, Umweltund Naturschutz, Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung, Rolle der Energiedörfer. - Wie ist die Funktionsweise politischer Entscheidungsfindung: Welche Rolle spielen Interessengruppen/Lobbys, welche Interessen im Bereich erneuerbare Energien und speziell im Bereich Biogas werden vorgebracht? - Wie spielt sich die politische Arbeit ab? Wie ist der Umgang mit der Über-

Temporalisierung der Feldforschung: Die einzelnen Feldphasen

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lappung der unterschiedlichen Politikfelder und Zuständigkeiten im Bereich Energie- und Landwirtschaft? Insgesamt führte ich fünf Experteninterviews in Brüssel: Mir standen Konrad Stein (Abgeordneter des EU-Parlaments/Die Grünen), Dr. Ludwig Bartl (Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union/Angelegenheiten des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten), Dr. Marcel Schreiber (Vertretung des Landes Hessen bei der EU/Angelegenheiten des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft, Verbraucherschutz), Lorenz Ziegler (Bereich: Bioenergie, Biomasse, Forsten und Klimawandel der Generaldirektion für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission) und Luan Hawelka, Mitarbeiter der Interessengemeinschaft ACR 2020 zur Stärkung der Europäischen Landwirtschaft und des ländlichen Raumes für ein Interview zur Verfügung.55 Es ist anzumerken, dass die einzelnen Interviews unterschiedlich verliefen, um den verschiedenen Sichtweisen und Erfahrungen der Interviewpartner nachkommen zu können.

Fünfte Feldphase in Berlin November 2011 Meine fünfte Forschungsphase fand in Berlin statt, dort, wo das EEG politisch ausgehandelt wird. Meine Absicht war, Entscheidungsträger und Verantwortliche über das EEG und speziell die Förderung von Biomasse zu befragen. Der Atomausstieg wurde im Sommer 2011 von der deutschen Bundesregierung unter Angela Merkel beschlossen. Dadurch wurde die Energiewende noch stärker vorangetrieben und zum Jahreswechsel sollte das novellierte EEG 2012 in Kraft treten. Der Zeitpunkt der Feldphase erwies sich als sinnvoll, weil im Bundestag bereits im Sommer 2011 über das neue EEG 2012 abgestimmt worden war und ich die Interviewpartner nach Neuerungen in Bezug auf Energieproduktion aus Biomasse fragen konnte. Der Frageleitfaden für die in Berlin geführten Interviews ähnelt dem Leitfaden der Interviews in Brüssel, jedoch mit dem Unterschied, dass der Schwerpunkt auf dem EEG liegt und der Aspekt der europäischen Energie-Politik in den Hintergrund gerückt ist.

55 Diese beruflichen Angaben zu den einzelnen Personen beziehen sich auf den Erhebungszeitraum meiner Feldforschung in Brüssel (März/April 2011).

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Forschungsdesign

Die fünf Themenkomplexe des Frageleitfadens behandelten folgende Bereiche: - Was sind energie- und agrarpolitische Herausforderungen innerhalb der nächsten zehn Jahre? Bitte um Stellungnahme zum Atomausstieg und der Energiewende. - Bitte um Stellungnahme zu folgenden Aspekten: Die Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland durch das EEG allgemein und die anstehende Novelle 2012. - Bitte um Stellungnahme zu folgenden Aspekten: Gewährleistung einer nachhaltigen Nutzung bei der Energieproduktion mittels Biogas, Umweltund Naturschutz, Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung, Rolle der Energiedörfer. - Wie ist die Funktionsweise politischer Entscheidungsfindung: Welche Rolle spielen Interessengruppen/Lobbys, welche Interessen im Bereich erneuerbare Energien und speziell im Bereich Biogas werden vorgebracht? - Wie spielt sich die politische Arbeit ab? Wie ist der Umgang mit der Überlappung der unterschiedlichen Politikfelder und Zuständigkeiten im Bereich Energie- und Landwirtschaft? Insgesamt führte ich sieben Experteninterviews in Berlin. Ich sprach mit Oskar Horn (wissenschaftlicher Assistent eines Abgeordneten des Bundestags, Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), Julius Bergmann (wissenschaftlicher Assistent eines Abgeordneten des Bundestags, Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), Fabienne Pohl (wissenschaftliche Mitarbeiterin einer Abgeordneten des Bundestags, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), Marlon Roth (wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Abgeordneten des Bundestags, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit), Eva Wolf (Abgeordnete des Bundestags, Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), Julia Arnold (Abgeordnete des Bundestags, Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit).56 Die Parteizugehörigkeit variierte von FDP und CSU bis zu Grünen und Linken. Außerdem fließen die Gespräche mit Mira Kraus (Mitarbeiterin des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz / Referat Bioenergie [BMELV]) und Nils Schuster (Mitarbeiter des Bundesverbandes für Erneuerbare Energien [BEE e.V.]) in dieses Kapitel mit ein.57 56 Diese Angaben beziehen sich auf die 17. Wahlperiode (2009–2013) des Deutschen Bundestages. 57 Diese beruflichen Angaben zu den beiden Personen beziehen sich auf den Erhebungszeitraum meiner Feldforschung (November/Dezember 2011).

Forschungsprinzipien und Auswertungstechniken

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Sechste Feldphase im Nördlinger Ries August 2012 In dieser Feldphase, meiner letzten und vorläufig abschließenden Forschungsphase im Nördlinger Ries, änderte sich die Form meiner teilnehmenden Beobachtung, weil ich versuchte, im Feld meine Ideen und Interpretationen, die ich in den vorangehenden Feldphasen gewonnen hatte, zu überprüfen und eine stärkere Fokussierung meiner Aufmerksamkeit zu erlangen. Spradley bezeichnet dies als »selective observation« (Spradley 1980, 33). Die »selektive Beobachtung« ist sinnvoll, um weitere Beispiele oder Belege für die vorher erhobenen Arten von Verlaufsformen oder Verhaltensweisen zu finden (vgl. Schöne 2003). In dieser Forschungsphase führte ich sieben Interviews, deren Formen variierten. Mit dem ehemaligen Leiter des Bereichs Biogas des Landwirtschaftsamtes, einer freiberuflichen Landschaftsarchitektin in ihrer Funktion als Umweltgutachterin und einer ausgebildeten Geopark-Führerin für das Nördlinger Ries führte ich Experteninterviews. Mit einem konventionellen Landwirt und einem Biogasanlagenbetreiber führte ich narrative Interviews mit biographischen Anteilen. Außerdem berichtete mir ein Anwohner von seiner Abneigung gegen Biogas. Auch nutzte ich diese Feldphase, um mein komplettes Material zu sichten und erstmalig zu systematisieren. Dies half, mit dem gesammelten Datenmaterial zurechtzukommen und gezielt Themenbereiche auszuwählen (Löfgren/Wilk 2006), denn das Herzstück der ethnographischen Unternehmung ist »channeling the overabundance of information, events, and impressions into something which appears to make sense« (Wilk 2011, 26).

Forschungsprinzipien und Auswertungstechniken Seit Beginn meiner Forschung legte ich sehr viel Wert auf große Offenheit und Partizipation vor allem an mir zugänglichen Aktivitäten im Nördlinger Ries, die mir Einblicke in die Zusammenhänge von Energieproduktion mittels Biogas verschafften. Offenheit im Forschungsprozess, Selbstreflexion, ein Sich-Einlassen auf das Feld sind seit jeher Grundsätze in der Kulturanthropologie. Das Datenmaterial wurde unter Berücksichtigung der Prinzipien der Transparenz und Anonymität gesammelt (Spradley 1979, 34–39). Vor den Interviews wies ich meine Gesprächspartnerinnen immer darauf hin, ihre Aussagen im Zuge meiner Dissertation und mit dieser im Zusammenhang stehenden Publikationen veröffentlichen zu wollen. Wurde keine entsprechende Erlaubnis erteilt, flossen die Gespräche nicht in diese Studie ein. Mittels eines digitalen Aufnahmegeräts wurden die Gespräche aufgezeichnet. Durch fiktive Namen wurden alle GesprächspartnerInnen anonymisiert. Die tatsächlichen Namen werden unter keinen Umständen an Dritte weitergegeben. Auch die

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Forschungsdesign

Ortsnamen sind immer dann fiktiv, wenn durch deren Nennung die befragte Person erkennbar ist. Ein Erkennen der Personen durch die Angabe des Berufs oder des Alters kann dagegen nicht mit vollkommener Sicherheit ausgeschlossen werden. Grundsätzlich stellt das Verfassen von Texten in der qualitativen Sozialforschung die Basis der Analysen und Interpretationen dar und ist zudem das entscheidende Medium zur Präsentation und Vermittlung der Ergebnisse (Flick 2006, 53). Richard Wilk schreibt dazu: »I would suggest that this unnamed movement between recording and writing is really where most interesting things are going on, though it is rarely documented or discussed.« (Wilk 2011, 25) Empirische Daten und Feldnotizen übersetzen interessierende Realitäten in Textform. So entstehen Geschichten über das Feld (Flick 2006, 255). Auch das empirische Datenmaterial für diese Studie wurde in Texte übersetzt. Sowohl die Einträge meines Feldtagebuches, Beobachtungsprotokolle, Mental Maps, Memos und Feldnotizen während der Interviews als auch alle geführten Interviews, die anschließend transkribiert wurden, sowie die teilnehmenden Beobachtungen fließen in diese Studie ein. Um mein Material in eine solche Textform zu bringen, war der nächste Schritt der Arbeit die Kodierung der Daten. Das Verfahren »Offenes Kodieren« ermöglicht, Daten und Phänomene in Begriffe zu fassen, indem Aussagen in ihre Sinneinheiten zergliedert, mit Codes versehen und anschließend anhand von Kategorien analysiert werden (Flick 2006, 259ff. und Strauss/Corbin 1990). Bei dieser Auswertung waren die für meine Fragestellung besonders relevanten Phänomene ausschlaggebend für die Kategorienbildung. Um die genannten Kategorien zu generieren, wurde die qualitative Forschungsmethodologie der Grounded Theory (empirisch fundierte Theorie; vgl. Charmaz 2006, Bohnsack et al. 2003, 70ff. und Strauss/Corbin 1990) angewandt, die zur Theoriebildung auf der Basis meiner empirischen Daten führte. Das Ergebnis dieser Auswertung war eine grobe Einteilung in die Themenbereiche Technische und rechtliche Rahmenbedingungen, Energiewirte und modernes Unternehmertum, Feldakteure und Feldaktanten und Das Bioenergiedorf. So finden sich diese Blöcke auch als Überschriften im Empiriekapitel. Diesen groben Kategorien wurden wiederum Subcodes zugeteilt.

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Tabellarische Übersicht der Gesprächspartner

Tabellarische Übersicht der Gesprächspartner

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Fiktiver Name Jakob Däubler Martin Huber Andreas Hertle Stefan Koch Thomas Koch Anton Fuchs Hubertus Meier Robert Graf Anna-Maria Specht Peter Groß Benedikt Richter Manfred Müller Johannes Kaiser Prof. Theo Heinrich

15 Dr. Leo Vogt 16 Marco Seidel 17 Wolfgang Obermeyer 18 Dr. Wilhelm Engel 19 Tobias Schumacher 20 Richard Haas 21 Konrad Stein

Alter/Geschlecht 30 / M 31 / M 34 / M 56 / M 47 / M 62 / M 54 / M 56 / M 80 / W 27 / M 49 / M 55 / M 32 / M 68 / M 34 / M 37 / M 45 / M 60 / M 43 / M 53 / M 49 / M

Ort/Feldphase Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Nördlinger Ries / 2 Augsburg / 3 Augsburg / 3 Nördlinger Ries / 3 Nördlinger Ries / 3 Nördlinger Ries / 3 Nördlinger Ries / 3 Nördlinger Ries / 3 Brüssel / 4

Tätigkeit Wärmetechniker Biogasanlagenbetreiber Biogasanlagenbetreiber Biogasanlagenbetreiber, Biogaspionier Biogasanlagenbetreiber, Biogaspionier Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Vorsitzender der Bürgerinitiative Großtierarzt Anwohnerin Biogasanlagenbetreiber Anlagentechnik-Unternehmer Ehemaliger Landwirt Landwirt/Milchvieh Experte für Stadtheimatpflege mit dem Schwerpunkt Nördlinger Ries, Geowissenschaften Universität Augsburg Experte für erneuerbare Energien, Geowissenschaften, Universität Augsburg Versicherungsvertreter Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (benachbarter Landkreis) Stadtarchivar und Stadt- und Heimatpfleger Verantwortlich in der Kreditvergabe bei der Bank Vorsitzender Umwelt- und Naturschutzvereine Grünen-Abgeordneter EU-Parlament und Landwirt

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(Fortsetzung)

22 23 24 25 26 27 28 29 30

Fiktiver Name Luan Hawelka Dr. Ludwig Bartl Dr. Marcel Schreiber Lorenz Ziegler Oskar Horn Julius Bergmann Nils Schuster Fabienne Pohl Mira Kraus

31 Eva Wolf 32 Julia Arnold 33 Marlon Roth 34 Franz Schäfer 35 Maria Schäfer 36 Hermann Käser 37 Jürgen Winter 38 Ute Schmidt 39 Otto Strobel 40 Helmut Becker

Tätigkeit

Alter/Geschlecht 38 / M

Ort/Feldphase Brüssel / 4

41 / M

Brüssel / 4

Interessengemeinschaft zur Stärkung des ländlichen Raumes, Brüssel Landesvertretung Bayern, Brüssel

50 / M

Brüssel / 4

Landesvertretung Hessen, Brüssel

51 / M

Brüssel / 4

32 / M

Berlin / 5

34 / M

Berlin / 5

43 / M

Berlin / 5

31 / W

Berlin / 5

33 / W

Berlin / 5

61 / W

Berlin / 5

Experte im Bereich Bioenergie der Europäischen Kommission Mitarbeiter eines FDP-Abgeordneten, Bundestag Mitarbeiter eines CSU-Abgeordneten, Bundestag Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE e.V.) Mitarbeiterin einer Grünen-Abgeordneten, Bundestag Mitarbeiterin im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) Grünen-Abgeordnete, Bundestag

56 / W

Berlin / 5

Abgeordnete der Linken, Bundestag

43 / M

Berlin / 5

66 / M

Nördlinger Ries / 6 Nördlinger Ries / 6 Nördlinger Ries / 6 Nördlinger Ries / 6 Nördlinger Ries / 6 Nördlinger Ries / 6 Nördlinger Ries / 6

Mitarbeiter einer Abgeordneten der Linken, Bundestag Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Landschaftsarchitektin und Umweltgutachterin Grundschullehrer, Jäger und Anwohner

60 / W 65 / M 48 / M 53 / W 50 / M 61 / M

Biogasanlagenbetreiber Geoparkführerin und Agrarwissenschaftlerin Konventioneller Landwirt Anwohner

Kapitel 5: Forschungsergebnisse

Technische Rahmenbedingungen Biogas kann in unterschiedlichen Bereichen vielseitig genutzt und eingesetzt werden.58 Die Möglichkeiten sind dezentrale Strom- und Wärmeerzeugung, Verteilung über Wärmenetze, Einspeisung in das Gasnetz und der Einsatz als Erdgassubstitut oder die Verwendung als Kraftstoff (vgl. FNR 2013, 11). »Für den Stromsektor wird Biogas sehr wichtig werden. Die Hauptsäulen unseres Stromsystems werden zwar Wind und PV sein, aber ich brauche etwas zur Ausregelung, eine Ausgleichsfunktion und das wird Biogas sein. Wenn wir wirklich auf ein 100-Prozent-Erneuerbare-Energien-System kommen wollen, dann werden wir mit zwei bis sechs Wochen im Sommer leben müssen, in denen es von der Wetterlage her seit Jahrzehnten immer Windflaute gab. Das wird auch PV nicht abfangen können. Das heißt, in dieser Zeit brauchen wir Biogas-Kapazitäten.« (Nils Schuster, Bundesverband Erneuerbare Energien e.V.) So erklärt mein Gesprächspartner Nils Schuster die wichtige zukünftige Rolle der Biogasproduktion. Biogaserzeugung wird im Zusammenspiel mit Wind- und Sonnenenergie eine Art Ausgleichsfunktion erhalten. Momentan ist aufgrund der Einspeisevergütung des Erneuerbare-EnergienGesetzes (EEG) die Produktion von Strom und Wärme durch Kraft-WärmeKopplung (KWK) in Blockheizkraftwerken (BHKW) die derzeit (noch) vorrangige Nutzungsart von Biogas. Das bedeutet auch, dass der größte Teil des in Deutschland erzeugten Biogases direkt am Entstehungsort verstromt wird. Bei einem BHKW handelt es sich um einen mit Biogas betriebenen Verbrennungsmotor, der einen Generator zur Produktion von elektrischer Energie betreibt. Es gibt dafür verschiedene Motorbauarten und Verbrennungsverfahren, vor allem jedoch werden Gas-Otto-Motoren und Zündstrahlmotoren verwen58 Hier beziehe ich mich in erster Linie auf die Broschüre »Biogas und Bioenergie« (2013) der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR), die im Auftrag des BMELV veröffentlicht wurde.

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Forschungsergebnisse

det.59 Über die Technologie der Gas-Otto-Motoren ist es möglich, Biogas ab einer Methankonzentration von 45 Prozent unmittelbar zu verbrennen. Bei Zündstrahlmotoren wird ein Zündöl für den Verbrennungsprozess eingesetzt, wobei nach dem EEG seit 2007 Neuanlagen kein Zündöl mehr auf fossiler Basis verwenden (vgl. FNR 2013, 12). Im Gespräch erklärt Biogasanlagenbetreiber Andreas Hertle: »Wir verwenden Gasmotoren. Das sind ganz normale Otto-Motoren wie in einem Benzin-PKW auch, also mit Zündkerzen. Diese Technik gibt es auch schon, so lange es Otto-Motoren gibt. Sie erzeugen zum einen thermische Energie, also Abwärme, wie jeder Motor auch im Auto, deswegen hat er einen Kühler und bläst warme Luft raus. Zum anderen eben mechanische Energie. Diese mechanische Energie, dieses Drehmoment, treibt einen Generator an. Dieser Generator produziert Strom und diesen Strom speisen wir ins öffentliche Netz ein.« Wie auch aus meinen Interviews mit anderen Biogasanlagenbetreibern hervorgeht, sollte man grundsätzlich das BHKW nach hohen Wirkungsgraden und einem möglichst geringen Reparaturaufwand auswählen. Mit elektronischen Motorkontrollsystemen kann überprüft werden, wann Probleme auftreten. Vor allem die vorgeschriebenen Wartungsintervalle und die Anforderungen an den Aufstellraum des BHKW müssen von den Biogasanlagenbetreibern zur Sicherheit eingehalten werden (vgl. FNR 2013, 12). Strom und Wärme sind die beiden Koppelprodukte, die bei einer KWK-Nutzung entstehen. Biogasanlagen werden seit 2012 durch das EEG nur noch gefördert, wenn sie eine sinnvolle Wärmenutzung aufweisen. Bei Neuanlagen ist daher ein geeignetes Wärmekonzept notwendig, um einen ökologischen, effizienten und wirtschaftlichen Betrieb zu gewährleisten. Abhängig von Anlagentyp und Jahreszeit werden ca. 10 bis 30 Prozent der zur Verfügung stehenden Wärme für die Beheizung des Fermenters benötigt. Zusätzlich entstehen ungefähr 15 Prozent Verluste im Betrieb. Es bleiben somit jedoch 50 bis 60 Prozent für eine externe Wärmenutzung (FNR 2013, 12). Die erzeugte Wärme kann in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden. Hauptsächlich werden damit Wohn- und Wirtschaftsgebäude des landwirtschaftlichen Betriebes beheizt und der Anschluss an Nah-und Fernwärmenetze zur Verfügung gestellt. Letzteres ermöglicht, weiter entfernte Verbraucher mit Wärme zu versorgen. Mittlerweile gibt es in ganz Deutschland viele Wohngebiete, kommunale und gewerbliche Einrichtungen, die mit Biogaswärme versorgt werden. Aber auch für die Trocknung von Getreide und anderen landwirtschaftlichen Produkten, Holz oder den anfallenden Gärrückständen wird die Abwärme genutzt (FNR 2013, 13). Peter Groß, Leiter einer Biogasanlage 59 Aber auch Stirlingmotoren, Mikrogasturbinen und Brennstoffzellen kommen zum Einsatz. Weil ein Großteil der Gesprächspartner in der Forschungsregion jedoch Gas-Otto-Motoren und Zündstrahlmotoren nutzt, wird hier auf die anderen Varianten nicht weiter eingegangen.

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gekoppelt mit einer Trocknungsgenossenschaft, meint hierzu: »Bei uns ist ein sinnvolles KWK-Konzept, weil alles, was einen Wirkungsgrad hat, der zwischen 50 bis 70 Prozent ist, macht Sinn. Die 100 Prozent kann man nicht erreichen, das ist technisch nicht möglich, da reicht auch Gaseinspeisung nicht, weil Gaseinspeisung hat einen hohen Eigenenergieverbrauch für die Gasaufbereitung und dort kommt die Gaseinspeisung auf 80 bis 85 Prozent Wirkungsgrad.« Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, eine Direktleitung zu Wärmekunden zu legen, wie zum Beispiel Industriebetriebe oder Gärtnereien. Das Amt für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten, im Folgenden in der vorliegenden Arbeit immer als Landwirtschaftsamt bezeichnet, hat in der Untersuchungsregion bereits sehr früh darauf geachtet, dass die Anlagen im Nördlinger Ries ein sinnvolles KWK-Konzept aufweisen. Bereits im Jahr 2010 titelt die Augsburger Allgemeine Zeitung »Wärmenutzung bei Biogasanlagen kann sich sehen lassen« und schreibt, dass »im Gegensatz zu vielen anderen Regionen […] ein Großteil der Biogasanlagen im Landkreis Donau-Ries über eine gute und nachhaltige Wärmenutzung« verfügt (vgl. Augsburger Allgemeine 2010). Allerdings gibt es auch in der Region immer wieder Gegenbeispiele: »[…] da steht eine Anlage direkt neben dem Wald mit 900 kWh. Die haben überhaupt keine Wärmenutzung. Die blasen die ganze Wärme raus. Das ist eine richtige Energievernichtung!« (Peter Groß). In Deutschland wird laut Monitoringbericht zum EEG etwa die Hälfte der extern verfügbaren Wärmemenge genutzt (FNR 2013, 13). Die Wärme kann auch durch sogenannte Sorptionsverfahren in Kälte umgewandelt werden, die zum Beispiel im landwirtschaftlichen Betrieb für die Milchkühlung eingesetzt wird. Die KWK bei Biogasanlagen ermöglicht eine verbesserte Wärmenutzung in den Sommermonaten. Bei größeren Entfernungen der Wärmenetze zwischen Biogasanlage und Nutzer entstehen natürlich Übertragungsverluste. Durch Mikrogasnetze jedoch gelangt das Rohbiogas vom Fermenter zu einem Satelliten-BHKW, das unmittelbar beim Wärmenutzer steht (FNR 2013, 14). Biogasanlagenbetreiber Andreas Hertle betont den Stellenwert der geringen Entfernungen von der Anlage zu den jeweiligen Wärmeabnehmern: »Wir sind stadtnah und haben viele Wärmekunden direkt vor der Haustür, so können wir die Abwärme gut vermarkten. Wir versorgen keine Haushalte, sondern nur Industriebetriebe, weil wir am Rand vom Industriegebiet sitzen. Die Wärmeleitungen sind relativ teuer und haben einen gewissen Wärmeverlust. Deswegen macht es Sinn, diese kurz zu halten. Also immer an der Stelle, wo große Wärmekunden vorhanden sind, ist es gut, diesen Kraft-Wärme-Kopplungs-Prozess zu nutzen.«

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Biomethan und Kraftstoff »Es gibt mittlerweile Biogasanlagen, die keine großen Wärmesenken in der Nachbarschaft haben, die das Gasleitungsnetz verwenden für den Transport, die das Gas aufbereiten auf Erdgasqualität, das hat dann einen sehr hohen Methangehalt, damit sie das Gas einspeisen können und dann kann man es in anderen Teilen Deutschlands wieder entnehmen.« (Andreas Hertle, Biogasanlagenbetreiber)

Gerade in letzter Zeit findet man in Deutschland häufiger die Biogasaufbereitung und Einspeisung in das Erdgasnetz. Das Biogas wird hierfür gereinigt, das CO2 überwiegend abgetrennt und dadurch der Methangehalt erhöht. Das aufbereitete Biogas, als Biomethan oder Bioerdgas bezeichnet, wird anschließend durch das Erdgasnetz transportiert. Der Vorteil hierbei ist, dass es an einem beliebigen Standort mit hohem ganzjährigem Wärmebedarf abgenommen werden kann. Das Bioerdgas kann zusätzlich im bestehenden Gasnetz mit den unterirdischen Kavernen gespeichert werden und somit dazu beitragen, die Stromnetze zu entlasten. Die Biogasaufbereitung und Einspeisung in das Erdgasnetz ermöglicht also beides, sowohl die von der Erzeugung losgelöste direkte Wärmenutzung als auch die gekoppelte Wärme- und Stromerzeugung in GasHeizkraftwerken mit kommunalen Wärmenetzen. Neubauten werden über das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) geregelt (FNR 2013, 14f.). Bioerdgas wird vom Hersteller direkt am Erzeugungsort in das Erdgasnetz eingespeist und der Endkunde entnimmt es als äquivalente Menge Erdgas vor Ort. Gewerbekunden und Privathaushalte können das Biomethan in KWKAnlagen zur Erzeugung von Strom und Wärme, zur alleinigen Wärmeerzeugung in Gasheizkesseln oder für gasbetriebene Haushaltsgeräte verwenden (FNR 2013, 15). Ende 2012 wurden in Deutschland 117 Biogasaufbereitungsanlagen mit einer Bioerdgaserzeugung von ca. 73 000 Kubikmetern pro Stunde betrieben. Ziel der Bundesregierung bis 2020 ist es, im Jahr 6 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch Biogas zu ersetzen. Die Gesamtkapazität im Jahr 2012 entspricht ungefähr 10 Prozent des Ausbauzieles (FNR 2013, 15f.). Nils Schuster vom Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V. stellt den Mehrwert der Erdgaseinspeisung eindringlich dar : »Erdgaseinspeisung ist die zukünftige die Technologie. Es wird ganz neue Player geben. Ich war früher skeptisch, was Bioerdgaseinspeisung betrifft, weil die Aufbereitungstechnologien sehr komplex waren. Aber die Technik wird einfach immer besser, sodass es auch für kleine Biogasanlagen rentabel werden wird und das ist jetzt schon absehbar! Es geht in Zukunft um aufbereitetes Biogas, das man einspeist ins Netz, in die Gasspeicher tut, in denen wir momentan unser Erdgas bunkern. Wir haben ja die Erdgasbunker, die ein ganzes Jahr reichen. Dort werden wir in Zukunft aufbereitetes Biomethan reintun, das werden wir vornehmlich verstromen, während wir das momentan in

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die Heizung geben.« Zusätzlich kann Bioerdgas als Benzin in Erdgasfahrzeugen genutzt werden. Derzeit gibt es in Deutschland nur wenige Tankstellen mit reinem Bioerdgas, aber ca. ein Drittel der 900 Erdgastankstellen verfügen bereits über Biomethan-Erdgas-Gemische. Bioerdgas als Kraftstoff kann auf die Erfüllung der Biokraftstoffquote angerechnet werden bzw. ist alternativ außerhalb der Quotenverpflichtung zunächst bis 2015 steuerbefreit (FNR 2013, 16). Biogas entsteht bei mikrobiellem Abbau organischer Stoffe in feuchter Umgebung unter Luftabschluss (anaerobes Milieu). Dieser Prozess wird daher als Vergärung beschrieben. Der biologische Zersetzungsprozess tritt in der Natur unter anderem in Tiefen von Gewässern, in Mooren oder im Pansen von Wiederkäuern auf. Mit der Beteiligung unterschiedlicher Gruppen von Mikroorganismen spielt sich der Vergärungsprozess in vier voneinander abhängigen Schritten (Hydrolyse, Acidogenese, Acetogenese und Methanogenese) ab. Das entstandene Gasgemisch besteht aus 50 bis 75 Prozent Methan (CH4), 25 bis 45 Prozent Kohlendioxid (CO2), 2 bis 7 Prozent Wasserdampf (H2O), 2 Prozent Sauerstoff (O2), 2 Prozent Stickstoff (N2), 1 Prozent Ammoniak (NH3), 1 Prozent Schwefelwasserstoff (H2S) und 2 Prozent Spurengasen (FNR 2013, 17). In der Hydrolyse (Verflüssigungsphase) werden die komplexen organischen Verbindungen in einfachere Verbindungen zerteilt. In der anschließenden Acidogenese (Versäuerungsphase) werden diese zu niederen Fettsäuren abgebaut. Dabei entwickeln sich außerdem Alkohole, Wasserstoff und Kohlendioxid als Ausgangsstoffe für die Methanproduktion. In der anschließenden Acetogenese (Essigsäurephase) werden die organischen Säuren und Alkohole zu Essigsäure, Wasser und Kohlendioxid abgebaut. Die Erzeugnisse der vorher erfolgten Phasen werden in der Methanogenese (Methanbildungsphase) abschließend zu Methan, Kohlendioxid und Wasser umgesetzt (FNR 2013, 17; Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz: Biogashandbuch Bayern 2004). Die vier Phasen laufen im Fermenter zeitlich parallel ab. Wegen der verschiedenen Milieubedingungen der unterschiedlichen Mikroorganismen muss aus diesem Grund ein bestmöglicher Kompromiss der wichtigsten Parameter, wie Temperatur, pH-Wert oder Nährstoffversorgung, gefunden werden. Gegenüber Störungen aus betriebstechnischen Gründen oder durch Hemmstoffe ist der Vergärungsprozess sehr empfindlich. Gerade Hemmstoffe können schon in kleinen Mengen negative Auswirkungen auf den Vergärungsprozess haben (FNR 2013, 17; Bayerisches Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz: Biogashandbuch Bayern 2004). Biogasanlagenbetreiber Peter Groß erklärt mir den Gärungsprozess folgendermaßen: »Du musst dir die Anlage wie einen großen Topf vorstellen, der dunkel und warm ist. Es muss ein Luft- und Lichtabschluss herrschen, dunkel und anaerob. Temperaturniveaus von entweder mesophil, ca. 38 bis 428 C, oder thermophil, das ist der höhere Tempe-

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raturbereich, um die 48 bis 528 C. Es gibt die bestimmten Temperaturbereiche, weil die verschiedenen Bakterienstämme bei bestimmten Temperaturbereichen am besten arbeiten. Deswegen fährt man entweder so oder so. Wir fahren bei uns mesophil mit 438 C. Drin ist so etwas Ähnliches wie Gülle, oder Substrat, das wird von den Bakterien zersetzt.« Es gibt zwei Wege, die man vor der ersten Inbetriebnahme einer Anlage wählen kann, um die Milieubedingungen der unterschiedlichen Mikroorganismen erstmalig herzustellen: Entweder man nutzt Rindergülle, weil hier aufgrund der Ausgasung der Gülle die Mikroorganismen bereits vorhanden sind, »das sind Methanogene-Bakterien«, erklärt der junge Anlagenbetreiber Peter Groß. Allerdings dauert das relativ lang, weil der Anteil der Bakterien gering ist. Die andere Variante ist, »man geht zu einer benachbarten Biogasanlage, klopft an und fragt freundlich, ob man von dem Ferment aus dessen Anlage etwas haben darf. Der sagt dann meistens, aus meinem Ferment kriegst du nichts, aber aus dem Nachgärer kannst du etwas haben. Dann holt man mit dem Güllefass ein paar hundert Kubik Flüssigkeit, mischt das mit Rindergülle auf und hat schon mal seinen Flüssigkeitspegel drin.« Wenn man eine Anlage erstmalig hochfährt, dauert es ca. drei bis sechs Monate, bis sie auf voller Leistung ist. Wichtig sei, die »Fütterung« ganz langsam anzuheben, weil die Bakterien mit dem zusätzlichen Futter nur schwer zurechtkommen. »Je mehr Futter drin ist, desto größer muss der Bakterienstamm sein bzw. desto besser müssen die das verarbeiten können« (Peter Groß).

Ausgangsstoffe (organische Substrate) Für die Biogasproduktion sind zahlreiche organische Substrate verwendbar. In landwirtschaftlichen Anlagen werden zumeist gezielt angebaute Energiepflanzen (z. B. Mais, Raps) und tierische Exkremente (z. B. Rinder- und Schweinegülle) eingesetzt. Genauso denkbar für die Biogaserzeugung ist aber auch der Einsatz von Bioabfällen aus der Kommunalentsorgung oder Reststoffen aus Landwirtschaft und Industrie.60 Im Jahr 2012 wurde als Substrat laut einer aktuellen Betreiberumfrage (Monitoringbericht zum EEG) in den bundesweit betriebenen Biogasanlagen 54 Prozent nachwachsende Rohstoffe (Energiepflanzen), 41 Prozent tierische Exkremente, 4 Prozent Bioabfälle sowie 1 Prozent Reststoffe aus Industrie und Landwirtschaft eingesetzt (FNR 2013, 19). 60 Es gibt in Deutschland die Einteilung der Biogasanlagen in NawaRo-Anlagen sowie Kofermentationsanlagen. In letzteren werden Lebensmittelreste, Fette, Rückstände der Nahrungsmittelindustrie und andere organische Abfälle vergoren. Die Einspeisevergütung beinhaltet zum Zeitpunkt der Forschung nur eine Grundvergütung.

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Biogasanlagenbetreiber Peter Groß meint dazu: »Die Anlage selber ist einfach. So eine Biogasanlage wird bei uns in der Gegend standardmäßig, seit es das EEG in der Form gibt, mit NawaRos beschickt. Es gibt wenige Anlagen, die mit Bioabfällen arbeiten. Das ist nicht so lukrativ wie die NawaRos. NawaRos heißt speziell bei uns Mais, Gras, Weizen, Hafer, Gerste, Roggen, also alles, was Getreide ist, und Hühnertrockenkot und Getreide-Korn. Das müssen wir mit unseren Mahl-MischAnlagen schroten, mahlen und füttern. Das Futter wird in die Anlage dosiert.« Als NawaRo, nachwachsende Rohstoffe, werden Mais, Getreide, Gräser und Zuckerrüben bezeichnet. Derzeit wird die Energiepflanze Mais wegen der besten Flächeneffizienz, technologischen Eignung und Kostenstruktur am meisten verwendet. Im Vergleich zu Getreide verfügt Mais über hohe Trockenmasse- und Energieerträge und hat einen geringeren Dünger- und Pflanzenschutzaufwand (FNR 2013, 19f.). Risiken hierbei sind jedoch vor allem die ökologisch negativen Auswirkungen auf Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität. Aufgrund der starken Kritik am zunehmenden Maisanbau wird derzeit nach anderen Möglichkeiten geforscht, um einen nachhaltigen und umweltschonenden Anbau von NawaRos zu gewährleisten. Vor allem der Anbau von Wildpflanzen, Mischkulturen und neuen Energiepflanzen wie zum Beispiel der Durchwachsenen Silphie oder SorghumArten spielt hierbei eine wichtige Rolle. Ziel ist es allgemein, den Energiepflanzenanbau in mehrgliedrige Fruchtfolgen einzubinden und durch andere hilfreiche Methoden, wie Blühstreifen am Rand der Flächen, zu entlasten. Generell problematisch ist, dass bei dem alternativen Anbau von Gräsern und anderen Energiepflanzen eine größere Anbaufläche nötig ist als für den Maisanbau (FNR 2013, 20). Weiterhin können Gülle und andere Wirtschaftsdünger nicht nur sinnvoll energetisch genutzt werden, sondern sind auch im Zusammenhang mit Klimaschutz (Emissionsvermeidung) ein wichtiges Kriterium. Gülle hat eine prozessstabilisierende Wirkung und ist gut mit den meisten anderen Einsatzstoffen kombinierbar. Für die Biogasgewinnung sind neben nachwachsenden Rohstoffen, Exkrementen, Futterresten und landwirtschaftlichen Abfällen auch nichtlandwirtschaftliche Substrate wie Rückstände aus der Lebensmittelindustrie, Speiseabfälle, Gemüseabfälle von Großmärkten, Rasenschnitt, Landschaftspflegematerial oder Bioabfälle aus der Kommunalentsorgung einsetzbar. Die unterschiedlichen Substrate haben verschiedene Gaserträge. Einwirkung auf die Gasausbeute haben aber auch die technologischen und biologischen Kennziffern der Anlage und des Gärprozesses (FNR 2013, 20). Mit der Kofermentation (gemeinsame Vergärung) außerlandwirtschaftlicher Reststoffe können jedoch Schadstoffe (insbesondere Schwermetalle) in die Anlagen und über Gärrückstände auf die landwirtschaftlichen Nutzflächen gelangen. Aus diesem Grund müssen hier die Vorschriften des Abfall- und Düngerechts eingehalten werden. Das gilt vor allem für Desinfektions- und Hygie-

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nisierungsmittel oder Medikamente, die den Gärprozess stören und nicht auf den Acker gelangen sollen (FNR 2013, 20f.). Biogas-Experte Lorenz Ziegler, der bei der Europäischen Kommission in der Abteilung Landwirtschaft mit Schwerpunkt Bioenergie arbeitet, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei der Verwertung von Essensresten vorher eine Pasteurisierung durchgeführt werden muss, daher »sind das recht teure Anlagen, weil man erst mal mit Druck und Hitze das Rohmaterial aufbereiten muss, damit man hinterher den Gärrest überhaupt ausbringen darf«.

Die Lagerung der Substratstoffe Jungunternehmer und Anlagenbetreiber Andreas Hertle hebt den großen Vorteil von Biogas bzw. Biomasse im Allgemeinen hervor, denn »egal ob es Holz, Mais oder Stroh ist, die Biomasse kann nach der Ernte gelagert werden im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien wie zum Beispiel Windenergie. Wind kann ich nicht lagern. Der Wind kommt oder er kommt nicht.« Bevor das »Futter« – wie meine Gesprächspartner das Substrat stets bezeichnen – in die Biogasanlage gelangt, wird es zuerst zerkleinert und dann gelagert: »Alles draußen auf dem Acker, auf der Wiese wird schon einmal mit dem Feldhäcksler ganz klein gehäckselt. Dann kommt es ins Fahrsilo, dort wird es angewalzt und zugedeckt, dort siliert es dann, wird also haltbar gemacht, konserviert im Endeffekt«, erklärt Biogasanlagenbetreiber Peter Groß.61 Unter einem Fahrsilo versteht man einen länglichen befestigten Platz, mit stabilen, meist aus Beton gefertigten Seitenwänden, auf dem Substrate (z. B. zerkleinerte Maispflanzen) abgekippt, festgefahren und luftdicht abgedeckt werden, um sie dann als Energiequelle für die Beschickung der Biogasanlage zu verwenden. Die Abdeckung ist aus verschiedenen Gründen wichtig: Zum einen geht es darum, starke Geruchsemissionen zu vermeiden und damit für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen, denn »so ein Silohaufen, der riecht ziemlich, einfach dadurch, dass er gärt, das ist Essigsäure-Buttersäure-Gärung und die Buttersäure riecht stark. Das macht Probleme in der Bevölkerung. Da muss man aufpassen, dass man die Emissionen in den Griff bekommt. Das macht man, indem man den Haufen zudeckt.« Hinzu kommt der Vorteil, dass die zugedeckte Silage nicht verschimmelt, erklärt Peter Groß weiter. Im Nördlinger Ries gibt es jedoch einige Biogasanlagenbetreiber, »so ein paar 61 Unter Silage versteht man allgemein Gärfutter, das durch die Milchsäuregärung zu einem konservierten Futtermittel vor allem für Wiederkäuer gemacht wird. Im Falle von Biogasanlagen sind damit die nachwachsenden Rohstoffe gemeint, die als Energiequelle dienen und die durch Silierung haltbar gemacht werden.

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Spezialisten«, meint Biogasanlagenbetreiber Peter Groß ironisch, die wegen der hohen Kosten und des großen Arbeitsaufwands auf die Abdeckung verzichten: »Die lassen oben 20 bis 30 Zentimeter verschimmeln, das gibt eine dichte Schicht und darunter siliert es dann. Das stinkt natürlich, das stinkt viel mehr als nur im Umkreis von 100 Metern.« Vorgeschrieben ist die Abdeckung grundsätzlich nur dann, wenn es in der Baugenehmigung festgelegt ist. Peter Groß meint aber, dass allein hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit eine Abdeckung äußerst sinnvoll ist, denn durch das Verschimmeln geht erheblich Futter verloren. Und er erklärt weiter : »Man muss sich die Biogasanlage wirklich vorstellen vom Prinzip her wie eine Milchkuh. Eine Milchkuh kann mit einem schlechten verschimmelten Futter auch nicht arbeiten. Die wird dann krank. Das ist eine ganz einfache Denkweise, bei Schimmel entstehen Pilze im Futter. Pilze wirken antibiotisch und gleichzeitig hast du einen Bakterienstamm [in der Anlage, FS], der das Ganze vergären soll, das beißt sich irgendwo.« Hinzu kommt, dass der Silostock ohne Abdeckung nach unten »durcherwärmt«, weil er aufgrund des Sauerstoffs immer weiter arbeitet. Dadurch wandert die Erwärmung durch den Silostock und dieser wird nach und nach seifig. Es entsteht ein massiver Energieverlust, »weil die Wärme und die Energie muss irgendwoher kommen. Die kommt eigentlich aus dem Futter, aber die Energie fehlt natürlich dann in der Anlage«, erklärt Anlagenbetreiber Peter Groß aus Erfahrung. Für Fahrsilos gibt es keine exakte Input-Output-Rechnung, weil »so ein Silo wird ja nie wirklich leer, da ist ein Rest drin und man hat nicht genau aufgeschrieben, welche Mengen man aus welchem Silo verwogen hat, vor allem hat man nicht aufgeschrieben, welche Menge man in welches Silo hinein siliert hat«, so Peter Groß. Er räumt jedoch ein, um den Betrieb wirtschaftlich zu führen, habe er seine »Kenngrößen und Schätzgrößen: 3 Prozent ist verschmerzbar, aber 10 Prozent bei der Menge tut weh. Wir haben 25 000 Tonnen einsiliert letztes Jahr, […] da kostet die Tonne ungefähr 30 Euro und das rechne mal hoch, was da an Geld kaputtgeht, deswegen bei uns die Abdeckung.« Im Jahr 2011 hatten die Biogasanlagen in der Region allgemein das Problem, dass sie relativ feuchtes Material silieren mussten, weil die Erntebedingungen schlecht waren. »Bei feuchtem Material läuft unten Wasser weg, Sickerwasser riecht besonders intensiv. Der Mais konnte nicht abreifen, der war relativ lange grün. Das Problem haben wir in diesem Jahr alle. Wir haben durch gute Maßnahmen, wie spätes Silieren oder das Futter auf dem Acker, auf der Wiese, anwelken lassen, geschaut, dass man es möglichst trocken kriegt«, so Anlagenbetreiber Peter Groß im Gespräch. Wenn die Erntebedingungen besser sind, funktioniert es besser, dass man die Geruchsemissionen in den Griff bekommt. Auch aus diesen Gründen erscheint eine Abdeckung des Fahrsilos sehr sinnvoll.

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Anlagentechnik und Betrieb Landwirtschaftliche Biogasanlagen bestehen aus einer Vorgrube, einem Faulbehälter (Fermenter) und dem Gärrückstandslager (Gärrestelager). Für das entstehende Gas und dessen Verwertung gibt es einen Gasspeicher, Gasreinigung und BHKW bzw. Gasaufbereitungsanlage. In der Vorgrube werden Gülle und Kosubstrate zwischengelagert und das Gärsubstrat aufbereitet: Es wird zerkleinert, verdünnt und vermischt. Beim Bau der Vorgrube sollte darauf geachtet werden, dass sie durch ihre Größe Schwankungen beim Substratanfall ausgleichen kann. Der Faulbehälter bzw. Fermenter ist der wichtigste Teil einer Biogasanlage und wird aus der Vorgrube mit Gärsubstrat beschickt. Der Behälter muss gas- und wasserdicht sowie lichtundurchlässig sein. Eine Rührtechnik im Inneren ist verantwortlich für die homogene Vermengung des Substrates, das abhängig vom Ausgangsmaterial verschiedene Schwimm- und Sinkschichten ausbildet. Durch die permanente Rührbewegung kann auch das Gas aus dem Substrat entweichen. Wenn Hühnermist oder Bioabfälle vergärt werden, entstehen häufig Sinkschichten. Diese müssen regelmäßig mit geeigneten Austragsvorrichtungen entfernt werden. Damit die Prozesstemperatur aufrechterhalten bleibt, wird ein Heizsystem installiert. Die Prozesstemperatur liegt bei den meisten Anlagen im mesophilen Bereich (zwischen 32 und 42 8C), selten im thermophilen Bereich (zwischen 50 und 57 8C). In der Regel wird mit der Abwärme aus dem BHKW geheizt. Anlagen mit entfernt aufgestelltem BHKW oder Bioerdgasanlagen können auch mit Holzhackschnitzel-Heizungen geheizt werden (FNR 2013, 24f.). Das ausgefaulte Substrat gelangt aus dem Fermenter in das Gärrückstandslager, welches oft als Nachgärbehälter ausgebaut wird, oder es gibt einen Nachgärbehälter und ein separates Gärrückstandslager. Das Gärrückstandslager muss bei allen Anlagen, die seit 2009 nach dem Bundesimmissionsschutz-Gesetz (BImSchG) genehmigt wurden, und bei den Anlagen, die ab 2012 in Betrieb gegangen sind, gasdicht abgedeckt sein. Somit ist es möglich, das Biogas aus der Nachgärung zu nutzen, und zugleich entstehen kaum Emissionen und Gerüche (FNR 2013, 25).62

62 Für die Kofermentation von seuchenhygienisch bedenklichen Substraten wie Bioabfall, Magen- und Panseninhaltsstoffen, Speiseabfällen unter anderem muss eine Hygienisierungseinrichtung eingerichtet werden, in der die Substrate für die Dauer von mindestens 60 Minuten auf 70 8C erhitzt werden. Somit werden gesundheitsgefährdende Erreger im Substrat vernichtet (vgl. FNR 2013, 25).

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Gasaufbereitung, Sicherheitstechnik und Handhabung der Gärrückstände

Über die Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV) werden die Modalitäten geregelt, unter denen die Gasnetzbetreiber den Bioerdgas-Erzeugern den Zugang zu den Gasnetzen zur Verfügung stellen müssen. Netzbetreiber sind auf allen Druckstufen verpflichtet, auf Antrag Bioerdgasanlagen vorrangig an das Gasnetz anzuschließen und die Verfügbarkeit des Netzanschlusses dauerhaft (zu mind. 96 Prozent) zu gewährleisten. Mit der Aufbereitung von Biogas in Erdgasqualität sind hohe Investitions- und Betriebskosten notwendig. Aus diesem Grund ist das Verfahren meistens eher für größere Biogasaufbereitungsanlagen rentabel (FNR 2013, 27 und FNR 2014). Wichtig bei der Biogasgewinnung ist eine regelmäßige Kontrolle der Temperatur, des pH-Werts, des Methangehalts, der Gasmenge, des CO2- und Schwefelwasserstoffgehalts. Hierzu stehen bei jeder Anlage elektronische Messgeräte zur Verfügung, mit denen die verschiedenen Werte dauerhaft gemessen, aufgezeichnet und ausgewertet werden. Weil Methan eine hohe Klimawirksamkeit hat, muss bei Störungen am BHKW durch eine zusätzliche Gasverbrauchseinrichtung (z. B. ein Gasbrenner oder eine Gasfackel) das Biogas verbrannt werden können. Die in der Forschungsregion als Biogaspioniere bekannten Anlagenbetreiber Stefan und Thomas Koch weisen auf die Wichtigkeit der Sicherheitsmaßnahmen hin: »Wenn die Technik mal nicht funktioniert, müssen wir abfackeln. Wir wollen ja kein Methan in der Atmosphäre, weil das ist 21 Mal Ozon-schädlicher als CO2. Wenn man das abfackelt, dann machen wir das Methan zu CO2. Man muss das machen, wenn zum Beispiel ein Stromausfall ist oder ein Elektromotor kaputtgeht oder ein Keilriemen reißt. In unserer Anlage gibt es einen bestimmten Puffer, zwei Stunden können wir überbrücken, aber danach müssen wir abfackeln. Das Gas wird ja ständig weiter produziert.« Der Netzbetreiber kann bei drohender Überlastung des Stromnetzes die Anlage abschalten. Grundsätzlich muss bei der Biogasproduktion allgemein darauf geachtet werden, dass keine gefährlichen Gase entweichen. Aus diesem Grund muss die Anlage nach der Betriebssicherheitsverordnung vor Inbetriebnahme abgenommen werden (FNR 2013, 28). Die Reste, die beim Vergärungsprozess übrig bleiben, werden als Gärrest, Biogasgülle oder Gärrückstand bezeichnet. Die Biogasbetreiber führen den Gärrest zurück auf die substratliefernden Ackerflächen, was einen geschlossenen Nährstoffkreislauf gewährleistet. Der Gärrest aus landwirtschaftlichen Biogasanlagen genauso wie der Wirtschaftsdünger unterliegen dem Düngerecht und wird als hochwertiger organischer Dünger verwendet (FNR 2013, 28f.). Die Qualität des Wirtschaftsdüngers ist generell besser, weil durch den Vergärungsprozess Krankheitserreger und Unkrautsamen zum Teil abgetötet und Nährstoffe für Pflanzen besser zugänglich werden. Im Vergleich zu konventioneller Gülle ist der Gärrest weniger geruchsintensiv. »Diese vergorenen Reststoffe

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enthalten pflanzennotwendige Nährstoffe, Makronährstoffe, das sind Stickstoff, Phosphat und Kalium. Diese Pflanzennährstoffe werden in der Biogasanlage nicht verbraucht, […], dadurch ist es möglich, diesen Reststoff wieder als Dünger auf Feldern und Wiesen einzusetzen. Der Vorteil ist, dass sie eigentlich eins zu eins wieder zurück auf die Flächen können, wodurch geschlossene Nährstoffkreisläufe möglich sind«, erklärt Biogasanlagenbetreiber Andreas Hertle. Für die Lagerung des Gärrests müssen spezielle wasserdichte Behälter eingesetzt werden. Eine gasdichte Abdeckung ist mittlerweile gesetzlich vorgeschrieben, weil Ammoniak-, Methan- und klimarelevante Emissionen nicht austreten dürfen (FNR 2013, 29).

Auflagen für den Bau einer Biogasanlage Aufgrund des Biogasbooms und den anhaltenden Konflikten versucht das Landratsamt des Landkreises Donau-Ries und dessen Untere Naturschutzbehörde der Entwicklung von Biogasanlagen durch höhere Auflagen im Bereich Umwelt- und Naturschutz entgegenzuwirken. Grundsätzlich sind für den Bau und anschließenden Betrieb einer Biogasanlage sowie die Ausbringung des Gärrests eine Menge von Gesetzen und Verordnungen zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei um Planungs-, Bau-, Dünge-, Wasser- und Abfallrecht. Auch sind die Vorschriften von Naturschutz-, Immissionsschutz- und Hygienerecht von Bedeutung. Abhängig von der Größe der Anlage oder der Form der zu verarbeitenden Substrate ist ein baurechtliches oder ein immissionsschutzrechtliches Verfahren entscheidend (FNR 2013, 30f.). Grundsätzlich unterliegt das Baugenehmigungsverfahren der jeweiligen Landesbauordnung. Es wird zwischen Bauplanungsrecht (beplanter oder unbeplanter Innenbereich, Außenbereich) und Bauordnungsrecht differenziert. Im Bauordnungsrecht werden Fragen von Abstandsflächen, Zufahrtsstraßen und Brandschutz geklärt. Eine Biogasanlage wird nach § 35 Baugesetzbuch im unbeplanten Außenbereich genehmigt, wenn sie im Zusammenhang mit einem landwirtschaftlichen Betrieb steht und den entsprechenden Bedingungen gerecht wird (vgl. FNR 2013, 30f.). Anforderungen im Bereich Immissionsschutz beabsichtigen, die bei Bau und Betrieb von Biogasanlagen entstehenden Immissionen (Luftverschmutzung, Lärm, Geruch) zu minimieren.63 Aufgrund 63 Die Betreiber immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Biogasanlagen haben jeweilige Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. In der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) und der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) sowie der Geruchsimmissions-Richtlinie sind die Grenzwerte bestimmt. Gegebenenfalls wird auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung innerhalb des Bundes-Immissionsschutzgesetz(BimSchG)-Verfahrens angeordnet (FRN 2013, 30f.).

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dieser Auflagen ist es durchaus schwieriger geworden, für seine Kunden einen geeigneten Bauplatz zu finden, so Bankberater Tobias Schumacher, was bei der hohen Dichte der Anlagen und der beträchtlichen Aufmerksamkeit in der Bevölkerung nachvollziehbar ist: »Die wollen erneuerbare Energien, aber kein Biogas. Das ist so, das ist menschlich. Lieber woanders. Ich will für mich das Beste haben«, schätzt der junge Bankberater. Im Gegensatz zum Landratsamt hat das Landwirtschaftsamt, so Wolfgang Obermeyer, beim Bau von Biogasanlagen kein wirkliches Instrument zur Steuerung der Land- und Regionalplanung. Ihm selbst sind in seiner leitenden Funktion beim Landwirtschaftsamt für eine mögliche Steuerung des Anlagenbaus wenige Möglichkeiten gegeben. Bei Gewerbegebieten oder Gebieten für eine Sondernutzung müsste immer im Rahmen einer Änderung des Flächennutzungsplans geplant werden. Träger eines solchen Verfahrens ist in diesem Falle die Gemeinde. Letztendlich entscheide der Gemeinderat. Landwirte hingegen sind grundsätzlich baurechtlich durch das Bauen der Landwirtschaft im Außenbereich privilegiert, erklärt Obermeyer.64 Vom Landwirtschaftsamt werden zwar die Voraussetzungen der Privilegiertheit geprüft, aber häufig könne kein Einspruch eingelegt werden: Das heißt, wer einen landwirtschaftlichen Betrieb zu Einkommenszwecken betreibt und gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt, ist grundsätzlich privilegiert, wenn ihm das Vorhaben unter größtmöglicher Schonung des Außenbereichs dient, so Obermeyer. Der Gesetzgeber habe für den Bau von Biogasanlagen den Grundsatz gemäß § 35 Baugesetzbuch (BauGB) folgendermaßen ausgedehnt: Der/die Betreiber (im Falle einer Gemeinschaftsanlage) müsse(n) Landwirt sein. Weiterhin müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Die Anlage muss überwiegend aus eigener Erzeugung oder von benachbarten landwirtschaftlichen Betrieben mit nachwachsenden Rohstoffen und Wirtschaftsdünger versorgt werden. Es darf aber keine gewerbliche Anlage mit beispielsweise Schlachtabfällen sein, denn hierfür sind höhere Auflagen erforderlich, erläutert Obermeyer. Des Weiteren muss der Bau der Biogasanlage einen räumlich funktionalen Zusammenhang zum landwirtschaftlichen Betrieb haben, das heißt, entweder nah an der Hofstelle sein, was meistens daran scheitere, dass es zu nah am Ort liegt, oder draußen an einem großen Stall, einem landwirtschaftlichen Gebäude oder einer Halle. Das Landwirtschaftsamt prüfe vor dem Bau Vorbelastungen gemäß der sogenannten TA Luft, der technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft, sowie die Einhaltung bestimmter Mindestabstände zum Wald und zur Siedlung. Genauso würden die fachrechtlichen Vorschriften in die Kalkulation miteinbezogen, die jeder Landwirt oder jeder Betreiber einer Biogasanlage erfüllen muss, so Obermeyer. Der Landwirt müsse außerdem für die Gärreste für 64 Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (o. J.) Baugesetzbuch.

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ein halbes Jahr einen Mindest-Lagerraum vorweisen, damit er den Winter überbrücken kann. Zusätzlich gebe es eine Reihe von wasserwirtschaftlichen Vorschriften für den Bau der Anlagen wie die Doppelwandigkeit, Leckage, entsprechende Kontrolleinrichtungen und einen Havarie-Wall, »wenn’s am Hang liegt, falls so ein Ding mal platzt. Das ist auch schon passiert!« Diese Auflagen seien durchaus anspruchsvoll, meint Wolfgang Obermeyer. Aber sobald diese Voraussetzungen erfüllt sind und der Landwirt einen Bebauungsplan vorlegen kann, »dann kann’s nur die Bank verhindern oder das Wasserschutzgebiet, solange auf Bürokratendeutsch keine öffentlichen Belange dagegen sprechen«, erklärt Wolfgang Obermeyer. Letztendlich fehle dem Landwirtschaftsamt somit durch das Gesetz des privilegierten Bauens der Landwirtschaft ein Steuerungsmoment. Solange »die Politik« die Rahmenbedingungen im EEG nicht ändere, hätten derzeit die regionalen Landwirtschaftsämter keine Möglichkeit zur Steuerung, meint er verdrossen. Bereits durch eine gesetzliche Änderung des EEG in Hinblick auf Kleinanlagen könne man einiges bewirken und die Lage würde sich entspannen, denkt Obermeyer. Würden Kleinanlagen, die nur Wirtschaftsdünger und Futterabfälle vergären, im EEG in den Bonuszahlungen besser bedacht werden, gäbe es im Nördlinger Ries sehr viele Kleinanlagen, die Stoffe vergären, die nicht mehr brauchbar sind. »Und das ist doch das Grundprinzip einer Biogasanlage«, meint Obermeyer eindringlich. Die alternative Energieerzeugung werde umso wirtschaftlicher, umso mehr der Energieträger sowieso Abfall ist. Das funktioniert mit Kleinanlagen optimal, so der Biogasexperte: »Aber wir wollen keine Riesenabfallanlagen, wie E.ON sie in Unterfranken baut. Die müssen den Mais beim Bauern kaufen. Genau das wollen wir ja nicht! Wir wollen die Bauern als Unternehmer haben!«

Die Baugenehmigung und der Stellenwert des Umweltgutachtens Die freischaffende Landschaftsarchitektin und Umweltgutachterin Maria Schäfer bearbeitet projektgebunden verschiedene Aufträge zu Umweltberichten für den Bebauungsplan bei Biogasanlagen. Sie erklärt, wenn die energetische Leistung, also die Kapazität einer Biomasseanlage, eine bestimmte Höhe erreicht hat und eine festgelegte Schwelle überschreitet, müsse mittlerweile eine verbindliche Bauleitplanung vorgenommen werden. Somit muss für eine Anlage dieser Größe ein offizieller Bebauungsplan aufgestellt werden. Das Verfahren ist gesetzlich im Baugesetzbuch verankert, erklärt Maria Schäfer. Durch ihre langjährige Erfahrung im Verfassen von Umweltberichten und der breiten Varianz ihrer Aufträge sieht sie in Biogasanlagen fachgebunden einen Eingriff in die Umwelt. Anhand des in Bayern geltenden Leitfadens für Baumaßnahmen

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berechnet sie dann das Ausmaß dieses Eingriffs. Wichtig sei hierbei, wie viel Fläche dadurch versiegelt wird und wie stark diese Versiegelung ist, erklärt sie. Je nachdem, was für ein Eingriff errechnet wird, ergibt sich das sogenannte Ausgleichsoll. Dieses Ausgleichsoll muss in Form einer Ausgleichsfläche an einer anderen Stelle gefunden werden. Das ginge innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans, was aber oft sehr ungünstig sei, weil die meisten Biogasanlagen nicht auf dem anfänglichen Stand geblieben, sondern nach fünf Jahren wieder erweitert worden sind. Wenn nämlich die Ausgleichsfläche direkt daneben liegt und die Erweiterung in die Ausgleichsfläche hineinwächst, wird es kompliziert, so Maria Schäfer. Daher werde vom Landratsamt und vom Landwirtschaftsamt, aber auch von Seiten des Naturschutzes immer geraten, Ausgleichsflächen möglichst so zu legen, dass sie bei einer späteren Erweiterung nicht im Wege sind. Maria Schäfer nennt das Beispiel der Trocknungsanlage Kinzingen, ein Fall, bei dem es sehr schwierig gewesen war, für die Erweiterung Ausgleichsflächen zu finden: Es hat sehr lange gedauert, bis einer der Genossenschaftsmitglieder einen großen Acker in die Berechnung eingebracht hat, der ganz oben auf einer Verebnung eines Rieser Hügels liegt und der nicht sehr fruchtbar, sondern sehr steinig ist, mit dem aber dennoch ein gewisser Ertrag erwirtschaftet worden war. »So hat es für die Natur Sinn gemacht.« Dieser große Acker gelte jetzt als Ausgleichsfläche, die sogar größer ist, als sie tatsächlich sein müsste, und die Genossenschaft somit auch noch andere Dinge bauen kann. Nicht nur diese Eingriffsregelung ist für Maria Schäfer bei der Bearbeitung des Umweltgutachtens wichtig, sondern auch die Eingrünung einer Biogasanlage, die ein eigenes Kapitel bei dem Umweltbericht darstellt, da die Anlage in der Regel im Außenbereich gebaut wird und Eingrünungen verpflichtend sind, meint Maria Schäfer. Im Einvernehmen mit der Unteren Naturschutzbehörde müsse daher eine gute Lösung gefunden werden, die für den Auftraggeber vertretbar ist, aber auch für die landschaftliche Seite sinnvoll ist. »Das klappt mal mehr oder weniger gut«, erklärt die Landschaftsarchitektin augenzwinkernd. »Kommt auf den Einzelfall an, aber die Verpflichtung besteht! Ohne Eingrünung geht es nicht.« Aber die Menge oder das Maß an Eingrünung werde dann durchaus auch unterschiedlich gehandhabt. Bei diesen großen Verfahren müsse man sich derzeit auf einen langen Planungs- und Genehmigungsprozess einstellen, weil alle wesentlichen Behörden und Fachstellen Einsicht nehmen und gehört werden, meint Maria Schäfer. Bei Biogasanlagen mit weniger Energieleistung, die unter der gesetzlich festgeschriebenen Schwelle liegen, ist das große Verfahren nicht nötig, verpflichtend ist aber auch hier die Fertigung eines Freiflächengestaltungsplans. Maria Schäfer hat bereits verschiedentliche dieser Aufträge für kleinere Anlagen bearbeitet. Grundsätzlich ging es jedoch inhaltlich immer um das Gleiche: »Man muss den Eingriff betrachten: Was brauche ich an Ausgleichsfläche und wie

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wird diese Anlage möglichst gut in die Landschaft eingegrünt? Es ist etwas weniger aufwendig.« Bei größeren Anlagen, die ein Bebauungsplanverfahren erfordern, ist der Aufwand ein anderer, auch weil es mittlerweile in der Bevölkerung große Schwierigkeiten und Ablehnung gibt, vor allem, wenn die Biogasanlage relativ nah an einer Ortslage stehen soll. Auch wenn Störfaktoren beseitigt, Abstände groß genug gewählt und die Windrichtungen beachtet worden sind, hat Maria Schäfer bereits mehrfach erlebt, dass es eine Bürgerinitiative geschafft hat, sich gegen den Bau einer Anlage an seinem ursprünglichem Standort auszusprechen. Der künftige Betreiber habe eine andere Fläche finden müssen. Die Umweltgutachterin und Landschaftsarchitektin arbeitet vermehrt mit den Rieser Naturschutzvereinen zusammen. Gemeinsam haben sie es einmal in ihrer ganzen Berufslaufbahn geschafft, ein landwirtschaftliches Projekt zu verhindern. Es ging um den Bau einer Maschinenhalle, die in der Planung der Landwirtsfamilie so platziert war, dass dadurch die Wiesenweihe65, ein europäisch geschützter Vogel, in einem großen Umkreis verschwunden wäre, insbesondere aufgrund ihrer großen Fluchtdistanz. Am Anfang sei die Auseinandersetzung sehr kritisch und schwierig gewesen, weil sich die landwirtschaftliche Seite nicht einsichtig zeigte. In Zusammenarbeit mit den verschiedenen Bereichen der Oberen Naturschutzbehörde aus Augsburg, dem Landratsamt, dem Bauernverband und dem Landwirtschaftsamt habe man sich aber dann auf einen Kompromiss einigen können, erklärt Maria Schäfer. Über einen Flächentausch mit der Gemeinde konnte das Vorhaben für die Landwirtsfamilie doch durchgesetzt werden und die Wiesenweihe wurde nicht aus ihrem Lebensraum verdrängt. Seit diesem Fall wird bei Genehmigungsverfahren von Biogasanlagen verstärkt auf den Schutz bestimmter Tier- und Pflanzenarten geachtet.

Probleme mit dem Landratsamt aus Sicht der Anlagenbetreiber Für viele Biogasanlagenbetreiber im Nördlinger Ries steht das Landratsamt aufgrund der verschärften Auflagen in der Missgunst. »Selbst gegen Baumaßnahmen von bestehenden Anlagen, die die Situation verbessern sollen. Die Untere Naturschutzbehörde auf dem Landratsamt stellt sich unheimlich quer und da kämpfen wir Anlagenbetreiber damit«, meint Biogasanlagenbetreiber Peter Groß aufgebracht. Der Leiter der Trocknungsgemeinschaft berichtet von »diesem ewigen Häck-Mäck« mit dem Landratsamt. Er hält die strengen Vorgaben bezüglich der Ausgleichsflächen für nicht sinnvoll, denn wer selbst keine land65 Auch die Rieser Nachrichten berichteten mehrfach über diesen Fall, der ein Exempel statuierte.

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wirtschaftlichen Flächen mehr besitze, müsse als Ausgleichsfläche eine Fläche zukaufen. Die Trocknungsgemeinschaft habe versucht, gute Wege zu gehen, indem sie mit den Rieser Naturschutzvereinen kooperierte und ihnen eine Fläche abkaufen wollte, aber damit sei das Landratsamt nicht einverstanden gewesen. In seinen Augen verhält sich das Landratsamt unfair gegenüber den Anlagenbetreibern: »Die auf dem Landratsamt sind so eingestellt, wenn sie Unterlagen zur Prüfung bekommen, lassen sie die erstmal vier Wochen liegen. Dann schauen sie mal hinein, stellen fest, da fehlt ja noch eine Unterschrift, schicken es wieder zurück, warten darauf, dass es wiederkommt und lassen wieder vier Wochen liegen. So gingen Monate ins Land, ohne dass irgendetwas passiert.« Die Baugenehmigung für seine neuen Fahrsilos ist daher immer noch nicht da. Jegliche Bauvorhaben, egal ob Biogas, landwirtschaftliche Hallen oder Industriebauten haben »die auf dem Kieker«. Er fügt hinzu, dass »komischerweise« alle Pultdachhallen für Photovoltaik genehmigt worden sind. Er bezeichnet diese als »Landschaftsverschandelung«, gegen die das Landratsamt offensichtlich nichts habe, jedoch eine Biogasanlage, »die optisch nicht schlecht ausschaut, wenn sie ordentlich gebaut wurde, gegen die haben sie etwas«, so der junge Unternehmer wütend. Dass die Auflagen verschärft wurden, kann auch die freischaffende Landschaftsarchitektin an der vermehrten Nachfrage nach ihrer Funktion als Umweltgutachterin bestätigen. Sie musste aus Kapazitätsgründen derzeit 16 Aufträge für Umweltgutachten ablehnen. Auch Aufträge für Hallenbauten, riesige Bauten und Baukörper zählten dazu. »Eine Halle, die vor 30 Jahren gebaut wurde, ist ein Hundehüttchen dagegen«, erklärt Maria Schäfer. Die Förderung erneuerbarer Energien, wie die in dieser Arbeit untersuchte Förderung von Biomasse, hängt von politischen Akteursgruppen, Regierungslogiken, Machtrelationen und Regierungstechnologien ab (vgl. Anthropology of Policy). Anschließend werden daher zunächst die politischen Rahmenbedingungen der Energiewende – vor allem deren messiness – und des Atomausstiegs anhand von Aussagen meiner Gesprächspartner thematisiert und dann jene Policies, die maßgeblich den Ausbau erneuerbarer Energien steuern, dargestellt und in ihren verschiedenen Argumentationsstrukturen diskutiert. In erster Linie handelt es sich bei den Policies um das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), welches die Abnahme und Vergütung für Strom aus erneuerbaren Energien regelt. Das Gesetz verpflichtet die Netzbetreiber dazu, Anlagen, die Strom aus erneuerbaren Energien produzieren, vorrangig anzuschließen und den erzeugten Strom zu festgelegten Vergütungssätzen abzunehmen.

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Politische Rahmengestaltung Dieses Kapitel fokussiert die politische Entscheidungsfindung in Bezug auf Policies am Beispiel des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und deren beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungsweisen auf der Mikroebene. Weiterhin werden die unterschiedlichen beteiligten Akteursgruppen, die verschiedenen Aushandlungsprozesse, Diskurse und Handlungslogiken zu energiepolitischen Fragen auf europäischer und nationaler Ebene in den Blick genommen. Wie werden diese auf der Mikroebene angepasst, ausgehandelt, umkämpft und verworfen? Kurz, es geht um eben diese messiness der Energiewende. Der Begriff Entscheidungsfindung wird weitgehend gleichbedeutend mit dem Begriff Entscheidung verwendet, soll aber vor allem die Prozesshaftigkeit ausdrücken, die mit Entscheidungen verbunden ist. Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsvollzug werden daher als Elemente eines Prozesses der Entscheidungsfindung gedacht. Diese Prozesshaftigkeit von Entscheidungen ist in dieser Studie von besonderer Bedeutung, da politische Entscheidungen – gerade zum Ausbau erneuerbarer Energien – in dieser Arbeit immer eingebettet sind in Vielschichtigkeitsgefüge wie der Energiewende und deren messiness.66 Policies werden in der vorliegenden Studie als zentrale Instrumente und Ordnungsprinzipien der Regierungsführung verstanden, die neue Technologien der Macht erschaffen. Somit sind Policies nicht nur »productive, performative and continually contested« (Shore et al. 2011, 1), sondern sie besitzen auch eine Agency. Durch dieses Handlungsvermögen bzw. die Handlungsfähigkeit interagieren sie als »Aktanten« mit anderen »social agents« (Shore et al. 2011, 3). In den Blickwinkel rücken daher vor allem die Prozesshaftigkeit von Policies sowie der Einfluss des Handlungsvermögens von Individuen, die Regulationen von Policies ausgesetzt sind.67 Durch eben jenes eigenständige Handlungsvermögen entstehen nicht nur 66 Dem letztendlichen Vollzug von Entscheidung hin zu Policies geht die Informationsprozessierung voraus. Unter politischer Entscheidungsfindung sollen hier sowohl die parlamentarische Entscheidungsfindung (vgl. Wasner 1998) – und damit alle inhaltlichen Auseinandersetzungen, die direkt in das Abstimmungsverhalten in Ausschüssen einwirken – verstanden werden als auch Prozesse der »Herstellung und Vermittlung von Information« (Welz 2005, 27) in einem weiteren und weniger explizit zielgerichteten Kontext zum Aufbau politischer Themen und Positionen, in welche Parteien, Institutionen, Interessengruppen, die Öffentlichkeit und jeweils deren Vertreter eingebunden sind (eher im Sinn von policymaking, vgl. Kelly/Palumbo 1992). In dieser Arbeit wird auf eine Differenzierung dieser verschiedenen Formen der inhaltlichen Auseinandersetzung verzichtet. 67 Shore at al. beschreiben die Prozesshaftigkeit im Zusammenhang mit politischen Feldern und politischer Rahmengestaltung als sequentiell. »A policy finds expression through sequences of events; it creates new social and semantic spaces, new sets of relations, new political subjects and new webs of meaning« (Shore et al. 2011, 1).

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beabsichtigte, sondern auch unbeabsichtigte Nebenfolgen oder entgegengesetzte Handlungsmuster. Es gilt, diesen durch Informationsprozessierung anhand von politischer Entscheidungsfindung und Abwägung entgegenzuwirken. Unter Wissens- und Informationsprozessierung verstehe ich im Rahmen dieser Studie eine Verkettung von Informationsübertragungen zwischen einzelnen Personen, bei der jeder Akteur in die Suche, die Wahrnehmung, die Selektion, die Interpretation und die Weitergabe von Informationen eingebunden ist.68 Meine Forschung fokussiert daher die Wechselwirkungsprozesse zwischen Akteuren und Aktanten in den Forschungsfeldern Brüssel, Berlin und dem Nördlinger Ries. An dieser Stelle soll nochmals darauf hingewiesen werden, dass es sich um Feld in Bewegung im Sinne von Re-energizing Anthropology handelt. Dabei nehmen die Akteure und Aktanten im Nördlinger Ries eine eigenständige produktive und performative Rolle ein. Ein besonderes Augenmerk liegt in diesem Zusammenhang auf »Friktionen« im Sinne der US-amerikanischen Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing (2005). Mit Friktionen bezeichnet Tsing die Reibungswiderstände, die in diesen Begegnungen sind bzw. sich in diesen manifestieren. Daraus entstehen neue Allianzen (vgl. Tsing 2005). Für Tsing sind diese Momente entgegengesetzte, situative Verbindungen von Beziehungen, die Möglichkeiten für soziale Transformations- und Veränderungsprozesse des politischen Machtgefüges mit sich bringen: »the akward, unequal, unstable and creative qualities of interconnection across differences« (Tsing 2005, 4). Es geht also um diese Momente, in denen sich Technologien, Akteure, Aktanten, institutionelle Gefüge und Diskurse begegnen und in dem sich Auswirkungen einer Policy zu Formationen materialisieren (Adam/Vonderau 2014, 22). Die deutsche Energiewende und deren messiness erscheinen hier geradezu prädestiniert für ein solches Beispiel herangezogen zu werden. Der gewohnte Vorgang, die konventionelle Energiewirtschaft, wird abgebrochen und geht in eine neue Richtung weiter. Dies lässt sich anhand der Aussagen einer meiner Interviewpartner, Nils Schuster, Mitarbeiter des Bundesverbandes für Erneuerbare Energien BEE e.V., verdeutlichen: Es geht um eine »Systemtransformation« und die Integration erneuerbarer Energien, »die ganz andere Eigenarten haben«, in ein »bestehendes System, das ausgelegt war auf fossile Energieträger, die mit ihren Eigenarten gearbeitet haben […]. Da kommt es zu Konflikten. Diese zu lösen wird schwierig.« Es geht in dieser Arbeit aber auch um kleine Konflikte in unscheinbaren Alltagsituationen und selbstverständlichen Routinen, in denen sich verschiedene Handlungslogiken begegnen (vgl. Adam/Vonderau 68 Als Verweise auf die Bedeutung von Wissens- und Informationsprozessierung sollen hier Simon (1985) und Castells (vgl. Susser 2002) genügen. Im Wesentlichen verwende ich Wissens- und Informationsprozessierung als »Herstellung und Vermittlung von Information« (Welz 2005, 27).

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2014 22). Um nur ein empirisches Beispiel zu nennen, lässt sich die Lärmbelastung der Erntemaschinen zur Bestückung von Biogasanlagen anführen. Mit einer Anthropologie politischer Felder (Adam/Vonderau 2014) frage ich daher in dieser Studie nach den Formationen dieser Friktionen im Zusammenhang mit Energiewende und dem EEG.

Energiewende und Atomausstieg Meine Feldphase in Brüssel fand vom 28. März 2011 bis 04. April 2011 statt, gut zwei Wochen nach dem Reaktorunglück in Fukushima am 11. März 2011. Als Gesprächspartner standen mir ein EU-Parlamentarier, Mitarbeiter zweier Landesvertretungen und ein Experte im Bereich Bioenergie der EU-Kommission zur Verfügung. Zu diesem Zeitpunkt war die deutsche Betroffenheit und Besorgnis über das Ereignis in Japan sehr groß. Der politische Beschluss zum Atomausstieg war allerdings noch nicht gefasst. Über diesen wurde erst am 30. Juni 2011 im Bundestag abgestimmt. Diese Feldphase in Brüssel stellt somit eine Besonderheit in der Forschungszeit dar, da die politischen Debatten über Atomenergie und zwangsläufig dann auch über die Energiewende – vor allem in Deutschland – sehr intensiv und mit unterschiedlichen politischen Absichten geführt wurden. Diese Situation verdeutlicht nicht nur, dass es sich bei meinem Forschungsfeld um ein Forschungsfeld in Bewegung handelt, sondern auch, dass es angebracht ist, das Phänomen Energie mit neuen (d. h. anthropologischen) Forschungskonzepten und Forschungsansätzen zu beforschen (vgl. Strauss et al. 2013). Die Bundesregierung unter Angela Merkel reagierte auf diese öffentliche Betroffenheit am 14. März 2011 mit dem Atom-Moratorium, also der politischen Entscheidung, alle 17 deutschen Atomkraftwerke einer Sicherheitsprüfung zu unterziehen und dazu die sieben ältesten Kraftwerke drei Monate lang stillzulegen (bzw. sie abgeschaltet zu lassen, wenn sie sich zum besagten Zeitpunkt nicht in Betrieb befanden). Mit der Aussage: »Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen«, begründete Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Entscheidung auf einer Pressekonferenz. Die Katastrophe in Fukushima, so Merkel, stelle Deutschland und die Welt vor eine komplett neue Ausgangssituation, weil erstmalig nicht menschliches oder technisches Versagen, sondern so nie erwartete Naturgewalten zu enormen Problemen beim Betrieb eines Kernkraftwerkes geführt hätten. Dies gebe Anlass dazu, unvoreingenommene

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Überprüfungen durchzuführen (vgl. Fischer/Wittrock 2011). Als rechtliche Grundlage wurde dafür § 19, Absatz 3 des Atomgesetzes herangezogen.69

Einschätzungen aus Brüssel zum Atomausstieg und der Energiewende Die politischen Akteure in Brüssel nahmen zum damaligen Zeitpunkt die Debatte in Deutschland als eine »richtige Volksbewegung« wahr, die nach dem Reaktorunglück in Fukushima ausgelöst wurde.70 Die anderen europäischen Länder könnten das gar nicht nachvollziehen, was gerade in Deutschland passiere, so Konrad Stein, Grünen-Abgeordneter des Europa-Parlaments und selbst Landwirt. Dr. Marcel Schreiber, der bei der Vertretung des Landes Hessen bei der EU in der Abteilung Angelegenheiten des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz tätig ist, meint, dass die Medien hier eine große Rolle spielten: »Da lief im Ersten und Zweiten ja nur noch Nachrichtenmeldungen und Sondersendungen – das ganze Programm stand Kopf. Das schürt natürlich, wenn man permanent damit befeuert wird. Von daher ist die Berichterstattung in Deutschland eine Andere. Ich will nicht sagen, dass die das Volk aufhetzen.« In Frankreich beispielsweise gebe es so etwas gar nicht, »das wurde kurz und knapp abgehandelt. Das war’s.« Nur in Fessenheim habe es eine große Demonstration gegeben, an der hauptsächlich Deutsche beteiligt waren, berichtet Konrad Stein schmunzelnd. Es ist aber gut, so meint er als Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament, wenn »wir in Deutschland schon mal in der Diskussion zehn Jahre weiter sind, auch was an Fehlentwicklung gelaufen ist, müssen dann andere Länder nicht übernehmen«. Das Problem hier sei auch, dass es im Grunde genommen keine EU-Position zu Kernkraft gibt, so Lorenz Ziegler, der bei der Europäischen Kommission in der Generaldirektion Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung im Bereich Bioenergie, Biomasse, Forst und Klimawandel arbeitet. Konsens in Brüssel ist jedoch, so Ziegler : Kernkraft sei zwar keine erneuerbare Energie, aber nun mal eine klimafreundliche Energieform. Auch aus diesem Grund kam Angela Merkels Kehrtwende mit der Forderung nach Sicherheitschecks aller Atomkraftwerke in Brüssel sehr überraschend, meint Ziegler. Dr. Marcel Schreiber von der Landesvertretung Hessen verrät, dass es nicht an die Öffentlichkeit drang, dass der damalige Energiekommissar Günther Oettinger zu einem Krisengespräch 69 Vgl. Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz). 70 Die nachfolgenden beruflichen Angaben zu den einzelnen Personen beziehen sich auf den Erhebungszeitraum meiner Feldforschung in Brüssel (März/April 2011).

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vier Tage nach der Katastrophe mit Kernkraftbetreibern, Aufsichtsbehörden und den Energieministern zusammentraf. Im Anschluss wurde ein Energieministerrat einberufen, bei dem Deutschland wegen seines Alleingangs stark kritisiert wurde, »was aber fairerweise nicht nach außen getragen wurde, aber da haben sie Deutschland ziemlich verhauen für dieses Moratorium, eben weil Deutschland vorgeprescht ist und sich nicht an ein gemeinsames Konzept hält«. Aus einer europäischen Perspektive sei der deutsche Alleingang nicht in Ordnung gewesen und Dr. Marcel Schreiber gibt zu bedenken, dass das Kernkraftwerk Fessenheim das älteste französische Atomkraftwerk ist und gerade mal nur 25 Kilometer von Freiburg entfernt liegt. Was nutze es für die Sicherheit der Menschen, »wenn wir Biblis A und B abschalten, und dieses Ding läuft weiter?« Solange die anderen Länder nicht in ein Sicherheitskonzept miteinbezogen werden, ist die Konzentration auf die Abschaltung allein deutscher Atomkraftwerke (AKW) wenig sinnvoll für die Sicherheit. Des Weiteren fährt Schreiber fort, gebe es noch eine zusätzliche europäische Dimension, die nicht ungeachtet bleiben dürfte, weil »das ja auch fatal wäre, wenn wir sagen, wir steigen aus und schaffen es aber nicht, die Lücke von 20 Prozent Energie zu schließen und kaufen Atomstrom aus Frankreich«. Allerdings denkt er, dass die derzeitige »Aufgebrachtheit« in Deutschland keine weiteren Auswirkungen auf die politische Entscheidungsfindung bzw. die weitere öffentliche Diskussion haben wird: »Die Leute sind kurzlebig. Keiner denkt mehr an Haiti – das ist gerade ein Jahr her. In einem Jahr ist Fukushima vergessen. In der Bevölkerung, aber auch in der Politik wird das keine Rolle mehr spielen. Das ist leider so. Wenn die Welle von Fukushima vorbei ist und wir diesen Weg in Erneuerbare weitergehen, wollen wir mal sehen, wenn bei unserer Bevölkerung der Strompreis um 30, 40, 50 oder 60 Prozent steigt – wie gedacht wird. Ob dann Fukushima immer noch ein Thema ist oder ob es dann heißt, wir nehmen andere Technologien. Das ist sehr, sehr kurzlebig und hat keine langfristigen Veränderungen. Fukushima und Atom.«71 Mit diesen Worten wird deutlich, wie außergewöhnlich und unabsehbar die politische Entscheidung zum Atomausstieg Deutschlands im gleichen Jahr (Juni 2011) war. Abschließend lässt sich sagen, dass der »deutsche Alleingang« in Bezug auf das Moratorium in einem europäischen Kontext durchaus kritisch zu sehen ist (und von Politikern anderer EU-Staaten auch so gesehen wurde). Letztendlich scheint die Diskussion um Atomenergie in Deutschland deutlich emotionaler geführt zu werden als in anderen europäischen Ländern.

71 Überraschenderweise kam es ja dann doch anders. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war der Atomausstieg Deutschlands noch nicht beschlossen.

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Einschätzungen aus Berlin zum Atomausstieg und der Energiewende Die in Berlin geführten Interviews mit wissenschaftlichen Assistenten von Bundestagsabgeordneten unterschiedlicher Parteien, mit Mitgliedern des Bundestages, die ebenfalls verschiedenen Parteien angehörten, mit einer Mitarbeiterin eines Ministeriums und einem Mitarbeiter einer Interessengruppe für erneuerbare Energien wurden nach dem Beschluss zum Atomausstieg vom 30. Juni 2011 geführt, und zwar nur wenige Monate danach.72 Julius Bergmann, Mitarbeiter eines CSU-Abgeordneten im Bundestag, meint, dass durch den Beschluss zum Atomausstieg sämtliche energiepolitischen Ziele in Deutschland nicht mehr ohne die Energiewende gedacht werden können: »Was die Energiewende besonders kennzeichnet und jetzt im Kern ausmacht, ist der Konsens, dass man sich auf dem Weg zu einer 100-Prozent-Versorgung mit erneuerbaren Energien befindet. Der Atomausstieg ist dazu das Signal. Es gibt keine Hintertürchen mehr!« Es sei also ein laufender Prozess, der Deutschland mindestens die nächsten 20 Jahre beschäftigen wird. Ein besonders wichtiger Punkt in der Debatte sei vor allem, wie man mit den Schwankungen der erneuerbaren Energien umgehen wird und wie man auch Stromangebot und -nachfrage besser zusammenbringen kann. Allerdings, so Oskar Horn, Mitarbeiter eines FDP-Abgeordneten im Bundestag, war der Ausbau der erneuerbaren Energien schon vor dem Atomausstieg ein wichtiges Thema in der politischen und öffentlichen Diskussion, auch wenn es nach dem Atomausstieg darum ginge, den Ausbau der erneuerbaren Energien noch mehr zu beschleunigen. Die Grünen-Abgeordnete Eva Wolf weist in diesem Zusammenhang eindringlich darauf hin, dass bei den Debatten um den Atomausstieg der Kohleabbau in den Hintergrund getreten sei, jedoch vor allem aus Klimaschutzgründen der Kohleausstieg genauso notwendig sei.73 Sie betont, »beides – Atomausstieg und Kohleausstieg – bedeutet Druck machen bei den Erneuerbaren«. Für die Energiewende heißt das in den Augen mehrerer politischer Akteure in Berlin, dass der Netzausbau, aber gleichzeitig auch der Speicherausbau vorangetrieben werden müssten. Für Letzteres sei allerdings bisher viel zu wenig in die Forschung investiert worden. Beim Netzausbau sieht die Grünen-Abgeordnete Eva Wolf vor allem zwei Schwierigkeiten. Erstens sind die Bürger nicht genug eingebunden. Das führt zwangsläufig dazu, dass sie sich weigern. Es würde ganz anders funktionieren, »wenn man sie mit planen lässt, 72 Die nachfolgenden beruflichen Angaben beziehen sich auf die 17. Wahlperiode (2009–2013) des Deutschen Bundestages. 73 Sie berichtet von einer Studie, derzufolge der Kohleausstieg bis in die dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts möglich ist. Bis dahin könnten die Kohlekraftwerke mit der Kohle aus dem bestehenden Tagebau gefüttert werden und gleichzeitig der Bereich der erneuerbaren Energien so anwachsen, dass diese die Stromerzeugung vollständig übernehmen können.

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wenn man ihnen Verantwortung überträgt, dadurch, dass man sie rechtzeitig beteiligt, ist die Akzeptanz plötzlich viel größer. Ob das beim Netzausbau ist, ob das bei der Installation von Windkraftanlagen ist oder, oder, oder, oder«, so Wolf. Das zweite Problem ist die Übertragung der Kosten: »Es geht nicht, dass in Regionen, wo der Netzausbau stattfindet, die Kosten auf die Leute vor Ort umgelegt werden, sondern diese müssen flächendeckend umgelegt werden. Faire Kostenbeteiligung, auch die Energieverbraucher müssen beteiligt werden!« Gerade ist, so Julius Bergmann, der Fokus in der öffentlichen Diskussion zu stark auf den Übertragungsnetzen, den großen Stromtrassen, die über mehrere tausend Kilometer durch Deutschland reichen soll. Dass Netzzubau nötig sein wird, ist in seinen Augen offensichtlich: »Insbesondere bei der Windkraft zieht ein Tief immer von West nach Ost über Europa, man hat immer Gebiete, wo Wind weht. Es kommt hier auf einen überregionalen Ausgleich an und deshalb die Netze.« Jedoch sieht Bergmann den dringlichsten Handlungsbedarf in den Verteilungsnetzen, die von den Großkraftwerken die fein verästelte Verteilung auf die einzelnen Haushalte übernehmen. Insbesondere in den süddeutschen Gegenden seien über die hohe Zahl von PV-Anlagen und den Zubau von Windkraftanlagen in den Verteilernetzen Engpässe entstanden. Die Netzbetreiber sind derzeit natürlich mit dem Ausbau beschäftigt. Das bietet ihnen aber bereits die Chance, in der Region die Voraussetzung zu schaffen, Angebot und Nachfrage stärker auszugleichen und beispielsweise auch der Frage nachzugehen, wie Biogasanlagen für ein regionales Kombikraftwerk (mit anderen Erneuerbare-Energien-Technologien wie Windkraft und Photovoltaik) genutzt werden können. Julius Bergmann sieht hier enormes Entwicklungspotential: »Wir haben ein Ringen zwischen Neu und Alt, zwischen zentralen und dezentralen Strukturen. Was wird sich letztlich als das effizientere Versorgungssystem erweisen?« Er sieht großes Potential in einer regionalen zellenförmigen Struktur sowohl aus Gesichtspunkten der Systemstabilität als auch bezüglich der Effizienz. Die großen Energieversorger hätten aus Tradition und Gewohnheit stärker den Blick auf Großstrukturen wie Offshore-Windkraft oder Sonnenstrom aus südeuropäischen oder nordafrikanischen Ländern. Die Frage stellt sich allerdings, ob dieses Denken tatsächlich mit der »Natur der Erneuerbaren« einhergeht. In Julius Bergmanns Augen wird es wahrscheinlich eine Mischung aus dezentraler und zentraler Energieversorgung geben. Allerdings, so betont er, müsse man zuerst »von der Region her denken«. Und fügt hinzu: »Zellen in einem Organismus haben immer erstmal eine gewisse Autarkie, aber sollten dann im Austausch mit den anderen Zellen stehen.« Sowohl bei den Bürgern als auch in der lokalen Politik sollte das Bestreben danach sein, möglichst viel »vom Kuchen vor Ort zu halten«, so Bergmann weiter. In diesem Zusammenhang weist die Grünen-Abgeordnete Eva Wolf bei der Frage nach Energieautonomie auch darauf hin, dass

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es nicht nur darum geht, viele energieautarke Kommunen zu schaffen, sondern auch Regionen, Städte, Kommunen und Kommunalverbünde zu fördern, ihre Energieerzeugung, -nutzung, -verteilung in die eigenen Hände zu nehmen. Durch diese »Rückeroberung« hätten die Stadtwerke endlich wieder mehr Einfluss auf die Art der Energieerzeugung.

