Bilder und Eindrücke aus einer achtwöchentlichen Dienstzeit als freiwilliger Feldprediger im Sommer 1870 [Reprint 2021 ed.]
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Bilder und Eindrücke aus

einer nchttvöchentlichen Dienstzeit als freiwilliger Feldprediger

im Sommer 1870.

Bon

C. Schepers, Pfarrer.

Bonn, bei Adolph Marcus. 1871.

Meinem hochverehrten Freunde dem Herrn

Militär-Ober-Psarrer

C o n s i st o r i a l-R a t h Korten Ritter re.

I« Tobten? gewidmet.

Wie die pflichttreue harte Arbeit „des Dienstes" in den

Friedensjahren jetzt ihren glänzenden Lohn empfängt in der Alles überwindenden Kriegstüchtigkeit unserer Soldaten: so

trägt d i e Arbeit nicht minderen Preis davon, die Sie, hoch­

verehrter Freund und Ihre Mitarbeiter still und von uns

Andern oft übersehen dem Heere gewidmet haben, als die treuen Pfleger des Geistes, der unsere Truppen in ihrem

Kämpfen und Siegen, wie in ihrem Leiden zu leuchtenden

Vorbildern gemacht hat für uns und alle Zeiten. Denn der Geist ist es, der lebendig macht.

Sie haben mir freundlich gestattet meinem Büchlein

Ihren Namen voranzustellen.

Möge es Sie erfreuen! —

auch dadurch, daß Sie in dem, was es von Ihrer Gemeinde

erzählt, die Spuren Ihrer Friedensarbeit wiederfinden. Der Versaffer.

i.

Reisen unterm rochen^Kreiy.

Als Napoleons und seines Volkes leichtsinniger Frevel­ muth unserm Könige den lange drohenden, tödtlichen Kampf endlich aufzwang;

als es galt,

in ihm des Vaterlandes Ehre

und sichern Bestand zu retten und seine Einheit — die lang

ersehnte nun endlich gekommene — als Kampfpreis zu gewinnen;

als in des Königs

einfachen tapferen Worten

voll Lauterkeit

und Wahrheit der gute Geist unseres Volkes sich freudig wie­

dererkannte und sich an ihnen stärkte und

erbaute:

Diener am Worte hätte es da nicht gedrängt

welchen

mit der Blüthe

unseres Volkes hinauszuziehen in das Feld, um bei ihr zu stehen

in ihren schwersten und herrlichsten Stunden,

als Zeuge von

der Liebe, die nimmer aufhört und so auch sein Scherflein bei­

zutragen zu dem großen Opfer, mit dem

unser Volk

erlöst

werden sollte aus langem hartem Banne.

Ich durfte mich zu jedem Dienst im Felde melden, da ich

abkömmlich war, und ich hoffte den Schritt frühzeitig genug ge­ than zu haben, um zu

den frühesten

zu

gehören.

Aber als

meine Eingabe an mich zurückkam, trug sie die Meldungs-Nr.

189, eine Nummer, die natürlich bedeutend überschritten worden ist.

Mußte ich mich nun auch freuen, daß so rasch und zahl­

reich die Brüder sich zu dem

ernsten

Dienste drängten: die

Freude war doch ein sehr gemischtes Gefühl,

denn

für

mich

schien wieder nichts anderes übrig zu bleiben, als das Bewußt­ sein: „Du hast dienen wollen", und die Aufgabe, darin stille zu werden.

Wie doppelt freudig griff ich drum zu, als in der Mitte des August der Antrag an mich erging, eine Lazareth-Prediger1

2 Stelle zu übernehmen. Nachdem ich meiner Gemeinde Lebewohl

gesagt,

reiste ich ab und fand in Koblenz unter Anderem das

rothe Kreuz, unter dessen Schutz und in dessen Dienst ich die

nächsten ernsten Wochen arbeiten sollte. Der

zweiten Armee zugewiesen, galt es zunächst meinen

Ober-Prediger zu

finden,

der mir meinen Posten zuzutheilen

Er sollte in Homburg in

hatte.

weit offenste Weg dahin, Schon in Bingerbrück

der Pfalz

die Nahebahn.

giebts den

sein,

der

beste,

Welche Täuschung!

ersten,

langen Aufenthalt.

Sehen wir uns derweilen in Bingerbrück um.

„Unterm rothen

Kreuz" kann man von der Station sagen; ein bewegtes, schönes Leben entfaltet sich in ihr.

an.

Eben kam ein Verwundeten-Zug

Da füllen sich die Wartesäle mit Verwundeten, die allein

oder geleitet kommen und nach langer anstrengender Eisenbahn­ fahrt Verband und Erquickung bedürfen; —

sie kommen aus

Die Schwerstverwundeten werden

den Heldenkämpfen bei Metz.

zurückbehalten, um hier in die Lazarethe ausgenommen zu wer­

den.

Aerzte

und

Damen der Stadt

freiwillige

Krankenpfleger,

und Nachbarschaft

die

vornehmen

und einfache Mädchen

wetteifern darin, den Verwundeten mit allen vorhandenen reichen

Hülfsmitteln unermüdlich Hülfe zu leisten. ersten Male mit Hand an. nun sind die letzten besorgt.

Ich lege auch zum

Endlich lichten sich die Reihen —

Da steht schon ein anderer Zug,

ein langer, dessen Insassen der Erquickung bedürfen. beit, gethan mit derselben vorige.

freudigen

Neue Ar­

Unermüdlichkeit, wie die

Auch in diesem Zuge muß verbunden werden, aber in

den Wagen, wie rasch geschieht es! Der Zug setzt sich in Be­ wegung, denn bald nimmt wieder ein anderer seine Stelle ein,

und jeder von diesen Zügen voll Schmerz und Noth findet die­ selben liebevollen, unermüdeten Hände,

treuen Herzen.

Hand weiß nicht, was die rechte thut." ein:

dieselben mitleidenden,

Tas Schönste aber ist, man sieht: „die linke

Mir

fiel

das Wort

„Hier ist nicht Mann noch Weib, nicht Knecht noch Freier!

3 Ihr seid allzumal Einer in Christo", eins im demüthigen liebe­

vollen Dienste, ein Jedes mit dem Besten seiner Habe.

Und

so entzündet sich im ganzen lieben Vaterlande an der Noth des Krieges der Geist herzlicher, reicher Barmherzigkeit. Aber wer sind die dort, die in der Ecke des Wartesaales

stehen und nicht an das Licht kommen? — Sie verhandeln mit

einem alten Herrn über Essen und

Trinken — alle ruppig,

verkommen, zum Theil mit sehr widerwärtigen Gesichtern. Sie

tragen wahrlich auch das

rothe Kreuz, die gestempelte Binde.

Sollte das die Schaar von Nothhelfern sein, von der der alte

Herr in meinem Coupe sprach, daß er sie aus das Schlachtfeld führe und lobend erwähnte,

recht ordentlich gehalten?

sie sich bis jetzt im Ganzen

daß

Richtig,

da

diger Herr, Baron wenn ich nicht irre.

ist er, ein alter wür­ Er spricht sie zufrieden,

denn sie verlangen gespeist und getränkt zu werden. rauh", denke ich.

„Allerlei

„Was doch unter dem rothen Kreuze nicht

zusammenkommt."

„Der Zug nach Saarbrücken" und wie vom Sturm zer­ stoben ist die den Bahnhof füllende Schaar; jeder sucht sich

einen Platz zu sichern.

Ich bin

so glücklich,

das

erste und

einzige Mal auf allen meinen Fahrten, den mir zustehenden

Platz 2. Klasse zu gewinnen, wenn auch nicht ohne einigen Kampf.

Denn das Coupe ist eingenommen von zwei Unterofficieren und

verschiedenen militärischen Effecten,

Kisten, Sattel und dergl.

Was evacuirt werden kann, wird evacuirt und bald ist das Coupe von Mitreisenden gefüllt:

Eine junge Frau, die ihren,

wie sie erfahren hat, leicht verwundeten Mann aufsucht, um ihn zu pflegen; ihr Begleiter aber weiß, daß sie nur seine Leiche

finden wird; Ein alter Oberst, der die Leiche seines Sohnes in Saarbrücken holen will —; er fand zwei; auch die Leiche

eines andern theuern Verwandten, kampfe um die Spicherer Höhen,

beide gefallen im Helden­

wie er mir später in^Saar-

brücken mittheilte, so tapfern, gefaßten Herzens in seinem Leid,

4 Hoch

ihrem Kampfe.

wie sie in

Geistes voll.

Und

niedrig ist desselben

Der geringe Bauersmann aus meiner Gemeinde,

der nach langer Unsicherheit die Nachricht von dem Tode seines Sohnes erhielt, theilte sie mir mit den Worten mit: Wenn ich ihn dafür aufgezogen haben soll, daß er sich opferte: in Gottes Namen! er hat sein Leben für eine gute Sache gegeben, Gott

wird ihm gnädig

sein.

durch diesen Krieg Alles

So lange

gut und edel ist in unserm Volke erweckt wird und zu

was

einer heiligen unwiderstehlichen Macht erwächst, so lange kann

ich nicht einstimmen in

das leider auch viel gepredigte Wort:

daß der gegenwärtige Krieg ein Strafgericht Gottes sei über

unsres Volkes Sünde. Langsam gings die Nahe hinauf; viel zu langsam für unsre

Sehnsucht nach Arbeit.

halt.

An

jeder

An jeder Station unendlicher Aufent­

Station

auch

naturwüchsige Verpflegungs­

Frauen mit selbstgebrautem Kaffe, mit selbstgezogenem

Comites.

Wein, mit Körben voll Butterbroden,

die sie beim Nahen des

Zuges aus den Häusern eiligst herbei trugen: es nimmt gar kein Ende.

Wäre unser Zug der einzige, der heute kommt, so

könnte man das begreifen; aber wie viele kommen, nicht heute, sondern

täglich

und

dem Lande, das

immer

sind

die

Spenden

bereit

aus

von der Dürre des Sommers so schwer ge­

litten hat! Auch hier die Menschenkinder haben von ihrem Va-

ter gelernt: „ihre Güte ist jeden Morgen neu." würdig zudringlich sie sind, wo, wie in

zugegriffen wird.

Wie liebens­

unserm Coupe, nicht

Ein Butterbrod? Ganz frische Butter. Trinken

Sie doch ein Glas Wein! Er ist gut! Der Herr nimmt viel­

leicht lieber rothen! Wollen Sie rothen? Wir haben ein ganzes

Faß voll, guten rothen Wein! wenn man nimmt,

dankte man noch so herzlich. Abend.

Als eine Gunst sehen sie's an,

fast als Kränkung, wenn man dankt,

und

So gings bis in den sinkenden

Einen harten Kampf kämpften hier miteinander die Er­

quickungsfähigkeit unserer tapfern Soldaten und die der braven

5 Pfälzer, bis

die Nacht dem Streite ein Ende machte.

Die

Nacht wurde auf

der Station St. Wendel zugebracht, theils

unter anregendem

Gespräch mit meinen freundlichen Genossen

vom rothen Kreuz, theils unter vergeblichen Versuchen einzu­ Endlich tagte es, immer noch kam keine Bewegung

schlafen.

Erst Nachmittags erreichten wir Neunkirchen.

in unsern Zug.

Hier verließ ich den Zug, kam auch bald nach Homburg, fand

aber meinen Oberpfarrer nicht, nur seine Karte mit der Notiz

darauf, daß er in Saargemünd sei.

Ein sofort abgehender

Zug brachte mich nach Neunkirchen zurück und es gelingt mir einen Zug zu treffen, der, wie man sagt, im Begriff ist nach

Saarbrücken abzufahren.

Ich meldete mich beim zugführenden

Officier zur Mitfahrt unter Vorzeigung meiner grünen Johanniter­

karte und erfuhr zum ersten Male, daß das rothe Kreuz durch­ aus kein passe-partout, nicht einmal dessen Diensten es

mir

auch

bei dem Militair ist, in

doch steht; ehe der Zug abfuhr konnte ich

einigermaßen

erklären

warum.

Offtcier ist ein vielgeplagter Mann,

Der

zugführende

besonders wenn er auf

der Rhein-Nahe-Bahn einen unendlich langen Zug zu beauf­ sichtigen hat.

gnädiges :

Er hat daher auch nur ein kurzes, ziemlich un­

„Nach

vorn"

für mich.

Gehorsam suche ich vorn

bis zur Locomotive nach einem Platze nur, leider — ohne zu finden.

Zwei Soldaten, die eine auf einem Waggon stehende

Kutsche bewachen, nehmen mich endlich in dieselbe auf.

Kaum

aber habe ich nicht ohne Mühe Waggon und Kutsche erklettert und setze mich zurecht,

so ist auch der zugführende Officier da

und wirft mich mit einem: Ich will keinen Eivilisten da oben,

nach vorn müssen Sie! wieder auf die harten Schienen zurück und

wieder

nach

vorn.

Ich offenbare meine Noth einigen

Soldaten, die ein Coupe 3. Klaffe innehaben und freundlich rücken sie zusammen, um meiner Person einigen Platz zu be­ reiten.

Braucht sie nicht viel, so hielt es doch schwer, aber es

ging und ich freute mich zur Ruhe gekommen

zu sein,

und,

6 nach Befehl,

„vorn."

Aber ich hatte nicht bedacht, daß ein

preußischer zugführender Officier seine Augen pflichtmäßig überall

und seine.Instruction überall vor Augen hat. auch

Er mußte also

mein Einsteigen bei den Soldaten bemerken und konnte

es nicht dulden.

Eine Ordonnanz kommt — nachdem ich eben

als Gastgeschenk

meine letzten Cigarren vertheilt habe:

Civilist soll aussteigen und nach vorn gehen."

„Der

Da ist wirklich

vorn noch ein Wagen, mit wenigem Stroh und vielen Menschen

belegt, aber es sind doch meines Gleichen, Civilisten.

Ich steige

ein und sehe mich um: es sind sogar bekannte Gesichter, man ver­

gißt sie nicht leicht— rothe Kreuze, — es ist wirklich die Fallstafs'sche Schaar von Nothhelfern aus Bingerbrück. Schöner waren sie nicht

aber betrunkener, und was sich gar herrlich

geworden seitdem,

zu offenbaren begann, war nicht Humanität, deren Zeichen sie

trugen,

sondern

etwas

ganz

anderes.

Nach einem kurz an­

dauernden, sträflich mißlingenden Versuch, eine halbwegs anstän­ dige Miene vorzunehmen, vertrieb man sich die Langeweile des

Wartens in der vollsten Unbefangenheit mit — Trinken kann man das schon nicht mehr nennen, mit Streiten und Sichversöhnen, mit Balgen und

dergleichen Kurzweil; Alles gewürzt

mit einer Unterhaltung, deren Gemeinheit ich nicht andeuten Eine schauerliche Gesellschaft, gedeckt von dem Symbol

mag.

der reinen, todesmuthigen Liebe.

Wehe den armen Verwun­

deten, die in solche Hände fallen! Ich vergab in meinem Her­ zen

dem

zugführenden

Officier

die

Mißachtung des rothen

Kreuzes, die ich in seinem Benehmen zu erkennen geglaubt, Ange­

sichts solcher Repräsentanten desselben.

Daß etwas fehlen müsse

in der freiwilligen Krankenpflege und was das sei, das fehlt, darüber hatte ich viele Stunden Zeit,

hier volle Veranlassung nachzudenken und denn erst am Abend wurde ein Extrazug

nach Saarbrücken arrangirt, und wie ein Erlöster kam ich mir vor, nachdem es mir gelungen war den Nothhelfern zu ent­

springen und

ein

bescheidenes Plätzchen in dem Extrazug zu

7 finden, der uns spät Abends in das von Kranken, Gefangenen, Soldaten, Reisenden überfüllte, in das schwer heimgesuchte aber

treu erfundene St. Johann-Saarbrücken brachte. In Saargemünd war, wie vom Mädchen aus der Fremde,

jede Spur von meinem Chef verloren.

Er war nicht allein

nicht da, sondern auch nicht da gewesen und hatte auch keine Weisung geschickt für die, die ihn dort suchten.

gleich

nack

Mein Entschluß war bald gefaßt. Lazarethe

Er war eben

der Schlacht am 14. auf das Schlachtfeld geeilt.

finden

sich

Ich sollte in ein Lazareth,

sicher auf den Schlachtfeldern vom 16.

und 18.; dorthin also: zunächst nach Pont-a-Mousson. fand

sich

auf dem Zuge eine bunte Schaar von

Kreuzträgern und



Trägerinnen

Wieder

zusammen.

Einberufene

und freiwillige Aerzte, — Diakonissen verschiedener Verbände, freiwillige Krankenwärter, — ein russischer Arzt aus Odessa —

freiwillige Krankenpflegerinnen; alle unterm rothen Kreuz. Freiwillige Krankenpflegerinnen! Theils mittelalterliche, theils

jüngere Mädchen, ohne die Begleitung einer älteren Frau, nicht durch ein Ordenskleid vor allerlei Annäherung und Zudring­ lichkeit und vor eigener Unvorsichtigkeit geschützt, allein auf dem

Wege nach dem Kriegsschauplätze: wie zog das Alles an, was

leichtfertigen Sinnes war, und wie war, nach der Nacht, die

im Dunkeln auf dem Zuge verbracht werden mußte, die frei­ willige Krankenpflege um einen Typus reicher geworden.

sein.

zweifelhaften Werthes

Dieser Typus soll so selten

Ich selbst bin ihm noch einmal begegnet.

Geister, heißt

gerade nicht Prüfet die

es da; an dieser Prüfung aber haben es die

Johanniter, wie es scheint, fehlen lassen. Auch

unterm rothen Kreuz

sein Fortkommen suchen.

Stunden auf der

muß man auf allerlei Weise

So waren wir,

nachdem wir 24

Strecke Saargemünd-Falckenberg zugebracht

hatten, der richtigen Ansicht, daß uns eine Fahrt per Leiter­ wagen quer durch's Land rascher nach Pont-a-Mousson bringen

8 würde als die Eisenbahn in ihrer intermittirenden Bewegung.

Der russische Arzt, der ebenfalls Eile hatte fortzukommen und ich, wir begaben uns zum Etappen-Eommandanten, einem sehr freundlichen Herrn, und trugen ihm unser Anliegen vor. Gern

war er bereit einen Versuch, uns fortzuhelsen, zu machen.

schlug fehl.

Er

Trostlos wollten wir uns zu unserm Zuge zurück­

begeben, als wie ein Deus ex machina eine Ordonnanz erschien

mit der Meldung, man habe eben einen Marketender eingefan­ gen, der gestohlene Sachen bei sich führe, der Fuhrmann, der

ihn

gefahren,

müsse

darum gewußt haben.

das Verfahren anzusehen.

Wir blieben um

Es war summarisch; der überführte

Marketender wurde festgehallen und abgeführt, der der Hehlerei

stark verdächtige Fuhrmann aber, ein junger Mensch aus Linz am Rhein, wurde verurtheilt uns sofort nach Pont-a-Mousson zu fahren.

Es war das, nebenbei gesagt, der zweite Marketender,

der an dem Tage in Falckenberg wegen des Besitzes gestohlener

Gegenstände festsaß. Pont-a-Mousson

ist

ein reizend gelegenes Städtchen mit

ganz individueller Physiognomie.

Ich bin dort auf eine halbe

Stunde Lazareth-Prediger gewesen und das ging so zu.

dem Etappen-Commando

war

man,

weil

die

Auf

evangelischen

Soldaten ohne Begleitung eines Geistlichen begraben wurden,

der Meinung,

es sei kein evangelischer Lazareth-Prediger am

Orte und stellte mich als solchen an.

Man gab mir ein Ver-

zeichniß der Lazarethe, uiib nachdem wir übereingekommen waren,

daß von Seiten der Kommandantur der Befehl ausgehen sollte, daß hinfort nur zu bestimmter Abendstunde und nur nach vor­

hergegangener Anzeige beim Lazareth-Prediger die Beerdigung

evangelischer Soldaten stattzufinden habe: ging ich fröhlich mei­ nes Weges und fragte mich schleunigst in das nächste Lazareth,

um mich dort zu melden.

Das wurde mir nun erspart. Denn

noch vor der Thür begegnete mir ein Mann, der unverkennbar in Amtsbruder war.

Ich stellte mich ihm vor und erfuhr, daß

9 drei Lazareth-Prediger am Orte seien, alle drei rite angestellt

und vollauf beschäftigt; daß sie Leichen nicht begleiten könnten,

weil man ihnen keine Allzeige mache, stattfinde.

Das

war nun

freilich

wann

eine Beerdigung

für die Zukunft geordnet;

ich aber war um ein Amt ärmer und dafür um zwei Erfahr­ ungen, die ich

auch später

bestätigt

gefunden

habe,

reicher.

Die eine Erfahrung ist die,

daß Militair-Lazarethverwaltung

und

recht

Lazarethseelsorge

nicht

miteinander correspondiren,

wovon ein Mehreres an einem andern Orte; die andere, daß wenn einmal Etwas an einem Orte fehlt, wo man es glaubt erwarten zu dürfen — und wäre dieses Etwas ein Lazareth-

Prediger — man darum doch nicht schließen darf, es sei über­

haupt nicht da, oder nicht auf seinem Platze.

Man sieht und

hört viel Einzelnes aus allen Zweigen des Kriegslebens, es ist

nicht so gut, wie es der Idee nach sein sollte.

nicht,

kann

Da fragt man

es nach den gegebenen Umständen und Verhält­

nissen besser sein? Das würde eine eingehende sorgfältige Unter­

suchung zur Voraussetzung und, meistens wenigstens, eine Sus­

pension des Urtheils zur Folge man meist nicht

haben und zu dem Einen hat

das Vermögen,

Muth der Selbstbeschränkung.

zu

dem Andern

nicht den

Viel lieber urtheilt man frisch­

weg; das ist viel leichter und leider oft auch populärer, und man findet für jeden Mangel den Grund in Unfähigkeit und

Vernachlässigung, wenn nicht gar in Untreue und bösem Willen. So geht es auch uns Lazarethgeistlichen.

Man vermißt einen

Geistlichen einmal hier, wo man ihn zu finden hofft, ein andermal dort, wo er auch recht nöthig wäre und urtheilt nun: Wo sie

sein sollten, da sind sie nicht.

So fragte mich ein katholischer

Arzt in Mars la Tour, ob ich ihm nicht einen deutschen katho­ lischen Geistlichen

nachweisen

könne.

So häufig komme ihm

der Fall vor, daß Kranke nach einem katholischen Geistlichen

begehrten und trotz der größten Mühe, die er sich gegeben, habe er keines einzigen habhaft werden können.

Bei uns sei ent-

10 weder besser gesorgt, da die evangelischen Kranken sich ununter­

brochen unseres Zuspruches zu erfreuen hätten, oder wir wüßten besser unsere Stelle zu finden. Anderwärts (siehe Pont-a-Mousson)

hat man gemeint das Gegentheil schließen zu können.

Freilich

glaubt dies und ähnliches Urtheilen aus gutem Herzen zu kom­ men.

sind,

Weil wir

das Heer so sehr lieben und so stolz darauf

wir es als selbstverständlich hin,

darum nehmen

für alle seine Bedürfnisse, muß;

daß

geistige und leibliche, gesorgt sein

daß dazu geniale Umsicht und treueste Sorgfalt unter

Umstünden nicht ausreichend sein können, übersehen wir;

jeden

Aber daß nun unser Ur­

Mangel aber empfinden wir schwer.

theil fast mit Vorliebe am Mangelhaften hängt und von ihm

bestimmt wird, das ist nicht allein im höchsten Grade thöricht

und undankbar, sondern es dient auch dazu, uns und Andern,

die Freude und das Herz zur Sache

selbst den Arbeitenden,

zu

nehmen,

Arbeit

und Genuß zu verkümmern, — der alte

Fluch des Splitterrichters.

Vor der Größe der Leistungen auch

auf diesem Gebiete sollte die Kleinlichkeit des Urtheils sich schämen.

Doch zurück nach Pont-a-Mousson und Commando! Wie man mir, der

auf düs' Etappen-

ich nach Gorze ein Fuhrwerk

bedurfte und beanspruchen konnte, einen Zettel gibt, in welchem

„Vorzeiger

dieses nach Gorze dirigirt wird", ein Document,

kraft welches ich noch heute auf dem Marktplatz von Pont-a-

Mousson stehen würde; — wie der freundliche Herr v. K. mir einen Wagen verschaffte, der mir aber, indessen ich meinen Koffer und meinen Reisegefährten hole,

von

einem auch sein Fort­

kommen suchenden, jedenfalls aber behenderen Officier entführt

wird;

wie ich spät Abends die Diakonissen aus Falckenberg

auf dem Markte

ankommen

sehe,

thronend

auf Kisten und

Koffern und nach Verlust des sie geleitenden Johanniters, trost­ los, weil ohne Obdach; — wie ich nun in der fremden Stadt

umherlaufe und endlich freundliche

theils

bei

katholischen

Schwestern,

Aufnahme

theils

für

sie

finde,

bei Kaiserswerther

11 Diakonissen —; wie der folgende Morgen mit Bittgesuchen um

einen Wagen, anfangend vom Pr. R. bis zu Hrn. v. B., zu­

gebracht wird, bis endlich Nachmittags die Schwestern und ich der Stadt, die uns so sehr an sich zu fesseln gesucht, den Rücken

wenden

und

auf

kleinen einspännigen Leiterwagen in

einem

lustigem Regen und der aufgestapelten Koffer wegen unter stetem Balanciren am Abend in Gorze einrücken konnten: das wären

lustige Illustrationen zu unserm Thema: „wie man unter dem

Allein der freundliche Leser wird uns

rothen Kreuze reis't".

die Ausführung erlassen, das Capitel von der Reise ist ja ohnehin lang genug geworden.

Ich will nur den Schluß des Tages

Gorze war überfüllt von Soldaten und Kranken;

beschreiben.

wo ein Unterkommen finden für sechs Schwestern? Nach langem

Ueberlegen und Hin-und Herlaufen, während dessen die Schwestern, wenn auch nicht in olympischer Ruhe, auf ihren Koffern thronten und der Regen still und emsig

unserm Halteplatz gegenüber

teten

Hause

katholische

niederrieselte:

erfuhr ich,

daß

in einem zum Lazareth eingerich­

Schwestern pflegten.

Ich

hatte

die

Freundlichkeit der Ordensschwestern schon in Pont-a-Mousson

erfahren,

ging also leichteren Herzens in das Haus und bat

die Schwestern um Obdach zur Nacht für meine Schützlinge.

Mit großer Herzlichkeit wurde ich auch hier ausgenommen, zum

Glücke fand sich eine eben von Verwundeten verlassene, freilich absolut

leere Stube

ohne

Stroh, die den

Schwestern

ein­

geräumt und so gut es ging mit Koffern, Mänteln und Tüchern

zum Schlafzimmer hergerichtet wurde.

Ein freundlicher Zahl­

meister verschaffte uns inzwischen unsere Rationen an Fleisch, Brod, Reis, die wir als Gastgeschenk unsern Wirthinnen dar­ brachten für ihre Verwundeten: und fein und lieblich war es, wie die Schwestern bei einander wohnten.

Nicht

ganz

leichten

Herzens

suchte

ich an diesem Abend

mein Lager auf in dem Quartier meines gütigen Ober-Predigers. Während ich

gehofft hatte

in eine Fülle von Arbeit hinein-

12 zukommen und dringender Noth abhelfen

zu können, erschien

es mir an Ort und Stelle, als sei eigentlich keine rechte Ver­ wendung mehr für mich.

Kein Lazareth war mit Bestimmtheit

anzugeben, welches noch eines Geistlichen bedurft hätte.

Zwar

tröstete mich mein Chef, den ich um seine Ruhe beneidete, daß ich schlimmsten Falles einige Tage in Gorze mich beschäftigen könne, oder auch in Pont-a-Mousson, wo einer der Brüder über

augenblickliche Arbeitslast klage, und daß sich dann gewiß etwas

finden würde, da in einigen Orten, auch Vionville wurde ge­

nannt, Lazarethe etablirt sein sollten.

Trotz alledem hatte ich

den Eindruck eigentlich ohne Schaden wohl entbehrt werden zu können, und das war in meiner Lage eine bittere Empfindung.

Wie immer bisher, so hatte ich auch jetzt vergeblich gesorgt.

Nach dem Gottesdienste erhielt der Ober-Prediger ein Briefchen vom Chefarzt eines Lazareths in Vionville, in welchem derselbe dringend um Zusendung eines Lazareth-Geistlichen bat und nach

Tisch fuhren wir hinaus, ich

wurde als Lazareth-Prediger in

Vionville stationirt und begann mein Amt sofort mit der Aus­

theilung des hl. Abendmahls an einen Kranken, dem ich auch später noch manches gute Wort sagen durfte.

Nachdem ich auch ein Quartier gefunden, fehlte zu meiner Häuslichkeit nichts als Licht, was damals theuer war im Lande.

