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German Pages 96 [106] Year 1872
Bilder und Eindrücke aus
einer nchttvöchentlichen Dienstzeit als freiwilliger Feldprediger
im Sommer 1870.
Bon
C. Schepers, Pfarrer.
Bonn, bei Adolph Marcus. 1871.
Meinem hochverehrten Freunde dem Herrn
Militär-Ober-Psarrer
C o n s i st o r i a l-R a t h Korten Ritter re.
I« Tobten? gewidmet.
Wie die pflichttreue harte Arbeit „des Dienstes" in den
Friedensjahren jetzt ihren glänzenden Lohn empfängt in der Alles überwindenden Kriegstüchtigkeit unserer Soldaten: so
trägt d i e Arbeit nicht minderen Preis davon, die Sie, hoch
verehrter Freund und Ihre Mitarbeiter still und von uns
Andern oft übersehen dem Heere gewidmet haben, als die treuen Pfleger des Geistes, der unsere Truppen in ihrem
Kämpfen und Siegen, wie in ihrem Leiden zu leuchtenden
Vorbildern gemacht hat für uns und alle Zeiten. Denn der Geist ist es, der lebendig macht.
Sie haben mir freundlich gestattet meinem Büchlein
Ihren Namen voranzustellen.
Möge es Sie erfreuen! —
auch dadurch, daß Sie in dem, was es von Ihrer Gemeinde
erzählt, die Spuren Ihrer Friedensarbeit wiederfinden. Der Versaffer.
i.
Reisen unterm rochen^Kreiy.
Als Napoleons und seines Volkes leichtsinniger Frevel muth unserm Könige den lange drohenden, tödtlichen Kampf endlich aufzwang;
als es galt,
in ihm des Vaterlandes Ehre
und sichern Bestand zu retten und seine Einheit — die lang
ersehnte nun endlich gekommene — als Kampfpreis zu gewinnen;
als in des Königs
einfachen tapferen Worten
voll Lauterkeit
und Wahrheit der gute Geist unseres Volkes sich freudig wie
dererkannte und sich an ihnen stärkte und
erbaute:
Diener am Worte hätte es da nicht gedrängt
welchen
mit der Blüthe
unseres Volkes hinauszuziehen in das Feld, um bei ihr zu stehen
in ihren schwersten und herrlichsten Stunden,
als Zeuge von
der Liebe, die nimmer aufhört und so auch sein Scherflein bei
zutragen zu dem großen Opfer, mit dem
unser Volk
erlöst
werden sollte aus langem hartem Banne.
Ich durfte mich zu jedem Dienst im Felde melden, da ich
abkömmlich war, und ich hoffte den Schritt frühzeitig genug ge than zu haben, um zu
den frühesten
zu
gehören.
Aber als
meine Eingabe an mich zurückkam, trug sie die Meldungs-Nr.
189, eine Nummer, die natürlich bedeutend überschritten worden ist.
Mußte ich mich nun auch freuen, daß so rasch und zahl
reich die Brüder sich zu dem
ernsten
Dienste drängten: die
Freude war doch ein sehr gemischtes Gefühl,
denn
für
mich
schien wieder nichts anderes übrig zu bleiben, als das Bewußt sein: „Du hast dienen wollen", und die Aufgabe, darin stille zu werden.
Wie doppelt freudig griff ich drum zu, als in der Mitte des August der Antrag an mich erging, eine Lazareth-Prediger1
2 Stelle zu übernehmen. Nachdem ich meiner Gemeinde Lebewohl
gesagt,
reiste ich ab und fand in Koblenz unter Anderem das
rothe Kreuz, unter dessen Schutz und in dessen Dienst ich die
nächsten ernsten Wochen arbeiten sollte. Der
zweiten Armee zugewiesen, galt es zunächst meinen
Ober-Prediger zu
finden,
der mir meinen Posten zuzutheilen
Er sollte in Homburg in
hatte.
weit offenste Weg dahin, Schon in Bingerbrück
der Pfalz
die Nahebahn.
giebts den
sein,
der
beste,
Welche Täuschung!
ersten,
langen Aufenthalt.
Sehen wir uns derweilen in Bingerbrück um.
„Unterm rothen
Kreuz" kann man von der Station sagen; ein bewegtes, schönes Leben entfaltet sich in ihr.
an.
Eben kam ein Verwundeten-Zug
Da füllen sich die Wartesäle mit Verwundeten, die allein
oder geleitet kommen und nach langer anstrengender Eisenbahn fahrt Verband und Erquickung bedürfen; —
sie kommen aus
Die Schwerstverwundeten werden
den Heldenkämpfen bei Metz.
zurückbehalten, um hier in die Lazarethe ausgenommen zu wer
den.
Aerzte
und
Damen der Stadt
freiwillige
Krankenpfleger,
und Nachbarschaft
die
vornehmen
und einfache Mädchen
wetteifern darin, den Verwundeten mit allen vorhandenen reichen
Hülfsmitteln unermüdlich Hülfe zu leisten. ersten Male mit Hand an. nun sind die letzten besorgt.
Ich lege auch zum
Endlich lichten sich die Reihen —
Da steht schon ein anderer Zug,
ein langer, dessen Insassen der Erquickung bedürfen. beit, gethan mit derselben vorige.
freudigen
Neue Ar
Unermüdlichkeit, wie die
Auch in diesem Zuge muß verbunden werden, aber in
den Wagen, wie rasch geschieht es! Der Zug setzt sich in Be wegung, denn bald nimmt wieder ein anderer seine Stelle ein,
und jeder von diesen Zügen voll Schmerz und Noth findet die selben liebevollen, unermüdeten Hände,
treuen Herzen.
Hand weiß nicht, was die rechte thut." ein:
dieselben mitleidenden,
Tas Schönste aber ist, man sieht: „die linke
Mir
fiel
das Wort
„Hier ist nicht Mann noch Weib, nicht Knecht noch Freier!
3 Ihr seid allzumal Einer in Christo", eins im demüthigen liebe
vollen Dienste, ein Jedes mit dem Besten seiner Habe.
Und
so entzündet sich im ganzen lieben Vaterlande an der Noth des Krieges der Geist herzlicher, reicher Barmherzigkeit. Aber wer sind die dort, die in der Ecke des Wartesaales
stehen und nicht an das Licht kommen? — Sie verhandeln mit
einem alten Herrn über Essen und
Trinken — alle ruppig,
verkommen, zum Theil mit sehr widerwärtigen Gesichtern. Sie
tragen wahrlich auch das
rothe Kreuz, die gestempelte Binde.
Sollte das die Schaar von Nothhelfern sein, von der der alte
Herr in meinem Coupe sprach, daß er sie aus das Schlachtfeld führe und lobend erwähnte,
recht ordentlich gehalten?
sie sich bis jetzt im Ganzen
daß
Richtig,
da
diger Herr, Baron wenn ich nicht irre.
ist er, ein alter wür Er spricht sie zufrieden,
denn sie verlangen gespeist und getränkt zu werden. rauh", denke ich.
„Allerlei
„Was doch unter dem rothen Kreuze nicht
zusammenkommt."
„Der Zug nach Saarbrücken" und wie vom Sturm zer stoben ist die den Bahnhof füllende Schaar; jeder sucht sich
einen Platz zu sichern.
Ich bin
so glücklich,
das
erste und
einzige Mal auf allen meinen Fahrten, den mir zustehenden
Platz 2. Klasse zu gewinnen, wenn auch nicht ohne einigen Kampf.
Denn das Coupe ist eingenommen von zwei Unterofficieren und
verschiedenen militärischen Effecten,
Kisten, Sattel und dergl.
Was evacuirt werden kann, wird evacuirt und bald ist das Coupe von Mitreisenden gefüllt:
Eine junge Frau, die ihren,
wie sie erfahren hat, leicht verwundeten Mann aufsucht, um ihn zu pflegen; ihr Begleiter aber weiß, daß sie nur seine Leiche
finden wird; Ein alter Oberst, der die Leiche seines Sohnes in Saarbrücken holen will —; er fand zwei; auch die Leiche
eines andern theuern Verwandten, kampfe um die Spicherer Höhen,
beide gefallen im Helden
wie er mir später in^Saar-
brücken mittheilte, so tapfern, gefaßten Herzens in seinem Leid,
4 Hoch
ihrem Kampfe.
wie sie in
Geistes voll.
Und
niedrig ist desselben
Der geringe Bauersmann aus meiner Gemeinde,
der nach langer Unsicherheit die Nachricht von dem Tode seines Sohnes erhielt, theilte sie mir mit den Worten mit: Wenn ich ihn dafür aufgezogen haben soll, daß er sich opferte: in Gottes Namen! er hat sein Leben für eine gute Sache gegeben, Gott
wird ihm gnädig
sein.
durch diesen Krieg Alles
So lange
gut und edel ist in unserm Volke erweckt wird und zu
was
einer heiligen unwiderstehlichen Macht erwächst, so lange kann
ich nicht einstimmen in
das leider auch viel gepredigte Wort:
daß der gegenwärtige Krieg ein Strafgericht Gottes sei über
unsres Volkes Sünde. Langsam gings die Nahe hinauf; viel zu langsam für unsre
Sehnsucht nach Arbeit.
halt.
An
jeder
An jeder Station unendlicher Aufent
Station
auch
naturwüchsige Verpflegungs
Frauen mit selbstgebrautem Kaffe, mit selbstgezogenem
Comites.
Wein, mit Körben voll Butterbroden,
die sie beim Nahen des
Zuges aus den Häusern eiligst herbei trugen: es nimmt gar kein Ende.
Wäre unser Zug der einzige, der heute kommt, so
könnte man das begreifen; aber wie viele kommen, nicht heute, sondern
täglich
und
dem Lande, das
immer
sind
die
Spenden
bereit
aus
von der Dürre des Sommers so schwer ge
litten hat! Auch hier die Menschenkinder haben von ihrem Va-
ter gelernt: „ihre Güte ist jeden Morgen neu." würdig zudringlich sie sind, wo, wie in
zugegriffen wird.
Wie liebens
unserm Coupe, nicht
Ein Butterbrod? Ganz frische Butter. Trinken
Sie doch ein Glas Wein! Er ist gut! Der Herr nimmt viel
leicht lieber rothen! Wollen Sie rothen? Wir haben ein ganzes
Faß voll, guten rothen Wein! wenn man nimmt,
dankte man noch so herzlich. Abend.
Als eine Gunst sehen sie's an,
fast als Kränkung, wenn man dankt,
und
So gings bis in den sinkenden
Einen harten Kampf kämpften hier miteinander die Er
quickungsfähigkeit unserer tapfern Soldaten und die der braven
5 Pfälzer, bis
die Nacht dem Streite ein Ende machte.
Die
Nacht wurde auf
der Station St. Wendel zugebracht, theils
unter anregendem
Gespräch mit meinen freundlichen Genossen
vom rothen Kreuz, theils unter vergeblichen Versuchen einzu Endlich tagte es, immer noch kam keine Bewegung
schlafen.
Erst Nachmittags erreichten wir Neunkirchen.
in unsern Zug.
Hier verließ ich den Zug, kam auch bald nach Homburg, fand
aber meinen Oberpfarrer nicht, nur seine Karte mit der Notiz
darauf, daß er in Saargemünd sei.
Ein sofort abgehender
Zug brachte mich nach Neunkirchen zurück und es gelingt mir einen Zug zu treffen, der, wie man sagt, im Begriff ist nach
Saarbrücken abzufahren.
Ich meldete mich beim zugführenden
Officier zur Mitfahrt unter Vorzeigung meiner grünen Johanniter
karte und erfuhr zum ersten Male, daß das rothe Kreuz durch aus kein passe-partout, nicht einmal dessen Diensten es
mir
auch
bei dem Militair ist, in
doch steht; ehe der Zug abfuhr konnte ich
einigermaßen
erklären
warum.
Offtcier ist ein vielgeplagter Mann,
Der
zugführende
besonders wenn er auf
der Rhein-Nahe-Bahn einen unendlich langen Zug zu beauf sichtigen hat.
gnädiges :
Er hat daher auch nur ein kurzes, ziemlich un
„Nach
vorn"
für mich.
Gehorsam suche ich vorn
bis zur Locomotive nach einem Platze nur, leider — ohne zu finden.
Zwei Soldaten, die eine auf einem Waggon stehende
Kutsche bewachen, nehmen mich endlich in dieselbe auf.
Kaum
aber habe ich nicht ohne Mühe Waggon und Kutsche erklettert und setze mich zurecht,
so ist auch der zugführende Officier da
und wirft mich mit einem: Ich will keinen Eivilisten da oben,
nach vorn müssen Sie! wieder auf die harten Schienen zurück und
wieder
nach
vorn.
Ich offenbare meine Noth einigen
Soldaten, die ein Coupe 3. Klaffe innehaben und freundlich rücken sie zusammen, um meiner Person einigen Platz zu be reiten.
Braucht sie nicht viel, so hielt es doch schwer, aber es
ging und ich freute mich zur Ruhe gekommen
zu sein,
und,
6 nach Befehl,
„vorn."
Aber ich hatte nicht bedacht, daß ein
preußischer zugführender Officier seine Augen pflichtmäßig überall
und seine.Instruction überall vor Augen hat. auch
Er mußte also
mein Einsteigen bei den Soldaten bemerken und konnte
es nicht dulden.
Eine Ordonnanz kommt — nachdem ich eben
als Gastgeschenk
meine letzten Cigarren vertheilt habe:
Civilist soll aussteigen und nach vorn gehen."
„Der
Da ist wirklich
vorn noch ein Wagen, mit wenigem Stroh und vielen Menschen
belegt, aber es sind doch meines Gleichen, Civilisten.
Ich steige
ein und sehe mich um: es sind sogar bekannte Gesichter, man ver
gißt sie nicht leicht— rothe Kreuze, — es ist wirklich die Fallstafs'sche Schaar von Nothhelfern aus Bingerbrück. Schöner waren sie nicht
aber betrunkener, und was sich gar herrlich
geworden seitdem,
zu offenbaren begann, war nicht Humanität, deren Zeichen sie
trugen,
sondern
etwas
ganz
anderes.
Nach einem kurz an
dauernden, sträflich mißlingenden Versuch, eine halbwegs anstän dige Miene vorzunehmen, vertrieb man sich die Langeweile des
Wartens in der vollsten Unbefangenheit mit — Trinken kann man das schon nicht mehr nennen, mit Streiten und Sichversöhnen, mit Balgen und
dergleichen Kurzweil; Alles gewürzt
mit einer Unterhaltung, deren Gemeinheit ich nicht andeuten Eine schauerliche Gesellschaft, gedeckt von dem Symbol
mag.
der reinen, todesmuthigen Liebe.
Wehe den armen Verwun
deten, die in solche Hände fallen! Ich vergab in meinem Her zen
dem
zugführenden
Officier
die
Mißachtung des rothen
Kreuzes, die ich in seinem Benehmen zu erkennen geglaubt, Ange
sichts solcher Repräsentanten desselben.
Daß etwas fehlen müsse
in der freiwilligen Krankenpflege und was das sei, das fehlt, darüber hatte ich viele Stunden Zeit,
hier volle Veranlassung nachzudenken und denn erst am Abend wurde ein Extrazug
nach Saarbrücken arrangirt, und wie ein Erlöster kam ich mir vor, nachdem es mir gelungen war den Nothhelfern zu ent
springen und
ein
bescheidenes Plätzchen in dem Extrazug zu
7 finden, der uns spät Abends in das von Kranken, Gefangenen, Soldaten, Reisenden überfüllte, in das schwer heimgesuchte aber
treu erfundene St. Johann-Saarbrücken brachte. In Saargemünd war, wie vom Mädchen aus der Fremde,
jede Spur von meinem Chef verloren.
Er war nicht allein
nicht da, sondern auch nicht da gewesen und hatte auch keine Weisung geschickt für die, die ihn dort suchten.
gleich
nack
Mein Entschluß war bald gefaßt. Lazarethe
Er war eben
der Schlacht am 14. auf das Schlachtfeld geeilt.
finden
sich
Ich sollte in ein Lazareth,
sicher auf den Schlachtfeldern vom 16.
und 18.; dorthin also: zunächst nach Pont-a-Mousson. fand
sich
auf dem Zuge eine bunte Schaar von
Kreuzträgern und
—
Trägerinnen
Wieder
zusammen.
Einberufene
und freiwillige Aerzte, — Diakonissen verschiedener Verbände, freiwillige Krankenwärter, — ein russischer Arzt aus Odessa —
freiwillige Krankenpflegerinnen; alle unterm rothen Kreuz. Freiwillige Krankenpflegerinnen! Theils mittelalterliche, theils
jüngere Mädchen, ohne die Begleitung einer älteren Frau, nicht durch ein Ordenskleid vor allerlei Annäherung und Zudring lichkeit und vor eigener Unvorsichtigkeit geschützt, allein auf dem
Wege nach dem Kriegsschauplätze: wie zog das Alles an, was
leichtfertigen Sinnes war, und wie war, nach der Nacht, die
im Dunkeln auf dem Zuge verbracht werden mußte, die frei willige Krankenpflege um einen Typus reicher geworden.
sein.
zweifelhaften Werthes
Dieser Typus soll so selten
Ich selbst bin ihm noch einmal begegnet.
Geister, heißt
gerade nicht Prüfet die
es da; an dieser Prüfung aber haben es die
Johanniter, wie es scheint, fehlen lassen. Auch
unterm rothen Kreuz
sein Fortkommen suchen.
Stunden auf der
muß man auf allerlei Weise
So waren wir,
nachdem wir 24
Strecke Saargemünd-Falckenberg zugebracht
hatten, der richtigen Ansicht, daß uns eine Fahrt per Leiter wagen quer durch's Land rascher nach Pont-a-Mousson bringen
8 würde als die Eisenbahn in ihrer intermittirenden Bewegung.
Der russische Arzt, der ebenfalls Eile hatte fortzukommen und ich, wir begaben uns zum Etappen-Eommandanten, einem sehr freundlichen Herrn, und trugen ihm unser Anliegen vor. Gern
war er bereit einen Versuch, uns fortzuhelsen, zu machen.
schlug fehl.
Er
Trostlos wollten wir uns zu unserm Zuge zurück
begeben, als wie ein Deus ex machina eine Ordonnanz erschien
mit der Meldung, man habe eben einen Marketender eingefan gen, der gestohlene Sachen bei sich führe, der Fuhrmann, der
ihn
gefahren,
müsse
darum gewußt haben.
das Verfahren anzusehen.
Wir blieben um
Es war summarisch; der überführte
Marketender wurde festgehallen und abgeführt, der der Hehlerei
stark verdächtige Fuhrmann aber, ein junger Mensch aus Linz am Rhein, wurde verurtheilt uns sofort nach Pont-a-Mousson zu fahren.
Es war das, nebenbei gesagt, der zweite Marketender,
der an dem Tage in Falckenberg wegen des Besitzes gestohlener
Gegenstände festsaß. Pont-a-Mousson
ist
ein reizend gelegenes Städtchen mit
ganz individueller Physiognomie.
Ich bin dort auf eine halbe
Stunde Lazareth-Prediger gewesen und das ging so zu.
dem Etappen-Commando
war
man,
weil
die
Auf
evangelischen
Soldaten ohne Begleitung eines Geistlichen begraben wurden,
der Meinung,
es sei kein evangelischer Lazareth-Prediger am
Orte und stellte mich als solchen an.
Man gab mir ein Ver-
zeichniß der Lazarethe, uiib nachdem wir übereingekommen waren,
daß von Seiten der Kommandantur der Befehl ausgehen sollte, daß hinfort nur zu bestimmter Abendstunde und nur nach vor
hergegangener Anzeige beim Lazareth-Prediger die Beerdigung
evangelischer Soldaten stattzufinden habe: ging ich fröhlich mei nes Weges und fragte mich schleunigst in das nächste Lazareth,
um mich dort zu melden.
Das wurde mir nun erspart. Denn
noch vor der Thür begegnete mir ein Mann, der unverkennbar in Amtsbruder war.
Ich stellte mich ihm vor und erfuhr, daß
9 drei Lazareth-Prediger am Orte seien, alle drei rite angestellt
und vollauf beschäftigt; daß sie Leichen nicht begleiten könnten,
weil man ihnen keine Allzeige mache, stattfinde.
Das
war nun
freilich
wann
eine Beerdigung
für die Zukunft geordnet;
ich aber war um ein Amt ärmer und dafür um zwei Erfahr ungen, die ich
auch später
bestätigt
gefunden
habe,
reicher.
Die eine Erfahrung ist die,
daß Militair-Lazarethverwaltung
und
recht
Lazarethseelsorge
nicht
miteinander correspondiren,
wovon ein Mehreres an einem andern Orte; die andere, daß wenn einmal Etwas an einem Orte fehlt, wo man es glaubt erwarten zu dürfen — und wäre dieses Etwas ein Lazareth-
Prediger — man darum doch nicht schließen darf, es sei über
haupt nicht da, oder nicht auf seinem Platze.
Man sieht und
hört viel Einzelnes aus allen Zweigen des Kriegslebens, es ist
nicht so gut, wie es der Idee nach sein sollte.
nicht,
kann
Da fragt man
es nach den gegebenen Umständen und Verhält
nissen besser sein? Das würde eine eingehende sorgfältige Unter
suchung zur Voraussetzung und, meistens wenigstens, eine Sus
pension des Urtheils zur Folge man meist nicht
haben und zu dem Einen hat
das Vermögen,
Muth der Selbstbeschränkung.
zu
dem Andern
nicht den
Viel lieber urtheilt man frisch
weg; das ist viel leichter und leider oft auch populärer, und man findet für jeden Mangel den Grund in Unfähigkeit und
Vernachlässigung, wenn nicht gar in Untreue und bösem Willen. So geht es auch uns Lazarethgeistlichen.
Man vermißt einen
Geistlichen einmal hier, wo man ihn zu finden hofft, ein andermal dort, wo er auch recht nöthig wäre und urtheilt nun: Wo sie
sein sollten, da sind sie nicht.
So fragte mich ein katholischer
Arzt in Mars la Tour, ob ich ihm nicht einen deutschen katho lischen Geistlichen
nachweisen
könne.
So häufig komme ihm
der Fall vor, daß Kranke nach einem katholischen Geistlichen
begehrten und trotz der größten Mühe, die er sich gegeben, habe er keines einzigen habhaft werden können.
Bei uns sei ent-
10 weder besser gesorgt, da die evangelischen Kranken sich ununter
brochen unseres Zuspruches zu erfreuen hätten, oder wir wüßten besser unsere Stelle zu finden. Anderwärts (siehe Pont-a-Mousson)
hat man gemeint das Gegentheil schließen zu können.
Freilich
glaubt dies und ähnliches Urtheilen aus gutem Herzen zu kom men.
sind,
Weil wir
das Heer so sehr lieben und so stolz darauf
wir es als selbstverständlich hin,
darum nehmen
für alle seine Bedürfnisse, muß;
daß
geistige und leibliche, gesorgt sein
daß dazu geniale Umsicht und treueste Sorgfalt unter
Umstünden nicht ausreichend sein können, übersehen wir;
jeden
Aber daß nun unser Ur
Mangel aber empfinden wir schwer.
theil fast mit Vorliebe am Mangelhaften hängt und von ihm
bestimmt wird, das ist nicht allein im höchsten Grade thöricht
und undankbar, sondern es dient auch dazu, uns und Andern,
die Freude und das Herz zur Sache
selbst den Arbeitenden,
zu
nehmen,
Arbeit
und Genuß zu verkümmern, — der alte
Fluch des Splitterrichters.
Vor der Größe der Leistungen auch
auf diesem Gebiete sollte die Kleinlichkeit des Urtheils sich schämen.
Doch zurück nach Pont-a-Mousson und Commando! Wie man mir, der
auf düs' Etappen-
ich nach Gorze ein Fuhrwerk
bedurfte und beanspruchen konnte, einen Zettel gibt, in welchem
„Vorzeiger
dieses nach Gorze dirigirt wird", ein Document,
kraft welches ich noch heute auf dem Marktplatz von Pont-a-
Mousson stehen würde; — wie der freundliche Herr v. K. mir einen Wagen verschaffte, der mir aber, indessen ich meinen Koffer und meinen Reisegefährten hole,
von
einem auch sein Fort
kommen suchenden, jedenfalls aber behenderen Officier entführt
wird;
wie ich spät Abends die Diakonissen aus Falckenberg
auf dem Markte
ankommen
sehe,
thronend
auf Kisten und
Koffern und nach Verlust des sie geleitenden Johanniters, trost los, weil ohne Obdach; — wie ich nun in der fremden Stadt
umherlaufe und endlich freundliche
theils
bei
katholischen
Schwestern,
Aufnahme
theils
für
sie
finde,
bei Kaiserswerther
11 Diakonissen —; wie der folgende Morgen mit Bittgesuchen um
einen Wagen, anfangend vom Pr. R. bis zu Hrn. v. B., zu
gebracht wird, bis endlich Nachmittags die Schwestern und ich der Stadt, die uns so sehr an sich zu fesseln gesucht, den Rücken
wenden
und
auf
kleinen einspännigen Leiterwagen in
einem
lustigem Regen und der aufgestapelten Koffer wegen unter stetem Balanciren am Abend in Gorze einrücken konnten: das wären
lustige Illustrationen zu unserm Thema: „wie man unter dem
Allein der freundliche Leser wird uns
rothen Kreuze reis't".
die Ausführung erlassen, das Capitel von der Reise ist ja ohnehin lang genug geworden.
Ich will nur den Schluß des Tages
Gorze war überfüllt von Soldaten und Kranken;
beschreiben.
wo ein Unterkommen finden für sechs Schwestern? Nach langem
Ueberlegen und Hin-und Herlaufen, während dessen die Schwestern, wenn auch nicht in olympischer Ruhe, auf ihren Koffern thronten und der Regen still und emsig
unserm Halteplatz gegenüber
teten
Hause
katholische
niederrieselte:
erfuhr ich,
daß
in einem zum Lazareth eingerich
Schwestern pflegten.
Ich
hatte
die
Freundlichkeit der Ordensschwestern schon in Pont-a-Mousson
erfahren,
ging also leichteren Herzens in das Haus und bat
die Schwestern um Obdach zur Nacht für meine Schützlinge.
Mit großer Herzlichkeit wurde ich auch hier ausgenommen, zum
Glücke fand sich eine eben von Verwundeten verlassene, freilich absolut
leere Stube
ohne
Stroh, die den
Schwestern
ein
geräumt und so gut es ging mit Koffern, Mänteln und Tüchern
zum Schlafzimmer hergerichtet wurde.
Ein freundlicher Zahl
meister verschaffte uns inzwischen unsere Rationen an Fleisch, Brod, Reis, die wir als Gastgeschenk unsern Wirthinnen dar brachten für ihre Verwundeten: und fein und lieblich war es, wie die Schwestern bei einander wohnten.
Nicht
ganz
leichten
Herzens
suchte
ich an diesem Abend
mein Lager auf in dem Quartier meines gütigen Ober-Predigers. Während ich
gehofft hatte
in eine Fülle von Arbeit hinein-
12 zukommen und dringender Noth abhelfen
zu können, erschien
es mir an Ort und Stelle, als sei eigentlich keine rechte Ver wendung mehr für mich.
Kein Lazareth war mit Bestimmtheit
anzugeben, welches noch eines Geistlichen bedurft hätte.
Zwar
tröstete mich mein Chef, den ich um seine Ruhe beneidete, daß ich schlimmsten Falles einige Tage in Gorze mich beschäftigen könne, oder auch in Pont-a-Mousson, wo einer der Brüder über
augenblickliche Arbeitslast klage, und daß sich dann gewiß etwas
finden würde, da in einigen Orten, auch Vionville wurde ge
nannt, Lazarethe etablirt sein sollten.
Trotz alledem hatte ich
den Eindruck eigentlich ohne Schaden wohl entbehrt werden zu können, und das war in meiner Lage eine bittere Empfindung.
Wie immer bisher, so hatte ich auch jetzt vergeblich gesorgt.
Nach dem Gottesdienste erhielt der Ober-Prediger ein Briefchen vom Chefarzt eines Lazareths in Vionville, in welchem derselbe dringend um Zusendung eines Lazareth-Geistlichen bat und nach
Tisch fuhren wir hinaus, ich
wurde als Lazareth-Prediger in
Vionville stationirt und begann mein Amt sofort mit der Aus
theilung des hl. Abendmahls an einen Kranken, dem ich auch später noch manches gute Wort sagen durfte.
Nachdem ich auch ein Quartier gefunden, fehlte zu meiner Häuslichkeit nichts als Licht, was damals theuer war im Lande.
