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German Pages [795] Year 2023
Bernd Janowski Biblischer Schöpfungsglaube
Bernd Janowski
Biblischer Schöpfungsglaube Religionsgeschichte – Theologie – Ethik Mit drei Anhängen und zahlreichen Abbildungen
Mohr Siebeck
Bernd Janowski, geboren 1943; Studium der Ev. Theologie, Altorientalistik und Ägyptologie; 1980 Promotion; 1984 Habilitation; nach Professuren in Hamburg (1986–1991) und Heidelberg (1991–1995) seit 1995 Professor für Altes Testament an der Ev.-theol. Fakultät Tübingen; seit 1996 Ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; seit 2011 emeritiert.
ISBN 978-3-16-162319-6 (Broschur) / eISBN 978-3-16-162245-8 ISBN 978-3-16-159326-0 (Leinen) DOI 10.1628/978-3-162245-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Minion gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany. Die Umschläge wurden von Uli Gleis in Tübingen gestaltet. Umschlagabbildung der Broschurenausgabe bzw. Frontispiz der Leinenausgabe: Die Fotografie der Oase von Jericho mit dem Berg der Versuchung stammt von B. Janowski. Abbildung des Titelblatts der Bible moralisée: akg images Nr. 198696.
In dankbarer Erinnerung an Erik Hornung (1933–2022)
Klaus Koch (1926–2018)
Claude Lévi-Strauss (1908–2009)
Odil Hannes Steck (1935–2001)
Erich Zenger (1939–2010)
Vorwort
Während aller Tage der Erde sollen Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören. Genesis 8,22
Wer das Alte Testament aufschlägt und mit der Lektüre des Buchs Genesis beginnt, stößt auf den bekannten, aber gleichwohl bemerkenswerten Sachverhalt, dass die Bibel mit dem „Anfang“, d. h. mit der Erschaffung von Himmel und Erde beginnt: „Am Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen“ (Gen 1,1). Dieser Anfang ist grundlegend für alles Folgende. Einige Kapitel später taucht dann der Satz auf, der als Motto über diesem Vorwort steht und der eine große Verheißung enthält: „Während aller Tage der Erde …“ bzw. „Solange die Erde steht …“ (Gen 8,22). Es ist die Verheißung, dass, wie es in der Fortsetzung heißt, die Grundrhythmen des Lebens – „Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ – nicht aufhören werden. So war es von den biblischen Autoren sicherlich auch gemeint. Heute lesen wir diesen Text aber auch anders, nämlich mit Furcht und Zittern, so als könne das „Solange“ die Bedeutung einer Befristung haben. Beides, Dauer und Befristung, Hoffnung und Furcht, kommt in den biblischen Schöpfungstexten, von denen in diesem Buch die Rede ist, immer wieder zum Ausdruck. Die erste Vorlesung, die ich als Privatdozent im Wintersemester 1984/85 gehalten habe, hieß „Schöpfung im Alten Testament“. Seitdem hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen. Der Bericht Die Grenzen des Wachstums, den D. L. und D. H. Meadows 1972 im Auftrag des Club of Rome publizierten, lag damals bereits einige Jahre zurück. Aber die Bilder der autofreien Sonntage, die 1973 während der Ersten Ölkrise stattfanden, standen vielen noch lebendig vor Augen. Zum ersten Mal wurde einem bewusst, dass unsere Erde über begrenzte Ressourcen verfügt und es keinen Planet B gibt. Auch in der Theologie wurden, wenn es um Artenvielfalt, Klimaschutz und Nachhaltigkeit ging, die kritischen Stimmen nachdenklicher und vernehmlicher. Erinnert sei nur an die Bücher Schöpfung am Abgrund von G. Altner (1974), Im Bauch des Fisches von G. Liedke (1979) oder Gottes Bogen in den Wolken von E. Zenger (1983). „Daß die exegetische Leidenschaft der Studie“, heißt es bei Zenger, „nicht zuletzt durch das Feuer der ökologischen Krise entfacht wurde, sei nicht verschwiegen“ (Zenger, Gottes Bogen, 9).
VIII Vorwort
Seitdem sind über vierzig Jahre vergangen. Heute hat sich die Lage nicht nur nicht verbessert, sondern dramatisch verschlechtert. Man nehme nur den Bericht Global Assessment Report des Weltbiodiversitätsrats IPBES vom Mai 2019 oder neuere Publikationen zum Artensterben zur Hand (vgl. Crutzen, Anthropozän; Glaubrecht, Evolution). Dann wird einem endgültig bewusst, was wir jetzt verlieren bzw. längst verloren haben. „Wir werden einsam sein“ bemerkte bereits vor über 25 Jahren der amerikanische Evolutionsbiologe E. O. Wilson (1929– 2021). Und er fuhr fort: „Wenn wir fortfahren, Arten auszulöschen wie bisher, wird die Menschheit für Millionen von Jahren zwar noch mit einer gewissen Artenvielfalt leben. Aber es werden soviel weniger Arten sein als heute, dass wir uns einsam fühlen werden. Vieles von dem, was das Leben einmal war, werden wir aus den Archiven und Museen kennen. Aber es wird nicht länger mit uns sein.“ (Wilson, Einsam, 204, vgl. unten 665)
Ein solches Archiv ist das 1994 wieder eröffnete Naturkundemuseum La Grande Galerie de l’Évolution in Paris. Mit seinen abertausenden Tier- und Pflanzenpräparaten, die dem antiken Weltbild gleich auf mehreren Stockwerken ausgestellt sind, bietet es ein großartiges Panorama der Evolutionsgeschichte. Auf der zweiten Etage ist der naturgetreue Auftritt der Säugetiere arrangiert (s. Abb. 1), der an ihren Einzug in die Arche Noahs erinnert (vgl. Gen 6,19 f ) und immer wieder beeindruckend ist. Dieser Effekt ist beabsichtigt (vgl. Ritter, Evolution, 1). Er führt, auch wenn es sich ‚nur‘ um ausgestopfte Tiere handelt, anschaulich die Fülle der Arten vor Augen, die vom Aussterben bedroht oder bereits verschwunden sind. Was es demgegenüber bedeutet, dass die Tiere – um die Formulierung E. O. Wilsons aufzugreifen – einst „mit“ den Menschen waren, zeigt in unvergleichlicher Weise die Hebräische Bibel. „Es dürfte etwas überspitzt formuliert auf ihren rund 1000 Seiten kaum eine geben, auf der nicht in irgendeinem Zusammenhang Tiere erwähnt werden“ (Keel, Allgegenwärtige Tiere, 155), sei es als Gefährten oder sei es als Feinde des Menschen. Ähnlich verhält es sich mit den Pflanzen, den Gestirnen, den Bergen, den Meeren und den Flüssen. Das vorliegende Buch wird nicht alle damit verbundenen Fragen beantworten können. Was es aber leisten kann, ist der Versuch, die biblischen Aspekte des Themas „Schöpfung“ so eingehend wie möglich darzustellen. Den Lesern wird dabei immer wieder Empathie abverlangt. Wenn wir das Staunen, das den Beter des 104. Psalms bei der Betrachtung der Schöpfungswelt ergreift, nicht wenigstens ansatzweise nachzuempfinden versuchen, schneiden wir uns von elementaren Lebensbezügen ab. Und wenn wir unsere Wahrnehmung der Umwelt mit ihren Pflanzen und Tieren nicht von den eingeschliffenen Gewohnheiten der instrumentellen Vernunft und ihrem Zweckrationalismus abkoppeln, werden wir unfähig sein, ihre Eigenbedeutung zu ermessen. „Geh zur Ameise, Fauler! Sieh ihre Wege, damit du weise wirst!“ heißt es knapp und unmissverständlich in Spr 6,6.
Vorwort IX
Abb. 1: La Grande Galerie de l’Évolution (Paris)
Ähnliches gilt für den Umgang des antiken Menschen mit den Hervorbringungen des Bodens, den er mit Hilfe des Hakenpflugs, der Sichel und der Wurfgabel bearbeitete. Die Rede ist von elementaren Kulturtechniken, die über Jahrtausende konstant geblieben sind und die Zeugnisse für den lebendigen Zusammenhang von Mensch, Natur und Kultur sind. Dieser Zusammenhang ist nach einer
X Vorwort
langen Vorgeschichte mit dem Beginn der Neuzeit zerbrochen (s. Descola, Natur, 99 ff ) und Zug um Zug durch eine fundamentale Unterscheidung ersetzt worden, die seitdem unser Denken und Handeln bestimmt: dort die von Naturgesetzen regierte Sphäre der Tiere und Pflanzen, des Klimas und der Bodenbeschaffenheit, hier die Welt der Menschen mit ihrem Bedürfnis nach technischer Nutzung der natürlichen Ressourcen (s. dazu Altner, Welt, 91 ff; Brüggemeier, Art. Natur, 65 ff ). „Welcher Städter“, so der Philosoph J. Goldstein, „vermag heute noch ein Dutzend Baumarten auf Anhieb zu benennen, Roggen von Weizen zu unterscheiden, Vogelarten anhand ihres Gesangs zu erkennen? Der Preis der urbanen Kunstfertigkeit, sich im Großstadtdschungel souverän bewegen zu können, ist ein Analphabetismus im Umgang mit einer Natur, die in unserer Lebenswelt nur noch dosiert vorkommt. Das muss man nicht bedauern. Der Mensch hat immer schon seine Zivilisationshöhlen kultiviert, die ihn von der Natur abschirmen. Im globalen Maßstab aber entkommen wir nicht den Bedingungen, die uns die Natur als der von uns nicht geschaffene Lebensraum setzt. Können wir es uns leisten, gegenüber einer Wirklichkeit sprachlos zu werden, von der wir elementar abhängen?“ (Goldstein, Naturerscheinungen, 15)
Das war einmal anders. Im Glauben der Antike wölbte sich der Himmel wie ein Baldachin über die Erde und gliederte sie in die Ordnung des Kosmos ein. Dieser Baldachin garantierte ein umfassendes Sinngefüge, in dem alles seinen Platz hatte: die Menschen, die Tiere, die Pflanzen und die von den Menschen geschaffenen Kulturgüter. Die Funktion dieses Sinngefüges bestand im Zugriff auf das Ganze der Welt, der darum die „existentielle Bedeutung einer Lebensorientierung“ (Habermas, Weltbilder, 203) besaß. Es dauerte lange, „bis es – im Gefolge der Aufklärung und mit der durch die ‚Kritik der Vernunft‘ an jedwedem Glaubenssystem wachsenden Skepsis gegenüber menschlichen Sinnkonstruktionen – zu dem kaum mehr auszuräumenden Verdacht kam, daß ‚von Überwölbungen (…) nichts zu erwarten (sei), außer daß sie einstürzen‘“ (Soeffner, Gesellschaft, 12).
Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt keinen Weg zurück zum Weltbild der Antike, weil es unwiederbringlich dahin ist. Und selbst wenn es uns gelänge, den Weg zurück zu gehen – wir würden uns nicht mehr in ihm zurechtfinden. Wir müssen uns aber bewusst machen, welchen Verlust das Entschwinden der natürlichen Lebenswelt (Pflanzen, Tiere) für unser Menschsein bedeutet. Darüber hinaus haben uns die letzten drei Jahre, während derer dieses Buch geschrieben wurde, die Verletzlichkeit des Lebens durch die Covid 19-Pandemie, aber auch durch den russischen Krieg gegen die Ukraine schmerzlich vor Augen geführt. „Wenn die Atempause der Pandemie, der innere Lockdown, etwas lehren kann, so ist es wohl zunächst eine neue Sensibilität für die Vergänglichkeit der Welt des Menschen“ (Hartenstein, Defizite, 273 [H. i. O.]). Diese Welt ist die einzige, die wir haben. Ihre Schönheit und ihre Zerbrechlichkeit werden von den biblischen Schöpfungstexten eindrücklich zur Geltung gebracht.
Vorwort XI
Nach Abschluss des Manuskripts habe ich vielfach zu danken: vor allem meiner Frau sowie J. Assmann, Chr. Auffarth, M. Bauks, J. Dietrich, B. Ego, H. Gese, W. Groß, A. Grund-Wittenberg, F. Hartenstein, O. Keel, S. Kipfer, Chr. Koch, A. Krüger, M. Leuenberger, H. Lichtenberger, M. Lichtenstein, F. Lippke, U. Neumann-Gorsolke, N. Rahn, P. Riede, Chr. Schwöbel (gest. 2021), M. Tilly, G. Thomas und S. Vollenweider für intensive Gespräche sowie für gemeinsame Lehrveranstaltungen und Publikationen zum Thema „Schöpfung“. Sodann Frau Dr. N. Rahn (Bern) für die Anfertigung der Register und Frau stud. theol. R. Schwend (Tübingen) für die Beschaffung von Literatur und das Mitlesen der Korrekturen. Einen herzlichen Dank schulde ich schließlich Frau E. Müller für die verlegerische Betreuung sowie Frau S. Mang für ihre umsichtige und kompetente Arbeit bei der Herstellung dieses Buchs. Für die Erlaubnis, Abbildungen aus den von ihnen publizierten Werken zu übernehmen, danke ich M. Albani, K. Bieberstein, O. Keel, M. Leuenberger und S. Schroer. Ebenso danke ich den Verlagen Calwer Verlag, Gütersloher Verlagshaus, W. Kohlhammer, Mohr Siebeck, Vandenhoeck & Ruprecht und der Kulturzeitschrift DU für die von ihnen gewährte Abdruckgenehmigung.
Zwei Bemerkungen zum Schluss: Auf dem Cover bzw. dem Frontispiz ist das Foto der Oase von Jericho mit dem Berg der Versuchung und das Titelbild einer Bible moralisée aus Nordfrankreich (um 1250 n. Chr.) mit dem Schöpfergott als Baumeister der Welt zu sehen (zur Bildbeschreibung s. unten 451). Der Zusammenhang zwischen Wirklichkeit und Symbol, der durch dieses Nebeneinander angedeutet werden soll, ist einer der Leitgedanken dieses Buchs. Mit der Widmung möchte ich schließlich an Kollegen und Freunde erinnern, denen ich viel verdanke – nicht nur für ihre Arbeiten zu den biblischen Schöpfungstexten und den antiken Kosmologien, sondern weit darüber hinaus. Tübingen, im Januar 2023
Bernd Janowski
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1. „Schöpfung“ als theologischer Grundbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 a) Der Anfang von Welt und Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 α) Die Bibel beginnt mit dem „Anfang“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 β) Zur Logik kultureller Gründungserzählungen . . . . . . . . . . . . . . . 6 b) Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 α) Das Bekenntnis zum Schöpfergott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 β) Auf dem Weg zum neuzeitlichen Weltbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Exkurs 1: Natur und Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Schöpfung im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 a) Forschungsgeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 α) Klassische Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 β) Neuere Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Schöpfungstexte und Schöpfungstermini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Zur Konzeption dieses Buchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
II Die Welt des Anfangs – Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 2 Die priesterliche Urgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Der Schöpfungstext Gen 1,1–2,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Komposition und Aussageabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Zentrale Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 α) Von der Vorwelt zur Schöpfungswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Exkurs 2: Weltentstehungsmythen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 β) Der Mensch als Bild Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 γ) Das Ruhen Gottes am siebten Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Die Fluterzählung Gen *6,9–9,17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 a) Komposition und Aussageabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Zentrale Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 α) Die große Flut und die Arche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 β) Der Bund mit Noah und den Tieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
XIV Inhalt
3. Fazit: Die Erde als Lebenshaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 § 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Der Paradieserzählung Gen 2,4b–3,24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Komposition und Aussageabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Zentrale Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 α) Die Erschaffung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Exkurs 3: Paradies und Gottesgarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 β) Der Mensch, die Tiere und die Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 γ) Die Übertretung des Verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Die Fluterzählung Gen *6,5–8,22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Komposition und Aussageabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Zentrale Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 α) Der göttliche Vernichtungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 β) Die Empathie des Schöpfergottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Fazit: Die Ambivalenz der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
III Die Welt als Schöpfung – Themenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Aspekte der natürlichen Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 § 4 Schöpfung und Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konturen der natürlichen Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Lebenswelt und ihre Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 4: Ordnungsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Thema „Segen“ als Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Das leuchtende Angesicht JHWHs (Num 6,22–27) . . . . . . . . . . . β) Die schöpferische Kraft des Segens (Dtn 28,1–6.15–19) . . . . . . . . 2. Gefährdungen der natürlichen Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die zerstörerische Macht der Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Eine Welt ohne Licht (Jer 4,23–28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die Missachtung der Naturordnung (Jer 5,20–25) . . . . . . . . . . . . b) Das trauernde Land (Jer 14,*1–22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Die Ordnung der Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131 132 133 137 142 145 148 151 153 153 156 161 167
§ 5 Schöpfung und Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Mensch als Geschöpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schöpfung in der älteren Spruchweisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Gott als Schöpfer des Armen (Spr 14,31; 17,5) . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die Gemeinschaft der Geschöpfe (Spr 22,2; 29,13) . . . . . . . . . . . . b) Gott als Schöpfer und Geburtshelfer (Ps 139,13–18; 22,10–12) . . . . . Exkurs 5: Schöpfungsnamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bilder des blühenden und zerbrechenden Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wie ein Baum an Wasserkanälen (Ps 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171 172 172 173 176 179 188 190 191
Inhalt XV
b) Wie ein Vogel, einsam auf dem Dach (Ps 102) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Fazit: Die Erfahrung der Kreatürlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 § 6 Schöpfung und Tierwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Tiere als Mitgeschöpfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die erstaunliche Welt der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Tiere als Geschöpfe eigenen Rechts (Hi 38,39–39,30) . . . . . . . . . β) Tiere als Lehrer des Menschen (Spr 6,6–11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reine und unreine Tiere (Lev 11,2–23; Dtn 14,3–20) . . . . . . . . . . . . . 2. Aspekte biblischer Tierethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsruhe auch für die Tiere (Ex 20,10; 23,12) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Gerechte und sein Vieh (Spr 12,10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 6: Das Seufzen der Kreatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Die Zukunft der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211 211 213 213 221 225 232 234 237 240 244
2. Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 § 7 Schöpfung und Königtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Der himmlische König und sein irdischer Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Schöpfungsmotive in den Königspsalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Der König als Gottessohn und Segensmittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 α) Die Geburt aus Gott (Ps 2,7; Ps 110,3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 β) Die Frucht der Gerechtigkeit (2 Sam 23,3 f; Ps 72) . . . . . . . . . . . . 263 Exkurs 7: Solare Symbolik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Göttlicher Hirte und königlicher Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 a) Der gute Hirte und seine Herde (Ez 34,11–16; Ps 23) . . . . . . . . . . . . . 273 b) Mit Ehre und Hoheit gekrönt (Ps 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Fazit: Der Hüter der Weltordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 § 8 Schöpfung und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Weltschöpfer und Geschichtslenker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Schöpfung und Geschichte bei Deuterojesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 α) Die Legitimität des Schöpfergottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 β) JHWHs Thronen über dem Erdkreis (Jes 40,12–31) . . . . . . . . . . . 297 Exkurs 8: Kosmischer Lobpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 b) JHWHs Rückkehr zum Zion (Ez 43,1–9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 2. Mythische Urzeit und historische Jetztzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 a) „Mein König von Urzeit her“ (Ps 74) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 b) Schöpfer der Welt und Retter Israels (Ps 136) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 3. Fazit: Die universale Macht des Schöpfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
XVI Inhalt
3. Aspekte des religiösen Symbolsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 § 9 Schöpfung und Tempel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Irdische und himmlische Wohnstatt JHWHs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Festigkeit des Gottesthrons (Ps 93) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) JHWHs himmlisches Thronen (Ps 33; Jes 66,1 f ) . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kosmische und kultische Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kosmologische Symbolik des Ersten Tempels (1 Kön 6 f ) . . . . . . . . Exkurs 9: Der Tempel als Kosmos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kosmologische Symbolik in exilisch-nachexilischer Zeit . . . . . . . . α) Zeltheiligtum und Tempelquelle (Ex *24,15b–40,38; Ez 47,1–12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Die „Herrlichkeit“ des Zweiten Tempels (Hag 1 f ) . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Der Tempel als Ort des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331 331 333 339 347 347 352 357 357 367 370
§ 10 Schöpfung und Chaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1. Jenseitsbereiche und Gegenwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 a) Kosmologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 α) Der Ort der Finsternis (Hi 38,16–18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Exkurs 10: Das Tor zur Unterwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 β) Ein Blick in die Unterwelt (Jes 14,3–21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 b) Anthropologische Aspekte (Ps 88; 30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 2. Repräsentanten der gegenmenschlichen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 a) Texte und Bilder zum Chaoskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 b) Behemot und Leviatan (Hi 40 f ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 3. Fazit: Die Bedrohung der Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 § 11 Schöpfung und Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Erkenntnis der Welt als Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Alle Flüsse fließen ins Meer“ (Pred 1,3–11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Sie alle hast du mit Weisheit gemacht“ (Ps 104) . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 11: Das Maß der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kosmotheistisches Wissen in der späten Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Weisheit als Schöpfungsmittlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) „Bevor Berge eingesenkt wurden“ (Spr 8,25) . . . . . . . . . . . . . . . . . β) „In Jakob nimm Wohnung!“ (Sir 24,8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Inkarnation des Schöpferwortes (Joh 1,14–18) . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit: Die Erfahrung der Welt als Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
413 414 414 418 430 436 437 438 440 445 447
Inhalt XVII
IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee . . . . . . . . . . . 451 § 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorexilische Schöpfungstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Exilisch-nachexilische Schöpfungstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Literarhistorischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Zentrale Themenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Theologische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Erde als Raum des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Konfrontation mit dem Chaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Gemeinschaft des Lebendigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 12: Anthropozentrismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausblick: Die Ethik der Mitgeschöpflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
453 453 454 458 458 459 463 463 467 471 473 476
Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Anhang I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Texte des Pentateuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prophetische Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Psalmen und Weisheitstexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
485 485 491 497
Anhang II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike . . . . . . . . . . . . I. Konturen der Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mesopotamien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kleinasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ugarit und Nordsyrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Iran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Palästina/Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Antikes und Rabbinisches Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Neues Testament und Antikes Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Koran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507 508 511 549 598 601 607 611 613 623 628 640 647
Anhang III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart . . . . . . . 653
XVIII Inhalt
Abkürzungen und Hinweise zur Zitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 Chronologische Übersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handbücher und Sammelbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Antike Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
677 677 687 690 693
Nachweis zu den Abbildungen und Skizzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 1. Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 2. Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763
I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
A
lle Flüsse fließen ins Meer“ heißt es am Ende des Kosmosgedichts von „ Pred 1,3–7. Es thematisiert die Spannung von Vergänglichkeit (V. 4a) und Dauer (V. 4b) und entfaltet diese Spannung in poetischer Diktion und in Analogie zur Elementenlehre der griechischen Naturphilosophie (Erde V. 4b, Sonne = Licht/Feuer V. 5, Wind = Luft V. 6 und Flüsse = Wasser V. 7): 4 5 6 7
Eine Generation geht, und eine Generation kommt, die Erde aber bleibt in Ewigkeit bestehen. Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter und strebt atemlos zu ihrem Ort, wo sie (wieder) aufgeht. Er geht nach Süden und dreht nach Norden, drehend, drehend geht der Wind, und zu seinen Umdrehungen kehrt er um – der Wind. Alle Flüsse fließen ins Meer – aber das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, dorthin kehren sie zurück, um (wieder) zu entspringen.
Angesichts dieses Textes mag man sich an die eindrückliche Schwarz/WeißFotografie eines tiefen Flusstals erinnert fühlen, die S. Salgado im Sommer 2009 in Alsaka/USA gemacht hat und die den Umschlag seines monumentalen Werks „Genesis“ ziert. Die Ausdruckskraft dieses Landschaftsporträts ist von einer ursprünglichen, die Welt des Anfangs evozierenden Schönheit.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens Die (biblische) Urgeschichte … fabelt nicht über Anfänge, bei denen keiner dabei war. Hier blicken vielmehr Menschen aus ihrer Zeit zurück und nehmen die Grundlagen der eigenen Lebenswelt, das in Welt grundsätzlich Gegebene, das immer Geltende wahr als stiftende Geschehnisse des Anfangs, in denen fortan Gültiges für alle Folgezeit gesetzt wurde. O. H. Steck, Herkunft, 17
Das Alte Testament beginnt mit dem „Anfang“ (hebr. reʾšît, gr. ἀρχή, lat. principium), d. h. mit der Entstehung der Welt, ihrer raumzeitlichen Ordnung und der Erschaffung der Geschöpfe, die die Lebensräume Himmel, Erde und Meer bevölkern (Gen 1,1–2,3). Das Ziel dieses Proömiums ist das „Ruhen“ Gottes am siebten Tag (Gen 2,2 f ). Dann folgt eine dichte Kette von Erzählungen, die ein dramatisches Gefälle haben und die von der Übertretung des göttlichen Verbots (Gen *2,4b–3,24) und des ersten Brudermords (Gen 4,1–16) bis zum Kommen der großen Flut (Gen 6,5 ff ) und zum Bund Gottes mit Noah und den Tieren (Gen 9,8–17) reichen. Schöpfungsüberlieferungen gibt es auch in der Prophetie (Jer; Jes 40–55.56–66 u. a.), in den Psalmen (Ps 8; 19; 104; 136 u. a.) und in der Weisheitsliteratur (Spr 8,22–31; Hi 28; 38,1–42,6; Pred 1,3–11; Sir 24 u. a.).1 Aber nirgends hat das Thema „Schöpfung“ eine derart grundlegende Bedeutung wie in der biblischen Urgeschichte (Gen 1–11), weil hier vom Anfang von Welt und Leben die Rede ist. Nach der Bedeutung dieses Anfangs soll zunächst gefragt werden. 1. „Schöpfung“ als theologischer Grundbegriff a) Der Anfang von Welt und Leben Theologie: Eibach, Schöpfung, 239 ff ◆ Hemminger, Bibel, 9 ff ◆ Herrmann, Naturlehre,
32 ff ◆ Link, Schöpfungsglaube, 84 ff ◆ Ders., Schöpfung 1, 351 ff ◆ Ders., Schöpfung 2, 34 ff ◆ Nipkow, Schöpfungsglaube, 28 ff ◆ Oberthür, Anfang, 58 ff ◆ Rothgangel, Schöpfung, 123 ff ◆ Schweitzer, Schöpfungsglaube ◆ Schwöbel, Sein, 120 ff ◆ Steck, Herkunft ◆ Ulrich/ Dierken, Welt, 891 ff. – Kultur- und Naturwissenschaft: Angehrn (Hg.), Anfang ◆ Barbour, Wissenschaft, 77 ff.310 ff ◆ Koschorke, Logik, 5 ff ◆ Sarasin/Sommer (Hg.), Evolution. 1
S. dazu den Überblick unten 32 ff.
4 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
α) Die Bibel beginnt mit dem „Anfang“ Um die Frage nach dem Anfang von Welt und Leben zu konkretisieren, mache ich einen kleinen Umweg über die Evolutionstheorie und ihren Gründungsvater Ch. Darwin (1809–1882). Als dieser am 2. Oktober 1836 mit dem Vermessungsschiff „Beagle“ von seiner Weltreise heimgekehrt war, hatte er sich von einem graduierten Theologen zu einem Evolutionisten gewandelt und diesen Wandel am 11. Januar 1844 in einem Brief an seinen Freund J. D. Hooker (1817–1911) in folgende Worte gefasst: „Ich war so beeindruckt von der Verbreitung der Organismen auf den GalapagosInseln etc. etc. und den Eigenschaften der fossilen amerikanischen Säugetiere etc. etc., daß ich beschloß, blindlings alle Arten von Fakten zu sammeln, welche sich in irgendeiner Weise auf die Frage beziehen könnten, was Spezies sind. Ich habe massenweise Bücher über Landwirtschaft und Gartenbau gelesen und nie aufgehört, Fakten zu sammeln. Endlich hat sich ein Lichtstrahl gezeigt, und ich bin nahezu überzeugt (völlig entgegengesetzt zu meiner anfänglichen Ansicht), daß die Spezies nicht unveränderlich sind (mir ist, als gestände ich einen Mord). Der Himmel bewahre mich vor Lamarcks Unsinn einer ‚Neigung zum Fortschritt‘ und ‚Anpassungen infolge des langsam wirkenden Willens der Tiere‘, aber die Schlüsse, zu denen ich gelange, unterscheiden sich nicht sehr von den seinigen – wiewohl die Mittel und Wege, die zur Veränderung führen, gänzlich andere sind. Ich glaube das einfache Mittel entdeckt zu haben (das ist die Vermessenheit!), durch das die Spezies so ausgezeichnet an verschiedene Zwecke angepaßt sind.“2
Seine bestürzende Erkenntnis, die er erstmals 1837 unter dem Vermerk „I think“ in seinem Notizbuch skizziert hatte (s. Abb. 2)3 und deren umfangreiche Ausformulierung noch über 20 Jahre auf sich warten lassen sollte – die Entstehung der Arten/On the Origin of Species erschien am 24. November 1859 –, lässt sich rückblickend so zusammenfassen: Die Arten sind nicht unveränderlich, sondern haben eine Abstammungsgeschichte hinter sich, die sich über Jahrmillionen entwickelt hat. Diese, auf einen göttlichen Erstverursacher verzichtende Evolutionstheorie,4 die Darwin wie ein Mord am Schöpfungsglauben vorkam, war für die meisten seiner Zeitgenossen eine große Herausforderung, ja eine regelrechte Kränkung. Allerdings, so schränkte er in seiner posthum erschienenen Autobiographie ein: „Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich jedenfalls muß mich damit zufriedengeben, Agnostiker zu bleiben.“5 Heute, gut 150 Jahre nach Erscheinen der Entstehung der Arten, hat sich der Wind gedreht – aber nicht für alle. Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat 2
Darwin, Briefe, 169, vgl. Engels, Darwin, 126. S. dazu die Beschreibung von Horstmann, Was fehlt, 9 ff. 4 S. dazu etwa Engels, aaO 118 ff; Hemminger, Zufall, 52 ff; Sarasin/Sommer (Hg.), Evolution, 9 ff (M. Ruse).18 ff.89 ff (jeweils P. J. Bowler) und Link, Schöpfung 2, 133 ff. 5 Darwin, Mein Leben, 103. Diese Bemerkung findet sich in einem Abschnitt seiner Autobiographie, der mit „Religiöse Überzeugung“ (aaO 94 ff ) überschrieben ist. 3
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 5
Abb. 2: Darwins Notiz zum Stammbaum des Lebens (1837)
sich, ausgehend von den USA, der Kreationismus formiert, der den biblischen Schöpfungsbericht wörtlich nimmt und gleichzeitig unter Absage an den Gedanken der Evolution behauptet, dass die Lebewesen in der Schöpfungswoche von Gen 1 so von Gott geschaffen wurden, wie sie heute existieren, oder zumindest als Grundtypen, aus denen die heutigen Arten in wenigen tausend Jahren hervorgingen. Diese These und weitere zum Alter der Erde (zwischen 6000 und 10 000 Jahren) oder zur Sintflut (sie fand genau so statt wie in der Bibel beschrieben) wurden durch Zusatzannahmen gestützt, die im Kreationismus zum Teil selber strittig und aus naturwissenschaftlicher Sicht in der Regel falsch sind. Das muss hier nicht vertieft werden.6 Worauf es dagegen ankommt, ist die Aufgabe, aus falschen Alternativen herauszuführen und der Eigenbedeutung des biblischen Schöpfungsglaubens jenseits von Evolutionismus und Kreationismus gerecht zu werden. Dabei gibt es allerdings einen Unterschied. Denn während der Kreationismus und seine reflektiertere Spielart, die Theorie des Intelligent Design, die Aussageintention der biblischen Schöpfungstexte gründlich missverstehen,7 ist die Evolutionstheorie ein wichtiger Gesprächspartner der Theologie, die im Blick auf die Entstehung von Welt und Leben aber eine andere Perspektive einnimmt als jene. Um die Qualität und Berechtigung dieser anderen Perspektive geht es im Folgenden. Wenn dies auf Seiten der Evolutionstheorie Anerkennung findet, lässt 6
S. dazu Hemminger, Bibel, 9 ff, ferner Nipkow, Schöpfungsglaube, 28 ff; ders., Weltentstehung, 8 ff und Eibach, Schöpfung, 239 ff. 7 S. dazu Nipkow, Schöpfungsglaube, 28 ff; Link, aaO 126 ff; Rothgangel, Schöpfung, 128 ff u. a. Nach Link, aaO 130 liegt der Grundfehler des Kreationismus darin, den Schöpfungstext von Gen 1 zu historisieren, ihn also als einen naturhistorischen Anfang zu „verifizieren“, s. dazu auch im Folgenden.
6 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
sich auch über die Differenzen und Berührungspunkte zwischen beiden Wissenschaften konstruktiv(er) diskutieren. β) Zur Logik kultureller Gründungserzählungen Dafür, dass das biblische Reden von der Schöpfung und das Konzept der Evolution nicht einfach inkompatibel sind, gibt es gute Gründe.8 Zu den Voraussetzungen für ein fruchtbares Gespräch gehört auf Seiten der Naturwissenschaft zunächst die Bereitschaft, die Eigenbedeutung der biblischen Schöpfungstexte ernst zu nehmen – und zwar auch dann, wenn diese unserem heutigen kosmologischen und biologischen Wissen nicht entsprechen. Ihre Perspektive ist eine andere. So erscheint in Gen 1,1–2,3 zwar „der Mythos durch das Wissen überwunden; das Wissen aber, das auf der Analyse der Erscheinungswelt beruht, ist der Schöpfermacht Gottes untergeordnet und dient bei der Beschreibung seines Schöpfungswerkes dem höheren Ruhm des Schöpfers selbst. Darin kommt auch Gen 1 dem Wesen des Hymnus sehr nahe“9.
Gen 1,1–2,3 ist deshalb nicht irgendein Text, sondern so etwas wie die Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens.10 Das zeigt sich vor allem daran, wie er über den Anfang von Welt und Leben spricht. Während sich die Evolutionstheorie ganz im Sinn ihres Gründungsvaters und seines „Agnostiker“-Bekenntnisses11 an diesem Punkt Zurückhaltung auferlegt, lehnt sich der Kreationismus weit aus dem Fenster und begeht einen theologischen Grundfehler. Dieser besteht darin, dass er die Pointe des biblischen Textes verfehlt, indem er ihn wortwörtlich nimmt und historisiert.12 Gemeint ist etwas anderes: nicht ein historischer Anfangsmoment vor etwa 6000 Jahren – nirgendwo in Gen 1,1–2,3 findet sich eine Datumsangabe! –, sondern ein Grundgeschehen, das Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft der Menschheit und Israels hat: „Wer mit Gen 1 vom Anfang spricht, macht keine objektivierbare Aussage über den historischen Ursprung der Welt. Er bringt vielmehr zum Ausdruck, daß er selbst von einem bleibend aktuellen, gegenwärtig wirksamen und erfahrbaren Anfang herkommt. Er redet von seinem eigenen geschichtlichen Standort aus, weil nur er sich theologisch verantworten läßt. Die historische Wahrheit der Schöpfungsberichte ist also gerade nicht ein Historikum, das man hinter den alten Berichten freilegen könnte, sondern die theologisch gedeutete Erfahrungswelt, deren Aussagekraft und Evidenz sich im Heute des Erzählers bewährt.“13 8
S. dazu Link, Schöpfungsglaube, 93 ff und Oberthür, Anfang, 58 ff. Herrmann, Naturlehre, 46. Zur Frage der literarischen Gattung von Gen 1,1–2,3 s. unten 45 f. 10 S. dazu unten 43 ff. 11 S. dazu oben 4. 12 Vgl. Link, aaO 92. 13 Ders., Schöpfung 1, 357 (H. i. O.), vgl. ders., Schöpfung 2, 34 ff.40 f.130 und Steck, Herkunft, 15 ff. 9
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 7
Kulturellen Gründungserzählungen wie Gen 1,1–2,3 wohnt daher, wie der Kultur- und Literaturwissenschaftler A. Koschorke zu Recht bemerkt, eine „eigentümliche Zeitform“ inne: „Sie lassen sich niemals in actu beobachten. Es gibt keine Augenzeugen, keine Zeitgenossenschaft im strikten Sinn. Niemand ist sich ihrer bewußt und gegenwärtig, wenn sie sich ereignen. Wie bei erfüllten Prophezeiungen wird eine solche Gegenwärtigkeit erst im Nachhinein hergestellt.“14
Wer im Sinn von Gen 1,1 also nach dem Anfang der Welt fragt, „muß sich daher von der Vorstellung naturgeschichtlicher Werdeprozesse trennen, die den Rückschluß auf ein Ursprungsdatum von Himmel und Erde nahelegen könnten“15. Das hätte, wie auch der zeitgeschichtliche Kontext des Babylonischen Exils (6. Jh. v. Chr.) zeigt, gar nicht im Interesse des priesterlichen Verfassers gelegen.16 Angesichts des zerstörten Tempels und des verwüsteten Landes fragt man „nicht primär nach den Rätseln der Kosmogonie. Der Blick ist aufs Überleben gerichtet“17. Dieser Blick sollte durch den Glauben an den Schöpfergott und seine grundlegenden „Setzungen“ plausibilisiert und gestärkt werden. Bevor wir diese Spur weiterverfolgen, wenden wir uns dem Sachverhalt zu, dass wir als Christen dem Thema „Schöpfung“ zunächst im 1. Artikel des Glaubensbekenntnisses begegnen, der im Kleinen Katechismus von M. Luther eine eindrückliche, wenn auch zeitbedingte Auslegung gefunden hat. b) Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft α) Das Bekenntnis zum Schöpfergott Bayer, Luthers Theologie, 87 ff ◆ Härle, Dogmatik, 135 ff ◆ Ritter, Alte Kirche, 106 f.136 ◆ Schneider, Was wir glauben, 64 ff ◆ Schubert, Schöpfung, 202 ff ◆ Stolt, Rhetorik, 1 ff ◆ Ulrich/Dierken, Welt, 891 ff.
Die älteste christliche Bekenntnisformulierung, das altrömische Symbol (3. Jh. n. Chr.[?]), das im Katechismusunterricht erklärt und beim Taufakt abgefragt wurde, kennt noch kein Bekenntnis zum Schöpfer (creator), sondern zu „Gott dem Vater, dem Allmächtigen“ (pater omnipotens), zu Jesus Christus und zum Heiligen Geist: Credo in deum patrem omnipotentem. Ich glaube an Gott den Vater, den Allmäch tigen. Et in Christum Jesum filium Und an Christus Jesus, seinen einzigen Sohn, 14
Koschorke, Logik, 7, vgl. Angehrn, Überwindung, 109 ff und bereits Blumenberg, Höhlenausgänge, 11: „Einen Anfang der Zeit können wir nicht denken. Er läge schon in der Zeit“. 15 Link, Schöpfungsglaube, 92. 16 S. dazu Zenger u. a., Einleitung, 183 ff (Zenger/Frevel), ferner Gertz (Hg.), Grundinformation, 237 ff (Gertz); ders., Genesis 1–11 (ATD), 7 ff und Schmid, Literaturgeschichte, 146 ff. 17 Link, ebd.
8 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung eius unicum, dominum nostrum, qui natus est de spiritu sancto et Maria virgine, qui sub Pontio Pilato crucifixus est et sepultus, tertia die resurrexit a mortuis, ascendit in coelos, sedet ad dexteram patris, unde venturus est iudicare vivos et mortuos. Et in spiritum sanctum, sanctam ecclesiam, remissionem peccatorum, carnis resurrectionem, vitam aeternam.
unseren Herrn, der geboren wurde aus [dem] Heiligen Geist und Maria der Jungfrau, der unter Pontius Pilatus gekreuzigt und begraben wurde, am dritten Tag auferstand von den Toten, aufstieg zum Himmel, sitzt zur Rechten des Vaters, von dannen er kommt, zu richten die Lebenden und die Toten. Und an den Heiligen Geist, eine Heilige Kirche, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches [und das] ewige Leben.18
Dieses Symbolum Romanum ist der Vorläufer nicht nur aller übrigen westlichen Lokalbekenntnisse, sondern vor allem auch des sog. Apostolicums (Symbolum Apostolicum), das neben dem Symbolum Nicaenum (381 n. Chr.) das bekannteste und am meisten gebrauchte altkirchliche Glaubensbekenntnis war. Beide Symbole enthalten erstmals das Bekenntnis zum Schöpfergott: Symbolum Apostolicum Credo in Deum, patrem omnipotentem, creatorem coeli et terrae. Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Symbolum Nicaenum Credo in unum Deum, patrem omnipotentem, factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium. Ich glaube an einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde, all dessen, was sichtbar und was unsichtbar ist.19
Dass diese altkirchlichen Glaubensbekenntnisse, die wie der Segen zeigt, den Melchisedek, der König von Schalem und Priester des El Eljon, nach Gen 14,19b über Abram ausspricht – „Gesegnet sei Abram von El Eljon, des Schöpfers von Himmel und Erde (qoneh šāmajim wāʾāræṣ)“20 – mit Wendungen aus dem Alten Testament formuliert sind, hat seinen guten Grund. Denn mit der Übernahme des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens in das christliche Bekenntnis bezeugte die frühe Kirche die Identität des Gottes Israels mit dem Vater Jesu Christi. Und zwar im bewussten Gegensatz zu Markion (ca. 85 bis ca. 160 n. Chr.), der 18
Zitiert nach BSLK, 21, vgl. Ritter, Alte Kirche, 106 f. Zitiert nach BSLK, 21.26, vgl. ders, aaO 136. 20 Vgl. Gen 14,22, s. dazu unten 454 f. 19
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 9
im Blick auf die Unvollkommenheit und die Leiden der Welt zwischen einem bösen Schöpfergott und einem guten Erlösergott unterscheiden wollte.21 Demgegenüber stellen die altkirchlichen Bekenntnisse heraus, dass der Schöpfergott des Alten Testaments und der Erlösergott des Evangeliums identisch sind. Damit war nicht nur eine dualistische Welterklärung abgewehrt, sondern zugleich bezeugt, dass das Werk des Schöpfergottes eine gute Schöpfung ist und die Leiden und Nöte der Welt ihren ursprünglichen Charakter verkehren. Die Reformation hat diese altkirchliche Schöpfungstheologie rezipiert, aber auch vom Neuen Testament her korrigiert, wo sie ihr philosophisch überfremdet erschien. So bekennt die Confessio Augustana von 1530 Gott als creator et conservator omnium rerum, visibilium et invisibilium (CA I 2).22 Und in der Auslegung zum 1. Glaubensartikel des Kleinen Katechismus (1529) von M. Luther heißt es: Der erste Artikel von der Schöpfung. Ich gläube an Gott, den Vater allmächtigen, SCHÖPFER Himmels und der Erden. Was ist das? Antwort: Ich gläube, daß mich Gott geschaffen hat sampt allen Kreaturn, mir Leib und Seel, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hofe, Weib und Kind, Acker, Viehe und alle Güter, mit aller Notdurft und Nahrung dies Leibs und Lebens reichlich und täglich versorget, wider alle Fährligkeit beschirmet und für allem Ubel behüt und bewahret, und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit ohn alle mein Verdienst und Wirdigkeit, des alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schüldig bin; das ist gewißlich wahr.23
Wichtig an diesem Text, der den Begriff „Schöpfungsglaube“ ganz elementar fasst, ist das der menschlichen Selbstkonstituierung widerstreitende Moment der Passivität („dass mich Gott geschaffen hat“), die Erfahrung des leiblichen Eingebundenseins in den Gesamtzusammenhang der Schöpfung („sampt allen Kreaturen“) und die Verbindung von Erschaffung und Erhaltung („und noch erhält“).24 Gott hat die Welt nicht erschaffen, weil er musste, sondern aus freier, unverdienter Güte. Warum der Begriff „Gnade“ in der Auslegung des 1. Artikels fehlt und warum Luther und die lutherischen Bekenntnisschriften zwischen der Schöpfergüte des 1. Artikels und der Erlösergnade des 2. Artikels unterscheiden, ist jetzt ebenso wenig zu thematisieren wie die Interpretation des Schöpfungsglaubens in der altprotestantischen Orthodoxie oder in der Aufklärungszeit.25 Wichtiger für unseren Zusammenhang ist die Frage nach der Struktur des geschlossenen und wohl geordneten Weltbilds, das seit der Spätantike mit jener 21
S. dazu Janowski, Gott, 7 ff und Q 171. Zitiert nach BSLK, 50. 23 Zitiert nach BSLK, 510 f (in der dortigen Orthographie). 24 S. dazu Bayer, Luthers Theologie, 87 ff und Ulrich/Dierken, Welt, 894 f.898 f. 25 S. dazu Schubert, Schöpfung, 200 ff. 22
10 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
Abb. 3: Gottvater als Weltschöpfer (L. Cranach, Lutherbibel von 1534)
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traditionellen Schöpfungstheologie verbunden war und das im Zeitalter der Reformation allmählich zerbrach. Wie man sich im 15./16. Jahrhundert die göttliche Welterschaffung und Welterhaltung vorstellte, zeigt die Illustration zur Lutherbibel von 1534 (s. Abb. 3), die auf den theoretischen Voraussetzungen des geozentrischen Weltbilds beruht und die M. Luther als Kind seiner Zeit zeigt:26 die Erde und mit ihr der Mensch bzw. das erste Menschenpaar steht im Mittelpunkt der Welt. Um die Erde kreisen die sieben Planeten – also die fünf „Wandelsterne“, dazu Sonne und Mond als nicht sternenförmige „Planeten“ – in gleichförmiger Bewegung. Die Welt ist dreigeteilt, sie ist räumlich und zeitlich endlich. Jenseits der Fixsterne, des himmlischen Ozeans und des Feuerhimmels thront der ewige, allmächtige, transzendente Gott, aus dem alles, was ist und geschieht, hervorgegangen ist. Fixsternhimmel
Saturn
Mars Merkur
Erde
Sonne
Mond
Venus Jupiter
Abb. 4: Ptolemäisches Weltbild mit den Planeten und Fixsternen
26
S. dazu Stolt, Rhetorik, 1 ff; Schubert, aaO 202 ff u. a. Wie Stolt, aaO 1 bemerkt, war Luther einerseits „in seiner Weltauffassung … gänzlich ein Kind seiner Zeit“, andererseits aber „erstaunlich modern, wo es um Fragen der Bibelübersetzung ging sowie um die gründliche Quellenkritik des humanistischen Wissenschaftlers“. Zum diesbezüglichen Bruch Luthers mit der Tradition s. auch Habermas, Geschichte 2, 16 ff.
12 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
Alles hat seinen festgefügten, gottgewollten Platz in einer ewigen, universalen Ordnung, die seit der Schöpfung unverändert ist. Diese Ordnung wird erkannt durch das Studium der antiken Schriftsteller (Griechische Philosophie) und der biblischen Bücher (Heilige Schriften) – aber nicht durch das naturwissenschaftliche Experiment. Dieses seit der Spätantike in Geltung stehende ptolemäische Weltbild (s. Abb. 4, S. 11)27 hatte den großen Vorteil, dass es die alltäglichen Beobachtungen und Erfahrungen plausibilisierte und so den „gesunden Menschenverstand“ vollauf befriedigte. Es dürfte noch das Weltbild des nachreformatorischen Zeitalters gewesen sein. Die Dinge hatten aber längst eine andere Richtung genommen. β) Auf dem Weg zum neuzeitlichen Weltbild Theologie und Philosophie: Anselm, Schöpfung, 245 ff ◆ Blumenberg, Umsturz, 60 ff ◆ Ders.,
Genesis ◆ Goldstein, Naturerscheinungen, 28 ff ◆ Habermas, Geschichte 2, 111 ff ◆ Janowski, Logik, 203 ff ◆ Moltmann, Raum, 131 ff ◆ Schubert, Schöpfung, 205 ff. – Natur- und Kulturwissenschaft: Barbour, Wissenschaft, 19 ff ◆ Descola, Natur, 115 ff ◆ Groh, Weltökonomie, 132 ff ◆ Groh/Groh, Weltbild, 11 ff ◆ Koyré, Welt ◆ Teichmann, Wandel.
Erste Bedenken gegen das geozentrische Weltbild äußerte N. Kopernikus (1473– 1543) in seinem Hauptwerk De revolutionibus orbium coelestium/Über die Umläufe der Himmelskörper, das 1543 in Nürnberg erschien und das erst mit Galileo Galilei (1564–1642), J. Kepler (1571–1630) und I. Newton (1643–1727) zum Durchbruch gelangte.28 „Diese Forscher“, so bemerkt J. Habermas, „machen keinen Versuch, die neue Konzeption der Naturgesetze vom christlichen Hintergrund ihres Weltverständnisse abzulösen. Was sie als Mathematiker verbindet, ist vielmehr die Vorstellung einer geometrischen Infrastruktur des von Gott geschaffenen Universums, die der beobachtende und experimentierende, zugleich kalkulierende Naturforscher hinter dem Schleier der uns kontingent begegnenden Erscheinungen entdeckt“29.
Diesen Schritt von der geschlossenen Welt des geozentrischen Weltbilds zum unendlichen Universum des heliozentrischen Weltbilds zeigt ein berühmter Holzstich, den der Populärastronom C. Flammarion (1842–1925) im Jahr 1888 anfertigte (Abb. 5): Der Mensch der frühen Neuzeit durchbricht die begrenzte Welt des ptolemäischen Universums und erblickt die Vielzahl der Sonnen und die Unendlichkeit des Raums.30 Im Vergleich mit der Illustration zur Lutherbibel (Abb. 3, S. 10) weist Flammarions Holzstich, auch wenn er keine originale Vi27
S. dazu Stückelberger, Himmel, 42 ff, ferner Teichmann, Wandel, 51 ff. S. dazu nach wie vor Koyré, Welt, ferner Blumenberg, Genesis; Teichmann, aaO 69 ff; Groh, Weltökonomie, 132 ff; Goldstein, Naturerscheinungen, 28 ff u. a. Zur Auseinandersetzung der Reformatoren mit dem Kopernikanismus s. Blumenberg, aaO 371 ff. 29 Habermas, Geschichte 2, 115. 30 S. dazu Senger, Wanderer, 343 ff mit einer Diskussion zur Datierung. 28
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 13
Abb. 5: Wanderer am Weltenrand (Holzstich, 1888)
sion des vorkopernikanischen Universums darstellt, auf ein bestimmtes Problem hin. Dieses besteht in der Sinnhaftigkeit des geozentrischen Weltbilds auf der einen und der Ambivalenz des heliozentrischen Weltbilds auf der anderen Seite. In anthropologischer Hinsicht nämlich ist das geozentrische Weltbild durchaus plausibel, da es den Menschen verständliche und sinnvolle Erklärungen bot, soweit diese im Alltag benötigt wurden.31 Bei dem Vergleich von antik-mittelalterlichem und neuzeitlichem Weltbild sollten wir deshalb auf Überheblichkeiten verzichten und uns eher fragen, wie wir uns heute angesichts des gewaltig ausgedehnten und sich weiter ausdehnenden Universums auf der Erde einrichten wollen und über welche Gewissheiten wir verfügen, die uns Orientierungen zu geben vermögen. Eigenartiger Weise, und das ist der zweite Punkt, hat gerade eine Spitzenleistung der wissenschaftlich-technischen Moderne, nämlich die erste Landung von Menschen auf dem Mond im Juli 1969 zu einer Einsicht geführt, die anthropologisch bedeutsam wurde. Denn seit wir den geozentrischen Blick auf die Erde, 31
S. dazu von Imhof, Alltagsbewältigung und zu den wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhängen Blumenberg, Umsturz, 60 ff.
14 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
Abb. 6: „Erdaufgang“ (Foto der NASA, 1968)
also den „Earthrise“ („Erdaufgang“) genannten Blick kennen, den der „Apollo 8“-Astronaut W. Anders am 24.12.1968 aufgenommen hat (Abb. 6), ist evident, dass unser Globus, der „blaue Planet“, bezüglich seiner unvergleichlichen Schönheit und humanen Wohnqualität keinen Vergleich mit den majestätischen Sternen zu scheuen braucht. „Die Reflexivität der kopernikanischen Optik“, so beschließt H. Blumenberg sein großes Buch Die Genesis der kopernikanischen Welt, „wiederholt sich in den Bewegungen, die dem Sehen das Begehen folgen lassen sollten. Es ist mehr als eine Trivialität, daß die Erfahrung, zur Erde zurückzukehren, nicht anders hätte gemacht werden können als dadurch, sie zu verlassen. Die kosmische Oase, auf der der Mensch lebt, dieses Wunder von Ausnahme, der blaue Eigenplanet inmitten der enttäuschenden Himmelswüste, ist nicht mehr ‚auch ein Stern‘, sondern der einzige, der diesen Namen zu verdienen scheint. Nur als Erfahrung einer Rückwendung wird akzeptiert werden, daß es für den Menschen keine Alternativen zur Erde gibt wie keine Alternativen der Vernunft zur menschlichen.“32 32
Blumenberg, Genesis, 793 f, s. dazu Timm, Ithaka, 55 ff; Zill, Leser, 485 ff und Schroer, Geosoziologie, 468 ff. Zum Erdglobus als dem „Blauen Planeten“ s. Bredekamp, Blue Marble, 366 ff.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 15
Dieser Blick von außen auf die Erde hat zum einen eine Haltung befördert, die die Erde neu als Raum des Lebens begreift.33 Zum anderen hat er – damit zusammenhängend – die Problematik eines Weltbilds bewusst gemacht, das seit Kopernikus zunächst die Heliozentrik, dann die grenzenlose Offenheit des Alls und schließlich den mit Lichtgeschwindigkeit expandierenden Sternenwirbel der Materie propagierte. Hinter diese naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der Neuzeit können wir natürlich nicht zurück, weil sie der Grund für die Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften und ihrer Errungenschaften sind.34 Es fragt sich aber, was sie in anthropologischer Hinsicht und besonders im Blick auf das Mensch/Natur- bzw. Mensch/Erde-Verhältnis bedeuten.35 Denn in der grenzenlosen Offenheit des Alls gibt es weder eine Orientierungsmöglichkeit nach Art des morgendlichen Sonnenaufgangs noch irgendeinen, der menschlichen Wahrnehmung entsprechenden Erlebnisgehalt. Auf der anderen Seite ist es gar nicht ausgemacht, dass wir das ptolemäische Weltbild mit der Erde als Zentrum des Universums (s. Abb. 4, S. 11) gänzlich oder besser: im alltäglichen Erleben hinter uns gelassen und die Einsichten der kopernikanischen Wende vollständig beherzigt haben. Im Gegenteil: „Durch den modernen Übergang von einem geschlossenen Weltall zu einem unendlichen Universum … wurde das alte Heimatgefühl in der Harmonie des Weltalls zerstört. Der Blick in die begrenzt unendlichen Sternenräume und die uralten Zeiten, aus denen uns die Hintergrundstrahlung erreicht, erweckt bei modernen Menschen nihilistische Gefühle der Verlorenheit und einer transzendentalen Obdachlosigkeit. Schon Pascal bekannte: ‚Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern‘.“36
Im Erleben, so können wir resümieren, sind wir nach wie vor Ptolemäer. Noch immer „geht“ 500 Jahre nach N. Kopernikus (1473–1543) die Sonne im Osten „auf “, obwohl das dem heliozentrischen Weltbild diametral widerspricht.37 Und noch immer „wölbt sich“ der Himmel über uns, obwohl wir auch das besser wissen (müssten).38 Wir sehen heute per Fernseher und Google Earth in die letzten 33
S. dazu jüngst Schroer, aaO 461 ff. Descola, Natur, 132 f. 35 Vgl. Altner, Welt, 91 ff, der in seiner Kritik am wissenschaftlich-technischen Fortschritt vom „Maßstab der Lebensverträglichkeit“ spricht, s. dazu ausführlicher unten 463 ff. 36 Moltmann, Raum, 145. Zum Fragment 12 aus Pascals Pensées s. den Stellenkommentar von E. Zwierlein in Pascal, Gedanken, 297 f: „Ein klassisches Zitat und geflügeltes Wort aus den Pensées. Die Unendlichkeit und ‚Maßlosigkeit‘ des Universums ist, wenn man sie sich zu vergegenwärtigen versucht, gegenüber dem menschlichen Maß derart überwältigend, fremd und abweisend, dass sich der Mensch keine Hoffnung auf Antworten für seine Fragen machen darf. Im Blick auf dieses angesichtslose und alles Menschenmaß vertilgende All bleibt der fragende Mensch geistig heimatlos.“ Zu B. Pascal (1623–1662) s. die Skizze von Habermas, Geschichte 2, 132 ff. 37 Zum heliozentrischen Weltbild s. Teichmann, Wandel, 69 ff; Zill, Art. Grenze, 139 ff u. a. 38 Vgl. Blumenberg, Umsturz, 74 f. Seit dem frühen 17. Jh., konkret seit F. Bacons (1561–1626) 34 Vgl.
16 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
Winkel der Erde und surfen via Internet durch hunderte von virtuellen Welten – aber ein „Weltbild“ will sich dabei nicht einstellen. Nicht nur, weil wir das jeweils Gesehene nicht mehr in einen sinnvollen Zusammenhang bringen können, sondern auch, weil uns die physische Welt immer mehr entschwindet. Um nicht missverstanden zu werden: Es gibt keinen Weg zurück zum Weltbild der Antike, weil es unwiederbringlich dahin ist. Und selbst wenn es uns gelänge, den Weg zurück zu gehen – wir würden uns nicht mehr in ihm zurechtfinden. Wir müssen uns aber bewusst machen, welchen Verlust das Entschwinden der natürlichen Lebenswelt (Pflanzen, Tiere, Dinge) und ihrer sinnlichen Anschauung für unser Menschsein bedeutet. Je virtueller die physische Welt wird, um so weniger Grund gibt es auch, nach ihrem symbolischen Gehalt und ihrer religiösen Bedeutung zu fragen. Diese Frage wachzuhalten – auch wenn wir sie anders beantworten als unsere Vorfahren –, ist vielleicht das Wichtigste, was uns die Beschäftigung mit dem Weltbild der Antike und speziell der Bibel lehren kann.39 Die Eigenheiten dieses Weltbilds sollen im Folgenden anhand der beiden Leitbegriffe „Natur“ und „Schöpfung“ skizziert werden. Exkurs 1: Natur und Schöpfung Altes Testament: Berlejung, Art. Weltbild/Kosmologie, 67 ff ◆ Dietrich, Welterfahrung,
69 ff ◆ Ebach, Art. Naturerfahrung, 420 ff ◆ Ders., Art. Weltbild, 646 ff ◆ Hardmeier/Ott, Naturethik, 225 ff ◆ Janowski, Logik, 203 ff ◆ Ders., Anthropologie, 22 ff.33 ff.337 ff.343 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 13 ff ◆ Ders./Schroer, Schöpfung, 102 ff ◆ Kipfer, Himmel, 27 ff ◆ Koch, Art. Welt/Weltbild ◆ Oeming, Welt, 569 ff ◆ Rogerson/Lang, Art. Natur, 94 ff ◆ Saur, Ordnung, 65 ff ◆ Schmid, Orient, 1 ff ◆ Ders., Natur, 49 ff ◆ Steck, Impulse, 202 ff ◆ Ders., Welt, 49 ff ◆ Weippert, Welterfahrung, 179 ff. – Antike Religionen: Assmann, Ägypten 1, 67 ff ◆ Dietrich, Listenweisheit, 101 ff ◆ Frankfort/Frankfort, Einführung, 9 ff ◆ Junge, Land, 3 ff ◆ Meyer, Aristoteles, 69 ff ◆ Pongratz-Leisten, mental map, 261 ff ◆ Rochberg, Before Nature ◆ Dies., Anthropology, 253 ff ◆ Wiggermann, Foundations, 279 ff ◆ Ders., Mythologie, 109 ff ◆ Wilcke, Weltbilder, 1 ff. – Philosophie, Theologie, Kulturwissenschaft: Brüggemeier, Art. Natur, 65 ff ◆ Cassirer, Philosophie, 98 ff ◆ Descola, Natur ◆ Goldstein, Naturerscheinungen, 236 ff ◆ Groh/Groh, Weltbild, 11 ff ◆ Körtner, Bebauen, 177 ff ◆ Krolzik, Wurzeln, 284 ff ◆ Liedke, Bauch des Fisches, 35 ff ◆ Link, Schöpfung 2, 254 ff ◆ Moltmann, Naturwissenschaft, 173 ff ◆ Rosa, Natur, 123 ff ◆ Ders., Resonanz, 453 ff ◆ Rosenau, Art. Natur, 98 ff ◆ Schoberth, Art. Natur, 627 ff ◆ Thomas, Instabilitäten, 1 ff ◆ Ders., Schöpfung, 519 ff. Es ist eine bekannte Tatsache, dass das Alte Testament keinen Begriff für „Natur“ besitzt.40 Wenn es über die Natur spricht, nimmt es Einzelphänomene wie Sonne, Mond und SterWerk Novum Organum von 1620, hat es nicht an Versuchen gefehlt, der wissenschaftlichen Rationalisierung der Lebenswelt durch eine von derartigen Sprachbildern „gereinigte Sprache“ zum Durchbruch zu verhelfen, s. dazu Goldstein, Naturerscheinungen, 49 ff. 39 Keinen Sinn für diese Frage verraten die von verqueren Unterscheidungen und Behauptungen durchzogenen Ausführungen von Barth, Abschied, 401 ff, s. dazu die Kritik von Thomas, Schöpfung, 521 f. 40 S. dazu Rosenau, Art. Natur, 99, der darüber hinaus auf die φύσις-Belege in SapSal 7,20
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 17
ne, Berge, Fruchtland und Ackerboden, Menschen, Tiere und Pflanzen oder Meere, Flüsse und Wadis in den Blick.41 Ein zusammenfassender Ausdruck aber fehlt. Das gilt aber auch für die „Schöpfung“, für die das Alte Testament ebenfalls keinen zusammenfassenden Ausdruck besitzt.42 Niemand käme deswegen auf die Idee, dem Alten Testament das Vorhandensein von Schöpfungsvorstellungen abzusprechen. Die Frage aber ist, wie das Verhältnis von Natur und Schöpfung im Alten Testament zu bestimmen ist. Während sich die Rede von Natur auf den Bereich dessen bezieht, was dem Menschen vorgegeben ist (Umwelt, Weltverhältnis) und was seine naturale Seite ausmacht (Leiblichkeit, Selbstverhältnis), unterstellt der Begriff der Schöpfung „einen wie auch immer gearteten Gottesbezug“43. Wie wir in den folgenden Paragraphen sehen werden, realisiert sich dieser Bezug in den biblischen Schöpfungstexten so, dass „sich Menschen zur unverfügbaren Kontingenz Gottes performativ, d. h. narrativ, adorativ oder argumentativ in Beziehung setzen“44. Konstitutiv ist dabei, dass sich die Rede von der Schöpfung nicht von den naturalen Vorgegebenheiten abkoppeln kann.45 Dazu drei vorläufige Hinweise.
Die „Ordnungsformen“ der Wirklichkeit Grundlegend für das Thema „Mensch und Natur“ im Alten Orient und im Alten Testament ist der Sachverhalt, dass die natürliche Welt nicht ein neutraler Gegenstandsbereich, sondern eine Quelle starker Wertungen ist.46 So bildet das anschauungsgebundene Denken des Alten Testaments und des Alten Orients keinen Begriff des Raums unabhängig vom Erleben des Raums als eines konkreten, in bestimmter Weise qualifizierten Bereichs der Wirklichkeit, immer bleibt der Zusammenhang mit der empirischen Wahrnehmungswelt gewahrt. Für diesen Zusammenhang hat E. Cassirer den Begriff „Ordnungsformen“ geprägt und durch den Hinweis auf fundamentale Gegensatzpaare konkretisiert.47 Danach bildet der Gegensatz von Tag und Nacht bzw. von Licht und Finsternis eines der Grundmotive für den „religiösen Aufbau des Kosmos“48, dessen Struktur durch einzelne Raumgebiete mit je eigener Qualität qualifiziert ist: „Jede einzelne Raumbestimmung erhält je einen bestimmten göttlichen oder dämonischen, freundlichen oder feindlichen, heiligen oder unheiligen ‚Charakter‘. Der Osten ist als Ursprung des Lichts auch der Quell und Ursprung allen Lebens – der
(s. Q 154); 13,1 u. a. hinweist, vgl. Schmid, Natur, 49 f. Zur Geschichte und zum Profil des φύσις-Begriffs s. Saur, Ordnung, 65 ff; Thomas, Instabilitäten, 5 ff sowie Q 131 und 133–135. 41 S. dazu mit zahlreichen Textbeispielen Weippert, Welterfahrung, 179 ff; Keel/Schroer, Schöpfung, 37 ff; Janowski, Anthropologie, 318 ff und Kipfer, Himmel, 29 ff. 42 Eine Ausnahme ist Num 16,30, wo das Lexem berîʾāh „Schöpfung, Geschaffenes“ innerhalb einer Strafrede erscheint, s. dazu Kellenberger, Schöpfung, 1 ff. 43 Hardmeier/Ott, Naturethik, 228. 44 Dies., ebd., s. dazu auch Schoberth, aaO 627 ff; Link, Schöpfung 2, 254 ff und Körtner, Bebauen, 177 ff. 45 Vgl. Thomas, Instabilitäten, 2 ff und ders., Schöpfung, 521. 46 S. dazu Frankfort/Frankfort, Einführung, 9.19 ff.29 f; Keel, Bildsymbolik, 8 f; Gese, Frage, 206 ff; Weippert, Welterfahrung, 179 ff; Janowski, Logik, 223 ff, ferner Rosa, Natur, 123 ff. 47 S. dazu Cassirer, Philosophie, 110 ff und ders., Versuch, 59. Zu Cassirers Ansatz s. Habermas, Formgebung, 9 ff und Janowski, Anthropologie, 337 f. 48 Cassirer, Philosophie, 113.
18 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung Westen ist, als Ort der sinkenden Sonne, von allen Schauern des Todes umweht. Wo immer der Gedanke eines eigenen Totenreichs entsteht, das in räumlicher Trennung und Absonderung dem Reich der Lebenden gegenübersteht, da wird ihm sein Sitz im Westen der Welt zugewiesen. Und dieser Gegensatz von Tag und Nacht, von Licht und Dunkel, von Geburt und Grab stellt sich nun weiterhin in den mannigfachsten Vermittlungen und in den verschiedenartigsten Brechungen in der mythischen Auffassung einzelner konkreter Lebensverhältnisse dar. Sie alle empfangen gleichsam eine verschiedene Beleuchtung, je nach dem Verhältnis, in welches sie zu dem Phänomen der aufgehenden oder niedergehenden Sonne gesetzt werden.“49 Aufgrund der qualitativ-wertenden Auffassung von Raum und Zeit kommt es zur Ausbildung symbolischer Raum- und Zeitgrenzen, die eine Orientierung in der natürlichen und geschichtlich-sozialen Welt ermöglichen. Dieser Vorgang lässt sich als Ausdifferenzierung sprachlich-symbolischer Äquivalenzen (Licht = Leben, Finsternis = Tod u. a.) und Oppositionen (Licht vs. Chaos, Reinheit vs. Unreinheit u. a.) verstehen, die alle Lebensbereiche erfasst. Diese Auffassung von Raum und Zeit hängt mit einem elementaren Zäsurbedürfnis, also mit dem Verlangen danach zusammen, die empirische Wirklichkeit durch natürliche und soziale Rhythmen zu strukturieren, um sich auf diese Weise in ihr zu orientieren.
Der Antagonismus von Kosmos und Chaos Die Beobachtungen E. Cassirers lassen sich auch für die Religionen des Alten Orients, Ägyptens und des antiken Mittelmerraums geltend machen. Denn nach altorientalischer Auffassung war die Stellung des Menschen in der Welt von dem Gegeneinander kosmoserhaltender und kosmoszerstörender Mächte bestimmt, die sein Fragen nach dem Ordnungszusammenhang der Welt wachhielten. Diese alltägliche Erfahrung des Antagonismus von Kosmos und Chaos war mit der Einsicht verknüpft, dass die empirische Wirklichkeit über sich hinausweist und die Lebenswelt des Menschen eine von Gottes schöpferischer Macht bewahrte, aber zugleich vom Chaos und seinen Exponenten bedrohte Welt ist. O. Keel spricht in diesem Zusammenhang von einer „Osmose von Tatsächlichem und Symbolischem“: „Für den AO (= Alten Orient) weist die empirische Wirklichkeit als Manifestation und Symbol über ihre vordergründige Wirklichkeit hinaus. Es findet eine ständige Osmose zwischen Tatsächlichem und Symbolischem und umgekehrt auch zwischen Symbolischem und Tatsächlichem statt. Diese Offenheit der alltäglichen, irdischen Welt auf die Sphären göttlich-intensiven Lebens und bodenloser, vernichtender Verlorenheit hin ist wohl der Hauptunterschied zu unserer Vorstellung der Welt als eines praktisch geschlossenen mechanischen Systems. Der Hauptfehler der landläufigen Darstellungen des ao (= altorientalischen) Weltbildes ist ihre schlackenlose Profanität und ihre Transparenz- und Leblosigkeit. Die Welt ist nach biblischer und ao Auffassung auf das Über- und Unterirdische hin offen und durchsichtig. Sie ist keine tote Bühne.“50 49 50
Ders., aaO 116, vgl. Frankfort/Frankfort, aaO 29 f.31 f. Keel, Bildsymbolik, 47. Anschauliche Belege für diese Weltauffassung sind etwa das berühmte Lamaštu-Amulett aus Assyrien (s. dazu Janowski, aaO 611 f ) oder der KudurruGrenzstein aus Susa, s. Q 61.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 19
An das menschliche Erkenntnis- und Handlungsvermögen stellte diese Offenheit des Weltgefüges erhebliche Anforderungen. Denn wenn Religion die Funktion hat, dem Menschen die Welt und seine Stellung in ihr dadurch verständlich zu machen, dass sie „die interpretative Grundstruktur thematisiert und ihm so zugleich Handlungsanweisungen im Umgang mit den vorfindlichen Mächten zuspricht“51, dann kam ihr die Aufgabe zu, die in vielfältiger Weise von antagonistischen Mächten – Kosmos/Chaos, Licht/Finsternis, Leben/Tod, Reinheit/Unreinheit, Gesundheit/Krankheit, Fruchtbarkeit/Sterilität – durchwaltete Wirklichkeit auf eine Welt hin zu bestimmen, die Bestand hat und in der sinnvolles Leben möglich ist. Die Aufgabe bestand demnach darin, die Spannung zwischen der angestrebten Ordnung der Welt und den faktischen Unordnungselementen durch die „Setzung bestimmter Abgrenzungen und Unterscheidungen“52 zu bewältigen, um sich in der Erfahrungswirklichkeit zu orientieren. Die Beachtung regelhafter Abläufe in der natürlichen und geschichtlich-sozialen Welt war dabei so etwas wie ein Kompass für das Handeln und Verhalten in den sozialen und religiösen Beziehungen.53
Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft Bemühungen, regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft zu erkennen und zu beschreiben, gibt es nicht erst seit den Vorsokratikern und Platon (s. Q 125–127), sondern bereits in der vorgriechischen Antike, also in Mesopotamien, Ägypten und Israel.54 Im Unterschied zu den naturwissenschaftlichen Konzepten der Vorsokratiker und Platons besteht ihr Proprium in der religiösen Wertung der Naturvorgänge und deren Rückführung auf göttliche Interventionen. Für das Alte Testament kommen dabei zahlreiche Aspekte in Frage, auf die in den folgenden Paragraphen ausführlich eingegangen wird.55 𓇼
Wie unsere Vorüberlegungen zum Verständnis der Begriffe „Natur“ und „Schöpfung“ in den Kulturen der vorgriechischen Antike (Ägypten, Mesopotamien, Israel u. a.) deutlich machen wollten, wurde die Natur hier nicht als neutraler Gegenstandsbereich behandelt, sondern als Quelle starker Wertungen56 erlebt, in dem der Schöpfergott gegenwärtig ist und wirkt. Dieser Sachverhalt ist im Folgenden weiter zu vertiefen.
51
Dux, Logik, 168, s. zur Sache auch Geertz, Beschreibung, 58 ff. Cassirer, aaO 112 f. 53 Vgl. Witte, Weisheit, 1161 f. 54 S. dazu auch Schmid, Orient, 1 ff. Ein einschlägiges Beispiel für Mesopotamien ist die Korrelation zwischen dem kosmischen Wirken des Sonnengottes und dem Rechtshandeln des Königs im Kodex Hammurapi (s. Q 89) und in neuassyr. Königsinschriften (s. Q 92). Auch in der mesopotamischen Ritual- und Gebetsliteratur des 2./1. Jt.s v. Chr. spielt dieser Sachverhalt eine zentrale Rolle, s. Q 90. 55 S. dazu auch die Übersicht unten 133 f. 56 S. dazu die Hinweise oben 17 Anm. 46. 52
20 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
2. Schöpfung im Alten Testament Altes Testament: Albertz, Weltschöpfung ◆ Ders., Art. Schöpfung, 1389 ff ◆ Bauks, Theologie, 94 ff ◆ Brueggemann, Theology, 528 ff ◆ Cliffford, Creation Accounts, 135 ff ◆ Feldmeier/Spieckermann, Gott, 206 ff.253 ff ◆ Huber, Himmel ◆ Irsigler, Gottesbilder, 438 ff.1263 ff ◆ Janowski, Art. Schöpfung, 970 ff ◆ Ders., Welt des Anfangs, 3 ff ◆ Jeremias, Schöpfung, 83 ff ◆ Ders., Theologie, 325 ff ◆ Kaiser, Gott, 210 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung ◆ Kratz/ Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 258 ff ◆ Liedke, Bauch des Fisches, 63 ff.109 ff ◆ Löning/Zenger, Anfang ◆ von Rad, Problem, 136 ff ◆ Ders., Theologie 1, 149 ff.371 ff.461 ff; 2, 95 ff.250 ff.360 ff ◆ Ders., Weisheit, 153 ff ◆ Rendtorff, „Wo warst du“, 94 ff ◆ Schmid, H. H., Schöpfung, 9 ff ◆ Schmid, K., Schöpfung 2, 71 ff ◆ Ders., Theologie, 266 ff ◆ Schmidt, L., Schöpfung, 267 ff ◆ Schmidt, W. H., Glaube, 240 ff ◆ Schüle, Schöpfung, 421 ff ◆ Spieckermann, Schöpfung, 361 ff ◆ Steck, Thesen, 277 ff ◆ Ders., Impulse, 202 ff ◆ Ders., Welt ◆ Westermann, Problem, 243 ff ◆ Ders., Schöpfer, 238 ff ◆ Ders., Schöpfung ◆ Zenger, Art. Schöpfung, 217 ff. – Systematische Theologie: Link, Schöpfung 1, 349 ff ◆ Ders., Schöpfung 2, 32 ff ◆ Moltmann, Gott ◆ Pannenberg, Theologie 2, 15 ff ◆ Welker, Schöpfung, 15 ff.89 ff.
Das in Exkurs 1 skizzierte Verhältnis von Natur und Schöpfung in den Kulturen der vorgriechischen Antike ist das Gegenteil des Fortschrittsoptimismus, der sich seit der frühen Neuzeit „auf die Befreiung des Menschen von den Zwängen der Natur und auf die technische Nutzung ihrer Ressourcen zugunsten menschlichen Wohlergehens berufen (hat)“57. Die alttestamentlichen Schöpfungstexte sind, wie auch die jüngere Forschungsgeschichte zeigt, nur vor diesem Hintergrund angemessen zu verstehen. a) Forschungsgeschichtliche Aspekte Im Blick auf die geschichtliche Entwicklung des biblischen Schöpfungsglaubens sind in der Forschung unterschiedliche Modelle vertreten worden.58 Ebenso kontrovers fallen auch die Beurteilungen zur theologischen Bedeutung der alttestamentlichen Schöpfungsaussagen aus. Im Folgenden werden zunächst die klassischen Positionen (α) und danach die neueren Entwürfe (β) skizziert. α) Klassische Positionen Von Rad, Problem, 136 ff ◆ Ders., Theologie 1, 149 ff.371 ff.461 ff; 2, 95 ff.250 ff.360 ff ◆ Ders., Weisheit, 153 ff ◆ Schmid, H. H., Schöpfung, 9 ff ◆ Westermann, Problem, 243 ff ◆ Ders., Schöpfer, 238 ff ◆ Ders., Schöpfung. – Kritik: Keel/Schroer, Schöpfung, 11 ff.19 ff ◆ Liedke, Bauch des Fisches, 71 ff ◆ Link, Welt, 94 ff.268 ff ◆ Rendtorff, „Wo warst du“, 94 ff ◆ Reventlow, Hauptprobleme, 151 ff.160 ff ◆ Schmid, K., Theologie, 267 f ◆ Schmidt, L., Schöpfung, 268 ff.
57 58
Groh/Groh, Weltbild, 7. S. dazu unten 453 ff.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 21
G. von Rad Grundlegend für die Diskussion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der frühe, im Jahr 1936 erschienene Aufsatz Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens von G. von Rad (1901–1971),59 der mit einer apodiktischen Aussage beginnt: „Der Jahweglaube des Alten Testaments ist Erwählungsglaube, d. h. primär Heilsglaube. Mit dieser Feststellung, die hier keiner Begründung bedarf (sic!), ist das Problem schon in aller Schärfe und Einfachheit gestellt.“60
Methodisch geht von Rad nicht von Gen 1,1–2,4a,61 sondern „von den hymnischen Bezeugungen des Schöpfungsglaubens im Psalter und bei Deuterojesaja aus, weil sie in ihrer viel geringeren theologischen Gebundenheit unmittelbarere Stimmen für das religiös Aktuelle sind als die gelehrte, im Zwang eines theologischen Systems einhergehende Priesterschrift“62.
Das ist leider eine Fehleinschätzung. Denn sieht man einmal von der unzutreffenden Charakterisierung der Priesterschrift („Zwang eines theologischen Systems“) ab,63 so beruhen gerade die „hymnischen Bezeugungen des Schöpfungsglaubens im Psalter und bei Deuterojesaja“ auf der engen Korrelation von Schöpfung und Geschichte (von Rad: „das religiös Aktuelle“). So zeigt etwa der Geschichtspsalm Ps 136 schon durch seinen Aufbau, dass Schöpfungs- und Erwählungsglaube unmittelbar nebeneinander stehen und, wie V. 23–25 eindrücklich zeigen, aufeinander bezogen werden: 23 Der in unserer Erniedrigung unser gedachte, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 24 Und uns unseren Bedrängern entriss, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 25 Der Nahrung gibt allem Fleisch ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 26 Preist den Gott des Himmels, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 59 60
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S. dazu von Rad, Problem, 136 ff. Für die Epoche vor von Rad (Hauptvertreter: H. Gunkel, A. Jeremias, H. Gressmann u. a.) s. Keel/Schroer, Schöpfung, 15 ff. Von Rad, aaO 136, s. dazu die Kritik von Keel/Schroer, aaO 11 ff. Zum zeitgeschichtlichen Kontext der Position von Rads, der sich wenige Zeilen später kritisch zum Werk „Schöpfung und Offenbarung“ von W. Lütgert (1934) äussert („unhaltbar“), s. Liedke, Bauch des Fisches, 80 und umfassend Weber, Altes Testament. Seiner Meinung nach hat die Position des priesterlichen Schöpfungstexts am Anfang der Bibel allzu oft zu falschen Folgerungen hinsichtlich der theologischen Bedeutung des Schöpfungsglauben geführt, vgl. von Rad, aaO 137. Aus einem anderen Grund gehen auch Keel/ Schroer, aaO 36.237 nicht von Gen 1,1–2,4a aus, s. dazu unten 29 ff. Von Rad, aaO 138. In seinem 1949 zum ersten Mal erschienen Kommentar zur Urgeschichte liest sich das anders, denn dort spricht von Rad von dem „immensen theologischen Gehalt, den Israel in diesem Kapitel (sc. Gen 1,1–2,4a) niedergelegt hat“ (ders., Genesis [ATD], 45).
22 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
Nach von Rad stehen hier Schöpfungs- und Geschichtsaussagen ganz unverbunden nebeneinander, ja der Schöpfungsglaube hat selber kein Eigengewicht, sondern der Hymnus drängt über die Schöpfungsaussagen hin zu den geschichtlichen Heilstaten JHWHs „… und wir gehen gewiß nicht fehl, wenn wir in diesem zweiten Teil (sc. in V. 10–22) den Höhepunkt des Psalms sehen“64. Wie wir sehen werden, ist das eine unzutreffende Textwahrnehmung.65 Eine ähnliche Struktur, d. h. ein unverbundenes Nebeneinander von Schöpfungs- und Heilsglaube, sieht von Rad außer in Ps 33 und 148 auch in den deuterojesajanischen Schöpfungstexten,66 was ihn zu der These führt, dass Schöpfung im Psalter und bei Deuterojesaja kein eigenständiges Thema, sondern lediglich eine Funktion der Erwählung ist: „Es gibt im ganzen Buch Deutjes. keine Stelle, an der der Schöpfungsglaube selbstständig auftritt; nie ist er das Hauptthema eines Spruches, um deswillen der Prophet das Wort ergreift. Er ist da, aber er hat in der Verwendung und Argumentation des Propheten eine dienende Rolle; er unterbaut die Heilsworte in dem Sinn, daß er Glauben für sie wecken soll, er ist die großartige Folie, von der sich die Heilsworte um so mächtiger und vertrauenswürdiger abheben, – oder er ist etwas anderes!“67 In einem zweiten Gedankengang wendet sich von Rad dann jenen Psalmen zu, die „gemeinhin als die Kronzeugen des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens gelten: Ps 19; 104; 8“68. In Ps 19 stößt man dabei auf einen neuen Gedanken, wonach der Kosmos die „Herrlichkeit“ (kābôd) Gottes bezeugt. Allerdings, so von Rad, steht dieser Gedanke im Alten Testament nicht auf breiter Basis, und „in solcher Deutlichkeit findet er sich überhaupt nicht mehr“. Denselben Gedanken enthält auch Ps 104, aber mehr mittelbar, nämlich so, dass „der ganze Kosmos durch seine Wunderbarkeit Gottes Macht und Weisheit erkennen lasse“69. In beiden Texten liegen „wirklich Zeugnisse eines reinen und selbständig in sich ruhenden Schöpfungsglaubens (vor); hier ist tatsächlich die Weltschöpfung Jahwes das Thema“70. Aber, so schränkt von Rad sogleich ein: Sind diese Texte überhaupt genuin israelitisch? Nein, lautet die Antwort: Ps 19A (= V. 1–7) ist „ein dem Jahweglauben erst sekundär assimiliertes, altkanaanäisches hymnisches Fragment“71, und Ps 104 ist vom Großen Amarnahymnus Echnatons „mindestens weitgehend angeregt“72. Daneben gibt es im Alten Testament noch jene „unvermittelte, isolierte Bezeugung des Schöpfungs-
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Ders., Problem, 138. Von Rad übersieht dabei, dass alle (!) Abschnitte des Psalms durch die 26-malige Antiphon „denn ewig währt seine Güte“ miteinander verbunden und aufeinander bezogen werden. S. dazu unten 321 ff. Kurz besprochen werden dabei Jes 40,27–31; 43,1–7; 44,24–28; 51,9 f u. a., s. dazu ders., aaO 138 ff. Ders., aaO 139 (H. i. O.). Ders., aaO 143. Ders., ebd. Ders., aaO 144. Ders., ebd. Zu Ps 19 s. unten 433 ff.497 f. Ders., ebd. Zu Ps 104 s. unten 418 ff., zum Großen Amarnahymnus s. Q 27.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 23
glaubens in Gen 14,19.22“73, die nach von Rad allerdings auf phönizische Tradition zurückgeht und ebenso wenig genuin israelitisch ist. Diese außerisraelitischen Schöpfungstraditionen hat der JHWH-Glaube nicht abgestoßen, sondern rezipiert. Aber sie kommen „nicht primär aus dem Zentrum des Jahweglaubens“, sondern sind „ihm vielmehr von außen zugeströmt“74. Ein ähnliches Phänomen lässt sich von Rad zufolge schließlich an den Weisheitstexten beobachten. Auch sie kommen nicht primär aus dem Zentrum des JHWH-Glaubens, sondern „aus der stark verstandesmäßigen, auf Gottes Ökonomie in der Welt ausgerichteten Betrachtungsweise weisheitlichen Denkens, für die wir Ägypten als Ursprungsland annehmen dürfen“75. Erst nachdem der Heilsglaube gesichert war, hat „der Glaube, dass auch die Natur eine Offenbarung Gottes sei, … zu einer wirklichen Bereicherung und Erweiterung des Heilsglaubens“76 werden können.
Von Rads soteriologisches Verständnis der Schöpfung, das von vielen Kollegen bis weit in die Systematische und Praktische Theologie hinein nachgesprochen wurde,77 hat – ohne von ihr abhängig zu sein – eine auffällige Entsprechung in der Beurteilung der Schöpfung, wie sie K. Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik entfaltet hat.78 Danach ist die Schöpfung der äußere Grund des Bundes, also seine formale Voraussetzung (= Anfang), und der Bund Gottes mit Israel der innere Grund der Schöpfung, also ihre materiale Voraussetzung (= Ermöglichung).79 Theologisch ernst zu nehmen sind Schöpfungsaussagen lediglich als Vorbau zur Bundesgeschichte Gottes mit Israel. Darum kann es nach Barth – und entsprechend auch nach von Rad – eine Erfahrung der Schöpfung nur innerhalb des Bundes geben, also nur durch das Medium der Geschichte. Der Weg, die Erkenntnis Gottes aus Naturvorgängen oder Schöpfungszusammenhängen abzuleiten, war Israel – und ist dem christlichen Glauben – dagegen verwehrt. Wie bei anderen Modellen gibt es auch bei diesem Entwurf konstruktive und kritische Aspekte. Mit Chr. Link80 ist das Konstruktive des von Rad’schen Ansatzes in der Temporalisierung sowie in der Erfahrungsbezogenheit des Schöpfungsgeschehens zu sehen: – Das Schöpfungsgeschehen wird durch den Bezug auf die Geschichte in den zeitlichen Ablauf eingebunden und damit temporalisiert: „Steht die Schöpfungsgeschichte … in der Zeit, so hat sie endgültig aufgehört, ein Mythus zu sein, eine zeitlose, sich im Kreislauf der Natur ereignende Offenbarung“81. 73 74 75 76 77 78 79 80 81
Ders., ebd. Zum Verständnis von Gen 14,19.22 s. unten 454 f. Ders., ebd. Ders., aaO 146. Ders., aaO 147. S. dazu Reventlow, Hauptprobleme, 155 f. S. dazu Barth, Kirchliche Dogmatik III/1, 103 ff.258 ff und dazu Link, Welt, 96 ff. S. als Beispiel die Ausführungen von Barth, aaO 44.202. S. dazu Link, aaO 97. Von Rad, Theologie 1, 153.
24 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung – Mit der Temporalisierung wird die Schöpfung grundsätzlich der innerweltlichen Erfahrung erschlossen, sie verbleibt nicht mehr in einem mythischen Vorraum der Geschichte. Auf dem Umweg über Geschichtserfahrungen ist der Zugang zum Verständnis der Welt als Schöpfung eröffnet.82
Gleichzeitig gibt es aber auch kritische Aspekte: – Da für ein soteriologisches Verständnis der Schöpfung der Aspekt im Vordergrund steht, dass Gott die Welt erschaffen hat, verliert das Wie der Weltentstehung und Welterhaltung an Interesse, d. h. man fragt gar nicht mehr nach den kosmologischen Implikationen des alttestamentlichen Gottes- und Menschenbildes. „Kommt in diesem Lösungsversuch nicht zu kurz, dass der Mensch auch im Zusammenhang der Natur steht und daß diese Tatsache erst die Möglichkeit seiner geschichtlichen Entfaltung und Erfahrung begründet?“83 – Das systematische Interesse – also die beschriebene Unterordnung der Schöpfung unter die Geschichte – bestimmt bei von Rad auch die Textauswahl, d. h. es schränkt sie faktisch ein. So werden alle Texte, die sich diesem Schema nicht fügen, kurzerhand für theologisch zweitranging erklärt (Ps 8; 19; 104; Weisheitstexte) und aus der Umwelt Israels abgeleitet (Ps 19 aus Kanaan, Ps 104 und Spr 17,5 aus Ägypten). Deshalb kommt auch die Korrelation Schöpfung/Tora, wie sie für die späte Weisheit typisch ist, nicht in den Blick.84
Das zentrale Problem des von Rad’schen Entwurfs, das auch im Blick auf andere Themen (wie die Feste Israels) zu beobachten ist, dürfte der von ihm konstruierte und ebenfalls vielfach nachgesprochene Gegensatz von Mythos (Zyklizität) und Geschichte (Linearität) sein. Darauf ist zurückzukommen.85 C. Westermann und H. H. Schmid Eine deutliche Verschiebung in der Beurteilung der Schöpfungsthematik findet seit den 1960er Jahren in den Arbeiten von C. Westermann (1909–2000) statt.86 Gegenüber der Position G. von Rads vermeidet Westermann den Begriff „Schöpfungsglauben“ und zwar unter Hinweis darauf, dass die Wendung „Glauben an den Schöpfer“, wie sie in den altkirchlichen Bekenntnissen oder in Luthers Kleinem Katechismus vorliegt,87 im Alten Testament nicht begegnet. Während für den alttestamentlichen Glaubensbegriff, wie etwa Jes 7,9 („Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“) zeige, die Situation einer Alternative konstitutiv sei, ist eine 82 Vgl. 83
84 85 86 87
Link, ebd. Ders., aaO 98 (H. v. m.), s. dazu auch Liedke, Bauch des Fisches, 74.81 ff. Die Einsicht, dass der Mensch „im Zusammenhang der Natur steht“ (Link, ebd.), ist durch das Axiom der Gemeinschaft des Lebendigen weiterzuführen und zu konkretisieren, s. dazu unten 471 ff. Von Rad hat das später wesentlich differenzierter gesehen, s. ders., Weisheit, 153 ff und dazu Rendtorff, „Wo warst du“, 102 f. S. dazu bereits Janowski, Anthropologie, 388 ff und unten 318 ff. S. dazu Westermann, Problem, 243 ff; ders., Schöpfer, 238 ff und ders., Schöpfung. S. dazu oben 7 ff.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 25
solche Alternative für das alttestamentliche Reden von Schöpfung nach Westermann nicht belegt. Folglich gibt es auch keinen Anlass, von einem alttestamentlichen „Schöpfungsglauben“ zu sprechen. Vielmehr gelte: „Das Geschaffensein von Welt und Mensch war eher eine Denkvoraussetzung als ein Glaubensgegenstand“88, und zwar eine Denkvoraussetzung, die Israel mit seiner altorientalischen Umwelt teilte.89 Das Spezifische des alttestamentlichen Redens von Schöpfung wird Westermann zufolge demgegenüber deutlich, wenn man zwischen den Schöpfungs- und Segensüberlieferungen90 und den Überlieferungen von den Rettungstaten Gottes unterscheidet. Das rettende Handeln ist ein partikulares und aktuelles Handeln JHWHs in der Geschichte wie die Rettung Israels am Meer (Ex 14 f ), die von den Erretten bezeugt und von ihnen als gemeinsame Erfahrung weitertradiert wird. Für die Schöpfung gibt es dagegen keine Zeugen, sie kann, so Westermann, auch nicht bezeugt werden. Ihr Einsatzpunkt liegt nicht in der geschichtlichen Erfahrung Israels, sondern außerhalb derselben „in der Vorzeit Israels“91, d. h. in den Schöpfungsüberlieferungen der altorientalischen Religionen. Das bedeutet aber nicht, dass das Problem dieser außerisraelitischen Elemente im alttestamentlichen Reden von Schöpfer und Schöpfung „so erledigt werden kann, dass diese als vom Jahweglauben absorbierte Überreste erklärt werden und ihre theologische Relevanz allein in Verbindung mit ‚soteriologischen‘ Aussagen gesehen wird. Diese Erklärung wird dem biblischen Tatbestand nicht gerecht“92.
Die Stärke des Ansatzes von Westermann liegt in der Betonung der Eigenständigkeit des Schöpfungsthemas gegenüber allen Verabsolutierungen des geschichtlichen Handeln Gottes. Das war eine fällige Gegenbewegung gegen die einseitigen Thesen G. von Rads. Dennoch ergeben sich auch hier kritische Rückfragen. Das Hauptproblem besteht in der Behauptung Westermanns, dass die Schöpfung im Alten Testament „eher eine Denkvoraussetzung als ein Glaubensgegenstand“93 war. Problematisch daran ist die künstliche Entgegensetzung von Denken und Glauben.94 Denn das, wovon die alttestamentlichen Schöpfungsüberlieferungen 88
Westermann, Problem, 244, vgl. ders., Schöpfung, 14 und ders., Genesis (BK), 59. Diesen Kernsatz des Westermann’schen Schöpfungsverständnisses haben Albertz, Art. Schöpfung, 1391; Kaiser, Gott, 210 und andere übernommen, s. zur Kritik im Folgenden. 89 S. dazu Westermann, Genesis (BK), 91 f. 90 Gegenüber dem rettenden Handeln Gottes stellt das segnende Handeln nach Westermann eine grundsätzlich davon zu unterscheidende Form seiner Zuwendung dar. Im Unterschied zu den aktuellen Taten Gottes in der Geschichte ist der Segen ein stetiges Tun, anders gesagt: „die das Leben, das Wachsen und Gedeihen befördernde, vor Gefahren und Schaden bewahrende Kraft“ (Westermann, Segen, 44). 91 Ders., Problem, 245, vgl. ders., Schöpfung 13 f. 92 Westermann, Problem, 245. 93 Zum Zitatnachweis s. oben Anm. 88. 94 Vgl. Keel/Schroer, Schöpfung, 11 Anm. 2.
26 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
sprechen, sind der Niederschlag elementarer Erfahrungen, die Israel mit seinem Gott gemacht hat und die in narrativen (Erzählungen), doxologischen (Gotteslob) und weisheitlichen Diskursen (Reflexion) sprachlich entfaltet werden. Alle diese Äußerungen sind Ausdruck des Glaubens an JHWH und seines schöpferischen Handelns in Natur und Geschichte.95 Während Westermann die Eigenständigkeit des Themas Schöpfung betont, ist nach H. H. Schmid (1937–2014) Schöpfung das zentrale Thema, dem die Geschichte untergeordnet ist. Im Alten Orient wird dabei in verschiedenen Zusammenhängen und Gattungen von der Schöpfung gesprochen: „Der Schöpfungsglaube sprach im Alten Orient nicht nur, ja nicht einmal primär, von der Weltentstehung, sondern gleichzeitig und vor allem von der gegenwärtigen, den Menschen umgebenden Welt und Natur.“96
Zur Schöpfungsordnung gehören nach Schmid auch die politische und die soziale Ordnung.97 Auch im alttestamentlichen Denken und Glauben ist „der beherrschende Hintergrund … die Vorstellung der umfassenden Weltordnung und mithin der Schöpfungsglaube im weiteren Sinn des Wortes“98. Bei Deuterojesaja etwa werden nicht, wie von Rad annimmt, Schöpfungsmotive auf Geschichtsaussagen übertragen, vielmehr „geben gerade umgekehrt – und altorientalischen Parallelen durchaus entsprechend – die Schöpfungsvorstellungen den Rahmen ab, innerhalb dessen Geschichtsaussagen gemacht werden“99. Die Alternative Protologie (Schöpfung) oder Soteriologie (Geschichtshandeln) ist deshalb unangemessen: „Die Schöpfungstheologie hat im Alten Orient wie im Alten Testament von Anfang an durchaus ‚soteriologischen‘ Charakter, insofern sie sich durchweg um die Frage nach der heilen Welt müht.“100
Letztlich geht es, wie Schmid am Ende seines Aufsatzes resümiert, um das übergreifende Thema „Ordnung(ssetzung)“.101 Im Blick auf das Verhältnis von JHWHs Schöpfungs- und Geschichtshandeln sind, wie dieser Überblick zeigt, alle denkbaren Zuordnungen vertreten worden. Während bei von Rad die Schöpfung dem Geschichtshandeln sachlich unter95
Möglicherweise hat Westermann etwas Ähnliches im Blick, wenn er mit Bezug auf die Schöpfungsaussagen von Gen 1–11 von „Erfahrungen und Verstehensbemühungen“ (Westermann, Genesis [BK], 91 f ) spricht, die die dortigen Fragen nach dem Ursprung des Lebens und der Herkunft des Menschen und seines Geschicks wachrufen. 96 Schmid, Schöpfung, 11. 97 Vgl. ders., aaO 12.29 u. ö. 98 Ders., aaO 21. 99 Ders., aaO 17. 100 Ders., aaO 17, Anm. 21. In kritischem Anschluss an Schmid hat Spieckermann, Schöpfung, 361 ff dessen Begriffstrias „Schöpfung, Gerechtigkeit und Heil“ aufgenommen und weitergeführt. 101 Schmid, aaO 29 mit Anm. 45.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 27
geordnet ist (soteriologisches Verständnis), vertritt Westermann ein Nebeneinander beider Aspekte (universalistisches Verständnis). Nach H. H. Schmid ist die Schöpfung dem Geschichtshandeln dagegen übergeordnet (weltbildhaftes Verständnis). Gemeinsam ist allen drei Positionen die – unterschiedlich gewichtete – Korrelation von Schöpfung und Geschichte. Diese Korrelation hat allerdings auch sachliche Engführungen mit sich gebracht. So spielen die religionsgeschichtlichen Aspekte bei von Rad keine bzw. nur eine polemische Rolle.102 Ebenso auffällig ist der Ausfall der Themen „Natur“ und „natürliche Lebenswelt“. Das ändert sich erfreulicherweise in den Arbeiten, die nach den Entwürfen von G. von Rad und C. Westermann entstanden sind. β) Neuere Entwürfe Albertz, Art. Schöpfung, 1389 ff ◆ Bauks, Theologie, 94 ff ◆ Görg/Hofrichter, Art. Schöpfung, 498 ff ◆ Huber, Himmel ◆ Irsigler, Gottesbilder, 438 ff.1263 ff ◆ Janowski, Art. Schöpfung, 970 ff ◆ Jeremias, Schöpfung, 83 ff ◆ Ders., Theologie, 325 ff ◆ Keel, Weltbild, 157 ff ◆ Ders., Bildsymbolik, 13 ff.21 ff.181 ff ◆ Ders./Schroer, Schöpfung ◆ Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 258 ff ◆ Löning/Zenger, Anfang ◆ Rendtorff, Theologie 2, 7 ff ◆ Schmid, Schöpfung 2, 71 ff ◆ Ders., Theologie, 266 ff ◆ Steck, Thesen, 277 ff ◆ Ders., Impulse, 202 ff ◆ Ders., Welt ◆ Ders., Herkunft ◆ Zenger, „Du liebst alles“, 138 ff ◆ Ders., Art. Schöpfung, 217 ff.
Seit Anfang der 1970er Jahre kommt es zu neuen Perspektiven in der Beurteilung des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens, die sich in zahlreichen Monographien, Aufsätzen, Lehrbuchbeiträgen und Lexikonartikeln niedergeschlagen haben. Im Folgenden stehen die Beiträge von O. H. Steck, R. G. Kratz/H. Spieckermann, O. Keel/S. Schroer und M. Huber im Vordergrund, die für die weitere Diskussion von zentraler Bedeutung (geworden) sind.103 O. H. Steck Es ist, um mit einem biographischen Hinweis zu beginnen, nach wie vor berührend, die drei Mottotexte – darunter eine autobiographische Skizze M. Bubers über seinen Vater – zu lesen, die O. H. Steck (1935–2001) seiner schöpfungstheologischen Synthese Welt und Umwelt von 1978 vorangestellt hat.104 Sie zeigen
102 Etwa
im Blick auf die Qualifizierung von Ps 19,1–7 als „erst sekundär assimiliertes, altkanaanäisches hymnisches Fragment“ (von Rad, Problem, 144). 103 Das gilt mutatis mutandis auch von der Darstellung von Löning/Zenger, Anfang, die auf eine gemeinsame Münsteraner Vorlesung (1996) zurückgeht und die alt- und neutestamentlichen Schöpfungstexte wie folgt anordnet: I. Vorstellungen vom Anfang der Schöpfung (altorientalische Texte; Gen 1; Ps 93; 104; Mk), II. Personifikationen des schöpferischen Anfangs (Spr 8; Sir 24; Joh), III. Die Welt als Schöpfung des barmherzigen Gottes (Gen 1–9) und IV. Schöpfung, Tora und Gottesherrschaft (Ps 19; Synoptiker; Röm; Jes 11,1–10; Apg). 104 S. dazu Steck, Welt, 7 f. Zum Text von Buber s. unten 659 (Anhang III).
28 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
einen Wissenschaftler, der eine hohe Sensibilität für eine „Theologie der Natur“ und deren alttestamentliche Wurzeln besaß. Eine alttestamentliche Theologie der Natur hat Steck zufolge zu fragen, welches die Erfahrungs- und Lebensvorgänge sind, die Israel in der Wahrnehmung der natürlichen Welt als Schöpfung geleitet haben und die es in seinen Schöpfungstexten artikuliert hat.105 In seinem, mit der genannten Synthese fast gleichzeitig entstandenen Aufsatz Zwanzig Thesen zur jüdisch-christlichen Lehre von der Schöpfung von 1977106 hat Steck das leitende Interesse der alttestamentlichen Schöpfungstexte wie folgt präzisiert: „Leitendes Interesse der Schöpfungstexte ist statt quasi-naturwissenschaftlich-genetischer Angaben über die Herkunft von Welt und Mensch vielmehr das Bestreben, in den genannten Darstellungsweisen (sc. von Gen 1–11, Ps 104,5–9 und Spr 8) die Tiefendimension der gegenwärtigen Erfahrungswelt auszusagen und diejenigen Gundgegebenheiten und Grundbestimmungen freizulegen, die für Welt und Mensch im ganzen und immer schon gelten.“107
Und weiter: „Die Darstellungsweise des Anfangs bezeichnet das immer Geltende, also das, was alles Lebendige niemals sich selbst schafft, sondern das, was seinem Dasein immer schon vor- und mitgegeben ist. Was wir wegen der Allgemeingeltung möglichst abstrakt und zeitlos formulieren, das stellt der Israelit in diesen Texten von seinem eigenen geschichtlichen Standort aus gleichsam zurückschauend aufgrund der gegenwärtig angesammelten Gottes- und Welterfahrung als Ur- und Anfangsgeschehen dar, um das in aller Erfahrung Vorgegebene, Grundlegende auszudrücken. Die genannten Darstellungsweisen sind also ein Aufsuchen immer geltender Konstituenten der gegenwärtigen Erfahrungswelt an ihrem Ursprung und auf fundamentale Einrichtungen und Ordnungen in der gegenwärtigen wie aller Welt gerichtet.“108
Die alttestamentlichen Schöpfungstexte, die dieses „erfahrungsbezogene, ganzheitliche Widerfahrnis der natürlichen Welt“109 und deren Basiskategorie „Leben“ (Lebensraum, Lebensversorgung, Lebensfrist) zur Sprache bringen, werden von Steck in seinen Studien zu Gen 1,1–2,4a110 sowie in seinem Buch Welt und Umwelt unter Einbezug der relevanten deuterokanonischen und neutestamentlichen Texte111 detailliert analysiert. Darauf ist im Einzelnen zurückzukommen.
105 S.
dazu ders., Impulse, 205 f. dazu ders., Thesen, 277 ff. 107 Ders., aaO 283 (H. i. O.). 108 Ders., ebd. (H. i. O.). 109 Ders., aaO 284, vgl. 291 ff. 110 S. dazu ders., Schöpfungsbericht. 111 Zu den neutestamentlichen Schöpfungstexten s. ders., Welt, 173 ff. 106 S.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 29
R. G. Kratz und H. Spieckermann Der 1999 publizierte ausführliche Lexikonartikel Schöpfer/Schöpfung von R. G. Kratz und H. Spieckermann112 ist von seiner Anlage und Durchführung her anders ausgerichtet als die diesbezüglichen Arbeiten von O. H. Steck. Schon die ersten beiden Sätze geben die Grundrichtung an und nehmen gleichsam das Ergebnis vorweg: „Schöpfung gehört im Alten Testament zu den Theologumena, die erst aufgrund von Krisenerfahrungen intensiv reflektiert worden sind. Gegen den Anschein der Endgestalt des Alten Testaments, in der Schöpfungstexte mit programmatischem Inhalt die bekannte kanonische Anfangsposition innehaben (Gen 1–3), bleibt festzuhalten, daß die Texte mit profilierter Schöpfungstheologie in die nachexilische Zeit gehören.“113
Kratz und Spieckermann zufolge nimmt die Geschichte des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens nach dem Vorlauf altorientalischer Schöpfungstraditionen (Ägypten, Mesopotamien, Kleinasien/Nordsyrien, Persien, Kanaan)114 ihren Ausgang in vorexilischer Zeit bei der Vorstellung vom welterhaltenden Wirken des Königsgottes JHWH, wie sie sich in älteren Hymnen (Ps 93 u. a.), in Klage- und Dankliedern des Einzelnen, in der älteren Spruchweisheit (Spr 10 ff ) sowie in der nichtpriesterlichen Anthropogonie (Gen *2–4) niedergeschlagen hat. In spätvorexilischer und exilisch-nachexilischer Zeit kommen dann die kosmogonischen Reflexionen Deuterojesajas, des priesterlichen Schöpfungstexts (Gen 1,1–2,4a), aber auch einzelner Psalmen und Prophetentexte hinzu. In der jüngeren Weisheit der spätpersischen und hellenistischen Zeit werden in Hi 3,1–42,6, in Spr 1–9 und im Pred-Buch schließlich verschiedene Entwürfe formuliert, die kritische Reaktionen auf die kosmogonischen Ansätze darstellen. Aus dieser Krise führen ab dem 2. Jh. v. Chr. Jesus Sirach (Zusammenhang von Schöpfung und Tora), die Sapientia Salomonis (Synthese von antikjüdischen und griechischen Schöpfungstraditionen) sowie die Apokalyptik (Diastase zwischen dieser und der kommenden Welt) heraus.115 Auf dieses, in vielem zutreffende Entstehungsmodell wird am Ende dieses Buchs zurückzukommen sein.116 O. Keel und S. Schroer In ihrer eindrucksvollen Monographie Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen von 2002/22008 knüpfen O. Keel und S. Schroer zwar nicht direkt an O. H. Steck an, nehmen die Aspekte „Natur und Umwelt“ aber in vergleichbarer Weise ernst. „Das vorliegende Buch“, so heißt es im ersten 112 S.
dazu Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 258 ff. aaO 258 f. 114 S. dazu dies., aaO 259 ff. 115 Vgl. dies., aaO 279 ff. 116 S. dazu unten 453 ff. 113 Dies.,
30 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
Satz des Vorworts, „handelt schwerpunktmäßig von den biblischen Versuchen, die Welt als gelungene und gesegnete Schöpfung zu begreifen“117. Und weiter: Die alttestamentlichen Schöpfungstraditionen sind, entgegen der Position C. Westermanns, als „konstitutive Glaubenszeugnisse der JHWH-Religion“118 zu verstehen und für aktuelle Fragen fruchtbar zu machen. Darüber hinaus spielt in ihrer Darstellung – und zwar zum ersten Mal überhaupt – der altorientalische Kontext (literarische und ikonographische Quellen) der alttestamentlichen Schöpfungstexte eine konstitutive Rolle.119 Keel und Schroer entfalten ihr Vorhaben anhand mehrerer Themenfelder, die von den elementaren Wertungen der natürlichen Welt bis zu den theologisch reflektierten Formen reichen: – Relikte einer numinosen Wertung der Umwelt (Meer und Flüsse, Berge und Felsen, Ackerland und Erdtiefen, Tiere und Pflanzen, Wetter und Naturgewalten, Sonne und Mond, Feste und Tempel) – Schöpfung und Segen – Vorstellungen der Weltentstehung (altorientalische und alttestamentliche Texte) – Anthropozentrische, kosmozentrische und hydrokosmologische Schöpfungstexte (Gen 2,4b–25; Ps 104; Gen 1,1–2,4a; Ps 74,12–17; 89,10–15 u. a.) – Zerstörungs- und Bedrohungsszenarien (Gen *6,5–9,29; Jes 54,7–10; Hi 38 ff u. a.) – Ursprungskonzeptionen in der ionischen Naturphilosophie (Thales, Anaximander, Heraklit) – Weltimmanente Weisheit (Hi 28; Spr 1–9 u. a.) – Theologisierung der Weisheit (Sir; Pred; SapSal)
Das ist ein imponierendes, durch altorientalische Ikonographie und außerbiblische Texte unterfüttertes Panorama. Allerdings mit einer signifikanten Einschränkung, die sich auf Gen 1,1 ff bezieht: „Die stark anthropozentrische und herrschaftlich angelegte Schöpfungserzählung von Gen 1 muss … von ihrer Monopolstellung befreit und durch weniger aggressive Texte wie Gen 2, Ps 104, Ijob 38–39, Spr 8 u. ä., die der Mitwelt ihr eigenes Recht und ihren eigenen Raum zugestehen, ersetzt oder mindestens ergänzt werden.“120
„Ergänzt werden“ ja, aber „ersetzt werden“? Und ist Gen 1,1–2,4a ein ausschließlich „aggressiver“ Text? Das ist zu bezweifeln, auch wenn der Herrschaftsauftrag von Gen 1,26–28 innerhalb wie außerhalb der Theologie immer wieder in diesem Sinn verstanden wurde und bis heute wird. Eine Aufklärung über die Absicht und den Kontext von Gen 1 ist auf jeden Fall sinnvoller, als den Text zu
117 Keel/Schroer,
Schöpfung, 5. aaO 13. Zu Westermann s. oben 24 ff. 119 Das Thema „Schöpfung“ hat in den Arbeiten O. Keels eine längere Vorgeschichte, s. dazu Keel, Bildsymbolik, 13 ff.21 ff. 181 ff; ders., Weltbild, 157 ff; ders., Aspekte, 168 ff und ders./ Uehlinger, Göttinnen, 395 ff. 120 Keel/Schroer, aaO 237, vgl. 36 u. ö. 118 Dies.,
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 31
marginalisieren oder gar zu „ersetzen“.121 Das aber setzt eine Klärung des Begriffs „Anthropozentrismus“ voraus, die seinem ambivalenten Gehalt gerecht wird.122 Ein zusätzlicher Punkt bedarf noch der Erwähnung. In ihrer Besprechung des von K. Schmid herausgegebenen Buchs Schöpfung123 hat sich S. Schroer gegen dessen These von einer „radikale(n) Trennung von Gott und Welt, von Schöpfer und Schöpfung“124 gewandt. „Im Unterschied zu den mesopotamischen Konzeptionen“, so konstatiert K. Schmid, „fällt auf, wie stark die Bibel die Trennung von Gott und Welt, Schöpfer und Geschöpf betont. Schöpfungstheologie ist in dieser Hinsicht weniger auf die Spiritualisierung der Welt, denn vielmehr auf die Wahrnehmung ihrer Weltlichkeit hin ausgerichtet.“125 Dieser These hat S. Schroer vehement widersprochen und sie als Ausdruck eines „Dogma(s) der evangelischen Exegese“ qualifiziert. Schmid, so Schroer, wiederhole „refrainartig das Dogma der evangelischen Exegese, dass Schöpfer und Schöpfung vollkommen getrennt voneinander seien, Gott der Schöpfung nicht nur als einziger Gott (im Gegensatz zu den polytheistischen Mythen), sondern eben (in israelitischer Neuerung) auch alokal gegenüber stehe“126. Demgegenüber spricht S. Schroer von der „Numinosität“ bzw. „Göttlichkeit“ der Schöpfung,127 die sie in vielen Manifestationen der Schöpfungswelt gegeben sieht. Obwohl beide Positionen jeweils auf Sachverhalte aufmerksam machen, die nicht einfach falsch, aber doch einseitig sind, möchte ich mich weder der These einer radikalen Trennung von Schöpfer und Geschöpf noch der These einer Numinosität der Schöpfung anschließen, sondern nach anderen Parametern für die Bestimmung des Verhältnisses von Gott und Welt suchen. Es handelt sich dabei um Parameter, die etwa im Zusammenhang des Themas „Kosmischer Lobpreis“ eine Rolle spielen.128
M. Huber Der letzte größere Entwurf einer alttestamentlichen Schöpfungstheologie ist die Dissertation von M. Huber, die versucht, die „Biblische(n) Schöpfungstexte als Modelle zur Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaften und Theologie“ (so der Untertitel) darzustellen.129 Das ist ein ehrgeiziges Projekt, dessen Ergebnisse an anderer Stelle evaluiert werden sollen. Was die Anordnung des Stoffes angeht, so wählt Huber eine kanonische Gliederung, die nach ausführ121 S.
dazu unten 43 ff. dazu unten 473 ff. 123 S. dazu Schmid (Hg.), Schöpfung. 124 Ders., Schöpfung 2, 89. 125 Ders., Schöpfung 1, 11, vgl. ders., Schöpfung 2, 89 f und ders., Welt, 330 f. 126 Schroer, Rezension, 300. 127 S. dazu dies., aaO 301 und Keel/Schroer, Schöpfung, 37 ff. 128 S. dazu unten 303 ff. 129 S. dazu Huber, Himmel. 122 S.
32 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
lichen Vorbemerkungen zum Ziel und zur Methode bei den Schöpfungstexten der Genesis (Gen 1,1–2,4a und Gen 2,4b–3,24)130 einsetzt und über die prophetische Schöpfungsrede (nur Jes 40,12–31) sowie die Schöpfungsrede in den Psalmen (Ps 93; 8; 19; 104; 148)131 zur Schöpfungsrede in Weisheitstexten und hellenistisch geprägten religiös-belehrenden Texten (Spr 8,22–31; Hi 28; 38,1–42,6; Sir 16,24–17,14; 42,15–43,33; SapSal 13,1–9; 2 Makk 7,28) führt. Ein kurzer Ausblick zum Thema Schöpfung im Neuen Testament beschließt die Darstellung. Eine kanonische Anordnung des Materials findet sich auch bei anderen Entwürfen.132 b) Schöpfungstexte und Schöpfungstermini Angerstorfer, Schöpfergott, 12 ff ◆ Bauks, Welt, 104 ff ◆ Bührer, Anfang, 320 ff ◆ García Martínez, Art. bārāʾ, 502 ff ◆ Bergman u. a., Art. bārāʾ, 769 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 164 ff.175 ff.182 ff ◆ Ders., Art. brʾ, 336 ff ◆ Westermann, Genesis 1–11 (BK), 120 f.136 ff.
Seit den altkirchlichen Bekenntnissen des 4. Jh.s n. Chr. (Apostolicum und Nicaenum) wurde im Christentum das Bekenntnis zum Schöpfergott gesprochen und dieses Bekenntnis mit ausgesprochen alttestamentlichen Wendungen (creator coeli et terrae bzw. factor coeli et terrae) formuliert.133 Hinter dieser Rezeption stand die Absicht, die Kontinuität zwischen dem Gott des Alten Testaments und dem Vater Jesu Christi herzustellen und damit an den gemeinsamen Tiefenstrukturen von Altem und Neuem Testament festzuhalten.134 Um einen ersten Überblick über die alttestamentlichen Schöpfungsaussagen zu erhalten, werden im Folgenden zunächst die wichtigsten Texte und Textbereiche in kanonischer und deuterokanonischer Reihenfolge zusammengestellt. Die zentralen Überlieferungsbereiche sind dabei die Urgeschichte, die priesterliche Sinaigeschichte, Deuterojesaja, Jeremia, Psalmen, Hiob, Sprüche, Prediger, Sapientia Salomonis und Sirach:135
130 Eine
Berücksichtigung der nichtpriesterlichen und der priesterlichen Fluterzählung fehlt dabei allerdings. 131 Weitere wichtige Texte wie Ps 33 und Ps 136 fehlen dabei. 132 S. dazu unten 37 f. 133 S. dazu oben 7 ff. 134 S. dazu Theißen, Überlegungen, 132. Diese Kontinuität wurde bekanntlich von Markion (ca. 85–ca. 160 n. Chr.) und seinen neuzeitlichen Erben in Abrede gestellt, s. dazu Janowski, Gott, 7 ff und Q 171. 135 Die folgende Liste berücksichtigt nicht nur die einschlägigen Texte zur Welt- und Menschenschöpfung, sondern in Auswahl auch Schöpfungsaussagen zur natürlichen Lebenswelt (Tiere, Pflanzen u. a.) und zum religiösen Symbolsystem (Relation Tempel/Schöpfung u. a.).
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 33
Tora Gen 1,1–2,4a; 2,4b–3,24; 5,1 f; 6,5–9,29; 13,10136; 14,19.22 Ex 1,7 (← Gen 1,28; 9,1.7); 14,16.21b.22 (← Gen 1,9); 20,8–11 (← Gen 1,1–2,3); 24,15b– 25,1 (← Gen 1,1–2,3);137 25,1.8 f; 27,20 f (← Gen 1,3–5.14–19); 29,45 f; 40,16 f.33 (← Gen 6,13 ff.18 ff );138 31,17; 34,10; 39,32.42 f (← Gen 1,31; 2,2 f );139 40,9b (← Gen 2,3a)140 Num 11,12; 16,30141 Lev 11,2b–23.41–47 (par. Dtn 14,3–21a); 20,25 Dtn 4,32; 14,3–21a (← Lev 11,2b–23); 26,19; 32,6.15.18
Nebiim 1 Sam 2,8; 12,6 2 Kön 19,15 (par. Jes 37,16) Jes 1–39: 4,5; 11,6–9; 13,9 f; 17,7; 22,11; 27,11; 34,4; 37,16 (par. 2 Kön 19,15) Jes 40–55: Weltschöpfer: 40,21–26; 42,5; 44,24; 45,12.18; 48,13; 51,13.16; Schöpfer Jakob-Israels/Zions: 43,1–4.7; 43,15.21; 44,2–4; 44,21.24; 45,9.11; 51,13; 54,4 f; Schöpfer von Welt und Mensch/Jakob-Israel: 44,24; 45,7.9–13; 51,12 f Jes 56–66: 60,21; 64,7; 65,16b–25; 66,1 f Jer 1,5; 2,13; 4,23–28; 5,21–25; 10,11.12–16 (= 51,15–19); 14,19–22; 18,1–12; 27,5 f; 31,31– 37; 32,17.27.38–40; 33,1–3.19–22.23–26; 38,16; 51,15–19 Ez 28,11–19; 31,8; 37,4–8; 43,*1–6; 47,1–12 XII Proph: Hos 4,2 f; 8,14; Am 4,13; 5,8 ff; 7,1; 9,5 f; Jon 1,9; Hag 1,*2–11; 2,6–8.19; Sach 12,1; Mal 2,10
Ketubim Ps 2,7; 8; 19; 21,7; 22,10 f; 24,1 f; 29; 33,6–9.15.19; 51,12; 65,7 f.10–14; 74,12–17; 78,13.69; 86,9; 87,5; 89,10–15; 90,2; 93; 94,9; 95,5; 96,5; 100,3; 102,26; 103,14.22; 104; 105,16–41; 106,7–12; 107,33 f; 110,3; 115,15; 119,73.152; 121,2; 124,8; 134,3; 135,6 f; 136; 139,13– 16; 144; 146,6; 147,18; 148; 150,1 u. ö. Hi 3,3–10; 4,17; 5,9; 9,5–10; 10,8–12; 12,9 f; 14,5; 15,7; 26,5–14; 28,25 f; 31,15; 32,22; 33,4.6; 34,19; 35,10; 36,3; 37,5; 38,1–42,6 Spr 3,19 f; 8,22–31 (jeweils Weltschöpfung); 14,31; 16,4.11; 17,5; 20,12; 22,2; 29,13 (jeweils Menschenschöpfung) Pred 1,3–11; 3,10–15; 5,17–19; 7,14.29; 8,17; 9,7–10; 11,5; 12,1 (Kontext: 11,9–12,8) Klgl 3,37 f Neh 9,6 1 Chr 16,26; 2 Chr 2,11
Deuterokanonische Schriften Tob 3,11 Jdt 9,12; 13,18; 16,14
136 Motiv
„Garten JHWHs“, vgl. Jes 51,3 (Eden // Garten JHWHs) und Ez 31,8 (Garten Gottes). 137 Motiv „6 Tage/7. Tag“. 138 Relation Arche/Begegnungszelt. 139 Relation Schöpfung/Begegnungszelt. 140 Aspekt „heiligen“. 141 Zu der hier vorliegenden Verbindung von Schöpfung und Chaos s. oben 17 Anm. 42.
34 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung 2 Makk 1,24; 7,22 f; 7,28 f (creatio ex nihilo, s. Q 150) SapSal 1,13 f; 2,23 f; 6,7.22; 7,1 f.22a; 8,6; 9,1.9; 10,1–4; 11,15–26; 13,1–5; 15,11; 16,24; 19,6– 12.18–21 Sir 4,6; 7,30; 10,12; 15,14; 16,26–30; 17,1–14; 24,1–22;142 32,13; 33,7–15; 39,12–35; 42,15– 43,33;143 50,5–11 (s. Q 168) Bar 3,32; 4,7 Dan 3,57–90LXX
Abb. 7: Schöpfungstexte (AT und deuterokanonische Schriften)
Die kanonische Reihenfolge dieser Texte ist das eine. Das andere ist die Frage nach der Entstehung der Schöpfungsaussagen von den frühen Anstößen bis zu den späten Ausformungen. Darauf ist eigens einzugehen.144 Auf diesem langen Weg haben sich vielfältige Vorstellungen ausgebildet, die sich nicht zu einem einheitlichen Bild zusammenfügen, sondern die z. T. unausgeglichen nebeneinander stehen und z. T. aufeinander Bezug nehmen.145 Der Vielfalt dieser Vorstellungen entspricht die Vielfalt der Nomina, Verben und Personenamen, mit denen der Schöpfungsvorgang ausgedrückt wird. Die folgende Zusammenstellung listet – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Vorkommen in der Althebräischen Epigraphik, im Alten Testament und in den deuterokanonischen Schriften auf: Althebräische Epigraphik Menschenschöpfung Während es im Korpus der althebräischen Inschriften keinen sicheren Beleg zum Thema „Weltschöpfung“ gibt,146 finden sich dort 39 Personennamen mit Schöpfungsbezug, die insgesamt 148-mal belegt sind und aus dem 9.–6. Jh. v. Chr. stammen.147 Das Verb brʾ „schaffen, hervorbringen“ kommt dabei nicht vor.
Altes Testament und Deuterokanonische Schriften Termini für das schöpferische Handeln Gottes bādal hif. „trennen, scheiden“: Gen 1,4.6 f.14.18148 bānāh „bauen“: Gen 2,22; Am 9,6 bārāʾ „schaffen, hervorbringen“: Gen 1,1.21.27; 2,3; 5,1 f; 6,7; Jes 4,5; 40,26.28; 41,20; 42,5; 43,7; 45,8.12; 48,7; 54,16; Am 4,13; Mal 2,10; Ps 51,12; 89,13.48 u. ö.; nif. „geschaffen 142 S.
dazu die Übersetzung unten 502 ff (Anhang I). dazu die Übersetzung unten 504 f (Anhang I). 144 S. dazu unten 453 ff. 145 Zu diesen intertextuellen Bezugnahmen s. die auf das Allusionspotential von Gen 1–11 beschränkte Liste bei Trimpe, Schöpfung, 191 ff, vgl. auch unten 462 f. 146 Zu dem in diesem Zusammenhang diskutierten Ostrakon vom Ende des 8./Anfang des 7. Jh.s v. Chr. aus Jerusalem s. unten 454 f. 147 S. dazu unten 188 ff. 148 Als Kennzeichen der praktizierten imitatio creatoris fungiert bdl hif + Subj. Mensch in Lev 10,10; 11,47; 20,25; Ez,26 und 44,23, s. dazu Otzen, Art. bdl, 519 f und Dietrich, Listenweisheit, 107 ff.109 ff. Zu den Belegen in den Qumran-Texten s. Ginsburgskaya, Art. bdl, 363 ff. 143 S.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 35
werden“: Gen 2,4a; 5,2; Ex 34,10; Jes 48,7; Ez 21,35; 28,13.15; Ps 102,19; 104,30; 148,5, vgl. berîʾāh „Schöpfung, Geschaffenes“: Num 16,30,149 vgl. Sir 16,16 (Pl.) gāzāh „abschneiden, abtrennen“: Ps 71,6 gîh „hervorbrechen“: Hi 38,8 ˙ hdš pi. „erneuern“: Ps 51,12; 104,30 ˙ hjl pol. „gebären“: Dtn 32,18; Hi 90,2; polal „geboren werden“: Ps 51,7; Hi 15,7; Spr 8,24 f ˙ tbʿ hof. „eingesenkt werden“: Spr 8,25 ˙ tph pi. „ausbreiten“: Jes 48,13 ˙ ˙ jālad nif. „geboren werden“: Hi 1,3; 15,7 jāsad „gründen“: Jes 48,13; 51,13.16; Ps 24,2; 78,69; 89,12; 102,26; 104,5.8; 119,152; Hi 38,4; Spr 3,19 u. ö. jāsar „formen, bilden“: Gen 2,7 f.19; Jes 42,6; 43,1.7.21; 44,10.15021; 45,8.18; Jer 1,5; 33,2; ˙ Am 7,1; Ps 74,17; 95,5; 104,26; 139,16; Hi 33,6 u. ö., vgl. jesær „Gebilde“: Ps 103,14 (vom ˙ Menschen) kûn nif.: „feststehen, Bestand haben“: Ps 93,1; 96,10 u. ö.; pol. „aufstellen, bereiten“: Dtn 32,6; Jes 45,18; Ps 8,4; 24,2; 87,5; 119,73.90; Hi 31,15 (cj.); Spr 3,19 u. ö.; hif. „hinstellen, herrichten, bereiten“: Jer 10,12 par. 51,15; Ps 65,7; 74,16; 103,19; 147,8; Spr 8,27 u. ö. mātah „ausbreiten, ausspannen“: Jes 40,22 ˙ nātāh „ausspannen“: Jes 40,22; 42,5; 44,24; 45,12; 51,13.16; Jer 10,12 par. 51,15; Sach 12,1; ˙ Ps 104,2; Hi 9,8; 26,7 u. ö. nātaʿ „einpflanzen“: Ps 94,9 (Obj. Ohr) ˙ ntk hif. „hingießen, hinschütten“: Hi 10,10 nātan „geben“: Ps 8,2 sākak „weben (im Mutterleib)“: Ps 139,13; nif. „geformt, gebildet werden“: Spr 8,23; po. „durchflechten“: Hi 10,11 ʿsb pi. „bilden“: Hi 10,8 ˙ ʿāśāh „machen, erschaffen“: Gen 1,7.16.26; 2,2.4b.18; 3,1; 5,1; 6,6; 9,6; Dtn 26,19; 32,6.15; 1 Sam 12,6; Jes 17,7; 41,20; 43,1.7; 45,12; Jer 27,5; 38,16; Ps 86,9; 96,6; 100,3; 115,15; 121,2; 124,8; 134,3; 139,15; Hi 10,8 f.12; 12,9; 28,25 f; 31,15; 33,4; 40,15.19; 41,25; Spr 8,26; 20,12; Pred 3,11; 7,14.29; Neh 9,6; 2 Chr 2,11; Sir 15,11; 42,24 u.ö, vgl. maʿ aśæh/ maʿ aśîm „Werk/e (deiner Hände/Finger)“: Jes 60,21; 64,7; Ps 8,4.7; 103,22; Hi 34,19; Pred 8,17; 11,5; Sir 16,15.26; 42,15.16; 43,25.28.32 u. ö. qānāh „schaffen“: Gen 14,19.22; Dtn 32,6; Ps 139,13; Spr 8,22,151 vgl. qinjān „Geschaffenes, Geschöpf“: Ps 104,24 qpʾ hif. „gerinnen lassen“: Hi 10,10 qrs pu. „(vom Ton) abgekniffen werden“: Hi 33,6152 ˙ rqm pu. „gewirkt, gebildet werden“: Ps 139,15 rāqaʿ „ausbreiten, hämmern“: Jes 42,5; 44,24 Ps 136,6, vgl. rāqîaʿ „Firmament“: Gen 1,6– 8.14 f.17.20; Ps 19,2; 150,1; Dan 12,3; Sir 43,1.8 śûm/śîm „festsetzen, bestimmen“: Ps 104,9; Spr 8,29 šît „setzen, stellen, postieren“: 1 Sam 2,8
149 S.
dazu oben 17 Anm. 42. Zu den berîʾāh-Belegen in Qumran s. García Martínez, Art. bārāʾ, 504 ff, zu berîʾāh in 11QT 29,8–10 s. Q 166. 150 Von der Anfertigung eines Götterbildes. 151 Zum homonymen qānāh „erwerben“ in Gen 4,1 s. Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 157 f. 152 Zur ‚Bildung des Menschen aus Lehm‘ in mesop. Texten s. Q 78.
36 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung Termini für das schöpferische Sprechen Gottes ʾāmar „sagen, sprechen“: Gen 1,3.6.9.11.14.20.24; Jes 44,26 f; Ps 33,9; Klgl 3,37 u. ö. dābār „Wort (Gottes)“: Ps 33,4.6; 147,18; Am 3,7 u. ö. pæh „Mund“: Klgl 3,38 swh pi. „befehlen, anordnen“: Jes 45,12; Ps 33,9; 148,5; Klgl 3,37 f u. ö. ˙ qārāh „rufen, nennen“: Jes 40,26; 41,4 u. ö.
Termini für die Geburt aus Gott jālad „gebären“: Num 11,12;153 Dtn 32,18; Ps 2,7; 90,2; 110,3; Hi 38,21 hjl pol. „kreißend hervorbringen: Dtn 32,18; Ps 90,2 ˙
Gottesprädikationen mit Schöpfungsbezug ʾāb „Vater“: Dtn 32,6 (// qonæh „Schöpfer“); Jes 64,7 (// joser „Bildner“, maʿaśeh jādekā „Werk ˙ deiner Hand“); Mal 2,10 (bārāʾ „schaffen“) ʾel ʿæljôn qoneh šāmajim wāʾāræs „El Eljon, Schöpfer von Himmel und Erde“: Gen 14,19.22154 ˙ boreʾ „Schöpfer“: Jes 40,28; 42,5; 43,1.15; 45,7.18; 57,19; 65,17 f; Am 4,13; Pred 12,1; Sir 3,16 gozî „(der, der mich von der Nabelschnur abtrennt >) mein Entbinder“: Ps 71,6 gohî „(der, der mich herauszieht >) meine Hebamme“: Ps 22,10 ˙ josed „Gründer“: Sach 12,1 joser „Bildner“: Jes 27,11; 29,16; 44,2.24; 45,7.9.11.18; 49,5; 64,7; Jer 10,16; 51,19; Am 4,13; ˙ Sach 12,1; Ps 33,15; 94,9 notæh „der, der ausspannt“: Sach 12,1 ˙ ʿośæh „der, der macht; Schöpfer“: Jes 17,7; 22,11; 27,11; 29,16; 44,2; 45,18; 51,13; 54,5; Jer 18,11; Hos 8,14; Am 4,13; 5,8; Hi 4,17; 5,9; 9,9 f; 31,15; 32,22; 35,10; 37,5; Ps 115,15; 121,2; 124,8; 134,3; 136,4; 146,5 f; Spr 14,31; 17,5; 22,2; Sir 7,30; 35,13 u. ö. poʿ alî „(der, der mich macht >) mein Schöpfer“: Hi 36,3 qonæh „Schöpfer“: Dtn 32,6 roʿæh „Hirte“: Ez 34,23 f roqeaʿ „der, der die Erde ausbreitet“: Jes 44,24
Personennamen mit Schöpfungsbezug Im Alten Testament gibt es mehrere Personennamen, die mit den Schöpfungsverben bānāh „bauen“, bārāʾ „schaffen, hervorbringen“, ʿāśāh „machen, schaffen“, pāʿal „machen“, qānāh „schaffen“ und den Nomina jesær „Gebilde“, maʿ aśæh „Werk“ sowie miqnæh „Ge˙ schöpf“ gebildet und insgesamt über 90-mal belegt sind.155
Abb. 8: Schöpfungstermini (AT und deuterokanonische Schriften)
Der für das Alte Testament charakteristische Schöpfungsterminus ist bārāʾ „schaffen, hervorbringen“ (immer mit Subj. JHWH), weil er das analogielose, auf keinen vorgegebenen Stoff bezogene Schöpfungshandeln Gottes zum Ausdruck bringt.156 An diesem Verb hängt bis heute die Vorstellung der sog. 153 Mit
seiner Frage verschiebt Mose die Verantwortung für Israel hin zur Fürsorgepflicht Gottes, indem er auf die Schöpfungs- und Erwählungstheologie zurückgreift. 154 S. dazu unten 454 f. 155 S. dazu unten 188 ff. 156 S. dazu nach wie vor Westermann, Genesis 1–11 (BK), 136 ff, ferner Schmidt, Schöpfungs-
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 37
„Schöpfung aus dem Nichts“ (creatio ex nihilo). Darauf ist gesondert einzugehen.157 3. Zur Konzeption dieses Buchs Nach welchen Kriterien, so ist abschließend zu fragen, ist das disparate Material, das in den obigen Übersichten zusammengestellt ist, zu gliedern und darzustellen: nach der kanonischen Abfolge, der theologiegeschichtlichen Entwicklung oder den thematischen Schwerpunkten der Schöpfungstexte? Dazu sind nach den Monographien von O. H. Steck, K. Löning/E. Zenger, O. Keel/S. Schoer und M. Huber158 weitere Vorschläge gemacht worden, die sich vor allem in den neueren Lehrbüchern zur Theologie des Alten Testaments und in einschlägigen Lexikonartikeln finden. So stellt K. Schmid nach einer Skizze der religions- und literaturgeschichtlichen Voraussetzungen zunächst Gen 1,1–2,4a, sodann Gen 2,4b–3,24 und schließlich die Schöpfungspsalmen (Ps 8; 19; 104; 145,13–16), Deuteround Tritojesaja, Sprüche 1–9, Hiob, Prediger sowie die Apokalyptische Literatur (Texte aus äthHen; Dan; 4 Esr; syrBar) dar. Das ist eine Kombination aus kanonischen und theologiegeschichtlichen Aspekten, die „diese verschiedenen Thematisierungen von ‚Schöpfung‘ nicht zu einer ‚Schöpfungslehre‘“ zusammenfügt, sondern die „der Unabgeschlossenheit als auch der Vielgestaltigkeit der als Schöpfung interpretierten Welt Rechnung (trägt)“159. Ähnliche Anordnungen des Materials finden sich bei Chr. Link,160 M. Bauks161 und H. Irsigler.162 Einen anderen Ansatz wählt J. Jeremias,163 der unter der Überschrift „Schöpfung und Geschichte“ von den deuterojesajanischen Schöpfungstexten ausgeht, die auf den Zusammenbruch und Verlust von Tempel, Königtum und Land antworten und Gegenbilder der Hoffnung entwerfen.164 Darauf folgt eine Darstellung der Schöpfungsthematik in den Psalmen und in der Weisheit (mit den beiden Unterabschnitten „Das Wunder der Schöpfung“ (Ps 104; Hi 38–41) und „Das Geheimnis der Schöpfung“ (Ps 19; Hi 28; Spr 8) und abschließend unter der Überschrift „Schöpfung und Sintflut“ ein Vergleich der nichtpriestergeschichte, 146 ff; van Wolde, Refraiming, 184 ff; Kumpmann, Schöpfen, 45 f; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 38 f u. a. 157 S. dazu unten 50 ff. 158 S. dazu oben 27 ff. 159 Schmid, Schöpfung 2, 72, s. auch ders., Theologie, 266 ff mit der Konzentration auf Gen 1; 2 f; Jes 65 f und Pred 1. 160 S. dazu Link, Schöpfung 2, 32 ff, s. bereits ders., Schöpfung 1, 349 ff. 161 Bauks, Theologie, 94 ff. 162 Irsigler, Gottesbilder, 438 ff beschränkt sich zunächst auf die Darstellung von Gen 2,4b–3,24 und Ps 104 und geht erst später auf Gen 1,1–2,3 ein (aaO 1263 ff ). Ps 8; 19 und andere klassische Schöpfungstexte werden nur am Rande erwähnt (s. Register); Ps 33; 136; 148 u. a. fehlen ganz. 163 Jeremias, Theologie, 325 ff. 164 S. dazu ders., aaO 327.
38 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
lichen (Jeremias: „J“) und der priesterlichen Urgeschichte. Alle fünf Entwürfe (K. Schmid, Chr. Link, M. Bauks, H. Irsigler, J. Jeremias) rekurrieren mehr oder weniger ausführlich auf die altorientalischen Schöpfungstraditionen. Jede Gliederung, sei sie kanonisch, theologiegeschichtlich oder thematisch, versucht, dem komplexen Material gerecht zu werden. Das gilt auch für die vorliegende Darstellung. Im Unterschied zu O. Keel und S. Schroer, die den priesterlichen Schöpfungstext Gen 1,1–2,3 in seiner Bedeutung entschieden relativieren,165 setzt das vorliegende Buch nach einer Einführung „Was heißt Schöpfung?“ (Teil I) in Teil II: Die Welt des Anfangs – Grundlegung bei den Überlieferungen der Urgeschichte ein (§§ 2–3) und geht in Teil III: Die Welt als Schöpfung – Themenfelder in drei Abschnitten von den Aspekten der natürlich Lebenswelt (§§ 4–6) zu den Aspekten der geschichtlich-sozialen Welt (§§ 7–8) und von da zu den Aspekten des religiösen Symbolsystems (§§ 9–11) über. Es ist keine Frage, dass alle drei Aspekte – derjenige der Natur, derjenige der Geschichte und derjenige der Symbolik – immer wieder aufeinander bezogen sind und sich vielfach überschneiden. Besonders deutlich wird das am Themenfeld „Schöpfung und Geschichte“ (§ 8), das, wie die Texte des DtJes-Buchs zeigen,166 so etwas wie der archimedische Punkt des biblischen Schöpfungsglaubens ist. Nach welchen Kriterien man diese drei Aspekte (Natur, Geschichte, Symbolik) gliedern soll, ist schwierig zu entscheiden und wird, wie die Darstellungen von K. Schmid, Chr. Link, M. Bauks, H. Irsigler und J. Jeremias zeigen, auch unterschiedlich beantwortet. Anstatt sie in eine Entwicklungslinie von den frühen Anfängen bis zu den späten Ausformungen zu bringen, werden sie hier in Form von Einzelbildern angeordnet, die zentrale Themenfelder wie Schöpfung und Lebenswelt (§ 4), Schöpfung und Menschenbild (§ 5), Schöpfung und Tierwelt (§ 6), Schöpfung und Königtum (§ 7), Schöpfung und Geschichte (§ 8), Schöpfung und Tempel (§ 9), Schöpfung und Chaos (§ 10) und Schöpfung und Weisheit (§ 11) repräsentieren. Diese Präsentation des Materials und seiner Probleme hat eine Parallele in der Analyse der Todesvorstellungen im alten Ägypten, die J. Assmann in seinem Buch Tod und Jenseits im alten Ägypten vorgelegt hat. „Entscheidend“, so erläutert er sein Vorgehen, „war der Entschluß, die Suche nach der verborgenen Entwicklungslinie aufzugeben und die zu beschreibenden Befunde nicht in der Form einer fortlaufenden Erzählung, sondern eher in der Form einer Ausstellung anzuordnen, in vielen verschiedenen Räumen, die in beliebiger Reihenfolge besichtigt werden können und durch keinerlei Logik der Abfolge miteinander verknüpft sind“167. Am Ende wird schließlich die Gesamtentwicklung im Blick auf die Themen der Fortdauer und der Unsterblichkeit skizziert.168 165 S.
dazu oben 29 ff. dazu unten 291 ff. 167 Assmann, Tod, XII (H. v. m.). 168 S. dazu ders., aaO 477 ff.501 ff. Zu Assmanns Buch s. ausführlich Janowski, Sehnsucht, 305 ff. 166 S.
§ 1 Grundfragen des biblischen Schöpfungsglaubens 39
Eine analoge, nämlich thematisch orientierte Anordnung der alttestamentlichen Schöpfungstexte wurde auch für die vorliegende Darstellung gewählt. Ein Vorgehen nach der Abfolge der biblischen Bücher und ihren jeweiligen Schöpfungsvorstellungen bleibt prinzipiell möglich und wird etwa von J. Jeremias, K. Schmid, M. Bauks u. a. vertreten.169 Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass eine derartige Anordnung im Blick auf die Urgeschichte mit ihren beiden Hauptsträngen (P und nP), zwar durchaus naheliegt und auch in diesem Buch verfolgt wird (§§ 2–3). Auch für die Schöpfungstexte in der älteren Spruchweisheit (§ 5/1a), bei Deuterojesaja (§ 8/1a) oder in der späten, theologisierten Weisheit (§ 11/2) ist eine zusammenhängende Darstellung angebracht. Wie aber soll man angesichts der Vielfalt der Einzeltexte und Motive die Schöpfungstheologie(n) der Psalmen darstellen? In den fünf Büchern des Psalters sind im Grunde alle Aspekte des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens versammelt und in unterschiedlicher Dichte und Ausführlichkeit vertreten:170 – – – – – –
Proömium: Ps 2,7 Buch I: 8; 19; 22,10 f; 24,1 f; 29; 33,4–11 Buch II: 51,12; 65,7 f.10–14 Buch III: 74,12–17; 78,69; 86,9; 89,10–15 Buch IV: 90,2; 93; 94,9; 95,5; 96,5; 100,3; 102,26; 103,14.22; 104 Buch V: 107,33 f; 110,3; 5,15; 119,73.152; 121,2; 124,8; 134,3; 136; 139,13–16; 144; 146,6; 147,18; 148; 150,1
Ähnliches gilt in eingeschränkter Weise auch für das Hiob- und das Sirachbuch.171 Am Schluss des vorliegenden Buchs werden die Grundzüge der biblischen Schöpfungsglaubens skizziert und dabei die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung (von der vorexilischen bis zur spätnachexilischen Zeit) und der theologischen Bedeutung der alttestamentlichen Schöpfungstexte zu beantworten versucht (§ 12). Die neutestamentlichen Schöpfungstexte stehen in dieser Darstellung zwar nicht im Mittelpunkt, sie werden aber an mehreren Stellen eingeflochten.172 Drei Anhänge runden die Darstellung schließlich ab: ein erster Anhang mit Zentralen Schöpfungstexten des Alten Testaments, ein zweiter Anhang mit Quellen zur Kosmologie/Schöpfungstheologie der Antike und ein dritter Anhang mit Texten zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart.173
169 S.
dazu oben 37 f. beschränkt sich Schmid, Schöpfung 2, 99 ff auf die „Klassiker“ Ps 8; 19 und 104 und Bauks, Theologie, 116 f auf Ps 8; 33; 93 und 104. Noch zurückhaltender ist die Darstellung von Jeremias, Theologie, 331 ff.335 ff, der lediglich auf Ps 19 und 104 eingeht. Ps 8 wird von ihm nur im Zusammenhang von Hi 7,17 ff kurz genannt (aaO 468). 171 S. dazu die Übersicht oben 33 f. 172 S. dazu auch die Nachweise im Stellenregister unten 755 ff. 173 S. dazu unten 483 ff. 170 Demgegenüber
40 I Was heißt „Schöpfung“? – Einführung
Das vorliegende Buch erhebt nicht den Anspruch, den biblischen Schöpfungsglauben erschöpfend darzustellen. Dazu ist er zu komplex und vielgestaltig, und es bedürfte mehrerer Monographien und Quellensammlungen, um dieser Komplexität gerecht zu werden. Der Preis aber wäre die Unübersichtlichkeit eines solchen Unternehmens. Darum muss es bei dem bescheideneren Ziel bleiben, die Grundlinien des Themas zu skizzieren und die Vernetzung der wichtigsten Aspekte deutlich zu machen. Gemäß dem Untertitel dieses Buchs stehen dabei die religionsgeschichtlichen Kontexte, die theologische Bedeutung und die ethischen Perspektiven des biblischen Schöpfungsglaubens im Vordergrund.
II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
W
ie soll man sich die Welt des Anfangs vorstellen? Kann man sie sich überhaupt vorstellen? In der Sarajevo-Haggada aus dem 14. Jh. n. Chr. werden die in Gen 1,1–13 beschriebenen Vorgänge in eine farbige Bilderfolge umgesetzt. Beginnend mit der Vorweltschilderung von Gen 1,2 (rechts oben) folgen links daneben die Scheidung von Licht und Finsternis (Gen 1,3– 5), darunter die Erschaffung der Himmelsfeste (Gen 1,6–8) und links daneben die Erschaffung der vom Meer getrennten und der Pflanzen tragenden Erde (Gen 1,9–13). Das ist eine ebenso kühne wie eindrückliche Darstellung. Sie ist kühn, weil es ja keine Augenzeugen der urgeschichtlichen Vorgänge gibt. Auf Augenzeugenschaft kommt es Gen 1–9 aber auch nicht an. Diese Kapitel erzählen „nicht von Ereignissen, die einmal geschehen sind und nun der Vergangenheit angehören, sondern sie stellen erzählerisch dar, was die Welt zutiefst prägt, seit es sie gibt und solange es sie geben wird“ (Dohmen [Hg.], Bibel, 7). Was die Welt des Anfangs zutiefst prägt, sind die auf die Übertretung des Gebots von Gen 2,16 f folgenden katastrophalen Ereignisse, aber auch das Handeln des Schöpfergottes, das nach Gen 8,20–22 und 9,8–17 zu einem neuen Anfang führt.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte Die Hütung des Erbes in seinem ‚ebenbildlichen‘ Ansinnen, also negativ auch Behütung vor Degradation, ist Sache jeden Augenblicks; keine Pause darin zu verstatten die beste Garantie der Dauer: sie ist, wenn nicht die Zusicherung, gewiß die Vorbedingung auch künftiger Integrität des ‚Ebenbildes‘. Seine Integrität aber ist nichts anderes als das Offensein für den immer ungeheuerlichen und zu Demut stimmenden Anspruch an seinen immer unzulänglichen Träger. H. Jonas, Verantwortung, 393
Die Gottebenbildlichkeit, von der zum ersten Mal in Gen 1,26–28 die Rede ist, ist das biblische Würdeprädikat des Menschen. Sie geht, wie Gen 9,1–7 deutlich macht, auch nach der großen Flut nicht verloren, die – bis auf Noah und die Besatzung der Arche – „alles Fleisch“ durch fortgesetzte Gewalt auf der Erde ausgelöst hatte (Gen 6,11–13). Den Weg und das Geschick des gottebenbildlichen Menschen erzählt die aus frühnachexilischer Zeit stammende priesterliche Urgeschichte (Gen *1,1–9,29)1 in einer Weise, die ebenso grundsätzlich wie dramatisch ist. Den Auftakt bildet der für alles Weitere grundlegende Text Gen 1,1–2,3. 1. Der Schöpfungstext Gen 1,1–2,3 Altes Testament: Baumgart, Licht, 212 ff ◆ Bauks, Welt ◆ Dies., Theologie, 98 ff ◆ Bird, Male, 123 ff ◆ Blum, Art. Urgeschichte, 441 f ◆ Bührer, Anfang, 21 ff ◆ Carr, Standing, 17 ff ◆ Clifford, Creation Accounts, 138 ff ◆ Feldmeier/Spieckermann, Gott, 206 ff.256 ff ◆ Gaß, Zugänge, 239 ff ◆ Hardmeier/Ott, Naturethik, 103 ff ◆ Hartenstein, Vorwelt, 43 ff ◆ Herrmann, Naturlehre, 32 ff ◆ de Hulster, Picturing, 45 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 1263 ff ◆ Janowski, Welt, 3 ff ◆ Ders., Schöpfung, 127 ff ◆ Ders./Krüger, Gottes Sturm, 147 ff ◆ Jeremias, Schöpfung, 104 ff ◆ Ders., Theologie, 338 ff ◆ Kaiser, Gott, 210 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 173 ff ◆ Kiefer, Gut, 87 ff ◆ Köhlmoos, Glaube, 4 ff ◆ Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 269 ff ◆ Liedke, Bauch des Fisches, 63 ff.109 ff ◆ Löning/Zenger, Anfang, 29 ff.135 ff ◆ Lohfink, Gottesstatue, 32 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Herrschen ◆ Pola, Schöpfung, 167 ff ◆ Rothenbusch, Beobachtungen, 49 ff ◆ Schäfer, Schlange, 36 ff ◆ Schmid, Schöpfung 1, 77 ff ◆ Ders., Theologie, 269 ff ◆ Ders., Gegenwelt, 51 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte ◆ Schüle,
1
Zu den Datierungsfragen s. Zenger u. a., Einleitung, 197 ff (Zenger/Frevel) und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 8 ff.
44 Die Welt des Anfangs – Grundlegung Prolog, 59 ff ◆ Ders., Schöpfung, 421 ff ◆ Smith, Vision ◆ Spieckermann, Schöpfung, 361 ff ◆ Steck, Schöpfungsbericht ◆ Ders., Welt, 70 ff ◆ Tsumura, Creation, 9 ff ◆ Weimar, Struktur, 91 ff ◆ Ders., Chaos, 135 ff ◆ Weippert, Schöpfung, 5 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 119 ff ◆ van Wolde, Text, 134 ff ◆ Zenger, Gottes Bogen, 51 ff.143 ff ◆ Ders., Lebenshaus, 323 ff. – Systematische Theologie: Link, Schöpfung 1, 358 ff.367 ff.391 ff ◆ Ders., Schöpfung 2, 49 ff.89 ff.96 ff ◆ Welker, Schöpfung, 15 ff.
Als Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens eröffnet Gen 1,1–2,32 einen großen Geschehensbogen, der von der uranfänglichen Schöpfung bis zur Kultstiftung am Sinai reicht und der eine zweiteilige Makrostruktur – Gen *1,1– Ex 1,7 + Ex *1,13–Lev 9,24 (?)3 – mit mehreren Unterabschnitten aufweist (s. Abb. 9).4 Komposition
Gottesnamen
Leitwörter/Motive
Teil I: Gen *1,1–Ex 1,7 Schöpfung (Gen *1,1–5,32) Flut + Schöpfung Gen *6,9–9,17) Abraham (Gen *11,27–25,10) Jakob (Gen *25,12–Ex 1,7)
Elohim Segen Elohim
Segen + Bund
El Šadday
Bund + Segen
El Šadday
Segen
Teil II: Ex *1,13–Lev 9,24 Exodus JHWH (Ex *1,13–14,29)
Gedenken des Bundes + Erweis der Herrlichkeit JHWHs
Sinai JHWH (Ex *16,1–Lev 9,24)
Erscheinen der Herrlichkeit JHWHs
Abb. 9: Die Makrostruktur von Gen *1,1–Lev 9,24 (Pg )
Charakteristisch für diese Struktur ist der Sachverhalt, dass die beiden Teile nicht unverbunden nebeneinander stehen, denn „die ‚Urgeschichte Israels‘ gründet in der ‚Urgeschichte der Welt‘, was dadurch angezeigt wird, dass beide Teile vielfältig miteinander verwoben sind“5. Einschlägige Beispiele dafür sind das Motiv 6 Tage/7. Tag (Gen 1,3 ff; 2,2 f/Ex 24,*15b–18a) oder die Korrespondenz Arche/ Zeltheiligtum (Gen 6,14 ff/Ex *25–40). Aufgrund dieser Stichwort- und Motivbezüge enthält die Darstellung der Geschichte Israels, wie sie im zweiten Teil (Ex2
Zur Übersetzung s. unten 485 ff (Anhang I). Zur Diskussion um das Ende der Priesterschrift s. Zenger u. a., aaO 190 ff (Zenger/Frevel). 4 Ähnliche Skizzen bei Zenger, Gottes Bogen, 141; ders. u. a., aaO 199 f; Groß, Gottebenbildlichkeit 1, 25 und Weimar, Struktur, 87. 5 Zenger u. a., aaO 200. 3
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 45
odus- und Sinaigeschichte) entfaltet wird, eine schöpfungstheologische Dimen sion. Das bedeutet, dass die ab Ex 1,13 erzählte Geschichte des JHWH-Volks auf den grundlegenden Lebensordnungen basiert, die der Schöpfergott am Anfang geschaffen (Gen 1,1–2,3) und deren Fortbestand er der Menschheit durch den Bund mit Noah und den Tieren zugesagt hat (Gen 9,8–17).6 Die formalen und inhaltlichen Aspekte dieser Relationen stehen im Folgenden im Vordergrund. a) Komposition und Aussageabsicht Baumgart, Umkehr, 85 ff ◆ Bührer, Anfang, 83 ff.131 ff ◆ Grund, Entstehung, 193 ff ◆ Janowski, Welt, 9 ff ◆ Köhlmoos, Glaube, 8 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Herrschen, 154 ff ◆ Polak, Poetic Style, 2 ff ◆ Rothenbusch, Beobachtungen, 49 ff ◆ Smith, Vision, 87 ff ◆ Weimar, Struktur, 122 ff ◆ Schmid, Schöpfung 1, 78 ff ◆ Zenger, Gottes Bogen, 71 ff.
Der priesterliche Schöpfungstext intendiert, wie bereits eingangs bemerkt, keine naturwissenschaftliche Welterklärung und ist auch kein Beleg für die Behauptungen des Kreationismus und des Intelligent Design.7 Er ist vielmehr Ausdruck einer „Geisteshaltung, in der die mythische Tradition und die Anfänge einer als naturkundlich-technisch zu bezeichnenden Weltsicht zu einem Weltbild verbunden werden, das gleichermaßen mythologisch wie naturkundlich ‚exakt‘ ist“8.
Ein prominentes Beispiel dafür ist die Bezeichnung von Sonne und Mond als „Leuchten“ (meʾorot) in Gen 1,14–19, die sich der Bemühung verdankt, „die Einsichten einer neuen Auffassung von Naturbeobachtung in die tradierten (sc. mythologischen) Vorstellungen zu integrieren“9 und der – bei aller Unterschiedlichkeit – vergleichbare Aussagen im babylonischen Weltschöpfungsepos Enūma eliš (s. Q 66) und in Texten der ionischen Naturphilosophie, besonders des Anaximander von Milet (s. Q 126), an die Seite zu stellen sind.10 Welche Gattungsbezeichnung dieser Aussageintention gerecht wird, ist allerdings eine offene Frage. Die traditionellen Gattungsbezeichnungen von Gen 1,1–2,3 sind kritisch zu hinterfragen. So trifft etwa der Begriff „Schöpfungserzählung“ oder „Schöpfungsgeschichte“ die Sache kaum, weil der Text „eigentlich keine Erzählung“11 ist. Aufgrund der „das ganze Kapitel durchziehenden immer gleichen Sätze“12 weist er vielmehr hymnische Züge auf.13 Über6
S. dazu Zenger u. a., aaO 201 ff. S. dazu oben 6 f. 8 Gertz, Polemik, 153 (H. v. m.), vgl. ders., Genesis 1–11 (ATD), 22 f. 9 Ders., Genesis 1–11 (ATD), 23. 10 S. dazu ders., Polemik, 149 ff. 11 Westermann, Genesis 1–11 (BK), 112. 12 Ders., ebd. 13 Vgl. Herrmann, Naturlehre, 45 f mit Anm. 39; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 158 ff; Keel/ Schroer, Schöpfung, 177; van Wolde, Text, 134 ff und Polak, Poetic Style, 2 ff. 7
46 Die Welt des Anfangs – Grundlegung dies fühlt man sich an die „Sprachform der Genealogien“ erinnert, „für die ja das Wiederkehren immer gleicher Sätze bezeichnend ist“14. Es ist allerdings eine „‚Genealogie‘ im übertragenen Sinne“15. Anstatt von „Erzählung“ oder „Geschichte“ spricht K. Seybold von „Sakralstil“16. J. Chr. Gertz schließlich, der bei der Bezeichnung „Schöpfungsbericht“ bleibt, präzisiert dies durch den Begriff „Wissenschaftsprosa“, weil Gen 1,–2,3 eine bestimmte Systematik zu erkennen gibt.17 Dem ist m. E. zuzustimmen. Es ist allerdings eine Systematik, die nicht nur in einem „nüchterne(n) und ganz auf das Wesentliche konzentrierte(n) Berichtsstil“18 formuliert ist, sondern die aufgrund der hymnischen Elemente, von denen auch Gertz ausgeht, als Schöpfungstext mit doxologischer Aussageintention bezeichnet werden kann. Das in Gen 1,1–2,3 verarbeitete mythologische und naturkundliche Wissen, ist „der Schöpfermacht Gottes untergeordnet und dient bei der Beschreibung seines Schöpfungswerkes dem höheren Ruhm des Schöpfergottes selbst. Darin kommt auch Gen 1 dem Wesen des Hymnus sehr nahe“19.
Die Intention, grundlegende Ordnungen bzw. Setzungen Gottes für die Entstehung und Entfaltung von Welt und Leben mitzuteilen, kommt vor allem in der Komposition des priesterlichen Schöpfungstextes zum Ausdruck (s. Abb. 10). Sie beruht auf der Rahmung in 1,1 f; 2,2 f, der Tagegliederung in 1,3–31 sowie der Abfolge von Lebensräumen und Lebewesen am 2.–3. sowie am 5.–6. Tag. Schematisch lässt sich das folgendermaßen darstellen. Kurz gefasst lassen sich die Relationen zwischen den Rahmenversen Gen 1,1 f/2,2 f und den einzelnen Tagen so wie in Abb. 11 skizziert darstellen. Ein zentrales Problem ist dabei die Frage nach der Position des 4. Tages (1,14–19). Zunächst ist deutlich, dass die Tage II und III und die Tage V und VI sachlich zusammengehören, denn an ihnen werden die Lebensräume geschaffen (1,6–8.9–13), die dann von den verschiedenen Lebewesen bevölkert werden (1,20–23.24–31). Ebenso deutlich ist, dass sich der 2. und der 5. Tag sowie der 3. und der 6. Tag thematisch entsprechen.20 Was die Position des 4. Tages angeht, so korrespondiert dieser über das Thema „Zeit“ dem 1. Tag, wobei allerdings der Unterschied zwischen ihnen darin besteht, dass am 1. Tag der Wechsel von Licht und Finsternis bzw. von Tag und Nacht und damit die grundlegende Tagesstruktur („ein Tag“, 1,5) entsteht, während durch die Erschaffung der Himmelskörper am 4. Tag die Rhythmisierung der Zeit geschaffen wird. „Vielleicht“, so vermutet J. Chr. Gertz, „läßt sich auch die Verteilung der Erschaffung des Lichts und der Gestirne auf den ersten und vierten Schöpfungstag in Anlehnung an Anaximander so erklären, dass das Licht eine Art feinstoffliche, feuerartige Materie ist, die sich nach der Scheidung von der Finsternis oberhalb des Himmelsozeans befindet (vgl. Gen 1,5) und durch die Gestirne auf die Erde scheint“21. 14
Westermann, ebd. Hieke, Genealogien, 249 Anm. 679. 16 Seybold, Poetik 2, 244 f. 17 S. dazu Gertz, Polemik, 148 f.149 ff und ders., Genesis 1–11 (ATD), 33 f. 18 Ders., Genesis 1–11 (ATD), 33. 19 Herrmann, aaO 46. 20 Vgl. Schmid, Schöpfung 1, 79 und Bührer, Anfang, 137 f. 21 Gertz, Polemik, 153. Zu Anaximander s. Q 126. 15
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 47
Anfang der Schöpfung (1,1 f )
Überschrift: „Am Anfang“ (1) Merismus „Himmel und Erde“ Kontrastive Vorweltschilderung (2) Erde als Tohuwabohu Schöpfungswerke und -tage (1,3–31)
1. Tag: Licht und Finsternis (3–5)
Lebensräume
ZEIT: Stiftung
2. Tag: Himmelsfeste (6–8) Raum: Himmel
3. Tag: Erde, Meer, Pflanzen (9–13)
Raum: Erde/Meer
vom Meer getrennte Erde (9 f ) Pflanzen tragende Erde (11–13)
4. Tag: Gestirne (14–19) ZEIT: Rhythmisierung
Lebewesen
5. Tag: Wasser- u. Flugtiere (20–23)
Raum: Meer/Himmel
6. Tag: Landtiere u. Menschen (24–31)
Raum: Erde
Landtiere (24 f ) Menschen (26–31)
Abschluss der Schöpfung (2,2 f )
Vollendung der Arbeit „am 7. Tag“ (2) ⎫ Segnung und Heiligung des 7. Tages (3a) ⎬ ⎭ Begründung: Ruhen Gottes (3b)
ZEIT:
7 Tage-Einheit
Abb. 10: Die Komposition von Gen 1,1–2,3 Anfang der Schöpfung (1,1 f ) Licht/Finsternis Gestirne 1. Tag 4. Tag Lebensräume Lebewesen 2. Tag 5. Tag
3. Tag 6. Tag
Abschluss der Schöpfung (2,2 f )
Abb. 11: Das Relationsgefüge von Gen 1,1–2,3 In jedem Fall markiert der 4. Tag eine Zäsur, insofern die Gestirne geschaffen werden, „um Zeit in Kalender zu verwandeln, sie sollen messbare Zeiten anzeigen“22. Und schließlich: Da es keine lexematische Verbindung zwischen dem 1. und 4. Tag auf der einen und dem 7. Tag auf der anderen Seite gibt, bezieht sich der 7. Tag „weder inhaltlich noch strukturell auf die Schöpfungserzählung im engeren Sinne“23. 22 23
Köhlmoos, Glaube, 10. Bührer, aaO 136, vgl. 132. Anders u. a. Zenger, Gottes Bogen, 71 ff.200 und Weimar, Struktur, 123 f, die eine Korrespondenz von 1,3–5 und 2,2 f postulieren.
48 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Gegenüber dem in 1,2 skizzierten Bild einer chaotischen ‚Welt vor der Schöpfung‘24 beschreibt also Gen 1,3–31 Gottes Schöpfungshandeln als Ermöglichung von Leben „in einem allen Lebewesen gemeinsam zugewiesenen Lebensraum“25. Charakteristisch dafür sind mehrere Aspekte. Der erste Aspekt betrifft den Zusammenhang von Wortbericht und Tatbericht, die jeweils durch die Geschehensformel „und es geschah so“ als anordnendes und ausführendes Tun Gottes miteinander verbunden werden, z. B. in 1,24 f:26 24 Und Gott sprach: „Es bringe die Erde hervor Lebewesen nach ihrer Art: Vieh und Kriechgetier und das Wild der Erde nach seiner Art.“ Und es geschah so. 25 Und Gott machte das Wild der Erde nach seiner Art und das Vieh nach seiner Art und alles Kriechgetier des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
Allerdings enthält 1,1–2,3 keine spannungsfreie Systematik, da die Geschehensformel bei den einzelnen Schöpfungswerken unterschiedlich positioniert wird.27 Für die Darstellung des göttlichen Schöpfungshandelns in 1,1–2,3 ist zweitens der Akt des Scheidens charakteristisch. Gott „schied“ (bdl hif.)28 zwischen dem Licht und der Finsternis (1,4), sodann zwischen den Wassern unterhalb und den Wassern oberhalb der „Feste“ (1,6 f ), und schließlich mittels der „Leuchten an der Feste des Himmels“ zwischen Tag und Nacht (1,14) bzw. zwischen Licht und Finsternis (1,18). Diese Trennungsakte machen deutlich, dass der priesterliche Schöpfungstext als eine „Folge fortschreitender Grenzziehungen“29 stilisiert ist, die sich von der kategorialen Unterscheidung von Licht und Finsternis am 1. Tag über die Trennung der unteren von den oberen Wassern am 2. Tag bis hin zur Unterscheidung von Tag und Nacht bzw. von Licht und Finsternis am 4. Tag erstrecken. „Erschaffen“, so lässt sich der Akt des schöpferischen Scheidens verstehen, heißt „Grenzen setzen und dadurch definierte Verhältnisse und Beziehungen stiften, die, wie wir inzwischen auch durch die Naturwissenschaft wissen, der Grund dafür sind, daß sich das Leben durch Auswahl und Entscheidung von Möglichkeiten entwickelt. In diesem Netz definierter Beziehungen finden wir uns vor; es ist die unhintergehbare Basis allen Lebens, weshalb seiner Erschaffung auch in Zukunft – alle zweideutigen
24 25 26 27
28 29
S. dazu unten 50 ff. Zenger, aaO 78, vgl. 58.65.81 f. u. ö. S. dazu Steck, Schöpfungsbericht, 32 ff; Schüle, Prolog, 130 ff und Bührer, aaO 40 ff. S. dazu ausführlich Bührer, aaO 52 ff.73 ff, ferner Janowski, Welt, 14 f. S. dazu die Übersicht bei Otzen, Art. bdl, 518 ff, ferner van Wolde, Refraiming, 185 ff und Smith, Vision, 79 f.90 ff. Link, Mensch, 20.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 49
‚Erfolge‘ unserer Genetik eingerechnet – kein menschlicher Schöpfungsakt an die Seite zu stellen sein wird“30. Nicht nur im Koran (s. Q 181), sondern viel grundsätzlicher in den kosmogonischen Überlieferungen Ägyptens, Mesopotamiens und Griechenlands spielt der Akt des Scheidens/Trennens eine zentrale Rolle.31 So wird in zahlreichen Papyri der 21. und 22. Dynastie dargestellt, wie der Luftgott Schu Himmel und Erde voneinander trennt, wodurch der kosmische Raum entsteht (s. Q 14). Der thebanische Amun-Re-Hymnus von Tura aus der Voramarnazeit (s. Q 15) hat diesen Vorgang mit folgenden Worten versprachlicht (angebetet wird Amun-Re): Du hast den Himmel hochgehoben und den Erdboden niedergestreckt, um das Land weitzumachen für dein Bild! Und nach dem babylonischen Weltschöpfungsepos Enūma eliš IV 135 ff (s. Q 62) erschafft Marduk den kosmischen Raum, indem er den Leichnam Tiʾāmats zerteilt: 135 140
Der Herr (s. Marduk) ruhte aus, um ihren Leichnam zu betrachten, den Körper zu zerteilen, Kunstvolles zu schaffen. Er brach sie wie Stockfisch in zwei Teile,
aus einer ihrer Hälften
erstellte er das Himmelsdach. Er breitete die Haut aus, Wachen setzte er ein. ihr Wasser nicht hinaus zu lassen, befahl er ihnen.
Nach Gen 1,1–2,3 sind die Grenzen zwischen Licht und Finsternis bzw. Tag und Nacht sowie zwischen den Wassern oberhalb und unterhalb der Feste keine Barrieren, sondern Grundbestimmungen des Lebens, die gleichsam natural vorgegeben sind und vom Schöpfergott als „geordnetes Relationsgefüge“32 eingerichtet werden. In dieses Gefüge wird der Mensch am 6. Tag gleichsam als ‚Spitze einer umgekehrten Pyramide‘33 eingebunden und damit „gebunden an alles, was vor ihm geschaffen ist: an Raum und Zeit, an Pflanzen und Tiere, und doch unübersehbar herausgehoben durch seine Bestimmung zum ‚Bild Gottes‘“34 und zur Herrschaft über die Erde und die Tiere. Mit dem Herrschaftsauftrag und speziell der weltbildhaften Anordnung der Tiergattungen (Gen 1,26–28) kommt schließlich ein dritter Aspekt in den Blick, der für den priesterlichen Schöpfungstext konstitutiv ist. Darauf ist gesondert einzugehen.35
30 31 32
33 34 35
Ders., ebd. (H. i. O.), vgl. ders., Schöpfung 1, 368 f, ferner Janowski, Unterscheiden, 36 ff; ders., Anthropologie, 426 ff und Schellenberg, Borders, 23 ff. S. dazu den Überblick bei Kirk u. a., Philosophen, 46 ff und Bauks, Welt, 249 ff. Link, Schöpfung 1, 369 und ders., Schöpfung 2, 62 f. An diese Systematik definierter Beziehungen gibt es Anschlussmöglichkeiten seitens der Evolutionstheorie, s. dazu Janowski, Welt, 16 f. S. dazu unten 475 f. Link, Mensch, 20 f. S. dazu unten 66 ff.
50 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
b) Zentrale Themen α) Von der Vorwelt zur Schöpfungswelt Altes Testament: Bauks, Welt, 65 ff ◆ Bührer, Anfang, 87 ff ◆ Ebach, Art. Anthropogonie/ Kosmogonie, 485 f ◆ Görg, Art. Chaos, 363 f ◆ Groß, Art. Creatio ex nihilo, 485 ff ◆ Ders./ Kuschel, Finsternis, 35 ff ◆ Hartenstein, Vorwelt, 43 ff ◆ Janowski/Krüger, Gottes Sturm, 147 ff ◆ Oswald, Erstlingswerk, 417 ff ◆ Rechenmacher, Gott, 1 ff ◆ Schmid, Lesbarkeit, 187 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 73 ff ◆ Smith, Light, 125 ff ◆ Ders., Vision, 41 ff ◆ Stipp, Gen 1,1, 323 ff ◆ Weippert, Schöpfung, 5 ff. – Kulturwissenschaft, Philosophie: Angehrn, Überwindung, 109 ff ◆ Koschorke, Logik, 5 ff.
Wie sein erstes Wort berešît „am Anfang“36 zeigt, beginnt der priesterliche Schöpfungstext mit einer generellen Aussage (Mottovers) über die Erschaffung der Welt (V. 1). Dann folgt die kontrastive Vorweltschilderung (V. 2) und danach die Schilderung des göttlichen Schöpfungshandelns (V. 3): 1 2 3
Am Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen. Die Erde aber war Tohuwabohu, und Finsternis war über der Urflut, und der Wind Gottes war in Bewegung über dem Wasser. Da sprach Gott: „Es werde Licht!“, und es wurde Licht.37
Welcher Anfang wird hier beschrieben, und wie sah der Zustand der Welt aus, bevor diese ihre raumzeitliche Struktur erhielt? Diese Fragen weisen, wenn man auf den Text von V. 2a mit seinen in der Schöpfungswelt vorhandenen Größen „Finsternis“ (V. 4 f ) und „Wasser“ (V. 6 f.9.10.21.22) achtet, auf einen logischen Widerspruch hin, weil von „Welt“ – dafür steht der Merismus „Himmel und Erde“ (V. 1) – erst gesprochen werden kann, wenn es sie gibt, d. h. erst ab dem 2. (Himmelsfeste: V. 6–8) und dem 3. Schöpfungstag (Erde, Meer, Pflanzen: V. 9–13), aber nicht, bevor es sie gibt. Diesen Widerspruch nimmt die Priesterschrift aber in Kauf – und muss sie auch in Kauf nehmen –, weil sie keine anderen als die ihr zur Verfügung stehenden anschauungsgebundenen Ausdrucksmittel besitzt, um den chaotischen Zustand der ‚Welt vor der Schöpfung‘, d. h. einer Erde ohne Himmel und Licht auszusagen.38 Die Vorweltschilderung von V. 2 hat demnach nicht den Zustand der „Erde“ im Blick, wie dieser nach Abschluss der Schöpfung 36
Zur kontroversen Diskussion um die Artikellosigkeit von berešît s. Bauks, Welt, 93 ff; Bührer, Anfang, 87 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 34 f. Zur Auffassung von Rechenmacher, Gott, 2 ff und Weippert, Schöpfung, 5 ff, berešît als nomen regens einer V. 1 umfassenden Konstruktusverbindung zu verstehen (früher auch Janowski, Welt, 5), s. die kritischen Einwände von Gertz, aaO 35. 37 Zur Syntax von Gen 1,1–3 s. Bauks, aaO 69 ff und Bührer, aaO 93 ff. 38 Vgl. Weippert, aaO 21 und Rechenmacher, Gott, 10. Man kann diesen Widerspruch mit Koschorke, Logik, 8 f als „Paradoxie der Darstellung“ bezeichnen. Sie besteht darin, dass „kulturelle Anfangserzählungen ihrer Natur nach immer im Nachhinein verfaßt werden“ (aaO 8), s. dazu auch Angehrn, Überwindung, 109 ff („Begründungsaporie“) und Hartenstein, Vorwelt, 45 ff. Ein vergleichbarer logischer Widerspruch liegt vor, wenn in der Tagesformel
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 51
aussieht, sondern denjenigen, wie er zum Zeitpunkt ihrer chaotischen Existenzform (Tohuwabohu, Finsternis, Urflut // Wasser) bestand. Die so beschriebene Erde könnte man als „Erde in ihrer chaotischen Gestalt“39 bezeichnen: sie war vom uranfänglichen Wasser bedeckt, über dem Finsternis lag (V. 2a). „Chaos“, in klassischer Überlieferung der „klaffende, gähnende Abgrund“ (χάος),40 ist kein quellensprachlicher Begriff des Alten Testaments (s. aber Mi 1,6LXX ; Sach 14,4LXX ), sondern ein metasprachlicher Ausdruck zur Bezeichnung der dem Kosmos vorgegebenen negativen Urgegebenheiten – zusammenfassend als ‚Welt vor der Schöpfung‘ bezeichnet –, an denen Gott nach Gen 1,2 erschaffend handelt und die er auf diese Weise in die Schöpfung integriert. Diese negativen Größen werden durch das Begriffspaar tohû wābohû („öde und untauglich“) und die beiden Termini tehôm („Urmeer, Urflut“ // majim „Wasser“) und ḥošæk („Finsternis“) bezeichnet.41 Zur Bedeutung von tohû sowie von tohû wābohû (außer in Gen 1,2 noch in Jes 34,11 und Jer 4,23) seien zwei prophetische Texte zitiert: Denn so spricht JHWH, der Schöpfer des Himmels, er ist der Gott, der Bildner der Erde und ihr Schöpfer, er ist es, der sie gründet/ gegründet hat (kûn pol.), nicht zur Öde (tohû) hat er sie geschaffen, zum Wohnen hat er sie gebildet: „Ich, JHWH, und keiner sonst!“ (Jes 45,18) Ich sah die Erde, und siehe: Tohuwabohu, und zum Himmel: dahin war sein Licht.“ (Jer 4,23)42
Im Unterschied zu dieser „in Bilder umgesetzte(n) Rücknahme der Schöpfung“43 rekurriert Gen 1,2 neben der Finsternis und der Urflut mit dem Syntagma rûaḥ ʾ ælohîm (V. 2b) noch auf eine dritte Größe, die für das Verständnis des in Gen 1,1–3 geschilderten Anfangsgeschehens entscheidend ist. Während sich die Bedeutung „Geist Gottes“ wegen des Bildgehalts von meraḥæpæt (rḥp Ptz. f. pi. „in Bewegung befindlich, hin und her flatternd“) nicht nahelegt,44 stellt sich die Frage, ob die Bedeutung „Wind Gottes“ zutrifft.45 Zu beachten ist dabei, dass V. 5b.8b.13 die Begriffe „Abend“, „Morgen“ und „Tag“ bereits vor der Erschaffung der Gestirne gebraucht werden, vgl. Pola, Schöpfung, 169 f. 39 Vgl. Weippert, aaO 13.21. 40 S. dazu Caduff, Art. Chaos, 1093 f. 41 S. dazu ausführlich Bauks, aaO 110 ff; Bührer, aaO 102 ff; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 39 ff, ferner Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 78 ff; Görg, Art. Chaos, 363 f; ders., Chaos, 11 ff; Westermann, Art. tehôm, 1028 ff; Tsumura, Creation, 9 ff.36 ff; Zenger, Art. Chaos, 1007 f und Janowski, Art. Chaos, 103 f. 42 Zu diesen beiden Texten s. unten 153 ff.156 u. ö. 43 Weippert, Schöpfer, 51, s. dazu Janowski, Welt ohne Licht, 36 ff. 44 So aber Gen 1,2LXX (s. Q 149), s. dazu Rechenmacher, aaO 13 f u. a. Schaper, Media, 109 votiert demgegenüber für die Auffassung von rûaḥ ʾ ælohîm als „Atem Gottes“, was zu der merkwürdigen Übersetzung von V. 2b führen würde: „und der Atem Gottes war in Bewegung/flatterte“ über dem Wasser“, s. dazu im Folgenden. 45 Zur Bedeutung von rûaḥ s. die Hinweise bei Janowski/Krüger, Gottes Sturm, 144 f.
52 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
V. 2b formal noch zur Vorweltschilderung gehört, inhaltlich aber auf das mit V. 3 einsetzende Schöpfungsgeschehen vorausweist und von diesem nicht einfach „scharf abgehoben“46 ist. Wie dieser Bezug verstanden werden kann, ist noch zu erörtern. Am Sprachgeschehen von V. 3 findet das Chaos jedenfalls seine Grenze. Textlich wird dies so realisiert, dass das Syntagma rûaḥ ʾ ælohîm innerhalb (!) der Vorweltschilderung von V. 2 genau an der Stelle steht, die die Grenze zwischen der Vorwelt(schilderung) V. 2 und der Schöpfung(sdarstellung) V. 3 ff markiert und dabei von jener zu dieser ‚überleitet‘. Die Art dieser ‚Überleitung‘ ist das Interpretationsproblem. Für die Lösung dieses Problems ist die Semantik zu beachten. Aufschlussreich dafür ist Dtn 32,11, wo metaphorisch von einem Vogel (sc. JHWH als „Geier“)47 die Rede ist, der sein Nest „beschützt“ und über seinen Jungen (sc. Israel) „hin und her flattert“: a Wie ein Geier, der sein Nest beschützt (ʿûr hif.) Geierbild: beschützen, und über (ʿal) seinen Jungen hin und her hin und her flattern flattert (rḥp pi.), b so breitet er (sc. JHWH) seine Flügel aus, Gottesbild: Flügel ausbreiten, nimmt es (sc. Israel) auf, Last (= Israel) aufnehmen, trägt es auf seiner Schwinge. diese (= es) tragen Das Verb rḥp pi. dürfte die halb schwebende, halb stehende Haltung des mit seinen Flügeln schlagenden Geiers über seiner Brut meinen.48 Der Zusammenhang von V. 11a (Bildhälfte) und V. 11b (Sachhälfte) könnte dabei so gedeutet werden, dass der Geier über seinen Jungen hin und her flattert, um sie zum Flug zu veranlassen. Dieser Flug vollzieht sich nach der Sachhälfte V. 11b unter dem Schutz JHWHs, der seine Flügel ausbreitet und die Jungen, d. h. Israel, aufnimmt und auf diese Weise trägt.49 Von daher lässt sich die in Gen 1,2 mit dem Partizip von rḥp pi. beschriebene Anwesenheit der rûaḥ ʾ ælohîm „über dem Wasser“ am ehesten als Zustand – „in (ständiger) Bewegung befindlich, (andauernd) hin und her flatternd“ – verstehen. Dieser Zustand dauert so lange an, bis Gott in V. 3 spricht und damit strictu sensu das Schöpfungsgeschehen einleitet. In V. 2b dagegen wird gesagt, dass der „Wind Gottes“, der als solcher noch nicht Schöpfungswirken ist, in ständiger Bewegung über der Oberfläche des Wassers war und durch seine dynamische Präsenz das folgende Geschehen ‚ankündigte‘.50 So bleibt die Beschreibung der rûaḥ ʾ ælohîm in sich ambivalent und wird damit dem spannungsvollen Verhältnis von Vorwelt und Schöpfungswelt auch sachlich gerecht. Die-
46
Rechenmacher, aaO 15. næšær „Geier“ s. Keel u. a., OLB 1, 154 ff und Riede, Spiegel, 42.201.339 f u. ö. 48 S. dazu Ges18, 1237 s. v. rḥp pi. und Jenni, Piʿel, 139: „‚gezittert machen‘ = zitternd schweben, vom Rüttelflug der Raubvögel gebraucht“, vgl. Jacob, Genesis, 29; Westermann, Genesis 1–11 (BK), 148; Albertz/Westermann, Art. rûaḥ, 730; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 42 f u. a. 49 Zur Interpretation s. Koenen, Süßes, 180 ff, ferner Braulik, Deuteronomium II (NEB), 230 und Wüste, Fels, 178 ff. 50 Vgl. Bauks, Welt, 136, etwas anders, Gertz, aaO 44. Eine anders orientierte Parallele zum Vogelbild von Gen 1,2b/Dtn 32,11a gibt es im Papyrus Leiden I 350 (s. Q 12). 47 Zu
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 53
se Ambivalenz drückt sich darin aus, dass V. 2b formal zur Vorweltschilderung V. 2 gehört, aufgrund der Präsenz des Gotteswindes aber zugleich indiziert, dass eine dramatische Änderung bevorsteht, die dann im schöpferischen Sprechen Gottes in V. 3 zum Ausdruck kommt.51 Das Geheimnis des Anfangs wird demnach ganz in das schöpferische Wort Gottes (V. 3) und die diesem Wort Gottes vorangehende Präsenz des „Gotteswindes“ gelegt, der in der ‚Welt vor der Schöpfung‘ anwesend war und bis zum Ergehen des göttlichen Wortes „über dem Wasser in Bewegung war/hin und her flatterte“ (V. 2b). Aus dem „Wind Gottes“ (V. 2b) wird in V. 3 – ohne dass das Lexem rûaḥ verwendet wird – der „Atem, Hauch“ Gottes, mit dem er sprechend die Schöpfung anordnet (vgl. Ps 33,6.8 f ).52
Durch die ab V. 3 beschriebenen göttlichen Schöpfungsakte wird die chaotische Vorwelt „in den Kosmos hinein verwandelt“53, wobei der – ‚jenseits des Chaos‘ liegende – Ausgangspunkt der elementare Akt des Sprechens Gottes ist, der das Licht als erstes Element der kosmischen Ordnung in das vorweltliche Chaos hineinträgt und damit die Finsternis auf einen – integralen – Teilaspekt der Schöpfungswelt reduziert.54 An diesem kreativen Geschehen, das sich nach V. 2b in der Bewegung der rûaḥ ʾ ælohîm („Wind Gottes“) gleichsam ankündigt, findet das Chaos seine Grenze.55 Das alles aber bedeutet, dass Gott, als er „Himmel und Erde“ schuf, auf vorgegebene Größen zurückgegriffen hat. Spätestens seit Augustin (s. Q 172) hat die theologische Tradition demgegenüber von der „Schöpfung aus dem Nichts“ (creatio ex nihilo) gesprochen, allerdings gegen die erkennbare Aussageintention des Textes, der im Unterschied zu 2 Makk 7,28 (s. Q 150) nicht von einer creatio ex nihilo, also von der „Abstraktion eines ‚reinen Anfangs‘“56 ausgeht, sondern der von einer Umgestaltung spricht, die vorgegebene Größen so verändert, dass etwas gänzlich Neues daraus entsteht.57 Während also Gen 1,3–31 von der Erschaffung der geordneten Schöpfungswelt spricht, nennt Gen 1,2 „vorgegebene 51 Vgl.
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Bauks, aaO 140: „… die Referenz (ist) so zu verstehen, daß Gott in der ungeschaffenen und ungeordneten Welt bereits anwesend war, quasi in der Bereitschaft zu schaffen. (…) Das wäre ein Hinweis mehr, daß Gott in der Vorwelt zwar bereits anwesend, aber noch nicht aktiv ist“. Zustimmend dazu Wüste, aaO 187. S. dazu Steck, Schöpfungsbericht, 253 ff, ferner Smith, Vision, 64 ff und Hartenstein, Vorwelt, 48. Zu Ps 33,6–9 s. im Folgenden. Weippert, Schöpfung, 22, vgl. Ebach, aaO 485. Auch nach dem bab. Weltschöpfungsepos Enūma eliš (Ee IV 129 ff; V 45 ff, s. Q 62) werden die chaotischen Elemente in die Schöpfung integriert, um daraus den Kosmos zu bauen. S. dazu auch Groß, Das Negative, 148 f; Rechenmacher, Gott, 19 und zum Wort als Schöpfungsmedium ausführlich Schmid, Lesbarkeit, 189 ff. S. dazu auch Schüle, Prolog, 134 ff. Hartenstein, Vorwelt, 55. Zur möglichen Rezeption von 2 Makk 7,28 in Röm 4,17 s. Q 170. Ein Gegentext zu 2 Makk 7,28 findet sich bei Lukrez (De rerum natura 1,149), s. dazu Q 140. Zur Kritik an einer creatio ex nihilo als Leitvorstellung von Gen 1,1–2,3 s. Ebach, Art. Anthropogonie/Kosmogonie, 485 f; Levenson, Creation, 14 ff; Weippert, aaO 21 f; Keel/ Schroer, Schöpfung, 174 f; Schüle, aaO 112; Smith, aaO 49 ff; Hartenstein, aaO 43 ff.55 f und Schäfer, Schlange, 37 ff.
54 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Größen, ohne deren Vorgegebenheit zu problematisieren, an denen Gott erschaffend handelt“58. Er handelt an ihnen erschaffend, indem er sie in den Kosmos hinein verwandelt und ihnen damit ihre ausschließlich chaotische Qualität nimmt. Es ist die rûaḥ ʾ ælohîm, die Distanz zur ‚Welt vor der Schöpfung‘ und zugleich Dominanz über sie schafft,59 indem sie die Grenze zur Erde in ihrer chaotischen Gestalt (V. 2a) markiert, ‚jenseits‘ derer Gott sein schöpferisches Wort spricht: „Es werde Licht!“ Die Schöpfungswelt ist nicht das Ergebnis eines Kampfes gegen das Chaos, vielmehr tritt sie durch das göttliche Wort ins Dasein, so wie es prägnant auch Ps 33,6–9 formuliert: 6 7 8 9
Durch das Wort (dābār) JHWHs sind die Himmel gemacht, und durch den Hauch (rûaḥ) seines Mundes ihr ganzes Heer. Er sammelt wie mit einem Damm die Wasser des Meeres, er legt in Vorratskammern die Urfluten. Fürchten soll sich vor JHWH die ganze Erde, vor ihm erschrecken sollen alle Bewohner des Erdkreises! Denn er ist es, der sprach, und es geschah, er ist es, der gebot, und es stand (da).
Im Vergleich zu dieser Wortschöpfungstheologie haben die Religionen in der Umwelt Israels andere Bilder der Weltentstehung entworfen, die neben zahlreichen Anknüpfungspunkten tiefgreifende Unterschiede enthalten. Der folgende Exkurs gibt einen Überblick über die wichtigsten Texte, Formen und Motive. Exkurs 2: Weltentstehungsmythen Übergreifendes: Keel, Bildsymbolik, 21 ff.39 ff ◆ Ders./Schroer, Schöpfung, 100 ff ◆ Schäfer, Schlange. – Ägypten: Allen, Genesis ◆ Assmann, Art. Schöpfung, 677 ff ◆ Ders., Schöp-
fungsmythen, 157 ff ◆ Ders./Kucharek, Götterliteratur, 563 ff ◆ Bauks, Welt, 155 ff ◆ Bickel, cosmogonie ◆ Clifford, Creation Accounts, 99 ff ◆ Hartenstein, Vorwelt, 52 ff ◆ Hornung, Verfall, 411 ff ◆ Morenz, Religion, 167 ff ◆ Schulz, Entstehung, 109 ff ◆ Verhoeven, Variationen, 26 ff ◆ Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 213 ff. – Mesopotamien: Bauks, Welt, 207 ff ◆ Clifford, Creation Accounts, 13 ff.54 ff ◆ George, Kosmogonie, 7 ff ◆ Hartenstein, Vorwelt, 50 ff ◆ Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 138 ff.144 ff.151 ff ◆ Horowitz, Cosmic Geography, 107 ff ◆ Krebernik, Schöpfungsmythen, 151 ff ◆ Ders., Götter, 79 ff ◆ Maul, Schöpfungsmythen, 43 ff ◆ Ders., Kosmologie, 15 ff ◆ Ders., Chaos, 23 ff ◆ Sallaberger, Kosmos, 93 ff ◆ Wilcke, Anfänge, 26 ff ◆ Zgoll, Welt, 17 ff. – Kleinasien: Wilhelm, Grundzüge, 84 ff ◆ Haas, Geschichte, 106 ff ◆ Ders./Koch, Religionen, 179 ff. – Nordsyrien: Bonnet/Niehr, Religionen, 102 ff. – Iran: Colpe, Mythologie, 465 ff ◆ Hutter, Religionen, 213 ff ◆ Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 262 ff ◆ Haas/Koch, Religionen, 88 ff. – Griechenland und Rom: Algra, Anfänge, 42 ff ◆ Althoff, Vorstellungen, 41 ff ◆ Burkert, Griechen, 55 ff ◆ Ders., Religion, 455 ff ◆ Felber u. a., Art. Weltschöpfung, 463 ff ◆ Graf, Mythologie, 79 ff ◆ 58 59
Groß, Creatio ex nihilo, 485 (H. v. m.). Diese Dominanz im Blick auf das „Wasser“ kommt in V. 2b in der Präposition ʿal „über“ zum Ausdruck, s. dazu Hartenstein, aaO 48 f und als Sachparallelen Ps 29,3 und 93,3 f.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 55
Graßhoff, Art. Kosmologie, 769 ff ◆ Keel, Weltbilder, 36 ff.40 ff ◆ Ders./Schroer, Schöpfung, 212 ff ◆ Schadewaldt, Welt-Modell, 601 ff ◆ Vernant, Entstehung, 103 ff. In der Geschichte der Menschheit liegen die Anfänge gewöhnlich im Dunkeln. Dieses Dunkel haben die Schöpfungsmythen der Antike auszuleuchten versucht, indem sie von der Entstehung der raumzeitlichen Strukturen, der Erschaffung der Tiere, der Pflanzen und der Menschen sowie der Hervorbringung der Zivilisationsgüter erzählen. Den Kosmogonien Ägyptens und Mesopotamiens kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Folgenreich für die Geistesgeschichte des Abendlandes waren auch die griechischen Kosmogonien, die von einem bestimmten Zeitpunkt an (ionische Naturphilosophie) aber einen anderen Weg als Ägypten und Mesopotamien eingeschlagen haben.
Ägypten Die ägyptischen Schöpfungstexte verfügen über eine eindrückliche Bildsymbolik. Die dabei auftretenden biomorphen (Zeugung und Geburt), technomorphen (Herstellen und Formen) und soziomorphen (Kampf und Streit) Analogien „entstammen der Alltagswelt und gewinnen daraus ihre Evidenz“60, auch wenn sie mit einer Negation versehen sind, wie sie auch in den Noch nicht-Formulierungen der mesopotamischen Kosmogonien zum Ausdruck kommen. Es gibt im alten Ägypten nicht die eine Schöpfungslehre, sondern zahlreiche Variationen des Themas „Weltentstehung“, die lokal (Heliopolis, Hermupolis, Memphis u. a.) und zeitlich neben- und nacheinander existierten. Atum
Vorwelt
Schu und Tefnut
1. Generation
Geb und Nut
2. Generation
(Verkörperung der Präexistenz, d. h. des „All“ im Zustand des Noch nicht)
(Gott der Luft und Göttin des Lichts/Feuers)
(Erdgott und Himmelsgöttin)
Osiris und Isis Seth und Nephthys
3. Generation
(Gott des Totenreichs und seine drei Geschwister)
Horus
Geschichte/Königtum
(Sohn des Osiris und der Isis, Manifestation des regierenden Königs)
Abb. 12: Die Neunheit von Heliopolis
60
Hartenstein, Vorwelt, 46.
56 Die Welt des Anfangs – Grundlegung Nach der Lehre von Heliopolis,61 der ältesten ägyptischen Schöpfungslehre, entstand die Welt mit dem „ersten Mal“ (sp tpj),62 als der aus sich selbst entstandene Gott Atum (s. Abb. 12), der nach Spruch 80 der Sargtexte ermattet im Urgewässer treibt (s. Q 8), aus dem Nun auftauchte und seine Strahlen in eine noch raum-, zeit- und lichtlose Welt sandte. Der berühmte Spruch 600 der Pyramidentexte (5./6. Dyn.) beschreibt diesen Uranfang in klassischer Weise mit folgenden Worten: Atum-Chepri, du bist hoch geworden als Hügel (qꜢꜢ),63 du bist aufgegangen als benben-Stein64 im Phoenixhaus in Heliopolis, du hast Schu ausgespien, du hast Tefnut ausgespuckt, du hast deinen Arm um sie gelegt als Ka-Arm,65 damit dein Ka in ihnen sei. (s. Q 7) Dieser Text ist deshalb so bedeutsam, weil er die Welt „nicht von außen, von einem außerweltlichen Gott, geschaffen, sondern von innen, aus einem göttlichen Ursprung entstanden“66 dachte. Das ist auch die entscheidende Differenz zur Konzeption von Gen 1,1–3. Ausschlaggebend dafür ist der Sachverhalt, dass am Anfang „nicht ein Schöpfungsakt, sondern ein Ursprung“67, also die Autogenese eines Urgottes steht, der durch seine Strahlen die Welt aus sich selbst entließ, die sich dann in allen ihren Erscheinungsformen entfaltete. Das ist weder eine creatio ex nihilo noch die Überwindung eines vorhergehenden Chaos. Denn mit der Selbstentstehung des Urgottes, die zur eigentlichen Kosmo-/Theogonie überleitet, gelangt man nicht vom Nichts zum Sein, sondern vom Nun, der präexistenten Entität, zum „Hervortreten des Seins, das latent und potentiell in jener Masse existiert, die der Nun ist“68. In der Kosmogonie von Hermupolis69 werden die Eigenschaften des Nun dann als „Achtheit“ ausdifferenziert, die ab der 26. Dynastie in vier Paare eingeteilt wurden und 61
S. dazu Assmann, Art. Schöpfung, 677 f; ders., Ägypten 1, 144 ff; Bickel, cosmogonie, 23 ff.33 ff.71 ff; Bauks, Anfang, 173 ff und Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 215 ff. 62 S. dazu Morenz, Religion, 174 f; Bickel, aaO 56 ff und Zivie-Coche/Dunand, aaO 234 ff. 63 Gemeint ist der Urhügel, s. Q 11. Im Unterschied zu den Pyramidentexten fehlt in den Sargtexten (s. Q 8) die Urhügel-Konzeption. Zur mesop. Urhügel-Konzeption s. Q 53. 64 Der benben-Stein, ein Stein mit pyramidenförmiger Spitze, ist die heliopolitanische Erscheinungsform des Urhügels (s. Q 7), der sich als erstes Stück Land aus dem Urgewässer erhob, s. dazu Otto, Art. Benben, 694 f. 65 Ka, hieroglyphisch als Armpaar dargestellt ( ), ist als Wesensbestandteil von Göttern und Menschen das Lebensprinzip, das nach dem Tod weiterhin der Versorgung durch Totenopfer bedürftig war. 66 Assmann/Kucharek, Götterliteratur, 563 (H. v. m.). Im Totenbuch Spruch 17 wird statt Atum der Sonnengott Re eingeführt, s. Q 9. 67 Dies., aaO 564 f. 68 Zivie-Coche/Dunand, aaO 224, vgl. 214 u. ö. und Assmann, Schöpfungsmythen, 169. späte Texte wie der Kairener Amunshymnus preisen dann das auf den Armen bezogene Wirken des Schöpfergottes Atum, s. Q 28. 69 S. dazu Assmann, Art. Schöpfung, 680 f; Bauks, Anfang, 162 ff; Zivie-Coche/Dunand, aaO 218 ff.223.231 f u. a.
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§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 57
später auch nach Theben, ins Fajjum und nach Memphis ausstrahlten: Nun und Naunet (Urgewässer), Huh und Hauhet (Endlosigkeit), Kuk und Kauket (Finsternis), Niau und Niaut (Leere, Varianten: Amun und Amaunet Verborgenheit u. a.). Diese Achtheit, die die Eigenschaften des Urchaos in männlicher (mit Froschköpfen) und weiblicher Ausprägung (mit Schlangenköpfen) repräsentierte (s. Q 10), hat die Aufgabe, dem täglichen Sonnenlauf beizuwohnen und so das Licht entstehen zu lassen. Hierher gehören auch die Vorstellungen vom Ur-Lotus (s. Q 13) und andere Bilder des Übergangs von der Vorwelt zu Schöpfungswelt wie das Motiv vom „Großen Schnatterer“, aus dessen Ei die Welt hervorging (s. Q 12). Nach der von Amenophis IV./Echnaton (1351–1335 v. Chr.) gewaltsam herbeigeführten Umorientierung, wie er sich im Großen Amarna-Hymnus niedergeschlagen hat (s. Q 27), wurden die traditionellen Aspekte des Ur-, Schöpfer- und Lebensgottes wieder in Amun-Hymnen der Voramarnazeit (z. B. im Tura-Hymnus, s. Q 15) und vor allem der Nachamarnazeit entfaltet.70 Schöpfungstheologisch bedeutsam ist schließlich das Motiv der Schöpfung durch das Wort, das in ramessidischen Amun-Re-Hymnen zum „Gemeinbesitz der äg. Schöpfungstheologie“71 geworden ist (s. Q 16). Der Text, der dieses Motiv am deutlichsten ausgearbeitet hat, ist das Denkmal memphitischer Theologie (Ende des 8. Jh.s v. Chr. [?], s. Q 17).
Mesopotamien Wie die ägyptischen Schöpfungsmythen so sind auch die kosmogonischen Texte Mesopotamiens anschauungsgebunden, insofern sie von natürlichen Elementen (Wasser, Erde, Himmel) ausgehen und diese mit personalen Größen (Götter, Göttinnen) identifizieren. Das gilt nicht nur von den Texten der frühdynastischen (3. Jt. v. Chr.) und der altbabylonischen Zeit (Anfang des 2. Jt. v. Chr.), sondern auch vom babylonischen Weltschöpfungsepos Enūma eliš (Ende des 2. Jt. v. Chr.), dem klassischen Beispiel einer mesopotamischen Kosmogonie. In dessen Einleitung (Ee I 1–20, s. Q 52) wird das Bild des Urzustandes gezeichnet, in dem Süßwasser (Apsû) und Salzwasser (Tiʾāmat) noch vermischt sind und in dem es noch kein festes Land gibt. Dieses Bild „erschließt sich aus der Landschaft Babyloniens, der Schwemmlandebene von Euphrat und Tigris im südlichen Irak, wo in den Marschen im Mündungsgebiet kleine Schilfrohrinseln entstehen“72. Das Epos trennt die Entstehung der Vorwelt mit der einer Zeugung vergleichbaren Vermischung von Süßwasser und Salzwasser (Ee I 1–6) und der anschließenden Geburt mehrerer Göttergenerationen (Ee I 7–20) von der Erschaffung des Kosmos (s. Abb. 13). Zu diesen Göttergenerationen gehören die Götterpaare Laḫmu und Laḫāmu, Anšar und Kišar sowie die beiden Götter Anu und Ea. Als letzter wird als Ebenbild von Anu der weise Nudimmud geboren, der seinerseits Marduk zeugt. Dieser Stammbaum sieht so aus, dass es in der Vorwelt zunächst zwei Urgrößen (Apsû und Tiʾāmat) gab, aus denen in einer langen Sukzession die Götter hervorgingen:
70
S. dazu Assmann, aaO 683 f. Ders., aaO 684, vgl. ders., Schöpfungsmythen, 178 ff. 72 Sallaberger, Kosmos, 94, vgl. Wilcke, Anfänge, 39. 71
58 Die Welt des Anfangs – Grundlegung Apsû und Tiʾāmat männlich: Süßwasser (Grundwasser) und weiblich: Salzwasser (Meerwasser). Aus ihrer Vermischung entstanden: Lahmhu und Lahāmu männliche und weibliche Wasserwesen, vielleicht Personifi˘ ˘ ˘ kationen des Schlamms (= Mittelding zwischen dem Wasser und den festen Strukturen von Anšar und Kišar). Daraus gingen hervor: Anšar und Kišar „Himmels-Kreis/All“ (vgl. Ee III 67–71) und „Erd-Kreis/All“ (= kreisförmiger Horizont?). Ihr Sohn war: Anu oberster Himmelsgott. Von ihm stammte ab: Ea (Nudimmud) ursprünglich eine von Enki („Herr der Erde“, Gott der Kunstfertigkeit und Magie) verschiedene, semitische Gottheit, die aber wesentliche Eigenschaften mit Enki teilte. Dieser zeugte: Marduk König der Götter (Ee IV 14.28, s. Q 65) und Stadtgott Babylon, von dessen Heiligtum er nach Ee IV 141 ff; V 119 ff; VI 61 ff gründete (s. Q 64).
Abb. 13: Kosmogonie und Theogonie nach dem Enūma eliš Zwischen dem Urzustand der Welt (Welt vor der Schöpfung) und der Erschaffung des Kosmos steht, weil sich Apsû und Tiʾāmat durch das laute Treiben der jüngeren Götter gestört fühlen, eine lange Phase des Konflikts unter den Göttern (Ee I 21 ff ), bis endlich Marduk, der von den Göttern dazu erwählt wird, das Chaosungeheuer Tiʾāmat im Kampf besiegt (Ee IV 33 ff.129 ff, s. Abb. 134) und den Kosmos erbaut (Ee V 45 ff, s. Q 62). Die Kosmogonie des Enūma eliš umfasst also drei Akte: die Zeugung der Urgottheiten durch Apsû und Tiʾāmat, die Erschaffung von Eas Wohnstatt aus dem getöteten Apsû und die Erschaffung von Himmel und Erde aus der von Marduk getöteten Tiʾāmat. Charakteristisch für die Vorweltschilderung des Enūma eliš sind die sog. Noch nichtAussagen in Ee I 1.2.6.7.8 (s. Q 52). Darin drückt sich das Bewusstsein aus, dass der Urzustand das ist, was vor der Schöpfungswelt war. Diese ‚Logik der Negation‘73 findet sich auch in kosmogonischen Texten des 3. Jt.s v. Chr. wie dem altsumerischen Mythos aus Tellō/Girsu (etwa 2400 v. Chr., s. Q 49). Dieser Mythos, der 5-mal die Noch nicht-Formulierung verwendet, übergeht das kosmogonische Motiv der Trennung von Himmel und Erde, zumindest macht er keinen Gebrauch davon. Dieses Motiv begegnet, ohne erzählerische Ausgestaltung, aber in zahlreichen Mythen und Epen der früh-/altbabylonischen Zeit (etwa 2000–1600 v. Chr.) wie im Epos Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt (s. Q 50), im Lugalbanda-Epos I 1–22 oder im Lied von der Hacke (s. Q 51).74 Diese Texte bieten keine konsistente Gesamterzählung, vielmehr werden einzelne Objekte der 73
S. dazu Bauks, Welt, 225 ff.270 ff; Gabriel, enūma eliš, 117, ferner Angehrn, Überwindung, 116 ff und Hartenstein, Vorwelt, 45 ff. 74 S. dazu die Übersicht bei Wilcke, aaO 26 ff; George, Kosmogonie, 13 ff und Sallaberger, Kosmos, 100 ff.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 59
Natur und der menschlichen Kultur in den Blick genommen, ohne die Geschehensabfolge vom Ursprung des Kosmos bis zu dessen Einrichtung darzustellen. Dieser Sachverhalt unterstreicht noch einmal die einzigartige Bedeutung des babylonischen Weltschöpfungsepos75 – dessen Unterschied zum priesterlichen Schöpfungstext allerdings auf der Hand liegt. Denn im Enūma eliš gibt es „anfänglich nichts jenseits der Urgrößen/Urwasser. In der Vorwelt von Gen 1,2 ist hingegen der Atem/Geist Gottes als Drittes neben Finsternis und Urflut (tehom) präsent. (…) Der stärkste Unterschied des monotheistischen Konzepts der Priesterschrift (‚Im Anfang schuf Gott‘) zum babylonischen Schöpfungsmythos wird … aus einer Stelle des Deuterojesaja deutlich, die gut direkt auf die Theogonie des Enuma elisch reagieren könnte: Jes 43,10: ‚Vor mir wurde kein Gott geformt/geschaffen (jazar) und (auch) nach mir wird keiner sein: Ich, ich bin JHWH‘.“76
Kleinasien und Ugarit/Nordsyrien Während die religiösen Texte aus Ugarit keine Aussagen zur Weltschöpfung enthalten (s. Q 101) und auch die Phönikische Geschichte des Philo von Byblos (Q 102) keinen autochthonen Weltentstehungsmythos enthält, sind in den hurritisch-hethitischen Texten einige wenige kosmogonische Aussagen zu finden. Abgesehen von einem hethitischen Ritualfragment (Q 97) konzentrieren sie sich auf den Ullikummi-Mythos, der von dem Versuch des entthronten Gottes Kumarbi handelt, den Wettergott zu besiegen (s. Q 98).
Griechenland und Rom Die Entwicklung der griechischen Kosmologie ist, wie die neuere Forschung gezeigt hat, „nur im Zusammenhang des Austausches mythischer und wissenschaftlicher Inhalte zwischen dem altoriental. Raum und Griechenland nachzuvollziehen“77. Es ist allerdings nicht von einem einmaligen Wissenstransfer, sondern vielmehr von zahlreichen, parallel verlaufenden Entwicklungen auszugehen. Wie immer man diese im Einzelnen sieht, ihr zentraler Ausgangspunkt ist ohne Zweifel die Theogonie des Hesiod (um 700 v. Chr.). Obwohl es schon bei Homer Spuren des Sukzessionsmythos gibt (Ilias 1,153 ff u. ö.) und auch die Trennung von Himmel und Erde belegt ist (s. Q 123), begegnen kosmogonische Aussagen in der frühgriechischen Literatur zuerst in Hesiods Theogonie 116–138 (s. Q 124). „Wahrlich, als das Allererste entstand Chaos (πρώτιστα Χάος γέντ’)“,78 so beginnt Hesiods Kosmogonie, und danach Gaia (Erde), der finstere Tartaros und Eros, ferner Erebos (Finsternis), Nyx (Nacht), die ihrerseits Aither (Äther) und Hemera (Tag) hervorbringt. Gaia gebiert dann Uranos (Himmel), die Berge sowie Pontos und Okeanos (Meer). Erst dann beginnen die Göttergenerationen.
75 Vgl.
Sallaberger, aaO 106. Hartenstein, aaO 52. Für einen ausführlichen Vergleich des bab. und des bibl. Textes s. Bauks, aaO 279 ff.311 ff und Talon/Anthonioz, Enūma eliš, 231 ff. 77 Graßhoff, Art. Kosmologie, 769, s. dazu auch Burkert, Griechen, 55 ff. 78 Hesiod formuiert nicht „war“, sondern „entstand“. Die Interpretation dieser Formulierung ist strittig, s. dazu Kirk u. a., Philosophen, 40 ff, der dafür plädiert, Χάος als „riesige Kluft zwischen Himmel und Erde“ (45) zu verstehen, zur Wortbedeutung s. Caduff, Art. Chaos, 1093 f, ferner Bauks, Welt, 2 f u. a. 76
60 Die Welt des Anfangs – Grundlegung Mit Hesiod ist der „Übergang von einer ‚mythischen‘ zu einer quasi-‚philosophischen‘ Erklärung der Welt aus ihrer Entstehung eingeleitet, der sich bis in die vorsokratischen Weltenstehungslehren fortsetzt“79. Mit der Formel Vom Mythos zum Logos, mit der dieser Übergang in der Regel bezeichnet wird, ist weniger ein Gegensatz als vielmehr ein Wechselverhältnis bezeichnet. Ohne den theologischen Gehalt der traditionellen Schöpfungsmythen zu verwerfen, führen die ionischen Naturphilosophen Thales, Anaximander, Anaximenes u. a. (s. Q 125; 126) die Entstehung des Kosmos auf physikalische Kräfte zurück und befördern so eine im eigentlichen Sinn naturwissenschaftliche Fragestellung. Auf diesem Fundament, aber auch unter Rückgriff auf die Thesen der Pythagoreer baut dann Plato in seinem Dialog Timaios seine Weltentstehungslehre auf (s. Q 127). Im Zentrum steht dabei ein Demiurg („Handwerker, Baumeister“), der als „Schöpfer und Vater“ den Kosmos aus der vorgegebenen Materie nach dem Muster der intelligiblen Welt (Ideen) erstellt.80 Ein Seitenblick auf die röm. Kosmogonien führt vor allem zu Lukrez und Ovid, die ebenfalls vom Chaos ausgehen (s. Q 141; 142; 143).
Iran Abschließend sei auf die kosmogonischen Aussagen in altpersischen und achämenidischen Herrscherinschriften hingewiesen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Weltenstehungsmythen im eigentlichen Sinn, sondern um Königsinschriften, die die Weltschöpfung, die Menschenschöpfung und die segensreiche Zueignung der Erde an den König durch den Gott Ahuramazda preisen (s. Q 114; 115). 𓇼
Halten wir fest: Zwischen den antiken Kosmo- und Theogonien und Gen 1,1– 2,3 gibt es zahlreiche Berührungspunkte, aber auch deutliche Unterschiede. Der markanteste Unterschied betrifft die Funktion der rûaḥ ʾ ælohîm („Wind Gottes“), die in der Vorwelt über dem Wasser in Bewegung war (Gen 1,2b) und zum kreativen Sprechen Gottes überleitet (Gen 1,3).81 Selbst das Denkmal memphitischer Theologie, der ägyptische Hauptbeleg für das Motiv der Schöpfung durch das Wort (s. Q 17),82 kommt nicht als Vergleichstext in Frage, weil sich der Gedanke der Wortschöpfung hier auf die Götter beschränkt, die „aus dem Munde, d. h. den Worten des Schöpfers“83 entstehen. Im priesterlichen Schöpfungstext liegt der Akzent dagegen auf der „Verhältnisbestimmung von Gott und Welt“84. Die Welt von Gen 1,1 ff ist nicht „von innen, aus einem göttlichen Ursprung entstanden“85 wie in Ägypten, sondern von einem Gott geschaffen, der ihr als Schöpfer 79 80
81
82
83 84 85
Felber, Art. Weltschöpfung, 465 (A. Merkt/L. Käppel), s. dazu auch Graf, Mythologie, 94 ff. Die Ideen sind „die formalen Vorbilder, nach denen die vergänglichen Dinge der phänomenalen Welt als ihre Abbilder gestaltet sind“ (Althoff, Vorstellungen, 61), s. dazu auch Horn u. a. (Hg.), Platon Handbuch, 211 ff (W. Melsch) u. a. S. dazu oben 51 ff. Zur Wortschöpfung in Ägypten s. den Überblick bei Bickel, cosmogonie, 100 ff und Assmann, Re, 238 ff. Zum Vergleich mit Gen 1,3; Ps 33,6.8 f; 148,13; Klgl 3,37 f u. a. s. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 173 ff und Bührer, Anfang, 320 ff. Assmann, Rezeption, 136. Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 45. Assmann/Kucharek, Götterliteratur, 563, vgl. oben 56.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 61
gegenüber steht.86 Mit der Erschaffung des Lichts und seiner Scheidung von der Finsternis (Gen 1,3–5) tritt die Welt ins Dasein und wird dann nach ihren raumzeitlichen Strukturen (1.–3. Tag) und lebensweltlichen Gegebenheiten und Erscheinungsformen (4.–6. Tag) entfaltet. Eine dieser Erscheinungsformen ist der Mensch, die ‚lebendige Statue Gottes‘. β) Der Mensch als Bild Gottes Altes Testament: Bührer, Anfang, 341 ff ◆ Dohmen, Statue, 20 ff ◆ Ebach, Bild Gottes, 16 ff ◆
Frevel, Gottesbildlichkeit, 235 ff ◆ Gaß, Zugänge, 244 ff ◆ Groß, Art. Gottebenbildlichkeit, 871 ff ◆ Ders., Gottebenbildlichkeit 1, 11 ff ◆ Ders., Gottebenbildlichkeit 2, 37 ff ◆ Ders., Statue, 11 ff ◆ Hardmeier/Ott, Naturethik, 129 ff.137 ff ◆ Hartenstein/Moxter, Hermeneutik, 174 ff ◆ Janowski, Herrschaft, 33 ff ◆ Ders., Statue, 140 ff ◆ Ders., Anthropologie, 407 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 177 ff.181 ff ◆ Koch, Erde, 223 ff ◆ Ders., Imago Dei ◆ Kühn, Körper, 315 ff ◆ Lippke, Gottebenbildlichkeit, 93 ff ◆ Lohfink, Erde, 11 ff ◆ Ders., Gottesstatue, 29 ff ◆ Lux, Bild Gottes, 260 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Herrschen, 185 ff.206 ff ◆ Dies., Ehre, 39 ff ◆ Dies., Land, 73 ff ◆ Oberforcher, Lesarten, 131 ff ◆ Rüterswörden, dominium terrae, 81 ff ◆ Schaper, Media, 108 ff ◆ Schellenberg, Mensch, 37 ff.68 ff ◆ Schmid, Schöpfung 1, 90 ff ◆ Ders. Ebenbild, 5 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 132 ff ◆ Schroer, Bilder, 322 ff ◆ Schüle, Würde, 440 ff ◆ Ders., Image, 7 ff ◆ Staubli/Schroer, Menschenbilder, 67 ff ◆ Stipp, Dominium terrae, 113 ff ◆ Uehlinger, dominium terrae, 59 ff ◆ Wagner, A., Gottes Körper, 167 ff ◆ Ders., Art. Gottebenbildlichkeit, 217 ff ◆ Wagner, Th., Ebenbild, 209 ff ◆ Waschke, Königstheologie, 235 ff ◆ Weippert, Tier, 35 ff ◆ Wildberger, Art. ṣælæm, 556 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 229 ff ◆ Zenger, Gottes Bogen, 84 ff. – Antike Religionen: Angerstorfer, Gottebenbildlichkeit, 7 ff ◆ Ders., Ebenbild, 47 ff ◆ Assmann, Ägypten 1, 50 ff ◆ Bonatz, Bild, 11 ff ◆ Groß, Statue, 15 ff ◆ Hornung, Mensch, 123 ff ◆ Ders., Der Eine, 143 ff ◆ Janowski, Statue, 147 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Herrschen, 173 ff.177 ff ◆ Ockinga, Gottebenbildlichkeit ◆ Podella, Lichtkleid, 252 ff ◆ Schellenberg, Mensch, 76 ff.98 ff. 106 ff.293 ff. – Neues Testament, Antikes Christentum: Kuhli, Art. εἰκών, 942 ff ◆ Markschies, Art. Gottebenbildlichkeit, 1160 ff ◆ Vollenweider, Der Menschgewordene, 53 ff. – Philosophie, Systematische Theologie: Härle, Dogmatik, 436 ff ◆ Höffe, Moral, 196 ff ◆ Link, Schöpfung 2, 96 ff ◆ Pannenberg, Theologie 2, 232 ff ◆ Welker, Schöpfung, 89 ff.
Zwischen Gen 1,1 f und Gen 2, 2 f stellt der priesterliche Schöpfungstext das Sechstagewerk mit seinen Lebensräumen (2.–3. Tag) und Lebewesen (5.–6. Tag) dar, denen zum einen die Scheidung von Licht und Finsternis (1. Tag) und zum anderen die Erschaffung der Gestirne (4. Tag) vorangestellt wird. Als letztes Werk wird der Mensch als „Bild Gottes“ geschaffen und mit der Herrschaft über die Tiere beauftragt (1,26–28).
86
Zur Frage, ob man diese Opposition mit K. Schmid als „radikale Trennung von Gott und Welt“ verstehen soll, s. oben 31.