So brachte ich denn meinen ersten Abend am Herdfeuer mei­

ner Wirthsleute zu und hielt ihnen einen französischen Vortrag über die Aussichten

auf Frieden,

testantische Religion — lauter

deutsche Zustände und pro­

Dinge,

nach

denen sie eifrig

fragten.

So hatte mein Reisen

unterm Kreuz zu meiner

Freude

sein Ende, und die Arbeit unterm Kreuz endlich ihren Anfang

gefunden.

Genau acht Tage war ich unterwegs gewesen.

13

II.

Mein Wirkungskreis.

Das Schlachtfeld vom 16. und 18. August, die Hochebene zwischen Mosel und Maas, nach der Mosel hin steil abfallend

mit frisch

grünen

Waldabhängen,

— im

Innern

welliges

Hügelland, nach allen Richtungen von Waldungen, von Ein­ senkungen und Schluchten, zum Theil recht tiefen und scharfen,

fernhin begrenzt von den Ausläufern der Argon-

durchzogen; nen:

welcher Heldenthaten Zeuge

Verhinderung der

Vereinigung

ist

es

gewesen.

War die

Mac Mahons und Bazaines

nothwendig zum raschen siegreichen Niederwerfen der feindlichen Heereskörper: so sind die Schlachten bei Metz die entscheidenden

in diesem Kriege gewesen; blutig genug waren sie.

War doch

jedes Gehöft und jedes Dorf, ja jede Anhöhe, jeder Waldsaum

eine Festung, die im Sturmlauf über flaches Feld hin, bei dem sie ohne Deckung dem fürchterlichen Feuer der Franzosen Preis

gegeben waren, von unsern tapfern Soldaten genommen werden

mußte und genommen wurde.

Nun ruhten Freund und Feind

friedlich bei einander; nur die zertretenen, öden, meilenweit mit

Uniformstücken, Armaturgegenständen, Patronenhülsen, Kugeln, Briefschaften wie besäeten Felder,

nur die

Gräber

dort im

Grunde, hier am Waldessäume hin — da auf der Höhe, von einem einsamen Kreuze überragt, mit dem Reste eines Kranzes geschmückt, zeugten von dem tödtlichen Ringen, das sie vor we­ nigen Tagen noch so furchtbar belebt hatte.

In Mitten dieses großen Todtenfeldes liegt Vionville. Am

16. August war das tapfere achte Feldlazareth 3. Armee-Corps in das

kleine Dorf eingezogen.

Von der feindlichen Artillerie

mit Granaten verfolgt, die zum Glücke ihres Zieles verfehlten, begann

es seine Arbeit unter dem fortwährend auf das Dorf

gerichteten Feuer.

Während

die Kirche ausgeräumt und für

die Aufnahme der Verwundeten eingerichtet wurde, schlugen die Granaten

in

sie

ein und warfen die Kirchhofmauer nieder;

14

aber

vermochten

sie

Walten der

Aerzte

nicht

das

ruhige

menschenfreundliche

und ihrer Gehülfen zu beirren.

In dem

unsäglichen Jammer, unter den sie traten, und den zu lindern

sie alle Kraft des Leibes und der Seele aufbieten mußten: trat der Gedanke an die eigene Gefahr so sehr zurück, daß sie ihn

kaum einmal faßten.

Ehre ihrem Andenken, wie dem Andenken

der vielen tapfern Aerzte, deren Brust das eiserne Kreuz ziert,

als das Zeichen des höchsten bewiesenen Muthes.

Leichter ist's

in der Begeisterung des Kampfes mit den vordringenden Kame­ raden in der Anspannung aller Lebensgeister der Sorge ums eigene Leben vergessen,

als gesammelten ruhigen Geistes und

ruhiger Hand, die Wunden verbindend die der Feind geschlagen, das eigene Leben daran setzen, um Anderer Leben zu retten. Ich fand in Vionville noch 230 Schwer-Verwundete vom 16., die bis dahin ohne geistlichen Zuspruch

weil man

wußte.

gewesen

waren,

von der Etablirung eines Lazarethes in V. nichts

In Vionville hörte ich, daß auch in St. Apolline, in

südwestlicher Richtung von Vionville eine Stunde Wegs, nahe

bei Gorze, ein Lazareth sei.

Ich fand 130 Schwerverwundete,

ebenfalls vom 16., und seitdem ohne Zuspruch.

Westlich von

Vionville in Mars la Tour und in Marieville wieder Lazarethe mit 260 Schwerverwundeten insgesammt.

dem Schlachtfeld vom

Schwer-Verwundete,

16.,

So lagen denn auf

nach Ende des

für deren

20., sechshundert

geistliche Bedürfnisse nicht ge­

sorgt werden konnte, weil die betreffende geistliche Behörde ohne

Kenntniß von der Existenz dieser Lazarethe gelassen war.

In

Mars la Tour hatte ein Mitglied der sächsischen Felddiakonie,

ein Diakonus H., der einige Tage vor mir angekommen war,

mit dankenswerter Freundlichkeit neben der körperlichen Pflege auch der Seelenpflege der lange Verlassenen sich angenommen.

Vier Lazarethe mit 600 Kranken soweit von einander entfernt zu

verwalten, das hätte

die Kräfte eines Jeden überstiegen;

selbst dann, wenn wir Lazarethgeistliche Pferd und Wagen zu

15 Wie es ändern?

Eine freundliche

ließ mich unter der Abtheilung der

sächsischen Feld­

unserer Disposition hätten. Fügung

die in Vionville stationirt war, einen

diakonie,

den Subdiakonus P. aus Schl, finden, der gern

Amtsbruder, bereit

war,

sich in Mars la Tours und Marieville ausschließlich Seelsorge

in

den

der

Vorbehaltlich der

Lazarethen zu widmen.

Genehmigung des Ober-Predigers führte ich ihn bei den La-

zareth-Vorständen beider Lazarethe als Prediger an denselben ein, und da unser Chef mit dem Abkommen einverstanden war,

bliebs dabei.

Der humane Stil, in dem er seine Arbeit that,

seine liebevolle Treue

haben

ihm das Herz

seiner Pfleglinge

gewonnen und werden ihm ein segensreiches Andenken bei ihnen

sichern.

Möge, was er gewonnen auf seiner Kriegsfahrt, ihm

eine Gegengabe sein für das, dürfen.

was

er so Vielen hat

geben

Er wird den herzlichen Gruß und Wunsch aus der

Ferne freundlich annehmen.

So hatte ich geschrieben, als ich die Nachricht erhielt, daß aus

dem Lande der Sterblichen ihn kein Gruß mehr erreichen wird. Er hat aus seiner treuen Arbeit den Todeskeim mit heimgebracht, wenige Tage nach seiner Heimkehr ist er dem Typhus erlegen. So war denn das Arbeitsfeld eingetheilt und nun konnte

die Arbeit beginnen.

Wenn ich aber den freundlichen Leser mit

in mein Lazareth nehmen soll, so muß ich ihn zuvörderst bit­

ten, einige Illusionen zurückzulassen, sonst wird er sich zu sehr enttäuscht fühlen.

Ein Lazareth! Dabei pflegt man sich,

der Anschauung,

die

man

von

einem

nach

Militär - Lazareth,

oder von denjenigen Lazarethen hat, die von der Liebe jetzt in unserer Mitte gegründet worden sind, ein großes geräumiges

Haus vorzuftellen, mit luftigen,

lichten, weiten Räumen,

von

äußerster Sauberkeit, mit allen Bequemlichkeiten reichlich ver­

sehen, darin liegen die Kranken in guten Betten; ihr Leid wird

für den Beschauer gemildert durch den freundlichen Anstrich, den ihre ganze Umgebung hat.

16 ist es in dem Lazareth, das

Anders

Das Dorf ist das Lazareth. ville;

jedes

nun,

von

dem Pfarrhause an bis zum Schul­

hause, das Gotteshaus nicht ausgenommen, das

zu jämmerliche Räume

nicht gar

nothwendig einem

nun betreten

wir

Sechszig Häuser zählt Vion—

hat,

jedes Haus,

oder das nicht

ein Laza­

andern Zwecke dienen muß, ist

reth ; jedes Haus und jede Scheune. — Es ist Lazareth, d. h. es

ist mit

beste

Haus

Verwundeten

ein.

Wir

belegt.

Ein weißes

treten

das

in

rothem

mit

Fähnlein

erste Kreuz

lehrt uns, daß es für Verwundete bestimmt ist.

Ein schmaler

Gang führt in ein ziemlich niedriges Zimmer,

zwei Fenster

nach der Straße.

ein Wirthszimmer

Es ist früher

drum gehört es zu den größeren.

gewesen,

An der Fensterseite

liegen

vier Schwer-Verwundete, an der inneren Seite ebenfalls vier; acht in

einem

Zimmer;

sie

zu

liegen,

ihren Häupten die

Wand, auf ziemlich dünnen Strohsäcken, ohne Bettgestell, auf dem Fußboden;

ihr Kopfkissen

Mit Decken sind sie

ist ebenfalls

gut versehen.

ein Strohkissen.

So liegen

seit

sie

dem

16., es ist heute der 27., auf dem Rücken, ohne sich bewegen zu können oder zu dürfen, denn es ist wesentlich für den Er­

folg der Behandlung, daß die verwundeten Glieder in der­

selben Lage bleiben.

Unzählbare Fliegen bedecken jedes Bett,

dringen unter die Decken, sind von

den Gesichtern nur für

einen

Fenster

Augenblick

sein —

wegzujagen.

aber die Leute sind

so bleiben sie öfter

und

Die

länger geschlossen,

Die Wunden eitern — welche Luft! besser.

Da ist's

sollen

geöffnet

so empfindlich gegen den Zug, als

sie sollten.

In der Scheune ist

wenigstens zum Theil geöffnet sein, wenn's hell sein soll;

die Granaten,

für Zugluft.

gebahnt.

es

immer luftig, 'denn das Scheunenthor muß und

die das Dach durchlöchert haben, sorgen auch Freilich haben sie ebenso dem Regen

den Weg

Da auch die Fliegenplage hier erträglicher ist, so

hat man die Scheunen steißig belegt;

an der Langseite der

17 Tenne, zu ihren Häupten die spärliche Erndte dieses Jahres,

zu ihren Füßen ein Gang: so liegt in

jeder freien Scheune

eine lange Reihe. — Etwas anders ist's in St. Apolline und

Das sind große Bauernhöfe,

Mariaville.

Sie sind alle in ziemlich

Fermes

gleichem Styl gebaut.

genannt.

Das ganze

Gehöfte bildet ein nach drei Seilen geschlossenes Viereck. man

von der Straße ein, so hat

offenen Schuppen,

rechts

Tritt

man links einen großen

Wirthschaftsgebäude,

vor sich das

Haupthaus, das im Verhältniß zu der Größe des Hofes er­

staunlich wenige und kleine Wohnräume enthält.

Im

Wirth­

schaftsgebäude hat sich der biedere Jnspector mit dem Lazarethdepot installirt, das rechte Muster

Subalternbeamten;

eines treuen preußischen

beständig fleißig, beständig sorgend, aber

auch beständig knurrend und voll hohen Gefühls von der Wich­ tigkeit seines Postens.

Der Schuppen rechts liegt voll Kranker,

ein kleiner Theil auf Bettstellen, die in der Eile aus rohen Brettern zusammengeschlagen sind, der größere Theil auf den ge­

wöhnlichen Strohsäcken.

In den Nächten muß es recht frisch

da sein!

Im Hauptgebäude hat man die zwei übereinander­

liegenden

Speicher

zu

Krankensälen

eingerichtet;

der untere

ziemlich dunkel, der obere unter dem Dache lichter, recht zugig beide; Strohsäcke auf dem schlecht bedielten,

vielfach durchlö­

cherten Fußboden bilden auch hier in der Regel die Lagerstätten.

Hier und da huscht eine Maus über den Boden um die Bro­ samen aufzusuchen, die von dem spärlichen Mahle übrig bleiben, oder sie steckt neugierig lauschend ihr Köpfchen aus dem Stroh

hervor,

wenn der Prediger mit dem armen, wunden Mann

redet und betet.

gab es

manche

In Mars la Tour, einem größeren Dorfe,

schöne Häuser mit luftigen Zimmern, große

Schulsäle, und so lagen die Kranken dort in besseren Räumen, auch häufiger

in Bettstellen.

Freilich

war auch da überall

nur das Nothdürftigste an Raum und Luft und Licht, von dem andern Nothwendigen und Wünschenswerthen ganz zu schweigen.

1*

18 In der Lazarethküche sind zwei cyklopenähnliche, rußige Ge­ stalten von früh bis spät im Schweiße ihres Angesichts bemüht, die Mahlzeiten für das Lazareth herzustellen. Auch darin giebt

es

nicht

viel

Abwechselung.

Die Regel

ist Reissuppe mit

Fleisch; selten Graupen, noch seltener Bohnensuppe oder Erbsen; dazu

Brod.

Abends wieder eine Suppe.

natürlich die Verpflegung sehr mangelhaft.

Zu Anfang war

Ehe

nach

einer

großen Schlacht die erforderlichen Vorräthe aus den Depots herbeigeschafft werden können, die ja natürlich hinter der Ge­

fechtslinie liegen, müssen Tage vergehen, in denen Kranke und

Gesunde ihren Hunger nicht hinlänglich stillen können.

Als das

Lazareth inVionville etablirt wurde, war Reis und Fleisch das

einzige vorhandene Nahrungsmittel;

kochen

Suppe

aber

davon zu

war nicht möglich, weil das Wasser mangelte.

Was

sich für Wasser ausgab, war eine dicke, lehmige Brühe, die sich noch dazu nur spärlich vorfand.

Allerdings besserten sich die

Zustände mit jedem Tage, und als ich Mitte des 20. etwa, in

Vionville eintraf, hatten wir schon Brod und Wein.

Ich erinnere

mich, daß mein erstes Abendessen in Vionville aus Brod, rohem

Speck und einem Stückchen alter Blutwurst bestand, nach welchem solennen Souper

ein Schluck Wein

einem Jeden

zuerkannt

Durch fleißige Requisitionen bei den Depots wurden

wurde.

die Herren Aerzte nach und nach in den Stand gesetzt, ihren

Kranken ein gutes Frühstück und Vesperbrod zu geben, zu wel­ chem

Wein von allerlei Art,

Eier,

Schinken,

Rauchfleisch,

Sardellen in hinreichendem Maße vorhanden war, so daß nach den ersten Zeiten der Noth eine reichliche und gute Verpflegung der Kranken stattfinden konnte.

Freilich klagten die Kranken

oft: Könnten wir doch nur ein Mal statt der ewigen Suppen Kartoffeln essen oder ein Gemüse. nicht zu denken,

treiben.



Aber daran war natürlich

denn Beides war in Vionville nicht aufzu­

In den Hauptzügen wird

das vom Lazareth in

Vionville Gesagte auf die meisten Feldlazarethe passen und

1g

so mag man denn nach dem Gegebenen sich das Viele zurecht legen, was über die Lazarethe und aus ihnen gesagt und wohl auch geklagt worden ist.

a) Das Lazarcth. Ausbruch

Beim

lichst

Feldlazareth hat

Das

stituirt.

nahe

Krieges

eines

dem Schlachtfeld

zu

Anzahl

von

zum Feldlazareth

con-

wird

eingezogenen Aerzten

Truppen- oder

die

eine

Aufgabe,

etabliren,

sich

mög­

die Verwundeten

vom Schlachtfeld aufzunehmen und sie die ersteZeit hindurch, etwa

6

bis 8 Wochen lang, zu behandeln.

Darnach wird entweder

ein anderes Personal von Aerzten und Hülfsbeamten zur Ueber­ nahme der noch vorhandenen Verwundeten commandirt, Kriegslazareth",

d. h. in ihrer

ein

oder die

Verwundeten

„Kriegslazareth"

völligen Genesung

„Reservelazarethe"

in

gebracht

werden

„das

„evacuirt",

übergesiedelt, von wo sie zu

die, in der werden.

Heimath

liegenden

Die Leichtverwundeten

laufen diese Stationen rasch durch, von den Schwerverwundeten

dagegen sieht eine gar große Zahl nach langem Leiden

die

Heimath nicht wieder. Im militärisch technischen Sinne versteht man unter „Laza-

reth"

also

das die Verwundeten behandelnde und pflegende

Personal, Aerzte und Wärter.

Das ärztliche Personal besteht

aus einem Chefarzt, einem Stabsarzt und drei Assistenzärzten, zu denen,

am Schlachttage und für die erste Zeit nach der

Schlacht, Truppenärzte zur Aushülfe hinzucommandirt werden.

Eine Leib und Seel verzehrende Arbeit liegt dem Feldlazarethe ob am Schlachttage und in den Tagen, die ihr folgen.

Während der Schlacht und oft — wie bei unserm Laza-

reth — unterm feindlichen Feuer, sammeln sich die Verwun­ deten im Dorfe, jeder wünscht verbunden zu werden, die Leicht­ verwundeten, als die am meisten für sich noch thun können,

drängen sich vor,

und

doch gilts den Schwerverwundeten zu-

20 erst zu helfen;

man muß also Hülfe spenden und Hülfe ver­

Im Laufe des Tages

sagen.

die Kraft

gen,

Aerzte

der

immer

wird

die Schaar

Begehren nach Hülfe

das

immer dichter,

droht

unter

Ansturm

dem

neue hinzu.

noch strömen

der Wunden

immer dringender, zu erlie­

Am Abend ist das

Dorf voll von Verwundeten, die Häuser fassen sie nicht mehr, sie liegen auf den Straßen, in allen Winkeln, in den Scheu­ nen, Todte und Verwundete in schrecklichem Gemisch.

die sinkende Nacht haben

Bis in

die Aerzte und ihre Gehülfen gear­

beitet, ohne Speise und Trank zu sich zu nehmen, endlich sinken

die ermatteten Hände, bedeckt,

suchen sie

in

findet sie schon wieder

Der

an ihrem Werke,

kaum, was sie gearbeitet. Kranken werden,

mit ihren Mänteln

einer Scheune,

eine kurze Ruhe.

Nicht

grauende Morgen

denn noch sieht man

allein verbunden müssen die

auch untergebracht, gebettet, wenn auch

nur

auf Stroh zunächst. Endlich beginnen sich die traurigen Schaa-

ren zu versehen.

lichten,

nun

sind

sie

alle mit

dem

ersten Verbände

Zwölshundert Verwundete hat das achte Feldlazarett)

zu behandeln gehabt, in den Tagen vom 16. an. Mancherlei Gaben

aber

ein

Geist;

treuen, unermüdlichen Pflichterfüllung,

derselbe der die

Geist

der

Leiter unseres

Heeres durchdringt, nach dem leuchtenden Vorbilde des obersten Kriegsherrn: — der unsere Soldaten gelehrt hat, dem sichern Tod

ins Auge zu sehen, unverzagt und unverdrossen: derselbe Geist beseelt auch „die Lazarethe", daß sie unermüdlich aushielten in ihrem schweren, segensreichen Wirken bis zu eigener Erschöpfung.

In St. Apolline hielt das ganze Lazarethpersonal nach sechs­ wöchentlicher Arbeit

sich

kaum noch aufrecht.

In

Vionville

litten unsere Lazarethgehülfen zum Theil sehr ernstlich an den Folgen des angestrengten, unaufhörlichen Dienstes in der ver­

pesteten Luft;

zwei unserer pflegenden Diakonissen mußten wir

als Typhuskranke in die Heimath zurücksenden, keiner war unter uns, der nicht der Natur seinen Zoll hätte bezahlen müssen.

21 Die Ordnung in den Lazarethen

ist nun die, daß jeder

Kranke täglich wenigstens zweimal den Besuch seines Arztes erhält. Des Morgens wird die Wunde verbunden, gereinigt, des Nachmittags nöthigenfalls nochmals besichtigt und das Erforder­

liche veranlaßt; immer gab es auf jeder Station mehrere, denen auch

Abends noch eine Visite gemacht wurde.

Aerztlichen Beistand

hatten demnach die Verwundeten weit mehr, als wenn sie zu Hause krank oder wund gelegen hätten.

war es ähnlich beschaffen.

waren auf

Je

nach

Mit ihrer Bedienung der Zahl der Kranken

jeder Station Lazarethgehülfen

Pfleger bestellt,

als

Wärter

und

die während des Tages und der Reihe nach

Nachts warteten und pflegten.

Ihre Zahl war

in der ersten

Zeit der Anzahl der Verwundeten so wenig proportional, daß

von jedem je die zweite Nacht gewacht werden mußte, und daß

doch jedem einzelnen Kranken in dem Uebermaß der Arbeit nicht die

Pflege gegeben werden konnte, die er selbst beanspruchte oder die

wenigstens sein Zustand wünschenswerth gemacht hätte. Da trat denn durch Vermittelung des Johanniter-Ordens die freiwillige

Krankenpflege helfend ein, bei uns, wie überall, wo Hülfe Noth war.

In erster Linie sei dankbar der Kaiserswerther Schwestern gedacht, die in Vionville wie in Mars la Tour und wie bei uns, so aller

Orten, sich mit der hingebendsten Liebe der armen Verwundeten annahmen.

Wie anders sahen die Räume doch aus, in denen

sie walteten, viel sauberer, wohnlicher; still und freundlich tha­

ten sie ihr gutes Werk

und

begleiteten es mit so manchem

guten Worte, das es um so angenehmer machte.

Nahm doch

sogar die Küche einen mächtigen, leider nur kurzen Aufschwung

unter ihren sorglichen Händen.

Kein Wunder, daß die Stim­

mung der Verwundeten eine „bessere" in jedem Betracht war, wo Schwestern pflegten.

Denn der Verwundete will, spricht er

es auch nicht aus, herzliche, liebevolle, ja zarte Theilnahme für sein Leid.

Nicht Alle

verstehen diese Theilnahme

aus

dem,

wenn auch regen, so doch immer knappen Verkehr der Aerzte

22 mit ihnen herauszufinden, weniger noch

aus der ihrer Natur

nach geschäftsmäßigen Behandlung ihrer militärischen Kranken­

wärter.

Daher fühlen sie sich leicht verletzt und nicht gut be­

handelt.

Es ist Gefahr vorhanden, daß sich eine bittere Stim­

mung in ihrer Seele festsetze, die,

wie sie ihrem körperlichen

Befinden sehr nachtheilig ist, in noch höherem Grade ihr gei­ stiges Leben schädigt,

indem sie ihre Gedanken in den Kreis

ihres Leides und ihrer Entbehrungen bannt, und sie zu keiner

Erhebung des Gemüthes über dieser Zeit Leiden kommen läßt. Da ist denn „die Schwester"

der redende, ja mehr noch der

thätige, nie ermüdende Beweis, daß das Leid Liebe findet; ihr

Walten, in sanftem stillem Geiste, bannt manchen bösen Geist und thut das Herz der ewigen Liebe auf, von deren Licht auch

durch sie ein Strahl in dieses Elend fällt. Mit dankbarem und doch traurigem Herzen nahmen unsere letzten Verwundeten Abschied

den

von

Schwestern („Schwesterchen"

wurden

sie

zärtlicher

Weise genannt), als diese von uns nach Mars la Tour abge­

rufen wurden und viele herzliche Grüße habe ich hin und her­ tragen müssen zum Zeichen steter Theilnahme von der einen und

inniger Dankbarkeit von der andern Seite.

Katholische Schwestern habe ich nur an einem Orte Pflegen

sehen.

In St. Apolline befanden sich zwei;

die eine besorgte

die Küche, die andere ging pflegend durch die Kranken hindurch, auch sie der Liebling ihrer Pfleglinge.

mir immer ein Bild im Sinne bleiben.

Aus St. Apolline wird Es war da ein Ver­

wundeter, dem beide Arme zerschossen waren.

Er mußte unbe­

weglich liegen und sich allen und jeden Dienst thun lassen. Daß

er oft gedrückten Gemüthes war, in so vollkommener Hülflosigkeit, kann man denken.

Bei ihm kniete ich eines Abends, als

die Schwester mit der Suppe kam und freundlich zuredend ihn

fütterte, wie eine Mutter ihr Kind.

Da suchte ich ihm den

Gedanken, der mir selbst so lebhaft kam, lebendig zu machen:

daß Leid Liebe findet.

Rechts die katholische Schwester,

links

23 der evangelische Pastor, beide aus weiter Ferne an diesen Ort gekommen und bemüht, ihm das Beste zu zeigen und zu weisen, was Gott dem Menschen gegeben hat.

Ort!

sprach er es aus:

alle Liebe, die

Ja,

ich kann Gott nicht genug danken für

Das sind aber gesegnete

erfahren habe.

ich

Stunden für's Leben, in der den Bann

von

so Alle an dem

Und

Dein Leid macht dich reich an Liebe. Bewegten Herzens

des

denen man den lebendigen Eindruck Leides

durchbrechenden

Macht

der

Liebe hat.

Ein reicher Strom von solcher segnenden Liebe ist durch

evangelischen,

die

wie

gesegneten

und

durch die

katholischen

Schwestern in die Oede des Leides geleitet worden,

diesem Kriege.

in unserm Volke die reiche Gabe Gottes

Zeit

auch

in

Es ist eine Freude, wohin man sieht zu dieser und die treue

Arbeit der Menschen in ihr zu erkennen; die friedsame Frucht der Gerechtigkeit im Leiden zu finden,

ein

fröhliches Zeichen,

daß wir dadurch geübet worden sind.

Die Schwestern aber sind nicht allein unsere Gehülfinnen gewesen, auch freiwillige Krankenpfleger hatten sich eingefunden.

Es waren ihrer gekommen zur Freude der Aerzte und sie waren zu noch größerer Freude derselben;

Wärter

die nicht warten, Pfleger die nicht pflegen wollten,

sondern

wieder gegangen

thun, was einem jeglichen unter ihnen wohlgefiel.

Aber auch andere fanden sich ein. gleich

kam

Vionville.

Ungefähr mit mir zu­

eine Abtheilung der sächsischen Felddiakonie nach Sie war

in sich militärisch

organisirt unter Rot­

tenführern und Commandanten, uniformirt, jeder hatte sich dem Vorgesetzten zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Nachdem sie in

Pont-a-Mousson und in Gorze

gewesen waren,

ohne Ar­

beit zu finden, waren sie nach Vionville und in die umliegenden

Lazarethe gekommen; sie waren von großem Nutzen. Sie thaten

ordentlich Wärterdienste, auch alle Wärterdienste ohne Murren und ohne Zweifel,

sie hatten allerlei für die Kranken mitge-

24 bracht, Briefpapier, Couverts u. dergl., vor Allem Bücher, durch sie haben

unsere Kranken die

erste

Seetüre bekommen.

Es

waren Studenten unter ihnen, Geistliche, Techniker, Leute aller­

lei Art, eins in dem redlichen Willen, was in ihren Kräften stand.

zu dienen mit Allem,

Eine wackere Schaar,

an

man, hätte man es noch nicht gewußt, sehen konnte, wie und wie sehr durch feste Organisation,

der nur

durch möglichst mili­

tärische Disciplin die begeisterte Hingebung fruchtbar gemacht wird.

Denn eine gewisse Unstütigkeit und Fahrigkeit, die ich

auch an ihnen zu bemerken glaubte,

begann genau an dem

Punkte, wo ihre Organisation sie im Stiche ließ. Nur einen unorganisirten freiwilligen Krankenpfleger,

der

dem rothen Kreuz zur Ehre gereichte, habe ich arbeiten sehen, der aber war in

sich höchst lebensvoll organisirt.

liebender und pflegender Freund, ein sorgfältiger,

Ein treu

eifriger und

überaus geschickter Pfleger seiner Station, ein talentvoller Archi­ tekt: durch seine unverwüstliche Laune

die Würze unserer fru­

galen Mahle, — war es unter uns Gegenstand des Streites,

ob er als Mensch und Meister der edeln Baukunst größer sei, oder als Mensch und

Jünger der edeln Heilkunst.

Er durste

als Lohn seiner Arbeit seinen genesenden Freund nach B. zu­ rückführen.

pfunden.

Unser Lazareth hat seinen Verlust schmerzlich em­

Unser Lazareth! ich werde immer stolz darauf sein,

ihm angehört zu haben, dem tapfern, treuen,

fröhlichen,

dem

gewissenhaften 8. Feldlazareth, III. Armee-Corps.

b)

Die Lazarethgemeinde.

Die Gemeinde „unterm Kreuz."

Wenn ich nun den Leser in die Gemeinde einführen will,

der ich mit ganzem Herzen gedient habe,

bis sie, wie sie von

allen Seiten wieder an dem Ort zusammen gekommen war, so auch nach allen Seiten auseinander ging, ach, wohl der größte Theil

um die liebe Heimath, das Ziel so manchen heißen Wunsches, so manchen innigen Gebetes, nicht wieder zu sehen, sondern um

25

Wenn ich also

in der Fremde ein einsames Grab zu finden.

dich einlade, lieber Leser, mir zu folgen auf meinen Gängen, so thue ich

das mit nicht leichtem Herzen.