So brachte ich denn meinen ersten Abend am Herdfeuer mei
ner Wirthsleute zu und hielt ihnen einen französischen Vortrag über die Aussichten
auf Frieden,
testantische Religion — lauter
deutsche Zustände und pro
Dinge,
nach
denen sie eifrig
fragten.
So hatte mein Reisen
unterm Kreuz zu meiner
Freude
sein Ende, und die Arbeit unterm Kreuz endlich ihren Anfang
gefunden.
Genau acht Tage war ich unterwegs gewesen.
13
II.
Mein Wirkungskreis.
Das Schlachtfeld vom 16. und 18. August, die Hochebene zwischen Mosel und Maas, nach der Mosel hin steil abfallend
mit frisch
grünen
Waldabhängen,
— im
Innern
welliges
Hügelland, nach allen Richtungen von Waldungen, von Ein senkungen und Schluchten, zum Theil recht tiefen und scharfen,
fernhin begrenzt von den Ausläufern der Argon-
durchzogen; nen:
welcher Heldenthaten Zeuge
Verhinderung der
Vereinigung
ist
es
gewesen.
War die
Mac Mahons und Bazaines
nothwendig zum raschen siegreichen Niederwerfen der feindlichen Heereskörper: so sind die Schlachten bei Metz die entscheidenden
in diesem Kriege gewesen; blutig genug waren sie.
War doch
jedes Gehöft und jedes Dorf, ja jede Anhöhe, jeder Waldsaum
eine Festung, die im Sturmlauf über flaches Feld hin, bei dem sie ohne Deckung dem fürchterlichen Feuer der Franzosen Preis
gegeben waren, von unsern tapfern Soldaten genommen werden
mußte und genommen wurde.
Nun ruhten Freund und Feind
friedlich bei einander; nur die zertretenen, öden, meilenweit mit
Uniformstücken, Armaturgegenständen, Patronenhülsen, Kugeln, Briefschaften wie besäeten Felder,
nur die
Gräber
dort im
Grunde, hier am Waldessäume hin — da auf der Höhe, von einem einsamen Kreuze überragt, mit dem Reste eines Kranzes geschmückt, zeugten von dem tödtlichen Ringen, das sie vor we nigen Tagen noch so furchtbar belebt hatte.
In Mitten dieses großen Todtenfeldes liegt Vionville. Am
16. August war das tapfere achte Feldlazareth 3. Armee-Corps in das
kleine Dorf eingezogen.
Von der feindlichen Artillerie
mit Granaten verfolgt, die zum Glücke ihres Zieles verfehlten, begann
es seine Arbeit unter dem fortwährend auf das Dorf
gerichteten Feuer.
Während
die Kirche ausgeräumt und für
die Aufnahme der Verwundeten eingerichtet wurde, schlugen die Granaten
in
sie
ein und warfen die Kirchhofmauer nieder;
14
aber
vermochten
sie
Walten der
Aerzte
nicht
das
ruhige
menschenfreundliche
und ihrer Gehülfen zu beirren.
In dem
unsäglichen Jammer, unter den sie traten, und den zu lindern
sie alle Kraft des Leibes und der Seele aufbieten mußten: trat der Gedanke an die eigene Gefahr so sehr zurück, daß sie ihn
kaum einmal faßten.
Ehre ihrem Andenken, wie dem Andenken
der vielen tapfern Aerzte, deren Brust das eiserne Kreuz ziert,
als das Zeichen des höchsten bewiesenen Muthes.
Leichter ist's
in der Begeisterung des Kampfes mit den vordringenden Kame raden in der Anspannung aller Lebensgeister der Sorge ums eigene Leben vergessen,
als gesammelten ruhigen Geistes und
ruhiger Hand, die Wunden verbindend die der Feind geschlagen, das eigene Leben daran setzen, um Anderer Leben zu retten. Ich fand in Vionville noch 230 Schwer-Verwundete vom 16., die bis dahin ohne geistlichen Zuspruch
weil man
wußte.
gewesen
waren,
von der Etablirung eines Lazarethes in V. nichts
In Vionville hörte ich, daß auch in St. Apolline, in
südwestlicher Richtung von Vionville eine Stunde Wegs, nahe
bei Gorze, ein Lazareth sei.
Ich fand 130 Schwerverwundete,
ebenfalls vom 16., und seitdem ohne Zuspruch.
Westlich von
Vionville in Mars la Tour und in Marieville wieder Lazarethe mit 260 Schwerverwundeten insgesammt.
dem Schlachtfeld vom
Schwer-Verwundete,
16.,
So lagen denn auf
nach Ende des
für deren
20., sechshundert
geistliche Bedürfnisse nicht ge
sorgt werden konnte, weil die betreffende geistliche Behörde ohne
Kenntniß von der Existenz dieser Lazarethe gelassen war.
In
Mars la Tour hatte ein Mitglied der sächsischen Felddiakonie,
ein Diakonus H., der einige Tage vor mir angekommen war,
mit dankenswerter Freundlichkeit neben der körperlichen Pflege auch der Seelenpflege der lange Verlassenen sich angenommen.
Vier Lazarethe mit 600 Kranken soweit von einander entfernt zu
verwalten, das hätte
die Kräfte eines Jeden überstiegen;
selbst dann, wenn wir Lazarethgeistliche Pferd und Wagen zu
15 Wie es ändern?
Eine freundliche
ließ mich unter der Abtheilung der
sächsischen Feld
unserer Disposition hätten. Fügung
die in Vionville stationirt war, einen
diakonie,
den Subdiakonus P. aus Schl, finden, der gern
Amtsbruder, bereit
war,
sich in Mars la Tours und Marieville ausschließlich Seelsorge
in
den
der
Vorbehaltlich der
Lazarethen zu widmen.
Genehmigung des Ober-Predigers führte ich ihn bei den La-
zareth-Vorständen beider Lazarethe als Prediger an denselben ein, und da unser Chef mit dem Abkommen einverstanden war,
bliebs dabei.
Der humane Stil, in dem er seine Arbeit that,
seine liebevolle Treue
haben
ihm das Herz
seiner Pfleglinge
gewonnen und werden ihm ein segensreiches Andenken bei ihnen
sichern.
Möge, was er gewonnen auf seiner Kriegsfahrt, ihm
eine Gegengabe sein für das, dürfen.
was
er so Vielen hat
geben
Er wird den herzlichen Gruß und Wunsch aus der
Ferne freundlich annehmen.
So hatte ich geschrieben, als ich die Nachricht erhielt, daß aus
dem Lande der Sterblichen ihn kein Gruß mehr erreichen wird. Er hat aus seiner treuen Arbeit den Todeskeim mit heimgebracht, wenige Tage nach seiner Heimkehr ist er dem Typhus erlegen. So war denn das Arbeitsfeld eingetheilt und nun konnte
die Arbeit beginnen.
Wenn ich aber den freundlichen Leser mit
in mein Lazareth nehmen soll, so muß ich ihn zuvörderst bit
ten, einige Illusionen zurückzulassen, sonst wird er sich zu sehr enttäuscht fühlen.
Ein Lazareth! Dabei pflegt man sich,
der Anschauung,
die
man
von
einem
nach
Militär - Lazareth,
oder von denjenigen Lazarethen hat, die von der Liebe jetzt in unserer Mitte gegründet worden sind, ein großes geräumiges
Haus vorzuftellen, mit luftigen,
lichten, weiten Räumen,
von
äußerster Sauberkeit, mit allen Bequemlichkeiten reichlich ver
sehen, darin liegen die Kranken in guten Betten; ihr Leid wird
für den Beschauer gemildert durch den freundlichen Anstrich, den ihre ganze Umgebung hat.
16 ist es in dem Lazareth, das
Anders
Das Dorf ist das Lazareth. ville;
jedes
nun,
von
dem Pfarrhause an bis zum Schul
hause, das Gotteshaus nicht ausgenommen, das
zu jämmerliche Räume
nicht gar
nothwendig einem
nun betreten
wir
Sechszig Häuser zählt Vion—
hat,
jedes Haus,
oder das nicht
ein Laza
andern Zwecke dienen muß, ist
reth ; jedes Haus und jede Scheune. — Es ist Lazareth, d. h. es
ist mit
beste
Haus
Verwundeten
ein.
Wir
belegt.
Ein weißes
treten
das
in
rothem
mit
Fähnlein
erste Kreuz
lehrt uns, daß es für Verwundete bestimmt ist.
Ein schmaler
Gang führt in ein ziemlich niedriges Zimmer,
zwei Fenster
nach der Straße.
ein Wirthszimmer
Es ist früher
drum gehört es zu den größeren.
gewesen,
An der Fensterseite
liegen
vier Schwer-Verwundete, an der inneren Seite ebenfalls vier; acht in
einem
Zimmer;
sie
zu
liegen,
ihren Häupten die
Wand, auf ziemlich dünnen Strohsäcken, ohne Bettgestell, auf dem Fußboden;
ihr Kopfkissen
Mit Decken sind sie
ist ebenfalls
gut versehen.
ein Strohkissen.
So liegen
seit
sie
dem
16., es ist heute der 27., auf dem Rücken, ohne sich bewegen zu können oder zu dürfen, denn es ist wesentlich für den Er
folg der Behandlung, daß die verwundeten Glieder in der
selben Lage bleiben.
Unzählbare Fliegen bedecken jedes Bett,
dringen unter die Decken, sind von
den Gesichtern nur für
einen
Fenster
Augenblick
sein —
wegzujagen.
aber die Leute sind
so bleiben sie öfter
und
Die
länger geschlossen,
Die Wunden eitern — welche Luft! besser.
Da ist's
sollen
geöffnet
so empfindlich gegen den Zug, als
sie sollten.
In der Scheune ist
wenigstens zum Theil geöffnet sein, wenn's hell sein soll;
die Granaten,
für Zugluft.
gebahnt.
es
immer luftig, 'denn das Scheunenthor muß und
die das Dach durchlöchert haben, sorgen auch Freilich haben sie ebenso dem Regen
den Weg
Da auch die Fliegenplage hier erträglicher ist, so
hat man die Scheunen steißig belegt;
an der Langseite der
17 Tenne, zu ihren Häupten die spärliche Erndte dieses Jahres,
zu ihren Füßen ein Gang: so liegt in
jeder freien Scheune
eine lange Reihe. — Etwas anders ist's in St. Apolline und
Das sind große Bauernhöfe,
Mariaville.
Sie sind alle in ziemlich
Fermes
gleichem Styl gebaut.
genannt.
Das ganze
Gehöfte bildet ein nach drei Seilen geschlossenes Viereck. man
von der Straße ein, so hat
offenen Schuppen,
rechts
Tritt
man links einen großen
Wirthschaftsgebäude,
vor sich das
Haupthaus, das im Verhältniß zu der Größe des Hofes er
staunlich wenige und kleine Wohnräume enthält.
Im
Wirth
schaftsgebäude hat sich der biedere Jnspector mit dem Lazarethdepot installirt, das rechte Muster
Subalternbeamten;
eines treuen preußischen
beständig fleißig, beständig sorgend, aber
auch beständig knurrend und voll hohen Gefühls von der Wich tigkeit seines Postens.
Der Schuppen rechts liegt voll Kranker,
ein kleiner Theil auf Bettstellen, die in der Eile aus rohen Brettern zusammengeschlagen sind, der größere Theil auf den ge
wöhnlichen Strohsäcken.
In den Nächten muß es recht frisch
da sein!
Im Hauptgebäude hat man die zwei übereinander
liegenden
Speicher
zu
Krankensälen
eingerichtet;
der untere
ziemlich dunkel, der obere unter dem Dache lichter, recht zugig beide; Strohsäcke auf dem schlecht bedielten,
vielfach durchlö
cherten Fußboden bilden auch hier in der Regel die Lagerstätten.
Hier und da huscht eine Maus über den Boden um die Bro samen aufzusuchen, die von dem spärlichen Mahle übrig bleiben, oder sie steckt neugierig lauschend ihr Köpfchen aus dem Stroh
hervor,
wenn der Prediger mit dem armen, wunden Mann
redet und betet.
gab es
manche
In Mars la Tour, einem größeren Dorfe,
schöne Häuser mit luftigen Zimmern, große
Schulsäle, und so lagen die Kranken dort in besseren Räumen, auch häufiger
in Bettstellen.
Freilich
war auch da überall
nur das Nothdürftigste an Raum und Luft und Licht, von dem andern Nothwendigen und Wünschenswerthen ganz zu schweigen.
1*
18 In der Lazarethküche sind zwei cyklopenähnliche, rußige Ge stalten von früh bis spät im Schweiße ihres Angesichts bemüht, die Mahlzeiten für das Lazareth herzustellen. Auch darin giebt
es
nicht
viel
Abwechselung.
Die Regel
ist Reissuppe mit
Fleisch; selten Graupen, noch seltener Bohnensuppe oder Erbsen; dazu
Brod.
Abends wieder eine Suppe.
natürlich die Verpflegung sehr mangelhaft.
Zu Anfang war
Ehe
nach
einer
großen Schlacht die erforderlichen Vorräthe aus den Depots herbeigeschafft werden können, die ja natürlich hinter der Ge
fechtslinie liegen, müssen Tage vergehen, in denen Kranke und
Gesunde ihren Hunger nicht hinlänglich stillen können.
Als das
Lazareth inVionville etablirt wurde, war Reis und Fleisch das
einzige vorhandene Nahrungsmittel;
kochen
Suppe
aber
davon zu
war nicht möglich, weil das Wasser mangelte.
Was
sich für Wasser ausgab, war eine dicke, lehmige Brühe, die sich noch dazu nur spärlich vorfand.
Allerdings besserten sich die
Zustände mit jedem Tage, und als ich Mitte des 20. etwa, in
Vionville eintraf, hatten wir schon Brod und Wein.
Ich erinnere
mich, daß mein erstes Abendessen in Vionville aus Brod, rohem
Speck und einem Stückchen alter Blutwurst bestand, nach welchem solennen Souper
ein Schluck Wein
einem Jeden
zuerkannt
Durch fleißige Requisitionen bei den Depots wurden
wurde.
die Herren Aerzte nach und nach in den Stand gesetzt, ihren
Kranken ein gutes Frühstück und Vesperbrod zu geben, zu wel chem
Wein von allerlei Art,
Eier,
Schinken,
Rauchfleisch,
Sardellen in hinreichendem Maße vorhanden war, so daß nach den ersten Zeiten der Noth eine reichliche und gute Verpflegung der Kranken stattfinden konnte.
Freilich klagten die Kranken
oft: Könnten wir doch nur ein Mal statt der ewigen Suppen Kartoffeln essen oder ein Gemüse. nicht zu denken,
treiben.
—
Aber daran war natürlich
denn Beides war in Vionville nicht aufzu
In den Hauptzügen wird
das vom Lazareth in
Vionville Gesagte auf die meisten Feldlazarethe passen und
1g
so mag man denn nach dem Gegebenen sich das Viele zurecht legen, was über die Lazarethe und aus ihnen gesagt und wohl auch geklagt worden ist.
a) Das Lazarcth. Ausbruch
Beim
lichst
Feldlazareth hat
Das
stituirt.
nahe
Krieges
eines
dem Schlachtfeld
zu
Anzahl
von
zum Feldlazareth
con-
wird
eingezogenen Aerzten
Truppen- oder
die
eine
Aufgabe,
etabliren,
sich
mög
die Verwundeten
vom Schlachtfeld aufzunehmen und sie die ersteZeit hindurch, etwa
6
bis 8 Wochen lang, zu behandeln.
Darnach wird entweder
ein anderes Personal von Aerzten und Hülfsbeamten zur Ueber nahme der noch vorhandenen Verwundeten commandirt, Kriegslazareth",
d. h. in ihrer
ein
oder die
Verwundeten
„Kriegslazareth"
völligen Genesung
„Reservelazarethe"
in
gebracht
werden
„das
„evacuirt",
übergesiedelt, von wo sie zu
die, in der werden.
Heimath
liegenden
Die Leichtverwundeten
laufen diese Stationen rasch durch, von den Schwerverwundeten
dagegen sieht eine gar große Zahl nach langem Leiden
die
Heimath nicht wieder. Im militärisch technischen Sinne versteht man unter „Laza-
reth"
also
das die Verwundeten behandelnde und pflegende
Personal, Aerzte und Wärter.
Das ärztliche Personal besteht
aus einem Chefarzt, einem Stabsarzt und drei Assistenzärzten, zu denen,
am Schlachttage und für die erste Zeit nach der
Schlacht, Truppenärzte zur Aushülfe hinzucommandirt werden.
Eine Leib und Seel verzehrende Arbeit liegt dem Feldlazarethe ob am Schlachttage und in den Tagen, die ihr folgen.
Während der Schlacht und oft — wie bei unserm Laza-
reth — unterm feindlichen Feuer, sammeln sich die Verwun deten im Dorfe, jeder wünscht verbunden zu werden, die Leicht verwundeten, als die am meisten für sich noch thun können,
drängen sich vor,
und
doch gilts den Schwerverwundeten zu-
20 erst zu helfen;
man muß also Hülfe spenden und Hülfe ver
Im Laufe des Tages
sagen.
die Kraft
gen,
Aerzte
der
immer
wird
die Schaar
Begehren nach Hülfe
das
immer dichter,
droht
unter
Ansturm
dem
neue hinzu.
noch strömen
der Wunden
immer dringender, zu erlie
Am Abend ist das
Dorf voll von Verwundeten, die Häuser fassen sie nicht mehr, sie liegen auf den Straßen, in allen Winkeln, in den Scheu nen, Todte und Verwundete in schrecklichem Gemisch.
die sinkende Nacht haben
Bis in
die Aerzte und ihre Gehülfen gear
beitet, ohne Speise und Trank zu sich zu nehmen, endlich sinken
die ermatteten Hände, bedeckt,
suchen sie
in
findet sie schon wieder
Der
an ihrem Werke,
kaum, was sie gearbeitet. Kranken werden,
mit ihren Mänteln
einer Scheune,
eine kurze Ruhe.
Nicht
grauende Morgen
denn noch sieht man
allein verbunden müssen die
auch untergebracht, gebettet, wenn auch
nur
auf Stroh zunächst. Endlich beginnen sich die traurigen Schaa-
ren zu versehen.
lichten,
nun
sind
sie
alle mit
dem
ersten Verbände
Zwölshundert Verwundete hat das achte Feldlazarett)
zu behandeln gehabt, in den Tagen vom 16. an. Mancherlei Gaben
aber
ein
Geist;
treuen, unermüdlichen Pflichterfüllung,
derselbe der die
Geist
der
Leiter unseres
Heeres durchdringt, nach dem leuchtenden Vorbilde des obersten Kriegsherrn: — der unsere Soldaten gelehrt hat, dem sichern Tod
ins Auge zu sehen, unverzagt und unverdrossen: derselbe Geist beseelt auch „die Lazarethe", daß sie unermüdlich aushielten in ihrem schweren, segensreichen Wirken bis zu eigener Erschöpfung.
In St. Apolline hielt das ganze Lazarethpersonal nach sechs wöchentlicher Arbeit
sich
kaum noch aufrecht.
In
Vionville
litten unsere Lazarethgehülfen zum Theil sehr ernstlich an den Folgen des angestrengten, unaufhörlichen Dienstes in der ver
pesteten Luft;
zwei unserer pflegenden Diakonissen mußten wir
als Typhuskranke in die Heimath zurücksenden, keiner war unter uns, der nicht der Natur seinen Zoll hätte bezahlen müssen.
21 Die Ordnung in den Lazarethen
ist nun die, daß jeder
Kranke täglich wenigstens zweimal den Besuch seines Arztes erhält. Des Morgens wird die Wunde verbunden, gereinigt, des Nachmittags nöthigenfalls nochmals besichtigt und das Erforder
liche veranlaßt; immer gab es auf jeder Station mehrere, denen auch
Abends noch eine Visite gemacht wurde.
Aerztlichen Beistand
hatten demnach die Verwundeten weit mehr, als wenn sie zu Hause krank oder wund gelegen hätten.
war es ähnlich beschaffen.
waren auf
Je
nach
Mit ihrer Bedienung der Zahl der Kranken
jeder Station Lazarethgehülfen
Pfleger bestellt,
als
Wärter
und
die während des Tages und der Reihe nach
Nachts warteten und pflegten.
Ihre Zahl war
in der ersten
Zeit der Anzahl der Verwundeten so wenig proportional, daß
von jedem je die zweite Nacht gewacht werden mußte, und daß
doch jedem einzelnen Kranken in dem Uebermaß der Arbeit nicht die
Pflege gegeben werden konnte, die er selbst beanspruchte oder die
wenigstens sein Zustand wünschenswerth gemacht hätte. Da trat denn durch Vermittelung des Johanniter-Ordens die freiwillige
Krankenpflege helfend ein, bei uns, wie überall, wo Hülfe Noth war.
In erster Linie sei dankbar der Kaiserswerther Schwestern gedacht, die in Vionville wie in Mars la Tour und wie bei uns, so aller
Orten, sich mit der hingebendsten Liebe der armen Verwundeten annahmen.
Wie anders sahen die Räume doch aus, in denen
sie walteten, viel sauberer, wohnlicher; still und freundlich tha
ten sie ihr gutes Werk
und
begleiteten es mit so manchem
guten Worte, das es um so angenehmer machte.
Nahm doch
sogar die Küche einen mächtigen, leider nur kurzen Aufschwung
unter ihren sorglichen Händen.
Kein Wunder, daß die Stim
mung der Verwundeten eine „bessere" in jedem Betracht war, wo Schwestern pflegten.
Denn der Verwundete will, spricht er
es auch nicht aus, herzliche, liebevolle, ja zarte Theilnahme für sein Leid.
Nicht Alle
verstehen diese Theilnahme
aus
dem,
wenn auch regen, so doch immer knappen Verkehr der Aerzte
22 mit ihnen herauszufinden, weniger noch
aus der ihrer Natur
nach geschäftsmäßigen Behandlung ihrer militärischen Kranken
wärter.
Daher fühlen sie sich leicht verletzt und nicht gut be
handelt.
Es ist Gefahr vorhanden, daß sich eine bittere Stim
mung in ihrer Seele festsetze, die,
wie sie ihrem körperlichen
Befinden sehr nachtheilig ist, in noch höherem Grade ihr gei stiges Leben schädigt,
indem sie ihre Gedanken in den Kreis
ihres Leides und ihrer Entbehrungen bannt, und sie zu keiner
Erhebung des Gemüthes über dieser Zeit Leiden kommen läßt. Da ist denn „die Schwester"
der redende, ja mehr noch der
thätige, nie ermüdende Beweis, daß das Leid Liebe findet; ihr
Walten, in sanftem stillem Geiste, bannt manchen bösen Geist und thut das Herz der ewigen Liebe auf, von deren Licht auch
durch sie ein Strahl in dieses Elend fällt. Mit dankbarem und doch traurigem Herzen nahmen unsere letzten Verwundeten Abschied
den
von
Schwestern („Schwesterchen"
wurden
sie
zärtlicher
Weise genannt), als diese von uns nach Mars la Tour abge
rufen wurden und viele herzliche Grüße habe ich hin und her tragen müssen zum Zeichen steter Theilnahme von der einen und
inniger Dankbarkeit von der andern Seite.
Katholische Schwestern habe ich nur an einem Orte Pflegen
sehen.
In St. Apolline befanden sich zwei;
die eine besorgte
die Küche, die andere ging pflegend durch die Kranken hindurch, auch sie der Liebling ihrer Pfleglinge.
mir immer ein Bild im Sinne bleiben.
Aus St. Apolline wird Es war da ein Ver
wundeter, dem beide Arme zerschossen waren.
Er mußte unbe
weglich liegen und sich allen und jeden Dienst thun lassen. Daß
er oft gedrückten Gemüthes war, in so vollkommener Hülflosigkeit, kann man denken.
Bei ihm kniete ich eines Abends, als
die Schwester mit der Suppe kam und freundlich zuredend ihn
fütterte, wie eine Mutter ihr Kind.
Da suchte ich ihm den
Gedanken, der mir selbst so lebhaft kam, lebendig zu machen:
daß Leid Liebe findet.
Rechts die katholische Schwester,
links
23 der evangelische Pastor, beide aus weiter Ferne an diesen Ort gekommen und bemüht, ihm das Beste zu zeigen und zu weisen, was Gott dem Menschen gegeben hat.
Ort!
sprach er es aus:
alle Liebe, die
Ja,
ich kann Gott nicht genug danken für
Das sind aber gesegnete
erfahren habe.
ich
Stunden für's Leben, in der den Bann
von
so Alle an dem
Und
Dein Leid macht dich reich an Liebe. Bewegten Herzens
des
denen man den lebendigen Eindruck Leides
durchbrechenden
Macht
der
Liebe hat.
Ein reicher Strom von solcher segnenden Liebe ist durch
evangelischen,
die
wie
gesegneten
und
durch die
katholischen
Schwestern in die Oede des Leides geleitet worden,
diesem Kriege.
in unserm Volke die reiche Gabe Gottes
Zeit
auch
in
Es ist eine Freude, wohin man sieht zu dieser und die treue
Arbeit der Menschen in ihr zu erkennen; die friedsame Frucht der Gerechtigkeit im Leiden zu finden,
ein
fröhliches Zeichen,
daß wir dadurch geübet worden sind.
Die Schwestern aber sind nicht allein unsere Gehülfinnen gewesen, auch freiwillige Krankenpfleger hatten sich eingefunden.
Es waren ihrer gekommen zur Freude der Aerzte und sie waren zu noch größerer Freude derselben;
Wärter
die nicht warten, Pfleger die nicht pflegen wollten,
sondern
wieder gegangen
thun, was einem jeglichen unter ihnen wohlgefiel.
Aber auch andere fanden sich ein. gleich
kam
Vionville.
Ungefähr mit mir zu
eine Abtheilung der sächsischen Felddiakonie nach Sie war
in sich militärisch
organisirt unter Rot
tenführern und Commandanten, uniformirt, jeder hatte sich dem Vorgesetzten zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Nachdem sie in
Pont-a-Mousson und in Gorze
gewesen waren,
ohne Ar
beit zu finden, waren sie nach Vionville und in die umliegenden
Lazarethe gekommen; sie waren von großem Nutzen. Sie thaten
ordentlich Wärterdienste, auch alle Wärterdienste ohne Murren und ohne Zweifel,
sie hatten allerlei für die Kranken mitge-
24 bracht, Briefpapier, Couverts u. dergl., vor Allem Bücher, durch sie haben
unsere Kranken die
erste
Seetüre bekommen.
Es
waren Studenten unter ihnen, Geistliche, Techniker, Leute aller
lei Art, eins in dem redlichen Willen, was in ihren Kräften stand.
zu dienen mit Allem,
Eine wackere Schaar,
an
man, hätte man es noch nicht gewußt, sehen konnte, wie und wie sehr durch feste Organisation,
der nur
durch möglichst mili
tärische Disciplin die begeisterte Hingebung fruchtbar gemacht wird.
Denn eine gewisse Unstütigkeit und Fahrigkeit, die ich
auch an ihnen zu bemerken glaubte,
begann genau an dem
Punkte, wo ihre Organisation sie im Stiche ließ. Nur einen unorganisirten freiwilligen Krankenpfleger,
der
dem rothen Kreuz zur Ehre gereichte, habe ich arbeiten sehen, der aber war in
sich höchst lebensvoll organisirt.
liebender und pflegender Freund, ein sorgfältiger,
Ein treu
eifriger und
überaus geschickter Pfleger seiner Station, ein talentvoller Archi tekt: durch seine unverwüstliche Laune
die Würze unserer fru
galen Mahle, — war es unter uns Gegenstand des Streites,
ob er als Mensch und Meister der edeln Baukunst größer sei, oder als Mensch und
Jünger der edeln Heilkunst.
Er durste
als Lohn seiner Arbeit seinen genesenden Freund nach B. zu rückführen.
pfunden.
Unser Lazareth hat seinen Verlust schmerzlich em
Unser Lazareth! ich werde immer stolz darauf sein,
ihm angehört zu haben, dem tapfern, treuen,
fröhlichen,
dem
gewissenhaften 8. Feldlazareth, III. Armee-Corps.
b)
Die Lazarethgemeinde.
Die Gemeinde „unterm Kreuz."
Wenn ich nun den Leser in die Gemeinde einführen will,
der ich mit ganzem Herzen gedient habe,
bis sie, wie sie von
allen Seiten wieder an dem Ort zusammen gekommen war, so auch nach allen Seiten auseinander ging, ach, wohl der größte Theil
um die liebe Heimath, das Ziel so manchen heißen Wunsches, so manchen innigen Gebetes, nicht wieder zu sehen, sondern um
25
Wenn ich also
in der Fremde ein einsames Grab zu finden.
dich einlade, lieber Leser, mir zu folgen auf meinen Gängen, so thue ich
das mit nicht leichtem Herzen.