62 Die Welt des Anfangs – Grundlegung Gen 1,26 f; 5,1.3 und 9,6Pg87 kommt seit dem antiken Christentum zentrale Bedeutung für die abendländische Theologie- und Kulturgeschichte zu.88 Vornehmlich auf die körperliche Gestalt, die Geistnatur oder die Ansprechbarkeit des Menschen bezogen und seit Irenäus von Lyon (2. Jh. n. Chr.) mit Hilfe der Unterscheidung der beiden Lexeme εἰκών und ὁμοίωσις bzw. imago und similitudo ausgelegt und spekulativ weiterentwickelt, gehört die Gottebenbildlichkeitsaussage seit jeher zu den Fundamentalsätzen einer theologischen Anthropologie.89 In der christlichen Überlieferung gilt sie als „die entscheidende theologische Aussage über den Menschen, die ihn einerseits von allen anderen Geschöpfen unterscheidet, ihn andererseits aber auch zu allen anderen Geschöpfen in Beziehung setzt“90. Wichtig ist dabei, dass die Gottebenbildlichkeit nicht eine physische oder metaphysische Eigenschaft des Menschen, sondern eine ihm zugesagte und auch zugemutete Bestimmung ist, die sich als „eine gelebte Veranschaulichung, … ja eine Verwirklichungsform des Wesens Gottes“91 fassen lässt.
Die große Bedeutung der imago Dei- und Herrschaftsaussage auf der einen und die anhaltende Kritik ihrer Wirkungsgeschichte auf der anderen Seite provozieren die Frage nach ihrem Ursprungssinn. Diese hat ihren Ausgang von einer Interpretation des locus classicus Gen 1,26–28 und dessen Kontext Gen 1,1–2,3 zu nehmen: 26 Und Gott sprach: „Wir wollen Menschen machen (ʿāśāh) als unser Bild (ṣælæm), wie unsere Ähnlichkeit (demût), damit sie herrschen (rādāh) über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über alles ‚Getier‘92 der Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen.“ 27 Und Gott schuf (bārāʾ ) den Menschen als sein Bild (ṣælæm), als Bild (ṣælæm) Gottes schuf er (bārāʾ ) ihn, männlich und weiblich schuf er (bārāʾ ) sie. 28 Und Gott segnete (brk pi.) sie, und Gott sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde und nehmt sie in Besitz (kābaš), und herrscht (rādāh) über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Getier, das auf der Erde kriecht.“ 87
Meer Himmel Erde
Meer Himmel Erde
Rezeptionsgeschichtlich wichtig sind Sir 17,3 (Q 161), SapSal 2,23 f (Q 162) und die ntl. εἰκών-Belege, s. dazu Kuhli, Art. εἰκών, 942 ff; Vollenweider, Ebenbild, 56 ff und als Textbeispiel Kol 1,15–20 (Q 178). Ob zwischen Gen 1,26 ff und Ovid, Metamorphosen 1,76 ff ein Zusammenhang besteht, ist fraglich, s. Q 148. Zur Gottebenbildlichkeit des Menschen im rabbin. Judentum s. die Hinweise Q 164. 88 Zur Forschungsgeschichte s. Westermann, Genesis 1–11 (BK), 203 ff; Jónsson, Image of God; Ruppert, Genesis I (fzb), 83 ff und Markschies, Art. Gottebenbildlichkeit, 1160 ff. 89 S. dazu den Überblick bei Härle, Dogmatik, 436 ff. 90 Ders., aaO 436 (H. i. O.). 91 Ders., aaO 438. 92 Zur Konjektur ḥajjat (hāʾāræṣ) „Getier (der Erde)“ s. Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 28 Anm. 14.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 63
Der Satz über den göttlichen Beschluss zur Erschaffung des Menschen (V. 26), der Gott im pluralischen Kohortativ („Lasst uns machen“)93 einführt (1), gebraucht nicht nur zwei suffigierte Substantive (Bildbegriffe) und zwei Präpositionen (be „als“ und ke „wie“), mit denen die imago Dei-Aussage formuliert wird (2), sondern er enthält auch eine finale Fortsetzung („damit sie herrschen“),die den Menschen mit der Herrschaft über die Tiere (dominium animalium) beauftragt (3): Schöpfungsaussage (1) „Wir wollen Menschen machen“ Pluralischer Kohortativ von ʿāśāh „machen“ + Objekt ʾādām „Menschen“
Bildaussagen (2) „als (be) unser/e Bild/Statue unseresgleichen/wie unsere Ähnlichkeit“ Beth essentiae „als“ + Objektprädikat ṣælæm „unser(e) Bild/Statue“ + desemantisiertes Präpositionalattribut kidmûtenû „(wie etwas Ähnliches zu uns =) unseresgleichen“ oder vollsemantisches Lexem kidmûtenû „wie/gemäß unsere/r Ähnlichkeit“
Herrschaftsaussage (3) „damit sie herrschen über (be) die Fische des Meeres …“ Finalsatz mit Verb des sozialen Kontakts rādāh „herrschen“ + 3mal Beth des Bereichs „über“
Aufgrund der Struktur dieses Satzes geht die Blickrichtung von Gott zu den Menschen und von diesen zu den Lebewesen unter ihnen. V. 26 setzt demnach drei Größen in Beziehung zueinander: die Erschaffung des Menschen (V. 27b: „männlich und weiblich“),94 seine Bestimmung als „Bild/Statue“ Gottes und seine Beauftragung zur Herrschaft über die Tiere (s. Abb. 14). Als „Bild/Statue“ Gottes steht der Mensch somit in einem doppelten Bezug, d. h. „Gottes- und Weltbezug charakterisieren das Wesen des Menschen“95.
93
Zur kontroversen Interpretation als pl. deliberationis, pl. majestatis oder pl. communicativus s. Neumann-Gorsolke, Herrschen, 168 ff; Bührer, Anfang, 66 Anm. 206; 348; Gertz, aaO 61 f u. a. Die Auffassung als kommunikativer Plural bedeutet allerdings nicht, dass, wie V. 27 („Und Gott schuf …“) zeigt, andere himmlische Wesen an der Erschaffung des Menschen beteiligt sind. 94 Die Formulierung „männlich und weiblich“ weist darauf hin, dass „nicht an ein Urmenschenpaar zu denken (ist). Es geht um die ganze Menschheit“ (Lohfink, Gottesstatue, 30), vgl. Koch, Imago Dei, 11; Groß, Statue, 29 ff; Janowski, Anthropologie, 94 f; Pola, Anfang, 92 ff und Leuenberger, Geschlechterrollen, 213 ff. 95 Oberforcher, Lesarten, 136. Dieser Zusammenhang wird von Wöhrle, dominium terrae, 173 ff.176 ff aufgrund einer problematischen Analyse der Herrschaftsaussagen verkannt.
64 Die Welt des Anfangs – Grundlegung Schöpfungsaussage Wir wollen Menschen machen Bildaussage als unser Bild unseresgleichen Herrschaftsaussage damit sie herrschen über …
Abb. 14: Die grammatischen Bezüge in Gen 1,26
Die lebendige Statue Gottes Von den beiden Bildaussagen in V. 26 stellt beṣalmenû „als unser(e) Bild/Statue“ die Leitformulierung dar, zu der kidmûtenû als desemantisiertes Präpositionalattribut („unseresgleichen“) oder als vollsemantisches Lexem („wie unsere Ähnlichkeit“) hinzutritt. Der Bildbegriff ṣælæm wird dabei durch die Präposition be eingeführt, die nicht als Beth normae („nach unserem Bild“, vgl. Gen 1,26 f LXX , s. Q 158), sondern als Beth essentiae („als unser Bild“) zu verstehen ist.96 Wie die neuere Forschung deutlich gemacht hat, hat der Begriff ṣælæm die Bedeutung „Statue, Rundplastik“ (17-mal),97 wobei ein Relief/eine reliefierte Stele, eine kleinere oder größere Rundplastik98 gemeint sein kann. Zusatzangaben aus dem Kontext (z. B. Ez 23,14: Wandrelief ) oder ein Attribut (z. B. Num 33,52: „Schmiedebilder“) präzisieren Material und Bildträger. Der Gegenstand der Darstellung (Tiere, Menschen oder „Gräuel“ [Ez 7,20]) wird öfter genauer bestimmt. Für einige Belege lässt sich geltend machen, dass bei ṣælæm „weniger das Moment der genauen Reproduktion einer dargestellten Wirklichkeit als vielmehr die machtvolle Repräsentation des Dargestellten“99 im Vordergrund steht. Da in dem ṣælæm genannten Kunst- oder Bildwerk das Abgebildete wirkmächtig präsent ist, lässt sich das Wort am besten mit „Repräsentative Darstellung“ oder „Repräsentationsbild“ wiedergeben. Das dürfte auch für die imago Dei-Belege anzunehmen sein. Diese Annahme findet darin eine Stütze, dass auch in der altorientalischen Umwelt Israels (Ägypten, Mesopotamien, Syrien-Palästina) der König oder Herrscher als „Bild Gottes“
96
S. dazu Jenni, Präpositionen 1, 84 f, vgl. Groß, Gottebenbildlichkeit 1, 20 ff und ders., Statue, 12 Anm. 3. Anders Wöhrle, aaO 171 („nach unserem Bild“) und Schäfer, Schlange, 42 („in unserem Bild“). 97 S. dazu Schroer, Bilder, 322 ff u. a. In den Bilderverbotstexten wird ṣælæm nicht verwendet, s. dazu Hartenstein/Moxter, Hermeneutik, 95 ff (Hartenstein) und Lux, Bild Gottes, 263 ff. Dennoch haben, wie Dtn 4,12–15 zeigt, die Bilderverbotstexte und die imago Dei-Texte etwas miteinander zu tun, s. dazu Lux, aaO 275 und Hartenstein/Moxter, aaO 179 f (Hartenstein). 98 Zu den übrigen Bildtermini des AT s. Schroer, aaO 301 ff und Uehlinger, Art. Bilderkult, 1567 ff. 99 Schroer, aaO 324.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 65
bezeichnet wird (s. Q 43; 85; 86; 110).100 Entscheidend ist dabei, dass das „Bild“ (König) nicht das Abbild einer vorgestellten Gestalt (Gottheit), sondern ein Körper ist, der der Gottheit eine leibliche Präsenz in der Schöpfungswelt verleiht: „Mit dem Bild ist das in ihm Repräsentierte, besser: Verkörperte, machtvoll und vollgültig anwesend“101. Trotz offener Fragen hinsichtlich des Überlieferungswegs dürfte die alttestamentliche imago Dei-Vorstellung ihren Ursprung in der altorientalischen Königsideologie haben.102 Sie ist aber kaum das Ergebnis einer innerisraelitischen „Demokratisierung“ des Königsbildes,103 sondern – nach dem Ende des judäischen Königtums – das Resultat einer Transformation der Herrschaftsvorstellung, in deren Vollzug durch die Priesterschrift königsideologische Metaphern eingebaut wurden („Royalisierung“ des Menschenbildes, vgl. Ps 8,6 f ).104 Königsideologische Züge sind auch sonst in Gen 1,26–28 auszumachen und vor allem mit der Herrschaftsaussage verbunden.105
Neben den ersten Bildbegriff ṣælæm tritt in Gen 1,26a mit demût ein zweiter Bildbegriff, der mit der Präposition ke („wie, entsprechend“) eingeführt wird. Während die Wortbedeutung des von der Verbalwurzel dmh „gleich sein“ abgeleiteten Verbalabstraktums demût (23-mal im AT) mit „Ähnlichkeit, Gleichheit, Entsprechung“ zu bestimmen ist,106 ist die Deutung von kidmûtenû strittig. Gegenüber dem Vorschlag von Chr. Dohmen, ṣælæm eigne ein relationaler, d. h. ein auf Gott verweisender Aspekt, und demût ein qualifizierender, d. h. ein Gott wiedergebender Aspekt,107 spricht die Austauschbarkeit der beiden Präpositionen in Gen 1,26a.27a einerseits und in Gen 5,3a (vgl. 5,1b) andererseits für deren semantische Synonymität.108
100 Möglicherweise
gibt es in der Lehre des Ani (Q 31) einen Beleg für die Erschaffung des Menschen als Bild Gottes. Zur koranischen Gottebenbildlichkeitsvorstellung s. Q 185. 101 Hartenstein/Moxter, aaO 175 (Hartenstein), vgl. Bonatz, Bild, 13. 102 S. dazu auch Lux, Bild Gottes, 270 ff; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 65 u. a., anders Schüle, Prolog, 108 f, s. dazu aber Lux, aaO 272 Anm. 74. Ob mit Rüterswörden, dominium terrae, 118 ff.124 ff.126 ff an eine Vermittlung durch die achäm. Reichsideologie zu denken ist (s. Q 117), bleibt allerdings fraglich, vgl. Neumann-Gorsolke, Rez. Rüterswörden, 381. 103 So aber Koch, Imago Dei, 23; Wöhrle, dominium terrae, 176; Schmid, Ebenbild, 5 ff und die bei Schellenberg, aaO 130 Anm. 514 genannten Autoren. Für eine „Demokratisierung“ des Königsbildes fehlt vor allem die Bezeichnung des Königs als „Bild/Statue Gottes“. Der (judäische) König wird „Erwählter“ (Ps 89,4.20, vgl. Ps 45,5), „Sohn“ (2 Sam 7,14; Ps 2,7) oder „Erstgeborener“ Gottes (Ps 89,28) genannt, s. dazu Janowski, Art. Königtum, 517. 104 Zu Ps 8,6 f s. unten 284 f. 105 S. dazu im Folgenden. 106 S. dazu Schroer, Bilder, 326 ff; Jenni, Präpositionen 1, 84; ders., Vergleichbarkeit, 207 f.210 f u. a. Zu demût in dem Qumrantext 4Q504 Frg. 8 s. Q 163. 107 S. dazu Dohmen, Bilderverbot, 278 ff, vgl. ders., Art. Ebenbild, 454; ders., Statue, 24 ff und ihm folgend Ockinga, Gottebenbildlichkeit, 148 ff. Zur Kritik dieser These s. Groß, Statue, 19 Anm. 19 und Schellenberg, aaO 126 Anm. 496. 108 Vgl. Groß, Gottebenbildlichkeit 1, 21. Zu Gen 5,3a („und er [sc. Adam] zeugte [einen Sohn] ihm gleich [bidmûtô], gemäß seinem Bild [keṣalmô]“) s. Oberforcher, Lesarten, 145 ff; Hieke, Genealogien, 71 f und Lux, Bild Gottes, 276 f mit Anm. 95.
66 Die Welt des Anfangs – Grundlegung Da das Hebräische keine Abstufung der Gleichheit ausdrücken kann, intendiert die Wendung kidmûtenû offenbar weder eine Abschwächung noch eine Verstärkung der konkreten ṣælæm-Aussage. Sie dürfte vielmehr ein pleonastischer Ausdruck für Vergleichbarkeit sein, der die Ähnlichkeit/Entsprechung (nicht die Identität!) zweier Größen – A (Gott) und B (Mensch) – zum Ausdruck bringt.109 Aufgrund des Kontextes, d. h. der Verbindung der beiden Bildaussagen mit der folgenden Herrschaftsaussage, wird deshalb auch bei demût der funktionale Aspekt im Vordergrund stehen und nicht etwa eine „Wesensähnlichkeit“ des gottebenbildlichen Menschen mit dem Schöpfergott gemeint sein.110 Während also ṣælæm den funktionalen Aspekt der Gottebenbildlichkeit im Sinn des Repräsentationsgedankens betont, präzisiert die demût-Aussage diesen Aspekt im Sinn einer Entsprechung des Menschen zu Gott. Beide Bestimmungen, diejenige der Repräsentanz und diejenige der Entsprechung, bringen das exklusive Verhältnis des Geschöpfs zu seinem Schöpfer (Gottesbezug) zum Ausdruck, das dann durch den doppelten Herrschaftsauftrag (Weltbezug) expliziert wird.
Der Mensch ist also „nicht kraft unbekannter Qualität Gottes Bild und soll infolgedessen u. a. über die Tiere herrschen, sondern der Mensch ist Gottes Bild, insofern er ermächtigt ist, über die Tiere zu herrschen“111. Darin zeigt sich die doppelte Verantwortung des gottebenbildlichen Menschen gegenüber seinem Schöpfer (Gottesbezug) wie gegenüber der Schöpfung (Weltbezug). Die Sinnspitze der imago Dei-Aussage von Gen 1,26 scheint demnach nicht darin zu liegen, dass die Herrschaft über die Tiere die Folge, sondern darin, dass sie – zusammen mit dem Motiv der Inbesitznahme der Erde (Gen 1,28a) – das Interpretament der Gottebenbildlichkeit ist. Die Herrschaft über die Tiere In der Auslegungs- und Wirkungsgeschichte von Gen 1,26–28 sind die beiden Verben rādāh („herrschen“) und kābaš („in Besitz nehmen“) immer wieder als Ausdrücke verstanden worden, die die rücksichtslose Beherrschung der Natur durch den Menschen propagieren. Folgerichtig galt die Aufforderung „Macht euch die Erde untertan!“ – so die gängige Paraphrase von Gen 1,28 – als Legitimationsformel des zivilisatorischen Fortschritts.112 Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich daneben ein Deutungsmodell herausgebildet, das einer pazifistischen Interpretation der menschlichen Herrschaft das Wort redete und das Verb rādāh mit der Tätigkeit des Hirten in Verbindung brachte.113 Der Schöpfergott, so E. Zenger, „befähigt (‚Bild Gottes‘) und beauftragt (‚seid Hirten‘) die Menschen, an seiner Stelle das Hirtenamt zum Schutz und zur För-
109 S.
dazu Jenni, Vergleichbarkeit, 210 f und Groß, Statue, 18 ff. z. B. Koch, Imago Dei, 24 ff und Weippert, Tier, 42 f.44. 111 Groß, Gottebenbildlichkeit 1, 31, vgl. 30. 112 S. dazu Groh/Groh, Weltbild, 11 ff und Höffe, Moral, 196 ff. 113 S. dazu Lohfink, Erde, 21 ff und Koch, Erde, 223 ff. 110 Anders
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 67
derung des Lebens auszuüben“114. Aber nicht nur gegen das aggressive, sondern auch gegen das pazifistische Deutungsmodell von Gen 1,26–28 sind kritische Einwände geltend zu machen: – Gegen die aggressive Interpretation von rādāh spricht zunächst der Zusammenhang von Gen 1,28 mit der folgenden Nahrungszuweisung V. 29 f. Denn die vegetarische Speiseordnung für Mensch (!) und Tier ist das Gegenteil des Kriegszustands unter den Geschöpfen, den Gen 9,1–3115 schildert. Überdies widerspricht es der abschließenden Billigungsformel Gen 1,31, wonach die gesamte Schöpfung („alles“) als integer („sehr gut“) bezeichnet wird.116 – Gegenüber der pazifistischen Interpretation ist zu fragen, ob „hier im Bemühen, den priesterschriftlichen Text auch in der gegenwärtigen Krisensituation als Orientierungshilfe sprechen zu lassen, nicht unterschwellig moderne Vorstellungen kollektiver Schöpfungsverantwortung eingetragen (werden), die dem biblischen Text nicht angemessen sind“117. Überdies kann nicht einsichtig gemacht werden, wie man sich die ‚Hirtenrolle‘ des Menschen in Bezug auf Fische und Vögel vorzustellen hat.118 – Und schließlich: Wie sollte die Vollendung der Schöpfung am 7. Tag (Gen 2,2) und Gottes „Ruhen“ an ebendiesem Tag (Gen 2,3) denkbar sein, wenn Gen 1,26– 28 die Anordnung zur Gewaltherrschaft über die Tiere und über die Erde erteilen würde? Die Aufgabe besteht also darin, nach einem Verständnis von rādāh zu suchen, das nicht nur der Semantik dieses Verbs, sondern auch dem Aussagegefälle von Gen 1,26–28 sowie dem Kontext der priesterlichen Urgeschichte (Gen *1,1– 9,29) gerecht wird.
Wenn man dabei zunächst auf die Komposition von Gen 1,1–2,3 achtet, so fällt auf, dass nicht die Tiere in ihrer Artenvielfalt, sondern mit Meer, Luft und Himmel die Lebensräume in den Blick genommen werden, die von den entsprechenden Lebewesen, den Wasser-, den Flug- und den Landtieren samt dem Menschen, bevölkert werden. Für das Verständnis des Herrschaftsauftrags ist das insofern von Bedeutung, als damit die Grundkoordinaten bezeichnet werden, innerhalb deren sich das Leben aller Kreaturen abspielt. Der Aspekt „Ordnung“ ist auch für die mit dem Verb rādāh („herrschen“)119 qualifizierte Stellung des Menschen in der Schöpfung leitend. Denn der am 6. Tag zusammen mit den Landtieren geschaffene Mensch – beide leben auf dem gemeinsamen Lebensraum „Erde“ – wird mit der Aufgabe betraut, über diesen le114 Zenger,
Gottes Bogen, 95, anders Löning/Zenger, Anfang, 152 ff (Zenger). Zur jüngeren Auslegungsgeschichte s. Janowski, Herrschaft, 36 f und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 70 ff. 115 S. dazu unten 79 ff. 116 Vgl. Uehlinger, dominium terrae, 61. 117 Ders., ebd. 118 Vgl. bereits Koch, aaO 234. 119 Zur Bedeutung von rādāh s. Janowski, Herrschaft, 38 ff, ferner Rüterswörden, dominium terrae, 81 ff; Groß, Statue, 21 ff; Koch, Imago Die, 42 ff; Stipp, Dominium terrae, 113 ff; Oberforcher, Lesarten, 141 ff; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 207 ff; Gaß, Zugänge, 247 ff u. a.
68 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
bendigen Organismus zu „herrschen“ und nicht Verhältnisse herbeizuführen, die ihn in Frage stellen oder gar zerstören. Mit den Wendungen „Fische des Meeres“, „Vögel des Himmels“ und „Vieh, Getier, Kriechtiere der Erde“ ist in Gen 1,26.28 der Bezug zum Gesamtrahmen von Gen 1,3–31, speziell zu den Werken des 2. und 3. Tags (Himmel, Erde, Meer) als den drei Bereichen der Schöpfungswelt, explizit hergestellt.120 Für das Verständnis von rādāh bedeutet das zunächst, dass mit diesem Verb nicht eine spezielle Herrschaftsmaßnahme – „niedertreten“, „domestizieren“ oder „leiten, weiden, hegen“121 –, sondern die universale Ordnungsfunktion zum Ausdruck gebracht wird, die der Mensch als „lebendige Statue“ bzw. Repräsentant des Schöpfergottes wahrnimmt. Der universale Aspekt von Herrschaft kommt in vergleichbarer Weise auch in der neuassyrischen Königsideologie zum Ausdruck, wenn der König nicht nur als „König der Gesamtheit der Menschen“ oder als „König der vier Weltteile“, sondern – mittels des dem hebräischen Verb rādāh wurzelverwandten akkadischen Verb redû „dirigieren, leiten; regieren“ – auch als „Der die Länder überall lenkt“ (murteddû kalîš matāte) bezeichnet wird. So heißt es in einer Selbstprädikation Salmanassars III. (858–824 v. Chr.): Salmanassar, der König der Gesamtheit der Menschen, der Fürst, der Stadtfürst Assurs, der mächtige König, der König der vier Weltteile allzumal (šar kullat kibrāt arbaʾi), der Sonnengott der Gesamtheit der Menschen (dšamši kiššat nišê), der die Länder überall lenkt (murteddû kalîš matāte).122 Dass es hierbei um ein religiös legitimiertes Konzept politischer Macht geht, zeigt der Rekurs auf den Sonnengott, der die Geschicke der Welt und ihrer Lebewesen (Menschen/ Tiere) „leitet“ (redû Gtn). Damit ist eine Kompetenz des Sonnengottes auf den König übergegangen, der diese als sein lebendes „Bild“ (ṣalmu) in seinem Handeln verwirklicht. Die Bedeutung dieses Materials für das Verständnis von rādāh in Gen 1,26.28 liegt darin, dass akk. redû(m) + Subj. Gott/König mit einem Objekt verbunden wird, das eine räumliche Gesamtheit („alle Länder“) oder – wie in Gen 1,26b.28b – eine Totalität von Lebewesen („Menschheit“, „Lebewesen [Menschen/Tiere]“) bezeichnet. Über ihnen steht der König, der seine Herrschaftskompetenz über die Gesamtheit der Welt/Lebewesen ausübt.123 Schematisch lässt sich das folgendermaßen darstellen:
120 S.
dazu die Kompositionsskizze oben 47 Abb. 10. dazu Janowski, aaO 34 ff. 122 Zum Textnachweis s. ders., aaO 39 Anm. 40. Zu den akk. Termini kiššatu „Gesamtheit“ und kullatu „Totalität“ s. Rochberg, Anthropology, 260 ff. 123 Vgl. Weippert, Tier, 44 mit Anm. 14, der darauf hinweist, dass „in Gen 1 … die Gattungen der Tierwelt … nach einem einfachen Prinzip klassifiziert (werden): nach dem Element, in oder auf dem sie leben“, s. dazu auch Krüger, Himmel, 66 ff; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 224 ff und Janowski, Statue, 158 ff. Zu der mit Gen 1,26.28 vergleichbaren Taxonomie der Weltbereiche in neuassyrischen Texten s. Q 70. 121 S.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 69
Israel Mesopotamien
rādāh „herrschen“ redû G/Gtn „leiten regieren“
+ Subj. Mensch + Subj. Gott/König + Obj. Tiere + Obj. Menschen/Länder
Taxonomie der Tierwelt Totalitätsaussagen
3 Fische des Meeres Gesamtheit der Menschen, 1 Vögel des Himmels vier Weltteile, „alle Länder“ 2 Vieh etc. der Erde
1 Himmel 2 Erde 3 Meer
Abb. 15: Zur Bedeutung von rādāh in Gen 1,26.28
Herrschaft, so die Priesterschrift, definiert den gottebenbildlichen Menschen als Sachwalter für das Ganze der Schöpfungswelt. In dieses Bild passt auch die kābaš-Aussage von Gen 1,28a.124 So macht die Struktur der Gottesrede Gen 1,28 deutlich, dass von den fünf, imperativisch formulierten Bestimmungen die Bestimmungen 1 und 2 sowie 3 und 4 zusammengehören und der Passus durch die dreigliedrige Herrschaftsaussage abgeschlossen wird, die am Ende mit dem Stichwort „Erde“ das Leitwort des Themas „Inbesitznahme der Erde“ (Bestimmungen 3 und 4) wieder aufnimmt: – Seid fruchtbar (1) Fruchtbarkeit – und werdet zahlreich (2) Vermehrung – füllt die Erde (3) Ausbreitung – und nehmt sie (Rückbezug auf „Erde“) Inbesitznahme (kābaš) in Besitz (4) – und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Getier, das auf der Erde kriecht (5)
Herrschaft (rādāh)
Durch diese Bezüge wird der enge Zusammenhang des dominium terrae und des regnum animalium auch sprachlich unterstrichen. Möglicherweise ist dies auch ein Hinweis auf die konkrete Bedeutung des Herrschaftsauftrags.125 124 Zur
rechtssymbolischen Bedeutung von kābaš „in Anspruch/Besitz nehmen“ (Gen 1,28; Num 32,22.29; Jos 18,1; 1 Chr 22,18) s. Janowski, Herrschaft, 34 mit Anm. 3; NeumannGorsolke, aaO 274 ff; dies., Land, 73 ff, ferner Rüterswörden, aaO 102 ff; Koch, aaO 38 ff und Hardmeier/Ott, Naturethik, 141 ff. 125 Angesichts der Bedrohung durch wilde Tiere dürfte für die Priesterschrift der Gedanke der Rivalität zwischen Tieren und Menschen auf dem gemeinsamen Lebensraum „Erde“ leitend gewesen sein: „Daher fehlt in Gen 1 der Segen über die Landtiere. Daher teilt Gott den
70 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Der Mensch ist also „Bild Gottes, insofern er sich verantwortlich handelnd zu seinem Lebensraum samt den Lebewesen darin verhält“126 und nicht, insofern er zu einem autonomen Verfügen über die Tierwelt für selbstgewählte Zwecke ermächtigt wird. Das Zusammenleben des Menschen mit den Tieren, mit denen er denselben Lebensraum „Erde“ teilt, wird durch die Nahrungszuweisung Gen 1,29 f reguliert.127 Sie impliziert Gemeinschaft (gleicher Lebensraum „Erde“) und Differenz (unterschiedliche Nahrung: Früchte und Samen für die Menschen, Gräser und Kräuter für die Tiere) und schützt Mensch und Tier vor wechselseitigem Blutvergießen. Die Herrschaft des Menschen steht also unter dem Primat des Segens (Gen 1,28!) und findet ihre Grenzen am Ganzen der Schöpfungswelt. Möglicherweise hat die Priesterschrift in Noah, der die Tier paarweise in die Arche führt (Gen 6,19 f ), den Prototyp des gottebenbildlichen Menschen gesehen. Denn die Maßnahmen, die er „auf Weisung Gottes (!) zum Überleben der Tierwelt im Sintflutgeschehen gemäß dem P-Bericht trifft (Gen 6,19 ff; 7,13 ff ), sind von P gewiß als aktuelle Ausübung der Herrschaftsaufgabe des Menschen gesehen; die Zielbestimmung der Lebenserhaltung der gefährdeten Tierwelt, die 6,19.20 ausdrücklich gegeben ist, ist mehr als bezeichnend“128.
γ) Das Ruhen Gottes am siebten Tag Altes Testament: Baumgart, Atem, 54 ff ◆ Bührer, Anfang, 110 ff ◆ Carr, Standing, 17 ff ◆
Janowski, Tempel, 214 ff ◆ Krüger, Schöpfung, 155 ff ◆ Löning/Zenger, Anfang 155 ff ◆ Ruppert, Ruhe Gottes, 121 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 174 ff ◆ Steck, Schöpfungsbericht, 178 ff ◆ Weimar, Struktur, 123 ff.131 ff ◆ Ders., Sinai, 298 ff ◆ Zenger, Gottes Bogen, 66 ff.98 ff – Systematische Theologie: Link, Schöpfung 1, 384 ff ◆ Ders., Schöpfung 2, 83 ff.
„Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ – so endet in Gen 1,31a das Sechstagewerk von Gen 1,3–31. Dann folgt der Abschluss des Schöpfungswerks mit dem Motiv der Ruhe Gottes am 7. Tag (Gen 2,2 f ). Wenn die Erstellung der acht Schöpfungswerke mit der Billigungsformel von Gen 1,31a abgeschlossen wird („Und Gott sah alles …“), dann können die Vorgänge am 7.
Land- und Lufttieren andere vegetarische Nahrung zu als den Menschen. Daher erteilt er dem Menschen die Herrschervollmacht über die Tiere. Daher wandelt er diese nach der Sintflut in volle Verfügungsgewalt (Auslieferungsformel) und (mit Kautelen versehene) Tötungserlaubnis um“ (Groß, Statue, 28 [H. v. m.]), vgl. Schellenberg, Mensch, 46 ff und Gertz, Genesis 1–11 [ATD], 59 f. Anders Hardmeier/Ott, aaO 131 f.132 ff, denen zufolge auch die Landtiere in den Segen von V. 28 eingeschlossen sind. 126 Groß, Gottebenbildlichkeit 1, 33. 127 Zu Gen 1,29 f s. Neumann-Gorsolke, Herrschen, 229 ff; Hardmeier/Ott, aaO 144 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 69. 128 Steck, Welt, 80, vgl. Baumgart, Umkehr, 202 ff.267 ff; Ebach, Noah, 50 ff und Neumann-Gorsolke, aaO 238 ff.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 71
Tag kein weiteres Schöpfungswerk im Sinn der Werke I–VIII mehr sein.129 Das Verb klh pi. („fertig machen, zum Abschluss bringen“) in Gen 2,2a meint dann das Zum-Abschluss-Bringen der in sich bereits abgeschlossenen Schöpfungsarbeit der vorausgehenden sechs Tage.130 Dem entspricht das in syndetischer Parataxe stehende Verb šābat (V. 2b), dessen Bedeutung nicht von den Sabbatgeboten der beiden Dekaloge (Ex 20,8–11; Dtn 5,12–15), sondern – das ist ein Unterschied – von den Ruhetagsgeboten des Bundesbuchs (Ex 23,12) bzw. des Privilegrechts (Ex 34,21) herzuleiten und folglich nicht mit „(ein Fest) feiern, Sabbat halten“, sondern mit „aufhören (zu arbeiten), ruhen“131 zu übersetzen ist. Für Gen 2,2 f ergibt sich demnach als Übersetzung: Vollendung der Schöpfung am 7. Tag 2 Und Gott vollendete (klh pi.) am siebten Tag seine Arbeit, die er getan hatte, und er hörte auf (šābat) am siebten Tag mit all seiner Arbeit, die er getan hatte.
→ 1,31a → 1,31a
Segnung und Heiligung des 7. Tages 3 Und Gott segnete (brk pi.) den siebten Tag und heiligte (qdš pi.) ihn, denn an ihm hörte er auf (šābat) mit all seiner Arbeit, die Gott geschaffen hatte, indem er (sie) tat.
→ 2,2a.b
Während V. 2 das Ruhen Gottes am 7. Tag als Abschluss der Arbeit fasst, die Gott getan hatte (mit zweimaligem Rückblick auf 1,31a), formuliert V. 3 mit der Segnung und Heiligung des 7. Tages etwas Neues. Wie in Gen 1,22 (Segnung der Wasser- und Flugtiere) und in Gen 1,28 (Segnung der Menschen) so wird mit dem Verb brk pi „segnen“ auch in Gen 2,3a der Aspekt der Lebensfülle/-steigerung betont, insofern nicht nur den Tieren und Menschen, sondern auch dem erstmals eingetretenen 7. Tag von Gott „Fortbestand auf Dauer“132 über das un-
129 Vgl.
Steck, Schöpfungsbericht, 185. dazu ders., aaO 179 Anm. 758; 184 Anm. 778, ferner Zenger, Gottes Bogen, 67 f; Helfmeyer, Art. kālāh, 171 f; Baumgart, Atem, 56 f und Gertz, aaO 75. 131 S. dazu Janowski, Tempel, 233 f; ders., Anthropologie, 242 ff; Hossfeld, Dekalog, 34 ff.247 ff; Zenger, aaO 98 ff; Stolz, Art. šābat, 863 ff; Grund, Entstehung, 43 ff.224 ff; Bührer, aaO 118 ff u. a. Demgegenüber vertritt Waschke, Unvollkommenheit, 31 f die These, „dass der Schöpfungsbericht der Priesterschrift als eine Ätiologie des Sabbats verstanden werden muß“ (32). Dagegen spricht aber, dass Gen 1,1–2,3 ein universales Geschehen beschreibt, während der Sabbat eine auf Israel begrenzte Ordnung dar(stellt)“ (Bührer, aaO 123). Man kann lediglich sagen, dass Gen 2,2 f auf die später entfaltete Wirklichkeit dieser Ordnung hin offen ist (vgl. Ex 31,12–17 Ps), ohne sie mit dem Terminus šabbāt („Sabbat“) zu belegen, oder umgekehrt, dass „der Sabbat wie der Tempelbau bereits in der Zeitstruktur der Schöpfungsordnung angelegt (ist)“ (Gertz, aaO 77), vgl. Dyma, Flut, 37. 132 Steck, aaO 194, s. dazu auch Leuenberger, Segen 1, 384 ff; ders., Segen 2, 55 ff und Bührer, aaO 122 f. 130 S.
72 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
mittelbare Schöpfungsgeschehen hinaus verliehen ist. Wenn der Text dann fortfährt, dass Gott den 7. Tag auch „geheiligt“ hat (qdš pi.), dann ist damit zweifellos gemeint, dass dieser Tag als ein besonderer, Gott zugehöriger Tag gegenüber den vorausgehenden sechs Schöpfungstagen ausgegrenzt ist. Bedeutet also das „Heiligen“ des 7. Tages dessen Setzung als eines ausgegrenzten, Gott zugehörigen Tages, so bewirkt das „Segnen“ die fortdauernde, lebensförderliche Geltung dieser Ordnung,133 d. h. die stetige Wiederkehr und lebensförderlich Auswirkung des geheiligten 7. Tages nach einer Folge von sechs Arbeitstagen, die zusammen mit diesem abschließenden Tag als Zeiteinheit von 6 +1 Tagen (= 1 Woche) geschaffen sind. Mit Gottes Handeln am 7. Tag ist deshalb nicht nur der 7. Schöpfungstag nach sechs vorhergehenden Schöpfungstagen, sondern der siebte Tag als solcher und damit alle künftigen siebten Tage geheiligt – als „ein Raum im Zeitablauf, auf dem Segen liegt, der aber als Heiliges ausgesondert ist aus allen Bereichen der Zeit“134. Die Wirklichkeit dieser Ordnung hat die Priesterschrift dann in ihrem Heiligtumsentwurf weiter konkretisiert.135 2. Die Fluterzählung Gen *6,9–9,17 Altes Testament: Baumgart, Umkehr, 202 ff ◆ Ders., Flut, 30 ff ◆ Ders., Zuversicht, 89 ff ◆
Ders., Ende der Welt, 25 ff ◆ Dyma, Flut, 31 ff ◆ Ebach, Bild Gottes, 37 ff ◆ Gaß, Zugänge, 244 ff ◆ Hardmeier/Ott, Naturethik, 129 ff.137 ff ◆ Hartenstein, Ende, 53 ff ◆ Janowski, Herrschaft, 33 ff ◆ Ders., Statue, 140 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 191 ff ◆ Kiefer, Gut, 290 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Herrschen, 236 ff ◆ Dies., Hand, 60 ff ◆ Oberforcher, Lesarten, 131 ff ◆ Riede, Kasten, 251 ff ◆ Schellenberg, Mensch, 43 ff.60 ff.135 ff ◆ Schmid, Schöpfung 1, 80 ff ◆ Schüle, Prolog, 254 ff ◆ Stipp, Fleisch, 167 ff ◆ Wagner, Weltende, 152 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 130 ff ◆ Zenger, Gottes Bogen, 103 ff. – Antike Religionen: Albertz, Motiv, 49 ff ◆ Baumgart, Umkehr, 419 ff.496 ff ◆ Ders., Arche, 181 ff ◆ von Bredow/Renger, Art. Sintflutsage, 586 ff ◆ Dietrich, Sintflut, 3 ff ◆ Kiefer, Gut, 217 ff ◆ Maul, Ringen, 161 ff ◆ Oberforcher, Sintfluterzählungen, 608 ff ◆ Ruppert, Genesis I (fzb), 302 ff ◆ Wassermann, Flood ◆ West, East Face, 377 ff.489 ff ◆ Wilcke, Weltuntergang, 63 ff. – Kultur- und Religionswissenschaft: Baumgart/ Ringshausen (Hg.), Sintflut ◆ Caduff, Sintflutsagen ◆ Jones (Hg.), Weltende ◆ Mulsow/Assmann (Hg.), Sintflut.
Fluterzählungen gehören zum kulturellen Erbe der Menschheit. In ihnen sprechen sich die Ängste vor der Vernichtung des eigenen Lebensraums und darüber hinaus des Weltganzen aus. Die Vorstellungen vom Weltende sind zeitlich und räumlich weit gestreut und in Ausprägung wie Relevanz überaus mannigfaltig.136
133 Vgl.
Jacob, Genesis, 67: „Wenn also Gott den siebten Tag gesegnet hat, so hat er ihn mit der Kraft ausgestattet, Gutes zu schaffen, so wie der Segen über die Tiere und Menschen Fruchtbarkeit und Vermehrung verlieh“. 134 Zimmerli, Mensch, 145, vgl. Steck, aaO 196 Anm. 829. 135 S. dazu unten 357 ff. 136 S. dazu die Übersicht bei von Bredow/Renger, Art. Sintflutsage, 586 ff und Oberforcher, Art. Sintfluterzählungen, 608 ff. Zu den mesopotamischen Flutüberlieferungen s. die Übersicht
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 73
Trotz markanter Unterschiede im Einzelnen gilt die Flut als urzeitliche Epochengrenze, wie etwa die Sumerische Königsliste deutlich macht: Als das König[tum] vom Himmel heruntergekommen war, war das Königtum ⟨in⟩ [Eri]du. (…) Fünf Städte sind es. Acht Könige regierten dort 241 200 Jahre. Die Sturmflut fuhr darüber hinweg (!). Nachdem die Sturmflut darüber hinweggefahren war, (war) das Königtum, als das Königtum vom Himmel heruntergekommen war, ⟨in⟩ Kisch … (s. Q 56)
Fluterzählungen sind aber auch Rettungsgeschichten: ein Mensch – der Held der Urzeit wie der mesopotamische Uta-napišti (s. Q 60), der biblische Noah oder der griechische Deukalion – entkommt der großen Flut und erlebt nach seiner Rettung in einer Arche oder in einem kistenförmigen Boot einen neuen Anfang. Diese Motivik bildet auch den Hintergrund der biblischen Flutüberlieferung. a) Komposition und Aussageabsicht Baumgart, Umkehr, 94 ff ◆ Fischer Genesis 1–11 (HThK.AT), 399 ff ◆ Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 223 ff.225 ff ◆ Zenger, Gottes Bogen, 103 ff.201 ◆ Witte, Urgeschichte, 130 ff.
Die biblische Flutüberlieferung liegt in zwei parallelen Ausprägungen – der priesterlichen (Gen *6,9–9,17) und der nicht-priesterlichen Fluterzählung (Gen *6,5–8,22) – vor, die in Gen 7,1–8,19 in einer nicht mehr vollständig aufzuhellenden Weise ineinander gearbeitet sind.137 Obwohl die Prologe und Epiloge beider Erzählungen ein je eigenes Profil haben (s. Abb. 16), ist ihre theologische Intention vergleichbar: der Schöpfergott lässt sich weder durch die menschliche Bosheit (Gen 6,5–8 nP) noch durch die menschliche Gewalt (Gn 6,9–22 Pg ) zu einer Preisgabe seiner Schöpfung verleiten, vielmehr nimmt er seinen Vernichtungsbeschluss zurück (Gen 8,20–22 nP) bzw. schließt einen Bund mit Noah und den Tieren (Gen 9,8–17 Pg ).138 Prologe
Flutbericht
6,5–8 – 6,9–22 – nP
P
7,1–8,19 nP/P/Red
Epiloge – 8,20–22 – 9,1–17 nP
P
Abb. 16: Die doppelte Rahmung der biblischen Fluterzählung
Die folgende Skizze geht von der priesterlichen Darstellung in Gen *6,9–9,17 aus. Nach der Überschrift „Dies ist die Toledot Noahs“ setzt diese mit einem ProQ 55 mit den dortigen Querverweisen. Zur Frage der Historizität der Sintflut s. Ruppert,
aaO 312 ff und Ebach, Noah, 86 ff. dazu Wagner, Wasser, 3 ff und Gertz, aaO 223 ff.225 ff. 138 S. dazu unten 79 ff. 137 S.
74 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
log ein, der teilweise dem genealogischen Schema von Gen 5,*1–32 nachgebildet ist:139 9 Dies ist die Toledot Noahs. Noah war ein gerechter Mann (ʾîš ṣaddîq), er war untadelig (tāmîm) in seinen Generationen, → Gen 17,1 mit Gott wandelte Noah. → Gen 5,22.24 10 Und Noah zeugte drei Söhne: Sem, Ham und Japhet. (Gen 9,9 f ) Gen 5,1–32 hat die Form einer zehngliedrigen genealogischen Liste, die die Namen von Adam bis Noah umfasst und jeweils die Verbfolge leben – zeugen – sterben bzw. leben – zeugen (– weiterleben – weiterzeugen) – sterben aufweist, z. B. Gen 5,6–8: 6 Und Seth lebte 105 Jahre, Lebensalter bei Zeugung des und er zeugte Enosch. Stammhalters 7 Und Seth lebte, nachdem er Enosch Lebensalter nach Zeugung des gezeugt hatte, 807 Jahre, Stammhalters und er zeugte Söhne und Töchter. 8 Und es waren alle Tage Seths 912 Jahre, Gesamtlebensalter und er starb. Todesnotiz Wichtig für das Verständnis ist dabei, dass mit Gen 5,1b–2 ein Rückgriff auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen erfolgt (V. 1b.3a, vgl. Gen 1,26 f mit anderer Abfolge der Bildtermini) und mit dem Verb „segnen“ (V. 2b) der Schöpfungssegen aus Gen 1,28 erinnert und aktualisiert wird. „Damit wurzelt die Genealogie Adams im Schöpfungssegen: Der Segen wird wirksam, und damit gehen die Genealogien aus der Schöpfung hervor. Die Menschheit kann nach dem mörderischen Geschlecht der Kainiten neu beginnen.“140 Die in Gen 6,9 f beginnende und in Gen 9,28 f endende Toledot Noahs wird auf diese Weise mit der Toledot Adams (5,*1–32) verzahnt.141
Angesichts der komplexen, aus zwei ursprünglich selbstständigen Erzählfäden (P und nP) zusammengesetzten und von einem Redaktor ergänzten Flutüberlieferung (Gen 6,5–9,17) ist eine Gliederung der priesterlichen Textanteile mit Unsicherheiten belastet. Deutlich ist aber, dass der Flutbericht, der mit dem Motiv des „Gedenken“ Gottes an Noah (Gen 8,1a) den Wendpunkt des Geschehens markiert, von einem Prolog (Gen 6,9 f ) und einem aus mehreren Reden Gottes an Noah gestalteten Epilog (Gen 9,1–17) gerahmt wird (s. Abb. 17).142 Nach dem Prolog wird der Flutbericht Gen *6,11–9,17 von einem Passus eingeleitet, der die Faktoren benennt, die das Flutgeschehen ausgelöst haben. Die Wucht dieser Aus-
139 S.
dazu Hieke, Genealogien, 65 ff.90 ff. aaO 83. 141 Vgl. ders., aaO 87 und Witte, Urgeschichte, 123 ff. 142 Zum wahrscheinlichen Umfang der P-Fluterzählung (Gen 6,9–22; 7,6 f.11.13–16a.17*.18– 21.24; 8,1–2a.3–5.13a.14–19; 9,1–18a[.19?].28 f ) s. Gertz, aaO 8.223, zu ihrem Aufbau s. ders., aaO 223 ff.225 ff. 140 Hieke,
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 75
sagen wird erst deutlich, wenn man sie vor dem Hintergrund von Gen 1,1–2,3 und hier speziell von 1,28a (:: 6,11) und 1,31a (:: 6,12) liest: I. Prolog (6,9 f ) II. Flutbericht (*6,11–9,17) 6,11 f
„Gewalt“ unter den Geschöpfen („alles Fleisch“) als Ursache der Flut
6,13–22 Rede Gottes an Noah vor der Flut mit Anweisungen zum Bau der Arche und der Zusage des Bundes (6,18a), abgeschlossen durch Ausführungsnotiz *7,6–8,14 Handeln Gottes während der Flut mit rahmenden Datumsangaben in 7,6.11 und 8,*13 f *8,15–9,17 Rede Gottes (mehrteilig) an Noah nach der Flut mit Auszugsnotiz und Rückgriff auf die Bundeszusage in 9,11.17
Abb. 17: Zur Komposition der priesterlichen Fluterzählung
Die zentrale Figur der priesterlichen Fluterzählung ist Noah, weil er den Schöpfungssegen von Gen 1,28 weiterträgt und der nachsintflutlichen Menschheit durch Gottes „Gedenken“ an ihn und die Tiere in der Arche (Gen 8,1a) eine Zukunft eröffnet.143 Um diese These zu verdeutlichen, müssen wir die priesterliche Fluterzählung etwas genauer in den Blick nehmen. b) Zentrale Themen α) Die große Flut und die Arche Wie die Angabe zur Flutursache in 6,11 f zeigt, ist die priesterliche Fluterzählung vor dem Hintergrund von Gen 1,1–2,3 zu lesen. Der Fokus liegt dabei auf dem 4-mal genannten Lebensraum „Erde“: 11 Und die Erde war verdorben (šḥt nif.) vor Gott, und die Erde füllte sich mit Gewalt (ḥāmās). 12 Und Gott sah die Erde und siehe, sie war verdorben, denn verdorben hatte alles Fleisch (kāl bāśār)144 seinen Weg auf der Erde.
:: 1,28a :: 1,31a
Zwar bewirkt die Flut nicht die Rückkehr in die ‚Welt vor der Schöpfung‘ – Gott revoziert nicht die uranfängliche Schöpfung und auch nach dem Ende der Flut ist nicht von einer zweiten Schöpfung die Rede –,145 doch ist es die Urflut (tehôm, vgl. Gen 1,2), die auf die Erde einstürzt und diese zusammen mit den Wassern des Himmelsozeans überflutet: 143 Vgl.
Oberforcher, Lesarten, 146 f. der Wendung „alles Fleisch“ sind die Menschen und die Tiere (mit Ausnahme der Fische) gemeint, s. dazu Stipp, Fleisch, 167 ff und Gertz, aaO 247 f. 145 Vgl. Zenger, Gottes Bogen, 114 f. 144 Mit
76 Die Welt des Anfangs – Grundlegung Alle Quellen der großen Urflut (tehôm rabbāh) brachen auf, und die Luken des Himmels öffneten sich. (Gen 7,11)
Entsprechend umfassend ist das Todesbild vom Ende allen Fleisches in Gen 6,13 (vgl. 7,21). Ähnlich weitreichend ist aber auch das Kontrastbild von der Arche als Mikrokosmos (Gen 6,14 ff ) und die kultsymbolische Notiz zum Ende der Flut in Gen 8,*13 f. Diese Aspekte seien kurz skizziert: „Das Ende allen Fleisches“ Die Flut ist als Gericht Gottes stilisiert. Das geht aus der eröffnenden Gottesrede an Noah in Gen 6,13–17 und hier besonders aus V. 13 hervor: Und Gott sagte zu Noah: „Das Ende allen Fleisches (qeṣ kāl-bāśār) ist vor mich gekommen, denn die Erde ist voll von Gewalt von ihnen her. Und siehe, ich vernichte (šḥt hif.) sie mit der Erde.“
Das erinnert an die prophetische Gerichtstheologie, speziell an die vierte Amosvision in Am 8,1 f: 1 2
So hat der Herr JHWH mich schauen lassen: Siehe, da war ein Korb mit Sommerobst (qajiṣ). Er sagte: „Was siehst du, Amos?“ Ich sagte: „Einen Korb mit Sommerobst“. Da sagte JHWH zu mir: „Gekommen ist das Ende (qeṣ) zu meinem Volk Israel. Ich kann nicht länger (schonend) an ihm vorübergehen!“146
Die Flut ist zudem als Kontrastgeschehen zu Gen 1,6–13.20–30 gestaltet, was in Gen 7,21 durch die in der Flut umkommenden Lebewesen hervorgehoben wird: Da starb alles Fleisch, das auf der Erde kriecht, an Flugtieren, an Vieh, an Wild und allem Gewimmel, das auf der Erde wimmelt, und auch alle Menschen.
Das ist ein umfassendes Todesbild. Entsprechend bewirkt das Verschwinden der Wasser – verursacht durch den „Wind“ (rûaḥ), den Gott über die Erde hin wehen lässt (Gen 8,1b, vgl. Gen 1,2b!) –, dass die Erde, wie Gen 8,*13 f konstatiert, wieder als Lebensraum offen steht.147
146 Gen 6,13a
ist offenbar ein über Ez 7,2 ff vermitteltes Zitat aus Am 8,2, s. dazu Smend, Ende, 154 ff; Gertz, aaO 248 ff und Kessler, Amos (IEKAT), 233. 147 Zu Gen 8,*13 f s. unten 78 f.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 77
Die Arche als Mikrokosmos In der Arche (tebāh „Kasten“) sind mit Ausnahme der Fische alle tierischen Lebewesen vertreten,148 die der Schöpfergott nach Gen 1,20–30 in ihre Lebensräume gesetzt hatte, samt der Nahrung, die von ihnen gefressen wird (vgl. Gen 6,21). Die Anweisungen zum Bau der Arche, die Gott nach Gen 6,14–16 Noah erteilt, klingen technisch, haben darüber hinaus aber eine symbolische Bedeutung: (14) Mach dir eine Arche aus Gopherholz. Mit Kammern (?) sollst du die Arche machen und du sollst sie von außen und innen mit Pech verpichen. (15) Und so sollst du sie machen: 300 Ellen ist die Länge der Arche, 50 Ellen ihre Breite und 30 Ellen ihre Höhe. (16) Eine Abdeckung (?) sollst du machen für die Arche und nach einer Elle sollst du sie aufhören lassen oben (?), und eine Öffnung der Arche an ihrer Seite sollst du einsetzen, ein unteres, ein zweites und ein drittes (Stockwerk) sollst du machen.
Die Gestalt der Arche entspricht, wie auch der Terminus „Kasten“ unterstreicht, kaum einem seetüchtigen Fahrzeug. Die Anweisungen zu ihrem Bau zielen eher auf ein räumliches Konstrukt ab: „Vor dem geistigen Auge entsteht zwangsläufig ein Raum durch das ‚Innen‘ und ‚Außen‘ und die Dimensionen Länge, Breite und Höhe“149. Nachdem die Arche als idealer Raum ausgewiesen ist, ergeht die göttliche Anweisung an Noah, sie mit Menschen (Familie Noahs) und Tieren (je zwei: männlich und weiblich) zu befrachten, „um [sie] mit dir am Leben zu erhalten (ḥājāh hif.)“ (Gen 6,19, vgl. V. 20). Die Arche ist also „eine kleine Nachbildung der Schöpfung“150, gleichsam ein Mikrokosmos. Dieses Motiv ist in der abendländischen Kunst immer wieder rezipiert und variiert worden (s. Abb. 18), allerdings ohne der Raumsymbolik von Gen 6,14 ff gerecht zu werden.151
148 In
den griech.-röm. Sintflutsagen wird die Tierwelt dagegen völlig ignoriert, s. dazu von Bredow/Renger, aaO 587. 149 Baumgart, Flut, 33. Diese Bauanweisungen erinnern an die priesterlichen Anweisungen zum Bau des Zeltheiligtums in Ex *25–40, s. dazu bereits Jacob, Genesis, 187 und ausführlich Zenger, Gottes Bogen, 174 f; Pola, Priesterschrift, 286 ff.367; Baumgart, Umkehr, 531 ff; ders., Arche, 187 ff; Gertz, aaO 251 und Dyma, Schöpfung, 10 ff. Anders, aber nicht überzeugend Schüle, Prolog, 77 ff. Die Verbindung von Arche und Tempel findet sich im Unterschied zum sog. Ark Tablet Z. 6 ff schon im Gilgamesch-Epos XI 28 ff.57 ff, s. dazu Q 58. 150 Baumgart, Flut, ebd., vgl. ders., Umkehr, 552 ff. Zenger, aaO 114 f; 175 Anm. 27 spricht von einem „kleinen ‚Erd-Modell‘“ bzw. von einem „Lebenshaus“. Das Körbchen aus Papyrusschilf (tebāh), in dem der kleine Mose von der ägyptischen Prinzessin auf dem Nil ausgesetzt wird, ist eine „Miniaturarche“ in Analogie zu Gen 6,14 ff, s. dazu Riede, Art. Kasten, 252 ff. 151 Es gibt in der abendländischen Kunst allerdings einige Darstellungen, die die Arche als quaderförmigen Kasten wiedergeben, s. dazu Barasch, Deluge, 359 ff.
78 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Abb. 18: Edward Hicks, Noah’s Ark (1846)
Das Ende der Flut Auch das Ende der Flut wird von der Priesterschrift nicht einfach nüchtern protokolliert, sondern so erzählt, dass kontextuelle (Rückbezug auf Gen 1,9 f ) und symbolische Aspekte (Neujahrstag) hervortreten. Am 1.I.601,152 so heißt es in Gen 8,*13 f, waren die Wasser der Flut abgeflossen, und nach weiteren zwei Monaten war die Erde wieder trocken: 13a Und es geschah im 601. Jahr im ersten Monat, am Ersten des Monats, da war das Wasser von der Erde weggetrocknet. 14 Und im zweiten Monat, am 27. Tag des Monats, war die Erde trocken (jābaš).
1.I.601 27.II.601
Am 1.I.601, d. h. am Neujahrstag des Jahres 601, endet die Flut: „da war das Wasser von der Erde weggetrocknet“ (Gen 8,13a). Dann beginnt am 27.II.601
152 Bezogen
auf die Angabe des Lebensalters Noahs in Gen 7,6.11.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 79
der nachsintflutliche Äon auf der trocken gewordenen Erde (Gen 8,14).153 Die Priesterschrift hält mit dieser Datierung an der konstitutiven Rolle der Zeit, wie sie in Gen *1,3–2,3 entfaltet wird, fest und gibt dem Neujahrsfest damit eine schöpfungstheologische Dimension. So spiegelt sich „im Kultkalender … – wie im sakral gegliederten Raum – die Weltordnung, auf der der Kult basiert und die kultisch stabilisiert wird“154. β) Der Bund mit Noah und den Tieren Baumgart, Umkehr, 290 ff ◆ Ders., Ende, 38 ff ◆ Ebach, Bild Gottes, 16 ff ◆ Groß, Statue, 26 ff.34 f ◆ Ders., Zukunft, 45 ff ◆ Kiefer, Gut, 312 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Herrschen 248 ff ◆ Dies., Hand, 60 ff ◆ Oberforcher, Lesarten, 147 ff ◆ Rüterswörden, dominium terrae, 131 ff ◆ Schellenberg, Mensch, 60 ff.135 ff ◆ Dies., Gott, 41 ff ◆ Schmid, Schöpfung 1, 81 ff ◆ Steck, Mensch, 118 ff.
Nach der Darstellung des Handelns Gottes während der Flut in Gen *7,6–8,14 folgen in Gen *8,15–9,17 die abschließenden Reden Gottes an Noah und seine Söhne nach der Flut, die von Gen 9,1–7 eröffnet werden. Während Gen 1,26–28 die Erschaffung des Menschen als „Bild/Statue“ Gottes und dessen Beauftragung zur Herrschaft über die Tiere (regnum animalium) sowie zur Inbesitznahme der Erde (dominium terrae) beschreibt,155 scheint Gen 9,1–7 die gute Ordnung der uranfänglichen Schöpfung durch eine Art ‚Notverordnung‘ wieder rückgängig zu machen. Nachdem sich die Arche auf den Bergen von Ararat niedergelassen hatte (Gen 8,4),156 die Wasser vollständig von der Erde weggetrocknet waren (Gen *8,13 f ) und Noah mit allen Lebewesen, die bei ihm waren, die Arche verlassen hatte (Gen 8,15–19), segnete Gott Noah und seine Söhne (Gen 9,1a) und sagte zu ihnen: Segenszusage 1b Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde.
Übereignung der Tiere (regnum animalium) 2 Und Furcht (môrāʾ ) und Schrecken (ḥat) vor euch sei auf allen Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels, mit allem, das auf dem Erdboden kriecht, und mit allen Fischen des Meeres sind sie in eure Hand gegeben. 153 Mit
dem Verb jābaš „trocken sein/werden“ wird ein Bezug zu Gen 1,9 f und der dortigen Konstituierung der Erde als Lebensraum (jabbašāh „trockenes Land, Festland“) hergestellt. Zur komplexen Chronologie der P-Fluterzählung s. Lux, Noach, 127 ff; Baumgart, Umkehr, 65 ff; Gertz, aaO 259 ff und ausführlich Dyma, Flut, 31 ff. Das Datum des 1.I. wird im Pentateuch nur noch in Ex 40,2.17, d. h. bei der Errichtung des Heiligtums, erwähnt, s. dazu Dyma, aaO 42. 154 Dyma, aaO 33. 155 S. dazu oben 61 ff. 156 Zum Landeplatz der Arche und den damit verbundenen abenteuerlichen Hypothesen s. etwa Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 267.
80 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Tiertötung (erlaubt) und Blutgenußverbot 3 4
Alles, was sich regt, was lebendig ist, sei euch zur Nahrung, wie das Grün des Krautes habe ich euch alles gegeben. Nur Fleisch, als dessen Leben (næpæš) sein Blut (vorhanden) ist, sollt ihr nicht essen.157
Menschentötung (verboten) 5 Jedoch euer Blut, euer eigenes,158 werde ich einfordern, von jedem Tier werde ich es einfordern, und von dem Menschen, von jedem ⟨seinem Bruder⟩, fordere ich das Leben (næpæš) des Menschen ein: 6 Wer das Blut des Menschen vergießt, dessen Blut soll um des Menschen willen159 vergossen werden, denn als Bild (ṣælæm) Gottes hat er den Menschen gemacht.
Segenszusage 7 Ihr aber seid fruchtbar und werdet zahlreich, wimmelt auf der Erde und werdet zahlreich auf ihr.
Wenn 9,1–7 den Fortbestand der Menschheit garantiert, so muss zunächst verwundern, mit welchen Maßnahmen diese Garantie von Gott der nachsintflutlichen Menschheit gegeben wird. Denn nach dem Sintflutgericht, in das die Gewalt unter den Geschöpfen führte, setzte Gott nach Gen 9,2 f eine Art Kriegszustand zwischen Mensch und Tier ein. Jetzt war der Mensch nicht nur ein „Herrscher“ über die Tiere, sondern ihr furchterregender „Schrecken“.160 Die tödliche Gewalt von Gen 6,11 f kennzeichnet aber nicht die Totalität des Lebens, die durch Gen 9,2 f nur ratifiziert würde. Vielmehr enthält Gen 9,1–7 – trotz der offenen Rivalität zwischen Mensch und Tier – ein Stück Utopie: Der Mensch bleibt das Bild Gottes (ṣælæm V. 6, vgl. Gen 1,26 f ),161 er übt seine Verfügungsgewalt über die Tiere aber als begrenzte ‚Schreckensherrschaft‘ aus (Gen 9,2), indem ihm, dem ursprünglichen Vegetarier (Gen 1,29 f ), die Tiere zwar zum Verzehr freigegeben werden (Gen 9,3), wegen des Bluttabus aber nicht unbeschränkt (Gen 9,4).162 157 Zur
Übersetzung s. Jenni, Präpositionen 1, 85; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 251 mit Anm. 575 u. a., anders Gertz, aaO 222.280 („Nur Fleisch mit seinem Leben – sein Blut – sollt ihr nicht essen“). 158 Zur Übersetzung s. auch Jenni, Präpositionen 3, 69 („euer eigenes Blut) und Müller, Seele, 163 f. 159 Zum Beth pretii („um willen, für“) in der Wendung bāʾādām s. Jenni, Präpositionen 1, 89.154; Schellenberg, Mensch, 61 f; Schmid, Schöpfung 1, 82; Gertz, aaO 282 f u. a. Anders Steck, Mensch, 122 ff.126 ff mit der Übersetzung „durch den Menschen“ (Beth instrumenti); dagegen spricht u. a. das dreimalige „werde ich es (sc. das Blut) einfordern“ in V. 5. Das Passiv špk nif. in V. 6aβ dürfte ein passivum divinum sein. 160 S. dazu Ebach, aaO 37 ff. Zu den terminologischen Aspekten s. Baumgart, Umkehr, 295 f; Neumann-Gorsolke, aaO 253 ff und Schellenberg, aaO 65 ff. 161 S. dazu Schellenberg, Gott, 42 ff. Es ist allerdings zu beachten, dass der Herrschaftsauftrag von Gen 1,26 ff in Gen 9,6b nicht wiederholt wird, s. dazu unten 85. 162 In der Systematik der Priesterschrift bezieht sich das Blutgenussverbot von Gen 9,4 auf
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 81
Auch wenn sich nach Gen 9,2 f das Mensch/Tier-Verhältnis gegenüber Gen 1,26–30 radikal verändert hat, intendiert die in Gen 9,3 f erlaubte Tiertötung keine Ausrottung der Tierwelt. Das widerspräche nicht nur jeder Klugheitserwägung,163 sondern auch der Segensverheißung von Gen 9,8–17, wonach auch die Tiere zum Gottesbund gehören. Mit schrankenloser Gewalt hat die nachsintflutliche Neuregelung also nichts zu tun. Sie zeigt aber, als wie gravierend die Priesterschrift die Kluft zwischen dem Menschen und seinen Mitgeschöpfen empfunden hat und wie konfliktträchtig das Zusammenleben von Mensch und Tier im gemeinsamen Lebensraum „Erde“ (vgl. Gen 1,24 ff ) in Wirklichkeit ist. Diese Konfliktlage wird von Gen 6,11–13 in ein grelles Licht getaucht, wenn es heißt, dass die gemeinsame Lebenswelt durch die „Gewalt“ (ḥāmās)164 allen Fleisches, also von Mensch und Tier, verdorben war und die Erde sich mit Gewalt füllte: 11 Und die Erde war verdorben (šḥt nif.) vor Gott, und die Erde füllte sich mit Gewalt. 12 Und Gott sah die Erde und siehe, sie war verdorben (šḥt nif.), denn verdorben hatte (šḥt hif.) alles Fleisch seinen Weg auf der Erde. 13 Und Gott sagte zu Noah: „Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen, denn voll ist die Erde von Gewalt von ihnen her, und siehe, ich bin dabei, sie zu vernichten mit der Erde.“ (Gen 6,11–13)
Damit ist, wie Gen 6,12a („und siehe: sie war verdorben“) gegenüber Gen 1,31a („Und siehe: sie war sehr gut“) prägnant zeigt, „ein Totalumschlag von der idealen Schöpfung in eine durch Gewalt pervertierte Welt ausgesagt“165. Dann nimmt das Geschehen seinen katastrophalen Lauf, bis Gott an Noah und die Tiere in der Arche „denkt“ und die Flut durch einen „Wind“ aufhält: Und Gott dachte (zākar) an Noah und an alle Wildtiere und an alles Vieh, das bei ihm in der Arche war. Und Gott ließ einen Wind (rûaḥ) wehen über die Erde hin, so dass das Wasser sank.
In der priesterlichen Darstellung markiert Gen 8,1 den Scheitelpunkt des Flutgeschehens. Ab da setzt das allmähliche Sinken der Wasser ein, bis die Erde am 27.II.601 vollständig trocken ist (Gen 8,14).166 Und genau an diesem Punkt ist Lev 17,11: „denn das Leben (næpæš) des Fleisches – im Blut ist es“, s. dazu Gertz, aaO 280 f und zum Hintergrundstext Lev 17,10–14 Janowski, Sühne, 242 ff; Ruwe, Heiligkeitsgesetz, 142 f.154 ff und Müller, Seele, 164. 163 Vgl. Höffe, Moral, 196 ff. Zu diesen Klugheitserwägungen gehört gemäß priesterlicher Kulttheologie die Legitimierung der Tiertötung zu Opferzwecken, s. dazu Janowski, Anthropologie, 438 ff und Schellenberg, Mensch, 67. 164 Zu ḥāmās als Zentralbegriff der Unheilsprophetie s. Gertz, Beobachtungen, 308 f; ders., Genesis 1–11 (ATD), 246 f und Kiefer, Gut, 290 ff. 165 Oberforcher, Lesarten, 145, s. dazu auch Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 246 ff. 166 Vgl. oben 78 f.
82 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
vom „Gedenken“ Gottes an Noah und die Tiere in der Arche die Rede. Dieses Gedenken bezeichnet die Wende des Geschehens, denn zākar („gedenken“) ist „der Ausdruck des göttlichen Erbarmens, durch das Noah wieder Lebensraum geschaffen wird167. Die Frage, wodurch diese Wende herbeigeführt wird, lässt sich von den Bezügen her beantworten, die die drei Texte Gen 6,18a, 8,1a und 9,11 ff untereinander verbinden:
Rede Gottes vor der Flut (6,13–22)
6,18a
→ 9,11.17
Handeln Gottes während der Flut (*7,6–8,14)
8,1a
Aufrichten des Bundes Gedenken an Noah und die Tiere
→ 9,15 f
Reden Gottes nach der Flut (*8,15–9,17)
9,11 9,12.15 f 9,17
Aufrichten des Bundes Geben und Gedenken des Bundes Aufrichten des Bundes
→ 6,18a → 8,1a → 6,18a
Mit der Handlungssequenz „aufrichten“ (Gen 6,18a) – „gedenken“ (Gen 8,1a) – „aufrichten“ (Gen 9,11) – „geben“, „gedenken“, „aufrichten“ (Gen 9,12.15 f.17) verfolgt die priesterliche Fluterzählung die Intention, dass das beabsichtigte Aufrichten des Bundes (6,18a) das Gedenken dieses Bundes (8,1a) nach sich zieht und im zukünftigen Gedenken Gottes (9,15 f ) sich der dann aufzurichtende (9,11) bzw. aufgerichtete Bund (9,17) ereignet, und zwar als „ewiger Bund“:168 12 Und Gott sagte: „Dies ist das Zeichen des Bundes (ʾôt-habberît), den ich hiermit gebe zwischen mir und euch und jedem Lebewesen bei euch für ewige Generationen: 13 Meinen Bogen (qæšæt) gebe ich hiermit in die Wolken, und er wird ein Zeichen des Bundes zwischen mir und der Erde sein. 14 Und es wird sein: Wenn ich Wolken auftürme über der Erde, dann wird der Bogen in den Wolken erscheinen, 15 und ich werde an meinen Bund denken (zākar), der zwischen mir und euch und jedem Lebewesen ist an allem Fleisch (des Inhalts): Nie mehr wird das Wasser zur Flut (mabbûl) werden, um alles Fleisch zu vernichten. 16 So wird mein Bogen in den Wolken sein, und ich werde ihn sehen, so dass ich an den ewigen Bund denke (zākar) zwischen Gott und jedem Lebewesen an allem Fleisch, das auf der Erde ist.“ 17 Und Gott sagte zu Noah: „Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch, das auf der Erde ist.“ (9,12–17)
167 Schottroff, 168 Zur
Gedenken, 187, vgl. Baumgart, Umkehr, 344 und Schüle, Prolog, 265. Struktur der drei Gottesreden 9,8 ff/9,12 ff/9,17 s. Groß, Zukunft, 51 f.
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 83
Wie W. Groß deutlich gemacht hat, stehen in V. 12 f das Partizip noten („… den ich hiermit gebe“) und die Perfektform nātattî („meinen Bogen gebe ich hiermit“) für Koinzidenz, d. h. für die „Identität zwischen dem Äußern des Satzes und der Realisierung des durch ihn bezeichneten Sachverhalts“169. Damit wird der Bund realisiert, d. h. Gott setzt seinen Bund aktuell ein, indem er das Zeichen des Bundes in die Wolken gibt. Demgegenüber erläutern V. 15 f die Funktion des Bundes im Blick auf die zukünftige Realisierung der in ihr beschlossenen Zusage, wofür die Wendung „meines/des Bundes gedenken“ gebraucht wird. Jedes Mal, wenn dieses Zeichen – der „Bogen in den Wolken“ – erscheint, wird JHWH es „sehen“ (rāʾāh) und an den ewigen Bund „denken“ (zākar), den er mit Noah und der Schöpfung geschlossen hat. Der in die Wolken gegebene Bogen (qæšæt) ist als „der abgelegte, entspannte, von seiner Sehne befreite Bogen … das Erinnerungszeichen Jahwes, dass er keine Vernichtungshandlungen gegen die Erde und ihre Bewohner mehr ausführt“170. Die tödliche Auseinandersetzung zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung ist beendet. 3. Fazit: Die Erde als Lebenshaus Die Leitperspektive der priesterlichen Urgeschichte ist die Erschaffung und Bewahrung der Erde als Raum des Lebens für alle Geschöpfe (Menschen und Tiere). Gen 1,1–2,3 entfaltet diese Perspektive durch eine Anordnung, die „von außen nach innen“171, d. h. von der chaotischen Vorwelt (Gen 1,2) zur geordneten Schöpfungswelt (Gen 1,3–31: Tage I–VI) voranschreitet und dabei Zug um Zug das Bild eines ‚kosmischen Hauses‘ aufbaut. Die mit dieser Perspektive verbundenen Hauptaspekte seien noch einmal zusammenfassend skizziert. Der Schöpfungstext Gen 1,1–2,3 Gen 1,1–2,3 ist die Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens und als solche die Ouvertüre der ganzen Bibel. Innerhalb des Sechstagewerks geht es um die Erschaffung der raumzeitlichen Ordnung der Welt (Tage I–IV ) und der in ihr existierenden Lebewesen (Tage V–VI). Es ist unerfindlich, wie man diesen Charakter des priesterlichen Schöpfungstextes verkennen kann und ihn entweder,
169 Groß,
aaO 52, vgl. Rüterswörden, dominium terrae, 137. aaO 151, s. dazu auch Baumgart, aaO 378 ff; Gertz, aaO 284 f und Assis, Sign, 34 ff. Anders bekanntlich Zenger, Gottes Bogen, 11 ff.124 ff.180 f, demzufolge der Bogen das Kampf- und Machtsymbol des Schöpfergottes ist, der seine Königsherrschaft über die Erde antritt und damit deren Bestand garantiert. Entscheidend für das Verständnis ist aber, dass JHWH „den Bogen nicht mehr in der Hand hält, sondern deponiert hat“ (Rüterswörden, aaO 137). Deswegen tragen ikonographische Darstellungen, die einen König oder eine Gottheit mit einem kampfbereiten Bogen zeigen, nicht zum Verständnis von Gen 9,12 ff bei, s. dazu die Übersicht bei Kiefer, Gut, 316 f. 171 Köhlmoos, Glaube, 9, vgl. 12 f.20, s. dazu auch die Kompositionsskizze oben 47 Abb. 10.
170 Rüterswörden,
84 Die Welt des Anfangs – Grundlegung
wie im Kreationismus, historisiert oder, wie in gewissen Kreisen des Evolutionismus, zum Gegenstand naturwissenschaftlicher Kritik macht.172 Wer dagegen auf seine Eigenbegrifflichkeit und poetische Struktur achtet, kommt zu einem anderen Ergebnis: Im Verlauf der sechs Schöpfungstage „wird ein Bildaufbau hochgefahren, der in sich so logisch und überzeugend klingt, daß man ihn fast zweitausend Jahre lang als Naturwissenschaft verkannt hat“173. Es ist das Bild eines kosmischen Hauses, das vom Schöpfer in das uranfängliche Chaoswasser (Gen 1,2) hineingestemmt wird und dessen ‚Dach‘ die Himmelsfeste mit den großen Leuchten (1,14–19) und dessen ‚Fußboden‘ die Erde ist, auf der die Pflanzen für die Menschen und die Tiere wachsen (1,29 f ).174 Man mag solche Bilder für naiv halten. Das ist dann aber unser Problem, nicht das des Alten Testaments, das ebenso wie die Kulturen des Alten Orients und Ägyptens komplexe Weltbilder hervorgebracht hat.175 Ein solches Bild zeichnet der priesterliche Schöpfungstext. Seine poetische Sprache und kompositorische Geschlossenheit, die durch die Abfolge wiederkehrender Strukturelemente erzeugt wird, bilden nicht naturgeschichtliche Werdeprozesse ab, sondern geben einer theologischen Grundidee, nämlich der Auffassung der Welt als Schöpfung Gottes Ausdruck. Anschaulich wird dies am Akt des göttlichen (Unter-)Scheidens (bdl hif.), an der Interdependenz von Lebensräumen (Tage II–III) und Lebewesen (Tage V–VI) sowie an der Positionierung des Menschen in dem so geordneten Weltganzen.176 Der Schöpfergott, der dieses Geflecht lebensförderlicher Interdependenzen wahrnimmt, bewertet es auch, wie die 6-malige Billigungsformel hervorhebt: „Und Gott sah, dass es gut war“ (V. 4.10.12.18.21.25) – bis hin zu jenem umfassenden ‚Gütesiegel‘, das ausdrücklich das Ganze in den Blick nimmt: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (V. 31).177 Zu Beginn der Fluterzählung wird diese Wahrnehmung Gottes allerdings ins Gegenteil verkehrt: „Und Gott sah die Erde und siehe, sie war verdorben“ (Gen 6,12a). Die Fluterzählung Gen *6,9–9,17 Wenn Gen 1,1–2,3 die Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens ist, so ist die priesterliche Fluterzählung Gen *6,9–9,17 deren komplementäre ‚Rückseite‘. Denn jetzt kommen Aspekte zum Vorschein, die dem ‚hohen‘ Menschenbild von Gen 1,26–28 (Gottebenbildlichkeit und Herrschaftsauftrag) widersprechen, weil der Mensch die Bestimmung, sein ‚Herrscheramt‘ in den Grenzen der 172 S.
dazu oben 4 ff. Gottesstatue, 33. 174 Zur Metapher des „Lebenshauses“ s. Zenger, Gottes Bogen, passim, vgl. Löning/Zenger, Anfang, 142 ff; Lohfink, aaO 34 f; Seybold, Poetik 2, 300 f; Lux, Bild Gottes, 272 ff u. a. 175 S. dazu Janowski, Anthropologie, 343 ff. 176 Zum (problematischen) Verständnis des Menschen als „Krone der Schöpfung“ s. unten 475. 177 S. dazu Hardmeier/Ott, Naturethik, 229; Kiefer, Gut, 90 ff und Erbele-Küster, Verführung, 73 ff. 173 Lohfink,
§ 2 Die priesterliche Urgeschichte 85
Schöpfung und in diesem Sinn verantwortlich auszuüben, offensichtlich verfehlt hat. So kommt es zur Urkatastrophe der Flut, die durch die Konflikte ausgelöst wird, die unter den Geschöpfen ausgebrochen sind (Gen 6,11–13). Das Versagen der Geschöpfe ist umfassend („alles Fleisch“: Menschen und Tiere) und die Reaktion Gottes entsprechend vernichtend. Trotz des negativen Urteils Gottes – „Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen“ (Gen 6,13) – sind nach der Priesterschrift aber nicht alle Menschen „Sünder“.178 Das Gegenbeispiel ist Noah, der mit Gott wandelte und der als „gerecht“ und „untadelig“ bezeichnet wird (Gen 6,9). Möglicherweise hat die Priesterschrift in ihm das Urbild des gottebenbildlichen Menschen gesehen, weil er die Tiere paarweise in die Arche gebracht hat, um sie am Leben zu erhalten (Gen 6,19, vgl. V. 20).179 Die radikalen Veränderungen, die das Leben im nachsintflutlichen Äon betreffen, kommen in der erlaubten Tiertötung (mit dem Bluttabu Gen 9,3 f ) und der verbotenen Menschentötung (Gen 9,5.6a) zum Ausdruck. In der Begründung dieses Verbots – „denn als Bild Gottes hat er ihn gemacht“ (Gen 9,6b) – fällt das Fehlen des Herrschaftsauftrags auf.180 Das ist trotz der unangetasteten Gottebenbildlichkeit gravierend. Denn es bedeutet, dass der Mensch, der die Tiere zu Nahrungszwecken töten darf, nicht mehr über sie im Sinn von Gen 1,26–28 „herrscht“.181 An die Stelle der Herrschaft des Menschen über die Tiere tritt, wie Gen 9,8–17 explizit deutlich macht, vielmehr der „Bund“ (berît), den Gott mit Noah und den Tieren schließt (Gen 9,12 ff ). Dieser Sachverhalt, d. h. die gemeinsame, vom Gottesbund umgriffene Geschöpflichkeit von Mensch und Tier ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel. „Um in der Welt präsent zu sein“, so kommentiert A. Schellenberg diesen Paradigmenwechsel, „reicht die Erschaffung des Menschen zum ‚Bild Gottes‘ nicht aus, JHWH muss vielmehr selbst in der Welt Wohnung nehmen und diese sozusagen von innen her verwandeln“182. Diese ‚Verwandlung der Welt von innen her‘ geschieht, wie wir sehen werden, in der Kultstiftung am Sinai, in der nach der Priesterschrift die Schöpfung vollendet wird.183 178 Dazu
und allgemein zur pessimistischen Anthropologie der Priesterschrift s. Schellenberg, Mensch, 135 ff.382 f.392 ff. Von der „Bosheit“ des Menschen spricht dagegen die nichtpriesterliche Urgeschichte in Gen 6,5 und 8,21, s. dazu unten 113 f.112 f. 179 S. dazu oben 70.77. 180 Es ist zu beachten, dass in Gen 9,1–7 das Verb rādāh nicht mehr verwendet wird, s. dazu auch Gaß, Zugänge, 261 f. 181 Unter Hinweis auf Gen 9,2 („Und Furcht und Schrecken vor euch sei auf allen Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels …“) wendet Lux, Bild Gottes, 277 Anm. 96 gegenüber Schüle, Prolog, 114 ff ein, dass nach Gen 9,1 ff das dominium terrae nicht aufgehoben, sondern vielmehr von einer „Verschärfung der Art und Weise, in der es wahrgenommen wird“ auszugehen sei. Dass die Lebenswelt, von der von Gen 9, 1–7 handelt, von der Realität der Gewalt unter den Geschöpfen geprägt ist, leidet keinen Zweifel. Aber ein neuer oder irgendwie abgewandelter Herrschaftsauftrag ist damit nicht verbunden: „Aus der Sicht der Priesterschrift gehört das Dominium Terrae einer Weltordnung an, die gescheitert ist und die, der Suggestion des Textes zufolge, auch nicht repristiniert wurde“ (Schüle, aaO115). 182 Schellenberg, aaO 393. 183 S. dazu unten 357 ff.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Frage: wo und wann hat Adam die verbotene Frucht gegessen? keinen Sinn für uns hat; jede Anstrengung, den Buchstaben der Erzählung zu retten, als sei es eine wirkliche Geschichte, ist vergeblich und verzweifelt: was wir als Menschen der Wissenschaft vom Beginn der Menschheit wissen, läßt keinen Platz für ein solches Urereignis. Ich bin überzeugt, daß diese volle Annahme des nichthistorischen Charakters … die Kehrseite eines großen Gewinns ist: des Gewinns der symbolischen Funktion des Mythos. P. Ricœur, Symbolik, 268
Mit der nichtpriesterlichen Urgeschichte (Gen *2,4b–8,22),1 über die P. Ricœur (1913–2006) hier spricht, betritt man eine Sinnwelt, die andere Akzentuierungen enthält als die Urgeschichte der Priesterschrift (Gen *1,1–9,29). Dazu gehören die Fehlbarkeit des Menschen, die zu seiner Vertreibung aus dem Garten Eden führt (Gen 3,1–24), seine Bosheit, die JHWH dazu veranlasst, die große Flut zu bringen (6,*5–8), aber auch die Zusage Gottes, nicht noch einmal alles Lebendige zu schlagen, „wie ich (es) getan habe“ (Gen 8,21). Gen *2,4b–8,22 ist kein historischer Bericht über den Anfang, sondern, wie Ricœur formuliert, ein „Mythos“. „Aber“, so ergänzt er im Blick auf die Paradieserzählung Gen 2,4b–3,24, „man darf nicht sagen: die Geschichte vom ‚Fall‘ ist nur ein Mythos, d. h. weniger als eine Geschichte; sondern: die Geschichte vom Sündenfall hat die Größe des Mythos, d. h. hat mehr Sinn als eine wirkliche Geschichte“2. Nach diesem Sinn ist zunächst zu fragen. 1. Der Paradieserzählung Gen 2,4b–3,24 Altes Testament: Albertz, „Ihr werdet sein“, 23 ff ◆ Bauks, Erkenntnis, 20 ff ◆ Bird, Genesis 3,
3 ff ◆ Blum, Art. Urgeschichte, 438 ff ◆ Ders., Gottesunmittelbarkeit, 9 ff ◆ Bührer, Anfang, 165 ff ◆ Carr, Politics, 577 ff ◆ Ders., Reading, 141 ff ◆ Clifford, Creation Accounts, 141 ff ◆
1
Zur Frage, ob Gen *2,4b–8,22 vor- oder nachpriesterlich zu datieren ist, s. Blum, Art. Urgeschichte, 440 f; Schellenberg, Mensch, 186 ff.240 ff; Bührer, Anfang, 284 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 15 ff.84 f. Mit den Genannten gehe ich von einer vorpriesterlichen Datierung (7. Jh. v. Chr.) aus. 2 Ricœur, Symbolik, 270 (H. i. O.).
88 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung Dohmen, Schöpfung ◆ Ders., Gott, 33 ff ◆ Gaß, Zugänge, 262 ff ◆ Grund, Scham, 115 ff ◆ Hartenstein, Paradieserzählung, 277 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 442 ff ◆ Janowski, Gott, 242 ff ◆ Jeremias, Theologie, 340 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 142 ff ◆ Kiefer, Gut, 119 ff ◆ Konkel, Eden, 261 ff ◆ Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 271 ff ◆ Krüger, Sündenfall, 95 ff ◆ Leuenberger, Geschlechterrollen, 218 ff ◆ Müller, Elemente, 3 ff ◆ Ders., Erkenntnis, 68 ff ◆ Schäfer, Schlange, 46 ff ◆ Schellenberg, Mensch, 179 ff.238 ff ◆ Schmid, Unteilbarkeit, 21 ff ◆ Ders., Schöpfung 1, 92 ff ◆ Ders., Theologie, 278 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 194 ff ◆ Schüle, Prolog, 149 ff ◆ Ders., Image of Gott, 7 ff ◆ Spieckermann, Ambivalenzen, 49 ff ◆ Steck, Welt, 54 ff ◆ Ders., Paradieserzählung, 9 ff ◆ Stordalen, Eden ◆ Tsumura, Creation, 77 ff.85 ff.107 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 151 ff ◆ van Wolde, Text, 3 ff.13 ff.32 ff. – Rezep tionsgeschichte: Schmid/Riedweg (ed.), Eden. – Philosophie, Systematische Theologie: Dalferth, Sünde, 49 ff.130 ff ◆ Härle, Dogmatik, 469 ff ◆ Hünermann, Peccatum originale, 92 ff ◆ Ricœur, Symbolik, 265 ff ◆ Welker, Schöpfung, 107 ff.
Obwohl es ebenso wie in Gen 1,1–2,3 auch in Gen 2,4b–3,243 um Gott, Welt und Mensch geht, könnten die Unterschiede zwischen beiden Überlieferungen nicht größer sein: dort die großen Zusammenhänge der Weltschöpfung mit der Erschaffung der Lebensräume (Himmel, Erde, Meer) und Lebewesen (Tiere, Menschen), hier die Erschaffung des ersten Menschen und die „Existenzbedingungen des (palästinischen) Ackerbauern“4. Dort die Erschaffung des Menschen als „Bild Gottes“, hier das Drama seiner Fehlbarkeit. Dort die Anordnung des Stoffes von außen (Vorwelt) nach innen (Schöpfungswelt), hier die Bewegung von innen (Garten Eden) nach außen (Welt jenseits von Eden). Das führt zur Frage nach der Komposition und Aussageabsicht der nichtpriesterlichen Paradieserzählung.5 a) Komposition und Aussageabsicht Blum, Art. Urgeschichte, 438 ff ◆ Ders., Gottesunmittelbarkeit, 17 ff ◆ Bührer, Anfang, 83 ff.131 ff ◆ Carr, Politics, 577 ff ◆ Schellenberg, Mensch, 186 ff ◆ Schmid, Schöpfung 1, 78 ff ◆ Ders., Theologie, 271 f ◆ Witte, Urgeschichte, 151 ff.
Wie die neueren Analysen gezeigt haben, erweist sich die nichtpriesterliche Paradieserzählung trotz unterschiedlich gewichteter Textanteile als eine thematisch geschlossene und literarisch weitgehend einheitliche Komposition.6 Deren narrative Logik lässt sich folgendermaßen darstellen:
3
Zur Übersetzung s. unten 488 ff (Anhang I). Blum, aaO 439, vgl. Gertz, aaO 14 und grundlegend Steck, aaO 66 ff. 5 Traditionell wird im Blick auf Gen 2,4b–3,24 von einer „Sündenfallerzählung“ gesprochen, s. dazu unten 103 ff. 6 S. dazu Blum, aaO 17 ff; Bührer, aaO 175 ff.181 ff; Gertz, aaO 85 ff u. a. Zu den unterschiedlich gewichteten Textanteilen gehören die Angleichungen an P in Gen 2,20 und 3,14, die Einfügung der Paradiesgeographie in Gen 2,10–14 u. a., s. dazu Gertz, aaO 10 ff.83.85. 4
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 89
I. Erster Teil 2,4b–7 2,8 f [2,10–14 2,15 2,16f 2,18–25
Erschaffung des Menschen Ort der Handlung („Garten in Eden“) Paradiesgeographie (vier Weltströme)] Fortführung des Erzählfadens von 8 f Gebot für den Menschen 16 Erlaubnis, von allen Bäumen zu essen 17 Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen Erschaffung der Tiere und der Frau 18 Göttlicher Beschluss 19 f Erschaffung und Benennung der Tiere 21–25 Erschaffung der Frau und Geschlechterverhältnis
II. Zweiter Teil 3,1–8 3,9–13 3,14–19 3,20 f 3,22–24
Übertretung des Verbots und ihre Folgen 1–5 Dialog zwischen Schlange und Frau 6 Akt der Gebotsübertretung 7 f Bewusstwerden der Nacktheit und die Folgen Verhör des Menschen und seiner Frau Daseinsminderungen (drei Strafworte) Namengebung und Bekleidung 20 Namengebung der Frau durch den Menschen 21 Bekleidung der Menschen durch Gott Vertreibung aus dem Garten Eden 22 Göttlicher Beschluss 23 f Bestimmung des Menschen, Akt der Vertreibung
Abb. 19: Die Erzähllogik der Paradieserzählung Gen 2,4b–3,24
Entscheidend für das Verständnis von Gen 2,4b–3,24 ist das Nebeneinander von Lebens- und Erkenntnisbaum und damit zusammenhängend die Verbindung von Unsterblichkeit und Gottähnlichkeit. Was das Nebeneinander von Lebens- und Erkenntnisbaum angeht, so ist zu beachten, dass der Lebensbaum nur am Anfang (2,9b) und am Ende der Erzählung (3,22.24) vorkommt. Anders verhält es sich mit dem Erkenntnisbaum, der sogleich nach seiner Ersterwähnung in 2,9b (hier zusammen mit dem Lebensbaum) in den Fokus rückt: Und JHWH Gott ließ wachsen aus dem Ackerboden allerlei Bäume, begehrenswert anzusehen und gut zum Essen, und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis von gut und böse. (2,9) Und JHWH Gott sagte: „Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen gut und böse. Und nun, dass er nicht seine Hand ausstrecke, und auch (noch) vom Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe! (3,22)
90 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Lebensbaum
Erkenntnisbaum
2,9b – gleichursprünglich – 2,9b 3,22.24
2,17 3,3.5 f 3,11 f 3,17 3,22
Abb. 20: Das Nebeneinander der beiden Bäume in Gen 2,4b–3,24 Die beiden Bäume, die nach 2,9b von Anfang an nebeneinander stehen,7 repräsentieren „zwei Aspekte des Göttlichen“8. Während der Lebensbaum die unbegrenzte Lebensfülle repräsentiert, an der die Menschen von Anfang an partizipieren können (vgl. Gen 2,16) – erst am Ende der Erzählung wird der Zugang zu ihm versperrt (3,24) –, repräsentiert der Erkenntnisbaum die autonome, auf der Unterscheidung von gut und böse beruhende Lebensgestaltung, die in ihrer ganzen Ambivalenz ausbuchstabiert wird. Diese Ambivalenz wird ausgehend von 2,17 in 3,3.5 f, 3,11 f und 3,17 narrativ entfaltet bis hin zu dem Urteil Gottes in 3,22a: „Siehe, der Mensch ist geworden (!) wie einer von uns, zu erkennen gut und böse“. Würde er nun auch noch vom Baum des Lebens essen, wäre er ganz wie Gott geworden, nämlich wissend und unsterblich (3,22b). Deshalb wird er aus dem Garten Eden und damit aus der Nähe Gottes vertreiben (2,23 f ).9
Die Ambivalenz des menschlichen Daseins, die im Motiv der beiden Bäume und deren Wirkung („Erkenntnis“ und „ewiges Leben“) sinnfällig wird, ist der eigentliche Inhalt der Paradieserzählung. Es ist eine „skeptisch-realistische Sicht des Menschen“10, der sein Dasein zwar mit gottähnlicher Weisheit (Erkenntnis 7
Nach der überzeugenden Analyse von Michel, Theologie, 1 ff stellt die Formulierung von 2,9b eine „gespaltene Koordination“ dar, d. h. der Lokativ „in der Mitte des Gartens“ steht zwischen den durch waw-copulativum koordinierten Objekten Lebensbaum und Erkenntnisbaum, und zwar nach dem kürzeren Objekt „Baum des Lebens“. Das aber bedeutet, dass 2,9b nicht eine diachrone Nahtstelle anzeigt, die literarkritisch auszuwerten wäre (anders Gertz, aaO 88 ff ). Vielmehr stehen beide Bäume von Anfang an „in der Mitte des Gartens“, vgl. Blum, aaO 24; Bührer, aaO 212 ff und Irsigler, Gottesbilder, 449 Anm. 231. Demgegenüber vertritt Bauks, Erkenntnis, 23.34 ff die These, dass beide Bäume identisch sind und „inhaltlich auf die gleiche Sache: Erkenntnis (zielen)“ (aaO 23). Dem widerspricht aber nicht nur 3,22, sondern auch die Logik der Erzählung. Auch die Erwägungen von Bauks, Botanik, 39 ff zur Syntax von 2,9b (Auffassung des waw als waw-explicativum, Übersetzung: „und den Baum des Lebens inmitten des Gartens, d. h. den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“) können nicht überzeugen. Denn der Lebensbaum dient nicht der näheren Bestimmung des Erkenntnisbaums (so dies., Erkenntnis, 23), und die Qualität des Lebens ergibt sich nicht aus der Erkenntnis (so dies., Botanik, 41), sondern „ewiges Leben“ und „Erkenntnis“ sind zwei unterschiedliche Wirkungen zweier unterschiedlicher Bäume: die eine Wirkung (ewiges Leben) bleibt für den Menschen unerreichbar, die andere Wirkung (Erkenntnis von gut und böse) bestimmt sein Dasein jenseits von Eden. 8 Blum, ebd. 9 Vgl. Schmid, Schöpfung 1, 97. 10 Blum, aaO 25, vgl. Schmid, Theologie, 282 f.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 91
von gut und böse) gestalten kann – und jenseits von Eden auch muss –, der diese Weisheit aber um den Preis elementarer Daseinsminderungen (3,14–19) erworben und mit dem Verlust der ungebrochenen Gottesnähe bezahlt hat. b) Zentrale Themen Nach dem redaktionellen Brückentext Gen 2,4a, der Gen 1,1–2,3 mit Gen *2,4b– 3,24 verknüpft,11 setzt die nichtpriesterliche Paradieserzählung mit einer offenen Zeitangabe ein – „Als JHWH Elohim Erde und Himmel machte“ (2,4b) –, die sich nicht auf die Erschaffung des Menschen am sechsten Tag (Gen 1,26–28), sondern auf das Ganze der Schöpfung (Merismus „Erde und Himmel“, vgl. Gen 1,1: „Himmel und Erde“) bezieht.12 Darauf folgt nach einer mehrgliedrigen Parenthese die Darstellung der Erschaffung des ersten Menschen. α) Die Erschaffung des Menschen Altes Testament: Bauks, Soul Concepts, 181 ff ◆ Bührer, Anfang, 204 ff ◆ Dohmen, Schöp-
fung, 33 ff.169 ff ◆ Ders., Gott, 38 ff ◆ Hieke, Staub, 245 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 48 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 144 f.136 ff ◆ Kilwing, næpæsch, 384 ff ◆ Koch, Gen 2,7, 238 ff ◆ Lamberty-Zielinski, Art. nešāmāh, 670 f ◆ Müller, H.‑P., Elemente, 13 ff ◆ Müller, K., Seele, 185 f.301 f ◆ Rüterswörden, dominium terrae, 10 ff ◆ Schellenberg, Beobachtungen, 294 ff ◆ Schüle, Prolog, 161 ff ◆ Steck, Paradieserzählung, 69 ff ◆ Waschke, Mensch, 489 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 155 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 144 ff. – Antike Religionen: Assmann, Art. Schöpfung, 681 ff ◆ Caduff, Art. Anthropogonie, 739 f ◆ Dietrich, Menschenschöpfung, 21 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 121 ff ◆ Krebernik, Götter, 85 ff ◆ Pettinato, Menschenbild ◆ Zgoll, Welt, 40 ff. – Religions- und Kulturwissenschaft: Albertz, Art. Schöpfung, 1389 ff ◆ Ebach, Art. Anthropogonie, 476 ff. – Systematische Theologie: Bonhoeffer, Schöpfung, 69 ff.
Trotz einer gewissen Ähnlichkeit der Zeitangaben in Gen 1,1 („Am Anfang …“) und in Gen 2,4b („Am Tag/Zu der Zeit, als …“)13 beginnt die nichtpriesterliche Paradieserzählung anders als der priesterliche Schöpfungstext. Dieser Beginn besteht syntaktisch aus einem Vordersatz/Nachsatz-Gefüge (V. 4b.7) und einer längeren Parenthese (V. 5 f ): Zeitangabe (Vordersatz) 4b Am Tag, als JHWH Gott Erde und Himmel machte,
Zustandsschilderung (Parenthese)
5 11
– all das Gesträuch des Feldes war noch nicht auf der Erde, und all das Kraut des Feldes sprosste noch nicht, denn JHWH Gott hatte es (noch) nicht regnen lassen auf die Erde, und einen Menschen gab es nicht, den Ackerboden zu bebauen,
S. die Übersetzung unten 487 (Anhang I). Bührer, aaO 317 Anm. 352; Gertz, aaO 84 und Schmid, aaO 278 Anm. 66. 13 Zu den Unterschieden s. etwa Gertz, aaO 93 ff. 12 Vgl.
92 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung 6 aber ein Wasserstrom stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Oberfläche des Ackerbodens –,
Handlungseinsatz (Nachsatz) 7 da formte JHWH Gott den Menschen aus Erdkrume vom Ackerboden (ʿāpār min-hāʾadāmāh), und er blies in seine Nase Lebensatem (nišmat ḥajjim). Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen (næpæš ḥajjāh).
Während der einleitende V. 5 mit den typischen Noch nicht-Aussagen eine Beschreibung der Welt vor der Schöpfung gibt (s. Abb. 21),14 benennt V. 6 mit dem aus der Erde aufsteigenden „Wasserstrom“ (ʾed),15 der die gesamte Oberfläche des Ackerbodens durchtränkt, eine unabdingbare Voraussetzung für die Menschenschöpfung. Die Bewässerung des Ackerbodens geschieht also für den in V. 7 berichteten Schöpfungsakt. Noch nicht-Aussagen 5a Wildpflanzen (Gesträuch des Feldes)
Nutzpflanzen
keine Arbeit des Menschen
5b kein Regen JHWHs
(Kraut des Feldes)
Abb. 21: Die Vorweltschilderung von Gen 2,5
Der Nachsatz V. 7, der syntaktisch an den Vordersatz V. 4b anschließt und den Handlungseinsatz markiert, besteht aus zwei Teilsätzen, die jeweils ein Tun Gottes beschreiben – JHWH „formte“ (jāṣar) wie ein Töpfer den Menschen aus „Staub/Erdkrume vom Ackerboden“16 und „blies“ (nāpaḥ) „Lebensatem“ in seine Nase – und einer Folgeschilderung, die besagt, dass der erschaffene Mensch nicht ein vitales Selbst hat, sondern ein vitales Selbst ist: „Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen/Lebewesen (næpæš ḥajjāh).“17 Der Zusammenhang 14
Zu den Noch nicht-Aussagen s. Bauks, Welt, 155 ff.225 ff und als Sachparallelen Pyr. 486,19 ff (Q 6) und Enūma eliš I 1 ff (Q 52). 15 Vgl. Hi 36,27 (himmlischer Wasserstrom). Zur Bedeutung von ʾed „Wasserstrom, Fluss“ s. Ges18, 13 s. v. sowie Rüterswörden, dominium terrae, 12 Anm. 11; Tsumura, Creation, 85 ff; Bührer, aaO 210 f u. a. Der Süßwasserstrom ist ein Motiv, das in der mesopotamischen Glyptik bezeugt ist (s. Q 54). 16 Zur Bedeutung von ʿāpār s. Keel/Schroer, Schöpfung, 145 und Bührer, aaO 208 ff. Nach Gertz, aaO 101f gehört ʿāpār in 2,7; 3,19b zusammen mit der Erwähnung des Lebensbaums in 2,9; 3,22.24 zu einer Fortschreibungsschicht, anders Steck, Paradieserzählung, 71 Anm. 149 und Bührer, aaO 208 f. 17 S. dazu Westermann, Art. næpæš, 73 f; Seebass, Art. næpæš, 546; Müller, Seele, 185 f.301 f und Janowski, Anthropologie, 49 mit Anm. 19. Die Frage, ob es zwischen Gen 2,7 und der imago Dei-Vorstellung von Gen 1,26–28 einen Zusammenhang gibt, wird von Schüle, Pro-
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 93
zwischen der Formung des Menschen aus „Erdkrume vom Ackerboden“ und der Einhauchung des „Lebensatems“ durch Gott ist dabei so eng wie möglich, d. h. die Erschaffung des Menschen vollzieht sich in einer materialen Herstellung ( formatio) und einer Belebung (animatio),18 wodurch der Mensch insgesamt zu einer næpæš ḥajjāh wird. Gen 2,7 unterscheidet also nicht dualistisch zwischen Leib und ‚Seele‘, sondern sieht den Menschen „unter den ganzheitlichen Aspekten von Lebendigkeit und individuierender Leiblichkeit“19. Deshalb stirbt alle belebte Kreatur (Menschen und Tiere), wenn Gott seinen Lebensatem/-geist zurücknimmt (vgl. Hi 34,14 f; Ps 104,29 u. a.). Zur Darstellung der Menschenschöpfung in Gen 2,7 gibt es mehr oder weniger enge Sachparallelen in ägyptischen und mesopotamischen Texten. Neben der Erschaffung des Menschen aus den Tränen des Schöpfergottes (Wortspiel äg. rmjt „Träne“ und äg. rmṯ „Mensch“)20 spielt die Menschenschöpfung in Ägypten vor allem im Kontext der Königsideologie eine Rolle. Die Standardvorstellung ist die Geburt des Gottkönigs, die ihre Ausformung im Neuen Reich (18.–21. Dyn., 1540–945 v. Chr.) gefunden hat und in vier Textvarianten und fünfzehn Bildfolgen vorliegt. Die konstitutiven Aspekte sind dabei der Akt der Formung (durch den Schöpfergott Chnum) und der Akt der Belebung (durch die das Anch-Zeichen an die Nase des Embryos haltende Göttin Hathor, s. Q 42). In Mesopotamien lassen sich zwei Vorstellungen der Menschenschöpfung unterscheiden: zum einen die mit dem Gott Enki/Ea verbundene und in Eridu beheimatete Konzeption der formatio („Bildung“ durch eine Gottheit) und zum anderen die mit dem Gott Enlil von Nippur verbundene Konzeption der emersio („Hervorsprießen“ aus der Erde).21 Während für die emersio-Vorstellung auf das aus früh- oder altbab. Zeit stammende Lied von der Hacke (s. Q 51) verwiesen werden kann, gehört der sumerisch abgefasste Mythos Enki und Ninmaḫ (Anfang des 2. Jt.s v. Chr., s. Q 74) zu den bekanntesten Textzeugen der Enki/Ea-Theologie und ihrer formatio-Konzeption. Danach werden die Menschen, die aus dem Lehm des abzu/apsû (und dem Blut der Muttergöttin?) geformt werden, geschaffen, um den Arbeitsdienst für die Götter zu übernehmen.22 An diese Tradition schließen die Vorstellungen von der Erschaffung des Menschen im Atram-ḫasīs-Epos I 189–248, im bab. Weltschöpfungsepos Enūma eliš VI 1–40; VI 129 f und im KAR 4-Mythos an (s. Q 75;
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log, 161 ff; ders., Urgeschichte (ZBK.AT), 58ff positiv beantwortet. Seine Begründung überzeugt allerdings nicht, s. dazu Bührer, aaO 343 ff und Gertz, aaO 104 f. Gottes „Lebensatem“ (nešāmāh) ist die Grundbedingung des physischen Lebens, ohne den Mensch und Tier nicht lebensfähig sind (vgl. Gen 7,22; Ps 104,29 f [rûaḥ]), s. dazu Krüger, Lob, 362 ff und Schellenberg, Mensch, 296 ff. Steck, aaO 71, vgl. von Rad, Genesis (ATD), 53 und Janowski, Anthropologie, 48 ff. Zur qumranischen Vorstellung der Erschaffung des Menschen aus „Staub“ s. Q 160; zur koranischen Vorstellung der Menschenschöpfung s. Q 184. S. dazu Assmann, Art. Schöpfung, 681. Diese anthropozentrische Konzeption der Schöpfung findet ihren klarsten Ausdruck in der Lehre für Merikare (s. Q 26). Zu diesen beiden Vorstellungen s. Pettinato, Menschenbild, 29 ff.49 ff.54 ff; Keel/Schroer, Schöpfung, 136 ff (mit der Tabelle 141) und Krebernik, Götter, 85 ff. S. dazu Pettinato, aaO 223 ff.26 ff und Janowski, aaO 232.617 f.
94 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung 76; 77).23 Diese Schöpfungstexte sind ihrem Wesen nach theozentrisch: „Die Menschen
sehen sich in einer ganz unverrückbaren Abhängigkeit und Unterordnung gegenüber den Gottheiten. Sie sind nicht um ihrer selbst willen geschaffen“24.
Kehren wir zur Paradieserzählung zurück. Gen 2,4b–7 spricht nur vom Zeitpunkt der Menschenschöpfung („Am Tag, als …“ V. 4b), aber nicht von dem Ort, an dem diese geschah. Dies erfolgt in Gen 2,8 f.15 in Form einer „summarischen Prolepse … [sc. V. 8], deren erster Teil in V. 9 und deren zweiter Teil in V. 15 entfaltet wird“25. Damit ist der Ort eingeführt, an dem das in 2,16 f und 3,1–2426 erzählte Geschehen seinen dramatischen Verlauf nimmt: 8 Und JHWH Gott pflanzte einen Garten in Eden (ʿedæn), im Osten, und er setzte dort den Menschen (hinein), den er gebildet hatte. 9 Und JHWH Gott ließ wachsen aus dem Ackerboden allerlei Bäume, begehrenswert anzusehen und gut zum Essen, und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis von gut und böse.27
10–14 Paradiesgeographie (vier Weltströme)
15 Und JHWH Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue (ʿābad) und bewahre (šāmar).28
Zwischen V. 8 f und V. 15 wurde der mythologische Exkurs zur Paradiesgeographie eingefügt,29 der den Erzählfaden an passender Stelle unterbricht und mit dem Terminus „Strom, Fluss“ (nāhār V. 10) den Aspekt der Bewässerung von V. 6 (ʾed „Wasserstrom“) aufnimmt. Dieser Strom entspringt in Eden, um den Garten zu bewässern und sich von dort aus in vier Arme zu teilen. Um diesen mythischen Ort geht es in V. 10–14. Exkurs 3: Paradies und Gottesgarten Altes Testament und Alter Orient: Bauks, Garten, 43 ff.51 ff ◆ Bührer, Anfang, 191 ff.214 ff ◆
Dalley, Nineveh, 45 ff ◆ Dies., Gardens, 19 ff ◆ Dietrich, Paradies, 281ff ◆ Dozeman, Geography, 729 ff ◆ Fauth, Gärtner, 1 ff ◆ Galter, Paradies, 235 ff ◆ Görg, Art. Eden, 466 f ◆ Häusl, Anfang, 8 ff ◆ Hartenstein, Orte, 35 ff ◆ Janowski, Wohnung, 49 ff ◆ Jericke, Königsgarten, 161 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 86 ff ◆ Körting, Von Edelsteinen, 8 ff ◆ Krispenz,
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Möglicherweise gibt es auf einem akkadzeitlichen Rollsiegel eine Darstellung der Menschenschöpfung (s. Q 79). Zur Frage der Menschenschöpfung in ugarit., iran. und griech. Texten s. Q 108; 114 und 137. Keel/Schroer, aaO 138. Blum, Gottesunmittelbarkeit, 18 Anm. 36. S. dazu unten 103 ff. Zur Stilfigur der „gespaltenen Koordination“ in V. 9b s. oben 90 Anm. 7. V. 15 wird immer wieder für den Slogan von der „Bewahrung der Schöpfung“ in Anspruch genommen, allerdings zu Unrecht, s. dazu unten 476 ff. S. dazu Blum, aaO 18 und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 18.112 ff.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 95
Art. Garten, 177 f ◆ Lichtensein, Mitte, 200 ff.205 ff ◆ Magueron, Gärten, 45 ff ◆ Pezzoli-Olgiati, Art. Paradies, 909 ff ◆ Rüterswörden, Paradiesvorstellung, 1153 ff ◆ Stager, Jerusalem, 183 ff ◆ Stordalen, Eden, 81 ff ◆ Waschke, Art. Paradies, 911 ff ◆ Wiseman, Gardens, 137 ff. – Religions- und Kulturwissenschaft: Hartenstein, Orte, 37 ff ◆ Pezzoli-Olgiati, Art. Paradies, 909 ff ◆ Stolz, Grundzüge, 94 ff ◆ Ders., Paradiese, 28 ff ◆ Ders., Art. Paradies I, 705 ff. Wo lag dieser mythische Ort, den die Septuaginta mit παράδεισος „Paradies“ wiedergibt?30 Das lässt sich – bis auf die vage Angabe „im Osten, östlich“ (Gen 2,10) – nicht weiter konkretisieren. Denn die in Gen 2,4b–3,24 erzählten Ereignisse spielen jenseits der historischen Zeit und jenseits des realgeographischen Raums. Dennoch hat es nicht an Versuchen gefehlt, das Paradies zu lokalisieren, und zwar entweder in (Ober-)Mesopotamien oder bei Jerusalem in der Nähe des dortigen Tempels.31
Gen 2,10–14 Wichtiger als die Suche nach der Lage des Paradieses ist dessen Beschreibung in dem redaktionellen Einschub Gen 2,10–14, der mit dem Stichwort „Eden“ einsetzt. Das Nomen ʿedæn, das in Gen 2,8.10.15; 3,23.24; 4,16; Jes 51,3; Ez 28,13;32 31,9.16.18; 36,35 und Jo 2,3 als Bezeichnung für den Gottesgarten (in) Eden begegnet,33 bedeutet „fruchtbares Land, Wonneland“ (vgl. ug. ʿdn „üppig machen“).34 Wir haben es folglich mit einer mythischsymbolischen Namengebung zu tun, „die den Tendenzen einer theologischen Geographie entspricht und ihren Ursprung einer geprägten Vorstellung verdankt“35. Von diesem Eden geht nach Gen 2,10–14 ein „Strom“ (nāhār) aus, der den Garten bewässert, um sich von dort aus in vier Arme („Häupter“)36 zu verzweigen: 10 Und ein Strom geht aus von Eden, um den Garten zu bewässern, und von dort aus teilt er sich, und er wird zu vier Armen. 11 Der Name des einen ist pîšôn; Pischon das ist der, der das ganze Land Ḥawila umfließt, wo das Gold ist.
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Griech. παράδεισος, das Übersetzungswort für hebr. gan „Garten“ in Gen 2,8 („Paradies in Eden“).9.10b.16; 3,1 u. ö., ist aus dem altiran. paridaēza „Umwallung, Ummauerung“ entlehnt, s. dazu Fauth, Gärtner, 5 f. S. dazu den Überblick bei Dietrich, Paradies, 281 ff, ferner die kritische Diskussion bei Bührer, Anfang, 214 ff; Gertz, aaO 109 ff und Fischer, Genesis 1–11 (HThK.AT), 188 f. Zu Ez 28,11–19 (zum Text s. unten 493 f [Anhang I]) und zum Vergleich mit Gen 2 f s. außer den Ez-Kommentaren noch Schmid, Unteilbarkeit, 36 f; Saur, Tyroszyklus, 241 ff; Bührer, aaO 358 ff und Körting, Von Edelsteinen, 10 ff. S. dazu Baumgart, Umkehr, 74 f und Bührer, aaO 192 f. S. dazu die Belege in Ps 36,9; Jes 51,34; 2 Sam 1,24 u. a. und zur Bedeutung von ʿedæn Görg, Art. Eden, 466 f; Stordalen, Eden, 257 ff; Tsumura, Creation, 112 ff; Bührer, aaO 192 f; Gertz, aaO 112 u. a. Görg, aaO 466. Die Vierzahl der Ströme (im Sinn einer geographischen Vollständigkeit) lässt sich etwa durch ein assyr. Elfenbeinfries illustrieren, s. Q 69.
96 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung 12 Und das Gold dieses Landes, es ist gut; dort gibt es Bedolach-Harz und Schoham-Stein. 13 Und der Name des zweiten Stroms ist gîḥôn; Gichon das ist der, der das ganze Land Kusch umfließt. 14 Und der Name des dritten Stroms ist ḥiddæqæl; Tigris das ist der, der östlich von Assur verläuft. Und der vierte Strom, das ist der perāt. Euphrat Die Beschreibung des Gartens mit den vier Weltströmen, den Edelsteinen und Duftstoffen37 (V. 11 f ) verleiht diesem den Charakter eines Ortes mit paradiesischer Fülle. Während mit der Nennung von Tigris (ḥiddæqæl) und Euphrat (perāt) der urgeschichtliche Kontext verlassen wird und die Welt der Adressaten mit der realen Geographie Mesopotamiens in den Vordergrund tritt, bereitet die Identifizierung des Pischon und des Gichon seit jeher große Probleme. Bei diesen Bezeichnungen dürfte es sich um Symbolnamen handeln, womit die mythische Bedeutung Edens als Zentrum der vier Weltgegenden angezeigt werden soll.38 Ob mit dem Gichon die gleichnamige Jerusalemer Quelle (1 Kön 1,33.38.45; 2 Chr 32,30; 33,14) zu identifizieren und damit eine Anspielung auf den Jerusalemer Gottesberg intendiert ist,39 ist eher skeptisch zu beurteilen.40 Ähnliche Szenerien wie in der Paradiesgeographie von Gen 2,10–14 finden sich auch in mesopotamischen Texten und Bildern. Einschlägig sind die mit den neuassyrischen paradeisos-Anlagen verbundenen Vorstellungen. Es handelt sich dabei um großkönigliche Gartenanlagen mit exotischen Bäumen sowie zahmen und wilden Tieren, die in Mesopotamien seit dem 3. Jt. v. Chr. belegt sind, ihre Blüte aber unter den Sargonidenkönigen (8./7. Jh. v. Chr.) und in persischer Zeit hatten. Als Modelle des geordneten Kosmos sind diese großköniglichen Gartenanlagen Spiegel der von den Assyrerkönigen beherrschten Welt und darum Manifestationen ihres Weltherrschaftsanspruchs: „Diese königlichen Gärten, die ihren Ursprung sicher in einem Interesse an Hortikultur und einer Freude an der Exotik hatten, erfüllten in der Folge eine wichtige ideologische Funktion. Sie waren im Besitz des Königs und die Ausstattung mit Pflanzen und Tieren aller Reichsteile ließ sie zu Abbildern des assyrischen Herrschaftsbereiches werden. Ihre Pracht und ihre Fülle wurden zum Symbol für die Fruchtbarkeit des Landes und somit für die Macht des Herrschers.“41 Aufschlussreich dafür ist ein Relief aus dem Nordpalast Assurbanipals (ca. 669–630 v. Chr.) in Ninive (s. Q 95). In dem neuassyrischen Text Unterweltsvision eines assyrischen Kronprinzen aus dem 7. Jh. v. Chr. wird ein solcher Park als „Garten der Fülle“ (kirî nuḫši) bezeichnet. In einem „Nachtgesicht“, so der Text, hat der Kronprinz den Totengeist eines Königs gesehen, dem der Gott Assur „das Feiern des heiligen Neujahrsfestes auf dem Fel37
S. dazu Körting, aaO 8 ff. S. dazu Gertz, aaO 113 ff und Fischer, Genesis 1–11 (HThK.AT), 195 ff. 39 So mit unterschiedlicher Gewichtung Witte, Urgeschichte, 263 ff; Jericke, Königsgarten, 168 ff; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 18 mit Anm. 34 und Gertz, aaO 116. 40 S. dazu Bührer, aaO 218 ff, ferner Zwickel, Tempelquelle, 144 ff; Baumgart, Umkehr, 17 mit Anm. 86; 75 mit Anm. 504; Dietrich, aaO 281ff; Stordalen, aaO 270 ff u. a. Eine schematische Darstellung der Paradiesgeographie findet sich bei Fischer, aaO 199 ff. 41 Galter, Paradies, 242. 38
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 97
de“ bestimmt hatte, wo, wie Rs. Z. 64 formuliert, „ein Park/Garten der Fülle, das Ebenbild (= Kopie) des Libanon“ angelegt war (s. Q 96).42
Ps 36,8–10 Auch in Ps 36,9 werden Paradiesvorstellungen tradiert und dabei auf den Jerusalemer Tempel übertragen.43 Hier wird den „Menschenkindern“ die kultisch vermittelte Erfahrung der Gottesgemeinschaft zuteil, indem sie sich am „Fett“ des Hauses JHWHs laben und aus dem „Bach deiner (sc. Gottes!) Wonnen“ zu trinken bekommen: 8 Wie kostbar ist deine Güte, Gott, und Menschenkinder – im Schatten deiner Flügel bergen sie sich! 9 Sie laben sich am Fett (dæšæn) deines Hauses, und mit dem Bach (naḥal) deiner Wonnen (ʿ adānîm)44 tränkst du sie. 10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht sehen wir Licht! Im Bereich des Tempels, so konstatiert V. 8–10, erfährt der Mensch die intensivste Form der Gottesnähe. Während in V. 8 das Bild eines schützenden Baldachins („Flügel“) evoziert wird, in dessen „Schatten“ sich die „Menschenkinder“ bergen, zeichnet V. 9 das Bild eines köstlichen Mahls, das von JHWH als Gastgeber an heiliger Stätte bereitet wird.45 Besonders aussagekräftig ist dabei die Wendung „Bach deiner Wonnen“, die mit dem Steigerungsplural „Wonnen, Labungen“ (ʿadānîm, Pl. von ʿedæn „Wonne[land]“) die Paradiesmotivik zu erkennen gibt. Mit der Lichtaussage von V. 10 schließt sich der Kreis, der mit der Schilderung der welterfüllenden Gerechtigkeit Gottes in V. 6 f (Kosmosmetapher) eröffnet wird und zugleich einen Kontrapunkt zur verschlossenen Welt des Frevlers (V. 5aα) setzt. Jetzt tritt auch der Mensch wieder hervor, aber nicht in seiner gottfernen Vereinzelung wie am Anfang (V. 2–5), sondern als ein „Wir“, d. h. in der Gemeinschaft derer, „die dich (sc. JHWH) kennen“ und „die geraden Herzens sind“ (V. 11). Anders, so resümiert V. 13, die Übeltäter, die „dort“, am heiligen Ort des Tempels,46 hingefallen sind.
Ps 65,10–14 Im Unterschied zu Ps 36,8–10 geht es in Ps 65,10–1447 nicht um den Tempel oder den Gottesgarten und seine kosmologischen Aspekte, sondern um die Erde und ihre Frucht42
Die Wendung „Garten der Fülle“ ist semantisches Äquivalent für hebr. gan ʿedæn „Garten Eden“ in Gen 2,15; 3,23 f; Ez 36,35 und Jo 2,3. 43 Zu Ps 36 s. außer den Kommentaren noch Lohfink, Innenschau, 172 ff; Janowski, Anthropologie, 356 ff; Krusche, Tempeltheologie, 55 ff u. a. 44 Zur Pluralform ʿ adānîm „Wonnen, Labungen“ s. Kedar-Kopfstein, Art. ʿedæn, 1096 f. 45 S. dazu Janowski, Konfliktgespräche, 332f; Lohfink, aaO 182 ff und Hartenstein, Angesicht, 146 ff.181 f u. ö. 46 Vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen I (NEB), 223.228. 47 S. dazu außer den Kommentaren noch Schroer, Psalm 65, 290 ff; Müller, Jahwe, 133 ff, Köckert, Regenspender, 1003 ff u. a. Zur These von Schroer, aaO 289.295 f.300, dass V. 8 als Chaoskampfschilderung zu lesen sei, s. die Kritik von Köckert, aaO 115 ff.121 ff. Ebenso kritisch ist der Versuch von Schroer, aaO 292 ff zu beurteilen, den Passus KTU 1.16 III 1–17 aus dem ugarit. Kirta-Epos (s. Q 106) als Hintergrundstext für V.10–14 heranzuziehen, vgl. Köckert, aaO 120 f.
98 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung barkeit. Nach V. 10 wird die Erde von JHWH mit Wasser aus dem „Gotteskanal“ getränkt, damit das Getreide reifen und die Natur erblühen kann: 10 Du hast dich der Erde angenommen und sie überströmen lassen, du machst sie sehr reich. Der Gotteskanal (pælæg ʾ ælohîm) ist voll Wasser, du richtest ihr (sc. der Bewohner der Weltenden) Getreide auf, ja, so richtest du sie (sc. die Erde) auf: 11 ihre Furchen tränken, ihre Schollen ebnen, mit Regenschauern weichst du sie auf, ihr Gewächs segnest du. 12 Du hast gekrönt das Jahr deiner Güte, und deine Wagenspuren triefen von Fett. 13 Es triefen die Weideplätze der Steppe, und mit Jauchzen gürten sich die Hügel. 14 Bekleidet haben sich die Weideplätze mit Kleinvieh, und die Täler hüllen sich in Korn, sie jubeln sich zu, ja, sie singen. Der „Gotteskanal“ (V. 10) dürfte der „Regen (sein), der in einem Kanal oder einer Rinne (pælæg) aus dem über dem Himmelsgewölbe lagernden Ozean auf die Erde herabgeleitet wird …“48. Eine ähnliche Vorstellung wie in Ps 65,10 begegnet schließlich in Hi 38,25–27, wo das Schöpfungswerk Gottes wie das Anlegen von Bewässerungsgräben als kulturelle bzw. zivilisatorische Leistung beschrieben wird: 25 Wer hat gegraben (plg pi.) der (Regen-)Flut einen Kanal (teʿālāh) (und) einen Weg (dæræk) den Gewitterwolken, 26 um regnen zu lassen auf ein menschenleeres Land, auf die Wüste, in der kein Mensch ist, 27 um zu sättigen Wildnis und Öde und sprossen zu lassen das Aufgehen frischen Grüns?49 Soweit die Skizze zu den kosmologischen Aspekten von Gen 2,10–14. Die Paradieserzählung „wird hier gleichsam angehalten für einen geographischen Exkurs, der die Ökumene der Leser in ihrer weiterbestehenden Beziehung zum ursprungsmythischen Garten zeigt: die lebenspendenden Ströme der Erde haben alle dort ihren Ursprung“50. 𓇼
Nach der Digression von Gen 2,10–14 wird die Paradieserzählung in 2,15– 17 fortgesetzt und steuert mit dem Nebeneinander der beiden Bäume im Gottesgarten auf ihr eigentliches Thema zu. Bevor wir darauf eingehen, ist die in 48
Baethgen, Psalmen (HK), 196, vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 218 (Hossfeld) und Köckert, aaO 118 ff.124 Eine „Anspielung an den Strom der Gottesstadt (Gen 2,10–14; Ps 46,5, Jes 33,21; Ez 47,1–12; Joel 4,18; Sach 14,8“ (Hossfeld/Zenger, ebd.) liegt dabei m. E. nicht vor, s. dazu unten 366 f. 49 S. dazu Keel, Entgegnung, 58; Schroer, Psalm 65, 290 f; Strauß, Hiob (BK), 363; Köckert, aaO 119 und Witte, Hiob (ATD), 621 f. 50 Blum, Gottesunmittelbarkeit, 18 (H. i.O).
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 99
Gen 2,18–25 geschilderte Erschaffung der Tiere und der Frau in den Blick zu nehmen. β) Der Mensch, die Tiere und die Frau Altes Testament: Bauks, Nacktheit, 29 ff ◆ Bührer, Anfang, 222 ff.226 ff.230 f.231 ff ◆ Doh-
men, Gott, 41 ff ◆ Fischer, Egalitär, 265 ff ◆ Dies., Geschlechtlichkeit, 13 ff ◆ Gaß, Zugänge, 262 ff ◆ Grund, Scham, 115 ff ◆ Hartenstein, Paradieserzählung, 277 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 95 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 146 f.147 ff ◆ Leuenberger, Geschlechterrollen, 218 ff ◆ Meinhold, Frau, 35ff ◆ Meyers, Eve, 59ff ◆ Schellenberg, Beobachtungen, 291 ff ◆ Dies., Mensch, 191 ff ◆ Schmid, Sexualität, 3 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 199 ff ◆ Steck, Paradieserzählung, 79 ff ◆ Uehlinger, Eva, 90 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 159 ff. – Antikes Judentum: Bauks, Nacktheit, 24 ff ◆ Plietzsch, Rippe, 159 ff.
Nachdem der ersterschaffene und geschlechtlich noch undifferenzierte Mensch (hāʾādām)51 von Gott in den Garten Eden gesetzt (Gen 2,8 f.15) und bis auf den Erkenntnisbaum mit Nahrung von allen Bäumen des Gartens versorgt worden war (Gen 2,16 f ), setzt der Bericht von der Erschaffung der Tiere und der Frau in Gen 2,18–25 damit ein, dass der Mensch eine „Hilfe“ braucht, die ihm entspricht (V. 18, vgl. V. 20). So kommt es in V. 19f zunächst zur Erschaffung und Benennung der Tiere: 18 Und JHWH Gott sprach: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ 19 Und JHWH Gott formte aus dem Ackerboden jegliches Getier des Feldes und alle Vögel des Himmels,52 und er brachte (sie) zum Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde, und ganz, wie es der Mensch – ein lebendiges Wesen53 – nennen würde, das wurde sein Name. 20 Und der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes, aber für ‚den Menschen‘ fand sich keine Hilfe, die ihm entspricht.
Der Versuch, die Tiere als eine „Hilfe“ für den Menschen zu erschaffen, die ihm entspricht, gelingt nicht, weil sie dem Menschen keine entsprechende Hilfe bieten. Eine „Hilfe“ für die Arbeit des Menschen im Garten (Gen 2,5, vgl. 2,15) ist damit jedenfalls nicht intendiert, weil der Mensch nicht Assistenz bei der Arbeit, 51
In Gen 2,4b–3,24 ist hebr. ādām mit Ausnahme von 2,20b; 3,17.21 immer durch den Artikel determiniert. Der Eigenname „Adam“ begegnet zum ersten Mal in Gen 4,25, s. dazu Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 81 Anm. 10; Leuenberger, Geschlechterrollen, 220 u. a. – Der folgende Abschnitt greift auf einige Überlegungen in Janowski, Anthropologie, 95 ff zurück. 52 Im Unterschied zum Menschen (zu Gen 2,7 s. oben 91 ff ) wird den Tieren von Gott kein Lebensatem eingeblasen. Wie Gen 6,17; Ps 104,29; Pred 3,21 u. a. zeigen, heißt das aber nicht, dass sie keinen Lebensatem besitzen, s. dazu Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 538; Schellenberg, Mensch, 195 f und Irsigler, Schöpfer, 331 Anm. 72. 53 Dieser Satzteil dürfte eine Randglosse darstellen, s. unten 488 (Anhang I).
100 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
sondern Überwindung der Einsamkeit, d. h. Gemeinschaft bzw. Vergesellschaftung braucht (vgl. 2,18.20). Diese können ihm die Tiere – trotz ihrer kreatürlichen Verwandtschaft mit dem Menschen54 – aber nicht bieten, was der Mensch offenbar an ihrer Benennung erkennt (2,20b). Die Namengebung ist ein wirkmächtiger, von Gott initiierter und vom Menschen ausgeführter Sprachakt (V. 19), durch den die Tiere ihrem jeweiligen Lebensbereich (die Vögel dem Himmel und die Landtiere der Erde) zugeordnet werden.55 In der Benennung der Tiere vollzieht sich mithin so etwas wie die „symbolische Eroberung der Welt“56, indem der Mensch die nichtmenschlichen Geschöpfe „in seine Welt ein(ordnet)“57 und sich damit zu ihnen verhalten kann. Etwas Ähnliches geschieht auch in der Namengebung eines Kindes, das damit zu einer sozialen Person, der ersterschaffenen Frau, die zur Partnerin des Mannes (Gen 2,23), oder eines Ortes, der zu einer (heils-)geschichtlich bedeutsamen Stätte (Gen 28,19) wird.58
So unternimmt Gott einen zweiten Versuch und „baut“ eine der „Rippen“ (ṣelāʿ pl.)59 des Menschen zu einer Frau aus, die er zu ihm bringt, um zu sehen, wie er reagiert (2,21 f ). Diese Reaktion fasst der Text in die hymnisch-poetische Verwandtschaftsformel (V. 23), die bei geschlechtlicher Differenz von Mann und Frau ihre somatische Gleichheit betont (V. 23a: „Gebein von meinen Gebeinen …“), was durch die Volksetymologie ʾiššāh „Frau“ ← ʾîš „Mann“ in V. 23b noch unterstrichen wird: 21 Da ließ JHWH Gott einen Tiefschlaf auf den Menschen fallen, und er schlief ein, und er nahm eine von seinen Rippen (ṣelāʿ pl.) und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. 22 Und JHWH Gott baute (bānāh) die Rippe (ṣelāʿ), die er von dem Menschen genommen hatte, zu einer Frau, und er brachte sie zu dem Menschen. 23 Da sagte der Mensch: „Diese ist endlich Gebein (ʿæṣæm) von meinen Gebeinen (ʿæṣæm pl.) und Fleisch (bāśār) von meinem Fleisch (bāśār)! Diese soll Frau (ʾiššāh) genannt werden, denn vom Mann (ʾîš) ist diese genommen. 24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch (bāśār ʾæḥād).“ 54
In Gen 1,20 f.24.30; 2,19; 9,10.12.15f; Lev 11,10.46 und Ez 47,9 dient næpæš (ha)ḥajjāh zur Bezeichnung der Tierwelt, vgl. Wolff, Anthropologie, 50 f; Schellenberg, Beobachtungen, 294 ff und Müller, Seele, 301 f. 55 Zum Akt der Namengebung s. auch die allgemeinen Überlegungen bei Schellenberg, Mensch, 197 ff und Janowski, aaO 69 ff. 56 Link, Mensch, 23. 57 Liedke, Tier-Ethik, 205, vgl. von Rad, Genesis (ATD), 57 ff; Westermann, Genesis 1–11 (BK), 311 und Schellenberg, Beobachtungen, 304 f. 58 Vgl. Schroer/Zimmermann, Art. Namen, 417. 59 Der Terminus ṣelāʿ gehört nicht zum Schöpfungsvokabular, sondern ist ein Begriff der Architektur und bezeichnet die „Seite“ (eines Berges, der Lade u. a.) oder ein Bauelement (Bretter, Balken beim Bau des Tempels u. a.), s. dazu Uehlinger, Eva, 96 und Ges18, 1120 f s. v. ṣelāʿ.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 101
25 Und sie waren beide nackt (ʿārôm pl.), der Mensch und seine Frau, und sie schämten sich (bôš hitpol.) nicht voreinander.
Nach V. 21 f vollzieht sich die Erschaffung der Frau – darin Gen 2,7 vergleichbar – in zwei Akten des Schöpfergottes: im Nehmen einer der „Rippen“ des Menschen und in deren Ausbau zu einer Frau. „Durch diese Herkunft vom Mann (meʾîš) hat sie (sc. die Frau) Anteil an all dem, was den Mann ausmacht, sie besteht wie dieser aus Gebein und Fleisch (2,23).“60 Worin aber besteht die „Hilfe“, die die Frau dem Mann bringen soll? Der Impuls zur Erschaffung der Frau geht nicht vom Motiv der Zeugung und Aufzucht der Kinder, sondern von dem Gedanken aus, dass es für den „Menschen“ nicht gut ist, dass er allein sei. Die Überwindung der Einsamkeit durch Zweisamkeit ist, wie der Schöpfer nach V. 18 feierlich deklariert, der eigentliche Sinn der Erschaffung der Frau: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein (lebad) ist, ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht (ʿezær kenægdô). Wie die Wendung „eine Hilfe, die ihm entspricht“ (V. 18b, vgl. V. 20b) zeigt, wird die Zweisamkeit der Geschlechter durch zwei Aspekte konkretisiert: zum einen durch die Hilfsbedürftigkeit des „Menschen“ (ʿezær-Aspekt) und zum anderen durch die Entsprechung der Geschlechter (nægæd-Aspekt). Nicht derjenige, der Hilfe braucht, ist stark – er ist im Gegenteil „allein“ und „elend“ (Ps 25,16; 72,12; 107,12 u. ö.) –, sondern derjenige, der für andere eine Hilfe ist.61 Von einer Unterordnung ist dabei nirgends die Rede. Das zeigt mit wünschenswerter Deutlichkeit die Präpositionalverbindung kenægdô, die als pleonastische Variante zur Vergleichspartikel ke „wie“ fungiert und mit „wie sein Gegenüber“ oder vereinfachend mit „ihm entsprechend/seinesgleichen“ zu übersetzen ist.62
Innerhalb des Schlussabschnitts V. 23–25 besagt die Verwandtschaftsformel V. 23,63 dass der Mensch nicht dem Tier, sondern nur dem Menschen verwandt ist und der Mann allein in der Frau und diese in ihm sein/ihr „Gegenüber“ hat. Dieser Formel wird in V. 24 ein mit „darum“ eingeleiteter Kommentar hinzugefügt, der davon spricht, dass ein Mann seine Eltern „verlässt“ (ʿāzab) und seiner Frau „anhängt“ (dābaq, vgl. Gen 34,3 u. ö.) und sie beide zu „einem Fleisch“ (bāśār ʾæḥād) werden. Das ist eine nachparadiesische Perspektive, die besagt, dass nicht soziale Konvention, sondern – diese transzendierend – die „unvergleichliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“64 im Vordergrund steht. Der erste 60
Bührer, Anfang, 227, vgl. Haag, Art. Gebeine, 738. S. dazu Keel/Schroer, Schöpfung, 148 und Fischer, Egalitär, 268 f. Diese Hilfe ist auch dort gemeint, wo Gott das Subjekt von ʿezær „Hilfe“ bzw. von ʿāzar „helfen“ ist (Ps 25,5; 27,9 f; 33,20; 70,6; 115,9–11 u. ö.) und den Beter/Israel aus Gewalt, Unterdrückung oder Todesnot errettet. 62 S. dazu Jenni, Vergleichbarkeit, 210 und ders., Präpositionen 2, 44. 63 Zu dieser Formel und ihren Abwandlungen in Gen 29,14; Ri 9,2; 2 Sam 5,9 u. ö. s. Bührer, aaO 227 Anm. 279. 64 Steck, Paradieserzählung, 85, vgl. Blum Gottesunmittelbarkeit, 19; Janowski, Anthropolo61
102 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Teil der Paradieserzählung (Gen 2,4b–25) endet in V. 25 schließlich mit den beiden Stichwörtern „Nacktheit“ und „Scham“, die, wie die folgende Skizze zeigt, auch für den zweiten Teil (Gen 3,1–24) von zentraler Bedeutung sind: 2,25: Der Mensch und seine Frau Nacktheit ohne Scham („ungestörte Gemeinschaft“)65 3,7: Der Mensch und seine Frau Aufgetan-Werden der Augen (Bewusstwerdung der Nacktheit, Anfertigung von Feigenblättern) 3,9–13: Dialog zwischen Gott, dem Menschen und der Frau Frage nach dem Grund für die Bewusstwerdung der Nacktheit (Problem der Verantwortung für eigenes Tun) 3,21: Handeln Gottes Anfertigung von Fellkleidern für den Menschen und seine Frau (keine Bloßstellung der Geschöpfe durch Gott)
Abb. 22: Zum Thema „Nacktheit und Scham“ in Gen 2,4b–3,24 Das Verständnis von 2,25 (Nacktheit ohne Scham) hängt dabei mit der Frage zusammen, ob das erste Menschenpaar bereits im Garten Eden geschlechtlich miteinander verkehrte. Während diese Frage von F. Hartenstein, A. Grund, M. Bauks und K. Schmid mit guten Gründen verneint wird, wird sie etwa von I. Fischer bejaht.66 Ausschlaggebend für Fischers Verständnis ist ihre Interpretation von V. 24. Zwar sieht auch Fischer, dass dieser Vers mit seiner ätiologischen Ausrichtung („darum …“) eine nachparadiesische Perspektive einnimmt, dennoch muss ihr zufolge V. 24b („und sie werden zu einem Fleisch“) auf die „sexuelle Vereinigung“67 bezogen werden. Das aber ist nicht nur eine Engführung, sondern auch eine unzulässige Vermischung zweier unterschiedlicher Ebenen, nämlich der Ebene der ätiologischen Begründung der Verwandtschaftsformel, die V. 24 einnimmt, und der Ebene der Darstellung der Vorgänge im Garten Eden, die V. 25 im Blick hat. Was im nachparadiesischen Äon ab Gen 4,1 der Regelfall ist, ist es noch nicht im Garten Eden.
gie, 97 f; Gertz, aaO 125 ff und Schmid, Sexualität, 6 f. Dass V. 24 eine nachparadiesische Perspektive einnimmt, ergibt sich auch daraus, dass das erste Menschenpaar keine Eltern hat, sondern durch die kreative Initiative JHWHs (2,7; 2,22) entstanden ist. 65 So mit Hartenstein, Paradieserzählung, 286 f. Im Unterschied zu ʿārôm „nackt“ in 2,25 meint ʿêrôm „nackt“ in 3,7 die erkannte Nacktheit nach der Übertretung, s. dazu unten 109. 66 S. dazu einerseits Hartenstein, aaO 277 ff; Grund, Scham, 117 ff; Bauks, Nacktheit, 17 f.24.29 ff; Gertz, aaO 127; Schmid, aaO 3 ff und andererseits Fischer, Geschlechtlichkeit, 12 ff. 67 Fischer, aaO 15, ähnlich Fischer, Genesis 1–11 (HTHK.AT), 216. Demgegenüber wird das Verhältnis von Nacktheit und Scham von Hartenstein zu recht im Kontext einer „kulturellen Symbolik“ (aaO 279 f ) expliziert und V. 25 als „Ausdruck ungestörter Gemeinschaft“ (aaO 286 f, vgl. 292) verstanden. Auch nach Seebass, Art. bôš, 571 ist das Verb bôš „in keiner Weise an der sexuellen Scham orientiert … – Gen 2,25 (hitp) dürfte bedeuten ‚sich in bezug auf seine Blöße nicht im Status der Schande finden‘“, vgl. Hartenstein, aaO 287.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 103
γ) Die Übertretung des Verbots Altes Testament: Bauks, Erkenntnis, 20 ff ◆ Bird, Genesis 3, 3 ff ◆ Blum, Gottesunmittelbarkeit, 17 ff ◆ Bührer, Anfang, 220 ff.233 ff ◆ Dohmen, Gott, 33 ff ◆ Erbele-Küster, Verführung, 39 ff ◆ Fabry, Art. nāḥāš, 384 ff ◆ Grund, Scham, 117 ff ◆ Hartenstein, Paradieserzählung, 277 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 95 ff ◆ Jeremias, Theologie, 340 ff ◆ Kiefer, Gut, 140 ff.216 ff ◆ Krüger, Sündenfall?, 95 ff ◆ Kübel, Metamorphosen ◆ Leuenberger, Geschlechterrollen, 218 ff ◆ Liwak, Babel, 206 ff ◆ Meinhold, Frau, 35ff ◆ Meyers, Eve, 59ff ◆ Schellenberg, Mensch, 204 ff.219 ff ◆ Schmid, Unteilbarkeit, 21 ff ◆ Ders., Schöpfung 1, 92 ff ◆ Ders., Theologie, 278 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 205 ff ◆ Steck, Paradieserzählung, 88 ff.94 ff ◆ Wells, Death, 639 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 158 ff ◆ Zenger, Hintergrund, 24 ff. – Antike Religionen: Nesselrath/Wilk (Hg.), Gut ◆ Schäfer, Schlange, 327 ff. – Rezeptionsgeschichte: Cornelius, Pages, 221 ff ◆ Ego, Das Böse, 3 ff ◆ Lee, Death Warning ◆ Schmid/ Riedweg (ed.), Eden. – Philosophie, Systematische Theologie: Bonhoeffer, Schöpfung, 96 ff ◆ Foucault, Geständnisse, 434 ff ◆ Härle, Dogmatik, 469 ff.482 ff ◆ Hünermann, Peccatum originale, 92 ff ◆ Ricœur, Symbolik, 265 ff ◆ Ders., Erbsünde, 140 ff ◆ Welker, Schöpfung, 107 ff.
Ausgangspunkt für die in Gen 3,1–24 dargestellten Ereignisse ist der in Gen 2,16 f68 formulierte Konflikt zwischen Erkenntnis und Verfehlung, d. h. zwischen dem Wissen von gut und böse und der Übertretung des göttlichen Verbots. In der Interpretation dieses Konflikts ist die Auslegungsgeschichte69 unterschiedliche Wege gegangen, die zunächst in Erinnerung gerufen seien. Besonders problematisch ist dabei die traditionelle Bezeichnung von Gen 3 als „Sündenfallerzählung“. Der „Sündenfall“ Die kirchliche Tradition hat mit dem „Sündenfall“70 den Verlust des Paradieses als Preisgabe eines unschuldigen Urstands (status integritatis) beklagt und diesen Verlust als „Erbsünde“ (peccatum originale) bezeichnet. Dieser Begriff ist deswegen problematisch, weil „der Begriff des ‚Erbes‘ im Widerspruch zum Begriff der Sünde als selbstverantworteter Lebenstat (steht)“71. Noch problematischer ist es, wenn man im Anschluss an Augustin behauptet, dass die Sünde durch Zeugung weitergegeben werde und insofern „Erbsünde“ sei.72 Diese biologistische Interpretation widerspricht im Übrigen auch dem Kontext von Gen 2,21–25 mit seiner positiven Sicht der Geschlechterbeziehung. Gleichwohl sollte das Anliegen 68
Zum Text s. unten 106. Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 2,16 f s. Lee, Death Warning, 67 ff. Speziell zu Röm 5,12 ff s. Q 179. 70 Zur Problematisierung dieses Begriffs, der in vielen Bibelausgaben als Überschrift über Gen 3 steht, s. Krüger, Sündenfall?, 95 ff; Gertz, aaO 129.173 f und Kiefer, Gut, 216 ff. 71 Krötke, Art. Sünde/Schuld, 1868. 72 S. dazu Fuhrer, Mensch, 177 ff; Foucault, Geständnisse, 440 ff.452 ff; Schäfer, Schlange, 345 ff.356 f u. a. 69
104 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
der christlichen Sündenlehre (Hamartiologie), den „menschheitsgeschichtlichen Gesamtzusammenhang“73 zur Geltung zu bringen, nicht preisgegeben werden. Dieser Zusammenhang kommt in der Erzählung Gen 2,4b–4,26 auf eine Weise zum Ausdruck, die N. Lohfink als das „vorpersonale Böse“74 bezeichnet hat. Als terminus technicus geht die traditionelle Bezeichnung „Sündenfall“ auf die Kirchenväter des 4. Jh.s n. Chr., insbesondere auf Tertullian, Ambrosius und Augustin (De civitate Dei 13,1; Confessiones, 13,28 u. ö.) zurück, die vom lapsus primi hominis („Fall des ersten Menschen“) bzw. vom lapsus peccati („Fall der Sünde“) oder einfach vom lapsus („Fall“) sprechen.75 Nicht weniger problematisch als diese Begrifflichkeit ist die Dämonisierung der Paradieserzählung, die schon früh einsetzte und erhebliche Konsequenzen nicht nur für das Verständnis von Gen 3,1 ff hatte. Drastische Belege dafür sind die zahlreichen mittelalterlichen Darstellungen der Szenerie von Gen 3.76 Das bekannteste Beispiel ist Michelangelos Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle (1508–1512, s. Abb. 23): die Schlange, die sich um den Baum windet und eine weibliche Gestalt hat, reicht Eva die Frucht, während Adam daneben steht. Rechts davon werden die beiden von dem Keruben mit dem Flammenschwert aus dem Paradies vertrieben.
Abb. 23: Michelangelo, Deckenfresko (Sixtinische Kapelle) 73
Härle, Dogmatik, 480. S. dazu Lohfink, Das Jüdische, 167 ff. 75 S. dazu die Nachweise bei Kiefer, aaO 216 Anm. 358, ferner Härle, aaO 478. Eine Fehlinterpretation ist auch der Versuch, das mesop. Rollsiegel, das unter der ominösen Bezeichnung „Sündenfallzylinder“ bekannt geworden ist, mit Gen 3 in Zusammenhang zu bringen, s. dazu Q 68. 76 S. dazu Cornelius, Pages, 224 ff, ferner Liwak, Babel, 211 ff. 74
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 105
Die andere Interpretationslinie ist die philosophische Tradition von Aufklärung und Idealismus, die im „Sündenfall“ eine „glückliche Schuld“ ( felix culpa) sah, weil sie als der notwendige Schritt zur Menschwerdung des Menschen und zur Herausbildung seiner Freiheit verstanden wurde.77 Das Problem bei dieser Deutung ist die Annahme, dass dieser Schritt notwendig gewesen sei. Dazu richtet er immer wieder zu viel Unheil an, denn „er dient der Zerstörung derjenigen Bedingungen und Grundlagen des eigenen Lebens von Menschen, auf die sich doch angewiesen sind, um zu leben“78. Deshalb wäre es angemessener, von einem folgenreichen Schritt zu sprechen, von einem also Schritt, der nicht ein äußerliches Verhängnis darstellt, sondern der wesentlich personal ist und sich in sozialen Zusammenhängen vollzieht. „Es geht“, wie P. Hünermann konstatiert, „nicht um eine Herleitung und ‚Erklärung‘ des Bösen, vielmehr um eine Annäherung an seine Faktizität.“79 Diese Annäherung an die Faktizität des Bösen gelingt um so mehr, als das Anliegen der kirchlichen Erbsündenlehre mit dem Anliegen der philosophischen Freiheitsreflexion verbunden werden kann. Das Entscheidende dabei sind die geschichtlichen Erfahrungen, die das Leben eines jeden Menschen kennzeichnen: „Das Wichtigste ist das Ausscheiden jedes Anscheins eines äußerlichen Verhängnisses, einer ursprünglichen Tat eines Anderen, für die die nachfolgende Menschheit nichts kann und für die sie gleichwohl büßen muss. (…) Es ergibt sich von … diesem transzendentalgeschichtlichen Ansatz her die Möglichkeit, die geschichtlichen Erfahrungen zu integrieren, die bei Augustinus nur als äußerlich mit der Tat des ersten Adam verknüpft erscheinen: Die Konkupiszenz, das Elend, die Erfahrung des Todes als nichtiger Macht, die das Leben des Menschen beherrscht, werden hier gerade aus der ursprünglichen Erschließung von Sein und Zeit in der Form der Verweigerung verständlich. Ebenso die wesentliche allgemeine Brechung der an sich dem Menschen zugedachten Gemeinschaft mit Gott, sowie ihre Wiederherstellung von Gott her, indem dieses Böse als geschichtliche Verweigerung gedacht wird.“80 Bei seinem Versuch, die personale und geschichtliche Dimension menschlichen Handelns und damit den Realitätsbezug der Erbsündenlehre zu wahren, greift Hünermann auf Überlegungen von P. Ricœur zurück, der den Weg zu diesem Verständnis vorgezeichnet hatte: „Wir haben kein Recht, über das bereits vorfindliche Böse außerhalb des Bösen, das wir setzen, zu spekulieren. Hier liegt zweifellos das letzte Geheimnis der Sünde: Wir beginnen das Böse, durch uns kommt es in die Welt, aber wir beginnen es nur von einem bereits vorhandenen Bösen aus, wofür unsere Geburt das undurchdringliche Symbol bildet.“81 77 78 79 80 81
S. dazu Welker, Schöpfung, 108 f und Ringleben, Dialektik, 133 ff. Zum felix culpa-Verständnis im rabbinischen Judentum s. Schäfer, Schlange, 350 ff.356 f. Krötke, Art. Sünde/Schuld, 1872. Hünermann, Peccatum originale, 106. Ders., ebd. Ricœur, Erbsünde, 161, s. dazu auch Hünermann, aaO 94 ff.
106 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Dass auf die Erschaffung des Menschen in Gen 2,4b–7 die Erzählung vom Ort der Handlung (Gen 2,8 f.15) und vom Gebot für den Menschen (Gen 2,16 f ) folgt, zeigt, dass die nichtpriesterliche Paradieserzählung kein Interesse an der Schilderung eines unschuldigen Urzustandes hat.82 Im Gegenteil: „Die Menschheitsgeschichte ist nach biblischem Verständnis von Anfang an eine Geschichte, die von der Realität der Sünde entscheidend mitbestimmt ist“83. Genau das wird, wie die folgenden Überlegungen deutlich machen, in Gen 2,4b–3,24 erzählt. Die verbotene Frucht Der zweite Teil der nichtpriesterlichen Paradieserzählung nähert sich der Realität der Sünde bzw. genauer: der Fehlbarkeit des Menschen auf eine ebenso dramatische wie elementare Weise. Er beginnt in Gen 3,1–8 mit der Übertretung des Verbots und endet in Gen 3,22–24 mit der Vertreibung aus dem Garten Eden: 3,1–8 3,9–13 3,14–19 3,20 f 3,22–24
Übertretung des Verbots und ihre Folgen Verhör des Menschen und seiner Frau Daseinsminderungen (Strafworte) Namengebung und Bekleidung Vertreibung aus dem Garten Eden
Für das Verständnis dieser Erzählabfolge sind drei Aspekte wichtig: der Zusammenhang von Erlaubnis und Verbot (Gen 2,16 f ), von Nacktheit und Scham (Gen 2,25; 3,7.9 ff.21) sowie von Einzelstrafe und Gemeinschaftsstrafe (3,14–19). Die in Gen 3 erzählten Ereignisse werden nach Gen 2,16 f zunächst von einer Erlaubnis (V. 16) und einem Verbot (V. 17) ausgelöst: 16 Und JHWH Gott gebot dem Menschen: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, 17 aber vom Baum der Erkenntnis von gut und böse – nicht darfst du von ihm essen, denn an dem Tag, an dem du von ihm isst, musst du sterben.“
Es will dabei beachtet sein, dass der Begriff „Sünde“ weder hier noch sonst in Gen 2,4b–3,24 fällt, sondern zum ersten Mal in Gen 4,7 (ʿāwôn „Verkehrtheit“) und in Gen 4,13 (ḥaṭṭāʾt „Verfehlung“) begegnet. Hätte der biblische Autor die Erkenntnis von gut und böse84 in die Nähe der „Sünde“ gerückt, hätte er das menschliche Urteilsvermögen, das auf dieses Orientierungswissen fundamental 82
Vgl. auch Härle, aaO 479 f; Schmid, Unteilbarkeit, 32 ff und ders., Schöpfung 1, 97 f. Härle, ebd. 84 Mit der Erkenntnis von gut und böse ist das lebenspraktische Wissen, also die Fähigkeit gemeint, zwischen Lebensförderlichem und Lebensabträglichem zu unterscheiden, vgl. Dtn 1,39; 2 Sam 19,36; 1 Kön 3,9; Jes 7,15 f u. ö.; 1 QSa 1,10 f und dazu Höver-Johag, Art. ṭôb, 329 ff; Albertz, „Ihr werdet sein“, 26 ff; Bührer, Anfang, 238 ff; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 118 f; Kiefer, Gut, 143 ff; Erbele-Küster, Verführung, 53 ff u. a. 83
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 107
angewiesen ist, diskreditiert. Das Problem liegt woanders, nämlich darin, dass die Erkenntnis von gut und böse eine Unterscheidungsfähigkeit impliziert, die nur Gott zukommt (vgl. Gen 3,5.22), während sie für den Menschen ambivalent ist als etwas, das „Schmerz wie auch Trauer (bringt), Gewahrsein des Bösen wie auch des Guten“85. Im Garten Eden braucht das erste Menschenpaar dieses Wissen nicht. Es braucht es aber außerhalb des Gartens, wo es um „weise Voraussicht, das Erkennen von Konsequenzen und somit Planungsfähigkeit“86 geht. Für das Verständnis von Gen 2,16 f ist sodann zu beachten, dass der Mensch die mit dem Wissen von gut und böse verbundene Erkenntnis durch die Übertretung des göttlichen Verbots gewinnt. Deshalb ist die Begabung des Menschen mit Erkenntnis eine zutiefst ambivalente Angelegenheit: sie ist zwar grundsätzlich positiv, aber zugleich mit einem Verlust erkauft. Denn der Mensch muss nun „sein Leben ständig neu so gestalten, daß er aus einer Fülle von Möglichkeiten der Selbstbestimmung auswählt. Jeder dieser Wahlakte und darum auch das menschliche Leben im ganzen steht unter der Alternative von Scheitern und Gelingen. In dem Verbot, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, ist das Wissen enthalten und angedeutet, daß es diese beiden Möglichkeiten gibt. Dabei bedeutet das Sich-Einlassen auf das Böse einerseits, daß das Erfahrungsspektrum des Menschen ungeheuer ausgeweitet wird, weil der Mensch in ihm das Gegenteil des Guten kennenlernt, dass aber andererseits eben damit ein lebensbedrohlicher Riß durch sein Dasein geht“87.
Vor diesem Hintergrund ist noch einmal auf die Formulierung von Gen 2,16 f zu achten. Dem Verbot in Bezug auf den Baum der Erkenntnis von gut und böse wird in V. 16b nämlich eine unbegrenzte Erlaubnis vorangestellt: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen“. Das folgende Verbot („Aber vom Baum der Erkenntnis von gut und böse …“ V. 17a) wirkt demgegenüber wie eine willkürliche Beschränkung dieser Erlaubnis, erweist sich durch den Nachsatz „denn an dem Tag, an dem du von ihm isst, musst du sterben“ (V. 17b) aber als lebensdienlich. Deshalb hat das Verbot den „Charakter einer heilsamen Warnung vor einer todbringenden Gefahr, nicht den Charakter einer willkürlichen Einschränkung oder gar Drohung“88. Die Tatsache, dass diese Warnung aber als Verbot gegeben wird, zeigt, „daß und wie das Leben des Menschen durch ihn selbst gefährdet ist“89. Negativ ist also nicht die Erkenntnis von gut und böse, sondern der Ungehorsam gegen das göttliche Gebot.
85
Bird, Genesis 3, 18. Bührer, aaO 239, vgl. auch von Rad, Weisheit, 3, der sein Weisheitsbuch mit dem folgenden Satz eröffnet: „Kein Mensch würde auch nur einen Tag leben können, ohne empfindlichen Schaden zu nehmen, wenn er sich nicht von einem ausgebreiteten Erfahrungswissen steuern lassen könnte“, vgl. unten 413. Dazu gehört auch die lebenspraktische Unterscheidung von gut und böse, vgl. Schmid, Unteilbarkeit, 28. 87 Härle, Dogmatik, 473 (H. i.O). 88 Ders., ebd. (H. i.O). 89 Ders., ebd. (H. i.O). 86
108 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Wie der anschließende Passus Gen 3,1–8 erzählt, kommt der Anstoß zur Übertretung des Verbots von außen, nämlich von der Schlange,90 die ein Geschöpf JHWHs ist (V. 1). „Es bedarf nur eines kleinen Anstoßes von außen, um das Böse zur aktuellen Sünde werden zu lassen“91. Dies geschieht durch eine Frage, die die kluge Schlange stellt („Hat Gott wirklich gesagt, dass ihr von keinem Baum des Gartens essen dürft?“ V. 1). Darauf geht die Frau korrigierend ein (V. 2 f ),92 nimmt von der Frucht, isst davon und gibt sie ihrem Mann, der ebenfalls davon isst (V. 6): 1 Und die Schlange war klüger (ʿārûm) als alle Tiere des Feldes, die JHWH Gott gemacht hatte, und sie sagte zur Frau: „Hat Gott wirklich gesagt, dass ihr von keinem Baum des Gartens essen dürft?“ 2 Da sagte die Frau zur Schlange: „Von den Früchten der Bäume des Gartens essen wir, 3 aber von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens ist, hat Gott gesagt: ‚Ihr dürft nicht davon essen und dürft sie nicht berühren, damit ihr nicht sterbt!‘“ 4 Da sagte die Schlange zur Frau: „Ihr werdet gewiss nicht sterben! 5 Sondern Gott weiß, dass an dem Tag, an dem ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden, und ihr sein werdet wie Gott, wissend um gut und böse.“ 6 Da sah die Frau, dass der Baum gut war als Speise und dass er eine Lust war für die Augen und dass der Baum begehrenswert war, um klug zu werden. Und sie nahm von seiner Frucht und aß, und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß.
Es sind drei Aspekte – der lebensdienliche, der ästhetische und der kognitive Aspekt –, die den Baum nach V. 6 auszeichnen: er ist „gut“ (ṭôb) als Nahrung, eine „Lust“ (taʾ awāh) für die Augen und „begehrenswert“ (næḥmād), um klug zu werden.93 Kein Wort von einer Hybris gegen Gott, vor allem kein Streben nach dem „ewigen Leben“.94 Davon ist erst in 3,22 die Rede. Und nun, so fährt der 90
Die Schlange ist ein Wesen mit ‚Grenzcharakter‘, d. h. ein Wesen, das Gegensätze (Tod/ Leben) vereint und Trennungslinien überschreitet, s. dazu Fabry, Art. nāḥāš, 384 ff; Liwak, aaO 218 ff.221f; Bührer, aaO 233 ff; Gertz, aaO 129 ff u. a. Darüber hinaus nimmt Hartenstein, Paradieserzählung, 283 ff an, dass die Schlange traditionsgeschichtlich zum Symbol des heiligen Baums gehört und mit dem „Baum in der Mitte des Gartens“ (V. 3) wohl der Lebensbaum gemeint ist (aaO 285 f ), s. dazu aber unten Anm. 92. 91 Fabry, aaO 393. 92 Die Abweichung bzw. Richtigstellung betrifft zum einen das Berührungsverbot in V. 3 („und dürft sie nicht berühren, damit ihr nicht sterbt!“). Zum anderen heißt der Baum an dieser Stelle nicht „Baum der Erkenntnis von gut und böse“, sondern „der Baum in der Mitte des Gartens“. Mit Blum, Gottesunmittelbarkeit, 20 ff.24 f gehe ich davon aus, dass mit diesem Baum in der „ungenauen Rede der Frau“ (aaO 20.21) der Baum der Erkenntnis gemeint ist. Das entspricht, wie neben V. 5 (Werden „wie Gott, wissend um gut und böse“) auch der Aspekt „Klugheit“ in V. 6 zeigt („und dass der Baum begehrenswert war, um klug zu werden“), auch der Logik der Erzählung, vgl. Bührer, aaO 236. 93 Dabei werden zwei ähnliche Attribute des Baums aus 2,9 aufgenommen, s. dazu Müller, Parallelen, 167 ff; Bührer, aaO 242 f und Erbele-Küster, Verführung, 45 ff. Zum Vergleich von Gen 2,9 und 3,6 mit Gilg. IX 170 ff s. Q 94. 94 Vgl. Schmid, Unteilbarkeit, 29.34. Zum Topos „ewiges Leben“ s. Janowski, Art. Ewiges Leben, 1762 f und Härle, Dogmatik, 490 f.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 109
Text fort, geschieht etwas Eigenartiges: die Augen der beiden werden aufgetan – aber sie sterben nicht! Es kommt anders, denn was sie zu sehen bekommen, sind sie selbst als nackte Wesen, die Feigenblätter zusammenheften und sich Schurze machen, weil sie sich schämen: 7 Und die Augen der beiden wurden aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt (ʿêrôm) waren. Da hefteten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. 8 Und sie hörten die Stimme von JHWH Gott, der sich im Garten im Tageswind erging. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor JHWH Gott inmitten der Bäume des Gartens.
Die Scham ist hier „nicht Symptom oder Folge der Sünde, sondern geht unmittelbar mit der Erkenntnis von Gut und Böse einher.“95 Und die Nacktheit ist nicht wie in 2,25 (ʿārôm pl. „nackt“) eine Nacktheit ohne Scham, sondern die bewusst gewordene Nacktheit (ʿêrôm) nach der Übertretung,96 die in 3,9–13 denn auch zum Verhör durch Gott führt. Das aber heißt: Gottgleiches Wissen (vgl. 3,5) macht das erste Menschenpaar nicht göttlich, sondern vergrößert sein „Bewußtsein der Grenze zwischen sich selbst und Gott“97. Diese Grenze bestand von Anfang an, weil Gott der Schöpfer und der Mensch sein Geschöpf ist. Aber jetzt ist diese Grenze bewusst und dieses Bewusstsein ‚tut weh‘.98 Nach dem Verhör kommt es daraufhin zu den Strafsprüchen über die Schlange (Gen 3,14 f ), die Frau (Gen 3,16) und den Mann (Gen 3,17–19), die elementare Daseinsminderungen und damit den ätiologischen Zielpunkt der Paradieserzählung enthalten: 14 Und JHWH Gott sagte zur Schlange: „Weil du dies getan hast, bist du verflucht von allem Vieh und von allen Tieren des Feldes! Auf deinem Bauch wirst du kriechen und Staub wirst du fressen alle Tage deines Lebens! 15 Und Feindschaft werde ich setzen zwischen dir und der Frau, und zwischen deinem Samen und ihrem Samen, er, er wird dir nach dem Kopf treten, und du wirst ihm nach der Ferse schnappen“. 16 Zur Frau sagte er: „Überaus groß werde ich deine Mühsal und deine Schwangerschaft machen; unter Schmerzen wirst du Kinder gebären, und nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen!“ 17 Und zum Menschen sagte er: „Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: ‚Du sollst davon nicht essen!‘, ist der Ackerboden verflucht um deinetwillen: Mit Mühsal wirst du davon essen alle Tage deines Lebens, 18 und Dornen und Disteln wird er für dich wachsen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes 95
Grund, Scham, 121. Hartenstein, aaO 282. 97 Bird, Genesis 3, 20. 98 Vgl. dies., aaO 18.20. 96 Vgl.
110 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung essen! 19 Im Schweiß deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren!“
Jeder dieser Sprüche hat zwei Dimensionen: eine Einzelstrafe in Form einer spezifischen Lebensminderung (Schlange: Kriechen auf dem Erdboden, Fressen von Staub, Frau: Schwangerschaft unter Schmerzen, Mann: Feldarbeit unter Mühsal) und eine Gemeinschaftsstrafe, insofern die an den Folgen der Übertretung beteiligten Wesen in einem von gegenseitiger Feindschaft bestimmten Verhältnis stehen.99 Die Konsequenz ist die Vertreibung aus dem Garten Eden und die Bewachung des Lebensbaums durch die Keruben und das zuckende Flammenschwert (Gen 3,22–24). Davor steht der für das Gottesbild der Paradieserzählung aufschlussreiche Passus zur Namengebung der Frau (V. 20)100 und zur Bekleidung des Menschen und seiner Frau (V. 21): 20 Und der Mensch gab seiner Frau den Namen „Eva“, denn sie wurde die Mutter aller Lebenden (ʾem kål-ḥaj). 21 Und JHWH Gott machte für den Menschen und seine Frau Fellkleider101 und bekleidete sie.
Dieser Akt der Bekleidung ist ein anrührender und zugleich theologisch gewichtiger Zug der Erzählung. Denn er bedeutet, dass der Schöpfer seine Geschöpfe nicht bloßstellt/entblößt, sondern an ihnen festhält, obwohl sie sein Gebot übertreten haben. B. Jacob sah darin den „Schlüssel zur ganzen Paradiesgeschichte“102. Und im Blick auf ein ähnliches Verhalten Gottes in der Fluterzählung Gen *6,5–8,22 ist festzuhalten, dass Gott, wie D. Bonhoeffer formuliert, die Menschen „als die (nimmt), die sie als gefallene sind. Er bejaht sie als gefallene. Er stellt sie nicht in ihrer Nacktheit voreinander bloß, sondern er selbst verhüllt sie. (…) Indem Gott den Menschen Röcke macht, zeigt er ihnen, daß dies um ihrer Bosheit willen nötig ist, er bändigt damit ihre Sucht, aber er vernichtet sie nicht“103.
Östlich vom Garten Eden (vgl. 3,24)104 spielt dann die Brudermorderzählung Gen 4,1–16, die von den Folgen erzählt, die sich aus der Gebotsübertretung er99 Vgl.
100 Zur
Witte, Urgeschichte, 163, ferner Bührer, aaO 246 ff.250 f und Gertz, aaO 137. Bezeichnung Evas als „Mutter aller Lebenden“ s. Bührer, aaO 253 f und Staubli, Mutter,
10 f. ʿôr die Bedeutung „Haut“ hat, ist allerdings nicht ausgemacht, dass hier von einem Tierfell die Rede ist. Möglicherweise ist gemeint, „dass Gott den Menschen Kleidung für ihr Haut verfertigt, was nicht das Töten von Tieren voraussetzt“ (Ebach, Art. Naturerfahrung, 423). 102 Jacob, Genesis, 124 (H. i. O.), vgl. Hartenstein, aaO 277; Gertz, aaO 146 und Irsigler, Gottesbilder, 504 f. 103 Bonhoeffer, Schöpfung, 129 (H. i. O.). 104 Der geostete Eingang des Gartens Eden und seine Bewachung durch die Keruben ist durchsichtig auf den Jerusalemer Tempel und dessen Ostung, s. dazu Bührer, aaO 259 ff u. a. 101 Da
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 111
geben, und die – wie der Vergleich der Verhörszenen von Gen 3,9–13 und 4,9–15 zeigt – eine Steigerung gegenüber der Paradieserzählung darstellen.105 2. Die Fluterzählung Gen *6,5–8,22 Altes Testament: Baumgart, Umkehr ◆ Ders., Flut, 30 ff ◆ Ders., Zuversicht, 73 ff ◆ Ders.,
Ende, 25 ff ◆ Döhling, Gott, 85 ff ◆ Ebach, Noah, 37 ff.47 ff.107 ff ◆ Gertz, Beobachtungen, 41 ff ◆ Ders., Noah, 503 ff ◆ Hardmeier, Noah-Flut-Erzählung, 33 ff ◆ Ders./Ott, Naturethik, 311 ff ◆ Hartenstein, Ende, 47 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 504 ff ◆ Janowski, Empathie, 175 ff ◆ Jeremias, Theologie, 340 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 192 ff ◆ Kiefer, Gut, 119 ff ◆ Löning/Zenger, Anfang, 160 ff ◆ Müller, Motiv, 88 ff ◆ Ders., Mythos, 115 ff ◆ Oberforcher, Art. Sintfluterzählungen, 610 ff ◆ Rüterswörden, dominum terrae, 34 ff ◆ Schüle, Prolog, 247 ff.271 ff ◆ Wagner, Unfähigkeit, 63 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 171 ff. – Antike Religionen: Albertz, Motiv, 49 ff ◆ Baumgart, Umkehr, 419 ff.496 ff ◆ von Bredow/Renger, Art. Sintflutsage, 586 ff ◆ Dietrich, Sintflut, 3 ff ◆ Kiefer, Gut, 217 ff ◆ Maul, Ringen, 161 ff ◆ Oberforcher, Art. Sintfluterzählungen, 608 ff ◆ Wassermann, Flood ◆ West, East Face, 377 ff.489 ff ◆ Wilcke, Weltuntergang, 63 ff. – Kultur- und Religionswissenschaft: Baumgart/Ringshausen (Hg.), Sintflut ◆ Caduff, Sintflutsagen ◆ Jones (Hg.), Weltende ◆ Mulsow/Assmann (Hg,), Sintflut.
In der nichtpriesterlichen Erzählung vom Brudermord (Gen 4,1–16) sowie von den Kainiten und Setiten (Gen 4,17–26) wird das Anwachsen der Gewalt erzählt, die schließlich alles – Welt, Menschen und Tiere – ins Verderben reißt. An ihrem Ende steht in Gen 4,23 f das Lamechlied, das dem Prinzip der überbietenden Vergeltung verpflichtet ist: 23 Da sagte Lamech zu seinen Frauen: „Ada und Zilla, hört meine Stimme! ihr Frauen Lamechs, horcht auf mein Wort! Wahrlich, einen Mann tötete ich für meine Wunde und einen Jüngling für meine Strieme! 24 Wahrlich, siebenfach wird Kain gerächt, aber Lamech siebenundsiebzigfach!“
Bedeutet schon die 7-malige Vergeltung der Ermordung Kains (Gen 4,15.23) eine exorbitante Überbietung des ius talionis,106 so wird diese Vergeltungspraxis durch die Privatrache Lamechs noch in 11-fache gesteigert und damit die Rolle Gottes als Garant des Rechts unterlaufen. Aus dieser Geschichte der ansteigenden Gewalt zieht die nichtpriesterliche Fluterzählung (Gen *6,5–8,22) dann die Konsequenzen. Nach deren Komposition und Aussageabsicht ist zunächst zu fragen.
105 S.
die Übersetzung unten 490 f (Anhang I) und zum Verständnis außer den Kommentaren noch Janowski, Jenseits, 134 ff und Bührer, aaO 263 ff. 106 S. dazu Janowski, Gott, 98 f.
112 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
a) Komposition und Aussageabsicht Baumgart, Umkehr, 94 ff ◆ Fischer Genesis 1–11 (HThK.AT), 399 ff ◆ Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 223 ff.225 ff ◆ Schüle, Prolog, 247 ff.271 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 171 ff.
Die biblische Flutüberlieferung liegt in zwei parallelen Ausprägungen – der priesterlichen (Gen *6,9–9,17) und der nicht-priesterlichen Fluterzählung (Gen *6,5– 8,22) – vor, die in Gen 7,1–8,19 ineinander gearbeitet sind.107 Ebenso wie die Gliederung der priesterlichen Textanteile108 ist allerdings auch die Gliederung der nichtpriesterlichen Textanteile109 mit Unsicherheiten behaftet. Deutlich ist aber, dass der Flutbericht Gen *7,1–8,13b von einem Prolog (Gen 6,5–8) und einem Epilog (Gen 8,20–22) gerahmt wird und sich folgendermaßen gliedern lässt:110 I. Prolog (6,*5–8): Vernichtungsbeschluss II. Flutbericht (*7,1–8,13b) 7,*1–5 Ankündigung der Flut und Befehl zum Besteigen der Arche (mit Ausführung des Befehls) 7,*10–16 Kommen der Flut und Verschließen der Arche 7,*17–23 Schilderung der Flut, Noah und die Besatzung der Arche als Überlebende 8,*1–13b Ende der Flut und Entsendung der Taube
III. Epilog (8,20–22): Bewahrungszusage Abb. 24: Zur Komposition der Fluterzählung in Gen *6,5–8,22
Mit der Verheißung des Epilogs endet die nichtpriesterliche Fluterzählung, die mit dem Vernichtungsbeschluss des Prologs eröffnet wird. Ihr roter Faden ist der dramatische Wandel von der Vernichtung der Geschöpfe (Gen 6,*5–8) zur Bewahrung der Schöpfung (Gen 8,20–22). Die anthropomorphen Sprachbilder, die dabei eine Rolle spielen – der Prolog spricht vom göttlichen „Herzen“ und vom göttlichen „Schmerz“ (Gen 6,6) –, machen das theologische Profil der nichtpriesterlichen Fluterzählung aus. b) Zentrale Themen Das Alte Testament ist voll von anthropomorphen Sprachbildern, die Gott in menschlicher Gestalt zeigen oder menschlich von ihm reden. Der biblische Gott
107 S.
dazu oben 73. dazu oben 74 f. 109 Zum wahrscheinlichen Umfang der nP-Fluterzählung (Gen 6,5–7a*.8; 7,1a.2.3b– 5.10a.12.16b.17b.22*23*; 8,2b.6.8–12.13b.20–22) s. Gertz, aaO 15.223. Zum Umfang der P-Fluterzählung s. oben 74 Anm. 142. 110 Vgl. auch die Vorschläge von Baumgart, Umkehr, 96 ff und Gertz, aaO 224 f. Anders Witte, Urgeschichte, 183. 108 S.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 113
spricht (Gen 1,3), ruft (Hos 11,1), schreit (Jes 42,14), antwortet (Ps 22,3), sieht (Gen 6,5), riecht (Gen 8,21), lacht (Ps 2,4), weint (Jer 14,17) und pfeift (Jes 7,18), er hat Augen, Ohren, Mund, Lippen, Zunge, Hände, Finger, Arme, Füße und sogar ein Herz. Die Rede von Gott bezieht sich aber nicht nur auf die Ebene der konkreten Körperlichkeit, sondern auch auf die kognitiven und voluntativen Aspekte seines Wirkens (Denken, Wollen, Planen).111 Eine dieser Eigenschaften ist das „Gedenken“ (zākar) Gottes, von dem es auf dem Höhepunkt der priesterlichen Fluterzählung heißt: „Und Gott dachte (zākar) an Noah und an alle Wildtiere und an alles Vieh, das bei ihm in der Arche war“ (Gen 8,1a, vgl. Gen 9,15f Pg ). Das „Gedenken“ ist aber nicht die einzige (Re-)Aktion Gottes in der biblischen Fluterzählung. Ebenso bemerkenswert sind die Aussagen über seine „Reue“ (Gen 6,6, vgl. 6,7), über seinen „Schmerz“ (Gen 6,6) und über die Rücknahme seines Vernichtungsbeschlusses (Gen 8,21 f ). Sie bilden ein dichtes Netz von Termini und Motiven, die aussagerelevante Bedeutung für das Gottesbild der nichtpriesterlichen Fluterzählung haben. Der Ausgangspunkt ist der Prolog in Gen 6,*5–8. α) Der göttliche Vernichtungsbeschluss Unmittelbar vor Gen 6,9–22, dem Auftakt der priesterlichen Fluterzählung, steht der nichtpriesterliche Prolog (Gen 6,*5–8), wonach JHWH es „reute“, den Menschen geschaffen zu haben. Diesen Menschen, der sein Wesen durch seine „Bosheit“ pervertiert hatte, beschloss JHWH auszutilgen, nahm aber Noah von seinem Vernichtungsbeschluss aus: 5 Und JHWH sah, dass die Bosheit des Menschen zahlreich war auf der Erde und jedes Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse war alle Tage. 6 Da reute es JHWH, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und es schmerzte ihn zu112 seinem Herzen hin. 7 Und JHWH sprach: „Ich will den Menschen austilgen, den ich geschaffen habe, von der Oberfläche des Ackerbodens, vom Menschen bis zum Vieh, bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln der Himmels, denn es reut mich, dass ich sie [ihn] gemacht habe.“ 8 Noah aber fand Gnade in den Augen JHWHs.113
Dieser Text gewährt mit V. 6 nicht nur einen Blick in das Herz Gottes, sondern er setzt auch mit dem Topos der Aufmerksamkeit Gottes ein, der die „Bosheit“ 111 S.
dazu den Überblick bei Janowski/Scholtissek, Art. Eigenschaften Gottes, 147 ff. Zur systematisch-theologischen Problematik s. etwa Härle, Dogmatik, 254 ff. 112 Die Präposition ʾæl bezeichnet die Richtung zu dem Körperorgan hin, in dem der Vernichtungsbeschluss JHWHs gefasst wird, vgl. Jacob, Genesis, 181; Ebach, Noah, 46; Döhling, Gott, 112 f und zur Konstruktion auch 1 Sam 20,34: „denn es schmerzte ihn (sc. Jonathan) hin zu (ʾæl) David“. 113 Der Relativsatz V. 7aα und die Aufzählung der Lebewesen V. 7aβγ (jeweils kursiv) dürften endredaktionell sein, s. dazu Arneth, Adams Fall, 174 ff und Gertz, aaO 223.
114 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
seines Geschöpfs „sieht“ (V. 5). Diese Bosheit, der die folgende Reaktion JHWHs entspricht, hat ihren Ort im menschlichen Herzen (leb).114 Ebenso wenig wie die Bosheit etwas Peripheres ist – es geht vielmehr um „die ethische Qualität der im Herzen, also dem Verstand und Willen des Menschen gründenden Handlungsentwürfe und deren Folgen“115 –, ebenso wenig ist es die göttliche Reaktion, die nach V. 6b ihren Ort ebenfalls im Herzen hat. So steht das göttliche gegen das menschliche Herz, und diese Konfrontation ist fundamental. Denn es droht, wie die in V. 6a formulierte Zuordnung der Reue Gottes zur Erschaffung des Menschen zeigt, nichts weniger als die Rücknahme der geschöpflichen Konstitution des Menschen durch ein Gerichtshandeln Gottes. Semantische Aspekte Die Beschreibung der Reaktion JHWHs in V. 6b – „und es schmerzte ihn zu seinem Herzen hin“ – bringt mit dem Verb ʿṣb hitp. („sich bekümmern, Schmerz empfinden“) allerdings einen Aspekt ein, der unterschiedlich wiedergegeben wird. Hier eine kleine Auswahl: Kummer, Betrübnis, Gram …, und er betrübte sich zu seinem Herzen.116 … und es bekümmerte ihn tief/in seinem Herzen.117 … und er war zutiefst bestürzt.118
Schmerz … und es schmerzte ihn bis in sein Herz hinein.119 sich grämen, (inneren) Schmerz empfinden120
Zorn, Wut … und er wurde zornig in seinem Herzen.121 … und er wurde betrübt/wütend bezüglich seiner Absichten.122 Abb. 25: Zur Übersetzung von ʿṣb hitp. in Gen 6,6b 114 Zur
emotionalen, kognitiven und voluntativen Bedeutung von leb/lebāb „Herz“ s. Fabry, Art. leb/lebāb, 413 ff; Janowski, Herz, 77 ff und ders., Anthropologie, 148 ff. 115 Arneth, aaO 176 Anm. 234. 116 Jacob, Genesis, 179. 117 Gunkel, Genesis (HK), 60, vgl. von Rad, aaO 85; Zimmerli, 1. Mose 1–11 (ZBK.AT), 275; Westermann, Genesis 1–11, 522; Sarna, Genesis, 46 f; Ruppert, Genesis I (fzb), 287; Seebass, Genesis I, 200; Gertz, Noah, 515; Schüle, Urgeschichte (ZBK.AT), 114 u. a. 118 Jeremias, Reue Gottes, 24. 119 Wolff, Anthropologie, 98, vgl. Dohmen (Hg.), Bibel, 21 (E. Zenger/Chr. Dohmen); Baumgart, Umkehr, 138; Ebach, Noah, 46; Hartenstein, Zumutung, 442.444.448 f; ders., Ende, 59; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 218; Irsigler, Gottesbilder, 505 u. a. 120 Ges18, 999. 121 Schüle, Prolog, 247.276. 122 Döhling, Gott, 94.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 115
Bezieht man darüber hinaus die alten Versionen (LXX, Vulg) mit ein, ergeben sich weitere Aspekte: Septuaginta 5 Als aber Gott der Herr sah, dass die Schlechtigkeiten der Menschen auf der Erde zahlreich wurden und jeder einzelne in seinem Herzen alle Tage eifrig auf das Böse bedacht ist (διανέομαι), 6 da nahm es sich Gott zu Herzen (ἐνθυμέομαι), dass er den Menschen gemacht hatte, und er dachte nach (διανέομαι). 7 Und Gott sagte: Ich werde den Menschen, den ich gemacht habe, vom Angesicht der Erde auslöschen, vom Menschen bis zum Haustier, von den Kriechtieren bis zu den Flugtieren des Himmels, weil ich in Zorn geriet (θυμόω) darüber, dass ich sie gemacht habe.123
Vulgata 6 paenituit eum quod hominem fecisset in terra et tactus dolore cordis intrinsecus
… da reute es ihn (sc. Gott), dass er den Menschen gemacht hatte auf der Erde, und er wurde vom Schmerz des Herzens innerlich berührt. Abb. 26: Gen 6,6b in den alten Versionen (LXX, Vulg)
Beachtenswert ist dabei die Akzentuierung der Septuaginta. Zunächst fällt auf, dass nḥm nif. („bereuen, Reue empfinden. sich etw. leid sein lassen“) von ihr nicht wiedergegeben, sondern mit ἐνθυμέομαι, also einem Verb übersetzt wird, das Zorn oder Ärger ausdrückt: „So ist zu folgern, dass dem Übersetzer der Zorn Gottes als die theologisch angemessenere Reaktion auf die Verfehlung der Menschen erscheint als seine Reue, den Menschen geschaffen zu haben, letzteres würde eine Wandelbarkeit Gottes aussagen“124. Noch deutlicher in Richtung des Apathie-Axioms geht die Wiedergabe von ʿṣb hitp. durch διανέομαι, womit offenbar eine anstößige Aussage über Gott vermieden werden soll. Da dieses Verb auch in V. 5 für das Nachdenken des Menschen verwendet wird, „entsteht in der LXX-Version eine neue Beziehung zwischen den Versen 5 und 6 f., weil der Mensch nur über das Böse nachdenkt, denkt Gott an die Vernichtung des Menschen“125. Der Rückgriff auf das „Nachdenken“ bzw. die „Gesinnung“ (διάνοια) verdankt sich der hellenistischen Psychologie.126
Hinsichtlich der Übersetzung von nḥm nif. in Gen 6,6a mit „bereuen, Reue empfinden, sich etw. leid sein lassen“ gibt es – bis auf die Wiedergabe in LXX 123 Übersetzung
nach Kraus/Karrer (Hg.), Septuaginta Deutsch, 9, vgl. Rösel, Übersetzung, 158. Die Kursivierungen deuten auf die Abweichungen von bzw. die Änderungen gegenüber MT hin, s. dazu den Kommentar in Karrer/Kraus (Hg.), Septuaginta Deutsch I, 168 (zu 6,6).174 (zu 8,21) (P. Prestel, St. Schorch). 124 Rösel, aaO 161. 125 Ders., aaO 162. 126 S. dazu Siegert, Zwischen, 258 ff.
116 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
(ἐνθυμέομαι „sich etw. zu Herzen nehmen, sich ärgern“) – einen breiten Konsens.127 Demgegenüber bestehen, wie die obige Übersicht ebenfalls zeigt, Differenzen im Blick auf die Übersetzung von ʿṣb hitp. in V. 6b mit „sich bekümmern, Schmerz empfinden“ oder mit „zornig werden“. Die zweite Übersetzungsvariante wird etwa von A. Schüle vertreten.128 Seine These, dass es sich bei der Reaktion JHWHs um „Gefühle des Zornes“ handelt, die „die Menschen durch ihre Boshaftigkeit … in ihm erweckt haben“129 und die sich dann im Flutgeschehen entladen, stützt sich auf eine bestimmte Übersetzung von ʿṣb hitp., für die er Gen 34,7 als Sachparallele anführt: Aber die Söhne Jakobs kamen vom Feld, als sie es (sc. den Vorfall mit Dina) hörten, und es schmerzte die Männer (ʿṣb hitp.) und es entbrannte bei ihnen sehr/sie wurden sehr zornig (ḥrh + mʾd); denn er (sc. Sichem) hatte eine Schandtat in Israel begangen, Jakobs Tochter beizuwohnen, und so tut man nicht. Schüle übersetzt diesen Text demgegenüber wie folgt: Als Jakobs Söhne vom Feld kamen und davon erfuhren, empfanden sie das als Kränkung (ʿṣb hitp.) und wurden sehr zornig (ḥrh + mʾd) …130 Die sachliche Parallele zwischen Gen 6,6 und 34,7 liegt für ihn dabei auf der Hand. Sie besteht „darin, dass Kränkung und Zorn als emotionale Motivation zu strafendem und vernichtendem Handeln genannt werden. Folgt man dieser Linie, empfindet der Gott der Urgeschichte keineswegs Kummer darüber, dass er dabei ist, die Welt zu ersäufen, vielmehr ist es neben der Reue dann gerade ein Gefühl des Zornes, das ihn zu solchem Handeln antreibt“131. Allerdings, so lässt sich einwenden, folgt in Gen 34,7 auf ʿṣb hitp. mit ḥrh („entbrennen, zornig werden“) ein Verb, das gegenüber dem „Hören“ von der Vergewaltigung Dinas und dem „Schmerz“ (ʿṣb hitp.) darüber einen zusätzlichen emotionalen Aspekt („Zorn“) einbringt, der auch das spätere Vorgehen der Jakobsöhne auslöst (Gen 34,25 ff ).132 Ein solches Verb fehlt in Gen 6,6 aber gerade.
Ziehen wir ein Zwischenfazit: Da die Übersetzung von ʿṣb hitp. mit „zornig, wütend werden“ nicht plausibel zu machen ist,133 bleiben wir bei der Übersetzung „sich bekümmern, Schmerz empfinden“. Dafür spricht außer dem Aussagegefälle von 127 Zur
Bedeutung von nḥm nif. s. Jeremias, aaO 15 ff.124 ff; Oberforcher, Flutprologe, 136 ff; Willi-Plein, Widerruf, 137 ff; Seifert, Reden, 220 ff; Gertz, Beobachtungen, 55 ff; ders., Noah, 519 ff; Döhling, Gott; Riede, Trost, 5 ff u. a. 128 S. dazu die Nachweise oben 114 Anm. 121. 129 Schüle, Prolog, 276, vgl. 278. 130 Ders., Urgeschichte (ZBK.AT), 139. 131 Ders., ebd. (H. v. m.), vgl. ders., Prolog 278. 132 Vgl. Ebach, Genesis 37–50 (HThK.AT), 390. 133 Vgl. Berges, Zorn Gottes, 312. Bei keinem der 26 Belege für leb/lebāb + Subj. Gott ist das Herz Gottes als Sitz seines Zorns qualifiziert, s. dazu Fabry, Art. leb/lebāb, 448 f.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 117
Gen 6,*5–8134 auch das Vorkommen der beiden Substantive ʿæṣæb „Schmerzen“ und ʿiṣṣābôn „Mühe, Mühsal“ in Gen 3,16 f135 sowie in der Noahnotiz Gen 5,29: Gen 3,16 f Zur Frau sagte er: „Überaus groß werde ich deine Mühsal (ʿiṣṣābôn) und deine Schwangerschaft machen; unter Schmerzen (ʿæṣæb) wirst du Kinder gebären, und nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen!“ (V. 16) Und zum Menschen sagte er: „Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: ‚Du sollst davon nicht essen!‘, ist der Ackerboden verflucht um deinetwillen: Mit Mühsal (ʿiṣṣābôn) wirst du davon essen alle Tage deines Lebens …“ (V. 17)
Gen 5,29 Und er (sc. Lamech) nannte seinen Namen Noah folgendermaßen: „Dieser wird uns Trost verschaffen (nḥm pi.) von unserer Arbeit und von der Mühsal (ʿiṣṣābôn) unserer Hände wegen des Ackerbodens, den JHWH verflucht hat.“136
„Die menschliche Erfahrung der Weitergabe des Lebens durch Geburt und Ackerbau“, so F. Hartenstein, „ist also vom selben ‚Schmerz‘ gekennzeichnet wie ihn der Geber und Erschaffer des Lebens in Gen 6,6 empfindet, als er den Vernichtungsbeschluss fasst. Das menschliche Leben trägt eine emotionale Signatur der ‚Mühsal‘ und des ‚Schmerzes‘, die zur Einfühlung in die Mitgeschöpfe befähigt und darin Jhwhs Regung für seine Geschöpfe spiegelt.“137
Kompositorische Aspekte Die Reaktion JHWHs in Gen 6,6 korrespondiert, wie wir gesehen haben, dem Ausmaß („zahlreich“) und der Totalität („alle Tage“) der menschlichen Bosheit, von der in Gen 6,5 die Rede ist. Beide Handlungsweisen, die menschliche Aktion (Bosheit) wie die göttliche Reaktion (Schmerz), werden im menschlichen bzw. im göttlichen Herzen (leb) lokalisiert: 5 Und JHWH sah, dass die Bosheit des Menschen zahlreich war auf der Erde und jedes Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse war alle Tage. 6 Da reute es JHWH, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und es schmerzte ihn zu seinem Herzen hin.
134 S.
dazu im Folgenden. dazu Meyers, Art. ʿāṣab, 300 f und Baumgart, Umkehr, 137 f. 136 Die Interpretationsprobleme von Gen 5,29a sind komplex, s. dazu Witte, Urgeschichte, 207 ff; Baumgart, Umkehr, 259 f u. ö.; Lux, Noach, 113 ff und Gertz, aaO 199 f. 137 Hartenstein, Zumutung, 450 f (H. i. O.). 135 S.
118 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Dabei ist V. 6a auch inhaltlich auf V. 5 zurückbezogen, was durch die Zuordnung der Reue Gottes zur Erschaffung des Menschen explizit gemacht wird. Dadurch erreicht der nichtpriesterliche Verfasser ein doppeltes Ziel, nämlich „einerseits zu zeigen, in welcher Größenordnung die menschliche Schuld und ihre Konsequenzen zu sehen sind (sie liegen auf der Ebene der Bedrohung der Schöpfungskonstitution des Menschen), andererseits den sachlichen Übergang herzustellen zur Art der göttlichen Sanktion (die Aufkündigung seines Platzes in dieser Schöpfungswelt)“138.
Die „Reue“ JHWHs hat also einen expliziten, genauer: einen negativen Schöpfungsbezug, weil der Schöpfer auf seine Geschöpfe mit einem Akt reagiert, der „Endgültigkeitscharakter“139 zu haben scheint. Die Fortführung dieser „Reue“ durch den „Schmerz“ JHWHs in V. 6b bezieht sich zum einen auf die menschliche Bosheit samt JHWHs Reaktion darauf. Zum anderen dürfte sie zu der drohenden Vernichtung der Menschheit überleiten, die in V. 7 von JHWH in direkter Rede angekündigt wird – aber „nicht mit kaltblütiger Gleichgültigkeit“140, sondern unter Schmerzen, d. h. in einem „Zustand psychischer und emotionaler Not“141. Exposition 5 Wahrnehmung menschlicher Bosheit (in ihrem Herzen) durch JHWH
Sehen JHWHs
Reaktion JHWHs 6 Reue und Schmerz a Reue (nhm nif.) ˙ zur Erschaffung des Menschen (2,4b ff ) Zuordnung b Schmerz (ʿsb hitp.) emotionale ˙Betroffenheit JHWHs in seinem Herzen 7 Vernichtungsbeschluss a Urteil: Austilgung (mhh) aktive Reaktion JHWHs ˙
b Begründung: Reue (nhm nif.)
˙ des Menschen (2,4b ff ) Zuordnung zur Erschaffung
Kontrapunkt 8 Begnadigung Noahs durch JHWH Augen JHWHs
Abb. 27: Zur Struktur von Gen 6,5–8
138 Oberforcher,
Flutprologe, 140 f. aaO 135. 140 Delitzsch, Genesis, 153, vgl. von Rad, Genesis (ATD), 87. 141 Meyers, Art. ʿāṣab, 299, vgl. Jacob, Genesis, 181; Oberforcher, aaO 141 ff und Ruppert, Genesis I (fzb), 318. 139 Ders.,
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 119
Wie N. C. Baumgart zu Recht betont hat und wie es die Strukturskizze Abb. 27 auch zeigt, geht der Text aber nicht direkt von der Konstatierung der menschlichen Bosheit (V. 5) zum göttlichen Vernichtungsbeschluss (V. 7) über. Dazwischen stehen vielmehr zwei Verben der Gemütsbewegung (V. 6), die „bei JHWH den Schritt zur Austilgung zeitigen lassen. So macht es schließlich auch der Kausalzusammenhang Ende Vers 6,7 deutlich: ‚Ich werde den Adam wegwischen … denn (!) es reut mich, dass ich ihn gemacht habe‘“142.
Insofern lässt sich die These vertreten, dass sich JHWH „in tiefer Anteilnahme … zur Vernichtung der Menschheit durch(ringt)“143 und der „Schmerz“ JHWHs einen neuen, wichtigen Aspekt ins biblische Gottesbild einträgt. Man kann die Reaktion JHWHs auf die Bosheit des Menschen aber auch anders, nämlich im Sinn des Apathie-Axioms, lesen und hat dies im Lauf der Auslegungsgeschichte immer wieder getan.144 Einer der Protagonisten dieser Lesart ist Philo von Alexandrien (ca. 20 v. Chr. bis 50 n. Chr.), der in seiner Schrift Quod Deus sit immutabilis („Dass Gott unveränderlich sei“) eine Exegese von Gen 6,6 f gibt und damit die erste Monographie zum sog. Apathie-Axiom vorlegt. Am Beispiel von Gen 6,7 vertritt Philo die Auffassung, dass die biblischen Autoren („der Gesetzgeber“) von einer Sinnesänderung Gottes nur wegen der menschlichen Erkenntnisschwäche, nicht aber im Blick auf die Gottesvorstellung sprechen: „Es ist aber folgendes: ‚Ich werde den Menschen, den ich schuf, vertilgen vom Angesicht der Erde, vom Menschen bis zum Vieh, vom Gewürm bis zu den Vögeln des Himmels, weil ich ergrimmte (θυμόω), da ich ihn schuf ‘ (1 Mos. 6,7). Wieder glauben einige, wenn sie diese Worte hören, dass das Sein wütend und zornig werde. Es kann aber überhaupt von keinem Affekt ergriffen werden. Menschlicher Schwachheit ist es eigen, zu zürnen, Gott aber besitzt weder die unvernünftigen Leidenschaften der Seele, noch aber überhaupt die Teile und Glieder des Körpers. Nichtsdestoweniger werden von dem Gesetzgeber dergleichen Dinge ausgesprochen, soweit sie einführender Belehrung dienen, um nämlich denen eine Lehre zu geben, die auf andere Weise nicht zur Vernunft kommen können.“145
Wie wir sahen, hat bereits die Septuaginta den hebräischen Text von Gen 6,5–7 abgeschwächt und dessen anthropopathische Termini uminterpretiert.146 Philo geht noch einen Schritt weiter und nimmt dieser bereits abgeschwächten Interpretation 142 Baumgart,
Umkehr, 138. Zorn Gottes, 312, vgl. Baumgart, aaO 135 ff. Die Qualifizierung dieser Reaktion JHWHs durch Schüle als „zynisch oder sogar pathologisch“ (ders., Prolog, 277) bzw. als „fast schon schizoides Gottesbild“ (ders., Urgeschichte, 140) ist m. E. nicht nachvollziehbar, weil sie auf einer fragwürdigen Exegese von V. 6 beruht. 144 Zum Apathie-Axiom s. Maas, Unveränderlichkeit Gottes, 34 ff, ferner Reiner/Engelmeier, Art. Apathie, 429 ff und Hossenfelder, Art. Apathie, 582 f. 145 Philo von Alexandrien, Unveränderlichkeit Gottes, 84 (§§ 51 f ). 146 S. dazu oben 115. 143 Berges,
120 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung „den letzten Rest des ‚Anstößigen‘, indem er das ἐνεθυμήθη der Septuaginta, in dem durch den darin enthaltenen Begriff θυμός noch ein Rest von Affektivem vorhanden war, mit dem Begriff ἕννοια (Nachdenken) neutralisiert“147. Ebenso fasst Philo das διανέομαι der Septuaginta als „Entschluss“ (διανόησις) auf. Diese Neu- oder besser Uminterpretation von Gen 6,6 lässt sich folgendermaßen darstellen:
MT
LXX
Philo
6a nhm nif. ˙ bereuen nehmen
ε᾽ νθυμέομαι sich etw. zu Herzen
῞ εννοια
6b ʿsb hitp. διανέομαι ˙ Schmerz empfinden nachdenken
Nachdenken διανόησις Entschluss
Abb. 28: Zu Philos Übersetzung von Gen 6,6b Dass Philo das ἐνθυμέομαι der Septuaginta als „Nachdenken“ (ἕννοια) und ihr διανέομαι als „Entschluss“ (διανόησις) auffasst, geht aus §§ 33–34 seiner Schrift hervor. Dort heißt es: „Nachdem wir nun zur Genüge darüber gehandelt haben, dass das Sein keine Reue empfindet, werden wir im folgenden darlegen, was der Sinn der Worte ist: ‚Gott gedachte daran (ἐνθυμέομαι), dass er den Menschen erschuf auf der Erde, und fasste einen Entschluß (διανέομαι)‘ (1 Mos. 6,6). Nachdenken und Entschluß (ἕννοια καὶ διανόησις), das eine ein Bestandteil des Denkens, der andere der Erfolg des Denkens, hat der Schöpfer des Alls als zuverlässigste Kräfte erwählt und braucht sie immer, wenn er seine Werke betrachtet. Was nun die (göttliche) Ordnung nicht verläßt, das lobt er um des Gehorsams willen; was sich aber entfernt, das verfolgt er mit der für Fahnenflüchtige festgesetzten Strafe.“148
Mit Philo hat das Apathie-Axiom, hinter dem seine Lehre vom Pathos steht,149 Konturen erhalten, die seine weitere Karriere in der abendländischen Theologiegeschichte bestimmt haben. In klassischer Form begegnet es bereits in Buch XII der Metaphysik von Aristoteles (s. Q 136). Erst in der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts wird dem Apathie-Axiom explizit widersprochen und vermehrt auf den semantischen und konzeptionellen Gehalt der biblischen Überlieferungen zur Empathie Gottes Bezug genommen.150 Dennoch bleibt die Frage, wie jenseits dieses Widerspruchs der Begriff der „Veränderlichkeit Gottes“ präzisiert werden kann. Darauf wird zurück zu kommen sein.151
147 Maas,
aaO 91. aaO 79 f, s. dazu Maas, aaO 93 f. 149 S. dazu Kaiser, Aretē, 394 ff. 150 S. dazu Tück, Zorn, 395 ff; Dalferth, Leidenschaften, 118 ff u. a. 151 S. dazu unten 126 f. 148 Philo,
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 121
β) Die Empathie des Schöpfergottes Der aus der Ankündigung (Gen 7,*1–5), dem Kommen (Gen 7,*6–16) und der Schilderung der Flut (7,*17–24) bestehende nichtpriesterliche Flutbericht Gen *7,1–8,13b endet in Gen 8,*1–14 mit der Notiz über das Ende der Flut sowie mit der eindrücklichen Episode von der Entsendung der Taube,152 die eine berühmte Sachparallele in der 11. Tafel des Gilgamesch-Epos hat (s. Q 60) und die in der europäischen Kunstgeschichte eine große Rolle spielt (s. Abb. 29).153
Abb. 29: Noah entsendet die Taube (Mosaik, Venedig, 13. Jh.)
In Gen 8,*6–12 heißt es: (6) Und nach Ablauf von 40 Tagen öffnete Noah das Fenster der Arche, das er gemacht hatte.154 (8) Und er schickte die Taube (jônāh) von sich weg, um zu sehen, ob das Wasser zurückgegangen war von der Oberfläche des Erdbodens. (9) Aber die Taube
152 Tauben
gehören im Alten Orient zu den Botenvögeln, s. dazu Keel, Vögel, 79 ff (mit Abbildungen). 153 S. dazu etwa Barasch, Deluge, 372 ff.376 ff. 154 Die Erwähnung des Raben in V. 7 dürfte ein „vorgeschalteter Nachtrag“ zu V. 8–12 sein, vgl. Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 268.
122 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung fand keinen Ruheplatz für ihre Fußsohle, so kehrte sie zu ihm in die Arche zurück, weil noch Wasser auf der ganzen Erde war. Da streckte er seine Hand aus und nahm sie und brachte sie zu sich in die Arche. (10) Da wartete er noch weitere sieben Tage, dann schickte er die Taube erneut aus der Arche. (11) Und die Taube kam um die Abendzeit zu ihm zurück und siehe, ein frisches Olivenbaumblatt war in ihrem Schnabel. Da wusste Noah, dass das Wasser weniger geworden war auf der Erde. (12) Da wartete er noch weitere sieben Tage, dann schickte er die Taube los, und sie kehrte nicht mehr zu ihm zurück.
Damit war klar, dass das Wasser von der Erde weggetrocknet war und Noah das Verdeck der Arche entfernen konnte (V. 13b). Die nächste und letzte Szene ist der Epilog in Gen 8,20–22, demzufolge JHWH seinem Vernichtungshandeln Schranken auferlegt und damit den Fortbestand der Erde und ihrer grundlegenden Lebensrhythmen zusichert – obwohl die Bosheit des Menschen unverändert weiterbesteht. Der Text setzt mit dem Altarbau Noahs und der Darbringung von Brandopfern ein, die JHWH, der ihren „lieblichen Duft“ riecht, zu einem folgenreichen Entschluss motiviert. Abermals spielt dabei das göttliche „Herz“ (vgl. Gen 6,6b) eine zentrale Rolle: 20 Und Noah baute einen Altar für JHWH und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und ließ Brandopfer aufsteigen auf dem Altar. 21 Da roch JHWH den beschwichtigenden Duft, und JHWH sagte zu seinem Herzen (leb): „Ich will hinfort nicht noch einmal den Ackerboden um des Menschen willen verfluchen, obwohl155 das Gebilde des Herzens des Menschen böse ist von seiner Jugend an, und ich will hinfort nicht noch einmal alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe. 22 Während aller Tage der Erde (gilt):156 Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht werden nicht aufhören.“
Dieser Text markiert nichts weniger als eine Epochenwende von der Vernichtung zur Bewahrung der Schöpfung.157 Dabei wird die bindende Zusage JHWHs in dem „schwurartigen Satz“ V. 21b.22158 durch zwei parallele Satzreihen ausgedrückt (V. 21aβ.b),159 die sich zum einen auf die Paradies- und Fluterzählung
155 Zur
konzessiven Bedeutung des kî s. Baumgart, Umkehr, 161 f. „Während der Dauer aller Tage der Erde“. Das Substantiv ʿôd mit der Bedeutung „Wiederkehr, Wiederholung, Dauer“ fungiert hier als Adverb der Zeitdauer, s. dazu Richter, Gebrauch, 175 ff und Ges18, 931 s. v. ʿôd 2. 157 Vgl. Baumgart, aaO 165, vgl. 152. 158 S. zur Einzelinterpretation ders., aaO 152 ff. Dieselbe Gewissheit der göttlichen Zusage wird, in etwas anderer Begrifflichkeit, auch in Gen 9,11.15 (Pg ) artikuliert, s. dazu oben 82 f. 159 S. dazu Jeremias, Reue Gottes, 24 mit Anm. 13 und Witte, Urgeschichte, 181 f mit Anm. 135. 156 Wörtlich:
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 123
zurück beziehen und zum anderen jeweils durch einen Nebensatz erweitert sind:
Rückbezug auf
21aβ Ich will hinfort nicht noch einmal den Ackerboden um des Menschen willen verfluchen (qll pi.), obwohl das Gebilde des Herzens des Menschen böse ist von seiner Jugend an,
Gen 3,17, vgl. 5,29a
21b und ich will hinfort nicht noch einmal alles Leben- dige schlagen (nkh hif.),wie ich es getan habe.
Gen *6,5–8,13
Gen 6,5
Gegenüber den beiden parallelen Satzreihen, die jeweils mit dem Zeitadverb ʿôd „noch (einmal)“ konstruiert sind, steht ʿôd in V. 22 in satzeröffnender Position und bildet einen positiven Kontrast zu den in V. 21aβ.b beschriebenen, nun aber außer Kraft gesetzten göttlichen Aktionen des „Verfluchens“ und „Schlagens“: „Während der Dauer (ʿôd) aller Tage der Erde (gilt) …“. Wenn man diese ʿôd-Aussage nicht einschränkend, d. h. nicht im Sinn einer zeitlichen „Begrenzung alles Geschaffenen“160 interpretiert, so ist damit eine Aussage über „alle möglichen Zeiten“161, genauer für die „Dauer“ bzw. „Wiederkehr“162 der grundlegenden Lebensrhythmen Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht gemacht. Noch in spätnachexilischer Zeit hat diese feierliche Selbstverpflichtung JHWHs in Jes 54,7–10 einen Nachhall gefunden, der das Trauma der Flutkatastrophe und seine Bewältigung durch den von Gott herbeigeführten Neuanfang beschwört. Statt vom „Verfluchen“ und „Schlagen“ spricht dieser Text vom „Zürnen“ und „Schelten“ Gottes und statt von den grundlegenden Lebensrhythmen von „meiner Gnade“ und dem „Bund meines Friedens“, die nicht weichen und nicht wanken: 7 In einem kleinen Augenblick habe ich dich verlassen, und in großem Erbarmen sammle ich dich. 8 In flutendem Zorn verbarg ich mein Angesicht einen Augenblick vor dir, aber in ewiger Gnade erbarme ich mich deiner, spricht dein Erlöser JHWH. 9 ‚Wie in den Tagen‘ Noahs ist mir dies: Wie ich geschworen habe, dass die Wasser Noahs nicht gehen werden wieder über die Erde, so habe ich geschworen, dir nicht zu zürnen und dich nicht zu schelten.
160 So
aber z. B. Zimmerli, 1. Mose 1–11 (ZBK.AT), 295. Diese Auffassung wird durch die übliche Übersetzung „Solange die Erde (be)steht“ begünstigt. Es geht aber nicht um eine zeitliche Befristung der Schöpfung („Solange …“), sondern um die Zusage ihrer andauernden Lebensqualität („Während aller Tage der Erde …“), s. dazu Schorch, In aeternum, 371 ff. 161 Baumgart, Umkehr, 163. 162 S. dazu die Hinweise oben 122 Anm. 156.
124 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung 10 Denn mögen die Berge weichen und die Hügel wanken, so wird doch meine Gnade nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens wird nicht wanken, spricht dein Erbarmer JHWH. (Jes 54,7–10)163 In den mesopotamischen Schöpfungstexten gibt es zwei wichtige Kontrastparallelen zum Gottesbild der nichtpriesterlichen Fluterzählung. Zum einen handelt es sich um den Konflikt zwischen Enlil von Nippur und Enki/Ea von Eridu im altbabylonischen AtramḫasīsEpos III iii 28–54 und III iv 4–11 (19.–17. Jh. v. Chr., s. Q 57) und zum anderen um das Motiv des göttlichen Schmerzes im Gilgamesch-Epos XI,114–127 (s. Q 59). Der Unterschied zu Gen *6,5–8,22 wird besonders am Beispiel des Atramḫasīs-Epos deutlich: Wenn der biblische Gott als Reaktion auf die Bosheit des Menschen die Flut kommen lässt, dann entspricht er dem Gott Enlil. Wenn er aber Noah und die Seinen vor der Katastrophe rettet, dann handelt er wie der Gott Enki/Ea. Im Unterschied zu den mesopotamischen Göttern trägt der biblische Gott Gericht und Erbarmen also in sich selbst, d. h. in seinem „Herzen“ (Gen 6,6b; 8,21aα) aus und ist in beiden Verhaltens- und Wirkweisen an die Menschen als seine Geschöpfe gebunden.164 Eine weitere Kontrastparallele zum Gottesbild der biblischen Fluterzählungen liegt auch im ägyptischen Buch von der Himmelskuh V. 1–103 vor (s. Q 18). Auch hier ist der Unterschied markant: der alttestamentliche Schöpfergott zieht sich nicht enttäuscht an den Himmel zurück, sondern er gibt, so die priesterliche Version in Gen 9,8–17, die „Zusage seines aktiven Eingreifens ‚im Zeichen der Wolke‘, das sein Wohnen nicht im fernen Himmelspalast, sondern inmitten seines Volkes zum Ziel hat“165.
Kehren wir abschließend noch einmal zum Motiv des göttlichen Herzens zurück, von dem in Gen 6,6b und in Gen 8,21aβ die Rede ist. An beiden Stellen steht die auffällige Wendung „zu seinem Herzen (hin)“: 6,6 Da reute es JHWH, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und es schmerzte ihn zu seinem Herzen hin (ʾæl libbô). 8,21 Da roch JHWH den beschwichtigenden Duft, und er sagte zu seinem Herzen (ʾæl libbô) …
Diese Rede vom göttlichen Herzen, die einen „Einblick in JHWHs innere Verfasstheit“166 gibt, bringt die „Vehemenz seiner Menschenfreundlichkeit“167 zum Ausdruck und zeigt, dass es um „eine substantielle Veränderung im Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen“168 geht. Und zwar um eine Veränderung, die darin besteht, dass Gott seine „Reue“ über die Erschaffung des fehlbaren Menschen durch „Umkehr“ zu überwinden vermochte. Es ist nicht übertrieben, 163 S.
dazu Hermisson, Deuterojesaja III (BK), 513 ff und Hartenstein, Ende, 60 f. Jeremias, Reue Gottes, 26, ferner Gertz, Noah, 517 f u. a. 165 Zenger, Gottes Bogen, 134. 166 Baumgart, aaO 166. 167 Wolff, Anthropologie, 98, vgl. Fabry, Art. leb/lebāb, 448. 168 Baumgart, Ende, 35, s. dazu auch ders., Umkehr, 163 ff; Seebass, Genesis I, 221 f und Hartenstein, Zumutung, 443 f. 164 Vgl.
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 125
hier von einer dramatischen „Transformation der Gotteskonzeption“169 zu sprechen. 3. Fazit: Die Ambivalenz der Wirklichkeit Im Unterschied zur priesterlichen Urgeschichte, so können wir resümieren, ist die nichtpriesterliche Paradieserzählung „ganz auf die conditio humana (fokussiert), die sehr viel problematischer gesehen wird als in Gen 1“170. Der Realismus und zugleich Tiefsinn, mit dem hier erzählt wird, ist ohne Beispiel: „Der gesamte Lebensraum der Erde und die Menschheit im ganzen sind im Blick, und zwar unter qualitativer Perspektive: Es sind Gelingen und Erfüllung des Daseins der Menschen in ihrer Welt, worauf der Erzähler achtet. Was er da aber wahrnimmt und in urgeschichtlicher Darstellung erfaßt, ist die ganze Gebrochenheit, Minderung, Einbuße, die Leben und Welterfahrung der Menschen prägen.“171
Dieses „ambivalente Ineinander von göttlich verwirklichter und menschlich verwirkter Möglichkeit der Schöpfung“172 ist der rote Faden der nichtpriesterlichen Urgeschichte. Die Paradieserzählung Gen 2,4b–3,24 Es ist für das Verständnis der Paradieserzählung grundlegend, dass sie ‚von hinten her‘ gelesen werden will. Das hat seinen Grund in ihrer ätiologischen Ausrichtung, die „auf die Erklärung der gegenwärtig vorfindlichen, ambivalenten menschlichen Lebensbedingungen abhebt“173. Charakteristisch für ihr Menschenbild sind dabei die Übertretung des göttlichen Gebots, die Erkenntnis von gut und böse und die elementaren Daseinsminderungen, die aus der Gebotsübertretung resultieren. Daran wird die menschliche Lebenswirklichkeit deutlich, wie sie von der Paradieserzählung gesehen und als Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf gestaltet wird. Das Grunddatum dieser Unterscheidung ist die Übertretung des göttlichen Gebots (Gen 2,16 f ) und der damit verbundene Erwerb der Erkenntnis von gut und böse, d. h. von Lebensförderlichem und Lebensabträglichem.174 Diese Erkenntnis ist – als gottähnliche Fähigkeit (Gen 3,5.22) – zwar grundsätzlich positiv, sie ist aber mit dem Verlust der unmittelbaren Gottesnähe erkauft. „Fehlbarkeit“, so P. Ricœur, „bezeichnet … die zum Abbiegen ins Böse fähige Struktur des 169 Gertz,
Noah, 517. Schöpfung 1, 98, vgl. Bührer, aaO 351 ff. 171 Steck, Herkunft, 78 f, vgl. ders., Paradieserzählung, 106 ff. 172 Spieckermann, Ambivalenzen, 61. 173 Leuenberger, Geschlechterrollen, 219, vgl. Steck, Paradieserzählung, 61; Blum, Gottesunmittelbarkeit, 17; Hartenstein, Paradieserzählung, 280 f; Kiefer, Gut, 140 f und Irsigler, Gottesbilder, 444 f. 174 S. dazu oben 106 Anm. 84. 170 Schmid,
126 II Die Welt des Anfangs – Grundlegung
Menschen“175. Diese im Essen der verbotenen Frucht zu Tage tretende Fähigkeit bzw. Neigung führt ihn aus der unmittelbaren Gottesnähe im Garten Eden in die reale Welt, in der die Erkenntnis von gut und böse als elementares Orientierungswissen unverzichtbar ist. Konsequenterweise kommt die Sicht der ambivalenten Lebenswirklichkeit in den Daseinsminderungen von Gen 3,14–19 zum Ausdruck, wo es um das Verhältnis von Tier und Mensch, von Mann und Frau und von Mensch und Ackerboden geht. So ist das Verhältnis von Tier und Mensch von Feindschaft Gen 3,14 f ) und dasjenige von Mann und Frau von gegenseitiger Zuneigung, aber auch von einseitiger Machverteilung geprägt (Gen 3,16). Selbst die Kultivierung des Ackerbodens, die die Lebensgrundlagen sichert, ist mit aufreibender Anstrengung verbunden und geschieht „im Schweiß deines Angesichts“ (Gen 3,17–19). Von unbegrenzter Lebensfülle, wie sie der Lebensbaum geboten hätte (vgl. Gen 2,16), ist keine Rede mehr. Im Gegenteil: „Im Entzug der unbegrenzten Lebensfülle der Gottesunmittelbarkeit wird der Mensch schonungslos auf seine Kreatürlichkeit reduziert – ein Klumpen Erde in der Hand des Schöpfers“176. Allerdings: Mit der Notiz von Gen 3,21, dass JHWH für den Menschen und seine Frau Fellkleider machte und sie damit bekleidete, leuchtet ein Aspekt auf, in dem B. Jacob den „Schlüssel zur ganzen Paradiesgeschichte“177 sah. Es ist die Zuwendung des Schöpfers, der seine Geschöpfe nicht preisgibt, obwohl sie sein Gebot übertreten haben. In der Fluterzählung wird dieses Bewahrungsmotiv noch gesteigert, indem nicht nur von dem Schmerz gesprochen wird, unter dem JHWH seinen Vernichtungsbeschluss fasst (Gen 6,6 f ), sondern auch von seiner Zusage, den Ackerboden nicht noch einmal zu verfluchen und alles Lebendige nicht noch einmal zu schlagen (Gen 8,21 f ). Die Fluterzählung Gen *6,5–8,22 Das von Gott beschlossene Flutgericht kommt nicht ohne Grund, sondern wegen der Bosheit des menschlichen Herzens (Gen 6,5–7). Die Reaktion JHWHs auf diese Bosheit wird mit zwei Verben formuliert, die die Empathie des Schöpfergottes zum Ausdruck bringen (Gen 6,6). Das ist deswegen von Bedeutung, weil sich die Philosophie seit der Antike mit der Frage beschäftigt hat, ob sich Gott ändern kann. Darauf antwortet Philo von Alexandrien (ca. 20 v. Chr. bis 50 n. Chr.) in seiner Exegese von Gen 6,6 f mit einem berühmten non liquet: „… was könnte es für einen größeren Frevel geben als zu glauben, der Unveränderliche könne sich ändern?“178. Man muss diese in eine Frage gekleidete These Philos allerdings umformulieren und statt von dem „Unveränderlichen“ vom empathi175 Ricœur,
Symbolik, 267. aaO 25. 177 Jacob, Genesis, 124, vgl. oben 110. 178 Philo, Unveränderlichkeit Gottes, 76 f, s. dazu oben 119 f. Scheinbar erhält Philo durch Mal 3,6 Recht, wenn es dort heißt: „Fürwahr, ich bin JHWH – nicht habe ich mich ge176 Blum,
§ 3 Die nichtpriesterliche Urgeschichte 127
schen Schöpfergott sprechen. Dieser Schöpfergott ändert sich, ja, er ist der einzige, der sich während des Flutgeschehens ändert, während sich der fehlbare Mensch gleichbleibt (vgl. Gen 8,21aβ).179 Gott ändert sich sogar zweimal: zu Beginn der Fluterzählung durch seine „Reue“ (Gen 6,6a) und an ihrem Ende durch seine bindende Zusage (Gen 8,21). Das erste Mal ist diese Änderung bedrohlich, das zweite Mal ist sie tröstlich. Aber: Heißt das nicht, dass der Gott, der sich ändert, wankelmütig ist, dass er sich untreu wird? Dieser Einwand scheint auf der Hand zu liegen.180 Er ist, wie W. Zimmerli richtig gesehen hat, aber unzutreffend: „Wie soll der Ewige, der Allwissende, der alle Voraussicht hat, in dessen Hand die Vorherbestimmung aller Dinge liegt, Reue empfinden können? Lag doch vor ihm die ganze Geschichte der Welt schon offen da, bevor sie überhaupt ins Dasein getreten war (vgl. etwa Jer. 1,5; Ps. 139,16). Wie kann er dann hinterher überrascht sein, ja Reue empfinden über das, was er getan hat? Die Schrift geht über all diese Einwände, die menschliches Denken gegen ihr Reden erheben wird, hinweg. Gott ist der Lebendige.“181
Und dieser Gott „hält trotz seiner Reue und seinem Vernichtungsbeschluß über den Menschen sein Ja zu seiner Schöpfung aufrecht.“182 Das aber wird erst in Gen 8,21 f klar. Der Vorwurf, Gott sei in seinem Handeln wankelmütig, kann auch im Blick auf diesen Text aufkommen. Aber auch hier greift er zu kurz. Denn er verkennt die biblische Basisaussage von der unveränderlichen Treue Gottes zu seiner Schöpfung, der diese vor dem Untergang bewahrt. Insofern kann man sagen: Unveränderlich ist Gott in seiner Treue zur Schöpfung, veränderlich aber, weil er von seinem Vernichtungshandeln absehen und „umkehren“ kann, obwohl die Bosheit des Menschen unverändert weiter besteht. Gott lernt mit dem fehlbaren Menschen zu leben und ihn hinfort in Geduld und Liebe zu „ertragen“183. So zeigt das Beispiel von Gen *6,5–8,22, dass der biblische Gott kein apathischer, sondern ein empathischer Gott ist, der seiner Schöpfung zugewandt bleibt und der am Fehlverhalten seiner Geschöpfe leidet. Im Gegensatz zur philosophischen Reinigung des Gottesbildes durch das Apathie-Axiom sind die Aussagen über die Empathie Gottes in der nichtpriesterlichen Fluterzählung konstitutiv für das biblische Gottesverständnis.184 ändert, und ihr seid die Jakobsöhne – nicht habt ihr geendet (,[dieselben] zu sein)“ (Übersetzung Meinhold, Maleachi [BK], 291), s. dazu Janowski, Empathie, 196 Anm. 103. 179 So mit Perlitt, 1 Mose 8,15–22, 393. Zur „Unfähigkeit des Menschen zur Vervollkommnung“ in Gen *6,5–8,22 s. Wagner, Unfähigkeit, 63 ff. 180 Der Vorwurf der Wankelmütigkeit Gottes begegnet bereits bei tannaitischen Schriftauslegern, s. dazu Jacob, aaO 179 und Ruppert, Genesis I (fzb), 317. 181 Zimmerli, 1. Mose 1–11 (ZBK.AT), 280 f. 182 Ders., aaO 282. Zum Gespräch mit Zimmerli s. Baumgart, Umkehr, 491 f. 183 Vgl. Jeremias, Reue Gottes, 27 und Baumgart, aaO 167. Der in Gen *6,5–8,22 beschriebene Wandel ist ein Zwilling des „Willensumsturzes“ in Gott, von dem in Hos 11,8 f die Rede ist, s. dazu Jeremias, aaO 52ff und ders., Hosea (ATD), 143 ff, ferner Döhling, Gott, 304 ff u. a. 184 Vgl. Fischer, Theologien, 284 f.