Alles kann und

darf ich dir ja doch nicht zeigen und sagen — wohl das Beste

nicht; mit gar zu lebendigen Zügen mag ich das Eigenthümliche

dieser Gemeinde, einer Gemeinde „unterm Kreuz", nicht vor Augen malen; ich liebe die Schaustellung des Leides nicht und

nicht die Wirkung, die man mit ihr erzielt.

Volk,

Doch es ist unser

was in der

dort unterm Kreuz lebt und leidet,

was

Stille gewaltige Kämpfe

kämpft

und

große Siege

gewinnt.

Was aber draußen von unserm Volke gelebt wird, das sollen

geblieben miterleben;

die zu Hause

sie sollen mitfühlen das

Leid, das oft so unsäglich schwer auf unsern tapfern Brüdern

liegt, damit sie nicht müde werden darzubringen, was des Leides Bürde erleichtern kann.

Ein Bemitleiden, ein weichliches, fast

unwilliges Beklagen der Opfer des Krieges ist weder derer, die kämpfen, werth, noch derer, die daheim bleiben.

Wie jene sie­

gen durch ihre männliche Ausdauer, so muß gleiche Ausdauer in unserer Opferwilligkeit sein.

Wie müßten wir uns sonst vor

ihnen schämen, die ihr Alles daran setzen,

um uns Alles zu

bewahren,

was

unser Stolz, und zu gewinnen,

Sehnsucht

ist.

Wir sollen

frommen Sinn,

uns

erbauen

an

was unsere

dem tapfern,

den jene in ihrem Streit und in ihrem Leide

gewinnen und beweisen, und so uns erheben zu desselben Sinnes

Herrlichkeit.

Nicht vergeblich dürfen wir die Gnade Gottes em­

in dieser schweren, schönen Zeit zu leben.

pfangen,

Was an

ihr erwacht ist in unserem Volke, mit aller Macht müssen wir

es festhalten,

daß es

eine bleibende Errungenschaft unserm

Volksleben sei, ein sicheres Erbtheil uns und unsern Kindern

nach

uns.

Darum

müssen

Alle

Alles

mit leb en,

denn

nur was wir selbst erleben, das haben wir selbst; und was wir

können, an ihnen sehen wir's, das sollen wir.

eine der

Mir ist es

größten Freuden meines Lebens, daß ich mein Theil

2

26 gesehen habe—und hoffentlich recht gesehen habe — von dem Gro­

ßen, das jetzt geschieht, und daß ich, wenn auch nur ein sehr

bescheiden Theil unmittelbarer Arbeit habe thun dürfen an dem Werke, das Gott unserm Volke auszuführen gegeben hat.

weil ich erfahren habe,

Und

wie man in solcher unmittelbaren, le­

bendigen Theilnahme selbst wächst, so habe ich darin die Berech­ tigung, ich darf wohl sagen, die Aufforderung gefunden, den

Leser mitleben zu lassen, was ich erleben durfte— so weit das

angeht. Eine einförmigere Gemeinde, dem Anschein nach, giebt es wohl

nicht, als diese Gemeinde unterm Kreuz. Fast alle ihre Glieder sind desselben Alters, gleicher Bildungsstufe, in gleicher, bedauernswerter Lage.

Mehr oder weniger schwer verwundet, mehr oder we­

niger Schmerz, mehr oder weniger nahe dem Tode: das scheint

der einzige bemerkenswerthe Unterschied unter ihnen zu sein. Wie eigenthümlich aber in ihrer Einförmigkeit.

meinde von Leidenden!

Was uns, wenn wir's im

Eine Ge­ einzelnen

Falle unter uns sähen, mit dem tiefsten Mitleid erfüllen würde:

hier sehen wir es tagtäglich; den ganzen Tag bewegen wir uns unter der viel hundertfachen Form des einen unerhörten Leides. Da ist kein Glied des menschlichen Leibes, das nicht Verstüm­ melungen erlitten, das nicht tödtliche Verletzungen erhalten hätte,

die die Genesung bedenklich, ach, nur zu oft mehr als bedenklich machen.

Nur Wenige haben das vielbeneidete Glück, sich auf

ihrem Lager bewegen zu können..

Die meisten müssen in der­

selben Lage verharren, nicht Tage, sondern Wochen lang.

Die

Wochen wollen kein Ende nehmen, die Tage sind gar so lang, die Nächte, sind sie!

die schmerzerfüllt durchwachten Nächte,

wie

lang

Immer keine Aenderung, keine Aussicht, das Schmer­

zenslager verlassen zu können. Zu Anfang ging's so gut — wird das Bein, der Arm amputirt werden müssen?

Die Kamera­

den, die spät amputirt worden sind, hat man — wohl Alle — hinausgetragen zur Ruhestätte im fremden Land. Die hoffnungs-

27 vollste Aussicht für die überwiegende Mehrzahl der Gemeinde ist die, als Krüppel,

zu können.

als elende Leute ins Leben zurückkehren

Gegenwart und Zukunft gleich dunkel.

Wie anders sah sich das Leben an, als sie jubelnd an un­

sern Städten und Dörfern vorüberzogen, Helle Siegesfreude und

Zuversicht im Herzen.

demüthigen!

„Nach Paris", den stolzen Feind zu

Den Weg habt ihr frei gemacht; Andere ziehen

die Bahn des Sieges, ihr „wandelt im dunkeln Thal."

Und so jung sind sie;

die Jugend leidet so ungern,

ihr

wird's doppelt schwer, auf das Leben zu verzichten, das erst beginnen soll. — Wie würde die Mutter sie pflegen, wären sie daheim, die lieben Schwestern, oder — o brich nicht, Herz —, das treue Weib.

Jetzt, wie sorgen sie und zergrämen sich! auch

ihren Schmerz trägt der arme, wunde Mann und verbirgt, was

er leidet in seinem Herzen, den Leidensgenossen,

weich mache.

damit er nicht schwach scheine vor

damit die ausgesprochene Klage ihn nicht

Denn er muß und will ein starkes, festes Sol­

datenherz bewahren, wie es sich ziemt.

So plötzlich ist es anders geworden!

Aus dem aufregen­

den, alle Thätigkeit auf das höchste anspannenden Kriegsleben,

aus dem sinnverwirrenden Toben des Kampfes, heldenmüthigem Draufgehen streckt.

mitten

aus

hat die tückische Kugel ihn hinge­

Thatlos, wehrlos preisgegeben dem Ansturm der Feinde,

den feindlichen Kugeln, die auch jetzt noch ihr Opfer zu suchen scheinen, so dicht, so unaufhörlich schlagen sie überall neben ihm

ein.

Schreckliche Stunden.

Aber Gott hat das heiße Gebet

— das erste vielleicht nach langer Zeit — erhört und gnädig­ lich bewahrt vor weiterem Schaden.

gekommen.

Endlich, endlich ist Hülfe

Aus dem Sturm gerettet und auf einer Sandbank

gestrandet, ringsum das Meer — noch steigt die Muth. Wird sie

dich wegschwemmen —wird sie verlaufen und der rettende Kahn dich an das Land des Lebens zurücktragen? geschlagen.

Jetzt

Die Schlacht ist

gilt's einen täglich neuen Kampf

auf dem

28 Schmerzenslager

kämpfen

mit

Leid

und

Noth

von

außen,

mit den muthlosen, zaghaften Gedanken von innen: Wer wird siegen?

Wer die Schlachtfelder gesehen hat, auf denen unsere Trup­ pen gekämpft haben, der muß ihre Tapferkeit bewundern, aber

nur der kennt ihre Tapferkeit recht, der sie in den Lazarethen

gesehen hat.

die Tapferkeit entzünden:

Dort hilft Alles mit,

das Gebot der Pflicht und der Ehre,

der zornige Muth, das

Beispiel der heldenmüthigen Führer, die Gemeinschaft der tapfe­

ren Kameraden,

der Geist des Heeres und Volkes,

von dem

der Einzelne beherrscht und getrieben wird; vor allem das Be­ wußtsein, daß das Aufbieten aller Kräfte in kurzem, denden

Ringen

den Sieg bringen muß.

Hier,

entschei­

wie anders!

Diesem Feinde ist nicht mit einem Aufraffen, nicht mit einem noch so gewaltigen Aufschwung beizukommen.

Jeden Morgen ist er

neu; ja, immer gewaltiger stürmt er auf den Kämpfer ein, je länger der Kampf währt.

Hier sind keine Ehren zu erkämpfen,

wie niederdrückend wirkt die Atmosphäre von Elend und

und

Leid,

in der man athmen

muß.

Hier gilt es die moralische

Tapferkeit, ein gefaßtes, gelassenes Herz, ein festes Gemüth, den ernsten Willen haben, Leid und Schmerz nicht Herr werden zu

lassen über sich, Lebensmuth und Zuversicht zu bewahren,

Gedanken nicht

gefangen

nehmen

nicht nur passiv zu sein, sondern in der Passivität Activität zu entfalten. Gott zu dringen,

die

zu lassen unter dem Leid;

die höchste

Ja die höchste: leidend unter Gott zu

voll Zuversicht,

daß so auch diese

Zeit

ihres Schreckens entkleidet und mit Segen geschmückt werden

könne. Wie hat es mich gedemüthigt und erhoben, diese Tapferkeit bei unseren Soldaten zu

Grade.

finden!

Natürlich

in verschiedenem

Aber unter allen deutschen Soldaten, die ich gesehen,

habe ich keinen gefunden, der verzagt gewesen wäre in diesem

Kampfe,



nicht

Einen,

den

sein

Leid

verbittert

hätte

29 in seinem vor

Wie ten

Gemüthe,

der unwillig

den Andern dieses die sie

lauten

Leid

Helden erschienen sie.

den

Schmerz

Klageton,

der

gemurrt hätte,

und in

Mit

zu ertragen, gute

Muth,

dem

Maße

würdiger

ihn

Ruhe

wuß­

hörte man einen

selten ja

daß

getroffen.

der

Humor

ging

ihnen nicht aus. Wie so ganz anders ist ihr Wesen, als das der

verwundeten Franzosen.

Während die Franzosen sich

unge­

berdig stellten, schrieen und klagten, scherzten die Unsrigen, und

wenn's zu hart wurde, bissen sie die Zähne zusammen schwiegen still.

Während die Franzosen auch

und

darin untergin­

gen in ihrem Schmerz, daß sie ihr Aeußeres gräulich vernach­

lässigten, hielten die Unsrigen bis in ihre letzten Stunden auch auf die Sauberkeit ihrer äußeren Erscheinung;

sie

erschienen

darin wirklich wie die höhere Race gegenüber einer niedrigeren.

Doch damit man nicht glaube, mein Urtheil sei parteiisch, will ich gleich hinzufügen, daß auch der Cure von Vionville dieselbe

Bemerkung gemacht, und als etwas ihn sehr Befremdendes aus­ gesprochen hat:

daß unsere Verwundeten, deren er sehr Viele

gesehen hat, so viel fähiger seien, geduldig und männlich

Schmerz zu ertragen, als seine Landsleute.

den

Der aber, ein Fran­

zose durch und durch, litt gar nicht an Voreingenommenheit für die deutschen Soldaten.

Die harte Prüfung, die so plötzlich über sie gekommen, traf

gesammelte, ernste Gemüther,

die sich bewußt waren, daß es

auch hier gelte, Probe zu halten und eine Aufgabe zu lösen, werth, daß sie ihre letzte Kraft daran setzten.

Und

das

Be­

wußtsein, im Leid, nicht bloß das physische Leid, sondern eine von Gottes Hand ihnen gestellte Aufgabe

auch ihnen den Segen,

zu haben, brachte

den die Erkenntniß,

Rechtes sollen und wollen, uns Allen bringt:

daß

eine

wir etwas

gehobene,

kräftige Seelenstimmung, das Bedürfniß nach vermehrter geistiger Kraft, nach Trost und Hülfe Gottes. Richt Alle, die Wenigsten unter ihnen, waren religiös angeregt, — wie wenige Menschen

30 sind das überhaupt in solchem Mer und in solcher Umgebung;

aber weitaus die Meisten fühlten, was ihnen fehle und waren

willig zu werden, was Gott aus uns machen will. Wer will alle einzelnen Kräfte aufweisen,

aus deren Zu"

sammenwirken das wunderbare Räthsel entsteht, das wir Leben

nennen — es selbst und die wechselnde Gestalt, in der es uns

erscheint? Factoren

So will auch ich nicht versuchen, im Einzelnen die

auszusuchen,

Kreuz-Gemeinde war.

deren Produkt

die Stimmung meiner

Wird ja Niemand,

was er nicht ist,

und kommt man also immer wieder auf die Art zurück, die

Gott uns Germanen nun einmal gegeben hat vor den andern

Zweierlei aber erschien mir

Geschlechtern der Menschenkinder.

mehr und mehr als den Geist meiner Gemeinde bestimmend,

zwei allerdings disparaterscheinende, aber doch so weit nicht auseinander liegende Mächte, die Erinnerung und die Dis­ ciplin.

Beide

führen auf geradestem Wege den Seelsorger

an das Herz seiner Pfleglinge und, erlaube ich mir hinzuzufü­

gen, nicht in den Lazarethen allein. Die eine gibt zunächst ihrem

Erinnerung und Disciplin!

Leben den Inhalt, die andere die Form.

der knappen geistigen Nahrung,

In der Ferne,

die sie meistens

in

zuerst haben,

in ihrer plötzlichen Jsolirung aus einem so bewegten Leben, in der freudlosen Gegenwart, der

über, flüchtet sich die müde,

beängstigenden Zukunft gegen­ unruhige Seele zunächst:

heim!

Die Erinnerung an den Abschied, der Brief, den er schreibt,

die Entbehrungen, die er leidet, das Bedürfniß nach Liebe: wie kann

man die tausend Fäden nennen, die das Gedächtniß der Verwun­

deten in die Heimath ziehen. Und umfangen ihn erst die Heimathsgedanken, wie strömen da

in reicher Fülle Erinnerungen voll

Liebe und Leben auf sein Herz zu; ein schöner, heiliger Strom. Der läßt das Herz im harten Leben nicht

hart werden, im

entbehrungsreichen nicht arm, denn in der Heimath wohnt ihm

reiche, treue Liebe.

Da werden alle Gestalten liebliche, tröstende

31 und erquickende Mächte. Unter ihnen lebt er wie in einem an­

dern Lande, von dem er in die rauhe Wirklichkeit das gehobene Bewußtsein, die fröhliche, kräftige Stimmung mitbringt, die unser Aller Herr wird, wenn wir fühlen, daß wir treu und innig geliebt

werden.

Das wäre schon allein eine nicht genug zu preisende den sie dem Leben

Frucht der Erinnerung, ein reicher Inhalt, gibt.

Aber einmal

stehend:

unter

erst

immer reicher

der

Erinnerung

wird er an neuen, alten Eindrücken^

die Blumen nur,

Nicht

Macht

der

die er in

seinen

Feierstunden

im

Gärtchen vor seines Vaters Fenster gepflanzt hat, nicken ihm

freundlich zu und erfreuen ihn jetzt, wie damals den alten Va­ ter;

auch das einfachste Wort der Mahnung, das der Vater

zu ihm geredet und das er selbst damals vielleicht kaum gehört, sicher nicht sehr hoch angeschlagen hat, jetzt tritt's ihm ernst und

treu vor die Seele und er sucht etwas daraus zu machen. Das

Gebet, das ihn die Mutter gelehrt, es kommt ihm kaum aus

dem Herzen.

Alle Beziehungen, die christliche Erziehung und

christlicher Unterricht in seiner Seele angebahnt haben, die das

Leben zwischen Eonfirmatton und diesen Tagen übertönt haben: die Erinnerung macht sie wieder lebendig, sie verlangen, sie drängen

Ein Schatz von göttlicher, trostreicher

nach ihrer Vollendung.

und bildender Wahrheit liegt unverstanden

Schatz von Liedern,

Gebeten,

in der Seele, ein

Sprüchen, Katechismusworten;

unverstanden, zum größten Theile, weil unerprobt, und uner­ probt, weil bis dahin auch ohne jene Wahrheit das Leben leid­ lich verstanden und leidlich gestaltet werden konnte.

einem Schlage Räthsel

des

stehen

Lebens

mit der schwersten

vor

der

geängsteten

Nun mit

Lebensaufgabe die Seele.

Wie viele

Fragen! Als Antwort aber tönen aus dem Grunde der Seele,

wo sie im Verborgenen schliefen,

die bekannten und doch jetzt

erst erkannten Stimmen aus der Jugendzeit wieder, nun gilt's erproben und den Besitz erwerben.

schlaflosen Nacht,

mancher

stillen,

Das ist die Arbeit mancher schmerzlosen,

wie mancher

32 die keinen anderen menschlichen

schweren leidensvollen Stunde, Zeugen hat, als den Prediger.

darin ist unser

Denn auch

Soldat von feinem, guten Herzen,

daß er still und wie ver­

schämt um das Heiligste wirbt und es besitzt. Wenn

ich

als

zweiten

Lebens „die Disciplin"

der Erklärung,

wichtigsten Factor des Gemeinde-

ich damit

daß

so bedarf

nannte,

im technischen Sinne meine.

es eigentlich nicht

nicht die militärische Disciplin

Die ist nur eine

Form dessen,

was ich unter Disciplin hier verstanden wissen will.

Ich will

das Wort nach seinem ursprünglichen Sinn verstehen, wo

es

Zucht des Geistes unter dem Gesetz, sei es nun dem moralischen,dem Gesetz im gewöhnlichen Sinne, sei es dem logischen, der Methode,be­

deutet.

In diesem Sinne Disciplin zu haben, ist der Vorzug

der germanischen Race, unter den verschiedenen Verwandten sind

die Deutschen die Disciplinirtesten,

und unter den Deutschen

Sehen wir, welch' einen

wohl die Preußen.

ausgesprochenen

Charakterzug unser Leben dadurch annimmt.

Für die beiden disciplinirenden Hauptmächte halte ich die

Schule und das Heer und bin also in gewissem Sinne sehr ein­ verstanden mit dem Worte: Preußen sei das Land der Schu­

len und der Kasernen; wir wären nicht, was wir sind, wenn eins von Beiden weniger häufig und weniger es selbst wäre, als es ist.

Schule und Heer, jedes in seiner Art, geben unserm Volke

einen tüchtigen Schatz von „Können" weiter auszuführen brauche. geschätzt werden muß,

mit;

was ich ja nicht

So hoch aber dieses Können auch

die Hauptwirkung, die sie ausüben auf

unser ganzes Volk liegt darin, daß sie es zum ziehen.

„Sollen"

er­

Dem Gesetze sich unbedingt hingeben, eine heilige Ach­

tung vor ihm haben, das hat jeder ordentliche Mensch gelernt, der durch die Dem

Gesetze,

Schule und

d. h.

dem

das Heer

hindurch

gegangen ist.

Nothwendigen, Allgemeinen,

dem

Idealen, der Idee, der Ordnung Gottes, je nachdem es Einer zu fassen vermag

seiner Art

und

ihrem Werthe nach;

mehr

33 oder weniger in freier,

sittlicher Unterordnung,

nur aus äußerem Zwang.

selten Einer

Denn Keiner ist, der nicht in der

langen Zeit, die er unter der Zucht des Gesetzes zubringt, in

den Conflikten,

in die er kraft der ihm anbornen Autokratie­

gelüsten mit ihr geräth, selbst die Erfahrung macht,

wie för­

dernd für ihn, wie nothwendig für das Ganze diese Zucht des Gesetzes ist.

Diese tiefe, innige Ueberzeugung ist wie zu einer

heiligen Gewöhnung geworden.

Lächerlich

und ruchlos würde

der Soldat seinen Kameraden erscheinen, der sich von diesem Gesetze dispensiren wollte.

Selbstverständlich

ist es,

daß sie

das, was sie im gegebenen Augenblicke sollen, auch wollen und es versuchen, bis es gelingt. Unsere Schlachten sind weniger ge­

wonnen durch Begeisterung, als durch das Pflichtgefühl.

hin mußten wir,

so kamen wir

auch dahin;

D a-

die Position

wurde uns gezeigt, sie mußte genommen werden, so wurde sie genommen.

Bleibt die Compagnie nicht vor dem Gehöft, der

Rest findet sich jedenfalls

im Gehöft wieder zusammen.

erzählen die Verwundeten als etwas

Das

ganz Selbstverständliches.

Sie wissen sich nichts damit, sie legen damit das beste Zeugniß dafür ab, daß das sie Treibende das Pflichtgefühl war; dasGebundeusein im Gewissen an das Gesetz.

Mars la Tour aufgehalten werden.

Der Feind mußte bei Da stürmten die tapfern

Reiterschaareu wieder und wieder auf die gedrängten feindlichen Jufanteriemassen ein, ein jeder Mann in seinen sichern Untergang,

und sie thaten es immer auf's Neue, ohne Murren und ohne Zweifel.

Begeisterung war das nicht, was sie trieb, aber das

Gebot der Pflicht.

Freilich wäre das Gesetz ihnen in anderer

Verkörperung entgegengetreten, wären nicht unsere Officiere die Muster der Hingebung an das Gesetz gewesen, so möchte doch

die

harte Probe

nicht mit diesem Glanze

sein, wie sie es jetzt ist.

Aber,

bestanden

worden

„wer hätte zurückbleiben kön­

nen — sagten die Verwundeten mir so oft



wenn unsere

Officiere voranstürmten, als gäbe es keine Kugeln."

34 aus dem Felde verwundet in das

Wenn nun die Tupfern

Lazareth gebracht werden,

da mag allerlei verwundet,

gestört

und zerstört worden sein, aber das Gewissen ist es nicht. Das

ist unbefleckt und unverletzt geblieben und die Erregung aus sei­ ner letzten starken Action ist geblieben,

es

fühlt sich

als den

Herrn der Situation. Seine Arbeit ist ja noch nicht gethan.

Schmerzenslager,

Sollen.

dem

Sterbebette

Auch hier auf dem

vielleicht,

gilt

es

ein

So ist auch der Verwundete bereit zu fragen: was

soll ich, was muß geschehen?

auch

in seinem Leid ein Gebot

Gottes zu erkennen und willig es zu erfüllen.

Man zeige ihm

nur das Gesetz dieser seiner Lage, so daß es ihm evident wird,

als ein rechtes Gesetz für ihn, er wird sich darunter stellen und treulich arbeiten, bis auch hier ist

geschehen soll.

und geschieht, was sein und

Wie verlangt sein Herz nach dem Halt eines

sichern festen Gesetzes, nach einer Aufgabe in dieser öden Zeit, nach einem Weg aus all dem Jammer und der Noth.

Von

dem: „das Unvermeidliche mit Würde tragen", zum Sorgen,

daß dieser Zeit Leiden nicht vergebens ihm aufgelegt sein möch­ ten, bis zum „Sein Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfol­

gen": Laßt nur das Gesetz des Lebens Leben vor ihm werden! wie er seinem Führer folgte bis in den Tod,

er wird auch

Euch folgen, und wird auch die letzte, steile Höhe muthig gewin­ nen, von der seine Augen das Land der Verheißung sehen.

Die Seelsorge in -en Lazarethen. Daß Lazarethprediger nicht überflüssig sind, wäre wohlun-

nöthig zu behaupten, wenn nicht, wie ich zu meinem Erstaunen gehört habe, das Gegentheil zuversichtlich wäre ausgesprochen worden.

So sei daran erinnert, daß die Divisions- und Feld­

prediger bei ihren Truppen bleiben müssen, und daß es also.

34 aus dem Felde verwundet in das

Wenn nun die Tupfern

Lazareth gebracht werden,

da mag allerlei verwundet,

gestört

und zerstört worden sein, aber das Gewissen ist es nicht. Das

ist unbefleckt und unverletzt geblieben und die Erregung aus sei­ ner letzten starken Action ist geblieben,

es

fühlt sich

als den

Herrn der Situation. Seine Arbeit ist ja noch nicht gethan.

Schmerzenslager,

Sollen.

dem

Sterbebette

Auch hier auf dem

vielleicht,

gilt

es

ein

So ist auch der Verwundete bereit zu fragen: was

soll ich, was muß geschehen?

auch

in seinem Leid ein Gebot

Gottes zu erkennen und willig es zu erfüllen.

Man zeige ihm

nur das Gesetz dieser seiner Lage, so daß es ihm evident wird,

als ein rechtes Gesetz für ihn, er wird sich darunter stellen und treulich arbeiten, bis auch hier ist

geschehen soll.

und geschieht, was sein und

Wie verlangt sein Herz nach dem Halt eines

sichern festen Gesetzes, nach einer Aufgabe in dieser öden Zeit, nach einem Weg aus all dem Jammer und der Noth.

Von

dem: „das Unvermeidliche mit Würde tragen", zum Sorgen,

daß dieser Zeit Leiden nicht vergebens ihm aufgelegt sein möch­ ten, bis zum „Sein Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfol­

gen": Laßt nur das Gesetz des Lebens Leben vor ihm werden! wie er seinem Führer folgte bis in den Tod,

er wird auch

Euch folgen, und wird auch die letzte, steile Höhe muthig gewin­ nen, von der seine Augen das Land der Verheißung sehen.

Die Seelsorge in -en Lazarethen. Daß Lazarethprediger nicht überflüssig sind, wäre wohlun-

nöthig zu behaupten, wenn nicht, wie ich zu meinem Erstaunen gehört habe, das Gegentheil zuversichtlich wäre ausgesprochen worden.

So sei daran erinnert, daß die Divisions- und Feld­

prediger bei ihren Truppen bleiben müssen, und daß es also.

85 wir wollen einmal sagen, ein Zufall ist, wenn einer oder auch mehrere solcher Feldgeistlichen in der Nähe von Lazarethen sich befinden und sich längere Zeit dort aufhalten, ein Zufall, der allerdings wohl vorkommt, auf den zu rechnen aber höchst thö­ richt und gewissenlos wäre. Die Lazarethe für die Schwerver­ wundeten sind, was die siegende Armee angeht, auf den Schlachtfeldern, oder so nahe daran als möglich. Die Armee aber verläßt diese Gegenden, um dem abziehenden Feinde zu folgen und mit ihr, wie gesagt, ziehen die Feldgeist­ lichen; wer bleibt nun in den Lazarethen? Vorübergehende Besuche von Geistlichen sind wenig nütze. Wer den Ver­ wundeten eine Stütze sein will auf ihrem schweren Wege, auf den müssen sie sich auch stützen wollen, d. h. sie müssen ihm vertrauen und ihn deshalb kennen. So große Ach­ tung man auch in der Armee für die Prediger hat um ihres Amtes willen, — manche liebe Gemeinde könnte sich ein Exempel daran nehmen — um des Amtes willen würde sich ihnen schwerlich manches herz aufthun, und was wollen sie wirken ohne das? Nach den heiligsten Beziehungen und Re­ gungen meines Herzens darf nur der fragen, der mein vollstes Vertrauen hat; hat er es nicht und thut er es doch, so ist das einfach eine Anmaßung, um nicht zu sagen eine Frechheit; die ja auch in den meisten Fällen durch Stillschweigen, ablehnende Antwort, äußerliches Ja sagen abgewiesen wird und die böse Folge hat, zarte Scheu in ein ängstliches „Auf der Hut sein", in Mißtrauen umzuwandeln. Tie Inquisition hat sich als das schlechteste Mittel zur Ausbreitung des Glaubens bewiesen, und etwas Inquisitorisches müssen diese stoßweisen, seelsorgerischen Bemühungen und Versuche ihrer Natur nach an sich tragen, was nicht weiter ausgeführt zu werden braucht. Es bleibt also nur übrig, ständige Geistliche in die Lazarethe zu schicken, die dort bleiben, so lange Kranke in den Lazarethen sind und dann heim gehen, um andern, frischen Kräften Platz zu

36 machen, oder in einem neuen Lazarethe dieselbe Arbeit zu be­

ginnen. In richtiger Würdigung dieser Verhältnisse hatte die oberste geistliche Militärbehörde vor dem Beginn des Krieges für jede

Armee einen Lazareth-Ober-Prediger ernannt und jedem eine Anzahl von Lazareth-Predigern zugetheilt, die in die einzelnen

Lazarethe,

je nach

Bedürfniß, geschickt wurden.

Sie waren

genommen aus der großen Anzahl der Geistlichen, die sich ge­

meldet hatten,

aus

größeres Bedürfniß, konnte.

der

zu jeder Zeit

die Lücken ausgefüllt,

als das vorausgesehene besriedigt werden

Die Aufgabe der Lazareth-Prediger ist nun, die Seel­

sorge in Lazarethen zu üben, und zwar, der Natur der Sache nach — da von Predigen und Ansprachen nicht viel die Rede

sein kann, — das, was man technisch „specielle Seelsorge" zu nennen pflegt.