Alles kann und
darf ich dir ja doch nicht zeigen und sagen — wohl das Beste
nicht; mit gar zu lebendigen Zügen mag ich das Eigenthümliche
dieser Gemeinde, einer Gemeinde „unterm Kreuz", nicht vor Augen malen; ich liebe die Schaustellung des Leides nicht und
nicht die Wirkung, die man mit ihr erzielt.
Volk,
Doch es ist unser
was in der
dort unterm Kreuz lebt und leidet,
was
Stille gewaltige Kämpfe
kämpft
und
große Siege
gewinnt.
Was aber draußen von unserm Volke gelebt wird, das sollen
geblieben miterleben;
die zu Hause
sie sollen mitfühlen das
Leid, das oft so unsäglich schwer auf unsern tapfern Brüdern
liegt, damit sie nicht müde werden darzubringen, was des Leides Bürde erleichtern kann.
Ein Bemitleiden, ein weichliches, fast
unwilliges Beklagen der Opfer des Krieges ist weder derer, die kämpfen, werth, noch derer, die daheim bleiben.
Wie jene sie
gen durch ihre männliche Ausdauer, so muß gleiche Ausdauer in unserer Opferwilligkeit sein.
Wie müßten wir uns sonst vor
ihnen schämen, die ihr Alles daran setzen,
um uns Alles zu
bewahren,
was
unser Stolz, und zu gewinnen,
Sehnsucht
ist.
Wir sollen
frommen Sinn,
uns
erbauen
an
was unsere
dem tapfern,
den jene in ihrem Streit und in ihrem Leide
gewinnen und beweisen, und so uns erheben zu desselben Sinnes
Herrlichkeit.
Nicht vergeblich dürfen wir die Gnade Gottes em
in dieser schweren, schönen Zeit zu leben.
pfangen,
Was an
ihr erwacht ist in unserem Volke, mit aller Macht müssen wir
es festhalten,
daß es
eine bleibende Errungenschaft unserm
Volksleben sei, ein sicheres Erbtheil uns und unsern Kindern
nach
uns.
Darum
müssen
Alle
Alles
mit leb en,
denn
nur was wir selbst erleben, das haben wir selbst; und was wir
können, an ihnen sehen wir's, das sollen wir.
eine der
Mir ist es
größten Freuden meines Lebens, daß ich mein Theil
2
26 gesehen habe—und hoffentlich recht gesehen habe — von dem Gro
ßen, das jetzt geschieht, und daß ich, wenn auch nur ein sehr
bescheiden Theil unmittelbarer Arbeit habe thun dürfen an dem Werke, das Gott unserm Volke auszuführen gegeben hat.
weil ich erfahren habe,
Und
wie man in solcher unmittelbaren, le
bendigen Theilnahme selbst wächst, so habe ich darin die Berech tigung, ich darf wohl sagen, die Aufforderung gefunden, den
Leser mitleben zu lassen, was ich erleben durfte— so weit das
angeht. Eine einförmigere Gemeinde, dem Anschein nach, giebt es wohl
nicht, als diese Gemeinde unterm Kreuz. Fast alle ihre Glieder sind desselben Alters, gleicher Bildungsstufe, in gleicher, bedauernswerter Lage.
Mehr oder weniger schwer verwundet, mehr oder we
niger Schmerz, mehr oder weniger nahe dem Tode: das scheint
der einzige bemerkenswerthe Unterschied unter ihnen zu sein. Wie eigenthümlich aber in ihrer Einförmigkeit.
meinde von Leidenden!
Was uns, wenn wir's im
Eine Ge einzelnen
Falle unter uns sähen, mit dem tiefsten Mitleid erfüllen würde:
hier sehen wir es tagtäglich; den ganzen Tag bewegen wir uns unter der viel hundertfachen Form des einen unerhörten Leides. Da ist kein Glied des menschlichen Leibes, das nicht Verstüm melungen erlitten, das nicht tödtliche Verletzungen erhalten hätte,
die die Genesung bedenklich, ach, nur zu oft mehr als bedenklich machen.
Nur Wenige haben das vielbeneidete Glück, sich auf
ihrem Lager bewegen zu können..
Die meisten müssen in der
selben Lage verharren, nicht Tage, sondern Wochen lang.
Die
Wochen wollen kein Ende nehmen, die Tage sind gar so lang, die Nächte, sind sie!
die schmerzerfüllt durchwachten Nächte,
wie
lang
Immer keine Aenderung, keine Aussicht, das Schmer
zenslager verlassen zu können. Zu Anfang ging's so gut — wird das Bein, der Arm amputirt werden müssen?
Die Kamera
den, die spät amputirt worden sind, hat man — wohl Alle — hinausgetragen zur Ruhestätte im fremden Land. Die hoffnungs-
27 vollste Aussicht für die überwiegende Mehrzahl der Gemeinde ist die, als Krüppel,
zu können.
als elende Leute ins Leben zurückkehren
Gegenwart und Zukunft gleich dunkel.
Wie anders sah sich das Leben an, als sie jubelnd an un
sern Städten und Dörfern vorüberzogen, Helle Siegesfreude und
Zuversicht im Herzen.
demüthigen!
„Nach Paris", den stolzen Feind zu
Den Weg habt ihr frei gemacht; Andere ziehen
die Bahn des Sieges, ihr „wandelt im dunkeln Thal."
Und so jung sind sie;
die Jugend leidet so ungern,
ihr
wird's doppelt schwer, auf das Leben zu verzichten, das erst beginnen soll. — Wie würde die Mutter sie pflegen, wären sie daheim, die lieben Schwestern, oder — o brich nicht, Herz —, das treue Weib.
Jetzt, wie sorgen sie und zergrämen sich! auch
ihren Schmerz trägt der arme, wunde Mann und verbirgt, was
er leidet in seinem Herzen, den Leidensgenossen,
weich mache.
damit er nicht schwach scheine vor
damit die ausgesprochene Klage ihn nicht
Denn er muß und will ein starkes, festes Sol
datenherz bewahren, wie es sich ziemt.
So plötzlich ist es anders geworden!
Aus dem aufregen
den, alle Thätigkeit auf das höchste anspannenden Kriegsleben,
aus dem sinnverwirrenden Toben des Kampfes, heldenmüthigem Draufgehen streckt.
mitten
aus
hat die tückische Kugel ihn hinge
Thatlos, wehrlos preisgegeben dem Ansturm der Feinde,
den feindlichen Kugeln, die auch jetzt noch ihr Opfer zu suchen scheinen, so dicht, so unaufhörlich schlagen sie überall neben ihm
ein.
Schreckliche Stunden.
Aber Gott hat das heiße Gebet
— das erste vielleicht nach langer Zeit — erhört und gnädig lich bewahrt vor weiterem Schaden.
gekommen.
Endlich, endlich ist Hülfe
Aus dem Sturm gerettet und auf einer Sandbank
gestrandet, ringsum das Meer — noch steigt die Muth. Wird sie
dich wegschwemmen —wird sie verlaufen und der rettende Kahn dich an das Land des Lebens zurücktragen? geschlagen.
Jetzt
Die Schlacht ist
gilt's einen täglich neuen Kampf
auf dem
28 Schmerzenslager
kämpfen
mit
Leid
und
Noth
von
außen,
mit den muthlosen, zaghaften Gedanken von innen: Wer wird siegen?
Wer die Schlachtfelder gesehen hat, auf denen unsere Trup pen gekämpft haben, der muß ihre Tapferkeit bewundern, aber
nur der kennt ihre Tapferkeit recht, der sie in den Lazarethen
gesehen hat.
die Tapferkeit entzünden:
Dort hilft Alles mit,
das Gebot der Pflicht und der Ehre,
der zornige Muth, das
Beispiel der heldenmüthigen Führer, die Gemeinschaft der tapfe
ren Kameraden,
der Geist des Heeres und Volkes,
von dem
der Einzelne beherrscht und getrieben wird; vor allem das Be wußtsein, daß das Aufbieten aller Kräfte in kurzem, denden
Ringen
den Sieg bringen muß.
Hier,
entschei
wie anders!
Diesem Feinde ist nicht mit einem Aufraffen, nicht mit einem noch so gewaltigen Aufschwung beizukommen.
Jeden Morgen ist er
neu; ja, immer gewaltiger stürmt er auf den Kämpfer ein, je länger der Kampf währt.
Hier sind keine Ehren zu erkämpfen,
wie niederdrückend wirkt die Atmosphäre von Elend und
und
Leid,
in der man athmen
muß.
Hier gilt es die moralische
Tapferkeit, ein gefaßtes, gelassenes Herz, ein festes Gemüth, den ernsten Willen haben, Leid und Schmerz nicht Herr werden zu
lassen über sich, Lebensmuth und Zuversicht zu bewahren,
Gedanken nicht
gefangen
nehmen
nicht nur passiv zu sein, sondern in der Passivität Activität zu entfalten. Gott zu dringen,
die
zu lassen unter dem Leid;
die höchste
Ja die höchste: leidend unter Gott zu
voll Zuversicht,
daß so auch diese
Zeit
ihres Schreckens entkleidet und mit Segen geschmückt werden
könne. Wie hat es mich gedemüthigt und erhoben, diese Tapferkeit bei unseren Soldaten zu
Grade.
finden!
Natürlich
in verschiedenem
Aber unter allen deutschen Soldaten, die ich gesehen,
habe ich keinen gefunden, der verzagt gewesen wäre in diesem
Kampfe,
—
nicht
Einen,
den
sein
Leid
verbittert
hätte
29 in seinem vor
Wie ten
Gemüthe,
der unwillig
den Andern dieses die sie
lauten
Leid
Helden erschienen sie.
den
Schmerz
Klageton,
der
gemurrt hätte,
und in
Mit
zu ertragen, gute
Muth,
dem
Maße
würdiger
ihn
Ruhe
wuß
hörte man einen
selten ja
daß
getroffen.
der
Humor
ging
ihnen nicht aus. Wie so ganz anders ist ihr Wesen, als das der
verwundeten Franzosen.
Während die Franzosen sich
unge
berdig stellten, schrieen und klagten, scherzten die Unsrigen, und
wenn's zu hart wurde, bissen sie die Zähne zusammen schwiegen still.
Während die Franzosen auch
und
darin untergin
gen in ihrem Schmerz, daß sie ihr Aeußeres gräulich vernach
lässigten, hielten die Unsrigen bis in ihre letzten Stunden auch auf die Sauberkeit ihrer äußeren Erscheinung;
sie
erschienen
darin wirklich wie die höhere Race gegenüber einer niedrigeren.
Doch damit man nicht glaube, mein Urtheil sei parteiisch, will ich gleich hinzufügen, daß auch der Cure von Vionville dieselbe
Bemerkung gemacht, und als etwas ihn sehr Befremdendes aus gesprochen hat:
daß unsere Verwundeten, deren er sehr Viele
gesehen hat, so viel fähiger seien, geduldig und männlich
Schmerz zu ertragen, als seine Landsleute.
den
Der aber, ein Fran
zose durch und durch, litt gar nicht an Voreingenommenheit für die deutschen Soldaten.
Die harte Prüfung, die so plötzlich über sie gekommen, traf
gesammelte, ernste Gemüther,
die sich bewußt waren, daß es
auch hier gelte, Probe zu halten und eine Aufgabe zu lösen, werth, daß sie ihre letzte Kraft daran setzten.
Und
das
Be
wußtsein, im Leid, nicht bloß das physische Leid, sondern eine von Gottes Hand ihnen gestellte Aufgabe
auch ihnen den Segen,
zu haben, brachte
den die Erkenntniß,
Rechtes sollen und wollen, uns Allen bringt:
daß
eine
wir etwas
gehobene,
kräftige Seelenstimmung, das Bedürfniß nach vermehrter geistiger Kraft, nach Trost und Hülfe Gottes. Richt Alle, die Wenigsten unter ihnen, waren religiös angeregt, — wie wenige Menschen
30 sind das überhaupt in solchem Mer und in solcher Umgebung;
aber weitaus die Meisten fühlten, was ihnen fehle und waren
willig zu werden, was Gott aus uns machen will. Wer will alle einzelnen Kräfte aufweisen,
aus deren Zu"
sammenwirken das wunderbare Räthsel entsteht, das wir Leben
nennen — es selbst und die wechselnde Gestalt, in der es uns
erscheint? Factoren
So will auch ich nicht versuchen, im Einzelnen die
auszusuchen,
Kreuz-Gemeinde war.
deren Produkt
die Stimmung meiner
Wird ja Niemand,
was er nicht ist,
und kommt man also immer wieder auf die Art zurück, die
Gott uns Germanen nun einmal gegeben hat vor den andern
Zweierlei aber erschien mir
Geschlechtern der Menschenkinder.
mehr und mehr als den Geist meiner Gemeinde bestimmend,
zwei allerdings disparaterscheinende, aber doch so weit nicht auseinander liegende Mächte, die Erinnerung und die Dis ciplin.
Beide
führen auf geradestem Wege den Seelsorger
an das Herz seiner Pfleglinge und, erlaube ich mir hinzuzufü
gen, nicht in den Lazarethen allein. Die eine gibt zunächst ihrem
Erinnerung und Disciplin!
Leben den Inhalt, die andere die Form.
der knappen geistigen Nahrung,
In der Ferne,
die sie meistens
in
zuerst haben,
in ihrer plötzlichen Jsolirung aus einem so bewegten Leben, in der freudlosen Gegenwart, der
über, flüchtet sich die müde,
beängstigenden Zukunft gegen unruhige Seele zunächst:
heim!
Die Erinnerung an den Abschied, der Brief, den er schreibt,
die Entbehrungen, die er leidet, das Bedürfniß nach Liebe: wie kann
man die tausend Fäden nennen, die das Gedächtniß der Verwun
deten in die Heimath ziehen. Und umfangen ihn erst die Heimathsgedanken, wie strömen da
in reicher Fülle Erinnerungen voll
Liebe und Leben auf sein Herz zu; ein schöner, heiliger Strom. Der läßt das Herz im harten Leben nicht
hart werden, im
entbehrungsreichen nicht arm, denn in der Heimath wohnt ihm
reiche, treue Liebe.
Da werden alle Gestalten liebliche, tröstende
31 und erquickende Mächte. Unter ihnen lebt er wie in einem an
dern Lande, von dem er in die rauhe Wirklichkeit das gehobene Bewußtsein, die fröhliche, kräftige Stimmung mitbringt, die unser Aller Herr wird, wenn wir fühlen, daß wir treu und innig geliebt
werden.
Das wäre schon allein eine nicht genug zu preisende den sie dem Leben
Frucht der Erinnerung, ein reicher Inhalt, gibt.
Aber einmal
stehend:
unter
erst
immer reicher
der
Erinnerung
wird er an neuen, alten Eindrücken^
die Blumen nur,
Nicht
Macht
der
die er in
seinen
Feierstunden
im
Gärtchen vor seines Vaters Fenster gepflanzt hat, nicken ihm
freundlich zu und erfreuen ihn jetzt, wie damals den alten Va ter;
auch das einfachste Wort der Mahnung, das der Vater
zu ihm geredet und das er selbst damals vielleicht kaum gehört, sicher nicht sehr hoch angeschlagen hat, jetzt tritt's ihm ernst und
treu vor die Seele und er sucht etwas daraus zu machen. Das
Gebet, das ihn die Mutter gelehrt, es kommt ihm kaum aus
dem Herzen.
Alle Beziehungen, die christliche Erziehung und
christlicher Unterricht in seiner Seele angebahnt haben, die das
Leben zwischen Eonfirmatton und diesen Tagen übertönt haben: die Erinnerung macht sie wieder lebendig, sie verlangen, sie drängen
Ein Schatz von göttlicher, trostreicher
nach ihrer Vollendung.
und bildender Wahrheit liegt unverstanden
Schatz von Liedern,
Gebeten,
in der Seele, ein
Sprüchen, Katechismusworten;
unverstanden, zum größten Theile, weil unerprobt, und uner probt, weil bis dahin auch ohne jene Wahrheit das Leben leid lich verstanden und leidlich gestaltet werden konnte.
einem Schlage Räthsel
des
stehen
Lebens
mit der schwersten
vor
der
geängsteten
Nun mit
Lebensaufgabe die Seele.
Wie viele
Fragen! Als Antwort aber tönen aus dem Grunde der Seele,
wo sie im Verborgenen schliefen,
die bekannten und doch jetzt
erst erkannten Stimmen aus der Jugendzeit wieder, nun gilt's erproben und den Besitz erwerben.
schlaflosen Nacht,
mancher
stillen,
Das ist die Arbeit mancher schmerzlosen,
wie mancher
32 die keinen anderen menschlichen
schweren leidensvollen Stunde, Zeugen hat, als den Prediger.
darin ist unser
Denn auch
Soldat von feinem, guten Herzen,
daß er still und wie ver
schämt um das Heiligste wirbt und es besitzt. Wenn
ich
als
zweiten
Lebens „die Disciplin"
der Erklärung,
wichtigsten Factor des Gemeinde-
ich damit
daß
so bedarf
nannte,
im technischen Sinne meine.
es eigentlich nicht
nicht die militärische Disciplin
Die ist nur eine
Form dessen,
was ich unter Disciplin hier verstanden wissen will.
Ich will
das Wort nach seinem ursprünglichen Sinn verstehen, wo
es
Zucht des Geistes unter dem Gesetz, sei es nun dem moralischen,dem Gesetz im gewöhnlichen Sinne, sei es dem logischen, der Methode,be
deutet.
In diesem Sinne Disciplin zu haben, ist der Vorzug
der germanischen Race, unter den verschiedenen Verwandten sind
die Deutschen die Disciplinirtesten,
und unter den Deutschen
Sehen wir, welch' einen
wohl die Preußen.
ausgesprochenen
Charakterzug unser Leben dadurch annimmt.
Für die beiden disciplinirenden Hauptmächte halte ich die
Schule und das Heer und bin also in gewissem Sinne sehr ein verstanden mit dem Worte: Preußen sei das Land der Schu
len und der Kasernen; wir wären nicht, was wir sind, wenn eins von Beiden weniger häufig und weniger es selbst wäre, als es ist.
Schule und Heer, jedes in seiner Art, geben unserm Volke
einen tüchtigen Schatz von „Können" weiter auszuführen brauche. geschätzt werden muß,
mit;
was ich ja nicht
So hoch aber dieses Können auch
die Hauptwirkung, die sie ausüben auf
unser ganzes Volk liegt darin, daß sie es zum ziehen.
„Sollen"
er
Dem Gesetze sich unbedingt hingeben, eine heilige Ach
tung vor ihm haben, das hat jeder ordentliche Mensch gelernt, der durch die Dem
Gesetze,
Schule und
d. h.
dem
das Heer
hindurch
gegangen ist.
Nothwendigen, Allgemeinen,
dem
Idealen, der Idee, der Ordnung Gottes, je nachdem es Einer zu fassen vermag
seiner Art
und
ihrem Werthe nach;
mehr
33 oder weniger in freier,
sittlicher Unterordnung,
nur aus äußerem Zwang.
selten Einer
Denn Keiner ist, der nicht in der
langen Zeit, die er unter der Zucht des Gesetzes zubringt, in
den Conflikten,
in die er kraft der ihm anbornen Autokratie
gelüsten mit ihr geräth, selbst die Erfahrung macht,
wie för
dernd für ihn, wie nothwendig für das Ganze diese Zucht des Gesetzes ist.
Diese tiefe, innige Ueberzeugung ist wie zu einer
heiligen Gewöhnung geworden.
Lächerlich
und ruchlos würde
der Soldat seinen Kameraden erscheinen, der sich von diesem Gesetze dispensiren wollte.
Selbstverständlich
ist es,
daß sie
das, was sie im gegebenen Augenblicke sollen, auch wollen und es versuchen, bis es gelingt. Unsere Schlachten sind weniger ge
wonnen durch Begeisterung, als durch das Pflichtgefühl.
hin mußten wir,
so kamen wir
auch dahin;
D a-
die Position
wurde uns gezeigt, sie mußte genommen werden, so wurde sie genommen.
Bleibt die Compagnie nicht vor dem Gehöft, der
Rest findet sich jedenfalls
im Gehöft wieder zusammen.
erzählen die Verwundeten als etwas
Das
ganz Selbstverständliches.
Sie wissen sich nichts damit, sie legen damit das beste Zeugniß dafür ab, daß das sie Treibende das Pflichtgefühl war; dasGebundeusein im Gewissen an das Gesetz.
Mars la Tour aufgehalten werden.
Der Feind mußte bei Da stürmten die tapfern
Reiterschaareu wieder und wieder auf die gedrängten feindlichen Jufanteriemassen ein, ein jeder Mann in seinen sichern Untergang,
und sie thaten es immer auf's Neue, ohne Murren und ohne Zweifel.
Begeisterung war das nicht, was sie trieb, aber das
Gebot der Pflicht.
Freilich wäre das Gesetz ihnen in anderer
Verkörperung entgegengetreten, wären nicht unsere Officiere die Muster der Hingebung an das Gesetz gewesen, so möchte doch
die
harte Probe
nicht mit diesem Glanze
sein, wie sie es jetzt ist.
Aber,
bestanden
worden
„wer hätte zurückbleiben kön
nen — sagten die Verwundeten mir so oft
—
wenn unsere
Officiere voranstürmten, als gäbe es keine Kugeln."
34 aus dem Felde verwundet in das
Wenn nun die Tupfern
Lazareth gebracht werden,
da mag allerlei verwundet,
gestört
und zerstört worden sein, aber das Gewissen ist es nicht. Das
ist unbefleckt und unverletzt geblieben und die Erregung aus sei ner letzten starken Action ist geblieben,
es
fühlt sich
als den
Herrn der Situation. Seine Arbeit ist ja noch nicht gethan.
Schmerzenslager,
Sollen.
dem
Sterbebette
Auch hier auf dem
vielleicht,
gilt
es
ein
So ist auch der Verwundete bereit zu fragen: was
soll ich, was muß geschehen?
auch
in seinem Leid ein Gebot
Gottes zu erkennen und willig es zu erfüllen.
Man zeige ihm
nur das Gesetz dieser seiner Lage, so daß es ihm evident wird,
als ein rechtes Gesetz für ihn, er wird sich darunter stellen und treulich arbeiten, bis auch hier ist
geschehen soll.
und geschieht, was sein und
Wie verlangt sein Herz nach dem Halt eines
sichern festen Gesetzes, nach einer Aufgabe in dieser öden Zeit, nach einem Weg aus all dem Jammer und der Noth.
Von
dem: „das Unvermeidliche mit Würde tragen", zum Sorgen,
daß dieser Zeit Leiden nicht vergebens ihm aufgelegt sein möch ten, bis zum „Sein Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfol
gen": Laßt nur das Gesetz des Lebens Leben vor ihm werden! wie er seinem Führer folgte bis in den Tod,
er wird auch
Euch folgen, und wird auch die letzte, steile Höhe muthig gewin nen, von der seine Augen das Land der Verheißung sehen.
Die Seelsorge in -en Lazarethen. Daß Lazarethprediger nicht überflüssig sind, wäre wohlun-
nöthig zu behaupten, wenn nicht, wie ich zu meinem Erstaunen gehört habe, das Gegentheil zuversichtlich wäre ausgesprochen worden.
So sei daran erinnert, daß die Divisions- und Feld
prediger bei ihren Truppen bleiben müssen, und daß es also.
34 aus dem Felde verwundet in das
Wenn nun die Tupfern
Lazareth gebracht werden,
da mag allerlei verwundet,
gestört
und zerstört worden sein, aber das Gewissen ist es nicht. Das
ist unbefleckt und unverletzt geblieben und die Erregung aus sei ner letzten starken Action ist geblieben,
es
fühlt sich
als den
Herrn der Situation. Seine Arbeit ist ja noch nicht gethan.
Schmerzenslager,
Sollen.
dem
Sterbebette
Auch hier auf dem
vielleicht,
gilt
es
ein
So ist auch der Verwundete bereit zu fragen: was
soll ich, was muß geschehen?
auch
in seinem Leid ein Gebot
Gottes zu erkennen und willig es zu erfüllen.
Man zeige ihm
nur das Gesetz dieser seiner Lage, so daß es ihm evident wird,
als ein rechtes Gesetz für ihn, er wird sich darunter stellen und treulich arbeiten, bis auch hier ist
geschehen soll.
und geschieht, was sein und
Wie verlangt sein Herz nach dem Halt eines
sichern festen Gesetzes, nach einer Aufgabe in dieser öden Zeit, nach einem Weg aus all dem Jammer und der Noth.
Von
dem: „das Unvermeidliche mit Würde tragen", zum Sorgen,
daß dieser Zeit Leiden nicht vergebens ihm aufgelegt sein möch ten, bis zum „Sein Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfol
gen": Laßt nur das Gesetz des Lebens Leben vor ihm werden! wie er seinem Führer folgte bis in den Tod,
er wird auch
Euch folgen, und wird auch die letzte, steile Höhe muthig gewin nen, von der seine Augen das Land der Verheißung sehen.
Die Seelsorge in -en Lazarethen. Daß Lazarethprediger nicht überflüssig sind, wäre wohlun-
nöthig zu behaupten, wenn nicht, wie ich zu meinem Erstaunen gehört habe, das Gegentheil zuversichtlich wäre ausgesprochen worden.
So sei daran erinnert, daß die Divisions- und Feld
prediger bei ihren Truppen bleiben müssen, und daß es also.
85 wir wollen einmal sagen, ein Zufall ist, wenn einer oder auch mehrere solcher Feldgeistlichen in der Nähe von Lazarethen sich befinden und sich längere Zeit dort aufhalten, ein Zufall, der allerdings wohl vorkommt, auf den zu rechnen aber höchst thö richt und gewissenlos wäre. Die Lazarethe für die Schwerver wundeten sind, was die siegende Armee angeht, auf den Schlachtfeldern, oder so nahe daran als möglich. Die Armee aber verläßt diese Gegenden, um dem abziehenden Feinde zu folgen und mit ihr, wie gesagt, ziehen die Feldgeist lichen; wer bleibt nun in den Lazarethen? Vorübergehende Besuche von Geistlichen sind wenig nütze. Wer den Ver wundeten eine Stütze sein will auf ihrem schweren Wege, auf den müssen sie sich auch stützen wollen, d. h. sie müssen ihm vertrauen und ihn deshalb kennen. So große Ach tung man auch in der Armee für die Prediger hat um ihres Amtes willen, — manche liebe Gemeinde könnte sich ein Exempel daran nehmen — um des Amtes willen würde sich ihnen schwerlich manches herz aufthun, und was wollen sie wirken ohne das? Nach den heiligsten Beziehungen und Re gungen meines Herzens darf nur der fragen, der mein vollstes Vertrauen hat; hat er es nicht und thut er es doch, so ist das einfach eine Anmaßung, um nicht zu sagen eine Frechheit; die ja auch in den meisten Fällen durch Stillschweigen, ablehnende Antwort, äußerliches Ja sagen abgewiesen wird und die böse Folge hat, zarte Scheu in ein ängstliches „Auf der Hut sein", in Mißtrauen umzuwandeln. Tie Inquisition hat sich als das schlechteste Mittel zur Ausbreitung des Glaubens bewiesen, und etwas Inquisitorisches müssen diese stoßweisen, seelsorgerischen Bemühungen und Versuche ihrer Natur nach an sich tragen, was nicht weiter ausgeführt zu werden braucht. Es bleibt also nur übrig, ständige Geistliche in die Lazarethe zu schicken, die dort bleiben, so lange Kranke in den Lazarethen sind und dann heim gehen, um andern, frischen Kräften Platz zu
36 machen, oder in einem neuen Lazarethe dieselbe Arbeit zu be
ginnen. In richtiger Würdigung dieser Verhältnisse hatte die oberste geistliche Militärbehörde vor dem Beginn des Krieges für jede
Armee einen Lazareth-Ober-Prediger ernannt und jedem eine Anzahl von Lazareth-Predigern zugetheilt, die in die einzelnen
Lazarethe,
je nach
Bedürfniß, geschickt wurden.
Sie waren
genommen aus der großen Anzahl der Geistlichen, die sich ge
meldet hatten,
aus
größeres Bedürfniß, konnte.
der
zu jeder Zeit
die Lücken ausgefüllt,
als das vorausgesehene besriedigt werden
Die Aufgabe der Lazareth-Prediger ist nun, die Seel
sorge in Lazarethen zu üben, und zwar, der Natur der Sache nach — da von Predigen und Ansprachen nicht viel die Rede
sein kann, — das, was man technisch „specielle Seelsorge" zu nennen pflegt.