Die EU, erneuerbare Energien und Biogasproduktion Zu Beginn meiner Forschung ging ich davon aus, dass es sich bei der Förderung von Biogasproduktion um eine von der Europäischen Union beschlossene politische Verordnung handle, die auf nationalstaatlicher Ebene umgesetzt wird. Diese Annahme erwies sich jedoch als nicht richtig, denn das ErneuerbareEnergien-Gesetz, kurz EEG, das die Förderung von erneuerbaren Energien allgemein und somit auch Energieerzeugung aus Biogas regelt, ist ein deutsches Gesetz. Dies ergab sich auch aus den Gesprächen mit meinen Interviewpartnern in Brüssel, die vor allem die Entwicklung der Biogasproduktion als eine »ganz spezifisch deutsche Option« (so Bioenergie-Experte der EU-Kommission Lorenz Ziegler) bzw. als ein »sehr deutsches Phänomen« (Dr. Marcel Schreiber) beschreiben. Insgesamt sei Energiepolitik eher ein nationales, weniger ein europäisches Thema. Hinzu komme, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien regional und national ein sehr differenziert zu betrachtendes Feld ist, erklärt Dr. Ludwig Bartl, der bei Vertretung des Freistaates Bayern in der Abteilung Angelegenheiten des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Brüssel arbeitet. Natürlich habe die EU großes Interesse an erneuerbaren Energien, aber »man ist sehr vorsichtig mit sehr spezifischen Vorgaben. Man versucht eher den Rahmen zu setzen. Daher ist dieses Ziel auch offen, also erneuerbare Energien mit gestaffelten Länderzielen«, so Lorenz Ziegler und fährt fort, »es wird von der EU auch nicht runtergebrochen auf verschiedene Technologien, sondern es ist eher Aufgabe der Länder zu sehen, wo ihre spezifischen Vorteile im Bereich Erneuerbare-Energien-Technologien sind«. Lorenz Ziegler arbeitet in der Abteilung der Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Kommission, die sich speziell mit den Auswirkungen der Energie- und Biomasseproduktion für Landwirtschaft auseinandersetzt, vor allem um sicherzustellen, »dass es eine vernünftige Politik ist und sich für die Landwirte Chancen ergeben«. Es ginge auch darum, darauf zu achten, dass die Nahrungsmittelproduktion nicht infrage gestellt wird. Ziegler räumt ein, dass diese sehr starke Förderung von Biogas eine »ganz besondere deutsche Entscheidung« ist. Ansatzweise könne man eine solche Entwicklung noch in Dänemark und in den Niederlanden beobachten, aber in vielen anderen EU-Län-

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dern spiele die landwirtschaftliche Produktion von Biogas keine Rolle. 80 bis 85 Prozent des Biogases in der EU wird in Deutschland produziert: »Deutschland ist exzeptionell und Bayern und das Ries ein Spezialfall, das ist eine Sonderentwicklung«, erklärt Dr. Ludwig Bartl. In Schreibers Augen nimmt die Vorstellung der EU bezüglich des Ausbaus erneuerbarer Energien eine andere Dimension an, als das, was in Deutschland gerade mit Biogas verfolgt werde. Was der EU vorschwebt, sind »die ganz großen Windräder – Offshore – in der Nordsee und Desertec, Energiespeicher in den Alpen bis hin in die Ukraine, wo man Strom in diese Pumpspeicher reinpumpt«. Biogasanlagen spielen dabei nicht »die Rolle in dieser ›großen‹ Politik«, so Schreiber weiter. Über die Nutzung von Biogas gebe es keine großen politischen Debatten in der EU, es sei vielmehr so, dass diese deutsche Entwicklung mit Erstaunen betrachtet werde, beschreibt Grünen-Politiker Stein die besondere Situation der Energiegewinnung durch Biogas in Deutschland. Der Boom in Solar-, Windenergie und Biogas werde sehr wohl wahrgenommen und aus diesem Grund das Einspeisegesetz, das EEG, in vielen Ländern kopiert und als Vorlage genutzt, aber im Bereich Landwirtschaft sei Deutschland tatsächlich »einmalig mit der Biogasgeschichte«. Kein anderes Land habe diese hohen Einspeisevergütungen und somit eine vergleichbare Entwicklung. Stein meint, dass diese Förderung in Bezug auf die Einkommensentwicklung der Landwirte kaum noch wegzudenken sei, weil es für viele Landwirte das immer geforderte zweite Standbein darstellt. Also handelt es sich hier um eine »rein deutsche Diskussion« und Stein fügt hinzu: »Man hat bestimmt zehn Mal länger über die Geschichte der Vermarktung von Olivenöl in Spanien als über die Entwicklung einer europäischen Energiestrategie unter Einbeziehung von Biogas diskutiert.« In vielen Bereichen werde diese deutsche Entwicklung neidvoll betrachtet, gerade weil Deutschland im Bereich erneuerbare Energien Technologieführer ist. In anderen Ländern wie beispielsweise Österreich ist der Ausbau »politisch nicht so gewollt gewesen und sie sind wieder zurückgefallen«, so EU-Parlamentarier Konrad Stein weiter. Auf EU-Ebene werde zwar bei der Gemeinsamen Agrarpolitik »immer reinformuliert«, dass gerade die Landwirtschaft für die Energiestrategie der Europäischen Union zur Vermeidung von CO2-Emissionen wichtig sei. Aber das bedeute noch nicht, dass Biogas hierfür bei effizienter Nutzung eine gute Möglichkeit wäre. Konrad Stein sieht allerdings auch die Verantwortung für die derzeitige Überförderung und Fehlstellung von Energieerzeugung mittels Biogas durch das EEG »eindeutig in Berlin«. Er weist eindringlich auf den Handlungsbedarf bezüglich des weiteren Ausbaus von Biogasproduktion hin: »Ganz egal ob Japan hin und her, da muss was passieren, weil sonst die Akzeptanz verloren geht, weil es gibt bereits Regionen mit AntiBürgerinitiativen, weil es so viel Ärger gibt.« Lorenz Ziegler schätzt als Landwirtschaftsexperte bei der EU-Kommission

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das Potential von Biogas sehr hoch ein, gerade weil Biogas im Vergleich mit anderen Energieträgern wenige negative Effekte habe. Energieerzeugung aus Biomasse sei eine hervorragende Technologie, um die Problematik mit den Biokraftstoffen zu entschärfen. Man kann Biomethan durchaus auch als Kraftstoff in Autos verwenden, Erdgasautos können auch ohne Probleme mit Biomethan fahren. Das sei eine interessante Alternative zu den Biokraftstoffen aus Raps und Getreide: Die Wahrnehmung von Biogas sei auch aus diesen Gründen in der EU sehr positiv. Angesichts dieser Einschätzungen lässt sich sagen, dass die befragten politischen Akteure in Brüssel die deutsche Entwicklung im Bereich erneuerbarer Energien als Vorreiter für die Europäische Union wahrnehmen. Die Energieerzeugung aus Biogas ist einmalig und stellt eine Sonderentwicklung dar. Im Anschluss werden hier als Kontrast die Positionen der befragten Akteure aus dem Bereich der politischen Entscheidungsfindung auf nationaler Ebene (Feldphase in Berlin) zur Rolle der EU, dem Ausbau erneuerbarer Energien und speziell zur Energieproduktion mittels Biogas aufgegriffen. Für viele der politischen Akteure in Berlin wirkt die EU im Bereich der erneuerbaren Energien durchaus als »Treiber«, aber auch gleichzeitig als »Bremser«. Energiekommissar Günther Oettinger versuche die Förderbedingungen europaweit zu harmonisieren und Deckelungen einzuführen, das würde allerdings das EEG unbrauchbar machen, so die Grünen-Abgeordnete Eva Wolf: »Das EEG hat bisher zu einem dynamischen Ausbau der erneuerbaren Energien geführt, mag es noch so viele Mängel haben und immer wieder aktualisierungsbedürftig sein, weil es ein haushaltsunabhängiges Instrument ist.« Insofern müsse man aufpassen, was »der Oettinger mit seinem Denken ›Big is beautiful‹ macht.« Seine »Großtechnikverliebtheit« sei kontraproduktiv und dadurch komme die Energiewende nicht voran. Noch härter geht Nils Schuster vom Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V. mit Günther Oettingers Strategie ins Gericht, die in seinen Augen »immer schön vereinfacht« und manchmal etwas »dämlich« ist: »Ganz nach dem Motto: Ich errichte in Südeuropa meine PV-Anlagen, da hat es viel mehr Sonnenschein als in Deutschland, Windkraftanlagen am besten in Irland oder am Golf von Biskaya als in Norddeutschland. Dann muss ich nur noch eine europäische Kupferplatte haben. Dann kann der Strom überall hinfließen.« Schuster meint weiter : »Die Erneuerbare-Energien-Politik in Deutschland wird nicht getrieben durch die EU, sondern wir haben das Problem, dass wir aufpassen müssen, keine Keile von der EU zwischen die Beine geschossen zu bekommen.« Gerade bei der Debatte über ein gemeinsames Fördersystem für erneuerbare Energien, über die Harmonisierung des Elektrizitätsbinnenmarkts, wird es keinen Kompromiss zwischen den 27 Mitgliedstaaten geben, der ambitionierter ist als die derzeitige nationale Erneuerbare-Energien-Politik in Deutschland. Im

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Gegenteil: Dies würde automatisch eine Schwächung der ambitionierten deutschen Ausbaupolitik bedeuten. Aus diesem Grund versuchen Verbände wie auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU) eine Harmonisierung zu verhindern. Den Vorrang für erneuerbare Energien gebe es in Deutschland schließlich schon seit 1999 mit Einführung des EEG 2000. Für andere Länder in der EU sei es sinnvoller, Deutschland als »Best Practice« zu nutzen und »Spillover-Effekte« zu erzeugen. Schuster sieht Deutschland in diesem Zusammenhang als »Vorreiterstaat«, dessen Konzept zum Ausbau erneuerbarer Energien auch durch Richtlinien und Verordnungen der EU in anderen Mitgliedstaaten Gültigkeit finden sollte, aber »es wird nicht so laufen, dass wir ein gemeinsames europäisches System schaffen, das alle Fördermechanismen und Vergütungsvorschriften regelt«, prognostiziert Schuster. Das BMU habe vor etwa sieben Jahren eine International Feed Incorporation (IFIC) gegründet, ein Forum, in dem sich einige Staaten über Best-PracticeErfahrungen mit Einspeisesystemen austauschen. Diese Initiative ging »wieder einmal von Deutschland« aus. Es wurde deutlich, wie unterschiedliche institutionelle Gefüge – auf nationaler und europäischer Ebene – miteinander verwoben sind und große strukturelle, jedoch nationale Transformationsprozesse, wie die Energiewende, wiederum rückwirkend Einfluss nehmen auf EU-Policies. In der Debatte der PolicyForschung über die EU sind diese uploading- und downloading-Prozesse ein zentrales Thema (vgl. Börzel/Panke 2010, 410ff.). Tanja Börzel und Diana Panke sprechen hier von shaping und taking: Einerseits schaffen es nationale Regierungen, europäische Politik ihren Interessen gemäß zu formen (shaping). Hingegen übernehmen (taking) andere Länder diese EU-Policies und wenden sie genau gemäß den Vorgaben an. Im Prinzip geschehen immer beide Prozesse gleichzeitig, die sich ineinander verzahnen.

Das EEG als Steuerungs- und Regulierungsmechanismus Wie bereits ausführlich dargestellt, regelt das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Abnahme und Vergütung für Strom aus erneuerbaren Energien. Erstmalig trat es im Jahr 2000 in Kraft und wurde jeweils 2004, 2009, 2012 und 2014 gemäß den politischen Zielen zum Ausbau der erneuerbaren Energien novelliert.74 Im Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien heißt es in § 1: 74 Grundsätzlich sind Verordnungen, Verträge, Vereinbarungen und Parlamentsdebatten kulturell begründet und bringen somit ökonomische, soziale, ökologische und gesellschaftliche Veränderungen mit sich (vgl. Welz 2005).

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»Zweck dieses Gesetzes ist es, insbesondere im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltige Entwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen, die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung auch durch die Einbeziehung langfristiger externer Effekte zu verringern, fossile Energieressourcen zu schonen und die Weiterentwicklung von Technologien zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zu fördern.« (EEG 2014, § 1, 1)

Zweitens verfolgt das EEG das Ziel, »den Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung bis zum Jahr 2020 auf mindestens 30 Prozent und danach kontinuierlich weiter zu erhöhen« (EEG 2014 § 1, 2). Mit dem EEG 2000 wurden die Rahmenbedingungen für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien stark verbessert. Vor allem die ersten beiden Novellierungen 2004 und 2009 veranlassten einen Boom in der Biogasproduktion. Das Gesetz verpflichtet Netzbetreiber dazu, Biogasanlagen, die Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen, vorrangig anzuschließen und den erzeugten Strom zu den festgesetzten Vergütungssätzen abzunehmen. Diese Einspeisevergütung variiert je nach Anlagengröße, den verwendeten Einsatzstoffen und zusätzlichen Kriterien. Die Grundvergütung ergibt sich aus der festgeschriebenen Vergütung des Jahres der Inbetriebnahme und ist für die Dauer von 20 Jahren garantiert (FNR 2013, 33 und EEG 2004, 2009, 2012, 2014).75 Um die Vergütung zu erhalten, müssen Biogasanlagenbetreiber unterschiedliche Nachweispflichten erfüllen, wie beispielsweise die regelmäßige Dokumentation ihrer Einsatzstoffe wie auch Prüfungen durch Umweltgutachter und behördliche Bescheinigungen. Im Jahre 2007 wurde bei umstrittenen Fällen in Bezug auf das EEG die Clearingstelle EEG per Gesetz als neutrale Mittlerin eingerichtet. Diese begutachtet auf Antrag die Streitigkeiten rechtsunverbindlich oder erteilt auf dieser Grundlage Empfehlungen. Auch wenn es durch das EEG zu einem Boom in der Biogasproduktion kam, weil die Rahmenbedingungen für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien stark verbessert und ausgebaut wurden, führte die Förderung in einigen Regionen auch zu Schieflagen und Nebenfolgen, die vorher nicht abschätzbar, geschweige denn beabsichtigt waren. Mit den jeweiligen Novellen versucht man daher, diesen unbeabsichtigten Nebenfolgen entgegenzuwirken, immer mit der Gefahr, neue unbeabsichtigte Schieflagen zu erzeugen. »Wenn ein Gesetz zu bestimmten 75 Folgende Staffelung ist im EEG 2009 für Biogasanlagen festgeschrieben, die auf einen Großteil der Anlagen im Nördlinger Ries zutrifft: bis 150 kWh, 150 bis 500 kWh, 500 kWh bis 5 MB, 5 MB bis 20 MB. Je kleiner die Anlage, desto höher die Grundvergütung. Zusätzliche Boni bei der Erzeugung von Energie durch Biomasse sind unter folgenden Bedingungen möglich: Durch die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen oder Gülle (NawaRoBonus, darin enthalten: der sogenannte Gülle-Bonus), die Anwendung von Kraft-WärmeKopplung (KWK-Bonus), die Nutzung innovativer Technologien (Technologie-Bonus) oder die Einhaltung von Grenzwerten bei den Formaldehyd-Emissionen (vgl. EEG 2009).

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Problemen führt, muss man auch sehen, wie man das Problem eingefahren kriegt, die Wirkung während dem Gesetzgebungsprozess war wirklich nicht immer abzusehen« (Fabienne Pohl, Mitarbeiterin einer Grünen-Abgeordneten).

Die Entstehungsgeschichte der Biogasbranche Meine Feldforschung (August 2010 bis August 2012) im Nördlinger Ries fand während der Hochkonjunkturphase von Biogas statt.76 Ähnlich wie die befragten politischen Akteure in Berlin und Brüssel bezeichnet Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt das EEG als »spezifisch deutschen Weg«. Die Nutzung von Biomasse ist dabei eine Möglichkeit neben anderen. In der Gesamtbilanz spiele die Solarenergie im Vergleich zur Erzeugung von nachwachsenden Rohstoffen und ihrer energetischer Nutzung eine bedeutendere Rolle, so Obermeyer. Allerdings habe Biomasse einige Vorteile, denn anders als Wind- und Sonnenenergieanlagen unterliegen Biogasanlagen keinen witterungsbedingten Schwankungen. Bioenergieerzeugung ist zugleich grundlastfähig (der kontinuierlich benötigte Teil der elektrischen Leistung in einem Versorgungsgebiet) und spitzenlastfähig (der nur kurzfristig benötigte Teil der elektrischen Leistung in einem Versorgungsgebiet). Weiterhin habe man über die Biogasproduktion den ländlichen Raum ökonomisch gestärkt, indem tierische Abfallprodukte, nämlich Gülle und Mist, also Abfälle, die nicht weiter genutzt werden können, vergärt und in Strom gewandelt werden, erklärt Obermeyer. Ohne den Mindesteinspeisepreis im EEG wäre die Branche – Sonne, Wind und Biomasse – jedoch nicht marktfähig. Energieversorger sind durch das EEG verpflichtet, den Strom abzunehmen. Hier liegt in Obermeyers Augen ein grundsätzlicher Fehler im EEG, weil die Energie abgenommen werden muss, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt vielleicht gar nicht gebraucht wird. Man sollte, so Obermeyer, im EEG grundsätzlich andere Weichen stellen, denn es gibt keine unterschiedlichen Zahlungen nach Strom-Mangel oder -Überschuss. Zwar sind der Abnahmezwang und der Vergütungszwang im EEG geregelt, es gebe aber keinen Vorrang. Das heißt, es könnte die fatale Lage entstehen, dass Stromkonzerne in einer Zeit, in der wenig Strom gebraucht wird, beispielsweise im Sommer, die Atom- und die Kohlekraftwerke laufen lassen, »weil vorübergehend Abschalten ja eminent viel Geld verschluckt«, andererseits aber den Strom aus Solar-, Wind- und Biomasseanlagen abnehmen müssen. »Da wird dann der grüne Strom deswegen einfach vernichtet […], weil es keinen Vorrang gibt.« Ein weiteres Problem ist, dass es keinen Regelungszwang gibt: Jede Biogasanlage ab 100 kWh Leistung 76 Mit dem EEG 2009 sind aufgrund der guten Fördervoraussetzungen im EEG sehr viele neue Biogasanlagen in der Region entstanden.

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könne fremdgeregelt abgeschaltet werden. »Das klingt jetzt erstmal wunderbar, aber die Rechnung zahlt letzten Endes der Endverbraucher, weil der Biogasler kriegt die Kilowattstunden trotzdem bezahlt, er hat ja ein Abnahmerecht.« Dass mit dem EEG 2009 zu einem derartigen Boom der Biogasbranche kam, liege unter anderem an den hohen Vergütungssätzen für die erzeugte Energie und den Bonusvergütungen. Der Biomasseerzeuger muss durch ein Gutachten des Umweltgutachters nachweisen, dass die Voraussetzungen des EEG erfüllt sind. Dieses Gutachten muss bis zu einem bestimmten Zeitpunkt für das abgelaufene Jahr beim Energieerzeuger eingereicht werden. Der Umweltgutachter bestätigt, dass der Mindestbetrag erwirtschaftet wurde. Nachgewiesen wird dies durch ein Betriebstagebuch. Außerdem berechnet dieser die Wärmenutzung, beispielsweise wenn ein Nahwärmenetz betrieben wird oder ein Stall mit der Abwärme beheizt wird. Hierbei müssen anhand der Zählerbestände die jeweiligen Umrechnungsfaktoren und Verluste aufgezeigt werden, die ausschlaggebend dafür sind, für welche Menge der Energiewirt den KWK-Bonus, den KraftWärme-Kopplungs-Bonus, und den Technologie-Bonus erhält, also die zusätzlichen Bonusvergütungen des EEG 2009. Bei Nichterfüllung müssen diese zurückgezahlt werden. Die KWK-Regelung bezuschusste Anlagen, die neben der Stromerzeugung der Biogasanlage auch Wärme für die eigene Nutzung (z. B. Stall) oder die Einspeisung in das öffentliche Fernwärmenetz oder ein Nahwärmenetz (Gärtnerei, Industriebetrieb, Krankenhaus, Schule, Dorf) erzeugt. Diese Neuerung galt für Alt- wie auch Neuanlagen, die ein gesondertes KWKKonzept nachweisen können. Die Kraft-Wärme-Kopplung wurde schon im EEG 2004 berücksichtigt, aber gesondert vergütet, mit der Anerkennung des KWKBonus des EEG 2009 konnten Energiewirte einen um 50 Prozent erhöhten Bonus beanspruchen. Biogasanlagenbetreiber Martin Huber erklärt, er bekäme bei seiner Anlagengröße laut EEG 200977 durch den KWK-Bonus zwischen zwei bis drei Cent pro kWh mehr, was zunächst »nach gar nicht viel klingt, aber relativ viel ist, weil es Reingewinn ist und mittlerweile als Ausgleich für die erhöhten Einsatzstoffkosten gesehen wird«. Wer also im Moment keine Wärmenutzung hat, »tut sich schwer, dass er kostendeckend arbeiten kann«. Wenn Huber bei seiner Anlage »alle Wärme komplett nutzen würde, sind es 100 000 Euro pro Jahr,

77 Mit der EEG-Novelle 2012 wurde der KWK-Bonus abgeschafft, weil die Abwärmenutzung von Biogasanlagen jetzt verpflichtend ist. Gerade bei den älteren Anlagen seien insgesamt unvollständige Wärmekonzepte vorhanden gewesen. Mit dem EEG 2012 habe man insofern erst einmal auf diese Missstände reagiert, indem neue Anlagen nur gefördert werden, wenn ein sinnvolles Wärmekonzept vorhanden ist – es sei denn, es werde Biogas in Erdgas aufbereitet, so Julius Bergmann. Wegen dieser Verpflichtung erschien eine Bonuszahlung nicht mehr sinnvoll und der Bonus wurde in die Grundvergütung eingepreist (vgl. EEG 2012).

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was das an Einnahmen bringt«. Dies sei jedoch auch nötig, weil die Substratpreise sich in den letzten sechs Jahren fast verdoppelt hätten.78 Allerdings stecke in den üppigen Bonuszahlungen im EEG 2009 das Problem, »warum plötzlich draußen auf dem Land Vermaisung stattfindet und warum alle verrücktspielen und 1000 Euro Pacht zahlen«, so Obermeyer. Bis 2007 verdoppelte sich die Zahl der Biogasanlagen in Deutschland. Durch ein Preishoch bei Agrarprodukten in den Jahren 2007 und 2008 stagnierte der Ausbau. Speziell im Jahr 2008, als die Novelle des EEG 2009 verhandelt wurde, war der Agrarweltmarkt durch sehr hohe Getreide- und Milchpreise gekennzeichnet. »Die Milchbauern sind auf die Barrikaden gegangen«, meint Obermeyer. Somit habe sich die bundesweite Clearing-Stelle für rechtliche und betriebswissenschaftliche Fragen bezüglich des EEG und die entsprechende Kommission des Arbeitskreises im Bundestag »Horrorszenario« hören müssen: »Wenn es so bleibt, dann geht die Hälfte der Bauern kaputt. Da müsst ihr was machen!« Es wurden also zwei wichtige Entscheidungsgrundlagen zur EEG-Novelle 2009 herangezogen: Es müssten erstens Anreize geboten werden, noch mehr Wirtschaftsdünger zu vergären, somit würden auch die konventionellen Landwirte profitieren. Zweitens müsse insgesamt die Wirtschaftlichkeit der Biogasanlagen gesichert werden. Daher wurde 2009 eine Kombination aus dem NawaRo-Bonus (Bonus aus nachwachsenden Rohstoffen), der seit der EEG-Novelle 200479 existiert, und dem Güllebonus eingeführt. Grundsätzlich werden mit »nachwachsenden Rohstoffen« Stoffe – Pflanzen oder Pflanzenbestandteile – aus Land- bzw. Forstwirtschaft und Landschaftspflege bezeichnet, die nicht in der Produktion von Nahrungsmitteln oder Viehfutter verwendet werden.80 Somit wurde eine Basisvergütung für Energie aus Biomasse festgelegt, die durch den NawaRo-Bonus aufgestockt werden konnte. Neben dem allgemeinen Bonus gab es einen leicht erhöhten Satz für Strom aus kleineren Biogasanlagen. Es war möglich, den NawaRo-Bonus auch mit anderen Zusatzvergütungen zu kombinieren. Das bedeutete, Energiewirte konnten gleichzeitig den Technologie-Bonus81, den Formaldehydbonus82 und/oder den KWK-Bonus beziehen.

78 Stand Januar 2011. 79 Bis dahin konnten Biogasanlagen meist nur mit Gülle oder kostengünstigen organischen Abfällen oder Nebenprodukten wirtschaftlich betrieben werden. 80 Die genaue Zuordnung für »rein pflanzliche Nebenprodukte«, die in der Energieerzeugung verwendet werden, ist der »Positivliste der rein pflanzlichen Nebenprodukte und ihrer Standard-Biogaserträge« (Substrate nach EEG Anlage 2 Nr. V) zu entnehmen (vgl. Fachverband Biogas e.V. 2009). 81 Der sogenannte Technologie-Bonus ermöglichte eine Zusatzvergütung im EEG 2009 für in das Netz eingespeisten Strom, der mit bestimmten innovativen Technologien erzeugt wurde (vgl. EEG 2009). 82 Der sogenannte Formaldehydbonus ist eine Bonusvergütung, mit der der Bau und der Be-

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Eine weitere Änderung im EEG 2009 war auch die Aufhebung des Ausschließlichkeitsprinzips.83 Eine Kombination mit anderen Substraten wurde dadurch sowohl für neu gebaute Anlagen als auch für Altanlagen möglich. Jedoch genau durch den NawaRo-Bonus im EEG 2009 seien bei den Biogasanlagenbetreibern eine enorme Flächenkonkurrenz und ein harter Pachtkampf ums Maisfeld entstanden, so Obermeyer vom Landwirtschaftsamt. Auch die Konkurrenz zur landwirtschaftlichen Nahrungsmittelerzeugung habe sich verstärkt und der Anbau von Energiepflanzen, vor allem Energiemais, stark zugenommen. Der Güllebonus84 wurde häufig als eigenständiger Bonus genannt, setzte jedoch einen Anspruch auf den NawaRo-Bonus voraus und konnte bei mindestens 30 Prozent Gülleeinsatz (Massenanteil am Substrat) zusätzlich aufgeschlagen werden.85 Anfänglich, so mein Gesprächspartner, war eine Förderung für Anlagen, deren Substratmischung zu mindestens 50 Prozent aus Gülle besteht, angedacht, aber der Druck der »Lobbyisten« sei so groß gewesen, dass ein Kompromiss im EEG geschlossen wurde: Es gab den Güllebonus schon ab 30 Prozent eingesetzten Wirtschaftsdünger. Wolfgang Obermeyer erklärt jedoch die Problematik: Eine Tonne »extrem dünnes Güllezeug« wurde genauso bewertet wie eine Tonne Getreide. Es wurde nicht nach dem entsprechenden Gas-Ertrag oder Strom-Ertrag berechnet, sondern rein nach der Tonnage. Die verpflichtende Führung eines Einsatzstoff-Tagebuchs sollte nachweisen, dass der Güllebonus in Anspruch genommen werden konnte, weil dort alle Betriebsstoffe kontrollierbar und lückenlos festgehalten wurden. Des Weiteren wurde die Bonuszahlung auf Anlagen bis zu 500 kWh Leistung ausgeweitet, und der Güllebonus auch für Anlagen bewilligt, die größer als 500 kWh Leistung waren, wenn sie bis zu 30 Prozent Wirtschaftsdünger einsetzten. »Die Kopplung des Bonus für nachwachsende Rohstoffe sowie der Strom aus Gülle haben mächtig eingeschlagen. Jede verkaufte Kilowattstunde Strom hat zusätzlich zur Grundvergütung bis zur Anlagengröße von 150 kWh elf Cent dazubekommen! Das war quasi eine Verdoppelung! Bei Anlagen von 150 bis 500 kWh waren es sieben Cent. Das heißt bei trieb von Biogasanlagen mit einem niedrigen Ausstoß an Formaldehyd gefördert werden. Der Bonus wurde mit der EEG-Novelle 2009 eingeführt (vgl. EEG 2009). 83 Bis 2009 war nur die ausschließliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in einer Biogasanlage zugelassen. 84 Der Bonus sieht eine Anhebung der Grundvergütung für kleinere Anlagen mit einer Leistung von bis zu 150 Kilowatt und einem Bonus für Anlagen bis zu einer Leistungsklasse von 500 kWh vor. Dadurch soll erreicht werden, dass neben den nachwachsenden Rohstoffen auch Gülle, die ansonsten eigentlich als Dünger auf die Felder ausgetragen würde, für die Energie aus Biogas genutzt wird. Außerdem sollen durch die Einführung des Bonus kleinere Anlagen in ihrer Wirtschaftlichkeit gestärkt werden (vgl. EEG 2009). 85 Bei überwiegendem Einsatz von Landschaftspflegematerial ergab sich ein weiterer Bonus. Voraussetzung für die Boni und Aufschläge sind bestimmte Auflagen, die im Einzelnen im EEG erläutert werden (vgl. EEG 2009).

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realistischen Laufzeiten zwischen 7500 und 8000 Stunden im Jahr bedeutet das für unsere durchschnittliche Anlage von 250 kWh etwa 70 000 Euro plus, zusätzlich! Alle, die die schon am Netz waren, haben das zusätzlich bekommen, praktisch obendrauf! Wahnsinn! Dass das den Markt durcheinanderschmeißt, das ist klar – kaum war das Gesetz in Kraft« (Wolfgang Obermeyer). Mit der EEG-Novelle 2009 bekamen somit Biogasanlagenbetreiber diese gerade dargestellten sehr hohen Bonuszahlungen als Kombination von NawaRoBonus und Güllebonus bei sehr günstigen Substratkosten, die bei Betrieb der Anlage fast die Hälfte an Kosten ausmachen. Viele der Anlagenbetreiber brauchten gar nicht mehr investieren, weil sie bereits ihre bestehenden Anlagen hatten, andere wiederum mussten Gülle und Mist zukaufen, was den Pachtkampf anschürte und den Biogasboom beschleunigte. Durch die Novelle »hat man draußen plötzlich gemerkt: Das geht ab! Leistungserhöhung! Neubau, Neubau!« (Wolfgang Obermeyer)

Die Vielschichtigkeit des EEG: Die Berliner Position Grundsätzlich sei Biogas eine »sehr sinnvolle Sache«, so Oskar Horn, Mitarbeiter eines FDP-Abgeordneten im Bundestag, zumal Biogas und Biomasse im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energien bedarfsgerecht eingespeist werden können. Biogas kann somit einen kleinen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. Ein Problem sieht er jedoch darin, dass Biogas und Biomasse auf lange Sicht aufgrund der kostentreibenden Substratstoffe wie Mais nicht günstiger werden: »Da kommt man so langsam in den Bereich, wo Biogas und Biomasse die teuerste Energie ist.« Seit den Jahren 1999 und 2000, erklärt Nils Schuster vom Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V., gab es aufgrund der Diskussion über Butterberge und Milchseen Überlegungen, das ungenutzte Potential der Landwirtschaft auch für die Energiegewinnung zu nutzen, auch um neue Betätigungs- und Einnahmefelder für die Landwirtschaft zu generieren. Aus diesem Grund hatte man nach dem Motto ›Vom Landwirt zum Energiewirt‹ den NawaRo-Bonus im EEG 2004 geschaffen. Das Problem bei dem NawaRo-Bonus ist die Frage der Steuerung gewesen, weil die Landwirtschaft in Deutschland stark unterschiedlich ist. Schuster, der damals bei der Überarbeitung zur Novelle des EEG 2009 im Bundestag als Referent der SPD-Fraktion gearbeitet hat, erklärt, wie es zu der Staffelung des NawaRo-Bonus im EEG 2009 gekommen ist und weshalb dies zu dem Aufschwung bei Biogas geführt hat. Das BMU habe damals in seinem Referentenentwurf den NawaRo-Bonus mit zwei Cent/kWh bedacht. »Da haben wir mit Landwirten geredet und Leuten aus dem Biogasbereich und festgestellt, das rechnet sich nicht für alle. Nach vielen Gesprächen sind wir darauf gekommen, dass die das gerechnet haben an dem

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kostengünstigsten Fall. Das ist eine ehemalige LPG in Ostdeutschland, so ein riesiger Betrieb mit 1000 Großvieh-Einheiten. Da habe ich natürlich eine ganz andere Kostenstruktur, als wenn ich in Bayern diese ganzen Einzelhöfe habe, wo die Leute 15 oder 20 Großvieheinheiten haben.« Deshalb habe man sich dann in einem parlamentarischen Verfahren entschieden, eine Staffelung für den NawaRo-Bonus einzuführen, also für kleine Biogasanlagen sechs Cent Aufschlag, für mittlere Biogasanlagen vier Cent Aufschlag und für größere zwei Cent Aufschlag, um den unterschiedlichen Agrarstrukturen gerecht zu werden. Das hat gerade in Bayern zu diesem Aufschwung und Boom im Biogasbereich geführt, weil »sechs Cent ziemlich gut war und viele Landwirte sich da drauf gestürzt haben«. Zusätzlich sei es eine schwierige landwirtschaftliche Situation gewesen, weil die Getreidepreise auf dem Markt niedrig waren. Dies führte dazu, dass die Bauern mit Biogas seit langem endlich ein gesichertes Einnahmefeld hatten. In Schusters Augen gibt es aus diesem Grund seit 2008/2009 diese Diskussionen über Vermaisung, Nahrungsmittelkonkurrenz und Pachtpreisanstiege. Nicht immer ganz gerechtfertigt, wie er sagt, denn eigentlich gebe es diese Probleme in nur fünf Landkreisen. Genau hier sieht Nils Schuster vom Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V. den Knackpunkt des EEG in Bezug auf die Förderung von Biomasse: »Diese Heterogenität der Landwirtschaft in den einzelnen Gebieten Deutschlands, das alles gleichzeitig zu berücksichtigen, und dabei gleichzeitig einen stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien hinzubekommen, das funktioniert natürlich nicht, weil wenn man dort zu wenig macht, dort aber stärker ausbaut, erzeugt man in anderen Landkreisen dann plötzlich Konflikte, die zu Neiddebatten und zu gegenseitigen Beschuldigungen führen. Das ist ein Dilemma!« Gerade der Bereich Energieerzeugung mittels Biogas sei hoch komplex und müsse eigentlich besser ausdifferenziert werden: »Da drehst du an einer Schraube und willst einen bestimmten Effekt erzeugen und rauskommen tut an einer ganz anderen Stelle ein ganz anderer – ungewollter – Effekt! Es bildet sich daher diese Komplexität der Wirklichkeit leider immer mehr in einem Gesetz ab, das immer komplizierter wird, kaum noch zu verstehen ist, dieses EEG«, so Schuster. Das habe auch dazu beigetragen, dass sich in den letzten Jahren sogenannte »BoAs«, bonusoptimierte Anlagen, etabliert hätten, »die sich genau diese Struktur des EEG anschauen, welche Boni gibt es, wenn ich dort Gülle einsetze, wenn ich NawaRos einsetze. Die haben das so optimiert, dass sie den höchsten Vergütungssatz bekommen«, erklärt er weiter. Genau das hat in einigen Regionen zu Konkurrenzkämpfen, aber natürlich auch zu starken Pachtpreisanstiegen geführt: »Weil genau diese Anlagen geschaut haben: ›Wenn ich jetzt noch ein bisschen NawaRo in meine Anlage hineingebe, kriege ich noch den Bonus. Und um das abzusichern, brauchen wir noch fünf Hektar, die wir zukaufen müssen.‹

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Die haben mit der vollen wirtschaftlichen Macht tausende Beträge abgestaubt, konnten für den Hektar plötzlich irre zahlen, obwohl ein normaler Landwirt 100 oder maximal 200 zahlen kann.« Gerade am EEG habe man in der Vergangenheit gesehen, dass »kleine Stellschrauben, die eigentlich etwas Positives bewirken sollten, sich sehr schnell in eine ganz falsche Richtung so hoch spielen können«, dass es nicht mehr kontrollierbar wird, meint Fabienne Pohl, die als Mitarbeiterin einer Grünen-Abgeordneten im Bundestag tätig ist. Es sei unmöglich gewesen, immer alle Folgen im Blick zu haben, vielmehr musste man meist im Nachhinein nachbessern. Es handle sich einfach um ein Gesetz, das permanent überarbeitet werden müsse, »teilweise sicherlich gerechtfertigt, aber teilweise ist es schon auch schwierig, wenn sich immer wieder ständig für die Planung der Neuanlagen etwas ändert«, meint Schuster.

Die Novelle des EEG 2012: Änderungen und Schwachpunkte Darin waren sich die befragten politischen Akteure in Berlin und Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt in der Forschungsregion einig: Das Kernproblem im EEG 2009 war die Koppelung des Güllebonus und NawaRoBonus. Diese Entwicklung führte dazu, dass sich Biogasanlagen in manchen Regionen sehr stark ballen, eben dort, wo es viel Tierhaltung gibt. Daher wurde die Grundstruktur des EEG 2012 deutlich abgeändert. Im EEG 2012 gibt es zwei Rohstoffklassen, für die man eine verschieden hohe Bonusvergütung erhält, erstens sogenannte »erwünschte Einsatzstoffe«, beispielsweise Gülle, für die es eine hohe Vergütung gibt, zweitens andere Rohstoffe mit einer geringeren Vergütung, wie beispielsweise Mais (vgl. EEG 2012). Sehr wichtig war die Entkopplung des NawaRo-Bonus vom Güllebonus, so die Gesprächspartner. Gülle ist einerseits sehr energiereich, andererseits ist das Vergären von Gülle in Hinblick auf Klimagase sinnvoll, weil Emissionen vermieden werden. Aus diesem Grund gibt es derzeit auch hoch subventionierte Gülleanlagen, »in denen man zu 80 Prozent Gülle vergärt und ordentlich viel rausbekommt«, so Oskar Horn, Mitarbeiter eines FDP-Abgeordneten des Bundestags. Im Prinzip ist es durch die EEG-Novelle 2012 möglich, unterschiedlichste Einsatzstoffe miteinander zu verwerten, somit können Transportwege eingespart werden. Das EEG werde sich sicherlich immer wieder verändern, so Julius Bergmann, der als Agrar- und Energieexperte für einen CSU-Abgeordneten in Berlin arbeitet. Insbesondere werde mit der Novelle 2012 eine Debatte um die Verknüpfung der einzelnen erneuerbaren Energien und die nachfragegerechte Versorgung aufgegriffen. Im Bereich der Biogasanlagen ist in Bergmanns Augen die interessanteste Neuerung eine Kombination der sogenannten Marktprämie und eine Flexibilisierung. Bestehende Anlagen sind im Moment darauf ausge-

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legt, dass der Motor des Blockheizkraftwerkes das gesamte Jahr über möglichst gleichmäßig läuft. »Das ist aber genau das, was die relativ teure, begrenzte und edle Energie Biogas nicht tun sollte«, meint Bergmann, denn Biogasproduktion wird auf längere Sicht teurer sein als Wind und Sonne. Deshalb wurde über diese Flexibilitätsprämie und die Marktprämie ab dem 1. Januar 2012 ein Anreiz geschaffen, neue Biogasanlagen anders zu bauen und möglicherweise alte Anlagen umzurüsten, beispielsweise zusätzliche Speicherkapazitäten einzubauen: »Das kann einfach nur sein, dass unter dieser Membran [der Anlage, FS] mehr Platz ist, um Rohbiogas länger halten zu können«, so Bergmann. Man könne weiterhin die Motorkapazität noch deutlich erhöhen. Somit sei es möglich, den Motor nicht dauerhaft, sondern eben je nach Nachfrage laufen zu lassen, so Bergmann weiter. Die Idee der Marktprämie geht sogar noch weiter : Sie schafft Anreize für Anlagenbetreiber, ihren produzierten Strom aus Wind, Sonne oder Biogas direkt an den Markt zu bringen. Bis 2012 übernahm diesen Vorgang noch der Übertragungsnetzbetreiber. Es gab die feste Einspeisevergütung, der Strom wird an den Übertragungsnetzbetreiber übergeben, dieser brachte ihn an die Strombörse in Leipzig und die ganzheitliche Frage der Vermarktung lag bei dem Netzbetreiber. Die Marktprämie werde dies ändern: »Man rechnet mit neuen Akteuren. Das können neue Windkraftanlagenbetreiber sein, das können Stadtwerke sein, das können aber durchaus etablierte Energieversorgungsunternehmen sein, die sich dann um diese Vermarktung kümmern«, vermutet Agrar- und Energieexperte Bergmann. Die Vermarktung liege so in den Händen der Betreiber und ermögliche, industrielle Verbraucher als Betreiber selbst anzusprechen und über Abnahmepreise zu verhandeln. »Das ist ein Experiment. Das wird zusätzliche Kosten in der EEG-Umlage verursachen und es war auch viel Skepsis bei der Verabschiedung des Gesetzes gegenüber dem Ganzen, weil vor allem die Befürchtung ist, dass sich die vier großen etablierten Versorger das Geschäft unter den Nagel reißen.« Die Frage, wie Lücken zwischen Erzeugung und Nachfrage geschlossen werden können, wird in Bergmanns Augen auch die nächsten EEGÜberarbeitungen beschäftigen. Grundsätzlich müsse man bei der Weiterentwicklung des EEG ziemlich vorsichtig sein, eine Abkehr von der Einspeisevergütung halte er nicht für sinnvoll. Die Einspeisevergütung habe sich bisher im europäischen Vergleich als effizient erwiesen, erklärt Julius Bergmann. Zum anderen sei der Vorteil des Einspeisevergütungssystems, dass auch kleinste Anbieter eine Chance auf dem Strommarkt hätten, wie PV-Anlagen auf Privathausdächern oder Bürgerwindkraftanlagen. »Die sind schließlich auch ein wichtiger Teil der Energiewende«, so Bergmann. In der Summe sind gerade die kleinen, dezentralen Anlagen »als ordentliche Substanz über das Land verteilt«. Rein zentrale Strukturen würden hier zu kurz greifen. Deshalb brauche Deutschland auf ziemlich lange Zeit die

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Einspeisevergütung. In Hinblick auf die nächste Novelle 2014 werde diese »noch ziemlich unbeschadet« weiterbestehen, aber wieder reformiert werden. Allerdings entfalte das EEG trotz seiner permanenten Überarbeitung nicht die Wirkung, die es eigentlich haben könnte. Die Grünen-Abgeordnete Eva Wolf sieht das große Problem, dass die Anreize zu stark auf zentrale Strukturen, »auf Großstrukturen« und zu wenig auf die effiziente dezentrale Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien gelegt worden seien. »Klar, da ist mit der Novelle 2012 nicht so viel gekonnt, sondern eher in die falsche Richtung gelenkt worden und es ist auch zu wenig da drin zur Marktintegration, es sind nicht die richtigen Instrumente angezogen.« Wolf meint, mit der EEG-Novelle sei bisher noch unzureichend die Vermaisung der Landschaften abgewendet worden. Sie räumt ein, es gebe zwar den Versuch, nur noch 60 Prozent Mais als Substrat zu verordnen. Die wichtige Frage ist in ihren Augen jedoch, was auf der Fläche angebaut wird: »Wie viel Mais, wie viel Energiepflanzen will ich auf der Fläche haben.« Generell ist es falsch zu denken, dies über das EEG regeln zu können. Man bräuchte dafür vielmehr eine gute fachliche Praxis der Landwirtschaft. Moment ist das jedoch sehr vage: »Von Seiten der Konservativen wird zwar immer darauf verwiesen, wir haben ja Cross Compliance, und wenn der Landwirt die 19 EU-Regeln nicht einhält, dann kriegt er von den Direktzahlungen etwas abgezogen.«86 Jedoch würden nur ca. fünf Prozent der Betriebe wirklich kontrolliert werden. Eva Wolf meint, grundsätzlich »alles, was in Bezug auf Fruchtfolgen geregelt wird, ist so vage, dass nicht verhindert werden kann, dass jahrelang Mais auf Mais angebaut wird«. Das könne man nicht über das EEG regeln. Deswegen seien auch diese Regelungen auf Dauer nicht zielführend. Die EU-Agrarpolitik könne diesbezüglich keine gravierenden Veränderungen bringen, vielmehr müsse man, so die Grünen-Abgeordnete, auf nationaler Ebene den Umgang mit der Fläche anders regeln. Ihre Vorschläge lauten hierzu konkret: Um eine gute fachliche Praxis zu erreichen, sollten Sanktionen greifen, wenn vorgeschriebene Fruchtfolgen und Humusbilanzen nicht eingehalten werden. Denn »was auf EU-Ebene durch das Greening ein bisschen verbessert wird, ist nicht ausreichend, um gegenüber den durch das EEG gesetzten Anreizen 86 »Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 ist die Gewährung von Agrarzahlungen auch an die Einhaltung von Vorschriften in den Bereichen Umweltschutz, Klimawandel, guter landwirtschaftlicher Zustand der Flächen, Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze sowie Tierschutz geknüpft. Diese Verknüpfung wird als ›Cross Compliance‹ bezeichnet. Die CrossCompliance-Regelungen umfassen sieben Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ), Regelungen zur Erhaltung von Dauergrünland und 13 Regelungen zu den Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB); diese Fachrechts-Regelungen bestehen auch unabhängig von Cross Compliance. Verstöße gegen diese Vorschriften führen zu einer Kürzung der Cross-Compliance-relevanten Zahlungen« (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2015).

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Widerstand zu leisten«. Und sie fährt fort: »Klar, der Bauer will wirtschaften, will mit seiner Fläche Geld verdienen und er baut das an, was am meisten Geld bringt und er verkauft das an den, der ihm am meisten Geld dafür gibt. Wenn ich mit Mais für Biogasanlagen mehr Geld verdienen kann als mit Mais für Tierfutter oder als mit Getreide, dann wird das eben angebaut.« Diese Fehlanreize führen zwangsläufig zu einer bestimmten Landnutzung.

Politische Aushandlungsprozesse um die EEG-Novellen in Berlin Dass es bei der Aushandlung um das EEG zu Reibungen und Konflikten der unterschiedlichen Interessengruppen kommt, beschreiben die politischen Akteure in Berlin alle sehr eindringlich. Auch die Zuständigkeit der verschiedenen Ministerien empfinden viele von ihnen als nicht passend. Mira Kraus fühlt sich in ihrer Funktion beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) benachteiligt und schildert ihre Meinung folgendermaßen: »Das ist doch komisch, dass das BMU für das EEG hauptverantwortlich ist und nicht wir, als BMELV, obwohl wir die Interessen der Landwirte, vor allem der Kleinen, vertreten. Wir sind doch das Ministerium für Landwirtschaft und die Bauern«, so die Mitarbeiterin des BMELV. Zum Zeitpunkt der Gespräche war das BMU87 federführend für das EEG.88 Grundsätzlich seien sich bei der Diskussion um die EEG-Novellen die Agrarpolitiker von SPD und Union fraktionsübergreifend einig. Die großen Gegensätze seien vielmehr zwischen Umweltpolitikern, Agrarpolitiker und Wirtschaftspolitikern zu spüren: Die Wirtschaftspolitiker, »das sind knallharte Lobbyisten«, so Marlon Roth, Mitarbeiter einer Linken-Abgeordneten im Bundestag. Denen ginge es in erster Linie um »billig, billig, billig und die Billigste ist die Windenergie. PV wollten die am besten ganz abschaffen. Das sind von der Kultur ganz andere Leute.« Für die Agrarpolitiker ginge es hingegen vielmehr um Fragen nach der Stärkung der ländlichen Räume oder den Bereich Klimagas, »wo man die Agrarpolitiker und die Umweltpolitiker trösten konnte«, weil über Gülle kann man Methanemissionen verringern, so Oskar Horn, Mitarbeiter eines FDP-Abgeordneten. 87 Mit der Ernennung des Kabinetts Merkel III wurde das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) am 17. Dezember 2013 um den Bereich Bau erweitert und in Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) umbenannt. 88 Mit der Ernennung des Kabinetts Merkel III wurde das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) am 17. Dezember 2013 in Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) umbenannt und auch die Zuständigkeiten bezüglich des EEG wechselten vom damaligen BMU ins BMWi.

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Die Grünen-Abgeordnete Eva Wolf bemerkt, dass grundsätzlich sehr unterschiedliche Herangehensweisen im Agrarausschuss und im Umweltausschuss existieren. Die Umweltpolitiker der Union seien durchaus ambitionierter als die Agrarpolitiker der Union, deswegen könne man sich zwischen den beiden Ressorts immer ganz schwer einigen. Das ist aber »das Schöne« bei den umweltbewegten Politikern, egal aus welchem Ausschuss, es gebe einen Gesprächsfaden, auch wenn »die Kollegen von der Union und der FDP meistens ganz stark in ihre Fraktionen eingebunden und nicht über Bande spielen«, so die Grünen-Abgeordnete. Bei den Parteien zeichne sich bei den Diskussionen um die Novellen immer ein ähnliches Stimmungsbild ab: Die CSU mache sich für kleinbäuerliche Landwirtschaft stark, während die FDP eher eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft propagiere: »Es schadet ja nicht, wenn der Hof größer wird, weil idealerweise sollte der Bauer sein Geld am Markt erwirtschaften können, nicht über Subventionen.« Es ist »die speziell bayerische Perspektive, die kleinen Familienbauernhöfe« zu erhalten, so der FDP-nahe Oskar Horn. Neben den lokalen Interessen kommt auch noch eine bemerkenswerte Verteilung der Kompetenzen hinzu. Konventionelle Energiepolitik, »alles, was mit Öl, Gas, Strom zu tun hat«, meint Horn, ist im BMWi angesiedelt. Während die erneuerbaren Energien und der Klimaschutz seit 2003 im BMU angesiedelt sind. Das spiegelt sich in den Ausschüssen des Bundestages wider. Es sorge häufig für Konflikte, weil man feststelle, dass erneuerbare Energien immer mehr auch Auswirkungen auf die klassische Energiewirtschaft haben, so Nils Schuster vom Bundesverband für Erneuerbare Energie BEE e.V. Es liege bestimmt auch daran, dass Energie ein sehr großes und vor allem sehr schwieriges Thema ist: »Der energiepolitische Sprecher hat von Biogas und Biomasse keine Ahnung, der kennt sich aus mit Energiemärkten, darin hat er seine Expertise«, so Horn. Das Problem beginnt in den Augen der befragten politischen Akteure in Berlin schon allein damit, dass der Bereich nur eines Ministeriums, nämlich Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz, ein relativ weites Feld sei. Gerade was Verbraucherschutz anginge, würden viele wirtschaftliche Aspekte Einfluss nehmen, hingegen im landwirtschaftlichen Bereich sei zusätzlich die Umwelt relevant, meint Horn. Häufig spüre man dadurch die Konflikte und Aushandlungen auf ministerialer Ebene: »Es knallt dauernd zwischen den Ministerien. Auch innerhalb der Fraktionen, dort haben vor allem die Wirtschaftsund Umweltleute oft Reibereien, niemand gibt freiwillig ein Feld her. Da gibt es extrem Eifersüchteleien zwischen den Ministerien« (Marlon Roth). Grundsätzlich erkenne man in den Ministerien immer wieder die Tendenzen der Parteizugehörigkeit: »Im Landwirtschaftsministerium wurden zu Künast-Zeiten extrem viele Mitarbeiter ausgetauscht und von den Grünen reingeholt. Dort nimmt der Beamtenapparat sehr starken Einfluss. Im Wirtschaftsministerium hingegen

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sind viele Leute FDP-nah, das Verteidigungsministerium ist stark konservativ« (Oskar Horn). Nach Julius Bergmann, Mitarbeiter eines CSU-Abgeordneten, habe im speziellen Falle der Biogasproduktion insbesondere das Thema Vermaisung bei der Diskussion zur Novelle des EEG 2012 eine große Rolle gespielt. Hierzu waren sehr unterschiedliche Interessen der verschiedenen Ministerien festzustellen. Das Wirtschaftsministerium habe insbesondere die hohen Kosten der Biogaserzeugung im Auge gehabt. Dies wurde auch in den EEG-Entwürfen des federführenden Umweltministeriums beachtet. Wobei der Ansatz des BMU von vielen Abgeordneten kritisch betrachtet wurde, denn deren Tendenz ging aufgrund des geringeren Kostenaufwands in die Förderung von Großanlagen. Aus diesem Grund war der Aufschrei aus dem BMELV »ziemlich laut und durchschlagend«, denn die Folgen von Großanlagen würden die Agrarstruktur in einem sehr weiten Radius stark verändern. Julius Bergmann nennt folgendes Beispiel: »Wenn die Eingangsstoffe über 60 Kilometer transportiert werden, hat man Auswirkungen auf die Pachtmärkte im 60-Kilometer-Umkreis. Da hat das Landwirtschaftsministerium recht.« Die Dinge hätten sich verschoben, denn bei früheren EEG-Novellen hätten die Landwirtschaftspolitiker dazu gedrängt, »noch mehr Biogas, durchaus gerne noch größer«, so Bergmann. Jetzt habe insbesondere Bayern und Baden-Württemberg auch auf Landesebene stark dafür plädiert, den kleineren und reststofforientierten Anlagen eine Chance zu geben. In der Novelle 2012 spiegelt sich dies vor allem in der Förderung von Kleinstund güllebasierten Anlagen wider. Wichtig ist im ganzen süddeutschen Raum bei einer kleinteiligen Agrarstruktur zu beachten, dass es bereits eine relativ hohe Biogasanlagendichte gebe und Großanlagen in diesem Raum massive Probleme erzeugten, erklärt Bergmann. Neue Großanlagen würden mit den bereits bestehenden Anlagen konkurrieren und zusätzlichen Druck auf die Nahrungs- und Futtermittelerzeugung ausüben. Bei Großanlagen, die auf Mais als Eingangsstoff setzen, seien im süddeutschen Raum in jedem Fall Grenzen erreicht, so Bergmann.

Verbände und Netzwerke: Die Biogas-Lobby In den letzten drei Drei-Jahres-Perioden zum jeweiligen EEG wurden ca. 50 Milliarden Euro verteilt, schätzt Oskar Horn, Mitarbeiter eines FDP-Abgeordneten im Bundestag. Es sei also nicht verwunderlich, dass die ErneuerbareEnergien-Lobby sehr aktiv ist, so Horn. Für den Biogasbereich sind vor allem drei große Protagonisten von Bedeutung: Der Biogasfachverband, der Biogasrat und der Bauernverband. Die Zielrichtungen und Absichten der Interessen-

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gruppen erscheinen sehr unterschiedlich. Gerade der Bauernverband sei in Bezug auf die landwirtschaftliche Erzeugung von Bioenergie im Zwiespalt. Einerseits hält der Bauernverband die Chance der Wertschöpfung in der Landwirtschaft für sehr wichtig. Zum anderen sieht er Nutzungskonflikte mit der konventionellen Landwirtschaft, erklärt Julius Bergmann, Mitarbeiter eines CSU-Abgeordneten. Deswegen legte der Bauernverband sein Augenmerk bei der Novelle vor allem auf die Förderung kleinerer Anlagen und die Nutzung von Reststoffen und ist in Bergmanns Augen daher »eher ein Alliierter«. Nils Schuster, der selbst für den Dachverband Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V. arbeitet, schätzt die Zielsetzung des Bauernverbandes folgendermaßen ein: In Gesprächen mit Vertretern des Bauernverbandes stellt man derzeit einen Mentalitätswechsel fest. Früher sei Bioenergieförderung durch den Einsatz der nachwachsenden Rohstoffe die Absicherung gegen den Preisverfall von Getreide gewesen. Nach 2008 sind jedoch die Preise im Weltagrarhandel in die Höhe geschnellt und der Bauernverband argumentierte, dass die Nahrungsmittelproduktion bei uns erhalten werden müsse, nach dem Motto: »Wir bieten qualitativ hochwertige Produkte. Die Aufgabe des deutschen Bauern sei nicht, simple Bioenergien anzubauen«, so Schuster. Die Vertreter des Bauernverbands hätten schnell »das ›Katsching‹ der Dollarzeichen in den Augen«. Früher war es die Absicherung gegen den Preisverfall, dann die Bioenergie-Produktion und jetzt die Qualitätsproduktion, »wo man denkt› okay, jetzt haben sie wieder einen anderen Bereich entdeckt«, so Nils Schuster. Vertreten sind im Bauernverband ganz unterschiedliche Gruppen, es gibt schließlich nicht »DIE Landwirtschaft«, also hauptsächlich Veredelungsbetriebe. Der Bereich der Vergärung von Abfallstoffen, den derzeit der Bauernverband fördern will, ist jedoch aus Sicht des BEE nicht interessant, »das ist eher hanebüchen für uns«, weil es regulatorisch ein ziemlich problematisches Gebiet darstellt. Man gerate in diesem Bereich schnell mit anderen Gesetzen in Konflikte, wie beispielsweise dem Kreislaufwirtschaftsabfallgesetz, erklärt Nils Schuster. Die Potentiale seien zusätzlich stark überschätzt, aber es ist momentan politisch opportun, so Schuster. Die »reinen Biomasselobbys« (Julius Bergmann) sind der Fachverband Biogas und Biogasrat. Der Fachverband Biogas hat im süddeutschen Raum viele kleinere Mitglieder mit kleineren und mittleren Biogasanlagen und ist wegen der ganz großen Anlagen besorgt um den Ruf der Energieerzeugung mittels Biogas. Er verfolgt Initiativen wie die Förderung der Aussaat von Blühstreifen, um auf Probleme wie Vermaisung zu reagieren, und hat nach Julius Bergmanns Ansicht »eine gesunde Skepsis gegenüber Großanlagen«. Den Fachverband Biogas gibt es bereits seit 20 Jahren und er ist mittlerweile ziemlich stark gewachsen. Circa zwei Drittel aller Anlagenbetreiber sind dort organisiert, schätzt Biogasanlagenbetreiber Martin Huber. Es gibt die Einteilung in die Bereiche der Anlagenbauer und Betreuer. »Das ist ein übergreifender Verband

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gewesen, weil die Branche kam daraus, dass Leute Anlagen gebaut haben und das dann verkauft haben«, erklärt der junge Unternehmer. Der Verband habe mit seinen ca. 3500 bis 4000 Mitgliedern einen »ganz guten Draht zur Politik. Er macht die Lobbyarbeit für uns in Berlin«, sagt Huber. Der Biogasfachverband und der Bauernverband stünden sich ohnehin sehr nahe, es geht ihnen um die Wertschöpfung, die bei der Landwirtschaft belassen werden sollte, und um die Stärkung ländlicher Räume, meint Oskar Horn. Vor kurzem jedoch habe sich auf Betreiben von Deutschlands größtem Energiekonzern E.ON ein zweiter Biogasverband gegründet, der Biogasrat. Biogasanlagenbetreiber Martin Huber hält nicht viel vom Biogasrat: »Der bringt diese Großanlagenbetreiber Schrägstrich Großanlagenverkäufer unter einen Hut und versucht, unseren kleinen Bereich aus dem Markt rauszudrängen. Er will das ganze Gesetzgebungsverfahren dahin bringen, dass riesig große Anlagen gebaut werden. Die werden von den Energieversorgern gebaut, und schließen ihre Substratlieferverträge mit der kompletten Landwirtschaft ab, weil die gesehen haben, dass Biogas doch lukrativ ist. Die E.ON hat solche Anlagen«, beschreibt er die Situation. Biogasanlagenbetreiber Martin Huber meint, dass es im Nördlinger Ries zum Glück keine solchen Anlagen gebe, »weil da ist es schon voll« (lacht). Die nächste Großanlage sei aber ganz in der Nähe, bei Uffenheim. Es gab lange Diskussionen, »weil dadurch unsere kleinteilige Landwirtschaftsstruktur kaputtgeht, aber jetzt wird sie gebaut. Die betreiben ziemlich viele: Das sind schon so zwanzig Anlagen, aber in einer Größe: fünf bis zehn Mal so groß wie die Standardanlage bei uns«, berichtet Martin Huber. Auch bei Landwirtschaftspolitikern wie Julius Bergmann kommt der Biogasrat schlecht an: »Wenn man jegliche Probleme negiert und brutalst auf die größtmöglichsten Anlagen gehen will, ohne Rücksicht auf Verluste, ist das sehr skeptisch zu sehen.« In Teilen der Union und insbesondere bei der FDP jedoch hat der Biogasrat »ein echtes Standing«, meint Julius Bergmann. Oskar Horn von der FDP hingegen sieht das anders, denn beim Fachverband Biogas ginge es häufig »um unnötige Kleinigkeiten«, und nennt das Beispiel der Umsatzversteuerung bei selbstgenutzter Wärme. Es gebe natürlich Interessengruppen, »denen man näher steht und denen man nicht näher steht, das ist auch je nach Parteizugehörigkeit unterschiedlich. Aber grundsätzlich macht es natürlich Sinn, mit allen zu reden«, so Horn. Bei der EEG-Novelle 2012 »waren beide Lobbys zu spüren. Es war zu spüren, wie sich das aneinander gerieben hat. Es ist jetzt nicht so, dass sie sich so ein Gesetz wünschen oder bestellen können. Das ist ein laufender Prozess und da sind die Lobbyverbände natürlich auch aktiv«, so Julius Bergmann, Mitarbeiter eines CSU-Abgeordneten. Die EEG-Novelle habe aus diesen Gründen jetzt beides: Es gibt einen Lenkungseffekt auf die sehr großen Anlagen und es gibt den Lenkungseffekt auf die ganz kleinen, güllebasierten Anlagen. Oskar Horn räumt in

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diesem Zusammenhang ein, dass auch die Verbände untereinander exzellent vernetzt sind. Grundsätzlich laufe die Zusammenarbeit mit den Verbänden im Bundestag recht gut, die Kontakte sind vielfältig. Es gibt parlamentarische Beiräte, gemeinsame Diskussionsfrühstücke oder Treffen bei dem Abgeordneten im Büro: »Da ist wirklich nix Kritisches dabei, wenn man die gesunde Distanz hat, kann man einen Verband anfragen zu einem bestimmten Verfahren und dann die Argumente miteinander abwägen«, meint Julius Bergmann und fügt hinzu: »Gerade so eine Stellungnahme vom Biogasrat ist für mich auch als Gegenstück immer ganz hilfreich. Weil man sieht, wo muss man Gegenposition beziehen.« Nils Schuster erklärt aus Sicht des Bundesverbands für Erneuerbare Energien, eines Dachverbands, bei dem die unterschiedlichen Spartenverbände aus dem Bereich erneuerbare Energien Mitglieder sind, dass für ein Gesamtverständnis der Regierung eine »Lobby helfen kann«. Aber man könne nicht »rumtricksen und ein paar Zahlen falsch darstellen«, sondern man müsse »möglichst offen und ehrlich die Sachen darlegen, man muss schon die Hosen runterlassen, nur so kann man dann bestehen«. Gerade auf Bundesebene könne man mit Umweltverbänden wie dem NABU »vernünftig reden«, da gebe es nicht »diese NIMBY-Mentalität von Ortsgruppen, die sagen: ›Geht ja, aber bitte nicht hier‹«. So sei es auch besser möglich, Fehlentwicklungen einzufangen, frühzeitig Diskussionen zu führen, wie man Regelungen im EEG verbessern kann. Grundsätzlich fließen die Einflüsse und Rückkopplungen der Mikroebene sehr stark in die politische Entscheidungsfindung ein, bekräftigen die befragten politischen Akteure in Berlin. Julius Bergmann berichtet von einem Energietag im Wahlkreis, zu dem Vertreter der Industrie- und Handelskammer (IHK), Vertreter der Fachhochschulen und Vertreter der örtlichen Wirtschafts- und Dienstleistungsbetriebe, zum Beispiel Wasserkraftturbinenhersteller, Biogasanlagenhersteller, Handwerker und Energieberater eingeladen waren: »Das ist eine unmittelbare, äußerst nützliche Rückmeldung aus der Praxis und fließt unmittelbar in die Verhandlungen über das EEG mit ein. Das macht einen Politiker glaubwürdiger.« Die Beratung und der Kontakt zu den Biogasexperten der FH Triesdorf sind in seinen Augen zusätzlich sehr wichtig für Novellierungen des EEG.89

89 Seit dem 12. August 2009 trägt die Fachhochschule Weihenstephan den Namen Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan-Triesdorf. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte man in der ehemaligen Sommerresidenz der Markgrafen zu Ansbach die ersten landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten eingerichtet, die sich zum Landwirtschaftlichen Bildungszentrums Triesdorf und der oben genannten Hochschule entwickelten.

Politische Rahmengestaltung

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Messiness: Der politische Entscheidungsfindungsprozess zur EEG-Novelle 2012 in Berlin Das EEG fiel zum Zeitpunkt der Forschung in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU). Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) können Stellungnahmen zum Erfahrungsbericht des BMU verfassen. Für den Bereich Biogas schreibt das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) federführend einen Erfahrungsbericht. Auf Grundlage des Erfahrungsberichts wird vom zuständigen Ministerium ein Referentenentwurf verfasst, der im Anschluss den anderen Ministerien vorgelegt wird. »Du kriegst also schon das fertige Gesetz, sonst könnten sie das gar nicht durchsetzen«, erklärt Marlon Roth, Mitarbeiter einer Linken-Abgeordneten im Bundestag. Die Branche der erneuerbaren Energien selbst habe für die Novelle zum EEG 2012 stark darauf gedrängt, das Gesetz zu verabschieden, auch weil »PV wieder einen enormen Zubau haben wird« und dadurch die EEGUmlage stark ansteigen wird: »Die haben wohl gedacht: ›Da machen wir lieber jetzt schnell den Deckel zu, bevor 2012 oder zum planmäßigen Zeitpunkt der Ausbau so enorm ist, dass das ganze EEG an sich infrage gestellt werden könnte.‹« Innerhalb von 14 Tagen sei das EEG »durchs Parlament gepeitscht worden und niemand hatte eine Chance, sich vernünftig durchzuarbeiten«, so Marlon Roth. Man brauche eigentlich die nötige Expertise und diese bekomme man nicht von heute auf morgen. Schließlich müsse man ein Gefühl dafür entwickeln, wie viel 60 Prozent Gülle sind, und dazu müsse man sich zunächst mit den Landwirten austauschen. Mira Kraus vom BMELV bestärkt diese Aussage: »Das Verfahren war dieses Mal absolut nicht normal! Das war wirklich schwierig. So kurzfristig. Das hat alles natürlich mit der Energiewende, also mit dem Atomausstieg zu tun. Das war eine sehr politische Entscheidung.« Nils Schuster vom Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V. hält es ebenfalls für sehr problematisch, »wenn die Regierung selbst sich die Zeit nicht nimmt damit umzugehen«. Das Energiepaket der Bundesregierung mitsamt diesen unterschiedlichen Interessen muss in seinen Augen erst in eine Balance gebracht werden. »Das geht nicht, indem sie in vier Wochen acht Gesetze durchpauken. Sie müssten länger miteinander reden, um ein gegenseitiges Verständnis zu haben, wo der Andere seine Probleme hat.« Schließlich könne man Kreativität nicht verordnen. Das sei immer das Problem von schnellen Gesetzgebungen, »weil alles hat in der Gesellschaft seine Auswirkungen in den unterschiedlichsten Bereichen und das sehen wir ja dauernd beim EEG«, so Schuster. Genau dieser zu hohe Zeitdruck ist aber laut Nils Schuster bei der Entscheidungsfindung um die EEG-Novelle 2012 leider der Fall

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gewesen. »Es gab formale Fehler, inhaltliche Fehler und politische Fehlentscheidungen. Das heißt, wer Druck gemacht hat, wer das bessere Ohr gehabt hat, hatte die Mehrheitsstruktur. Man hat sich keine Zeit genommen, Gegeninformationen zu beschaffen und zu analysieren, sondern man entscheidet einfach. Wenn die so schnell Politik machen und fast von heute auf morgen einen Beschluss machen, dann kommt so etwas raus. […] In nur sechs Wochen wurde das Energiepaket am 6. 6. 2011 durchgeboxt, in nur sechs Wochen!« Allgemein meint Schuster, dass in der Politik mittlerweile ankommen müsse, dass »es so nicht mehr weitergehen kann«, und er fährt fort: »Wir brauchen eine Marktintegration der erneuerbaren Energien, aber man hat festgestellt, dass der Markt, in den man integrieren will, der funktioniert für Erneuerbare so nicht, das geht nicht.« Unter dem Titel »Systemtransformation« werde man solche Debatten führen müssen, denn »es geht nicht, in ein bestehendes System, das mal ausgelegt war auf fossile Energieträger, die mit ihren Eigenarten gearbeitet haben, darin erneuerbare Energien zu integrieren, die ganz andere Eigenarten haben«. Man müsse vielmehr ein »komplett neues System« dafür erschaffen. Diese Grundsatzfragen seien endlich bei einigen »in der Politik« angekommen. »Aber jetzt steht man natürlich vor einem Riesenberg und weiß nicht, wo man anfangen soll, weil es eine Riesenaufgabe ist«. Bisher befinden wir uns in einer »Hybridsituation«, meint Schuster, »da ist es kein Problem, da kann man beide Systeme irgendwie noch parallel miteinander zusammenbringen, aber irgendwann muss man es komplett umbauen, weil dann geht es nicht mehr zusammen. Da kommt es zu Konflikten. Diese zu lösen wird schwierig.« Abschließend betrachtet wurde das politische Verfahren zum EGG 2012 von den meisten der politischen Akteure in Berlin als ein hastiges und schnelles Unterfangen beschrieben, das aufgrund des Drucks von verschiedenen Akteursund Interessengruppen vonstattenging. Für ein vielschichtiges Gesetz wie das EEG mit seinen vielen Stellschrauben, die bestimmte – auch ungewollte – Effekte erzielen, müsse man sich für die Bearbeitung Zeit nehmen, so die befragten politischen Akteure, denn Kreativität lässt sich nicht verordnen. Es wurde gezeigt, dass allein dieser politische Entscheidungsfindungsprozess zur Novelle 2012 in Berlin unterschiedliche Akteure, Aktanten, institutionelle Gefüge und Diskurse zusammenbringt, die sich dann zu einer Policy formieren (Adam/ Vonderau 2014, 22). Bei diesem Prozess jedoch kommt es zu Konflikten. Die Herausforderung Energiewende bringt viele Fragen und Probleme mit sich, um die es auch in dieser Studie geht. Die Aussagen der politischen Akteure haben gezeigt, dass es sich um vielschichtige Zusammenhänge bei der politischen Entscheidungsfindung zum EEG und seinen permanenten Neuaushandlungen dreht. Das EEG fungiert hierbei als zentrales Instrument und Ordnungsprinzip zum Ausbau und der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland und ist, wie gezeigt, einerseits sehr produktiv, andererseits aber auch kontinuierlich

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umstritten. Das EEG selbst besitzt eine Agency in Form von Handlungsvermögen bzw. Handlungsfähigkeit und interagiert als »Aktant« mit anderen »social agents« (Shore et al. 2011, 3). Nachfolgend werden diese Wechselwirkungsprozesse zwischen Akteuren und Aktanten in den Forschungsfeldern Brüssel, Berlin und dem Nördlinger Ries in Bezug auf Energieproduktion aus Biomasse beschrieben. Die Akteure und Aktanten im Nördlinger Ries nehmen hierbei eine eigenständige produktive und performative Rolle ein, bei der sie das in Berlin ausgehandelte Gesetz EEG als Policy anwenden, abändern, taktisch reinterpretieren oder gar verwerfen. Dies wird offensichtlich an den vielen gewollten Effekten, aber vor allem ungewollten Nebenfolgen, die die messiness der Energiewende auszeichnen.

Vom konventionellen Landwirt zum Biogasanlagenbetreiber »Kaum eine andere Berufsgruppe prägt das Ries so stark wie die Landwirte. Veränderungen in der Landwirtschaft wirken sich direkt auf die Landschaft aus. Unter dem Einfluss politischer Entscheidungen, dem Verhalten der Verbraucher und dem technischen Fortschritt geht es den Bauern vor allem um eines: ihren Familien ein Einkommen und das Überleben ihrer Betriebe zu sichern.« (Wagner 2011)

Seit über 50 Jahren durchlebt die deutsche Landwirtschaft einen grundlegenden Strukturwandel. Betroffen sind hiervon vor allem kleinere Familienbetriebe, wie sie im Nördlinger Ries aufgrund der kleinstrukturierten Landwirtschaft häufig anzutreffen sind. »1986 hatten wir 6800 Betriebe im Landkreis und jetzt haben wir noch 1600, das sagt alles aus«, so Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt. Ohne ausreichende Erträge zu erwirtschaften oder eine rentable Einkommenskombination zu erschaffen, fehlt häufig die Existenzgrundlage. Eine 80-jährige Rieserin namens Anna-Maria Specht erinnert sich, dass es früher im Nördlinger Ries, das auch als Kornkammer Bayerns bezeichnet wird, zahlreiche Kleinbauern gab. Ihr Mann, der eine Großtierarztpraxis führte, musste weitere Tierärzte einstellen, da die Landwirtschaft in den 1960er und 1970er Jahren so sehr aufblühte: »Die Bauern hatten größere Ställe, mehr Rinder, mehr Schweine.« Bis zum Jahr 1960 sei der Aufschwung groß gewesen, »sodass es immer mehr Arbeit gab, die waren zum Schluss zu viert in der Praxis«, während das Einzugsgebiet gleich groß geblieben ist. Doch wo es früher in einer Gemeinde 120 Bauernhäuser gegeben habe, sind jetzt nur noch zwei oder drei Landwirte hauptberuflich tätig. »Die Leute im Ries ernähren sich nicht mehr von der Landwirtschaft«, erzählt sie. Es gebe schon noch Milchbauern, die statt 10 Kühen heute 100 hielten. Das Dorf habe also noch genauso viele Kühe wie vorher, aber nicht mehr so viele Stallungen. »Die romantische Vorstellung von einem kleinen Bauernhof mit allerlei verschiedenem Vieh gibt’s nicht mehr«,

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fährt Anna-Maria Specht fort. Mit nur noch fünf oder sechs Muttersauen in einem Stall lohne sich der landwirtschaftliche Betrieb einfach nicht mehr. Tierarzt Robert Graf erinnert sich, dass es im Jahre 1983 noch »ganz kleine Bäuerle« mit nur 3 bis maximal 15 Kühen gab, ein Landwirt mit 20 Kühen hatte schon einen sehr großen Betrieb. »Vor 30 Jahren ernährte ein Bauer zehn Menschen, heute ernährt ein Betrieb gleich tausend.« Damals gab es auf den Höfen allerlei Vieh: »Von Huhn- über Schweinezucht und Schweinemast, die Ferkel wurden selber gemästet und die Kälber selber aufgezogen. Die Männlichen zur Bullenmast herangezogen«, so Tierarzt Graf. Die Höfe waren anders strukturiert und organisiert, alles wurde noch mühsam mit der Hand gemistet. Robert Graf beschreibt, dass er als Tierarzt die Entwicklungen gut beobachten konnte. Als er 1986 anfing, als Tiermediziner zu arbeiten, gab es in der Region sogar noch einen Bauern, der mit der Hand gemolken und noch nicht in eine Melkanlage investiert hatte, »der Letzte seines Standes«. Selbstverständlich seien es nie Quantensprünge gewesen, in denen sich die Landwirtschaft verändert hat, sondern eher schleichende Prozesse, meint der Tierarzt. Jahr für Jahr geben viele bäuerliche Betriebe auf, die Flächen der verbleibenden Betriebe werden größer. »Früher war ein Hof mit 100 Hektar ein riesig großer Betrieb, heute sind 300 Hektar nichts Besonderes mehr«, erläutert Anton Fuchs vom Landwirtschaftsamt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der wirtschaftliche Aufschwung die Abwanderung vieler bäuerlicher Arbeitskräfte zur Folge. Somit wurde seit den 1950er Jahren der Produktionsfaktor »Arbeit« gegenüber den Faktoren »Boden« und »Kapital« immer teurer. Aufgrund der zunehmenden Mechanisierung der Landwirtschaft und der damit verbundenen Kapitalisierung der Produktion wurde die menschliche Arbeitskraft immer stärker durch Agrartechnik ersetzt.90 Die Zahl der Arbeitskräfte und der Betriebe nahm stetig ab, hingegen stiegen die landwirtschaftliche Nutzfläche und die Tierbestände pro Betrieb permanent an (vgl. Planer 2012). »Landwirtschaft befindet sich eigentlich ständig im Wandel, aber der jetzt offensichtliche Wandel hat eine neue Dimension erreicht«, so Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt. Es gebe hierfür sehr unterschiedliche Ursachen, ein wichtiger Aspekt sei aber die Einkommenssituation der Familienbetriebe. »Wenn ein Landwirt mit Grundnahrungsmitteln kein gutes Einkommen erzielen kann, muss er sich überlegen, ob es sich lohnt, seinen Betrieb fortzuführen«, meint Obermeyer. Man könne die konventionelle Landwirtschaft derzeit in drei Sparten einteilen. Zunächst Nebenerwerbsbetriebe und Hobbylandwirte, »die gern abends auf dem 90 Kapitalisierung der Produktion meint hier zum einen konkret die Ablösung tierischer und menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen und zum anderen die engere Verflechtung landwirtschaftlicher Produktion mit durch die Industrialisierung entstandene kapitalistische Strukturen.

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Schlepper rumfahren«, ansonsten aber gut verdienen und sich sagen, wenn die Landwirtschaft Gewinn abwirft, ist es schön, »ansonsten egal, weil es nebenher einfach Spaß macht«. Dann gibt es zweitens die »sehr bedauernswerten Grenzbetriebe, die zu klein sind, um wirklich davon zu leben, und zu groß, um es richtig nebenher zu machen«. Obermeyer bezeichnet diese Betriebe als »Schinderbetriebe, die oft nebenher noch viel Geld verdienen müssen, um alles zu schaffen«. Drittens existieren die sehr großen Betriebe, die in Obermeyers Augen ebenfalls in einer schwierigen Lage stecken, weil die Produktionskosten immer weiter ansteigen, die Preise für Lebensmittel aber nicht. Um erfolgreich zu wirtschaften, müssten sie eigentlich noch mehr Kühe halten und dafür neue Ställe bauen. In den vergangenen Jahren fassten immer mehr Landwirte daher den Entschluss, dass sich der Aufwand, den landwirtschaftlichen Betrieb weiterzuführen, nicht mehr lohnt. Im Landkreis Donau-Ries haben jährlich rund 70 landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben, ca. 3 Prozent jedes Jahr, sagt Anton Fuchs vom Landwirtschaftsamt und zeigt mir seine Statistik des Landkreises. Beispielsweise haben im Jahr 1994 145 Landwirte aufgehört, 1996 waren es 179, 2009 waren es 39 und im Jahr 2010 gaben 88 ihren Betrieb auf. Wie Anton Fuchs resümiert, legten in den Jahren von 1990 bis 2003 mehr Landwirte ihre Tätigkeit nieder als von 2004 bis 2010. Dadurch steigt die Fläche pro Betrieb an. Hauptsächlich seien das Nebenerwerbslandwirte gewesen, gerade diese jedoch überwiegen im Landkreis. Circa 60 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe werden laut Anton Fuchs nebenbetrieblich geführt. Wenn es sich wirtschaftlich nicht mehr lohne, wollten sich viele der Landwirte die zusätzlichen Belastungen nicht mehr antun. Obermeyer meint, dass gerade bei der Nahrungsmittelerzeugung, bei der die Landwirtschaft die Rolle des klassischen Rohstofflieferanten einnehme, die Situation nicht gerade positiv sei. Bis auf ein paar Ausnahmen im Sonderkulturbereich wie zum Beispiel Spargel, den ein Landwirt regional direkt vermarkten kann, habe der Landwirt keinen Einfluss auf die Verbraucherpreise (vgl. hierzu auch Fröhlingsdorf et al. 2014). Es sei vielmehr so, dass die Nahrungsmittel »von irgendeiner Riesenfirma gekauft werden und die macht dann etwas draus, wie zum Beispiel Zott oder 1–2–3 McCain«, so Wolfgang Obermeyer. Der Kartoffelbauer erhalte bloß fünf Euro für einen Doppelzentner Kartoffeln, habe aber einen sehr großen Arbeitsaufwand. Obermeyer zeigt das an einem Beispiel: Ende der 1970er Jahre seien von jeder Mark, die der Verbraucher ausgegeben hat, 50 Prozent in der Landwirtschaft geblieben. Heute hingegen seien es nur noch 23 Prozent. Man gibt dementsprechend zwar immer mehr aus, aber immer weniger für die klassischen Nahrungsmittel: »Klar, dass die Landwirtschaft in der Gesamtheit Probleme kriegt und der einzelne Landwirt versucht, das zu umgehen, indem er immer größer, produktiver und vor allem auch intensiver wird.«

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Alternativ gibt es die Möglichkeit, nebenerwerblich in eine Nische zu investieren, beispielsweise in ökologische Landwirtschaft mit Hofladen oder Stutenmilcherzeugung. Am Beispiel »Urlaub auf dem Bauernhof« könne man die Entwicklung gut nachvollziehen, so Obermeyer. Anfang der 1990er Jahre hätten einige Betriebe begonnen, nebenher Ferienwohnungen zu vermieten. Damals lagen der Getreidepreis bei 40 Mark, der Milchpreis bei 70 Pfennig und die Ferienwohnung bei 20 Mark. Heute koste die Ferienwohnung 70 Euro, der Milchpreis liege bei 35 Cent und der Getreidepreis bei 15 Euro. Aus diesem Grund hätten diese Betreiber Landwirtschaft nur noch »als Zuckerl« für die Gäste: »So ein paar Streicheltiere, so a bissl was fürs Herz wie Mutterkühe, klar, als Argument, um dort Urlaub zu machen«, erklärt Obermeyer.

Spezialisierung und Konzentration innerhalb der Landwirtschaft »Wir müssen eine wachsende Weltbevölkerung ernähren. Wir haben veränderte Ernährungsgewohnheiten, je mehr Nationen sich entwickeln, umso mehr Fleischkonsum. Fleischkonsum erfordert einen größeren Flächenbedarf. Als Europäer nutzen wir 35 Millionen Hektar Fläche im Süden der Welt für Futterproduktion und erzeugen damit billiges Fleisch in Massentierhaltungsanlagen. Wir brauchen die Agrarwende. Wir sind am Scheideweg.« (Eva Wolf, Bundestagsabgeordnete der Grünen)

Eindringlich beschreibt dieses Zitat die derzeitige Entwicklung der globalen Landwirtschaft hin zu einer spezialisierten Massentierhaltung aufgrund der starken Nachfrage. Mit den zunehmenden Kosten für Arbeit, Boden und Kapital wurden Landwirte weg von gemischten Betrieben mit Acker und Vieh hin zu einer immer stärkeren Spezialisierung getrieben. Bis heute haben sich daher vor allem in der Hühnerhaltung, der Rinder- und Schweinemast, den sogenannten Veredelungsbetrieben, hoch technisierte Betriebe mit sehr großen Viehbeständen durchgesetzt (vgl. Planer 2012, Rhein 2013). Mein Gesprächspartner Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt spricht allgemein von der »dritten Revolution in der Landwirtschaft«, und zwar einer agrartechnischen, in der Computer- und Elektrotechnik eine wesentliche Rolle übernehmen und durch die sich Arbeitsabläufe und vor allem die landwirtschaftlichen Größenordnungen stark verändert hätten (vgl. auch Grossarth 2013). Die erste Revolution betraf die Düngung und die zweite den Pflanzenschutz, beide setzten bereits große Transformationsprozesse in der Landwirtschaft in Bewegung. »Aber das, was gerade durch die Technik passiert, ist einfach unglaublich! Das wird Landschaft auch noch mal verändern«, meint Schäfer. Er spricht von hochgerüsteten Maschinenparks, die durch kleinste Computertechnologien eine effizientere Arbeitsweise ermöglichen: »Jetzt haben wir Mikroprozessoren in den Maschinen, du hast acht Räder und wenn ein Rad drei

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Millimeter einsinkt, dann wird das entlastet und die anderen Räder werden belastet. Du kannst ganz anders dreschen, ganz anders hacken, ganz anders wirtschaften. Wir haben eben jetzt eine Revolution und da müssen die Felder immer größer werden. Man sagt ab fünf Hektar geht es los, ab zehn Hektar, dann kann eine große Maschine wirklich arbeiten.« Aber genau dieser ständige Druck zum Wachsen störte den ehemaligen Landwirt Manfred Müller, der seinen Betrieb nicht mehr weiterführen wollte, weil es in der Landwirtschaft immer mehr in Richtung »weiter, höher, schneller« gehe. Durch die niedrigen bzw. stagnierenden Lebensmittelpreise sei der Landwirt gezwungen immer mehr Tiere zu halten. »Das Problem ist in den Köpfen, weil viele hier Landwirtschaft so trimmen wollen wie einen ganz klassischen Wirtschaftsbereich, der auch in Exportstrategien reinpassen muss«, erklärt Konrad Stein, der selbst Landwirt ist und für die Grünen als Abgeordneter im Europäischen Parlament arbeitet. Er sieht hierbei jedoch ein großes Problem, denn wenn es keinen regionalen Bauern mehr gibt, der Direktvermarktung anbietet, weil er mittlerweile 5000 Mastschweine hält, werde in Zukunft keine handwerkliche Wurst mehr hergestellt. Die Spezialisierung der Landwirte sei eine »fatale Entwicklung« der letzten 30 Jahre. Während der Milchkrise 2008 habe sich jedoch gezeigt, dass die Betriebe am besten aufgestellt waren, die sich nicht auf die Produktionstechnik allein verlassen hätten, so Stein. Erschwerend komme hinzu, dass gerade in Deutschland die Verbraucher nicht bereit seien, mehr Geld für Lebensmittel zu bezahlen, erklärt der ehemalige Landwirt Müller. Dies sei beispielsweise in Frankreich anders. Wenn die Preise für Lebensmittel höher wären, könnte ein Bauer mit weniger Tieren ganz anders wirtschaften und gleichzeitig die Tiere artgerechter halten. »Aber wie soll das funktionieren, wenn ich für den Liter Milch nur 30 Cent bekomme und zusätzlich Mordsauflagen kriege? Das geht einfach nicht!«, so Müller. Er bringt ein »perverses« Beispiel, wie er selbst sagt: »Ein Liter Heizöl kostet 70 Cent, den verheizt man. Der Liter Milch, den man in seinen Körper reinschüttet, der darf bloß 59 Cent kosten!« Er plädiert dafür, dass ein Liter Milch mindestens einen Euro kosten müsse, so könne der Landwirt gut davon leben und auch der Verbraucher könne sich das ohne Weiteres leisten. »Dann bräuchte der Bauer auch keine 100 Kühe, sondern es würden ihm auch 50 Kühe reichen.« Somit würde vielleicht auch der Ruf der Landwirtschaft in der Bevölkerung wieder besser werden, vermutet er.

Vergrößerung der Höfe und effektivere Produktion »Es geht um die Industrialisierung der Landwirtschaft. Die Idylle des kleinen Hofes mit ein paar Schweinen und Kühen und ein paar Kindern gibt es nicht mehr. Das ist ein

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Industriebetrieb. Es heißt: Wachsen oder Weichen. Das sind im Moment ganz schmerzhafte und riesige Wachstumsschübe, die die Betriebe da hinlegen. Das ist Industrie zu 100 Prozent.« (Peter Groß, Biogasanlagenbetreiber)

Mit diesem Zitat wird deutlich, dass die landwirtschaftliche Produktion einem starken marktwirtschaftlichen Druck unterliegt und sich hin zu einer industrialisierten (Massen-) Erzeugung bewegt. Neben dem seit Jahren anhaltenden Hofsterben ließe sich zeitgleich das Wachstum der verbleibenden Betriebe belegen, so der leitende Landwirtschaftsamtsdirektor Anton Fuchs. Die Anzahl der Betriebe mit einer Größe ab 50 Hektar nehme zu. Die Arbeit in kleineren landwirtschaftlichen Betrieben sei nicht mehr rentabel. »Mit ganz kleinen Einheiten ist man nicht wettbewerbsfähig«, erklärt Anton Fuchs. Eine idyllische Landwirtschaft mit Kleinbauern sei für die Gesellschaft das Ideal, aber in der Realität eine überkommene Wunschvorstellung. Gerade im Viehbereich werden die Bestände immer größer, sagt Milchviehhalter Johannes Kaiser und fährt fort: »Das ist der Strukturwandel. Da geht es jetzt rasant. Die ganzen kleinen Betriebe werden innerhalb der nächsten zehn Jahren sterben.« Anlagenbauer Benedikt Richter bekräftigt, dass die Ertragslage in der Landwirtschaft wirklich sehr schlecht sei. Sein Schwiegervater hält heute 80 Milchkühe. Vor 25 bis 30 Jahren habe er mit 30 Kühen das Doppelte verdient wie heute mit seinen 80, die Arbeit habe jedoch bei Ertragshalbierung um das Vierfache zugenommen. »Die Betriebe müssen ihre Produktivität steigern, und das geht mit Größe und einer zunehmenden Spezialisierung einher«, so auch der leitende Landwirtschaftsamtsdirektor Anton Fuchs. Wegen des hohen Kostendrucks wurde eine effektivere Produktion in der Landwirtschaft gefordert. Sowohl die Bewirtschaftungseinheiten wie die landwirtschaftlichen Maschinen wurden größer. Somit schnellten auch die Pachtpreise für den Rieser Boden in die Höhe (vgl. hierzu auch Wagner 2010). Hinzu kommen viele Fälle, in denen Altbauern ihre Betriebe aufgeben müssen, weil sich immer häufiger keine passenden Hofnachfolgen finden lassen. Aus diesem Grund werden jährlich in Deutschland über 7000 Betriebe wegen ungesicherter Hofnachfolge geschlossen, verkauft oder verpachtet (vgl. Rhein 2013). Im Zusammenhang mit dem Strukturwandel ist ein bedeutender Produktionszuwachs in sämtlichen Agrarsparten zu beobachten, der sich nicht nur auf die Spezialisierung und Mechanisierung zurückführen lässt. Neue Saatgutsorten sowie Dünge- und Pflanzenschutzmittel bringen bessere Erträge für die Anbauprodukte ein. Auch in der Tierproduktion wurden durch optimierte Fütterung, Zuchtfortschritte, Kraftfuttereinsatz und intensive veterinärmedizinische Betreuung dementsprechende Leistungssteigerungen realisiert. Die Tiere werden in kürzerer Zeit auf ein höheres Endgewicht gemästet, legen mehr Eier oder geben mehr Milch (vgl. Planer 2012, Rhein 2013).