Wenn ich nun von der Art, wie sie unter unsern kranken und verwundeten Soldaten getrieben wird, etwas sagen will,

so leitet mich dabei

vor

Allem

der Gedanke,

daß das Volk

daheim ein Recht hat zu wissen, wie seine Angehörigen draußen

„es" nach dieser Seite hin „haben." Ich kann zwar nur von meiner

Art, die Dinge zu sehen und meine Dinge zu thun reden, aber da keine wesentlichen Differenzen in unserer Art zu wirken uns

zum Bewußtsein gekommen sind, so darf ich wohl glauben, ein im Wesentlichen getreues Bild

von der Wirksamkeit zu geben,

die wir Lazareth-Prediger auszuüben Alle redlich und treulich

bemüht waren.

Wenn ich vorhin sagte: „Seelsorge üben", so meine ich das

Wort im weitesten Sinne, in der humansten Bedeutung. Alles, was

die Seele erheben kann über das Sichtbare ihr zusühren,

Alles, leiblichen

was

das geistige Leben stärken kann

Noth

gegenüber der

und ihrem Schwergewicht, mittheilen — von

dem Geringsten an bis zur „vollkommnen Gabe", je nachdem

37 die Seele es fassen und in sich aufnehmen kann: das hielten

wir für unsere Aufgabe.

Wer nun kein niedriger Bettler ist, der läßt sich nur von

dem geben, der aus Liebe, mit Liebe gibt.

So ist das auch

bei uns das Erste und das Letzte, die Bedingung, ohne die un­

sere Arbeit durchaus vergeblich ist — daß wir — ich will das

Wort einmal gebrauchen— ein heißes Herz für unsere Pfleg­ linge haben und behalten.

Das müssen sie aus unserm ganzen

Auftreten, aus unserm täglichen, häufigen Verkehr mit ihnen herausfühlen,

und ist es da,

sie habens bald herausgefunden,

ist unsere Arbeit, wenn auch eine schwere, tieferregende,

dann

eine der schönsten und freudigsten, die ich mir weiß.

nicht so, ich sage:

ist das Herz

nur warm,

Ist es

so wird man

schwerlich der Gefahr entgehen, in der Einförmigkeit und Ein­

tönigkeit der täglichen Berufsarbeit, das

Herz erkalten zu

fühlen

und

in

der See von Plagen

stumpf zu werden.

Wer

aber, wo das Leiden so heiß, der Kampf so heiß ist, kühlen Herzens, gewohnheitsmäßig arbeiten will, der ist ein verlorner

Mann.

Frisch muß Alles an uns sein; frisch der Sinn, frisch

das Wort, frisch das Werk, frisch, wie nur ein heißes Herz es

jeden Morgen neu bieten kann; reich und voll muß der Strom daher

gehen,

aus dem

wir

sie erquicken wollen.

Bei ihrer

Jugend, bei ihrer Vereinsamung müßte es sonderbar zugehen, wenn sie nicht schon nach den ersten Besuchen uns gern hätten,

wenn wir nicht bald ihnen herzlich lieb und unser Besuch ihnen eine wahre Freude wäre.*)

Wir wollen ihnen dienen, so müssen wir sie kennen, und lassen uns darum von ihnen erzählen: von dem harten Kampf, von ihrer Verwundung, von ihrem tapfern Lieutenant, ihrem guten

Hauptmann, wie er so theilnehmend nach ihnen gesehen, ihnen

*) Wir waren von V29 Uhr Morgens bis 1 Uhr Mittags und von 1/a3 bis es dunkelte unter unsern Pfleglingen.

38

Erquickung geschickt hat von seinem Eigenen; von ihrem Er­ gehen, von ihrer Pflege und Behandlung. Wir hören was sie zu klagen haben mit Recht oder Unrecht und suchen zu bessern was zu bessern ist. Da gibt es manches gute treu gemeinte Wort zu reden, manchen neuen Gedanken in ihre Seele zu legen. Wir fragen nach denen zu Hause, ein schönes, trauriges Capitel; wir schreiben ihnen Briefe, versorgen, die selbst schreiben dürfen mit Postkarten, oder, was sie lieber haben, mit Brief­ bogen und Couverts. Das thun wir mit großem Eifer; denn aller Liebe, die sie haben, sollen sie sich recht bewußt, und alle die für sie da ist soll ihnen zugänglich und lebendig werden. Wir lernen gar bald, daß es für unsern speciellen Zweck wie für das Wohlbefinden, die Genesung unserer Pfleglinge von großer Wichtigkeit ist, daß ihr geistiges Leben über­ haupt geweckt und rege gehalten werde. Wir suchen also Alles herein zu ziehen, auf Alles einzugehen was nach dieser Seite hin fördernd und belebend wirken kann. Wir lassen dem Humor sein Recht, machen nie zu einem anständigen Scherz ein saures Gesicht (und wir haben aus dem Munde unserer Pfleglinge nicht ein frivoles Wort gehört). Was uns selbst von der un­ muthigen Gabe zu Gebote steht, verschmähen wir nicht zu ge­ brauchen, um hier zu erheitern, dort zurecht zu weisen. Gern erfüllen wir ihr so natürliches Begehren, vom Gang der Dinge draußen zu hören; wüßten und erführen wir selbst nur mehr davon; was wir aber haben, das geben wir gern. Denn da ist, ohne daß man die Absichtlichkeit merkt und verstimmt wird — so Vieles zu sagen, was sie ergreift und erhebt, was zur Züchtigung in der Gerechtigkeit dient. Da ist der Patriotismus, das edle, starke, die Seele an seinem Theile aus den Banden des Egoismus lösende Gefühl, eine specielle Aeußerung der universalen Hingebung, in der wir das Leben verlieren, um das Leben zu gewinnen. Natürlich, daß all dieses Unterreden kein leeres Reden, kein Geplauder sein darf, daß man reich genug im

39 Herzen und behend genug im Geiste sein muß,

um hier mit

kurzer Wendung, mit treffendem Wort auf den Grund zu kom­ men, dort an —, da voll und rein durchklingen zu lassen den

Grundton, auf dem sich unser Leben zu gottgefälliger, harmo­ nischer Schönheit aufbauen kann.

Das ist freilich, nimmt man

die übrigen Gemüthsaffectionen, ohne die es nicht abgeht, hinzu

eine tieferregende Arbeit, die zeitlich, nach meiner Ueberzeugung,

ihre nicht 511 weiten Grenzen haben muß, *) — aber innerhalb dieser Grenzen wird man wohl müde, doch nicht matt und er­

fährt reichlich die Wahrheit des Wortes: Gebet, so wird Euch Ich wenigstens durfte, wenn meine Pfleglinge dank­

gegebeu.

bar dessen gedachten,

was sie empfangen,

in voller Wahrheit

sagen, daß ich den tiefen Eindruck in meinem Verkehr mit ihnen

habe, mehr empfangen als gegeben zu haben. Was unsere Arbeit nach dieser Seite hin Anfangs so schwer machte, war, daß wir sie allein thun mußten, daß uns das Hülfsmittel fehlte, ohne welches sie nie ganz genügend gethan werden kann:

Lazareth-Lectüre.

von

So viele

meinen

Mitarbeitern in andern Lazarethen ich gesprochen habe, sie hatten alle dieselbe Klage. waren

mit

Die

Lazarethdepots

in

allen Lazarethbedürfnissen reichlich

Lectüre fehlte ihnen.

unserer Gegend versehen,

nur

Ein unbegreiflicher Mangel! Man denke

sich die tödtliche Langeweile, die nach den ersten Tagen, schon in einem Lazarethe herrschen muß,

tödteuderes

aber

als

dem Lectüre fehlt. Geist-

Langeweile gibt es nicht und die Ver­

wundeten haben Frische des Geistes außer zu manchen andern

Dingen, auch zu ihrer Genesung höchst nothwendig.

Nachdem

*) Der Elberfelder Verein hat in seinen Statuten die Bestim­

mung , daß kein in einer Gemeinde angestellter Geistlicher länger als höchstens sechs Wochen in

einem Lazareth beschäftigt sein soll.

alle Lazarethgeistliche ausgedehnt,

tiger sein; nicht allein, nicht einmal vorzugsweise beitenden willen.

Auf

würde die Bestimmung noch wich­ um der Ar­

40 die kleine Gabe, die ich von der sächsischen Felddiakonie erhalten hatte, und die im Ganzen nicht sehr zweckmäßig erschien, ver­ griffen war, hatte ich das beneidenswerthe Glück, mir von Remilly,

anderthalb Tagereisen von uns, bei Gelegenheit zweier für unser

Lazareth gemachten Requisitionsfahrten Lectüre mitbringen lassen

Mit welcher Freude ich die ersten Bücher zu meinen

zu können.

braven Jungen das

aufnahmen,

brachte

und

werde

mit welchem Jubel sie dieselben

ich nie vergessen, und doch waren es

Predigten, nur Tractätchen

nur

speciell

religiösen Inhaltes.

Später hatte ich wieder das Glück von dem Dresdener Hülfsverein zwei Kistchen, eins für das Lazareth in Vionville, das

andere für Mars la Tour, zu gewinnen, und so waren meine

Lazarethe endlich verhältnißmäßig sehr reichlich mit Lectüre ver­ sehen.

Darüber aber waren bis zu vier Wochen hingegangen.

Ich vergaß zu bemerken, daß dazwischen eine sehr kleine Zufuhr

zu verzeichnen ist, die mir eine heimathliche Figur, ein Colpor­ Mit Eifer wurde nun im Lazareth gelesen, und mit

teur brachte.

Aufmerksamkeit und Interesse; das

gab neue Anregung, neue

Anknüpfungspunkte für die Unterhaltung mit uns, wie der Ver­ mit

wundeten

Leides,

einander.

die Seele

eröffnet,

den

mit

meist so

So

war

wiederum

eine

Quelle

andern Gedanken als mit denen des

unfruchtbaren zu

erfüllen — und eine

schreckliche Qual war in unserm Lazareth weniger.

Von diesen

beiden Gesichtspunkten aus kann es nicht genug hervorgehoben werden,

daß

eine

gute,

reichliche

Lectüre

zu

den

nothwendigsten Lazar ethbedürfnissen gehört. Eine

schnittliche

gute,

d. h. eine für den Zustand und die durch­

Geistes-

und Gemüthsbildung

Die scheint schwer zu beschaffen

gewesen

angemessene Lectüre. zu

sein,

nach

den

Sammlungen, die ich kennen zu lernen Gelegenheit hatte; denn die waren entschieden nicht mit großem Geschick getroffen. habe keine Collection von Lazareth-Lectüre gesehen,

nur annähernd befriedigt hätte.

Ich

die mich

Ich sage das frei heraus, ohne

41 Furcht dem Göthe'schen Gaste zu gleichen, der das freundlich

dargebotene und behaglich verspeiste Mahl hinterher scharf zu

recensiren nicht umhin kann.

Man muß Alles lernen,

Lazareth-Lectüre auswühlen, und da müssen wir,

auch

unter deren

Augen sich die gewählte Lectüre erproben mußte, und

die wir

das Verlangen und das Bedürfniß unserer Leute kennen, mit unserer Erfahrung nicht zurückhalten.

Wenn ich nun zuerst von der eigentlich erbaulichen Lectüre rede, so will ich dankbar anerkennen, wie viel darin geschehen

ist. Einzelne Theile des Neuen Testaments waren besonders ab­ gedruckt : kleines, nettes Format, gutes Papier, deutlicher Druck.

Aber die Auswahl der abgedruckten Stücke

war

zum

guten

Ich hatte unter den verschiedenen Sendungen,

Theile verfehlt.

der Anzahl der Exemplare nach geordnet, in erster Linie Rö­ merbriese, in einer wirklich erschreckend großen Menge; dann Evang. Johannis, darauf Evang. Lucä, endlich Evang. Marci, Corinther, Philipper,

Colosser-Briefe

Galater,

ziemlich

in

gleicher Menge, und sehr wenige Apostelgeschichte.

Darunter

waren eine leidliche Anzahl italiänischer Exemplare, keine französischen.

(Ich kann mir das nur erklären durch die An­

nahme, daß jene aus 66 übrig geblieben waren und jetzt ver­ werthet

werden

Nun bin

sollten.)

Episteln St. Pauli zu

verachten,

ich gewiß der Letzte, die

aber jeder, der in

einem

Lazarethe sich um die Lectüre gekümmert hat, wird 'mir zustim­

men, daß sie für Lazareth-Lectüre zu den wenigstpassenden Theilen des Neuen Testaments gehören.

Einmal schon deswegen, weil

die Leute sie nicht mit Interesse lesen, zum Andern, weil sie zu

schwer für sie zu verstehen sind, zum dritten, weil man weit

Besseres auswählen kann.

Ich habe, nachdem ich sah, daß die

wenigen Römer-Briefe, die ich probeweise austheilte, hinterein­ ander durchgelesen und dann unters Kopfkissen gesteckt wurden — keine mehr ausgetheilt. um der

Geschichte,

Das Evang. Johannis, obschon es

besonders der Leidensgeschichte willen um

2*

42 einige Grade praktischer ist, ist auch zu schwer und abstract für die Leute.

Das Evang. Lucä lasen

Marcus ist zu knapp.

sie Alle gern und immer wieder, es ging in sie ein, sie sprachen

gern davon.

Das Bild

des Herrn, in einfachen,

kunstlosen

das Wort des Herrn, unreflectirt in seiner einfachen

Zügen,

Hoheit und Lieblichkeit, — das

wars, was

sie gebrauchten.

Aber sollte man es glauben? Das Evangelium,

in welchem

unter Anderm das Wort steht: „Selig sind die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden", und das Andere „Vom Vater,

der

das

in

Verborgene

siehet" — das fehlte gänzlich.

Ich

habe auch nicht ein Exemplar des Evang. Matthäi zu Gesichte

bekommen, daß Andere meiner Kollegen glücklicher gewesen sind, habe ich nicht gehört.

Ich bin gewiß, die eine Bergpredigt —

von dem übrigen Inhalt des Evangeliums gar nicht zu reden, —

hätte mehr in den Herzen meiner Verwundeten zurückgelassen, als alle Briefe Pauli.

Es fehlten ferner vollständig: die Psalmen, das Büchlein voll Suchens und Findens, voll Bangens und Bebens,

fröhlicher Zuversicht auf den Gott, der da hilft.

nur den 42. und 43. Psalm gehabt!

Wie

voll

Hätten wir

oft habe ich ihn

recitirt, wie andächtig lauschten sie dann, wie klang es wieder

das : „Warum betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig

in mir?" Es fehlte weiter, was nicht hätte fehlen dürfen: eine, wenn

auch

noch

so kleine Sammlung geistlicher Lieder.

Hat

man darauf gerechnet, daß die Verwundeten ihr Militairkirchen-

buch noch bei sich haben würden, daß

die Soldaten

pflegen.

Auf

so hat

ohne Tornister

den Schlachtfeldern

Militair-Gesangbücher gefunden

man

nicht bedacht,

in's Lazareth zu kommen des

und

16.

einige

habe ich

solche

ins Lazareth ge­

bracht, bei den Verwundeten kaum eins.

Von aller Erbauungs­

literatur aber ist das Gesangbuch das

ansprechendste und ver­

ständlichste.

Die Lieder sind zum großen Theil alte Bekannte,

die der Verwundete jetzt erst recht kennen und schätzen lernt;

43 ein Lied,

ein Stück

Leben

aus

dem Geist des Evangeliums

herausgestaltet, spricht auf einer gewissen Stufe der Entwicklung des christlichen Lebens mehr unmittelbar an das Herz, als selbst

das Wort der Schrift, ein schlechter Ersatz

für

prägt sich leichter ein.

und

das Fehlende,

Täschchen neben den Büchern, mein Gesangbuch

bei mir

daß ich

Es war

in

meinem

die ich vertheilen konnte,

auch

um hier und da ein Lied

führte,

daraus vorzulesen, einem Einzelnen oder in einer Stube.

einzige

kleine

Auswahl

geistlicher

Lieder

Exemplar fand sich in einer Bücherkiste, Dresdener Hülfsverein bekommen habe.

stand ein wahres Wettbitten darum;

Eine

in einem einzigen

ich

die

von einem

Als ich es anbot, ent­

ich

habe

es

denn der

ganzen Stube geschenkt mit dem Bedingniß, daß es vom Einen

zum Andern gehen müsse, damit jeder etwas davon habe. An Erbauungsliteratur waren ferner eine hübsche Anzahl von Bänden, Predigten enthaltend, — eine Auswahl enthielt Predig­ ten über alle Perikopen des Kirchenjahrs— vorhanden.

Eine

Predigt, sehr kurz, sehr einfach, sehr frisch und originell mit

dem Zustand der Verwundeten und ihren Bedürfnissen in einem nicht zu fernen Zusammenhang stehend, ist für dieselben sehr

schön

und

gut

Predigt nicht

zu

lesen.

gelesen,

Aber wenn überhaupt schon eine

sondern

gehört

werden

will:

so ist

für unsere Verwundeten insbesondere die Form der gedruckten Predigt eine sehr ungeschickte,

bieten.

um ihnen geistliche Nahrung zu

Sie erfordert zu viel geistige Arbeit.

Nun gar einem

Verwundeten einen Band Predigten in die Hand geben — es

würde ihm das Lesen verleiden und Kopf und Herz abstumpfen. Wir waren nur zu reich in Predigten assortirt.

Endlich fanden sich einige sehr kleine Gebet- und Spruch­ büchlein vor: Sieben Gebete in Kriegszeiten und ein Soldaten­ büchlein; zum täglichen Gebrauch zu mager und zum Durchlesen

doch nicht

gegeben,

obwohl

dazu gebraucht-und dann selten

44 Geistliche Lieder hätten, wie gesagt,

wieder hervorgenommen. den Dienst besser gethan.

Wenige ganze Neue Testamente mit Psalmen hatte ich, die

ich den Geförderteren unter meinen Pfleglingen gab, und bei

ihrer Evacuiruug als Andenken an die gemeinschaftlich verlebte Zeit mit einem eingeschriebenen Votum verehrte, zu ihrer großen

Freude.

Für Alle paßte auch das Neue Testament nicht, we­

nigstens nicht sofort.

Zu Anfang ging ich verschwenderischer

mit meinem kleinen Vorrath von Testamenten um.

Aber als

der Eine und der Andere vorn bei den Geschlechtsregistern an­ fing und so Seite für Seite rüstig weiter las, den ersten Tag schon ein tüchtig Stück hinein, bin ich vorsichtiger geworden und

sparsamer; ich glaube nicht zum Nachtheil der Leute. eine gute Geschichte lesen und verstehen,

Lieber

als die Schrift lesen

und sie — gelesen haben. Von „christlicher" Unterhaltungslectüre hatten wir eine ver-

hältnißmäßig reiche Sammlung von Piper's Evangel. Kalender, der aber nicht allein Gebildete voraussetzt, sondern gesunde Ge­ bildete, und für diese selbst in vielen Partien sehr trocken ist. Für unsere Kranke waren nur einzelne Lebensbilder fruchtbar.

Doch

schlugen sie sich,

so lange sie nichts Anderes bekamen,

pflichttreu, wie die wackern Jungen denn einmal

waren,

auch

durch alle Heiligen des Piper'schen Kalenders ritterlich durch,

wenn auch,

so

denke ich,

Bataillon Zouaven. Zeittödtung.

Dann

mit größerer Mühe, als durch ein

Das aber war doch nicht viel besser als

folgten einige Lebensbeschreibungen

vom

alten Blücher, Ziethen, Admiral de Ruyter, in religiösem Sinne geschrieben, so wie einige Tractätchen.

hatte wohl der naheliegende Gedanke interessirt der Soldat.

Zur ersteren Auswahl

geleitet:

den Soldaten

Ich glaube indessen bemerkt zu haben,

daß die Verwundeten, wenn sie wählen konnten zwischen einer

solchen Lebensbeschreibung und lieber

die nicht

einer nicht soldatischen — sie

soldatische vorzogen.

Worin man bis auf's

45 Blut arbeitet, darin unterhält man sich nicht gern, und dem auf den Tod wunden Soldaten ist es, wenn etwas, wehmüthig, des gesunden Soldaten freudige Thaten lesen zu müssen.

Eine kleine Sammlung „Sterbebette" erschien mir auch nicht

sehr zweckmäßig. Einmal hat der Soldat kein Interesse an Basilius

dem Großen und wie

er gestorben ist,

der Mann wird ihm

auch durch die kurze Erzählung nicht lebendig — zum Andern: wem soll man das Büchlein (ein Tractat) geben? Wer es em­

pfängt,

sieht's aber

dann

so an,

als sei es ein heimlich gegebener avis

Ein Hinweis

au lecteur.

soll er

Erschütterungen

auf

das Ende

durch

Todesdrohungen

und

dürfen und sollen wir selbst weder geben,

verbreiteten Schriften. sollen,

und

samkeit allerdings

auch

ja

oft nöthig,

Schreckensscenen

noch

die von uns

Das Lazareth ist in erster Linie dafür

da, daß die Kranken in ihm

gewinnen

ist

offen, treulich und weise gegeben werden.

ihre leibliche

Genesung wieder

darnach hat sich unsere Art der Wirk­

ganz

strenge

zu

richten.

Drum habe ich

eine sehr aufregende Predigt (Mene Tekel ist ihr Titel)

nicht verbreitet. Wenige Hefte von einer christlichen Zeitschrift waren vor­

handen ,

ihren Titel habe ich vergessen — sie auch natürlich

nicht ganz gelesen. Betrachtungen

und

Sie enthielten allerlei Aufsätze, Geschichten, erschienen

im

Ganzen gut, wurden auch

gern gelesen. „Redliche

Preußen",

„Mecklenburgische

Volkskalender",

„Erzählungen eines Invaliden" waren, wie dergleichen zu sein pflegen, gut gemeint und lesbar; die „Erzählungen über evan­ gelische

Kirchenlieder" setzten

das Gesangbuch in den Händen

der Leser voraus, und verwirrten, wo das nicht der Fall war,

durch die Menge der rasch aufeinanderfolgenden Geschichten in

ähnlicher Weise, wie das Lesen einer Anekdotensammlung.

Folgten endlich:

Manche dicke Bände alter „Militärischer

Wochenblätter", „Territorialgeschichte des Preußischen Staates",

46 in jeder Kiste viele Exemplare.

Schade um den Raum, den sie

darin einnahmen und andere ebenso unnütze Dinge, deren Titel

aufzuführen zu langweilig sein würde. Nun haben

wir

in unserer deutschen Literatur doch einen

Reichthum an guten,

auch an specifisch christlichen, populären,

fruchtbaren Schriftstellern, v. Horn, Glaubrecht, Stöber, Caspari,

Gotthelf — aber

von

allen diesen Leuten war auch nicht das

denjenigen Collectionen, die ich

kleinste Schristchen unter

ge­

sehen oder von denen ich gehört habe.

man

Hätte

auf sie allein

den Kreis

beschränken wollen,

man hätte eine reichhaltige Sammlung zugleich unterhaltender,

geistig beschäftigender und fromm anregender Lectüre zusammen stellen können,

volksthümlicher, gesunder, reichhaltiger als das

Gebotene, weitaus.

Und

man z. B.

legte

Hof- und Räubergeschichte aus dem Anfang

„Roderich,

eine

dieses Jahrhun­

derts," — eine „Sammlung von Alpensagen", eine „Antho­

logie deutscher Dichter" (ursprünglich für den Schulgebrauch)

bei, so hätte man unbeschadet außer den oben genannten auch noch andere Volksschriftsteller, nicht zum Schaden der Leser, hin­ zufügen können.

Man hat unstreitig die Wichtigkeit der Lectüre nicht genug beobachtet, und unter andern Lazarethbedürfnissen nebenher und

spät auch

für Lectüre

die Bücher

zu

was

schenken

Man hat ferner kein Geld

gesorgt.

dafür ausgeben wollen,

lassen.

wie es scheint, sondern hat sich Da

sind

denn neben manchem,

gebrauchen ist, die vollständig ungenießbaren Bücher

geschenkt worden und weil man sie hatte,

hat

man

gedacht:

So viel als sie kosten, mögen sie leicht werth sein und hat Alles

miteinander

in die Depots geschafft.

So viel gerade,

aber

mehr auch keinen Heller konnte man von zu Vielen sagen.

Ich glaube mein Resüme so zusammenfassen zu können: 1.

Lectüre ist

für das

geistige und leibliche Wohl­

befinden der Verwundeten von höchster Wichtigkeit. Deshalb ist

47 principiell und mit in erster Reihe für Lazarethlectüre zu sorgen.

Regel soll sein, sie zu kaufen und das Beste, was die Volks­ schriftenliteratur bietet, dafür in Dienst zu stellen.

diesem Zwecke Geschenke in Naturalien gemacht,

Werden zu

so

hat man

hier, wie bei derartigen Geschenken in andern Lazarethbedürf-

nissen das Unbrauchbare sofort zurückzuweisen. Die Lectüre darf nicht

2.

erbauliche im

Sinne,

ist

allein, nicht vorwiegend eine

engern Sinne sein (im weiteren, jedes gute Buch erbaulich).

ja

mir

lieberen

Die Erbauungs­

literatur hat zu bestehen aus den einzeln gedruckten Evangelien (Matthäus und Lucas müssen in weit größerer Anzahl vorhanden sein, als Marcus und Johannes), in Psalmen, Neuen Testamenten

einer reichen Zahl von gut ausgewählten Kirchenliedern.

und

Dann

alle Tractate sparen, besonders die erbau­

kann man

lichen Soldatentractate.

Es ist bekannt, daß der Bauer keine

Dorfgeschichte liest, wenn er nicht muß, und daß jemand Ge­

schichten,

die in

seiner

Welt

spielen und mit ausgesprochen

pädagogischer Tendenz geschrieben sind, nicht mit Unbefangen­

sondern

heit,

mit

kritischem

Auge

und mit einer

gewissen

Zurückhaltung durchliest.

3. Als bildende Unterhaltungslectüre ist materiell Alles zuzu­ lassen, was aus gesundem sittlichem Geiste geboren ist.

würde rubriciren: 1. Mehr Belehrendes.

Ich

Bilder aus der Ge­

schichte; aus dem Natur- und Volksleben, geschichtliche, geogra­

phische, ethnologische Charakterbilder, nach Art der Grube'schen. 2. Mehr Unterhaltendes:

einzutreten,

wie

da

haben unsere „Volksschriftsteller"

sie eben genannt worden sind.

Wo

eigene

Officierlazarethe sind, müßte für diese, was die 2. Abtheilung betrifft, eine besondere Auswahl getroffen werden. 4. Man muß auch bei der Lectüre von dem Grundsätze aus­

gehen: ist.

daß nur das Beste für unsere Verwundeten gut genug

Sollten unsere Verlagshandlungen,

die doch mit unsern

Volksschriften ein gutes Geschäft machen und nach dem Kriege

48 zur rechten Zeit und

wieder machen werden,

zu

ermäßigten

zusammengekommen. nicht

hergegeben

Preisen

den rechten

haben?

Und hätte man

zahlen müssen, so wäre auch dafür das Geld

vollaus

dafür

von

nicht solche Auswahlen wenigstens

Leuten darum angegangen,

so

ausgeben,

Wollte hätte

sondern namhaft gemachte,

man

man

aber

für die Lectüre Geld

nicht Bücher im Allgemeinen,

zweckmäßige Bücher fordern müssen

und würde sie dann auch so erhallen haben.

Es sei — zum

zum Schluß noch daran erinnert, daß auch das Aeußere der Bücher einen wesentlichen Einfluß auf ihre Brauchbarkeit hat.

An sich

gute Bücher mit schlechtem Druck und von unhandlichem Format

thun dieselben Dienste, wie die schlechten; man kann sie einfach nicht ausgeben.

Wenn

wir nun, nach dieser unvermeidlichen Auseinander­

setzung zu unserm Thema von der Seelsorge in den Lazarethen

zurückkehren: so will es dem Leser scheinen, als sei es mit dieser Art Einwirkung

auf die Kranken,

die in geistiger Anregung

und im Bestreben, sie sittlich zu erheben, sich genügen lasse, nicht

gethan.

Vielleicht verlangt er normal verlaufende Bekehrungs­

geschichten zu hören und denkt, daß darauf, daß solche sich be­ gäben,

uns

von

vor

Allem

hingewirkt werden müsse.

Im

ersteren hat der Leser Recht, die zweite Erwartung dagegen wird

ihn täuschen. derten, ist

Mit der Einwirkung, wie

es nicht genug.

wir sie vorhin schil­

Wir haben es indessen auch nicht

bei ihr bewenden, sondern es unsere Aufgabe sein lassen, ihnen

„Jesum Christum den Gekreuzigten,

liche Weisheit" zu verkündigen,

göttliche Kraft

öffentlich

und

und gött­

sonderlich;

wie

wir es uns denn auch bewußt waren, daß die Lebensanschauung,

die wir ihnen gegenüber

(nicht im feindlichen Sinne) geltend

machten, auf diesem Grunde beruhe, daß jeder Rath und jeder Trost, jedes ernste und heitere Wort nach unserm besten Wissen

und Gewissen aus „Christi Geist" heraus — im Einklang mit

ihm geredet sein sollte.