Wenn ich nun von der Art, wie sie unter unsern kranken und verwundeten Soldaten getrieben wird, etwas sagen will,
so leitet mich dabei
vor
Allem
der Gedanke,
daß das Volk
daheim ein Recht hat zu wissen, wie seine Angehörigen draußen
„es" nach dieser Seite hin „haben." Ich kann zwar nur von meiner
Art, die Dinge zu sehen und meine Dinge zu thun reden, aber da keine wesentlichen Differenzen in unserer Art zu wirken uns
zum Bewußtsein gekommen sind, so darf ich wohl glauben, ein im Wesentlichen getreues Bild
von der Wirksamkeit zu geben,
die wir Lazareth-Prediger auszuüben Alle redlich und treulich
bemüht waren.
Wenn ich vorhin sagte: „Seelsorge üben", so meine ich das
Wort im weitesten Sinne, in der humansten Bedeutung. Alles, was
die Seele erheben kann über das Sichtbare ihr zusühren,
Alles, leiblichen
was
das geistige Leben stärken kann
Noth
gegenüber der
und ihrem Schwergewicht, mittheilen — von
dem Geringsten an bis zur „vollkommnen Gabe", je nachdem
37 die Seele es fassen und in sich aufnehmen kann: das hielten
wir für unsere Aufgabe.
Wer nun kein niedriger Bettler ist, der läßt sich nur von
dem geben, der aus Liebe, mit Liebe gibt.
So ist das auch
bei uns das Erste und das Letzte, die Bedingung, ohne die un
sere Arbeit durchaus vergeblich ist — daß wir — ich will das
Wort einmal gebrauchen— ein heißes Herz für unsere Pfleg linge haben und behalten.
Das müssen sie aus unserm ganzen
Auftreten, aus unserm täglichen, häufigen Verkehr mit ihnen herausfühlen,
und ist es da,
sie habens bald herausgefunden,
ist unsere Arbeit, wenn auch eine schwere, tieferregende,
dann
eine der schönsten und freudigsten, die ich mir weiß.
nicht so, ich sage:
ist das Herz
nur warm,
Ist es
so wird man
schwerlich der Gefahr entgehen, in der Einförmigkeit und Ein
tönigkeit der täglichen Berufsarbeit, das
Herz erkalten zu
fühlen
und
in
der See von Plagen
stumpf zu werden.
Wer
aber, wo das Leiden so heiß, der Kampf so heiß ist, kühlen Herzens, gewohnheitsmäßig arbeiten will, der ist ein verlorner
Mann.
Frisch muß Alles an uns sein; frisch der Sinn, frisch
das Wort, frisch das Werk, frisch, wie nur ein heißes Herz es
jeden Morgen neu bieten kann; reich und voll muß der Strom daher
gehen,
aus dem
wir
sie erquicken wollen.
Bei ihrer
Jugend, bei ihrer Vereinsamung müßte es sonderbar zugehen, wenn sie nicht schon nach den ersten Besuchen uns gern hätten,
wenn wir nicht bald ihnen herzlich lieb und unser Besuch ihnen eine wahre Freude wäre.*)
Wir wollen ihnen dienen, so müssen wir sie kennen, und lassen uns darum von ihnen erzählen: von dem harten Kampf, von ihrer Verwundung, von ihrem tapfern Lieutenant, ihrem guten
Hauptmann, wie er so theilnehmend nach ihnen gesehen, ihnen
*) Wir waren von V29 Uhr Morgens bis 1 Uhr Mittags und von 1/a3 bis es dunkelte unter unsern Pfleglingen.
38
Erquickung geschickt hat von seinem Eigenen; von ihrem Er gehen, von ihrer Pflege und Behandlung. Wir hören was sie zu klagen haben mit Recht oder Unrecht und suchen zu bessern was zu bessern ist. Da gibt es manches gute treu gemeinte Wort zu reden, manchen neuen Gedanken in ihre Seele zu legen. Wir fragen nach denen zu Hause, ein schönes, trauriges Capitel; wir schreiben ihnen Briefe, versorgen, die selbst schreiben dürfen mit Postkarten, oder, was sie lieber haben, mit Brief bogen und Couverts. Das thun wir mit großem Eifer; denn aller Liebe, die sie haben, sollen sie sich recht bewußt, und alle die für sie da ist soll ihnen zugänglich und lebendig werden. Wir lernen gar bald, daß es für unsern speciellen Zweck wie für das Wohlbefinden, die Genesung unserer Pfleglinge von großer Wichtigkeit ist, daß ihr geistiges Leben über haupt geweckt und rege gehalten werde. Wir suchen also Alles herein zu ziehen, auf Alles einzugehen was nach dieser Seite hin fördernd und belebend wirken kann. Wir lassen dem Humor sein Recht, machen nie zu einem anständigen Scherz ein saures Gesicht (und wir haben aus dem Munde unserer Pfleglinge nicht ein frivoles Wort gehört). Was uns selbst von der un muthigen Gabe zu Gebote steht, verschmähen wir nicht zu ge brauchen, um hier zu erheitern, dort zurecht zu weisen. Gern erfüllen wir ihr so natürliches Begehren, vom Gang der Dinge draußen zu hören; wüßten und erführen wir selbst nur mehr davon; was wir aber haben, das geben wir gern. Denn da ist, ohne daß man die Absichtlichkeit merkt und verstimmt wird — so Vieles zu sagen, was sie ergreift und erhebt, was zur Züchtigung in der Gerechtigkeit dient. Da ist der Patriotismus, das edle, starke, die Seele an seinem Theile aus den Banden des Egoismus lösende Gefühl, eine specielle Aeußerung der universalen Hingebung, in der wir das Leben verlieren, um das Leben zu gewinnen. Natürlich, daß all dieses Unterreden kein leeres Reden, kein Geplauder sein darf, daß man reich genug im
39 Herzen und behend genug im Geiste sein muß,
um hier mit
kurzer Wendung, mit treffendem Wort auf den Grund zu kom men, dort an —, da voll und rein durchklingen zu lassen den
Grundton, auf dem sich unser Leben zu gottgefälliger, harmo nischer Schönheit aufbauen kann.
Das ist freilich, nimmt man
die übrigen Gemüthsaffectionen, ohne die es nicht abgeht, hinzu
eine tieferregende Arbeit, die zeitlich, nach meiner Ueberzeugung,
ihre nicht 511 weiten Grenzen haben muß, *) — aber innerhalb dieser Grenzen wird man wohl müde, doch nicht matt und er
fährt reichlich die Wahrheit des Wortes: Gebet, so wird Euch Ich wenigstens durfte, wenn meine Pfleglinge dank
gegebeu.
bar dessen gedachten,
was sie empfangen,
in voller Wahrheit
sagen, daß ich den tiefen Eindruck in meinem Verkehr mit ihnen
habe, mehr empfangen als gegeben zu haben. Was unsere Arbeit nach dieser Seite hin Anfangs so schwer machte, war, daß wir sie allein thun mußten, daß uns das Hülfsmittel fehlte, ohne welches sie nie ganz genügend gethan werden kann:
Lazareth-Lectüre.
von
So viele
meinen
Mitarbeitern in andern Lazarethen ich gesprochen habe, sie hatten alle dieselbe Klage. waren
mit
Die
Lazarethdepots
in
allen Lazarethbedürfnissen reichlich
Lectüre fehlte ihnen.
unserer Gegend versehen,
nur
Ein unbegreiflicher Mangel! Man denke
sich die tödtliche Langeweile, die nach den ersten Tagen, schon in einem Lazarethe herrschen muß,
tödteuderes
aber
als
dem Lectüre fehlt. Geist-
Langeweile gibt es nicht und die Ver
wundeten haben Frische des Geistes außer zu manchen andern
Dingen, auch zu ihrer Genesung höchst nothwendig.
Nachdem
*) Der Elberfelder Verein hat in seinen Statuten die Bestim
mung , daß kein in einer Gemeinde angestellter Geistlicher länger als höchstens sechs Wochen in
einem Lazareth beschäftigt sein soll.
alle Lazarethgeistliche ausgedehnt,
tiger sein; nicht allein, nicht einmal vorzugsweise beitenden willen.
Auf
würde die Bestimmung noch wich um der Ar
40 die kleine Gabe, die ich von der sächsischen Felddiakonie erhalten hatte, und die im Ganzen nicht sehr zweckmäßig erschien, ver griffen war, hatte ich das beneidenswerthe Glück, mir von Remilly,
anderthalb Tagereisen von uns, bei Gelegenheit zweier für unser
Lazareth gemachten Requisitionsfahrten Lectüre mitbringen lassen
Mit welcher Freude ich die ersten Bücher zu meinen
zu können.
braven Jungen das
aufnahmen,
brachte
und
werde
mit welchem Jubel sie dieselben
ich nie vergessen, und doch waren es
Predigten, nur Tractätchen
nur
speciell
religiösen Inhaltes.
Später hatte ich wieder das Glück von dem Dresdener Hülfsverein zwei Kistchen, eins für das Lazareth in Vionville, das
andere für Mars la Tour, zu gewinnen, und so waren meine
Lazarethe endlich verhältnißmäßig sehr reichlich mit Lectüre ver sehen.
Darüber aber waren bis zu vier Wochen hingegangen.
Ich vergaß zu bemerken, daß dazwischen eine sehr kleine Zufuhr
zu verzeichnen ist, die mir eine heimathliche Figur, ein Colpor Mit Eifer wurde nun im Lazareth gelesen, und mit
teur brachte.
Aufmerksamkeit und Interesse; das
gab neue Anregung, neue
Anknüpfungspunkte für die Unterhaltung mit uns, wie der Ver mit
wundeten
Leides,
einander.
die Seele
eröffnet,
den
mit
meist so
So
war
wiederum
eine
Quelle
andern Gedanken als mit denen des
unfruchtbaren zu
erfüllen — und eine
schreckliche Qual war in unserm Lazareth weniger.
Von diesen
beiden Gesichtspunkten aus kann es nicht genug hervorgehoben werden,
daß
eine
gute,
reichliche
Lectüre
zu
den
nothwendigsten Lazar ethbedürfnissen gehört. Eine
schnittliche
gute,
d. h. eine für den Zustand und die durch
Geistes-
und Gemüthsbildung
Die scheint schwer zu beschaffen
gewesen
angemessene Lectüre. zu
sein,
nach
den
Sammlungen, die ich kennen zu lernen Gelegenheit hatte; denn die waren entschieden nicht mit großem Geschick getroffen. habe keine Collection von Lazareth-Lectüre gesehen,
nur annähernd befriedigt hätte.
Ich
die mich
Ich sage das frei heraus, ohne
41 Furcht dem Göthe'schen Gaste zu gleichen, der das freundlich
dargebotene und behaglich verspeiste Mahl hinterher scharf zu
recensiren nicht umhin kann.
Man muß Alles lernen,
Lazareth-Lectüre auswühlen, und da müssen wir,
auch
unter deren
Augen sich die gewählte Lectüre erproben mußte, und
die wir
das Verlangen und das Bedürfniß unserer Leute kennen, mit unserer Erfahrung nicht zurückhalten.
Wenn ich nun zuerst von der eigentlich erbaulichen Lectüre rede, so will ich dankbar anerkennen, wie viel darin geschehen
ist. Einzelne Theile des Neuen Testaments waren besonders ab gedruckt : kleines, nettes Format, gutes Papier, deutlicher Druck.
Aber die Auswahl der abgedruckten Stücke
war
zum
guten
Ich hatte unter den verschiedenen Sendungen,
Theile verfehlt.
der Anzahl der Exemplare nach geordnet, in erster Linie Rö merbriese, in einer wirklich erschreckend großen Menge; dann Evang. Johannis, darauf Evang. Lucä, endlich Evang. Marci, Corinther, Philipper,
Colosser-Briefe
Galater,
ziemlich
in
gleicher Menge, und sehr wenige Apostelgeschichte.
Darunter
waren eine leidliche Anzahl italiänischer Exemplare, keine französischen.
(Ich kann mir das nur erklären durch die An
nahme, daß jene aus 66 übrig geblieben waren und jetzt ver werthet
werden
Nun bin
sollten.)
Episteln St. Pauli zu
verachten,
ich gewiß der Letzte, die
aber jeder, der in
einem
Lazarethe sich um die Lectüre gekümmert hat, wird 'mir zustim
men, daß sie für Lazareth-Lectüre zu den wenigstpassenden Theilen des Neuen Testaments gehören.
Einmal schon deswegen, weil
die Leute sie nicht mit Interesse lesen, zum Andern, weil sie zu
schwer für sie zu verstehen sind, zum dritten, weil man weit
Besseres auswählen kann.
Ich habe, nachdem ich sah, daß die
wenigen Römer-Briefe, die ich probeweise austheilte, hinterein ander durchgelesen und dann unters Kopfkissen gesteckt wurden — keine mehr ausgetheilt. um der
Geschichte,
Das Evang. Johannis, obschon es
besonders der Leidensgeschichte willen um
2*
42 einige Grade praktischer ist, ist auch zu schwer und abstract für die Leute.
Das Evang. Lucä lasen
Marcus ist zu knapp.
sie Alle gern und immer wieder, es ging in sie ein, sie sprachen
gern davon.
Das Bild
des Herrn, in einfachen,
kunstlosen
das Wort des Herrn, unreflectirt in seiner einfachen
Zügen,
Hoheit und Lieblichkeit, — das
wars, was
sie gebrauchten.
Aber sollte man es glauben? Das Evangelium,
in welchem
unter Anderm das Wort steht: „Selig sind die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden", und das Andere „Vom Vater,
der
das
in
Verborgene
siehet" — das fehlte gänzlich.
Ich
habe auch nicht ein Exemplar des Evang. Matthäi zu Gesichte
bekommen, daß Andere meiner Kollegen glücklicher gewesen sind, habe ich nicht gehört.
Ich bin gewiß, die eine Bergpredigt —
von dem übrigen Inhalt des Evangeliums gar nicht zu reden, —
hätte mehr in den Herzen meiner Verwundeten zurückgelassen, als alle Briefe Pauli.
Es fehlten ferner vollständig: die Psalmen, das Büchlein voll Suchens und Findens, voll Bangens und Bebens,
fröhlicher Zuversicht auf den Gott, der da hilft.
nur den 42. und 43. Psalm gehabt!
Wie
voll
Hätten wir
oft habe ich ihn
recitirt, wie andächtig lauschten sie dann, wie klang es wieder
das : „Warum betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig
in mir?" Es fehlte weiter, was nicht hätte fehlen dürfen: eine, wenn
auch
noch
so kleine Sammlung geistlicher Lieder.
Hat
man darauf gerechnet, daß die Verwundeten ihr Militairkirchen-
buch noch bei sich haben würden, daß
die Soldaten
pflegen.
Auf
so hat
ohne Tornister
den Schlachtfeldern
Militair-Gesangbücher gefunden
man
nicht bedacht,
in's Lazareth zu kommen des
und
16.
einige
habe ich
solche
ins Lazareth ge
bracht, bei den Verwundeten kaum eins.
Von aller Erbauungs
literatur aber ist das Gesangbuch das
ansprechendste und ver
ständlichste.
Die Lieder sind zum großen Theil alte Bekannte,
die der Verwundete jetzt erst recht kennen und schätzen lernt;
43 ein Lied,
ein Stück
Leben
aus
dem Geist des Evangeliums
herausgestaltet, spricht auf einer gewissen Stufe der Entwicklung des christlichen Lebens mehr unmittelbar an das Herz, als selbst
das Wort der Schrift, ein schlechter Ersatz
für
prägt sich leichter ein.
und
das Fehlende,
Täschchen neben den Büchern, mein Gesangbuch
bei mir
daß ich
Es war
in
meinem
die ich vertheilen konnte,
auch
um hier und da ein Lied
führte,
daraus vorzulesen, einem Einzelnen oder in einer Stube.
einzige
kleine
Auswahl
geistlicher
Lieder
Exemplar fand sich in einer Bücherkiste, Dresdener Hülfsverein bekommen habe.
stand ein wahres Wettbitten darum;
Eine
in einem einzigen
ich
die
von einem
Als ich es anbot, ent
ich
habe
es
denn der
ganzen Stube geschenkt mit dem Bedingniß, daß es vom Einen
zum Andern gehen müsse, damit jeder etwas davon habe. An Erbauungsliteratur waren ferner eine hübsche Anzahl von Bänden, Predigten enthaltend, — eine Auswahl enthielt Predig ten über alle Perikopen des Kirchenjahrs— vorhanden.
Eine
Predigt, sehr kurz, sehr einfach, sehr frisch und originell mit
dem Zustand der Verwundeten und ihren Bedürfnissen in einem nicht zu fernen Zusammenhang stehend, ist für dieselben sehr
schön
und
gut
Predigt nicht
zu
lesen.
gelesen,
Aber wenn überhaupt schon eine
sondern
gehört
werden
will:
so ist
für unsere Verwundeten insbesondere die Form der gedruckten Predigt eine sehr ungeschickte,
bieten.
um ihnen geistliche Nahrung zu
Sie erfordert zu viel geistige Arbeit.
Nun gar einem
Verwundeten einen Band Predigten in die Hand geben — es
würde ihm das Lesen verleiden und Kopf und Herz abstumpfen. Wir waren nur zu reich in Predigten assortirt.
Endlich fanden sich einige sehr kleine Gebet- und Spruch büchlein vor: Sieben Gebete in Kriegszeiten und ein Soldaten büchlein; zum täglichen Gebrauch zu mager und zum Durchlesen
doch nicht
gegeben,
obwohl
dazu gebraucht-und dann selten
44 Geistliche Lieder hätten, wie gesagt,
wieder hervorgenommen. den Dienst besser gethan.
Wenige ganze Neue Testamente mit Psalmen hatte ich, die
ich den Geförderteren unter meinen Pfleglingen gab, und bei
ihrer Evacuiruug als Andenken an die gemeinschaftlich verlebte Zeit mit einem eingeschriebenen Votum verehrte, zu ihrer großen
Freude.
Für Alle paßte auch das Neue Testament nicht, we
nigstens nicht sofort.
Zu Anfang ging ich verschwenderischer
mit meinem kleinen Vorrath von Testamenten um.
Aber als
der Eine und der Andere vorn bei den Geschlechtsregistern an fing und so Seite für Seite rüstig weiter las, den ersten Tag schon ein tüchtig Stück hinein, bin ich vorsichtiger geworden und
sparsamer; ich glaube nicht zum Nachtheil der Leute. eine gute Geschichte lesen und verstehen,
Lieber
als die Schrift lesen
und sie — gelesen haben. Von „christlicher" Unterhaltungslectüre hatten wir eine ver-
hältnißmäßig reiche Sammlung von Piper's Evangel. Kalender, der aber nicht allein Gebildete voraussetzt, sondern gesunde Ge bildete, und für diese selbst in vielen Partien sehr trocken ist. Für unsere Kranke waren nur einzelne Lebensbilder fruchtbar.
Doch
schlugen sie sich,
so lange sie nichts Anderes bekamen,
pflichttreu, wie die wackern Jungen denn einmal
waren,
auch
durch alle Heiligen des Piper'schen Kalenders ritterlich durch,
wenn auch,
so
denke ich,
Bataillon Zouaven. Zeittödtung.
Dann
mit größerer Mühe, als durch ein
Das aber war doch nicht viel besser als
folgten einige Lebensbeschreibungen
vom
alten Blücher, Ziethen, Admiral de Ruyter, in religiösem Sinne geschrieben, so wie einige Tractätchen.
hatte wohl der naheliegende Gedanke interessirt der Soldat.
Zur ersteren Auswahl
geleitet:
den Soldaten
Ich glaube indessen bemerkt zu haben,
daß die Verwundeten, wenn sie wählen konnten zwischen einer
solchen Lebensbeschreibung und lieber
die nicht
einer nicht soldatischen — sie
soldatische vorzogen.
Worin man bis auf's
45 Blut arbeitet, darin unterhält man sich nicht gern, und dem auf den Tod wunden Soldaten ist es, wenn etwas, wehmüthig, des gesunden Soldaten freudige Thaten lesen zu müssen.
Eine kleine Sammlung „Sterbebette" erschien mir auch nicht
sehr zweckmäßig. Einmal hat der Soldat kein Interesse an Basilius
dem Großen und wie
er gestorben ist,
der Mann wird ihm
auch durch die kurze Erzählung nicht lebendig — zum Andern: wem soll man das Büchlein (ein Tractat) geben? Wer es em
pfängt,
sieht's aber
dann
so an,
als sei es ein heimlich gegebener avis
Ein Hinweis
au lecteur.
soll er
Erschütterungen
auf
das Ende
durch
Todesdrohungen
und
dürfen und sollen wir selbst weder geben,
verbreiteten Schriften. sollen,
und
samkeit allerdings
auch
ja
oft nöthig,
Schreckensscenen
noch
die von uns
Das Lazareth ist in erster Linie dafür
da, daß die Kranken in ihm
gewinnen
ist
offen, treulich und weise gegeben werden.
ihre leibliche
Genesung wieder
darnach hat sich unsere Art der Wirk
ganz
strenge
zu
richten.
Drum habe ich
eine sehr aufregende Predigt (Mene Tekel ist ihr Titel)
nicht verbreitet. Wenige Hefte von einer christlichen Zeitschrift waren vor
handen ,
ihren Titel habe ich vergessen — sie auch natürlich
nicht ganz gelesen. Betrachtungen
und
Sie enthielten allerlei Aufsätze, Geschichten, erschienen
im
Ganzen gut, wurden auch
gern gelesen. „Redliche
Preußen",
„Mecklenburgische
Volkskalender",
„Erzählungen eines Invaliden" waren, wie dergleichen zu sein pflegen, gut gemeint und lesbar; die „Erzählungen über evan gelische
Kirchenlieder" setzten
das Gesangbuch in den Händen
der Leser voraus, und verwirrten, wo das nicht der Fall war,
durch die Menge der rasch aufeinanderfolgenden Geschichten in
ähnlicher Weise, wie das Lesen einer Anekdotensammlung.
Folgten endlich:
Manche dicke Bände alter „Militärischer
Wochenblätter", „Territorialgeschichte des Preußischen Staates",
46 in jeder Kiste viele Exemplare.
Schade um den Raum, den sie
darin einnahmen und andere ebenso unnütze Dinge, deren Titel
aufzuführen zu langweilig sein würde. Nun haben
wir
in unserer deutschen Literatur doch einen
Reichthum an guten,
auch an specifisch christlichen, populären,
fruchtbaren Schriftstellern, v. Horn, Glaubrecht, Stöber, Caspari,
Gotthelf — aber
von
allen diesen Leuten war auch nicht das
denjenigen Collectionen, die ich
kleinste Schristchen unter
ge
sehen oder von denen ich gehört habe.
man
Hätte
auf sie allein
den Kreis
beschränken wollen,
man hätte eine reichhaltige Sammlung zugleich unterhaltender,
geistig beschäftigender und fromm anregender Lectüre zusammen stellen können,
volksthümlicher, gesunder, reichhaltiger als das
Gebotene, weitaus.
Und
man z. B.
legte
Hof- und Räubergeschichte aus dem Anfang
„Roderich,
eine
dieses Jahrhun
derts," — eine „Sammlung von Alpensagen", eine „Antho
logie deutscher Dichter" (ursprünglich für den Schulgebrauch)
bei, so hätte man unbeschadet außer den oben genannten auch noch andere Volksschriftsteller, nicht zum Schaden der Leser, hin zufügen können.
Man hat unstreitig die Wichtigkeit der Lectüre nicht genug beobachtet, und unter andern Lazarethbedürfnissen nebenher und
spät auch
für Lectüre
die Bücher
zu
was
schenken
Man hat ferner kein Geld
gesorgt.
dafür ausgeben wollen,
lassen.
wie es scheint, sondern hat sich Da
sind
denn neben manchem,
gebrauchen ist, die vollständig ungenießbaren Bücher
geschenkt worden und weil man sie hatte,
hat
man
gedacht:
So viel als sie kosten, mögen sie leicht werth sein und hat Alles
miteinander
in die Depots geschafft.
So viel gerade,
aber
mehr auch keinen Heller konnte man von zu Vielen sagen.
Ich glaube mein Resüme so zusammenfassen zu können: 1.
Lectüre ist
für das
geistige und leibliche Wohl
befinden der Verwundeten von höchster Wichtigkeit. Deshalb ist
47 principiell und mit in erster Reihe für Lazarethlectüre zu sorgen.
Regel soll sein, sie zu kaufen und das Beste, was die Volks schriftenliteratur bietet, dafür in Dienst zu stellen.
diesem Zwecke Geschenke in Naturalien gemacht,
Werden zu
so
hat man
hier, wie bei derartigen Geschenken in andern Lazarethbedürf-
nissen das Unbrauchbare sofort zurückzuweisen. Die Lectüre darf nicht
2.
erbauliche im
Sinne,
ist
allein, nicht vorwiegend eine
engern Sinne sein (im weiteren, jedes gute Buch erbaulich).
ja
mir
lieberen
Die Erbauungs
literatur hat zu bestehen aus den einzeln gedruckten Evangelien (Matthäus und Lucas müssen in weit größerer Anzahl vorhanden sein, als Marcus und Johannes), in Psalmen, Neuen Testamenten
einer reichen Zahl von gut ausgewählten Kirchenliedern.
und
Dann
alle Tractate sparen, besonders die erbau
kann man
lichen Soldatentractate.
Es ist bekannt, daß der Bauer keine
Dorfgeschichte liest, wenn er nicht muß, und daß jemand Ge
schichten,
die in
seiner
Welt
spielen und mit ausgesprochen
pädagogischer Tendenz geschrieben sind, nicht mit Unbefangen
sondern
heit,
mit
kritischem
Auge
und mit einer
gewissen
Zurückhaltung durchliest.
3. Als bildende Unterhaltungslectüre ist materiell Alles zuzu lassen, was aus gesundem sittlichem Geiste geboren ist.
würde rubriciren: 1. Mehr Belehrendes.
Ich
Bilder aus der Ge
schichte; aus dem Natur- und Volksleben, geschichtliche, geogra
phische, ethnologische Charakterbilder, nach Art der Grube'schen. 2. Mehr Unterhaltendes:
einzutreten,
wie
da
haben unsere „Volksschriftsteller"
sie eben genannt worden sind.
Wo
eigene
Officierlazarethe sind, müßte für diese, was die 2. Abtheilung betrifft, eine besondere Auswahl getroffen werden. 4. Man muß auch bei der Lectüre von dem Grundsätze aus
gehen: ist.
daß nur das Beste für unsere Verwundeten gut genug
Sollten unsere Verlagshandlungen,
die doch mit unsern
Volksschriften ein gutes Geschäft machen und nach dem Kriege
48 zur rechten Zeit und
wieder machen werden,
zu
ermäßigten
zusammengekommen. nicht
hergegeben
Preisen
den rechten
haben?
Und hätte man
zahlen müssen, so wäre auch dafür das Geld
vollaus
dafür
von
nicht solche Auswahlen wenigstens
Leuten darum angegangen,
so
ausgeben,
Wollte hätte
sondern namhaft gemachte,
man
man
aber
für die Lectüre Geld
nicht Bücher im Allgemeinen,
zweckmäßige Bücher fordern müssen
und würde sie dann auch so erhallen haben.
Es sei — zum
zum Schluß noch daran erinnert, daß auch das Aeußere der Bücher einen wesentlichen Einfluß auf ihre Brauchbarkeit hat.
An sich
gute Bücher mit schlechtem Druck und von unhandlichem Format
thun dieselben Dienste, wie die schlechten; man kann sie einfach nicht ausgeben.
Wenn
wir nun, nach dieser unvermeidlichen Auseinander
setzung zu unserm Thema von der Seelsorge in den Lazarethen
zurückkehren: so will es dem Leser scheinen, als sei es mit dieser Art Einwirkung
auf die Kranken,
die in geistiger Anregung
und im Bestreben, sie sittlich zu erheben, sich genügen lasse, nicht
gethan.
Vielleicht verlangt er normal verlaufende Bekehrungs
geschichten zu hören und denkt, daß darauf, daß solche sich be gäben,
uns
von
vor
Allem
hingewirkt werden müsse.
Im
ersteren hat der Leser Recht, die zweite Erwartung dagegen wird
ihn täuschen. derten, ist
Mit der Einwirkung, wie
es nicht genug.
wir sie vorhin schil
Wir haben es indessen auch nicht
bei ihr bewenden, sondern es unsere Aufgabe sein lassen, ihnen
„Jesum Christum den Gekreuzigten,
liche Weisheit" zu verkündigen,
göttliche Kraft
öffentlich
und
und gött
sonderlich;
wie
wir es uns denn auch bewußt waren, daß die Lebensanschauung,
die wir ihnen gegenüber
(nicht im feindlichen Sinne) geltend
machten, auf diesem Grunde beruhe, daß jeder Rath und jeder Trost, jedes ernste und heitere Wort nach unserm besten Wissen
und Gewissen aus „Christi Geist" heraus — im Einklang mit
ihm geredet sein sollte.