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Landschaftsarchitektin Maria Schäfer meint, dass diejenigen Landwirte, die ihren Betrieb weiterführen, nicht nur neue Maschinen bräuchten, sondern auch neue Gebäudehallen, die in diese neue Landwirtschaftsstruktur hineinpassen. Sie begleitet als selbstständige Umweltgutachterin den Bau von Maschinenhallen und verzeichnet derzeit eine große Nachfrage nach Bau-Begleitplänen. »Es ist ein allgemeiner Trend, sich gerade jetzt möglichst gut aufzustellen«, meint sie. Häufig ist es auch so, dass die junge Generation nach der Übernahme des Hofes investiere. »Und dann gleich richtig!« Auch im Bereich Hygiene habe sich einiges geändert. Vieles sei besser geworden, aber es gebe weiterhin Infektionskrankheiten, erklärt Tierarzt Robert Graf. Vor allem zu Zeiten der Lebensmittelskandale wie Gammelfleisch- und Dioxinskandal sind die Preise in der Landwirtschaft stark gesunken. Laut Graf war der schlimmste Zeitpunkt die BSEKrise. Dies habe viele Landwirte in den Ruin getrieben: »Die konnten ihre Tierarztrechnung nicht mehr bezahlen, sodass sie nicht mehr weiter wussten, wie sie in dieser Branche überleben sollten.« Seitdem ist die Überwachung der Hygienevorschriften extrem verschärft worden.

Zusätzliche Tätigkeiten und Einkünfte in der Landwirtschaft Verschiedene Reformen in der europäischen und deutschen Agrarpolitik haben die Entwicklung der Landwirtschaft in Deutschland zusätzlich stark beeinflusst. Biogasanlagenbetreiber Martin Huber erklärt, wie die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) Einfluss auf die hiesige regionale Landwirtschaft nimmt. Das EU-Ziel sei schon immer der Umbau des ländlichen Raumes gewesen, weg von den abhängigen Landwirtschaftsbetrieben. In der 1. Säule der GAP sind die Direktzahlungen pro Hektar festgelegt. In der 2. Säule befinden sich Maßnahmen wie beispielsweise Urlaub auf dem Bauernhof, Fremdenverkehr, LEADER91.92 Huber fügt hinzu: »Ziel der EU ist es daher, ein paar artgerecht [haltende, FS], große, konkurrenzfähige Milchviehhalter zu erhalten und der Rest steigt um auf Nebenerwerb oder steigt komplett aus der Landwirtschaft aus, aber nicht die Kleinen am Leben erhalten. Da will die EU hin. Das darf sie natürlich offiziell nicht so sagen, weil da macht sie sich keine Freunde.« Auf Dauer ginge es 91 LEADER ist ein Förderprogramm der EU, mit dem seit 1991 beispielhafte innovative Aktionen im ländlichen Raum gefördert werden mit dem Ziel, die ländlichen Regionen Europas auf dem Weg zu einer eigenständigen Entwicklung zu unterstützen (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2015 und AELF Nördlingen 2015). 92 In der 2. Säule wird zwar auch die Förderung von erneuerbaren Energien bedacht, aber im Vergleich zu dem Subventionsvolumen aus dem Strompreis im EEG ist das »irrelevant für uns. Das kommt nicht zum Tragen.« (Martin Huber)

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aber nicht anders, wenn die Menschheit den Lebensstandard immer weiter erhöhen wolle. Dr. Leo Vogt, Geograph an der Universität Augsburg, meint hierzu, dass durch die EU-Agrarpolitik kleinere Höfe zurückgedrängt werden, weil es Subventionen in Form von Flächenprämien eher für große Betriebe gebe. Der Grund dafür sei, dass die EU sich durch die wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln einen globalen Markt erhofft, um somit im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu sein. Diese Entwicklung führe dazu, dass Landwirte nach zusätzlichen Tätigkeiten und vertraglichen Arbeiten suchen, beispielsweise Dienstleistungen für andere Betriebe und Kommunen anbieten. Für Biogasanlagenbetreiber und Hobbylandwirt Martin Huber, der mittlerweile viele dieser Dienstleistungen in Anspruch nimmt, ist das eine begrüßenswerte Entwicklung, weil er beispielsweise die Ernte gar nicht mehr allein stemmen könnte. Auch lohne es sich für ihn nicht, mehrere Millionen Euro in Maschinen zu investieren, die nur wenige Wochen im Jahr in Betrieb sind. Der Trend geht zu Agrardienstleistungen im Lohnunternehmergewerbe, die gerade für Betriebe, die aus der Milchviehhaltung ausgestiegen sind, eine neue Einkommensmöglichkeit darstellen. Zudem nimmt die Forstwirtschaft sowie die Verarbeitung und Direktvermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse für 14 Prozent der Betriebe eine wichtige Rolle ein. Im Vordergrund jedoch steht die Erzeugung von erneuerbaren Energien, vor allem im Bereich von Windkraftund Biomasseanlagen, die eine lebenswichtige Einnahmequelle für Landwirte darstellt. In Deutschland wurden mit der Einführung des EEG im Jahr 2000 die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine rentable Erzeugung von erneuerbaren Energien festgelegt. Rund ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe beziehen Einkünfte aus zusätzlichen Tätigkeiten. Im Vergleich zu 2007 ist die Zahl dieser Betriebe laut dem Statistischen Bundesamt um 31 Prozent gestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt 2013, Planer 2012 und Rhein 2013). Die Landwirtschaft im Ries werde wohl in Zukunft wegen der Konkurrenz großer Produktionseinheiten im In- und Ausland eher eine differenzierte Landwirtschaft sein, meint Anton Fuchs vom Landwirtschaftsamt. Ein Teil der Betriebe werde sich auf intensive Tierhaltung spezialisieren. Andere Betriebe setzen auf Produktion aus erneuerbaren Energien wie Photovoltaik und Biogas. Außerdem wolle man Einnahmequellen aus dem Tourismusbereich wie »Urlaub auf dem Bauernhof« und/oder der Vermarktung regionaler Produkte fördern. Im Landkreis Donau-Ries ist die Größenstruktur der Landwirtschaft noch überschaubar, so Fuchs. 100 der 700 Milchviehbetriebe halten mehr als 50 Tiere im Stall. Bei den 615 Schweinemastbetrieben ist es vergleichbar : Nur 6 Prozent der Betriebe haben mehr als 700 Plätze und nur 45 der 270 Betriebe mit Zuchtsauen mehr als 100 Tiere (vgl. Wagner 2011).

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Biogasboom: Gründe für diese Entwicklung Energieerzeugung werde daher wohl in Zukunft ökonomisch der bedeutendste Bereich für viele Landwirte im Nördlinger Ries sein, meint Anton Fuchs vom Landwirtschaftsamt. Mit über 80 Biogasanlagen hat der Landkreis die höchste Dichte Bayerns. Gleichzeitig befinden sich auf einem Großteil der Dächer landwirtschaftlicher Gebäude Photovoltaikanlagen. Aufgrund der Einspeisevergütung des EEG für die produzierte Energie und die 20-jährige Sicherheit sind Biogasanlagen als Einnahmequelle lukrativ für die Landwirte, so Fuchs. Wegen der schlechten Preissituation der Landwirtschaft ist bis Ende der 1990er Jahre im Landkreis nichts investiert worden, auch nicht in der Tierhaltung. Dadurch habe sich ein Investitionsstau aufgebaut, erklärt Fuchs. Mit der Einführung des EEG im Jahre 2000 hätten die Landwirte die Chance durch Energieerzeugung mit Biomasse genutzt: »Sie sind eingestiegen und dann ist das rapide aufwärtsgegangen – innerhalb kürzester Zeit! Das war ein richtiger Boom. Wir sind ein sehr guter Silomaisstandort, einer der besten vom Klima und auch von den Bodenverhältnissen her!« Silomais, bei dem es sich um eine Frucht mit sehr hohem Methanertrag dreht, sei einfach in der Handhabung, erklärt Fuchs. In dem außergewöhnlich fruchtbaren Boden sieht Tierarzt Robert Graf einen Grund, weshalb im Nördlinger Ries in den vergangenen Jahren Bullen- und Schweinemast stark betrieben wurde, weil der gute und reichhaltige Boden mit seiner außerordentlichen Bonität so viel Energie in Form von Futterenergie hergab. So erklärt sich der Tierarzt aber auch, weshalb es heute gerade im Ries überdurchschnittlich viele Biogasanlagen gibt. Mit dem guten Boden könne der Landwirt sehr viel Pflanzenenergie erzeugen. Ein zweiter Grund für den Biogasboom ist in den Augen vieler meiner Gesprächspartner, dass »der Rieser an sich ein sehr fortschrittlicher Mensch« ist. »Wenn’s Neuerungen gibt, springt der Rieser von seiner Mentalität her schnell auf.« Es gibt schon »richtige Käpsele« im Ries, so Tierarzt Robert Graf. Der Leiter des Anlagentechnikunternehmens Benedikt Richter meint dazu: »Die Landwirte haben es einfach kapiert, dass sie damit endlich Geld verdienen können und da war Biogas die Lösung ihrer Probleme!« Im Vergleich zu anderen landwirtschaftlichen Regionen hätten sich die Rieser Landwirte diese Einnahmequellen schneller und früher erschlossen. Landwirtschaftsamtsleiter Anton Fuchs sagt, dass die Landwirte sich einfach marktspezifisch verhalten haben, weil sie erkannt haben, dass sich mit Energie aus Biogas mehr verdienen lässt als beispielsweise mit Weizenanbau. Er fährt fort, dass es für die Landwirte in erster Linie darum ginge, den Betrieb wirtschaftlich weiterführen zu können und mehr Einkommen zu erzielen: »In unserer Zeit sind wir alle wirtschaftlichen Zwängen unterworfen und das gilt für

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unseren Landwirt genauso wie für jeden anderen auch!«93 Vor allem seien es junge Landwirte, die sich zum Bau einer Biogasanlage entschlossen haben, meint Milchviehhalter Johannes Kaiser : »Sie haben in der Landwirtschaftsschule vorgerechnet bekommen, dass sich das lohnt, und dann macht man das.« Hier wird deutlich, wie stark auch das Landwirtschaftsamt an der Steuerung der Prozesse hinsichtlich Energieerzeugung mittels Biogas eingebunden ist. Es gebe die Alternative, entweder Viehhaltung komplett aufgeben oder auf der Fläche Substrat für den Biogasanlagenbetrieb anbauen. »Der Markt will günstige Lebensmittel. So kann ich als Landwirt nur auf Einkommensalternativen ausweichen und genau das machen wir mit Biogas«, sagt Peter Groß und verweist darauf, dass man als junger Mensch »etwas aufbauen, etwas bewegen, etwas vorwärts bringen« möchte. In meinen Gesprächen wurde außerdem deutlich, dass auch eine emotionale Komponente beim Entschluss zu Biogas eine Rolle spielt, denn so können die Landwirte ihren landwirtschaftlichen Betrieb weiterführen, in ähnlichen Routinen arbeiten und ihre eigenen Fahrzeuge verwenden. »Das liegt einfach traditionell viel näher, als wenn sie sich eine Windkraftanlage kaufen«, so Dr. Leo Vogt, Experte für erneuerbare Energien. Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt meint außerdem, dass die Idee der Biogaserzeugung für das Landwirtschaftsamt erstmals eine gute Möglichkeit darstellte, den europäischen landwirtschaftlichen Subventionierungen entgegenzuwirken. Ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche müsse nicht mehr für die Lebensmittelproduktion genutzt werden. Der Weltmarkt würde mehr entlastet, denn »wir erzeugen jetzt Strom und dann brauchen wir auch nicht so viele Atomkraftwerke. Wunderbar!«, sagt Franz Schäfer. Mit der Preisstabilität durch das EEG und den 20 Jahren Sicherheit könnten die Landwirte einfach »switchen«, erklärt Dr. Leo Vogt und fährt fort, wenn die Preise für Nahrungsmittel steigen, könnten wieder Nahrungsmittel angebaut werden, nach dem Motto: »Wenn aber dann der Anlagenbetreiber meine Biomasse abkauft, ist mir das auch recht, wenn er viel zahlt dafür.« Diese Landwirte seien die eigentlichen Gewinner, so Dr. Leo Vogt. Allerdings soll an dieser Stelle bereits angesprochen werden, dass zum Zeitpunkt der Forschung die öffentliche Stimmung gegenüber Biogas sehr negativ aufgeladen war. Das folgende Zitat beschreibt, wie schnell aufgrund der starken Förderung durch das EEG auch hier das landwirtschaftliche Denken des »immer größer und immer mehr« durchschlägt und deshalb häufig von einer »Goldgräberstimmung« im Ries die Rede ist: »Jetzt läuft die Kiste [die Biogasanlage, 93 Diese »typische Rieser Mentalität« beziehen meine Gesprächspartner aber nicht nur auf den Biogasboom, sondern auch auf andere Bereiche der Landwirtschaft. Tierarzt Graf meint: Immer wenn etwas Neues aufgekommen ist, sind die Rieser Landwirte »ganz vorne mit dabei: Große Schweinemastbetriebe und riesengroße Bullenmastbetriebe!«

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FS], es ist alles wunderbar. Plötzlich kommt jeden Monat die große Zahlung durch die Energie, die man nicht gewohnt war, und noch keine Reparaturen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, klar, dass der, der vorher hoch und heilig versprochen hat: Ich mach nicht mehr [kWh, FS], doch noch einen zweiten Motor reinstellt, weil es ist menschlich. Nach dem Motto: Der Motor läuft sowieso und silieren muss ich sowieso. Also verkaufe ich doppelt so viel Strom und nehm’ doppelt so viel ein. Plötzlich sind sie alle bei 500 kWh« (Wolfgang Obermeyer). Somit änderte sich die Situation im Nördlinger Ries sehr schnell. Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt meint: »Immer wenn was zu stark übertrieben oder in eine Richtung gefördert wird, dann wird’s schlecht, obwohl es vorher ganz gut war.« Und Landwirt Johannes Kaiser meint: »Mal ganz ehrlich: Jemand, der eine Biogasanlage baut, macht das nicht, weil er etwas für die Nachhaltigkeit tun will. Nein! Das ist bei den meisten eine rein wirtschaftliche Sache.« Allerdings habe man nicht gedacht, welche Dimensionen Biogas im Nördlinger Ries annehmen würde. »Es ist aus dem Ruder gelaufen. Es wäre besser politisch steuerbar gewesen, aber jetzt ist es vorbei«, so Kaiser.

Biogas und der Agrarweltmarkt Mittlerweile wird Biogas als Konkurrent zum Agrarsektor angesehen, obwohl es laut Biogasanlagenbetreiber Martin Huber für die konventionelle Landwirtschaft zunächst von Vorteil ist, wenn die landwirtschaftliche Überproduktion gedrosselt wird. Huber zufolge war es dringend nötig, dass viele Landwirte aus der Milchviehhaltung ausgestiegen sind, weil immer zu viel Milch produziert wurde und dadurch viel Fläche gebunden war. Tendenziell steigen dann auch die Preise für Getreide. Mit Energieerzeugung aus Biogas aber sei es für die Landwirte jetzt möglich, ohne Agrarsubventionen Geld zu verdienen. Wenn deutsche Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt zu hohen Preisen angeboten werden, dann sei es auch für Entwicklungsländer einfacher, ihre Produkte zu verkaufen, »weil wir haben den Überschuss immer mit Subventionen in die Dritte Welt verkauft und da die Märkte kaputtgemacht«, so Huber. Auf dieser Ebene werde jedoch selten argumentiert, nämlich dass durch Energieerzeugung mittels Biogas der Agrarweltmarkt entlastet wird, meint Anlagenbetreiber Huber. Es hieße in diesem Zusammenhang immer nur, es werde zu viel Fläche verbraucht und das treibe die Pachtpreise nach oben. Er räumt ein: »Klar, es gibt auch Anlagenbetreiber, die haben ein ziemlich landwirtschaftliches Denken: Ich will Fläche, Fläche, Fläche, denn nur wenn ich Fläche habe, bin ich ein großer Bauer.« Aber die EU definiere sich schließlich über ihre Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) und über die Förderung vom landwirtschaftlichen Raum. Das bedeutet in Hubers Augen, dass die

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EU ein Interesse daran haben müsste, »dass der ländliche Raum wieder mehr auf eigenen Beinen steht und dass die Landwirtschaft rauskommt aus dieser Subventionsgeschichte«. Eigentlich sollte hierfür die Bioenergiebranche willkommen sein, eben weil sie den Markt entlaste und genau diese Entlastung sei das Ziel der EU, um mit den heimischen Produkten auf das Weltmarktpreisniveau zu kommen. Das geht nur, wenn das Weltmarktpreisniveau auf unser Niveau angehoben wird. Das wiederum ist in seinen Augen am einfachsten möglich durch Energieerzeugung. Beispielsweise flössen mittlerweile ca. 60 Prozent des Maisanbaus in den USA in die Ethanol-Produktion und in Brasilien werde aus großen Teilen des angebauten Zuckerrohrs Energie produziert. Das sollte hier auch möglich sein, argumentiert Martin Huber und erklärt weiter, dass die EU somit die Direktzahlungen spare, die die Landwirtschaft jährlich pro Hektar erhält. Meistens generieren die Direktzahlungen das einzige Einkommen eines Betriebs, der eigentlich »für Null« arbeitet und nur von den Direktzahlungen lebe. Am besten könne die EU ihre Direktzahlungen verringern, indem mehr Milchvieh- und Schweinemastbetriebe schließen, »umso mehr wird auch der Milch- und Schweinemarkt, der nicht direkt mit der Fläche zusammenhängt, entlastet«, erklärt Martin Huber. Er sieht seine Argumentation in einem globalen Zusammenhang, der lokal-politisch jedoch schwierig vermittelbar sei. In diesem Kapitel wurde die kleinstrukturierte konventionelle Agrarwirtschaft in der Forschungsregion vor der Entstehung der landwirtschaftlichen Biogasbranche fokussiert. Die landwirtschaftliche Produktion hat vor allem in Bezug auf die Spezialisierung der Landwirtschaft und die wachsenden Betriebseinheiten große strukturelle Veränderungen hervorgerufen. Aspekte wie eine effektivere Produktion aufgrund neuer Technologien und somit eine veränderte landwirtschaftliche Nutzung führten weiterhin dazu, dass viele kleine Betriebe ökonomisch nicht mehr mithalten konnten. Aus diesen Gründen müssen sich viele Landwirte nach zusätzlichen und neuen Tätigkeiten bzw. Einkünften umsehen. Eines dieser Tätigkeitsfelder ist der Biogassektor. Für die Landwirte stellt(e) Biogas eine Chance dar, den Betrieb wirtschaftlich weiterzuführen und mehr Einkommen zu erzielen. Wie in den folgenden Kapiteln jedoch ausführlich behandelt, hat genau dieser Biogasboom zu einigen Konflikten und Reibungen in der Forschungsregion geführt.

Porträts einzelner Landwirte Anhand von fünf ausgewählten Personenporträts werden hier im Folgenden sowohl die Situation von Biogasanlagenbetreibern als auch die Lage konventioneller Landwirte in der Forschungsregion in den Blick genommen. Die ein-

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zelnen Porträts stehen für bestimmte Handlungsoptionen verschiedener Akteure aus der Landwirtschaft, die sich aufgrund des Strukturwandels zu unterschiedlichen Möglichkeiten der Betriebsführung entschlossen haben oder noch vor der Entscheidung stehen, wie es mit ihrem landwirtschaftlichen Betrieb weitergeht. Dadurch will ich darstellen, wie heterogen die Entscheidungsmuster der Akteure sind und mit welchen Problemen und Konflikten diese behaftet sind. Eines haben jedoch alle Akteure gemeinsam: Sie unterliegen den strukturellen landwirtschaftlichen Zwängen und müssen auf Einkommensalternativen ausweichen, um das Überleben ihrer Betriebe zu sichern. Die Biogaspioniere: Stefan Koch und Thomas Koch »Im Ries gibt’s mehr unternehmungslustige Leute und deshalb die vielen Biogasanlagen«, so Stefan Koch, 59, der mit seinem Cousin Thomas Koch, 47, die erste Biogasanlage im Ries gebaut und in Betrieb genommen hat. In der Region sind die beiden daher als die »Biogaspioniere« bekannt. Die beiden Unternehmer unterscheiden sich stark von anderen Biogasanlagenbetreibern. Die Bezeichnung Biogaspioniere trifft auf das Unternehmerduo zu, weil sie als Erste in der Region eine Biogasanlage in Betrieb genommen haben. Somit haben beide eine Vorbildfunktion für andere Landwirte, die ihnen nachfolgen. Man könnte sie auch als Change Agents bezeichnen, die bereit sind, ein Wagnis und noch nicht bekannte Risiken auf sich zu nehmen. Dadurch erzeugen die Unternehmer den Wandel im Ries. Die Bezeichnung Change Agents wird in der Diffusionsforschung (vgl. Rogers 2003) und Innovationsforschung (vgl. Blättel-Mink/Ebner 2009 und Blättel-Mink/Menez 2015) verwendet. Die Diffusionsforschung untersucht die Ausbreitung von Informationen, Innovationen und menschlichen Aktivitäten in einem geographischen Raum (vgl. Rogers 2003), also wie sich eine technische Neuerung, in diesem Falle Biogas, ausbreitet. Rogers geht von der Annahme aus, dass Innovationen eine Entscheidung voller Ungewissheit darstellen und die langfristigen wie auch kurzfristigen Vor- und Nachteile meist unbekannt sind. Häufig sind diese auch abhängig von den Entscheidungen anderer Personen. Für Rogers sind Innovationen immer sozial konstruiert (vgl. Mühlau 2015, 273). Der Begriff »Change Agents« wurde in diesem Zusammenhang von Everett M. Rogers in seiner Theorie »Diffusion of Innovations« (2003) geprägt. In der vorliegenden Studie werden damit Akteure bezeichnet, die eine Region wettbewerbsfähig machen, indem sie eine »learning economy« (Johnson/Lundvall 2000) ausbildet, die Innovationen und »knowledge spillovers« (Howells 2002) hervorbringt. Bereits ihre Väter waren Landwirte und hielten gemeinsam seit 1975 einen Schweinemaststall mit 1000 Mastschweinen. »Wir haben’s dann nicht viel anders gemacht!« Im Jahr 1997 haben Stefan und Thomas Koch den Stall übernommen,

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mit dem damals jedoch kein guter Verdienst zu erzielen war. »Wir wollten aber Landwirte bleiben und das weitermachen!« Aus diesem Grund haben die beiden sich eine der ersten Biogasanlagen in Bayern angesehen, bei der es sich damals noch um eine sehr kleine Anlage mit gerade 15 kWh Leistung handelte. Der Betreiber, der sich bereits Energiewirt nannte, versicherte den beiden, dass es sich hierbei um eine gute Investition und eine lukrative alternative Einkommensquelle zur konventionellen Landwirtschaft handele. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich bereits ab, dass Energieerzeugung in der Landwirtschaft in Deutschland künftig gewinnbringender sein würde als die Nahrungsmittelerzeugung, so die beiden Landwirte: »Schon vor zwölf Jahren hat niemand unsere Nahrungsmittel gewollt. Da war zu viel da. Energieknappheit ist aber weltweit ein Problem.« Ein Jahr lang haben sich die beiden Unternehmer deshalb Biogasanlagen in ganz Deutschland angesehen, bis sie 1999 mit ihrer eigenen Anlage in Betrieb gegangen sind. Im ersten Jahr wurde die Anlage mit 80 kWh Leistung gestartet und im zweiten Jahr gleich auf 500 kWh Leistung aufgestockt: »Wenn das mit 20 kWh geht, dann kann man das auch größer machen und hochmultiplizieren. Wir haben ja ein zweites Standbein gesucht.« Rückblickend meint das Unternehmerduo Koch, sie seien auf ihrem Weg zum Energiewirt eher blockiert als gefördert worden. Das Landwirtschaftsamt habe ihnen im Jahr 1999 von Biogas abgeraten, mit den Worten: »Das ist nichts Landwirtschaftliches« und könnte nicht gut laufen. Für die erste Förderung durch das EEG 2000 waren die beiden Unternehmer »zu früh dran«, so Thomas Koch. »Für die weitere Förderung, also die Erweiterung des Bestands, hat es für uns nichts gegeben. Nur für Neubau.« Mit 500 kWh Leistung war ihre Biogasanlage eine der größten in ganz Bayern und die beiden Unternehmer wurden aus diesem Grund auf diverse Fachtagungen eingeladen: »Wir haben Vorträge gehalten, null Ahnung (lacht). Mit gerade mal ein bis zwei Jahren Erfahrung. In Triesdorf [Bildungszentrum, Landwirtschaftliche Lehranstalten Bayern, FS] auf der Fachverbandstagung waren wir unter den sieben größten damals. Und vorne mit dabei.« Thomas Koch erinnert sich: »Das war bei uns schon lustig, wenn die Doktoren oder Professoren aus Triesdorf nimmer weiter gewusst haben, dann sind die zu uns gekommen.« An dieser Stelle wird noch einmal der Pionierstatus des Unternehmerduos Koch deutlich: Wissenschaftler vom Bildungszentrum für Landwirtschaftliche Lehranstalten/Bayern in Triesdorf haben sich an sie gewandt, um von der Expertise zu profitieren, die die beiden als Erste durch die Inbetriebnahme einer Anlage in dieser Größenordnung gewonnen haben. Das hat vor allem damit zu tun, dass es sich bei Biogas um eine sich noch (weiter-)entwickelnde Technologie handelt. Ganz im Gegensatz zu ausgereiften Technologien, die wie nach einem Baukastenprinzip umgesetzt und angewandt werden und bei denen dann höchstens im Betrieb selbst noch Probleme auftreten können, handelt es sich bei Biogas um eine Technologie, die noch im Entstehen

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begriffen ist und sich über Praxiserfahrungen weiterentwickelt und auch immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Forschung unterschiedlicher Fachrichtungen (u. a. Maschinenbau, Agrartechnik, Biologie, Bauingenieurwesen) wird. Mit der österreichischen Soziologin und Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny lässt sich hier vom Modus 2 der Wissensproduktion sprechen. Nowotny (2005) unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Modi der Wissensproduktion. Unter Modus 1 versteht sie eine klare Trennung zwischen Forschung und Anwendung von Technik oder mit anderen Worten einer klaren Trennung zwischen Technologieentwicklung und dem tatsächlichen Betrieb einer Technologie. Unter Modus 2 versteht Nowotny Projekte, die sozial verteilt, anwendungsorientiert, transdisziplinär und Gegenstand verschiedener Verantwortungsbereiche sind (Nowotny et al. 2003, 179). Außerdem sind »[d]ie Problemstellungen […] weniger von vornherein vorgegeben, sondern werden von einem erweiterten und heterogenen Kreis von Praktikern in einem jeweils spezifischen und lokal verankerten Kontext gemeinsam definiert.« (Nowotny 1997) Die Wissensproduktion im Bereich der im Entstehen begriffenen Technologie Energieerzeugung durch Biomasse entsteht im Wesentlichen in der Anwendung, disziplinübergreifend, unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure und mit wechselnden Kompetenzen, die nicht allein im akademischen Feld zu finden sind bzw. durch andere Kompetenzen informiert wird. Insbesondere die Biogaspioniere sind ein gutes Beispiel für veränderte Formen der Wissensproduktion. Hier wird deutlich, dass Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung bzw. Technologieentwicklung und -implementierung überhaupt nicht mehr voneinander getrennt werden können. Allgemein heißt das, in der Praxis der Anwendung entstehen Wissen, Forschung und Technologieentwicklung.94 Das trifft auf die Biogaspioniere zu, weshalb sich die Wissenschaftler aus Triesdorf an sie wenden. Zugleich bedeutet das aber auch eine Zumutung für die Biogaspioniere, mit den vielen Unwägbarkeiten und Risiken umzugehen und abzuwägen. Auch aus diesem Grund sind andere Landwirte vorsichtiger gewesen, weil ihnen das Risiko, die Unsicherheit und der finanzielle Aufwand zu groß waren. Erst mit der Novelle des EEG im Jahre 2003 waren diese Faktoren für andere Landwirte im Ries aufgrund der für 20 Jahre garantierten Sicherheit besser kalkulierbar. Weil es sich bei der Anlage um die erste im Ries handelte, war anfangs auch der zuständige Kreditberater der Bank eher skeptisch. Stefan Koch erzählt lachend: »Bei der ersten Anlage hat der von der Bank gesagt, was soll ich machen, wenn das hopps geht, was soll ich mit diesen runden Dingern 94 Es sind also nicht mehr die Forscher und Akademiker, die wichtiges Wissen über eine bestimmte Technologie produzieren, sondern diejenigen, die die Technologie anwenden (vgl. Nowotny et al. 2003 und Nowotny 2005).

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machen.« Und Thomas Koch fügt hinzu: »Ganz klar, da ist ja schon ein Risiko für die Banken dabei, so viel Geld zu verleihen. Mittlerweile hat unser Bankberater durch uns da recht viel Erfahrung gesammelt und macht viele andere Biogasanlagen im Ries. Der kennt unsere Probleme, unsere Anlage und unseren Betrieb und das hat er auf andere anwenden können.« Das finanzielle Risiko war für die beiden mit dem Bau der Anlage 1999 groß: »Wir haben ja auch kein Geld gehabt. Wir haben unsere Häuser bei der Bank verpfändet, um das Geld zu kriegen!« Schließlich mussten die beiden Unternehmer im Jahr 1999 eine halbe Million Mark und im Jahr 2000 dann nochmal eine Million Mark investieren. Damals gab es noch kein Unternehmen für Anlagentechnik, sodass Stefan und Thomas Koch selbst einen großen Teil der Anlage gebaut und viel dafür ausprobiert und entwickelt haben: »Also das war schon echt schwierig, da haben wir wirklich viel g’schafft, die ganze Nacht betoniert, Beton selber gemacht, vom Baumarkt den Zement geholt. Also wirklich richtig schwäbisch gemacht. Keine Mark zu viel ausgeben.« Um das finanzielle Risiko möglichst gering zu halten, bauen die Unternehmer Koch viel in Eigenleistung. Genauso wie der konzeptionelle Bau der Anlagen waren die technischen Gerätschaften zum Zerkleinern der Biomasse zu dem Zeitpunkt noch nicht weit entwickelt, sodass das Unternehmerduo Koch viel selbst entworfen und mit Maschinenherstellern weiterentwickelt hat: »Dann waren welche da von der Uni Bonn, die bei uns Versuche gemacht haben.« Auf der Biogas-Fachmesse in Hannover mussten die beiden Unternehmer dann jedoch ernüchtert feststellen, dass genau ihre Idee zum Behälterbau für Silo-Rüben von einem Hersteller für landwirtschaftliche Maschinen geklaut worden war : »Dann waren da die Bilder von uns. Da wollten die das Konzept für Rüben vermarkten, das die bei uns und mit uns entwickelt haben. Aber eigentlich war das unsere Idee.« Mit diesem Zitat wird erneut deutlich, wie das Unternehmerduo in der Praxis Wissen generiert, das dann jedoch in diesem Falle von einem Maschinenhersteller übernommen worden sei, der von der Erfahrung und dem Wissen der beiden Unternehmer profitiert. Erst im Jahr 2003/2004 hat das Landwirtschaftsamt begonnen, Landwirte im Nördlinger Ries bei einem Biogasvorhaben beratend zu unterstützen. 2004 fassten daher die beiden Unternehmer den Entschluss, den nächsten Schritt zu gehen und eine Anlage mit 1000 kWh Leistung zu bauen. Zusammen mit 18 beteiligten Rieser Landwirten entstand das sogenannte Energiezentrum. Allerdings gab es einige andere Probleme. Weil der Bau der Anlage in einem künftigen Vogelschutzgebiet geplant war, legte das Landratsamt sein Veto für den Bau ein und das Unternehmerduo Koch war gezwungen, neu zu planen. Der Bau der Biogasanlage verzögerte sich um einige Zeit. Das Landratsamt war in den Augen der beiden Unternehmer schon damals dem Bau von Biogasanlagen in der Forschungsregion abgeneigt: »Das war schon eine Sauerei vom Landratsamt. Ganz klar, die haben gesehen, da kommt das Vogelschutzgebiet und wir wollen

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die Biogasanlage nicht und dann schauen wir, dass wir das wegbringen.« Die Fläche wurde im Rahmen von Natura 2000 zu einem Vogelschutzgebiet für die Rohr- und Wiesenweihe, eine europaweit geschützte Vogelart, deklariert. Hier wird bereits die Konflikthaftigkeit zwischen Energieerzeugung aus Biomasse und Umwelt- und Naturschutz angedeutet. Im Jahre 2006 führten die Unternehmer mit dem regionalen Gasversorger Erdgas Schwaben Verhandlungen über die Möglichkeit zur Gaseinspeisung von Biogas ins Erdgasnetz. 2007 unterschrieben sie einen Vertrag mit dem Gasversorger, allerdings mit der Auflage, eine weitere Anlage mit einer Leistung von 1000 kWh in Betrieb zu nehmen, also insgesamt 2000 kWh Leistung zu produzieren. Hierfür gewannen die beiden Unternehmer wieder weitere zehn Landwirte als Anteilhaber : »Das hat sich bei uns so hochgeschaukelt. Jetzt sind wir 28 Landwirte und machen 2,5 MW.« Sie produzieren 500 kWh Strom für das Stromnetz. 2000 kWh Leistung speisen die beiden Unternehmer ins Erdgasnetz ein, dieser Anteil wird dann zum Heizen genutzt und an Privathaushalte verkauft. Es musste damals sogar eine Erdgasleitung in das benachbarte Dorf gegraben werden, weil es im Ort nur ein Niedrigdrucknetz und kein Hochdrucknetz gibt. Dank dieser Weiterentwicklung produziert der Betrieb keine überschüssige Wärme. Bei der Biogasnetzeinspeisung wird das Biogas nicht sofort zur Stromerzeugung verwendet, sondern es wird erst gereinigt und aufbereitet und erst dann in das Erdgasnetz eingespeist. Diese Biogasnetzeinspeisung ist im Vergleich zur Biogasverstromung eine relativ neue und innovative Technologie, die daher größere Anforderungen an Betreiber und Planer stellt. Der Bau einer Anlage zur Biogasnetzeinspeisung kostet nicht nur mehr Geld, sondern verlangt von den Betreibern viel Engagement und Pioniergeist. Erdgas Schwaben besitzt die Gasreinigungsanlage des Betriebs. Die Unternehmer haben mit dem Energiekonzern einen Vertrag über zehn Jahre. Erdgas Schwaben kauft also das Rohgas, reinigt es vor Ort in der Gasaufbereitungsanlage und leitet es ins Netz ein. Die beiden Unternehmer bedauern, deshalb von Erdgas Schwaben abhängig zu sein: »Den Part, den hätten wir nicht hergeben sollen, aber da waren wir zu wenig mutig. Das haben wir uns 2008 noch nicht getraut.« In ganz Deutschland habe es zu diesem Zeitpunkt noch keine solche Erdgasaufbereitung des Biogases gegeben. »Und dann sollen wir zwei wieder die Ersten sein, nein. Jetzt waren wir ja schon im Ries die Ersten mit Biogas. Erdgas Schwaben hat einfach mehr Abschreibungsmöglichkeiten, wenn’s nicht geklappt hätte.« Leider stellte sich auch erst im Nachhinein heraus, dass es »überhaupt nicht schön ist, mit denen zusammenzuarbeiten.« Ursprünglich waren die beiden Unternehmer auf der Suche nach Abnehmern für ihre Wärme, leider war in der Gemeinde gerade kurz vor dem Bau der ersten Biogasanlage eine Dorferneuerung vorgenommen worden, sodass das Dorf »die Straße für die Wärmeleitung nicht mehr aufmachen wollte«. Allerdings zeigt sich

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gerade die Nachbargemeinde interessiert an einer Gasleitung. Mit einem installierten Motor im Dorf könnte so Wärme für das Dorf erzeugt werden, vor allem natürlich im Winter, wenn die Wärme gebraucht wird. Das Unternehmerduo Koch hätte somit einen direkten Vertrag mit der Nachbargemeinde und wäre nicht mehr von den Einspeisetarifen von Erdgas Schwaben abhängig. Im Sommer hieße das logischerweise wiederum mehr Erdgas ins Erdgasnetz einzuspeisen. »Der einzige Leidtragende, das ist der Russe, weil er im Sommer dann halt noch weniger Gas verkaufen kann. Der muss dann im Winter mehr liefern als im Sommer, weil im Sommer drück’ ich das Gas rein«, erklärt Stefan Koch lachend. Auf den großen Vorteil von Biogas abhebend, dass es anders als Windund Sonnenenergie während der Nachfragespitzen eingesetzt werden kann, meint Stefan Koch stolz: »Meiner Meinung nach ist Biogas der beste regenerative Energieträger, den es überhaupt gibt.« Er hat auch schon die nächste Idee: »Wir überlegen, ob wir eine Biogastankstelle machen wollen. Das Gas verkaufen wir gerade aufbereitet für 6 oder 7 Cent. Das sind 70 Cent für einen Liter Benzin. An der Tanke kostet das gerade schon das Doppelte.« An dieser Stelle wird deutlich, dass es sich bei der Aufbereitung von Bioerdgas um eine recht neue, innovative, aber auch wenig bekannte, bisher zu wenig genutzte und noch nicht umfassend implementierte Technologie handelt. Die beiden Unternehmer jedoch haben sich bewusst dafür entschieden, mit dieser neuen Technologie zu arbeiten, wenn sie auch nach einigem Abwägen nicht bereit waren, das alleinige Risiko einzugehen. Sie haben sich dadurch in die Abhängigkeit von einem großen Erdgasversorger gebracht, der das Risiko trägt. Hier lässt sich von einem rationalen Umgang der beiden Unternehmer mit Risiken sprechen, schließlich war nicht klar, ob sich die innovative Technologie der Erdgaseinspeisung bewähren würde oder im schlimmsten Falle das ganze Unternehmen und die Familien in die Insolvenz getrieben hätte. Im Rahmen ihrer Strategie hat das Unternehmerduo Koch also immer kleine Schritte in ständiger Abwägung zwischen Risiko und Chance unternommen. Im Endeffekt betreiben die beiden Unternehmer nun drei Anlagen, die sie der Reihe nach in Betrieb genommen haben: die erste 1999/2000 (zu zweit als reine GmbH), im Jahr 2004 das Energiezentrum GmbH (das Unternehmerduo Koch) & Co. KG (18 Landwirte) und dann genauso die dritte Anlage als GmbH (das Unternehmerduo Koch) & Co. KG (10 Landwirte). Sie sind entsprechend auch in drei verschiedenen Eigentümerfunktionen. Die beteiligten Landwirte sind allerdings keine Investoren, sondern liefern die Flächen. Thomas Koch erklärt: Insgesamt gibt es 800 Anteile bei den drei Biogasanlagen. Hinter jedem Anteil stehen 323 Euro und ein Hektar Fläche, den der Landwirt einbringen muss. Beim Energiezentrum beispielsweise musste jeder Landwirt 3500 Euro Eigenkapital pro Anteil vorlegen. Wenn ein Landwirt also zehn Anteile besitzt, dann hat er 35 000 Euro plus 323 Euro mal 10, also fast 40 000 Euro gezahlt. »Mit dem Geld

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sind wir dann auf die Bank und die Bank hat den Rest eingebracht. Aber für den Rest haben wir zwei dann unterschrieben.« Die 28 Landwirte sind mit einem Gewinn beteiligt. Über das monatliche Gehalt für das Unternehmerduo Koch wurde in einer Sitzung mit den beteiligten Landwirten verhandelt. Selbstverständlich kennen die Geschäftsführer die Landwirte persönlich, ihre Lieferanten, wie sie jene auch nennen. »Die haben uns ihr Geld gebracht, die bringen ihren Mais zu uns, die haben sich an der Sache beteiligt und sagen, wir setzen das Vertrauen in euch, dass ihr das gut macht.« Einen großen Vorteil sehen die Unternehmer darin, dass jeder, der sein Geld in ihrem Betrieb anlegt, weiß, »wo es herkommt. Bei uns will der von der Bank keine Zahlen sehen, weil der weiß, da hängen 28 Leute mit drin, da kommt das Geld auf alle Fälle.« Hier wird deutlich, dass das Geschäftsmodell der beiden Unternehmer auf bereits bestehende soziale Beziehungen aufbaut. Der Faktor wechselseitiges Vertrauen spielt hierbei eine ganz wichtige Rolle – schließlich befinden sich beide, sowohl die Lieferanten als auch das Unternehmerduo Koch, in einer Art Abhängigkeit voneinander : Die einen sind auf die regelmäßigen Zahlungen angewiesen, die anderen auf die kontinuierliche Lieferung der Biomasse zur Bestückung der Anlage. Insgesamt hat ihr Betrieb neben den beiden Geschäftsführern zwei Vollzeitangestellte, einen Zeitarbeiter und vier Angestellte auf 400-Euro-Basis. Die Verwaltung übernehmen die beiden Geschäftsführer selbst, auch weil Thomas Koch gelernter Kaufmann ist: »Wir lassen das lieber bei uns, dann wissen wir, was Sache ist.« Das Arbeitspensum der beiden Unternehmer ist ziemlich hoch. Monatlich arbeiten die Unternehmer 260 Stunden minimal, manchmal auch 300 Stunden, so ihre Schätzung. »Unseren Frauen haben wir anfangs gesagt, in der Früh eine halbe Stunde und abends eine halbe Stunde an der Biogasanlage. Das haben wir in den zehn Jahren nicht einmal geschafft (lacht). Jetzt kriegen unsere Frauen die halbe Stunde.« Der Arbeitsaufwand erscheint ihnen als konventioneller Landwirt ein anderer gewesen zu sein, was aber auch daran liegen kann, dass sie jetzt Geschäftsführer und somit immer präsent sind. Nachtschichten mussten sie schon oft machen, weil »die Biologie will ja jeden Tag das Gleiche haben. Wenn wir einen Tag nichts rein füttern, dann gibt’s halt morgen kein Gas.« Sie erinnern sich, dass der Arbeitsaufwand mit der Schweinemast geringer war, »dann sind wir Sonntags mal kurz oder auch gar nicht in den Stall. Aber bei Biogas sind wir immer sonntags draußen. Manchmal läuft’s besser, aber drei Stunden in der Früh ist Minimum, und wenn’s schlecht läuft, dann wird’s zwölf, bis du heimkommst. Das ist wirklich 365 Tage non-stop.« Urlaub gibt es für die beiden selten: »Einfach mal einen halben Tag daheim bleiben geht nicht. Aber wenn einer dann weg ist, dann muss der andere schauen, dass es läuft. Das ist sicherlich oft nicht einfach mit den Familien.« Stefan Koch ist verheiratet und hat drei Söhne im Alter von 24, 21 und 16 Jahren. Der älteste Sohn hat eine Ausbildung zum Elektriker gemacht und drei

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Jahre lang nur PV-Anlagen auf Dächer montiert. Das sei ihm zu langweilig gewesen und jetzt will er gerne den Betrieb übernehmen. Dazu war er ein Jahr lang in Schleswig-Holstein, um eine Lehre in der Landwirtschaft zu machen. Er studiert heute Landwirtschaft an der Landwirtschaftsschule Triesdorf und arbeitet festangestellt im väterlichen Betrieb. Stefan Kochs anderer Sohn hat eine Ausbildung zum Landmaschinenmechaniker absolviert und ist ebenfalls im Familienbetrieb angestellt, was sich als sehr praktisch herausstellt: »Der kann den Schlepper reparieren. Alles, was er gelernt hat, kann er bei uns wirklich anwenden. Der kriegt hier auch Aufgaben, die er als Landmaschinentechniker nie bekommen hätte.« Thomas und Stefan Koch bezeichnen sich als Unternehmer : »Wir waren vorher auch schon Unternehmer. Sicherlich waren wir auch Landwirte und als Landwirt ist man ja auch immer irgendwie Unternehmer.« Bei der Biogasanlage sei das nicht viel anders. Allerdings hat ihr Betrieb mit klassischer Landwirtschaft nichts mehr zu tun. Die beiden gehen sogar so weit zu sagen, dass sie auch keine herkömmliche Biogasanlage mehr betreiben, schließlich sind sie Geschäftsführer von drei Firmen: »Wir haben uns sicherlich verändert und unsere Betriebe haben sich gewandelt, weil wir ja jetzt auch keine konventionelle Biogasanlage sind. Wir sind Leitwolf von einer Gruppe mit 28 Landwirten.« Aus diesem Grund haben sich auch ihre Aufgaben in der Mitarbeiterführung geändert: »Unsere Angestellten müssen ja irgendwie geführt werden. Dazu gehört auch, denen in der Früh zu sagen, was sie tun müssen. Das haben wir alles erst lernen müssen. Das ist ein großes Gefühl auch von Verantwortung.« Dass der Betrieb des Unternehmerduos Koch gerade wirtschaftlich so gut läuft, führen die beiden auch auf ihre familiären Bande zurück: »Also ich denke, bei unserem Betrieb, wir sind ja Cousins, stimmt es halt von der Mentalität, das harmoniert. Der Grundgedanke ist, dass was rauskommt und dass wir ein Ziel haben und beide bereit sind, gleich viel reinzugeben.« Thomas Koch fügt hinzu: »Gut, wir denken von uns ja auch, dass das, was wir machen, das Beste ist. Ohne Leidenschaft geht’s nicht. Belastbarkeit spielt auch eine Rolle.« Vermaisung, das ist derzeit das Schlagwort, das nicht nur im Ries, sondern in ganz Deutschland im Zusammenhang mit bioenergetischer Landwirtschaft kursiert. Auch die beiden Unternehmer Stefan und Thomas Koch gewinnen einen Großteil ihrer Biomasse aus Mais. Derzeit ist es zu 75 Prozent Mais und zu 25 Prozent eine Mischung aus Kleegras, das hauptsächlich von landwirtschaftlichen Biobetrieben geliefert wird, und Roggen, der von Milchviehbetrieben stammt. Es wird gerade keine Gülle in der Anlage verwertet. Grundsätzlich, meint Thomas Koch, müsse ein Landwirt die Fruchtfolge durchaus einhalten. Das heißt, man braucht immer drei verschiedene Feldfrüchte und keine davon darf die 40-Prozent-Grenze überschreiten. Meistens handelt es sich hierbei um Weizen, Mais und Gerste. Es gibt aber durchaus Betriebe, die mehr Mais an-

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bauen. Allerdings meinen die beiden Unternehmer, dass ein Landwirt den Maisanbau immer nur so weit ausreizen wird, dass er im nächsten Jahr wieder eine gute Ernte hat. »Sicherlich, wir versuchen das Beste aus unseren Flächen rauszuholen und jedes Jahr den maximalen Ertrag zu erzielen. Und klar, das versuchen wir mit allen Mitteln – wie jeder andere halt auch.« In diesem Zusammenhang räumen die beiden Unternehmer ein, eine LKWSpedition zu beauftragen, die regelmäßig Mais von zwei verhältnismäßig großen landwirtschaftlichen Betrieben aus dem 80 Kilometer entfernten Augsburg anliefern. Im Umkreis dieser landwirtschaftlichen Betriebe gibt es keine Biogasanlagen-Abnehmer. »Für den Preis, zu dem der uns den Mais verkauft, da können wir ihn locker noch herfahren. Das rentiert sich, ohne dass der Mais wesentlich teurer wird als der, der hier angebaut wird. Das rechnet sich einfach finanziell. Der Witz ist, dass der Mais, der von weiter herkommt, oft günstiger ist wie der, der da drüben auf dem Feld steht.« Auf die Frage, ob sich das ökologisch rechnet, haben beide allerdings ihre Zweifel. Für den kompletten Betrieb benötigen die Unternehmer Stefan und Thomas Koch insgesamt 800 Hektar Fläche zur Biomasseproduktion. 800 Hektar besitzt genau die Gemeinde, »also wenn jeder uns den Mais bringen würde, dann müssten wir nicht über die Gemeindegrenzen raus fahren. Da gibt’s halt viele hier, die halten uns und das, was wir machen, für nicht gut«. Schon öfter gab es öffentliche Anfeindungen gegen die zwei Biogaspioniere und ihr Anlagenkonzept. Aus diesem Grund veranstalten sie Führungen durch ihren Betrieb und erklären ausführlich die Funktionsweise ihrer Anlagen. »Wir wollen die Missstimmung, die gerade in der Allgemeinheit herrscht, die wollen wir ja nicht vervielfältigen.« Leider stellte sich der Tag der offenen Tür beim langfristig im Landkreis geplanten Rieser Energiewochenende als eine negative Erfahrung für das Unternehmerduo Koch heraus: »Viele kommen mit einer Meinung her. Weil sie mit niemand gesprochen haben, gehen sie mit einer noch schlechteren Meinung wieder heim und fühlen sich bestätigt.« Gerade planen die beiden Unternehmer, eine der drei Anlagen umzustellen und in eine Bio-Biogasanlage zu verwandeln. Die Biobauern würden dann zu 50 Prozent Energieversorgung und zu 50 Prozent Nahrungsmittel produzieren: »Wir wollen uns vom EEG wegbewegen und Erdgas verkaufen. Wir denken da auch schon ein bisschen vor. Mit dem ÖkoBioerdgas sind wir auf richtigen Weg. Durch das wird unsere Energie erst wertvoll, weil’s mobil einsetzbar ist, weil’s speicherbar ist und überall in ganz Deutschland auf der Welt machbar ist.« In Richtung Zukunft denkend haben die beiden vor, für das Öko-Biogas eine Energiebilanz vom TÜVaufstellen zu lassen. Sie haben dafür bereits einen Abnehmer gefunden, der bereit ist, für dieses BioBiogas mehr zu zahlen, aber nur unter der Bedingung einer Energiebilanzierung, »also nicht nur eine CO2-Bilanz, sondern auch dass man sagen kann, das ist wirklich nachhaltig und energetisch sinnvoll«. Und Thomas Koch erklärt weiter :

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»Bei PV sagt man, die Bilanz ist negativ, also dass die Zelle in der Herstellung mehr Energie kostet, als dass sie in ihrem Leben erzeugen kann, wie das für BioBiogas ist, bleibt spannend.« Abschließend betrachtet haben die Biogaspioniere ihren Betrieb in verschiedenen Stufen kontinuierlich vergrößert oder verändert.95 Ihre Entscheidungen trafen sie immer in Abwägung der Vorteile und potentiellen Risiken. Einerseits tragen sie die Hauptlast der unternehmerischen Risiken selbst, andererseits suchen sie nach Mitteln und Wegen, die Risiken auf mehreren Schultern zu verteilen, und weisen damit einen rationalen Umgang mit möglichen Risiken auf. Das wird einerseits deutlich durch die Kreditvergabe der Bank, aber auch durch die im Nachhinein bereute Abhängigkeit vom Erdgasversorger. Ihr Pioniergeist beinhaltet infolgedessen unterschiedliche Aspekte: Die beiden Unternehmer sind risikobereit, entscheiden aber immer nach gründlichem Abwägen gerade auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Väter mit dem zum damaligen Zeitpunkt verhältnismäßig großen Viehbetrieb. Des Weiteren besitzen Stefan und Thomas Koch ein hohes Maß an Flexibilität. Schließlich handelt es sich bei der Energieerzeugung aus Biomasse und der anschließenden Erdgasaufbereitung um eine im Entstehen begriffene Technologie, in deren praktischer Anwendung Wissen entsteht. Aus diesem Grund lassen sich die beiden als äußerst lernfähig charakterisieren: Sie reflektieren kontinuerlich ihr Unternehmen und entwickeln es weiter. Energieerzeugung aus Biogas lässt sich hier als Opportunitätsstruktur bezeichnen, in der viele verschiedene Aspekte zum Tragen kommen: Es handelt sich um eine neue Technologie, implementiert durch politische Instrumente (EEG), die die Erzeugung lohnenswert machen und rechtliche sowie ökonomische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen fixieren. Die beiden Unternehmer bewegen sich zwischen diesen Opportunitäten und den Risiken hin und her. Das Konzept der Opportunitätsstruktur stammt von dem US-amerikanischen Soziologen Robert K. Merton (1938, 1968a) und stellt die strukturellen Zwänge der Handlungssituation von Akteuren in den Mittelpunkt. Damit ist die tatsächliche Ungleichverteilung der Bedingungen gemeint, die Individuen und Gruppen mit verschiedenen Handlungsmöglichkeiten ausrüstet, gewisse Ziele zu erreichen, also Chancen zu ergreifen (vgl. Mackert 2010, 402). Der Soziologe Jürgen Mackert weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass jene strukturellen Voraussetzungen, die das Handeln und die Wahlentscheidungen veranlassen, asymmetrisch verteilt sind (Mackert 2010, 403). Was also disponiert die Biogaspioniere zu diesem Erfolg im Unterschied zu anderen? Welche Kapitalien braucht man 95 Ein ähnliches schrittweises unternehmerisches Vorgehen hat auch Gisela Welz in ihrer Fallstudie in der Republik Zypern zur Herstellung agrotouristischer Tourismusräume festgestellt (vgl. Welz 2010).

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für ein solches Entrepreneurship? Sicherlich ist es ihre bereits beschriebene Risikobereitschaft. Die neue Technologie Biogas befähigt sie, sich durch die praktische Anwendung Wissen anzueignen (Wissenskapital). Sie sind aber auch deshalb erfolgreich, weil sie sehr hart arbeiten – was ein schwäbisches Unternehmertum auszeichnet und von meinen Gesprächspartnern als Eigenart der Bewohner des Nördlinger Ries beschrieben wird. Jedoch können sie sich gegenseitig entlasten, indem der eine für den anderen einspringen kann. Das Unternehmerduo verbindet ein enges vertrautes, familiäres Band und sie sind sich – wie Stefan und Thomas Koch selbst sagen – mental sehr ähnlich. Man könnte hier durchaus von einer Art kulturellem Kapital sprechen. Die beiden genießen des Weiteren das Vertrauen ihrer Lieferanten, was ihnen als soziales Kapital in der Region zugutekommt. Durch den vererbten großen Viehbetrieb der Väter hat das Unternehmerduo eine finanzielle Absicherung und konnte zu Beginn seines Vorhabens unternehmerische Investments tätigen, die sich nach kurzer Zeit durch ihren wirtschaftlichen Erfolg auszahlten (ökonomisches Kapital).96

Biogasanlagenbetreiber und Landwirt: Andreas Hertle Der 34-jährige Andreas Hertle steht beispielhaft für eine Akteursgruppe von jungen bis mittelalten Biogasanlagenbetreibern, die die Idee hatten, sich mit anderen Landwirten zusammenzuschließen und ihren landwirtschaftlichen Betrieb auf Erzeugung aus Biomasse umzustellen. Er wurde für ein Porträt ausgewählt, weil das Gespräch mit ihm am aussagekräftigsten war. Andreas Hertle ist in Ganzlingen aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. 1996 hat er Abitur gemacht und anschließend Agrarwissenschaften an der Technischen Universität in Weihenstephan studiert. Im Jahre 2000 hat er sein Studium als Diplomingenieur abgeschlossen. Anschließend nahm Andreas Hertle an einem einjährigen Traineeprogramm der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft teil. Seit 2001 ist er selbst Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs in Ganzlingen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Eltern sind ebenfalls Landwirte. Seit 1993 bewirtschaftet die Familie den landwirtschaftlichen Betrieb aus finanziellen Gründen ohne Tierhaltung. Es handelt sich derzeit um einen reinen Ackerbaubetrieb. »Meine Geschwister sind weg und ich bin hier geblieben. Irgendjemand muss ja da bleiben. In meinem Abijahrgang war das auch so. Nur 20 Prozent sind nach dem Studium wieder zurück ins Ries gekommen«, was er recht bedauerlich findet. 96 Die Aspekte des Standortvorteils und des sozialen Kapitals spielen in Gisela Welz’ Fallstudie zur Herstellung agrotouristischer Tourismusräume eine vergleichbar wichtige Rolle (vgl. Welz 2010).

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Als Andreas Hertle studiert hat, gab es noch kein EEG. Er erinnert sich, dass 1996 die erste Abfallverwertungsanlage gebaut wurde, die mit Speiseresten und Gülle betrieben wurde. Der richtige Biogasboom hat erst danach eingesetzt. Während des Studiums hat sich Andreas Hertle gar nicht mit Biogas beschäftigt, zumal das Thema im Lehrangebot noch gar nicht vorgesehen war. Seit 2004 betreibt Andreas Hertle nun mit drei weiteren jungen Nördlinger Landwirten eine Biogasanlage. »Es war so, dass sich diese Energieproduktion betriebswirtschaftlich günstiger dargestellt hat als die Produktion von Getreide und Lebensmittel und deshalb haben wir uns für diesen Schritt entschieden.« Alle vier Betriebe bringen gleichermaßen Kapital, Arbeit und Rohstoffe zur Energieerzeugung ein. Zusätzlich kaufen die Betreiber ungefähr 40 bis 50 Prozent der Biomasse von anderen Berufskollegen in der Gegend ein. Andreas Hertle meint stolz: »Das ist eine Art Kreislauf, bei dem jeder etwas beisteuert. Durch diesen Rohstoffzukauf profitieren natürlich auch andere Industrien von dieser Wertschöpfung, die selbst keine Biogasanlage betreiben, weil die das auch nur machen, weil wir mehr bezahlen als andere für ihr Vieh.« Im Moment hat nur einer der Teilhaber noch eine Viehzucht und steuert Mist und Gülle für die Biogasanlage bei. Die anderen beiden Teilhaber haben wie Andreas Hertle die Tierhaltung mittlerweile aufgegeben. Die meiste Energie, die in der Biogasanlage produziert wird, stammt aus Energiepflanzen, wie zum Beispiel Mais. Die Planung der Biogasanlage hat die aus der Forschungsregion stammende, auf Anlagentechnik spezialisierte Firma Richter vorgenommen. Bei der Montage waren die vier jungen Landwirte stark beteiligt. Hertle glaubt, dass deshalb vor allem so viele jüngere Landwirte auf Energieerzeugung mittels Biogas umsatteln, weil diese jungen Betriebsinhaber eine zusätzliche Erwerbsmöglichkeit suchen und »neuen Dingen aufgeschlossener und ein bisschen innovativer« gegenüberstehen. Außerdem handelt es sich bei dem Bau einer solchen Anlage um eine große Investition, »die man auf 20 oder 30 Jahre plant und das macht man mit 50 nicht mehr«. In Andreas Hertles Augen ist das »Biogasbusiness« außerdem mit relativ viel zusätzlicher und vor allem neuer Arbeit verbunden. Aus diesen Gründen sind es wohl eher die jüngeren Betriebsinhaber, »die sich auf diesen neuen Betriebszweig stürzen«. Dass so eine Investition aber auch ein enormes Risiko darstellt, erklärt Andreas Hertle folgendermaßen: »Wenn viele unsere Bankauszüge kennen würden, dann könnten die damit nicht schlafen. Weil es Investitionen sind, die zum Großteil fremdfinanziert sind, und diese Investitionen zu bewältigen und dieses Fremdkapital zurückzuzahlen, dafür ist auch ein gewisser Umsatz nötig. Da ist eben auch ein entsprechender Gewinn dafür nötig.« Auf Andreas Hertles Biogasanlage verübte vor kurzem ein Unbekannter einen Anschlag mit Brandbeschleunigern, bei dem glücklicherweise nichts passiert ist. Hertle nimmt viele Neider wahr : »Die sehen eben nur, was für einen Umsatz wir

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machen und was wir gebaut haben, aber nicht den zusätzlichen Aufwand. Biogas wird von vielen, auch Berufskollegen, mittlerweile sehr negativ gesehen, weil es eine höhere Wertschöpfung darstellt.« An dieser Stelle wird deutlich, welche Rolle der Neidfaktor unter den Landwirten im Nördlinger Ries spielt. Die polizeilichen Ermittlungen zu dem Anschlag auf die Biogasanlage führten zu keinem Ergebnis. In der lokalen Presse, den Rieser Nachrichten, gab es eine ausführliche Berichterstattung.97 Andreas Hertle hält den Betriebszweig für eine große Chance für das Ries. »Es ist ja nicht so, dass wir jetzt ein Mal eine PV-Anlage aus China aufs Dach schrauben«, im Gegenteil bleibt die Wertschöpfung in der Region. Ein sehr hoher Anteil der Investitionen wurde in der Region getätigt. »Bei unserer Anlage waren es 95 Prozent«, schätzt er. Schließlich gibt es mittlerweile mehrere Dienstleistungs- und Handwerkerunternehmer aus dem Ries, die sich auf Biogas spezialisiert haben, wie beispielsweise einer der größten deutschen Biomasseanlagenhersteller, der selbst aus dem Ries kommt und sich vor Ort angesiedelt hat. Außerdem stammen zwei der Motoren der Anlage aus Augsburg und die Betonluftbehälter von einer Firma aus Harburg. »Wir produzieren den Strom hier, wir kaufen hier unsere Rohstoffe, und schütten somit auch regelmäßig Gelder an andere Landwirte aus. Wir haben regelmäßig Reparaturen oder Umrüstungen an der Anlage zu machen, wo wir ortsansässige Handwerker damit beauftragen. Das ist so, dass auch Geld in der Region bleibt von der Einspeisevergütung, die wir bekommen.« Hier wird die Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und der eigenen Deutung der Biogas-Akteure deutlich. Während die Öffentlichkeit oft das private Profitstreben der Biogasanlagenbetreiber unterstellt, betont Andreas Hertle die Bedeutung der regionalen Wertschöpfung. Dem jungen Unternehmer geht es wie vielen seiner Berufskollegen darum, dass durch seine und die unternehmerische Tätigkeit der anderen Biogasanlagenbetreiber der Wohlstand in der Region vermehrt wird. Durch die Biogasbranche gelangen neue innovative Wirtschaftszweige ins Nördlinger Ries. Davon profitiert die ganze Region beispielsweise durch Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor. Jedoch wird diese Deutung des Handelns offensichtlich nicht von allen geteilt. Es entstehen Reibungen, die zum Teil hoch konflikthaft sind, wie mit dem Anschlag auf die Biogasanlage deutlich wurde. Mal wieder erkennbar ist an dieser Stelle die messiness der Energiewende.

97 Mit dem Titel: »Versuchter Brand auf Biogasanlage« stellt die Rieser Nachrichten vom 29. 11. 2010 die Vorkommnisse dar : »[…] Ein Unfall sei zum jetzigen Stand der Ermittlungen ausgeschlossen […]. Es ist zu keiner Katastrophe gekommen, zumal […] eine Biogasanlage ›mit Vorsicht zu genießen‹ sei […]. Lediglich die Außenverkleidung des Gärbehälters habe Feuer gefangen.«

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Konventioneller Landwirt, Milchviehhalter: Johannes Kaiser Johannes Kaiser, 32, ist gelernter Betriebswirt und führt einen Milchviehbetrieb mit ca. 45 Kühen, 20 davon Kälber. Er bewirtschaftet 45 Hektar, die jedoch bis zu sieben Kilometer entfernt über das Ries verteilt liegen. Im Jahr 2000 hat er den Betrieb seiner Eltern übernommen und räumt ein: »Es geht an die Grenze. Es wird immer schwieriger, hier im Ries einen Hof mit Vieh zu halten.« Johannes Kaiser ist mit der Situation konfrontiert, dass die konventionelle Landwirtschaft nicht mehr wirtschaftlich zu führen ist. Nach einigem Abwägen will er aber nicht in die Biogasbranche einsteigen. Er steht exemplarisch für viele Viehhalter im Nördlinger Ries, die aufgrund des Strukturwandels ihren Betrieb bereits zum Teil aufgeben mussten. Aufgrund der gleichen Altersgruppe und einer ähnlichen Ausgangssituation – er hat ebenfalls den Hof seiner Eltern übernommen – ist Johannes Kaiser vergleichbar mit dem Biogasanlagenbetreiber Andreas Hertle (voriges Porträt). Genauso wie Andreas Hertle muss sich Johannes Kaiser dem Strukturwandel der Landwirtschaft stellen. Im Gegensatz jedoch zu Hertle, der von Anfang wie die Biogaspioniere auf etwas Neues gesetzt hat, steht Johannes Kaiser für eine große Gruppe konventioneller Landwirte, die bei ihrer Entscheidung über ihr betriebliches Fortkommen nicht auf Energieerzeugung mittels Biogas setzen. Seine Eltern können aus gesundheitlichen Gründen kaum noch mithelfen. Er sieht hinsichtlich des Milchviehbereichs einen »unheimlichen Strukturwandel« auf die Region zukommen. »Die ganzen kleinen Betriebe werden innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahren sterben. Es ist so frustrierend. Wenn dann gar nichts bleibt, dann ist es noch viel schlimmer.« Als die Milchviehbetreiber noch 40 Cent pro Liter Milch erhielten, konnte sich der Großteil noch gut über Wasser halten. Johannes Kaiser meint, über 40 Cent sind keine utopische Forderung, wenn ein Milchviehbetreiber zehn Euro in der Stunde verdienen will. Er berichtet von der Milchkrise 2009, als der Liter Milch bei gerade mal 25 Cent lag, und meint, »wenn das so weitergegangen wäre, dann wäre das eine Katastrophe geworden und viele Betriebe wären gestorben. Echt nicht verantwortbar.« Die wirtschaftlichen Folgen wirken für Johannes Kaiser noch lange nach, da es nicht möglich war, kostendeckend zu produzieren. »Es ist ja nicht so, dass wir eine Gewinnspanne hätten, dann würden wir ja viel Geld verdienen. Vielleicht hast du es mit einer Null aus dem Jahr geschafft, aber du musst ja noch von etwas leben. Aber das hat so ein Loch reingerissen, die letzten zwei Jahre. Das wird die nächsten paar Jahre noch wehtun.« Zum Zeitpunkt des Interviews (2011) liegt der Milchpreis bei 37 Cent. Johannes Kaiser zieht nach der überwundenen Milchkrise das deprimierende Fazit: »Milchvieh ist eine miese Rentabilität. Ich habe die letzten zwei Jahre kein Geld verdient. Im Gegenteil. Ich musste Geld aufnehmen, um den Betrieb weiterführen zu können. Es war ein richtiger Kampf

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ums Überleben.« Die Milchviehhaltung unterliege einer starken politischen Steuerung, so der Junglandwirt. In den letzten Jahren erhielten Milchviehhalter nur den vollen Fördersatz, wenn der Milchviehbestand erheblich aufgestockt wurde. Johannes Kaiser zufolge denkt die Politik, in größeren Massen können Lebensmittel billiger produziert werden. Ziel der Politik seien immer billige Nahrungsmittel, vor allem in Deutschland. Ein weiteres Problem für den Milchviehhalter sind die durch die Biogasbetriebe stark angestiegenen Pachtpreise: »Wenn eine Fläche neu verpachtet wird, kann kein viehhaltender Betrieb, vor allem aber kein milchviehhaltender Betrieb mehr mithalten, das sind ganz andere Dimensionen.« Sein Hauptverpächter hat den Pachtpreis zwar erhöht, aber »nur« um 25 Prozent. Andere hingegen haben ihre Pachtpreise fast verdreifacht. Johannes Kaiser erinnert sich, zu Anfangszeiten von Energieproduktion aus Biomasse im Nördlinger Ries im Jahr 2002 wurde der Mais ab Feld für 750 Euro verkauft, derzeit liegt der Preis bei 1500 Euro bis 1600 Euro. Weil die Substratpreise so in die Höhe geschnellt sind, sind die Pachtpreise gleichermaßen gestiegen. Der Konkurrenzkampf um das Substrat ist gewaltig. Viele Biogasanlagenbetreiber müssen ihre Biomasse aus einem größeren Kilometerradius einfahren. Gerade in Augsburg, wo es nicht viele Biogasanlagen gibt, bekommen die Anlagenbetreiber aus dem Ries den Mais noch für 1300 Euro, so Johannes Kaiser. Vor einiger Zeit hatte Johannes Kaiser mit drei weiteren Landwirten überlegt, selbst eine Biogasanlage zu bauen. Ein gutes Konzept mit Wärmenutzung für das nahegelegene Krankenhaus, das Rathaus und andere öffentliche Gebäude lag auch schon vor. Jedoch war das Risiko dann zu groß. Johannes Kaiser ist Aufsichtsratsvorsitzender einer Genossenschaft mit Trocknungsanlage, fungiert als Kontrollorgan über den Vorstand und steht daher stark in der Öffentlichkeit: »Es macht Spaß, es ist ein toller Job, aber natürlich nebenher zum Hof geht das schon an die Grenzen.« Aus diesem Grund kennt er die Vorteile der genossenschaftlichen Organisation: In der Genossenschaft ist es einfacher, eine Biogasanlage zu betreiben, da lastet das Risiko auf mehreren Schultern. »Es hängen alle Bauern mit drin. Als Privatperson bist du viel mehr dem knallharten Kampf um das Substrat ausgesetzt.« Den Ausschlag gegen die Biogaserzeugung gaben letztlich der kapitale Aufwand und der zusätzliche Arbeitsaufwand, den die vier Landwirte für Energieerzeugung mittels Biogas hätten aufbringen müssen. Hinzu kommt, dass in Sichtweite von Johannes Kaisers Hof mittlerweile vier weitere Biogasanlagen betrieben werden. Aus den genannten Gründen steht Johannes Kaiser eine schwere Entscheidung bevor. Die Idee, den landwirtschaftlichen Betrieb auf biologische Erzeugung umzustellen, lässt ihn dabei nicht los. Allerdings meint er, »Milchvieh mit Bio rentiert sich nicht«, und fügt hinzu: »Gerade Milchprodukte haben eine

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unheimliche Konkurrenz mit den Supermärkten. Der Klassiker im Supermarkt sind Biomilchprodukte, die hat jeder Discounter mittlerweile im Regal.« Aber das würde bedeuten, dass er seine Zucht aufgeben müsste, was ihm sehr schwer fallen würde: »Seit elf Jahren mache ich jetzt schon Milchvieh und man wächst da schon ziemlich mit den Viechern zusammen. Es steckt schon viel Herzblut mit dahinter. Gerade in so einer Rinderherde, das ist jahrelange Zuchtarbeit. Es ist wird nicht einfach werden, wenn ich mich wirklich von ihnen trennen müsste. Das wird hart.« Johannes Kaiser weiß allerdings auch, wie wichtig in diesem Zusammenhang die betriebswirtschaftliche Kalkulation ist. Andere Betriebe kaufen sich teure Gerätschaften wie einen Melkroboter, »weil sie mit ihren Viechern so verbunden sind, weitermachen wollen und prüfen das nicht gründlich und rennen damit in ihr Unglück«. Interessant wäre für ihn eine Bio-Schweinemast, weil das gerade sehr gefragt ist. Reines Bio-Gemüse und Obst anzubauen hält er wirtschaftlich für fragwürdig. »Außerdem brauchst du bei Gemüse Fremdarbeitskräfte und das ist auch nicht so meins, mir dann im Sommer so zehn Polen zu holen.« Es löst beträchtliches Unbehagen bei ihm aus, mit Saisonarbeitern zu arbeiten und diese auszubeuten. Selbstverständlich sieht Johannes Kaiser auch im ökologischen Landbau genauso das Problem der harten Konkurrenz um Fläche und Pachtpreise: »Mit Bio wird es schwierig, davon leben zu können. Weil Fläche ist ganz klar begrenzt. Da gibt es jetzt schon nix mehr dazu zu pachten. Wenn es etwas Neues gibt, kann ich nicht mithalten.« Grundsätzlich sieht Johannes Kaiser das Problem, dass sich nicht jeder Bioprodukte leisten kann und damit die Vermarktungschancen schwieriger sind. Auch die Überlegung im Bereich »Urlaub auf dem Bauernhof« mit Ferienwohnung hat er mittlerweile aus finanziellen Gründen wieder verworfen, »das kannste dir mittlerweile abschminken, das bringt nicht genug Geld rein«. Ihm ist bewusst, dass er innerhalb des Jahres 2011 eine Entscheidung treffen muss, wie es mit seinem landwirtschaftlichen Milchviehbetrieb weitergehen soll. Das Handtuch werfen will er aber auch nicht so einfach. Letztlich gibt er sich zuversichtlich und meint: »Als Landwirt bin ich Unternehmer. Man denkt über zig Wege nach und irgendeiner wird oder ist dann einfach der Passende.« Abschließend betrachtet gibt es neben der Energieerzeugung aus Biogas eine Reihe weiterer Optionen, Landwirtschaft oder überhaupt einen ländlichen Wirtschaftsbetrieb in Deutschland rentabel zu führen. Eine spezialisierte Landwirtschaft oder auch eine mit Dienstleistungen verbundene Landwirtschaft wie im Agrartourismus stellen prinzipiell Möglichkeiten dar, die es aber gilt, in Abhängigkeit von der jeweiligen Ausgangssituation abzuwägen. Letztendlich müssen Landwirte wie Johannes Kaiser sich vor dem Hintergrund der Rentabilität, aber natürlich auch der eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten entscheiden. Das Beispiel von Johannes Kaiser zeigt, dass konventionelle Landwirte vor schwierigen Entscheidungen stehen, über die sie viel nachdenken und re-

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flektiert sprechen. Deutlich wird auch, dass hier die Rede von professionellen Landwirten mit einer betriebswirtschaftlichen Ausbildung ist, die sich nach neuen Möglichkeiten umsehen und nicht einfach »nur« den Betrieb ihrer Eltern und Großeltern fortführen. Es sind »durch und durch« europäisierte Landwirte, weil sie entsprechend der Policies der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) handeln. Leiter der Trocknungsgemeinschaft Kinzingen: Peter Groß Peter Groß, 27, ist als Sohn eines Landwirts aufgewachsen und hat direkt nach seinem Studium am Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt die verantwortungsvolle Funktion als Geschäftsführer der Trocknungsgemeinschaft Kinzingen übertragen bekommen. Es handelt sich hierbei um einen technisierten landwirtschaftlichen Mischbetrieb aus einer Trocknung und einer Biogasanlage, also zwei neue innovative Betriebszweige, die aber eng mit konventioneller Landwirtschaft verbunden sind. Peter Groß sticht stark aus dem Sample meiner Gesprächspartner im Nördlinger Ries heraus und wurde daher für ein Porträt ausgewählt. Er verkörpert einen multifunktionalen Akteur, weil er verschiedene technisierte Zweige von innovativer Landwirtschaft in seiner Person zusammenführt. Eine Trocknungsanlage stellt Eiweißfuttermittel für landwirtschaftliche Betriebe her : Frischgemähtes Grüngut (z. B. Gras) wird mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen zur Trocknungsanlage transportiert und mit Heißluft getrocknet. Dazu werden Hackschnitzel verwendet. Durch den Trocknungsprozess wird den Produkten das Wasser entzogen. Es bleibt eine Restfeuchte von ca. 10 Prozent. Anschließend wird das Futtermittel zu Pellets (Cobs) verarbeitet. Es werden keine Konservierungsstoffe oder Ähnliches eingesetzt. Als Produkte bietet der Betrieb Maiscobs, Körnergut, Edelgrün und Grascobs an. Gerade Grascobs sind ein gentechnikfreies, heimisches Eiweißfuttermittel. Sie werden überwiegend in der Milchviehhaltung und in der Sauenhaltung eingesetzt. Seit 2010 stellt der Betrieb »aus bestem Wiesengras« Edelgrün her. Peter Groß nennt einige Vorteile: Es handelt sich um ein heimisch erzeugtes Eiweißfuttermittel, ist garantiert gentechnikfrei, hat einen hohen Gehalt an Vitaminen und Beta-Karotin, was die Fruchtbarkeit der Tiere fördert, und gilt als schmackhaftes Futter, führt also zu einer höheren Futteraufnahme. Bereits im Jahr 1961 wurde die Trocknungsgemeinschaft Kinzingen eG gegründet, die seitdem als Genossenschaft organisiert ist. Kurz darauf wurde mit dem Bau der ersten Trocknungsanlage begonnen. Anfangs wurden ausschließlich Hackfrüchte wie Kartoffeln getrocknet. In einer Erweiterung kam in den 70er Jahren die Trocknung von Gras hinzu. Im Jahr 1994 wurde mit dem Bau der eigenen Maistrocknung begonnen, da im Ries große Mengen Mais zur Kör-

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nermaistrocknung anfielen. Trotz stetiger Erweiterungsmaßnahmen war um die Jahrtausendwende die Produktionskapazität am alten Standort zu knapp. Aus diesem Grund entschied sich die Genossenschaft im Jahr 2002 zum Bau einer neuen Grünfuttertrocknung, auch weil »das ganze Trocknungsgeschäft relativ subventioniert« war. Allerdings wurden die Trockenfutterbeihilfen – Agrarsubventionen der EU – in den letzten Jahren schrittweise zurückgefahren. Beihilfen gab es deshalb, weil Deutschland oder Europa generell versucht, unabhängiger von Eiweißimporten zu werden. Haupteiweißträger für die Eiweißfuttermittelerzeugung ist Soja, das hierzulande nicht so gut anzubauen ist wie zum Beispiel in Amerika oder Brasilien. Speziell aber in Bayern gibt es viel Grünland, dessen Eiweißertrag sinnvoll genutzt werden kann. Dies wird über die Trocknung konserviert, die jedoch sehr energieaufwendig ist. Und »dadurch, dass wir einfach ein ganz anderes Preisniveau haben, können wir hier mit Soja nicht immer konkurrieren«, gibt Peter Groß zu bedenken. Schon seit längerem weiß der Betrieb um den Wegfall der Beihilfen und hat sich nach Alternativen umgesehen. Aus diesem Grund hat der Betrieb in einem ersten Schritt im Jahr 2000 in fahrbare Mischanlagen investiert, die man auf anderen Höfen zum Erstellen von hofeigenen, individuellen Kraftfuttermischungen einsetzen kann. Mahl-MischAnlagen sind auf einem LKW montierte Mühlen mit Mischfunktion, die »fahren zu den Landwirten auf den Hof, sammeln dort Getreide wie Körnermais, Weizen ein, brechen das klein und mischen es«. Anschließend wird die Kraftfuttermischung im Silo aufbewahrt und vom Silo aus an die Tiere weitergefüttert. Das macht man deswegen direkt auf dem Hof, weil bei der Lagerung von Getreide als ganzes Korn weniger Verluste auftreten: »Wenn es gebrochen ist, atmet das Ganze und dann verliert das natürlich Energie. Deswegen bricht man es erst dann, wenn man es braucht.« Nach sechs Wochen, maximal acht Wochen sollte die gebrochene Kraftfuttermischung aufgebraucht sein. Dann gibt es wieder eine frische Mischung. Das Futtermittel wird für Kühe, Schweine, Schafe oder aber auch für Biogasanlagen verwendet. »Eine Biogasanlage frisst alles, was eine Kuh frisst.« In einem zweiten Schritt wurde als zusätzliches Standbein im Jahr 2005 eine Biogasanlage mit Fernwärmeversorgung in Betrieb genommen. Zu dem Zeitpunkt steckte die Biogasentwicklung in Peter Groß’ Augen noch »in den Kinderschuhen«. Sehr früh also hat der Betrieb im Ries eine große Anlage gebaut. Peter Groß erinnert sich, dass es 2005 gerade mal 20 Biogasanlagen gab, zum Zeitpunkt des Gesprächs sind es beinahe 90. Mit der Errichtung der Biogasanlage verbundene Ziele waren auf der einen Seite natürlich, Umsatz und Gewinn für die Genossenschaft zu generieren. Auf der anderen Seite sollten die Mitglieder der Genossenschaften die Möglichkeit haben, überschüssiges Futter, das derzeit am Agrarweltmarkt schlecht platziert werden kann, vor Ort zu verwerten und dafür einen guten Ertrag zu bekommen.

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Durch die Inbetriebnahme der Biogasanlage konnte die Trocknung rentabel weitergeführt werden, denn »zum Trocknen brauchst du viel Wärme«. Die Biogasanlage verfügt über ein sinnvolles Wärmekonzept: Sie beheizt 94 Haushalte, eine Mälzerei und dann natürlich die Trocknungsanlage. Die Biogasanlage wird somit praktisch als Grundwärmeversorgung genutzt. Das heißt, der Betrieb hat über das ganze Jahr hinweg eine einigermaßen kontinuierliche Wärmeabnahme. Speziell im Winter hat der Betrieb eine sehr hohe Wärmeabnahme, 94 Haushalte heizen dann komplett mit der Wärme der Biogasanlage. Diese wird im Winter also wärmegeführt: »Das heißt, wir fahren nicht ganz 100 Prozent der Leistung, sondern mit ca. 92 Prozent der wirklichen Leistung. Vormittags, wenn wenig Wärme gebraucht wird, fahren wir unsere BHKWs nach unten, füllen unsere Gasspeicher wieder auf und nachmittags und nachts, wenn wir wieder mehr Wärme brauchen, dann fahren wir die BHKWs nach oben.« So wird Wärme nur dann erzeugt, wenn sie gebraucht wird. Im Sommer ist es schwieriger, wenn die Wärmeabnahme geringer ist, »da muss man auch einfach mehr Wärme in die Luft blasen, das ist so«. Zwei Mann betreuen die Biogasanlage praktisch dauernd, die »Grundbetreuung«, wie Peter Groß es nennt, also »füttern und pumpen und kontrollieren«. Dann ist Groß selbst noch jeden Tag zwei Stunden vor Ort, optimiert die Wärmezufuhr und kümmert sich um die Abrechnungen. »Ich sehe, was so eine Anlage an Arbeit aufwirft. Wenn ich das auf einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb herunterrechne, bei dem es im Normalfall eineinhalb Arbeitskräfte gibt, dann geht das nicht. Bei der Anlagengröße brauchen wir mindestens zwei bis zweieinhalb Arbeitskräfte, dass das Ding rund läuft.« Insgesamt sind im Betrieb (Biogasanlage und Trocknungsanlage) knapp 20 Mitarbeiter beschäftigt. Einmal im Jahr werden die Anlagen komplett durchgecheckt, weil das vom TÜV vorgeschrieben ist, »also dann machen wir einen Lagercheck und einen Check von Verschleißteilen usw.«. Zu der Genossenschaft zählen knapp 1000 Mitglieder, die alle Anteilseigner sind. Beteiligt als Anteilseigner sind sowohl konventionelle Landwirte als auch Energiewirte, die selbst eine Biogasanlage betreiben. Lieferverträge bestehen mit ca. 100 Landwirten. Der Betrieb hat mehrjährige Lieferverträge mit den beteiligten Landwirten abgeschlossen. Solche Lieferverträge seien zum einen für die Finanzierung bei der Bank wichtig. Zum anderen geht es Groß zufolge um die Absicherung des eigenen Betriebs: »Wir müssen schauen, wo wir das Futter herkriegen, damit die Anlage läuft. Deshalb gibt es die Lieferverträge, damit ich weiß, 95 Prozent der Biomasse ist abgesichert. Die anderen 5 Prozent kann ich dann mit dem LKW vom Getreidebetrieb herfahren.« Die Trocknungsgemeinschaft ist als innovatives Projekt über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt, weil überschüssiges Futter, das auf dem globalen Agrarmarkt nicht unterkommt, vor Ort verwertet wird und Erträge bringt. Durch diese Kombination neuer Futtermitteltechnologie, der Trocknungsanlage und

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der Biogasanlage können vor Ort nach wie vor Ackerbau betrieben und die Felder bewirtschaftet werden. Es handelt sich sozusagen um eine kombinatorische Praktik verschiedener neuer, technisierter Bereiche in der Landwirtschaft. Bei der Futtermittelerzeugung wird deutlich, dass europäische Policies und Regulationen Auswirkungen auf lokale, regionale und nationale Bereiche haben (hier das Weiterführen der Bewirtschaftung der Felder), Landwirtschaft aber zugleich in einem globalen Kontext zu verstehen ist (im Verhältnis zur Futtermittelerzeugung in den USA). Peter Groß verkörpert hierbei einen besonderen multifunktionalen Akteur, der die verschiedenen technisierten Zweige von innovativer Landwirtschaft in seiner Person zusammenführt. Landwirt Manfred Müller und Anlagenbetreiber Manuel Müller Bei diesem Doppelporträt stehen die familiäre Beziehung zwischen den Cousins Manfred Müller und Manuel Müller und die vertrauensvolle Übergabe des Hofes von Manfred Müller an Manuel Müller im Vordergrund. Einerseits handelt es sich hierbei um eine eigentlich traditionelle Lösung, denn der Betrieb bleibt weiterhin in der Familie, gleichzeitig ist dies im Zuge der durch Energieerzeugung mittels Biogas stark angestiegenen Pachtpreise eine innovative Lösung. Aus diesem Grund werden hier die Beweggründe zum Rücktritt und zur Übergabe von Manfred Müller an seinen Cousin und Biogasanlagenbetreiber Manuel Müller nachgezeichnet. Manfred Müller, 55, ledig, wuchs als Sohn eines Landwirts in einer kleinen bäuerlichen Landwirtschaft auf und machte selbst eine Ausbildung zum staatlich geprüften Landwirt. Danach übernahm er den väterlichen Betrieb. 30 Jahre lang übte er diesen Beruf aus, bis er im Jahr 2007 mit der Landwirtschaft aufhörte. Es handelte sich um einen kleinen Betrieb mit gerade mal 14 Hektar Ackerland und 1,6 Hektar Wald. Der Hauptumsatz jedoch kam von der Tierhaltung, denn, so Manfred Müller, bei einem kleinen Betrieb muss man Geldeinnahmen über Veredelung tätigen, weil die Fläche zu klein ist: Bis 1990 besaß er zehn Kühe und zwölf Muttersauen. Da der Milchviehbetrieb nicht mehr rentabel war, vergrößerte Müller die Schweinemast auf insgesamt etwa 50 Muttersauen und 200 Mastschweine. In den 1970er und 1980er Jahren hielten sich Landwirte im Nördlinger Ries immer noch verschiedene Nutztiere. Im Zuge der Spezialisierung in den 1990er Jahren jedoch waren die Landwirte gezwungen, um überhaupt gewinnbringend wirtschaften zu können, entweder nur Bullen oder nur Milchvieh oder nur Schweine zu halten. Innerhalb der einzelnen Gruppen wurde im Laufe der Zeit zunehmend mehr spezialisiert. Ob es sich nun um die Aufzucht der Bullen oder der Schweine handelt, Landwirte betreiben heutzutage entweder nur Mast oder nur Mutterzucht. Manfred Müller hatte bei seiner Schweinezucht ein geschlos-

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senes System. »Ich habe meine eigenen Muttersauen gehabt und meine eigenen Ferkel und die habe ich dann auch selber gemästet.« Manfred Müllers Urgroßeltern haben im Jahre 1911 zwei Höfe erworben und diese dann wiederum an ihre beiden Söhne weitergegeben. Damals waren die beiden landwirtschaftlichen Betriebe noch viel kleiner, aber mit der Zeit »haben wir immer etwas dazugekauft«. Bis heute verbindet Manfred Müller eine enge Beziehung zu seinem Cousin Manuel Müller, Besitzer des anderen Hofes. Seit 2007 betreibt Manfred Müller seinen landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr : »Ich habe das an meinen Cousin verpachtet, der die Biogasanlage betreibt. Und der bewirtschaftet jetzt meine Äcker und baut Mais und Getreide an.« Manfred Müller ist wichtig zu betonen, dass sein Cousin Manuel Müller in seinen Augen ein guter Landwirt ist, weil er die Fruchtfolge auf den Äckern einhält. »Der wechselt ab, das ist gut. Zuerst hat er zwei Jahre Mais angebaut, dann hat er alles mit Getreide angebaut. Und dieses Jahr hat er teils teils, zwar mehr Mais, aber auch Getreide angebaut. Also nicht, dass er nur Mais anbaut, in der Regel zwei Mal Mais und ein Mal Getreide.« Für Manfred Müller ist es eine gute Lösung, seine Äcker an seinen Cousin zu verpachten, weil »ich weiß, dass der das ordentlich betreibt, weil ich weiß, wie er seinen Hof führt und dass er das gut macht«. Außerdem, so Manfred Müller, gibt es keine Probleme mit ihm wegen der Pachtpreise: »Wir haben gar keinen Kreditpachtvertrag gemacht, sondern das läuft einfach. Er hat automatisch jedes Jahr mehr bezahlt, obwohl es nicht zwingend ausgemacht war, das hat er freiwillig gemacht, weil er sieht, dass es momentan der Landwirtschaft oder den Biogasanlagen besser geht und die Pachtpreise dauernd steigen.« An dieser Stelle wird deutlich, dass die beiden ein recht enges Verhältnis haben und auch ihre Geschäftsbeziehung nicht formal verrechtlichen. Bei mehr Ertrag beteiligt Biogasanlagenbetreiber Manuel Müller seinen Cousin ohne Aufforderung am Gewinn. Es handelt sich um ein wechselseitiges Vertrauensverhältnis, schließlich hat Biogasanlagenbetreiber Manuel ebenfalls das Vertrauen, dass sein Cousin die jetzige Phase mit einem höheren Gewinn nicht ausnutzt, nach dem Motto: »Wenn du mehr zahlen kannst, dann machen wir gleich einen Pachtvertrag.« Es wird deutlich, dass in diesem Zusammenhang verwandtschaftliche Verhältnisse eine positive Auswirkung bei den Pachtpreisen und der Flächenkonkurrenz haben können. Manfred Müller selbst sagt, er habe nie überlegt, in einen Biogasbetrieb einzusteigen oder Anteile davon zu erwerben. Jedoch hatte er zwischenzeitig mit dem Gedanken gespielt, auf biologische Erzeugung umzustellen, aber dann »habe ich einfach keine Lust mehr gehabt, weil die Preise auf dem Markt für Tiere zu niedrig sind, muss man immer mehr haben. In Deutschland ist der Preis für die Lebensmittel zu billig, gerade für Fleisch, da ist der Landwirt gezwungen immer mehr Tiere zu haben. Das finde ich schrecklich.«

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Außerdem, so Manfred Müller, hatte er einfach keinen Spaß mehr an der Landwirtschaft: »Klar, ich hätte das noch einige Jahre so weitermachen können, ich habe ja auch davon gelebt, aber ich war immer gebunden, hatte keinen Urlaub und in den letzten zehn Jahren, seitdem meine Mutter gestorben ist, bin ich überhaupt nicht mehr weggekommen. Das ist ein Job, den macht man Tag und Nacht.« Vielmehr bewundert Manfred Müller seinen Cousin Manuel Müller, weil »so eine Anlage ja riesig ist« und es eine große Herausforderung darstellt, diese in Betrieb zu halten. »Außerdem brauchen wir auch irgendwelche Alternativen, wenn wir die Atomkraftwerke abschalten wollen.« Einerseits betrachtet Manfred Müller den Betrieb seines Cousins mit einer gewissen Befremdung, andererseits aber auch mit Begeisterung. Manuel Müller betreibt die Biogasanlage mit zwei weiteren Landwirten gemeinschaftlich. Insgesamt bewirtschaften die drei Landwirte 150 Hektar Fläche. Um genug Biomasse zur Energieerzeugung zusammenzutragen, müssen sie zwar nochmal so viel dazukaufen, wie sie selbst bewirtschaften, aber sie haben Lieferverträge mit anderen Landwirten aus dem nahen Umkreis. Biogasanlagenbetreiber Manuel Müller ist verheiratet und hat vier Kinder. Der älteste Sohn ist schon in der Ausbildung zum Landwirt und hat vorher eine Lehre als Maschinenbaumechaniker gemacht: »Das ist heutzutage als Landwirt natürlich auch nicht schlecht, wenn man sich mit Maschinen auskennt«, meint Manuel Müller. Es ist anzunehmen, dass er den Biogasbetrieb übernimmt. Manuel Müllers Frau hat mit der Biogasanlage eher indirekt zu tun, außer in der Zeit, in der siliert wird, »da richtet sie Essen her, aber da wechseln sich die Frauen auch untereinander ab, da ist einen Tag die zuständig und einen Tag die und einen Tag die«. Dafür kümmert sie sich mehr um die Stallarbeit auf dem Hof und um die Finanzen. Die Tierzucht hat Biogasanlagenbetreiber Manuel Müller stark reduziert, damit sich die Arbeit in Grenzen hält. Er verfügt über cira 50 Bullen. Im Gegensatz zu anderen Dorfbewohnern hat Manfred Müller keine Vorurteile gegenüber Biogasanlagenbetreibern. Er hält viele konventionelle Landwirte für neidisch auf Biogasanlagenbetreiber, weil Biogas derzeit mehr Gewinn abwirft als die herkömmliche Landwirtschaft. Schockiert habe ihn kürzlich ein anonymer Brief von einem der Dorfbewohner mit Anfeindungen gegen seinen Onkel, den Vater von Biogasanlagenbetreiber Manuel Müller : »Mein Onkel war früher im Krieg und ist mit einem bösen Schreiben angefeindet worden: Früher haben sie die Leute im Krieg vergast und jetzt bauen sie Biogasanlagen.« In der Familie haben diese Anfeindungen großen Kummer bereitet: »Meinem Onkel hat das ziemlich zugesetzt. Klar, was soll das denn? Ich war echt schockiert, was die Leute da so hineininterpretieren. Meine Vermutung ist, dass es einfach Neider sind.« An dieser Stelle wird durch Manfred Müllers Betroffenheit und Unverständnis erneut anschaulich, welche engen Bande die Familie umgibt und wie sehr auf Zusammenhalt innerhalb der Verwandtschaft gebaut wird.