III Die Welt als Schöpfung – Themenfelder 1. Aspekte der natürlichen Lebenswelt
D
ie aus der 19. Dynastie (1292–1186 v. Chr.) stammende Wandmalerei in einem Grab in Deir el-Medine wirft – obwohl es um das Binsengefilde der Seligen geht – ein bezeichnendes Licht auf die Lebenswelt der vorderorientalischen Antike. Es ist die Welt der mühevollen Feldarbeit und der fruchtbaren Baumkulturen. Im oberen Register sieht man den Grabherrn beim Pflügen mit dem Hakenpflug und einem Rindergespann. Ihm folgt seine Frau, die das Saatgut in die Ackerfurche streut. Im unteren Register werden verschiedene Obstbäume (Sykomoren, Dattel- und Dumpalmen) an einem Wasserkanal dargestellt. Es ist kein Zufall, dass solche Lebensbilder auch in der Bildsprache des Alten Testaments ihren Niederschlag gefunden haben. So wird der Gerechte von Ps 1 mit einem Baum an Wasserkanälen verglichen, während die Frevler wie die Spreu sind, die der Wind verweht: 3 Er wird sein wie ein Baum, gepflanzt 4 Nicht so die Frevler, an Wasserkanälen, sondern wie die Spreu (sind sie), der seine Frucht bringt zu seiner Zeit die ein Wind verweht. (Ps 1,3 f ) und dessen Laub nicht verwelkt. Und alles, was er tut, wird gelingen.
Texte wie Ps 1 sind erfahrungsgestütze Zeugnisse, die auf das Wirken des Schöpfers verweisen. Das Alte Testament ist voll von solchen Texten, die auf die natürliche Lebenswelt und ihre Symbolik Bezug nehmen.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt Der Ausdruck „Lebenswelt“ bezeichnet keine Welt überhaupt, sondern diese unsere Welt, sofern wir sie leibhaftig bewohnen, sie sinnlich erschließen, in ihr handeln und leiden, leben und sterben, uns in ihr umschauen, sie genießen, sie miteinander teilen und sie einander streitig machen. B. Waldenfels, Art. Lebenswelt, 1418
Nicht die Welt überhaupt bezeichnet der Ausdruck „Lebenswelt“,1 sondern „diese unsere Welt“, die wir bewohnen und gestalten – das gilt auch für das alte Israel. Auch hier meint „Lebenswelt“ den gemeinsamen Erfahrungshorizont und Erlebnishintergrund, auf den die Menschen in ihrem Handeln und Leiden zurückgreifen und der sie umfängt und trägt. Zu den von B. Waldenfels genannten Aspekten kommt im Blick auf das alte Israel noch die Erfahrung der Welt als Schöpfung hinzu. Diese Erfahrung bestimmt nicht nur die Wahrnehmungen der natürlichen Lebenswelt, sie macht auch sensibel für ihre mannigfachen Gefährdungen, seien diese von Menschen verursacht oder nicht. Die Propheten, aber auch die Psalmensänger und Weisheitslehrer Israels waren dafür besonders empfänglich und haben ihre Erfahrungen in harte Gerichtsworte und prägnante Sprachbilder gekleidet. Davon ist im Folgenden ausführlicher die Rede.
1
Zu dem auf den Philosophen E. Husserl (1859–1938) zurückgehenden Begriff „Lebenswelt“ s. außer Waldenfels, Art. Lebenswelt, 1418 ff und Pelluchon, Zeitalter, 71 ff noch Habermas, Lebenswelt, 204: „Die Welt der Lebenswelt ist … eine andere als die der Weltbilder. Sie hat weder die Bedeutung des erhabenen Kosmos oder der vorbildlichen Ordnung der Dinge, noch die eines schicksalschweren saeculum oder Weltalters, das heißt der geordneten Folge heilsrelevanter Ereignisse. Die Lebenswelt steht uns nicht theoretisch vor Augen, wir finden uns vielmehr vortheoretisch in ihr vor. Sie umfängt und trägt uns, indem wir als endliche Wesen mit dem, was uns in der Welt begegnet, umgehen. Husserl spricht vom ‚Horizont‘ der Lebenswelt und von ihrer ‚Bodenfunktion‘. Vorgreifend läßt sich die Lebenswelt als der jeweils nichtüberschreitbare, nur intuitiv mitlaufende Erfahrungshorizont und als nichthintergehbarer, nur ungegenständlich präsenter Erlebnishintergrund einer personalen, geschichtlich situierten, leiblich verkörperten und kommunikativ vergesellschafteten Alltagsexistenz beschreiben“ (H. i. O.). Zu Husserls Lebensweltbegriff s. ders., aaO 242 ff.
132 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
1. Konturen der natürlichen Lebenswelt Palästina/Israel: Aharoni, Land ◆ Borowski, Agriculture ◆ Feliks, Nature ◆ Janowski, Anthro-
pologie, 21 ff ◆ Keel u. a., OLB 1, 38 ff ◆ King/Stager, Life ◆ Kipfer, Natur, 27 ff ◆ Knauf/Niemann, Geschichte, Israels, 23 ff ◆ Prudky, Art. Wetter, 451 ff ◆ Steck, Welt, 49 ff ◆ Vieweger, Archäologie, 207 ff ◆ Weippert, Palästina, 3 ff ◆ Weippert/Weippert, Vorgeschichte, 366 ff ◆ Zwickel, Einführung, 70 ff ◆ Ders., Leben, 9 ff. – Bibelatlas: Zwickel u. a. (Hg.), Bibelatlas, 10 ff.
Es gehört zu den Eigenheiten der Kulturen Ägyptens, Mesopotamiens und des antiken Mittelmeerraums, dass es in ihnen einen engen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt (‚Umwelt‘) und den Vorstellungen gibt, die die Menschen vom Weltganzen und ihrem Ort in ihm haben. So leben die Menschen nach mesopotamischer Vorstellung „auf einer Erde aus Lehm, die an ihren Enden von Salzmeeren umgeben ist. Über der Erde wölbt sich ein gestufter Himmel, in dem als Himmelskörper sichtbare Gottheiten wohnen. In der Tiefe der Erde im Lehm befindet sich die dunkle Unterwelt, wo die Toten unter der Gewalt der schreckenerregenden Gottheiten des ‚Lands ohne Wiederkehr‘ ihr Dasein fristen. Getrennt werden Lebende und Tote durch die streng bewachten Befestigungsanlagen der ‚Großen Stadt‘ – dies eine weitere Bezeichnung für die Unterwelt – sowie durch den Unterweltsfluß Hubur, die mesopotamische Styx“.
Weder der Himmel noch die Unterwelt, sondern die Erde, auf der die Menschen leben, ist ihre Heimat. Dort befinden sich, so D. Schwemer weiter, „ihre Siedlungen, die Städte mit ihrem kultivierten Umland, die untereinander im Süden Mesopotamiens durch zahlreiche Wasseradern verbunden sind. Außerhalb der vom Menschen bewohnten und kultivierten Bereiche innerhalb der Flußoasen gelangt man in das karge, unbebaute Land, die ‚Steppe‘, in der Räuber ihr Unwesen treiben und Dämonen lauern. Ferner noch liegen v. a. im Osten die Berge, der stereotype Herkunftsort der Feinde des mesopotamischen Tieflands, zugleich aber auch ein mythologischer Ursprungsort der Götter und – in Konkurrenz zur Vorstellung als einem Ort tief in der Erde – ein mit der Unterwelt assoziierter Bereich des Kosmos (kur, šadû). Aus den Bergen im Osten tritt der Sonnengott morgens hinaus und bringt Licht in die Oberwelt, nachdem er nachts durch die Unterwelt gereist ist. Nach seinem Eintritt in die Unterwelt am Abend richtet er die Toten, so wie er morgens bei seinem Aufgang den Lebenden Gerechtigkeit und den unbescholten Leidenden Rettung bringt.“2
Auch im alten Israel gibt es Vorprägungen für die Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt (‚Umwelt‘). Dazu zählt die physische Gestalt des Landes mit seinen
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TUAT.NF 9 (2020) 4 (D. Schwemer), s. dazu auch die Hinweise bei Q 2, ferner die Bemerkungen zu den Konturen der natürlichen Lebenswelt in Ägypten (Q 1), Kleinasien (Q 3), Ugarit (Q 4) und Griechenland (Q 5).
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 133
Klimazonen und seinem markanten Landschaftsrelief,3 sodann das Wissen um die Abhängigkeit von diesen Gegebenheiten samt der damit einhergehenden Sensibilität für Risikofaktoren (Dürre, Erdbeben, Heuschrecken, Vulkanausbrüche, Wildtiere)4 und schließlich der Bezug der Menschen untereinander und zu den Tieren und Pflanzen. Der Mensch war Teil dieser Ordnung und in seinem ganzen Handeln auf sie bezogen. Was mit dem Begriff „Ordnung“ konkret gemeint ist, ist im Folgenden noch genauer zu beschreiben. a) Die Lebenswelt und ihre Ordnungen Altes Testament: Berlejung, Art. Weltbild/Kosmologie, 67 ff ◆ Dietrich, Art. Welterfahrung,
69 ff ◆ Ders., Listenweisheit, 101 ff ◆ Ebach, Art. Naturerfahrungen, 420 ff ◆ Janowski, Denken, 27 ff ◆ Kipfer, Himmel, 27 ff ◆ Schmid, Orient, 1 ff ◆ Steck, Thesen, 277 ff ◆ Weippert, Welterfahrung, 179 ff. – Antike Religionen: Dietrich, Listenweisheit, 104 ff ◆ Rochberg, Before Nature ◆ Dies., Anthropology, 253 ff ◆ Schmid/Uehlinger (Hg.), Himmelsgesetze. – Kulturwissenschaft: Blumenberg, Licht, 139 ff ◆ Kreuzer, Art. Licht, 207 ff.
Im Zusammenhang der Ausführungen zum Thema „Natur“ im Alten Testament sind wir auch auf den Begriff „Ordnungsformen“ eingegangen, den E. Cassirer in die Diskussion eingeführt hat.5 Mit „Ordnungsformen“ sind weltbildhafte Strukturen der Lebenswelt, regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft sowie taxonomische Einteilungen der Tier- und Pflanzenwelt gemeint. Sie konstituieren die Struktur und Sinnhaftigkeit der natürlichen und sozialen Welt und spielen nicht erst seit den Vorsokratikern und Platon, sondern bereits im Denken Mesopotamiens, Ägyptens, Israels und des Iran6 eine zentrale Rolle. Für das Alte Testament kommen dabei die in Abb. 30 zusammengestellten Aspekte in Frage. Aus diesem Katalog einer „ordnenden und systematisierenden Naturkunde“7 seien vorab zwei Themenfelder herausgegriffen: der Licht/Finsternis-Gegensatz und das Motiv der Begrenzung des Meeres. Da der Wechsel/Gegensatz von Licht und Finsternis, wie der priesterliche Schöpfungstext (Gen 1,1–2,3) zeigt,8 für das Thema „Schöpfung“ von grundlegender Bedeutung ist, steht er am Anfang der folgenden Skizze.
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S. dazu Janowski, Anthropologie, 22 ff. Seit den Arbeiten von A. Alt (1883–1956) wurde das Landschaftsrelief Palästinas/Israels – besonders das des judäischen und des ostjordanischen Berglands – als „kleinkammerig“ bezeichnet, s. dazu Weippert/Weippert, Vorgeschichte, 366 ff und Knauf/Niemann, Geschichte Israels, 23 ff. Hinzukommt die Erfahrung von politischen und sozialen Katastrophen wie Kriegen, Seuchen und Hungersnöten, s. dazu Steck, Welt, 51 f und unten 151 ff. S. dazu oben 17 f. S. dazu das Textbeispiel aus dem Awesta (Q 111). Ebach, Naturerfahrung, 422. Dieser Katalog lässt sich durch deuterokanonische Texte und Texte aus Qumran erweitern, s. dazu die Hinweise bei Hartenstein, Kosmisierung (i. Dr.). S. dazu oben 50 ff.
134 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt – „Ordnungen, Gesetze“ (huqqôt) von Himmel und Erde (Jer 33,25 f; Hi 38,33 ˙ [ohne „Erde“]) – Himmel als „Werk“ (maʿ aśîm) der Finger Gottes (Ps 8,4a) – „Ordnungen, Gesetze“ (huqqîm/huqqôt) von Sonne, Mond und Sternen ˙ ˙ (Jer 31,35 f; Ps 148,3–6 [hoq V. 6b], vgl. Gen 1,16; Ps 74,16) ˙ – Befestigung (kûn pol.) von Mond und Sternen (Ps 8,4b) – „Gründung“ (jāsad) bzw. „Festigung“ (kûn pol.) von Himmel und Erde durch JHWHs Weisheit und Einsicht (Spr 3,19) – Göttliche Akte des „Unterscheidens, Trennens“ (bdl hif.) von Licht und Finsternis, der Wasser unterhalb/oberhalb der Himmelfeste, von Tag und Nacht (Gen 1,4.6 f.14.18) – Festgesetzte „Grenzen“ (gebûlôt) der Erde (Ps 74,17a) – Markierung des Horizonts (hûg), wo Licht und Finsternis aneinander grenzen (Hi 26,10) ˙ – Erschaffung der Jahreszeiten (Ps 74,17b) – Bestimmung des Gewichts des Windes // des Maßes des Wassers, der Grenze des Regens // des Weges von Blitz und Donner (Hi 28,25 f ) – Bestimmung des Morgens // des Orts der Morgenröte (Hi 38,12) – Stabilität des Kosmos (Erde und Berge: Am 4,13; Gestirne: Am 5,8; Himmel: Am 9,6) und deren potentielle Umkehrung9 – In-Bewegung-Setzung bzw. „Aufwühlen“ des Meeres (Jer 31,35 f; Ps 74,13) – Begrenzung des Meeres (Jer 5,22; Ps 104,5 ff; Hi 38,10 f u. ö.) – Mit Wasser aus dem „Gotteskanal“ getränktes Land (Ps 65,10 f, vgl. Hi 38,25) – Lebensförderliche Kraft des Lichts (Ps 104,22 f u. ö.) – „Ordnungen, Gesetze“ (huqqôt) der Ernte (Jer 5,24) ˙ – Erschaffung der Pflanzen und Tiere „nach ihrer Art“ (mîn) (Gen 1, 11 f. 21.24 f, vgl. Gen 6,19 f; 7,14) – Klassifizierung reiner und unreiner Tier (Lev 11,2–23; Dtn 14,3–20) – Storch: Kenntnis seiner „festgesetzten Zeiten“ (môʿ adîm) (Jer 8,7, vgl. Jes 1,2 f ) – Turteltaube, Turmschwalbe, Drossel: Einhaltung der „Zeit ihres Kommens“ (ʿetboʾānāh) (Jer 8,7) – Tiere als „Lehrer“ des Menschen im Blick auf die Schöpfung und ihre natürlichen Ordnungen (Spr 6,6–8; 30,24–28; Hi 38,36–38) – Naturvergleiche als Beleg für den Tun/Ergehen-Zusammenhang (Spr 22,8; 25,23; 26,20 f ) – Rätselhafte, aber ‚geordnete‘ Verhaltensweisen in der Tier- und Menschenwelt (Spr 30,18 f )
Abb. 30: Naturgesetze und göttliche Setzungsakte im Alten Testament
Der Licht/Finsternis-Gegensatz Im alten Israel und in seiner Umwelt hat die Lichtmetapher ihren besonderen Bedeutungsgehalt in Antithese zu den Phänomenen Finsternis, Chaos und Tod(esgeschick) entfaltet.10 Das Licht, das die distinkten Konturen der Dinge, ihre Form 9
S. dazu außer den Kommentaren noch Gillingham, Morgenröte, 119 ff; Hartenstein, Wolkendunkel, 152 ff und zur Übersetzung unten 496 (Anhang I). 10 S. dazu Janowski, Licht, 221 ff. Im antiken Griechenland verlief die Geschichte der Lichtmetaphorik anders, s. dazu die Hinweise bei Janowski, Rettungsgewissheit, 26 Anm. 30, ferner Kreuzer, Art. Licht, 210 ff.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 135
und Unterschiedenheit, hervortreten lässt, ist nicht einfach die unbestimmbar allgegenwärtige Helle, sondern die „vordringende Entmachtung der Finsternis“11. Umgekehrt wird „in jeder Nacht … die Erinnerung an das Chaos“12 wach, in dem alle Gestaltung aufgehoben ist und die Seinsformen ununterscheidbar vermischt sind. Für die Stellung des Menschen in der Welt hatte die Wirksamkeit dieses Gegensatzes unmittelbare und weitreichende Folgen. So vertreibt am Morgen das aufstrahlende Licht die Frevler von der Erde, es ‚formt‘ die Schöpfungswelt wie ein Rollsiegel den weichen Ton und erfüllt sie mit Farbe und Schönheit: 12 Hast du in deinem Leben je dem Morgen geboten, der Morgenröte ihren Platz angewiesen, 13 damit sie die Enden der Erde erfasse, sodass die Frevler von ihr abgeschüttelt werden? 14 Sie verwandelt sich wie Siegelton ⟨und färbt sich⟩ wie ein Kleid; 15 den Frevlern wird ihr Licht entzogen und der erhobene Arm wird zerbrochen. (Hi 38,12–15)13
Im Gegensatz zur Finsternis erschließt das Licht die Welt und erschafft die geordnete Wirklichkeit, in der sich der Mensch orientieren kann. Seine alles durchdringende Macht, die vom Schöpfergott in die Welt hineingetragen wird („Lässt du die Sonne aufgehen …“), vertreibt nicht nur die wilden Tiere und die frevlerischen Menschen, es vermag auch den leidenden Beter von dämonischer Bedrohung (Krankheit, ominöses Unheil u. a.) zu befreien: 22 ⟨Lässt du⟩ (sc. JHWH) die Sonne aufgehen, dann ziehen sie (sc. die wilden Tiere) sich zurück und lagern sich in ihren Verstecken. 23 Da tritt heraus der Mensch zu seinem Tun und zu seinem Tagewerk bis zum Abend. (Ps 104,22 f )14
Wie das Grab, das Meer oder die Wüste ‚Raumzonen‘ repräsentieren, die an die Totenwelt angrenzen,15 so ist die Nacht der zeitliche Bereich, innerhalb dessen die Exponenten der Finsternis und des Todes den Menschen besonders gefährden. Denn die Finsternis bedeutet nicht einfach die (totale) Minderung der Helligkeit, sondern vielmehr die Abwesenheit des Lebens und d. h. die Rückverwandlung des Kosmos in die Welt vor der Schöpfung, die die heilvolle, geordnete Welt ständig umgibt und bedroht. Im Schutz der Nacht, die „Schrecken“ verbreitet (vgl. Ps 91,5), kommen auch die wilden Tiere aus ihrem Versteck und erbitten von Gott ihre Speise: 11
Blumenberg, Licht, 140. Gese, Johannesprolog, 190. 13 S. dazu Janowski, Rettungsgewissheit, 183 f. 14 S. dazu unten 425 f. 15 S. dazu Keel, Bildsymbolik, 53 ff und Janowski, Anthropologie, 348 f. 12
136 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 20 Lässt du die Finsternis kommen, so wird es Nacht; in ihr wimmelt alles Getier des Waldes. 21 Die jungen Löwen brüllen nach Raub, um von Gott ihre Speise zu erbitten. (Ps 104,20 f )16
Die Begrenzung des Meeres Im Umkreis des Motivs der Konfrontation von Schöpfung und Chaos begegnet mehrfach die Aussage, dass JHWH dem Chaos (Urflut, Meer) eine „Grenze“ ( gebûl, ḥoq) gesetzt hat, die es nicht überschreiten kann:17 Mich fürchtet ihr nicht, Spruch JHWHs, vor mir zittert ihr nicht, der ich den Sand dem Meer als Grenze (gebûl) gesetzt habe, als ewige Schranke, damit es sie nicht überschreite? ⟨Es⟩ wogt, aber ⟨es⟩ vermag nichts, es tosen seine Wellen, aber sie können sie nicht überschreiten. (Jer 5,22) Eine Grenze (gebûl) hast du gesetzt – die dürfen sie nicht überschreiten, sie kehren nicht (mehr) zurück, um die Erde zu bedecken. (Ps 104,9) 8 ⟨Wer verschloss⟩ mit Toren das Meer, als es hervorbrach, aus dem Mutterschoß herauskam, 9 als ich bestimmte eine Wolke zu seinem Kleid und Wolkendunkel zu seiner Windel, 10 und ich über ihm meine Grenze (ḥoq) festlegte, und ihm setzte einen Riegel (berîaḥ) und Tore (delātajim), 11 und sagte: „Bis hierher kommst du, und nicht weiter, und hier ⟨endet/bricht sich⟩ der Hochmut deiner Wellen!“? (Hi 38,8–11) 27 Als er festmachte den Himmel, war ich dort, als er einritzte (ḥāqaq) den Horizont auf der Oberfläche der Urflut, 28 als er stärkte die Wolken von oben, als stark wurden die Quellen der Urflut, 29 als er setzte dem Meer seine Grenze, so dass die Wasser seinen Befehl nicht überschreiten, als er einritzte (ḥāqaq) die Grundfesten der Erde, 30 da war ich an seiner Seite als Gelehrter/Baumeister … (Spr 8,27–30)
Gemeinsamer Bezugspunkt der meisten dieser Texte, die zeigen, dass „gesetzmäßige Vorgänge in der Natur … nicht eigenen Gesetzen, sondern der Gesetz16
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S. dazu unten 425 ff. Zu den folgenden Texten s. Liedke, Gestalt, 156.162 f.169 f; Petersen, Mythos, 111 f; Janowski, Königtum Gottes, 170 f; Schmid, Orient, 10 ff; Hartenstein, Kosmisierung (i.Dr.) sowie die Einzelauslegung in diesem Buch (s. Stellenregister). Wichtig ist die Beobachtung von Hartenstein, aaO (i.Dr.), dass die in diesen Texten begegnenden verneinten Übertretungsaussagen (formuliert mit loʾ/bal + ʿābar) eine Sachparallele in Ee V 1–7 haben, s. dazu Q 66. Auch nach ägyptischer Auffassung hat der Kosmos Grenzen, die mit der Schöpfung gesetzt sind, s. dazu Hornung, Grenzen, 412 ff.
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gebung Gottes (folgen)“18, ist die Anordnung zur Ansammlung der Wasser an einem Ort in Gen 1,9 f. Danach wird am dritten Tag der Lebensraum der Schöpfung konstituiert, indem Erde und Meer voneinander getrennt werden und so das Trockene sichtbar wird:19 9 Und Gott sprach: „Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel zu einem Ort hin, dass das Trockene sichtbar werde.“ Und es geschah so. 10 Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war.
JHWH hat aber nicht nur die räumlichen, sondern auch die zeitlichen Grenzen geschaffen und, wie etwa Ps 74,16 f zeigt20, der kosmischen Ordnung damit Stabilität verliehen: 16 Dein (sc. JHWHs) ist der Tag, dein auch die Nacht, du hast Leuchte und Sonne hingestellt. 17 Du bist es, der alle Grenzen (gebûlôt) der Erde festgesetzt hat, Sommer und Winter, du hast sie geschaffen. (Ps 74,16 f )
Der Wechsel/Gegensatz von Licht und Finsternis gehört ebenso wie die Grenze zwischen Land und Meer zu den grundlegenden „Ordnungsformen“, die neben weiteren Parametern die raumzeitliche Struktur der natürlichen Lebenswelt konstituieren.21 Darauf ist im Folgenden immer wieder zurückzukommen. Zunächst aber soll der Begriff „Ordnung“ noch etwas präzisiert werden. Exkurs 4: Ordnungsdenken Altes Testament: Dietrich, Listenweisheit, 101 ff ◆ Görg, Art. Listen 647 f ◆ Ders., mîn, 173 ff ◆
Herrmann, Naturlehre, 32 ff ◆ Janowski, Denken, 27 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 48 ff ◆ Müller, Tierbezeichnungen, 135 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 61 ff.88 ff.167 ff ◆ Steck, Schöpfungsbericht, 47 ff.55 ff.190 ff.240 ff. – Antike Religionen: Brunner-Traut, Frühformen, 139 f ◆ Cancik-Kirschbaum/Kahl, Philologien, 286 ff.293 f.303 ff ◆ Edzard, Listenwissenschaft, 246 ff ◆ Rochberg, Anthropology, 253 ff ◆ von Soden, Leistung, 29 ff. – P hilosophie, Kultur- und Religionswissenschaft: Angehrn, Überwindung, 259 ff ◆ Geertz, Beschreibung, 44 ff ◆ Gloy, Denkformen, 80 ff ◆ Goodman, Welterzeugung, 13 ff ◆ Goody, Liste, 338 ff ◆ Leach, Kultur, 45 ff ◆ Lévi-Strauss, Denken, 11 ff ◆ Waldenfels, Ordnung, 17 ff.87 ff ◆ Wetzel, Art. Ordnung, 1675 ff. Konstitutiv für den Begriff „Ordnung“ bzw. „Weltordnung“ (lat. ordo. gr. κόσμος, τάξις) ist die Struktur der natürlichen und geschichtlich-sozialen Welt und die Verknüpfung ih-
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Schmid, aaO 13. S. dazu Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 50 f und zur Position von Gen 1,9 f im Gesamtzusammenhang des priesterlichen Schöpfungstextes oben 47. 20 S. dazu unten 315 ff. 21 S. dazu Wetzel, Art. Ordnung, 1678 ff. 19
138 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt rer Grundelemente zu einem Formenzusammenhang. Eine solche Verknüpfung kann auf vielfältige Weise geschehen.22 Eine zentrale Weise ist in den Kulturen des Alten Orients, Ägyptens und des antiken Mittelmeerraums die Klassifizierung der Tier- und Pflanzenwelt. „Jede Art der Klassifizierung“, so der Sozialanthropologe C. Lévi-Strauss (1908– 2009), „ist dem Chaos überlegen.“ Und er fährt fort: „Und selbst eine Klassifizierung auf der Ebene der sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften ist eine Etappe auf dem Wege zu einer rationalen Ordnung.“23 Die folgenden Beispiele zeigen, wie stark dieses Ordnungsdenken die alttestamentlichen Schöpfungsaussagen geprägt hat.
Beispiel 1: Der Klassifikationsterminus mîn „Art, Spezies“ Es ist bemerkenswert, dass bereits der priesterliche Schöpfungstext Gen 1,1–2,3, der das Bild eines vom Schöpfergott als „gut“ (Gen 1,4.10.12.18.21.25) bzw. „sehr gut“ (Gen 1,31) befundenen Ganzen (,Lebenshaus‘) entwirft,24 die erschaffene Welt bis in die Einzelheiten als einen wohlgeordneten Kosmos darstellt. Zu diesen Einzelheiten gehört nicht nur die Systematik der acht Schöpfungswerke und der sechs Schöpfungstage, sondern auch die Klassifizierung der Pflanzen und Tiere mittels des Terminus mîn „Art, Spezies“ in Gen 1,11 f.21.24 f,25 mit dem die „Artenvielfalt“ zum Ausdruck gebracht wird:
Pflanzen: Kräuter und Bäume 11 Und Gott sprach: „Es bringe die Erde frisches Grün hervor: Kraut, das Samen bildet, ⟨und⟩ Fruchtgehölz, das Frucht bringt, nach seiner Art, in dem sein Same ist auf der Erde.“ Und es geschah so: 12 Und die Erde brachte frisches Grün hervor: Kraut, das Samen bildet, nach seiner Art, und Gehölz, das Frucht bringt, in dem sein Same ist, nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.
Wasser- und Flugtiere 20 Und Gott sprach: „Es wimmle das Wasser von Gewimmel an Lebewesen, und Flugtiere sollen fliegen über der Erde an der Vorderseite der Feste des Himmels.“ 21 Und Gott schuf die großen Seeungeheuer26 und alle Lebewesen, die sich regen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihrer Art und alle geflügelten Flugtiere nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war. 22
S. dazu Wetzel, aaO 1675 ff, der zwölf Formen der Verknüpfung aufführt, und Angehrn, Überwindung, 275 ff, der die Ordnungstypen Analogie und Assoziation, Klassifikation, Raumordnung, Genealogie u. a. unterscheidet. 23 Lévi-Strauss, Denken, 27 f. 24 S. dazu oben 83 f, vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 168. 25 Hinzukommen Gen 6,19 f; 7,14 (jeweils P-Fluterzählung); Lev 11,14–16.19.22; Dtn 14, 13–15.18 (reine und unreine Tiere); Ez 47,10; Sir 43,25, s. dazu Westermann, Genesis 1–11 (BK), 174 f; Schmidt, aaO 167 f; Steck, Schöpfungsbericht, 65 f.123 f; Beauchamp, Art. mîn, 867 ff; Görg, mîn, 173 ff; Müller, Tierbezeichnungen, 139 f; Riede, Art. Art/Spezies; Ebach, Art. Naturerfahrung, 422; van Wolde, Refraiming, 367 f und Dietrich, Listenweisheit, 107 ff. 26 Zu den Seeungeheuern (tannînim), die diesem Text zufolge nicht „nach ihren Arten“ erschaffen werden s. unten 394 ff.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 139
Landtiere: Haustiere, Kriechtiere und Wildtiere 24 Und Gott sprach: „Es bringe die Erde hervor Lebewesen nach ihrer Art: Vieh und Kriechgetier und das Wild der Erde nach seiner Art.“ Und es geschah so. 25 Und Gott machte das Wild der Erde nach seiner Art und das Vieh nach seiner Art und alles Kriechgetier des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. Abb. 31: Zum Klassifikationsterminus mîn „Art, Spezies“ in Gen 1 In diesen Texten, aber auch in Gen 6,20; 7,14; Lev 11,14 ff.19.22.29; Dtn 14,13 ff.18 und Ez 47,10 begegnet das Nomen mîn „Art, Spezies“ immer in Verbindung mit der Präposition „nach, entsprechend“ (le), womit die Relation zum jeweiligen Bezugswort, nämlich zu einem konkret vorgestellten Lebewesen, angezeigt wird. Es geht also um die „Einsicht in die ‚Ordnung‘ der Welt“27 und ihres vom Schöpfergott initiierten und garantierten Sinngefüges.
Beispiel 2: Die Taxonomie der Tierarten Dieses Sinngefüge lässt sich auch im Blick auf die Einteilung der belebten Welt (Tiere und Pflanzen) nach elementaren, auf das jeweilige Weltbild bezogenen Kategorien feststellen. So nimmt der priesterliche Schöpfungstext in Gen 1,26.28 die drei Bereiche der Schöpfungswelt – Land, Himmel und Meer – und d. h. ihre weltbildhafte Anordnung explizit in den Blick:28 Und Gott sagte: „Wir wollen Menschen machen als unser(e) Bild/Statue, etwa wie unsere Ähnlichkeit, damit sie herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über alles ‹Getier› der Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen.“ (Gen 1,26)
Taxonomie der Tierarten Wassertiere Flugtiere Landtiere: domestizierbare Tiere – wilde Tiere – Kriechtiere
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Und Gott segnete sie, und Gott sagte zu ihnen: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde und (‚betretet sie‘ =) nehmt sie in Anspruch,
Görg, mîn, 175, vgl. Schmidt, aaO 168 f; Westermann, aaO 175 u. a. Zu den mîn-Belegen in Lev 11 par. Dtn 14 s. unten 225 ff. 28 Wie Weippert, Tier, 44 mit Anm. 14 hervorgehoben hat, werden die Gattungen der Tierwelt sowohl in Ps 8,8–9 als auch in Gen 1,20–28 nach dem Bereich (Wasser, Luft, Erde) angeordnet, in oder auf dem sie leben, s. dazu unten 285 f und zur Sache noch NeumannGorsolke, Herrschen, 125 f.224 ff; Krüger, Himmel, 66 ff und Janowski, Anthropologie, 411.623 f.
140 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Getier, das auf der Erde kriecht.“ (Gen 1,28)
Taxonomie der Tierarten Wassertiere – Flugtiere – Landtiere (alle) Abb. 32: Zur Taxonomie der Tierarten in Gen 1 Eine ähnliche Klassifizierung begegnet auch in Ps 8,6–9,29 wo die Rolle des Menschen in der Welt durch die Position beschrieben wird, die er gegenüber den nichtmenschlichen Lebewesen einnimmt. Diese Form des klassifikatorischen Denkens, das von der sog. Listenwissenschaft beeinflusst ist,30 hat, wie der Passus über die Weisheit Salomos in 1 Kön 5,9–14 zeigt, einen weisheitlichen Hintergrund. (9) Und Gott gab Salomo Weisheit und sehr viel Einsicht und umfassenden Verstand – reich wie der Sand am Gestade des Meeres, (10) so dass die Weisheit Salomos größer war als die Weisheit aller Leute des Ostens und als alle Weisheit Ägyptens. (11) Er war weiser als irgendein Mensch – als der Esrachiter Etan, als Heman, Kalkol und Darda, die Söhne Mahols, und sein Name wurde bei allen Völkern ringsum berühmt. (12) Und Salomo sprach dreitausend Sprüche, und seiner Lieder waren eintausendundfünf. (13) Er sprach über die Bäume, angefangen von der Zeder, die im Libanon wächst, bis zum Ysop, der an der Mauer hervor sprießt; und er sprach über die Landtiere, die Vögel, die Kriechtiere und die Fische. (14) Und man kam von allen Völkern, um die Weisheit Salomos zu hören, und ‹er empfing Geschenke› von allen Königen der Erde, die seine Weisheit hörten.31 Die Fülle der Phänomene, also alles, was Himmel und Erde erfüllt, haben bereits die Sumerer und später die Assyrer und Babylonier mit Hilfe von listenartigen Zusammenstellungen (sog. Onomastika) zu inventarisieren und zu ordnen versucht.32 Auch aus Ägypten, vor allem aus dem Neuen Reich (18.–20. Dyn.), sind solche Listen erhalten.33 Möglicherweise, aber das bleibt unsicher, war Salomo von dieser Wissenschaft nicht unbeeinflusst.34 29
S. dazu unten 285 f. S. dazu Herrmann, Naturlehre, 32 ff; Keel/Schroer, Schöpfung, 170 ff.177 u. a. Zur Listenwissenschaft in Mesopotamien und Ägypten s. von Soden, Leistung, 29 ff; Schmid, Wesen, 88 f.95 ff.223 ff; Brunner-Traut, Frühformen, 139 f; Edzard, Listenwissenschaft, 246 ff; Goody, Liste, 338 ff; Cancik-Kirschbaum/Kahl, Philologien, 286 ff.293 f.303 ff, für das Alte Testament s. noch Keel, Bildsymbolik, 48 ff; Görg, Art. Listen, 647 f und Dietrich, Listenweisheit, 101 ff. 31 S. dazu Wälchli, Salomo, 67 ff. 32 S. dazu von Soden, aaO 29 ff und Edzard, ebd. Auch die kultische Sprache Assyriens ist dem taxonomischen Denken verpflichtet, wie das Beispiel einer Inschrift Asarhaddons (681–669 v. Chr.) zeigt, s. Q 70. 33 Ein aussagekräftiges Beispiel ist das Onomastikon des Amenemope aus der 21. Dyn. (990– 984 v. Chr.), s. Q 25. Zu den listenartigen Pflanzendarstellungen im Festtempel Thutmosis’ III. s. Q 24. 34 So Alt, Weisheit Salomos, 90 ff. Skeptisch äußern sich demgegenüber Keel/Schroer, aaO 171 („schwer zu entscheiden“). Noch skeptischer ist der Hinweis von Kottsieper, Weisheit, 30
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 141
Beispiel 3: Das Ordnungswissen der Tiere Das dritte Beispiel betrifft das ‚Ordnungswissen‘, das bestimmte Tierarten von den regelhaften Abläufen in der Natur haben. So weisen die Schlussverse des ersten Teils (Hi 38,4–38) der ersten Gottesrede des Hiobbuchs (Hi 38,1–40,5)35 auf einige Gegebenheiten des Wasserhaushalts und die darin waltende Weisheit Gottes hin. Dabei ist besonders von zwei Vogelarten, dem Ibis und dem Hahn, die Rede: 36 Wer hat Weisheit in den Ibis gelegt, oder wer hat dem Hahn (śækwî ) Einsicht gegeben? 37 Wer zählt die Wolken in Weisheit, und die Krüge des Himmels (niblê-šāmajim) – wer schüttet sie aus, 38 wenn sich der Staub zum Gußwerk ergießt und die Schollen aneinander kleben? (Hi 38,36–38)
Abb. 33: Darstellung des Kosmos (Rollsiegel, Nimrud, 8. Jh. v.Chr) O. Keel hat diesen Text mit einem assyrischen Rollsiegel aus Kalach/Nimrud in Zusammenhang gebracht, das eine symbolische Darstellung des Kosmos enthält (Abb. 33).36 Der Bildaufbau ist von symmetrischer Stringenz: während die Bildmitte von einer Himmelsszene eingenommen wird – zwei Stiermenschen und ein Atlant stützen die Flügelsonne –, ist links ein Priester zu sehen, der mit seinen Riten die Weltordnung in Gang hält, während ein aufgerichteter Löwendrache (rechts) diese Ordnung attackiert. Für den Vergleich mit Hi 38,36 ff ist vor allem der prächtige Hahn oben links ausschlaggebend, dem auf der
139 ff.141 ff und Riede, Spiegel, 6 Anm. 22 auf die Naturbeschreibungen der aramäischen Aḥiqarsprüche als Traditionshintergrund von 1 Kön 5,13 zu beurteilen. Diese passen eher zu den naturbeschreibenden Sprüchen in Spr 6,6 ff; 30,24 ff u. a., s. dazu unten 221 ff. 35 Zu den Gottesreden der Hiobbuchs s. unten 213 ff. 36 S. dazu Keel, Entgegnung, 60 mit Anm. 219; ders., Beiträge, 220 ff; ders. u.a, OLB 1, 140 f; ders./Schroer, aaO 199 f, ferner Ritter-Müller, Welt, 202 ff; Riede, aaO 17 f.204 f; von der Osten-Sacken, Geflügelwirtschaft, 514; Kang, Behemot, 96 ff und Witte, Hiob (ATD), 623 ff.
142 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt rechten Bildhälfte zwei Himmelskrüge korrespondieren. Beide Bildelemente „symbolisieren wohl den Regen, der zu seiner Zeit kommt, ein wichtiges Element der kosmischen Ordnung“37. Auch andere Tiere wie Ameise, Klippschliefer, Heuschrecke, Gecko (Spr 6,6 ff; 30,24 ff ), Rind und Esel (Jes 1,2 f ) sowie Zugvögel besitzen ein ausgeprägtes ‚Ordnungswissen‘, das sie, wie prophetische und weisheitliche Texte bezeugen, als „Lehrer“ des Menschen qualifiziert.38 Einschlägig ist der Tiervergleich in Jer 8,7: Auch der Storch am Himmel kennt seine Zeiten (môʿ adîm), Turteltaube, Turmschwalbe und Drossel halten die Zeit ihres Kommens (ʿet-boʾānāh) ein, aber mein Volk kennt nicht das Recht (mišpāṭ) JHWHs.39 Das Verb jādaʿ „(er)kennen, wissen“, das sowohl auf das Verhalten der Vögel als auch auf dasjenige des Gottesvolks bezogen wird, beschreibt ein Wissen, das zu einem praktischen Handeln führt bzw. nicht führt: „während die Tiere mit „Gesetzmäßigkeiten vertraut sind und sich daran halten, ist den von Gott zu seiner Gemeinschaft Erwählten nicht einmal sein Recht … bekannt, von dessen Einhalten ganz zu schweigen“40 Weitere Texte mit weltbildhafter Struktur sind Ps 148, Dan 3,57–90, Sir 42,15–43,33 und Hi 12,7–11.41 𓇼
Die alttestamentlichen Belege für regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft bringen, wie unsere Ausführungen zeigen, die Wirklichkeit der Ordnung zum Ausdruck, die diesen göttlichen Setzungsakten innewohnt. Im Folgenden soll ein weiteres Beispiel, nämlich der Zusammenhang von Schöpfung und Segen, in den Blick genommen werden, der für das alttestamentliche Verständnis der Schöpfung und ihre Ordnungsaspekte von grundlegender Bedeutung ist. b) Das Thema „Segen“ als Fallbeispiel Altes Testament: Feldmeier/Spieckermann, Gott, 272 ff ◆ Hieke, Segen, 15 ff ◆ Janowski/
Scholtissek, Art. Segen/Fluch, 391 f ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 89 f.92 ff ◆ Keller/Wehmeier, Art. brk pi., 353 ff ◆ Leuenberger, Segen 1 ◆ Ders., Art. Segen/Segnen ◆ Ders., Segen 2, 49 ff ◆ Müller, Segen, 1 ff ◆ Scharbert, Art. brk, 808 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 147 ff ◆ Seybold, Segen ◆ Staubli/Schroer, Menschenbilder, 552 ff ◆ Steck, Schöpfungsbericht, 64 ff. 68 ff.126 ff.193 ff ◆ Steymans, Art. Segen, 1132 ff ◆ Vonach, Art. 359 ff ◆ Westermann, Art. Segen, 1757 f ◆ Ders., Segen. – Antike Religionen: Aitken, Art. brk, 521 ff ◆ Leuenberger, Segen 1, 19 ff.27 ff.113 ff ◆ Lichtenberger, Menschenbild, 99 ff.108 ff ◆ Mathys, Segenszeug-
37
Keel u. a., OLB 1, 141. Zu den Himmelsträgern s. noch ders., Jahwe-Visionen, 207 ff. S. dazu unten 221 ff. 39 Zum doppelten, kontrastierenden „Kennen“ s auch Jes 1,2 f und dazu Riede, aaO 20 f. Der Name des Storchs (ḥasîdāh „die Treue, Zuverlässige“) ist wohl nicht auf seine „Liebe zu seinen Jungen“ (Ges18, 377 s. v.), sondern auf die Verlässlichkeit seines Erscheinens im Rhythmus des Jahreslaufs zurückzuführen, vgl. Riede, aaO 204 f. Zu einer Sachparallele im Nilhymnus des Cheti s. Q 22. 40 Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 334. 41 Zu Ps 148 und Hi 12,7–11 s. unten 221 f.304 ff, zu Sir 42,15–43,33 s. unten 504 f (Anhang I). 38
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 143
nisse ◆ Renz, Gottes Wesen, 141 ff ◆ Schottroff, Fluchspruch, 178 ff ◆ Steymans, Deuteronomium 28, 369 ff. – Interdisziplinärer Sammelband: Leuenberger (Hg.), Segen.
Zum Wortfeld „Segen“ im Alten Testament und in der althebräischen Epigraphik gehören das Substantiv berākāh „Segen“ (Grundbedeutung: „heilschaffende Kraft“), das Verb brk pi. „segnen“ (Grundbedeutung: „mit heilschaffender Kraft ausstatten“) und die partizipiale bārûk-Formel („gesegnet“). Segnen ist eine Handlung und/oder Äußerung, die auf Lebenssicherung und Lebenssteigerung abzielt.42 In semantischer Nähe zum Segen steht die Seligpreisung ʾašrê „glücklich“ (Ps 72,17 u. ö.), aber auch das Verb prh „fruchtbar sein“ und das Nomen šālôm „Heil, Friede“. In der Ikonographie der Umwelt Israels konkretisiert sich der Segen in der erhobenen rechten Hand einer Gottheit, die den Bittenden – wie in der Audienzszene auf der Kalksteinstele des Jeḥawmilk von Byblos (s. Abb. 34 und Q 107) – mit Segenswirkungen empfängt.
Abb. 34: Kalksteinstele des Jeḥawmilk von Byblos (5./4. Jh. v. Chr.) Das Wortfeld des Fluchs umfasst die Verbalwurzeln ʾrr, qll pi./pu. u. a. sowie die Substantive ʾālāh (Dtn 29,19 u. ö.), meʾerāh (Mal 2,2 u. ö.) und qelālāh (Gen 27,12 u. ö.). Die ʾārûr-Formel („verflucht sei/ist“) drückt den Sprechakt der Verwünschung und den der Feststellung des Fluchs aus (vgl. die Reihe in Dtn 27,15–2643). Subjekt im Sprechakt des 42
S. dazu Scharbert, Art. brk, 808 ff; Vonach, Art. Segen, 359 ff; Steymans, Art. Segen, 1132 ff; Leuenberger, Segen 1, 3 ff; ders., Segen 2, 49 ff; Janowski/Scholtissek, Art. Segen/Fluch, 391 f u. a. Zur sog. brk-Grundkonstellation s. die Skizze bei Leuenberger, Segen 1, 8. Die bārûkFormel, die den Zustand des Segens bzw. des Gesegnet-Seins bezeichnet („mit heilschaffender Kraft ausgestattet“), wird in 63 von 71 Fällen formelhaft gebraucht und dabei 38-mal auf Gott und 25-mal auf Menschen bezogen. 43 S. dazu außer den Kommentaren noch Schottroff, Fluchspruch, 220 ff u. ö.
144 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt Segens bzw. des Fluchs ist Gott oder ein Mensch. Dabei kann das als Wunsch oder Befehl (Gen 1,22.28; Num 6,25 f u. ö.) vollzogene Handeln nicht ungeschehen gemacht werden. Im Unterschied zum Segen bedarf der Fluch einer Begründung oder Bedingung, die menschliches Fehlverhalten markiert.
Gemäß seiner positiven Grundbedeutung als „heilschaffende Kraft“ besteht der Segen in Fruchtbarkeit von Mensch und Tier sowie in Prosperität, Wohlergehen, Schutz und Rettung (vgl. Ex 23,25 ff; Dtn 15,4 ff u. ö.). Er kann in Worten und Gesten zwar von Menschen erteilt werden – von Priestern (Gen 14,19), Königen (2 Sam 6,18), Eltern (Gen 31,55), Propheten (Num 23,11.20.25), Volk Israel (Dtn 27,12) u. a. –, dennoch kommt er von Gott, der Quelle des Segens: dieser segnet die Tiere (Wasser- und Flugtiere Gen 1,22), die Menschen (Gen 1,28, vgl. 5,2), den siebten Tag (Gen 2,3, vgl. Ex 20,11), die Erzeltern (Gen 24,1 u. ö.), das Volk Israel (Lev 25,21 u. ö.), den König (Ps 45,3), den Gerechten (Ps 5,13) und den Gottesfürchtigen (Ps 115,13). Die ca. 45 Segenszeugnisse der althebräischen Epigraphik aus der Eisenzeit IIB–III (ca. 900–450 v. Chr.) bestätigen dieses Bild. Es handelt sich dabei um Grabinschriften, Briefe und Siegel. Dazu zählen besonders folgende Texte:44
– die beiden Wandinschriften aus Kuntillet ʿAǧrūd (9./8. Jh. v. Chr.) – die Segensinschrift aus Ḥirbet el-Qom (Ende 8. Jh. v. Chr.) – Ostraka aus Arad und Lachisch (Ende 8. bis Anfang 6. Jh. v. Chr.) – eine Höhleninschrift aus En Gedi (um 700 v. Chr.) – die beiden Silberamulette vom Ketef Hinnom (Ende 7./Anfang 6. Jh. v. Chr.[?], s. Q 121)
Diese epigraphischen Befunde liefern nicht nur wichtige religions- und theologiegeschichtliche Vergleichsdaten, sie belegen auch, dass „die Segensthematik zu den konstantesten und grundlegendsten Elementen der religiösen Symbolsysteme Israels und Judas“45 zählt.
„Segen“ ist ebenso wie „Gerechtigkeit“ (ṣedāqāh), „Heil, Friede“ (šālôm) oder „Wahrheit, Zuverlässigkeit“ (ʾæmæt) ein Grundwort des Alten Testaments, das vor allem in den Erzelternerzählungen, im Deuteronomium, im Psalter, in der Priesterschrift und in der Rahmenerzählung des Hiobbuchs vorkommt.46 Literatur- und theologiegeschichtlich gesprochen umfasst die Segenthematik ein halbes Jahrtausend (vom 10./9. Jh. bis zum 3. Jh. v. Chr.). Die fundamentale Bedeutung des Segens bringt bereits der priesterliche Schöpfungstext Gen 1,1–2,3 mit der Segnung der Wasser- und Flugtiere (Gen 1,22),47 der Menschen (Gen 1,28) und des siebten Tages (Gen 2,3) zum Ausdruck: 44
S. dazu Leuenberger, Segen 1, 27 ff.150 ff; ders., Segen 2, 52 ff, ferner Renz, Gottes Wesen, 141 ff und Mathys, Segenszeugnisse, 38 ff.55 ff.65 ff.76 ff. 45 Leuenberger, Segen 2, 54. 46 S. dazu den konzisen Überblick bei Leuenberger, Segen 1, 54 ff und Hieke, Segen, 18 ff. 47 Zum Fehlen des Segens für die Landtiere in Gen 1,24 f s. oben 69 Anm. 125.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 145
22 Und Gott segnete (brk pi.) sie (sc. die Wasser- und Flugtiere), indem er sprach: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt das Wasser in den Meeren, und die Flugtiere sollen zahlreich werden auf der Erde!“ 28 Und Gott segnete sie (sc. die Menschen), und Gott sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde und nehmt sie in Besitz, und herrscht über die Fische des Meeres und über die Flugtiere des Himmels und über alles Getier, das auf der Erde kriecht.“ 2,3 Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm hörte er auf mit all seiner Arbeit, die Gott geschaffen hatte, indem er sie tat.
Der Segen, den der Schöpfer am 5. und 6. Tag seinen Geschöpfen (Menschen und Tiere) und dann am 7. Tag auch diesem gibt, ist ein ebenso elementarer wie fundamentaler Ausdruck seiner Weltzugewandtheit.48 Nimmt man die zur priesterlichen Sinaiperikope (Ex *16,1–Lev 9,24) gehörenden Segenstexte in Ex 39,43 und Lev 9,22 f hinzu, so stellt der „künftig priesterlich-kultisch vermittelbare Segen … das innere Ziel des universalen, ‚am Anfang‘ einsetzenden göttlichen Schöpfungshandelns dar“49. Die Grundintention dieser priesterlichen Segenstheologie, nämlich die Vermittlung lebensförderlicher, heilschaffender Kraft, lässt sich auch an den Segensaussagen von Num 6,24–66 und Dtn 28,3–6 ablesen. α) Das leuchtende Angesicht JHWHs (Num 6,22–27) Altes Testament: Berlejung, Mensch, 37 ff ◆ Geiger, Synergie, 51 ff ◆ Hartenstein, Angesicht,
194 ff.215 f ◆ Hieke, Segen, 21 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 395 f ◆ Leuenberger, Segen 1, 165 ff ◆ Seybold, Segen. – Antike Religionen: Hamidovic, Segen, 80.101 f ◆ Leuenberger, Segen 1, 165 ff ◆ Ders., Gott, 111 ff ◆ Lichtenberger, Menschenbild, 109 ff.115 f ◆ Liess, Weg, 307 ff.
In liturgisch dichter Sprache werden die Hauptaspekte des biblischen Segens – Lebenssteigerung (Fruchtbarkeit, Wohlergehen) und Lebenssicherung (Schutz, Rettung) – in dem nachpriesterlichen Text Num 6,22–27 und seinen epigraphischen Vorläufern, den Silberamuletten vom Ketef Hinnom (Ende 7./Anfang 6. Jh. v. Chr.[?], s. Q 121), gebündelt.50 Aufgrund des wertvollen Materials (Silberröllchen), des Fundortes (Grab für eine wohlhabende Jerusalemer Familie) und des Textinhalts ist davon auszugehen, dass die beiden Amulette von Priestern des Jerusalemer Tempels angefertigt wurden.51 Darüber hinaus spricht einiges dafür, dass die Silberröllchen von den Verstorbenen schon zu Lebzeiten getragen, ihnen 48 Vgl.
Feldmeier/Spieckermann, Gott, 275, ferner Leuenberger, aaO 385 ff. Zur Segnung und Heiligung des 7. Tages s. oben 71 f. 49 Leuenberger, Segen 2, 56. 50 Zur Rezeption des aaronitischen Segens in den Qumrantexten (1 QS 2,2 ff ) und in antikjüdischen Inschriften s. Hamidovic, Segen, 80.101 f und Q 156. 51 Vgl. TUAT.NF 6 (2011) 312 (A. Berlejung). Zur Funktion der Amulette s. Leuenberger, Segen 1, 163 ff.
146 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
aber ins Grab mitgegeben wurden. Gegenüber Ketef Hinnom 1 stellt Ketef Hinnom 2 dabei eine längere Variante des sog. Priestersegens dar: Ketef Hinnom 1 Ketef Hinnom 2 14 [Li]cht (oder: [Fe]ls). Es segne (brk) 15 dich JHWH [und] 16 [er] bewahre (šmr) dich. [Es] lasse
17 leuchten (ʾwr hif.) JHWH 18 [sein] Antli[tz zu]
19 [dir …].
5 [B]ösen. Es segne (brk) dich 6 JHWH, er 7 bewahre (šmr) dich.
8 Es lasse leuchten (ʾwr hif.) JH 9 [W]H sein Antlitz 10 [zu] dir und er ge-
11 währe dir Frie-
12 [d]en (šlm).
In Num 6,22–27 ist der Priestersegen in eine JHWH-Rede eingebunden, die an Aaron und seine Söhne ergeht:52 22 Und JHWH sagte zu Mose folgendermaßen: 23 „Sprich zu Aaron und zu seinen Söhnen folgendermaßen: So sollt ihr die Israeliten segnen (brk pi.), indem ihr zu ihnen sagt: 24 ‚Es segne (brk pi.) dich JHWH, und er bewahre (šāmar) dich! 25 Es lasse leuchten (ʾwr hif.) JHWH sein Angesicht zu dir hin, und er sei dir gnädig (ḥānan)! 26 Es erhebe (nāśāʾ ) JHWH sein Angesicht zu dir hin, und er gebe dir Heil/Frieden (šālôm)!‘ 27 Und wenn sie (so) meinen Namen auf die Israeliten legen, will ich sie segnen (brk pi.).“
In V. 24–26 werden in einer Reihung von drei parallelen Satzfolgen mit zunehmender Länge insgesamt sechs Segenswünsche ausgesprochen:53 drei Segenswünsche, die von Gott erbeten werden (unterstrichen), und drei Segenswünsche, die das Erbetene bei den Gesegneten bewirken mögen (kursiv). So ist der Priestersegen vom ersten Wort („Segnen“) bis zum letzten Wort („Heil, Friede“) „ein einziges Crescendo, wobei diese beiden Worte nochmals eine Klammer um den Segen bilden“54. Kurz und prägnant: „Was mit ‚Segnen‘ in Gang kommt, endet im ‚Frieden‘“55. Und es kommt so in Gang, dass zwischen dem leuchtenden Angesicht JHWHs und seinem Rettungshandeln eine enge Verknüpfung hergestellt wird. Mit den 52
Vgl. Sir 50,20 f. Zum literaturgeschichtlichen Verhältnis der Segensamulette zu Num 6,24 ff s. Leuenberger, aaO 165 ff mit der These, dass die beiden Amulette eine ältere Grundfassung von Num 6,24 ff darstellen. 53 Zur Textgestalt s. Seybold, Segen, 23 ff. 54 Staubli, Levitikus/Numeri (NSK.AT), 228, s. dazu auch Seebass, Numeri I (BK), 174 ff; Berlejung, Mensch, 37 ff und Geiger, Synergie, 51 ff. 55 Seybold, aaO 28.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 147
Wendungen vom „Leuchtenlassen“ (ʾwr hif.) und „Erheben“ (nāśā) des Angesichts JHWHs „zu dir hin“ (Präp. ʾæl + Suff.) wird der Heilsraum Gottes eröffnet, in den die Israeliten eintreten.56 Die Segenssprüche des aaronitischen Segens „haben in ihrem Weltbezug eine profane, eine religiös-sakrale … und eine politischsoziale Seite. Entsprechend haben die Formulierungen der drei Sprüche ihren je eigenen Charakter: Grußvorstellungen im ersten, sakral-kultisches Gepräge im zweiten und Rechtsetzungsstil und Ordnungsdenken im dritten“57.
Der Sitz im Leben von Num 6,24–26 ist die „Szenerie kultischer Audienz“58. „Licht“, „Gnade“ und „Heil, Friede“ gehören dabei aufs engste zusammen und umschreiben die Wechselbeziehung zwischen dem segnenden Gott und den gesegneten Menschen: wer vor dem leuchtenden Angesicht JHWHs erscheint, der steht im Bereich höchster Lebensintensität und erfährt Gottes Gnade (ḥānan „gnädig sein“) und Gottes Heil (šālôm). Die Basisaussage dieser Wechselbeziehung ist diejenige vom leuchtenden Angesicht JHWHs (V. 25), die, wie besonders die Psalmen deutlich machen, dem elementaren Zusammenhang von Licht und Leben/Rettung Ausdruck verleiht:59 2 Bis wann, JHWH, vergisst du mich auf Dauer? Bis wann verbirgst du dein Angesicht vor mir? 3 Bis wann soll ich Sorgen tragen in meiner næpæš, Kummer in meinem Herzen Tag für Tag? Bis wann erhebt sich mein Feind über mich? 4 Blick doch her, antworte mir, JHWH, mein Gott! Mach hell meine Augen (ʾwr hif.), damit ich nicht zum Tod entschlafe, 5 damit mein Feind nicht behauptet: „Ich habe ihn überwältigt!“, meine Gegner nicht jubeln, dass ich wanke! (Ps 13,2–5) 29 Ja, du machst hell (ʾwr hif.) meine Leuchte (ner), JHWH, mein Gott lässt meine Finsternis (ḥošæk) erstrahlen (ngh hif.).
30 Denn mit dir renne ich an gegen eine Kriegsschar, und mit meinem Gott springe ich über Mauern. (Ps 18,29 f )
JHWH – mein Licht (ʾōrī) und meine Rettung (yišʿī), vor wem sollte ich mich fürchten?
JHWH – Schutzburg meines Lebens,
vor wem sollte ich erschrecken? (Ps 27,1) Gott, stell uns wieder her,
und lass dein Angesicht leuchten (ʾwr hif.), dass wir gerettet werden. (Ps 80,4) 56
S. dazu auch Hieke, Segen, 15 ff und zur zweimaligen Wendung „zu dir hin“ bes. Geiger, Synergie, 51 ff. 57 Seybold, aaO 76. 58 Ders., ebd. Zur Audienzvorstellung als Hintergrund von Num 6,24–26 s. Hartenstein, Angesicht, 194 ff.215 f. 59 S. dazu Janowski, Licht, 227 ff und ders., Ort, 226 ff.
148 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
β) Die schöpferische Kraft des Segens (Dtn 28,1–6.15–19) Altes Testament: Hieke, Segen, 24 f ◆ Koch, Vertrag, 204 ff ◆ Leuenberger, Segen 1, 88 ff ◆ Ders., Segen 2, 60 f ◆ Steymans, Deuteronomium 28, 354 ff. – Antike Religionen: Koch, Ver-
trag, 209 ff ◆ Steymans, Deuteronomium 28, 284 ff.360 f.
Die Segensaspekte von Num 6,24 ff, die ihr Zentrum in der Vorstellung von „Gottes Zuwendung zu seiner Schöpfung, insbesondere zu den Menschen“60 haben, sind auch für die deuteronomische Segenstheologie61 ausschlaggebend. Kein anderes biblisches Buch spricht so konkret und detailliert vom Segen wie das Deuteronomium.62 Dass der Segen eine materielle Komponente wie Heil, Wohlstand und Gesundheit hat, zeigt sich nicht nur am Beispiel des Festkalenders Dtn 16,1–17, an dessen Ende resümierend von der Gabe des Segens gesprochen wird, die ihrerseits die religiöse Wurzel der Festfreude ist: 16 Dreimal im Jahr sollen alle deine Männer hingehen, um das Angesicht JHWHs, deines Gottes, an der Stätte, die er auswählt, zu schauen: am Fest der Ungesäuerten Brote, am Wochenfest und am Laubhüttenfest. Man soll nicht mit leeren Händen hineingehen, um das Gesicht JHWHs (zu) ⟨sehen⟩, 17 sondern jeder mit seiner Gabe, entsprechend dem Segen (berākāh) JHWHs, deines Gottes, den er dir gegeben hat. (Dtn 16,16–17)63
Es zeigt sich auch an anderen Texten wie Dtn 2,7; 7,13 f; 12,7; 14,24; 15,4.14; 16,10.15 u. ö.64 und besonders ausgeprägt im dtn (oder eher dtr?) Summarium Dtn 28,1 f.3–6, das in Dtn 28,15–19 ins Gegenteil verkehrt wird:65 Dtn 28,1–6 Einleitung 1 Und es wird geschehen, wenn du auf die Stimme JHWHs, deines Gottes, genau hörst, zu bewahren (und) zu tun alle seine Gebote, die ich dir heute gebiete, dann wird JHWH, dein Gott, dich als höchste unter allen Nationen der Erde stellen. 2 Dann werden alle deine Segnungen über dich kommen und dich erreichen, wenn du auf die Stimme JHWHs, deines Gottes, hörst.
60
Feldmeier/Spieckermann, Gott, 272, vgl. Vonach, Art. Segen, 359 f und Leuenberger, Segen 2, 49. 61 S. dazu ausführlich Leuenberger, Segen 1, 301 ff, vgl. ders., Segen 2, 60 ff. 62 Zu den dtn Segenstexten s. Leuenberger, Segen 1, 301 ff (mit der tabellarischen Übersicht 304 ff ). 63 S. dazu Janowski, Jenseits, 47 f. 64 Zu dem in diesen Texten formulierten Wechselverhältnis von göttlichem Segen und menschlichem Wohlstand s. Hieke, Segen, 24 ff. 65 S. dazu außer den Kommentaren vor allem Steymans, Deuteronomium 28, 354 ff und Koch, Vertrag, 179 ff, ferner Leuenberger, Segen 1, 88 ff und ders., Segen 2, 60 f. In der folgenden Übersetzung sind die kursiv gesetzten Versanteile mit Koch, aaO 181 f als Nachträge zu beurteilen.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 149
Segenssprüche 3 Gesegnet (bārûk) seist du in der Stadt, und gesegnet (bārûk) seist du auf dem Feld! 4 Gesegnet (bārûk) sei die Frucht deines Leibes und die Frucht deines Ackerbodens und die Frucht deines Viehs, der Wurf deiner Rinder und die Nachkommen deines Kleinviehs! 5 Gesegnet (bārûk) sei dein Korb und dein Backtrog! 6 Gesegnet (bārûk) seist du bei deinem Eingang, und gesegnet (bārûk) seist du bei deinem Ausgang!
Lebensbereiche (Räume)
Fruchtbarkeit, Nahrungsversorgung Lebensvollzüge (Zeiten)
Dtn 28,15–19 Einleitung 15 Und es wird geschehen, wenn du auf die Stimme JHWHs, deines Gottes, nicht hörst, zu bewahren (und) zu tun alle seine Gebote und Satzungen, die ich dir heute gebiete, dann werden alle diese Verfluchungen über dich kommen und dich erreichen.
Fluchsprüche 16 Verflucht (ʾārûr) seist du in der Stadt, und verflucht (ʾārûr) seist du auf dem Feld! 17 Verflucht (ʾārûr) sei dein Korb und dein Backtrog! 18 Verflucht (ʾārûr) sei die Frucht deines Leibes und die Frucht deines Ackerbodens, der Wurf deines Rindes und die Nachkommen deines Kleinviehs! 19 Verflucht (ʾārûr) seist du bei deinem Eingang, und verflucht (bārûk) seist du bei deinem Ausgang!
Die paarweise angeordneten Bereiche Stadt/Feld (V. 3.16), Korb/Backtrog (V. 5.17), Kommen/Ausziehen (V. 6.19) sowie die Reihe der „Früchte“ (des Leibes, des Bodens, der Tiere V. 4.18) drücken Totalität aus, weil alle Bereiche und Aktivitäten des bäuerlich-agrarischen Lebens umschlossen sind und der Segensgehalt durchweg einen materiellen Grundzug aufweist (Nahrung, Nachkommen, Schutz). So zielt der göttliche Segen auf „das vitale Wohlergehen, indem lebensförderliche Kraft vermittelt wird“66 – nicht nur im Festgeschehen, das dreimal im Jahr stattfindet (vgl. Dtn 16,16 f ) und den segnenden Gott und sein feierndes Volk zusammenbringt, sondern überall (in der Stadt und auf dem Feld) und bei jeglichem Tun (beim Kommen und beim Ausziehen). Zur Veranschaulichung der Wendung „Wurf (šægær) deines Rindes“ (V.4.18, vgl. Dtn 7,13; 28,51) sei ein singuläres akkadzeitliches Stempelsiegel vom Tel Brak angeführt, das eine Kuh in den entscheidenden Phasen ihres Lebens zeigt (s. Abb. 35), nämlich
66
Leuenberger, Segen 2, 66, vgl. ders., Segen 1, 103.
150 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt „wie sie von einem Stier besprungen wird, wie sie ein Kalb wirft und wie sie dieses Kalb, zu dem sie sorgend den Kopf zurückwendet, säugt. Das Siegel bringt in einzigartig konzentrierter Form den Fluss des Lebens zur Anschauung“67.
Abb. 35: Stempelsiegel vom Tel Brak (akkadzeitl.)
Ebenso wie das Segenssummarium in Dtn 28,1 f.3–6 wird die Reihe der Fluchsprüche in Dtn 28,15.16–19 konditioniert, d. h. unter die Bedingung des Gehorsams bzw. Ungehorsams gegenüber der Stimme JHWHs gestellt: „Wenn du auf die Stimme JHWhs, deines Gottes hörst …“ (V. 1 f ) bzw. „Wenn du nicht auf die Stimme JHWHs, deines Gottes, hörst …“ (V. 15). Wie die Gegenkraft des Fluchs, der die Sphäre des Segens ständig bedroht, konkret aussieht, lässt sich innerhalb von Dtn 28 an V. 20–4468 ablesen. Schon der Beginn dieses Passus in V. 20 ist erschreckend genug: JHWH schicke gegen dich den Fluch, die Verwirrung und die Bedrohung auf jedes Werk deiner Hände, das du unternimmst, bist du vertilgt bist und bis zu deinem schnellen Untergang wegen der Bosheit deiner Taten, durch die du mich verlassen hast.
Die anschließenden Flüche stehen dem in nichts nach. Besonders drastisch ist das Szenario von V. 23 f, für das es gewisse Analogien in Lev 26,19 f und im neuassyrischen Vertragstext VTE § 63 f (s. Q 73) gibt:69 23 Und dein Himmel, der über deinem Kopf ist, wird Bronze (neḥošæt) sein, und die Erde, die unter dir ist, Eisen (barzæl). 24 JHWH wird den Regen deiner Erde zu Flugstaub (ʾābāq) machen, und Staub (ʿāpār) wird vom Himmel auf dich herabkommen, bis du vertilgt bist. 67
Keel, Böcklein, 99. Zur traditionsgeschichtlichen Analyse von Dtn 28 s. außer den Kommentaren vor allem Steymans, aaO 239 ff und Koch, aaO 203 ff. 69 Diese drei Texte haben allerdings ihr je eigenes Profil, s. dazu Koch, aaO 209 ff und Otto, Deuteronomium IV (HThK.AT), 1994 f (mit Kritik an Koch). Für literarische Abhängigkeit von Dtn 28,23 f vom neuassyr. Vertragstext plädiert dagegen Steymans, Deuteronomium 28, 284 ff. 68
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 151
Hier werden Himmel und Erde, also das Weltganze, in Bronze und Eisen, also in Metallplatten, verwandelt und außerdem der Regen von JHWH zu Flugstaub und Staub gemacht, so dass nichts mehr wachsen kann. Der Gegensatz zu den Segensaussagen von V. 3–6 könnte nicht tiefgreifender und umfassender sein. 2. Gefährdungen der natürlichen Lebenswelt Altes Testament: Berlejung, Katastrophen, 3 ff ◆ Ebach, Art. Naturerfahrung, 420 ff ◆ Hug-
ger, Land, 301 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 376 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 89 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 39 ff.191 ff ◆ Kipfer, Natur, 27 ff ◆ Dies., Klimakatastrophen, 147 ff ◆ NeumannGorsolke/Riede, Fruchtbäume, 132 ff ◆ Riede, Boden, 27 ff.29 ff.45 ff ◆ Steck, Welt, 49 ff ◆ Uehlinger, Schrei, 405 ff ◆ Wright, Zerstörung, 179 ff. – Antike Religionen: Berlejung, Katastrophen, 3 ff ◆ Kruger, Disaster, 391 ff ◆ Schaudig, Erklärungsmuster, 425 ff ◆ Sommerfeld, Umweltzerstörung, 15 ff. – Kulturwissenschaft: Dietrich, Katastrophen, 85 ff ◆ Neckel, Zerfall, 632 ff.
Texte wie Num 6,24–26 und Dtn 28,1–6 zeigen eindrücklich, dass das Band des Segens „Gott und Mensch bzw. Welt in einer gemeinsamen Wirklichkeitssphäre zusammen(bringt) und … sie beieinander (hält)“70. Begrifflich präzise kommt dies in der Reziprozität der beschriebenen Segenskonstellationen zum Ausdruck.71 Dieses Band kann allerdings zerreißen, wie die Fluchsprüche von Dtn 28,15–19.20–44 zeigen und wie es in der Fluterzählung Gen 6,5–9,17 zu lesen ist.72 Der Grund für die damit inaugurierte Katastrophe73 wird im Ungehorsam gegenüber der Stimme JHWHs (Dtn 28,15) bzw. in der Bosheit Israels (Dtn 28,20) gesehen. Negative Folgen für die natürliche Lebenswelt resultieren aber auch aus militärischen Auseinandersetzungen und sozialem Fehlverhalten. Zwar waren diese Folgen nicht von globalen Ausmaßen wie der heutige Klimawandel und das weltweite Artensterben,74 sondern regional begrenzt. Dennoch trafen sie die betroffenen Menschen, Tiere und Landschaften unmittelbar und mit großer Wucht. Ein einschlägiges Beispiel ist das Abholzen von Fruchtbäumen bei oder nach der Eroberung einer Stadt (s. Abb. 36, vgl. auch Q 30).75 Gegen eine derartige Zerstörung des Ökosystems als Element der Kriegsführung wendet sich das vordtr Kriegsgesetz in Dtn 20,19 f:
70 71 72
73 74
75
Leuenberger, Segen 2, 67. S. dazu ders., aaO 50 f. S. dazu oben 71 ff.111 ff. Zum Begriff „Katastrophe“ s. etwa Dietrich, Katastrophen, 86 ff, ferner Berlejung, Katastrophen, 5 ff. S. dazu grundsätzlich Neckel, Zerfall, 632 ff. Diese Form der „ökologischen Kriegsführung“ (Neumann-Gorsolke/Riede, Fruchtbäume, 135) stand im Zeichen der Polarität von Zentrum/Ordnung (Assyrien) und Peripherie/ Chaos (Fremdländer), s. dazu Galter, Paradies, 237 und ausführlich Sommerfeld, Umweltzerstörung, 28 ff.
152 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 19 Wenn du eine Stadt lange Zeit belagerst, um sie zu stürmen und einzunehmen, so sollst du ihren Baumbestand nicht vernichten, indem du ihn mit der Axt abholzt, denn du kannst von ihm essen. Du sollst sie nicht fällen. Ist etwa ein Baum des Feldes ein Mensch, dass er von dir belagert werde? 20 Nur den Baumbestand, von dem du weißt, dass man von ihm nicht essen kann, darfst du zerstören und abholzen, um Belagerungswerk gegen die Stadt zu bauen, die dir so lange Widerstand leisten will, bis sie fällt.76
Abb. 36: Abholzen von Dattelpalmen bei Eroberung einer Stadt (Relief, Ninive, 7. Jh. v. Chr.)
Die Gründe für die Gefährdung der natürlichen Lebenswelt waren vielfältig. Sie konnten von Menschen verursacht sein (Kriege, soziales/religiöses Fehlverhalten), aber auch ohne menschliche Einwirkung geschehen (Heuschreckenplage, Erdbeben, Wettererscheinungen,77 Verschwinden der Gottheit78). Die Folgen waren in beiden Fällen dramatisch (Hungersnöte, Wasserknappheit, Verkehrung von Kosmos in Chaos).79 Für das Alte Testament sind dabei prophetische und apokalyptische Texte einschlägig. Sie kommen nicht ohne den Rekurs auf die 76
S. dazu Braulik, Deuteronomium II (NEB), 151 und Otto, Deuteronomium III (HThK. AT), 1591 ff, ferner Wright, Zerstörung, 179 ff (keine antiassyr. Polemik in Dtn 20,19 f !). Zur rhetorischen Frage, ob ein Fruchtbaum ein Mensch sei, s. Otto, aaO 1594 f und allgemein zur neuassyr. Kriegsideologie ders., aaO 1598 ff. 77 Für ein Beispiel aus Mesopotamien s. den astrologischen Text Enūma Anu Enlil Taf. XVI (s. Q 67). 78 Ein prägnantes Beispiel aus dem hethitischen Bereich ist der Telipinus-Mythos CTH 324, s. Q 100. 79 Zur Verkehrung von Kosmos in Chaos s. das sog. mundus inversus-Motiv, s. dazu Kruger, Mundus inversus, 173 ff; ders., World, 58 ff; ders., Disaster, 391 ff und Janowski, Anthropologie, 376 ff.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 153
Phänomene der natürlichen Lebenswelt aus, kehren die Aussagerichtung durch eine regelrechte Inversion der Motivik aber um, indem sie den drohenden Zerfall der Lebensformen als Rückfall ins Chaos, als „Anti-Schöpfung“ und „AntiNatur“ darstellen.80 Texte aus dem Jeremia- und dem Zwölfprophetenbuch sind dafür besonders aufschlussreich. a) Die zerstörerische Macht der Sünde Borges de Sousa, Jer 4,23–26, 419 ff ◆ Hermisson, Feind, 233 ff ◆ Irsigler, Theologie 2, 929 ff ◆ Janowski, Welt ohne Licht, 31 ff ◆ Ders., Anthropologie, 376 ff ◆ Jeremias, Theologie, 173 ff ◆ Schmid, Prophetie, 50 f.55 f.63 f ◆ Trimpe, „Ich schaue“, 135 ff ◆ Dies., Schöpfung, 55 ff ◆ Weippert, Schöpfer, 17 ff.36 f.40 ff.58 f.91 ff.
Der Zerfall der natürlichen Ordnungen kommt einer (kosmischen) „Katastrophe“ gleich. Eine Katastrophe, so J. Dietrich, „liegt vor, wenn der Mensch ein Ereignis, ob hausgemacht oder nicht, als ein verhängnisvolles Ende der bisherigen Lebenswelt erfährt“81. Unvorhersehbare Ereignisse mit Unheilspotential treten zwar in der Natur auf, sie werden aber erst durch die Wahrnehmung und Deutung der betroffenen Menschen zu einer Katastrophe im eigentlichen Sinn. α) Eine Welt ohne Licht (Jer 4,23–28) Eine solche, von den betroffenen Menschen als umfassendes Unglück wahrgenommene Katastrophe begegnet im Kontext der ersten Teilsammlung (Jer *4,3–6,30)82 der Frühzeitverkündigung Jeremias aus der Zeit nach Josias Tod (609 v. Chr.) in dem nachjeremianischen Visionsbericht Jer 4,23–28.83 Diese Chaosvision, die eine bereits eingetretene Katastrophe beschreibt, weitet das Geschehen gegenüber den Unheilssprüchen von Jer 4,*5–31 und 6,1–884 ins Kosmische aus:
80 Vgl.
Keel/Schroer, Schöpfung, 191. Dietrich, Katastrophen, 91 (H. i. O.). Dietrich, aaO 90 zitiert in diesem Zusammenhang den treffenden Satz von Frisch, Mensch, 103: „Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt; die Natur kennt keine Katastrophen“. 82 Die in Jer *2–6 vorliegende Frühzeitverkündigung Jeremias gliedert sich in zwei Teile: in die aus der Zeit Josias (639–609 v. Chr.) stammende Sammlung Jer *2,1–4,2 und die in die Zeit nach Josias Tod (609 v. Chr.) gehörende Sammlung Jer *4,3–6,30, s. dazu Albertz, Frühzeitverkündigung, 209 ff; Hermisson, Feind, 233 ff; Hardmeier, Zeitverständnis, 89 ff; Keel, Geschichte, 628 ff; Jeremias, Theologie, 173 ff; Irsigler, Theologie 2, 929 ff u. a. 83 Zur Interpretation s. außer den Kommentaren noch Weippert, Schöpfer, 49 ff; Borges des Sousa, Jer 4,23–26, 419 ff; Trimpe, „Ich schaue“, 135 ff; dies., Schöpfung, 55 ff und Janowski, Anthropologie, 376 ff. 84 Genauer: Jer 4,5–8.11–18.19–21.29–31 und 6,1–8, s. dazu Hermisson, aaO 233 ff. 81
154 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Vision des Propheten 23 Ich sah die Erde, und siehe: Tohuwabohu, und zum Himmel: dahin war sein Licht. 24 Ich sah die Berge, und siehe: sie bebten, und alle Hügel schwankten. 25 Ich sah, und siehe: (da war) kein Mensch, und alle Vögel des Himmels waren entschwunden. 26 Ich sah, und siehe: das fruchtbare Land war die Wüste, und alle seine Städte waren zerstört vor JHWH, vor der Glut seines Zorns.
Bestätigung JHWHs (begründende Botenformel) 27 Denn so spricht JHWH: „Ödnis (šemāmāh) wird die ganze Erde sein, und ein Ende werde ich ‹ihr› bereiten. 28 Darüber wird trauern die Erde und schwarz werden der Himmel oben, darüber, dass ich geredet, geplant habe, und ich nicht bereue und nicht davon umkehre.“
Das ist eine „in Bilder umgesetzte Rücknahme der Schöpfung“85, die in manchem an die Tag JHWHs-Texte Am 5,18–20; Jo 2,1 f u. a. erinnert: 18 Wehe denen, die den Tag JHWHs herbeisehnen! Was soll euch denn der Tag JHWHs? Er ist Finsternis und nicht Licht. 19 Wie wenn jemand vor dem Löwen flieht, da trifft ihn der Bär; erreicht er das Haus und stützt seine Hand an die Wand, da beißt ihn die Schlange: 20 Ist nicht Finsternis der Tag JHWHs und nicht Licht? Dunkel und kein Glanz ist ihm eigen! (Am 5,18–20)86 Nicht nur das Land und seine Bewohner, sondern die gesamte Schöpfung wird nach Jer 4,23–28 in JHWHs Gerichtshandeln einbezogen und in das vorweltliche Tohuwabohu zurückverwandelt.87 Man muss schon zu den „negativen Urgegebenheiten“ von Gen 1,2 zurückgehen, um das Ausmaß dieser Katastrophe zu ermessen:
85
Weippert, aaO 51. Als Sachparallelen s. die Chaosbeschreibungen in Ägypten (Q 40; 41), Mesopotamien (Q 67) und Kleinasien (Q 100), weitere Texte bei Janowski, Welt ohne Licht, 42 ff und ders., Anthropologie, 594 ff.633.636 f.653 f. 86 S. dazu Jeremias, Amos (ATD), 75 ff und Weippert, Amos, 222 ff. Eine Sachparallele zur kosmischen Verkehrung gibt es in der Wandinschrift von Tell Dēr ʿAllā (8. Jh. v. Chr.), s. dazu Janowski, Anthropologie, 653 f. Zu ähnlichen Bildern vom Weltende s. auch Sure 101,1 ff (Q 182). 87 Die kosmische Ausweitung von Jer 4,23 ff ergibt sich im Vergleich mit Gen 1,1 f vor allem aufgrund des beiden Texten gemeinsamen Hendiadyoins tohû wābohû (Jer 4,23; Gen 1,2)
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 155
1 Am Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen. 2 Die Erde aber war Tohuwabohu, und Finsternis war über der Urflut, und der Wind Gottes war in Bewegung über dem Wasser. 3 Da sprach Gott: „Es werde Licht!“, und es wurde Licht.88 Diese Tradition wird hier rezipiert, wobei die Elemente in ähnlicher Reihenfolge, wie sie im Sechstagewerk von Gen 1,3–31 erschaffen wurden, Stück für Stück zurückgenommen werden: zuerst Erde und Himmel (V. 23), sodann Berge und Hügel (V. 24), Menschen und Tiere (V. 25) und schließlich Baumland und Städte (V. 26):
Jer 4
Gen 1
23 Erde/Tohuwabohu, Himmel/Licht 24 Berge Hügel 25 kein Mensch alle Vögel des Himmels 26 fruchtbares Land Städte
1,2 (Vorwelt) 1,3–5 (Tag I), vgl. 1,14–19 (Tag IV) – – 1,26–31 (Tag VI), vgl. Gen 2,5 1,20–23 (Tag V) 1,11–13 (Tag III)89 –
Abb. 37: Synopse von Jer 4 und Gen 1
Von oben bis unten, vom lichtlosen Himmel bis zu den verwüsteten Städten – alles war „öde und untauglich“ (tohû wābohû V. 23). Vergleicht man diese prophetisch-apokalyptische Vision mit dem priesterlichen Schöpfungstext,90 so ergibt sich eine regelrechte Inversion der Schöpfung: wo dort das Chaos am Anfang (Gen 1,2) und die „sehr gute“ Schöpfung am Ende stand (Gen 1,31), beginnt hier alles mit dem Chaos (V. 23), das auch am Ende nicht überwunden wird (V. 26). Im Gegenteil: „… auch nicht ein einziges, die ganze Schwere des Unheils abschwächendes Wort (ist) im Text zu finden …“91. Und wo dort der Schöpfer nach der abschließenden Billigungsformel alles, was er gemacht hatte, sah und für
88 89
90 91
sowie des Merismus „Himmel und Erde“ (Gen 1,1) bzw. „Erde“/„Himmel“ (Jer 4,23.28a). Der Begriff ʾæræṣ enthält im vorliegenden Text u. E. allerdings die beiden Konnotationen „Erde“ und „Land“ (Juda), was offenbar mit dem Gefälle vom ganzen Kosmos in V. 23 zu den geographischen Gegebenheiten in Juda in V. 26 zusammenhängt, s. dazu auch Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 223 f.226 und Schmidt, Jeremia I (ATD), 135. Anders Weippert, aaO 51 Anm. 97 (Beschränkung auf Juda). Dennoch spricht auch Weippert, aaO 50 ff von der „Rücknahme der Schöpfung“ bzw. vom „Chaosgericht“. S. dazu oben 50 ff. Nach Jer 4,24 wird das fruchtbare Baumgartenland (karmæl) zur „Wüste“ (midbār), d. h. es geht um die Zerstörung der Lebensgrundlagen. In Gen 1,11 f ist zwar nicht von Fruchtland, aber von den Bäumen die Rede, die Früchte bringen, in denen ihr Same ist, s. dazu auch Borges de Sousa, Jer 4,23–26, 423 f. S. dazu oben 43 ff. Zu den intertextuellen Bezügen s. besonders Trimpe, Schöpfung, 79 ff und Borges de Sousa, aaO 419 ff. Wanke, Jeremia I (ZBK.AT), 65.
156 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
„sehr gut“ befand (Gen 1,31), muss hier der Prophet Erde und Himmel, also die gesamte Welt, ansehen und feststellen, dass sie „öde und untauglich“ und ohne Licht war (Jer 4,23). Eine Welt ohne Licht ist eine Welt ohne Leben. Ihr Himmel, der Lebensraum der Vögel, wird „schwarz“ (qādar V. 28b) wie die Nacht, und ihre Erde/ihr Land „trauert“ (ʾābal V. 28a, vgl. Jes 24,4; 33,9; Jer 12,4; 23,10; Hos 4,3 u. ö.)92 über das Ende allen Lebens. In positiver Gestalt begegnen diese Motive auch in anderen Schöpfungstexten, in denen ebenfalls der Terminus tohû „Öde, Leere“ auftaucht: 18 Denn so spricht JHWH, der Schöpfer des Himmels, er ist der Gott, der Bildner der Erde und ihr Schöpfer, er ist es, der sie gründet/ gegründet hat (kûn pol.), nicht zur Öde (tohû) hat er sie geschaffen, zum Wohnen (lāšæbæt) hat er sie gebildet: „Ich, JHWH, und keiner sonst!“ 19 Nicht im Verborgenen habe ich gesprochen, am Ort eines Landes der Finsternis, nicht habe ich gesagt zur Nachkommenschaft Jakobs: „In der Öde (tohû) sucht mich!“ Ich bin JHWH, der Gerechtigkeit spricht, der Geradheit kundtut. (Jes 45,18 f )93 Der den Norden (ṣāpôn) ausspannt über der Öde (tohû), der die Erde aufhängt über dem Nichts (belî-māh). (Hi 26,7)94 Nach Jes 45,18 hat der Schöpfer des Himmels und der Erde die Erde nicht zum Chaos, sondern „zum Wohnen“ bestimmt. Dabei heben die Rahmenaussagen V. 18aα und V. 18b die Einzigkeit JHWHs als Gott und Weltschöpfer hervor, wie der Nominalsatz am Ende des ersten („er ist der Gott“) und des zweiten Stichos („er ist es, der sie gegründet hat“) sowie die erweiterte Selbstprädikation am Ende von V. 18b („Ich bin JHWH und keiner sonst“) zeigen. Dazwischen steht der Passus V. 18aβ.γ, der an die JHWH-Prädikationen von V. 18aα anschließt und diese mit Hilfe der Finalbestimmung „zum Wohnen“ (lāšæbæt) expliziert. Ähnlich aufgebaut ist der auf die Gegenwart Gottes in der Geschichte bezogene V. 19, dessen Rahmenaussagen V. 19aα (Reden JHWHs nicht „im Verborgenen“ // „am Ort eines Landes der Finsternis“) und V. 19b (erweiterte Selbstprädikation) die Aufforderung von V.19αβ umschließen, dass Jakob JHWH nicht in der Öde suchen soll.
β) Die Missachtung der Naturordnung (Jer 5,20–25) Die Einbindung von Jer 4,23–28 in seinen Kontext macht deutlich, dass die Unverständigkeit des Gottesvolks – sein Hang, das Böse zu tun, und seine Unfähigkeit, gut zu handeln (Jer 4,22) – das umfassende „Chaos-Gericht“95 herauf92
Zum Topos vom „trauernden Land“ s. unten 161 ff. S. dazu Trimpe, aaO 64 ff und Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 427 ff. 94 S. dazu Trimpe, aaO 66. 95 Zu diesem Ausdruck vgl. Weippert, Schöpfer, 49. 93
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 157
beschwört. Dieser Konnex von Sünde und Gericht wird in Jer 5,21–25 unter Rekurs auf den Topos vom „Bund“ reflektiert, dessen Bruch verheerende Folgen nach sich zieht.96 Nach der Aufforderung zur Verkündigung der Gerichtsbotschaft (V. 20) beginnt der Text mit einer scharfen Anklage gegen das törichte Volk (V. 21 f ), die von einer Zustandsbeschreibung dieses Volks (Motivwort „Herz“) fortgesetzt wird (V. 23 f ): Aufforderung zur Verkündigung 20 Verkündet dies im Haus Jakob, und lasst es hören in Juda.
Anklage I 21 Hört doch dies, törichtes Volk und ohne Herz/Verstand, Augen haben sie, aber sie sehen nicht, Ohren haben sie, aber sie hören nicht. 22 Mich fürchtet ihr nicht, Spruch JHWHs, vor mir zittert ihr nicht, der ich den Sand dem Meer als Grenze gesetzt habe, als ewige Schranke, damit es sie nicht überschreitet? ⟨Es⟩ wogt, aber ⟨es⟩97 vermag nichts, es tosen seine Wellen, aber sie können sie nicht überschreiten.
Anklage II 23 Dieses Volk aber hat ein störrisches und widerspenstiges Herz, sie haben sich abgewandt und sind (weg-)gegangen. 24 Sie sagten nicht in ihrem Herzen: „Wir wollen doch JHWH fürchten, unseren Gott, der Regen gibt, Frühregen und Spätregen, zu seiner Zeit, die zugesagten Erntefristen98 bewahrt er uns.“
Resümee 25 Eure Sünden haben diese gebeugt,99 und eure Verfehlungen halten das Gute von euch zurück.
96
Jer 5,20–25 (und dazu V.26–29) dürfte zur weisheitlichen Bearbeitungsschicht von Jer *4,3– 6,30 gehören, s. dazu Hermisson, Feind, 251 und Maier, Jeremia 1–25 (IEKAT), 143 f. Für den weisheitlichen Charakter sprechen das Motiv von der Begrenzung des Meers in V. 22 sowie der Topos von der rechten Zeit in V. 24, s. dazu im Folgenden. Anders Weippert, aaO 17 Anm. 1, die Jer 5,20 ff für jeremianisch hält. 97 Zum Textproblem s. Weippert, aaO 17 Anm. 2 und Schmidt, Jeremia I (ATD), 150 Anm. 62. 98 Wörtlich: „(eidliche) Zusagen (sc. JHWHs) bezüglich der Ordnungen der Ernte“, s. zu dieser Übersetzung s. Weippert, aaO 18.91 ff; Rüterswörden, dominium terrae, 32 ff und im Folgenden. 99 Das pl. Demonstrativpronomen „diese“ (ʾellæh) bezieht sich auf V. 24b, vgl. Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 234. Zur Bedeutung von nṭh hif. „beugen“ s. im Folgenden. Weippert, aaO 18 übersetzt V. 25a etwas anders: „Eure Sünden haben dies durcheinander gebracht“.
158 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Das wohlkomponierte Gerichtswort (s. Abb. 38), dessen einzelne Teile durch das Thema „Gottesfurcht“ (V. 22aα.24aα) sowie das Motivwort „Herz“ (leb V. 21a.23a, lebāb V. 24a) zusammengehalten werden, gliedert sich in eine anredende (V. 21 f ) und in eine beschreibende Anklage (V. 23 f ) sowie in ein abschließendes Resümee (V. 25), das den Zusammenhang zwischen den Sünden des törichten Gottesvolks und dem Ausbleiben der lebensnotwendigen Ernteerträge („das Gute“) herstellt.
Aufforderung zur Verkündigung
20 Aufforderung an Israel und Juda
Anklage I
21 Höraufruf an das „törichte Volk“ Augen (: nicht sehen) // Ohren (: nicht hören) 22 Frage nach der „Gottesfurcht“ Hinweis auf die creatio continua
Welterhaltung
Anklage II
23 Zustandsbeschreibung „dieses“ Volkes abwenden // weggehen 24 Feststellung fehlender „Gottesfurcht“ Hinweis auf die creatio continua
Wahrnehmen
Handeln Welterhaltung
Resümee
25 Grund für den gegenwärtigen Zustand: „eure Sünden“ // „eure Verfehlungen“
Abb. 38: Zur Komposition von Jer 5,20–25
Geprägt ist Jer 5,20–25 von dem scharfen Gegensatz zwischen dem Tun des Schöpfergottes (V.22aβγ.b.24aβ.b) und dem unverständigen Gottesvolk, dessen „Herz“ (V.21.23.24) die Sprache der Schöpfung nicht versteht und den göttlichen Ursprung ihrer Wunder nicht erkennt. Während das Herz, das Beziehungsorgan des Menschen, hier in seinem kognitiv-voluntativen Vermögen bzw. Unvermögen angesprochen wird,100 ist JHWHs Schöpfungshandeln als Eingreifen in die Natur qualifiziert, und zwar in räumlicher (Begrenzung des Meeres)101 wie in zeitlicher Hinsicht (Gabe des Regens).102 Bezeichnend für die Verlässlichkeit des göttlichen Handelns ist dabei die Angabe, dass Gott den Frühregen und den Spätregen „zu seiner Zeit“ (beʿittô) gibt, nämlich im September/Oktober (Frühregen) und im April/Mai (Spätregen).103 So heißt es in Dtn 11,13 f: 100 S.
dazu Janowski, Herz, 45 ff.49 ff und ders., Anthropologie, 150 ff. diesem weisheitlichen Motiv s. außer Jer 5,22 noch Ps 104,9; Hi 38,10 f und Spr 8,29. An allen diesen Stellen ist das Meer eine vorgegebene Größe und nicht eine Größe, deren Erschaffung dargestellt wird, s. dazu auch Weippert, aaO 18 ff. 102 Vgl. Ps 65,10–14; 104,13–15; 136,25 u. ö. 103 Zum Früh- und Spätregen s. Keel/Uehlinger, OLB 1, 41 ff und Weippert, aaO 19 f. 101 Zu
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 159
13 Wenn ihr auf meine Satzungen hört, auf die ich euch heute verpflichte, JHWH, euren Gott zu lieben und ihm mit eurem ganzen Herzen und eurer ganzen Lebenskraft zu dienen, 14 so werde ich eurem Land Regen geben zu seiner Zeit (beʿittô), Frühregen und Spätregen, und du wirst dein Getreide, deinen Wein und dein Öl ernten. Der Topos von der rechten Zeit, der zufolge alles, was geschieht, zu einer „zukommenden“ Zeit geschieht (vgl. Pred 3,1: „Für alles gibt es eine Stunde, und eine Zeit gibt es für alles Geschehen unter dem Himmel“), begegnet vor allem in der Weisheit und in weisheitlichen Texten. So gibt JHWH dem Land Regen „zu seiner Zeit“ (Dtn 11,14; 28,12), kennt der Storch am Himmel „seine Zeit“ (Jer 8,7) und halten Turteltaube, Turmschwalbe und Drossel die Zeit ihrer Rückkehr ein (Jer 8,7).104 Ferner gibt JHWH allen Geschöpfen, die auf ihn warten, Speise „zur rechten Zeit“ (Ps 104,27, vgl. Ps 145,15), werden die Garben „zu ihrer Zeit“ eingebracht (Hi 5,26, vgl. Ps 104,19.24) und haben die Steinböcke ihre reguläre Wurfzeit (Hi 39,1). Das Motiv von der rechten Zeit „zielt darauf ab, die einem Handeln angemessene Zeit zu erkennen und ihr entsprechend zu handeln“105. In Pred 3,1–9 wird diese Lehre von der rechten Zeit umfassend reflektiert, denn „für alles Geschehen gibt es Zeit (ʿet) und Ordnung (mišpāṭ)“ Pred 8,6, vgl. 3,1).106 Das Wissen um die rechte Zeit basiert danach auf der Erfahrung von Ordnungen und Grenzen, die den Umgang mit der Wirklichkeit bestimmen. Diese Erfahrung wird in Ps 1,3a auf die Meditation der Tora JHWHs (V. 2) zurückgeführt, deren „Frucht“ das gelingende Leben selbst ist:107 1 Glücklich der Mann, der nicht gegangen ist nach dem Rat von Frevlern,
und den Weg von Sündern nicht betreten hat,
und am Sitz(platz) von Spöttern nicht gesessen hat,
2 sondern der an der Weisung JHWHs sein Gefallen hat und seine Weisung rezitiert bei Tag und bei Nacht.
3 Er wird sein wie ein Baum an Wasserkanälen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit (beʿittô)
und dessen Laub nicht verwelkt.
Und alles, was er tut, wird gelingen.
Obwohl nach Jer 5,25b das durch dieses Gotteshandeln bewirkte „Gute“ (ṭôb) – die Gaben von Korn, Wein, Öl, Schafen und Rindern (vgl. Jer 31,12) – vor Augen liegt, steht das Gottesvolk diesen Zeichen des Schöpferwirkens blind und taub (V. 21b) bzw. „töricht und ohne Herz/Verstand“ V. 21a) und „störrisch und widerspenstig“ (V. 23a) gegenüber, weil seine Sünden und Verfehlungen „diese 104 S.
dazu oben 142.
105 Schwienhorst-Schönberger,
Art. Zeit, 1410, vgl. Spr 15,23; 25,11; Sir 4,20; 20,7 u. ö. und dazu von Rad, Weisheit, 182 ff.295 ff; Jenni, Art. ʿet, 375 ff.382 f und Schwienhorst-Schönberger, „Für alles“, 361. 106 S. dazu Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 256 f. 107 S. dazu Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 34 ff und unten 191 ff.
160 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
(sc. die zugesagten Erntefristen) gebeugt haben“ (V. 25a). Wenn die Übersetzung der Wendung šebuʿôt ḥuqqôt qāṣîr mit „(eidliche) Zusagen (sc. JHWHs) bezüglich der Ordnungen der Ernte > zugesagte Erntefristen“ (V. 24b)108 das Richtige trifft, dann würde es in der göttlichen Einhaltung der Erntefristen um eine eidliche Zusage gehen, die JHWH gegenüber Israel bewahrt. Das Spezifikum der Schöpfungsvorstellung von Jer 5,20–25 läge dann darin, dass JHWHs Schöpferwirken unter dem Aspekt einer verpflichtenden Zusage, eines regelrechten „Eides“ gesehen wird, den JHWH gegenüber Israel (lānû „uns“ V. 24b) auf sich nimmt und dessen segensreiche Wirkungen nur von Israels Verfehlungen zunichte gemacht werden. Eine letzte Beobachtung kommt hinzu. Und zwar die Beobachtung, dass in V. 25a das Nomen „Sünden“ (ʿ awônôt) mit dem Verb nṭh hif. „beugen“ verbunden wird. Das ist deswegen bemerkenswert, weil dieses Verb öfter im Kontext des Armenrechts begegnet und die Bedeutung „den Rechtsanspruch ablenken, seitwärts lenken › beugen“ hat,109 z. B.: Du sollst nicht das Recht (mišpāṭ) deines Armen in seinem Rechtstreit beugen (nṭh hif.). (Ex 23,6, vgl. V. 2 ohne mišpāṭ)110 Du sollst das Recht (mišpāṭ) eines Fremden und einer Waisen nicht beugen (nṭh hif.) und das Kleid einer Witwe sollst du nicht als Pfand nehmen. (Dtn 24,17, vgl. 16,19; 27,19; Klgl 3,35) Bestechung aus dem Gewandbausch nimmt der Frevler, um die Pfade des Rechts (mišpāṭ) zu beugen (nṭh hif.). (Spr 17,23, vgl. Am 2,7)111
Es geht in diesen nṭh hif.-Belegen nicht um Bagatellen, sondern um die Verletzung, konkret um die Verbiegung der Rechtsgrundlagen. Einer solchen Verletzung machen sich nach 1 Sam 8,1–3 auch die Söhne Samuels schuldig: 1 Und es geschah, als Samuel alt geworden war, da setzte er seine Söhne zu Richtern über Israel ein. 2 Und der Name seines erstgeborenen Sohnes war Joel, und der Name des zweiten Abija. Sie waren Richter in Beer-Scheba. 3 Und seine Söhne gingen nicht auf seinem Weg, sondern sie waren auf Gewinn aus, nahmen Bestechung an und beugten (nṭh hif.) das Recht (mišpāṭ).
Auch in Jer 5,25a geht es um etwas Grundsätzliches, nämlich um das „Beugen“ (nṭh hif.) der „eidlichen Zusagen“ (šebuʿôt) JHWHs bezüglich der „Ordnungen 108 So
Weippert, Schöpfer, 18.21.91 ff. dazu Liedke, Gestalt, 93 und Ringgren, Art. nṭh, 414. Sachverwandt ist das Verb ʿwt pi. „krümmen biegen“, s. etwa Hi 8,3. 110 Zum Schutz im Gerichtsverfahren s. Otto, Ethik, 67 ff. 111 S. dazu Meinhold, Sprüche 1 (ZBK.AT), 294. Zu Am 2,7 s. Jeremias, Amos (ATD), 18 mit Anm. 3; 22. 109 S.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 161
(ḥuqqôt) der Ernte“. Wie die „Ordnungen“ (ḥuqqîm/ḥuqqôt) von Himmel und Erde (Jer 33,25 f; Hi 38,33 u. ö.) oder von Sonne, Mond und Sternen (Jer 31,35 f; Ps 148,3 ff u. ö.)112 sind auch die „Ordnungen der Ernte“, die auf dem Rhythmus von Früh- und Spätregen beruhen, von Gott geschaffene und bewahrte Naturgesetze, die dem Weltganzen Stabilität und Struktur verleihen. Ihre „Beugung“ durch den Menschen befördert den Zerfall der natürlichen Ordnung und das Wegbrechen der Lebensgrundlagen („eure Verfehlungen halten das Gute von euch zurück“ V. 25b). „Die Sünde“, so H. Weippert, „wird zur Tür, durch die das Chaos den Kosmos betritt“113. Der Maßstab für die prophetische Anklage ist also der Zusammenhang von JHWH-Glaube und Naturordnung. Dieser Zusammenhang spielt auch in anderen Texten des Jeremiabuchs eine zentrale Rolle. b) Das trauernde Land (Jer 14,*1–22) Hugger, Land, 301 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 191 ff ◆ Kipfer, Himmel, 36 ff ◆ Dies., Dürre, 91 ff.243 ff ◆ Dies., Klimakatastrophen, 155 ff ◆ Riede, Boden, 46 f ◆ Schmid, Natur, 50 ff ◆ Stahl, Erde, 166 ff ◆ Staubli/Schroer, Menschenbilder, 183 f ◆ Uehlinger, Schrei, 407 ff ◆ Weippert, Schöpfer, 22 ff.36 f.45 f.58 f ◆ Zwickel, Hungersnöte, 453 ff.
Die Befürchtung, dass menschliche Eingriffe in die natürliche Lebenswelt irreversible Zerstörungen anrichten können, „lag noch weit außerhalb des Gesichtskreises palästinischer Bauern und der Literaten, denen wir die Bibel verdanken. Was diese jedoch aus Erfahrung kannten, waren Mißernten, Ertragsschwankungen, Dürre, ökologische Desaster im Gefolge von Kriegen – Katastrophen, die Hungersnöte und Seuchen zur Folge hatten und Menschen zur Auswanderung zwingen konnten. Biblische Texte verstehen derartige Desaster oft als Konsequenzen der Sünde, die vielerlei Gestalt haben konnte, letztlich aber eine Mißachtung Yahwehs, des Herrn des Landes darstellte“114.
Auf drastische Weise kommt dies in der kollektiven Klage aus Anlass einer Dürre in Jer 14,*1–22 zum Ausdruck. Hier werden die Konsequenzen menschlicher Schuld geschildert und die große Dürre anhand von drei Katastrophenbildern – ausgedörrtes Land (V. 2), zusammengebrochene Wasserversorgung (V. 3 f ), leidende Tierwelt (V. 5 f ) – konkretisiert. Anschließend folgt das Gebet der Judäer, in dem eine Deutung des Geschehens gegeben und mit einer Bitte um erneute Gottesnähe verbunden wird (V. 7–9.19–22):115
112 S.
dazu die tabellarische Übersicht oben 134. Schöpfer, 21. 114 Uehlinger, Schrei, 408. 115 Zu den Textproblemen sowie zur Textabgrenzung und Literarkritik s. außer den Kommentaren noch Finsterbusch/Jacoby, MT-Jeremia, 163 ff und Kipfer, Dürre, 91 ff. 113 Weippert,
162 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 1 Was116 geschah als Wort JHWHs zu Jeremia aus Anlass der großen Dürre:
Beschreibung der Dürre Bild 1: Ausgedörrtes Land 2 Es trauerte (ʾābal) Juda,
und seine Tore welkten (ʾml pul.),
sie beugten sich schwarz (qādar)117 zur Erde, und die Wehklage Jerusalems stieg empor.
Bild 2: Zusammengebrochene Wasserversorgung 3 Und ihre Mächtigen haben ihre Jugendlichen nach Wasser geschickt. Sie sind gekommen zu den Zisternen, haben aber kein Wasser gefunden,
zurückgekommen sind ihre Gefäße leer. Sie sind zuschanden geworden und beschämt worden
und haben ihr Haupt verhüllt. 4 Wegen des Ackerbodens, der zerbröckelt ist (ḥātat), denn es gab keinen Regen im Land.
Zuschanden geworden sind die Landarbeiter, sie haben ihr Haupt verhüllt.
Bild 3: Leidende Tierwelt 5 Fürwahr, sogar die Hirschkuh auf dem Feld hat geboren
und es (sc. das Geborene) verlassen,
denn es gab kein Grün.
6 Und die Wildesel standen auf Hügeln, sie schnappten (šāʾap) nach Luft wie die Schakale, matt geworden sind (kālāh) ihre Augen,118
denn es gab kein Kraut.
Deutung und Bewältigung der Dürre 7 Wenn unsere Sünden gegen uns aussagen, JHWH, handle um deines Namens willen, denn zahlreich geworden sind unsere Abtrünnigkeiten, gegen dich haben wir gesündigt! 8 (Du) Hoffnung Israels, sein Retter zur Zeit der Bedrängnis. Wozu wurdest du wie ein Fremder im Land und wie ein Wanderer, der abgebogen ist zu nächtigen? 9 Wozu wurdest du wie ein bestürzter Mann, wie ein Starker, der nicht retten kann?
Aber du bist in unserer Mitte, JHWH,
und dein Name ist über uns ausgerufen. Verlass uns nicht! 116 Bei dem ʾašær-Satz handelt es ich um eine Art Überschrift, die das Thema des folgenden Ab-
schnitts angibt, vgl. Kipfer, aaO 108 Anm. 127; 111.
117 Oder: „sie beugten sich trauernd …“. Zur Semantik von qādar „schwarz werden, sich verfins-
tern, niedergedrückt sein, trauern“ s. Janowski, Selbst, 82.90 ff und Eckstein, Semantik, 98 ff. Nach Eckstein, aaO 106 heben die Lexeme in Jer 14,2 auf einen Trauerritus ab: „Juda macht sich rituell dem Staub gleich (ʾbl-G), Jerusalem stimmt einen Klagegesang an (ṣewātāh), die Stadttore beugen sich zur Erde (lāʾāræṣ), machen sich rituell schmutzig (qdr-G) und verwelken (ʾml-D) wie ein vertrocknete Pflanze“. 118 Wörtlich: „dahingeschwunden/verschmachtet sind …“.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 163
19a Hast du Juda ganz verworfen, oder hat deine Lebenskraft Zion verabscheut? 20 Wir haben erkannt, JHWH, unser Unrecht,
die Schuld unserer Väter,
denn wir haben gesündigt gegen dich! 21 Verwirf nicht um deines Namens willen, missachte nicht den Thron deiner Herrlichkeit!
Gedenke, brich nicht deinen Bund mit uns!
22 Gibt es unter den Nichtsen der Völker solche, die regnen lassen, oder gibt der Himmel Regenschauer? Bist nicht du es, JHWH, unser Gott? Und auf dich hoffen wir,
denn du hast all dies gemacht.119
Während das Thema „Trauer und Klage“ in V. 2 mit eindrücklichen Sprachbildern – Parallelismus „trauern“ // “welken“ (V. 2a), räumlicher Gegensatz „zur Erde“ vs. „empor steigen“ (V. 2b) – eröffnet wird, werden die Auswirkungen der großen Dürre anschließend im Blick auf die Menschenwelt (V. 3 f ) und die Tierwelt (V. 5 f ) konkretisiert. Wie eine Person, die trauert, so trauert das Land Juda, und wie Pflanzen, die welken und schwarz werden, so welken seine Tore und sinken wie Trauernde zu Boden (vgl. Abb. 39),120 während die Wehklage Jerusalems nach oben steigt. Die beiden Verben ʾābal „trauern, klagen“ und ʾml pul. „verdorrt sein, welken“, die in V. 2a in Parallele stehen, begegnen in dieser Kombination noch in Jes 19,8; 24,4.7; 33,9; Klgl 2,8; Hos 4,3 und Jo 1,10 im Kontext einer Klage über das hereingebrochene Gericht.121 Damit ist der emotionale Grundton von Jer 14,*1–22 angeschlagen. Besonders drastisch werden die Auswirkungen der Dürre auf die Tierwelt geschildert (V. 5 f ). Diese Schilderung gewinnt durch das Bildmotiv vom „Muttertier und seinem Jungen“, das auf zahlreichen Siegeln der frühen Eisenzeit (E I/ II) erscheint und die ausgeprägte Mutterliebe der Hirschkuh veranschaulicht (s. Abb. 40),122 eine zusätzliche Dramatik. Wenn es in V. 5 heißt, dass die Hirschkuh (ʾajjælæt) ihr Neugeborenes verlassen hat, weil sie kein Grün mehr findet, dann ist das Band des Lebens zerrissen und das Schicksal des Jungtiers besiegelt.
119 Die
Schlusswendung in V. 22bβ „denn du hast all dies gemacht“ bezieht sich auf die drei in V. 21 aufgezählten Heilstaten JHWHs (Name, Thron der Herrlichkeit, Bund). Dennoch ist der Zusammenhang mit der Akklamation JHWHs als Regenspender in V. 22bα für das Verständnis konstitutiv, s. dazu Weippert, Schöpfer, 24 ff. 120 Zu den Trauerriten und -gesten s. Janowski, Anthropologie, 84 ff. Die obige Abb. 39 kommentiert Keel, Bildsymbolik, 298 folgendermaßen: „Die ägyptischen Klagefrauen kauern auf dem Boden, streuen Staub auf sich (?), halten sich den schmerzenden Kopf und stöhnen, wie die halbgeöffneten Münder zeigen“. 121 Zu Hos 4,3 und Jo 1,10 s. im Folgenden. 122 S. dazu mit weiteren Hinweisen Keel, Böcklein, 114 ff; ders./Uehlinger, Göttinnen, 141 f; Schroer, IPIAO 4, 69 f.85 und Kipfer, Dürre, 116 ff. Zur Hirschkuh s. Keel, Hohelied (ZBK. AT), 90 ff; ders. u. a., OLB 1, 147 ff und Riede, Art. Hirschkuh.
164 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Abb. 39: Klagefrauen (äg. Grabmalerei, 19. Dyn.)
Abb. 40: Säugende Capride mit Skorpion (Taanach, Tell Fārʿa Nord)
In dieselbe Richtung weist die Darstellung der nach Luft schnappenden und verendenden Wildesel (perāʾîm V. 6).123 Ähnliche Katastrophenbilder finden sich außer in Jer 12,4 vor allem in dem Schlußabschnitt Jo 1,17–20, der das Kommen des Tages JHWHs mit emotionalen, die Anteilnahme am Leiden der Tiere zum Ausdruck bringenden Sprachbildern beschreibt: Wie lange soll das Land trauern (ʾābal) und das Kraut des ganzen Feldes vertrocknen (jābaš)? Wegen der Bosheit der Bewohner in ihm sind Vieh und Vögel zugrunde gegangen, denn sie sagen: „Er sieht nicht unser Ende“. (Jer 12,4)124
123 S.
dazu Kipfer, aaO 118 ff.
124 Wegen des Rückbezugs von V. 4bβ auf
V. 3 dürfte mit dem Subjekt „er“ JHWH gemeint sein, vgl. Schmidt, Jeremia I (ATD), 242 und Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 432 f.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 165
17 Verdorrt sind die Saatkörner unter ihren Hacken, vernichtet die Vorräte, niedergerissen die Vorratsspeicher, denn verdorrt ist das Getreide. 18 Wie stöhnte (ʾnḥ nif ) das Vieh, es irrten umher die Rinderherden, denn es gibt keinen Weidegrund für sie, auch die Kleinviehherden büßten (ʾšm nif.). 19 Zu dir, JHWH, rufe ich, denn Feuer hat die Auen der Wüste gefressen und die Flamme hat alle Bäume des Feldes versengt. 20 Auch die Tierwelt des Feldes lechzt (ʿārag) nach dir, denn vertrocknet sind (jābaš) die Wasserläufe, und Feuer hat die Auen der Wüste gefressen. (Jo 1,17–20)125
Abb. 41: Nach Wasser suchende Hirschkuh auf judäischem Namenssiegel (8./7. Jh. v. Chr.)
Wie die Verben in Jo 1,18 zeigen, „empfinden und reagieren die Tiere wie sonst nur die Menschen“126: sie „stöhnen“ (ʾnḥ nif., vgl. Ex 2,23; Jes 24,7; Ez 9,4 u. ö.) und „büßen“ (ʾšm nif.).127 Wie die Menschen zu JHWH rufen (V. 19a), so stimmen auch die Tiere in die Klage vor Gott ein (V. 18aα) und lechzen (ʿārag V. 20a) wie die dürstende Hirschkuh von Ps 42,2 (vgl. Abb. 41) nach dem lebendigen Gott: Wie eine Hirschkuh lechzt (ʿārag) an Wasserbächen, so lechzt mein Leben (næpæš) nach dir, Gott. (Ps 42,2)128
125 S.
dazu Dahmen/Fleischer, Joel und Amos (NSK.AT), 54; Jeremias, Joel u. a. (ATD), 19; Müller, Herr, 144 ff und Kipfer, aaO 161 f.212 ff. 126 Dahmen/Fleischer, aaO 54. 127 Die Nif.-Form von ʾāšam „schuldig/schuldverpflichtet sein“ kommt nur hier vor, s. dazu Kipfer, aaO 220. Obwohl die Tiere für die Dürrekatastrophe nicht verantwortlich zu machen sind, leiden sie wie die Menschen unter ihren Folgen, weil sie mit ihnen in einer Art Schicksalsgemeinschaft verbunden sind. 128 Zu Ps 42,2 s. Janowski, næpæš, 101 ff und ders., Anthropologie, 289 f, ferner Riede, Netz, 316 ff u. a.
166 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Ganz anders der Aufruf an die Tiere zur Furchtlosigkeit in Jo 2,22, der die Wende zum Heil mit Bildern des aufblühenden Landes preist: Fürchtet euch nicht, ihr Tiere des Feldes, denn es grünen die Auen der Wüste, ja, der Baum trägt seine Frucht, Feigenbaum und Weinstock bringen ihren Ertrag.
Zu den prägnanten Ausformungen des Motivs des trauernden Landes129 gehört auch der Eröffnungstext Hos 4,1–3, der den Deutehorizont für die Komposition der Prophetenworte in Hos 4–11 abgibt und der in V. 3b eine Fortschreibung im Geist von Gen 1,20–25 erfahren hat (im Folgenden kursiv):130 Höraufruf 1 Hört JHWHs Wort, ihr Israeliten, denn einen Prozess hält JHWH mit den Bewohnern des Landes,
Gerichtsbegründung denn es gibt keine Zuverlässigkeit und keine Hingabe und keine Gotteserkenntnis im Land. 2 Fluchen und Betrügen und Morden und Stehlen und Ehebrechen sind ausgebrochen, und Bluttat reihte sich an Bluttat.131
Gerichtsankündigung 3 Daher verdorrt (ʾābal) die Erde,132 und welkt alles dahin (ʾml pul.), was auf ihr wohnt, selbst das Wild des Feldes und die Vögel des Himmels, sogar die Fische des Meeres werden hinweggerafft.
vgl. Gen 1,20 ff
Auf der Endtextebene gelesen, enthält dieser Text eine enge Verbindung zwischen Sozialkritik und Schöpfungstheologie, oder mit den Worten von J. Jeremias: „Geschichte und Natur sind in unlöslichem Zusammenhang miteinander gesehen“133. Das Motiv des trauernden Landes, das vor allem im Jesaja-, im Jeremia- und im Zwölfprophetenbuch begegnet,134 gleicht einem Brennglas, unter dem die Gefährdungen der natürlichen Lebenswelt in aller Schärfe hervortreten.
129 Zu
diesem Motiv s. außer Hos 4,3 noch Jes 24,4; 33,9; Jer 4,28; 12,4; 23,10; Am 1,2; 8,8; Jo 1,10; Nah 1,4 f, s. dazu Hugger, Land, 301 ff, Stahl, Erde, 166 ff und Kipfer, aaO 244 f. 130 S. dazu Jeremias, Hosea (ATD), 59 ff. 131 Wörtlich: „Blutschuld berührte/reichte bis an Blutschuld“. 132 Im Gegensatz zu V. 1 ist mit ʾæræṣ hier „die gesamte bewohnte ‚Erde‘“ gemeint, vgl. Jeremias, aaO 62. 133 Ders., aaO 63, vgl. Stahl, aaO 173. 134 Es handelt sich dabei durchgängig um spät(er)e Texte, s. dazu die Hinweise oben Anm. 129.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 167
3. Fazit: Die Ordnung der Lebenswelt Im Vorhergehenden spielte der Begriff „Ordnung“ eine zentrale Rolle. „Ordnung“ ist allerdings – ebenso wie die Komposita „Naturordnung“, „Schöpfungsordnung“ oder „Weltordnung“ – kein quellensprachlicher Begriff des Alten Testaments, sondern ein metasprachlicher Ausdruck der europäischen Wissenskulturen. Er besagt, dass es einen Formenzusammenhang – E. Cassirer spricht von „Ordnungsformen“135 –, also ein Ordnungsgefüge gibt, das der Welt der Erscheinungen Struktur und Stabilität verleiht und ihr damit – soweit das möglich ist! – das Willkürliche nimmt. Das Prinzip „Ordnung“ kann man sich anhand einer Passage aus dem Buch Weisen der Welterzeugung von N. Goodman deutlich machen, wo es über das Messen der Zeit folgendermaßen heißt: „Außerdem beruht auch alles Messen auf Ordnung. In der Tat können wir nur aufgrund geeigneter Anordnungen und Gruppierungen mit großen Materialmengen perzeptiv oder kognitiv umgehen. Gombrich erörtert die Dezimaleinteilung der historischen Zeit in Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende. Die Tageszeit wird in vierundzwanzig Stunden unterteilt, jede davon in sechzig Minuten zu je sechzig Sekunden. Was man über diese Organisationsmodi auch immer sagen kann, sie werden jedenfalls nicht ‚in der Welt vorgefunden‘, sondern in eine Welt eingebaut. Ebenso wie das Zusammensetzen, Zerlegen und Gewichten von Ganzheiten und Arten hat auch das Ordnen teil am Welterzeugen.“136
Dem ist zuzustimmen – bis auf die Anmerkung, dass die Ordnungsformen (Goodman: „Organisationsmodi“) in den Kulturen des Alten Orients, Ägyptens und des antiken Mittelmeerraums nicht nur, wie die regelhaften Abläufe in Natur und Gesellschaft zeigen,137 in die jeweilige Lebenswelt „eingebaut“ werden, also kulturell bedingt sind, sondern aufgrund bestimmter Setzungsakte wie der Begrenzung des Meeres138 in der Struktur der Welt als ganzer auch „vorgefunden“ werden. Jedenfalls geht der biblische Schöpfungsglaube davon aus, dass diese Setzungsakte vom Schöpfergott initiiert sind und ihr Bestand von ihm auch garantiert wird. In der Auffassung der Welt – der natürlichen wie der geschichtlichsozialen – als Ordnung liegt eine Perspektive vor, „die davon ausgeht, was Leben und Zusammenleben in umfassender Dimension brauchen; sie erfaßt, daß die unerläßliche Wohlordnung der Welt im natürlichen wie im politischen und rechtlich-sozialen Bereich nicht einfach in der Verfügung des Menschen ist, sondern auf immer schon vorgegebenen Einrichtung und Ordnungen be-
135 S.
dazu oben 17 f.
136 Goodman, Welterzeugen, 27 (H. i. O.). Goodman nimmt in seinem Text Bezug auf den Vor-
trag „Zeit, Zahl und Zeichen“, den E. H. Gombrich (1909–2001) bei der Cassirer-Feier 1974 in Hamburg gehalten hat. Zu Goodmans Konzept der „Welterzeugung“ (statt „Kosmologie“) s. Rochberg, Anthropology, 255 ff. 137 S. dazu oben 133 f. 138 S. dazu oben 136 f.
168 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt ruht, die Gott der Welt unablässig zuwendet; Welt wird deshalb in allen wesentlichen Wirklichkeitsfeldern als stetiges Geschehen machvoll-gültiger Zukehr des höchsten Gottes wahrgenommen und in hymnischen oder erzählenden Aussagen von Gottes Wirken sachgemäß zur Sprache gebracht“139.
Dies ist auch das leitende Interesse der alttestamentlichen Schöpfungstexte, nämlich „die Tiefendimension der gegenwärtigen Erfahrungswelt auszusagen und diejenigen Grundgegebenheiten und Grundbestimmungen freizulegen, die für Welt und Mensch im ganzen und immer schon gelten“140. Diese Perspektive einer „von Gott lebensförderlich vorgegebenen, natürlichen Welt“141 wird aber immer wieder von Erfahrungen der Unordnung und des Chaos unterlaufen, die die Stellung des Menschen in der natürlichen Lebenswelt, aber auch das Schicksal der Tiere und die Beschaffenheit der gesamten Vegetation bedrohen. Späte Texte wie Jer 4,23 ff; 5,20 ff; 14,*1 ff u. a.142 machen dies in bedrückender Weise deutlich. Die in ihnen geschilderten Gefährdungen der natürlichen Lebenswelt entspringen „keinesfalls … einer undurchsichtigen Laune Gottes; sie sind vielmehr sichtbarer Seismograph dafür, wie es um den Menschen steht“143. Aber obwohl die Verwüstungen, die der Mensch durch sein Verhalten über die natürliche Lebenswelt gebracht hat, gewaltig sind, bleibt es nicht bei diesen Katastrophenbildern. „Fürchtet euch nicht, ihre Tiere des Feldes“, heißt es in Jo 2,22, „denn es grünen die Auen der Wüste, ja, der Baum trägt seine Frucht, Feigenbaum und Weinstock bringen ihren Ertrag“.144 Im Blick auf diesen und vergleichbare Texte spricht P. Hugger geradezu von einer „Versöhnung des Menschen mit der Natur“.145 Kehren wir abschließend noch einmal zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen, nämlich zum Begriff der Lebenswelt zurück. Im Anschluss an B. Waldenfels und J. Habermas wurde dieser Begriff als gemeinsamer Erfahrungshorizont und Erlebnishintergrund verstanden, auf den die Menschen in ihrem Handeln und Leiden zurückgreifen und der sie umfängt und trägt.146 Die alltägliche Lebenswelt ist, wie man mit A. Schütz und Th. Luckmann hinzufügen kann, die Wirklichkeit, „an der der Mensch in unausweichlicher, regelmäßiger Wiederkehr teilnimmt“ und „in die der Mensch eingreifen und die er verändern kann, indem er in ihr durch die Vermittlung seines Leibes wirkt“147. 139 Steck, Thesen, 281, s. zur Sache nach wie vor Schmid, Gerechtigkeit, 166 ff; ders., Welt, 145 ff
und die Auseinandersetzung mit Schmids Konzeption bei Assmann, Maʾat, 31 ff.283 ff und Angehrn, Überwindung, 297 ff. 140 Steck, aaO 283 (im Original z. T. hervorgehoben), s. dazu auch die Konkretionen aaO 284 ff. 141 Ders., aaO 286. 142 S. dazu oben 153 ff.156 ff.161 ff 143 Hugger, Land, 304 (H. i. O.). 144 Vgl. oben 166. 145 S. dazu ders., aaO 309 f. 146 S. dazu oben 131. 147 Schütz/Luckmann, Strukturen 1, 25.
§ 4 Schöpfung und Lebenswelt 169
Die Lebenswelt ist der „unbefragte Boden der natürlichen Weltanschauung“148. Im Blick auf das alte Israel kommt zu dieser Grundbestimmung noch die Erfahrung der Welt als Schöpfung hinzu. Damit ist ein übergreifender Sinnhorizont gemeint, der sich, wie die beiden folgenden Paragraphen Schöpfung und Menschenbild (§ 5) und Schöpfung und Tierwelt (§ 6) zeigen, in der Auffassung des Menschen als Geschöpf und in der Bedeutung der Tiere als Gefährten und Feinde des Menschen niederschlägt.
148 Dies.,
ebd. Der Ausdruck „Bodenfunktion (sc. der Lebenswelt)“ geht auf E. Husserl (1859– 1938) zurück, s. dazu oben 131 Anm. 1.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild Liebe kann es ohne Erkenntnis in einem anderen, Freiheit ohne gegenseitige Anerkennung nicht geben. Dieses Gegenüber in Menschengestalt muss seinerseits frei sein, um die Zuwendung Gottes erwidern zu können. Trotz seiner Ebenbildlichkeit wird freilich auch dieser Andere als Geschöpf Gottes vorgestellt. Hinsichtlich seiner Herkunft kann er Gott nicht ebenbürtig sein. Diese Geschöpflichkeit des Ebenbildes drückt eine Intuition aus, die … auch dem religiös Unmusikalischen etwas sagen kann. J. Habermas, Glauben, 30
Die Geschöpflichkeit des Menschen, über die J. Habermas am Ende seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 2001 ebenso knapp wie präzise gesprochen hat, wird in Gen 2,4b–7 in einer Weise beschrieben, die von zentraler Bedeutung für das alttestamentliche Menschenbild ist. „Am Tag, als JHWH Gott Erde und Himmel machte“ (V. 4b) – so beginnt das Satzgefüge von V. 4b–7, das nach der Zustandsschilderung von V. 5 f in V. 7 mit einer Folgebestimmung fortgesetzt wird:1 4b Am Tag, als JHWH Gott Erde und Himmel machte, 5 6
– all das Gesträuch des Feldes war noch nicht auf der Erde, und all das Kraut des Feldes sprosste noch nicht, denn JHWH Gott hatte es (noch) nicht regnen lassen auf die Erde, und einen Menschen gab es nicht, den Ackerboden zu bebauen, aber ein Wasserstrom stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Oberfläche des Ackerbodens –,
7 da formte JHWH Gott den Menschen aus Erdkrume vom Ackerboden, und er blies in seine Nase Lebensatem. Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Die Erschaffung des Menschen vollzieht sich danach in zwei aufeinander bezogenen Akten des Schöpfergottes: in der Formung aus „Erdkrume vom Ackerboden“ ( formatio) und in der Einhauchung des „Lebensatems“ (animatio), wodurch der Mensch zu einer næpæš ḥajjāh, d. h. zu einem lebendigen Wesen oder Lebewesen wird. Die im Schöpfungsakt begründete Geschöpflichkeit des Menschen ist die 1
S. dazu oben 91 ff und Janowski, Anthropologie, 48 ff.
172 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Grundbedingung seines Daseins (conditio humana), die auch in anderen Schöpfungstexten wie Ps 139,13–18 oder Hi 10,8–13 zum Ausdruck kommt.2 Älter als Gen 2,7; Ps 139,13 ff und Hi 10,8 ff sind einige Texte der älteren Spruchweisheit, die dem Thema „Menschenschöpfung“ gewidmet sind. Ihnen wenden wir uns zunächst zu. 1. Der Mensch als Geschöpf a) Schöpfung in der älteren Spruchweisheit Beiroth, Facetten, 197 ff ◆ Coulange, Dieu, 169 ff ◆ Delkurt, Einsichten, 110 ff ◆ Doll, Menschenschöpfung, 15 ff ◆ Gese, Lehre, 38 ff ◆ Hausmann, Studien, 77 ff ◆ Hermisson, Schöpfungstheologie, 271 ff ◆ Janowski, „JHWH kennt“, 75 ff ◆ Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 274 f ◆ Krüger, Gott, 169 ff ◆ Meinhold, Schöpfung, 8 ff ◆ Otto, Ethik, 152 ff.
„Die Weisheit des Alten Testaments hält sich ganz entschlossen im Horizonte der Schöpfung. Ihre Theologie ist Schöpfungstheologie“3 – so urteilte einst W. Zimmerli in seinem Aufsatz über die alttestamentliche Weisheit. Gilt das auch für die Schöpfungstexte der älteren Spruchweisheit? Bekanntlich, so ist immer wieder herausgestellt worden, sucht die Weisheit nach Erkenntnis der Ordnung und zwar in der natürlichen wie in der geschichtlich-sozialen Lebenswelt.4 So heißt es in Spr 11,11 und 25,23: Durch den Segen der Aufrechten erhebt sich eine Stadt, aber durch den Mund der Frevler wird sie eingerissen. (Spr 11,11) Nordwind bringt Regen, aber erzürnte Gesichter eine verborgene Zunge. (Spr 25,23)5
In dieser Suche nach Erkenntnis der Ordnung zeigt sich ein menschliches Grundbedürfnis. „Kein Mensch“, so beginnt G. von Rad denn auch sein großartiges Weisheitsbuch, „würde auch nur einen Tag leben können, ohne empfindlichen Schaden zu nehmen, wenn er sich nicht von einem ausgebreiteten Erfahrungswissen steuern lassen könnte. 2
S. dazu ders., aaO 59 ff. Zu Ps 139,13–18 s. unten 179 ff. Zimmerli, Ort, 302. Dieser Aussage geht die Beobachtung vorher, dass der alttestamentlichen Weisheit „jede Beziehung zur Geschichte Jahwes mit Israel (fehlt)“ (ders., aaO 301). Die Weisheit „hat es mit ‚dem Menschen‘ zu tun, mit Volk und König nur insoweit, als diese allgemein menschlich als soziologische Größen in Erscheinung treten. (…) Hält man daneben das dtr. Geschichtswerk oder die prophetischen Aussagen, so wird einem der tiefe Unterschied der Auffassung deutlich“ (ders., aaO 302). 4 S. dazu Gese, Lehre, 33 ff; ders., Art. Weisheit, 1574; Hermisson, Studien, 149 ff; von Rad, Weisheit, 79 ff.100 f u. ö.; Otto, Ethik, 152 ff; Fischer, Weisheit, 82 ff; ders., Art. Weisheit, 442 ff; Saur, Ordnung, 67 f.84 ff u. a. Zu dem vor allem von Schmid, Gerechtigkeit, 166 ff; ders., Welt, 145 ff vertretenen Konzept „Gerechtigkeit als Weltordnung“ s. die Hinweise oben 167 f. 5 S. dazu Meinhold, Sprüche (ZBK.AT), 191.432. 3
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 173
Dieses Erfahrungswissen lehrt ihn die Abläufe in seiner Umgebung verstehen, es lehrt ihn die Reaktionen seiner Mitmenschen vorauszusehen, seine eigenen Kräfte am rechten Punkt anzusetzen, das Regelmäßige vom Einmaligen zu unterscheiden und vieles andere mehr. Dieses fortgesetzten Gesteuertwerdens wird sich der Mensch kaum bewußt, ebensowenig wie der Tatsache, daß dieses Erfahrungswissen nur zu einem Teil von ihm selber eingebracht wurde. Er wächst in es hinein, es bestätigt sich ihm, allenfalls modifiziert er es an seinem Teil.“6
Kennzeichnend für weisheitliches Denken ist der enge Zusammenhang von Welterkenntnis und sozialem Handeln. Anders gesagt: „Weisheitliches Denken deduziert Ordnungen aus empirischer Beobachtung“7, es ist praktisches Lebenswissen. In der Erkenntnis der Ordnung geht es um die Suche nach Regelmäßigkeiten in der Vielfalt der Erscheinungen,8 aus denen der Mensch Normen für sein Verhalten ableiten kann. Der Horizont dieser Ordnung „reicht dabei über die Natur hinaus und hat innerhalb der Weisheitsliteratur konkrete ethische Implikationen: Weil die Welt insgesamt als eine von Gott in seiner Schöpfung geordnete Wirklichkeit zu verstehen ist, kann das Leben des Menschen nur gelingen, wenn sich sein Handeln in den Bahnen dieser Ordnung bewegt und am Grundprinzip dieser Ordnung orientiert“9.
Die Bezeugungen des Schöpfungsglaubens in der älteren Spruchweisheit (Spr 14,31; 17,5; 22,2; 29,13 u. a.),10 die im Folgenden zur Sprache kommen, enthalten keine Weltschöpfungs-, sondern ausschließlich Menschenschöpfungsaussagen. Sie sind zahlenmäßig zwar gering, werfen mit ihrem Fokus „Missbrauch der Schöpfungsordnung“ aber ein bezeichnendes Licht auf die Schöpfungstheologie der älteren Spruchweisheit.11 α) Gott als Schöpfer des Armen (Spr 14,31; 17,5) Vier der insgesamt sieben Sprüche zum Thema „Schöpfer/Schöpfung“ reden davon, dass JHWH den Armen erschaffen hat (Spr 14,31; 17,5), aber ebenso auch den Reichen und den Bedrücker (Spr 22,2; 29,13). In Spr 14,31 und 17,5 heißt es:
6
Von Rad, aaO 3, vgl. unten 413. Otto, aaO 153. 8 Vgl. Hermisson, Schöpfungstheologie, 270, ferner Zenger u. a., Einleitung, 407 ff (E. Zenger); Müllner, Herz, 8 ff u. a. 9 Saur, Ordnung, 67, vgl. von Rad, aaO 100 f. 10 Weitere Texte sind Spr 16,4.11 und 20,12, s. dazu Hermisson, aaO 272 f und zu Spr 20,12 unten Anm. 39. Zur Komposition, Entstehung und Theologie des Sprüchebuchs s. Zenger u. a., aaO 456 ff (L. Schwienhorst-Schönberger). 11 Vgl. Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 274 f. Zur Schöpfungstheologie der späten Weisheit (Spr 3,19 f; 8,22 ff u. a.), die eine explizite Theologisierung mit sich bringt, s. unten 436 ff. 7
174 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt Wer einen Geringen unterdrückt (ʿāšaq), hat seinen Schöpfer (ʿośæh) geschmäht (ḥrp pi.), aber es ehrt (kbd pi.) ihn, wer sich eines Armen erbarmt (ḥānan). (Spr 14,31) Wer über einen Armen spottet (lāʿag), hat seinen Schöpfer (ʿośæh) geschmäht (ḥrp pi.), wer sich über ein Unglück freut (śāmaḥ), wird nicht unschuldig gesprochen werden (nqh nif. + Negation). (Spr 17,5)
Spr 14,31 nennt zwar nicht den Gottesnamen, dennoch ist mit „seinem Macher/ Schöpfer“ (ʿośehû) zweifellos JHWH gemeint.12 Der chiastisch gestalte Spruch (Geringer/Schöpfer, Schöpfer/Armer) stellt in antithetischem Parallelismus das missachtende und das erbarmende Handeln am Geringen bzw. Armen einander gegenüber.13 Wie sich solche Missachtung der personae miserae (Witwen, Waise, Arme, Geringe) äußert, führen die Individualpsalmen sowie das Sprüche- und das Hiobbuch in aller Deutlichkeit aus. Sehr grundsätzlich heißt es in Spr 28,5 und 29,7: Böse Männer verstehen (bîn) nicht, was recht ist, aber diejenigen, die JHWH suchen, verstehen (bîn) alles. (Spr 28,5) Der Gerechte kennt (jādaʿ) das Recht der Geringen, der Frevler kennt (bîn) keinerlei Verständnis (daʿat). (Spr 29,7)14
Das zentrale Motiv dieser Texte ist die fehlende Anerkennung des Anderen oder konkret: seine offene Missachtung durch verletzende Worte, herabsetzende Gesten und heimtückische Taten.15 Obwohl es für das Wort „Anerkennung“ im alttestamentlichen Hebräisch kein Äquivalent gibt, kommen im Alten Testament zahlreiche Verben und Nomina vor, die dem mit diesem Begriff ausgedrückten Sachverhalt bedeutungsmäßig nahekommen. Einen Überblick dazu gibt Abb. 42 (in Klammern wird das jeweilige Subjekt genannt).16 Ein Seitenblick auf die neuere Diskussion zum Anerkennungsbegriff kann dies vertiefen.17 In Aufnahme der seit Beginn der 1990er Jahre intensiver geführten Diskussion um die sozialen, rechtlichen und moralischen Formen der Anerkennung gehen die neueren Theorien davon aus, dass Anerkennung „‚ein menschliches Grundbedürfnis‘ darstellt, weil Subjekte nur mittels der Reaktionen Anderer und durch die Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte und Normen eine Vorstellung davon gewinnen können, wer sie eigentlich sind und sein sollten.
12 Vgl. 13 14 15 16
17
Krüger, Gott, 175; Schipper, Sprüche I (BK), 818 und Beiroth, Facetten, 198 ff. Zur Struktur der beiden Sprüche s. außer den Kommentaren noch Delkurt, Einsichten 110 ff; Coulange, 169 ff.178 ff u. a. S. dazu Meinhold, Sprüche (ZBK.AT), 469.484. S. dazu ausführlich Janowski, Anthropologie, 199 ff. Im Folgenden werden nur ausgewählte Textbeispiele genannt, s. dazu ausführlich Janowski, „JHWH kennt“, 75 ff. S. dazu ders., aaO 65 ff.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 175
Kognitive und wahrnehmungsbezogene Aspekte – bîn „achtengeben, wahrnehmen, verstehen“ – zākar „gedenken, sich erinnern“ – hāzāh „schauen“ ˙ – jādaʿ „(er)kennen, wissen“ – nbt hif. „aufblicken, hinschauen“ ˙ – nkr hif. „aufmerksam betrachten“ – ʿajin „(gütiges) Auge“ – rāʾāʾh „sehen“ – śkl hif. „achtgeben, klug s./w.“ Mensch)
Spr 28,5; 29,7 (jeweils Mensch) Ps 8,5; 9,13 (jeweils Gott) Ps 11,4 f (Gott); Spr 22,9 (Mensch) Ps 1,6 (Gott); Spr 29,7 (Mensch) Ps 13,4 (Gott) Ruth 2,10 (Mensch) Spr 22,9 (Mensch) Ps 10,14 (Gott) Ps 41,2; Spr 16,20 (jeweils
Sozialethische und rechtliche Aspekte – hānan „gnädig, barmherzig s.“, Ex 22,25 f (Gott); Spr 14,31 ˙ hannûn „gnädig, barmherzig“ (Mensch) ˙ – hæsæd „Hingabe, Güte“ Ps 5,8 (Gott); Mi 6,8 (Mensch) ˙ – kbd. pi. „ehren“, kābôd „Ehre“ Ps 3,2 ff (Gott) Ps 7,4 ff (Mensch) – pāqad „sich jem.es annehmen“ Ps 8,5 (Gott) – sdq qal/hif. „gerecht s./machen“, saddîq „gerecht“ Ps 7,10 ff (Gott); 82,1 ff (Mensch) ˙ ˙
Abb. 42: Zur Semantik der Anerkennung im Alten Testament
Deshalb sind Menschen in fundamentaler Weise von der Haltung anderer Personen (und letztlich der Gesellschaft als ganzer) abhängig“18. Als menschliches Grundbedürfnis ist Anerkennung „ein wesentlich soziales Phänomen“19, gleichsam die Vollzugsform des wechselseitigen Respekts unter Menschen. Allerdings stellt sich Anerkennung nicht von allein ein, sondern sie ist eine „Form der Resonanz in unseren sozialen Weltbeziehungen“20. Deshalb sind die klassischen Anerkennungstheorien nach H. Rosa um resonanztheoretische Aspekte zu erweitern, denn: „Die Resonanztheorie geht … in ihrem Erklärungsanspruch über die Anerkennungstheorie hinaus, weil sie auch diejenigen Hoffnungen, Bedürfnisse und Sehnsüchte, aber auch die Entfremdungs- und Frustrationserfahrungen zu erfassen und zu erklären vermag, die Menschen jenseits der Sozialsphäre haben oder machen.“21 Hinzukommt, dass Anerkennung eine kognitive Dimension hat, denn anerkennen setzt erkennen voraus. Das gilt nicht nur im Blick auf Tatsachen, die man anerkennt, indem man der Zustimmung zu einem erkannten Sachverhalt Ausdruck verleiht bzw. indem man das als wahr oder richtig Erkannte bestätigt. Es gilt auch im Blick auf den anderen Menschen: 18
Iser, Art. Anerkennung, 291 f. Durch die Formulierung „nur mittels …“ wird die Problembeschreibung allerdings verkürzt. Sachlich richtiger wäre eine Formulierung wie „vornehmlich mittels …“. Zur Geschichte und Problematik der Anerkennungstheorien s. Honneth, Kampf; Ricœur, Wege u. a. Für einen knappen Überblick s. Höffe, Art. Anerkennung, 18 f und Iser, aaO 291 ff. 19 Höffe, aaO 18. 20 Rosa, Resonanz, 332. 21 Ders., aaO 333.
176 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt „Wenn man anerkannt wird, wird man nicht nur in Bezug auf bestimmte Eigenschaften erkannt, sondern in diesen auch positiv bestätigt. Wem hingegen ein einseitiges oder gar negatives Bild seiner selbst vermittelt wird oder wer schlicht ignoriert wird, der dürfte es schwer haben, sich selbst zu bejahen und die eigenen Projekte ohne nagenden Selbstzweifel zu verfolgen. Erst Anerkennung ermöglicht einen Zustand positiver Freiheit.“22
Beide Aspekte, der soziale und der kognitive, sind auch für das Thema „Anerkennung“ im Alten Testament und in seiner altorientalischen Umwelt konstitutiv. Es erhält hier aber zusätzlich eine religiöse Dimension, wie etwa das Spruchpaar Spr 14,20 f deutlich macht: 20 Sogar seinem Freund ist der Arme verhasst, aber die Liebhaber des Reichen sind zahlreich. 21 Wer seinen Nächsten verachtet (bûz), verfehlt sich (ḥāṭāʾ ), aber wer sich der Elenden erbarmt (ḥnn po.) – glücklich ist er!
Während V. 20 „eine harte, ungeschönte Realität in der menschlichen Gemeinschaft“23 beschreibt – in einer von materiellen Werten bestimmten Welt zählen Freundschaften nichts mehr –, wird diese Tatsache in V. 21 als „Verfehlung“ (ḥāṭāʾ „sich verfehlen, sündigen“) qualifiziert und damit dem religiösen Bereich zugeordnet.24 Vollends deutlich wird der religiöse Bezug in Spr 14,31, wo das Barmherzigkeitsmotiv (ḥānan „sich erbarmen“) nicht nur zum Kriterium für den Umgang mit den personae miserae wird,25 sondern auch eine schöpfungstheologische Dimension erhält: Wer einen Geringen unterdrückt (ʿāšaq), hat dessen Schöpfer geschmäht (ḥrp pi.), aber es ehrt ihn (kbd pi.), wer sich eines Armen erbarmt (ḥānan). (Spr 14,31)
Heißt den Nächsten zu verachten (bûz), eine „Sünde“ zu begehen (Spr 14,21), so heißt den Geringen zu unterdrücken (ʿāšaq), dessen Schöpfer zu schmähen (Spr 14,31, vgl. Spr 17,5).26 Rechtes mitmenschliches Verhalten bedeutet also „Gott zu dienen und seinen Willen zu erfüllen“27. Auch in der ägyptischen Weisheitsliteratur wird das Verhalten gegenüber den personae miserae mit dem Verweis auf den Schöpfergott begründet (s. Q 33). β) Die Gemeinschaft der Geschöpfe (Spr 22,2; 29,13) In den beiden folgenden Sprüchen (Spr 22,2; 29,13) wird der Fokus verschoben und die Argumentation grundsätzlicher. Es geht um die Frage des Zusam 22
Iser, aaO 292. Meinhold, Sprüche (ZBK.AT), 238, vgl. Schipper, Sprüche I (BK), 808. 24 Vgl. Meinhold, aaO 239 und Schipper, aaO 809. 25 Weitere Belege im Sprüchebuch sind außer Spr 14,31 noch Spr 19,17 und 28,8, vgl. Spr 21,10 (Pass. qal). 26 Zum Text von Spr 17,5 s. oben 174. 27 Meinhold, aaO 244, vgl. Schipper, aaO 818 f. 23
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 177
menlebens des Reichen und des Armen bzw. des Armen und des Leuteschin ders: Reicher und Armer begegneten sich (pgš nif.), der Schöpfer (ʿośæh) von ihnen allen ist JHWH. (Spr 22,2) Armer und Leuteschinder28 begegneten sich (pgš nif.), der die Augen von ihnen beiden erleuchtet (ʾwr hif.), ist JHWH. (Spr 29,13)
Was geschieht, wenn sich beide Menschentypen im öffentlichen Raum (Straßen, Plätze, Stadttor) begegnen? Wird der Reiche den Armen ausbeuten und der Leuteschinder ihn malträtieren? Wahrscheinlich. Und wie wird der Arme reagieren? Wird er sich widerstandslos in die Opferrolle fügen? Anschauungsmaterial für konfliktreiche Begegnungen bieten die ältere Spruchweisheit und die Individualpsalmen zur Genüge.29 Auf jeden Fall hat „ein Reicher … mehr, als er zum Leben braucht, ein Armer weniger. Darin liegt das Konfliktpotential des Zusammentreffens und des Zusammenlebens von Armen und Reichen“30. Regelrecht kritisch wird es, wenn die Begegnung der beiden Menschentypen dazu führt, dass sie sich gegenseitig die Menschenwürde absprechen. Deshalb der bündige Hinweis auf das Geschaffensein beider durch JHWH (Spr 22,2).31 So ergehen aus diesem Spruch „stillschweigend Mahnungen nach beiden Seiten: Der Reiche soll beherzigen, daß das Tun von Recht und Barmherzigkeit JHWH überaus wichtig ist (21,3) und daß sich das am Umgang mit dem Armen und Geringen entscheidet (vgl. 19,17), und der Arme soll dem Reichen das Menschsein nicht bestreiten. Für das aktuelle Zusammenleben mit seinen konkreten Situationen ist beides sehr wichtig, wenngleich sich daraus kaum eine Theorie zur revolutionären Veränderung der Gesellschaft entwickeln läßt“32.
Eine solche Veränderung liegt aber auch nicht im Ordnungsinteresse der älteren Spruchweisheit.33 In ihrem Interesse liegt es vielmehr zu betonen, dass kein Mensch das Recht hat, einem anderen Menschen die Menschenwürde zu nehmen.34 Spr 29,13 geht noch einen Schritt weiter, weil hier davon die Rede ist, dass JHWH die Augen des Armen und des Leuteschinders „erleuchtet“ (ʾwr hif., vgl. Mt 5,44 f, s. Q 180). Damit ist implizit der Aspekt „Leben“ im Blick. Dieser Aspekt gewinnt an Kontur und Grundsätzlichkeit, wenn man Spr 29,13b vor dem Hintergrund der Bitte in Ps 13,4 f liest: 28
Wörtlich: „ein Mann von Bedrückungen/Gewalttätigkeiten“, s. dazu Meinhold, aaO 486. Zu den Formen der Missachtung s. Janowski, „JHWH kennt“, 87 ff, vgl. ders., Anthropologie, 207 ff. 30 Krüger, Gott, 169. 31 Vgl. Ps 139,13; Hi 10,9 u. a., s. dazu Janowski, Anthropologie, 59 ff. 32 Meinhold, aaO 364, vgl. Krüger, aaO 171. 33 Der Bezug zum Ordnungsdenken wird von Doll, Menschenschöpfung, 7 ff.75 ff eklatant verkannt, s. dazu die Kritik von Scherer, Wort, 27 ff. 34 Vgl. Fuhs, Sprichwörter, 312 u. a. Zum Thema „arm und reich“ in der Weisheitsliteratur s. Delkurt, Einsichten 110 ff; Hausmann, Studien, 77 ff; Berges/Hoppe, Arm, 45 ff u. a. 29
178 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 4 5
Blick doch her (nbṭ hif.), erhöre mich, JHWH, mein Gott! Lass meine Augen leuchten (ʾwr hif.), damit ich nicht zum Tod entschlafe, damit mein Feind nicht behauptet: „Ich habe ihn überwältigt!“, meine Gegner nicht jubeln, dass ich wanke! (Ps 13,4 f )35
Die Aussage von Spr 29,13b, dass JHWH „die Augen von ihnen beiden“ erleuchtet, besagt demnach, dass er dem Armen und dem Leuteschinder das Leben gewährt. Man kann dieses Leben so führen, dass man dem Anderen die Anerkennung versagt, indem man ihn mit verletzenden Worten und herabsetzenden Gesten überzieht. Auf drastische Weise wird eine derartige Verächtlichmachung samt ihren Folgen in Spr 30,17 geschildert. Auch hier ist vom menschlichen „Auge“ die Rede: Ein Auge, das über den Vater spottet (lāʿag) und den Gehorsam der Mutter gegenüber verachtet (bûz) – aushacken werden es die Bachraben und fressen werden es die Geierjungen.36
Man kann das Leben aber auch so führen, wie es in Spr 22,9, der einzigen Stelle über das „gütige Auge“, empfohlen wird und wie es alttestamentlicher, speziell weisheitlicher Ethik entspricht: Wer gütigen Auges (ṭôb-ajin) ist, der wird gesegnet (brk pu.), denn er gab von seinem Brot dem Geringen. (Spr 22,9)37
Dieses Verhalten „lässt auf ein gutes, zugewandtes Herz schließen, das sich in Taten der Barmherzigkeit äußert“38. Es ist keine Frage – und das bestätigen die aus Spr *10–29 zitierten Texte –, dass derartige Taten offenbar nicht die Regel, zumindest aber nicht selbstverständlich waren. Halten wir fest: Die ältere Spruchweisheit schildert an keiner Stelle den Vorgang der Menschenschöpfung, sondern sie spricht davon, dass der Mensch – der Arme, der Reiche, der Leuteschinder – von Gott geschaffen ist.39 Sie verbindet das mit dem Barmherzigkeits- (Spr 14,31; 17,5) und dem Gemeinschaftsaspekt (Spr 22,2; 29,13) und sieht den Grund für beide Aspekte im Wirken des Schöpfergottes, der alle Menschen geschaffen hat. Mit dem Wissen um JHWH, den Schöpfergott, war „das Thema der Ordnung in der Erfahrungswelt und ihres Erfolgs und damit der Zusammenhang von Tat und Ergehen als theologisches 35 36 37
38
39
S. dazu Janowski, Konfliktgespräche, 65 ff. Auf Ps 13,4 weisen auch Meinhold, aaO 486 und Krüger, aaO 173 hin. Spott und Verachtung sind Missachtungshandlungen, gegen die das Elterngebot gerichtet ist, s. dazu Meinhold, aaO 507 f. S. dazu Delkurt, Einsichten, 127, der zu Recht bemerkt, dass der Begriff „segnen“ (brk pi.) ein Eingreifen JHWHs impliziert, vgl. Meinhold, aaO 369; Hausmann, Studien, 85 ff und Beiroth, Facetten, 206. Meinhold, aaO 369. Vgl. Spr 20,12: Auch das „hörende Ohr“ und das „sehende Auge“ hat JHWH „gemacht“ (ʿāśāh), s. dazu Hermisson, Schöpfungstheologie, 273 und Meinhold, aaO 336 f.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 179
Problem aufgegeben“40. Die Lösung dieses Problems musste immer wieder neu gesucht werden, gerade angesichts einer ambivalenten Wirklichkeit: „Wenn die Aporien gnomischer Apperzeption über sich hinaus auf die Schöpfungstheologie verweisen, so liegt es nahe, hier den Ausgangspunkt weisheitlicher Begründung des Ethos zu suchen, also nicht mehr induktiv, sondern deduktiv vorzugehen.“41
Genau das tun die Sprüche zur Menschenschöpfung in der älteren Spruchweisheit. In der späten Weisheit treten demgegenüber, wie wir sehen werden, andere Themenschwerpunkte und andere Begründungsmuster in den Vordergrund.42 b) Gott als Schöpfer und Geburtshelfer (Ps 139,13–18; 22,10–12) Albertz, Weltschöpfung, 33 ff.83 ff.118 ff.165 ff ◆ Ders., Individualität, 138 ff ◆ Bester, Körperbilder, 131 ff ◆ Grohmann, Psalm 22, 73 ff ◆ Dies., Fruchtbarkeit, 50 ff ◆ Dies., Anfang, 380 ff ◆ Dies., Art. Geburt, 179 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 48 ff.59 ff ◆ Ders., Angst, 141 ff ◆ Kumpmann, Schöpfen, 81 ff ◆ Schroer/Zimmermann, Art. Geburt, 186 ff.
Kehren wir nach dem Durchgang durch die Schöpfungstexte der älteren Spruchweisheit noch einmal zu Gen 2,7, dem locus classicus der Vorstellung von der Menschenschöpfung, zurück. Während Spr 14,31; 17,5 und 22,2 von JHWH als dem „Schöpfer“ des Armen wie des Reichen sprechen, schildert Gen 2,7 die Erschaffung des Menschen als kreatives Handeln des Schöpfergottes, der den Menschen „aus Erdkrume vom Ackerboden“ geformt ( formatio) und den „Lebensatem“ in seine Nase eingehaucht hat (animatio).43 Wieder anders ist die Vorstellung von Ps 139,13–18. „Du hast mich gewoben im Leib meiner Mutter“ (Ps 139,13) Ps 139,13–18 ist der einzige Text des Psalters, der von der Erschaffung des Menschen im Mutterleib spricht:44 13 Denn du, du hast meine Nieren geschaffen (qānāh), hast mich gewoben (śākak) im Leib meiner Mutter. 14 Ich preise dich, dass ich erschreckend wunderbar bin, wunderbar sind deine Werke, und meine næpæš (= ich)45 weiß das wohl. 40 41 42 43
44
45
Otto, Ethik, 159. Ders., aaO 160. S. dazu unten 436 ff. S. dazu oben 91 ff. Weitere Texte sind Jes 49,1.5 (Gottesknecht, vgl. Jes 44,2.24: Knecht Jakob/Israel); Jer 1,5 (Jeremia); Hi 10,8 ff (Hiob) und SapSal 7,1 f (König), s. dazu Hermisson, Deuterojesaja II (BK), 341 f.358 f und Berges, Deuterojesaja II (HTh.K.AT), 40 ff. Zu Jer 1,5 s. Riede, Erwählung, 115 ff, zu Hi 10,8 ff s. im Folgenden, zu SapSal 7,1 f s. Janowski, Anthropologie, 679. Die Vorstellung von der Erschaffung (des Königs) im Mutterleib ist auch in der neuass. Königsideologie belegt, s. Q 83. Der Begriff næpæš, der in V. 13–16 im Kontext von Körperbegriffen auftritt (Nieren, Mutterleib, Gebein, Ungeformtes), fungiert dabei als „Stellvertreterausdruck der Person“ (s.
180 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 15 Nicht war verborgen mein Gebein vor dir, als ich gemacht wurde (ʿāśāh pass. qal) im Verborgenen, kunstvoll gewirkt (rqm pu.) in den Tiefen der Erde. 16 Mein Embryo (golæm) sahen deine Augen, und in dein Buch werden sie allesamt geschrieben werden: die Tage, die geformt wurden, als (noch) nicht einer von ihnen war. 17 Mir aber – wie kostbar sind mir deine Absichten, Gott, wie gewaltig sind ihre Summen! 18 Wollte ich sie zählen – zahlreicher als Sand sind sie, ich wachte auf und bin immer noch bei dir.46
Auch nach Hi 10,8 ff wird der Anfang des Lebens auf den Schöpfergott zurückgeführt, der den Menschen im Mutterleib gebildet und eigenhändig zusammengefügt hat: 8 Deine Hände haben mich gebildet (ʿṣb pi.), und mich zusammengefügt (ʿāśāh + jaḥad) ringsum, doch jetzt hast du mich verschlungen. 9 Gedenk doch, dass du mich wie Lehm gemacht hast (ʿāśāh) und mich zum Staub (ʿāpār) zurückkehren lässt. vgl. Gen 3,19 10 Hast du mich nicht wie Milch ausgegossen (ntk hif.) und wie Käse mich gerinnen lassen (qpʾ hif.)? 11 (Mit) Haut und Fleisch hast du mich umkleidet (lbš hif.), und mit Knochen und Sehnen mich durchflochten (skk po.).47
Der Mensch, so weiß der Beter von Ps 139, ist von Gott „geschaffen“ (V. 13a) // „gewoben im Leib meiner Mutter“ (V. 13b),48 und dieses Wissen wird für ihn zum Gegenstand der rückblickenden Dankbarkeit (V. 14) für das Geheimnis der Geburt. V. 15 umschreibt dieses Geheimnis mit singulären Ausdrücken, wobei der Terminus „Knochen, Gebein“ (ʿoṣæm) den somatischen Aspekt der Person in den Vordergrund rückt und die Passivformulierung „ich wurde gemacht“ (V. 15a) die Schöpfungsaussagen von V. 13–14a aufnimmt. Die Angabe „im Verborgenen“ kann sich dabei auf die Erschaffung im Mutterschoß zurückbeziehen (V. 13b), aber auch auf V. 15b – „kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde“49 – vorausgreifen. Damit nimmt der Text den Motivzusammenhang von Mutterleib und Erde in den Blick, der die Besonderheit des göttlichen Zugriffs auf diesen
46 47
48 49
dazu Wagner, Körperbegriffe, 289 ff; Janowski, aaO 142 ff ) und meint den Menschen „als in seiner bedürftigen Lebendigkeit von Gott abhängige Person“ (Müller, Seele, 276). Zu diesem Text s. ausführlicher Grohmann, Fruchtbarkeit, 27 ff; dies., Anfang, 365 ff und Janowski, Anthropologie, 59 ff. S. dazu Grohmann, Anfang, 369 ff; dies., Fruchtbarkeit, 40 f und Janowski, aaO 64. Vgl. Spr 8,23 (śkk nif.) und Hi 10,11 (śkk po.). Zur Metaphorik des „Webens“ s. Grohmann, Fruchtbarkeit, 34 und dies., Anfang, 368 f. Die Vorstellung, dass das Geschehen im Mutterleib etwas Geheimnisvolles ist und mit einer Entstehung in den Erd-/Wassertiefen verbunden wird, ist sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien belegt, s. dazu Janowski, aaO 562.598 ff.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 181
„unzugänglichen, gottfernen‘ Bereich und damit das Geheimnisvolle der Entstehung des Menschen“50 betont. Diese Dimension bringt auch der Terminus „Ungeformtes, Embryo“ (golæm V. 16a) zum Ausdruck,51 bei dem es nicht um Details der Menschwerdung, sondern um den Rückgriff auf deren zeitlichen Anfang geht. Neben der Tradition von der Erschaffung eines jeden Menschen/aller Menschen/Israels52 gibt es auch die Vorstellung, dass einzelne Organe oder Körperteile von Gott geschaffen und erhalten werden und zwar das Ohr, das Auge, das Herz, die Nieren, die Knochen, die Sehnen, die Haut und das Fleisch. Bis auf Ps 51,12 – Bitte um die Erschaffung (bārāʾ ) eines „reinen Herzens“53 – weisen alle Belege ein handwerklich konnotiertes Verb auf, dessen Subjekt immer Gott ist: Erschaffung und Erhaltung Ps 33,15 Ps 40,7 Ps 94,9 Ps 94,9 Ps 139,13 Spr 20,12 Spr 29,13 Hi 10,11 Hi 10,11
er „formt“ (jāṣar) das Herz aller Menschen er hat dem Beter Ohren „gegraben“ (kārāh)54 er „pflanzt“ (nāṭaʿ) das Ohr er „formt“ (jāṣar) das Auge er hat die Nieren „geschaffen“ (qānāh) er „macht“ (ʿāśāh) das Ohr und das Auge er „erleuchtet“ (ʾwr hif.) die Augen des Armen und des Leuteschinders er hat sein Geschöpf mit Haut und Fleisch bekleidet (lbš hif.) er hat sein Geschöpf mit Knochen und Sehnen durchflochten (skk po.)
Neuschöpfung Ez 37,4–8 er „gibt“ (nātan) und „bringt“ (ʿlh hif.) über die vertrockneten Gebeine Sehnen und Fleisch und „überzieht“ (qāram) sie mit Haut, so dass sie wieder „aufleben“55
Abb. 43: Erschaffung einzelner Organe/Körperteile im Alten Testament
50
Frevel/Wischmeyer, Menschsein, 17 (Frevel), vgl. Häusl, Leib, 143 ff. golæm „Ungeformtes, Embryo“ s. Grohmann, Anfang, 368 f und Staubli/Schroer, Menschenbilder, 49 f. Gen 2,7; Dtn 4,32; Jes 64,7; Ps 119,73; 139,13 ff; Hi 10,8 ff; 31,15; Pred 7,29 u. ö. Zu diesem Text s. Janowski, Schlachtopfer, 266 ff. S. dazu ders., Tora, 184 ff. Vom „Öffnen“ (wbꜢ) der Ohren ist auch in spätägyptischen Schöpfungshymnen die Rede, s. etwa den Großen Chnum-Hymnus aus Esna (Esna III,250,6–14), wo es vom Schöpfergott Chnum heißt: „er hat die Augen (sc. des erschaffenen Menschen) geweitet / und die Ohren geöffnet, / hat den Körper Luft atmen lassen / und den Mund zum Essen geschaffen“ (Kolumne 9–10), s. zum Text Knigge, Lob, 299; Leitz, Embryologie, 28.53 und Janowski, Anthropologie, 567. Zum Text von Ez 37,1–14 s. unten 494 (Anhang I) und zur Interpretation Pohlmann, Ezechiel II (ATD), 491 ff; Sedlmeier, Ezechiel II (NSK.AT), 207 ff und Schnocks, Rettung, 162 ff. Die Aussage, dass die vertrockneten Gebeine durch das Wirken des Geistes „sich zusammenfügten eins zum anderen“ (Ez 37,7), liest sich wie eine Gegenformulierung zur Trennung der Gebeine des Beters in Ps 22,15, s. dazu Sedlmeier, aaO 218; Schnocks, aaO 205 f und unten 183.
51 Zu 52 53 54
55
182 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Die alttestamentliche Vorstellung der Menschenschöpfung verfügt noch über einen weiteren Aspekt, der zunächst eigenartig anmutet, der für das Thema „Menschenschöpfung“ aber zentral ist. Es ist die Vorstellung, dass Gott den Menschen nicht nur geschaffen hat, sondern dass er sein Geschöpf wie eine Hebamme auch aus dem Mutterleib herauszieht (Ps 22,10–12; 71,5 f ). „Du bist es, der mich aus dem Mutterleib zog“ (Ps 22,10) Die Grundstelle der Vorstellung von Gott als Hebamme ist die Vertrauensäußerung von Ps 22,10–12. Der Psalm56 setzt nach der Überschrift (V. 1) mit einem Klagelied des Einzelnen (V. 2–22) ein, das an seinem Scheitelpunkt in V. 22b in ein Dankversprechen (V. 23–27) und einen eschatologischen Schluss (V. 28–32) übergeht. Die Textgrenze zwischen Klage und Lob (V. 22/23) ist identisch mit der Sachgrenze zwischen erlebter Gottesferne und erhoffter Gottesnähe und darum der markanteste Einschnitt im gesamten Gebetsprozess. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf den Klageliedteil V. 2–22:57 Überschrift 1 Für den Musikmeister. Nach „Die Hindin der Morgenröte.“58 Ein Psalm Davids.
Klage I 2 Mein Gott, mein Gott, wozu59 hast du mich verlassen, fern von meiner Rettung, den Worten meines Schreiens? 3 Mein Gott, ich rufe bei Tag, aber du antwortest nicht, und bei Nacht, doch es gibt keine Ruhe für mich.
Vertrauensäußerung 4 Du aber (bist) heilig, thronend auf den Lobgesängen Israels. 5 Auf dich vertrauten unsere Väter, sie vertrauten, und du rettetest sie. 6 Zu dir schrien sie und wurden gerettet, auf dich vertrauten sie und wurden nicht zuschanden. 56
Zu Ps 22 s. außer den Kommentaren noch Gese, Psalm 22, 180 ff; Fuchs, Klage; Irsigler, Psalm 22, 193 ff; Spieckermann, Heilsgegenwart, 239 ff; Riede, Netz, 221 ff.307 ff; Bauks, Feinde, 14 ff.95 ff.150 ff; Bester, Körperbilder; Rechberger, Klage; Gärtner, Lebensstark, 75 ff; Janowski, Konfliktgespräche, 76 ff.348 ff; Móricz, Wie die Verwundeten, 101 ff u. a. 57 Zu den Textproblemen s. Gese, aaO 182 f; Irsigler, aaO 194 ff; Janowski, aaO 348 ff; Bester, aaO 47 ff und Rechberger, aaO 148 ff. Zur nachexilischen Datierung von Ps 22 s. Irsigler, aaO 219 ff. 58 Auf der Ebene der Endgestalt von Ps 22 hat die Korrelation von ʾajjælæt (Syntagma ʾajjælæt haššaḥar „Die Hindin der Morgenröte“ V. 1) und ʾæjālût „Stärke“ (V. 20b) eine den Sinn des Textes erschließende Bedeutung, s. dazu Janowski, Hindin, 318 ff. 59 In der Regel wird lāmāh mit „warum“ übersetzt, s. dazu Bester, Körperbilder, 47 ff (die mit „warum“ übersetzt) und Janowski, „Mein Gott“, 392 mit Anm. 98.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 183
Klage II 7 Ich aber – ein Wurm und kein Mensch, ein Gespött von Menschen und verachtet vom Volk. 8 Alle, die mich sehen, spotten über mich, sie verziehen die Lippe, schütteln den Kopf: 9 „Wälze (es) auf JHWH!“, „Er soll ihn retten, er soll ihn herausreißen, denn er hat Gefallen an ihm!“60
Vertrauensäußerung (mit Bitte V. 12) 10 Ja, du bist es, der mich aus dem Bauch zog, der mir Vertrauen einflößte an den Brüsten meiner Mutter! 11 Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß an, vom Bauch meiner Mutter her bist du mein Gott! 12 Sei nicht fern von mir, denn die Not ist nahe, denn es gibt keinen Helfer!
Klage III 13 Umgeben haben mich viele Stiere, die Starken Basans haben mich umstellt. 14 Aufgerissen haben sie gegen mich ihr Maul – ein Löwe, reißend und brüllend. 15 Wie Wasser bin ich ausgeschüttet, und getrennt haben sich alle meine Gebeine, geworden ist mein Herz wie Wachs, zerflossen in meinem Inneren. 16 Trocken wie eine (Ton-)Scherbe ist meine Kraft,61 und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und in den Staub des Todes legst du mich. 17 Fürwahr, umgeben haben mich Hunde, eine Rotte von Übeltätern hat mich umkreist wie der Löwe – meine Hände und Füße.62 18 Ich kann zählen alle meine Gebeine, sie aber blicken her, sehen auf mich (herab). 19 Sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los.
Bitte (mit Stimmungsumschwung V. 22b) 20 Aber du, JHWH, sei nicht fern, meine Stärke, zu meiner Hilfe eile herbei! 60
Zu dem mit dem Übergang von der 2. Person („wälze“) zur 3. Person („er soll …“) verbundenen Perspektivenwechsel s. Bester, aaO 57. 61 Zu dem Vorschlag, das masoretische koḥî („meine Kraft“) in ḥikkî („mein Gaumen“) zu ändern (so etwa Spieckermann, Heilsgegenwart, 240), s. Bester, aaO 61 f. 62 V. 17b ist eine klassische crux interpretum, die aber verständlich zu machen ist, nämlich als Bild für die totale – „Hände und Füße“ (oben/unten) – Handlungsunfähigkeit des bedrängten Beters, s. dazu Bester, aaO 63 ff.
184 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 21 Entreiß doch dem Schwert mein Leben, aus der Pranke des Hundes meine Einzige! 22 Rette mich aus dem Maul des Löwen und vor den Hörnern der Wildstiere – du hast mir geantwortet!
Der Klageliedteil von Ps 22 enthält drei Klagegänge (V. 2–6, V. 7–12, V. 13–22), die ein deutliches Gefälle aufweisen. Die beiden ersten Klagegänge sind dabei so aufgebaut, dass auf die Klage jeweils eine Vertrauensäußerung folgt (V. 4–6/ V. 10–12 mit Bitte V. 12). Während die erste Vertrauensäußerung JHWH als Väter- und Exodusgott prädiziert (V. 4–6), also heilsgeschichtlich orientiert ist, wechselt die zweite Vertrauensäußerung auf die biographische Ebene, indem JHWH als persönlicher Gott angesprochen wird, der den Beter seit dessen Geburt schützend umgibt (V. 10–12). Der dritte Klagegang (V. 13–19) enthält demgegenüber etwas Neues, weil er statt in eine abermalige Vertrauensäußerung in eine – gegenüber V. 12 – gesteigerte Bitte um Rettung mündet (V. 20–22), die ihrerseits die Basis für den anschließenden Dank (V. 23–27) sowie den eschatologischen Schluss (V. 28–32) ist. Die Spannung zwischen erlebter Gottesferne und erhoffter Gottesnähe ist das Grundthema des Psalms, das mit starken Bildern und Motiven ausgearbeitet wird. Der Text beginnt in V. 2 f mit dem Motiv der Gottesferne und seinem Leitwort RḤQ „fern sein“ (V. 2b), das in der Bitte „sei nicht fern (von mir)!“ (V. 12a.20a) kontrastiv aufgenommen wird: 2 Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen (ʿāzab), fern (rāḥôq) von meiner Rettung, den Worten meines Schreiens? 3 Mein Gott, ich rufe bei Tag, aber du antwortest nicht, und bei Nacht, doch es gibt keine Ruhe für mich. Verstärkt wird das Motiv der Gottesferne durch die Aussage, dass Gott den Beter „verlassen“ hat (V. 2a), dass er ihm nicht „antwortet“, so dass er keine Ruhe“ findet (V. 3) und die Not „nahe“ (qerôbāh) ist (V. 12a).63 Worin die Gottverlassenheit des Beters ihren Grund hat, wird nicht gesagt, sondern nur, dass sie den „Kern seiner Not aus(macht) und … motivierender Hintergrund aller weiteren Noterfahrungen (ist)“64. Diese Noterfahrungen werden in der zweiten Klage konkreter benannt: 7 Ich aber – ein Wurm und kein Mensch, ein Gespött von Menschen und verachtet vom Volk. 8 Alle, die mich sehen, spotten über mich, sie verziehen die Lippe, schütteln den Kopf: 9 „Wälze (es) auf JHWH!“, „Er soll ihn retten, er soll ihn herausreißen, denn er hat Gefallen an ihm!“
63 64
S. dazu auch Irsigler, Psalm 22, 199.222 und Bester, aaO 112 f. Irsigler, aaO 212.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 185
Zur Gottverlassenheit des Beters (V. 2 f ) tritt in V. 7 f die Erfahrung der Entmenschlichung („ein Wurm und kein Mensch“)65 und des Gespötts hinzu, die in den Schmähungen seiner Mitmenschen gipfelt (V. 9).66 Mit der Selbstwahrnehmung des Beters als „Wurm“ (tôlaʿat, vgl. Jes 41,14; Hi 25,6) wird „deutlich, dass der soziale Tod nicht vom körperlichen Leid zu trennen ist“67. Dieser Aspekt rückt dann im dritten Klagegang (V. 13–19) bestimmend in den Vordergrund.68 Die intensive Bitte um JHWHs Eingreifen (V. 20–22) kommt also „in der höchsten Krise“69. Wieder wird der Adressat dabei mit adversativem „aber du“ eingeführt (vgl. V. 4.10) und der Vokativ JHWH in V. 20b vom Vokativ „meine Stärke (ʾæjālût)“ aufgenommen und weitergeführt, der seinerseits auf der Endtextebene mit der Wendung „Hindin der Morgenröte“ (ʾajjælæt haššaḥar) in der Überschrift V. 1 korrespondiert:70 20 Aber du, JHWH, sei nicht fern, meine Stärke, zu meiner Hilfe eile herbei! 21 Entreiß doch dem Schwert mein Leben, Feinde aus der Pranke des Hundes meine Einzige! Hund 22 Rette mich aus dem Maul des Löwen Löwe und vor den Hörnern der Wildstiere – du Wildstiere hast mir geantwortet! Diese Bitte ist noch ganz von der Feind- und Tiermetaphorik der Klage V. 13–19 geprägt. Umso abrupter wirkt deshalb die Wendung „du hast mir geantwortet“ (ʿ anîtanî ) in V. 22b. Gegenüber der einleitenden Klage über das Schweigen Gottes (V. 3) ist damit ein Kontrapunkt gesetzt, der als antizipiertes Faktum bezeichnet werden kann.71 In diesen neu eröffneten Raum der Gewissheit tritt der Beter mit dem Aussprechen dieser Gewissheit („du hast mir geantwortet“ V. 22b) ebenso vertrauens- wie erwartungsvoll ein.72
Die Klagen von V. 2 f.7 ff.13 ff werden aber nicht einfach durch die Bitte von V. 20 ff überwunden und gleichsam ad acta gelegt. Vielmehr wachsen die Momente des Vertrauens (V. 4 ff.10 ff ) im Fortgang des Betens weiter und münden schließlich in die Bitte von V. 20 ff. Welcher Art diese Vertrauensmomente sind, ergibt sich zunächst aus dem Passus V. 4 ff, der von einer beglückenden Erfahrung spricht: 65 Nach
Riede, Netz, 307 ff steht der Wurm für die Notsituation des Beters, vgl. ders., Spiegel, 51 ff und Bester, aaO 120 ff. 66 Die Verletzungsmacht der Gegner kommt in V. 7b–9 in ihrer Mimik, Gestik und Sprache unverhohlen zum Ausdruck, s. dazu Janowski, Anthropologie, 202 ff.279 ff. 67 Gärtner, Lebensstark, 78. 68 Zu V. 13–19 s. unten 200 f. 69 Fuchs, Klage, 109. 70 S. dazu die Hinweise oben 182 Anm. 58. 71 Vgl. Fuchs, aaO 184. Die Wendung von V. 22b wird traditionell mit dem Ausdruck „Stimmungsumschwung“ belegt. Diese Bezeichnung suggeriert, dass die Wende von der Klage zum Lob plötzlich kommt und ein von außen initiiertes Geschehen („priesterliches Heilsorakel“) ist, s. dazu die Kritik von Janowski, Konfliktgespräche, 76 ff, ferner Bester, Körperbilder, 241 ff und Rechberger, Klage, 215 ff. 72 S. dazu Janowski, Angst, 160 f.
186 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
10 Ellen
10
20 Ellen
4 Du aber bist heilig, thronend auf den Lobgesängen Israels. 5 Auf dich vertrauten unsere Väter, sie vertrauten, und du rettetest sie. 6 Zu dir schrien sie und wurden gerettet, auf dich vertrauten sie und wurden nicht zuschanden.
n
Elle
10 Ellen A 20 Ellen
Abb. 44: Rekonstruktion der Keruben von 1 Kön 6,23 ff und 8,6 f
Dieser Text enthält eine Gegenwarts- (V. 4) und eine Vergangenheitsaussage (V. 5 f ). Der in V. 2 f artikulierten Erfahrung der Gottesferne wird in V. 4 mit dem Gottesprädikat „heilig“ (qādôš, vgl. Jes 6,3 u. ö.) und der Wendung „thronend auf den Lobgesängen Israels“ (jôšeb tehillôt jiśrāʾel)73 zunächst eine Vertrauensaussage gegenübergestellt, die mit dem adversativ eingeführten göttlichen „Du“ einen deutlichen Kontrapunkt setzt. Daran schließt in V. 5 f die Erinnerung an die Väter Israels an, die auf JHWH vertrauten (bāṭaḥ V. 5.6b, vgl. V. 10b) und die zu ihm schrien (zāʿaq, vgl. Ex 2,23!)74 und gerettet wurden (V. 5b.6a). So wird im Akt der Erinnerung „die Heilsgeschichte ein Teil des individuellen Ich“75 und dem leidenden Beter damit eine hoffnungsvolle Perspektive eröffnet. 73
Diese Prädikation liest sich wie eine Entsprechung zum Gottestitel „Der Kerubenthroner“ (jôšeb hakkerûbîm 1 Sam 4,4; 2 Sam 6,2; Ps 80,2 u. ö.) und seinen tempeltheologischen Implikationen (s. Abb. 44), die hier aber transformiert werden, s. dazu Hossfeld/Zenger, Psalmen I (NEB), 149 (Hossfeld) und zu den Keruben im salomonischen Tempel Janowski, Keruben, 247 ff und Keel, Geschichte, 294 ff. Diese Transformation dürfte in den Zusammenhang der tiefgreifenden Transformation des Kults gehören, die in den Psalmen an vielen Stellen zu beobachten ist, s. dazu Janowski, Schlachtopfer, 253 ff. 74 S. dazu Janowski, Erinnerung, 181 ff. 75 Rechberger, Klage, 313, vgl. Gärtner, Lebensstark, 80 f.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 187
Der Beter erinnert sich aber nicht nur an die Rettung Israels in Ägypten, sondern auch an seine eigene Geburt:76 10 Ja, du bist es, der mich aus dem Bauch (bæṭæn) zog, der mir Vertrauen einflößte an den Brüsten meiner Mutter (šedê ʾimmî)! 11 Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß (ræḥæm) an, vom Bauch meiner Mutter (bæṭæn ʾimmî ) her bist du mein Gott! 12 Sei nicht fern von mir, denn die Not ist nahe, denn, es gibt keinen Helfer!
Unmittelbar vor dieser Vertrauensäußerung steht die zweite Klage (V. 7–9), die mit einem Feindzitat endet: „Wälze (es) auf JHWH!“, „Er soll ihn retten, er soll ihn herausreißen (nṣl hif.), denn er hat Gefallen an ihm!“ (V. 9)
Aber wird JHWH den Beter „herausreißen“, weil er Gefallen an ihm hat (V. 9b), oder bleibt es dabei, dass es für ihn keinen „Helfer“ gibt, wie es kategorisch in V. 12b heißt? Für den Beter ist das (noch) nicht zu beantworten, weil die Not nahe ist (V. 12a) und sie ihm nach V. 13–19 buchstäblich auf den Leib rückt.77 Stattdessen erinnert er sich an den Tag seiner Geburt, als JHWH ihn aus dem Mutterleib „herauszog“ (gāḥāh V. 10a)78 und ihm „Vertrauen“ an den Brüsten seiner Mutter einflößte (bāṭaḥ hif. V. 10b). Nimmt man V. 11 hinzu, so wird der Zusammenhang zwischen Anthropologie (Geschöpflichkeit) und Theologie (Gott als Hebamme) vollends deutlich. Das Kind, das Gott aus dem Mutterleib herauszieht und an die Brüste seiner Mutter legt, wird damit nicht nur in die Eltern-, sondern auch in die Gottesbeziehung hineingeboren, wodurch ein lebenslanges Vertrauensverhältnis begründet und in der persönlichen Gottesbezeichnung „mein Gott“ (V. 2 f.11) wachgehalten wird. Dieses Urvertrauen ist auch nach Ps 71,5 f eine Kraft, die die lebenslange Beziehung des Beters zu seinem Gott begründet und trägt: 5 Denn du bist meine Hoffnung, Adonaj JHWH, meine Zuversicht von meiner Jugend an. 6 Auf dich habe ich mich gestützt vom Mutterleib (bæṭæn) an, vom Inneren meiner Mutter (meʿê ʾimmî ) an bist du mein Entbinder (gozî), durch dich ist mein Lobpreis beständig.79 76
S. dazu Bester, Körperbilder, 131 ff; Grohmann, Fruchtbarkeit, 52 ff; dies., Anfang, 380 ff; Janowski, Anthropologie, 68 f und Móricz, Wie die Verwundeten, 128 ff. Spieckermann, Heilsgegenwart, 243 hält V. 10 f dagegen für sekundär, weil dieser Passus seiner Meinung nach „den Klageteil an unpassender Stelle und auf ungeschickte Art“ unterbricht. Passender und geschickter könnte die Position von V. 10 ff im Kontext des Psalms aber gar nicht sein, s. dazu Janowski, Angst, 145 ff.155 ff. 77 S. dazu unten 200 f. 78 Das Verb gāḥāh (hier Ptz. + Suff. 1. c. Sg.: „der, der mich herauszieht > meine Hebamme“) ist ein Hapaxlegomenon, s. dazu Bester, aaO 133 ff und Grohmann, Fruchtbarkeit, 52 ff. 79 S. dazu Grohmann, aaO 58 ff und Bester, aaO 141 ff. Mit gāzāh (hier Ptz. + Suff. 1. c. Sg.: „der, der mich abschneidet > mein Entbinder“) ist die Durchtrennung der Nabelschnur
188 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
So sind die Entstehung des Menschen im Mutterleib und die Geburt „ein von Gott begleiteter Vorgang. Göttliches und menschliches Handeln gehen ineinander über. Das betende Ich holt die eigene Geburt in die Lebensgeschichte, macht sie zum Bild für sein Verhältnis zu Gott“80. Diese kreatürliche Beziehung von Schöpfer und Geschöpf kommt auch in der Namengebung zum Ausdruck. Exkurs 5: Schöpfungsnamen Albertz, Weltschöpfung, 155 ff ◆ Ders., Individualität, 142 ff ◆ Albertz/Schmitt, Religion, 277 ff.587 ff ◆ Bührer, Anfang, 321 Anm. 261 ◆ Janowski, Tora, 181 ff ◆ Noth, Personennamen, 169 ff ◆ Rechenmacher, Theologie, 156 ff ◆ Ders., Personennamen, 134 ff ◆ Renz, Gottes Wesen, 124 f.163 ff. Die Geburt eines Kindes ist für jedes Elternpaar ein Grund zur Freude und Dankbarkeit. Denn sie macht auf eine elementare Weise bewusst, dass das menschliche Leben auf Voraussetzungen beruht, über die derjenige, der sich als dankbar erweist, nicht verfügt.81 Das drückt sich auch in der Namengebung aus, die die Geburt als Geschenk des Schöpfergottes preist und dem Neugeborenen einen entsprechenden „Danknamen“ gibt.82 Das Alte Testament enthält mehrere Personennamen, die mit Schöpfungsverben (bānāh „bauen“, bārāʾ „schaffen, hervorbringen“, ʿāśāh „machen, erschaffen“, pāʿal „machen, schaffen“, qānāh „schaffen“) und einem theophoren Element (JHWH oder Gott) gebildet sind.83 Dazu treten die drei Nomina jeṣær „Gebilde“, maʿ aśæh „Werk“ und miqnæh „Geschöpf “, die z. T. ebenfalls um ein theophores Element erweitert sind (s. Abb. 45). Insgesamt sind die mit diesen Verben und Nomina gebildeten Personenamen über 90-mal belegt.84 Wenn auch mit diesen Namen nicht von JHWHs Schöpferwirken generell die Rede ist, so ist es doch „sehr wahrscheinlich, dass … ganz konkret die Erschaffung des Namensträgers gemeint ist. Sie sind dann als ein Reflex der in der Volksfrömmigkeit be-
gemeint, s. dazu Bester, aaO 141 Anm. 252 und Albertz, Individualität, 141 Anm. 33. Noch weiter zurück, nämlich bis zur Erschaffung im Mutterleib durch Gott, geht der Beter nach Ps 139,13–18 zurück, s. dazu oben 179 ff. 80 Grohmann, Anfang, 381 f, vgl. dies., Fruchtbarkeit, 67 f; dies., Art. Geburt, 180 f und Albertz, aaO 140 f. 81 Zum Thema „Dankbarkeit“ s. Janowski, Dankbarkeit, 267 ff. 82 So im Anschluss an Noth, Personennamen, 169 ff, der die Schöpfungsnamen unter die Danknamen einordnet. Die allgemeinste Formel für diesen Dank ist die Aussage, dass JHWH das Kind „gegeben“ hat (nātan), z. B. netanʾel „Gegeben hat Gott (das Kind)“ (Num 1,8; 2,5; 7,18 u. ö.) oder netanjāh „Gegeben hat JH (das Kind)“ (2 Kön 25,23.25; Jer 4,14 f u. ö.), s. dazu ders., aaO 170. 83 Nach Renz, Gottes Wesen, 14 f.163 ff und Rechenmacher, Personennamen,157 ist möglicherweise auch der PN ʾamarjāh(û) „Gesprochen hat JH(W)“ (Zeph 1,1; 1 Chr 5,33; 23,19 u. ö.) auf die Menschenschöpfung durch das Gotteswort im Sinn von Gen 1,26 zu beziehen, s. dazu auch Noth, aaO 173 und Bührer, Anfang, 321 Anm. 261. Rechenmacher, aaO 136 hält es darüber hinaus für möglich, dass auch die mit kûn pol. „aufstellen, bereiten, gründen“/ kûn hif. „herstellen, gründen schaffen“ gebildeten PNN wie jehôjākîn (2 Kön 24,6.8.12 u. ö.) einen Schöpfungsbezug haben. 84 S. dazu Albertz, Weltschöpfung, 155 ff; ders., Individualität, 142 ff und Rechenmacher, aaO 134 ff.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 189
Namen mit Schöpfungsverben – ʾælʿāśāh „Gott hat gemacht“ Jer 29,3; 1 Chr 2,39 f; Esr 10,22 u. ö. – ʾælpaʿal „Gott hat gemacht“ 1 Chr 8,11 f.18, vgl. Hi 36,3 (poʿ alî „mein Schöpfer“) – ʾælqānāh „Gott hat geschaffen“ 1 Sam 1 ff; 2,11.20; Ex 6,24 u. ö., vgl. Ps 139,13 (qānāh „schaffen“ mit Subj. JHWH) – berāʾjāh „Geschaffen hat JH“ 1 Chr 8,21 – benājāh „Gebaut hat JH“ 2 Sam 20,23; 1 Chr 4,36; 11,22 u. ö., vgl. Gen 2,22 (bānāh „bauen“ mit Subj. JHWH) – benājāhû „Gebaut hat JHW“ 2 Sam 8,18; 23,20.22; 1 Kön 1 ff u. ö. – ʿ aśāhʾel „Gemacht hat Gott“ 2 Sam 2,18 ff; 3,27.30; 23,24 u. ö., vgl. ʿ aśāhjāh(û) 2 Kön 22,12.14; 2 Chr 34,20 u. ö.
Namen mit Schöpfungsnomina – jesær „Gebilde (sc. JHWHs)“ Gen 46,24; Num 26,49; 1 Chr 7,13, vgl. Gen 2,7; ˙ Jer 1,5 (jāṣar „formen“ mit Subj. JHWH)85 – maʿ aśehjāh „Werk JHs“ Jer 21,1; 29,5; 37,3 u. ö., vgl. maʿ aśehjāhû 1 Chr 15,18.20; 2 Chr 23,1 u. ö. – miqnehjāhû „Geschöpf JHWs“ 1 Chr 15,18.21 – poʿ alî „mein Schöpfer“ Hi 36,3
Abb. 45: Schöpfungsnamen (Altes Testament) heimateten Menschenschöpfung zu werten“86. Die Frage ist natürlich, wie alt diese Vorstellung ist. Einen Hinweis könnten die Personennamen ʿ aśāhʾel „Gemacht hat Gott“ (Bruder Joabs 2 Sam 2,18 ff u. ö.), ʾælqānāh „Gott hat geschaffen“ (Vater Samuels 1 Sam 1,1 ff u. ö.) und benājāhû „Gebaut hat JHW“ (Kommandant der Söldner Davids 2 Sam 8,18; 23,20.22 u. ö.) geben, die in die frühe Königszeit (10./9. Jh. v. Chr.) gehören dürften. Überbewerten sollte man diesen Sachverhalt nicht. Immerhin kann man, wie R. Albertz zu Recht einwendet, „zumindest so viel sagen, dass potentiell schon für den Israeliten in der Frühzeit der Staatenbildung die Menschenschöpfung eine Möglichkeit war, sein Vertrauensverhältnis zu seinem Gott auszudrücken“87. Unterstützung findet dieses Argument in der althebräischen Epigraphik. Denn im Korpus der althebräischen Inschriften gibt es 39 Personennamen mit Schöpfungsbezug, die insgesamt 148-mal belegt sind und aus dem 9.–6. Jh. v. Chr. stammen.88 Dazu gehören die folgenden Namen: – – 85
gmrjhw „Vollendet hat es JHW“ (von der Geburt gesagt)89 jhwbnh „JHW hat (das Kind) gebaut“90
Arad (8./7. Jh. v. Chr.), vgl. gemarjāh(û) Jer 29,3; 30,10 ff u. ö. Lachisch (7./6. Jh. v. Chr.), vgl. benājāhû 2 Sam 8,18; 23,20.22 u. ö.
S. dazu die Belege oben 35. Albertz, Weltschöpfung, 156. 87 Ders., ebd. 88 S. dazu Albertz/Schmitt, Religion, 277 ff.587 ff. Das Verb brʾ „schaffen, hervorbringen“ kommt dabei nicht vor. 89 S. dazu Renz/Röllig, HAE I, 146; dies., HAE II, 64 und Albertz/Schmitt, aaO 591. 90 S. dazu Renz/Röllig, HAE I, 313 f; dies., HAE II, 70 und Albertz/Schmitt, aaO 587. 86
190 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt – jwʿśh „JW hat (das Kind) gemacht“91 – mqnhjhw „Geschöpf JHWs“92 1 Chr 15,18.21 – sbkjhw „Geflochten hat JHW (das Kind im Mutterleib)“93
Kuntillet ʿAǧrūd (9. Jh. v. Chr., vgl. ʾælʿāśāh Jer 29,3; 1 Chr 2,39 f u. ö. Arad (8. Jh. v. Chr.), vgl. miqnehjāhû Lachisch (6. Jh. v. Chr.), vgl. sibbekaj 2 Sam 21,18 und sachlich Ps 139,13 (sākak „weben [im Mutterleib]“); Hi 10,11(skk po.)
Abb. 46: Schöpfungsnamen (Althebräische Epigraphik) Angesichts dieses Sachverhalts ist die von H. Spieckermann vertretene These, dass die Vorstellung der Menschenschöpfung in vorexilischer Zeit zwar bekannt, aber ohne theologische Relevanz war,94 nicht zu halten. Wie die Schöpfungsnamen – für die es auch vorexilische Belege im Alten Testament und in der althebräischen Epigraphik gibt (s. Abb. 45 und 46) gibt – zeigen, handelt es sich vielmehr um einen „zentralen Glaubensinhalt der altisraelitischen Religion“95. Für die „Stärkung des Selbstwertgefühls und der Ausbildung einer lebensbejahenden Individualität“96 ist dieser Glaube an den persönlichen Schöpfer von elementarer Bedeutung. 𓇼
2. Bilder des blühenden und zerbrechenden Lebens Altes Testament: Berlin, Reading, 25 ff ◆ Görg, Art. Bildsprache, 298 f ◆ Grohmann, Me-
tapherntheorien, 1153 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 21 ff.453 ◆ Müller, Vergleich ◆ Schweizer, Art. Metaphorik, 791 f ◆ Weippert, Welterfahrung, 179 ff ◆ Westermann, Vergleiche. – Antike Religionen: Grapow, Ausdrücke, 69 ff.99 ff ◆ Streck, Bildersprache, 172 ff.177 ff.209 f. – Literaturwissenschaft, Systematische Theologie: Anderegg, Sprache, 59 ff ◆ Dalferth, In Bildern denken, 165 ff ◆ Etzelmüller, Ebenbild, 171 ff.
Für den Zusammenhang von Schöpfung und Menschenbild, den wir bisher betrachtet haben, sind die Schilderungen vom Anfang des menschlichen Lebens (Erschaffung, Geburt, Namengebung) von grundlegender Bedeutung, weil sie die Geschöpflichkeit auf elementare Weise zum Thema machen. Geschöpflichkeit ist aber nicht nur eine Anfangsbestimmung, sie prägt das gesamte menschliche Leben von der Wiege (vgl. Ps 22,10 f u. ö.) bis zur Bahre (vgl. Ps 103,15 f u. ö.). Im Alten Testament, aber auch in den Kulturen seiner Umwelt (Ägypten, Mesopotamien, Syrien-Palästina u. a.) wird dieser Sachverhalt immer wieder in Vergleiche und Metaphern gekleidet, die aus der Tier- und Pflanzenwelt stammen.97 91
S. dazu Renz/Röllig, HAE I, 61; dies., HAE II, 71 und Albertz/Schmitt, aaO 588. S. dazu Renz/Röllig, HAE I, 112.114; dies., HAE II, 74 und Albertz/Schmitt, aaO 279.589. 93 S. dazu Renz/Röllig, HAE I, 431; dies., HAE II, 77 und Albertz/Schmitt, aaO 278.587 und zu sibbekaj Ges18, 871 s. v. 94 So Spieckermann, Heilsgegenwart, 83 Anm. 33. 95 Albertz, Individualität, 142. 96 Ders., aaO 143. 97 Zur Tier- und Pflanzenmetaphorik in ägyptischen und mesopotamischen Texten s. Grapow, Ausdrücke, 69 ff.99 ff und Streck, Bildersprache, 172 ff.177 ff.209 f. 92
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 191
Dabei gilt: Vergleiche und Metaphern sind keine ästhetische Ausschmückung der Wirklichkeit, sondern Ausdruck eines Wirklichkeitsverständnisses, das man mit H.‑P. Müller als religiöse Daseinsaneignung bezeichnen kann.98 „Daseinsaneignung“ bedeutet: im Vergleich wird das Geschick des Menschen so eng mit der Realwelt, in der er lebt, verbunden, dass dem Vergleichsempfänger (Beter, Beterin) etwas vom Wesen des Vergleichsspenders (Pflanzen, Tiere, Dinge) zugeeignet wird. In dieser Weise sind Metaphern Sinnexperimente, die „mit den semantischen Möglichkeiten der Sprache (spielen), indem sie im Rückgriff auf sprachlich Vertrautes Unerwartetes zusammenstellen“99. Ein solches ‚Denken in Bildern‘ zeigen auch die folgenden Textbeispiele, die die Erfahrung der Kreatürlichkeit eindrücklich vor Augen führen. a) Wie ein Baum an Wasserkanälen (Ps 1) Barbiero, Psalmenbuch, 31 ff ◆ Bezzel, Das Grünen, 7 ff ◆ Brown, Seeing, 55 ff ◆ Ebach, Freude, 2 ff ◆ Janowski, Baum, 199 ff ◆ Lohfink, Einsamkeit, 163 ff ◆ Neumann-Gorsolke/ Riede, Pflanzennamen, 222 ff ◆ Ders., Der Gerechte, 19 ff ◆ Seybold, Poetik 1, 193 ff ◆ Sticher, Die Gottlosen, 251 ff ◆ Weber, Baum, 80 ff ◆ Wehrle, Ps 1, 215 ff ◆ Wolff, Psalm 1, 134 ff.
Ps 1, der zusammen mit Ps 2 das „Tor zum Psalter“ bildet, ist ein besonderer Text. Denn er formuliert seine Botschaft – die Botschaft vom gelingenden Leben (vgl. V.3) – in einer Diktion, die das Abstrakte, nämlich die Antithese von Gerechten und Frevlern, mit dem Konkreten, nämlich den Bildern von Baum und Spreu, auf eine ebenso überraschende wie zwingende Weise verbindet. Am Ende fasst er diese Botschaft in eine doppelte „Weg“-Aussage, die die beiden Lebensmodelle scharf einander gegenüberstellt:100 Der Weg des Gerechten 1 Glücklich der Mann, der nicht gegangen ist nach dem Rat von Frevlern, und den Weg von Sündern nicht betreten hat, und am Sitz(platz) von Spöttern nicht gesessen hat, 2 sondern der an der Weisung JHWHs sein Gefallen hat und seine Weisung rezitiert bei Tag und bei Nacht. 3 Er wird sein wie ein Baum (ʿeṣ), gepflanzt an Wasserkanälen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und dessen Laub nicht verwelkt. Und alles, was er tut, wird gelingen. 98
S. dazu Müller, Vergleich, 49 ff. Dalferth, In Bildern denken, 166, vgl. Schweizer, Metaphorik, 791 und zur Sache grundsätzlich Berlin, Reading, 25 ff; Görg, Art. Bildsprache, 298 f; Janowski, Konfliktgespräche, 21 ff; Grohmann, Metapherntheorien, 1153 ff und aus literaturwissenschaftlicher Sicht Anderegg, Sprache, 59 ff. 100 Zu Ps 1 s. außer den Kommentaren noch Wolff, Psalm 1, 134 ff; Lohfink, Einsamkeit, 163 ff; Wehrle, Ps 1, 215 ff; Ebach, Freude, 2 ff; Janowski, Baum, 199 ff; Weber, Baum, 80 ff u. a. 99
192 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Der Weg der Frevler 4 Nicht so die Frevler, sondern wie die Spreu (moṣ) (sind sie), die der Wind verweht. 5 Darum stehen nicht auf Frevler im Gericht und Sünder in einer Versammlung von Gerechten.
Fazit: Die beiden Wege 6 Denn JHWH kennt den Weg von Gerechten, aber der Weg von Frevlern vergeht.101
Wie seine Struktur deutlich macht, ist das Thema von Ps 1 die poetische Beschreibung eines Lebensmodells,102 das auf dem scharfen Kontrast von Gerechtem und Frevler beruht. Dieser Kontrast wird in V. 1 als Bewegungsablauf mit den Phasen Gehen → Stehen → Sitzen dargestellt, der die Distanzierung des Gerechten vom Lebenswandel der Frevler mit Hilfe negativ konnotierter Wegmetaphern ausdrückt. Dem wird in V. 2 f ein Bild von statischer Ruhe gegenübergestellt, das den die Tora rezitierenden Gerechten mit einem fruchtbaren Baum vergleicht. Wenden wir uns zunächst diesem Bildzusammenhang zu. Der Weg des Gerechten Schon der erste Beleg des Lexems „Weg“ (dæræk) in V. 1 zeichnet sich durch eine Überschneidung der nicht-metaphorischen („Weg [auf dem man geht]“) und der metaphorischen Bedeutungsebene („Lebenswandel“)103 aus und gibt damit einen wichtigen Verstehenshinweis. Dem Weg-Lexem von V. 1 tritt in V. 2 die doppelte Tora-Aussage an die Seite, die das Sinnzentrum der ersten Strophe bildet. Anders als die Frevler hat der „Mann“ bzw. der Gerechte ein positives Verhältnis zur „Weisung“ (tôrāh) JHWHs, das in den beiden Stichen von V. 2 nach seiner emotionalen („Gefallen“) wie nach seiner kognitiven Seite (hāgāh „murmeln, rezitieren“, vgl. Jos 1,8)104 entfaltet wird. Dabei legt die Aussage von V. 2b wohl das Vorhandensein einer Schriftgestalt der Tora (Buchrolle?) nahe, wobei Verbform (hāgāh Impf.) und Zeitangabe („bei Tag und bei Nacht“) eine andauernde und intensive Lesetätigkeit im Blick haben, die man als eine Art „Einverleibung“ des schriftgewordenen Gottesworts verstehen kann:
101 Zu
den textkritischen Problemen und zur Komposition s. Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 9 ff (Janowski). 102 Vgl. Wolff, Psalm 1, 137, der im Blick auf das Tun der Frevler von einem „klar ausgeprägten Lebensstil der Gottlosigkeit“ spricht. 103 Zur alttestamentlichen Wegmetaphorik s. Hartenstein/Janowski, aaO 25 f (Janowski) mit den dortigen Hinweisen. Aufschlussreich für Ps 1 ist auch die ägyptische Wegmetaphorik, wie sie besonders in den Lebenslehren zum Ausdruck kommt. Als Beispiel s. Q 34. 104 S. dazu dies., aaO 10.30 (Janowski) mit den dortigen Hinweisen.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 193
„Es ist das besinnliche Lesen gemeint, das sich das Wort mit leiser Unterstützung der Stimme einprägt, das laute Nachdenken, das nichts überhören möchte; in ein einziges Wort läßt sich sein innerer Sinn wohl nur fassen mit Hilfe des mittelalterlichen meditari. Wir sind zu schnell aus auf neue Gedanken, statt daß wir uns das Wort selber halblaut lesend so vorsagen, daß wir es in unser Herz beharrlich hineinbewegen … auf solches meditierende, halblaute Lesen, das nur dem eignen Herzen das Wort zu Gehör bringen möchte, werden wir hier verwiesen. Es scheint das regelmäßige Kennzeichen eines hungrigen, fruchtbaren Umgangs mit der Heiligen Schrift zu sein.“105
Die Tora ist eine in Herz (vgl. „Gefallen“) und Mund (vgl. „rezitieren“) zu bewegende Größe, von der sich der Seliggepriesene so sehr ergreifen lässt, dass sie ihm zur Weisung für das eigene Leben wird.106 So ist die „Tora JHWHs“ zwar nicht literarisch mit dem Psalter identisch, der Sache nach ist sie aber transparent auf den gesamten Psalter hin, der seinerseits von ihren Wirkungen im Leben des Einzelnen und der gesamten Schöpfung (Ps 19)107 handelt und in den der Eröffnungspsalm den Leser mit seinen weisheitlichen Lebens- und Todes-Bildern (V. 3 f ) einweist. Mit V. 3 erreicht die erste Strophe ihre Klimax und mündet in das Bild von einem Baum (ʿeṣ), der an Wasserkanälen gepflanzt ist und seine Frucht bringt „zu seiner Zeit“. Jetzt wird, wie R. Alter treffend bemerkt hat, die „ziellose Bewegung“ der Frevler in ein Bild von „statischer Ruhe“ überführt,108 so dass aus der – vermiedenen – Vergesellschaftung des Gerechten mit den Frevlern dessen Verwurzelung in der Nähe des lebenspendenden Wassers wird. Eine solche Konkretheit und Treffsicherheit des Gedankens – und zwar des Gedankens, dass sich der Gerechte am richtigen und nicht am falschen Ort aufhält – erreicht nur die metaphorische Sprache. Wie gesagt: Metaphern sind Sinnexperimente, die das übliche Sachverständnis durchbrechen und mit vertrautem Sprachmaterial („Baum“, „pflanzen“, „Wasserkanäle“, „Frucht“) eine unerwartete Sicht auf das Leben schaffen.109 Ps 1 fasst diese Sicht in zwei berühmte Naturbilder: in das Bild des fruchtbringenden Baums (V. 3a) und in das Bild der verwehten Spreu (V. 4b). Diese Metaphorik dient nicht der vordergründigen Illustration, sondern sie evoziert, wie auch das passive Partizip šātûl („gepflanzt“ V. 3a) und der Topos vom „Wissen“ JHWHs (V. 6a) deutlich machen, die hintergründige Macht des Schöpfergottes. Der Baumvergleich von V. 3a dürfte eine Sachparallele in Jer 17,5–8 haben,110 wo in V. 8aα eine nahezu identische Phrase (im Folgenden kursiv) begegnet, die aber in einem anderen 105 Wolff,
Psalm 1, 143 f, vgl. Ebach, Freude, 3. Torabegriff s. Hartenstein/Janowski, aaO 29 f (Janowski). 107 S. dazu Grund, Himmel, 213 ff und unten 433 ff. 108 S. dazu Alter, Art, 117, vgl. 114 ff und Seybold, Poetik 1, 252. 109 S. dazu die Hinweise oben 190 f. 110 S. dazu Schmidt, Jeremia I (ATD), 297 ff; Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 550 ff und Bezzel, Das Grünen, 15 ff. 106 Zum
194 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt Kontext steht. Auch hier ist von zwei unterschiedlichen Menschentypen die Rede: von dem Mann, der auf Menschen und von dem Mann, der auf JHWH vertraut. Der eine ist wie ein Dornstrauch in der Steppe, der andere wie ein fruchtbarer Baum am Wasser: 5 So spricht JHWH: Verflucht der Mann, der auf Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arm macht, und dessen Herz sich von JHWH abwendet. 6 Er wird sein wie ein Dornstrauch (ʿarʿār)111 in der Steppe, und nicht sieht er, dass Gutes kommt, und er wird bewohnen ein Lavafeld in der Wüste, salziges Land, das nicht bewohnbar ist. 7 Gesegnet der Mann, der auf JHWH vertraut und dessen Zuversicht JHWH ist! 8 Er wird sein wie ein Baum (ʿeṣ), gepflanzt am Wasser, und an einen Kanal streckt er seine Wurzeln aus, und er fürchtet112 nicht, dass Hitze kommt, und sein Laub ist grün, und in einem Jahr der Dürre ist er unbesorgt und lässt nicht ab, Frucht zu bringen.
Abb. 47: Palmen und Sykomoren am Wasserkanal (Ägypten, 19. Dyn.)
Für Jer 17,7 f wie für Ps 1,3a ließe sich dabei an ägyptische Darstellungen wie diejenige aus dem Grab des Sennudjem aus Deir el Medine (s. Abb. 47) denken. Dennoch ist die terminologische und motivliche Differenz zwischen Jer 17,5–8
111 S.
dazu Bezzel, aaO 15 Anm. 47. mit dem Ketib, s. dazu Schmidt, aaO 298 mit Anm. 21 und Bezzel, aaO 16 mit Anm. 48.
112 So
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 195
und Ps 1,3 f nicht zu übersehen.113 So ist in Ps 1,3a die von Jer 17,8 abweichende Wendung „gepflanzt an Wasserkanälen“ zu beachten, die das Bild eines ertragreichen und mit künstlich angelegten Wasserrinnen bzw. -kanälen (pælæg)114 versehenen Baumgartens im semiariden Klima Palästinas evoziert. Ob damit ein tempeltheologischer Vorstellungshintergrund anzunehmen ist, ist schwer zu entscheiden. Möglicherweise ist der Text aber offen auf diese Sinndimension.115 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang vor allem Ez 47,12, wonach das Laub der Fruchtbäume, die am Ufer des aus dem Tempelareal austretenden und das Tote Meer „heilenden“ Stroms emporwachsen, „nicht welken und seine Frucht kein Ende nehmen wird“116: Und am Bach, an seinem Ufer, wird auf beiden Seiten allerlei Fruchtbaum emporwachsen. Sein Laub wird nicht welken, und seine Frucht kein Ende nehmen. Zu seinen Monaten (= jeden Monat) wird er erste Früchte tragen, denn seine Wasser – aus dem Heiligtum (miqdāš) fließen sie heraus. Und seine Frucht wird zur Speise dienen, und sein Laub zur Arznei. (Ez 47,12)
Abb. 48: Libanonzeder (Cedrus libani, Holzschnitt) 113 S.
dazu Weiss, Bible, 151 ff; Creach, Tree, 37 ff; Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 552 ff und Bezzel, aaO 19 ff. 114 Vgl. Jes 30,25; 32,2; Ps 46,5 und 65,10, s. zur Sache Creach, aaO 41 ff.46; Janowski, Wohnung, 56 f; Brown, Seeing, 74 f; Keel, Geschichte, 327 f und unten 365 ff. 115 Vgl. Weber, Baum, 90 f u. a. 116 S. dazu Creach, aaO 39 ff, ferner Pohlmann, Ezechiel II (ATD), 616 (Th.A. Rudnig); Konkel, Architektonik, 279 f und unten 364 ff.
196 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Der Zusammenhang zwischen fruchtbringenden Bäumen und lebenspendendem Wasser117 ist offenbar ein fester, auch in der ägyptischen Weisheitsliteratur belegter Motivkomplex (s. Q 35). Für den Baumvergleich von Ps 1,3a sind außer den genannten Texten noch Ps 52,10 und 92,13–16 zu beachten, wonach der Gerechte/die Gerechten Bäumen (Ölbaum, Palmen, Zedern, s. Abb. 48) gleichen, die im Haus Gottes gepflanzt sind und in dessen Vorhöfen emporsprossen: Ich aber bin wie ein grüner Ölbaum (zajit raʿ anān) im Haus Gottes, ich vertraue auf die Güte Gottes für immer und ewig. (Ps 52,10) 13 Der Gerechte sprosst wie die Palme (tāmār), wie eine Zeder (ʾæræz) auf dem Libanon wächst er empor. 14 Die sind gepflanzt im Haus JHWHs, in den Vorhöfen unseres Gottes sprossen sie empor. 15 Noch im Alter gedeihen sie, fett und grün werden sie sein, 16 um kundzutun, dass aufrecht JHWH ist, mein Fels, und kein Unrecht ist an ihm.“ (Ps 92,13–16)118
Man sollte ein Bildwort wie Ps 1,3a nicht vorschnell verallgemeinernd auflösen – etwa: „Der Gerechte wird Erfolg haben“ –, sondern als klare Sachverhaltsaussage verstehen: Der Gerechte ist wie ein Baum, der „sprosst, blüht“ (pāraḥ)119 und dessen Leben sein Ziel oder seinen Sinn, eben seine „Frucht“ erreicht. Besonders interessant dafür ist Spr 11,28–30, wo der Konnex zwischen dem „Sprossen des Gerechten“ (Spr 11,28) und der „Frucht des Gerechten“ (Spr 11,30) dem Gedanken Ausdruck verleiht, dass „der Ertrag, den der Gerechte bewirkt, … für andere wie der Gewinn des Lebens (ist)“120: 28 Wer auf seinen Reichtum vertraut, wird fallen, aber wie das Laub (ʿālæh) sprossen die Gerechten. 29 Wer sein Haus feindselig behandelt, wird Nichts erben, und ein Sklave wird (solch) ein Selbstkluger bei einem Kundigen. 30 Die Frucht des Gerechten ist ein Baum (ʿeṣ) des Lebens, und Lebewesen nimmt ein Weiser (für sich) ein. (Spr 11,28–30)121
Dieser Text spricht vom „blühenden“, d. h. gelingenden Leben und sieht dieses Gelingen in einer Lebenspraxis, deren Lohn bzw. „Frucht“ das Glück der Gottesnähe ist. Nach Ps 1,3a bringt der Gerechte diese Frucht „zu seiner Zeit“ (beʿittô),
117 Fruchtbaum:
Ps 1,3a; Ez 47,12, vgl. Ps 52,10; 92,13–16; Wassergräben: Ps 1,3a, vgl. Ps 46,5; 65,10; Tempelstrom: Ez 47,12. 118 S. dazu Sticher, Die Gottlosen, 254 ff. 119 Für die Verbindung ṣaddîq („Gerechter“) + pāraḥ („blühen“) s. noch Ps 72,7; 92,13; Spr 11,28 und von Gemünden, Vegetationsmetaphorik, 55 ff, vgl. 66 ff.86 ff.89 ff; Hossfeld/ Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 306.322 (Zenger) und Janowski, Frucht, 188 ff. 120 Meinhold, Sprüche (ZBK.AT), 201. 121 Mit nepāšôt (V. 30) sind „andere Menschen“ gemeint, vgl. Schipper, Sprüche I (BK), 697.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 197
d. h. zu der Zeit, die erwartbar ist, deren Kairos aber unverfügbar bleibt, weil er in der Hand Gottes liegt.122 Wenn nach dem Winterregen und der Sommerhitze die Zeit der Reife gekommen ist, kann man in der Regel mit der Ernte rechnen – in der Regel! Und diese Regelhaftigkeit enthält das Moment der Erwartungsgewißheit, das etwas anderes ist als Erwartungssicherheit. Wie die abschließende Gelingensaussage von V. 3b – „Und alles, was er tut, wird gelingen“ – resümiert, geht es in der Baummetapher von V. 3a also um zweierlei: um die gute Wirkung eines Wachstums- und Reifevorgangs in der natürlich-vegetativen und – im Sinn des Vergleichs – eines Tuns in der geschichtlich-sozialen Welt123 sowie um die Unverfügbarkeit dieses Zusammenhangs von Tun und Ergehen. Dieser Aspekt kommt dann in der „Weg“-Aussage von V. 6a zur Geltung. Der Weg der Frevler Aus dem Aussagegefälle der ersten Strophe (V. 1–3) wird in der zweiten Strophe (V. 4 f ) die Folgerung gezogen. Dies geschieht so radikal, dass nicht vom Tun, sondern ausschließlich vom Ergehen der Frevler die Rede ist. Was mit ihnen geschieht, wird wieder in ein Bild gefasst, und zwar in das Bild der beim Worfeln verwehten Spreu. Das Worfeln ist der Vorgang, bei dem das auf der Tenne liegende, gedroschene Getreide gegen den (West-)Wind geworfen wird, der die Spreu und die gröberen Strohteile, den Häcksel, ein Stück weit wegweht (s. Abb. 49). Ging es in der Baummetapher von V. 3a um eine Verbindung zwischen dem Gerechten und der Tora JHWHs, so geht es jetzt um eine Trennung, nämlich des Korns, das in den Speicher kommt, von der Spreu, die davonfliegt.124 Mit dieser „eschatologischen Metapher der Spreu“125 wird die endzeitliche Konnotation vorbereitet, die dann in der Auslegungsgeschichte von V. 5 (LXX, Vulgata) eine große Rolle spielt.126 Das Bild von der verwehten Spreu (V. 4) wird in V. 5 als eine dramatische Geschichte ausgelegt: als die Geschichte der Frevler und Sünder, die im Gericht und in der Versammlung von Gerechten nicht „aufstehen/bestehen“. Erst jetzt bekommt auch der seliggepriesene „Mann“ von V. 1 einen Namen, nämlich „Gerechter“ – „und er hat ihn nicht allein, sondern ist Glied einer Versammlung“127, nämlich der Versammlung von Gerechten. Was dabei mit dem „Gericht“ (mišpāṭ) gemeint ist, liegt wiederum auf einer doppelten Ebene. Denn mit mišpāṭ kann sowohl ein innergeschichtlicher (Torgerichtsbarkeit) als auch ein endzeitlicher Vorgang (Endgericht) evoziert werden.128 Die erste Bedeutung legt sich aufgrund der Nähe zur negativen Triade von V. 1 und besonders zur Kontrastformulierung
122 Zur
weisheitlichen Lehre von der rechten Zeit s. oben 159. Kedar-Kopfstein, Art. pāraḥ, 750 f. 124 Vgl. Seybold, Poetik 1, 199 f und Weber, Baum, 96 ff. 125 Barbiero, Psalmenbuch, 39, vgl. Hi 21,17 f; Ps 35,5 ff und Zeph 2,2 und Weber, aaO 98. 126 S. dazu die Hinweise bei Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 48 ff (Janowski). 127 Lohfink, Einsamkeit, 169. 128 S. dazu die Übersicht bei, Rettung, 65 f. 123 Vgl.