Sie sollten dadurch zu der Erkenntniß
49 Christi kommen; zu der Erkenntniß, daß man im Glauben an Christum ein reiches, krafterfülltes und in der Versöhnung auch ein schönes harmonisches Leben habe;
der tiefsten Gegensätze,
daß das Evangelium die Kraft Gottessei, selig zu machen, alle
die daran glauben.
Das haben
sagen, als Gesetz vorgehalten.
wir gesagt,
in dieser Zeit";
wir
ihnen, um es kurz zu
„Das ist Eure Aufgabe, haben
im Vertrauen darauf, daß ihr
deutsches, christliches Gewissen ihnen Zeugniß geben werde von der
Wahrheit dieses
Gesetzes — und
uns nicht darin getäuscht.
im Ganzen haben wir
Als Verheißung haben wir es
ihnen vorgehalten, wiederum
im Vertrauen darauf,
daß die
Seele in ihrem tiefsten Grunde fühle, wie sie das bedarf, was
Gott hat und verheißt, Wollen
und getrieben werde zu dem kühnen
ihr Leben ganz von der Gnade Gottes und in seiner
Gemeinschaft zu haben, und das hat uns auch nicht getäuscht.
Wir sind besorgt gewesen, die Mühseligen und Beladenen im Sinne unseres Herrn sanftmüthig und von Herzen demüthig zu
ihm zu rufen und zu leiten,
und bemüht, die armen wunden
Männer, die ja gewissermaßen wehrlos in unsere Hand gegeben waren, mit rücksichtsvoller Zartheit zu behandeln, da vor Allem, wo wir, als die Aerzte der Seele, schmerzhafte Operationen an
ihnen vollziehen mußten.
Wir haben von unsern Pfleglingen
allewege
ein herzliches, vertrauensvolles Entgegenkommen ge
funden.
Mir ist es ost so erschienen, als wären sie in dieser
ihrer Art vollkommner,
als ich in der meinigen und das hat
mich immer wieder in meiner Art bestärkt und in dem ernst lichen Verlangen, ihnen so zu begegnen, wie sie es verdienen.
Wie sie es verdienen und — in einer gewissen Weise — wie sie es gewohnt sind.
und bestimmte Form.
Der Soldat ist gewöhnt an eine knappe Ich habe gefunden,
daß dieselbe auch
für den seelsorgerischen Verkehr die angemessene ist.
Was wir
lebhaft und frisch empfinden, das muß auf dem kürzesten Wege
an das Herz dessen gebracht werden, für den wir's empfinden,
3
50 und dem wir's mittheilen wollen. Der kürzeste Weg aber ist ein
Wort von womöglich epigrammatischer Kürze; in längerer und
langer Ausführung verliert die schlagendste Wahrheit an sich selbst
beweisender Kraft.
Es wäre gut —
beiläufig — wenn wir
auch unsere Gemeinden von der Wahrheit dieses gewiß wahren
Satzes überzeugen könnten;
wir würden uns viel Redens und
ihnen viel Hörens ersparen, und trotzdem weiterkommen.
kommt
daß
dazu,
lebendige Wort
Hier
in der brennenden Roth nur das wirklich
daß
wirkt;
alle Wahrheit spurlos vorüber
geht, wenn sie nur objectiv wahre „christliche Phraseologie" ist.
Sie muß so subjectiv, so aus dem Augenblick geboren und so be
hältlich als möglich sein.
Soll aber so geredet werden können,
so ist zweierlei nothwendig, ein Aeußerliches und ein Anderes, was man sich nicht geben kann.
Das
Erstere ist
ein mög
lichst häufiger, unausgesetzter Verkehr mit den Pfleglingen,
dem man wenigstens ebenso gut zu hören,
stehen muß. wonnen;
geben.
Durch ein „Auf sie
man
muß sie kennen
als
bei
zu reden ver
einreden" wird nichts ge und darum müssen sie sich
Es ist ihnen zudem ein Bedürfniß sich auszusprechen;
man lernt, wenn man willig zu hören ist, bei einiger Geduld mehr über sie, als wenn man sie noch so geschickt katechisiren
wollte.
Das
sicheres Gefühl
Andere für
ungleich Wichtigere ist,
daß man
ein
den noch so verborgenen Pulsschlag des
christlichen Lebens habe,
ein feines Verständniß für seinen un
beholfenen, ost so gar nicht schulgemäßen Ausdruck; daß man davon absehen könne, es auf den richtigen Ausdruck zu bringen
und sich damit begnügen, es zum Bewußtsein und zur Herr
schaft zu bringen.
Und weil nun jedem seine Schule anhängt,
so ist das ost recht schwer.
Eine Gemeinde ist schulmäßig ge
bildet, man kann sie sich ziehen und sich ihre Form aneignen; hier aber heißt es weiten, freien, sicheren Geistes sein, zu ver stehen
und
zu lösen auch das sich selbst unbewußte „Sehnen
und Aengstigen der Kreatur."
51
Das
wir
haben
Daß wir unser Ziel erreicht,
gewollt!
wer von uns möchte es behaupten? Gern werden wir Alle be kennen,
das Wirken unter unsern Verwundeten uns eine
daß
liebe und an uns selbst reich gesegnete Arbeit gewesen ist. Auch
darin werden Alle, die ihr Wollen und Vollbringen in redlicher Arbeit gegeneinander geprüft haben, einig sein, in dem Wunsche: doch nur
daß
Lazarethen
unter uns zu dem Dienste in den
die Besten
Nur die, die mit reicher
gerufen werden möchten!
Erfahrung ein feines Gefühl verbinden und
eines energischen
alle Formen leicht und rasch durchdringenden,
und behenden,
eines wahrhaft gebildeten Geistes sind: nur die mögen würdig erachtet werden hier zu dienen.
Will der
Leser
Lazareth machen?
mit mir einen Gang
nun
durch
Er braucht sich nicht zu fürchten.
mein
Schreck
liches bekommt er nicht zu sehen; ich möchte ihm nur — im Fluge — zeigen, wie wir und etwa auch was wir im Laufe
Tages
des
mit unsern Pfleglingen reden;
d. h. nur einige
Themata; die Reden und Gegenreden mag er sich selbst halten. 1.
Ach, bis jetzt ist's noch
„Wie geht's heute. Lieber?"
erträglich, aber
wenn's so fort geht,
nicht aushalten.
„Nicht das Maß des Schmerzes macht uns
unsere
Lage
unerträglich; es kommt auf den Widerstand an,
wir leisten
den
fürchte ich, kann ich's
können,
auf das Maß der Geduld.
verloren — Alles verloren.
Muth
Mancher würde dein Maß des
Schmerzes nicht ertragen haben.
Gott hat bis hieher geholfen.
Warum nicht weiter?"
2.
Ein
sehr schwer Verwundeter (er ist bald und gott
ergeben gestorben) war zu voll Hoffnung auf seine Genesung. „Die Hoffnung wollen
betender Wunsch. Sieg
und
wir
Im Krieg
Niederlage,
festhalten; — die Hoffnung ist
wird Beides
auf Beides
ins Auge gefaßt;
wird gerüstet; ein rechter
Soldat muß auch hier auf Beides gerüstet sein,
aufs Leben
52
und aufs Sterben.
Eins ist Noth für Beides.
Was ist dein
einiger Trost im Leben und im Sterben?"
3.
Eine Stube war in sehr gedrückter Stimmung.
verlangt, als was ihr geleistet habt, „Tapferkeit".
schwererer Streit ist hier, als dort. geleistet,
Unmögliche
„Wa
Es' wird nichts Anderes von Euch
rum seid ihr so furchtsam?
nicht
warum
müssen wir hier bekämpfen?
Freilich ein
Aber dort habt Ihr das hier?
Welchen Feind
„Gott aber sei Dank, der uns
den Sieg gegeben hat, durch Jesum Christum unsern Herrn."
4.
bete
„Ich
so
doch — sie haben ihn gestern hinausgetragen.
„Nun, wie geht's?" „Das
frieden sein.
Leidlich, man muß ja wohl zu
ist schon etwas — aber doch noch nicht
das Rechte; wollen zufrieden sein;
Gott will.
Um was sollen
Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.
wir beten?
5.
Der neben
so treulich gebetet um seine Genesung und
auch
dir lag hat
fleißig um Besserung, Gott wird mir
Hoffen wir's — aber ist's sicher?
gewiß helfen."
Alles
das heißt,
wollen, was
was er mir in diesem Jammerthal
Uebel,
zuschickt, kann und will Er
mir
zu Gute
wenden,
als
ein
barmherziger Gott und getreuer Vater." 6.
Im Pfarrhause in Vionville war
ging's sehr auf und ab.
eine Stube,
die empfingen mich eines Morgens mit
dem fröhlichen Zuruf:
Herr Prediger, mit den Nächsten gehen wir nun fort.
kennt den Spruch: Rufe mich an in der Noth?" dich
erretten,
so
sollst du
darin
Nur drei waren endlich noch darin,
mich preisen.
Gott preisen"? — „An Euerm Leibe und
„Wer
So will ich
„Womit sollen wir an Euerm Geiste,
welche sind Gottes."
7.
Ein Anderer hatte unbedacht, leichtfertig in den Tag
hinein gelebt; auch er war außer Gefahr,
nachdem die Wage
lange geschwenkt und wir manches ernste Wort geredet hatten. „Ein zweimal geschenktes Leben,
das Eine — wie war's doch
damit? — das Andere — wie soll's jetzt werden?" Nie will
53 ich vergessen, daß es Gott gehört.
„Ein Liedervers zum An
denken: Ich bin dein, sprich du darauf ein Amen."
8.
Dort mein
lieber B., der still und ergeben gewesen
ist, so lange ich ihn besuche,
etwas blasser und wird,
der
stiller,
hat heute
der in
der letzten
aber Gott sei Dank,
eine wehmüthige Freude.
Zeit täglich
auch gereifter
Von Sorge
getrieben hat sein treues Weib mit ihrem dreijährigen Töchterchen
sich ausgemacht weit hinten aus Brandenburg; heute ist sie ge kommen, jetzt sitzt sie an seinem Bette.
Welch ein Wiedersehen!
Das Kind spielt mit Blumen auf dem Schmerzenslager, auf
dem Sterbebette seines Vaters, in glücklicher Unwissenheit. muß die Mutter erinnern, den Kranken ich fürchte,
sonst verzehrt das
jetzt
Ich
allein zu lassen,
eine Wiedersehen seine Kräfte.
Und als ich dann in
Sie nehmen Abschied auf morgen früh.
der stillen Abendstunde meine Hand auf dein Haupt legte und
dem Lande sagte,
dir von
Trennung mehr giebt: dir
dein Herz!
wo
es kein Leid und auch
keine
wie zitterte ^mir die Hand, wie zitterte
Und wie gab doch Gott dir Gnade, daß du
stillen, gelassenen Herzens hervorgingst aus diesem letzten Streit. Noch eine stille, von Gebet durchzogene Nacht, noch ein kurzer,
tapferer Abschied von Weib und Kind, dann bist du sanft und selig eingeschlafen.
9.
Eine Stube machte uns
Eindruck.
immer
einen herzerfreuenden
Drei Kameraden lagen in ihr,
und wie ein heller
Sonnenschein ging's uns über die Seele, wenn wir bei ihnen
eintraten.
Tapfern Herzens, offenen Sinnes, fröhlichen Ange
sichts, auf dem schon die Nöthe der Gesundheit wieder erschien, so lagen sie da und hatten miteinander treulich ihr Leid ge
tragen und getheilt vom ersten Tage
an,
bis hieher.
Aber
des Einen Angesicht war in der letzten Zeit um einige Schat-
tirungen grauer geworden, die Wunde war nicht mehr so gut, — und so kam der von mir gefürchtete Tag, an dem ich die bei den Betten leer fand; die treuen Kameraden waren „nach der
54 Im dritten Bette aber lag ein
Heimath zu" evacuirt worden. gar betrübter Mann,
gar einsam!"
„Nun sind Sie so
gepreßten Herzens.
Was die Schmerzen nicht vermocht hatten, das
that diese Stunde;
ein Strom von Thränen brach sich Bahn.
Das
Vereinsamung,
Gefühl
der
selbst zu bewegt.
keins
der Verlassenheit
ist
das
Was ich ihm sagte, weiß ich nicht mehr, ich war
Schwerste.
seiner
Es kann
Kinder
nur das gewesen sein, daß Gott
einsam
läßt
und
allein;
denn
nur
das kann trösten und getrösteten Herzens reichte er mir die
Hand zum Abschied auf morgen.
In dieser Stube ist besonders viel Leid zusammenge
10.
häuft und, wie mir scheint, tragen die armen Jungen besonders
schwer an ihrem Leid.
heute
Auch
ist
wieder viel Klagens.
Ich suche ihnen die Größe ihres Leidens nicht abzudisputiren,
ich erkenne es an, mit ihnen.
als überaus groß, fühle ich's ja so lebhaft
Aber, sage ich, eben darum wäre es Schade, wenn
diese schwere Zeit ohne Frucht für Euch bleiben sollte, Ihr als dieselben hinausginget,
seid.
Was
soll
die Frucht
als
sein?
wenn
die Ihr hereingekommen
Nur wenn Ihr um die
Frucht arbeitet, könnt Ihr das Leid tragen,
ja Euch mit ihm
versöhnen.
11.
Mein Freund E. hat, wie alle Ostfriesen und viele
Oldenburger, die ich gesehen habe, einen Zug von tiefer Schwer-
muth.
Mit schmerzlicher Resignation spricht er es aus: „Mir
hilft's nicht, Herr Prediger,
ich bin zu weit von Gott abge
kommen, ich kann den Weg nicht mehr finden."
Lange dauerte
der Kampf in seinem verzagten Gemüthe und oft habe ich das, unruhige, bange Herz spät Abends noch still die Mutter ihr Kind.
gesprochen,
wie
Endlich gewann er seinen festen Stand
und eine ruhige Zuversicht.
„Siehst Du, daß ich Recht hatte,
nun bist Du doch zu Gott gekommen."
Er ist zu mir gekommen."
„Nein, Herr Prediger,
„Er war bei Dir von Anfang
aber Du erkanntest ihn nicht."
„Herr Prediger, kommen Sie
55 auch morgen wieder?"
„Zweimal, und nun schlaf in Gottes
Namen."
12.
K. ist nicht voll Zweifel, aber er ist etwas furchtsam; er
hat mit dem Leben abgeschlossen, aber „die lange Todesnacht" macht ihm auch oft bange Gedanken.
Lied sind sein Trost.
Das Gebet und das
Ehe ich die Kirche, in der er liegt, ver
lasse, muß ich zu ihm kommen und mit ihm beten,
geht es
aber im Augenblick nicht, weil ich weiter muß, so muß ich ihm
Dann zieht
versprechen, wieder zu kommen.
er seine Decke
über den Kopf und singt mit seiner schwachen Stimme für sich die Lieder, die er im Herzen hat, wie sie aus kämpfenden und
bekümmerten, aus siegreichen und fröhlichen Christenherzen ent
sprungen und erklungen sind; singt seine Seele zur Ruhe und oft auch seinen todesmatten Leib in den Schlaf, und so hat er
sich des Todes Bitterkeit vertrieben. 13.
In einer Scheune wird politisirt, als ich eintrete (es Wir setzen das Gespräch fort, es
wurde viel darin politisirt).
geht über die Größe der Ereignisse, über die Frucht, davon erwarten.
Ich schließe ab,
seid mit vielen Tausenden von Gott erwählt,
bringen,
das dazu nöthig ist;
die wir
indem ich ausspreche:
Ihr
das Opfer zu
das ist euer Leid.
„Ja,
wir
wollen's auch gern bringen, aber in zehn Jahren hat man uns
doch Alle vergessen."
„Und wenn's wäre, wär's nicht gut so?
Sollte an der Frucht, die Ihr uns zu genießen gebt, immer das
Blut kleben,
das Ihr um sie vergossen habt,
wer könnte sich
ihrer freuen? Und denkt auch, was der Heiland sagt vom „Va ter,
der
in
das Verborgene siehet."
Euch wohl genügen lassen.
An
dem könnt Ihr
Aber was der wohl an Euch sehen
will?"
14.
Der arme Eh. trägt sehr schwer;
er hat eine tödt-
liche, schmerzhafte Wunde, seine Tage sind gezählt und er kann
nicht Ruhe in seinem Herzen finden.
Er hat in seiner Jugend
unter methodistischen Einflüssen gestanden und die
haben ihm
56 sein Leid und seinen Tod schwer gemacht.
redliche Seele.
gerichtet",
Er
ist eine treue,
Mit ernstem, ruhigem Sinn hat er „sich selbst
mit ernstem, festen Willen sein Heil und seine Zu
versicht in der Gnade Gottes gesucht, die in Christo Jesu ist,
seinem Herrn.
Aber „es ist so dunkel und still in der Seele",
die Stimmungen,
Glaubens,
wie
sie
sollten
kommen
als
Beweise
das selige Friedens- und Freudegefühl,
je ängstlicher er nach ihnen sucht in den verrinnen
nicht ein;
den Tagen, je wahrer er dabei ist, um so weniger.
hell
—
bald doch wollte es wieder
Tag sich neigen." vor
des
stellen sich
seinem Ende
Unsere letzte Unterredung
über
Wurde es
„Abend werden und der
die Gedanken:
hatten wir kurz
Glaubst du?
Dann
überlasse dem Herrn den Weg, den er dich führen will. Wird
er dir Friede und Freude ins Herz geben, so sei es dir recht, wird er dich im Dunkel lassen, so giebt,
was er will,
sei
dir's
auch
und was er will ist gut.
rechte
Er
Still und im
Frieden ist er eingeschlafen.
Ich theile frohen Herzens die ersten Bücher aus und
15.
von rechts und von links strecken
fast mehr,
als
ich
füllen
kann.
„Nun, wollen Sie kein Buch?"
nicht?"
„Ich bin katholisch."
lich auch keinem Katholiken,
sich verlangende Hände aus,
Nur Einer regt „Ich
lese nicht."
„Meine Bücher
es sind Evangelien,
sich nicht.
„Warum
schadeten frei
aber zu neh
men brauchen Sie keins. — Wie geht es Ihnen denn?"
Es
nur
kurz
war ihm aber unheimlich und abweisend.
dabei
und er antwortete
Als ich die nächsten Male
wieder kam, em
pfing er mich immer mit einem „Herr Pastor, ich bin katho
lisch."
„Ich weiß das schon", war meine Antwort, „aber ich
darf doch mal nachsehen, wie's geht, nicht wahr?" Dann redete ich mit ihm, wie er's verstehen konnte und hören durfte,
und
so wurden wir gute Freunde.
16.
In Mars la Tour waren
manche Katholiken
unter
den Verwundeten; da aber kein deutscher katholischer Geistlicher
57 aufzufinden war, und sie also ohne Zuspruch blieben, wir auch
nicht wohl an jedem Bette fragen konnten nach der Confession, so gingen wir eben zu jedem.
So kam ich auch zu einem ar
men, auf den Tod verwundeten Westfalen, er erzählte mir, der Pfarrer des Ortes habe ihm das Sacrament gereicht und fragte,
ob ich ihm nicht etwas
zu lesen geben
Ich ließ ihn
könnte.
unter mehreren Büchern wählen; nach langem Ueberlegen nahm
er sich die Erzählungen über Kirchenlieder.
andern Tages
katholisches
ein
Ich versprach ihm,
mitzubringen.
Gebetbuch
Als
ich den andern Morgen wiederkam, das Buch in meiner Hand,
saß ein Lazarethgehülfe an seinem Bette, es war eine Blutung
eingetreten, der Tod stand vor der Thür.
Das Buch war dick,
selbst lesen
konnte er nicht,
und sein Leidwesen
war groß.
Ich bat den Lazarethgehülsen, ihm ein Gebet vor
seine Freude
zulesen, wenn sie allein seien. lutherisch."
„So
„Aber,
geben Sie
Herr Prediger, ich bin
das Buch
her."
ich
Da hab'
ihm denn ein Gebet nach seiner Weise vorgelesen und dem Ge hülfen gesagt: „Sehen Sie, es schadet nicht; wenn er nun noch eins verlangen sollte, so lesen Sie es ihm." 17.
„Wie geht's, Lieber?"
soll's gehen? Tage,
„Ach,
Herr Prediger,
wie
Es geht einen Tag wie den andern; ich bete alle
aber es geht wie Gott will."
„Da
haben Sie recht,
und es ist so tröstlich, zu wissen, daß Alles geht wie Gott will.
Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns Alle dahin gegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken?
Fühlen Sie aber auch, wie ernstlich das
zu uns spricht: Gott will, daß dies und das in dir wende?"
18.
„Im
Ganzen
habt Ihr
tragt Euer Leid betender, stiller.
sehr in Euern Leidgedanken werden.
Seht fleißiger auf
Fortschritte
gemacht.
Ihr
Aber Ihr lebt doch noch zu
und könnt noch mehr
die andere Seite.
davon frei
Die
eine ist
Euer Leid, die andere die Liebe, die Euch wiederfährt. Bedenkt, wie reich die Euch zufließt; das Größte und das Kleinste, von
58 dem was Ihr
habt,
Und aller Menschen
ist „Liebesgabe."
Liebe ist ein schwacher Schimmer von der Liebe unseres Herrn Wie heißt's im Psalm :
und seines Vaters und unseres Vaters.
Vergiß nicht, was er dir Gutes gethan hat, der — „Dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen". Ja, und der
dein Leben vom Verderben erlöset und dich krönet mit Gnade Das
und Barmherzigkeit.
sollt
Ihr Alles
erleben,
wenn
„Eure Herzen sich immer schicken, aus Noth und Liebe nach ihm
zu blicken."
„Sieh'
19.
„Ich
die?"
Das hatte ich so
und
wurde
die schönen Blumen,
habe
die
heute
woher
kommen
als
zufällig gesagt, liebe Schwester
hat
hier hereingebracht
ich
daran gedacht und mir
heute Morgen den schönen Strauß ans Bett gestellt." lieb von der Schwester! er denkt, wie's
nickte;
denn
meinen Geburtstag, Herr Prediger.
„Wie
Hat Sie's denn auch gefreut?"
Er
so anders war vor'm Jahre und wie's
wohl sein wird am künftigen Geburtstag.
„Gott gebe Ihnen
ein Herz zum Leide; Gottes Blumen blühen auch im Leide. Es ist
das Schwerste, aber auch das Schönste. Der leidende Heiland."
20.
Wie könnten wir aber von unserm Gange durch das
Lazareth heimkehren, ohne dich besucht zu haben, du fröhlicher,
muthiger S.
So jung und schon so weise,
als Salomo,
da
er König wurde, war dein Gebet, als man dich in die Kirche von Vionville brachte: Gott möge dir ein Herz geben, zufrieden und gelassen in Allem,
was Er dir schicken wolle.
Gebet war dir erhört worden.
auf den Tod,
ren.
Und dein
Wie alle deine Genossen wund
hast du dein heiteres Gottvertrauen nicht verlo
Dein fröhliches Angesicht erquickte jeden, der's ansah, im
Scherz und Ernst ging deine Rede frisch
und ermunternd da
her, ein Segen deinen Genossen, uns eine Freude. dir auch
einmal der Muth sinken,
so erhobst
du
Und wollte nur
dein
Auge zu dem Bilde über dir: „Christus der sein Kreuz trägt",
und bald warst du wieder getröstet, denn auch dein Herz suchte
59 ihn und stand ihm offen. wie die andern alle,
Du warst nicht minder schmerzerfüllt,
aber in deinem Gottvertrauen hattest du
das Geheimniß gefunden,
Lust zu tragen." Erstere
lieber
„auch schwere Schmerzen selbst mit
Ja du dichtetest, Ernstes und Heiteres, das
und aus Drang des Herzens,
das Letztere für
die Kameraden; dein Liebstes aber war, im Gespräch dein Gott
vertrauen vertiefen und reinigen zu lassen, oder ihm neue Nah rung zu geben, indem du nachgingst den großen Thaten Gottes im Evangelium, „deiner liebsten Zeitung."
Der Abschied von
dir, da du evacuirt wurdest, war mir recht schwer, so kurz er
sein mußte; aber mir ist nicht bange, daß du nicht, lebend oder
sterbend,
den Siegespreis aus deinem Leiden davon getragen
habest, denn so verstandest du's als du sprachst:
Hoffnung und Trost. Giebt's für den Kranken schön're Tage, Als die, wo er mit frohem Herzen, In Gott zufrieden, jede Klage Und all' die Leiden, all' die Schmerzen, Die er erlitten, schwinden sieht. Ein Gottvertrauen in der Brust
Verleiht Geduld, giebt starken Muth Auch große Schmerzen selbst mit Lust
Zu tragen.
Denn im Herzen ruht
Mir das Bewußtsein, „daß es stets siegt."
Die Freiwilligkeit unterm Kreuz. Vom Staate
kann
nicht verlangt werden, daß
er durch
Beamte Alles thue, was im Kriege nothwendig und Wünschens werth ist, zur Befriedigung derjenigen Bedürfnisse, die,
wenn
ihr Eintreten auch mit Sicherheit vorauszusehen ist, doch ihrer
59 ihn und stand ihm offen. wie die andern alle,
Du warst nicht minder schmerzerfüllt,
aber in deinem Gottvertrauen hattest du
das Geheimniß gefunden,
Lust zu tragen." Erstere
lieber
„auch schwere Schmerzen selbst mit
Ja du dichtetest, Ernstes und Heiteres, das
und aus Drang des Herzens,
das Letztere für
die Kameraden; dein Liebstes aber war, im Gespräch dein Gott
vertrauen vertiefen und reinigen zu lassen, oder ihm neue Nah rung zu geben, indem du nachgingst den großen Thaten Gottes im Evangelium, „deiner liebsten Zeitung."
Der Abschied von
dir, da du evacuirt wurdest, war mir recht schwer, so kurz er
sein mußte; aber mir ist nicht bange, daß du nicht, lebend oder
sterbend,
den Siegespreis aus deinem Leiden davon getragen
habest, denn so verstandest du's als du sprachst:
Hoffnung und Trost. Giebt's für den Kranken schön're Tage, Als die, wo er mit frohem Herzen, In Gott zufrieden, jede Klage Und all' die Leiden, all' die Schmerzen, Die er erlitten, schwinden sieht. Ein Gottvertrauen in der Brust
Verleiht Geduld, giebt starken Muth Auch große Schmerzen selbst mit Lust
Zu tragen.
Denn im Herzen ruht
Mir das Bewußtsein, „daß es stets siegt."
Die Freiwilligkeit unterm Kreuz. Vom Staate
kann
nicht verlangt werden, daß
er durch
Beamte Alles thue, was im Kriege nothwendig und Wünschens werth ist, zur Befriedigung derjenigen Bedürfnisse, die,
wenn
ihr Eintreten auch mit Sicherheit vorauszusehen ist, doch ihrer
60 Natur nach vorübergehend sind.
Dazu gehört die Pflege der
im Felde erkrankten und verwundeten Soldaten und Alles, was
mit ihr zusammenhängt.
Sollte zu einer gegebenen Zeit durch
des Staates alles Erforderliche geleistet werden,
die Beamten
so müssen dieselben vorhanden, auch im Frieden disciplinirt und eingeübt sein.
Es
vorhanden,
aber dadurch eine
würde
Schwerfälligkeit der Organisation und eine Kraftverschwendung
werden,
bedingt
folgt,
daß
muß
curriren
die
geradezu
unerträglich
Daraus
wäre.
den Zeiten der Katastrophen der Staat re-
in
auf
den
freiwilligen
Dienst
seiner
Bürger.
Indem er mit Sicherheit auf ihn rechnet, traut er den Bür
gern
die
höchste
Bürgertugend
zu,
und erkennt also,
bei
läufig, in dem was er von ihnen voraussetzt, seine Verpflich
tung an, sie zu freier Selbstthätigkeit, so viel an ihm ist, zu
bilden.
Wiederum aber thut der freiwillige Dienst das Werk Er thut es also nicht auf eigene Hand;
er hat
an einer bestimmten Stelle in die Arbeit des Staates
einzu
des Staates.
treten,
und sie von dort aus nach unten
hin, fortzusetzen.
hin, ins Besondere
Er hat also nicht einen besondern Organis
mus neben dem bestehenden zu bilden, sondern in den Staats organismus an einem bestimmten Punkte einzutreten.
Er hat
Kräfte zuzuführen, deren Verwendung dann dem Staate oblie
gen muß.