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Dieses Doppelporträt von Manuel und Manfred Müller stellt eine innovative Lösung bei Konflikten um Flächenkonkurrenzen und Pachtkämpfe dar. Es ist eine familiäre Strategie, die Wertschöpfung in der Familie, aber auch in der Region zu halten und nicht wie in vielen anderen Fällen zu ökonomisieren und zu kapitalisieren, indem an den Meistbietenden verpachtet wird. An diesem Beispiel wird die Rolle anderer – familiärer, verwandtschaftlicher und vertrauter – Werte sichtbar. Der Hofbetreiber Manfred Müller tritt zurück und übergibt an einen Vertrauten aus der Familie, womöglich ähnlich, wie wenn ein junger Landwirt den elterlichen Hof übernimmt und die Umstellung auf Biogas vollzieht. Es bleibt im verwandtschaftlichen Netzwerk.

Ökonomische Aspekte: Kreditvergabe und Versicherung bei Biogasanlagen Mit den ersten Biogasanlagen kamen auch entsprechende Anforderungen an Finanzdienstleister. Im Falle der Forschungsregion wird deutlich, dass diese Aufgaben im Wesentlichen die Behuf-Bank und das Versicherungsunternehmen Brachmond98 übernehmen. Seit es immer mehr Biogasanlagenbetreiber in der Region gibt, hat sich die Zusammenarbeit der beiden Finanzdienstleister für und von Biogasanlagen stark ausdifferenziert. Während meiner dritten Feldphase im Nördlinger Ries sprach ich mit zwei Biogas-Experten aus dem Bereich Finanzierung, Tobias Schumacher, und Versicherung, Marco Seidel. Der Vergabeprozess und die Kriterien für einen Kredit »Auch wir als Bank profitieren von diesem Biogasboom. Wir verdienen damit Geld. Wenn wir einen Kredit vergeben, dann muss auch etwas übrig bleiben, sonst würden wir ja etwas falsch machen.« (Tobias Schumacher, Bankberater)

Zu Beginn des Gesprächs erklärt mir mein Interviewpartner Tobias Schumacher, dass die Bank insgesamt ca. 500 Millionen Euro in Form von Krediten an alle ihre Kunden verliehen habe, im Verhältnis zu anderen Banken sei das schon »ordentlich«, aber verglichen mit Großbanken wie der Deutschen Bank »sind wir mini«, meint der junge Bankberater lachend. Bei den Krediten handelt es sich allgemein um die Bereiche Wohnbau, Selbstständigkeit, Industrie und Landwirtschaft. Der Anteil des Kreditvolumens für Biogas entspricht etwa 5 bis 7 Prozent der Kredite. Das ist durchaus eine Menge, aber verglichen mit den Krediten für Photovoltaik weniger : »Ich habe hier sehr große Brocken bei Biogas, denn die Anlage kostet jetzt eine Million aufwärts. Bei PV habe ich deutlich 98 Der Name der Bank und des Versicherungsunternehmens sind fiktiv.

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kleinere Kredite, dafür viel mehr.« Dennoch zeigt sich gerade an der zunehmenden Technisierung von Biogasanlagen, dass das finanzielle Volumen sowohl bei Kreditgebern wie Kreditnehmern potentiell ansteigt. Früher habe eine Anlage noch ca. 600 000 Euro gekostet. Das ist aber mit den derzeitigen Biogasanlagen nicht mehr vergleichbar, »die sind viel technischer, aber auch viel teurer geworden«, argumentiert Schumacher. Was das Kreditrisiko angeht, ist die Investition in Photovoltaik deutlich geringer einzuschätzen als Biogas: »Bei PV muss ich nichts können, es läuft. Das kann jeder machen. Wenn sich einer eine PVAnlage für 30 000 oder 50 000 Euro auf das Dach schrauben lässt, selbst wenn das Ding kaputtgeht und er keinen Ersatz dafür kriegen würde, dann wirft ihn das wahrscheinlich finanziell nicht aus der Bahn.« Zunächst ist das erste Kriterium für den Kreditvergabeprozess einer Biogasanlage die geplante Größe. Das Maß hierfür ist immer die installierte Leistung des BHKWs. Kleine Anlagen, die nur von einer Einzelperson betrieben werden, liegen derzeit bei 190 Kilowatt elektrischer Leistung, die darauf folgenden Stufen bei ca. 250 bis 500 Kilowatt elektrischer Leistung. Danach richten sich auch die Preise der Anlagen. Die kleinere Anlage von 190 kWh kostet mittlerweile ca. 900 000 Euro, schätzt der junge Bankberater und fährt fort: »Mit Rohstoffen und allem Drum und Dran ist das wahrscheinlich ein siebenstelliger Betrag. Das ist viel Geld. Rechnet sich aber immer noch.« Die Bank achte bei der Kreditvergabe sehr darauf, welche Firma den Anlagenbau betreut. Im Ries sind das Unternehmen Richter-Anlagentechnik und seine Mitarbeiter die »Platzhirsche«. Schumacher meint, »wenn wir wissen, Richter baut das, dann ist es für uns relativ einfach«, weil das Unternehmen mindestens 40 andere Anlagen im Ries gebaut hat. Die Anlagen werden so gebaut, dass der »normale, engagierte« Landwirt diese auf Dauer erfolgreich betreiben kann. Somit entfalle für die Bank die Prüfung der Technik. Außerdem hat die Bank mittlerweile einen »Erfahrungsschatz« aus den letzten Jahren, womit das technische Risiko sehr begrenzt ist. Im Falle technischer Komplikationen stünde Richter-Anlagentechnik dafür ein und müsste das Problem im Rahmen seiner Garantie regeln. Allgemein könne man konzeptionelle Fehler dadurch mittlerweile ausschließen, auch weil das Anlagenbauunternehmen seinen Standardbauplan abarbeiten würde. Außerdem »schauen wir uns den Landwirt an sich an« und beurteilen danach dessen unternehmerische Fähigkeit. Wenn ein Landwirt bereits seit Jahren einen landwirtschaftlichen Betrieb führt, könne man davon ausgehen, dass er auch eine Biogasanlage betreuen kann. Für die Kreditvergabe sei weiterhin von Bedeutung, wie viel Einkommen der Betrieb bisher erwirtschaftet hat. Eine Biogasanlage könne einen schwachen Betrieb nicht retten. Das würde die Probleme des Betriebs eher verstärken, meint der Bankberater, zumal die Betreuung einer Biogasanlage sehr viel Zeit koste.

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Das nächste Kriterium für die Bewilligung des Kredits sei die geregelte Lieferung der Rohstoffe. Mit jeder weiteren Biogasanlage entstehe zusätzliche Konkurrenz. Aus diesem Grund ist es ideal, wenn der Biogasanlagenbetreiber einen Großteil der notwendigen Rohstoffe selbst anbauen kann. Die »Wunschgröße« der Bank liegt bei 50 Prozent eigen angebautes Substrat, »gerne auch mehr«. Je kleiner jedoch der eigene Rohstoffanteil ist, desto größer die Abhängigkeit von Dritten und desto größer auch der Druck, »mehr zu bezahlen, um das auch zu kriegen«, so Schumacher. Für die Finanzierung durch die Bank reicht die Anlage allein als Sicherheit nicht aus, denn »wenn es denn dann doch schief gehen sollte, wie können wir die Anlage dann an einen Dritten verkaufen?«, erklärt Schumacher. Das ist selbstverständlich auch abhängig von der Lage der Biogasanlage. Wenn diese außerhalb eines Dorfs liegt, könne man die Anlage in der Regel wieder ganz gut verkaufen. Sollte sie aber an die Hofstelle angebaut worden sein, gestaltet sich dies sehr schwierig, so Tobias Schumacher. Häufig dienen der Bank andere Ackerflächen oder der Stall als zusätzliche Sicherheit, die vom Wert her ausgleichend wirken. Dadurch ist das Risiko zwar eingeschränkt, aber ein Restrisiko für die Bank bleibt dennoch, weil auch die vorhandenen Ackerflächen die großen Investitionen nicht abdecken können. Aus Sicht der Bank hat sich daher die Kreditvergabe in der Landwirtschaft stark verändert, denn früher war der Bau eines Stalls im Verhältnis so günstig, dass der Wert der Ackerflächen die Investitionssumme überstieg: »Es war immer eine hundertprozentige Deckung da.« Selbst wenn sich der Betrieb des Stalls als nicht wirtschaftlich erwies, habe man die Flächen verkaufen und damit die Schulden abdecken können. »Mittlerweile, wenn so etwas wirklich total schief geht, dann verliert auch die Bank Geld«, so Schumacher. Über Ratingsysteme lässt sich eine Wahrscheinlichkeit errechnen, nach der die Zinssätze entsprechend angepasst werden, erklärt Schumacher. Grundsätzlich ist das Ergebnis der Berechnung der Wirtschaftlichkeit von Biogas immer ähnlich, weil die Rahmenbedingungen, der Bau einer Anlage und der Verbrauch einer bestimmten Menge an Rohstoffe vergleichbar sind. Mögliche Förderprogramme und zinsgünstige Darlehen Von der Rentenbank, einer traditionellen Bank für die Refinanzierung landwirtschaftlicher Rendite, oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gibt es zinsgünstige Darlehen, die mit eingebunden werden können. Es gibt zwar keine Zuschüsse, so Bankberater Schumacher, die seien aber momentan aufgrund der hohen Einspeisevergütung im EEG auch nicht notwendig.99 Biogasanlagenbe99 In der ersten Phase in den Jahren 2002 bis 2004 wurde der Bau von Biogasanlagen bezuschusst, wie beispielsweise der Bau eines Stalls.

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treiber Stefan Koch erklärt hierzu: »Wir haben sowohl Rentenbankkredite als auch KfW-Kredite als auch direkte Marktdarlehen von der Bank.« Das liege an den unterschiedlichen Investitionsschritten. Jedes Mal schaue man sich die Förderprogramme einzeln an, ein KfW-Darlehen oder ein Rentenbank-Darlehen, und entscheide je nach Zinssatz. Für die Vergabe von Wärmenetzen gibt es für die Finanzierung ebenfalls von der KfW bestimmte Sonderprogramme wie das Erneuerbare-Energien-Premium-Programm Nr. 281. Damit werden Wärmenetze und Biogasleitungen finanziert, die deutlich zinsverbilligt und mit Zuschüssen versehen sind. Dabei handelt es sich aber um eine feste Vorgabe der KfW und man könne davon nicht abweichen. Ähnliche Angebote bestehen bei der Rentenbank, die Varianten mit verschiedenen Laufzeiten und Zinsbindungen anbietet. Nach KfW und Rentenbank ist die dritte Variante der Finanzierung ein Bankdarlehen ohne Förderung, mit ähnlichen Zinsen, aber ohne Zuschüsse. Der Vorteil hierbei ist in Schumachers Augen, dass individuelle Gestaltungen möglich sind, beispielsweise, indem die Rückzahlung der Raten anders vereinbart oder Sondertilgungen vorgenommen werden. Man könne hierbei mit dem Kunden individuell absprechen, wo er seine Schwerpunkte setzen will. Von der KfW oder Rentenbank hingegen gibt es klare Vorgaben über Verwendungsnachweise, auch um zu dokumentieren, wie diese Steuermittel oder Gelder der öffentlichen Hand verwendet wurden. In diesem Zusammenhang ist die Bank dann auch in der Pflicht, diese Nachweise zu führen. Im Jahre 2009 hat die Behuf-Bank eine Auszeichnung für ihr ausgeprägtes Fördermittelgeschäft erhalten, erzählt Schumacher stolz. »Wir hatten mal eine Zeit, als die KfW schlechte Konditionen hatte, wo wir viel selber gemacht haben, weil unsere Darlehen billiger waren.« Momentan sind jedoch die Konditionen der KfW wieder sehr attraktiv und werden gerne genutzt. Die Nachfrage bei den Kunden ist sehr hoch. Für die Bank jedoch bedeute die Nutzung externer Förderkredite mehr Arbeit, »aber im Endeffekt steht für uns der Kunde im Fokus und wenn ich es gar nicht anbiete, laufe ich natürlich auch Gefahr, dass ich zu teuer bin und rausfliege.«

Der Biogasanlagenbetreiber als Unternehmer Wie bereits erwähnt, ist die Finanzierung einer Biogasanlage im Verhältnis zu Investitionen in der konventionellen Landwirtschaft grundsätzlich mit höheren Summen behaftet. Mittlerweile, so der Bankberater, seien die Investitionen für eine Biogasanlage mit einer Gewerbefinanzierung vergleichbar. Früher ist ein Landwirtschaftskredit risikolos gewesen, weil das Eigenkapital des Landwirts in Form von Fläche, Maschinen und Viehbestand die Kredithöhe immer überstieg. Heutzutage reicht bei den Investitionen in Energieerzeugung mittels Biogas das

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erzielbare Vermögen bei einer Betriebsaufgabe oft nicht mehr aus, um die Schulden zu tilgen, erklärt der junge Bankberater. Aber nicht nur die Investitionen, sondern auch die Umsätze sind ähnlich wie in einem industriellen Betrieb: Bei sehr großen Biogasanlagen, die dem landwirtschaftlichen Betrieb Umsätze im siebenstelligen Bereich bescheren, ist immer mehr der »Kaufmann im Bauern« gefordert. Dieser müsse heutzutage viel stärker seine Liquidität planen, wann er zum Beispiel im Herbst Geld für die Rohstoffe benötigt und im Frühjahr seine Pacht zahlen muss: »Es ist viel mehr Finanzplanung. Das heißt: Er sitzt viel mehr im Büro als früher. Der kann nicht nur einfach raus in den Stall, auf die Fläche, Biogas füttern, sondern der muss sich am Abend hinsetzen und genau sein Betriebstagebuch Biogas führen: Was habe ich tagsüber hineingeschmissen, wie viel war das in welcher Zusammensetzung?«, so Tobias Schumacher. Die Führung des Betriebstagebuchs benötigt der Anlagenbetreiber zur Vorlage für den Umweltgutachter, um die Auszahlung der im EEG festgelegten Boni zu erhalten. Es müsse außerdem genau dokumentiert werden, wie viel Spritzmittel ausgebracht und welche Tiere geimpft wurden. Das ist mittlerweile ein ganz anderer Anspruch an die Bauern. Dies stelle natürlich auch eine große Herausforderung für die Familien dar. Manche Partnerin hat ein großes Problem damit, dass die Familie im siebenstelligen Bereich verschuldet ist: »Wenn ich mein Online-Banking aufmache und da steht unten minus eine Million, das muss man verkraften. Weil ich weiß, ich muss pro Monat so und so viel zurückbezahlen an Zinstilgung. Das sind ja Riesensummen!« In der Beratung ist es daher für Schumacher sehr wichtig danach zu fragen, wie die Familie zu dem größeren Arbeitsaufwand und vor allem zu den höheren Schulden steht: »Verkraften die das, zu wissen, wir haben jetzt eine Million Euro Schulden. Das muss man können, das muss man mögen«, meint Schumacher. An dieser Stelle wird deutlich, vor welche neuen Herausforderungen und Risiken der Entschluss zum Betrieb einer Biogasanlage die gesamte Familie stellt. Wichtig erscheint hierbei die unternehmerische Weiterentwicklung des Landwirts, der, wie Bankberater Schumacher es beschreibt, viel mehr zum Unternehmer und Kaufmann geworden ist als früher. Es ist daher einfacher, so Schumacher, je stärker die Partner einbezogen sind. Meistens sind die Aufgaben in der Familie aufgeteilt: Für den Betrieb der Anlage sind die Männer verantwortlich und die Frauen übernehmen die Buchführung. »Die Frauen kümmern sich ums Konto und haben das auch täglich vor Augen. Sie wissen auch, wenn das Konto knapp wird. Die Männer sind oft den ganzen Tag im Stall, auf dem Feld, an der Anlage, fragen ab und zu nach, ob es noch passt. Wenn dann ein Anruf von der Bank kommt, das Konto ist überzogen, den kriegt in der Regel die Frau.« Recht häufig ist das eine Belastung für die Familien. »Zeitmäßig und auch mental, was die Verschuldung angeht.« Daran ist auch schon manche Investition gescheitert,

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weil es hieß, »meine Frau, die kann das nicht, die will das nicht, ich lasse es«, so Tobias Schumacher. Andererseits ist eine solche Entscheidung sehr verantwortungsvoll, denkt der junge Bankberater. Die Landwirte würden sich durchaus die Frage stellen, wie viel verkrafte ihre Ehe, wenn man über 15 Jahre seine Schulden abbezahlen muss. Die Sicherheit der Anlage ist aufgrund der im EEG festgelegten Rahmenbedingungen auf 20 Jahre festgelegt. »Das kann ich nicht aussitzen, das ist kein überschaubarer Zeitraum. Das habe ich ewig an der Backe«, so Schumacher. Aus diesen Gründen besucht der Bankberater die Landwirte zu den Beratungsgesprächen bei ihnen zu Hause, »wo die Frau dabeisitzt und sich das anhört und weiß, was auf sie zukommt, und nicht irgendwann der Mann heimkommt und sagt, du, ich hab da jetzt einen Vertrag gemacht.« Durch diese Form der Energieproduktion vollziehen sich gerade große gesellschaftliche Veränderungen in den Familien, so Schumacher. Die wirtschaftlichen Erfolge bei den Biogasbetreibern sind aus Schumachers Sicht sehr unterschiedlich. »Es gibt welche, die laufen sehr, sehr gut. Die verdienen richtig Geld und es gibt solche, wo man sich fragt, wieso läuft es bei denen nicht so gut wie bei den anderen.« Es sei aber keine Familie dabei, »die echt Probleme hat und das Geld nicht reicht«. Allerdings gebe es manche Betriebe, bei denen »nichts übrig bleibt«. Es kann selbstverständlich auch an der Höhe der Investitionen liegen und wie schnell der Landwirt in der Lage ist, seine Schulden zurückzuzahlen: »Mancher hat auch einfach die Finanzierung so kurz gemacht, dass momentan nichts auf dem Konto bleibt, dafür tilgt er schneller.« Aus Sicht der Bank ist schwierig zu beurteilen, warum ein Betrieb nicht gut läuft und welche Rohstoffmengen eingesetzt werden. »Wir sehen den Verbrauch in Euro. Wir sehen nicht den Verbrauch in Tonnen«, erklärt Schumacher. Grundsätzlich ist der wirtschaftliche Erfolg einer Anlage immer von den Fähigkeiten und der Ausgangssituation des Betreibers abhängig. Dass bei den von Schumacher betreuten Anlagen im Ries derzeit keine vor einer wie in der Fachpresse häufig zitierten Betriebsschließung steht, führt der Bankberater auch darauf zurück, dass »wir im Ries die Möglichkeit mit dem massiven Maisanbau haben«. Wer Rohstoffe selbst produziert, ist weniger abhängig von Zukäufen. Denn »wenn ich viel zukaufe, steigt auch mein Kostenrisiko. Ist mein Zukauf teuer, verdiene ich weniger Geld.« Die Rechnung ist ganz einfach: »Ich habe 8760 Stunden im Jahr, ich habe meine 190 oder 250 kWh Leistung und dafür kriege ich 20 Cent, wenn die Maschine rund um die Uhr läuft. Dann geht es nur drum, möglichst wenig Kosten zu haben. Wenn ich hohe Kosten habe, verdiene ich nichts.«

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Der Bankberater als Lebensbegleiter »Das Bankgeschäft ist sehr stark von Zahlen getrieben, aber das Menschliche darf man nicht vernachlässigen. A) Wie gehe ich mit dem Kunden um, auch wenn es mal eng wird, insbesondere dann. B) Wie schätze ich ihn ein, packt er das, wenn es mal eng wird. Solche Dinge kann ich nicht errechnen.« (Tobias Schumacher, Bankberater)

Die Stelle als Spezialbetreuer Gewerbekunden Landwirtschaft an der Hauptgeschäftsstelle der Behuf-Bank wurde eigens im Zuge der Energieerzeugung mittels Biogas geschaffen. Tobias Schumacher, der die Position seit zwölf Jahren innehat, meint, dass die Behuf-Bank sich vor allem durch die Nähe zur Landwirtschaft auszeichnet. Das sei auch der Grund, warum die Bank in diesem Bereich so viele Kunden hätte. Wichtig ist, sich in landwirtschaftlichen Betrieben auszukennen und sich dieses spezifische Fachwissen als Banker anzueignen. »Das ist nicht für jeden Banker so selbstverständlich. Es ist bei uns im Haus aber so«, meint Schumacher stolz. Er selbst stammt im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die an den einzelnen Geschäftsstellen beratend tätig sind, nicht aus einem landwirtschaftlichen Betrieb. Aus diesem Grund hat sich Tobias Schumacher viel aus Fachzeitschriften angelesen und nennt hierfür als Beispiel das Bayerische Wochenblatt und das Magazin Top Agrar. Er berät die Landwirte zur ökonomischen Bewertung ihres Tuns: »Ich kann dir nicht sagen, wie du deinen Acker bestellen musst, was du spritzen oder düngen musst, aber ich weiß, wie viele Tonnen pro Hektar du ernten musst, damit du gut bist.« Auf landwirtschaftliche Kalkulation und Beratung ist er spezialisiert. Es geht ihm vor allem darum zu erfahren, was seine Kunden momentan bewegt und wo der Trend hingeht. Weiterhin ist er sehr interessiert an den derzeitigen landwirtschaftlichen Entwicklungen und meint: »Das merken die Kunden auch.« Anders würde das Geschäftsmodell nicht funktionieren, beispielsweise bei den Großbanken sei das anders: »Ich würde mich bei so einer Bank auch nicht wohl fühlen.« Es ist sehr wichtig, dass er als Berater das landwirtschaftliche Preisniveau und die Agrar-Statistiken kennt, diese Entwicklungen somit auch ökonomisch bewerten kann und vor allem »dass ich die Ängste und Nöte kenne und weiß, wie realistisch ist es, dass sich die Situation in der Landwirtschaft verändert, dass ich auch dann Ansprechpartner bleibe und in schlechten Zeiten Beistand leiste«. Gerade in solchen Situationen gewinne er das Vertrauen der Kunden, indem er sie folgendermaßen unterstütze: »Wir helfen dir. Wenn es gerade knapp ist, leihen wir dir Geld, um diese Lücke zu überbrücken!« Beim »Nein-Sagen« oder »es gibt nix mehr« verliert die Bank deutlich an Vertrauen. Es habe bereits einige Fälle gegeben, in denen Schumachers Rat im Nachhinein von Landwirten sehr wertgeschätzt wurde und die sich dann bei ihm mit den Worten bedankten: »Gut, dass Ihr damals gesagt habt, es geht so nicht weiter. Dann habe ich etwas geändert!« In Tobias Schumachers Augen kann nur so ein Dialog entstehen. Er

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selbst sieht sich in der Rolle des »Risikowächters«: Ein Kreditbanker ist nämlich sehr stark risikoorientiert, weil ein Kredit bedeutet immer ein gewisses Ausfallrisiko. Momentan steigt dieses für alle Biogasanlagenbetreiber aufgrund der hohen Anlagendichte in Bezug auf die Rohstoffsicherheit an, so Schumacher.

Spezialisierung auch innerhalb der Bank »Biogas ist schon für uns als Bank eine spannende Entwicklung gewesen, die uns sehr beeinflusst hat. Für uns war das ja auch neu. Wir als Bank mussten das im Prinzip mit den Kunden lernen. Mittlerweile mit einer großen Erfahrung und das macht es natürlich auch leichter.« (Tobias Schumacher, Bankberater)

Anfangs hat Tobias Schumacher, der im Jahr 2000 schon die Bauphase der ersten Biogasanlage der Region in seiner Funktion als Bankberater betreuen durfte, versucht über den Biogasfachverband, über andere Anlagen und über andere Banken Informationen in Bezug auf das Risiko und die Rentabilität von Energieerzeugung mittels Biogas zu erlangen: »Ich war ja jetzt nicht von Anfang an ein Biogasexperte, aber es gab auch keinen anderen, der sich auskennt.« Mittlerweile könne er dadurch, dass er viele Anlagen begleitet hat, dem Kunden vorrechnen, ob dessen Berechnungen und Kalkulationen richtig sind. Grundsätzlich findet die Betreuung der Kunden nicht in der Hauptgeschäftsstelle der Behuf-Bank statt, sondern in den einzelnen kleineren Geschäftsstellen, zu denen Schumacher von dem jeweiligen Geschäftsstellenleiter gerufen wird, um als Spezialist im Bereich Biogas die erste Zeit der Mitbetreuung bei der Konzeption und Umsetzung der Anlage zu unterstützen. »Später, wenn es dann am Laufen ist, macht der Geschäftsstellenleiter das wieder alleine«, fügt er hinzu. Zum Jahresgespräch oder zum Beispiel zur Planung eines Nahwärmenetzes kommt Tobias Schumacher wieder dazu. Somit betreut er ca. 100 Kunden im Landwirtschaftsbereich. Alleine, ohne Hilfe der Geschäftsstellenleiter, könnte er gar nicht alle betreuen. Dadurch ist es für ihn möglich, mehrere Kunden in seinem Spezialbereich Bioenergie zu unterstützen und so sei eine hohe Spezialisierung möglich. Das bringt ganz klar Vorteile mit sich, weil der einzelne Kollege vor Ort, der »seine fünf Bauern« betreut, »der wird nie der Spezialist. Der tut sich da eher schwer und durch meine Hilfe kriegen wir da die Qualität hin«, so Tobias Schumacher. Aber alles in allem bringt das Wissen nur die Praxis: »Mit den Leuten immer wieder reden, dann fallen einem solche Konzepte leichter. Nach dem Motto: So wie ich es bei dem gemacht habe, mache ich es bei dem genauso.« Wissen entsteht auch bei den Banken durch die angewandte Praxis. Das bringt Synergieeffekte, »weil man schon weiß, um was es geht!« Weiterhin müsse er als Bankberater ein Gefühl dafür entwickeln, was es bedeutet, wenn ein Landwirt einen Stall-

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durchschnitt bei Milchkühen von 8000 Kilogramm hat. »Mittlerweile kann ich verstehen, wovon er [der Kunde, FS] redet, und beurteilen, ob das gut oder schlecht ist und kann ihn auch mal loben. Aber das kommt aus der Praxis.« In diesem Zusammenhang räumt Schumacher ein, dass er die Beratungsgespräche auch alle in der Geschäftszentrale führen könnte, aber für die Kunden ist das wie »Antreten-Müssen«, insbesondere wenn sie dafür extra nach Ganzlingen fahren müssten. Aus diesem Grund finden die Gespräche in der jeweiligen Geschäftsstelle im Ort des Landwirts statt und Schumacher lässt sich anschließend den landwirtschaftlichen Betrieb zeigen, »weil ich dann sehe, wie es da zugeht: Wie sieht der Hof aus, ist der ordentlich, sind die Fassaden gerichtet, besteht Nachholbedarf. Ich sehe, in welchem Zustand die Maschinen sind: Sind sie sauber oder kaputt, wie alt sind die Dinger, besteht Investitionsstau. Ich erfahre da unheimlich viel! Außerdem ist der Landwirt stolz, wenn er mir seinen neuen Stall zeigt, dann blüht er richtig auf. Er hat selber technische Details parat, wo ich nur sagen kann, mein Gott, keine Ahnung, aber prima, haben wir bezahlt, funktioniert. Oder wenn sie Erfolge haben, und etwas ist neu und das funktioniert so toll. Das ist ja auch für mich interessant, weil ich weiß, was bewegt die.« So ist es Tobias Schumacher möglich, eine Einschätzung und einen Eindruck über den bisher geführten Betrieb zu erlangen. Es ginge ihm nicht nur darum, nach Zahlen zu urteilen, »denn die Bilanz ist zwar wichtig, um rechnen zu können und um Erfolge zu dokumentieren, aber ob der Landwirt erfolgreich sein wird oder nicht, das sehe ich auch an seinem Betrieb!« Wenn ein Landwirt sparen muss, dann ist das dem Betrieb nämlich direkt anzumerken, meint Schumacher. Andererseits kann er das durch den Besuch des Hofes neu angeeignete Wissen bei einem anderen Kunden wieder anwenden und kritisch nachfragen, wenn sich ein Landwirt für eine ihm bisher nicht gängige Lösung entschieden hat. Schumacher bezeichnet das als »Wissenstransfer, weil die Bauern selber erzählen sich nicht alles«. Auch für das ihm gegenübergebrachte Vertrauen und die Selbstsicherheit des Landwirts ist das wichtig: »Wenn ich bei dem im Wohnzimmer sitze und wir verhandeln, dann fühlt er sich sicherer. Das ist ja sein zu Hause, ich bin da Gast und wenn es ihm nicht mehr passt, muss ich gehen.« Diese in seinen Augen fürsorgliche Vorgehensweise hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, weil der Kunde sich »bekümmert« fühlt und weiß: »Der Schumacher denkt für mich da mit.« Mittlerweile kann er sehr gut einschätzen, wie diese »Kundengruppe« denkt: »Die sind sich ja doch irgendwo ähnlich, klar gibt es auch die Extrempositionen, aber es gibt so einen Mainstream, den Standard, wie der denkt.« Als Berater, der seit zehn Jahren ins Haus kommt, kennt er in der Regel die Familie, und weiß genau, wie die Frau und wie der Mann »tickt«, und wo es tendenziell Probleme gebe könnte. Diese zwischenmenschliche Perspektive ist ihm sehr wichtig, denn »nur dadurch gewinnen die ja Vertrauen in mich. Ich bin immer direkter An-

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sprechpartner«. Schumacher verlässt sich daher bei der Kreditvergabe immer auf sein »Bauchgefühl«. Das dürfe er nicht ausschalten, denn »wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, gerade kreditmäßig, hat es schon seinen Grund.« Das Geschäftsgebiet der Bank ist auf das Nördlinger Ries begrenzt. Der Großteil der Biogasanlagen im Einzugsgebiet der Bank wird von Herrn Schumacher betreut: »Da sind wir wirklich sehr gut unterwegs. Wir haben den überwiegendsten Anteil der finanzierten Anlagen«, unterstreicht er die besondere Position seiner Bank in der Region. Es spiele für den Kundenstamm eine wichtige Rolle, wenn der zuständige Berater in der Gegend bereits für seine Kompetenz und vor allem für seine bisherige Erfahrung mit der Finanzierung anderer Anlagen bekannt ist. Der Landwirt schöpft Vertrauen und es gibt ihm Sicherheit, wenn der Berater bereits auf andere 30 gut laufende Anlagen verweisen kann. Der große Vorteil des überschaubaren Geschäftsgebiets ist in Schumachers Augen auch, dass er die persönlichen Kontakte zu den Landwirten gut pflegen kann und bei dringendem Handlungsbedarf, beispielsweise in einer finanziellen Notlage, durch die kurzen Wege schnelle Entscheidungen treffen kann. Mittlerweile betreut Schumacher zu 70 Prozent Kunden aus dem landwirtschaftlichen Bereich und nur noch 30 Prozent, die als Selbstständige ein Gewerbe betreiben. Der enorme landwirtschaftliche Anteil ist in seinen Augen ganz einfach auf die Entwicklung der Biogasproduktion und die Nahwärmenetze zurückzuführen. Martin Huber spricht aus eigener Erfahrung und meint, dass Biogasanlagenbetreiber derzeit bei den Bankern gern gesehene Kunden sind: »Die finanzieren im Moment nix lieber als erneuerbare Energien, vor allem Biogasprojekte. Wenn die sauber gerechnet sind und die Flächen da sind, gibt es für die Bank so risikolos kaum was. Unsere Filiale hier wäre schon längst zu, wenn es die Biogasanlagen nicht gäbe!« Seine langjährige Erfahrung ließ Tobias Schumacher zu einem Experten bei der Finanzierung von Biogasanlagen werden. Kaum ein anderer Bankberater in der Region kann auf einen solch breiten und großen Erfahrungsschatz zurückgreifen, denn so gut wie keine Biogasanlage wurde nicht durch ihn als finanziellen Berater betreut. Somit hat er eine Schlüsselfunktion: Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung vertrauen ihm die Anlagenbetreiber und er selbst macht sich geradezu unentbehrlich, denn durch seine Expertise im Bereich der Finanzierung von Biogasanlagen, die er von Anfang an gewinnen konnte, ist er in seiner Funktion so gut wie nicht auszutauschen. Hinzu kommt die äußerst persönlich-vertraute Bindung zu jedem einzelnen seiner Kunden. Zu guter Letzt vertraut der Bankberater sich bei Entscheidungen hinsichtlich der Kreditvergabe auf sein »Bauchgefühl«: Er prüft die Bereitschaft der Familie, Schulden auf sich zu nehmen und Risiken einzugehen, genauso wie er den Zustand des Hofes und die unternehmerische Fähigkeit des Landwirts unter die Lupe nimmt.

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Indem Schumacher den Hof besucht, sich ein Bild macht und zuhört, wenn der Landwirt stolz von neuen Errungenschaften und Erfolgen berichtet, kann er dessen kaufmännische Fähigkeiten einschätzen. Somit weiß Schumacher auch, wie seine Kundengruppe »tickt«, und kann seine Erfahrungen erneut anwenden. Wie er selbst sagt, gründet er seine Entscheidungen vor allem auf diesem Urteil: »Es geht nicht nur um Zahlen, sondern um den Landwirt als Mensch!«

Versicherungen bei Biogasanlagen im Nördlinger Ries Marco Seidel ist im Landkreis Donau-Ries beim Versicherungsunternehmen Brachmond für den Bereich Energieerzeugung aus Biogas zuständig: »Wir sind überproportional beteiligt an den Geschäften im Landkreis«, beginnt Seidel das Gespräch, auch weil der Erstkontakt zu den Kunden über die Vertriebspartner in der Behuf-Bank hergestellt wird. »Wir sind aber auch von der Struktur her so, dass wir in jedem Dorf, sag ich mal provokant, einen Vermittler sitzen haben und deswegen an diese Geschäfte rankommen.« Die landwirtschaftlichen Betriebe tendieren zwar immer mehr dazu, zu Industriebetrieben zu werden, aber eine eigene Versicherungsabteilung hätten sie noch nicht, erklärt Marco lachend. Erneuerbare Energien sind für das Versicherungsunternehmen derzeit der Wachstumsmarkt: Von Photovoltaik über Biogasanlagen, »das ist hier bei uns einfach der Renner!« Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Jahr 2010 hat das Versicherungsunternehmen deutschlandweit mehr als eintausend Anträge in einer Woche für Photovoltaik-Anlagen erhalten.100 In der Vergangenheit hat das Unternehmen immer nur den konventionellen Landwirt versichert, so Seidel im Gespräch. Biogas ist ein eigenes Gewerbe und somit war zunächst unklar, welcher Versicherungsschutz hierfür überhaupt sinnvoll ist. Allgemein ist das Betriebsrisiko hinsichtlich der Energieerzeugung mittels Biogas durch die möglichen Umweltschäden größer als die Risiken in der konventionellen Landwirtschaft, erklärt Seidel. Aus diesem Grund wurde der Versicherungsschutz für Biogasanlagen entsprechend erweitert. Grundsätzlich gilt für den Betrieb einer Biogasanlage keine Pflichtversicherung: »Der Landwirt kann sich so eine Anlage hinstellen und muss die theoretisch nicht versichern. Wenn der Landwirt sagt, das Risiko geht er ein, egal wenn das Ding explodiert oder ausläuft. Das kann hinterher zwar seinen finanziellen Ruin bedeuten, aber es ist keine Pflichtversicherung.« Allerdings würde jede Bank bei der Finanzierung einer Anlage zu einer Versicherung raten, so Seidel. Meist wird der Kredit 100 Siehe hierzu aus dem Artikel »Getragen von Millionen«, von Johannes Pennekamp in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. 08. 2013: »Das Ausmaß der Geldanlagen in der Ökostrombranche ist groß: Allein Europas größter Versicherer Allianz hatte im vergangenen Jahr im Bereich der erneuerbaren Energien 1,3 Milliarden Euro investiert.«

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nicht zur Verfügung gestellt, wenn nicht zumindest eine Feuerversicherung abgeschlossen ist. Grundsätzlich kann man bei einer Biogasanlage alles versichern, so Seidel: »Es geht klassisch los, bei Feuer, bei Einbruchdiebstahl, bei Sturmschäden, bei Vandalismusschäden.« Letzteres werde gerade wieder verstärkt nachgefragt, weil in der Region vor ein paar Monaten versucht wurde, eine Biogasanlage mit einem Molotowcocktail zu beschädigen. Biogasanlagen sind im Augenblick bei der Bevölkerung im Ries nicht sehr beliebt, vor allem nicht, weil »sie in Größenordnungen gehen, die den Leuten einfach Angst machen und ein Dorn im Auge sind«, meint Seidel und berichtet: »Wenn ich mir da so manchen Betreiber dieser Biogasanlagen anschaue, dann ist diese Angst nicht unberechtigt, weil wenn man diese Schäden sieht, ist das relativ heftig, sei es vom Umweltschaden, sei es aber auch vom Feuer- oder vom Explosionsschaden her.« Marco Seidel berichtet in diesem Zusammenhang von einer tatsächlich explodierten Anlage bei Augsburg, bei der der Betondeckel im Nachbarhaus wieder »runtergekommen« ist und einen Studenten getroffen hat. »Also das sind ordentliche Kräfte, die da dahinter stehen.« Aus diesem Grund versuche die Versicherung jedem Landwirt ein eigenes Konzept zu stricken, vergleichbar mit dem Bau eines Einfamilienhauses. Das beginnt mit einer Bauleistungs- bzw. einer Montageversicherung, die die Bauphase inklusive Probebetrieb versichert. Sobald die Anlage in Betrieb genommen wird, handelt es sich um eine Objektversicherung. Hierzu zählen die baulichen Bestandteile, also die Fermenter, das Maschinenhaus, die Fahr-Silos, die Folienabdeckung und die gesamte Technik, wie die Leitungen, die Pumpen, die Motoren, die Schaltschränke, so Seidel. Eigentlich kann man »rundum versichern«, auch die Einnahmeausfälle durch verschiedene Gefahren wie zum Beispiel Feuer oder Sturm. Aus Erfahrung ist aber eine Versicherung ohne Ertragsausfall wenig sinnvoll. Der Versicherungskaufmann nennt ein Beispiel: Eine Anlage weist durch einen Kurzschluss einen kleinen Brandschaden im Wert von 50 000 Euro auf. Jedoch steht die Anlage dann drei Wochen still und der Fermenter muss ausgepumpt und komplett neu angesetzt werden. Insgesamt hat der Landwirt dadurch einen Ausfall von acht Wochen, »bis das Ding wieder sauber läuft«. Hier stellt sich also die Frage für den Betreiber : »Bekomme ich nur 50 000 Euro von der Versicherung für den Brandschaden oder will ich die acht Wochen Geld haben für den Ausfall, um es nicht aus der eigenen Tasche zu zahlen?« Im Gespräch nennt Seidel erneut das Beispiel der gewerblichen Anlage in Augsburg, die explodiert ist und dadurch seit über einem halben Jahr nicht in Betrieb ist. Der Landwirt habe einen Vertrag mit Ertragsausfall von einem Jahr und erhält somit zumindest für ein Jahr weiterhin seine Erträge, schließlich muss der Betreiber weiterhin sämtliche Finanzierungsgebühren an die Bank, die

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Pacht, die Löhne und Gehälter bezahlen. Die Entscheidung, welches Risiko der Anlagenbetreiber einzugehen bereit ist, muss dieser also selbst treffen. An dieser Stelle wird erneut deutlich, mit welchen Risiken der Landwirt sich auseinandersetzen muss, um die eigene Entscheidung über den möglichen Versicherungsschutz abzuwägen. Den größten und umfangreichsten Teil des Versicherungsschutzes stellt in diesem Zusammenhang für den Anlagenbetreiber die Haftpflicht dar, erklärt Seidel. Im Normalfall werde eine ganz normale Betriebshaftpflicht angeboten, für den Fall, dass ein Schaden beim Befüllen der Anlage entsteht. Zum Beispiel, wenn »der Anlagenbetreiber mit dem Radlader fährt und dabei ein Auto zerschrammt«. Die Haftpflicht umfasst im Bereich der Technik häufig Schäden, die durch Ungeschicklichkeit, Fehlbedienung oder Versagen von Mess- und Regeleinrichtung verursacht werden. Bezeichnend ist jedoch in Seidels Augen, dass die Anlagen technisch unentwegt verbessert werden und die Schäden im Bereich der Maschinen eindeutig zurückgehen. Aber es passiert durchaus, »dass irgendwelche Getriebe zerreißen, Kurbelwellen ausschlagen oder die Anzeige der Ölstände beim Motor defekt ist und man hinterher einen Motorschaden hat«. Große Gefahren im Umweltbereich Die weitaus größeren Gefahren jedoch liegen im Umweltbereich, weil die Anlagenbetreiber »natürlich unwahrscheinlich große Lagermengen an Gülle, also an dieser Suppe ansetzen«. Hierbei spielt vor allem die Menge an Substrat in der Anlage eine Rolle, »die das so gefährlich macht«, so Seidel weiter. Wenn ein Fermenter ausläuft oder nicht richtig geschlossen ist, dann »läuft relativ viel auf einmal aus und dadurch habe ich einen Riesenumweltschaden«. Seit dem Jahr 2007 hat man aufgrund verschiedener Vorfälle in diesem Bereich eine Verschärfung im Umweltschadensgesetz (USchadG) eingeführt. Solange die Biogasanlagen einen Umweltschaden vor einem privatrechtlichen Hintergrund verursachen, zum Beispiel, »wenn das ausläuft und beim Nachbarn sind die Fische im Teich kaputt«, ist das in der Regel kein Problem. Wenn es sich nun aber um die Haftung von öffentlich-rechtlicher Seite handelt, und zwar im Sinne einer Bedrohung der Biodiversität, also für geschützte Tierarten und Pflanzen, »befinden wir uns in einer sehr gefährlichen Zone«. Marco Seidel berichtet in diesem Zusammenhang von einer Biogasanlage im Nördlinger Ries, die vor kurzer Zeit ausgelaufen und in den örtlichen Fluss Wörnitz gelaufen ist. In der Öffentlichkeit wurde dieser Fall stark diskutiert und die lokale Regionalzeitung Rieser Nachrichten berichtete mehrfach über die durch den Unfall verursachten Umweltschäden. Hier ein Auszug aus der lokalen Tageszeitung zum Vorfall: »Es war ein technischer Defekt. Der gesamte Komplex wurde aus der Wand des Silos gedrückt, sodass die Gülle austreten konnte […].

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Ein Sachverständiger wurde daraufhin beauftragt, die genaue Ursache des Fehlers zu erörtern. In einem vorläufigen Gutachten hat er festgestellt, dass die Apparatur nicht sachgemäß befestigt worden war und deshalb dem Druck der Gülle nicht standhalten konnte […]. Nun soll die Staatsanwaltschaft gegen den verantwortlichen Betreiber der Biogasanlage ermitteln. Wegen fahrlässiger Umweltgefährdung«.101 Für das Versicherungsunternehmen ist das ein erster wirklicher Schadenfall gewesen, erklärt Seidel, weil sich im Fluss Wörnitz geschützte Muschelarten angesiedelt haben. Der Schaden hielt sich glücklicherweise noch in Grenzen, wurde aber auf Grundlage des neuen Umweltschadensgesetzes (USchadG) verhandelt. Im Versicherungsbereich wird grundsätzlich zwischen gefährlichen und ungefährlichen Aktivitäten unterschieden. Das Betreiben einer Biogasanlage zähle in jedem Fall zu den gefährlichen Aktivitäten, erklärt der Versicherungskaufmann.102 Das bedeutet, der Fall wird als eine Haftung ohne Verschulden, wie eine Gefährdungshaftung, eingestuft. »Es wird nimmer geguckt, ob er [der Anlagenbetreiber, FS] wirklich der Schuldige war«, so Seidel. Das Versicherungsunternehmen hat wegen dieser verschärften Auflagen des Umweltschadensgesetzes (USchadG) reagiert und eine Ökohaftungsversicherung für Biogasanlagen entwickelt. Der Anlagenbetreiber haftet also nicht nur für einen nicht selbst verursachten technischen Defekt, sondern auch für Gewässer, den Boden und geschützte Tier- und Pflanzenarten. Seidel erklärt die drei Versicherungsbausteine: Öko 1, Öko 2 und Öko 3. Mit Öko 1 sind alle Drittschäden versichert, das ist am wichtigsten, so Marco Seidel, und ist deshalb bei einer Betriebshaftpflichtversicherung unaufgefordert dabei. Damit sind schon die Muschelbänke in der Wörnitz versichert. Die Erweiterung zu Baustein Öko 2 richtet sich auf Gefahren der Biodiversität, auf den Schaden bei eigenen und gepachteten Grundstücken und Grundwasserschäden. Häufig wird der Betreiber bei Auslaufen der Anlage verpflichtet Ausgleichszahlungen zu erbringen, um den Lebensraum wiederherzustellen. Die Versicherung zahlt bei Öko 2, wenn Gefahr für die menschliche Gesundheit besteht. Baustein Öko 3 ist noch weitgehender und übernimmt den Schaden auch dann, wenn die menschliche Gesundheit nicht gefährdet ist. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine Eigenschadenversicherung, in der Grundwasserschäden mitbeachtet werden, weil diese »bei den Biogasanlagen die größte Gefahr für die menschliche Gesundheit und somit das Wichtigste sind«, so Seidel. Bei gerichtlichen Straf101 Vgl. hierzu: Böhm, Michael (2009) Meterhoch steht die Gülle um die Biogasanlage. Unfall: 2000 Kubikmeter sind aus einem Silo gelaufen, zum Teil auch in die Wörnitz. In: Rieser Nachrichten vom 28. 02. 2009; Böhm, Michael (2009) Nach dem Gülle-Unglück ermittelt der Staatsanwalt. Gutachter hat geklärt, wie 2000 Kubikmeter Gülle aus dem Silo fließen konnten: Appartur war nicht sachgerecht befestigt. In: Rieser Nachrichten vom 06. 03. 2009. 102 Ungefährliche Aktivitäten sind beispielsweise der Bürobetrieb, so Seidel.

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verfahren gegen Betriebsinhaber, wie beispielsweise den Biogasanlagenbetreiber, gegen den wegen der in die Wörnitz ausgelaufenen Anlage eine ganze Zeit lang ermittelt wurde, habe die Versicherung Brachmond einen sogenannten Strafrechtschutz für Unternehmen, um für die »horrenden Kosten« der Anwälte in Leistung zu treten. Marco Seidel erklärt, dass ein »gewöhnlicher« Strafverteidiger zwar »nur 300 oder 400 Euro kostet«. Aber für die Verteidigung im Bereich der Bioenergieproduktion verfüge dieser häufig nicht über die nötige Expertise, also seien externe Sachverständige und Gutachter nötig »und das wird richtig teuer!« Ähnlich wie bei der Kreditvergabe durch die Bank spielt beim Erstgespräch immer der Wert der Biogasanlage die wichtigste Rolle für die Berechnungsgrundlage einer Versicherung. »Also wie viel hunderttausend Euro haben wir für Technik und wie viel hunderttausend Euro haben wir für den baulichen Teil ausgegeben.« Zusätzlich lege man Wert auf Brandmeldeanlagen, Gasmeldeanlagen, Rauchverbot und Einzäunung der Anlage. Das Erstgespräch findet in der Regel vor dem Baubeginn statt. Die Montageversicherung wird »quasi aus der Theorie geboren«. Man rechnet, »wie viel kostet mich der Spaß«, und dann werden diese veranschlagten Werte versichert, erklärt Marco Seidel. Erst im Nachhinein ist festzustellen, ob man »exorbitant abgewichen ist oder nicht«. Marco Seidel meint jedoch, aufgrund der langen Erfahrung seien das im Normalfall nur kleine abweichende Nuancen. Aus den neuen Summen nach Inbetriebnahme wird dann die Basis für zum Beispiel die Feuerversicherung berechnet. Der Landwirt erhält von seinem Steuerberater im Normalfall eine Aufstellung mit dem Anlagevermögen und dem Anschaffungsdatum. »Wir versichern ja worst case. Das bedeutet, falls die Anlage explodiert, einsturzgefährdet ist und hinterher komplett abgerissen werden muss, erhält der Betreiber das komplette Anlagevermögen durch die Versicherung zurück und geht damit zur Bank. Thema ist erledigt, keine Biogasanlage oder er fängt von vorne an und baut sie wieder auf.« Das Unternehmen versucht durch engen Kundenkontakt von Neuanschaffungen wie zum Beispiel dem Bau eines Wärmenetzes oder einem Radlader zu erfahren, um diese wiederum zu versichern: »Wir kommen erst immer weit hinten in dieser Kette. Deswegen muss man da einfach nahe dran bleiben«, so Seidel. Der klassische Erstverkäufer vor Ort ist der Ansprechpartner für »alle Wehwehchen«. Er koordiniert, besorgt die Unterlagen und bei Fragen zum Bereich Biogas kann er auf Unterstützung des Spezialisten Marco Seidel zurückgreifen. »So versuchen wir die Kunden natürlich zu begleiten, dass wir mit den Kunden wachsen, das kann man nur, wenn man regelmäßig vor Ort ist.«

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Learning by doing auch im Versicherungsunternehmen »Das war für uns Learning by doing, mit der Geschwindigkeit, mit der die Anlagen wie Pilze aus dem Boden geschossen kamen, da konnten wir als Versicherer ja gar nicht mithalten.« (Marco Seidel, Versicherungsvertreter)

Schließlich seien die Biogasanlagen immer einen Schritt voraus gewesen. »Die Landwirte haben irgendwann so eine Anlage hingestellt und gesagt, das machen wir jetzt, damit verdienen wir Geld.« Dann mussten die Versicherer als »Schreibtischtäter« das Betriebsschema einer Anlage prüfen, also wie eine Biogasanlage funktioniert und in welcher Größenordnung im Ries überhaupt gebaut wird. Der eigene technische Dienst des Versicherungsunternehmens musste zunächst darauf hinweisen, worauf die Betreuer baulich achten müssten und welche Vorschriften der Berufsgenossenschaft bestehen. »Erst Schritt für Schritt sind wir zu diesen Erfahrungen und Kenntnissen gekommen«, erklärt Seidel. Er erinnert sich in diesem Zusammenhang, dass die allerersten Biogasanlagen »nur feuerversichert« waren. Ein Landwirt kennt das auch nur so, da der landwirtschaftliche Betrieb auch meist so versichert war. Höchstens waren noch die Gebäude gegen Sturm versichert, »aber mehr war nicht drin«. Dass es aber ein anderer Schaden ist, »ein paar neue Dachplatten auf das Dach machen«, wie wenn die Abdeckung einer Biogasanlage im Wert von 40 000 Euro »runterreißt«, das mussten die Betreiber auch erst lernen. Hier war ein Umdenken seitens der Betreiber erforderlich, meint Seidel und er fährt fort: »Wir lernen gegenseitig voneinander.« Die Landwirte waren es gewohnt, viel selbst zu reparieren, sind aber mittlerweile auch unter Auflagen der Versicherung gezwungen, Aufgaben abzugeben, wie beispielsweise die Durchführung regelmäßiger Wartungen und eine Überprüfung der elektrischen Anlagen. Hier sei das Risiko einfach zu groß, betont Seidel. Natürlich sei das immer abhängig vom jeweiligen Betrieb: »Da gibt es welche, die sind super, das sieht man gleich, alles in Schuss. Dann gibt es welche, da ist alles uralt und keiner kümmert sich drum, aber der hat trotzdem einen laufenden Betrieb, aber wenn das Ding abbrennt, dann müssen wir das bezahlen.« Informationen über Sicherheitsregelungen bei Biogasanlagen für die Betreiber stellt der Anlagentechniker Benedikt Richter zur Verfügung. Dieses Material ist auch für das Versicherungsunternehmen sehr nützlich. Anlagenbauer Richter ist in seinem Bereich »der Pionier hier. Der hat ja mittlerweile x Anlagen gebaut, der kennt sich aus!« Das Bewusstsein bei den Landwirten für mögliche Schäden und Gefahren bei Energieerzeugung mittels Biogas wachse erst durch Richters Erfahrungsschatz. Es geht Marco Seidel auch darum zu sensibilisieren, wenn »ihnen der Riesengasspeicher vor dem Haus um die Ohren fliegt, dann ist vielleicht nicht nur die Anlage, sondern außen rum einiges mehr

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kaputt«. Einerseits stimme es natürlich traurig, wenn »wir erst mal einen Schadenfall brauchen, um sagen zu können, ja überleg mal, was ist denn, wenn …«. Andererseits ist das nun mal »unser Tagesgeschäft« und fügt er hinzu: »Besondere Technologien bringen auch besondere Risiken mit sich.« Die derzeit häufigsten Schäden beim Betrieb einer Biogasanlage sind das Auslaufen der Anlage mit verschieden schweren Folgen, Sturmschäden an den Abdeckfolien und Folienschäden allgemein, »wenn das Substrat innendrin so aufgährt, bis die Folie oben kaputtgegangen ist.« Glücklicherweise zählen Explosionsschäden zu den seltenen Fällen. Auch für das Versicherungsunternehmen sind neue Herausforderungen durch den Bau und den Betrieb von Biogasanlagen im Nördlinger Ries entstanden. Da es sich um eine im Entstehen begriffene Technologie handelt, deren Risiken erst in der Praxis abschätzbar sind, muss auch das Versicherungsunternehmen flexibel auf die möglichen Gefahren eines Biogasbetriebs reagieren und sich in der unmittelbaren Anwendung weiterentwickeln. Das Beispiel der bedrohten Muschelbänke zeigt, wie unerwartete Nebenfolgen neue Sicherheitsstrategien auf den Plan rufen. Durch »gegenseitiges voneinander Lernen«, wie Marco Seidel die Zusammenarbeit mit den Anlagenbetreibern beschreibt, ist das Versicherungsunternehmen »Schritt für Schritt« zu den Erfahrungen und Kenntnissen gekommen. Auch die Landwirte mussten aufgrund der technischen Neuerungen des Anlagenbetriebs viel dazulernen oder gefährliche Aufgaben aus Sicherheitsgründen aus der Hand geben.

Modernes Unternehmertum in konservativ geprägter Region »Eine normale Kuh bringt so 6000 Liter, ’ne 4000-Liter-Kuh ist schwach und wir haben immer gesagt: Eine Biogasanlage ist eine 12 000-Liter-Kuh, das heißt, die ist so intensiv, du musst dich so um sie kümmern. Du musst dich Tag und Nacht um sie kümmern!« (Franz Schäfer, Landwirtschaftsamt)

Dieses Zitat verdeutlicht, welchen neuen Anforderungen sich Biogasanlagenbetreiber stellen müssen: Biogas bedeutet mehr Arbeit, höheren Zeitaufwand und ein erhöhtes Risiko. Es handelt sich um eine noch im Entstehen begriffene Technologie, die in Bezug auf Erfahrungswerte eine Unsicherheit darstellt. Dies erfordert unternehmerisches Geschick, Belastbarkeit und die Fähigkeit, sich selbst immer wieder (mit) weiterzuentwickeln. Das Tätigkeitsfeld eines früher konventionellen Landwirtes hat sich verschoben zu einem unternehmerischen Biogasanlagenbetreiber : Dennoch bleiben die Bezüge zur konventionellen Landwirtschaft vorhanden. Ohne den landwirtschaftlichen Betrieb und das durch diesen Betrieb bei den meisten

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Gesprächspartnern als selbstverständlich betrachtete Wissen zu landwirtschaftlichen Produktionsabläufen wäre bei den befragten Anlagenbetreibern die Umstellung auf Energieproduktion nicht möglich gewesen. Es geht vielmehr darum, auf dieses bereits vorhandene Wissen aufzubauen und den Betrieb weiterzuentwickeln. Früher war es die Kuh, heute ist es die Biogasanlage, die ähnlich »gefüttert« wird, denn »eine Biogasanlage frisst alles, was eine Kuh auch frisst« – nur in anderen Mengen und mit anderen Ansprüchen. »Es wäre viel schwieriger gewesen, in dieses Unternehmertum einzusteigen ohne diese Basis des landwirtschaftlichen Betriebs«, so Martin Huber. Im Dorf habe jeder noch ein Stück Land und könne daher einfacher einen Kredit erlangen. Man müsse also nicht zu einem Risikokapitalgeber. Martin Huber war anfangs auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen, für die es, obwohl sie selbst aus der Landwirtschaft stammen, schwierig gewesen sei, »so viele Schulden zu machen« und das eigene Haus zu beleihen. »Sie hatten Angst, wenn etwas ist, dann nimmt uns die Bank unser Haus weg. Die ganzen Biogasanlagen, aber auch viele Windenergieanlagen, kommen aus diesem landwirtschaftlichen Bereich raus, weil das Unternehmertum, das Selbstständigsein gehört einfach dazu.« Jedoch hat Energieerzeugung mittels Biogas nicht mehr viel mit Landwirtschaft zu tun: »Landwirtschaft ist bei mir eher Hobby«, meint Biogasanlagenbetreiber Huber und räumt ein, wenn sein Vater ihn nicht in Bereichen wie Pflanzen- und Ackerbau unterstützen würde, wäre einiges schwieriger. Klar, wiederholt er, die Energieerzeugung durch Biogas hat sich aus der Landwirtschaft ergeben, aber das ist mit konventioneller Landwirtschaft nicht mehr zu vergleichen. Das sieht man aber den Biogasanlagen auch an, erklärt Anlagenbetreiber Peter Groß: »Wir müssen auf Industriestandard bauen, arbeiten, wirtschaften, weil sonst können wir nicht überleben!« Mittlerweile sind auch die Auflagen wie beispielsweise für die Sicherheitstechnik vom TÜV Süd so verschärft, dass keine andere Wahl besteht, als auf Industriefertigungen zurückzugreifen. Bei Abnahme der Anlage werde nochmal extern geprüft, nur dann kann die Anlage in Betrieb gehen. Aus diesen Gründen haben mittlerweile die meisten Anlagenbetreiber eine Ausbildung zum Agraringenieur oder sind »zumindest Techniker«, so Groß. Junge und gut ausgebildete Unternehmer »Wir sind da reingewachsen«, früher habe man in der Landwirtschaft auch große Summen ausgegeben, aber mit Biogas sind die Dimensionen andere, »aber damit gehen wir um«, meint Anlagenbetreiber Martin Huber gelassen. »Da gehen große Summen rein und dann große wieder raus. Das macht mir gar nix mehr aus mittlerweile, wenn ich drei Millionen Schulden habe, dann ist das so.« Früher hätte sich das Martin Huber nicht vorstellen können, auch weil seine

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Eltern in der Landwirtschaft immer keine Schulden machen wollten, immer alles schnell abbezahlt und die Beträge aus der Portokasse finanziert hätten. Es herrschte das Prinzip: Wenn kein Geld da ist, unternimmt und investiert man nichts, auch wenn es notwendig wäre. Mittlerweile sind Huber die Schulden »wurscht«, weil er sieht, dass das Unternehmen läuft und auch etwas »über bleibt«. Man gewöhne sich an dieses »unternehmerische Denken«. Dieses sei früher in der Landwirtschaft nicht stark ausgeprägt gewesen, vor allem »wenn man sich die ganzen anderen Landwirte anschaut, die kalkulieren nicht, die verkaufen das, was der Markt hergibt«. In Martin Hubers Augen müssten sich die konventionellen Landwirte vielmehr fragen, ob sich der Betrieb überhaupt rechne, beispielsweise am Stundenlohn. »Das gibt es in der Landwirtschaft nicht, dass sich einer mal selbst seinen eigenen Stundenlohn ausrechnet. Wenn er [der Landwirt, FS] dann drauf kommt, dass er fünf Euro die Stunde verdient, schläft er nicht mehr.« Für Martin Huber ist jedoch klar, dass er mit dem Biogasbetrieb mindestens so viel einnehmen muss, wie wenn er seinen erlernten Beruf als Ingenieur ausüben würde. Diese Einsicht haben allerdings viele nicht, bestimmt auch, vermutet Huber, weil sie nicht wie er und seine Anlagenbetreiberkollegen durch sein Studium mal »draußen« gewesen waren. »Einer, der sein Lebtag nur in der Landwirtschaft war«, könne dieses unternehmerische Denken gar nicht entwickeln. An den Biogasanlagenbetreibern, die mir als Gesprächspartner zur Verfügung standen, fällt auf, dass alle relativ junge Unternehmer sind. Das liege auch daran, dass »jemand, der 20 Jahre lang Kühe gemolken hat«, nicht mehr bereit für etwas Neues wie einen Biogasbetrieb sei, meint der junge Anlagenbetreiber Peter Groß. Häufig übernehme der »Junior« die Hofnachfolge, der in der Landwirtschaftsschule eine gute Ausbildung mit Spezialisierung auf Biogas genossen hat oder einen Studiengang wie Umwelttechnik und Erneuerbare Energien erfolgreich abgeschlossen hat: »Dem wird schließlich überall erzählt, dieser neue Betriebszweig ist spitze von der Wirtschaftlichkeit her«, berichtet Bankberater Tobias Schumacher aus Erfahrung. Der »Junior« bringt Arbeitszeit, Know-how und die Begeisterung mit, etwas Neues zu entwickeln. Somit ist schnell ein zweites Einkommen für die Familie geschaffen. »Mit 50 macht man das nicht mehr«, so auch Schumacher. Den angehenden Anlagenbetreibern wird bereits in der Ausbildung und im Studium ein anderes Denken vermittelt, nicht mehr so »einschienig« wie in der konventionellen Landwirtschaft, sondern stärker unternehmerisch, betriebswirtschaftlich und kaufmännisch, berichtet Martin Huber. Gerade beispielsweise in der geographisch nah gelegenen Landwirtschaftsschule Triesdorf ist Biogas »schon immer ein Thema«. Man hat dort erkannt, dass »sie mit dem alten Denken nicht mehr so weit kommen«, meint Biogasanlagenbetreiber Andreas Hertle. Martin Huber erinnert sich jedoch auch, dass er als junger Unternehmer

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einige Rückschläge einstecken musste und dass es nicht immer einfach war, den Betrieb am Laufen zu halten: »Wir haben auch echt schon viel durchgemacht, es waren echt harte Zeiten. Das Geld war knapp und die Arbeit unendlich viel.« Dennoch räumt er ein, dass er sich nichts anderes vorstellen könnte, weil der Betrieb so vielseitig ist und er gerne viel arbeite, »auch wenn man durch diese Täler ab und an durch muss«. Hinzu kommt, dass die zum Teil recht jungen Unternehmer nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern auch für ihren Anlagenbetrieb und ihre Mitarbeiter übernehmen. Das unternehmerische Denken erscheint bei einem Biogasbetrieb sehr wichtig, schließlich sind die Summen, mit denen die Anlagenbetreiber jonglieren, deutlich höher als in der konventionellen Landwirtschaft. Genaues Kalkulieren, Berechnen und Abschätzen spielt hier eine ebenso wichtige Rolle wie ein gelassener Umgang mit Schulden, solange die Einnahmen stimmen. Die jungen Unternehmer wachsen an ihren Aufgaben, übernehmen Verantwortung für ihre Mitarbeiter, sind bereit, hart zu arbeiten und haben Spaß an ihrem Beruf, auch wenn sie Rückschläge einstecken mussten. Womöglich gerade dadurch haben sie immer wieder dazugelernt, sind nie auf der Stelle stehen geblieben und haben sich fortwährend weiterentwickelt.

Goldgräberstimmung, aber »keine Lizenz zum Reichwerden!« »Die wissen hier, dass wir einen Haufen Umsatz machen und dass wir hier gutes Geld verdienen für die Verhältnisse hier. Das kann sich einer, der nicht ganz doof ist, in fünf Minuten mit dem Taschenrechner ausrechnen. Da sind sicher auch manche neidisch.« (Martin Huber, Biogasanlagenbetreiber)

Bei Energieerzeugung mittels Biogas ist durch die konstante Einspeisevergütung mit festen Einnahmen zu rechnen, das kann in der konventionellen Landwirtschaft niemand garantieren: »Jeder weiß, der Milchpreis schwankt. Der Preis fürs Fleisch schwankt, der Preis fürs Getreide schwankt massiv«, so Anlagenbetreiber Peter Groß. Ob man in einem Jahr 500 000 Euro Umsatz und im nächsten Jahr nur 350 000 Euro Umsatz tätigt, ist in der konventionellen Landwirtschaft nicht vorherzusehen. Die »gigantische« Planungssicherheit bei Energieerzeugung aus Biogas ist selbstverständlich ein Grund, warum viele Landwirte umsatteln, schätzt Groß. »Üblicherweise kosten Anlagen in unserer Größe fünf Millionen aufwärts«, so Huber. Aber gerade wegen der 20-jährigen Vergütungsabsicherung durch das EEG vergeben die Banken hierfür gerne einen Kredit, weil »die [Banker, FS] wissen, wenn man nicht alles falsch macht«, wirft der Betrieb Einnahmen ab. Somit ist für die Banken das Risiko überschaubar. Zum Vergleich erklärt Anlagenbetreiber Huber, dass ein Kuhstall heute zwischen ein bis zwei Millionen Euro kostet,

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jedoch eine Biogasanlage nicht unter drei Millionen Euro erhältlich ist. Die Kosten sind zwar höher, werden aber auch schneller ausgegeben. Nach sechs Jahren Biogasanlagenbetrieb musste Martin Huber zum ersten Mal keinen Kredit für die Ernte aufnehmen, »sondern konnte[…] aus Barmitteln bezahlen, obwohl wir die Jahre vorher auch schon immer nicht wenig Gewinn gemacht haben, aber zwischen Gewinn und Liquidität ist dann doch auch immer nochmal ein Unterschied«. Somit gelange man mit einer Biogasanlage durchaus in höhere Umsatzbereiche. Beispielsweise hat der elterliche Betrieb früher »mit Glück gerade mal« 100 000 Euro Umsatz gemacht, durch die Biogasanlage sind es gut zwei Millionen Euro. Ein größerer konventioneller landwirtschaftlicher Betrieb mit 170 Kühen, für Bayern ein verhältnismäßig großer Betrieb, tätigt Umsätze in Höhe von 500 000 oder 600 000 Euro, »selbst für den wäre jetzt eine angeschlossene Biogasanlage fast eine Verdopplung von seinem Umsatz«, schätzt Martin Huber. Im Nördlinger Ries ist Landwirtschaft grundsätzlich schon immer etwas teurer gewesen, »wenn du hier Landwirtschaft betreibst, dann ist das wirklich, wie wenn du Gold kaufst – eine langfristige Wertsicherung des Vermögens, auch wenn da nicht unbedingt eine hohe Rendite dabei rausspringt«, erklärt Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt. Mit Energieerzeugung mittels Biogas sind noch ganz andere Dimensionen erreicht worden. Anlagenbetreiber Martin Huber denkt, dass »viele da gleich die Dollarzeichen sehen«. Allerdings sei es sehr wichtig, genau zu rechnen und von diesem landwirtschaftlichen Denken wegzukommen, sich nur über die eigene Fläche zu definieren. Denn so entstünden die hohen Pachtpreise. Zur Wirtschaftlichkeit eines Biogasbetriebs meint Bankberater Tobias Schumacher, dass sich die Schulden in zehn bis zwölf Jahren zurückzahlen lassen, je nachdem, wie teuer die Anlage war. Die theoretische Laufzeit von 20 Jahren durch das EEG lässt daraus schließen, dass es sich um eine angemessene Investition handelt, wie er es beschreibt. Ein großer Industriebetrieb würde das wahrscheinlich schon nicht mehr machen, eine Investition müsse sich für diese schon in fünf oder acht Jahren »locker gerechnet« haben. Energieerzeugung aus Biogas ist in den Augen des Bankberaters »rentabel, aber es ist keine Lizenz zum Reichwerden«. Wirtschaftlich am besten laufen die Biogasbetriebe, die relativ früh gebaut wurden und von den Verbesserungen im EEG 2009 profitierten. »Die haben billiger gebaut, kriegen aber die bessere Vergütung und dann rechnet es sich wirklich sehr gut«, so Schumacher. Und Anlagenbetreiber Groß erklärt, dass man durch die Abhängigkeit vom EEG als Anlagenbetreiber auch nicht viele Möglichkeiten habe, die Einnahmen zu erhöhen, weil »entweder es läuft oder es läuft nicht«. Im Prinzip gebe es zwei Möglichkeiten, das Einkommen zumindest ein klein wenig zu verbessern, entweder über eine sinnvolle Wärmenutzung, »aber das wird niemanden reich machen« und ist üblicherweise mit Investitionen und Aufwand verbunden. Die andere Möglichkeit ist, die Kosten zu verringern, »also optimieren, wo’s geht«, so

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Peter Groß. Bei den meisten Anlagen gibt es 10 bis 15 Prozent Optimierungspotential bei der Technik: »Vielleicht bildet sich da ja ein neuer Markt für Leute, die das verstehen und durch die Anlagen gehen und sagen, was könnte man besser machen, da sparst du. 10 Prozent davon gib uns, dann bekommst du das Wissen oder das Know-how. Contracting«, meint Anlagenbetreiber Huber in diesem Zusammenhang. Durch Biogas sind neue Alternativen für aufgabewillige Betriebe geschaffen worden. Viele der kleinen Betriebe, die Ackerbau und Viehhaltung kombinieren, können die Viehhaltung aus ökonomischen Gründen nicht weiterführen, jedoch weiterhin ihre Felder bestellen und für ihre Feldfrüchte durch die Abnahme der Biogasanlagen einen Gewinn erwirtschaften. Entweder bewirtschaftet der Landwirt dann weiterhin selbst seine Äcker oder der Biogasanlagenbetreiber übernimmt diese Aufgabe. Wolfgang Obermeyer vom regionalen Landwirtschaftsamt meint, dass dieser sanfte Übergang in den Ruhestand oder ins Aussteigen somit durch die Biogasenergieproduktion ermöglicht werde. »Viele Nebenerwerbslandwirte säen im Frühjahr aus und haben den Stress mit der Ernte nicht. Da kommt der Anlagenbetreiber mit der Erntekolonne und holt es ab«, so bestärkt auch Tobias Schumacher. Der Nebenerwerbslandwirt hilft noch etwas mit und »verdient noch ein paar Euro, indem er seine Maschinen bewegt und die Stunden abrechnet«, meint der Bankberater weiter. Anlagenbetreiber Peter Groß erklärt anhand eines Beispiels, dass es jedoch in diesem Zusammenhang für Biogasanlagenbetreiber bereits zu Problemen gekommen sei: Der konventionelle Landwirt könne pokern, Weizen anbauen und diesen, falls die Getreidepreise schlecht sind, vom Biogasanlagenbetreiber häckseln lassen, »weil da weiß er, was er dafür kriegt«. Wenn jedoch die Substratpreise wie im Jahr 2007 »explodiert« sind, »rückt die Biogasanlage in den Hintergrund oder ist nur dann beliefert worden, wenn entsprechend gut bezahlt wird«. Der Substratpreis macht 60 Prozent der Kosten für eine Biogasanlage aus und »dann geht es ganz schnell in die roten Zahlen«, so Anlagenbetreiber Peter Groß. Dadurch könnten auch die konventionellen Landwirte indirekt von der Preisstabilität durch das EEG und der 20-jährigen Sicherheit profitieren, indem sie zwischen Anbau für Biogasanlagen und Nahrungsmittelmarkt »switchen«, meint auch der Erneuerbare-Energien-Experte Dr. Leo Vogt. Wenn die Preise für Nahrungsmittel wieder ansteigen, kann der (Nebenerwerbs-) Landwirt wieder für den Nahrungsmittelmarkt anbauen. Er hat allerdings zugleich auch die Sicherheit, dass der Anlagenbetreiber die Biomasse abkauft. »Das sind die eigentlichen Gewinner«, so Vogt.

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Unentwegte technische Entwicklungen in der Biogasbranche »Viele Biogasanlagenbetreiber sagen, wir können keinen Landarbeiter einstellen, wir brauchen Techniker. Einen Techniker, der die Technik der Biogasanlage beherrscht.« (Franz Schäfer, Landwirtschaftsamt)

Die Technik um die Anlagen entwickelt sich fortwährend weiter. Alte Anlagen werden modernisiert und erweitert. »Die Technik steht nicht still! Dauernd gibt es etwas Neues bei Biogas, was zum Teil von den Betreibern selbst entwickelt wurde«, meint Franz Schäfer und fährt fort, Biogas sei auch deshalb eine »tolle Sache«, weil die Landwirte viel selbst entwerfen, konstruieren und basteln: »Wie Landwirte plötzlich zu Technikern wurden, wie sie sich da reingearbeitet haben. Davon bin ich fasziniert.« Versicherungskaufmann Marco Seidel bestätigt, im Prinzip habe sein Unternehmen immer wieder neue Arbeit mit seinem vorhandenen Kundenstamm, weil aufgrund neuer Technologien Neuerungen wie Vergrößerungen der Anlage, Erweiterungen, Austausch von Technik und neue maschinelle Anschaffungen wieder neu versichert werden müssten. »Wir werden dieses Geschäft immer fortwährend auf dem Tisch haben«, erklärt er. Beispielsweise würden sich viele Anlagenbetreiber bei Austausch des Motors gleich im selben Schritt überlegen, ob der Anschluss einer Wärmeleitung zu einem Industriegebiet oder einem Krankenhaus auf Interesse bei möglichen Abnehmern stößt: »Also da erschließen sie [die Anlagenbetreiber, FS] immer wieder neue Wege, wenn sie sowieso austauschen müssen.« Es handle sich daher zwangsläufig auch immer wieder um neue Risikoeinschätzungen, was jetzt modern sei: »Ist ein Foliendach modern, ist der Betondeckel modern, wo geht die Technik hin?«, erklärt Seidel. Mittlerweile gibt es für neue Biogasanlagen standardmäßig eine Alarmanlage mit Direktschaltung zur Feuerwehr und eine Gasmeldeanlage mit automatischer Abschaltung, was Seidel hinsichtlich der Größenordnung der Biogasanlagen für nötig hält: »Die neuen Anlagen nutzen von der Technik her alles aus«, gerade am Beispiel der Entwicklung des Motors könne man das gut nachvollziehen: »Wir haben früher Motoren gehabt, da war ein 100-kWh-Motor drin, heut ausgetauscht sind es plötzlich 250 kWh, da macht die Technik auch einfach Riesenschritte. Früher waren die Motoren im Prinzip nur umgebaute LKW-Motoren, heute gibt es einen eigenen Industriezweig.« Der 500-kWh-Motor koste mittlerweile 300 000 Euro. Anfangs seien die Motoren schnell defekt gewesen, »das ist jetzt viel besser, klar: teurer, aber auch besser«, so Stefan Koch. Beinahe jeden Tag falle im Betrieb etwas »zum Richten« an. Um die Biogasbranche herum haben sich große Lohnmaschinenhändler angesiedelt, die mit neuen Geschäftsideen die Arbeitsweise für Anlagenbetreiber vereinfachen. Versicherungskaufmann Seidel berichtet von einem Unternehmen, das den innovativen Einfall hatte, Pistenbullis, »die man von der Skipiste her kennt«, in Frontlader-Traktoren umzurüsten und mit einem an-

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deren Kühlsystem auszustatten, »weil der schafft die doppelte Menge zum Schieben wegen des Kettenantriebs. Das heißt einfach: Zeitersparnis.« Mit neuen Technologien sind immer schon neue Arbeitsplätze entstanden, so Versicherungskaufmann Seidel. Es wird deutlich, dass es sich bei Biogas um eine im Entstehen begriffene und dynamische Technologie handelt: Die Betreiber selbst entwickeln die Technologie weiter und treffen aufgrund dieser Erfahrungen ihre unternehmerischen Entscheidungen. Dauerhaft optimieren, verbessern und erweitern sie dadurch ihre Betriebe. Immer in Abwägung mit ihrer jeweiligen finanziellen Situation, aber auch im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten reflektieren die Anlagenbetreiber, welche technischen Maßnahmen unternommen werden sollen. Mit der Entstehung neuer Industriezweige wie zum Beispiel dem Gewerbe für Biogasmotoren wird auch hier innoviert und gebaut. Durch Arbeitsplätze und Spezialisierung für neue industrielle Gewebebetriebe entwickelt sich diese Branche beständig weiter.

Regionale Wertschöpfung durch Biogas »Mit den Biogasanlagen sind ganz neue Arbeits- und Produktionsformen entstanden. Das ist ein kompletter Industriezweig.« (Robert Graf, Tierarzt)

Durch die neue Einkommenssituation in der Landwirtschaft haben sich neue Chancen am Arbeitsmarkt aufgetan, so Wolfgang Obermeyer vom regionalen Landwirtschaftsamt. Mit Biogas sind innerhalb von gerade mal fünf Jahren neue Branchen, neue Berufsfelder und neue Qualifikationen entstanden. »Das wird uns beschäftigen, die Berufschancen von naturwissenschaftlichen Ausbildungen sind radikal gestiegen hier auf dem Land. Das wird alles stärker ausgerichtet auf die Wirtschaft«, so Obermeyer. Bisher existierte im Nördlinger Ries das Problem, dass engagierte, gut ausgebildete junge Menschen die Region aufgrund der schlechten Arbeitsmarktchancen verlassen haben: »Von allen, die ich kenne, die unter 30 sind, die studiert und sich qualifiziert haben, gibt es bisher nur wenige, die hier bleiben. Meist sind es Lehrer.« Aber es sind doch genau die »gut Ausgebildeten, die es ausmachen«, meint Wolfgang Obermeyer. Aus diesem Grund müsse man verhindern, dass die Menschen wegziehen, die »authentisch, verwurzelt und gut sind, aber dank Biogas bleiben jetzt auch andere Leute in der Region: Ingenieure, Techniker, Tüftler!« So haben sich die Faktoren Standortqualität und Arbeitseinkommen durch die Biogasbranche stark verbessert. Und der Anlagentechnikunternehmer Benedikt Richter erklärt in diesem Zusammenhang: »Natürlich haben wir einen klaren Strukturwandel hier, aber genau das führt zur Entwicklung eines Mittelstands und zu regionalem Denken!«

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Anlagenbetreiber Martin Huber sieht das Problem des Akademikermangels in der Region ähnlich: »Das ist hier leider manchmal so wie in der Dritten Welt«, denn junge Leute gehen zum Studieren in die Stadt, haben dann aber keine Chance, aufs Land zurückzukehren, weil es keine adäquaten Jobs gibt. Aufgrund der Entwicklung durch die Energieproduktion aus Biogas habe sich die Situation nun verändert und er selbst fühle sich dazu verpflichtet, »das Wissen, das man sich außerhalb angeeignet hat, wieder zurückzubringen aufs Land und damit etwas zu bewirken, wo ich herkomme!« Jetzt hat auch die Bevölkerung auf dem Land die Chance, zu studieren und ihr Wissen wieder zurückzubringen, weil neue Arbeitsplätze entstanden sind. Martin Huber hebt hervor, wie wichtig seine Erfahrungen im ingenieurswissenschaftlichen Studium für seine späteren beruflichen Entscheidungen waren: »Wenn ich nicht in Göttingen zum Studieren gewesen wäre, hätten wir mit Sicherheit das Nahwärmenetz nicht so gemacht wie jetzt. Dann hätten wir es von jemandem machen lassen. Ich hätte nicht den Mut gehabt, es so zu bauen.« Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt vermutet daher, dass es eine »Rückbesinnung« zugunsten der hohen Lebensqualität auf dem Land wegen der vorteilhaften Preis- und Kostensituation geben wird. Die ländlichen Räume werden durch die Möglichkeit der Energieerzeugung gewinnen, meint er. Momentan könne man das bereits beobachten. Es entstehen Arbeitsplätze in der Energiebranche, bei den Zuliefererunternehmen und den neuen Dienstleistungen wie Nahwärmenetzverlegerbetriebe und Sanitärfachbetriebe bis hin zu den landwirtschaftlichen Betrieben an sich: »Die Biogasler selbst sind Arbeitgeber.« Diese Entwicklung ist sehr wichtig für strukturschwache ländliche Räume, so Obermeyer. Allein im Umkreis von 30 Kilometern sind vier Firmen durch die Biogasbranche entstanden, »die alle 150 Leute beschäftigen«, so Benedikt Richter. Das EEG ist hier zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden, wenn man sich diese vielen neuen Arbeitsplätze ansieht, sagt Anlagenbetreiber Martin Huber. Und Biogasanlagenbauunternehmer Benedikt Richter rechnet vor: »Bei 80 Biogasanlagen, direkt an einer Anlage mit kleiner Größe haben wir eineinhalb Arbeitskräfte, dann sind das insgesamt 130 bis 150 Arbeitsplätze. Dann haben wir allein in meinem Betrieb knapp 100 Mitarbeiter und ungefähr nochmal die gleiche Zahl an Subunternehmer hier im Landkreis. Das heißt, das sind 300 Arbeitsplätze hier und dann kommt noch der Landtechnikbereich dazu.« Martin Huber berichtet, dass 2009 das erste Jahr seit langer Zeit war, in dem in der Landwirtschaft wieder »nennenswert« Geld verdient wurde. Früher sei man gerade »so über die Runden« gekommen, heute sei durch den Energiesektor viel Geld investiert worden. Huber spricht von einem echten Boom der Landwirtschaft in der Region, »die verdient damit jetzt ja richtig Geld!« Das Besondere sei, dass ein regionaler Kreislauf entstanden ist: »Das Geld bleibt hier in der Region. Die Wärme wird von uns hier erzeugt und hier verbraucht. Das Geld wandert

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hierher über die Bonuszahlungen und es wird hier wieder ausgegeben«, so Obermeyer vom regionalen Landwirtschaftsamt. Die Substrate für die Biomasseanlagen stammen überwiegend aus der Nachbarschaft, also von benachbarten Landwirten, die statt Futtergetreide Mais für die Silage anbauen und »dafür schönes Geld bekommen, und zwar regelmäßig«, erklärt er und fährt fort: »Ich kenne keinen von diesen ganzen Biogaslern, der nicht mindestens jedes zweites Jahr eine große Baumaßnahme hat. Das wird alles erstmal nochmal reinvestiert und das kommt den Firmen zugute, die sich auf das Geschäft eingestellt haben, also den Umweltgutachtern, den Ölherstellern zum Beispiel bei den Zündstrahlmotoren, den Chemielaboren, die die Fermenterbiologie untersuchen, den planenden Anlagenbaufirmen.« Auch die Öffentlichkeit und Bevölkerung würde in Form von Nahwärmenetzen und den dadurch günstigen Energiepreisen von der Biogasbranche profitieren. »Manche kriegen die Energie fast zum Nulltarif, wenn sie in einem Nahwärmenetz drin hängen«, so Obermeyer. Welche Bedeutung also die Biogasbranche für die Wertschöpfung und regionale Entwicklung des Nördlinger Ries hat, fasst der Chef des Rieser Anlagentechnikunternehmens Benedikt Richter wie folgt zusammen: »Im Endeffekt sind es 40 MW, also 40 000 kW pro Stunde Dauerleistung«, die Tag für Tag in der Region durch die 80 Biogasanlagen erzeugt wird. Er rechnet vor, wie viel mit dem Verkauf erwirtschaftet werden würde: »Also 40 000 kWh mal 20 Cent [derzeitige Einspeisevergütung, FS], das sind 8000 Euro in der Stunde, mal 24 Stunden, mal 356 Tage im Jahr sind insgesamt 68 352 000 Euro: Wahnsinn! Das wird von den 80 Betrieben jedes Jahr umgewälzt. Da hängt viel Arbeit dran, da hängt der Landmaschinenring dran, da hängt alles dran! Da sieht man, was da so ein kleines EEG alles anschubst hier in der Gegend!« Im Endeffekt sei die Biogasbranche nach Eurocopter der größte Einzelarbeitgeber, meint er und fügt hinzu: »Aber das ist alles Mittelstand, das sind alles Familienbetriebe, und das sollte man doch in der Energieversorgung wollen! Man könnte ja auch sagen: Super! Best Practice!« Womöglich führt dies aufgrund der Preis- und Leistungssituation zu einer Rückbesinnung zugunsten der hohen Lebensqualität auf dem Land. Ländliche, periphere Räume können durch die Möglichkeiten der Energieerzeugung gewinnen. Das heißt in Relation vor allem auch, dass die Peripherie abseits von den Knoten der Globalisierung, den Informationszentren, ökonomisch, politisch und kulturell aufgewertet wird (vgl. Beck 2008 und Hannerz 2001). Projekte der Dezentralisierung von Energieerzeugung lenken die Aufmerksamkeit auf die Regionen, die vorher nicht begehrt waren. Innovationen im Auftreten und im Gebrauch von Energie führen zu neuen Chancen für diese Gegenden. Jene Zentrum-Peripherie-Debatte zeigt das Transformationspotential von Infrastrukturentwicklung auf: Formen des dezentralen und dezentrierten Designs

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haben starke Konjunktur und werden zu alternativen Zentren (vgl. Niewöhner 2014).