198 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Abb. 49: Worfeln auf der Tenne (moderne Zeichnung) „Versammlung von Gerechten“ in V. 5b nahe. Die zweite Bedeutung hat in der Spreu-Metapher von V. 4b einen Anhalt und wird von der Septuaginta deutlich verstärkt, indem aus der Formulierung des masoretischen Textes („sie stehen nicht auf/bestehen nicht“) ein οὐκ ἀναστήσονται „sie stehen nicht auf (vom Tod)“ wird.129
In V. 6 taucht nun – nach V. 2 („Tora JHWHs“) – der Gottesname JHWH auf, und zwar im Zusammenhang mit dem Weg des/der Gerechten. Dass JHWH diesen Weg „kennt“ (jādaʿ), so wie ein Liebender seine Geliebte „kennt“, sagt viel über die Intimität dieser Beziehung aus. In der Tora JHWHs ist alles gesagt, was Gott nach alttestamentlichem Verständnis dem Menschen mitzuteilen hat. Wenn der Mensch diese Tora meditiert und nach ihr handelt, wird er einen Weg gehen, der ihn an den Mächten des Todes vorbei zum Leben führt. Das ist der Weg, den JHWH „kennt“, d. h. den er fürsorglich und abwägend begleitet. Dazu passt die Beobachtung von I. L. Seeligmann, dass jādaʿ „(er)kennen, wissen“ die Folge einer vorangehenden Erfahrung ausdrückt, also eine „resultative“ Grundbedeutung hat.130 Dieses resultative Moment des göttlichen Erkennens harmoniert aufs beste mit der Gelingensaussage in V. 3b und macht deutlich, wer das Subjekt hinter dem Lebensweg des/der Gerechten ist. Im zweiten Stichos von V. 6, wo es um den Weg des Frevlers geht, kommt JHWH dagegen nicht vor. Das ist offenbar Absicht. Subjekt der Vergehensaussage von V. 6b ist der „Weg von Frevlern“, nicht aber JHWH, der ungenannt und ‚im 129 S.
dazu Gzella, Lebenszeit, 258 ff, vgl. Sticher, aaO 68 f und Hartenstein/Janowski, aaO 42.49 f (Janowski). 130 Seeligmann, Erkenntnis Gottes, 233 ff, s. dazu auch Janowski, „JHWH kennt“, 70 f.73.78.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 199
Hintergrund‘ bleibt. Gott sorgt für den/die Gerechten, aber er vernichtet nicht die Frevler – das tun diese schon selber, indem sie sich in ihren Plänen und Machenschaften buchstäblich „verfangen“. C. Sticher spricht deshalb zutreffend von der „Selbstzerstörung der Bösen“, deren Weg „vergeht“ (ʾābad),131 wie die Spreu, die der Wind verweht (V. 4b), oder wie eine Lampe, deren Docht erlischt: 5 Auch das Licht (ʾwr) der Frevler erlischt, und die Flamme seines Feuers (šebîb ʾiššô) strahlt nicht auf. 6 Das Licht (ʾwr) verfinstert sich in seinem Zelt, und seine Lampe (ner) über ihm erlischt. 7 Eng werden seine kräftigen Schritte, und sein eigener Plan wirft ihn hin. (Hi 18,5–7)132
b) Wie ein Vogel, einsam auf dem Dach (Ps 102) Brown, Seeing, 136 ff ◆ Forti, Bird, 72 ff ◆ Dies., Sparrow, 235 ff ◆ Gillmayr-Bucher, „Ich wachte“, 279 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 33 ff.117 ff ◆ Ders., Selbst, 104 ff ◆ Ders./Neumann-Gorsolke, Tierbezeichnungen, 194 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 75 ff.78 ff ◆ Klingler, Jäger, 142 ff ◆ Riede, Netz, 292 ff ◆ Ders., Spiegel, 49 ff ◆ Ders., Vergänglichkeit, 23 ff ◆ Seybold, Poetik 1, 193 ff ◆ Westermann, Vergleiche, 80 ff.97 ff.
Für den Zusammenhang von Schöpfung und Menschenbild sind die Pflanzenvergleiche von Jer 17,7 f; Ps 1,3; 52,10 und 92,13 ff, die vom blühenden Leben des Gerechten sprechen, von paradigmatischer Bedeutung.133 Das gilt umgekehrt auch für die Sprachbilder, die die Erfahrung der Bedrängnis und Vergänglichkeit zum Ausdruck bringen. Ein eindrückliches Beispiel ist der Hymnus Ps 103, der ausgehend von V. 14 – „Denn er weiß, was für ein Gebilde (jeṣær) wir sind,134 ist eingedenk, dass wir Staub (ʿāpār) sind“ – in V. 15 ff eine Ausdeutung dieser Vergänglichkeitsaussage und der bleibenden Liebe Gottes zu den Gottesfürchtigen gibt: 15 Ein Mensch, wie Gras (ḥāṣîr) sind seine Tage, wie die Feldblume (ṣîṣ haśśādæh) so blüht er. 16 Denn geht der Wind darüber, ist sie nicht mehr und nicht findet man wieder ihren Platz.135 17 Doch die Liebe JHWHs (ist) von Ewigkeit und zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten. Und seine Gerechtigkeit für Kindeskinder, 131 S.
dazu Sticher, Rettung 63 ff.
132 S. dazu Ebach, Hiob I, 148 f; Janowski, Licht, 232 und Witte, Hiob (ATD), 289 f. V. 7a könnte
man mit Witte, aaO 284 mit Anm. 9 auch übersetzen: „die Schritte seines Übels“. dazu oben 193 ff. 134 Wörtlich: „er kennt unser Gebilde“, s. dazu Forster, Leben, 40 f. 135 Zum Vergänglichkeitsbild von V. 15 f s. die Sachparallelen Ps 37,2; 90,5 f; Hi 8,12, ferner Jes 51,12; Ps 92,8; 102,5.12; 129,6 und dazu Barth, Art. ḥāṣîr, 139; Forster, aaO 178 f und Sticher, Die Gottlosen, 251 f. Anders orientiert ist Jes 40,6, s. dazu Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 109 f. 133 S.
200 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 18 für die, die seinen Bund bewahren, und für die, die an seine Gebote denken, sie zu tun.136
Im Gegensatz zu den Pflanzenvergleichen ist bei den Tiervergleichen zwischen zwei Formen zu unterscheiden: zwischen Vergleichen mit aggressiven und gefährlichen Tieren in der Feindklage und Vergleichen mit schwachen und gejagten Tieren in der Ichklage. Diese zweite Form des Tiervergleichs ist ein eindrücklicher Beleg für die Erfahrung der Kreatürlichkeit. Tiere in der Feindklage In den Klageliedern des Einzelnen werden die Feinde nie mit Haustieren, sondern immer mit Raub- und Wildtieren – Löwe, Stier, (Paria-)Hund, Schlange und Biene – verglichen.137 Ein einschlägiges Beispiel ist Ps 22,13–19,138 wo ein enger Zusammenhang zwischen dem geschundenen Körper des Beters (Gebeine, Herz, Zunge, Gaumen, Hände, Füße) und der vertrauten Natur- und Kulturwelt (wilde Tiere, Wasser, Wachs, Tonscherbe) hergestellt wird: Sozialsphäre: Feindbilder (wilde Tiere)
Sprachbilder
13 Umgeben haben mich viele Stiere, die Starken Basans haben mich umstellt. 14 Aufgerissen haben sie gegen mich ihr Maul – ein Löwe, reißend und brüllend.
Stiere Starke Basans Löwe
Leibsphäre: Körperbilder (flüssig/trocken) 15 Wie Wasser bin ich ausgeschüttet, und getrennt haben sich alle meine Gebeine, geworden ist mein Herz wie Wachs, zerflossen in meinem Inneren. 16 Trocken wie eine (Ton-)Scherbe ist meine (Lebens-)Kraft, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und in den Staub des Todes legst du mich.
Wasser Gebeine Herz, Wachs Tonscherbe Zunge, Gaumen
Leibsphäre und Sozialsphäre 17 Fürwahr (kî ), umgeben haben mich Hunde, eine Rotte von Übeltätern hat mich umkreist wie der Löwe – meine Hände und Füße.
136 Zu
Hunde Rotte von Übeltätern Löwe, Hände, Füße
diesem Text s. Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 60 f (Hossfeld). Ps 7,3; 10,9 f; 17,11 f; 22,14.22; 57,5 u. ö.; Stier: Ps 22,13.22; Hund: Ps 22,17.21; 59,7.15 f; Schlange: Ps 58,5; 140,4, vgl. Ps 91,13; Biene: Ps 118,12, s. dazu Keel, Bildsymbolik, 75 ff; Janowski, Konfliktgespräche, 117 ff; ders., Gott, 180 ff; Riede, Netz, 183.213 f.221 ff; Móricz, „Rette mich“, 109 ff; dies., Wie die Verwundeten, 143 ff und Forti, Bird, 28 ff. Speziell zum Feindbild „Löwe“ s. Strawn, Lion Hunting, 255 ff. 138 Zu Ps 22 s. oben 182 ff. 137 Löwe:
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 201
18 Ich kann zählen alle meine Gebeine, sie aber blicken her, sehen auf mich (herab). 19 Sie teilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los.
Gebeine
Abb. 50: Aggressiver Wildstier (Ägypten, vor 2830 v. Chr.)
In der Feindklage V. 13 f werden die Feinde zunächst als Stier(e) und Löwe, d. h. als „das stärkste Repräsentationspaar der nicht menschlichen næpæš-Welt“139 gezeichnet. Beide Tierarten sind für den Beter aber „nicht in erster Linie Exemplare einer zoologischen Spezies, sondern Träger bestimmter Kräfte und Mächte“140. Der Beter fasst damit sein Erleben in Worte, einem aggressiven Überwältigungswillen ausgeliefert zu sein (s. Abb. 50). Im Sinn einer – beabsichtigten – Überlappung der Feindbilder141 geht dann die Ichklage in V. 15 f zur Semantik der Auflösung und des Vertrocknens über.142 In V. 17–19 schließlich wird die – durch „fürwahr“ eingeführte und damit auf V. 13–16 zurück bezogene – Klage noch einmal gesteigert, weil die Ichklage V. 17b.18a von der Feindklage V. 17a.18b–19 gerahmt und auf diese Weise eine Verschränkung der Leibsphäre (Hände, Füße, Gebeine des Beters) und der Sozialsphäre (Umkreisen, spöttisches Blicken, Verteilen der Kleider) herbeigeführt wird. 139 Gese,
Psalm 22, 188. Feinde, 73. 141 Das ist ein charakteristischer Zug der Individualpsalmen, s. dazu Janowski, Gott, 181 ff. 142 S. dazu ders., Konfliktgespräche, 217 f und Bester, Körperbilder, 165 ff.201 ff. 140 Keel,
202 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Tiere in der Ichklage Ps 22 enthält aber nicht nur Vergleiche mit wilden Tieren, die wie der Löwe ihr Maul aufreißen und wie die Stiere ihre Hörner zum Angriff senken (s. Abb. 50). Denn in der Ichklage von V. 7 ff bezeichnet sich der bedrängte Beter als Wurm, also als ein Tier, das für seine existentielle Not steht – „Im Staub sich windend, zu Boden gedrückt, ohne aufrecht gehen zu können, hineingestellt in die Welt der Verwesung und des Todes, ist er (sc. der Wurm) einsam, isoliert“143 – und das der Erfahrung der Entmenschlichung Ausdruck verleiht: 7 Ich aber bin ein Wurm (tôlaʿat) und kein Mensch (loʾ ʾîš), ein Gespött von Menschen und verachtet vom Volk. 8 Alle, die mich sehen, spotten über mich, sie verziehen die Lippe, schütteln den Kopf: 9 „Wälze (es) auf JHWH!“, „Er soll ihn retten, er soll ihn herausreißen, denn er hat Gefallen an ihm!“
Besonders aufschlussreich für die Erfahrung der Kreatürlichkeit ist Ps 42/43. Die erste Strophe dieses Bittgebets (V.2–6) beginnt mit einem Tiervergleich (V. 2), der die existentielle Not des Beters in ein Sehnsuchtsbild (lechzende Hirschkuh) fasst, und dieses Bild in jedem der fünf Verse mit Wasserbildern – Wasserbäche/ Durst/Tränen/Ausschütten/Zerfließen – fortsetzt: Klage (= Situation der trostlosen Gegenwart) 2 Wie eine Hirschkuh (ʾajjāl) lechzt an Wasserbächen, so lechzt mein Leben (næpæš) nach dir, Gott. 3 Es dürstet mein Leben nach Gott, dem lebendigen Gott: wann werde ich kommen und ⟨sehen⟩ das Angesicht Gottes? 4 Es wurden mir meine Tränen (zu) Brot bei Tag und bei Nacht, wenn man zu mir sagt den ganzen Tag: „Wo ist dein Gott?“
Erinnerung (= Rückblick in die heilvolle Vergangenheit) 5 Daran denke ich und schütte aus mein Leben in/bei mir, dass ich ⟨im Kreis der Edlen⟩ zum Haus Gottes zog unter der Stimme des Jubels und Dankes einer feiernden Schar.
Hoffnung (= Sehnsucht nach dem rettenden Gott) 6 Was zerfließt du, mein Leben, und was begehrst du auf gegen mich? Harre auf Gott, denn ich werde ihm wieder danken, der Rettung ⟨meines⟩ Gesichts ⟨und⟩ meinem Gott. (Ps 42,2–6)144 143 Riede,
Netz, 310. dazu Janowski, næpæš, 101 ff und ders., Anthropologie, 289 f, ferner Riede, Netz, 316 ff und oben 165 mit Abb. 41.
144 S.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 203
Als drittes Textbeispiel sei schließlich Ps 102145 angeführt, wonach sich der Beter bereits in einem wüstenähnlichen Bereich befindet und seine desolate Lage mit eindrücklichen Tier- und Dingvergleichen (im Folgenden kursiv) beklagt:146 Klage- und Bittgebet Eingangsbitten 2 JHWH, höre mein Gebet und mein Schreien dringe zu dir! 3 Verbirg nicht dein Gesicht vor mir am Tag meiner Not, neige dein Ohr zu mir, am Tag, wenn ich rufe, antworte mir schnell!
Ichklage 4 Denn vergangen sind in Rauch meine Tage und meine Gebeine – wie ein Kohlebecken glühten sie. 5 Versengt wie das Gras und verdorrt ist mein Herz, denn ich vergaß, mein Brot zu essen. 6 Vom Klang meines Stöhnens klebte mein Gebein an meinem Fleisch.
Feindklage 7 Ich gleiche einer Dohle in der Wüste, ich bin geworden wie eine Eule in Ruinen. 8 Ich war schlaflos und ich wurde wie ein Vogel, einsam auf dem Dach. 9 Den ganzen Tag beschämten mich meine Feinde, die mich zum Gespött machen, haben mir geflucht.147
Gottklage (V. 12 → V.4 f ) 10 Ja, Staub habe ich wie das Brot gegessen und meinen Trank mit Weinen vermischt. 11 Von deinem Grimm und deinem Zorn (kommt das), ja, du hast mich hochgehoben und mich hingeworfen. 12 Meine Tage sind wie ein ausgestreckter Schatten, und ich, wie das Gras werde ich vertrocknen.
145 Zu
Ps 102 s. außer den Kommentaren noch Brüning, Ps 102; Brunert, Psalm 102; Riede, Netz, 292 ff; Körting, Zion, 32 ff; Schnocks, Psalmen, 106 ff und Gillmayr-Bucher, „Ich wachte“, 284 ff. 146 Die folgende Übersetzung bietet lediglich den Grundpsalm V. 2–12 + V. *24–28 (mit den Fortschreibungen V. 24.25aα.26–28). Zur hier vertretenen Position s. Hossfeld/Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 39 ff (Hossfeld), anders etwa Schnocks, aaO 107 mit Anm. 16, demzufolge V. 24–28 zum Grundpsalm gehören. 147 Wörtlich: „die mich zum Gespött machen, haben bei mir geschworen“.
204 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Rückkehr zur Klage 24 Er (sc. JHWH) hat gebeugt auf dem Weg meine Kraft, verkürzt meine Tage. 25 Ich sage: Mein Gott, raff mich nicht weg in der Mitte meiner Tage, in Generation um Generation sind deine Jahre. 26 Vor Zeiten hast du die Erde gegründet, das Werk deiner Hände ist der Himmel. 27 Sie, sie werden vergehen, aber du, du wirst stehen, und sie alle werden wie ein Gewand verschleißen, wie ein Kleid wirst du sie ersetzen, und sie werden ersetzt werden. 28 Aber du bist derselbe, und deine Jahre werden nicht enden. Der Psalm setzt in V. 2 f mit einer fünffachen Bitte um die Zuwendung JHWHs ein und thematisiert in drei Klagegängen (V. 4–6: Ichklage, V. 7–9: Feindklage, V. 10 f: Gottklage) und einer abschließenden, auf V. 4 f zurückgreifenden Vergänglichkeitsklage (V. 12) die Leiderfahrung des Beters. V. 25* (ohne die Redeeinleitung „Ich sage“), der den Grundpsalm offenbar abschließt, greift seinerseits auf die Eingangsbitten in V. 2 f zurück und lässt sie unter Rekurs auf das Leitwort „meine Tage“ (V. 4.12.25) in die Schlussbitte münden, dass JHWH – dessen „Jahre“ von zeitübergreifender Dauer sind – vom vorzeitigen Tod des Beters absehen möge: „Inhaltlich handelt es sich also um die vertrauensvolle Bitte eines an der Störung seiner gesamten Lebensvollzüge leidenden Menschen, der im Bewusstsein seiner Vergänglichkeit den ewigen Schöpfergott um rettende Zuwendung bittet“148 – und zwar um eine Zuwendung, die „schnell“ erfolgen möge (V. 3b, vgl. Ps 38,23).
Die Dringlichkeit der Klage von V. 4–12 wird an der Verschränkung mehrerer Ebenen (Leibsphäre/Sozialsphäre) sowie an der Häufung der Vergleiche und Metaphern deutlich. Zunächst kommt die Leibsphäre des Beters in den Blick: 4 Denn vergangen sind in Rauch meine Tage und meine Gebeine (ʿæṣæm pl.f.) – wie ein Kohlebecken glühten sie. 5 Versengt wie das Gras und verdorrt ist mein Herz (leb), denn ich vergaß, mein Brot zu essen. 6 Vom Klang meines Stöhnens klebte mein Gebein (ʿæṣæm) an meinem Fleisch (bāśār).
Die Notlage des Beters, die mit dem Bild vom vergehenden „Rauch“ (ʿāšān) beschreiben wird (V. 4a)149 und deretwegen er zu JHWH schreit (V. 2 f ), schlägt sich in extremen physich-psychischen Symptomen nieder: seine Gebeine „glühten“ (V. 4b, vgl. Hi 30,30b) und „klebten“ an seinem Fleisch (V. 6b).150 Die Aus148 Brunert,
aaO 188. Bild vom „Rauch“ in Vergänglichkeitsaussagen s. noch Hos 13,3; Ps 37,20 und 68,3 (jeweils Schicksal der Frevler). 150 Vgl. Klgl 4,8 und Hi 19,20: „An meiner Haut (ʿôr) ⟨…⟩ klebt mein Gebein (ʿæṣæm), und ich entkam mit der Haut (ʿôr) meiner Zähne“, s. dazu Witte, Hiob (ATD), 296.304 f. 149 Zum
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 205
zehrung durch (Fieber-)Hitze zeigt sich nicht nur an den äußeren Körperpartien (Gebein, Fleisch), sondern sie reicht bis ins Innere der Person (Herz), dem aufgrund der Appetitlosigkeit die stärkende Nahrung („Brot“) fehlt (V. 5). Mit V. 7 f wechseln die Sprachbilder, weil sich der Beter jetzt mit einer „Dohle in der Wüste“ und einer „Eule in Ruinen“, also unreinen Vögeln (vgl. Lev 11,18; Dtn 14,17),151 vergleicht, die Symbole für seine „Todesbefallenheit“152 sind: 7 Ich gleiche einer Dohle (qāʾāt) in der Wüste, ich bin geworden wie eine Eule (kôs) in Ruinen. 8 Ich war schlaflos und ich wurde wie ein Vogel (ṣippôr), einsam auf dem Dach.
Durch die Tiervergleiche wird das Geschick des Beters so eng mit der äußeren Wirklichkeit (Natur- und Kulturwelt) verbunden, dass dem Vergleichsempfänger (Beter) etwas vom Wesen des Vergleichsspenders („Dohle in der Wüste“ // „Eule in Ruinen“) zugeeignet wird.153 In dieser Weise nimmt sich der Beter von Ps 102,4–8 in seiner Kreatürlichkeit wahr – „wie ein Kohlebecken“ // „wie Gras“ (V. 4 f ), „wie eine Dohle in der Wüste“ // „wie eine Eule in Ruinen“ (V. 6 f ) – und erfährt diese Kreatürlichkeit unter dem Aspekt der Verlorenheit und sozialen Isolation („wie ein Vogel, einsam auf dem Dach“ V. 8b).154 Mittels der Bildsprache und ihrer „evidenten Richtigkeit“155 kommen damit Grenzbereiche menschlicher Vergänglichkeitserfahrung in den Blick, die dem begrifflichen Denken verschlossen sind. 3. Fazit: Die Erfahrung der Kreatürlichkeit Versuchen wir abschließend, unsere Beobachtungen zum Thema „Schöpfung und Menschenbild“ zu bündeln. Es gehört zu den kostbaren Seiten des Alten Testaments, dass es prägnante Sprachbilder aus der Tier-, Pflanzen- und Dingwelt enthält, die der menschlichen Kreatürlichkeit Ausdruck verleihen. Mit Kreatürlichkeit ist die Geschöpflichkeit des Menschen gemeint, der nach Gen 2,7 „aus Staub vom Ackerboden“ (ʿāpār min-hāʾadāmāh) geschaffen ist156 und der nach Gen 3,19 zum „Staub“ (ʿāpār) zurückkehrt:
151 S.
dazu Riede, aaO 50 und Forti, Bird, 72 ff. diesem Ausdruck s. unten 206. 153 Vgl. oben 190 f, s. dazu auch Berlin, Poetry, 30: „Metaphor involves more than a simple comparison or equation of one object with another. By placing the two objects in juxtaposition, a relationship between them is established such that qualities may become interchanged“. 154 Zu diesem Vogelbild s. Riede, Netz, 304 f; Forti, aaO, 75 f und Eideval, Sad, 92 ff. Zu einer Sachparallele im Handerhebungsgebet Ištar 2 s. Q 81. 155 Sticher, Die Gottlosen, 252. 156 S. dazu die Sachparallele in der Lehre des Amenemope (Q 33). 152 Zu
206 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Erschaffung … da formte JHWH Gott den Menschen aus Staub vom Ackerboden, und er blies in seine Nase Lebensatem. Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. (Gen 2,7)
Tod Im Schweiß deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren!“ (Gen 3,19)157
Zwischen Geburt und Tod verläuft das menschliche Leben in der Spannung von Blühen und Vergehen, von Lebensfülle und Bedrängnis. Was diese Erfahrungen nach alttestamentlichem Verständnis bedeuten, sei noch einmal kurz erläutert:158 – „Leben“ ist das Prinzip der alles miteinander verknüpfenden Kraft. Die alttestamentlichen Texte bezeichnen ein solches Leben als „gerecht“ und bringen diese Gerechtigkeit mittels einer Semantik zum Ausdruck, die die Eingebundenheit (Konnektivität) des Einzelnen in die soziale Gemeinschaft und im Verhältnis zu Gott in den Blick nimmt. Ein Beispiel dafür ist Ps 92,13–16: 13 14 15 16
Der Gerechte sprosst wie die Palme, wie eine Zeder auf dem Libanon wächst er empor. Die sind gepflanzt im Haus JHWHs, in den Vorhöfen unseres Gottes sprossen sie empor. Noch im Alter gedeihen sie, fett und grün werden sie sein, um kundzutun, dass aufrecht JHWH ist, mein Fels, und kein Unrecht ist an ihm.“ (Ps 92,13–16)159
– „Tod“ dagegen ist das Prinzip des alles auflösenden und isolierenden Zerfalls. Die alttestamentlichen Texte bezeichnen ein solches Leben als „todesbefallen“ und bringen diese Todesbefallenheit160 mittels einer Semantik zum Ausdruck, die den bedrängten Menschen hinsichtlich seiner elementaren Kreatürlichkeit in den Blick nimmt. Ein Beispiel dafür ist hier Ps 22,15 f: 15 157 Gertz,
Wie Wasser bin ich ausgeschüttet, und getrennt haben sich alle meine Gebeine, geworden ist mein Herz wie Wachs, zerflossen in meinem Inneren.
Genesis 1–11 (ATD), 101 f rechnet den Terminus ʿāpār in Gen 2,7 sowie Gen 3,19b zu einer Fortschreibungsschicht, s. dazu aber oben 92 Anm. 16). Nach Ps 103,14 wird die Erschaffung des Menschen aus „Staub“ ins Grundsätzliche gewendet und in V. 15 f durch Vergänglichkeitsaussagen ausgedeutet, die der Pflanzenwelt (Gras, Feldblume) entnommen sind. 158 Zum Folgenden s. auch Janowski, Konfliktgespräche, 50 ff. 159 S. dazu oben 196. 160 Der Begriff „Todesbefallenheit“ geht auf den Ägyptologen P. Seibert zurück, s. dazu Assmann, Todesbefallenheit, 230 ff.
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 207
16 Trocken wie eine (Ton-)Scherbe ist meine Kraft, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und in den Staub des Todes legst du mich.161
Die Erfahrungen der Lebensfülle und der Bedrängnis/Vergänglichkeit werden vor allem in prophetischen Texten (Jes; Jer; Hos), in den Psalmen und in der Weisheitsliteratur (Spr; Hi; Pred; Sir; SapSal) in Worte gefasst. Eine Übersicht ergibt folgendes Bild: Bilder der Lebensfülle Pflanzenvergleiche Vergleichsempfänger: Beter, Frevler, Hohepriester Vergleichsspender: (Öl-)Baum, Palme, Zeder, Blüte, Lilie, Laub – – – – – –
wie ein Baum an Wasserkanälen/ am Wasser wie die Palme/eine Zeder wie ein grüner Ölbaum wie eine Blüte/Lilie/sprossende Pflanzen wie Laub Baum des Lebens
Ps 1,3; Jer 17,8 Ps 37,35 f162; 92,13 Ps 52,10; Sir 50,10 (s. Q 168) Sir 50,8 (s. Q 168) Spr 11,28 Spr 11,30, vgl. Spr 3,18; 15,4
Dingvergleiche Vergleichsempfänger: Hohepriester Vergleichsspender: Stern, Mond, Sonne, Regenbogen, Feuer, Gefäß – wie ein Stern/Vollmond/Sonne/Regenbogen/ Sir 50,6–9 (s. Q 168)163 Feuer des Weihrauchs/goldenes Gefäß
Bilder der Bedrängnis und Vergänglichkeit Pflanzenvergleiche Vergleichsempfänger: Mensch, Beter, Frevler, Fremdvölker, Israel Vergleichsspender: Gras, (Feld-)Blume, Spreu, Dornstrauch – wie Gras – wie eine (Feld-)Blume – wie die Spreu, die der Wind verweht – wie ein Dornstrauch in der Steppe
161 S.
Ps 37,2; 90,5 f; 102,5.12; 103,15; Hi 8,12 Ps 103,15; Hi 14,1 f Jes 17,13; 29,5; Hos 13,3; Ps 1,4; 35,5; Hi 21,18164 Jer 17,6
dazu oben 200 f. diesem singulären, auf den Frevler bezogenen Vergleich s. Sticher, Die Gottlosen, 258 ff. 163 Diese Schilderung des hohepriesterlichen Ornats hat bei Josephus, Antiquitates 3, 184 ff eine Parallle, s. Q 169. 164 Vgl. Jes 25,10; Spr 10,25 und SapSal 5,23. Zur nichtigen Hoffnung des Frevlers s. SapSal 5,14: „Denn die Hoffnung des Gottlosen ist, als würde Spreu vom Wind verweht, / als würde leichter Schnee vom Sturm hinweggefegt, / als würde Rauch vom Wind verjagt, / als würde die Erinnerung an einen flüchtigen Gast schwinden“, s. dazu Hübner, Weisheit Salomos (ATD.A), 75.76 f. 162 Zu
208 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt Tiervergleiche Vergleichsempfänger: Beter, Armer, Feinde des Gottesknechts/Israels Vergleichsspender: Wurm, Made, Schakale, Straußenhennen, Hirschkuh, Dohle, Eule, Vogel, Schaf, Motten, Geier – wie ein Wurm – Maden als Mutter und Schwester – Bruder der Schakale/Gefährten der Straußenhennen – wie Wildesel in der Wüste – wie eine Hirschkuh an Wasserbächen – wie ein Vogel, einsam auf dem Dach – wie zugrunde gehendes Schaf – wie zermalmte Motten – wie Herabstoßen eines Geiers
Ps 22,4 Hi 17,14 Hi 30,29 Hi 24,5 (Arme // Elende) Ps 42,2 Ps 102,7 f Ps 119,176 Hi 4,19, vgl. Jes 50,9; 51,18 (Feinde des Gottesknechts/Israels); Hi 27,18 (Hausbau des Frevlers)165 Hi 9,26 (Vergehen der Lebenszeit)
Dingvergleiche Vergleichsempfänger: Mensch, Beter, Israel Vergleichsspender: Wasser, Wachs, Scherbe, Gefäß, Schatten, Rauch, (Wind-)Hauch, Gewölk, Tau, Kohlebecken, Schnur/Schale, Krug/Schöpfrad, Kleid, Erde, Staub/Asche – wie Wasser/wie Wachs Ps 22,15166 – wie eine (Ton-)Scherbe Ps 22,16 – wie ein Gefäß, das verloren ging Ps 31,13 (// wie ein Toter) – wie Schatten Ps 102,12; 109,23; Hi 14,1 f; 1 Chr 29,15; SapSal 2,5167 – wie vergehender Rauch Hos 13,3; Ps 102,4a (Lebenszeit) – jeder Mensch ein Windhauch Ps 39,6 f; 144,4 – wie der Wind Hi 30,15 (von der Würde) – wie Morgengewölk/wie Tau Hos 13,3 – wie ein Kohlebecken Ps 102,4b (Gebeine)168 – Schnur, die zerreißt/Schale, die zerbricht; Pred 11,6 zerschmetterter Krug/zerbrochenes Schöpfrad – wie mottenzerfressenes Kleid Hi 13,28169 – wie die erschöpfte Erde Ps 143,6 – wie Staub und Asche Hi 30,19
Abb. 51: Bilder der Lebensfülle und der Bedrängnis/Vergänglichkeit
165 S.
dazu Riede, Vergänglichkeit, 23 ff.29 ff.33 ff.36 ff. Sachparallelen in der Herzberuhigungsklage INES 33,290,17 ff und im Handerhebungsgebet Ištar 2 s. Q 80 und 81. 167 Dazu gibt es Sachparallelen in der griech. (Pindar, Euripides) und röm. Literatur (Horaz), s. Q 138; 139 und Q 147. 168 Zu einer Sachparallele im Handerhebungsgebet Ištar 2 s. Q 81. 169 S. dazu Riede, aaO 25 ff. 166 Zu
§ 5 Schöpfung und Menschenbild 209
Die Erfahrung der Kreatürlichkeit war, wie diese Texte zeigen, die Erfahrung einer intensiven Eingebundenheit in die Natur- und Kulturwelt (Pflanzen, Tiere, Dinge),170 die besonders in Situationen der Bedrängnis und Todesnot akut wurde. In diesen Situationen „hält die leidende Kreatur Mensch ihre bedrohte Kreatürlichkeit ihrem Schöpfer vor. Es ist nicht ein leidenschaftliches Vorwerfen wie in der Gott-Klage, sondern ein flehentliches Vorhalten, das sich in den Vergleichen zeigt. Dieser feine Unterschied kommt nur durch die Vergleiche zum Vorschein. Es ist die Hinfälligkeit des menschlichen Daseins, auf die die meisten Vergleiche weisen; das dem Klagenden widerfahrene Leid in seinem Gefälle zum Tod hin, als Mächtigwerden des Todes mitten im Leben: ‚Ich bin dem Gedächtnis entschwunden wie ein Toter, bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß‘, Ps 31,13; vgl. 88,6; 55,5; 88,16 f.“171
Die Nähe des Todes ist „ein besonderer Ernstfall, der sich in seiner Unausweichlichkeit nicht einfach in die Reihe von Unfällen und Ungemach einfügt, wie sie dem Menschen zustößt“172. Der nahe Tod kann dabei in Sprachbildern zum Ausdruck kommen, die treffend, aber auch ungewöhnlich sind. „Mein Leben hat die Unterwelt berührt“ klagt etwa der Beter von Ps 88,4 und unterläuft damit die kosmologisch begründete Tatsache von der Unerreichbarkeit der Unterwelt (vgl. Hi 38,16 ff ).173 Auch die genannten Pflanzen-, Tier- und Dingvergleiche des Alten Testaments sind so etwas wie ein Spiegel, der das Nicht-Anschaubare (Todesgeschick, Vergänglichkeit) durch das Anschaubare (Pflanzen, Tiere, Dinge) sichtbar macht. Es muss, so erläutert K. Seybold diesen Sachverhalt, „einer Grundfunktion des Denkens entsprechen, dass sich durch die Veranschaulichung, die Rückführung des Gedachten auf das Vorstellbare, Einsicht vollziehen und Verstehen gelingen kann“174. Genau diese Einsicht fördern die alttestamentlichen Bilder des blühenden und des zerbrechenden Lebens.
170 S.
dazu auch Weippert, Welterfahrung, 179 ff. Vergleiche, 81 (H. i. O.), vgl. 95 f. 172 Waldenfels, Platon, 227. 173 S. dazu unten 376 ff. 174 Seybold, Poetik 1, 193. 171 Westermann,
§ 6 Schöpfung und Tierwelt Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich in meinem Jahrhundert nicht glücklich geworden bin. Ein Gefühl von Erhabenheit, das mit dem zu tun haben könnte, was andere das Heilige nennen, empfinde ich beim entzückten Beobachten einer Pflanze oder eines Tieres. Deshalb stimmt mich alles, was ihr Überleben und ihre Vielfalt bedroht, traurig. C. Lévi-Strauss, Interview, 55
Wie die Menschen so gehören nach alttestamentlichem Verständnis auch die Tiere zu den Wesen, die mit „Leben(digkeit), Vitalität“ (næpæš) ausgestattet sind und im Unterschied zu den Pflanzen (Gen 1,11–13) als „Lebewesen“ (hebr. næpæš ḥajjāh) bezeichnet werden (Gen 1,20 f.24.30; 2,7.19 u. ö.).1 Folgt man dem Duktus der Urgeschichte, werden sie ebenso wie der Mensch am sechsten Tag geschaffen (Gen 1,20 ff.24 ff ) und erhalten von diesem ihre Namen (Gen 2,19 f ). Durch die Gewalt, die unter ihnen und zwischen den Menschen ausbricht, lösen sie die Flut aus (Gen 6,11 ff ), werden aber von Noah in die rettende Arche gebracht (Gen *6,5–8,22). Obwohl sie im nachsintflutlichen Äon getötet werden dürfen (Gen 9,3), gehören sie mit Noah und seinen Nachkommen aber zum Gottesbund (Gen 9,8–17).2 Die Tiere als Mitgeschöpfe, als Opfer und als Bundespartner – welch ein Panorama von Themen und Motiven allein in der biblischen Urgeschichte! Wenn man das übrige Alte Testament mit einbezieht, wird dieses Panorama noch wesentlich reichhaltiger. 1. Die Tiere als Mitgeschöpfe Altes und Neues Testament: Bartelmus, Tierwelt, 245 ff ◆ Borowski, Living Thing ◆ Gaß,
Zugänge, 239 ff ◆ Hardmeier/Ott, Naturethik, 124 ff.137 ff ◆ Houtman, Januskopf, 139 ff ◆ Janowski, Tiere, 31 ff ◆ Keel, Allgegenwärtige Tiere, 155 ff ◆ Ders. u. a., OLB 1, 100 ff ◆ Lehmann, Art. Animal Husbandry, 46 ff ◆ Lippke, Investment, 196 ff ◆ Müller, Tierbezeichnungen, 135 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Hand, 47 ff ◆ de Pury, Gemeinschaft, 112 ff ◆ Riede, Spie1
Im Unterschied zu den Tieren haben die Pflanzen keine næpæš. Sie sind deswegen aber nicht „tot“, s. dazu Riede, Leben, 131 ff. Vielmehr haben sie „Anteil am Leben, was sich besonders an der ihnen eignenden Regenerationskraft zeigt, die sie vielfach zum Realsymbol für Lebensfülle werden läßt“ (ders., aaO 136). 2 S. dazu oben 79 ff.
212 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt gel ◆ Ders., Art. Tier, 391 ff ◆ Ders., Geschaffen, 202 ff ◆ Schmitz-Kahmen, Geschöpfe Gottes ◆ Schroer, Reise ◆ Dies., Tiere, 55 ff ◆ Staubli, Gott, 509 ff ◆ Staubli/Schroer, Menschenbilder, 97 ff ◆ Westermann, Mensch, 90 ff. – Antike Religionen: Angelini/Nihan, Animal Lexica, 53 ff ◆ Bodendorfer, Denken, 92 ff ◆ Brunner-Traut, Stellung, 333 ff ◆ El Maaroufi, Gemeinschaften, 227 ff ◆ Hornung, Bedeutung, 69 ff. – Philosophie, Theologie: Hagencord, Eden ◆ Ders., Mit-Sein, 275 ff ◆ Korsgaard, Tiere ◆ Link, Schöpfung 2, 90 ff.227 ff ◆ Schockenhoff, Ethik, 598 ff.602 ff ◆ Waldenfels, Platon, 238 ff.
Angesichts der Vielzahl und Bedeutung der biblischen Tiertexte ist es verwunderlich, dass Tiere in der Regel ein theologisches Randthema sind.3 Dabei dürfte es auf den rund tausend Seiten des Alten Testaments, wie O. Keel einmal treffend bemerkt hat, „kaum eine geben, auf der nicht in irgendeinem Zusammenhang Tiere erwähnt werden“4. Mit B. Waldenfels lassen sich beim Mensch/Tier-Verhältnis im wesentlichen drei Konstellationen unterscheiden: – Der Mensch lebt mit den Tieren zusammen „in Form einer freundlichen oder feindlichen Symbiose“5, sie sind seine Gefährten und seine Feinde. Dazu gehört, dass Tiere „gezüchtet, gehegt, genutzt, abgewehrt, auch verzehrt werden“6. In jedem Fall sind sie ein Teil der menschlichen Lebenswelt. – Der Mensch betrachtet sich wie ein Tier, „indem er sich den Tierspiegel oder umgekehrt den Tieren den Menschenspiegel vorhält“7. Dazu gehören die zahlreichen Tiervergleiche und -metaphern, die der Erfahrung der Bedrängnis und Vergänglichkeit Ausdruck verleihen.8 – Der Mensch tritt in Distanz zum Tier, indem er das Tier beobachtet, über die Tiere spricht und „den Umgang mit dem Tier moralisch-rechtlichen Regelungen unterwirft“9. Das geschieht exemplarisch in den Gottesreden des Hiobbuchs (Hi 38,39– 39,30) und in den tierethischen Texten des Alten Testaments.
Aus diesem Themenspektrum werden einige zentrale Beispiele ausgewählt und im Folgenden näher untersucht.
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Jedenfalls, wenn man ein Lehrbuch der Theologie des Alten Testaments oder gar der Systematischen Theologie zu Rate zieht, um im Register die Stichwörter „Tiere“ und „Tierethik“ zu suchen. Eine Ausnahme stellen Kaiser, Gott 2, 301 ff und Schockenhoff, Ethik, 561 ff dar. Verstreute Bezugnahmen auf die Seraphen, den Stierkult/das Stierbild, den „Sündenbock“, reine/unreine Tiere, das Tieropfer, den Tierfrieden u. a. finden sich dagegen in den meisten Lehrbüchern zur Theologie des Alten Testaments und zur Religionsgeschichte Israels. Keel, Allgegenwärtige Tiere, 155. Im Koran, in dem zwei Suren einen Tiernamen als Überschrift haben (Sure 2: Die Kuh, Sure 28: Die Ameise), werden in mehr als 100 Versen Tiere erwähnt, s. dazu El Maaroufi, Gemeinschaften, 227 ff. Waldenfels, Platon, 239. Ders., ebd. Ders., ebd. S. dazu oben 199 ff.207 f. Ders., ebd.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 213
a) Die erstaunliche Welt der Tiere α) Tiere als Geschöpfe eigenen Rechts (Hi 38,39–39,30) Brüning, Tiere, 10 f ◆ Fuchs, Mythos, 210 ff ◆ Huber, Himmel, 341 ff ◆ Kang, Behemot, 98 ff ◆ Keel, Allgegenwärtige Tiere, 184 ff ◆ Ders., Entgegnung, 61 ff ◆ Ders./Schroer, Schöpfung, 198 ff ◆ Müller, Gottes Antwort, 129 f ◆ Neumann-Gorsolke, Herr der Tiere, 96 ff ◆ Oeming/ Schmid, Hiobs Weg, 23 ff.49 ff.95 ff ◆ Ritter-Müller, Welt, 209 ff ◆ Saur, Ordnung, 79 ff ◆ Schüle, Schöpfung, 433 ff ◆ Schwienhorst-Schönberger, Weg, 233 ff ◆ Schmitz-Kahmen, Geschöpfe Gottes, 53 ff.
Das Hiobbuch ist buchstäblich voll von Tieren, sei es, dass sie als Vergleichs spender fungieren,10 oder sei es, dass sie Teil der menschlichen Lebenswelt sind (vgl. Hi 1,3; 21,10 u. ö.). Ein besonderer Fall ist die Erste Gottesrede in Hi 38,1– 40,5, in der zehn Tiere mit ihren jeweiligen Eigenschaften auftreten (Hi 38,39– 39,30). Dazu kommen die beiden Abschnitte über Behemot (40,15–24) und Leviatan (40,25–41,26) innerhalb der Zweiten Gottesrede in Hi 40,6–42,6, in der es nicht wie in der Ersten Gottesrede um die Schöpfung, sondern um die Gerechtigkeit geht (s. Abb. 52).11 Die beiden Gottesreden, mit denen JHWH „aus dem Sturm“ (Hi 38,1, vgl. 40,6) auf Hiob antwortet, beginnen mit drei Überraschungen: erstens besteht die Antwort Gottes aus rhetorischen Fragen,12 zweitens gehen diese Fragen mit keinem Wort auf das Leiden Hiobs ein, und drittens zeigen sie Gott als den „ganz Anderen“. Am Ende kommt es zu einer überraschenden Erwiderung Hiobs (Hi 42,1–6), die für die Lösung des sog. Hiobproblems aufschlussreich ist: 38,1–40,5: Erste Gottesrede und erste Antwort Hiobs Einleitung: Frage und Herausforderung Gottes (38,1–3) JHWH als Schöpfer der Welt (38,4–38) 4–7: 8–11: 12–15: 16–18: 19–21: 22–30: 10
40 Fragen mit 10 Themen
Gründung der Erde Hervorsprudeln und Grenzen des Meeres Morgenröte und Tagesanbruch Unterwelt und Meerestiefen Licht und Finsternis Meteorologische Erscheinungen 22–24: Schnee, Hagel, Blitz, Wind 25–27: Regen und Gewitterwolken 28–30: Ursprung von Regen, Tau, Eis und Frost
S. dazu oben 208. Zum Aufbau der Gottesreden s. Oeming/Schmid, Hiobs Weg, 95 ff (M. Oeming) und Witte, Hiob (ATD), 605 ff.637.649.673 f. 12 Eine rhetorische Frage bewirkt „eine besondere Form der Hörerbeteiligung und impliziert eine emphatische Form der Bejahung. Sie ruft Selbstverständliches in Erinnerung, was beim Adressaten vergessen zu sein schien“ (Dohmen [Hg.], Stuttgarter Altes Testament, 1222 [L. Schwienhorst-Schönberger]) – nämlich, dass JHWH der Schöpfer der Welt und aller (!) Geschöpfe ist. 11
214 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
31–34: Bewegung der Gestirne 35–38: Wetterphänomene (Blitze und Regenwolken)
JHWH und die Welt der Tiere (38,39–39,30)
39–41: 1–4: 5–12: 13–25: 26–30:
10 Tiere zu 5 Paaren
Löwin und Rabe Steinbock und Hirschkuh Wildesel und Wildstier Straußenhenne und Kriegspferd Wanderfalke und Gänsegeier
Erneute Frage Gottes und erste Antwort Hiobs (40,1–5)
40,6–42,6: Zweite Gottesrede und zweite Antwort Hiobs Einleitung: Frage und Herausforderung Gottes (40,6 f ) Das Problem der Gerechtigkeit (40,8–14) Behemot und Leviatan (40,15–41,26)
2 Repräsentanten des Chaos
Zweite Antwort Hiobs (42,1–6)
Abb. 52: Zum Aufbau der Gottesreden in Hi 38,1–42,6
In der Ersten Gottesrede folgt der Katalog der zehn Tiere (Hi 38,39–39,30) auf die Beschreibung der kosmologischen und meteorologischen Erscheinungen (Hi 38,4–38). Am Übergang der beiden Abschnitte steht ein Passus, in dem mit dem Ibis und dem Hahn zwei weise Tiere genannt werden (Hi 38,35–38), die auf die kosmische Macht Gottes verweisen:13 36 Wer hat Weisheit in den Ibis (ṭuḥôt) gelegt, oder wer hat dem Hahn (śækwî ) Einsicht gegeben? 37 Wer zählt die Wolken in Weisheit, und die Krüge des Himmels – wer schüttet sie aus, 38 wenn sich der Staub zum Gußwerk ergießt und die Schollen aneinander kleben?
Dann beginnt in Hi 38,39 der bis zu Hi 39,30 reichende Katalog mit seinen fünf Tierpaaren: Löwin und Rabe 39 Erjagst du für die Löwin (lābîʾ ) Beute, und die Gier der jungen Löwen stillst du, 40 wenn sie sich ducken auf den Lagern, sich im Dickicht auf die Lauer legen? 41 Wer bereitet dem Raben (ʿoreb) seine Nahrung, wenn seine Jungen zu Gott schreien, wenn sie umherirren ohne Nahrung?
13
S. dazu Witte, aaO 623 ff und oben 141 f.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 215
Steinbock und Hirschkuh 1 Weißt du die Zeit des Gebärens der Steinböcke (jaʿ alê-sælaʿ), das Kreißen der Hirschkühe (ʾajjālôt) beobachtest du? 2 Zählst du die Monate, die sie füllen, und kennst die Zeit ihres Gebärens? 3 Sie kauern sich hin, bringen ihre Jungen zur Welt,14 entledigen sich ihrer Wehen. 4 Es gedeihen ihre Jungen, sie werden groß auf freiem Feld, sie ziehen davon und kehren nicht mehr zu ihnen zurück.
Wildesel und Wildstier 5 Wer hat den Wildesel (pæræʾ ) freigelassen, und die Fesseln des Onagers (ʿārôd) – wer hat sie geöffnet, 6 dem ich die Steppe als sein Heim bestimmt habe, und als seine Wohnstätte das Salzland? 7 Er verlacht das Lärmen der Stadt, das Geschrei des Treibers hört er nicht. 8 ⟨Er erkundet⟩15 die Berge als seinen Weidegrund, und hinter jedem grünen Busch ist er her. 9 Wird der Wildstier (rêm) freiwillig dein Diener sein, oder übernachtet er an deinem Futtertrog? 10 Bindest du den Wildstier (rêm) in der Furche mit seinem Seil, oder pflügt er tiefe Täler hinter dir her? 11 Vertraust du auf ihn, weil seine Kraft groß ist, und überlässt du ihm deine Arbeit? 12 Glaubst du ihm, dass er ⟨zurückkehrt⟩16 ⟨und deine Ernte auf⟩17 auf deine Tenne sammelt?
Straußenhenne und Kriegspferd 13 Der Flügel der Straußenhenne (renānîm) freut sich, ist es die Schwinge eines Storches und (deren) Gefieder? 14 Wenn sie der Erde ihre Eier überlässt, und (sie) auf dem Staub warm werden lässt, 15 dann vergisst sie, dass ein Fuß sie zertreten kann, und die Tiere des Feldes sie zermalmen können. 16 Sie behandelt ihre Jungen hart, als wären es nicht ihre, als wäre ihre Mühe vergeblich, unbekümmert. 17 Denn die Gottheit ließ sie Weisheit vergessen und gab ihr keinen Anteil an Einsicht.
14
Wörtlich: „lassen (den Muttermund) durchbrechen“, s. Ges18, 1053 s. v. plḥ pi. 3. jātûr von twr „auskundschaften“, vgl. Ges18, 1431 s. v. twr qal 1. 16 Lies mit dem Ketib jāšûb. Außerdem ist der Atnach als Satztrenner bei jāšûb zu setzen. 17 Lies w ezarʿ akā gārnekā, s. BHS App. z. St. 15 Lies
216 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 18 In dem Moment, da sie in die Höhe schnellt, verlacht sie das Pferd (sûs) und seinen Reiter.18 19 Gibst du dem Pferd (sûs) Kraft, bekleidest du seinen Hals mit einer Mähne, 20 lässt du es springen wie eine Heuschrecke? Die Hoheit seines Schnaubens (verbreitet) Schrecken. 21 ⟨Es scharrt⟩19 im Tal und jauchzt, mit Kraft zieht es dem Kampf entgegen. 22 Es verlacht die ⟨Grube⟩20 und erschrickt nicht und kehrt nicht um vor dem Schwert. 23 Um es herum klirrt der Köcher, die Speerspitze und der Wurfspieß. 24 Mit Toben und Ungetüm schluckt es den Boden, und steht nicht still beim Klang des Horns. 25 So oft das Horn erschallt, ruft es „Ha!“, und von ferne wittert es den Krieg, den Lärm der Heerfürsten und Kriegsgeschrei.
Wanderfalke und Gänsegeier 26 Schwingt sich nach deiner Einsicht der Falke (neṣ) auf, breitet er seine Flügel zum Südwind hin aus? 27 Oder hebt sich auf dein Geheiß der Geier (næšær) auf, und (ist es auf dein Geheiß), dass er sein Nest so hoch errichtet, 28 den Felsen bewohnt und nächtigt, auf einer Felszacke und an der Steilwand? 29 Von dort späht er nach Fressen aus, in die Ferne blicken seine Augen 30 und seine Jungen ⟨schlürfen⟩21 Blut, und wo Erschlagene sind, da ist er.22
Jedes dieser zehn Tiere wird hinsichtlich seiner spezifischen Eigenschaften beschrieben: – Bei der Löwin und dem Raben (38,39–41) ist es die Nahrungsbeschaffung, mit der die Jungtiere umsorgt werden. Hinter dieser Fürsorge steht in beiden Fällen Gott (vgl. Ps 104,21; 147,9; Lk 12,24). 18
Die Straußenperikope Hi 39,13–18 wird von Witte, aaO 55 f.58.630 f zur sog. Majestätsredaktion gerechnet. 19 Lies jaḥpôr, vgl. BHS App. z. St. 20 Lies paḥat, vgl. BHS App. z. St. 21 Lies jelaʿleʿû von lʿʿ „schlürfen, lecken“, vgl. Witte, aaO 604 Anm. 94. 22 Zur Übersetzung s. auch ders., aaO 600 ff. Zu den im Folgenden genannten Tieren s. Keel, Entgegnung, 61 ff (mit Abbildungen aus der ao. und ägypt. Bildkunst); ders. u. a., OLB 1, 143 ff; Fuchs, Mythos, 210 ff; Ritter-Müller, Welt, 209 ff; Oeming/Schmid, Hiobs Weg, 103 ff (M. Oeming); Brüning, Tiere, 10 f; Kang, Behemot, 98 ff und Huber, Himmel, 363 ff. Zu den (z. T. fraglichen) zoologischen Zuordnungen s. Müller, Tierbezeichnungen, 135 ff und Riede, Spiegel, 251 ff.271 ff.289 ff.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 217
– Bei den Steinböcken und Hirschkühen (39,1–4, vgl. Ps 104,18) geht es um die Zeit des Gebärens, das sich unbemerkt vom Menschen vollzieht. – Ein anderer Aspekt, nämlich ihre unbändige Wildheit, tritt beim Wildesel und beim Wildstier (38,5–12, vgl. Ps 104,11) in den Vordergrund. Beide Tiere lieben die Freiheit, die sie unbehelligt vom Menschen ausleben. – Fast wie eine Parodie auf den Eigensinn mutet dagegen der lange Passus über die Straußenhenne und das Kriegspferd (39,13–25) an. Während die Straußenhenne unachtsam mit ihrem Gelege umgeht – der Text nennt dieses Verhalten unweise (V. 17) –, „jauchzt“ das Pferd und zieht unerschrocken in den Kampf (V. 21). – Was schließlich den Wanderfalken und den Gänsegeier (39,26–30) angeht, so schwingen sie sich in Flughöhen, die für den Menschen unerreichbar sind.
Wie bei der Löwin und dem Raben geht es auch beim Wanderfalken und beim Gänsegeier um die Nahrungsbeschaffung, die aber mit düsteren Aspekten (V. 30: Blut, Kadaver) einhergeht: „Mit den Geiern als Schlußbild wird ein Akzent auf das anarchisch-chaotische Element des Tierbilderbogens gesetzt. Es gibt in der Welt Bereiche und sie bevölkernde Mächte, die der Mensch nicht zu domestizieren und seinen Ordnungen zu integrieren vermag. Im Gegenteil! Dort, wo diese Ordnungen zusammenbrechen, wie z. B. im Krieg, da versammeln sich die Geier und die Raben. Und die Wildesel und die Strauße ergreifen von den verwüsteten Stätten Besitz, und der chaotische Bereich expandiert.“23
Von den Eigenschaften der behandelten Tiere24 hat Hiob, wie die rhetorischen Fragen zeigen, keine (genauere) Kenntnis. Es ist Gott, der sich um die Tiere kümmert, selbst dort, wo der Mensch – wie im Fall der Löwin, des Raben, des Steinbocks, der Hirschkuh, des Falken und des Geiers – es nicht wahrnimmt.25 Selbst der Wildesel, der Wildstier und das Kriegspferd, deren ungestüme Wildheit für den Menschen befremdlich und bedrohlich ist, sind Geschöpfe Gottes. Das gilt auch für die Straußenhenne und ihre scheinbare Lieblosigkeit und ‚Dummheit‘ (s. Abb. 53). So bringt JHWH seinem geschundenen Knecht am Beispiel der Tierwelt eine Wirklichkeit nahe, die dem Menschen gegenüber eigenständig ist. Dieses Eigenrecht der Tierwelt „sprengt die einseitige anthropozentrische Weltwahrnehmung und entgrenzt die Weltsicht Hiobs: Seine Maßstäbe sind nicht die Maßstäbe Gottes, dessen Perspektive mehr umfasst als die Welt des Menschen: Nicht der Mensch mit seiner begrenzten Einsicht in die Zusammenhänge der Schöpfung, seinen Nützlichkeitserwägungen und seiner Einteilung in wild/fremd = feindlich und kulturell/vertraut = lebensförderlich kann in seiner Selbstzentriertheit für die Schöpfung Gottes bestimmend und grundlegend 23
Keel, Entgegnung, 85, vgl. Fuchs, aaO 219 f. Zu ihrer Auswahl s. Keel, aaO 63 ff. Neben ihrer Zugehörigkeit zur gegenmenschlichen Welt erscheinen die meisten Tiere von Hi 38,39 ff als „bevorzugte Jagdtiere der ägyptischen und vorderasiatischen Könige“ (ders., aaO 71). 25 Vgl. Ritter-Müller, aaO 262 und Brüning, aaO 11. Zum Handeln Gottes an diesen Tieren s. Keel, aaO 81 ff. 24
218 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Abb. 53: Afrikanische Strauße mit Gelege (Zeichnung) sein. Was nach menschlichen Kriterien der Ordnung entbehrt und unverständlich erscheint, hat von Gott her seine Rhythmik, seinen Lebensraum und seine Lebensart. Die Perspektive des Schöpfers hat die gesamte Schöpfung im Blick und geht außerdem über die menschliche Sicht Hiobs und seiner Freunde hinaus“26.
Kann diese Entgegnung JHWHs eine Lösung des Hiobproblems sein? In der Forschung gibt es immer wieder die Ansicht, dass die Gottesreden des Hiobbuchs „drei Stunden Naturkunde“27 beinhalten oder dass Gott mit seinen Reden Hiob einfach niederdonnert, bis dieser seinen Widerstand aufgibt.28 Der Text selber gibt andere Hinweise: nämlich, dass Gott Hiob zu einem ‚Kampf der Erkenntnis‘ (Hi 38,2 f ), zu „einer harten, aber erlösenden Reinigung des Bewusstseins“29 herausfordert:
26
Neumann-Gorsolke, Herr der Tiere, 147 (H. i. O.). Die Verfasserin setzt sich (aaO 96 ff ) kritisch mit der von Keel, Jahwes Entgegnung, 86 ff; ders./Schroer, Schöpfung, 198 ff vertretenen These vom „Herrn der Tiere“ auseinander, s. dazu bereits Oeming/Schmid, Hiobs Weg, 103 ff (M. Oeming) und zuletzt Kang, aaO 99 ff. 27 Zu diesem (von L. Steiger vertretenen) Auslegungstyp s. Keel, Entgegnung, 11 f, ferner Witte, aaO 595 und zu den übrigen Deutungsmodellen Oeming/Schmid, aaO 100 ff (M. Oeming). 28 So der vehemente Einspruch von Wiesel, Hiob, 227 ff. 29 Schwienhorst-Schönberger, Weg, 225.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 219
2 „Wer ist es, der verdunkelt den Plan mit Worten ohne Wissen? 3 Gürte doch wie ein Mann deine Lenden! Dann will ich dich fragen, und du lass (es) mich wissen!“
Gott spricht Hiob nicht auf sein Leiden an. Er sagt weder „du hast gesündigt, du hast dich schlecht benommen, noch sagt er, ich selber habe Unrecht gehabt“30. Kein Wort davon, nichts. Er fordert ihn vielmehr auf, seinen Blick von seinem eigenen Leiden abzuwenden und sich neu auszurichten. Und dann folgt in Hi 42,1–6 die Antwort Hiobs: 1 Und Hiob antwortete JHWH und sprach: 2 „Ich weiß (jādaʿ), dass du alles vermagst, und dir kein Vorhaben verwehrt ist. 3 ‚Wer ist es, der den Plan verdunkelt ohne Erkenntnis‘? vgl. 38,2 Deshalb verkündete ich, und ich verstand nicht, für mich war es zu wunderbar, und ich wusste nicht (loʾ jādaʿ). 4 Höre doch, und ich will reden, ‚ich will dich fragen, du aber lass (es) mich wissen‘ (jdʿ hif.)! vgl. 38,3 5 Mit eigenen Ohren31 habe ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen. 6 Darum liegt mir nichts (mehr) daran, und ich bin umgestimmt32 – auf33 Staub und Asche.“ Wenn man für jādaʿ „erkennen, wissen“ in V. 2 dessen resultativen Bedeutungskern34 ansetzt, dann drückt dieses Verb das Ergebnis eines Erfahrungsprozesses aus, der nach V. 5 die Folge einer Sinneswahrnehmung, nämlich der in den Gottesreden gesehenen Schöpfungswelt und ihres Schöpfers ist. Diese „neue“ Erkenntnis führt Hiob nach V. 6 zu einer gravierenden Schlussfolgerung. Das aber heißt: Mit den Gottesreden wird die Aufmerksamkeit Hiobs von seinem Leiden ab- und zur Wahrnehmung der Schöpfungswelt hin-
30
Wiesel, aaO 226. Wörtlich: „Vom Hören des Ohres“. 32 Zu dieser Übersetzung von māʾas (+ Akk.: „an etwas/jemandem nicht [mehr] interessiert sein“) und von nḥm nif. („[tröstlich] umgestimmt sein“) s. Willi-Plein, Widerruf, 137 ff.143 ff; dies., Mensch, 555 ff u. a., anders und zwar im Sinn der traditionellen These von einer „Revozierung“ Hiobs Oeming/Schmid, Hiobs Weg, 129 Anm. 24 (M. Oeming) und Witte, aaO 673.677 ff. 33 Auch die Präposition ʿal wird unterschiedlich (lokal, konzessiv, kausal) verstanden, s. dazu Witte, aaO 673.678 f. Statt des Hinweises von Witte auf Gen 18,27 („Sieh doch, ich unterfange mich, zu meinem Herrn zu reden, obwohl ich Staub und Asche bin“) dürfte der Bezug zur realen Situation Hiobs näherliegen, wie sie in Hi 2,8 („Und er nahm sich eine Scherbe, um sich mit ihr zu schaben, während er mitten in der Asche saß“) geschildert wird, vgl. Ebach, Hiob II, 159 f. Auch die Vergänglichkeitsklage von Hi 30,19 („Er [sc. Gott] hat mich in den Dreck geworfen, und ich wurde Staub und Asche gleich“) hat eine andere Aussageintention als die Beschreibung der conditio humana in Gen 18,27; Sir 10,9 und 17,32, s. dazu Forster, Leben 93, anders wieder Witte, aaO 469 f. 34 S. dazu Seeligmann, Erkenntnis Gottes, 233 ff. 31
220 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt gelenkt. Was diese therapeutische „Ablenkung“35 bedeutet, beschreiben die Gottesreden mittels des Gedankens, dass der Weg zu Gott über das rechte Verständnis der Welt, ihrer unfasslichen Größe und ihrer unergründlichen Ambivalenzen führt. Für den Hiob der Dialoge war es so, dass er von sich auf den chaotischen Zustand der Welt und den dafür verantwortlichen ‚Frevlergott‘ geschlossen hatte (vgl. Hi 9,22–24). Für den Hiob der Gottesreden ist es dagegen so, dass er von Gott dazu aufgefordert wird, von der Welt und ihrer Ordnung auf sein individuelles Schicksal zu schließen – die Wirklichkeit also anders wahrzunehmen und sich neu im Gesamtgefüge der Schöpfung zu orientieren.
Aber ist der Begriff der „Ordnung“ im Blick auf die Gottesreden überhaupt angebracht? Offenbar ja, aber es ist eine Ordnung, die sich vom normalen Ordnungsbegriff unterscheidet. Denn das ist es, was Hiob „gesehen“ (Hi 42,5) hat: „den vom Schöpfer gestalteten Kosmos“36. Gott ist der ganz Andere, der der „alles“ vermag,37 der jede menschliche Vorstellung überschreitet, weil er auch denjenigen Kräften und Wesen einen Platz in seiner Schöpfung gibt, die dem Menschen gefährlich oder wie Behemot (Nilpferd: Hi 40,15–24) und Leviatan (Krokodil: Hi 40,25–41,26)38 chaotisch bzw. dämonisch vorkommen. So nimmt Hiob mit Hi 42,1–6 Abschied von der Vorstellung, an seinem Schicksal bemesse sich der Lauf der Welt. In seiner Klage hatte er alles in der Welt, ja die Welt selbst ausschließlich im Licht seines Schicksals gesehen.39 Dass er das nicht mehr tut, ist nicht die Folge einer Änderung seiner äußeren Situation – er sitzt ja immer noch „auf Staub und Asche“ (Hi 42,6, vgl. 2,8)!40 –, sondern deren Voraussetzung. So ändert Hiob nicht seine Haltung, weil er gesund geworden wäre – damit würde er nachträglich der Unterstellung des Satan (Hi 1,9) Recht geben –, sondern weil er jetzt alles neu und anders sieht: die vom Schöpfer geschaffene Welt und in ihr sich selbst. Darin kommt eine „Relativierung der Vorstellung vom Menschen als Ziel der Schöpfung“41 zum Ausdruck, die ihresgleichen sucht: „Auch für die Gottesreden (sc. des Hiobbuchs) dürfte außer Frage stehen, dass Gottes Schöpfung ‚gut‘, im Gesamten sogar ‚sehr gut‘ ist, wie Gen 1 dies feststellt. Die Auf35
Zu diesem Ausdruck s. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 231 f, vgl. auch Keel/Schroer, Schöpfung, 211, ferner Willi-Plein, Mensch, 555 Anm. 16 und Saur, Ordnung, 83. 36 Lux, Hiob, 262 (H. i. O.). 37 Vgl. Ebach, Hiob II, 155: „Das ist kein Bekenntnis zu einer abstrakt-logischen ‚Allmacht‘, sondern Ausdruck und Erfahrung einer unvergleichlichen Macht Gottes. Gott allein ist es, der die Welt erhält – keine widerspruchsfreie, ‚heile‘ Welt, sondern eine, in der widerstreitende Interessen und Lebensbedürfnisse Raum haben (erste Gottesrede) – und der sie gegen die Frevler, die in Behemoth und Leviathan sich manifestierenden Chaosmächte, verteidigt (zweite Gottesrede). Hiob reagiert damit auf die ihm in den Gottesreden vor Augen gestellte Welt. Er weiß nun, daß nicht an seinem Maßstab die Welt bemessen ist, und erst recht, daß nicht er die Welt regieren könnte.“ 38 Vgl. Jes 27,1; Ps 74,13 f und 104,26. 39 S. dazu auch Oeming/Schmid, Hiobs Weg, 114 ff (M. Oeming) und Schwienhorst-Schönberger, Weg, 231. 40 S. dazu oben 219 mit Anm. 33. 41 Schüle, Schöpfung, 433 (dort in der Überschrift zu Abschnitt 6).
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 221
gabe, die menschlichem Leben gestellt ist, besteht nun aber darin, sich in die Ordnungen dieser sehr guten Schöpfung einzufinden, seinen Platz darin einzunehmen, ohne eine letzte Gewissheit über das Wesen und die Absichten des Schöpfers selbst zu haben.“42
Dass der Mensch das Ziel bzw. die „Krone“ der Schöpfung ist, wie es bis heute auch innerhalb von Theologie und Kirche gern vertreten wird, hat allerdings schon in Gen 1 keinen Anhalt. Darauf wird zurückzukommen sein43 β) Tiere als Lehrer des Menschen (Spr 6,6–11) Dell/Forti, Bird, 257 f ◆ Forti, Animal Images, 48 ff ◆ Dies., Animal Imagery, 103 ff ◆ Henry, Tier, 56 ff.60 f ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 68 ff ◆ von Rad, Weisheit, 171 f ◆ Riede, Spiegel, 6 ff ◆ Schmitz-Kahmen, Geschöpfe Gottes, 6 f.
Was den Sinn der Schöpfung und die Eigenschaften der nichtmenschlichen Geschöpfe vom Löwen bis zu Leviathan angeht, so wird Hiob darüber in den Gottesreden von Hi 38,1–42,6 vom Weltschöpfer auf eine höchste eindrückliche und unerwartete Weise belehrt. Er selber hat der ironischen Aufforderung JHWHs, ihn doch über diesen Plan aufzuklären, nichts entgegenzusetzen: 2 „Wer ist es, der verdunkelt den Plan mit Worten ohne Wissen? 3 Gürte doch wie ein Mann deine Lenden! Dann will ich dich fragen, und du lass (es) mich wissen!“ (Hi 38,2 f )
Im Gegenteil: Nach Hi 42,1–6 gesteht er Gott gegenüber offen sein Nichtwissen ein.44 Schon früher, nämlich innerhalb der ersten Antwort Hiobs an Zofar (Hi 12–14) heißt es, dass sogar die Tiere als „Lehrer“ des Menschen fungieren: 7 Aber frage doch die Tiere, und sie sollen dich lehren (jrh hif.),45 und die Vögel des Himmels, und sie sollen dir verkünden Himmel (ngd hif.). 8 Oder sprich46 zur Erde, und sie soll dich lehren (jrh hif.), Erde und erzählen (spr pi.) sollen dir die Fische des Meeres. Meer 9 Wer erkennt nicht an all diesem, dass die Hand JHWHs dies gemacht hat, 10 in dessen Hand die Lebenskraft (næpæš) alles Lebendigen und der Lebensatem (rûaḥ) allen menschlichen Fleisches ist?47 42 43 44 45
46
47
Ders., aaO 436, vgl. Keel, Allgegenwärtige Tiere, 188 ff. S. dazu unten 473 ff. S. dazu oben 219 f. Zum sing. Prädikat nach plur. Subjekt s. GK28 § 145k. Zum Textverständnis s. Jenni, Präpositionen 1, 147; Riede, Spiegel, 24 Anm. 107 und Dell/ Forti, Bird, 257 mit Anm. 48. Witte, Hiob (ATD), 220 mit Anm. 7, der ebenfalls bei MT bleibt, übersetzt: „sinne über die Erde nach“. Zum Nebeneinander von næpæš und rûaḥ s. Müller, Seele, 264 ff.
222 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt 11 Prüft nicht das Ohr die Worte, wie der Gaumen die Speise schmeckt? (Hi 12,7–11)
Diese „Theologie der Tiere“48 beruht auf einer Kombination von weltbildhafter Anordnung der Tierwelt wie in Gen 1,26.28 – Vögel des Himmels, Vieh der Erde,49 Fische des Meeres – mit dem ‚Ordnungswissen‘ der Tiere. Diese unterrichten – zu beachten sind die verba dicendi „lehren“, „verkünden“, „erzählen“ – den Menschen darüber, dass die gesamte Schöpfung von Gott gemacht ist und alles Leben, das menschliche wie das außermenschliche, von ihm lebt: „Dieser Unterweisung- und Verkündigungsvorgang der Kreatur erfolgt durch ihr einfaches Dasein. Sie verweist auf die unbefragbare Schöpfer- und Erhaltermacht Gottes. Hier begegnet ein Stück natürliche Theologie und Offenbarung.“50
Auch wenn von Hi 12,11 her deutlich wird, dass das ‚Ordnungswissen‘ der Tiere auf dem Prüfstand steht (das Ohr prüft die „Worte“ und deren Wahrheitsgehalt) und die Frage nach dem Maßstab der göttlichen Welterhaltung immer wieder neu zu stellen ist, werden die Regeln dieser Welterhaltung nicht in Frage gestellt. Das Schöpfungshandeln Gottes hat vielmehr den Sinn, die Gültigkeit und Wirksamkeit der Ordnung zum Vorschein zu bringen, die den göttlichen Setzungsakten innewohnt und die auch der Rahmen für das soziale Handeln ist.51 Dass die Tiere den Menschen über die Schöpfung und ihren Schöpfer „belehren“, es ihm „verkünden“ und „erzählen“, ist charakteristisch für die weisheitliche Weltauffassung. Deshalb ist es nicht überraschend, dass davon auch in der älteren Spruchweisheit die Rede ist.52 Wir beschränken uns auf das Mahnwort Spr 6,6–11, das am Beispiel einer Tierbeobachtung zu einem bestimmten Verhalten aufruft: Die Ameise 6 Geh zur Ameise (nemālāh), Fauler! Sieh ihre Wege an, damit du weise wirst! 7 Sie hat keinen Anführer, Vorgesetzten oder Herrscher, 48
Ebach, Hiob I, 114, vgl. Riede, aaO 24 ff. Zur Frage nach dem literarischen Charakter von Hi 12,7–11 im Kontext des gesamten Kapitels s. Ebach, aaO 114 ff und Witte, aaO 226 f. 49 Zur Trias Himmel – Erde – Meer s. Krüger, Himmel, 66 ff. Die „Erde“ (ʾæræṣ) steht in Hi 12,8 metonymisch für die auf dem Erdboden lebenden Landtiere. Zu vergleichen ist 1 Kön 5,13, wo die Landtiere mit dem aus Gen 1,24; 6,7; 7,23 u. ö. bekannten Begriff ræmæś „Kriechtiere“ bezeichnet werden, s. dazu Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 43 Anm. 1. 50 Wagner, Art. jārāh, 923, vgl. von Rad, Weisheit, 171 f und Dell/Forti, aaO 257 f und im Folgenden. 51 Vgl. Steck, Schöpfungsbericht, 57. 52 S. außer Spr 6,6 ff noch Spr 30,18 f und 30,24 ff. Von Ameisen ist neben dem Klippschliefer, der Heuschrecke und dem Gecko auch in Spr 30,24 ff die Rede: „Die Ameisen, kein starkes Völkchen, aber sie begründen im Sommer ihre Nahrung“ (V. 25), s. dazu Meinhold, Sprüche (ZBK.AT), 511 f; Riede, Spiegel, 9 ff und Schipper, Sprüche I (BK), 386 f.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 223
8 pflegt (aber doch) im Sommer ihre Nahrung zu bereiten, sammelt in der Erntezeit ihre Speise.
Der Faule 9 Bis wann, Fauler (ʿāṣel), willst du liegen? Wann wirst du von deinem Schlaf aufstehen? 10 „Ein wenig Schlafen, ein wenig Schlummern, ein wenig Verschränken der Hände, um zu ruhen!“ 11 Da kommt (schon) wie ein Marschierer deine Armut, und dein Mangel wie ein bewaffneter Mann.53
Für die Beobachtung von Tieren sind Wahrnehmungsvermögen und Umsicht erforderlich, die nur mit großer Geduld erworben werden. Spr 6,6 beschreibt das als einen Prozess, der sich in zwei Schritten – „gehen“ (hālak) und „sehen“ (rāʾāh) – vollziehen soll, um zu dem erhofften Ergebnis zu gelangen: „damit du weise wirst“ (ḥākam). Mit Weisheit ist die Bemühung des Menschen gemeint, „das Leben, die menschliche und natürliche Welt, in der er sich gestellt sieht, als Ordnung auf empirischem Wege zu verstehen …“54. Genau das wird hier beschrieben: durch genaue Beobachtung der Vorgänge in der Welt der Ameisen (s. Abb. 54), die, obwohl sie keinen Anführer, Vorgesetzten oder Herrscher haben (V. 7),55 dennoch ihre Arbeit so organisieren, dass diese den Charakter der ‚Vorsorge‘ (V. 8: „Sommer“ // „Erntezeit“) für den Winter trägt. Dieses Studium der Tierwelt geschieht nicht ‚am Schreibtisch‘, sondern durch unmittelbare Anschauung, „um die notwendige Einsicht gegen die Faulheit zu gewinnen“56. Es bleibt also nicht bei der Tierbeobachtung, sondern der Fleiß der Ameise wird zum Kontrastbild für die Faulheit des Faulen.57 Während die Ameise ihre „Wege“ zurücklegt, um ihre mühevolle Nahrungsvorsorge zu bewältigen, muss sich der Faule fragen lassen, wie lange er denn auf seinem Bett „liegen“ und mit verschränkten Armen – mit denen er doch tätig sein sollte! – „ruhen“ will (V. 9 f ). Die Konsequenz lässt nicht lange auf sich warten, sondern rückt dem Faulen „wie ein Marschierer“ // „wie ein bewaffneter Mann“ auf den Pelz (V. 11). Damit bewahrheitet sich, was auch in Spr 10,4 f zu lesen ist: 4 Arm wird, wer mit lässiger Hand arbeitet, aber die Hand der Fleißigen macht reich. 5 Wer im Sommer erntet, ist ein verständiger Sohn, wer in der Erntezeit im Tiefschlaf liegt, ist ein schändlicher Sohn.
53 Übersetzung 54 55
56 57
Meinhold, aaO 107, s. zur Interpretation ders., aaO 111 ff; Forti, Animal Images, 51 ff; Riede, aaO 6 ff und Schipper, aaO 383 ff. Gese, Art. Weisheit, 1574, vgl. oben 172 f. Zu den hier verwendeten Termini s. Riede, aaO 7 Anm. 30 und Schipper, aaO 385 f. Meinhold, aaO 111. Zum Faulen in der Weisheitsliteratur s. Delkurt, Einsichten, 69 ff und Schipper, aaO 383 f.
224 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Abb. 54: Waldameise: Männchen (1), Arbeiterin (2), Königin (3), darunter das Nest, in dem Arbeiterinnen beschäftigt sind
Faulheit ist eine „verfehlte Lebensart“58, vor der die Weisen immer wieder warnen.59 In Spr 6,6 ff; 30,24 ff; Hi 12,7 ff u. a. tun sie dies anhand lehrreicher Beispiele aus der Tierwelt, die für den Einsichtigen unmittelbar evident sind. Die „Lehre“, die diese Beispiele erteilen, beruht auf der Einsicht, dass Tiere „die von Gott verfügten, lebensstiftenden Ordnungen“60 respektieren. Anders offenbar der Mensch. Deshalb fordert die Weisheitsliteratur dazu auf, von den Tieren zu lernen – „Geh zur Ameise …“ (Spr 6,6), „Aber frage doch die Tiere …“ (Hi 12,7) – und das eigene Handeln an ihrem Verhalten auszurichten. Wie wir sehen werden, fungieren die Tiere, die über ein explizites ‚Ordnungswissen‘ (Jer 8,7; Hi 38,36 ff u. a.) verfügen, nicht nur als Lehrer des Menschen, es sind auch Wesen, die in den kosmischen Lobpreis einstimmen (Jes 43,19 f; Ps 148,7 ff u. a.).61 Das Ordnungswissen und der Lobpreis der Tiere sind zwei Seiten derselben Medaille. 58
Meinhold, aaO 168. Für eine ägypt. Sachparallele in der Lehre des Ani s. Q 36. 60 Keel/Schroer, Schöpfung, 70, vgl. Schipper, aaO 384.400 f. 61 Zum kosmischen Lobpreis s. unten 303 ff. 59
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 225
b) Reine und unreine Tiere (Lev 11,2–23; Dtn 14,3–20) Altes Testament: Achenbach, Systematik, 161 ff ◆ Altmann/Al-Souadi, Essen, 62 ff ◆ Diet-
rich, Listenweisheit, 107 ff.109 ff ◆ Douglas, Reinheit, 60 ff ◆ Dies., Leviticus, 134 ff ◆ Ego, Reinheit, 131 ff ◆ Feld, Levitikus, 40 ff ◆ Frymer-Kenski, Pollution, 399 ff ◆ Gerstenberger, Speisetabus, 179 ff ◆ Houston, Purity ◆ Janowski, Anthropologie, 429 ff ◆ Ders./NeumannGorsolke, Reine Tiere, 214 ff ◆ Keel/Staubli, Im Schatten, 46 ff ◆ Kornfeld, Tiere, 134 ff ◆ Müller, Tierbezeichnungen, 135 ff ◆ Nihan, Torah, 336 ff ◆ Ders., Laws, 401 ff ◆ Staubli/ Klinghardt, Art. Speisegesetze, 541 ff ◆ Staubli/Schroer, Menschenbilder, 258 ff.408 ff ◆ Thöne, Das Gleiche, 208 ff. – Antike Religionen: Frevel/Nihan (ed.), Purity. – Philosophie, Religions- und Kulturwissenschaft: Bendlin, Art. Reinheit/Unreinheit, 412 ff ◆ Burschel/Marx (Hg.), Reinheit ◆ Eder, Vergesellschaftung, 127 ff ◆ Foucault, Ordnung, 17 ff.165 ff ◆ LéviStrauss, Denken, 11 ff.
Das dritte Beispiel für die Welt der Tiere ist die Liste der reinen und unreinen Tiere in Lev 11,2–23 par. Dtn 14,3–20, die in manchem verständlich, in vielem aber befremdlich oder gar unverständlich ist. Über ähnliche Regeln zur Vermeidung von Unreinheit und Schmutz verfügen fast alle Religionen der Antike.62 Die Vorstellungen von „rein“ und „unrein“ sind dabei Ausdruck eines komplexen, auf die symbolische Ordnung der Wirklichkeit ausgerichteten Systems, dessen Logik und Kohärenz von Gesellschaft zu Gesellschaft variiert.63 Im religiösen Symbolsystem des alten Israel ist das Unreine der Gegenpol des Heiligen, das durch entsprechende Reinheitsvorschriften rituell geschützt wird. Das Kriterium dafür ist die Heiligkeit des Israelgottes, die immer wieder eingeschärft wird: „Seid heilig, denn ich bin heilig“ (Lev 11,45b).64 Dieser Aufruf „kann als Begründung für alles Vorhergehende gelesen werden“65. Die Regeln für „rein“ = lebensförderlich und „unrein“ = lebensfeindlich werden von der sozialen Gemeinschaft bzw. von ihren Ritualexperten (Priester) festgelegt. Nach M. Douglas gilt als „unrein“, was außerhalb oder am Rand dieses Systems steht: es darf (wie eine Leiche) weder berührt noch (wie ein Aas) gegessen werden.66 Ein prominentes Beispiel sind die Vorschriften über reine und unreine Tiere in Lev 11,2–23 par. Dtn 14,3–20, die fast ein Drittel der etwa 130 Tierarten des Alten Testaments enthalten.67 Im Folgenden gehen wir von Lev 11,2–23 aus:68 62
S. dazu Bendlin, Art. Reinheit/Unreinheit, 412 ff und die Beiträge in Frevel/Nihan (ed.), Purity. 63 S. dazu Douglas, Reinheit, 19 ff.45 ff u. a. 64 S. dazu unten 230 ff. 65 Gerstenberger, Speisetabus, 184. 66 S. dazu Douglas, aaO 51 ff mit zahlreichen Beispielen. 67 S. dazu Frymer-Kensky, Pollution, 399 ff; Feld, Levitikus, 40 ff; Staubli/Klinghardt, Art. Speisegesetze, 541 ff; Achenbach, Systematik, 161 ff; Nihan, Laws, 401 ff; Thöne, Das Gleiche, 208 ff u. a. Zur Rezeption in der Tempelrolle vom Toten Meer (11QTemple 48,?–7) s. Maier, Tempelrolle, 202 f. 68 Neben den Kategorien „rein“ (ṭāhôr) und „unrein“ (ṭāmeʾ ) begegnet in diesem Text immer
226 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Anrede und Weitergabeformel 1 Und JHWH sagte zu Mose und Aaron: 2 Sprecht zu den Israeliten: Dies (sind) die Tiere, die ihr von allem Vieh, das auf der Erde (ist), essen dürft.
Vierfüßige Landtiere (3) Alle Wiederkäuer unter dem Vieh mit einem Huf, und zwar mit einem Spalt gespaltenen Hufen, dürft ihr essen. (4) Allerdings dürft ihr diese (Tiere) von den Wiederkäuern und denen mit einem Huf nicht essen: das Kamel, denn es ist (zwar) ein Wiederkäuer, hat aber keinen Huf, als unrein (gelte) es euch, (5) der Klippschliefer, denn er ist (zwar) ein Wiederkäuer, aber er hat keinen Huf, als unrein (gelte) er euch, (6) der Hase, denn er ist (zwar) ein Wiederkäuer, aber er hat keinen Huf, als unrein (gelte) er euch, (7) das Schwein, denn es (hat zwar) einen Huf, und zwar einen mit einem Spalt gespaltenen Huf, aber es käut nicht wieder, als unrein (gelte) es euch. (8) Von ihrem Fleisch dürft ihr nicht essen und ihr Aas nicht berühren, als unrein (sollen) sie euch (gelten).
Wassertiere (9) Und dies dürft ihr essen von allem, was im Wasser (ist): alle (Tiere), die Flossen und Schuppen haben in den Meeren und Flüssen, sie dürft ihr essen. (10) Aber alle (Tiere), die keine Flossen und Schuppen haben in den Meeren und Flüssen, von allem Kleingetier des Wassers und allen Lebewesen, die im Wasser (sind), (sollen) euch als Abscheulichkeit (gelten). (11) Ja, eine Abscheulichkeit seien sie für euch; von ihrem Fleisch sollt ihr nicht essen, und ihr Aas sollt ihr verabscheuen. (12) Alles, was im Wasser keine Flossen und Schuppen hat, (gelte) euch als Abscheulichkeit.
Flugtiere (Vögel und geflügeltes Kleingetier) (13) Und diese sollt ihr von den Vögeln verabscheuen, sie sind nicht zum Essen (bestimmt), als eine Abscheulichkeit (sollen) sie (gelten): der Gänsegeier und der Bartgeier und der Mönchsgeier (14) und der Rotmilan und der Schwarzmilan nach seiner Art (15) und alle Raben nach ihrer Art (16) und der Strauß und der Steinkauz und die Möwe und der Wanderfalke nach seiner Art (17) und der Uhu und die Fischeule und die Waldohreneule (18) und die Schleiereule und der Waldkauz und der Schmutzgeier (19) und der Storch und der Reiher nach seiner Art und der Wiedehopf und die Fledermaus.
wieder der Abgrenzungsterminus „Abscheuliches, Gräuel“ (šæqæṣ), s. dazu Hieke, Levitikus (HThK.AT), 119 ff.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 227
(20) Alles geflügelte Kleingetier, das auf vier (Füßen) geht, (gelte) euch als Abscheulichkeit. (21) Allerdings dürft ihr dieses von allem geflügeltem Kleingetier, das auf vier (Füßen) geht, essen: das, was Beine (hat) oberhalb seiner Füße, um mit ihnen auf der Erde zu hüpfen. (22) Und diese von ihnen dürft ihr essen: die Wanderheuschrecke nach ihrer Art und die Solamheuschrecke nach ihrer Art und die Chargolheuschrecke nach ihrer Art und die Chagabheuschrecke nach ihrer Art. (23) Aber alles (übrige) geflügelte Kleingetier, das vier Füße (hat), (gelte) euch als Abscheulichkeit. (Lev 11,2–23)69
In diesem Katalog und seinem Gegenstück Dtn 14,3–20 geht es um zwei Arten von Verunreinigung durch Tiere: zum einen sind bestimmte Tiere an sich „unrein“, und man verunreinigt sich dadurch, dass man sie isst (Verzehrverbot). Zum anderen ist das Aas – auch das von „reinen“ Tieren – „unrein“, und man verunreinigt sich dadurch, dass man selber oder Gebrauchsgegenstände mit ihm in Berührung kommt/en (Berührungsverbot). Die Dinge sind allerdings weitaus komplexer, als es diese Unterscheidung suggeriert. Neben der Furcht vor der Berührung von Aas reiner wie unreiner Tiere gibt es offenbar eine zweite Wurzel für die Entstehung der Speisebestimmungen, deren Ursprung allerdings dunkel bleibt.70 Nehmen wir den Fall der vierfüßigen Landtiere (Lev 11,3–8, vgl. Dtn 14,4–8). Klar ist zunächst, dass die Landtiere (domestizierte und wilde Tiere), sofern sie einen durchgespaltenen Huf haben (sog. Paarzeher) und Wiederkäuer sind, gegessen werden dürfen, also rein sind. Problematisch wird es aber bei den „unreinen“ Landtieren. Denn was verbindet das Kamel, den Klippschliefer, den Hasen und das Schwein miteinander? Nach dem Text: die auf „Unreinheit“ ausrichtete Systematik, die auf den Kriterien „Paarhufer“ und „Wiederkäuer“ beruht. Landtiere, die wie das Kamel, der Klippschliefer und der Hase dem nicht genügen, weil sie zwar Wiederkäuer sind (was zoologisch aber nicht zutrifft!), aber keine durchgespaltenen Hufe haben, sind „unrein“. „Unrein“ ist auch das Schwein, das zwar ein Paarhufer, aber kein Wiederkäuer ist. Das Schwein ist also ein Sonderfall, der die Systematik von Lev 11,3–8 sprengt.71 Wie die folgende Übersicht zeigt, geht die Klassifizierung der Tiere in Lev 11,2–23 auf mindestens zwei Konzeptionen zurück, die im zweiten Fall noch einmal unterteilt werden:72 69 Übersetzung
Hieke, aaO 406 f, vgl. Gerstenberger, Leviticus (ATD), 118 f. Zur Textgliederung s. auch Houston, Purity, 29 ff; zur Entstehungsgeschichte von Lev 11 s. Hieke, aaO 414 ff. Viele der hier genannten Tierbezeichnungen sind zoologisch nicht identifizierbar bzw. in ihrer Bedeutung umstritten, s. dazu Keel u. a., OLB 1, 100 ff; Müller, Tierbezeichnungen, 135 ff; Riede, Spiegel, 251 ff.271 ff.289 ff und Hieke, aaO 409 ff. 70 Als geistigen Nährboden für die Bestimmungen von Lev 11 par. Dtn 14 und ihre „dichotomische Weltsicht“ (184) vermutet Gerstenberger, Speisetabus, 184 ff.189 f die „persischzarathustrische Spiritualität“. Zu anderen, weitaus plausibleren Vermutungen s. Hieke, aaO 436 ff. 71 Zur Tabuisierung des Schweins s. Eder, aaO 127 ff; Keel/Staubli, Schatten, 46 ff (Th. Staubli); Staubli/Klinghardt, aaO 542 f und Hieke, aaO 419 ff. 72 So im Anschluss an Hieke, aaO 430 ff.
228 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt Für den Verzehr erlaubt Wiederkäuende Paarhufer (V. 2 f ) Wassertiere mit Flossen und Schuppen (V. 9) Vier Heuschreckenarten (V. 21–22)
Für den Verzehr nicht erlaubt Kamel, Klippschliefer, Hase, Wassertiere ohne Flossen und Schuppen (V. 10–12) Schwein (V. 4–8) Vögel (20 Arten vom Gänsegeier bis zur Fleder maus V. 13–19) Geflügeltes Kleingetier (V. 20.23)
Abb. 55: Klassifizierung der Tiere in Lev 11,2–23
Was die Textgattung von Lev 11,2–23 und Dtn 14,3–20 angeht, so handelt es sich um Dokumente der Listenwissenschaft.73 Es geht also um die Taxonomie der Tierwelt. Für den „taxonomischen Denkstil“, durch den „die Dinge der Welt in Begriffen erfasst, in Klassen geordnet und durch Analogien und Homologien miteinander in Beziehung gesetzt werden“74, sprechen in Lev 11,2–23 die Gliederung nach den drei kosmologischen Bereichen Erde – Wasser – Luft/ Himmel (vgl. Gen 1,3–31),75 der Klassifikationsterminus mîn „Art, Spezies“ (V. 14–16.19.22, vgl. V. 29),76 die polaren Kategorien „rein“/„unrein“ und die Unterscheidung essbar/nicht essbar.77 Auch andere Kulturen verfügen über Einteilungen der Tierwelt, die schwer zu verstehen sind. Berühmt ist das Beispiel, mit dem M. Foucault (1926–1984) sein Meisterwerk Die Ordnung der Dinge eröffnet hat und das ursprünglich von dem argentinischen Schriftsteller J. L. Borges (1899–1986) tradiert wurde. In einer chinesischen Enzyklopädie, so Borges, heißt es, dass die Tiere sich wie folgt gruppieren: „a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f ) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen.“78
Man kann eine derartige Taxonomie nur verstehen, wenn man das Symbolsystem versteht, dem sie entstammt. Das gilt auch für die Speisevorschriften von 73 74 75 76
77 78
S. dazu oben 137 ff und zu Lev 11 bes. Dietrich, Listenweisheit, 109 ff. Ders., aaO 119. S. dazu oben 139 f. S. dazu oben 138 f. Die polaren Kategorien „rein“/„unrein“ und die Unterscheidung essbar/nicht essbar fehlen in Gen 1. Foucault, Ordnung, 17. Foucault zitiert hier J. L. Borges, Das Eine und die Vielen. Essays zur Literatur, München 1966, 212. Zu weiteren Klassifikationsbeispielen aus der Tier- und Pflanzenwelt s. Lévi-Strauss, Denken, 11 ff.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 229
Lev 11 und Dtn 14.79 Doch welche Logik steht hinter diesem Klassifikationssystem? Man hat immer wieder versucht, hygienische oder fremdreligiöse Gründe für die Tabuisierung der „unreinen“ Tiere und das Ekelprädikat „Abscheuliches, Gräuel“ (V. 10–20.23) namhaft zu machen. Es bleibt dabei aber ein unerklärbarer Rest. Der fremdreligiöse Aspekt etwa – um den Monotheismus zu propagieren, habe man Tiere, die Fremdgottheiten heilig waren (paradigmatisch ist das Beispiel Ägypten), für unrein erklärt – scheitert daran, „dass keines der hier (sc. in Lev 11,4 –8) aufgeführten Tiere – vom Schwein in den späten Synkretismen abgesehen (vgl. Jes 65,4; 66,3.17) – in den Religionen des alten Orients eine beachtenswerte Rolle spielte. Umgekehrt waren Tiere, die in Israel als rein und kultfähig galten, sehr wohl Sakraltiere fremder Götter: die Kuh der ägyptischen Hathor, der Widder des Amun und Chnum in Ägypten, der Stier des kanaanäischen Baal usw.“80
Statt die Bestimmungen von Lev 11 par. Dtn 14 auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen, ist mit einer Überschneidung mehrerer Aspekte zu rechnen. In der Hauptsache handelt es sich dabei um kosmologische, soziale und symbolische Aspekte:81 – Analog zu Gen 1,20–23.24 f und Ps 8,8 f ist die Tierwelt nach Lebensräumen geordnet (Land-, Wasser- und Flugtiere). Wichtig ist dabei, dass sich die entsprechenden Tiere gemäß ihrem Lebensraum fortbewegen, d. h. auf vier Füßen „mit durchgespaltener Hufe“ (Landtiere), mit Schuppen und Flossen (Wassertiere) und mit zwei Füßen und Flügeln (Flugtiere). „Alle jene Arten, die dies nur auf unvollkommene Weise tun, oder deren Gruppe insgesamt den allgemeinen Aufbau der Welt in Unordnung bringen, sind unrein“82. Der zugrundliegende Klassifikationsaspekt ist also ein kosmologischer. – Ein „reines“ Tier muss alle notwenigen Kriterien seiner Klasse erfüllen, andernfalls ist es abscheulich, eben „unrein“. Rind, Schaf und Ziege geben als paarzehige, wiederkäuende Huftiere für eine agrarische Gesellschaft wie das eisenzeitliche Palästina/Israel das Modell eines „reinen“ Landtiers ab, und zwar deswegen, weil es Arbeitstiere sind.83 Domestizierte Landtiere, die wie das Hausschwein diesem Grundtyp nicht entsprechen, sind „unrein“.84 Das Klassifikationssystem hat also
79
80 81 82 83 84
Deshalb ist die Entrüstung von Gerstenberger, Speisetabus, 184 ff.188 ff über die „dichotomische Weltsicht“ der priesterlichen Autoren auf den ersten Blick zwar verständlich, aus religions- und kulturwissenschaftlicher Sicht aber wenig hilfreich. Weiterführend ist demgegenüber das von Hieke, aaO 433 ff vorgetragene Argument, dass die Speisevorschriften von Lev 11 und Dtn 14 eine „ethisch motivierte Zugriffsbeschränkung für den Menschen auf die Tiere“ (aaO 433) zum Ausdruck bringen, s. dazu auch Houston, aaO 13 ff. Kornfeld, Levitikus (NEB), 44. Zur Verehrung von Gottheiten in Tiergestalt im eisenzeitlichen Palästina/Israel s. Schroer, Israel, 67 ff. Zu weiteren Aspekten s. Hieke, aaO 436 f. Douglas, aaO 76. S. dazu Janowski/Neumann-Gorsolke, Haustiere, 62 ff. S. dazu die Hinweise oben 227 Anm. 71.
230 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt zusätzlich eine soziale Komponente.85 Rinder, Schafe und Ziegen (dazu Tauben) sind auch die bevorzugten Opfertiere.86 – Schließlich hat ein symbolischer Aspekt die Disqualifikation der „unreinen“ Tiere mitbestimmt. Die Nähe bzw. der Aufenthalt bestimmter Tiere zu bzw. in chthonischen, d. h. unterirdischen, oder als chaotisch geltenden Bereichen der natürlichen Lebenswelt wie Erdlöchern, Ritzen und Spalten oder öden Stätten, Ruinen und Wüstengegenden wecken offenbar „eine Assoziation mit der Unterwelt (‚Scheol‘), dem Reich der Toten, so dass diese Tiere mit dem Tod und seinen Kräften in Verbindung gebracht werden“87. Mythische Ungeheuer wie der Leviatan (Jes 27,1; Ps 74,14 u. ö.)88 tauchen in den Listen von Lev 11 und Dtn 14 natürlich nicht auf.
Wie immer man die Bestimmungen von Lev 11 und Dtn 14 hinsichtlich ihrer Herkunft und Bedeutung versteht, sie machen auf jeden Fall deutlich, dass „Unreinheit“, wie M. Douglas (1921–2007) hervorhebt, „nie etwas Isoliertes (ist). Sie kann nur dort auftreten, wo Vorstellungen systematisch geordnet sind. Daher ist jede fragmentarische Interpretation von Verunreinigungen in den Vorschriften einer anderen Kultur zum Scheiten verurteilt. Die Vorstellung einer Verunreinigung ergibt nur einen Sinn im Zusammenhang mit einer umfassenden Denkstruktur, deren Hauptstützen, Grenzen, Randbereiche und inneren Unterteilungen durch Trennungsrituale aufeinander bezogen sind“89.
Diese „umfassende Denkstruktur“ kommt im Motiv der Heiligkeit JHWHs zum Ausdruck: „Ihr sollt heilig sein, weil ich heilig bin“ (Lev 11,45b, vgl. Dtn 14,21a). Am Ende von Lev 11 folgt im Anschluss an einen Nachtrag zu den Kriechtieren (V. 41 f ) ein Passus, der dieses Verbot mit der Heiligkeit JHWHs und der Herausführung Israels aus Ägypten begründet (V. 43–45):90 Abscheulich = nicht essbar 41 Und alles Kleingetier, das auf der Erde wimmelt, (ist) eine Abscheulichkeit (šæqæṣ). Es ist nicht zum Essen (bestimmt). 42 Alles, was auf dem Bauch geht, und alles, was auf vier und mehr Füßen geht, kurz alles Kleingetier, das auf der Erde wimmelt, sollt ihr nicht essen, denn es ist eine Abscheulichkeit.
Unrein vs. heilig 43 Macht euch nicht selbst abscheulich (šqṣ pi.) durch irgendwelche (Tiere) von dem wimmelnden Kleingetier; und ihr sollt euch durch sie nicht verunreinigen, indem ihr durch sie unrein werdet.
85 Vgl. 86 87 88 89
90
Douglas, aaO 74 f. S. dazu Janowski/Neumann-Gorsolke, Opfertiere, 240 ff. Hieke, aaO 430, vgl. Kornfeld, aaO 44; Keel, Entgegnung, 104 und Douglas, aaO 77. S. dazu unten 391 ff. Douglas, aaO 60. Zur Entstehungsgeschichte und Interpretation von Lev 11,41–45 s. Hieke, aaO 414 f.429 ff. Zur Verbindung der beiden Topoi „Exodus“ und „Heiligkeit“ s. Ego, Reinheit, 135.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 231
44 Denn ich bin JHWH, euer Gott, ihr aber sollt euch heiligen und heilig werden, denn ich bin heilig. Ihr sollt euch selbst nicht verunreinigen durch all das Kleingetier, das auf der Erde kriecht. 45 Denn ich bin JHWH, der euch aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat, um euch Gott zu sein. Und ihr sollt heilig werden, denn ich bin heilig.
Der schöpfungstheologische Bezug dieser Bestimmungen geht schließlich aus der mit der Toraformel („Dies ist die Weisung“) eingeleiteten Gesamtunterschrift in Lev 11,46 f hervor und macht deutlich, dass der Akt der rituellen Unterscheidung „die Schöpfungstätigkeit Gottes, der das Chaos durch Unterscheidung in einen Kosmos verwandelt hat (Gen 1), fort(setzt), … also praktizierende imitatio Dei (ist)“91: 46 Dies ist die Weisung (tôrāh) für das Vieh und für die Flugtiere und für jedes lebendige Wesen, das sich im Wasser regt, und für jedes Wesen, das auf der Erde wimmelt, 47 um zu unterscheiden (bdl hif.) zwischen dem Unreinen und dem Reinen und zwischen den Tieren, die gegessen werden dürfen, und den Tieren, die nicht gegessen werden.
Mit dem Leitbegriff bdl hif. „scheiden, trennen“, der in Gen 1,4.6 f.14.18 den schöpferischen Trennungsakt bezeichnet und in Lev 20,25 f als Terminus zur Aussonderung Israels aus den Völkern verwendet wird,92 erreicht Lev 11 seinen schöpfungstheologischen Zielpunkt. So ist die Taxonomie der Tierwelt von Lev 11 und Dtn 14 nicht ein Stück aus dem animalischen Kuriosenkabinett, sondern ein Mittel zur Strukturierung des sozialen Raums und ein Modell für die Identität Israels als Gottesvolk: „The animal world mirrors the human. The separation of the animals into the pure and the impure is both a model and a lesson for Israel to separate itself from the nations.“93
Die Kategorie, die die Grundlage der taxonomischen Logik bildet, ist die Kategorie der Ordnung. Sie bestimmt den Platz, den der Einzelne wie die Gemeinschaft im Zusammenhang der Schöpfung einnimmt. Zitieren wir noch einmal C. Lévi-Strauss: 91
Staubli, Levitikus/Numeri (NSKAT), 94, vgl. Ego, aaO 140. bdl hif. in Gen 1,3 ff s. oben 48 f, zu Lev 20,25 f s. Ruwe, Heiligkeitsgesetz, 242 ff und Ego, aaO 135 ff. Im Unterschied zu Lev 10,10; 11,47 und 20,25a spricht Lev 20,25b von einem von Gott vollzogenen Akt der Absonderung (bdl hif. + Subj. JHWH) der unreinen von den reinen Tieren und führt diesen Gedanken in V. 26 durch die Absonderung (bdl hif. + Subj. JHWH) Israels von den Völkern weiter, s. dazu Ego, aaO 139 ff. Nur hier fungiert Gott wie in Gen 1, 4.6 f.14.18 als Subjekt des „Scheidens, Trennens“ (bdl hif.). Damit „erscheint Gottes Sondern zwischen unreinen und reinen Tieren in einem anderen, schöpfungstheologischen Licht“ (dies., aaO 140). 93 Milgrom, Leviticus I,689, vgl. Hieke, aaO 433 und Eder, Vergesellschaftung, 137: „Die Logik der Klassifikation der Tiere ist also ein Mittel, die Logik der Klassifikation des Sozialen zu konstruieren. Die Tiere sind so gesehen ein Mittel, die Gesellschaft zu denken. Die Klassifikation der Tiere erlaubt die Strukturierung des sozialen Raums“. 92 Zu
232 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt „Jede Art der Klassifizierung ist dem Chaos überlegen. Und selbst eine Klassifizierung auf der Ebene der sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften ist eine Etappe auf dem Wege zu einer rationalen Ordnung.“94
2. Aspekte biblischer Tierethik Altes und Neues Testament: Baumgart, Gott, 45 ff ◆ Gaß, Zugänge, 277 ff ◆ Gräßer, E., Seuf-
zen, 93 ff ◆ Gräßer, I., Tierschutzethik, 114 ff ◆ Hagencord/de Vries, Art. Zoologie, 322 ff ◆ Keel, Böcklein ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 39 ff.64 ff ◆ Liedke, Tier-Ethik, 199 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Der Gerechte, 146 ff ◆ Riede, Spiegel, 224 ff ◆ Schmitz-Kahmen, Geschöpfe Gottes, 87 ff ◆ Staubli/Klinghardt, Art. Speisegesetze, 544 ◆ Staubli/Schroer, Menschenbilder, 97 ff. – Philosophie, Theologie, Religions- und Kulturwissenschaft: Hagencord, Diesseits ◆ Ders., Mit-Sein, 275 ff ◆ Höffe, Moral, 218 ff ◆ Ders., Art. Tierschutz, 313 ff ◆ Jung, Der Gerechte, 128 ff ◆ Korsgaard, Tiere ◆ Link, Schöpfung 2, 227 ff ◆ Pelluchon, Manifest ◆ Peuckmann, Tierethik 1 ◆ Ders., Tierethik 2, 129 ff ◆ Ders./Wustmans, Tierethik, 228 ff ◆ S chockenhoff, Ethik, 561 ff ◆ Teutsch, Umweltethik ◆ Ders., Tierschutzethik.
Nach den in Abschnitt 1: Die Tiere als Mitgeschöpfe besprochenen Texten (Hi 38,39–39,30; Spr 6,6–11; Lev 11,2–23 u. a.)95 wenden wir uns im Folgenden der Frage zu, ob es eine biblische Tierethik gibt und was diese, falls es sie gibt, für die theologisch-ethische Urteilsbildung austrägt. Bekanntlich haben Autoren wie M. de Montaigne, M. Claudius, J. Bentham, M. Buber, A. Schopenhauer, A. Schweitzer, M. Horkheimer/Th.W. Adorno, H. Marcuse, H. Jonas; M. Merleau-Ponty, C. Lévi-Strauss oder auch K. Barth die Tiere als schmerzund leidensfähige Mitgeschöpfe wahrgenommen und dies in ihren Schriften mit durchaus unterschiedlichen Argumenten begründet.96 Nicht zu vergessen die pietistische Tierschutzethik des 18. und 19. Jahrhunderts, die A. Schweitzer nachweislich gekannt und geschätzt hat.97 Wie aber steht es mit den alttestamentlichen Tiertexten und ihren ethischen Implikationen? Die Dinge liegen nicht so einfach und sind im Einzelfall sogar widersprüchlich. So prangert das Amosbuch zwar die „Sorglosen auf Zion“ an, die „Böckchen aus der Herde verspeisen und Kälber mitten aus der Fesselung(szeit) heraus“: Die auf Elfenbeinliegen lagern und sich fläzen auf ihren Betten und Böckchen aus der Herde verspeisen und Kälber mitten aus der Fesselung(szeit) (marbeq) heraus. (Am 6,4)
Aber der Text fragt nicht danach, woher das Elfenbein kommt, mit dem die Reichen ihre Luxusbetten ausstatten (Am 3,15). „Zwar hat der Prophet Amos“, 94
Lévi-Strauss, Denken, 27 f. Zum Ordnungsdenken s. oben 137 ff. S. dazu oben 211 ff. 96 S. dazu die Hinweise bei Teutsch, Umweltethik, 23 ff.63 ff.69 ff u. ö.; ders., Tierschutzethik, 32 ff. 42 ff.140 ff u. ö. und die unten 653 ff (Anhang III) zusammengestellten Texte. 97 Vgl. ders., Tierschutzethik, 167 f. Zur Position von A. Schweitzer s. unten 658 (Anhang III). 95
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 233
so kommentieren O. Keel und S. Schroer, „das Elfenbein in ein schlechtes Licht gerückt, aber die Ausrottung der Elefanten hat ihn nicht beschäftigt“98. Dennoch gibt es im Alten Testament mehrere Texte aus den Bereichen Recht, Prophetie und Weisheit,99 die für eine theologische Tierethik relevant sind: Verbotsformulierungen – – – – –
Verbot, ein Böcklein in der Milch seiner Mutter zu kochen: Ex 23,19; 34,26; Dtn 14,21 Verbot, eine brütende Vogelmutter zu fangen: Dtn 22,6 f Verbot, einem dreschenden Rind das Maul zu verbinden: Dtn 25,4 Verbot, ein Muttertier mit seinem Jungen zusammen zu schlachten: Lev 22,28 Verbot der Kastration von Tieren: Lev 22,24
Kasuistischer Rechtssatz – auch Tiere gelten möglicherweise als schuldfähige Rechtssubjekte: Ex 21,28–32100
Schutzbestimmungen – den Esel „deines Feindes“/das Rind „deines Bruders“ soll man nicht unter seiner Last zusammenbrechen lassen: Ex 23,5; Dtn 22,4 – der Sabbat- und Ruhetag gilt auch für die Tiere: Ex 20,10 par. Dtn 5,14; Ex 23,12 – die tierische Erstgeburt (Rind, Kleinvieh) ist sieben Tage bei der Mutter zu belassen, bevor es an JHWH gegeben wird: Ex 22,28 f; Lev 22,27
Tabugebot – der Wildwuchs des Brachjahres ist den Armen und wilden Tieren zu überlassen: Ex 23,11101
Prophetisches Gerichtswort – gegen die Missachtung der natürlichen Bindung zwischen dem Muttertier und seinem Jungen: Am 6,4
Weisheitliche Texte – der Gerechte kennt das „Bedürfnis“ (næpæš) seines Viehs: Spr 12,10 – Menschen und Tiere haben denselben Lebensgeist (rûaḥ) und dasselbe Todesschicksal: Pred 3,19–22102
Abb. 56: Texte zur Tierethik im Alten Testament
98
Keel/Schroer, Schöpfung, 40, vgl. Ebach, Art. Naturerfahrung, 423. Zur Interpretation von Am 6,4 s. Janowski, Anthropologie, 229.579. 99 Zur Interpretation dieser Texte s. auch Keel, Böcklein; ders./Schroer, Schöpfung, 64 ff.146 f; Schmitz-Kahmen, Geschöpfe Gottes, 87 ff; Riede, Spiegel, 224 ff und Staubli/Schroer, Menschenbilder, 98. 100 Zur Diskussion dieses schwierigen Textes s. etwa Gaß, Zugänge, 283 ff. 101 S. zum Text unten 236. Mit dieser „Verzichterklärung sollten wahrscheinlich der Schöpfer der natürlichen Welt geehrt und gleichzeitig die Segenskräfte des Ackers gesichert werden. Die Sinnhaftigkeit des Tabus speiste sich dabei aus der Erfahrung, dass die Brache die natürlichen Wachstumskräfte des – damals noch nicht chemisch gedüngten – Ackers in der Tat stärkte“ (Albertz, Exodus II [ZBK.AT], 123). 102 S. dazu oben 99 Anm. 52.
234 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Aus diesem Katalog, der ein Übergewicht an rechtlichen, die soziale Gemeinschaft verpflichtenden Bestimmungen enthält, werden im Folgenden zwei Textbeispiele näher untersucht. a) Arbeitsruhe auch für die Tiere (Ex 20,10; 23,12) Altes Testament: Baumgart, Gott, 45 ff ◆ Gaß, Zugänge, 279 ff ◆ Grund, Entstehung, 19 ff ◆
Janowski, Anthropologie, 239 ff ◆ Köckert, Palast, 109 ff ◆ Ders., Zehn Gebote, 68 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Der Gerechte, 150 ff ◆ Otto, Ethik, 99 ff ◆ Riede, Spiegel, 224 ff ◆ SchmitzKahmen, Geschöpfe Gottes, 117 ff ◆ Schmidt u. a., Zehn Gebote, 86 ff. – Theologische Ethik: Peuckmann, Tierethik 1, 41 ff ◆ Ders., Tierethik 2, 138 f ◆ Schockenhoff, Ethik, 598 ff.
Es gibt drei Belege für die Bestimmung, dass am Sabbat- und Ruhetag auch die Tiere von ihrer Arbeit ausruhen sollen: zwei Belege im Sabbatgebot des Dekalogs (Ex 20,10 par. Dtn 5,14) und einen Beleg im Ruhetagsgebot von Ex 23,12. Während das Sabbatgebot von Ex 20,8–11 in V. 11(Ps) eine schöpfungstheologische Begründung enthält, die einerseits auf Gen 2,2 f (Pg ) rekurriert und andererseits auf Ex 31,12–17 (Ps)103 ausstrahlt, gibt Dtn 5,12–15 (dtr) dem Sabbatgebot in V. 15 eine heilsgeschichtliche Begründung (Herausführung aus Ägypten):104 8 Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. 9 Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, 10 aber der siebte Tag ist Sabbat für JHWH, deinen Gott, nicht sollst du irgendeine Arbeit tun, weder du, noch dein Sohn und deine Tochter, noch dein Sklave und deine Sklavin, noch dein Vieh und dein Fremdling, der in deinen Toren weilt. 11 Denn in sechs Tagen hat JHWH den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was in ihnen ist. Aber am siebten Tag ruhte er. Darum hat JHWH den Sabbattag gesegnet und ihn geheiligt. (Ex 20,8–11) 12 Halte den Sabbattag, dass du ihn zu heiligst. 13 Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, 14 aber der siebte Tag ist Sabbat für JHWH, deinen Gott, nicht sollst du irgendeine Arbeit tun, weder du, noch dein Sohn und deine Tochter, noch dein Sklave und deine Sklavin, noch dein Rind und dein Esel und dein ganzes Vieh, noch dein Fremdling, der in deinen Toren weilt, damit dein Sklave und deine Sklavin ruhen können wie du. 15 Und denke daran, dass du Sklave im Land Ägypten gewesen bist und dich JHWH, dein Gott, von dort herausgeführt hat mit starker Hand und ausgestrecktem Arm. Darum hat JHWH, dein Gott, dir geboten, den Sabbattag zu halten. (Dtn 5,12–15) 103 S.
dazu Hartenstein, Sabbat, 123 ff, zu Gen 2,2 f s. im Folgenden. den literaturgeschichtliche Fragen s. Albertz, aaO 60 ff und Janowski, Anthropologie, 241 ff.
104 Zu
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 235
Die schöpfungstheologische Begründung von Ex 20,11 ist für unseren Zusammenhang besonders wichtig, weil mit ihr die Arbeitsruhe der Tiere – und natürlich auch der Menschen („du“, Sohn, Tochter, Sklave, Sklavin, Fremdling) – in den Horizont der Schöpfung gerückt wird. Damit weist der Text auf auf das „Ruhen“ Gottes am siebten Tag zurück, an dem die Arbeit der sechs Schöpfungstage (Gen 1,3–31) „vollendet“ wurde: 2 Und Gott vollendete (klh pi.) am siebten Tag seine Arbeit, die er getan hatte, und er hörte auf (šābat) am siebten Tag mit all seiner Arbeit, die er getan hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und er heiligte ihn, denn an ihm hörte er auf (šābat) mit all seiner Arbeit, die Gott geschaffen hatte, indem er (sie) tat. (Gen 2,2 f )105
Nach dem priesterlichen Schöpfungstext (Gen 1,1–2,3) werden die Landtiere und die Menschen am sechsten Tag auf dem gemeinsamen Lebensraum „Erde“ erschaffen und beiden werden unterschiedliche Pflanzen als Nahrung zugewiesen (Gen 1,29 f ). Nach der priesterlichen Fluterzählung (Gen *6,9–9,17) werden die Menschen und die Tiere dann aber vernichtet – bis auf Noah, der die Tiere paarweise in die Arche führt und so ihr Überleben sichert. Der Bund, den Gott im nachsintflutlichen Äon mit Noah schließt und dessen Zeichen der Bogen in den Wolken ist, gilt nicht nur ihm und seinen Söhnen mit ihren Nachkommen, sondern auch den Tieren (Gen 9,8–17).106 Das alles zeigt, dass „Mensch und Tier nach biblischer Darstellung immer wieder im selben Boot (sitzen). Ob Sintflut oder Dürre (Jer 14,5 f ), es trifft sie beide, und das Ergehen der einen hat Auswirkungen auf das Ergehen der anderen“107.
Dieses Bewusstsein einer Schöpfungsgemeinschaft von Mensch und Tier steht auch hinter dem Gebot der Arbeitsruhe für Mensch und Tier in Ex 20,10 par. Dtn 5,14. In der deuteronomischen Fassung sind dabei noch sprachliche Anklänge an das Ruhetagsgebot von Ex 23,12 – „Rind und Esel“ (Dtn 5,14bα) und „damit dein Sklave und deine Sklavin ruhen können wie du“ (Dtn 5,14bβ) – greifbar. Die Ruhetagsbestimmungen von Ex 23,12 und 34,21, die zur Vorgeschichte der Sabbatgebote der beiden Dekaloge gehören,108 sind aber noch in einer anderen Hinsicht aufschlussreich. Denn hier ist nicht nur von der Unterbrechung der Arbeit am siebten Tag die Rede (šābat „aufhören“),109 sondern – und zwar nur in Ex 23,12 – auch davon, dass die Arbeitstiere Rind und Esel „ruhen“ und der Sohn
105 S.
dazu oben 70 ff. dazu oben 79 ff. 107 Keel/Schroer, Schöpfung, 146 f, vgl. Peuckmann, Tierethik 2, 138 f. 108 S. dazu Janowski, aaO 241 ff. 109 In Ex 20,10 par. Dtn 5,14 heißt es dagegen: „nicht sollst du irgendeine Arbeit tun …“. Zur Bedeutung von šābat „aufhören“ im Sinn der Unterbrechung der menschlichen Leistung s. Köckert, Palast, 121 f und Grund, Entstehung, 43 ff. 106 S.
236 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
der Sklavin und der Fremde „aufatmen“. Dem Ruhetagsgebot geht in der Exodusfassung noch das Brachjahrsgebot (Ex 23,10 f ) vorher: 10 Und sechs Jahre sollst du deinen Acker besäen und seinen Ertrag einsammeln. 11 Doch im siebten Jahr sollst du ihn loslassen und ihn brach liegen lassen, dass die Armen deines Volkes (davon) essen und das, was sie übrig lassen, sollen die wilden Tiere fressen. Genauso sollst du mit deinem Weinberg und Ölbaum verfahren. 12 Sechs Tage sollst du dein Werk tun (ʿāśāh + maʿaśæh), aber am siebten Tag sollst du aufhören (šābat), damit ruhen (nûaḥ) dein Rind und dein Esel und aufatmen (npš nif.) der Sohn deiner Sklavin und der Fremde. (Ex 23,10–12)110 Sechs Tage sollst du arbeiten (ʿābad),111 aber am siebten Tag sollst du aufhören (šābat), beim Pflügen und beim Ernten sollst du aufhören (šābat). (Ex 34,21)112
Während in Ex 34,21 eine Zweckbestimmung der Arbeitsruhe am siebten Tag fehlt, wird diese in Ex 23,12 mit den beiden Verben „ruhen“ (nûaḥ) und „aufatmen, Atem schöpfen“ (npš nif.) angegeben. Gemeint ist damit mehr als eine 1-tägige Arbeitsunterbrechung. Das Verb „ruhen“ meint vielmehr „wieder zu Atem und zu Kräften kommen, sich erholen“113. Das wird durch das parallele Verb „aufatmen, Atem schöpfen“ (npš nif.) bestätigt, wodurch der siebte Tag eine von Gott seinen Geschöpfen gewährte Wohltat ist. Diese „soll auch denen zugute kommen, die für ihr Aufatmen nicht selber sorgen können, den Arbeitsmitteln (Zug- und Lasttiere) und den Abhängigen, selbst auf der untersten sozialen (‚Sohn der Sklavin‘) und rechtlichen Stufe (‚Fremde‘)“114.
So zielt das Ruhetagsgebot von Ex 23,12 „sowohl auf eine symbolische Wiederherstellung der geschöpflichen Lebensverhältnisse als auch auf ihre konkrete Verbesserung. Diese ‚Unterbrechung‘ ist damit selbstverständlich nicht bloß im Sinne einer Pause zu verstehen, nach der diese geschöpflichen Lebensverhältnisse wieder von der abhängigen Arbeit eingeholt werden, sondern als Beendigung dieser Zeit unfreier Arbeit, durch die auch die sechs übrigen Tage in einen anderen, vom siebten Tag begrenzten und bestimmten Horizont gestellt sind“115.
110 S.
dazu Köckert, aaO 126 ff und Grund, aaO 19 ff. Bedeutung von ʿābad „arbeiten“ im Sinn der auf die Ackerarbeit bezogenen Tätigkeit des Menschen s. Köckert, aaO 123 f. 112 Zu diesem Text und seiner im Nachsatz V. 21b („beim Pflügen und Ernten …“) formulierten Zumutung s. ders., aaO 121 ff und Grund, aaO 51 ff. 113 Köckert, Zehn Gebote, 71 f. 114 Ders., aaO 71 f. Zu npš nif. – außer in Ex 23,12 nur noch in Ex 31,17 (von Gott) und 2 Sam 6,14 (von David) – s. noch Hartenstein, Sabbat, 125 f; Grund, aaO 29.50 f; Baumgart, Gott, 49 ff; Janowski, næpæš, 87 und Müller, Seele, 137 f. 115 Grund, aaO 50 (H. i. O.). 111 Zur
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 237
Der siebte Tag unterbricht aber nicht nur die Zeit des menschlichen Arbeitens, Produzierens und Wirtschaftens, sondern auch die Zeit der Mitarbeit von Rind und Esel. Sie brauchen, so die Sabbat- und Ruhetagsgebote, die Arbeitsruhe ebenso nötig zur Re-Kreation, also zur schöpferischen Erneuerung ihrer Lebenskraft, wie „der Sohn deiner Sklavin und der Fremde“ (Ex 23,12). b) Der Gerechte und sein Vieh (Spr 12,10) Altes Testament: Gaß, Zugänge, 285 f ◆ Janowski, Tiere, 38 ff ◆ Ders., „JHWH kennt“, 75 ff ◆
Keel, Allgegenwärtige Tiere, 170 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Der Gerechte, 146 ff ◆ Riede, Spiegel, 63 f. – Theologische Ethik: Schockenhoff, Ethik, 598 ff. – Wirkungsgeschichte: Jung, Der Gerechte, 130 f.141.
Tiere sind keine Sachen, sondern Wesen mit eigenen Bedürfnissen und besonderen Fähigkeiten. Das bekam Bileam zu spüren, als er seine kluge Eselin malträtierte: er schlug sie mehrmals, bis endlich ein Engel eingriff und ihn eines Besseren belehrte (Num 22,21–35, s. Abb. 57).116 Und das musste Hiob einsehen, dem von Gott die Welt der wilden Tiere (Hi 38,39–39,30) vor Augen gestellt wurde, was seinen Blick auf den Schöpfer und sein eigenes Leiden radikal verändert hat.117 Das Wissen schließlich, dass Tiere Wesen mit eigenen Bedürfnissen sind, gehört zu den Glanzpunkten biblischer Tierethik. Das „Wissen“ des Gerechten In der älteren Spruchweisheit gibt es eine Sentenz, die den Respekt vor den Tieren am Beispiel der Arbeits- und Nutztiere demonstriert und die eine bemerkenswerte Wirkungsgeschichte hat: Der Gerechte kennt (jādaʿ) das Bedürfnis (næpæš) seines Viehs, aber das Innere/Erbarmen (raḥamîm) der Frevler ist grausam. (Spr 12,10)118
Dabei ist genauer auf den Wortlaut achten. Es heißt nicht – wie in manchen Bibelübersetzungen119 – „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“ und auch nicht „Der Gerechte kennt die Seele seines Viehs“, sondern „Der Gerechte kennt das Bedürfnis seines Viehs“. Wie wir am Beispiel von Ps 1,6 („Denn JHWH kennt den Weg von Gerechten“) gesehen haben, hat das Verb jādaʿ „(er)kennen, wissen“, das hier in der eine dauernde Eigenschaft ausdrückenden Partizipialform jôdeaʿ („wissend“) erscheint, ursprünglich eine resultative Bedeutung, da es den 116 Zu
Num 22,21–35 s. Seebass, Numeri III (BK), 75 ff. Hi 38,39–39,30 s. oben 213 ff. 118 Zur Wirkungsgeschichte von Spr 12,10 s. Jung, Der Gerechte, 128 ff. 119 Etwa in der revidierten Lutherübersetzung von 2017 z. St., wo zudem auch raḥamîm ungenau, nämlich mit „Herz“, übersetzt wird. Etwas genauer, aber nur etwas, ist die Übersetzung der Zürcher Bibel von 2007 z. St.: „Der Gerechte kümmert sich um sein Vieh, das Erbarmen der Frevler aber ist grausam“. 117 Zu
238 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
Abb. 57: Bileam und die Eselin (Rembrandt van Rijn, 1626)
Abschluss einer Erfahrung (Sehen oder Hören) ausdrückt.120 Von daher legt es sich nahe, das Verb mit „zur Einsicht gelangen, erkennen“ zu übersetzen. Von solcher Einsicht, die Folge eines erkennenden, Anteil nehmenden Sehens oder Hörens ist, ist mit göttlichem Subjekt in Ex 3,7; Ps 1,6; 31,8 f u. ö. und mit menschlichem Subjekt außer in Spr 12,10 auch in Spr 27,23–27 die Rede. Dort heißt es vom Kleinvieh und den Herden: Versteh dich (jādaʿ) gut auf das Aussehen deines Kleinviehs, achte auf121 die Herden! (Spr 27,23)122 120 S.
dazu Seeligmann, Erkenntnis Gottes, 235. „Setz dein Herz auf …“. 122 Zu Spr 27,23–27 s. Meinhold, Sprüche I (ZBK. AT), 462 ff und Neumann-Gorsolke, Der Gerechte, 147 ff. 121 Wörtlich:
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 239
Und von den beiden Menschentypen, dem Gerechten und dem Frevler, heißt es: Der Gerechte kennt (jādaʿ) das Recht der Geringen, der Frevler kennt (bîn) keinerlei Verständnis (daʿat). (Spr 29,7)123
Das Achten des Gerechten auf die Tiere (Spr 27,23 ff ) und sein Kennen des Rechts der Geringen (Spr 29,7) schließt jeweils die entsprechende Praxis mit ein. Demgegenüber ist das „Innere“ (raḥamîm) der Frevler nach Spr 12,10 „grausam“ (ʾakzārî ). Mit dem Nomen raḥamîm, einer Pluralbildung von ræḥæm „Mutterleib“, sind die „Eingeweide“ gemeint, die für „die erbarmenden, liebenden Gefühle … (stehen), die wir mit dem Herzen als ihrem ‚Sitz‘ verbinden“124. Der Frevler ist also hart und unbarmherzig, nicht nur gegenüber den Tieren, sondern auch gegenüber seinem Nächsten: Die Kehle (næpæš) des Frevler begehrt Böses, kein Erbarmen findet (ḥnn pass. qal) sein Nächster in seinen Augen. (Spr 21,10)125 Für den elementaren Zusammenhang von „Herz“ und raḥamîm kann man auf den „Willensumsturz“ in Gott hinweisen, von dem in Hos 11,8 f126 – im Kontext von Hos 11,1– 11 – die Rede ist. Danach führt JHWH seinen Vernichtungsbeschluss nicht aus, weil sein „Herz“ gegen ihn „umgestürzt“ ist und sein „Erbarmen“ (raḥamîm) gegen sein abtrünniges Volk entbrannt ist: 8 Wie könnte ich dich preisgeben, Ephraim, dich ausliefern, Israel? Wie könnte ich dich preisgeben wie Adma, dich zurichten wie Zeboim? Umgestürzt (hpk nif.) gegen mich ist mein Herz (leb), gänzlich entbrannt ist mein Erbarmen (raḥamîm). 9 Nicht kann ich die Glut meines Zorns vollstrecken, nicht kann ich Ephraim wieder verderben, denn Gott bin ich und nicht Mensch, in deiner Mitte heilig: nicht komme ich in Zornesglut.
Das „Bedürfnis“ der Tiere Der Gerechte tut nach Spr 12,10 alles, was für das Wohl seiner Tiere erforderlich ist: er gibt ihnen ausreichendes „Futter, das durch die Kehle geht“127, und sorgt für eine artgerechte Viehhaltung mit der Arbeitsruhe am siebten Tag (vgl. Ex 23,12)128 – bis die Tiere eventuell geschlachtet werden. Dass Tiere geschlach123 S.
dazu Meinhold, aaO 484. aaO 207, vgl. Schipper, Sprüche I (BK) 717 f und Ges18, 1236 s. v. ræḥæm 3. 125 S. dazu Meinhold, aaO 352 f. 126 Zu Hos 11,8 f s. Jeremias, Reue Gottes, 52 ff und ders., Hosea (ATD), 143 ff. 127 Meinhold, aaO 207. 128 S. dazu oben 236. 124 Ders.,
240 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
tet wurden, widerspricht aber nicht der engen Beziehung, die der israelitische Bauer zu seinen Arbeits- und Nutztieren hatte. Im Gegenteil: Ein Tieropfer bedeutete in antiken Gesellschaften immer auch Verzicht, weil das geopferte Tier als Gabe an die Gottheit (zumindest teilweise) dem unmittelbaren Verzehr entzogen wird.129 Worauf es Spr 12,10 aber ankommt, ist der Aspekt der Barmherzigkeit gegenüber den Tieren, die der Gerechte als Mitgeschöpfe behandelt, weil er deren Bedürfnisse (næpæš) kennt.130 Dazu gehört auch, dass man den Tieren beim Dreschen nicht das Maul verbinden soll, weil sie von dem am Boden liegenden Getreide, das sie ständig vor Augen haben (!), fressen wollen: „Du sollst einem Ochsen beim Dreschen nicht das Maul verbinden“ (Dtn 25,4).131 Durch dieses Verbot, so betont die rabbinische Tradition, unterscheidet sich Israel von den Völkern der Welt.132 Exkurs 6: Das Seufzen der Kreatur Neues Testament: Binder, Hoffnung ◆ Gräßer, E., Seufzen, 97 ff ◆ Gräßer, I., Tierethik, 121 ff ◆
Häfner, Harren, 305 ff ◆ Konradt, Schöpfung, 164 ff ◆ Löning/Zenger, Anfang, 225 ff ◆ Steck, Welt, 187 ff ◆ Vollenweider, Wahrnehmungen, 145 f ◆ Ders., Seufzen, 137 ff. – Systematische Theologie: Link, Schöpfung 1, 387 ff ◆ Ders., Schöpfung, 2, 68 ff.85 ff.
„Das achte Kapitel des Römerbriefs“, so leitet S. Vollenweider seine Überlegungen zum Verhältnis von Schöpfung und Gebet in Röm 8,18–30 ein, „zählt zu den imposantesten Texten der Bibel“133. Ist dieser Text aber tierethisch überhaupt relevant134 oder sind seine Aussagen, besonders diejenigen von V. 19–22, anders zu gewichten? Wenden wir uns zunächst seinem Wortlaut zu:
129 S.
dazu Janowski/Neumann-Gorsolke, Opfertiere, 240 ff; Janowski, Art. Opfer, 36 ff und Staubli, Levitikus/Numeri (NSK.AT), 42 ff. 130 Zum Bedeutungsspektrum von næpæš s. Janowski, næpæš, 84 ff; ders., Anthropologie, 52 ff und umfassend Müller, Seele, 126 ff. 131 s. dazu Braulik, Deuteronomium II (NEB.AT), 186 und Otto, Deuteronomium IV (HThK. AT), 1849. Dieses Verbot wird von Paulus in 1 Kor 9,9 in Frage gestellt und zwar, wie Schrage, 1 Korinther I (EKK), 299 kommentiert, „recht gewaltsam“. Nach dem Zitat von Dtn 25,4LXX nämlich fragt der Apostel: „Kümmert sich Gott etwa um die Ochsen?“, s. dazu die deutliche Kritik von ders., aaO 298 ff. 132 S. dazu Braulik, aaO 186 und Meinhold, aaO 207. Zur ökologischen Ethik der Rabbinen s. Bodendorfer, Denken, 102 ff. 133 Vollenweider, Seufzen, 137. 134 Das wird etwa von Häfner, Harren, 315 ff mit dem Argument bezweifelt, dass Röm 8,19– 22 „keine unmittelbar handlungsorientierte Dimension“ (316) zu entnehmen ist. Das ist zwar richtig, aber noch kein überzeugender Einwand gegen die tierethische Relevanz des Textes. Denn ihm scheint es, wie auch Häfner mit dem Hinweis auf die „Solidargemeinschaft des Geschaffenen“ (ders., aaO 317) andeutet, auf etwas anderes als auf die Formulierung von Handlungsoptionen anzukommen, s. dazu Vollenweider, aaO 170 ff und im Folgenden.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 241
These: Erlösung vs. Leiden 18 Ich bin nämlich überzeugt, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der kommenden Herrlichkeit, die an uns offenbar werden wird.
Die Sehnsucht der ganzen Schöpfung 19 Denn die Erwartung (ἀποκαραδοκία) der Schöpfung wartet (ἀπεκδέχομαι) auf die Offenbarung der Söhne Gottes. 20 Denn der Nichtigkeit wurde die Schöpfung unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin. 21 Denn auch die Schöpfung selbst wird befreit werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt (συστενάζω) und in Wehen liegt bis jetzt.
Die Hoffnung der Kinder Gottes 23 Aber nicht nur das, sondern auch wir selbst, die das Angeld des Geistes haben, auch wir selbst seufzen (στενάζω) bei uns, die Sohnschaft erwartend, den Loskauf unseres Leibes. 24 Denn auf Hoffnung wurden wir errettet. Eine Hoffnung aber, die man sehen kann, ist keine Hoffnung; denn kann einer noch erhoffen, was er schaut? 25 Wenn wir aber, was wir nicht schauen, erhoffen, werden wir es durch Geduld empfangen.
Die Interzession des Geistes 26 Ebenso aber nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn was wir beten sollen, wie es notwendig ist, wissen wir nicht, sondern der Geist selbst tritt ein mit unaussprechlichen Seufzern (στεναγμοῖς ἀλαλήτοις). 27 Der aber die Herzen erforscht, weiß, was das Ansinnen des Geistes ist. Denn gottgemäß tritt er ein für die Heiligen.
Die Überzeugung der Glaubenden 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. 29 Denn diejenigen, die er zuvor erwählt hat, hat er auch vorherbestimmt, teilzuhaben an der Gleichgestalt des Bildes seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene unter vielen Brüdern sei. 30 Die er aber vorherbestimmt hat, hat er auch berufen, und die er berufen hat, hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, hat er auch verherrlicht.135 Dieses apokalyptische Lehrstück ist von großer schöpfungstheologischer Bedeutung, die im Gegensatz zur „Verdunkelung der Schöpfungswahrnehmung infolge der Sünde 135 Vgl.
auch die Übersetzung von Wilckens, Römer II (EKK), 146 f; Löning/Zenger, Anfang, 227 f (K. Löning) und Theobald (Hg.), Bibel, 568 f (M. Theobald). Zu Gliederung des Textes s. Theobald, Römer I (SKK.NT), 240; Häfner, aaO 306 ff; Vollenweider, Seufzen, 138 f u. a. Mit dem Stichwort „Herrlichkeit“ in V. 18 und V. 30 („verherrlichen“ mit Subj. Gott) ist die Perikope als Ringkomposition stilisiert. Es begegnet noch in V. 21.
242 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt in Röm 1,18–25“136 steht. Seine These von der Offenbarung der bereits wirksamen, aber noch verborgenen Herrlichkeit Gottes entfaltet Paulus dabei in drei Schritten, zunächst im Blick auf die ganze, personifiziert vorgestellte Schöpfung (V. 19–22), sodann im Blick auf die Hoffnung im Glauben (V. 23–25) und schließlich im Blick auf den göttlichen Geist, der mit unaussprechlichen Seufzern für die Leidenden eintritt. In allen drei Abschnitten – Vollenweider spricht von „drei konzentrische(n) Kreise(n)“137, deren Mittelpunkt Gott selber ist – spielt das Motiv des „Seufzens“ eine entscheidende Rolle: das Seufzen der Schöpfung (V.19.22),138 der Gläubigen (V. 23) und des göttlichen Geistes (V. 26). Was den ersten Abschnitt angeht, so gliedert er sich in die drei Aspekte Behauptung (V. 19), Begründung (V. 20 f ) und Ergebnis (V. 22).139 Dieser zusammenhängende Sinnabschnitt enthält in jedem Satz den Begriff „Schöpfung“ (κτίσις), der im Kontext dann nicht mehr auftaucht: Behauptung 19 Denn die Erwartung der Schöpfung (κτίσις) wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Begründung 20 Denn der Nichtigkeit wurde die Schöpfung (κτίσις) unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin. 21 Denn auch die Schöpfung (κτίσις) selbst wird befreit werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Ergebnis 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung (πᾶσα κτίσις) mitseufzt und in Wehen liegt bis jetzt. Die Schöpfung, von der hier die Rede ist, umfasst „die Gesamtheit aller Wesen (ähnlich wie in 1,20–25), auch wenn der Fokus auf nichtmenschlichen Kreaturen, besonders auf den Tieren, ruht“140. Paulus dürfte dabei an die Motivik anknüpfen, wie sie in Jo 1,20; Ps 104,27 f und 145,15 f vorliegt: Auch die Tierwelt des Feldes lechzt nach dir, denn vertrocknet sind die Wasserläufe, und Feuer hat die Auen der Wüste gefressen. (Jo 1,20)141 27 Sie alle warten auf dich, dass du ihnen Nahrung gibst zur rechten Zeit. 136 Vollenweider,
Wahrnehmungen, 145. Seufzen, 138. 138 Die Wortkombination in V. 19 („die Erwartung der Schöpfung wartet …“) erinnert an eine figura etymologica, s. dazu ders., aaO 140 mit Anm. 12. Zur Bedeutung des nur in Röm 8,22 und Phil 1,20 begegnenden Nomens ἀποκαραδοκία „(inständige, heftige) Erwartung“ s. Balz, Art. ἀποκαραδοκία, 317 ff und Gräßer, Seufzen, 102 f. 139 Zu dieser Gliederung s. Gräßer, aaO 100 ff. 140 Vollenweider, aaO 139. Zu diesem umfassenden Schöpfungsbegriff s. ders., aaO 139 Anm. 7; Wilckens, aaO 152 f und Theobald, aaO 243 f. 141 S. dazu oben 164 ff. 137 Ders.,
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 243
28 Gibst du ihnen, sammeln sie ein, öffnest du deine Hand, so sättigen sie sich mit Gutem. (Ps 104, 27 f )142 15 Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit, 16 der du deine Hand öffnest und wohlgefällig alles Lebendige sättigst. (Ps 145,15 f ) Die Leidenserfahrungen des gegenwärtigen Äons werden in Röm 8,22 durch die Metapher vom gemeinsamen „Seufzen“ und Erleiden von Geburtswehen konkretisiert. Damit wird der erste Abschnitt V. 19–22 abgeschlossen, der von den Motiven der Erwartung (V. 19) und des Seufzens (V. 22) gerahmt wird. Bei diesem Seufzen, von dem auch V. 23 (Seufzen der Glaubenden) und V. 26 („unaussprechliche Seufzer“ des Geistes) sprechen, ist mit S. Vollenweider „an ein Klagelied bzw. an ein mit Klage unterlegtes Bittgebet“ zu denken, „das vom ganzen Kosmos, mitsamt den Glaubenden und dem heiligen Geist, vorgetragen wird“143. Und zwar an „ein universales Klagegebet, das auf Gottes Intervention zielt“144 und das einen scharfen Kontrast zum kosmischen Lobpreis, dem cantus firmus der alttestamentlichen Schöpfungstexte, bildet.145 Es ist allerdings leider wahr, dass unser Text, der „das traditionelle Thema des Zusammenhangs von Leiden und Herrlichkeit nicht allein im Blick auf die Christen, sondern zugleich auch im Blick auf die gesamte Schöpfung expliziert“146, seit der Zeit der Alten Kirche immer wieder missverstanden oder relativiert wurde. Dass von Anfang an „Israels Erfahrung der Gerechtigkeitserweise Jahwes die ‚Natur‘ mit ein(schließt)“147, war für viele Kirchenväter und spätere Theologen äußerst befremdlich. Aber es gibt Ausnahmen. Eine von ihnen ist M. Luther, der in seiner Vorlesung über den Römerbrief von 1515/16 bei der Auslegung von Röm 8,18 ff seinen Studenten zurief: „Ihr werdet die besten Philosophen, die besten Wissenschaftler sein, wenn ihr vom Apostel lernt, die Natur zu betrachten als wartende, stöhnende, in den Wehen liegende, d. h. als eine, die das, was ist, verabscheut und begehrt, was zukünftig, noch nicht ist.“148 Das ist eine hellsichtige Mahnung, die gerade in Theologie und Kirche Gehör finden sollte.149 Die universale Erlösungsperspektive von Röm 8,18 ff zeigt jedenfalls, dass es „eine Solidargemeinschaft des Geschaffenen nicht nur hinsichtlich der Herkunft von Gott, son-
142 S.
dazu unten 428 f. aaO 150, vgl. 145.149 und die dortige Zusammenstellung von Texten aus dem Alten Testament und dem antiken Judentum zu den Themen „Personifikation bei Klage und Trauer“ und „Mit Seufzen und Stöhnen unterlegte Klagegebete“ (ders., aaO 151 ff.156 ff ). 144 Ders., aaO 160. 145 S. dazu unten 303 ff. 146 Wilckens, aaO 166. 147 Ders., ebd. 148 Luther, Römerbrief 2, 98, s. dazu auch Wilckens, aaO 167. 149 Wichtige Impulse dazu wurden in den 1970er Jahren gegeben, s. dazu Wilckens, aaO 168 f. Inzwischen hat sich die Lage dramatisch verschärft. Inwiefern ein Text wie Röm 8,18 ff hier konstruktive Anstöße geben kann, hat Vollenweider, aaO 170 ff zu skizzieren versucht, s. dazu auch Gräßer, Seufzen, 110 ff und Link, Schöpfung 2, 68 f. 143 Vollenweider,
244 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt dern auch im Blick auf die (endzeitliche) Zukunft“150 gibt. Darin besteht die große tierethische Relevanz dieses Textes. 𓇼
3. Fazit: Die Zukunft der Tiere Um unsere Ausführungen zu bündeln, gehen wir zunächst von der aktuellen Problematik, nämlich dem Verschwinden der Tiere, aus und blicken von da noch einmal auf die Tierwelt des Alten Testaments. Abschließend sollen die Linien bis zu den tierethischen Konsequenzen ausgezogen werden, die auch in der Theologischen Ethik der Gegenwart eine immer größere Rolle spielen. Das Verschwinden der Tiere Ausgegangen sind wir von der Skepsis eines C. Lévi-Strauss im Blick auf das Überleben und die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt.151 Seit dieser Äußerung des berühmten Sozialanthropologen hat sich die Lage dramatisch verschärft und etwa den Evolutionsbiologen E. O. Wilson zu einer düsteren Prognose veranlasst.152 Auch Philosophen und Schriftsteller haben frühzeitig und wiederholt ihre Stimme erhoben und das Leidensschicksal der Tiere in Worte zu fassen versucht.153 Eine von ihnen ist die deutsch-jüdische Dichterin N. Sachs (1891– 1970), deren Gedicht „O ihr Tiere!“ folgendermaßen beginnt: Euer Schicksal dreht sich wie der Sekundenzeiger mit kleinen Schritten in der Menschheit unerlösten Stunde.154
Jahrhunderte lang war die enge Verbundenheit der Menschen mit den Tieren auch in unserem Kulturraum lebendig. Noch im frühen Mittelalter gab es weit mehr wilde als domestizierte Tiere, und die Gefahren, die von ihnen ausgingen, waren z. T. beträchtlich.155 Aus zeitgenössischen Dokumenten geht hervor, dass um Weinberge und Stallungen dichte Bretterzäune gezogen wurden, auf deren Zerstörung hohe Strafen standen. Es ging um den Schutz der Haustiere und die Sicherung des Saat- und Fruchtbestandes.156 Umgekehrt richteten nicht alle Wildtiere Schaden an, sondern deckten den Tisch ihrer Jäger. Sie waren überall außerhalb der Städte und Dörfer Mittel-, Nord- und Osteuropas, aber auch auf den Bergen und in den Tälern Italiens anzutreffen, und ihre Präsenz weckte die Furcht, aber auch die Phantasie ihrer Bewohner.
150 Häfner,
Harren, 317 (H. i. O.). Zur Position von Häfner s. auch oben 240 Anm. 134. dazu oben 211 und unten 664 f (Anhang III). 152 S. dazu oben VIII und unten 665 f (Anhang III). 153 S. dazu die Texte unten 653 ff (Anhang III). 154 Zum vollständigen Text des Gedichts s. unten 661 (Anhang III). 155 S. dazu Fumagalli, Stein, 109 ff. 156 S. dazu Schreg, Rinder, 75 ff. 151 S.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 245
Von solcher Allgegenwart der Tiere kann keine Rede mehr sein. Sie sind aus unserem Blick verschwunden, ja wir leben faktisch ohne sie. Inzwischen vergeht kein Tag, an dem uns dieser Bruch und seine Folgen nicht deutlich vor Augen geführt werden. Warum es dazu kam, hat seinen Grund in Auffassungen wie derjenigen von R. Descartes (1596–1650), der in seinem Discours de la méthode (1637) Tiere als seelenlos, weil vernunft- und leidensunfähige Maschinen bezeichnet hat.157 Das war nach dem mechanistischen Prinzip der Naturerklärung zwar folgerichtig, führte aber den entscheidenden theoretischen Bruch herbei, dessen praktische Folgen nur langsam spürbar wurden. Heute, im Zeitalter der industriellen Massentierhaltung, der Tierversuche und der Ausrottung ganzer Arten ist die Position von Descartes weit übertroffen. Es lässt sich kaum absehen, was dieser Verlust für die Menschlichkeit des Menschen bedeutet.158 Die Allgegenwart der Tiere In Reaktion auf diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahrzehnten eine intensive Diskussion entwickelt, die das Versagen der Gesellschaft wie der Kirchen durch die Formulierung einer Umwelt- und Tierethik wenn nicht umzukehren, so doch aufzuhalten versucht.159 Ob das gelingt, ist schwer vorherzusehen, zumindest aber mit Skepsis zu betrachten. Was theologisch dazu zu sagen ist, aber noch immer keine gesellschaftlich Handlungsmaxime darstellt, hat G. Liedke bereits vor über 20 Jahren resümiert: „Das gesamtbiblische Zeugnis legt uns für die heutige Situation extremer Gewalt gegen die Tiere und extremen Leidens der Tiere nahe, Minimierung der Gewalt gegenüber den Tieren und Linderung des Leidens der Tiere, wo immer es geht, als christliche Handlungsmaxime zu betrachten. Damit wird nicht das Reich Gottes auf Erden hergestellt, damit werden aber Zeichen der Hoffnung auch für die Tiere gesetzt.“160
Das ist das eine. Das andere ist die aufmerksame Wahrnehmung der Tierwelt, die das alte Israel wie fast alle antiken und viele außereuropäische Kulturen auszeichnet. Tiere waren im alten Israel allgegenwärtig,161 nicht nur als ökonomischer und sozialer Faktor, sondern auch als Träger des religiösen Symbolsystems und Repräsentanten des Numinosen. Es gab kaum einen Lebensbereich, der von der Mensch/Tier-Beziehung ausgespart blieb. Die domestizierbaren Tiere wurden je nach Tauglichkeit genutzt: Fettschwanzschafe und schwarze Ziegen als Opfertiere und Lieferanten von Milch, Leder und Haaren, Rinder als Zug- und Arbeits-
157 Zum Text s. unten 654 (Anhang III). Aus dieser Leitidee der Aufklärung ergab sich zugleich
die dieser Epoche eigene Tendenz zur Anthropozentrik, s. dazu Beutel, Aufklärung, 929 ff und unten 473 ff. 158 S. dazu die düstere Prognose von Wuketits, Zukunft, 17 ff. 159 S. dazu die Hinweise unten 247 Anm. 170. 160 Liedke, Tier-Ethik, 213 (H. i. O.). 161 Zur „Allgegenwart der Tiere“ s. vor allem Keel, Allgegenwärtige Tiere, 155 ff.
246 III.1 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der natürlichen Lebenswelt
tiere sowie als Opfertiere und Milchlieferanten, Esel und Kamele als Reit- und Lasttiere, Tauben als Opfertiere, Hunde als Wächter und Begleiter. Die wilden Tiere verbreiteten nicht nur Furcht und Schrecken, sie nötigten dem Menschen auch Respekt ab, weil an ihnen die außermenschliche Kreatur ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend in den Blick kommt und nicht sogleich anthropozentrisch verkürzt wird. Ps 104 und Hi 38,39–39,30 sind dafür einschlägige Beispiele.162 Viele der dort genannten Tiere werden als Träger numinoser Mächtigkeit geschildert: Löwen und Heuschrecken als Instrumente Gottes, Schlangen und Skorpione als Exponenten dämonischer Gewalten, Löwen und Geier als Symbole der Souveränität JHWHs.163 Die Schöpfungsgemeinschaft von Mensch und Tier Die Tierwelt ist ein herrlicher Kosmos von Gestalten, Lauten, Farben und Geschichten, an dem der Mensch seit jeher auch zum Bewusstsein seiner selbst gekommen ist. In der Begegnung mit den Tieren erfuhr das alte Israel das Geheimnis des Lebens nicht nur in seiner faszinierenden Vielfalt, sondern auch in seiner zwingenden Mächtigkeit. Davon hat es sich auch in seinem theologischen Nachdenken immer wieder inspirieren lassen. Sicher: Das Alte Testament verfügt nicht über eine systematisch ausformulierte Tierethik. Schließlich ist es kein theologischer Traktat. Doch gibt es Verhaltensweisen Israels im Umgang mit den Tieren, die sich faktisch positiv ausgewirkt haben und die auch von uns beachtet werden sollten. Dazu gehören nicht nur die tierethischen Texte,164 sondern auch das apokalyptische Lehrstück von Röm 8,18–30.165 Auch in den Religionen der sog. Umwelt des Alten Testaments gibt es tierethisch relevante Aussagen. So soll nach Spruch 125 des ägyptischen Totenbuchs der Verstorbene bekennen, dass er keine Tiere misshandelt hat: Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, und ich habe kein Tier misshandelt. 15 Ich habe nichts „Krummes“ an Stelle von Recht getan. Ich kenne nicht, was es nicht gibt, und ich habe nichts Böses erblickt. (s. Q 32).
Ist das für uns von Bedeutung? Wir leben ja schließlich nicht im alten Ägypten. Aber dieses Bekenntnis ist deshalb bedeutsam, weil das ägyptische Totengericht das letztinstanzliche Forum war, das über die Lebensführung des Menschen und sein Geschick in der jenseitigen Welt entschied. Die Aussicht auf diesen letzten Ort der Verantwortung gab dem diesseitigen Leben eine bestimmte Ausrichtung, gerade in ethischer Hinsicht. 162 Zu
Ps 104 s. unten 418 ff, zu Hi 38,39–39,30 s. oben 213 ff. dazu den Überblick bei Keel u. a., OLB 1, 100 ff und Riede, Spiegel, 213 ff. 164 S. dazu oben 232 ff mit der Übersicht 233. 165 S. dazu oben 240 ff. 163 S.
§ 6 Schöpfung und Tierwelt 247
Nur darum geht es: auch in unserer Kultur Perspektiven zu entwickeln, wonach die Tiere als Mitgeschöpfe behandelt werden oder, wie A. Schweitzer es formulierte, als „Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“166. Wie schwierig der Weg zu dieser Einsicht ist, weiß jeder, der sich mit Fragen der Tierethik beschäftigt. Es geht dabei nicht um diffuse Tierromantik oder um einen „naiven Ökobiblizismus“167, sondern um die Erinnerung daran, dass die Bibel „Mensch und Tier als Geschöpfe Gottes (versteht), die in einer Schöpfungsgemeinschaft zusammenleben und gemeinsam dieselbe Geschichte teilen, die auf eine Erlösung aller Kreatur zuläuft (Röm 8,18–22)“168. Und es geht um die Erinnerung daran, dass beide, Menschen und Tiere, „lebende Wesen“ (næpæš ḥajjāh) sind, die vom Schöpfer das Leben erhalten haben (Gen 1,20 f.24.30; 2,7.19 u. ö.) und die dasselbe Geschick, nämlich das Verlöschen des physischen Lebens teilen (Pred 3,19–22).169 Welche Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Einsicht ergriffen werden müssen, ist gegenwärtig Gegenstand der ethischen Diskussion.170
166 Schweitzer,
Kultur, 339, s. dazu Teutsch, Umweltethik, 23 ff. Tier-Ethik, 213. 168 Peuckmann, Tierethik 2, 141, vgl. ders./Wustmans, Tierethik, 231 ff und Vollenweider, Seufzen, 171 ff. 169 Zu Gen 2,7 (Mensch) und Gen 1,20 f.24.30; 2,19 u. ö. (Tiere) s. oben 91 ff, zu Pred 3,19–22 s. oben 99 Anm. 52. 170 S. dazu Peuckmann, Tierethik 1; ders., Tierethik 2, 129 ff; ders./Wustmans, Tierethik, 228 ff und die Beiträge in den Sammelbänden von Krebs (Hg.), Naturethik; Wolf (Hg.), Texte; Horstmann u. a., Alles, was atmet; Lintner (Hg.), Mensch u. a. Konkrete Vorschläge zur Umsetzung tierethischer Einsichten machen Pelluchon, Manifest, 81 ff und Korsgaard, Tiere, 221 ff. 167 Liedke,
III Die Welt als Schöpfung – Themenfelder 2. Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
W
ie die judäischen Könige konkret aussahen, können wir nicht wissen. Ihr Erscheinungsbild dürfte sich aber nicht allzu sehr von dem obigen Konterfei unterschieden haben, das auf einem Vorratskrug aus Ramat Rahel (Ende ˙ und re7. Jh. v. Chr.) angebracht war. Hier sitzt ein Herrscher auf seinem Thron präsentiert den „König als Zelebrant einer höfischen Szene oder eines Rituals“ (Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 162). Nimmt man die Königspsalmen hinzu, so wurde der judäische König als „Sohn Gottes“ (Ps 2,7, vgl. Ps 110,3) und als sein „Erwählter“ (Ps 89,4.20, vgl. Ps 45,5) tituliert. Noch weiter geht ein später Text wie 2 Sam 23,4, der den König mit dem „Licht des Morgens“ vergleicht, das für Prosperität in Natur und Gesellschaft sorgt (vgl. Ps 72,5 ff.16 f ). Realpolitisch hatten sich die Verhältnisse seit 587 v. Chr. allerdings längst geändert. Denn mit der Zerstörung des Tempels und dem Verlust des Königtums entstanden in der Exilszeit mehrere Visionen einer anderen Herrschaft, die ihren Grund in der universalen Macht des Schöpfers haben. Diese wird vor allem im DtJes-Buch gepriesen (Jes 40,12–31; 44,24.). Auch das Ez-Buch spricht nicht mehr von einem König, sondern kündigt in seinem Heiligtumsentwurf den Wiedereinzug JHWHs in seinen Tempel an, der dort inmitten seines Volkes Wohnung nehmen will (Ez 43,*1–9). Mit seiner schöpfungstheologischen Rahmung (V. 4–9.25) enthält schließlich der Geschichtspsalm Ps 136 eine besondere Form der Verbindung von Schöpfung und Geschichte: nicht die Taten eines Königs oder die Leistungen der Menschen, sondern die Gaben des Schöpfers sind die Grundlage des Lebens.
§ 7 Schöpfung und Königtum Schöpfungsherrschaft ist diejenige Herrschaft, die die Herrschaft des Schöpfers über seine Schöpfung auf Erden abbildet und sich dadurch legitimiert. Daher versteht sie sich erstens als Statthalterschaft und zweitens als Nachfolge des Schöpfergottes, d. h. als Fortsetzung einer Herrschaft, die dieser zu Anbeginn selber über seine Schöpfung ausgeübt hat. Assmann, Maʾat, 243
Schöpfung und Königtum – mit diesem Thema kehren wir in gewissem Sinn zum Thema „Schöpfung und Menschenbild“1 zurück, aber nur in gewissem Sinn. Denn mit der Figur des Königs ist nicht jeder Mensch, sondern ein Mensch gemeint, der „die Gemeinschaft (verkörpert), für die er in der weltlichen wie in der religiösen Sphäre einstehen muss“2 und der in seinem politischen Handeln – wie J. Assmann formuliert – „die Herrschaft des Schöpfers über seine Schöpfung auf Erden abbildet“. Der Staat, so Assmann weiter, „ist nach ägyptischer Auffassung dazu da, daß auf Erden Maʾat, und nicht Isfet, herrscht. Das bedeutet aber, daß Isfet, und nicht Maʾat, die natürliche, gegebene Verfassung der Welt darstellt. Das ist das Signum einer ‚gespaltenen‘ Welt. In ihr ist Ordnung nur durch Überwindung vorgegebener Unordnung möglich, die immer das Natürliche und Gegebene darstellt, im Gegensatz zur Kosmogonie, der kein zu überwindendes Chaos vorausging. In der gespaltenen Welt kann sich die Maʾat aus eigener Kraft nicht halten und bedarf des Königs zu ihrer Festsetzung. Nicht die Maʾat fundiert den Staat, sondern der Staat fundiert die Maʾat“3.
1
S. dazu oben 171 ff. Hartenstein/Krispenz, Art. König, 272. 3 Assmann, Maʾat, 200 f. Auf politischer Ebene wird die „Ordnung“ (ägypt. maʾat) mit besonderem Nachdruck in den Feldzügen durchgesetzt, die die Pharaonen der 18. Dyn. (1540– 1292 v. Chr.) gegen Nubien und die Levante führten. Die Feinde Ägyptens, so Assmann, „sind Vertreter des Chaos. Es kommt darauf an, sie außerhalb der Grenzen zu halten, die nicht nur als Grenzen des Landes im Sinne einer politischen Einheit, sondern als Grenzen der geordneten Welt überhaupt verstanden werden“ (ders., Krieg, 176), s. dazu auch Keel, Bildysmbolik, 270 ff; Hornung, Pharao ludens, 490 ff; Otto, Krieg, 28 ff; Leuenberger, Frieden, 22 ff.26 ff und Allon, War, 18 ff. Zum Bildmotiv vom „Niederschlagen der Feinde“ s. Q 45. 2
252 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
„Schöpfungsherrschaft“ ist aber nicht nur eine ägyptische4 und altorientalische Form5 der Herrschaftsausübung, sie lässt sich auch an alttestamentlichen Texten festmachen. Dass es dabei, trotz mannigfacher Motivübernahmen, signifikante Unterschiede zu den ägyptischen und altorientalischen Konzepten gibt, liegt auf der Hand. 1. Der himmlische König und sein irdischer Sohn Altes Testament: Albertz, Religionsgeschichte, 174 ff ◆ Hartenstein/Krispenz, Art. König,
272 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 413 ff.426 ff ◆ Janowski, Frucht, 157 ff ◆ Ders., Anthropologie, 444 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 224 ff ◆ Ders., Geschichte, 189 ff ◆ Kessler, Ethik, 319 ff ◆ Kühn, Körper, 232 ff ◆ Levin, Königsritual, 231 ff ◆ Loretz, Götter, 395 ff ◆ Metzger, Thron, 95 ff ◆ Müller, Königtum ◆ Ders., Herrschaftslegitimation, 189 ff ◆ Otto, Krieg, 117 ff ◆ Pietsch, Art. König/Königtum ◆ Salo, Königsideologie ◆ Saur, König, 119 ff ◆ Schmitt, Religionen, 125 ff ◆ Staubli/Schroer, Menschenbilder, 321 ff ◆ Weber, Werkbuch 3, 155 ff ◆ Weippert/ Janowski, Art. Königtum, 513 ff. – Antike Religionen: Assmann, Maʾat, 200 ff.242 ff ◆ Ders., Herrschaft ◆ Ders., Schöpfung, 43 ff ◆ Hornung, Pharao ludens, 479 ff ◆ Krusche, Königtum, 20 ff ◆ Maul, König, 201 ff ◆ Otto, Krieg, 13 ff ◆ Sallaberger, Sakralität, 86 ff ◆ Saur, Königspsalmen, 9 ff.
Die spezifisch judäisch-israelitische Herrschaftskonzeption liegt in der judäischen Königsideologie vor, der zufolge der irdische König als Sohn des himmlischen Königs „geboren“ und in sein Amt bzw. in seine Handlungsrolle eingesetzt wurde. Der Grundtext ist der zur Gruppe der Königspsalmen gehörende Ps 2. Ihm und weiteren Texten (b) wenden wir uns nach einem Überblick über die Schöpfungsmotive in den Königspsalmen (a) zunächst zu. a) Schöpfungsmotive in den Königspsalmen Riede, Mensch ◆ Saur, Königspsalmen, 3 ff.269 ff ◆ Weber, Werkbuch 3, 155 ff ◆ Weippert/ Janowski, Art. Königtum, 516 ff ◆ Zenger, Art. Königspsalmen, 510 ff ◆ Ders. u. a., Einleitung, 440 f.
Im Psalter bilden die Königspsalmen (Ps 2; 18; 20/21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144) keine in sich geschlossene Teilsammlung oder Textgruppe. Vielmehr sind sie über den gesamten Psalter verteilt, wobei nach dem Proömium Ps 1–2 den Psalmenbüchern I–III (Ps 3–41; 42–72; 73–89) ein stärkeres Gewicht zukommt als den Psalmenbüchern IV–V (Ps 90–106; 107–150), in denen das Motiv der Königsherrschaft JHWHs vorherrscht (Ps 93; 96–99; 145 u. a.).6 Zwar wurde das 4
Für Ägypten ist etwa auf das Bildmotiv „Den Himmel stützen“ zu verweisen, für das es im Tempel von Edfu (ptolem. Zeit: 204–180 v. Chr.) ein eindrückliches Beispiel gibt, s. Q 46. 5 Nach der neuassyr. Königsideologie handelt der König im Krieg in direkter Entsprechung zum Gott Assur und präsentiert sich damit als Hüter der Weltordnung, s. dazu grundsätzlich Maul, König, 210 ff und als Beispiel Q 91. 6 S. dazu den Überblick bei Zenger, Art. Königspsalmen, 510 ff; Saur, Königspsalmen, 3 ff.269 ff; Weber, Werkbuch 3, 155 ff u. a. Gegenüber den einseitigen Theorien, die Königs-
§ 7 Schöpfung und Königtum 253
Königtum in Juda/Israel nicht mythisch begründet wie im ägyptischen Mythos von der Geburt des Gottkönigs (Q 42) oder in der Sumerischen Königsliste (Q 56), doch folgt seine religiöse Legitimation in wichtigen Aspekten wie der Geburt des Königs (Ps 2,7; 110,3), der Salbung (2 Sam 2,4; 5,3; 2 Kön 1,39, älteste Deutung in 1 Sam 16,1 ff ), der Titulatur (2 Sam 23; Jes 9,5), dem Königsprotokoll (Ps 2,7 ff, vgl. 1 Kön 11,12), der Einsetzung „zur Rechten Gottes“ (Ps 110,1, vgl. Mt 22,44; Apg 2,34 f; Hebr 1,13 u. a.) und der Übergabe der Königsinsignien (Ps 21,4.6) ägyptischen und kanaanäischen (?) Vorbildern. In der mittleren und späten Königszeit kamen assyrisch-babylonische Einflüsse hinzu.7 Der judäische König ist nicht ein „Bild Gottes“ wie der Mensch nach Gen 1,26 f,8 sondern Gottes „Erwählter“ (Ps 89,4.20), Gottes „Sohn“ (2 Sam 7,14; Ps 2,7, vgl. Ps 89,27) oder Gottes „Erstgeborener“ (Ps 89,28), den JHWH selber „geboren“ hat (Ps 2,7; 110,3, vgl. Ez 28,13). Er kann sogar als „Gott“ bzw. „Göttlicher“ tituliert werden (Ps 45,7). Die Nathanverheißung schließlich fügt der Gott/König-Beziehung die Zusage des „ewigen“ Bestandes der Daviddynastie hinzu (2 Sam 7,13.16; Ps 89,4 f.20 ff, vgl. Ps 132,11 ff ). Im Nordreich lagen die Dinge dagegen anders, weil hier seit Jerobeam I. (927/26–907 v. Chr.) die Exodusthematik im Vordergrund stand, und vermutlich auch den Staatskult von Bethel prägte.9
Was die Schöpfungsmotivik angeht, so begegnen in den Königspsalmen die Motive „Der König als Gottessohn“, „Der König als Segensmittler“ und „Gott als Chaoskämpfer“: Ps 2 und 110: Der König als Gottessohn „Ich will erzählen von der Setzung JHWHs: Er sagte zu mir: ‚Mein Sohn bist du, ich habe dich heute geboren!‘“ (Ps 2,7) Mit dir sind Gaben (?) am Tag deiner Macht. Auf heiligen Bergen, aus dem Mutterleib der Morgenröte habe ich dich wie Tau geboren. (Ps 110,3)10
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psalmen entweder aus dem vorexilischen Hofzeremoniell abzuleiten oder als Ausdruck des nachexilischen Messianismus zu verstehen, plädiert Zenger, aaO 511 für „eine historisch und theologisch differenzierende Sichtweise …, die einerseits mit einzelnen vorexil. K.(önigspsalmen) bzw. mit einer vorexil. Grundfassung mehrerer K.(önigspsalmen) rechnet, die in Verbindung mit dem historischen Jerusalemer Königtum standen (Ps 18; 20; 21; 45 und vielleicht 101), und die andererseits eine nachexil. Fortschreibung dieser Psalmen sowie die Neuformulierung von K.(önigspsalmen) annimmt …“. S. dazu Albertz, Religionsgeschichte, 175 f; Weippert/Janowski, Art. Königtum, 516 f; Müller, Herrschaftslegitimation, 195 ff; Levin, Königsritual, 231 ff und Schmitt, Religionen, 133 ff. S. dazu oben 61 ff. Zur Gottebenbildlichkeit des Königs in Ägypten, Mesopotamien, Nordsyrien und Iran s. Q 43; 86; 110 und 117. Im Einzelnen bleiben die Dinge allerdings weitgehend im Dunkeln, s. dazu Albertz, aaO 215 f.229 f; Frevel, Geschichte, 184 f; Schmitt, aaO 127 u. a. Das ist nur eine von mehreren möglichen Übersetzungsmöglichkeiten, s. dazu unten 260 f.
254 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Ps 21 und 72: Der König als Segensmittler 4 Ja, du kommst ihm entgegen mit Segnungen an Gutem, du setzt seinem Haupt eine Krone aus Feingold auf. 5 Leben erbat er von dir, du hast es ihm gegeben, Länge der Tage für immer und ewig. 6 Groß ist seine Ehre durch deine Rettung, Majestät und Hoheit legst du ihm an. 7 Denn du machst ihn zu Segnungen für immer, du beglückst ihn mit Freude bei deinem Angesicht. (Ps 21,4–7)11 5 ⟨Er möge lange leben⟩ mit/vor der Sonne und vor dem Mond von Geschlecht zu Geschlecht. 6 Er komme herab wie der Regen auf die Mahd, wie Regenschauer, ⟨die⟩ das Land ⟨benetzen⟩. 7 Es sprosse in seinen Tagen der Gerechte und Fülle des Heils sei, bis kein Mond mehr ist. 16 Es sei Fülle an Korn im Land, auf dem Gipfel der Berge woge es. Wie der Libanon blühe seine Frucht und seine Halme wie das Kraut des Landes. 17 Es bleibe sein Name alle Zeit, vor der Sonne sprosse sein Name. Und es sollen sich in ihm segnen, alle Nationen ihn glücklich preisen. (Ps 72,5–7.16 f )
Ps 89: Gott als Chaoskämpfer 10 Du beherrschst das Toben des Meeres, erheben sich seine Wogen – du besänftigst sie. 11 Du hast Rahab zerschlagen wie einen Durchbohrten, mit deinem starken Arm hast du deine Feinde zerstreut. 12 Dein ist der Himmel, dein auch die Erde, der Erdkreis und was ihn erfüllt, du hast sie gegründet. 13 Norden und Süden, du hast sie geschaffen, Tabor und Hermon jubeln über deinen Namen. 14 Du hast einen Arm voller Heldenkraft, stark ist deine Hand, erhoben deine Rechte. 15 Gerechtigkeit und Recht sind die Stütze deines Throns, Gnade und Wahrheit gehen vor deinem Angesicht her. (Ps 89,10–15)12
Auf diese Texte sowie ihre Sachparallelen in anderen biblischen Büchern und in altorientalischen und ägyptischen Texten soll im Folgenden genauer eingegangen werden.
11 12
S. dazu unten 283. S. dazu unten 397 f.
§ 7 Schöpfung und Königtum 255
b) Der König als Gottessohn und Segensmittler Die israelitisch-judäische Königsideologie13 ist nur im Kontext der Symbol systeme der altvorderasiatischen Religionen – primär Ägyptens, Mesopotamiens und Ugarits/Nordsyriens – angemessen zu verstehen.14 Gemäß der judäischen Königsideologie ist der königliche „Sohn Gottes“ der Segensmittler par exellence. Dass diese Handlungsrolle durchaus ambivalente Züge tragen kann, macht der Königspsalm Ps 2 deutlich. α) Die Geburt aus Gott (Ps 2,7; Ps 110,3) Altes Testament: Gese, Natus, 130 ff ◆ Grohmann, Fruchtbarkeit, 70 ff ◆ Grund, Gott, 99 ff ◆
Hartenstein, Psalm 2, 158 ff ◆ Irsigler, Theologie, 418 ff ◆ Keel, Geschichte Jerusalems, 196 f ◆ Koch, König, 1 ff ◆ Krusche, Königtum, 159 ff.228 ff ◆ Kühn, Körper, 248 ff ◆ Müller, Herrschaftslegitimation, 200 ff ◆ von Nordheim, Geboren ◆ Salo, Königsideologie, 274 ff ◆ Saur, Königspsalmen, 25 ff.205 ff. – Neues Testament: Hengel, Psalm 110, 43 ff ◆ Kahl, Psalm 2, 232 ff ◆ Tilly, Psalm 110, 146 ff. – Antike Religionen: Assmann, Zeugung, 13 ff ◆ Ders., Ägypten 1, 141 ff ◆ Brunner, Geburt ◆ Brunner-Traut, Pharao, 31 ff ◆ Krusche, Königtum, 20 ff ◆ Loretz, Götter, 706 ff ◆ Mayer, Mythos, 55 ff ◆ Salo, Königsideologie, 313 ff ◆ Schmitt, Religionen, 127 ff ◆ Schroer, IPIAO 3, 40 ff.
In den narrativen und poetischen Texten zur judäischen Königsideologie gilt der König als „Sohn Gottes“ (2 Sam 7,14; Ps 2,7, vgl. Ps 89,27) bzw. als „Erstgeborener“ (Ps 89,28), den JHWH selber „geboren“ (Ps 2,7; 110,3, vgl. Ez 28,13: „erschaffen werden“)15 bzw. den er als Adoptivsohn in sein Amt eingesetzt hat (Ps 89,28). Für diese Vorstellung lässt sich nordwestsemitischer, vor allem aber ägyptischer Einfluss geltend machen.16 Der alttestamentliche locus classicus ist Ps 2. Psalm 2 Zusammen mit Ps 1 bildet Ps 2 das „Eingangsportal“ des Psalters.17 Ebenso wie Ps 1 hat er keine Überschrift, dafür aber am Ende eine Seligpreisung (V. 12b), die mit dem Makarismus von Ps 1,1 („Glücklich der Mann …“) eine Art Rahmen darstellt:
13
Zu den Legitimationsprinzipien der Königsherrschaft im Nord- und im Südreich, die sich weniger diametral gegenüberstehen, als dies noch von der älteren Forschung mit ihrem Gegensatz „charismatisch“ vs. „dynastisch“ behauptet wurde, s. Schmitt, aaO 125 f. 14 Vgl. ders., aaO 126. 15 In Ez 28,13 ist nicht von der Geburt, sondern vom „Erschaffen-Werden“ (brʾ nif.) des Königs die Rede, s. zum Text unten 493 (Anhang I). In den Königssprüchen der älteren Spruchweisheit (Spr 14,28.35; 16,10.12–15; 19,12; 20,2.8.26.28; 21,1; 22,11.29; 25,2 f.5 f; 29,4.14) fehlt dieser Aspekt, s. dazu Gese, Lehre, 35 f.48 f. Zu Spr 16,15 s. unten 268 Anm. 73. 16 Für die nordwestsemit. Tradition s. das ugarit. Kirta-Epos KTU 1.16 I 20 f (Q 109) und für Ägypten den Mythos von der Geburt des Gottkönigs (Q 42), vgl. Müller, Herrschaftslegitimation, 201 f. 17 S. dazu Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 1 ff (Janowski). Zu Ps 1 s. oben 191 ff.
256 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
I.
Aufbegehren der Völker/Könige und Reaktion JHWHs
1 2 3
Warum sind Völker unruhig geworden, 1 f: Sprecherperspektive und sinnen Nationen Nichtiges, Könige der Erde stellen sich auf die Könige der Erde, und haben Fürsten sich zusammen getan gegen JHWH und gegen seinen Gesalbten? „Wir wollen zerreißen ihre Fesseln 3: Zitat: Rede der Völker und von uns werfen ihre Stricke!“
4 5 6
Der im Himmel thront, lacht, 4 f: Sprecherperspektive der Herr spottet über sie. JHWH im Himmel Dann wird er zu ihnen reden in seinem Zorn, und in seiner Glut wird er sie erschrecken: „Ich habe meinen König eingesetzt 6: Zitat: Rede JHWHs auf Zion, meinem heiligen Berg.“
II. Rede des Königs 7 8 9
„Ich will erzählen von der Setzung JHWHs: 7aα: Einleitung Er hat zu mir gesprochen: ‚Mein Sohn bist du! 7aβ–9: Zitat: Rede JHWHs Ich habe dich heute geboren! Erbitte von mir, und will ich (dir) Völker als deinen Erbbesitz geben und als deinen Grundbesitz die Enden der Erde. Du kannst sie zerschmettern mit eisernem Stab, wie Töpferware kannst du sie zerschlagen!‘“
III. Aufforderung an die Könige/Richter 10 Und jetzt, ihr Könige, kommt zur Einsicht, 10: Einleitung (→ 2) lasst euch belehren, ihr Richter der Erde! 11 Dient JHWH mit Furcht 11 f: Weitere Aufforderungen und preist (ihn) mit Beben! 12a Küsst den Sohn, damit er nicht zürnt, 12a (→ 5) und ihr (nicht) auf dem Weg zugrunde geht, denn schnell entflammt sein Zorn!
Makarismus 12b Glücklich alle, die sich in ihm bergen!18 12b: Segenswunsch (→ Ps 1,1)
Ps 1 und 2 sind nicht nur durch die Seligpreisung miteinander verbunden (Ps 1,1/2,12b), sondern auch durch mehrere Stichworte aufeinander bezogen. Während Ps 1 mit dem für den Gesamtpsalter charakteristischen Bild vom Lebensweg des/r Gerechten schließt (V. 6) und diesen vom Weg der Frevler absetzt,
18
Zur Übersetzung und Textkritik (besonders von V. 6) s. Hartenstein/Janowski, aaO 57 ff (Hartenstein).
§ 7 Schöpfung und Königtum 257
werden in Ps 2 die Könige und Richter der Erde vor ihrem Weg in den Untergang gewarnt (V. 12). Und während die Tora nach Ps 1,2 vom Gerechten bei Tag und bei Nacht „gemurmelt“ bzw. „rezitiert“ wird (hāgāh), machen die Nationen nach Ps 2,1 „vergebliche Pläne“, weil sie „Nichtiges sinnen“ (hāgāh rîq).19 Auf diese Weise werden die Leitbegriffe und Grundmotive beider Texte „übereinandergelegt oder ineinandergeschoben“20, so dass man von einer Bedeutungsebene auf die andere wechseln kann.21 Dieses Phänomen, das die neuere Psalmenforschung als Stichwort- und Motivverkettung (concatenatio) bezeichnet, zeigt, dass die einzelnen Bilder und Motive einen über die vordergründige Bedeutung hinausreichenden Sinn besitzen. Das gilt gerade auch für Ps 2, seine Stellung im Psalter und seine Rezeptionsgeschichte im antiken Judentum und im Neuen Testament.22 Was die masoretische Textgestalt angeht, so ist „die Frage nach dem Verständnis der Königsvorstellungen entscheidend: ist der Psalm ein altes Überlieferungsstück einer vorexilischen Königsideologie?“23. Während H. Gunkel diese Frage bejahte, haben andere Ausleger den Text als Zeugnis nachexilischer Zukunftserwartungen verstanden. Mit der neueren Psalmenforschung ist demgegenüber mit einem Textwachstum zu rechnen,24 demzufolge V. 7–9 ein älteres Traditionsstück der vorexilischen Jerusalemer Königsideologie darstellt, das von zwei, in nachexilischer Zeit hinzugefügten Abschnitten gerahmt wird.25 Der erste Abschnitt (V. 1–6) dieser dreiteiligen Komposition gibt aus der Perspektive eines ungenannten Sprechers zunächst eine Situationsbeschreibung, die die Beziehung zwischen dem himmlischen (V. 4a) und dem irdischen Herrscher (V. 2b) zum Thema hat.26 Ihnen stellen sich die Völker und Könige der Erde (V. 2aα) entgegen. Dieser Gegensatz von „Himmel“ und „Erde“ ist für die Raumsymbolik des Psalms ebenso konstitutiv wie die mit dem Gottesbergmotiv (V. 6) verbundene axis mundi-Konzeption (s. Abb. 58).27
19 20 21
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23 24
25
26 27
Zur Funktion von hāgāh als Kontrastmotiv in Ps 1 und 2 s. Hartenstein, Psalm 2, 175 und oben 192 f. Lohfink, Psalmengebet, 12. S. dazu auch Weber, Herr, 231 ff. Zur Rezeptionsgeschichte s. Hartenstein/Janowski, aaO 122 ff (Hartenstein). Im NT steht die Aussage über die Gottessohnschaft aus Ps 2,7 hinter den christologischen Aussagen bei der Taufe Jesu in Mk 1,11 (Q 175) u. a. Hartenstein, Psalm 2, 159 (H. i. O.). Im Einzelnen sind die Positionen sehr unterschiedlich, s. dazu ders., aaO 160 Anm. 4. So mit ders., aaO 164 ff gegenüber einer oft vertretenen Viergliedrigkeit (V. 1–3/V. 4–6/ V. 7–9/V. 10–12). Zur Datierung von V. 1–6 und V. 10–12 s. Hartenstein/Janowski, aaO 74 ff (Hartenstein). Zu den mit dem „Messias“-Titel verbundenen Herrschererwartungen s. den entsprechenden Exkurs bei Hartenstein/Janowski, aaO 82 ff (Hartenstein). S. dazu Hartenstein, Psalm 2, 169 f; ders./Janowski, aaO 67 ff (Hartenstein), ferner Seybold, Poetik 1, 214 f und Leuenberger, Konzeptionen, 42 ff.
258 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt „Der im Himmel thront“/„Der Herr“ (4) „mein König“ eingesetzt auf Zion „meinem heiligen Berg“ (6) „mein Sohn“ geboren aus Gott (7)
Völker (1.8) Enden der Erde (8) Erde
Nationen (1) Enden der Erde (8)
Könige (2.10)
Fürsten, Richter (2.10)
Abb. 58: Zur Raumsymbolik von Ps 2 (nach F. Hartenstein)
Im dritten Abschnitt (V. 10–12) wird aus dem im mittleren Teil (V. 7–9) dargestellten Verhältnis zwischen JHWH und König die Konsequenz gezogen, indem die Könige und Richter der Erde zur Einsicht und Anerkennung dieses Verhältnisses aufgefordert werden. Der wohl redaktionell hinzugefügte Makarismus (V. 12b) zieht die Linien schließlich bis zu „allen“ aus, die dieser Aufforderung Folge leisten und sich damit im Schutz- und Lebensraum Gottes bergen. Zwischen den beiden Rahmenabschnitten V. 1–6 und V. 10–12 steht das vorexilische Traditionsstück V. 7–9, in dem die Nähe zwischen Gott und König als Vater/Sohn-Beziehung bestimmt wird. Dies ist das kompositorische und entstehungsgeschichtliche Zentrum des Psalms. Nach einer Einleitung aus dem Mund des Königs (V. 7aα), in der er sich an seine Inthronisation und den damals erfolgten Zuspruch Gottes erinnert (Perfekt: „er hat zu mir gesprochen“), folgt in V. 7aβ das Zitat der feierlichen Deklaration JHWHs: „Mein Sohn (ben) bist du! Ich habe dich heute geboren (jālad)!“
Dieser Text enthält drei aufeinander bezogene Aspekte: den Sohnestitel, die Geburtsaussage und den Zeitmarker „heute“. Was den Zeitmarker angeht, so ist damit der feierliche Moment der Thronbesteigung gemeint, in dem sich die Geburt aus Gott vollzieht. Gerade dieser Aspekt ist ein Hinweis darauf, dass es in Ps 2,7 nicht um eine Zeugung, sondern um eine Geburt geht.28 Für eine Geburtsaussage spricht auch der religionsgeschichtliche Kontext, wie er vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, im ägyptischen Mythos von der Geburt des Gottkönigs aus dem Neuen Reich vorliegt (s. Q 42).29 Das Motiv der Geburt aus Gott ist im Alten 28 Vgl.
Grohmann, Fruchtbarkeit, 75.78 f u. ö. Zur Doppelbedeutung von jālad als „zeugen“ und „gebären“ s. dies., aaO 72 ff und Hartenstein/Janowski, aaO 105 (Hartenstein). 29 Daneben ist mit syr.-kanaan. und neuassyr. Einflüssen zu rechnen, s. dazu Koch, König,
§ 7 Schöpfung und Königtum 259
Testament noch dreimal belegt, zum einen in Dtn 32,18 (Israel), zum anderen in Ps 90,2 (Weltschöpfung) und schließlich in Ps 110,3 (Königsideologie):30 Den Felsen, der dich geboren hat (jālad), hast du missachtet, und du hast den Gott vergessen, der dich unter Wehen gebärt (ḥjl pol.). (Dtn 32,18)31 Bevor Berge geboren wurden (jld pu.) und du Erde und Erdkreis unter Wehen hervorbrachtest (ḥjl pol.), von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du, Gott! (Ps 90,2)32
Wenn man für Ps 2,7 den Bezug auf eine Geburt annimmt, so wird damit „ein besondere Beziehungsqualität und Nähe intendiert. Diese Nähe dient der Legitimierung“33. Die Vorstellung von der Gottessohnschaft hat demnach physische und mythische Dimensionen. Beide Dimensionen finden in der Metapher der Geburt aus Gott ihren symbolischen Ausdruck.34 Der juridische Begriff einer Adoption wird dem nicht gerecht.35 Psalm 110 Wie in Ps 2,7 stößt man auch in dem nachexilischen Königspsalm Ps 11036 auf das Mythologem der Geburt des Königs aus Gott – sofern man am Ende von V. 3b statt des Substantivs „deine Jugend“ (jaldutækā) mit LXX (s. Q 159) und anderen antiken Texttraditionen die Verbform „ich habe dich geboren“ (jelidtîkā) liest. Zunächst: Der Psalm gliedert sich in zwei Teile, in den Gottesspruch V. *1–3 und in den Gottesschwur V. 4–7. Der erste Teil beginnt in V. *1 mit der Position des Königs zur Rechten Gottes (sog. sessio ad dextram) und über seinen Feinden („Schemel für deine Füße“) und endet in V. 3 mit einer rätselhaften Deklaration JHWHs. Demgegenüber enthält der zweite Teil einen Schwur, der sich zum einen auf die Stellung des Priesterkönigs („nach der Weise Melchisedeks“, vgl. Gen 14,18 ff )37 und zum anderen auf die Unterwerfung seiner Feinde bezieht. Zwischen beiden Teilen gibt es zahlreiche Wortaufnahmen und semantische 1 ff; Grund, Gott, 108 ff; Grohmann, aaO 77 f; Hartenstein/Janowski, aaO 98 ff (Hartenstein); Irsigler, Gottesbilder, 418 Anm. 185 u. a. Zum neubabyl. Mythos von der Erschaffung des Menschen und des Königs, demzufolge die Götter in einem zweiten Schöpfungsakt den „überlegend-entscheidenden Menschen“ (māliku-amēlu) erschaffen und für sein Amt mit besonderen Qualitäten und Fähigkeiten ausstatten, s. Q 84. 30 Zu Ps 110,3 s. im Folgenden. 31 S. dazu Grohmann, aaO 77; Grund, aaO 105 ff und Otto, Deuteronomium IV (HThK.AT), 2181. Der gebärende „Fels“ ist eine Metapher für Gott. 32 S. dazu Grund, aaO 103 ff; Grohmann, aaO 80 ff u. a. 33 Grohmann, aaO 79, vgl. Saur, Königspsalmen, 34; Hartenstein/Janowski, aaO 106 (Hartenstein) u. a. 34 Vgl. Janowski, Frucht, 161 und Irsigler, aaO 418 f. 35 Vgl. Grund, aaO 110; Hartenstein/Janowski, ebd. (Hartenstein); Irsigler, aaO 419 u. a. 36 Zur Datierung s. Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 201 ff (Zenger). 37 S. dazu unten 454 f.
260 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
bzw. motivliche Bezüge (Gottesname JHWH, „mein Herr“/„der Herr“, „zu meiner Rechten“/„zu deiner Rechten“, Unterwerfung/Niederschlagung der Feinde u. a.): Überschrift 1* Von David. Ein Psalm.
Gottesspruch: Throngenossenschaft mit JHWH 1* Spruch JHWHs zu meinem Herrn:
„Setze dich zu meiner Rechten,
bis ich lege deine Feinde als Schemel für deine Füße!“
2 Den Stab
deiner Macht streckt JHWH aus von Zion, herrsche inmitten deiner Feinde!
3 Mit dir sind Gaben (?) am Tag deiner Macht. Auf heiligen Bergen, aus dem Mutterleib der Morgenröte habe ich dich wie Tau geboren.38
oder:
Bei dir ist Adel
am Tag deiner Kraft,
auf heiligem Bergland aus dem Mutterleib,
aus der Morgenröte
⟨ ⟩ habe ich dich geboren.39
Auf heiligen Bergen aus dem Mutterschoß der Morgenröte – gleichwie Tau – habe ich dich gezeugt.40
Gottesschwur: Priester wie Melchisedek 4 Geschworen hat JHWH und bereut es nicht:
„Du bist ein Priester für alle Zeiten
nach der Weise Melchisedeks.“
5 Der Herr ist zu deiner Rechten, er hat zerschmettert am Tag seines Zorns Könige. 6 Er hält Gericht unter den Völkern – voll von Leichen. Er hat zerschmettert Häupter auf (der) weiten Erde.
7 Aus einem Bach am Weg trinkt er, deshalb erhebt er (das) Haupt.
Die eigentliche crux interpretum dieses Textes ist V. 3, dessen masoretische Textgestalt (MT) unverständlich ist. Wörtlich übersetzt lautet sie: 38 Vgl.
Salo, Königsideologie, 312. Zu Textrekonstruktion von V. 3 s. auch Grund, Gott, 115, die nedābôt statt mit „freiwillige Gaben“ mit „Edle“ und mišḥār bzw. šaḥar (+ min) statt mit „Morgenröte“ mit „erstes Morgenlicht“ übersetzt. Zum Verständnis s. auch Gese, Natus, 138: „… in dieser Morgenröte des neuen Tages (wird) das Pendant zu dem ‚heute‘ von Ps 2,7 stecken: aus diesem werdenden Tag heraus wird der Davidide als Gottessohn geboren, nämlich am Tag der Inthronisation. Diese göttliche Geburt wird durch den Raum des Zion und durch die Zeit der Thronbesteigung definiert“. 39 So Gese, ebd. 40 So Irsigler, Gottesbilder, 420, teilweise ähnlich Saur, Königspsalmen, 205. Zur mythologischen Konnotation von ṭal „Tau“ s. Irsigler, aaO Anm. 189.
§ 7 Schöpfung und Königtum 261
Dein Volk ist ganz bereitwillig/Freiwilligkeiten am Tag deiner Macht. In heiligem Schmuck, aus dem Mutterleib der Morgenröte (?) ist/wurde dir der Tau deiner Jugend.41 Neben der obigen Konjektur von A. Grund und R. S. Salo, der diejenigen von H. Gese und H. Irsigler noch am nächsten kommen, sind auch andere Textrekonstruktionen vorgeschlagen worden. Hier eine kleine Auswahl: Dein Volk (stellt sich zur Verfügung in) Freiwilligkeit (oder: Bei dir [ist] Würde) (?) am Tage deiner Heeresmacht (oder: deines Geborenwerdens). Auf heiligen Bergen (oder: In heiligem Schmuck), aus dem Mutterschoß der Morgenröte (ist) dir (wie der) Tau deine Jungmannschaft (oder: habe ich [wie] Tau dich gezeugt) (?).42 Dein Volk ist Freiwilligkeit am Tag deiner Macht, (Du bist) in heiligem Schmuck, (Du bist) aus dem Mutterleib der/des Schwarzen, du hast den Tau deiner Jugend/Kindheit.43 Dein Volk ist bereitwillig am Tag deiner Macht in heiligem Schmuck. Aus dem Schoß der Morgenröte kommt dir der Tau deiner Jugend zu.44
Wenn man der obigen Rekonstruktion und Übersetzung von V. 3 durch H. Gese, A. Grund, R. S. Salo und H. Irsigler folgt, bleibt zu beachten, dass der aus Ps 2,7 bekannte Terminus „Sohn“ hier nicht fällt. Dennoch ist die Aussageintention einer „mythisch-physischen Abstammung des Königs von der Gottheit“45 und damit die Vater/Sohn-Konstellation deutlich, die im Kontext der ägyptischen und altorientalischen Königsideologie einige Plausibilität besitzt. Diese Konstellation wird zunächst in das rezeptionsgeschichtlich wirksame Motiv des Sitzens zur Rechten Gottes gefasst, für das es Vorbilder in der ägyptischen Herrschaftsrepräsentation (s. Abb. 59) gibt46 und das für die neutestamentliche Christologie zentral geworden ist (vgl. 1 Kor 15,25; Röm 8,34; Mk 12,35–37 parr. u. ö., s. Q 159). Berücksichtigt man überdies die ägyptische Vorstellung der „Abkunft des Königs vom Sonnengott, dessen morgendlicher Aufgang zwischen den Horizontbergen in Ikonographie und Epigraphik in zahlreichen Zeugnissen als Geburt dargestellt ist, wird dessen sonnengleiche Geburt auf heiligen Bergen unmittel41 So
Krusche, Königtum, 229.230 ff.246 ff, der MT (samt Vokalisation) folgt. Weber, Werkbuch 2, 221. 43 So von Nordheim, Geboren, 44, zur Begründung s. dies., aaO 25 ff. 44 So Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 197 (Zenger). 45 Irsigler, aaO 420. 46 S. dazu Keel, Bildsymbolik, 240.246 f und Schroer, IPIAO 3, 164 f. Kritisch gegenüber einer topographischen Auffassung des Motivs vom Sitzen zur Rechten Gottes, d. h. des im Süden (= rechts) des Tempels gelegenen Königspalastes, wie sie von Keel, aaO 241 (mit Abb. 354 f ).247 vertreten wird, s. Hossfeld/Zenger, aaO 206 f (Zenger). 42 So
262 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Abb. 59: Pharao Haremhab „zur Rechten“ des Gottes Horus sitzend (18. Dyn., 1345–1318 v. Chr.) bar einsichtig. Mit beharerê qodæš (Pl.) ist dabei kaum unmittelbar der Zion gemeint (vgl. anders Ps 2,6), sondern die kosmisch dimensionierten Berge, durch die Himmel und Erde miteinander verbunden sind. Nach Ps 87,1 sind diese heiligen Berge jedoch der Ort, wo der Zion gegründet wird – ebenfalls entsprechend der weit verbreiteten Vorstellung, dass der Ort des Tempels sich symbolisch mit dem mythischen Ort des Sonnenaufgangs überschneidet“47.
Die mythisch gefärbte Sprache und Vorstellungswelt von Ps 110,3 – die vom vorliegenden masoretischen Text (MT) geglättet wurde48 – bringt, wie die reli gions- und motivgeschichtlichen Zusammenhänge verdeutlichen, eine Dimen47
Grund, aaO 116 f mit Abb. 1. Die Verfasserin, die ihre Ausführungen am Beispiel der Deckenmalerei im Grab Ramses’ VI. (1142–1135 v. Chr.) veranschaulicht, nimmt dabei Bezug auf die Darstellung der ägypt. Sonnentheologie der 18./19. Dyn. (1540–1186 v. Chr.) und deren Geburtsmetaphorik bei Janowski, Rettungsgewissheit, 136 ff (mit Abb. 20–30), s. zu dieser Thematik auch Keel, aaO 224 ff; ders./Schroer, Schöpfung, 108 ff und Schroer, IPIAO 4, 234 ff. 48 S. dazu oben 260 f.
§ 7 Schöpfung und Königtum 263
sion in der Gott/König-Beziehung zur Geltung, die deren Geheimnis wahrt und zugleich ‚anschaulich‘ macht. β) Die Frucht der Gerechtigkeit (2 Sam 23,3 f; Ps 72) Altes Testament: Arneth, Sonne ◆ Ders., Psalm 72, 135 ff ◆ Becker, Psalm 72, 123 ff ◆ Diet-
rich, Psalm 72, 144 ff ◆ Diller, „Er soll leben“, 1 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 422 ff ◆ Janowski, Art. Licht, 330 f ◆ Ders., Frucht, 157 ff ◆ Ders., Anthropologie, 448 ff ◆ Keel, Sonne, 215 ff ◆ Ders., Geschichte, 277 ff ◆ Krusche, Königtum, 183 ff ◆ Langer, Gott ◆ Müller, Herrschaftslegitimation, 218 f ◆ Otto, Krieg, 117 ff.124 ff ◆ Salo, Königsideologie, 205 ff ◆ Saur, Königspsalmen, 132 ff. – Antike Religionen: Janowski, Sonnengott, 192 ff ◆ Kühn, Körper, 259 ff ◆ Langer, Gott, 156 ff ◆ Renz, Gottes Wesen, 106 f.114 ff ◆ Salo, Königsideologie, 247 ff ◆ Schmitt, Religionen, 129 ff ◆ Smith, Solar Language, 29 ff.
Wie wir sahen, wird der judäische König nach Ps 2 von JHWH „durch einen Akt der Erwählung zu seinem ‚Sohn‘ (legitimiert), dem er ‚Weltherrschaft‘ zuspricht“49, die dieser durch die Unterwerfung der Völker und Könige der Erde durchsetzen soll (Ps 2,7–9, vgl. Ps 110,*1 f.5 f ). Diese Herrschaftsausübung wird – auch wenn bei Ps 2,8 „für die (Völker-)Welt Gerechtigkeit und Fruchtbarkeit durch das Handeln des Königs mitzuhören (ist)“50 – in Ps 2,9 „mit Bildern imperialer Symbolik“51 ausgemalt. Daneben gibt es innerhalb und außerhalb des Psalters eine andere Traditionslinie, in der es um die Bewahrung der kosmischen Ordnung und die Sicherung der Prosperität geht (Ps 72,5–7.16 f, vgl. Ps 21,7; 2 Sam 23,3 f u. a.). Dahinter stehen Auffassungen über eine Entsprechung von Licht und König(tum), die ihren Ursprung in der solaren Symbolik des vorexilischen Jerusalem haben. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, müssen wir etwas ausholen. Exkurs 7: Solare Symbolik Altes Testament: Arneth, Sonne, 109 ff ◆ Berlejung, Art. Licht/Finsternis, 320 ff ◆ Ebach,
Art. Licht, 353 ff ◆ Filitz, Gott, 131 ff.235 ff ◆ Hartenstein, Rez. Arneth, 491 ff ◆ Janowski, Sonnengott, 192 ff ◆ Ders., Licht, 221 ff ◆ Ders., Übernachtung, 285 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 77 ff ◆ Lauber, Sonne, 330 ff ◆ Leuenberger, Gott, 34 ff ◆ Podella, Lichtkleid, 196 ff.200 ff ◆ Ders./Woschitz, Art. Licht, 633 ff ◆ Schroer/Keel, IPIAO 1, 348 ff ◆ Smith, Solar Language, 29 ff ◆ Stähli, Elemente. – Antike Religionen: Bonatz, Art. Sun, 937 ff ◆ Janowski, Rettungsgewissheit, 30 ff.98 ff.112 ff.174 ff ◆ Ders., Anthropologie, 632 f.654 f ◆ Keel, Geschichte, 273 ff ◆ Keel/Uehlinger, Göttinnen, 282 ff.392 ff ◆ Krebernik, Art. Sonnengott, 599 ff ◆ Kutter, Sonnengottheiten ◆ Langer, Gott, 156 ff ◆ Lauber, Sonne, 345 ff.387 ff. – Philosophie, Kulturwissenschaft: Blumenberg, Licht, 139 ff ◆ Kreuzer, Art. Licht, 207 ff ◆ Taureck, Metaphern, 99 ff. – Wirkungsgeschichte: Janowski, Rettungsgewissheit, 1 ff ◆ Lauber, Sonne, 461 ff ◆ Stähli, Elemente, 1 ff. 49
Irsigler, Gottesbilder, 418. Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 109 (Hartenstein). 51 Dies., ebd. (Hartenstein). 50
264 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Licht und Finsternis gehören, wie wir eingangs ausgeführt haben, zu den primären „Ordnungsformen“ der Wirklichkeit.52 In den Religionen der vorderorientalischen Antike einschließlich des alten Israel kommt dieser Sachverhalt in zahlreichen Texten und Bildern zum Ausdruck, die das Wirken der Sonnengottheit bzw. JHWHs als das eines morgendlichen Richters und Retters preisen und die das Handeln des Königs mit solaren Qualitäten ausstatten.
Der Sonnengott als Richter und Retter Der Zusammenhang von göttlichem Rechtshandeln (Überwindung des Unrechts) und kosmischer Bedeutung des Lichts (Überwindung der chaotischen Finsternis) ist vor allem in der altorientalischen und ägyptischen Gebetsliteratur und Ikonographie verbreitet.53 Ein berühmtes Beispiel aus Mesopotamien ist ein Rollsiegel aus der Akkadzeit (2370–2190 v. Chr., s. unten 576 Abb. 140), das zeigt, wie der Sonnengott Utu/Šamaš zwischen den östlichen Horizontbergen aus der Tiefe emporsteigt, um seinen Weg zum himmlischen Gericht anzutreten. Dieses Gericht vollzieht sich, wie das ebenfalls akkadzeitl. Rollsiegel Abb. 141 deutlich macht, als prozessuale Vorführung eines gefangenen löwenköpfigen Dämons vor Utu/Šamaš, der als himmlischer Richter auf seinem Bergthron sitzt und das Urteil fällt. Literarisch ist dieses Morgenmotiv vor allem in akkadischen Gebetsbeschwörungen des 2./1. Jt.s v. Chr. und in ägyptischen Sonnenhymnen der Ramessidenzeit (20./19. Dyn.) belegt.54 Als Beispiel kann die zweisprachige Gebetsbeschwörung an Utu/Šamaš JCS 21,2 f,1–9 dienen (s. Q 72), die ihren rituellen Ort im königlichen bīt rimki („Haus der Waschung“)-Ritual hatte. Der Text beginnt folgendermaßen: 1 Beschwörung: Šamaš, wenn du aus dem großen Berg heraustrittst, 2 wenn du aus dem großen Berg, dem Berg der Quelltiefe heraustrittst, 3 wenn du aus dem Duku (sc. heiliger Hügel), wo die Geschicke bestimmt werden, heraustrittst, 4 wenn du zu der Stelle, wo Himmel und Erde zusammentreffen, aus des Himmels Grund heraustrittst, 5 dann treten die großen Götter zum Gericht zu dir hin, 6 treten die Anunnaki zum Fällen der Entscheidung zu dir hin.55 Wir begegnen in dieser Text- und Bildtradition einem kohärenten Motivzusammenhang: Der himmlische Richter, der als souveräner Sonnengott alles sieht und ‚durchschaut‘, tritt am Morgen in die Welt der Menschen und der Tiere ein, um den Bedrängten zu retten und den „Faden des Bösen“ zu durchtrennen.56 52
S. dazu oben 17 f und speziell zum Licht/Finsternis-Gegensatz 134 ff. Zur altorientalischen und ägyptischen Vorstellung vom Sonnengott als Richter und Retter s. Janowski, Rettungsgewissheit, 30 ff.98 ff.112 ff.174 ff; ders., Sonnengott, 192 ff; ders., Anthropologie, 632 f.654 f; Keel, Geschichte, 273 ff u. ö.; Keel/Schroer, Schöpfung, 77 ff; Keel/Uehlinger, Göttinnen, 282 ff.392 ff; Smith, Solar Language, 29 ff; Schroer/Keel, IPIAO 1, 348 ff sowie als ägypt. Textbeispiel Pap. Chester Beatty IV (Q 29). 54 S. dazu Janowski, Rettungsgewissheit, 68 ff.154 ff.176 ff. 55 Zu diesem Text s. ders., aaO 41 f (Lit.), vgl. 83 f. 56 Vgl. Krebernik, Art. Sonnengott, 605. In Ägypten hat sich das Morgenmotiv dagegen vor allem in den ramessidischen Hymnen an Amun-Re (19.–20. Dyn.) entwickelt, s. dazu Janowski, aaO 163 f (Lit.). 53
§ 7 Schöpfung und Königtum 265
Solare Symbolik in Palästina/Israel Dass diese Motivtradition in Jerusalem bekannt war, belegt ein akkadzeitl. Rollsiegel aus Jerusalem, das in einem Grab des 7. Jh.s v. Chr. gefunden wurde. Es zeigt den Sonnengott, der am Morgen auf seinem himmlischen Thron zu Gericht sitzt und dabei von zwei Dienern flankiert wird. Es ist das einzige akkadzeitl. Rollsiegel, das bisher in Palästina/Israel entdeckt wurde.57 Wie der Überlieferungsweg dieses Imports verlief, ist nicht mehr ganz aufzuklären. Deutlich aber ist, dass die sog. Solarisierung JHWHs, d. h. die Rezeption solarer, auf die Aspekte „Gerechtigkeit“ und „Leben“ bezogener Vorstellungselemente älter ist als die mittlere und späte Königszeit. Der Boden dafür wurde durch mehrere Faktoren bereitet: zum einen (a) durch vorstaatliche šæmæš-Traditionen, die an Ortsnamen wie Beth-Šæmæš (Jos 15,10; 21,16; 1 Sam 6,9 ff u. a.), ʿEn-Šæmæš (Jos 15,7; 18,17), TimnatḤæræs (Jos 24,30; Ri 2,9) und an Ortssagen wie Gen 19,*1–29 (Sodom), Gen 32,*23–33 (Jabboq), Jos 10,12 f (Gibeon) u. a. erkennbar sind,58 und zum anderen (b) durch frühe (?) Theophanietraditionen, die das „Kommen“ JHWHs als Epiphaniegeschehen darstellen und dabei die Lichtverben zāraḥ „aufstrahlen“ und jpʿ hif. „aufstrahlen, glänzend erscheinen“ verwenden. So heißt es in Dtn 33,2 (wohl Ende 7. Jh. v. Chr.): JHWH, vom Sinai kam er und strahlte auf (zāraḥ) von Seir ihm/ihnen, er glänzte auf (jpʿ hif.) vom Gebirge Paran, und er kam von ⟨Meribat Kadesch⟩, aus seinem Süden, den ⟨Berghängen⟩, für es/sie.59 Beide Traditionsstränge – der im engeren Sinn solare und der auf JHWH bezogene theophane – haben sich im Prozess der Überlieferungsbildung vielfach überlagert und z. T. gegenseitig beeinflusst. Hinzu kam in der mittleren und späten Königszeit schließlich (c) die ṣædæq/ṣedāqāh-Tradition, die im Kontext prophetischer Gesellschafts- und Normenkritik JHWH als Spender von Recht und Gerechtigkeit proklamierte (vgl. Jes 1,21–26) und dafür solare Sprachbilder schuf (Hos 6,5, vgl. Zeph 3,5): 4 Was soll ich dir tun, Efraim, was soll ich dir tun, Juda? Ist doch eure Hingabe nur wie Morgengewölk (ʿ anan boqær), wie Tau, der früh verschwindet. 5 So musste ich durch Propheten dreinschlagen, musste sie töten durch Worte meines Mundes, auf dass ⟨mein Recht wie⟩ das Licht (ʾôr) aufbricht (jāsāʾ ): 6 Hingabe gefällt mir, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer. (Hos 6,4–6)60
57
S. dazu Janowski, Anthropologie, 654 f und unten 577 Abb. 142. Da das Alter der lokalen šæmæš-Traditionen in Gen 19,*1–29 u. a. nicht genau zu ermitteln ist, ist die Frühgeschichte der Solarisierung JHWHs mit vielen Fragezeichen behaftet, s. dazu Leuenberger, Gott 39 ff. 59 S. dazu Beyerle, Mosesegen, 14 ff.275 ff; Leuenberger, aaO 50 f, ferner die Hinweise bei Janowski, Sonnengott, 210 f mit Anm. 120. 60 S. dazu Leuenberger, aaO 55 ff. 58
266 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Die eigentliche Heimat der ṣædæq/ṣedāqāh-Tradition war Jerusalem (Jes 1,21 ff; Zeph 3,1 ff ) und ihr Grundthema, wie Ps 46,6 präzisiert, die Gegenwart des dort („in ihrer Mitte“) „beim Anbrechen des Morgens“ rettend eingreifenden Zionsgottes: 5 Ein Strom – seine Kanäle erfreuen die Gottesstadt, die heiligste der Wohnungen des Höchsten. 6 Gott ist in ihrer Mitte, so dass sie nicht wankt, Gott hilft ihr beim Anbrechen des Morgens (lipnôt boqær). (Ps 46,5 f ) JHWH wirkt gerecht in ihrer Mitte, er tut kein Unrecht, Morgen für Morgen (baboqær baboqær) gewährt er sein Rechtsurteil, mit dem Tageslicht (ʾôr) bleibt es nicht aus. Aber der Übeltäter kennt keine Scham. (Zeph 3,5)61 Eine Übersicht fasst die Hauptaspekte dieser Entwicklung noch einmal zusammen (s. Abb. 60).
Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Licht- und Sonnenmetaphorik durchzieht alle Epochen der abendländischen Geistesgeschichte und ist bis heute ein Baustein unserer Alltagserfahrung.62 In der christlichen Frömmigkeit ist sie nicht nur im kirchlichen Morgenlob (Laudes) des 4. Jh.s n. Chr. lebendig,63 sondern prägt auch die Morgenlieder J. Zwicks („All Morgen ist ganz frisch und neu“, EG 440), Chr. Knorrs von Rosenroth („Morgenglanz der Ewigkeit“, EG 450/GL 84) oder J. Kleppers („Die Nacht ist vorgedrungen“, EG 16/GL 220): All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu; sie hat kein End den langen Tag, drauf jeder sich verlassen mag. (EG 440,1) Der Morgen ist in diesen und anderen Kirchenliedern nicht nur das Zeichen für den herannahenden Tag, sondern auch das Symbol des geschichtlichen Lebens, dem die Zusage der neuen Schöpfung gilt.64 K. Barth hat diesen Zusammenhang, sowohl in seiner Gotteslehre als auch in seiner Schöpfungslehre thematisiert und dabei Gottes Hilfe „am Morgen“ als Erweis der Barmherzigkeit des Schöpfers und Erhalters beschrieben.65 𓇼
Durch die solare Symbolik gewann der JHWH-Glaube „ohne Zweifel wesentlich an lebensweltlicher Anschlussfähigkeit, indem er sich neue, vormals durch andere
61 Übersetzung Irsigler, Zefanja (HThK.AT), 317.321 f, vgl. Leuenberger, aaO 57 ff. Anders Per-
litt, Nahum u. a. (ATD), 133.135 f („bringt er sein Recht ans Licht, nie bleibt es aus“). S. dazu Blumenberg, Licht, 139 ff; Taureck, Metaphern, 99 ff und Kreuzer, Art. Licht, 207 ff. 63 S. dazu Dölger, Sol Salutis, 379 ff und die Hinweise bei Janowski, aaO 2 Anm. 12. 64 S. dazu Bayer, Schöpfungsmorgen, 109 ff. Nach ders., aaO 19 hat die Rede von Gott dem Schöpfer „ihren Sitz im Leben primär im Morgenlob, im Staunen darüber, dass die dunklen Schatten weichen und es Licht wird, im Dank dafür, dass das Licht die Finsternis besiegt“ (H. i. O.). 65 S. dazu die Hinweise bei Janowski, Rettungsgewissheit, 3 f. 62
§ 7 Schöpfung und Königtum 267
I. Vorstaatliche und frühkönigliche Zeit šæmæš-Tradition Theophanietradition sædæq-Tradition ˙
ONN: Beth-Šæmæš, Lichtverben ʿEn-Šæmæš, Timnat-Hæræs u. a. Kuntillet ʿAgrûd: „beim ˙ Ortssagen: Gen 19,*15 ff; Aufstrahlen (zrh) Gottes“66 ˙ Gen 32,*23 ff; Jos 10,12 f; Ri 19,*14 ff u. a.
Traditionen im vordavidischen Jerusalem? 1 Kön 8,12 f?
II. Mittlere und späte Königszeit Licht/Recht-Relation (8./7. Jh.) Hos 6,5: JHWHs „Recht“ kommt hervor wie das Licht, vgl. V. 3 Jes 1,21 ff: Jerusalem als Stadt, in der Gerechtigkeit „übernachtete“
Ikonographie: akkadzeitl. Rollsiegel aus Jerusalemer Grab (7. Jh. v. Chr., s. Abb. 142) Nachexil.: Zeph 3,5, vgl. Mal 3,20 („Sonne der Gerechtigkeit“)
Licht/König-Relation (8./7. Jh.) Ps 72,5 ff.*15 ff: JHWH (→ König) als Quelle von Recht und Gerechtigkeit Spr 16,15: leuchtendes Angesicht des Königs, sein Wohlgefallen wie Regen
Nachexil.: 2 Sam 23,3b–4; Ps 37,6; Jes 58,8
Licht/JHWH-Relation (7./6. Jh.) Dtn 33,2 (zrh // jpy hif. + Subj. JHWH), vgl. Hos 6,5 (8. Jh. v. Chr.); Mal 3,20 (nachexil.) ˙ „JHW strahlt(e) auf“ (Beamtensiegel, hiskiazeitl.) u. a.67 PNN: yhwzrh ˙ PNN: Neh 12,42; 1 Chr 6,6.26; 7,3, Esr 7,4; 8,4 1 Chr 6,6.26 (alle nachexil.) Kritik an illegitimer Sonnenverehrung: 2 Kön 23,11; Ez 8,16
III. Exilisch-nachexilische Zeit Licht/Recht- und Licht/JHWH-Relation Morgenmotiv: KE und DE, vgl. Ps 46,6 (vorexil.) u. a. JHWH als Sonne: Ez 1,27 f; 10,4; Ps 84,12, vgl. Mal 3,20 JHWH als (Morgen-)Licht: Jes 60,1 ff; Ez 1,27 f; 43,1 ff; Ps 50,2; 80,2; 94,1, vgl. Hi 10,3 (Kritik)68
Abb. 60: Zur solaren Symbolik im alten Israel
Gottheiten abgedeckte Bereiche erschloss“69. Dieser Sachverhalt soll im Folgenden am Beispiel der Motivkombination von (Sonnen-)Licht und König(tum) weiter konkretisiert werden. 2 Samuel 23,3 f Anders als der hethitische Großkönig und der ägyptische Pharao wurde der judäische König nicht als „(Ewige) Sonne“, „Meine Sonne“ o. ä.70 bezeichnet. Viel66 67 68 69 70
Es handelt sich um eine in phönizischer Schrift gehaltene Inschrift aus dem 9. Jh. v. Chr., s. dazu Renz/Röllig, HAE I, 59 und Renz, Gottes Wesen, 114 f.116 f. S. dazu Renz, aaO 106 f mit weiteren epigraphisch belegten PNN, die ein Lichtverb enthalten, ferner Leuenberger, aaO 47 ff. Zur exil.-nachexil. Geschichte der solaren Symbolik s. Leuenberger, aaO 60 ff. Leuenberger, aaO 70 (H. i. O.). S. dazu Stähli, Solare Elemente, 27 Anm. 142–143; Smith, Solar Language, 34 ff und Janowski, aaO 101 Anm. 477; 168 f.
268 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
mehr war das Epitheton „Sonne“, wie Ps 84,12 und Mal 3,20 zeigen, dem Königsgott JHWH vorbehalten: 11 Fürwahr – ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als tausend in meiner Kammer! Lieber auf der Schwelle im Haus meines Gottes liegen als weilen in den Zelten des Frevels! 12 Denn Sonne (šæmæš) und Schild (māgen) ist JHWH, Gnade und Ehre schenkt JHWH, er versagt nicht Gutes denen, in Rechtschaffenheit wandeln. 13 JHWH Zebaoth, glücklich ist der Mann, der dir vertraut! (Ps 84,11–13) Aber es wird aufstrahlen (zāraḥ) für euch, die ihr meinen Namen fürchtet, die Sonne der Gerechtigkeit (šæmæš ṣedāqāh), und Heilung ist durch ihre Flügel. Und ihr werdet herauskommen, und ihr werdet springen wie Mastkälber. (Mal 3,20)71
Dennoch war auch die judäische Königsideologie von solarer Symbolik geprägt. So heißt es in dem weisheitlich geprägten, als JHWH-Rede an David stilisierten Maschal über den idealen Herrscher in 2 Sam 23,3 f: 3 Der Gott Israels hat gesprochen, der Fels Israels hat zu mir geredet: „Wer gerecht herrscht über die Menschen, der herrscht in der Furcht Gottes 4 und (ist) wie das Licht des Morgens (ʾôr boqær), (wenn) die Sonne aufstrahlt (zāraḥ), ein Morgen ohne Wolken, vom Morgenglanz, vom Regen (kommt) Grünes aus der Erde.“72
Der gerechte Herrscher gleicht dem aufstrahlenden Licht des Morgens und dem Regen, der das Gras hervorsprießen lässt.73 Es gibt in 2 Sam 23,3b–4 eine implizite Verbindung zwischen dem „Grünen“ (V. 4b), das durch die lebenspendende Morgensonne // den belebenden Regen hervorgelockt wird, und den „Menschen“ (V. 3b), die unter der gerechten Herrschaft des Königs gedeihen. Dies wird durch die Kontrastaussage in V. 5–7 bestätigt, wonach die Illoyalen nicht „sprossen“, sondern wie verwehte Dornen (V. 6a) „im Feuer“ (= der Hitze der Sonne?) verbrannt werden (V. 7b). 71
S. dazu Janowski, Sonnengott, 208, ferner Kessler, Maleachi (HThK.AT), 288 ff; Lauber, Sonne, 330 ff und Leuenberger, Gott, 65 f. 72 Zur Spätdatierung und Interpretation von 2 Sam 23,3b–4 s. Mathys, Dichter, 157 ff; Arneth, Sonne, 7.18 f.111 Anm. 5; Keel/Schroer, Schöpfung, 80.96; Salo, Königsideologie, 247; Kühn, Körper, 259 f u. a. 73 Zur Motivkombination Morgenlicht und Regen s. Hos 6,3; Ps 72,5 f (s. dazu im Folgenden) u. a. In Spr 16,15 ist vom leuchtenden Angesicht des Königs und seinem Wohlgefallen die Rede, das wie ein belebender Regen wirkt: „Wenn das Angesicht des Königs leuchtet (ʾôr), ist Leben, und sein Wohlgefallen ist wie eine Wolke von Spätregen“, s. dazu Meinhold, Sprüche (ZBK.AT), 271 und Hartenstein, Angesicht, 187 ff. Zu einer sachlich vergleichbaren Aussage im Amarnabrief EA 169,7–10 s. Hartenstein, aaO 188 Anm. 129.