Sie sollten dadurch zu der Erkenntniß

49 Christi kommen; zu der Erkenntniß, daß man im Glauben an Christum ein reiches, krafterfülltes und in der Versöhnung auch ein schönes harmonisches Leben habe;

der tiefsten Gegensätze,

daß das Evangelium die Kraft Gottessei, selig zu machen, alle

die daran glauben.

Das haben

sagen, als Gesetz vorgehalten.

wir gesagt,

in dieser Zeit";

wir

ihnen, um es kurz zu

„Das ist Eure Aufgabe, haben

im Vertrauen darauf, daß ihr

deutsches, christliches Gewissen ihnen Zeugniß geben werde von der

Wahrheit dieses

Gesetzes — und

uns nicht darin getäuscht.

im Ganzen haben wir

Als Verheißung haben wir es

ihnen vorgehalten, wiederum

im Vertrauen darauf,

daß die

Seele in ihrem tiefsten Grunde fühle, wie sie das bedarf, was

Gott hat und verheißt, Wollen

und getrieben werde zu dem kühnen

ihr Leben ganz von der Gnade Gottes und in seiner

Gemeinschaft zu haben, und das hat uns auch nicht getäuscht.

Wir sind besorgt gewesen, die Mühseligen und Beladenen im Sinne unseres Herrn sanftmüthig und von Herzen demüthig zu

ihm zu rufen und zu leiten,

und bemüht, die armen wunden

Männer, die ja gewissermaßen wehrlos in unsere Hand gegeben waren, mit rücksichtsvoller Zartheit zu behandeln, da vor Allem, wo wir, als die Aerzte der Seele, schmerzhafte Operationen an

ihnen vollziehen mußten.

Wir haben von unsern Pfleglingen

allewege

ein herzliches, vertrauensvolles Entgegenkommen ge­

funden.

Mir ist es ost so erschienen, als wären sie in dieser

ihrer Art vollkommner,

als ich in der meinigen und das hat

mich immer wieder in meiner Art bestärkt und in dem ernst­ lichen Verlangen, ihnen so zu begegnen, wie sie es verdienen.

Wie sie es verdienen und — in einer gewissen Weise — wie sie es gewohnt sind.

und bestimmte Form.

Der Soldat ist gewöhnt an eine knappe Ich habe gefunden,

daß dieselbe auch

für den seelsorgerischen Verkehr die angemessene ist.

Was wir

lebhaft und frisch empfinden, das muß auf dem kürzesten Wege

an das Herz dessen gebracht werden, für den wir's empfinden,

3

50 und dem wir's mittheilen wollen. Der kürzeste Weg aber ist ein

Wort von womöglich epigrammatischer Kürze; in längerer und

langer Ausführung verliert die schlagendste Wahrheit an sich selbst

beweisender Kraft.

Es wäre gut —

beiläufig — wenn wir

auch unsere Gemeinden von der Wahrheit dieses gewiß wahren

Satzes überzeugen könnten;

wir würden uns viel Redens und

ihnen viel Hörens ersparen, und trotzdem weiterkommen.

kommt

daß

dazu,

lebendige Wort

Hier

in der brennenden Roth nur das wirklich

daß

wirkt;

alle Wahrheit spurlos vorüber

geht, wenn sie nur objectiv wahre „christliche Phraseologie" ist.

Sie muß so subjectiv, so aus dem Augenblick geboren und so be­

hältlich als möglich sein.

Soll aber so geredet werden können,

so ist zweierlei nothwendig, ein Aeußerliches und ein Anderes, was man sich nicht geben kann.

Das

Erstere ist

ein mög­

lichst häufiger, unausgesetzter Verkehr mit den Pfleglingen,

dem man wenigstens ebenso gut zu hören,

stehen muß. wonnen;

geben.

Durch ein „Auf sie

man

muß sie kennen

als

bei

zu reden ver­

einreden" wird nichts ge­ und darum müssen sie sich

Es ist ihnen zudem ein Bedürfniß sich auszusprechen;

man lernt, wenn man willig zu hören ist, bei einiger Geduld mehr über sie, als wenn man sie noch so geschickt katechisiren

wollte.

Das

sicheres Gefühl

Andere für

ungleich Wichtigere ist,

daß man

ein

den noch so verborgenen Pulsschlag des

christlichen Lebens habe,

ein feines Verständniß für seinen un­

beholfenen, ost so gar nicht schulgemäßen Ausdruck; daß man davon absehen könne, es auf den richtigen Ausdruck zu bringen

und sich damit begnügen, es zum Bewußtsein und zur Herr­

schaft zu bringen.

Und weil nun jedem seine Schule anhängt,

so ist das ost recht schwer.

Eine Gemeinde ist schulmäßig ge­

bildet, man kann sie sich ziehen und sich ihre Form aneignen; hier aber heißt es weiten, freien, sicheren Geistes sein, zu ver­ stehen

und

zu lösen auch das sich selbst unbewußte „Sehnen

und Aengstigen der Kreatur."

51

Das

wir

haben

Daß wir unser Ziel erreicht,

gewollt!

wer von uns möchte es behaupten? Gern werden wir Alle be­ kennen,

das Wirken unter unsern Verwundeten uns eine

daß

liebe und an uns selbst reich gesegnete Arbeit gewesen ist. Auch

darin werden Alle, die ihr Wollen und Vollbringen in redlicher Arbeit gegeneinander geprüft haben, einig sein, in dem Wunsche: doch nur

daß

Lazarethen

unter uns zu dem Dienste in den

die Besten

Nur die, die mit reicher

gerufen werden möchten!

Erfahrung ein feines Gefühl verbinden und

eines energischen

alle Formen leicht und rasch durchdringenden,

und behenden,

eines wahrhaft gebildeten Geistes sind: nur die mögen würdig erachtet werden hier zu dienen.

Will der

Leser

Lazareth machen?

mit mir einen Gang

nun

durch

Er braucht sich nicht zu fürchten.

mein

Schreck­

liches bekommt er nicht zu sehen; ich möchte ihm nur — im Fluge — zeigen, wie wir und etwa auch was wir im Laufe

Tages

des

mit unsern Pfleglingen reden;

d. h. nur einige

Themata; die Reden und Gegenreden mag er sich selbst halten. 1.

Ach, bis jetzt ist's noch

„Wie geht's heute. Lieber?"

erträglich, aber

wenn's so fort geht,

nicht aushalten.

„Nicht das Maß des Schmerzes macht uns

unsere

Lage

unerträglich; es kommt auf den Widerstand an,

wir leisten

den

fürchte ich, kann ich's

können,

auf das Maß der Geduld.

verloren — Alles verloren.

Muth

Mancher würde dein Maß des

Schmerzes nicht ertragen haben.

Gott hat bis hieher geholfen.

Warum nicht weiter?"

2.

Ein

sehr schwer Verwundeter (er ist bald und gott­

ergeben gestorben) war zu voll Hoffnung auf seine Genesung. „Die Hoffnung wollen

betender Wunsch. Sieg

und

wir

Im Krieg

Niederlage,

festhalten; — die Hoffnung ist

wird Beides

auf Beides

ins Auge gefaßt;

wird gerüstet; ein rechter

Soldat muß auch hier auf Beides gerüstet sein,

aufs Leben

52

und aufs Sterben.

Eins ist Noth für Beides.

Was ist dein

einiger Trost im Leben und im Sterben?"

3.

Eine Stube war in sehr gedrückter Stimmung.

verlangt, als was ihr geleistet habt, „Tapferkeit".

schwererer Streit ist hier, als dort. geleistet,

Unmögliche

„Wa­

Es' wird nichts Anderes von Euch

rum seid ihr so furchtsam?

nicht

warum

müssen wir hier bekämpfen?

Freilich ein

Aber dort habt Ihr das hier?

Welchen Feind

„Gott aber sei Dank, der uns

den Sieg gegeben hat, durch Jesum Christum unsern Herrn."

4.

bete

„Ich

so

doch — sie haben ihn gestern hinausgetragen.

„Nun, wie geht's?" „Das

frieden sein.

Leidlich, man muß ja wohl zu­

ist schon etwas — aber doch noch nicht

das Rechte; wollen zufrieden sein;

Gott will.

Um was sollen

Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.

wir beten?

5.

Der neben

so treulich gebetet um seine Genesung und

auch

dir lag hat

fleißig um Besserung, Gott wird mir

Hoffen wir's — aber ist's sicher?

gewiß helfen."

Alles

das heißt,

wollen, was

was er mir in diesem Jammerthal

Uebel,

zuschickt, kann und will Er

mir

zu Gute

wenden,

als

ein

barmherziger Gott und getreuer Vater." 6.

Im Pfarrhause in Vionville war

ging's sehr auf und ab.

eine Stube,

die empfingen mich eines Morgens mit

dem fröhlichen Zuruf:

Herr Prediger, mit den Nächsten gehen wir nun fort.

kennt den Spruch: Rufe mich an in der Noth?" dich

erretten,

so

sollst du

darin

Nur drei waren endlich noch darin,

mich preisen.

Gott preisen"? — „An Euerm Leibe und

„Wer

So will ich

„Womit sollen wir an Euerm Geiste,

welche sind Gottes."

7.

Ein Anderer hatte unbedacht, leichtfertig in den Tag

hinein gelebt; auch er war außer Gefahr,

nachdem die Wage

lange geschwenkt und wir manches ernste Wort geredet hatten. „Ein zweimal geschenktes Leben,

das Eine — wie war's doch

damit? — das Andere — wie soll's jetzt werden?" Nie will

53 ich vergessen, daß es Gott gehört.

„Ein Liedervers zum An­

denken: Ich bin dein, sprich du darauf ein Amen."

8.

Dort mein

lieber B., der still und ergeben gewesen

ist, so lange ich ihn besuche,

etwas blasser und wird,

der

stiller,

hat heute

der in

der letzten

aber Gott sei Dank,

eine wehmüthige Freude.

Zeit täglich

auch gereifter

Von Sorge

getrieben hat sein treues Weib mit ihrem dreijährigen Töchterchen

sich ausgemacht weit hinten aus Brandenburg; heute ist sie ge­ kommen, jetzt sitzt sie an seinem Bette.

Welch ein Wiedersehen!

Das Kind spielt mit Blumen auf dem Schmerzenslager, auf

dem Sterbebette seines Vaters, in glücklicher Unwissenheit. muß die Mutter erinnern, den Kranken ich fürchte,

sonst verzehrt das

jetzt

Ich

allein zu lassen,

eine Wiedersehen seine Kräfte.

Und als ich dann in

Sie nehmen Abschied auf morgen früh.

der stillen Abendstunde meine Hand auf dein Haupt legte und

dem Lande sagte,

dir von

Trennung mehr giebt: dir

dein Herz!

wo

es kein Leid und auch

keine

wie zitterte ^mir die Hand, wie zitterte

Und wie gab doch Gott dir Gnade, daß du

stillen, gelassenen Herzens hervorgingst aus diesem letzten Streit. Noch eine stille, von Gebet durchzogene Nacht, noch ein kurzer,

tapferer Abschied von Weib und Kind, dann bist du sanft und selig eingeschlafen.

9.

Eine Stube machte uns

Eindruck.

immer

einen herzerfreuenden

Drei Kameraden lagen in ihr,

und wie ein heller

Sonnenschein ging's uns über die Seele, wenn wir bei ihnen

eintraten.

Tapfern Herzens, offenen Sinnes, fröhlichen Ange­

sichts, auf dem schon die Nöthe der Gesundheit wieder erschien, so lagen sie da und hatten miteinander treulich ihr Leid ge­

tragen und getheilt vom ersten Tage

an,

bis hieher.

Aber

des Einen Angesicht war in der letzten Zeit um einige Schat-

tirungen grauer geworden, die Wunde war nicht mehr so gut, — und so kam der von mir gefürchtete Tag, an dem ich die bei­ den Betten leer fand; die treuen Kameraden waren „nach der

54 Im dritten Bette aber lag ein

Heimath zu" evacuirt worden. gar betrübter Mann,

gar einsam!"

„Nun sind Sie so

gepreßten Herzens.

Was die Schmerzen nicht vermocht hatten, das

that diese Stunde;

ein Strom von Thränen brach sich Bahn.

Das

Vereinsamung,

Gefühl

der

selbst zu bewegt.

keins

der Verlassenheit

ist

das

Was ich ihm sagte, weiß ich nicht mehr, ich war

Schwerste.

seiner

Es kann

Kinder

nur das gewesen sein, daß Gott

einsam

läßt

und

allein;

denn

nur

das kann trösten und getrösteten Herzens reichte er mir die

Hand zum Abschied auf morgen.

In dieser Stube ist besonders viel Leid zusammenge­

10.

häuft und, wie mir scheint, tragen die armen Jungen besonders

schwer an ihrem Leid.

heute

Auch

ist

wieder viel Klagens.

Ich suche ihnen die Größe ihres Leidens nicht abzudisputiren,

ich erkenne es an, mit ihnen.

als überaus groß, fühle ich's ja so lebhaft

Aber, sage ich, eben darum wäre es Schade, wenn

diese schwere Zeit ohne Frucht für Euch bleiben sollte, Ihr als dieselben hinausginget,

seid.

Was

soll

die Frucht

als

sein?

wenn

die Ihr hereingekommen

Nur wenn Ihr um die

Frucht arbeitet, könnt Ihr das Leid tragen,

ja Euch mit ihm

versöhnen.

11.

Mein Freund E. hat, wie alle Ostfriesen und viele

Oldenburger, die ich gesehen habe, einen Zug von tiefer Schwer-

muth.

Mit schmerzlicher Resignation spricht er es aus: „Mir

hilft's nicht, Herr Prediger,

ich bin zu weit von Gott abge­

kommen, ich kann den Weg nicht mehr finden."

Lange dauerte

der Kampf in seinem verzagten Gemüthe und oft habe ich das, unruhige, bange Herz spät Abends noch still die Mutter ihr Kind.

gesprochen,

wie

Endlich gewann er seinen festen Stand

und eine ruhige Zuversicht.

„Siehst Du, daß ich Recht hatte,

nun bist Du doch zu Gott gekommen."

Er ist zu mir gekommen."

„Nein, Herr Prediger,

„Er war bei Dir von Anfang

aber Du erkanntest ihn nicht."

„Herr Prediger, kommen Sie

55 auch morgen wieder?"

„Zweimal, und nun schlaf in Gottes

Namen."

12.

K. ist nicht voll Zweifel, aber er ist etwas furchtsam; er

hat mit dem Leben abgeschlossen, aber „die lange Todesnacht" macht ihm auch oft bange Gedanken.

Lied sind sein Trost.

Das Gebet und das

Ehe ich die Kirche, in der er liegt, ver­

lasse, muß ich zu ihm kommen und mit ihm beten,

geht es

aber im Augenblick nicht, weil ich weiter muß, so muß ich ihm

Dann zieht

versprechen, wieder zu kommen.

er seine Decke

über den Kopf und singt mit seiner schwachen Stimme für sich die Lieder, die er im Herzen hat, wie sie aus kämpfenden und

bekümmerten, aus siegreichen und fröhlichen Christenherzen ent­

sprungen und erklungen sind; singt seine Seele zur Ruhe und oft auch seinen todesmatten Leib in den Schlaf, und so hat er

sich des Todes Bitterkeit vertrieben. 13.

In einer Scheune wird politisirt, als ich eintrete (es Wir setzen das Gespräch fort, es

wurde viel darin politisirt).

geht über die Größe der Ereignisse, über die Frucht, davon erwarten.

Ich schließe ab,

seid mit vielen Tausenden von Gott erwählt,

bringen,

das dazu nöthig ist;

die wir

indem ich ausspreche:

Ihr

das Opfer zu

das ist euer Leid.

„Ja,

wir

wollen's auch gern bringen, aber in zehn Jahren hat man uns

doch Alle vergessen."

„Und wenn's wäre, wär's nicht gut so?

Sollte an der Frucht, die Ihr uns zu genießen gebt, immer das

Blut kleben,

das Ihr um sie vergossen habt,

wer könnte sich

ihrer freuen? Und denkt auch, was der Heiland sagt vom „Va­ ter,

der

in

das Verborgene siehet."

Euch wohl genügen lassen.

An

dem könnt Ihr

Aber was der wohl an Euch sehen

will?"

14.

Der arme Eh. trägt sehr schwer;

er hat eine tödt-

liche, schmerzhafte Wunde, seine Tage sind gezählt und er kann

nicht Ruhe in seinem Herzen finden.

Er hat in seiner Jugend

unter methodistischen Einflüssen gestanden und die

haben ihm

56 sein Leid und seinen Tod schwer gemacht.

redliche Seele.

gerichtet",

Er

ist eine treue,

Mit ernstem, ruhigem Sinn hat er „sich selbst

mit ernstem, festen Willen sein Heil und seine Zu­

versicht in der Gnade Gottes gesucht, die in Christo Jesu ist,

seinem Herrn.

Aber „es ist so dunkel und still in der Seele",

die Stimmungen,

Glaubens,

wie

sie

sollten

kommen

als

Beweise

das selige Friedens- und Freudegefühl,

je ängstlicher er nach ihnen sucht in den verrinnen­

nicht ein;

den Tagen, je wahrer er dabei ist, um so weniger.

hell



bald doch wollte es wieder

Tag sich neigen." vor

des

stellen sich

seinem Ende

Unsere letzte Unterredung

über

Wurde es

„Abend werden und der

die Gedanken:

hatten wir kurz

Glaubst du?

Dann

überlasse dem Herrn den Weg, den er dich führen will. Wird

er dir Friede und Freude ins Herz geben, so sei es dir recht, wird er dich im Dunkel lassen, so giebt,

was er will,

sei

dir's

auch

und was er will ist gut.

rechte

Er

Still und im

Frieden ist er eingeschlafen.

Ich theile frohen Herzens die ersten Bücher aus und

15.

von rechts und von links strecken

fast mehr,

als

ich

füllen

kann.

„Nun, wollen Sie kein Buch?"

nicht?"

„Ich bin katholisch."

lich auch keinem Katholiken,

sich verlangende Hände aus,

Nur Einer regt „Ich

lese nicht."

„Meine Bücher

es sind Evangelien,

sich nicht.

„Warum

schadeten frei­

aber zu neh­

men brauchen Sie keins. — Wie geht es Ihnen denn?"

Es

nur

kurz

war ihm aber unheimlich und abweisend.

dabei

und er antwortete

Als ich die nächsten Male

wieder kam, em­

pfing er mich immer mit einem „Herr Pastor, ich bin katho­

lisch."

„Ich weiß das schon", war meine Antwort, „aber ich

darf doch mal nachsehen, wie's geht, nicht wahr?" Dann redete ich mit ihm, wie er's verstehen konnte und hören durfte,

und

so wurden wir gute Freunde.

16.

In Mars la Tour waren

manche Katholiken

unter

den Verwundeten; da aber kein deutscher katholischer Geistlicher

57 aufzufinden war, und sie also ohne Zuspruch blieben, wir auch

nicht wohl an jedem Bette fragen konnten nach der Confession, so gingen wir eben zu jedem.

So kam ich auch zu einem ar­

men, auf den Tod verwundeten Westfalen, er erzählte mir, der Pfarrer des Ortes habe ihm das Sacrament gereicht und fragte,

ob ich ihm nicht etwas

zu lesen geben

Ich ließ ihn

könnte.

unter mehreren Büchern wählen; nach langem Ueberlegen nahm

er sich die Erzählungen über Kirchenlieder.

andern Tages

katholisches

ein

Ich versprach ihm,

mitzubringen.

Gebetbuch

Als

ich den andern Morgen wiederkam, das Buch in meiner Hand,

saß ein Lazarethgehülfe an seinem Bette, es war eine Blutung

eingetreten, der Tod stand vor der Thür.

Das Buch war dick,

selbst lesen

konnte er nicht,

und sein Leidwesen

war groß.

Ich bat den Lazarethgehülsen, ihm ein Gebet vor­

seine Freude

zulesen, wenn sie allein seien. lutherisch."

„So

„Aber,

geben Sie

Herr Prediger, ich bin

das Buch

her."

ich

Da hab'

ihm denn ein Gebet nach seiner Weise vorgelesen und dem Ge­ hülfen gesagt: „Sehen Sie, es schadet nicht; wenn er nun noch eins verlangen sollte, so lesen Sie es ihm." 17.

„Wie geht's, Lieber?"

soll's gehen? Tage,

„Ach,

Herr Prediger,

wie

Es geht einen Tag wie den andern; ich bete alle

aber es geht wie Gott will."

„Da

haben Sie recht,

und es ist so tröstlich, zu wissen, daß Alles geht wie Gott will.

Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns Alle dahin gegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken?

Fühlen Sie aber auch, wie ernstlich das

zu uns spricht: Gott will, daß dies und das in dir wende?"

18.

„Im

Ganzen

habt Ihr

tragt Euer Leid betender, stiller.

sehr in Euern Leidgedanken werden.

Seht fleißiger auf

Fortschritte

gemacht.

Ihr

Aber Ihr lebt doch noch zu

und könnt noch mehr

die andere Seite.

davon frei

Die

eine ist

Euer Leid, die andere die Liebe, die Euch wiederfährt. Bedenkt, wie reich die Euch zufließt; das Größte und das Kleinste, von

58 dem was Ihr

habt,

Und aller Menschen

ist „Liebesgabe."

Liebe ist ein schwacher Schimmer von der Liebe unseres Herrn Wie heißt's im Psalm :

und seines Vaters und unseres Vaters.

Vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat, der — „Dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen". Ja, und der

dein Leben vom Verderben erlöset und dich krönet mit Gnade Das

und Barmherzigkeit.

sollt

Ihr Alles

erleben,

wenn

„Eure Herzen sich immer schicken, aus Noth und Liebe nach ihm

zu blicken."

„Sieh'

19.

„Ich

die?"

Das hatte ich so

und

wurde

die schönen Blumen,

habe

die

heute

woher

kommen

als

zufällig gesagt, liebe Schwester

hat

hier hereingebracht

ich

daran gedacht und mir

heute Morgen den schönen Strauß ans Bett gestellt." lieb von der Schwester! er denkt, wie's

nickte;

denn

meinen Geburtstag, Herr Prediger.

„Wie

Hat Sie's denn auch gefreut?"

Er

so anders war vor'm Jahre und wie's

wohl sein wird am künftigen Geburtstag.

„Gott gebe Ihnen

ein Herz zum Leide; Gottes Blumen blühen auch im Leide. Es ist

das Schwerste, aber auch das Schönste. Der leidende Heiland."

20.

Wie könnten wir aber von unserm Gange durch das

Lazareth heimkehren, ohne dich besucht zu haben, du fröhlicher,

muthiger S.

So jung und schon so weise,

als Salomo,

da

er König wurde, war dein Gebet, als man dich in die Kirche von Vionville brachte: Gott möge dir ein Herz geben, zufrieden und gelassen in Allem,

was Er dir schicken wolle.

Gebet war dir erhört worden.

auf den Tod,

ren.

Und dein

Wie alle deine Genossen wund

hast du dein heiteres Gottvertrauen nicht verlo­

Dein fröhliches Angesicht erquickte jeden, der's ansah, im

Scherz und Ernst ging deine Rede frisch

und ermunternd da­

her, ein Segen deinen Genossen, uns eine Freude. dir auch

einmal der Muth sinken,

so erhobst

du

Und wollte nur

dein

Auge zu dem Bilde über dir: „Christus der sein Kreuz trägt",

und bald warst du wieder getröstet, denn auch dein Herz suchte

59 ihn und stand ihm offen. wie die andern alle,

Du warst nicht minder schmerzerfüllt,

aber in deinem Gottvertrauen hattest du

das Geheimniß gefunden,

Lust zu tragen." Erstere

lieber

„auch schwere Schmerzen selbst mit

Ja du dichtetest, Ernstes und Heiteres, das

und aus Drang des Herzens,

das Letztere für

die Kameraden; dein Liebstes aber war, im Gespräch dein Gott­

vertrauen vertiefen und reinigen zu lassen, oder ihm neue Nah­ rung zu geben, indem du nachgingst den großen Thaten Gottes im Evangelium, „deiner liebsten Zeitung."

Der Abschied von

dir, da du evacuirt wurdest, war mir recht schwer, so kurz er

sein mußte; aber mir ist nicht bange, daß du nicht, lebend oder

sterbend,

den Siegespreis aus deinem Leiden davon getragen

habest, denn so verstandest du's als du sprachst:

Hoffnung und Trost. Giebt's für den Kranken schön're Tage, Als die, wo er mit frohem Herzen, In Gott zufrieden, jede Klage Und all' die Leiden, all' die Schmerzen, Die er erlitten, schwinden sieht. Ein Gottvertrauen in der Brust

Verleiht Geduld, giebt starken Muth Auch große Schmerzen selbst mit Lust

Zu tragen.

Denn im Herzen ruht

Mir das Bewußtsein, „daß es stets siegt."

Die Freiwilligkeit unterm Kreuz. Vom Staate

kann

nicht verlangt werden, daß

er durch

Beamte Alles thue, was im Kriege nothwendig und Wünschens­ werth ist, zur Befriedigung derjenigen Bedürfnisse, die,

wenn

ihr Eintreten auch mit Sicherheit vorauszusehen ist, doch ihrer

59 ihn und stand ihm offen. wie die andern alle,

Du warst nicht minder schmerzerfüllt,

aber in deinem Gottvertrauen hattest du

das Geheimniß gefunden,

Lust zu tragen." Erstere

lieber

„auch schwere Schmerzen selbst mit

Ja du dichtetest, Ernstes und Heiteres, das

und aus Drang des Herzens,

das Letztere für

die Kameraden; dein Liebstes aber war, im Gespräch dein Gott­

vertrauen vertiefen und reinigen zu lassen, oder ihm neue Nah­ rung zu geben, indem du nachgingst den großen Thaten Gottes im Evangelium, „deiner liebsten Zeitung."

Der Abschied von

dir, da du evacuirt wurdest, war mir recht schwer, so kurz er

sein mußte; aber mir ist nicht bange, daß du nicht, lebend oder

sterbend,

den Siegespreis aus deinem Leiden davon getragen

habest, denn so verstandest du's als du sprachst:

Hoffnung und Trost. Giebt's für den Kranken schön're Tage, Als die, wo er mit frohem Herzen, In Gott zufrieden, jede Klage Und all' die Leiden, all' die Schmerzen, Die er erlitten, schwinden sieht. Ein Gottvertrauen in der Brust

Verleiht Geduld, giebt starken Muth Auch große Schmerzen selbst mit Lust

Zu tragen.

Denn im Herzen ruht

Mir das Bewußtsein, „daß es stets siegt."

Die Freiwilligkeit unterm Kreuz. Vom Staate

kann

nicht verlangt werden, daß

er durch

Beamte Alles thue, was im Kriege nothwendig und Wünschens­ werth ist, zur Befriedigung derjenigen Bedürfnisse, die,

wenn

ihr Eintreten auch mit Sicherheit vorauszusehen ist, doch ihrer

60 Natur nach vorübergehend sind.

Dazu gehört die Pflege der

im Felde erkrankten und verwundeten Soldaten und Alles, was

mit ihr zusammenhängt.

Sollte zu einer gegebenen Zeit durch

des Staates alles Erforderliche geleistet werden,

die Beamten

so müssen dieselben vorhanden, auch im Frieden disciplinirt und eingeübt sein.

Es

vorhanden,

aber dadurch eine

würde

Schwerfälligkeit der Organisation und eine Kraftverschwendung

werden,

bedingt

folgt,

daß

muß

curriren

die

geradezu

unerträglich

Daraus

wäre.

den Zeiten der Katastrophen der Staat re-

in

auf

den

freiwilligen

Dienst

seiner

Bürger.

Indem er mit Sicherheit auf ihn rechnet, traut er den Bür­

gern

die

höchste

Bürgertugend

zu,

und erkennt also,

bei­

läufig, in dem was er von ihnen voraussetzt, seine Verpflich­

tung an, sie zu freier Selbstthätigkeit, so viel an ihm ist, zu

bilden.

Wiederum aber thut der freiwillige Dienst das Werk Er thut es also nicht auf eigene Hand;

er hat

an einer bestimmten Stelle in die Arbeit des Staates

einzu­

des Staates.

treten,

und sie von dort aus nach unten

hin, fortzusetzen.

hin, ins Besondere

Er hat also nicht einen besondern Organis­

mus neben dem bestehenden zu bilden, sondern in den Staats­ organismus an einem bestimmten Punkte einzutreten.

Er hat

Kräfte zuzuführen, deren Verwendung dann dem Staate oblie­

gen muß.