Das Beispiel eines Anlagentechnikunternehmens »Der Richter hat für 2011 250 Biogasanlagen verkauft, allein für 2011! Das ist Wahnsinn. Das ist wahrscheinlich fast so viel, wie er bisher in seiner gesamten Karriere gebaut hat, und nächstes Jahr ist nochmal so ein Boomjahr.« (Martin Huber, Biogasanlagenbetreiber)

Im Ries wird das Unternehmen Richter-Anlagentechnik als »Platzhirsch« unter den Anlagentechnikunternehmen bezeichnet, die einen großen Kundenstamm, auch weit über die Region hinaus bis ins Ausland haben. Von den 80 Biogasanlagen im Landkreis Donau-Ries hat Unternehmensleiter Benedikt Richter 70 Anlagen geplant und gebaut und bereits bei allen Umsätze getätigt. »Ich bin da schon ein bisschen schuld mit dran an der Entwicklung«, erklärt der gelernte Landmaschinen-Techniker lachend. Bereits zu Beginn seiner Ausbildung 1985 hat er gemerkt, »da geht’s mit Landwirtschaft den Berg runter«. Über eine lange Zeit hinweg ist wenig investiert worden, bis dann eben der Biogasschub kam. Die Betriebe hatten ja immer noch Zugriff auf die Fläche. »Die haben nur darauf gewartet und dann sind dann alle wie die Wilden drauf los. So haben wir uns gut entwickelt und die Landwirte auch. Die Betriebe verdienen echt gutes Geld damit«, meint Richter. Als der junge Unternehmer nach seiner Lehre und seinem anschließenden Studium der Versorgungstechnik begonnen hatte, Biogasanlagen zu entwerfen und zu bauen, wurde auch die zuständige Stelle des Fachberaters für Energie am regionalen Landwirtschaftsamt neu besetzt. Somit konzentrierte sich auch die Ausrichtung des Amtes mehr auf die Förderung von Energieerzeugung aus Biogas. Das war in Richters Augen der richtige Schritt, weil »die ganze Entwicklung funktioniert natürlich nur, wenn die betriebliche Beratung vom Amt voll dahinter steht«. Sein Unternehmen selbst entwickelte in dieser Zeit eine Propeller-Rührwerk-Technologie für Biogasanlagen, die sich aufgrund ihrer Langlebigkeit gegen andere Modelle durchsetzte. Benedikt Richter erzählt stolz, dass daher beinahe 10 Prozent aller deutschen Biogasanlagen zu ihrem Kundenstamm zählten. »Unsere technischen Komponenten sind schon immer qualitativ sehr hochwertig gewesen, da legen wir einfach viel Wert drauf und das wissen unsere Kunden.« Hinzu kommt die jahrelange Erfahrung bei der Bauausführung, die das Anlagentechnikunternehmen deutschlandweit auszeichnet. Das Unternehmen steht seinen Kunden von der ersten Beratung über die Planung und den Bau bis hin zur Inbetriebnahme zur Seite. Über einen 24Stunden-Notdienst ist das Unternehmen danach für Biogasanlagenbetreiber

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erreichbar, erklärt Richter. Im Laufe der Zeit mussten sich die Mitarbeiter aufgrund strengerer Rahmenbedingungen in verschiedenen Bereichen des Anlagenbaus immer weiter qualifizieren bzw. ihre Expertise ausweisen lassen. Der Landkreis Donau-Ries habe als erste Region aufgrund der hohen Dichte an Biogasanlagen Bauleitplanverfahren für die Anlagen gefordert, erinnert sich der Leiter des Anlagentechnikunternehmens. Es muss also seither als Vorschrift des Landratsamtes ein Bebauungsplan vorliegen, was ein sehr aufwendiges und teures Verfahren ist. Benedikt Richter hat aus diesem Grund vorgesorgt und als Anlagenhersteller hierfür Experten eingestellt. Das Unternehmen zeichnet sich daher heute durch sein, wie Richter sagt, sehr gutes Planungsbüro aus, zum Beispiel im Bereich Privilegiertes Bauen in der Landwirtschaft. Im Gespräch wird deutlich, dass Benedikt Richter nicht besonders gut auf das Landratsamt zu sprechen ist, das in seinen Augen den Bau neuer Biogasanlagen im Landkreis verhindern will und dadurch mit immer wieder neuen Auflagen bremst: »Seit sechs Jahren ist das nun immer so ein Wettbewerb: Das Landratsamt findet wieder irgendeinen neuen Paragraphen und wir finden wieder einen Weg drum herum. Wenn man findig ist und gute Ideen hat, dann kann man das immer wieder umgehen.« Es gibt mittlerweile einige Biogasanlagen, die das erzeugte Biogas in Erdgasqualität aufbereiten und dann ins örtliche Gasnetz einspeisen (siehe Porträt der Biogaspioniere). Dazu benötigt man eine Leitung zwischen Biogasanlage und Motor. Prinzipiell ist eine solche Gasleitung genehmigungsfrei, erklärt Richter. Wenn es sich dabei jedoch um eine Gas-Hochdruckleitung handelt, fällt sie unter das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und unterliegt der Überwachungspflicht durch das Wirtschaftsministerium des Landes Bayern. Es gibt allerdings bayernweit nur einen einzigen Beamten, der für die Einschätzung der Hochdruck- bzw. Niedrigdruck-Gasleitungen zuständig ist und »der die Vorliebe hat, fast alle Leitungen auf Hochdruck einzuschätzen. Das liegt nämlich ganz im Ermessen des Beamten das so oder so einzustufen«, erklärt Richter. Aufgrund seiner Einschätzung müsse die Leitung dann nach »Hochdruck-Standard« abgewickelt werden. In Baden-Württemberg beispielsweise ist das kein Problem, da dort fast nur Niedrigdruck-Leitungen bestimmt werden würden. »Freie Willkür ist das hier bei uns!«, schimpft Benedikt Richter. Für das Anlagentechnikunternehmen bedeutet dies, dass Hochdruckleitungen nur installiert werden dürfen, wenn »alle Zulassungen, also sämtliche Zertifikate und Zertifizierungen« für die Mitarbeiter vorliegen. »Das kostet immens viel Geld pro Mitarbeiter und das kann sich ein Betrieb wie wir mit 100 Mitarbeitern kaum leisten. Das kann nur ein großer Gasversorger, ein Energiekonzern«, beklagt Benedikt Richter. Diese Anlagen hätten daher einen »gigantisch« höheren Aufwand in der Genehmigung, der Inbetriebnahme und der technischen Ausführung. Um weiterhin markt- und konkurrenzfähig zu bleiben, sah

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das Unternehmen sich gezwungen, seine Mitarbeiter für den Bau von Hochdruckleitungen zertifizieren zu lassen. Mittlerweile ist der Betrieb aufgrund seiner Expertise, Erfahrung, Know-how und dem guten Service über die Grenzen des Landkreises hinweg bekannt. Seine Mitarbeiter erhielten derzeit häufig Arbeitsangebote von anderen Unternehmen. Aus diesem Grund setze Benedikt Richter die Namen seiner Mitarbeiter nicht mehr auf die Website und in die Werbebroschüren: »Ich hatte da echt Headhunter-Probleme, weil die mir meine Leute abwerben wollten. Wir sind einfach da ziemlich vorne dran. Ich habe auch schon einen Anruf bekommen, um mich abzuwerben.« Aktuell gerät die Biogasbranche unter Druck, weil mit der Novelle des EEG 2012 eine Verschlechterung der Vergütungssätze bei Biogas erwartet wird. Das bedeutet, es werden keine neuen Anlagen mehr gebaut. »Also wir hängen da ziemlich dran an dem EEG«, so Richter. Für einen Betrieb wie das Anlagentechnikunternehmen bedeutet dies, dass sie zwar weiterhin einen Dienstleistungsumsatz mit der Betreuung der bereits bestehenden Anlagen tätigen werden, »aber das reicht wahrscheinlich nicht für alle Mitarbeiter aus«, so Richter. Bankberater Schumacher spricht ebenfalls einige Befürchtungen für das Anlagentechnikunternehmen aus: »Die Montagetrupps, die Konstruktionsabteilungen, die Genehmigungsabteilungen müssen alle weniger werden. Die Dienstleistung bleibt, aber das sind die wenigeren. Dann muss er [Benedikt Richter, FS] Leute entlassen.« Und Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt sieht ebenfalls die Gefahr, dass es dann um »immense Vernichtung von Arbeitsplätzen geht, vor allem regional gesehen. Da hängen einfach viele dran.« Am Beispiel dieses Anlagentechnikunternehmens wurde deutlich, wie sich in Abhängigkeit von der Biogasbranche Expertise und fachliches Know-how in Form eines eigens auf den Bau und die Technik spezialisierten Betriebs entwickeln konnte. Mittlerweile ist der Betrieb aufgrund dieser Expertise, der langjährigen Erfahrung, der qualitativ hochwertigen technischen Komponenten und des guten Service deutschlandweit bekannt. Durch fortwährende Zertifizierung der Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen reagierte das Unternehmen auf neue und vor allem strengere Anforderungen beim Anlagenbau und bleibt somit markt- und konkurrenzfähig. Diese Entscheidungen wurden von dem Leiter des Unternehmens auch immer in Abwägung des finanziellen Risikos getroffen. Auch dieser Betrieb steht nie still und sucht fortwährend nach neuen Taktiken, bestimmte Auflagen zu umgehen oder aber durch erlangte neue Expertise und Qualifizierungsmaßnahmen für sich selbst anwendbar machen zu können. Ähnlich wie die befragten Anlagenbetreiber ist das Unternehmen unmittelbar abhängig von den Novellen des EEG. An dieser Stelle wird erneut offensichtlich, welche machtvollen und unabsehbaren Auswirkungen eine Policy wie das EEG als zentrales Instrument und Ordnungsprinzip der Regierungsführung erzeugt (vgl. Shore et al. 2011 und Adam/Vonderau 2014).

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Was zeichnet die Forschungsregion in Bezug auf diesen Habitus des beschriebenen Unternehmertums aus? Könnte man sie als besonders innovativ bezeichnen? Der Erklärungsansatz einiger Gesprächspartner einer spezifischen regionalen »Mentalität« reicht hier nicht aus. Vielmehr ist es lohnenswert, einen Blick in den Bereich der Arbeits- und Innovationssoziologie oder Wirtschaftsgeographie zu werfen. Regionale Besonderheiten wie in meiner Studie die Implementierung der Biogastechnologie werden deswegen gerade im Zusammenhang mit dem Thema Innovation immer stärker beachtet, wobei neben infrastrukturellen Komponenten auch die Bedeutung regionaler, oder besser gesagt, in der Region vorhandener soziokultureller Prägungen und Orientierungen hervortritt. Eine Gegend ist nach den Wirtschaftsgeografen Johnson und Lundvall dann wettbewerbsfähig, wenn sie eine learning economy (Johnson/ Lundvall 2000) hervorbringt, die Innovationen und knowledge spillovers (Howells 2002) entwickelt. Dies trifft auch auf die Akteursgruppen in der beforschten Region im Zuge der Implementierung von Energieerzeugung mittels Biogas sehr wohl zu. Es lässt sich sogar von einem kollektiv geteilten Biogas-Wissensvorrat sprechen, der aber als »jeweils situativ eingesetztes Repertoire von Deutungs- und Handlungsmöglichkeiten« (Welz 2007, 74) verwendet wird. In dieser handlungsermöglichenden Dimension des Wissensvorrates zeigt sich die besondere Fähigkeit der Akteure, auf veränderte Sachlagen und Opportunitätsstrukturen mit neuen Lösungen zu reagieren und somit innovativ zu sein (vgl. Welz 2007, 74).

Feldakteure und Feldaktanten Beeinträchtigung der Lebensqualität durch Biogas In der Bevölkerung hat sich auf Grund von Alltagsproblemen Widerstand gegen Biogasanlagen und deren Betreiber aufgebaut. Eine Biogasanlage benötigt größere landwirtschaftliche Fahrzeuge und Maschinen wie Traktoren oder Kipper zum Silieren, die während der Erntezeiten und zum An- und Abtransport der Biomasse durch die Dorfstraßen fahren. Das stellt für viele Anwohner eine Lärmbelästigung dar. Die unmittelbaren Anrainer einer Anlage klagen mittlerweile auch oft über die Geruchsbelästigung, die beim täglichen Befüllen der Anlage entsteht. Von Seiten des Wasserwirtschaftsamtes werden Beobachtungen laut, dass ein Teil der Anlagen nicht in einem optimalen Zustand ist und sowohl bei den Silos als auch bei den Anlagen Sickerwässer ins Grundwasser treten.

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Ein Beispiel: Die Bürgerinitiative gegen Lärmbelästigung »Das muss man sich nun einfach mal vor Augen halten, die ganzen Anrainer dieser Straße hier müssen das ertragen, und alles bloß wegen Energie!« (Hubertus Meier, Anwohner)

Hubertus Meier, Vorsitzender der Bürgerinitiative Anti-Lärmbelästigung der Löwenstraße in Truffingen hat mich zum Gespräch zu sich nach Hause eingeladen. Der Großteil der hier lebenden Anrainer hat sich zusammengeschlossen, um gegen die Lärmbelästigungen vorzugehen, die durch die Erntemaschinen zur Bestückung oder durch den An- und Abtransport der Gülle bzw. des Gärrests einer benachbarten Biogasanlage hervorgerufen werden. Bei den Fahrzeugen handelt es sich um Tankfahrzeuge mit Gärrest oder Gülle, Feldhäcksler und Zugmaschinen für landwirtschaftliche Zwecke. Hubertus Meier berichtet, dass er »diese Sache« nun schon seit zwei oder drei Jahren beobachten würde. Am Anfang hätten er und seine Familie den Lärm zwar wahrgenommen, aber kaum registriert. Jedoch habe man im Laufe der Zeit eindeutig eine Steigerung der Lärmbelästigung feststellen können, die mit der Entwicklung der Biogasanlagen zusammenfiel. Zuerst gab es nur eine Biogasanlage im benachbarten Dorf, aber dann innerhalb kürzester Zeit vier Anlagen in der unmittelbaren Umgebung: »Die Belastung wurde immer schlimmer.« Grundsätzlich hat Meier nichts gegen die Biogasanlagenbetreiber. Schließlich müsse der Betreiber »ja auch leben«, aber nicht auf Kosten der Lebensqualität der Anrainer der Löwenstraße, meint Hubertus Meier energisch. »Wir haben nicht gedacht, dass sich das Ganze so hochschaukelt. Wegen der Biogasanlage haben wir uns damals überhaupt keinen Kopf gemacht, dass so etwas auf uns zukommen würde!«, berichtet Meier wütend und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Ein großes Problem seien diese »wahnsinnigen Bewegungen« in der Löwenstraße. Er räumt ein, dass in anderen Siedlungsgebieten die Lärmbelästigung durch die Motorisierung auch zugenommen habe. »Aber das ist kein Vergleich zu diesen riesengroßen Maschinenapparaten, die hier mit Geschwindigkeiten vorbeidonnern, dass einem Himmel und Angst wird. Weil diese Karren bis oben voll mit Zeug sind, haben die ja ordentlich was zu ziehen, also das ist eine wahnsinnige Lärmkulisse, die manchmal gar nicht auszuhalten ist.« Vor allem stört Meier, dass die Ernte immer am Wochenende stattfindet, von Freitag bis Montagfrüh und an Feiertagen. Hubertus Meier erinnert sich, dass das ganze Pfingstwochenende »toujours gefahren wurde bis zum Erbrechen«. Gerade wenn er und seine Familie abends auf der Terrasse sitzen und einen schönen Abend verbringen wollen, dann würden »alle sieben Minuten solche Geräte mit einem Mordslärm vorbeibrettern«, sodass die Erschütterungen selbst im Haus zu spüren sind. Ausgerechnet an Feiertagen, »an denen der Bürger und

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der normale Mensch eigentlich seine Freizeit haben möchte, ist das Spektakulum besonders schlimm«, bemängelt Hubertus Meier und räumt ein: »Aber klar, da haben die Fahrer Zeit und können Saisonarbeit machen und kriegen natürlich fett Kohle.« Für viele der Fahrer ist das ein Zweit- oder Nebenjob, den sie nach ihrem eigentlichen Beruf absolvieren. Das bedeutet: »Ab Freitagnachmittag um 17 Uhr rollen die Dinger bis in die Nacht hinein.« Für Hubertus Meiers Familie und die anderen Anrainer der Löwenstraße stellt diese Entwicklung eine beträchtliche Einschränkung der Lebensqualität dar. Meier beschreibt, dass er sein Grundstück nicht gekauft und sein Haus nicht gebaut habe, »um das ertragen zu müssen!« Nicht nur das als beängstigend empfundene Erscheinungsbild der großen landwirtschaftlichen Fahrzeuge, sondern auch deren hohe Geschwindigkeit ist den Anwohnern ein Dorn im Auge. Hubertus Meier meint verärgert: »Da steht zwar 40 km/h drauf, aber die jungen Kerle reizen das aus bis zum geht nicht mehr. Das hört man durch den Lärm, weil je höher ich die Maschine rauftreibe, desto lauter wird es natürlich!« Viele in der Nachbarschaft ängstigen sich vor allem um ihre Kinder : »Wie leicht passiert das mal, dass ein Kind auf die Straße läuft und dann?« Außerdem befinden sich direkt um die Ecke der Löwenstraße die Einfahrt zum Freibad und das Behindertenheim, es sind also immer viele Menschen unterwegs. Regelmäßig werden von »diesen Maschinen« die Autospiegel der parkenden Autos abgefahren. Meier erklärt: »Das sind Geräte, ach was sag ich, riesige Apparate. Zwei dieser Fahrzeuge passen auf der Straße nicht nebeneinander, wirklich riesige Fahrzeuge! Wenn dann noch ein Fußgänger oder Radlfahrer dazukommt, der hat keine Chance!« Diese Gefahren sehen etliche besorgte Anwohner in der Löwenstraße. Meier erklärt, dass er und seine Nachbarn sich durch die beängstigende Größe, das beträchtliche Gewicht und das rasante Tempo der Fahrzeuge große Sorgen machen: »Wenn hier aus der Einfahrt ein Kind mit dem Fahrradl rausfährt und die Maschine kommt rein- oder rausgeschossen, dann machen die die ja platt wie eine Briefmarke! Keine Chance für das Kind!« Besorgt und aufgebracht zugleich fügt Hubertus Meier hinzu: »Müssen wir denn immer erst so lange warten, bis was passiert, bis ein Menschenleben für so was drauf geht?« Mit dieser Aussage sind die Anrainer der Löwenstraße nicht allein. Folgender Leserbrief103 aus den Rieser Nachrichten vom 26. 07. 2012 belegt die öffentliche Sorge: »Monster-Bulldogs sind rollende Bomben! Zurzeit steuern vorzugsweise 17-/18-jährige Jungs riesige ›Monster-Bulldogs‹ mit voll beladenen, tonnenschweren Anhängern mit Vollgas durch unsere Dörfer in Richtung der zahlreichen ›gefräßigen‹ BiogasAnlagen. Ein für wenige Augenblicke unachtsamer Fußgänger, ein spielendes Kind, ein 103 Die jeweiligen VerfasserInnen der Leserbriefe werden in dieser Studie aus urheberrechtlichen Gründen nicht genannt.

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etwas sorgloser Radfahrer, wohl auch ein Autofahrer sind im Fall des Falles absolut chancenlos. Diese Fahrzeuge sind rollende Bomben! Kann jemand diesen jungen ›Vollblutfahrern‹ einmal den ellenlangen Bremsweg eines solchen ›Geschosses‹ demonstrieren? Oder müssen wir erst warten, bis die ersten schwarz umrahmten Anzeigen von ›Mais-Opfern‹ erscheinen?« (Rieser Nachrichten 2012)

Um dem Bürgermeister ein Beweisstück vorlegen zu können, hat Meier mehrere »Fahrpläne« erstellt, die die »Erschütterungen« durch die landwirtschaftlichen Fahrzeuge dokumentieren. Vor uns liegt der Fahrplan vom Samstag, 10. Juli 2010. Hubertus Meier erklärt mir, dass um 6:45 Uhr in der Früh die erste Erschütterung zu spüren gewesen sei. Er deutet auf den Fahrplan, auf dem alle vier bis fünf Minuten ein Eintrag zu sehen ist, »v« heißt voll-beladen und »l« steht für leer. Dementsprechend habe sich auch die Lärmbelästigung entwickelt, denn »vollbeladen müssen sie schleppen, dann wird die Maschine gefordert«. Das Schlimme sei aber, »wenn sie wieder entladen leer reinfahren, dann geben sie volle Kanne. Dann springt hinten richtig der Anhänger, der liegt fast in der Luft, scheppert und prescht an einem vorbei, dann ist die Lärmbelästigung noch größer.« Von 6:45 Uhr bis 13:26 Uhr hat er 100 Fahrzeugbewegungen protokolliert. Um 1 Uhr in der darauffolgenden Nacht war das »Halligalli und Spektakulum« des landwirtschaftlichen Verkehrs noch immer nicht beendet, bis um 1:30 Uhr die Polizei dem Fahren ein Ende setzte. Dies sei aber nur ein Beispiel von vielen, so Meier, und zeigt mir einen weiteren Fahrplan von Samstag, 17. Juli 2010, protokolliert von 18 Uhr bis 21 Uhr mit 37 Bewegungen: »Alle sieben bis acht Minuten Bewegungen. Das ist eine wahnsinnige Belastung! Das ist echt brutal. Aber die Geister, die du riefst, die wirst du nimmer los.« Die Bürgerinitiative fordert aus diesen Gründen eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 10 bis 15 km/h Schritttempo im Stadtbereich. Solch ein Tempolimit vermeide den ständigen Wechsel zwischen Beschleunigen und Abbremsen und ermöglicht eine konstante Fahrweise, »also wenn es schon so sein muss, dass es hier vorbeiläuft, dann wäre das eine Lösung«. Das eigentliche Ziel der Bürgerinitiative ist eine Ortsumgehungsstraße. In jedem Falle solle aber ein Fahrverbot für Teile des Wochenendes verhängt werden. Meiers Vorstellung ist folgende: »Samstags und an normalen Wochentagen bis 18 Uhr, danach nicht mehr. Sonntags gar nicht. Die müssen umdenken, nicht bloß von Freitag auf Sonntag denken, sondern von Montag auf Donnerstag.« Seine Nachbarn waren Hubertus Meier sehr dankbar, als er begonnen hatte durch eine Unterschriftensammlung gegen die Belästigung vorzugehen. Er selbst meint, dass viele sich nicht getraut hätten, etwas zu unternehmen: »Aber man wartet immer viel zu lange, bis man zur Schlachtbank geführt wird.« Und wütend fährt er fort: »Das muss man sich einfach nicht gefallen lassen! Wir sind ein freier Staat, wir sind freie Bürger! Wieso muss man sich da von irgendwelchen Leuten fesseln lassen, die dann noch einen Profit für sich rausschlagen!« Dass er

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mit dem betroffenen Biogasanlagenbetreiber mittlerweile auf Kriegsfuß steht, verheimlicht mir Meier nicht: »Der [Biogasanlagenbetreiber, FS] hat mich jetzt neulich richtig schwer angegangen, was mir einfällt, auf meine Initiative hin, weil ich als Bürger im Rathaus in der Bürgerversammlung gesprochen habe. Jetzt bekomme ich, der sich gegen die Geschichte wehrt, von dem dann noch eines reingewürgt!« Er fühle sich dadurch gegängelt, meint Meier, und fährt aufgebracht fort: »Uns als Anwohner, als Bürger reicht’s jetzt! Wir wollen ein Zeichen setzen, dass wir das als Bürger nicht mehr ertragen wollen, was uns hier aufgelastet wird. Wenn sich keiner der Sache annimmt, dann passiert auch nichts, aber alle motzen rum. Dazu sind wir ja freie Bürger. Jeder kann seine Meinung äußern. Genau das haben wir in dieser Weise getan, nicht um irgendjemanden kaputtzumachen oder zu schädigen. Es geht uns einfach nur um die Sache an sich.« Die Stadt Truffingen und der Bürgermeister hätten das Problem der Lärmbelästigung bereits von mehreren Seiten gehört und wollten etwas unternehmen. Das Problem liege darin, dass ein Biogasbetrieb immer noch als landwirtschaftlicher Betrieb gelte, das heißt: »Die dürfen immer, weil Noteinfahrung von Ernte. Die haben da spezielle Auflagen. Die haben sämtliche Vorteile eines landwirtschaftlichen Betriebs«, so Meier. Jedoch, so der Sprecher der Bürgerinitiative, handelt es sich in seinen Augen bei Biogas nicht mehr um einen landwirtschaftlichen Betrieb, sondern um ein Gewerbe. »Die verdienen damit gewerblich ihr Geld. Warum die mit ihren grünen Nummern vorbeischießen, kapiere ich nicht. Die sind landwirtschaftlich begünstigt durch Steuern. KfzSteuern! Da werden Steuerbegünstigungen für solche gewerblichen Dinge missbraucht!« Auf die Frage, ob Hubertus Meier denkt, etwas durch seine Initiative bewirken zu können, antwortet er : »Hoffentlich! Wir werden weiterkämpfen! Wir ketten uns am Gulli auf der Straße fest, das sind die nächsten Aktionen (lacht). Wenn wir unsere Sache erreichen, dann habe ich da überhaupt kein Problem damit, dann kann auch das Ries weiter gelb werden.« Meier artikuliert aufgebracht sein Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Solange die Forderungen der Wutbürgerinitiative Anti-Lärmbelästigung der Löwenstraße berücksichtigt werden, macht es ihm nichts aus, wenn das Ries durch den stark verbreiteten Maisanbau »weiter gelb« wird. Im Nördlinger Ries gibt es mittlerweile nicht nur diese Bürgerinitiative gegen Lärmbelastung, auch andere Interessengruppen haben sich zusammengeschlossen, um gegen Projekte im Bereich Energieproduktion aus Biogas vorzugehen: In einem anderen Ort zum Beispiel gibt es eine Initiative, die sich gegen die geplante Vergrößerung einer Biogasanlage zur Wehr setzt. Eine weitere namens »Interessensgemeinschaft Standortdiskussion Biogasanlage« hat 144 Unterschriften von Bürgern und Bürgerinnen gegen den Standort gesammelt. Auch sie fürchten negative Auswirkungen wie Lärm, Gestank, zu-

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nehmenden Verkehr und eine sinkende Lebensqualität. Die lokale Zeitung Rieser Nachrichten berichtete am 17. 07. 2010: »Die Bevölkerung lasse es sich immer weniger gefallen, dass bei Großprojekten nur noch die Eigeninteressen der Betreiber im Vordergrund stünden und die Belange der Bevölkerung sekundär seien. Ganz zu schweigen von der Informationspolitik. ›Wir haben ein Recht darauf, rechtzeitig über solche Mammutprojekte aufgeklärt zu werden […]‹, kritisiert Hübner [Sprecher der Initiative, FS].« (Schied 2010)104

Das NIMBY-Syndrom (»Not-In-My-Backyard«)105 Die Politikverdrossenheit der »Wutbürger« ließ eine neue Protestkultur entstehen, die die eigenen Rechte schützen will. Diese Faktoren kennzeichnen die aktuelle Debatte über die Rolle des Bürgers in der deutschen Gesellschaft. Dies zeigt sich auch in den Konflikten um den Netzausbau, Pumpspeicher-Kraftwerke und Energieanlagen. Obwohl mehr als 80 Prozent der Deutschen die Energiewende und neue Infrastrukturmaßnahmen im Ausbau befürworten, sind diese Entwicklungen gleichzeitig stark umstritten – vor allem, wenn sie die unmittelbare Lebenswelt und Umgebung von Menschen betreffen.106 Weitere wissenschaftliche Studien befassen sich mit der Bedrohung der Energiewende durch Wutbürger (vgl. Althaus 2012). Es ist das sogenannte NIMBY-Syndrom, das erstmals in den Vereinigten Staaten diagnostiziert wurde. Die Menschen sind für neue Infrastrukturmaßnahmen wie zum Beispiel den Bau neuer Straßen, aber sagen, »not in my backyard«, also »nicht in meinem Hinterhof« (vgl. Sennett 1983). Menschen nehmen direkte Veränderungen in ihrer Umgebung kritisch wahr und sind bereit, gegen diese Veränderungen zu protestieren (vgl. Renn 2008). Ein anschauliches Beispiel ist die erstaunliche Popularität von Stephane Hessels (2011) Buch: »Empört Euch!« Hessel ermutigt in seinem Buch Menschen dazu, wütend 104 Auch in anderen Teilen Deutschlands wie zum Beispiel in Schleswig-Holstein bilden sich aufgrund dieser Konflikte Bürgerinitiativen, die zum Teil den Dorffrieden zerstören: »Wegen einer Biogasanlage werden in Klein Zecher Naturfreunde zu Wutbürgern« (vgl. Burger 2013). Oder ein weiteres Beispiel ist Süpplingen ein Dorf im Norden, wo der Plan eines Windparks die Dorfgemeinschaft spaltet: »Der Riss geht sogar durch die Familien« (vgl. von Petersdorff 2014). 105 In letzter Zeit sind einige Studien zum NIMBY-Syndrom in Bezug auf Energieproduktion aus erneuerbaren Energien entstanden, die sich vor allem im Rahmen der Forschungsrichtung STS (Science and Technology Studies) verorten. Beispielsweise die Fallstudie »Not in Anyone’s Backyard? Civil Society Attitudes towards Wind Power at the National and Local Levels in Portugal« von Ana Delicado et al. 2014 dient der vorliegenden Studie als wichtiger Anhaltspunkt für die wissenschaftliche Diskussion. 106 Teile dieser Informationen stammen aus einem Interview mit dem deutschen Soziologen und Risikoforscher Ortwin Renn mit dem Titel: »Jeder wird sein eigener Investor!« (ohne Jahr).

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zu sein und sich zu beteiligen. Er fordert, dass jede/r einen Grund finden solle, aufgebracht zu sein, denn in seinen Augen werden Menschen aktiver, wenn sie ihre Wut spüren (Hessel 2011, 13f.). Hessel appelliert vor allem an junge Menschen, sich nach Themen in ihrer Umgebung umzusehen, für die es wert ist, wütend zu sein. Er spricht von Chancen und Möglichkeiten, sich mit anderen für einen bestimmten Grund oder ein bestimmtes Anliegen zusammenzuschließen (Hessel 2011, 15). Wie durch das Beispiel der Bürgerinitiative gezeigt, beeinflussen die neuen landwirtschaftlichen Produktionsabläufe den Alltag der Menschen direkt. In den Siedlungen ist aufgrund der großen Erntemaschinen zur Bestückung der Anlagen ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zu spüren, genauso beeinflussen neue Betriebszeiten der Landwirtschaft die Umgebung: Biogasanlagen produzieren zum Teil nicht nur tagsüber, sondern auch nachts. Die Transportfahrzeuge liefern Biomasse von verschiedenen Landwirten aus der Umgebung. Anwohner fühlen sich dadurch gestört, sind besorgt und wütend. Anwohner und Lehrer Hermann Käser meint hierzu: »So eine Biogasanlage nah am Ortsrand kann für den ein oder anderen schon problematisch sein, sei es wegen Geruchsbelästigung, sei es wegen der Optik, sei es wegen des Zufahrtsverkehrs, wenn die da Tag und Nacht arbeiten.« Da ist es doch verständlich, dass »die Leute sich aufregen« und sich in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlen. Anhänger der lokalen Initiativen sind sowohl junge Familien, die sich um die Sicherheit ihrer Kinder im Verkehr sorgen, als auch Rentner, die sich durch den hohen Geräuschpegel gestört fühlen. Die oben dargestellte Initiative fordert deshalb ein Fahrverbot für das Wochenende – längerfristig plädieren sie für eine Umgehungsstraße. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist das Zitat des Sprechers Hubertus Meier, das er mehrfach im Gespräch fallen lässt: »Alle in der Nachbarschaft leiden – und das alles nur wegen Energie!« Das NIMBY-Syndrom spiegelt die Situation in der beforschten Gegend wider : Erneuerbare Energien sind generell gut, aber bitte nicht vor der eigenen Haustüre. Dr. Marcel Schreiber von der Landesvertretung Hessen in Brüssel weist darauf hin, dass NIMBY nicht nur für Biogasanlagen gelte, sondern für das gesamte Projekt Energiewende: »Niemand will die Windräder vorm Haus, aufm Berg, sie sind furchtbar, sie stören den Vogelflug, sie machen furchtbare Geräusche. Niemand will sie haben! Niemand will irgendwelche Kabel gelegt haben von 370 Volt von Nord nach Süd und von West nach Ost gehen. Natürlich nicht durch den Garten, auf gar keinen Fall! Auch nicht vor der Haustür!« Jedoch meint Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt, der Umstieg von der fossilen auf die erneuerbare Energieversorgung führe zwangsläufig dazu, dass es nicht nur Vorteile nah am Ort gebe, sondern eben auch Nachteile. Er meint zynisch, dass es geradezu »trefflich schön« ist, zu einer Demonstration

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gegen den Castor-Transport ins Wendland zu fahren und »danach fährt man wieder heim und gut ist’s. Dann macht man den Fernseher an und dass der Strom auch zu 70 Prozent aus dem Atomkraftwerk kommt, das kriegt man ja nicht mit. Das stinkt ja nicht.« Bei der Umsetzung einer dezentralen Energieversorgung müsse die Bevölkerung auch die »Schattenseiten vor der Haustür« in Kauf nehmen, denn Biogasanlagen, Windräder und Solaranlagen sind genauso sichtbar wie ein Kohlekraftwerk im jeweiligen Umfeld oder die abgetragenen Schichten beim Braunkohleabbau, so Obermeyer. Wichtig ist daher hinsichtlich der lokalen Planung, eine Biogasanlage nicht zu dicht an Wohngebiete zu legen. Wobei, so meint Experte Lorenz Ziegler, der im Bereich Bioenergie bei der Europäischen Kommission arbeitet, die Geruchsund Geräuschbelastung bei Biogas oft viel geringer ist als bei der konventionellen Güllewirtschaft. Dass das in der Bevölkerung anders wahrgenommen werde, liege an dem schlechten öffentlichen Image der erneuerbaren Energien. Aus diesem Grund müsse man darauf achten, dass die Anlage beispielsweise am Waldrand liegt oder zwischen Autobahn und Bahnstrecke, »wo es niemanden stört«. Diejenigen, die lokal handeln, müssten also die Weichen richtig stellen. Schließlich wollen alle den Wandel, aber nicht wenn er vor der eigenen Haustür stattfindet. Und Anton Fuchs, Leiter des Landwirtschaftsamtes, erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Gesetze für den Ausbau erneuerbarer Energien von »unseren« politischen Vertretern gemacht wurden, weil die Mehrheit der deutschen Bevölkerung dies befürwortet hat. Der Landwirt, der eine Biogasanlage in Betrieb nimmt, hält sich an das politische Projekt und das sollte die Bevölkerung akzeptieren: »Das ist Demokratie. Aber ich kann nicht gegen alles sein. Wir haben schon die Mentalität, alternative Energien ja, aber nicht bei mir! Aber das ist unfair!« Die Humangeographen Alain Nada" und Dan van der Horst bezeichnen erneuerbare Energieträger als »visual reminders« (Nada"/van der Horst 2010, 144), zum Beispiel erinnern uns eine Biogasanlage oder ein Windkraftwerk daran, dass unsere Energie irgendwoher kommt. »Visual reminders« tragen dazu bei, uns die Auswirkungen und die Konsequenzen unseres Energiebedarfs bewusst zu machen. Energie manifestiert sich in unserer direkt erfahrbaren Umwelt (vgl. Nada"/van der Horst 2010, 144). Zum Zeitpunkt meiner Feldforschung gab es im Nördlinger Ries ca. 80 Biogasanlagen – eine vergleichsweise hohe Dichte, die in Deutschland beispiellos ist. Die Region wird deshalb oft als »Biogas-Weltmeister« (Alt 2011, 198) bezeichnet.107 Einerseits haben moderne Technologien die konventionelle Land107 Im Interview mit der lokalen Zeitung Rieser Nachrichten vom 10. 11. 2010 berichtet der Bundestagsabgeordnete Ulrich Lange, der im Zeitraum meiner Feldforschung als Abgeordneter für die CSU in den Bundestag gewählt wurde, dass gerade diese Dichte der Biogasanlagen inzwischen in Berlin Thema ist. Das Ries sei dort nicht bekannt für den Krater

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wirtschaft in den letzten 20 Jahren ohnehin stark verändert. Andererseits nimmt das lokale Zugehörigkeitsgefühl in der beforschten Gegend immer noch in erster Linie auf konventionelle Landwirtschaft und regionale Landschaft Bezug. Dies ist Ursache für Konflikte. »Biogasanlagen oder Massenzucht – riesige Anlagen – das hat für mich mit Landwirtschaft nichts mehr zu tun, sondern das ist Gewerbe oder Industrie! Schrecklich!«, meint Großtierarzt Robert Graf. Daher könne der Begriff Landwirt oder Bauer nicht mehr für Anlagenbetreiber gelten, so Graf. Man müsse sich nach einer neuen Berufsbezeichnung umsehen, wie zum Beispiel »Energiewirt«, weil es sich hierbei um eine ganz andere Dimension handle, die mit dem bisherigen Wandel in der Landwirtschaft nicht vergleichbar ist. Tierarzt Graf gibt zu bedenken, dass eine kritische Auseinandersetzung der Bilanzierung von Energieinput und Output bei Biogasanlagen notwendig wäre: »Wie viel Energie braucht man, um eine Biogasanlage hinzustellen und wie viel Energie verbraucht man, um die zu betreiben, also Maisernte usw. und dann sogar noch die Schäden, die entstehen, die werden ja auch nirgends bilanziert, also sprich Bodenauslaugung usw.« Er ist davon überzeugt, dass es zu einer Negativbilanz der Energie käme. Aus diesem Grund ist Biogas für ihn nicht »das Gelbe vom Ei« und er meint: »Ich würde mir weniger Biogasanlagen wünschen und mehr Biogaserzeugung als Abfallverwertung, das wäre sinnvoll!« Anwohner Helmut Becker sieht auch die Masse der Anlagen sehr kritisch. Er könne nicht verstehen, wie es bei einer so hohen Anlagendichte noch möglich ist, gut zu wirtschaften. Mit der Einspeisevergütung stimme irgendetwas nicht, wenn der Mais schon aus so vielen Kilometern Entfernung mit LKWs angeliefert werde. Er als Privatmann müsse dafür letzten Endes aufkommen, weil er die höheren Strompreise bezahle, meint er und fährt fort: »Mal böse gesagt, da hat keiner einen grünen Gedanken dabei. Sondern denen geht’s allen nur ums Geld.« Anwohner und Grundschullehrer Hermann Käser hingegen sieht hier vielmehr die Politik im Zugzwang. Der Landwirt habe zwar alles richtig gemacht, weil er Geld verdienen könne, denn »wenn er auf dem Markt für Weizen nichts mehr bekommt und seine Bioeier auch keiner mehr haben will auch keiner haben, dann geht er auf Biogas«. Somit könne man ihm keinen Vorwurf machen. Vielmehr solle die Politik endlich eingreifen, so Hermann Käser. Ein Leserbrief mit dem Titel »Keine weiteren Biogasanlagen mehr!« aus den Rieser Nachrichten vom 28. 07. 2010 deckt sich mit dieser Meinung: »Die zunehmenden Proteste und Beschwerden aus der Bevölkerung sollten endlich ernst genommen werden. Sie zeigen eindeutig die Fehlentwicklung in Sachen Biogasanlagen auf. Die Politik muss unverzüglich handeln und durch geeignete Maßoder die erhaltene Stadtmauer in Nördlingen, sondern für Deutschlands größte Biogasanlagendichte: »Wenn ich dort mit den Landwirtschaftsleuten rede und sage, ich komme aus dem Ries, dann heißt es: Ach, du bist der mit den vielen Biogasanlagen!« (Völkl 2010).

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nahmen den Bau und die Erweiterung weiterer Anlagen, vor allem im Ries, stoppen!« (Rieser Nachrichten 2010)

Lärmbelästigung durch Biogas Viele Bürger haben eine Abneigung gegen Biogasanlagen wegen der großen Maschinen entwickelt, die zu bestimmten Zeiten übermäßig viel und schnell durch die Ortschaften fahren. Ihnen wird außerdem vorgeworfen, die Feldwege zu zerstören, »weil die Maschinen dermaßen groß dimensioniert sind«, so der ehemalige Landwirt Manfred Müller. Von Naturschützern wird daher häufig bemängelt, dass die Fahrzeuge durch ihre Erntetechnik und die Intensivbewirtschaftung große Schäden anrichten würden. Der Leiter des Anlagentechnikunternehmens Benedikt Richter, der eine Ausbildung zum Landmaschinentechniker absolvierte, meint, dieser Vorwurf treffe durchaus auf die Intensivierung der Landwirtschaft zu, aber nicht auf die Fahrzeuge. Er erklärt, dass durch die Mechanisierung ein anderes Fahren möglich sei: Die Maschinen seien deshalb so groß und wuchtig, weil sie mehr Reifen haben, aber dadurch nur ganz geringen Druck auf den Boden ausüben, also den Boden eher schonen als belasten. Eine alte Siliermaschine mit vier Rädern habe fünf- bis sechsmal so viel Bodendruck wie ein Großtransporter heute, erklärt Richter. In diesem Zusammenhang hat sich die Landtechnik dauernd optimiert. Das Problem ist nach Richter und anderen Gesprächspartnern vielmehr ein anderes: Durch ihre Größe und Wuchtigkeit wirken die Fahrzeuge auf viele Bürger und Anwohner beängstigend: »Psychologisch betrachtet schaut das natürlich furchtbar aus, wenn da so ein Monstrum mit fast drei Metern Breite entlangfährt. Da muss man mit dem Auto auf die Seite fahren, wenn dir ein 400-PS-Häcksler auf der Straße entgegenkommt. Da ist dann einfach das Gefühl und Verständnis bei den Leuten nicht da.« Dass die Fahrzeuge in der Tat eine enorme Größe haben, erläutert der ehemalige Landwirt Müller mit folgendem Zitat: »Bei meinem Cousin Manuel ist einer gefahren, das ist ein 50-Tonnen-Anhänger, der hat sieben Achsen gehabt, das war der Wahnsinn! Das war ein Riesenanhänger. Vorne ein Traktor mit zwei Achsen und dann der Anhänger, der hat fünf Achsen gehabt, hinten drei und vorne eine Doppel-, eine Tandemachse zum Drehen. Da gehen 130 Liter Öl hinein. Den haben sie ausgeliehen, um zwei Tage damit zu fahren.« In welchen Größenordnungen geerntet wird, veranschaulichen auch die Biogaspioniere, die wie andere Biogasanlagenbetreiber die Fahrzeuge tageweise von einem Maschinenringunternehmen ausleihen: »Wenn wir am Tag mit einem Häcksler 30 Hektar zusammenbringen, dann sind wir gut. Es gab auch Tage, wo wir bloß 20 Hektar zusammengebracht haben. Meistens sind das Acht-Reihen-Häcksler, heuer haben wir mal einen Zehn-Reiher, es gibt aber auch Zwölf-Reiher«, meint

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Thomas Koch. Ex-Landwirt Manfred Müller erklärt weiter, dass früher viel kleinere Maschinen zur Ernte genutzt worden seien. Andererseits müsse man zugestehen, dass es früher viel mehr Bauern gegeben hat, die alle gleichzeitig geerntet haben, aber es kaum öffentlich diskutiert wurde. Die in einer Fahrsilogemeinschaft organisierten Milchviehbetriebe hätten früher sonntags immer gehäckselt: »Da sind die Leut’ rausgegangen und haben sich das angeschaut. Das war ein Event draußen, da hätte man eine Würschtelbude herstellen können, weil so viele Leute da waren«, erinnern sich die Biogaspioniere. Hingegen sind es heute zwar nur ein paar Fahrzeuge, die jedoch zu bestimmten Zeiten besonders viel fahren. Ein weiterer Vorwurf ist, dass viele Anlagenbetreiber keine Rücksicht auf die Bewohner und die Uhrzeiten, zu denen sie ernten, nehmen würden: »Klar ist das schlecht für die Bevölkerung, wenn dann die ganze Nacht eine so ’ne Riesenkiste nach der anderen drei bis vier Tage lang durch die Ortschaft durchdonnert«, meint Anlagentechnikunternehmer Richter. Daher versuchen zum Beispiel die Biogaspioniere ihre Fahrer anzuweisen, nur bestimmte Wege zu nehmen und vor allem durch die Ortschaft langsam zu fahren. Sie hätten hierfür eigens hergerichtete Flurbereinigungswege geschaffen, »sodass wir um das Dorf herumfahren können«. Allerdings, so räumen die beiden ein, ist eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 km/h durch die Ortschaft schwer realisierbar, weil »der [das Fahrzeug, FS] sauft dir sonst ab«. Und die beiden erläutern: »Na klar, es ist ganz anders, ob du mit 40 oder 50 fährst. 40 wäre optimal, aber 50, das stimmt schon, das ist ja ein wesentlich lauteres Fahrzeug wie ein LKW und breiter durch die breiten Reifen«, so Thomas Koch. In seinen Augen ist es aber auch immer Ansichtssache, denn »einer der das beobachtet und sich mit der Sache überhaupt nicht auskennt, der schimpft über die großen Fahrzeuge. Der, der damit fährt, sagt, nächstes Jahr brauche ich noch einen Größeren«. In ihrem Unternehmen ernten die Landwirte zu 90 Prozent selbst ihre Felder. Manchmal müsse man aus Kapazitätsgründen Lohnunternehmer beschäftigen, aber »glücklicher sind wir mit den Landwirten«, meinen die Biogaspioniere. Insgesamt dauert die Ernte in der Regel 14 Tage. Bis das Substrat fertig gehäckselt ist, muss man nochmal drei Wochen einrechnen. In einen Behälter pro Fahrzeug passen ca. 18 Tonnen und man braucht dafür die großen blauen Bulldogs, erklären die Biogaspioniere. Gerade den Biogaspionieren, die von anderen Energiewirten in Gesprächen häufig als diejenigen bezeichnet werden, die »mit dem Kopf durch die Wand wollen« (Martin Huber), wird vorgeworfen, dass sie jedes Jahr sonntags häckseln würden. Die beiden räumen ein, dass dies dieses Jahr tatsächlich der Fall gewesen sei, weil die Wetterverhältnisse schlecht waren. Die beiden schieben die Vorwürfe auf »Stammtisch-Politik«. Bei der Trocknungsgemeinschaft hingegen gibt es klare Regelungen, an die sich die Landwirte halten müssen, sonst erteilt die Betriebsleitung eine Verwarnung.

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Leiter der Trocknungsgemeinschaft Peter Groß erklärt: »Von 6 bis 22 Uhr, so wie gelernt und anders wird nicht gefahren. Aus!« Man ist sehr bemüht den Anwohnern gerecht zu werden, und diese nicht zu belästigen, meint Groß. Geruchsbelästigung durch Biogas »Sicherlich riecht so eine Anlage. Die Silage riecht scharf, das riecht man auch auf der Straße draußen, das Methan riecht man aber nicht. Aus der Anlage selber, das sind ja gasdichte Behälter, da darf es ja gar nicht riechen«, erklären die Biogaspioniere Stefan und Thomas Koch. Die Geruchsemissionen sind jedoch immer sehr stark abhängig von der Ernte, denn eine trockenere Silage riecht nicht so sehr wie die Silage mit noch grünem Mais. Diese hat einen anderen Silierprozess, es bilden sich andere Säuren, die dann stärker riechen, erklärt Anlagenbetreiber Peter Groß und fährt fort: Es handelt sich hierbei um Essig- und Buttersäure, die bei einem niederen Siedepunkt verdampfen, »die riechen unangenehmer – gerade bei der grüneren Silage ist das so«. Peter Groß erklärt, dass die Silage aus diesem Grund mit einer Plane abgedeckt wird, damit die Geruchsemissionen verringert werden. Allerdings, so Groß, gebe es Anlagenbetreiber im Umkreis, die berechnen, dass eine Plane teuer und der Arbeitsaufwand, diese immer wieder auf- und abzudecken, groß ist, und sich daher gegen eine Abdeckung entscheiden. Durch den Silierprozess verschimmelt die oberste Schicht und riecht intensiver als mit Abdeckung. Beispielsweise die Biogaspioniere decken ihre Silage nicht ab und stehen daher gerade ziemlich in Verruf, so der junge Unternehmer Groß. Ihr Silohaufen ist mittlerweile 10 Meter hoch, abgedeckt wird in der Tat, so die Biogaspioniere nach eigenen Angaben, nur mit dem Gärrest aus der Anlage. Das ist »mehr oder weniger« totes Material, »das verteilen wir, fahren es fest und füttern es dann wieder mit«, berichtet Thomas Koch. Durch die Witterung wird es schmierig und »macht oben dicht«. Es ist wie Sauerkraut und hält sich auch über mehrere Jahre, erklärt Stefan Koch. Dass Stefan und Thomas Koch sich auch optisch nicht an ihrem Silohaufen stören, belegt folgendes Zitat: »Mai, ich weiß auch nicht, welche da schöner sind, die mit Abdeckung oder unsere, die dann dunkel und fast schwarz sind. Wurscht.« Die beiden räumen jedoch ein, dass Zeitarbeiter nicht mehr bei ihnen arbeiten wollten, weil es »denen es zu arg gerochen hat«. Somit kippt die gesellschaftliche Diskussion um Biogas gerade in eine unangenehme Richtung, meint Konrad Stein, der für die Grünen als Abgeordneter im Europäischen Parlament arbeitet und selbst Landwirt ist. Meistens liege dies an einem Energiewirt, der sich nicht richtig verhält und keine Rücksicht auf öffentliche Belange nimmt: »Da macht einer eine Sauerei oder einer bringt den Pachtmarkt durcheinander oder ein anderer kriegt seine Anlage nicht in den Griff und die stinkt. Das ist für die ganze Branche, für eine Region tödlich.« Gerade im

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Nördlinger Ries gibt es einige, »die lieber mit der Brechstange arbeiten«, meint Biogasanlagenbetreiber Martin Huber und nennt einen Kollegen, der auch bei anderen Anlagenbetreibern »nicht gerade der Beliebteste ist und nicht gerade den besten Ruf« genießt. Huber erklärt, dass er schon mit ihm auskomme, weil es glücklicherweise kaum Berührungspunkte gebe. »Aber manch anderer bleibt bei seinem Tempo auf der Strecke, weil gerade bei den Pachtpreisen ist er ganz vorne mit dabei. Das macht keine gute Stimmung.« Einige Anlagenbetreiber im Nördlinger Ries sind gerade in dieser Beziehung nicht beliebt: »Da gibt’s ein paar und die bringen dann alle wieder mal in Verruf«, so Huber. Dass mittlerweile auch die Biogasanlagenbetreiber aus diesen Gründen untereinander Konflikte haben, bestätigen mir mehrere Gesprächspartner. Anlagenbetreiber Peter Groß erklärt mir im Gespräch, dass er andere »Biogasler« mittlerweile für »größenwahnsinnig« halte. Er fragt sich, warum diese sich irgendwann nicht mit einer Anlagengröße zufriedengeben. Ein solcher Betrieb mit 500 kWh Leistung erziele einen Umsatz von ca. 850 000 Euro im Jahr, rechnet Groß vor. Es blieben also 100 000 Euro Gewinn übrig. Das müsse doch für eine Familie an Gewinn ausreichen. »Wieso aber muss der Betrieb dann statt 500 jetzt 1500 kWh Leistung machen? Das ist mir völlig unverständlich, auch weil ich sehe, was so eine Anlage an Arbeit aufwirft«, meint Groß aufgebracht. Allein sechs Stunden dauere die tägliche Betreuung der Anlage nur für denjenigen, der »füttert und kontrolliert«. Das könne man doch nicht einfach nebenbei machen. Aus diesen Gründen fragt er sich, weshalb es für den Betreiber nicht irgendwann einen »Cut« gibt und er zu sich selbst sagt: »Ich komme nicht an mehr Fläche, ich komme nicht an mehr Futter, ich schaue, dass ich das optimiere, was ich jetzt habe, und das Maximale daraushole und damit lebe.« In Peter Groß’ Augen schaffen diesen Schritt viele nicht und bringen dadurch anderen Anlagenbetreibern einen schlechten Ruf ein. Gerade in der öffentlichen Diskussion sei das ärgerlich, denn die Bevölkerung denke: »Einer ist wie der andere und deshalb ist Biogas schlecht«, so Groß frustriert. Auch Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt teilt diese Einschätzung: »Wenn die Volksmeinung sich so aufheizt, dann gehen vernünftige Gründe ganz schnell baden. Es wird so viel geredet, wenn der Tag lang ist, und zum Teil so blöd daher geredet, da wird einem richtig schlecht. Wir sind nicht mehr im Paradies. Das ist wahrscheinlich die einzige Erklärung. Das Volk tobt und es ist einer Meinung: Biogas ist schlecht!« Ethische Probleme: Nahrungsmittel versus Energie Aus ethischen Gründen erscheint es großen Teilen der Bevölkerung befremdlich, wenn Ackerland nun zur Energieerzeugung statt wie traditionell zur Lebensmittelproduktion verwendet wird: »Dass man Sachen vergärt, um Energie zu

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erzeugen, die eigentlich historisch zur Nahrungsmittelproduktion eingesetzt wurden, das bewegt viele Leute natürlich!«, meint Richard Haas, Vorsitzender der Naturschutzvereine. Ein Leserbrief aus den Rieser Nachrichten vom 17. 09. 2010 mit dem Titel »Soweit das Auge reicht: Mais und nochmals Mais« beschreibt dieses Problem und die Wut des Verfassers: »Dass diese Biogasanlagen unser Ries verunstalten und die einseitige Bepflanzung den Boden kaputt macht sind Tatsachen, aber es interessiert ja eh keinen von den Verantwortlichen […]. Überall, soweit das Auge reicht, Mais und nochmals Mais. Kein Respekt vor der Natur ist das, denn wenn man von selbiger geschaffenen Pflanzen, die als Nahrungsmittel für Mensch und Tier (auch das Getreide) in die Energieversorgung steckt, bringt das auf Dauer kein Glück.« (Rieser Nachrichten 2010)

Es wird offensichtlich, dass Akzeptanzprobleme zunehmen, weil die Öffentlichkeit es für moralisch und ethisch verwerflich hält, dass auf Flächen, die zur Nahrungsmittel- bzw. Futtermittelproduktion verwendet wurden, jetzt Energiepflanzen angebaut werden. Allerdings, gibt Dr. Leo Vogt, Experte für Erneuerbare-Energie-Landschaften, zu bedenken, habe die Landwirtschaft schon immer Futtermittel produziert, sowohl Nahrungsmittel als auch Energiepflanzen. Zu der Zeit, als Pferde noch als Zugtiere in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, wurde auf fast einem Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche Hafer angebaut. Das war der damalige Treibstoff. Genauso wie in der Römerzeit Weizenanbaugebiete im Mittelmeerraum als Energiepflanzen zur Versorgung der Sklaven genutzt wurden. »Das waren auch Energielandschaften, das ist nichts Neues« (Dr. Leo Vogt). Landwirte – nicht nur in der beforschten Region – werden dazu angehalten, für den Erhalt der Landschaft zu sorgen, sind aber gleichzeitig gezwungen, in einer marktorientierten Weise zu handeln. Das EEG stellt für konventionelle Landwirte die Chance dar, ihre Existenz zu sichern. Sie sind endlich in der Lage, Unternehmer zu werden, und passen ihre Betriebe der Dynamik des Marktes an. Landwirtschaft erhält somit die Gelegenheit, sich ein Wohlstandsniveau zu erarbeiten, welches mit der Nahrungsmittelproduktion nicht möglich zu sein scheint. Die Bevölkerung aber will, dass sie dem Ideal einer nachhaltigen, kleinteiligen, ökologischen, diversifizierten, romantischen, nichtkommerziellen, monofunktionalen Landwirtschaft entsprechen. Somit ist die Tätigkeit des Landwirts und jetzt des Biogasanlagenbetreibers fortdauernd im Fokus der öffentlichen Diskussion und wird öffentlich verhandelt. Was ein Landwirt bzw. Biogasanlagenbetreiber macht, sieht jeder, riecht jeder, hört jeder, schmeckt jeder, spürt jeder. Es handelt sich um eine Tätigkeit, die stark in der Öffentlichkeit steht. Alle sind davon betroffen. Landschaftspflege, Lebensmittelproduktion und jetzt Energieerzeugung – diese Dinge sind elementar für das menschliche Überleben.

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Für ein friedvolles Zusammenleben erscheint es wichtig, dass Dorfgemeinschaften zusammenarbeiten. Dies kann jedoch nur erreicht werden, wenn einzelne Landwirte bzw. Biogasanlagenbetreiber auch Verantwortung und Rücksicht übernehmen.

Die Position der Stadt- und Heimatpflege108 »Wenn Reisende vom Ries sprechen, geraten sie leicht ins Schwärmen. Von einer ruhigen, schönen Landschaft ist dann die Rede. Immer mehr Bewohner des Rieses dagegen, die ein wachsames Auge auf die Natur haben, sehen die Vielfalt der einzigartigen Kulturlandschaft bedroht – durch Siedlungs- und Straßenbau und eine veränderte Landwirtschaft.« (Wagner 2010)

Dieses Zitat macht deutlich, dass viele Bewohner und gerade Personen, die sich in ihrer Funktion der Heimatpflege verpflichtet fühlen, im Zuge der Energieerzeugung mittels Biogas und den damit einhergehenden Faktoren um den Erhalt der Landschaft im Nördlinger Ries besorgt sind. Gerade für das Landschaftsbild sei die Entstehung dieser überdurchschnittlich vielen Biogasanlagen sehr problematisch, erklärt Stadtheimatpfleger Dr. Wilhelm Engel angesichts der Ausbreitung der Biogasanlagen und der damit verbundenen landschaftlichen Veränderungen. Er arbeitet als Stadtarchivar und Stadtheimatpfleger bei der Stadtverwaltung Ganzlingen und ist Vorsitzender der Abteilung Geopark Ries: Kultur, Heimat und Archäologie. Außerdem ist er zuständig für die Ausbildung der Geoparkführer. Aufgrund der lauten öffentlichen Diskussion um Energieerzeugung mittels Biogas und erneuerbare Energien allgemein wurde auch im Rahmen der Rieser Kulturtage109 im Jahr 2008 unter anderem das Thema »Kulturlandschaften und 108 Die Begrifflichkeiten Stadt- und Heimatpflege bzw. Stadtheimatpflege werden von meinen Gesprächspartnern und der lokalen Zeitung, den Rieser Nachrichten, verwendet und gelten in der Forschungsregion als Berufsbezeichnung bzw. bezeichnen die Tätigkeit der regionalen Heimatvereine. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass ich diese Bezeichnungen bzw. Begriffe in der vorliegenden Arbeit keineswegs als analytische oder theoretische Kategorien verwende, sondern vielmehr so aufgreife, wie sie von den Akteuren selbst ins Spiel gebracht werden. Am Frankfurter Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie gibt es eine sehr kritische Perspektive auf derartige volkskundliche Forschungsrichtungen, die mit Begrifflichkeiten wie Pflege der Lebensumwelt des Menschen, Heimat, Identität und Alltagskultur arbeiten. Um diese Begriffe als aus dem Forschungsfeld stammend zu kennzeichnen, werden diese kursiv hervorgehoben. 109 Seit 1975 bieten die sogenannten Rieser Kulturtage in einem zweijährigen Turnus verschiedene Konzerte, Vorträge, Ausstellungen und Exkursionen an. Organisiert ist der Verein in 19 Arbeitskreisen mit ausschließlich ehrenamtlichen Mitgliedern, die »das breite Spektrum der verschiedenen kulturellen Belange« vertreten, mit dem Ziel »die eigene Heimat besser kennenzulernen und die Menschen zusammenzuführen« (Verein Rieser

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Erneuerbare Energie – Auswirkungen auf Natur und Landschaft« aufgegriffen, zu dem auch meine beiden Gesprächspartner Prof. Theo Heinrich und Dr. Leo Vogt als Experten eingeladen waren, die am Fachbereich Geographie der Universität Augsburg arbeiten. Prof. Theo Heinrich ist Professor für Kulturgeographie mit den Schwerpunkten Dorferneuerung, Denkmalpflege, Kulturlandschaftspflege und Wandel des ländlichen Raumes mit einer ausgewiesenen Expertise für das Nördlinger Ries. Er war außerdem Bezirks-Museumsdirektor im Nördlinger Ries, »eine Herzensangelegenheit«, wie er selbst sagt. Dr. Leo Vogt ist Experte für Erneuerbare-Energien-Landschaften. Beide sind mit den geographischen und kulturellen Begebenheiten des Nördlinger Ries sehr vertraut. Im Gespräch erklärt mir Stadtheimatpfleger Dr. Wilhelm Engel von seinen Sorgen über Fragen nach einer nachhaltigen Gestaltung des landwirtschaftlichen Strukturwandels hinsichtlich Energieproduktion aus Biogas: »Die einen sagen, diese Monokultur, das kann man ja nicht mehr anschauen. Die anderen sagen, das ist doch aber der normale Wandel. Wandel klar, es ist ja jede Minute ein Wandel – die Frage ist nur, wie wird dieser Wandel gestaltet.« Häufig stehen die Biogasanlagen »sehr unglücklich, wie ein Fremdkörper« in der Landschaft und sind schlecht integriert, meint Dr. Wilhelm Engel. Derzeit werden viele bereits bestehende Anlagen noch vergrößert, was »für das Landschaftsbild der Super-Gau ist«. Natürlich seien ihm die Grundstücksproblematik und der Kampf um die Fläche bekannt, räumt Engel ein, aber in vielen Fällen seien nicht alle Standortmöglichkeiten richtig ausgelotet worden. Anfangs habe man auch aus Sicht der Stadt- und Heimatpflege angenommen, dass Biogas eine gute Idee ist, weil es ökologisch sinnvoll erscheint, Ressourcen, »die sonst einfach verschwinden« zu nutzen und grüne Energie zu erzeugen. »Es ist nicht so, dass ich Biogasanlagen grundsätzlich schlecht finde, wir brauchen ja erneuerbare Energien«, so Dr. Wilhelm Engel. In der Zwischenzeit jedoch habe nicht nur die Zahl, sondern vor allem auch die Größe der Anlagen so zugenommen, dass »wir mit dem Anbau, mit dem Füttern dieser Anlagen Probleme kriegen«. Beispielsweise bezeichnet Dr. Wilhelm Engel die Biogasanlage der Biogaspioniere als einen Industriestandort. Unabhängig von der Art des Anbaus gehe der ökologische Gedanke verloren, wenn das Material zur Bestückung der Anlage von weit her gebracht werden muss, um gewinn- und nutzbringend arbeiten zu können. Weiterhin machen Naturschützer ihre Befürchtungen angesichts der massen- und hochwüchsigen Maismonokulturen deutlich. Der gelbe Mais sei eine optische Herausforderung für die Ästhetik110 des Landschaftsbilds und führe zu einer gravierenden VerKulturtage 2015). Viele der Veranstaltungen werden unter anderem von meinem Gesprächspartner, dem Stadtheimatpfleger Dr. Wilhelm Engel, organisiert. 110 Es ist anzumerken, dass meine Gesprächspartner den Begriff »Ästhetik« in einem affirmativ-affektiven Sinn (wie »Schönheit«) verwenden.

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änderung des gewohnten Landschaftsbildes (vgl. auch Jensen 2007). Wenn Maispflanzen bis zu fünf Meter hoch gezüchtet werden, dann werde dadurch die Sicht behindert und der Blick über die Landschaft getrübt, so Dr. Wilhelm Engel. Somit werde das Nördlinger Ries anders wahrgenommen und die Landschaft verliere an Ästhetik und damit auch an Einzigartigkeit. Dr. Wilhelm Engel erklärt weiter : »Da ist einfach innerhalb kürzester Zeit mit den Biogasanlagen enorm viel passiert und das hat die Leute überfordert und sogar überfahren. Vielleicht wäre es über einen längeren Zeitraum hinweg sanfter besser gewesen. So hätte man sich vielleicht auch anders daran gewöhnen können.« Das Nördlinger Ries habe sich innerhalb der letzten Jahre so stark verändert wie zuvor über einen langen Zeitraum nicht. Dr. Wilhelm Engel erinnert an die frühere Oettinger Archivarin Dr. Elisabeth Grunenwald, der Burgen und Schlösser als Gliederungspunkte der Landschaft im Nördlinger Ries galten. Heute gebe es andere Fixpunkte im Ries und dazu zählten die vielen Biogasanlagen (vgl. hierzu auch Wagner 2010). Auch Tierarzt Robert Graf, der Energieerzeugung mittels Biogas ebenfalls aus landschaftlich-ästhetischen Gründen skeptisch gegenübersteht, setzt im Gespräch an diesem Punkt an. Die »furchtbarste Landschaftsverschandelung« durch Biogas befindet sich zwischen zwei Dörfern in einer Senke. Das ist eine »ganz liebe Landschaft«, in der kein einziges Gebäude zu sehen war, sondern nur Weiden und Wald und »jetzt ist da mitten rein in die Landschaft dieses Ding gebaut worden«. Er befürchtet, »wenn so etwas Furchtbares in Zukunft weiter in die freie Landschaft gestellt wird, gibt es irgendwann in Bayern keine freie Landschaft mehr«. Für den Großtierarzt ist der Bau dieser Anlage wie ein »Kristallisationskern, mit dem wieder etwas anderes drum herum entsteht«. »Gott sei Dank« könne man nicht ewig viele Biogasanlagen bauen, weil die Fläche begrenzt sei. Momentan jedoch sei die Fahnenstange noch nicht erreicht, meint er besorgt. In meinen Gesprächen sorgen sich viele Interviewpartner aber nicht nur um die Beeinträchtigung von Ortsansichten durch Biogasanlagen. Auch Photovoltaik verändert die Landschaft und Dörfer stark: »Wenn man hier so durch die Landen fährt, sind die Dächer nicht mehr rot, sondern blau. Einzelne Stromnetze waren nicht mehr aufnahmefähig, weil die Rieser ihre Dächer so blau gepflastert haben«, meint der aufgebrachte Anwohner Hermann Käser. Komplette Ortsansichten haben sich dadurch stark verändert, so Herr Käser : »Auf der B25 nach Marktoffingen, die Südseite, da spiegelt das komplette Dorf am Riesrand. Der Ort liegt so, dass die meisten Dächer wirklich gen Süden gehen und da fällt das richtig auf, wenn die Kirche noch rot ist, weil der Rest ist blau.« In einigen Gemeinden, die gegen diese Entwicklung vorgehen, gibt es daher mittlerweile Regelungen wie den Ensembleschutz. Außerdem werden Landschaften durch die vielen Biogasanlagen und das

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dadurch erhöhte Verkehrsaufkommen, den Bau von Umgehungsstraßen und die Ausdehnung der Orte um immer neue Gewerbe- und Wohngebiete stark zersiedelt und Landstriche zerschnitten. Dr. Wilhelm Engel versteht, dass sich die Bewohner der Löwenstraße aufgrund der Lärmbelästigung eine Umgehungsstraße wünschen. Aus ähnlichen Gründen sind auch viele neue Straßenzüge im Nördlinger Ries gebaut worden. Der Stadtheimatpfleger ist jedoch besorgt, weil neue Straßen immer eine Veränderung der Landschaft bedeuten: Die Entwicklung der früheren Dorfzentren gerate dadurch ins Abseits und angesichts einer möglichen Verödung des Ortskerns konstatiert Engel: »Sie sterben aus.« Umgehungsstraßen halten einerseits zwar den Verkehr fern, jedoch bedeuteten sie »das Aus« des lokalen Einzelhandels. Ferner sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr Bürger aus dem Dorfkern in anliegende Neubaugebiete gezogen. Der engagierte Stadtarchivar befürchtet, dass womöglich verödete und ausgestorbene Ortskerne in Zukunft zu den oben genannten Fixpunkten der Region zählen könnten: »Draußen wird gebaut. Daher gehen die Kerne kaputt, verfallen geradezu.« Hier müsse dringend ein Steuerungsmittel gefunden werden, um das Wohnen im Dorf wieder interessant zu machen und den Altbau sinnvoll zu renovieren und nicht gleich abzureißen. Enttäuscht meint Engel, dass dabei bereits viel Baukultur verloren gegangen sei: »Die Neubauviertel sind gar nicht schön an den Ortskern angegliedert, nicht harmonisch, sondern irgendwo angedotzt mit neuen Baustilen wie im toskanischen Landschaftsstil, was überhaupt nicht passt!« Die Folgen: Verlust von Heimat und Identität111 »Ich hoffe, dass der Sättigungsgrad mit Biogasanlagen jetzt erreicht ist, weil viel mehr verträgt die Landschaft einfach nicht.« (Wilhelm Engel, Stadtheimatpfleger)

Dr. Wilhelm Engel bezieht sich hierbei wieder auf die Größe der Anlage der Biogaspioniere, Stefan und Thomas Koch, die mit einer Länge von 300 Metern und der »enormen Geruchsbelästigung« beängstigend sei. Gleich wenige hundert Meter weiter wird gerade die nächste Biogasanlage gebaut, die das Landschaftsbild stark beeinträchtigen werde, so Dr. Wilhelm Engel. Für die Bürger im Nördlinger Ries ist das in seinen Augen eine große Herausforderung und Zumutung, denn die historischen Orientierungspunkte, die über Jahrhunderte hinweg von großer Wichtigkeit gewesen sind, werden von den neuen Fixpunkten »verschluckt«. Er erklärt: »Die historische Stadt Nördlingen mit ihrer Zentralfunktion für die ganze Region hat das Problem, dass der Kirchturm der Sankt Georgs Kirche – der Daniel – das Wahrzeichen der Region, von verschiedenen 111 Die beiden Begriffe Heimat und Identität werden hier im Folgenden so verwendet, wie meine Gesprächspartner sie im Interview benutzten.

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Stellen jetzt dermaßen verbaut und die Sicht auf ihn verstellt ist, dass da ein Verlust an Heimat entsteht!« Man müsse hier sehr stark aufpassen, denn »Heimat« habe auch immer mit einem »Bild von Heimat« zu tun und »dieses Bild verändern wir momentan stark«. Schließlich wolle man, dass junge Menschen für eine gute universitäre Ausbildung die Region verlassen, aber dann wieder zurückkehren: »Aber ich komme nur dann gerne wieder zurück, wenn das Bild der Heimat, so wie ich es in mir gespeichert habe, noch dem jetzigen Zustand entspricht, wenn also Identität noch erfahrbar ist und die, an der graben wir. Das ist nicht zu schwarzgemalt. Identität braucht bestimmte Anhaltspunkte und die laufen übers visuelle Erinnerungsvermögen. Momentan verändern wir die Landschaft sehr, sehr stark. Woran soll ich mich also orientieren? Ich sehe die Gefahr, dass junge Leute mit diesem Landschaftsbild aufwachsen und das dann gar nicht mehr anders kennen! Wir wollen nicht, dass unsere bäuerliche Landschaft zunehmend zu einem technischindustriellen Landschaftsbild wird.« Durch diese Maßnahmen wie den Bau der Biogasanlagen, Umgehungsstraßen oder Neubausiedlungen werde das »Gesicht des Rieses« grundlegend verändert und »die Seele dieser Landschaft« zerstört, so Dr. Wilhelm Engel. Weiterhin illustriert er, dass das Nördlinger Ries sich durch seine »einzigartige Kulturlandschaft« auszeichnet. Die vor 15 Millionen Jahren entstandenen geologischen und geographischen Begebenheiten waren wichtig für die Entwicklung und die Ausdifferenzierung dieser »einzigartigen Kulturlandschaft«. Es handelt sich um ein landwirtschaftliches Intensivgebiet mit guten Böden verbunden mit dieser »attraktiven Kulturlandschaft«. Der frühere Bezirks-Museumsdirektor des Nördlinger Ries Prof. Theo Heinrich bezeichnet die landschaftliche Vielfalt und die historisch bedingte Eigenart im Ries als Besonderheit, durch die es sich von anderen Landschaften abhebt. Das Ries gehöre, so Heinrich, außerdem zu den sonnenreichsten Gegenden in Deutschland. Aus diesen Gründen ist der »Drang« zum Anbau von Biomasse bislang auch so stark. Viele lokale Heimatpfleger, aber auch der übergeordnete Bayerische Landesverein für Heimatpflege befürchten daher, dass es durch die Biogasanlagen zu einer »Technisierung der Kulturlandschaft« und somit zu einer »technischen Überfremdung der Landschaft« (vgl. auch Eberhard 2010 und Wartner 2010) kommt, erklärt Dr. Leo Vogt, der über den Ausbau erneuerbarer Energien forscht und die Region Nördlinger Ries aufgrund der Biogasdichte gut kennt. Noch häufiger gelte dieser Vorwurf für Windenergie: Bei Windkraftanlagen kommt es nach Ansicht vieler Stadt- und Heimatpfleger zu Maßstabsverlusten, weil die bisherigen Maßstabsbildner Kirchtürme und Bäume, also 15 bis 25 Meter hoch, waren, erklärt Dr. Leo Vogt. Mittlerweile gibt es Windkraftanlagen bis 200 Meter Höhe, die sind aus 60 Kilometern Entfernung zu sehen, auch weil diese wegen der höheren Windstärke auf Plateaus, Geländekanten und Terrassen errichtet

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worden sind. Er selbst meint, dass er zwar die Argumente der Stadtheimatpfleger kenne, aber nicht immer gänzlich damit übereinstimme. Mit Bezeichnungen wie »Maßstabsverluste«, »technische Überfremdung« und »Strukturbrüche« (vgl. Nohl 2010) ist Vogt häufig durch seine geographischen Kartierungen zu Energielandschaften konfrontiert, empfindet diese aber oft als instrumentalisierendes Moment in der Diskussion um erneuerbare Energien. Weiterhin geht er davon aus, dass die Instrumentalisierung des Begriffs »Kulturlandschaft« mit Problemen verbunden ist: Aus wissenschaftlicher Sicht ist »Kulturlandschaft« die vom Menschen umgewandelte, zum Wirtschaften genutzte Naturlandschaft: »Kulturlandschaft ist alles, was man hier draußen sieht, nichts mehr Ursprüngliches in Anführungszeichen mehr.« Städte genauso wie landwirtschaftliche Nutzflächen sind Kulturlandschaft, so Vogt. In der öffentlichen Diskussion jedoch wird der Begriff Kulturlandschaft oftmals reduziert auf eine vorindustrielle bäuerliche Landschaft. Die ästhetische Funktion einer Landschaft wird somit hervorgehoben, wenn nicht überbeansprucht. Darüber hinaus wird ein Kulturbegriff auf Landschaft eingesetzt, der diese als »besonders wertvoll« im Sinne akzeptierter Kulturleistungen darstellt und an traditionell-konservative Betrachtungsweisen von Kultur als Hochkultur im Sinne von Bourdieu anknüpft. An dieser Stelle wird deutlich, mit welchen emotional aufgeladenen Begriffen – Heimat, Identität und Kulturlandschaft – die Akteure jonglieren, aber auch Stimmung machen. Ihnen ist durchaus bewusst, mit welcher Wirkung sie dadurch – und auch durch ihre »bewahrende« Funktion im Rahmen der Stadtheimatpflege – an ein romantisches Bild einer vorindustriellen bäuerlichen Land(wirt-)schaft in einer konservativ geprägten Region appellieren.

Der Geopark als KULTUR-Landschaft »Der Geopark liegt mir total am Herz. Die Schwäche ist da die Veränderung der Landschaft. Ich mache mir sehr große Sorgen um den Geopark, weil er schon etwas ganz besonders Schönes und Gutes ist. Wir haben hier wirklich eine einmalige Landschaft.« (Wilhelm Engel, Stadtheimatpfleger)

Welche »Kulturlandschaft« könne schon von sich behaupten, dass sie auf dem Fundament eines Meteoritenkratereinschlags entstanden ist und auf engstem Raum über eine »ganz exquisite, differenzierte Kultur« verfügt, fragt Dr. Wilhelm Engel und erklärt, dass diese besondere Landschaft über Jahrhunderte hinweg maßgeblich von der Arbeit der Klöster und Kirchen, den Adelshäusern, den Städten mit ihren Bürgern und den kleinen Gemeinden mit ihren Bauern geprägt wurde. »Wir haben ganz alte Dörfer, die wir noch von der alemannischen Zeit, von der Landnahme her zurückverfolgen können. Diese Siedlungskontinuität hat das Aussehen der Dörfer ganz systematisch gestaltet, aber an diesem gewachse-

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nen Ortsbild, daran reißen wir momentan gewaltig.« Er meint, dass erst dieses, wie er es selbst bezeichnet »natürliche Kapital« – der Rieskrater – diese »Rieser Kultur« über Jahrtausende hinweg hervorbringen konnte. Von den insgesamt 15 Geoparks in Deutschland112 ist das Ries ein »sehr rühriger und ein sehr gut geführter« Geopark, dessen Geschäftsstelle am Landratsamt in Donauwörth angegliedert ist, berichtet Dr. Wilhelm Engel stolz. Er erzählt, dass der verliehene Titel bzw. das Zertifikat »Nationaler Geopark« auch wieder aberkannt werden kann, »wenn zum Beispiel die Infrastruktur nicht passt«. Zum Zeitpunkt des Gesprächs wurde diesbezüglich eine Evaluierung durchgeführt und Engel hofft, diese weiterhin zu bestehen. Aber gerade weil viele Touristen Äußerungen wie folgt an ihn richteten, trage er manchmal Sorge: »Schöne Landschaft, schöne Stadt, aber uns ist der Verkehr zu viel, uns ist die Stadt zu laut und warum sind so viele Biogasanlagen hier?« Die Besucher sollten doch zum Wiederkommen angeregt werden, sorgt er sich und erklärt, dass für das Zertifikat »Nationaler Geopark« bestimmte Voraussetzungen und Bedingungen erfüllt werden müssten. Ein Kriterium sei beispielsweise, dass innerhalb und im Umkreis des Kraters keine Windkraftanlagen gebaut werden dürften. Nördlinger-Ries-Experte Prof. Heinrich erklärt, dass dies vor allem an dem geschlossenen Charakter des Rieses als Beckenlandschaft liege. Es habe ernsthafte Befürworter von Windkraft im Ries gegeben, aber das Zertifikat »Nationaler Geopark« sei glücklicherweise ein wichtiges Argument, den Ries-Krater von Windkraftanlagen frei zu halten, so Heinrich. Vom Ries aus könne man bereits bei Degersheim zehn Windanlagen stehen sehen: »Das ist ja schon grenzwertig, weil man die vom ganzen Ries aus sieht! Die Dinger [Windräder, FS] sind riesig und verschandeln die Landschaft!«, meint Anwohner Helmut Becker. In seinen Augen kann man das nicht als Protest von »Naturromantikern oder Spinnern« abtun, denn es handele sich um »ganz arg wichtiges Kapital für die Zukunft, das man jetzt noch gar nicht zu schätzen weiß«. Er illustriert seine Meinung am Beispiel von Norditalien, das in seinen Augen mittlerweile ein »Siedlungs- und Industriebrei« geworden ist: »Da gibt’s das ja gar nicht mehr, dass hier ein Dorf ist und da ein Dorf und da eine Kleinstadt, sondern du fährst da dauernd an irgendwelchen Bebauungen vorbei, du weißt gar nicht, wo hört die eine Stadt auf und wo fängt die nächste an. Auch in Bayern kann man das schon feststellen: Das ist eine wahnsinnige Zerstückelung – das wird nicht mehr rückgängig gemacht!« Stadt- und Heimatpfleger Dr. Wilhelm Engel teilt diese Sorge. Wie er berichtet, fürchten auch immer mehr Rieser, dass ihre »Heimat« als Touristenziel unattraktiv wird und dass die landschaftliche Vielfalt unter den Biogasanlagen leidet. Eigentlich sollte das Projekt Geopark in Zukunft weiter ausgebaut werden, 112 Angaben zum Zeitpunkt der Feldforschung.

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aber »wenn das Ries immer mehr verschandelt wird, dann werden die Touristen ausbleiben!« Ihm ist bewusst, dass »man den Fortschritt nicht ganz aufhalten kann«, aber man müsse ihn »besser kanalisieren, denn gerade das Ries – der Geopark Ries – das ist einfach eine uralte Kulturlandschaft mit so viel archäologischen Funden, da muss man schon besser drauf Acht geben!« Im Gespräch mit der zertifizierten Geoparkführerin und Diplom-Agraringenieurin Ute Schmidt wird deutlich, mit wie viel Engagement die ausgebildeten Geoparkführer ihre Aufgabe angehen: »Das Ries ist einfach eine wunderschöne Kulturlandschaft, die es zu erhalten gilt. Da müssen wir die Leute sensibilisieren und Aufklärungsarbeit leisten. Viele wissen gar nicht mehr, wo und wie unsere Nahrungsmittel angebaut werden.« Aus diesem Grund leitet Ute Schmidt Erkundungstouren durch die Ackerflur. Insgesamt werden verschiedene Führungen von dem Einschlagsereignis des Meteoriten über die Riesgeologie bis hin zur Besiedlungsgeschichte zu Natur und Landschaft angeboten. Ute Schmidt meint weiterhin, dass das Prädikat Geopark für das Nördlinger Ries einen großen Imagegewinn darstelle und weiterhin wichtige Impulse im Bereich Wissenschaft und Tourismus setzen könnte. Letzteres ist in ihren Augen ein bedeutender Faktor für die Region. Durch das gute Marketingkonzept, die Einrichtung von Infozentren, die Ausbildung von zertifizierten Geoparkführern, den Ausbau vieler Rad- und Wanderwege und vor allem auch der Geotope im Nördlinger Ries und nicht zuletzt durch den Internetauftritt des Geoparks Ries sind hierfür schon gute Anreize geschaffen worden, meint Ute Schmidt, »aber jetzt geht es darum, dass wir das noch attraktiver machen und ausbauen! Wir wollen hier so etwas wie einen nachhaltigen Gegenentwurf zu den vielen Biogasanlagen.«113 Neben dem Geopark Ries betonen meine Gesprächspartner, dass auch das »Kulturerbe« (Dr. Wilhelm Engel) der Romantischen Straße, eine der ältesten, bekanntesten und beliebtesten Ferienstraßen in Deutschland mit seinen Bauund Kunstdenkmälern, gefährdet ist. Als die Romantische Straße 1950 als besonderer Reiseweg von Würzburg nach Füssen bekannt gemacht wurde, ging es darum, Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als Urlaubsland wieder attraktiv zu machen. Die Straße geht auf ihrer 413 Kilometer langen Strecke auch durch den Landkreis Donau-Ries.114 Viele Biogasanlagen würden heute an ex113 Zum Zeitpunkt des Gesprächs wurde die Vermarktungsstrategie »Geopark Ries kulinarisch: Regional genießen« entwickelt, die auf die In-Wert-Setzung der regionalen Küche abzielt und die einen positiven Effekt auf die Evaluierung haben soll. Nach der positiven Evaluierung wurde dieses Projekt als deutschlandweites Vorzeigeprojekt zu nachhaltiger Regionalentwicklung ausgewiesen. 114 In der Tat, so ein Artikel in den Rieser Nachrichten mit dem Titel: »Unterwegs auf der Mutter aller Ferienstraßen« vom 17. 08. 2012, ist die Romantische Straße »die Urmutter allen Reisens« und habe eine besondere historische Bedeutung für die Region, denn schon vor 2000 Jahren kamen die ersten Fernreisenden aus dem Süden. Damals hieß die Romantische

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ponierten Stellen entlang der Romantischen Straße in einer »schönen, kaum berührten und intakten Landschaft« stehen, nur weil die Zufahrt günstig ist, so Engel. »Aber wenn wir so ein bisschen Anwalt für die Landschaft spielen wollen, dann müssen wir sagen: Nein, das können wir doch so nicht machen! Noch nie war der Veränderungsdruck so groß, wie er jetzt ist. Das sind eben die diversen Baustellen: Biogasanlagen, Zersiedelung der Dörfer und Straßenbau.« Hier soll der Geopark dabei helfen, so etwas wie ein nachhaltiges, alternatives Image der Region zu schaffen – das in vielerlei Hinsicht als Gegenentwurf zu einem »technisch-industriellen Landschaftsbild« gilt. Meinen Gesprächspartnern aus dem Bereich der Stadt- und Heimatpflege ist durchaus bewusst, dass sich der Beruf des Landwirts stark verändert hat und dieser immer mehr Unternehmer werde und einem großen Druck ausgeliefert sei. Schließlich handele er nach der Marktwirtschaft unterworfenen Mechanismen. Somit bleibe manchmal sicherlich auch die Pflege der Landschaft auf der Strecke, meint Engel verständnisvoll. Investitionen in größere Fuhrparks und Maschinenhallen durch die Intensivierung der Landwirtschaft können nicht mehr im Ortskern vollzogen werden, sondern »die müssen raus [aus dem Ort, FS]«, und Engel sagt: »Die Globalisierung ist voll angekommen hier! Das sind die globalen Erfordernisse im Konkurrenzkampf – wo auch immer die Konkurrenz überall sitzt. Das ist die Tendenz zum immer größer Werden und das hat natürlich Auswirkungen!« Der Bau von Fuhrparks und Maschinenhallen, aber auch die Errichtung von Biogasanlagen fällt baurechtlich in den Bereich privilegiertes Bauen der Landwirtschaft. Unter privilegierten Bauvorhaben versteht man grundsätzlich Bauvorhaben, die im Außenbereich auf Flächen bewilligt werden, für die kein Bebauungsplan vorgesehen ist und die sich außerhalb von Ortsteilen befinden. Diese sind somit eine Ausnahmeregelung vom Grundsatz gemäß § 35 Baugesetzbuch (BauGB), sodass der Außenbereich allgemein vor Zersiedelung und Flächenverbrauch beim Bauen von Anlagen geschützt werden soll. Genau bei diesen Verordnungen, so Dr. Wilhelm Engel, gibt es jedoch Handlungsbedarf. Die baurechtliche Privilegierung sollte in Bezug auf Biomasse aufgehoben werden. Tierarzt Robert Graf meint, dass durch diese Regelung im Prinzip alles erlaubt ist: »Wenn ein Landwirt einen Antrag stellt, mitten in der freien Landschaft etwas bauen zu dürfen, sei es eine Biogasanlage oder einen Schweinestall, dann wird das fast immer genehmigt.« Wenn es keine baurechtlichen Vorschriften gibt, beispielsweise hinsichtlich der Grundwasserversorgung, habe das Landratsamt kaum eine andere Möglichkeit, als die Anlagen zu genehmigen, erklärt der Tierarzt weiter. Wichtig sei daher, so Dr. Wilhelm Engel, dass die Straße Via Claudia und galt als Heeresstraße, die Augsburg mit Italien verbindet (vgl. Rieser Nachrichten 2012).

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Kommunen wieder selbst die Möglichkeiten hätten, die Gestaltung im Außenbereich zu steuern. Leider habe man bereits durch den Fokus auf das privilegierte Bauen die regionale Mittelpunktsfunktion der Stadt Nördlingen aufgegeben. Es seien daher Ungleichgewichte in der Landschaft entstanden. Engel nennt ein Beispiel, das ihm sehr am Herzen liegt, bei dem er jedoch »hilflos« war : Ein Stall wurde nur wenige hundert Meter von einem historischen Erinnerungsort entfernt gebaut, der an das Schlachtfeld »Anno 1634« hinweist, wo sich das Schwedenlager auf dem Breitwang bei Bopfingen befand.115 Dort fand die Schlacht bei Nördlingen im Dreißigjährigen Krieg am 6. September 1634 statt. Eben wegen der Verordnung des privilegierten Bauens der Landwirtschaft sei er in seiner Funktion als Heimatpfleger machtlos gewesen und das Bauvorhaben wurde bewilligt: »Dann kann der Heimatpfleger vielleicht kommen und sagen, das ist aber nicht schön, aber es nutzt halt nichts. Da sind mir die Hände gebunden. Man muss sehr genau aufpassen und hinschauen. Also gefallen tut mir das überhaupt nicht da draußen. Das steht in der Landschaft außerhalb vom Ort.« Die Aufgabe der Heimatpflege sei, für den »Schutz der Landschaft als ein ganz hohes Gut« zu sorgen, meint Engel. Man müsse alles tun, damit landschaftsgerecht gebaut wird. »Das heißt nicht nur das Weglassen von Baustilen, die hier nichts zu suchen haben. Wir haben hier im Ries ja einen eigenen Baustil und den müssen wir erhalten«, erklärt er. Es geht in seinen Augen auch darum, genau zu betrachten, wie und warum sich Städte und Dörfer entwickelt hätten, um dann entsprechend diese »Tradition« weiterzuführen. »Da brauchen wir wieder ein Bewusstsein in der Bevölkerung! Diese Diskussion ist sehr dichotom und sehr emotional.«

Der Spagat der Heimatpflege »Wir Heimatpfleger sind ja keine rückwärtsgewandten Menschen, die mit dem Modernen nichts zu tun haben wollen. Nein, nein! Wir müssen das Moderne einbinden in das Traditionelle. Also traditionelle Landschaft, traditionelles Bauen. Es ist machbar, aber wenn bestimmte Größenordnungen wie bei den Anlagen überschritten werden, dann wird es schwierig.« (Dr. Wilhelm Engel, Stadtheimatpfleger)

Engel erklärt das Dilemma, in dem er als Heimatpfleger stecke. Ein älterer Mann habe ihn während eines Vortrags gefragt, warum die Heimatpflege denn nichts gegen die Photovoltaik-Dächer und Biogasanlagen unternehme, schließlich seien diese »fürchterlich«. Er habe dem Mann eigentlich auch gar keine richtige 115 Eben dort führt auch der bekannte Geopark Ries Wanderweg vorbei, der sogenannte Schwedenweg. Dieser soll an den Marsch des schwedisch-protestantischen Heeres vom Breitwand am 6. September 1634 erinnern (vgl. Geopark Ries 2011).

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Antwort geben können, »denn schön ist es nicht, aber es ist auf der anderen Seite auch wichtig, dass wir alternative Energieformen haben«. Gerade bei Biogasanlagen im Ries müsse man »irgendwie den Spagat schaffen« und Engel führt weiter aus: »Einerseits ist die Energiewende notwendig, also brauchen wir Biogas als alternative Energieerzeugung, andererseits aber brauchen wir auch einen schonenden Umgang mit dem Landschaftsbild. Da haben wir aber gerade aus Sicht der Heimatpflege große Probleme, diesen Spagat auszuhalten.« Jeder Heimatpfleger wäre »dumm«, wenn er sich gänzlich gegen Biogas und den Strukturwandel stellen würde, denn eine »heile Welt« gebe es schließlich nicht, so Engel. »Das bringt ja auch Gutes!« Er appelliert an die »moralische Instanz«, mit der sich jeder Einzelne überlegen sollte, warum er für oder gegen Biogas und den Strukturwandel der Landwirtschaft ist. »Wir wollen ja den Strom oder wir essen ja das ganze Zeug [Fleisch, FS]. Es geht schon einfach viel über das Verhalten. Wir dürfen nicht sagen: Die bösen Bauern, die jetzt die Biogasanlagen betreiben, sind schuld dran, sondern wir alle sind schuld. Es könnte jeder sein kleines Beispiel machen. Brauche ich das Auto oder nehme ich doch den Zug?« Gerade beim Energiesparen oder beim Essen sind in Engels Augen beide in der Pflicht, sowohl die Politik als auch der einzelne Verbraucher. Jedoch müsse man grundsätzlich beim weiteren Ausbau der Biogasanlagen ökonomische und technische Interessen mit den Belangen des Klimaschutzes, der Natur, der Vielfalt und »Schönheit« der Landschaften und Dorfkerne gleich bewerten. Auch sollten Gemeinden bei der Entwicklung von Standortkonzepten für das jeweilige Gebiet aktiv einbezogen werden, so Wilhelm Engel. Hier stimmt auch der Erneuerbare-Energien-Experte Dr. Leo Vogt zu, denn letztlich geht es vor allem darum, den Ausbau von erneuerbaren Energien, hier Biogas, zu beobachten und daraufhin zu untersuchen, ob er »nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch und sozial nachhaltig« ist. Gerade die Integration ins Landschaftsbild, ökologische Standards, aber auch die Optimierung von Parametern wie Energieausbeute und Flächeneffizienz sind Faktoren, die hierbei eine wichtige Rolle spielen. Der Vorschlag von Vogt lautet, dass Industrie und Heimatpflegevereine sich nicht gegeneinander stellen, sondern vielmehr zusammenarbeiten sollten, indem sie Räume als für erneuerbare Energien geeignet deklarierten und andere als weniger geeignet. Es gehe um einen »sensiblen Ausbau« erneuerbarer Energien unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Landschaftsarten, erklärt er. Schließlich habe der ländliche Raum nicht nur eine Erholungsfunktion und eine Agrarproduktionsfunktion, sondern auch ökologische Funktionen und Standortfunktionen, so Vogt: Standorte für Mülldeponien, für Kraftwerke, für militärische Flächen, Infrastruktur, Verkehr und Siedlungen. In diese Standortfunktion sind auch erneuerbare Energien integriert. Abschließend betrachtet werden Biogasanlagen zum Teil von den Bewohnern

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als Bedrohung einer »natürlichen und unberührten« Landschaft angesehen (vgl. auch Fassl 2009, Nohl 2010). Weiterhin haben sie aus Sicht der Stadtheimatpflege gravierende ästhetische Auswirkungen auf das Landschaftsbild und gefährden daher die »regionale Identität der Heimat«. Die »Schönheit« und »Einzigartigkeit« des Landschaftsbilds und der »Kulturlandschaft« werden als Referenzpunkt für die regionale »Heimat« und »Identität« herangezogen und instrumentalisiert, um ihren berechtigten Ängsten und Sorgen Ausdruck zu verleihen, gleichzeitig wird dadurch die öffentliche Diskussion um die veränderte Land(wirt)schaft aufgeheizt und emotionalisiert. Energieproduktion aus Biogas wird automatisch gleichgesetzt mit »modernem Fortschritt«, durch den das »Traditionelle« verloren gehe. Der Spagat der Stadtheimatpfleger besteht darin, erneuerbare Energien als wichtig zu akzeptieren, andererseits aber für den schonenden Umgang mit dem Landschaftsbild einzutreten. Ein Gesprächspartner plädiert in diesem Zusammenhang für einen »sensiblen Ausbau« erneuerbarer Energien unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Landschaftsarten. Grundsätzlich sind daher beim weiteren Ausbau der Biogasanlagen ökonomische und technische Interessen gleich zu bewerten mit den Belangen der Natur, des Klimaschutzes und der Vielfalt der Landschaften und Dorfkerne.