§ 7 Schöpfung und Königtum 269
In spätnachexilischer Zeit wird die vorexilische Solarsymbolik vielfach transformiert.74 So beschreibt etwa Jes 58,8–10 die „Epiphanie“ des Gerechten, der sich der Armen und Schwachen annimmt (V. 6 f ), mit dem Bild des morgendlichen Sonnenaufgangs: 8 Dann wird dein Licht (ʾôr) hervorbrechen wie die Morgenröte (šaḥar), und deine Heilung wird eilends sprossen (ṣāmaḥ), und deine Gerechtigkeit wird dir vorangehen, die Herrlichkeit JHWHs wird dich sammeln. 9 Wenn du dann rufst, wird JHWH dir antworten, (wenn) du um Hilfe rufst, wird er antworten: Hier bin ich! Wenn du wegschaffst aus deiner Mitte Joch, Fingerzeigen und Verleumdung 10 und darreichst dem Hungrigen dein Brot, und das geschwächte Leben sättigst, dann wird erstrahlen (zāraḥ) in der Finsternis (ḥošæk) dein Licht (ʾôr) und deine Dunkelheit (ʾapelāh) ist wie die Mittagshelle (ṣāhårajim).75 Wie in 2 Sam 23,4 steht in V. 8a der Vergleich mit dem aufstrahlenden Licht in Parallele zum Vorgang des natürlichen Wachstums („sprossen“). Darüberhinaus werden „Licht“ und „Heilung“ als unmittelbare Wirkungen der Gerechtigkeit dargestellt, die das Gottesvolk den Armen und Schwachen zuwendet (V. 6 f ) und die es fortan zusammen mit der „Herrlichkeit JHWHs“ begleiten (V. 8b, vgl. Ps 85,12–14). Auch in Ps 37,6 wird das heilvolle Handeln JHWHs am Gerechten als „Aufgehenlassen“ (jṣʾ hif.) seines Rechts und seiner Gerechtigkeit „wie das Licht“ // „wie den Mittag“ geschildert: 5 Wälze auf JHWH deinen Lebensweg, und vertraue auf ihn, so wird er selber handeln 6 und hervorkommen lassen (jṣʾ hif.) wie das Licht (ʾôr) deine Gerechtigkeit und dein Recht wie den strahlenden Mittag (ṣāhårajim). (Ps 37,5 f ) Bei den beiden Gerechtigkeitsprinzipien ṣædæq und mišpāṭ dürfte es sich um „Gaben des Sonnengottes (handeln), die in Israel von dem die Rolle des Sonnengottes ausübenden Gott JHWH dem König als seinem irdischen Sachwalter, bzw. in Ps 37,6 dem in nachexilischer Zeit an die Stelle des Königs getretenen Gerechten verliehen werden“76.
Psalm 72 Eine der Kernaussagen der judäischen Königsideologie – die Korrelation von gerechter Herrschaft und lebenspendendem Licht (// belebendem Regen) – prägt auch den spätvorexilischen Ps 72.77 Der König dieses Psalms gleicht dem alles 74 Vgl.
Smith, Solar Language, 36 f. S. dazu Langer, Gott, 46 ff. Zur Verknüpfung von „Licht“ und „hervorbrechen“ (bqʿ nif.) in V. 8 s. dies., aaO 47 Anm. 59. 76 Niehr, Gott, 154. 77 Zur Datierung und Interpretation von Ps 72 s. außer den Kommentaren noch Otto, Ethik, 117 ff.124 ff; Arneth, Sonne; Janowski, Frucht, 157 ff; ders., Anthropologie, 448 ff; Saur, Königspsalmen, 132 ff; Becker, Psalm 72, 123 ff; Diller, „Er soll leben“, 1 ff; Dietrich, Psalm 72, 144 ff; Salo, Königsideologie, 205 ff; Krusche, Königtum, 183 ff u. a. 75
270 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
belebenden Licht der Sonne und dem Regen, der das Land benetzt und erblühen lässt. Dieses Motiv der Frucht der Gerechtigkeit ist der Leitgedanke, der die Grundschicht V. *1aβ–1778 bestimmt und der auch die Schlussdoxologie V. 18 f motiviert hat: 5 ⟨Er möge lange leben⟩ vor der Sonne und vor dem Mond von Geschlecht zu Geschlecht. 6 Er komme herab wie der Regen auf die Mahd, wie Regenschauer, ⟨die⟩ das Land ⟨benetzen⟩.79 7 Es sprosse in seinen Tagen der Gerechte und Fülle des Heils sei, bis kein Mond mehr ist. 16 Es sei Fülle an Korn im Land, auf dem Gipfel der Berge woge es. Wie der Libanon blühe seine Frucht und seine Halme wie das Kraut des Landes. 17 Es bleibe sein Name alle Zeit, vor der Sonne sprosse sein Name. Und es sollen sich in ihm segnen, ihn glücklich preisen alle Nationen. Die Motivkombination Fruchtbarkeit und Regierungsdauer, wie sie in diesen Versen zum Ausdruck kommt – und wie sie durch V. 9a (Trockenheit und Wasserlosigkeit repräsentierende Wüstentiere) konterkariert wird80 –, ist auch in mesopotamischen, hethitischen, nordwestsemitischen und achämenidischen Texten und Bildern häufig belegt.81 Frühe Beispiele sind der Prolog des Kodex Urnammu (ca. 2111–2098 v. Chr.),82 die Hymne Lipiteschtars von Isin (s. Q 87), die berühmte Wandmalerei aus Mari (s. Q 88) oder der Prolog und Epilog des Kodex Hammurapi (1792–1750 v. Chr., s. Q 89). Auch in neuassyr. Zeit gibt es prominente Texte wie etwa eine Inschrift Asarhaddons (681–669 v. Chr.), in der die Themenaspekte „Regierungsdauer“ (VIII,6–9), „Recht und Gerechtigkeit“ (VIII,14–16) sowie „Fruchtbarkeit“ (IX,14–20) aufeinander bezogen werden:83 (VIII,6) Meine priesterliche Nachkommenschaft möge (7) sie die Fundamente (8) von Esagila und Babel (9) für ewige Zeit standhalten. (VIII,14) In Recht und Gerechtigkeit möge ich (16) ihre (sc. der Götter) Untertanen hüten (15). 78
79 80 81 82 83
Zur literarkritischen Problematik s. die Hinweise bei Janowski, Anthropologie, 448 Anm. 19 und zuletzt Krusche, aaO 189 ff.192 ff, der für V. *1aβ–17 Einheitlichkeit postuliert und diesen „Grundpsalm“ insgesamt nachexilisch datiert. Zu den textkritischen Problemen in V. 5 f s. Janowski, Frucht, 166 mit Anm. 50 f und Dietrich, Psalm 72, 156 ff. S. dazu Janowski, Frucht, 116 mit Anm. 54; Krusche, aaO 198 ff; ders., Salomo, 23 ff und Dietrich, aaO 144 ff. S. dazu auch Kessler, Gott, 225 ff; Salo, aaO 247 ff und Dietrich, ebd., ferner Kühn, Körper, 261 f u. a. Z. 158–161: „Gärten pf[lanzte] ich do[rt fürwahr] an, ließ sie fürwahr Obergärtner des Königs haben“, s. dazu TUAT 1 (1982–1985) 19 (W. H.Ph. Römer). Die folgenden Textzitate nach Borger, Inschriften, 26 f, vgl. Arneth, Sonne, 56 f.
§ 7 Schöpfung und Königtum 271
(IX,14) Regengüsse und Hochwasser, (15) Gelingen der Ernte, Reichlichkeit (16) des Getreides, Fülle (17) und Überfluss mögen sie (sc. die Götter) in meinem Lande (18) bewirken; (19 f ) sie mögen das Getreide haufenweise aufschütten. Trotz dieser Motivähnlichkeit ist entgegen der These von M. Arneth84 nicht mit einer literarischen Abhängigkeit von Ps 72,*1aβ–17 vom neuassyr. Text zu rechnen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass „das königszeitliche Juda an der allgemeinen koine seiner Zeit teilgenommen (hat); die Rede von einem spezifischen Einfluss ist hierbei fehl am Platz“85. Im Rahmen dieser koine dürften die relevanten nordwestsemitischen Texte Ps 72 aufgrund der geographischen Nähe näher stehen als die mesopotamischen, hethitischen oder achämendischen Zeugnisse.86
Im Blick auf Ps 72 ist zu beachten, dass die den König betreffenden Bitten von V. 5 ff.16 f an JHWH adressiert sind, weil allein er „und nicht etwa die Sonne … Spender jenes ‚ewigen Lebens‘“87 ist. Wie einst vom Sonnengott gehen auch nach Ps 72 Recht und Gerechtigkeit von JHWH aus, der diese ‚Lebensgaben‘ dem König übergibt, damit dieser sein, d. h. JHWHs Volk „richte“: 1* Gott, gib (nātan) deine Rechtsentscheide dem König und deine Gerechtigkeit dem Königssohn! 2 Er richte (dîn) dein Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden mit Recht.
Gott → König König → Volk//Elende
Gemäß der altorientalischen und ägyptischen Königsideologie,88 aber mit deutlich anderer Aussageintention89 ist der judäische König nach V. 2–4 // V. 12–14 der Segensmittler, der die von JHWH empfangenen Gaben weitergibt, indem er den Elenden zum Recht verhilft: 2 Er richte (dîn) dein Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden mit Recht. 3 Es sollen die Berge Heil tragen für das Volk und die Hügel durch Gerechtigkeit. 4 Er richte (šāpaṭ) die Elenden des Volkes, er rette (jšʿ hif.) die Söhne des Armen und zerschlage den Unterdrücker. 12 Ja, er rette (nṣl hif.) den Armen, der (um Hilfe) schreit, und den Elenden und den, der keinen Helfer hat. 13 Er erbarme sich (ḥûs) des Geringen und Armen und rette (jšʿ hif.) das Leben der Armen. 84 85 86 87 88
89
S. dazu Arneth, aaO 54 ff. Salo, aaO 251, vgl. 259. Zum Ansatz von Arneth s. auch die Kritik von Janowski, Frucht, 172 ff; Hartenstein, Rez. Arneth, 491 ff und Loretz, Götter, 419 ff. S. dazu vor allem Dietrich, Psalm 72, 144 ff. Stähli, Solare Elemente, 27, vgl. Zenger, „So betete David“, 57 ff. Ein Beispiel für Mesopotamien ist der Prolog und Epilog des Kodex Hammurapi (Q 89) und für Ägypten der Kulttheologische Traktat aus der Zeit Hatschepsuts (Q 44). Zur Transformation des altorientalischen Motivs der sozialen Verantwortung des Königs durch den JHWH-Glauben s. Janowski, aaO 182 f.
272 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt 14 Aus Bedrängnis und Gewalt erlöse er (gāʾal) ihr Leben, und kostbar sei ihr Blut in seinen Augen.
Wie eng der Zusammenhang zwischen V. 1a*.b (JHWH → König) und V. 2 (König → Volk // Elende) ist, wird durch die Terminologie (mišpāṭ, ṣædæq/ṣedāqāh) und die poetische Gestalt (Chiasmus) unterstrichen. JHWH ist die Quelle des Rechts (vgl. Zeph 3,5),90 das durch Vermittlung des Königs „seinem Volk“ Rettung und Hilfe bringen soll. Die Herrschaft des Königs wird dabei nach zwei Seiten hin entfaltet:91 der König ist soziale Instanz für die Armen und Schwachen (V. 2–4 // V. 12–14) und Mittler des göttlichen Segens in Natur und Gesellschaft (V. 5–7 // V. 16 f ). Damit wird die altorientalische Vorstellung vom Sonnengott als Spender von Recht und Gerechtigkeit rezipiert, aber im Horizont der judäischen Königsideologie transformiert. Denn im Vordergrund steht nach Ps 72 das Bild des irdischen Herrschers und seines Amtes (V. *2–17) und im Hintergrund dasjenige des göttlichen Königs (V. 1aβ.b), der die Quelle von Gerechtigkeit und Segen ist. Seinen Ursprung hat dieser Zusammenhang in der Präsenz des Leben gewährenden und erhaltenden Schöpfergottes, wie es etwa der nachexilische Ps 85 in poetischer Bildsprache deutlich macht: 11 Güte und Wahrheit sind sich begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküsst. 12 Wahrheit sprosst aus der Erde hervor, und Gerechtigkeit blickt vom Himmel herab. 13 Ja, JHWH gibt das Gute, und unser Land gibt seinen Ertrag. 14 Gerechtigkeit geht vor seinem Angesicht einher, und bestimmt den Weg seiner Schritte. In V. 11 f ist von vier personifizierten Heilsgrößen – Güte, Wahrheit, Gerechtigkeit, Heil – die Rede, die vertikal und horizontal miteinander verknüpft sind: Nach der horizontalen Bewegung in V. 11 („sich begegnen“ // „[sich] küssen“) folgt in V. 12 eine vertikale Bewegung, wobei (menschliche) Wahrheit wie eine Pflanze aus der Erde emporsprosst und (göttliche) Gerechtigkeit wie die Sonne vom Himmel herabblickt. Beide, Wahrheit und Gerechtigkeit, bewegen sich aufeinander zu und werden sich begegnen, genauer: sie sind sich bereits begegnet (V. 11a)! V. 13 legt demgegenüber die Metaphorik des Heils auf den Ernteertrag aus (V. 13b), den JHWH als „das Gute“ gibt (V. 13a). Mit V. 14 kehrt der Text zu der horizontalen, alle Bereiche der Wirklichkeit durchwaltenden Präsenz der Gerechtigkeit Gottes zurück, die vor ihm hergeht und der Spur seiner Schritte folgt. Das Ziel der Aussage ist also „der doppelte Treffpunkt in der Präsenz Gottes“. Doppelt ist dieser Treffpunkt deswegen, weil es um die Präsenz Gottes im Himmel wie auf Erden geht und weil seine Gerechtigkeit die die Natur und Gesellschaft belebende Gestalt dieser Präsenz ist.
90 91
Zu Zeph 3,5 s. oben 266. S. dazu Janowski, aaO 165 ff.
§ 7 Schöpfung und Königtum 273
2. Göttlicher Hirte und königlicher Mensch Das Bild des idealen Königs von Ps 21,7; Ps 72; 2 Sam 23,3 f und verwandten Texten wird von den realen Verhältnissen nicht einfach gedeckt, weil die soziale Wirklichkeit, wie die Propheten seit dem 8. Jh. v. Chr. nicht müde werden zu betonen, von zahlreichen Verwerfungen durchzogen war.92 Es enthält aber Aspekte, die die Sehnsucht nach einem „anderen König“ wachhielten und so ein notwendiges Gegengewicht gegen die Fliehkräfte des Sozialen bildeten. Seinen Nukleus hatte diese Sehnsucht neben der Messiasvorstellung93 in der Metapher des „guten Hirten“, die im Alten und Neuen Testament in unterschiedlichen Kontexten begegnet und die eine reiche Vorgeschichte vor allem in der altägyptischen Religion hat. a) Der gute Hirte und seine Herde (Ez 34,11–16; Ps 23) Altes Testament: Hunziker-Rodewald, Hirt, 158 ff ◆ Hieke, Psalm 80, 339 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 368 ff.1042 ff ◆ Janowski, Hirte, 148 ff ◆ Janowski/Neumann-Gorsolke, Der „gute Hirte“, 85 ff ◆ Koenen/Mell, Art. Hirte, 265 f ◆ Saur, König, 121 ff ◆ Willmes, Ez 34. – Antike Religionen: Hieke, Psalm 80, 334 ff ◆ Müller, Hirte, 126 ff ◆ Seibert, Hirt ◆ Selz, Guter Hirte, 8 ff. – Neues Testament, Antikes Christentum: Barasch, Gottesbild, 38 ff ◆ Baudry, Handbuch, 37 ff ◆ Engemann, Art. Hirt, 577 ff ◆ Kügler, König, 109 ff ◆ Zimmermann, Christologie, 290 ff.316 ff.336 ff. – Kulturwissenschaft: Taureck, Metaphern, 135 ff.
Es ist ein weites Feld, das sich hier auftut und bei dem sich politische, religiöse und philosophische Aspekte vielfältig überschneiden.94 Prominente Beispiele stammen aus der altorientalischen und ägyptischen Religionsgeschichte, aus dem Neuen Testament und aus dem antiken Christentum.95 Der neutestamentliche locus classicus ist die Hirtenrede Joh 10,11–18, in der die Prädikation „guter Hirte“ begegnet: „Ich bin der gute Hirte (ὁ ποιμὴν ὁ καλός). Der gute Hirte setzt sein Leben ein für die Schafe (τὴν ψυχὴν αὐτοῦ τίθησιν ὑπὲρ τῶν προβάτων)“ (V. 11, vgl. V. 14, s. Q 176).
Der gute Hirte ist „gut“, weil er im Unterschied zum Tagelöhner sein Leben für seine Schafe einsetzt. Dieser Lebenseinsatz impliziert, bis zum Äußersten zu gehen, d. h. sein Leben zu riskieren „bis zum Tod“96. Der alttestamentliche Hintergrundstext ist Ez 34,11–16, obwohl dort nicht vom Lebenseinsatz des Hirten die Rede ist. Ez 34 ist eine Bildrede gegen die schlechten „Hirten Israels“, denen das Handeln des „guten Hirten“ JHWH gegenübergestellt wird. Der Grundtext besteht 92
S. dazu statt vieler Otto, Ethik, 104 ff und Hardmeier, Unheilsprophetie, 243 ff. S. dazu den Überblick bei Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 82 ff. 94 S. dazu Taureck, Metaphern, 135 ff. 95 S. dazu Q 26; 87; 89; 155; 176 und 177. 96 S. dazu Janowski, Ecce homo, 70 ff und Theobald, Johannes I (RNT), 676 ff. 93
274 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
aus dem Wehe-Wort V. *1–10 und der anschließenden Verheißung V. 11–16,97 in der zentrale Elemente des Motivs vom „guten Hirten“ zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. Angesichts des Versagens der Könige Israels und der Verantwortlichen im Gottesvolk (V. 2–6), die sich selbst und nicht die Herde weiden, ergeht in V. 7 ff das göttliche Gericht über die schlechten Hirten: Aufmerksamkeitsruf (7) Darum ihr Hirten, hört das Wort JHWHs:
Schwur- und Gottesspruchformel (8) So wahr ich lebe, Spruch des Herrn JHWH, fürwahr, weil meine Herde zum Raub wurde – und es wurde meine Herde zum Fraß allen wilden Tieren des Feldes ohne einen Hirten, und die Hirten kümmerten sich (dāraš) nicht um meine Herde, und die Hirten weideten sich selbst, aber meine Herde weideten sie nicht –
Ankündigung des Gerichts (9) darum ihr Hirten, hört das Wort JHWHs: (10) So spricht der Herr JHWH: Siehe, ich komme über die Hirten, und ich fordere meine Herde aus ihrer Hand; und ich mache, dass sie aufhören, meine Herde zu weiden; und die Hirten werden sich nicht noch weiter selbst weiden. Und ich werde meine Herde erretten aus ihrem Rachen, und sie werden ihnen zum Fraß sein.
Auf dieses begründete Gerichtswort folgt die Ankündigung des künftigen Heils, das sich ganz dem Eingreifen des fürsorglichen Hirten JHWH verdankt: Ankündigung des künftigen Heils (11) Denn so spricht der Herr JHWH: Siehe, ich selber, ich kümmere mich (dāraš) um meine Herde und sorge (bqr pi.) für sie.
Bildhälfte (12) Wie die Fürsorge (baqqārāh) eines Hirten für seine Herde am Tag, da es von seiner Herde ⟨Zerstreute gibt⟩, so werde ich für meine Herde sorgen (bqr pi.); und ich errette sie aus all den Orten, wohin sie zerstreut worden sind am Tag der Wolken und der Dunkelheit.
Sachhälfte (mit Bildmotiven) (13) Und ich führe sie aus den Völkern heraus und sammle sie aus den Ländern und bringe sie in ihr Land, und ich weide sie auf den Bergen Israels, in den Bachbetten und in allen Wohnsitzen des Landes. (14) Auf guter Weide weide ich sie, und auf den hohen Bergen Israels ist ihr Weideplatz; dort lagern sie sich auf guten Weideplätzen, und fette Weide weiden sie ab auf den Bergen Israels. 97
S. dazu außer den Kommentaren noch Willmes, 34; Hunziker-Rodewald, Hirt, 158 ff; Saur, König, 121 ff; Irsigler, Gottesbilder, 1042 ff u. a. Der Grundtext setzt den Fall Jerusalems 587/86 v. Chr. voraus und ist sachlich mit Jer 23,1 ff verwandt, wobei sich V. *1–10 aus Jer 23,1 f und V. 11–15 aus Jer 23,3 speist, s. dazu Pohlmann, Jeremia II (ATD), 463 f; Sedlmeier, Ezechiel II (NSK.AT), 161 ff und Irsigler aaO 1043.
§ 7 Schöpfung und Königtum 275
Abschließender Gottesspruch (15) Ich selbst weide meine Herde, und ich selbst lasse sie lagern, Spruch des Herrn JHWH.
Überleitung (16) Das Umherirrende suche ich, und das Versprengte bringe ich zurück, und das Verletzte verbinde ich, und das Kranke stärke ich. Und das Fette und das Starke behüte ich; ich will es weiden in Gerechtigkeit.
Die Aufmerksamkeit dieses Textes gilt der Fürsorge JHWHs, der hier „wie an keiner anderen Stelle im Alten Testament … als ein sich unermüdlich um seine Herde Mühender vorgestellt (wird), der selbst dann über sie wacht, wenn sie sich niederlegt“98. Im Unterschied zu Joh 10,11–18 ist in Ez 34,11–15.16 und den anderen Hirt/Herde-Texten des Alten Testaments99 aber nicht vom Lebenseinsatz des göttlichen Hirten, sondern im Gegensatz zum verantwortungslosen Verhalten der schlechten „Hirten Israels“100 von der „Fürsorge“ (baqqārāh V. 12)101 des guten Hirten JHWH für seine Herde Israel, also von ihrer Führung, ihrer Ernährung, ihrem Schutz, ihrer Sammlung und ihrer Verteidigung die Rede. Der zu V. 17–22102 überleitende V.16 zählt fünf Aktionen des guten Hirten auf, die am Ende als Gerechtigkeitshandeln des göttlichen Hirten qualifiziert werden: Das Umherirrende suche ich, und das Versprengte bringe ich zurück, und das Verletzte verbinde ich, und das Kranke stärke ich. Und das Fette und das Starke behüte ich; ich will es weiden (rāʿāh) in Gerechtigkeit (mišpāṭ).
Das sind „Eigenschaften bzw. Merkmale des guten ‚Hirten‘, der sich für seine Herde einsetzt und sein Leben mit dem Leben seiner Herde voll teilt, so daß das Schicksal seiner Herde ihn selbst im Innersten tangiert“103. In vorexilischen Texten werden die Könige Israels/Juda nie und JHWH nur selten „Hirte (Israels)“104 98
Hunziker-Rodewald, aaO 167 (H. i. O.). S. dazu den Überblick bei Hieke, Psalm 80, 339 ff. 100 Zur Identifikation der gescholtenen Hirten s. Irsigler, aaO 1044 u. a., anders Pohlmann, aaO 464 f. 101 Vgl. bqr pi. „sich kümmern um“ (V. 11 f ). Dieses Verb meint „ein behutsames, sorgfältiges Prüfen, hier: das genaue Anschauen und Abzählen der Herde, damit kein Tier fehlt. Es geht nicht um eine rigide Kontrolle zur Machtausübung und zum Machterhalt, sondern um die Sorge, dass niemand außen vor bleibt“ (Sedlmeier, aaO 167). 102 In der Fortschreibung V. 23 f wird dann das Bild des göttlichen Hirten von V. 11 ff mit demjenigen des davidischen Hirten verknüpft, um das Verhältnis zwischen JHWH und David zu profilieren, s. dazu Sedlmeier, aaO 170 ff; Saur, aaO 124 mit Anm. 15 und Irsigler, Gottesbilder, 1045 f. 103 Hossfeld/Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 459 (Zenger). 104 Eine Ausnahme ist Ps 80,2 f („Du Hirte Israels, höre doch, der du Joseph wie Kleinvieh leitest“), s. dazu Hieke, aaO 344 ff; Irsigler, aaO 369 ff u. a. 99
276 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
genannt. Ganz anders in Ägypten, Mesopotamien und Griechenland, wo sowohl Götter als auch Könige den Würdetitel „Hirte“ tragen.105 Die ägyptische Hirtenmetaphorik ist deshalb besonders aufschlussreich, weil sie den Übergang von der politischen zur religiösen Sphäre, d. h. vom König zu Gott, deutlich macht und damit näher an Ps 23106 heranführt. Die Wendung „guter Hirte“ kommt in Ps 23 zwar nicht vor, dafür aber die beiden Termini „Hirte“ (roʿæh V. 1b) und „Gutes“ (ṭôb V. 6a) – und zwar in auffälliger Positionierung am Anfang und am Ende des Textes: 1a Ein Psalm Davids.
I. Der göttliche Hirte 1b JHWH ist mein Hirte, ich habe keinen Mangel, 2 auf Weideplätzen mit frischem Grün lässt er mich lagern, an Wasser der Ruhe(plätze) führt er mich, 3 meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Bahnen der Gerechtigkeit um seines Namens willen. 4 Auch wenn ich gehe im Tal der Finsternis107 fürchte ich nichts Böses, denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab – sie trösten mich.
1b–3a Lebensversorgung
3b–4aα Lebensführung
4aβ.b Mitsein Gottes
II. Der göttliche Gastgeber 5 Du bereitest vor mir einen Tisch gegenüber meinen Bedrängern. Du hast erquickt mit Öl mein Haupt, mein Becher ist Überfließen. 6 Ja, Gutes und Huld verfolgen mich alle Tage meines Lebens, und ich werde zurückkehren108 in das Haus JHWHs für die Länge der Tage. 105 S.
5 Lebensversorgung
6 Lebensführung
dazu die Hinweise oben 273 Anm. 95, ferner Müller, Hirte, 126 ff; Seibert, Hirt; Selz, Guter Hirte, 8 ff; Janowski, Anthropologie, 588 f.590.625, ferner Hieke, aaO 336 ff; Janowski/ Neumann-Gorsolke, Der „gute Hirte“, 85 ff; Hunziker-Rodewald, aaO 16 ff.26 ff.31 ff und Sedlmeier, Ezechiel II (NSK.AT), 155 ff. 106 Zu Ps 23 s. außer den Kommentaren noch Smith, Psalm 23, 61 ff; Spieckermann, Heilsgegenwart, 263 ff; Müller, Psalm 23, 24 ff; Hunziker-Rodewald, Hirt, 168 ff; Koenen/Mell, Art. Hirte, 265 f; Hartenstein, Mehrdeutigkeit, 13 ff; Ders., Psalm 23, 187 ff; Janowski, Hirte, 147 ff; Janowski/Neumann-Gorsolke, Der „gute Hirte“, 85 ff; Emmendörffer, Psalm 23, 101 ff u. a. 107 Zu ṣalmāwæt „Dunkelheit“, nomen abstractum von II ṣlm „dunkel sein/werden“, s. Niehr, Art. ṣalmāwæt, 1057 f; Gzella, Lebenszeit, 157 ff und Spieckermann, Psalmen I (ATD), 279 Anm. 5. 108 So mit Knauf, Psalm XXIII 6, 556, anders Spieckermann, aaO 280 mit Anm. 8 („ich wer-
§ 7 Schöpfung und Königtum 277
Ps 23 besteht aus einer Bildhälfte, die JHWH als Hirten (V. 1b–4), und einer Sachhälfte, die ihn als Gastgeber (V. 5 f ) zeichnet. Die Bildhälfte enthält die Einzelbilder der Lebensversorgung (V. 1–3a) und der Lebensführung (V. 3b–4aα) durch den göttlichen Hirten. Dem entspricht die Sachhälfte mit ihren korrespondierenden Aussagen der Lebensversorgung (V. 5) und der Lebensführung (V. 6) durch den göttlichen Gastgeber. In der Mitte zwischen Bild- und Sachhälfte steht die poetisch hervorgehobene Vertrauensaussage von V. 4aβ.b (3 + 3 +3), die die Hirtenmetaphorik der Bildhälfte (V. 1b–4) abschließt und zugleich mit der Du-Anrede zur Sachhälfte und ihrer Metaphorik von JHWH als Gastgeber (V. 5 f ) überleitet (s. Abb. 61). Dieser Vers, der thematisch zur Bildhälfte und stilistisch zur Sachhälfte gehört, bildet die Sinnachse des Psalms.109 1b JHWH ist mein Hirte, ich habe keinen Mangel, 2a auf Weiden mit frischem Grün lässt er mich lagern, … 4 Auch wenn ich gehe im Tal der Finsternis, fürchte ich nichts Böses,
Bildhälfte
denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab – sie trösten mich. 5
Du bereitest vor mir einen Tisch gegenüber meinen Bedrängern. Du hast erquickt mit Öl mein Haupt, mein Becher ist Überfließen. …
Sachhälfte
Abb. 61: Das Motiv des Mitseins Gottes als Sinnachse von Ps 23 Das Vertrauen zum göttlichen Hirten, das der Text auf diese Weise aufbaut, führt zum Bekenntnis von V. 4aβ.b. Unmittelbar davor steht das Bild des durch das „Tal der Finsternis“ ziehenden Beters (V. 4aα), der damit buchstäblich an einem ‚Tiefpunkt‘ angelangt und der Macht des Todes konfrontiert ist. An diesem Kontrast wird deutlich, dass Ps 23 keine Idylle malt, sondern sehr realistisch davon ausgeht, dass Vertrauen aufgrund von Motivationen erwächst, die sich in bestimmten Erfahrungen herausbilden. Die lebensprägende Erfahrung, auf die Ps 23 rekurriert, ist die des Mangels (V. 1b) und – wie V. 4aα den Gedanken steigernd fortsetzt – des Bösen. Welcher Mangel ist hier gemeint? Seine generelle Negation in V. 1b („ich habe keinen Mangel“) besagt, dass es nicht um dies oder das, sondern um das Lebensnotwendige geht, um etwas, das das Leben nach großer Entbehrung „zurückbringt“ (šûb pol.),110 wie V. 3a vielsagend formuliert. Und das, wie die de bleiben“). Die von LXX vorausgesetzte Lesart „und mein Wohnen“ (Inf.cstr. von jšb + Suffix 1. Pers. Sg.) scheint mit der etymologisierenden Interpretation von ṣalmāwæt als „Todesschatten“ (σκιὰ θανάτου = ṣl „Schatten“ + māwæt „Tod“) zusammenzuhängen und der eschatologischen Hoffnung auf JHWHs Gastfreundschaft jenseits der Todesgrenze Ausdruck zu verleihen, s. dazu Gzella, aaO 151 ff. 109 Ps 23 ist deswegen als Vertrauenspsalm einzustufen, vgl. Spieckermann, aaO 264; Gzella, Lebenszeit, 154 und Hartenstein, Mehrdeutigkeit, 17 f. 110 Vgl. auch šûb hif. (+ næpæš „Leben“) in Ps 19,8; 35,17; Hi 33,30; Spr 25,13; Ruth 4,15; Klgl 1,11.16.19 und dazu die Hinweise bei Janowski, Hirte, 160 Anm. 63.
278 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Sachhälfte ausführt, das künftige Leben des Beters bestimmt, der wieder in das Haus JHWHs „zurückkehrt“ (šûb qal V. 6b).111 Die Dinge nehmen allerdings eine überraschende Wendung, weil der Text in V. 5a das Urbild der Gastfreundschaft aufruft, im Nachsatz aber sogleich umbiegt. Der Tisch wird von JHWH „vor“ dem Beter bereitet – nicht insgeheim, sondern „gegenüber seinen Bedrängern“. Damit ist die Situation einer Konfrontation gegeben: die Feinde sitzen nicht mit am Tisch, sondern der von Gott bereitete Tisch bildet das Gegenüber zu den Feinden.112 Dieser Tisch ist kein idyllisches Motiv,113 sondern das Realsymbol der Gottesnähe, von der die Feinde ausgeschlossen bleiben. Sie sind zwar da, gleichsam in Sichtweite, aber von JHWH schützend auf Distanz gehalten (vgl. Ps 31,20 f ). Ob sie ihre Verfolgung wieder aufnehmen, wird nicht weiter thematisiert. Im Gegenteil: Wenn von Verfolgung die Rede ist, dann von der lebenslangen Verfolgung durch „Gutes und Huld“ (V. 6a, vgl. Ps 5,8). So endet der Text, wie die Stichwortbeziehung zwischen V. 3a („zurückbringen“ šûb hif.) und V. 6b („zurückkehren“ šûb qal.) unterstreicht, genauso zuversichtlich, wie er begonnen hat: mit der Rückkehr in das „Haus“ des Gottes, der den Beter als „guter Hirte“ mit allem Lebensnotwendigen versorgt und der ihm seine Lebenskraft „zurückgebracht“ hat. Das eine (V. 3a) ist die Voraussetzung des anderen (V. 6b). Beides aber hat seinen Grund in jener Eigenschaft Gottes, die der Text in der Vertrauensaussage von V. 4aβ.b eindrucksvoll ins Zentrum rückt und die er mit Hilfe des Motivs vom Mitsein Gottes entfaltet („denn du bist bei mir“).114
b) Mit Ehre und Hoheit gekrönt (Ps 8) Altes Testament: Floß, YHWH, 27 ff ◆ Frevel, Menschenwürde, 244 ff ◆ Gaß, Zugänge, 268 ff ◆ Huber, Himmel, 211 ff ◆ Irsigler, Frage, 1 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 13 ff.458 ff ◆ Ders., Mensch, 3 ff ◆ Köckert, „Wo warst du“, 34 ff ◆ Neumann-Gorsolke, Ehre, 39 ff ◆ Dies., Herrschen, 20 ff ◆ Schellenberg, Mensch, 143 ff ◆ Schnieringer, Psalm 8 ◆ Spieckermann, Heilsgegenwart, 227 ff ◆ Steck, Beobachtungen, 221 ff ◆ Zenger, Psalm 8, 299 ff. – Neues Testament, Systematische Theologie: Brünenberg, Mensch ◆ Schoberth, Einführung, 27 ff.
Gegenüber den vorexilischen Traditionen zur Rolle des Königs, wie sie vor allem in der judäischen Königsideologie Ausdruck gefunden haben, beginnt mit dem Exil „eine radikale theologische Neuorientierung, die selbstverständlich auch die Königstradition und -symbolik umfasst“115. Dazu gehören prophetische Texte wie Jer 27,5 f (Nebukadnezar als „Knecht JHWHs“),116 Jes 45,1 (Kyros als „Gesalbter“ JHWHs)117 und besonders Ps 8, wo die traditionellen Herrschaftsaussagen in Analogie zu Gen 1,26 ff auf den Menschen bezogen werden. In der Herrscherverheißung von Jes 11,1–9 findet schließlich eine weitere Transforma111 Zum
Textproblem von V. 6b s. oben 276 Anm. 108. Tischmotiv s. Riede, Tischmotiv, 217 ff. 113 Von einer „Idylle“ spricht etwa Hunziker-Rodewald, Hirt, 179. 114 S. dazu ausführlicher Janowski, Hirte, 162 ff. 115 Hartenstein/Krispenz, Art. König, 277 f. 116 S. dazu Stipp, Jeremia II (HAT), 139 ff (deuterojeremianisch), ferner Lang, Motiv, 236 f, der den Text im Anschluss an Weippert, Schöpfer, 65 ff allerdings für jeremianisch hält. 117 S. dazu unten 296 mit Anm. 23. 112 Zum
§ 7 Schöpfung und Königtum 279
tion der Herrschaftssymbolik statt, die in V. 9 schöpfungstheologische Motive enthält.118 Ps 8 ist der locus classicus des Motivs vom „königlichen Menschen“.119 Der frühnachexilische Text (5. Jh. v. Chr.?)120 besteht aus zwei hymnischen JHWH-Prädikationen (V. 2b–3 und V. 4–9), die in V. 2a und V. 10 von zwei Bewunderungsrufen auf den auf der ganzen Erde präsenten Gottesnamen gerahmt werden: 1 Dem Musikmeister. Nach der gittitischen Weise. Ein Psalm Davids. 2 JHWH, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde! Der du deine Hoheit gelegt (< gegeben)121 hast auf den Himmel – 3 aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du eine Macht gegründet um deiner Bedränger willen, um zum Aufhören zu bringen Feind und Rächer. 4 Wenn ich deinen Himmel sehe, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt hast – 5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und das Menschenwesen, dass du nach ihm siehst? 6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,122 und mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt. 7 Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße: 8 Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, 9 die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was immer dahinzieht auf den Pfaden der Meere. 10 JHWH, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!123 118 S.
dazu unten 288 f. in Janowski, Anthropologie, 13 ff.458 ff vorgetragene Interpretation wird im Folgenden auf die schöpfungstheologischen Aspekte hin zugespitzt. Zur Rezeption des Psalms im Neuen Testament (Mt 21,16; 1 Kor 15,27; Eph 1,22; Hebr 2,6 f ) s. Brünenberg, Mensch u. a. Dabei gilt: Während Ps 8 weder im Alten Testament noch im Antiken Judentum messianisch ausgelegt wurde, wird er im Urchristentum konsequent christologisch (Mt 21,16; 1 Kor 15,27; Hebr 2,6 f ) und ekklesiologisch (Eph 1,22) gedeutet. Jede dieser Stellen hat ihr eigenes Profil, alle aber konzentrieren sich auf das Verhältnis Gott – Mensch/Christus und keine auf das Verhältnis Mensch – Schöpfung/Tiere. 120 Zur Datierung s. Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 298 ff (Janowski). 121 Mit Hupfeld, Psalmen I, 149 ff und einem Teil der alten Versionen (Syr, σʹ u. a., anders LXX: „erhoben ist“) empfiehlt es sich, eine Form von nātan „geben“ zu konjizieren, und zwar entweder die AK-Form „du hast gegeben“ (vgl. Irsigler, Frage, 5; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 32 f u. a.) oder die PK-Form „du gibst“ (vgl. Schnieringer, Psalm 8, 36 f.42 f ). Zu den Gründen, die für die AK-Form sprechen, s. Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 292 (Janowski). 122 ʾ ælohîm „Gott“ wird von LXX mit ἄγγελοι „Engel“ übersetzt, s. dazu aber Schnieringer, aaO 19; Neumann-Gorsolke, „Ehre“, 60 f mit Anm. 116 u. a. 123 Zu den textkritischen Problemen s. ausführlich Hartenstein/Janowski, aaO 292 f (Janowski). 119 Die
280 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Während V. 4–9 vom königlichen Menschen und seiner Herrschaft über die Tierwelt sprechen, handeln V. 2b–3 vom Schöpfungswirken JHWHs an den Kindern und Säuglingen, die zur Überwindung seiner (!) Feinde aufgeboten werden. Beide Abschnitte beginnen jeweils mit dem Motivwort „Himmel“ (V. 2b.4) und schildern JHWHs Wirken auf der Erde, zum einen als Überwindung der Feinde durch den „Mund“ der Kinder und Säuglinge (V. 3) und zum anderen als Einsetzung des Menschen in die Königsherrschaft über die Tiere (V. 6–9). Die folgende Skizze, die auch Angaben zur Redesituation enthält, kann diese Struktur verdeutlichen:124 1 Überschrift
Redesituation
2a Bewunderungsruf (Thema)
Wir-Rede
2b–3 H ymnische JHWH-Prädikation I
JHWHs Schöpferwirken am Himmel (2b) JHWHs rettendes Wirken auf der Erde (3)
Wir/Ich-Rede (?)
a Machtstellung von Kindern und Säuglingen b Überwindung der Feinde und Gottesleugner
4–9 Hymnische JHWH-Prädikation II
Ich-Rede
Staunende Frage: „Was ist der Mensch?“ 4 Blick zum Himmel (Vordersatz zu 5) 5 Frage zum Wesen des Menschen Rühmende Antwort: Der königliche Mensch 6 Ausstattung mit „Ehre“ und „Hoheit“ 7 ff Herrschaft über die Tiere Einsetzung in die Königsherrschaft (7) Taxonomie der Herrschaftsbereiche (8 f )
10
Bewunderungsruf (Thema/Resümee)
Wir-Rede
Abb. 62: Zur Komposition von Ps 8
Es geht in Ps 8 demnach um die Position des Menschen in der Schöpfung (V. 6–9) angesichts des auf der ganzen Erde akklamierten Gottesnamens (V. 2a.10)125 und um die machtvolle Manifestation dieses Namens durch den Menschen (V. 2b–3)126 – obwohl dieser schwach und klein ist („Kinder und Säuglinge“). Beide Zusammenhänge geben eine Antwort auf die anthropologische Grundfrage von V. 4 f. 124 Zu
den unterschiedlichen Gliederungsvorschlägen s. dies., aaO 296 Anm. 5 (Janowski). Unterschied zu Ps 104,24 geht es in Ps 8,2a.10 nicht um die Quantität der Schöpfungswerke (s. dazu Krüger, Lob, 53 f.297 ff ), sondern um die Qualität des Gottesnamens „auf der ganzen Erde“, vgl. Ps 36,8; 66,3; 92,6 und 139,17. Der Terminus ʾæræṣ bezeichnet dabei nicht „die gesamte Welt, den Kosmos, das All“ (so Köckert, „Wo warst du?“, 38 u. a.), sondern die Erde im Gegensatz zum Himmel (vgl. Irsigler, Frage, 17; Schnieringer, Psalm 8, 203.207 f ). Hier hat der Gott, der seine „Hoheit“ auf den Himmel gelegt hat (2b) und zu dem der Beter ehrfürchtig aufschaut (4), keinen anderen Herrn neben oder gar über sich (vgl. Jos 3,11.13; Mi 4,13; Sach 4,14; 6,5; Ps 97,5 und dazu Neumann-Gorsolke, Herrschen, 44). 126 Zur Interpretation von V. 2b–3 s. ausführlich Hartenstein/Janowski, aaO 302 ff (Janowski). 125 Im
§ 7 Schöpfung und Königtum 281
Die anthropologische Grundfrage (V. 4–5) Im Kontext des Psalms nimmt die durch den Anakoluth V. 4 eingeleitete anthropologische Grundfrage V. 5 eine zentrale Position zwischen den beiden Hymnischen JHWH-Prädikationen V. 2b–3 und V. 4–9 ein. Mit dem Blick zum nächtlichen Himmel („Wenn ich deinen Himmel sehe …“) enthält dieser Anakoluth ein Bild von großer Eindringlichkeit, vergleichbar dem Anschauen des gestirnten Himmels in Gen 15,5 und in Jes 40,26. Er macht deutlich, „dass die Unermeßlichkeit des Alls offenkundig keine Entdeckung der Neuzeit ist, wie es eine gängige geistesgeschichtliche Behauptung will“127. Bemerkenswert ist dabei, dass sich dem Psalmisten die Frage nach dem Wesen des Menschen (V. 5) nicht aufgrund einer ‚Innenschau‘, sondern angesichts des Himmels Gottes, des „Werks deiner Finger“ stellt. Während in V. 7a von den „Werken deiner (s. JHWHs) Hände“ die Rede ist – mit ihnen hat er die Tiere erschaffen –, spricht V. 4a vom „Werk deiner Finger (ʾæṣbaʿ pl.)“. Möglicherweise soll damit nicht nur der Aspekt der Macht, sondern auch derjenige der Kunstfertigkeit des Schöpfergottes betont werden.128 Im Parallelstichos V. 4b wird das Schöpfungsverb kûn pol. „aufstellen, befestigen“ verwendet (vgl. Ps 74,16), das in Korrespondenz zu V. 2b („der du deine Hoheit gelegt hast auf den Himmel“) die Schöpfermacht JHWHs beschreibt. Im Rahmen des nachexilischen Schöpfungsglaubens verweisen die Gestirne – hier Mond und Sterne – auf den einen Gott. Damit hat die astrale Himmelswelt „der religiösen Sprache Bilder zur Verfügung gestellt, um die letztlich unsagbare Erfahrung mit dem Heiligen und Unbedingten in Worte fassen zu können. Auf diesem religionsgeschichtlichen Hintergrund ist es zu verstehen, daß in der jüdisch-christlichen Tradition der Himmel, also auch der Bereich der Gestirne, zur zentralen Metapher für die Transzendenz, Herrlichkeit, Allmacht und Majestät Gottes geworden ist“129.
Diese theozentrische Perspektive bringt in prägnanter Weise auch V. 5 zum Ausdruck, wenn die Frage nach dem Wesen des Menschen – „Was ist der Mensch?“ (V. 5a)130 – durch den Hinweis auf das „Gedenken“ (zākar) und das „Sich-jemandes-Annehmen“ (pāqad) durch JHWH beantwortet wird (V. 5b). Bereits das erste der beiden Verben enthält eine gewichtige Aussage. Denn die Erinnerung bzw. das „Gedenken“ ist eine schöpferische Kraft, die es ermöglicht, etwas (Dinge oder Menschen) als nicht vergangen anzusehen. Das Gegenteil ist das „Vergessen“ (šākaḥ) Gottes, das der bedrängte Beter beklagt und das der Frevler dreist behauptet:131 127 Schoberth,
Einführung, 32. Wagner, Art. Finger, 53. 129 Albani, Gott, 261, vgl. 263 f. 130 Spieckermann, Psalmen I (ATD), 151.156 setzt hinter V. 5 kein Frage-, sondern ein Ausrufzeichen. Das ist sachlich vertretbar. Dennoch ist die Interpretation als Fragesatz nicht einfach „unzutreffend“ (s. ders., aaO 256), weil auch eine Frage aus dem Staunen kommen kann. 131 S. dazu Janowski, Konfliktgespräche, 60 ff und Hartenstein/Janowski, Psalmen (BK), 309 ff (Janowski). 128 Vgl.
282 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt 2 Wie lange, JHWH, vergisst du (šākaḥ) mich auf Dauer? Wie lange verbirgst du dein Angesicht vor mir? 3 Wie lange soll ich Sorgen tragen in meiner næpæš, Kummer in meinem Herzen Tag für Tag? Wie lange erhebt sich mein Feind über mich? (Ps 13,2 f ) Er (sc. der Frevler) sprach in seinem Herzen: „Gott hat vergessen (šākaḥ), er hat sein Angesicht verborgen, er sieht nimmer mehr hin!“ (Ps 10,11) Wie die Synonyme und Antonyme unterstreichen, ist die Grundbedeutung von zākar (+ Subj. JHWH) mit „an jemanden/etwas denken“ wiederzugeben, womit ein tätiger Bezug zu den Objekten des göttlichen Gedenkens, d. h. seine handelnd-helfende Zuwendung zum Menschen impliziert ist. Genauer müsste man sagen, dass zākar eine Mittelstellung zwischen „denken an“ im Sinn eines Zur-Kenntnis-Nehmens (Person oder Sachverhalt) einerseits und dem daraus folgenden Tätig-Werden andererseits einnimmt: „Gemeint ist ein ‚Denken-an‘ im Sinn einer gewollten inneren Zuwendung und Anteilnahme, welche die Bereitschaft einschließt, handelnd/helfend tätig zu werden.“132
In diesem Sinn wird die Zuwendung JHWHs nach Ps 8,5 als wohlwollendes Interesse am Geschick des Menschen zum Ausdruck gebracht, d. h.: JHWH überlässt den Menschen in Situationen akuter Bedürftigkeit nicht sich selbst, sondern er ist „ihm darin stets Anteil nehmend und wohlwollend zugetan, so dass er aufmerksam nach ihm sieht und erkundet, wessen er bedarf “133. Diese Aufmerksamkeit Gottes gilt allen Menschen und sie gilt, wie V. 4 mit seinem Hinweis auf die majestätische Höhe und Weite des nächtlichen Himmels mit seinen Gestirnen deutlich macht, dem Menschen in seiner Kleinheit und Hinfälligkeit. Damit steht sie im Dienst der Herausstellung der Größe des Schöpfers (vgl. V. 2a.10) und damit „der Gnade, die darin besteht, daß dieser so große Gott sich dem so kleinen/hinfälligen Menschen zuneigt“134. Trotz dieser Kleinheit und Hinfälligkeit wird der Mensch nach V. 6–9 vom Schöpfer in eine Position versetzt, die der Text als „königlich“ qualifiziert. Der königliche Mensch (V. 6–9) Nach Ps 8 wird die Stellung des Menschen in der Schöpfung nicht wie in Gen 1,26–28 unter Rückgriff auf die imago Dei-Terminologie,135 sondern anhand der Metapher vom ‚königlichen Menschen‘ expliziert, der mit „Ehre“ und „Hoheit“ gekrönt ist (V. 6) und der seine Herrschaft über die Tiere ausübt (V. 7–9). Was die königliche Ausstattung mit „Ehre“ (kābôd) und „Hoheit“ (hādār) angeht,136 so geht der königsideologische Hintergrund dieser Termini deutlich aus 132 Schnieringer,
Psalm 8, 224. aaO 231, vgl. Irsigler, Frage, 12 f.22.30 und Brünenberg, Mensch, 53 ff.71 ff. 134 Schnieringer, aaO 233, ähnlich bereits Hupfeld, Psalmen I, 159. 135 S. dazu oben 61 ff. 136 Zu diesen beiden Termini s. Irsigler, aaO 22 f mit Anm. 50; Schnieringer, aaO 247 ff; Neumann-Gorsolke, Ehre, 57 ff und Spieckermann, aaO 156 f. 133 Ders.,
§ 7 Schöpfung und Königtum 283
dem (spätvorexilischen?) Königspsalm Ps 21,2–7 hervor. Die Krone, die dem König von Gott aufs Haupt gesetzt wird (V. 4), ist ein materielles („Krone aus Feingold“) und zugleich symbolisches Kennzeichen seiner Macht. Diesen Vorgang kann man sich nach Analogie der Darstellung einer neuassyrischen Krönungszeremonie (s. Abb. 63) verdeutlichen: 2 JHWH, über deine Macht freut sich der König, und über deine Rettung – wie jubelt er sehr! 3 Das Verlangen seines Herzens hast du ihm gewährt, und das Begehren seiner Lippen hast du nicht verweigert. – Sela 4 Ja, du kommst ihm entgegen mit Segnungen an Gutem (berākôt ṭôb), du setzt seinem Haupt eine Krone (ʿ aṭārāh) aus Feingold auf. 5 Leben erbat er von dir, du hast es ihm gegeben, Länge der Tage für immer und ewig. 6 Groß ist seine Ehre (kābôd) durch deine Rettung, Majestät (hôd) und Hoheit (hādār) legst du ihm an. 7 Denn du machst ihn zu Segnungen (berākôt) für immer, du beglückst ihn mit Freude bei deinem Angesicht.137
Abb. 63: Neuassyrische Krönungszeremonie (8./7. Jh. v. Chr.)
Wie in Ps 21,6, wo drei Wesensmerkmale – „Ehre“, „Majestät“ und „Hoheit“ – die besondere Nähe des Königs zu Gott signalisieren,138 so kennzeichnen nach Ps 8,6 „Ehre“ (kābôd) und „Hoheit“ (hādār) das Wesen des königlichen Menschen:
137 S.
dazu außer Hossfeld/Zenger, Psalmen I (NEB), 142 f (Zenger) noch Neumann-Gorsolke, aaO 56 f; Saur, Königspsalmen, 102 ff; Krawelitzki, Macht, 122 ff und Salo, Königsideologie, 97 ff. 138 Diese Nähe wird nach Ps 21,7b durch die vom göttlichen „Angesicht“ ausgehenden Segenswirkungen herbeigeführt, s. dazu Hartenstein, Angesicht, 127 f und Krawelitzki, aaO 123 Anm. 5.
284 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
er ist „wenig niedriger als Gott“139 und wird von diesem mit kābôd und hādār „gekrönt“ (ʿṭr pi.). Seine „Krone“ bezieht sich aber nicht auf etwas Materielles wie in Ps 21,4 („Krone aus Feingold“), sondern auf die Teilhabe am Lichtglanz, der dem himmlischen Schöpfer eignet („Hoheit“ Ps 8,2b) und der in Form von „Ehre und Hoheit“ nunmehr allen Menschen zuteil wird – nicht zum Zweck der Vergöttlichung, sondern damit der königliche Mensch die „Herrschaft“ über die Tiere wahrnimmt. Seine Rolle in der Schöpfung wird dabei durch die Position bestimmt, die er nach V. 6 f gegenüber den nichtmenschlichen Geschöpfen einnimmt: 6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, und mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt. 7 Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße: …
Dieser Bildzusammenhang und damit die Position des Menschen zwischen Gott und den Tieren wird durch explizite oben/unten-Relationen ausgedrückt: 6a Position des Menschen // b Krönung des Menschen unterhalb von Gott mit Ehre und Hoheit 7a Herrschaft des Menschen // b Position des Menschen über über die Gottes Werke den Tieren, die unter seine Füße gelegt sind
Abb. 64: Zur Position des Menschen nach Ps 8,6 f Während in Gen 1,26.28 das dominium animalium mit dem Verb rādāh „herrschen“ ausgedrückt wird,140 steht in Ps 8,7 das im Vergleich zu mālak „König sein, als König herrschen“ allgemeinere Verb mšl hif. „zum Herrscher machen“141 sowie in Parallele dazu die Wendung „unter die Füße legen“. Diese Wendung hat immer wieder Anlass gegeben, von einer gewaltsamen Machtausübung des Menschen über die Tiere zu sprechen. Das lässt sich aber weder dem Terminus mšl hif. noch jener Wendung entnehmen.142 Ganz zu schweigen von der Spannung, auf die der Text so viel Wert legt: „Der kleine, hinfällige Mensch ist es, kein anderer, der so von Jahwe herrlich ausgestattet wurde“143 und der zugleich darauf angewiesen bleibt (!), dass der Schöpfergott an ihn denkt und sich seiner an139 Genauer:
„Du hast ihm (nur) wenig fehlen lassen im Vergleich mit Gott“. Das so ausgedrückte Gott/Mensch-Verhältnis ist mit Spieckermann, aaO 157 Anm. 22 in der Tat als „singulär“ zu bezeichnen. 140 S. dazu oben 66 ff. 141 S. dazu Neumann-Gorsolke, Herrschen, 90 ff. 142 Für Steck, Beobachtungen, 226 ist das allerdings klar: „Der Ausdruck (sc. ‚unter die Füße legen‘) meint, was nicht übersehen werden sollte, den Vollzug herrscherlicher Bändigung von Feinden!“, unter Hinweis auf Kraus, Psalmen II (BK), 932 (der aber nicht auf Ps 8,7, sondern auf Ps 110,1 Bezug nimmt) und auf Keel, Bildsymbolik, 49 f.232 f, s. dazu aber Neumann-Gorsolke, aaO 112 ff und Schellenberg, Mensch, 148 ff. 143 Irsigler, Frage, 25.
§ 7 Schöpfung und Königtum 285
nimmt (V. 5). „Daß des Menschen Herrschaft … von derart destruktiver Art sein könnte, daß sie dieser Zuneigung Gottes nicht entspricht, steht für den Psalm noch jenseits seines Blickfelds.“144 Das aber ist die Situation, in der wir heute endgültig angekommen sind.
Das Syntagma „unter die Füße (legen)“ ist gemeinorientalisch145 und bringt in Verbindung mit dem Obj. „alles“ (kol) die universale Ordnungskompetenz des Königs bzw. des königlichen Menschen, also eine regulative Tätigkeit zum Ausdruck. Was damit konkret gemeint ist, sagt der Text leider nicht. Gemäß der funktionalen Bedeutung der Körperteile im Alten Testament kommt dem „Fuß“ (rægæl) aber die Bedeutung zu, Macht und Herrschaft auszuüben.146 Wie diese ausgeübt wird, ist dem jeweiligen Kontext zu entnehmen. Und dieser ist – jenseits der konkreten Füllung der Wendung „unter die Füße legen“ (šît taḥat raglajim)147 – gemäß dem Gesamtduktus von Ps 8 so geartet, dass die Herrschaft über die Tiere durch die göttliche Herrschaftsübertragung legitimiert und zugleich begrenzt ist (V. 7: „Du hast ihn zum Herrscher gemacht … // alles hast du gelegt …“). Ein schrankenloser Despotismus würde nicht nur diesen lebendigen Organismus zerstören, sondern auch das Lob des Schöpfers (V. 2a.10!) desavouieren. Für das universalistische Verständnis von V. 7 spricht nicht zuletzt die Taxonomie der Tierarten in V. 8 f, der zufolge die Aufzählung der Tiere von ‚innen‘ nach ‚außen‘, d. h. von den domestizierbaren Tieren („Kleinvieh und Rinder“) über die wilden Tiere („Tiere des Feldes“) bis hin zu den „Vögeln des Himmels“ und den „Fischen des Meeres“ voranschreitet: 8 Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, 9 die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was immer dahinzieht auf den Pfaden der Meere. Taxonomie der Tierarten 8 Landtiere: domestizierbare (Kleinvieh // Großvieh) – wilde Tiere 9 Flugtiere – Wassertiere (Fische // mythische Meereswesen)
Wie in Gen 1,26.28 sind hier die drei Bereiche der Schöpfungswelt – Land, Himmel und Meer – und d. h. ihre weltbildhafte Anordnung im Blick.148 Die Gat144 Ders.,
ebd. dazu Neumann-Gorsolke, aaO 99 ff. 146 S. dazu Wagner, Gottes Körper, 110 ff.116 ff; Janowski, Anthropologie, 142 ff und zum Fußmotiv in Ps 8,7 Neumann-Gorsolke, aaO 94 ff. 147 Die ikonographische Konkretisierung (ein neuassyr. Rollsiegel des 8./7. Jh. v. Chr.), die von Keel, Bildsymbolik, 50 mit Abb. 60 vorgeschlagen und vielfach rezipiert wurde (s. zuletzt Köckert, „Wo warst du?“, 45 ff ), führt nicht weiter, s. dazu die Kritik von Neumann-Gorsolke, aaO 112 ff. Demgegenüber werden von Neumann-Gorsolke, aaO 116 ff ägypt. Herrscher- und Königsdarstellungen aufgeführt, die eher als ikonographische Entsprechungen zu Ps 8,7b gelten können. 148 Zu Gen 1,26.28 s. oben 67 ff. 145 S.
286 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
tungen der Tierwelt werden dabei nach einem einfachen Prinzip angeordnet, nämlich „nach dem Element, in oder auf dem sie leben. So heißt alles, was in der Luft fliegt, ʿwp, genauer ʿwp hšmjm, alles, was im Wasser des Meeres schwimmt, dgthjm. Die dritte Kategorie sind die Tiere, deren Lebensraum die Erde ist. Für sie gibt es keinen zusammenfassenden Begriff; sie werden vielmehr je nach ihrer Beziehung zum Erdboden eingeteilt, auch wenn die Termini dafür dies nur teilweise erkennen lassen. So bezeichnet bhmh die Tiere, die sich auf Beinen über den Erdboden erheben (mit ‚Großtiere‘ mehr schlecht als recht wiederzugeben), rmś die Tiere, die auf dem Boden kriechen, ḥjt hʾrṣ schließlich die ‚Erdtiere‘, die unter der Oberfläche leben“149.
Diese Form des klassifikatorischen Denkens150 liegt auch in Ps 8,7–9 vor und meint dort eine universale Herrschaft, mit der der königliche Mensch vom Schöpfergott beauftragt wird. „Universal“ heißt aber nicht, dass die Erschaffung der Welt und alles, was sie erfüllt, in der Hand des Menschen liegt, sondern vielmehr, dass er in seiner Herrschaft auf „alles“ (V. 7b.8a), nämlich „die Werke deiner (sc. JHWHs) Hände“ (V. 7a) bezogen ist. Das ist seine Würde und zugleich die Grenze seiner Macht. Das Bewusstsein dieser Grenze, das durch den Blick zum gestirnten Himmel und durch das Innewerden der eigenen Situation coram Deo (V. 4 f ) stimuliert wird, führt den Psalmisten am Ende zum Lob des Schöpfers und seines Namens „auf der ganzen Erde“ (V. 10). Damit schließt sich der Kreis, der in V. 2a mit dem gleichlautenden Bewunderungsruf begonnen hat. 3. Fazit: Der Hüter der Weltordnung Das Thema „Schöpfung und Königtum“ ist für die Kulturen des Alten Orients und Ägyptens von zentraler Bedeutung. Das gilt auch für das Alte Testament. Konstitutiv dafür sind mehrere Leitvorstellungen, die in den entsprechenden Texten mit unterschiedlicher Gewichtung auftreten und vielfältig miteinander verknüpft sind. Dazu gehören vor allem:151 – Die Legitimation des Königs durch den Nationalgott JHWH und seine besondere Beziehung zu ihm, die durch die „Geburt aus Gott“ begründet wird (Ps 2,7; 110,3, vgl. 2 Sam 7,14; Ps 89,27 f u. a.)152
149 Weippert,
Tier, 44 mit Anm. 14 (H. i. O.), s. zur Sache auch Neumann-Gorsolke, aaO 125 ff.22 ff und Krüger, Himmel, 65 ff. 150 Zu dieser Denkform s. oben 137 ff. 151 S. dazu auch den Überblick bei Hartenstein/Krispenz, Art. König, 277 f; Müller, Herrschaftslegitimation, 195 ff; Schmitt, Religionen, 126 ff und Saur, König, 119 ff. Für Ägypten s. Assmann, Maʾat, 200 ff.242 ff u. a. und für Mesopotamien Maul, Hüter, 201 ff (mit Schwerpunkt auf dem assyr. Königtum). 152 Aus Hos 11,1 lässt sich indirekt erschließen, dass die Gott/König-Beziehung auf das Verhältnis JHWHs zu Israel („Sohn Gottes“) übertragen ist, s. dazu Müller, aaO 200.
§ 7 Schöpfung und Königtum 287
– Die Herrschaft des Königs, die ihren Ausdruck in der Abwehr der Feinde und in der Überwindung der chaotischen Mächte findet (Ps 2,8 f; 21,*9 ff; 89,10 ff; 110,1 f.5 f u. a.)153 – Die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit und damit die Inganghaltung der Weltordnung und die Bewahrung ihrer Stabilität (Ps 72,2 ff.12 ff u. a.)154 – Die Sicherung der natürlichen und wirtschaftlichen Prosperität des Landes und seiner Bewohner (Ps 72,5 ff.16 f, vgl. 2 Sam 23,3 f; Ps 21,4.7; Spr 16,15)
Es geht bei diesen Leitvorstellungen im Kern um die Bewahrung der Weltordnung, d. h. um die Frage, wie die Herrschaft des Schöpfers über seine Schöpfung durch königliches/menschliches Handeln abgebildet und fortgesetzt werden kann. J. Assmann spricht in diesem Zusammenhang von „Schöpfungsherrschaft“155. Die wichtigsten Kontexte dieser Herrschaftsform sollen abschließend noch einmal resümiert und mit Jes 11,6–9 um einen weiteren Beleg ergänzt werden. Gottessohn und Segensmittler Fundamental für das Thema „Schöpfung und Königtum“ ist zunächst die genuin religiöse Dimension der judäischen Königsideologie. Diese ergibt sich zum einen aus der direkten Gottesbeziehung des Königs (Gottessohnschaft: Ps 2,7; 110,3), zum anderen aus der Übernahme seines Richtertums unmittelbar von JHWH (Soziale Instanz: Ps 72,1 f ) und schließlich aus den Wirkungen, die seine gerechte Herrschaft in Natur und Gesellschaft entfalten (Segensmittler: Ps 72,5–4.5–7 // 12–14.16 f ).156 Von besonderer Bedeutung sind dabei die mythologischen Aspekte der Herrschaftssymbolik, wie sie in Ps 110,3 zu Tage treten.157 Auch die solare Symbolik verleiht der judäischen Königsideologie Züge, die einer auf das Weltganze – d. h. auf den Zusammenhang von Natur-, Rechts- und Sozialkosmos – bezogenen Perspektive verpflichtet sind:158 5 ⟨Er (sc. der König) möge lange leben⟩ vor der Sonne und vor dem Mond von Geschlecht zu Geschlecht. 6 Er komme herab wie der Regen auf die Mahd, wie Regenschauer, ⟨die⟩ das Land ⟨benetzen⟩. 7 Es sprosse in seinen Tagen der Gerechte und Fülle des Heils sei, bis kein Mond mehr ist. (Ps 72,5–7)
153 Das
in Ps 18,39 enthaltene und aus Ägypten stammende Motiv des „Niederschlagens der Feinde“ (s. dazu die Hinweise oben 251 Anm. 3 und Q 45) ist ikonographisch auch im Nordreich (Königspalast von Samaria) belegt, s. dazu Müller, aaO 208 f und Schmitt, aaO 129 f. 154 In Jer 21,*12 (Warnung Jeremias an das „Haus Davids“) und Ps 101,8 wird das Richteramt des Königs mit dem Morgenmotiv verbunden, s. dazu ders., aaO 214 f.216. 155 S. dazu oben 251 f, ferner Hartenstein/Krispenz, aaO 274 f. 156 S. dazu oben 255 f. 157 S. dazu oben 259 ff. 158 Zum Begriff „Weltganzes“ s. Schmid, Welt, 145 ff und Assmann, Maʾat, 242 ff.
288 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Dass Anspruch und Wirklichkeit dabei häufig genug auseinanderklafften, nimmt den Impulsen, die mit dieser Perspektive verbunden sind, nichts von ihrer kontrafaktischen Bedeutung. Göttlicher Hirte und königlicher Mensch Der Zusammenhang von Schöpfung und Königtum prägt aber nicht nur das Verhältnis von Gott und König. Er lässt sich auch in der Motivik des „göttlichen Hirten“ und des „königlichen Menschen“ erkennen. Während die Könige Israels/ Judas in den vorexilischen Texten nie und JHWH nur selten159 „Hirte (Israels)“ genannt werden, wird der Hirtentitel ab der Exilszeit auf JHWH bezogen, der sich um seine Herde Israel kümmert und für sie sorgt (Ez 34,11 ff ).160 Der Vertrauenspsalm Ps 23 greift diese Metaphorik auf und macht sie zu einem Topos der persönlichen Frömmigkeit („JHWH ist mein Hirte“ V.1b). Eine weitere Transformation der judäischen Herrschaftstradition „bestand darin, die Aussagen, die im Alten Orient und in Ägypten über den König gemacht werden, auf den Menschen allgemein zu beziehen“161. Dies zeigt sich an der Metapher des königlichen Menschen, dessen Mittlerstellung zwischen Gott und den Tieren in Ps 8,6–9 beschrieben wird:162 6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, und mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt (ʿṭr pi.). 7 Du hast ihn zum Herrscher gemacht (mšl hif.) über die Werke deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße: 8 Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, 9 die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was immer dahinzieht auf den Pfaden der Meere.
Herrscher der Zukunft Ps 8 stellt nicht die letzte Transformation des Themas „Schöpfung und Königtum“ dar. Die nachexilische Herrscherverheißung Jes 11,1–9,163 die mit V. 1–5 eine „auffallende Nähe zur traditionellen vorderorientalischen Königsideologie“164 aufweist, wird in V. 6–9 durch die Bilder vom eschatologischen Tierfrieden fortgeschrieben. Von besonderer Aussagekraft ist dabei der abschließende V. 9, der ein Gegenbild zu Gen 6,11–13 zeichnet:
159 Etwa
in Ps 80,2, s. dazu oben 275 Anm. 4. dazu oben 273 ff. 161 Hartenstein/Krispenz, Art. König, 278. 162 S. dazu oben 282 ff. 163 Zu diesem Text s. Janowski, Wolf, 55 ff und ders., Anthropologie, 237 ff.456 ff. 164 Schmid, Herrschererwartungen, 66. 160 S.
§ 7 Schöpfung und Königtum 289
6 Und Gast sein wird der Wolf beim Lamm und der Leopard wird beim Böckchen lagern, Jungstier und Junglöwe ⟨werden⟩ zusammen ⟨fett⟩, und ein kleiner Knabe leitet sie. (…) 9 Nichts Böses und nichts Verderbliches wird man tun (šḥt hif.) auf meinem ganzen heiligen Berg, denn voll sein wird das Land von der Erkenntnis JHWHs wie von Wassern, die das Meer bedecken. (Jes 11,6.9)
Während V. 9a mit dem negierten Verb šḥt hif. („verderben, schlecht handeln“) einen kontrastiven Bezug zu dem „Verderben“ markiert, das nach Gen 6,11 f die Flut ausgelöst hat,165 greift V. 9b mit dem Verb māleʾ („voll sein“) kontrastiv die Thematik von Gen 6,11b.13aβ auf. Damit erhält der eschatologische Tierfrieden eine protologische Dimension. Zentral ist dabei die Überführung der Gewalt „allen Fleisches“, also von Menschen und Tieren, in die „Erkenntnis JHWHs“, die das Land „wie Wasser“ bedecken wird. Der Ort, an dem dies Wirklichkeit wird, ist „mein ganzer heiliger Berg“, d. h. der Zion. Wenn hier „die Unterdrückten und Armen endlich zu ihrem Lebensrecht kommen, bricht an diesem Ort der Schöpfung die Gottesherrschaft an“166.
165 S.
dazu oben 81. Verheißung, 147.
166 Zenger,
§ 8 Schöpfung und Geschichte Die Aussage, daß Jahwe dereinst das Weltganze aus dem Chaos herausgehoben hat und es fortwährend in seinem Bestand erhält, diese der Jerusalemer Kultdichtung entnommenen Aussagen bilden für Deuterojesaja wie für seine Hörer das entscheidende Argument, auf das sich die Zusage eines erneuten Heilshandelns von universalen Ausmaßen gründen läßt. O. H. Steck, Deuterojesaja, 214
Die mit dem Thema „Schöpfung“ verbundenen Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt, die bisher vor allem am Beispiel der judäischen Königsideologie dargestellt wurden (§ 7/1), gewinnen mit den deuterojesajanischen Schöpfungstexten ein neues und für die Literatur- und Theologiegeschichte des Alten Testaments grundlegendes Profil. Denn der zwischen 550 und 539 v. Chr. auftretende anonyme Prophet „Deuterojesja“1 gilt als Repräsentant einer Theologie, die der Vorstellung der Weltschöpfung zum Durchbruch verholfen und damit dem biblischen Monotheismus sein eigentliches Gesicht gegeben hat.2 1. Weltschöpfer und Geschichtslenker a) Schöpfung und Geschichte bei Deuterojesaja Albani, Gott, 75 ff.123 ff ◆ Albertz, Weltschöpfung, 1 ff ◆ Ders., Exilszeit, 283 ff ◆ Berges, Gottesgarten, 69 ff ◆ Clifford, Creation Accounts, 163 ff ◆ Haag, Gott, 193 ff ◆ Hartenstein, JHWH, 383 ff ◆ Huber, Himmel, 169 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 1071 ff.1130 ff ◆ Jeremias, Theologie, 260 ff.327 ff ◆ Keel, Geschichte, 854 ff ◆ Koch, Wohnstatt, 87 ff ◆ Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 266 ff ◆ Leuenberger, Monotheismus ◆ Rendtorff, Stellung, 209 ff ◆ Schmid, Schöpfung 2, 102 ff ◆ Steck, Deuterojesaja, 204 ff.
1
Zur Frage, ob mit dem Kunstnamen „Deuterojesaja“ ein Verfasserkreis oder eine Verfasserpersönlichkeit gemeint ist, s. die Hinweise bei Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 42 f (Verfasserkreis) und Irsigler, Gottesbilder, 1136 mit Anm. 86 (Verfasserpersönlichkeit). 2 Zu den theologiegeschichtlichen Fragen s. unten 453 ff. Möglicherweise liegt in Jes 40,26.28 der älteste Beleg für das Schöpfungsverb bārāʾ „schaffen, hervorbringen“ mit Obj. „Himmel und Erde“ vor, das dann in Gen 1,1; 2,4a u. ö. eine wichtige Rolle spielt, s. dazu Kratz/ Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 268.
292 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Bei Deuterojesaja, so lässt sich mit der gegenwärtigen Forschung formulieren, ist alles Gotteshandeln „grundsätzlich als Schöpfungshandeln qualifiziert“3. Während G. von Rad noch davon ausging, dass Schöpfung in Jes 40–55 wie auch in den Psalmen kein eigenständiges Thema, sondern lediglich eine Funktion der Erwählung sei,4 zeigt das DtJes-Buch, dass die göttlichen Geschichtstaten Akte des Schöpfergottes sind: „JHWHs Geschichtsmacht, wie sie langzeitig in den schriftprophetischen Büchern wahrgenommen wurde, erschien nun als die andere Seite seines Schöpferhandelns. Die Gesamtwelt, für die der Gott Israels sorgt und die er lebensförderlich eingerichtet hat, bildete die Bühne für sein auch an Verstehensgrenzen führendes Handeln. Letzteres wurde nun nicht mehr nur als Ausdruck des Rettungswillens JHWHs für die Seinen vorgestellt, sondern auch als Zuwendung des Schöpfergottes zu allen Geschöpfen. Sei es die kosmische Ordnung, die in der Priesterschrift nach der Sintflut aus dem schöpferischen ‚Gedenken‘ Gottes heraus weiter existiert (Gen 9,15, vgl. 8,1 [Nicht-‚P‘]), oder sei es die Rolle Israels als ‚Zeuge‘ im Weltgeschehen (Jes 43,10.12; 44,8), die sich für die Grundschicht Deuterojesajas mit dem Aufstieg des Kyros verband. In beiden Fällen dient nicht zufällig zur Begründung monotheistischer Aussagen über das Gotteshandeln in der Geschichte ausdrücklich die Weltschöpfung, oft betont die des Himmels.“5
Es sind vor allem drei Aspekte des göttlichen Schöpfungshandelns, die Deuterojesaja seinen mutlosen und zweifelnden Zeitgenossen vor Augen stellt und die in unterschiedlichen Redeformen begegnen:6 JHWH als Schöpfer der Welt („Himmel“, „Himmel und Erde“7) Belege: Jes 40,21–26; 42,5; 44,24; 45,12.18; 48,13 und 51,13.16.8 In seinen Disputationsworten, in denen die Erwartung des künftigen Heils gegen Einwände verteidigt wird, setzt Deuterojesaja in seiner Argumentation bei der Prädikation JHWHs als Schöpfer der Welt ein. So heißt es in Jes 40,21 f und in 45,18: 21 Erkennt ihr nicht? Hört ihr nicht? Wurde es euch nicht kundgetan von Anbeginn? Habt ihr nicht begriffen die Fundamente der Erde? 22 Der thront über dem Kreis der Erde, und ihre Bewohner sind wie Heuschrecken,
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Schmid, Schöpfung 2, 102, s. dazu auch Leuenberger, Monotheismus, 25 ff.54 ff und Hartenstein, JHWH, 383 f.400 ff. Zu den Einleitungsfragen (Datierung, Komposition, Redaktionsgeschichte) s. Zenger u. a., Einleitung, 535 ff.544 f (H.‑W. Jüngling) und die Hinweise bei Koch, Wohnstatt, 89 mit Anm. 11–13. Zum Verständnis der Schöpfung bei von Rad s. oben 21 ff. Hartenstein, aaO 384 (H. i. O.). Zu den Redeformen in Jes 40–55 s. Seybold, Poetik 3, 207 ff und Berges, aaO 46 ff. Bzw. „Erde und Himmel“, innerhalb von Jes 40–55 nur in Jes 45,1 und in 48,13, s. dazu Kratz/Spieckermann, aaO 268 und Koch, aaO 87 f. Zum Verständnis von Jes 40,12 s. unten 297 f.431 f.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 293
der ausspannt (nāṭāh) wie einen Schleier den Himmel, und ihn ausbreitet (māṭaḥ) wie ein Zelt zum Wohnen. (Jes 40,21 f )9
Denn so spricht JHWH, der Erschaffer (bôreʾ ) des Himmels – er ist der Gott, der die Erde bildet (joṣer) und sie macht (ʿośæh) – er hat sie fest hingestellt (kûn pol.), nicht als Öde (tohû) hat er sie geschaffen (bārāʾ ), zum Wohnen (lāšæbæt) hat er sie gebildet (jāṣar). Ich, JHWH, und keiner sonst. (Jes 45,18)
JHWH als Schöpfer Jakob-Israels oder Zions Belege: 43,1–4.7; 43,15.21; 44,2–4.21.24; 45,9.11; 51,13 und 54,4 f (Frau Zion). Das Besondere dieser Gottesprädikation, die typisch für die Heilsorakel und einige davon abhängige Texte ist, besteht „darin, dass Gottes Schöpfungshandeln jetzt unmittelbar auf Geschichtserfahrungen übertragen wird“10. Jes 43,1 und Jes 44, 1 f sind dafür prägnante Beispiele:
Aber jetzt, so spricht JHWH, dein Schöpfer (boreʾ ), Jakob, und dein Bildner (joṣer), Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich beim Namen gerufen: mein bist du! (Jes 43,1)
1 Aber jetzt höre, Jakob, mein Knecht, Israel, den ich erwählt habe! 2 So spricht JHWH, dein Schöpfer (ʿośæh), und dein Bildner (joṣer) von Mutterleib an, der dir hilft: Fürchte dich nicht, mein Knecht Jakob und Jeschurun, den ich erwählt habe! (Jes 44,1 f )
JHWH als Schöpfer von Welt und Mensch/Israel Belege: 44,24; 45,7.9–13 und 51,12 f. In diesen zur Redaktion der Grundschrift gehörenden Texten werden beide Themen: die Schöpfung der Welt („Himmel und Erde“ bzw. „Erde und Himmel“) und die Erwählung Israels zusammengezogen und auf einen Nenner gebracht: „Jedes Tun Gottes gilt als Werk des Schöpfers … Schöpfung und Heil fallen zusammen“11. Als Beispiel sei Jes 44,24 zitiert: 9
S. dazu unten 299 ff. Für die Erschaffung des Himmels und von „Himmel und Erde“ bzw. von „Erde und Himmel“ werden im Alten Testament vier Verben verwendet: ʿāśāh „machen, erschaffen“ (19-mal), nāṭāh „ausspannen“ (10-mal), bārāʾ „schaffen, hervorbringen“ (5-mal) und kûn pol./hif. „aufstellen gründen“ (2-mal). Zu beachten ist dabei, dass niemals vom „Gründen, Fundamentieren“ (jāsad) oder vom „Formen, Bilden“ (jāsar) des Himmels die Rede ist, s. dazu die Übersicht bei Hartenstein, aaO 388 f. 10 Jeremias, Theologie, 329. Zur These von Albertz, Weltschöpfung, 26 ff.51 f, der in diesen Belegen eine spezielle Variante der allgemeinen Menschenschöpfung und als deren ‚Sitz im Leben‘ das Klagelied des Einzelnen vermutet, s. die Kritik von Kratz/Spieckermann, ebd., die für eine Herkunft aus dem prophetischen Königsorakel plädieren, s. dazu auch Berges, aaO 48 ff. 11 Kratz/Spieckermann, ebd. Ein anderes Verständnis dieser drei Belege vertritt Albertz, aaO 52 f.
294 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
So spricht JHWH, dein Erlöser, und dein Bildner (joṣer) von Mutterleib an: Ich bin JHWH, der alles macht (ʿośæh), der ausspannt (nāṭāh) den Himmel, ich allein, der ausbreitet (roqeaʿ) die Erde, ohne einen bei mir!
Das Aufkommen des Schöpfungsglaubens, wie ihn das DtJes-Buch mit diesen verschiedenen Aspekten bezeugt, wurde durch die historischen Umstände nach dem Zusammenbruch Judas im Jahr 587 v. Chr. begünstigt. Damit gingen allerdings religionspolitische Auseinandersetzungen einher, auf die zunächst einzugehen ist. α) Die Legitimität des Schöpfergottes Albani, Gott, 75 ff ◆ Ders., Monotheismus, 171 ff ◆ Albertz, Exilszeit, 296 ff ◆ Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 43 ff ◆ Donner, Geschichte, 414 ff ◆ Frevel, Geschichte, 328 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 1071 ff.1133 ff ◆ Kratz, Kyros ◆ Weippert, Textbuch, 431 ff.
Zur Begründung des theologischen Neuanfangs nach 587 v. Chr. bot sich in besonderer Weise der Schöpfungsglaube an. Denn Gottes anfängliches und welterhaltendes Schöpferwirken „geht von Ewigkeit zu Ewigkeit, d. h. es hält auch unabhängig von Israels gescheiterter Geschichte an“12. Allerdings bedurfte die Behauptung, dass der Israelgott der Erschaffer von Himmel und Erde ist und in Gegenwart wie Zukunft Israels Heil wirkt, einer überzeugenden Begründung. Um diese Begründung geht es im DtJes-Buch und seiner Auseinandersetzung mit der babylonischen Götterwelt. Den Hintergrund dieser Auseinandersetzung bildet der Religionskonflikt zwischen dem letzten neubabylonischen König Nabonid (556–539 v. Chr.) und der Marduk-Priesterschaft von Babylon. Nach seinem Sieg über die babylonischen Truppen, eroberte der Perserkönig Kyros II. (559–530 v. Chr.) kampflos die Hauptstadt Babylon, in die er am 29.10.539 v. Chr. triumphal einzog.13 Hier stieß er auf die Marduk-Priesterschaft, die im Gegensatz zu Nabonid und seiner Verehrung des Mondgottes von Ḫarrān (Nordmesopotamien, s. Abb. 65)14 den Mardukkult praktizierte und die schon einige Zeit vor dem Einzug des Kyros in Babylon mit den Persern sympathisierte. Der Mardukkult wurde, wie der KyrosZylinder darlegt,15 im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme des Neujahrsfestkults (Akītu-Fest) wieder eingesetzt.16 12
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Kratz/Spieckermann, aaO 267. Zur Frage nach den mit 587 v. Chr. zugrunde gegangenen und gescheiterten Institutionen und Traditionen (Königtum, Tempelkult, Land u. a.) s. Steck, Deuterojesaja, 209 ff und Irsigler, Gottesbilder, 1074 ff. S. dazu die Schilderung der Ereignisse in der sog. Nabonid-Chronik bei Weippert, Textbuch, 440 ff (Nr. 268). Auf der Stele sind rechts oben drei Göttersymbole abgebildet: in Erstposition (!) die Mondsichel (Sîn), sodann die Flügelsonne (Šamaš) und dahinter der Venusstern (Ištar). Zum Text s. Weippert, aaO 453 ff (Nr. 273). Der Mardukkult und damit das Neujahrsfest, bei dem die Anwesenheit des Königs erforder-
§ 8 Schöpfung und Geschichte 295
Abb. 65: Nabonid mit astraler Trias (Basaltstele, 6. Jh. v. Chr.)
Vor diesem Hintergrund, der den deportierten Judäern und Judäerinnen wohl verborgen blieb, entfaltete sich die deuterojesajanische Botschaft vom einzigen Gott. Dabei waren die Erwartungen der Verfasser von Jes 40–55 an den Perserkönig17 ähnlich gelagert wie diejenigen der Marduk-Priesterschaft. Sie wurden aber anders, nämlich im Gegensatz zur Marduk-Theologie begründet und erhielten von daher auch ihre polemische Schärfe.18 Die Eckpfeiler dieser Begründung sind der Weissagungsbeweis und die Schöpfungsaussage,19 im Einzelnen: Weissagungsbeweis Der Glaube an das Handeln JHWHs in der Geschichte, d. h. an seine Allmacht (Jes 44,6–8; 46,9 f, vgl. 43,12; 45,21 f; 48,3.5), richtet sich gegen den Anspruch der Marduk-Theologie auf Besitz der Schicksals- und Zukunftsmacht, wie sie in Enūma eliš IV 119–122 f artikuliert wird: lich war, waren in Babylon ausgefallen, nachdem sich Nabonid ab seinem 3. Regierungsjahr für zehn Jahre in die arabische Wüste nach Tēmā zurückgezogen hatte, s. dazu ders., aaO 444 ff mit den Texten Nr. 269–271. Die Gründe dafür liegen im Dunkeln, s. dazu aber die Vermutungen von ders., aaO 434 f. 17 Zu diesen Erwartungen gehört auch die Hoffnung auf das Ende der „babylonischen Gefangenschaft“. Allerdings werden die Exulanten nicht sofort freigelassen, sondern müssen noch bis zur Zeit von Kambyses II. (530–522 v. Chr.) bzw. von Darius I. (522–486 v. Chr.) warten, vgl. den Kyroserlaß (Esr 6,3–5) und dazu Donner, Geschichte, 437 ff u. a. 18 Die Polemik, die vor allem die Herstellung von Kultbildern betrifft (s. Jes 40,19 f; 41,6 f; 44,10 ff; 46,6 f u. ö.), bedeutet eine Entzauberung der babylonischen Götterwelt, s. dazu Berlejung, Theologie, 369 ff; Keel, Geschichte, 868 ff; Berges, aaO 54 ff; Hartenstein Angesicht, 89 ff u. a. Diese Polemik ist Programm, ihre Qualifizierung als „unfair“ (so Keel, aaO 869) ist sachlich unzureichend. Für eine differenziertere Beurteilung s. Berlejung, aaO 406 ff. 19 S. dazu Albani, Monotheismus, 173 ff.
296 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Und Qingu, der unter ihnen der Größte geworden war, den band er (sc. Marduk) und zählte ihn zu den toten Göttern. Er nahm ihm die Tafel der Schicksale (ṭuppi šimāti)20 ab, die ihm nicht zustand, siegelte (sie) mit dem Siegel und befestigte (sie) an seiner Brust. (Ee IV 119–122)21 6 So spricht JHWH, der König Israels und sein Erlöser, JHWH Zebaoth: Ich bin der Erste und der Letzte, und außer mir gibt es keinen Gott. 7 Und wer ist wie ich? Er rufe (es) aus, und tue es kund und lege es mir dar, seit ich einsetzte ein Volk in fernster Zeit,22 und kommende Dinge (ʾotîjjôt), nämlich was eintreten wird, sollen sie ⟨uns⟩ kundtun. 8 Habt keine Angst und erschreckt nicht! Habe ich (es) dich nicht seit langem hören lassen und kundgetan? Ihr aber seid meine Zeugen! Gibt es einen Gott außer mir? Fürwahr, es gibt keinen Fels, ich kenne (ihn) nicht! (Jes 44,6–8) Der Weissagungsbeweis, die sich an den Kyros-Aussagen des DtJes-Buchs konkretisieren lässt (vgl. Jes 41,21–29; 45,1–7),23 zeigt, dass JHWH unvergleichlich ist, weil er die „kommenden Dinge“ (ʾotîjjôt) „wahrhaft vorauszusagen und zu realisieren vermag“24.
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Zu Marduk als geschichtsmächtigem Schicksalsgott s. ders., Gott, 78 ff, vgl. ders., Monotheismus, 174 f und Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 106 f. Übersetzung TUAT.NF 8 (2015) 111 (K. Hecker), s. dazu auch Gabriel, enūma eliš, 148 und Heinrich, aaO 65 (mit dem Kommentar 114). Wörtlich: „Seit meinem Einsetzen ein Volk der fernsten Zeit“, s. dazu Berges, aaO 291 f und Irsigler, Gottesbilder, 1153 mit Anm. 110. Zum Text von Jes 45,1–7 s. unten 492 f (Anhang I). Nach Jes 45,5–7 bedingen sich die Einzigkeit JHWHs und die Totalität seines Wirkens in Schöpfung und Geschichte: „der einzige Gott YHWH steht als einziger Schöpfer und als einziger Geschichtslenker der Welt und der Geschichte Israels und aller Völker insgesamt gegenüber“ (Groß, Das Negative, 156). Ungewöhnlich ist allerdings die Aussage, dass JHWH die Finsternis und das Unheil „geschaffen“ hat (bārāʾ ). Im Gegensatz zu Gen 1,2 (s. dazu oben 50 ff) leitet DtJes also die negativen Aspekte von Welt und Geschichte von JHWHs Schöpferhandeln her – allerdings ohne ein dulalistisches Gottesbild zu propagieren, sondern, wie auch die Ernennung des Kyros zum „Gesalbten“ JHWHs zeigt (V. 1), um die umfassende Schöpfermacht des Israelgottes zu bekräftigen, s. dazu ders., aaO 156 ff, ferner Baumgart, JHWH, 202 ff; Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 403 ff und Gaß, Geschichte, 1 ff. Nach Gillingham, Morgenröte, 121 f gibt es eine theologische und sprachliche Ähnlichkeit zwischen Jes 45,6 f und den Am-Doxologien (am 4,13; 5,8 f; 9,5 f, s. zum Text unten 496 [Anhang I]). Albani, Monotheismus, 173, s. dazu ausführlich ders., Gott, 91 ff.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 297
Schöpfungsaussage Der Glaube an die Wirkung JHWHs in der Schöpfung, d. h. an seine Universalität (Jes 40,18–26; 45,5–7.18), richtet sich gegen den Anspruch der universalen kosmischen Macht Marduks, wie sie in Enūma eliš VII 135 f zum Ausdruck kommt: Weil er (sc. Marduk) die Himmelsorte geschaffen (und) geformt hat die Erde, nannte Vater Enlil seine Namen „Herr der Länder“. (Ee VII 135 f )25 21 Erkennt ihr nicht? Hört ihr nicht? Wurde euch nicht kundgetan von Anbeginn? Habt ihr denn nicht begriffen die Fundamente der Erde? 22 Der thront über dem Kreis der Erde, und ihre Bewohner sind wie Heuschrecken, der ausspannt wie einen Schleier den Himmel, und ihn ausbreitet wie ein Zelt zum Wohnen. (Jes 40,21 f )
Im Zuge der ‚Umbuchung‘ der universalen Kompetenzen des babylonischen Gottes Marduk auf den Israelgott tritt dieser bei Deuterojesaja an die Stelle Marduks. JHWH ist von allem Anfang an der einzige Gott, dessen Wirkmacht bis ans Ende der Zeit reicht und die gesamte Weltgeschichte umfasst (vgl. Jes 41,6; 44,6; 48,12 u. a.).26 Mit dieser universalen Perspektive beginnt Jes 40,12–31, die Ouvertüre der Grundschicht von Jes 40–55.27 β) JHWHs Thronen über dem Erdkreis (Jes 40,12–31) Albani, Gott, 123 ff ◆ Ders., Monotheismus, 185 ff ◆ Berlejung, Theologie, 370 ff ◆ Hartenstein, Angesicht, 164 ff ◆ Ders., JHWH, 400 ff ◆ Ders./Moxter, Hermeneutik, 115 ff ◆ Huber, Himmel, 171 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 1144 ff ◆ Koch, Wohnstatt, 92 ff ◆ Schroer, Bilder, 210 ff.
In dem zur Grundschicht von Jes 40–55 gehörenden Disputationswort Jes 40,12– 31 sind zentrale Aspekte der deuterojesajanischen Schöpfungstheologie versammelt. Diese Ouvertüre gliedert sich in drei thematische Abschnitte, die Schritt für Schritt das neue Gottesverständnis plausibilisieren, um die Resignation der Adressaten zu überwinden. Nach dem ersten Abschnitt V. 12–1728 ist JHWH der souveräne Herr der Schöpfung, der Geschichte und der Völkerwelt. Die rhetorischen Fragen von V. 12–14 zielen darauf, dass die Schöpfung unermesslich ist und, wie V. 12 zeigt, nur von JHWH allein, aber nicht von Marduk „gemessen“ werden kann:29 25
Übersetzung TUAT.NF 8 (2015), 130 (K. Hecker), s. dazu auch Gabriel, aaO 174 und Heinrich, aaO 92. 26 Vgl. Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 47; Irsigler, aaO 1162 u. a. 27 Jes 40,*12–31 gehört zur Grundschicht des DtJes-Buchs, s. dazu Berges, aaO 124 ff u. a. Zu V. 18–20 s. im Folgenden. 28 S. dazu außer den Kommentaren besonders Albani, Gott, 129 ff; Hartenstein, JHWH, 400 f und Koch, Wohnstatt, 93 ff. Zum Text von Jes 40,12–17 s. unten 491 (Anhang I). 29 Zur Hintergrundsvorstellung von V. 12 s. unten 431 Anm. 85.
298 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Wer hat gemessen das Wasser mit seiner hohlen Hand und den Himmel mit der Spanne ermessen, und erfasst mit dem Dreimaß den Staub der Erde und gewogen mit der Waage die Berge und die Hügel mit Waagschalen?
Diese, auf das Schöpfungsganze (Wasser, Himmel, Erdstaub, Berge, Hügel) bezogene Macht des überdimensional vorgestellten Schöpfergottes JHWH30 gilt auch im Blick auf die Völker, die für ihn, so V. 15, „wie ein Tropfen am Eimer“ und „wie Staub auf Waagschalen“ sind: Siehe, Völker sind wie ein Tropfen am Eimer und wie Staub auf Waagschalen gelten sie, siehe, Inseln wie ein dünner Belag wiegen sie.
Diese Nichtigkeitsaussage, die V. 17 ins Grundsätzliche wendet („als Nichtiges gelten sie ihm“), führt im zweiten Abschnitt V.18.20–2631 zu den Unvergleichlichkeitsaussagen, die aus zwei, jeweils mit einer Wer-Frage (V. 18.25) eingeleiteten Passagen bestehen: 18 Und mit wem wollt ihr Gott vergleichen, und was für ein Abbild wollt ihr ihm zuordnen? 21 Wisst ihr nicht? Hört ihr nicht? Ist es euch nicht kundgetan von Anbeginn? Habt ihr nicht verstanden die Fundamente der Erde? 22 Der thront über dem Kreis der Erde, so dass ihre Bewohner wie Heuschrecken sind, der den Himmel ausspannt wie einen Schleier und ihn wie ein Zelt zum Wohnen ausbreitet, 23 der Fürsten preisgibt dem Nichts, Richter der Erde zunichte machte. 24 Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum wurzelt in der Erde ihr Stamm, da blies er sie an, und sie verdorrten, und ein Sturmwind trägt sie fort wie Spreu. 25 „Und mit wem wollt ihr mich vergleichen, dass ich (ihm) ähnlich sei?“ spricht der Heilige. 26 Hebt zur Höhe eure Augen und seht: Wer hat diese (sc. die Gestirne) geschaffen? Der herausführt nach der Zahl ihr Heer, sie alle mit Namen ruft er. Wegen der Fülle an Macht und der gewaltigen Stärke fehlt keiner. 30 Von
Elliger, Deuterojesaja (BK), 48 wird diese Vorstellung als „grotesk“ bezeichnet, s. dazu aber Koch, aaO 95 f und grundsätzlich zur Vereinbarkeit von Anthropomorphismus und Monotheismus Wagner, Gottes Körper, 186. 31 Zur Frage der Ursprünglichkeit von V. 19 f s. unten 491 Anm. 27 (Anhang I, dort auch zum Text). Zum Verständnis von V. 18–20 s. Berlejung, Theologie, 370 ff und Berges, aaO 140 ff.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 299
Während die Antwort auf die rhetorischen Fragen von V. 12–14 eindeutig ist – sie lautet: „niemand anderes als JHWH allein!“ – wird die Unvergleichlichkeit JHWHs in V.18.21–24 schöpfungstheologisch konkretisiert. Zunächst zieht dabei die mit dem Begriff „Abbild“ (demût „Ähnlichkeit, Entsprechung“)32 formulierte rhetorische Frage von V. 18 das Fazit aus dem Passus V. 12–17. Wiederum ist die Antwort eindeutig: „es gibt kein Abbild im Vergleich zu JHWH“. Demgegenüber ist der Beginn des Schlussabschnitts V. 25 f ähnlich strukturiert wie V. 18, unterscheidet sich von diesem aber in zweifacher Hinsicht: zum einen bringt V. 25 gegenüber V. 18 eine Steigerung durch die direkte JHWH-Rede33 und das JHWH-Prädikat „der Heilige“ ein. Zum anderen fordert Deuterojesaja seine Hörer auf, zur „Höhe“ (mārôm) zu blicken und sich zu fragen, wer „diese“, nämlich die Gestirne, „geschaffen“ hat (bārāʾ ). In diesem Blick nach oben geht es „nicht um eine beiläufige Erkenntnis unter und neben anderen Erkenntnissen, sondern um die Entscheidung über Gültigkeit und Nichtgültigkeit einer Herrschaft“34. Diese Frage wird in Jes 40,18.21–26 zweimal beantwortet: zum einen kontrastiv, d. h. JHWH ist nicht zu vergleichen mit von Menschen gemachten Kultbildern (V. 19 f ), und zum anderen explikativ, d. h. JHWH ist auch nicht mit den Gestirnen zu vergleichen, weil er ihr Schöpfer ist (V. 26). Und dennoch: Auch wenn JHWH ein (kult-)bildloser Gott ist, kann seine machtvolle Gegenwart, wie V. 26a formuliert, „gesehen“ werden, und zwar an seiner Schöpfung. Dieser Grundgedanke – die sichtbare Präsenz des unsichtbaren Gottes – wird im Mittelteil V. 21–24 hymnisch entfaltet, wobei dem Terminus „Erde“ (ʾæræṣ)35 eine Leitwortfunktion zukommt: Israels Nichtwissen über die Schöpfung 21 Wisst ihr nicht? Hört ihr nicht? Ist es euch nicht kundgetan von Anbeginn? Habt ihr nicht verstanden die Fundamente der Erde?
zeitlich // räumlich
JHWHs universale Schöpfermacht 22 Der thront über dem Kreis der Erde, so dass ihre Bewohner wie Heuschrecken sind, der den Himmel ausspannt wie einen Schleier und ihn wie ein Zelt zum Wohnen ausbreitet,
32
Himmel als Schleier // Zelt zum Wohnen
Zu diesem Begriff s. oben 65 f. Damit ist ein Perspektivenwechsel verbunden, vgl. Berges, aaO 130. 34 Zimmerli, Erkenntnis Gottes, 70. 35 Vgl. Berges, aaO 145: „Überblickt man die vier Belege insgesamt, so zeigt sich, dass das Aussagegefälle von absoluter (‚Grundfeste‘) zur relativen Stabilität führt (‚Rund der Erde‘) und von da aus über die geschichtliche Wechselhaftigkeit (‚Richter der Erde‘) zur völligen Instabilität (‚kaum gepflanzt in der Erde …‘)“. 33
300 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
JHWHs Handeln in der Geschichte 23 der Fürsten preisgibt dem Nichts, Richter der Erde zunichte machte. 24 Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum wurzelt in der Erde ihr Stamm, da blies er sie an, und sie verdorrten, und ein Sturmwind trägt sie fort wie Spreu.36
Vegetationsmetaphorik: Pflanze, Saat, Wurzel Gerichtsbilder: verdorren, verweht werden
Nach den Bikola von V. 21 verfügt Israel – oder besser: sollte Israel verfügen – über ein Wissen, das sich aus gegenwärtiger Erkenntnis und tradierter Einsicht speist.37 Dabei entsprechen sich die beiden äußeren („erkennen“, „begreifen“) und die beiden inneren Verben („hören“, „kundgetan werden“) sowie im Blick auf die Syntax die beiden ersten und die beiden letzten Stichen. Was Israel hier zu erkennen und zu begreifen hätte, ist etwas, was es längst gehört hat, weil es ihm „von Anbeginn“ (meroʾš) kundgetan wurde: dass nämlich die Schöpfung von Gott – und nicht von Menschen, die nur bemüht sind Kultbilder aufstellen, die nicht wackeln (vgl. V. 19) – so eingerichtet ist, dass sie stabil auf den „Fundamenten der Erde“ (môsedôt hāʾāræṣ) aufruht.38
Entscheidend für das Gesamtverständnis ist nun, dass der Text mit dem Syntagma „Der thront über dem (Horizont-)Kreis der Erde“ (hajjošeb ʿal-ḥûg hāʾāræṣ V. 22a)39 einen neuen Akzent setzt. So wird nach V. 22 gegenüber der älteren Zionstradition mit ihrer Vorstellung vom kosmisch dimensionierten Tempel (vgl. Jes 6,1 ff u. a.)40 die Unterscheidung von Himmel und Erde nicht aufgehoben, sondern in eine komplementäre Beziehung überführt, wonach das „Thronen“ JHWHs über dem Horizont und das „Ausspannen“ des Himmels die Voraussetzung für das Wohnen der Menschen unter dem schützenden Himmelszelt sind (s. Abb. 66).41 Der zentrale V. 22 enthält also zwei komplementäre Aspekte, nämlich eine Horizontvorstellung (V. 22a) und eine Himmelsvorstellung (V. 22b). Jede 36
Zur Vegetationsmetaphorik von V. 24 s. Berges, Gottesgarten, 76 f. ders., aaO 146. In der Regel begegnet die Abfolge jādaʿ „erkennen, wissen“ – šāmaʿ „hören“, womit sich die Vorstellung verbindet, dass es sich bei dem „Wissen“ um „die Beherrschung einer Tradition“ handelt (Seeligmann, Erkenntnis Gottes, 244). Es gibt aber auch wie in Jes 40,21 den umgekehrten Fall, dass jādaʿ dem šāmaʿ vorangeht, so dass „der Eindruck einer Parallelität in der Bedeutung erweckt wird. Bei näherem Zusehen freilich ergibt sich, daß jdʿ virtuell eine Folge des šmʿ geblieben ist“ (ders., aaO 245). Danach gilt das Schöpfungswissen Israels, von dem in Jes 40,21 die Rede ist, als „eine uralte Tradition, die von Geschlecht zu Geschlecht überliefert worden ist“ (ders., ebd.) und die zum Verstehen des Gehörten führt, vgl. Berges, aaO 147 f. 38 Das Substantiv *môsādāh „Gründung“ (abgeleitet von jāsad „gründen“) kommt häufig in Verbindung mit ʾæræṣ „Erde“ vor, s. Ps 24,2; 78,69; 89,12; 102,26; 104,5 u. ö. 39 Von ḥûg „Kreis, (mit dem Zirkel gezogene) Kreislinie“ ist außer in Jes 40,22 nur noch in Hi 22,14; 26,10 und Spr 8,27 die Rede: Hi 22,14 („Kreis[linie] = Horizont des Himmels“); vom „Einritzen“ einer Kreislinie: Hi 26,10 („Kreis[linie] = Horizont der Meere“); Spr 8,27 („Horizont über der Oberfläche der Urflut“), ferner Sir 43,12 (vom Regenbogen), s. dazu Seybold, Art. ḥûg, 780 ff; Albani, Gott, 137 Anm. 535; 141 f und Koch, aaO 105 ff. 40 S. dazu unten 337 ff. 41 Vgl. Koch, Wohnstatt, 105. 37 Vgl.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 301
der beiden Vershälften nimmt dabei im hymnischen Partizipialstil (hajjošeb „der thront“, hannôṭæh „der ausspannt“) zunächst den Schöpfergott und danach die Menschen (Heuschrecken) und ihren Lebensraum (Zelt zum Wohnen) in den Blick: Der thront (jāšab) über dem Kreis der Erde, so dass ihre Bewohner (jošebîm) wie Heuschrecken sind,
JHWHs Thron-/Wohnsitz über dem Erdkreis (Horizont)
der den Himmel ausspannt (nāṭāh)42 wie einen Schleier und ihn wie ein Zelt zum Wohnen (lāšæbæt)43 ausbreitet (mātah). ˙
Himmel als Schutzdach des darunter liegenden Lebensraums
JHWHs Thronen über dem Erdkreis
Himmel als „Schleier“ // „Zelt zum Wohnen“
Erde als „Wohnort“ der Menschen
Abb. 66: Zur Kosmologie von Jes 40,22 Am nächsten kommt Jes 40,22 vielleicht Ps 29,10, obwohl das Verb jāšab dort in Verbindung mit der Präposition le (statt ʿal „über“) erscheint: JHWH (hat sich niedergelassen >) thront über/ in Bezug auf (le)44 der/die Flut (mabbûl), es thront JHWH als König auf immer. Wie immer man die schwierige Formulierung vom Thronen JHWHs „über/in Bezug auf die Flut“ versteht, deutlich dürfte sein, dass mit JHWHs thronender Präsenz seine „welterhaltende Kontrolle über die chaotische Flut“45 gemeint ist. Es handelt sich also um eine Herrschaftsaussage. 42 Mit
Hartenstein, JHWH, 402 dürfte das Motiv vom „Ausspannen“ des Himmels durch die Marduk-Theologie bedingt sein, wie es am ausführlichsten in Ee IV 135 ff beschrieben wird (s. Q 62). Zu beachten ist allerdings, dass in der Rezeption dieses Motivs durch Jes 40,22b „mit Hilfe der Zeltmetapher der eigenen Erfahrungswelt Rechnung getragen wird. Das im Chaoskampf folgende Ausspannen der teriomorph gedachten Tiamat (mašku ‚[Tier-] Haut‘) konnte natürlich nicht aufgegriffen werden“ (Koch, aaO 101). 43 Anders Hartenstein, aaO 401 f, der den Infinitiv lāšæbæt mit „zum Thronen“ übersetzt und die Erde als „universalen Thronraum“ JHWHs versteht, vgl. ders., Angesicht, 164, s. dazu aber Koch, aaO 101 ff, der zu recht auf die Sachparallele Jes 45,18 verweist, s. dazu auch Petry, Entgrenzung, 214 f; Berges, aaO 427 ff und zum Text oben 293. 44 S. dazu Hartenstein, Unzugänglichkeit, 59 Anm. 117–118 („hinsichtlich, in Bezug/Richtung auf “); Müller, Jahwe, 125 ff („auf “) und Koch, aaO 105 f („über“), ferner Janowski, Königtum Gottes, 178 ff; Jenni, Präpositionen 3, 260; Böhler, Psalmen 1–50 (HThK.AT), 517.527 ff u. a. 45 Koch, aaO 106.
302 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Abb. 67: Unter dem Himmelsgewölbe und über dem Wüstengebirge aufgehende Sonne (Totenbuchpapyri, NR) Ein anderes Profil haben demgegenüber die Horizontvorstellungen in Ägypten und Mesopotamien. Eine der bekanntesten ägyptischen Darstellungen ist die, wonach das Tagesgestirn als Scheibe über dem Wüstengebirge aufgeht (s. Abb. 67).46 Ihr entspricht die Hieroglyphe 𓈌 (Ꜣḫt), die sich aus den Zeichen „Berg“ (𓈋) und „Sonne“ (𓇳) zusammensetzt.47 Mit Ꜣḫt/Achet ist die Stelle gemeint, an der die Sonne morgens über dem Ostgebirge aufgeht (bzw. abends über dem Westgebirge untergeht). Aufgrund ihrer gleichzeitigen Zugehörigkeit zu Himmel und Erde wird die Achet als Nahtstelle zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt mit Funktionen des Übergangs verbunden,48 die ikonographisch im Bild des Himmelstores Gestalt gewonnen haben.49
JHWH – so lässt sich der Gedankengang von Jes 40,21–24 zusammenfassen – thront über dem (Horizont-)Kreis der Erde und herrscht über die Schöpfung (V. 22) und die Geschichte (V. 23 f ). Im Unterschied zu den von Menschen gemachten Kultbildern (V. 19 f ) ist dem Weltschöpfer aufgrund seiner transzendenten Position alles untergeordnet: die irdischen (V. 23 f ) ebenso wie die himmlischen (V. 25 f ) Mächte und Gewalten. So ist JHWHs universale Herrschaft ein Trost für die Verzagten, denen, wie die Antwort auf die Klage von V. 27 hervorhebt, in V. 28–31 „verschüttetes Glaubenswissen von Gott“50 neu vor Augen gestellt wird. 46
Über der aufgehenden Sonnenscheibe befindet sich das Himmelsgewölbe (ägypt. pt „Himmel“), das einmal gerade (links) und ein andermal gewölbt (rechts) dargestellt werden kann. Das Wüstengebirge wird durch die beiden Löwen symbolisiert, s. dazu Keel, Bildsymbolik, 20 f und Janowski, Rettungsgewissheit, 150 ff. 47 S. dazu Schäfer, Weltgebäude, 100 f und Assmann, Art. Horizont, 3 ff, ferner die Hinweise bei Janowski, aaO 150 Anm. 769. 48 Vgl. Assmann, aaO 4 f. 49 S. dazu Keel, Jahwe-Visionen, 296 ff; ders./Schroer, Schöpfung, 119 mit Abb. 102 und die Hinweise bei Janowski, aaO 152 Anm. 772. Auch in Mesopotamien spielt der Übergangsbereich von Himmel und Erde/Unterwelt, den die entsprechenden Texte als „Fundament des Himmels“, „Tore des Himmels“ u. a. bezeichnen, eine große Rolle, s. dazu Janowski, aaO 41 ff.48 ff und als Beispiel neben den Belegen aus dem Enūma eliš (s. dazu Koch, aaO 108 ff ) auch die Gebetsbeschwörung JCS 21,2–7.9 f (Q 72). 50 Irsigler, Gottesbilder, 1146.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 303
Blicken wir kurz zurück: Wie wir sahen, spielt das Lexem „Himmel“ (šāmajim), das in Jes 40–55 insgesamt 18-mal belegt ist,51 im Disputationswort Jes 40,12–31 eine zentrale Rolle (V. 12.22). Drei weitere Belege thematisieren den himmlischen Lobpreis, wobei der Himmel neben anderen kosmischen Größen wie den „Tiefen der Erde“, den Bergen oder den Bäumen personifiziert und zum Gotteslob aufgefordert wird (Jes 44,23; 45,8; 49,13). Es sind aber, wie der folgende Exkurs deutlich macht, nicht nur himmlische, sondern auch irdische Mächte und Wesen, die den Schöpfer von Himmel und Erde preisen. Exkurs 8: Kosmischer Lobpreis Altes Testament: Ego, Wasser, 233 ff ◆ Grund, Himmel, 127 ff ◆ Janowski, Anthropologie,
323 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 48 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 167 ff ◆ Kipfer, Himmel, 40 ff ◆ von Rad, Weisheit, 171 ff ◆ Riede, Himmel, 119 ff ◆ Ruppert, Aufforderung, 227 ff ◆ Westermann, Theologie, 144 ff. – Antike Religionen: Assmann, Lieder, 208 ff.324 f ◆ Brunner, Verkündigung, 160 ff ◆ El Maaroufi, Ethik, 105 ff ◆ Hornung, Bedeutung, 70 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 167 ff ◆ Knigge, Lob, 287 ff. – Theologie, Philosophie, Rezeptionsgeschichte: Leppin, „Laudato si“, 181 ff ◆ Link, Schöpfung 1, 468 ff ◆ Ders., Transparenz, 171 ff ◆ Rosa, Resonanz, 453 ff. Es gehört zu den eindrücklichsten Aspekten des biblischen Schöpfungsglaubens, dass er zahlreiche Aussagen enthält, in denen der Kosmos und was ihn erfüllt überschwänglich gepriesen wird. Dieser kosmische Lobpreis ist in vielen antiken Kulturen verbreitet. In ihm kommt ein Naturverständnis zum Ausdruck, das sich diametral von demjenigen der Moderne und ihrer Maxime der technischen Naturbeherrschung unterscheidet. Im Folgenden kann nicht mehr als ein kleiner Ausschnitt aus dieser hymnischen Tradition geboten werden.
Altes Testament Der kosmische Lobpreis ist ein Resonanzphänomen, das im Alten Testament vor allem in Jes 40–55,52 im Joelbuch, im Psalter, im Hiobbuch und 1 Chr seinen Niederschlag gefunden hat. Wie die folgende Übersicht zeigt, gibt es dabei himmlische und irdische Akteure:53 Akteure
Belege
Himmel, Himmelsplatte Jes 44,23; 49,13; Jer 51,48; Ps 19,2; 50,6; 69,35; 89,6; 96,11 (// 1 Chr 16,31); 97,6; 148,4 Wasser über dem Himmel Ps 148,4 Höhen Ps 148,1 51
S. dazu Koch, aaO 87. Speziell zur Erschaffung des Himmels (9-mal) s. Hartenstein, JHWH, 388 f und oben 293 Anm. 9. 52 Zu den Verben des Gotteslobs in Jes 40–55 s. Berges, Deuterojesaja II (HThK.AT), 358 ff. 53 S. dazu auch Ruppert, Aufforderung, 235 f. Die menschlichen Akteure des Gotteslobs, von denen die Psalmen (Hymnen, Danklieder des Einzelnen) voll sind, bleiben bei der folgenden Übersicht unberücksichtigt.
304 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Himmlische Boten und Ps 148,2 Heerscharen Sonne, Mond, Sterne Ps 148,3 Erde, Tiefen (der Erde) Jes 44,23; 49,13; Jer 51,48; Jo 2,21; Ps 66,1.4; 69,35; 96,11 (//1 Chr 16,31); 97,1; 98,4.7; 100,1; 148,7; Hi 12,8 Meer, Ströme Ps 69,35; 96,11 (//1 Chr 16,32); 98,7 f Inseln Ps 97,1 Morgen (O) und Abend (W) Ps 65,9 Seeungeheuer Ps 148,754 Feuer, Hagel, Schnee, Ps 148,8 Nebel, Sturmwind Berge und Hügel Jes 44,23; 49,13; 55,12; Ps 89,13; 98,8; 148,9 Feld, Wald, Bäume, Pflanzen Jes 44,23; 55,12 f; 65,13 f, Ps 96,12(//1 Chr 16,32 f ); 148,9 Ackerboden Jo 2,21 Wüsten und Städte Jes 42,11 Wild- und Haustiere Jes 43,20;55 Ps 148,10; Hi 12,7 f Kriechtiere und Vögel Ps 148,10 „Alle seine Werke“ Ps 145,1056
Abb. 68: Zum kosmischen Lobpreis im Alten Testament Der primäre Ort des kosmischen Gotteslobs sind die Hymnen. Einen ausführlichen Katalog bietet der Hymnus Ps 148,57 in dem der kosmische Lobpreis in zwei Abschnitten – vom Himmel her (V. 1–6) und von der Erde her (V. 7–13) – entfaltet wird. Der Lobpreis Israels in V. 14 ist redaktionell:
Gotteslob vom Himmel her 1 Halleluja! Lobt JHWH vom Himmel her, lobt ihn in den Höhen: 2 Lobt ihn, alle seine Boten, lobt ihn, alle seine Heerscharen, 3 lobt ihn, Sonne und Mond, lobt ihn, alle leuchtenden Sterne, 54 Der
Himmelsbereich (1 f ): Belebte Wesen
Himmelskörper/-räume (3 f ): Unbelebte Mächte
Terminus ist tannînîm, s. dazu Brüning, Seeungeheuer, 250 ff. Wie in Gen 1,21 wird der tannîn hier nicht als zu bekämpfendes Chaoswesen, sondern als ein Geschöpf JHWHs gesehen, das den Schöpfergott loben soll, s. dazu Niehr, Art. tannîn, 718 f. 55 „Es ehren (kbd pi.) mich die Tiere des Feldes, Schakale und Strauße …“, s. dazu Berges, aaO 304. 56 In Ps 150,6 („Aller Atem lobe JH!“) sind dagegen menschliche Akteure und nicht Menschen und Tiere gemeint, s. dazu Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 883 f (Zenger) und Janowski, Tempel, 309 ff. 57 S. dazu außer den Kommentaren noch Petersen, Mythos, 254 ff; Ruppert, Aufforderung, 227 ff; Spieckermann, Heilsgegenwart, 50 ff; Ego, Wasser, 233 ff; Huber, Himmel, 276 ff; Hieke, Heavens, 3 ff u. a. Umfassender als Ps 148 ist der Hymnus der drei Jünglinge im Feuerofen in Dan 3,52–90LXX ; zum Vergleich der beiden Texte s. Ruppert, aaO 232 f. Zu den Bezügen des Sonnengesangs des Franz von Assisi (zum Text s. unten 667 ff [Anhang III]) zu Ps 148 s. Leppin, „Laudato si“, 189 ff.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 305
4 lobt ihn, ihr Himmel der Himmel und ihr Wasser über dem Himmel! 5 Loben sollen sie den Namen JHWHs, Begründung I (5 f ): denn er gebot, da wurden sie geschaffen, Erschaffung durch JHWH 6 und er gab ihnen Bestand auf Dauer, in Ewigkeit. Eine Satzung gab er, und sie wird nicht vorübergehen.58
Gotteslob von der Erde her 7 Lobt JHWH von der Erde her: ihr Seeungeheuer und alle Tiefen, 8 Feuer und Hagel, Schnee und Nebel, du Sturmwind, der sein Wort vollstreckt, 9 ihr Berge und alle Hügel, ihr Fruchtbäume und alle Zedern, 10 ihr wilden Tiere und alles Vieh, ihr Kriechtiere und geflügelten Vögel, 11 ihr Könige der Erde und alle Völker, ihr Fürsten und alle Richter der Erde, 12 ihr jungen Männer und auch ihr jungen Frauen, ihr Alten mit den Jungen! Loben sollen sie den Namen JHWHs, denn erhaben ist sein Name allein, seine Hoheit ist über Erde und Himmel.
Wasserphänomene (7 f ): unter (Seeungeheuer//Tiefen) und über der Erde (Feuer, Hagel u. a.) Erdbereich (9 f ): Berge und Hügel Pflanzen- und Tierwelt Menschenwelt (11 f ): Politisch-soziale Gruppen Geschlechter Lebensalter Begründung II (13): Erhabenheit JHWHs
Kolophon: Lobpreis Israels 14 Und er erhöhte das Horn seinem Volk: Ein Lobpreis für alle seine Getreuen,59 für die Kinder Israels, das Volk, das ihm nahe ist. Halleluja!
JHWHs Handeln an Israel (14)
Die beiden Hauptteile V. 1–6 und V. 7–13 haben dieselbe Struktur: sie beginnen mit einer Aufforderung zum Lobpreis JHWHs (V. 1a/V. 7a) und gehen am Ende in eine Jussivformulierung über (V. 5a/V. 13a), die gattungstypisch mit einem „denn“-Satz begründet wird. Mit den Aspekten „Himmel“ (V.1a) und „Erde“ (V. 7a), die wie in Gen 1,1 einen Merismus bilden60 und die in V. 13b in umgekehrter Reihenfolge stehen, ist die Schöpfung als kosmisches Lebenshaus aufgefasst. Bemerkenswert neben der Zahlensymbolik (zehn Imperative „lobt“, zwei Jussive „sie sollen loben“, zehn Totalitätsangaben „alle“ u. a.)61 ist
58
Zum Textproblem s. Petersen, aaO 257 ff; Weber, Werkbuch 2, 377; Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 839 (Zenger); Huber, aaO 277 mit Anm. 283 u. a. Anders Spieckermann, aaO 50 Anm. 2: „… gab ein Gesetz, dass ⟨sie⟩ (es) nicht ⟨überträten⟩“. 59 Zur Syntax dieser beiden Kola s. Hossfeld/Zenger, aaO 839 f.844 ff, anders Spieckermann, aaO 57 f. 60 Zum Verhältnis von Gen 1 und Ps 148 s. Bührer, Anfang, 322 f. 61 S. dazu Ruppert, Aufforderung, 231 f; Hossfeld/Zenger, aaO 841 f (Zenger); Weber, aaO 379 und Hieke, Heavens, 15.
306 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt das an der ägyptischen und altorientalischen Listenwissenschaft ausgerichtete Denken,62 wonach die Elemente und Lebewesen der natürlichen Welt – Sonne, Mond und Sterne, Tiere, Pflanzen und Menschen – in eine systematische Ordnung gebracht werden, die der Hymnus eindrucksvoll preist (V. 5 f ).63 Alle diese Elemente haben dauerhaften Bestand (V. 6a), weil ihnen eine „Satzung“ (ḥoq) eingestiftet ist, die nicht vergeht (V. 6b).64 Dasselbe Ordnungsdenken bestimmt auch den zweiten Hauptteil, der mit V. 13 einen solennen Abschluss erhält. So stiftet der kosmische Lobpreis von Ps 148 „Gemeinschaft, fördert die Harmonie und führt zur Vollendung von Schöpfung und Geschichte“65. Ein Nachhall dieses Welt- und Naturverständnisses findet sich im Koran (s. Q 186).
Ägypten und Mesopotamien Auch in den ägyptischen Hymnen66 und babylonisch-assyrischen Gebetsbeschwörungen67 gibt es zahlreiche Belege für das Motiv des kosmischen Lobpreises. Von einzigartiger Schönheit ist das Gotteslob aller Lebewesen – Menschen und Tiere – im Großen AmarnaHymnus und in der Amarna-Kunst.68 Im Großen Amarna-Hymnus Z. 38–58 heißt es: Am Morgen bist du aufgegangen im Lichtland und bist strahlend als Sonne des Tages. 40 Du vertreibst die Finsternis, du gibst deine Strahlen, die beiden Länder sind im Fest. Die Menschheit erwacht und steht auf den Beinen: du hast sie aufgerichtet, sie reinigen ihre Körper und ziehen Leinengewänder an; ihre Arme sind in Lobgebärden bei deinem Erscheinen, 45 das ganze Land tut seine Arbeit. Alles Vieh befriedigt sich an seinen Kräutern, Bäume und Pflanzen wachsen. Die Vögel fliegen auf aus ihren Nestern, ihre Flügel in Lobgebärden für deinen Ka. 50 Alles Wild tanzt auf seinen Füßen, alles, was auffliegt und niederschwebt, 62
S. dazu oben 137 ff. Das Gegenstück zum kosmischen Lobpreis ist die kosmische Trauer, s. dazu oben 161 ff. Sachparallelen dazu gibt es in Ägypten (s. Q 40; 41) und Mesopotamien (s. Q 82). Nicht zu vergessen das Motiv vom „Seufzen der Kreatur“ in Röm 8,18–30, s. dazu oben 240 ff. 64 Vgl. Petersen, aaO 259: „V.6 meint … das Gesamtgefüge der Welt, das Jahwe einst festgelegt hat: Daß sich die Gestirne am Himmel befinden, daß die Welt vom Himmel begrenzt wird, über dem sich das Wasser befindet“ (H. i. O.). Als Sachparallelen weist ders., aaO 259 f auf Jer 31,36; 33,25 u. a. hin, s. dazu auch Weippert, Schöpfer, 37 ff. 65 Hossfeld/Zenger, aaO 853 (Zenger). 66 S. dazu Ruppert, aaO 238 ff und im Folgenden. 67 S. dazu die Textbeispiele bei Mayer, Gebetsbeschwörungen, 447.521.528 u. a., vgl. Ruppert, aaO 237 f. Ruppert, aaO 238 bemerkt zu recht, dass es in mesopotamischen Texten keinen Beleg für Tiere als Subjekte des kosmischen Lobpreises gibt. Für einen Gottesbezug der Tiere kann allerdings auf die Gebetsbeschwörung JCS 21,2–7.9 f hingewiesen werden, s. Q 72. 68 S. dazu Kampp-Seyfried, Re-Harachte, 118 ff und Janowski, Anthropologie, 592 f mit Abb. 130. 63
§ 8 Schöpfung und Geschichte 307
sie leben, wenn du für sie aufgehst. Die Schiffe fahren stromab und stromauf in gleicher Weise. 55 Jeder Weg ist geöffnet durch dein Erscheinen. Die Fische im Fluss hüpfen vor deinem Angesicht; deine Strahlen sind im Innern des Ozeans. (s. Q 27) Der kosmische Lobpreis findet sich aber nicht nur in Texten und Bildern der Amarnazeit, sondern schon in Sonnenhymnen aus der Zeit vor und in Totenbuchpapyri aus der Zeit nach Amarna,69 Ein besonders schönes Beispiel für die Voramarnazeit ist der Kairener Amunshymnus Z. 107–144 vom Ende der 2. ZwZt (Q 37) und für die Nachamarnazeit der Papyrus des Anhaï aus der 20. Dynastie. In Z. 5–13 dieses Papyrus heißt es: 5 Es agieren für dich die Paviane mit ihren Armen, sie singen für dich, sie tanzen für dich, sie sagen dir die Verklärungen auf in ihrem Munde, sie verkünden dich im Himmel und auf Erden. Sie geleiten dich bei deinem schönen Erscheinen, 10 sie öffnen für dich die Tore des östlichen Lichtlands des Himmels. Sie bewirken, dass Re in Frieden überfährt in Frohlocken, zu seiner Mutter Nut. (Q 38)70
Abb. 69: Ausschnitt aus dem Papyrus des Anhaï (20. Dyn.)
69
S. dazu die Belege bei Hornung, Bedeutung, 70 ff; Assmann, Lieder, 208 ff.324 f und Brunner, Verkündigung, 160 ff. 70 Assmann, ÄHG2, 103 (in Z. 10 mit der Textvariante „sie schieben zurück“ statt „sie öffnen“), s. dazu den Kommentar von Assmann, aaO 208 ff (dort weitere Belege).
308 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Die Sonnenaffen (Paviane), die – wie es auch die dem Papyrus beigegebene Abbildung darstellt (s. Abb. 69 und Abb. 126) –, „mit gestikulierenden Pfoten und kreischender Stimme die Sonne bei ihrem Aufgang und Untergang begrüßen und ihr das Himmelstor aufstoßen“71, fehlen in Amarna, ganz zu schweigen von den Seelenvögeln und den beiden Göttinnen Isis und Nephtys. Nach dem Totenbuch Spruch 100 jubelt sogar der Verstorbene dem Sonnengott in der Gemeinschaft der Sonnenaffen zu (s. Q 39).
Der Lobpreis als Resonanzphänomen Dass die Natur ihren Schöpfer preist, ist ein bedeutsames Resonanzphänomen, bei dem die Elemente und Wesen der Schöpfungswelt – der Himmel, die Gestirne, das Meer, die Berge, die Bäume, die Pflanzen und die Tiere – als personale Größen dargestellt werden:72 sie verfügen über eine Stimme („erzählen“ Ps 19,2, vgl. Hi 12,7 f ), haben Emotionen („jubeln“ Ps 96,12 u. ö.) oder verwenden Gesten („in die Hände klatschen“ Ps 98,8), mit denen sie sich dem Schöpfer zuwenden. Die deuterojesajanischen Texte Jes 44,23; 45,8 und 49,13 dürften dabei als Initialzündung den Ausschlag gegeben haben:73 Jubelt, ihr Himmel, denn gehandelt hat JHWH! Jauchzt, Tiefen der Erde! Brecht aus, Berge, in Jubel, Wald und jeder Baum in ihm: Ja, erlöst hat JHWH Jakob und in Israel verherrlicht er sich. (Jes 44,23) Als Resonanzphänomen ist der kosmische Lobpreis die ‚Antwort‘ der Schöpfung auf die Zuwendung des Schöpfers. Chr. Link spricht in diesem Zusammenhang von der „Transparenz der Natur für das Geheimnis der Schöpfung“74. Denn die Natur wird hier zum Medium für etwas, das „der Wahrnehmung sonst – unter anderen Bedingungen – entzogen bleibt. Dabei drückt der Begriff ‚Medium‘ aus, daß die Natur … ein ‚Mittleres’ ist, das von sich aus über sich selbst hinausweist auf etwas anderes, das in ihr zur Darstellung kommt“75. Dieses Andere ist der „Ordnungszusammenhang der Welt, der unserem Bewußtsein vorausliegt“76 und der mittels resonanter Beziehungen (erzählen, verkünden, jubeln, jauchzen u. a.) zum Klingen gebracht wird. 𓇼
b) JHWHs Rückkehr zum Zion (Ez 43,1–9) Albertz, Heiligkeit, 123 ff ◆ Ehring, Rückkehr, 191 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 1009 ff ◆ Janowski, Mitte, 122 ff ◆ Ders., Einwohnung, 262 ff ◆ Keel, Geschichte, 890 ff ◆ Koch, Wohnstatt, 168 ff ◆ Konkel, Architektonik, 71 ff ◆ Ders., Tempelvision, 154 ff ◆ Wagner, Herrlichkeit, 238 ff. 71
Hornung, aaO 72. Zur Frage der Personifikation kosmischer Größen s. Grund, Himmel, 133 ff. 73 Vgl. dies., aaO 159, ferner Ruppert, Aufforderung, 236 und Berges, Gottesgarten, 81. 74 S. dazu Link, Transparenz, 171 ff. 75 Rosa, aaO 179. 76 Ders., aaO 181. 72
§ 8 Schöpfung und Geschichte 309
Bei der Frage nach dem Zusammenhang von Schöpfung und Geschichte im DtJes-Buch sind wir von dem zur Grundschicht von Jes 40–55 gehörenden Disputationswort Jes 40,12–31 ausgegangen, weil es die entscheidenden Aspekte des Themas enthält.77 Demgegenüber stellen Jes 40,*1–11 und 52,7–10 wohl eine zionstheologische Fortschreibung dar,78 der zufolge JHWH „nicht zu seinem Heiligtum, sondern zu Zion/Jerusalem“ zurückkehrt, so dass in beiden Rahmentexten Zion-Jerusalem als „Platzhalter für den noch nicht errichteten Zweiten Tempel“79 fungiert. Ungeachtet der redaktionsgeschichtlichen Fragen ist dabei zu beachten, dass im Prolog Jes 40,*1–11 mit dem Begriff „Herrlichkeit“ (kābôd) – „Und offenbaren wird sich die Herrlichkeit JHWHs, und sehen wird es alles Fleisch zusammen“ (V. 5) – ein „Präsenzkonzept mit visuellen lichthaften Aspekten“80 zum Ausdruck kommt, das auch in Ez *8–11 und Ez 43,*1–9 vorliegt.
500
500
Abb. 70: Der Tempelentwurf nach Ez 40–48
77
S. dazu oben 297 ff. S. dazu Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 96 f und Koch, Wohnstatt, 88 ff. Anders Ehring, Rückkehr, 96 ff.207 ff und Hartenstein/Moxter, Hermeneutik, 115 ff (Hartenstein), die Jes 40,*1–11 und 52,7–10 zur Grundschicht des DtJes-Buchs rechnen. 79 Koch, aaO 92. 80 Hartenstein/Moxter, aaO 117 (Hartenstein), s. dazu auch Ehring, aaO 38 f.156 ff. 78
310 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Nach der chronologischen Notiz Ez 40,1 wird Ezechiel im Jahr 573 v. Chr. durch die „Hand Jahwes“ nach Jerusalem entrückt, wo er den zukünftigen Tempel, dessen Grundriss und kultische Bestimmung schaut (Ez 40–48). In einer großen Führungsvision, die den Grundbestand von Ez 40–43 umfasst,81 wird der Prophet dann von einer himmlischen Gestalt – dem „Mann“ – vom äußeren Osttor über die weiteren Torbauten des äußeren und inneren Vorhofs bis zum dreigeteilten Tempel geführt, der als dritten Raum das Allerheiligste birgt (Ez 41,3 f, s. Abb. 70).82 An diese Führungsvision knüpft in Ez 43,*1–983 die Beschreibung der nach Jerusalem zurückkehrenden JHWH-Herrlichkeit an, die den kābôd denselben Weg vom äußeren über das innere Osttor bis ins Tempelinnere nehmen lässt, auf dem der Prophet fast 20 Jahre zuvor seinen Auszug aus dem alten Tempel geschaut hatte. Der Schluss der Jerusalemvision Ez *8,1–11,25 hat diesen Auszug der Herrlichkeit JHWHs aus dem durch Fremdkult entweihten Jerusalemer Heiligtum in knappe, aber bewegende Sätze gefasst: (22) Und die Keruben hoben ihre Flügel empor, und die Räder (bewegten sich) gleichzeitig mit ihnen, und die Herrlichkeit des Gottes Israels waren oben über ihnen. (23) Und die Herrlichkeit JHWHs stieg auf aus der Mitte der Stadt und blieb stehen auf dem Berg (har), der im Osten (qædæm) der Stadt (war). (Ez 11,22 f ).84
Während Ez *8,1–11,25 (Grundschicht) beschreibt, wie die Herrlichkeit JHWHs den Tempel verlässt, um sich auf dem Ölberg niederzulassen, schildert die Schlussvision Ez *40–48 (Grundschicht), wie JHWH in seiner Herrlichkeitserscheinung in den Tempel der Zukunft zurückkehrt, um dort für immer „inmitten der Israeliten“ zu wohnen. Der Visions- und Auditionsbericht Ez 43,*1–9, der diese Rückkehr JHWHs mit den Ausdrucksmitteln der Jerusalemer Kulttradition darstellt, besteht aus den beiden Teilen JHWH-Vision (V. *1–5) und JHWH-Rede (V. 6–9). Während der Visionsbericht (V. *1–5) den Einzug des kebôd JHWH in den Tempel (V. 2–4) und dessen Erfülltsein von der Herrlichkeit JHWHs (V. 5b) schildert, leitet V. 6 mit einer Auditionsaussage zu einer an den „Menschensohn“ gerichteten JHWH-Rede (V. 7–9) über, in der dem zukünftigen Gottesvolk die bleibende Gegenwart JHWHs in seiner Mitte verheißen wird.85 Nach der Redeeröffnungsformel in V. 7aα lautet die Rede folgendermaßen: 81
Zu den literarkritischen Problemen s. Konkel, Architektonik, 244 ff; Koch, aaO 175 f u. a. Zu den architektonischen und raumsymbolischen Fragen s. Konkel, aaO 49 ff und ders., Tempelvision, 155 ff, ferner Keel, Geschichte, 892 ff und Albertz, Heiligkeit, 123 ff. – Legende zu Abb. 70: Durchgezogen: Längen- und Breitenmaß (im Text genannt), gestrichelt: Struktur im Text ohne Maßangabe, gepunktet: Hilfslinien (Quadrate à 100 × 100 Ellen), schraffiert: Priestersakristeien, vgl. Konkel, Tempelvision, 178. 83 S. dazu im Folgenden. 84 Zum Grundbestand von Ez 8–11 s. Keel, Jahwe-Visionen, 151 f; Pohlmann, Ezechiel I (ATD), 128 ff; Sedlmeier, Ezechiel I (NSK.AT), 134 ff und Koch, aaO 168 ff. Zur Herrlichkeitsschilderung in Ez 10 f s. Keel, aaO 145 ff.151 ff; Ehring, aaO 191 ff; Wagner, Herrlichkeit, 272 ff; Irsigler, Gottesbilder, 1009 ff u. a. Zu beachten sind in Ez 11,23 die für das mythische Raumverständnis charakteristischen Termini „Berg“ (har) und „Osten“ (qædæm), s. dazu Koch, aaO 174.181. 85 Die JHWH-Rede reicht eigentlich bis V. 12, wobei der Passus V. 10–12 aber redaktionell sein dürfte, s. dazu Koch, aaO 176 Anm. 252. 82
§ 8 Schöpfung und Geschichte 311
A 7aβ Menschensohn, (siehe) den Ort meines Thrones und den Ort meiner Fußsohlen, wo ich wohnen werde (šākan) inmitten der Israeliten für immer. B
7b Und nicht mehr wird das Haus Israel meinen heiligen Namen verunreinigen, sie und ihre Könige, mit ihrer Hurerei und mit den (Toten-)Opfern ihrer Könige bei deren Tod,
8 indem sie ihre Schwelle neben meine Schwelle und ihren Türpfosten neben meinen Türpfosten setzten, so dass (nur) eine Wand zwischen mir C und ihnen war und sie meinen heiligen Namen verunreinigten durch ihre Gräuel, die sie begingen, so dass ich sie auffraß in meinem Zorn. B′
9a Nun werden sie ihre Hurerei und die (Toten-)Opfer ihrer Könige von mir fernhalten,
A′ 9b so dass ich wohnen werde (šākan) in ihrer Mitte für immer.86
Für diese JHWH-Rede ist die Stilfigur der doppelten Rahmung kennzeichnend: in die äußeren Rahmenverse V. 7aβ und V. 9b mit ihrer Verheißung der bleibenden Gottesgegenwart ist eine zweifache Aufforderung an Israel (V. 7b + V. 9a) eingebettet, die sich als Verbot auf die Entweihung des JHWH-Namens und als Gebot auf die Entfernung des Fremdkultes bezieht. Diese Verbots- und Gebotsrede umschließt ihrerseits eine Schilderung der früheren Vergehen Israels und deren Ahndung durch JHWH (V. 8), so dass man im Blick auf die Gesamtkomposition von einer konzentrischen Struktur (A – B – C – B′ – A′) sprechen kann. Während V. 8 an das Israel der vorexilischen Zeit, die Zustände im alten Tempel (Nachbarschaft von JHWH-Tempel und Königspalast) und das Gerichtshandeln JHWHs erinnert, blicken die Rahmenverse V. 7aβ.b // V. 9a.b auf das künftige Gottesvolk voraus, dem die Zusage der bleibenden Gottesgegenwart gilt. Israel, das ist die Botschaft von Ez 43,7–9, bleibt nicht im Todesgericht von 587 v. Chr. (vgl. V. 8bβ), sondern ihm wird mit der Zusage von V. 7aβ + 9b das „Wunder einer Neuerweckung“87 zuteil. Was hier also gefordert wird, ist nicht Vorbedingung für die Rückkehr JHWHs zum Zion, sondern deren Konsequenz im Lebensvollzug Israels.
Für das traditionsgeschichtliche Verständnis von V. 7aβ–9 ist der unmittelbar vorhergehende Abschnitt V. *1–6 wichtig, in dem die solare Ausdeutung der Rückkehr JHWHs zum Ausdruck kommt:88 (1) Und er führte mich zu dem Tor, das nach Osten (qādîm) weist. (2) Und siehe, die Herrlichkeit (kābôd) des Gottes Israels kam von Osten (qædæm) her, und ihr Rauschen war wie das Rauschen gewaltiger Wasser, und die Erde/das Land leuchtete/strahlte (ʾwr hif.) von seiner Herrlichkeit (kābôd). (3) Und die Erscheinung, die ich sah, war wie die Erscheinung, die ich sah, als er kam, um die Stadt zu vernichten, und ( ferner) war die 86
Zur Interpretation dieses Textes s. Janowski, Mitte, 122 ff; Konkel, Architektonik, 73 ff.263 ff; Koch, aaO 182 ff; Irsigler, aaO 1025 f u. a., ferner Klein, Schriftauslegung, 192 f mit anderen redaktionsgeschichtlichen Optionen. 87 Zimmerli, Ezechiel II (BK), 1084. 88 Vgl. Koch, aaO 178.
312 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Erscheinung wie die Erscheinung, die ich am Kanal Kebar sah. Und ich fiel auf mein Angesicht. (4) Und die Herrlichkeit JHWHs (kebôd JHWH) kam in das Haus durch das Tor, das mit seiner Front nach Osten (qādîm) (weist). (5) Und ein Wind (rûaḥ) hob mich empor89 und brachte mich zum inneren Vorhof. Und siehe, die Herrlichkeit JHWHs (kebôd JHWH) hatte das Haus erfüllt. (6) Und ich hörte einen zu mir reden aus dem Haus heraus, und der Mann stand neben mir. (Ez 43,1–6)90
Wenn in V. 2 vom „Erstrahlen“ (ʾwr hif.) der Erde/des Landes durch den „von Osten“ (qædæm) kommenden Lichtglanz der Herrlichkeit JHWHs die Rede ist,91 dann ist dies „nicht nur als Beschreibung eines visuellen Phänomens, sondern zugleich als qualitative Aussage über die Fruchtbarkeit und das Wohlergehen des Landes“92 zu verstehen. Die Rückkehr der Herrlichkeit JHWHs in sein Heiligtum, die die Erde/das Land zum Aufleuchten bringt und die mit ihrem Lichtglanz das (Tempel-)Haus erfüllt,93 bedeutet auf diese Weise „Rettung für Israel“94. Zusammengefasst: „JHWHs Rückkehr geschieht in königlicher Machtvollkommenheit, und diese ist anhand des Strahlens der Erde universal wahrnehmbar“95. 2. Mythische Urzeit und historische Jetztzeit Unter den alttestamentlichen Büchern zählt das DtJes-Buch zu denjenigen literarischen Komplexen, in denen der Zusammenhang von Schöpfung und Geschichte am intensivsten reflektiert wird. Daneben gibt es weitere Texte, die die Geschichtsmächtigkeit JHWHs unter Rekurs auf schöpfungstheologische Aspekte zum Ausdruck bringen. Zu ihnen gehört das Volksklagelied Ps 74, das auf die mythische Urzeit rekurriert (V. 12–17), um die Katastrophe der Gegenwart (Zerstörung des Ersten Tempels) in ein grundsätzliches Licht zu rücken und das rettende „Gedenken“ des Schöpfergottes wachzurufen. a) „Mein König von Urzeit her“ (Ps 74) Altes Testament: Emmendörffer, Gott, 77 ff ◆ Hartenstein, Unzugänglichkeit, 229 ff ◆ Irsig-
ler, Mythos, 9 ff ◆ Ders., Gottesbilder, 432 f ◆ Janowski, Doppelgesicht, 89 ff ◆ Keel, Welt, 104 ff ◆ Ders., Geschichte, 890 ff ◆ Ders./Schroer, Schöpfung, 123 ff.184 ff ◆ Lippke, Schrit-
89
90
91 92 93
94 95
Der Prophet wird immer dann vom göttlichen Wind (rûaḥ) ergriffen, wenn sich die Herrlichkeit JHWHs (kebôd JHWH) in Bewegung setzt, s. dazu Blischke, Geist Gottes, 196 ff und Ez 11,23 f. Zu den Fortschreibungen in V. 2bα.3a (kursiv) s. die Hinweise unten 494 f (Anhang I). Ez 43,2 knüpft dabei an die solare Charakterisierung der Herrlichkeit JHWHs in Ez 1,27 f an, s. dazu ausführlich Koch, aaO 137 ff. Ehring, Rückkehr, 193. Zu den solaren Konnotationen s. Konkel, aaO 264 f; Koch, aaO 178 ff und grundsätzlich zur solaren Symbolik oben 263 ff. Konkel, aaO 265, vgl. Sedlmeier, Ezechiel II (NSK.AT), 294 f und zur Sache auch Langer, Gott, 70 und Ehring, aaO 193 f.199. Koch, aaO 182.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 313
te ◆ Petersen, Mythos, 124 ff ◆ Seo, Gottesgegenwart, 93 ff ◆ Spieckermann, Heilsgegenwart, 122 ff. – Kultur- und Religionswissenschaft: Assmann/Assmann, Art. Mythos, 179 ff.
Ps 74 gliedert sich in drei Teile (I: V. 1b–11, II: V. 12–17; III: V. 18–23), die durch sprachliche und thematische Bezüge miteinander verknüpft sind96 und die in ihrer Abfolge der Architektur der exilisch-nachexilischen Volksklagelieder entsprechen.97 Der Text lautet in Übersetzung: 1
Ein Maskil. Von Asaf.
I. Klage und Bitte Einleitende Klage mit Bitte 2 3a
Warum, Gott, hast du verstoßen auf Dauer, raucht dein Zorn gegen das Kleinvieh deiner Weide? Gedenke deiner Gemeinde, die du erworben hast vor Zeiten, die du erlöst hast als Stamm deines Erbbesitzes, des Berges Zion, auf dem du Wohnung genommen hast! Erhebe deine Schritte zu den ewigen Trümmern!
Notschilderung 3b Alles hat verwüstet der Feind im Heiligtum: 4 Es brüllten deine Widersacher inmitten deiner Versammlungsstätte, sie haben aufgepflanzt ihre (Feld-)Zeichen als Zeichen, 5 (wobei) er erscheint98 wie einer, der hineinbringt nach oben im Dickicht des Waldes Äxte. 6 Und nun – ihre Schnitzwerke insgesamt mit Beil und Hacke zerschlagen sie. 7 Sie bewarfen mit Feuer dein Heiligtum, bis zur Erde99 haben sie entweiht die Wohnung deines Namens. 8 Sie sprachen in ihrem Herzen: „Wir wollen sie bedrängen allesamt!“ Sie verbrannten alle Versammlungsstätten Gottes im Land. 9 Unsere Zeichen haben wir nicht gesehen, einen Propheten gibt es nicht mehr, und niemand ist bei uns, der weiß, bis wann.
96 S.
etwa die Rahmungen V. 1b/11a (Warum/Wozu-Frage), V. 18a/22b („gedenken“), V. 19b/23a („nicht vergessen“) und V. 18/22b–23 „Verhöhnung JHWHs“), ferner den Rückgriff von V. 12a („von Urzeit her“) auf V. 2a („vor Zeiten“), das siebenmalige „Du“ in V. 13– 17 u. a., s. dazu Hossfeld/Zenger, Psalmen II (HThK), 358 ff (Zenger) und Weber, Werkbuch 2, 27 f. Zur literarischen und poetischen Kohärenz des Textes s. Lippke, Schritte, 71 ff.333 ff, anders, aber nicht überzeugend Seo, Gottesgegenwart, 95 ff. 97 S. dazu Hossfeld/Zenger, aaO 358 ff (Zenger); Weber, aaO 24 ff, ferner Hartenstein, Unzugänglichkeit, 229 ff; Emmendörffer, Gott, 77 ff u. a. Zur Datierung von Ps 74 s. ausführlich Lippke, aaO 136 ff. 98 Wörtlich: „er/es wird erkannt“, „er/es tut sich kund“ o. ä., vgl. Gen 41,21; Ex 21,36; 33,16, zum Verständnis des schwierigen V. 5 s. Lippke, aaO 17 f und Seo, aaO 221 mit Anm. 21. 99 Oder: „bis auf den Grund“.
314 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Abschließende Klage 10 Wie lange, Gott, wird höhnen der Widersacher, wird lästern der Feind deinen Namen auf Dauer? 11 Warum ziehst du zurück deine Hand, ja deine Rechte? Mitten aus deinem Gewandbausch heraus vernichte!
II. Hymnisches Bekenntnis Thema 12 Aber Gott ist mein König von Urzeit her, der Rettungstaten vollbringt inmitten der Erde.
Überwindung des Chaos 13 Du, du hast aufgewühlt100 mit deiner Macht das Meer, du hast zerschmettert die Häupter der Tanninim über dem Wasser. 14 Du, du hast zerschlagen die Köpfe Leviatans, gibst ihn zum Fraß einem Volk von Wüstentieren.101
Überleitung 15 Du, du hast gespalten Quelle und Bach, du, du hast austrocknen lassen ständig fließende Ströme.
Zueignung und Erhaltung des Kosmos 16 Dein ist der Tag, ja dein die Nacht, du, du hast hingestellt (Mond-)Leuchte und Sonne. 17 Du, du hast festgelegt alle Grenzen der Erde, Sommer und Winter, du, du hast sie gebildet.
III. Bitte 18 Gedenke dies: Der Feind hat gehöhnt, JHWH, und ein törichtes Volk hat geschmäht deinen Namen. 19 Gib nicht preis dem Wildtier das Leben deiner Taube, das Leben deiner Armen vergiss nicht auf Dauer! 20 Blick auf den Bund, denn voll sind die Finsternisorte des Landes: Triften der Gewalt! 21 Es soll nicht zurückkehren der Bedrückte beschämt, der Arme und der Elende sollen deinen Namen lobpreisen! 22 Steh auf, Gott, führe deinen Rechtsstreit, gedenke deiner Schmähung von Seiten des Toren den ganzen Tag! 23 Vergiss nicht das Geschrei deiner Widersacher, den Lärm deiner Gegner, der emporsteigt beständig!
100 Anders Seo, aaO 222: „du hast … zerspalten“. Zu prr po. „in stürmische Bewegung versetzen, aufwühlen“ s. aber Ges18, 1084 s. v. und Lippke, aaO 84 f. 101 Zu
V. 14b s. Lippke, aaO 26 f.85 ff. Zu den Seeungeheuern Tannin und Leviatan s. unten 391 ff.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 315
Im Zentrum des Textes steht das Bekenntnis zum Königsgott „von Urzeit her“ (V. 12 ff ) – obwohl, wie die Klage- und Bittabschnitte (V. 11 ff.18 ff ) hervorheben, alles gegen dieses Bekenntnisses zu sprechen scheint. Charakteristisch ist dabei die Rezeption mythischer Überlieferungen (V. 12–17) in einem Kontext, der die Katastrophe des Exils, also geschichtliche Erfahrungen (V. 1b–11.18–23) verarbeitet. Diese Rezeption findet sich in dem hymnischen Bekenntnis zum Königsgott (V. 12–17), das der Perspektive einer grundlegenden Mythisierung der Geschichte102 verpflichtet ist. Das hymnische Bekenntnis zum Königsgott, das in V. 12a mit dem auf V. 2a zurückgreifenden Aspekt der „Vorzeit, Urzeit“ (qædæm)103 einsetzt, lässt sich in zwei stilistisch (rühmender Du-Stil) und begrifflich-thematisch voneinander abgesetzte Abschnitte gliedern, die die grundlegende Perspektive des universalen Königtums Gottes als Überwindung der Repräsentanten des Chaos (V. 13–14) und als Zueignung und Erhaltung der kosmischen Ordnung (V. 16 f ) entfalten. V. 15 dürfte demgegenüber ein Überleitungsvers sein,104 der in zwei komplementären Akten die Umwandlung des Chaos in Kosmos thematisiert. Schematisch lässt sich das folgendermaßen darstellen: Thema: Königtum Gottes in Mythos und Geschichte 12a Gott als König „von Urzeit her“ b Gott als Retter „inmitten der Erde“
Königtum Gottes in Urzeit und Jetztzeit
Entfaltung I: Überwindung des uranfänglichen Chaos 13a Aufwühlen des Meeres b Zerschmettern der Drachenhäupter 14a Zerschlagen der Köpfe Leviatans b Fraß für ein Volk von Wüstentieren
A Meer (wässrig) B Häupter der Tanninim B′ Köpfe Leviatans A′ Wüste (trocken)
Überleitung: Umwandlung des Chaos in Kosmos 15a Spaltung von Quellen und Bächen b Austrocknung der Chaoswasser
Versorgung der Geschöpfe durch Wasserquellen
Entfaltung II: Zueignung und Erhaltung der kosmischen Ordnung 16a Tag – Nacht b Leuchte – Sonne 17a alle Grenzen der Erde b Sommer – Winter
A Tageszyklus (Zeit) B Himmel (Raum) B′ Erde (Raum) A′ Jahreszyklus (Zeit)
Abb. 71: Zur Struktur von Ps 74,12–17
102 S.
dazu unten 319 ff. dazu Kronholm, Art. qædæm, 1167 f; Koch, Qädäm, 254 ff.262 ff.273; Hartenstein, aaO 231 f.242 f u. a. 104 Vgl. Petersen, Mythos, 157; Emmendörffer, aaO 95, ferner Spieckermann, Heilsgegenwart, 130. 103 S.
316 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt Kontrovers wird in der Forschung die Frage diskutiert, ob V. 13–14.15 schöpfungs- oder geschichtstheologisch zu verstehen sind. Während die schöpfungstheologische Interpretation in diesem Passus eine Rezeption der kanaanäischen Chaoskampfvorstellung sieht,105 sind die Verse nach der geschichtstheologischen Interpretation auf den Exodus und die Landnahme als die mythische Urzeit zu beziehen.106 H. Spieckermann spricht prononciert von „Exodusthematik in mythischem Gewande“107 und macht dies an der Abfolge der Handlungsverben bāqaʿ „spalten“ und jbš hif. „austrocknen“ in V. 15 sowie an der vergleichbaren Verbindung von Exodus und Götterkampf in Ex 15 fest.
V. 15 hat m. E. aber nichts mit der Exodusthematik zu tun, sondern bezieht sich einerseits auf das „Spalten“ (bāqaʿ), d. h. das Aufbrechen von Quellen und Bächen, die die Erde bewässern sollen (V. 15a),108 und andererseits auf die Trockenlegung der Chaoswasser, die den Bestand der Schöpfung gefährden (V. 15b).109 Beide Vorgänge verhalten sich antithetisch-komplementär zueinander und haben die Umwandlung der chaotischen in lebensförderliche Wasser zum Thema: zum einen im Blick auf die Einrichtung des irdischen Wasserhaushalts (V. 15a: Quellen und Bäche)110 und zum anderen im Blick auf die Eindämmung der bedrohlichen Chaosfluten (V. 15b).111 Kurz: Der Königsgott „erschließt Wasserquellen zur Versorgung seiner Geschöpfe“112. Was dagegen V. 13 f angeht, so steht die dortige Rezeption des Chaoskampfmythologems,113 die die Religionen der vorderorientalischen Antike in eindrückliche Bildwelten gefasst haben (s. Abb. 72),114 ganz im Dienst des Aufweises der 105 So
etwa Seybold, Psalmen (HAT), 289. etwa Spieckermann, ebd; Hartenstein, aaO 240; Emmendörffer, aaO 95 mit Anm. 157; Hossfeld/Zenger, aaO 368 (Zenger) u. a. 107 Spieckermann, ebd. 108 Vgl. Metzger, Eigentumsdeklaration, 92. Anders Emerton, Spring, 122 ff und im Anschluss daran Petersen, Mythos, 144 f, wonach der Akt des „Spaltens“ von Quelle und Bach nach Analogie von Gen 7,11 dem Abfließen der Restwasser des Urmeeres dient. In Gen 7,11b ist allerdings nicht vom Abfließen, sondern vom „Aufbrechen“ (bqʿ nif.), d. h. vom Zufluss der Quellen der großen Tiefe die Rede, die nach Gen 8,2 dann auch wieder „verschlossen“ werden. 109 Vgl. Keel, Welt, 108. 110 Vgl. sachlich Ps 104,10 f, s. dazu Metzger, ebd. Dagegen kommt weder der von Emmendörffer, aaO 95 Anm. 157 genannte bāqaʿ-Beleg Hab 3,9 noch der von anderen herangezogene bāqaʿ-Beleg Ex 14,21 f *Pg als Vergleichstext für Ps 74,15a in Frage. Zu Hab 3,9 s. Filitz, Gott, 197 f und Jeremias, Habakuk (BK), 242. 111 Von den von Emmendörffer, ebd. genannten jbš hif.-Belegen (Jos 2,10; 4,23; 5,1; Jes 42,15; 44,27; Jer 51,36) kommt allein Jes 44,27 als Vergleichstext für Ps 74,15b in Frage. Allerdings lässt sich dabei kein Exodusbezug erkennen, vgl. Elliger, Deuterojesaja I (BK), 473 f. Umgekehrt verfügen einige dieser jbš hif.-Belege zwar über einen Exodusbezug (so Jos 2,10; Jos 4,23; 5,1), doch ist der jeweilige Wasserterminus (Jos 2,10: Wasser des Schilfmeers; Jos 4,23; 5,1: Wasser des Jordan) nicht mit demjenigen von Ps 74,15b (Quelle und Bach) vergleichbar. 112 Metzger, aaO 92, vgl. Podella, Chaoskampfmythos, 307. 113 In V. 13a ist nicht vom „Spalten“ (bāqaʿ), sondern vom „Aufwühlen, in-Erregung-Versetzen“ (prr po.) des Meeres die Rede, vgl. Petersen, aaO 131 f. 114 S. dazu unten 399 ff. 106 So
§ 8 Schöpfung und Geschichte 317
Abb. 72: Kämpferischer Wettergott (Altsyr. Rollsiegel, 19./18. Jh. v. Chr.)
Königsherrschaft Gottes. Zusammen mit dem Rekurs auf die Etablierung der kosmischen Ordnungen von V. 16 f115 begründet sie das Bekenntnis zum rettenden Königsgott. Dieses Bekenntnis wird in V. 12 mit der gewichtigen qædæmAussage eröffnet, die ihrerseits auf V. 2 zurückverweist. Der König „von Urzeit her“ (miqqædæm), der – trotz politischen Katastrophe – weiterhin Rettungstaten „inmitten der Erde“ vollbringt (V. 12b), ist derselbe, der nach V. 2 aufgefordert wird zu „gedenken“: seiner Gemeinde, die er „von Urzeit her“ erworben und als Stamm seines Erbbesitzes erlöst hat, sowie des Berges Zion, auf dem er Wohnung genommen hat. Ein Exodusbezug könnte dabei insofern gegeben sein, als sich mit dem Begriff „Rettungstaten“ (ješûʿôt) die „Assoziation des Eingreifens Gottes im Kampf zugunsten der Seinen, besonders beim Exodus“116 verbindet. Dieser Bezug wird auch in V. 2 eine Rolle spielen, wo die heilvolle Anfangszeit des Gottesvolks als Zeit von Exodus, Landnahme und Einwohnung JHWHs auf dem Zion qualifiziert ist.117 Das uranfängliche Befreiungshandeln JHWHs hat in V. 2 und V. 12 demnach dasselbe Ziel, nämlich die Ansiedlung Israels auf dem „Erbland“ (naḥalāh) des Königsgottes vom Zion. Hier, am Ort des zerstörten Tempels, soll Gott jetzt genauso einschreiten (V. 1b–3a), wie er es in der mythischen Urzeit getan hat (V. 12–14): „Die doppelt beschworene ‚Urzeit‘, die des Auszugs aus Ägypten (V. 2) und die der Gründung der Erde (V. 12), werden als zwei Schritte in die gleiche Richtung dargestellt. Da Gott die in der ersten Urzeit überwundenen kosmischen Chaosmächte 115 S.
dazu Metzger, aaO 83 ff und Hartenstein, Unzugänglichkeit, 241 f. aaO 239. 117 Vgl. ders., aaO 230 ff, ferner Hossfeld/Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 363 (Zenger). 116 Hartenstein,
318 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt offensichtlich immer noch beherrscht, sollte es ihm ein Leichtes sein, das kleinere, ‚geschichtliche‘ Chaos zu überwinden.“118
Die kosmischen Ordnungen, deren Erschaffung und Erhaltung der schöpfungstheologische Passus V. 16 f anhand der Semantik des „Hinstellens“ (kûn hif.), „Festlegens“ (nṣb hif.) und „Bildens“ (jāṣar) eindrücklich preist, verleihen dieser Gewissheit denselben Nachdruck wie der Epilog der nichtpriesterlichen Flutzerzählung in Gen 8,22: Während aller Tage der Erde119 (gilt): Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht werden nicht aufhören.
Fällt die Welt, wie während der großen Flut (Gen *6,5–8,13 nP), „aus der Zeit heraus, dann ist dies ihr Untergang, ist sie dagegen in den jahreszeitlichen Rhythmus eingebunden, dann ist dies gleichbedeutend mit ihrem Gedeihen“120. Aus dieser Wahrnehmung der Dauerhaftigkeit, wie sie auch in Ps 74,16 f zum Ausdruck kommt, lässt sich „Hoffnung auf ein rettendes Eingreifen JHWHs auch für den Bereich der Erde, der Menschenwelt, schöpfen (vgl. V. 17a) … Der ‚Himmel‘ und seine Dauerhaftigkeit, wie sie sich in der regelmäßigen Bewegung von ‚Leuchte‘ und Sonne zeigt, ist in Ps 74,16 f ein eigenständiges Symbol für JHWHs Anwesenheit in der ‚Tiefe‘ der Welt geworden.“121 Diese Interpretation unterscheidet sich erheblich von derjenigen G. von Rads. Denn dieser hat auch Ps 74 konsequent geschichtstheologisch gelesen und das hymnische Bekenntnis von V. 12–17 ebenso wie die deuterojesajanischen und priesterlichen Schöpfungstexte dem „soteriologischen Verständnis der Schöpfung“122 zugeordnet. Seine Sorge war, dass die alttestamentlichen Schöpfungsüberlieferungen „um ihrer selbst willen betrachtet“123 und infolgedessen vom Geschichtshandeln JHWHs abgelöst werden könnten. Deshalb mussten sie so eng mit ihm verbunden werden, dass sie zu einer Funktion des Geschichtshandelns JHWHs wurden. Diesen funktionalen Zusammenhang nannte von Rad das „soteriologische Verständnis der Schöpfung“: „Die Schöpfung wird als ein Geschichtswerk Jahwes, als ein Werk in der Zeitstrecke gesehen. (…) Steht die Schöpfungsgeschichte aber in der Zeit, so hat sie endgültig aufgehört, ein Mythus zu sein, eine zeitlose, sich im Kreislauf der Natur ereignende Offenbarung.“124 Und mit Bezug auf das „mythische Kreislaufdenken“ des altorientalischen Weltbilds:
118 Keel,
Geschichte, 805. „Während der Dauer aller Tage der Erde“, s. zum Verständnis oben 122 Anm. 156. 120 Weippert, Welterfahrung, 180. 121 Hartenstein, aaO 242 f, vgl. zur Sache auch Keel/Schroer, Schöpfung, 188 ff. 122 S. dazu von Rad, Theologie 1, 149 ff und zu seiner Position oben 21 ff. 123 Ders., aaO 152. 124 Ders., aaO 152 f, vgl. ders., Problem, 142 f. 119 Wörtlich:
§ 8 Schöpfung und Geschichte 319
„Das Weltbild des alten Orients ist mehr oder minder deutlich geprägt von einem mythischen Kreislaufdenken, also von einem Denkschema, das gerade das sakrale Geschehen vom Rhythmus naturhafter Ordnungen her begriff. Diese umfassende Vorstellungswelt entstammte dem Anschauen der Gestirnwelt und der davon abhängigen naturhaften Rhythmik der Erde. Im Mythus verarbeitete der Mensch der Frühe urtümliche Machterlebnisse, die ihn in seinem Lebensraume beschäftigten, – und auch Ordnungen sind Machterlebnisse! Es ist der Grund der Welt und das sie tragende rhythmische Geschehen, das er in ihnen wahrnimmt und das er gottheitlich anschaut. In den theogonischen Mythen ebenso wie in den Mythen vom göttlichen ἱερὸς γάμος und in denen vom Göttersterben ist es immer diese im Grunde zyklische Naturordnung, der die altorientalischen Völker göttliche Dignität zuerkannt haben und die sie ganz unmittelbar als ein gottheitliches Geschehen wahrnahmen. Dieses sakrale Weltverständnis ist wesentlich geschichtslos; jedenfalls hat in ihm gerade das, was Israel als für seinen Glauben konstituierend ansah, nämlich die Einmaligkeit innergeschichtlicher göttlicher Heilstaten, schlechterdings keinen Raum.“125
Wir treffen hier auf dieselbe Argumentationsfigur wie bei von Rads Analyse von Dtn 26,1–11, nämlich die scharfe Antithese von linearem Geschichtsglauben und zyklischer Naturordnung, die er erstmals in seinem frühen Aufsatz „Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens“ (1936) formuliert und in seiner späten Studie „Aspekte alttestamentlichen Weltverständnisses“ (1964) wiederholt hat.126 Auch wenn deren Sachgemäßheit inzwischen vielfach in Frage gestellt wurde,127 hält sie sich dennoch hartnäckig als „ideelles Konstrukt“128. Was demgegenüber Ps 74,12–17 und vergleichbare Texte wie Ps 89,10–15; Jes 51,9 f und Hi 26,12 zeigen, ist eine umfassende, für den alttestamentlichen Schöpfungsglauben konstitutive Mythisierung der Geschichte. Mythisierung der Geschichte bedeutet aber nicht, wie von Rad unterstellte, die Überführung der Geschichte in Zeitlosigkeit, sondern vielmehr die Grundlegung der Geschichte durch fundamentale, immer und überall gültige Aspekte, die die Verbindung zum Ursprung von Leben und Geschichte herstellen und verstetigen.129 Durch diesen, in Ps 74,12–14 eindrücklich zu Tage tretenden Ursprungsbezug erhält das kontingente Rettungshandeln JHWHs den Aspekt der Dauer, den nach Ps 74,16 f 125 Ders.,
Theologie 2, 120 (H. v. m.), s. dazu die Kritik bei Janowski, Doppelgesicht, 85 ff (dort weitere Lit.). 126 S. dazu von Rad, Problem, 136 ff; ders., Aspekte, 311 und dazu oben 21 ff. 127 S. dazu Schmidt, Schöpfung, 267 ff; Keel/Schroer, aaO 15 ff; Janowski, aaO 82 ff und ders., Anthropologie, 385 ff.388 ff. 128 Keel/Schroer, aaO 11. 129 Nach Müller, Mythos, 46 gewinnt die Geschichte erst durch „eine Mythisierung, die das erzählte Geschehen wunderhaft ausstattet und in einen sinnhaften Zusammenhang stellt, … religiöse Relevanz“, s. zur Sache auch Grund, Himmel, 333 ff; Keel/Schroer, aaO 22.188 ff u. ö.; Irsigler, Mythos, 21 f mit Anm. 19 u. a. Einen forschungsgeschichtlichen Überblick über die Verwendung der Begriffe „Mythisierung“ und „Historisierung“ in der alttestamentlichen Wissenschaft gibt Kloos, YHWH’s Combat, 158 ff.
320 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
auch die kosmischen, vom Schöpfergott inaugurierten Vorgänge am Himmel und auf der Erde haben. Diese Interpretation lässt sich durch eine literaturwissenschaftliche und gattungskritische Bestimmung des Mythosbegriffs noch vertiefen. Für den altorientalischen und alttestamentlichen Bereich kommen dabei vor allem folgende Merkmale in Frage:130 – Der Mythos ist eine Redeform, die als Erzählung oder Geschichte von Geschehnissen und Handlungen spricht, die für das Selbstverständnis einer Kultur bedeutsam sind. – An den erzählten Ereignissen sind numinose Wesen (Gott, Göttin, mehrere Gottheiten) in ihrem gegenseitigen Verhältnis sowie im Verhältnis zur Welt der Menschen beteiligt. – Der als Mythos erzählte Vorgang verläuft in der Regel unumkehrbar von einem Zustand der Instabilität zu einem Zustand der Stabilität. Diese Unumkehrbarkeit gilt auch dann, wenn die erzählten Ereignisse auf „regelhafte Abläufe in Natur- und Menschenwelt“131 bezogen sind. – Die Handlungszeit des Mythos liegt in einer „prototypische(n) Zeit, in der eine gegenwärtige Existenz begründet wird“132. Die mythische Urzeit ist eine absolute Vergangenheit, die – so sehr der individuelle/kollektive Zeithorizont auch ‚weiterwandert‘ – immer gleich weit entfernt ist. Überbrückt wird diese Distanz zum Uranfang durch den Tempelkult und dessen kosmologische Symbolik.133 – Im Mythos werden anthropologische Grunderfahrungen thematisiert, die eine exemplarische, d. h. begründende, legitimierende oder deutende Valenz für die gegenwärtige Erfahrungswirklichkeit haben.
Wenn man diese Aspekte in Rechnung stellt, wird auch die Funktion mythischer Rede in Ps 74 deutlich. Es geht in ihr nicht um eine Außer-Kraft-Setzung der Geschichte, sondern um deren Fundierung durch den Rekurs auf den grundlegenden Anfang sowie um die Ingang-Haltung der Schöpfung durch Integration stets gültiger Aspekte der natürlichen Welt – wie Tages- und Jahreszyklus, Bewegung der Himmelskörper,134 Stabilität der Raumgrenzen –, an denen Israel die Macht des rettenden Königsgottes ‚abgelesen‘ hat. Nicht den „Prozeß einer tiefgehenden 130 S.
dazu auch Irsigler, aaO 9 ff, ferner Petersen, Mythos, 1 ff und Assmann/Assmann, Art. Mythos, 179 ff. 131 Irsigler, aaO 14. 132 Müller, Elementarform, 217. 133 S. dazu unten 347 ff. 134 Nach Gen 1,14–19 bestimmen die regelmäßigen Bewegungen der Himmelskörper, die als Geschöpfe Elohims diesem subordiniert sind, die kultischen Ereignisse und den Festkalender, s. dazu Hartenstein, Unzugänglichkeit, 243 f und umfassend Albani, Israels Feste, 111 ff. Bezeichnend ist wieder der diesbezügliche Kommentar zu Gen 1,14 ff bei von Rad: „Um die Bedeutung dieser Sätze zu ermessen, muß man bedenken, daß sie formuliert sind in einer kulturell-religiösen Gesamtatmosphäre, die geschwängert war von allerlei astrologischem Afterglauben. Das gesamte altorientalische (nicht das alttestamentliche!) Zeitdenken ist bestimmt von dem zyklischen Lauf der Gestirne“ (von Rad, Genesis [ATD], 35). Nicht das zyklische Zeitverständnis ist für Gen 1,14 ff das Problem, sondern die Frage einer schöpfungstheologischen Subordination der Gestirne – deren regelmäßiges Erscheinen am Tages- und Nachthimmel und ihre damit verbundene ‚Herrschaft über die Zeit‘ vom Text natürlich
§ 8 Schöpfung und Geschichte 321
Entmythologisierung“135 geben Ps 74 und verwandte Texte zu erkennen, sondern die enge Korrelation von Mythos und Geschichte. Durch seine „Rettungstaten“ (Ps 74,12b), so das hymnische Bekenntnis von Ps 74,12–17 – bringt JHWH seine Königsherrschaft zur Geltung – in den Bedrängnissen der Gegenwart nicht weniger machtvoll als in der mythischen Urzeit. b) Schöpfer der Welt und Retter Israels (Ps 136) Altes Testament: Auffret, Grâce, 7 ff ◆ Brettler, Psalm 136, 373 ff ◆ Gärtner, Geschichtspsalmen, 293 ff ◆ Hartenstein, Bedeutung, 347 ff ◆ Ders., JHWH, 404 f ◆ Human, Psalm 136, 73 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 123 ff.184 ff ◆ Klein, Geschichte, 307 ff ◆ Levin, Psalm 136, 17 ff ◆ Macholz, Psalm 136, 177 ff ◆ von Rad, Problem, 137 f ◆ Scoralick, Hallelujah, 253 ff. – Antike Religionen: Neuwirth, Psalmen, 168 ff ◆ Dies., Zeit, 325 ff ◆ Dies., Koran 1, 586 ff.
Wie wir sahen, wird der Zusammenhang von Schöpfung und Geschichte in Jes 40–55, in Ez 40–48 in Ps 74 unterschiedlich gewichtet. Weitere Texte bzw. Textkomplexe sind die priesterliche Sinaigeschichte Ex *24,15–40,35136 und der Geschichtspsalm Ps 136, der von G. von Rad als Beleg für seine These vom Erwählungsglauben als dem Fokus der alttestamentlichen Schöpfungstheologie herangezogen wurde.137 Der prägnante Text, dessen Komposition allerdings in eine andere Richtung weist, lautet folgendermaßen (die Antiphon „ja, seine Güte ist für fernste Zeit“ ist immer kursiv gesetzt): Aufforderung zum Gotteslob 1 Preist (jdh hif.) JHWH, denn er ist gut (ṭôb), ja, seine Güte (ḥæsæd) ist für fernste Zeit! 2 Preist den Gott der Götter, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 3 Preist den Herrn der Herren, ja, seine Güte ist für fernste Zeit!
Weltschöpfung 4 Der große Wundertaten tut,138 er allein,139 ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 5 Der den Himmel gemacht hat mit Einsicht, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! nicht in Zweifel gezogen wird, s. dazu auch Albani, Gott, 12 f; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 53 ff und zum Text von Gen 1,14–19 unten 486 (Anhang I). 135 Von Rad, Theologie 1, 40, s. dazu Janowski, Doppelgesicht, 87 Anm. 42. 136 S. dazu unten 357 ff. 137 S. dazu oben 21 f. Zu Ps 136 s. außer den Kommentaren noch Macholz, Psalm 136, 177 ff; Scoralick, Hallelujah, 253 ff; Human, Psalm 136, 73 ff; Hartenstein, Bedeutung, 347 ff; Gärtner, Geschichtspsalmen, 293 ff; Klein Geschichte, 310 ff.318 ff u. a. Im Unterschied zu Ps 136 beschränkt sich das Schöpferhandeln JHWHs nach Ps 78; 105 und 106 auf „das in der Geschichte versorgende Handeln JHWHs als creatio continua“ (Gärtner, aaO 317). 138 Der Textzusammenhang V. 4–25 wird durch eine Kette von Partizipien gestaltet, die durch die Dativpartikel le an die Gottesnamen bzw. -titel in V. 1–3 zurückgebunden und in einzelnen Versen durch weitere Verben ergänzt sind. 139 Mit lebadô „(für sich) allein“ wird „in einem monotheistischen argumentierenden Sinn die Souveränität des Gottes Israels“ (Hartenstein, JHWH, 405) akzentuiert.
322 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt 6 Der die Erde ausgebreitet hat über den Wassern, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 7 Der große Lichter gemacht hat, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 8 Die Sonne zur Herrschaft am Tag, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 9 Den Mond und die Sterne zur Herrschaft in der Nacht, ja, seine Güte ist für fernste Zeit!
Exodus und Wüstenwanderung 10 Der Ägypten schlug an ihren Erstgeborenen, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 11 Und Israel herausführte aus ihrer Mitte, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 12 Mit starker Hand und ausgestrecktem Arm, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 13 Der das Schilfmeer zerteilte in Stücke, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 14 Und Israel mitten hindurchführte, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 15 Und den Pharao und sein Heer ins Schilfmeer geschüttelt hat, ja, seine Güte ist für fernste Zeit!140 16 Der sein Volk durch die Wüste führte, ja, seine Güte ist für fernste Zeit!
Landgabe im Ostjordanland 17 Der große Könige schlug, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 18 Und starke Könige tötete, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 19 Sichon, den König der Amoriter, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 20 Und Og, den König von Baschan, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 21 Und ihr Land als Erbland gab, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 22 Als Erbland für Israel, seinen Knecht, ja, seine Güte ist für fernste Zeit!
Rettung Israels und Versorgung aller Geschöpfe 23 Der in unserer Erniedrigung unser gedachte, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 24 Und uns unseren Bedrängern entriss, ja, seine Güte ist für fernste Zeit! 25 Der Nahrung gibt allem Fleisch, ja, seine Güte ist für fernste Zeit!
Abschließende Aufforderung zum Gotteslob 26 Preist den Gott des Himmels, ja, seine Güte ist für fernste Zeit!
Der Text gliedert sich in eine Aufforderung zum Gotteslob (V. 1–3),141 einen Passus zur Weltschöpfung (V. 4–9), einen heilsgeschichtlichen Abriss mit den The-
140 In
V. 13–15 (zu beachten ist die Inclusio durch den Terminus „Schilfmeer“ in V.13/15) werden die Ereignisse am Schilfmeer nicht im strengen Sinn historisch bzw. historisierend nacherzählt, sondern in mythische Farben getaucht. Das zeigt in V. 13 das Verb „zerschneiden, zerteilen“ (gāzar), das eine Reminiszenz an den Chaoskampf darstellt, s. dazu Enūma eliš IV 135 ff (s. Q 62), ferner Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HTHK.AT), 680 und Gärtner, aaO 306. Vom „Schütteln“ (nʿr pi.) des ägyptischen Heeres ins Schilfmeer durch JHWH (V. 15) ist auch in Ex 14,27 die Rede; für den mythologischen Hintergrund kann man auf Hi 38,12 f verweisen: „Hast du in deinem Leben je dem Morgen geboten, der Morgenröte ihren Platz angewiesen, damit sie die Enden der Erde erfasse, sodass die Frevler von ihr abgeschüttelt werden (nʿr nif.)?“, s. dazu Fuchs, Mythos, 201 ff und oben 135. 141 Zu den Adressaten des Gotteslobs (ursprünglicher Sitz im Leben, Psalterkontext) s. Hossfeld/Zenger, aaO 678 (Zenger).
§ 8 Schöpfung und Geschichte 323
men Exodus, Wüstenwanderung, Landnahme bzw. Landgabe (V. 10–22)142 sowie einen Abschnitt über die Rettung Israels und die Versorgung aller Geschöpfe (V. 23–25). Die abschließende Aufforderung zum Gotteslob in V. 26 schlägt den Bogen zum Anfang und greift mit der Wendung „Gott des Himmels“ die Schöpfungsperspektive von V. 5 auf. Der Passus über die Weltschöpfung in V. 4–9, der thematisch an bestimmte Aussagen in Gen 1,6–19 anknüpft und mit dem Terminus tebûnāh „Einsicht“ (V. 5) die Verbindung zur weisheitlichen Schöpfungstheologie herstellt (vgl. Spr 3,19),143 besteht aus zwei Unterabschnitten zur raumzeitlichen Struktur der Schöpfung:144 Himmel und Erde als Bereiche des Weltgebäudes 4 Der große Wundertaten tut, er allein 5 Der den Himmel gemacht hat mit Einsicht 6 Der die Erde ausgebreitet hat über den Wassern
vgl. Gn 1,6–13 (2.–3. Tag)
Sonne und Mond zur Bestimmung des Zeitrhythmus 7 Der große Lichter gemacht hat 8 Die Sonne zur Herrschaft am Tag 9 Den Mond und die Sterne zur Herrschaft in der Nacht
vgl. Gen 1,14–19 (4. Tag)
Abb. 73: Zur Struktur von Ps 136,4–9
Mit V. 25145 kehrt der Text nach der Darstellung der Geschichtstaten JHWHs in V. 10–22 zum Thema „Schöpfung“ zurück und ergänzt das in V. 4–9 beschriebene göttliche Schöpfungshandeln um den Aspekt der creatio continua (vgl. Ps 104,27 f; 145,15 f ): 23 Der in unserer Erniedrigung unser gedachte 24 Und uns unseren Bedrängern entriss 25 Der Nahrung gibt allem Fleisch
Insofern entbehrt die These G. von Rads, dass in Ps 136 Schöpfungs- und Geschichtsaussagen ganz unverbunden nebeneinander stehen und der Höhepunkt des Psalms in V. 10–22 zu sehen ist,146 der Grundlage. Im Gegenteil: Der Abschnitt über die Weltschöpfung in V. 4–9 und der Schlußvers zur Versorgung aller Geschöpfe in V. 25 bilden einen schöpfungstheologischen Rahmen um die
142 Dabei
wird die pentateuchische Ereigniskette auf zentrale Topoi reduziert. Hartenstein, aaO 404 f und unten 427 f. 144 S. dazu ausführlich Gärtner, aaO 301 ff und Brettler, Psalm 136, 381 ff. 145 V. 23–25 haben immer wieder Anlass zu literarkritischen Hypothesen gegeben, s. dazu die Diskussion bei Gärtner, aaO 297 Anm. 21. 146 S. dazu von Rad, Problem, 138. Von Rad übersieht dabei, dass alle (!) Abschnitte des Psalms durch die Antiphon „ja, seine Güte ist für fernste Zeit“ miteinander verbunden und aufeinander bezogen werden. 143 Vgl.
324 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Geschichtstaten JHWHs in V. 10–22.147 V. 25 ist dabei nicht nur die Fortsetzung des vorangehenden Resümees der Geschichtstaten JHWHs (V. 23 f ), sondern er bildet auch die „Gesamtunterschrift des Psalms und korrespondiert insofern dessen Überschrift in V. 4: ‚Der allein große Wundertaten tut‘“148. Schöpfung und Geschichte sind die beiden Seiten der schöpferischen und rettenden Zuwendung Gottes, die der Text in jedem (!) Vers in den Begriff seiner immer währenden „Güte“ (ḥæsæd) fasst.149 So belegt Ps 136 gegenüber der These G. von Rads, dass die Schöpfung im Psalter und bei Deuterojesaja lediglich eine Funktion der Erwählung sei, das genaue Gegenteil: sie ist ein „eigenständiger Aspekt des göttlichen Handelns“, der im Unterschied zu Ps 78; 105 und verwandten Texten „der paradigmatischen Frühgeschichte (sc. Israels) … vorgeschaltet (ist)“150. Im Blick auf die nachbiblische Rezeptionsgeschichte von Ps 136 ist vor allem auf Sure 55 („Der Barmherzige“) des Koran hinzuweisen, der A. Neuwirth mehrere Studien gewidmet hat (zum Text s. Q 183). Dieser Text ist Neuwirth zufolge „nicht nur eine exegetische Bearbeitung von Ps 136, sondern eine theologische Neulektüre, ein als solcher intendierter Gegentext …, ein Gegentext der vor allem das psalmistische Verständnis von Zeit und Ewigkeit verhandelt und neu bewertet“151. Dafür spricht vor allem der die gesamte Sure ab V. 13 durchlaufende Kehrvers, der im Unterschied zu Ps 136 in eine an Menschen und Dämonen gerichtete rhetorische Frage gekleidet ist: „Ja, welche Gnadengaben (oder: Zeichen) eures Herrn wollt ihr denn leugnen?“ Zwei Hauptideen durchziehen die Sure, die sich grob in die drei Abschnitte Hymnus I (V. 1–13), Hymnus II (V. 14–36) und Eschatologische Szenerie (V. 37–78) gliedern lässt: zum einen die Ordnung des Kosmos und zum anderen die klare Sprache, die der Barmherzige den Menschen gelehrt hat. Der Höhepunkt ist der eschatologische Schlussteil (V. 37–78), der eine doppelte Paradiesbeschreibung enthält (V. 46–61 und V. 62–77). Diese Paradiesbeschreibung tritt, so Neuwirth, an die Stelle des heilsgeschichtlichen Abrisses in Ps 136,10–22: „Die in den Psalmen entwickelte Geschichtserinnerung hat im frühen Koran keine Entsprechung, wo Geschichte zumeist Vernichtungsgeschichte ist; an ihrer Stelle steht im Koran die Vervollkommnung der Schöpfung im Paradies …“152
147 Vgl.
Hartenstein, Bedeutung, 348; Hossfeld/Zenger, aaO 670 (Zenger) und Gärtner, aaO 296. Verwunderlich ist das Bekenntnis von Macholz, Psalm 136, 185: „Diesen Vers verstehe ich nicht, jedenfalls nicht im Kontext von Psalm 136“ – was wiederum ich nicht verstehe. Denn in V. 25 ist analog zum fortwährenden Bewahrungshandeln JHWHs in V. 23 f von dessen fortwährendem Erhaltungshandeln die Rede, s. dazu auch Hartenstein, aaO 337.347 ff. 148 Hartenstein, aaO 348, vgl. Gärtner, aaO 312, die darüber hinaus auf die Korrespondenz des Verbs „geben“ (nātan) in V. 25 (Nahrung, vgl. Ps 104,27) und V. 21 (Land) aufmerksam macht: „Auf diese Weise stellt die Gabe des Landes sowie die Versorgung mit Nahrung die Fürsorge des Herrn der Geschichte sowie die des Schöpfers heraus“ (im Original z. T. kursiv). 149 Zum Relationsbegriff ḥæsæd „Hingabe, Güte“ s. Janowski, Anthropologie, 189 ff. 150 Gärtner, aaO 317. 151 Neuwirth, Zeit, 325. 152 Dies, aaO 338. Zum Vergleich von Ps 136 mit Sure 55 s. dies., Koran 1, 613 ff.
§ 8 Schöpfung und Geschichte 325
3. Fazit: Die universale Macht des Schöpfers Das Thema „Schöpfung und Geschichte“, so dürfte deutlich geworden sein, ist ein wahrhaft weites Feld. Paradigmatisch dafür sind neben dem priesterlichen Geschichtswerk (Pg ) und seiner Motivkombination Schöpfung und Tempel153 die Korrelation von Mythos und Geschichte in Ps 74, das Motiv der Rückkehr JHWHs zum Zion in Ez 40 ff sowie der Zusammenhang von Schöpfung und Heilsgeschichte in Ps 136. Dazu kommen kleinere und größere Abschnitte in Ex 14; Ps 78; 105; 106; 135; Jer 27,5 f; 32,17 und Sir 24,1 ff, die spezifische Aspekte wie den Chaoskampf, den Licht/Finsternis-Gegensatz, die Ingang-Haltung der Schöpfung (creatio continua), die erneuerte Lebensförderung oder die Fürsorge des Schöpfers einbringen. Die folgende Übersicht führt die Haupttexte, die ausnahmslos der exilisch-nachexilischen Zeit angehören, in kanonischer Reihenfolge auf: Priesterl. Geschichtswerk (Pg) Gen 1,1–2,3 (Schöpfung)/Ex *24,15–40,35 (Tempel) Meerwundererzählung Ex 14,1–31 („Spalten“ des Meeres: V. 16.21b; Finsternis/ Licht: V. 20 f.24 [Nacht]/V. 27 [Morgen])154 Grundschicht von DtJes Jes *40–55 (40,12–31; 42,5; 44,24; 45,18 u. a.) Späte Jer-Texte Jer 27,5 f; Jer 32,17155 Ez *8–11; 40–48 Ez 10 f (Auszug der Herrlichkeit JHWHs: 11,22 f )/40–48 (Einzug der H. J.: Ez 43,*1–9; Tempelquelle: Ez 47,1–12)156 Klagelied des Volkes Ps 74 (Schöpfung und Chaoskampf: V. 12–17) Geschichtspsalmen Ps 78 (Schöpfer und Geschöpfe: V. 12–39;157 Gründung der Erde: V. 69); Ps 105 (Bewahrung Israels durch den Schöpfer: V. 16–41)158; Ps 106 (Rettung am Meer mit Reminiszenzen an den Chaoskampf: V.7–12)159; Ps 135 (Schöpfung: V. 6 f )160; Ps 136 (Schöpfung: V. 4–9; Chaoskampf: V. 13; Erhaltung: V. 25) Lob der Weisheit Sir 24,1–12 (Einwohnung der schöpferischen Weisheit in Jakob/Israel)161
Abb. 74: Texte zum Thema „Schöpfung und Geschichte“ im Alten Testament 153 S.
dazu unten 357 ff. Funktion der mythischen Aussagen in Ex 14 s. Utzschneider/Oswald, Exodus I (IEKAT), 294 f. Deren These: „Die politische Theologie nimmt die Stelle des Mythos ein“ (295) greift m. E. aber zu kurz, wiewohl JHWHs Eingreifen als ein politisches zu verstehen ist. Demgegenüber spricht Irsigler, Gottesbilder, 232 ff zu recht von der Mythisierung der Geschichte: „Durch Mythisierung erhält das Rettungsgeschehen am Meer in ‚P‘ eine archetypische prinzipiell-paradigmatische Bedeutung“ (235). 155 Zu Jer 27,5 f s. oben 278, zu Jer 32,17 s. Stipp, Jeremia II (HAT), 314 f. 156 Zu Ez 47,1–12 s. unten 364 ff. 157 Innerhalb des Abschnitts V. 12–16 ist wie in Ex 14,16.21b vom „Spalten“ (bāqaʿ) des Meeres die Rede. Subjekt ist hier aber nicht Mose, sondern JHWH selber. 158 Zu den Schöpfungsaussagen in Ps 104 s. unten Anm. 160. 159 In V. 9 ist vom „Schelten“ (gāʿar) JHWHs die Rede, s. dazu Caquot, Art. gāʿar, 51 ff. 160 Zu den Schöpfungsbezügen in Geschichtspsalmen Ps 78; 105; 106 und 135 s. Gärtner, aaO 61 ff.164 ff.169 ff.176 ff.241 ff.328 ff. 161 S. dazu unten 440 ff. 154 Zur
326 III.2 Die Welt als Schöpfung – Aspekte der geschichtlich-sozialen Welt
Seine theologische Grundlegung erfährt das Thema „Schöpfung und Geschichte“ in der Grundschicht von Jes 40–55. Hier dürften auch seine historischen Anfänge liegen. Dieser Sachverhalt sei abschließend noch einmal herausgestellt. Weltschöpfer und Geschichtslenker Die entscheidende theologische Weichenstellung im Blick auf das Thema „Schöpfung und Geschichte“ vollzog sich nach den aus dem 8./7. Jh. v. Chr. stammenden Bezeugungen von der Überlegenheit des Königsgottes vom Zion gegenüber den Chaosmächten (Ps 93; 46; 48 u. a.)162 in der Grundschicht von Jes 40–55. In Auseinandersetzung mit der babylonischen Marduktheologie wurde hier die „Wahrnehmung des langzeitigen Geschichtshandelns JHWHs im Rahmen seines Schöpferhandelns“163 reflektiert und damit der Glaube artikuliert, dass der Israelgott der alleinige Schöpfer der Welt und Lenker der Geschichte ist. Der locus classicus dieses Glaubens ist das Disputationswort Jes 40,12–31, dessen Unvergleichlichkeitsaussagen (V. 18.20–26) den zweifelnden Zeitgenossen die universale Macht des über dem (Horizont-)Kreis der Erde thronenden Schöpfergottes (V. 22) vor Augen führen. Aufgrund dieser Position ist dem Weltschöpfer alles untergeordnet: die irdischen (V. 23 f ) ebenso wie die himmlischen (V. 25 f ) Mächte und Gewalten. Während es in Jes *40–55 um die himmlische Wohnstatt JHWHs geht, spricht Ez 40–48 von der irdischen Wohnstatt, zu der JHWH nach seinem Auszug aus dem Tempel (Ez *8–11) wieder zurückkehrt. Diese Rückkehr wird in Ez 43,*1–9 mit lichthaften Aspekten ausgestaltet, die solar konnotiert sind und die „durch Theophanietopoi in Szene gesetzt (werden)“164: Und siehe, die Herrlichkeit des Gottes Israels kam von Osten (qædæm) her, (…) und die Erde leuchtete (ʾwr hif.) von seiner Herrlichkeit (V. 2).165
Mythische Urzeit und historische Jetztzeit Der Zusammenhang von Schöpfung und Geschichte prägt in unterschiedlicher Weise auch die Psalmen Ps 74; 78; 105; 106; 135 und 136. Dabei geht es neben der Ortsbindung der Geschichtstaten Gottes im/am Jerusalemer Tempel (Ps 74) bzw. in Ägypten, am Schilfmeer und im Ostjordanland (Ps 136) um die Lange162 S.
dazu unten 333 ff. Bedeutung, 339 (H. i.O). 164 Konkel, Architektonik, 264. Das „Erstrahlen“ der Erde/des Landes durch die von Osten kommende Herrlichkeit JHWHs ist als „Sonnenaufgang“ vorzustellen, vgl. ders., ebd. 165 V. 2bα stellt eine Fortschreibung dar, s. dazu unten 494 f (Anhang I). Dass der Tempel, in den die Lichtherrlichkeit JHWHs zurückkehrt, wieder zu einem Ort wird, von dem die Kräfte des blühenden Lebens ausgehen, zeigt der Abschnitt über die Tempelquelle in Ez 47,1–12, s. zum Text unten 495 f (Anhang I) und zur Bedeutung unten 364 ff. 163 Hartenstein,
§ 8 Schöpfung und Geschichte 327
zeitwirkung des göttlichen Heilshandelns von der mythischen Urzeit bis in die bedrängende Gegenwart. Das zeigt sehr klar das exilische Volksklagelied Ps 74, in dessen Zentrum das hymnische Bekenntnis zum „König von Urzeit her“ steht (V, 12–17). In diesem Bekenntnis geht es nicht um eine Außer-Kraft-Setzung der Geschichte, sondern um deren Fundierung durch den Rekurs auf die Überwindung des Chaos (V. 13 f ) sowie durch die Integration stets gültiger Aspekte der natürlichen Welt – wie den Tages- und Jahreszyklus und die Stabilität der Raumgrenzen (V. 16 f ) –, an denen Israel von jeher die Macht des rettenden Königsgottes ‚abgelesen‘ hat. Auch in dem nachexilischen Geschichtspsalm Ps 136 ist die Schöpfung kein Randthema. Vielmehr bilden die Schöpfungs- und Erhaltungsaussagen von V. 4–9 und V. 25 eine Klammer um die Geschichtsaussagen von V. 10–22 und liegen ihnen – das gilt jedenfalls für V. 4–9 – sachlich voraus.166 Selbst das Rettungsgeschehen am Meer wird in V. 13 als Chaoskampf stilisiert167 und erhält auf diese Weise eine urzeitliche Dimension. Die Korrelation von Schöpfung und Geschichte spielt auch in den übrigen Geschichtspsalmen (Ps 78; 105–106; 135) eine konstitutive Rolle. Denn sie setzen „Jhwh nicht nur als Herrn der Geschichte, sondern auch als Schöpfer der Welt voraus“168.
166 Vgl.
Gärtner, Geschichtspsalmen, 317. dazu oben 322 Anm. 140. 168 Dies., aaO 374. 167 S.
III Die Welt als Schöpfung – Themenfelder 3. Aspekte des religiösen Symbolsystems
D
er Anblick muß immer wieder überwältigend gewesen sein: Der Baby„ lonier oder Assyrer, der sich über Land oder auf einem der Flüsse zu Schiff einer großen Stadt näherte, sah aus der flachen, nahezu ungegliederten Ebene schon von weitem die Silhouette des Tempelturmes aufragen, der über dem Meer flacher niedriger Wohnbauten aufstieg, an seiner Spitze die manchmal mit glasierten Ziegeln verkleidete Tempelfassade“ (Röllig, Turm, 35). Das gilt besonders für die unter Nebukadnezar II. (605–562 v. Chr.) vollendete Ziqqurrat von Babylon, die den sumerischen Namen Etemenanki trägt, womit das Marduk-Heiligtum als kosmisch dimensioniertes Bauwerk, als „Haus (das das) Fundament von Himmel und Erde (ist)“ bezeichnet ist (s. unten 352). Auch der Jerusalemer Tempel wird als Ort der kosmischen Ordnung und paradiesischen Fülle gepriesen. Was immer über das in 1 Kön 6 f (vgl. 2 Chr 2–4) beschriebene Tempelgebäude historisch und baugeschichtlich anzumerken ist – seine religiöse Symbolik lassen auch diese Kapitel erahnen, wenn sie die Kesselwagen (1 Kön 7,27–39), das „Eherne Meer“ (1 Kön 7,23–26) oder das kolossale Kerubenpaar (1 Kön 6,23–28) ebenso detailgenau wie suggestiv beschreiben. Symbolische und theologische Aspekte prägen auch die Motivkonstellationen Schöpfung und Chaos sowie Schöpfung und Weisheit. Von allen drei Themenfeldern ist im Folgenden die Rede.
§ 9 Schöpfung und Tempel Das ist das Wüstenheiligtum, denn es heißt: Und es war am Tage, da Moses vollendete, die Wohnung aufzurichten (Num 7,1), denn die Welt wurde mit ihr errichtet. R. Jehoschua b. Levi (sagt) i. N. R. Schimon b. Jochais: Eine Wohnung aufzurichten, steht nicht geschrieben, sondern die Wohnung aufzurichten. Was wurde (nämlich) mit ihr aufgerichtet? Die Welt wurde mit ihr aufgerichtet! Midrasch Pesiqta deRab Kahana, 8 f zu Num 7,11
Wenn es einen Ort in der Welt gibt, an dem die Schöpfung gefeiert und vergegenwärtigt wird, dann ist es der Tempel mit seinen Riten, Hymnen und Gebeten. Jedenfalls gilt das für die meisten Kulturen der vorderorientalischen Antike. Das Fest ist der religiöse Kontrapunkt zur Alltagswelt, an dem die Besinnung auf die Ursprünge stattfindet und die großen Gefühle wie Jubel und Ergriffenheit aufwallen.2 So zutreffend diese Feststellung ist, so notwendig ist es, sie religions- und motivgeschichtlich zu konkretisieren. Das zeigt auch die obige Passage aus dem Midrasch Pesiqta deRab Kahana, die ebenso tiefsinnig wie rätselhaft ist: Warum wurde die Welt „gefestigt“, als das Wüstenheiligtum „aufgerichtet“ wurde? Und wie wird die vom Midrasch kommentierte priesterliche Heiligtumskonzeption von dieser selber entfaltet?3 Die Aufgabe besteht demnach darin, die alttestamentlichen Texte zum Thema „Schöpfung und Tempel“ verständlich zu machen, indem ihre jeweilige theologiegeschichtliche Position profiliert wird. Das soll in der folgenden Skizze geschehen. 1. Irdische und himmlische Wohnstatt JHWHs Altes Testament: Albertz, Religionsgeschichte, 200 ff ◆ Clifford, Cosmic Mountain ◆ Ego, Tempeltheologie, 36 ff ◆ Dies., Herr, 556 ff ◆ Hartenstein, Unzugänglichkeit ◆ Ders., Wolkendunkel, 125 ff ◆ Ders., Bedeutung, 337 ff ◆ Ders. JHWH, 383 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 1
Zitiert nach Schäfer, Tempel, 132 (H. i. O.). Der Text setzt folgendermaßen fort: „Ehe das Wüstenheiligtum aufgerichtet wurde, schwankte die Welt; (aber) von dem Augenblick an, da das Wüstenheiligtum aufgerichtet wurde, wurde die Welt gefestigt. Deswegen heißt es: Und es war am Tage, da Moses vollendete, die Wohnung aufzurichten (Num 7,1)“. 2 S. dazu Assmann, Mensch, 13 ff und Janowski, Fest, 39 ff. 3 Zur Korrelation von Schöpfung und Tempel in der Priesterschrift s. unten 357 ff.
332 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 381 ff ◆ Janowski, Tempel, 216 ff ◆ Ders., Art. Königtum Gottes, 1591 ff ◆ Ders., Wohnung, 27 ff ◆ Ders., Himmel, 237 ff ◆ Jeremias, Theologie, 29 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 99 ff.338 ff ◆ Ders., Weltbild, 157 ff ◆ Ders., Geschichte, 264 ff ◆ Koch, Wohnstatt, 3 ff.15 ff.229 ff ◆ Leuenberger, JHWH, 245 ff ◆ Metzger, Wohnstatt, 1 ff ◆ Niehr, Art. Tempel, 387 ff ◆ Schmid, Himmelsgott, 111 ff ◆ Steck, Friedensvorstellungen, 13 ff. – Antike Religionen: Eberhart, Kult, 168 ff ◆ Ego, Himmel ◆ George, House ◆ Lichtenberger, Olymp ◆ Maier, Tempel, 371 ff ◆ Ders., Zwischen, 218 ff ◆ Zgoll, Welt, 19 ff ◆ Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 269 ff.312 ff.
Irdische und himmlische Wohnstatt JHWHs – mit den Adjektiven „irdisch“ und „himmlisch“ sind die Sphären bezeichnet, die in der mental map des alten Israel und seiner altorientalischen Umwelt die Eckpunkte des vertikalen Weltbilds markieren. Dazu tritt mit den „Tiefen“ noch die unterirdische Dimension hinzu (s. Abb. 75).4 Jhwh in der Höhe (Ps 93,4 u. a.)
Gott der ganzen Erde ganze Erde (Ps 48,3)
Berge Judas
Gott Jerusalems Berg/Paläste/Stadt (Ps 48,2 f )
Berge Judas
Gott der ganzen Erde ganze Erde (Ps 48,3)
Tiefe(n)
(Ps 95,4 u. a.)
Abb. 75: Zur Kosmologie der Jerusalemer Tempeltheologie (nach M. Leuenberger)
Im Blick auf das Thema „Wohnstatt JHWHs“ stellt sich allerdings die Frage, ab wann der Himmel im Alten Testament zum Wohnort Gottes wurde und „aus welchen religionsgeschichtlichen Wurzeln die israelitische Vorstellung von JHWH als Schöpfer der Erde und besonders des Himmels erwachsen ist“5. Bei Deuterojesaja (Jes 40,22–26) und Ezechiel (Ez 1,27 f; 40,*1–9), also in der Zeit des Exils, 4
Zu den alttestamentlichen Vorstellungen vom Weltganzen s. Janowski, Logik, 203 ff und ders., Anthropologie, 343 ff. Zur Unterscheidung von vertikalem und horizontalem Weltbild s. Janowski, Wohnung, 35 ff.45 ff.60 f; Hartenstein, Unzugänglichkeit, 22 f u. ö.; Bieberstein, Wanderungen, 14 ff; Leuenberger, Jhwh, 247 f.257 f und Berlejung, Art. Weltbild/Kosmologie, 67 ff. 5 Hartenstein, Bedeutung, 338.
§ 9 Schöpfung und Tempel 333
sind die Verhältnisse klar.6 Aber davor? In den vorexilischen Texten Jes 6,1–5; Ps 93,4; 29,10 f und 68,197 ist vom „Himmel“ als kosmischer Region lediglich implizit die Rede und zwar im Bild des „hohen und aufragenden Throns“ (Jes 6,1) sowie in der Gottesbezeichnung „JHWH Zebaoth“ (Jes 6,3.5). Eine explizite Verortung JHWHs „im Himmel“ fehlt dagegen.8 Nach den in ihrem Kernbestand vorexilischen Psalmen Ps 93; 24; 48 sowie nach dem Visionsbericht Jes 6,1–5 wohnt/thront JHWH als Königsgott im Jerusalemer Tempel, der als Ort der Gottespräsenz gilt. Der zentrale Text für dieses Basisaxiom der Jerusalemer Tempeltheologie9 ist neben Jes 6,1–5 der JHWH König-Psalm Ps 93. a) Die Festigkeit des Gottesthrons (Ps 93) Gillmayr-Bucher, Rivers, 378 ff ◆ Huber, Himmel, 197 ff ◆ Irsigler, Thronbesteigung, 155 ff ◆ Ders., Gott, 31 ff ◆ Ders., Gottesbilder, 409 ff ◆ Janowski, Königtum Gottes, 157 ff ◆ Ders., Wohnung, 35 ff ◆ Ders., Ort, 217 ff ◆ Ders., Anthropologie, 351 ff ◆ Jeremias, Königtum Gottes, 15 ff ◆ Ders., Erde, 229 ff ◆ Körting, JHWH, 241 ff ◆ Müller, Jahwe, 64 ff ◆ Schnocks, Psalmen, 125 ff ◆ Spieckermann, Heilsgegenwart, 180 ff ◆ Ders., Kosmos, 199 ff.
Das Grundsymbol der Jerusalemer Tempeltheologie ist der Gottesthron, der den himmlischen („Höhe“) und den irdischen Bereich (Tempel) miteinander verbindet und der dem Tempel seine kosmologische Bedeutung verleiht (Gottesbergvorstellung). Neben Jes 6,1–510 ist Ps 93 der locus classicus für diese Konzeption: Unableitbarkeit der Königsherrschaft JHWHs 1a JHWH ist König (geworden), JHWH als Königsgott mit Hoheit ist er bekleidet.
(Attribute „Hoheit“ und „Macht“) Bekleidet ist JHWH,
mit Macht hat er sich umgürtet. 1b Fürwahr, fest steht der Erdkreis Festigkeit des Erdkreises nicht wankt er.11
(Schöpfungsmotivik) 2 Fest steht dein Thron seit damals, Festigkeit des Gottesthrons von fernster Zeit her bist du. (Königsmotivik)
Erweis der Königsherrschaft JHWHs 3 Erhoben haben Ströme, JHWH, erhoben haben Ströme ihr Brausen, es erheben Ströme ihr Tosen.
6
Gefährdung der Welt (Chaosmotivik)
S. dazu oben 291 ff.308 ff. Für die nachexilische Zeit vgl. Jer 17,12, s. dazu unten 335. 8 Vgl. Koch, Wohnstatt, 42.229 f im Anschluss an Hartenstein, Unzugänglichkeit, 21 f. 9 S. dazu Leuenberger, aaO 246 ff und Irsigler, Gottesbilder, 397 ff.412 f. 10 Zu Jes 6,1–5 s. unten 337 ff. 11 Zum Motiv des „Wankens“ bzw. „Nicht-Wankens“ der Erde s. Jeremias, Erde, 229 ff. 7
334 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 4 Mehr als das Tosen mächtiger Wasser,
Überlegenheit JHWHs ⟨gewaltiger als⟩ die Brecher des Meeres,12 (Königsmotivik) ist gewaltig in der Höhe JHWH.
Verlässlichkeit der „Zeugnisse“ JHWHs 5 Deine Zeugnisse sind sehr verlässlich, JHWH-Präsenz im Tempel deinem Haus geziemt Heiligkeit, (Gesetzes- und Tempelmotivik) JHWH, für die Dauer der Tage.13
Wie die Themaformel JHWH mālak (V. 1a) zeigt, verdanken sich der Vorgang („JHWH ist König geworden“) und das Ergebnis („er herrscht nun als König“) allein JHWH. Dabei liegt der Akzent „offenbar mehr auf dem durch den dynamischen Anbruch erreichten und insofern selber beständig Dynamik enthaltenden gegenwärtigen Zustand; manifestiert sich dieser vom Königtum Jhwhs geprägte Zustand seinerseits in den verschiedensten Wirklichkeitsbereichen und wirkt sich dort aus, indem er Folgereaktionen auslöst, so stellt das Königtum Jhwhs die fundamentale Basisaussage dar, die selbst unableitbar ist“14.
V. 2 konkretisiert diesen Gedanken der Unableitbarkeit durch zwei parallele Nominalsätze, wonach die Königsherrschaft JHWHs – symbolisiert durch den „Thron seit damals“ – die unableitbare Voraussetzung für den Bestand der Welt, nämlich die Stabilität des Erdkreises ist. JHWHs Königtum bzw. sein „Thron“ als Symbol seiner Herrschaft besteht „seit damals“ (meʾāz), die geschaffene Welt („Erdkreis“ V. 1b) aber hat einen Anfang – und dieser Anfang liegt bei Gott, nämlich in seinem Königsein „von fernster Zeit her“ (meʿôlām V. 2b): 1b Fürwahr, fest steht (kûn nif.) der Erdkreis, nicht wankt er (mûṭ).
2 Fest steht (kûn nif.) dein Thron seit damals (meʾāz), von fernster Zeit her (meʿôlām) bist du.15
Die Festigkeit des Erdkreises und die Festigkeit des Gottesthrons werden in Ps 93,1b.2a jeweils mit dem Verb kûn nif. („feststehen, Bestand haben“) ausgedrückt. Daraus ergibt sich die Frage, ob in V. 1b von der „Erschaffung der Welt“, also von Weltschöpfung im Sinn einer creatio prima die Rede ist. Diese Frage wird von H. Spieckermann vorsichtig bejaht:
12
Zum Textproblem von V. 4αβ s. Spieckermann, Heilsgegenwart, 180 Anm. 3, vgl. Janowski, Königtum Gottes, 158 Anm. 38; 167 Anm. 65. 13 Zum Textproblem von V. 5aβ s. Irsigler, Thronbesteigung, 158 Anm. 15, vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen II (HThK.AT, 644 (Zenger). Zur literarischen Problematik von V. 5 (nachexilische Fortschreibung) s. Leuenberger, Konzeptionen, 142 f und Irsigler, Gottesbilder, 410 Anm. 172. 14 Leuenberger, aaO 141 (H. i. O.). 15 Anders Pfeiffer, Gottesbild, 48, der dafür plädiert, V. 1b–2 als Fortschreibung aus dem Grundbestand auszuscheiden, s. dazu die Kritik von Janowski, Ort, 218 Anm. 45.
§ 9 Schöpfung und Tempel 335
„Thema des Gotteslobes ist in Ps 93 nicht der von Gott beschenkte oder gerettete Mensch. Was Gott nach Aussage dieses Hymnus lobenswert macht, ist Gottes königliches Sein und Handeln in einem Kosmos, den er ausfüllt, gestaltet und erhält. Ob er ihn auch geschaffen hat, wird nicht ausdrücklich gesagt. Man darf dies mit Recht vermuten, doch ist es nicht Thema des Psalms.“16
Dem ist zuzustimmen. Dennoch ist noch einmal genauer nach dem Profil der Schöpfungsvorstellung von V. 1b–2 zu fragen. Für dieses Profil ist die Bedeutung des Lexems kûn ausschlaggebend. Wie K. Koch dargelegt hat, bezieht sich das Verb kûn hif./pol. „nie auf die Schöpfung insgesamt, sondern auf herausragende Werke, denen eine ordnende und heilvolle Wirkung für andere Kreaturen zukommt … Genaugenommen meint hekîn nicht einen schöpferischen Akt als solchen, sondern ein Ausstatten und Zurüsten bereits erstellter Größe“17. Überall ist in diesem Zusammenhang neben dem „Folge- und Zweckcharakter göttlichen kûn-Handelns“18 aber der Schöpfungsbezug deutlich: JHWH „festigt“ (kûn hif./pol.) oder „gründet“ (jāsad) die Erde (Jes 45,18 f; Jer 10,12 = 51,15 Ps 24,2 u. a.) und überwindet die chaotischen Mächte (Ps 93,3 f u. a.). Der Schöpfungsbezug des Lexems kûn ist – allerdings nur implizit – auch in Ps 93,1b– 2 präsent. In dichter Formulierung besagen beide Vershälften, dass JHWH die Erde als stabilen und deshalb heilvollen Lebensraum (tebel) eingerichtet hat (V. 1b) und dieser Vorgang mit der Festigkeit seines Throns zusammenhängt (V. 2a). Diese Festigung ist ein Geschehen, dessen urzeitliche Qualität durch die temporale Näherbestimmung meʾāz „seit damals“ (// meʿôlām „von fernster Zeit her“, vgl. Spr 8,22 ff, ferner meriʾšôn Jer 17,12) gesichert ist.
Ps 93,1b–2 spricht also nicht explizit von Welterschaffung/-entstehung, sondern von JHWHs Sein vor aller Schöpfung (V. 2b, vgl. Ps 90,2) sowie von der „Zurüstung“ des bereits erstellten Erdkreises (V. 1b) durch die „Festigung“ des Gottesthrons (V. 2a). Dazu lässt sich der späte Text Jer 17,12 vergleichen:19 Ein Thron der Herrlichkeit (kisseʾ kābôd), eine Höhe von Anbeginn
(mārôm meriʾšôn) (ist) der Ort unseres Heiligtums (meqôm miqdāšenū)!
räumlich zeitlich räumlich
Zum anderen kann auf ägyptische Analogien hingewiesen werden, wonach der „Urhügel“ der kosmische Ort ist, an dem die Welt ihren Ursprung hat. Der Urhügel, bildlich dargestellt als getreppte Erhöhung, als Insel oder als Pyramide (s. Abb. 76 und Q 11), ist das erste Stück Land, das am Anfang aus der Urflut auftauchte und von dem aus der Schöpfergott die Trennung der Elemente und die Setzung der ordnenden Grenzen vornahm. Der auf diesem Stück Land erbaute Tempel geht damit „in einer Kette fortwährender Er-
16
Spieckermann, aaO 200. Koch, Art. kûn, 103 f, vgl. ders., Qädäm, 267 f. 18 Koch, Art. kûn, 104. 19 S. dazu Metzger, Thron, 152 ff, ferner Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 557 ff und Schmidt, Jeremia I (ATD), 301 ff. 17
336 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Abb. 76: Darstellung des Urhügels (Ägypten) neuerungen in direkter ‚Ahnenreihe‘ auf jenes allererste Heiligtum zurück, das der Schöpfergott selbst auf dem Urhügel errichtet hat“20.
Ps 93 drückt die kosmologischen Bezüge des Tempels anders aus als die altorientalische Umwelt, es drückt sie aber ebenso grundsätzlich aus wie diese. So ist V. 1b als Folgesatz zu verstehen, der auf die diese Folge (Festigkeit des Erdkreises) auslösende Ursache von V. 2a (Festigkeit des Gottesthrons) zurückbezogen ist (V. 1b ← V. 2a). Die entscheidende Zäsur im Psalm kommt dann mit V. 3 f in den Blick.21 Denn dargestellt wird hier nicht der Kampf JHWHs gegen das Chaos, sondern der Triumph des Königsgottes, der Ausdruck des siegreich überstandenen Kampfes gegen die Chaosfluten ist. Die Potentialität dieser Bedrohung zeigt der Tempuswechsel in V. 3 an: Erhoben haben Ströme, JHWH, erhoben haben Ströme ihr Brausen, es erheben Ströme ihr Tosen.22
Dem liegt, wie S. Morenz im Blick auf vergleichbare Aussagen in ägyptischen Texten angemerkt hat, die Erfahrung zugrunde, dass „die ungeordneten Bereiche des Chaos – neben dem Urwasser Nun z. B. die „(verdichtete) Finsternis (…) – durch die Schöpfung nicht aufgehoben (sind), sondern die geordnete Welt unaufhörlich umgeben“23. Diese Chaosmacht wird, wie Ps 93,4 formuliert, allein durch JHWHs überlegene Macht niedergehalten. Der abschließende Fortschreibungstext V. 524 bündelt die Aspekte und zieht die königs- und schöpfungstheologischen Linien bis zur Gegenwart und Zukunft aus. Poetisch ahmt der Vers dabei die Struktur der beiden Trikola von V. 3 f nach, semantisch aber greift er auf V. 1b–2 zurück, wobei die Komplementarität zum
20
Assmann, Ägypten 1, 48. S. dazu auch Gillmayr-Bucher, Rivers, 378 ff. 22 Der Vers zeigt, dass Chaosaussagen Gegenwartsbedeutung haben. Eine Textänderung, wie sie von der BHS App. z. St. (Pf. von nāśāʾ „sich erheben“) vorgeschlagen wird, ist jedenfalls unnötig. 23 Morenz, Religion, 176 f. 24 Zur literarischen Problematik von V. 5 s. oben 334 Anm. 13. 21
§ 9 Schöpfung und Tempel 337
einen durch die Termini für Festigkeit (kûn nif. V. 1bα.2a // ʾmn nif. V. 5aα) und zum anderen durch die Zeitbestimmungen (meʾāz // meʿôlām V. 2, vgl. leʾorek yāmîm V. 5b) hergestellt wird. Der damit konstruierte Zusammenhang besagt: so stabil („feststehen“) wie der Gottesthron und der Erdkreis sind, so „verlässlich“ sind auch die „Zeugnisse“ JHWHs und die Heiligkeit seines Tempels für alle Zeit. Auf der Ebene des Endtextes besteht das Proprium von Ps 93 demnach darin, Urzeitgeschehen und Erfahrungswirklichkeit miteinander zu vermitteln und den Jerusalemer Tempel als den kosmisch dimensionierten Ort in der empirischen Wirklichkeit zu preisen, an dem die urzeitliche Festigung des Erdkreises im Kult erlebt und gefeiert wird – im Bekenntnis der Gemeinde. Nichts anderes will auch der Proklamationsruf von V. 1a zum Ausdruck bringen: JHWH erweist sich jetzt wieder als der, der er von Urzeit her ist und als der er sich am Anfang der Welt erwiesen hat, nämlich als der souveräne Königsgott, der der Grund aller Wirklichkeit ist: „… von fernster Zeit her bist du“ (V. 2b). Für die Thron- und Gottesbergvorstellung der Jerusalemer Tempeltheologie ist auch der Visionsbericht Jes 6,1–525 zentral, dem zufolge eine dominante vertikale Achse (Gottesthron/Tempelschwellen V. 1.4b) um eine horizontale Dimension ergänzt wird, die sich auf die „ganze Erde“ (V. 3b) bezieht: 1 Im Todesjahr des Königs Ussia sah ich den Herrn, sitzend auf einem hohen und aufragenden Thron (kisseʾ ), wobei seine Gewandsäume den Tempelraum (hêkāl) füllten. 2 Seraphen standen über ihm: Je sechs Flügel hatte ein jeder: mit zweien bedeckte er sein Gesicht und mit zweien bedeckte er seine Füße und mit zweien flog er (ständig). 3 Und einer rief dem anderen zu und sprach: „Heilig, heilig, heilig ist JHWH Zebaoth, die Fülle der ganzen Erde (kål-hāʾāræṣ) ist seine Herrlichkeit!“ 4 Da bebten die Zapfen der Schwellen (ʾammôt hassippîm) vor der Stimme des Rufenden, und das Tempelhaus (bajit) füllte sich mit Rauch. 5 Da sagte ich: „Weh mir, denn ich bin vernichtet/verloren! Denn ein Mann mit unreinen Lippen bin ich und inmitten eines Volkes mit unreinen Lippen wohne ich, denn den König JHWH Zebaoth haben meine Augen gesehen“ In der vertikalen Achse überragt der Gottesthron den Tempel so hoch wie ein Berg (s. Abb. 77), während die davon abhängige horizontale Achse den irdischen Herrschaftsbereich dieses Königsgottes darstellt. Der von Jesaja visionär geschauten Gegenwart 25
S. dazu bes. Hartenstein, aaO 30 ff, ferner Keel, Jahwe-Visionen, 46 ff; Metzger, Wohnstatt, 1 ff; Irsigler, aaO 403 ff; Janowski, Anthropologie, 351 ff u. a.