Je vollkommener dieses Einfügen geschieht,

fruchtbarer in

jeder Beziehung

wird der Dienst

um so

sein.

Der

Staat gewinnt dann eine Fülle reicher und schöner Kräfte und die Freiwilligkeit gewinnt den ganzen Segen, der in der Dis­ ciplin der Arbeit liegt.

Es ist also

erstes Erforderniß, daß

der Staat in seiner gegebenen Ordnung

ebenso unumschränkt

und allein über die ihm freiwillig zugeführten Kräfte disponire,

als über die, die ihm nach dem Gesetz zu Gebote stehen.

Der

Krieg duldet nur monarchische Institutionen und verlangt den allereinsachsten Mechanismus; wenn irgendwo so heißt es da: Els xoigavos sacco. Alle Bedingungen einer zweckmäßigen,

61 erfolgreichen Initiative liegen innerhalb des organisirten Heer­

wesens

und

in

einer gewissen Höhe

desselben.

Nur

da ist,

um nur zweierlei zu nennen, Uebersicht und Einsicht und das

Vermögen, den Mechanismus in Kürze entsprechend arbeiten zu

lassen.

Sehen wir

nach diesem kurzen Vorwort die Organisation

des freiwilligen Dienstes an; und beginnen wir mit demjenigen,

der uns am nächsten liegt,

mit dem

freiwilligen Dienste der

Geistlichen.

Ich darf daran erinnern und thue es mit Freuden, daß, wie ich weiß, die evangelische Geistlichkeit sich der militärischen Kir­

chenbehörde in so reicher Auswahl

zur Verfügung gestellt hat,

daß von einem Mangel an disponibeln Kräften nicht im Ent­ ferntesten die Rede sein konnte;

und

Erhaltung

derselben

nicht gefehlt haben.

es anders gewesen

auch an den zur Ausrüstung

erforderlichen Geldmitteln dürfte es

Ich habe keinen Grund, anznnehmen, daß sei

bei der katholischen Geistlichkeit.

Nun

hat man doch viele Klagen gehört, daß hier und da, an man­ chen Orten vielleicht, Kranke ohne irgend

erschollen sind,

welchen

geistlichen

Klagen, die so laut und eindringlich

Zuspruch gelegen haben;

daß sich in

der Rheinprovinz ein besonderer

Verein zur Entsendung evangelischer Lazareth-Geistlichen gebildet hat.

Diese Klagen

sind,

wie das mit Klagen

zu

geschehen

pflegt, nicht selten übertrieben worden. Während in Deutschland

gelesen wurde, das Lazareth

in X. zählt 400 Kranke und ist

ohne Lazareth-Geistlichen, war dem Bedürfniß in X. schon ab-

geholfen.

Oder: Ich selbst hörte, in B. befindet sich ein gro­

ßes Lazareth und seitdem die Divisions-Prediger, die in der Umgegend cantonnirten, es nicht mehr besuchen können, ist es

ohne Lazareth-Geistlichen.

Anstatt das nach

Deutschland

zu

schreiben, fuhr ich nach B. und fand dort einen Lazareth-Pre-

diger, der nach B. einberufen, auf's höchste einige Tage später dort eingeiroffen war,

als die Divisions-Prediger die Gegend

62

verlassen hatten. So sollte in M. großes Bedürfniß nach einem Es war,

Lazareth-Prediger sein.

als wir den Ort besuchten,

allerdings kein Lazareth-Prediger dort, aber die Divisions-Pre­

diger , deren Truppen um M. herum lagerten,

versahen den

Dienst in äußerst treuer, vollkommen genügender Weise.

kann man wohl sagen:

Also

was geklagt wird, ist nicht selten der

Nothstand eines Tages. Während man ihn in der Heimath be­

klagt und wer weiß welche Schlüsse daraus zieht, den vorhandenen Kräften schon Klage

ist

man dort

in die Heimath gedrungen.

nicht,

oder zu

ist ihm mit

längst abgeholfen.

spät,

Aber die

Die Abhülfe

um sich

den

erfährt

falschen Ein­

druck, den man von der Lage der Sache empfangen hat, wieder gründlich nehmen lassen zu können.

Nichtsdestoweniger ist nicht zu läugnen, sehr fühlbar machten.

Lazarethe,

daß

sich Mängel

Nicht sowohl Mangel an Kräften. Die

die unsere Herren Ober-Prediger kannten,

waren

mit Lazareth-Predigern versorgt; manche, wie z. B. Gr., hatten

einen wahren Ueberfluß an Geistlichen,

da zu Zeiten an dem

Orte wenigstens 6 Geistliche, die Feldgeistlichkeit mit eingerech­

net, stationirt waren. Der Uebelstand,

es

scheint,

gender.

nicht zu

und

er war allerdings groß und,

heben,

war

meiner

Einsicht

Für jede der ursprünglichen drei Armeen

wie

nach fol­ — wie es

nach ihrer Vereinigung und Trennung in mehrere Armeen damit geworden, weiß ich nicht — für jede der drei Armeen war ein

Lazareth-Ober-Prediger ernannt worden, Prediger gewiesen wurden,

und der

an den die Lazareth-

ihnen das Lazareth,

in

dem sie wirken sollten, anzuweisen hatte. Um das thun zu können, hätten die Lazareth-Ober-Prediger

wissen müssen, nicht wo Lazarethe ihrer Armee, sondern wo die

Lazarethe

ihrer Armee sich befanden.

Wie der General-Arzt

der Armee weiß, wo jedes seiner Lazarethe sich befindet, wie er

Alles weiß, was ihm zu wissen nöthig ist, und oft noch mehr:

63 so auch

hätte

der

oberste

dirigirende Lazareth-Geistliche der

Armee das wissen müssen, das heißt, er hätte auf amtliche Weise erfahren müssen: wo ein Lazareth etablirt worden, von

welchem Corps es belegt sei, u. s. w.

Ohne eine solche amt­

liche Mittheilung war er auf den Zufall angewiesen, oder auf das,

was er etwa durch persönlichen Verkehr mit den betref­

fenden Herren zu erfahren im Stande war.

Das Erstere war

äußerst unsicher, das Letztere wäre bei dem freundlichen Entge­

genkommen der betreffenden Stellen wohl zu erreichen gewesen, war aber äußerst zeitraubend, blieb unsicher und war doch der

Würde der Sache nicht ganz angemessen.

Darauf aber waren

die Lazareth-Ober-Prediger

Sie

angewiesen.

außer

standen

jeder Verbindung mit den Militär-Lazareth-Verwaltungsflellen, correspondirten mit ihnen nicht und erfuhren nichts von ihnen

auf amtlichem Wege. So konnte es nicht allein geschehen, so war vorauszusehen, daß geschehen müsse, z.B. daß in unserer

Armee der Lazareth-Ober-Prediger von der Existenz der Lazarethe auf dem Schlachtfelde

vom

16.,

deren

südlichstes 20

Minuten von seinem eigenen Standorte lag,

und die insge­

sammt 600 Verwundete beherbergten,

mehr

kaum

als

eine

dunkle Ahnung hatte: die durch ganz undienstmäßige Meldung,

durch einen Johanniter, vom Chefarzt

des Lazarethes an den

Lazareth-Ober-Prediger überbracht, zur Gewißheit erhoben wer­ den mußte.

Der großen Umsicht unserer Ober-Prediger, ihrem

unausgesetzten Bemühen, aus allen ihnen zugänglichen Quellen eine Vermehrung ihrer Kunde zu schöpfen,

ist

es zu

danken,

daß dieser Mißstand sich nicht noch weit fühlbarer gemacht hat.

Darauf angewiesen, möglichst mit eigenen Augen ihr Wissen zu sammeln,

dazu verpflichtet,

nicht allein die Lazareth-Prediger

in ihre Stellen einzuführen, sondern auch eine gewisse Einsicht

in ihr Wirken zu nehmen —

in ein Wirken,

das auf einem

viele Meilen weit ausgedehnten Kreise zerstreut war: sie nicht

das eine,

im

Kriege

ganz

hatten

unentbehrliche Mittel,

64 Herren ihrer Bewegungen zu sein: eigene Transportmittel. Der außeretatsmäßige Feldprediger hat ein Roß und

einen Train­

soldaten, der Divisionsprediger Rosse, Wagen und dazu gehö­

einer

Der Lazareth-Ober-Prediger

rige Bedienung.

ganzen

Armee aber hat weder Roß noch Wagen noch Bedienung. Muß er Jnspections- oder Jntroductionsreisen machen,

so mag er

zusehen, ob das Etappen-Commando seines Ortes im Stande

und geneigt ist, ihm einen Leiterwagen zur Verfügung zu stellen.

Gar häufig wird keiner Vorhandensein, wenn er ihn braucht — gar häufig wird er, wenn er in amtlicher Weise mit dem Etappen-

Commando verhandelt, nicht so beachtet und berücksichtigt wer­ den, wie er cs verdient und bedarf:

denn

er trägt nicht die

Binde, die ihn als dem Heeres-Organismus angehörig, als ein

nothwendiges und an seinem Theil zu Forderungen innerhalb seiner Kompetenz berechtigtes Glied der Armee legitimirt: son­ dern nur die Johanniter-Binde.

Er steht also außerhalb des

Heeres — seine Ansprüche werden auch befriedigt — aber dann

erst, wenn die Ansprüche, die das Heer erheben kann, vollstän­ dig befriedigt sind, er ist Civilist.

gewünscht,

Binde der Feldgeistlichkeit gegeben,

Zeit

Run wurde unter uns oft

daß man uns Lazareth-Predigern insgesammt die

unseres Dienstes

und uns dadurch für die

die Erleichterungen

und das amtliche

Ansehen verschafft habe, das sie unstreitig verleiht.

Allein ab­

gesehen davon, daß dadurch unsere Häupter noch lange nicht in

das nothwendige Ressortverhältniß zu den betreffenden MilitärBehörden gekommen wären,

würde sich wahrscheinlich dadurch

ein neuer Conflict herausgebildet haben, der an einem Divisions­

welcher sich von der Division

Geistlichen zum Ausbruch kam,

ab- und

zum

diren lassen.

Dienst

in

den Lazarethen

Der war nach

Wagen, Pferden und Bedienung.

auch im Kriege Alles pünktlich

hatte

comman-

seiner Kompetenz versehen mit

Aber wie denn in Preußen und genau herzugehen pflegt,

was die Verwaltung betrifft, so erhob sich alsbald ein Compe-

65 tenz-Conflict zwischen den

verschiedenen Verwaltungsbranchen,

um die Verpflegung des nicht wohl zu classificirenden Amphi­

Die Militär-Lazareth-Verwaltung

sagte:

Wir haben

ihn nicht zu verpflegen, denn er ist Feldgeistlicher.

Die Feld-

biums.

Intendantur:

Wir

er ist von der Truppe

gewiß nicht, denn

abcommandirt und Euch überwiesen.

So würde es uns Allen

haben geschehen können und ich kann in dem Wechsel der Binden die Lösung des Räthsels nicht finden.

Ich kann mir dieselbe

nur in zweifacher Weise denken. Die erste Lösung; Es ressortirt die Lazareth-Geistlichkeit nicht allein vom Cultus-, sondern auch vom Kriegs Ministerium, wobei festgestellt wird, was ja im Ganzen gleichgültig ist, auf welchem

Etat sie figurirt, naturgemäß würde sie auf denselben Etat mit der

Lazareth-Verwaltung gehören.

Armee wird

in

Der Lazareth-Ober-Prediger der gesetzt

Correspondenz

Arzte der Armee und zwar so,

mit

dem dirigirenden

von

daß ihm

dem General-

Arzt seiner Armee amtliche Mittheilung gemacht wird von der

Etablirung der Lazarethe,

wann — wo sie geschehen und von

welchen Truppen sie belegt seien,

um annähernd daraus die

Confession, die in diesem oder jenem Lazarethe vorherrscht, be­

stimmen zu können.

Der Lazareth-Ober-Prediger wird in Be­

treff seiner Reisemittel unabhängig gestellt von der Etappe, bei

der er sich gerade aufhält, und reichlich mit ihnen ausgerüstet;

er kann dann auch den Transport seiner Prediger in den meisten Fällen selbst ner

übernehmen.

muß

Er

Feld - Superintendentur frei

schließlich ein Lazareth

sein,

er

Geschäfte sei­

darf

weder aus­

zur Bedienung übernehmen, noch darf

als

nur sehr vorüber­

Seine Thätigkeit

ist wesentlich eine

seine Hülfe in einem Lazareth anders,

gehend erforderlich sein.

für die

organisatorische. Diese Form wäre, nach dem was wir in unserm Dienste

erfahren haben, besser gewesen als die vorhandene. einander hätte mehr aufgehört,

es wäre schon

Das Neben­ mehr ein Jn3*

66 sie

einander

dagewesen.

gelitten.

Es ist ein Fehler, ein neues Organ zu schaffen, wenn

Aber

ein vorhandenes den

Fehler

um

ist

so

auch

hätte

an Uebelständen

beabsichtigten Zweck erreichen

größer,

kann,

der

wenn das neugeschaffene unsicher,

weil ohne rechte Kenntniß der Zustände, Personen, Mittel und

Wege arbeiten muß, während das vorhandene im Besitz dieser Kenntniß ist und sich mit den übrigen in Betracht kommenden Factoren schon eingearbeitet hat; geschaffenen Organ

und wenn

ein Wirkungskreis

endlich dem neu

wird,

angewiesen

der

von ihm schlechterdings nicht zu übersehen und zu bereichen ist. Das Alles läßt sich bei der Creirung von Lazareth-OberPredigern,

die aus dem Civilverhältniß plötzlich für eine Zeit

in den Militärdienst übertreten, deren jeder für eine Armee zu

sorgen hat, durchaus nicht vermeiden. Allein man hat nicht nöthig, auf sie zurückzugreifen.

Im

Kriege etablirt man im Feindesland keine Lazarethe, die neben

den Militär-Lazarethen hergehen — es braucht mit den Laza-

reth-Predigern nicht anders zu sein, und

das ist die zweite

und, wie mir scheint, weitaus bessere Lösung.

Jedes Armee­

korps hat einen dirigirenden Arzt, der, sobald es und

wo

Corps

es

hat

nöthig

einen dirigirenden Prediger,

den

nöthig ist

Jedes Armee-

ist ein Lazareth etablirt.

Militär-Ober-

Prediger, der, wie der dirigirende Arzt, beim General-Commando des Corps stationirt,

im Stande

ist, ohne große Mühe alle

nur wünschenswerthe Kunde über die Errichtung und das Be­ in kürzester Frist zu

stehen von

Lazarethen

stehen

außeretatsmäßigen

die

Feldprediger,

erlangen. die

Ihm

Divisions­

prediger, die freiwilligen wie die etatsmäßigen, zu Gebote, ihm

stelle man eine entsprechende Anzahl

von bereits

eingezogenen

freiwilligen Lazareth-Geistlichen zur Verfügung; er habe außer­ dem die Vollmacht, aus einer ihm zu Gebote gestellten Anzahl

von Civil-Geistlichen, in einer bestimmten Reihenfolge, rasch aus­ zufüllende Lücken und mit möglichst geringem Verzug zu be-

67 setzende Posten, aus eigener Initiative zu ergänzen und zu ver­

sehen.

Wird das Corps an

einer Schlacht betheiligt werden,

so hat er die vorhandenen Lazareth-Geistlichen denjenigen Feld-

lazarethen des Corps zuzutheilen, die in die unmittelbarste Nähe

des Schlachtfeldes commandirt sind, sie sind dann am Schlacht­ tage schon an Ort und Stelle.

Der Uebelstand

wäre

dabei

wohl nicht zu vermeiden, daß, wie an einem Orte Lazarethe ver­

so auch an dem­

schiedener Corps zusammen kommen können,

selben Orte Prediger verschiedener Corps sich treffen müßten. Träte indessen der Fall ein, so wäre ein solches Zusammensein

gar kein Unglück, da ja die Arbeit an dem Schlachttage und

an denen, die ihm folgen, eine so große ist, daß gewiß Nie­ mand der Anwesenden überflüssig sein würde.

Nach den ersten

Tagen würden aber die verschiedenen Ober-Prediger sich leicht arrangiren und

eine zweckmäßige Vertheilung der vorhandenen

Kräfte vornehmen können. Freilich ist hierbei die Voraussetzung, daß die Militär-Ober-Prediger mit der Armee mobil werden, und daß ihre Functionen daheim von Stellvertretern ver­

sehen werden.

Diesen Stellvertretern würde die Sorge für die

geistliche Pflege der Reservelazarethe in der Heimath zufallen, in

welchen dann Privatvereine für Entsendung freiwilliger LazarethGeistlichen ein übersichtliches Feld für ihre Thätigkeit finden wür­ den. Nil perfectum sub sole. Auch dieser Mechanismus wird es

nicht sein.

Aber arbeitete

er

nur

so

gut, als der jetzt be­

stehende, so wäre er darum schon besser, weil er der einfachere ist.

Wie alles Einfache, so ist er es aber auch in sich. Von

allem Andern, was ich nicht wiederholen will, hier abgesehen,

auch noch darum,

weil er möglichst abgegrenzte, übersichtliche

und darum mit Liebe und mit Nutzen

zu

bearbeitende Felder

der Thätigkeit darbietet; jedem Militär-Ober-Prediger nämlich

den bekannten und liebgewonnenen Boden seines Armee-Corps. Man denke sich dagegen das Feld,

das ein Militär-Lazareth-

Ober-Prediger jetziger Organisation zu bestellen hat. Ein Theil

68 der alten l. und II. Armee ist in Metz,

ein anderer in der

ein dritter marschirt auf Orleans

Normandie,

wer weiß wohin.

und von dort

Ueberall wird's leider Lazarethe geben. Un­

möglich ist, auch nur annähernd einen Ueberblick gewinnen und zu behalten,

dent zu den,

der

sein,

über sie zu

noch unmöglicher ihr Superinten­

am allerunmöglichsten aber ist das Alles für

keinerlei

militärischen

amtlichen

Connex

hat, für

den armen Militär-Lazareth-Ober-Prediger im Dienst der frei­ willigen Krankenpflege.

Ob bei dieser Organisation die Feldpröpste der Armee mit

ins Feld rücken, und derweilen Stellvertreter im Jnlande er­ halten, oder umgekehrt;

ob

stellvertretende

Feldpröpste

über­

haupt nothwendig sind oder ob sie entbehrt werden können: für und

wider Jedes

läßt sich

sagen.

Manches

darüber kein Urtheil erlauben,

weil

ich

Ich

will

mir

diese Frage für so

wichtig eigentlich nicht halte und weil mit jeder der Annahmen die oben angegebene Organisation der geistlichen Lazarethpflege

bestehen kann. Wenn von der freiwilligen geistlichen Lazarethpflege und ihrer Organisation die Rede ist: so wäre es Unrecht, nicht auch des

Vereines zu gedenken, Entsendung

der

sich in der Rheinprovinz für die

freiwilliger Lazarethprediger

gebildet

hat.

Nach

dem mir vorliegenden ersten Berichte hat er in der kurzen Zeit seines Bestehens über 5000 Thlr. vereinnahmt und verausgabt.

Die Einnahmen sind meist aus der Rheinprovinz durch Kirchencollecten, Sammlungen in und Gaben aus den Gemeinden

zusammengeflossen.

Der Verein sendet Geistliche, die er beruft

und besoldet, an die verschiedenen Lazareth-Ober-Prediger, die sie verwenden; er schickt Colporteurs aus — und hat auch der

Turcos in Liebe gedacht und ihnen den Missionsprediger Lowitz zugeführt,

um

auch mit ihnen „in seelsorgerischen Verkehr zu

treten." Alle Anerkennung dem Sinn, der sich in den reichen Gaben

69 aus den Gemeinden der Rheinprovinz ausspricht! Es durchdringt fürwahr ein schöner,

opferfreudiger Geist unser Volk in dieser

schweren Zeit; man zeige ihm irgend ein barmherziges Werk,

das noch zu thun ist und Herz und Hände wenden sich ihm unverdrossen zu.

Alle Anerkennung nicht minder den Männern,

die den vorhandenen Sinn zu schöner That ausgestaltet haben! Aber

hat der

befürchtete Mangel

an Lazareth-Predigern

im Felde (der Verein datirt vom 4. August) Leben gerufen:

wie bekannt,

den Verein in's

so war diese Befürchtung ungerechtfertigt,

eine hinlängliche, ja eine

da,

überflüssige Zahl von

Geistlichen der Behörde jeden Augenblick zu Gebote stand und

ihrer Verwendung im Felde — so zu sagen mit Sehnsucht — harrte,

da auch

standen und

die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung

zwar

ebenfalls in reichem Maße.

Es ist also

wohl das Verlangen gewesen, daß geistliche Pflege in reichstem Maße möchte geleistet werden können,

was den Gebern und

Leitern im Sinne gelegen hat. So sehr ich es theile, so glaube ich, müssen wir uns davor hüten,

den Gedanken

unsern Ge­

meinden nahe zu legen, daß der Staat für die geistlichen Be­ dürfnisse seiner Kinder, die freudig ihr Blut für ihn vergossen

haben und nun auf den Tod wund da liegen, nicht aus sich

selbst und durch seine Ordnungen so sorgen könne und wolle, wie sie ein Recht haben cs zu fordern, während er doch gerade hier in vollaus genügender Weise war.

zu sorgen im Stande und bereit

Wo etwas fehlte in dieser Hinsicht, fehlte es nicht aus

Mangel an Kräften, sondern aus Mangel an Organisation, und diesem Mangel hat der Verein nicht abhelfen können.

Ich

wünschte, er hätte sich ein specielles Feld der Thätigkeit ausge­

sucht; z. B. er hätte sich's ausgebeten, die Lazarethe der Rhein­

provinz mit seelsorgerischen Kräften und mit Lectüre

auszu­

statten, gleichsam ein Gastgeschenk der rheinischen Kirche an ihre

unfreiwilligen Gäste,

oder er hätte von

der Aussendung von

Geistlichen ganz abgesehen und sich die Beschaffung von guter und

70 reichlicher Lazareth-Lectüre gemacht.

zu

seiner

Er würde dann etwas

ausschließlichen Aufgabe

gethan haben, was ziemlich

ungethan geblieben ist, während er jetzt thut, was im Grunde

und im Ganzen auch ohne ihn eben so wohl gethan sein würde, mit Ausnahme des guten Werkes, das er an denTurcos thut.

Schließlich sei noch bemerkt, daß Colporteurs zur Schriften-

vertheilung in den Lazarethen auszusenden durchaus nicht zweck­ entsprechend erscheint.

Kein Chefarzt wird

einen Mann,

den

er nicht kennt, in sein Lazareth einlassen, um Bücher zu ver-

theilen, die er ebenfalls nicht kennt, und kein Lazareth-Geistlicher wird unbesehens für den Colporteur aufkommen oder für seine Bücher.

Es ist genug, daß der Geistliche die Bücher besitze, und

die bekommt er auf die einfachste Weise durch die Vermittlung der Johanniter-Depots.

Johanniter!

Wer von allen Seiten getadelt werden will,

der muß nur das Geschäft übernehmen, Gaben, die von Andern mit großer Liebe gesammelt sind,

um einem Nothstände abzu­

helfen, nach bestem Wissen und Gewissen

zu vertheilen.

Der

Kreis der Unterstützten wird nicht befriedigt werden, denn jeder

von ihnen stellt in seinen Gedanken die ganze Größe der Opfer­

freudigkeit, den ganzen Reichthum der Gaben sich und seinen kleinen Bedürfnissen gegenüber und ist geneigt, mit verdächtigem

Blick das kleine Theil zu betrachten, das auf ihn entfallen ist — im Vergleich besonders zu dem größeren, das etwa dem Nach­ bar zu Theil geworden. Und die guten Geber hören die Klagen

der Enttäuschten,

der nicht ganz Befriedigten

und sind miß-

stimmt; sie haben ja so gern und reichlich gegeben, eben damit

keine Klage kommen sollte — nun ist fast Niemand zufrieden.

Jeder der in dem kleinsten Oertchen in einem Unterstützungs­ Comite für die Familien eingezogener Landwehrleute gearbeitet hat, muß die Erfahrung

machen, daß nach

dieser Seite hin

seine Arbeit eine so undankbare ist, wie sie nur gedacht wer­ den kann.

71 Und

Arme Johanniter! überreichen Gaben

eines

unter Anderem

solltet

ihr

ganzen

großen Landes

umliegenden Länder so vertheilen,

die

und einiger

daß die höhe der erzielten

Befriedigung gleich wäre der Höhe der Opferfreudigkeit. Keine

von den kolossalen Schwierigkeiten eurer Aufgabe ließ euch das

hastige Urtheil der warmherzigen aber auch heißköpfigen Menge zu Gute kommen, für Alles wart ihr

daß die Briefe so langsam zu den

verantwortlich! sogar,

Verwundeten

kommen ist

eure Schuld, und Kladderadatsch giebt, euch sehr lustig zu beden­

ken,

der Mensch im Felde oft nicht 60—70 Jahre

daß

werde und darum weniger Zeit

Man sollte glauben,

als der Mensch zu Hause. der

alt

habe auf Briefe zu warten,

ersten Christengemeinde versetzt

zu sein:

in die Zeit

Christianos ad

leones könnte in zeitgemäßer Uebertragung fast heißen:

„Die

Wozu brauchen wir auch

Johanniter sind an Allem Schuld!"

Johanniter? Ein kurzer, ruhiger Blick reicht hin, um uns zu belehren,

daß die opferfreudige Theilnahme unseres Volkes für die Ver­ wundeten und Kranken fast nutzlos wäre, wenn wir hanniter

gehabt

nicht aus,

hätten.

Die

„Gaben'"

sondern die „Kräfte"",

keine Jo­

machen den Dienst

und zwar die zur Zeit der

Noth bereiten und nicht erst aufzusuchenden, zu organisirenden, mit einander auszugleichenden Kräfte. streitbare,

Das ist aber die unbe­

großartige Bedeutung des Johanniter-Ordens, daß

in ihm ein über das ganze Land verbreiteter, zu jedem erfor­ derlichen Dienst verbundener,

im Dienst erfahrener Organis­

mus bereit steht, sofort in Wirksamkeit zu treten, wenn die Noth

es erfordert.

In ihm und in ihm allein liegt die reale Mög­

lichkeit, den reichen Strom der Liebe, der im Vaterlande fließt,

in möglichst kurzer Zeit,

in möglichst

geordneter Weise

bis in die entferntesten, kleinsten Canäle in Feindesland zu lei­ ten.

Er ist die Transmission, die den Ueberschuß der Kräfte

dahin überträgt, wo

Kraft mangelt und Kraft wirken kann.

72 Man denke sich die trostlose Confusion, die entstehen würde, wenn bei einem Plötzlich ausbrechenden Kriege, wie z. B. der jetzige ist, — erst ein Organismus geschaffen werden müßte, der sich dann der colossalen Arbeit unterziehen sollte. Aus wel­ chen Elementen sollte er bestehen — wie disparat würden sie zu einander sein — wie schlecht, wenn überhaupt ein Organisirtes herauskäme, was sehr zu bezweifeln ist, wie schlecht würde er arbeiten! Muß also auch im Frieden der Orga­ nismus da sein — auch in einiger Uebung, um nicht einzu­ rosten, — wenn er, was die Hauptsache ist, im Kriege sofort mit mobil soll werden können: so ist die Form des weltlichen Ordens, wie unsere Verhältnisse jetzt sind, wohl die geeignetste unter der er existiren kann. Die Gleichartigkeit der Glieder, ihre Beziehung zum Heere, vermittelt durch ihre frühere Zugehörigkeit zu demselben, durch Verwandtschaft und sociale Beziehungen, sind nothwendige und im Orden allein herzustellende Bedingung für das Bestehen im Frieden und für rasches Eintreten und gedeihliches Wirken im Kriege. Die Le­ bensstellung der Ordensglieder als Officiere, Staatsbeamte, Besitzer und Verwalter größerer oder kleinerer Güter, befähigt sie ebenso zur Kenntniß der einschlagenden Verhältnisse, als sie in ihr sowohl dienen, als befehlen lernen. Endlich kommen dem festgeschlossenen Orden die Erfahrungen, die gemacht wer­ den im Einzelnen wie im Ganzen weit mehr und sicherer zu Gute, als einem freien Verein, und eine Verwendung der ein­ zelnen Persönlichkeiten je nach ihrer Befähigung ist in ihm leichter, ich möchte sagen, fast allein möglich. So halte ich es für durchaus unangemessen, gegen die Ver­ wendung des Johanniter-Ordens als eines Ordens aufzutreten, wie man das vielfach thun hört. Hat sich doch in diesem Kriege überall herausgestettt, daß, je fester die Hülfeleistung in sich organisirt ist, um so größer der Dienst ist, den sie leistet.

73 um so größer auch die Bürgschaft, die man für die Tüchtigkeit

des Einzelnen hat, der zu ihr gehört.