Umwelt- und Naturschutz »Auch traurig, dass unser Landkreis in Berlin als Negativimage gilt, als der Landkreis mit der höchsten Dichte an Biogasanlagen. Der Landkreis ist nicht wegen des schönen Ries und der Artenvielfalt bekannt, sondern wegen der hässlichen Biogasanlagen. Von wegen Geopark! Das ist alles eine riesige Misere. Die Landwirte sehen die lukrative und sichere Einkommensquelle, aber was damit für die Natur bewirkt wird, ist grauenhaft, das ist ein Drama.« (Richard Haas, Umweltschützer)

Aus Sicht des Umwelt- und Naturschutzes stellt die Energiegewinnung mittels Biogas eine Bedrohung und Gefahr dar : Die Artenvielfalt geht zurück, die Landschaft verändert sich zunehmend und Lebewesen sind in Gefahr. Der besorgte Umweltschützer Richard Haas macht den Zwiespalt der Entwicklung hinsichtlich Energieerzeugung mittels Biogas deutlich: Einerseits haben die Landwirte durch Biogas endlich ein gutes und regelmäßiges Einkommen, andererseits stellen Effekte und Folgen der Biogaserzeugung eine Bedrohung für Natur und Umwelt dar. Vor allem die Bewirtschaftung des offenen Landes im Nördlinger Ries ist aus Perspektive des Naturschutzes zu intensiv geworden, erklärt der Vorsitzende des Rieser Naturschutzvereins und der Schutzgemeinschaft Wemdinger Ried Richard

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Haas.116 Zurückzuführen ist diese Entwicklung auf den Strukturwandel in der Landwirtschaft. Viele kleinbäuerliche Betriebe geben auf und die Flächen der verbleibenden Betriebe werden größer. Ein Betrieb mit 100 Hektar galt früher als ein sehr großer Betrieb, heute sind 300 Hektar nichts Außergewöhnliches (vgl. Wagner 2010). Der engagierte Umweltschützer erklärt als eine Folge davon, »dass draußen der Feldflurstrukturwandel« eintritt. Heute hielten nicht mehr 30 bis 40 Bauern ihre Wiesen, sondern nur noch drei bis vier. Seit den 1970er Jahren könne man weiterhin eine Intensivierung der Wiesennutzung feststellen. Der Schnittzeitpunkt für Heuschnitt habe sich vom 15. Juni auf Ende Mai vorverlagert. Allerdings werde Heuschnitt durch den Rückgang der Milchviehbetriebe fast nicht mehr praktiziert. Der Betrieb von Biogasanlagen verstärke diesen Prozess zunehmend, meint Richard Haas: »Da werden dann gnadenlos spätestens ab 10. Mai riesige Flächen abgeerntet.« Diese intensive Form der Bewirtschaftung gefährde nicht nur den gesamten Brutzyklus der Wiesenbrüter, auch die Pflanzenwelt ist dadurch bedroht. Richard Haas erklärt weiter : »Da geht’s nicht nur um die Vogelwelt, sondern die gesamte Pflanzenwelt kommt damit nicht mehr klar – die gesamten Lebensgemeinschaften verschieben sich vom artenreichen zum weniger artenreichen Grünland und das hat natürlich Auswirkungen auf Pflanzen, Insekten, Tiere, auch von der Nahrungspyramide her. Das ist völlig im Wandel und da kommt die Natur nicht mehr mit. Es ist zwar noch grün, aber völlig artenarm.« Die Nutzung von Biogas bedeutet für die landwirtschaftlichen Produktionsmechanismen im Nördlinger Ries eine neue Form der Beanspruchung des Ackerlandes. Der Boden im Ries ist begehrt wie nie und die Preise steigen durch die starke Nachfrage nach Flächen. Der große Bedarf an Ackerland ist auf die Biogasanlagen zurückzuführen, die ihre Betriebsstoffe auf den Flächen anbauen (vgl. Wagner 2010). Durch den Biogasboom ist es zu einem starken Konkurrenzkampf zwischen den Biogasbetreibern und den konventionellen Betrieben gekommen, meint Haas. Die Pachtpreise sind durch Biogas in die Höhe geschnellt und viele konventionelle Landwirte können nicht mithalten. Auf die veränderte Nutzung des Ackerlandes haben die Naturschutzvereine reagiert und versuchen, viele Wiesen extensiv zu bewirtschaften. Haas erklärt, dass aus diesem Grund viele der konventionellen Landwirte »uns die Bude einlaufen« und anfragen, von den extensiv bewirtschafteten Flächen ihrer Naturschutz116 Der Rieser Naturschutzverein wurde im Jahr 1972 gegründet und die Schutzgemeinschaft Wemdinger Ried bereits 1970. Es handelt sich um zwei rechtlich getrennte Vereine, die aber die gleiche Vorstandschaft haben. Insgesamt umfassen die Vereine rund 1350 Mitglieder, deren wesentliche Arbeit besteht darin, Refugien zu schaffen. Seit 1998 ist Richard Haas erster Vorsitzender beider Vereine und seit 1980 verantwortlich für die Bestandsaufnahme der Wiesenbrüter, zum Beispiel des Großen Brachvogels. Zusätzlich übernimmt er auch die Kartierungen für das Landesamt für Umweltschutz.

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vereine etwas »zum Mähen« abzubekommen: »Sie können sich die Pachtpreise nicht mehr leisten, das ist ganz dramatisch. Die nehmen dann von uns eine Tonne ab, weil das können die auch verfüttern und das kostet sie nicht viel oder nichts.« Aber nicht nur die konventionellen Landwirte leiden unter der Situation, auch die Schäfer hätten Probleme. Zwar sind sie im Sommer auf den Hängen und Heiden im Ries, jedoch im Herbst würden sie bestimmte Weideflächen im Grünland und im Winter Heu als Futter im Stall benötigen. Aber woher sollten die Schäfer das Winterfutter für ihre Schafe erhalten, wenn sie sich die Pachtpreise der Wiesen nicht mehr leisten könnten, fragt Haas. Weiterhin seien die häufig von der Bevölkerung geforderten Ortsumgehungen aufgrund von Lärmbelästigung durch das erhöhte Verkehrsaufkommen aus der Perspektive des Naturschutzes mit großen Bedenken zu sehen. Durch den Bau dieser Straßen sind in den vergangenen Jahren Flächen zerschnitten und somit Lebensräume für viele Tiere und Pflanzen zerstört worden. Das Problem ist weiterhin, dass dadurch auch landwirtschaftliche Flächen verloren gehen. Anton Fuchs vom Landwirtschaftsamt erklärt, dass acht Hektar für die Straße allein verschwinden, jedoch mit Seitenstreifen, Radwegen und Zufahrten insgesamt 25 Hektar verloren gehen. Innerhalb der letzten Jahre habe die landwirtschaftlich genutzte Fläche durch Straßenbau, neue Gewerbegebiete und Wohnsiedlungen im Ries stetig abgenommen. Jedes Jahr besitze die Landwirtschaft 20 Hektar weniger und somit erhöhe sich der Druck auf die Landwirte zunehmend (vgl. Wagner 2011). Umbruch von Grünland »In einem eigentlichen Schutzgebiet wird einfach umgebrochen ohne Erlaubnis, damit eine zusammenhängende Nutzfläche für die Biomasse entsteht.« (Theo Heinrich, Geographie-Experte für das Nördlinger Ries)

Starke Kritik besteht von Seiten des Umwelt- und Naturschutzes, wie an diesem Zitat verdeutlicht wird, am Umbruch von Grünland zur Nutzung als Ackerfläche für Biomasse. Wenn jedoch eine Wiese umgebrochen wird, sollte an einer anderen Stelle wieder eine neue geschaffen werden, damit der Status ungefähr erhalten werden könne, so Haas aufgebracht: »Aber da läuft die Praxis völlig an der Theorie vorbei! Da wird einfach umgebrochen, ohne überhaupt eine Genehmigung einzuholen! Das Landratsamt muss dann hinterherlaufen und schauen, dass man das wieder in den Griff kriegt.« Fuchs vom Landwirtschaftsamt räumt in diesem Zusammenhang ein, dass diese Verschiebung von Grünland zu Ackerland allgemein an der Rentabilität liege. Anlagentechnikunternehmer Benedikt Richter verdeutlicht an einem Rechenbeispiel, dass man mit

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einem Hektar Grünland 200 Euro erwirtschaften könne, hingegen mit einem Hektar Ackerland 600 Euro. Zusätzlich haben die EU und der bayerische Staat sämtliche Naturschutzprogramme gekürzt, die hierfür einen Ausgleich geschaffen hätten: »Wenn der Staat das Geld rauszieht aus der Naturschutzpflege, na, was passiert denn dann?«, fragt Richter ironisch. Gleichzeitig laufe gerade die Kartierung für Artenschutz und Biotope: »Viele Landwirte haben ihre Wiesen umgebrochen, damit sie nicht in eine andere Schutzklasse reinrutschten, das ist doch ganz klar«, erklärt Richter weiter, der aufgrund seiner Tätigkeit als Anlagentechnikunternehmer die Konflikte im Bereich Umwelt- und Naturschutz durch Energieproduktion aus Biogas kennt. Auch Richard Haas bestätigt, dass durch den Wegfall der Agrarförderung für die Stilllegungsflächen im Jahr 2002 in höchstem Maße Brachflächen weggebrochen sind. Richter weist außerdem darauf hin, dass die Auflagen an die Landwirtschaft zur Naturschutzpflege bei einem fallenden Erlös zusätzlich drastisch höher geworden seien. Die »Absurditäten«, wie er sie nennt, fasst er folgendermaßen auf eine zynische Art zusammen: »Also wenn ich einerseits immer höhere Auflagen bekomme und andererseits der Erlös sinkt und mir dann noch die Ausgleichsprämie für naturnahe Bewirtschaftung genommen wird, was mach’ ich dann als Landwirt? Dann häng’ ich meinen Pflug an und äcker’ das Ding um und Ende. Bevor da wieder irgend so ein Vogelzähler kommt. Und ich äcker’ das Ding so um, dass da ja kein schützenswerter Vogel mehr drin ist. Das ist die Folge. Das ist hausgemacht.« Durch diese Umbrüche geht allgemein die Biodiversität verloren, weil es keine Vernetzungsstrukturen für Tiere und Pflanzen mehr gibt. Für den Boden führt der Umbruch von Grünland zu schweren Erosionsproblemen, vor allem in den Hanglagen. Das ist für die Fruchtbarkeit der Flächen sehr problematisch, so Haas. Hier habe man versucht nachzubessern und einen Erosionsschutz eingeführt. Jedoch greife dieser nicht bei tendenziellen Überschwemmungsflächen, wie sie im Nördlinger Ries häufig zu finden sind. Richard Haas erklärt, dass gerade im Wörnitztal117 sehr viel Grünland umgebrochen worden ist. Bei jedem Hochwasser werde so der Humus weggeschwemmt. Das macht einerseits den Boden unfruchtbar, andererseits verschlammen Bäche und Flüsse durch Humusabtrag immer mehr. Weiterhin spielt selbstverständlich auch eine Rolle, was auf dem Acker angebaut werde, so Haas. Auch die Grundwasserbelastung durch den erhöhten Nitratgehalt118 habe stark zugenommen.119 Aus diesen Gründen forderte der 117 Die Wörnitz ist ein Nebenfluss der Donau, der durch das Ries mäandert. 118 Der hohe Nitratgehalt hat in hohem Maße mit Viehdichte und Düngung zu tun. Maisanbau bzw. Mais braucht viel Stickstoff. Weiterhin sind die Gärreste, die aus einer Biogasanlage kommen, mit Stickstoff belastet. Stickstoff ist wiederum für den erhöhten Nitratgehalt im Grundwasser verantwortlich (vgl. Wunder/Röderer 2014).

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Bund Naturschutz des Landkreises Donau-Ries genaue Auskunft zum Grünlandumbruch beim Bayerischen Landwirtschaftsministerium. Nur über den Klageweg gelang es ihm jedoch dann, die Veröffentlichung der Zahlen zu erzwingen. Diese belegen, dass die Sorge der Naturschützer durchaus berechtigt ist: »Die […] Veröffentlichung der Zahlen [zum Grünlandumbruch, FS] ergibt nun, dass in den letzten fünf Jahren bayernweit 32 000 Hektar Dauergrünland verschwunden sind, davon 2000 Hektar zum Teil illegal in europäischen Schutzgebieten. Allein im Landkreis Donau-Ries […] sind demnach mehr als 860 Hektar Wiesen zu Äckern geworden – ein Verlust von 5,3 Prozent« (Mayr 2013). Die beiden Naturschutzvereine des Nördlinger Ries haben daher schon verschiedene Initiativen gegen den Grünlandumbruch gestartet. Unter dem Titel: »Gegen den Trend. Rieser Vereine wandeln Flächen in blühende Wiesen um und schaffen damit Lebensraum für Tiere und Pflanzen«, berichtet auch die lokale Presse Rieser Nachrichten davon: »Dieser Tage wurden von den beiden Rieser Naturschutzvereinen Schutzgemeinschaft Wemdinger Ried und Rieser Naturschutzverein im Natura 2000-Gebiet Pfäfflinger Wiesen im Rahmen einer auf mehrere Jahre angelegten Aktion 3,9 Hektar Intensivackerland durch Neuansaat in Dauergrünland mit eingelagerten Ackerbrachestreifen umgewandelt.« (Rieser Nachrichten 2012).

Maisanbau – toter Lebensraum in der Maiswüste »Der Mais wird dann zum Problem, wenn er an unpassenden Standorten angebaut wird, also am Hang, in Talauen, wo er nichts zu suchen hat und wenn er zu dicht aufeinander folgt, also zu hoher Maisanteil in der Fruchtfolge.« (Wolfgang Obermeyer, Landwirtschaftsamt)

Aktuell spielt der Anbau von Mais eine besondere Rolle: Naturschützer sind beunruhigt, wie sehr der Mais und nur wenige andere Kulturpflanzen die Landschaft prägen. Momentan stellt der Mais den wichtigsten Betriebsstoff für die Biogaserzeugung dar. Es handelt sich hierbei um eine Energiepflanze, die sich als äußerst rentabel für die Bestückung von Biogasanlagen erweist und daher viel angebaut wird. Naturschützer fürchten, dass darunter der komplette Wiesen- und Feldzyklus leidet und Flora und Fauna auf dem ehemals artenreichen Grünland deutlich dezimiert wird. Außerdem kann Regen den unbewachsenen Boden zwischen den Maispflanzen auswaschen. Es gelangen Dün119 Die Mitarbeiterin einer Grünen-Abgeordneten des Bundestags, die Mitglied im Umweltausschuss ist, berichtet in diesem Zusammenhang: »Wir hatten einen Wasserexperten, der uns für Niedersachsen und Bayern, also in den Regionen mit Biogas, aufgeschlüsselt hat, was wir da an Wasserschädigungen jetzt schon haben. Das war gravierend« (Fabienne Pohl).

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gemittel wie Phosphat in nahe gelegene Gewässer. »So kippt das natürliche Gleichgewicht des Wassers einfach um, weil kleine Lebewesen wie der Planktonkrebs zurückgedrängt werden«, erklärt Haas. Dies wiederum führe zu einer Trübung der Wasserqualität – aus ökologischer Sicht eine dramatische Folge, so Haas. Für den Lebenszyklus von vielen Wiesenblumen bedeute der Maisanbau das Aus. Haas fasst zusammen: »Die gesamten Wiesenbewohner stehen also vor riesigen existentiellen Problemen. Die Wasserqualität verschlechtert sich.« Dort, wo Mais angebaut wird, ändere sich rapide das Landschaftsbild: Im Frühjahr ist »alles kahl wie Steppe«, dann wird Mais angebaut und innerhalb kurzer Zeit »schießt« er Ende Mai auf plötzlich fast zwei Meter hoch und wird dann »radikal« abgeerntet. Somit geht den Wiesenbrütern der Lebensraum verloren, da sie plötzlich keine Deckung und keinen Schutz mehr haben. Haas nennt das Beispiel der europweit geschützten Wiesenweihe, die nur an wenigen Orten in Deutschland lebt und nachweislich große Probleme wegen des Maisanbaus zur Biogasnutzung habe. Für die Wiesenweihe bedeutet eine Verschiebung weg von Getreide hin zum Maisanbau, dass sie im Frühjahr keinen Ort für Brut und Nahrung findet, so Franz Schäfer. Auch Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt kennt die starke Kritik am Maisanbau seitens des Naturschutzes, erklärt jedoch, dass es durchaus Gründe gibt, weshalb eine Pflanze wie der Mais gerade so sehr im Mittelpunkt stehe. Der Mais selbst ist eine hochinteressante und energiereiche Pflanze, »geradezu segensreich«, aber werde dann »zum Fluch«, wenn man es übertreibt und am falschen Standort anbaut, weil der Boden sehr beansprucht wird. Obermeyer räumt auch ein, dass die Maisanbaufläche innerhalb der letzten vier Jahre um 3000 Hektar gestiegen ist. Das Problem ist in seinen Augen aber nicht die Menge, sondern die Ballung. »Je näher man einer Anballung von Biogasanlagen kommt, desto höher auch der Maisanteil und am höchsten ist er auf der Fläche der Betriebe selber.« Es sei nicht einfach, eine Alternative für Mais zu finden, denn es handelt sich um eine C4-Pflanze, so Obermeyer. Das heißt, sie kann die Wärme sehr gut ausnutzen und hat zu Kältezeiten Reserven getankt. Somit sei der Mais beihnahe unerreicht, auch was die pflanzliche Zusammensetzung für die Gasausbeute anbelangt. Das bedeutet, so Obermeyer, »in dem Moment, in dem man den Mais ersetzt, braucht man sofort mehr Fläche, wenn die gleiche Leistung erbracht werden soll«. Weil die Fläche aber Mangelware im Nördlinger Ries ist, würde dies zu großen Konflikten führen. Umweltexperte Haas meint jedoch, es müsse bestimmte Regelungen und Vorschriften für den Fruchtwechsel geben. Er schlägt vor, nur jedes zweite oder dritte Jahr Mais anzubauen, denn wenn zehn Jahre ununterbrochen nur Mais angebaut wird, sei der Boden stark ausgezehrt. Mit einem sinnvollen Fruchtwechsel könne man eine Verbesserung erzielen. Außerdem sollte pro Betrieb

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eine Mindestprozentzahl an Extensivfläche vorgeschrieben werden. Ansonsten sterben gerade die Offenlandbewohner wie die Grauammer aus, meint Richard Haas frustriert. Von einem großen Lohnunternehmer aus der Region hat er erfahren, dass dessen Unternehmen im letzten Jahr 2000 Hektar für Biogasanlagen abgeerntet hat. Und überwältigt von der Zahl wiederholt er : »2000 Hektar! Das sind Dimensionen!« Haas schätzt, dass im Landkreis mindestens 15 000 Hektar Mais angebaut werden120, und er rechnet vor, »100 Hektar ist ein Quadratkilometer, also 150 Quadratkilometer nur für Biogas im Landkreis!« Hinzu kommt, dass sich daraus auch touristische Nachteile ergeben, denn gerade der Sanfte Tourismus mit seinem Erholungswert leide darunter, so Obermeyer vom Landwirtschaftsamt. Jedoch nicht nur der Anbau von Mais, so Richard Haas, auch der Getreideanbau für Biogasanlagen ist für den Lebenszyklus bestimmter Tierarten bedrohlich. Biogasgetreide werde in der Milchreife geerntet und nicht in der Kornreife, erklärt er. Beispielsweise Grünroggen wird nun bereits im Mai geerntet. Anschließend folgt eine Nachfrucht wie Mais oder Sonnenblumen: »Das halten die Wiesenbewohner – sogar die unempfindlich Feldlerche – nicht aus, weil da mitten im Brutzyklus dann plötzlich eine andere Phase rein kommt.« Jedoch wird mittlerweile kaum noch Getreide angebaut, weil es nicht rentabel sei, erklärt Haas: »Beim Getreide holt man einfach den Ertrag nicht mehr raus wie bei Mais.« Grundsätzlich hält Naturschützer Richard Haas Blühstreifen am Rand des Feldes und Wiesenstreifen, die nicht bis zur Grasnarbe gemäht werden, für sehr sinnvoll, weil so ein Lebensraum für viele Arten entsteht. Diese Blühstreifen sollten jedoch nicht über das ganze Jahr hinweg intensiv bewirtschaftet werden und nicht mit dem Mais abgemäht werden (vgl. auch Wagner 2010).

Gefährdete Lebewesen und Tierarten »Naturschützer haben schon vor langer Zeit gesagt, wenn alles innerhalb von drei Tagen abgeerntet wird, dann haben kein Schmetterling und kein Insekt mehr Nahrungsmittel. Man spürt es, man merkt es, man riecht es und sieht es.« (Julia Arnold, Bundestagsabgeordnete der Linken)

Im Gespräch erklärt Haas besorgt, dass derzeit zu beobachten sei, wie sich der Bestand einiger Tierarten stark verringert. Bei den bedrohten Arten handelt es sich um »Offenland-Bewohner«, also die Bewohner des offenen Landes wie die Feldlerche, das Rebhuhn, der Feldhase und die Wiesenbrüter. Als »Offenland120 Durch die Energieproduktion mittels Biogas nimmt der Silomaisanteil stetig zu und hat im Jahr 2014 mit rund 17 000 Hektar seine bisher größte Ausdehnung erreicht. Im Jahr 2014 betrug der Maisanteil (Silomais und Körnermais und CCM) 26,4 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche bzw. 33,2 Prozent der Ackerfläche (vgl. AELF Nördlingen 2014).

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Bewohner« bezeichnet Umweltexperte Richard Haas die »historischen Feldbewohner, alles, was auf dem normalen Feld historisch dort gelebt hat«. Teilweise kommen diese im Nördlinger Ries nennenswert nur noch in den eingerichteten Schutzzonen der Vereine vor, erklärt er. Seltener sind auch Ameisenhügel geworden, was sich wiederum auf den Bestand anderer Tierarten auswirkt. Mit Ameisen hat man zwangsläufig auch Rebhühner, so Haas. Aus Jagdstatistiken wisse man, dass die Jagdstrecken sich stark verringert hätten. »Die Jagdpacht geht enorm zurück, weil man nichts mehr jagen kann, weil die Erträge daraus sinken«, erklärt Richard Haas. Das beweist, dass »da auf dem Feld nicht viel Leben mehr ist«. Weiterhin gefährdet sind die »Extensiv-Bewohner«, darunter fallen die verschiedensten Vogelarten. Allgemein gehört das Ries zu einer der bedeutendsten Vogelbrutstätten Bayerns. Vögel sind empfindliche Indikatoren für die Artenvielfalt, meint Haas. Intensive Monokulturen wie der Maisanbau gefährden ihre Lebensgrundlage. Wenn weiterhin Brachflächen verschwinden und Grünland umgepflügt wird, verlieren sie Nahrungs- und Brutgebiete. Dadurch wurde die Vogelvielfalt im Nördlinger Ries in den letzten Jahrzehnten stark eingeschränkt. Vogelexperte Haas nennt als Beispiel die Grauammer, die in Bayern nicht weit verbreitet ist. Allgemeine Schätzungen des Brutvogelatlas gingen von gerade mal 200 Brutpaaren in Bayern aus. Im Nördlinger Ries gab es jedoch in den Wiesengebieten immer verstreute Vorkommen der Grauammer, aber durch die Intensivierung der Bewirtschaftung sind diese Wiesen umgebrochen worden und somit auch die Vögel verschwunden. »Heute gibt es die eigentlich nur noch da, wo unsere Vereine aktiv sind.« Als weiteres Beispiel für den starken Rückgang einer Vogelart nennt er den Kiebitz, ein typischer Wiesenbewohner. In Wemding habe man auf einer Kartierungsfläche im Jahr 1992 davon noch über 50 Paare gezählt, aber über die letzten Jahre seien davon nur noch unter 10 Paare übrig, so Haas. Ähnliches gilt für den Großen Brachvogel, ein sogenannter Schnepfenvogel, der sehr empfindlich auf veränderte Lebensräume reagiert. Mittlerweile leben im Ries davon nicht mal mehr 50 Paare und die konzentrierten sich auf das Gebiet, in dem die Vereine aktiv sind. Im Jahr 1970 gab es davon noch 120 Paare. Glücklicherweise wird der Große Brachvogel bis zu 30 Jahren alt, ist also recht langlebig. Richard Haas erklärt, weshalb diese Vogelart vor allem bei der Aufzucht ihrer Jungen so große Probleme hat: In der ersten Aprilwoche beginnt die Brutzeit, frühestens aber in der ersten Maiwoche schlüpfen die Jungen und genau in diesem Zeitraum ist die Ernte für die Biogasanlage. Haas meint aufgebracht: »Da werden die dann einfach rasiert, entweder noch Gelege rasiert oder die frisch geschlüpften Jungen rasiert.« Ganz im Gegensatz zu der Zeit vor der Energieproduktion aus Biogas, denn da habe jeder einzelne Milchviehbetrieb mit dem Ladewagen Grünfutter geholt. Somit sei nicht alles »absolut schnell rasiert worden, sondern da ein Fleck, da ein Fleck, da ein Fleck«. Mit diesem Mosaik sind die Brachvögel

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gut zurechtgekommen. Wenn es Schutzprogramme wie das »Artenhilfsprogramm Wiesenbrüter«121 nicht gäbe, wären sie schon alle weg, vermutet Richard Haas. Als weiteres Beispiel führt der Vogelexperte den Weißstorch an, der für viele Bewohner im Ries symbolisch für ihre Herkunftsgegend stehe und in der Region recht häufig vorkomme. Der Weißstorch ernährt sich im Nördlinger Ries hauptsächlich von Feldmäusen und »die gibt es meistens schon noch«, aber wenn »es doch mal ein knappes Jahr ist und er sich nur von Regenwürmern ernähren kann«, räumt Haas ein, dann hat der Storch bloß ein oder zwei Junge, gewöhnlich hingegen drei oder vier. Außerdem habe er letztes Jahr bei den Störchen erlebt, dass sie bei Mangelernährung Probleme mit ihrem Gefiederaufbau bekommen: »Die werden rachitisch, kriegen verkrüppelte Federn und können nicht ausfliegen.« Diese Schwierigkeiten sieht man als Laie nicht, so Richard Haas. »Viele Leute meinen, es ist alles in Ordnung, weil es im Ries überall Storchenhorste gibt, das ist aber nicht so!« Und er erklärt: Die Störche kommen hier nur deshalb so häufig vor, weil sie nicht mehr nach Afrika ziehen, sondern großteils schon in Südfrankreich oder Spanien überwintern. Somit sind die Zugverluste weniger geworden und es reicht eine wesentlich geringere Reproduktionsrate aus, um die Bestände zu halten oder auch anwachsen zu lassen. »Es gibt Westzieher, die über Gibraltar ziehen, und Ostzieher, die über den Bosporus ziehen. Die Westzieher nehmen in Mitteleuropa deutlich zu. Aber das beruht eben auf anderen Dingen als auf dem Lebensraum hier.« Weiterhin beklagen viele Imker im Nördlinger Ries die negative Entwicklung der Bienenvölker durch Energieerzeugung mittels Biogas. Durch den Grünlandumbruch können Bienen keine Pollen mehr sammeln und Feldhasen und das Wild können dadurch keine gesunde Nahrung mehr zu sich nehmen, erklärt Hermann Käser, der selbst ehrenamtlich im regionalen Jagdverein tätig ist. Seine hauptberuflichen Kollegen berichten derzeit häufig über den schlechten Gesundheitszustand der Hasen- und Rehwildbestände: »Da gibt es bei uns im Ries gerade ein richtiges Hasensterben durch den Bau der Biogasanlagen!« Während es früher pro Hektar einen Hasen im Ries gab, sind es heute statistisch gesehen nur noch 0,2 Hasen pro Hektar, so Hobbyjäger Käser. Durch den Erntemaschineneinsatz entstehen hohe Verluste bei den Tieren, schließlich werden die Wiesen heute fünf- bis sechsmal gemäht. Außerdem nimmt diese Bewirtschaftungsweise der Äcker den Hasen den Schutzraum, den sie eigentlich vor Greif-

121 Im Wesentlichen geht es bei dem Artenhilfsprogramm darum, die Lebensräume der Wiesenbrüter zu sichern und zu verbessern und Bruterfolge zu erzielen, damit die Populationen sich von selbst erhalten können. Hilfreich hierfür soll der Aufbau und die Organisation eines bayernweiten Wiesenbrütermonitorings und verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zum Wiesenbrüterschutz sein (vgl. Bayerisches Landesamt für Umwelt 2015).

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vögeln brauchen, meint Käser und fährt fort: »Auf kahlen Wiesen sind sie leichte Beute!« Ferner sei unklar, welche Auswirkungen der Gärrest, der wieder auf die Felder ausgebracht wird, auf die Böden hat. Haas erklärt eindringlich, dass er die Gefahr von Botulismus im Zusammenhang mit Biogasproduktion fürchtet: »Da sind doch tote Tierkadaver drin sind, also tote Hasen, tote Mäuse oder auch mal ein totes Reh, und wenn die dann so ein paar Tage vor sich hin gammeln, das wird angetrocknet, bevor es gehäckselt wird, dann wunderbar fein gehäckselt, es verteilt sich auf die gesamte Biogasmasse und kommt in den Gärbehälter rein. Das ist ja eigentlich wie ein Riesenreagenzglas, wie eine Petrischale, wo man etwas drauf züchtet. Dann hat man da einen Riesengärbehälter voll mit lauter Bakterien, die man nicht kennt. Es ist ein Riesenfreilandexperiment, wenn man die Gülle mit so viel Botulismus-Erregern rausbringt!« Er stellt sich die Frage, ob nicht gerade Allergiker oder Menschen mit empfindlichem oder schlechtem Immunsystem dadurch gefährdet sind. Dass all diese negativen Effekte für Umwelt und Natur verursacht durch den Betrieb der Biogasanlagen in der Öffentlichkeit stark diskutiert werden und Besorgnis erregen, macht folgender Leserbrief deutlich, der am 21. 09. 2010 in den Rieser Nachrichten unter dem Titel »Biogas beschleunigt Höfe- und Artensterben« erschienen ist: »Kein Bedenken gegen Maisfelder in Maßen. Wird es jedoch zur flächenfressenden grünen Wüste, die vielen Tierarten die Ernährungsbasis immer weiter nimmt, dann ist es von Übel. In unseren Fluren gibt es immer weniger Kiebitze, Wachteln, Lerchen, Wildkräuter etc. […]. Biogas beschleunigt Höfe- und Artensterben.« (Rieser Nachrichten 2010)

Maßnahmen und Initiativen wie Schutzgebiete »Das verfolgen wir schon mit großer Sorge, was da in unserer Landschaft so abgeht. Viele der Anlagen sind ja auch bei uns über den Tisch gelaufen, weil die sind ja genehmigungspflichtig. Aber da ist alles durchgepeitscht worden!« (Richard Haas, Umweltschützer)

Im Laufe der letzten Jahre haben die Vereine rund 330 000 Hektar Eigentumsflächen erworben und darauf im Ries verteilt Schutzgebiete eingerichtet wie beispielsweise das im Ries recht prominente Natura-2000-Gebiet Pfäfflinger Wiesen. Somit sind die beiden Vereine – der Rieser Naturschutzverein und die Schutzgemeinschaft Wemdinger Ried – die ersten Ansprechpartner für den Landesbund für Vogelschutz im Landkreis. Richard Haas erklärt stolz: »Wir machen praktisch für den Landesbund für Vogelschutz die Arbeit im Landkreis. Der hat zwar eine Bezirksgeschäftsstelle in Schwaben, aber es gibt historisch bedingt im Landkreis keine Kreisgruppe, weil wir schon immer das Feld besetzt haben. Die gesamten Stellungnahmen, Verträge, öffentliche Belange laufen alle

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über uns. Wir machen das in Einvernehmen mit der Bezirksgeschäftsstelle. Wir teilen uns die Arbeit auf.« Mit insgesamt zwölf festen Personen im Vorstand der beiden Vereine und einem Stamm von ca. 100 freiwilligen Helfern geht es hauptsächlich um die Landschaftspflegearbeit, Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit sowie Führungsprogrammen. Für die Vereinsarbeit ist der Schutz folgender Tierarten besonders wichtig: Schleiereulen, Dohlen, Turmfalken, Fledermäuse, Reptilien und Amphibien. Für den Schutz der Flora und Fauna spielt in diesem Zusammenhang der Anbau von Ackerwildkräutern aus der »historischen« Getreidenutzung eine große Rolle. Diese können nämlich nicht hochwachsen, wenn sich die Ernte auf Mai vorverlagert und die Fläche mehrfach stark intensiv bewirtschaftet wird, erklärt der engagierte Familienvater Haas. Somit verschwinden auch die Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten. Im Ries richten die Vereine daher derzeit Feldflora-Reservate ein. Dabei handele es sich um bestimmte Felder, die wie früher ohne Herbizide und ohne Dünger bewirtschaftet werden. Zwar werde Getreide angebaut, aber so dünn, dass genug Licht auf den Boden kommt, erklärt Haas. Somit habe man auf diesen Reservaten den Genpool von Ackerwildkräutern. Mittlerweile existieren einige solcher Reservate im Nördlinger Ries. Das größte Projekt in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Donau-Ries und dem Bundnaturschutz des Landkreises ist die sogenannte Heide-Allianz, wobei die Heideflächen und vor allem die Feldflora im Mittelpunkt stehen. Richard Haas berichtet stolz, dass es sich dabei um ein sehr ambitioniertes Projekt handele, das vom Kreistag mit zehn Millionen Euro bewilligt wurde: »Wir drei sind Projektpartner : Unsere Vereine, das Landratsamt und der Bundnaturschutz! Wir haben uns deshalb gegründet, weil dieser riesige Strukturwandel durch Biogas uns dazu veranlasst hat, dass wir etwas unternehmen müssen. Im Kreistag sind wir da auf offene Ohren gestoßen. Man muss mit Biogas irgendwie zum Steuern anfangen, sonst fährt das völlig an die Wand!« Im Nördlinger Ries existieren weiterhin durch NATURA 2000 sehr viele europäische Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiete (FFH-Richtlinie) und SPA-Gebiete (Special Protection Area), auch Vogelschutzrichtlinie genannt, berichtet Richard Haas. Das EU-Schutzgebietsystem NATURA 2000 ist Bestandteil der europäischen Naturschutzpolitik. Die beiden Richtlinien sind Grundlage für die Umsetzung. Die einzelnen Mitgliedstaaten der EU verpflichten sich darin, besondere Arten und Lebensräume durch geeignete Maßnahmen zu schützen und wiederherzustellen.122 Allerdings, so Richard Haas, gab es einige Konflikte mit

122 Es handelt sich hier um die Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – die sogenannte Fauna-Flora-

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der Ausweisung der FFH- und SPA-Gebiete in den Jahren 2000 bis 2002, die von einigen »Leuten« nicht als solche akzeptiert wurden. Er erinnert sich: »Wir haben gegen die ganzen Einwände gearbeitet und massiv Gebiete vorgeschlagen!« Aufgrund ihrer über einen Zeitraum von 40 Jahren getätigten Kartierungen konnte jedoch bewiesen werden, dass es sich meist um klassische Wiesenbrütergebiete und Brutgebiete der Wiesenweihe handelte, die daher in SPA-Gebiete übergeführt wurden, berichtet Richard Haas. In Bayern müsse davon eine Quote von 8 Prozent erfüllt werden und das Landratsamt war bei der Überführung eine Hilfe für die Vereine: »Da schaut das Landratsamt schon im Rahmen der Möglichkeiten, dass es seinen Finger drauf hat. So haben wir alle vorgeschlagenen Gebiete überführen können.« Hingegen sieht Haas einige Probleme mit den Flächen, die bei der EU als Teil des Europäischen Schutzgürtels gemeldet wurden: Zwar bestehe ein sogenanntes »Verschlechterungsverbot«, also der Lebensraum sollte sich ab dem Zeitpunkt der Ausweisung nicht mehr verschlechtern. Das bedeute allerdings nicht, dass es sich um ein umfassend geschütztes Gebiet handelt. Gerade die Intensität der Wiesennutzung hat durch Biogas in Richard Haas’ Augen »dramatisch« zugenommen: »Eine normale Vollwiese wird dreimal gemäht, Ende Mai, August und Ende September. Die ganz extensiven Wiesen, die wir jetzt betreuen, die haben bloß ein bis zwei Schnitte. Die werden am 15. Juni gemäht und Ende August oder Anfang September nochmal. Aber die anderen werden zum Teil fünfmal gemäht! Das macht natürlich einen Riesenunterschied, mähe ich eine Wiese ein oder zweimal oder drei-, vier- oder gar fünfmal.« Man ist also »weit davon entfernt«, beim Schutz in den Gebieten die Qualität und die Nutzungsintensität beizubehalten. Haas räumt ein, dass es durchaus gewisse Berichtspflichten an die EU gebe, aber »da wird es Probleme geben, wenn man zugeben muss, dass der Zustand der Gebiete sich verschlechtert hat«. Eigentlich sollte für jedes Schutzgebiet ein Managementplan aufgestellt werden, aber »die stecken immer irgendwo im Stau, weil die Mittel nicht da sind, diese zu bearbeiten. Das kann alles nicht schnell genug nachgearbeitet werden und damit solche Schäden nicht verhindert werden.« Richtige Naturschutzgebiete sind im Ries gar nicht umsetzbar wegen der landwirtschaftlichen Nutzung, aber die Vereine besitzen aufgrund ihrer Privatinitiative schließlich mittlerweile etliche Eigentumsflächen, die den Status von einem Naturschutzgebiet aufweisen, erklärt der Umweltschützer. Immerhin habe man durch die enge Zusammenarbeit mit der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamtes erreicht, dass mittlerweile die Auflagen für die Genehmigung zum Bau einer Biogasanlage erschwert worden sind. AnlagentechnikunternehHabitat-(FFH-)Richtlinie und die Richtlinie 79/409 EWG des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – die sogenannte Vogelschutzrichtlinie.

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mer Benedikt Richter bestätigt dies. Vor 13 Jahren, als die ersten Anlagen gebaut wurden, habe er beim Landratsamt nur einen »Schnellhefter« eingereicht. Heutzutage sei beispielsweise der Unterschied zwischen Emissionsschutzgenehmigung und bauamtlichem Antrag gewaltig, sagt er. Man benötigt einen »Leitz-Ordner« mit vier bis fünf externen Gutachten zur Sachlage. Die Folge ist, dass die Anlagen mittlerweile aufgrund der Auflagen der Behörden »auf Industrie-Standard« gebaut werden müssen, so Benedikt Richter : »Das hat hier mit landwirtschaftlichem Bauen, wie man es kennt, nix mehr zu tun.« Wegen der für den Lebensraum der Flora und Fauna bedrohlichen Entwicklung durch Energieerzeugung mittels Biogas überlegen die Vereine derzeit, was unterstützend zu den bisherigen Initiativen für den Erhalt der Landschaft getan werden kann, berichtet Haas über den Stand der Vereinsarbeit. Man sollte die Behandlung des ganzen Landschaftsraums betrachten, und somit auch die Energieerzeugung mittels Biogas, erklärt er. Mit Vertretern des Landratsamts hätten die Vereine außerdem gemeinsam mit Biogasanlagenbetreibern beschlossen, auszuloten, wo es Schnittstellen für eine Zusammenarbeit gibt, um die Biodiversität zu fördern.123 Es geht schließlich auch darum, mit den Anlagenbetreibern zu kooperieren und nicht gegen sie zu arbeiten, meint Haas. Als anfangs der Biogasboom und die »Goldgräberstimmung« am größten waren, sei aus ökologischer Sicht einiges zerstört worden. Erst in den letzten Jahren habe man realisiert, dass für die Energienutzung ein effektiver und nachhaltiger Umgang mit der Natur unbedingt notwendig ist, so Haas zuversichtlich: Für den Vereinsvorsitzenden der beiden wichtigsten Umwelt- und Naturschutzvereine im Nördlinger Ries Richard Haas besteht jedoch gerade jetzt dringender politischer Handlungsbedarf, was den Erhalt der Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten angeht. Er sieht auch sich und die Arbeit der Vereine in der Pflicht. Vielen Bewohnern im Ries ist leider gar nicht bewusst, was für Schäden an Flora und Fauna als Folge der Biogaserzeugung bereits verübt worden sind, befürchtet Richard Haas: »Vor allem der Laie, die Durchschnittsbevölkerung merkt das ja gar nicht, was draußen mit unserer Natur abgeht. Die merken es erst, wenn’s zu spät ist. Diese Entwicklung mit Biogas ging einfach so rasend!« In diesem Zusammenhang erklärt Haas etwas aggressiv : »Unsere Hoffnung ist, dass der Biogasboom sich selbst ruiniert. Laufend kommen neue Anlagen dazu und mittlerweile sitzen die so dicht aneinander, dass sie sich gegenseitig überbieten und sich eine starke Konkurrenz sind. Dann fallen die Schlechten raus und es wird wieder zurückgehen. Das ist die brutale Lösung, die nicht politisch 123 Mit Unterstützung des Bayerischen Naturschutzfonds und des Europäischen Sozialfonds (ESF) wurde tatsächlich im Jahr 2013 für den Schutz der Wiesenbrüter im Nördlinger Ries die Stelle eines Gebietsbetreuers geschaffen, die »in ökologisch besonders wertvollen Gebieten mit seltenen Tier- und Pflanzenarten beziehungsweise Lebensräumen« (Rieser Nachrichten, 23. 04. 2013) eingesetzt werden.

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gesteuert ist, sondern der Markt regelt es von selbst.« Jedoch, befürchtet Haas, sei es dann vielleicht schon zu spät und die Strukturen bereits zerstört. Innerhalb weniger Jahrzehnte sei dieser Zustand in einer volltechnisierten und vollkommerzialisierten Welt herbeigeführt worden, so Haas. Er appelliert an die Verantwortung seiner Mitmenschen, denn in seinen Augen muss dringend dem drohenden Aussterben der ehemals reichen Lebenswelt entgegengewirkt werden. Dazu müsse die Landschaft als geeigneter Lebensraum erhalten werden. Hier wird deutlich, dass die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz immer wieder aufeinanderprallen. Die intensive Nutzung der Flächen, die als Folge der Energieproduktion aus Biogas im Ries immer mehr zunimmt, stellt für den Naturschutz ein gravierendes Problem dar und hat Spuren hinterlassen. Durch den Umbruch von Grünland und den vermehrten Maisanbau sind schwerwiegende Folgen für die Artenvielfalt im Nördlinger Ries entstanden. Viele Lebensräume für bedrohte Arten sind in Gefahr. Mit eigenen Projekten und Initiativen versuchen die besorgten und aufgebrachten Umweltschützer zu retten, was noch zu retten ist. Letztlich jedoch sind alle dazu aufgefordert, die Landschaft im Nördlinger Ries als Lebensraum zu bewahren und zu erhalten. Aus Sicht des Umweltschutzes geht es daher im Wesentlichen darum, zusammen mit der Landwirtschaft andere, ökologisch tragbare Schwerpunkte zu setzen, die gleichzeitig den landwirtschaftlichen Betrieben ein Auskommen ermöglichen.

Die Vielschichtigkeit der Effekte durch Energieerzeugung mittels Biogas Im Rahmen der Energiegewinnung durch Biogas kristallisierte sich über die letzten Jahre hinweg ein bedeutender Konfliktpunkt heraus: der ungeheure Anstieg der Pachtpreise der Felder, auf denen vorwiegend die Energiepflanze Mais angebaut wird.124 Aus Sicht der Landwirtschaft sind die Pachtpreise ein sehr hoher Kostenfaktor. »Der Pachtmarkt ist ein freier Markt! Etwa 60 bis 70 Prozent eines landwirtschaftlichen Betriebs sind zugepachtet. Aber über Pachtpreise geben wir keine Auskunft«, erklärt Anton Fuchs vom Landwirtschaftsamt über die sehr »emotional« geführte Diskussion. Die konventionellen Vollerwerbsbetriebe in Bayern wirtschaften überwiegend auf Pachtland, das heißt, wenn die Pachtpreise steigen und die Betriebe an Fläche verlieren, ist deren Existenzgrundlage gefährdet. Von den Biogaslandwirten werden sehr 124 Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt berichtete von einem Symposium in Freising am 04. 03. 2011 mit dem Titel »Pachtkampf ums Maisfeld«, was die Brisanz des Themas verdeutlicht. In dem Symposium ging es darum, das Problem der steigenden Pachtpreise aus landwirtschaftlich fachlicher und ökonomischer Sicht zu erörtern und dann nach Lösungsansätzen zu suchen.

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hohe Pachtpreise bezahlt. Das schadet dem ländlichen Raum und stiftet Unfrieden, so Dr. Ludwig Bartl von der bayerischen Landesvertretung in Brüssel. Er und seine Kollegen in Brüssel beobachten die Entwicklung des Pachtmarktes in Bayern mit Sorge. Viele konventionelle Landwirte können mit den Pachtpreisen nicht mehr mithalten, weil sie mit ihrer Fläche keinen ähnlichen Deckungsbeitrag erzielen. Es gibt beim Pachtpreis einen Durchschnitt und eine Varianz, so Wolfgang Obermeyer vom regionalen Landwirtschaftsamt, denn in Prinzip ist der Pachtpreis Ausdruck eines Marktes, der über Angebot und Nachfrage reguliert wird. Das sei vergleichbar mit dem Mietpreis von Wohnungen. Obermeyer illustriert dies an einem Beispiel: »Ich kann in einer 50 Quadratmeter großen Wohnung überall wohnen, aber in München zahle ich das Fünffache wie sonstwo.« Er erklärt das folgendermaßen: »Um einen Tisch mit einem weißen Tischtuch sitzen Biogasler, konventionelle Landwirte, Umweltschützer, Immobilienspekulanten, Gewerbetreibende, Kommunalpolitiker. Je nachdem, wie knapp das Land ist und wie sehr darum gerungen wird, ziehen alle dementsprechend an dem Tischtuch. Die Spannung des Tischtuches ist der Preis.« Die Spannung ist je nach Region unterschiedlich stark, weil »im äußersten Osten von Brandenburg, wo keiner das Land bewirtschaften will oder ein Gewerbegebiet bauen will, da spekuliert auch keiner, der wird das Letzte tun und sich da niederlassen. Da sind die Pachtpreise und die Immobilienpreise im Keller.« Hingegen im Nördlinger Ries sei die Spannung des Tischtuches gewaltig. Obermeyer berichtet in diesem Zusammenhang von einer Studie, die in drei gezielt ausgewählten Landkreisen durchgeführt wurde: Der eine Landkreis weist eine sehr hohe Dichte an Biogasanlagen auf, vergleichbar mit der Forschungsregion. Der zweite Landkreis ist zwar stark landwirtschaftlich geprägt, hat aber nicht viele Biogasanlagen und der dritte Landkreis liegt an der Grenze zu Polen ohne gute landwirtschaftliche Nutzfläche. Anhand einer Index-Entwicklung für die Knappheit der Fläche von Grünland wurde gezeigt, dass im BiogasanlagenLandkreis der Index in »Null-Komma-Nix auf Hundert geschnellt ist«, so Obermeyer. In dem konventionell landwirtschaftlichen Landkreis ist er ganz normal gestiegen und in dem abgelegenen Landkreis gab es keine Veränderung. Die Wahl, den Index auf Grünland festzulegen, so Obermeyer, hänge damit zusammen, dass Grünland von solchen Veränderungen eigentlich kaum betroffen sei: »Grünland läuft so mit, ist ökologisch wertvoll, aber ökonomisch eher so lala.« Im Nördlinger Ries gibt es jedoch zusätzlich zu den Biogasanlagen intensive Ackerbau und Veredelungsgegenden, an denen schon immer Schweinehaltung betrieben wurde. Dort war das Land schon immer knapp, erklärt er, denn für die Haltung der Tiere benötigt der Landwirt Fläche: »Man braucht dafür praktisch immer Land und kauft auch auf Vorrat oder pachtet auf Vorrat.« Hinzu kommt in der Forschungsregion eine intensive Ackerbaugegend für Zu-

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ckerrüben mit hohen Deckungsbeiträgen und hohen Umsätzen. Dort haben sich auch noch Landwirte auf Sonderkulturen und Gemüse, beispielsweise Kräuteranbau, spezialisiert und treiben somit durch ihre hohen Umsätze die Pachtpreise zusätzlich in die Höhe. »Also haben wir hier sehr viele Leute, die alle am Tischtuch ziehen, am meisten zerren die Biogasler, denn die haben auch die größte Kraft!« Johannes Kaiser, konventioneller Milchviehhalter, erklärt in diesem Zusammenhang, wenn derzeit eine Fläche neu verpachtet wird, könne er als milchviehhaltender Betrieb nicht mehr mithalten. »Das ist eine Dimension, die geht nicht mehr.« Nur durch die Viehhaltung und Ackerbau könne er nicht mehr genügend erwirtschaften, um die derzeitigen Pachtpreise zu bezahlen. »Das sind da Erhöhungen des Preises von 200 Prozent! Die Pachtpreise haben sich fast verdreifacht durch Biogas!« Johannes Kaiser erinnert sich, zu Anfangszeiten der Energiegewinnung mittels Biogas im Ries im Jahr 2002 wurde der Mais ab Feld für 750 Euro verkauft, gerade liegt der Preis jedoch bei 1500 Euro bis 1600 Euro. Weil die Substratpreise in die Höhe geschnellt sind, sind auch die Pachtpreise stark gestiegen. Durch die starke Förderung bei Biogas werden andere Betriebe zu sehr zurückgedrängt, kritisiert auch Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt, der ähnlich wie seine Kollegen die Entwicklung am Pachtmarkt mit großer Sorge betrachtet. Aber die Politik wolle diese starke Förderung der Biogasanlagen nicht reduzieren. Dadurch haben die Anlagenbetreiber die Möglichkeit, Pachtflächen zu erwerben. Die Pachtpreise sprengen derzeit alle Dimensionen, so auch Franz Schäfer besorgt und erklärt: »Das ist so, wie wenn man einen neuen Betrieb aufbaut und sagt, ein Lagerist bekommt bei mir 4000 Euro. Dann kriegen Sie hunderte von Angeboten von Lageristen. Andere Betriebe können ihren Lageristen im Monat nur 1000 Euro zahlen und haben dann plötzlich keine Arbeiter mehr. Genauso ist es mit dem Ackerland. Wenn Biogasbetriebe plötzlich sagen, 1000 Euro oder mehr pro Hektar Pacht pro Jahr. Vom Landwirtschaftsamt haben wir vorgerechnet, bei Getreide zum Beispiel kann man höchstens 300 bis 350 Euro bezahlen. Bei Kartoffel im besten Falle 600 Euro.« Milchviehhalter Johannes Kaiser ist aus diesen Gründen verzweifelt: Er habe immer im Rahmen von 350 bis 400 Euro von einem Verwandten Fläche gepachtet. Zur Pachtverlängerung für das nächste Jahr habe dieser nur gesagt: »Wir brauchen uns nicht zusammensetzen, ich hab’s einem Biogasler gegeben, der bei weitem mehr geboten hat.« Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt meint daher : »Da bricht auf dem Dorf die Verzweiflung aus!« Biogasanlagenbetreiber Peter Groß räumt ein, dass gerade die Größe der Anlagen im Landkreis eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der hohen Pachtpreise spiele. Wenn nämlich die 80 Biogasanlagen im Landkreis nur Anlagen mit einer Leistung von 250 kWh wären, dann »wäre alles nicht so wild«,

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denn eine 250-kWh-Anlage braucht 100 Hektar Fläche, so Peter Groß. Ein durchschnittlicher, größerer Betrieb könne das mit seiner eigenen Fläche selbst erwirtschaften. Jedoch die meisten Anlagen liegen derzeit bei 500 kWh bis 1000 kWh Leistung oder sogar darüber. Dafür benötige man anstatt 100 Hektar gleich 500 Hektar Fläche zur Bewirtschaftung. Der junge Unternehmer nennt das Beispiel der Gemeinde Ilsingen, die als landwirtschaftliche Nutzfläche insgesamt 450 Hektar zur Verfügung hat. Jedoch gibt es dort zwei größere Milchviehbetriebe, wovon einer der Betrieb von Johannes Kaiser ist, und ca. sieben kleinere Betriebe mit Tierhaltung, die insgesamt 300 Hektar Fläche brauchen. Allerdings existieren dort auch noch zwei Biogasanlagen mit zusammen über 1 MW Leistung, die 500 Hektar allein für ihre Bewirtschaftung benötigen. Anlagenbetreiber Peter Groß meint dazu aufgebracht: »Das ist ja klar, dass das nicht mehr aus der eigenen Flur kommen kann! Das heißt die Biogasler kaufen in umliegenden Ortschaften ein. Das geht so weit, dass die aus Ilsingen hier in Kinzingen bei uns und Umgebung Futter zukaufen müssen, obwohl wir in Kinzingen selber drei Biogasanlagen haben und nicht unbedingt das Futter von hier nach Ilsingen gefahren haben wollen. Das ist eine Energievernichtung. Da gibt es Probleme!« Anlagenbetreiber Martin Huber erklärt, dass dieses Denken und die Bereitschaft, diese Pachtpreise zu bezahlen, bereits aus der konventionellen Landwirtschaft stamme. Aus rein wirtschaftlicher Sichtweise seien diese Pachtpreise nicht zu rechtfertigen, meint er. Derzeit könne man das Substrat auf dem freien Markt deutlich billiger einkaufen, als es auf einer gepachteten Fläche selbst anzubauen. Biogasanlagenbetreiber Martin Huber weicht in seinem Denken stark von anderen Anlagenbetreibern ab: »Dann mach’ ich das für mich nicht, dann pachte ich doch nicht noch mehr Fläche, sondern kaufe das Substrat auf dem Markt ein. Warum soll ich etwas pachten für viel Geld und jedes Jahr Geld dazulegen? Aber dieses Denken gibt’s in der Landwirtschaft nicht.« Die meisten seiner Biogaskollegen »kommen noch viel mehr aus der Landwirtschaft«, so Martin Huber. »Da geht’s drum, wer Fläche hat, ist der King!« Für ihn selbst sei das nicht relevant, was aber auch daran liege, dass weder er noch seine Brüder, die die Anlage gemeinsam betreiben, eine klassische Ausbildung in der Landwirtschaft absolviert haben. »Zum anderen waren alle weiter weg und haben gesehen, wie es woanders läuft. Darum sehen wir manches anders und machen manches anders.« Landwirtschaft ist für Martin Huber nur ein Hobby, denn sie koste ihn nur Geld. Wenn er sie vollständig auslagern würde, wäre es günstiger : »Ich verdiene mein Geld mit der Biogasproduktion.« Aus diesem Grund sagt Martin Huber über sich und seine Brüder, sie seien eine Ausnahme und nicht repräsentativ unter den Anlagenbetreibern, weil die meisten große Konflikte untereinander hätten. Huber pachtet gar keine Fläche zu und hält sich vom

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Pachtmarktgeschehen fern. »Wenn Fläche auf den Markt kommt, muss ich mich da auch raushalten, weil sonst ärgere ich meine Lieferanten.« Eine weitere Besonderheit bei Martin Hubers Betrieb ist, dass er keine Lieferverträge mit anderen Landwirten zur Lieferung der Biomasse abgeschlossen hat. »Wir sind auch eine der wenigen Anlagen, von denen die Bank noch nie einen Liefervertrag sehen wollte, weil die Bank weiß, dass das bei uns läuft.« Im Normalfall muss der Biogaslandwirt nachweisen, dass er Dreiviertel der Fläche unter langfristigen Verträgen mit Lieferanten hält oder als Eigenfläche besitzt. »Nur ein Fünftel der Fläche ist unsere, also fest in unserer Hand. Das ist eine Quote, da würden andere die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wir kaufen fast 80 Prozent zu.« Eigentlich sollte es aus Sicht der Bank genau anders herum sein, so Huber. Neid und Animositäten unter den Landwirten »Ein paar Verrückte verpachten ihre Äcker so teuer, da geht es nicht um den Wert, sondern um persönliche Animositäten, weil die nicht wollen, dass der oder der den Acker kriegt. Dann gehen die mit den Preisen so weit rauf, dass die, die ihn nicht bekommen sollen, nicht mehr mitbieten können. Dann haben wir auf einmal 1000 Euro Pacht und nicht mehr 500 wie vorher.« (Stefan Koch, Biogasanlagenbetreiber)

Dieses Zitat macht deutlich, dass die Pachtpreise nicht nur vom Markt bestimmt werden, sondern in manchen Fällen auch durch persönliche Animositäten. Mit Biogas sei aufgrund der 20-jährigen Sicherheit und der geregelten Einspeisevergütung mehr Geld zu verdienen als derzeit in der konventionellen Landwirtschaft, so der ehemalige Landwirt Manfred Müller. Der Neid der bäuerlichen Landwirtschaft gegenüber den Biogasbauern nehme derzeit drastisch zu und die Lage auf den Dörfern spitze sich derart zu, weil die konventionellen Landwirte die hohen Pachtpreise nicht bezahlen können, so der ehemalige Landwirt. Er berichtet von seinem Nachbarn, einem Bullenmastzüchter, dem 20 Hektar Flächen verloren gingen, weil er mit dem Preis nicht mehr mithalten konnte. »Dass die dann neidisch sind, kann man total nachvollziehen. Die haben echt einen Hals auf die Biogasanlagenbetreiber.« Müller schätzt, dass es bei weitem nicht so problematisch wäre, wenn es weniger Biogasanlagen nicht so geballt gäbe. Biogasanlagenbetreiber Andreas Hertle hingegen hat den Eindruck, dass viele Leute im Ries über Biogas schimpften, ohne richtig zu wissen, was es bedeute. Und er erklärt: »Da gibt es viele Neider.« Sie sehen, was für ein Umsatz mit Biogas gemacht werde und was gebaut wurde. Selbstverständlich, räumt Andreas Hertle ein, seien zum Großteil fremdfinanzierte Investitionen für die Inbetriebnahme einer Anlage notwendig und um diese Investitionen zu bewältigen und das Fremdkapital zurückzuzahlen, dafür seien nun mal ein gewisser Umsatz und ein entsprechender Gewinn notwendig. Viele konventionelle

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Berufskollegen sehen Energieerzeugung mittels Biogas auch deshalb negativ, weil es eine höhere Wertschöpfung ermöglicht, so der junge Unternehmer. In Hertles Augen produzieren Biogasanlagen ein marktfähiges Endprodukt, »wir produzieren Strom«, den der Verbraucher »eins zu eins« nutzen könne. »Hingegen wenn ein Berufskollege Weizen auf dem Feld produziert und dann der Meinung ist, dass er dafür genauso viel Geld haben müsste wie wir, ist das falsch! Wenn er hinten raus ein Brötchen produziert, dann würde er auch viel mehr Wertschöpfung auf seiner Fläche generieren.« Eine Biogasanlage produziere Energie, die genauso wie bei der Direktvermarktung von Fleisch, Eiern oder Kartoffeln direkt an den Endverbraucher verkauft wird. Damit habe man wesentlich mehr Lohn und wesentlich mehr Ertrag, aber auch wesentlich mehr Aufwand und Arbeit, so Hertle. Viele würden eben nur zusätzlichen Ertrag, aber nicht den zusätzlichen Aufwand sehen. Daher entsteht in Hertles Augen so viel Neid untereinander. Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt bezeichnet die Entwicklung durch Energiegewinnung mittels Biogas als »Umbruchszeit auf den Dörfern draußen«. Zu solchen Zeiten treten alte Animositäten wieder zu Tage, erklärt er. Das liegt in seinen Augen gar nicht zwangsläufig am Biogas. Es sei nicht unbedingt die Ursache, vielmehr der Auslöser für diese gewaltigen Feindseligkeiten zwischen Landwirten: »Letztendlich liegt es daran, weil der eine in der Lage ist, dem anderen das Pachtland wegzunehmen, was er schon immer machen wollte, aber nicht konnte.« Da »menschelt« es viel, so Wolfgang Obermeyer. Und Konrad Stein, Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament und selbst Landwirt, erklärt, dass eine solche feindselige Dynamik zwischen den Landwirten dann kaum wieder einzufangen sei, »weil wenn dann alles auf den Tisch kommt, auch der Erbkrieg vom Großvater, wird es schwierig!« Für ihn sind dies daher die größten Konflikte der Landwirtschaft: »Innerhalb der Landwirtschaft wird am meisten, am erbittertsten gekämpft. Das dringt nicht nach außen, aber da gibt es genau diese Lager, die sich da richtig bekriegen. Neid und Missgunst ist da noch gar nicht das richtige Wort.« Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt ist ähnlicher Meinung und bekräftigt, dass oft jahrelange Kämpfe zwischen Landwirtsfamilien sich durch Biogas noch weiter hochschaukeln. »Der eine neidet das dem anderen und dann heißt es: Mein Vater hat von deinem Vater ein paar aufs Dach bekommen. Deswegen schau’ ich jetzt, dass ich dir auch ein paar aufs Dach geb’, weil irgendwann muss man das wieder zurückzahlen.« Über eine Biogasanlage werden oft alte Konflikte neu ausgetragen werden und so bringen Biogasanlagen »Unfrieden ins Dorf«, erklärt der besorgte Landwirtschaftsexperte eindringlich. Ihn stimme dies sehr nachdenklich, denn eigentlich könnten alle davon profitieren, beispielsweise preiswert Energie über ein Wärmenetz beziehen.

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Transportwege und Nährstoffverdichtung Wie bereits angesprochen haben sich durch Biogas neue landwirtschaftliche Produktionsabläufe entwickelt, die gerade am Beispiel des Transports der Biomasse Konflikte aufwerfen. Transportfahrzeuge liefern Biomasse von anderen Landwirten zu den Biogasanlagen. Aufgrund der großen Erntemaschinen kommt es zu einem erhöhten Verkehrslärm. Biogasanlagen produzieren außerdem teilweise nicht nur tagsüber, sondern auch nachts. Das ist aber nicht der einzige Konfliktpunkt. Bei einer größeren Anlage steigen zusätzlich die Transportentfernungen, aus denen Energiepflanzen wie Mais antransportiert werden. Damit sinke die wirtschaftliche Bilanz, so Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt. Biogasanlagenbetreiber Peter Groß erklärt, dass das »Futter« für die Anlage teilweise schon aus 50 bis 70 Kilometern Entfernung angeliefert werde. Das liege daran, dass der Markt im Ries bereits so überstrapaziert ist. Einige der Biogaskollegen würden mit dem LKW bis nach Augsburg fahren. »Der LKW fährt immer günstiger als der Schlepper mit Hänger«, so Groß. Vom Landwirtschaftsamt gebe es daher mittlerweile die Empfehlung, nur aus einem Umkreis von zehn Kilometern Biomasse anliefern zu lassen. Für Groß, der darum bemüht ist, den Zehn-Kilometer-Radius einzuhalten, ist das aber keine Empfehlung, sondern eine »stinknormale Rechnung«: Es rentiert sich sonst nicht mehr, weil der Transport zu teuer wird. Trotzdem ist es immer noch eine »massive Energievernichtung und Geldvernichtung. Das ist schon absurd.« Was bei Anlagenbetreiber Groß hauptsächlich ökonomische Gründe sind, sind für den ehemaligen Landwirt Manfred Müller vielmehr ökologische und nachhaltige Motivationen. Er fragt nach der »Energie-Bilanz«, die am Ende überbleibt, wenn fürs »Energieproduzieren« so viel Energie in Form von »Sprit« verfahren wird. Häufig vergesse man, dass zusätzlich viel Energie aufgewendet werden müsse, die Äcker zu bewirtschaften und das ganze Jahr über zu pflegen, mahnt der Ex-Landwirt. »Was alles an Aufwand hinter einer Biogasanlage steht, wie viel Energie man da überhaupt erstmal hineinbuttert, bis da mal hinten Energie herauskommt, das ist doch enorm!« Biogasanlagenbetreiber Martin Huber meint in diesem Zusammenhang, dass diese »Transportgeschichte« immer »wehtun wird«. Wenn Anlagenbetreiber Biomasse über riesige Entfernungen transportieren, ist das schlecht für den Ruf aller Biogasanlagenbetreiber und bringt Probleme mit sich. Martin Huber berichtet von den Biogaspionieren, von denen bekannt sei, dass sie für ihr Bioerdgas mit Inbetriebnahme der Anlage mit Erdgas Schwaben einen »guten Preis« ausgehandelt hätten. »Da können die auch ein bisschen weiter fahren, wenn es drauf ankommt« und es rentiere sich immer noch. Aber dadurch machten sich seine Berufskollegen, die den Mais aus dem 70 Kilometer entfernten Augsburg

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holen, keine Freunde. Somit werde das Vorurteil, dass Biogasanlagenbetreiber ohne Ausnahme ewig weite Strecken fahren würden, nur noch mehr angeschürt, meint Martin Huber besorgt und erklärt: Das ist sehr schlecht für »unser Image« in der Öffentlichkeit. Er selbst fährt im Schnitt nicht weiter als zweieinhalb Kilometer zu seinen Feldern. Für ihn habe das eine »ethische Komponente«, wie er sagt. Ihm war wichtig, von Anfang an mit allen Landwirten aus der Gegend zu kooperieren und nicht gegen sie zu arbeiten. Martin Huber meint, dass die wenigsten Anlagen die Kooperation schaffen, weil die meisten im Konflikt mit den anderen Bauern aus der Gegend liegen. Ein zusätzliches Problem, das sich aus den großen Transportentfernungen ergibt, sieht Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt in der Nährstoffverdichtung, die geballt in einer Gegend mit vielen Biogasanlagen auftritt. »Nährstoffe kommen in die Biogasregion, gehen aber nicht mehr zurück!« Dies gelte beispielsweise für Getreide, das andernorts aus Deutschland oder aus einem anderen EU-Land importiert wird, erklärt Obermeyer. »Die Nährstoffe kommen geballt, werden vergast, und sind dann im Gärsubstrat drin. Aber das Gärsubstrat wandert jetzt nicht wieder ins Rheinland oder dorthin in Europa, wo es tatsächlich herkommt.« Dies führt zu einer Verdichtung und Konzentration rund um die Biogasanlagen. In Obermeyers Augen ist hier jedoch dringend ein Nährstoffausgleich notwendig. Er erklärt, dass bei einer kleinen Biogasanlage, die nur ihren eigenen Wirtschaftsdünger vergärt, keine Probleme entstehen: Aus der eigens angebauten organischen Masse wird bei geringen Transportwegen wertvolles Gas gewonnen und davon Strom erzeugt, der eine sehr gute CO2Bilanz aufweist, so das Ideal. Weiterhin kann dann der nicht mehr aggressive Gärrest als Dünger genutzt werden: »Ich kann’s bodennah ausbringen, ich kann’s in Grünland reinfahren, ich kann’s auf junge Getreidepflanzen ausfahren ohne Probleme. Es schadet dem Bodenleben nicht, es hat nur Vorteile und der Landwirt hat so nicht nur Erwerbserlöse aus der Milch, aus den Kälbern, aus den Altkühen, sondern auch die Gülle ist was wert.« Das Gleiche funktioniere weiterhin ohne Bedenken, so Obermeyer, wenn bei einer größeren Anlage die Landwirte aus der Gegend kooperieren, weil der eigene Wirtschaftsdünger des Anlagenbetreibers nicht ausreicht und daher andere Landwirte ihre Gülle, ihren Mist oder ihre nachwachsenden Rohstoffe zur Verarbeitung bringen und dann wiederum den Gärrest auf ihre Felder ausfahren. »Man fährt eben ein Fass frische Gülle oder den Mais hin und nimmt den Gärrest wieder mit, um den Weg zu halbieren und Kosten zu sparen.« Aber was tun, wenn aus einer Entfernung von mehreren Kilometern Substrat antransportiert, aber nicht wieder abtransportiert wird, fragt Obermeyer. Gerade in Intensivgebieten wie dem Nördlinger Ries, wo es viel viel Nährstoffimport aus anderen Ackerbaugegenden gibt, müssen eben diese Nährstoffe wieder dorthin transportiert werden, wo sie »sinnvoll wirken, wo sie Wert-

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schöpfung bringen und nicht dort zu halten, wo sie sowieso schon zum Problem werden, weil zu viel da ist«, erklärt der engagierte Agrarexperte. Er sieht hierbei große Probleme, die derzeit womöglich noch gar nicht abschätzbar sind. Man müsse daher dringend nach neuen Lösungen suchen, um den Rücktransport zu ermöglichen. Die Energiepflanze Mais Die Befürchtung, dass durch die vielen Biogasanlagen die heimische Natur verödet und die Landschaft artenarm werde, weil auf den Feldern außer Mais kaum etwas anderes angebaut wird, ist durchaus ernst zu nehmen, so Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt: »Viele Umweltschützer laufen wegen der Maismonokultur gerade Sturm und auch zu Recht.« Das Problem hierbei sei, so Konrad Stein, Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament und selbst Landwirt, dass die Landwirte Mais anbauen, weil die Wirtschaftlichkeit und die einfachen Verfahren des Maisanbaus im Gegensatz zu vielen anderen eine relative Vorzüglichkeit haben, »die keine Pflanze bisher getoppt hat«. Wolfgang Obermeyer bezeichnet den Mais als eine geradezu »segensreiche« Pflanze, die für die Energiegewinnung mittels Biogas ideal ist. Silomais lasse sich weiterhin zu einem guten Preis verkaufen und so profitieren auch die Nebenerwerbslandwirte, erklärt der Agrarexperte. Dass der Mais so stark in der öffentlichen Kritik steht, sei eigentlich nicht gerechtfertigt, so Anlagenbetreiber Martin Huber. Und Lorenz Ziegler, der bei der Europäischen Kommission als Experte für Bioenergie arbeitet, erklärt: »Der Mais ist unkompliziert, die Unkrautbekämpfung ist gut möglich. Es gibt Früchte, die deutlich komplizierter sind, also man kann es nicht von vornherein verteufeln.« Mais sei die wasser-, dünger- und nährstoffeffizienteste Pflanze und brauche für gute Erträge am wenigsten Pflanzenschutz und am wenigsten Dünger, erklärt Anlagenbetreiber Huber bestärkend. Der Getreideanbau ist mit zwei- bis dreimal mehr Pflanzenschutzaufwand und mit deutlich mehr Düngereinsatz bei schlechterer Düngerverwertung – »sprich mehr Düngereintrag ins Grundwasser« – verbunden, fährt der junge Unternehmer fort. Man könne Mais auch gut »Bio« anbauen, indem die Unkrautbekämpfung mechanisch gemacht und nur mit dem Gärrest gedüngt werde. Dies sei mit mehr Aufwand verbunden, aber man habe einen geschlossenen Kreislauf. Er erklärt, dass in der Öffentlichkeit der Begriff Biogas immer mit dem Begriff »Bio« aus der Nahrungsmittelproduktion in Verbindung gebracht wird. Interessanterweise, so Huber, »wenn man sich nicht ganz doof anstellt«, komme man bei der Energieproduktion mittels Biogas dem »Bio« relativ nahe, und zwar »abstruserweise genau mit dem Maisanbau«. Mais könne man sehr gut nur mit dem Gärrest düngen und mit nur mit einmaligem Pflanzenschutz anbauen. Wenn man Getreide mit

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Mais vergleicht, so Huber, ist Mais der eindeutige Gewinner. Beim konventionellen Getreideanbau blieb bisher ein Teil des Strohs auf dem Feld, der nicht zum Einstreuen im Stall gebraucht wurde. Beim Getreideanbau für Biogas ist das anders, weil die ganze Pflanze geerntet wird und dadurch diese bodennachhaltende Wirkung genauso wenig wie beim Mais gegeben ist. Der Getreideanbau für Biogas ist aber daher weniger »attraktiv«, weil er nur ungefähr halb so ertragreich ist wie der Maisanbau. Man braucht eineinhalb Mal so viel Fläche und das ist deutlich teurer, erklärt Huber. »Der Maiskreislauf ist nicht so schlecht, wie er dargestellt wird, aber natürlich ist er nicht hundertprozentig erhaltend für den Boden, eine reine Maismonokultur ist sicher nicht das Wahre.« Vielen Biogasanlagenbetreibern, mit denen ich sprach, war durchaus bewusst, dass »es mit dem Mais nicht übertrieben werden darf« und längerfristig nach Alternativen gesucht werden muss: »Wir wissen ja, dass wir weg vom Mais müssen. Das ist ja ganz klar!«, erklärt der junge Unternehmer Huber. Allerdings gebe es bisher keine adäquaten Pflanzen und auch die Saatgutindustrie würde die Suche nach anderen Anbaumöglichkeiten nicht wirklich vorantreiben, »weil die wollen jedes Jahr ihr Maissaatgut verkaufen«. Maissaatgut für einen Hektar koste mittlerweile fast 300 Euro, so Martin Huber. Der Leiter des Anlagentechnikunternehmens Benedikt Richter, der durch seinen Beruf sehr gut über die »Vermaisungsdebatte« informiert ist, meint ebenfalls, dass die Kritik am Maisanbau berechtigt ist und Mais nicht über ein bestimmtes Maß sinnvoll angebaut werden kann. Jedoch werde den Landwirten immer vorgeworfen, »ohne Rücksicht auf Verluste« Mais anzupflanzen. Aber das »Dümmste«, was in seinen Augen ein Landwirt machen kann, der ja schließlich von seinem Land lebe, wäre, nur Mais anzubauen und damit den Boden zu zerstören. Eindringlich erklärt Benedikt Richter : »Das macht der nie! Der lebt doch davon, dass er die Fläche hat, die er anbauen kann! Wenn er seinem Land was Schlechtes tut, dann geht die Rechnung nie mehr auf. Aber das passt nicht in die Köpfe der Leute.« Agrarexperte Obermeyer geht aus landwirtschaftlicher Sicht davon aus, dass der übermäßige Maisanbau sich von selbst lösen werde: »Wenn ein Landwirt den Bogen überspannt, straft ihn die Biologie. Da kommt der Maiswurzelbohrer und frisst den Mais weg. Dann muss er sich fragen: Chemischer Aufwand von 500 Euro, also nur noch die Hälfte des Ertrags – oder dann doch lieber Steppengras oder Blühplanzen anbauen?« Weder die Schäden zu akzeptieren noch sie chemisch zu bekämpfen, ist rentabel. Jede Erweiterung des Schädlingsdrucks durch übermäßigen Anbau führe sofort zu rückgängigen Erfolgen und einem höherem Druck zur Bekämpfung. Das werde sich also von selbst regulieren, ist Obermeyer überzeugt. Jedoch ein größeres ökologisches Problem sieht der Agrarexperte in der Maisernte. Von heute auf morgen werde dieser einfach abgeerntet: »Da rollen die mit den großen Häckslern drüber, der Mais wird weg-

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und abgesäbelt, so wie früher im Osten kolchosenmäßig und dann ist nichts mehr da. Ende! Kahle Fläche! Da muss was passieren!« Ein wichtiger Ansatzpunkt zur Entschärfung dieser Problematik sei, wenn die Landwirte etwas an der Fruchtfolge ändern, so Obermeyer. Und zwar nicht durch Zwang, sondern durch Überzeugungsarbeit, denn wenn der Staat »irgendwelche« Fruchtfolgen festlegt, sei es schwer durchsetzbar, weil man es fachlich nicht begründen könne. Zur Ehrenrettung vieler Landwirte müsse Obermeyer jedoch sagen, dass sehr viele Mais als Zweitfrucht anbauen. Im Herbst werde dann beispielsweise Winterroggen oder Triticale, ein Weizenhybrid, gesät. Diese wachsen noch bis zum Vegetationsende heran, »machen dann dicht und ich habe eine perfekte Winterbegrünung«. Nach der Winterruhe ist der Winterrogen oder der Weizenhybrid ab Mitte bis Ende Mai wieder reif und könne siliert werden, erklärt Obermeyer. Im Anschluss werde darauf Mais angebaut. Ein Hauptproblem beim Maisanbau sei nämlich vor allem die fehlende Winterbegrünung und die Abschwemmungsgefahr im Frühling, aber durch den Anbau des Winterroggens oder des Weizenhybrids ist diese Gefahr schon gebannt, erläutert Obermeyer. Man habe außerdem beobachtet, dass Biogasanlagen mit 100 Prozent Mais weniger gut laufen als welche mit nur 60 Prozent Maisanteil. Das öffentliche Bild vom Mais: Vermaisung Die starke Kritik am Maisanbau ist also durchaus berechtigt, wenn der Anbau übertrieben wird. Dies scheint im Nördlinger Ries bei manchen Landwirten tatsächlich der Fall zu sein. Aber man dürfe auch hier nicht alle über einen Kamm scheren, meint Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt. Vor allem die mediale Darstellung in der lokalen Presse treibe das negative Stimmungsbild gegen Energieerzeugung mittels Biogas und Vermaisung voran. Lorenz Ziegler, der die Entwicklungen der Energieerzeugung mittels Biogas kritisch aus Brüssel beobachtet, veranschaulicht, dass auch durch diese Darstellung der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild der Vermaisung vermittelt werde: »Es werden viele Fehler gemacht in der Beteiligung der Bevölkerung durch die Leute, die vor Ort handeln. Vieles hängt an diesem Silomais, was in den Medien so stark thematisiert wird, die Vermaisung der Landschaft.« Agrarexperte Franz Schäfer vom Nördlinger Landwirtschaftsamt pflichtet dieser Aussage bei: »Damit ist eine Sache [Biogas, FS], die ursprünglich wunderbar war, weil plötzlich ein Teil des Ackerlandes nicht mehr für Nahrungsmittel verwendet wurde, sondern anderweitig verwendet werden konnte, vom Guten zum Schwierigen gewendet. Die Stimmung der Menschen kippt dann. Die Medien spielen da eine mächtige Rolle.« Mais ist bereits vor 25 bis 30 Jahren eine »ganz tolle Sache« gewesen, weil man durch die Hybridzüchtung sehr starke Ertragsfortschritte hatte, so Pflanzenbauexperte Franz Schäfer. Gerade bei der Wintergerste hätten die Landwirte in

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den letzten 25 Jahren immer reduzierte Erträge gehabt. Beim Weizen sind die Erträge ungefähr gleich geblieben, erklärt Schäfer. Aber beim Körnermais kann man seit der Hybridzüchtung 120 Doppelzentner pro Hektar erwirtschaften. Gerade für Bullenmast und Milchviehhaltung wurde Mais eingesetzt. Erst durch die Gentechnik vor acht Jahren sei der Mais zum ersten Mal sehr stark in Verruf geraten und der Blickwinkel der Bevölkerung gegenüber Mais habe sich verändert, meint Schäfer. Das habe sich in die Köpfe der Menschen eingeschrieben: »Mais ist schlecht, weil Gentechnik!« Jetzt durch die Verknüpfung von Biogasanlagen und Maisanbau sei es ähnlich: »Auf einmal war eine Aggression da in der Bevölkerung. Das ist unglaublich!« Zurückzuführen ist das in Schäfers Augen vor allem auf die lokale Berichterstattung, die »gegen bestimmte Bevölkerungsschichten wie die Landwirte plötzlich eine bestimmte Meinung bildet«. Wolfgang Obermeyer vom Landwirtschaftsamt meint, dass man leider diese, wie er es nennt, »Aversion« gegen den Mais aus der Bevölkerung nicht mehr wegbringen wird. Eigentlich sollte man dankbar sein, dass die Züchtung über den Heterosiseffekt mit dem Mais eine Pflanze geschaffen hat, »die uns ernähren kann und die uns sehr viel weiterbringt«, so Agrarexperte Schäfer. Aus seiner Perspektive als Angestellter am Landwirtschaftsamt zeigt sich Schäfer betrübt über die negative Entwicklung in der Öffentlichkeit: »Wenn man in einem Fachgebiet drin ist, merkt man, wie sich eine Meinung aufbaut, und ist entsetzt, was sich da abspielt in der Bevölkerung und dass man da nicht ein bisschen feiner denkt.« Schäfer fährt fort, »auch eigenartig, der Begriff Vermaisung, der war auf einmal da, den hat es vor vier Jahren nicht gegeben«. Aber womöglich braucht man ein »Schimpfwort«, um seiner Wut freien Lauf zu lassen, schätzt er. Biogasanlagenbetreiber Martin Huber sieht das Ganze pragmatischer. Als Unternehmer müsse man sich nun mal auch ein Stück weit an seinem Bild in der Öffentlichkeit orientieren, auch wenn das aus seiner Sicht nicht unbedingt das Richtige ist: »Der Mais ist nicht gewünscht und daher müssen wir Alternativen suchen, es wird auch im neuen EEG eine Begrenzung von Maisanbau für Biogas geben. Fertig! Damit muss man leben.« Vor allem durch optisch Maßnahmen können die Landwirte die Wahrnehmung der Bevölkerung verändern, indem beispielsweise Blühpflanzen an Waldrändern und auf Restflächen des Ackerlandes rings um den Mais angebaut werden, meint Obermeyer vom Landwirtschaftsamt: »Natürlich um den Menschen was zu bieten und zu sagen, ich will euch hier nicht mit Mais zuballern.« Diese Blühflächen eignen sich vor allem für Flächen, die ungünstig zugeschnitten und daher nicht interessant für eine andere Nutzung sind (vgl. hierzu auch Wagner 2010). Der Agrarexperte berichtet, dass ein Versuchsfeld mit Blühmischungen eines Landwirts von einer FloraFauna-Untersuchung begleitet wurde. Danach wurden die positiven Zahlen der in der Blühmischung vorkommenden Insekten vorgelegt: »Also der Tagfalter,

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der Nachtfalter, der Laufkäfer – das ist klar, da braucht man nicht studiert zu haben, um zu wissen, dass da die ganzen Viecher drin sind.« Ein weiterer großer Vorteil dieser Blühflächen ist, dass man sie nicht ganz abmäht, sondern immer einen Rest über lässt, so finden dort Hasen, Rebhühner, Wachteln ihre Rückzugsfläche, erklärt Obermeyer. Blühflächen sind also aus ökologischer und ästhetischer Perspektive ein Gewinn.