Je vollkommener dieses Einfügen geschieht,
fruchtbarer in
jeder Beziehung
wird der Dienst
um so
sein.
Der
Staat gewinnt dann eine Fülle reicher und schöner Kräfte und die Freiwilligkeit gewinnt den ganzen Segen, der in der Dis ciplin der Arbeit liegt.
Es ist also
erstes Erforderniß, daß
der Staat in seiner gegebenen Ordnung
ebenso unumschränkt
und allein über die ihm freiwillig zugeführten Kräfte disponire,
als über die, die ihm nach dem Gesetz zu Gebote stehen.
Der
Krieg duldet nur monarchische Institutionen und verlangt den allereinsachsten Mechanismus; wenn irgendwo so heißt es da: Els xoigavos sacco. Alle Bedingungen einer zweckmäßigen,
61 erfolgreichen Initiative liegen innerhalb des organisirten Heer
wesens
und
in
einer gewissen Höhe
desselben.
Nur
da ist,
um nur zweierlei zu nennen, Uebersicht und Einsicht und das
Vermögen, den Mechanismus in Kürze entsprechend arbeiten zu
lassen.
Sehen wir
nach diesem kurzen Vorwort die Organisation
des freiwilligen Dienstes an; und beginnen wir mit demjenigen,
der uns am nächsten liegt,
mit dem
freiwilligen Dienste der
Geistlichen.
Ich darf daran erinnern und thue es mit Freuden, daß, wie ich weiß, die evangelische Geistlichkeit sich der militärischen Kir
chenbehörde in so reicher Auswahl
zur Verfügung gestellt hat,
daß von einem Mangel an disponibeln Kräften nicht im Ent ferntesten die Rede sein konnte;
und
Erhaltung
derselben
nicht gefehlt haben.
es anders gewesen
auch an den zur Ausrüstung
erforderlichen Geldmitteln dürfte es
Ich habe keinen Grund, anznnehmen, daß sei
bei der katholischen Geistlichkeit.
Nun
hat man doch viele Klagen gehört, daß hier und da, an man chen Orten vielleicht, Kranke ohne irgend
erschollen sind,
welchen
geistlichen
Klagen, die so laut und eindringlich
Zuspruch gelegen haben;
daß sich in
der Rheinprovinz ein besonderer
Verein zur Entsendung evangelischer Lazareth-Geistlichen gebildet hat.
Diese Klagen
sind,
wie das mit Klagen
zu
geschehen
pflegt, nicht selten übertrieben worden. Während in Deutschland
gelesen wurde, das Lazareth
in X. zählt 400 Kranke und ist
ohne Lazareth-Geistlichen, war dem Bedürfniß in X. schon ab-
geholfen.
Oder: Ich selbst hörte, in B. befindet sich ein gro
ßes Lazareth und seitdem die Divisions-Prediger, die in der Umgegend cantonnirten, es nicht mehr besuchen können, ist es
ohne Lazareth-Geistlichen.
Anstatt das nach
Deutschland
zu
schreiben, fuhr ich nach B. und fand dort einen Lazareth-Pre-
diger, der nach B. einberufen, auf's höchste einige Tage später dort eingeiroffen war,
als die Divisions-Prediger die Gegend
62
verlassen hatten. So sollte in M. großes Bedürfniß nach einem Es war,
Lazareth-Prediger sein.
als wir den Ort besuchten,
allerdings kein Lazareth-Prediger dort, aber die Divisions-Pre
diger , deren Truppen um M. herum lagerten,
versahen den
Dienst in äußerst treuer, vollkommen genügender Weise.
kann man wohl sagen:
Also
was geklagt wird, ist nicht selten der
Nothstand eines Tages. Während man ihn in der Heimath be
klagt und wer weiß welche Schlüsse daraus zieht, den vorhandenen Kräften schon Klage
ist
man dort
in die Heimath gedrungen.
nicht,
oder zu
ist ihm mit
längst abgeholfen.
spät,
Aber die
Die Abhülfe
um sich
den
erfährt
falschen Ein
druck, den man von der Lage der Sache empfangen hat, wieder gründlich nehmen lassen zu können.
Nichtsdestoweniger ist nicht zu läugnen, sehr fühlbar machten.
Lazarethe,
daß
sich Mängel
Nicht sowohl Mangel an Kräften. Die
die unsere Herren Ober-Prediger kannten,
waren
mit Lazareth-Predigern versorgt; manche, wie z. B. Gr., hatten
einen wahren Ueberfluß an Geistlichen,
da zu Zeiten an dem
Orte wenigstens 6 Geistliche, die Feldgeistlichkeit mit eingerech
net, stationirt waren. Der Uebelstand,
es
scheint,
gender.
nicht zu
und
er war allerdings groß und,
heben,
war
meiner
Einsicht
Für jede der ursprünglichen drei Armeen
wie
nach fol — wie es
nach ihrer Vereinigung und Trennung in mehrere Armeen damit geworden, weiß ich nicht — für jede der drei Armeen war ein
Lazareth-Ober-Prediger ernannt worden, Prediger gewiesen wurden,
und der
an den die Lazareth-
ihnen das Lazareth,
in
dem sie wirken sollten, anzuweisen hatte. Um das thun zu können, hätten die Lazareth-Ober-Prediger
wissen müssen, nicht wo Lazarethe ihrer Armee, sondern wo die
Lazarethe
ihrer Armee sich befanden.
Wie der General-Arzt
der Armee weiß, wo jedes seiner Lazarethe sich befindet, wie er
Alles weiß, was ihm zu wissen nöthig ist, und oft noch mehr:
63 so auch
hätte
der
oberste
dirigirende Lazareth-Geistliche der
Armee das wissen müssen, das heißt, er hätte auf amtliche Weise erfahren müssen: wo ein Lazareth etablirt worden, von
welchem Corps es belegt sei, u. s. w.
Ohne eine solche amt
liche Mittheilung war er auf den Zufall angewiesen, oder auf das,
was er etwa durch persönlichen Verkehr mit den betref
fenden Herren zu erfahren im Stande war.
Das Erstere war
äußerst unsicher, das Letztere wäre bei dem freundlichen Entge
genkommen der betreffenden Stellen wohl zu erreichen gewesen, war aber äußerst zeitraubend, blieb unsicher und war doch der
Würde der Sache nicht ganz angemessen.
Darauf aber waren
die Lazareth-Ober-Prediger
Sie
angewiesen.
außer
standen
jeder Verbindung mit den Militär-Lazareth-Verwaltungsflellen, correspondirten mit ihnen nicht und erfuhren nichts von ihnen
auf amtlichem Wege. So konnte es nicht allein geschehen, so war vorauszusehen, daß geschehen müsse, z.B. daß in unserer
Armee der Lazareth-Ober-Prediger von der Existenz der Lazarethe auf dem Schlachtfelde
vom
16.,
deren
südlichstes 20
Minuten von seinem eigenen Standorte lag,
und die insge
sammt 600 Verwundete beherbergten,
mehr
kaum
als
eine
dunkle Ahnung hatte: die durch ganz undienstmäßige Meldung,
durch einen Johanniter, vom Chefarzt
des Lazarethes an den
Lazareth-Ober-Prediger überbracht, zur Gewißheit erhoben wer den mußte.
Der großen Umsicht unserer Ober-Prediger, ihrem
unausgesetzten Bemühen, aus allen ihnen zugänglichen Quellen eine Vermehrung ihrer Kunde zu schöpfen,
ist
es zu
danken,
daß dieser Mißstand sich nicht noch weit fühlbarer gemacht hat.
Darauf angewiesen, möglichst mit eigenen Augen ihr Wissen zu sammeln,
dazu verpflichtet,
nicht allein die Lazareth-Prediger
in ihre Stellen einzuführen, sondern auch eine gewisse Einsicht
in ihr Wirken zu nehmen —
in ein Wirken,
das auf einem
viele Meilen weit ausgedehnten Kreise zerstreut war: sie nicht
das eine,
im
Kriege
ganz
hatten
unentbehrliche Mittel,
64 Herren ihrer Bewegungen zu sein: eigene Transportmittel. Der außeretatsmäßige Feldprediger hat ein Roß und
einen Train
soldaten, der Divisionsprediger Rosse, Wagen und dazu gehö
einer
Der Lazareth-Ober-Prediger
rige Bedienung.
ganzen
Armee aber hat weder Roß noch Wagen noch Bedienung. Muß er Jnspections- oder Jntroductionsreisen machen,
so mag er
zusehen, ob das Etappen-Commando seines Ortes im Stande
und geneigt ist, ihm einen Leiterwagen zur Verfügung zu stellen.
Gar häufig wird keiner Vorhandensein, wenn er ihn braucht — gar häufig wird er, wenn er in amtlicher Weise mit dem Etappen-
Commando verhandelt, nicht so beachtet und berücksichtigt wer den, wie er cs verdient und bedarf:
denn
er trägt nicht die
Binde, die ihn als dem Heeres-Organismus angehörig, als ein
nothwendiges und an seinem Theil zu Forderungen innerhalb seiner Kompetenz berechtigtes Glied der Armee legitimirt: son dern nur die Johanniter-Binde.
Er steht also außerhalb des
Heeres — seine Ansprüche werden auch befriedigt — aber dann
erst, wenn die Ansprüche, die das Heer erheben kann, vollstän dig befriedigt sind, er ist Civilist.
gewünscht,
Binde der Feldgeistlichkeit gegeben,
Zeit
Run wurde unter uns oft
daß man uns Lazareth-Predigern insgesammt die
unseres Dienstes
und uns dadurch für die
die Erleichterungen
und das amtliche
Ansehen verschafft habe, das sie unstreitig verleiht.
Allein ab
gesehen davon, daß dadurch unsere Häupter noch lange nicht in
das nothwendige Ressortverhältniß zu den betreffenden MilitärBehörden gekommen wären,
würde sich wahrscheinlich dadurch
ein neuer Conflict herausgebildet haben, der an einem Divisions
welcher sich von der Division
Geistlichen zum Ausbruch kam,
ab- und
zum
diren lassen.
Dienst
in
den Lazarethen
Der war nach
Wagen, Pferden und Bedienung.
auch im Kriege Alles pünktlich
hatte
comman-
seiner Kompetenz versehen mit
Aber wie denn in Preußen und genau herzugehen pflegt,
was die Verwaltung betrifft, so erhob sich alsbald ein Compe-
65 tenz-Conflict zwischen den
verschiedenen Verwaltungsbranchen,
um die Verpflegung des nicht wohl zu classificirenden Amphi
Die Militär-Lazareth-Verwaltung
sagte:
Wir haben
ihn nicht zu verpflegen, denn er ist Feldgeistlicher.
Die Feld-
biums.
Intendantur:
Wir
er ist von der Truppe
gewiß nicht, denn
abcommandirt und Euch überwiesen.
So würde es uns Allen
haben geschehen können und ich kann in dem Wechsel der Binden die Lösung des Räthsels nicht finden.
Ich kann mir dieselbe
nur in zweifacher Weise denken. Die erste Lösung; Es ressortirt die Lazareth-Geistlichkeit nicht allein vom Cultus-, sondern auch vom Kriegs Ministerium, wobei festgestellt wird, was ja im Ganzen gleichgültig ist, auf welchem
Etat sie figurirt, naturgemäß würde sie auf denselben Etat mit der
Lazareth-Verwaltung gehören.
Armee wird
in
Der Lazareth-Ober-Prediger der gesetzt
Correspondenz
Arzte der Armee und zwar so,
mit
dem dirigirenden
von
daß ihm
dem General-
Arzt seiner Armee amtliche Mittheilung gemacht wird von der
Etablirung der Lazarethe,
wann — wo sie geschehen und von
welchen Truppen sie belegt seien,
um annähernd daraus die
Confession, die in diesem oder jenem Lazarethe vorherrscht, be
stimmen zu können.
Der Lazareth-Ober-Prediger wird in Be
treff seiner Reisemittel unabhängig gestellt von der Etappe, bei
der er sich gerade aufhält, und reichlich mit ihnen ausgerüstet;
er kann dann auch den Transport seiner Prediger in den meisten Fällen selbst ner
übernehmen.
muß
Er
Feld - Superintendentur frei
schließlich ein Lazareth
sein,
er
Geschäfte sei
darf
weder aus
zur Bedienung übernehmen, noch darf
als
nur sehr vorüber
Seine Thätigkeit
ist wesentlich eine
seine Hülfe in einem Lazareth anders,
gehend erforderlich sein.
für die
organisatorische. Diese Form wäre, nach dem was wir in unserm Dienste
erfahren haben, besser gewesen als die vorhandene. einander hätte mehr aufgehört,
es wäre schon
Das Neben mehr ein Jn3*
66 sie
einander
dagewesen.
gelitten.
Es ist ein Fehler, ein neues Organ zu schaffen, wenn
Aber
ein vorhandenes den
Fehler
um
ist
so
auch
hätte
an Uebelständen
beabsichtigten Zweck erreichen
größer,
kann,
der
wenn das neugeschaffene unsicher,
weil ohne rechte Kenntniß der Zustände, Personen, Mittel und
Wege arbeiten muß, während das vorhandene im Besitz dieser Kenntniß ist und sich mit den übrigen in Betracht kommenden Factoren schon eingearbeitet hat; geschaffenen Organ
und wenn
ein Wirkungskreis
endlich dem neu
wird,
angewiesen
der
von ihm schlechterdings nicht zu übersehen und zu bereichen ist. Das Alles läßt sich bei der Creirung von Lazareth-OberPredigern,
die aus dem Civilverhältniß plötzlich für eine Zeit
in den Militärdienst übertreten, deren jeder für eine Armee zu
sorgen hat, durchaus nicht vermeiden. Allein man hat nicht nöthig, auf sie zurückzugreifen.
Im
Kriege etablirt man im Feindesland keine Lazarethe, die neben
den Militär-Lazarethen hergehen — es braucht mit den Laza-
reth-Predigern nicht anders zu sein, und
das ist die zweite
und, wie mir scheint, weitaus bessere Lösung.
Jedes Armee
korps hat einen dirigirenden Arzt, der, sobald es und
wo
Corps
es
hat
nöthig
einen dirigirenden Prediger,
den
nöthig ist
Jedes Armee-
ist ein Lazareth etablirt.
Militär-Ober-
Prediger, der, wie der dirigirende Arzt, beim General-Commando des Corps stationirt,
im Stande
ist, ohne große Mühe alle
nur wünschenswerthe Kunde über die Errichtung und das Be in kürzester Frist zu
stehen von
Lazarethen
stehen
außeretatsmäßigen
die
Feldprediger,
erlangen. die
Ihm
Divisions
prediger, die freiwilligen wie die etatsmäßigen, zu Gebote, ihm
stelle man eine entsprechende Anzahl
von bereits
eingezogenen
freiwilligen Lazareth-Geistlichen zur Verfügung; er habe außer dem die Vollmacht, aus einer ihm zu Gebote gestellten Anzahl
von Civil-Geistlichen, in einer bestimmten Reihenfolge, rasch aus zufüllende Lücken und mit möglichst geringem Verzug zu be-
67 setzende Posten, aus eigener Initiative zu ergänzen und zu ver
sehen.
Wird das Corps an
einer Schlacht betheiligt werden,
so hat er die vorhandenen Lazareth-Geistlichen denjenigen Feld-
lazarethen des Corps zuzutheilen, die in die unmittelbarste Nähe
des Schlachtfeldes commandirt sind, sie sind dann am Schlacht tage schon an Ort und Stelle.
Der Uebelstand
wäre
dabei
wohl nicht zu vermeiden, daß, wie an einem Orte Lazarethe ver
so auch an dem
schiedener Corps zusammen kommen können,
selben Orte Prediger verschiedener Corps sich treffen müßten. Träte indessen der Fall ein, so wäre ein solches Zusammensein
gar kein Unglück, da ja die Arbeit an dem Schlachttage und
an denen, die ihm folgen, eine so große ist, daß gewiß Nie mand der Anwesenden überflüssig sein würde.
Nach den ersten
Tagen würden aber die verschiedenen Ober-Prediger sich leicht arrangiren und
eine zweckmäßige Vertheilung der vorhandenen
Kräfte vornehmen können. Freilich ist hierbei die Voraussetzung, daß die Militär-Ober-Prediger mit der Armee mobil werden, und daß ihre Functionen daheim von Stellvertretern ver
sehen werden.
Diesen Stellvertretern würde die Sorge für die
geistliche Pflege der Reservelazarethe in der Heimath zufallen, in
welchen dann Privatvereine für Entsendung freiwilliger LazarethGeistlichen ein übersichtliches Feld für ihre Thätigkeit finden wür den. Nil perfectum sub sole. Auch dieser Mechanismus wird es
nicht sein.
Aber arbeitete
er
nur
so
gut, als der jetzt be
stehende, so wäre er darum schon besser, weil er der einfachere ist.
Wie alles Einfache, so ist er es aber auch in sich. Von
allem Andern, was ich nicht wiederholen will, hier abgesehen,
auch noch darum,
weil er möglichst abgegrenzte, übersichtliche
und darum mit Liebe und mit Nutzen
zu
bearbeitende Felder
der Thätigkeit darbietet; jedem Militär-Ober-Prediger nämlich
den bekannten und liebgewonnenen Boden seines Armee-Corps. Man denke sich dagegen das Feld,
das ein Militär-Lazareth-
Ober-Prediger jetziger Organisation zu bestellen hat. Ein Theil
68 der alten l. und II. Armee ist in Metz,
ein anderer in der
ein dritter marschirt auf Orleans
Normandie,
wer weiß wohin.
und von dort
Ueberall wird's leider Lazarethe geben. Un
möglich ist, auch nur annähernd einen Ueberblick gewinnen und zu behalten,
dent zu den,
der
sein,
über sie zu
noch unmöglicher ihr Superinten
am allerunmöglichsten aber ist das Alles für
keinerlei
militärischen
amtlichen
Connex
hat, für
den armen Militär-Lazareth-Ober-Prediger im Dienst der frei willigen Krankenpflege.
Ob bei dieser Organisation die Feldpröpste der Armee mit
ins Feld rücken, und derweilen Stellvertreter im Jnlande er halten, oder umgekehrt;
ob
stellvertretende
Feldpröpste
über
haupt nothwendig sind oder ob sie entbehrt werden können: für und
wider Jedes
läßt sich
sagen.
Manches
darüber kein Urtheil erlauben,
weil
ich
Ich
will
mir
diese Frage für so
wichtig eigentlich nicht halte und weil mit jeder der Annahmen die oben angegebene Organisation der geistlichen Lazarethpflege
bestehen kann. Wenn von der freiwilligen geistlichen Lazarethpflege und ihrer Organisation die Rede ist: so wäre es Unrecht, nicht auch des
Vereines zu gedenken, Entsendung
der
sich in der Rheinprovinz für die
freiwilliger Lazarethprediger
gebildet
hat.
Nach
dem mir vorliegenden ersten Berichte hat er in der kurzen Zeit seines Bestehens über 5000 Thlr. vereinnahmt und verausgabt.
Die Einnahmen sind meist aus der Rheinprovinz durch Kirchencollecten, Sammlungen in und Gaben aus den Gemeinden
zusammengeflossen.
Der Verein sendet Geistliche, die er beruft
und besoldet, an die verschiedenen Lazareth-Ober-Prediger, die sie verwenden; er schickt Colporteurs aus — und hat auch der
Turcos in Liebe gedacht und ihnen den Missionsprediger Lowitz zugeführt,
um
auch mit ihnen „in seelsorgerischen Verkehr zu
treten." Alle Anerkennung dem Sinn, der sich in den reichen Gaben
69 aus den Gemeinden der Rheinprovinz ausspricht! Es durchdringt fürwahr ein schöner,
opferfreudiger Geist unser Volk in dieser
schweren Zeit; man zeige ihm irgend ein barmherziges Werk,
das noch zu thun ist und Herz und Hände wenden sich ihm unverdrossen zu.
Alle Anerkennung nicht minder den Männern,
die den vorhandenen Sinn zu schöner That ausgestaltet haben! Aber
hat der
befürchtete Mangel
an Lazareth-Predigern
im Felde (der Verein datirt vom 4. August) Leben gerufen:
wie bekannt,
den Verein in's
so war diese Befürchtung ungerechtfertigt,
eine hinlängliche, ja eine
da,
überflüssige Zahl von
Geistlichen der Behörde jeden Augenblick zu Gebote stand und
ihrer Verwendung im Felde — so zu sagen mit Sehnsucht — harrte,
da auch
standen und
die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung
zwar
ebenfalls in reichem Maße.
Es ist also
wohl das Verlangen gewesen, daß geistliche Pflege in reichstem Maße möchte geleistet werden können,
was den Gebern und
Leitern im Sinne gelegen hat. So sehr ich es theile, so glaube ich, müssen wir uns davor hüten,
den Gedanken
unsern Ge
meinden nahe zu legen, daß der Staat für die geistlichen Be dürfnisse seiner Kinder, die freudig ihr Blut für ihn vergossen
haben und nun auf den Tod wund da liegen, nicht aus sich
selbst und durch seine Ordnungen so sorgen könne und wolle, wie sie ein Recht haben cs zu fordern, während er doch gerade hier in vollaus genügender Weise war.
zu sorgen im Stande und bereit
Wo etwas fehlte in dieser Hinsicht, fehlte es nicht aus
Mangel an Kräften, sondern aus Mangel an Organisation, und diesem Mangel hat der Verein nicht abhelfen können.
Ich
wünschte, er hätte sich ein specielles Feld der Thätigkeit ausge
sucht; z. B. er hätte sich's ausgebeten, die Lazarethe der Rhein
provinz mit seelsorgerischen Kräften und mit Lectüre
auszu
statten, gleichsam ein Gastgeschenk der rheinischen Kirche an ihre
unfreiwilligen Gäste,
oder er hätte von
der Aussendung von
Geistlichen ganz abgesehen und sich die Beschaffung von guter und
70 reichlicher Lazareth-Lectüre gemacht.
zu
seiner
Er würde dann etwas
ausschließlichen Aufgabe
gethan haben, was ziemlich
ungethan geblieben ist, während er jetzt thut, was im Grunde
und im Ganzen auch ohne ihn eben so wohl gethan sein würde, mit Ausnahme des guten Werkes, das er an denTurcos thut.
Schließlich sei noch bemerkt, daß Colporteurs zur Schriften-
vertheilung in den Lazarethen auszusenden durchaus nicht zweck entsprechend erscheint.
Kein Chefarzt wird
einen Mann,
den
er nicht kennt, in sein Lazareth einlassen, um Bücher zu ver-
theilen, die er ebenfalls nicht kennt, und kein Lazareth-Geistlicher wird unbesehens für den Colporteur aufkommen oder für seine Bücher.
Es ist genug, daß der Geistliche die Bücher besitze, und
die bekommt er auf die einfachste Weise durch die Vermittlung der Johanniter-Depots.
Johanniter!
Wer von allen Seiten getadelt werden will,
der muß nur das Geschäft übernehmen, Gaben, die von Andern mit großer Liebe gesammelt sind,
um einem Nothstände abzu
helfen, nach bestem Wissen und Gewissen
zu vertheilen.
Der
Kreis der Unterstützten wird nicht befriedigt werden, denn jeder
von ihnen stellt in seinen Gedanken die ganze Größe der Opfer
freudigkeit, den ganzen Reichthum der Gaben sich und seinen kleinen Bedürfnissen gegenüber und ist geneigt, mit verdächtigem
Blick das kleine Theil zu betrachten, das auf ihn entfallen ist — im Vergleich besonders zu dem größeren, das etwa dem Nach bar zu Theil geworden. Und die guten Geber hören die Klagen
der Enttäuschten,
der nicht ganz Befriedigten
und sind miß-
stimmt; sie haben ja so gern und reichlich gegeben, eben damit
keine Klage kommen sollte — nun ist fast Niemand zufrieden.
Jeder der in dem kleinsten Oertchen in einem Unterstützungs Comite für die Familien eingezogener Landwehrleute gearbeitet hat, muß die Erfahrung
machen, daß nach
dieser Seite hin
seine Arbeit eine so undankbare ist, wie sie nur gedacht wer den kann.
71 Und
Arme Johanniter! überreichen Gaben
eines
unter Anderem
solltet
ihr
ganzen
großen Landes
umliegenden Länder so vertheilen,
die
und einiger
daß die höhe der erzielten
Befriedigung gleich wäre der Höhe der Opferfreudigkeit. Keine
von den kolossalen Schwierigkeiten eurer Aufgabe ließ euch das
hastige Urtheil der warmherzigen aber auch heißköpfigen Menge zu Gute kommen, für Alles wart ihr
daß die Briefe so langsam zu den
verantwortlich! sogar,
Verwundeten
kommen ist
eure Schuld, und Kladderadatsch giebt, euch sehr lustig zu beden
ken,
der Mensch im Felde oft nicht 60—70 Jahre
daß
werde und darum weniger Zeit
Man sollte glauben,
als der Mensch zu Hause. der
alt
habe auf Briefe zu warten,
ersten Christengemeinde versetzt
zu sein:
in die Zeit
Christianos ad
leones könnte in zeitgemäßer Uebertragung fast heißen:
„Die
Wozu brauchen wir auch
Johanniter sind an Allem Schuld!"
Johanniter? Ein kurzer, ruhiger Blick reicht hin, um uns zu belehren,
daß die opferfreudige Theilnahme unseres Volkes für die Ver wundeten und Kranken fast nutzlos wäre, wenn wir hanniter
gehabt
nicht aus,
hätten.
Die
„Gaben'"
sondern die „Kräfte"",
keine Jo
machen den Dienst
und zwar die zur Zeit der
Noth bereiten und nicht erst aufzusuchenden, zu organisirenden, mit einander auszugleichenden Kräfte. streitbare,
Das ist aber die unbe
großartige Bedeutung des Johanniter-Ordens, daß
in ihm ein über das ganze Land verbreiteter, zu jedem erfor derlichen Dienst verbundener,
im Dienst erfahrener Organis
mus bereit steht, sofort in Wirksamkeit zu treten, wenn die Noth
es erfordert.
In ihm und in ihm allein liegt die reale Mög
lichkeit, den reichen Strom der Liebe, der im Vaterlande fließt,
in möglichst kurzer Zeit,
in möglichst
geordneter Weise
bis in die entferntesten, kleinsten Canäle in Feindesland zu lei ten.
Er ist die Transmission, die den Ueberschuß der Kräfte
dahin überträgt, wo
Kraft mangelt und Kraft wirken kann.
72 Man denke sich die trostlose Confusion, die entstehen würde, wenn bei einem Plötzlich ausbrechenden Kriege, wie z. B. der jetzige ist, — erst ein Organismus geschaffen werden müßte, der sich dann der colossalen Arbeit unterziehen sollte. Aus wel chen Elementen sollte er bestehen — wie disparat würden sie zu einander sein — wie schlecht, wenn überhaupt ein Organisirtes herauskäme, was sehr zu bezweifeln ist, wie schlecht würde er arbeiten! Muß also auch im Frieden der Orga nismus da sein — auch in einiger Uebung, um nicht einzu rosten, — wenn er, was die Hauptsache ist, im Kriege sofort mit mobil soll werden können: so ist die Form des weltlichen Ordens, wie unsere Verhältnisse jetzt sind, wohl die geeignetste unter der er existiren kann. Die Gleichartigkeit der Glieder, ihre Beziehung zum Heere, vermittelt durch ihre frühere Zugehörigkeit zu demselben, durch Verwandtschaft und sociale Beziehungen, sind nothwendige und im Orden allein herzustellende Bedingung für das Bestehen im Frieden und für rasches Eintreten und gedeihliches Wirken im Kriege. Die Le bensstellung der Ordensglieder als Officiere, Staatsbeamte, Besitzer und Verwalter größerer oder kleinerer Güter, befähigt sie ebenso zur Kenntniß der einschlagenden Verhältnisse, als sie in ihr sowohl dienen, als befehlen lernen. Endlich kommen dem festgeschlossenen Orden die Erfahrungen, die gemacht wer den im Einzelnen wie im Ganzen weit mehr und sicherer zu Gute, als einem freien Verein, und eine Verwendung der ein zelnen Persönlichkeiten je nach ihrer Befähigung ist in ihm leichter, ich möchte sagen, fast allein möglich. So halte ich es für durchaus unangemessen, gegen die Ver wendung des Johanniter-Ordens als eines Ordens aufzutreten, wie man das vielfach thun hört. Hat sich doch in diesem Kriege überall herausgestettt, daß, je fester die Hülfeleistung in sich organisirt ist, um so größer der Dienst ist, den sie leistet.
73 um so größer auch die Bürgschaft, die man für die Tüchtigkeit
des Einzelnen hat, der zu ihr gehört.