Aber

auch

hier,

im Punkte der

Thätigkeit und

tigkeit seiner einzelnen Glieder ist der Orden vielfach

Tüch­

und mit

den härtesten Beschuldigungen angegriffen worden. Glaubt man dem Einen, so sind Johanniter und Müßig­

gänger, „höhere Schlachtenbummler," ziemlich identische Begriffe. Sie haben in der Stadt die besten Quartiere, fahren und rei­

ten zur Abwechslung über Land und über die Schlachtfelder, sam­ meln Kriegs-Raritäten, sehen auch wohl einmal in ein Lazareth

hinein und notiren sich die Bedürfnisse desselben, ohne daß das weitere Folgen hat, frühstücken, so oft es angehen will, und ver­

bringen so ihre Zeit auf die angenehmste, nichtsnuhigste Weise. Der Andere weiß von ihrer Depotverwaltung die interessantesten

Dinge zu erzählen; wie ihm z. B. in einem Johanniter-Depot, als er Cigarren für das Lazareth requirirte, 10 Stück gegeben

wurden, oder vielmehr angeboten' denn er nahm sie natürlich nicht;

einem Andern

ist,

als er Schinken forderte, die ewig

denkwürdige Antwort gegeben: es 'ei kein Schinken angeschnitten;

einem

Dritten hat

terswasser gegeben;

er vielleicht lagerten.

man für's

Lazareth zwei Flaschen

einem Vierten ein paar Decken,

hundert bedurfte und reichlich

Sel­

während

so viele im Depot

Wer könnte nicht aus seiner eigenen Erfahrung die

Zahl der Anekdoten vermehren?

Dabei,

heißt es, leben die

Herren selbst aufs vortrefflichste von dem, was in ihren Depots vorhanden und

doch für sie gewiß nicht gegeben ist.

Man

spricht gerade so, als ob die Johanniter bloß ausgezogen wä­

ren, um einmal gut essen und besonders gut trinken zu können und dafür obendrein noch kann mir natürlich

einen Orden zu bekommen. — Es

nicht von Weitem in den Sinn kommen,

die einzelnen Thatsachen oder Anekdoten ihrem Werthe nach zu

würdigen.

Ich müßte dazu in der Lage sein, den wirklichen

Thatbestand jedesmal feststellen zu können, was ebenso unbe4

74

dingt erforderlich, als durchaus unmöglich ist. ich nur,

nach eigener Erfahrung,

Rathen möchte

sich möglichst kritisch ihnen

gegenüber zu verhalten. „Es geht gar bald eine Sage", beson­

ders im Kriege; und unliebsame Sagen der in ihren Erwar­ tungen nicht Befriedigten werden sich naturgemäß an die hän­

gen, die das Amt und damit die Verantwortlichkeit übernommen

den Erwartungen zu entsprechen.

haben,

giebt

Einrichtungen sind da,

man

Die Personen,

die

ihnen die Schuld, so ist

man der Mühe überhoben, nach andern tiefer liegenden Gründen wozu man in der Regel weder aufgelegt noch be­

zu forschen,

fähigt ist. Zweierlei habe ich immer festgehallen in meinem kritischen

Urtheil über

die Leistungen des Ordens.

Erstens:

Die Lei­

stungen einer Gemeinschaft im Ganzen hängen von der Voll­ kommenheit ihrer Organisation, wie die Leistungen im Einzelnen

von ihrer Disciplin ab. Da nun wieder die nothwendige, straffe

Disciplin von der zweckmäßigen, streng durchgeführten Organi­

so hat ein ruhiges und gerechtes Urtheil

sation bedingt wird,

auf alle Mängel und Gebrechen, die in den Leistungen her­ vortreten,

zuerst

die

Organisation anzusehen,

mutmaßlichen Ursprung.

als ihren

Darum ist's allerdings nöthig, alle

Mängel und Gebrechen genau festzustellen und sorgfältig zuregistriren,

in

damit die Gemeinschaft in den Stand gesetzt werde,

sorgfältiger, sachgemäßer Prüfung der günstigen und

der

ungünstigen Ergebnisse das Mittel zu finden, die vorhandenen Schäden zu heben.

den vorhanden sein.

Auch bei den Johannitern müssen Schä­

Die Organisation des Ordens kann nur

durch die Erfahrung des Ordens eine möglichst vollendete wer­

den.

An Erfahrungen aber stehen dem Orden nur der kleine

Krieg 1864 zum Theil und der große, aber kurze Krieg 1866 zu

Gebote.

Daß die dort gemachten Erfahrungen nutzbar gemacht

sind, zeigen die enormen Leistungen des Ordens in dem gegen­ wärtigen «Kriege, in welchem das Feld seiner Thätigkeit Dimen­ sionen angenommen hat, die über alle Erwartung hinausgehen.

75 Welcher vernünftige Mensch über würde annehmen wollen, daß sie hinreichend gewesen wären,

stalt geben zu können?

um ihm eine vollkommene Ge­

Trägt nun der Orden seine Mängel

nicht geduldig, sondern sucht treulich und mit Geschick sie zu Lessern, so ziemt denen, die seine Dienste genießen, daß sie die

Mängel, die unvermeidlich,

und deren Hervortreten gut und

geduldig tragen,

ist,

nützlich

und nicht die Institution ver­

werfen um der ihr noch anhaftenden Unvollkommenheit willen.

Zweitens habe ich mir, so oft Geschichten von ungeschickten schlechten Johannitern

und

charakterisiren sollten,

den Orden

gesagt: Wenn das Himmelreich in seiner zeitlichen Erscheinung das allerlei Fische umschließt, gute Fische

einem Netze gleicht,

wie sollte

uui) faule Fische:

es

mit

dem Johanniter-Orden

Und wenn Niemand um der faulen Fische

anders sein können?

willen, die sich im Netze befinden, sagen darf: „wie die faulen

Fische, so ist das Himmelreich": so darf auch Niemand sagen: „wie die schlechten Johanniter, so ist der Orden."

hätte man Orden

nach

seiner

mender Menschen man lieber will,

wenn der

ganzen Anlage das Eintreten untheilneh-

begünstigte.

Aber

daß kein Stand im Staate,

Augen,

Nur dann

zu solcher leichtfertigen Nede ein Recht, es

ja

liegt

vor Aller

kein Lebenskreis, wenn

durch eine lange, für beide Theile ruhmvolle

Geschichte, so mit dem Heere verwachsen ist, wie der preußische Adel.

Ein Orden also, der sich aus ihm recrntirt, hat die meiste

Aussicht,

nur

solche Mitglieder zu haben, die

von

ganzem

Herzen theilnehmen am Wohl und Wehe des Heeres. Und thun wir das, Gott sei Dank, Alle: ein sehr specielles Interesse ne­

ben dem allgemeinen hat doch jener Stand.

das. Volk im Ganzen

Bietet demnach

ein gutes Material für die Erreichung

der Zwecke des Ordens, so muß es doch

dabei bleiben, daß

der preußische Adel ein eminent gutes Material dafür darbietet, und dieses Urtheil wird durch sehr viele Anekdoten nicht um­

gestoßen werden können. Zur Steuer der Wahrheit muß ich nun noch bemerken, daß

76 ich von schlechten, weil ich

viel

ungeschickten Johannitern gesprochen habe,

und häufig habe von ihnen reden hören.

Augen gesehen habe ich nicht Einen. und alte,

denen

ich begegnet bin

Die Johanniter, —

Mit junge

(in Paranthese:

ohne

einem von ihnen näher getreten zu sein) — habe ich jederzeit liebenswürdig

und

gefunden.

dienstfertig

Ungeschickt aber

dürften sie doch auch nicht gewesen sein, wenn ich bedenke, daß

nicht allein die pflegenden Schwestern und Felddiakonen, son­ dern so ziemlich Alles und Jedes, was an Verpflegungs- und

Erquickungsmitteln für die Lazarethe, die ich

kennen

gelernt

habe, vorhanden war, und sehr Vieles von Heil- und Beklei­ dungsmitteln, ausschließlich

durch Vermittlung der Johanniter

uns und unsern Kranken zugeflossen ist, und zwar in kurzer Zeit und in reichem Maße.

Wenn ich mich nun frage, woher die falschen Urtheile über die Johanniter und ihre Wirksamkeit wohl kommen mögen: so

finde ich Manches, was zwar ganz natürlich ist, wofür aber der Orden nicht kann, Manches, was in seiner Art, die Dinge

zu thun, liegt, und was geändert werden kann.

Um beim Ersten zu beginnen: Alle im Kriege Beschäftigten hatten einen Dienst zu thun, der große körperliche Anstrengung erfordert.

aber,

der

Man sah sie arbeiten. hauptsächlich

Befehlen besteht,

zeigt diese

oder doch nur seltner.

Der Dienst der Johanniter

Leiten,

im

Anordnen,

Jnspiciren,

äußerliche Kraftanstrengung nicht,

Da fielen denn die Zuschauer in den

Fehler, den die arbeitende Classe, in specie die Bauern, so oft gegen ihre Geistlichen begehen: sie meinen, die arbeiten nicht, weil sie's nicht mit den Händen thun.

im Hauptquartier des Ordens

Bisweilen mögen sich auch

mehrere Johanniter

zusammen

befunden haben, die, weil ihre Lazarethe evacuirt, ihre Kran­ kenträger überflüssig geworden, ihre Depots geschlossen waren,

kürzere

oder

befanden.

längere Zeit

ohne

bestimmte Beschäftigung

sich

Ja, es ist wohl anzunehmen, daß da ein beständiger

Zu- und Abfluß hat stattfinden müssen; es werden also immer

77 augenblicklich unbeschäftigte Männer dagewesen sein. Das sehen

aber daß dieselben von einer Arbeit

denn die Durchreisenden;

kamen, um zu einer Arbeit zu gehen, sehen sie natürlich nicht;

gefragt oder ungefragt können sie sagen:

wir sahen ihrer,

so

lange wir uns an dem Orte aufhielten. Viele müßig.

Die Entbehrenden ferner, wir in Feindesland waren,

und

das waren wir Alle,

die

sind sehr geneigt, zu denken, daß

diejenigen, die verwalten, was sie selbst entbehren, bei der Ver­

waltung sich gewiß nicht vergessen werden. naß als man sein kann,

Als wir einst,

so

von einer verunglückten Konferenz in

N. einkehrten und mit geheimem Schauder in den sauern, kal­

ten rothen Wein hineinblickten, den wir trinken sollten, rief ein älterer Officier einigen Kameraden zu:

wo Sie hier im Orte ein Glas

Ihnen will ich sagen,

guten Weines bekommen; den

Herren mit der Johanniter-Binde sage ich's nicht; die Herren

wissen doch schon so an etwas Gutes zu kommen. Es war halb Scherz, halb Ernst; er theilte uns auch seine Wissenschaft mit,

nachdem wir ihm versichert, daß wir guten Wein auch nur vom

Hörensagen und aus der Erinnerung kennten.

Verwaltung haben: und in Freuden.

Es ist derselbe

die Pfleglinge der Lazarethe so leicht ihre

Verdacht, in dem

wir müssen darben und sie leben herrlich

Und wenn ein Engel vom Himmel Lazarethe

oder Johanniter-Depots zu verwalten hätte,

so würde er dem

Verdachte nicht entgehen, daß er sich an den Vorräthen dersel­

ben gütlich thue. Denkbar ist gewiß, daß wie an jedem Orte sich eine Ueberzahl

von Dienenden herzugedrängt Orden

eine

den Dienst gestellt worden ist, ger, strammer Dienst

möglich war.

dehnt hat,

hat,

Fülle von Kräften,

um

der

Je weiter

so

auch beim Johanniter-

vielleicht

eine Ueberfülle

in

und daß dadurch ein beständi­

weder

Einzelnen

erforderlich noch

sich das Feld der Thätigkeit ausge­

so mehr Kräfte werden allerdings darauf ge­

braucht werden müssen, und so wird stattgefunden haben.

Jedenfalls

eine Ausgleichung bald

aber

ist,

da

ein

genauer

78 Überschlag nicht zu machen ist, die Ueberfülle der Spärlichkeit vorzuziehen.

Mehr zu Lasten des Ordens füllt eine gewisse Ungleich­ der Verwaltung der Depots.

mäßigkeit in

Anschein herrischen

oder des

Wesens,

weil

als

Sie gab den

letzter

Grund

dieses

entgegengesetzten Prinzipes in der Verwaltung

nur

das bon plaisir des delegirten Johanniters oder seines Ver­

walters zu erkennen war; und da, wie es mir scheint, die De­ legirten und Verwalter häufig wechseln, so bekommt die Ver­

der Depots

waltung giebt auf

leicht etwas Willkürliches.

Ein

Depot

einen Bedürsnißzettel des dirigirenden Arztes,

ein

anderes verlangt, wenn es Lazarethbedürfnisse geben soll, einen Corpsbefehl;

eins giebt reichlich, das andere hat das Princip,

möglichst viel auf Lager zu halten.

Und

diese verschiedenen

Principien werden in einander naheliegenden Lazarethen befolgt.

In der so wichtigen Depotverwaltung scheint mir ein Mangel an

leitenden Grundsätzen vorhanden und in das Befinden der ge­ rade dirigirenden Persönlichkeit zu viel gelegt zu sein.

lich, wenn das Geben

nach festen Normen

Frei­

geregelt werden

sollte, muß auch das Fordern nach festen Formen geschehen,

damit eine möglichst gleichmäßige Vertheilung des Vorhandenen

in die einzelnen Lazarethe erzielt werden könne. Der allgemeine

Eindruck war der,

daß die Depots

nicht flott genug

geben,

sondern zu sehr darauf bedacht seien, immer ein Lager zu be­

halten.

So entstand die Befürchtung, daß Vieles

nach Deutschland verderbe,

was

in

gebracht

und

Frankreich

im Frieden

mancher

wieder mit

alt werde

oder

Noth hätte abhelfen

können.

Es würde sich die Frage, auf die es hier ankommt, wohl

so stellen lassen:

Hat der Chefarzt das Recht,

das Erforder­

liche für sein Lazareth beim Johanniter-Depot zu r equiriren,

oder hat er darum zu bitten?

in die andere auflösen:

Und

diese Frage würde sich

Ist die freiwillige Krankenpflege

der

ordentlichen, militärischen Krankenpflege unter- oder neben-

79 geordnet. Weil dieser wichtige Punkt aber, so viel ich habe verstehen

so leidet eben auch die

können, principiell nicht entschieden ist, Praxis hier an einer

und das Verhältniß der

bedauerlichen

beiden Zweige der Krankenpflege oft trübenden Unklarheit. Ich muß mich auch hier für eine vollständige Unterordnung

unter die militärische Medicinal-Behörde anssprechen, nicht bloß für

eine Unterordnung

mann,

nicht

bloß

in zweifelhaften Fällen

für

ein

Anschließen

an

Wer

dem Heere

dienen will,

Militär-Behörde,

die

sondern für eine Unterordnung überall

gen.

(wie Brink­

freiwillige Krankenpflege im Kriege", S. 13),

„Die

und

in allen Din­

hat sich dem Heerwesen

einzuordnen und der Heeresleitung unbedingt zu folgen.

Nur

die Heeresleitung in jedem Zweige des Dienstes ist im Stande,

wo in dem ganzen Bereich ihrer speciellen Thä­

zu übersehen,

tigkeit die vorhandenen dienstlichen Kräfte nicht ausreichen, nur

sie vermag dafür zu sorgen,

gegebenen Orte

sein können,

daß zur gegebenen Zeit und am

die disponiblen

freiwilligen Kräfte vorhanden

nur sie vermag die rechte Gleichmäßigkeit in der

Arbeit dieser Kräfte hervorzubringen.

willigkeit nicht zu Schaden kommen. der will doch freiwillig

dienen,

Es wird dabei die Frei­

Wer freiwillig dient, und

zwar der Johanniter

nicht dem Orden, der Geistliche nicht der Kirche, der Arzt nicht der Wissenschaft,

die Diakonissin

oder Ordensschwester nicht

dem Hause, das sie entsendet, sondern Alle wollen dem Staate

dienen.

Sie wollen Alle dem Staate diejenigen Kräfte zufüh­

ren, die er, außer den ihm gesetzlich zu Gebote stehenden, be­

darf, um die Arbeit zu thun, gebenen Falle thun soll.

die er seiner Idee nach im ge­

Ihnen geschieht

also nur,

was sie

wollen, wenn der Staat, sobald er ihre Dienste annimmt, alle ihre Kräfte sich unterordnet und sie seinen bestehenden Organen

einfügt und so

ihrer Freiwilligkeit,

zum Segen

sogar den Schein der Willkürlichkeit er ihr alle Kraft,

für

dieselbe,

nimmt, während

die in der Freiheit der Hingabe, im Ernste

der Begeisterung liegt, ungeschmälert läßt und ihr als Gegen-

80 gäbe das Bewußtsein der Zweckmäßigkeit ihres Dienstes und ihrer

gliedlichen Einordnung in das wunderreiche Leben des Ganzen giebt.

eines

Durch die Ernennung

Militär-Inspecteurs

der

die Königliche Weisung sich

freiwilligen Krankenpflege,

durch

der Militär-Krankenpflege

a nzu schließen,

der

ist

Schritt

angebahnt, der in der Organisation der freiwilligen Kranken­

wird:

die

Unterordnung unter die betreffende Stelle des Heerwesens.



pflege meiner Ueberzeugung

nach der nächste

sein

Als an ein Analogon möge noch daran erinnert werden, daß ja auch in diesem Kriege nur das wirkliche Hülfe gebracht

hat, was als Organisirtes aufgetreten ist.

Ich denke dabei an

die freiwilligen Krankenwärter, Krankenträger und Alles, was in diese Kategorie fällt. Jeder, der mit draußen gewesen ist, wird es mit mir sagen, daß

der Grund, warum Diakonissen, barmherzige Schwestern, Helfer, wie z. B. die sächsische Felddiakonie, das Rindfleisch'sche Corps,

die Kölner Krankenträger und Andere, so segensreich gewirkt haben, der ist, daß sie als organisirte Hülfe auftraten; in ihrer

Organisation lag ihre Kraft.

gewiß

Darum

nicht

am we­

nigsten, weil solche übersichtliche, begeisterte, in sich geschlossene Körper keine fremden faulen Elemente

in sich aufnehmen oder

unter sich dulden und weil sie allein im Stande sind und das lebhafteste Interesse daran haben,

sich zu vergewissern,

ob der

und jener, der gern mit möchte, fähig und würdig ist, ein Glied an ihrem Leibe zu sein. Ich bin gewiß, daß keine der tüchtigen

Schaaren Jemand unter sich ausgenommen hat auf Grund eines polizeilichen Leumundsattestes.

Künftig wird man auch wohl hier Niemand, der auf seine

eigene Hand kommt, zulassen, sondern verlangen, daß jeder, der dienen will, als Glied einer seine Thätigkeit verbürgenden Ge­

meinschaft diene.

Dann

wird

die Qualität der Kräfte,

der freiwilligen Krankenpflege zu Gebote

stehen

werden,

die

den

möglichen, keineswegs gewissen Ausfall in der Quantität mehr

als reichlich ersetzen.

81 Unsere Soldaten in Feindesland. Von unserm Einzug in Frankreich bis zu unserm Ausgang

haben wir so vielfache und sich oft Aussagen

gehört

diametral entgegenstehende

Verhalten

das

über

unserer Soldaten

Orte „die Preußen" Alles genommen; — Frauenkleider,

bensmittel, Stühle,

Bettwäsche

und Waschgeschirre.

aber heißen vorläufig alle deutschen Soldaten. Seite

in

Glaubt man den Franzosen, so haben in jedem

Feindesland.

Le­

Preußen

Auf der andern

hört man dieselben Franzosen über die Einquartierung,

die längere Zeit bei ihnen liegt,

im Mindesten

nicht

klagen,

vielmehr ist das Verhältniß der Einquartierung zum Quartier­

geber in dem Maße, als es ein längeres ist, auch ein besseres.

Schon in Falckenberg erzählte

uns

eine alte Frau aus

dem

Dorfe: die Furcht vor den Preußen sei groß gewesen und Alles

habe

sich

geflüchtet;

die

Armen

aber

seien bald

zurückge­

kommen, die Reichen freilich seien noch draußen; mit den Sol­

daten verständen sie sich sehr gut, die seien schon wie ihre Kinder.

Auf dem Wege quer durch das Land von Falckenberg nach Pont-aMousson hatten wir in den Dörfern, wo Truppen lagen, überall

Gelegenheit

dasselbe zu hören, und zu sehen,

Einvernehmen

voraussetzt;

was ein solches

manches friedliche Bild:

wie der

kunsterfahrene Artillerist seinem erstaunt zusehenden Wirthe das

Rad am Wagen reparirt, wie der bärtige,

wilde Preuße vor

der Thür mit den Kindern spielt, oder bei den Dorfschönen

sich liebenswürdig macht.

Dagegen wiederum ist auch manche

Erzählung von Excessen,

die sich unsere Truppen hätten zu

Schulden

kommen

lassen,

deutsche Berichterstatter,

nach Deutschland

und

weitere Verbreitung gefunden,

gedrungen durch

oft hat eine solche Mittheilung als

sie verdiente und vielleicht

auch, als die sie später rectificirende amtliche Mittheilung. Je­

denfalls

muß

auch das als ein erfreuliches Zeichen der Zeit

anerkannt werden, daß unser Volk mit treuen, wachsamen Augen

auf

das Verhalten

der Soldaten in

Feindesland

blickt und

82 Rohheit ebenso

an ihnen

wenig

Unser Ruhm soll,

auch

dulden

will,

als

Feigheit.

nach unseres Volkes Sinn, nicht der

daß wir in Allem ein gutes

Kriegsruhm sein,

sondern der,

Gewissen haben,

im Kampfe und wenn er beendigt ist.

Ich

freue mich, sagen zu können, daß nach Allem, was ich gesehen und trotz Manchem, was ich gehört habe, unsere Soldaten sich diesen Ruhm treulich

bewahrt

haben.

Man muß bei

einem

Urtheil über diesen Punkt festhalten, daß man nur dann recht urtheilen kann,

sieht.

wenn man von vereinzelten Erscheinungen ab­

Daß unter

8—900,000

Männern lange nicht Alle

gut und ehrlich sind, nicht einmal im Frieden und unter den

günstigsten Verhältnissen, wissen wir Alle, bei uns selbst gar nicht,

Männer

eine

Art entfällt.

wenn aus

entsprechende Anzahl

und wundern uns

diese Zahl erwachsener von Uebelthätern

allerlei

Im Kriege nun ist das Verhältniß für die Be­

wahrung der Moralität entschieden

viel ungünstiger.

er das Beste heraus, was im Menschen ist:

Fordert

er ruft auch das

Schlechteste wach und läßt es oft als ein Gerechtfertigtes er­

scheinen.

Der Krieg hebt das sittliche Gesetz, das zwischen den

Kriegführenden bestand, zum Theil auf. belügen, betrügen, bestehlen, tödten sogar. des

Wie weit geht diese

Man ist nur der Feind des Feindes in Waffen,

Aufhebung?

nicht

Man darf den Feind

„friedlichen Bürgers".

Aber wenn nun auch der

Bürger feindlich wird in Gesinnung und Werken, ja, wenn er

nicht ehrlicher Feind wird, sondern Bandit, heimtückischer Mörder? Wenn dazu die

Roth, der Trieb der Selbsterhaltnng, groß

wird: wie schwer ist es, wie unmöglich muß es da für Manche sein,

sich unbefleckt in ihrem Gewissen zu erhalten.

Run ist

es wahr, und das ist auch ein rechter Segen für unsere Trup­ pen

gewesen,

die Disciplin

hilft auch hier der persönlichen

Sittlichkeit bedeutend nach, und je strenger sie ist, um so mehr

wird

der Einzelne in seinem Thun und mehr noch in seinem

Lassen auf das sittliche Niveau des Ganzen erhoben.

Da nun

unser Heer vor den bestdisciplinirtesteu Truppen der Welt den

83 unschätzbaren Vorzug hat, daß es nicht eine Classe des Volks, sondern das ganze Volk umschließt; da ferner die Schlechtesten

von der Kriegsehre und -Arbeit ausgeschlossen sind, so dürfen wir mit Recht

sagen :

dem Bürger.

stehen

Die Besten des Volkes

Endlich sympathisirt aus

im Feld.

Grunde unser Heer mit

demselben

Der Krieg ist nur eine Episode im Leben un­

serer Soldaten, wie „der Dienst" überhaupt und an sich durch­

aus keine erwünschte; sie selbst fühlen die Lasten, die er ihnen und den Ihrigen

auflegt und

sind

daher nicht geneigt, die

Lasten muthwillig zu vermehren, die der Feind zu tragen hat.

Nach allcdem ist die Voraussetzung, mit der wir beim Beginn des Krieges die Unsrigen in Feindesland ziehen sahen, vollaus

begründet: Als Ganzes wird unser Heer auch nach dieser Seite hin Probe halten, „wir werden uns auch gegen unsere Feinde

als Christen erweisen." Diese

Voraussetzung

hat sich

als richtig

daß

mannigfaltigsten Zeugnisse bestätigen,

erwiesen,

es also

die

geschehen.

Lügenhaften, anonymen Berichten über die Rohheit der deutschen

Heere treten die Berichte unparteiischer Fremden, die das Heer begleiten, mit ihren Namen entgegen;

unsere eigenen Bericht­

erstatter, die gar nicht blind sind für das, was tadelswerth ist

im Heere,

spenden dem guten Sinn der Soldaten alles Lob;

die Feinde selbst, die Anfangs fliehen, aber bald zurückkehren und sich wohl dabei fühlen, müssen dadurch, wenn auch ein widerwilliges Zeugniß für die Sicherheit ablegen, die sie selbst und

ihr

Soldaten,

Eigenthum unter unsern wenn

sie

verwundet

Soldaten

oder

genießen.

krank dalagen,

Die haben

sich niemals der Gewaltthätigkeit gegen die Bürger beschuldigt. Daß sie Lebensmittel genommen hätten, wenn sie hungrig und durstig ohne Rationen

in ein Quartier gekommen und verge­

bens gefordert hätten,

geben sie bereitwillig zu, und daß sie

dazu vollaus Recht hatten, wird ihnen Niemand bestreiten, wie es auch Niemand wundert, daß unsere deutschen Soldaten z. B. in

84 den ausgesogenen Dörfern

um Metz ihre Rationen mit ihren

hungernden Wirthen getheilt haben. Aber gerade wie's unsern Soldaten im Punkte der Lebens­

mittel zu ergehen pflegte,

giebt einen Fingerzeig dafür,

was

von „Plünderung durch die Preußen" zu halten ist. Es ist be­

kannt, daß unsere ausgehungerten Soldaten nirgend Lebens­ mittel vorfanden.

Zum Theil mögen sie von den Franzosen

verzehrt gewesen sein,

worden;

gen

zum großen Theil waren sie verbor­

wohl auch um sie

vor den eigenen Soldaten

zu verhehlen, gewiß aber nicht weniger, um sie vor den unse­

rigen zu

sichern.

Kommen nun die Soldaten in's Quartier

und verlangen die nothwendigsten Nahrungsmittel,

der Wirth

aber zuckt bedauerlich die Achseln und giebt zu verstehen, Alles

sei genommen: so beginnen natürlich die ungläubigen Soldaten

zu suchen, bis sie gefunden haben. Daß ein solches Suchen nicht ohne den Anschein von Gewaltthätigkeit, ja nicht ohne Anwendung

von Gewalt vorgenommen werden kann, liegt auf der Hand. Es mag das beklagt werden, —

es

ist aber ein geringes Uebel

gegen vieles Andere und Größere, was man als selbstverständ­

lich hinnimmt. In den meisten Fällen fanden unsere Soldaten Niemand in den Dörfern und Häusern,

geben

sollten. Niemand und Nichts.

die ihnen Quartier

Dafür

aber war Alles

verschlossen, Schlüssel zum Oeffnen nicht vorhanden, — Schlosser auch

nicht wohl zu beschaffen, — da muß der Soldat sich

selbst helfen und Thüren

und Fenster

werden

eingeschlagen.

Schränke und Verschlüsse erbrochen, denn man will finden und haben, was man bedarf.

Daß darüber die müden, hungrigen

und durstigen Soldaten, je vergeblicher das Suchen ist, um so

zorniger werden und nicht säuberlich mit den Dingen umgehen, ist

nun

zu natürlich.

einmal nicht

Recht

zornig

ist's

freilich

werden



nicht, denn

aber

man

wer wird

soll sie

deshalb wegen Rohheit und Plünderung verurtheilen wollen!