Die Suche nach Alternativen zum Mais »Natürlich haben die Biogaslandwirte daran nun großes Interesse, längerfristig nach Alternativen zum Mais zu suchen, weil’s ja niemanden freut, wenn’s nur Probleme gibt und wenn der Dünger abgeschwemmt wird und die Bodenfruchtbarkeit darunter leidet, wer will das schon! Niemand!« (Wolfgang Obermeyer, Landwirtschaftsamt)

Fortschrittliche Biogasbetriebe sehen sich derzeit nach Alternativen und Versuchen mit anderen Pflanzen um, so Obermeyer. An der Landwirtschaftsschule Triesdorf gebe es gerade sehr erfolgversprechende Versuche im Bereich Flora und Fauna mit Gräsern wie der Durchwachsenen Silphie oder dem Riesen-Weizengras, berichtet er : »Die Durchwachsene Silphie kommt aus den USA und wächst von Florida bis in die Rockys.« Hitze, Trockenheit, Frost, Niederschläge und langer Schnee, »das macht dem Gras nichts aus«. Die Ergebnisse der Landwirtschaftsschule hätten gezeigt, dass in den zwei Jahren, in denen das Gras angebaut und getestet wurde, mehr Trockensubstanz pro Hektar geliefert wurde als beim Maisanbau. Zusätzlich habe man damit eine dem Grünland vergleichbare dauernde Begrünung. Es müsse zweimal im Jahr geschnitten werden, einmal im Frühjahr und einmal im Spätsommer, meint Obermeyer begeistert. Auch ist die Gasausbeute im ersten Jahr höher als beim Mais. Biogasanlagenbetreiber Martin Huber führt ein solches Testfeld der Dauerkultur Durchwachsene Silphie und erklärt: »Sie sieht ähnlich aus wie Sonnenblumen, wächst 20 Jahre und bringt Erträge ähnlich wie Mais ohne Dünger und ohne Pflanzenschutz!« Das könnte eine Alternative sein, meint er. Der Erfolg dieser Pflanze sei allerdings noch nicht abzuschätzen und müsse über mehrere Jahre hinweg mit unterschiedlichen Fruchtfolgen auf unterschiedlichen Böden, in unterschiedlichen Kombinationen getestet werden, sagt Nils Schuster vom Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V. Der Verband hat als Mitglied im Beirat der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR e.V.) frühzeitig begonnen, Studien zu alternativen Energiepflanzen auf den Weg zu bringen. In einem nächsten Schritt, so Schuster, müssten die Ergebnisse den Landwirten dann auch kommuniziert werden: »Weil der Landwirt macht nichts, was er nicht kennt. Im Zweifelsfall weiß er, Mais funktioniert, dann muss man ihm das erklären: Mit der Kombination in dieser Fruchtfolge kannst du sogar noch mehr

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rausholen und es ist besser für die Natur.« So, hofft Schuster, könne man diese »Vermaisungsdebatte« einfangen, »nur das braucht eine gewisse Zeit, man kann Landwirtschaft nicht schneller machen, die brauchen ein paar Jahre Erfahrung«. Aber wenn diese alternativen Energiepflanzen umgesetzt und von der Landwirtschaft angenommen werden, »kann die Zukunft ziemlich gut werden«, so Schuster zuversichtlich, weil sie dafür sorgen könnten, von der Vermaisung und von diesen einseitigen Konflikten in der Gesellschaft wegzuführen. Die Überförderung und die (fehlende) politische Steuerung »Unter den Landwirten, also den Biogasbesitzern und Biogas-Nichtbesitzern, ist es wirklich schwierig. Das ist die Verzweiflung. In den Dörfern ist jetzt eine Sprachlosigkeit und Resignation und Wut entstanden. Da bin ich ungeheuer traurig. Also das trifft mich sehr stark. Traurig ist natürlich, dass so viel anderes durch Biogas kaputtgeht, man sollte einfach die Förderung reduzieren, damit das nicht so explodiert.« (Franz Schäfer, Landwirtschaftsamt)

Das Zitat macht deutlich, wie durch die politische Überförderung von Biogas zahlreiche Konflikte – gerade zwischen Anlagenbetreibern und konventionellen Landwirten – entstanden sind. Schäfer, der die Entwicklung seit der Geburtsstunde durch seine Tätigkeit am Landwirtschaftsamt beobachtet, sieht das Problem vor allem in der hohen Anzahl der Biogasanlagen im Nördlinger Ries. Noch vor etwa 15 bis 20 Jahren waren Land und gerade die Wiesen der Forschungsregion nichts mehr wert und teilweise konnten die Landwirte im Nördlinger Ries ihre Wiesen gar nicht mehr verpachten, erinnert er sich. Schäfer und seine Kollegen hätten sich daher in ihren wöchentlichen Abteilungsleitergesprächen Gedanken gemacht, wie »unseren Bauern« geholfen werden kann, damit das Land wieder mehr wert wird. In diesem Zusammenhang erschien ihnen Biogas als das »Heilmittel«, weil durch die Energieerzeugung mittels Biogas landwirtschaftliche Fläche verwertet werden konnte. Probleme habe man von Amtsseite daher erst mal gar nicht gesehen, sondern eher stark vorangetrieben und gefördert. Schäfer berichtet, dass er anfangs sehr beeindruckt gewesen war, wie die Landwirte selbst gebaut und erweitert hätten: »Das war eine völlig neue Welt! Die Betriebe haben plötzlich wieder Geld gehabt!« Jedoch meint er heute nachdenklich: »Wie die alten Griechen schon sagten: Nichts allzu sehr! Immer wenn etwas übertrieben wird, dann geht es nach hinten los. Das ist in allen Bereichen so auf dieser Welt.« Als Beispiel bezieht sich der Agrarexperte auf die Biogasanlage der Biogaspioniere, die in seinen Augen »unfassbar schnell gewachsen ist. Zu schnell. Die haben mit 500 kWh angefangen und sind jetzt bei fast 4000 kWh!« Als sich vor zwölf Jahren die ersten Zeichen einer zu starken Förderung im Bereich Energieerzeugung aus Biogas herauskristallisierten, immer mehr An-

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lagen wie »Pilze aus dem Boden« schossen und die Pachtpreise in die Höhe schnellten, habe Franz Schäfer einen Brief ans Landwirtschaftsministerium in München geschrieben mit der Aufforderung, die Förderung zu reduzieren. Die Antwort des Ministeriums lautete knapp, aber bestimmt: »Es ist uns ein besonderes Anliegen, Biogasanlagen zu fördern«, erzählt Schäfer. Aber das ist wohl Politik, meint er verdrossen, und er wolle nicht über diese »politischen Gestalten« schimpfen, aber hier sei einfach zu lang zu intensiv gefördert worden. Und Obermeyer vom Landwirtschaftsamt pflichtet dem bei und erklärt, dass die Überförderung durch falsche Weichenstellungen im EEG zustande kam. »Diese fünf oder sechs Jahre EEG, wo letztendlich eine Hand voll Politiker ein Gesetz gemacht hat, einen Preis und Bonuszahlungen eingeschrieben haben, was das alles verändert: Fruchtfolge, Rückzugsgebiet für Pflanzen, soziale Beziehungen auf den Dörfern. Aber Leute, die sehr schnell erkannt haben, wo das alles hinführt, sind jetzt die großen Kings.« Umweltschützer Richard Haas weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in der Landwirtschaft eine solch außerordentliche Überförderung historisch betrachtet noch nie funktioniert habe. »Hat man in Richtung Schweine gefördert, haben alle einen Schweinestall gebaut. Dann hat man Rinder gefördert, also haben alle in Bullenmast investiert. Das war nie etwas Gutes, wenn etwas so überfördert worden ist!« Mit Energieerzeugung mittels Biogas ist das aber nun daher schwieriger, weil man aufgrund der gesetzlich festgelegten 20-jährigen Sicherheit im EEG negative Entwicklungen nicht mehr so schnell rückgängig machen könne: »Man muss die nächsten 20 Jahre jetzt damit leben. Das ist eine völlig missglückte Geschichte, die sich völlig an der Natur rächt«, erklärt der Umweltschützer aufgebracht. Er bezeichnet die Entwicklung als einen »richtigen Teufelskreis«, gerade wenn ein konventioneller Landwirt aufgrund der hohen Pachtpreise seinen Betrieb aufgeben muss, gehen seine Flächen an »Biogasler«. Haas hegt die große Befürchtung, wenn sich die Entwicklung nach 20 Jahren ändert, »dann haben wir die ganzen Strukturen nicht mehr. Wer macht dann noch einen neuen Hof auf und stellt Kühe in einen Stall?«, fragt er eindringlich. Schließlich sei dann das ganze Know-how verschwunden und die Strukturen zerschlagen. Haas erklärt, Landwirt oder Bauer sei letztlich der Beruf, der am wenigsten Neueinsteiger habe. Dass durch die Überförderung Strukturen zerstört werden, sieht auch Schäfer vom Landwirtschaftsamt. Jedoch dürfe man nicht die Schuld den Biogasanlagenbetreibern in die Schuhe schieben. Es sei aus einer unternehmerischen Perspektive ganz verständlich, dass die Landwirte auf Biogas umsatteln. Schließlich hätten sie endlich ein regelmäßiges Einkommen, die 20-jährige Sicherheit und die notwendigen Voraussetzungen wie die Fläche und ein landwirtschaftliches Verständnis. Für ihn habe hier vielmehr die Politik versagt und er bezieht sich damit auf das fehlende Eingreifen in die Förderausrichtung bei Energieerzeugung mittels Biogas: »Ich dachte eigentlich, die

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Politik heutzutage ist weise genug, hier vorzubauen, aber es wird nicht gemacht. Da bin ich tieftraurig. Die Lösung wäre ganz einfach: Flexiblere Fördergestaltung, wie bei PV, dass das nicht so lange auf einem Niveau bleibt, sondern dass man versucht, anzupassen, in kürzeren Zeiträumen.« Die »Mentalität« der Rieser Dass die Entwicklung der Biogasproduktion gerade im Nördlinger Ries, dem sogenannten Biogas-Weltmeister, so ausgeprägt ist, habe auch etwas mit der Gegend und der Mentalität zu tun, glaubt Schäfer. Durch seine weiteren Tätigkeiten in anderen landwirtschaftlichen Gegenden wie beispielsweise in Ost- und Norddeutschland könne er vergleichen: »Die Schwaben sind sehr intensiv, denn es heißt: ›Schaffen, schaffen, Häusle bauen, und net nach de Mädle schauen.‹« Im bayerischen Schwaben gebe es die geringste Arbeitslosenquote, so Schäfer : »Bei einer solchen Intensität fällt so etwas wie Biogas auf sehr fruchtbaren Boden. Da ist ein Druck in diesen Familien, also die Mütter, die Väter, die Töchter, die Söhne, wenn die da eine Chance kriegen, da wird geschafft bis zum Letzten.« Hingegen in anderen Gegenden gibt es diese extrem hohe Arbeitsmoral nicht, denkt der berufserfahrene Agrarexperte. Dort betrachte man das Leben mehr »insgesamt«, nicht »so unter der Rubrik des Schaffens« und des Geldverdienens, meint Schäfer und fährt fort: »Zott oder Dehner, Weltfirmen, die kommen alle von hier!« In Verbindung mit der Fruchtbarkeit des Bodens im Ries als wichtige Voraussetzung ist das wie ein »Freifahrschein« für Biogas. Meine Gesprächspartner selbst verwendeten den Begriff »Mentalität«, um in der Region vorhandene soziokulturelle Prägungen und Orientierungen zu beschreiben. Trotz der affirmativen Verwendung der Interviewpartner wird dieser Begriff im Fach Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie sehr kritisch betrachtet, hinterfragt und de-konstruiert. Bei Mentalitätszuschreibungen handele es sich immer um Konstruktionen, so Utz Jeggle in seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog »Schwabenbilder – Zur Konstruktion eines Regionalcharakters« (1997). Wie jedoch, fragt er, kommen solche Vorstellungen des »Typischen« zustande? Zumeist dreht es sich um die Spiegelung eines regionalen Bewusstseins bzw. Selbstbewusstseins, also um »räumliche Bezüge, die Orientierungshilfen leisten, aber unter Umständen auch zur Gefahr werden können« (Jeggle 1997, 7). Problematisch ist hierbei, wie Gisela Welz betont, dass bestimmte Vorstellungen von Mentalität »verdinglichend und homogenisierend« (2007, 73) fungieren können. Vielmehr geht es hier noch einmal darum, die, wie Welz es nennt, »handlungsermöglichende Dimension des Wissensvorrates« (2007, 74) hervorzuheben, die im Zuge der Implementierung der neuen Technologie Biogas entstanden ist und durch die das Nördlinger Ries zu einem innovativen und kompetitiven Biogas-Standort wurde. Regionale Besonder-

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heiten sind in diesem Falle nicht nur infrastrukturelle Komponenten, sondern eben auch in der Forschungsregion vorhandene soziokulturelle Prägungen und Orientierungen (vgl. Welz 2007). Die Rolle der lokalen Zeitung Rieser Nachrichten Die lokale Tageszeitung hat in der untersuchten Region eine wichtige, öffentlichkeitswirksame Funktion. Sie berichtet über alles, was im Nördlinger Ries geschieht und gilt für viele Bewohner als bedeutungsvoller Referenzpunkt, was wiederum für die starke Identifikation der Rieser mit ihrer Herkunftsregion spricht. Mit Metaphern und Begriffen, die häufig stark emotional besetzt sind, appelliert die lokale Tageszeitung an die Verbundenheit der Bevölkerung mit der Region. Hier einige Beispiele: Häufig wird vom »Erhalt der Kulturlandschaft«, der »Bedrohung der landschaftlichen Vielfalt«, der »Bewahrung der historisch bedingten Eigenart des Rieses« gesprochen, aber auch eine durch den Strukturwandel hervorgerufene unsichere und beängstigende Zukunft skizziert: »Solche Entscheidungen [wie der Bau einer Biogasanlage, FS] beeinflussen die Zukunft des Rieses. […] Und man wird sehen, ob Touristen auch in einigen Jahren von der ruhigen Landschaft des Rieses schwärmen. Sofern sie noch den Weg dahin finden. Wie das Ries in zehn Jahren aussieht, wagt deshalb niemand vorauszusagen« (Wagner 2010). Es ist nicht weit hergeholt, zu behaupten, dass die konservative Tageszeitung eine eindeutig negative Position in Bezug auf Energieerzeugung mittels Biogas in der Region bezieht, die das Bild der Öffentlichkeit maßgeblich bestimmt. Viele Gesprächspartner sprechen in diesem Zusammenhang von einer »Hetze gegen Biogas«, die das Negativimage der Anlagenbetreiber in der Bevölkerung zunehmend verstärke. Eine ganze Zeit lang, erinnert sich Benedikt Richter, lief sein Anlagentechnikunternehmen sehr gut. Bis im Jahr 2009 festzustellen war, dass sich das positive Image in der Bevölkerung gewandelt hatte. Dies sei genau dann eingetreten, als die Rieser Nachrichten »angefangen haben, Unfug zu schreiben«. Mittlerweile sei »die Stimmung bei den Leuten in das krasse Gegenteil gekippt – durch diese elendige Zeitungsschreiberei«. Es liegt nach Richter auch daran, dass die »Leute sich nicht wirklich mit dem Thema Biogas befassen und alles glauben, was in dieser Zeitung geschrieben wird«. Richter selbst beschäftigt daher nun seit einiger Zeit einen eigenen Pressemann. Seit längerem versuche er vergeblich positive Artikel in Verbindung mit Biogas und Biogasanlagenbetreibern in der konservativen Lokalzeitung zu lancieren. Beim letzten Anlagenbau, den Richter betreute und bei dem der Antrag »gerade noch so durchgeboxt« worden ist, war dann das Bebauungsplanverfahren »ein Riesendrama« aufgrund der negativen Berichterstattung: »Die Presseleute wollten nur das

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Schlechte, jeden Tag immer nur dagegen, immer nur polarisieren.« Richter meint wütend, wenn die Bevölkerung tagtäglich »eingetrichtert bekommt«, dass durch Biogas Landschaft verschandelt wird, Tiere sterben und es »dauernd stinkt«, dann »bekommt man das auch nicht mehr raus aus den Köpfen!« Das Problem sei auch, dass mittlerweile durch die lokale Berichterstattung der Landkreis aufgrund seiner Dichte an Biogasanlagen so sehr in Verruf gekommen sei, dass auch andere Medien wie das Bayerische Fernsehen nicht mehr bereit seien, eine positive Sendung zu lancieren: »Früher wurden wir beim BR in der ›Unser-LandSendung‹ noch als Interviewpartner eingeladen, mittlerweile kommen wir an die Fernsehleute gar nicht mehr ran.« Auch Bankberater Schumacher ist der Meinung, dass die Rieser Nachrichten als Indikator für das Bild in der Öffentlichkeit zur Energieerzeugung mittels Biogas gelten könne. »Die Zeitung hat sich da auch auf das Thema Biogas regelrecht eingeschossen.« Die derzeit kursierenden Argumente wie Maismonokulturen, Geruchsbelästigung, Lärmbelästigung, Verkehrsaufkommen fielen in der Zeitung ständig und würden viel gewichtiger dargestellt als tatsächlich der Fall. Er räumt jedoch ein, dass einige Konflikt- und Kritikpunkte im Zusammenhang mit Biogas durchaus ihre Berechtigung haben – schließlich falle der Mais auf und störe gerade auch beim Überholen auf der Landstraße. Biogasanlagenbetreiber Huber spricht ebenfalls von einer »Hetzkampagne« durch die konservative Zeitung. »Die Biogasler werden sofort hingehängt bei allem. Die sind immer gleich schuld.« Auch anonyme Leserbriefe mit Droh- und Hassgebärden gegen Biogas hetzten die Stimmung geradezu auf, so Huber. Richter erklärt, dass in der Presse auch deshalb so stark polarisiert werde, weil »viel Lobbyarbeit im Hintergrund« laufe, unter anderem von den lokalen Jagdverbänden. Der »Chef« der Rieser Nachrichten sei auch Jäger. Die Jäger sehen den Maisanbau sehr kritisch, jedoch nicht aus ökologischen Gründen, sondern weil die Wildschweine den Mais zerstören und der Jagdpächter dann dem Landwirt den Schaden ersetzen müsse, erklärt Richter. Agrarexperte Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt erklärt zustimmend, dass Schwarzwild gerne die Maiskolben fresse und zusätzlich dort Deckung vor den Jägern finde. Auch wenn auf dem gleichen Feld ein Jahr später Weizen angebaut wird, sind immer noch ein paar Maiskolben untergepflügt, die dann von den Wildschweinen geschnüffelt und aus dem Boden herausgewühlt werden. Den Jägern, so Richter, geht es durch den Maisanbau daher »Bares ans Geld«. Ein durch Wildschweine verursachter Schaden koste den Jäger 3000 Euro. Somit seien die Interessen der Jäger vielmehr ökonomischer Art und deshalb wird einfach der Naturschutz vorgeschoben, so Richter. Für Biogasanlagenbetreiber Peter Groß ist es nicht verständlich, weshalb in der Lokalpresse nicht auch mal die positiven Seiten von Biogas zum Vorschein kämen. Jahrelang wurde die Abwanderung von Akademikern thematisiert. Nur

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Ärzte, Apotheker und Lehrer kehren nach dem Studium wieder in die Gegend zurück. Aber mit den erneuerbaren Energien hätten sich neue Dienstleistungen vor Ort im hochqualifizierten Bereich entwickelt, sodass der Standort für viele mit akademischer Ausbildung wieder interessant sei. Das kann man Groß zufolge »ganz anders politisch ausschlachten und propagieren«. Richter stimmt hier zu und meint: »Wir haben hier politisch einen absoluten Widerwillen, die positive Entwicklung darzustellen, die wir in Bezug auf regenerative Energien im Landkreis haben.« Über die Hälfte des Stroms im Landkreis stamme aus den 80 landwirtschaftlichen Betrieben. Aber gerade der Landrat habe kein Interesse daran, die Region als »Vorreiterregion« für regenerative Energien darzustellen, so Richter. Selbst dem Landwirtschaftsamt gelinge es nicht, richtig Stellung zum Thema Biogas zu beziehen, meint er weiter. Anlagenbetreiber Huber pflichtet dem bei: »Wenn man die Entwicklung politisch anders ausschmücken würde, dann würden die Leute es auch besser verstehen. Derzeit gehen ja immer mehr Bewohner auf die Barrikaden.« Daher erscheint es in seinen Augen außerordentlich wichtig, dass die Anlagenbetreiber für sich selbst in der Öffentlichkeit »Imagearbeit« leisten, um der Entwicklung entgegenwirken zu können. Erneut werden hier durch die mediale Darstellung Metaphern wie die »Einzigartigkeit des Landschaftsbilds« und die »Kulturlandschaft« für die »regionale Heimat und Identität« instrumentalisiert, die dadurch die öffentliche Diskussion um die veränderte Land(wirt)schaft emotionalisieren. Häufig jedoch verstecken sich unter diesem Deckmantel andere Interessen: Ökologische Kritikpunkte, die generell in einer konservativ geprägten Region als »gut« und »richtig« gelten, dienen bestimmten Interessengruppen als Vorwand für in der Öffentlichkeit weit weniger akzeptierte Motivationen wie ökonomische Gründe. Die Rolle des Landwirtschaftsamtes Das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist unter anderem für die Beratung und die Förderung der Landwirte zu Einkommensübertragungen sowie die Ausbildung der Landwirte im Landkreis Donau-Ries und dem benachbarten Landkreis zuständig. Innerhalb der Abteilung Beratung und Bildung werden die Landwirte bei allen einzelbetrieblichen Förderungen wie Produktionstechnik, Pflanzenschutz, Erosion, Wasser, Milchviehhaltung und Rindermast beraten. Bereits im Jahr 1993 hat das Amt die ersten Veranstaltungen in Hinblick auf Biogas organisiert. Grundsätzlich ging es vor allem um die Beratung der Landwirte hinsichtlich der Standortsuche und der Wirtschaftlichkeit der Biogasanlagen. Dazu zählten Stellungnahmen als Träger öffentlicher Belange, die Beratung betreffend der Entwicklung von Wärmekonzepten, aber auch Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeiten, wie beispielsweise Tagungen zu Sicherheitsanforderungen bei Biogasanlagen. Fuchs beschreibt seine Arbeit

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folgendermaßen: »Wir haben also eine rein beratende Funktion. Wir greifen nicht in den Pachtmarkt ein, wir greifen nicht in die Wirtschaftlichkeit ein. Die Entscheidung über die Anlage macht der Landwirt als Unternehmer. Er trägt auch das volle Risiko.« Als selbstständige Fachbehörde ist das Amt direkt dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unterstellt. Das Ministerium erteile grobe Ziele in Hinblick auf die landwirtschaftliche Entwicklung und das Amt müsse dann diese »Grobziele« auf »Feinziele« auf regionaler Ebene umformulieren. Das Bild in der Öffentlichkeit über die Landwirtschaft und Energieproduktion mittels Biogas hat sich, wie schon mehrfach gezeigt, stark verschlechtert. Beide Seiten – die Bevölkerung und Anlagenbetreiber – müssten lernen aufeinander Rücksicht zu nehmen, meint Wolfgang Obermeyer. Aus diesen Gründen versucht das Landwirtschaftsamt mit verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen die Biogasanlagenbetreiber zur Rücksichtnahme gegenüber der Bevölkerung zu sensibilisieren. Beispielsweise gab es einen Workshop über gesellschaftliche Anforderungen an den Betreiber, in dem die erhöhten Verkehrsberuhigungen und das Problem der Nachtarbeit diskutiert wurden. Zusammen mit dem Maschinenring, dem Bayerischen Bauernverband und dem Biogasverband hat das Landwirtschaftsamt daher einen »Fahrerknigge« und einen »Verhaltenskodex« veröffentlicht. Die großen Erntemaschinen seien in der Bevölkerung weiterhin ein Problem, so Anton Fuchs, aber wenn immerhin langsamer gefahren und nicht mehr in unmittelbarer Nähe von Siedlungen gehäckselt wird, sei man auf einem guten Weg. Auch die Vorgabe vom Amt, das Substrat für die Biogasanlage nicht weiter als aus einem Zehn-Kilometer-Radius zu transportieren und anschließend den Gärrest wieder zurückzuliefern, um den Nährstoffkreislauf zu schützen, werde zumindest von einigen Anlagenbetreibern bereits berücksichtigt. Agrarexperte Obermeyer meint hierzu, dass Landwirte häufig »eine Art Laissez-Faire-Haltung« hätten. Dass diese Haltung für die Öffentlichkeit nicht tragbar ist, müsse innerhalb des Berufsstandes ankommen: »Kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander!«, so Obermeyer eindringlich. Aus diesem Grund ist im Winter vor der Maisaussaat schon die nächste Veranstaltung für alle Biogasanlagenbetreiber im Landkreis geplant, in der diese aufgerufen werden, entlang der Maisflächen für ökologische, aber auch für optisch-ästhetische Zwecke die Breite einer Sämaschine Kräuter- und/oder Blühflächen anzubauen. Allerdings betont Fuchs wieder, könne das Amt nur beratend tätig sein, letztlich entscheide der Landwirt. Diese Veranstaltungen hätten »Pilotcharakter« für ganz Bayern und werden derzeit von anderen Ämtern kopiert. Fuchs erklärt, dass das Landwirtschaftsamt zu den Veranstaltungen mit Absicht keinen Presseartikel veröffentlicht habe, weil wir Landwirten das Gefühl geben wollten, »wir sind auch auf ihrer Seite und wollen ihnen helfen«. Es sei wichtig, dass die derzeit stark verunsicherten Biogasanlagenbetreiber wissen, »warum wir das machen

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und dass das nicht wieder groß negativ rüberkommt in der Bevölkerung«, erklärt Fuchs. Naturschützer Richard Haas hingegen äußert sich zu den internen Schulungen des Landwirtschaftsamts eher kritisch: »Klar, die haben erkannt, dass sie was gegen ihr schlechtes Image in der Bevölkerung machen müssen, wird ja auch langsam mal Zeit.« Es geht bei diesen Veranstaltungen darum, wie sich der Energiewirt verhalten kann, sodass er in der Bevölkerung »nicht so auffällt, dass man nicht sieht, was so alles auf dem Feld passiert«, meint er skeptisch. Ob die Situation dadurch verbessert wird, wagt Haas zu bezweifeln. Anwohner Käser jedoch berichtet von seinem benachbarten Anlagenbetreiber, der die kritischen Anrainer miteinbezogen habe, indem er »so lange herumgetüftelt und alle im Dorf gefragt hat, hört man den Motor draußen«. Damit sei er auf große Sympathien in der Dorfgemeinschaft gestoßen. »Der hat so lange schallgedämmt, bis man beim Vorbeilaufen jetzt gar nichts mehr hört. Das war ihm ganz wichtig, dass er mit den Leuten im Dorf gut auskommt.« In Führungen habe er alles genau erklärt, berichtet Käser. Er selbst räumt ein, dass er anfangs viele Vorbehalte gegenüber Biogas hatte und auch immer noch hat, aber nachdem er verstehe, wie eine solche Anlage funktioniere und was das an Wertschöpfung in die Region bringe, habe er seine Meinung zumindest etwas geändert. Das ist aber in erster Linie aufgrund des rücksichtsvollen Umgangs des örtlichen Anlagenbetreibers geschehen, meint Anwohner Käser. Viele Anlagenbetreiber gehen mittlerweile ähnlich vor und veranstalten öffentliche Führungen durch ihre Biogasanlage. Obermeyer vom Landwirtschaftsamt erhofft sich davon einen faireren Umgang mit den Biogasanlagenbetreibern von Seiten der Bevölkerung. Diese müsse auch beachten, dass man einen Hektar Mais von der Intensität und der Umweltwirkung (Dünger usw.) nicht mit einem Hektar Naturweide oder Schafweide vergleichen könne, sondern nur mit einem Hektar Land, der für Futteranbau genutzt wird. Gewiss, räumt Anton Fuchs vom Landwirtschaftsamt ein, »80 Anlagen sind eine ganz schöne Größe! Mehr bräuchten wir eigentlich nicht.« Er betont aber, dass es sich hierbei um eine unternehmerische Entscheidung handle. Jedoch versuche die Öffentlichkeit gerade, dem Landwirt vorzuschreiben, wie er sich wirtschaftlich verhalten soll, so Fuchs vehement: »Ein Landwirt ist ein Unternehmer, der mit seiner Hände Arbeit das Familienunternehmen sichern muss, und ist der Preis-Kosten-Druck hoch, so unterliegt er diesem wie jeder andere Unternehmer auch. Es ist einfach unfair gegenüber einer Berufsgruppe, die man dadurch einschränkt.«

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Öffentlichkeitswirksame Akzeptanzsteigerung und dezentrale Energieversorgung »Ein sinnvolles Wärmenetz für die Nachbarhäuser führt zu unheimlich harmonischen Verhältnissen da draußen. Dort, wo die Wärme genutzt wird und die Nachbarn an der Wertschöpfung beteiligt sind, da stinkt’s dann auf einmal überhaupt nicht mehr. Die sind alle so happy! Da steht jetzt das ganze Dorf auf einmal zusammen. Das führt natürlich zum astreinen Wir-Gefühl.« (Wolfgang Obermeyer, Landwirtschaftsamt)

Dieses Zitat von Agrarexperte Wolfgang Obermeyer zeigt, dass eine Akzeptanzsteigerung hinsichtlich der Energieerzeugung mittels Biogas in der Bevölkerung über die sinnvolle Nutzung der produzierten Wärme in Form eines Wärmenetzes möglich ist. Potentielle Abnehmer sind beispielsweise eine Dorfgemeinschaft, eine Schule oder ein Krankenhaus. Konrad Stein, Abgeordneter der Grünen im Europäischen Parlament und gelernter Agrartechniker, meint, dass das Thema Bürgerbeteiligung ein »absoluter Bringer« ist, wenn man Akzeptanz erhöhen will. Wenn nämlich »alle im Dorf was davon haben«, so Julius Bergmann, Mitarbeiter eines CSU-Abgeordneten des Bundestags, indem sie sich »sehr billig und dauerhaft und umweltfreundlich« mit Wärme versorgen können, sinkt der Widerstand gewaltig. Meist schließen sich die Abnehmer zu einer Genossenschaft oder Gemeinschaft zusammen, an die der Landwirt dann seine erzeugte Wärme zu einem günstigen Preis verkauft. »Das prägt die dörfliche Gemeinschaft und man rückt wieder zusammen«, meint auch Bankberater Tobias Schumacher bestärkend. Ganz gewiss existieren seitens der Abnehmer auch wirtschaftliche Interessen, jedoch habe man auf einmal mehr Verständnis dafür, wenn der Landwirt »sogar nachts noch mit dem Schlepper rauf und runter fährt. Wenn ich nämlich weiß, der fährt da meine Winterwärme ins Silo, dann lass’ ich den mal schön machen, weil ich kriege ja die Wärme billig«, so der junge Bankberater. Aus seiner bisherigen Erfahrung mit der Kreditvergabe bei Wärmenetzen berichtet er, dass viele Bewohner sich beim Bau eines Wärmenetzes mit Eigenleistungen beteiligen würden »die buddeln, legen die Anschlüsse, dann ist das noch günstiger«. Gerade bei Dorferneuerungen spiele der Aspekt eines Wärmenetzes eine zentrale Rolle, so Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt, weil wenn die Straßen »eh aufgerissen werden«, dann kann man die Leitungen »in einem Aufwasch« mitinstallieren. Anton Fuchs, Leiter des Landwirtschaftsamtes, fügt hinzu, dass es sogar noch effektiver ist, wenn die Gemeinschaft oder der jeweilige Abnehmer selbst die Wärmeleitung baue. Man könne so die Leitung über den Wärmepreis abrechnen, erklärt er. Zudem bleibt somit die Wertschöpfung vor Ort und Importe von fossilen Energieträgern werden reduziert, erklärt Dr. Leo Vogt, Experte für erneuerbare Energien: »Das sind Milliardenbeträge, die man einsparen kann. CO2Emmissionen werden reduziert.« Schäfer sieht jedoch auch, dass man es ver-

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säumt hat, die effiziente Nutzung der Abwärme durch die Biogasenergieerzeugung von Anfang an gesetzlich zu verankern. Das wurde erst mit dem EEG 2012 verpflichtend festgesetzt. Somit wurde viel der »kostbaren« Abwärme einfach vergeudet. Fuchs denkt bereits einen Schritt weiter und berichtet von der Überlegung, Gasleitungen zusammenzulegen und eine genossenschaftliche Gasaufbereitung zu installieren. Die Landwirte dürften sich nicht in Abhängigkeit von Großkonzernen begeben, erklärt er nachdrücklich. Sondern sie müssen dieses Produkt Energie, das sie nun selbst erzeugen, auch selbst vermarkten. Nur so könne man die lokale Wertschöpfung erhalten. Gerade dieser »Genossenschaftsgedanke« über die gemeinsame Aufbereitung des Gases, das nach der Reinigung ins Erdgasnetz eingespeist wird, ist für die Struktur im Nördlinger Ries besonders interessant, weil es ein sehr enges Netz an Biogasanlagen gibt. So könnte man auch die kleineren Anlagen an eine »Waschanlage« anschließen, damit das Biogas auf Erdgasqualität gereinigt wird, erklärt Fuchs. Durch ihren dezentralen Charakter – schließlich versorgt sich die Bevölkerung plötzlich anhand der Wärmenetze selbst mit Energie – sind die erneuerbaren Energien den großen Energiekonzernen ein Dorn im Auge, so Vogt. Die großen Energieversorger hingegen haben bisher von einem zentralen Energiesystem profitiert, erklärt er. Die dezentrale Energieversorgung im ländlichen Raum ist daher in seinen Augen sehr empfehlenswert, weil die Kommunen sich von überregionalen Energieversorgern unabhängig machen können und ihre Energiekosten senken. Vogt sieht jedoch die derzeitig bestehende Gefahr, dass sich der ländliche Raum durch Akzeptanzverlust immer weniger als Standortraum für erneuerbare Energien eignet, denn dann werde sich der Ausbau von erneuerbaren Energien auf Offshore-Standorte konzentrieren. Offshore könne sich kein mittelständisches Unternehmen leisten, weil »das sind Millionenbeträge. Da sind nur die Großen wie E.ON & Co. dabei«. Diese könnten dadurch das dezentrale Energiesystem wieder in ein »zentrales Korsett« zwingen. Daher ist es sehr wichtig, den ländlichen Raum für dezentrale Energiesysteme offen zu halten, »auch wenn die Bevölkerung erstmal dagegen ist«, so Vogt und fährt fort: Die großen Energieversorger versuchen derzeit durch ein grünes Image ihren guten Willen zu bekunden. Andererseits bremsen sie es in vielerlei Hinsicht wie beispielsweise beim Netzausbau. Es ist ein zwiespältiges Verhältnis, findet Vogt: »Prinzipiell ist es mir egal, ob die großen Energieversorger die erneuerbaren Energien ausbauen oder mittelständische Unternehmen. Gut ist es auf jeden Fall, weil man wegkommt von fossilen und nuklearen Energieträgern. Bloß die Kommunen könnten noch mehr davon profitieren. Ich hab nichts dagegen, wenn E.ON jetzt Windkraft ausbaut, ganz im Gegenteil. Nur wenn die Kommunen und die Bevölkerung profitieren wollen, müssen sie auch eine Technisierung der Kulturlandschaft zulassen.« Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Eva Wolf meint hierzu, dass gerade die

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Entwicklung neuer Technologien von der »Verankerung in der Region« und der Akzeptanz lebe. Akzeptanz erzeuge man aber eben nur, wenn Menschen sehen, sie haben entweder einen persönlichen oder gesamtgesellschaftlichen Gewinn. Wo auch immer man hinsieht, so Wolf, gibt es eine eindeutige Orientierung auf Gewinnmaximierung von Großstrukturen, von Industrie und von Konzernen und dagegen müsse man ankämpfen. Derzeit jedoch »maulen« die großen Energieversorger in Deutschland sehr, weil sie die Energiewende »nicht mögen« und dagegen ankämpfen, so Bioenergie-Experte bei der Europäischen Kommission Lorenz Ziegler. Diese ist mit riesigen Investitionen und vor allem aber auch mit einem »Umdenken« der lokalen Bevölkerung verbunden: »Bisher haben die Energiekonzerne über den Daumen ausgerechnet, wann brauchen wir das nächste Kraftwerk, dann wurde das Kraftwerk hingestellt und man musste sich weiter keine Gedanken machen. Jetzt aber bricht für die eine Welt zusammen. Da fangen plötzlich Haushalte an, Minimengen an Strom ins Netz zu speisen oder die Waschmaschine springt an, wenn der Strom am billigsten ist. Da haben die nicht mehr den Zugriff auf den Markt. Das ist eine harte Geschichte für die großen Energiekonzerne.« Genau aus diesem Grund muss es auch in Wolfgang Obermeyers Augen gelingen, die Wertschöpfung in der Region zu halten und von den dezentralen Strukturen zu profitieren. Hierfür jedoch notwendig ist, die aus den vielen bisher aufgetreten Konflikten der Energieerzeugung mittels Biogas zu lernen, meint Obermeyer. Und Bergmann erklärt, was dies bedeutet: Eine Biogasanlage muss grundsätzlich gut geplant sein und ein ordentliches Wärmekonzept aufweisen. Weiterhin müssen Lieferverträge mit benachbarten Landwirten abgeschlossen werden, denn nur so könne man Neideffekten auf den Dörfern wirkungsvoll begegnen. Wenn nämlich die Nachbarn eingebunden werden, indem sie ihre Gülle und über langfristige Pachtverträge nachwachsende Rohstoffe anliefern, mindern sich die Konflikte und man erziele eine breitere Wertschöpfung für den ganzen Raum. Bergmann berichtet in diesem Zusammenhang von seinen Eindrücken, die er auf einem Energietag in Bayern sammeln konnte. Die Bürgermeister hätten sich »intensiv« darüber ausgetauscht, mit welchen Tricks man externe Investoren »raushalten« kann, und Anlagen errichtet, die von Bürgern aus der eigenen Gemeinde gebaut und finanziert werden. Ein Vorteil ist, dass die Gewerbesteuern »vollständig vor Ort« bleiben und sich Widerstände mindern. Ein Windrad und eine Biogasanlage, »die monatlich etwas auf das eigene Konto spült, stört deutlich weniger als eine, die das nicht tut«, fügt Bergmann augenzwinkernd hinzu.

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»Das Energieproblem wird alles revolutionieren!« »Es ist mir bisher nicht gelungen, den Verbrauch zu drosseln, obwohl es mir bestimmt genauso geht wie vielen Familienvätern, die den Kindern immer hinterherrennen und die Lichtschalter ausmachen. Sondern im Gegenteil: Der Verbrauch wird ja immer mehr!« (Wolfgang Obermeyer, Landwirtschaftsamt)

Aus diesem Grund ist für Wolfgang Obermeyer der Aspekt der Dezentralität der erneuerbaren Energien sehr wichtig, denn dieses »Energieproblem« wird uns die nächsten 50 Jahre vehement beschäftigen, vermutet der weitsichtige Agrarexperte: Der Gesamtstromverbrauch ist ja nicht rückläufig. Gerade in den Wohlstandsländern wolle niemand mehr weg von der Prosperität. Zwar, so räumt er ein, wird durch die Folgen des Klimawandels der Energieverbrauch im Winter reduziert, hingegen im Sommer über Kühl- und Klimatechnik erhöht. In seinen Augen hätten viele Menschen darüber hinaus keinen vernünftigen Umgang mit ihrem Energieverbrauch. Obermeyer weist eindringlich darauf hin, dass bei Betrachten der »globalen Situation«, wie er es nennt, auch das Wohlstandsniveau und somit zwangsläufig der Energieverbrauch in den Schwellen- und Entwicklungsländern weiterhin wachsen wird: »Es gibt sehr viele Menschen, die wollen alle dahin, wo wir sind, auch wenn es nur halb so weit ist. Drei Milliarden Inder und Chinesen, die auch auf unser Wohlstandsniveau kommen wollen! Wir werden neue Länder sehen, die werden wie Phönix aus der Asche steigen. Das klingt natürlich jetzt fatalistisch, ist aber so!« Mehr Wohlstand bedeute auch immer mehr Energieverbrauch, so Obermeyer, und diese Kurve bewegt sich steigend nach oben. Die Menschheit müsse hier indessen dringend nach Lösungen suchen. Ohne Abstriche und ohne Sparen werde es nicht gehen, so der Agrarexperte und vorausblickend meint er : »Das Energieproblem wird alles revolutionieren.« In seinen Augen wird es zu schwierigen Übergangszeiten kommen, in denen mit beträchtlichen Preisanstiegen für Energie zu rechnen ist und in denen es zu gesellschaftlichen Diskrepanzen kommen wird, denn »der, der das Geld hat, kann sich letztlich alles leisten und der andere muss sich wirklich entscheiden.« Daraus knüpfen sich für Obermeyer gewisse Anforderungen an die ländliche Gesellschaft: Man muss die Vorteile sehen, die dezentrale Energieversorgung mit sich bringt. Er spricht daher ein klares Plädoyer für Energieerzeugung mittels Biogas aus: Es muss gelingen, dass Biogas »verträglich funktioniert« und dass die Menschen auf den Dörfern zu ihren Biogasanlagen stehen, weil sie günstig mit Wärme versorgt werden und unabhängig von den großen Energiekonzernen sind. Selbstverständlich dürfen die Konflikte durch Energieproduktion aus Biomasse nicht einfach übersehen werden, jedoch appelliert er an das »Zusammengehörigkeitsgefühl« dörflicher Gemeinden125 – schließlich 125 Ähnlich argumentiert auch der Umweltwissenschaftler Steffen Wirth (2014) in seiner

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sei die Energiewende ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Argumente wie ›Früher war alles besser‹ dürfe man in diesem Zusammenhang nicht gelten lassen, so Obermeyer, denn ein Wandel in der Energieinfrastruktur bedeute zwangsläufig immer Veränderung: »Aber die Realität ist, wie sie ist. […] Jetzt ist es an der Sache, das vernünftig zu machen, dass nichts unter die Räder kommt. Weder die Nachbarschaft durch Pachtzahlungen noch der Milchviehhalter, noch die Natur, noch die Fruchtfolge, noch die Nährstoffbilanz, noch das Dorf. Das ist eine ganz anspruchsvolle Sache.« Die klassische Landwirtschaft, die Nahrungsmittelerzeugung, erhält durch die »Energie-Landwirtschaft« die Chance, »das Ding mit in die Hand zu nehmen«. Um aber die Kontroversen der Energieerzeugung mittels Biogas aufzuzeigen, nennt Obermeyer das Beispiel des Dorfes Merkendorf, das doppelt so viel Strom erzeugt, wie es verbraucht, und den europäischen Umweltpreis verliehen bekommen hat. Genau daran könne man diese »Gratwanderung« sehen: Einerseits Umweltpreis, jedoch andererseits Maisprobleme, Nährstoffproblematik und Zwist in den Dörfern. Daher muss es gelingen, in den Dörfern zusammenzuarbeiten, nach dem Motto: Unser Ziel ist es, die Wertschöpfung und alle Vorteile, wie »Wärmenutzung, Elektromobilität, Standortvorteile eines Ortes, wo ich mit meinen Kindern wohnen, das Haus heizen, einen günstigen Strom beziehen kann«, vor Ort zu halten. Wichtig ist hierbei, dass es auch gelingt, »Auswüchse« durch die Eigenverantwortung der Landwirte zu vermeiden. Fruchtfolgeregeln, die seit Jahrhunderten gelten, dürfen nicht einfach »über Bord geschmissen werden«. Ausgleichsflächen dürfen nicht intensiv genutzt werden und keine Wasserschäden durch Gärreste entstehen. Energieautarkie lasse sich momentan – wenn überhaupt – nur im ländlichen Räumen verwirklichen. Er stellt sich für die Zukunft bei einer ländlichen Struktur von 80 000 Hektar Wald und Land und 90 000 Einwohnern ein oder zwei Biogasanlagen pro Dorf vor, wo die großen Gebäude mit Solaranlagen bestückt sind und eine Windkraftanlage betrieben wird. Obermeyer erläutert den dezentralen Mehrwert von Bioenergiedörfern und schätzt, dass deren Wohnwert aufgrund der Versorgungsstruktur mit einem Nahwärmenetz in zehn Jahren sehr hoch sein wird. Einige dieser Dörfer werden in die Elektromobilität einsteigen, vermutet er. Und um zu verdeutlichen, welche neuen Möglichkeiten der dezentralen Energieversorgung mittels Biogas den ländlichen Kommunen zuteilwerden, erklärt er : »Über die Hintertür der Biogasanlagen, da ist ja eine Schlagkraft in die Landwirtschaft reingekommen, die für unsere Verhältnisse unglaublich groß, aber auch chancenreich geworden ist.« Konrad Stein, Grünen-Abgeordneter des Europäischen Parlaments, weist in Fallstudie über Energieproduktion mittels Biogas mit dem Titel »Communities matter: Institutional preconditions for community renewable energy«.

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diesem Zusammenhang darauf hin, dass grundsätzlich jede Form der Energiegewinnung negative Folgen und ungewollte Effekte hat. Letztendlich jedoch sei es eine Abwägung, die die Gesellschaft vornehmen muss, welche Umweltfolgen sie bereit ist zu tragen, erklärt Stein und meint weiter : »Denn wenn eine Biogasanlage explodiert, gibt es keine Spätfolgen. Allerdings ist Japan doch verdammt weit weg.« Jedoch zählen gegenüber der Industrialisierung der Landwirtschaft eben auch das Landschaftsbild und der Naturschutz. Das ökologische Gleichgewicht gerate bei einer zu starken Intensivierung aus dem Lot, meint auch Julius Bergmann, Mitarbeiter eines CSU-Abgeordneten im Bundestag. Aus diesen Gründen müsse es geradezu zu einem Diskurs vor Ort kommen, »es muss sich reiben« und Widerstand geben. Das hat in Bergmanns Augen einige Vorteile: Nur so kann man die besseren Standorte für Anlagen finden, die auch mit dem Landschaftsbild verträglich sind. Nur so wird auf den Nistort vom Roten Milan oder der Wiesenweihe Rücksicht genommen. Nur so wird beim Anbau von Energiepflanzen darüber nachgedacht, wie man diversifizieren kann und welche Alternativen es zum Mais gibt. Selbstverständlich gibt es Anlagen, die schlecht geplant wurden, aber daraus gilt es zu lernen, meint Julius Bergmann. Schließlich handelt es sich bei Biogas und den anderen Formen der erneuerbaren Energien um im Entstehen begriffene Technologien. Nils Schuster vom Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V. plädiert daher dafür, frühzeitig mit den Umweltverbänden zusammenzuarbeiten. Es müssten Leitfäden für die Betreiber entwickelt werden. Obermeyer vom Landwirtschaftsamt bringt es anschließend nochmal auf den Punkt: »Wenn man Veränderungen und Dynamiken bewertet, muss man fair sein. Die Frage ist ja auch immer, was wären denn die Alternativen? Im Endeffekt geht es nur miteinander! Der Naturschutz braucht die Bauern, die Bauern brauchen ökologische Sichtweisen, Naturschutz und Regeln und alle brauchen ein funktionierendes Geflecht, sodass die Kulturlandschaft zu vertretbaren Kosten erhalten werden kann. Natürlich wird sie sich verändern, aber das war auch schon immer so.« Biogas als Brückentechnologie für die zukünftige Entwicklung »Wir werden auf Biogas gar nicht verzichten können, das spielt eine absolut wichtige Rolle. Wir müssen die Rolle, die Biogas jetzt hat, nur verändern auf das, was wir in Zukunft brauchen. Da müssen noch viele Schritte gegangen werden infrastrukturell, Netzausbau, Gasspeicher, auch marktwirtschaftlich.« (Nils Schuster, Bundesverband für Erneuerbare Energien BEE e.V.)

Hierzu müssen aber noch einige wichtige Weichen gestellt werden: Derzeit sind die Bestrebungen, dass die »Biogasgeschichte« etwas gebremst wird und eher Kleinanlagen mit Resteverwertung aus Landschaftspflege oder Landwirtschaft

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gefördert werden und somit der Maisanbau nicht vorangetrieben wird, meint Franz Schäfer vom Landwirtschaftsamt. Er erklärt: »Biogas im kleinen Bereich wäre gut, wenn alle bloß 50- oder 100-kWh-Anlagen hätten. Man darf daher gerade nicht negativ denken, sondern versuchen Teilbereichen zu ändern.« Längerfristig ist Energieerzeugung aus Biomasse für Obermeyer eine Zwischenlösung, weil sie einen großen Nachteil hat: Biomasse ist nicht unbegrenzt und steht im Gegensatz zu Wind und Sonne nicht kostenlos zur Verfügung. Das bedeutet also: Für den Anbau der Biomasse wird Fläche benötigt und das erhöht zwangläufig den Druck auf die Fläche. Er räumt aber ein: »Ohne Biomassenutzung und die Fläche der Landwirtschaft jedoch werden wir zumindest beim Übergang auf alternative Energien nicht über die Runden kommen, weil an den Sparwillen glaube ich nicht. Außerdem liegen die nachwachsenden Rohstoffe und die Energieerzeugung der Zukunft jetzt direkt vor der Haustür. Es geht nicht ohne die Landwirtschaft und wenn es nur der Standort ist für ein Solarfeld oder eine Windkraftanlage ist.« Abschließend betrachtet spielt der Aspekt der Dezentralität der erneuerbaren Energien eine bedeutsame Rolle in der Auseinandersetzung mit dem zukünftigen »globalen Energieproblem«. Daher muss es einer dezentralen Energieversorgung mittels Biogas gelingen, dass Biogas »verträglich funktioniert« und dass die Menschen auf den Dörfern zu ihren Biogasanlagen stehen, weil sie günstig mit Wärme versorgt werden und unabhängig von den großen Energiekonzernen sind. Grundsätzlich hat jede Form der Energiegewinnung auch immer negative Effekte. Letztlich ist es eine Abwägung der Gesellschaft, welche Umweltfolgen sie bereit ist zu tragen, denn wenn eine Biogasanlage explodiert, zieht das keine Spätfolgen wie das Reaktorunglück in Fukushima nach sich. Nur durch die lokale Auseinandersetzung können geeignetere Standorte für Anlagen finden, die sowohl für das Landschaftsbild als auch den Umweltschutz verträglich sind. Schließlich handelt es sich bei Biogas und den anderen Formen der erneuerbaren Energien um im Entstehen begriffene Technologien. Beim Ausbau einer dezentralen Energieinfrastruktur »geht es nicht ohne die Landwirtschaft«. Landwirtschaft hat durch alternative Energieerzeugung somit anders als bei der Nahrungsmittelerzeugung endlich die Möglichkeit, an der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und des Wohlstandsniveaus beteiligt zu sein.

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Das Fallbeispiel eines Bioenergiedorfes126 Anhand des Beispiels eines Bioenergiedorfes in einem traditionell landwirtschaftlich bewirtschafteten Raum in Bayern wird gezeigt, wie sich eine Gemeinde mit 70 Haushalten durch die Biogastechnologie mit Strom und Wärme selbst versorgt. Technologisierung, ökonomische Unabhängigkeit und ökologische Aspekte werden hier unter Rückgriff auf lokal-gebundene Voraussetzungen der sozialen Koordination vorangetrieben. Das hier dargestellte Ineinandergreifen unterschiedlicher Strukturen verdeutlicht die Voraussetzungen des Wandels hin zu einer dezentralen, lokal eingebetteten Energieerzeugung. Für das hier dargestellte Fallbeispiel eines Bioenergiedorfs ist es lohnenswert, sich mit Grundvoraussetzungen für die Implementation dieser Form von dezentraler Energieversorgung vertraut zu machen. Unbedingt notwendig ist selbstverständlich Biomasse, die aus der landwirtschaftlichen Produktion gewonnen wird. Die Biogasanlage selbst sollte a) nicht zu weit vom Dorf entfernt sein, weil ansonsten der Wärmetransport zu viel Verlust mit sich bringen würde, und b) nicht zu weit von der landwirtschaftlichen Produktion weg liegen. Beides würde unweigerlich die Rentabilität gefährden. Das Biogas kann zum einen als Erdgas aufbereitet und ins Erdgasnetz eingespeist werden, was allerdings erst ab einer bestimmten Größe wirtschaftlich rentabel wird. Zum anderen kann dieses Gas, so die derzeit geläufigere Handhabung, in Blockheizkraftwerken (sogenannten BHKWs) verbrannt werden, um über einen Generator Strom zu erzeugen. Dieses Verheizen ist mit einem weiteren energetischen Output – der Abwärme – verbunden. Sowohl der erzeugte Strom als auch die Abwärme sind grundsätzlich vermarktbare Produkte, die aber erst noch zum potentiellen Abnehmer gebracht werden müssen. Genau hier sorgt das EEG dafür, dass Biogasenergie rentabel wird – und zwar, indem das Gesetz ganz wesentlich in die Gestaltung der öffentlichen Infrastruktur einwirkt. Ein verhältnismäßig geringer infrastruktureller Aufwand aufseiten des Netzbetreibers macht es möglich, den Strom ins lokale Stromnetz einzuspeisen. Bei der Abwärme gestaltet sich der Transport etwas komplizierter und aufwendiger. Hier spielen die Entfernungen, über die die Wärme transportiert werden muss, eine große Rolle. Ganz klar gilt erstens: Je länger die Strecke, desto mehr Verlust an Wärme. Zweitens kann man hier nicht auf eine schon bestehende Netzinfrastruktur zurückgreifen. Dies führt zu einem weiteren Integrationsdruck. Anforderungen und Chancen der Biomasse-Energie-Verwirtschaftung werden dadurch gesteigert: Eigenständige 126 Dieses Kapitel wurde bereits in leicht abgeänderter Form publiziert: Sperling, Franziska (2014) Energie-Kollektiv – Energie-Autarkie. Lokale Energieproduktions- und -konsumgemeinschaften vor dem Hintergrund politisch induzierter Energieregulierung. In: Adam, Jens / Vonderau, Asta (Hg.) Formationen des Politischen. Anthropologie politischer Felder. Bielefeld: transcript, 215–241.

Das Fallbeispiel eines Bioenergiedorfes

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Betriebe der Energieproduktion müssen in lokale, soziotechnische Produktions-Konsum-Konfigurationen integriert werden. Zur sinnvollen Abwärmenutzung braucht es also daher zum einen die produktionstechnischen und siedlungsabhängigen Voraussetzungen (z. B. die Nähe zu einem Dorf oder einem industriellen Unternehmen, das mit Wärme versorgt werden kann) und zum anderen erhebliche Investitionen in eine Wärmenetzstruktur im öffentlichen Raum. Des Weiteren sind Abnehmer notwendig, die an diese Wärme- und Stromnetze andocken und im Falle der Wärme dafür auch selbst erhebliche Kosten auf sich nehmen. So müssen beispielsweise, um Abwärme zu nutzen, in großem Maße Heizsysteme in privaten Eigenheimen ausgetauscht werden. Landwirtschaftliche Produktion, Energieproduktion, Energietransport und Energiekonsum müssen also organisiert werden. Elementar sind hierfür nicht nur das technische Wissen und die finanziellen Anforderungen an verschiedene Personengruppen, sondern auch die Bereitschaft aller beteiligten Parteien, sich längerfristig zu binden. Das ist vor allem wichtig, wenn man sich vor Augen führt, dass es sich um die Umstellung eines kompletten Wärme-Infrastruktursystems handelt. Schließlich müssen noch die Privatpersonen davon überzeugt werden, sich ein neues Heizsystem zuzulegen. Es sind also bestimmte Strukturmerkmale und Handlungspotentiale notwendig, damit sich ein konventionell landwirtschaftlich bewirtschafteter Raum zu einem Bioenergiedorf hin entwickeln kann. Das gilt auch für das bayerische Dorf, das hier als Fallbeispiel eines Energiedorfes dienen soll. Neben der politischen Strukturierung der Handlungspotentiale, die ganz wesentlich über das EEG und über mit dem EEG verbundene Reglementierungselemente erschlossen werden, und den materiellen Anforderungen, auf die die Akteure zurückgreifen, wie Finanzkapital, bestehende landwirtschaftliche Produktion etc., werden Vertrauen und Wissen als Voraussetzung für den Aufbau und die Nutzung bioenergetischer Produktionsstrukturen herangezogen. Wissen ist zu einer der wichtigsten Produktivkräfte gesellschaftlicher Entwicklung geworden (vgl. Castells 2001 und 2003). Es geht hier um die Gewinnung, Aneignung und Verwertung von Wissen. Giddens spricht in diesem Zusammenhang von funktional differenzierten Expertensystemen und versteht darunter »Systeme technischer Leistungsfähigkeit oder professioneller Sachkenntnis, die weite Bereiche der materiellen und gesellschaftlichen Umfelder, in denen wir heute leben, prägen« (Giddens 1997, 40). Laien vertrauen in diese Systeme, ohne über die ablaufenden Prozesse aufgeklärt zu sein, geschweige denn über das notwendige Wissen darüber zu verfügen (vgl. Giddens 1997, 42). Allerdings gibt es Zweifel an der Konzeption von sozialem Wandel rein über Expertensysteme, die losgelöst von sozialen, räumlich gebundenen Beziehungen funktionieren. Wirtschaftliches Handeln lässt sich nur sehr begrenzt über die orthodoxe mikroökonomische Modellierung von Angebot-Nachfrage-Matchings ohne Ansicht der Person verstehen (vgl. Grano-

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vetter 1985). Die Akteure sind eingebunden in soziale Beziehungen, und diese Beziehungen wiederum verändern das Handeln an den Märkten. Soziale Beziehungen spielen also durchaus eine wichtige Rolle. Vertrauen und Vertrautheit bilden auch bei wirtschaftlichem Handeln ein Verhältnis wechselseitiger Ermöglichung und Verstärkung. Communities of Practice (vgl. Wenger 1998) – Lerngemeinschaften – scheinen sich zwar unter Bedingungen globaler Kommunikation vom Raum als Strukturierungsmechanismus immer mehr abzukoppeln, gemeinsame Geschichte und Referentialität werden aber auch hier als wichtige Bedingungen erkannt. Nachbarschaften, Gemeinden, Viertel müssen zwar nicht diese Form der Lern- und Entwicklungsgemeinschaft annehmen, aber es besteht doch kein Zweifel, dass Vertrautheit aufgrund von Herkunft und Vis-/-vis–Interaktion Kooperationen begünstigt. Diese Tatsache scheint vor allem in dem Maße wieder an Bedeutung zu gewinnen, wenn es um Landschaft, technische Anlagen, Leitungen und Häuser geht. Direkter und häufiger Kontakt zu einer Person, der Bekanntheitsgrad der Akteure untereinander, die Erfahrungen, die man in der Vergangenheit miteinander gemacht hat, das Ansehen und der Ruf einer Person – all dies trägt dazu bei, dass vertrauensvolle Zusammenarbeit wahrscheinlich ist (vgl. Haug 1997, 17). Häufig (und oft zwangsläufig) ist das Vertrauen in kleineren isolierten Gruppen groß, weil es sich um geschlossene soziale Netzwerke handelt.

Kleinschwalbenheim127 und seine Energiegeschichte Ausgangspunkt der Entwicklung von Kleinschwalbenheim zu einem Bioenergiedorf ist die Familie von Martin, Peter und Bernd Huber. Martin Huber ist der älteste von vier Geschwistern. Seine beiden Brüder Peter und Bernd Huber waren ebenso beteiligt. Sie haben sich systematisch innerhalb der letzten Jahre das dafür nötige professionelle Wissen erarbeitet. Martin Huber hat ein Studium der Materialwissenschaften in Göttingen begonnen, das er bis auf die Masterarbeit abgeschlossen hat. Bruder Bernd Huber studiert Erneuerbare Energien und Umwelttechnik und Maschinenbaustudent Peter Huber hat sich mit seiner Diplomarbeit in den Bereich Regelungs- und Steuerungstechnik eingearbeitet. Martin Hubers Schulfreund Jakob Däubler aus dem benachbarten Ort ist studierter Elektrotechniker und stand Martin Huber von Anfang an mit Rat und Tat zur Seite. Jakob Däubler hat sich nach seiner Ausbildung und anschließendem Studium als Wärmetechniker selbstständig gemacht und das komplette Heizsystem in Kleinschwalbenheim installiert. Die Idee zum Bau einer Biogasanlage kam bereits zu Martin Hubers Kin127 Der Ortsname ist fiktiv.

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derzeit in den frühen 1990er Jahren in der Familie auf. Damals wäre nur eine Kleinstanlage für die Verwertung der Gülle aus der Viehhaltung des 30 Rinder umfassenden landwirtschaftlichen Familienbetriebs infrage gekommen. Als der Ausstieg der Eltern aus dem operativen Geschäft um die Jahrtausendwende absehbar war, wurde diese Idee wiederbelebt, auch weil weitere Viehwirtschaft mit erheblichen Investitionen verbunden gewesen wäre. Im Jahre 2003 jedoch war durch das EEG absehbar, dass jede Form der erneuerbaren Energien ein lukrativer Verdienst sein würde. Ein neuer Kuhstall kostet ca. eine Million Euro, eine Biogasanlage kostet mindestens drei Millionen Euro. Die Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien sind höher, aber werden aufgrund der 20jähringen finanziellen Sicherheit durch das EEG leichter ausgegeben. Somit entschied sich die Familie nach der Verabschiedung der EEG-Novelle 2003 eine Biogasanlage zu installieren. Diese Investition in den alten Hof – aber in eine ganz neue Bewirtschaftungsform – verlief ganz im Sinne einer Nebenerwerbslandwirtschaft, welche inzwischen das verbreitete Landwirtschaftsmodell in dieser Region darstellt und ein weiteres Standbein neben dem eigentlichen Job bietet. Die Investition hat sich im Nachhinein recht sinnvolle Entscheidung erwiesen, obwohl gerade die Eltern wegen des enormen finanziellen Risikos sehr skeptisch waren. Im Frühjahr 2004 begann die Planung, gebaut wurde im Herbst und im Dezember des gleichen Jahres wurde die Anlage erstmals in Betrieb genommen. Die Familie plante die Anlage mit einer Leistung von 190 kWh als eine reine NawaRo-Anlage, die mit Biomasse des eigenen Ackerlands bestückt wurde. Nach anfänglichen Schwierigkeiten lief die Anlage ein Jahr später relativ störungsfrei. Nachdem sich immer mehr Landwirte mit Fläche zur Bewirtschaftung anboten und diese Möglichkeit Stück für Stück von Martin Hubers Familie genutzt wurde, beschloss die Familie 2006 die Anlage auszubauen und damit die Leistung auf 380 kWh zu verdoppeln. Zusätzlich wurde ein weiterer Behälter gebaut, denn man brauchte mehr Lagerkapazität. Die drei Brüder hatten sich bewusst dazu entschlossen, keine externe Anlagentechnikfirma zu engagieren, wie es eigentlich häufig der Fall ist. Sie konnten den Großteil ihrer Biogasanlage aufgrund ihres jeweiligen Studiums selbst installieren. Mit Inbetriebnahme ergab sich außerdem, dass fortan der Mist aus den zwei großen Nachbarbetrieben der Umgebung verwertet werden kann. Anfangs stellten jene die Gülle umsonst zur Verfügung und erhielten als Gegenleistung den Gärrest als Dünger zurück. Die Anlage selbst befindet sich ein Stück außerhalb des Hofes und des Dorfes. Zusätzlich zur Biogasanlage hat Martin Huber im Herbst 2004 Photovoltaikanlagen auf dem Stall und auf dem Dach des Gebäudes für den Maschinenfuhrpark errichtet. Martin Hubers Familie trennt den Betrieb in den landwirtschaftlichen Bereich, der eher als Hobby betrieben wird, und in zwei unterschiedliche Firmen: Da ist zum einen die Biogasanlage außerhalb des Dorfes (mit einer Pro-

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duktionsleistung von 600 kWh) und zum anderen das Blockheizkraftwerk (BHKW) am Hof mit den Photovoltaikanlagen (400 kWh). Die Trennung in zwei Firmen ist auf die Vergütungssätze des EEG zurückzuführen, die sich nach der Größe der Anlage richten. Derzeit fahren die Anlagen der Familie 800 kWh bis 1 Megawatt Leistung im Dauerbetrieb. Das ist eine Größe, die sich aufgrund der lohnenden Vergütung voraussichtlich nicht mehr ändern wird. Die Kosten für die komplette Anlage beliefen sich insgesamt auf ca. drei Millionen Euro, die sich aber relativ zügig auszahlen werden. Üblicherweise kosten Anlagen in der installierten Größe fünf Millionen Euro aufwärts. Aber Martin Huber und seine Brüder haben immer versucht, günstig zu bauen und vor allem in Eigenleistung zu bauen und zu entwickeln: »Das ist eben die Eigenleistung, die da in den letzten Jahren drin steckt.« Die Mischung aus Know-how und Know-what des Teams um Martin Huber wäre allerdings ohne Zweck, wenn sie sich nicht bereits am elterlichen Betrieb herauskristallisiert hätte: »Ohne den Landwirtschaftsbetrieb bei uns gäbe es die Biogasanlage nicht. Es wäre kein unternehmerisches Denken von früher vorhanden, keine Fläche, die zum Einstieg Basis war. Von der Bank hätten wir kein Geld bekommen, weil die Sicherheit für damals eine halbe Million zu investieren, die war einfach durch die landwirtschaftliche Fläche gegeben, die wir damals hatten. Die ganzen Biogasanlagen, aber auch viele Windenergieanlagen kommen ja aus diesem landwirtschaftlichen Bereich raus.« Hier wird nicht nur die Bedeutung des ökonomischen Kapitals angesprochen, das in Form des alten Betriebes als Sicherheit fungierte. Landwirtschaft wird hier auch verknüpft mit einem ökonomischen Denken, mit der Akzeptanz, dass immer ein sehr hoher Anteil der Mittel gebunden ist. Man muss die Bereitschaft aufbringen, über lange Zeiträume hohe Beträge zu investieren. In der konventionellen Landwirtschaft war es bereits notwendig, mit großen Summen umgehen zu können. In der Energiewirtschaft hat sich das mit diesen riesigen Investitionen im Bereich Biogasanlage und Wärmenetz noch einmal stark verändert. Huber sieht das heute gelassen: »Damit gehen wir halt um. Da gehen große Summen rein und dann große wieder raus. Das macht mir gar nix mehr aus mittlerweile, wenn ich drei Millionen Schulden habe, dann ist das halt so.« Er selbst bezeichnet dies als »unternehmerisches Denken« und erklärt seine Gelassenheit dadurch, dass das Unternehmen erfolgreich ist und Gewinn erzielt. Die landwirtschaftliche Produktion im konventionellen Sinne ist für Martin Huber und seine Familie inzwischen zweitrangig: »Das kostet für mich eigentlich nur Geld. Wenn es komplett ausgelagert wäre, dann wäre es billiger. Es ist für mich eher ein Ausgleich. Ich verdiene mein Geld mit der Biogasproduktion. Bei den meisten ist das nicht so, die kommen noch viel mehr aus der Landwirtschaft und da heißt es: ›Wer Fläche hat, ist der King‹.« Doch Martin Huber bezeichnet sich als Energiewirt.

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Die Idee zum Nahwärmenetz Die Änderungen der Förderung hinsichtlich der Kraft-Wärme-Kopplung im EEG mit dem Inkrafttreten der Novelle 2009 waren bereits ein Jahr zuvor bekannt. Dies brachte Martin Huber und seine Familie auf die Idee, das Dorf selbst mit einem eigenen Nahwärmenetz zu beheizen. Anfangs zeigten 20 weitere Haushalte Interesse. Somit wurde 2008 die Anlage erweitert. Damals hatte das Team um Martin Huber nach eigenen Angaben überhaupt keine Ahnung. Ähnlich wie beim Bau der Biogasanlage galt daher auch für das Nahwärmenetz: Learning-by-Doing und möglichst viel selbst installieren, planen, bauen. Besonders wichtig ist es, so Anlagenbetreiber Martin Huber, sich mit der Kommune zu einigen, auf deren Grundstück die Wärmeleitungen verlegt werden. Martin Huber hat daher sehr viel Mühe in die konzeptionelle Planungsarbeit gesteckt. Insgesamt hat das Team einen Zeitraum von ca. einem Jahr für das komplette Nahwärmenetz veranschlagt, also von dem eigentlichen Entschluss bis zur Inbetriebnahme. Die erste Phase bedeutete intensive Öffentlichkeitsarbeit: »Ganz klar – das ist das Wichtigste! Du musst die Leute ins Boot holen, musst sie von der Idee überzeugen!« Glücklicherweise stellten sich Martin Huber gleich einige Freiwillige als Team zur Verfügung, »die uns Arbeit abgenommen haben und Lust drauf hatten, sich da mit reinzuhängen«. Ein Dreivierteljahr waren die jungen Unternehmer Martin Huber und sein Team mit der eigentlichen Planungsarbeit beschäftigt, was bedeutete: Anträge für Zuschüsse schreiben, die Genossenschaftsgründung, dann die Bauphase, in der die Wärmeleitungen verlegt und die Häuser im Einzelnen bearbeitet wurden, »also ein Jahr – aber das meiste davon Theorie!« Um ein solches Wärmenetz bauen zu können, bedarf es natürlich finanzieller Unterstützung. In Deutschland sind hierfür bestimmte Förderprogramme vor allem von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vorgesehen. Diese Gelder sollen allgemein dafür verwendet werden, den CO2-Ausstoß in Deutschland zu verringern. Dabei ist ein Nahwärmenetz eine der günstigsten Möglichkeiten und zusätzlich bringt er auch noch ein wenig Kaufkraft aufs Land (vgl. Kreditvergabe und Finanzierung einer Biogasanlage). Die Gemeinde Kleinschwalbenheim ist eine der ersten bundesweit, die ein solches Förderprogramm der KfW in Anspruch genommen hat. Die jungen Unternehmer haben den Antrag im Juni 2009 gestellt und im Oktober 2009 wurde er genehmigt. Das sogenannte Förderprogramm Erneuerbare-Energien-Premium (vgl. KfW o. J.) gibt es allerdings erst seit Anfang 2009, und es wurde später aufgestockt. Insgesamt handelt es sich um ein recht breit angelegtes Förderprogramm für den Bereich erneuerbare Energien – was zur Folge hat, dass das Personal der KfW sich auf allen Gebieten sehr gut auskennen muss. Durch deren geringe Erfahrung zum damaligen Zeitpunkt war es jedoch auf beiden Seiten ein kleines Abenteuer : »Wir hatten den Eindruck,

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dass da nur wenige Bescheid wussten bei der KfW. Es ging immer hin und her : Wir wollten etwas von ihnen übermittelt bekommen, wie sie sich das so vorstellen – umgekehrt haben wir ihnen dann Rückmeldung gegeben, wie das denn überhaupt machbar ist. Theorie und Praxis sind bekannterweise zwei verschiedene Paar Schuhe. Da haben wir damals schon viel telefoniert und da ist denen auch so manches Problem erst klargeworden, was sich da so ergibt aus ihren Vorgaben.« Hier zeigt sich, dass beide Seiten noch Erfahrungen sammeln mussten.

Wissen und Expertensysteme in Kombination mit dörflicher Gemeinschaft Wie bereits angesprochen hat Martin Hubers Team alles eigenständig geplant, selbst entworfen und umgesetzt, obwohl anfangs keiner in der Konzeption eines Wärmenetzes erfahren war. Es gilt hervorzuheben, dass es auch im Umkreis kaum Leute gab, die ihnen hätten weiterhelfen können, da die nötige Expertise und Qualifikation zum damaligen Zeitpunkt (noch) nicht vorhanden war. So ist das Team um Martin Huber »in das Ganze reingewachsen und verwurzelt und haben echt ganz viel gelernt«. Von Elektrik über Heizungsbau, Bauleitungsbau, Verfahrenstechnik – Bereiche, die sie zwar theoretisch teilweise durch das Studium kannten und die man nach ihren Angaben natürlich auch extern machen lassen kann – haben sie selbst angewandt und umgesetzt. »Es hat uns so interessiert, wir arbeiten uns da ein und versuchen das dann selber optimal zu machen. Es ist ein so vielseitiges Gebiet!« Die technische Ausgestaltung hat sich dabei als stetiger Prozess der Anpassung, Optimierung und Innovation erwiesen. Martin Hubers Team hat immer wieder etwas »umgebaut, da hat immer irgendetwas nicht gut funktioniert oder uns ist was Besseres eingefallen oder es gab eine bessere, ausgefeiltere Technik. Zwischendurch haben wir immer wieder Störungen behoben etc. Ja, das haben wir dann selber verändert oder verbessert. Wenn wir die Zeit hätten, dann könnten wir auch mittlerweile schon 10 bis 15 Komponenten verkaufen, die wir verändert oder entwickelt haben, viele andere könnten das auch brauchen.« Aber zur direkten Vermarktung dieses Wissens gibt es keine wirklichen Ambitionen. Dass sie inzwischen in die Expertenrolle hineingewachsen sind, war für sie überraschend: »Wir sind da regelrecht überrannt worden, keiner hat sich das so vorgestellt.« Martin Huber übernimmt derzeit aufgrund seiner Erfahrungen und der erlangten Expertise die konzeptionelle Planung für andere Nahwärmenetze im Umkreis und berät interessierte Gemeinden in der Region. Wissen zurückzugeben heißt aber nicht Wissen zu vermarkten. Außerdem überlegt Huber, seine Masterarbeit mit einer Art Handbuch bzw. Leitfaden für Biogasanlagen in Kombination mit Nahwärmenetzen zu schreiben.

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Er würde gerne seine Erfahrungen und Erlebnisse weitergeben, um Hilfestellung zu leisten bzw. Fehler zu vermeiden. Speziell denkt Martin Huber in Dimensionen regionaler Wiedereinbettung und Wertschöpfung: »Junge Leute gehen in die Stadt, studieren und fühlen sich dann schon auch verpflichtet, das Wissen wieder zurückzubringen und damit was zu bewirken, dort, wo sie herkommen. So ist das bei mir schon auch!« Er bezeichnet dies als »Wissenstransfer«, denn es handelt sich um Wissen, das man sich außerhalb der Region angeeignet hat und »wieder zurückbringt aufs Land«. Die Beschreibung dieser Gruppe von jungen Energiewirten darf aber nicht auf eine Skizze von technikbegabten Bastlern reduziert werden. Martin Huber und seine Familie sind Unternehmer – heute noch mehr als zu Zeiten des alten Hofs. Und sie bewegen sich in einer Branche, die in hohem Maße politisch reguliert ist und die – das kann man zumindest für den Fall der EnergieLandwirtschaft, wenn nicht gar für Landwirtschaft im Allgemeinen sagen – ohne staatlich koordinierte Kreditprogramme und Subventionen sicher nicht wirtschaftlich funktionieren könnte. Auch hier ist es Wissen, das verlangt wird, aber weniger das technische Finden und Probieren, sondern ganz andere Arten von Kompetenzen. Zum ingenieurswissenschaftlichen Knowledge-Worker kommt ein Verständnis für bürokratische Verfahren und Programme, wie es inzwischen aus der Projektverwaltungsarbeit bekannt ist. Letzteres erscheint eine besonders wichtige Kompetenz in einem politisch regulierten Regime wie dem der Energiewirtschaft.

Lokale, dörfliche Gemeinschaft: Vertrauen und Vertrautheit »Aber es haben so viele mitgemacht! Die haben gesagt: Da bin ich dabei, da diskutieren wir gar nicht, es hat mich echt überrascht, wie der Zusammenhalt plötzlich da war. Das hätte ich mir so nicht vorgestellt vorher – nie!« (Martin Huber, Biogasanlagenbetreiber)

Die Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit in der Dorfgemeinschaft erscheint für die Umsetzung der Nahwärmenetz-Idee der Dreh und Angelpunkt zu sein. Insgesamt gab es in Kleinschwalbenheim vier große Dorfversammlungen, ausgegliedert in die Blöcke Technik, Gesellschaft, Finanzen – und dann die Gründung der Genossenschaft. Zusätzlich bildete sich eine Planungsgruppe, die im Zweiwochentakt von Anfang Mai bis Anfang Oktober 2009 tagte. Auch einige Gemeinderäte waren Teil der Planungsgruppe, sodass es eine Verflechtung mit dem Gemeinderatsgremium gab. Allerdings spielte es eine große Rolle, dass die Planungsgruppe nicht der offizielle Gemeinderat war. Es handelte sich vielmehr um eine heterogene Gruppe Interessierter, die das Projekt voranbringen wollten: »Die einen waren Rentner, die früher am Bau gearbeitet haben und helfen

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wollten, die anderen waren zum Beispiel ein Elektro-Ingenieur, und zwei Banker waren auch dabei. Das war dann eine gute Mischung!« Während der diversen Treffen wurde gemeinsam geplant, diskutiert und die verschiedenen Ergebnisse aus den jeweiligen Bereichen zusammengetragen. Somit »stand zum Schluss das Ganze und war auf viele Schultern verteilt. Das fällt vielen [aus der Gemeinde, FS] leichter zu akzeptieren.« Es gab verschiedene Ansprechpartner, die alle in den Prozess mit eingebunden waren. Martin Huber ist bei der Öffentlichkeitsarbeit aufgefallen, dass es sehr wichtig ist, sich für sämtliche Fragen der Gemeinde Zeit zu nehmen und am besten auf jede Frage eine Antwort zu wissen, auch wenn öfter die gleichen Fragen gestellt werden und es schwierig ist zu vermitteln, wie das Wärmenetz später aussehen soll, oder was es für jeden einzelnen Haushalt bedeutet, die Leitungen zu verlegen und eine neue Heizung einzubauen. Aber genau darin liegt die Herausforderung. Man muss Vertrauenswürdigkeit schaffen durch Know-how : »Man hat’s hundertmal erklären können und die haben das eigentlich auch schon mal auf einem Bild gesehen, aber die konnten sich das nicht vorstellen, wie das da drin ausschaut. Wenn man was anfassen kann, dann ist’s was anderes. Darum haben wir hinten [bei der Biogasanlage, FS] zum Beispiel auch ein Schnittmodell von dem Speicher bei der Übergabestation.« Die Gründung der Genossenschaft Vor diesem Hintergrund war die Gründung der eingetragenen Genossenschaft Nahwärme Kleinschwalbenheim eG eine wichtige Grundlage für die Demokratiefähigkeit der Gemeinde und erzeugte Vertrauen und Transparenz für das Wärmenetzprojekt: »Eine ganz normale Genossenschaft mit allem Drum und Dran, was dazugehört. Das kennen die Leute von ihrem Sportverein oder aus der Trocknungsgenossenschaft von früher her – da wissen sie, was sie damit anfangen können.« Eine Genossenschaft besteht aus drei Organen: Vorstand, Aufsichtsrat und die Generalversammlung. Alle 70 Haushalte sind gleichberechtigte Wärmeabnehmer und wählen mit je einer Stimme zwei Vorstandsmitglieder und drei Aufsichtsratsmitglieder. Der Genossenschaftsvorstand wurde so auf fünf Schultern aufgeteilt, jeder hatte seinen Fachbereich: von Bau und Planung über Finanzen bis hin zu organisatorischen Aufgaben. Bei Entscheidungen gilt der Mehrheitsbeschluss. »Wir wollten ja eigentlich auch ursprünglich eher so was wie eine AG oder eine GmbH machen, weil wir gedacht haben, das ist eigentlich moderner und passt vielleicht besser. Aber in dem Fall war es wichtiger, dass die Leute sich daheim fühlen in der Gesellschaft und da haben wir die Genossenschaft gemacht. Im Nachhinein war’s auf jeden Fall richtig.« Die Überzeugungsarbeit klappt nach Martin Hubers Auffassung besser, wenn die Bewohner Vertrauen haben und »dich bereits als Kind schon kennen«.

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Es kann hier allerdings nicht geleugnet werden, dass auch Konflikte innerhalb der Gemeinde und zwischen den Landwirten in der Umgebung existieren. Gerade weil Martin Huber und seine Familie durch den Energiebetrieb ein verhältnismäßig hohes Einkommen haben, gibt es einige Neider aus anderen landwirtschaftlichen Betrieben. Auch deshalb sei der Entschluss zur Gründung der Genossenschaft ein Mittel gegen Neid und eine Besänftigung gewesen: »Ich bin gleichberechtigt, ich bin Partner und Kollege, die sehen mich ab und an mit dem Bulldog vorbeifahren. Das ist eine ganz andere Beziehung, auch wenn’s faktisch nicht so ist, aber vom Gefühl her für die Leute, sie handeln mit Gleichberechtigten, mit Gleichgesinnten. Das macht’s einfacher für sie.« Außerdem hat Martin Hubers Familie bereits im Vorfeld des Baus des Wärmenetzes versucht, das Vertrauen der umliegenden Landwirte für sich zu gewinnen. Für die Bestückung der Biogasanlage hat sie mit allen Landwirten aus der Gegend kooperiert. Es war immer wichtig, nicht gegen sie zu arbeiten. Die Idee lag darin, sie alle gleichermaßen in die Ernte mit einzubinden und ihnen die Biomasse zuverlässig über das ganze Jahr hinweg abzukaufen. So verkaufen die anderen Landwirte ihren Mais, ihr Getreide und ihre Gülle an die Familie. Sie schätzen die stabile Partnerschaft. »Da ist ein Vertrauensvorschuss bzw. Vertrauensbasis da. Und sie nehmen es mir dann auch nicht so übel – die wissen hier ja auch, wie viel Umsatz wir machen und dass wir gutes Geld verdienen … Da sind sicher auch manche neidisch, aber wir verkraften das und können so auch als Landwirte besser damit umgehen, als wenn ich da nun jemand von woanders her wär, der hier die Biogasanlage gebaut hat und jetzt hier von ihnen was kaufen will.« Somit sind es bekannte und vertraute Experten, die das Projekt umsetzen und betreuen. So erklärt Martin Huber sich auch den Umstand, dass sich die Kommune an dem Projekt beteiligte, schließlich ist es bemerkenswert, dass die einzelnen Dorfbewohner sich alle auf das Nahwärmeprojekt in dieser Preisklasse eingelassen haben. Die Verwirklichung des Projektes ist nur mithilfe der folgenden Voraussetzungen möglich. Zunächst bedarf es Experten als Initiatoren, die sich mit der Materie auskennen und das für die Umsetzung des Projektes notwendige Wissen über ein Studium angeeignet haben. Des Weiteren müssen diese sich bestens mit der politischen Seite, dem EEG und der Finanzierung, den Fördermitteln und Ähnlichem auskennen. Man könnte hier mit Giddens (1997) durchaus von einem Expertensystem sprechen. Allerdings – und das ist die Herausforderung – kann auf der anderen Seite dieses Expertensystem nicht ohne die Einbettung in die dörfliche Gemeinschaft agieren: Vertrauen und Vertrautheit, Genossenschaft. Ich unterstelle diesem Projekt also eine enorme Abhängigkeit dieser beiden beschriebenen Voraussetzungen, die nur in Verbindung miteinander eine Umsetzbarkeit erfahren. Es besteht ein starker Strukturierungszusammenhang dieser beiden Punkte, der abhängig ist von Konstellationen, die weder das Dorf noch irgendeiner der

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Akteure beeinflussen können: Beispielsweise ließe sich annehmen, dass die Umsetzung des Projekts ab einer gewissen Größe der Gemeinde komplizierter und nur schwer durchführbar gewesen wäre oder dass ohne politische und finanzielle Förderung das gesamte Vorhaben hätte scheitern können. Es ist schließlich nicht so, dass die Gemeindemitglieder – die Laien – das Expertensystem Nahwärmenetz und Biogasanlage völlig ohne Skepsis und Nachfragen annehmen. Vielmehr ist es die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Initiatoren, in der Gemeinde allseits bekannt und vertraut, die es letztendlich möglich macht, dass 70 Haushalte energieautark werden. Für die Experten ist diese Arbeit mit viel Geduld und Zeit verbunden, Unklarheiten auszuräumen und viele, mitunter für die Experten wenig nachvollziehbare Fragen, mehrmals zu beantworten: »Die Vorstellungen der Leute sind anfangs kaum denkbar, wie zum Beispiel: ›Aber stinken dann die Heizkörper?‹ Oder : ›Ich will aber kein Gas bei mir im Haus!‹« Die Energieversorgung Kleinschwalbenheim funktioniert nur dadurch, dass viele Akteure mit und über verschiedene Anforderungen vernetzt und verbunden werden. Weder manageriales Entscheidungshandeln noch soziale Kooperation allein könnten ein derartiges Ergebnis hervorbringen. Die auf Vertrautheit basierende unternehmerische Entscheidung zum einen, die solidarische Risikoübernahme zum anderen sind aufeinander angewiesen. Eine kleine Gruppe von jungen Unternehmern, selbst über Familie oder Freundschaft miteinander verbunden, ging das Risiko ein und verknüpfte ihr jeweils persönliches Schicksal mit der Umstellung Kleinschwalbenheims auf Bioenergie. In dieser Gruppe treffen sich die bereits geschilderten essentiellen Anforderungen zur produktiven Verarbeitung der Herausforderung dezentrale Energie – Bioenergiedorf. Diese Gruppe von Mittzwanzigern brachte den nötigen Mut und das Finanzkapital auf. Wichtiger aber noch, erst als Team verschafften sie sich das nötige Know-how, eine moderne Energieinfrastruktur zu planen und umzusetzen. Ohne tief mit den dörflichen Strukturen und der dörflichen Gemeinschaft verwurzelt und lokal verbunden zu sein, sei die Umsetzung undenkbar. Die Voraussetzungen des beschriebenen Falls dürften dadurch nur allzu offensichtlich sein. Risikobereitschaft, Charisma, dörflicher Zusammenhalt, technologisches Wissen, personale Netzwerke und Solidarität bilden in Kleinschwalbenheim den Keimboden für die erfolgreiche Umsetzung eines sehr anspruchsvollen Projekts, das sprichwörtlich seine Spuren bis in die Haushalte jedes einzelnen Dorfbewohners zieht. Diese Neustrukturierung dörflichen Zusammenlebens ist erstrangig politisch induziert. Es geht um eine Umstellung von Landwirtschaft auf Energiewirtschaft, die ganz wesentlich durch das EEG ermöglicht und durch seine Novellen und angegliederten Kreditprogramme geprägt wird.

Kapitel 6: Energo-Formationen: Biogas – Macht – Land

In dieser Studie geht es um einen politisch induzierten Transformationsprozess und dessen Effekte und unbeabsichtigten Nebenfolgen am Beispiel von Energieerzeugung mittels Biogas im Nördlinger Ries. Dieser wurde auch durch den landwirtschaftlichen Strukturwandel hervorgerufen. Wie schon in den vorausgegangenen Kapiteln deutlich wurde, ist der Ausbau erneuerbarer Energien und somit Energieerzeugung mittels Biomasse Bestandteil des politischen Projekts der Energiewende. In diesem Zusammenhang muss die messiness der Energiewende hervorgehoben werden, die sich durch alle Bereiche des Forschungsfeldes und auch dieser Studie zieht. Daher ist es von Bedeutung, diese messiness nicht als einen bedauernswerten Nebeneffekt anzusehen, sondern, wie Stefan Beck vorschlägt, sie vielmehr als einen sozialen Prozess zu fassen, der grundlegende wirtschaftliche, rechtliche, kulturelle, soziale, moralische und materielle Veränderungen hervorbringt, die einen vermehrt unplanbaren Charakter haben (Beck 2013, 2). So kann die Energiewende nicht nur als ein soziotechnisches Problem erfasst werden, sondern als ein Prozess, der nichts weniger ist als »an existential revolution in the ways of life of one of the more advanced industrial societies« (Beck 2013, 2; vgl. Nader 2010). In Anlehnung an Beck (2013, 3) lässt sich argumentieren, dass gerade die überraschenden und unbeabsichtigten Effekte aus einer anthropologischen Perspektive zur Erkenntnis von nicht hinterfragten und fest verwurzelten Verständnissen, Verhaltensformen und Mustern von Praxis in einer modernen industrialisierten Gesellschaft führen können. Die vergleichenden Analysen der lokalen, regionalen oder nationalen Besonderheiten oder »Pfadabhängigkeiten« (vgl. Pierson 2000) sind unersetzlich, damit die messiness von Infrastrukturierungsprozessen erfasst wird, also auch die entscheidenden Heterogenitäten und Widersprüche in den Fokus der Beobachtung genommen werden können (Beck 2013). Infrastrukturierungsprozesse sind nach Niewöhner lernende Prozesse, die »Tendenzen [verkörpern], Konflikte in die eine und nicht eine andere Richtung aufzulösen« (Niewöhner 2014, 344ff.). Bei dieser Herangehensweise geht es darum, die Effekte dieser Prozesse

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Energo-Formationen: Biogas – Macht – Land

daraufhin zu betrachten, welchen Umgang mit Konflikten sie nicht nur möglich machen und erzeugen, sondern auch rechtfertigen. Dabei ist Infrastrukturierung nicht trivial, denn es handelt sich immer um Prozesse, die auf Feedback reagieren und die durch die Prozesse, die in ihnen und durch sie ablaufen, selbst verändert werden. Somit rückt die Gestaltungspraxis von Wechselwirkungsprozessen und Austauschbeziehungen in den Vordergrund. Niewöhner begreift diese Prozesse der Infrastrukturierung als Versuch einer spezifischen Vernetzung von Akteuren, Technologien und Ordnungen (vgl. Niewöhner 2014). Diese spielen sich in dieser Studie als Teil der Energo-Formationen ab (vgl. Boyer 2011) – also einer machtpolitischen Konstellation. Bereits der Historiker Timothy Mitchell hat in seinem Aufsatz »Carbon Democracy« (2009) darauf aufmerksam gemacht, dass sich nur durch politische Machtgefüge moderne westliche Demokratien in Abhängigkeit von Kohlenstoff-Energiesystemen entwickelt und geformt haben (vgl. Mitchell 2009). Hier setzt Dominic Boyers Konzept an, das für die vorliegende Studie produktiv angewendet wird, denn Ausgangspunkt ist auch hier die Annahme einer engen Verzahnung von Machtkonstellationen von Energiesystemen mit alltäglichen Lebenswelten (vgl. Boyer 2011 und 2014). Dominic Boyers Aufforderung folgend, sich anthropologisch informiert mit »the intersection of energic forces and fuels with projects of governance and self-governance across the world today« auseinanderzusetzen (Boyer 2014, 310), kann dies wie folgt für die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Studie übertragen werden. Die Projektförmigkeit dieser governance(-Strukturen) soll zu diesem Zweck besonders betont werden, denn es handelt sich nicht um irgendwelche Formen oder Regime, sondern um Projekte von governance und self-governance across the world. Projekte, also temporäre Handlungszusammenhänge von Akteuren, gelten als Ursache für eine grundlegende Transformation der sozialen Beziehungen und ihrer räumlichen Bezüge (vgl. Lottermann/Welz 2009 und Faßler 2008). Anna Lowenhaupt Tsing begreift Projekte als vergängliche Zusammenballungen von Deutungen und Strategien, und zwar »relatively coherent bundles of ideas and practices that are realized in particular times and places […]. Projects may articulate with each other, creating moments of fabled stability and power. They may also rub up against each other awkwardly, creating messiness and new possibilities« (Tsing 2002, 472). Projekte können sich also auch aneinander reiben und neue Momente erzeugen. Für Anna Lowenhaupt Tsing sind diese Momente entgegengesetzte, situative Verbindungen von Beziehungen, die Möglichkeiten für soziale Transformations- und Veränderungsprozesse des politischen Machtgefüges mit sich bringen: »the akward, unequal, unstable and creative qualities of interconnection across differences« (Tsing 2005, 4). Unterschiedliche Akteursgruppen mit verschiedenen Zielen schließen sich auf-

Formationen bestehender Energopower

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grund von Notwendigkeiten zusammen, was in der vorliegenden Arbeit unter anderem am Beispiel des Wutbürgertums, des NIMBY-Syndroms, aber auch des Bioenergiedorfs deutlich wird. Es handelt sich hierbei um Projekte mit unterschiedlichen Akteuren, internen Zusammenhängen, Organisationsstrukturen, Zielen und Kopplungen. Letztlich geht es in der vorliegenden Studie genau darum, nämlich zu untersuchen, in welcher Weise spezifische Formen der Energieproduktion und deren Materialitäten, die konkret in der Energiegewinnung Verwendung finden (Energiewende, erneuerbare Energien: Biomasse) [Energopower], jeweils mit spezifischen politischen Projekten der verschiedenen Regierungsformen und Formen des Regierens und des Sich-Selbst-Regulierens (beispielsweise dem Erneuerbare-Energien-Gesetz oder aber Energieautarkie oder Protest) [Energopolitics] zusammengehen, sich entwickeln, diese erzeugen, möglich machen oder auch verhindern. Beobachtbar wird dies anhand von Energopractices, also den Handlungsweisen, Effekten und Nebenfolgen, die durch die Auseinandersetzung mit dem empirischen Material offengelegt werden. Hier werde ich aus diesen Gründen eine Übertragung der in Kapitel 3 vorgestellten theoretischen Konzepte auf die eigenen Forschungsergebnisse vornehmen. Überlegungen von Dominic Boyer (2011 und 2014) und Stefan Beck (2013) folgend geht es darum, welche Formationen von Energopower, Energopolitics und Energopractices sich am Beispiel der Energieerzeugung mittels Biomasse im Nördlinger Ries manifestieren. An dieser Stelle wird bereits deutlich – und dies soll hier besonders hervorgehoben werden – dass es sich bei Energo-Formationen um kein statisches Konzept oder reine Analysekategorien handelt, sondern vielmehr ganz im Sinne einer Re-Energizing Anthropology wechselseitige, reziproke Akteur-NetzwerkKonstellationen einander bedingen, hervorrufen, möglich machen, aber auch blockieren und verhindern (vgl. Callon 1986/2006, Latour 1996a und 1996b). Das Augenmerk liegt damit darauf, welche Spezifika sich ausgehend von dem empirischen Material für das Forschungsgebiet Nördlinger Ries herauskristallisieren. Weiterhin sollen die Besonderheiten für Energieerzeugung mittels Biogas erörtert werden, um Rückschlüsse auf Entwicklungen zu treffen, die für die Energiewende in Deutschland allgemein gelten.

Formationen bestehender Energopower Unter Formationen von Energopower wird in der vorliegenden Studie der gesellschaftliche und kulturelle Kontext gefasst. Konkret übertragen auf mein Forschungsfeld ist dies die Energiewende in Deutschland. Weiterhin bezeichne ich auch die für die Energiewende nötigen Energieproduktionstechnologien und

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Energo-Formationen: Biogas – Macht – Land

deren Materialität als Energopower-Formation. Ferner betreffen Formationen von Energopower Diskurse über Natur und Kultur sowie die im Zeitalter des Anthropozän notwendige Neudefinition menschlicher Beziehungen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, das eigenständige Hinterfragen der Kompetenz der Behörden und Institutionen, um über Themen wie Klimawandel, Nachhaltigkeit und die Energiewende der Industriegesellschaften zu urteilen.

Die Energiewende als Energopower-Formation Kurz gefasst lässt sich unter der Energiewende das politische Projekt verstehen, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, bis 2050 die Energieproduktion und -konsumption in Deutschland von fossilen und nuklearen Energieträgern auf erneuerbare Energieträger umzustellen. Um dies zu ermöglichen, wurden finanzielle Anreize durchgesetzt, bestimmte Ordnungsprinzipien eingeführt und spezielle Technologien gefördert. Die Energiewende ist ein vielschichtiges Projekt, in dem veränderte politische Sachlagen, Feedback-Effekte oder reziproke Entwicklungen Nebenfolgen generieren, die dann wieder Teil des gesamten Projekts werden. Verfolgt man die derzeitige politische Diskussion zur Energiewende in Deutschland, so wird aus meinem empirischen Material deutlich, dass der Bereich der Produktion erneuerbarer Energien mit starken strukturellen Veränderungen verbunden ist. Einerseits entstehen Chancen und Risiken in Bezug auf die jeweilige Landnutzung, andererseits kommt es zu weitreichenden Folgen und Einschnitten der lebensweltlichen Bereiche der Regionen, in denen Technologien zur Erzeugung erneuerbarer Energien wie Biogas, Photovoltaik oder Windenergie implementiert werden. Für eine kulturanthropologische Auseinandersetzung im Sinne einer Re-Energizing Anthropology ist es produktiv, diese energo-politisch induzierten Transformationsprozesse hinsichtlich ihrer Effekte, Konsequenzen und Nebenfolgen zu untersuchen. Auch anhand meines empirischen Materials lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Energiewende zu einem Projekt wurde, das weit über den durch die Politik definierten Rahmen hinausreicht, multi-direktional verläuft, (wachsende und) verschiedene Gruppen von Akteuren und Aktanten umfasst, die nicht notwendigerweise Teil der ursprünglichen Projektplanung waren, verschiedene Aneignungspraktiken und Folgeregime nach sich zieht, über eine nicht simpel reduzierbare Vielschichtigkeit verfügt und somit eine verstrickte Unordnung – messiness – besitzt. Für Stefan Beck ist es eben schlicht diese messiness, also die Unordnung der Energiewende, welche die Energiewende zum idealen Forschungsfeld für Anthropologen werden lässt. Die augenfälligen Fehler der Regierung, aber genauso ihr überraschender Erfolg erlauben Einblicke in für gegeben genommene, größtenteils verdeckte Handlungsmuster

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(Beck 2013, 2). Die Energiewende enthüllt, was Beck als »kosmologische Orientierungen verschiedener Akteure auf allen Ebenen« bezeichnet und was in seinen Augen unerwartete soziale Innovationen hervorbringt. Mit dem Atomausstieg nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima wurde die bereits voranschreitende Energiewende sogar noch beschleunigt, die Deutschland mindestens die nächsten 20 Jahre beschäftigen wird.128

Der Strukturwandel der Landwirtschaft als Formation von Energopower In dieser Studie sind Energiewirtschaft und Landwirtschaft durch Energieerzeugung mittels Biogas eng miteinander verknüpft und können gar nicht getrennt voneinander gedacht werden. Daher werde ich im Folgenden den Strukturwandel der Landwirtschaft als eine Energopower-Formation fassen – also als einen zusätzlichen gesellschaftlichen, kulturellen Kontext, ohne den diese Form der Energieerzeugung und ganz speziell der Biogasboom in der Forschungsregion nicht denkbar wäre. Seit den 1950er Jahren wurde menschliche Arbeitskraft aufgrund der zunehmenden Mechanisierung der Landwirtschaft und der damit verbundenen Kapitalisierung der Produktion durch Agrartechnik ersetzt. Die Zahl der Arbeitskräfte und der Betriebe nahm stetig ab, hingegen stiegen die landwirtschaftliche Nutzfläche und die Tierbestände pro Betrieb kontinuierlich an. In den vergangenen Jahren fassten immer mehr Landwirte den Entschluss, den landwirtschaftlichen Betrieb nicht mehr weiterzuführen.129 Mit den zunehmenden Kosten für Arbeit, Boden und Kapital wurden Landwirte weg von Betrieben mit gemischter Viehhaltung und vielseitiger Ackernutzung hin zu einer immer stärkeren Spezialisierung getrieben.130 Neben dem seit Jahren anhaltenden Hofsterben lässt sich zeitgleich das Wachstum der verbleibenden Betriebe belegen. Eine idyllische Landwirtschaft mit Kleinbauern erscheint medial vermittelt als Ideal und begegnet einem in unterschiedlichsten Kontexten wie politischen

128 Im europäischen Vergleich spielt Deutschland hierbei eine Sonderrolle bzw. nimmt eine Vorbildfunktion ein. In Berlin blickt man zum Teil sehr kritisch auf europäische Vorhaben in der Energiepolitik, wie aus meinen Gesprächen hervorging. 129 Im Landkreis Donau-Ries haben jährlich rund 70 landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben, ca. 3 Prozent jedes Jahr. 130 Weiterhin wurden durch die EU-Agrarpolitik kleinere Höfe zurückgedrängt, weil Subventionen in Form von Flächenprämien vielmehr an Großbetriebe vergeben werden. Der Grund dafür ist, dass die EU sich einen globalen Markt durch die wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln erhofft, um somit konkurrenzfähig mit anderen Nationen zu sein.