338 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Höhe Gottesthron
Peripherie Horizontberge
Erde
ZENTRUM
Tempel
Erde
Peripherie Horizontberge
Tempelschwellen Tiefe
Abb. 77: Jerusalemer Tempeltheologie der mittleren/späten Königszeit JHWHs auf einem „hohen und aufragenden Thron“ (V. 1aβ)26 entspricht damit die „Ausstrahlung“ der wirkmächtigen Präsenz des Königsgottes in die „ganze Erde“ (V. 3b), d. h. bis an die Peripherie des vom Zentrum (Tempel/Stadt) und der von der Herrlichkeit JHWHs erfüllten Weltbereiche.27 Das vertikale Gefälle im Text lässt sich auch an der Art der Gottesbeschreibungen festmachen. In V. 1–5 finden sich zwei beschreibende Prädikationen Gottes: das Objektprädikat „sitzend auf einem hohen und aufragenden Thron“ (V.1aβ), das eine syntaktisch-semantische Entsprechung (Thronmotivik) zum Königstitel von V. 5b darstellt, und das Satzprädikat V. 3b, das die „Herrlichkeit“ (kābôd) des Königsgottes JHWH Zebaoth auf der ganzen Erde proklamiert. Während mit der Proklamation der welterfüllenden Gottesherrlichkeit eine horizontale Dimension in den Blick kommt – die „ganze Erde“ ist von der Herrlichkeit des heiligen Gottes JHWH Zebaoth erfüllt28 –, bringt das Motiv des Throns eine vertikale Dimension zum Ausdruck. Zusammen mit der Notiz über den den hêkāl („Tempelraum“) ausfüllenden unteren Teil der Gestalt JHWHs V. 1b29 verrät der Text dabei die Tendenz, alle kultischen Vorstellungen vom Thronen JHWHs im Tempel zu entgrenzen, so dass der „hohe und aufragende Thron“ (V. 1aβ) die universale Majestät des auf ihm sitzenden Königsgottes symbolisiert. Die Dominanz der vertikalen Achse ergibt sich zusätzlich aus der Schilderung der Wirkung auf die „Zapfen/Fundamente der Schwellen“, die der Ruf der Seraphen auslöst. Wie immer man dieses Architekturelement zu verstehen hat30 – 26
Zum „Thronen“ (jāšab) Gottes bzw. des irdischen Königs s. Metzger, aaO 1 ff; ders., Thron, 152 ff; Janowski, Königtum Gottes, 192 ff und Hartenstein, aaO 41 ff. 27 Vgl. Hartenstein, aaO 99 und Irsigler, Gott, 48. Zum Fülle-Motiv s. Hartenstein, aaO 78 ff und Irsigler, aaO 47 ff. Wichtig ist der Hinweis, dass die „Fülle“ (meloʾ ) der Erde, des Landes und des Meeres „eng mit der Vorstellung der Lebewesen verbunden (ist), die diese Weltbereiche bevölkern“ (Hartenstein, aaO 82 [H. i.O], vgl. 100.108), s. dazu auch unten 467 Anm. 82. 28 Irsigler, aaO 49 hat zutreffend bemerkt, dass sich qādôš und kābôd in V. 3 „wie ein Innen zum Außen (verhalten): qādôš ‚heilig‘ ist die Eigenschaft, die im erscheinenden kābôd Jahwe Zebaots die ganze Erde durchdringt“, s. dazu auch Hartenstein, aaO 78 ff.99 ff.107 ff. 29 Zu den „Gewandsäumen“ (šûlîm) s. Keel, Jahwe-Visionen, 62 ff; Irsigler, aaO 43 ff; Podella, Lichtkleid, 51 ff und Hartenstein, aaO 56 ff. 30 Zum Verständnis der Wendung ʾammôt hassipîm („die Zapfen der Schwellen“) und zur Sachparallele Am 9,1 s. Hartenstein, 110 ff.123 ff.
§ 9 Schöpfung und Tempel 339
deutlich ist, dass ihr Erbeben eine Erschütterung des gesamten Tempelgebäudes und damit des Kosmos nach sich zieht.
b) JHWHs himmlisches Thronen Nach dem Basisaxiom der Jerusalemer Tempeltheologie, wie es in Jes 6,1–5 und Ps 93,1–4(.5) zum Ausdruck kommt, thront JHWH als Königsgott auf dem Zion, der als kosmisch dimensionierter Ort der Gottespräsenz gilt.31 Von dort strahlt die welterfüllende Lichtherrlichkeit JHWHs aus (Jes 6,3) und von dort überwindet der Königsgott die chaotischen Mächte (Ps 93,3 f ). Von diesen beiden Leittexten gehen Traditionslinien aus, in denen das Thronmotiv auf je unterschiedliche Weise transformiert wird und neue Aspekte auch in der Schöpfungsvorstellung hervortreten. JHWHs Herabblicken vom Himmel (Ps 33) Bons, Gott, 261 ff ◆ Ego, Herr, 556 ff ◆ Janowski, Wimpern (i. Dr.) ◆ Liess, Tun, 201 ff ◆ Lohfink, Bundesformel, 84 ff ◆ Mathys, Dichter, 251 ff ◆ Petersen, Mythos, 101 ff ◆ Scialabba, Creation, 143 ff.300 ff ◆ Witte, Lied, 11 ff ◆ Zenger, Liebe, 313 ff.
Wie wir eingangs festgestellt haben, wurde der Himmel erst in Texten der Exilszeit zum Wohnort JHWHs. Der locus classicus ist Jes 40,22.32 In der Folgezeit wurde dieses Motiv ausgebaut und um weitere Aspekte wie das des Herabblickens JHWHs vom Himmel/aus der Höhe ergänzt. Neben Ps 11,4; 14,2 (= 53,3), 80,15 und 102,20 f ist dafür Ps 33,13–19 einschlägig. Ps 33 ist ein spätnachexilischer Text, der als Musterbeispiel eines Hymnus gelten kann.33 Er besteht aus einem Aufgesang (V. 1–3), einem Abgesang (V. 20–22) und dem Korpus des Hymnus (V. 4–19), das das Thema der Verlässlichkeit und Treue JHWHs (V. 4 f ) zweifach entfaltet (V. 6–12 und V. 13–19):34 Eröffnung: Aufruf zum Gotteslob 1 Jubelt, ihr Gerechten, über JHWH, den Geradlinigen ziemt Lobgesang! 2 Preist JHWH mit der Leier, auf der zehnsaitigen Harfe spielt ihm. 3 Singt ihm ein neues Lied,
macht schön das Saitenspiel mit Jubel!
31
5 Imperative mit Adressat „Gerechte“ (→ „Wir“ V. 20–22)
S. dazu oben 333 ff. S. dazu oben 299 ff. 33 S. dazu außer den Kommentaren noch Lohfink, Bundesformel, 84 ff; Ego, Herr, 556 ff; Witte, Lied, 11 ff; Zenger, Liebe, 313 ff; Scialabba, Creation, 143 ff.300 ff; Bons, Gott, 261 ff; Liess, Tun, 201 ff; Köckert, Regenspender, 122 f u. a. Zur Datierung von Ps 33 s. Witte, aaO 30 ff (wahrscheinlich 3. Jh. v. Chr.) und Scialabba, aaO 147 f. 34 Zur Diskussion der unterschiedlichen Gliederungsvorschläge s. Lohfink, aaO 93 ff; Witte, aaO 11 ff; Zenger, aaO 314 ff und Spieckermann, Psalmen I (ATD), 357. 32
340 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Korpus: JHWHs Handeln in Schöpfung und Geschichte Thema: JHWHs Verlässlichkeit und Treue 4 Ja, aufrichtig ist das Wort JHWHs,
und sein ganzes Tun (geschieht) in Treue. 5 Er liebt Gerechtigkeit und Recht. von der Güte (ḥæsæd) JHWHs ist voll die Erde.
Güte JHWHs (→ V.18 f.22)
Entfaltung I: JHWHs Handeln in Schöpfung und Geschichte 6 Durch das Wort JHWHs wurde der Himmel gemacht, und durch den Hauch seines Mundes ihr ganzes Heer,35
7 der sammelt wie einen Damm die Wasser des Meeres, der legt in Vorratskammern die Urfluten.36
8 Fürchten soll sich vor JHWH die ganze Erde,
vor ihm erschrecken sollen alle Bewohner des Erdkreises! 9 Denn er ist es, der sprach,37 und es geschah, er ist es, der gebot, und es stand (da).38
Himmel
10 JHWH hat zerbrochen den Ratschluss der Nationen, er hat vereitelt die Vorhaben der Völker.
11 Der Ratschluss JHWHs besteht in Ewigkeit,
die Pläne seines Herzens von Geschlecht zu Geschlecht. 12 Glücklich die Nation, deren Gott JHWH ist, das Volk, das er sich zum Erbbesitz erwählt hat.
Nationen
Meer Erde Schöpfung durch das Wort (→ V. 6)
JHWH Israel
Entfaltung II: JHWHs prüfender und rettender Blick 13 Vom Himmel her schaute JHWH (nbṭ hif.), er sah (rāʾāh) alle Menschenkinder.
14 Von der Stätte seines Thronens blickte er genau (šgḥ hif.) auf alle Bewohner der Erde:
15 der Bildner ihrer Herzen allesamt, der Achtende auf alle ihre Werke.
„Sehen“ JHWHs (→ V. 18)
16 Kein König wird errettet durch große Kraft,
kein Held wird gerettet durch große Stärke. 17 Ein Trug ist das Ross im Blick auf Rettung,
und durch die Größe seiner Kraft wird es nicht retten.39
35 Zur
Schöpfung durch das Wort (vgl. auch V. 8 f ) s. die Hinweise unten 460. In V. 7 ist in Analogie zu Gen 1,9 von der Trennung von Wasser und Festland die Rede, s. dazu Petersen, Mythos, 102 Anm. 1; 108 ff; Bons, Ps 33,7, 107 ff; ders., Gott, 275 ff und Scialabba, aao 168 ff.211 f. 37 Anders Witte, aaO 18 ff, der in V. 9–14 und V. 20–22 die perfektischen Verbformen durchgehend präsentisch übersetzt. 38 Anders ders., aaO 12 f, der V. 9 zu V. 10 f und V. 12 zu V. 13 f zieht. V. 15 wird von ihm mit V. 16 f zusammengestellt. Das Ganze ergibt dann „ein konzentrisch ausgerichtetes Kompositionsschema“ (13), s. dazu die Kritik von Zenger, aaO 316 ff. 39 Ps 32,17LXX setzt das Nif. von mlṭ voraus: „durch die Fülle seiner Stärke kann es sich nicht retten“, s. dazu Scialabba, aao 215 f und Spieckermann, Psalmen I (ATD), 356 mit Anm. 7. 36
§ 9 Schöpfung und Tempel 341
18 Siehe, das Auge JHWHs (ʿayin JHWH) ruht auf denen, die ihn fürchten, auf denen, die auf seine Güte harren, 19 um aus dem Tod ihr Leben herauszureißen
und um sie am Leben zu erhalten in Hungersnot.
„Auge“ JHWHs (→ V. 13)
Abschluss: Vertrauensbekenntnis zu JHWH
„Wir“:
20 Unser Leben40 hat auf JHWH gewartet, unsere Hilfe und unser Schild ist er. 21 Ja, über ihn soll sich unser Herz freuen,
denn auf seinen heiligen Namen haben wir vertraut.
22 Es sei deine Güte, JHWH, über uns, wie wir auf dich geharrt haben!
Warten
Vertrauen Harren
Die beiden Abschnitte V. 6–12 und V. 13–19, die das Thema V. 4 f mit unterschiedlichen Schwerpunkten entfalten, setzen jeweils mit „mit dem Motiv von JHWH als dem, der den Himmel schafft bzw. im Himmel thront, an und beschreiben dann eine Bewegung herab zur Erde, wobei zunächst negativ das Scheitern gottwidriger Pläne der Völker bzw. der Mächtigen und dann positiv JHWHs erwählendes bzw. rettendes Handeln herausgestellt wird“41.
Wichtig für unseren Zusammenhang ist das Motiv des prüfenden und rettenden Blicks JHWHs (V. 13–19). Dabei tritt neben die kosmologische Perspektive, der zufolge JHWH als Schöpfer in allen drei Bereichen des Kosmos wirkt (Himmel, Meer, Erde: V. 6–9), eine anthropologische (V. 15) und eine soteriologische Perspektive (V. 19). Dieser Zusammenhang besagt, dass der Weltschöpfer zugleich der ist, der die menschlichen Herzen „bildet“ (jāṣar Ptz. V. 15a), der auf die Werke der Menschen achtet (bîn hif. Ptz. V. 15b) und der sie errettet und am Leben erhält: 18 Siehe, das Auge JHWHs (ʿayin JHWH) ruht auf denen, die ihn fürchten, auf denen, die auf seine Güte harren, 19 um aus dem Tod ihr Leben (næpæš) herauszureißen
(nṣl hif.) und um sie am Leben zu erhalten (ḥjh pi.) in Hungersnot.
Das „Auge JHWHs“ (V. 18), mit dem er vom Himmel „schaut“ (nbṭ hif.) und alle Menschen „sieht“ (rāʾāh v. 13),42 ist ein Oxymoron für die prüfende oder rettende 40
Oder „unsere Lebenskraft (næpæš)“. Mit næpæš ist das vitale Selbst des Menschen gemeint, das in der Situation der Not auf Gottes Hilfe und Schutz harrt, s. dazu Janowski, næpæš, 88 ff.97 ff. 41 Hossfeld/Zenger, Psalmen I (NEB), 206 (Zenger) (H. v. m.), vgl. Zenger, aaO 322 Anm. 36. 42 In Entsprechung zu V. 13 heißt es in V. 14: „Von der Stätte seines Thronens (mekôn šibtô) blickte er genau (šgḥ hif.) auf alle Bewohner der Erde“. Nach Barbiero, Psalmenbuch, 436 ist darin „ein Bezug auf den Tempel erkennbar. Zwischen himmlischer und irdischer ‚Wohnung‘ (jšb 33,14) JHWHs gibt es eine Entsprechung, wie die Parallelstelle 11,3 f. zeigt“. Mit Metzger, Wohnstatt, 25; Ego, Herr, 561 und Liess, Tun, 202 ist hier allerdings an den Himmel
342 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Zuwendung JHWHs.43 Diese Zuwendung gilt „nicht den Mächtigen, die auf kriegerische Macht setzen und diese vergötzen, sondern den Schwachen und scheinbar Ohnmächtigen, die sich ganz nach JHWHs Güte ausstrecken und darin ihr Lebensglück erhoffen“44. Die rettende Zuwendung Gottes, die das Geschick der Notleidenden wendet, wird in V. 19 mit zwei Verben ausgedrückt, die zum einen auf die Errettung vom Tod (nṣl hif.)45 und zum anderen auf die Erhaltung des Lebens (ḥjh pi.) bezogen sind.46 Damit kommt das Korpus V. 4–19, das in V. 6 ff schöpfungstheologisch eingesetzt, zu einem solennen Abschluss. Durch sein Schöpfungshandeln hat Gott seiner Schöpfung eine „Welt- und Lebensordnung“47 eingestiftet, die Erweis seiner Verlässlichkeit und Treue ist. Diese Welt- und Lebensordnung bewahrheitet sich in Zeiten der Not („Tod“, „Hungersnot“ V. 19) und hat ihren Grund im Handeln des himmlischen Richters, der „die Herzen der Menschen durchschaut, weil er diese Herzen geschaffen hat“48. So ist für Ps 33 sein universaler Horizont charakteristisch: „Jhwh ist Gott des ganzen Kosmos, sein Geschichtsplan zielt auf alle Menschen. Ps 33 verbindet hier wie Jes 40,13 und Jes 55,8 ff das aus der prophetischen Tradition stammende Motiv vom Geschichtsplan Jhwh’s mit dem weisheitlichen Motiv der Besonderheit der Pläne und Gedanken Jhwh’s. Die kosmische Ordnung ist universal offenbar. Sie kann an der Schöpfung und an Jhwh’s Handeln in der Geschichte erkannt werden (vgl. 4Q381 Frag. 1 199). (…) Indem Ps 33 im Gegensatz zu Ps 146 oder 147 weder den Namen Israel noch den Zion, den Tempel oder die Tora, die gleichwohl als Referenzgrößen vorausgesetzt werden, erwähnt, eröffnet er allen Völkern die Teilnahme am Lob Jhwh’s.“49 Während nach Ps 33,13–19 die Bewegung des göttlichen Sehens „vom Himmel bis ins Innerste des Menschen“50, d. h. in sein Herz geht, und das Auge JHWHs schließlich auf den Gottesfürchtigen ruht (V. 18), um sie vom Tod zu erretten und am Leben zu erhalten (V. 19), verortet Ps 11,4 den auf die Menschen blickenden Gott im irdischen Tempel // im Himmel:51
43 44
45 46
47 48 49 50 51
als Thronsitz JHWHs zu denken, vgl. 1 Kön 8,39.43.39 (par. 2 Chr. 6,30.33.39); Ps 102,13.20 und dazu Ego, aaO 559 f und Janowski, Einwohnung, 258 f. Zu Ps 11,4 s. im Folgenden. Vgl. Ps 34,16a („Augen JHWHs“), ferner Ps 18,25; Spr 15,3 und Hi 36,7, s. dazu Liess, aaO 204; Gies, Schalom, 254 ff und im Folgenden. Hossfeld/Zenger, aaO 209 (Zenger), vgl. Scialabba, Creation, 195 f. S. dazu nach wie vor Barth, Errettung, 98 ff, ferner Kumpmann, Schöpfen, 193 ff; Gies, aaO 128 f u. a. Obwohl dabei nicht wie in Ps 136,25 u. a. von der Gabe des Brotes die Rede ist (s. dazu oben 323), dürfte konkret die Versorgung mit Nahrung gemeint sein, s. dazu auch Kumpmann, aaO 68 ff. Hossfeld/Zenger, aaO 206 (Zenger). Dies., ebd., vgl. Liess, aaO 203 (auch zur Rolle des Herzens in Ps 25–34). Witte, Lied, 35. Zum theologischen Profil von Ps 33 s. vertiefend ders., aaO 15 ff; Zenger, Liebe, 318 ff; Scialabba, aaO 217 ff und Liess, aaO 201 ff. Liess, aaO 204. Zu Ps 11 s. außer den Kommentaren zuletzt Janowski, Wimpern (i. Dr.).
§ 9 Schöpfung und Tempel 343
1 Dem Musikmeister. Für David. Bei JHWH habe ich mich geborgen. Wie könnt ihr zu mir sagen: „Flieh von eurem Berg, Vogel“? 2 Denn siehe, die Frevler spannen den Bogen, sie haben ihren Pfeil auf die Sehne gelegt, um zu schießen im Dunkeln auf die mit geradem Herzen. 3 Wenn die Grundfesten eingerissen werden – der Gerechte, was hat er getan? 4 JHWH – in seinem heiligen Tempel (hêkal qådšô), JHWH – im Himmel ist sein Thron (kisseʾ ), seine Augen schauen (ḥāzāh), seine Wimpern prüfen (bāḥan) die Menschen. 5 JHWH – den Gerechten prüft er und den Frevler, aber den, der Gewalt liebt, hasst seine næpæš.52 6 Er lasse regnen auf Frevler feurige Kohlen und Schwefel, und Glutwind sei der Anteil ihres Bechers. 7 Denn gerecht ist JHWH, Gerechtigkeitstaten liebt er, ⟨Aufrichtige⟩ schauen sein Angesicht. (Ps 11) Das Thema von Ps 11 ist die Frage nach der Gerechtigkeit. Kaum hat der Beter sein Vertrauensbekenntnis abgelegt (V. 1aα), muss er sich auch schon dem Ansinnen seiner Gegner erwehren (V. 1aγ.b), die sich dann als regelrechte Dunkelmänner entpuppen (V. 2). Damit kommt eine Dynamik in Gang, die sogar die Stabilität von Natur und Gesellschaft erschüttert (V. 3a). In dieser hoffnungslosen Situation wechselt der Psalm plötzlich die Blickrichtung und spricht in ruhigen Sätzen von dem Tempelgott, der auf seinem himmlischen Thron sitzt (V. 4a) und mit seinen Augen schaut und mit seinen Wimpern die Menschen prüft (V. 4b). Im Zentrum des Textes stehen die beiden Nominalsätze in V. 4aα.β, die die Präsenz JHWHs im Tempel // im Himmel zum Ausdruck bringen und die in V. 4aγ.b durch zwei parallele Verbalsätze fortgesetzt werden. Diesen Aussagen geht in V. 1aβ–3 eine Strophe vorher, die mit einem Vertrauensbekenntnis (V. 1aβ) einsetzt. Damit schafft der Beter „eine in seinen Augen unumstößliche Basis, auf der alle weiteren Äußerungen zu verstehen sind“53. Allerdings wird sie, wie seine vorwurfsvolle Frage in V. 1aγ zeigt, durch Gegner in Zweifel gezogen, die ihm zur Flucht aus der schützenden Nähe JHWHs („von eurem Berg“) raten und ihn damit in Lebensgefahr bringen. Dass diese Befürchtung nicht unbegründet ist, sagt das Jagdbild von V. 2. Der geschilderte Konflikt zwischen dem Beter und seinen Gegnern, die jetzt als „Frevler“ (V. 2aα) bezeichnet werden, hat eine chaotische Färbung („im Dunkeln“ V. 2b) und kosmische Ausmaße („die Grundfesten“). Die Konstellation „Frevler“/„Gerechter“, die den Duktus von V. 2 f bestimmt, wird in V. 5a in chiastischer Anordnung „Gerechter“/„Frevler“ aufgenommen, wobei der Aspekt
52 Zur 53
næpæš JHWHs (20-mal im AT) s. Müller, Seele, 245 ff. Hausmann, Wiederherstellung, 177.
344 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems „Frevler“ in V. 5b durch das Gegensatzpaar „lieben“ (Subj. Frevler) vs. „hassen“ (Subj. næpæš JHWHs) konkretisiert wird. In V. 5–7 liegt die Stilform der „Sukzessiven Gabelung“54 vor, durch die die Beschreibung des Handelns JHWHs von V. 5a zunächst in V. 5b und anschließend in V. 6 weitergeführt wird. V. 7a begründet dann mit dem JHWH-Epitheton „gerecht“ und dem Stichwort „lieben“ (Subj. JHWH) den Gegensatz zu V. 5b. Wenn also der Beter von Ps 11 hofft, dass der aufmerksame Gott, der die Menschen mit seinen Augen sieht und mit seinen Wimpern prüft (V. 4b), richtend eingreift, um zwischen Gerechtigkeit und Gewalt zu unterscheiden (vgl. V. 5 ff ), ist dies Ausdruck seiner Hoffnung auf die rettende Gerechtigkeit Gottes.55
Die Schöpfung als Tempel (Jes 66,1 f) Altes Testament: Albani, Haus, 37 ff ◆ Ego, Herr, 564 ff.566 ff ◆ Gärtner, Jesaja 66, 21 ff.63 ff ◆
Dies., Kabod, 432 ff ◆ Koenen, Ethik, 183 ff ◆ Lau, Prophetie, 168 ff ◆ Metzger, Wohnstatt, 25 ff. – Systematische Theologie: Thomas, Neue Schöpfung, 119 ff.
Wie wir gesehen haben, setzt das Disputationswort Jes 40,*18–26 mit dem Syntagma „Der thront über dem (Horizont-)Kreis der Erde“ (V. 22a) neue theologische Akzente.56 So wird gegenüber der älteren Tempeltheologie mit ihrer Vorstellung vom kosmisch dimensionierten Heiligtum (vgl. Jes 6,1–5 u. a.) die Unterscheidung von Höhe und Tiefe (Erde) jetzt in eine komplementäre Beziehung überführt, wonach das „Thronen“ JHWHs über dem Horizont die Voraussetzung für die Bewohnbarkeit der Erde ist (s. Abb. 66). Diese Umakzentuierung macht deutlich, wie die Rede von der „Entgrenzung JHWHs“ bei Deuterojesaja zu verstehen ist, nämlich als Plausibilisierung seines Monotheismusarguments: der Gott Israels ist als alleiniger Schöpfer und Lenker der Geschichte der universale Gott (vgl. Jes 40,12–31). Diese Transformation der vorexilischen Tempeltheologie gewann in spätnachexilischer Zeit noch einmal neue Aspekte. Einschlägig dafür ist Jes 66,1 f,57 wonach Himmel und Erde, d. h. die Gesamtheit der Schöpfung,58 als „Thron“ und „Schemel“ den Herrschaftsbereich JHWHs bilden. „Gott“, so M. Albani, „ist damit nicht an einer bestimmten Stelle lokalisierbar, andererseits aber auch in seiner Schöpfung omnipräsent, so daß ihn seine Verehrer überall erreichen können“59:
54
55 56
57 58
59
S. dazu Ridderbos, Psalmen, 148. Vgl. Ps 14,2 (= 53,3); 80,15 und 102,20 f, s. dazu Ego, Herr, 559 f; Hartenstein, Angesicht, 130 f und Janowski, Wimpern (i. Dr.). S. dazu oben 297 ff. Zur theologiegeschichtlichen Verortung s. Albani, „Haus“, 46 f.49 ff, der zu Recht einen Zusammenhang zwischen Jes 66, 1 f und Jes 40,12–26 annimmt. Der Doppelausdruck „Himmel und Erde“ ist ein Merismus, der die Gesamtheit der Schöpfung bezeichnet, vgl. Gen 1,1; Jes 65,17, s. dazu Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 87 f; Lau, aao 170 und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 39. Albani, 46 (H. v. m.).
§ 9 Schöpfung und Tempel 345
1 So spricht JHWH: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße. Wo ist ein Haus, das ihr mir bauen könntet, und wo ein Ort als meine Ruhestatt? 2 Aber meine Hand hat all dies gemacht (ʿāśāh), und (so) entstand (hājāh) all dies60 – Spruch JHWHs. Und auf diesen schaue (nbṭ hif.) ich: auf den Demütigen, und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der zittert zu meinem Wort hin. (Jes 66,1 f )
Mit dem programmatischen Auftakt in V. 1 knüpft dieser Text zunächst an die Schöpfungsaussagen in Jes 65,16b–25 an und unterstreicht damit, „dass dem Schöpfer eines neuen Himmels und einer neuen Erde (Jes 65,17 ff ) zugleich die Herrschaft über seine Schöpfung zukommt“61. Dieser locus classicus zum Thema „Neuschöpfung“ beginnt folgendermaßen: 16b Ja, vergessen sind die früheren Nöte, ja, verborgen sind sie vor meinen Augen! 17 Denn siehe, ich schaffe (bārāʾ ) einen neuen Himmel (šāmajim ḥadāšîm) und eine neue Erde (ʾæræṣ ḥadāšāh), und nicht wird der früheren gedacht und nicht steigen sie im Herzen auf, 18 sondern jubelt und jauchzt für immer, über das, was ich schaffe (bārāʾ )! Denn siehe, ich schaffe (bārāʾ ) Jerusalem zu einem Jauchzen und sein Volk zu einem Jubel. (Jes 66,16b–18)62
Die hier verheißene Neuschöpfung von Himmel und Erde steht für „die universale Neuordnung des Kosmos“63. Sie verbindet die auf die Exklusivität und Universalität JHWHs bezogene Schöpfungsvorstellung Deuterojesajas „mit der Verheißung des Neuen, das sich nicht mehr auf den neuen Exodus als den wesentlichen Aspekt des Heilshandelns Jhwhs festlegen lässt, sondern diesen übersteigt, indem das Neue, die Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, zu einer Neuordnung des gesamten Kosmos führt, alles und alle umfasst, also umfassender nicht mehr zu denken ist“64.
Daran knüpft Jes 66,1 f an. Allerdings werden Himmel und Erde in V. 1a nicht nur wie in Jes 65,17 in ihrer schöpfungstheologischen Dimension verstanden, son60
So mit MT, s. dazu auch die Hinweise bei Gärtner, Jesaja 66, 18 mit Anm. 63. Dies., aaO 21. 62 Zu diesem Text s. Koenen, Ethik, 168 ff; Lau, aaO 134 ff und Gärtner, aaO 44 ff.51 f. Im anschließenden Passus V.19–25 wird die neue Schöpfung anhand eindrücklicher Bilder aus der Menschen-, der Pflanzen- und der Tierwelt konkretisiert, s. dazu Gärtner, aaO 46 ff. 63 Gärtner, aaO 46. Zu den deuterojesanischen Schöpfungsvorstellungen s. oben 292 ff. 64 Dies., aaO 52. Zu den systematisch-theologischen Aspekten s. Thomas, Neue Schöpfung, 119. 61
346 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
dern diese Dimension wird anhand der Gleichungen Himmel = „mein Thron“ und Erde = „Schemel meiner Füße“ in tempeltheologische Vorstellungszusammenhänge eingeschrieben: Der Himmel (šāmajim) ist mein Thron (kisseʾ ) und die Erde (ʾæræṣ) der Schemel meiner Füße (hadom raglajim).
Dieser Halbvers wendet sich gegen die Vorstellung, dass der Tempel der Thron oder Fußschemel JHWHs sei, und stellt dem die universale Größe des Schöpfers von Himmel und Erde gegenüber.65 Überdies macht der Text, wenn man die chiastische Struktur von V. 1 f beachtet, deutlich, dass V. 1a und V. 2a das Thronmotiv und das Schöpfungsmotiv miteinander verbinden, während V. 1b und V. 2b daraus die Konsequenzen für das menschlichen Verhalten (V. 1b) bzw. für das Geschick der Demütigen (V. 2b) ziehen: 1a Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße. b Wo ist ein Haus, das ihr mir bauen könntet, und wo ein Ort als meine Ruhestatt?
Thronmotiv
2a Aber meine Hand hat all dies gemacht, und (so) entstand all dies – Spruch JHWHs. b Und auf diesen schaue ich: auf den Demütigen, und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der zittert zu meinem Wort hin.
Schöpfungsmotiv
Konsequenz: kein Tempelbau (negativ)
Konsequenz: Zuwendung JHWHs (positiv)
Die Universalität der Neuschöpfung von Jes 65,16b ff zieht also eine Transformation der traditionellen Tempelvorstellung, wie sie etwa in Ez 43,7 vorliegt,66 zugunsten einer Entgrenzung JHWHs nach sich.67 Auf einen solchen Gott, der als universaler Weltschöpfer auf den Demütigen und auf den, der zerschlagenen Geistes ist, „schaut“ (nbṭ hif., vgl Jes 57,15),68 kann der Mensch nur mit Hingabe reagieren: als einer, „der zittert zu meinem (sc. JHWHs) Wort hin“ (V. 2b). Nur demütige Gottesfurcht ist „die angemessene Haltung gegenüber diesem unvergleichlichen Schöpfergott“69, der nach Jes 40,23 f die Fürsten und Richter der Erde zunichte macht. Zu ihm, dem universalen Schöpfergott, sollen die Exulanten ihre Augen erheben (Jes 40,25 f ), der seinerseits auf den Demütigen bzw. Armen „schaut“ (Jes 66,2):
65 Vgl.
Metzger, Wohnstatt, 27 ff. Zum Verhältnis von Tempel, Thron und Fußschemel s. ders., aaO 32 f. 66 Vgl. Albani, Haus, 47 f. Zu Ez 43,7 s. oben 310 ff. 67 Vgl. Gärtner, aaO 22 f. 68 Zu Jes 57,15 s. Ego, Herr, 565 f u. a. Anstelle des „Schauens“ JHWHs ist hier von seinem „Wohnen“ bzw. „Wohnung nehmen, Einwohnen“ (šākan) bei den Zerschlagenen und Bedrückten die Rede. Zur Schekina-Theologie s. unten 437 ff. 69 Albani, aaO 52.
§ 9 Schöpfung und Tempel 347
25 „Und mit wem wollt ihr mich vergleichen, dass ich (ihm) ähnlich sei?“ spricht der Heilige. 26 Hebt zur Höhe (nāśāʾ mārôm) eure Augen und seht (rāʾāh): Wer hat diese (sc. die Gestirne) geschaffen? Der herausführt nach der Zahl ihr Heer, sie alle mit Namen ruft er. Wegen der Fülle an Macht und der gewaltigen Stärke fehlt keiner. (Jes 40,25 f )70 Aber meine Hand hat all dies gemacht, und (so) entstand all dies – Spruch JHWHs. Und auf diesen schaue (nbṭ hif.) ich: auf den Demütigen, und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der zittert zu meinem Wort hin. (Jes 66,2)
Die ehrfürchtige Haltung, die Jes 66,2 in Worte fasst, erwächst „nicht aus dem Tempelkult, sondern aus der Betrachtung der Schöpfungswerke, die wiederum auf den einzig wahren Gott des Himmels und der Erde, auf den Hohen und Heiligen verweisen“71. In der unmittelbaren, nicht durch den Tempelkult vermittelten Begegnung des Menschen mit Gott und seinem „Wort“ (dābār Jes 66,2b),72 ist das Novum dieser Schöpfungstheologie zu sehen. 2. Kosmische und kultische Ordnung Die exilisch-nachexilischen Transformationen der Tempeltheologie, wie sie in Jes 40,*18–26; Jes 66,1 f; Ps 33,13–19; 102,20 f u. a. vorliegen,73 sind beeindruckende Zeugnisse für die Veränderungsdynamik des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens. Sie gewinnen ihr besonderes, nicht mehr auf den Tempel, sondern auf den Himmel bzw. das himmlische Thronen JHWHs bezogenes Profil im Vergleich mit Konzeptionen, die auf der Verbindung von Schöpfung und Tempel beruhen und die die Kultordnung in Entsprechung zur kosmischen Ordnung zu bringen suchen. Der Leitbegriff für diesen Zusammenhang lautet „Kosmologische Symbolik“. Er betrifft den Tempel wie seine einzelnen Einrichtungen und Riten. Dieser Sachverhalt ist im Folgenden anhand zentraler Texte der vorexilischen und der exilisch-nachexilischen Zeit zu konkretisieren. a) Kosmologische Symbolik des Ersten Tempels (1 Kön 6 f ) Bieberstein, Architektur, 140 ff ◆ Görg, Art. Ehernes Meer, 483 ◆ Hurowitz, Temple, 24 ff ◆ Janowski, Ort, 207 ff ◆ Kamlah, Tempel, 40 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 100 ff ◆ Ders., Geschichte, 264 ff.286 ff ◆ Keel/Knauf/Staubli, Tempel ◆ Keel/Uehlinger, Göttinnen, 189 ff ◆ Lichtenstein, Mitte, 213 ff ◆ Schroer, Bilder, 46 ff ◆ Weippert, Palästina, 461 ff ◆ Dies., Kesselwagen, 8 ff ◆ Zwickel, Tempel ◆ Ders., Symbolik, 194 ff ◆ Ders., Tempel Salomos, 57 ff. 70
S. dazu oben 299 ff. Albani, aaO 53. 72 Das „Wort“ meint „den Willen Jahwes, d. h. das Gesetz im umfassenden Sinne“ (Koenen, Ethik, 188 Anm. 177). 73 S. dazu oben 297 ff.339 ff.344 ff. 71
348 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems jesiʿot ˙ Balken) (horizontale
debir (Allerheiligstes)
Kesselwagen kijjorot (Wasserbecken)
Dachboden
hekal (Heiligtum)
ʾulam (Vorhalle)
mekonot (Räder mit Gestellen)
selaʿot ˙ Balken) (vertikale Falltür Seitenkammer
Mauervorsprung kijjorot (Wasserbecken)
Boas Altar Jachin jam (großes „Meer“ aus Bronze)
Kesselwagen mekonot (Räder mit Gestellen)
N
0
25
Ellen
Abb. 78: Jerusalemer Tempel (Rekonstruktionszeichnung)
Mit eindrücklichen Bildern und Metaphern preist das Alte Testament den Jerusalemer Tempel als Ort des Lebens, d. h. als Ort der kosmischen Ordnung, der paradiesischen Fülle und der göttlichen Gerechtigkeit.74 Ein zentraler Text dafür ist der Bericht vom Bau des Ersten Tempels und seiner Ausstattung in 1 Kön 6,1–38 und 7,13–51.75 Was immer die biblische Exegese und Archäologie über das in 1 Kön 6 f (vgl. 2 Chr 2–4) beschriebene Tempelgebäude, seine historische und baugeschichtliche Zuverlässigkeit sagen – seine religiöse Symbolik lassen jenseits der Alternative: historische Realität oder literarische Fiktion auch diese Kapitel erahnen, wenn sie die Kesselwagen, das Eherne Meer oder das kolossale Kerubenpaar ebenso detailgenau wie suggestiv beschreiben (s. Abb. 78).76 Orientiert man sich am Tempelbaubericht von 1 Kön 6 f, so symbolisiert zunächst das Eherne Meer (1 Kön 7,23–26, vgl 2 Chr 4,2–5) als riesiges, von zwölf Rinder- bzw. Stierfiguren getragenes und in Form einer Lotosblüte stilisiertes Bronzebecken (s. Abb. 79) die gebändigten Wasser des Urmeers (kosmischer Süßwasserozean):77 74
S. dazu Keel, Bildsymbolik, 99 ff und Janowski, Ort, 207 ff. Zu den archäologischen und baugeschichtlichen Fragen s. noch s. Weippert, Palästina, 461 ff; Zwickel, Tempel; Keel, Geschichte, 264 ff; Bieberstein, Architektur, 140 ff u. a. 76 Der suggestive Charakter der Beschreibungen von 1 Kön 6 f betrifft vor allem die überdi mensionalen Maßangaben, s. dazu Kamlh, Tempel, 43 f.49.50. 77 S. dazu Schroer, Bilder, 60; Weippert, aaO 469 f; dies., Kesselwagen, 40 f; Görg, Art. Ehernes 75
§ 9 Schöpfung und Tempel 349
(23) Er (sc. Salomo) machte das Meer aus Bronzeguss, zehn Ellen weit von Rand zu Rand rund ringsum und fünf Ellen in der Höhe. Eine Schnur von dreißig Ellen umspannte es ringsum. (24) […] unterhalb seines Randes ringsum umgaben es […], zwei Reihen von […] gegossen bei seinem Guss. (25) Es stand aber auf zwölf Rindern, drei nach Norden gerichtet, drei nach Westen, drei nach Süden und drei nach Osten. Das Meer befand sich über ihnen oberhalb, und alle ihre Hinterteile waren nach innen gerichtet. (26) Seine Dicke betrug eine Handbreite, sein Rand aber war gleichwie der Rand eines Bechers gearbeitet als Lotosblüte, es fasste 2.000 Bat.78
Abb. 79: Ehernes Meer (Rekonstruktionszeichnung)
Die mit diesem Kultgerät im Zusammenhang stehenden zehn bronzenen Kesselwagen (1 Kön 7,27–39)79 sind seitlich mit Löwen-, Rinder- und Keruben(1 Kön 7,29) bzw. mit Keruben-, Löwen- und Palmettendarstellungen dekoriert (1 Kön 7,36, s. Abb. 80), die Wächter- und Trägerfunktion übernehmen. Während die Löwen als aggressive Wächter zur Sphäre der königlichen Herrschaft gehören,80 verweisen die Rinder bzw. Stiere wie beim Ehernen Meer eher auf die Sphäre des über das Meer triumphierenden Wettergottes. Die von Keruben bewachten Palmen der Kesselwagen, die ebenso wie die Palme(tte)n- und Meer, 483; Zwickel, aaO 125 ff und Keel, aaO 320 ff. Das Fassungsvermögen des Ehernen Meeres betrug umgerechnet ca. 39.000 Liter und sein Umfang ca. 15 m, s. dazu Zwickel, aaO 127 f und Keel, aaO 321. Wegen seines großen Gewichts (leer 36 Tonnen, gefüllt 82 Tonnen) dürften die Rinder nach Zwickel, aaO 126.133 liegend vorzustellen sein, vgl. Weippert, aaO 469, anders Keel, aaO 323 (stehend). 78 Übersetzung Fritz, Könige I (ZBK.AT), 79. Zu V. 24 s. auch Knauf, Könige I (HThK.AT) 193. 79 S. dazu Weippert, Kesselwagen, 8 ff.40 f; Zwickel, aaO 136 ff und Keel, aaO 325 ff. 80 Zu vergleichen ist ihr Vorkommen am Thron Salomos (1 Kön 10,18–20), s. dazu Weippert, Palästina, 476; Keel, aaO 254 ff; ders./Uehlinger, Göttinnen, 192 und Eichler, Throne, 1 ff.
350 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Abb. 80: Bronzener Kesselwagen (Rekonstruktionszeichnung)
Blumenkelchdarstellungen („Rosetten“) an den Wänden und Torflügeln des Tempels (1 Kön 6,18.29.32.35, s. Abb. 81)81 in den Kontext einer Lebens- und Regenerationssymbolik gehören, verraten dagegen „den Willen, den Tempel als Ort der heilvollen Gegenwart Gottes auf Erden, als Paradies zu stilisieren“82. Zu beiden Seiten der Vorhalle des Tempelgebäudes standen die beiden Säulen Jachin und Boas (1 Kön 7,15–22),83 die aufgrund ihrer lotosförmigen und mit bronzenen Granatäpfeln behängten Kapitelle (s. Abb. 82) ebenfalls in den Bereich der Regeneration verweisen. Schließlich hat auch das kolossale, aus dem Holz der Aleppokiefer gefertigte und mit Gold überzogene Kerubenpaar (1 Kön 6,23–28, vgl. 2 Chr 3,10–13) eine eminente Bedeutung für die Tempeltheologie. Denn als Symbol der Gegenwart JHWHs auf dem Zion trug es der kosmischen Dimensionierung des Tempels Rechnung und qualifizierte die über ihm thronende Gottheit als souveränen Königsgott.84 81
Zu den Motiven auf den Holzreliefs an den Innenwänden des Tempels s. Zwickel, Tempel, 83 ff; ders., Symbolik, 194 ff und Keel, aaO 311 ff. Die Capriden, die auf der Elfenbeinpyxis aus Nimrud (oben Abb. 81) den Baum flankieren, fehlen als Dekorationselement im Jerusalemer Tempel, s. dazu Keel, aaO 312 f. 82 Keel, aaO 315, vgl. ders./Uehlinger, aaO 193 f. 83 Zu ihrer Anfertigung und ihren Namen s. Zwickel, aaO 113 ff und Keel, aaO 316 ff. 84 S. dazu Janowski, Keruben, 257 ff.276 ff; Zwickel, aaO 101 ff und Keel, aaO 294 ff.
§ 9 Schöpfung und Tempel 351
Abb. 81: Capriden und Keruben am Weltenbaum (Nimrud, 9./8. Jh. v. Chr.)
Abb. 82: Oberes Ende der Säulen vor dem Tempel (Rekonstruktionszeichnung)
Durch die kosmologische Symbolik, wie sie im Kerubenpaar, in den Säulen Jachin und Boas, im Ehernen Meer, in den zehn Kesselwagen und der Innendekoration sinnfällig zum Ausdruck kommt, ist der Tempel als Ort des Lebens und der Fruchtbarkeit qualifiziert. Das gilt mutatis mutandis auch für die Kulturen des Alten Orients und Ägyptens, in denen viele Tempel durch ihre Anlage und Ausstattung, aber auch durch ihre Namen und Gründungslegenden/-rituale deutliche Bezüge zur uranfänglichen Schöpfung und ihrer Symbolik aufweisen.
352 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Exkurs 9: Der Tempel als Kosmos Mesopotamien: Edzard, Skyscrapers, 13 ff ◆ George, House ◆ Heinrich, Tempel ◆ Hut-
ter, Religionen, 80 ff ◆ Janowski, Tempel, 39 ff ◆ Ders., Himmel, 240 ff ◆ Lundquist, Temple, 205 ff ◆ Maul, Hauptstadt, 112 ff. – Ägypten: Assmann, Ägypten 1, 35 ff ◆ Finnestad, Image ◆ Hornung, Tempel, 115 ff ◆ Janowski, Tempel, 41 ff ◆ Ders., Himmel, 250 ff ◆ Kurth, Welt, 89 ff ◆ Spencer, Temple ◆ Spiegelberg, Auffassung, 98 ff ◆ Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 314 ff.
1. Mesopotamien In Mesopotamien ist der gestufte Tempelturm (ziqqurratu), der mit der III. Dynastie von Ur (um 2111–2003 v. Chr.) als Nachfolger des auf einer Erdaufschüttung platzierten Hochtempels entsteht,85 schon durch die Namengebung als Teil des Kosmos qualifiziert. So trägt die berühmte, unter Nebukadnezar II. (604–562 v. Chr.) vollendete Ziqqurrat von Babylon86 den sumerischen Namen Etemenanki, womit das etwa 90 m hohe MardukHeiligtum als kosmisch dimensioniertes Bauwerk, als „Haus, Fundament von Himmel und Erde/Unterwelt“ (é-temen-an-ki) bezeichnet wird.87 Andere Tempeltürme Mesopotamiens hießen „Haus, ‚Standort‘ von Himmel und Erde/Unterwelt“ (Dilbat), „Band von Himmel und Erde/Unterwelt“ (Nippur), „Stufenhaus des lauteren Himmels“ (Sippar) oder „Haus, das die Leiter (hinauf zum) Berg ist“ (Kazallu).88 Aus diesen Tempelnamen „lassen sich … unschwer zwei Bezugssphären ablesen: Himmel und Erde auf der einen, Berg auf der anderen Seite. Beides verbunden liefert uns den Schlüssel zum Geheimnis der Ziqqurrat: Der Tempelberg ist die kultisch überhöhte Darstellung des Weltberges, der am Anfang der Schöpfung stand“89. Zwei Textbeispiele sollen diesen komplexen Sachverhalt erläutern.
Mythologische Einleitung zu einem Tempelweihritual Der neusum./jungbabyl. Schöpfungstext CT 13,35–38 aus dem 6. Jh. v. Chr. verbindet die kosmologische Bedeutung des Tempels mit dem Aufstieg Marduks zum Reichsgott. Nach den einleitenden Noch nicht-Sätzen (CT 13,35,1–9, vgl. Ee I 1–9 [s. Q 52]; Laḫar und Ašnan Z. 3 ff; Lugal-e VIII 5 ff ),90 die die Vorwelt beschreiben und am Anfang (Z. 1: „Ein heiliges Haus, ein Haus für die Götter an heiligem Ort war noch nicht errichtet“) wie am Ende (Z. 9: „ein heiliges Haus, ein Haus für die Götter – sein Standort war noch nicht festgelegt“) auf den noch nicht gebauten Tempel Bezug nehmen, leitet der Text mit Damals-Formulierungen zur Darstellung des Urzustandes des noch ungegliederten Kosmos über: 85
Zur baugeschichtlichen Entwicklung und kosmologischen Bedeutung des Tempels in Mesopotamien s. Heinrich, Tempel und Lundquist, Temple, 205 ff. 86 S. dazu Schmid, Tempelturm, vgl. den Überblick bei Maul, Art. Babylon, 384 ff. 87 S. dazu George, House, 149. 88 Zu den Tempelnamen und ihrer Bedeutung s. George, aaO 59 ff. 89 Röllig, Turm, 43, vgl. 45 und Edzard, Skyscrapers, 13 ff. 90 S. dazu Pettinato, Menschenbild, 86 ff.91 ff und zu ägypt. Formulierungsparallelen Assmann, Art. Schöpfung, 677 f.
§ 9 Schöpfung und Tempel 353
10 Alle Länder waren noch Meer, die Quelle inmitten des Meeres war nur ein Rinnsal. Damals war Eridu (schon) gebaut, der Tempel Esangila (schon) errichtet, der Tempel Esangila, den Lugaldukuga im Apsû bewohnt – auch Babylon war (schon) gebaut, der Esangila-Tempel (schon) vollendet – 15 die Anunnaku-Götter – er hatte (sie) zu gleichen Teilen geschaffen – nannten (ihn) in erhabener Weise „Heilige Stadt, Wohnung ihres Wohlseins“. Marduk fügte auf dem Wasser ein Floß zusammen, er schuf Erde und schüttete sie vom Floß. (CT 13,35,10–18)91 Es ist eine tempelzentrierte Sicht, die dieser späte Schöpfungstext vermittelt. Der in der Vorwelt gebaute Tempel von Eridu und Babylon ist das erste Stück festen Landes inmitten eines Urmeers (tâmtu „Meer“ Z. 10 f ), von dem aus die Dinge und Wesen (Götter, Menschen) der Jetzt-Welt ihren Ausgang genommen haben (vgl. Z. 17 f.31; Z. 19 ff ). Der Gott, der sie erschafft, ist Marduk, der in seinem Schöpferhandeln die Aktivitäten Enkis/Eas von Eridu widerspiegelt: „Aus dem Ur-Meer ragte noch kein Festland (‚Länder‘) heraus. Die göttliche Sphäre breitete sich für den Beschwörer offenbar über dem Ur-Meer aus. Einziges Specificum in der Urmasse Meer war die ‚Quelle‘, die den gewissermaßen präexistent gedachten, aber noch nicht erkennbaren apsû, den Sitz des lebenspendenden Gottes Enki/Ea, meint. Der unter der Erdoberfläche sich erstreckende Unterirdische Ozean war noch nicht voll ausgeprägt, wirkte wie ein Rinnsal.“92 Charakteristisch für das Schöpfungsverständnis dieses Textes ist das Enki/Ea-Epitheton „Herrscher über den Heiligen (Ur-)Hügel“ (lugal-du6-kù-ga Z. 13, vgl. Ee VII 99; AGH 76,25), das in der Form „Sohn des duku“ (dumu-du6-kù-ga) als Beiname Marduks belegt ist (Ee VII 99 f, s. Q 53). Der Ausdruck duku „heiliger, reiner Hügel“ (du6-kù) bezeichnet einen kosmischen Ort, der nach der mythischen Geographie der Sumerer als Sitz der Götter im östlichen Randgebirge Babyloniens lag.93 Das duku stand in enger – wenn auch nicht ausschließlicher – Beziehung zum unterirdischen Süßwasserozean (abzu/apsû), auf dem es in der Urzeit gegründet wurde (s. unten 553 Abb. 132).94
Tempelbauhymne des Gudea von Lagaš Das Motiv des im abzu/apsû verankerten und bis in den Himmel ragenden Tempelhauses begegnet bereits in der neusumerischen Tempelbauhymne des Gudea von Lagaš (ca. 2144–2124 v. Chr.), die die Errichtung und Einweihung des Ningirsu-Heiligtums Eninnu in Girsu (Tellō) preist. Als Beispiel für die kosmische Dimensionierung dieses Bauwerks seien Zyl. A XXII 9–16 und Zyl. B I 1–11 zitiert:
91 Übersetzung
Dietrich, Urbild, 21 ff, vgl. zum Text auch TUAT 3/4 (1994) 608 f (K. Hecker) u. a. 92 Dietrich, aaO 21. 93 Vgl. Edzard, Mesopotamien, 51, s. dazu auch Q 53 und Q 72. 94 S. zur Sache Edzard, aaO 38; Lambert, Sumer, 49 f.60 f; Tsukimoto, Totenpflege, 216; Wiggerman, Foundations, 283.284 u. a.
354 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Der Stadtfürst baute das Haus, ließ es wachsen.
10 Wie einen großen Berg ließ er es wachsen. Seine Gründungsnägel des Abzu, große Pfosten, tiefte er in der Erde ein:
Mit Enki im E’engur beraten sie sich.
Die Gründungsnägel des Himmels – Helden sind es – ließ er das um das Haus herum stellen:
15 Sie trinken an der Libationsstätte der Götter Wasser. Das Eninnu, den großen Pfosten, machte er fest.95 Der zweite Text (Zyl. B I 1–11) preist den überwältigenden Glanz des bis an den Himmel reichenden Tempels: 1 Das Haus, ein großer mit Himmel und Erde verwachsener Pfahl des Heimatlandes, Haus Fünfzig, ein wohlgeformter Ziegelbau, dem Enlil ein gutes Schicksal entschieden hat, ein grünes Gebirge, zum Staunen dastehend, 5 unter den Ländern hervorragend, das Haus ist ein großer Berg. Der reicht an den Himmel. Es ist eine Sonne. Die füllt den inneren Himmel. Haus Fünfzig ist der Weiße Aar. Der spreizt die Knie über dem Bergland. 10 Das Heimatland ist …, das Volk … Die hochwohlgeborenen Götter stehen da, (ihr) Staunen zu bekunden.96 Auch in Ägypten begegnet das Motiv von Pharao als Tempelerbauer, das eine Neufassung des Motivs von Pharao als Kanalbauer darstellt (s. Q 48).
2. Ägypten „Die ägyptischen Götter wohnen an sich nicht auf Erden, sondern im Himmel und in der Unterwelt … Daher muß ihnen der Tempel als ein irdischer ‚Himmel‘ zubereitet werden“97. Die Bezeichnung des Tempels als „Himmel“ (pt) ist für Ägypten charakteristisch.98 So heißt der Tempel von Heliopolis „Der Himmel Ägyptens“ und derjenige von Karnak „Der Himmel auf Erden“99. Der Tempel ist ein steingewordenes Abbild des Kosmos, der von göttlichen Kräften durchwaltet wird und in dessen Allerheiligstem das Kultbild steht.
95
Übersetzung TUAT.NF 7 (2013) 29 (S. Paulus), s. auch Falkenstein/von Soden, SAHG, 159 (Falkenstein); Volk (Hg.), Erzählungen, 140 f (W. Heimpel) u. a. 96 Übersetzung Volk (Hg.), aaO 148 (W. Heimpel), s. auch Falkenstein/von Soden, aaO 166, vgl. Edzard, aaO 15 und zur Sache noch Zyl. A XXI 23; B XXIV 9 u. ö. Auch die anderen sum. Tempelhymnen sind voll von kosmologischen Motiven, s. dazu die Hinweise bei Janowski, Himmel 245 Anm. 39. 97 Hornung, Geschichtsbewußtsein, 17 Anm. 27, vgl. zur Sache ders., Der Eine, 223 ff. 98 S. dazu Spiegelberg, Auffassung, 98 ff; de Buck, Voorstellingen; Schäfer, Weltgebäude, 87 f.92 ff und Hornung, Art. Himmelsvorstellungen, 1217. 99 S. dazu Grapow, Ausdrücke, 27.
§ 9 Schöpfung und Tempel 355
Spätägyptische Tempeldekoration Das sinnfälligste Abbild der Welt bietet die Architektur des ägyptischen Tempels, der im Neuen Reich (18.–21. Dyn.) seine endgültige Form erreicht und mit Pylon (= ‚Horizont‘), Säulen (= ‚Himmelsstützen‘) und Tempeldach (= ‚Himmel‘) den Kosmos repräsentiert. Ein schönes Beispiel bietet der Aufriss des in der 18. Dynastie errichteten und in der 20. Dynastie vollendeten Chons-Tempels in Theben (Abb. 83), an dem sich der Weg von der Sphinxallee (1) ins Tempelinnere (3–5) nachvollziehen lässt: er steigt, der Mittelachse folgend, über Stufen und Rampen langsam an, während die Decken gleichzeitig niedriger und die Räume immer dunkler und enger werden.
7 6 5 4 3
1
2
Abb. 83: Isometrische Darstellung des Chons-Tempels in Karnak (20. Dyn.) In den spätägyptischen Tempeln von Dendera, Edfu, Esna, Kom Ombo und Philä gelangten kosmologische Vorstellungen zum Durchbruch, die durch die Sakralbauten der pharaonischen Zeit und deren kosmologische Symbolik präfiguriert waren.100 Belegen lässt sich das durch die zahlreichen Inschriften dieser Tempel, aber auch durch ihr reiches Dekorationsprogramm.101 So stellt in ihnen der Fußboden die Erde und die mit Sternen oder astronomischen Darstellungen übersäte Decke den blauen Tageshimmel dar. Zwischen Fußboden und Decke, also zwischen „Erde“ und „Himmel“, spannen sich nicht nur als Papyrus, Lotos oder Palme stilisierte Pflanzensäulen, sondern auch die Dekorationen der Wände aus, deren Sockelzone jeweils mit Sumpfpflanzen oder Nilgötterprozessionen bemalt sind. Wer diesen sakralen Innenraum betrat, befand sich nicht nur in einem aus der profanen Welt ausgegrenzten Bereich, sondern in einem steingewordenen Mikrokosmos, der in der Vielfalt seiner Erscheinungsformen die Fülle der Schöpfung sinnenfällig machte, ja geradezu beschwor.102 100 S.
dazu Kurth, Himmel, 136 ff; ders., Welt, 89 ff und Finnestad, Image. Edfu s. Kurth, Treffpunkt. 102 Vgl. Assmann, Ägypten 1, 45. 101 Für
356 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Spätägyptische Tempelinschriften Die Tempel/Kosmos-Konzeption hat nicht aber nur die Gesamtanlage, sondern auch die Gestaltung einzelner Gebäudeteile geprägt. Ein charakteristisches Beispiel sind die Fenster im westlichen Treppenhaus des Hathortempels von Dendera (s. Abb. 84). Die dazugehörigen Texte unterstreichen den kosmologischen Bezug. So sind die Texte unterhalb der stilisierten Sonnenstrahlen auf den vom Sonnengott Re ausgehenden Lichtglanz bzw. auf das am Osthorizont erscheinende Morgenlicht bezogen: Du mögest täglich am Himmel erstrahlen, nachdem du die beiden Länder (sc. Ägypten) mit Licht bestreut hast. Du mögest hervorkommen aus dem Fenster des Tempels von Dendera und deine Tochter (sc. Hathor von Dendera) mit deinem Licht vereinen.103
scene B
A
Abb. 84: Fenster im Hathortempel von Dendera mit stilisierten Sonnenstrahlen (Innenansicht) „Fällt das Morgenlicht durch das Fenster ins Tempelinnere“, so D. Kurth, „dann ist das Fenster für den Tempel der Ort des Sonnenaufgangs, also der Morgenhorizont der Tempelwelt.“104 Die kosmologische Symbolik der spätägyptischen Tempel lässt sich auch an der Zuordnung von Naos (mit dem Kultbild des Hauptgottes) und übrigem Tempel ablesen. Wenn am Morgen die verschlossenen Türen des Allerheiligsten geöffnet wurden und der Sonnengott die Tempelwelt von den Pylonen bis zum Naos mit seinem lebenspendenden Licht erfüllte, wurden liturgische Formeln rezitiert, die das Heiligtum in seiner Funktion als Kosmos, als „irdischen Himmel“ preisen, z. B.:
103 Textzitat 104 Ders.,
nach ders., ebd. ebd.
§ 9 Schöpfung und Tempel 357
Die Türflügel des Himmels (ʿꜢwj pt) werden aufgetan auf Erden, so dass die Fremdländer und Ägypten erglänzen durch seine Erscheinungsformen.105 Die kosmologische Bedeutung des Tempels beruht danach auf der Antinomie von „Innen“ und „Außen“, d. h. auf der Gegenüberstellung von erscheinender Gottheit im Tempel und der weltweiten Ausstrahlung ihrer Macht. Diese Antinomie ist allerdings älter als die spätägypt. Tempeldekoration und begegnet bereits in Tempelinschriften des Neuen Reichs (18.–20. Dynastie, s. Q 47). 𓇼
b) Kosmologische Symbolik in exilisch-nachexilischer Zeit „Der Tempel ist in der Welt, aber nicht von der Welt“106 – dieses auf die mesopotamischen und ägyptischen Tempel gemünzte Dictum gilt auch für die Heiligtumskonzeptionen der Priesterschrift und des Ezechielbuchs. Zwischen beiden Konzeptionen gibt es allerdings auch Unterschiede. α) Zeltheiligtum und Tempelquelle Weltschöpfung und Heiligtumsbau (Ex *24,15b–40,38) Altes Testament: Blum, Studien, 306 ff.312 ff.329 ff ◆ Ederer, Begegnung ◆ Irsigler, Gottes-
bilder, 1280 ff ◆ Jacob, Pentateuch, 342 ff ◆ Janowski, Tempel, 216 ff ◆ Ders., Sinai, 11 ff ◆ Ders., Anthropologie, 432 ff ◆ Koch, Wohnstatt, 202 ff ◆ Levenson, Creation, 78 ff ◆ Rhyder, Tent of Meeting, 35 ff ◆ Utzschneider, Raum, 19 ff ◆ Weimar, Sinai, 269 ff. – Kultur- und Literaturwissenschaft: Assmann, Exodus ◆ Bark, Heiligtum.
In vielen Exodus-Kommentaren und Bibellexika finden sich Abbildungen, die die sog. „Stiftshütte“ von Ex *25,1–40,38 detailgenau wiedergeben und in eine karge Wüstenlandschaft versetzen (vgl. Abb. 85). Das ist eine spezielle Form der Rezeption, die mehr über die Rezipienten als über die Autoren des biblischen Textes aussagt. Ob es dieses Bauwerk jemals gegeben hat oder ob es fiktional ist107 – entscheidend ist der Sachverhalt, dass der Textkomplex Ex *25,1–40,38 ein Heiligtum beschreibt, das zwar „keinen historisch fassbaren örtlichen oder zeitlichen Bezug“108 hat, aber dennoch „kein reines Phantasiegebilde in dem Sinne (ist), dass der Verfasser losgelöst von jeder Wirklichkeit, sich alle diese Dinge
105 Hibis
31,3, zitiert nach Assmann, aaO 46, vgl. auch die Zusammenstellung ähnlicher Formeln bei ders., Lieder, 253 ff; Brunner, Sonnenbahn, 219 ff, ferner Kurth, aaO 91 f; Hornung, Der Eine, 225 f und zu den Tempelnamen Grapow, Ausdrücke, 24 ff; Helck, Art. Tempelbenennungen, 363 ff u. a. 106 TUAT.NF 8 (2015) 46 (A. Zgoll, H. v. m.). 107 Mit Jacob, Pentateuch, 342 ff; ders., Exodus, 756 ff.855 ff u. a. ist vom Letzteren, d. h. von einem „temple imaginaire“ auszugehen, s. dazu auch Janowski, Sinai, 32 ff und Rhyder, Tent, 301 ff. 108 Utzschneider, Raum, 23.
358 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Abb. 85: Das priesterliche Begegnungszelt (Rekonstruktionszeichnung)
ausgedacht habe“109. Vielmehr rekurriert die Priesterschrift auf traditionelle Elemente wie die Lade, die Keruben oder den Altar, denen sie im Rahmen ihrer Heiligtumskonzeption eine neue Bedeutung beilegt. Um diese neue Bedeutung geht es im Folgenden. Der „Himmel auf Erden“ „Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. Und sie lagerten in der Wüste“ (Ex 19,1.2aβ) – mit dieser Itinerarnotiz beginnt die priesterliche Sinaigeschichte Ex *24,15b–40,38,110 in der sich 4-mal die theologisch gewichtige šākan-Aussage findet.111 Im Zentrum dieses Textkomplexes stehen, gerahmt von den beiden Berichten über das Erscheinen der „Herrlichkeit JHWHs“ (kebôd JHWH) auf dem Sinai (Ex 24,15b–18a) und seiner Gegenwart auf dem Zeltheiligtum (Ex 40,17.34 f ), die Anweisungen zum Bau des Heiligtums (Ex *25,1–31,18) sowie der Ausführungsbericht (Ex *35,1–40,38). Während sich die šākan-Aussagen Ex 24,16 und Ex 40,35 jeweils in den Rahmenstücken 24,15b–18a und Ex 40,34 f finden, gehören Ex 25,8 und Ex 29,45 f zum Mittelstück (Ex *25,1–39,43) der priesterlichen Sinaigeschichte. Hier wiederum bildet die JHWH-Rede Ex 29,43–46 den sachlichen Höhepunkt: 43 Dort werde ich den Israeliten begegnen, und er wird geheiligt werden durch meine Herrlichkeit. 44 Ich werde das Begegnungszelt und den Altar heiligen, und Aaron und seine Söhne werde ich heiligen, um mir Priester zu sein. 109 Jacob,
jʿd nif. qdš pi.
Pentateuch, 343. dazu Albertz, Exodus II (ZBK.AT), 12 ff. Zur Frage nach dem Ende von Pg s. oben 44. 111 Ex 24,16; 25,8; 29,45 f; 40,35, s. dazu Janowski, Tempel, 224 ff, ferner Dohmen, Exodus II (HThK.AT), 273 f.399 ff; Weimar, Sinai, 269 ff und Nihan, Torah, 31 ff. 110 S.
§ 9 Schöpfung und Tempel 359
45 Und ich werde inmitten der Israeliten wohnen und ich werde ihnen Gott sein, 46 damit sie erkennen, dass ich JHWH, ihr Gott, bin, der sie aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, um in ihrer Mitte zu wohnen Ich bin JHWH, ihr Gott.
šākan BF EF, SF HF šākan SF112
Diese JHWH-Rede kann als Mitte der priesterlichen Sinaierzählung bezeichnet werden.113 Denn dieses Zeltheiligtum, dessen „Bauplan“ (tabnît) Mose nach Ex 25,1–9 auf dem Sinai gezeigt wird (vgl. Ex 24,15b–18a)114 und dessen Herstellungsanweisungen Ex 25,10 ff (Bau der Geräte) und Ex 26,1 ff (Bau der Wohnung) detailliert entfalten, ist der irdische Ort, an dem JHWH inmitten seines Volkes „wohnen“ (Ex 25,8) oder – wie Ex 29,43–46 formuliert – an dessen Eingang er den Israeliten „begegnen“ will (jʿd nif. V. 43).115 Dabei führt in Ex 29,43– 46 die thematische Linie von jʿd nif. „begegnen, sich offenbaren“ (V. 43) über qdš pi. „heiligen“ (V. 44) zu den šākan-Aussagen, denen in V. 45 f eine rahmende Funktion zukommt. Schlägt man von dort einen Bogen zu der die Sinaierzählung abschließenden Darstellung in Ex 40,34 f, so wird deutlich, dass mit dieser ‚Besitzergreifung‘ des Heiligtums durch die „Herrlichkeit JHWHs“ das auf dem Sinai begonnene Geschehen der Gottesbegegnung (Ex 24,15b–18a) zu seinem (vorläufigen) Abschluss kommt:
112 Siglen:
BF = Bundesformel, EF = Erkenntnisformel, HF = Herausführungsformel, SF = Selbstvorstellungsformel. 113 S. dazu Janowski, Sühne, 317 ff, ferner Dohmen, aaO 273 f; Albertz, aaO 226 ff; Ederer, Begegnung, 249 ff u. a. 114 Obwohl das Lexem „Himmel“ in Ex 24,15b–40,38 nicht vorkommt (vgl. Koch, Wohnstatt, 193 f ), ist es gerechtfertigt, vom Zeltheiligtum als einem „Himmel auf Erden“ zu sprechen. Der Grund dafür hängt zum einen mit der Kerubenkonzeption von Ex 25,17–22 (s. die folgende Anm.) und zum anderen mit dem Begriff tabnît „Modell, Bauplan, Entwurf “ (Ex 25,9 [2-mal]; 25,40; 26,30) und der Abfolge der beiden Texte Ex 24,15b–18a (Sinaiszene) und 25,1–9 (göttlicher Spendenaufruf ) zusammen, s. dazu Janowski, Sühne, 311 Anm. 20; ders., Sinai, 23 ff; Schroer, Bilder, 336 f; Koch, aaO 312 ff, vgl. bereits Jacob, Exodus, 855 f. 115 Von einer Gottesbegegnung ist nach Ex 24,15b–18a das erste Mal in Ex 25,*17–22 (Anfertigung von kapporæt „Sühnmal“ und Keruben) die Rede, und zwar unter Rekurs auf das Verb jʿd nif. („begegnen“) + Subj. Gott. War die Bedeutung der beiden Keruben im salomonischen Tempel – als Tragtiere des „Kerubenthroners“ (jošeb hakkerûbîm) markieren sie die Grenze zur göttlichen Sphäre – darauf zurückzuführen, dass an diesem Ort himmlischer und irdischer Bereich ineinander übergehen (vgl. 1 Kön 6,23–28, s. dazu Keel, Geschichte, 294 ff ), so wird die Art der Gottesgegenwart im Begegnungszelt nach Ex 25,22 anders bestimmt: nicht als ein „Thronen“ (jāšab) auf/über den Keruben, sondern als ein „Begegnen“ (jʿd nif.) und „Reden“ (dibbær) JHWHs mit Mose von der kapporæt aus. Unter Zurückweisung des traditionellen Thronmotivs ist also „die damit verbundene vertikale Kosmologie nicht gänzlich getilgt worden“ (Koch, Wohnstatt, 214), s. dazu Janowski, Sühne, 345 f; Nihan, Torah, 46 und Koch, aaO 213 ff.
360 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 40,34 Und die Wolke bedeckte das Zelt der Begegnung, vgl. 24,15b und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnstätte. 35 Und Mose konnte nicht in das Zelt der Begegnung hineingehen, denn die Wolke hatte sich auf ihm niedergelassen, vgl. 24,16aα und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnstätte.
Mit diesem ‚Ortswechsel‘ vom Sinai zum Zelt der Begegnung (ʾohæl môʿed) repräsentiert dieses von nun an den Ort der Gegenwart JHWHs in Israel. B. Jacob (1862–1945) hat diesen Zusammenhang erstmals in seinem Pentateuch-Kommentar von 1905 beschrieben und das Begegnungszelt als „wandelnden Sinai“ bezeichnet: „Das Stiftszelt ist ein wandelnder Sinai. Aber die dauernde Wohnung Gottes war auch der Sinai nicht gewesen, dorthin war er erst vom Himmel hinabgestiegen, um zu Mose und dem Volke zu reden. Also ist das Stiftszelt ein Stück auf die Erde mitten unter ein Volk versetzter Himmel.“116
Damit konstruiert die priesterliche Sinaigeschichte einen heiligen Raum, in dem sich die Gottespräsenz als „Einwohnung“ (Terminus šākan) ereignet. Die mit dieser Gottespräsenz verbundene Symbolik ist komplex und lässt sich anhand der intertextuellen Beziehungen zwischen Gen *1,1–2,3 und Ex *24,15b–40,38 erschließen: Sinai Ex 24,15b–18a „Begegnung“ zwischen JHWH und Mose V. 16.18a, 6 Tage/7. Tag V.16, šākan V.16 „verzehrendes Feuer“ auf dem Sinai V. 17
Schöpfung
Gen *1,1–2,3
Heiligtum Ex *25,1–40,38
6 Tage/7. Tag Gen 1,*3–31/2,2 f
– (s. aber Ex 24,16)
Entsprechungsformel in Gen 1,*7–30 Vollendung der Schöpfung Gen 1 f Sonne u. Mond als „Leuchten“ Gen 1,14–19, vgl. Gen 1,3–5 –
Entsprechungsformel in Ex 40,*19–32 Vollendung der Wohnstätte Ex 39 f Menora als „Leuchte“ Ex 27,20 f (Ps) „Feuer“ in der Wolke über dem Heiligtum Ex 40,38 (Ps)
Abb. 86: Entsprechungen zwischen Gen *1,1–2,3 und Ex *24,15b–40,38 116 Jacob, Pentateuch, 155 (H. i. O.), s. auch ders., Exodus, 756 f.1031 f und die Rezeption bei Ja-
nowski, aaO 336 ff; ders., Tempel, 230; Dohmen, aaO 273; Propp, Exodus II (AB 2A), 687 f; Albertz, aaO 378 f; Markl, Funktion, 65 ff u. a.
§ 9 Schöpfung und Tempel 361
Dass es Entsprechungen zwischen Schöpfung und Sinai gibt, ist seit längerem gesehen worden.117 Dazu gehört zum einen die Korrespondenz zwischen der Vollendung der Schöpfung und der Errichtung des Heiligtums, wie sie durch die Verben „sehen“ in Ex 39,43a // Gen 1,31a, „vollenden“ in Ex 39,32a // Gen 2,1 und in Ex 40,33b // Gen 2,2a, „segnen“ in Ex 39,43b // Gen 2,3aα und „heiligen“ in Ex 40,9b // Gen 2,3aβ angezeigt wird. Zum anderen wird die Korrespondenz zwischen Schöpfung und Sinai am Motiv „Sechs Tage/Siebter Tag“ deutlich, das die Offenbarung JHWHs am Sinai (Ex 24,*15b–18a) in Analogie zum Schöpfungshandeln Gottes am Anfang (Gen 1,*3–31) bringt:118 2 Und Gott vollendete am siebten Tag seine Arbeit, die er getan hatte, und er hörte am siebten Tag auf mit all seiner Arbeit, die er getan hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und er heiligte ihn: denn an ihm hörte er auf mit all seiner Arbeit, die Gott geschaffen hatte, indem er (sie) tat. (Gen 2,2 f ) 15b Und die Wolke bedeckte den Berg, 16 und die Herrlichkeit JHWHs ließ sich auf dem Berg Sinai nieder, und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage lang. Und er (JHWH) rief Mose am siebten Tag mitten aus der Wolke. (Ex 24,15b–16)
Dieser intertextuelle Zusammenhang weist darauf hin, dass mit Ex *24,15b– 40,38 das Ziel der priesterlichen Schöpfungsgeschichte konkretisiert und das Wüstenheiligtum „Teil des Schöpfungsgeschehens“119 wird. Zwischen Schöpfung und Sinai verläuft die Geschichte Israels aber nicht einfach linear, sondern sie wird mehrfach gebrochen (durch die Flut u. a.) und jeweils durch das rettende Eingreifen JHWHs weitergeführt, indem dieser „auf die ‚Störungen‘ der guten Schöpfung durch seine Geschöpfe, zumal durch die Menschen“120 reagiert – und zwar durch ein Handeln, das den Brüchen des Geschichtsverlaufs das Schöpfungswidrige nimmt und so einen Neuanfang setzt. Diesen Neuanfang fasst die priesterliche Sinaigeschichte in die Metapher vom „Wohnen“ (šākan) des Schöpfergottes inmitten der Israeliten (Ex 25,8; 29,45 f ) und bringt damit zum Ausdruck, dass die in der Schöpfung grundgelegte Hinwendung Gottes zur Welt 117 S.
dazu Jacob, Pentateuch, 157 f.245; Weimar, aaO 297 ff; Janowski, Tempel, 223 f; Bührer, Anfang, 126 f; Albertz, aaO 371 ff u. a. Auch die sieben Entsprechungsformeln in Ex 40,*19– 32 dürften auf die Weltschöpfung anspielen, vgl. Albertz, aaO 376. 118 S. dazu Janowski, aaO 223 ff und Weimar, aaO 291 ff, ferner Bark, Heiligtum, 74 ff u. a. Das 7 Tage-Schema begegnet noch in Ex 40,17 und in Lev 9,1 (Ps?), s. dazu Jacob, Exodus, 1029; Weimar, aaO 302 ff und Albertz, aaO 376. 119 Bark, aaO 77, vgl. von Rad, Theologie 1, 246 f, dem zufolge die Priesterschrift „allen Ernstes zeigen (will), daß der im Volke Israel historisch gewordene Kultus das Ziel der Weltentstehung und Weltentwicklung ist. Schon die Schöpfung ist auf dieses Israel hin angelegt worden.“ 120 Blum, Komposition, 330, vgl. Janowski, aaO 242 f.
362 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
ihr Ziel am Sinai erreicht, und zwar als Gemeinschaft des Schöpfers mit seinem Volk.121 Das Licht des Leuchters Eine kosmologische Bedeutung kommt auch anderen Geräten und Gegenständen des priesterlichen Heiligtums zu. Dazu zählen die Lade mit kapporæt und Keruben (Ex 25,*17–22), der Leuchter (Ex 25,10–40) und der hohepriesterliche Ornat (Ex 28).122 Von besonderem Interesse ist der im Hauptraum (hêkāl) stehende siebenarmige Leuchter (menôrāh, s. Abb. 87), dessen Anfertigung in Ex 25,31–40 angeordnet wird und dessen kosmologische Bedeutung aus Ex 27,20 f hervorgeht: 20 Du aber sollst den Israeliten gebieten, dass sie dir reines, zerstoßenes Olivenöl für den Leuchter (māʾôr) bringen, um ein beständiges Licht (ner tāmîd) aufzusetzen.123 21 Im Zelt der Begegnung außerhalb des Vorhangs, der vor dem Zeugnis ist, sollen Aaron und seine Söhne es herrichten, vom Abend bis zum Morgen vor JHWH. Eine ewige Satzung (ist es) für ihre Generationen vonseiten der Israeliten.
Abb. 87: Siebenarmiger Leuchter (Rekonstruktion)
121 Vgl.
Blum, aaO 331 und Janowski, Schöpfung, 146. Im Blick auf diesen Zusammenhang ist der Hinweis von Schellenberg, Mensch, 393 ff zu beachten, dass die Erschaffung des Menschen als „Bild Gottes“ (Gen 1,26 f ) nicht ausreicht, damit Gott in der Welt präsent ist. JHWH „muss vielmehr selbst in der Welt Wohnung nehmen und diese sozusagen von innen her verwandeln“ (aaO 393), vgl. oben 85. 122 S. dazu Keel, Geschichte, 916 ff; Utzschneider, Raum, 24 ff und Janowski, Anthropologie, 437 f. 123 Oder: „zu entzünden“, s. dazu Ederer, Begegnung, 36 ff.
§ 9 Schöpfung und Tempel 363
Mit der Zeitangabe, dass der Leuchter „vom Abend bis zum Morgen“, d. h. während der ganzen Nacht, brennen soll (vgl. Ex 25,37)124 sind Konnotationen verbunden, die auf einen kosmologischen Motivhintergrund verweisen. Zu denken ist dabei zunächst an den durch den Wechsel von Abend und Morgen konstituierten Tag/Nacht-Rhythmus, wie er innerhalb des priesterlichen Schöpfungstextes (Gen 1,1–2,3) in der sog. Tagesformel „Und es wurde Abend und es wurde Morgen“ (Gen 1,5.8.13.19.23.31) zum Ausdruck kommt.125 Dieser grundlegende Rhythmus der Schöpfung wird dann in Gen 1,14–19 aufgenommen, wo es um die Rhythmisierung der Zeit und damit um den Kalender geht.126 Auch hier spielt der aus Gen 1,3–5 bekannte Gegensatz von Licht/Tag und Finsternis/Nacht eine konstitutive Rolle: (14) Und Gott sprach: „Es seien Leuchten (meʾorot) an der Feste des Himmels, um zu unterscheiden zwischen dem Tag und der Nacht. Und sie sollen dienen als Zeichen, und zwar für Zeiten und für Tage und für Jahre. (15) Und sie werden als Leuchten (meʾôrot) dienen an der Feste des Himmels, um zu leuchten (ʾôr hif.) auf die Erde. Und es geschah so. (16) Und Gott machte die beiden großen Leuchten (meʾorot), die große Leuchte zur Herrschaft über den Tag und die kleine Leuchte zur Herrschaft über die Nacht, und die Sterne. (17) Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, um zu leuchten (ʾôr hif.) auf die Erde (18) und um zu herrschen über den Tag und die Nacht und um zu scheiden zwischen dem Licht und der Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war. (19) Und es wurde Abend und es wurde Morgen: vierter Tag. (Gen 1,14–19)
Vor diesem Hintergrund erhält die Anweisung von Ex 27,20 f ihre kosmologische Bedeutung, und zwar insofern, als der Leuchter „das der Strukturierung der Zeit dienende kosmische Licht der ursprünglichen Schöpfung repräsentiert“127. Analog zu den „Leuchten“ (meʾôrot) von Gen 1,14 ff ist die Menora von Ex 27,20 f als Lichtquelle zu verstehen, allerdings nicht für den von ihr erfassten nächtlich-dunklen Raum des Heiligtums, sondern als „Taktgeber“128, der den durch Abend und Morgen angezeigten Rhythmus von Tag und Nacht mitvollzieht und auf diese Weise „den in Gen 1,5 vorgegebenen ‚Grundrhythmus‘ der Zeit (untermauert)“129. So bildet die Menora „eine Ordnung von Zeit ab, die durch die Setzungen der Schöpfung strukturiert ist“130.
124 Ex 25,37
lautet: „Dann sollst du seine (sc. des Leuchters) sieben Lampen machen. Man soll die Lampen (so) aufsetzen, dass man den Raum vor ihm erhellt (ʾôr hif.), s. dazu Ederer, aaO 52 u. ö. 125 S. dazu Grund, Entstehung, 203 ff und Ederer, aaO 54 f. 126 S. dazu Grund, aaO 213 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 53 ff. Zur Position dieses 4. Tages innerhalb von Gen 1,1–2,3 s. oben 46 f. 127 Ruwe, Heiligkeitsgesetz, 325 (im Blick auf die wortgleiche Formulierung in Lev 24, 2 f ), vgl. Grund, aaO 215 f; Gertz, aaO 55 und Ederer, aaO 57 f. 128 Ederer, aaO 58. 129 Ders., ebd. 130 Ders., aaO 60.
364 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Die Tempelquelle (Ez 47,1–12) Ego, Wasser der Gottesstadt, 361 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 1027 ◆ Janowski, Wohnung, 45 ff ◆ Keel, Geschichte, 899 f ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 86 ff ◆ Konkel, Architektonik, 192 ff ◆ Lichtenstein, Mitte, 224 ff ◆ Schroer, Psalm 65, 285 ff ◆ Weippert, Kesselwagen, 40 f ◆ Zwickel, Tempelquelle, 140 ff.
Neben dem priesterlichen Heiligtumsentwurf enthält auch die Vision des zukünftigen Tempels in Ez 40–48131 kosmologische Implikationen. Infrage kommt dafür nicht nur der Passus über die solare Ausdeutung der Rückkehr JHWHs in Ez 43,*1–6, sondern auch die Vision über die Tempelquelle in Ez 47,1–12. Gegenüber der Beschreibung des neuen Tempels (Ez 40,1–42,20), der Rückkehr der Herrlichkeit JHWHs in ihn (Ez 43,1–12) und der Vorschriften für den Tempelkult (Ez 43,13–46,24) weitet die Vision von der Tempelquelle „den Horizont über das Heiligtum und die Stadt hinaus auf das ganze Land aus“132, das bereits in Ez 43,2 bei der Rückkehr der Herrlichkeit JHWHs in strahlenden Lichtglanz getaucht worden war: Und siehe, die Herrlichkeit (kābôd) des Gottes Israels kam von Osten her, und ihr Rauschen war wie das Rauschen gewaltiger Wasser, und das Land leuchtete (ʾwr hif.) von seiner Herrlichkeit (kābôd).133
Die Vision von der Tempelquelle, deren Wasser unterhalb der Tempelschwelle hervorquillt, das dann zu einem Fluss und schließlich zu einem unpassierbaren Strom wird, gliedert sich in die beiden Abschnitte Messungen des Tempelstroms (Ez 47,1–6a) und Deutung des Tempelstroms (Ez 47,6b–12).134 Der zweite Abschnitt lautet folgendermaßen: Rückführung des Propheten entlang des Ufers (6b) Und er (sc. der Mann) führte mich zurück an das Ufer des Baches. (7) Als ich zurückkehrte, (siehe) da waren am Ufer des Baches zu beiden Seiten sehr viele Bäume.
Deutung der Vision durch den Mann (8) Und er sagte zu mir: „Diese Wasser fließen hinaus in den östlichen Bezirk und sie fließen hinab durch die Steppe und münden ins Meer, ins gesalzene Wasser (?), und die Wasser werden geheilt. (9) Und alle Lebewesen, die wimmeln an jedem Ort, wohin der Bach kommt, werden leben. Und die Fische werden sehr zahlreich sein. Denn dorthin kommen diese Wasser, und sie werden geheilt. Und lebendig wird alles sein, wohin der Bach kommt. (10) Und es werden Fischer an ihm stehen, von En-Gedi bis En-Eglaim wird man 131 S.
dazu oben 308 ff. Ezechiel II (NSK.AT), 320. 133 S. dazu oben 311 f. 134 Vgl. Konkel, Architektonik, 196 und Sedlmeier, aaO 323. Zur Übersetzung s. unten 495 f (Anhang I). Mit Konkel, aaO 201 und Sedlmeier, aaO 322 f gehe ich von der Einheitlichkeit des Textes aus. 132 Sedlmeier,
§ 9 Schöpfung und Tempel 365
Netze zum Trocknen ausbreiten. Nach ihrer Art werden seine (sc. des Wassers) Fische sein wie die Fische des großen Meeres, sehr zahlreich. (11) Seine sumpfigen Stellen und seine Tümpel aber – sie sollen nicht geheilt werden, sondern zur Salzgewinnung verwendet werden. (12) Am Bach aber wachsen an seinem Ufer hüben und drüben allerlei Fruchtbäume empor. Ihr Laub wird nicht welken, und ihre Frucht kein Ende nehmen. Jeden Monat tragen sie frische Früchte, denn seine (sc. des Baches) Wasser – aus dem Heiligtum fließen sie heraus, und ihre Früchte dienen zur Speise und ihre Blätter zur Arznei.
Auf die Frage des Mannes „Hast du gesehen, Menschensohn?“ (V. 6a) wird der Prophet an das Ufer des Baches zurückgeführt, wo er die Lebensfülle zu sehen bekommt, die durch das aus dem Tempel hervorquellende Wasser hervorgebracht wird (V. 6b–7). Die Deutung dieses Geschehens durch den Mann setzt mit einer Schilderung des Verlaufs des Wassers vom Tempel bis zum Meer135 ein, dessen Salzwasser dadurch „geheilt“ wird (rāpāʾ nif. V.8). V. 9–12 beschreiben die Wirkungen dieses Heilungsvorgangs auf die Fauna (V. 9–11) und die Flora (V. 12). Die Fauna wird dabei zunächst mit dem aus Gen 1,20 f.24 und 9,10.12.15 f bekannten Ausdruck „alles lebendige Wesen/alle Lebewesen“ (kål næpæš ḥajjāh) bezeichnet,136 unter denen die Fische hervorgehoben werden (V. 9). Wieder taucht hier das Verb rāpāʾ nif. („geheilt werden“) auf, und zwar positiv in V. 9 (mit Bezug auf das Wasser des Bachs) und negativ in V. 11 (mit Bezug auf die salzigen Tümpel). Mit der Vision der nie welkenden und immer Frucht tragenden Bäume kehrt V. 12 zum Baummotiv von V. 7 zurück und rahmt mit diesem elementaren Lebensbild – „ihre (sc. der Bäume) Früchte dienen zur Speise und ihre Blätter zur Arznei (terûpāh)“ – den ganzen Abschnitt V. 6b–12. Die Vision von der Tempelquelle entwirft somit „ein Lebensbild, nach dem die verwundete und gestörte Schöpfung zu ihrer ursprünglichen Güte zurückkehrt. Sie wird wieder gut, ja sehr gut (vgl. Gen 1,31), weil die göttliche Gegenwart sie von innen her erneuert“137. An welche Vorstellungen und Motive knüpft diese paradiesisch anmutende Vision von der Tempelquelle an? Bei der Analyse der Paradiesgeographie in Gen 2,10–14 haben wir zum einen auf neuassyrische Gartenlagen (s. dazu Q 95) und zum anderen auf die Sachparallele Ps 36,9138 hingewiesen. Dazu kommt Ps 46,139 wo der Terminus pælæg („Kanal, 135 Gemeint
ist das Tote Meer, zum Textproblem s. Konkel, aaO 194 f. dazu Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 57 f und Müller, Seele, 301 f. 137 Sedlmeier, aaO 327. 138 „Sie (sc. die Menschenkinder) laben sich am Fett deines Hauses, und mit dem Bach (naḥal) deiner Wonnen tränkst du sie“, s. dazu oben 97. In Ps 65,10 und in Hi 38,25 geht es dagegen nicht um den mit dem Tempel in Verbindung stehenden Gottesstrom, sondern um den „Kanal“ (pælæg Ps 65,10) bzw. die „Rinne“ (teʿālāh Hi 38,25), durch den/die der Regen vom Himmel auf die Erde herabgeleitet wird, s. dazu oben 98. 139 Zu Ps 46 s. außer den Kommentaren noch Janowski, Wohnung, 45 ff; Hartenstein, „Wehe“, 138 ff; Lichtenstein, Mitte, 28 ff; Leuenberger, Gott, 253 ff u. a. 136 S.
366 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Bach“ V. 5) den Gottesstrom bezeichnet, der Jerusalem und seinen Tempel mit dem lebenspendenden Wasser versorgt. Der Grundpsalm V. 2–8 lautet folgendermaßen: 2 Gott ist für uns Zuflucht und Stärke, als Hilfe in Nöten sehr bewährt. 3 Darum fürchten wir uns nicht beim Schwanken der Erde und beim Wanken der Berge mitten ins Meer, 4 wenn auch seine Wasser tosend schäumen, Berge durch seine Hoheit/Erhabenheit erbeben. – Sela 5 Ein Strom – seine Kanäle (pelāgîm) erfreuen die Gottesstadt, die heiligste der Wohnungen des Höchsten. 6 Gott ist in ihrer Mitte, sie wankt nicht, Gott hilft ihr beim Anbrechen des Morgens. 7 Völker tosten, Königreiche wankten – er hatte seine (Donner-)Stimme erhoben, so dass die Erde schwankt. 8 JHWH Zebaoth ist mit uns, eine Burg für uns ist der Gott Jakobs. – Sela (Ps 46,2–8) In V. 5 f werden zwei miteinander verknüpfte Sachverhalte zum Ausdruck gebracht: zum einen „erfreut“ der Gottesstrom die Gottesstadt // die heiligste der Wohnungen des Höchsten (V. 5), zum anderen „hilft“ ihr JHWH, der Gott in ihrer Mitte, beim Anbrechen des Morgens (V. 6). Während in V. 6 das (negierte) Stichwort „wanken“ (mûṭ V. 6a)140 eine Antithese zu den Chaosaussagen von V. 3b und V. 7a bildet, wird mit dem Lexem „helfen“ (V. 6b) die Gottesprädikation von V. 2b aufgenommen und die dort gepriesene „Hilfe in Nöten“ als Tat des morgendlichen Rettergottes konkretisiert. Es geht in V. 6 also um die Festigkeit des Kosmos, deren ‚Modell‘ die Gottesstadt ist. Ein zweites Bild, das die Reaktion auf die erfahrene Rettung wiedergibt, wird in V. 5 den Chaosbildern von V. 3 f entgegengesetzt: „Ein Strom – seine Kanäle erfreuen die Gottesstadt …“. Die Frage, ob das Motiv vom Gottesstrom mit bestimmten Aspekten der Tempelausstattung bzw. der Topographie Jerusalems zusammenhängt, ist wegen der Offenheit der Formulierung von Ps 46,5 schwierig zu beantworten.141 Ein geeigneter Kandidat für eine solche Motivbildung könnte zum einen das „Eherne Meer“ des salomonischen Tempels (1 Kön 7,23–26) sein,142 für das O. Keel und H. Weippert eine „Verbindung mit den Wassern des Himmelsozeans oder mit einem himmlischen Strom“143 angenommen haben. Zum anderen ließe sich an die Metapher der „sanft fließenden Wasser von Siloah“ (Jes 8,6) denken.144 Aufgrund dieser Beobachtungen könnte man für die Motivik von Ps 46,5 folgende Entstehungshypothese skizzieren:
140 S.
dazu Jeremias, Erde, 177 f.
141 Vgl. Hartenstein, aaO 140 f, der von einer „Überhöhung der realen Jerusalemer Verhältnisse“
(140) spricht. dazu oben 348 f. 143 Weippert, Kesselwagen, 41, vgl. Keel, aaO 120 ff; Zwickel, Tempelquelle, 149 ff; Ego, Wasser der Gottesstadt, 383 u. a. 144 S. dazu Ego, aaO 379 ff, vgl. Hartenstein, aaO 150 und Lichtenstein, aaO 220 ff. 142 S.
§ 9 Schöpfung und Tempel 367
Ehernes Meer (1 Kön 7,23–26)
Neuassyr. paradeisos-Anlagen
Gebändigtes Wasser des Urmeers
Modelle des geordneten Kosmos (s. Q 95)
Sanft fließende Wasser von Siloah (Jes 8,6) Symbol der lebensförderlichen Macht JHWHs
Analogie
Einfluss?
„Ein Strom – seine Kanäle erfreuen die Gottesstadt“ (Ps 46,5)
Tempelquelle
?
Ez 47,1–12, vgl. Ps 36,9; Jo 4,18; Sach 13,1;14,8
Paradiesgeographie Gen 2,10–14
Abb. 88: Zur Vorstellung vom paradiesischen Gottesstrom
Wie immer die Vorstellung vom paradiesischen Gottesstrom entstanden ist – sie ist Ausdruck des religiösen Symbolsystems der Zionstradition, wonach die Gottesstadt – „die heiligste der Wohnungen des Höchsten“ (Ps 46,5) – das Modell für die allmorgendlich vom Rettergott herbeigeführte Festigkeit des Kosmos ist (Ps 46,6). β) Die „Herrlichkeit“ des Zweiten Tempels (Hag 1 f ) Hugger, Land, 301 ff ◆ Keel, Geschichte, 1002 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 70 ff ◆ Kipfer, Dürre, 275 ff ◆ Riede, Boden, 29 ff.45 ff ◆ Steck, Haggai 1,2–11, 355 ff.
Am Ende unseres Durchgangs zum Thema „Schöpfung und Tempel“ kommen wir noch einmal auf die Gefährdungen der natürlichen Lebenswelt zurück, auf die wir anhand ausgewählter Texte des Jeremiabuchs (Jer 4,23–28; 5,20–25; 14,*1– 22) eingegangen sind.145 Sie spielen auch im Haggaibuch146 eine zentrale Rolle, in dem es um die Überwindung der agrarisch-ökonomischen Misere durch den Wiederaufbau des Tempels im Jahr 520 v. Chr. und dessen zukünftige „Herrlichkeit“ geht. Von einer „Herrlichkeit“ des Zweiten Tempels ist dabei allerdings zunächst nicht die Rede, im Gegenteil. Im Vordergrund steht im ersten Buchabschnitt Hag 1,1–15a147 die Gefährdung der natürlichen Lebenswelt durch eine umfassende Dürre, die trotz aller Widerstände von Seiten der Bevölkerung und deren Anführer der richtige Zeitpunkt für den Tempelneubau ist. In V. 2–11 heißt es:148 145 S.
dazu oben 151 ff.
146 Zur Komposition, Entstehungsgeschichte und historischem Kontext s. Leuenberger, Haggai
(HThK.AT), 30 ff.44 ff.64 ff.
147 S. dazu außer den Kommentaren noch Kipfer, Dürre, 275 ff und Steck, Haggai 1,2–11, 355 ff. 148 Zur
Grundschicht V. 2.4–11 und zur Fortschreibung V. 3 s. Leuenberger, aaO 49 f.51 f und Kipfer, aaO 281 f.
368 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Einleitung und Themaangabe (mit Zitat des Volkes) 2 So spricht JHWH Zebaoth: Dieses Volk sagt: „Es ist nicht die Zeit gekommen, die Zeit des Hauses JHWHs, aufgebaut zu werden!“ 3 Und das Wort JHWHs erging durch Haggai, den Propheten:
Erster Teil der JHWH-Rede: Notlage und Tempelbau 4 Ist es Zeit für euch selbst, um in euren getäfelten Häusern zu wohnen, während dieses Haus verwüstet ist? 5 Und nun, so spricht JHWH Zebaoth: Richtet euer Herz auf eure Wege! 6 Ihr habt reichlich gesät, aber bringt wenig ein, Säen ihr habt zu essen, aber werdet nicht satt, Essen ihre habt zu trinken, aber werdet nicht trunken, Trinken ihr habt anzuziehen, aber keinem wird warm. Kleidung Und wer sich als Lohnarbeiter verdingt, erwirbt Lohnarbeit den Lohn in einen löchrigen Beutel. 7 So spricht JHWH Zebaoth: Richtet euer Herz auf eure Wege! 8 Steigt hinauf ins Bergland und bringt Holz her und baut das Haus, dann werde ich Wohlgefallen daran haben und vgl. 2,7 mich verherrlichen (kbd nif ),149 spricht JHWH.
Zweiter Teil der JHWH-Rede: Misserfolg und Dürre 9 Ihr habt euch dem Vermehren zugewandt, aber siehe, es ist wenig! Und brachtet ihr es nach Hause, blies ich drein! Weswegen ist das so? Spruch JHWH Zebaoths. Wegen meines Hauses, das verwüstet ist, während ihr rennt, ein jeder für sein Haus! 10 Deswegen, wegen euch, hat der Himmel den Tau zurückgehalten, und die Erde hat ihren Ertrag zurückgehalten, 11 und ich habe eine Dürre gerufen über das Land und über die Berge und über das Getreide und über den Wein und über das Öl und über das, was der Ackerboden hervorbringt, und über den Menschen und über das Vieh150 und über alle Arbeit der Hände.
Umfassende Dürre: Land, Berge Getreide, Wein, Öl Erdboden Menschen, Tiere Handarbeit
149 Leuenberger, aaO 125 f übersetzt passivisch („verherrlicht werden“), s. dazu aber Kipfer, aaO
286 Anm. 72. Zur Verbindung von 1,8 mit dem Herrlichkeitsglanz in 2,3.9 s. Leuenberger, aaO 126. 150 Wie in Jer 12,4; 14,5 f; Jo 1,17–20 u. a. werden hier auch die Tiere als Opfer der Dürre genannt.
§ 9 Schöpfung und Tempel 369
Haggais Theologie „ist elementar und archaisch. Aber sie ist konkret“151 – ihre Konkretheit ergibt sich zunächst aus der detaillierten Beschreibung in V. 6.9.11 (vgl. 2,16), die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens und ihren Mangel auflistet.152 Ebenso konkret ist die theologische Interpretation von V. 9–11 (vgl. 2,16 f ), die diesen Mangel als Folge des göttlichen Strafhandelns deutet. Die Begründung dafür wird in V. 9b–10 gegeben. An dieser Begründung ist nicht nur ihre rhetorische Prägnanz – „Weswegen ist das so?“ / „Wegen meines Hauses, das verwüstet ist!“ –, sondern auch der Konnex zwischen dem ausgebliebenen Tempelbau und den von Gott herbeigeführten kosmischen Auswirkungen bemerkenswert. Und zwar deswegen, weil das göttliche Strafhandeln nicht mit den Topoi des Bundesbruchs oder der Gebotsübertretung, sondern allein mit dem fehlenden Wiederaufbau des Tempels begründet wird.153 Was der Tempel als Garant der Stabilität und Ort des Lebens bedeutet, zeigen bereits die vorexilischen Texte (Ps 93; Jes 6,1–5 u. a.)154 und die altorientalischen Sachparallelen.155 Diese Tempeltheologie wird von Haggai vorausgesetzt.156 Vor allem aber wird sie durch den Einschub Hag 2,6–8 überboten, und zwar in Form einer kosmos- und völkerweit ausgreifenden Verheißung,157 die die Zukunft des neuen Tempels betrifft: 6 Denn so spricht JHWH Zebaoth: Noch einmal, wenig ist es (noch), dann erschüttere ich den Himmel und die Erde und das Meer und das Trockenland! 7 Und ich werde alle Nationen erschüttern, und die Kostbarkeiten aller Nationen werden kommen, und ich werde dieses Haus mit Herrlichkeit (kābôd) erfüllen, spricht JHWH Zebaoth. 8 Mir gehört das Silber, und mir gehört das Gold! Spruch JHWH Zebaoths. (Hag 2,6–8)
Erschütterung des Kosmos Erschütterung der Völker Herrlichkeit JHWHs im Tempel
Die „künftige Herrlichkeit (kābôd) dieses Hauses“, heißt es anschließend in 2,9a, „wird größer sein als die frühere“158 – und zwar deswegen, weil sie sich, wie V. 7b und V. 9a zeigen, „in der architektonisch-materiellen Gestalt und Ausstattung des 151 Keel,
Geschichte, 1008. dazu ausführlich Leuenberger, aaO 120 ff und Kipfer, aaO 296 ff. 153 Vgl. Leuenberger aaO 78. 154 S. dazu oben 333 ff. 155 Ein besonders aussagekräftiges Beispiel ist die Tempelbauhymne des Gudea von Lagaš, vgl. Leuenberger, aaO 81 f und Kipfer, aaO 57 und zum Text Q 93. 156 S. dazu Leuenberger, aaO 78 ff u. a. 157 Vgl. ders., aaO 151 und bereits Wolff, Haggai (BK), 61: „Natur und Geschichte, politische Welt und natürliche Umwelt sind vor Israels Gott nicht zu trennen. Er erschüttert das eine mit dem anderen“. 158 Vgl. 2,3 und dazu Leuenberger, aaO 158 ff. Da 2,9 zur Grundschicht gehört, ist das entstehungsgeschichtliche Verhältnis umzukehren: 2,9 (Grundschicht) + 2,6–8 (Fortschreibung), s. dazu ders., aaO 152 ff. 152 S.
370 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
prunkvoll erneuerten Tempels manifestiert“159. Dass die Dinge in der Folgezeit anders verliefen und, wie die Serubbabelworte in Sach 4,*6–10a zeigen, auch den Bau des Zweiten Tempels betrafen,160 nimmt der Verheißung des Haggaibuchs nichts von ihrer Deutungskraft. Denn Haggai gelingt es, „die konkrete Lebenswelt mit ihren Problemen und Herausforderungen als göttlich inaugurierte und begleitete Wirklichkeitssphäre transparent zu machen und prophetisch in diese einzubetten“161. 3. Fazit: Der Tempel als Ort des Lebens Wie deutlich geworden sein dürfte, zeichnet sich das Thema „Schöpfung und Tempel“ durch eine große Formen- und Motivvielfalt aus. Die folgende Zusammenfassung versucht, diese Vielfalt zu bündeln und in eine Gesamtlinie einzuzeichnen. Kosmologische Symbolik des Ersten Tempels Den Ausgangspunkt bildet die Jerusalemer Tempeltheologie der vorexilischen Zeit, wie sie in den Grundtexten Jes 6,1–5; Ps 93; 48,2 f u. a. zum Ausdruck kommt. Ihr Grundsymbol ist der Thron des Königsgottes JHWH, der den himmlischen („Höhe“) und den irdischen Bereich (Tempel) miteinander verbindet und der gemäß der Gottesbergvorstellung die axis mundi bildet (vgl. Jes 6,1–5; Ps 93; 48,2 f ). Diese dominante vertikale Achse wird nach Jes 6,3b um eine horizontale Dimension ergänzt, die sich auf die „ganze Erde“ bezieht und deren Weltbereiche mit der „Herrlichkeit JHWHs“ erfüllt.162 Während Ps 93 mit dem Verb kûn nif. („feststehen, Bestand haben“) die Festigkeit des Erdkreises und die Festigkeit des Gottesthrons in den Vordergrund rückt (V. 1 f ) und darin die überlegene Macht des Königsgottes gegenüber den andrängenden Chaosfluten sieht (V. 3 f ), zieht V. 5 die Linien bis zur Gegenwart und Zukunft aus und qualifiziert den Jerusalemer Tempel als den Ort in der empirischen Wirklichkeit, an dem die urzeitliche Festigung des Erdkreises im Kult erlebt und gefeiert wird. Von den beiden Leittexten Jes 6,1–5 und Ps 93 gehen in der Folgezeit Impulse aus, durch die das Thronmotiv auf unterschiedliche Weise transformiert wird und neue Aspekte auch in der Schöpfungsvorstellung hervortreten. Dazu zählen das Motiv „JHWHs Herabblicken vom Himmel“ (Ps 33,13– 19 u. a.) und das Motiv „Die Schöpfung als Tempel“ (Jes 66,1 f u. a.).163 159 Ders.,
aaO 177. Zu den Herrlichkeitsaussagen in V. 7b und V. 9a s. ders., aaO 174 f.177 und Kipfer, Dürre, 306 f, die auf die Sachparallelen Ez 10,4; 43,5; 44,4 u. a. hinweist. 160 Zu den damit verbunden Fragen s. Lux, Tempel, 133 ff; ders., Sacharja 1–8 (HThK.AT), 331 ff; Frevel, Geschichte, 345 ff und Kipfer, aaO 275 ff.328 ff. 161 Leuenberger, aaO 145, vgl. 181 u. ö. 162 S. dazu oben 337 f. Speziell zum sog. Füllemotiv s. oben 338 Anm. 27. 163 S. dazu oben 344 ff.
§ 9 Schöpfung und Tempel 371
Für die kosmologische Symbolik der vorexilischen Tempeltheologie ist auch die Architektur und Ausstattung des Ersten Tempels von Bedeutung. Das zeigen die Innendekoration (1 Kön 6,18.29.32.35), das Kerubenpaar (1 Kön 6,23–28), die Säulen Jachin und Boas (1 Kön 7,15–22), das Eherne Meer (1 Kön 7,23–26) und die zehn Kesselwagen (1 Kön 27–39).164 „Kosmologische Symbolik“ bedeutet, dass die Kultordnung in einem Entsprechungsverhältnis zur kosmischen Ordnung steht und der Tempel der Ort ist, an dem diese Entsprechung vergegenwärtigt und im Kult gefeiert wird.
Kosmologische Symbolik in exilisch-nachexilischer Zeit In exilisch-nachexilischer Zeit wird die vorexilische Tempeltheologie transformiert und um neue Dimensionen erweitert. Besonders markant sind der priesterliche Heiligtumsentwurf (Ex *24,15b–40,38) und die zweite Tempelvision Ezechiels (Ez 40–48). Das Spezifikum von Ex *24,15b–40,38 ist zum einen der Rückbezug auf den priesterlichen Schöpfungstext Gen 1,1–2,3 (Motiv 6 Tage/7. Tag) und zum anderen die kosmologische Bedeutung bestimmter Gegenstände des Zeltheiligtums wie der siebenarmige Leuchter (Ex 25,31–40; 27,20 f ), dessen beständiges Licht „das der Strukturierung der Zeit dienende kosmische Licht der ursprünglichen Schöpfung repräsentiert“165. Auch die Vision des zukünftigen Tempels in Ez 40–48 enthält kosmologische Implikationen, wie die solare Ausdeutung der Rückkehr JHWHs in Ez 43,*1–6 und der Passus über die Tempelquelle in Ez 47,1–12 zeigen.166 Wie immer man die Frage nach der Herkunft des in dieser Vision geschilderten paradiesischen Gottesstroms beantwortet,167 sie entwirft „ein Lebensbild, nach dem die verwundete und gestörte Schöpfung zu ihrer ursprünglichen Güte zurückkehrt“168. Eine singuläre Sicht des Verhältnisses von Schöpfung und Tempel bietet schließlich das Haggaibuch, wo die Gefährdung der natürlichen Lebenswelt durch eine umfassende Dürre den Propheten zur Übermittlung einer ungewöhnlichen JHWH-Rede veranlasst (Hag 1,1–15a).169 Ihr Tenor besteht in der Überzeugung, dass das göttliche Strafhandeln (Kommen einer Dürre) seinen Grund im zögerlichen bzw. fehlenden Wiederaufbau des Tempels hat. Erst wenn die Bewohner Jerusalems und ihre Anführer ihre Haltung aufgeben, wird es zu einer Heilswende kommen, die sich in der „größeren Herrlichkeit“ des neuen Tempels manifestiert (Hag 2,6–8.9a).170
164 S.
dazu oben 347 ff. Begegnung, 58. 166 S. dazu oben 308 ff.364 ff. 167 S. dazu oben 367 mit Abb. 88. 168 Sedlmeier, Ezechiel II (NSK.AT), 327. 169 S. dazu oben 367 ff. 170 Auch im antiken Judentum ist die kosmologische Symbolik ein zentrales und komplexes Thema, s. dazu den Überblick Q 165. Besonders zu beachten ist die Funktion des „Grundsteins“, der nach mYom 5,2 den Platz der ehemaligen Lade einnahm, s. Q 167. 165 Ederer,
§ 10 Schöpfung und Chaos Für den Alten Orient weist die empirische Welt als Manifestation und Symbol über ihre vordergründige Wirklichkeit hinaus. Es findet eine ständige Osmose zwischen Tatsächlichem und Symbolischem, und umgekehrt auch zwischen Symbolischem und Tatsächlichem statt. (…) Die Welt ist nach biblischer und altorientalischer Vorstellung auf das Über- und Unterirdische hin offen und durchsichtig. Sie ist keine tote Bühne. O. Keel, Bildsymbolik, 47
Die Offenheit und Durchsichtigkeit der Welt „auf das Über- und Unterirdische hin“ ist nach O. Keel „wohl der Hauptunterschied zu unserer Vorstellung der Welt als eines praktisch geschlossenen mechanischen Systems“1. Können wir diese Offenheit und Durchsichtigkeit überhaupt nachvollziehen? Im Folgenden suchen wir einen Zugang dazu anhand der Schilderungen des Übergangs vom Diesseits zum Jenseits, die im Alten Testament und seiner Umwelt verbreitet waren und die zu den markanten Eigenheiten der antiken Kulturen gehören. Kulturell geprägt ist aber nicht nur der „mythische Sphärenwechsel“2 zwischen Diesseits und Jenseits. Auch die Bezeichnungen, mit denen der Bereich des Jenseits belegt wird, sind Ausdruck des jeweiligen religiösen Symbolsystems. So meint der Begriff „Chaos“ (χάος) in der griechischen Überlieferung den „klafffenden, gähnenden Abgrund“,3 der sich unter der Welt der Lebenden auftat. Wo genau dieser Bereich lag und wie man zu ihm gelangte – das waren Fragen, deren Beantwortung in den Religionen der Antike unterschiedlich ausfiel. Im Folgenden stehen die – durchaus spannungsreichen – Antworten des Alten Testaments im Vordergrund. 1. Jenseitsbereiche und Gegenwelten Altes Testament: Barth, Errettung, 59 ff ◆ Berlejung, Tod, 465 ff ◆ Dies, Art. Unterwelt, 437 f ◆ Dies., Art. Wüste/Steppe, 465 f ◆ Eberhardt, JHWH ◆ Fischer Tod, 157 ff ◆ Gerleman, Art. šeʾôl, 837 ff ◆ Görg, Scheol, 26 ff ◆ Healey, Land, 97 ff ◆ Houtman, Art. Hölle, 1846 f ◆
1
Ders., ebd. Zum Kontext des Zitats s. oben 18. Zu diesem Ausdruck s. Zgoll/Zgoll (Hg.), Sphärenwechsel. 3 S. dazu oben 51. 2
374 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Janowski, Art. Jenseitsvorstellungen, 406 f ◆ Ders., Konfliktgespräche, 215 ff.256 ff.463 f ◆ Ders., Gott Israels, 266 ff ◆ Ders., Raum, 306 ff.339 ◆ Ders., Anthropologie, 83 ff.491 ff ◆ Ders., Unterwelt, (i. Dr.) ◆ Keel, Bildsymbolik, 53 ff ◆ Liess, Tore, 397 ff ◆ Niehr, Himmel, 55 ff ◆ Podella, Jenseitsvorstellungen, 70 ff ◆ Rudman, Water Imagery, 240 ff ◆ Wächter, Art. šeʾôl, 901 ff ◆ Witte, Hiob (ATD), 124 ff (Exkurs). – Antike Religionen: Artemov, Jenseitsvorstellungen, 327 ff ◆ Assmann, Art. Diesseits-Jenseits-Beziehungen, 1085 ff ◆ Ders., Tod ◆ Brunner-Traut, Vorstellungen, 60 ff ◆ Burkert, Religion, 298 ff ◆ Fischer, Tod, 21 ff ◆ Graf, Art. Jenseitsvorstellungen, 897 ff ◆ Groneberg, Unterweltsvorstellungen, 244 ff ◆ Gzella, Lebenszeit, 185 ff ◆ Haas/Koch, Religionen, 205 ff ◆ Hornung, Blick, 95 ff ◆ Ders., Löcher, 227 ff ◆ Hutter, Vorstellungen ◆ Ders., Religionen, 65 ff.149 ff.220 ff ◆ Lee/Markl, Art. šeʾôl, 794 ff ◆ Loretz, Ugarit, 125 ff ◆ Lundström, Unterwelt, 245 ff ◆ Ders. u. a., Art. Unterwelt, 1012 ff ◆ Matjevic, Ursprung ◆ Wilcke, Weltbilder, 18 ff ◆ Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 515 ff.538 ff. – Religions- und Kulturwissenschaft: Hoheisel, Art. Jenseits, 318 ff ◆ Stolz, Religionswissenschaft, 94 ff ◆ Ders., Paradiese, 5 ff.
Wer sich der alttestamentlichen Unterweltsvorstellung zuwendet, stößt immer wieder auf bestimmte Verständnisschwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten hängen mit der Verwendung des Begriffs šeʾôl „Unterwelt, Totenreich“ zusammen, der besonders in den Psalmen (16-mal) sowie im Sprüche- (9-mal) und Hiobbuch (8mal) belegt ist.4 So heißt es in Ps 88,4: Denn gesättigt mit Übeln ist mein Leben, Mein Leben hat die Unterwelt berührt.
Diese Klage ist singulär.5 Befindet sich die Unterwelt denn nicht in großer Tiefe, weit unterhalb der Welt der Lebenden, so dass eine „Berührung“ mit ihr gar nicht möglich ist?6 Im Folgenden versuchen wir, darauf eine Antwort zu geben, indem wir zunächst die kosmologischen (a) und dann die anthropologischen Aspekte (b) der alttestamentlichen Unterweltsvorstellung skizzieren. a) Kosmologische Aspekte Wie in den Religionen in der Umwelt Israels war die Unterwelt auch nach alttestamentlicher Vorstellung ein Raum in der Tiefe, der unterhalb der Welt der Lebenden lag (Hi 26,5; 38,16 f u. ö.). In diesen Bereich der Finsternis (Ps 88,7.13; Hi 10,21 u. ö.) und des Schweigens (Ps 22,3; 94,17), der mit Toren und Riegel abgeschlossen ist (Jes 38,10; Ps 9,14; Hi 38,17) und aus dem es keine Wieder4
S. dazu den Überblick bei Görg, Scheol, 26 ff; Wächter, Art. šeʾôl, 901 ff; Gerleman, Art. šeʾôl, 837 ff und Bunzel, Ijob, 40 ff. 5 S. dazu unten 387.388. 6 Die Lokalisierung der Scheol als unter der Erde befindlich basiert zum einen auf ihrem kosmologischen Gegensatz zum Himmel (vgl. Jes 7,11 cj.; Am 9,2; Ps 139,8; Hi 11,8) und zum anderen auf ihrer Verbindung mit den Nekropolen, die Jerusalem umgaben, s. dazu Niehr, Himmel, 64 f. Dennoch ist die Lage der Scheol, wie das Beispiel des Hinnomtals zeigt, nicht einfach dem vertikalen Raummodell zuzuordnen, s. dazu Niehr, aaO 70 f; Bieberstein, Pforte, 511 ff und im Folgenden.
§ 10 Schöpfung und Chaos 375
kehr gibt (Jon 2,7; Hi 7,9; 16,22), gehen die Totengeister ein (Jes 14,9; Hi 26,5; Spr 9,18). Für das Raumkonzept der Unterwelt sind folgende Aspekte kennzeichnend:7 Vertikale Bewegungsrichtung Charakteristisch für das Erreichen der Unterwelt ist die vertikale Bewegungsrichtung. So werden am häufigsten Formen des Verbs jārad „hinabsteigen“ (9-mal, im hif. 9-mal, im hof. 2-mal) verwendet. Daneben begegnen nḥt „hinabsteigen“ (Hi 17,16; 21,13) und špl hif. „tief hinabschicken“ (Jes 57,9). Als Gegenbegriffe fungieren dlh pi. „emporziehen, retten“ (Ps 30,2), lāqaḥ „(von oben herabgreifen und) nehmen“ (Ps 18,17), māšāh „herausziehen“ (Ps 18,17), nṣl hif. „herausziehen“ (Ps 22,29; 69,15; 86,13; 144,7 u. ö.), ʿlh hif. „hinaufsteigen lassen“ (1 Sam 2,6; Jon 2,7; Ps 30,4; 71,20), pāṣāh „herausziehen“ (Ps 144,11) und rûm pol. „erhöhen“ (Ps 9,14).
Semantik der Tiefe Ausgeprägt ist ferner die Semantik der Tiefe (Dtn 32,22; Ps 88,13; Spr 9,18 u. ö.) und des (tiefen) Wassers, wie die Unterweltsbezeichnungen „Grube, Zisterne“ (bôr: Jes 14,15; Jer 38,18; Ez 31,16; Ps 30,4; Spr 1,12 u. ö., dazu bôr taḥtîjjôt „tiefste, unterste Grube“: Ps 88,7; Klgl 3,55; jarketê-bôr „hinterster Bereich der Grube“: Jes 14,15), maʿ amaqqîm „Tiefen“ (Ps 130,1), meṣûlāhīmeṣolôt „(Meeres-)Tiefe(n)“ (Jon 2,4; Ps 88,7) und taḥtîjjôt ʾæræṣ „Tiefen der Erde“ (Jes 44,23; Ez 26,20; 32,18.24; Ps 63,10, dazu ʾæræṣ taḥtîjjôt „Land der Tiefen“: Jes 44,23; Ez 26,20; 31,14.16.18 u. ö.) anzeigen. Die partizipialen Wendungen „die, die in die Grube hinabsteigen“ (jôredê bôr: Jes 38,18; Ez 26,20; 31,14.16; 32,18.24 f.29 f; Ps 28,1; 30,4; 88,5 143,7; Spr 1,12) und jôredê ʿāpār „die, die in den Staub hinabsteigen“ (Ps 22,30) kombinieren die Aspekte der vertikalen Bewegungsrichtung und der Semantik der Tiefe miteinander.8
Synonyme Raumbegriffe Zu bôr „Grube, Zisterne“ gibt es schließlich synonyme Ausdrücke wie ʾabaddôn „Untergang, Totenreich“ (Hi 26,6; 31,12; Spr 15,11 u. ö.), ʾæræṣ nešijjāh „Land des Vergessens“ (Ps 88,13), beʾer „Brunnen“ (Ps 55,24; 69,16), hadrê-māwæt „Kammern des Todes“ (Spr 7,27); ḥošæk „Finsternis“ (Ps 88,13), maḥšāk „finsterer Ort“ (Ps 88,7.19; 143,3), māwæt „Tod“ (Jes 28,15.28; 38,18; Hos 13,4; Hab 2,5 u. ö.), qæbær „Grab“ (Ps 88,12) und šaḥat „Grube“ (Jes 38,17; Jon 2,7; Ps 16,10; 30,10; Hi 17,14 u. ö.).
Alle diese Aspekte stehen für eine räumlich verstandene Gottesferne, die nicht nur abgründig und finster ist, sondern die auch endgültig zu sein scheint. Das ist auch das Thema von Hi 38,16–18.
7
S. dazu auch Barth, Errettung, 98 ff; Podella, Jenseitsvorstellungen, 80 f; Berlejung, Tod, 485 ff und Liess, Tore, 398 f. 8 Neben der vertikalen Bewegungsrichtung und der Semantik der Tiefe gibt es für die Lokalisierung der Unterwelt auch eine horizontale Raumachse. Dazu gehören die Nekropolen außerhalb der Stadtmauern, sodann die Wüste und Steppe jenseits der Siedlungen und schließlich die Randgebirge und der die Erdscheibe umfließende Ozean, s. dazu Berlejung, Art. Weltbild/Kosmologie, 67 ff; Liess, aaO 404 ff u. a.
376 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
α) Der Ort der Finsternis (Hi 38,16–18) Eberhardt, JHWH, 177 ff ◆ Fuchs, Mythos, 192 ff ◆ Huber, Himmel, 358 ff ◆ Kang, Behemot, 69 ff ◆ Keel, Entgegnung, 53 ff ◆ Köhlmoos, Auge Gottes, 331 ff ◆ Liess, Tore, 400 ff ◆ RitterMüller, Welt, 158 ff.
Die Gottesreden des Hiobbuchs (Hi 38,1–42,6) beginnen nach einer vorwurfsvoll-ironischen Einleitung (Hi 38,1–3) in Hi 38,4–219 mit einem Abschnitt, der die Erschaffung und den Bau der Welt schildert und dabei auf mythische und naturkundliche Wissensstoffe des Alten Orients zurückgreift. Im Einzelnen wird die Gründung der Erde (V. 4–7), das Hervorsprudeln und die Grenzen des Meeres (V. 8–11), die Morgenröte und der Tagesanbruch (V. 12–15), die Unterwelt und die Meerestiefen (V. 16–18) sowie der Ort von Licht und Finsternis (V. 19– 21) genannt. Das Leitmotiv ist die Begrenzung und Stabilität des Kosmos, die vom Schöpfergott bei der Gründung der Erde eingerichtet wurde:10 4 Wo warst du, als ich die Erde gründete? Verkünde es, wenn du wirklich Einsicht hast! 5 Wer hat festgelegt ihre Maße? Du weißt es ja! Oder wer hat ausgespannt über ihr eine Meßschnur? 6 Worauf sind eingesenkt ihre Pfeiler, oder wer hat gesetzt ihren Eckstein, 7 als miteinander jauchzten die Morgensterne und frohlockten alle Göttersöhne? 8 ⟨Wer verschloss⟩ mit Toren das Meer, als es hervorbrach, aus dem Mutterschoß herauskam, 9 als ich bestimmte eine Wolke zu seinem Kleid und Wolkendunkel zu seiner Windel, 10 und ich über ihm meine Grenze festlegte, und ihm setzte einen Riegel und Tore, 11 und sagte: „Bis hierher kommst du, und nicht weiter, und hier ⟨endet/bricht sich⟩ der Hochmut deiner Wellen!“? 12 Hast du in deinen Tagen dem Morgen geboten, der Morgenröte ihren Ort wissen lassen, 13 damit sie die Säume der Erde erfasst, dass die Frevler von ihr abgeschüttelt werden? 14 Sie verwandelt sich wie Ton eines Siegels, und sie ⟨färbt sich⟩ wie ein Kleid. 15 Und es wird entzogen den Frevlern ihr Licht, und der erhobene Arm wird zerbrochen. 16 Bist du gekommen zu den Quellen des Meeres und herumgegangen auf dem Grund der Urflut? 9
S. dazu außer den Kommentaren noch die zu diesem Abschnitt genannte Lit. Zum Aufbau von Hi 38,1–42,6 s. oben 213 f mit Abb. 52, vgl. Huber, Himmel, 356 f. 10 Vgl. Liess, aaO 400 f.
§ 10 Schöpfung und Chaos 377
17 Haben sich dir aufgetan die Tore des Todes, und die Tore der Finsternis – hast du (sie) gesehen? 18 Hast du acht gehabt auf die Weiten der Erde? Verkünde, wenn du das alles weißt! 19 Wo ist denn der Weg, wo das Licht wohnt, und die Finsternis – wo ist denn ihr Ort, 20 dass du (sie) in ihr Gebiet bringen könntest, und dass du die Pfade zu ihrem Haus verstündest? 21 Du weißt es, denn damals wurdest du geboren, und die Zahl deiner Tage ist groß!11
„Für Ijob“, so kommentiert O. Keel, „stellen die unterirdischen und himmlischen Räume, Wege und Grenzen ein undurchdringliches Geheimnis dar“12. Von diesem Geheimnis sind auch die „Tore“ (šaʿarîm) des Todes und der Finsternis (V. 17) umgeben, die tief unter der Erde liegen (vgl. Hesiod, Theogonie, 119, s. Q 124). Diese Aussage ist in einen kosmologischen Gesamtrahmen eingebunden, der in V. 16–18 nach seiner vertikalen (V. 16 f ) und horizontalen Richtung (V. 18) entfaltet wird: 16 Quellen des Meeres (nibkê-jām) // Grund der Urflut (ḥeqær tehôm) 17 Tore des Todes (šaʿarê-māwæt) // Tore der Finsternis (šaʿarê ṣalmwæt) 18 Weiten der Erde (raḥabê-ʾāræṣ)13
Nach Hi 38,17 lässt die Darstellung der Unterwelt als Grenze zum Totenreich // zur Finsternis zwei einander ergänzende Interpretationen zu: „Erstens von innen als Grenze der Ausdehnung des Kosmos, zweitens von außen als Begrenzung und Schutz, d. h. als Barriere gegen den Tod. Im unmittelbaren Kontext, V.16–21, wird der Kosmos von innen durchmessen, nicht über die genannten Grenzen hinausgedacht. Entsprechend geht es in V.17 … auch nicht um ein Betreten oder gar Durchschreiten der Tore. Es bleibt bei JHWHs Blick auf sie.“14
Für Hiob, der sich gewünscht hatte, von Gott in der Unterwelt verborgen zu werden, bis sich dessen Wutschnauben wendet (Hi 14,13), der diesen Wunsch dann aber relativiert (Hi 17,13–16),15 sind die Tore des Todes weder „aufgedeckt“ (glh nif.) noch hat er die Tore der Finsternis „gesehen“ (rāʾāh). Auch für JHWH bleibt 11
12
13
14 15
Zu den textkritischen Problemen s. Witte, Hiob (ATD), 596 ff, ferner mit z. T. anderen Optionen Fuchs, Mythos, 194 ff; Köhlmoos, Auge Gottes, 331 f; Ritter-Müller, Welt, 162 ff und Kang, Behemot, 30 ff. Keel, Entgegnung, 57. Zu diesen Bezeichnungen s. Fuchs, aaO 205 ff; Ritter-Müller, aaO 180 ff und Witte, aaO 619 f. Speziell zu ṣalmwæt: Dieses von ṣlm II „dunkel sein/werden“ abgeleitete Abstraktnomen bedeutet nicht „Todesschatten“ (so LXX: σκιὰ θαν́ ατου), sondern „tiefe Dunkelheit, Finsternis“, s. dazu Ges18, 1120 s. v.; Niehr, Art. ṣalmwæt, 1056 ff und Janowski, Hirte, 154 f. Zur Frage nach der räumlichen Zuordnung von Unterwelt und Urflut s. Liess, aaO 401 f. Eberhardt, JHWH, 183. S. dazu Köhlmoos, Auge Gottes, 174 f.
378 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
es beim Blick von außen auf diese Tore, die er nicht durchschreitet. Deshalb lässt sich Hi 38,17 „weder für die Vorstellung von JHWHs Macht über die Unterwelt noch für die Vorstellung von seiner Macht in der Unterwelt in Anspruch nehmen“16, wie es in den Individualpsalmen der Fall ist.17 Deutlich aber ist der Vorstellungsrahmen, wonach die Unterwelt ein Palast oder eine Stadt ist, der/die durch Tore abgeriegelt ist. Diese Barriere spielt in den antiken Religionen eine große Rolle. Exkurs 10: Das Tor zur Unterwelt Antike Religionen: Artemov, Jenseitsvorstellungen, 342 ff.365 f ◆ Berlejung, Tod, 469 f ◆ Bie-
berstein, Pforte, 503 ff ◆ Brunner, Tür, 248 ff ◆ Ders., Art. Tür, 783 ◆ Burkert, Religion, 300 f ◆ Groneberg, Unterweltsvorstellungen, 257 ff ◆ Hornung, Tal der Könige, 120 f ◆ Horowitz, Geography, 358 f ◆ Küchler, Jerusalem, 756 f ◆ Liess, Tore, 397 ff ◆ Nesselrath, Hades, 161 ff ◆ Wilcke, Weltbilder, 6 f.18 ff ◆ Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 522 ff. – Moderne Kunst: Janowski, Konfliktgespräche, 221 ff.
Das Thema „Tor/Eingang zur Unterwelt“ ist außerordentlich komplex. Es reicht von den antiken Kosmologien bis zu Dantes epischem Gedicht Göttliche Komödie (3. Gesang, 14. Jh. n. Chr.) und weiter bis zur modernen Kunst (A. Rodin, P. Klee).18 Seine Komplexität lässt sich beispielhaft anhand antikjüdischer Texte verdeutlichen.
Antikes Judentum Wer Jerusalem durchwandert, wird früher oder später zu dem Ort gelangen, den das Neue Testament als „Gehenna“ bezeichnet (vgl. Mt 5,22.29 f; 10,28; 23,15.33; Mk 9,43 u. ö.). Ursprünglich ist damit ein südwestlich der Stadt gelegenes Tal, das sog. „Hinnomtal“ (gêhinnom „Tal des Hinnom“ Jos 15,8; 18,16 u. ö.), gemeint, das seit der Westerweiterung Jerusalems im späten 8. Jh. v. Chr. chthonisch konnotiert war (Molechkult, Gräberfelder, Rephaimebene, s. Abb. 89).19 Auch wenn sich die historischen Wurzeln dieser Konnotierung nicht mehr aufhellen lassen, so ist doch deutlich, dass sich seit hellenistisch-herodianischer Zeit das dichteste Gräberfeld Jerusalems an der Mündung des Hinnomtals in das östlich davon gelegene Kidrontal befindet, wo die frühjüdische und rabbinische Tradition die „Tore des Gehinnom“, also den Eingang zur Unterwelt bzw. zur Gehenna lokalisiert.20 „Es ist“, so M. Küchler, „ein erstaunlicher Sachverhalt, dass diese intensiven Bilder von der Gehinnom-Hölle die jahrhundertalte Vorstellung von der scheʾol, ‚Senkung, Tiefe‘ (= LXX: Hades), seit dem 2. Jh. v. Chr. so zu verdrängen vermochte, dass scheʾol nur mehr ein schwächliches Synonym von gehinnom darstellte“21. 16
17 18 19 20
21
Eberhardt, aaO 185 (H. i. O.). Eine Weiterentwicklung der Verhältnisbestimmung von JHWH und Scheol findet sich in dem späten Text Hi 26,5 f, s. dazu dies., aaO 187 ff.191 ff und Witte, aaO 397 ff. S. dazu unten 385 ff. S. dazu unten 410 Anm. 146. S. dazu Bieberstein, Pforte, 511 ff. S. dazu Küchler, Jerusalem, 756 f. Nach dem Traktat Sukka 32b des Babylonischen Talmuds wird der Eingang zur Gehenna sogar genau lokalisiert, s. Q 153. Ders., aaO 757, vgl. Niehr, Himmel, 70 f.
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§ 10 Schöpfung und Chaos 379
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M i s c is h n ki e / ja N e u ni sc s t he a d Sü t d w Ma e s kt t e r w es e i t ch e r u n /M g ör se r
Mitteltor?
Rogel-Quelle
Abb. 89: Das Hinnomtal in vorexilischer Zeit0 (Kartenausschnitt) 200 100 300
antike Bebauung, archäologisch gesichert
400
500 m
antike Bebauung, vermutet
Im Lauf dieser Entwicklung wurde die Scheol „zuerst zu einer vorläufigen Wohnstätte und Entwurf und ©: Klaus Bieberstein antikes Stadtgebiet Richard Szydlak schließlich zu einem Strafort ausschließlich für die Bösen. (…) SoKartographie: ist zu verstehen, dass der Name Gehinnom zur vorrangigen Bezeichnung wurde, mit der dann das übliche Unterweltsvokabular (Scheol, Hades, Tartarus u. ä.) verbunden werden konnte“22. Auch in der Umwelt des Alten Testaments spielt der Eingang zur Unterwelt eine große Rolle. Von zentraler Bedeutung sind die mesopotamischen Texte.
Mesopotamien Der klassische mesopotamische Text für den Topos „Gang in die Unterwelt“ ist die akk. Dichtung Ištars Gang in die Unterwelt, die auch in einer sum. Fassung vorliegt (s. Q 63). Der Mythos berichtet von Ištars Abstieg in den staubigen und dunklen Herrschaftsbereich der Unterweltsgöttin Ereschkigal („Große Erde“), von ihrer Verurteilung zum Tod, vom Eingreifen Eas und ihrer erfolgreichen Rettung durch ihren Wesir Namtar (Z. 115 ff ). Bekleidet mit sieben machtvollen Insignien macht sich Ištar auf den Weg. Als sie das erste Tor des Kurnugia (sum. Bezeichnung für das „Land ohne Wiederkehr“, akk. erṣet lā tāri) erreicht, spricht sie zum Pförtner des Tores folgende Worte: „He, Pförtner, öffne mir dein Tor!
15 Öffne mir dein Tor, denn ich will eintreten! Wenn du mir das Tor nicht öffnest, ich nicht eintreten kann, werde ich die Tür einschlagen, den Riegel zerbrechen,
die Türleibungen zerschlagen und die Türen aushängen!
Ich werde die Toten herauflassen, sie werden die Lebenden fressen, 20 zahlreicher als die Lebenden werden die Toten sein!“23
22 23
Küchler, ebd. Übersetzung TUAT 3/4 (1994), 761 f (G. G. W.Müller).
380 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Nach und nach durchschreitet die Göttin die sieben Tore der siebenfachen Umwallung der Unterwelt, wobei sie jedes Mal eines ihrer Insignien ablegen muss (Z. 40 ff ). Auf ihrem Rückweg in die Oberwelt durchschreitet sie abermals die sieben Tore und erhält jedes Mal ihre Insignien wieder zurück (Z. 119 ff ).24 Analoge Vorstellungen von einem torähnlichen Eingang zur Unterwelt gibt es auch im Zusammenhang mit der Darstellung der Unterwelt als einer burgähnlichen Stadt mit Säulen und Toren, wie es auf dem babylonischen Grenzstein (kudurru) aus Susa vom Ende des 2. Jt.s v. Chr. zu sehen ist (s. Q 61 und Abb. 133).
Ägypten Auch in Ägypten markieren Tore die Grenze zwischen zwei Sphären, die in der Regel getrennt voneinander sind. Zugleich ermöglichen sie „den notwendigen Durchgang, das Herausgehen der Gottheit aus dem Tempel bei der Prozession, den Eintritt des Verstobenen in das Jenseitsreich des Osiris, vor allem aber den Eintritt der Sonne am Abend in die Unterwelt, die sie nachts von West nach Ost durchfährt, um am Morgen durch das Osttor wieder an den Himmel zu stiegen“25. Besonders in den Unterweltsbüchern des Neuen Reichs (18.–21. Dyn.) wie dem Amduat und dem Pfortenbuch spielen Tore eine wichtige Rolle. Im Pfortenbuch wird jede der zwölf Nachtstunden durch die Darstellung eines von riesigen Schlangen bewachten Tores abgeschlossen. So heißt es am Ende der Ersten Stunde: Er (sc. der schlangengestaltige Wächter) befindet sich auf diesem Türflügel, er öffnet dem Re, Sia (= eine Schöpferkraft des Sonnengottes) (spricht) zu dem, „Der die Wüste hütet“ (= Name des Wächters): Öffne dein Tor dem Re, tu auf deine Tür dem Achti! Der Verborgene Raum ist in Finsternis, bis die Erscheinungsform dieses Gottes entstanden ist. Dann wird diese Tür geschlossen, nachdem dieser Gott eingetreten ist. Dann klagen die, die in ihrer Wüste sind, wenn sie das Zufallen dieses Türflügels hören.26 Die Symbolik des Unterweltstores spielt auch in ägyptischen Gräbern eine wichtige Rolle.27 Denn das Grab ist das „Ewigkeitshaus“ des Toten, d. h. „der Ort, an dem er weiterleben kann, ist doch sein Ba mit seinem Körper/seiner Mumie oder seiner Statue/seinem Bild vereint“28. Und es ist der Ort, an dem er ein- und ausgehen kann, um in sein irdisches 24
Von Unterweltstoren ist auch im Mythos Nergal und Ereschkigal die Rede, s. zur Übersetzung TUAT 3/4 (1994), 766 ff (G. G. W. Müller) und zur Interpretation Hutter, Vorstellungen, 101 ff.158 ff. In Texten, die von einem Abstieg eines Menschen in die Unterwelt handeln, kommt nie das Motiv des Durchschreitens der Tore vor, s. dazu Artemov, Jenseitsvorstellungen, 342 ff. 25 Brunner, Tür, 250. 26 Übersetzung Hornung, Unterweltsbücher, 201. 27 S. dazu Keel, Bildsymbolik, 54 ff und Liess, Tore, 411 ff. 28 Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 522.
§ 10 Schöpfung und Chaos 381
Abb. 90: Das Tor zur Unterwelt im Grab des Sennedjem (19. Dyn.) Haus zurückzukehren. Dieser Topos der Rückkehr ins Diesseits dominiert seit dem Neuen Reich den ägyptischen Totenglauben. Er beinhaltet „das Wiedersehen mit der Familie, die segnende Fürsorge für Haus und Nachkommen, den Besuch des Tempels und die Teilnahme an den Festen des Stadtgottes und anderen Festen“29. Eine besonders eindrückliche Darstellung findet sich im Grab des Sennedjem aus der 19. Dynastie in Deir el-Medine (Abb. 90). Dort sieht man den Verstorbenen (im weißen Totengewand) vor der verschlossenen Tür der Unterwelt stehen, die sich ihm gleich öffnen wird.30
Syrien (Ugarit und Qatna) In den Texten aus Ugarit (13./12. Jh. v. Chr.) lassen sich zwei Traditionen zur Lokalisierung der Unterwelt ausmachen. Nach der nördlichen Tradition lag der Eingang zur Unterwelt zwischen den Bergen Targuzazu und Ṯarrumagu nördlich von Ugarit. Der entsprechende Text KTU 1.4 VIII 1–14 stammt aus dem Baʿal-Zyklus, wonach Baʿal seine Boten Gpn und Ugr anweist, Motu, dem Gott des Todes, seine Pläne auszurichten: 1 Dann richtet fürwahr das Angesicht 2 zum Berg Targuzazu, 3 zum Berg Ṯarrumagu, 4 zu den Ruinenhügeln am Rand der Erde (arṣ).
5 Hebt den Berg auf eure Hände,
6 das Gebirge auf die Handflächen,
7 und steigt hinab (rd) in das Haus der Flüchtlingsschaft,31 8 der Unterwelt (arṣ), seid gezählt zu denen, die 29
Assmann, Art. Diesseits-Jenseits-Beziehungen, 1087, vgl. ders., Tod, 285 ff. S. dazu auch die Hinweise bei Liess, aaO 413 mit Anm. 88 (Lit.). 31 Oder: „Freilassung“ (ḫpṯt), vgl. hebr. ḥåpšî in Ps 88,6, s. dazu unten 387. 30
382 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 9 in die Unterwelt (arṣ) hinabsteigen (rdm). 10 Dann richtet fürwahr 11 das Angesicht zu seiner Stadt 12 Hamarayu.
Eine Grube ist 13 sein Thronsitz,
eine Unratgrube ist das Land 14 seines Besitzes.32 Nach der südlichen Tradition lag der Eingang im Baschan am Fuß des Hermon. Diese Baschan-Tradition wird in dem Ritualtext KTU 1.108 rezipiert, der die Übertragung göttlicher Kräfte auf den neu inthronisierten König von Ugarit zum Thema hat und der sich auf die Inthronisationsfeierlichkeiten für Ammurapi, den letzten König von Ugarit (ca. 1210–1185 v. Chr.), bezieht. Der Text beginnt mit der Aufstellung von Statuen: 1 [Sieh]e, man stellt auf Rapiʾu, den König der Unterwelt, und zwar stellt man auf 2 den Gott des Gaṯāru und des Yaqāru, den Gott, der thront in ʿAštartu, 3 den Gott, der Orakel gibt in Edrei, vor dem man singt und spielt 4 auf der Zither und Flöte, mit Pauke und Zimbeln, mit Kas 5 tagnetten von Elfenbein inmitten der freundlichen Gesellen des Koṯāru.33 Ein weiteres Beispiel für den Eingang zur Unterwelt aus dem antiken Syrien ist die Königsgruft in Qatna/Tel Mishrife (2. Jt. v. Chr.). Zum Vorraum und zur Hauptkammer dieser Königsgruft führte ein 40m langer Korridor (s. Abb. 91), der nach Analogie von Ištars Gang in die Unterwelt (dort sieben Tore, s. Q 63) durch vier Holztüren untergliedert war: „Dies assoziiert die in mesopotamischen Schriften überlieferte Vorstellung, dass zum Erreichen der Unterwelt mehrere Türen zu durchschreiten waren. Bei ihrem Gang in die Unterwelt musste die Göttin Ischtar sogar sieben Türen passieren. Im altsyrischen Qatna dürfte ein ähnliches Konzept bestanden haben: So fungierte der Korridor mit seinen vier Türen als gut kontrollierter Zugang in die Unterwelt.“34
Griechenland (Homer) Seit Homer (8. Jh. v. Chr.) spielen Jenseitsvorstellungen auch im antiken Griechenland eine zentrale Rolle.35 Im Blick auf die Lokalisierung der Unterwelt und den Eingang zu ihr gibt es in der Ilias und in der Odyssee allerdings unterschiedliche Angaben. Aufschlussreich ist zunächst das postmortale Schicksal des im Trojanischen Krieg gefallenen Helden Patroklos. Nachdem es in Il. 16,855 ff heißt, er sei gestorben und seine Seele sei zum „Haus des Hades“ gegangen („und die Seele flog aus den Gliedern und ging zum Haus des Hades“ Z. 856), erscheint diese Seele nach Il. 23,62 ff dem schlafenden Achill im Traum und spricht zu ihm die folgenden Worte:
32
Übersetzung TUAT.NF 9 (2020), 253 (H. Niehr, mit dem Kommentar 252 f ), vgl. TUAT.NF 8 (2015), 223 f (H. Niehr) und Gulde, Tod, 85 f. 33 Übersetzung TUAT.NF 9 (2020), 254 (H. Niehr, mit dem Kommentar 253 f ), s. dazu auch Janowski, Anthropologie, 645. 34 Pfälzner, Residenz, 201. 35 S. dazu umfassend Matijevic, Ursprung, ferner Nesselrath, Hades, 161 ff.
§ 10 Schöpfung und Chaos 383
viertes Tor
Abstieg zur Hauptkammer
Abb. 91: Königsgruft von Qatna mit viertem Tor und Abstieg zur Hauptkammer (Rekonstruktion) Du schläfst, aber mich hast du vergessen, Achilleus! 70 Nicht, da ich lebte, warst du um mich besorgt, doch nun ich tot bin! Begrabe mich aufs schnellste, daß ich die Tore des Hades durchschreite! Ausgeschlossen halten mich fern die Seelen, die Bilder der Ermatteten, und lassen mich noch nicht jenseits des Flusses36 zu ihnen kommen, sondern ich irre nur so umher an dem breittorigen Haus des Hades. 75 Und gib mir die Hand, ich jammere! Denn nicht mehr wieder kehre ich aus dem Haus des Hades, wenn ihr mich dem Feuer übergeben.37 Der Widerspruch zwischen dem 16. und dem 23. Gesang löst sich auf, wenn man beachtet, dass die Seele des Patroklos zwar zum Hades ging, aber nicht in ihn hineingelangen konnte, solange sein Leichnam nicht bestattet war. Erst nach der Feuerbestattung gelangt die Seele in die Unterwelt.38 Während die Angaben „Tore des Hades“ (Il. 23,71, vgl. 36
Von einem solchen Fluss ist in beiden Epen sonst nicht mehr die Rede. Zum späteren Acheron s. Nesselrath, aaO164 Anm. 11. 37 Übersetzung Homer, Ilias, 381 f (W. Schadewaldt), vgl. die Übersetzungen von Homer, Ilias, 773.775 (H. Rupé) und Nesselrath, aaO 163 f. 38 Vgl. Nesselrath, aaO 164.
384 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 5,646; 9,312 = Od. 14,156) und „breittoriges Haus des Hades“ (Il. 23,74) bzw. „Haus des Hades“ (Il. 23,76)39 an einen unter der Erde liegenden und von Toren bewachten Palast des Unterweltsherrschers denken lassen, unterscheidet die Odyssee zwischen zwei Unterweltsvorstellungen: „derjenigen, die die Unterwelt direkt unter der Erde lokalisiert, und derjenigen, die sie am Rande der Welt ansiedelt“40. Von dieser zweiten Vorstellung ist in prägnanter Weise in Od. 24,1–14 die Rede (s. Q 129). 𓇼
Soweit der Exkurs zur Topographie der Unterwelt im Alten Orient, in Ägypten und im antiken Mittelmeerraum. Er zeigt, dass man nicht von dem mesopotamischen, ägyptischen, syrischen oder griechischen Jenseitsbild sprechen kann, sondern – sogar innerhalb einer einzigen Kultur – mit kontextuellen Varianten zu rechnen hat.41 Im Folgenden kehren wir zum Alten Testament zurück, das mit Jes 14,12 ff einen singulären Blick in die Unterwelt wirft. β) Ein Blick in die Unterwelt (Jes 14,3–21) Albani, Herrschaft, 141 ff ◆ Eberhardt, JHWH, 77.120 f ◆ Fischer, Tod, 172 ff ◆ HunzikerRodewald, Thrones, 165 ff ◆ Loretz, Ugarit, 129 f.160 f ◆ Schöpflin, Blick, 299 ff.
Einer der wenigen Texte des Alten Testaments, die von einem Abstieg in die Unterwelt berichten und zugleich eine Innenansicht der Scheol bieten, ist das Spottlied Jes 14,3–21.42 Der König von Babylon, der in den Himmel hatte aufsteigen wollen, muss in die Unterwelt hinab, wo ihn Maden als Lager und Würmer als Decke erwarten (V. 11). Nach der ersten Sequenz, die von der Ankunft des Verstorbenen in der Unterwelt handelt (V. 4b–11), setzt die zweite Sequenz in V. 12 mit der abermaligen Interjektion „Wie“ ein (vgl. V. 4b), ohne dass dabei JHWH als handelnder Akteur in Erscheinung tritt:43 12 Wie bist du vom Himmel gefallen, Glanzgestirn, Sohn der Morgenröte! ⟨Wie⟩ bist du auf die Erde geschmettert, der ⟨alle⟩ Völker besiegt! 13 Du aber, du hattest in deinem Herzen gedacht: „Zum Himmel steige ich empor, höher als Gottes Sterne errichte ich meinen Thron, ich setze mich auf den Versammlungsberg, im äußersten Bereich des Nordens. 14 Ich steige auf Wolkenhöhen, dem Höchsten stelle ich mich gleich.“ 39
40 41 42 43
Zu den zahlreichen Belegen für die Wendung „Haus des Hades“ s. ders., aaO 165 Anm. 12. Nach Il. 8,368 wird das Tor des Hades von einem (hier noch namenlosen) Hund bewacht, s. dazu ders., aaO 187 ff. Ders., aaO 168 f. S. dazu zutreffend Artemov, Jenseitsvorstellungen, 359 ff. S. dazu außer den Kommentaren noch die am Anfang dieses Abschnitts genannte Lit. Zur Absenz JHWHs s. Loretz, Ugarit, 129 f und Fischer, Tod, 174 f.
§ 10 Schöpfung und Chaos 385
15 Doch in die Unterwelt (šeôl) wirst du hinabgestürzt, in den hintersten Bereich der Grube (jarketê-bôr).
Der Sturz des Königs von Babylon in die Unterwelt // den hintersten Bereich der Grube44 ist die Strafe für sein frevelhaftes und hochmütiges Handeln. Der Strafcharakter des Tyrannensturzes ergibt sich nach V. 18–20 daraus, dass der babylonische König nicht wie die anderen Könige ehrenvoll in einem Grab beigesetzt wird, sondern wie ein „zertretender Leichnam“ (V. 19) bei den Erschlagenen liegt: 18 Alle König der Nationen, sie alle liegen in Ehren, jeder in seinem Haus. 19 Du aber bist hingeworfen, außerhalb deiner Grabstätte – wie ein verabscheuter Schössling –, bedeckt mit Erschlagenen, vom Schwert Durchbohrten, solchen, die zu Grubensteinen hinabsteigen, wie ein zertretener Leichnam. 20 Mit jenen wirst du nicht vereint werden im Grab, denn du hast Verderben gebracht über dein Land, dein Volk hast du erschlagen. Nie (mehr) wird genannt werden in Ewigkeit der Same von Übeltätern.45
Damit ist Jes 14,4b ff ein „Wegbereiter für die Auffassung von der Scheol als einem Ort, der zumindest für gewalttätige und anmassende Herrscher ein Strafort ist“46. Diese Strafvorstellung wird in der antikjüdischen und frühchristlichen Literatur aufgegriffen und weitergeführt.47 b) Anthropologische Aspekte Gegenüber der im vorhergehenden Abschnitt skizzierten Problematik ist es als Paradigmenwechsel zu bezeichnen, wenn die alttestamentlichen Individualpsalmen und der Jonapsalm (Jon 2,3–10) davon sprechen, dass JHWH den Beter vom Tod errettet und ihn sogar aus der Unterwelt „heraufführt“ (ʿlh hif., vgl. Ps 30,4; Jon 2,7 u. ö.). Dieser Relation von Diesseits und Jenseits liegt eine bestimmte Raumauffassung zugrunde, die anhand von Ps 88 und Ps 30 verdeutlicht werden soll. „Mein Leben hat die Unterwelt berührt“ (Ps 88,4) Baumgart, Tod, 100 ff ◆ Berges, Schweigen, 42 ff ◆ Groß, Feind, 159 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 231 ff ◆ Ders., Die Toten, 201 ff ◆ Loretz, Götter, 273 ff ◆ Móricz, Wie die Ver-
44
Zu diesen Unterweltbezeichnungen s. Loretz, aaO 160 f und Schöpflin, aaO 307 ff. S. dazu Beuken, Jesaja II (HThK.AT), 95 ff. 46 Schöpflin, aaO 312 f. 47 S. dazu oben 378 f. 45
386 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems wundeten, 177 ff ◆ Schlegel, Psalm 88 ◆ Schnocks, Rettung, 56 ff ◆ Ders., Metaphern, 242 ff ◆ Ders., Psalmen, 100 ff.144 f ◆ Weber, Rettung, 595 ff.
Gehen wir zum Verständnis dieses „beispiellosen Psalms“48 von seiner Gliederung aus. Für diese ist nach der Überschrift in V. 1 die dreimalige Klage mit Invocatio (V. 2 f.10aβ.b.14) signifikant, die jeweils einen Abschnitt einleitet: die Notschilderung I (V. 4–10aα), die Appellation an JHWH (V. 11–13) und die Notschilderung II (V. 15–19). Die Sinnachse des Psalms wird von V. 11–13 gebildet, weil der Beter hier nicht wie in V. 4 ff und V. 15 ff von sich selbst, sondern allgemein von den Toten spricht: 2 JHWH, Gott meiner Rettung, bei Tag habe ich geschrien, in der Nacht vor dir. 3 Es komme vor dich mein Gebet, neige dein Ohr meinem Schrei! 4 Denn gesättigt mit Übeln ist mein Leben, und mein Leben hat die Unterwelt (šeʾôl) berührt. 5 Zugezählt worden bin ich denen, die in die Grube (bôr) hinabsteigen, ich bin geworden wie ein Mann ohne Kraft. 6 Unter den Toten (bin ich) ein Freigelassener, wie Erschlagene, die im Grab (qæbær) liegen, an die du nicht mehr gedacht hast, sind sie doch von deiner Hand abgeschnitten. 7 Versetzt hast du mich in die tiefste Grube (bôr taḥtîjjôt), an finstere Orte (maḥašakkîm), in (Meeres-)Tiefen (meṣolôt). 8 Auf mir hat gelastet dein Grimm, und mit allen deinen Brechern hast du (mich) überwältigt. – Sela 9 Entfernt hast du meine Vertrauten von mir, zum Abscheu für sie hast du mich gemacht, gefangen (bin ich) und ich kann nicht heraus! 10 Mein Auge ist dahingeschwunden vor Elend. Ich habe dich gerufen, JHWH, an jedem Tag, ich habe ausgebreitet zu dir meine Hände. 11 Für die Toten solltest du ein Wunder tun oder werden Totengeister sich erheben, dich zu preisen? – Sela 12 Wird im Grab (qæbær) erzählt deine Güte, deine Treue am Ort des Untergangs (ʾabaddôn)? 13 Wird kund in der Finsternis (ḥošæk) dein Wunder und deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens (ʾæræṣ nešijjāh)?
48 So
Schlegel, Psalm 88 im Untertitel ihrer Studie. Zu Ps 88 s. außer den Kommentaren noch die am Anfang dieses Abschnitts genannte Lit. Im Folgenden beschränken wir uns auf die für die Unterweltsthematik relevanten Aussagen des Psalms; für eine ausführliche Analyse s. Janowski, Die Toten, 201 ff; Schnocks, Rettung, 56 ff und Móricz, Wie die Verwundeten, 177 ff.
§ 10 Schöpfung und Chaos 387
14 Ich aber, zu dir, JHWH, habe ich um Hilfe gerufen, und (jeweils) am Morgen gelange mein Gebet zu dir! 15 Wozu, JHWH, verstößt du mein Leben, verbirgst du dein Gesicht vor mir? 16 Elend bin ich und todkrank von Jugend auf, getragen habe ich deine Schrecken, ich erstarre (?). 17 Über mich sind hinweggegangen deine Zornesgluten, deine Schrecken haben mich zum Verstummen gebracht. 18 Umgeben haben sie mich wie Wasser den ganzen Tag, umzingelt haben sie mich insgesamt. 19 Entfernt hast du von mir Freund und Gefährten, meine Vertrauten – (da ist) Finsternis(ort) (maḥšāk)!49
Die totengleiche Situation des Beters wird bereits im ersten Satz der Notschilderung V. 4–10aα beschrieben: Denn gesättigt mit Übeln ist mein Leben (næpæš), und mein Leben (ḥajjîm) hat die Unterwelt (šeôl) berührt (ngʿ hif.). (V. 4)50
Diese Klage ist in der Tat ungewöhnlich. Denn „satt“ ist dieser Beter nicht durch ein erfülltes Leben (Gen 25,8; 35,29; Hi 42,17; 1 Chr 23,1; 29,28 u. ö.) oder durch eine besondere Gottesgemeinschaft (Ps 16,11, vgl. Ps 17,15; 63,6; 65,5), sondern durch die „Übel“, die ihn von Gott getroffen haben. Für ihn wird es – sollte JHWH nicht eingreifen – kein „Erwachen“ geben, weil sein Leben die Unterwelt „berührt“ (ngʿ hif.) hat51 und „Finsternis“ sein einziger Gefährte ist (V. 19). Die Schrecken der Scheol werden dabei in bedrückenden Bildern geschildert. So zeigen die Ortsangaben „Grube“ (V. 5), „Grab“ (V. 6, vgl. V. 12), „tiefste Tiefen“ (V. 7), „finstere Orte“ (V. 7, vgl. V. 13) und „(Meeres-)Tiefen“ (V. 7, vgl. V. 18), dass sich der Beter in räumlicher Nähe zur Unterwelt (vgl. V. 4) und entsprechend in unüberwindbarer Distanz zu JHWH und der Welt der Lebenden befindet. Sachgemäß sind deshalb die Vergleiche mit den Toten: der Beter ist denen zugezählt, die in die Grube hinabsteigen (V. 5a), er ist wie ein Mann ohne Kraft (V. 5b), unter den Toten ist er ein Freigelassener (ḥåpšî V. 6aα),52 er gleicht Erschlagenen, die im Grab liegen (V. 6aα). Der Beter erfährt sein Leiden also als ein regelrechtes Totendasein.53 Entsprechend stark ist der Abscheu seiner Vertrauten vor ihm, die JHWH von ihm entfernt hat (V. 9, vgl. V. 19). Dieser Abscheu ist ein Spiegel des Abscheus vor der Macht des Todes, die bereits nach 49
Zu den textkritischen Problemen s. ders., aaO 203 f. Dazu gibt es in dem mesop. Weisheitsgedicht Ludlul bēl nēmeqi („Ich will preisen den Herrn der Weisheit“) aus dem 1. Jt. v. Chr. eine Sachparallele: „Geöffnet ist das Grab, bereit liegen die Grabbeigaben für mich“ (Taf. II 114), s. dazu Janowski, Anthropologie, 609 f. 51 Vgl. Ps 107,18; Sir 51,6 u. ö., s. dazu auch Schwienhorst-Schönberger, Art. nāgaʿ, 223 f und Liess, Tore, 415. 52 Zu diesem Terminus s. Janowski, Die Toten, 210 f. 53 Vgl. Groß, Feind, 165 f. 50
388 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
dem Leben des Beters gegriffen und ihn mit „Finsternis“ umgeben hat (maḥšāk V. 19).54 Angesichts dieser Lage erhebt sich umso drängender die Frage nach der Funktion von V. 11–13 im Kontext von Ps 88. Denn der Beter spricht hier nicht von sich, sondern allgemein von den Toten. Er schildert aber nicht etwa ihre Leiden in der Unterwelt, sondern er gewinnt aus der JHWH-Ferne der Scheol und ihrer Bewohner ein argumentum ad deum: JHWH soll erkennen, dass sein Eigeninteresse es ihm verbieten müsste, den Beter vorzeitig in die Scheol zu verbannen, da er sich dadurch eines kostbaren Zeugen und Verehrers seiner Güte und Treue berauben würde.55 JHWH soll durch die rhetorischen Fragen von V. 11–13, die in Ps 6,6; 30,10; 115,17 f u. a. eine sachliche Entsprechung haben, also zum Einschreiten bewegt werden. So ist dieser dunkelste aller Psalmen ein Beleg für die Vorstellung vom Jenseits im Diesseits, aber auch für die Hoffnung auf die Errettung vom Tod – auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint. Mit seiner singulären Aussage „Mein Leben hat die Unterwelt berührt“ macht Ps 88,4 die Transformation der kosmologischen Unterweltstopik deutlich, die für die Diesseits/Jenseits-Beziehung der Individualpsalmen (KE und DE) charakteristisch ist und die man als Jenseits im Diesseits bezeichnen kann. Die Bereiche, die in diesem Zusammenhang Jenseitsfunktionen übernehmen, sind das Grab, der Staub, das Gefängnis, die Zisterne, die Fallgrube, die Wasserflut, das Meer, die Wüste/Steppe, der Rand des Gebirges und – als zeitlicher Bereich – die finstere Nacht.56 Sie bilden die schmale und gefährliche Grenze zwischen Leben und Tod, auf der sich der bedrängte Beter befindet (s. Abb. 92). Diese Grenze wird so gezogen, dass der Tod ins Leben hineinragt, obwohl die Unterwelt nach den kosmologischen Vorstellungen Israels, wie die Fragen JHWHs an Hiob in Hi 38,16 ff57 zeigen, in der äußersten, unerreichbaren Tiefe liegt. In der Anthropologie verläuft die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits aber anders als in der Kosmologie: sie ist durchlässig und nicht durch Türen oder Tore verschlossen.58 In diesem Sinn sind die Todesbilder der Individualpsalmen „nicht bildlich übertreibend oder als theoretische Fiktion, sondern ganz realistisch“59 gemeint. Es geht bei ihnen zwar um einen Bedrängten, der JHWH bittet bzw. dankt, vom Tod/aus der Unterwelt errettet zu werden bzw. errettet worden zu sein, doch ist mit dem Tod der Tod im Leben und mit der Unterwelt die Unterwelt der Lebenden (im Unterschied zur Unterwelt der Toten) gemeint.60
54
Oder: „Finsternisort“, vgl. V. 7 (pl.), ferner Jes 29,15; 42,16; Ps 74,20; 88,7; 143,3 und Klgl 3,6. 55 S. dazu Janowski, aaO 218 ff. 56 S. dazu Barth, Errettung, 72 ff; Keel, Bildsymbolik, 53 ff; Janowski, Konfliktgespräche, 260 ff; Podella, Totenrituale, 545 ff; Berlejung, Tod, 485 ff und Liess, Tore, 397 ff. 57 S. dazu oben 376 ff. 58 Vgl. Barth, aaO 93. 59 Von Rad, Gerechtigkeit, 237. 60 S. dazu auch Eberhardt, JHWH, 203 ff, vgl. Podella, Grundzüge, 79 und Janowski, Anthropologie, 493. Sachlich vergleichen lässt sich diese Unterweltsvorstellung mit entsprechenden ägypt. Aussagen, s. dazu Q 20.
§ 10 Schöpfung und Chaos 389
Diesseits
Diesseitsbereiche mit Jenseitsfunktion
Jenseits
Welt der Lebenden
‚Unterwelt der Lebenden‘ (Situation des Bedrängten)
Welt der Toten
Haus Stadt Tempel Kulturland Gemeinschaft Kommunikation Reinheit
Grab, Gefängnis, Grube, Zisterne, Wasserflut, Meer, Wüste/Steppe, Bergland, Finsternis, Nacht, ‚die Tiefen‘
Unterwelt Scheol Abaddon Land ohne Wiederkehr Einsamkeit Schweigen Unreinheit
Abb. 92: Die Grenze zwischen Leben und Tod nach den Psalmen
„Du hast mein Leben aus der Unterwelt heraufgeholt“ (Ps 30,4) Eder, Identifikationspotenziale, 99 ff ◆ Hieke, Orientierung, 259 ff ◆ Janowski, Dankbarkeit, 287 ff ◆ Ders., Anthropologie, 486 ff ◆ Schnocks, Psalmen, 117 ff ◆ Weber, Werkbuch 3, 72 ff.
Ebenso ungewöhnlich wie die Klage von Ps 88,4 ist auch die Rettungsaussage von Ps 30,4. Aber anders als Ps 88 ist das individuelle Danklied Ps 3061 nicht aus der Perspektive der erfahrenen, sondern aus der Perspektive der überstandenen Todesnot formuliert. Auch hier spielt die Unterweltsthematik eine zentrale Rolle. Der Text enthält in V. 2–6 die üblichen Elemente eines Danklieds des Einzelnen mit einer Selbstaufforderung zum Gotteslob (V. 2), einem Rückblick auf die Not (Rettungserzählung V. 3 f ) sowie einer Aufforderung an die Gemeinde zum musikalischen Gotteslob (V. 5 f ): 2 Ich will dich erheben, JHWH, denn du hast mich emporgezogen und hast nicht jubeln lassen meine Feinde über mich. 3 JHWH, mein Gott, ich flehte zu dir, und du hast mich geheilt. 4 JHWH, du hast heraufgeholt aus der Unterwelt (šeʾôl) mein Leben, du hast mich zum Leben gebracht aus ⟨denen, die⟩ in die Zisterne ⟨hinabsteigen⟩ (mijjôredê bôr). 5 Musiziert für JHWH, ihr seine Frommen, und lobdankt zum Gedenken seiner Heiligkeit, 6 denn einen Augenblick – in seinem Zorn, ein Leben lang – in seinem Wohlgefallen, am Abend – Weinen, am Morgen – Jubel! 61
S. dazu außer den Kommentaren noch die am Anfang dieses Abschnitts genannte Lit. Auch hier beschränken wir uns auf die für die Unterweltsthematik relevanten Aussagen des Psalms; für eine ausführliche Analyse s. Janowski, Dankbarkeit, 287 ff; Weber, Werkbuch 3, 72 ff; Eder, Identifikationspotenziale, 99 ff u. a.
390 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Mit V. 7 setzt der Beter abermals mit einem Rückblick auf die Not ein (V. 7 f ), dem in V. 9–11 ein Rückblick auf die Klage mit ausführlichem Zitat (V. 10 f ) gegenübersteht. Abgeschlossen wird dieser zweite Teil in V. 12.13a mit einem Bericht über die erfahrene Rettung sowie in V. 13b mit einem Lobgelübde, das eine Inclusio mit V. 2aα bildet: 7 Ich aber, ich dachte in meiner Sorglosigkeit: „Nicht werde ich wanken, in Ewigkeit nicht!“ 8 JHWH, in deinem Wohlgefallen hast du (mich) ⟨auf feste Berge⟩ gestellt, da verbargst du dein Gesicht – ich war schreckensstarr. 9 Zu dir, JHWH, rief ich (immer wieder), und zu meinem Herrn flehte ich (unentwegt) um Gnade: 10 „Was für ein Gewinn ist an meinem Blut, wenn ich hinabsteige in die Grube (šaḥat)? Lobdankt dir der Staub, tut er deine Treue kund? 11 Höre, JHWH, und sei mir gnädig! JHWH, sei mir ein Helfer!“ 12 Du hast meine Trauerklage gewendet zum Reigentanz für mich, du hast mein Trauergewand gelöst und mich mit (einem) Freude(ngewand) umgürtet, 13 damit ⟨meine⟩ Ehre für dich musiziert und nicht schweigt. 13 JHWH, mein Gott, in Ewigkeit will ich dir lobdanken!62
Die beiden Rettungserzählungen V. 3 f und V. 7–13a haben ihr je eigenes Profil: während V. 3 f den äußeren Vorgang der Rettung in den Blick nimmt,63 beschreiben V. 7–13a die innere Haltung des Beters (Selbstreflexion), die das plötzliche Hereinbrechen der Not und die Erfahrung des neu geschenkten Lebens bei ihm hervorgerufen haben.64 Auch die in V. 2–4 und V. 7 f jeweils vorausgesetzte Notsituation ist unterschiedlich akzentuiert: Während V. 2–4 auf den Triumph der Feinde anspielt, wird die Not nach V. 7 f in der überheblichen Sorglosigkeit des Beters lokalisiert. Den Unterschied zwischen den beiden Teilen V. 2–6 und V. 7–12 unterstreicht auch die eigentümliche Sprachgestalt von V. 7–12 mit dem Selbstzitat in V. 7b, dem argumentativen Ringen mit JHWH in V. 10 f65 sowie den polaren Metaphern für die Lebenswende. Dieses Stilmittel scheint ein Charakteristikum der Danklieder zu sein, die ja das Wunder der Rettung in Worte 62
Zu den textrkritischen Problemen s. Janowski, aaO 288. Nach V. 2 hat JHWH den Beter wie einen ledernen Schöpfeimer (delî, vgl. Num 24,7) aus der Tiefe der Zisterne „emporgezogen“ (dlh pi.), s. dazu Keel, Bildsymbolik, 61 f und Seybold, Poetik 1, 206. 64 Auffallend ist dabei das Phänomen der mehrschichtigen Vergangenheit, s. dazu Janowski, aaO 290 ff. 65 Zur Frage nach dem Gewinn am Tod des Beters gibt es eine Sachparallele in einem zweisprachigen Gebet an Marduk Z. 67–69: „Wer zu Staub wurde – was ist sein (sc. des Gottes) Gewinn? Nur ein lebendiger Diener kann seinen Herrn verehren. Was kann toter Staub/ein toter Gefährte für den Gott vermehren?“, s. dazu Janowski, Anthropologie, 620. 63
§ 10 Schöpfung und Chaos 391
zu fassen versuchen.66 Es begegnet nicht nur in negativer Form als Wende vom Leben zum Tod (Ps 30,8: „auf feste Berge gestellt“ vs. „schreckensstarr“), sondern vor allem in positiver Form als Wende vom Tod zum Leben: – JHWH führt das Leben (næpæš) des Beters aus der Unterwelt herauf // er bringt den Beter zum Leben aus denen, die in die Zisterne hinabsteigen (Ps 30,4) – am Abend ist Weinen :: am Morgen ist Jubel (Ps 30,6) – Trauerklage :: Reigentanz // Trauergewand :: Freude(ngewand) (Ps 30,12) – JHWH zieht das Leben (næpæš) aus dem Tod heraus (Ps 116,8)67
Abb. 93: Polare Metaphern für die Lebenswende in Ps 30 und 116
Auch hier begegnet die für die Danklieder typische Verschränkung der Raumund Zeitebenen: die Lebenswende vollzieht sich als Übergang von der Scheol zum Tempel (Ps 116,3.8.9.19) bzw. als Umbruch vom Abend zum Morgen, vom Weinen zum Jubel (Ps 30,6b). Diese Verschränkung der Raum- und Zeitebenen zeigt, dass Beten ein transitorischer Akt ist, der dem Beter auch sprachlich den Weg ins neue Leben ermöglicht.68 2. Repräsentanten der gegenmenschlichen Welt Die kosmologischen und anthropologischen Aspekte der Unterwelt, von denen im Vorhergehenden die Rede war, haben die Abgründigkeit dieser Jenseitsbereiche vor Augen geführt. Im Folgenden gehen wir einen Schritt weiter und nehmen die Wesen und Mächte in den Blick, die als Repräsentanten dieser Bereiche fungieren und gegen die der Schöpfergott einen erbitterten Kampf führt (a). Unter ihnen sticht das Meeresungeheuer Leviatan besonders hervor, über das nach Ausweis von Ps 104,26 und Hi 40,25–41,26 aber auch andere Aussagen gemacht werden (b). a) Texte und Bilder zum Chaoskampf Altes und Neues Testament: Bauks, Art. Chaoskampf, 94 ff ◆ Brüning, Seeungeheuer, 250 ff ◆ Day, God’s Conflict ◆ Frey-Anthes, Antiwesen ◆ Gunkel, Schöpfung ◆ Kloos, Yhwh’s Combat ◆ Loretz, Ugarit, 156 ff ◆ Pfeiffer, König Jahwe, 65 ff ◆ Podella, Chaoskampfmythos, 283 ff ff ◆ Petersen, Mythos, 130 ff ◆ Keel, Entgegnung, 126 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 184 ff ◆ Rüterswörden, Art. rāhab, 373 ff ◆ Schmidt, Glauben 236 ff ◆ Theis, Creatures, 38 ff ◆
66
S. dazu ders., aaO 303 ff. Diese Stilfigur ist auch ein Grundzug der ägypt. Danklieder, s. dazu die Votivstele des Neb-Re aus Deir el-Medine (19. Dyn.): „Du bist Amun-Re, der Herr von Theben, du rettest den, der in der Unterwelt ist“ (B, Z. 22 f ) sowie den Leidener Amunshymnus Kap. 70, Z. 5 f: „Der (sc. Amun) errettet, wen er will, auch wenn er in der Unterwelt ist, der vor dem Schicksal bewahrt, wie das Herz es ihm eingibt“, s. dazu ders., aaO 583 f. 67 Zu Ps 116 s. ders., aaO 274 ff und Gärtner, Tod, 1211 ff. 68 Vgl. Ps 118,5 mit seinem Motiv von Enge vs. Weite: „Aus der Enge heraus rief ich Jah, es erhörte mich in die Weite hinein Jah“, s. dazu Mark, Stärke, 380 ff.
392 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Tsumura, Creation, 143 ff ◆ Uehlinger, Mythos, 66 ff ◆ Ders., Drachen, 55 ff ◆ Ders., Art. Drache, 967 ◆ Vreugdenhil, Psalm 91 ◆ Watson, Chaos ◆ Wyatt, Myths, 117 ff. – Antike Religionen: Heeßel, Art. Demons, 233 ff ◆ Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 154 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 39 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 123 ff ◆ Lippke, Schritte, 270 ff ◆ Seidl, Flutungeheuer, 100 ff ◆ Shupak, Water Monster, 77 ff ◆ Uehlinger, Art. Leviatan, 511 ff ◆ Ders., Drachen, 55 ff ◆ Ders., Art. Drache, 966 f.
Das Chaos, für das es im hebräischen Alten Testament keinen Terminus gibt,69 hat viele Gesichter. Es kann sich im „Schrecken der Nacht“ (Ps 91,5 f ), im Widerfahrnis einer Lebenskrise (Krankheit, Tod), in Naturkatastrophen oder in der unübersichtlichen, „chaotischen“ Situation eines Krieges melden. Die Grenze zu dem, was gemeinhin als „dämonisch“ bezeichnet wird,70 scheint dabei fließend zu sein. Da „kaum ein Begriff schillernder ist als der des Chaos“71, beginnen wir mit einer terminologischen Vorbemerkung. Was heißt „Chaoskampf“? In ihrem Standardwerk über die Vorstellungen von „Dämonen“ im alten Israel hat H. Frey-Anthes ein Tableau zur Klassifikation der dämonischen Wesen und Mächte entworfen und dabei fünf Kategorien unterschieden. Viele dieser Gestalten sind aus der mesopotamischen, ägyptischen und kanaanäischen Mythologie bekannt, wo sie in der Regel als Götter und Göttinnen verehrt wurden (s. die Übersicht Abb. 93)72 Nur am Rande erwähnt werden von Frey-Anthes die mythischen Repräsentanten des Chaos wie Leviatan, Rahab und Tannin,73 die im Folgenden im Vordergrund stehen. Sie begegnen im Kontext des Motivs „Konfrontation von Schöpfung und Chaos“, das seinerseits mehrere Varianten aufweist. Dazu zählen: – der Kampf JHWHs gegen das Chaos und seine mythischen Repräsentanten, die die geschaffene Welt bedroht haben und weiterhin bedrohen (Jes 51,9 f; Ps 74,13 f; 89, 10 f und Hi 26,12);74 – der Triumph JHWHs, der den siegreich überstandenen Kampf gegen das Chaos zur Voraussetzung hat, diesen aber nicht mehr darstellt (Ps 93,3 f: Stilform der behobenen Krise);75 – der Setzungsakt JHWHs, durch den das Chaos am Anfang der Welt begrenzt wurde und weiterhin begrenzt wird (Jer 5,22; Ps 104,9; Hi 38,10 f; Spr 8,29).76 69
Der Begriff „Chaos“ begegnet lediglich in Mi 1,6LXX und Sach 14,4LXX , s. dazu oben 51. Zur Problematik der Begriffe „Dämon“ und „Dämonen“ s. Anthes-Frey, Unheilsmächte, aaO 2 ff, ferner Fabry, Satan, 269 ff und Vreugdenhil, Psalm 91. 71 Podella, Chaoskampfmythos, 283. 72 S. dazu Frey-Anthes, aaO passim, ferner Keel, Bildsymbolik, 39 ff; Uehlinger, Drachen, 56 ff.87 ff; Lippke, Schritte, 270 ff u. a. 73 S. dazu dies., aaO 160.175 f. 74 S. dazu im Folgenden. 75 S. dazu oben 336. 76 S. dazu die Übersicht oben 136 f. 70
§ 10 Schöpfung und Chaos 393
Mischwesen Anthropomorphe Mischwesen (Geflügelte Genien und kleine Götter, Bes) Theriomorphe Mischwesen (Lamaštu und Pazuzu, Sphingen und Greife, Geflügelter Skarabäus und Uräus)
Personalisierte Unheilsmächte Krankheiten (Dtn 32,23 f; Hab 3,3 ff; Ps 91,3 ff; Hos 13,14 f ) Naturgewalten (Jes 28,2; Ps 78,48 ff )
Depotenzierte Götter ræšæp „Seuche, Pest“ (Dtn 32,24; Hab 3,5; Ps 78, 48); qætæb „Seuche, Stachel (?)“ ˙ (Dtn 32,24; Jes 28,2; Hos 13,14); Ps 91,6), dæbær „Pest“ (Hos 13,14; Hab 3,5) šedim „Genien, Schutzgeister“ (Dtn 32,17; Ps 106,37)
Repräsentanten von Gegenwelten sijjîm „Ruinen-, Wüstenbewohner“ (Jes 13,21 f; 23,13; 34,12 ff; Jer 50,39; Ps 72,9; 74,14) ˙ śeʿîrîm „Bocksgeister“ (Lev 17,7; Jes 13,21; 34,14; 2 Chr 11,15) tannîm „Schakale“ (Jes 13,22; 34,13; Hi 30,29 u. ö.) Azazel (Lev 16,5 ff.20 ff.26) Lilith (Jes 34,14; Hi 8,15)
Grenzgänger und Mittlergestalten Satan (im Himmel: Sach 3,1 ff; Hi 1,6 ff; 2,1 ff; 16,9; 30,21; auf der Erde: Num 22,22 f; 2 Sam 24,1 par. 1 Chr 21,1) Ašmodai (Tob 3,8.17; 6,17 f; 8,1 f.3)
Abb. 93: Unheilsmächte und Antiwesen im Alten Testament Die drei skizzierten Darstellungsformen des Motivs „Konfrontation von Schöpfung und Chaos“ weisen Topoi und Formulierungsmuster auf, die in einer bestimmten kulturellen oder sozialen Situation („Sitz im Leben“) wurzeln und in dieser ihre Funktion haben. Nach Ps 89,10 f ist dies die kollektive Klage (exilisch), nach Ps 93,3 f die Jerusalemer Tempeltheologie (vorexilisch) und nach Ps 104,9 die weisheitliche Welterkenntnis (spätnachexilisch).
Die erste Variante ist für unser Thema von besonderem Interesse. Allerdings: Was genau ist gemeint, wenn man vom „Chaoskampfmotiv“ bzw. vom „Chaoskampfmythos“ spricht? Diese Frage ist berechtigt. Denn zum einen suggerieren diese Bezeichnungen, dass es so etwas wie einen einheitlichen, in sich geschlossenen Motivkomplex „Chaoskampf “ gibt. Das ist zutreffend, insofern damit die Rollenkonstellation JHWH vs. Chaos gemeint ist.77 Diese Rollenkonstellation begegnet in mehreren Varianten sowie in Verbindung mit verschiedenen mythischen Repräsentanten (Leviatan, Rahab, flüchtige/gewundene Schlange, Tannin) und personifizierten Chaosmächten (Meer, Urflut, Ströme, Wasser):78 77 Vgl. 78
Uehlinger, aaO 85 f. Die Angaben für die Belege des Chaoskampfmotivs schwanken in der Forschung z. T. erheblich, s. dazu Wyatt, Myths, 122 mit Anm. 4; 159 und unten 411 Abb. 101.
394 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems – jām „Meer“
Ps 89,10 f (// rahab, „deine Feinde“); 93,3 f (nehārôt, majim); Hi 7,12 (// tannîn); 26,12 f (// rahab), vgl. den ugarit. Text KTU 1.3 III 39 (Yammu)79 – liwjātān „Leviatan, Jes 27,1 (// tannîn); Ps 74,14; Hi 3,8, vgl. den ugarit. Text KTU 1.5 I 1 Krokodil“ (ltn); ohne Chaoskampf: Ps 104,26; Hi 40,25.29 (jeweils Spielzeug Gottes) – majim „Wasser“ Ps 77,17–19 (// tehomôt); 93,3 f (nehārôt, jām); 104,6–9 (// tehôm) e – n hārôt „Ströme“ Ps 93,3 f (// majim, jām), vgl. den ugarit. Text KTU 1.3 III 39 (Naharu) – nāhāš bārîah „flüch Jes 27,1 (// Leviatan, tannîn); Hi 26,12 f (// jām, rahab), vgl. die ˙ ˙ ugarit. Texte KTU 1.3 III 41 f und KTU 1.5 I 1–3 (btn brh, btn ʿqltn) tige Schlange“, ¯ ˙ ¯ a nāhāš ʿ qallātôn ˙ „gewundene Schlange“ – rahab „Stürmer, Jes 51,9 (// tannîn); Ps 89,10 f (// „Hochmut des Meeres“, „deine Dränger“ Feinde“); Hi 9,13 (Helfer Rahabs); 26,12 f (// hajjām „das Meer“); Sir 43,25 (HM) – tehôm „Urflut“ Ps 104,6–9 (// majim); ohne Chaoskampf: Ps 148,7 (// tannînîm) – tannîn „See Jes 27,1 (// nāhāš bārîah, nāhāš ʿ aqallātôn, liwjātān); 51,9 (// rahab); ˙ ˙ ˙ ungeheuer“ Ps 74,13; Hi 7,12 (// jām „Meer“), vgl. den ugarit. Text KTU 1.3 III 40 (Tunnanu); ohne Chaoskampf: Gen 1,21; Ps 148,7 (// tehomôt)
Abb. 94: Die mythischen Repräsentanten des Chaos
Zum andern ist der Unterschiedlichkeit der alttestamentlichen Belege und ihrem jeweiligen Profil Rechnung zu tragen. Deshalb wird „eine Archäologie des Imaginären, der an historischer Präzision gelegen ist, … nicht alle Drachen in denselben Topf werfen wollen“80. Die Bezeichnung tannîn („Seeungeheuer“) ist dafür ein erstes Beispiel. Alttestamentliche Texte Zum Seeungeheuer tannîn gibt es zwei unterschiedliche Traditionen: eine unmythologische, gleichsam naturwissenschaftliche, und eine mythologische, auf die uranfängliche Schöpfung bezogene Tradition. Zur ‚naturwissenschaftlichen‘ Wahrnehmung gehört der priesterliche Schöpfungstext, dem zufolge am fünften Tag die Wasser- und Flugtiere geschaffen und gesegnet werden. Zu den Wassertieren gehören auch die großen Seeungeheuer: 20 Und Gott sprach: „Es wimmle das Wasser von Gewimmel an Lebewesen, und Flugtiere sollen fliegen über der Erde an der Vorderseite der Feste des Himmels.“ 21 Und Gott schuf die großen Seeungeheuer (tannînim) und alle Lebewesen, die sich regen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihrer Art und alle geflügelten Flugtiere nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war. 79 80
Zu den in dieser Tabelle genannten ugarit. Vergleichstexten s. unten 403 ff. Uehlinger, aaO 85, vgl. Schmidt, Glaube, 236 ff.
§ 10 Schöpfung und Chaos 395
22 Und Gott segnete sie, indem er sprach: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt das Wasser in den Meeren, und die Flugtiere sollen zahlreich werden auf der Erde!“ 23 Und es wurde Abend und es wurde Morgen: fünfter Tag. (Gen 1,20–23)
Der in Gen 1,11 f.21.24 f begegnende Klassifikationsterminus mîn „Art, Spezies“, mit dem die Artenvielfalt zum Ausdruck gebracht wird,81 fehlt in Gen 1,21. Die Seeungeheuer (tannînim), die nicht nach ihren Arten erschaffen werden, sind „sozusagen ‚unartig‘, monströs“82. Im Gegensatz zu Jes 27,1; 51,9; Ps 74,13 u. a. sind sie aber keine Repräsentanten der Gegenwelt, sondern in die Ordnung der „guten“ Schöpfung eingebunden. Das mit ihnen verbundene Problem des Feindlichen in bzw. gegenüber der Schöpfung „wird auf diese Weise stillgestellt. Auf die Frage, ob es Chaosmächte gebe, die die von Gott erschaffene und erhaltene Welt bedrohen, antwortet Gen 1 knapp, Gott habe auch sie erschaffen. Ihre Erwähnung komplettiert die Welt, stellt sie aber nicht in Frage. Diese Einordnung ist eine Weise des Umgangs mit dem mit den Chaosdrachen verbundenen Problempotential“83.
Das ist in einem Chaoskampftext wie Ps 74,13 f grundsätzlich anders. Hier wird der Kampf JHWHs gegen die Tanninim und gegen Leviatan als Schöpfungshandeln verstanden, durch das die kosmische Ordnung gefestigt wird: 12 Aber Gott ist mein König von Urzeit her, der Rettungstaten vollbringt inmitten der Erde. 13 Du, du hast aufgewühlt mit deiner Macht das Meer,84 du hast zerschmettert die Häupter der Tanninim (tannînim) über dem Wasser. 14 Du, du hast zerschlagen die Köpfe Leviatans (liwjātān), gibst ihn zum Fraß einem Volk von Wüstentieren (ṣijjîm).
Meer (wässrig) Tanninim Leviatan Wüste (trocken)
15 Du, du hast gespalten Quelle und Bach, du, du hast austrocknen lassen ständig fließende Ströme. 16 Dein ist der Tag, ja dein die Nacht, du, du hast hingestellt (Mond-)Leuchte und Sonne. 17 Du, du hast festgelegt alle Grenzen der Erde, Sommer und Winter, du, du hast sie gebildet.85
81
Tageszyklus (Zeit) Himmel (Raum) Erde (Raum) Jahreszyklus (Zeit)
S. dazu oben 138 ff. Ebach, Art. Naturerfahrung, 422. 83 Ders., Hiob II, 151, vgl. Bauks, Art. Chaoskampf, 96 und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 58: „Auch wenn Seeschlangen und Krokodile bis in die Gegenwart hinein als unheimliche und in einem weiteren Sinn mythische Kreaturen gelten, geht es (sc. in Gen 1,21) gerade deswegen allein um die Illustration der staunenswerten Fülle des von Gott geschaffenen Lebens“. 84 Mit dem „Aufwühlen“ des Meeres (jām) ist hier nicht der Kampf gegen eine Chaosmacht, sondern der Auftakt zu dem anschließenden Kampfgeschehen gemeint, vgl. Petersen Mythos, 132 f. 85 Zu den Textproblemen s. oben 314. 82
396 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Es ist unverkennbar, dass V. 13 f die nordsyrisch-kanaanäische Tradition vom Kampf Baʿals gegen Jammu („Meer“) bzw. Litanu („Leviatan“) rezipiert hat86 und JHWH in der Rolle des ugaritischen Wettergottes auftreten lässt. Auf der anderen Seite folgt in V. 16 f wie im babylonischen Weltschöpfungsepos Enūma Eliš IV 129–146; V 45–70 (s. Q 62) mit der Erhaltung der raumzeitlichen Ordnung der auf die creatio continua bezogene Aspekt der Schöpfung. In Ps 74, so fasst Chr. Uehlinger die religionsgeschichtliche Problematik zusammen, ist JHWHs Sieg gegen das Meer bzw. den Meeresdrachen „eine ordnungsbegründende Tat der Urzeit: Der ugaritische Mythos verstand Baals Kampf gegen Yamm nur als vorzeitig, ohne ihm explizit eine kosmogonische Bedeutung zu geben. Eine solche hat der Kampf des Wetter-/Schöpfergottes aber im babylonischen Mythos Enūma eliš bekommen, wo die urzeitliche Tötung und Spaltung des Urmeers Tiamat die Voraussetzung für die räumliche Differenzierung von Himmel und Erde, für die Versorgung der Erde mit Süßwasser und für die Positionierung der Gestirne ist. Ebenso folgt in Ps 74 auf die Spaltung des Meeres das Hervorbrechen der Quellen und die Fixierung der Lichter. Ps 74 läßt also die kananäisch-kosmologische Tradition mit der babylonisch-kosmogonischen zusammenfließen“87.
Eine vergleichbare mythologisierende Rollenverschiebung88 wie in Ps 74,13 f – JHWH kämpft nicht nur gegen die Tanninim und Leviatan, sondern auch gegen die Feinde Israels, die den Tempel verwüstet haben (vgl. Ps 74,18–23)89 – findet sich auch in Jes 51,9 f: 9 Wach auf, wach auf, bekleide dich mit Macht, Arm JHWHs, Wach auf wie in den Tagen der Vorzeit, bei uralten Generationen! Bist du es nicht, der Rahab (rahab) ⟨zerschmettert⟩, Tannin (tannîn) durchbohrt hat? 10 Bist du es nicht, der austrocknete das Meer (jām), die Wasser der großen Urflut (mê tehôm rabbāh), der die Tiefen des Meeres (maʿ amaqqê-jām) zum Weg machte, dass die Erlösten hindurchzogen?90
Doppelter Weckruf
Chaoskampf Überleitung Exodus
Dieser Weckruf – mit den Formelementen Invocatio, Bitte und Erinnerung an seine früheren Taten – ergeht an JHWH, dessen machtvolle Überlegenheit sich wie in den Tagen der Vorzeit bei der Vernichtung der Meeresungeheuer Rahab und Tannin jetzt wieder erweisen möge. Die Frage, ob V. 9 f insgesamt an das
86
Zum Chaoskampf im ugaritischen Baʿal-Zyklus (KTU 1.1–6) s. unten 403 ff. Uehlinger, Drachen, 78 (H. i. O.). 88 Zu dieser Funktionalisierung einer mythischen Bildkonstellation s. ders., Drachenkampf, 71 f. 89 S. dazu oben 312 ff. 90 Übersetzung Hermisson, Deuterojesaja III (BK), 197. Hermisson rechnet diese Verse zusammen mit Jes 51,17–23; 52,1 f.7–12 zur Grundschicht von Jes 40–55, s. ders, aaO 220 ff. 87
§ 10 Schöpfung und Chaos 397
Schilfmeerwunder erinnert oder ob erst in V. 10b davon die Rede ist, spielte in der Forschungsgeschichte eine große Rolle.91 Wenn, was wahrscheinlich ist, V. 9b.10a in den Kontext der Schöpfung bzw. des Chaoskampfs und V. 10b in denjenigen des Exodus gehören, muss das kein Gegensatz sein. Denn: „Die Verknüpfung von Schöpfung und Exodus besagt nichts anderes als dies, dass auch im Exodus der Schöpfer machtvoll am Werk war, und das wird am Schilfmeerwunder demonstriert, weil hier, wie in der mythologischen Darstellung des Schöpfungskampfes, das Motiv des ‚Meeres‘ auftaucht, obwohl es nicht mehr um das Urmeer, sondern allenfalls einen ‚Auswuchs‘ jenes Meeres geht, ein feindlich-chaotisches Element, gegen das Jahwe erneut seine Schöpfermacht einsetzt.“92
Wie Ps 74,13 f und Jes 51,9 f zeigen, lassen sich trotz der konstanten Rollenkonstellation JHWH vs. Chaos (und seine mythischen Repräsentanten) erhebliche Formulierungsunterschiede zwischen beiden Texten feststellen. Das gilt auch für Ps 89.93 Mit Ps 74 teilt dieses exilische Volksklaglied die kosmogonische Perspektive (vgl. Ps 74,16 f mit Ps 89,10), es spricht in V. 11 aber vom Sieg JHWHs über Rahab: 6 Und die Himmel preisen dein Wunderwirken, JHWH und deine Treue in der Versammlung der Heiligen. 7 Denn wer im Gewölk gleicht JHWH, ähnelt JHW unter den Göttersöhnen? 8 Gott ist gefürchtet im Rat der Heiligen, groß ist er und furchtbar über alle rings um ihn her. 9 JHWH, Gott der Heerscharen, wer ist wie du? Mächtig bis du, JH, und deine Treue ist rings um dich her. 10 Du beherrschst den Hochmut des Meeres (geʾût hajjām), erheben sich seine Wogen – du glättest sie. 11 Du hast Rahab (rahab) zerhauen wie einen Erschlagenen, mit dem Arm deiner Stärke hast du deine Feinde zerstreut. 12 Dein ist der Himmel, und dein auch die Erde, den Erdkreis und seine Fülle – du hast sie gegründet. 13 Norden und Süden – du hast sie geschaffen, Tabor und Hermon jubeln bei deinen Namen 14 Dir gehört ein Arm mit Heldenkraft, stark ist deine Hand, erhoben deine Rechte. 15 Gerechtigkeit und Recht sind die Stütze deines Throns, Güte und Wahrheit gehen vor deinem Angesicht her. (Ps 89,6–15)
91
S. dazu ders., aaO 224 ff. Ders., aaO 229. 93 Zu Ps 89 s. außer den Kommentaren noch Emmendörffer, Gott, 203 ff; Steymans, Psalm 89 u. a. 92
398 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Weil JHWH in der Urzeit Rahab „zerhauen“ hat (dkʾ pi. V. 11),94 herrscht er nun als souveräner Königsgott über alle Götter (vgl. V. 6 ff ). Sein urzeitlicher Sieg wirkt sich bis in die Jetztzeit aus und begründet die Stabilität des Erdkreises (V. 12 ff ) trotz des andauernden „Hochmuts“ des Meeres (V. 10). Auch die Chaoskampfvariante in Hi 26,12 f (innerhalb des hymnenartigen Abschnitts V. 5–13)95 rechnet mit einem Sieg des Schöpfergottes in der Urzeit, der eine Erschütterung des Himmels (V.11) nach sich zieht: 11 Die Säulen des Himmels schwanken, und werden sprachlos vor seinem (sc. Gottes) Schelten. 12 Durch seine Kraft beruhigte er das Meer (jām), und durch seinen Verstand zerschlug er Rahab (rahab). 13 Durch seinen Wind wurde der Himmel blank, seine Hand durchbohrte die flüchtige Schlange (nāḥāš bārîaḥ). (Hi 26,11–13)96
Dieser Text setzt eine archaische Variante des Chaoskampfmotivs voraus, denn „die Schlange dieser Verse ist ein riesiges, vom Meer bis zum Himmel reichendes Ungeheuer, das die kosmische Ordnung in ihrer Gesamtheit bedroht. Erst der durch Kraft und Klugheit errungene Sieg über dieses Monstrum sichert den Bestand der Welt, der durch Meer und Himmel vertreten wird“97.
Eine ähnliche Aussageintention lässt sich der perserzeitlichen Jesaja-Apokalypse (Jes 24–27) entnehmen, an deren Ende die eschatologische Wende im Weltgeschehen mit dem Motiv des Chaoskampfes beschrieben und durch die Formel „an jenem Tag“ bzw. „in den kommenden (Tagen)“ strukturiert wird (V. 2.6.12.13). Der Text beginnt folgendermaßen: An jenem Tag wird JHWH heimsuchen mit seinem harten, großen und starken Schwert den Leviatan, die flüchtige Schlange (nāḥāš bārîaḥ), und den Leviatan, die gewundene Schlange (nāḥāš ʿ aqallātôn), und er wird das Seeungeheuer (tannîn) erschlagen, das im Meer ist. (Jes 27,1)98
Die Verwendung eines derart ausdrucksstarken mythischen Materials ruft die Frage nach seiner Funktion wach. Entgegen der Annahme einer bloß literarischen Ausschmückung des Weltgeschehens ist mit W. A. M. Beuken von einer grundsätzlichen, das Ganze der Schöpfungswelt betreffenden Aussageintention auszugehen: 94 95 96
97
98
Zur Analyse von V. 10 ff s. Emmendörffer, aaO 215 ff; Hossfeld/Zenger, Psalmen II (HThK. AT), 591 (Hossfeld); Steymans, aaO 123 ff u. a. S. dazu Fuchs, Mythos, 135 ff; Ebach, Hiob II, 47 f und Witte, Hiob (ATD), 393 ff. Mit der „flüchtigen Schlange“ ist wie in KTU 1.5 I 1 (bṯn brḥ „flüchtige Schlange“) Leviatan gemeint, s. dazu oben 394. Fuchs, aaO 137. Hiob sieht sich damit in die kosmische Ordnung eingefügt, die er mit dem Vernichtungswunsch von Hi 3,7–9 (Verfluchung des Tages der Geburt und der Nacht der Empfängnis) zu zerbrechen suchte, s. dazu Ha, Frage, 69 ff; Witte, aaO 119 ff u. a. Zu den Bezeichnungen der Chaoswesen s. Brüning, Seeungeheuer, 250 ff.
§ 10 Schöpfung und Chaos 399
„Der Mythos erklärt unter Bezugnahme auf den Kampf mit dem Leviatan Himmel, Erde und Meer als Kosmos, d. h. als ein geordnetes Ganzes, das die Gottheit in der Auseinandersetzung mit den Mächten der Vernichtung erkämpft hat. (…) Wenn JHWH die Erde heimsucht, bedeutet das nicht, dass er ihre Bewohner von der Schuld an vergossenem Blut freispricht und die Welt in der Folge ihrem gewöhnlichen Lauf der Dinge überlässt, sondern dass er die Kräfte vernichtet, die den Kosmos zerrütten. So nimmt er den Fluch von der Erde und stellt den ‚ewigen Bund‘ wieder her.“99
Religionsgeschichtliche Kontexte Das Alte Testament hat die Chaoskampftraditionen des Alten Orients und Ägyptens vielfach rezipiert, zugleich aber im Rahmen des JHWH-Glaubens neu interpretiert und kontextualisiert.100 Die folgende Skizze gibt einen knappen Überblick über die wichtigsten Texte und Bilder aus Mesopotamien, Ägypten, Kleinasien und Ugarit, die bei aller Übereinstimmung hinsichtlich der Konstellation Gottheit vs. Chaos markante Unterschiede aufweisen. Im Quellenhang wird noch ein Beispiel aus der griechischen Mythologie angeführt (s. Q 128), das die Nähe zu den vorderorientalischen Überlieferungen bezeugt. Mesopotamien Im Blick auf Mesopotamien ist von einer Vielzahl von Chaoskampftraditionen auszugehen. Der locus classicus ist das babylonische Weltschöpfungsepos Enūma eliš („Als oben“), wo beschrieben wird, wie Marduk den Chaosdrachen Ti’āmat (mythische Personifikation des Salzwassers) besiegt und dessen Körper zerteilt, um eine Hälfte zum Bau des Kosmos zu verwenden (Ee IV 129–146; V 45–70, s. Q 62).101 Diese spezifische Ausprägung des Chaoskampfmotivs ergibt sich aus der Verschmelzung dreier Vorbilder bzw. Vorläufer. Zu diesen Vorläufern – das ist der erste Traditionsstrang – gehören die sumerisch-akkadischen Erzählungen von Ninurtas Kampf gegen den AnzuVogel, in denen Ninurta, der Sohn des Götterkönigs Enlil, als Held und „Rächer seiner Väter“ auftritt. Anzu, der im Heiligtum Enlils in der Stadt Nippur als Wächter fungierte, verfolgt den Plan, an die Stelle Enlils zu treten und mit Hilfe der Schicksalstafel über die Götter zu herrschen. So raubt er die Schicksalstafel und stürzt die Welt damit ins Chaos. Nach langen Beratungen in der Götterwelt, wie darauf zu reagieren sei, zieht schließlich Ninurta in den Kampf gegen Anzu, den er besiegt und damit die Schicksalstafel zurückerobert. Im akkad. Anzu-Mythos102 wird dieses Kampfgeschehen auf höchst 99
Beuken, Jesaja II (HThK.AT), 390. Uehlinger, Drachen, 76 ff und Bauks, Art. Chaoskampf, 94 ff. 101 Eine knappe Übersicht über das Chaoskampfmotiv in Mesopotamien bieten Uehlinger, aaO 56 ff und zuletzt Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 154 ff. 102 Er ist in einer altbabyl. und einer jungbabyl. Fassung überliefert, s. zum Text TUAT 3/4 (1994), 745–759 (K. Hecker). Im Folgenden wird die jungbabyl. Fassung zitiert. 100 Vgl.
400 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
dramatische Weise geschildert. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung (Taf. III 7–20) heißt es: Die Waffen, über die er (sc. Ninurta) gebot, waren ein Schutz gegen Schauder. Mit Kampfesschweiß waren beide gebadet,
Anzu wurde müde und verlor im Anprall des Sturms seine Federn. 10 Er nahm Spannung auf den Rücken seiner Pfeile, schnitt seine Federn ab, rechts und links haute er ab.
(Sobald) Anzu seine Flügel erblickte, brachte er einen Ausspruch seines Mundes vor.
Wie er „Flügel zu Flügel!“ rief, kam ihm ein Pfeil entgegen. Der Pfeil durchdrang die Teile vor seinem Herzen.
15 Durch die Federn der Flügel ließ er den Pfeil durchgehen. Herz und Lunge durchdrang der Pfeil. Er erschlug die Gebirge, ihr wildes Gelände überschwemmte er. Ninurta erschlug die Gebirge, ihr wildes Gelände überschwemmte er. Er überschwemmte in seiner Wut die weite Erde.
20 Er überschwemmte das Innere der Gebirge, den bösen Anzu tötete er.103
Mit diesem Sieg steigt Ninurta „zum heldenhaften göttlichen Kämpfer gegen alle rebellischen Mächte, zum Drachenkämpfer par exellence auf “104. Hier, in der Ninurta-Mythologie, liegen, so A. C. Heinrich, auch „die Wurzeln für die Auswahl der von Marduk im Kampf gegen Tiamtu geführten Waffen wie auch für Tiamtus Erscheinungsform als animalisches Monstrum“105. In der Bildkunst kommt das Drachenkampfmotiv gegen Ende der frühdynastischen Zeit um 2500 v. Chr. in Nordmesopotamien auf,106 wo es sich immer mehr auf den Gott Ninurta konzentriert. Berühmt ist das monumentale, 240 cm hohe Alabasterrelief, das in der assyr. Stadt Kalchu (Nimrud) den Eingang zur Cella des dortigen Ninurta-Tempels schmückte (s. Abb. 95). Es zeigt, wie Ninurta, der als Wettergott mit vier Flügeln des Sturms und Blitzgabeln in den Händen, den Anzu-Vogel aus dem Bereich des Tempels vertreibt. Dieser wird als ein Mischwesen aus Löwe (Kopf, Vordertatzen, Leib) und Raubvogel (Flügel, Schwanz, Hinterfüße) präsentiert, das sein Maul aggressiv aufreißt und die Ordnung des Kosmos bedroht.
Die beiden anderen Traditionsstränge, die die Ausprägung des Chaoskampfmotivs im Enūma eliš beeinflusst haben, stammen zum einen aus den sumerischen, also südbabylonischen Sagen um den Enki-Sohn Assaluchi (3 Jt. v. Chr.)107 und zum anderen aus der syrisch-palästinischen Überlieferung vom Sieg des
103 Übersetzung
TUAT 3/4 (1994), 756 f (K. Hecker). aaO 63 (H. i. O.). Zum Gott Ninurta s. Groneberg, Götter, 73 ff.78 ff. 105 Heinrich, aaO 155. Zur Verknüpfung beider Götter s. Gronberg, aaO 86 ff. 106 S. dazu Seidl, Flutungeheuer, 100 ff; Uehlinger, Drachen, 3 ff und Keel/Schroer, Schöpfung, 124 ff. 107 S. dazu Heinrich, aaO 155 f. 104 Uehlinger,
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Abb. 95: Kampf Ninurtas gegen Anzu (neuassyr. Relief, ca. 870 v. Chr.)
Wettergottes Baʿal über das Meer.108 Im Kampf gegen Ti’āmat setzt Marduk demnach alle Waffen ein, die in diesen drei Traditionssträngen eine Rolle spielen. Ägypten In eine andere Vorstellungswelt führen die ägyptischen Traditionen des Chaos kampfs. Seit den Pyramidentexten des Alten Reichs (2657–2155 v. Chr.) erscheint die Unterwelt als Bereich der Finsternis, der – nach der Definition des Totenbuchs – „ganz tief, ganz finster, ganz unendlich“ ist (Tb 175,18).109 Als Ort feindlicher Gewalten (an den diese vom Sonnengott und seinen Helfern immer wieder zurückgetrieben werden) bildet die Finsternis an den Grenzen der geschaffenen Welt eine ständige Bedrohung der Schöpfung. Im Blick auf die Unterweltsbücher des Neuen Reichs (1540–945 v. Chr.) lässt sich das an zwei Vorgängen verdeutlichen: Nach der bildlichen Darstellung zur 5. Nachtstunde des Amduat wird das Sonnenschiff während seiner Nachtfahrt über einen ovalen, „geheimer Weg des Sokarlandes“ genannten mythischen Ort hinweggezogen. In diesem Hohlraum, der zwischen die beiden Köpfe der Doppelsphinx Aker gebettet ist, wird – als letzter Rest der Welt vor der Schöpfung110 – eine geflügelte, dreiköpfige Schlange vom memphitischen Totengott Sokar an den Flügeln festgehalten und so an einem Ausbruch gehindert. Der begleitende Text teilt noch das schreckliche „Geräusch“ mit, das aus der Höhle dringt: 108 S.
dazu unten 403 ff. Hornung, Totenbuch, 366, vgl. Beyerlin (Hg.), RTAT2, 38 f (H. Brunner). 110 Vgl. Hornung, Unterweltsbücher, 113 u. a., s. dazu auch die Abbildung bei Janowski, Rettungsgewissheit, 148 Abb. 22. 109 Übersetzung
402 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Ein Geräusch wird aus diesem Oval gehört, nachdem dieser große Gott an ihnen vorübergezogen ist, wie die Donnerstimme des Himmels bei einem Unwetter.111
Noch dramatischer gestaltet sich die Begegnung zwischen Re und dem mythischen Sonnenfeind Apophis.112 Diese Konfrontation des Sonnengottes mit dem in der Finsternis der Welttiefe („in der Finsternis, außerhalb des Horizontes“ Amduat 175,4) hausenden Chaosungeheuer, die sich in allen Phasen des Sonnenlaufs – während der Unterweltsfahrt, am Himmel und an den beiden Horizontpunkten – abspielt,113 wird in den Unterweltsbüchern (Amduat: 7. und 12. Stunde; Pfortenbuch: 13./14., 34./35., 66./67., 69. und 89. Szene; Höhlenbuch: 6. Abschnitt), im Totenbuch (Sprüche 7, 39 und 108) und in den Sonnenhymnen des Neuen Reichs mehrfach und z. T. detailliert geschildert. Die 7. Stunde des Amduat enthält die Hauptmotive dieses Kampfes. Dazu gehören: – die „Sandbank“,114 die Apophis mit seinem Schlangenleib ausfüllt, nachdem er die Fahrbahn (= Teil des Urgewässers Nun) der Sonnenbarke ausgeschlürft hat; – der damit erzwungene Stillstand des Sonnenschiffes, der nur durch Zauberkraft überwunden wird, so dass die Barke die gefährliche Sandbank des Apophis umgehen kann; – das laute Gebrüll, das in der Finsternis den Ort des Ungeheuers anzeigt; – schließlich die Lähmung des Ungeheuers durch Zauberkraft, dessen Fesselung, Zerstückelung und völlige Vernichtung durch die Helfer des Sonnengottes.
Zu diesen Helfern gehört vor allem der kämpferische Seth,115 der seinen Speer in den Leib des Apophis rammt (Abb. 96), so dass dieser das verschluckte Wasser der Fahrbahn wieder ausspeit und das Sonnenschiff seine Unterweltsfahrt ungehindert fortsetzen kann. Kleinasien Wieder eine andere Variante des Chaoskampfmotivs begegnet im antiken Kleinasien. Im Verlauf des althethitischen Fruchtbarkeitsfestes (purulli-Fest) wurde möglicherweise – aber das bleibt unklar – der sog. Illujanka-Mythos (CTH 321) rezitiert, um die regenerativen Kräfte des Jahreszyklus zu stärken (s. Q 99). In dieser Erzählung spielt der Kampf des Wettergottes gegen den Schlangendra111 Amduat
93,5–6, Übersetzung Hornung, aaO 114. dieser (erst seit der 1. ZwZt nachweisbaren) Feindgestalt s. Hornung, aaO 45 ff; ders., Verfall, 432 ff und ders., Tal der Könige, 165 ff.215. 113 Da Apophis nicht ein für allemal überwunden wird, verkörpert er „eine fortwährende und stets aktuelle Bedrohung der Schöpfung“ (Hornung, Verfall, 433), deren Bewahrung zu den wichtigsten Aufgaben des Sonnengottes gehört, vgl. Assmann, Art. Schöpfung, 685. 114 „Sandbank des Zweimessersees“ oder „Sandbank des Apophis“ sind „Begriffe, die sehr direkt auf die stets drohende Katastrophe des Sonnenstillstands“ (Assmann, Liturgische Lieder, 295) und damit auf die Gefährdung der Weltordnung anspielen. 115 Zu Seth s. etwa Hornung, Tal der Könige, 215 mit der dort angegebenen Lit. 112 Zu
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Abb. 96: Seth überwindet Apophis während der Nachtfahrt der Sonnenbarke (Papyrus, 21. Dyn.)
Abb. 97: Hethitischer Wettergott als Chaoskämpfer (11.–9. Jh. v. Chr.)
chen Illujanka eine zentrale Rolle, der, nachdem er und seine Kinder „aus der Grube nach oben“ gerufen wurden, sich betrinkt und anschließend gefesselt und vom Wettergott getötet wird (B I 17 f ). Ein späthethitisches Relief aus Malatya (11.–9. Jh. v. Chr., s. Abb. 97) zeigt den Wettergott im Kampf mit dem Drachen, über dem Flammen und Hagel niedergehen.116 Der Leib der Schlange erinnert an „mächtig sich überschlagende Wellen“117. Ugarit Im ugaritischen Baʿal-Zyklus (KTU 1.1–6), dessen Thema die Königsherrschaft Baʿals ist, wird der Chaoskampf schließlich als ein mehrphasiges Geschehen erzählt. Aufgrund des Beschlusses des Göttervaters El, dem Meeresgott Jammu, seinem Sohn, einen Palast zu bauen und ihm damit die Königsherrschaft zu verleihen (KTU 1.1 IV 13 ff ), bricht zunächst zwischen Baʿal, der sich dem widersetzt, und Jammu ein Streit aus (KTU 1.2 I 1 ff ), in dessen Verlauf Baʿal den Mee116 S.
dazu auch Schroer, IPIAO 4, 364 f mit Abb. 1314 und Lippke, Schritte, 286 mit Abb. 74. Bildsymbolik, 44.
117 Keel,
404 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Abb. 98: Triumph Baʿals über die Meeresschlange (18. Jh. v. Chr.)
resgott mit zwei Doppeläxten niederstreckt (KTU 1.2 IV 11–32). In KTU 1.2 IV 32 heißt es: „Jammu ist wirklich tot, Baʿal herrscht als König“118. Damit hat der Wettergott zwar seine Souveränität bewiesen, aber noch keinen Königspalast erworben. Die Erlaubnis dazu kann nur von El kommen. Zur Vermittlung seines Ansinnens lässt er darum seine Schwester Anat sowie Aschirat, die Göttermutter und Gemahlin Els, zu sich auf den Götterberg kommen. Als Anat die Boten Baʿals sieht, erhebt sie ihre Stimme und ruft: „Wozu sind gekommen Gapnu-wa-Ugaru, welcher Feind brach auf gegen Baʿal,
(welcher) Gegner gegen den Wolkenreiter?
Habe ich nicht erschlagen den Liebling Els, Yammu,
habe ich nicht vernichtet Naharu, den großen Gott? Habe ich nicht gebunden Tunnanu,119 ihn völlig vernichtet? Ich habe erschlagen die sich windende Schlange (bṯn ʿqltn),
die Mächtige mit den sieben Köpfen (šbʿt rašm).“ (KTU 1.3 III 36–42)120
Trotz seiner errungenen Königsherrschaft muss Baʿal diese erneut verteidigen und zwar gegen den Unterweltsgott Mot („Tod“, KTU 1.5 I 1 ff ), der ihn mit folgenden Worten zum Kampf herausfordert: „Fürwahr, du hast erschlagen Lotan (ltn), die flüchtige Schlange (bṯn brḥ), du hast vernichtet die sich windende Schlange (bṯn ʿqltn),
die Mächtige, die mit den sieben Häuptern (šbʿt rašm),
du warst nachlässig und schlaff ist der Himmel wie der Gürtel deines Gewandes. Ich werde (dich) verzehren spannenweise,
118 Vgl.
TUAT.NF 8 (2005) 202 (H. Niehr), s. zur Sache auch das altsyr. Rollsiegel Q 103. tannîn (pl.) in Ps 74,13: „Du hast zerschmettert die Häupter der Tanninim über dem Wasser“. 120 Übersetzung TUAT.NF 8 (2005) 206 (H. Niehr). Zur Beanspruchung des Sieges über den Meeresgott durch Anat s. Uehlinger, Drachen, 71 f. 119 Vgl.
§ 10 Schöpfung und Chaos 405
die Innereien in zwei Ellen.
Fürwahr, wirst du hinabsteigen in den Rachen des Sohnes des El, Motu,
in den Schlund des Geliebten Els, des Helden.“ (KTU 1.5 I 1–7)121
Soweit die Beispiele zum Thema „Chaoskampf “ aus Mesopotamien, Ägypten, Kleinasien, Ugarit und Griechenland.122 Jenseits regionaler und kulturspezifischer Eigenheiten geht es in ihnen durchgängig um die bedrohte Ordnung des Kosmos, die von einem Gott (Ninurta, Marduk, Seth, Baʿal) oder Helden (Herakles) verteidigt und restituiert wird. Das ist auch das Thema der Gottesreden des Hiobbuchs, die am Ende von den beiden Ungetümen Behemot und Leviatan handeln (Hi 40,15–41,26). Von einem Chaoskampf ist dort allerdings nicht die Rede. b) Behemot und Leviatan (Hi 40 f ) Batto, Art. Behemoth, 165 ff ◆ Ebach, Leviatan ◆ Fuchs, Mythos, 221 ff ◆ Goodfellow, Pflanzen, 162 ff ◆ Kang, Behemot, 160 ff ◆ Keel, Entgegnung, 126 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 208 ff ◆ Riede, Art. Behemot, 49 ff ◆ Uehlinger, Art. Leviatan, 511 ff.
Die Gottesreden des Hiobbuchs (Hi 38,1–42,6), auf die im Vorhergehenden mehrfach eingegangen wurde,123 sind ein besonderer Text. Und zwar nicht deswegen, weil sie etwa „drei Stunden Naturkunde“124 beinhalten, sondern deswegen, weil an der in ihnen vorgeführten Tierwelt die Souveränität des Schöpfergottes deutlich wird. In der zweiten Gottesrede (Hi 40,6 ff ) werden nach einer Einleitung (Hi 40,6 f ) zunächst das Problem der Gerechtigkeit angesprochen (Hi 40,8–14) und dann mit Behemot und Leviatan zwei einzigartige Geschöpfe Gottes beschrieben. Schon der Abschnitt über den Behemot (Hi 40,15–24), der zoologisch als Nil- oder Flusspferd (hippopotamus amphibius) zu deuten ist,125 stellt eine Besonderheit dar. Denn die Beschreibung macht deutlich, dass Behemot sowohl ein reales Tier als auch ein mythisches Wesen ist. Er ist von Gott geschaffen (V. 15.19, vgl. Hi 41,25),126 er besitzt eine monumentale Statur (V. 16–19), er bevölkert bestimmte Biotope (V. 20–23) und ist von niemandem zu bezwingen (V. 24):
121 Übersetzung
TUAT.NF 8 (2005) 224 f (H. Niehr). Kampf des Herakles gegen die Hydra s. Q 128. Zur Wirkungsgeschichte des Chaoskampfmotivs s. die Beispiele bei Uehlinger, Mythos, 73 ff und Bauks, Art. Chaoskampf, 97. 123 S. dazu die Übersicht oben 213 f Abb. 52. 124 Zu diesem Auslegungstyp s. oben 218. 125 Zur Wortbildung (Plural von behemāh „Tier, Vieh“) s. Keel, Entgegnung, 128 f; Riede, Spiegel, 177 und Witte, Hiob (ATD), 656 f. Zur zoologischen Bestimmung s. ausführlich Keel, aaO 127 ff, ferner Ebach, Hiob II, 146 f u. a. 126 In Hi 41,25 heißt es: „Auf dem Staub gibt es nicht seinesgleichen, das geschaffen ist (ʿāśāh) ohne Schrecken“, s. dazu Witte, aaO 669 f. 122 Zum
406 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Einleitung 15 Siehe doch, der Behemot, [den ich mit dir erschuf (ʿāśāh)],127 er frisst Gras so wie das Rind.
Aussehen Behemots 16 Siehe doch, seine Kraft in seinen Hüften und seine Stärke in den Muskeln seines Bauchs. 17 Er versteift seinen Schwanz wie eine Zeder, die Sehnen seiner Schenkel sind verflochten. 18 Seine Knochen sind Röhren aus Erz, sein Gebein ist wie eine Stange aus Eisen. 19 Er selbst ist der Erstling der Wege Els, der, der ihn erschuf (ʿāśāh), brachte ihm sein Schwert.
Lebensraum Behemots 20 Ja, Tribut bringen ihm die Berge, und alle Tiere des Feldes zertrampelt er. 21 Unter Lotusdorn legt er sich nieder, in seinem Versteck von Schilf und Sumpf. 22 Lotusdorn umhegt ihn als sein Schatten, Bachpappeln umgeben ihn ringsum. 23 Wenn der Strom anschwillt, läuft er nicht ängstlich fort, er fühlt sich sicher, wenn er [der Jordan] in sein Maul sprudelt.