Aber
auch
hier,
im Punkte der
Thätigkeit und
tigkeit seiner einzelnen Glieder ist der Orden vielfach
Tüch
und mit
den härtesten Beschuldigungen angegriffen worden. Glaubt man dem Einen, so sind Johanniter und Müßig
gänger, „höhere Schlachtenbummler," ziemlich identische Begriffe. Sie haben in der Stadt die besten Quartiere, fahren und rei
ten zur Abwechslung über Land und über die Schlachtfelder, sam meln Kriegs-Raritäten, sehen auch wohl einmal in ein Lazareth
hinein und notiren sich die Bedürfnisse desselben, ohne daß das weitere Folgen hat, frühstücken, so oft es angehen will, und ver
bringen so ihre Zeit auf die angenehmste, nichtsnuhigste Weise. Der Andere weiß von ihrer Depotverwaltung die interessantesten
Dinge zu erzählen; wie ihm z. B. in einem Johanniter-Depot, als er Cigarren für das Lazareth requirirte, 10 Stück gegeben
wurden, oder vielmehr angeboten' denn er nahm sie natürlich nicht;
einem Andern
ist,
als er Schinken forderte, die ewig
denkwürdige Antwort gegeben: es 'ei kein Schinken angeschnitten;
einem
Dritten hat
terswasser gegeben;
er vielleicht lagerten.
man für's
Lazareth zwei Flaschen
einem Vierten ein paar Decken,
hundert bedurfte und reichlich
Sel
während
so viele im Depot
Wer könnte nicht aus seiner eigenen Erfahrung die
Zahl der Anekdoten vermehren?
Dabei,
heißt es, leben die
Herren selbst aufs vortrefflichste von dem, was in ihren Depots vorhanden und
doch für sie gewiß nicht gegeben ist.
Man
spricht gerade so, als ob die Johanniter bloß ausgezogen wä
ren, um einmal gut essen und besonders gut trinken zu können und dafür obendrein noch kann mir natürlich
einen Orden zu bekommen. — Es
nicht von Weitem in den Sinn kommen,
die einzelnen Thatsachen oder Anekdoten ihrem Werthe nach zu
würdigen.
Ich müßte dazu in der Lage sein, den wirklichen
Thatbestand jedesmal feststellen zu können, was ebenso unbe4
74
dingt erforderlich, als durchaus unmöglich ist. ich nur,
nach eigener Erfahrung,
Rathen möchte
sich möglichst kritisch ihnen
gegenüber zu verhalten. „Es geht gar bald eine Sage", beson
ders im Kriege; und unliebsame Sagen der in ihren Erwar tungen nicht Befriedigten werden sich naturgemäß an die hän
gen, die das Amt und damit die Verantwortlichkeit übernommen
den Erwartungen zu entsprechen.
haben,
giebt
Einrichtungen sind da,
man
Die Personen,
die
ihnen die Schuld, so ist
man der Mühe überhoben, nach andern tiefer liegenden Gründen wozu man in der Regel weder aufgelegt noch be
zu forschen,
fähigt ist. Zweierlei habe ich immer festgehallen in meinem kritischen
Urtheil über
die Leistungen des Ordens.
Erstens:
Die Lei
stungen einer Gemeinschaft im Ganzen hängen von der Voll kommenheit ihrer Organisation, wie die Leistungen im Einzelnen
von ihrer Disciplin ab. Da nun wieder die nothwendige, straffe
Disciplin von der zweckmäßigen, streng durchgeführten Organi
so hat ein ruhiges und gerechtes Urtheil
sation bedingt wird,
auf alle Mängel und Gebrechen, die in den Leistungen her vortreten,
zuerst
die
Organisation anzusehen,
mutmaßlichen Ursprung.
als ihren
Darum ist's allerdings nöthig, alle
Mängel und Gebrechen genau festzustellen und sorgfältig zuregistriren,
in
damit die Gemeinschaft in den Stand gesetzt werde,
sorgfältiger, sachgemäßer Prüfung der günstigen und
der
ungünstigen Ergebnisse das Mittel zu finden, die vorhandenen Schäden zu heben.
den vorhanden sein.
Auch bei den Johannitern müssen Schä
Die Organisation des Ordens kann nur
durch die Erfahrung des Ordens eine möglichst vollendete wer
den.
An Erfahrungen aber stehen dem Orden nur der kleine
Krieg 1864 zum Theil und der große, aber kurze Krieg 1866 zu
Gebote.
Daß die dort gemachten Erfahrungen nutzbar gemacht
sind, zeigen die enormen Leistungen des Ordens in dem gegen wärtigen «Kriege, in welchem das Feld seiner Thätigkeit Dimen sionen angenommen hat, die über alle Erwartung hinausgehen.
75 Welcher vernünftige Mensch über würde annehmen wollen, daß sie hinreichend gewesen wären,
stalt geben zu können?
um ihm eine vollkommene Ge
Trägt nun der Orden seine Mängel
nicht geduldig, sondern sucht treulich und mit Geschick sie zu Lessern, so ziemt denen, die seine Dienste genießen, daß sie die
Mängel, die unvermeidlich,
und deren Hervortreten gut und
geduldig tragen,
ist,
nützlich
und nicht die Institution ver
werfen um der ihr noch anhaftenden Unvollkommenheit willen.
Zweitens habe ich mir, so oft Geschichten von ungeschickten schlechten Johannitern
und
charakterisiren sollten,
den Orden
gesagt: Wenn das Himmelreich in seiner zeitlichen Erscheinung das allerlei Fische umschließt, gute Fische
einem Netze gleicht,
wie sollte
uui) faule Fische:
es
mit
dem Johanniter-Orden
Und wenn Niemand um der faulen Fische
anders sein können?
willen, die sich im Netze befinden, sagen darf: „wie die faulen
Fische, so ist das Himmelreich": so darf auch Niemand sagen: „wie die schlechten Johanniter, so ist der Orden."
hätte man Orden
nach
seiner
mender Menschen man lieber will,
wenn der
ganzen Anlage das Eintreten untheilneh-
begünstigte.
Aber
daß kein Stand im Staate,
Augen,
Nur dann
zu solcher leichtfertigen Nede ein Recht, es
ja
liegt
vor Aller
kein Lebenskreis, wenn
durch eine lange, für beide Theile ruhmvolle
Geschichte, so mit dem Heere verwachsen ist, wie der preußische Adel.
Ein Orden also, der sich aus ihm recrntirt, hat die meiste
Aussicht,
nur
solche Mitglieder zu haben, die
von
ganzem
Herzen theilnehmen am Wohl und Wehe des Heeres. Und thun wir das, Gott sei Dank, Alle: ein sehr specielles Interesse ne
ben dem allgemeinen hat doch jener Stand.
das. Volk im Ganzen
Bietet demnach
ein gutes Material für die Erreichung
der Zwecke des Ordens, so muß es doch
dabei bleiben, daß
der preußische Adel ein eminent gutes Material dafür darbietet, und dieses Urtheil wird durch sehr viele Anekdoten nicht um
gestoßen werden können. Zur Steuer der Wahrheit muß ich nun noch bemerken, daß
76 ich von schlechten, weil ich
viel
ungeschickten Johannitern gesprochen habe,
und häufig habe von ihnen reden hören.
Augen gesehen habe ich nicht Einen. und alte,
denen
ich begegnet bin
Die Johanniter, —
Mit junge
(in Paranthese:
ohne
einem von ihnen näher getreten zu sein) — habe ich jederzeit liebenswürdig
und
gefunden.
dienstfertig
Ungeschickt aber
dürften sie doch auch nicht gewesen sein, wenn ich bedenke, daß
nicht allein die pflegenden Schwestern und Felddiakonen, son dern so ziemlich Alles und Jedes, was an Verpflegungs- und
Erquickungsmitteln für die Lazarethe, die ich
kennen
gelernt
habe, vorhanden war, und sehr Vieles von Heil- und Beklei dungsmitteln, ausschließlich
durch Vermittlung der Johanniter
uns und unsern Kranken zugeflossen ist, und zwar in kurzer Zeit und in reichem Maße.
Wenn ich mich nun frage, woher die falschen Urtheile über die Johanniter und ihre Wirksamkeit wohl kommen mögen: so
finde ich Manches, was zwar ganz natürlich ist, wofür aber der Orden nicht kann, Manches, was in seiner Art, die Dinge
zu thun, liegt, und was geändert werden kann.
Um beim Ersten zu beginnen: Alle im Kriege Beschäftigten hatten einen Dienst zu thun, der große körperliche Anstrengung erfordert.
aber,
der
Man sah sie arbeiten. hauptsächlich
Befehlen besteht,
zeigt diese
oder doch nur seltner.
Der Dienst der Johanniter
Leiten,
im
Anordnen,
Jnspiciren,
äußerliche Kraftanstrengung nicht,
Da fielen denn die Zuschauer in den
Fehler, den die arbeitende Classe, in specie die Bauern, so oft gegen ihre Geistlichen begehen: sie meinen, die arbeiten nicht, weil sie's nicht mit den Händen thun.
im Hauptquartier des Ordens
Bisweilen mögen sich auch
mehrere Johanniter
zusammen
befunden haben, die, weil ihre Lazarethe evacuirt, ihre Kran kenträger überflüssig geworden, ihre Depots geschlossen waren,
kürzere
oder
befanden.
längere Zeit
ohne
bestimmte Beschäftigung
sich
Ja, es ist wohl anzunehmen, daß da ein beständiger
Zu- und Abfluß hat stattfinden müssen; es werden also immer
77 augenblicklich unbeschäftigte Männer dagewesen sein. Das sehen
aber daß dieselben von einer Arbeit
denn die Durchreisenden;
kamen, um zu einer Arbeit zu gehen, sehen sie natürlich nicht;
gefragt oder ungefragt können sie sagen:
wir sahen ihrer,
so
lange wir uns an dem Orte aufhielten. Viele müßig.
Die Entbehrenden ferner, wir in Feindesland waren,
und
das waren wir Alle,
die
sind sehr geneigt, zu denken, daß
diejenigen, die verwalten, was sie selbst entbehren, bei der Ver
waltung sich gewiß nicht vergessen werden. naß als man sein kann,
Als wir einst,
so
von einer verunglückten Konferenz in
N. einkehrten und mit geheimem Schauder in den sauern, kal
ten rothen Wein hineinblickten, den wir trinken sollten, rief ein älterer Officier einigen Kameraden zu:
wo Sie hier im Orte ein Glas
Ihnen will ich sagen,
guten Weines bekommen; den
Herren mit der Johanniter-Binde sage ich's nicht; die Herren
wissen doch schon so an etwas Gutes zu kommen. Es war halb Scherz, halb Ernst; er theilte uns auch seine Wissenschaft mit,
nachdem wir ihm versichert, daß wir guten Wein auch nur vom
Hörensagen und aus der Erinnerung kennten.
Verwaltung haben: und in Freuden.
Es ist derselbe
die Pfleglinge der Lazarethe so leicht ihre
Verdacht, in dem
wir müssen darben und sie leben herrlich
Und wenn ein Engel vom Himmel Lazarethe
oder Johanniter-Depots zu verwalten hätte,
so würde er dem
Verdachte nicht entgehen, daß er sich an den Vorräthen dersel
ben gütlich thue. Denkbar ist gewiß, daß wie an jedem Orte sich eine Ueberzahl
von Dienenden herzugedrängt Orden
eine
den Dienst gestellt worden ist, ger, strammer Dienst
möglich war.
dehnt hat,
hat,
Fülle von Kräften,
um
der
Je weiter
so
auch beim Johanniter-
vielleicht
eine Ueberfülle
in
und daß dadurch ein beständi
weder
Einzelnen
erforderlich noch
sich das Feld der Thätigkeit ausge
so mehr Kräfte werden allerdings darauf ge
braucht werden müssen, und so wird stattgefunden haben.
Jedenfalls
eine Ausgleichung bald
aber
ist,
da
ein
genauer
78 Überschlag nicht zu machen ist, die Ueberfülle der Spärlichkeit vorzuziehen.
Mehr zu Lasten des Ordens füllt eine gewisse Ungleich der Verwaltung der Depots.
mäßigkeit in
Anschein herrischen
oder des
Wesens,
weil
als
Sie gab den
letzter
Grund
dieses
entgegengesetzten Prinzipes in der Verwaltung
nur
das bon plaisir des delegirten Johanniters oder seines Ver
walters zu erkennen war; und da, wie es mir scheint, die De legirten und Verwalter häufig wechseln, so bekommt die Ver
der Depots
waltung giebt auf
leicht etwas Willkürliches.
Ein
Depot
einen Bedürsnißzettel des dirigirenden Arztes,
ein
anderes verlangt, wenn es Lazarethbedürfnisse geben soll, einen Corpsbefehl;
eins giebt reichlich, das andere hat das Princip,
möglichst viel auf Lager zu halten.
Und
diese verschiedenen
Principien werden in einander naheliegenden Lazarethen befolgt.
In der so wichtigen Depotverwaltung scheint mir ein Mangel an
leitenden Grundsätzen vorhanden und in das Befinden der ge rade dirigirenden Persönlichkeit zu viel gelegt zu sein.
lich, wenn das Geben
nach festen Normen
Frei
geregelt werden
sollte, muß auch das Fordern nach festen Formen geschehen,
damit eine möglichst gleichmäßige Vertheilung des Vorhandenen
in die einzelnen Lazarethe erzielt werden könne. Der allgemeine
Eindruck war der,
daß die Depots
nicht flott genug
geben,
sondern zu sehr darauf bedacht seien, immer ein Lager zu be
halten.
So entstand die Befürchtung, daß Vieles
nach Deutschland verderbe,
was
in
gebracht
und
Frankreich
im Frieden
mancher
wieder mit
alt werde
oder
Noth hätte abhelfen
können.
Es würde sich die Frage, auf die es hier ankommt, wohl
so stellen lassen:
Hat der Chefarzt das Recht,
das Erforder
liche für sein Lazareth beim Johanniter-Depot zu r equiriren,
oder hat er darum zu bitten?
in die andere auflösen:
Und
diese Frage würde sich
Ist die freiwillige Krankenpflege
der
ordentlichen, militärischen Krankenpflege unter- oder neben-
79 geordnet. Weil dieser wichtige Punkt aber, so viel ich habe verstehen
so leidet eben auch die
können, principiell nicht entschieden ist, Praxis hier an einer
und das Verhältniß der
bedauerlichen
beiden Zweige der Krankenpflege oft trübenden Unklarheit. Ich muß mich auch hier für eine vollständige Unterordnung
unter die militärische Medicinal-Behörde anssprechen, nicht bloß für
eine Unterordnung
mann,
nicht
bloß
in zweifelhaften Fällen
für
ein
Anschließen
an
Wer
dem Heere
dienen will,
Militär-Behörde,
die
sondern für eine Unterordnung überall
gen.
(wie Brink
freiwillige Krankenpflege im Kriege", S. 13),
„Die
und
in allen Din
hat sich dem Heerwesen
einzuordnen und der Heeresleitung unbedingt zu folgen.
Nur
die Heeresleitung in jedem Zweige des Dienstes ist im Stande,
wo in dem ganzen Bereich ihrer speciellen Thä
zu übersehen,
tigkeit die vorhandenen dienstlichen Kräfte nicht ausreichen, nur
sie vermag dafür zu sorgen,
gegebenen Orte
sein können,
daß zur gegebenen Zeit und am
die disponiblen
freiwilligen Kräfte vorhanden
nur sie vermag die rechte Gleichmäßigkeit in der
Arbeit dieser Kräfte hervorzubringen.
willigkeit nicht zu Schaden kommen. der will doch freiwillig
dienen,
Es wird dabei die Frei
Wer freiwillig dient, und
zwar der Johanniter
nicht dem Orden, der Geistliche nicht der Kirche, der Arzt nicht der Wissenschaft,
die Diakonissin
oder Ordensschwester nicht
dem Hause, das sie entsendet, sondern Alle wollen dem Staate
dienen.
Sie wollen Alle dem Staate diejenigen Kräfte zufüh
ren, die er, außer den ihm gesetzlich zu Gebote stehenden, be
darf, um die Arbeit zu thun, gebenen Falle thun soll.
die er seiner Idee nach im ge
Ihnen geschieht
also nur,
was sie
wollen, wenn der Staat, sobald er ihre Dienste annimmt, alle ihre Kräfte sich unterordnet und sie seinen bestehenden Organen
einfügt und so
ihrer Freiwilligkeit,
zum Segen
sogar den Schein der Willkürlichkeit er ihr alle Kraft,
für
dieselbe,
nimmt, während
die in der Freiheit der Hingabe, im Ernste
der Begeisterung liegt, ungeschmälert läßt und ihr als Gegen-
80 gäbe das Bewußtsein der Zweckmäßigkeit ihres Dienstes und ihrer
gliedlichen Einordnung in das wunderreiche Leben des Ganzen giebt.
eines
Durch die Ernennung
Militär-Inspecteurs
der
die Königliche Weisung sich
freiwilligen Krankenpflege,
durch
der Militär-Krankenpflege
a nzu schließen,
der
ist
Schritt
angebahnt, der in der Organisation der freiwilligen Kranken
wird:
die
Unterordnung unter die betreffende Stelle des Heerwesens.
—
pflege meiner Ueberzeugung
nach der nächste
sein
Als an ein Analogon möge noch daran erinnert werden, daß ja auch in diesem Kriege nur das wirkliche Hülfe gebracht
hat, was als Organisirtes aufgetreten ist.
Ich denke dabei an
die freiwilligen Krankenwärter, Krankenträger und Alles, was in diese Kategorie fällt. Jeder, der mit draußen gewesen ist, wird es mit mir sagen, daß
der Grund, warum Diakonissen, barmherzige Schwestern, Helfer, wie z. B. die sächsische Felddiakonie, das Rindfleisch'sche Corps,
die Kölner Krankenträger und Andere, so segensreich gewirkt haben, der ist, daß sie als organisirte Hülfe auftraten; in ihrer
Organisation lag ihre Kraft.
gewiß
Darum
nicht
am we
nigsten, weil solche übersichtliche, begeisterte, in sich geschlossene Körper keine fremden faulen Elemente
in sich aufnehmen oder
unter sich dulden und weil sie allein im Stande sind und das lebhafteste Interesse daran haben,
sich zu vergewissern,
ob der
und jener, der gern mit möchte, fähig und würdig ist, ein Glied an ihrem Leibe zu sein. Ich bin gewiß, daß keine der tüchtigen
Schaaren Jemand unter sich ausgenommen hat auf Grund eines polizeilichen Leumundsattestes.
Künftig wird man auch wohl hier Niemand, der auf seine
eigene Hand kommt, zulassen, sondern verlangen, daß jeder, der dienen will, als Glied einer seine Thätigkeit verbürgenden Ge
meinschaft diene.
Dann
wird
die Qualität der Kräfte,
der freiwilligen Krankenpflege zu Gebote
stehen
werden,
die
den
möglichen, keineswegs gewissen Ausfall in der Quantität mehr
als reichlich ersetzen.
81 Unsere Soldaten in Feindesland. Von unserm Einzug in Frankreich bis zu unserm Ausgang
haben wir so vielfache und sich oft Aussagen
gehört
diametral entgegenstehende
Verhalten
das
über
unserer Soldaten
Orte „die Preußen" Alles genommen; — Frauenkleider,
bensmittel, Stühle,
Bettwäsche
und Waschgeschirre.
aber heißen vorläufig alle deutschen Soldaten. Seite
in
Glaubt man den Franzosen, so haben in jedem
Feindesland.
Le
Preußen
Auf der andern
hört man dieselben Franzosen über die Einquartierung,
die längere Zeit bei ihnen liegt,
im Mindesten
nicht
klagen,
vielmehr ist das Verhältniß der Einquartierung zum Quartier
geber in dem Maße, als es ein längeres ist, auch ein besseres.
Schon in Falckenberg erzählte
uns
eine alte Frau aus
dem
Dorfe: die Furcht vor den Preußen sei groß gewesen und Alles
habe
sich
geflüchtet;
die
Armen
aber
seien bald
zurückge
kommen, die Reichen freilich seien noch draußen; mit den Sol
daten verständen sie sich sehr gut, die seien schon wie ihre Kinder.
Auf dem Wege quer durch das Land von Falckenberg nach Pont-aMousson hatten wir in den Dörfern, wo Truppen lagen, überall
Gelegenheit
dasselbe zu hören, und zu sehen,
Einvernehmen
voraussetzt;
was ein solches
manches friedliche Bild:
wie der
kunsterfahrene Artillerist seinem erstaunt zusehenden Wirthe das
Rad am Wagen reparirt, wie der bärtige,
wilde Preuße vor
der Thür mit den Kindern spielt, oder bei den Dorfschönen
sich liebenswürdig macht.
Dagegen wiederum ist auch manche
Erzählung von Excessen,
die sich unsere Truppen hätten zu
Schulden
kommen
lassen,
deutsche Berichterstatter,
nach Deutschland
und
weitere Verbreitung gefunden,
gedrungen durch
oft hat eine solche Mittheilung als
sie verdiente und vielleicht
auch, als die sie später rectificirende amtliche Mittheilung. Je
denfalls
muß
auch das als ein erfreuliches Zeichen der Zeit
anerkannt werden, daß unser Volk mit treuen, wachsamen Augen
auf
das Verhalten
der Soldaten in
Feindesland
blickt und
82 Rohheit ebenso
an ihnen
wenig
Unser Ruhm soll,
auch
dulden
will,
als
Feigheit.
nach unseres Volkes Sinn, nicht der
daß wir in Allem ein gutes
Kriegsruhm sein,
sondern der,
Gewissen haben,
im Kampfe und wenn er beendigt ist.
Ich
freue mich, sagen zu können, daß nach Allem, was ich gesehen und trotz Manchem, was ich gehört habe, unsere Soldaten sich diesen Ruhm treulich
bewahrt
haben.
Man muß bei
einem
Urtheil über diesen Punkt festhalten, daß man nur dann recht urtheilen kann,
sieht.
wenn man von vereinzelten Erscheinungen ab
Daß unter
8—900,000
Männern lange nicht Alle
gut und ehrlich sind, nicht einmal im Frieden und unter den
günstigsten Verhältnissen, wissen wir Alle, bei uns selbst gar nicht,
Männer
eine
Art entfällt.
wenn aus
entsprechende Anzahl
und wundern uns
diese Zahl erwachsener von Uebelthätern
allerlei
Im Kriege nun ist das Verhältniß für die Be
wahrung der Moralität entschieden
viel ungünstiger.
er das Beste heraus, was im Menschen ist:
Fordert
er ruft auch das
Schlechteste wach und läßt es oft als ein Gerechtfertigtes er
scheinen.
Der Krieg hebt das sittliche Gesetz, das zwischen den
Kriegführenden bestand, zum Theil auf. belügen, betrügen, bestehlen, tödten sogar. des
Wie weit geht diese
Man ist nur der Feind des Feindes in Waffen,
Aufhebung?
nicht
Man darf den Feind
„friedlichen Bürgers".
Aber wenn nun auch der
Bürger feindlich wird in Gesinnung und Werken, ja, wenn er
nicht ehrlicher Feind wird, sondern Bandit, heimtückischer Mörder? Wenn dazu die
Roth, der Trieb der Selbsterhaltnng, groß
wird: wie schwer ist es, wie unmöglich muß es da für Manche sein,
sich unbefleckt in ihrem Gewissen zu erhalten.
Run ist
es wahr, und das ist auch ein rechter Segen für unsere Trup pen
gewesen,
die Disciplin
hilft auch hier der persönlichen
Sittlichkeit bedeutend nach, und je strenger sie ist, um so mehr
wird
der Einzelne in seinem Thun und mehr noch in seinem
Lassen auf das sittliche Niveau des Ganzen erhoben.
Da nun
unser Heer vor den bestdisciplinirtesteu Truppen der Welt den
83 unschätzbaren Vorzug hat, daß es nicht eine Classe des Volks, sondern das ganze Volk umschließt; da ferner die Schlechtesten
von der Kriegsehre und -Arbeit ausgeschlossen sind, so dürfen wir mit Recht
sagen :
dem Bürger.
stehen
Die Besten des Volkes
Endlich sympathisirt aus
im Feld.
Grunde unser Heer mit
demselben
Der Krieg ist nur eine Episode im Leben un
serer Soldaten, wie „der Dienst" überhaupt und an sich durch
aus keine erwünschte; sie selbst fühlen die Lasten, die er ihnen und den Ihrigen
auflegt und
sind
daher nicht geneigt, die
Lasten muthwillig zu vermehren, die der Feind zu tragen hat.
Nach allcdem ist die Voraussetzung, mit der wir beim Beginn des Krieges die Unsrigen in Feindesland ziehen sahen, vollaus
begründet: Als Ganzes wird unser Heer auch nach dieser Seite hin Probe halten, „wir werden uns auch gegen unsere Feinde
als Christen erweisen." Diese
Voraussetzung
hat sich
als richtig
daß
mannigfaltigsten Zeugnisse bestätigen,
erwiesen,
es also
die
geschehen.
Lügenhaften, anonymen Berichten über die Rohheit der deutschen
Heere treten die Berichte unparteiischer Fremden, die das Heer begleiten, mit ihren Namen entgegen;
unsere eigenen Bericht
erstatter, die gar nicht blind sind für das, was tadelswerth ist
im Heere,
spenden dem guten Sinn der Soldaten alles Lob;
die Feinde selbst, die Anfangs fliehen, aber bald zurückkehren und sich wohl dabei fühlen, müssen dadurch, wenn auch ein widerwilliges Zeugniß für die Sicherheit ablegen, die sie selbst und
ihr
Soldaten,
Eigenthum unter unsern wenn
sie
verwundet
Soldaten
oder
genießen.
krank dalagen,
Die haben
sich niemals der Gewaltthätigkeit gegen die Bürger beschuldigt. Daß sie Lebensmittel genommen hätten, wenn sie hungrig und durstig ohne Rationen
in ein Quartier gekommen und verge
bens gefordert hätten,
geben sie bereitwillig zu, und daß sie
dazu vollaus Recht hatten, wird ihnen Niemand bestreiten, wie es auch Niemand wundert, daß unsere deutschen Soldaten z. B. in
84 den ausgesogenen Dörfern
um Metz ihre Rationen mit ihren
hungernden Wirthen getheilt haben. Aber gerade wie's unsern Soldaten im Punkte der Lebens
mittel zu ergehen pflegte,
giebt einen Fingerzeig dafür,
was
von „Plünderung durch die Preußen" zu halten ist. Es ist be
kannt, daß unsere ausgehungerten Soldaten nirgend Lebens mittel vorfanden.
Zum Theil mögen sie von den Franzosen
verzehrt gewesen sein,
worden;
gen
zum großen Theil waren sie verbor
wohl auch um sie
vor den eigenen Soldaten
zu verhehlen, gewiß aber nicht weniger, um sie vor den unse
rigen zu
sichern.
Kommen nun die Soldaten in's Quartier
und verlangen die nothwendigsten Nahrungsmittel,
der Wirth
aber zuckt bedauerlich die Achseln und giebt zu verstehen, Alles
sei genommen: so beginnen natürlich die ungläubigen Soldaten
zu suchen, bis sie gefunden haben. Daß ein solches Suchen nicht ohne den Anschein von Gewaltthätigkeit, ja nicht ohne Anwendung
von Gewalt vorgenommen werden kann, liegt auf der Hand. Es mag das beklagt werden, —
es
ist aber ein geringes Uebel
gegen vieles Andere und Größere, was man als selbstverständ
lich hinnimmt. In den meisten Fällen fanden unsere Soldaten Niemand in den Dörfern und Häusern,
geben
sollten. Niemand und Nichts.
die ihnen Quartier
Dafür
aber war Alles
verschlossen, Schlüssel zum Oeffnen nicht vorhanden, — Schlosser auch
nicht wohl zu beschaffen, — da muß der Soldat sich
selbst helfen und Thüren
und Fenster
werden
eingeschlagen.
Schränke und Verschlüsse erbrochen, denn man will finden und haben, was man bedarf.
Daß darüber die müden, hungrigen
und durstigen Soldaten, je vergeblicher das Suchen ist, um so
zorniger werden und nicht säuberlich mit den Dingen umgehen, ist
nun
zu natürlich.
einmal nicht
Recht
zornig
ist's
freilich
werden
—
nicht, denn
aber
man
wer wird
soll sie
deshalb wegen Rohheit und Plünderung verurtheilen wollen!