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Energo-Formationen: Biogas – Macht – Land

Debatten, Urlaubsplänen oder Unterhaltungen in der Straßenbahn.131 Doch in der Realität ist dies eine überkommene Wunschvorstellung. Hier tritt ein Konfliktpunkt zu Tage, der bei den weiteren Infrastrukturierungsprozessen im Rahmen der Energiewende Auswirkungen nach sich ziehen wird: Landwirtschaft wird in der öffentlichen Diskussion häufig immer noch mit der klassischen, kleinbäuerlichen Nahrungsmittelproduktion in Verbindung gebracht. Eine Vorstellung, die in Deutschland schon lange nicht mehr zutrifft. Ohne die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen ist jedoch das Projekt der Energiewende nicht durchführbar. Widerstand und moralische Einwände seitens der Öffentlichkeit führen zu neuen Aushandlungsprozessen um die Flächennutzung. Energieerzeugung mittels Biogas wird aber wohl in Zukunft der ökonomisch bedeutendste Bereich für viele Landwirte der Forschungsregion sein. Auch spielt eine emotionale Komponente, die hier durchaus als Teil eines Infrastrukturierungsprozesses bezeichnet werden kann, für den Entschluss zur Energieerzeugung mittels Biogas eine Rolle: Landwirte sind in der Lage, ihren landwirtschaftlichen Betrieb weiterzuführen, in ähnlichen Routinen zu arbeiten, ihre Fahrzeuge zu nutzen und dadurch aus dem ererbten Betrieb etwas Neues, Gewinnbringendes zu entwickeln. Ferner begünstigt die gute Qualität des Bodens im Nördlinger Ries und die Innovationsfähigkeit der jungen Unternehmer die Entwicklung zu vermehrter Energieerzeugung mittels Biogas. Auf einer abstrakteren Ebene gesehen, könnte die Nutzung von Biogas dazu beitragen, dass Fläche auf dem Agrarweltmarkt nicht für die Lebensmittel-, sondern für die Energieversorgung verwendet wird. Dies stellt eine Möglichkeit dar, den europäischen landwirtschaftlichen Subventionierungen entgegenzuwirken: Ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche muss somit nicht für die Lebensmittelproduktion verwendet werden. Dies jedoch ist in der öffentlichen Diskussion mit zahlreichen moralischen Einwänden behaftet, weil Landwirtschaft (immer noch) vorwiegend mit Lebensmittelproduktion in Verbindung gebracht wird.

Die Form der Energieerzeugung – Biomasse – als Formation von Energopower Wie deutlich wurde, sind Energiewirtschaft und Landwirtschaft in dieser Studie aufs Engste miteinander verzahnt, da die Form der Energieerzeugung mittels Biogas – im Gegensatz zu Windkraft und Photovoltaik – unmittelbar mit landwirtschaftlichen Produktionstechniken und -mechanismen verknüpft ist. Es geht also auch darum, hervorzuheben, dass hier die Verbindung von Ener131 Man kann sogar so weit gehen und von soziale Gruppierungen übergreifenden Kollektivimaginationen sprechen.

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gieproduktionstechnologien und deren Materialität erlaubt, Schlüsse auf ungewollte Effekte und Nebenfolgen zu ziehen. Das wortwörtliche »Füttern« der Anlage funktioniert nur durch den landwirtschaftlichen Anbau des »Futtermittels«, also der Biomasse. Was in der konventionellen Landwirtschaft als Futtermittel für die Tierzucht verwendet wurde, wird heute eingesetzt zum »Füttern« der Anlage. Die Wortwahl bleibt die gleiche, genauso wie die landwirtschaftlichen Produktions- und Anbautechniken unverändert bleiben. Gerade diese materielle Form des Substrats vereint verschiedene Diskurse und Konfliktpunkte: Vermaisung, Pachtkampf, Umbruch von Grünland – die beispielsweise bei der Energiegewinnung aus Photovoltaik oder Windkraft nicht in den Vordergrund treten bzw. sichtbar werden, die sich aber wiederum infrastrukturierend in Bezug auf die jeweiligen Ausgangsvoraussetzungen auf die Forschungsregion auswirken.

Formationen lokaler Energopower: Die lokale Zeitung und das Landwirtschaftsamt Weiterhin ist in der vorliegenden Studie nicht nur von übergeordneten Formationen von Energopower – wie der Energiewende und dem Strukturwandel in der Landwirtschaft – sondern auch von lokalen Formationen von Energopower auszugehen. Hiermit, so lässt sich aus dem empirischen Material folgern, ist vor allem die Rolle der lokalen Zeitung, den Rieser Nachrichten, und des Landwirtschaftsamtes gemeint, die in ihren jeweiligen Funktionen und durch ihre Handlungsweisen durchaus spezifisch für die Forschungsregion sind, wenn es um Energieerzeugung mittels Biogas geht. Die lokale Tageszeitung Rieser Nachrichten erfüllt in der Forschungsregion einen zentralen und vor allem öffentlichkeitswirksamen Zweck. Für viele Bewohner dient sie als essentieller Referenz- und Anhaltspunkt der persönlichen Meinungsbildung. Diese Tatsache stellt eine spezifische Ausgangssituation für die Forschungsregion dar, vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass gerade die Auflagen der Printmedien aktuell eher rückläufig sind, ihre meinungsbildende Relevanz hinterfragt wird und die Bereitstellung von Nachrichten und Informationen von digitalen Angeboten übernommen wird. In der Forschungsregion hat die Regionalzeitung noch eine überraschend starke Position. Mit emotional stark besetzten Begrifflichkeiten und Metaphern appelliert die konservative Tageszeitung an die Verbundenheit der Bevölkerung mit der Region und fordert sie zum »Erhalt der einzigartigen Kulturlandschaft« auf. Infolge dessen vermittelt sie ein eindeutig negativ konnotiertes Stimmungsbild zur Energieerzeugung aus Biogas. Das wiederum befördert ein schlechtes Image der Anlagenbetreiber in der Bevölkerung. Sind Kritikpunkte wie der übermäßige Maisanbau, die Bedrohung vieler

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Tier- und Pflanzenarten oder Lärm- und Geruchsbelästigungen ausgelöst durch die regionale Biogasproduktion durchaus gerechtfertigt, werden sie jedoch in der konservativen Tageszeitung einseitig dargestellt, und erscheinen daher im öffentlichen Meinungs- und Stimmungsbild omnipräsent. Die Bevölkerung in der Forschungsregion ist aufgrund der medialen Darstellung dermaßen sensibilisiert, dass bereits ein kleiner Missstand oder eine kritische Situation seitens der Biogasanlagenbetreiber ausreicht und der Konflikt sich entlädt. Begriffe und Metaphern wie die »Einzigartigkeit des Landschaftsbilds«, der »Erhalt der Kulturlandschaft«, die »regionale Heimat« und »Identität« werden hier instrumentalisiert und die öffentliche Diskussion um die veränderte Land(wirt)schaft wird dadurch stark emotionalisiert. Die Zeitung fungiert hierbei als wirkungsvoller Referenzpunkt für die öffentliche Debatte und man kann durchaus von einem Machtpotential der Darstellungsweise sprechen. Wie in dieser Studie bereits mehrfach deutlich wurde, sind durch Energieerzeugung mittels Biogas zahlreiche Konflikte und ungewollte Effekte als Zeichen der messiness entstanden. Das Landwirtschaftsamt versucht in seiner beratenden Funktion indes, die Wogen in der Forschungsregion durch verstärkte Öffentlichkeits- und Imagearbeit zu glätten: Heftige Diskussionen über Vermaisung, der Pachtkampf ums Maisfeld, große und laute Erntemaschinen, der Umgang mit Pflanzen- und Tierwelt, der Neid anderer Landwirte und nicht zuletzt die hohe Zahl der Anlagen im Nördlinger Ries führten zu diesem konfliktbehafteten, negativen Image der Energieerzeugung mittels Biogas. Durch interne Schulungen wird den Biogasanlagenbetreibern vermittelt, Rücksicht auf die Bevölkerung zu nehmen und ökologisch erstrebenswerte Maßnahmen im Rahmen ihrer Tätigkeit aufzunehmen. Weiterhin tun sich einzelne Anlagenbetreiber durch eigene Öffentlichkeitsarbeit hervor und veranstalten Führungen in ihren Betrieben. Es gehe um ein »Miteinander«, kein »Gegeneinander«, so das Landwirtschaftsamt. In diesem Zusammenhang fordert das Landwirtschaftsamt die Bevölkerungen zu einem fairen Umgang mit den Biogas-Landwirten auf, die als Unternehmer aufgrund des landwirtschaftlichen Drucks marktorientiert handeln und so das Überleben und die Existenz ihrer Betriebe sichern. Gerade an dieser Stelle wird deutlich, wie auch lokale Formationen von Energopower, hier das Beispiel der konservativen Tageszeitung und des Landwirtschaftsamts, in ihrer jeweils wirkungsmächtigen Funktion Infrastrukturierungsprozesse der Energieerzeugung mittels Biogas in der beforschten Region beeinträchtigen, formen, verstärken, ihnen aber auch entgegenwirken können.

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Formationen bestehender Energopolitics Hier werden die grundlegenden politischen Programme, Ordnungsprinzipien und Regierungstechniken dargestellt und diskutiert, genauso wie die verschiedenen Regierungsformen und Formen des Regierens und des Sich-Selbst-Regulierens, die Formationen der Energopolitics, die in meiner Forschung eine Rolle spielen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist in der vorliegenden Arbeit das Schlüsselinstrument und Ordnungsprinzip der Energiewende. Es treibt den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland maßgeblich voran. Ohne die Vergütungssätze und die 20-jährige Sicherheit des EEG hätten Anlagenbetreiber keine derart vorteilhafte Kalkulierbarkeit. Daher gilt das EEG als eine Formation von Energopolitics, die als Instrument der Machtausübung oder als Politische Technologie (Foucault 1991) fungiert.

Das EEG als Energopolitics-Formation Aus meinen empirischen Ergebnissen lässt sich schließen, dass gerade im Bereich der Energieproduktion aus Biomasse durch das EEG zahlreiche Beispiele von unbeabsichtigten Nebenfolgen und entgegengesetzten Handlungsmustern hervorgerufen werden. Der Pachtkampf um das Maisfeld ist nur ein Beispiel. Die Implementierung des EEG ist ein vielschichtiger Prozess, der ganz offensichtlich zu diesen paradoxen und widersprüchlichen Effekten führt. Dreht man an einer Stellschraube mit dem Wunsch, einen bestimmten Effekt zu erzielen, tritt häufig eine andere – unbeabsichtigte – Folge ein. Gerade durch Entscheidungen im EEG 2009 hinsichtlich der hohen Vergütungssätze für erzeugte Bioenergie und den Bonusvergütungen für Biogas, nämlich der Einführung des NawaRo-Bonus in Kombination mit dem Güllebonus, wurden verstärkt Anreize für den Bau und Betrieb neuer Biogasanlagen geschaffen, die aber zugleich Konflikte in Hinblick auf erhöhte Pachtpreise und den vermehrten Anbau von Mais mit sich brachten. In der beforschten Region führte dies zu dem vielfach beschriebenen Biogasboom und den damit einhergehenden unbeabsichtigten Effekten. Mit dem EEG 2012 wurde daher der Versuch unternommen, die Fehlstellungen und unbeabsichtigten Nebenfolgen des EEG 2009 auszubessern. Grundsätzlich jedoch wird es auch in Zukunft immer wieder zu neuen politischen Aushandlungen und Nachbesserungen hinsichtlich der Novellierungen im EEG kommen. Häufig werden die Folgen des Gesetzes erst im Nachhinein sichtbar. Die Aushandlungen zum EEG zwischen den einzelnen Politikbereichen und Akteursgruppen münden in Konflikten. Dies passiert nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in der Forschungsregion Nördlinger Ries, wo dieses Geschehen wie eine Feedback-Schleife in die politische Entscheidungsfindung in

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Berlin mit einfließt. Es geht hier also auch darum, diese Verbindungen und Logiken einer Policy wie dem EEG zwischen den verschiedenen Politikbereichen, den institutionellen Einrichtungen, den Wissens- und Machtkomplexen und den unterschiedlichen Ebenen politischen Handelns (lokal und national) hervorzuheben (vgl. Adam 2011). Auch durch Akteure wie Verbände und Netzwerke, die gerade aus diesen verschiedenartigen Verbindungen entstanden sind, werden neue Machttechniken sowie Handlungsspielräume offensichtlich.132 Zum Tragen kommen diese am Beispiel des politischen Verfahrens zum EGG 2012, das in Berlin als ein hastiges und schnelles Unterfangen aufgrund des Drucks von verschiedenen Akteurs- und Interessengruppen beschrieben wurde. Für ein vielschichtiges Gesetz wie das EEG mit seinen vielen Stellschrauben, die bestimmte – auch ungewollte – Effekte erzielen, müsse man sich für die Bearbeitung Zeit nehmen, so die befragten politischen Akteure, denn »Kreativität lässt sich nicht verordnen«. Allein dieser politische Entscheidungsfindungsprozess zur Novelle 2012 bringt in Berlin unterschiedliche Akteure, Aktanten, institutionelle Gefüge und Diskurse zusammen, die sich dann zu einer Policy formieren (Adam/Vonderau 2014, 22). Bei diesem Prozess jedoch kommt es zu Reibungen und Konflikten. Es handelt sich um vielschichtige Zusammenhänge bei der politischen Entscheidungsfindung zum EEG und seinen permanenten Neuaushandlungen. Das EEG fungiert hierbei als zentrales Instrument und Ordnungsprinzip zum Ausbau und zur Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland und ist, wie gezeigt, einerseits sehr produktiv, andererseits aber auch kontinuierlich umstritten. Das Gesetz selbst besitzt eine Agency in Form von Handlungsvermögen bzw. Handlungsfähigkeit und interagiert als »Aktant« mit anderen »social agents« (Shore et al. 2011, 3). Diese Aushandlungsprozesse sind im Sinne von Infrastrukturierungen als lernende Prozesse zu begreifen (vgl. Niewöhner 2014). Sie treten zu Tage in den regelmäßig auftretenden EEG-Novellierungen, die an die durch bisherige EEG-Ordnungsprozesse entstandenen Effekte und Nebenfolgen anknüpfen und versuchen, diese neu zu strukturieren und zu gestalten.

Die Kreditvergabe und Versicherung als lokale Energopolitics-Formation Als Formationen von Energopolitics gelten in dieser Studie aber auch die Kriterien für die Kreditvergabe für den Bau einer Biogasanlage sowie die Versi132 Für den Biogasbereich lassen sich hier vor allem drei wichtige Interessenverbände ausmachen, die auf Infrastrukturierungsprozesse in Bezug auf Energieerzeugung mittels Biomasse einwirken: der Biogasfachverband, der Biogasrat und der Bauernverband.

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cherungen einer Biogasanlage. Das EEG fungiert als deutsches Gesetz auf nationaler Ebene, die Beratung und Durchführung der Kreditvergabe und der Versicherungen hingegen finden auf lokaler bzw. regionaler Ebene statt. Somit kann man hier, ähnlich wie bei Energopower, zwischen lokalen und nationalen Formationen von Energopolitics unterscheiden. Bei der Kreditvergabe für einen Bau einer Biogasanlage oder jeweilige Erweiterungsschritte einer Anlage spielen sich die Investitionen in einem höheren finanziellen Bereich ab, werden aber aufgrund der 20-jährigen Sicherheit problemlos gewährleistet. Aus meinen Forschungsergebnissen geht hervor, dass die regionale Bank, die für die Finanzierung beinahe aller Biogasanlagen in der Forschungsregion verantwortlich ist, zunächst die Größe der Anlage, den Bau und die technische Betreuung prüft. Diese Einschätzungen seitens der Bank, so ist anzunehmen, werden in ähnlicher Weise in anderen Gegenden Deutschlands vorgenommen. Spezifisch für die Kreditvergabe im Nördlinger Ries ist jedoch, dass das technische Risiko für die Bank entfällt, sobald eine Biogasanlage vom lokalen Anlagenbauunternehmen betreut wird, weil das Unternehmen mittlerweile über die regionalen Grenzen hinweg für seine langjährige Erfahrung im Biogasanlagenbau bekannt ist. Weiterhin, und das gilt wieder für sämtliche Anlagen in Deutschland, muss für die Bank die Lieferung der Rohstoffe gesichert sein. Bei der Finanzierung genügt die Biogasanlage der Bank als alleinige Bürgschaft nicht. Es werden zusätzliche Sicherheiten wie Ackerland oder ein Stall eingefordert. Über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder die Rentenbank gibt es verschiedene, deutschlandweit tragende Förderprogramme für zinsgünstige Darlehen, die jeweils in Abwägungen darüber, welcher Erweiterungsschritt gerade ansteht, verwendet werden können. Eine ähnliche Formation von Energopolitics stellt die Versicherung einer Anlage dar. Gefahren und Risiken wie Vandalismus, Feuer, Sturm und Ertragsausfälle zählen zu häufigen Schadensfällen im Betrieb einer Biogasanlage, gegen die sich ein Biogasanlagenbetreiber versichern kann. Weitaus größere Gefahren bestehen jedoch durch verschiedene Vorfälle im Umweltbereich, wenn die Biodiversität, das Grundwasser und geschützte Tier- und Pflanzenarten und in der Konsequenz sogar der Mensch gefährdet sind. In der vorliegenden Studie hat sich herausgestellt, dass die Person des lokalen Bankberaters im Nördlinger Ries durch sein Expertenwissen über landwirtschaftliche Kalkulation und die intensive persönliche Beratung das Vertrauen seiner Kunden genießt. Dies lässt sich durchaus als eine Besonderheit im Rahmen der Energopolitics der Finanzierung von Biogasanlagen beschreiben, die womöglich so speziell ausgeprägt nur in der Forschungsregion vorzufinden ist und aus diesen Gründen für Infrastrukturierungsprozesse hinsichtlich des Ausbaus von Biogasanlagen bedeutsam wird. Der Bankberater sieht sich selbst als »Risikowächter« und »Lebensberater«, der die Ängste und Nöte seiner

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Energo-Formationen: Biogas – Macht – Land

Kunden kennt und einschätzen kann, wie sich die Situation in der Landwirtschaft verändert. Als Vertrauensperson leistet er Beistand und trägt dadurch eine Schlüsselfunktion: Die Anlagenbetreiber vertrauen ihm aufgrund seiner langjährigen Erfahrung. Und er selbst macht sich unentbehrlich, weil er durch sein Expertenwissen (vgl. Giddens 1997) im Bereich der Finanzierung von Biogasanlagen, die er seit Beginn der Entwicklung von Energieerzeugung aus Biomasse in der Forschungsregion gewinnen konnte, in seiner Funktion kaum zu ersetzen ist. Letztendlich verlässt sich der Bankberater bei Entscheidungen stets auf seine Intuition: Er beurteilt den Zustand des Hofes und die unternehmerische Fähigkeit des Landwirts genauso wie die Bereitschaft der Familie, Schulden auf sich zu nehmen und Risiken einzugehen. Ähnliches gilt für den regionalen Versicherungsberater, der durch persönliche Kontakte und Besuche eine enge Kundenbindung anstrebt und großen Wert darauf legt, »mit den Kunden zu wachsen« und sie »zu begleiten«, sich sozusagen als Lerngemeinschaft mit seinen Kunden sieht (vgl. Wenger 1998). Grundsätzlich wird das EEG in dieser Studie als eine übergeordnete Formation von Energopolitics behandelt, die als Steuerungsinstrument und Ordnungsprinzip generell für das Projekt Energiewende angewendet wird und wiederum die Energieerzeugung mittels Biogas vorantreibt. Dies gilt nicht nur für die Forschungsregion, sondern für ganz Deutschland. Hingegen spielen der lokale Bankberater und der regionale Versicherungskaufmann eine besondere Rolle im Nördlinger Ries: Sie verwalten beide jeweils unterschiedliche Formationen von Energopolitics (Kreditvergabe und Versicherung), pflegen aber ein sehr enges und persönliches Verhältnis zu ihrem Kundenstamm. Sie sind in ihrem Energopolitics-Bereich Experten und Vertraute zugleich. Anhand dieser Ordnungssysteme, wie etwa dem EEG, den Kriterien für die Kreditvergabe und der Versicherung, aber auch persönlichen Beziehungen und Einschätzungen, werden Umformungs- und Anpassungsmöglichkeiten bereits vorhandener Infrastrukturen beeinflusst. Zugleich wird dadurch die jeweilige Handlungsträgerschaft distribuiert. Weiterhin wird deutlich, dass Infrastrukturierungsprozesse immer in lokalen Umgebungen stattfinden, die wiederum mit ihrer Konstitution Einfluss auf gegenwärtige wie zukünftige Transformationsprozesse nehmen (vgl. Drackl8/ Krauss 2011). Die vorliegende Arbeit soll aus diesen Gründen auch als Beispiel und Plädoyer für eine politisch informierte Kulturanthropologie gelten. Ohne die intensive Aufarbeitung der politischen Grundierung können soziale Transformationsprozesse wie die bioenergetische Dezentralisierung nicht angemessen verstanden werden. Das EEG regelt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien in vor allem ländlichen, landwirtschaftlich geprägten Gegenden vorangetrieben wird. Es erscheint mir aus diesem Grund wichtig und gewinnbringend, das EEG aus der Perspektive einer Anthropologie politischer Felder (Adam/Vonderau

Beobachtbare Energopractices: Handlungsweisen, Effekte, Nebenfolgen

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2014) selbst als kulturanthropologisches Forschungsfeld zu verstehen. Gerade die unbeabsichtigten Nebenfolgen, die Konflikte und Probleme, die ein Gesetz wie das EEG mit sich bringt, kommen als messiness der Energiewende ans Licht.

Beobachtbare Energopractices: Handlungsweisen, Effekte, Nebenfolgen Innovationen oder Transformationen der Energiepolitik sind – wie jeder soziale Prozess – mehrfach eingebettet in politische Prozesse, philosophische sowie alltägliche Umwelten, materielle Infrastrukturen, soziale Netzwerke, wirtschaftliche und rechtliche Ordnungen, kulturelle Prägungen, Kreativität und Widerstand, historische Erfahrungen, verschiedene Arten von Wissen und vor allem die differenzierten sozialen Felder, in denen Menschen handeln (vgl. Beck 2013). Der Zugang über Energopractices erleichtert, dies in der Analyse nicht aus den Augen zu verlieren. Diese Einbettung beinhaltet sowohl lokale, regionale, nationale als auch grenzüberschreitende Dimensionen. Stefan Beck weist darauf hin, dass dies zunächst als triviale Tatsache erscheinen mag, die aber dennoch für die auffällige Unordnung und die vielen unbeabsichtigten sowie unerwarteten Auswirkungen der Energiewende in Deutschland im Moment verantwortlich ist. Im »societywide experiment« der Energiewende (Beck 2013, 6) zeigt sich ein breites Spektrum von Akteuren aus ganz unterschiedlichen sozialen Bereichen, die einerseits zwar mehr oder weniger gleichermaßen entsprechend bestimmter Strukturierungen handeln, aber andererseits auch innerhalb von und mit den Infrastrukturen experimentieren. Ähnlich argumentiert auch Manfred Faßler, indem er »Experiment und Innovation« als Kippfigur neben beobachtbarer im Moment geschehender Praxis und auf Dauer gestellter kultureller Programme betont (vgl. Faßler 2005). Es geht also auch um die Analyse der Subjektivierungsprozesse, in denen Individuen durch ihre täglichen Gewohnheiten einschreiten können und dadurch ihre Umwelten restrukturieren und ein anderes, nachhaltiges, individuelles oder kollektives Verhalten kreieren (Beck 2013, 5). Anhand dieser Betrachtungsweise der jüngsten Transformationsprozesse im Energiesektor können der kreative Opportunismus der Akteure, ihre Versuche, bestehende Voraussetzungen zu kapitalisieren, und ihre individuellen oder kollektiven Utopien verfolgt werden (vgl. Fish 1998, 420). Aus diesem Grund sollen nun die konkret beobachteten Formationen der Energopractices meiner Feldforschung dargestellt werden, um eben jene materiellen Umgebungen, infrastrukturellen Bedingungen, kulturellen Orientierungen, Kreativitäten und Widerstände und vor allem die differenzierten sozialen Felder, in denen Men-

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schen handeln, zu berücksichtigen (vgl. Beck 2013, 4). Somit wird das Zusammenspiel verschiedener Akteure und Aktanten sichtbar, die nicht von vornherein offensichtlich sind. Hier werden daher nun diese Wechselwirkungsprozesse zwischen Akteuren und Aktanten in den Forschungsfeldern Brüssel, Berlin und dem Nördlinger Ries hinsichtlich Energieproduktion aus Biomasse offengelegt. In dieser Studie werden die Akteure und Aktanten aufgrund des landwirtschaftlichen Bezugsrahmens, aber auch des anthropologischen Forschungsfeldes als Feldakteure und Feldaktanten bezeichnet. Sie nehmen eine eigenständige produktive und performative Rolle ein, über die sie das in Berlin ausgehandelte Ordnungsprinzip in Form des Erneuerbare-Energien-Gesetzes als Policy anwenden, abändern, taktisch reinterpretieren oder gar verwerfen. Dies wird offensichtlich an den vielen gewollten Effekten, aber vor allem an den ungewollten Nebenfolgen, die die messiness der Energiewende auszeichnen. Die nachfolgenden Zwischenüberschriften wurden bewusst als Begriffe entwickelt, die die neu entstandenen Praktiken beschreiben und somit den dieser Studie zugrunde liegenden praxeographischen Ansatz betonen.

Entwerfen/Experimentieren Wie anhand der Porträts über einzelne Biogasanlagenbetreiber deutlich wurde, kann man nicht von einer einheitlichen Berufsgruppe sprechen. Vielmehr gibt es ein breites Spektrum von Akteuren aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Diese handeln entsprechend bestimmter Infrastrukturierungen wie ihrem landwirtschaftlichen Betrieb, aber experimentieren eben auch innerhalb von und mit den Infrastrukturen und gestalten somit Umwelten und schaffen neues, individuelles oder kollektives Verhalten. Dennoch lassen sich Aussagen treffen, die auf einen Großteil der Berufsgruppe zutreffen. Denn viele Biogasbetriebe im Nördlinger Ries haben ihren Betrieb kontinuierlich in verschiedenen Stufen vergrößert oder verändert. Ihre Entscheidungen wurden zumeist in Abwägung der Vorteile und potentiellen Risiken getroffen. Wie das Beispiel der Biogaspioniere zeigt, tragen sie die Hauptlast der unternehmerischen Risiken in erster Linie selbst, jedoch suchen sie nach Mitteln und Wegen, die Risiken auf mehreren Schultern zu verteilen und weisen damit einen rationalen Umgang mit möglichen Risiken auf. Des Weiteren besitzt die Mehrheit der befragten Anlagenbetreiber ein hohes Maß an Flexibilität. Schließlich handelt es sich bei der Energieerzeugung aus Biomasse um eine im Entstehen begriffene Technologie, in deren praktischer Anwendung Wissen entsteht (vgl. Nowotny 2005). Viele der Biogasanlagenbetreiber sind äußerst lernfähig, bleiben nicht stehen, werden selbst zu Technikern und Tüft-

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lern und sind ständig dabei, sich zu fragen, welche nächsten Erweiterungsschritte notwendig sind oder integriert werden müssen. Energieerzeugung aus Biogas lässt sich hier als Opportunitätsstruktur (vgl. Merton 1938; 1968a und Mackert 2010) beschreiben, in der viele verschiedene Aspekte zum Tragen kommen: Es handelt sich um eine neue Technologie – Energopower –, die durch politische Instrumente (EEG) – Energopolitics – implementiert wird, die die Erzeugung mittels Biomasse lohnenswert machen. Weiterhin regeln und regulieren diese rechtlichen, ökonomischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Ordnungsprinzipien den Ausbau. Die zum Großteil jungen Unternehmer, so wurde aus meinen empirischen Ergebnissen deutlich, bewegen sich zwischen diesen Opportunitäten und den Risiken hin und her, schlängeln sich hier geradezu durch. Welche Kapitalien benötigt man aber wohl für ein solches Entrepreneurship? Zum einen ist es mit Sicherheit diese Risikobereitschaft. Die neue Technologie Biogas versetzt viele Biogasanlagenbetreiber in die Lage, sich durch die praktische Anwendung Wissen anzueignen (Wissenskapital). Sie sind aber auch erfolgreich, weil sie sehr hart arbeiten. In einigen Fällen verbindet Biogasanlagenbetreiber, die eine Gemeinschaftsanlage betreiben, ein enges, vertrautes, familiäres Band. Gerade bei den in der vorliegenden Studie häufig beschriebenen Konflikten wie Flächenkonkurrenz und Pachtkampf ist diese familiäre Strategie eine innovative Lösung: Die Wertschöpfung bleibt in der Familie oder bei Vertrauten und wird nicht wie in vielen anderen Fällen ökonomisiert und kapitalisiert, indem an den Meistbietenden verpachtet wird. Hier wird der Stellenwert anderer Werte – nämlich familiärer, verwandtschaftlicher, freundschaftlicher und vertrauter – augenscheinlich (vgl. Wirth 2014). Dies lässt sich durchaus als eine Art von kulturellem Kapital bezeichnen. Außerdem zentral für ein erfolgreiches Entrepreneurship ist für die Biogasanlagenbetreiber, das Vertrauen der Lieferanten zu erlangen und mit ihnen – zumeist benachbarten Landwirten – gut zu kooperieren, was ihnen in Form sozialen Kapitals in der Region zugutekommt. Durch den in den meisten Fällen ererbten landwirtschaftlichen Betrieb haben viele der Biogasanlagenbetreiber ein finanzielles Backup und konnten zu Beginn ihres Vorhabens unternehmerische Investments tätigen, die sich bei der Mehrheit der Akteure bereits nach kurzer Zeit durch ihren wirtschaftlichen Erfolg auszahlten (ökonomisches Kapital). Diese verschiedenen Kapitalformen lassen sich in der vorliegenden Studie als Faktoren für Infrastrukturierungsprozesse hinsichtlich des Ausbaus von Biogasanlagen fassen. Hier ist weiterhin wichtig die »handlungsermöglichende Dimension des Wissensvorrates« (Welz 2007, 74) zu betonen, die sich regional nur durch die Implementierung der neuen Technologie Biogas herausbilden konnte. Das Nördlinger Ries steht beispielhaft für eine learning economy (Johnson/ Lundvall 2000), die sich durch die Anwendung von implizitem Wissen (vgl.

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Notwotny 1997) zu einem innovativen und wettbewerbsfähigen Biogas-Standort entwickelte. Rogers (2003) geht hierbei von der Annahme aus, dass Innovationen mit Entscheidungen voller Ungewissheit zusammenhängen und langfristige wie auch kurzfristige Vor- und Nachteile häufig unbekannt sind. Meist sind diese auch abhängig von den Entscheidungen anderer Personen. Für Rogers sind Innovationen daher immer sozial konstruiert (vgl. Mühlau 2015, 273). Denn nicht alle Anlagenbetreiber verfügen gleichermaßen über die genannten Kapitalien und sind in der Lage, einen erfolgreichen, wirtschaftlichen Betrieb zu führen. Speziell der als soziales Kapital bezeichnete Faktor spielt in der Forschungsregion eine bedeutsame Rolle: Im Rahmen der Energiegewinnung durch Biogas sind die Pachtpreise der Felder ohnegleichen in die Höhe geschnellt. Dadurch wird die umkämpfte verfügbare landwirtschaftliche Fläche im Nördlinger Ries immer knapper. Die konventionellen Vollerwerbsbetriebe können im Pachtkampf ums Maisfeld nicht mehr mithalten, denn aufgrund ihrer verbesserten Einkommenssituation zahlen Biogasanlagenbetreiber sehr hohe Pachtpreise. Dies führt zu Streitigkeiten und Problemen im ländlichen Raum. Fehlende Kooperationsbereitschaft der Biogasanlagenbetreiber untereinander, aber auch Neid und Missgunst der konventionellen Landwirte und nicht zuletzt alte familiäre Animositäten verstärken die Konflikte über Biogas. Die Situation in der Forschungsregion spitzt sich dadurch hochgradig zu. Nur wenige BiogasLandwirte kooperieren mit anderen Landwirten, weil viele ein konfliktbehaftetes Verhältnis untereinander haben. Unter anderem aus diesen Gründen holen einige Anlagenbetreiber das Substrat aus entfernten Landkreisen. Dies führt wegen der weiten Transportentfernungen zu einer Nährstoffverdichtung, die geballt in einer Region mit vielen Biogasanlagen zustande kommt. Jedoch erscheint hier dringend ein Nährstoffausgleich nötig, damit die Nährstoffe an ihrem ursprünglichen Herkunftsort wirken können und Wertschöpfung bringen. Außerdem unterstellt die Bevölkerung in der Forschungsregion vielen Biogasanlagenbetreibern privates Profitstreben. Allerdings geht es vielen Anlagenbetreibern auch darum, den Wohlstand in der Region durch ihre unternehmerische Tätigkeit insgesamt zu vermehren. Durch die Biogasbranche gelangen neue innovative Wirtschaftszweige ins Nördlinger Ries. Dadurch profitiert die ganze Region beispielsweise durch Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor. Diese Deutung des Handelns wird aber offensichtlich nicht von allen geteilt. Es entstehen Reibungen, die zum Teil hoch konflikthaft sind und die sich wiederum in den verschiedenen Infrastrukturierungsprozessen niederschlagen, wie durch den Anschlag auf eine Biogasanlage deutlich wurde. Einmal mehr erkennbar ist an dieser Stelle die messiness der Energiewende.

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Protestieren/Blockieren Moderne Technologien haben die konventionelle Landwirtschaft innerhalb der letzten 20 Jahre ohnehin stark verändert, das lokale Zugehörigkeitsgefühl der Bevölkerung in der Forschungsregion wird aber in erster Linie immer noch in Bezug auf (konventionelle) Landwirtschaft und regionale Landschaft gedacht. Dies ist Ursache für weitgehende Konflikte: Biogas wird, womöglich weil es so anders und befremdlich wirkt, als gravierender Eingriff in die Land(wirt)schaft empfunden. Derzeit fühlen sich viele Anwohner durch das erhöhte Verkehrsaufkommen der Erntefahrzeuge belästigt. Außerdem nehmen einige Anlagenbetreiber keine Rücksicht auf die Tageszeit und fahren mit ihren Maschinen zum Teil auch nachts, feiertags und am Wochenende. Auch die Größe der massiven Fahrzeuge wirkt auf viele Bürger und Anwohner bedrohlich. Überdies kommt es zu störenden Geruchsemissionen, wenn ein Silohaufen keine Abdeckung hat. Die genannten Aspekte führen zu Konflikten und das »Image« der Biogasanlagenbetreiber in der Bevölkerung verschlechtert sich zunehmend. Zuletzt ergibt die Anzahl der Biogasanlagen eine vergleichsweise hohe Dichte – nicht umsonst wird die Forschungsregion als Biogasweltmeister bezeichnet – und wird von vielen Bewohnern im Nördlinger Ries als bedrohlich wahrgenommen. Bewohner und betroffene Anrainer sind wütend, fühlen sich belästigt und in ihrer Lebensqualität eingeschränkt (vgl. Renn 2008). Sie sind entschlossen, gegen diese Probleme vorzugehen und wollen sich aktiv beteiligen (vgl. Fortun 2001). Diese in der vorliegenden Studie beschriebenen Beispiele des Wutbürger-Phänomens (vgl. Renn 2008) verdeutlichen, wie bürgerschaftliches Engagement verstanden werden kann. Ihre Beweggründe ergeben sich sowohl aus ihren Ängsten als auch aus ihren persönlichen Lebensentwürfen. In diesem Zusammenhang äußert sich das sogenannte NIMBY-Syndrom (vgl. Sennett 1983, Delicado et al. 2014) in der beforschten Region in Form von wütenden Bürgern und Anwohnern: Biogas gerne, aber nicht bei mir. »Wir müssen das hier ertragen und alles bloß wegen Energie!« Es bilden sich Initiativen von Wutbürgern, deren Anhänger eine breite Palette von jungen Familien bis hin zu Rentnern umfassen. Alle eint jedoch das gleiche Anliegen: ihre Wut gegen Biogas, die sich wiederum auf Infrastrukturierungsprozesse hinsichtlich des weiteren Ausbaus von Biogas auswirkt. Anna Lowenhaupt Tsing (2002) bezeichnet diese kurzweiligen Zusammenhänge von Deutungen und Strategien als Projekte, die sich durchaus zu Momenten von Stabilität und Macht formieren können.

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Instrumentalisieren/Kreieren Stadt- und Heimatpfleger, genauso wie die lokale Zeitung Rieser Nachrichten, aber auch Anwohner befürchten durch Eingriffe wie den Bau von Biogasanlagen, dass sich das »Gesicht des Rieses« verändert und somit »die Seele dieser Landschaft« zerstört wird. »Heimat« hat auch immer mit einem »Bild von Heimat« zu tun und dieses Bild wird durch den Bau von Biogasanlagen stark verändert, so die Befürchtungen. Viele Gesprächspartner äußern ihre Angst, dass die »bäuerliche Landschaft« zunehmend einem technisch-industriellen Landschaftsbild (vgl. auch Eberhard 2010) weicht und damit die »einzigartige Kulturlandschaft« des Nördlinger Ries stark beeinflusst wird. An dieser Stelle wird augenscheinlich, mit welchen emotional aufgeladenen Begriffen – Heimat, Identität und Kulturlandschaft – jongliert und Stimmung gemacht wird. Den Akteuren ist durchaus bewusst, mit welcher Wirkung sie dadurch an ein romantisches Bild einer vorindustriellen bäuerlichen Land(wirt)schaft in einer konservativ geprägten Region appellieren. Damit wird einerseits die ästhetische Funktion einer Landschaft betont, wenn nicht sogar überbewertet. Andererseits wird ein Kulturbegriff auf Landschaft angewendet, der Kulturlandschaft als besonders wertvoll im Sinne akzeptierter Kulturleistungen beschreibt und an überkommene bzw. traditionell-konservative Vorstellungen von Kultur als Hochkultur im Sinne von Bourdieu anschließt. Eine besondere Rolle in dieser Argumentationspraktik der Stadtheimatpflege sowie aufgebrachter Wutbürger spielt das Zertifikat »Nationaler Geopark«. Dies stellt zugleich ein spezifisches Merkmal für entstandene Formationen von Energopractices in der Forschungsregion dar. Mit dem Zertifikat wird das Nördlinger Ries für seine besondere Landschaft durch einen Meteoriteneinschlag ausgezeichnet: Die Bewohner sind sehr stolz auf diese besondere »Kulturlandschaft«, deren über Jahrhunderte entstandene »exquisite, differenzierte Kultur« es zu pflegen gelte. Jedoch fürchten viele Akteure in der Forschungsregion, dass ihre »Heimat« als Touristenziel unattraktiv werde und dass die landschaftliche Vielfalt unter den Biogasanlagen leide. Aus ihrer Sicht geht es daher darum, den unaufhaltbaren »Fortschritt besser zu kanalisieren«. Der Geopark soll dabei helfen: Durch ein ausdifferenziertes Marketingkonzept wurde ein nachhaltiges, alternatives Image der Region geschafften, das in vielerlei Hinsicht als Gegenentwurf zu einem technisch-industriellen Landschaftsbild durch Energieerzeugung mittels Biogas geltend gemacht wird. Das Zertifikat Geopark kann in der vorliegenden Studie als Projekt (vgl. Tsing 2002) verstanden werden, also als kohärente Strategie und Praxis bzw. Gegenentwurf, das zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort realisiert wurde und dem eine bedeutsame Wirkungsmacht zuteilwird und das somit neue Argu-

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mentationsstrategien im Aushandlungsprozess um Energieerzeugung mittels Biogas möglich macht.

Schützen/Konservieren Vor allem die intensivierte Flächennutzung, die als Folge der vielen Biogasanlagen im Ries immer mehr zunimmt, stellt ein schwerwiegendes ökologisches Problem dar : Die frühere vielfältige Wiesenlandschaft ist von Äckern dominiert. Die Gefahr ist, dass weitere Wiesen, extensiv genutzte Flächen und Grünland umgebrochen und intensiv genutzt werden. Die gravierenden Folgen sind Artenschwund und eine Veränderung des Landschaftsbildes. Viele Tierarten sind durch diese intensive landwirtschaftliche Nutzung der Flächen im Nördlinger Ries, das zu den bedeutendsten Vogelbrutstätten Bayerns zählt, bedroht und gefährdet. Vor allem Vögel sind empfindliche Indikatoren für die Artenvielfalt. Durch den intensiven Anbau von Mais als Energiepflanze ist ihr Lebensraum stark gefährdet. Der Mais wird vor allem dann zum Problem, wenn er allzu dominant angebaut und auf den Äckern keine Fruchtfolge beachtet wird. Bewohner wie Naturschützer sind äußerst besorgt und richten ihre Wut gegen die Biogasanlagenbetreiber. Wieder wird deutlich, dass sich hier die Konflikte verstärken und die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz immer wieder aufeinanderprallen. Diese Effekte der Energopractices sind nicht nur im Nördlinger Ries, sondern deutschlandweit zu beobachten. Eine Besonderheit in der Forschungsregion ist jedoch, dass Umweltschützer durch eigene Projekte und Initiativen versuchen, »zu retten, was noch zu retten ist«. Letztlich aber sind alle dazu aufgefordert, die Landschaft im Nördlinger Ries als Lebensraum zu bewahren und zu erhalten. Aus Perspektive des Umweltschutzes geht es daher im Wesentlichen darum, zusammen mit der Landwirtschaft andere und vor allem ökologisch tragbare Lösungen zu finden, die gleichzeitig den landwirtschaftlichen Betrieben ein Auskommen ermöglichen. Wichtig ist daher, einen »sensiblen Ausbau« der erneuerbaren Energien unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Landschaftsarten zu gewährleisten. Grundsätzlich sind beim weiteren Ausbau der Biogasanlagen ökonomische und technische Interessen mit den Belangen des Klimaschutzes, der Natur und der Vielfalt der Landschaften und Dorfkerne gleich zu bewerten.

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Bewerten/Aushandeln An dieser Stelle soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass Landwirte – nicht nur in der beforschten Region – kontinuierlich dazu angehalten werden, für den Erhalt der Landschaft zu sorgen, aber gleichzeitig gezwungen sind, in einer marktorientierten Weise zu handeln. Das Ordnungsprinzip EEG stellt für konventionelle Landwirte endlich die Möglichkeit dar, ihre Existenz zu sichern. Sie sind schließlich in der Lage, Unternehmer zu werden, und passen ihre Betriebe der Dynamik des Marktes an. Landwirtschaft hat somit die Chance, sich ein Wohlstandsniveau zu erarbeiten, welches mit der Nahrungsmittelproduktion nicht möglich zu sein scheint. Die Bevölkerung will jedoch, dass die Landwirte dem Ideal einer nachhaltigen, kleinteiligen, ökologischen, diversifizierten, romantischen, nichtkommerziellen, monofunktionalen Landwirtschaft nachkommen. In diesem Zusammenhang lassen sich die beschriebenen Vorstellungen und Anforderungen an die Tätigkeit der Landwirte bzw. Biogasanlagenbetreiber als normative und moralische Ordnungen (vgl. Beck 2013 und Niewöhner 2014) begreifen, die starken Einfluss auf Infrastrukturierungsprozesse hinsichtlich der Energieerzeugung mittels Biogas nehmen. Schließlich ist die Tätigkeit des Landwirts und jetzt des Biogasanlagenbetreibers fortdauernd im Fokus der öffentlichen Diskussion und wird öffentlich verhandelt. Was ein Landwirt bzw. Biogasanlagenbetreiber macht, sieht jeder, riecht jeder, hört jeder, schmeckt jeder, spürt jeder. Es ist eine Tätigkeit, die andauernd stark in der Öffentlichkeit steht. Alle fühlen sich in irgendeiner Art und Weise davon betroffen, so sind doch Landschaftspflege, Lebensmittelproduktion und jetzt Energieerzeugung elementare Bereiche für das menschliche Überleben. Weiterhin beziehen sich alle diese Aushandlungsprozesse – und dies kann nun allgemein für die beschriebenen Formationen der Energopractices formuliert werden – auf Konflikte hinsichtlich des Umbaus einer dezentralen Energieversorgung: Es geht immer auch um Eingriffe in persönliche Umgebungen und Umwelten. Bei Energieerzeugung aus Biogas erscheint dieser Aspekt besonders virulent. Es überschneiden sich verschiedene grundlegende und moralisch behaftete Felder : Energieproduktion, Landwirtschaft, Landschaftspflege und Nahrungsmittelerzeugung.

Dezentralisieren/Redemokratisieren Viele Probleme und Konflikte ergeben sich jetzt erst, wohl auch, weil Biogas eine im Entstehen begriffene Technologie ist und daher viele der Nebenfolgen und Effekte zum jetzigen Zeitpunkt womöglich noch nicht abschätzbar oder gar

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berechenbar sind. Somit sind auch die Regulierungsmechanismen in Form von Nebenfolgen-Regimen nicht absehbar. Gerade die starke Überförderung durch das EEG führte zu einem Biogasboom in der Forschungsregion. Anfangs jedoch schien eine solch rasante Entwicklung kaum denkbar. Das Nördlinger Landwirtschaftsamt sah um die Jahrtausendwende Energieproduktion mittels Biogas vielmehr als das »Heilmittel«, um mit dem Boden wieder gewinnbringend wirtschaften zu können, und hat daher Biogas in der Region stark vorangetrieben und gefördert. Nach nur wenigen Jahren aber kristallisierten sich die ersten Zeichen einer zu starken Förderung heraus. Die ersten großen Konflikte durch eine fehlende politische Steuerung und mangelndes politisches Eingreifen zeichneten sich ab. In der Vergangenheit gab es in der Landwirtschaft bereits häufig Ordnungsprinzipien und Maßnahmen, die zu Überforderungen führten, jedoch tun sich für die Energieproduktion aus Biogas aufgrund der gesetzlich festgelegten 20-jährigen Sicherheit im EEG tiefgreifende Probleme auf: Negative Entwicklungen – gerade auch im Bereich Umwelt- und Naturschutz – können nicht mehr so schnell rückgängig gemacht werden. Sobald ein konventioneller Landwirt aufgrund der hohen Pachtpreise seinen Betrieb aufgeben muss, gehen die Flächen an die Biogasanlagenbetreiber. Nach 20 Jahren sind womöglich die Strukturen der konventionellen Landwirtschaft zerschlagen und das Know-how verloren. Aus meinem empirischen Material geht jedoch hervor, dass genau diese (Fehl-)Entwicklungen – eben jene messiness – von Bedeutung für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien sind. Schließlich handelt es sich bei allen Formen der erneuerbaren Energien um im Entstehen begriffene Technologien. Möglicherweise müssen diese Diskurse vor Ort geführt werden, es braucht Reibung und Widerstand. Nur so können bessere Standorte für Anlagen gefunden werden, die sowohl mit Landschaftspflege als auch mit Umweltschutz verträglich sind. Als Konsequenz gilt es, aus den Fehlern schlecht geplanter Anlagen zu lernen und neue Konzepte zu entwickeln. Offensichtlich ist, dass es beim Ausbau einer dezentralen Energieinfrastruktur »nicht ohne die Landwirtschaft geht«. Landwirtschaft hat durch diese Form der Energieerzeugung anders als bei der Nahrungsmittelerzeugung endlich die Möglichkeit, an der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und des Wohlstandsniveaus beteiligt zu sein. Das Schlüsselwort heißt hier : Redemokratisierung der Energieversorgung durch Dezentralität. Kommunen können sich somit von großen Energieversorgern unabhängig machen, ihre Energiekosten senken und die regionale Wertschöpfung vor Ort halten. Vor allem die Entwicklung neuer Technologien lebt von der Verankerung in der Region und der Akzeptanz in der Bevölkerung vor Ort. Akzeptanz wird allerdings nur erreicht, wenn Menschen sehen, dass sie entweder einen persönlichen oder gesamtgesellschaftlichen Gewinn haben.

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Gerade das Beispiel der dezentralen Energieversorgung des Ortes Kleinschwalbenheim zeigt, dass viele Akteure mit und über verschiedene Voraussetzungen vernetzt und verbunden werden. Weder Entscheidungshandeln noch soziale Kooperation allein könnten ein derartiges dezentrales Energieprojekt erzeugen. Die auf Vertrautheit basierende unternehmerische Entscheidung einerseits und die solidarische Risikoübernahme andererseits sind aufeinander angewiesen. Eine Gruppe von jungen Unternehmern, selbst über Familie oder Freundschaft miteinander verbunden, ging das Risiko ein und knüpfte ihr jeweils persönliches Schicksal an die Umstellung Kleinschwalbenheims auf Bioenergie. Sie brachten den notwendigen Mut und das Finanzkapital auf. Zentraler aber noch, erst als Team erlangten sie das nötige Know-how, eine moderne Energieinfrastruktur zu planen und zu verwirklichen. Ohne dabei mit den dörflichen Strukturen verwurzelt und lokal verbunden zu sein, wäre diese Umsetzung nicht denkbar gewesen. Diese Voraussetzungen, die hier auch wieder als bedeutsame Mechanismen des Infrastrukturierungsprozesses beschrieben werden können, dürften dadurch nur allzu offensichtlich sein: Charisma, Risikobereitschaft, technologisches Wissen, dörflicher Zusammenhalt, persönliche Netzwerke und Solidarität bilden in diesem Beispiel den Keimboden für die erfolgreiche Umsetzung eines anspruchsvollen Projekts, das im wahrsten Sinne des Wortes seine Spuren bis in die Haushalte jedes einzelnen Dorfbewohners zieht. Diese neue Strukturierung des dörflichen Zusammenlebens ist vorrangig politisch induziert. Es ist die Umstellung von Landwirtschaft auf Energiewirtschaft, die vor allem durch das EEG ermöglicht und durch seine Novellen und angegliederten Kreditprogramme strukturiert wird. All diese Faktoren entscheiden zuletzt im Zusammenspiel darüber, ob neue Möglichkeiten funktionieren und nutzbar sind oder aber auch nicht. Es handelt sich um eine Neustrukturierung von Energienutzung nach dem Prinzip lokal geschlossener Kreisläufe. Paradoxerweise scheint eine der zentralen Herausforderungen der Zukunft – die Energieversorgung – einfacher lösbar, wenn diese Strukturen vorhanden sind. Allerdings, darauf weist Stefan Beck (2013, 10) hin, das, was die Stärke eines solchen Projekts ausmacht, ist zugleich seine Schwäche. Denn der Erfolg des Projektes könnte in einem entscheidenden Aspekt irreführend sein: Es ist – in allen Aspekten – ein stark lokalisiertes Modell eines geschlossenen Kreislaufs und erreicht eine stark lokalisierte physikalisch-technologische Eigenständigkeit. Das Modell kann durchaus erfolgreich in anderen Gemeinden funktionieren, aber es ist weder skalierbar noch trägt es zu unserem Verständnis über komplexe Energiesysteme in den Industrieländern bei (vgl. Beck 2013, 10). Das passiert, weil das Projekt absichtlich die Verbindungen der komplexen Infrastruktur insgesamt durchtrennt. Allerdings erzeugt es, so schlägt Stefan Beck in Anlehnung an Paul Rabinows Konzept der Biosozialität vor, eine energo-socia-

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lity, also eine kollektive Form, die sich um einen »ideal localism« (Beck 2013, 10) bildet und einen alternativen Habitus fördert, der eine ganze Reihe von Ideen der sozialen Utopie betrifft, wie Konzepte der Nachhaltigkeit und des globalen Gemeinwohls, ein Gefühl der moralischen Überlegenheit und gegenseitigen Solidarität sowie die Genugtuung, das »System« zu schlagen.

Das Entstehen neuer Energo-Formationen Aus den hier auf der Mikroebene beobachtbaren Energopractices formieren und entwickeln sich kollektivierende Strukturierungen, die neue Formationen von Energopolitics und Energopower auf den Plan rufen. Diese Effekte und Nebenfolgen werden auch an anderen Orten Deutschlands im Rahmen der Energiewende sichtbar. Im Folgenden werde ich daher ausgehend von meinen empirischen Ergebnissen diese durch Wechselwirkungen neu entstandenen Formationen diskutieren und illustrieren. Wichtig dabei ist zu betonen, dass nur durch die messiness der Energiewende Rückkopplungsprozesse und Wechselwirkungen ermöglicht werden und sich somit neue Energo-Formationen herausbilden. Gerade weil die Energiewende unterschiedliche Akteure (u. a. Politiker, Energiekonzerne, Interessengruppen, Landwirte) und Aktanten (u. a. EEG, Technologien, Richtlinien) zusammenführt und aufgrund verschiedenster Effekte, Konsequenzen und Nebenfolgen keine stringente Ordnung aufweist, kommt an dieser Stelle erneut die Rolle der messiness zum Tragen. Dies bedeutet nicht ein mögliches Scheitern des Projekts, sondern vielmehr, dass Nicht-Ordnung andere Potentiale besitzt und auch anders gefasst werden muss (Abrahamson 2002, Law 2004, Marcus 1994).

Neue Formationen von Energopolitics Speziell die Regierungstechnik des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verfolgt das Ziel, durch kontinuierliche Novellierungen bestimmten Effekten bei gleichzeitiger Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland vorzubeugen oder zu versuchen, diese einzudämmen. Zwar handelt es sich immer noch um das gleiche Gesetz, aber die Inhalte und Ziele sind andere. Weiterhin wird es mit der Absicht angepasst, den jeweiligen verursachten Missständen und unbeabsichtigten Effekten entgegenwirken zu können. Solange »die Politik« die Rahmenbedingungen im EEG nicht ändert, kann die derzeitige Entwicklung in der Forschungsregion nicht wirklich gesteuert werden. Das gilt genauso für andere Gegenden in Deutschland. Allein eine Änderung im EEG in Hinblick auf die vermehrte Förderung von Kleinanlagen könnte

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die Lage – zumindest in der Forschungsregion – bereits entspannen. Durch die ausführlich dargestellten Probleme wie die intensive Nutzung der Fläche für den übermäßigen Maisanbau und den Umbruch von Grünland sind viele Lebensräume von Tieren und Pflanzen zerstört. Mais wird häufig deutlich überproportional angebaut und dadurch die Fruchtfolge auf den Äckern zu wenig beachtet. Um nur ein konkretes Beispiel hinsichtlich der novellierten Gesetzgebung im EEG zu nennen: Mithilfe des sogenannten Maisdeckels im EEG 2012, also einer Begrenzung des Einsatzes von Mais und Getreidekorn in der Biogasanlage, versuchte man, dem Effekt des übermäßigen Maisanbaus entgegenzuwirken. Hier wird deutlich, dass sich der Topos Vermaisung verursacht durch den vermehrten Maisanbau zur Energieproduktion selbst infrastrukturierend auf neue Energo-Formationen auswirkt. Wie aus meinem empirischen Material hervorgeht, erscheint es vor allem aus ökologischer, aber auch öffentlichkeitswirksamer Perspektive offensichtlich, dass verstärkt nach alternativen Energiepflanzen gesucht werden muss. Das ruft die Forschung auf den Plan. Finanziert unter anderem durch die Bundesregierung gibt es bereits verschiedene Versuche und Forschungsprogramme mit unterschiedlichen Gräsern wie der Durchwachsenen Silphie oder dem Riesen-Weizengras, die erste Erfolge versprechen. Allerdings müssen diese über Jahre hinweg getestet und dann den Landwirten vermittelt werden. In diesem Zusammenhang lassen sich die andauernden Novellen des Gesetzes als immer wieder neu entstehende Formationen von Energopolitics bezeichnen, die aufgrund der Rückkopplungseffekte und Wechselwirkungsprozesse der Energopractices ausgehandelt werden. Weiterhin beeinflussen neue Formationen von Energopolitics, hier in Form von Versuchen und Forschungsprogrammen, die weiteren Infrastrukturierungsprozesse hinsichtlich der Energieerzeugung aus Biomasse. Aber nicht nur das EEG ist eine fortwährend neu entstehende Formation von Energopolitics. Hierzu gehören auch die Formen des Regierens und des Sich-Selbst-Regulierens, wie Protest und Wutbürgertum, das NIMBY-Syndrom (Not-In–My-Backyard-Syndrom), höhere Auflagen im Bau von Biogasanlagen oder aber Projekte zur dezentralen Energieversorgung. Insbesondere der kollektivierende Strukturierungsaspekt spielt hierbei eine zentrale Rolle.

Neue Energopolitics-Formationen: Wutbürger und NIMBY Bewohner und betroffene Anrainer sind nicht nur in der Forschungsregion wütend, fühlen sich belästigt und in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Deutschlandweit sind Menschen aufgrund der Veränderungen in der Landschaft

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bedingt durch Effekte der Energiewende entschlossen, gegen diese Probleme vorzugehen, und wollen sich aktiv beteiligen (vgl. Renn 2008). Die Bezeichnungen Vermaisung, Verspargelung und Verspiegelung haben mittlerweile Eingang in alle großen Tageszeitungen gefunden und lassen darauf schließen, dass die in der vorliegenden Studie beschriebenen Konflikte an verschiedensten Orten Deutschlands virulent sind. Ähnliches gilt für das NIMBY-Syndrom (Not-In–My-Backyard-Syndrom), das sich womöglich erst durch die vielen Probleme beim Ausbau erneuerbarer Energien entwickelt hat. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur in der beforschten Region wütende Bürger und Anwohner sich wie folgt äußern: Biogas gerne, aber nicht bei mir. Es bilden sich Initiativen von Wutbürgern, deren Anhänger sowohl junge Familien als auch Rentner sind und die wiederum durch ihr kollektives Handeln Einfluss auf Infrastrukturierungen hinsichtlich des Ausbaus erneuerbarer Energien nehmen. Alle eint jedoch das gleiche Anliegen: die Abneigung gegen Biogas. Hier wird deutlich, dass sich aufgrund einer in Deutschland ähnlich anzutreffenden Ausgangslage hinsichtlich des Ausbaus erneuerbarer Energien diese (Wutbürger-) und (NIMBY-)Projekte zuweilen stabilisieren und machtvoll werden können.133

Baurechtliche Ordnungsprinzipien Inzwischen sollen höhere Auflagen für den Bau von Biogasanlagen der rasanten Entwicklung und den damit einhergehenden Konflikten entgegenwirken. Man kann daher auch diese Auflagen als eine aufgrund unbeabsichtigter Effekte entstandene neue Formation der Energopolitics bezeichnen. Allgemein sind für den Bau und anschließenden Betrieb einer Biogasanlage sowie die Ausbringung des Gärrests schon eine Menge von Gesetzen und Verordnungen zu beachten. Mittlerweile muss jedoch für den Bau einer Anlage einer gewissen Größe eine verbindliche Bauleitplanung durchgeführt werden, also ein offizieller Bebauungsplan mit Umweltgutachten vorliegen. Dabei spielen Faktoren wie die Ausgleichsfläche und die Eingrünung zur Einfügung in die Landschaft eine zentrale 133 Ein bedeutsames Beispiel ist die aktuelle Situation in Deutschland zum Ausbau der Stromtrassen und -korridore. Gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) wurde eigens hierfür eine Informations- und Diskussionsplattform eingerichtet. Dabei handelt es sich um eine Initiative, die einen »offenen und transparenten Austausch aller Beteiligten und Betroffenen rund um den Ausbau des Stromnetzes in Deutschland« ermöglichen will. Die Initiatoren verstehen sich als »Moderatoren im Dialog zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Bürgerinitiativen, Verbänden, Wissenschaft, Netzbetreibern, Bund, Ländern und Kommunen sowie der Bundesnetzagentur« (Homepage Bürgerdialog Stromnetz 2015).

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Rolle, genauso wie der Abstand zur Ortschaft aufgrund der Lärm- und Geruchsbelästigung. Außerdem werden mittlerweile verschiedene ökologische Aspekte wie beispielsweise Rücksichtnahme auf das Brutgebiet bedrohter Vogelarten in die Bauleitplanung mit eingebunden. Jedoch auch wenn Störfaktoren beseitigt, Abstände groß genug und die Windrichtungen berücksichtigt worden sind, ist es indessen bereits häufig vorgekommen, dass eine Bürgerinitiative es geschafft hat, den Bau einer Anlage an seinem ursprünglichen Standort abzuwenden. Auch dies sind nicht nur Beispiele aus meiner Forschung, sondern sind in ähnlicher Art und Weise auch in anderen Regionen in Deutschland beobachtbar. An dieser Stelle wird deutlich, auf welche Weise sich in den Neuordnungen hinsichtlich der höheren Auflagen für den Bau einer Biogasanlage unterschiedliche politische, ökologische und moralische Infrastrukturen überschneiden, miteinander verbinden und in Konkurrenz zueinander treten (vgl. Niewöhner 2014).

Neue Formationen von Energopower Ohne den landwirtschaftlichen Betrieb, der im Sinne einer Energopower als gesellschaftlicher Kontext gefasst werden kann, erscheint ein Einstieg in die Biogasbranche – zumindest in der Forschungsregion – schwer. Indes haben die jetzigen Anlagenbetreiber und Unternehmer diesen zu einem industriellen Betrieb weiterentwickelt, der mit standardisierten technischen Verfahren und Materialien arbeitet. Man kann hier also durchaus von neu etablierten Formationen von Energopower in Form eines modernen Unternehmertums sprechen, das sich erst im Zuge der verschiedenen Wechselwirkungsprozesse durch die Energiewende und Neuorientierungen der Landwirte entwickelt hat. Daran sind auch der kreative Opportunismus der Akteure, ihr Glücksspiel, ihre Versuche, bestehende Voraussetzungen zu kapitalisieren, und ihre individuellen oder kollektiven Wünsche zu erkennen (vgl. Fish 1998, 420). Hierfür erscheint gerade ein neues unternehmerisches Denken sehr wichtig, schließlich sind die Summen, mit denen die Anlagenbetreiber jonglieren, noch höher als in der konventionellen Landwirtschaft. Genaues Kalkulieren, Berechnen und Abschätzen spielt hier eine ebenso wichtige Rolle wie ein gelassener Umgang mit Schulden, solange die Einnahmen stimmen. Womöglich gerade dadurch haben viele der Anlagenbetreiber immer wieder dazugelernt, sind nie auf der Stelle stehen geblieben und haben sich fortwährend weiterentwickelt. Auch für das regionale Versicherungsunternehmen sind neue Herausforderungen und Aufgaben durch den Bau und den Betrieb von Biogasanlagen im Nördlinger Ries entstanden. Die Risiken der Biogastechnologie sind erst in der Praxis abschätzbar und so musste auch das Versicherungsunternehmen flexibel

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und »learning by doing« auf mögliche Gefahren eines Biogasbetriebs reagieren. Durch »gegenseitiges voneinander Lernen« ist das Versicherungsunternehmen Schritt für Schritt zu Erfahrungen und Erkenntnissen gekommen. Dies hängt durchaus auch damit zusammen, dass es sich bei Biogas um eine im Entstehen begriffene und dynamische Technologie handelt: Diese wird nicht im Labor von irgendwelchen Wissenschaftlern entwickelt und dann lediglich vom Unternehmer angewendet (vgl. Nowotny 1997 und 2005). Sondern die Biogas-Landwirte entwickeln selbst mit, machen ihre eigenen Erfahrungen und treffen ihre eigenen Entscheidungen. Somit werden diese selbst zu Technikern und Erfindern. Es wird ständig optimiert, verbessert, erweitert und ausgebaut. Wieder Schritt für Schritt überlegen die Biogasanlagenbetreiber, welche technischen Neuerungen und Maßnahmen in Abwägung mit ihrer jeweiligen finanziellen Situation, aber auch im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten durchgeführt werden sollen. Aber nicht nur die Betreiber selbst stehen nicht still. Durch die Entstehung neuer Industriezweige wie zum Beispiel dem Gewerbe für Biogasmotoren, wird auch auf dieser Seite gebaut und (weiter-)entwickelt. Für die wirtschaftliche Entwicklung der Branche bedeutet dies Arbeitsplätze und die Spezialisierung neuer industrieller Gewebebetriebe. Am Beispiel des in dieser Studie illustrierten Anlagentechnikunternehmens wurde deutlich, wie sich in Abhängigkeit von der Biogasbranche Expertise und fachliches Know-how in Form eines eigens auf den Bau und die Technik spezialisierten Betriebs entwickeln konnte (vgl. Giddens 1997). Indessen ist der Betrieb aufgrund seiner Expertise, der langjährigen Erfahrung, den qualitativ hochwertigen technischen Komponenten und dem guten Betreuungsservice deutschlandweit bekannt. Durch stetige Maßnahmen im Bereich Zertifizierung der Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen reagierte das Unternehmen auf neue und vor allem strengere Anforderungen beim Anlagenbau und bleibt somit markt- und konkurrenzfähig. Auch dieser Betrieb steht nie still und sucht ständig nach neuen Taktiken, sich durch neue Expertise und Qualifizierungsmaßnahmen weiterzuentwickeln. Es handelt sich in der Forschungsregion daher um einen regionalen Kreislauf: Die Energie wird vor Ort produziert, die Rohstoffe für die Biogasanlagen stammen zum großen Teil aus der Region, regelmäßige Reparaturen oder Umrüstungen an den Biogasanlagen tätigen ortsansässige Handwerker und Dienstleister : »Das Geld der Einspeisevergütung bleibt in der Region.« Womöglich führt dies aufgrund der Preis- und Leistungssituation zu einer Rückbesinnung auf die Qualitäten des Landlebens. Ländliche, periphere Räume können durch die Chance der Energieerzeugung gewinnen. Dies bedeutet in Relation vor allem auch, dass die Peripherie abseits von den Knoten der Globalisierung aufgewertet wird (vgl. Beck 2008 und Hannerz 2001), und zwar ökonomisch, politisch und kulturell. Projekte der Dezentralisierung von Ener-

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gieerzeugung lenken die Aufmerksamkeit auf die Regionen, die vorher nicht attraktiv waren. Innovationen im Auftreten und im Gebrauch von Energie führen zu neuen Möglichkeiten für und zum erneuten Aufsuchen von diesen Gegenden. Diese Zentrum-Peripherie-Debatte veranschaulicht das Transformationspotential von Infrastrukturentwicklungen: Formen eines dezentralen und dezentrierten Designs haben Konjunktur und ihre Orte werden zu alternativen Zentren (vgl. Hannerz 2001, Beck 2008, Niewöhner 2014). Wie gezeigt wurde, entstehen durch dieses moderne Unternehmertum neue Berufsfelder mit entsprechenden Institutionalisierungen und den institutionellen Verstetigungen. Damit sind Ausbildungen, Ausbildungspläne, Schulen, Zertifizierungen, Verbände und Netzwerke, aber auch Geisteshaltungen gemeint, die sich erst in dieser Form von Unternehmertum mit ganz anderen und neuen Notwendigkeiten entwickeln. Speziell neue Akteursgruppen wie Verbände und Netzwerke verfügen somit über neue Machttechniken sowie Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten. Gerade die drei mittlerweile etablierten Interessenverbände wie der Biogasfachverband, der Biogasrat und der Bauernverband nehmen durch ihre Lobby-Tätigkeit wirkungsmächtig Einfluss auf verschiedene Ordnungsprinzipien. Daher bezeichne ich diese Entwicklungen als neu entstandene Formationen von Energopower, die einen kulturellgesellschaftlichen Kontext für Energieerzeugung mittels Biogas bilden.

Abschließende Betrachtung Es wäre jetzt zu einfach zu sagen, dass Formationen von Energopower, Energopolitics und Energopractices in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Vielmehr handelt es sich um ein wechselwirkendes, dynamisches und reziprokes Verhältnis. Allein von statischen Machtformen zu sprechen, würde der messiness nicht gerecht werden, auch wenn zum Teil die Handlungsmacht asymmetrisch verteilt ist. Stefan Beck (2013) hat auf die triviale Tatsache hingewiesen, dass Post-hoc-Erklärungen in einer Anthropologie des Zeitgenössischen nicht möglich sind. Auch in der vorliegenden Studie können die Entwicklungen und Ereignisse nur im Rückblick verstanden werden, allerdings werden sie vorwärts im Rahmen verschiedener Praktiken und Handlungsweisen angewendet, und zwar in diesem chaotischen Moment der messiness. Aus dieser einfachen Einsicht folgt der Imperativ, methodisch und theoretisch vorsichtig vorzugehen, und zwar indem kleine, konfliktbehaftete Entwicklungen, Diskontinuitäten und Möglichkeiten betont werden und nicht unter der Annahme einer umfassenden »Logik« eine lineare Entwicklung angepeilt und hervorgerufen wird (vgl. Beck 2013, 5). Dies gilt gerade für die Konzepte Energopower, Energopolitics und Energopractices.

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In der vorliegenden Studie wurde dargestellt, welche Auswirkungen und Effekte der politisch induzierte Transformationsprozess und seine Policies im Bereich der erneuerbaren Energien auf Energieversorgung mittels Biogas haben. Das EEG bringt als strukturierendes Ordnungsprinzip Räume für soziale und kulturelle Veränderungsprozesse und Innovationen hervor (vgl. Shore/Wright 1997, 2011). Eine solche Form der Politik(en) kann geradewegs als produktive Formation beschrieben werden. Die in dieser Studie dargestellten empirischen Beispiele sind gleichsam Effekt und Formation einer Art von Machtausübung zugleich, die im Bereich der erneuerbaren Energien Einzug erhält. Weiterhin wurde deutlich, wie Policies durch einzelne Akteure und Gruppen inkorporiert werden, aber auch wie mit diesen experimentiert wird und wie sich soziale und kulturelle Dynamiken entwickeln und aneinander reiben. Die vorliegende Studie fokussiert also darauf, die andauernden Infrastrukturierungsprozesse in den Blick zu nehmen, die die verschiedenen Akteure (Biogasanlagenbetreiber, Politiker, Umweltschützer, Wutbürger, Behörden, EU, Banken, Versicherungen, Stadtheimatpfleger, Anwohner), Technologien (EEG, Biogas) und normativen wie moralischen Ordnungen (Baugesetz, Landnutzung von erneuerbaren Energien, öffentliche Vorstellung von Landwirtschaft und landwirtschaftlicher Tätigkeit) ermöglichen, hervorbringen, verwerfen oder auch umgehen. Es handelt sich hierbei um lernende Prozesse, die nicht nur auf Feedback antworten, sondern sich in und durch die Prozesse verändern, die sie durchlaufen (vgl. Niewöhner 2014). Dass bei diesen Transformationsprozessen innerhalb der Energiewende politische Machtgefüge und -konstellationen nicht außer Acht gelassen werden dürfen (vgl. Boyer 2011 und 2014, Drackl8/Krauss 2011, Beck 2013), ermöglicht die Analyse der Formationen von Energopower, Energopolitics und Energopractices. Damit werden wirkungsmächtige Verbindungen zwischen politischen, ökonomischen, kulturellen und gesellschaftlichen Ordnungsprozessen offengelegt und darüber hinaus hinterfragt, wie diese sich entwickeln oder gar ignoriert und ausgeschlossen bleiben konnten. Deutlich wird dies mehrfach in der vorliegenden Studie anhand der messiness – der Unordnung der Energiewende – mit all ihren unbeabsichtigten Nebenfolgen und Effekten. Gerade diese messiness lässt das Feld der Energo-Formationen zu einem idealen Forschungsfeld für eine politisch informierte Anthropologie werden.

Kapitel 7: Fazit und Ausblick

In der vorliegenden Studie wurde am Beispiel der Energieerzeugung mittels Biogas im Nördlinger Ries gezeigt, wie sich durch einen politisch induzierten Transformationsprozess, der durch das Projekt der deutschen Energiewende vorangetrieben wurde, verschiedene Effekte und unbeabsichtigte Nebenfolgen formieren und manifestieren. Entsprechend des Titels dieser Arbeit »Biogas – Macht – Land« werden machtvolle und wirkungsmächtige Aushandlungsprozesse um Land(wirt)schaft fokussiert, die durch eine im Entstehen begriffene Technologie, nämlich Energieproduktion aus Biogas, ausgelöst werden. Darum werden nun zunächst die politischen Bezüge hinsichtlich des Ausbaus erneuerbarer Energien am Beispiel Biogas zusammengefasst. Konkret stellt sich die Frage: Was lässt sich aus den Ergebnissen dieser Studie für dieses Politikfeld schließen und inwiefern spielt das Forschungsfeld Ries für andere Regionen eine Rolle? Darüber hinaus werde ich erneut den anfänglich gestellten Aufruf zur Dringlichkeit einer Anthropology of Energy aufnehmen und im Sinne einer Re-energizing Anthropology die Bedeutsamkeit für das Fach herausarbeiten. Wie in dieser Studie an verschiedensten Stellen mehrfach deutlich wurde, entstehen im Rahmen der messiness der Energiewende (immer wieder neue) Konfliktpunkte und ungewollte Nebeneffekte bei der Energieproduktion aus Biogas. Teilweise können Biogasanlagenbetreiber diese Auswirkungen bereits durch rücksichtsvolleres Handeln vermeiden, indem sie beispielsweise den Transport des Substrats auf bestimmte Wochentage einschränken oder Blühstreifen am Rand der Felder pflanzen. Grundsätzlich, so scheint es, sind bei der Energieproduktion mittels Biogas ökonomische und technische Interessen sowie die damit einhergehenden Beeinträchtigungen des Natur-, Umwelt-, Klima- und Landschaftsschutzes, die Gewährleistung der Artenvielfalt und der Erhalt der Dorfkerne gleich zu gewichten. Ein sensibler Ausbau der erneuerbaren Energien unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Landschaftsarten erscheint aus diesen Gründen sinnvoll. Aus Sicht des Umweltschutzes geht es daher im Wesentlichen darum, in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft andere ökologisch tragbare Lösungen zu finden, die

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gleichzeitig den landwirtschaftlichen Betrieben ein Auskommen ermöglichen. Die Energiewende ist ein gesamtgesellschaftliches Projekt, bei dem die Mitwirkung aller Parteien erforderlich ist. Daher ist es wichtig, dass Landwirte Auswüchse der Biogaserzeugung eigenverantwortlich vermeiden: Ökologische Aspekte wie Fruchtfolgeregeln, die seit mehreren Jahrhunderten gelten, bleiben auch bei der Feldbestellung für Biogaserzeugung wichtig. Ebenso zentral sind die Bewahrung von Ausgleichsflächen sowie der Grundwasserschutz, Einträge durch Gärreste müssen deshalb kontrolliert und begrenzt werden. Gegenüber der Bevölkerung gilt es, der stark im Fokus stehenden Lärm- und Geruchsbelästigung andere Aspekte gegenüberzustellen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Akzeptanzbereitschaft der Bevölkerung hinsichtlich der Energieproduktion mittels Biogas und den damit einhergehenden Effekten umso höher ist, je rücksichtsvoller und bedachter diese Technologie eingesetzt wird und vor allem je mehr Menschen an der Aus- und Mitgestaltung beteiligt sind und ebenfalls ökonomisch profitieren können, beispielsweise in Form eines Nahwärmenetzes. Die US-amerikanische Anthropologin Laura Nader bezeichnet diese Entwicklung als »shift away from centralizing, top-down political tendencies toward a more decentralized, participatory, and self-reliant social form« (Nader 2010, 10). Energieautarkie lässt sich derzeit – wenn überhaupt – nur in ländlichen Räumen verwirklichen. Möglicherweise werden daher die Lebensqualität und der Wohnwert energieautarker Dörfer in den nächsten Jahren ansteigen. Gerade in der Auseinandersetzung mit zukünftigen »globalen Energieproblemen« spielt der Aspekt der dezentralen Energieversorgung durch erneuerbare Energien eine bedeutsame Rolle: Der Gesamtenergieverbrauch ist bei wachsendem Wohlstandsniveau nicht rückläufig. Ganz im Gegenteil bedeutet mehr Wohlstand auch immer mehr Energieverbrauch. Grundsätzlich soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass jede Form der Energiegewinnung auch negative Effekte mit sich bringt. Letztlich ist es eine Abwägung der Bevölkerung, welche Umweltfolgen sie bereit ist zu tragen. Wenn eine Biogasanlage explodiert, zieht das keine Spätfolgen nach sich wie das Reaktorunglück in Fukushima. Weil jedoch Energieproduktion mittels Biogas eine im Entstehen begriffene Technologie ist, ergeben sich lokale Auseinandersetzungen. Erst durch Diskurs und Widerstand können geeignetere Standorte für Anlagen gefunden werden, die sowohl mit dem Landschaftsbild als auch dem Umweltschutz kompatibel sind. Deshalb gilt als Konsequenz, aus den Fehlern schlecht geplanter Anlagen zu lernen. Längerfristig ist Energieerzeugung aus Biomasse womöglich eine Zwischenlösung oder eine Brückentechnologie, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, weil die Biomasse im Gegensatz zu Wind und Sonne nicht kostenlos zur Verfügung steht und für ihren Anbau Fläche benötigt wird. Aber beim Ausbau einer dezentralen Energieinfrastruktur geht es nicht ohne die

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Landwirtschaft. Anders als bei der Nahrungsmittelerzeugung bietet sich für die landwirtschaftliche Produktion durch regenerative Energieerzeugung die Chance, an der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und des Wohlstandsniveaus zu partizipieren. Das EEG stellt für konventionelle Landwirte eine Chance dar, ihre Existenz zu sichern. Dass diese Entwicklung in der Forschungsregion, dem »Silicon Valley of Biogas«, im Vergleich zu anderen Gegenden besonders rasant und plötzlich vor sich ging, kann an dieser Stelle nicht geleugnet werden. Landwirte waren nun in der Situation, Unternehmer zu werden, und passten ihre Betriebe der Dynamik des Marktes an. Auf der anderen Seite ist das Bild des Landwirts eng verknüpft mit dem Ideal einer nachhaltigen, kleinteiligen, ökologischen, diversifizierten, romantischen, nichtkommerziellen, monofunktionalen Landwirtschaft. Eine Umdeutung des Berufsbildes im Sinne des beobachtbaren Transformationsprozesses ist schwierig. Zwar steht die Tätigkeit des Landwirts und jetzt des Biogasanlagenbetreibers fortdauernd im Fokus der öffentlichen Diskussion und wird öffentlich verhandelt, jedoch – und das soll an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden – besteht ein Unterschied zwischen der »lokalen Öffentlichkeit«, das heißt zwischen denjenigen Menschen, die tagtäglich die Arbeit des Landwirts mehr oder weniger unmittelbar beobachten können, und denjenigen, die hier provisorisch als »urbane Öffentlichkeit« gefasst werden. Der Landwirt arbeitet »da draußen«, außerhalb der Stadt. Er ist »irgendwie« wichtig, aber eben nicht wichtig genug für eine tiefergehende Beschäftigung. Was bleibt, ist ein unscharfes Bild einer Arbeit, die eher romantisiert als konkretisiert wird. Studien brachten zu Tage, dass Kinder und Jugendliche Natur und Landwirtschaft zu einer idyllischen, harmonischen Parallelwelt idealisieren, in der der Mensch nichts zu suchen hat (vgl. Drösser 2007). In keinem Tatort, in dem auf einem Bauernhof ermittelt wird, dürfen kleine Gruppen von Hühnern oder eine übersichtliche Anzahl von Schweinen fehlen. Die zahllosen Epigonen der Zeitschrift Landlust sprechen ebenso dafür, dass das Bild des Landwirts in der (medialen) Öffentlichkeit ein eher verzerrtes ist. Das »Land« als Gegenpol des urbanen Raumes entspricht oft eher dem Image einer friedlichen, naturnahen, nostalgisch-traditionellen Welt als dem Bild einer hochtechnisierten Agrar- bzw. Energiewirtschaft. Und selbst jenseits einer Polemik, die sich an populärkulturellen Formen orientiert, wird landwirtschaftliche Tätigkeit als zwar wichtige, aber grundsätzlich supplementäre Tätigkeit empfunden, mit der man sich eher oberflächlich beschäftigt. Ähnlich verhält es sich mit einem Großteil sozial- und kulturwissenschaftlicher Untersuchungen. Die moderne anthropologische Forschung ist in ihrer Fixierung auf »Stadt«, »urbane Kultur« und »das Städtische« keine Ausnahme. Eine »Anthropologie der ländlichen Räume« kann ein wertvolles Komplement in kritischer Auseinandersetzung mit Landwirtschaft, Energiegewinnung und Wasserwirtschaft darstellen, die eben nicht kulturge-

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schichtliche Gemeindeforschung betreibt, sondern ganz konkret aktuelle Fragen der Lebensmittel-, Energie- und Wasserversorgung ins Zentrum forschender Auseinandersetzungen rückt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Obwohl es in Deutschland einen breiten öffentlichen Konsens für erneuerbare Energien gibt und jene auch als Chance für eine ökologisch-nachhaltige und wirtschaftliche Entwicklung angesehen werden, sollte man nicht leugnen, dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt. Es bilden sich als Folge neue Allianzen und Konflikte zwischen sozialen Gruppierungen. Für die Entwicklung hin zur dezentralisierten Energieinfrastruktur bedarf es einer besseren Vermittlung der unterschiedlichen Interessen sowie der gegensätzlichen Konzepte von Landschaft, Lebensqualität und Umwelt. Gerade bei der Umstellung auf eine dezentrale Energieversorgung entstehen auch »Schattenseiten direkt vor der Haustür«, denn Biogasanlagen oder Windräder sind genauso sichtbar wie ein Kohlekraftwerk und erinnern uns daran, wo Energie eigentlich herkommt und produziert wird (vgl. Nada"/van der Horst 2010). Unerlässlich für Innovationen ist, dass Menschen ihre spontanen Beharrungswünsche reflektieren können. Wichtig dafür ist ein »gestaltender Staat, der […] die Bürgerschaft an den zu treffenden Entscheidungen beteiligt. Damit wird eine Kultur der Achtsamkeit (aus ökologischer Verantwortung) mit einer Kultur der Teilhabe (als demokratischer Verantwortung) sowie mit einer Kultur der Verpflichtung gegenüber zukünftigen Generationen (Zukunftsverantwortung) verbunden« (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung, Globale Umweltveränderungen 2011, 8). Abschließend soll hier noch auf die aktuellen Entwicklungen der Energieproduktion mittels Biogas in Deutschland hingewiesen werden. In Deutschland existieren derzeit rund 8000 Biogasanlagen, 2330 davon in Bayern (vgl. Detsch 2015). Im Vergleich zu anderen Bundesländern sind dies überdurchschnittlich viele: Niedersachsen als zweitstärkstes Bundesland verfügt über 1480 Anlagen (vgl. Statista 2013). Die Novellierung des EEG 2014 brachte jedoch eine radikale Kürzung der Einspeisevergütung für Energieproduktion aus Biomasse (vgl. Detsch 2015). Dies hatte zur Folge, dass die Zahl der Beschäftigten bei den Anlagenherstellern von 60 000 auf 40 000 sank. Somit wagt aktuell kaum noch ein Landwirt den Einstieg in die Biogasbranche, denn »[d]ie Biogasproduktion rechnet sich nicht mehr, die Zeiten garantierter Traumrenditen sind vorbei« (Detsch 2015). Diese derzeitig ernüchternde Bilanz am Ende dieser Forschungsarbeit erinnert mich an das Gespräch mit dem Anlagentechnikunternehmer im Jahr 2011, dem damals schon bewusst war, dass sein komplettes Unternehmen mit den Novellen des EEG »steht und fällt«. Bereits zu diesem Zeitpunkt prophezeite der Unternehmer eine Verschlechterung der Einspeisevergütung und somit, wie er

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selbst sagte, eine »immense Vernichtung von Arbeitsplätzen«. An dieser Stelle wird erneut offensichtlich, welche machtvollen und unabsehbaren Auswirkungen eine Policy wie das EEG als zentrales Steuerungsinstrument und Ordnungsprinzip der Energiewende erzeugt (vgl. Shore et al. 2011 und Adam/ Vonderau 2014): Keiner weiß, was nach den 20 Jahren mit garantierter Einspeisevergütung passieren wird. Die Biogasanlagenbetreiber – mehr noch, eine ganze Branche – sind im Ungewissen, ob überhaupt und, wenn ja, wie Energieproduktion mittels Biogas zukünftig anerkannt wird. Über eine Abwrackprämie für Biogasanlagen wurde bereits laut diskutiert (vgl. Weiß 2014). Und genau aus diesen Gründen müssen hier anthropologische Forschungen ansetzen, denn bald werden die ersten Biogasanlagen den »Knackpunkt« der für 20 Jahre garantierten Einspeisevergütung erreichen, die ersten davon bereits im Jahr 2020.134 Hier wird erneut deutlich, dass Energieproduktion mittels Biogas ein äußerst dynamisiertes Forschungsfeld darstellt. Wie Dominic Boyer (2011 und 2014) bereits eindringlich gemahnt hat, besteht hier dringend anthropologischer Forschungsbedarf: Was bedeuten diese Entwicklungen für das Nördlinger Ries, das mittlerweile als »Silicon Valley of Biogas« bezeichnet werden kann, und welche Effekte sind in anderen Regionen Deutschlands hinsichtlich dieser Dynamiken zu beobachten? Welche Auswirkungen haben diese Transformationsprozesse für die Energiewende allgemein? Diese Fragen lassen sich hinsichtlich ihrer Verstrickung in politische Machtgefüge durch die verschiedenen Energo-Formationen im Sinne einer Reenergizing Anthropology fassen. Aber nicht nur in Deutschland im Rahmen der Energiewende sind anthropologische Forschungen zur Energieerzeugung mittels Biogas sinnvoll, denn diese Form der Energieproduktion funktioniert überall dort, wo landwirtschaftliche Strukturen vorhanden sind: Biogas ist nicht auf eine spezifische Biomasse angewiesen. Gleichzeitig handelt es sich um eine außerordentlich dynamische Technologie, die erst im Entstehen begriffen ist und sich kontinuierlich weiterentwickelt. An dieser Stelle sollen also zwei Bewegungen angesprochen werden: die Flexibilität bezüglich des Ortes der Energieproduktion aus Biogas und die neue, im Entstehen begriffene Technologie, deren weitere Potentiale womöglich erst noch entwickelt werden müssen. Jedoch entsprechen diese speziellen Bewegungen aufgrund der landwirtschaftlichen Voraussetzungen wieder dem Aufruf einer oben bereits angesprochenen »Anthropologie der ländlichen Räume«. Landwirtschaft und dezentrale, regenerative Energiegewinnung können nur gemeinsam gedacht werden und müs-

134 Das EEG wurde im Jahr 2000 auf Grundlage des Stromeinspeisungsgesetzes von 1990 eingeführt.

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sen im Rahmen einer Forschung über Transformationsprozesse von Energiesystemen ins Zentrum der Auseinandersetzungen gestellt werden. Letztlich geht es also darum, dass sich AnthropologInnen mit einem »neuen« Phänomenbereich beschäftigen, den die anthropologischen Disziplinen bisher kaum beachtet haben – nämlich Energie. Andererseits folgt daraus zugleich ein theoretisches wie methodisches »Re-energizing« der Anthropologie. Demzufolge ist es auch notwendig, das Phänomen Energie mit neuen Forschungskonzepten und Forschungsansätzen zu beforschen. In der vorliegenden Studie ist der Versuch unternommen worden, dies anhand der Analyse von EnergoFormationen herauszuarbeiten, vor allem, um die enge Verzahnung der Machtkonstellationen von Energiesystemen mit alltäglichen Lebenswelten zu betonen (vgl. Boyer 2011 und 2014). Gerade die anthropologisch-ethnographischen Disziplinen besitzen hinsichtlich ihrer methodischen Orientierung und theoretischen Grundierung enormes Potential, wichtige Beiträge für dieses transdisziplinäre Forschungsfeld zu liefern. Die vorliegende Studie greift diese programmatische Perspektivierung dahingehend auf, dass die Auseinandersetzung mit Energie nicht nur ein dynamisiertes Forschungsfeld ist, sondern zugleich die Dynamisierung des Faches Kulturanthropologie bedingt.

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Abkürzungsverzeichnis

AEE AELF BfN BHKW BMEL BMELV BMU BMUB BMWi BUND DIW EEG EnWG EU GAP KfW KWK kWh MW NABEG NawaRo PV SRU Destatis WBGU

FS

Agentur für Erneuerbare Energien Amt für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten Bundesamt für Naturschutz Blockheizkraftwerk Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (seit 2013) Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (bis 2013) Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (bis 2013) Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (seit 2013) Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. Erneuerbare-Energien-Gesetz Energiewirtschaftsgesetz Europäische Union Gemeinsame Agrarpolitik Kreditanstalt für Wiederaufbau Kraft-Wärme-Kopplung Kilowattstunde Megawatt Netzausbaubeschleunigungsgesetz Nachwachsende Rohstoffe Photovoltaik Sachverständigenrat für Umweltfragen Statistisches Bundesamt Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung, Globale Umweltveränderungen Franziska Sperling