Die Schuld trifft die thörichte Furcht der Bewohner, trifft weit

schlimmer noch die Lügen über die herannahenden

Preußen,

85 die von der Regierung systematisch verbreitet wurden, um so das

Volk gegen die Preußen aufhetzen

und neben

dem ehrlichen

Krieg den heimlichen Volkskrieg einfädeln zu können,

arme Volk sicher moralisch muß.

der das

und materiell zu Grunde richten

Kommt nun dazu, wie von Anfang an dazu gekommen

ist, daß aus den Dörfern auf die Soldaten geschossen wird, daß Verwundete umgebracht und verstümmelt werden:

so ist

es geradezu lächerlich,

irgend

wenn ein solcher Feind

glaubt,

eine Rücksicht von den Soldaten erwarten zu dürfen in Bezug auf schonende, zarte Behandlung. Wenn bann z. B. in Gorze

als Wahrzeichen

der Gesinnung der Einwohner am

Eingang

der Stadt ein Mensch an der Mauer aufgeknüpft hing, der

einen Verwundeten erschossen hatte,



und wenn dann dicht

daneben eine Wirthsfrau sich beklagte, daß die Soldaten beim ihr die Fenster zerschlagen und die Thür gesprengt

Einrücken

(die sie beide verschlossen gehalten hatte),

den Wein im

auch

Keller getrunken und das Uebrige hätten auslaufen lassen, —

so ist nur zu bewundern, daß einer solchen Stadt nicht weit Schlimmeres widerfahren ist, wie sie es mit allem Recht ver­

dient Hütte. ßischen

Bei dem häufig als flagranten Beweis der preu­

Rohheit verschrieenen

sollte man doch

Auslaufenlassen

der

Weinfässer

nicht vergessen, in billige Berücksichtigung zu

ziehen, daß die Besitzer abwesend, die Soldaten

von langem

Marsch und heftigem Kampfe matt und erregt, der Stärkung

aufs

höchste bedürftig —

aber leider

nicht im Besitz von

Krahnen waren und die Fässer also weder öffnen konnten, wie

es sich gehört, noch die geöffneten schließen, selbst wenn sie die Zeit dazu gehabt hätten.

Wie die Regierung pflichtvergessen handelte, wie die Eigenthü­ mer der Verpflichtung gegen ihren Besitz ungetreu wurden: so lie­

ßen auch

die Communalbehörden, Maires und Adjuncten ihre

Posten sträflich im Stiche. Niemand fand sich in den Ortschaften,

mit dem man die nothwendigen Fragen ordnungsmäßig hätte erle­

digen können, und so waren die Soldaten auf Selbsthülfe an-

86 gewiesen. Die Plünderung im Princip, dns ist doch Selbsthülfe,

war ihnen also als die Form ihres Auftretens in Feindesland

aufgezwungen;

von Seiten

der

französischen Negierung nicht

ohne Vorbedacht. Wer das Gesagte nun mit Bezug auf Lebensrnittel gelten

sein, daß auch

läßt, der wird doch nicht damit einverstanden

andere Gegenstände, ja alle andern, die nur transportabel wa­

ren, wie uns an Ort und Stelle hundertmal geklagt worden ist, genommen worden sind.

Ich will offen gestehen, wie ich's den klagenden Leuten auch offen gestanden habe:

Es mag in ver­

Ich glaube es nicht.

einzelten Fällen vorgekommen sein, denn auch in der preußischen Armee muß es einzelne Diebe geben — aber häufig, oder gar

die Regel gewesen ist es nicht.

Vieles, was wirklich weggenommen und zerstört worden ist, ist von den Franzosen selbst genommen und zerstört worden,

wie bei Paris, so auch in andern Orten.

Daß aber die Leute

ihren Schaden lieber auf unsere Rechnung schreiben,

als

auf

Rechnung ihrer Landsleute, ist bei so geschickten Rechnern, wie die Franzosen sind,

gar

nicht zu verwundern.

schon von den Preußen gelitten haben,

haben

sie,

von

den Preußen

um

Je

mehr

sie

so mehr Anspruch

geschont zu

werden.

So ist

natürlich, daß Alles, was sie wirklich erlitten haben, den Preu­ ßen zur Last füllt.

Aber wer kann denn wirklich glauben, daß

die Leute ihre Lebensmittel verbergen, und

sehr geschickt ver­

bergen, ihre übrigen Werthgegenstände aber der Gefahr aus­ setzen, von den Feinden weggenommen zu werden?

Leute, die

den heranziehenden Feind für eine Räuberbande halten und die so empfindlich sind im Punkte des Mein und Dein, die bringen

nicht die vergleichungsweise werthlosen Dinge, wie Lebensmittel, in Sicherheit und

geben

ihren

werthvolleren

nenzeug, Kleidern, Betten, unbesorgt

Man sah,

Besitz an Lei­

der Plünderung Preis.

daß es sich so verhalte überall,

wenn man Gele­

genheit hatte, denselben Ort, dieselben Leute längere Zeit zu

87 In Pont-a-Mousson

beobachten.



es

man,

jedem

wird

bekannt sein, der dort war, die erste Zeit ohne Tischtuch und

Servietten, mit schlechten, abgebrauchten Gabeln zu anständigen Preisen, man war eben froh, überhaupt etwas zu bekommen. Fragte man:

warum denn Alles in so archaistischen Formen

servirt werde, war die Antwort rasch zur Hand: „Die Preußen

alles Tischzeug,

haben Alles weggenommen;

alle Gabeln



Im Verlauf der Wo­

In Gorze war es gerade so.

Alles."

chen aber entstand den muthigen Hotelliers, die zuerst geöffnet,

Konkurrenz; es erschlossen sich andere Häuser und was geschah?

Gabeln

Es kamen nach und nach die genommenen Tischzeuge,

und Alles, was zu einem anständig gedeckten Tisch gehört, un­ versehrt wieder zum Vorschein. Mein letztes Souper im Cygne und

mein

übrig.

Tour. und

im Hotel du Commerce in Pont-a-

letztes Mittagessen

Mousson

in

ließen

in

Beziehung

dieser

Am

sprödesten war

Als

ich

Gorze

die dicke

ihr erzählte,

gehe,

hielt sie

wie

sich

nichts

zu

Wirthin es

Pont-a-Mousson

in

steif

wünschen

in Mars la

und

fest darauf,

in Mars la Tour sei wirklich Alles geraubt, nichts mehr hätten sie; es war in der That im Hause nur Caffe in Gläsern zu haben.

Da rückten die Hessen ein und als ich einmal

wieder in das

Cafe ging, war ein langer Tisch gedeckt mit vielen Couverts,

es wurde lustig da getafelt. wiedergefunden.

Das Verlorene hatte sich

eben

Warum sollte es in den Häusern der Bauern

anders gewesen sein, als in den Cafes? Nur, daß die Bauern

keine Veranlassung hatten,

mit ihren Sachen wieder hervorzu­

treten, die Cafetiers und Hotelliers aber wohl,

weil sie mit

ihnen Geld machen konnten. — Wie geschickt die Leute zu ver­

sie nicht wollen an's Tageslicht kommen

bergen wissen,

was

lassen, davon

machte man auch

allerlei Erfahrungen.

Na­

türlich hatten sie auch nichts zu essen; denn die Preußen hatten

ja „Alles" genommen.

Ich

habe das auch einige Tage lang

geglaubt unb von meinem Brod und von meiner Wurst dem Ehepaar, bei dem ich wohnte,

mitgetheilt, was ich entbehren

88 konnte; das war Anfangs verhältnißmäßig viel, weil die neuen

Eindrücke, die ich im Lazareth empfing, nicht eben anregend auf den Appetit wirkten. So nach und nach sah ich doch ein, daß die

Leute im Dorf wie meine Hausleute essen müßten, denn sie blieben lebendig, sogar sehr lebendig, sie verloren nicht an Farbe und Fülle,

sie aßen also, wenn auch heimlich.

mich nicht,

daß ich in Vionville

essen sehen.

Ebenso habe ich in Vionville niemals einen Keller

gesehen

Ich erinnere

eine Familie habe

jemals

oder eine Vorrathsstube; doch fütterten

z. B. meine

Hausleute, die dem Anschein nach zu den ärmeren Einwohnern gehörten, ein paar Schweine, hatten

sorgfältig verschlossenen Stalle.

auch noch ein Pferd im

Den Inhalt des vielleicht zehn

Schritt langen und eben so breiten Gärtchens hätte ein gesun­ des Schweinchen in zwei Tagen verzehrt.

Woher nahmen die

Leute also das Essen für sich und das Futter für das Vieh?

Daß sie verborgene Hülfsquellen gehabt haben müssen, ist klar. Während wir

von Reis

lebten und zweimal in acht Wochen

ein Gericht Kartoffeln' sahen — schälten die Frauenzimmer in meinem

zweiten Quartier jeden Tag ihre Portion Kartoffeln

Auf den Feldern wuchsen sie

nicht, im

Garten auch

Keller sah man nicht — sie waren aber da.

nicht,

Wir gönnten sie

ihnen von Herzen, konnten aber auch nicht mehr glauben, daß

die Preußen Alles genommen haben sollten.

Aber die Bauern

ließen sich nicht von ihrem Sprüchlein abbringen, trotzdem, daß

uns — wenn auch kein sprechender Beweis, doch jedenfalls ein

deutlicher tagtäglich

geboten wurde.

zog, wie im tiefsten Frieden,

Jeden Morgen nämlich

der Hirt durch's Dorf und als­

bald wurden aus den verschiedenen Häusern Gänse,

Hämmel

und Schweine entlassen, die friedlich, eine stattliche Schaar, ins Feld zogen und Abends wieder heimkehrten.

Die halten die

Preußen doch nicht genommen, nahmen sie auch nicht, trotzdem daß ihnen Allen ein Hammel oder eine Gans, oder auch ein­ mal ein Stück nicht ranzigen Speckes recht willkommen und sehr

zuträglich gewesen wäre;

ebenso

wie eins von den zahlreichen

89 Hähnchen, die sich

in den Dorfgnssen auf den Düngerhaufen

lustig umhertummelten.

War das Alles noch in Vionville zu

haben oder zu sehen wenigstens, in dem Orte, der den ganzen Ansturm der Schlachten am 16. und 18. ausgehalten hatte und

seitdem immer von

hungrigen und bedürftigen Truppen (auch

durchziehenden) belegt gewesen war:

so

man doch wohl

kann

sagen, daß nach den Zuständen dieses Ortes einigermaßen die

Redensart beurtheilt werden darf: „Die Preußen haben Alles genommen."

Daß der Krieg für den Unterliegenden Lasten mit sich bringt,

daß diese Lasten nach göttlichem und menschlichem Rechte dem auf­ gelegt werden, der den Krieg provocirt, daß Frankreich glimpflich behandelt wird von seinem Sieger: dafür haben die Franzosen

kein Verständniß. Jeder Einzelne, der leidet, ist ja unschuldig am Kriege; die Preußen aber legen die Lasten auf —die Preußen

sind also Schuld an allem Elend und Unglück; besonders seitdem

sie, nachdem sie den Kaiser gefangen, nicht sanft und still wieder in ihr Land gezogen sind.

Jules Favre raisonnirt gerade so

vernünftig wie die lothringischen Bauern und umgekehrt.

So

lange aber Beide sagen: Vor Allem darf Frankreich, das un­

schuldige,

edle,

großherzige Frankreich, nicht leiden,

so lange

bleibt nichts übrig, als daß Frankreich leide.

Wenn ich vorhin sagte:

es

seien

gewiß

auch

von

preu­

ßischen Soldaten Excesse gegen das Eigenthum verübt worden,

so glaube

ich

auf eine Menschenclasse im Heere Hinweisen zu

müssen, die ich im Verdacht habe, mit jeder Uebelthat, die etwa

im Heere geschieht, zusammen zu hängen: das sind die Marke­

tender.

Ob sie wirklich unentbehrlich

sollten?

Wenn man den Nachtheil, den sie bringen, mit dem

für

die Truppen sein

Vortheil, den sie haben sollen, vergleicht, so kann man, glaube

ich, an ihrer Unentbehrlichkeit wohl zweifeln.

ich von ihrem nachtheiligen Einfluß rede, nicht

Ich will,

das

wenn

hervorhe­

ben, daß sie in Zeiten, wo Mangel an dem einen oder andern, dem Soldaten unentbehrlichen Lebensbedürfniß herrscht, sei es Brod

90 die rechten Blutsauger für die armen

oder seien es Cigarren,

Bursche sind, wie mir die Soldaten oft geklagt,

wie ich es

selbst gesehen, und wie es in den Soldatenbriefen zu lesen steht. Auch nicht dessen will ich gedenken, daß sie durch die Qualität der von

ihnen verabreichten Speisen

und besonders der Ge­

tränke sich einen schlimmen Namen und Andern bisweilen noch Schlimmeres zugezogen haben.

In Pont-a-Mousson z. B. er­

lebte ich beiläufig Folgendes: Ein Husar lag mit allen Symp­ tomen der Vergiftung da, und seine Kameraden waren gerade

daran, ausfindig zu machen, daß diese ruchlose That, wie na­ türlich, vom Quartiergeber verübt sei:

als

sich bei genauerer

Untersuchung herausstellte, daß der unglückliche Husar kurz zuvor

Branntwein von einem preußischen Marketender

getrunken habe.

gekauft und

Der Marketender hatte aber den „Rum" et­

was zu kräftig gemacht und darüber wäre beinahe der König

um einen braven Husaren ärmer und das Conto der preußi­ schen Gewaltthätigkeiten um einen schlimmen Posten reicher ge­ worden.

Von dem Allen also zu geschweigen, so habe ich die

Marketender im Verdacht,

bei allen wirklich

vorgekommenen

Diebstählen der Soldaten direct oder indirect die Hand im Ein Soldat kann höchstens Geld

Spiele gehabt zu haben.

und goldene Werthgegenstände brauchen, wenn einmal gestohlen sein soll.

Er trügt

ohnehin

so schwer,

daß er sich

eher

seines eigenen überflüssigen Besitzes entledigen, als zum eigenen noch fremden hinzufügen wird.

Selbst behalten kann er also

Dagegen kann in der uner­

Nichts von dem, was er nimmt.

gründlichen

dunkeln

Tiefe

mannigfaltigen Fässern,

des

Marketenderwagens, in

Körben

den

und Kisten, unter Heu und

Stroh Vieles mit Leichtigkeit verborgen werden.

Sind nun

an einem Orte, wo geplündert oder gestohlen wird, Marketender zugegen, und wo wären sie nicht,

außer da oft, wo man sie

gebraucht —, haben sie allein ein Gelaß für die gestohlenen

Dinge — sind sie im Punkte der Moralität in der Regel auch

vor ihrem Auszuge schon nicht besonders beleumundet:

so ist

91 der Schluß vollkommen gerechtfertigt, daß

für die Excesse nach

Nach den Schlachten bei Metz, als ich Falcken-

werden müssen.

berg passirte,

sie in erster Linie

dieser Seite hin verantwortlich gemacht

waren in dem einen Orte in zwei Tagen zwei

Marketender angehalten,

die sich

im Besitz theils

gestohlener

Gegenstände, theils solcher Geldbeträge befanden, die allem An­ schein nach von Schlachtfeldern stammten. Für die Diebstähle aber, die sie nicht selbst begehen, sind die Marketender gewiß die intellectuellen Urheber und die Hehler. Für den Soldaten im Felde ist ein Stück Leinen an werthlos wie ein Wackelstein

oder

ein Rubens.

sich ebenso Er kann

es

nur nehmen unter der Voraussetzung, daß er Abnehmer dafür

findet, und wo soll er die anders suchen, als bei den Händ­ lern, die Gelegenheit haben zu verbergen, was nicht soll ge­ sehen werden, und — bei ihren Geschäftsreisen in die Heimath

zur Ergänzung ihrer Vorräthe — zu verkaufen, was zu ihrem Glück nicht reden kann. Auge auf sie.

Aber,

Man hat nun freilich ein wachsames wie mir ein hessischer Zahlmeister über

diesen Punkt berichtete: die Controle ist zu schwer anszuführen.

Werden, wie es denn geschieht,

von Zeit zu Zeit Revisionen

der Marketenderwagen vorgenommen:

nur

die

beiden ersten

trifft die Revision unvorbereitet, die andern sind alsbald avertirt und

Je weniger die Marketender

drehen ihr eine Nase.

in sich moralische Garantien bieten



sie recrutiren

sich ja

meist aus den kleinen Schenkwirthen und Garküchen-Besitzern, die sich in der Nähe der Kasernen befinden und mit dem Aus­

bruch der Truppen aus den Garnisonen

„ihre Nahrung ver­

lieren" und ihnen deshalb nachziehen — je weniger moralische

Garantien sie also in sich bieten, Erachtens

um so nöthiger ist meines

eine eigene Marketender-Polizei.

Preise und Beschaffenheit

der

Die

müßte

die

officiellen Handelsartikel einer

sorgfältigen Kritik unterwerfen und könnte, mit rücksichtsloser Strenge durchgeführt, allein

Artikeln wehren.

dem Handel mit nicht officiellen

92 Man hüte sich auch hier, und damit wollen wir schließen, vor dem,

was sich so nennende

„Augen- und Ohrenzeugen"

erzählen, die hin und her durch's Land gezogen sind, ohne Zeit

zu haben, die Zustände gründlich und von allen Seiten zu be­ Sie sind nicht im Stande, wie auch die Franzosen

trachten.

dazu nicht im Stande sind, zwischen den nothwendigen Uebeln

des Krieges, wie das Land und

wie der Einzelne sie

leiden

muß, und die dem Sieger nicht zur Last fallen, und den vom Sieger

etwa willkürlich

aufgelegten Uebeln

zu unterscheiden.

Sie glauben, in ihrem Mitleid mit dem armen Volke, was man

ihnen dort sagt, viel zu leicht wenigstens, und bedenken nicht, daß jeder Franzose Alles, was er durch den Krieg zu erleiden

hat,

als ein ihm persönlich zugefügtes Unrecht empfindet und

mit diesem Vorbehalt sich darüber ausspricht. Sie berücksichtigen bei den Klagen der Einwohner viel zu wenig das angeborne Ta­

lent derselben, aus einer Mücke einen Elephanten zu machen; und vergessen, daß, als die Wirthin händeringend mit dem Aus­ rufe:

Oh

mon Dien,

quel malheur!

in's Zimmer stürzte

und sie entsetzt aufsprangen in der Ahnung einer furchtbaren Ge­

waltthat:

die Prussiens in der Nacht im Regen draußen bi-

vouakirten und die Dorfbewohner friedlich im Besitz ihrer Häuser

und Schlafstellen ließen, aber drei Fagots (Reisigbündel) aus der Scheune genommen hatten, um doch ihren Reis nicht roh essen zu müssen und (günstigen Falles) sich ein wenig wärmen und trocknen

zu können. Oh mon Dien, quel malheur! so leitete die brave,

alte Mutter ihre Bitte um meine Intervention ein, — aber ich erschrack schon nicht mehr, —als das Lazareth ihren Leiterwagen, (ohne die Pferde)

zu einer nothwendigeil Fahrt nach Pont-a-

Mousson in Dienst stellen wollte.

Mit: Oh mon Dieu, quel

malheur! stürzte der Bourgeois in Pont-a-Mousson mitten in unsere Vorbereitungen zum Schlafengehen hinein, und erschüt­

terte uns, damals noch Unerfahrene, heftig, bis es sich heraus­

stellte, daß die unter unsern Zimmern einquartierten Soldaten

zu dem zerlegenen und zermüllten Stroh, das man ihnen durchs

93 Zimmer

gestreut hatte, nun auch ein Strohpfühl verlangten,

damit sie ihre müden Häupter doch auflegen könnten.

Sie

nachdem

sie er­

fahren, daß ihr Quartiergeber nicht der Hausknecht,

sondern

stellten aber diese schreckliche Forderung erst,

der Patron des Ease's sei, ein reicher Mann, der Zimmer und

Betten frei, und uns selbst eins vermiethet hatte. Diese Miene

der gekränkten Unschuld, in der sich alle Welt wohlgefiel, brachte

uns schließlich dahin, ihr mit der stehenden Rede 311 begegnen: (Test la guerre et vous Favez voulue.

Darauf folgte denn

von der Seite des Klagenden ein bedauerliches Achselzucken mit

dem obligaten: Oh mon Dien —, eine Protestation gegen den Willen zum Kriege, eine Verwünschung des unglücklichen Na­

gewiß am aufrichtigsten

poleon, des Schurken, und, der Wunsch nach Frieden, Feind übereinstimmen.

gemeint,

der einzige, in dem Freund und

„Es ist einerlei, was aus uns wird,

ob wir Franzosen bleiben oder Preußen werden," habe ich oft

sagen hören, „wenn wir nur Frieden bekommen; der Krieg hat uns ruinirt."

Das erstere ist nun so

wenig wahr, als das

reiches Land,

Ruinirt wird ein so

letztere.

wie Lothringen,

nicht durch ein Kriegsjahr, und es komnck zudem der Ruin des Landes, soweit er vorhanden ist, nicht allein auf Rechnung des

Krieges,

Fing

sondern auch Wunden

schwere

des

ihm

vorigjährigen

der

Mißwachses;

Krieg allerdings

aber-

geschlagen.

auch in der letzten Zeit meines Ausenthaltes in

man

Vionville

hat

wieder

die Aecker

an,

zu bestellen, begannen die

deutschen Artilleristen in Mars la Tour die Felder des erbit­ terten Feindes mit Artillerie-Pferden zu pflügen, so waren das eben nur Anfänge, —

die meisten Ackerfluren lagen unbebaut

und werden wohl noch so liegen, denn die eigentliche Saatzeit

für dort war schon vorüber;

auf eine Unterstützung aus dem

eigenen Lande nach dem Kriege, aus den Provinzen, die die unmittelbare Last des Krieges nicht getragen, hatte man durch­

aus kein Vertrauen.

gegneten wir

dem

Wenn wir damit trösten wollten, so be­ ausgesprochensten Unglauben-

Nach dem

94 Frieden, hieß es, ist in ganz Frankreich Noth und zudem sind

wir die reichsten Provinzen; haben wir Nichts, so hat Niemand

Etwas. Gewiß

Provinzen

werden

wir

beizustehen,

Frankreich nicht

Indem

überlassen.

uns nehmen, werden wir ihnen zeigen,

diesen

Verpflichtung,

die

wir sie für

daß, wie während des

Krieges die Arbeiten des Friedens bei uns nicht geruht haben, so nach

dem Kriege Lebenskraft

genug in unserm Land und

Volk vorhanden ist, um auch die Wunden zu heilen,

Krieg unsern Neubürgern geschlagen hat.

Freilich,

die der

wenn der

Elsaß schon seine Lostrennung von Frankreich schmerzlich em­

pfindet, so wird das um so viel mehr bei dem Theile des thatsäch­ lich französischen Lothringens sein, den wir werden behalten müssen.

Aber so entschieden

ich beim Beginn des Krieges gegen eine

Annexion von national-französischem Gebiete war, eben so ent­ schieden bin

ich in der Ueberzeugung geworden, daß sie nicht

Jeder Krieg muß einen Krieg unmöglich ma­

zu umgehen ist.

chen; d. h., er muß die Verhältnisse so ordnen, daß um das­ selbe Object ein Krieg weder nothwendig noch möglich ist. Wir

Deutsche besonders,

die wir im Heere die beste Kraft unseres

Volkes ins Feld stellen, im günstigsten Falle sie für lange Zeit brach legen und schwer schädigen, wir müssen darauf

daß dieser Krieg,

der uns

wiederholt werden kann.

so

bestehen,

furchtbare Opfer kostet,

nicht

Wir müssen gegen einen Angriff von

Frankreich absolut sicher gestellt sein und geschähe dieser Angriff Das ist das oberste Gesetz

unter den günstigsten Verhältnissen. beim künftigen Friedensschlüsse.

Keine Macht der Erde hat das

Recht, hiergegen Einsprache zu thun. Sehen die Mächte Europa's ruchlosem Friedensbruche ruhig

zu,

so

werden

sie auch

dem

Friedensschlüsse ruhig zusehen müssen.

Jntervenirten

als der Räuber

auf den friedlichen Ar­

beiter:

so

seinen Angriff machte

werden

sie sich hüten,

zu interveniren,

sie nicht,

wenn

friedliche Arbeiter den Räuber unschädlich machen wird. nun Frankreich in

der

Böte

sich eine nur einigermaßen genügende Ga-

95 rantie

für

Nutzen

künftiges Wühlverhalten,

oder Nationalitütsgründen jetzigen Kriege so

jeglicher

so

sich

ließe

über den

als aus Entschädigungs­

einer Annexion aus andern

streiten.

Nichts ist

aber

in dem

offenkundig geworden,

als der Mangel an

Art

gegenwärtigen

Garantie

dieser

in

dem

Frankreich. Wollte das Frankreich von gestern „Rache für Sa­

dowa", wie wird das Frankreich von morgen „Rache für MetzSedan-Paris" fordern, von allem Andern zu geschweigen, was

dazwischen liegt und was vielleicht noch nachkommt.

hielten wir kein Dorf des Elsasses Groschen Kriegskosten:

so

wäre

und

das

Ja, be­

nähmen wir keinen

als

Hommage

ä

la

grande nation nicht mehr als recht und billig im französischen Sinne des Wortes, aber nur um so eher würde das in Eitelkeit und Verlogenheit verkommende Volk seine Revanche zu nehmen

suchen.

Dem Wolf, der nicht mehr beißen soll, dem muß man

oder ihn in einen festen Käfig einsper­

die Zähne ausbrechen

ren, an dessen Gitterstangen er sich die bösen Zähne ausbeißen kann, gelüstet es ihn. Einen solchen Käfig wollen wir dem bösen französischen

Wolf bauen,

indem wir ihm

an

und

Elsaß

Lothringen mit ihren, in unsern Händen uneinnehmbaren festen

Plätzen, Gitterstangen setzen, an denen er sich die Raubzühne ausbeißen kann.

Salus reipublicae suprema lex.

Ruchloser

Leichtsinn, ein Hohn auf das vergossene kostbare Blut würde

es sein, wenn wir unsern Frieden in künftiger Zeit vom guten Willen jenes Volkes wollten abhängig sein lassen,

wenn wir

uns nicht so stellten, daß wir ihrem bösen Willen trotzen oder

ihn verachten können. Wir fürchteten sie nicht, und haben nicht Ursache, sie in Zukunft mehr zu fürchten, als heute; aber wir

wollen keinen Krieg

bar

sichere

mehr

Gränzen,

mit Frankreich, darum mmngreif-

darum

zum

Elsaß

Metz

und

seine

Vorlande. Wenn wir so handeln, so ist uns Europa Dank schuldig

und wird das mit der Zeit auch wohl erkennen.

Denn wenn

es im Ganzen nicht sehr stark ist im Danken a priori,

so

96 versteht es die Dinge am Ende doch a posteriori. Wir haben einmal wieder (und Gott sei Dank, weder auf unserm Gebiet noch auf unsere Kosten, wenn auch, Dank Europa, auf eigene

eine europäische

Gefahr und Rechnung) lickreu Austrage gebracht.

Frage

zum gedeih-

Muß Frankreich Frieden halten, so

hat Europa Frieden; wir zwingen Frankreich zum Friedenhalten,

indem wir ihm

die ihm gebührt in der

die Stelle anweisen,

europäischen Familie.

Wie hat die Furcht vor Frankreich, be­

der Ueberschätzung Frankreichs,

auf Europa

ge­

ruhend

auf

lastet!

Von jetzt an wird Frankreich nicht mehr gelten, als es

ist; und was es ist, wie viel weniger, als Europa gutmüthig annahm, das haben wir an

den Tag gebracht.

Sah man

früher dem ungezogenen Burschen nach den Augen und meinten

die Onkel und Tanten, sie müßten ihm den Willen thun, da­ mit er nur nicht das Haus zum Fenster hinauswerfe, so wird

man ihm jetzt hübsch auf die Finger sehen, auch klopfen, wenn's sein muß, und der Hausfriede, die Bedingung alles häuslichen

Glückes, beruht jetzt auf solider, sicherer Grundlage. Für Frankreich selbst ist ja nur dann Heil, und wir wün­ schen von Herzen, daß es ihm widerfahre, wenn es einmal mit

aller Ausschließlichkeit innerste Politik treibt.

Möchten sich doch

die Stimmen in Frankreich mehren, die, wie die beredte Stimme Leon Pilate's, den Muth haben, der eiteln Selbstvergötterung des Volkes mit der Wahrheit entgegenzutreten, daß Frankreichs Unglück,

Frankreichs Sünde ist!

sein Besieger

der Geist ist,

mehr und mehr

Möchte es

erkennen,

daß

von dem sich seine Entwicklung

entfernt hat, der Geist, um biblisch zu reden,

der Wahrheit, der Liebe und der Zucht. sein inneres Leben

ihm das Jahr

Möchte für

1870—71 werden, was

uns, Gott sei Dank, das Jahr 1806—7 gewesen ist: aspera ad ast er a.

Q. D. B. V. Druck von C. Georgi in.Bonn.

Per