Schluss 24 Wer kann ihn an seinen Augen packen, mit Pflöcken seine Nase durchbohren? (Hi 40,15–24)128
Die rhetorischen Fragen von V. 24 weisen in Analogie zu V. 19b darauf hin, dass „allein Gott – und nicht Hiob – den Behemot an den Augen packen und seine Nase durchbohren kann“129 – was er aber nicht tut. Es geht also nicht um den welterhaltenden Vorgang der Nilpferdjagd wie in ägyptischen Texten und Bildern, wo sie zur Handlungsrolle des Gottes Horus (s. Abb. 99) bzw. des Pharao gehört.130 Es geht vielmehr um die „Demonstration der Macht und Kreativität Gottes“131 angesichts der Ambivalenz der Wirklichkeit. Unbezwingbarkeit ist auch das Kennzeichen Leviatans (Hi 40,25–32). Auch dieses Tier ist ein zoologisch bestimmbares („Krokodil“, s. Abb. 100) und zugleich
127 Witte,
aaO 657 f hält den Relativsatz für einen sekundären Einschub. ders., aaO 643 f (mit Diskussion der Textprobleme). Zur Interpretation von Hi 40,15 ff s. außer den Kommentaren noch Keel, aaO 127 ff; Fuchs, Mythos, 233 ff u. a. 129 Witte, aaO 662. 130 S. dazu Keel, aaO 132 ff und ders./Schroer, Schöpfung, 208 f. 131 Witte, aaO 656. 128 Übersetzung
§ 10 Schöpfung und Chaos 407
Abb. 99: Der Gott Horus im Kampf gegen das Nilpferd (Relief, 107–88 v. Chr.)
ein mythisches Wesen.132 „Siehe eines jeden Hoffnung erweist sich als trügerisch, schon bei seinem Anblick wird man niedergestreckt“ (Hi 41,1) – so beginnt die Beschreibung seiner furchteinflößenden Erscheinung: Ankündigung Gottes 1 Siehe eines jeden Hoffnung erweist sich als trügerisch, schon bei seinem Anblick wird man niedergestreckt. 2 Ich will nicht in Erinnerung bringen, dass man ihn reizt, aber wer ist er, dass er sich vor meinem Angesicht aufstellen könnte? 3 Wer hat mir etwas zuvor gebracht, so dass ich vergelten müsste? Unter dem ganzen Himmel: Er gehört mir. 4 Ich will nicht schweigen von seinen Gliedern, … der großen Stärke und der Fülle seiner Ausrüstung. 5 Wer entblößte je den Kragen seines Kleides? In sein doppeltes Gebiss – wer vermag einzudringen? 6 Die Pforten seines Angesichts – wer öffnete sie jemals? Der Umkreis seiner Zähne bietet Schrecken.
Leviatans Gestalt 7 Sein Rücken ist ein gerillter Schuppenpanzer, verschlossen mit einem Siegel, eng. 8 Eine (Schuppe) hängt an der anderen, und kein Hauch kommt zwischen sie. 9 Eine jede klebt an ihrem Bruder, sie sind verklammert und trennen sich nicht. 132 Zu
den alttestamentlichen Belegen s. oben 394. Zur Wortbedeutung von liwjātān s. zuletzt Theis, Beiträge, 239 ff.
408 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Abb. 100: Nilkrokodile (moderne Zeichnung) 10 Sein Niesen lässt Licht erstrahlen, und seine Augen sind wie die Wimpern der Morgenröte. 11 Aus seinem Maul kommen Fackeln, Feurige Funken sprühen hervor. 12 Aus seinen Nüstern geht Rauch hervor, (wie) ein angefachter Ofen und Binsen. 13 Sein Atem entzündet glühende Kohlen, und seine Flamme geht aus seinem Maul hervor. 14 Auf seinem Nacken ruht Stärke, und vor seinem Angesicht tanzt Entsetzen. 15 Die Wampen seines Fleisches kleben aneinander, sind ihm fest angegossen, ohne sich zu bewegen. 16 Sein Herz ist fest gegossen, so wie ein Stein, und fest gegossen, wie der Unterstein der Mühle. (Hi 41,4–16)133
Vor Leviatans „Erheben fürchten sich selbst Götter, vor dem totalen Zusammenbruch weichen sie zurück“ heißt es schließlich in Hi 40,17 über die Stellung Leviatans im Kosmos (Hi 41,17–26). Gegenüber den natürlichen Aspekten seiner Beschreibung in Hi 41,7–16 dominieren hier die mythischen Aspekte, so dass Leviatan „als eine überzeitliche Verkörperung des Bedrohlichen erscheint“134: 133 Übersetzung
Witte, aaO 646 f (mit Diskussion der Textprobleme). Zur Interpretation von Hi 41,4 ff s. außer den Hi-Kommentaren noch Keel, aaO 141 ff; Fuchs, aaO 254 ff u. a. 134 Witte, aaO 669.
§ 10 Schöpfung und Chaos 409
Stellung Leviatans im Kosmos 17 Vor seinem Erheben fürchten sich selbst Götter, vor dem totalen Zusammenbruch weichen sie zurück. 18 Vor seinem Auffahren kann kein Schwert bestehen, (kein) Speer, … und Pfeil. 19 Er hält Eisen für Stroh, Erz für morsches Holz. 20 Ihn kann kein Schütze in die Flucht jagen, zu Stoppeln wandeln sich ihm Schleudersteine. 21 Wie Stoppeln gilt ihm eine Keule, und er lacht über das Sausen des Krummschwerts. 22 Unter ihm sind ganz spitze Scherben, er breitet einen Dreschschlitten aus auf dem Schlamm. 23 Er lässt brodeln wie ein Topf die Tiefe, das Meer behandelt er wie eine Salbenschale. 24 Hinter sich lässt er einen Pfad aufleuchten, er hält den Tehom für Greisenhaar. 25 Auf dem Staub gibt es nicht seinesgleichen, das geschaffen ist ohne Schrecken. 26 Alles Hohe sieht er an, er, der König aller stolzen Tiere. (Hi 41,1–26)135
Schlamm Tiefe Meer Tehom
Keine menschliche Waffe kann dieses Ungetüm, das mit den spitzen Zacken an seiner Unterseite den Schlamm wie ein Dreschschlitten durchpflügt (V. 22), aufhalten (V. 18–21). Vollends tritt seine urzeitliche Gewalt in V. 23 f in Erscheinung, wenn von der „Tiefe (des Wassers)“ (V. 23a), vom „Meer“ (V. 23b) und von der „Tehom“ (V.24b) die Rede ist. An diesem Geschöpf muss Hiobs Anspruch, den chaotischen Zustand der Welt und damit sein individuelles Schicksal ‚in Ordnung‘ zu bringen, kläglich scheitern. Stattdessen muss er einsehen, dass allein Gott ihn zu bändigen vermag (Hi 40,25),136 ja, dass er mit ihm sogar spielt (Hi 40,29). Blickt man von hier auf die Abschnitte zu Behemot (Hi 40,15–24) und Leviatan (Hi 40,25–41,26) zurück, so bleibt festzuhalten, dass beide Tiere zur Schöpfungswelt Gottes gehören, und zwar genauso wie die zehn Tiere von Hi 38,39– 39,30137 und wie Hiob selbst. Die „Ambivalenz der von Gott geschaffenen Welt, zu der auch Gefährliches und Bedrohliches gehört“138 – das ist die Lektion, die Hiob in den Gottesreden erteilt wird.
135 Übersetzung
ders., aaO 647 f (mit Diskussion der Textprobleme). Ebach, Hiob II, 154 und Witte, aaO 656. 137 S. dazu oben 213 ff. 138 Witte, ebd., vgl. Fuchs, Mythos, 263 und Ebach, aaO 148. Demgegenüber stellt Keel, Entgegnung, 156 ff einseitig den von Behemot und Leviatan verkörperten Aspekt des Bösen und dessen Vernichtung in den Vordergrund. 136 Vgl.
410 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
3. Fazit: Die Bedrohung der Lebenswelt Seit der klassischen Darstellung Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit von H. Gunkel (1862–1932)139 gehört das Thema „Schöpfung und Chaos“ zu den Grundthemen der Religionsgeschichte Israels und der Theologie des Alten Testaments.140 Im Vorhergehenden konnte nur ein Ausschnitt aus diesem komplexen Themenfeld gegeben werden. Die folgende Zusammenfassung hebt noch einmal die wichtigsten Aspekte hervor. Die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits Nach den kosmologischen Vorstellungen des Alten Testaments, die es in vielfacher Hinsicht mit den Religionen des Alten Orients und Ägyptens teilte, lag die Unterwelt weit unterhalb der Welt der Lebenden.141 Die Semantik der Tiefe, die Bezeichnungen „Grube“, „Brunnen“, „Untergang“ und die Verben der vertikalen Bewegung „hinabsteigen“ oder „hinabschicken“142 – all dies spricht eine deutliche Sprache. Ein Lebender, so die rhetorischen Fragen von Hi 38,16–18, kann die Tore des Todes und der Finsternis nicht erreichen, geschweige denn durchschreiten.143 Und dennoch: Während diese Grenze nach Hi 38,16 ff für die Lebenden unerreichbar und undurchdringlich ist, wird sie nach den Individualpsalmen als durchlässig erlebt. Die Bereiche, die in diesem Zusammenhang Jenseitsfunktionen übernehmen wie das Grab, der Staub, die Zisterne u. a.144 bilden die schmale und gefährliche Grenze zwischen Leben und Tod, auf der sich der bedrängte Beter befindet. Diese Grenze wird so gezogen, dass der Tod ins Leben hineinragt: „Wer auch nur in der geringsten Beziehung in die Gewalt der Scheol gerät, befindet sich faktisch ganz in ihrer Gewalt. Wessen Fuß einmal ins Gleiten gekommen ist, für den gibt es nach menschlichem Ermessen kein Aufhalten mehr. Blickt er auf das unvermeidliche Ende, so ist er schon am Anfang ein verlorener Mann. Die hier wirksame Denkweise des pars pro toto ist für die altorientalischen Völker ebenso bezeichnend, wie sie uns Heutigen fremd ist.“145
Das aber bedeutet, dass in der Anthropologie die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits anders verläuft als in der Kosmologie: sie ist durchlässig und nicht wie nach Hi 38,16–18 durch Türen oder Tore verschlossen.146 139 Zur
forschungsgeschichtlichen Einordnung s. Hamann, Gunkel, 58 ff. dazu beispielhaft Albertz, Religionsgeschichte, 203 ff und Schmidt, Glaube, 236 ff. 141 S. dazu oben 374 ff. 142 S. dazu die Zusammenstellung oben 375. 143 S. dazu oben 377 f. 144 S. dazu Keel, Bildsymbolik, 53 ff; Berlejung, Tod, 485 ff und Liess, Tore, 397 ff. 145 Barth, Errettung, 93. 146 Auch wenn die altorientalischen und alttestamentlichen Weltbilder vergangen sind und kein Weg mehr zu ihren kosmologischen Aspekten zurückführt, so sind die anthropologi140 S.
§ 10 Schöpfung und Chaos 411
JHWHs Kampf gegen das Chaos Eine andere, kämpferische Seite des Themas „Schöpfung und Chaos“ kommt dagegen im sog. Chaos- und Meereskampf zur Geltung. Die unterschiedlichen Schilderungen lassen sich allerdings nicht in eine einheitliche Vorstellung einfügen. Sie enthalten aber alle die Rollenkonstellation JHWH vs. Chaos (und seine mythischen Repräsentanten) und sind dem Thema der Lebenssicherung und Lebenserhaltung verpflichtet. Die jeweiligen Bezugnahmen auf die Sachparallelen aus dem babylonischen Weltschöpfungsepos Enūma Eliš und dem ugaritischen Baʿal-Zyklus sind dabei unverkennbar. Daneben gibt es Texte ohne das Chaoskampfmotiv, aber mit der Nennung von Chaoswesen (s. Abb. 101). Texte zum Chaos- und Meereskampf Jes 27,1 Eschatologischer Chaoskampf Jes 51,9 f Mythisierung der Geschichte (Schöpfung/Exodus) Ps 74,13 f Urzeitlicher Chaoskampf, vgl. Ps 89,10 f; Hi 9,13; 26,12 f Ps 77,17–19 urzeitlicher Meereskampf, vgl. Ps 93,3 f;147 104,6–9 Hi 7,12 JHWH stellt Wache gegen das Meer und Tannin auf, weil diese bedrohlich bleiben Sir 43,23–25 Tiere der Urflut, die von JHWH besiegt wurde Apk 12,3–9; Sturz und Gefangennahme des Drachen (s. Q 173) 20,1–3
Texte ohne Chaoskampfmotiv, aber mit Chaoswesen Gen 1,21 Seeungeheuer im Meer als Teil der Schöpfung Ps 104,26 Leviatan als Spielzeug Gottes, vgl. Hi 40,25.29 Ps 148,7 Lobpreis der Seeungeheuer (// Urfluten) Hi 3,8 Chaoswesen (Meer, Leviatan) als Chiffren für Hiobs Verneinung der Schöpfungsordnung
Abb. 101: Biblische Texte mit und ohne Chaosmotivik
Was die Funktion des Chaoskampfmotivs angeht, so wird, wie Jes 27,1; 51,9 f; Ps 74,13 f; 89, 10 f und Hi 26,12 f zeigen, nur dann von einem Kampf gegen das Chaos und seine mythischen Repräsentanten gesprochen, „wenn ein (erneutes) Eingreifen JHWHs gegen aktuelle Feinde/Gegner erwartet wird. Das Chaoskampfmythologem ist demnach fest situiert in Kontexten, wo kollektive Notzeiten sprachlich bewältigt werden“148. schen Implikationen der alttestamentlichen Unterweltsvorstellungen nicht einfach obsolet. Große Künstler haben das immer gewusst und Werke geschaffen, die unmittelbar berühren. Das gilt etwa von A. Rodins Skulptur Das Höllentor (1880–1917) oder von P. Klees Bild Das Tor zur Tiefe von 1936, s. dazu Janowski, Konfliktgespräche, 221 ff. 147 In Ps 93,3 f wird kein Chaoskampf, sondern der Triumph JHWHs geschildert, der den siegreich überstandenen Kampf gegen das Chaos zur Voraussetzung hat (Stilform der behobenen Krise), s. dazu oben 336. 148 Podella, Chaoskampfmythologem, 319.
412 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Behemot und Leviatan als Geschöpfe Gottes Mit den Gottesreden des Hiobbuchs erhält das Chaoskampfmotiv noch einmal eine neue Wendung. Denn hier wird die Aufmerksamkeit Hiobs von seinem Leiden ab- und zur Wahrnehmung der Schöpfungswelt hingelenkt. Was diese therapeutische „Ablenkung“149 bedeutet, beschreiben die Gottesreden mittels des Gedankens, dass der Weg zu Gott über das rechte Verständnis der Welt, ihrer unfasslichen Größe und ihrer unergründlichen Ambivalenzen führt. Hiob wird von Gott dazu aufgefordert, die Wirklichkeit anders wahrzunehmen und sich neu im Gesamtgefüge der Schöpfung zu orientieren. Diese andere Wahrnehmung betrifft nicht nur die meteorologischen Erscheinungen, sondern auch die animalischen Manifestationen der Wirklichkeit: „Nicht der Mensch mit seiner begrenzten Einsicht in die Zusammenhänge der Schöpfung, seinen Nützlichkeitserwägungen und seiner Einteilung in wild/fremd = feindlich und kulturell/vertraut = lebensförderlich kann in seiner Selbstzentriertheit für die Schöpfung Gottes bestimmend und grundlegend sein. Was nach menschlichen Kriterien der Ordnung entbehrt und unverständlich erscheint, hat von Gott her seine Rhythmik, seinen Lebensraum und seine Lebensart. Die Perspektive des Schöpfers hat die gesamte Schöpfung im Blick und geht außerdem über die menschliche Sicht Hiobs und seiner Freunde hinaus.“150
Das ist es, was Hiob „gesehen“ (Hi 42,5) und „erkannt“ (Hi 42,1) hat: „den vom Schöpfer gestalteten Kosmos“151. Gott ist der, der jede menschliche Vorstellung überschreitet,152 weil er auch denjenigen Kräften und Wesen einen Platz in seiner Schöpfung gibt, die dem Menschen gefährlich oder wie Behemot (Hi 40,15–24) und Leviatan (Hi 40,25–41,26) chaotisch bzw. dämonisch vorkommen. Im Blick auf diese Wesen stellt sich die Frage nach dem Bedrohlichen in der Welt neu: es ist zwar da, aber JHWH hält es in Grenzen, so dass es die Schöpfung nicht vernichten kann.153
149 Zu diesem Ausdruck s. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 231 f, vgl. Keel/Schroer, Schöpfung,
211 u. a.
150 Neumann-Gorsolke,
Herr, 147 (H. i. O.). Hiob, 262 (H. i. O.). 152 Vgl. Ebach, Hiob II, 155: „Das ist kein Bekenntnis zu einer abstrakt-logischen ‚Allmacht‘, sondern Ausdruck und Erfahrung einer unvergleichlichen Macht Gottes. Gott allein ist es, der die Welt erhält – keine widerspruchsfreie, ‚heile‘ Welt, sondern eine, in der widerstreitende Interessen und Lebensbedürfnisse Raum haben (erste Gottesrede) – und der sie gegen die Frevler, die in Behemoth und Leviathan sich manifestierenden Chaosmächte, verteidigt (zweite Gottesrede).“ 153 Zur Frage nach der „Überwindung des Chaos“ s. ausführlicher unten 467 ff. 151 Lux,
§ 11 Schöpfung und Weisheit Kein Mensch würde auch nur einen Tag leben können, ohne empfindlichen Schaden zu nehmen, wenn er sich nicht von einem ausgebreiteten Erfahrungswissen steuern lassen könnte. Dieses Erfahrungswissen lehrt ihn die Abläufe in seiner Umgebung verstehen, es lehrt ihn die Reaktionen seiner Mitmenschen vorauszusehen, seine eigenen Kräfte am rechten Punkt anzusetzen, das Regelmäßige vom Einmaligen zu unterscheiden und vieles andere mehr. G. von Rad, Weisheit, 3
Was ist Weisheit, und in welcher Weise bestimmt sie das menschliche Leben und Handeln? Die Antworten darauf sind vielfältig.1 Nach H. Gese handelt es sich bei der Weisheit „um die Bemühung des Menschen, das Leben, die menschliche und natürliche Welt, in die er sich gestellt sieht, als Ordnung auf empirischem Wege zu verstehen: durch Beobachtung der Lebensvorgänge, durch das Erfassen der phänomenalen Charakeristika in der treffenden Formulierung, dem erhellenden Vergleich, im sammelnden Streben zur kontrastreichen Totalität“2.
Auch G. von Rad zufolge ist Weisheit, wie das obige Zitat aus seinem Klassiker Weisheit in Israel von 1970 zeigt,3 praktisches Lebenswissen, das Ordnungen aus empirischer Beobachtung deduziert, um daraus Normen für das Handeln zu gewinnen. Das ist zweifellos ein Grundanliegen der Weisheit. Weisheit ist aber mehr als ein auf die Bewältigung des Alltags und des sozialen Zusammenlebens bezogenes Erfahrungswissen. In ihrem Bemühen, Ordnungen in Natur und Gesellschaft aus empirischer Beobachtung zu gewinnen, reicht sie über die Natur hinaus und lehrt, „die Welt insgesamt als eine von Gott in seiner Schöpfung geordnete Wirklichkeit zu verstehen“4. Konstitutiv für den alttestamentlichen – wie mutatis mutandis auch für den altorientalischen und ägyptischen – Weisheitsbegriff ist die Verbindung von Erfahrungswissen (edukatives Wissen) und Welt-
1
S. dazu beispielhaft Assmann, Weisheit, 17 ff. Gese, Art. Weisheit, 1574, vgl. ders., Lehre, 33 ff. 3 Vgl. oben 172 f, s. außerdem von Rad, Theologie 1, 430 ff. 4 Saur, Ordnung, 67, vgl. von Rad, aaO 100 f. 2
414 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
verstehen (kosmotheistisches Wissen).5 Da das Erfahrungswissen nur einen – unabdingbaren! – Teilaspekt dessen benennt, was als Weisheit galt, wird man mit B. U. Schipper „eher verschiedene Kategorien von Wissenskonzepten zu unterscheiden haben, wie z. B. die Sachkenntnis im Sinne des durch Ausbildung erworbenen Wissens, das richtige gesellschaftliche Verhalten, basierend auf Erfahrung, und schließlich das religiöse Wissen, welches in einem speziellen Weltbild begründet ist“6.
Schon unser erstes Beispiel, Pred 1,3–11, gibt einen Einblick in diese Verbindung von Erfahrungswissen und Weltverstehen. 1. Die Erkenntnis der Welt als Ordnung Altes Testament: Fischer, Art. Weisheit, 442 ff ◆ Gese, Lehre, 33 ff ◆ Ders., Art. Weisheit, 1574 ff ◆ Hermisson, Schöpfungstheologie, 269 ff ◆ Meinhold, Schöpfung, 3 ff ◆ von Rad, Theologie 1, 430 ff ◆ Ders., Weisheit ◆ Saur, Ordnung, 65 ff ◆ Schipper, Wissen, 489 ff ◆ Schmid, Wesen, 144 ff ◆ Witte, Art. Weisheit, 1159 ff. – Antike Religionen: Kynes (ed.), Wisdom, 103 ff ◆ Römheld, Weisheitslehre ◆ Schmid, Wesen, 8 ff.85 ff ◆ Witte, Weisheit, 1163 ff. – Kultur- und Literaturwissenschaft: Assmann, Weisheit, 17 ff.
Im Zusammenhang der Ausführungen zum Thema „Natur“ im Alten Testament sind wir auf den Begriff „Ordnungsformen“ eingegangen, den E. Cassirer in die Diskussion eingeführt hat.7 Damit sind regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft sowie taxonomische Einteilungen der Tier- und Pflanzenwelt gemeint, die die Struktur der natürlichen und geschichtlich-sozialen Welt konstituieren und deren Sinnhaftigkeit einsichtig machen. Im Folgenden nehmen wir diese Überlegungen auf und spitzen sie auf die Frage nach dem Weltganzen als einer „von Gott in seiner Schöpfung geordnete(n) Wirklichkeit“8 zu. Als Textbeispiele wählen wir Pred 1,3–11 (a) und vor allem Ps 104 (b). a) „Alle Flüsse fließen ins Meer“ (Pred 1,3–11) Altes Testament: Backhaus, Zeit, 8 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 364 ff ◆ Krüger, Wahrnehmungen, 21 ff ◆ Lohfink, Wiederkehr, 95 ff ◆ von Rad, Weisheit, 147 ff ◆ SchwienhorstSchönberger, Ordnung, 13 ff ◆ Saur, Einführung, 121 ff ◆ Ders., Maß, 45 ff. – Antike Religionen: Krafft, Art. Elementenlehre, 978 ff ◆ Uehlinger, Qohelet, 214 ff.
Der biblische Schöpfungsglaube hat immer wieder Naturbilder hervorgebracht, die von einer großen Vertrautheit mit den natürlichen Rhythmen und ihrer Bedeutung für die menschliche Lebenswelt zeugen. Dazu gehören nicht nur die
5
Zu dieser Begrifflichkeit s. unten 436 f. Schipper, Wissen, 498 f. 7 S. dazu oben 17 f. 8 Saur, ebd. 6
§ 11 Schöpfung und Weisheit 415
Tier- und Pflanzenbilder von Jer 8,7; Ps 1,3; Hi 36,36 ff u. a.,9 sondern auch die Naturbilder des Kosmosgedichts Pred 1,3–11, mit dem nach der Überschrift und dem Rahmenvers (Pred 1,1 f ) das Koheletbuch beginnt und mit dem auch das vorliegende Buch eröffnet wird:10 Ausgangsfrage 3 Welchen Gewinn hat der Mensch von all seiner Mühe, für die er sich abmüht unter der Sonne?
Kosmologie Mensch – Kosmos 4 Eine Generation geht, und eine Generation kommt, 4a Generationen (vergänglich) die Erde aber bleibt in Ewigkeit bestehen. b Erde (unvergänglich) 5 Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter 5 Sonne (Licht/Feuer) und strebt atemlos zu ihrem Ort, wo sie (wieder) aufgeht. 6 Er geht nach Süden und dreht nach Norden, 6 Wind (Luft) drehend, drehend geht der Wind, und zu seinen Umdrehungen kehrt er um – der Wind. 7 Alle Flüsse fließen ins Meer – 7 Flüsse (Wasser) aber das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, dorthin kehren sie zurück, um (wieder) zu entspringen.
Anthropologie Kosmos – Mensch 8 Alle Worte sind rastlos tätig, 8 Sprach- und Erkenntis kein Mensch ist in der Lage zu reden, fähigkeit (begrenzt) kein Auge wird satt zu sehen, und kein Ohr wird vom Hören voll. 9 Was war, wird wieder sein, 9 These und was getan wurde, wird wieder getan werden. Und es gibt nichts Neues unter der Sonne. 10 Gibt es etwas, von dem man sagt: 10 Einwand und „Sieh dies an, es ist neu!“ – Widerlegung schon längst gab es das in den fernen Zeiten, die vor uns waren. 11 Es gibt keine Erinnerung an die Früheren, 11 Begründung und auch an die Späteren, die noch sein werden, an sie wird es keine Erinnerung geben bei denen, die danach sein werden.11
9
S. dazu die Einzelnachweise im Register der Stellen. S. dazu oben 1. 11 Zur Struktur s. auch Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 158. Eine etwas andere Gliederung vertritt Krüger, Kohelet (BK), 122. Zur poetischen Analyse von Pred 1,3–11 s. Backhaus, Zeit, 8 ff, ferner Lohfink, Wiederkehr, 98 ff u. a. 10
416 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Der Text setzt mit der Leitfrage nach dem „Gewinn“ (jitrôn) ein (V. 3), die für das Koheletbuch charakteristisch ist und die durch die auf das diesseitige Leben bezogene Umstandsangabe „unter der Sonne“ (taḥat haššæmæš) den anthropologischen Fragehorizont des Buchs aufspannt.12 Das Gedicht gliedert sich dann in zwei Teile zu je vier Strophen (V. 4–7 und V. 8–11), die das Mensch/Kosmos- bzw. das Kosmos/Mensch-Verhältnis zum Thema haben. Dabei fungiert V. 4 zum einen als Überschrift über den ganzen Text und zum anderen als Einleitung seines ersten Teils (V. 5–7). Im Gegenüber zur Windhauch-Aussage von V. 2 – „Windhauch (hæbæl), Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das alles ist Windhauch“ – ist damit die Spannung von Vergänglichkeit (Mensch V. 4a) und Dauer (Erde V. 4b) gesetzt, die in Analogie zur Elementenlehre der griechischen Naturphilosophie13 entfaltet wird: Erde (V. 4b), Sonne (= Licht/Feuer V. 5),14 Wind (= Luft V. 6) und Flüsse (= Wasser V. 7). Das Problem von V. 4–7 besteht in der Frage, ob das hier beschriebene kosmische Kreislaufgeschehen Ausdruck von Sinnlosigkeit ist und ob seine Übertragung auf die Anthropologie in V. 8–11 dieser einen negativen Zug verleiht. Das könnte zunächst so scheinen, da V. 8 die Begrenztheit des menschlichen Fassungs- und Ausdrucksvermögens angesichts der Fülle des kosmischen Geschehens zum Thema hat.15 Dieses Thema wird so abgehandelt, dass zunächst eine These (V. 9), sodann ein Einwand samt Widerlegung (V. 10) und abschließend eine Begründung (V. 11)16 formuliert wird. Wie ist in diesem Zusammenhang die Wendung „nichts Neues (ḥādāš) unter der Sonne“ (V. 9b) zu verstehen: im Sinn der Erschaffung des nie Dagewesenen („qualitativ Neues“) oder im Sinn der Wiederherstellung des Gewesenen („Erneuerung“)? Fast alle Ausleger gehen von der These der „Wiederkehr des Gleichen“ aus und verstehen das Gedicht und speziell V. 8–11 als Beschreibung von Sinnlosigkeit oder Absurdität. Es kann aber auch so verstanden werden, dass anhand des Laufs der Sonne, des Wehens des Windes und des Fließens der Flüsse
12 Vgl.
Schwienhorst-Schönberger, aaO 153 f und Saur, Einführung, 122. S. dazu Krafft, Art. Elementenlehre, 978 ff. Zur Frage eines Bezugs von V. 4 auf ägyptische Texte s. Q 23. 14 Von den Generationen, die einen Weg ohne Wiederkehr gehen (V. 4), unterscheidet sich die Sonne durch ihren ständigen Kreislauf (V. 5), s. dazu Schwienhorst-Schönberger, aaO 161 ff. Von der „unermüdlichen Sonne“ ist auch in Homer, Ilias 18,239–242 die Rede, s. dazu Janowski, Anthropologie, 671 und Q 130. Der im Hintergrund anklingende SonnenMythos, der möglicherweise Analogien in ägyptischen Texten hat, hat auch Eingang in die antik-jüdische Mosaikkunst von Beth Alpha gefunden, s. dazu Janowski, aaO 690 ff. 15 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, aaO, 166 f. 16 Mit der Bestreitung der „Erinnerung“ (zikrôn/zikkārôn) an die Früheren und die Späteren (V.11) ist gemeint, dass es im kulturellen Gedächtnis der Nachfahren kein Fortleben der Toten gibt, der Tod also endgültig ist (damnatio vitae et memoriae), s. dazu SchwienhorstSchönberger, aaO 177 f. 13
§ 11 Schöpfung und Weisheit 417
die kosmische Ordnung vor Augen gestellt wird und „der Mensch … Anteil daran (hat)“17, weil er Teil der Schöpfung ist. Wesentlich für das Verständnis von V. 9b scheint der logische Ausgangspunkt zu sein. Wenn das „Neue“, wie in der Regel angenommen wird, für Kohelet einen positiven Klang hatte, muss seine Negation als Ausdruck der Enttäuschung und Resignation empfunden werden. Anders wird es, wenn das „Neue“ die Wiederkehr des Alten, also die Wiederherstellung des Gewesenen impliziert wie in den Gedankenfiguren vom „neuen Exodus“ oder von der „neuen Schöpfung“. „Etwas Kommendes“, so N. Lohfink, „ist ‚neu‘, wenn es das alte, bei der Schöpfung grundgelegte Urmuster möglichst stark und möglichst rein wiederholt“18 – so wie der Sabbat, der Israel immer wieder neu mit dem Uranfang verbindet, oder wie der Neumond (ḥodæš), der nach 28 Tagen wieder aufleuchtet, oder wie der Morgen, der immer wieder „ganz frisch und neu“ (EG 440, vgl. Klgl 3,22 f ) ist.19
So gesehen gibt es „nichts Neues unter der Sonne“, weil sich alles im Zusammenhang der Schöpfung wiederholt und der Mensch daran Anteil hat. Das menschliche Leben, so lässt sich die Aussageintention von Pred 1,3–11 zusammenfassen, ist zeitlich begrenzt, in seiner Begrenztheit aber bezogen auf das Maß und den Rhythmus der Schöpfung, an der der Mensch von der Geburt bis zum Tod partizipiert (Pred 3,2) und an deren Schönheit er sich nicht satt sehen kann (Pred 1,8). Dem ist auch Sir 42,22–25 verpflichtet: 22 Sind nicht alle seine Werke begehrenswert bis hin zum Funken und zur Vision im Gesicht? 23 Er lebt und besteht auf ewig, und einer jeden Ordnung gehorcht das All. 24 Sie alle wiederholen sich, der eine wie der andere, und nichts von diesen hat er nutzlos erschaffen. 25 Das eine wechselt mit dem anderen in seinem Wert ab, und wer könnte sich sättigen beim Anblick ihrer Pracht.20
Dieser „Weg von der Anthropozentrik zur Kosmozentrik“21 gibt auch der Position Kohelets eine große Gelassenheit, die nicht mit Enttäuschung oder Resignation zu verwechseln ist. Im Gegenteil: die Einsicht, dass es nichts Neues unter der Sonne gibt, ist Ausdruck der „Erkenntnis Kohelets, der den Menschen und seine Lebenszeit in die Beständigkeit der Welt als eines geordneten und zugleich 17
Ders., aaO 160, vgl. 166.167 f u.ö; Lohfink, Wiederkehr, 124; Krüger, Kohelet (BK), 116.118 ff u. a. 18 Lohfink, aaO 119, vgl. ders., Kohelet (NEB), 21 f und Schwienhorst-Schönberger, Ordnung, 13 ff. 19 Vgl. Lohfink, Wiederkehr, 117 f, ferner Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 173 f. 20 Übersetzung Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 292 (mit dem Kommentar 293). Zur Fortsetzung Sir 43,1–33 s. unten 504 f (Anhang I). 21 Schwienhorst-Schönberger, aaO 180.
418 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
dynamischen Kosmos einordnet“22. Der Aufruf, den rechten Zeitpunkt zu ergreifen (vgl. Pred 3,1–9), hat hier seinen Grund. b) „Sie alle hast du mit Weisheit gemacht“ (Ps 104) Altes Testament: Berlin, Ps 104, 71 ff ◆ Hartenstein, Wolkendunkel, 164 ff.167 f ◆ Hermiss-
on, Schöpfungstheologie, 274 ff ◆ Hossfeld, Schöpfungsfrömmigkeit, 177 ff ◆ Huber, Himmel, 252 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 450 ff ◆ Janowski, Hymnen, 350 ff ◆ Jeremias, Königtum Gottes, 45 ff ◆ Ders., Schöpfung, 91 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 163 ff ◆ Köckert, Beobachtungen, 259 ff ◆ Krüger, A., Lob ◆ Krüger, Th., Kosmo-Theologie, 91 ff ◆ Leuenberger, Konzeptionen, 187 ff ◆ Müller, Jahwe, 228 ff ◆ Podella, Lichtkleid, 232 ff ◆ Schnocks, Psalmen, 131 ff ◆ Seybold, Poetik, 178 ff.216 f ◆ Spieckermann, Heilsgegenwart, 21 ff ◆ Steck, Welt, 63 ff ◆ Ders., Wein, 240 ff ◆ Uehlinger, Leviathan, 499 ff ◆ Weiss, Bible, 78 ff ◆ Zenger, Angesicht, 75 ff. – Antike Religionen: Assmann, Ägypten 1, 243 ff ◆ Krüger, Lob ◆ Schipper, Parallels, 57 ff. – Systematische Theologie: Link, Schöpfung 1, 363 ff ◆ Ders., Schöpfung 2, 55 ff.
Der nachexilische Schöpfungspsalm Ps 104,23 der ebenso wenig anthropozentrisch ausgerichtet ist wie Pred 1,3–11, gehört für viele zu den Lieblingstexten des Psalters. Er besticht „an einigen Stellen durch Wirklichkeitssinn und Farbenreichtum: in anmutigen Einzelbildern spricht sich die liebenswürdige Versenkung des Dichters in das Kleinleben der Natur aus, und hie und da, besonders wo uralte Stoffe nachklingen, erhebt er sich zu hoher poetischer Schönheit, ja, zu klassischer Größe“24.
Gleichwohl setzt seine Komplexität immer wieder in Erstaunen: „Die Fülle der Bilder und Motive verwirrt selbst geübte Leser: Was verbindet die Investitur des himmlischen Königs mit Steinbock und Klippdachs?“25. Und was die Schiffe auf dem Meer mit Leviatan, den JHWH gebildet hat? Auch der Wechsel der Stilebenen (von der 3. zur 2. Pers., von finiten Verbformen zu Partizipien) und der religionsgeschichtlichen Motive (aus Ugarit, Mesopotamien, Ägypten)26 ist frappierend. Dennoch ist Ps 104 einer übergreifenden Sachperspektive, nämlich „Leben“, verpflichtet, die er – vom Himmel bis zur Erde bzw. zum Meer, also gleichsam ‚von oben nach unten‘ – konsequent entfaltet.
22
Saur, Maß, 47 f, vgl. ders., Einführung, 125. Zur Datierungsproblematik, s. Krüger, Lob, 447 f u. a. 24 Gunkel, Psalmen, 453 f. 25 Köckert, Beobachtungen, 259. Statt von „Klippdachs“ ist zoologisch allerdings von „Klippschliefer“ zu sprechen, s. dazu unten 425 Anm. 54. 26 S. dazu zusammenfassend Krüger, Lob, 436 ff. Zum Vergleich von Ps 104,19–23 mit dem Großen Amarnahymnus s. unten 425 ff. 23
§ 11 Schöpfung und Weisheit 419
Komposition Ps 104 ist der Form nach ein Hymnus und zwar, wie der Anfang zeigt, ein Hymnus eines Einzelnen.27 Die Selbstaufforderung „Segne, mein Leben (næpæš), den JHWH!“, die den Text einleitet (V. 1aα) und ebenfalls ausleitet (V. 35b), rahmt den gesamten Psalm, der am Ende in einen 4-teiligen Abgesang ausklingt (V. 33 f ). Zwischen Aufgesang und Abgesang steht das Corpus des Hymnus, das ausführlich begründet, warum JHWH zu loben bzw. zu segnen ist. Die Aufforderung zum Gotteslob – „Segne, mein Leben, den JHWH!“ – ist dabei bemerkenswert. Zum einen, weil mit dem Verb brk pi. „segnen“ + Obj. JHWH wie in Ps 103,1 f.22 die „Reziprozität der Segensbeziehung von Gott und Mensch“28 zum Ausdruck gebracht wird, und zwar so, dass der Mensch mit seinem Segnen – als dem Gegenteil von Fluchen! – Gott das zurückgibt, was er von ihm empfangen hat. So bringt „das Band des Segens Gott und Mensch bzw. Welt in einer gemeinsamen Wirklichkeitssphäre zusammen und hält sie beieinander“29. Zum anderen ist die Lobaufforderung bemerkenswert, weil mit dem Begriff næpæš („Leben, Lebenskraft“) metonymisch der Lobende in seiner Lebendigkeit in Erscheinung tritt.30 Alles, was im Corpus des Hymnus von ihm besungen wird, steht dem Beter deutlich vor Augen und bestimmt ihn in seiner lebendigen Existenz. Auf den Aufgesang von V. 1aα folgt in V. 1aβ–32 das Hymnencorpus. Dieses ergeht sich nicht in zusammenhanglosen Details, sondern zählt beginnend mit der Majestätsprädikation I (V. 1aβ–2a) und ihrem Gegenstück in V. 31 f „Indizien der natürlichen Welt“31 auf, die das Gotteslob umfassend begründen. Daran schließt die Beschreibung des Wirkens des Königsgottes im Himmel (V. 2b–4) sowie auf Erde und im Meer (V. 5–26) an.32 Den Abschluss bildet die theologische Reflexion V. 27–30, deren Thema die Lebensversorgung aller Geschöpfe ist. Insgesamt präsentiert sich damit „die Versorgung und Ordnung von pflanzlichem, tierischem und menschlichem Leben als Auswirkung und Verwirklichung des Königtums Jhwhs in der Erfahrungswirklichkeit: Jhwhs versorgendes und ordnendes Wirken ist eine Funktion seines Königtums“33. Was die Entstehung dieses inhaltlich komplexen und formal disparaten Textes angeht, so kann diese hier nicht eigens thematisiert werden; in der gegenwärti-
27 28 29 30 31
32 33
Zu den formgeschichtlichen Aspekten s. Steck, Wein, 240 f und Krüger, Kosmo-theologie, 92 ff. Leuenberger, Segen 1, 63 (H. i. O.). Ders., aaO 67. Zum Begriff næpæš s. die Hinweise oben 92 f u. ö. Steck, aaO 242. Zu beachten ist dabei, dass V. 5–24 durch das Leitwort „Erde“ (V. 5 und V. 24) eingerahmt werden, vgl. Steck, aaO 248 Anm. 16. Leuenberger, Konzeptionen, 189 (H. i. O.).
420 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
gen Forschung gibt es dafür auch noch keinen Konsens.34 Das gilt auch für die immer wieder postulierte Grundform des Psalms.35 Stattdessen gehen wir von der Endgestalt aus, deren Struktur sich gemäß der Abfolge der kosmischen Räume Himmel, Erde und Meer skizzieren lässt (s. Abb. 102).36 Obwohl Ps 104 und Gen 1,3–31 eine gewisse thematische Ähnlichkeit aufweisen (s. Abb. 103), formuliert Ps 104 so eigenständig, dass, wie H. Irsigler zu Recht bemerkt, „eine direkte Bezugnahme auf Gen 1 nicht überzeugt“37. So gibt es in Ps 104 keine 7 Tage-Struktur wie in Gen 1,3–2,3. Im Übrigen steht Ps 104 thematisch mit Ps 8,4–9; 19,2–7; 148 und weiteren Texten in Verbindung, in denen ebenfalls Schöpfungsmotive und Naturschilderungen begegnen.
Traditionen und Motive Nach dem Aufgesang V. 1aα („Segne, mein Leben, den JHWH!“) beginnt der erste Abschnitt in V. 1aβ–2a mit einer dreizeiligen Majestätsprädikation I, die mit einem Bewunderungsruf über die Größe JHWHs (V. 1aβ) eröffnet und mit zwei chiastisch angeordneten Sätzen zum Lichtkleid JHWHs (V. 1b–2a) abgeschlossen wird:38 1aβ JHWH, mein Gott, du bist sehr groß! b Mit Hoheit und Pracht bist du bekleidet, 2a sich hüllend in Licht wie in den Mantel! 1b Hoheit und Pracht
sich bekleiden
2a sich hüllen Licht
34
S. dazu im Einzelnen Spieckermann, Heilsgegenwart, 24 ff; Köckert, Beobachtungen, 260 ff; Leuenberger, aaO 190 ff; Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 72 ff (Hossfeld); Krüger, Lob, 62 ff; Irsigler, Gottesbilder, 450 ff; Huber, Himmel, 255 ff u. a. Einige Probleme, die mit der Literar- und Religionsgeschichte des Psalms zusammenhängen, werden im Folgenden zumindest angesprochen. 35 S. dazu die Hinweise bei Irsigler, aaO 452 anm. 240. 36 Vgl. auch die Gliederungsvorschläge von Keel/Schroer, Schöpfung, 164; Gärtner, Geschichtspsalmen, 277 f; Irsigler, aaO 453, ferner Krüger, aaO 67 u. a. Abgesehen vom Rahmen V. 1aα/35b nimmt Huber, aaO 257 ff fünf Einheiten an (V. 1b–4/V. 5–24/V. 25 f/V. 27– 30/V. 31–35). 37 Irsigler, aaO 452 mit Anm. 238, s. dazu auch Steck, aaO 41 f u. a. Anders Berlin, Ps 104, 75 f.77, obwohl sie einräumt: „The psalmist uses the Genesis blueprint, but he does not structure his picture of creation exactly the way Genesis does“ (76). 38 Entscheidend für diese Gliederung ist neben der inhaltlichen Gedankenführung die chiastische Anordnung der parallelen Sätze V. 1b–2a sowie der Wechsel von der 3. Pers. in V. 1aβ–2a zur 2. Pers. in V. 2b, vgl. Steck, Wein, 247 mit Anm. 14; Seybold, Psalmen (HAT), 409; Spieckermann, Heilsgegenwart, 21.27; Leuenberger, aaO 187.188 f; Krüger, aaO 28 f u. a. Anders, aber nicht überzeugend Podella, Lichtkleid, 233, der zwischen einer „echten“ Bekleidungsaussage (V. 1b) und dem Vergleich mit einem Mantel (V. 2a) unterscheiden möchte und deshalb V. 2a mit V. 2b.3a zu einem Trikolon zusammennimmt.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 421
1aα
Aufgesang: „Segne, mein Leben, den JHWH!“
1aβ–2a Majestätsprädikation I: Hoheit und Pracht des Königsgottes JHWH
2b–4 Wirken des Königsgottes im Himmel 5–26 Erde und Meer als „Werke JHWHs“ 5–9 Trennung der Erde vom Meer 10–24 Erde als Lebensraum 10–18 Versorgung mit Wasser: Quellen und Regen 19–23 Versorgung mit Zeit: Nacht/Tag-Wechsel 24 Bewunderungsruf: „Werke JHWHs“ auf der Erde 25–26 Meer als Lebensraum
27–30 Resümee: Lebensversorgung aller Geschöpfe auf der Erde
31–32 Majestätsprädikation II: Herrlichkeit des Königsgottes JHWH
33–35 Abgesang (erweitert): „… Segne, mein Leben, den JHWH!“ (35b)
Abb. 102: Zur Makrostruktur von Psalm 104 Ps 104
Gen 1
1aβ–2a 2b–4 5–9 10–18 19–23 10–18.25 f 10–18 14 f.23
3–5 6–8 9–10 11–13 14–19 20–23 24 f 26–31
1. Tag/1. Werk: Licht/Finsternis 2. Tag/2. Werk: Himmelsfeste 3. Tag/3. Werk: vom Meer getrennte Erde 3. Tag/4. Werk: Pflanzen tragende Erde 4. Tag/5. Werk: Gestirne 5. Tag/6. Werk: Wasser- und Flugtiere 6. Tag/7. Werk: Landtiere 6. Tag/8. Werk: Menschen
Abb. 103: Thematischer Vergleich von Ps 104 mit Gen 1,3–31
Das Thema des Trikolons V. 1aβ–2a ist die Erhabenheit des mit einem Lichtkleid umhüllten Königsgottes.39 Mit dem Übergang von der 2. (V. 2a) zur 3. Person (V. 2b) wird in V. 2b–4 das Wirken dieses Königsgottes im überirdischen Raum beschrieben: er spannt den Himmel wie eine Zeltdecke aus, die in räumlich-vertikaler Ausrichtung einen Bereich darüber (Obergemächer im Himmelsozean V. 3a)40 von einem Bereich darunter (Wolken, Winde, Blitze V. 3b–4) abgrenzt und damit die Trennscheide zwischen dem himmlischen und dem unter dem
39
Wie die Epitheta „Hoheit“, „Pracht“ und „Licht“ zeigen, ist V. 1aβ–2a von der Königtum Gottes-Vorstellung geprägt, s. die Sachparallelen Ps 29,4; 93,1; 96,6 u. a. und dazu Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 41 Anm. 4; Steck, aaO 247 mit Anm. 14; Jeremias, Königtum Gottes, 47 f; Podella, aaO 235 f (Belegübersicht).239 f; Hossfeld/Zenger, aaO 76 (Hossfeld) u. a. Auch die kābôd-Aussage in V. 31 f prädiziert JHWH als Königsgott, s. dazu Steck, aaO 247 Anm. 15. 40 Zum Motiv des Himmelozeans oberhalb der „Feste“ (rāqîaʿ) im Gegensatz zum Wasser unterhalb der „Feste“ s. Gen 1,7 und Ps 148,4 und dazu Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 49 f.
422 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Himmelszelt befindlichen irdischen Raum markiert. Dieser irdisch-menschliche Lebensraum kommt dann ab V. 5 in den Blick: 2b Der ausspannt (den) Himmel wie die Zeltdecke, 3 der zimmert im Wasser seine Obergemächer, der bestimmt Wolken zu seinem Wagen, der einher fährt auf den Flügeln des Windes, 4 der macht zu seinen Boten Winde, zu seinen Dienern brennendes Feuer.
Im Blick auf die durch das Ausspannen des Himmelszeltes (V. 2b) voneinander abgegrenzten Räume ergibt sich folgendes Bild: Himmelsozean oberhalb V. 3aα des Himmelszelts Himmel als Zeltdecke V. 2b Wolken, Winde, Blitze V. 3aβ–4 unterhalb des Himmelszelts
Abb. 104: Das Himmelszelt als Trennscheide nach Ps 104,2b–4 Da V. 5–9 mit einer Suffixkonjugation einsetzt (jāsad V. 5a) – und die hymnische Diktion V. 2b ff damit scheinbar unterbrochen wird –, wird dieser Abschnitt von H. Spieckermann u. a. als sekundärer Einschub verstanden.41 Demgegenüber ist mit F. Hartenstein davon auszugehen, dass die in V. 5 ff geschilderte Gründung der Erde auf ihren Fundamenten „in allem von dieser vorgängigen himmlischen Herrschaftsposition JHWHs ab(hängt). Dabei ist das Verb jsd aus V. 5 das Leitwort für die ganze im folgenden (V. 5–9) geschilderte einmalige urzeitliche Eindämmung des Meeres (und damit des ‚Chaos‘) und die Ausgestaltung des Festlands (mit den Bergen) in vom Himmel her vorgezeichneten architektonischen Grenzen. Die Welt erscheint als ein wohl geplantes ‚Gebäude‘ und JHWH als ihr königlicher Baumeister“42.
Der Abschnitt V. 1aβ–2a „erfaßt also Tätigkeiten und Fähigkeiten des Schöpferwirkens Jahwes im überirdischen Raum, die als Voraussetzung für seinen weiteren Ablauf, wie ihn das Folgende sieht, wesentlich sind“43. Dieses Folgende wird in V. 5–9 als ein uranfänglicher Machtakt des Schöpfers dargestellt, der durch 41
S. dazu Spieckermann, aaO 29 ff, ferner Köckert, aaO 260 f und Hossfeld/Zenger, aaO 73 (Hossfeld), s. dazu aber die Gegenargumente bei Podella, aaO 237 Anm. 376. 42 Hartenstein, Wolkendunkel, 165. Ebenso wie in Ps 104,5 betont auch Am 9,6 die „Weltüberlegenheit der himmlischen Residenz, die mit der Erschaffung des Himmels eingerichtet wird und von der die Festigkeit der Erde (jsd in Am 9,6 und Ps 104,5 ff.) in jeder Beziehung abhängt“ (ders., aaO 166) – mit dem Unterschied, dass in Am 9,6 das Herbeirufen der Wasser den „Beiklang der Widerrufung der von Gott gesetzten Ordnung hatte“ (ders., aaO 165), s. dazu auch Jeremias, Amos (ATD), 127 f; Kessler, Amos (IEKAT), 257 f und zum Text von Am 9, 5 f unten 496 (Anhang I). 43 Steck, aaO 252.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 423
eine – im Wortsinn! – definitive Trennung der Erde vom Meer diese als stabilen Lebensraum erstellt hat: 5 Er hat gegründet (die) Erde auf ihre Fundamente – nicht wankt sie auf immer und ewig. 6 Urflut – wie das Kleid bedeckte sie ⟨sie⟩44, über (den) Bergen standen (die) Wasser. 7 Vor deinem Schreien flohen sie, vor der Stimme deines Donners eilten sie davon. 8 Sie stiegen (auf ) Berge hinauf, stiegen (in) Täler hinab,45 zu einem Ort, den du ihnen gegründet hast.46 9 Eine Grenze hast du gesetzt – die können (sie) nicht überschreiten, sie kehren nicht zurück, um die Erde zu bedecken.
Der Gedankengang dieses Abschnitts, der in V. 5 das Thema und in V. 9 das Fazit enthält (in beiden Versen begegnet die Negation bal „nicht“), lässt sich folgendermaßen gliedern:47 5 Thema: Erdgründung (jāsad) auf Fundamenten, die nicht wanken 6 Ausgangspunkt: Urflut bedeckte (kāsāh) die Erde // über den Bergen standen die Wasser 7 Aktion → Reaktion: „Schreien“ (gāʿar) des Königsgottes und Flucht der Wasser 8 Verlauf: Aufsteigen/Absteigen der Wasser und Ende der Flucht 9 Fazit: Kein „Bedecken“ der Erde mehr durch die Wasser
Abb. 105: Zur Struktur von Ps 104,5–9
Aufgrund des göttlichen „Schreiens“ (V. 7) flohen die uranfänglichen Wasser, die über den Bergen standen (V. 6), gleichsam wellenförmig (Aufsteigen/Absteigen V. 8) bis zu dem Ort, den JHWH ihnen als Grenze (gebûl) gesetzt hat (vgl. Jer 5,22; Hi 38,10 f; Spr 8,29).48 Dort kommen sie zum Stillstand und werden die Erde nicht mehr „bedecken“ (V. 9b, vgl. V. 6a). Damit ist die chaotische Macht des Meeres, die die Erde bedroht hat, ein für allemal gebannt. Erst jetzt kommt die Erde als gemeinsamer Lebensraum für Tiere, Pflanzen und den Menschen in den Blick (V. 10–18), wobei „die unterschiedlichen Aspekte des Wassersystems der Schöpfung … nacheinander und in erstaunlicher
44
Lies mit dem App. der BHS das Suff. der 3.f.sg. (Bezug „Erde“), vgl. Jeremias, Königtum Gottes, 46 Anm. 3 u. a. 45 Subjekt der beiden Verben in V. 8a sind die Wasser aus V. 6, vgl. Spieckermann, aaO 22 mit Anm. 5 u. a., anders Steck, aaO 253 Anm. 31 u. a. 46 V. 8 wird von Spieckermann, aaO 31 als „Zusatz im Zusatz“ aus dem Zusammenhang V. 5–9 ausgegrenzt, s. dazu aber Köckert, aaO 261 Anm. 12. 47 Vgl. Jeremias, aaO 48; Steck, aaO 253 Anm. 29 und Krüger, Lob, 33 ff.35 ff. 48 Zum Motiv der Begrenzung des Meeres s. oben 136 f. Zur Bedeutung der in Jer 5,22; Ps 104,9 und Spr 8,29 begegnenden Negation „nicht“ (bal, loʾ ) s. Hartenstein, Kosmisierung (i. Dr.).
424 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Systematisierung behandelt (werden)“49. Im Unterschied zu Pred 1,3 ff hebt der Text dabei nicht auf den Wasserkreislauf,50 sondern auf die Wirkungen ab, die vom Wasser auf die einzelnen Biotope ausgehen.51 Wildland zwischen den Bergen 10 Der Quellen sendet in die Bachtäler, zwischen Bergen laufen sie (dahin), 11 sie tränken alle Tiere des Feldes, es löschen Wildesel (daraus) ihren Durst, 12 Über ihnen wohnen die Vögel des Himmels, aus (dem) Laubwerk geben sie Laut.52
oben: Quellen der Flüsse zwischen den Bergen → unten: Wadis, Schluchten
Ackerland auf den Bergen 13 Der Berge tränkt aus seinen Obergemächern, von der Frucht deiner Werke sättigt sich die Erde. 14 Der Gras sprießen lässt für das Vieh und Pflanzen für die Arbeit des Menschen, um Brot aus der Erde hervorzubringen 15 – und Wein erfreut das Herz des Menschen –, um glänzend zu machen (das) Angesicht von Öl, – und Brot stärkt das Herz des Menschen.
oben: Reservoire zur Wasserversorgung → unten: Erde
Hohe Berge und Felsen 16 Es sättigen sich die Bäume JHWHs, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat, 17 wo Vögel nisten, der Storch – Zypressen sind sein Haus. 18 Die hohen Berge gehören den Steinböcken, die Felsen sind eine Zuflucht für die Klippschliefer.
oben: Bäume JHWHs, Zedern des Libanon, hohe Berge, Felsen und dort heimische Tiere
Nur einige Aspekte dieser eindrücklichen Naturschilderung seien hervorgehoben. Da sind zunächst die verschiedenen Lebensräume, die der Beter mit seinem Blick erfasst und die in räumlich-vertikaler Bewegung von oben nach unten (V. 10 ff.13 ff ) und wieder nach oben (V.16 ff ) beschrieben werden.53 Die Schilderung beginnt beim Wildland mit seinen Quellen, Wadis und Tieren (V. 10– 12), geht dann zum mittelpalästinischen Bergland über (V. 13–15) und endet bei den hohen Bergen mit den „Bäumen JHWHs“, den „Zedern des Libanon“ 49
Seybold, Poetik 1, 180. S. dazu oben 414 ff. 51 Zur besseren Übersicht werden im Folgenden die Tiere, die Pflanzen, der Mensch sowie die geographischen/geologischen Formationen durch Unterstreichung bzw. Kursivierung hervorgehoben. 52 Zur Annahme von Spieckermann, aaO 33 f, V. 12 f als „redaktionelle Nacharbeit“ zu verstehen, s. Krüger, Kosmo-theologie, 98 Anm. 37. 53 Vgl. Steck, Wein, 255 und Krüger, aaO 98 f. 50
§ 11 Schöpfung und Weisheit 425
und den dort heimischen Tieren Storch, Steinbock und Klippschliefer (V. 16– 18).54 Sodann wird die Frage, woher das lebensnotwendige Wasser kommt, das die Tiere des Feldes, aber auch die Berge und die Bäume JHWHs tränkt, in V. 13a unter Rückgriff auf die „Obergemächer“ beantwortet, von denen in V. 3aα die Rede ist. Dieser Aspekt einer durch Bezüge zum Vorhergehenden wie zum Folgenden hergestellten „sukzessiven Sachanordnung“55 ist typisch für Ps 104. Und schließlich tritt in V. 13–15 die Kulturwelt in Erscheinung, in der das Vieh, also die Haustiere, sprossendes Gras frisst und der Mensch von seiner Hände Arbeit lebt, um Brot (es stärkt das Herz) und Wein (es erfreut das Herz) hervorzubringen. Wie die Abfolge V. 10–12/V. 13–15/V. 16–18 deutlich macht, ist der Mensch nicht der Mittelpunkt der Schöpfung, sondern in die Gemeinschaft der Geschöpfe und die Erscheinungen der natürlichen Lebenswelt (Wasser, Berge, Täler, Pflanzen, Bäume) eingebunden. Die kreatürliche Angewiesenheit von Tieren und Menschen auf die Lebensversorgung durch Gott thematisiert dann V. 27–30.56 Neben die in V. 10–18 geschilderte Versorgung mit Wasser (Regen und Quellen) tritt in V. 19–23 der Aspekt „Zeit“, konkret: der grundlegende Tag/NachtWechsel: 19 Er (sc. JHWH) hat gemacht (den) Mond für die Festzeiten (môʿadîm), die Sonne kennt ihren Untergang. 20 Du bestimmst Finsternis, und es wird Nacht, in ihr wimmeln alle Tiere des Waldes, 21 die Junglöwen, brüllend nach Beute, um von Gott ihre Nahrung fordern. 22 Es geht die Sonne auf,57 sie ziehen sich zurück, und zu ihren Verstecken hin lagern sie sich. 23 Es geht der Mensch heraus zu seinem Tun und zu seiner Arbeit bis zum Abend.
Dieser Text schildert den zeitlichen Ablauf eines einzigen Tages: er beginnt entsprechend dem Mondjahr am Abend und endet am Abend des folgenden Tages (s. Abb. 106).58 Mit dem morgendlichen Aufgang der Sonne, deren Licht die Welt erschließt, ziehen sich die wilden Tiere in ihre Verstecke zurück, während der Mensch aus seinem Haus „heraustritt“ und seine Arbeit bis zum Abend verrichtet (V. 23): 54
Zu diesen Tieren s. Riede, Spiegel, 30 ff und speziell zum Klippschliefer Keel u. a., OLB 1, 153 f. 55 Steck, aaO 253. 56 S. dazu unten 428 f. 57 Gegen Spieckermann, aaO 223 Anm.29 u. a. ist am MT (zāraḥ Pf.3.f.sg.) festzuhalten, vgl. Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 69 u. a. 58 S. dazu bereits Janowski, Anthropologie, 374 f, vgl. Keel/Schroer, Schöpfung, 165.
426 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 20 f
Abend/Nacht
Tiere (Beute, Nahrung)
22.23a Sonnenaufgang/ Morgen
Tiere (Rückzug in ihre Verstecke) Mensch (Verlassen des Hauses)
23b Tag/Abend
Mensch (Arbeit)
⎫ ⎪ ⎪ ⎬ ⎪ ⎪ ⎭
1 ganzer Tag
Abb. 106: Zur Struktur von Ps 104,20–23 Dieser Text hat immer wieder Anlass zum Vergleich mit dem Großen Amarnahymnus gegeben und zu der These geführt, dass Ps 104,20–30 literarisch von der ägyptischen ‚Vorlage‘ abhängig sei.59 Entscheidend ist etwa für J. Assmann „die Wertung der Nacht als Gottesferne“60, wie sie eindrücklich in Z. 27–37 geschildert wird: Gehst du unter im westlichen Lichtland (= Westhorizont), ist die Erde in Finsternis, in der Verfassung des Todes. 30 Die Schläfer (oder: sie schlafen) in der Kammer, verhüllt sind ihre Köpfe, kein Auge sieht das andere. Ihre Habe wird ihnen unter den Köpfen weg gestohlen, und sie merken es nicht. Jedes Raubtier ist aus seiner Höhle herausgekommen, alle Schlangen beißen. 35 Dunkel ist das Herdfeuer (oder: die Finsternis ist ein Grab), die Erde liegt in Schweigen: ihr Schöpfer ist untergegangen in seinem Lichtland.61 Der These J. Assmanns ist allerdings zu widersprechen, weil der Differenzpunkt das unterschiedliche Gottesbild und die damit zusammenhängende Wertung der Nacht ist: Während JHWH auch nachts in seiner Schöpfung anwesend ist und den Junglöwen Nahrung gibt (das in Ps 104,21 stehende Verb biqqeš „fordern“ impliziert eine aktive Beziehung zwischen Gott und seinen tierischen Geschöpfen!), ist Aton, der Lichtgott von Amarna, in der Nacht abwesend, weil er „in seinem Lichtland untergegangen“ (Z. 37) ist. Im Unterschied zur traditionellem Sonnentheologie mit ihrem Tag und Nacht umfassenden Sonnenlauf (s. Abb. 107) gibt es für die Amarna-Religion keine Gottesnähe außerhalb des Lichts, und ist deshalb die Welt während der Nacht „in der Verfassung des Todes“ (Z. 29). Trotz zahlreicher Ähnlichkeiten in der Naturauffassung steht der raumzeitlich eingeschränkten Wirksamkeit Atons die Allwirksamkeit JHWHs gegenüber.62 Das aber zeigt, wie vorsichtig man bei der Beurteilung von Motivähnlichkeiten zwischen alttestament-
59
Zu den Analogien zwischen Ps 104,20–30 und dem Großen Amarnahymnus s. Reichmann, Übernahme, 133 f.135 ff, ferner Uehlinger, Schiffe, 501 ff. 60 Assmann, Ägypten 1, 247. 61 Übersetzung Assmann, ÄHG2, 218 (s. Q 19), vgl. Bayer, Echnaton, 11 f (mit anderer Zählung: Z. 44–58, s. den Kommentar 49 f ). 62 S. dazu Spieckermann, Heilsgegenwart, 38 ff; Müller, Jahwe, 228 f; Krüger, Lob, 403 ff und bes. Schipper, Parallels, 57 ff.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 427
𓆣
𓇳 Re 𓁚
Chepri Sonnenaufgang
Tag
𓊨 𓁹
Nacht Osiris
𓀭
Atum Sonnenuntergang
𓊨 𓁹
Duat = Gegenwelt
Abb. 107: Traditionelles Schema des Sonnenlaufs (Ägypten) lichen und altorientalischen bzw. ägyptischen Texten sein muss, um nicht waghalsigen Beeinflussungs- oder Rezeptionshypothesen Vorschub zu leisten.63
Abgeschlossen wird der Abschnitt Ps 104,10–23 durch den Bewunderungsruf V. 24:
Wie zahlreich sind deine Werke, JHWH, sie alle hast du mit Weisheit gemacht, zentrale Aussage voll ist die Erde von deinem Eigentum!64
Als Resümee von V. 10–23 unterstreicht dieser Vers, dass die in diesen Versen genannten Einzelphänomene in einer sinnvoll-zweckhaften Beziehung zueinander stehen, weil sie vom Schöpfer „mit Weisheit“ (ḥåkmāh) gemacht worden sind.65 Diese Qualifizierung kommt auch in Spr 3,19 f zum Ausdruck:
63
19 JHWH hat mit Weisheit (ḥåkmāh) die Erde gegründet, den Himmel hat er befestigt mit Einsicht (tebûnāh).
Weltschöpfung: Erde und Himmel
20 Durch sein Wissen (daʿat) brachen Urfluten hervor, und Wolken träufeln Tau.
Lebenswelt von Menschen, Tieren und Pflanzen
Zur Frage möglicher Überlieferungswege des Großen Amarnahymnus nach Palästina/Israel s. Reichmann, Übernahme, 172 ff. Reichmann rechnet mit einer „Teilübersetzung“ des GAH ins Hebräische, kann aber die besagte Überlieferungsfrage nur durch waghalsige Vermutungen ‚beantworten‘ (s. bes. 183 f ). Wesentlich zurückhaltender ist Schipper, aaO 57 ff.68 ff, der darüber hinaus vorschlägt, das Vorkommen von Motiven, wie sie aus Ps 104 bekannt sind, in ägyptischen Hymnen des 1. Jt. v. Chr. (!) zu beachten, s. zusammenfassend ders., aaO 72 f und zur Problematik bereits Steck, Wein, 244 Anm. 9 sowie ausführlich Krüger, aaO 403 ff. Zur These von Uehlinger, Schiffe, 505 f, dass eine Entstehung von Ps 104,1b– 30* im phön.-kanaan. Milieu möglich sei, s. die Kritik von Krüger, aaO 9 ff. 64 Zur Beschreibung der Struktur von V. 24 s. Krüger, aaO 53. 65 Zu dieser Sinnhaftigkeit der einander zugeordneten Lebensräume und Lebewesen s. Hermisson, Schöpfungstheologie, 274 ff, vgl. Steck, Wein, 244 Anm. 8.
428 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Hier wird die Weisheit – nicht wie in Spr 8,22 ff u. a. personifiziert, sondern – JHWH als Mittel zugeordnet66 und insofern als „ein Vermögen oder eine Fertigkeit des Schöpfers“67 verstanden. Dabei nennt V. 19 mit „Erde“ und „Himmel“ die beiden Schöpfungswerke, die in Form eines Merismus das Weltganze in seiner räumlichen Struktur bezeichnen. Durch das „Wissen“ (daʿat) des Schöpfers wird nach V. 20 schließlich die Wasserversorgung zur Grundlage des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen gemacht, indem – auch dies ist ein Merismus – von den Wassern von unten („Urfluten“) und dem Wasser von oben („Wolken“) gesprochen wird. So verweist Spr 3,19 f auf „die Tiefendimension der gegenwärtigen Erfahrungswelt“ und legt diejenigen Grundgegebenheiten frei, „die für Welt und Mensch im ganzen und immer schon gelten“68.
Nach dem Bewunderungsruf V. 24, der sich in vergleichbarer Weise auch im Großen Amarnahymnus (Z. 76–78, s. Q 27) findet, gerät schließlich noch das Meer in den Blick: 25 Da ist das Meer, groß und unermesslich weit, dort ist ein Gewimmel ohne Zahl, kleine Lebewesen mit großen. 26 Dort ziehen Schiffe dahin, Leviatan – diesen hast du gebildet, um mit ihm zu spielen.
Nachdem die Urflut, die die Erde anfangs wie ein Kleid bedeckte (V. 6), von JHWH ein für allemal zurückgedrängt wurde (V. 5 ff ), ist die Welt nach Ps 104 frei von jeder chaotischen Gegenmacht. Selbst Leviatan verkörpert nicht mehr wie in Ps 74,13 f u. a. die aggressive Gewalt des Meeres,69 vielmehr ist er im Meer, wo JHWH mit ihm „spielt“ (vgl. Hi 40,29) und ihn nicht etwa bekämpft. Die Friedlichkeit der ganzen Szenerie zeigt schließlich die Tatsache, dass die Schiffe unbehelligt von gefährlichen Begegnungen passieren können.70 Die theologische Reflexion V. 27–30 resümiert schließlich das Hymnencorpus V. 5–26 und bildet mit dem Aspekt der Lebensversorgung aller Geschöpfe „die wesentliche Sach- und Erfahrungsperspektive für das Psalmganze“71:
66
67 68
69 70
71
S. dazu auch Meinhold, Sprüche (ZBK.AT), 81 f; Schäfer, Poesie, 94; Schipper, Wissen, 487 ff; ders., Sprüche I (BK), 255 ff und Beyerle, Cosmos, 52 ff. Zur personifizierten Weisheit s. unten 437 ff. Meinhold, aaO 81, vgl. Schipper, Wissen, 503. Steck, Thesen, 283, vgl. Schipper, aaO 502 ff, der im Blick auf den Zusammenhang von V. 19 f mit V. 13–18 einerseits und V. 21–345 andererseits zu Recht die Verbindung von Erfahrungswissen („edukatives Wissen“) und Weltverstehen („kosmotheistisches Wissen“) hervorhebt. S. dazu oben 316 f. S. dazu Uehlinger, Schiffe, 499 ff. Dass dabei „Schiffe und Leviathan offenbar stellvertretend für die ‚großen Lebewesen‘ … des Meeres stehen“ (522, vgl. 499 Anm. 1), überzeugt allerdings nicht, vgl. Th. Krüger, Kosmo-theologie, 101 Anm. 47 und A. Krüger, Lob, 54 mit Anm. 104. Steck, Wein, 250.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 429
Angewiesenheit der Geschöpfe auf JHWHs Fürsorge 27 Sie alle warten auf dich, dass du ihnen Speise gibst zu ihrer Zeit:
Entfaltung I: Zuwendung und Abwendung JHWHs 28 Gibst du ihnen, so lesen sie auf, öffnest du deine Hand, so sättigen sie sich mit Gutem, 29 verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie;
28 positiv 29a negativ
Entfaltung II: Entzug und Gabe des Lebensatems nimmst du ihren Odem weg, so verscheiden sie [und kehren zurück in ihren Staub];72 30 sendest du deinen Odem aus, so werden sie geschaffen, und du erneuerst die Oberfläche des Erdbodens.
29b negativ 30 positiv
Konstitutiv für das Verständnis dieses Abschnitts ist „der Kreislauf von Vergehen und Werden der Geschöpfe sowie der konstante Aspekt der Lebenserhaltung durch Gott“73. Für V. 30b ist dabei zu beachten, dass das Verb ḥdš pi. („erneuern“) nicht eine Neuschöpfung, sondern die Erneuerung der Schöpfung meint. Das ist ein Unterschied. Es geht um die Erneuerung des Lebens, d. h. um „die Erneuerung von Fauna und Flora in der einen, konstant von Gott erhaltenen Schöpfung“74. Das theologische Resümee V. 27–30 ist auch deshalb bemerkenswert, weil mit V. 29 innerhalb des Psalms zum ersten Mal eine Ambivalenzerfahrung, nämlich die Erfahrung des Todes zur Sprache kommt, die in V. 30 allerdings „wieder integriert (wird) in die zuvor entwickelte Sicht des Kosmos: Der Tod ist die Kehrseite des stets neu Leben schaffenden Handelns Jahwes“75. Weitere Ambivalenzerfahrungen werden in der Majestätsschilderung II (V. 31 f ) – die Stabilität der kosmischen Ordnung kann nur durch JHWH selbst gefährdet werden – und vor allem im Abgesang (V. 33–35) artikuliert, wonach die Frevler, die es nun einmal gibt, „umkommen“ und es sie „nicht mehr geben“ möge (V. 35a): 31 Es sei die Herrlichkeit JHWHs in Ewigkeit, es freue sich JHWH an seinen Werken! 32 Der hinblickt zur Erde, so dass sie erbebt, er berührt die Berge, so dass sie rauchen. 72
Dieses Kolon dürfte ein auf Gen 3,19 zurückgehender Zusatz sein, vgl. Leuenberger, Konzeptionen, 190; Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 85 (Hossfeld) u. a. 73 Hossfeld/Zenger, aaO 86 (Hossfeld). Auch in Ps 135,25 ist von der Angewiesenheit aller Geschöpfe auf die lebenserhaltende Fürsorge des Schöpfers die Rede, s. dazu Gärtner, Geschichtspsalmen, 313 f. 74 Hossfeld/Zenger, ebd. (Hossfeld), vgl. Spieckermann, Heilsgegenwart, 45 mit Anm. 60 und Krüger, Lob 376 ff. ein anderes Konzept der Erneuerung der Welt begegnet in der zoroastrichen Kosmologie, s. Q 112. 75 Krüger, Kosmo-theologie, 102 (H. i. O.), vgl. 103 und Gärtner, aaO 313 f.
430 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 33 Ich will singen JHWH in meinem Leben, ich will spielen meinem Gott, solange ich bin. 34 Es möge ihm gefallen mein Dichten, ich, ich freue mich an JHWH. 35 Umkommen sollen Sünder von der Erde vgl. Ps 1,4 f und Frevler soll es nicht mehr geben! Segne, mein Leben, den JHWH! → V. 1aα Halleluja! Der Wunsch, dass die Sünder und Frevler von der Erde verschwinden mögen, wird nicht an JHWH gerichtet, sondern er ist „prinzipiell erfüllbar im Rahmen einer fortwährenden ‚Erneuerung‘ der Erde durch den Rhythmus von Sterben und Leben, wie sie V. 29–30 formulierte“76. Die kosmische Ordnung, wie sie Ps 104 so eindrücklich beschreibt, wird davon nicht nachhaltig tangiert.
Exkurs 11: Das Maß der Schöpfung Altes Testament: Albani, Werk, 237 ff ◆ Ders., Astronomie, 322 ff ◆ Beyse, Art. qaw, 1223 ff ◆
Fabry, Art. mādad, 695 ff ◆ Grund, Meßschnur, 66 ff ◆ Dies., Himmel ◆ Huber, Himmel, 228 ff ◆ Spieckermann, Heilsgegenwart, 60 ff. – Antike Religionen: Bakker, Art. qaw, 500 ff ◆ El Maaroufi, Ethik, 211 ff ◆ Jones, El’s Wonders, 37 ff ◆ Koch, Wohnstatt, 93 ff. – Kunstgeschichte, Philosophie, Systematische Theologie: Konersmann, Welt ◆ Lange, Kunst, 15 ff ◆ Link, Schöpfung 1, 365 ff. Der Schöpfungshymnus Ps 104 beschreibt eine Welt, deren Lebensräume samt den in ihnen heimischen Lebewesen im Sinn eines funktionierenden Ganzen einander zugeordnet sind. Als gemeinsamer Lebensraum aller Geschöpfe ist die Schöpfung „nicht nur die von Gott unterschiedene Welt, sie ist zugleich auch die vom Chaos unterschiedene und darum in Himmel und Erde, Meer und Land und – diese Grenze übergreifend – die in Tag und Nacht geschiedene Welt“77. Erst nachdem die Urflut, die am Anfang über den Bergen stand, vom Schöpfergott zurückgedrängt worden war und er ihr eine „Grenze“ (gebûl) gesetzt hat, die sie nicht überschreiten kann (Ps 104,5–9, vgl. Jer 5,22; Hi 38,8–11; Spr 8,27–29),78 kommt die Welt der Pflanzen, der Tiere und der Menschen in den Blick (V. 10 ff ). Man kann dieses Gesamtgefüge im Sinn des Wortes „maßvoll“ nennen. Was das bedeutet, soll im Folgenden anhand weiterer Textbeispiele konkretisiert werden.
Der göttliche Baumeister Ohne den elementaren Vorgang des Messens, Abwägens und Urteilens lässt sich kein Gebäude errichten, kein Handel treiben und kein öffentliches Leben organisieren. Die Praxis des Messens und der messenden Wissenschaften zeigt uns „die Welt in ihren Proportionen und physikalischen Eigenheit“, also als 76
Krüger, aaO 103 (H. i. O.), vgl. Sticher, Rettung, 249. Zum sekundären Charakter von V. 35a (vgl. Ps 1,4 f ) und V. 35b (redaktionelle Rahmung mit V. 1aα) sowie zur Redaktionskritik von V. 31–34 s. Leuenberger, aaO 190 f; Müller, Wettergott, 215 u. a. 77 Link, Schöpfung 2, 62 (H. i. O.), vgl. ders., Schöpfung 1, 368. 78 Zu diesem Topos s. oben 136 f.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 431
„ein berechenbares, zahlenmäßig erfassbares Ganzes. Demgegenüber stehen die Anforderungen der Alltagsmoral, wo es Abwägungen vorzunehmen und Entscheidungen zu treffen gilt, die, wenn sie angemessen sind, Bestand haben. Eine Moral, die gelebt und von Dauer sein will, verlangt nicht Rechenkünste und Maße, sondern etwas anderes, ungleich Einfacheres: ein Maß“79. Hinter diesen Anwendungsbereichen des Messens steht ein Vorstellungszusammenhang, der die Welt seit der Antike als einen geordneten Kosmos begreift: „Nichts anderes sollte mit der durch die Jahrhunderte getragenen Zusicherung gesagt sein, es sei ein Maß in allen Dingen. Weil dem so ist und der Mensch in dieses Gefüge eingebunden ist, sind ihm die Dinge zugänglich. Das Maß, von dem die Schriften der griechischen und römischen Philosophen sprechen, ist der Schlüssel zur Welt; es ist der modus, der den Geist des Menschen und die Ordnung der Dinge, der mens und mensura aufeinander bezogen sein lässt.“80 Diese Einsicht in den Aufbau der Welt als eines Relationengefüges81 beginnt aber nicht mit den griechischen und römischen Philosophen. Vielmehr setzt sie mit den vorhellenistischen Religionen der Antike (Ägypten, Mesopotamien, Israel) ein, und zwar im Zusammenhang mit dem Nachdenken über die regelhaften Abläufe in Natur und Gesellschaft.82 Die Grundannahme dabei ist, dass „der Schöpfer den Menschen mit der Welt auch das Maß gab“83, und die in dieses Gefüge eingebundenen Menschen Zugang zu den Dingen gewannen. Von dieser göttlichen Urheberschaft des Messens und des Maßes spricht etwa das Disputationswort Jes 40,12–17, das in der Auseinandersetzung mit der babylonischen Marduk-Religion das neue Gottesverständnis Deuterojesajas zu plausibilisieren unternimmt.84 Dabei folgt auf eine Kette von rhetorischen Fragen zur Abmessung des Schöpfungsganzen (V. 12–14) in V. 15–17 der Blick auf die Völker, die für JHWH, so V. 15, „wie ein Tropfen am Eimer“ und „wie Staub auf Waagschalen“ sind: 12 Wer hat gemessen (mādad) das Wasser mit seiner hohlen Hand und den Himmel mit der Spanne ermessen (tkn pi.), und erfasst (kwl qal) mit dem Dreimaß den Staub der Erde und gewogen (šāqal) mit der Waage die Berge und die Hügel mit Waagschalen?85
79
Konersmann, Welt, 9 (H. i. O.). Ders., aaO 219 f. 81 Vgl. Link, Schöpfung 1, 369 und ders., Schöpfung 2, 63. 82 S. dazu oben 133 f. 83 Konersmann, aaO 222. 84 S. dazu oben 297 f. 85 Zur Hintergrundsvorstellung von V. 12 s. den babyl. Ritualtext für das Neujahrsfest Taf. II, 24–26: „(24) Der über den Himmel geht, die Erde prüfend überblickt, (25) die Wasser des Meeres auslotet (madādu ‚messen‘), sich um die Bebauung des Kulturlandes kümmert, (26) der in Eʾudul (= Marduk-Tempel in Babylon) wohnt, Herr über Babylon, hehrer Marduk!“ (Übersetzung TUAT 2 [2005] 216 [W. Farber]). Z. 24 spielt dabei auf Enūma eliš IV 141 an, s. dazu Koch, Himmel, 94; Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 66 und zum Text Q 64. Dieses babyl. „Motiv der maßgebenden Prüfung des Geschaffenen“ ist in Jes 40,12 „zum Zweck der Überbietung aufgegriffen worden“ (Koch., aaO 95 im Anschluss an Albani, Gott, 130). Auch 80
432 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 13 Wer hat bemessen (tkn pi.) den Geist JHWHs und wer ist der Mann seines Rates, dass er ihn belehre? 14 Mit wem hat er sich beraten und wer hat ihm Einsicht gegeben und wer hat ihn belehrt über den Pfad des Rechts und wer hat ihn Erkenntnis gelehrt und ihn den Weg der Einsicht wissen lassen?86 Dieser Text, der dem Messen einer unendlichen Fülle – Wasser, Himmel, Staub der Erde, Berge und Hügel – mit Hilfe sehr kleiner Messinstrumente – manuell: hohle Hand, Spanne; instrumentell: Dreimaß, Waage und Waagschalen – Ausdruck verleiht, führt unweigerlich zu der Schlussfolgerung, dass kein anderer als der Schöpfer den gesamten Kosmos abmessen, abwiegen und erfassen kann. Demselben Gedanken ist innerhalb der Gottesreden des Hiobbuchs (Hi 38,1–42,6) auch der Abschnitt Hi 38,4–21 verpflichtet, der die Erschaffung und den Bau der Welt schildert und dabei auf mythische und naturkundliche Wissensstoffe zurückgreift. Im Einzelnen wird die Gründung der Erde (V. 4–7), das Hervorsprudeln und die Grenzen des Meeres (V. 8–11), die Morgenröte und der Tagesanbruch (V. 12–15), die Unterwelt und die Meerestiefen (V. 16–18) sowie der Ort von Licht und Finsternis (V. 19–21) genannt.87 Das Leitmotiv ist die Begrenzung und Stabilität des Kosmos, die vom Schöpfergott bei der Gründung der Erde eingerichtet wurde: 4 Wo warst du, als ich die Erde gründete? 4 Verkünde es, wenn du wirklich Einsicht hast! 5 Wer hat festgelegt ihre Maße (memad pl.)? 5 f Du weißt es ja! Oder wer hat ausgespannt über ihr eine Meßschnur (qaw)?88 6 Worauf sind eingesenkt ihre Pfeiler (ʾ adānîm), oder wer hat gesetzt ihren Eckstein (ʾæbæn pinnāh), 7 als miteinander jauchzten die Morgensterne 7 und frohlockten alle Göttersöhne?89
Zeitpunkt der Erdgründung Erschaffung der Erde mit Bildern aus dem Bauwesen
Kosmischer Lobpreis
Mit den Fragen von V. 4–6 wird Hiob aufgefordert, den eigenen Standort im Weltganzen zu bestimmen und anzuerkennen, dass nicht er, sondern allein Gott der Schöpfer aller Dinge ist. „Der Gottesrede (sc. von Hi 38,1 ff ) kommt dabei, wie der kosmologischen Fragenkette in Jes 40,12–14, eine mäeutische Funktion zu“90. Einen vergleichbaren Widerspruch gegen die anthropozentrische Weltsicht enthält der Schlusspassus von Hi 28. Auf die Frage nach der Herkunft und dem Ort der Weisheit (V. 20) gibt der Text die folgende Antwort: in ägypt. Hymnen ist mehrfach vom Ausmessen der Schöpfung als Akt des Schöpfergottes die Rede, s. als Beispiel den Magischen Papyrus Harris Assmann, ÄHG2 Nr. 129,23–25.59– 61.70–72. 86 S. dazu Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 131 ff und zur Übersetzung unten 491 f (Anhang I). 87 S. dazu auch oben 376 ff. 88 Zu memad pl. („Maße“) s. Fabry, Art. mādad, 707, zu qaw („Meßschnur“) s. im Folgenden. 89 Zur Textkritik und zur Auslegung s. Witte, Hiob (ATD), 596.614 ff. 90 Ders., aaO 614.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 433
23 Gott nahm ihren Weg wahr, und er selbst kennt ihren Ort. 24 Denn er selbst kann bis zu den Säumen der Erde blicken und alles, was sich unter dem Himmel regt, sehen. 25 Als er dem Wind das Gewicht (mišqāl) gab und das Wasser mit dem Maß (middāh) ausmaß (tkn pi.), 26 als er dem Regen eine Grenze (ḥoq) gab und den Gewitterwolken einen Weg (dæræk), 27 da sah er sie und zählte sie ab, richtete sie ein und erforschte sie. 28 Aber zum Menschen sagte er: „Siehe: Die Furcht des HERRN, das ist Weisheit, und sich vom Bösen fernzuhalten, ist Einsicht“.91 Die Weisheit erscheint hier wie auch in SapSal 11,20 als „kosmische Ordnungskategorie, als inneres Maß der Einrichtung der Welt“92. Gibt es für den Menschen einen Weg, um zu ihr zu gelangen? Ja, so die Antwort des Schlussverses V. 28: er besteht nicht in der Selbstermächtigung, sondern allein in der Gottesfurcht und im Meiden des Bösen.93
Die himmlische Meßschnur Unter den Ausdrücken für das göttliche Ab-/Ausmessen, Abwägen, Zählen und Erforschen der Schöpfungswerke94 kommt dem Terminus qaw „Meßschnur“ eine besondere Bedeutung zu. Das hängt nicht zuletzt mit der rätselhaften Aussage von Ps 19,5a zusammen, die den Einführungsabschnitt V. 2–5a abschließt und die zusammen mit V. 5b–7 im Folgenden im Vordergrund steht:95
Doxologische Rede des Himmels 2 Die Himmel (šāmajim) erzählen die Herrlichkeit Gottes, und das Werk seiner Hände verkündet das Firmament (rāqîaʿ). 3 Ein Tag lässt dem anderen Rede hervorsprudeln, und eine Nacht tut der anderen Wissen kund – 91 92 93 94
95
Zur Übersetzung und Textkritik vgl. ders., aaO 408 f; zum Text von Hi 28 s. unten 501 f (Anhang I). Ebach, Hiob II, 61, vgl. 62 und Witte, aaO 429. Zum Kontext von SapSal 11,20 („Aber du hast alles nach Maß und Zahl und Gewicht geordnet“) s. Q 151. Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten von V. 28 s. Ebach, aaO 63 f und Witte, aaO 430 f. S. dazu die Übersichten bei Fabry, Art. mādad, 695 ff; Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 131 ff u. a. Ein weiterer wichtiger Beleg neben Jes 40,12–14; Hi 38,4–7; Hi 28,23–28 und SapSal 11,20 ist Jer 31,35–37, s. dazu außer den Kommentaren noch Weippert, Schöpfer, 37 ff und Stipp, Jeremia II (HAT), 285 ff. Zur Übersetzung von Ps 19 s. unten 497 f (Anhang I). Im Anschluss an Grund, Himmel, 4 ff.60 ff. 71 ff gehe ich von der literarischen und konzeptionellen Einheitlichkeit des Psalms aus, vgl. auch Oeming, Suche, 249 ff; Böhler, Himmel, 82 ff; ders., Psalmen 1–50 (HThK.AT), 342 ff u. a. Anders Spieckermann, Psalmen I (ATD), 146 ff (V. 4: später Kommentar, V. 12–15: Ergänzung). Zur Hintegrundsvorstellung speziell von V. 5b–7 ist der Große Šamaš-Hymnus zu vergleichen, s.dazu auch Grund, aaO 201 ff und zum Text Q 71.
434 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 4 ohne Rede und ohne Worte, unhörbar ist ihre Stimme. 5a Auf die ganze Erde geht ihre96 Meßschnur (qaw) aus und bis ans Ende des Erdkreises ihre Worte.
Lauf der Sonne am Himmel 5b Der Sonne hat er an ihnen ein Zelt aufgerichtet. 6 Und sie ist wie ein Bräutigam, der aus seinem Brautgemach heraustritt, sie freut sich wie ein Held, zu laufen die Bahn. 7 Vom Ende des Himmels her ist ihr Ausgangspunkt und ihr Wendepunkt (ist) über seinen Enden, und nichts vor ihrer Glut verborgen. Der Text beginnt in V. 2–4 mit einem Passus, der ungewöhnlich formuliert ist. Denn was bedeutet es, dass die Himmel wie eine Person die Herrlichkeit Gottes „erzählen“ (spr pi.) und das Firmament das Werk seiner Hände „verkündet“ (ngd hif.)? Und was besagt der Zusatz, dass sie dies Tag und Nacht „ohne Rede und ohne Worte“ tun, so dass ihre Stimme unhörbar ist? Mit den beiden Wendungen von V. 2 dürfte „der Lobpreis zur Verherrlichung JHWHs“97 gemeint sein – dessen Adressaten aber weder die Erde noch die auf ihr lebenden Menschen sind. Vielmehr „ist es für den Tag der Tag und für die Nacht die Nacht – die kosmische Zeit redet ‚in sich‘, und geheimnisvoll ist eher, wie der textinterne Sprecher in Kenntnis dieser Unterredung kam, um es den Psalmrezipient/inn/en weiterzutradieren“98. Die geheimnisvolle Kunde des Himmels, die Tag für Tag und Nacht für Nacht ergeht, ist Ausdruck eines Geschehens, das die kosmische Ordnung in Gang hält (V. 2–7), das im Lobpreis der vom Schöpfer gegebenen Tora zur Geltung kommt (v. 8–11) und das dem Beter/der Beterin vor Augen steht (V. 12–15).99 Die Inganghaltung der Schöpfung beschreibt V. 5a mit der Metapher der Meßschnur (qaw), die von den Himmeln, ihren wortlosen Worten und ihrer unhörbaren Stimme (V. 4) ausgeht und bis ans Ende des Erdkreises reicht. „Das Firmament und die Himmelskörper“, so erklärt N. H. Ridderbos die Bedeutung von qaw, „erzählen vor allem dadurch von Gott, daß sie eine Meßschnur, eine Richtschnur verwenden, daß sie selbst Meß- und Richtschnur sind. Das Firmament setzt den Wassern Schranken, siehe Gen 1,6–8, vgl. auch Hi 38,8 ff. Vielleicht kann auch gesagt werden,
96
Bezugswort des pl. Suffixes ist šāmajim „Himmel“ in V. 2a. Dasselbe gilt für V. 5b, vgl. Grund, aaO 28 f. 97 Dies., aaO 136, vgl. 153 f: „Was dem Eingangsvers ein solches Gewicht verleiht, ist demnach nicht so sehr irgendein Mitteilungsgehalt dieses Lobpreises, sondern die Tatsache, dass ein sonst auf eine Theophanie und einen geschichtlichen Treueerweis antwortendes Lob als ständig gegenwärtiger Vorgang geschildert wird. Mit den partizipialen Wendungen des NS (= Nominalsatzes) wird über den Himmel ausgesagt, dass solche doxologische Rede seine fortwährend ausgeführte, wesentliche Aufgabe ist“. 98 Dies., aaO 162, s. zur Konkretisierung dies., aaO 331 ff. Zum Reden des personifizierten Himmels in V. 2 gibt es Sachparallelen im Alten Orient, s. als Beispiel den ugarit. Text KTU 1.3 III 20 ff (Q 104). 99 Zur Interpretation von V. 8–15 s. dies., aaO 213 ff.248 ff.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 435
daß das Himmelsgewölbe die Peripherie der Erde bestimmt, vgl. Hi 38,5. Die Himmelskörper bestimmen die Länge von Tag und Nacht, von Monaten, Jahreszeiten und Jahren, vgl. Gen 1,14 usw. Der Israelit hat sich stets darüber gewundert, daß das Weltall bestehen blieb, daß die Himmelskörper nicht vom Himmel herabfielen, vgl. Jes 34,4 u. a., sondern ihre festen Bahnen zogen, daß die Wasser die Erde nicht überschwemmten usw. Er hatte einen Blick für das Wohlgeordnete, die Zweckmäßigkeit des Weltalls. Und er erblickte darin die Offenbarung von Gottes Allmacht, Weisheit und Güte“100. Mit der Himmelsdoxologie, die „der Zeit ihre Struktur, nämlich den immerwährenden Rhythmus von Tag und Nacht zuteilt“101, wird, so Chr. Link, „jeder anthropozentrische Maßstab außer Kraft gesetzt“102. Das ist in der Tat „die Zumutung, der sich eine aus der biblischen Überlieferung lernende Schöpfungslehre heute ganz neu stellen muss“103.
Aspekte der Wirkungsgeschichte Die Ideen- und Wirkungsgeschichte des Motivs „Maß der Schöpfung“ ist erst noch zu schreiben. Dazu gehören nicht nur Belege in mesopotamischen,104 griechischen,105 qumran-essenischen106 und anderen antiken Texten, sondern auch Darstellungen in der mittelalterlichen Kunst.107 Auch im Koran begegnet dieses Motiv in mehreren Suren.108 Der zentrale Begriff ist dabei der Terminus mīzān „Waage, Gleichgewicht“,109 der sowohl eine kosmologische als auch eine ethische Bedeutung hat. Ein prominenter Text ist der Eingangshymnus in Sure 55,1–13: 1 Der Barmherzige. 2 Er lehrte den Koran. 3 Er schuf den Menschen. 4 Er lehrte ihn die klare Rede. 5 Die Sonne und der Mond sind zur Berechnung (ḥusbān) da.110 6 Die Sterne und die Bäume fallen nieder.
100 Ridderbos,
Psalmen, 177, vgl. Grund, aaO 172 f. Zu dem in Architektur, Landwirtschaft und Kunsthandwerk beheimateten Begriff qaw s. noch Beyse, Art. qaw, 1223 ff. Der Versuch von Albani, Werk, 243 Anm. 21; ders., Astronomie, 322 ff u. a., Ps 19,4 f mit der babyl. Astronomie in Verbindung zu bringen („Zeilen“ der Himmelsschrift, Konstellationen), überzeugt nicht, s. dazu Grund, aaO 168 ff und Böhler, aaO 340. 101 Grund, aaO 173, vgl. Böhler, aaO 345 f. 102 Link, Schöpfung 2, 68. 103 Ders., ebd. 104 S. dazu außer den Hinweisen oben 431 Anm. 85 noch die Aussage im babyl. Weltschöpfungsepos Enūma eliš V 1–24, dass Marduk das Jahr bestimmt und dessen „Grenze“ festgelegt hat (Z. 3), s. Q 66. 105 Ein Beispiel sind die Fragmente 30 und 31 von Heraklit, s. Q 132. 106 S. dazu Grund, aaO 171 f; Bakker, Art. qaw, 501 f und Jones, El’s Wonders, 37 ff. 107 Als Beispiel s. die Abbildung aus der Bible moralisée von 1245 n. Chr. auf dem Umschlag bzw. auf dem Frontispiz und unten 451. 108 S. dazu El Maaroufi, Ethik, 211 ff. 109 Zu den Belegen s. dies., aaO 211 Anm. 555. 110 Oder: „… folgen seiner Berechnung“, so Neuwirth, Koran 1, 588. Gemeint ist die Berechnung der Zeit.
436 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems 7 Den Himmel hob er in die Höhe und stellte die Waage (mīzān) auf, 8 auf dass ihr beim Wiegen (mīzān) nicht übertretet! 9 So setzt das Gewicht in Gerechtigkeit, und lasst die Waage (mīzān) nichts verlieren! 10 Die Erde machte er für die Geschöpfe. 11 Auf ihr sind Früchte und fruchtbeladene Palmen 12 und Korn auf Halmen und duftendes Gewürz. 13 Ja, welche Gnadengaben eures Herrn wollt ihr denn leugnen?111 Auf den Auftakt des Hymnus (V. 1–4) folgt die Darstellung der kosmischen Schöpfung und der „gottesdienstlichen Leistungen“112 der Sterne und Bäume (V. 5 f ) sowie der Passus zu Himmel und Erde (V. 7–12), in dem mit dem Instrument der Waage (mīzān) der Gedanke des Maßes in Natur (Sonne und Mond) und Gesellschaft (Vorgang des Wiegens) zum Ausdruck kommt. Hier erfüllt also mīzān „eine dezidiert ethische Funktion“113, insofern die Bestimmung, Maß zu halten, dem Menschen dazu dienen soll, Gott nachzueifern und ebenfalls Maß zu halten. Mīzān als Kriterium der islamischen Ethik „findet daher seinen Ursprung beim Schöpfer selbst: Gott“114 𓇼
2. Kosmotheistisches Wissen in der späten Weisheit Kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen, nämlich zu der Frage nach der weisheitlichen Erkenntnis der Welt als Ordnung zurück. Das Bemühen des Menschen, die Wirklichkeit „als Ordnung auf empirischem Wege zu verstehen“115, ist ein Grundanliegen der Weisheit, wie es in Spr 10,1–22,16; 25–29 in Form unterschiedlich gestalteter Weisheitssprüche zum Ausdruck kommt.116 Im Zentrum stehen dabei „die praktischen Fragen des Alltags, in dem sich der Mensch zurechtfinden muss und den er mit Hilfe der handlungsleitenden Sprüche und unterweisenden Mahnungen besser bewältigen können soll. Dahinter steht eine Anthropologie, die von der grundsätzlichen Bildungsfähigkeit des Menschen ausgeht: Weitergegebene Erfahrungen haben demnach einen Erkenntnisgewinn und eine Verbesserung der Bewältigung des Lebens mit seinen konkreten Herausforderungen zur Folge“117.
Es ist ein langer Weg, der von dieser Bestimmung der Weisheit bis zu ihrer sog. „Theologisierung“ in der späten Weisheitsliteratur führt. Entgegen der üblichen Annahme einer „Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen“118, d.h vom edu111 Übersetzung
Bobzin, Koran, 476, s. dazu auch Neuwirth, aaO 586 ff (mit dem Kommentar 594 ff ) und zum Gesamttext Q 183. 112 Neuwirth, aaO 596. 113 El Maaaroufi, Ethik, 213. 114 Dies., aaO 214, vgl. Sure 54,49; 57,25 u. ö. 115 Gese, Art. Weisheit, 1574, vgl. oben 413. 116 S. dazu beispielhaft Saur, Einführung, 43 ff und Schipper, Sprüche I (BK), 48 ff. 117 Saur, aaO 54. 118 Schipper, Wissen, 490.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 437
kativem oder auf Erfahrung gründendem Wissen zum kosmotheistischen oder auf das Weltbild bezogenen Wissen ist mit B. U. Schipper davon auszugehen, dass diese beiden Wissensformen „gleichsam zwei Seiten einer Medaille“119 sind. Spr 3,19 f.21 ff kann dabei als Beleg für die Verbindung von edukativem und kosmotheistischem Wissen gelten.120 Das gilt mutatis mutandis auch für die Texte zur personifizierten Weisheit, von denen im Folgenden die Rede ist. a) Die Weisheit als Schöpfungsmittlerin Altes Testament: Bauks/Baumann, Anfang, 24 ff ◆ Frankemölle, Frühjudentum,
150 f.179 ff ◆ Gese, Johannesprolog, 173 ff.182 ff ◆ Ders., Weisheit, 241 ff ◆ Huber, Himmel, 295 ff ◆ Janowski, Gottes Weisheit, 1 ff ◆ Ders., Einwohnung, 271 ff ◆ Leuenberger, Gott, 279 ff ◆ Ders., Weisheit, 65 ff ◆ Löning/Zenger, Anfang, 79 ff ◆ Marböck, Gottes Weisheit, 73 ff ◆ Saur, Einführung, 66 ff.103 ff ◆ Schäfer, Poesie, 218 ff. – Antike Religionen: Schipper, Wissen, 492 ff ◆ Ders., Sprüche I (BK), 19 ff.
Die Frage nach der Gegenwart Gottes in Israel hat das Alte Testament immer wieder umgetrieben. Die Antworten, die es darauf gibt, sind vielfältig. JHWH offenbarte sich nicht nur in Gewitter- oder Vulkanerscheinungen (Ex 19,16–20), sondern auch in der geheimnisvollen Stimme, die Elia am Gottesberg vernahm (1 Kön 19,11 ff ). Nach dem Tempelweihspruch von 1 Kön 8,12 f hatte JHWH sogar erklärt, im Dunkeln des Allerheiligsten wohnen zu wollen, und in spätnachexilischer Zeit wurde schließlich der Himmel sein Thron und die Erde der Schemel seiner Füße (Jes 66,1 f ).121 Diese Texte bezeugen eine Metamorphose des alttestamentlichen Gottesbilds, die in der antiken Religionsgeschichte ihresgleichen sucht. Integraler Bestandteil dieser Metamorphose ist auch die Schekina-Theologie, d. h. die Vorstellung, dass JHWH im Jerusalemer Tempel oder in seinem Volk „Wohnung genommen“ (šākan)122 habe und in dieser Weise in Israel gegenwärtig sei. In der spätnachexilischen Weisheitstheologie enthält die Vorstellung von der „Einwohnung Gottes“ schließlich Aspekte, die auf eine Personifizierung der Weisheit hinauslaufen und den Gedanken ihrer Schöpfungsmittlerschaft zum Ausdruck bringen.
119 Ders.,
aaO 505. Zu den Begriffen „edukatives Wissen“ und „kosmotheistisches Wissen“ s. ders., aaO 492 ff.499 ff; ders., Sprüche I (BK), 19 ff im Anschluss an Assmann, Weisheit, 241 ff. 120 S. dazu oben 427 f. 121 Zu Jes 66,1 f s. oben 344 ff. 122 Zur rabbinischen Schekina-Theologie s. Goldberg, Untersuchungen, ferner Kuhn, Selbsterniedrigung; Schäfer, Vorstellung; ders., Gottesbilder, 110 ff; Ernst, Schekîna u. a. Von einer Einwohnung der Gottheit im Kultbild ist bereits in mesopotamischen und ägyptischen Texten die Rede, s. dazu Janowski, Einwohnung, 248 ff mit der dort genannten Lit.
438 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems Der Begriff Schekina, der erst 70 n. Chr. bei den Rabbinen auftaucht,123 leitet sich vom Verb šākan „sich niederlassen, wohnen“124 ab und bedeutet „Einwohnung“ Gottes, nämlich im Volk Israel oder an einem bestimmten Ort, insbesondere im Tempel. Überblickt man die komplexe Geschichte der rabbinischen Schekina-Vorstellungen, so stellen diese den Versuch dar, Gottes Gegenwart in der Welt und in seinem Volk Israel in einem spezifischen Sinn zum Ausdruck zu bringen: „Ursprünglich wurde die Identität von ‚Gott‘ und ‚Schechina‘ aufrechterhalten: Gott ist seine Schechina, und die Schechina ist Gott. Doch finden wir im rabbinischen Judentum eine eindeutige Tendenz hin zu einer Personifizierung der Schechina, zuerst in Form einer poetischen Dramatisierung ohne besondere theologische Folgen, später jedoch in Gestalt einer eigenständigen Wesenheit neben Gott. Der Prozeß der Unterscheidung setzt innerhalb der rabbinischen Literatur ein, wenn auch auf spielerische und zwiespältige Weise, und gewinnt sein volles Gewicht in der späten rabbinischen und nachrabbinischen Zeit.“125
Traditionsgeschichtlich ist die personifizierte Weisheit als „Erbin der alttestamentlichen ‚Schechina‘“126 zu verstehen. Zur Verdeutlichung dieses Sachverhalts gehen wir von dem Weisheitsgedicht Spr 8,22–31 aus, weil dieser wohl aus dem 3. Jh. v. Chr. stammende Text127 als einer der frühesten Belege für die Personifizierung der Weisheit gilt. α) „Bevor Berge eingesenkt wurden“ (Spr 8,25) Im Unterschied zur älteren Spruchweisheit (Spr 10 ff ) und ihrem im Tun/Ergehen-Zusammenhang zum Ausdruck kommenden praktischen Lebenswissen geht die jüngere, theologisierte Weisheit davon aus, dass die Weisheit der Schöpfung eingestiftet ist und als Gabe des Schöpfers um Annahme durch die Menschen wirbt. Diese Verbindung bzw. Identifizierung von Weisheit und Offenbarung/Tora ist das Charakteristikum der Selbstvorstellungsrede der Weisheit in Spr 8, die in V. 22–31128 in Aussagen über ihre kosmische Bedeutung gipfelt:129 123 Ob
der Terminus Schekina älter ist und das Syntagma „ein Tempel, in dem du wohnst“ bzw. „ein Tempel deines Wohnens“ von 2 Makk 14,35 seinen Ursprung bildet, ist strittig, wenn auch nicht ganz unwahrscheinlich, s. dazu Goldberg, aaO 440 ff. 124 S. dazu die Hinweise oben 358 ff. 125 Schäfer, Gottesbilder, 138 f. 126 So Leuenberger, Weisheit, 65 ff. Zur alttestamentlichen Schekina-Theologie s. Janowski, Einwohnung, 253 ff. 127 Vgl. Leuenberger, Gott. 298. Redaktionsgeschichtlich dürfte Spr 8,22–31 an das bereits vorliegende Korpus der acht Lehrreden von Spr *3–7 angefügt worden sein, s. dazu Schipper, Sprüche I (BK), 94 ff (mit der Übersicht 116). 128 S. dazu Gese, Weisheit, 224 ff; Meinhold, Sprüche (ZBK.AT), 143 ff; Schipper, aaO 487 ff.523 ff u. a. Zum Vergleich von Spr 8,22 ff mit Gen 1,1 ff s. die Positionen von Bauks/ Baumann, Anfang, 24 ff einerseits und von Schipper, aaO 490 ff andererseits. Nach Schipper gibt es zwischen beiden Texten zwar Gemeinsamkeiten, diese werden aber unterschiedlich durchgeführt: Spr 8, 22 ff ist „als Text zu verstehen, der zwar auf Gen 1 zurückgreift, jedoch
§ 11 Schöpfung und Weisheit 439
Vorweltliche Erschaffung der Weisheit
Weisheit
22 JHWH schuf (qānāh) mich als Anfang (rešît) seines Wegs, als Frühestes (qædæm) seiner Werke seit damals (meʾāz), 23 von uralters her (meʿôlām) wurde ich gewebt (skk nif.),130 seit Anbeginn (meroʾš), seit den Urzeiten (qadmîm) der Erde.
von Gott geschaffen
Vorzeitigkeit der Weisheit vor den anderen Schöpfungswerken 24 Als es noch keine Urfluten gab, wurde ich geboren (ḥjl pol.), als es noch keine Quellen gab, schwer von Wasser, 25 bevor Berge eingesenkt wurden (ṭbʿ hof.), vor Hügeln wurde ich geboren (ḥjl pol.), 26 als er noch nicht gemacht hatte Erde und Ackerfluren und die ersten Erdkrumen des Erdkreises.
vor der Schöpfung passiv
Schöpfungshandeln JHWHs in Anwesenheit der Weisheit 27 Als er festmachte (kûn hif.) den Himmel, war ich dort, als er einritzte (ḥāqaq) den Horizont131 auf der Oberfläche der Urflut, 28 als er stärkte die Wolken von oben, als stark wurden die Quellen der Urflut, 29 als er setzte dem Meer seine Grenze,132 so dass die Wasser seinen Befehl nicht überschreiten,
bei der Schöpfung präsent
Spielende Weisheit als mediatrix Dei als er einritzte (ḥāqaq) die Grundfesten der Erde, 30 da war ich an seiner Seite als Schoßkind (?) / Gelehrter, Baumeister (?) (ʾāmôn),133 und ich war Entzücken (šaʿašuʿîm) Tag für Tag, spielend (meśaḥæqæt)134 vor ihm die ganze Zeit, 31 spielend (meśaḥæqæt) auf dem Kreis seiner Erde, und mein Entzücken (šaʿašuʿîm) war bei den Menschen.
in der Schöpfung aktiv
eine eigenständige Programmatik enthält, die der Begründung der besonderen Autorität der personifizierten Weisheit dient. Diese geht Welt und Mensch voraus und ist so dicht an Gott herangerückt, wie nur irgend möglich“ (aaO 493). 129 Zur Gliederung s. auch Schipper, aaO 487 ff (mit Referat alternativer Vorschläge). 130 meʿôlām kann man auch mit „von fernster Zeit her“ übersetzen, vgl. Ps 93,2 (//meʾāz) u. a. Zur Diskussion um die Herleitung von skk nif. s. Gese, Natus, 139 und zuletzt Schipper, aaO 525 f. 131 Zum Begriff „Horizont“ (ḥûg) und zur Horizontvorstellung s. oben 300 Anm. 40. 132 Zum Motiv der Begrenzung des Meeres s. oben 136 f. 133 Zu dem umstrittenen Begriff ʾāmôn s. Gese, aaO 226; Meinhold, aaO 134 Anm. 31; 147; Keel/ Schroer, Schöpfung, 220 f; Leuenberger, Gott, 293 f mit Anm. 44; Schipper, aaO 482.531 ff („beständig, kontinuierlich“) und Hartenstein, Kosmisierung (i. Dr.). 134 Oder: „scherzend“, s. dazu Keel, Weisheit, 25 ff.68 ff; Bartelmus, Art. śāḥaq/ṣāḥaq, 742 u. a. Schipper, aaO 482 übersetzt mit „frohlockend“.
440 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Die präexistente Weisheit (V. 22 f ), deren Vorzeitigkeit vor aller Schöpfung in V. 24–26 mit Hilfe von „als noch nicht“/„(be-)vor“-Wendungen135 und deren Gleichzeitigkeit mit der geschaffenen Welt durch „als“-Formulierungen136 ausgedrückt wird, erscheint nach V. 30 f als mediatrix Dei, d. h. als eine personale Gestalt, in der sich Gott an die Welt vermittelt und diese ihr Entzücken an der Schöpfungsweisheit hat. „In der Schöpfungsordnung“, so H. Gese, „vermittelt sich Gott an die Welt, und in der Erkenntnis der Weisheit kommt diese Vermittlung zum Ziel …. Die Sophia erscheint als mediatrix Dei. Jede Erkenntnis der Sophia auf seiten des Menschen führt zur Teilnahme an Gott. In ihr erschließt sich Gott dem erkennenden und denkenden Menschen. In der Welt ist der Mensch nicht absolut von Gott getrennt, sondern in der Erkenntnis der Schöpfungsordnung nimmt er teil am Werk der Schöpfung und ist der Welt nicht nur dumpf und bewußtlos unterworfen.“137
Insgesamt bestimmt das Weisheitsgedicht Spr 8,22–31 die personifizierte Weisheit „gegenüber der Welt und den Menschen als präexistentes und transzendentes Geschöpf “138. In hellenistischer Zeit vollzieht sich dann insofern eine weitere Transformation, als die Weisheitstheologie – Schöpfungskonzeptionen der (spät-)persischen und frühhellenistischen Zeit aufnehmend (Hi 28,20– 28; Spr 8,22–31) – die Frage nach dem „Ort“ der Weisheit in der Welt stellt und über die mediatrix Dei-Vorstellung von Spr 8,30 f hinausgehend offenba rungstheologisch beantwortet: Nach dem Willen des Schöpfers, so Sir 24, soll die Weisheit als göttliche Schekina in Jakob Wohnung nehmen und in Israel ihren Erbbesitz erhalten. β) „In Jakob nimm Wohnung!“ (Sir 24,8) Mit dem Sirachbuch aus dem ersten Viertel des 2. Jh.s v. Chr. erreicht die biblische Schekina-Theologie eine Prägnanz, die für die weitere Entwicklung von grundlegender Bedeutung ist.139 Der Text Sir 24,1–12 ist dabei sowohl sprachlich als auch theologisch einer der zentralen Brückentexte zwischen Frühjudentum und Urchristentum.
135 Die
Vorzeitigkeit wird durch beʾên/beṭæræm-Formulierungen ausgedrückt. Gleichzeitigkeit wird durch be + Inf.cs.-Formulierungen ausgedrückt. 137 Gese, aao 226, vgl. Bartelmus, aaO 742, der im Anschluss an Keel, ebd. davon ausgeht, „daß der weisheitliche Autor nicht eine bloße Hypostase, sondern ein reales weibliches Wesen als ‚scherzende‘ Begleiterin bei Gottes Schöpferhandeln anwesend denkt, die Gott durchaus ‚Wonne‘ bereitet und damit sein Schöpferhandeln beflügelt“. 138 Leuenberger, aaO 296, vgl. Schipper, aaO 539 f. 139 S. dazu Frankemölle, Frühjudentum, 169 ff. 136 Die
§ 11 Schöpfung und Weisheit 441
Kompositorische Aspekte Die Versuche, das Sirachbuch zu gliedern, haben bislang noch nicht zu einem tragfähigen Ergebnis geführt. Nach J. Marböck140 etwa weisen mehrere Indizien auf eine Struktur mit drei Teilen (1,1–23,27/28; 24,1–42,14; 42,15–51,30) und einem Rahmen (1,1–2,18 und 51,1–30) hin. Das Selbstlob der Weisheit in Sir 24 bildet diesem Vorschlag zufolge den Abschluss des ersten, mit dem programmatischen Weisheitsgedicht 1,1–10 einsetzenden Teils und zugleich, wie 24,32–34 zeigt, den Übergang zum zweiten Teil. „So steht“, wie G. Sauer formuliert, „wie ein tragendes Gerüst die Aussage über die Weisheit am Anfang, in der Mitte und am Ende des Buches“141. Auch nach O. Kaiser, der einen anderen Aufbau zugrunde legt,142 markiert Sir 24 die Mitte des Buchs, das seines Erachtens aber in zwei Hauptteile (Lehren Ben Siras: 1,1–43,33; Lob der Väter: 44,1–50,24) samt Prolog und Schluss (50,25–51,30) gegliedert ist. Die erste größere Einheit von Sir 24143 umfasst als Ich-Rede der Weisheit die V. 1–22, auf die in V. 23–34 das Schlusswort des Weisen, d. h. des Siraziden, folgt. Die Ich-Rede der Weisheit setzt nach einer Ankündigung ihres Selbstlobs (V. 1 f ) mit der Beschreibung ihres Ausgangs aus dem Mund des Höchsten ein (V. 3–8), schildert danach ihre intensive Suche nach einem Ruheort (V. 9–12) und lädt nach einer Darstellung ihres Wachstums (V. 13–18) die Menschen dazu ein, von ihren Früchten zu genießen (V. 19–22): I. Selbstlob der Weisheit 1–2 3–8 9–12 13–18 19–22
Ankündigung Weg durch die Schöpfung und Einwohnung in Jakob/Israel Einsetzung auf Zion und Verwurzelung im Volk Israel Bilder vom Wachstum und von den Früchten der Weisheit Einladung an die Menschen zur Annahme der Weisheit
II. Schlusswort des Weisen 23–29 Identifikation von Weisheit und Tora144 30–34 Autobiographische Notiz
Schöpfungstheologische Aspekte Der Abschnitt V.1–12, der im Folgenden im Zentrum steht, schildert nach einer Ankündigung ihres Selbstlobs (V. 1 f ) den Weg der Weisheit – die von Anfang an in einem personalen Verhältnis zu Gott steht (V. 3 f )145 – durch den Kosmos und 140 S.
dazu Marböck, Weisheit, 41 ff, vgl. ders., Gottes Weisheit, 77 und Zenger u. a., Einleitung, 505 ff (J.Marböck). 141 Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 35, vgl. 179. 142 S. dazu Kaiser, Weisheit, 130 f. 143 S. die Übersetzung unten 502 ff (Anhang I). 144 S. dazu Grund, Himmel, 348 ff. 145 Zur „Personifizierung“ der Weisheit s. Gese, Weisheit, 223 f; von Lips, Traditionen, 153 ff; Leuenberger, Gott 279 ff u. a.
442 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
die Menschenwelt (V. 5–7) bis zu ihrer Einwohnung in Jakob/Israel (V. 8), wo sie im heiligen Zelt auf dem Zion Dienst tut und endgültig Wurzeln im Volk Israel schlägt (V. 9–12): I. Ankündigung 1 Die Weisheit lobt sich selbst, und inmitten ihres Volkes rühmt sie sich. 2 In der Versammlung des Höchsten öffnet sie ihren Mund, und vor seiner Macht rühmt sie sich:
II. Weg der Weisheit durch die Schöpfung 3 „Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor und wie ein Nebel bedeckte ich die Erde. 4 Ich nahm Wohnung in den Höhen, und mein Thron stand auf einer Wolkensäule. 5 Den Kreis des Himmels umschritt ich allein, und in der Tiefe der Abgründe wandelte ich umher. 6 Über die Wogen des Meeres und über die ganze Erde, und über jedes Volk und jede Nation herrschte ich. 7 Bei allen diesen (sc. Völkern) suchte ich Ruhe und in wessen Erbteil ich weilen könnte. 8 Da befahl mir der Schöpfer des Alls, und der, der mich erschaffen, stellte mein Zelt hin, und sprach: ‚In Jakob nimm Wohnung und in Israel nimm Erbbesitz!‘
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„aus dem Mund des Höchsten …“
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„von Ewigkeit her …“
Ziel: Einwohnung in Israel
„in Jakob / in Israel …“
III. Wirken der Weisheit in der Geschichte 9 Von Ewigkeit her, am Anfang, erschuf er mich, und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht. 10 Im heiligen Zelt tat ich vor ihm Dienst, und so wurde ich auf Zion fest eingesetzt. 11 In der Stadt, die er gleicherweise liebt, ließ er mich ruhen, und in Jerusalem ist mein Machtbereich. 12 Und ich schlug Wurzeln in einem Volk, dem Herrlichkeit verliehen ward, im Anteil des Herrn, in seinem Erbbesitz.“146
Ziel: Verwurzelung in Israel
„in einem Volk …“
Während V. 3–8 durch Verben der Bewegung („hervorgehen“, „umkreisen, umschreiten“, „umherwandeln“, „Ruhe suchen“) charakterisiert ist, so V. 9–12 durch Verben der Ruhe und des Feststehens („Dienst tun“, „fest eingesetzt werden“, „ruhen lassen“, „Wurzeln schlagen“).147 An der Grenze zwischen diesen beiden Seinsweisen der Weisheit – ihrem Weg durch die Schöpfung auf der Suche nach einem Ruheplatz (V. 3–7) und ihrem Wirken in der Geschichte an einem konkre146 Übersetzung 147 Vgl.
Marböck, Gottes Weisheit, 74. ders., aaO 78.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 443
ten Ort (V. 9–12) – wird mit V. 8 der entscheidende Hinweis darauf gegeben, dass die Bewegung der Weisheit zur Ruhe kommt (vgl. V. 7), indem der Schöpfer ihr „Zelt“ (σκηνή ≈ ʾohæl/miškān) an einen bestimmten Ort hinstellt und deklariert: „In Jakob nimm Wohnung und in Israel nimm Erbbesitz!“ Diese Anordnung, die nicht nur die Klimax von V. 3–8, sondern auch die Spitzenaussage des gesamten Kapitels darstellt, lässt sich als Sapientalisierung der alttestamentlichen SchekinaTheologie verstehen. Traditionsgeschichtlich knüpft Sir 24,3–12 an bestimmte Aspekte von Spr 8,22–31 (und Hi 28,20–28) an,148 geht im Übrigen aber darüber hinaus. Die größte Differenz besteht in der Verbindung von Schöpfung und Geschichte in Sir 24,3–12 (V. 3–8/V. 9–12) gegenüber der Vermittlung der Weisheit an die Menschen ohne Zuspitzung auf Israel in Spr 8,30 f.149 Diese interpretatio israelitica der Schöpfungsweisheit geht deutlich aus Sir 24,3–8 hervor, wo sich der Weg der Weisheit von der Totalität der Schöpfung (V. 5–6a) über alle Menschen (V. 6b.7) auf Jakob/Israel (V. 8) einengt:150 3 „Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor und wie ein Nebel bedeckte ich die Erde. 4 Ich nahm Wohnung (κατασκηνοῦν) in den Höhen, und mein Thron stand auf einer Wolkensäule.
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Ursprung: Mund des Höchsten
5 Den Kreis des Himmels umschritt ich allein, und in der Tiefe der Abgründe wandelte ich umher. 6 Über die Wogen des Meeres und über die ganze Erde, und über jedes Volk und jede Nation herrschte ich.
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Weg: Kosmos/ alle Völker
7 Bei allen diesen (sc. Völkern) suchte ich Ruhe und in wessen Erbteil ich weilen könnte. 8 Da befahl mir der Schöpfer des Alls, und der, der mich erschaffen, stellte mein Zelt (σκηνή μου) hin, und sprach: ‚In Jakob nimm Wohnung (κατασκηνοῦν) und in Israel nimm Erbbesitz!‘“
vergebliche Suche nach einem Ruheort ⎫ ⎪ ⎪ ⎬ ⎪ ⎪ ⎭
Ziel: Einwohnung in Jakob/Israel → Inclusio V.12
Der Weg der Weisheit aus der unmittelbaren Nähe Gottes (V. 3 f ) zu einem konkreten irdischen Ort (V. 8)151 bildet das geheimnisvolle Zusammenspiel von 148 Und
zwar besonders im Blick auf die Vorgeschöpflichkeit der Weisheit (Spr 8,22 f.24–26/ Sir 24,3 f.9) und auf ihre Anwesenheit bei der Schöpfung (Spr 8,27–29/Sir 24,5 f ), s. dazu ders., Weisheit, 55 f.61; ders., Gottes Weisheit, 79 u. a. Zum Vergleich zwischen Hi 28 (keine deutliche Personifizierung der Weisheit, s. die Übersetzung unten 501 f [Anhang I]) und Spr 8,22 ff s. Gese, Weisheit, 223 ff; Leuenberger, aaO 285 ff; Oeming, Hiob, 149 ff; Huber, Himmel, 320 ff und Witte, Hiob (ATD), 432 ff. 149 Vgl. Marböck, Weisheit, 56. 150 Zur Theologie der „Gegenwart Gottes“ in Sir 24 s. ders., aaO 46; ders., Gottes Weisheit, 78; Gilbert, L’éloge, 348 und Gese, Johannesprolog, 182 f. 151 Zu V. 3–8 als Stanze, die durch den Aspekt der Bewegung (V. 3: „aus dem Mund des Höchsten …“ → V. 8: „in Jakob/Israel …“) zusammengehalten wird, vgl. auch Gilbert, aaO 330 f.
444 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Transzendenz (Hervorgehen aus dem Mund Gottes) und Immanenz (Einwohnung in Jakob/Israel) und damit die Kondenszendenz der göttlichen Weisheit ab. Dieser Weg beginnt – der Struktur von Gen 1,1–2,4a (V. 3–5!) und Ps 104 (V. 1–4!) entsprechend152 – ‚oben‘, d. h. „in den Höhen“ // „auf einer Wolkensäule“ (V. 4),153 wo die Weisheit zuerst „Wohnung nimmt“ (κατασκηνοῦν ≈ šākan, vgl. V. 8b), um von dort aus in vertikaler Richtung (Komposita mit κατα-) den Weg über den Horizont („Kreis des Himmels“) nach ‚unten‘ bis zum Abyssos („Tiefe der Abgründe“) und weiter in horizontaler Richtung bis zu allen Völkern der Erde zu nehmen (V. 5–6a/V. 6b). Und er kommt schließlich, weil die „Ruhe“ (ἀνάπαυσις ≈ menûḥāh) bei keinem dieser Völker gefunden wird (V. 7),154 an einem Ort zum Ziel, der aufgrund des Zusatzes „in Jakob//in Israel“ das Spezifikum dieser Traditionsbildung ausmacht, insofern er gegenüber Spr 8,30 f (vgl. „bei den Menschen“ V. 31b) die Korrelation von Weltschöpfung und Israelgeschichte155 ins Zentrum rückt. „Damit ist bei Ben Sira und im Weisheitsdenken Israels überhaupt zum ersten Mal der Schritt auf eine Lokalisierung und Eingrenzung der eben noch universal waltenden Weisheit hin getan.“156 Die präexistente Weisheit (V. 9) ist jetzt im „heiligen Zelt“ auf dem Zion wirksam, wo sie dem Höchsten dient und so zu ihrer „Ruhe“ kommt (V. 10 f ). Abschließend werden die Themen von V. 7 f (Israel als Volk Gottes, Erbbesitz) durch die inclusio von V. 12 wieder aufgegriffen: 9 „Von Ewigkeit her, am Anfang, erschuf er mich, und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht. 10 Im heiligen Zelt (ἐν σκηνῇ ἁγία̩) tat ich vor ihm Dienst, und so wurde ich auf Zion fest eingesetzt. 11 In der Stadt, die er gleicherweise liebt, ließ er mich ruhen, und in Jerusalem ist mein Machtbereich. 152 Zum
Präexistenz und Ewigkeit → Sir 1,1.4 ⎫ ⎪ ⎪ ⎬ ⎪ ⎪ ⎭
Kult im Tempel und Ruhen in der Stadt Jerusalem
Vergleich zwischen Ps 104 und Sir 24 s. Hossfeld, Schöpfungsfrömmigkeit, 132. Hinweis auf Sir 24,9 („vor aller Zeit“); Ex 25,8–10 und 26,30 fragt Marböck, Gottes Weisheit, 79 mit Anm. 21 m. E. zu Recht, ob „vielleicht sogar angedeutet (ist), dass sie (sc. die Weisheit) im himmlischen Modell des Heiligtums gewohnt hat, das in Zelt und Tempel in Israel Wirklichkeit wird“. 154 Vgl. äthHen 42,1–3, wo die Weisheit allerdings wieder an ihren himmlischen Ort zurückkehrt, weil sie keinen Ort in der Welt findet (vgl. äthHen 84,3: die Weisheit als Thronbeisitzerin Gottes): „(1) Die Weisheit fand keinen Platz, wo sie wohnen konnte, da hatte sie eine Wohnung in den Himmeln. (2) Die Weisheit ging aus, um unter den Menschenkindern zu wohnen, und sie fand keine Wohnung; die Weisheit kehrte an ihren Ort zurück und nahm ihren Sitz unter den Engeln. (3) Und die Ungerechtigkeit kam hervor aus ihren Kammern: die sie nicht suchte, fand sie, und wohnte unter ihnen, wie der Regen in der Wüste und wie der Tau auf dem durstigen Land“ (Übersetzung S. Uhlig, JSHRZ V [2003] 584), s. dazu auch Gese, Weisheit, 231 und Löning/Zenger, Anfang, 107 ff. 155 Zur „Weisheit in der Geschichte Israel nach dem Siraziden“ s. Marböck, Weisheit, 68 ff. 156 Ders., aaO 62. Gilbert, L’éloge, 331 nennt den Weg der Weisheit V. 3–8 treffend „un mouvement de descente et de concentration“. 153 Unter
§ 11 Schöpfung und Weisheit 445
12 Und ich schlug Wurzeln in einem Volk, dem Herrlichkeit verliehen ward, im Anteil des Herrn, in seinem Erbbesitz.“
Verwurzelung in Israel → Inclusio V.7 f
Als Hintergrund für diese neue Form der Schekina-Theologie kommt nicht nur die alttestamentliche menûḥāh- und naḥalāh-Tradition von Dtn 12,9 f; 25,19 und Ps 132,7 f.14,157 sondern auch die priesterliche Schekina-Tradition in Frage, für die – ebenso wie für Sir 24,1–22 – der Zusammenhang von Schöpfung und Tempel konstitutiv ist.158 b) Die Inkarnation des Schöpferwortes (Joh 1,14–18) Bühner, Art. σκηνόω, 603 f ◆ Gese, Johannesprolog, 154 ff ◆ Hofius, Struktur, 1 ff ◆ Janowski, Einwohnung, 279 ff ◆ Löning/Zenger, Anfang, 90 ff ◆ Müller, Menschwerdung, 40 ff ◆ Schimanowski, Weisheit, 53 ff ◆ Scholtissek, Immanenz, 189 ff ◆ Theobald, Anfang, 102 ff.
Das Weisheitsgedicht Sir 24,1–22 stellt eine kühne Synthese und zugleich eine Zuspitzung der alttestamentlichen Theologie(en) dar.159 Auf der anderen Seite ist dieser Text eine traditionsgeschichtliche Brücke zur Inkarnationschristologie des Johannesprologs, insbesondere zu Joh 1,14: Καὶ ὁ λόγος σάρξ ἐγένετο καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡμῖν καὶ ἐθεασάμεθα τὴν δόξαν αὐτοῦ δόξαν ὡς μονογενοῦς παρὰ πατρός πλήρης χάριτος καὶ ἀληθείας Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns,160 und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Einziggeborenen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit.
Wie im Alten Testament die Vorstellung von der Einwohnung JHWHs auf dem Zion, unter den Israeliten oder in Jerusalem mit dem Leitverb šākan ausgedrückt wird, so wird auch im Johannesprolog161 jene Bewegung des Logos von seinem
157 S.
dazu Gese, Johannesprolog, 182 f; ders., Weisheit, 228; Marböck, ebd.; ders., Gottes Weisheit, 80 und Scholtissek, Immanenz, 102. 158 S. dazu oben 357 ff. In diese Richtung gehen offensichtlich auch die Andeutungen bei Marböck, Weisheit, 64; ders., Gottes Weisheit, 79 f, vgl. Gese, Weisheit, 228. 159 Zur Gesamtentwicklung s. Janowski, Einwohnung, 253 ff. 160 Hofius, Struktur, 22 mit Anm. 132 übersetzt ingressiv: „nahm Wohnung“, vgl. Theobald, Johannes I (RNT), 102 u. a. 161 Zu den hier interessierenden Aussagen des Johannesprologs s. Gese, Johannesprolog, 152 ff; ders., Weisheit, 87 ff; Theobald, Anfang, 102 ff; ders., Johannes I (RNT), 126 ff; Marböck, Gottes Weisheit, 86 f; Schimanowski, Weisheit, 53 ff; Hofius, aaO 1 ff; Müller, Menschwerdung, 40 ff; Löning/Zenger, Anfang, 90 ff; Scholtissek, Immanenz, 189 ff u. a.
446 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
Sein bei Gott/in der Schöpfung (1,1–5)162 hin zu seiner spezifischen Anwesenheit unter den Menschen als „wohnen/Wohnung nehmen“ (σκηνοῦν ≈ šākan)163 bezeichnet. Und wie im Alten Testament wird das, was die Gegenwart des göttlichen Logos kennzeichnet, als dessen „Herrlichkeit“ (δόξα ≈ kābôd) bestimmt. Diese „sehen“ die Wir und erkennen darin die Gegenwart des lebendigen Gottes, der sich in seinem Sohn inkarniert hat.164 Ob man die Menschwerdung des Logos im Sinne einer „Ersetzung“ des Tempels durch Christus oder als „Vollendung“ des alttestamentlichen Offenbarungsgeschehens versteht (für beide Deutungen gibt es prominente Vertreter) – festzuhalten bleibt, dass die Gegenwart Gottes im fleischgewordenen Logos ihre ursprüngliche Bindung an den Tempel/Kult, die das Kennzeichen der alttestamentlichen Schekina-Theologie ist, transzendiert und in Jesus Christus menschliche Gestalt angenommen hat.165 Darin liegt das Neue der johanneischen Inkarnationschristologie, die aber – bei aller Differenz – ohne den Rekurs auf die alttestamentliche Schekina- und die frühjüdische Weisheits-Theologie nicht zu verstehen ist.166 Der Bezug von Joh 1,14 zum Alten Testament (und zum Frühjudentum) kann allerdings nur als ein dialektischer bezeichnet werden. denn das Wort Joh 1,14, so H. Seebaß, „unterscheidet … sich von allen nur denkbaren Sätzen des Alten Testaments, weil dies von keinem seiner Großen sagen könnte: das Wort ward Fleisch. Das Wort geht also einerseits über das alttestamentliche Denkbare in schockierender Weise hinaus, weil es Gott in einem ungeheuer eindeutigen Bezug zu einem ganz bestimmten Menschen sieht, in dem das Wort Fleisch ward. Andererseits haftet es gerade mit seiner Grundvorstellung ganz im Gottesverstehen des Alten Testaments.“167
Die eigentliche Aussageabsicht von Joh 1,14 dürfte darin zu sehen sein, dass sich der Logos, der im Anfang bei Gott war (Joh 1,1 f ), erniedrigt hat und Mensch geworden, d. h. in die volle Kreatürlichkeit des Menschseins eingetreten ist. Nach rabbinischem Verständnis nimmt Gott zwar einzelne Züge einer irdischen Existenz an, doch ist er nie in einer endgültigen Weise „Fleisch geworden“ und hat so „unter uns Wohnung genommen“.168 Das aber ist die Sinnspitze von Joh 1,14. Der göttliche Schöpfungslogos hat in einem geschichtlich begrenzten Leben, in
162 Zum
Verständnis dieser Anfangsverse s. Gese, Johanesprolog, 161 ff und Theobald, Johannes I (RNT), 108 ff. 163 S. dazu Bühner, Art. σκηνόω, 603 f; Hofius, aaO 22 mit Anm. 132 u. a. 164 Vgl. Hofius, aaO 22 f. 165 Darin liegt die differentia specifica zwischen Joh 1,14 und der alttestamentlich-frühjüdischen Schekina-Theologie, vgl. Scholtissek, aaO 91 und Frankemölle, Frühjudentum, 199. 166 Zu den motivlichen Verbindungen zwischen dem Johannesprolog und frühjüdischen Weisheitstexten s. Theobald, Anfang, 102 ff. 167 Seebaß, Gott, 50, vgl. 217 f, ferner Müller, Menschwerdung, 50 f u. a. 168 Zur rabbinischen Schekina-Theologie s. die Hinweise oben 437 Anm. 122.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 447
Jesus dem Christus, seine eschatologische Gestalt gefunden, die als „Herrlichkeitserscheinung“ offenbar wurde, indem sie „unter uns Wohnung nahm“.169 Das Sehen dieser Herrlichkeit wird vom Text als Wahrnehmung der im Sohn vollkommen repräsentierten Offenbarung des Vaters beschrieben. Damit wird die alttestamentliche Schekina-Tradition, die schon mit Sir 24,1–22 eine umfassende Transformation erfahren hatte, noch einmal transformiert, indem Jesus Christus zum fleischgewordenen Schöpferwort wird, das „unter uns wohnte“: „Die Herrlichkeit Gottes wird jetzt geschaut in der Einwohnung des Logos in der Schöpfung. Dadurch daß der Logos selbst Geschöpf wird, wird Gottes Herrlichkeit unter den Menschen sichtbar“170.
3. Fazit: Die Erfahrung der Welt als Schöpfung Jede Kultur verfügt über spezifische Weisen der Welterfahrung und über Zeichensysteme (Sprache und Bilder), um diese Erfahrung zum Ausdruck zu bringen. Der Begriff „Welterfahrung“ bezeichnet „den dauernden Umgang und die daraus resultierende Vertrautheit mit dem Ganzen der eigenen Lebenswelt“171. Im alten Israel wie in den meisten Kulturen der Antike gehören dazu die Erfahrung von Raum und Zeit,172 die Beobachtung der regelhaften Abläufe in Natur und Gesellschaft,173 die Korrelation von Ordnungserkenntnis und Menschenbild (Tun/Ergehen-Zusammenhang),174 aber auch die Bezüge auf die hinter diesen Erscheinungen der Erfahrungswirklichkeit liegenden weltbildhaften Strukturen und ihre symbolischen Ausdrucksformen (Religiöses Symbolsystem). Beide Wissenskonzepte, das Erfahrungswissen (a) und das kosmotheistische Wissen (b),175 finden sich in prägnanter Weise in den alttestamentlichen Weisheitstexten. Weisheit als Erfahrungswissen Was Erfahrungswissen heißt, lässt sich vor allem der älteren Spruchweisheit und ihren Sentenzen (Spr 10 ff; 25 ff ), aber auch entsprechenden Aussagen in den jüngeren Weisheitsbüchern Hiob, Prediger und Sirach entnehmen.176 Mit Erfahrungswissen ist praktisches Lebenswissen gemeint, das Ordnungen aus empirischer Beobachtung deduziert, um daraus Normen für das eigene Handeln 169 Vgl.
Theobald, Anfang, 53 ff.118 ff. Anfang, 101. 171 Dietrich, Welterfahrung, 69. 172 S. dazu Weippert, Welterfahrung, 179 ff und Janowski, Anthropologie, 317 ff.361 ff. 173 S. dazu oben 19.133 f. 174 S. dazu Koch, Vergeltungsdogma, 65 ff und im (kritischen) Anschluss daran Gese, Lehre, 33 ff; Assmann, Maʾat, 58 ff; Janowski, Tat, 167 ff; Grund, Art. Tun-Ergehens-Zusammenhang, 654 ff; Köhlmoos, Leben, 331 ff u. a. 175 Zu dieser Begrifflichkeit s. oben 436 f. 176 S. dazu den Überblick bei Hermisson, Schöpfungstheologie, 269 ff u. a. 170 Löning/Zenger,
448 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems
zu gewinnen. Einschlägig dafür ist der Tun/Ergehen-Zusammenhang. Danach ist alles Handeln so miteinander verknüpft, dass die Tat im Guten wie im Schlechten zum Täter zurückkehrt und ihn mit den Folgen seines Tuns konfrontiert. Der locus classicus dieses Handlungsprinzips ist Spr 26,27: Wer eine Grube gräbt – in sie fällt er hinein, und wer einen Stein wälzt – zu ihm kehrt er zurück (šûb qal).
Diese Sentenz – und die vergleichbaren Sprüche Spr 25,19; 26,28; 28,1 u. a. –, besagt nicht, dass die Tatfolge sich von selbst, gleichsam „naturgesetzlich“177 einstellt, sondern nur, dass sie mit Sicherheit eintrifft. Worauf es ankommt und was die Erfahrung lehrt, ist die Regelhaftigkeit und Verlässlichkeit des beschriebenen Handlungsmusters. Dazu zählen auch die sog. Naturvergleiche des Sprüchebuchs, die deutlich machen, dass die Ordnungen im geschichtlich-sozialen Bereich sich nicht grundsätzlich von denen im natürlichen Bereich unterscheiden.178 Wer Unrecht sät, wird Unheil ernten, und der Stecken seines Zorns wird ein Ende haben (Spr 22,8) Nordwind bringt Regen, aber erzürnte Gesichter eine verborgene Zunge. (Spr 25,23)179
Der Mensch wird danach „an der Welt, in die er eingefügt ist, gemessen, und was der Mensch ist, läßt sich erst in ‚Bildern‘ aus dieser ihn umgebenden Welt zur Sprache bringen“180. Von dieser Eingebundenheit des Menschen in die Gemeinschaft der Geschöpfe und die Erscheinungen der natürlichen Lebenswelt (Wasser, Berge, Täler, Pflanzen, Bäume) ist in eindrücklicher Weise in Ps 104,10– 23 die Rede.181 Im Unterschied zur objektivierend-verwertenden Naturwahrnehmung erscheint hier die natürliche Welt „nicht als etwas Neutrales, dem der Mensch gegenübersteht und gemäß eigener Zielsetzungen und Ansprüche darin allererst selbst Sinn und Wert zu verwirklichen hätte, sondern als Tun Gottes, der den Himmel ausspannt, die Erde gründet, die Flüsse auf ihren Weg schickt, Pflanzen wachsen läßt, Gestirne gibt – Tun Gottes, in sich sinnhafte und vertrauenerweckende, dem Menschen vorgegebene Einrichtungen, die allererst Folgetaten der Wasser, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen möglich machen …“182. 177 Koch,
aaO 67. Koch hat diese Qualifizierung später korrigiert, s. dazu die Nachweise bei Janowski, Tat, 176 Anm. 48. 178 S. dazu Gese, aaO 34 f und Hermisson, Studien, 140 f.149 ff. 179 Vgl. ferner Spr 26,20 f. In keinem dieser Texte geht es im strengen Sinn um einen Naturvergleich, s. dazu Meinhold, Sprüche ZBK.AT), 368 f.432.445; Janowski, aaO 181 f und Hausmann, Menschenbild, 234 ff. 180 Hermisson, aaO 151, vgl. Gese, aaO 35. 181 S. dazu oben 418 ff. 182 Steck, Wein, 242.
§ 11 Schöpfung und Weisheit 449
Abgeschlossen wird der Abschnitt Ps 104,10–23 durch den Bewunderungsruf V. 24: Wie zahlreich sind deine Werke, JHWH, sie alle hast du mit Weisheit (ḥåkmāh) gemacht, voll ist die Erde von deinem Eigentum.
Die Schöpfungswerke, so die Pointe dieses Verses, stehen in einer sinnvollzweckhaften Beziehung zueinander, weil sie alle vom Schöpfer „mit Weisheit“ gemacht worden sind (vgl. Spr 3,19 f ).183 Die weisheitliche Schöpfungstheologie hat demnach „ihren Ort und ihre besondere Funktion in enger Verbindung mit der Praxis von Erkenntnis (sc. der Ordnung) und Menschenbildung“184. Erfahrungswissen und Weltverstehen In der Forschung war es allerdings lange Zeit Konsens, dass die ältere Spruchweisheit ursprünglich ganz profan war, während die jüngere Weisheit von Hi 28; Spr 3,19 f; 8,22–31; Sir 24 u. a. deren späte „Theologisierung“ darstellt.185 Diesen Konsens hat bereits G. von Rad in Frage gestellt, indem er die Meinung kritisierte, „daß sich der Glaube Israels in diesen (sc. späten) Texten zu Spekulationen verstiegen habe, also zu Aussagen, die den Bereich der religiösen Erfahrung verlassen haben und die vielmehr das Ergebnis einer deduzierenden und abstrahierenden geistigen Gestaltungskraft sind“186.
Von einer erfahrungsunabhängigen Weisheitsspekulation ist schon deshalb nicht zu sprechen, weil das weisheitliche Weltverstehen auf der „Vorstellung einer in die Welt eingesenkten Ordnung“187 beruht, die in Ägypten als maʾat „Ordnung, Wahrheit, Gerechtigkeit“ und im Alten Testament als ṣædæq/ṣedāqāh „Gerechtigkeit“ bezeichnet wird188 und die auch für die ältere Spruchweisheit der maßgebliche Bezugsrahmen ist. Die Beobachtung dieser Ordnung „legt Muster für ein von Reziprozität und Konnexität gekennzeichnetes Handeln und Verhalten in allen sozialen und religiösen Beziehungen frei“189. Von einer derartigen Spekulation hätte man, so das Argument G. von Rads, auch deshalb „nicht sprechen sollen, weil in Prov 8 von einem Geschehen die Rede ist, von etwas, das dem Menschen in der Welt, von der Welt her realiter widerfährt. (…) So handeln 183 S.
dazu oben 427 f. Schöpfungstheologie, 271. 185 S. dazu ders., aaO 269 f und zuletzt ausführlich Schipper, Wissen, 489 ff. 186 Von Rad, Weisheit, 162 f. 187 Witte, Weisheit, 1161. 188 Zum Begriff maʾat s. Assmann, Maʾat, 58 f.178 f.283 ff, zum alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegriff s. Witte, Gerechtigkeit Gottes, 37 ff; Janowski, Anthropologie, 187 ff.257 ff.541 ff u.ö und Saur, Ṣædæq, 379 ff. 189 Vgl. Witte, Weisheit, 1161 f. 184 Hermisson,
450 III.3 Die Welt als Schöpfung – Aspekte des religiösen Symbolsystems also diese vergleichsweise jungen Texte von einer Ordnungsmacht, deren Vorhandensein in Israel seit je erfahren wurde. Allerdings redet aus ihnen eine Generation von Lehrern, die sich offenbar vor die Notwendigkeit gestellt sah, einen Gegenstand, der implizit längst in den Lehren vorausgesetzt war, grundsätzlicher zu bedenken und neu zu artikulieren.“190
Dieses Explizitwerden einer in der älteren Spruchweisheit implizit bereits vorausgesetzten Thematik – nämlich der Erkenntnis der Welt als Ordnung – geschieht nach dem Vorläufertext Hi 28 in den Texten zur personifizierten Weisheit Spr 8,22–31 und Sir 24,1–22.191 In der Schöpfungsordnung, die die Selbstvorstellungsrede der Weisheit in Spr 8,22–31 beschreibt, „vermittelt sich Gott an die Welt, und in der Erkenntnis der Weisheit kommt diese Vermittlung zum Ziel …. Die Sophia erscheint als mediatrix Dei. Jede Erkenntnis der Sophia auf seiten des Menschen führt zur Teilnahme an Gott. In ihr erschließt sich Gott dem erkennenden und denkenden Menschen“192.
Damit war eine theologische Perspektive formuliert, die über Sir 24,1 ff bis zur Inkarnation des Schöpferwortes in Joh 1,14–18 führte.193
190 Von
Rad, aaO 163 f (H. v. m.), vgl. Hermisson, aaO 270 und Schipper, aaO 505 f. dazu oben 437 ff. 192 Gese, Johannesprolog, 226, s. zur Fortsetzung dieses Zitats oben 440. 193 S. dazu oben 445 ff. 191 S.
IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee
D
as Titelbild einer Bible moralisée aus Nordfrankreich (um 1250 v. Chr.) zeigt „ den göttlichen Baumeister, wie er mit einem Zirkel, dem Symbol der Geometrie, den Erdkreis abmisst. Der Schöpfer steht in einem rotblauen Rahmen, der die Gestalt seinen Maßen unterwirft. „Richtet sie sich auf, sprengt sie ihn. Der rechte Fuß überschreitet den Rahmen, der Gewandzipfel überschneidet ihn ebenfalls. ‚Gott‘ wird im Bild, das sich die Menschen von ihm machen, einer schön verzierten aber harten Begrenzung unterworfen. (…) Der Kreis um seinen Kopf, der Nimbus, dann der Fastkreis, den die Bewegung seines rechten Armes bildet, die Sichel in der Mitte des Zirkels, schließlich der Weltkreis: von oben nach unten wird in mehrfachen Ansätzen der Kreis, auf den es hier letztlich ankommt, zuwege gebracht“ (Lange, Kunst, 16). Es ist kein Müßiggängergott (deus otiosus) und auch kein „unbewegter Beweger“ (s. Q 136), den wir hier zu Gesicht bekommen. Es ist der Schöpfer, der schafft „wie ein an sein Tun hingegebener Künstler, Handwerker oder Baumeister, der wie ein Liebhaber im Werk seine innere Vision verwirklicht, schweigend sich selbst darin ausspricht und den Betrachter zu Bewunderung und Lob herausfordert“ (ders., aaO 17). Dieses Lob des Schöpfers ist der cantus firmus der alttestamentlichen Schöpfungstexte.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens Es ist mehr als eine Trivialität, daß die Erfahrung, zur Erde zurückzukehren, nicht anders hätte gemacht werden können als dadurch, sie zu verlassen. Die kosmische Oase, auf der der Mensch lebt, dieses Wunder von Ausnahme, der blaue Eigenplanet inmitten der enttäuschenden Himmelswüste, ist nicht mehr ‚auch ein Stern‘, sondern der einzige, der diesen Namen zu verdienen scheint. H. Blumenberg, Genesis, 793 f
Diese Schlussbemerkungen aus H. Blumenbergs Werk Die Genesis der kopernikanischen Welt von 1975 haben nichts von ihrer Gültigkeit eingebüßt. Es bedurfte offenbar des Blicks von außen, nämlich von der Raumsonde Apollo 8, um der Schönheit und Zerbrechlichkeit des „Blauen Planeten“ ansichtig zu werden.1 Kein Mensch der Antike hat je diesen Blick von außen auf den Planten Erde gehabt. In ihren Weltbildern wölbte sich der Himmel wie ein Baldachin über die Erde und gliederte sie in die Ordnung des Kosmos ein. Diese Ordnung war ein umfassendes Sinngefüge, in dem alles seinen Platz hatte: die Bereiche der natürlichen Welt (Berge, Täler, Meere, Flüsse, Wüsten), die Tiere und die Pflanzen sowie die Menschen und die von ihnen geschaffenen Kulturgüter. Die Frage ist natürlich, wie dies alles zusammenhängt, welche Themen jeweils im Vordergrund stehen und was der nervus rerum des Ganzen ist. Was die biblischen Schöpfungstexte und ihre Themen und Motive angeht, so soll diese Frage im Blick auf die geschichtliche Entwicklung (1) sowie die theologische Bedeutung des Schöpfungsglaubens (2) beantwortet werden. Der Ausblick plädiert abschließend für eine Perspektive, die die Sorge um die bedrohte Erde ins Zentrum rückt (3). 1. Geschichtliche Entwicklung Albani, Gott, 248 ff ◆ Albertz, Art. Schöpfung, 1389 ff ◆ Ders., Individualität, 138 ff ◆ Görg/ Hofrichter, Art. Schöpfung, 498 ff ◆ Hartenstein, Bedeutung, 338 ff ◆ Ders., Theologie, 486 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 438 ff ◆ Janowski, Art. Schöpfung, 970 ff ◆ Jeremias, Theologie, 23 ff ◆ Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 258 ff ◆ Schmid, Schöpfung, 71 ff ◆ Ders., Theologie, 266 ff ◆ Zenger, Art. Schöpfung, 217 ff. 1
S. dazu oben 13 ff.
454 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee
Das Thema „Schöpfung“ umfasst nach alttestamentlichem Verständnis die Aspekte des Anfangs bzw. der Grundlegung der Welt (creatio prima) und der Geltung dieses Anfangs durch das welterhaltende Handeln des Schöpfers (creatio continua, conservatio).2 Auch die Schöpfung durch Geburt (Anthropogonie) ist ein – biographisch-individueller – Anfang, der mit dem Tod zu einem Ende kommt. Mit dem „Anfang“, von dem Gen 1,1 spricht (reʾšît, vgl. LXX: ἀρχή, Vulg: principium), ist nicht ein historisches Ursprungsdatum, sondern ein grundlegendes Geschehen gemeint, in dem von Gott Gültiges für alle Folgezeit gesetzt wurde.3 Obwohl im Alten Testament Schöpfungsaussagen in breiter Streuung begegnen, also von einer Pluriformität des Themas „Schöpfung“ zu sprechen ist, lassen sich thematische Schwerpunkte in der Urgeschichte, bei Deuterojesaja, im Psalter und in der Weisheitsliteratur ausmachen. Die Geschichte des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens nimmt ihren Ausgang in vorexilischer Zeit bei der Vorstellung vom welterhaltenden Wirken des Königsgottes vom Zion, wie sie sich in älteren Hymnen (Ps 93; 29; 24,1 f u. a.), in der älteren Spruchweisheit (Spr 10,1–22,16; 25–29) sowie in der nichtpriesterlichen Anthropogonie (Gen 2,4b–3,24) niedergeschlagen hat.4 Dieser ersten Phase des biblischen Schöpfungsglaubens wenden wir uns zunächst zu. a) Vorexilische Schöpfungstexte Das Reden von der Erschaffung von Welt und Mensch „entsprang, soweit wir erkennen können, nicht primär der gedanklichen Reflexion, sondern dem praktischen Bemühen um Lebenssicherung“5. Fraglich ist dabei, wann dieses Bemühen einsetzte und in welchen Textgattungen es sich zuerst niederschlug. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ab wann das Alte Testament von Weltschöpfung (Kosmogonie) und ab wann es von Menschenschöpfung (Anthropogonie) spricht. Der gegenwärtige Forschungsstand dazu lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Ostrakon des 8./7. Jh.s aus Jerusalem In ihrem Überblicksartikel zum Thema „Schöpfer/Schöpfung“ haben R. Kratz und H. Spieckermann die These vertreten, dass „die Vorstellung von der Erhaltung und Versorgung der Welt durch den zuständigen Landesgott am Anfang der Überlieferung in vorexilischer Zeit (steht). Jhwh ist der Herr der Erde, Bezwinger des Meeres und Bringer des Regens und der Fruchtbarkeit.
2 Vgl.
Feldmeier/Spieckermann, Gott, 253. S. dazu oben 50 ff. 4 So die These von Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 265 f.279 f, die im Folgenden aufgenommen und weitergeführt wird. 5 Albertz, Art. Schöpfung, 1389. Das ist m. E. zu einseitig formuliert, denn ohne „gedankliche Reflexion“ kann ein „praktisches Bemühen“ in unübersichtliche Situationen führen. Zur Auseinandersetzung mit Albertz’ Position s. Spieckermann, Heilsgegenwart, 83 Anm. 33. 3
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 455
Der Mythos vom Königsgott ist an den Berg Zion und den Tempel, Jhwhs Thron und Wohnsitz in Jerusalem, gebunden und in Gestalt von Hymnen überliefert“6. Vorstellungen von der Erschaffung von Himmel und Erde (Kosmogonie) kommen „vielleicht schon in neuassyrischer, mit Nachdruck allerdings erst in neubabylonischer Zeit“7 auf. Demgegenüber rechnet H. Weippert mit einem eindeutigen Beleg für den Glauben an den Weltschöper in vorexilischer Zeit und verweist dafür auf ein Ostrakon vom Ende des 8./Anfang des 7. Jh.s aus Jerusalem.8 Dessen fragmentarisch erhaltene Inschrift – möglicherweise eine Wirtschaftsurkunde! – enthält in Z. 3 die Konsonantenfolge qn ʾrṣ, die man vielleicht zu [ʾl? ]qnʾrṣ ergänzen und entweder als „[El?,] Schöpfer der Erde“ übersetzen oder mit dem Eigennamen Elqunirṣa in Verbindung bringen kann. Es ist aber auch eine Ergänzung zu zqn ʾrṣ „Ältester des Landes“ oder – ohne eine Ergänzung – ein Verständnis der Wendung qn ʾrṣ als „Eigentümer, Erwerber von Land“ denkbar.9 Diese angeblich „älteste außerbiblische Bezeugung einer Schöpfungsaussage im antiken Israel“10 wird immer wieder mit dem späten, nachpriesterschriflichen Einschub Gen 14,18–22 in Zusammenhang gebracht: 18 Und Melchisedek, der König von Schalem, brachte Brot und Wein hinaus – er war ein Priester des El Eljon –, 19 und er segnete ihn (sc. Abram) und sprach: „Gesegnet sei Abram von El Eljon, des Schöpfers (qoneh) von Himmel und Erde! 20 Und gesegnet sei El Eljon, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat!“ Und er gab ihm den Zehnten von allem. 21 Da sagte der König von Sodom zu Abram: „Gib mir die Personen, aber die Habe nimm für dich!“ 22 Und Abram sagte zum König von Sodom: „Ich erhebe meine Hand zu JHWH, zu El Eljon, dem Schöpfer (qoneh) von Himmel und Erde“11 Allerdings ist es fraglich, ob die Inschrift des Jerusalemer Ostrakons überhaupt auf die Schöpfung der Erde zu beziehen und nicht eher als Wirtschaftsurkunde zu verstehen ist. Jedenfalls trägt es nicht die Beweislast, die ihm von manchen Auslegern zugeschrieben wird.
6 7 8
9 10 11
Kratz/Spieckermann, aaO 279. Dies., aaO 280. S. dazu Weippert, Schöpfer, 16. Zum Text s. Avigad, Excavations, 195 f und Renz/Röllig, HAE I, 198. Zur Diskussion s. Niehr, Gott, 65.123 ff; Leuenberger, Segen 1, 206 Anm. 311; Keel, Geschichte, 112.272.392 f; ders./Schroer, Schöpfung, 136; Schmid, Schöpfung 2, 73 f u. a. S. dazu Renz/Röllig, ebd. Zur Interpretation von qn als „Eigentümer“ s. auch Keel, aaO 392 f und zuletzt Thomas, Creator, 453 ff. Schmid, aaO 73. S. dazu Seebass, Genesis II, 56 f; Leuenberger, Segen 1, 205 ff; Keel, aaO 1063 f u. a. Die Wendung „JHWH, der Erschaffer (ʿośæh) von Himmel und Erde“ begegnet in Ps 115,15; 121,2; 124,8; 134,3 und 146,5 f.
456 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee
Jerusalemer Psalmen des 8./7. Jh.s v.Chr Als Beleg für den vorexilischen Schöpfungsglauben kommt demgegenüber „die kleine, aber wichtige Gruppe der in ihrem Kernbestand vorexilisch zu datierenden Jerusalemer Psalmen Ps 93; 29; 24*; 46–48*“12 in Frage. Ihre Kernaussage besteht in der Vorstellung, dass „der inmitten des Landes/der Welt (Ps 46,6) auf dem Zion thronende Königsgott JHWH (Ps 93; vgl. Jes 6; Jer 17,12) seine Herrschaft seit fernster Zeit ausübt (Ps 93,1–2; vgl. 29,10: für fernste Zeit)“13. Der locus classicus dieser Thronmotivik ist der JHWH König-Psalm Ps 93,1b–2: 1b Fürwahr, fest steht (kûn nif.) der Erdkreis, nicht wankt er (mûṭ).
2 Fest steht (kûn nif.) dein Thron seit damals (meʾāz), von fernster Zeit her (meʿôlām) bist du.14 Welches Profil hat diese Aussage: handelt es sich um eine Weltschöpfungsvorstellung oder ist die durch den Gottesthron herbeigeführte und garantierte Stabilität des Erdkreises anders zu verstehen? Diese Frage wird unterschiedlich beantwortet.15 Ausschlaggebend dürfte dabei die Bedeutung des Verbs kûn nif. („feststehen, Bestand haben“) sein, das „nicht einen schöpferischen Akt als solchen, sondern ein Ausstatten und Zurüsten bereits erstellter Größe“16 meint. Dennoch ist – wenn auch nur implizit – der Schöpfungsbezug deutlich. Denn V. 1b und V. 2a besagen, dass JHWH die Erde als stabilen Lebensraum eingerichtet hat (V. 1b) und diese Stabilität mit der Festigkeit seines Throns „seit damals“ (// „von fernster Zeit her“) zusammenhängt (V. 2a). Dennoch kommt die Erde hier wie auch in Ps 24,1 f „nicht als Yhwhs Schöpfungswerk in den Blick, sondern als sein Eigentum und Herrschaftsbereich, dessen Bewahrung in seiner Macht liegt“17.
Schöpfungsnamen Weitere Hinweise zum vorexilischen Schöpfungsglauben ergeben sich aus der Namengebung. Das Alte Testament enthält mehrere Personennamen, die mit Schöpfungsverben und einem theophoren Element (JHWH/Gott) gebildet sind.18 Dazu treten die Nomina jeṣær „Gebilde“, maʿaśæh „Werk“ und miqnæh „Geschöpf “, die z. T. ebenfalls um ein theophores Element erweitert sind. Insgesamt sind die mit diesen Verben und Nomina gebildeten Personenamen, die als Belege für die Vorstellung von der Menschenschöpfung gelten können, über 90-mal belegt.19 Im Blick auf das Alter des Themas „Menschenschöpfung“ ist auch die althebräische Epigraphik einzubeziehen. Denn im Korpus der althebräischen Inschriften gibt es 39 Per12 13 14
15 16 17 18
19
Hartenstein, Bedeutung, 338. Ders., ebd. (H. i. O.). S. dazu ausführlich oben 333 ff. S. dazu die Hinweise bei Hartenstein, aaO 238 Anm. 15 (zu E. Otto) und oben 334 f (zu H. Spieckermann). Koch, Art. kûn, 103 f, vgl. ders., Qädäm, 267 f. Feldmeier/Spieckermann, Gott, 261. S. dazu oben 188 ff. S. dazu Albertz, Weltschöpfung, 155 ff; ders., Individualität, 142 ff und Rechenmacher, Personennamen, 134 ff.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 457
sonennamen mit Schöpfungsbezug, die insgesamt 148-mal belegt sind und aus dem 9.–6. Jh. v. Chr. stammen,20 z. B.: – jhwbnh „JHW hat (das Kind) Lachisch (7./6. Jh. v. Chr.), vgl. benājāhû gebaut“ 2 Sam 8,18 u. ö. – jwʿśh „JW hat (das Kind) Kuntillet ʿAǧrûd (9. Jh. v. Chr.), vgl. ʾælʿāśāh gemacht“ Jer 29,3 u. ö. – mqnhjhw „Geschöpf JHWs“ Arad (8. Jh. v. Chr.), vgl. miqnehjāhû 1 Chr 15,18 Angesichts dieses Sachverhalts ist die von H. Spieckermann vertretene These, dass die Vorstellung der Menschenschöpfung in vorexilischer Zeit zwar bekannt, aber ohne theologische Relevanz war,21 nicht zu halten.
Menschenschöpfung in der älteren Spruchweisheit Die Bezeugungen des Schöpfungsglaubens in der älteren Spruchweisheit (Spr 14,31; 17,5; 22,2; 29,13 u. a.)22 enthalten keine Weltschöpfungs-, sondern ausschließlich Menschenschöpfungsaussagen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den Aspekten Gott als Schöpfer des Armen (Spr 14,31; 17,5) und Gemeinschaft der Geschöpfe (Spr 22,2; 29,13). Beispielhaft sei noch einmal Spr 22,2 zitiert: Reicher und Armer begegneten sich, der Schöpfer (ʿośæh) von ihnen allen ist JHWH. (Spr 22,2)23 Der Vorgang der Erschaffung des Menschen wird dann in Gen 2,4b–7 (nP)24 sowie mit weiteren Differenzierungen in jüngeren Texten (Jer 1,5; Ps 71,5 f; 139,13–16; Hi 10,8–11; 31,5) geschildert.25
Menschenschöpfung in der nichtpriesterlichen Paradieserzählung Neben den priesterlichen imago Dei-Texten Gen 1,26–28; 5,1 und 9,626 ist die nichtpriesterliche Urgeschichte Gen *2,4b–8,22 und hier besonders Gen 2,4b–7 ein locus classicus des Themas „Menschenschöpfung“: 4b Am Tag, als JHWH Gott Erde und Himmel machte … (5 f ), 7 da formte JHWH Gott den Menschen aus Erdkrume vom Ackerboden, und er blies in seine Nase Lebensatem. Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen (næpæš ḥajjāh).27 20
S. dazu im Einzelnen oben 189 f. Spieckermann, Heilsgegenwart, 83 Anm. 33, s. dazu aber Albertz, Individualität, 142. S. dazu oben 172 ff. S. dazu oben 176 f. S. dazu im Folgenden. Zu diesen Texten s. Janowski, Anthropologie, 62 f.64.158 f. S. dazu oben 61 ff. S. dazu oben 91 ff. Zur vorpriesterlichen Datierung (7. Jh. v. Chr.) von Gen *2,4b–8,22 s. die Hinweise oben 87 Anm. 1. In dem Halbvers Gen 2,4b („Am Tag, als JHWH Gott Erde und Himmel machte“), der zum Grundbestand der nichtpriesterlichen Paradieserzählung gehört, geht es wie im priesterlichen Schöpfungstext um die uranfängliche Erschaffung der
21 So 22 23 24 25 26
27
458 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee Die Erschaffung des Menschen vollzieht sich danach in einer materialen Herstellung ( formatio) und einer Belebung (animatio), wodurch der Mensch insgesamt zu einer næpæš ḥajjāh, d.h zu einem „lebendigen Wesen/Lebewesen“ wird. Gen 2,7 unterscheidet nicht dualistisch zwischen Leib und ‚Seele‘, sondern sieht den Menschen „unter den ganzheitlichen Aspekten von Lebendigkeit und individuierender Leiblichkeit“28.
Soweit die Hauptbelege zum Thema „Schöpfung“ in vorexilischer Zeit. Ein klarer Beleg für den Glauben an den Weltschöpfer fehlt dabei.29 Das ändert sich allerdings mit den exilisch-nachexilischen Schöpfungstexten, die – wie besonders Deuterojesaja zeigt30 – im Zusammenhang mit der Katastrophe des Exils stehen und den Glauben an die Einzigkeit JHWHs schöpfungstheologisch begründen. b) Exilisch-nachexilische Schöpfungstexte Nach einem singulären Beleg für die Weltschöpfung in Gen 2,4b, der in Gen *2,4b–8,22 (nP) aber ohne Folgen bleibt,31 kommt es in exilisch-nachexilischer Zeit bei Deuterojesaja, im priesterlichen Schöpfungstext (Gen 1,1–2,3) sowie in einzelnen Psalmen und Prophetentexten zu weit ausgreifenden kosmogonischen Reflexionen. In der späten Weisheitsliteratur werden schließlich verschiedene Entwürfe formuliert, die kritische Reaktionen auf die kosmogonischen Ansätze darstellen (Hi, Spr 1–9, Pred). Aus dieser Krise führen ab dem 2. Jh. v. Chr. die Schöpfungsaussagen der Bücher Sir, SapSal, 4 Esr und Bar heraus.32 α) Literarhistorischer Überblick Gegenüber der nichtpriesterlichen Urgeschichte (Gen *2,4b–8,22)33 setzt die priesterliche Urgeschichte (Gen *1,1–9,17) die Akzente anders, indem sie die von der chaotischen Vorwelt (Gen 1,2) unterschiedene Schöpfungswelt in ihrer raumzeitlichen Ordnung beschreibt (Gen 1,3–19) und den Menschen als „Bild Gottes“ qualifiziert und mit der Herrschaft über die Tiere beauftragt (Gen 1,26– 28). Die Gottebenbildlichkeit des Menschen geht auch im nachsintflutlichen Äon nicht verloren (Gen 9,1–7), sie erfährt aber eine wichtige Neubestimmung durch Welt, s. dazu Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 94 f und Bührer, Anfang, 206. Allerdings wird diese kosmologische Aussagelinie in Gen *2,4b–8,22 nicht weiter thematisiert. 28 Steck, Paradieserzählung, 71, vgl. von Rad, Genesis (ATD), 53 und Janowski, Anthropologie, 48 ff. 29 Vgl. Niehr, Gott, 125 ff u. a. Eine Ausnahme, die wie ein erratischer Block wirkt, stellt Gen 2,4b dar, s. dazu Anm. 27. 30 S. dazu oben 291 ff. 31 S. dazu Anm. 27. 32 S. dazu Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 280 f. 33 S. dazu oben 87 ff.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 459
das Fehlen des Herrschaftsauftrags (!) und durch den Bund, den Gott mit Noah und den Tieren schließt (Gen 9,8–17).34 Wie die Priesterschrift stellt auch Deuterojesaja (Jes 40–55) eine schöpfungstheologische Antwort auf die Krise des Exils dar, die als politisches und religiöses Chaos erfahren wurde. JHWH ist der Schöpfer Israels (Jes 43,1–7; 44,1 f u. ö.), der Schöpfer der Welt (Jes 40,12–31; 45,18 u. ö.) und der Schöpfer von Welt/Mensch und Israel (Jes 44,24.27 f ). Die für Deuterojesaja charakteristische Korrelation von Schöpfung und Einzigkeit JHWHs zeigt sich nicht zuletzt am Thema Schöpfung/Chaos: als Manifestation des Chaos ist auch die Finsternis von Gott erschaffen (Jes 45,7) und zwar von dem Gott, dem selbst der persische Großkönig Kyros untersteht (Jes 45,1).35 Die Psalmen sind ein regelrechtes Sammelbecken schöpfungstheologischer Aussagen. Dazu gehört nicht zuletzt das Thema „Konfrontation von Schöpfung und Chaos“, das als Kampf gegen das Chaos (Ps 74,13 f; 89,10 f, vgl. Jes 51,9 f, Hi 26,12; 40 f ), als Triumph über das Chaos (Ps 93,3 f u. ö.) oder als Setzungsakt gegen das Chaos (Ps 104,5.9, vgl. Jer 5,22; Hi 38,10 f; Spr 8,29 u. ö.) stilisiert ist. Den prägenden Vorstellungshintergrund bildet dabei das Motiv vom Königsgott JHWH (Ps 74,12; 104,1aβ–4 u. ö.), der von seinem Tempel bzw. von seinem himmlisch-irdischen Thron aus den Bestand der Welt verteidigt und garantiert (Ps 93).36 Die Weisheitsliteratur der spätpersischen und hellenistischen Zeit schließlich geht einen entscheidenden Schritt weiter, indem sie die personifizierte Weisheit als Schöpfungsmittlerin konzipiert, in der sich JHWH dem erkennenden Menschen erschließt (Spr 8,22–31, vgl. 3,19 f u. a.).37 β) Zentrale Themenfelder Die Änderungen, die mit den exilisch-nachexilischen Schöpfungstexten einsetzen, lassen sich an zwei Sachverhalten verdeutlichen: an der Ausdifferenzierung der Schöpfungstermini und an der Ausweitung der Themenfelder. Erst jetzt kommt auch das Schöpfungsverb bārāʾ „schaffen, hervorbringen“ auf, das ausschließlich mit göttlichem Subjekt und ohne Materialangabe konstruiert wird und das das analogielose Schöpfungshandeln Gottes zum Ausdruck bringt.38 Im Folgenden werden zwanzig Themenfelder zusammengestellt, die die Vielfalt der exilisch-nachexilischen Schöpfungsvorstellungen belegen.
34
S. dazu oben 79 ff. S. dazu oben 296 Anm. 23. 36 S. dazu oben 333 ff. Weitere Schöpfungsmotive in den Psalmen werden im Folgenden genannt. 37 S. dazu oben 437 ff. 38 Zu den weiteren Termini für das schöpferische Handeln und Sprechen Gottes s. oben 34 ff. 35
460 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee Die Erschaffung des Himmels/von Himmel und Erde Die Rede von der Erschaffung des Himmels bzw. von Himmel und Erde/Erde und Himmel begegnet ausschließlich in exilisch-nachexilischen Texten.39 Sie findet sich in Verbindung mit verschiedenen Schöpfungsverben in der Priesterschrift (Gen 1,1: H. und E.),40 bei DtJes (Jes 40,22; 42,5; 44,24 45,12.18 u. ö.), in den Psalmen (Ps 8,4; 33,6; 102,26; 136,5 u. ö.) und in der späten Weisheit (Spr 3,19; 8,27; Hi 9,8).41
Die Gründung/Festigung der Erde Das Motiv der Gründung der Erde, das sich möglicherweise mesopotamischer (und/oder ägyptischer) Vorstellung verdankt,42 begegnet außer in Ps 24,1 f43 auch in Ps 89,12 (Kontext: V. 9–15); 104,5 (Kontext: V. 2–5); Hi 38,4 (Kontext: V. 4–7) und anderen Texten.44
Der Himmel als Wohnort JHWHs Der Himmel wurde erst in Texten der Exilszeit zum Wohnort JHWHs. Der locus classicus ist Jes 40,22.45 In der Folgezeit wurde dieses Motiv ausgebaut und um weitere Aspekte wie das Motiv des Herabblickens JHWHs vom Himmel/aus der Höhe ergänzt. Neben Ps 11,4; 14,2 (= 53,3), 80,15 und 102,20 f ist dafür Ps 33,13–19 einschlägig.46
Schöpfung durch das Wort Die Vorstellung der Wortschöpfung begegnet nicht nur im priesterlichen Schöpfungstext Gen 1,3.6.9.14.20.24.26.29,47 sondern auch in Jes 48,13; Ps 33,4.6.9; 148,5; Sir 42,15. Zu vergleichen sind die Wortschöpfungsbelege in der Septuaginta sowie die Qumranbelege 4Q 381; 4Q 422 und Jud 16,14 u. a.48
Die Erde als Eigentum Gottes Die Vorstellung, dass die Erde, die von Gott gegründet wurde,49 sein Eigentum ist, kommt in den Eigentumserklärungen Jes 43,1; Ps 8,4 („dein Himmel“ // „das Werk deiner Finger“); 24,1 f; 74,16; 89,12; 95,4 f und 100,3 zum Ausdruck. Sie stehen mit 39 40 41
42
43 44 45 46 47
48 49
S. dazu Petersen Mythos, 74 ff; Hartenstein, JHWH, 387 ff; Koch, Wohnstatt, 87 f. Zum Gottesprädikat „der Schöpfer der Erde“ in 1QM 10,12 s. Q 152. Zum redaktionellen Brückentext Gen 2,4a (H. und E.) s. unten 487 (Anhang I). Zum nichtpriesterlichen Text Gen 2,4b s. oben 457 Anm. 27. S. dazu die Tabelle bei Hartenstein, 388 f. S. dazu Müller, Wettergott, 160 f. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf den Großen AmarnaHymnus Z. 132, s. dazu Q 27 und Bayer, Sonnenhymnen, 75 (mit anderer Zeilenzählung: Z. 191) sowie auf die phön. Karatepe-Inschrift KAI 26 A III 18 (ʾl qn ʾrṣ „El, der die Erde erschaffen hat“), s. dazu Albani, Gott, 249. Zum Text s. unten 467. S. dazu Petersen, aaO 98 ff und Müller, aaO 162. S. dazu oben 299 ff. S. dazu oben 339 ff. In der nichtpriesterlichen Paradieserzählung Gen 2,4b–3,24 begegnet die Wortschöpfungstheologie nicht, s. dazu Bührer, Anfang, 320 ff. S. dazu ders., aaO 321 mit Anm. 263–264. Zur Schöpfung durch das Wort im Denkmal memphitischer Theologie s. Q 17. Zum Motiv Die Gründung/Festigung der Erde s. oben (auf dieser Seite).
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 461
der Schöpfungsaussage in Verbindung und gehören unterschiedlichen Textgattungen an (Hymnus: Ps 24; 95; 100; Klagelied des Volkes: Ps 74; 89; Heilsorakel: Jes 43). Die Eigentumsformel besagt, dass „Jahwe über die Welt verfügt, daß sie sein Herrschaftund Wirkungsbereich ist, es besagt aber zugleich, daß Jahwe den Bestand und die Versorgung der Welt sichert und seinem Eigentum Schutz gewährt“50. Ohne Schöpfungsaussage begegnet die Eigentumsdeklaration bereits in der Inschrift A aus Ḫirbet Bēt Layy (Ende 8. Jh. v. Chr., s. Q 120).
Paradiesischer Gottesstrom Hinter dem mit dem Begriff „Paradiesischer Gottesstrom“ bezeichneten Motivkomplex stehen unterschiedliche Einzelmotive, deren gegenseitige Beziehung allerdings nur hypothetisch zu rekonstruieren ist.51 Dazu gehören das Eherne Meer (1 Kön 7,23– 26), die Wasser von Siloah (Jes 8,6), die Kanäle der Gottesstadt (Ps 46,6), die Tempelquelle (Ez 47,1–12, vgl. Ps 36,9; Jo 4,18 u. a.), die Paradiesgeographie (Gen 2,10–14) sowie die Tradition der Neuassyrischen paradeisos-Anlagen. Die meisten dieser Texte gehören zum religiösen Symbolsystem der Zionstradition bzw. der Jerusalemer Tempeltheologie und entwerfen „ein Lebensbild, nach dem die verwundete und gestörte Schöpfung zu ihrer ursprünglichen Güte zurückkehrt“52.
Chaos- und Meereskampf Die unterschiedlichen Schilderungen eines Chaos- bzw. Meereskampfs (Jes 27,1; 51,9 f; 74,13 f; 77,17–19; 89,10 f; Hi 7,12; 9,13; 26,12 f; Sir 43,23–25, vgl. Apk 12,3–9; 20,1–3) enthalten die Rollenkonstellation JHWH vs. Chaos und sind dem Thema der Lebenssicherung und Lebenserhaltung verpflichtet. Diese Rollenkonstellation begegnet in mehreren Varianten sowie in Verbindung mit verschiedenen mythischen Repräsentanten (Leviatan, Rahab, flüchtige/gewundene Schlange, Tannin) und personifizierten Chaosmächten (Meer, Urflut, Ströme, Wasser).53
Neuschöpfung Im Unterschied zur Vorstellung von der Erneuerung der Schöpfung (Ps 104,30) meint der Topos der Neuschöpfung nicht eine Verwandlung der bestehenden Welt, sondern eine völlige Neuschöpfung. Das geht sprachlich aus dem zweiten Versteil von Apk 21,1 hervor:
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.
Außer in 2 Petr 3,13 und Apk 21,1–4 (s. Q 174) begegnet die Vorstellung der Neuschöpfung bei Tritojesaja (Jes 65,17; 66,22) und in der deuterokanonischen Literatur (äthHen 91,15 f, vgl. 4 Esr 7,29–42, Jub 1,29; Bar 22,6):54
Zu diesen Themenfeldern treten weitere Motive hinzu, die ebenfalls nur in exilisch-nachexilischen Schöpfungstexten begegnen. Dazu gehören: 50
Metzger, Eigentumsdeklaration, 92. S. dazu oben 94 ff. 52 Sedlmeier, Ezechiel II (NSK.AT), 327. 53 S. dazu oben 391 ff. 54 S. dazu Lichtenberger, Apokalypse (ThK.NT), 259 ff. 51
462 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee – die Vorstellung einer creatio ex nihilo (erst in 2 Makk 7,28, nicht in Gen 1,2) – die Begrenzung des Meeres (Jer 5,22; Ps 104,9; Hi 38,10 f; Spr 8,29, vgl. Gen 1,9) – das Maß der Schöpfung (Jes 40,12–17; Ps 19,2–5a; Hi 38,4–7; 28,23–28, vgl. Sure 55,1–13, s. Q 183) – die Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,26–28; 5,1.3; 9,6, Sir 17,3 [s. Q 161], vgl. SapSal 2,23 f [s. Q 157]; Kol 1,15–20 [s. Q 178] u. a.) – die Herrschaft über die Tiere (Gen 1,26–28; Ps 8,6–9) – die Geburt aus Gott (Ps 2,7; 110,3, vgl. Ez 28,13) – die Korrelation von Schöpfung und Tempel (Ex *24,15b–40,38; Hag 1,1–15a; 2,6–8.9a) – der Kosmische Lobpreis (in Jes 40–55; Jo; Pss; Hi; 1 Chr) – die Gabe des (täglichen) Brots/der Nahrung (Ps 136,25; 146,7; 147,9, vgl. Ps 104,14 f.27 f ) – das Seufzen der Kreatur (Jo 1,20; Ps 104,27 f; 145,15 f, vgl. Röm 8,18–30) – die Schaffung eines reinen Herzens/eines neuen Geistes (Ps 51,12.19: Ez 36,26) – die Weisheit als Schöpfungsmittlerin (Spr 8,22–31; Sir 24,3–12).
Abb. 108: Zusätzliche Motive in exil.-nachexil. Schöpfungstexten Neben den zentralen Themenfeldern und Motiven stellen die intertextuellen Bezüge zwischen einzelnen Schöpfungsaussagen/-texten eine zweite Form der innerbiblischen Vernetzung des Schöpfungsthemas dar. Der Begriff der Intertextualität besagt, dass Texte Texte auslegen und in einen neuen Kontext stellen.55 Die Form dieser Auslegung kann unterschiedlich ausfallen. So kann die Struktur des Prätextes vom Folgetext aufgenommen und variiert werden wie in den folgenden Fällen, die alle von der biblischen Urgeschichte als Prätext ausgehen: – – – – – – – – – – – – – –
Gen 1–11 / Jon Gen 1,1–9,29 / Ez Gen 1,1–9,29 / Pred Gen 1,1–2,3 / Ex 24,15b–25,1 Gen 1,1–2,3 / Jer 4,23–26 Gen 1,1–2,3 / Ps 104 Gen 1,1–2,3 / Ps 148 Gen 1,1–2,3; 2,5 / Hi 3,3–13 Gen 1,1–2,3 / Spr 8,22–31 Gen 1,1–2,3; 2,5 / Sir 42,15–43,33 Gen 1,1–28 / Am 4,13; 5,8; 9,5 f Gen 1,6–19 / Ps 136,4–9 Gen 6,11 f.13 / Jes 11,6.956 Gen 6,13 / Am 8,2
Abb. 109: Beispiele für intertextuelle Bezüge auf Gen 1–11 55
Zu den Grundpositionen der Intertextualitätsforschung sowie zur Intertextualität im Alten Testament s. nur Trimpe, Schöpfung, 17 ff.36 ff. 56 Die Nachweise zu den genannten Texten sind über das Stellenregister zu erschließen. Speziell zu den Bezügen Gen 1–11 / Jon s. Hartenstein, Zumutung, 435 ff, zu den Bezügen Gen *1,1– 9,17 / Ez s. Wagner, Verhältnisse, 207 ff; Sedlmeier, Schöpfung, 267 ff, zu den Bezügen Pred/ Gen *1,1–9,17 s. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 407 f.531 f.539 ff; ders.,
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 463
Daneben kann die Aussageintention des Prätextes vom Folgetext auch sachlich angespielt (Allusion) oder wörtlich zitiert (Zitat) und in der Fortsetzung – z. T. antithetisch – abgewandelt werden. Derartige Fälle liegen im Bezug von Jer 5,22; Ps 104,9; Hi 38,10 f und Spr 8,29 auf Gen 1,9, im Bezug von Hi 4,17–20; 8,19; 10,8–11 u. a. auf Gen 2,757 oder im Bezug von Ps 144,3 f und Hi 7,17–21 auf Ps 8,558 vor. Weitere Beispiele hat B. Trimpe in einer ausführlichen Liste zusammengestellt.59 Für alle Beispiele gilt, dass durch die jeweilige Allusion bzw. das jeweilige Zitat der Aussagehalt des Prätextes modifiziert wird.
2. Theologische Bedeutung Wenn wir abschließend nach der theologischen Bedeutung des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens fragen, so geht es um die Formulierung einer Grundperspektive, die die meisten Schöpfungstexte prägt und in ihnen in unterschiedlicher Weise in Erscheinung tritt. Diese Grundperspektive soll anhand der Aspekte Die Erde als Raum des Lebens (a), Die Konfrontation mit dem Chaos (b) und Die Gemeinschaft des Lebendigen (c) verdeutlicht werden. Trotz zeit- und kulturgeschichtlich bedingter Unterschiede gibt es dabei Anschlussmöglichkeiten der biblischen Schöpfungsaussagen an gegenwärtige Problemstellungen – und umgekehrt. a) Die Erde als Raum des Lebens Altes Testament: Dietrich, Welterfahrung, 69 ff ◆ Feldmeier/Spieckermann, Gott, 206 ff.253 ff ◆ Irsigler, Gottesbilder, 438 ff ◆ Janowski, Welt des Anfangs, 3 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 136 ff ◆ Schmid, Schöpfung 1, 71 ff ◆ Steck, Thesen, 280 ff ◆ Ders., Welt, 49 ff.54 ff ◆ Weippert, Welterfahrung, 179 ff. – Systematische Theologie, Soziologie, Philosophie: Crutzen, Anthropozän ◆ König, Art. Biosoziologie, 48 ff ◆ Latour, Manifest ◆ Link, Schöpfung 1, 358 ff ◆ Ders., Schöpfung 2, 49 ff ◆ Schroer, Geosoziologie.
Am Schluss seines Buchs Die Genesis der kopernikanischen Welt von 1975 hat H. Blumenberg (1920–1996) mit wenigen Sätzen die einzigartige Lebensqualität der Erde gepriesen und sie als „kosmische Oase, auf der der Mensch lebt“60 bezeichnet. In der gegenwärtigen geosoziologischen Debatte tritt diese Qualität erneut in den Vordergrund – und zwar zu einem Zeitpunkt, wo sie verlorenzugehen droht. Fragen wir zunächst, um was es in dieser Debatte geht.
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Schöpfer, 242 ff, zu den Bezügen Hi 3,3–13 / Gen 1,1–2,3 s. Beyer, Widerworte, 95 ff; Schellenberg, Relationship, 272 ff und zu den Bezügen Spr 8,22–31 / Gen 1,1–2,3 s. Bauks/Baumann, Anfang, 24 ff. Gen 2,7 ist nur einer von mehreren Referenztexten der Urgeschichte im Hi-Buch, s. dazu die Liste bei Trimpe, aaO 193 f und Fischer, Spuren, 157 ff. S. dazu Janowski, Anthropologie, 509 f.555 f. S. dazu Trimpe, aaO 191 ff. Blumenberg, Genesis, 793. Zum vollständigen Zitat s. oben 453 und zur Sache ders., Vollzähligkeit, 433 ff.439 f.
464 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee
Geosoziologische Aspekte Angesichts der Herausforderungen des Anthropozäns, also des durch den Eingriff des Menschen in die natürliche Lebenswelt bezeichneten Zeitalters,61 geht es der Geosoziologie um die Praktiken, mit denen wir mit der Erde in Kontakt treten. Nötig, so der Soziologe M. Schroer, ist die durch die Geosoziologie vertretene Ausweitung des soziologischen Denkens „schon deshalb, weil es sich beim Anthropozän um weit mehr als nur eine geologische Kategorisierung des gegenwärtigen Zeitalters handelt. Vielmehr ist das gesamte Selbstverständnis des Menschen, seine bisherige Auffassung von Natur, Kultur und Gesellschaft und sein bislang gepflegter Umgang mit anderen Lebewesen in Frage gestellt“62.
Diese anderen Lebewesen – nämlich die Tiere und die Pflanzen –, die in der traditionellen Soziologie bis auf wenige Ausnahmen keine Rolle spielen,63 gehören ebenso wie der Boden zu dem Lebensraum, der für das Leben des Menschen auf der Erde elementar ist.64 Gegenstand der Geosoziologie ist der geographische und irdische Raum, in dem bzw. auf dem sich das Leben alles Lebendigen abspielt. Insofern hat die Geosoziologie „die unaufhebbare Verwobenheit des Sozialen mit dem Terrestrischen zum Thema, wobei das Terrestrische sowohl im Wortsinn als ‚die Erde betreffend, zur Erde gehörend‘ als auch – im Anschluss an Latour – als ‚Zusammenleben miteinander verflochtener Lebensformen‘ in gemeinsam geteilten Lebensräumen verstanden wird“65.
Diese Verwobenheit des Sozialen mit dem Terrestrischen ist das Gegenteil der Trennung von Natur und Kultur, deren weit zurück reichende Geschichte von dem Sozialanthropologen Ph. Descola detailliert beschrieben wird.66 Infolge dieser Trennung kam es im 19. Jahrhundert endgültig zur Entzauberung der Natur, die zu einer Ausbeutung ihrer Ressourcen und in der Folge zur desaströsen Lage 61
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Die Literatur dazu ist kaum mehr zu überblicken, s. beispielhaft Antweiler, Anthropologie und Schroer, Geosoziologie, 13 ff.36 ff u. ö. Der Begriff „Anthropozän“ geht auf den Meteorologen und Chemiker P. J. Crutzen (1933–2021) zurück, der ihn im Jahr 2000 auf einer Tagung des International Geosphere-Biosphere Programme in Mexiko in die Diskussion einführte, s. dazu die Schlüsseltexte in Crutzen, Anthropozän. Schroer, aaO 13. Eine solche Ausnahme stellt der Lexikonartikel von König, Art. Biosoziologie, 48 ff dar, in dem neben der Menschensoziologie die Pflanzen- und die Tiersoziologie in die soziologische Reflexion einbezogen wird, s. dazu Schroer, aaO 346 ff. Bei den großen Vertretern der modernen Soziologie sucht man Überlegungen zu den Themen „Artenvielfalt“, „Lebensraum“, „Umwelt“ u. a. leider vergebens, s. dazu Schroer, aaO 22 ff. 360 ff. S. dazu Schroer, aaO 15 ff.133 ff u. ö. Ein Gegenbeispiel ist die Position von Heidegger, Grundbegriffe, 273, der eine klare Trennlinie zwischen Mensch und Tier zieht, s. dazu Schroer, aaO 138 f und unten 660 (Anhang III). Schroer, aaO 24 f (H. v. m.), vgl. 31 ff u. ö. Der französische Soziologe und Politikwissenschaftler B. Latour (1947–2022) hat seine Position in Latour, Manifest zusammenfassend dargelegt. S. dazu Descola, Natur.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 465
von heute führte. Demgegenüber werden in der gegenwärtigen Geosoziologie die Natur und speziell die Pflanzen und die Tiere „nicht länger als passive Objekte angesehen, mit denen etwas geschieht, sondern als aktive Subjekte, die auch selbst etwas tun und die Menschen, sehr viel mehr als diesen bekannt und bewusst ist, zu ihren Handlungen veranlassen“67. Bei dieser Rückbesinnung auf die elementaren Beziehungen des Menschen zur Erde als Lebensraum kommt den biblischen Schöpfungstexten eine besondere Bedeutung zu, weil sie – im Pro wie im Contra – zur Matrix unserer Kultur gehören. In diesem Buch wurde versucht, die für das Thema „Erde als Lebensraum“ relevanten Texte ausfindig zu machen und ihr Sinnpotential zu erschließen. Dazu zählt nicht zuletzt der Sachverhalt, dass die natürliche Welt für die Menschen des alten Israel nicht ein neutraler Gegenstandsbereich, sondern ein Lebensraum mit seinen Bedingungen, Wirkungen und Möglichkeiten war.68 Deshalb konnten sie „räumlichen und zeitlichen Einflüssen … nicht distanziert gegenüberstehen“, beides erlebten sie „hautnah“69 – und sie erlebten es, wie Gen 8,22 unterstreicht,70 als Gabe und Verheißung des Schöpfergottes. Schöpfungstheologische Aspekte Im Blick auf die kanonische Abfolge der biblischen Bücher bestimmt die Qualifizierung der Erde als Lebensraum den Schöpfungsglauben von Anfang an. So setzt das „ökologische Ordnungsgefüge“71 von Gen 1,1–2,3 mit der Scheidung von Licht und Finsternis ein (Tag I) und wird durch eine Folge fortschreitender Grenzziehungen zwischen den oberen und den unteren Wassern (Tag II) sowie zwischen Erde und Meer (Tag III) bis zur Rhythmisierung der Zeit durch die Gestirne (Tag IV ) ausgestaltet. Erst danach wendet sich der Text der Erschaffung der Lebewesen (Tiere und Menschen) zu, die die von Gott geschaffenen Lebensräume bevölkern (Tage V–VI).72 Entscheidend für unseren Zusammenhang ist dabei die Beobachtung, dass die Vorweltschilderung V. 2 mit dem Stichwort „Erde“ („die Erde aber war Tohuwabohu …“) den Merismus „Himmel und Erde“ des Mottoverses V. 1 („Am Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen“) aufnimmt, sich aber ganz auf den Lebensraum Erde konzentriert, während der Himmel nur noch als „Feste“ (rāqîaʿ) zwischen den oberen (Himmelozean) und unteren Wassern (Meer) thematisiert wird (V. 8). „Somit“, so folgert J. Chr. Gertz, „macht schon die Vorweltschilderung deutlich, dass es im Folgenden um die Lebenswelt des Men67
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Schroer, aaO 26, s. dazu ausführlich 153 ff.174 ff.337 ff.349 ff. Zur alttestamentlichen Mensch/Welt-Beziehung s. grundsätzlich Steck, Thesen 284 ff.289. 291, ferner Keel/Schroer, Schöpfung, 39 ff und Kipfer, Himmel, 36 ff. Weippert, Welterfahrung, 184. Zu Gen 8,22 s. oben 122 f. Link, Schöpfung 2, 50, vgl. ders., Schöpfung 1, 358 ff. S. dazu oben 46 ff.
466 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee
schen geht. Sie ist die bestimmende Perspektive des [priesterlichen] Schöpfungsberichts“73. Dass es der priesterlichen Urgeschichte insgesamt um „eine Deutung der für den Menschen erfahrbaren Lebenswelt“74 geht, lässt sich auch an ihrer Fluterzählung (Gen *6,9–9,17) ablesen, die dem Thema „Erde“ mit dem Motiv von ‚Gottes Bogen in den Wolken‘ noch eine besondere theologische Spitze verleiht (Gen 9,8–17).75 Auch in der nichtpriesterlichen Urgeschichte Gen *2,4b–8,22 spielt das Thema „Erde als Lebensraum“ eine zentrale, gegenüber der priesterlichen Konzeption allerdings anders gewichtete Rolle. Sowohl die Paradieserzählung Gen 2,4b–3,24 – mit der Erschaffung des aus „Erdkrume vom Ackerboden“ und „Lebensatem“ bestehenden „lebendigen Wesens“ Mensch (næpæš ḥajjāh Gen 2,7)76 – als auch die anschließende Erzählung von Kain und Abel (Gen 4,1–16) sind „mehrheitlich an dem interessiert, was auf der Erde geschieht“77. Dieses Interesse findet in der nichtpriesterlichen Fluterzählung Gen *6,5–8,22 eine dramatische Wendung, die mit der Bewahrungszusage von Gen 8,22 einen solennen Abschluss findet: Während aller Tage der Erde (gilt): Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht werden nicht aufhören.78 Das Motiv der Erde als Lebensraum findet sich auch in prophetischen, psalmistischen und weisheitlichen Texten (Jes 40,22; 45,18; Jer 10,12; Ps 24, 1b–2; 93,1b–2; 115,15; 119,90; Hi 26,7 u. ö.). Ein zentraler Beleg ist Jes 45,18: Denn so spricht JHWH, der Schöpfer des Himmels, er ist der Gott der Bildner der Erde und ihr Schöpfer, er ist es, der sie gründet/gegründet hat, nicht zur Öde (tohû) hat er sie geschaffen, zum Wohnen (lāšæbæt) hat er sie gebildet: „Ich, JHWH, und keiner sonst!“ Die „feststehende Erde als der heile Lebensraum“79 – das ist die Aussageintention dieser JHWH-Rede. Denn die Erde 73
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Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 39. Zur Metapher der Erde als „Lebenshaus“ s. Zenger, Gottes Bogen, passim, vgl. ders., Lebenshaus, 323 ff; Löning/Zenger, Anfang, 142 ff; Lohfink, Gottesstatue, 34 f; Lux, Bild Gottes, 272 ff. Gertz, aaO 79. S. dazu oben 79 ff. S. dazu oben 91 ff. Bührer, Anfang, 206. Wie Bührer hinzufügt, ist nach Gen 2,4b „auch die Nennung des Himmels … nicht fehl am Platz, geht es doch auch um die Konstituierung des den Menschen umgebenden Kosmos“ (ebd.). Allerdings wird dieses Thema nicht weiter verfolgt, vgl. oben 457 Anm. 27. Hinzuweisen ist auch auf den unterirdischen Süßwasserstrom, der nach Gen 2,6 aus der Erde aufstieg und die ganze Oberfläche des Ackerbodens tränkte, s. dazu oben 92. S. dazu oben 122 f. Hermisson, Deuterojesja II (BK), 63.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 467
„wäre nichtig, wenn sie nicht ausrichtete, wozu sie geschaffen ist, nämlich Lebensraum zu gewähren. Deshalb können bestimmte Bezirke der Erde an den Grenzen des Lebensraums, die Wüsten nämlich, als thw erfahren werden (Dtn 32,10; vgl. Hi 12,24); oder es kann ein Land zur Wüstenei werden, weil Jahwe ‚die Meßschnur thw‘ darüber ausspannt (Jer 34,11). Jer 4,23 schließlich wird die Erde in einer Weltuntergangsvision (wieder) als ein thw wbhw geschaut. Aber von solcher Chaoserfahrung … ist bei Dtjes keine Rede: Es ist gerade die Schöpferwirksamkeit Gottes, die die Erde feststehen läßt und aus der Nichtigkeit heraushält und die sie als Lebensraum, ‚zum Wohnen‘, gestaltet hat.“80 Von solcher Wohnqualität und der vom Schöpfer garantierten Stabilität der Erde ist auch in Ps 24,1b–2 die Rede: 1b JHWH gehört die Erde und ihre Fülle, der Erdkreis und die darauf wohnen. 2 Denn er – über Meeren hat er sie gegründet und über Strömen befestigt er sie.81 Und schließlich: Wenn es in Israel einen Ort auf Erden gibt, an dem die Schöpfung gefeiert und vergegenwärtigt wird, dann ist es der Tempel mit seinen Riten, Hymnen und Gebeten. Hier laufen alle Bezüge – weltbildhaft gesprochen: die vertikale (axis mundi, vgl. Jes 6,1–5; Ps 93; 48,2 f ) wie die horizontale Achse („Fülle der ganzen Erde“, vgl. Jes 6,3)82 – zusammen und formen sich zu einem Gesamtbild, das man als ‚steingewordenen Kosmos‘ bezeichnen kann.83 Dass diese Korrelation von kosmischer und kultischer Ordnung in die Krise geraten konnte, wird im Alten Testament mehrfach thematisiert (vgl. Hag 1,1–15a u. a.) und zugleich verheißungsvoll konterkariert (vgl. Hag 2,6–8).84
b) Die Konfrontation mit dem Chaos Altes Testament: Barth, Errettung, 42 ff ◆ Bauks, Art. Chaoskampf, 94 ff ◆ Day, God’s Conflict ◆ Hartenstein, Kosmisierung ◆ Janowski, Konfliktgespräche ◆ Ders., Die Toten, 201 ff ◆ Keel/Schroer, Schöpfung, 184 ff ◆ Petersen, Mythos, 111 ff.138 ff ◆ Podella, Chaoskampfmythos, 283 ff ◆ Steck, Thesen, 293 ff ◆ Ders., Welt, 95 ff.102 ff ◆ Uehlinger, Drachen, 55 ff. – Religions- und Kulturwissenschaft, Philosophie: Angehrn, Überwindung, 160 ff ◆ Stolz, Religionswissenschaft, 94 ff.
Trotz der großen Verheißungen der beiden Epiloge in Gen 8,20–22 (nP) und Gen 9,8–17 (P) geht das Alte Testament nicht davon aus, dass das Chaos – „das 80
Ders., aaO 64, s. dazu auch Berges, Deuterojesaja I (HThK.AT), 427 ff. S. dazu ausführlich Müller, Wettergott, 154 ff und Böhler, Psalmen 1–50 (HThK.AT), 445 ff. 82 Zum Fülle-Motiv s. oben 338 mit Anm. 27. Wichtig für unseren Zusammenhang ist der Hinweis von F. Hartenstein, dass die „Fülle“ (meloʾ ) der Erde, des Landes und des Meeres „eng mit der Vorstellung der Lebewesen verbunden (ist), die diese Weltbereiche bevölkern. Häufig bezeichnet der Begriff die bewohnte und bebaute Menschenwelt und damit wohl auch alle Erträge aus Ackerbau und Viehzucht als die ‚Fülle‘ des kultivierten und besiedelten Landes“ (Hartenstein, Unzugänglichkeit, 82 [H. i. O.], vgl. 100.108). 83 Zum Tempel als Kosmos s. oben 352 ff. 84 S. dazu oben 367 ff. 81
468 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee
Negative, das Nichtseiende und Nichtseinsollende“85 – ein für allemal überwunden ist.86 Im Gegenteil: das Alte Testament weiß von Gegen- und Unheilserfahrungen, die nicht nur die natürliche Lebenswelt in ihrem Bestand gefährden,87 sondern die auch das Leben des Einzelnen aufgrund von Anfeindungen, Krankheit und Rechtsnot in Mitleidenschaft ziehen.88 So zeigt ein Text wie Ps 11,1b–3, dass die Stabilität des Kosmos durch die Aktionen der Frevler erschüttert wird: 1b Bei JHWH habe ich mich geborgen. Wie könnt ihr zu mir sagen: „Flieh von eurem Berg, Vogel“? 2 Denn siehe, die Frevler spannen den Bogen, sie haben ihren Pfeil auf die Sehne gelegt, um zu schießen im Dunkeln auf die mit geradem Herzen. 3 Wenn die Grundfesten eingerissen werden – der Gerechte, was hat er getan?89 Zu vergleichen ist auch der frühnachexilische Ps 82, der mit einer Vision des in der Versammlung Els stehenden Israelgottes einsetzt (V. 1*) und mit einer Bitte um den göttlichen Rechtsentscheid über die Erde endet (V. 8). Die beiden Abschnitte V. 2–4 und V. 5.6–7 sind eine zweiteilige Gerichtsrede Gottes über die unverständigen Götter // ungerechten Richter, denen in V. 6 f der Tod angekündigt wird: 5 6 7
Sie haben weder Erkenntnis noch Einsicht, in Finsternis (ḥašekāh) wandeln sie umher, es wanken alle Fundamente der Erde (môsedê-ʾāræṣ). „Ich sage: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten ihr alle! Doch fürwahr: Wie Menschen sollt ihr sterben und wie einer der Fürsten fallen!“
Nach Ps 82 hat das göttliche Richtertum neben seiner sozialen (V. 2–4) eine explizit kosmische Dimension (V. 5–7). Diese wird in V. 5 nach ihrer chaotischen Seite hin entfaltet, weil die Erkenntnis- und Einsichtslosigkeit der Götter – sie wandeln „in Finsternis“ umher – „die Fundamente der Erde“ zum Wanken (mûṭ) bringen (vgl. Ps 18,16; 75,4 u. ö.)90 85
Angehrn, Überwindung, 160. Feldmeier/Spieckermann, Gott, 208: „Das Chaos wird durch die Schöpfung nicht vernichtet, sondern entmachtet und lebensförderlicher Funktion in der guten Schöpfung zugeführt“. Das zeigt sich nach Gen 1,2 ff am Übergang von der Vorwelt zur Schöpfungswelt, der insofern ‚unlogisch‘ ist, als die Finsternis von V. 2 nach V. 3–5 zusammen mit dem Licht die Kategorie der Zeit (Wechsel von Tag und Nacht) bildet und somit in die Schöpfung integriert wird, s. dazu oben 50 ff. Dies kommt etwa innerhalb priesterlichen Fluterzählung Gen *6,5–9,17 in Gen 6,11–13 (Verderbnis der Erde durch die Gewalt „allen Fleisches“) zum Ausdruck, s. dazu auch Schmid, Schöpfung 2, 80 ff. S. dazu Barth, Errettung, 42 ff.72 ff und Janowski, Konfliktgespräche, passim. Das ganze Arsenal der personalen und personalisierten Unheilsmächte wird von Frey-Anthes, Unheilsmächte aufgeführt, s. dazu auch oben 391 ff. S. dazu oben 343 f. S. dazu Hartenstein, Unzugänglichkeit, 93 mit Anm. 250 und Ego, Wasser, 230. Das Verb
86 Vgl.
87
88
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§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 469
und damit die Kohärenz der Wirklichkeit gefährden. Die Rechtfertigung des Armen (sein Zurechtgebracht-Werden) und die Stabilität der Erde (ihr Festgegründet-Sein) verdanken sich dagegen einer Gerechtigkeit, die alle Bereiche der Wirklichkeit: Götterwelt und Menschenwelt, Kosmos und Gesellschaft umfasst und so die Welt im Innersten zusammenhält.
Besonders signifikant für die Erfahrung des Chaotischen im Leben des Einzelnen sind die Bilder des zerbrechenden Lebens, von denen die Individualpsalmen (Klage- und Danklieder des Einzelnen) und das Hiobbuch voll sind. Diese Sprachbilder, deren Vergleichsmaterial aus der Tier-, der Pflanzen- und der Dingwelt stammen,91 bezeugen die intensive Eingebundenheit des Menschen in die Natur- und Kulturwelt (Pflanzen, Tiere, Dinge). Als Beispiele seien Ps 102,7– 9 und Ps 103,15 f zitiert (Vergleiche im Folgenden kursiv): 7 Ich gleiche einer Dohle in der Wüste, ich bin geworden wie eine Eule in Ruinen. 8 Ich war schlaflos und ich wurde wie ein Vogel, einsam auf dem Dach. 9 Den ganzen Tag beschämten mich meine Feinde, die mich zum Gespött machen, haben mir geflucht. (Ps 102,4–9) 15 Ein Mensch, wie Gras sind seine Tage, wie die Feldblume so blüht er. 16 Denn geht der Wind darüber, ist sie nicht mehr und nicht findet man wieder ihren Platz. (Ps 103,15 f )92
So gravierend diese Zerbruchserfahrungen sind und so elementar und plastisch sie mittels Bildsprache (Vergleiche und Metaphern) artikuliert werden, so wenig führen sie „zur Leugnung ihrer Schöpfungsqualität gar im Sinne dualistischer Konzeptionen, nirgends zu Aufrufen an den Menschen, seine unvollkommene Lebenswelt selbst in den Idealzustand zu verbessern. Die Minderungen der natürlichen Welt gründen im Menschen und seiner Korrumpierung des Gottesverhältnisses; die Lebensqualität der natürlichen Welt zu schaffen, liegt jedoch nicht in der Macht des Menschen“93. mûṭ „wanken“ ist kein Allerweltsverb, sondern es hat einen prägnanten Bezug zum Chaotischen, s. dazu Steck, Friedensvorstellungen, 37 Anm. 85 und Janowski, Konfliktgespräche, 71 f. 91 Die Vergleichsspender aus der Pflanzenwelt sind Gras, (Feld-)Blume, Spreu und Dornstrauch, aus der Tierwelt sind es Wurm, Made, Schakale, Straußenhennen, Hirschkuh, Dohle, Eule, Vogel, Schaf, Motten und Geier, aus der Dingwelt sind es Wasser, Wachs, Scherbe, Gefäß, Schatten, Rauch, Hauch, Gewölk, Tau, Kohlebecken, Schnur/Schale, Krug/Schöpfrad, Erde und Kleid, s. dazu die Übersicht oben 207 f mit Abb. 51. 92 Zu diesen beiden Texten s. oben 199 ff.203 ff. 93 Steck, Thesen, 294. Allerdings müsste man die von Steck für die „Minderungen der natürlichen Welt“ verantwortlich gemachte menschliche „Korrumpierung des Gottesverhältnisses“ konkretisieren, und zwar durch die in den Individualpsalmen (KE und De) detailliert beschriebenen Aktionen der Anfeindung und Rechtsbeugung, die nicht zuletzt auch das Gottesverhältnis tangieren, s. dazu Janowski, aaO 98 ff.134 ff.
470 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee
Die Konfrontation mit chaotischen Gegenerfahrungen ist aber nicht nur ein Thema der Individualpsalmen und ihren Vergänglichkeitsklagen, sie begegnet auch in anderen Textgattungen. Die Hauptvarianten dieses Motivs sind der Kampf JHWHs gegen das Chaos und seine mythischen Repräsentanten, der Triumph JHWHs über das Chaos und die Begrenzung des Chaos durch einen Setzungsakt JHWHs.94 Sowohl am Chaoskampf- als auch am Begrenzungsmotiv lässt sich zeigen, dass das Chaos nicht ein für allemal überwunden ist, sondern die Schöpfung weiterhin gefährdet. JHWHs Kampf gegen das Chaos ist nicht nur eine Tat der Urzeit (Ps 74,12–14, vgl. Hi 26,11 ff u. a.) und des Exodus (Jes 51,9 f ), sondern auch der Jetztzeit, sofern kollektive Notzeiten durch die Hoffnung auf JHWHs schöpferisches Eingreifen sprachlich bewältigt werden (müssen). Die unterschiedlichen Schilderungen des Chaos- und Meereskampfes fügen sich dabei nicht in eine einheitliche Vorstellung. Sie sind aber alle dem Thema der Lebenssicherung und Lebenserhaltung verpflichtet95 und machen deutlich, dass das Chaos „als Überwundenes erhalten (bleibt), aber auch als Gegenwelt und fortwährende Bedrohung; Ordnung und Gestalt müssen sich gegen ihre eigene Zerfallstendenz behaupten. Im Mythos äußert sich diese Permanenz so, daß das Überwundene in neuer Gestalt auftritt, daß es Abkömmlinge als Widersacher der herrschenden Ordnung hervorbringt, die es immer von neuem herausfordert; umgekehrt muß die Kosmisierung nicht nur Figuren und Strukturen erzeugen, sondern gleichzeitig Schutz- und Abschirmungsmaßnahmen ergreifen, das Potential der Destruktionskräfte verdrängen und eindämmen“96.
Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass nach Jer 5,22; Ps 104,9; Hi 38,10 f; Spr 8,29 u. a. die Begrenzung des Meeres eine bleibende Herausforderung und Aufgabe des Schöpfergottes ist. In dieser Begrenzung geht es „um die äußere Eindämmung des Chaos, um das Festlegen von Grenzen zwischen der Welt und ihrem Anderen“97. Die Festlegung von Grenzen, die bereits den priesterlichen Schöpfungstext Gen 1,1–2,3 charakterisiert,98 zeigt, dass Schöpfung wesentlich Scheidung und damit Differenzierung/Setzung von Richtungen, Regionen und Gestalten ist. „Nur der Mensch“, so E. Hornung, „wirft alles wieder durcheinander. Das Getrennte ist aufeinander angewiesen, aber es bleibt getrennt, solange es seiend ist. Nur die Wiederkehr des Nichtseins hebt die Differenzierung wieder auf “99. Deshalb insistieren die Texte zum Chaos- und Meereskampf wie zur Be94
95 96 97 98 99
S. dazu oben 136 f. S. dazu oben 391 ff.411. Zum Chaos- und Meereskampf in Ägypten und im Alten Orient s. oben 399 ff. Angehrn, Überwindung, 171. Zur „Kosmisierung des Chaos“ s. auch Hartenstein, Kosmisierung (i. Dr.). Angehrn, aaO 160. S. dazu oben 48 f, vgl. Angehrn, aaO 166 f. Hornung, Der Eine, 269.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 471
grenzung des Meeres auf der schöpferischen Macht der Unterscheidung, weil es um die Errichtung und Bewahrung der Welt als Ordnung geht.100 c) Die Gemeinschaft des Lebendigen Altes und Neues Testament: Gräßer, Seufzen, 93 ff ◆ Keel, Böcklein ◆ Keel/Schroer, Schöp-
fung, 64 ff ◆ Riede, Mitgeschöpflichkeit, 85 ff ◆ Steck, Thesen, 289 ff ◆ Uehlinger, dominium terrae, 65 ff ◆ Vollenweider, Seufzen, 137 ff. – Kulturwissenschaft, Theologie, Philosophie, Soziologie: Ach/Borchers (Hg.), Handbuch ◆ El Maaroufi, Ethik, 160 ff.208 ff ◆ Hagencord, Mit-Sein, 275 ff ◆ Pelluchon, Zeitalter, 71 ff ◆ Dies., Manifest, 51 ff ◆ Peuckmann, Tierethik 1, 41 ff ◆ Ders., Tierethik 2, 129 ff ◆ Schroer, Geosoziologie, 337 ff ◆ Ulrich/Dierken, Welt, 891 ff.
Wie die bisherige Skizze gezeigt hat, ist die traditionelle Subjekt/Objekt-Gegenüberstellung kein zureichendes Erklärungsmodell, um im Blick auf das alte Israel die Position des Menschen in der Welt und sein Verhältnis zu den Mitgeschöpfen zu beschreiben.101 Da nach alttestamentlichem Verständnis das Leben des Menschen unweigerlich verwoben ist in das Leben der anderen Lebewesen (Tiere und Pflanzen), geht es um die Gemeinschaft aller Lebewesen als einer Gemeinschaft des Lebendigen.102 Die Menschen des alten Israel ernährten sich von Pflanzen und Tieren, ihre Kleider bestanden aus pflanzlichen Stoffen und tierischer Haut und sie lebten (Vierraumhaus) und arbeiteten (Feldarbeit) mit den Hausund Nutztieren zusammen.103 Für diese Gemeinschaft des Lebendigen gibt es in den biblischen Schöpfungstexten ein reiches Anschauungsmaterial. In Frage kommen besonders weisheitliche Texte, weil sie den ruhigen und nachdenklichen Blick auf die Welt und ihre lebendige Vielfalt pflegen. Besonders eindrücklich ist der Mittelteil von Ps 104, der dem Thema „Die Erde als Lebensraum“ gewidmet ist und der in einer grandiosen Folge von Bildern die Versorgung von Pflanzen und Tieren mit Wasser schildert (V. 10–18) und der nach der Erschaffung des grundlegenden Tag/ Nacht-Wechsels (V. 19–23) mit dem weisheitlichen Bewunderungsruf von V. 24 endet:104 10 Der Quellen sendet in die Bachtäler, zwischen Bergen laufen sie (dahin), 11 sie tränken alle Tiere des Feldes, es löschen Wildesel (daraus) ihren Durst, 100 S.
Tiere, Pflanzen, Mensch
Tiere des Feldes Wildesel
dazu Angehrn, aaO 171 ff.177 ff.259 ff und zum Ordnungsdenken oben 137 ff. dazu oben 465 mit Anm. 68–69. 102 Dies ist auch ein wichtiger Ansatz in der gegenwärtigen Tier- und Umweltethik, s. dazu Peuckmann, Tierethik 1, 41 ff; ders., Tierethik 2, 129 ff; Hagencord, Mit-Sein, 275 ff; Pelluchon, Zeitalter, 71 ff; dies., Manifest, 51 ff; Schroer, Geosoziologie, 337 ff u. a. 103 S. dazu Janowski, Anthropologie, 228 ff.329 ff. 104 S. dazu oben 418 ff. 101 Vgl.
472 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee 12 Über ihnen wohnen die Vögel des Himmels, aus (dem) Laubwerk geben sie Laut. 13 Der Berge tränkt aus seinen Obergemächern, von der Frucht deiner Werke sättigt sich die Erde. 14 Der Gras sprießen lässt für das Vieh und Pflanzen für die Arbeit des Menschen, um Brot aus der Erde hervorzubringen 15 – und Wein erfreut das Herz des Menschen –, um glänzend zu machen (das) Angesicht von Öl, – und Brot stärkt das Herz des Menschen. 16 Es sättigen sich die Bäume JHWHs, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat, 17 wo Vögel nisten, der Storch – Zypressen sind sein Haus. 18 Die hohen Berge gehören den Steinböcken, die Felsen sind eine Zuflucht für die Klippschliefer. 19 Er (sc. JHWH) hat gemacht (den) Mond für die Festzeiten, die Sonne kennt ihren Untergang. 20 Du bestimmst Finsternis, und es wird Nacht, in ihr wimmeln alle Tiere des Waldes, 21 die Junglöwen, brüllend nach Beute, um von Gott ihre Nahrung fordern. 22 Es geht die Sonne auf, sie ziehen sich zurück, und zu ihren Verstecken hin lagern sie sich. 23 Es geht der Mensch heraus zu seinem Tun und zu seiner Arbeit bis zum Abend. 24 Wie zahlreich sind deine Werke, JHWH, sie alle hast du mit Weisheit gemacht, voll ist die Erde von deinem Eigentum!
Vögel des Himmels Laubwerk
Gras Pflanzen, Mensch
Bäume JHWHs Zedern Vögel Storch, Zypressen Steinböcke Klippschliefer
Tiere des Waldes Junglöwen " " " Mensch Bewunderungsruf: alle Werke JHWHs
Wie die Abfolge V. 10–12 / V. 13–15 / V. 16–18 deutlich macht, ist der Mensch nicht der Mittelpunkt der Schöpfung, sondern in die Gemeinschaft der Geschöpfe (Tiere) und die Erscheinungen der natürlichen Lebenswelt (Wasser, Berge, Täler, Pflanzen, Bäume) eingebunden. Auch das Meer ist nicht dem Prinzip der Nützlichkeit für den Menschen unterworfen, denn in ihm lebt das mythische Wesen Leviatan als Spielpartner Gottes (V. 25 f ). Und schließlich unterstreichen V.27–30 die Angewiesenheit aller Lebewesen (Menschen und Tiere) auf den sie sättigenden und belebenden Schöpfergott: „Sie alle warten auf dich, dass du ihnen Speise gibst zu ihrer Zeit“ (V. 27).105 Auch außerhalb der Schöpfungstexte wird das Mensch/Tier-Verhältnis nicht einfach anthropozentrisch verkürzt. Vielmehr ist, wie die folgende Übersicht zeigt, öfter vom Lebensrecht der nichtmenschlichen Kreatur sowie von einer drohenden Zerstörung des Ökosystems durch das Abholzen von Fruchtbäumen die Rede: 105 S.
dazu ausführlich oben 428 ff.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 473
– Ex 20,10 Sabbatgebot auch für die Tiere, vgl. Dtn 5,14 – Ex 22,29 Tierische Erstgeburt (Rind, Kleinvieh) ist sieben Tage bei der Mutter zu belassen, vgl. Lev 22,27 – Ex 23,4 f Den Esel „deines Feindes“/das Rind „deines Bruders“ soll man nicht unter seiner Last zusammenbrechen lassen, vgl. Dtn 22,4 – Ex 23,12 Ruhetagsgebot auch für die Tiere – Ex 23,19 Verbot, das Böcklein in der Milch seiner Mutter zu kochen, vgl. Ex 34,26; Dtn 14,21 – Lev 22,28 Verbot, ein Muttertier mit seinem Jungen zusammen zu schlachten _ Dtn 20,19 f Verbot, die in der Umgebung einer Stadt wachsenden Fruchtbäume zu fällen – Dtn 22,6 f Verbot, eine brütende Vogelmutter zu fangen – Dtn 25,4 Verbot, einem dreschenden Rind das Maul zu verbinden – Spr 12,10 Der Gerechte kennt das Bedürfnis seines Viehs106
Abb. 110: Tier- und umweltethische Bestimmungen im Alten Testament
Und schließlich: Nach Gen 9,8–17 (P) gehören auch die Tiere zum Gottesbund und nach Hi 38,39–39,30 sind sie Geschöpfe eigenen Rechts und eigener Würde.107 Nicht genug damit: sie sind sogar Lehrer des Menschen (Spr 6,6 ff ) und haben denselben Lebensgeist und dasselbe Todesschicksal wie die Menschen (Pred 3,19–22).108 Wie aber steht es mit dem Herrschaftsauftrag über die Tiere von Gen 1,26– 28: propagiert dieser nicht die Überzeugung, dass der Mensch die „Krone der Schöpfung“ ist? Wir berühren damit einen neuralgischen Punkt des biblischen Schöpfungsglaubens. Exkurs 12: Anthropozentrismus? Altes Testament: Keel, Anthropozentrik, 221 f ◆ Ders./Schroer, Schöpfung, 237 f ◆ Liedke, Bauch des Fisches, 49 ff ◆ Oeming/Schmid, Hiobs Weg, 114 ff ◆ Peuckmann, Tierethik 1, 26 ff.41 ff ◆ Ders., Tierethik 2, 131 ff.135 ff ◆ Schmitz, Mensch, 18 ff ◆ Uehlinger, dominium terrae, 59 ff ◆ Zenger, Gottes Bogen, 179 ff ◆ Ders., „Du liebst“, 138 ff. – Theologie, Philosophie, Soziologie, Kulturwissenschaft: Borchers, Art. Anthropozentrismus, 143 ff ◆ Bossert/ Schlegel, Anthropozentrismus, 14 ff ◆ Enxing, Überlegungen, 300 ff ◆ Groh/Groh, Weltbild, 11 ff ◆ Höffe, Moral, 196 ff ◆ Schroer, Geosoziologie, 193 ff.212 f ◆ Teutsch, Umweltethik, 8 ff ◆ Ders., Tierschutzethik, 188 ff ◆ Ulrich/Dierken, Welt, 900 ff.