Die Schuld trifft die thörichte Furcht der Bewohner, trifft weit
schlimmer noch die Lügen über die herannahenden
Preußen,
85 die von der Regierung systematisch verbreitet wurden, um so das
Volk gegen die Preußen aufhetzen
und neben
dem ehrlichen
Krieg den heimlichen Volkskrieg einfädeln zu können,
arme Volk sicher moralisch muß.
der das
und materiell zu Grunde richten
Kommt nun dazu, wie von Anfang an dazu gekommen
ist, daß aus den Dörfern auf die Soldaten geschossen wird, daß Verwundete umgebracht und verstümmelt werden:
so ist
es geradezu lächerlich,
irgend
wenn ein solcher Feind
glaubt,
eine Rücksicht von den Soldaten erwarten zu dürfen in Bezug auf schonende, zarte Behandlung. Wenn bann z. B. in Gorze
als Wahrzeichen
der Gesinnung der Einwohner am
Eingang
der Stadt ein Mensch an der Mauer aufgeknüpft hing, der
einen Verwundeten erschossen hatte,
—
und wenn dann dicht
daneben eine Wirthsfrau sich beklagte, daß die Soldaten beim ihr die Fenster zerschlagen und die Thür gesprengt
Einrücken
(die sie beide verschlossen gehalten hatte),
den Wein im
auch
Keller getrunken und das Uebrige hätten auslaufen lassen, —
so ist nur zu bewundern, daß einer solchen Stadt nicht weit Schlimmeres widerfahren ist, wie sie es mit allem Recht ver
dient Hütte. ßischen
Bei dem häufig als flagranten Beweis der preu
Rohheit verschrieenen
sollte man doch
Auslaufenlassen
der
Weinfässer
nicht vergessen, in billige Berücksichtigung zu
ziehen, daß die Besitzer abwesend, die Soldaten
von langem
Marsch und heftigem Kampfe matt und erregt, der Stärkung
aufs
höchste bedürftig —
aber leider
nicht im Besitz von
Krahnen waren und die Fässer also weder öffnen konnten, wie
es sich gehört, noch die geöffneten schließen, selbst wenn sie die Zeit dazu gehabt hätten.
Wie die Regierung pflichtvergessen handelte, wie die Eigenthü mer der Verpflichtung gegen ihren Besitz ungetreu wurden: so lie
ßen auch
die Communalbehörden, Maires und Adjuncten ihre
Posten sträflich im Stiche. Niemand fand sich in den Ortschaften,
mit dem man die nothwendigen Fragen ordnungsmäßig hätte erle
digen können, und so waren die Soldaten auf Selbsthülfe an-
86 gewiesen. Die Plünderung im Princip, dns ist doch Selbsthülfe,
war ihnen also als die Form ihres Auftretens in Feindesland
aufgezwungen;
von Seiten
der
französischen Negierung nicht
ohne Vorbedacht. Wer das Gesagte nun mit Bezug auf Lebensrnittel gelten
sein, daß auch
läßt, der wird doch nicht damit einverstanden
andere Gegenstände, ja alle andern, die nur transportabel wa
ren, wie uns an Ort und Stelle hundertmal geklagt worden ist, genommen worden sind.
Ich will offen gestehen, wie ich's den klagenden Leuten auch offen gestanden habe:
Es mag in ver
Ich glaube es nicht.
einzelten Fällen vorgekommen sein, denn auch in der preußischen Armee muß es einzelne Diebe geben — aber häufig, oder gar
die Regel gewesen ist es nicht.
Vieles, was wirklich weggenommen und zerstört worden ist, ist von den Franzosen selbst genommen und zerstört worden,
wie bei Paris, so auch in andern Orten.
Daß aber die Leute
ihren Schaden lieber auf unsere Rechnung schreiben,
als
auf
Rechnung ihrer Landsleute, ist bei so geschickten Rechnern, wie die Franzosen sind,
gar
nicht zu verwundern.
schon von den Preußen gelitten haben,
haben
sie,
von
den Preußen
um
Je
mehr
sie
so mehr Anspruch
geschont zu
werden.
So ist
natürlich, daß Alles, was sie wirklich erlitten haben, den Preu ßen zur Last füllt.
Aber wer kann denn wirklich glauben, daß
die Leute ihre Lebensmittel verbergen, und
sehr geschickt ver
bergen, ihre übrigen Werthgegenstände aber der Gefahr aus setzen, von den Feinden weggenommen zu werden?
Leute, die
den heranziehenden Feind für eine Räuberbande halten und die so empfindlich sind im Punkte des Mein und Dein, die bringen
nicht die vergleichungsweise werthlosen Dinge, wie Lebensmittel, in Sicherheit und
geben
ihren
werthvolleren
nenzeug, Kleidern, Betten, unbesorgt
Man sah,
Besitz an Lei
der Plünderung Preis.
daß es sich so verhalte überall,
wenn man Gele
genheit hatte, denselben Ort, dieselben Leute längere Zeit zu
87 In Pont-a-Mousson
beobachten.
aß
es
man,
jedem
wird
bekannt sein, der dort war, die erste Zeit ohne Tischtuch und
Servietten, mit schlechten, abgebrauchten Gabeln zu anständigen Preisen, man war eben froh, überhaupt etwas zu bekommen. Fragte man:
warum denn Alles in so archaistischen Formen
servirt werde, war die Antwort rasch zur Hand: „Die Preußen
alles Tischzeug,
haben Alles weggenommen;
alle Gabeln
—
Im Verlauf der Wo
In Gorze war es gerade so.
Alles."
chen aber entstand den muthigen Hotelliers, die zuerst geöffnet,
Konkurrenz; es erschlossen sich andere Häuser und was geschah?
Gabeln
Es kamen nach und nach die genommenen Tischzeuge,
und Alles, was zu einem anständig gedeckten Tisch gehört, un versehrt wieder zum Vorschein. Mein letztes Souper im Cygne und
mein
übrig.
Tour. und
im Hotel du Commerce in Pont-a-
letztes Mittagessen
Mousson
in
ließen
in
Beziehung
dieser
Am
sprödesten war
Als
ich
Gorze
die dicke
ihr erzählte,
gehe,
hielt sie
wie
sich
nichts
zu
Wirthin es
Pont-a-Mousson
in
steif
wünschen
in Mars la
und
fest darauf,
in Mars la Tour sei wirklich Alles geraubt, nichts mehr hätten sie; es war in der That im Hause nur Caffe in Gläsern zu haben.
Da rückten die Hessen ein und als ich einmal
wieder in das
Cafe ging, war ein langer Tisch gedeckt mit vielen Couverts,
es wurde lustig da getafelt. wiedergefunden.
Das Verlorene hatte sich
eben
Warum sollte es in den Häusern der Bauern
anders gewesen sein, als in den Cafes? Nur, daß die Bauern
keine Veranlassung hatten,
mit ihren Sachen wieder hervorzu
treten, die Cafetiers und Hotelliers aber wohl,
weil sie mit
ihnen Geld machen konnten. — Wie geschickt die Leute zu ver
sie nicht wollen an's Tageslicht kommen
bergen wissen,
was
lassen, davon
machte man auch
allerlei Erfahrungen.
Na
türlich hatten sie auch nichts zu essen; denn die Preußen hatten
ja „Alles" genommen.
Ich
habe das auch einige Tage lang
geglaubt unb von meinem Brod und von meiner Wurst dem Ehepaar, bei dem ich wohnte,
mitgetheilt, was ich entbehren
88 konnte; das war Anfangs verhältnißmäßig viel, weil die neuen
Eindrücke, die ich im Lazareth empfing, nicht eben anregend auf den Appetit wirkten. So nach und nach sah ich doch ein, daß die
Leute im Dorf wie meine Hausleute essen müßten, denn sie blieben lebendig, sogar sehr lebendig, sie verloren nicht an Farbe und Fülle,
sie aßen also, wenn auch heimlich.
mich nicht,
daß ich in Vionville
essen sehen.
Ebenso habe ich in Vionville niemals einen Keller
gesehen
Ich erinnere
eine Familie habe
jemals
oder eine Vorrathsstube; doch fütterten
z. B. meine
Hausleute, die dem Anschein nach zu den ärmeren Einwohnern gehörten, ein paar Schweine, hatten
sorgfältig verschlossenen Stalle.
auch noch ein Pferd im
Den Inhalt des vielleicht zehn
Schritt langen und eben so breiten Gärtchens hätte ein gesun des Schweinchen in zwei Tagen verzehrt.
Woher nahmen die
Leute also das Essen für sich und das Futter für das Vieh?
Daß sie verborgene Hülfsquellen gehabt haben müssen, ist klar. Während wir
von Reis
lebten und zweimal in acht Wochen
ein Gericht Kartoffeln' sahen — schälten die Frauenzimmer in meinem
zweiten Quartier jeden Tag ihre Portion Kartoffeln
Auf den Feldern wuchsen sie
nicht, im
Garten auch
Keller sah man nicht — sie waren aber da.
nicht,
Wir gönnten sie
ihnen von Herzen, konnten aber auch nicht mehr glauben, daß
die Preußen Alles genommen haben sollten.
Aber die Bauern
ließen sich nicht von ihrem Sprüchlein abbringen, trotzdem, daß
uns — wenn auch kein sprechender Beweis, doch jedenfalls ein
deutlicher tagtäglich
geboten wurde.
zog, wie im tiefsten Frieden,
Jeden Morgen nämlich
der Hirt durch's Dorf und als
bald wurden aus den verschiedenen Häusern Gänse,
Hämmel
und Schweine entlassen, die friedlich, eine stattliche Schaar, ins Feld zogen und Abends wieder heimkehrten.
Die halten die
Preußen doch nicht genommen, nahmen sie auch nicht, trotzdem daß ihnen Allen ein Hammel oder eine Gans, oder auch ein mal ein Stück nicht ranzigen Speckes recht willkommen und sehr
zuträglich gewesen wäre;
ebenso
wie eins von den zahlreichen
89 Hähnchen, die sich
in den Dorfgnssen auf den Düngerhaufen
lustig umhertummelten.
War das Alles noch in Vionville zu
haben oder zu sehen wenigstens, in dem Orte, der den ganzen Ansturm der Schlachten am 16. und 18. ausgehalten hatte und
seitdem immer von
hungrigen und bedürftigen Truppen (auch
durchziehenden) belegt gewesen war:
so
man doch wohl
kann
sagen, daß nach den Zuständen dieses Ortes einigermaßen die
Redensart beurtheilt werden darf: „Die Preußen haben Alles genommen."
Daß der Krieg für den Unterliegenden Lasten mit sich bringt,
daß diese Lasten nach göttlichem und menschlichem Rechte dem auf gelegt werden, der den Krieg provocirt, daß Frankreich glimpflich behandelt wird von seinem Sieger: dafür haben die Franzosen
kein Verständniß. Jeder Einzelne, der leidet, ist ja unschuldig am Kriege; die Preußen aber legen die Lasten auf —die Preußen
sind also Schuld an allem Elend und Unglück; besonders seitdem
sie, nachdem sie den Kaiser gefangen, nicht sanft und still wieder in ihr Land gezogen sind.
Jules Favre raisonnirt gerade so
vernünftig wie die lothringischen Bauern und umgekehrt.
So
lange aber Beide sagen: Vor Allem darf Frankreich, das un
schuldige,
edle,
großherzige Frankreich, nicht leiden,
so lange
bleibt nichts übrig, als daß Frankreich leide.
Wenn ich vorhin sagte:
es
seien
gewiß
auch
von
preu
ßischen Soldaten Excesse gegen das Eigenthum verübt worden,
so glaube
ich
auf eine Menschenclasse im Heere Hinweisen zu
müssen, die ich im Verdacht habe, mit jeder Uebelthat, die etwa
im Heere geschieht, zusammen zu hängen: das sind die Marke
tender.
Ob sie wirklich unentbehrlich
sollten?
Wenn man den Nachtheil, den sie bringen, mit dem
für
die Truppen sein
Vortheil, den sie haben sollen, vergleicht, so kann man, glaube
ich, an ihrer Unentbehrlichkeit wohl zweifeln.
ich von ihrem nachtheiligen Einfluß rede, nicht
Ich will,
das
wenn
hervorhe
ben, daß sie in Zeiten, wo Mangel an dem einen oder andern, dem Soldaten unentbehrlichen Lebensbedürfniß herrscht, sei es Brod
90 die rechten Blutsauger für die armen
oder seien es Cigarren,
Bursche sind, wie mir die Soldaten oft geklagt,
wie ich es
selbst gesehen, und wie es in den Soldatenbriefen zu lesen steht. Auch nicht dessen will ich gedenken, daß sie durch die Qualität der von
ihnen verabreichten Speisen
und besonders der Ge
tränke sich einen schlimmen Namen und Andern bisweilen noch Schlimmeres zugezogen haben.
In Pont-a-Mousson z. B. er
lebte ich beiläufig Folgendes: Ein Husar lag mit allen Symp tomen der Vergiftung da, und seine Kameraden waren gerade
daran, ausfindig zu machen, daß diese ruchlose That, wie na türlich, vom Quartiergeber verübt sei:
als
sich bei genauerer
Untersuchung herausstellte, daß der unglückliche Husar kurz zuvor
Branntwein von einem preußischen Marketender
getrunken habe.
gekauft und
Der Marketender hatte aber den „Rum" et
was zu kräftig gemacht und darüber wäre beinahe der König
um einen braven Husaren ärmer und das Conto der preußi schen Gewaltthätigkeiten um einen schlimmen Posten reicher ge worden.
Von dem Allen also zu geschweigen, so habe ich die
Marketender im Verdacht,
bei allen wirklich
vorgekommenen
Diebstählen der Soldaten direct oder indirect die Hand im Ein Soldat kann höchstens Geld
Spiele gehabt zu haben.
und goldene Werthgegenstände brauchen, wenn einmal gestohlen sein soll.
Er trügt
ohnehin
so schwer,
daß er sich
eher
seines eigenen überflüssigen Besitzes entledigen, als zum eigenen noch fremden hinzufügen wird.
Selbst behalten kann er also
Dagegen kann in der uner
Nichts von dem, was er nimmt.
gründlichen
dunkeln
Tiefe
mannigfaltigen Fässern,
des
Marketenderwagens, in
Körben
den
und Kisten, unter Heu und
Stroh Vieles mit Leichtigkeit verborgen werden.
Sind nun
an einem Orte, wo geplündert oder gestohlen wird, Marketender zugegen, und wo wären sie nicht,
außer da oft, wo man sie
gebraucht —, haben sie allein ein Gelaß für die gestohlenen
Dinge — sind sie im Punkte der Moralität in der Regel auch
vor ihrem Auszuge schon nicht besonders beleumundet:
so ist
91 der Schluß vollkommen gerechtfertigt, daß
für die Excesse nach
Nach den Schlachten bei Metz, als ich Falcken-
werden müssen.
berg passirte,
sie in erster Linie
dieser Seite hin verantwortlich gemacht
waren in dem einen Orte in zwei Tagen zwei
Marketender angehalten,
die sich
im Besitz theils
gestohlener
Gegenstände, theils solcher Geldbeträge befanden, die allem An schein nach von Schlachtfeldern stammten. Für die Diebstähle aber, die sie nicht selbst begehen, sind die Marketender gewiß die intellectuellen Urheber und die Hehler. Für den Soldaten im Felde ist ein Stück Leinen an werthlos wie ein Wackelstein
oder
ein Rubens.
sich ebenso Er kann
es
nur nehmen unter der Voraussetzung, daß er Abnehmer dafür
findet, und wo soll er die anders suchen, als bei den Händ lern, die Gelegenheit haben zu verbergen, was nicht soll ge sehen werden, und — bei ihren Geschäftsreisen in die Heimath
zur Ergänzung ihrer Vorräthe — zu verkaufen, was zu ihrem Glück nicht reden kann. Auge auf sie.
Aber,
Man hat nun freilich ein wachsames wie mir ein hessischer Zahlmeister über
diesen Punkt berichtete: die Controle ist zu schwer anszuführen.
Werden, wie es denn geschieht,
von Zeit zu Zeit Revisionen
der Marketenderwagen vorgenommen:
nur
die
beiden ersten
trifft die Revision unvorbereitet, die andern sind alsbald avertirt und
Je weniger die Marketender
drehen ihr eine Nase.
in sich moralische Garantien bieten
—
sie recrutiren
sich ja
meist aus den kleinen Schenkwirthen und Garküchen-Besitzern, die sich in der Nähe der Kasernen befinden und mit dem Aus
bruch der Truppen aus den Garnisonen
„ihre Nahrung ver
lieren" und ihnen deshalb nachziehen — je weniger moralische
Garantien sie also in sich bieten, Erachtens
um so nöthiger ist meines
eine eigene Marketender-Polizei.
Preise und Beschaffenheit
der
Die
müßte
die
officiellen Handelsartikel einer
sorgfältigen Kritik unterwerfen und könnte, mit rücksichtsloser Strenge durchgeführt, allein
Artikeln wehren.
dem Handel mit nicht officiellen
92 Man hüte sich auch hier, und damit wollen wir schließen, vor dem,
was sich so nennende
„Augen- und Ohrenzeugen"
erzählen, die hin und her durch's Land gezogen sind, ohne Zeit
zu haben, die Zustände gründlich und von allen Seiten zu be Sie sind nicht im Stande, wie auch die Franzosen
trachten.
dazu nicht im Stande sind, zwischen den nothwendigen Uebeln
des Krieges, wie das Land und
wie der Einzelne sie
leiden
muß, und die dem Sieger nicht zur Last fallen, und den vom Sieger
etwa willkürlich
aufgelegten Uebeln
zu unterscheiden.
Sie glauben, in ihrem Mitleid mit dem armen Volke, was man
ihnen dort sagt, viel zu leicht wenigstens, und bedenken nicht, daß jeder Franzose Alles, was er durch den Krieg zu erleiden
hat,
als ein ihm persönlich zugefügtes Unrecht empfindet und
mit diesem Vorbehalt sich darüber ausspricht. Sie berücksichtigen bei den Klagen der Einwohner viel zu wenig das angeborne Ta
lent derselben, aus einer Mücke einen Elephanten zu machen; und vergessen, daß, als die Wirthin händeringend mit dem Aus rufe:
Oh
mon Dien,
quel malheur!
in's Zimmer stürzte
und sie entsetzt aufsprangen in der Ahnung einer furchtbaren Ge
waltthat:
die Prussiens in der Nacht im Regen draußen bi-
vouakirten und die Dorfbewohner friedlich im Besitz ihrer Häuser
und Schlafstellen ließen, aber drei Fagots (Reisigbündel) aus der Scheune genommen hatten, um doch ihren Reis nicht roh essen zu müssen und (günstigen Falles) sich ein wenig wärmen und trocknen
zu können. Oh mon Dien, quel malheur! so leitete die brave,
alte Mutter ihre Bitte um meine Intervention ein, — aber ich erschrack schon nicht mehr, —als das Lazareth ihren Leiterwagen, (ohne die Pferde)
zu einer nothwendigeil Fahrt nach Pont-a-
Mousson in Dienst stellen wollte.
Mit: Oh mon Dieu, quel
malheur! stürzte der Bourgeois in Pont-a-Mousson mitten in unsere Vorbereitungen zum Schlafengehen hinein, und erschüt
terte uns, damals noch Unerfahrene, heftig, bis es sich heraus
stellte, daß die unter unsern Zimmern einquartierten Soldaten
zu dem zerlegenen und zermüllten Stroh, das man ihnen durchs
93 Zimmer
gestreut hatte, nun auch ein Strohpfühl verlangten,
damit sie ihre müden Häupter doch auflegen könnten.
Sie
nachdem
sie er
fahren, daß ihr Quartiergeber nicht der Hausknecht,
sondern
stellten aber diese schreckliche Forderung erst,
der Patron des Ease's sei, ein reicher Mann, der Zimmer und
Betten frei, und uns selbst eins vermiethet hatte. Diese Miene
der gekränkten Unschuld, in der sich alle Welt wohlgefiel, brachte
uns schließlich dahin, ihr mit der stehenden Rede 311 begegnen: (Test la guerre et vous Favez voulue.
Darauf folgte denn
von der Seite des Klagenden ein bedauerliches Achselzucken mit
dem obligaten: Oh mon Dien —, eine Protestation gegen den Willen zum Kriege, eine Verwünschung des unglücklichen Na
gewiß am aufrichtigsten
poleon, des Schurken, und, der Wunsch nach Frieden, Feind übereinstimmen.
gemeint,
der einzige, in dem Freund und
„Es ist einerlei, was aus uns wird,
ob wir Franzosen bleiben oder Preußen werden," habe ich oft
sagen hören, „wenn wir nur Frieden bekommen; der Krieg hat uns ruinirt."
Das erstere ist nun so
wenig wahr, als das
reiches Land,
Ruinirt wird ein so
letztere.
wie Lothringen,
nicht durch ein Kriegsjahr, und es komnck zudem der Ruin des Landes, soweit er vorhanden ist, nicht allein auf Rechnung des
Krieges,
Fing
sondern auch Wunden
schwere
des
ihm
vorigjährigen
der
Mißwachses;
Krieg allerdings
aber-
geschlagen.
auch in der letzten Zeit meines Ausenthaltes in
man
Vionville
hat
wieder
die Aecker
an,
zu bestellen, begannen die
deutschen Artilleristen in Mars la Tour die Felder des erbit terten Feindes mit Artillerie-Pferden zu pflügen, so waren das eben nur Anfänge, —
die meisten Ackerfluren lagen unbebaut
und werden wohl noch so liegen, denn die eigentliche Saatzeit
für dort war schon vorüber;
auf eine Unterstützung aus dem
eigenen Lande nach dem Kriege, aus den Provinzen, die die unmittelbare Last des Krieges nicht getragen, hatte man durch
aus kein Vertrauen.
gegneten wir
dem
Wenn wir damit trösten wollten, so be ausgesprochensten Unglauben-
Nach dem
94 Frieden, hieß es, ist in ganz Frankreich Noth und zudem sind
wir die reichsten Provinzen; haben wir Nichts, so hat Niemand
Etwas. Gewiß
Provinzen
werden
wir
beizustehen,
Frankreich nicht
Indem
überlassen.
uns nehmen, werden wir ihnen zeigen,
diesen
Verpflichtung,
die
wir sie für
daß, wie während des
Krieges die Arbeiten des Friedens bei uns nicht geruht haben, so nach
dem Kriege Lebenskraft
genug in unserm Land und
Volk vorhanden ist, um auch die Wunden zu heilen,
Krieg unsern Neubürgern geschlagen hat.
Freilich,
die der
wenn der
Elsaß schon seine Lostrennung von Frankreich schmerzlich em
pfindet, so wird das um so viel mehr bei dem Theile des thatsäch lich französischen Lothringens sein, den wir werden behalten müssen.
Aber so entschieden
ich beim Beginn des Krieges gegen eine
Annexion von national-französischem Gebiete war, eben so ent schieden bin
ich in der Ueberzeugung geworden, daß sie nicht
Jeder Krieg muß einen Krieg unmöglich ma
zu umgehen ist.
chen; d. h., er muß die Verhältnisse so ordnen, daß um das selbe Object ein Krieg weder nothwendig noch möglich ist. Wir
Deutsche besonders,
die wir im Heere die beste Kraft unseres
Volkes ins Feld stellen, im günstigsten Falle sie für lange Zeit brach legen und schwer schädigen, wir müssen darauf
daß dieser Krieg,
der uns
wiederholt werden kann.
so
bestehen,
furchtbare Opfer kostet,
nicht
Wir müssen gegen einen Angriff von
Frankreich absolut sicher gestellt sein und geschähe dieser Angriff Das ist das oberste Gesetz
unter den günstigsten Verhältnissen. beim künftigen Friedensschlüsse.
Keine Macht der Erde hat das
Recht, hiergegen Einsprache zu thun. Sehen die Mächte Europa's ruchlosem Friedensbruche ruhig
zu,
so
werden
sie auch
dem
Friedensschlüsse ruhig zusehen müssen.
Jntervenirten
als der Räuber
auf den friedlichen Ar
beiter:
so
seinen Angriff machte
werden
sie sich hüten,
zu interveniren,
sie nicht,
wenn
friedliche Arbeiter den Räuber unschädlich machen wird. nun Frankreich in
der
Böte
sich eine nur einigermaßen genügende Ga-
95 rantie
für
Nutzen
künftiges Wühlverhalten,
oder Nationalitütsgründen jetzigen Kriege so
jeglicher
so
sich
ließe
über den
als aus Entschädigungs
einer Annexion aus andern
streiten.
Nichts ist
aber
in dem
offenkundig geworden,
als der Mangel an
Art
gegenwärtigen
Garantie
dieser
in
dem
Frankreich. Wollte das Frankreich von gestern „Rache für Sa
dowa", wie wird das Frankreich von morgen „Rache für MetzSedan-Paris" fordern, von allem Andern zu geschweigen, was
dazwischen liegt und was vielleicht noch nachkommt.
hielten wir kein Dorf des Elsasses Groschen Kriegskosten:
so
wäre
und
das
Ja, be
nähmen wir keinen
als
Hommage
ä
la
grande nation nicht mehr als recht und billig im französischen Sinne des Wortes, aber nur um so eher würde das in Eitelkeit und Verlogenheit verkommende Volk seine Revanche zu nehmen
suchen.
Dem Wolf, der nicht mehr beißen soll, dem muß man
oder ihn in einen festen Käfig einsper
die Zähne ausbrechen
ren, an dessen Gitterstangen er sich die bösen Zähne ausbeißen kann, gelüstet es ihn. Einen solchen Käfig wollen wir dem bösen französischen
Wolf bauen,
indem wir ihm
an
und
Elsaß
Lothringen mit ihren, in unsern Händen uneinnehmbaren festen
Plätzen, Gitterstangen setzen, an denen er sich die Raubzühne ausbeißen kann.
Salus reipublicae suprema lex.
Ruchloser
Leichtsinn, ein Hohn auf das vergossene kostbare Blut würde
es sein, wenn wir unsern Frieden in künftiger Zeit vom guten Willen jenes Volkes wollten abhängig sein lassen,
wenn wir
uns nicht so stellten, daß wir ihrem bösen Willen trotzen oder
ihn verachten können. Wir fürchteten sie nicht, und haben nicht Ursache, sie in Zukunft mehr zu fürchten, als heute; aber wir
wollen keinen Krieg
bar
sichere
mehr
Gränzen,
mit Frankreich, darum mmngreif-
darum
zum
Elsaß
Metz
und
seine
Vorlande. Wenn wir so handeln, so ist uns Europa Dank schuldig
und wird das mit der Zeit auch wohl erkennen.
Denn wenn
es im Ganzen nicht sehr stark ist im Danken a priori,
so
96 versteht es die Dinge am Ende doch a posteriori. Wir haben einmal wieder (und Gott sei Dank, weder auf unserm Gebiet noch auf unsere Kosten, wenn auch, Dank Europa, auf eigene
eine europäische
Gefahr und Rechnung) lickreu Austrage gebracht.
Frage
zum gedeih-
Muß Frankreich Frieden halten, so
hat Europa Frieden; wir zwingen Frankreich zum Friedenhalten,
indem wir ihm
die ihm gebührt in der
die Stelle anweisen,
europäischen Familie.
Wie hat die Furcht vor Frankreich, be
der Ueberschätzung Frankreichs,
auf Europa
ge
ruhend
auf
lastet!
Von jetzt an wird Frankreich nicht mehr gelten, als es
ist; und was es ist, wie viel weniger, als Europa gutmüthig annahm, das haben wir an
den Tag gebracht.
Sah man
früher dem ungezogenen Burschen nach den Augen und meinten
die Onkel und Tanten, sie müßten ihm den Willen thun, da mit er nur nicht das Haus zum Fenster hinauswerfe, so wird
man ihm jetzt hübsch auf die Finger sehen, auch klopfen, wenn's sein muß, und der Hausfriede, die Bedingung alles häuslichen
Glückes, beruht jetzt auf solider, sicherer Grundlage. Für Frankreich selbst ist ja nur dann Heil, und wir wün schen von Herzen, daß es ihm widerfahre, wenn es einmal mit
aller Ausschließlichkeit innerste Politik treibt.
Möchten sich doch
die Stimmen in Frankreich mehren, die, wie die beredte Stimme Leon Pilate's, den Muth haben, der eiteln Selbstvergötterung des Volkes mit der Wahrheit entgegenzutreten, daß Frankreichs Unglück,
Frankreichs Sünde ist!
sein Besieger
der Geist ist,
mehr und mehr
Möchte es
erkennen,
daß
von dem sich seine Entwicklung
entfernt hat, der Geist, um biblisch zu reden,
der Wahrheit, der Liebe und der Zucht. sein inneres Leben
ihm das Jahr
Möchte für
1870—71 werden, was
uns, Gott sei Dank, das Jahr 1806—7 gewesen ist: aspera ad ast er a.
Q. D. B. V. Druck von C. Georgi in.Bonn.
Per