Wenn ein Gedanke historisch anders gelebt worden ist, als er ursprünglich gemeint war, so hängt dies zunächst mit seiner Wirkungsgeschichte und den damit einhergehenden Kontextverschiebungen zusammen. Aber nicht nur das. Denn die Wirkung eines Gedankens hängt auch mit dem Gedanken selbst, also mit seinem Ursprungssinn zusammen, insoweit Menschen ihr Handeln von ihm bestimmt sein lassen. Die biblische Vorstellung von 106 Zu
diesen Texten s. die Nachweise im Register der Stellen. dazu oben 82 ff.85.213 ff. 108 S. dazu oben 99 Anm. 52; 221 ff 107 S.
474 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,26–28; 9,6), der seit den 1960er Jahren für die ökologische Krise (mit-)verantwortlich gemacht wurde, ist ein solcher Gedanke. Zugespitzt lautete diese Schuldzuweisung: An den ökologischen Krisen der Gegenwart trägt letztlich „das Christentum die Hauptschuld, weil mit seiner aus der jüdisch-christlichen Tradition stammenden Religion und Botschaft eine ‚Arroganz gegenüber der Natur‘ verbunden gewesen sei“109. Ein solche Haltung gründe zum einen in der anthropozentrischen Auffassung, dass alles in der Welt der Erscheinungen dazu bestimmt sei, den Zwecken des Menschen zu dienen, und zum anderen in der Entgöttlichung der Natur durch die christliche Schöpfungslehre, die damit die Möglichkeit einer rücksichtslosen Ausbeutung der Natur eröffnet habe. Im Zusammenwirken beider Momente werden von vielen die religiösen Wurzeln der ökologischen Krise gesehen.110 Unter dem Eindruck dieser – generellen und darum einseitigen – Kritik des biblisch fundierten Anthropozentrismus sah sich auch die alttestamentliche Wissenschaft zu einem Umdenken veranlasst, allerdings mit eigenartigen Begründungen und Empfehlungen. Eine dieser Empfehlungen lief darauf hinaus, „den Text von Gen 1 als die Aussage der biblischen Überlieferung zu Schöpfungstheologie und Umweltproblematik für einige Zeit in die große Truhe der Schrift zurückzulegen und durch andere Texte zu ersetzen oder Gen 1 wenigstens energisch andere, weniger imperialistische Texte an die Seite zu stellen“111 wie Gen 2; Ps 104; Hi 38 f; Spr 8 u. a.112 Abgesehen davon, dass man auf diese Weise den biblischen Herrschaftsauftrag nicht los wird,113 wird auch die Möglichkeit verspielt, dem Anliegen der ökologischen Ethik durch eine Neubewertung des Anthropozentrismus zu entsprechen, die ihm seine despotischen Züge nimmt. Um diese Neubewertung herbeizuführen und die Diskussion aus der eingeschliffenen Schwarz/Weiß-Alternative herauszuführen, ist zunächst zu sehen, dass die Rückführung eines derart komplexen Geschehens wie der modernen Umweltkrise auf eine einzige Ursache wie das Judentum und das Christentum „schon deshalb verfehlt ist, weil Geschichtsprozesse – ebenso wie Naturprozesse – nicht nach dem Schema linearer Kausalitäten ablaufen. Sie sind vielmehr als Systeme von Relationen und Rückkoppelungen anzusehen, die ohne Annahme oberster oder erster Ursachen hinreichend beschrieben werden können“114. Wer deshalb in den Vorwurf, das Christentum sei allein verantwortlich für die Ausplünderung unseres Planeten, nicht einstimmt, kann dennoch mit guten Gründen die Meinung vertreten, dass die Auffassung von der Natur als Objekt menschlichen Fortschrittsglaubens ihre Ausprägung auch durch das Christentum erfahren hat. Allerdings durch eine Art von Christentum, das in Wechselwirkung mit den modernen Naturwissenschaften stand und von diesen mitgeformt und überlagert wurde. Der Weg der Naturvorstellungen 109 Groh/Groh,
Weltbild, 14 f. diesem Erklärungsmuster s. dies., aaO 11 ff. 111 Keel, Anthropozentrik, 221 (H. i. O.). 112 Vgl. Keel/Schroer, Schöpfung, 237. 113 Wollte man dieser Empfehlung folgen, würde die Schrift, wie Höffe, Moral, 199 feststellt, „in die Nähe eines Warenhauses (rücken), das innerhalb großzügiger Grenzen jedem Zeitgeist entgegenkommt“. 114 Groh/Groh, Weltbild, 16. 110 Zu
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 475
„vom Garten Eden zur Weltmaschine (war) keine Einbahnstraße, kreuzungsfrei und mit Sichtblenden auf beiden Seiten. Vielmehr wurde bekanntlich die christliche Naturauffassung von Anbeginn mitgeformt oder überlagert und aufgefüllt von Konzeptionen der griechischen Naturphilosophie“115. Für eine Neubewertung dieser Problematik ergibt sich daraus die Notwendigkeit, den dominierenden Anthropozentrismus inhaltlich anders zu bestimmen. Denn, so O. Höffe, „nicht auf den generellen Streit um ein anthropozentrisches Denken kommt es also an, sondern auf den spezifischen um eine anthropologische Moral; erst sie spricht dem Menschen auch Vorrechte zu“116. Anders gesagt: Nicht dass der Mensch sich in den Mittelpunkt stellt, zeichnet ihn aus, sondern dass er fähig ist, diese Mittelpunktstellung einzuschränken. „Ohne diese Fähigkeit“, so noch einmal Höffe, „derentwegen der Mensch denn doch einen höheren Rang einnimmt, ohne die Moralfähigkeit, ist eine ökologische Ethik undenkbar. Nur eine Spezies, die sich bei der Selbstbehauptung als viel stärker denn als alle anderen Spezies erweist, macht diese Ethik nötig; nur eine Spezies, die das Prinzip der Selbstbehauptung überwindet und dann besser, und zwar von Grund auf besser ist, macht sie möglich“117. Hierbei gibt es Anschlussmöglichkeiten an den priesterlichen Schöpfungstext. Denn aus Gen 1,1–2,3 können wir lernen, dass der Mensch nicht die „Krone der Schöpfung“ ist,118 sondern an der Basis einer ‚umgekehrten Pyramide‘ steht (s. Abb. 111) und auf alles bezogen ist, was vor ihm geschaffen wurde: die Lebewesen des 5. und des 6. Tages sowie die raumzeitlichen Strukturen der natürlichen Lebenswelt (1. bis 4. Tag). In dieses Gefüge wird der Mensch am 6. Tag eingebunden und damit „gebunden an alles, was vor ihm geschaffen ist: an Raum und Zeit, an Pflanzen und Tiere, und doch unübersehbar herausgehoben durch seine Bestimmung zum ‚Bild Gottes‘“119. Im Übrigen sind die radikalen Veränderungen zu beachten, die das Leben im nachsintflutlichen 115 Dies.,
aaO 17. Höffe, aaO 196. Statt für einen moralischen Anthropozentrismus plädieren Bossert/ Schlegel, Anthropozentrismus, 14 ff für „sentientistische und biozentrische Wertfundamente“ (18), die ihres Erachtens überzeugende Antworten auf die ökologische Krise bereithalten. Das hört sich gut an, übersieht aber, dass es Menschen sind, die diese Werte vertreten (sollen); von allein setzen sie sich nicht durch. Wesentlich differenzierter argumentieren demgegenüber Peuckmann, Tierethik 1; ders, Tierethik 2, 131 ff.135 ff; Borchers, Art. Anthropozentrismus, 143 ff und – mit gewissen Einschränkungen – Enxing, Überlegungen, 300 ff. 117 Höffe, aaO 211, s. dazu auch Ulrich/Dierken, Welt, 901: „Gerade in unserer Verantwortung haben wir eine Sonderstellung im Bereich des Lebendigen, Klimaschutz ist im Anthropozän eben eine Aufgabe des Menschen“. 118 Zur Rezeptionsgeschichte dieser im 19. und 20. Jh. propagierten Formel, die „biblisch klingt, aber nicht biblisch ist“ (28), s. Schmitz, Mensch, 18 ff. „Dabei wird“, so Schmitz, „der Mensch durchaus als herausgehoben dargestellt und nimmt eine besondere Stellung eine – diese Stellung aber ist mit einer Aufgabe und einem Auftrag versehen, und kann daher gerade keine selbstherrliche Privilegierung als vermeintliche ‚Krone der Schöpfung‘ sein. Die anthropologischen Konzepte der Bibel heben vielmehr die Verantwortung des Menschen für die Welt hervor, und sie betonen das Eingebundensein des Menschen in die Natur, seine Begrenztheit und seine Abhängigkeit von Gott“ (28 [H. i. O.]). 119 Link, Mensch, 20 f. 116 Vgl.
476 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee Tohuwabohu, Finsternis (V. 2) Vorwelt
1. Tag: Licht und Finsternis
2.–3. Tag: Lebensräume 4. Tag: Gestirne
5.–6. Tag: Lebewesen (Tiere, Mensch) Mensch
Ruhen Gottes
7. Tag: Gott
Abb. 111: Die Position des Menschen in der Schöpfung nach Gen 1,1–2,3 Äon betreffen und die in der erlaubten Tiertötung (mit dem Bluttabu Gen 9,3 f ) und der verbotenen Menschentötung (Gen 9,5.6a) bestehen. In der Begründung dieses Verbots – „denn als Bild Gottes hat er ihn gemacht“ (Gen 9,6b) – fällt das Fehlen des Herrschaftsauftrags auf. Das ist gravierend. Denn an die Stelle der Herrschaft des Menschen über die Tiere (vgl. Gen 1,26–28) tritt, wie Gen 9,8–17 deutlich macht, der „Bund“ Gottes mit Noah und den Tieren (Gen 9,12 ff ). Dieser Sachverhalt, d. h. die vom Gottesbund umgriffene Geschöpflichkeit von Mensch und Tier ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel: von der Herrschaft des Menschen über die Tiere zum Bund Gottes mit allen Geschöpfen.120 𓇼
3. Ausblick: Die Ethik der Mitgeschöpflichkeit Welche Folgerungen ergeben sich aus unseren Überlegungen für die Frage nach der Relevanz des biblischen Schöpfungsglaubens für uns heute? Und welcher Stellenwert kommt speziell dem Slogan „Bewahrung der Schöpfung“ zu? Bewahrung der Schöpfung? Im Blick auf die Berechtigung und Sinnhaftigkeit der Rede von der „Bewahrung der Schöpfung“, die seit der 6. Vollversammlung des ÖRK in Vancouver im Jahr 1983 in Kirche und Theologie en vogue ist,121 ist zunächst nüchtern festzuhalten, dass es dafür keinen biblischen Anhalt gibt, auch wenn immer wieder auf den nichtpriesterlichen Beleg Gen 2,15 hingewiesen wird, der den Passus Gen 2,8 f(.10–14: Paradiesgeographie).15 abschließt:
120 S.
dazu oben 79 ff.84 f. dazu die rezeptionsgeschichtliche Skizze von Schürger, Bewahrung, 31 ff und zur Kritik Thomas, Schöpfung, 531 ff sowie nach wie vor Graf, creatio ex nihilo, 220 f der zu Recht von einer „hier konsequent vollzogene(n) Vertauschung der Subjektivität Gottes mit der des Menschen“ spricht: „Via negationis wird unterstellt, daß der neuzeitliche Mensch die Macht gewonnen habe, die Schöpfung sowohl zu zerstören als auch zu bewahren. Gerade die um religiöse Begrenzung menschlicher Subjektivität bemühte neue Schöpfungstheologie vertritt damit ein Bild des Menschen, das sich theologisch gar nicht titanischer denken läßt. Denn nicht mehr Gott erscheint hier als Subjekt der creatio continua, sondern der fromme Mensch“.
121 S.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 477
8 Und JHWH Gott pflanzte einen Garten in Eden, im Osten, und er setzte dort den Menschen (hinein), den er gebildet hatte. 9 Und JHWH Gott ließ wachsen aus dem Ackerboden allerlei Bäume, begehrenswert anzusehen und gut zum Essen, und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis von gut und böse. 15 Und JHWH Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue (ʿābad) und bewahre (šāmar).122
Bewahrt werden soll danach nicht die gesamte Schöpfung, sondern allein der Garten Eden. Im Übrigen sind auch die Tiere noch nicht im Blick, weil diese erst später geschaffen werden (vgl. Gen 2,19 f ).123 Wenn jemand die Schöpfung bewahrt bzw. bewahren kann, dann ist es allein der, der sie in Dasein gerufen hat, nämlich Gott (vgl. Jer 5,24).124 Das ist auch die Aussageintention der nichtpriesterlichen Urgeschichte, denn deren Epilog markiert nichts weniger als eine Epochenwende von der Vernichtung zur Bewahrung der Schöpfung: „Ich (sc. JHWH) will hinfort nicht noch einmal den Ackerboden um des Menschen willen verfluchen, obwohl das Gebilde des Herzens des Menschen böse ist von seiner Jugend an, und ich will hinfort nicht noch einmal alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe. 22 Während aller Tage der Erde (gilt): Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht werden nicht aufhören.“ (Gen 8,*21 f )125 Gegenüber dieser biblischen Perspektive hat sich die Problematik durch die gegenwärtige Klimakrise allerdings dramatisch verändert, so dass die Frage aufbricht, „wie sich dieser Glaube an die Erhaltung der Welt durch Gott den Schöpfer mit unserem ökologischen, gesellschaftlichen, politischen Bemühen und mit unseren drängenden ethischen Aufgaben um die Bewahrung der Schöpfung zusammendenken lässt, und ob und inwiefern umgekehrt die gegenwärtigen ökologischen und politischen Großkrisen einen massiven Reformulierungsbedarf gegenüber der traditionellen Schöpfungstheologie anmahnen“126. In ihrem gemeinsamen Aufsatz Wer erhält die Welt? betonen auch die Systematiker J. Ulrich und J. Dierken, dass der Aufruf zur Bewahrung der Schöpfung „eine tendenziell übermenschliche Aufgabe“ impliziert, die „geradezu zur Agenda des Menschen bei der Rettung der Welt zu gehören (scheint). (…) Die mit dem alten Schöpfungsglauben verbundene Verheißung, dass unser Leben
122 S.
dazu oben 94. Dohmen, Gott, 36 f und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 110. 124 S. dazu auch Rüterswörden, dominium terrae, 26 ff; Schmid, Theologie, 168; Vollenweider, Wahrnehmungen, 146 und Ulrich/Dierken, Welt, 891 f.895 f. 125 S. dazu oben 122 f. 126 Ulrich/Dierken, aaO 896. 123 Vgl.
478 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee trotz aller Gefährdungen gehalten sei und bewahrt werde, weicht dem Gegenteil, einem Imperativ zur Erhaltung durch uns“127. Allerdings stellt die gegenwärtige Umwelt- und Klimakrise eine gegenüber den biblischen Schöpfungstraditionen neue Realität dar, auch wenn diese hier und da ein ausgesprochenes Gefährdungsbewusstsein entwickelt haben.128 Deshalb müssen wir uns heute dieser Realität stellen und unser gesellschaftliches Handeln darauf ausrichten. Ethisch angezeigt ist also, allen „ein prinzipiell gleiches Anrecht auf eine bewohnbare Erde zuzuerkennen wie man es für sich beansprucht“129. Dieses Erfordernis ethischer Verantwortung lässt sich durchaus mit den Grundmotiven des biblischen Schöpfungsglaubens in Zusammenhang bringen, ohne den hybriden Überfrachtungen, wie sie der Slogan von der „Bewahrung der Schöpfung“ tendenziell mit sich bringt, anheimzufallen. Die Einsicht in die Eingebundenheit des menschlichen Lebens in soziale und naturale Zusammenhänge ist die Grundperspektive, die die heutige von der biblischen Schöpfungstheologie lernen kann. „Schöpfungsglaube“, so noch einmal Ulrich und Dierken, „ist gewissermaßen die Einübung in die Endlichkeit des in ökologischen und sozialen Kontexten gelebten menschlichen Lebens. (…) Subjektivität weiß sich als Teil der Natur und zeigt sich für Intersubjektivität offen. Solch ein Verständnis von Endlichkeit als Geschöpflichkeit ist insofern kein Bewusstsein eines Mangels, sondern es eröffnet den Blick über den Tellerrand des eigenen Daseins auf ein Ganzes des Lebens hin“130. Wenn an die Stelle der Formel „Bewahrung der Schöpfung“ das Bewusstsein der Geschöpflichkeit und damit das Bewusstsein für die Ambivalenzen des Lebens tritt, lässt sich auch ein Verständnis dafür entwickeln, dass die Schöpfung es wert ist, erhalten und bewahrt zu werden.131 Welche Maßnahmen dafür zu ergreifen sind, ist im Einzelnen umsichtig zu benennen und national wie international zu koordinieren.132 Bei allem aber, was wir in dieser Hinsicht tun, geht es um die „Achtung der Lebensprozesse im Ganzen, dessen Teil auch wir sind und immer bleiben“133.
Ethik der Mitgeschöpflichkeit Wenn, wie die biblischen Schöpfungstexte zeigen, nur Gott die Schöpfung bewahren kann (vgl. Gen 8,20 ff; Jer 5,24; Ps 104,27 ff u. a.), stellt sich die Frage nach der Rolle des Menschen im Ganzen der Schöpfungswelt. Im Blick auf diese Frage sind Kurzschlüsse und Überfrachtungen, wie sie der Slogan von der „Bewahrung der Schöpfung“ darstellt, zu vermeiden. Stattdessen kommt es auf eine Ethik der Mitgeschöpflichkeit an, die nicht nur die geschöpflichen Grenzen achtet, sondern die auch den anderen Lebewesen das Recht auf Leben einräumt und 127 Dies.,
aaO 896 f. dazu oben 151 ff. 129 Dies., aaO 897. 130 Dies., aaO 899 f. 131 Vgl. dies., aaO 900. 132 S. dazu die Anregungen bei dies., aaO 900 f. 133 Dies., aaO 902. 128 S.
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 479
die sich von ihrem Leiden affizieren lässt.134 Die Notwendigkeit einer solchen Ethik hat O. H. Steck vor mehr als vierzig Jahren folgendermaßen begründet: „Die Primärbeziehung des Lebendigen auf den Schöpfer verwehrt eine Perspektive, die den Menschen in einem unmittelbaren Gegenüber zur natürlichen Welt sieht, und artikuliert sich als die fraglose Einbettung des Menschen in diese Welt neben anderem Leben gleichen Lebensrechtes, insbesondere aber im Blick auf die Sonderstellung der Verantwortung und Ermächtigung des Menschen vor dem Schöpfergott in dieser entdämonisierten Welt, in der Bedrohungen der Lebenswelt nicht mehr von numinosen Gegenmächten, sondern nur noch vom Lebendigen selbst, vorab vom Menschen verursacht werden können.“135
Für das Lebensrecht der Tiere kann noch einmal auf Ps 104,10 ff; Hi 38,39 ff u. a., aber auch auf die oben zusammengestellten tierethischen Texte wie Ex 20,10; 23,12; Spr 12,10 u. a. hingewiesen werden.136 Was schließlich das Thema „Leiden der Mitgeschöpfe“ angeht, so leistet ein Text wie Röm 8,18 ff einen bedeutsamen Beitrag zur „Sensiblisierung für Verwüstung und Leiden von ökologischen Lebensgemeinschaften, die auf menschliches Fehlverhalten zurückgehen“137. Von einer Sehnsucht der Geschöpfe nach dem Schöpfer, wie sie in Röm 8,18 artikuliert wird, ist auch in Jo 1,20; Ps 104,27 f und Ps 145,15 f die Rede.138 Noch einmal: Nach dem Alten Testament sind Menschen und Tiere Geschöpfe Gottes (vgl. Gen 1,20–30) – das gilt selbst für die Schlange von Gen 3,1 oder für die monströsen Tiere Behemot und Leviatan (Hi 40,15 ff.25 ff ).139 Als Gefährten und Feinde des Menschen leben die Tiere mit dem Menschen „in einer Schöpfungsgemeinschaft zusammen und (teilen) gemeinsam dieselbe Geschichte …, die auf eine Erlösung aller Kreatur zuläuft (Röm 8,18–22)“140. Man mag das für einen „religiösen Überschuss“ halten und entsprechend abtun. Weiterführend ist das aber nicht. Denn das biblische Verständnis der Geschöpflichkeit aller Kreatur erweitert den allgemeinen Tierethikdiskurs um den Aspekt der Mitgeschöpflichkeit, der für die zukünftige Bestimmung des Mensch/Tier-Verhältnisses unverzichtbar ist.141
134 S.
dazu Dohmen, Mitgeschöpflichkeit, 26 ff; Riede, Mitgeschöpflichkeit, 85 ff: Peuckmann, Tierethik 1, 41 ff u. ö.; ders., Tierethik 2, 135 ff u. a. und aus philosophischer und islam-theologischer Sicht Pelluchon, Zeitalter, 71 ff und El Maaroufi, Ethik, 71 ff. 160 ff. Zur Geschichte des Begriffs „Mitgeschöpflichkeit“ s. etwa Teutsch, Umweltethik, 68 ff. 135 Steck, Thesen, 289. 136 S. dazu oben 232 ff. 137 Vollenweider, Seufzen, 172. Zu Röm 8,18 ff s. oben 240 ff. 138 S. dazu die Nachweise im Register der Stellen. 139 S. dazu oben 405 ff. 140 Peuckmann, Tierethik 2, 141. 141 Vgl. ders., ebd.
480 IV Der Schöpfer des Himmels und der Erde – Resümee
Staunen über die Schöpfung Es ist keine Frage, dass sich den biblischen Schöpfungstexten in der Regel keine direkten Handlungsanweisungen für die vor uns liegenden Aufgaben entnehmen lassen. Dafür sind die Strukturen und Erfordernisse der heutigen Lebenswelt(en) im Vergleich zu denen der Vergangenheit zu unterschiedlich.142 Die Impulse der biblischen Texte liegen vielmehr in einer bestimmten Perspektive, die jenseits zeit- und kulturgeschichtlich bedingter Eigenheiten eine Grundorientierung für den Umgang mit der Natur und allem Lebendigen geben können. Diese Perspektive lässt sich etwa an einem Text wie SapSal 11,24 f festmachen, in dem die Schöpfung (V. 24) und die Erhaltung des Geschaffenen (V. 25) als Manifestationen des göttlichen Willens erscheinen: 24 Du (sc. Gott) liebst nämlich alles, was existiert, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast. Würdest du nämlich etwas hassen, hättest du es nicht bereitet. 25 Wie aber könnte etwas Bestand haben, wenn du es nicht gewollt hättest, oder wäre etwas, das du nicht (ins Dasein) gerufen hast, bewahrt geblieben?143
Dieser Text gibt eine Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis der Schöpfung, also darauf, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Welt, so lautet diese Antwort, „ist aus und in göttlicher Liebe geschaffen; daß sie immer noch voll Lebenskraft ist und diese entfalten kann, gründet in Gottes (mütterlicher) Liebe“144. Wenn wir zu einer Haltung finden, die die Welt in diesem Sinn als Schöpfung Gottes und nicht einfach als Verfügungsraum selbstgewählter Zwecke versteht, und wenn wir uns im Verhältnis zu den anderen Lebewesen von einer Ethik leiten lassen, die den Gedanken der Gemeinschaft des Lebendigen in den Vordergrund rückt, wäre das ein erster, wichtiger Schritt, dem weitere Schritte folgen müssten. Welche das im Einzelnen sind, ist natürlich zu konkretisieren.145 Es sollte aber zu denken geben, dass eine Kultur wie das alte Israel zu Einsichten gefunden hat, die ein Text wie SapSal 11,24 f unübertroffen zum Ausdruck bringt und die auch uns etwas zu sagen haben. Wir müssen nur den Mut oder besser: die Weisheit haben, uns diese Einsichten auch zu eigen zu machen. Das setzt allerdings eine Haltung voraus, die ihren Grund im Staunen über das Wunder der Schöpfung146 hat, und die in Ps 104,24 einen biblischen Leittext besitzt: 142 Vgl.
Steck, Thesen, 295 ff. Mazzinghi, Weisheit (IEKAT), 317. Zu SapSal 11,15–12,2 s. ders., aaO 316 ff und Q 151. 144 Zenger, „Du liebst“, 145. 145 Dazu gibt es inzwischen zahlreiche Vorschläge aus exegetischer, philosophischer und biowissenschaftlicher Sicht, s. dazu Keel/Schroer, Schöpfung, 34 ff; Pelluchon, Manifest, 81 ff; Bossert, Zukunft u. a. 146 Zum Staunen als anthropologischer Grundhaltung s. Staubli/Schroer, Menschenbilder, 565 ff; Hardmeier/Ott, Naturethik, 154 ff und Hartenstein, Defizite, 277. Ein schönes außerbiblisches Beispiel dazu findet sich bei Vergil, Georgica 2, 475 ff, s. Q 146. 143 Übersetzung
§ 12 Grundzüge des biblischen Schöpfungsglaubens 481
Wie zahlreich sind deine Werke, JHWH, sie alle hast du mit Weisheit gemacht, voll ist die Erde von deinem Eigentum!
Dieses Staunen lässt sich nicht verordnen. Es lässt sich aber erlernen durch das Achten auf den Gabecharakter des Lebens und das Bewusstsein der Gemeinschaft des Lebendigen. Im Staunen über die Schöpfung lernen wir, „die Unverfügbarkeit der Natur mit den Augen Gottes und im Vertrauen auf ihn als seine gute Schöpfung wahrzunehmen“147 und diese Wahrnehmung auch zu verinnerlichen. Diese Sensibilität wird sich nicht von heute auf morgen und vor allem nicht von allein einstellen. Sie ist aber die Voraussetzung für ein verändertes Selbstund Weltverhältnis. Hellsichtig hat das auf seine Weise bereits der römische Historiker Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) in seiner Naturalis historia 2,43 artikuliert: „Es ist doch geradezu eine seltsame Krankheit des menschlichen Geistes, dass es uns gefällt, in unseren Geschichtsbüchern nur Kriege und Blutvergießen festzuhalten, so dass man von der menschlichen Schlechtigkeit erfährt, aber gleichzeitig nichts weiß über das Walten der Natur.“148
In derselben Epoche hat Paulus in Röm 8,18–30 vom „Seufzen der Kreatur“ gesprochen und die Sehnsucht der ganzen Schöpfung nach der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes beschworen: 19 Denn die Erwartung der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. 20 Denn der Nichtigkeit wurde die Schöpfung unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin. 21 Denn auch die Schöpfung selbst wird befreit werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt und in Wehen liegt bis jetzt.149
Es ist Zeit, dass Texte wie dieser in Theologie und Kirche endlich mehr Beachtung finden.
147 Hardmeier/Ott,
aao 155. Kontext s. Q 144 und 145. 149 S. dazu oben 240 ff. 148 Zum
Anhänge
Anhang I Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments Im Folgenden werden einige zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments zusammengestellt und mit knappen Anmerkungen (zur Lexikographie, Grammatik und Redaktionsgeschichte) versehen, die im Haupttext dieses Buchs nur in Ausschnitten bzw. abschnittsweise zitiert werden. Wenn nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen von mir. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Texte: I. Texte des Pentateuch
Gen 1,1–2,4a; 2,4b–3,24; 4,1–16
II. Prophetische Texte
Jes 40,12–31; 45,1–7 Ez 28,11–19; 37,1–14; 43,1–9; 47,1–12 Am 4,13; 5,8; 9,5 f
III. Psalmen und Weisheitstexte
Ps 19; 65; 104; Hi 28; Sir 24; 43,1–33
I. Texte des Pentateuch Genesis 1,1–2,4a 1,1 Am Anfang hat Gott den Himmel und die Erde geschaffen. 2 Die Erde aber war Tohuwabohu,1 und Finsternis war über der Urflut, und der Wind Gottes war in Bewegung über dem Wasser. 3 Da sprach Gott: „Es werde Licht!“, und es wurde Licht.2 4 Und Gott sah das Licht, dass es gut war. Und Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis. 5 Und Gott nannte das Licht Tag, die Finsternis aber nannte er Nacht. Und es wurde Abend und es wurde Morgen: ein Tag.3 1
Zur Übersetzung s. oben 50 f. Zur Syntax von V. 1– 3 s. die Hinweise oben 50 Anm. 37. 3 Im Unterschied zu den anderen Tageszählungen steht hier die Kardinalzahl „eine/r, eins“ (ʾæḥād), um bei der ersten Nennung die aus Abend und Morgen bzw. Finsternis und Licht bestehende Einheit eines vollen Tages zum Ausdruck zu bringen, vgl. Baumgart, Licht, 224 f; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 47 f u. a. Jeder Tag beginnt mit dem Morgen, genauer: mit dem Hervorbrechen des ersten Lichts. Zur Frage nach dem Beginn des Tages (am Morgen oder am Abend) s. Baumgart, aaO 227 ff (Morgentheorie). 2
486 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 6 Und Gott sprach: „Es sei eine Feste inmitten der Wasser, und sie sei scheidend zwischen Wasser und Wasser.“ 7 Und Gott machte die Feste, und sie schied zwischen dem Wasser, das unterhalb der Feste war, und dem Wasser, das oberhalb der Feste war. Und es geschah so. 8 Und Gott nannte die Feste Himmel. Und es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag. 9 Und Gott sprach: „Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel zu einem Ort hin, dass das Trockene sichtbar werde.“ Und es geschah so. 10 Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war. 11 Und Gott sprach: „Es bringe die Erde frisches Grün hervor: Kraut, das Samen bildet, ⟨und⟩ Fruchtgehölz, das Frucht bringt, nach seiner Art,4 in dem sein Same ist auf der Erde.“ Und es geschah so: 12 Und die Erde brachte frisches Grün hervor: Kraut, das Samen bildet, nach seiner Art, und Gehölz, das Frucht bringt, in dem sein Same ist, nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. 13 Und es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag. 14 Und Gott sprach: „Es seien Leuchten an der Feste des Himmels, um zu unterscheiden zwischen dem Tag und der Nacht. Und sie sollen dienen als Zeichen, und zwar für Zeiten und für Tage und für Jahre. 15 Und sie werden als Leuchten dienen an der Feste des Himmels, um zu leuchten auf die Erde. Und es geschah so. 16 Und Gott machte die beiden großen Leuchten, die große Leuchte zur Herrschaft über den Tag und die kleine Leuchte zur Herrschaft über die Nacht, und die Sterne. 17 Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, um zu leuchten auf die Erde 18 und um zu herrschen über den Tag und die Nacht und um zu scheiden zwischen dem Licht und der Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war. 19 Und es wurde Abend und es wurde Morgen: vierter Tag. 20 Und Gott sprach: „Es wimmle das Wasser von Gewimmel an Lebewesen, und Flugtiere sollen fliegen über der Erde an der Vorderseite der Feste des Himmels.“5 21 Und Gott schuf die großen Seeungeheuer und alle Lebewesen, die sich regen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihrer Art und alle geflügelten Flugtiere nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war. 22 Und Gott segnete sie, indem er sprach: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt das Wasser in den Meeren, und die Flugtiere sollen zahlreich werden auf der Erde!“ 23 Und es wurde Abend und es wurde Morgen: fünfter Tag. 4
5
Zum Klassifikationsterminus mîn „Art (botanische/zoologische Spezies)“ s. oben 138 f. Wörtlich: „auf der (der Erde zugewandten) Vorderseite der Feste des Himmels(gewölbes)“, vgl. Ges18, 1063 s. v. pānîm II I 1c.
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 487
24 Und Gott sprach: „Es bringe die Erde hervor Lebewesen nach ihrer Art: Vieh und Kriechgetier und das Wild der Erde nach seiner Art.“ Und es geschah so. 25 Und Gott machte das Wild der Erde nach seiner Art und das Vieh nach seiner Art und alles Kriechgetier des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. 26 Und Gott sprach: „Wir wollen Menschen machen als unser Bild, wie unsere Ähnlichkeit, damit sie herrschen über die Fische des Meeres und über die Flugtiere des Himmels und über das Vieh und über alles ⟨Getier⟩ der Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen.“ 27 Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie. 28 Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde und nehmt sie in Besitz, und herrscht über die Fische des Meeres und über die Flugtiere des Himmels und über alles Getier, das auf der Erde kriecht.“ 29 Und Gott sprach: „Siehe, ich gebe euch alles Samen spendende Kraut, das auf der Oberfläche der ganzen Erde ist, und alles Gehölz, an dem Samen spendende Baumfrüchte sind: euch sollen sie zur Nahrung dienen. 30 Und allen Wildtieren der Erde und allen Flugtieren des Himmels und allem, was auf der Erde kriecht, in dem Lebenskraft ist, (gebe ich) das ganze Grün des Krautes zur Nahrung.“ Und es geschah so. 31 Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: der sechste Tag.6 2,1 So wurden vollendet der Himmel und die Erde und ihr ganzes Heer.7 2 Und Gott vollendete am siebten Tag seine Arbeit, die er getan hatte, und er hörte auf8 am siebten Tag mit all seiner Arbeit, die er getan hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm hörte er auf mit all seiner Arbeit, die Gott geschaffen hatte, indem er sie tat. 4a Dies ist die Entstehungsgeschichte des Himmel und der Erde, als sie geschaffen wurden.9
6
Wie beim siebten (Gen 2,2 f ) so wird auch beim sechsten Tag die Ordinalzahl mit dem Artikel versehen, s. dazu Baumgart, aaO 225 ff. 7 Dieser Vers ist ein sekundärer Eintrag, vgl. Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 74 f. Anders Bührer, Anfang, 111 ff, der den Vers zu Pg rechnet. 8 Das Verb šābat bedeutet „aufhören (zu arbeiten), ruhen“, s. dazu oben 71. 9 Dieser Halbvers ist ein redaktioneller Brückentext, der vom priesterlichen zum nichtpriesterlichen Schöpfungstext überleitet, s. dazu Bührer, aaO 163.354 u. ö. und Gertz, aaO 91 ff.
488 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments
Genesis 2,4b–3,24 4b Als10 JHWH Gott11 Erde und Himmel machte, 5 – all das Gesträuch des Feldes war noch nicht auf der Erde, und all das Kraut des Feldes sprosste noch nicht, denn JHWH Gott hatte es (noch) nicht regnen lassen auf die Erde, und einen Menschen gab es nicht, den Ackerboden zu bebauen, 6 aber ein Wasserstrom stieg aus der Erde auf und tränkte die ganze Oberfläche des Ackerbodens –, 7 da formte JHWH Gott den Menschen aus Staub vom Ackerboden,12 und er blies in seine Nase Lebensatem. Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. 8 Und JHWH Gott pflanzte einen Garten in Eden,13 im Osten, und er setzte dort den Menschen (hinein), den er gebildet hatte. 9 Und JHWH Gott ließ wachsen aus dem Ackerboden allerlei Bäume, begehrenswert anzusehen und gut zum Essen, und den Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis von gut und böse.14 10 Und ein Strom geht aus von Eden, um den Garten zu bewässern, und von dort aus teilt er sich, und er wird zu vier Armen. 11 Der Name des einen ist Pîšôn; das ist der, der das ganze Land Ḥawila umfließt, wo das Gold ist. 12 Und das Gold dieses Landes, es ist gut; dort gibt es Bedolach-Harz und Schoham-Stein. 13 Und der Name des zweiten Stroms ist Gîḥôn; das ist der, der das ganze Land Kusch umfließt. 14 Und der Name des dritten Stroms ist Ḥiddæqæl (Tigris); das ist der, der östlich von Assur verläuft. Und der vierte Strom, das ist der Perāt (Euphrat). 15 Und JHWH Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn15 bebaue und bewahre. 16 Und JHWH Gott gebot dem Menschen: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, 17 aber vom Baum der Erkenntnis von gut und böse – nicht darfst du von ihm essen, denn an dem Tag, an dem du von ihm isst, musst du sterben.“ 18 Und JHWH Gott sprach: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ 19 Und JHWH Gott formte aus dem Ackerboden jegliches Getier des Feldes und alle Vögel des Himmels, und er brachte (sie) zum Menschen, um zu sehen, wie er sie16 nennen würde, und ganz, wie es der Mensch – ein lebendiges Wesen17 – nennen würde, das wurde sein Name. 20 Und der Mensch gab 10
Oder: „Am Tag/Zu der Zeit, als …“. Blum, Gottesunmittelbarkeit, 26 gehe ich davon aus, dass die ungewöhnliche Gottesbezeichnung JHWH Elohim, die in Gen 2,4b–3,24 ausschließlich in der Rede des Erzählers vorkommt (2,4b u. ö.), nicht redaktionell ist, vgl. Schellenberg, Mensch, 187 Anm. 7; Bührer, Anfang, 181 ff, anders Gertz, aaO 83.84. 12 Im Syntagma ʿāpār min-hāʾadāmāh („aus Staub vom Ackerboden“) ist ʿāpār ein Akkusativ des Stoffes (acc. materiae), s. dazu GK28 § 117hh und Dtn 27,6; 1 Kön 7,15 u. ö. 13 Der Garten wird in Gen 2,4b–3,24 unterschiedlich bezeichnet („Garten in Eden“ oder „Garten Eden“); in Gen 2,10 ist lediglich von „Eden“ die Rede, s. dazu Bührer, aaO 191 ff. 14 V. 9b weist die Stilfigur der „gespaltenen Koordination“ auf, s. dazu oben 90 Anm. 7. 15 Zu den Femininsuffixen bei den Verben „bebauen“ und „bewahren“, die sich auf das mask. gan „Garten“ beziehen, s. Schellenberg, Mensch, 185; Bührer, aaO 218; Gertz, aaO 81 Anm. 7 u. a. 16 Zur distributiven Funktion des Singularsuffixes in lô s. GK28 § 124s. 17 Nach Bührer, Anfang, 222 ff ist dieser Satzteil als Randglosse zu verstehen, vgl. Gertz, aaO 81 Anm. 9. Anders Schellenberg, Beobachtungen, 298 ff. 11 Mit
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 489
Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes, aber für ‚den Menschen‘ fand sich keine Hilfe, die ihm entspricht. 21 Da ließ JHWH Gott einen Tiefschlaf auf den Menschen fallen, und er schlief ein, und er nahm eine von seinen Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. 22 Und JHWH Gott baute die Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, zu einer Frau, und er brachte sie zu dem Menschen. 23 Da sagte der Mensch: „Diese ist endlich Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch! Diese soll Frau genannt werden, denn vom Mann ist diese genommen. 24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch.“ 25 Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und sie schämten sich nicht voreinander. 3,1 Und die Schlange war klüger als alle Tiere des Feldes, die JHWH Gott gemacht hatte, und sie sagte zur Frau: „Hat Gott wirklich gesagt, dass ihr von keinem Baum18 des Gartens essen dürft?“ 2 Da sagte die Frau zur Schlange: „Von den Früchten der Bäume des Gartens essen wir, 3 aber von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens ist, hat Gott gesagt: ‚Ihr dürft nicht davon essen und dürft sie nicht berühren, damit ihr nicht sterbt!‘“ 4 Da sagte die Schlange zur Frau: „Ihr werdet gewiss nicht sterben! 5 Sondern Gott weiß, dass an dem Tag, an dem ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden, und ihr sein werdet wie Gott, wissend um gut und böse.“ 6 Da sah die Frau, dass der Baum gut war als Speise und dass er eine Lust war für die Augen und dass der Baum begehrenswert war, um klug zu werden.19 Und sie nahm von seiner Frucht und aß, und sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß. 7 Und die Augen der beiden wurden aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Da hefteten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. 8 Und sie hörten die Stimme von JHWH Gott, der im Garten im Tageswind wandelte. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor JHWH Gott inmitten der Bäume des Gartens. 9 Da rief JHWH Gott den Menschen, und er sprach zu ihm: „Wo bist du?“ 10 Da sprach er: „Ich habe deine Stimme im Garten gehört, und ich fürchtete mich, weil ich nackt bin, und habe mich versteckt.“ 11 Da sprach er: „Wer hat dir bekannt gemacht, dass du nackt bist, hast du etwa von dem Baum, von dem gilt: ich habe dir geboten, dass du nicht von ihm isst, gegessen?“ 12 Da sprach der Mensch: „Die Frau, die du mir zugesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben, da habe ich gegessen.“ 13 Da sagte JHWH Gott zu der Frau: „Was hast du getan?“ Da sprach die Frau: „Die Schlange hat mich getäuscht, da habe ich gegessen.“ 14 Und JHWH Gott sagte zur Schlange: „Weil du dies getan hast, bist du verflucht von allem Vieh und von allen Tieren des Feldes! Auf deinem Bauch wirst du kriechen und Staub wirst du fressen alle Tage deines Lebens! 15 Und Feindschaft werde ich setzen zwischen dir und der Frau, und zwischen deinem Samen und ihrem Samen, er, er wird dir nach dem Kopf treten,20 und du wirst ihm nach der Ferse schnappen.“ 18
Wörtlich: „nicht von allen Bäumen“, s. zur Konstruktion GK28 § 152b und Schellenberg, Mensch, 208 Anm. 108. 19 Zum intransitiven Gebrauch von śkl hif. s. Müller, Parallelen, 167 Anm. 2. 20 Zur Bedeutung von šûp „energisch angreifen, attackieren (d. h. treten, schnappen, beißen)“ s. Ges18, 1335 s. v.
490 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 16 Zur21 Frau sagte er: „Überaus groß werde ich deine Mühsal und deine Schwangerschaft machen; unter Schmerzen wirst du Kinder gebären, und nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen!“ 17 Und zum Menschen sagte er: „Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten habe: ‚Du sollst davon nicht essen!‘, ist der Ackerboden verflucht um deinetwillen: Mit Mühsal wirst du davon essen alle Tage deines Lebens, 18 und Dornen und Disteln wird er für dich wachsen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen! 19 Im Schweiß deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren!“ 20 Und der Mensch gab seiner Frau den Namen „Eva“, denn sie wurde die Mutter aller Lebenden. 21 Und JHWH Gott machte für den Menschen und seine Frau Fellkleider und bekleidete sie. 22 Und JHWH Gott sagte: „Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns, zu erkennen gut und böse. Und nun, damit er nicht seine Hand ausstrecke und auch (noch) vom Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe!“ 23 Und JHWH Gott schickte ihn aus dem Garten Eden hinaus, den Ackerboden zu bebauen, von dem er genommen war. 24 Und er vertrieb den Menschen und ließ östlich vom Garten Eden die Keruben sich lagern und die Flamme des zuckenden Schwertes, um den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen.
Genesis 4,1–16 1 Der Mensch aber erkannte Eva, seine Frau, und sie wurde schwanger, gebar den Kain und sagte: „Ich habe einen Mann erschaffen mit (der Hilfe von) JHWH.“ 2 Und sie gebar nochmals, seinen Bruder Abel, und Abel wurde ein Kleinviehhirte, Kain aber wurde ein Ackerbauer. 3 Nach geraumer Zeit brachte Kain von den Früchten des Ackerbodens JHWH eine Gabe, 4 und auch Abel brachte von den Erstlingen seines Kleinviehs und (zwar) von ihren Fettstücken/besten Tieren. Da blickte JHWH zu Abel und seiner Gabe, 5 aber zu Kain und seiner Gabe blickte er nicht. Da erzürnte Kain sehr, und sein(e) Gesicht(szüge) sank(en). 6 Da sprach JHWH zu Kain: „Warum entbrennt dir (der Zorn), und warum ist dein Gesicht gesunken? 7 Ist es nicht so: wenn du es gut sein lässt, (bedeutet es) freundliche Aufnahme, und wenn du es nicht gut sein lässt, lagert er sich als (Öffnung >) Anlass zu einer Verfehlung, und doch ist sein Verlangen zu dir hin (gerichtet), und du bist es, der seiner walten mag.“22 8 Da sagte Kain es seinem Bruder Abel. Und als sie auf dem Feld waren, erhob sich Kain zu Abel, seinem Bruder, und tötete ihn. 9 Da sagte JHWH zu Kain: „Wo ist Abel, dein Bruder?“ Und er sagte: „Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?“ 10 Und er (sc. JHWH) sagte: „Was hast du getan? Horch: Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden her! 11 Und nun: Verflucht bist du vom Ackerboden her, der seinen Mund aufgetan hat, um das Blut deines Bruders von deiner Hand zu nehmen. 12 Wenn du den Ackerboden bearbeitest, wird er dir nicht mehr seine Kraft geben, unstet und flüchtig wirst du auf der Erde sein.“ 13 Da sagte Kain zu JHWH: „Zu groß ist meine Verkehrtheit, um sie zu 21 22
MT (ohne Kopula) ist als lectio difficilior beizubehalten. Zum Verständnis dieses grammatisch schwierigen Satzes s. Janowski, Jenseits, 140 ff.
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 491
tragen. 14 Siehe, du hast mich heute von der Oberfläche des Ackerbodens vertrieben, so werde ich vor dir verborgen sein, unstet und flüchtig auf der Erde, und so wird jeder, der mich findet, mich töten.“ 15 Da sagte JHWH zu ihm: „Darum: wenn einer Kain tötet, wird er siebenfach gerächt werden.“ Da machte JHWH dem Kain ein Zeichen, damit ihn nicht jeder, der ihn fand, erschlug. 16 Da ging Kain von JHWHs Angesicht weg und ließ sich im Lande Nod, östlich von Eden, nieder.
II. Prophetische Texte Jesaja 40,12–31 12 Wer hat gemessen das Wasser mit seiner hohlen Hand und den Himmel mit der Spanne ermessen, und erfasst mit dem Dreimaß den Staub der Erde und gewogen mit der Waage die Berge und die Hügel mit Waagschalen? 13 Wer hat bemessen den Geist JHWHs und wer ist der Mann seines Rates, dass er ihn belehre? 14 Mit wem hat er sich beraten und wer hat ihm Einsicht gegeben und wer hat ihn belehrt über den Pfad des Rechts und wer hat ihn Erkenntnis gelehrt und ihn den Weg der Einsicht wissen lassen? 15 Siehe, Völker sind wie ein Tropfen am Eimer und wie Staub auf Waagschalen gelten sie, siehe, Inseln wie ein dünner Belag wiegen sie. 16 Der Libanon reicht nicht als Brennholz,23 sein Getier reicht nicht als Brandopfer.24 17 Alle Völker sind wie nichts vor ihm, weniger als nichts und als Nichtiges gelten sie ihm. 18 Mit wem wollt ihr Gott vergleichen, und was für ein Abbild wollt ihr ihm zuordnen? 19 Das Kultbild gießt ein Handwerker, und der Goldschmied überzieht es mit Gold und Silber-Drähte legt er ein.25 20 Das Sisso-Holz26 als Podest, Holz, das nicht fault, wählt er, einen kundigen Handwerker sucht man, um ein Kultbild aufzustellen, das nicht wackelt.27
23
Wörtlich: „zum Anzünden, Brennen“. V. 16 wird von van Oorschot, Babel, 24 f als Ergänzung beurteilt. 25 S. dazu Berlejung, Theologie, 371 mit Anm. 1820–1821, anders Huber, Himmel, 172 mit Anm. 16. 26 S. dazu Berlejung, aaO 371 mit Anm. 1822, vgl. Albani, Gott, 128 mit Anm. 501. 27 V. 19 f sind erst im Zuge der literarischen Komposition von Jes *40,1–52,10 in ihre jetzige Position gelangt, wobei „die Anregung dazu wohl von der Kritik an der babylonischen As24
492 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 21 Wisst ihr nicht? Hört ihr nicht? Ist es euch nicht kundgetan von Anbeginn? Habt ihr nicht verstanden die Fundamente der Erde? 22 Der thront über dem Kreis der Erde, so dass ihre Bewohner wie Heuschrecken sind, der den Himmel ausspannt wie einen Schleier und ihn wie ein Zelt zum Wohnen ausbreitet, 23 der Fürsten preisgibt dem Nichts, Richter der Erde zunichte machte. 24 Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum wurzelt in der Erde ihr Stamm, da blies er sie an, und sie verdorrten, und ein Sturmwind trägt sie fort wie Spreu. 25 „Mit wem wollt ihr mich (also) vergleichen, dass ich (ihm) gleich sei?“ spricht der Heilige. 26 Hebt zur Höhe eure Augen und seht: Wer hat diese (sc. die Gestirne) geschaffen? Der herausführt nach der Zahl ihr Heer, sie alle mit Namen ruft er. Wegen der Fülle an Macht und der gewaltigen Stärke fehlt keiner. 27 Warum sagst du, Jakob, und sprichst du, Israel: „Verborgen ist mein Weg vor JHWH, und an meinem Gott geht mein Recht vorbei“? 28 Hast du (es) nicht erkannt oder hast du (es) nicht gehört? Ein Gott der Ewigkeit ist JHWH, der Schöpfer der Enden der Erde. Er wird nicht müde und nicht matt, unergründlich ist seine Einsicht. 29 Er gibt dem Müden Kraft und dem Kraftlosen vermehrt er Stärke. 30 Und Jünglinge werden müde und ermatten, und junge Männer straucheln und fallen. 31 Aber die, die auf JHWH hoffen, erneuern die Kraft, sie treiben Schwingen wie Geier. Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
Jesaja 45,1–7 1 So spricht JHWH zu seinem Gesalbten, zu Kyros, dessen Recht ich halte, Völker vor ihm zu unterwerfen, und Lenden von Königen entgürte ich, Pforten vor ihm zu öffnen, und Tore bleiben nicht verschlossen:
trologie in den V. 25–26 ausging“ (Berges, Deuterojesja II [HThK.AT], 130). Ob dies auch für V. 18 gilt, lässt sich kaum mehr entscheiden.
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 493
2 Ich selber gehe vor dir her und die Wege ebne ich. Eherne Tore zerbreche ich, und eiserne Riegel sprenge ich. 3 Ich gebe dir Schätze des Dunkels, verborgene Vorräte, damit du erkennst, dass ich JHWH bin, der dich bei deinem Namen ruft, der Gott Israels. 4 Um meines Knechts Jakob willen und Israels, meines Erwählten. Darum rufe ich dich bei Namen, gebe dir Ehrennamen, der du mich nicht kennst. 5 Ich (bin) JHWH und keiner sonst, außer mir (gibt es) keinen Gott. Ich gürte dich, aber du kennst mich nicht; 6 damit man erkennt vom Aufgang der Sonne und von ihrem Niedergang, dass keiner außer mir (existiert): Ich (bin) JHWH und keiner sonst, 7 der gebildet hat (gebildet habend) das Licht und erschaffen (bārāʾ ) hat die Finsternis, der gemacht hat Heil und erschaffen hat (bārāʾ ) Unheil. Ich (bin) JHWH, der gemacht hat all dies.
Einzigkeit JHWHs
Einzigkeit JHWHs Schöpfung und Geschichte Einzigkeit JHWHs
Ezechiel 28,11–19 11 Und es erging das Wort JHWHs an mich folgendermaßen: 12 „Menschensohn, erhebe ein Klagelied über den König von Tyrus, und du sollst zu ihm sprechen: ‚So spricht [der Herr] JHWH: Du warst ein vollkommenes Siegel, [voller Weisheit] und von vollendeter Schönheit. 13 In Eden, dem Garten Gottes, warst du; allerlei edle Gesteine waren deine Umrahmung, Rubin, Topas und Mondstein(?), Chrysolith, Karneol und Jaspis, Lapislazuli, Granat und Smaragd, [und aus Gold die Arbeit deiner Verzierungen] an dir am Tage, da du erschaffen wurdest, [wurden sie bereitet]. 14 Dem schirmenden Kerub gesellte ich dich bei; auf dem heiligen Berge Gotte warst du; mitten unter feurigen Steinen wandeltest du. 15 Untadelig warst du auf deinen Wegen seit dem Tage, da du erschaffen wurdest, bis Frevel an dir gefunden wurde. 16 Beim Übermaß deines Handels fülltest du dein Inneres mit Gewalttat und sündigtest. Da verbannte ich dich vom Berge Gottes, und ins Verderben trieb dich der schirmende Kerub heraus aus der Mitte der feurigen Steine. 17 Überhoben hat sich dein Herz auf Grund deiner Schönheit; verdorben hast du deine Weisheit um deines strahlenden Glanzes willen. Zur Erde schleuderte ich dich, vor Königen gab ich dich preis, auf dich herabzusehen. 18 Wegen des Übermaßes deiner Schuld in der Unredlichkeit deines Handels hast du deine Heiligtümer entweiht, und ich ließ Feuer aus deiner Mitte hervorgehen, das verzehrte dich. Und ich gab dich zum Staub auf der Erde vor den Augen aller, die dich sehen. 19 Alle, die dich kennen unter den
494 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments Völkern, entsetzten sich über dich. Zum Schrecken bist du geworden, und du bist dahin für immer.“28
Ezechiel 37,1–14 1 … kam29 über mich die Hand JHWHs, und er brachte mich heraus im Geist JHWHs und versetzte mich mitten in die Ebene; und die war voller Gebeine. 2 Und er führte mich darüber ringsherum, und siehe, es waren sehr viele auf der Ebene, und siehe, sehr vertrocknet. 3 Und er sprach zu mir: „Menschensohn, werden diese Gebeine wieder lebendig?“ Und ich sprach: „Herr JHWH, du weißt es.“ 4 Und er sprach zu mir: „Prophezeie über diesen Gebeinen! Und du sollst zu ihnen sprechen: Ihr vertrockneten Gebeine, hört das Wort JHWHs! 5 So spricht [der Herr] JHWH zu diesen Gebeinen: Siehe, ich bringe in euch Geist, und ihr werdet lebendig. 6 Und ich gebe über euch Sehnen, und ich bringe über euch Fleisch, und ich ziehe über euch Haut, und ich gebe in euch Geist, und ihr werdet lebendig, und ihr erkennt, dass ich JHWH bin.“ 7 Und ich prophezeite, wie mir befohlen war; und es entstand ein Lärm, als ich prophezeite, und siehe, ein Beben, und die Gebeine rückten zusammen, eins zum anderen.30 8 Und ich sah, und siehe, darüber kamen Sehnen und Fleisch, und darüber zog sich Haut oben darauf, aber Geist war nicht in ihnen. 9 Und er sprach zu mir: „Prophezeie zum Geist hin, prophezeie, Menschensohn. Und du sollst zum Geist sagen: So spricht [der Herr] JHWH: Von den vier Winden komm herbei, Geist, und hauche diese Ermordeten an, und sie sollen lebendig werden.“ 10 Und ich prophezeite, wie er mir befohlen hatte, und es kam in sie Geist, und sie wurden lebendig; und sie standen da auf ihren Füßen, ein sehr großes Heer. 11 Und er sprach zu mir: „Menschensohn, diese Gebeine – das ganze Haus Israel sind sie; siehe, sie sagen: Vertrocknet sind unsere Gebeine, [und] zuschanden ist unsere Hoffnung, wir sind abgeschnitten für uns. 12 Darum prophezeie, und du sollst zu ihnen sagen: So spricht [der Herr] JHWH: Siehe, ich öffne eure Gräber, und ich führe euch aus euren Gräbern heraus, mein Volk; und ich bringe euch ins Land Israel. 13 Und ihr erkennt, dass ich JHWH bin, indem ich eure Gräber öffne und indem ich euch aus euren Gräbern herausführe, mein Volk. 14 Und ich gebe meinen Geist in euch, und ihr werdet lebendig, und ich lasse euch auf eurem Land; und ihr erkennt, dass ich, JHWH, rede und handle, Spruch JHWHs.“31
Ezechiel 43,1–9 1 Und er führte mich zu dem Tor, das nach Osten weist. 2 Und siehe, die Herrlichkeit des Gottes Israels kam von Osten her, und ihr Rauschen war wie das Rauschen gewaltiger Wasser, und die Erde/das Land leuchtete/strahlte von seiner Herrlichkeit.
28 Übersetzung
Pohlmann, Ezechiel II (ATD), 389 f. Zum Verständnis von V. 14 s. Körting, Von Edelsteinen, 12 Anm. 47. 29 Nach Pohlmann, aaO 491 Anm. 1 könnte dieser unvermittelte Einsatz „damit zusammenhängen, daß eine ursprüngliche Datumsangebe weggebrochen ist“. 30 Wörtlich: „Ein Gebein zu seinem Gebein“. 31 Vgl. die Übersetzung von Pohlmann, aaO 491 f mit der Unterscheidung von Grundschicht (recte) und Redaktion (kursiv), s. zur Sache Sedlmeier, Ezechiel II (NSK.AT), 210 ff.
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 495
3 Und die Erscheinung, die ich sah, war wie die Erscheinung, die ich sah, als er kam, um die Stadt zu vernichten, und ( ferner) war die Erscheinung wie die Erscheinung, die ich am Kanal Kebar sah.32 Und ich fiel auf mein Angesicht. 4 Und die Herrlichkeit JHWHs kam in das Haus durch das Tor, das mit seiner Front nach Osten (weist). 5 Und ein Wind hob mich empor und brachte mich zum inneren Vorhof. Und siehe, die Herrlichkeit JHWHs hatte das Haus erfüllt. 6 Und ich hörte einen zu mir reden aus dem Haus heraus, und der Mann stand neben mir. 7 Und er sprach zu mir: „Menschensohn, (siehe) den Ort meines Thrones und den Ort meiner Fußsohlen, wo ich wohnen werde inmitten der Israeliten für immer. Und nicht mehr wird das Haus Israel meinen heiligen Namen verunreinigen, sie und ihre Könige, mit ihrer Hurerei und mit den (Toten-)Opfern ihrer Könige33 bei deren Tod, 8 indem sie ihre Schwelle neben meine Schwelle und ihren Türpfosten neben meinen Türpfosten setzten, so dass (nur) eine Wand zwischen mir und ihnen war und sie meinen heiligen Namen verunreinigten durch ihre Gräuel, die sie begingen, so dass ich sie auffraß in meinem Zorn. 9 Nun werden sie ihre Hurerei und die (Toten-)Opfer ihrer Könige von mir fernhalten, so dass ich wohnen werde in ihrer Mitte für immer“.
Ezechiel 47,1–12 1 Und er (sc. der „Mann“) brachte mich zum Eingang des Tempelhauses zurück, und siehe, da flossen Wasser unterhalb der Schwelle des Tempelhauses nach Osten hin, denn die vordere Seite des Tempelhauses lag nach Osten (hin). Und die Wasser flossen unterhalb der Südseite des Tempelhauses, südlich vom Altar herab. 2 Und er führte mich durch das Nordtor hinaus und ließ mich außen herum zum äußeren Tor gehen, das in Richtung Osten weist. Und siehe, das Wasser rieselte aus der Südseite hervor. 3 Als der Mann nach Osten hinausging, da war eine Meßschnur in seiner Hand, und er maß 1000 Ellen und ließ mich durch das Wasser gehen: knöchelhohes Wasser. 4 Und er maß 1000 (Ellen) und ließ mich hindurchgehen: kniehohes Wasser. Und er maß 1000 (Ellen) und ließ mich hindurchgehen: hüfthohes Wasser. 5 Und er maß 1000 (Ellen): da war es ein Bach, den ich nicht mehr durchschreiten konnte, denn das Wasser war tief: strömendes Wasser. Es war ein Bach, den man nicht durchschreiten konnte. 6 Und er sagte zu mir: „Hast du es gesehen, Menschensohn?“ Und er führte mich zurück an das Ufer des Baches. 7 Als ich zurückkehrte, (siehe) da waren am Ufer des Baches zu beiden Seiten sehr viele Bäume. 8 Und er sagte zu mir: „Diese Wasser fließen hinaus in den östlichen Bezirk und sie fließen hinab durch die Steppe und münden ins Meer, ins gesalzene Wasser (?),34 und die Wasser werden geheilt. 9 Und alle Lebewesen, die wimmeln an jedem Ort, wohin der Bach kommt, werden leben. Und die Fische werden sehr zahlreich sein. Denn dorthin kommen diese Wasser, und sie werden geheilt. Und lebendig wird alles sein, wohin der Bach kommt. 10 Und es werden Fischer an ihm stehen, von En-Gedi bis En-Eglaim wird man Netze zum Trocknen
32
V. 2bα und 3a (kursiv) stellen eine Fortschreibung dar, zur Literarkritik s. Konkel, Architektonik, 71 ff und Koch, Wohnstatt, 177, ferner, aber mit anderen Optionen, Pohlmann, Ezechiel II (ATD), 570 ff (Th. Rudnig). 33 Oder: „mit den Leichen ihrer Könige“, s. dazu die Hinweise bei Janowski, Mitte, 125 mit Anm. 26; Koch, aaO 182 mit Anm. 295 u. a. 34 Gemeint ist das Tote Meer, zum Textproblem s. Konkel, aaO 194 f.
496 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments ausbreiten. Nach ihrer Art werden seine (des Wassers) Fische sein wie die Fische des großen Meeres, sehr zahlreich. 11 Seine sumpfigen Stellen und seine Tümpel aber – sie sollen nicht geheilt werden, sondern zur Salzgewinnung verwendet werden. 12 Am Bach aber wachsen an seinem Ufer hüben und drüben allerlei Fruchtbäume empor. Ihr Laub wird nicht welken, und ihre Frucht kein Ende nehmen. Jeden Monat tragen sie frische Früchte, denn seine (sc. des Baches) Wasser – aus dem Heiligtum fließen sie heraus, und ihre Früchte dienen zur Speise und ihre Blätter zur Arznei.35
Amos 4,13; 5,8 f und 9,5 f 4,13 Ja, siehe: Der die Berge bildet und den Wind schafft, der dem Menschen kundgibt, was sein Plan ist; der Morgenröte zu Dunkelheit macht und tritt auf die Höhen der Erde: JHWH, Gott der Heerscharen, ist sein Name! 5,8 f Der Siebengestirn und Orion macht, und der Dunkelheit zum Morgen umstürzt, und den Tag zur Nacht verfinstert, der die Wasser des Meeres ruft und sie ausgießt auf das Antlitz der Erde: JHWH sein Name! 9 Der Bedrückung bringt über Starke, so dass Bedrückung über Festungen kommt. 9,5 f 5 Und der Herr, JHWH der Heerscharen – der die Erde berührt, dass sie wankt, und ihre gesamten Bewohner trauern (dass sie sich insgesamt hebt wie der Nil und sinkt wie der Nil Ägyptens), 6 der im Himmel seine Stufen baut und sein Band über/auf der Erde gründet, der die Wasser des Meeres ruft und sie ausgießt auf das Antlitz der Erde: JHWH sein Name!36
35
S. auch die Übersetzungen und die Textkritik bei Zimmerli, Ezechiel II (BK), 1086 ff; Pohlmann, Ezechiel II (ATD), 613 f und Konkel, aaO 193 ff. 36 Zum Verständnis von V. 6 s. Hartenstein, Wolkendunkel, 155 f.161 ff.
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 497
III. Psalmen und Weisheitstexte Psalm 19 1 Dem Chorleiter. Ein Psalm Davids 2 Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und das Werk seiner Hände verkündet das Firmament. 3 Ein Tag lässt dem anderen Rede hervorsprudeln, und eine Nacht tut der anderen Wissen kund – 4 ohne Rede und ohne Worte, unhörbar ist ihre Stimme. 5a Auf die ganze Erde geht ihre37 Meßschnur aus und bis ans Ende des Erdkreises ihre Worte. 5b Der Sonne38 hat er an ihnen39 ein Zelt aufgerichtet. 6 Und sie ist wie ein Bräutigam, der aus seinem Brautgemach heraustritt, sie freut sich wie ein Held, zu laufen die Bahn. 7 Vom Ende des Himmels her ist ihr Ausgangspunkt und ihr Wendepunkt (ist) über seinen Enden, und nichts vor ihrer Glut verborgen.
37
8 9 10 11
Die Tora JHWHs ist lauter, sie bringt das Leben wieder, die Bestimmung JHWHs ist verlässlich, sie macht den Einfältigen weise. Die Anweisungen JHWHs sind recht, sie erfreuen das Herz, das Gebot JHWHs ist rein, es erleuchtet die Augen. Die Furcht JHWHs ist makellos, sie hat ewig Bestand, die Rechtsurteile JHWHs sind wahr, sie sind allesamt gerecht. Sie sind köstlicher als Gold und als viel Feingold, sie sind süßer als Honig und überfließender Honigseim.
12 13 14
Auch lässt sich dein Knecht von ihnen belehren, in ihrem Bewahren ist reicher Lohn. Versehentliche Vergehen – wer bemerkt sie? Von Verborgenem sprich mich frei. Auch vor Hochmütigen verschone deinen Knecht, sie mögen nicht über mich spotten. Dann werde ich makellos sein,
Bezugswort des pl. Suffixes ist šāmajim „Himmel“ in V. 2a. Die Übersetzung „Sonnenball“ bei Grund, aaO 22 mit Anm. 7 „ist allein aufgrund des grammatikalischen Geschlechts im Deutschen gewählt und dient der Kongruenz mit der Darstellung der Sonne als Held und Bräutigam“, vgl. Böhler, Psalmen 1–50 (HThK.AT), 339. 39 Bezugswort des pl. Suffixes ist ebenfalls šāmajim „Himmel“ in V. 2a, vgl. Grund, aaO 28 f. 38
498 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments und frei sein von großer Sünde. 15 Es mögen Gefallen finden die Worte meines Mundes und das Meditieren meines Herzens vor deinem Angesicht, JHWH, mein Fels und mein Erlöser!40
Psalm 65 1 Für den Chorleiter. Ein Psalm Davids. Ein Lied. 2 Dir ist Schweigen41 Lobpreis, Gott auf Zion, und dir erfüllt man ein Gelübde. 3 Hörer des Bittgebets, zu dir kommt alles Fleisch. 4 Schuldangelegenheiten sind mir zu stark geworden, unsere Freveltaten – du allein kannst sie sühnen. 5 Glücklich, den du erwählst und nahen lässt, er wohnt in deinen Vorhöfen! Wir wollen uns sättigen am Guten deines Hauses, am Heiligen deines Tempels. 6 Mit furchterregenden Taten antwortest du uns in Gerechtigkeit, Gott unserer Rettung, Zuversicht aller Enden der Erde und des Meeres der Fernen, 7 der festigt die Berge mit seiner Macht, umgürtet mit Heldenkraft, 8 der beschwichtigt das Tosen der Meere, das Tosen ihrer Wogen und den Lärm der Nationen. 9 Da fürchteten sich die Bewohner der (Welt-)Enden wegen deiner Zeichen, die Ausgänge von Morgen und Abend lässt du jubeln. 10 Du hast dich der Erde angenommen und sie überströmen lassen, du machst sie sehr reich. Der Gotteskanal ist voll Wasser, du richtest ihr42 Getreide auf, ja, so richtest du sie43 auf: 11 ihre Furchen tränken, ihre Schollen ebnen, mit Regenschauern weichst du sie auf, ihr Gewächs segnest du. 12 Du hast gekrönt das Jahr deiner Güte, und deine Wagenspuren triefen von Fett. 13 Es triefen die Weideplätze der Steppe, und mit Jauchzen gürten sich die Hügel. 40
Vgl. zur Übersetzung und Textkritik dies., aaO 22 ff. Zur Beibehaltung des MT s. Hossfeld/Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 213 f (Zenger), anders etwa Köckert, Regenspender 106 mit Anm. 15. 42 Mit dem pl. Suffix sind die Bewohner der Weltenden gemeint, so mit Köckert, aaO 107 mit Anm. 21. 43 Mit dem Suffix der 3. Pers. f. sing. ist die Erde gemeint. 41
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 499
14 Bekleidet haben sich die Weideplätze mit Kleinvieh, und die Täler hüllen sich in Korn, sie jubeln sich zu, ja, sie singen.
Psalm 104 1 Segne, mein Leben, den JHWH! JHWH, mein Gott, du bist sehr groß! Mit Hoheit und Pracht bist du bekleidet, 2 sich hüllend in Licht wie in den Mantel! Der ausspannt (den) Himmel wie die Zeltdecke, 3 der zimmert im Wasser seine Obergemächer, der bestimmt Wolken zu seinem Wagen, der einher fährt auf den Flügeln des Windes, 4 der macht zu seinen Boten Winde, zu seinen Dienern brennendes Feuer. 5 Er hat gegründet (die) Erde auf ihre Fundamente – nicht wankt sie auf immer und ewig. 6 Urflut – wie das Kleid bedeckte sie ⟨sie⟩, über (den) Bergen standen (die) Wasser. 7 Vor deinem Schreien flohen sie, vor der Stimme deines Donners eilten sie davon. 8 Sie stiegen (auf ) Berge hinauf, stiegen (in) Täler hinab, zu einem Ort, den du ihnen gegründet hast. 9 Eine Grenze hast du gesetzt – die können (sie) nicht überschreiten, sie kehren nicht zurück, um die Erde zu bedecken. 10 Der Quellen sendet in die Bachtäler, zwischen Bergen laufen sie (dahin), 11 sie tränken alle Tiere des Feldes, es löschen Wildesel (daraus) ihren Durst, 12 Über ihnen wohnen die Vögel des Himmels, aus (dem) Laubwerk geben sie Laut. 13 Der Berge tränkt aus seinen Obergemächern, von der Frucht deiner Werke sättigt sich die Erde. 14 Der Gras sprießen lässt für das Vieh und Pflanzen für die Arbeit des Menschen, um Brot aus der Erde hervorzubringen 15 – und Wein erfreut das Herz des Menschen –, um glänzend zu machen (das) Angesicht von Öl, – und Brot stärkt das Herz des Menschen. 16 Es sättigen sich die Bäume JHWHs, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat, 17 wo Vögel nisten, der Storch – Zypressen sind sein Haus. 18 Die hohen Berge gehören den Steinböcken, die Felsen sind eine Zuflucht für die Klippschliefer.
500 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 19 Er (sc. JHWH) hat gemacht (den) Mond für die Festzeiten, die Sonne kennt ihren Untergang. 20 Du bestimmst Finsternis, und es wird Nacht, in ihr wimmeln alle Tiere des Waldes, 21 die Junglöwen, brüllend nach Beute, um von Gott ihre Nahrung zu fordern. 22 Es geht die Sonne auf, sie ziehen sich zurück, und zu ihren Verstecken hin lagern sie sich. 23 Es geht der Mensch heraus zu seinem Tun und zu seiner Arbeit bis zum Abend. 24 Wie zahlreich sind deine Werke, JHWH, sie alle hast du mit Weisheit gemacht, voll ist die Erde von deinem Eigentum! 25 Da ist das Meer, groß und unermesslich weit, dort ist ein Gewimmel ohne Zahl, kleine Lebewesen mit großen. 26 Dort ziehen Schiffe dahin, Leviatan – diesen hast du gebildet, um mit ihm zu spielen. 27 Sie alle warten auf dich, dass du ihnen Speise gibst zu ihrer Zeit: 28 Gibst du ihnen, so lesen sie auf, öffnest du deine Hand, so sättigen sie sich mit Gutem, 29 verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du ihren Odem weg, so verscheiden sie [und kehren zurück in ihren Staub]; 30 sendest du deinen Odem aus, so werden sie geschaffen, und du erneuerst die Oberfläche des Erdbodens. 31 Es sei die Herrlichkeit JHWHs in Ewigkeit, es freue sich JHWH an seinen Werken! 32 Der hinblickt zur Erde, so dass sie erbebt, er berührt die Berge, so dass sie rauchen. 33 Ich will singen JHWH in meinem Leben, ich will spielen meinem Gott, solange ich bin. 34 Es möge ihm gefallen mein Dichten, ich, ich freue mich an JHWH. 35 Umkommen sollen Sünder von der Erde und Frevler soll es nicht mehr geben!
Segne, mein Leben, den JHWH! Halleluja!
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 501
Hiob 28 1 Ja, es gibt für das Silber eine Stätte und einen Ort für das Gold, das man auswäscht. 2 Eisen kann aus Staub gewonnen und Gestein zu Kupfer gegossen werden. 3 Ein Ende setzte er der Finsternis, und jede äußerste Grenze erforschte er selbst. Ins Gestein der Dunkelheit und des dunklen Schattens 4 brach er Schächte fern vom Licht, die vergessen sind vom Tritt des Fußes, die arm an Menschen sind, schwanken, 5 in die Erde, aus der Brot hervorgeht und unter der es sich wie Feuer wendet. 6 Der Ort des Saphirs sind ihre Steine, und Goldstaub gibt es an ihm. 7 Ein Pfad, den (selbst) kein Raubvogel kennt, und den das Auge des Falken nie erspähte, 8 den die stolzen Tiere nicht betraten auf dem der Leu nicht schritt: 9 In das Felsgestein streckte er seine Hand, wendete von der Wurzel an die Berge um. 10 In die Felsen trieb er Flüsse, und alles Kostbare sah sein Auge. 11 Die Quellen der Ströme dämmte er ein, und Verborgenes führte er zum Licht. 12 Und die Weisheit: Woher kommt sie, und wo ist der Ort der Einsicht? 13 Der Mensch kennt nicht den Weg zu ihr, und man findet sie nicht im Land der Lebendigen. 14 Die Tehom sagte: „In mir ist sie nicht!“, und das Meer sagte: „Bei mir ist sie nicht!“. 15 Feingold kann man für sie nicht geben und Silber nicht als ihren Kaufpreis wiegen. 16 Man kann sie nicht aufwiegen mit Gold aus Ophir, (auch nicht) mit kostbarem Schoham und Saphir. 17 Ihr vermögen weder Gold noch Glas zu gleichen, und güldene Gefässe taugen nicht als Tausch für sie. 18 An Korallen und Kristall mag man nicht denken, und ein Beutel voller Weisheit ist mehr als Perlen. 19 Der Peridot aus Kusch vermag ihr nicht zu gleichen, und mit reinem Gold kann man sie nicht aufwiegen. 20 Und die Weisheit: Woher kommt sie, und wo ist der Ort der Einsicht? 21 Verhüllt ist sie vor den Augen aller Tiere und vor den Vögeln des Himmels ist sie verborgen.
502 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 22 Der Abaddon und der Tod sagten: „Mit unseren Ohren hörten wir ein Gerücht von ihr.“ 23 Gott nahm ihren Weg wahr, und er selbst kennt ihren Ort. 24 Denn er selbst kann bis zu den Säumen der Erde blicken und alles, was sich unter dem Himmel regt, sehen. 25 Als er dem Wind die Stärke gab und das Wasser mit dem Maß ausmaß, 26 als er dem Regen eine Grenze gab und den Gewitterwolken einen Weg, 27 da sah er sie und zählte sie ab, richtete sie ein und erforschte sie. 28 Aber zum Menschen sagte er: „Siehe: Die Furcht des HERRN, das ist Weisheit, und sich vom Bösen fernzuhalten, ist Einsicht“.44
Sirach 24 1 Die Weisheit lobt sich selbst, sie rühmt sich inmitten ihres Volkes. 2 In der Versammlung Gottes öffnet sie ihren Mund, und vor seinen Scharen rühmt sie sich. 3 Ich ging vom Mund des Höchsten aus, und wie eine Wolke bedeckte ich die Erde. 4 Ich schlug in den Höhen meine Wohnung auf, und mein Thron stand auf einer Wolkensäule. 5 Den Kreis des Himmels umschritt ich allein, in der Tiefe des Abgrunds ging ich umher. 6 Über die Fluten des Meeres und über das ganze Land, über jedes Volk und jede Nation hatte ich Macht. 7 Bei allen diesen suchte ich Ruhe, in wessen Erbe ich weilen könnte. 8 Da gebot mir der Schöpfer des Alls, und der mich schuf, ließ mein Zelt einen Ruheplatz finden. Und er sprach: In Jakob schlage dein Zelt auf, und in Israel sei dein Erbbesitz! 9 Vor der Zeit, am Anfang, erschuf er mich, und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht. 10 Im heiligen Zelt tat ich Dienst vor ihm, und so wurde ich auf Zion eingesetzt. 11 In der Stadt, die er ebenso liebt wie mich, fand ich Ruhe, und in Jerusalem war mein Machtbereich. 12 Ich faßte Wurzel in einem Volk, dem Herrlichkeit verliehen ward, im Anteil des Herrn, in seinem Erbbesitz. 44 Übersetzung
Witte, Hiob (ATD), 406 ff. Zur Textkritik und Redaktionsgeschichte s. ders., ebd., ferner Oeming, Hiob, 151 ff (Gliederung: V.1–11/V. 12–22/V. 23–28).
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 503
13 Wie eine Zeder auf dem Libanon wuchs ich empor, wie ein Ölbaum auf dem Hermongebirge. 14 Wie eine Palme in Engedi wuchs ich empor, wie Rosenstöcke in Jericho, wie ein prächtiger Ölbaum in der Ebene, ich wuchs empor wie eine Platane am Wasser. 15 Wie Zimt und duftendes Gewürzrohr, wie erlesene Myrrhe verströmte ich Wohlgeruch, wie Galbanum, Onyx und Stakte, und wie eine Weihrauchwolke im Zelt (mein Duft). 16 Ich breitete wie eine Terebinthe meine Zweige aus, und meine Zweige – Zweige voll Herrlichkeit und Anmut. 17 Wie ein Weinstock trieb ich schöne Ranken, und meine Blüten – Frucht voll Herrlichkeit und Reichtum. 19 Kommt zu mir, die ihr mich begehrt, und sättigt euch an meinen Früchten. 20 Denn mein Andenken ist süßer als Honig, und mein Erbe geht über Honig aus der Wabe. 21 Die mich genießen, hungern noch, die mich trinken, dürsten noch. 22 Wer auf mich hört, wird nicht zuschanden, und die sich um mich mühen, werden nicht sündigen. 23 Dies alles ist die Tora, die uns Mose gebot, als Erbteil für die Gemeinde Jakobs. 25 Sie ist voll von Weisheit wie der Pischon, wie der Tigris in den Tagen der Erstlinge. 26 Sie strömt über von Einsicht wie der Eufrat, wie der Jordan in den Tagen der Ernte. 27 Sie fließt von Belehrung wie der Nil, wie der Gihon in den Tagen der Weinlese. 28 Der Erste wurde nicht fertig, sie zu erkennen, ebenso hat auch der Letzte sie nicht ergründet. 29 Über das Meer geht die Fülle ihres Sinnes, und ihr Rat über die Tiefen der Urflut. 30 Ich war wie ein Bewässerungsgraben, wie ein Kanal, der hinabfließt in den Garten. 31 Ich dachte: Ich will meinen Garten tränken, ich will mein Beet bewässern. Siehe, der Bewässerungsgraben wurde mir zum Strom, und mein Strom wurde zum Meer. 32 Weiterhin will ich Bildung ausstrahlen wie Morgenröte, ich lasse dies leuchten bis in weite Ferne. 33 Weiterhin will ich die Lehre wie Prophetenworte ausgießen und sie hinterlassen für künftige Geschlechter.
504 Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 34 Seht, daß ich mich nicht für mich alleine gemüht habe, sondern für alle, die sie suchen.45
Sirach 43,1–33 1 Eine Schönheit in der Höhe ist die Himmelsfeste in ihrer Klarheit, die Stärke des Himmels sieht man in seiner herrlichen Gestalt. 2 Die Sonne lässt bei ihrem Aufgang Wärme hervorstrahlen, wie furchterregend sind die Werke des Herrn! 3 In ihrer Mittagshitze lässt sie den Erdkreis erglühen, wer wird vor ihrer Hitze bestehen können? 4 Ein angefachter Schmelzofen ist das Werk des Schmelzers, der, der die Sonne sendet, versengt Berge, die Zunge der großen Leuchte verbrennt das bewohnte Land, und von ihrem Brennen wird das Auge entzündet. 5 Wahrlich, groß ist der Herr, der sie erschaffen hat, und durch seine Worte läßt er aufstrahlen seine Helden. 6 Ferner: auch der Mond lässt ausgehen seine Strahlen zu Zeiten der regelmäßigen Wiederkehr als eine endlose Herrschaft und als ein fortdauerndes Zeichen. 7 Durch ihn werden Feste und feste Zeiten geregelt, und er hat Gefallen zu seiner Zeit an seinem Wandel. 8 Monat um Monat ist er der, der sich erneuert, wie großartig ist er bei seiner Wiederkehr, Gefäße des himmlischen Heeres sind die Schläuche der Höhe. Er lässt erglühen das Himmelsgewölbe durch seine Strahlen. 9 Eine Schönheit des Himmels und ein prachtvoller Stern (ist er), und sein Licht strahlt bis in die Höhen Gottes. 10 Durch das Wort Gottes steht fest die Ordnung, er wird nicht matt in seinem Wächteramt. 11 Blicke den Regenbogen an und preise den, der ihn geschaffen hat, wahrlich, sehr herrlich ist er in seiner Pracht. 12 Den Himmelskreis umfasst er in seiner Herrlichkeit, und die Hand Gottes hat ihn ausgespannt mit Macht. 13 Sein Schelten lässt den Blitz als Zeichen entstehen und lässt aufstrahlen Pfeile des Gerichts. 14 Darum hat er ein Vorratshaus erschaffen, er lässt Wolken dahinfliegen wie einen Blitz. 15 Seine Macht lässt starke Wolken entstehen und spaltet ab Hagelsteine. 16 Das Rollen seines Donners lässt die Erde erbeben, durch seine Kraft wanken die Berge. Sein Wort lässt austrocknen den Südwind, der Wirbelwind des Nordens ist Sturm und Wetter.
45 Übersetzung
Marböck, Gottes Weisheit, 74 f.
Anhang I: Zentrale Schöpfungstexte des Alten Testaments 505
17 Wie Funken schüttelt er seinen Schnee aus, und wie Heuschrecken, die sich niederlassen, ist sein Herabsteigen. 18 Die Schönheit der weißen Farbe macht, dass die Augen sich wundern, und sein Regen macht, dass der Sinn sich verwundert. 19 Und ferner: Reif streut er aus wie Salz, und er lässt Eisblumen wie Saphir funkeln. 20 Die Kälte des Nordwindes lässt er wehen, und er macht, dass seine Quellen sich wie eine Erdkruste zusammenziehen, über einen jeden See deckt er eine Eisschicht, und wie mit einem Panzer bekleidet er den Teich. 21 Den Ertrag der Berge versengt er wie mit Dürre und die grünende Au wie mit Feuerflammen. 22 Erquickung für alles lässt die Tauwolke herabträufeln, der Tau, der herabfällt, um das dürre Land zu befruchten. 23 Durch sein Planen besiegte er die Urflut, und im Urmeer breitete er Inseln aus. 24 Die, die zum Meer hinabsteigen, berichten von seiner Ausdehnung, wahrlich, wenn unserer Ohren davon hören, erschrecken wir. 25 Dort gibt es wunderbare Dinge, erstaunlich ist sein Werk, Arten aller lebendigen Wesen und mächtige Tiere der Urflut. 26 Um seinetwillen führt er das Werk glücklich hinaus, und durch seine Worte schafft er nach seinem Wohlgefallen. 27 Noch mehr von dieser Art wollten wir nicht hinzufügen, aber das Ende der Rede sei: „Alles ist nur Er“. 28 „Lasst uns weiterhin uns freuen, denn wir können ihn nicht erforschen, er ist größer als seine Werke. 29 Zu fürchten gar sehr (ist der Herr), wunderbar sind seine Taten. 30 Ihr, die ihr den Herrn preist, erhebt eure Stimme nach ganzem Vermögen, denn er ist noch mehr. Ihr die ihr eure Stimme erhebt, vermehrt eure Kraft und werdet nicht müde, denn ihr könnt (ihn) nicht ergründen. 31 Wer hätte ihn gesehen und könnte davon berichten? Und wer könnte ihn preisen, so wie er ist? 32 Die Menge der wunderbaren Dinge ist größer als dies alles, wenig (nur) habe ich von seinen Werken gesehen. 33 Das alles hat der Herr erschaffen, und den Frommen hat er Weisheit gegeben.46
46 Übersetzung
Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 294 ff, s. dazu auch Huber, Himmel, 399 ff.
Anhang II Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Der Anhang enthält ausgewählte Texte und Bilder zur Kosmologie und Schöpfungstheologie aus Ägypten (II), Mesopotamien (III), Kleinasien (IV ), Ugarit und Nordsyrien (V ), Iran (VI), Palästina/Israel (VII), Griechenland (VIII), Rom (IX), dem Antiken und Rabbinischen Judentum (X), dem Neuen Testament und dem Antiken Christentum (XI) sowie aus dem Koran (XII). Vorangestellt ist diesen Quellen die Rubrik Konkturen der Lebenswelt (I), die grundsätzliche Überlegungen zur natürlichen Lebenswelt Ägyptens, Mesopotamiens, Kleinasiens, Ugarits und Griechenlands und ihrer jeweiligen symbolischen Bedeutung enthält (Q 1–5). Die Textquellen werden nach den im Literaturverzeichnis: 3. Antike Quellentexte genannten Werken zitiert. Das Material, das jeweils kurz kommentiert wird, wird dabei folgenden Themenfeldern zugeordnet: 1. Weltanfang und Weltende
Die Welt vor der Schöpfung ◆ Weltschöpfung ◆ Weltuntergangsszenarien
2. Schöpfung und Chaos Chaotische Bereiche in der geordneten Welt ◆ Chaoskampf ◆ Unterwelt (Eingang, Abstieg, Aussehen)
3. Schöpfung und Lebenswelt Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft ◆ Ordnungsdenken ◆ Schöpferisches Wirken Gottes/der Götter ◆ Gefährdungen der Lebenswelt
4. Schöpfung und Menschenbild Menschenschöpfung ◆ Geschöpflichkeit ◆ Der Mensch als „Bild Gottes“ ◆ Ethische Aspekte
5. Schöpfung und Tier- und Pflanzenwelt
Kosmischer Lobpreis ◆ Kosmische Trauer ◆ Tierethik
6. Schöpfung und Königtum Die Erschaffung des Königs ◆ Der König als „Bild Gottes“ ◆ Der König als Hüter der Weltordnung
7. Schöpfung und Kult/Tempel Kosmologische Symbolik des Tempels ◆ Tempel und Gottesgarten ◆ Priesterkleidung und Kultgeräte
508 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Um den jeweiligen Argumentationskontext aufzufinden, wird mit dem Vermerk „vgl. oben“ auf die entsprechende(n) Seite(n) in diesem Buch verwiesen.
𓇼 I. Konturen der Lebenswelt Den Anfang der Quellensammlung bilden allgemeine Überlegungen zur Lebenswelt in ausgewählten Kulturen der Antike. Mit „Lebenswelt“ ist der gemeinsame Erlebnishintergrund von Alltagsüberzeugungen gemeint, auf den die Menschen in ihrem Handeln und Leiden zurückgreifen und der sie umfängt und trägt (s. dazu oben 131). Dieser Erlebnishintergrund wird nicht zuletzt durch die Landschaft und ihre Gliederung („Relief “) geprägt. Die Landschaft ist auch für die religiösen Verhältnisse relevant und nicht ohne Bedeutung für die Erklärung der jeweiligen Götterwelt. Die kosmologischen und schöpfungstheologischen Texte aus der Umwelt des Alten Testaments bringen dies, wie die folgende Quellensammlung zeigt, in vielfältiger Weise und mit unterschiedlichen Gewichtungen zum Ausdruck.
Q 1: Ägypten (vgl. oben 133 f ) Im Unterschied zu Mesopotamien, Kleinasien, Ugarit/Nordsyrien und Iran ist das ca. 1200 km lange Niltal nicht nach allen Seiten hin offen, sondern ein relativ schmales Bewässerungsband, das nirgends die Breite von 25km übersteigt und das an beiden Seiten von Palmen, Akazien, Tamarisken und Sykomoren gesäumt wird. „Jenseits dieser Talwände weiß der Ägypter ‚das rote Land‘, die tote, endlos sich dehnende Wüste“ (Wolf, Kulturgeschichte, 18). „Es leuchtet ein“, so Wolf weiter, „daß die Besonderheiten der Landschaft und des Klimas von großem Einfluß auf die Kulturentwicklung sein mußten. Insbesondere führte der Zwang, die Nilüberschwemmung zu meistern und zu nutzen, früh zur Organisation von Gemeinschaften, die ihrerseits zur Keimzelle politischer Gebilde wurden. Darüber hinaus hat gewiß auch die Landschaft den Sinn ihrer Bewohner beeindruckt und als ein stetig wirkender Faktor dazu beigetragen, daß die anfänglich recht verschiedenartigen Stämme zu einem einheitlichen Volk zusammenwuchsen. So mögen wohl die einfachen Formen des zwischen den begleitenden Gebirgsrändern verlaufenden Flußtals und der jeder Romantik entbehrende Landschaftscharakter den nüchternen und zugleich heiteren Sinn des Ägypters aufgerufen haben. Auch mag die Klarheit der Luft, die zumal in den Morgen- und Abendstunden das Grün der Fluren, das scharf dagegen abgesetzte Rotgelb der Wüste und das tiefe Blau des Himmels scharf hervortreten läßt, den Sinn für Form und Farbe gefördert haben. Vielleicht hat auch die bewahrende Kraft des Bodens den beharrenden Sinn des Ägypters bestärkt“ (ders., ebd.). Es ist von unmittelbarer Evidenz, dass diese Struktur der natürlichen Lebenswelt mit ihrer solaren Ost/West-Achse (Sonnenaufgang/Sonnenuntergang) und der dominanten Süd/ Nord-Achse des Nils einen großen Einfluss auf die Ausbildung des religiösen Symbolsystems hatte.
Q 3: Kleinasien 509
Literatur: Keel, Bildsymbolik, 13 ff; Junge, Land, 25 ff; Berlejung, Art. Weltbild/Kosmolo-
gie, 67 ff und Janowski, Anthropologie, 33 ff. Zum Naturraum s. Wolf, Kulturgeschichte, 16 ff und Eggebrecht, Ägypten, 11 ff (A. Brunner u. a.).
Q 2: Mesopotamien (vgl. oben 133 f ) Das, was F. A. M. Wiggermann als „symbolische Landschaft“ Mesopotamiens und seines dreiteiligen Weltbilds – Himmel (Sphäre der Götter), Erde (mit Tempel als Zentrum), Unterwelt (Bereich der Unterirdischen) – bezeichnet (s. ders., Mythologie, 109 ff ), hat seine Grundlagen in der Struktur der natürlichen Lebenswelt. Beide Ebenen, die natürliche und die symbolische, sind aufeinander bezogen und zwar so, dass die empirische Wirklichkeit auf ihre symbolische Bedeutung hin transparent ist (s. dazu Keel, Bildsymbolik, 13 ff und oben 18 f ). So symbolisiert etwa der Berg den Thron, auf dem die Gottheit sitzt, oder der Tempel den Kosmos, von dem die Prosperität des Landes ausgeht. Der südliche Teil Mesopotamiens hieß Sumer, der mittlere Akkad und der nördliche Assyrien. „Im Süden ist die Landwirtschaft von der Bewässerung abhängig, im Norden ist Regenfeldbau möglich. Rings um Mesopotamien liegen Steppen und Gebirge mit einer anderen Wirtschaft und einer anderen Zivilisation“ (Wiggermann, aaO 109). Alle diese Landschaften und ihre Eigenheiten waren Quellen für das religiöse Symbolsystem Mesopotamiens. Irgendwo im nordöstlichen Randgebirge lag der Eingang zur Unterwelt, die weiten Steppen/Wüsten galten als Aufenthaltsort der Räuber und Dämonen und das südliche Schwemmland beförderte die Vorstellung, dass die Welt aus der Trennung von Süßwasser und Salzwasser entstanden ist, s. dazu auch TUAT.NF 9 (2020) 4 ff (D. Schwemer). In der mesopotamischen Kunst wurden diese Aspekte in Bilder gefasst (Rollsiegel, Reliefs, Malereien u. a.) und damit die natürliche Lebenswelt und ihre symbolische Bedeutung zur Anschauung gebracht, s. die Beispiele bei Wiggermann, aaO 113 ff. Literatur: Keel, Bildsymbolik, 13 ff; Edzard, Literatur, 575 ff; Wiggermann, Mythologie,
109 ff; Berlejung, Art. Weltbild/Kosmologie, 67 ff und TUAT.NF 9 (2020) 4 ff (D. Schwemer). Zum Naturraum s. Hrouda, Der alte Orient, 11 ff (U. Rösner), zur Weltsicht eines Babyloniers des 18. Jh.s v. Chr. s. Wilcke, Weltbilder, 1 ff.
Q 3: Kleinasien (vgl. oben 133 f ) Es gehört zur Eigenart der hurrit.-hethit. Religion(en), dass die Natur mit ihren diversen Erscheinungsformen wie Gebirge, Beggipfel, Quellen, Flüsse, Seen, Höhlen und Felskammern zum Gegenstand der Verehrung wurde. Auch das Symbol- und Beziehungsystem zwischen der Natur und dem Körper eines Menschen bzw. eines Gottes ist von Bezügen geprägt, die ein sympathetisches Verhältnis zwischen dem Menschen/der Gottheit und der Natur herstellen. Beispiele dafür finden sich in Heilungsritualen und Opferlisten/-texten. So heißt es in einem Opfertext, in dem den einzelnen Körperteilen des Wettergottes Opfer dargebracht werden: [ein Lamm, eine Gans für den Kopf des Wettergottes; ein Lamm, eine Gans für den Nacken/Hals] des Wettergottes; ein Lamm, eine Gans für die Schultern des Wettergottes; ein Lamm, eine Gans für die Brust des Wettergottes und für die Brustwarzen;
510 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike ein Kalb, eine Gans für die beiden Oberarme und [für] die beiden Unterarme; ein Kalb, eine Gans für des Wettergottes Hände und für sämtliche Finger. Ein Kalb, eine Gans für die Gesäßbacken (und) für seinen, des Wettergottes, Penis; ein Lamm für des Wettergottes Knie und Waden; ein Lamm, eine Gans für die beiden Füße des Wettergottes; ein Lamm, ein Gans für die Lanze und das Gerät des Wettergottes. (Haas/Koch, Religionen, 169 f [V. Haas]) Literatur: Haas/Koch, aaO 169 ff.173 ff (V. Haas).
Q 4: Ugarit (vgl. oben 133 f ) Ebenso wie die Menschen in Ägypten oder in Mesopotamien waren auch die Menschen im spätbronzezeitlichen Ugarit durch ihre Wirtschafts- und Gesellschaftsformen in ihre natürliche Umwelt eingebunden (s. dazu TUAT.NF 9 [2020] 232 f [H. Niehr]). Diese Umwelt war aber nicht nur die natürliche Ressource für die Güter des täglichen Bedarfs, sondern sie hatte zugleich den Charakter einer symbolischen Landschaft. Zu deren Konstituenten gehören die Göttersitze im Norden (Ṣaphon/Ǧebel al-Aqraʿ als Sitz Baʿals, s. KTU 1.4 V 50–65; VI 16–40) und Osten (Ǧebel Ansariye als Sitz Els, s. KTU 1.4 IV 20–24), das Meer im Westen (als Bereich Jammus) und die Unterwelt im Westen (als Sitz Motus) bzw. an speziellen Orten (Gräber, Königsgruft, Zugang zwischen zwei Bergen). Zusammengehalten wird dieses aus Himmel, Gebirge, Erde, Meer und Unterwelt bestehende Weltganze durch das Wirken der Sonnengöttin Šapš, die ihren täglichen Weg von Osten (Morgen) nach Westen (Abend) zurücklegt und die nach dem langen Beschwörungstext KTU 1.100 unterschiedliche Gottheiten an ihren jeweiligen Göttersitzen aufsucht (s. TUAT.NF 9 [2020] 250 ff [H. Niehr]). Es ist überaus bezeichnend, dass der Baʿal-Zyklus in KTU 1.6 VI 43–53 mit einem Hymnus auf die Sonnengöttin als Garantin der kosmischen Ordnung abschließt (s. TUAT.NF 8 [2015] 236 und dazu TUAT 9 [2020] 244 f [H. Niehr]). Zur Sonnengöttin in Ugarit s. Loretz, Ugarit, 173 f; Niehr, Religionen, 33 f.75 f und Kutter, nūr ilī, 21 ff. Literatur: Loretz, Ugarit, 54 ff.152 ff und Niehr, Religionen, 25 ff.72 ff.
Q 5: Griechenland (vgl. oben 133 f ) Für die Konturen der Lebenswelt im alten Griechenland ist vor allem die Entstehung und Entwicklung des Denkens über Gott/Götter, Welt und Mensch ausschlaggebend, die sich von Homer (Mitte 8. Jh. v. Chr.) bis in die Spätzeit vollzogen hat. „Die Griechen“, so schreibt J.‑P. Vernant, „erkennen sich in einer bestimmten Form sozialen Lebens und in einem Reflexionstyp wieder, die in ihren eigenen Augen ihre Besonderheit und ihre Überlegenheit über die Barbaren ausmachen: An die Stelle des Königs, der seine Allgewalt ohne Kontrolle und ohne Schranke in seinem vom Geheimnis umgebenen Palast ausübt, setzen die Griechen ein politisches Leben, das der Gegenstand einer allgemeinen Debatte in der Öffentlichkeit der Agora ist. Alle, die an ihm teilnehmen, sind gleichberechtigte Bürger und betrachten den Staat als ihre gemeinsame Angelegenheit. An die Stelle der alten Kosmogonien, die mit Ritualen des Königtums und Mythen der Herrschaft verknüpft sind, tritt ein neues Denken, das die Ordnung der Welt auf Verhältnisse von Sym-
Q 7: Pyramidentexte Spruch 600 511
metrie, Gleichgewicht und Gleichheit unter den verschiedenen Elementen des Kosmos zu gründen sucht.“ (Vernant, Entstehung, 9) Mit der Formel Vom Mythos zum Logos, mit der diese Entwicklung in der Regel umschrieben wird, ist weniger ein Gegensatz als vielmehr ein Wechselverhältnis bezeichnet (s. dazu oben 59 f ). So führen die ionischen Naturphilosophen, ohne den theologischen Gehalt der traditionellen Schöpfungsmythen zu verwerfen, die Entstehung des Kosmos auf physikalische Kräfte zurück und befördern damit eine im eigentlichen Sinn naturwissenschaftliche Fragestellung. Auch bei Platon ist der Mythos nicht einfach getilgt, vielmehr wird er in eine neue Form des Denkens überführt. Das geistige Universum der Polis ist der Höhepunkt dieser Entwicklung (s. dazu Vernant, aaO 44 ff ), die die abendländische Kultur nachhaltig geprägt hat. Literatur: Snell, Entdeckung; Vernant, Entstehung; ders., Mensch, 7 ff; Burkert, Griechen,
55 ff und ders., Religion, 331 ff. Zum Verhältnis von Mensch und Umwelt s. Alcock, Menschen, 13 ff.
II. Ägypten 1. Weltanfang und Weltende Die Welt vor der Schöpfung Q 6: Pyramidentexte Spruch 486 (vgl. oben 92) Eine klassische Noch nicht-Aussage findet sich in Spruch 486 der Pyramidentexte (5./6. Dyn., um 2300 v. Chr.) innerhalb eines Spruchs zur Reinigung mit Wassergüssen: Rezitation: Sei gegrüßt, Wasser, das Schu herbeigebracht hat, 15 das die Beiden Quellöcher emporgeführt haben, in dem Geb seine Glieder gereinigt hat, als die ib-Herzen sich fürchteten und die hati-Herzen in Schrecken versetzt waren. NN wurde im Nun geboren, 20 bevor noch Himmel und Erde entstanden waren, bevor noch das Dauernde und die Störung entstanden waren, bevor noch diese Furcht entstanden war, die um das Horus-Auge entstand. Übersetzung: Assmann/Kucharek, Totenliteratur, 13 (mit dem Kommentar 678), s. dazu auch Assmann, Art. Schöpfung, 677 f; Bauks, Welt, 156 f und zum Thema insgesamt Grapow, Welt, 34 ff.
Q 7: Pyramidentexte Spruch 600 (vgl. oben 56) In Spruch 600 der Pyramidentexte (5./6. Dyn., um 2300 v. Chr.) werden mit der Anrufung des Gottes Atum und seines ersten Aufgangs als Sonne „die kosmischen Energien des Weltenanfangs“ (Assmann/Kucharek, Totenliteratur, 745) beschworen:
512 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Atum-Chepri, du bist hoch geworden als Hügel (qꜢꜢ), du bist aufgegangen als benben-Stein im Phönixhaus 25 in Heliopolis, du hast Schu ausgespien, du hast Tefnut ausgespuckt, du hast deinen Arm um sie gelegt als Ka-Arm, damit dein Ka in ihnen sei. 30 Atum, lege doch deinen Arm um NN, um dieses Werk, um diese Pyramide, als Ka-Arm, damit das Ka des NN in ihr sei, fest in alle Ewigkeit! Übersetzung: Assmann/Kucharek, Totenliteratur, 173 (mit dem Kommentar 745), s. dazu
auch Assmann, Art. Schöpfung, 678 und Allen, Genesis, 13 f.78. – Zur Urhügel-Vorstellung s. Q 11, zum benben-Stein s. Kemp, Egypt, 87 f.
Q 8: Sargtexte Spruch 80 (vgl. oben 56) Innerhalb der aus dem MR (ab der 12. Dyn.) stammenden Sprüche 75–83 („Buch des Schu“) der Sargtexte erscheint mit Spruch 80 ein Textstück, das zu den „eindrucksvollsten Darstellungen der ägyptischen Schöpfungstheologie“ (Assmann/Kucharek, Totenliteratur, 775) gehört, weil hier der kosmogonische Augenblick beschrieben wird, „an dem Präexistenz in Existenz umschlägt“ (Assmann, Maʾat, 168): Da sagte Atum: Tefnut ist meine lebendige Tochter, sie ist zusammen mit ihrem Bruder Schu, 25 „Leben“ ist sein Name, „Maʾat“ ist ihr Name. Möge ich leben mit meinem Kinderpaar, möge ich leben mit meinen beiden Küken, wobei ich in ihrer Mitte bin, 30 die eine von ihnen an meinem Rücken, der andere von ihnen an meinem Bauch. „Leben“ schläft mit meiner Tochter „Maʾat“, die eine in mir, der andere um mich herum. 35 Ich bin aufgestanden auf ihnen, indem ihre Arme um mich [gelegt] sind. Dann spricht der Gott Atum, der im Urwasser, also in einer raum-, zeit- und lichtlosen Welt treibt, die folgenden Worte, bevor die Vorwelt in die Schöpfungswelt übergeht: 1 Mein Sohn ist es, der leben wird, den ich gezeugt habe in meinem Namen, er weiß den im Ei zu beleben im Mutterleib, als Menschheit, die aus meinem Auge hervorgegangen ist, 5 das ich ausgeschickt hatte.
Ich aber war alleine mit Nun (= Urgewässer) in Trägheit; ich konnte keinen Ort finden, an dem ich hätte aufstehen können,
Q 8: Sargtexte Spruch 80 513
10 ich konnte keinen Ort finden, an dem ich mich hätte setzen können, bevor noch Heliopolis gegründet war, in dem ich hätte weilen können, bevor noch mein Sitz [?] geknüpft war, auf den ich mich 15 hätte niederlassen können, bevor ich noch Nut (= Himmelsgöttin) geschaffen hatte, damit sie über mir sei, bevor noch die erste Generation geboren war, bevor noch die urzeitliche Neunheit entstanden war. Nun [aber] waren sie bei mir. 20 Da sprach Atum zu Nun: Ich treibe herum und bin sehr ermattet, meine Glieder [?] sind träge. Mein Sohn „Leben“ ist es, der mein Herz erhebt, er belebt mein Herz, nachdem er diese meine Glieder, 25 die sehr ermattet waren, zusammengefasst hat. Übersetzung: Assmann/Kucharek, Totenliteratur 260 f (mit dem Kommentar 775 f ), s. dazu
auch Assmann, Art. Schöpfung, 678 f; ders., Ägypten 1, 209 ff; ders., Maʾat, 167 ff.172 ff; Allen, Genesis, 22 f.84 und Bauks, Welt, 174 f. Zur Einsamkeit und Mattigkeit Atums in der Vorwelt s. auch pBremner-Rhind 28,24 und dazu Allen, aaO 28 (mit dem Kommentar 29 f ); Bauks, aaO 158 f und Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 227 ff.232 f. NUN = Urozean = Präexistenz
ATUM = SEIN Tefnut = Maʾat NUT = HIMMEL Isis HORUS Neph= hic et Seth thys nunc Osiris = „Gestern“ GEB = ERDE Schu = Leben
Abb. 112: Schema der Kosmogonie Die Genealogie des Kosmos, die in Spruch 80 der Sargtexte entfaltet wird, läßt sich in ein Schema fassen (s. Abb. 112) und wie folgt beschreiben: Der Gott Atum ist
514 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike „der Zündfunke des Seins; vor ihm war nichts – vor ihm war das Nichts als Grenzlosigkeit, Urfinsternis und die ungestalte Urmaterie Nun, ‚Präexistenz‘. Aus ihm aber, der damit zum ‚Allherrn‘ wird, entfalten sich eines nach dem anderen die Weltzeitalter, aus dem Einen werden die Vielen. Und was mit Atum begann, nimmt seine letzte Form an als Zeitalter des Horus, dem Gott und Herrn des hic et nunc, der Jetztzeit“ (Junge, aaO 24).
Q 9: Totenbuch Spruch 17 (vgl. oben 56) In einer Glosse zum Anfang von Spruch 17 nimmt das Totenbuch (18. Dyn.) auf die Urzeit Bezug, wobei statt des Gottes Atum (wie in den Pyramiden- und Sargtexten, s. Q 7–8) der Sonnengott Re eingeführt wird: 1 Ich bin Atum, der ich allein war im Urgewässer, ich bin Re bei seinem Erscheinen, am Beginn seiner Herrschaft über das, was er geschaffen hatte. Was bedeutet das? 5 „Re am Beginn seiner Herrschaft über das, was er geschaffen hatte“ ist: Re begann zu erscheinen als König dessen, was er geschaffen hatte, als die Hochhebung des Schu noch nicht entstanden war, sondern auf dem Hügel dessen, der in Hermopolis ist, (stand). Da wurden ihm übergeben [Variante: vernichtet] die Kinder der „Schwachen“ 10 als Götter, die in Hermopolis sind [Variante: auf dem Urhügel dessen, der in Hermopolis ist]. Übersetzung: Hornung, Totenbuch, 59, s. dazu auch Assmann, Art. Schöpfung, 697 f; ders./
Kucharek, Totenliteratur, 376 f (mit dem Kommentar 820) und Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 230.
Q 10: Die Achtheit als Repräsentant des Urchaos (vgl. oben 57) Die acht Urgötter Nun und Naunet (Urgewässer), Huh und Hauhet (Endlosigkeit), Kuk und Kauket (Finsternis), Niau und Niaut (Leere, Varianten: Amun und Amaunet Verborgenheit u. a.), die die Eigenschaften des Urchaos repäsentieren, können Paviansgestalt haben, wenn sie die aufgehende Sonne bejubeln, oder Menschengestalt mit Froschköpfen (männlich) und Schlangenköpfen (weiblich) (s. Abb. 113). Literatur: Assmann, Art. Schöpfung, 680 f; Bauks, Welt, 169 ff; Zivie-Coche/Dunand, Re-
ligionen, 218 ff.223.231 f u. a.
Q 11: Der kosmische Urhügel (vgl. oben 56.335 f ) Der Tempel ist nicht nur das Zentrum, sondern auch der Ursprung der Welt, insofern er den „Urhügel“ (ägypt. ḫʿ/ḫʿt, vgl. qꜢ/qꜢꜢ) repräsentiert. Der Urhügel, bildlich als getreppte Erhöhung, als Insel oder als Pyramide dargestellt (Abb. 114), ist das erste Stück Land, das am Anfang aus dem Urgewässer auftauchte und von dem aus der Schöpfergott die Trennung der Elemente und die Setzung der ordnenden Grenzen vornahm. Der auf diesem
Q 11: Der kosmische Urhügel 515
Abb. 113: Die Achtheit im Tempel von Hibis (ca. 500 v. Chr.) Stück Land erbaute Tempel geht damit „in einer Kette fortwährender Erneuerungen … in direkter ‚Ahnenreihe‘ auf jenes allererste Heiligtum zurück, das der Schöpfergott selbst auf dem Urhügel errichtet hat“ (Assmann, Ägypten 1, 48). Am ausgeprägtesten ist die Urhügelkonzeption in Heliopolis, Memphis und Hermopolis. Häufig lässt sich archäologisch auch eine Sandaufschüttung nachweisen, auf der der Tempel errichtet ist, s. dazu Martin, Art. Urhügel, 874.
Abb. 114: Verschiedene Darstellungen des Urhügels Literatur: De Buck, Oerheuvel; RÄRG, 100 f.847 f; Bickel, Cosmogonie, 67 ff; Martin, Art. Urhügel, 873 ff; Assmann, Art. Schöpfung, 678; ders., Ägypten 1, 48 ff; Keel, Bildsymbolik, 100 und Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 232 f. Zur mesopotamischen Urhügel-Vorstellung s. Q 53.
516 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Weltschöpfung Q 12: Papyrus Leiden I 350 (vgl. oben 57) Nilgänse (s. Abb. 115) spielten im alten Ägypten als Wirtschaftstiere keine Rolle und wurden auch nicht als Opfertiere verwendet. Umso bedeutender war ihre Rolle in der Mythologie, weil sie die Urgottheit, den „Großen Schnatterer“, aus dessen Ei die Welt hervorging, verkörperten. In der Ikonographie des Gottes Amun erscheint die Nilgans als dessen Attributtier (s. Abb. 116). So heißt es im 90. Lied des Papyrus Leiden I 350: 15 Seine (sc. Amuns) Erscheinungsform erstrahlte zum ersten Mal, und alles Seiende erstaunte vor seiner Hoheit. Er ließ seine Stimme erschallen als „Großer Gackerer“ an dem Bezirk, den er geschaffen hatte, als er allein war. Er begann zu sprechen inmitten des Schweigens. 20 Der alle Augen öffnete, er machte, dass sie sehen. Er fing an zu rufen, als die Erde in Schweigen lag, sein Gebrüll lief um, ohne dass ein anderer noch da war. Er brachte das Seiende hervor, gab, dass sie leben, ließ jedermann den Weg erkennen zum Gehen; 25 ihre Herzen leben auf, wenn sie ihn schauen […]
Abb. 115: Nilgans (Alopochen aegyptiacus), rechts im Papyrusboot
Abb. 116: Amun und Nilgans (Stele, NR)
Q 14: Trennung von Himmel und Erde 517
Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 330, s. ferner Barucq/Daumas, HPEA, 222 und Allen, Genesis, 51 f.94 f. Zur Nilgans s. Störk, Art. Nilgans, 484; Görg, Nilgans, 97 ff und von der Osten, Geflügelwirtschaft, 233 f.
Q 13: Das Sonnenkind auf dem Urlotos (vgl. oben 57) Zu den eindrücklichsten Bildmotiven der Weltentstehung gehört ab dem NR das Motiv des Sonnenkinds auf dem Urlotos. Dargestellt wird, wie das Sonnenkind, die jugendliche Erscheinungsform des Schöpfergottes, auf dem Kelch der Lotosblüte sitzt und damit den Beginn der Schöpfung symbolisiert.
Abb. 117: Das Sonnenkind auf dem Urlotos (Papyrus, NR) Literatur: Hornung, Verfall, 415 f; Schlögl, Art. Gott, 786 ff und Assmann, Schöpfungs-
mythen, 161. Weitere Abbildungen bei Schroer, IPIAO 3, 226 f mit Abb. 809–810 und dies., IPIAO 4, 250 ff mit Abb. 1168.1170; 734 f mit Abb. 1793–1794.
Q 14: Trennung von Himmel und Erde (vgl. oben 49) In zahlreichen Papyri der 21. und 22. Dyn. wird dargestellt, wie der Luftgott Schu Himmel und Erde, die in der Urzeit miteinander verbunden waren, voneinander trennt, indem er mit seinen beiden Armen die über den am Boden liegenden Erdgott Geb gebeugte nackte und sternenübersäte Himmelsgöttin Nut stützt (s. Abb. 118). Damit entsteht der kosmische Raum, der im Licht sichtbar wird und in dem sich das menschliche Leben entfalten kann. Literatur: Keel, Bildsymbolik, 25 ff; ders./Schroer, Schöpfung, 116; Bickel, cosmogonie, 176 ff; Assmann, Schöpfungsmythen, 164 f; Junge, Land, 18 ff; de Hulster, Picturing, 51 f und Schroer, IPIAO 4, 240 ff.
518 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Abb. 118: Die Trennung von Himmel und Erde (Papyrus, NR)
Q 15: Hymnus von Tura (vgl. oben 49.57) Der thebanische Amun-Re-Hymnus von Tura (in der Nähe von Heliopolis) aus der Voramarnazeit (18. Dyn.) zeichnet sich gegenüber den anderen Amun-Hymnen durch seine narrative Form aus, d. h. die kosmogonischen Vorgänge werden in Verbalsätzen erzählt und in eine zeitliche Abfolge gebracht. Der Textplan ist so gestaltet, dass Z. 1–21 die Eulogie, Z. 22–48 den Schöpfungsbericht und Z. 34–48 die Darstellung der Schöpfung enthalten. Der Rest ist schlecht erhalten. Im Schöpfungsbericht heißt es u. a.: Selbstentstehung des Gottes
Der sich verkörperte in Verkörperungen, der seinen Leib schuf,
25 der seine Gestalt bildete, sich schuf mit seinen Armen, der hervorkam [in] spontaner [Selbstentstehung] – alle seine Glieder redeten mit ihm – Er hat sich selbst gebaut, bevor Himmel und Erde entstanden waren, als das Land im Urwasser war inmitten der ‚müden Flut‘. Schöpfung der Erde, Trennung von Himmel und Erde 30 Da hat er angefangen, dieses Land zu erschaffen, indem er festsetzte, was aus seinem Mund hervorging. Du hast den Himmel hochgehoben und den Erdboden niedergestreckt, um das Land weitzumachen für dein Bild! Schöpfung des Lichts
Du hast deine erste Gestalt angenommen als Re,
35 um die beiden Länder zu erhellen für das, was du geschaffen hast
Q 17: Denkmal memphitischer Theologie 519
als [Plan] deines Herzens, als du allein warst.
Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 207, s. zur Interpretation ders., Re, 226 ff; ders., Schöpfungsmythen, 164 f und Barucq/Daumas, HPEA, 232 ff. Zum Motiv der Trennung von Himmel und Erde s. noch die Amun-Re-Hymnen bei Assmann, ÄHG2, 189 (Nr. 80,4) und 197 (Nr. 87A,40).
Q 16: Papyrus Chester Beatty IV (vgl. oben 57) Das Motiv der Schöpfung durch das Wort, das dem MR strictu sensu noch fremd ist, wird ab der 18. Dyn. zum Gemeinbesitz der ägypt. Schöpfungstheologie. Als Beispiel sei ein Beleg aus dem Papyrus Chester Beatty IV, einem Haupttext der sog. Persönlichen Frömmigkeit des NR, zitiert: Lob dir, Amu-Re, Atum-Harachte! 115 Der sprach mit seinem Munde, und es entstanden die Seienden, Menschen und Götter, Herden und jegliche Wildtiere zusammen, alles, was auffliegt und niederschwebt. Du hast Festländer und Inseln geschaffen, 120 mit Städten besiedelt, und die fruchtbaren Äcker, vom Nun geschwängert, um danach zu gebären – Gutes, unendlich viel, zum Unterhalt der Lebenden. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 432 (mit dem Kommentar 439, dort weitere Belege), s. zur Interpretation ders., Re, 238 ff; ders., Schöpfungsmythen, 178 ff und allgemein zum pChester Beatty IV Janowski, Rettungsgewissheit, 162 ff.
Q 17: Denkmal memphitischer Theologie (vgl. oben 57.60) Das am Ende des 8. Jh.s v. Chr. niedergeschriebene, möglicherweise aber ältere Denkmal memphitischer Theologie ist der ägypt. Hauptbeleg für das Motiv der Schöpfung durch das Wort. Mit Altenmüller, Art. Denkmal, 1066 ff lässt sich der Text folgendermaßen gliedern: – Königstitulatur und Kopiervermerk (1–2) – Einleitung (3–5) – Hauptteil I (7–47, ab 20/21 weitgehend zerstört) – Hauptteil II (48–61) Entstehung der Achtheit und der Schöpfungsprinzipien „Herz“ und „Zunge“ (48– 52) Schöpfung und Einrichtung der Welt durch Ptah (53–61) – Epilog (62–64) Der zweite Hauptteil (Z. 48–61) stellt einen theologischen Traktat dar, in dem die Schöpfung durch Ptah entfaltet wird. Im Unterschied zur heliopolitanischen Kosmologie (s. oben 56) steht jetzt Ptah-Tatenen an der Spitze des Stammbaums der Götter:
520 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Ptah-Tatenen Atum-Re Schu und Tefnut usw. Ptah wird dabei als Einheit beschrieben, die der präexistenten Achtheit, die sich aus dieser Einheit entfaltet, vorausgeht. Der eigentlich kosmologische Abschnitt des Textes beginnt mit der Beschreibung der beiden Schöpfungsprinzipien „Herz“ und „Zunge“ (im Folgenden durch Unterstreichung hervorgehoben), d. h. Erkenntnis und Sprache, durch die alles Leben entsteht: (48) Die Götter, die aus Ptah entstanden sind (ḫpr): (49a) Ptah auf dem Hohen Thron […], (50a) Ptah-Nun, der Vater, der den Atum [erzeugte], (51a) Ptah-Naunet, die Mutter, die den Atum gebar, (52a) Ptah der Große, er ist das Herz und die Zunge der Götterneunheit, (…) (53) (Diese acht Götter sind es,) die zu Herz und Zunge in Gestalt des Atum geworden sind. Der Allergrößte, nämlich Ptah, ist es, der die Ka’s al[ler Götter be]lebt(?), und zwar durch dieses Herz und diese Zunge. (54) Durch es (das Herz) ist Horus, und durch sie (die Zunge) ist Thot aus Ptah hervorgegangen. So entstand die Vorherrschaft von Herz und Zunge über [alle anderen] Glieder, und sie zeigt, dass er (Ptah) an der Spitze jedes Leibes und jedes Mundes aller Götter, aller Menschen, [aller] Tiere und aller Würmer steht, die leben, wobei er alles denkt und befiehlt, was er will. Im folgenden Abschnitt werden der „Same“ und die „Hände“ des Atum, mit denen er in einem Akt der Selbstbegattung Schu und Tefnut geschaffen hat, als die „Zähne“ und die „Lippen“ ausgedeutet, die „den Rahmen bilden für die alles durch Aussprechen erschaffende Zunge“ (Assmann, Ägypten 2, 389): (55) Seine Götterneunheit steht vor ihm als Zähne – das ist Atums Samen –, und als Lippen – das sind Atums Hände. Die Götterneunheit Atums ist ja aus seinem Samen und durch seine Finger entstanden. Eigentlich aber ist die Götterneunheit die Zähne und Lippen in demjenigen Mund, der den Namen von allem erdacht hat, und aus dem Schu und Tefnut hervorgegangen sind. Konsquenterweise wird der Schöpfungsvorgang anthropologisch, d. h. „als körperliche Kreation gedeutet. (…) Die eigentlich kreativen Organe sind Herz und Zunge“ (ders., ebd.): (56) Die Götterneunheit erschuf das Sehen der Augen, das Hören der Ohren und das Riechen der Nase, und sie (die Sinnesorgane) leiten es zum Herzen weiter. Dieses ist es, das alle Erkenntnis hervorbringt, und die Zunge ist es, die verkündet, was das Herz erdenkt. So wurden alle Götter geboren, und seine Götterneunheit war komplett. Und aus dem, was (57) das Herz erdacht und die Zunge befohlen hat, sind auch (56) alle heiligen Texte (57) entstanden. [das Folgende hier weggelassen]
Q 18: Buch von der Himmelskuh 521
Und es entstanden alle Handwerke und alle Künste, das Tun der Arme, der Gang der Beine (58) und die Bewegung aller übrigen Glieder gemäß seinem (Ptahs) Befehl, der an das Denken des Herzens ergeht, den die Zunge äußert und der die Aktivität in allem erzeugt. So entstand für Ptah die Bezeichnung „der die Menschheit schuf und die Götter hervorbrachte“. Denn er ist Tatenen, der die Götter gebar, aus dem alles hervorgegangen ist an Opferspeisen und Nahrung, an (59) Tempelopfern und allen anderen guten Dingen. So wurde befunden und erkannt, daß er der mächtigste unter den Göttern ist. Und dann ruhte Ptah aus (ḥtp), nachdem er alles und auch alle heiligen Texte geschaffen hatte. [das Folgende hier weggelassen] Übersetzung: TUAT.Erg (2001) 172 ff (C. Peust/H. Sternberg-El Hotabi), s. auch die Über-
setzung von Lichtheim, AEL 1, 51 ff; Allen, Genesis, 43 ff (Teilübersetzung) und zur Interpretation Altenmüller, Art. Denkmal, 1065 ff; Assmann, Ägypten 2, 382 ff; ders., Schöpfungsmythen, 179 ff; Keel/Schroer, Schöpfung, 171 ff; Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 243 ff u. a. – Zum Vergleich mit Gen 1,1–2,3 s. Koch, Wort, 61 ff, bes. 98 ff; ders., Geschichte, 377 ff; Ruppert, Ruhe Gottes, 110 ff und Assmann, Ägypten 2, 390 f. Insbesondere die Formulierung von Z. 59 – „Und dann ruhte Ptah aus (ḥtp, oder: war zufrieden, vgl. Lichtheim, aaO 55: was satisfied), nachdem er alles und auch alle heiligen Texte geschaffen hatte“ – hat immer wieder Anlass gegeben, das Ruhen Gottes am 7. Tag in Gen 2,2 f (eigentlich: Aufhören mit der Arbeit, s. dazu oben 70 ff ) mit der Ruhe Ptahs in Verbindung zu bringen, so Ruppert, aaO 116 f. Allerdings wird der Begriff der Arbeitsruhe im Ägyptischen nicht durch das Verb ḥtp ausgedückt, vgl. Assmann, Ägypten 2, 390 mit Anm. 93.
Weltuntergangsszenarien Q 18: Buch von der Himmelskuh (vgl. oben 124) Eine ägyptische Sachparallele, die deutliche Differenzen zum Gottesbild der nichtpriesterlichen Fluterzählung (Gen *6,5–8,22) aufweist, liegt im Buch von der Himmelskuh V. 1–103 vor. Dieser „Mythos von der Vernichtung des Menschengeschlechts“ handelt davon, wie das Böse in die Welt kam, die nach ägyptischer Auffassung als „widerstandslose Selbstentfaltung des Guten“ (Assmann, Maʾat, 175) konzipiert ist. Der Umschwung von der guten Schöpfung des Anfangs zum gegenwärtigen Zustand der ‚gespaltenen Welt‘ geschieht durch eine Empörung der Menschen gegen den altgewordenen Sonnengott Re. Dieser sendet als Antwort auf die Rebellion keine Sintflut, sondern eine verheerende Feuersglut, die von seinem „Auge“ ausgeht, das als Erscheinungsform der Göttin Hathor agiert. Es wird allerdings nur ein Teil der Menschheit ausgetilgt, während ein Rest aufgrund einer List des Re überlebt, der die Göttin durch blutrot gefärbtes Bier berauscht (Entschluss: V. 77–86) und so davon abhält, ihre Vernichtung zu vollenden (Ausführung: V. 87–91). Re verzichtet danach auf die irdische Herrschaft und zieht sich auf dem Rücken der Himmelskuh an den Himmel zurück (s. Abb. 119), wo er die Erde im Zyklus von Tag und Nacht umkreist. Die Folgen der Rebellion sind für den Rest der Menschheit schmerzlich genug: „Vertreibung aus dem Paradies des Anfangs, wenn auch in ganz anderer Form als im Alten Testament, denn hier zieht sich Gott ins ‚Exil‘ zurück, überläßt die Menschen ihrem gegenseitigen Streit und schaut nun aus der Höhe des Himmels auf sie herab“ (Hornung, Himmelskuh, 76).
522 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Abb. 119: Die Himmelsgöttin Nut in Kuhgestalt (18. Dyn., NR) Im Folgenden seien der Entschluß des Sonnengottes Re zur Errettung der Menschen (V. 77–86) und dessen anschliessende Ausführung (V. 87–91) zitiert: Es brach aber der Morgen an, da die Menschen von der Göttin getötet werden sollten, zu ihrer Zeit, da sie südwärts zogen. Da sprach die Majestät des Re:
„Wie vollkommen sind sie doch! Ich werde die Menschen vor ihr schützen.“ Daraufhin befahl Re: „Tragt sie sogleich
an den Ort, von dem sie sagte, daß sie die Menschen dort töten werde.“
Und die Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Re stand früh auf,
um Mitternacht, um das Ausgießen dieses (Rausch)Trankes zu befehlen. Daraufhin war das Ackerland drei Handbreit von der Flüssigkeit überflutet, durch den Willen der Majestät dieses Gottes. (V. 77–86) Als diese Göttin des Morgens kam,
fand sie dieses (Ackerland) überflutet vor,
und ihr Antlitz spiegelte sich schön darin wider. Sie trank davon und ward fröhlich. Sie zog berauscht von dannen und vermochte die Menschen nicht zu erblicken. (V. 87–91) Übersetzung: TUAT 3/5 (1995–2001) 1025 f (H. Sternberg-el-Hotabi), s. zur Interpreta-
tion noch Hornung, Himmelskuh, 37 ff; Assmann, Maʾat, 174 ff und Janowski, Erinnerung, 193 f. Zu Abb. 119 s. Hornung, Spuren, 464 f: der Sonnengott Re ist es „müde, auf Erden und unter den Menschen zu sein, er zieht sich in die luftige Höhe des Himmels zurück. Die Himmelsgötting Nut verwandelt sich in eine Kuh und hebt den Sonnengott in jene distanzierte Ferne empor, in der wir ihn heute erblicken. Von dort gibt er seinem Sohn Schu den Auftrag, Nut zu stützen, läßt weitere stützende Götter in Funktion treten und erschafft die Gefilde des Himmels“ (465).
Q 20: Astronomisch-kosmologischer Traktat Papyrus Carlsberg I
523
2. Schöpfung und Chaos Chaotische Bereiche in der geordneten Welt Q 19: Großer Amarna-Hymnus Z. 27–37 (vgl. oben 426) Im Großen Amarna-Hymnus des Echnaton/Amenophis IV. (entstanden ca. 1345 v. Chr., s. Q 27) findet sich eine eindrückliche Schilderung der Nacht, die in der Amarnareligion als Zeit der Gottesferne gilt: Gehst du unter im westlichen Lichtland (= Westhorizont), ist die Erde in Finsternis, in der Verfassung des Todes. 30 Die Schläfer (oder: sie schlafen) in der Kammer, verhüllt sind ihre Köpfe, kein Auge sieht das andere. Ihre Habe wird ihnen unter den Köpfen weggestohlen, und sie merken es nicht. Jedes Raubtier ist aus seiner Höhle gekommen, alle Schlangen beißen. 35 Dunkel ist das Herdfeuer (oder: die Finsternis ist ein Grab), die Erde liegt in Schweigen: ihr Schöpfer ist untergegangen in seinem Lichtland. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 218, s. dazu auch Bayer, Echnaton, 11 f (mit anderer Zählung: Z. 44–58, s. den Kommentar 49 f ); Krüger, Lob, 403 ff (mit weiteren Sachparallelen); Janowski, Hymnen, 351 f und ders., Anthropologie, 592 f. – Im Weltbild der Amarnareligion geschieht eine dramatische Veränderung, weil hier die ‚Nachtseite‘ der Welt getilgt wird, die im traditionellen Schema des Sonnenlaufs dazugehört (s. Abb. 120, s. dazu Junge, Land, 25 ff und Janowski, Anthropologie, 591 f ).
𓆣
𓇳 Re 𓁚
Chepri Sonnenaufgang
Tag
𓊨 𓁹
Nacht Osiris
𓀭
Atum Sonnenuntergang
𓊨 𓁹
Duat = Gegenwelt
Abb.120: Traditionelles Schema des Sonnenlaufs
Q 20: Astronomisch-kosmologischer Traktat Papyrus Carlsberg I (vgl. oben 388) Die Unterweltsvorstellung der alttestamentlichen Individualpsalmen lässt sich sachlich mit entsprechenden ägypt. Aussagen verglichen. Auch hier ist das Jenseits ein Bereich, der geradezu räumlich ins Diesseits hineinragt und dieses zu einem Todesraum, zu einem chaotischen Bereich in der geordneten Welt (E. Hornung) umgestaltet. Diese Eigen-
524 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike art hängt damit zusammen, dass das Seiende, also die empirische Wirklichkeit, in seiner räumlichen wie zeitlichen Erstreckung „für den Ägypter allseitig in die Uferlosigkeit des Nichtseienden eingebettet (ist); dieses aber macht an den Grenzen des Seins nicht halt, sondern durchdringt die ganze Schöpfung“ (Hornung, Der Eine, 190). So heißt es in dem späten astronomisch-kosmologischen Traktat Papyrus Carlsberg I, II 20 ff, dass „die fernen Gegenden des Himmels in der Urfinsternis sind; nicht kennt man ihre Grenzen gegen Süd, Nord, West und Ost. Diese (die Himmelsrichtungen) sind im Urwasser befestigt wie ‚Träge‘ … Nicht ist ihr Land … Göttern und Geistern bekannt. Dort sind keine Lichtstrahlen, und es erstreckt sich unter jeden Ort …“ (ders., aaO 178). Literatur: Hornung, Bereiche, 28 ff; ders., Grenzen, 419 ff; ders., Der Eine, 178.190 und Ja-
nowski, Rettungsgewissheit, 145.
Chaoskampf Q 21: Ägyptische Chaoskampf-Taditionen Zu den ägypt. Chaoskampf-Traditionen s. oben 401 ff.
3. Schöpfung und Lebenswelt Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft Q 22: Der Nilhymnus des Cheti (vgl. oben 39)
Abb. 121: Nillandschaft (Foto von L. Borchardt, 1920er Jahre)
Q 24: Pflanzendarstellungen im Festtempel Thutmosis’ III. 525
Im Nilhymnus des Cheti aus dem MR (älteste Manuskripte aus dem NR, 18. Dyn.), in dem der Nilgott Hapi gepriesen und der Nil als Lebensader Ägyptens (s. Abb. 121) besungen wird, begegnet das Motiv der regelhaften Abläufe in der Natur in einer Form, die an Jer 8,7 erinnert. Gemeint ist die Verlässlichkeit der Rückkehr der Zugvögel im Rhythmus der Jahreszeiten. Strophe II des Hymnus lautet folgendermaßen: Herr der Fische (sc. Nilgott Hapi), der die Zugvögel stromauf ziehen lässt – kein Vogel kommt zurück außerhalb der Frist –, der Gerste schafft und Emmer entstehen lässt, auf dass er die Tempel festlich ausstatte. Wenn er faul ist, dann werden die Nasen verstopft, und jedermann verarmt. 15 Schmälert man die Opferbrote der Götter, dann gehen Millionen zugrunde unter den Menschen. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 540, s. dazu auch Lichtheim, AEL 1, 206 und Keel, Allgegen-
wärtige Tiere, 173 Anm. 21.
Q 23: Das Harfnerlied Neferhotep I (vgl. oben 416) Der Topos von der Vergänglichkeit der Generationen und der Unvergänglichkeit des Kosmos (vgl. Pred 1,4) begegnet vor allem in den sog. Harfnerliedern des Neuen Reichs. Zitiert sei das Harfnerlied aus dem Grab Neferhoteps in Theben (Zeit Haremhabs, Ende 14. Jh. v. Chr.): Generationen vergehen seit der Zeit (3) des Gottes, Junge kommen an ihre Stelle. Re, er zeigt (4) sich am Morgen, Atum geht unter im Westberg. Männer zeugen, Frauen (5) empfangen, jede Nase atmet Luft. Der Morgen kommt, und alle ihre Kinder (6) treten an ihre Stelle. Übersetzung: TUAT 2 (1986–1991) 907 (J. Assmann), s. dazu auch Assmann, Tag, 215 ff
und Uehlinger, Qohelet, 214 ff.
Ordnungsdenken Q 24: Pflanzendarstellungen im Festtempel Thutmosis’ III. (vgl. oben 410) Im kleinen Säulensaal des Festtempels von Thutmosis III. (1479–1426 v. Chr.) in Karnak befindet sich ein Kalksteinrelief, das einen Katalog von Pflanzen zeigt, die der Pharao von seinem Feldzug nach Syrien-Palästina mitgebracht hat. Man erkennt verschiedene Irisarten und darunter (hier nicht abgebildet) Granatäpfel und Rebstöcke. Am linken Rand ist eine (hier nicht abgebildete) Inschrift begegeben, die folgendermaßen lautet: Regierungsjahr 25 unter dem König von Ober- und Unterägypten Men-cheper-Reʿ [= Thronname Thutmosis’ III.], er lebe ewiglich. Pflanzen, die seine Majestät im Bergland von Retenu (sc. Palästina-Syrien) gefunden hat.
526 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Abb. 122: Katalog der Pflanzen vom Syrienfeldzug Thutmosis III. (1479–1426 v. Chr.) Literatur: Keel, Bildsymbolik, 48 f; Keel/Schroer, Schöpfung, 170 (dort auch zum Text der
Inschrift) und Dietrich, Listenweisheit, 109 ff.
Q 25: Onomastikon des Amenemope (vgl. oben 140) Die in der Ägyptologie als Onomastika bezeichneten listenartigen Zusammenstellungen organisierten das Wissen über die Dinge in der Welt (Tiere, Pflanzen, Himmel, Erde, Urwasser u. a.) als umfassende Referenzwerke. Der Anspruch solcher Referenzwerke wird zu Beginn des Onomastikons des Amenemope aus der 21. Dynastie (990–984 v. Chr.) explizit ausgedrückt. Dieses Onomastikon enthält weit über 600 Einträge zu den Themen Himmel, Erde, Wasser, Personen, Berufe, ethnische Gruppen, Stämme, Städte, Gebäude(teile), Agrarland/-produkte und beginnt folgendermaßen: Anfang der Lehre von der Verständigkeit und des Unterrichtens des Unwissenden, des Wissens aller Dinge, die Ptah erschaffen hat, die Thoth erstehen ließ, den Himmel in seiner Ordnung, die Erde und das, was in ihr ist, das, was die Berge ausspeien, was vom Urwasser benetzt wird als all die Dinge, die die Sonne beschienen hat, all das, was auf dem Rücken der Erde wächst. Übersetzung: Chr. Leitz (zitiert bei Cancik-Kirschbaum/Kahl, Philologien, 287), s. dazu
auch Keel, Bildsymbolik, 49 und Keel/Schroer, Schöpfung, 170. Zu dem von von Rad, Hiob 38, 262 ff vorgelegten Vergleich des Onomastikons des Amenemope mit Hi 38 s. die kritischen Bemerkungen von Fohrer, Hiob (KAT), 496 f und Keel, Jahwes Entgegnung, 25 f.
Schöpferisches Wirken Gottes/der Götter Q 26: Der „Gute Hirte“ im alten Ägypten (vgl. oben 93.273) Das schöpferische Wirken Gottes/der Götter hat vielfältige Aspekte, die sich gegenseitig ergänzen bzw. überlagern. Dazu zählt neben den Aspekten Licht, Fruchtbarkeit, Richten/ Retten, Schutz vor Feinden u. a. auch der Topos des göttlichen Hirtentums. Während die ältesten Belege aus dem AR (3.–6. Dyn.) stammen, kommt es am Ende der 1. ZwZt (7.–
Q 26: Der „Gute Hirte“ im alten Ägypten 527
11. Dyn.) zum „Bild des ‚Guten Hirten‘, der seine Herde schützt, allerdings weniger vor Hungersnot und Elend, als vor Unterdrückung und Ausbeutung durch die ‚Mächtigen‘“ (Assmann, Herrschaft, 216). Der Grundtext dafür ist der Schlusshymnus der Lehre für Merikare (10. Dyn., nach 2120 v. Chr.). Zu seinen Grundgedanken gehört die mit dem Motiv des „Guten Hirten“ verbundene Aufgabe Gottes, die Menschen (= Ägypter) vor Unheil zu bewahren und das Böse niederzuhalten. Darin drückt sich ein Weltbild aus, das sowohl „die Schöpfung als auch den Sonnenlauf um der Menschen willen geschehen lässt“ (ders., Re, 279). Es ist, wie an der dreimal wiederkehrenden Wendung „um ihretwillen“ deutlich wird, ein anthropozentrisches Weltbild, d. h. der göttliche Hirte sorgt für das Wohl der Menschen, seiner „Ebenbilder“ (znnw), und erhält sie am Leben, indem er die Schöpfung „um ihretwillen“ in Gang hält. Selbst der Herrscher und die Vorgesetzten sind dazu erschaffen, diese Aufgabe wahrzunehmen und „den Rücken des Schwachen zu stärken“: Wohl versorgt sind die Menschen, das Kleinvieh Gottes, ihretwegen (n jb.sn) erschuf er Himmel und Erde, er drängte die Gier des Wassers zurück 315 und schuf die Luft, damit ihre Nasen leben. Seine Ebenbilder (znnw) sind sie, aus seinem Leib hervorgegangen.
Menschen als „Kleinvieh Gottes“: Schöpfung: Himmel, Erde, Meer, Luft
320
Sonnenlauf Schöpfung: Pflanzen, Tiere, Vögel, Fische Tötung: Feinde, Kinder
Ihnen zuliebe (n jb.sn) geht er am Himmel auf, für sie schuf er Pflanzen und Tiere, Vögel und Fische, damit sie zu essen haben. Er tötete seine Feinde und ging vor gegen seine Kinder, weil sie auf Rebellion sannen.
Gottebenbildlichkeit
Ihnen zuliebe (n jb.sn) lässt er es Licht werden, um sie zu sehen, fährt er (am Himmel) dahin. 325 Er errichtete sich einen Schrein hinter ihnen, wenn sie weinen, dann hört er. Er schuf ihnen Herrscher im Ei und Befehlshaber, um den Rücken des Schwachen zu stärken.
Wirkung: Licht, Sonnenlauf Errichtung einer Kapelle (Zuwendung) Schöpfung: Herrscher, Befehlshaber (Stärkung)
Und er schuf ihnen Zauber als Waffen, 330 um den Schlag des Schicksals abzuwehren, wachend über sie des Nachts wie am Tage. Er schlug die Krummherzigen unter ihnen, wie ein Mann seinen Sohn um seines Bruders willen schlägt. Gott kennt jeden Namen.
Schöpfung: Zauber (Abwehr, Schutz) Gewalt: Krummherzige
Eigenschaft Gottes
Übersetzung: Assmann, Re, 168 f, s. auch die Übersetzungen von Brunner, Weisheit, 153 f
und Quack, Merikare, 79. Zur Interpretation s. noch Assmann, Ägypten 1, 201 ff; ders., Ägypten 2, 218 ff; Ockinga, Gottebenbildlichkeit, 52.72 f; Janowski, Rettungsgewissheit, 115 f; ders., Hirte, 150 f; ders., Anthropologie, 588 f und Schellenberg, Mensch, 102 f.293 ff.
528 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Zum vollen Durchbruch gelangte diese Gottesauffassung in der Persönlichen Frömmigkeit der Ramessidenzeit (19./20. Dyn.), die nicht nur auf das Gefährdungsbewusstsein der Nachamarnazeit (18. Dyn.) antwortet, sondern die in ihren Hymnen und Gebeten auch einen außergewöhnlichen Formenreichtum entfaltet (s. dazu Janowski, Rettungsgewissheit, 128 ff ). Diese Reziprozität von Gott und Mensch wird denn auch zum Sinnbild einer ganzen Epoche, die man das „Zeitalter des guten Hirten“ (Müller, Hirte, 142) genannt hat. Der göttliche Hirte, so heißt es in einem Amun-Re-Hymnus der Nachamarnazeit, sorgt schon frühmorgens für seine Herde und treibt die Hungrigen zur Speise: 15
Amun, du Hirte (mnjw), der die Herde früh ausführt, der die Leidenden zum Kraute treibt! Der Hirt treibt die Rinder zum Kraut – Amun, du treibst den Leidenden zum Brot. Denn Amun ist ein Hirte, der nicht ermattet.
Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 420.
Diese Strophe hat der Ägyptologe D. Müller als das „ägyptische Gegenstück zum 23. Psalm“ (Müller, aaO 139) bezeichnet. Erstaunlicherweise steht dieser Text aber nicht allein, sondern er findet in dem großen Amun-Re-Hymnus des Pap. Chester-Beatty IV aus dem späten Neuen Reich einen bedeutenden Nachfolger. Hier begegnet nun auch die Prädikation „guter Hirte“ (mnjw nfr) und zwar so häufig und variantenreich, dass man diesen Text das ägyptische „Hohelied vom Guten Hirten“ (ders., aaO 142) nennen kann. Das umfassende, „jedem Gesicht“ (= allen Menschen) geltende Hirtentum Amun-Res wird ausführlich in Z. 132–154 gepriesen und in Z. 297–303 als Fürsorge des Hirten für seine Herde konkretisiert: 300
Wie schön bist du, wenn du aufgehst, Re, du großer Hirte! Kommt alle, ihr Herden alle! Seht, ihr habt den Tag verbracht, bei ihm zu weiden. Er hat alles Böse vertrieben, wenn er im Frieden in seinem Lichtland ist; eure Länder (…).
Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 437, s. zu diesem Text auch Müller, Hirte, 140.
Q 27: Der Große Amarna-Hymnus (vgl. oben 57.306 f.428.460) Im Großen Amarnahymnus des Echnaton/Amenophis IV., der um 1345 v. Chr. entstanden ist, wird die Schöpferkraft des Sonnengottes Re und seine sichtbare Gegenwart in der Schöpfung mit einer bisher nicht bekannten Klarheit und Explizitheit zum Ausdruck gebracht. Da die Vorzeit und die Urzeit im Großen Amarnahymnus keine Rolle spielen, wird die Schöpfung ausschließlich als creatio continua aufgefasst: „Der Große Hymnus ersetzt das Thema der Kosmogonie durch eine ontogenetische Biogonie in Form eines embryologischen Traktats und preist anschließend mit der ‚Fülle‘ der Werke und der ‚Weisheit‘ ihrer Anordnung die Wohleingerichtetheit der Welt“ (Assmann, Art. Schöpfung, 682). In der folgenden Übersetzung ahmt die Schreibung (NN)| in Z. 1 f.8.12 u. ö. eine Königskartusche nach:
Q 27: Der Große Amarna-Hymnus 529
Abb. 123: Die Königsfamilie unter dem Strahlenaton (Amarna, 18. Dyn.) Anbetung des (ES LEBT RE-HARACHTE, DER IM LICHTLAND JUBELT)| (IN SEINEM NAMEN ALS LICHT, DAS IN DER SONNE IST)|, der Leben gibt immer in unendliche Zeit; der große Lebendige JATI, der im Jubiläumsfest ist, 5 Herr von allem, was die Sonne umkreist, Herr des Himmels, Herr der Erde, Herr des JATI-Tempels in Amarna. Der König von Ober- und Unterägypten, der von der Wahrheit lebt, der Herr der beiden Länder (vollkommen an Gestalt ist RE, der einzige des RE)|, der Sohn des RE, der von der Wahrheit lebt, 10 der Herr der Erscheinung (Achanjati) mit langer Lebenszeit; die große Gemahlin des Königs, die er liebt, die Herrin der beiden Länder (vollkommen ist die Vollkommenheit des JATI, Nafteta)|, die lebt und gesund ist immer und ewig. 15 Er sagt: du erscheinst schön im Lichtland des Himmels, du lebende Sonne, die das Leben bestimmt! Du bist aufgegangen im östlichen Lichtland, du hast jedes Land erfüllt mit deiner Schönheit. 20 Du bist schön, gewaltig und funkelnd, du bist hoch über jedem Land.
530 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Deine Strahlen, sie umfassen die Länder bis ans Ende deiner ganzen Schöpfung, als RE dringst du an ihre Grenzen und unterwirfst sie deinem geliebten Sohn. 25 Du bist fern, aber deine Strahlen sind auf Erden, du bist in ihrem Angesicht, aber man kann deinen Gang nicht erkennen. * Gehst du unter im westlichen Lichtland, ist die Erde in Finsternis in der Verfassung des Todes. 30 Die Schläfer (oder: sie schlafen) in der Kammer, verhüllt sind ihre Köpfe, kein Auge sieht das andere. Ihre Habe wird ihnen unter den Köpfen weg gestohlen, und sie merken es nicht. Jedes Raubtier ist aus seiner Höhle herausgekommen, alle Schlangen beißen. 35 Dunkel ist das Herdfeuer (oder: die Finsternis ist ein Grab), die Erde liegt in Schweigen: ihr Schöpfer ist untergegangen in seinem Lichtland. * Am Morgen bist du aufgegangen im Lichtland und bist strahlend als Sonne des Tages. 40 Du vertreibst die Finsternis, du gibst deine Strahlen, die beiden Länder sind im Fest. Die Menschheit erwacht und steht auf den Beinen: du hast sie aufgerichtet, sie reinigen ihre Körper und ziehen Leinengewänder an; ihre Arme sind in Lobgebärden bei deinem Erscheinen, 45 das ganze Land tut seine Arbeit. Alles Vieh befriedigt sich an seinen Kräutern, Bäume und Pflanzen wachsen. Die Vögel fliegen auf aus ihren Nestern, ihre Flügel in Lobgebärden für deinen Ka. 50 Alles Wild tanzt auf seinen Füßen, alles, was auffliegt und niederschwebt, sie leben, wenn du für sie aufgehst. Die Schiffe fahren stromab und stromauf in gleicher Weise. 55 Jeder Weg ist geöffnet durch dein Erscheinen. Die Fische im Fluss hüpfen vor deinem Angesicht; deine Strahlen sind im Innern des Ozeans. * Der (sc. Re) den Samen sich entwickeln lässt in den Frauen, 60 der Wasser zu Menschen macht; der den Sohn am Leben erhält im Leib seiner Mutter und ihn beruhigt, indem er seine Tränen stillt;
Q 27: Der Große Amarna-Hymnus 531
Abb. 124: Aus einem Sumpfgebiet aufflatternde Enten (Amarna, 18. Dyn.) Amme im Mutterleib, der Luft gibt, um alles zu beleben, was er geschaffen hat. 65 Wenn (das Kind) herabkommt aus dem Leib, um zu atmen (?) am Tag seiner Geburt, dann öffnest du seinen Mund zum Sprechen (?) und sorgst für seinen Bedarf. Wenn das Küken im Ei redet in der Schale, 70 dann gibst du ihm Luft darinnen, um es zu beleben; du hast ihm seine Frist gesetzt, um sie zu zerbrechen im Ei; es kommt heraus aus dem Ei, um zu sprechen zu seiner Frist; 75 es läuft auf seinen Füßen, wenn es aus ihm herauskommt. Wie viel ist, was du geschaffen hast, indem es dem Angesicht verborgen ist! Du einer Gott, dessengleichen es nicht gibt! Du hast die Erde erschaffen nach deinem Herzen, der du allein warst, 80 mit Menschen, Herden und jeglichem Wild, allem, was auf Erden ist und auf (seinen) Füßen läuft, (allem,) was in der Luft ist und mit seinen Flügeln auffliegt. Die Fremdländer von Syrien und Nubien und das Land von Ägypten; 85 du stellst jedermann an seinen Platz und schaffst ihren Bedarf, jeder Einzelne hat zu essen, seine Lebenszeit ist festgesetzt. Die Zungen sind verschieden im Sprechen,
532 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
ihre Eigenschaften desgleichen; ihre Hautfarbe ist unterschieden, (denn) du unterscheidest die Fremdländer. *
90 Du machst den Nil in der Unterwelt und bringst ihn (herauf ) nach deinem Belieben. um die Menschheit am Leben zu erhalten, wie du sie geschaffen hast; du bist ihrer aller Herr, der sich abmüht mit ihnen. Du Herr eines jeden Landes, der aufgeht für sie, 95 du Sonne des Tages, gewaltig an Hoheit!
Alle fernen Länder, du schaffst ihren Lebensunterhalt: du hast einen Nil an den Himmel gesetzt, dass er herabsteige zu ihnen, er schlägt Wellen auf den Bergen wie der Ozean, ihre Äcker sind trunken in ihren Ortschaften.
100 Wie wirkungsvoll sind deine Pläne, du Herr der unendlichen Zeit! Der Nil am Himmel, du (gibst) ihn den Fremdvölkern und den Wildtieren eines jeden Berglandes, die auf ihren Füßen laufen. Der (eigentliche) Nil, er kommt aus der Unterwelt nach Ägypten. 105 Deine Strahlen säugen alle Wiesen; wenn du aufgehst, leben sie und wachsen um deinetwillen. du erschaffst die Jahreszeiten, um sich entwickeln zu lassen, was alles du schaffst, den Winter, sie zu kühlen, die Hitze, damit sie dich spüren. * 110 Du hast den Himmel fern gemacht, um an ihm aufzugehen, um alles zu sehen, was du erschaffst, indem du allein bist. Du bist aufgegangen in deiner Verkörperung als lebende Sonne, du bist erschienen und strahlend, du bist fern und nah (zugleich). 115 Du erschaffst Millionen Verkörperungen aus dir, dem Einen, Städte und Dörfer, Äcker, Weg und Fluss. alle Augen sehen dich ihnen gegenüber, indem du als Sonne des Tages über der Erde bist. 120 Wenn du gegangen bist, ist kein Auge mehr da, dessen Sehkraft du geschaffen hast, damit du nicht (deinen) Leib (als) einziges deiner Geschöpfe sehen mußtest (?); *
(aber auch dann) bist du in meinem Herzen, denn es gibt keinen, der dich kannte, außer deinem Sohn (vollkommen an Gestalten ist RE, Einziger des RE)|. Du lässt ihn kundig sein deiner Pläne und deiner Macht.
125 Die Erde entsteht auf deinen Wink, wie du sie geschaffen hast: du gehst auf für sie – sie leben,
Q 28: Kairener Amunshymnus 533
du gehst unter, sie sterben. Du bist die Lebenszeit selbst, man lebt durch dich.
Die Augen ruhen auf Schönheit, bis du untergehst. 130 alle Arbeit wird niedergelegt, wenn du untergehst im Westen. Der Aufgehende, er lässt (alles Seiende) wachsen für den König; Eile ist in jedem Fuß, seit du die Erde gegründet hast. Du richtest sie auf für deinen Sohn, der aus deinem Leibe kam, den König von Ober- und Unterägypten, der von der Wahrheit lebt, 135 den Herrn der beiden Länder (vollkommen an Gestalten ist RE, Einziger des Re)|, den Sohn des Re, der von der Wahrheit lebt, den Herrn der Kronen (Achanjati)| mit langer Lebenszeit. Die große Gemahlin des Königs, die er liebt, die Herrin der beiden Länder (vollkommen an Vollkommenheit ist JATI, Nafteta)|. 140 die lebt und sich verjüngt immer und ewig. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 217 ff, s. ferner Beyerlin, RTAT2, 43 ff (H. Brunner); Licht-
heim, AEL 2, 96 ff; Hornung, Gesänge, 137 ff und Bayer, Echnaton, 7 ff (mit dem Kommentar 38 ff ). Zur Interpretation s. noch Assmann, Theologie, 232 ff; ders., Ägypten 2, 243 ff; Schlögl, Ägypten, 228 ff; Sternberg-el Hotabi, Erde, 45 ff und Krüger, Lob, 403 ff. Bei der Gliederung des Textes folge ich weitgehend dem Vorschlag von Chr. Bayer. Der Passus Z. 115–121/122 gehört zu den schwierigsten des gesamten Textes, s. dazu mit z. T. anderer Übersetzung Bayer, aaO 19.21 (mit dem Kommentar 68 f ). Zu der für die obige Abb. 123 typischen Konstellation Echnaton/Strahlenaton gibt es zahlreiche Parallelen, s. dazu Schroer, IPIAO 3, 158 ff.
Q 28: Kairener Amunshymnus (vgl. oben 56) Die Persönliche Frömmigkeit des NR (18.–21. Dyn.) hat im Kairener Amunshymnus (Ende der 2. ZwZt) wohl ihr ältestes Zeugnis. Hier wird das auf den Armen bezogene Wirken des Schöpfergottes als „Erhören/Zuwenden“ (Z. 69 f ) und „Retten/Richten“ (Z. 71 f ) des Armen qualifiziert: Sei gegrüßt, Re, Herr der Maat, der seinen Schrein verborgen hält, Herr der Götter, Chepre inmitten seiner Barke 65 der befiehlt, und es entstehen die Götter, Atum, der die Menschheit erschafft, ihre Wesensart unterscheidet und ihren Lebensunterhalt schafft, ihre Eigenschaften trennt, den einen vom andern; der das Flehen erhört dessen, der in Bedrängnis ist, 70 wohlgeneigten Herzens gegenüber dem, der zu ihm ruft; der den Furchtsamen errettet aus der Hand des Gewalttätigen und der richtet zwischen dem Armen und dem Reichen; Herr der Erkenntnis, auf dessen Lippen das Schöpferwort ist.
534 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 198, s. dazu Janowski, Rettungsgewissheit, 113 ff; Assmann, Maʾat, 235 und Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 369 ff.
Q 29: Papyrus Chester Beatty IV (vgl. oben 264) Der Licht/Finsternis-Gegensatz findet sich in ausgeprägter Form in den Sonnenhymnen der Ramessidenzeit (19./20. Dyn.). Als Beispiel sei der Schlussabschnitt des Hymnus pChester Beatty IV rto. 11,8–12,14 = Assmann, ÄHG2, Nr. 195, Z. 274–334 zitiert, der aus sieben, jeweils mit der Themazeile „Wie schön bist du, wenn du aufgehst (im Lichtland = Horizont)“ einsetzenden Strophen besteht. In der zweiten Strophe (11,10–12 = Z. 282–289) werden die Aspekte Amun-Res als Schöpfer, Erhalter und soziale Instanz vereint und – ebenso wie in allen anderen Strophen – auf den Moment der morgendlichen Epiphanie des Sonnengottes bezogen: 285
[Wie schön bist du,] wenn du aufgehst, Re, mein Herr! Du Schöpfer, der (auch) mich erschuf, der (für mich) sorgt, der sich wendet auf meinen Ruf ! Mögest du (mich) erretten vor dem […] Der sein Herz dem, der „weshalb?“ sagt (= dem Ratlosen), zuwendet, der Hirte, vor den man gegeben ist (= dem man anbefohlen ist), bis dass man die Wohnung erreicht.
Kaum ein anderer Text hat das Geschehen der lebenspendenden und rettenden Zuwendung des Sonnengottes – das im Übrigen auch als kosmisches Gerichtsgeschehen qualifiziert wird (vgl. Z. 297–303) – theologisch umfassender interpretiert als die Eingangsstrophe pChester Beatty IV rto. 11,8–10 = Assmann, ÄHG2, Nr. 195, Z. 274–281 mit ihrer Gegenüberstellung „alter Mensch“/„neuer Mensch“: 275 280
Wie schön bist du, wenn du aufgehst im Lichtland (= Horizont)! Wir leben wieder von neuem, nachdem wir eingetreten waren in den Nun und er einen verjüngt hat zu einem, der zum erstenmal jung ist; der [alte Mensch] wird abgestreift, ein neuer angelegt. Wir beten die Schönheit deines Angesichts an. Du durchforschest den Weg, ihn uns zu weisen am Tag […].
Hier kommt ein Bewusstsein der Geschöpflichkeit zum Ausdruck, das bereits die Hymnen der „neuen“ Sonnentheologie der Nachamarna- und Ramessidenzeit prägt und auch dort mit der Schilderung des Sonnenaufgangs verbunden ist. So wird dem Beter im Bild der aufgehenden Sonne vor Augen gestellt, wie das eigene, durch Krankheit, Unheil oder Rechtsnot verursachte Todesgeschick überwunden werden kann – in der Hoffnung auf die lebenspendende Epiphanie des Sonnengottes, in der sich allmorgendlich das Mysterium der Wiedergeburt aus dem Urgewässer Nun vollzieht: 272 Alle Welt, die von Angst (?) gepackt war, 273 wenn du aufgehst, leben sie.
Q 31: Lehre des Ani 535
Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 437, s. dazu auch Janowski, Rettungsgewissheit, 163 f (mit weiterer Lit.). Zur Ramessidenzeit s. Schlögl, Ägypten, 252 ff, zum Ausdruck „Neue Sonnentheologie“ s. Janowski, aaO 153 f.
Gefährdungen der Lebenswelt Q 30: Zerstörung einer Stadt (vgl. oben 151) Die Zerstörung einer Stadt führte in der Regel zu einer Verwüsung der umgebenden Landschaft. Auf der Außenwand des 1. Säulenhofs des Luxortempels aus der Zeit Ramses II. (1279–1213 v. Chr.) befand sich ein Kalksteinrelief mit einer für die kriegerische Zerstörung des Ökosystems typischen Darstellung.
Abb. 125: Zerstörung einer Stadt (Relief, Luxor, 19. Dyn.) Literatur: Keel, Bildsymbolik, 95 f; ders./Schroer, Schöpfung, 182.
4. Schöpfung und Menschenbild Der Mensch als „Bild Gottes“ (?) Q 31: Lehre des Ani (vgl. oben 65) Gottebenbildlichkeitsaussagen begegnen in Ägypten fast ausschließlich im Kontext der Königsideologie (s. Q 43) und werden nur sehr selten auf die Menschen insgesamt (wie in der Lehre für Merikare, s. Q 26) oder auf einzelne Personen bezogen. Neben einem Vermerk zur 1. Stunde des Unterweltsbuchs Amduat 22,2–3 (s. dazu Hornung, Mensch, 128 f; Ockinga, Gottebenbildlichkeit, 85) gibt es möglicherweise – aber das ist umstritten – einen Beleg dafür in der aus der Voramarnazeit stammenden Lehre des Ani (18. Dyn.). Hier redet Chonsuhotep, der Sohn Anis, seinen Vater mit folgenden Worten an:
536 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 420
Schau, sagte er (der Sohn), du, sein (Gottes) Ebenbild (mjtt), du Weiser mit der starken Hand, das Kind in den Armen seiner Mutter, dessen Lust steht nur nach dem, was es stillt.
Übersetzung: Brunner, Weisheit, 214, s. dazu auch Hornung, Mensch, 153 und Ockinga,
Gottebenbildlichkeit, 85.139 f. Anders Quack, Ani, 127.193, demzufolge das Suffix in der Wendung „sein Ebenbild“ nicht auf Gott, sondern auf „den erziehenden Vater als Ebenbild des Handwerkers“ zu beziehen ist. Wie auch immer, für einen Vergleich mit Gen 1,26 ff trägt dieser Text nichts aus.
Ethische Aspekte Q 32: Totenbuch Spruch 125 (vgl. oben 246) Wie im alten Israel war man sich im alten Ägypten der Verantwortung gegenüber den Haustieren bewusst. So heißt es im ägyptischen Totenbuch zu Beginn des sog. Negativen Sündenbekenntnisses: 15
Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, und ich habe kein Tier misshandelt. Ich habe nichts „Krummes“ an Stelle von Recht getan. Ich kenne nicht, was es nicht gibt, und ich habe nichts Böses erblickt.
Übersetzung: Hornung, Totenbuch, 234, vgl. Keel, Böcklein, 51.
Q 33: Lehre des Amenemope (vgl. oben 176.205) In der Lehre des Amenemope aus der 20. Dynastie (um 1100 v. Chr.) wird – wie in Spr 14,31 – das Verhalten gegenüber bestimmten Menschen (Blinder, Zwerg, Lahmer, Frommer) mit dem Verweis auf den Schöpfergott begründet: 480
Verlache nicht einen Blinden und verhöhne nicht einen Zwerg. Erschwere nicht das Geschick eines Lahmen. Verspotte nicht einen Mann, der in der Hand Gottes ist, und sei nicht aufgebracht gegen ihn, wenn er einen Fehler gemacht hat. Der Mensch ist Lehm und Stroh, und Gott ist sein Töpfer.
Übersetzung: Brunner, Weisheit, 254, s. dazu noch Coulange, Dieu, 189 ff; Schipper, Sprü-
che I (BK), 818 und Janowski, „JHWH kennt“, 73.
Q 34: Texte zum Topos „Weg zum Leben“ (vgl. oben 192) Aufschlussreich für Ps 1 ist die ägyptische Wegmetaphorik, wie sie besonders in den Lebenslehren zum Ausdruck kommt. Auch hier bezeichnet der „Weg“ (wꜢt) bzw. der „Weg des Lebens“ (wꜢt n ʿnḫ) die rechte Lebensweise, die in der Befolgung der göttlichen Lebensmaximen besteht. Signifikant dafür ist der Prolog der Lehre des Amenemope (Neues Reich, um 1100 v. Chr.):
Q 35: Amenemope VI 1–12 537
1 Anfang der Lehre für das Leben, der Unterweisungen für das Heilsein, aller Vorschriften, unter die Beamten zu treten, der Regeln für die Hofleute, 5 um eine Antwort zurückzugeben dem, der sie sagt, um Bericht zu erstatten dem, der einen schickt, um ihn recht zu leiten auf dem Weg (den Wegen?) des Lebens, um ihn heil sein zu lassen, um zu machen, dass sein Herz in seinen Schrein eintritt, 10 (als) eines, das ihn wegsteuert vom Bösen, um ihn zu retten aus dem Mund der Leute (als) einen, der gehrt wird im Munde der Menschen. Oder die anonyme Weisheitslehre aus dem Papyrus Chester Beatty IV: Ich bereite vor dir eine Lehre aus und unterweise (dich über den) Weg des Lebens. Ich setze dich auf den leidensfreien Weg, eine Palisade, die gegen das Krokodil schützt, (ich gebe dir) ein gutes, angenehmes Licht, Schatten ohne Hitze. Handel danach, dass du berufen wirst und den Westen erreichst. Es handelt sich bei dem gottgeleiteten „Weg des Lebens“ immer um einen erlernbaren Weg, in den der Vater den Sohn und der Lehrer den Schüler einweist, um ihm Orientierung für die schwierigen Situationen des Lebens zu geben. Da der „Weg des Lebens“ alle Glücksgüter wie Gesundheit, Freiheit von Leiden, Aussicht auf hohes Alter, Begräbnis und ehrendes Andenken umfasst, kann diese Wendung als „die beste ägyptische Übersetzung für ‚Glück‘“ (Assmann, Glück, 26) bezeichnet werden. Übersetzungen: TUAT III/2 (1991) 225 (I. Shirun-Grumach) und Brunner, Weisheit, 229,
zur Interpretation s. Couroyer, chemin de vie, 412 ff; Vittmann, Wegmetaphorik, 31 ff.86 ff und Liess, Weg, 223 ff.
Q 35: Amenemope VI 1–12 (vgl. oben 196) Seit gut 90 Jahren wird die bekannte Passage Amenemope VI 1–12 als Sachparallele zu Ps 1,3a herangezogen, in der die beiden Grundtypen der ägyptischen Weisheitstexte, der „Heiße“ (hier derjenige, der auf der priesterlichen Rangleiter rücksichtslos nach oben will) und der „rechte Schweiger“, einander gegenüberstellt werden. Der „rechte/wahre Schweiger“, d. h. der Zurückhaltende, findet seinen Platz im Tempelinneren (vgl. Amenemope XI,2) „und noch bei seinem Ende wird sein Holz, weil vorzüglich, zu einem Götterbild verarbeitet – eine Apotheose, ein Bild für die Seligkeit des frommen Schweigers“ (Brunner, Weisheit, 476): 1 Der Heiße im Haus des Gottes, er wird sein wie ein Baum, der im Tempelgarten wächst. Einen kurzen Augenblick sprossen seine Triebe, sein Ende wird in dem Beet gefunden.
538 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 5 10
Er wird überschwemmt/er ist weit von seinem Platz, die Flamme ist sein Begräbnis. Der rechte Schweiger, der sich abseits hält, er ist wie ein Baum, der im Beglänzten (= auf freiem Feld) wächst. Er grünt/er verdoppelt seine Früchte, er ist gegenüber dem Angesichte seines Herrn. Seine Früchte sind süß/sein Schatten ist angenehm, sein Ende wird als Standbild (= Statue im Tempelinneren) gefunden.
Übersetzung: TUAT III/2 (1991) 230 (I. Shirun-Grumach), vgl. Brunner, Weisheit, 240 f, s.
zur Interpretation noch Shirun-Grumach, Untersuchungen, 42 ff und Bezzel, Das Grünen, 8 ff.16 f.
Q 36: Lehre des Ani (vgl. oben 224) Ebenso wie in der alttestamentliche begegnet auch in der ägyptischen Weisheitsliteratur der Topos des Faulen bzw. der Gegensatz von Faulem und Fleißigem. So heißt es in der aus der Voramarnazeit stammenden Lehre des Ani (18. Dyn.): 135
Bewahre das Deinige, dann wirst du es finden. Halte ein Auge auf deine Habe, dann mußt du nicht betteln gehen. Ein schlaffer Mann bringt es zu nichts, mögest du gerühmt werden als ein Mann mit Unternehmungsgeist.
Übersetzung: Brunner, Weisheit, 203 f, s. dazu auch Quack, Ani, 101 (mit dem Kommentar
164 ff ).
5. Schöpfung und Tier- und Pflanzenwelt Kosmischer Lobpreis Q 37: Kairener Amunshymnus (vgl. oben 307) Im Kairener Amunshymnus (Ende der 2. ZwZt, vgl. Q 28) finden sich im Abschnitt Z. 107– 144 auch Belege für den kosmischen Lobpreis aus dem Mund der Wildtiere und jedes Fremdlandes: 125 130
Sei gegrüßt, der dies alles erschaffen hat, der Eine Einzige mit seinen vielen Armen; der die Nacht wachend verbringt, wenn alle Welt schläft, und sucht, was seiner Herde wohlttut; Amun, bleibend an allen Dingen, Atum Harachte; Preis dir mit dem, was sie alle dir sagen: Jauchzen dir, weil du dich abgemüht hast mit uns, Erdküssen dir, wie du uns geschaffen hast! „Sei gegrüsst“, rufen alle Wildtiere, „Jubel dir“, ruft jedes Fremdland,
Q 38: Papyrus des Anhaï 539
so hoch der Himmel ist und so weit die Erde, so tief der Ozean.
Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 200, s. dazu auch Hossfeld/Zenger, Psalmen III (HThK.
AT), 843 f (Zenger). In Z. 130 ff wird die Tierwelt nach den drei Weltbereichen gegliedert, s. dazu auch Hornung, Bedeutung, 72 und Brunner, Verkündigung, 161.
Q 38: Papyrus des Anhaï (vgl. oben 307 f ) Der kosmische Lobpreis findet sich nicht nur in Texten und Bildern der Amarnazeit (zum Großen Amarna-Hymnus Z. 38–58 s. Q 27), sondern schon auch in Sonnenhymnen der Voramarna-Zeit (Kairener Amunshymnus, s. Q 37) und später in Totenbuchpapyri. Ein besonders schönes Exemplar ist der Papyrus des Anhaï aus der 20. Dynastie (1186–1070 v. Chr., s. Abb. 126), der von unten nach oben ‚gelesen‘ den Blick von der Totenwelt bis zum Himmel lenkt: ganz unten zwei anbetende Seelenvögel, darüber die Göttinnen Isis (recchts) und Nephtys (links), dann vier Sonnenaffen (Paviane) im Anbetungsgestus, darüber vier Könige (rechts) und vier gewöhnliche Ägypter (links) und darüber in Prostration die Vertreter der Fremdländer. Gekrönt wird die Bildkomposition von dem auf der Hieroglyphe für „Westen“ sitzenden Himmelsfalken mit der Sonnenscheibe auf dem Kopf.
Abb. 126: Begrüßung des aufgehenden Sonnengottes (Papyrus, 20. Dyn.) Literatur: Keel, Bildsymbolik, 50 ff und Keel/Schroer, Schöpfung, 167 ff.
540 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Q 39: Totenbuch Spruch 100 (vgl. oben 308) Außer dem Pharao jubelt nach dem Totenbuch Spruch 100,7–9 auch der selig Verstorbene dem Sonnengott in Gemeinschaft der Sonnenaffen (Paviane) zu: 5 Ich habe den Sokar auf seinem Schlitten gezogen und die „Große“ (Uräus) im rechten Augenblick gestärkt. Ich habe gesungen und die Sonne angebetet, ich habe mich den Sonnenaffen zugesellt und bin einer von ihnen. 10 Ich machte mich zum Gensossen der Isis und stärkte ihre Zauberkraft. Übersetzung: Hornung, Totenbuch, 198 f (mit dem Kommentar 477 f ).
Kosmische Trauer Q 40: Mahnworte des Ipuwer (vgl. oben 154.306) Die Mahnworte des Ipuwer (auch unter der Bezeichnung Admonitions bekannt) stellen einen Höhepunkt der ägypt. Klageliteratur dar, die in der 12. Dyn. (1976–1793 v. Chr.) zur Blüte kam und die mit dem Gegensatz von Ordnung und Chaos bzw. von Einst und Jetzt arbeitet. Es geht um den erfahrenen Zusammenbruch der Ordnung, „wobei nicht nur die soziale Welt des Staates, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen und sogar die natürliche Umwelt, der gesamte Kosmos gestört und verkehrt werden – mit Erstaunen findet man in diesem Text bereits alle Symptome der Umweltzerstörung, bis hin zum Baumsterben und zum unterträglichen Lärm!“ (Hornung, Gesänge, 190). In Adm. 5,5 ist vom „Weinen“ allen Viehs die Rede. Der Text und sein unmittelbarer Kontext lauten folgendermaßen: Wahrlich, die Beamten hungern und leiden Not, und Diener bedient man … wegen der Klagen. Wahrlich, der Hitzige sagt: „Wüßte ich, wo ein Gott ist, dann würde ich ihm opfern!“ Wahrlich, Recht ist (zwar) im Lande dem Namen nach, aber Unrecht tun sie, wenn sie sich darauf berufen. Wahrlich, wer rennt und kämpft wegen seiner Habe, dem nimmt ein Räuber all seinen Besitz. Wahrlich, (selbst) alles Vieh weint, die Herden klagen über den Zustand der Welt. Wahrlich die Kinder der Beamten schlägt man an die Mauer, und den ersehnten Nachwuchs setzt man aus, (der schöpfer) Chnum klagt, weil er müde ist. Übersetzung: Hornung, Gesänge, 88, s. auch Lichtheim, AEL I, 154 und zur Interpretation
Junge, Welt, 275 ff.
Q 42: Die Geburt des Gottkönigs 541
Q 41: Papyrus Salt 825 (vgl. oben 154.306) Die Vorstellung einer Rücknahme der Schöpfung findet sich im alten Ägypten vor allem in den Mahnworten des Ipuwer (MR, s. Q 40), im Monolog des Allherrn Sargtexte Spruch 1130 (MR), in der Prophezeiung des Neferti (MR), in den Klagen des Chacheperreseneb (MR), in den Weissagungen des Lammes und im Töpferorakel (Ptolemäer- und Römerzeit), aber auch in weiteren Texten (s. dazu Janowski, Anthropologie, 594 ff ). Besonders interessant ist auch das Ritual des späten pSalt 825 I 1–6, das mit einer apokalyptischen Chaosbeschreibung anfängt: Die Erde ist verwüstet, die Sonne geht nicht auf, der Mond zögert, es gibt ihn nicht mehr, der Ozean schwankt, das Land kehrt sich um, der Fluss ist nicht mehr schiffbar. Alle Welt klagt und weint, Götter und Göttinnen, Menschen, Verklärte und Tote, Klein- und Großvieh weinen laut … Übersetzung: Assmann, Königsdogma, 370, s. zur Sache Junge, Welt, 275 ff; Assmann, Königsdogma, 357 ff.364 ff.369 ff; ders., Maʾat, 218 ff; Blumenthal, Weltlauf, 121 ff, ferner Keel/Schroer, Schöpfung, 191 f u. a. Eine kleine Textauswahl findet sich auch bei Janowski, Anthropologie, 594 ff.
6. Schöpfung und Königtum Die Erschaffung des Königs Q 42: Die Geburt des Gottkönigs (vgl. oben 93.253.255.258) Die in Gen 2,7 beschriebene Erschaffung des Menschen durch einen Akt der Formung und der Belebung hat eine Entsprechung in der ägyptischen Königsideologie. Danach wird die Doppelnatur des Pharaos mythisch durch eine Geburtsgeschichte umschrieben, wonach dieser der Sohn einer irdischen Mutter und eines himmlischen Vaters ist. In der Textvariante aus der Zeit Hatschepsuts in Deir el-Bahari (1490–1470 v. Chr.) ist der himmlische Vater der Gott Amun, der die Gestalt des Königs Thutmosis’ I angenommen hat, und die irdische Mutter die Königin Ahmes, die Gemahlin Thutmosis’ I. Nachdem Amun durch Berührung mit dem Zeichen „Leben“ (ʿnḫ) in der Königin die Keime des göttlichen Kindes erzeugt hat, erteilt er dem Schöpfergott Chnum den Auftrag, das der Königin verheißene Kind zu bilden. Diesen Vorgang zeigt die sechste Szene, für die auf die Darstellung im Luxortempel Amenophis’ III. zurückgegriffen wird (Abb. 127). Zu sehen ist auf ihr der widderköpfige Schöpfergott Chnum (rechts), wie er auf der Töpferscheibe den Leib des Kronprinzen Amenophis III. formt. Zugleich mit dem Leib des Embryos bildet Chnum den Ka, d. h. das lebenspendende Prinzip, das den Menschen wie ein ‚Doppelgänger‘ durchs Leben begleitet und dessen Tod überdauert (s. dazu Assmann, Tod, 131 ff u. ö.). Links von der Töpferscheibe thront die Muttergöttin Hathor, die dem Embryo das Anch-Zeichen (auch Hieroglyphe für „Leben“) an die Nase hält. Nachdem der Schreibergott Thot der Königin die Titel und Würden verkündet hat, die sie mit der Geburt des Königskindes erwirbt, wird
542 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Abb. 127: Chnum als Schöpfergott (Luxor, 18. Dyn.) sie von den göttlichen Geburtshelfern in den Geburtsraum geführt, wo sie niederkommt. Der Unterschied zu Gen 2,7 besteht darin, dass hier nicht ein gewöhnlicher Mensch, sondern der Gottkönig erschaffen wird, für den die göttliche Herkunft das Proprium und zugleich die Legitimation für sein politisches Handeln ist. Literatur: Zum Mythos von der Geburt des Gottkönigs s. Assmann, Zeugung, 13 ff; ders.,
Ägypten 1, 141 ff; Kügler, Pharao, 21 ff; Schroer, IPIAO 3, 40 ff; Zivie-Coche/Dunand, Religionen, 74 ff; Janowski, Anthropologie, 560 ff und zum Text des Mythos TUAT 3/5 (1995) 991–1005 (H. Sternberg el-Hotabi).
Der König als „Bild Gottes“ Q 43: Texte und Termini zur Gottebenbildlichkeit (vgl. oben 64 f ) In Ägypten ist die Gottebenbildlichkeitsaussage seit der 2. ZwZt (ca. 1785–1551 v. Chr.) integraler Bestandteil der Königsideologie. In der Königsideologie des AR spielen Bildbegriffe noch keine Rolle. Die Königsideologie des AR schafft jedoch, wie E. Hornung erläutert, „eine wesentliche Voraussetzung für die spätere Entwicklung, indem sie in der 4. Dyn. den Titel ‚Sohn des Re‘ einführt und damit das Verhältnis des Königs zum Sonnengott und Weltschöpfer als Sohnschaft definiert“ (Hornung, Mensch, 147). Die ersten Zeugnisse einer Bildtheologie tauchen dann in Texten der 1. ZwZt (ca. 2140–2040 v. Chr.) und hier vor allem in der Lehre für Merikare auf (s. Q 26), wo das Sohnesverhältnis des Königs zur Gottheit auf die Menschen insgesamt ausgedehnt und diese erstmals (!) als „Ebenbilder“ (znnw) Gottes bezeichnet werden. Danach tritt die anthropologische Dimension der Bildtheologie in den Hintergrund, bleibt aber latent vorhanden und wird in der Nachamarnazeit etwa in der Lehre des Ani (s. Q 31) wieder aktuell (s. dazu Hornung, aaO 146 ff; Gundlach, Pharao, 13 ff; Ockinga, Gottebenbildlichkeit, 134 ff ). Die Bildbegriffe, die sich seit der 2. ZwZt im Rahmen der Königsideologie ausgebildet haben, lassen sich in zwei Gruppen einteilen (Gottebenbildlichkeit: twtw, h̠ntj u. a., Gottähnlichkeit: mjtj, tjt u. a.). Die folgende Tabelle bietet nur einen Ausschnitt von über 12 Bildbegriffen:
Q 43: Texte und Termini zur Gottebenbildlichkeit 543
twtw h̠ntj
Bedeutung Abbildung, Nachbildung Funktion Repräsentanz
(Prozessions-) Statue (sichtbar) Repräsentanz
šzp sšmw (Empfänger-) ProzessionsStatue bild (unsichtbar) Repräsentanz Repräsentanz
mjtj/mjtt/mjtw tjt
Bedeutung Funktion
Gleicher Zeichen, Hieroglyphe, Bild Gottähnlichkeit Gottähnlichkeit
Während die erste Gruppe den König als konkretes Bild des (Sonnen-)Gottes bezeichnet, charakterisiert ihn die zweite Gruppe als dem (Sonnen-)Gott im Wesen oder im Handeln ähnlich. Entscheidend ist dabei der Sachverhalt, dass das „Bild“ (der König) nicht das Abbild einer vorgestellten Gestalt (der Gottheit) ist, sondern ein Körper, der der Gottheit eine leibliche Gestalt gibt (s. dazu Assmann, Ägypten 1, 56 f, vgl. Hornung, aaO 154 ff ). Als lebendiges „Bild Gottes“ erscheint der König deshalb als Repräsentant der Gottheit auf Erden. Hier eine kleine Auswahl:
twtw „ Abbildung, Nachbildung“ Wenn vom König als „Abbild Gottes“ (twtw oder h̠ntj) die Rede ist, sind twtw und h̠ntj austauschbar. Der König wird in diesem Zusammenhang bevorzugt als „Bild“ solarer Gottheiten (Re, Atum, Amun-Re, Schesepu) bezeichnet. So heißt es auf der Steleninschrift des Königs Rahotep (die Höflinge sagen zum König): Als sein Abbild (h̠ntj) hat Re dich eingesetzt, zur Rettung des Schiffbrüchigen
(d. h. des Schwachen, im Leben Gescheiterten).
h̠ntj „(in Festprozession getragene) Statue“ Als „Statue“ Gottes repräsentiert der König die Herrschaft Gottes auf Erden. Mit einem klaren Bezug zur Schöpfung (anders Groß, Statue, 14 Anm. 8) heißt es auf der Stele Amenophis III. (1388–1351 v. Chr.) in der Rede Gottes zum König: Dieses Land habe ich in seiner Länge und Breite geschaffen, um auszuführen, was mein Ka wünscht; dir habe ich gegeben //// meine //// insgesamt; du beherrschst es (sc. das Land) so wie (zu der Zeit), als ich König von Ober- und Unterägypten war; du bewirtschaftest es für mich aus liebendem Herzen, denn du bist mein geliebter Sohn, der aus meinem Leib hervorgegangen ist, mein Abbild (h̠ntj), das ich auf Erden gestellt habe. In Frieden lasse ich dich das Land regieren, indem du die Häupter aller Fremdländer tilgst.
sšmw „Prozessionsbild“ Wie das sšmw-Bild stets in seinem Schrein verborgen gehalten wird, so vollzieht der König als „sšmw Gottes“ seine Regierungsgeschäfte in der Abgeschiedenheit des Palastes. Typisch ist die Verbindung dieser Königsbezeichnung mit dem Orakelwesen wie z. B. in einem Gebet Ramses IX. (1127–1109 v. Chr.):
544 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Du (sc. Amun-Re) hast ihn eingesetzt, mit deinem Amt versehen, dein lebendes sšmw-Bild, das wie Re erscheint.
mjtj/mjtt/mjtw „Gleicher“ Wenn ein Beamter als mjtj Gottes bezeichnet wird, soll dadurch ausgedrückt werden, dass er wie ein bestimmter Gott bzw. auf göttliche Weise handelt. In seiner Inschrift sagt der Wesir Montuhotep: … der veranlasst, dass die beiden Genossen zufrieden mit seinem Urteil hinausgehen, auf dessen Zunge die Buchrolle Thots ist, einer, der exakter ist als das Lot, ein der Waage Gleicher, ein Zweiter des Königs beim Anrufen mit Namen, geduldig, Bitten zu hören, ein Gott-Gleicher (mjtj nṯr) bei seinen Amtshandlungen. Auch der König ist mjtj eines Gottes (bes. Res), weil er Eigenschaften besitzt, die für den Gott charakteristisch sind. In einer Inschrift Amenophis III. (1388–1351 v. Chr.) heißt es: Der vollkommene Gott, der Gleiche (mjtj) Res, der die beiden Länder erhellt wie der Horizontische, Herr der Strahlen im Gesicht wie die Sonnenscheibe, über den alles sich freut.
tjt „Zeichen, Hieroglyphe, Bild“ In einer autobiographischen Inschrift des Hohenpriesters Ptahmesu, wird der tjt-Priester als die irdische Entsprechung des Gottes bezeichnet: Der vollkommene Gott (= König) befahl, dass man mich treffliche Ämter ausüben liess. Als Großer der Leiter der Handwerker, als tjt jenes Iunmutef, setzte er mich ein, nachdem er (meinen) Rat erkannt hatte, die Vorzüglichkeit (meiner) Worte. Der Terminus tjt ist der häufigste königliche Bildbegriff. Der König ist tjt Gottes (Amuns, Res, Atums, u. a.) im Hinblick auf seine Handlungen. So wird Thutmosis I. (1504–1491 v. Chr.) auf seinem Denkstein mit folgenden Titeln und Epitheta versehen: Der Sohn (zꜢ) Amuns, der Sprössling des Gottes, der seinen Namen verbirgt; Zögling des Stieres der Götterneunheit, das herrliche tjt des Gottesleibes; der das, was die Seelen von Heliopolis loben, tut, den die Herren des Großen Hauses geschaffen haben. Übersetzung: Ockinga, Gottebenbildlichkeit, 21 f.46.84 f.95.102.106 f.113, s. zur Interpreta-
tion Hornung, Mensch, 123 ff; Assmann, Ägypten 1, 50 ff; Gundlach, Pharao, 13 ff; Groß, Statue, 13 f; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 177 ff; Janowski, Statue, 147 ff und Schellenberg, Mensch, 98 ff.
Q 45: Das Bildmotiv „Niederschlagen der Feinde“ 545
Der König als Hüter der Weltordnung Q 44: Kulttheologischer Traktat des Neuen Reichs (vgl. oben 271) Solidarität gegenüber den Schwachen zu üben, ist auch in Ägypten vornehmlich eine Aufgabe des Staats, die der König als ‚Sonnengott auf Erden‘ wahrnimmt. Es ist deshalb zutreffend, von der „Staatsangewiesenheit“ sowohl des Menschen als auch des Kosmos zu sprechen. Der Text, der dies am klarsten zum Ausdruck bringt, ist ein Kulttheologischer Traktat des Neuen Reichs aus der Zeit Hatschepsuts (1490–1468 v. Chr.), in dem der König in der Rolle des Sonnenpriesters erscheint. Dieser Text entwirft eine „allgemeine Theorie des ägyptischen Königtums und das heißt: des Staates“ (Assmann, Maʾat, 206). Orientiert man sich an der vertikalen Gliederung (Himmel – Erde, Erde – Himmel), so ergibt sich eine deutliche Zweiteilung: während der erste Teil die Einsetzung des Königs von oben nach unten darstellt (der Himmelsgott Re hat den König auf der Erde eingesetzt), thematisiert der zweite Teil die Sonnenhaftigkeit des Königs, der die Erde in abbildhafte Beziehung zum Himmel bringt und dem die Menschen (am Morgen) zujubeln. Die Mittlerrolle des Königs wird dabei durch die Begriffspaare Menschen/Götter und Maʾat/Isfet entfaltet, die sich mit ihren konkreten (1. Begriffspaar) und abstrakten Einzelgrößen (2. Begriffspaar) gegenseitig erklären. Die letzte Strophe dieses Traktats lautet: Einsetzung des Königs Re hat den König eingesetzt auf der Erde der Lebenden für immer und ewig beim Rechtsprechen der Menschen, beim Befriedigen der Götter, beim Entstehenlassen der Maʼat, beim Vernichten der Isfet. Er (sc. der König) gibt Gottesopfer den Göttern und Totenopfer den Verklärten. Sonnenhaftigkeit des Königs Der Name des Königs ist im Himmel wie (der des) Re. Er lebt in Herzensweite wie Re-Harachte. Die pʿt-Menschen jubeln, wenn sie ihn sehen. Die rḫjjt-Menschen machen ihm Ovationen in seiner Rolle des Kindes. Übersetzung: Assmann, Maʾat, 206, s. dazu ders., aaO 205 ff (mit einer Strukturskizze);
ders., Herrschaft, 37 ff; Janowski, Frucht, 181 f und ders., Anthropologie, 207.589.
Q 45: Das Bildmotiv „Niederschlagen der Feinde“ (vgl. oben 251.287) Seit dem Alten Reich (3.–6. Dyn., 2657–2166 v. Chr.) ist das Motiv vom „Niederschlagen der Feinde“ (älteste klassische Darstellung auf der Narmerpalette, s. Keel, Bildsymbolik, 272 Abb. 397, vgl. Schroer/Keel, IPIAO 1, 236 ff mit Abb. 134) ein zentrales Symbol der ägypt. Königsideologie, das bis in die Zeit der großen griech.-röm. Tempel immer wieder dargestellt wird und das sich außerhalb Ägyptens auch auf einer Elfenbeinplakette aus Sa-
546 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Abb. 128: Bildmotiv „Niederschlagen der Feinde“ (Ostrakon, Ramses III., 1184–1152) maria (9./8. Jh. v. Chr.) findet (s. Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 112 f; Schroer, IPIAO 4, 422 mit Abb. 1381). Während sich an der Gestalt des Königs kaum etwas ändert, tritt mit der Zeit an die Stelle des einen Feindes „ein ganzes Bündel (sc. von Feinden). Durch die Masse wird der Eindruck des Chaotischen verstärkt“ (Keel, aaO 274). Die symbolische Natur des Bildmotivs macht auch das abgebildete Ostrakon aus der Zeit Ramses III. deutlich. Literatur: Keel, Bildysmbolik, 270 ff; Hornung, Pharao ludens, 490 ff; Schlögl, Ägypten 1,
62 ff; Schroer, IPIAO 3, 38 ff.126 ff und Assmann, Schöpfung, 44 f.
Q 46: Das Bildmotiv „Den Himmel stützen“ (vgl. oben 252) Das, was Assmann, Maʾat, 243 als „Schöpfungsherrschaft“ bezeichnet, lässt sich durch zahlreiche Beispiele konkretisieren, etwa durch die Rolle Pharaos als Tempelerbauer, die motivlich offenbar auf seine alte Rolle als Kanalerbauer zurückgeht (s. Q 48), oder durch die Rolle des Königs beim „Stützen“ des Himmels. So gibt Abb. 129 eine Ritualszene aus dem spätägypt. Tempel von Edfu (ptolemäische Zeit) wieder, deren Bezeichnung „Den Himmel stützen“ lautet. Dazu schreibt D. Kurth: „Aus ihren (sc. der Ritualszene) Texten geht u. a. hervor, daß der König in Edfu einen Tempel errichten ließ, der sich dem Gott so vollkommen darbietet wie der Himmel. Außerdem garantiert der König den dauerhaften Bestand dieses Tempel-Himmels. Das alles demonstriert er im Szenenbild dadurch, daß er die übergroße Hieroglyphe des Himmels – genau waagerecht – über seinem Kopf erhebt und in aufrechter Haltung vor den Gottheiten erscheint. Über der Hieroglyphe schwebt die Flügelsonne – der Gott hat ‚seinen Himmel‘ also bereits angenommen und sich darin niedergelassen.“ (Kurth, Treffpunkt, 48)
Q 47: Tempelinschriften des Neuen Reichs 547
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Abb. 129: Bildmotiv „Den Himmel stützen“ (Edfu, ptolem. Zeit) Literatur: Kurth, Treffpunkt, 39 ff; ders., Himmel, 77 ff und Janowski, Frucht, 186 f.
7. Schöpfung und Kult/Tempel Kosmologische Symbolik des Tempels Q 47: Tempelinschriften des Neuen Reichs (vgl. oben 357) Die Antinomie zwischen dem Erscheinen der Gottheit im Tempel (Innenaspekt) und der Ausstrahlung ihrer Macht bis an die Grenzen der Erde (Außenaspekt) ist allerdings älter als die spätägypt. Tempeldekoration (s. oben 355) und begegnet bereits in Tempelinschriften des Neuen Reichs (18.–20. Dynastie), wo der Tempel als Achet (Ꜣḫt „Horizont“) bezeichnet und vom Erscheinen des Sonnengottes „im Tempel“ gesprochen wird, z. B.: Dein Tempel ist wie die Achet des Himmels (Ꜣḫt pt), und der Aton ist in ihm. Wenn Re aufgeht (ḫʿj), so ist sein Glanz in seinem (sc. des Tempels) Inneren und seine Strahlen umfangen seinen Bau. Komm doch Amon-Re …, betrachte dir dein Haus, das ich dir auf der Westseite von Theben errichtet habe … Du überquerst den Himmel, um in ihm zu ruhen. Wenn du in der Achet des Himmels aufgehst, so erstrahlt es als Gold in deinem Antlitz, denn seine Vorderseite ist nach Osten gerichtet, wo du erscheinst. Es ist deine Achet für dein Zur-Ruhe-Gehen-im-Leben. Und wenn du jeden Tag am Morgen erstrahlst, so ist deine Vollkommenheit in ihm unaufhörlich. Übersetzung: Text 1: Medinet Habu VI 390, zitiert nach Brunner, Sonnenbahn, 219; Text
2: Medinet Habu VI 389 B, zitiert nach ders., ebd.; Text 3: Urk. IV 1672, 7–15, zitiert nach ders., aaO 220. Im Unterschied zu unserem kreisförmigen Sichtbarkeitshorizont be-
548 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike zeichnet Ꜣḫt im Ägyptischen „jene Stelle, an der die Sonne über dem Ostgebirge morgens erscheint oder über dem Westgebirge abends verschwindet. Das überstrahlende Licht scheint eine Mulde in den Berg zu schneiden, daher die Hieroglyphe 𓈌“ (Brunner, aaO 219); zur ägyptischen Horizont-Vorstellung s. Janowski, Rettungsgewissheit, 150 ff.
Q 48: Pharao als Tempelerbauer (vgl. oben 354) Ein ikonographisches Detail der Spätzeit kann die kosmologische Symbolik des Tempels auch von einer anderen Seite her beleuchten. Es handelt sich um das Motiv Pharao als Tempelerbauer, das seinen Ursprung in Darstellungen des frühen 3. Jt.s v. Chr. hat, die den Pharao beim Öffnen eines Bewässerungskanals zeigen (s. dazu Staub, Pharao, 162 ff und Janowski, Himmel, 257 f ). Das Motiv von Pharao als Tempelerbauer, eine Neufassung dieser Kanalbau-Thematik, läßt sich bis in griech.-röm. Zeit verfolgen. Auch dafür sei ein Beispiel angeführt. Auf der westlichen Nordwand im inneren Säulensaal des Hathortempels von Dendera (1. Jh. n. Chr.) befindet sich ein Relief, das den Pharao – ebenfalls mit der mr-Hacke in beiden Händen – beim Ausheben der Fundamentgräben für den Tempelbau zeigt (s. Abb. 130). Er tut dies angesichts der Eigentümerin des Tempels, der Göttin Hathor von Dendera. Die vom König ausgeführte ‚grundlegende‘ Tat des Tempelbaus inauguriert, was dann der Tempelkult insgesamt realisiert: die Welt der Götter und der Menschen mittels Sprache und Ritus zueinander in Beziehung zu setzen und so den Tempel „zum Abbild des Himmels und zum Gefäß göttlicher Einwohnung zu machen“ (Assmann, Doppelgesicht, 55 Anm. 68).
Abb. 130: Pharao beim Ausheben von Fundamentgräben (Dendera, 1. Jh. n. Chr.) Literatur: Keel, Bildsymbolik, 248 ff.346 mit Abb. 364–371; Staub, Pharao, 163 f und Janowski, Himmel, 258 f.
𓇼
Q 50: Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt 549
III. Mesopotamien 1. Weltanfang und Weltende Die Welt vor der Schöpfung Q 49: Altsumerischer Schöpfungsmythos (vgl. oben 58) Der aus Tellō/Girsu stammende, um 2400 v. Chr. aufgezeichnete altsumerische Schöpfungsmythos beschreibt die Welt im Urzustand. Himmel und Erde existieren bereits, nach ihrer Herkunft wird aber nicht weiter gefragt: „Die beiden Götter sind schon getrennt, denn sie rufen einander zu. Es existieren aber weder die ‚Herren‘ und ‚Fürsten der Erde‘, zwei selten bezeugte Gruppen chtonischer Wesen, noch die großen Götter wie Enlil und Ninlil. Auch Sonne(n-) und Mond(-Gott) sind noch nicht ins Dasein getreten. Es gibt weder Licht noch Zeit. Der entscheidende Akt der Umformung zur Welt, wie sie der Mensch bewohnt, steht noch bevor“ (Volk [Hg.], Erzählungen, 3 [J. Bauer]). Der kurze und eindrückliche Text lautet folgendermaßen: [Der Himmel …] … Die Erde entfaltet ihre üppige Schönheit?. Sie ist (zu voller Größe) gewachsen. Sie ist kühl. Die Erdlöcher sind mit Wasser gefüllt.
I1
An, der Herr, steht als junger Mann da. II 1 Himmel und Erde rufen einander zu. Zu dieser Zeit lebten die Herren der Erde und die Fürsten der Erde (noch) nicht. Enlil lebte (noch) nicht. Ninlil lebte (noch) nicht. Das Heute? war (wie) das Vorjahr. Das Vergangene? war (wie) das Vorjahr. Sonnenlicht erstrahlte (noch) nicht. Mondlicht ging (noch) nicht immer wieder auf.
III 1
Übersetzung: Volk (Hg.), Erzählungen, 4 (J. Bauer), s. dazu auch Sallaberger, Kosmos, 98 f
(mit z. T. abweichender Übersetzung).
Q 50: Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt (vgl. oben 58) Im Prolog des aus altbabyl. Zeit stammenden Epos Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt wird die Entstehung der Welt und der Zivilisationsgüter sowie die Aufteilung der Herrschaftsbereiche der Hauptgötter dargestellt: 1 In jenen Tagen, in jenen fernen Tagen, in jenen Nächten, in jenen lange zurückliegenden Nächten, in jenen Jahren, in jenen fernen Jahren, damals zu Urzeiten, als die Urordnung strahlend erschienen war, 5 damals zu Urzeiten, als die Urordnung gebührend beachtet wurde, als in den Heiligtümern des Landes Brot verkostet wurde,
550 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike als in den Backöfen des Landes Feuerstellen vorbereitet wurden, – als der Himmel von der Erde getrennt wurde und die Erde vom Himmel abgegrenzt wurde, 10 als sich die Menschheit einen Namen gemacht hatte, nachdem An sich den Himmel genommen hatte, Enlil sich die Erde genommen hatte, und nachdem sie Ereschkigala mit der Verwaltung der Unterwelt beschenkt hatten … Übersetzung: Volk (Hg.), Erzählungen, 299 (P. Attinger), s. dazu auch TUAT.NF 8, 26 f
(P. Attinger), ferner Wilcke, Anfänge, 26 f (mit abweichender Übersetzung von Z. 13: „Als man [der Unterweltsgöttin] Ereschkigal etwas als Unterweltsgeschenk geschenkt hatte“).
Q 51: Das Lied von der Hacke (vgl. oben 58.93) In dem ebenfalls aus früh- oder altbabyl. Zeit (um 2000 v. Chr.) stammenden Lied von der Hacke wird Enlil („Herr Luft“), der höchste Gott des sumerischen Pantheons, als derjenige dargestellt, der mit der Hacke die beiden Teile des kosmischen Urkörpers trennte und so dem Tageslicht Raum schuf: (1–10) Der Herr ließ das Uralte strahlend erscheinen, / der Herr, dessen Bestimmungen unveränderlich sind, / Um Samen des Landes aus der Erde sprießen zu lassen,/ Den Himmel von der Erde zu trennen,/Und da eilte er schon, die Erde vom Himmel zu entfernen. / In Uzu-mú-a [= „wo Fleisch wuchs“] Häupter wachsen zu lassen, / Spannte er in Duranki [= Band von Himmel und Erde] … / Die Hacke hier setzte er an, da kam das Tageslicht hervor, / Er verrichtete die Arbeit und bestimmt dabei die Zukunft, / indem er für Hacke und Tragkorb die Arbeit ordnete. Übersetzung: Wilcke, Anfänge, 28, s. dazu auch Volk (Hg.), Erzählungen, 71 (G. Farber).
Ab Z. 18 ff wird dann die Erschaffung des Menschen als Tonmodell und wie Gras aus der Erde sprießend dargestellt (sog. emersio-Konzeption), s. dazu Dietrich, Menschenschöpfung, 23 f und Volk (Hg.), aaO 72 (G. Farber). Zum Gott Enlil s. Groneberg, Götter, 58 ff.
Q 52: Enūma eliš I 1–20 (vgl. oben 57.58.92) In Taf. I des babyl. Weltschöpfungsepos Enūma eliš (Ende des 2. Jt.s v. Chr.) wird zunächst die Welt vor der Schöpfung geschildert, als es nur Apsû (Süßwasser) und Tiʾāmat (Salzwasser) gab (Z. 1–6). Ab Z. 7 werden dann die Götterpaare Laḫmu und Laḫāmu, Anšar und Kišar sowie die beiden Götter Anu und Ea und schließlich der weise Nudimmud geschaffen, der Marduk zeugt (Z. 7–20). Das berühmte Epos beginnt in Taf. I folgendermaßen: 1 Als oben die Himmel nicht benannt waren, unten die Erde mit Namen nicht ausgesprochen war, (da) war Apsû, der Erste, ihr Erzeuger, (und) Mummu [= Lebenskraft] Tiʾāmat, die sie alle gebar; 5 sie mischten ihre Wasser zu einem, aber Weide war nicht gebildet, Röhricht nicht sichtbar.
Q 53: Der kosmische Urhügel 551
Als von den Göttern
noch kein einziger entstanden war, mit Namen nicht ausgesprochen, Schicksal ihnen nicht zubestimmt war, (da) wurden die Götter in ihnen erschaffen, 10 entstanden Laḫmu und Laḫāmu, wurden mit Namen ausgesprochen. Bis sie groß wurden und alt, wurden Anšar und Kišar erschaffen, (die) sie übertrafen. Sie machten lang die Tage, vermehrten die Jahre, da war Anu, ihr Erbsohn, seinen Vätern gleich. 15 Anšar machte Anu, seinen Erstgeborenen, (sich) ähnlich, und Anu gebar
sein Ebenbild, den Nudimmud [= Ea]. (Und) Nudimmud, der war seiner Väter Beherrscher, von weitem Verstand, weise, großartig an Geisteskraft, viel kräftiger als Anšar, der Erzeuger seines Vaters. 20 Er hatte nicht seinesgleichen unter seinen göttlichen Brüdern. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 89 f (K. Hecker), s. dazu auch Foster, Muses, 439 f; Käm-
merer/Metzler, Weltschöpfungsepos, 315 f; Lambert, Creation Myths, 51; Talon/Anthonioz, Enūma eliš, 20 ff und Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 32 f (mit dem Kommentar 98 f ). Zur Gesamtinterpretation s. den Überblick bei Kämmerer/Metzler, aaO 1 ff; Zgoll, Welt, 23 ff; Gabriel, enūma eliš, 116 ff (mit anderer Abgrenzung); Maul, Kosmologie, 20 ff und Hartenstein, Vorwelt, 50 ff.
Q 53: Der kosmische Urhügel (vgl. oben 56.353) Der Ausdruck duku „heiliger, reiner Hügel“ (du6-kù/duku) bezeichnet einen kosmischen Ort, der nach der mythischen Geographie der Sumerer als „Sitz der Götter im östlichen Randgebirge Babyloniens“ (Edzard, Mesopotamien, 51) lag bzw. „über dem Weltberg, auf dem in der Urzeit die Anunna-Götter wohnten und auf dem Landwirtschaft, Viehzucht, Weberei, alles, was zur Kultur Sumers gehörte, entstanden ist“ (van Dijk, Götterlieder II, 134, vgl. Sjöberg/Bergmann, Collection, 50 f ). Das duku stand in enger – wenn auch nicht ausschließlicher – Beziehung zum unterirdischen Süßwasserozean (abzu/apsû), auf dem es in der Urzeit gegründet wurde (Abb. 131). Seine kosmische Dimensionierung (Ort der Lebensförderung und Schicksalsbestimmung) macht das duku zum Zentrum der Weltordnung – auf dem auch das duku-Fest gefeiert wurde. Der Schöpfungsbezug kommt auch in dem Marduk-Beinamen Dumudukuga sowie den Funktionen seines Trägers zum Ausdruck. Am babylonischen Neujahrsfest nimmt Marduk seinen Platz im duku ein, um dort als „Sohn des Duku“ (Dumuduku Ee VII 99) die Schicksalsentscheidung für das Land zu fällen: 99 Dumuduku, der im Duku für sich seinen reinen Wohnsitz erneuert, 100 Dumuduku, ohne den Lugalduku keine Entscheidung fällt. (Ee VII 99 f ) Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 600 (W. G. Lambert), s. dazu auch Heinrich, Weltschöp-
fungsmythos 90 (mit dem Kommentar 125). Zum Begriff duku s. Edzard, Mesopotamien, 51; Tsukimoto, Totenpflege, 212 ff; Janowski, Rettungsgewissheit, 42 mit Anm. 115; 46; Wiggerman, Foundations, 285 ff; Maul, Hauptstadt, 116 mit Anm. 33; 118 und Horowitz, Geography, 315 f u. ö.
552 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike oberer Himmel (Anu) mittlerer Himmel (Enlil) unterer Himmel (Sterne) lil Winde
Winde
Leerer Raum
Sonne Mond Venus
Enlil/Marduk Regen
DU6.KÙ
Quellen šadû
Fluß
s.ēru
ālu
„Heiliger Hügel“ s.ēru
„Stadt“
Regen Quellen Fluß šadû
„Steppe“
„Bergland“
Welt der Toten, Große Stadt apsû „mittlere Erde“ Wasser Quellen ?
Sonne Mond Venus
?
untere Erde
Abb. 131: Rekonstruktion des mesopotamischen Weltbilds
Weltschöpfung Q 54: Der Gott Enki/Ea im Apsû (vgl. oben 92) Enki/Ea, der Gott der Weisheit und der Beschwörungskunst (s. dazu Edzard, Mesopotamien, 56 f; Rüterswörden, dominium terrae, 13 ff; Groneberg, Götter, 130 ff ) ist der Herr des abzu/apsû, d. h. des unterirdischen Süßwasserozeans. Das akkadzeitl. Rollsiegel (Abb. 132) zeigt Enki/Ea in seiner vom nassen Element umflossenen Kammer. Aus seiner Schulter entspringen zwei Wasserbäche, darüber sind drei Fische sichtbar. Rechts von seiner Unterwasserresidenz hält ein kniender Diener, der sog. sechslockige Held, einen Torpfosten. Dieses Tor schließt wahrscheinlich die Erdtiefe mit ihren Süßwasserreservoiren vom Chaos ab, das auf der Abbildung in Gestalt eines vom Sonnengott Šamaš (mit der „Säge“ in der Hand) gewaltsam niedergehaltenen, geflügelten Löwen sichtbar ist. Der Gott vor Enki/Ea ist der Mondgott (so Wiggermann, Landschaft, 126). Literatur: Keel, Bildsymbolik, 154; Rüterswörden, dominium terrae, 17 ff; Wiggermann,
Landschaft, 126; Schroer/Keel, IPIAO 1, 348 u. a. Zum abzu/apsû s. Edzard, Mesopotamien, 38; Tsukimoto, Totenpflege, 216; Wiggerman, Foundations, 282.284; Horowitz, Geography, 334 ff; Groneberg, Götter, 136 f u. a.
Q 55: Mesopotamische Flutüberlieferungen 553
Abb. 132: Enki/Ea in seiner Wasserresidenz (Rollsiegel, 2340–2159 v. Chr.)
Weltuntergangsszenarien Q 55: Mesopotamische Flutüberlieferungen (vgl. oben 72 f ) Fluterzählungen sind in Mesopotamien seit dem 3. Jt. v. Chr. belegt und liegen dort in einer sumerischen (Sumerische Flutüberlieferung, Flutterminus sum. amaru „Orkanwasser“) und in einer akkadischen Ausprägung vor (Atramḫasīs-Epos, Gilgamesch-Epos, Flutterminus akk. abūbum, Etymologie unbekannt). Die akk. Version ist in Abschriften des 17. Jh.s v. Chr. im Atramḫasīs-Epos erhalten und wurde in weiten Teilen wörtlich in die 11. Tafel des Gilgamesch-Epos (ninivit. Rezension) übernommen und später auch von dem babyl. Mardukpriester Berossos überliefert (s. dazu Gertz, Genesis 1–11 [ATD], 232 Anm. 48). Darüber hinaus gibt es weitere Erwähnungen und Rezeptionen des überaus beliebten Stoffes: – Atramḫasīs-Epos Taf. III (altbabyl.), Flutheld Atramḫasīs („Überaus-Weiser“), zum Text s. Q 57. – Sumerische Flutüberlieferung (auch „Eridu-Genesis“, altbabyl., ca. 17. Jh. v. Chr. oder älter), Flutheld Ziusudra („Leben von langen Tagen“), zum Text s. Lambert/ Millard, Atra-ḫasīs, 138 ff, deutsche Übersetzung in TUAT 3/3 (1993) 448–458 (W. H.Ph. Römer). – A rk Tablet (spätaltbabyl., ca. 17. Jh. v. Chr.), Flutheld Atramḫasīs („Überaus-Weiser“), zum Text s. Q 58. – Gilgamesch-Epos Taf. XI (7. Jh. v. Chr., ninivit. Rezension), Flutheld Uta-napišti („Ich fand das Leben“, in Gilg. XI,197 heißt er einmal Atramḫasīs), zum Text s.
Q 59–60.
– Erwähnungen der Sintflut in anderen Textgattungen wie z. B. der Sumerischen Königsliste (Anfang des 2. Jt.s v. Chr.), s. Q 56. – Rezeption der Flutgeschichte des Atramḫasīs im Ugaritischen Sintflutfragment RS 22.421 (um 1350 v. Chr.), s. dazu Lambert/Millard, Atra-ḫasīs, 131 ff; Kämmerer, Sintflutsage, 189 ff und Steymanns, Gilgameš, 323.
554 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike – Babyloniaka des Berossos (3. Jh. v. Chr.), Flutheld Xisuthros (Adaption des sum. Ziusudra), s. dazu Lambert/Millard, Atra-ḫasīs, 134 ff; Baumgart, Umkehr, 487 ff und Maul, Sinflut, 162 ff. Ausgelöst, so der Plot der akk. Erzählungen, wird die Flut durch den „Lärm“ (ḫubūrum) der Menschen, der von den Göttern als Hybris empfunden wird und diese veranlasst, die Menschheit mit Ausnahme eines Gerechten (Atramḫasīs „Überaus Weiser“; Uta-napišti „Ich fand das Leben“) auszulöschen. Dieser baut eine „Arche“ und wird zusammen mit ausgesuchten Handwerkern und zahlreichen Tieren gerettet (Atramḫasīs-Epos III ii 32 ff; Gilg. XI 25–27.84: „[all] das, was atmet“; 86: „die Herdentiere der Steppe, die wilden Tiere der Steppe“). Wichtig für das Gesamtverständnis ist der Sachverhalt, dass der Bestand der Welt mit dem Ende der Flut „durch die Zusage garantiert wird, dass eine Wiederholung der Sintflut ausgeschlossen ist (Atr III v,46–vi,4; Gilg. XI,166 f; vgl. Gen 8,21 f; 9,15“ (Gertz, Genesis 1–11 [ATD], 235). Die Bedrohung der Schöpfung ist auch Thema des ägypt. „Buchs von der Himmelskuh“, s. Q 18. Literatur: Westermann, Genesis 1–11 (BK), 536 ff; Lambert, Art. Babylonien, 73 ff; Caduff,
Sintflutsagen; Ruppert, Genesis (fzb), 302 ff; Baumgart, Umkehr, 480 ff; Wilcke, Weltuntergang, 63 ff; Bredow/Renger, Art. Sintflutsage, 586 ff; Oberforcher, Sintfluterzählungen, 608 ff; Dietrich, Sintflut, 3 ff; Maul, Ringen, 161 ff; Steymanns, Gilgameš, 322 ff; Hartenstein, Ende, 56 ff; Fischer, Genesis 1–11 (HThK.AT), 406 ff; Gertz, aaO 19 ff.231 ff; Wasserman, Flood u. a. – Einzelheiten: Eine Synopse zu den wichtigsten Flutüberlieferungen (Berossos, Gilgamesch, Atramḫasīs, Sum. Flutüberlieferung, Gen *6,5–8,22) findet sich bei Ruppert, aaO 306 f.
Q 56: Sumerische Königsliste (vgl. oben 73.253) Die Sumerische Königsliste aus dem Anfang des 2. Jt.s v. Chr. (?) – die, obwohl sie kein Sintflutbericht ist, an dieser Stelle wegen des Sinftlutmotivs aber zu nennen ist – enthält die Namen von 140 Herrschern, die über das ganze Land der zwei Ströme geherrscht hätten und einander chronologisch gefolgt seien. Diese Liste ist in mehreren Redaktionen überliefert und hat unter Sinmagir von Isin (um 1760 v. Chr.) ihre abschließende Form erhalten. In der Herrscherfolge erscheint die Sintflut als markante Trennungslinie. Zwar haben auch die ersten Fürsten nach ihr noch übermenschliche Regierungszeiten, diese werden aber von den Jahreszahlen der vorsintflutlichen Könige bei weitem übertroffen. Acht Herrscher aus fünf Städten regierten insgesamt 241.200 Jahre. Der Anfang der Liste (Z. 1–41) nennt acht Herrscher, die bis zur Flut regierten: Als das König[tum] vom Himmel heruntergekommen war, war das Königtum ⟨in⟩ [Eri]du. ⟨In⟩ Eridu (wurde) Alulim König; er regierte 28.800 Jahre. Alalgar regierte 36.000 Jahre. Zwei Könige regierten ⟨dort⟩ 64.800 Jahre. Eridu (ver)fiel, sein Königtum wurde nach Badtibira gebracht. In Badtibira regierte Enmenluanna 43.200 Jahre. Enmengalanna regierte 28.800 Jahre. Dumuzi, der Hirte, regierte 36.000 Jahre. Drei Könige regierten dort 108.000 Jahre. Badtibira (ver)fiel, sein Königtum wurde ⟨nach⟩ Larak gebracht. In Larak regierte Ensipazianna 28.800 Jahre. Ein König regierte dort 28.800 Jahre. Larak (ver)fiel, sein Königtum wurde nach Zimbir gebracht. ⟨In⟩ Zimbir wurde Enmenduranna König; er regierte 21.000 Jahre. Ein König regierte dort 21.000 Jahre. Zimbir (ver)fiel, sein Königtum wurde ⟨nach⟩ Schuruppag gebracht. ⟨In⟩
Q 57: Atram-h˘asis III iii 28–54 und III iv 4–11 555
Schuruppag wurde Ubartutu König; er regierte 18.600 Jahre. Ein König regierte dort 18.600 Jahre. Fünf Städte sind es. Acht Könige regierten dort 241.200 Jahre. Die Sturmflut fuhr darüber hinweg. Nachdem die Sturmflut darüber hinweggefahren war, (war) das Königtum, als das Königtum vom Himmel heruntergekommen war, ⟨in⟩ Kisch … Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 330 (W. H.Ph. Römer), s. dazu Wilcke, Königsliste, 113 ff; von Bredow/Renger, Art. Sintflutsage, 585; Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 194 f u. a. Zur ältesten, aus dem Ende des 3. Jt.s v. Chr. stammenden Sumerischen Königsliste, die G. Gabriel als Chronik der einzigen Monarchie bezeichnet, s. TUAT.NF 9 (2020) 54 ff (G. Gabriel).
Q 57: Atram-hasis III iii 28–54 und III iv 4–11 (vgl. oben 124) ˘
In den mesopotamischen Schöpfungstexten gibt es eine wichtige Kontrastparallele zur nichtpriesterlichen Fluterzählung. Es handelt sich um den Konflikt zwischen dem Götterkönig Enlil von Nippur und dem Gott des Süßwasserozeans Enki/Ea von Eridu im altbabylonischen Atramḫasīs-Epos (19.–17. Jh. v. Chr.). Es war Enlil, der die Götter zu dem Beschluss veranlasste, wegen der übermäßigen Vermehrung der Menschen und ihres „Lärms“ (I 353 f ) drei schwere Plagen und die Sintflut kommen zu lassen (zum Motiv für die Sintflut im Atramḫasīs-Epos s. Albertz, Motiv, 49 ff ). Und es war Enki/Ea, der durch sein Eingreifen die Menschen vor dem Schlimmsten, nämlich der völligen Vernichtung, bewahrte und der in dem ihm treu ergebenen weisen Atramḫasīs den Übermittler seiner Ratschläge fand. Enki/Ea kann als Schöpfer der Menschen an deren Vernichtung ebenso wenig mitwirken (II vii 42 ff, vgl. den Befehl Enkis/Eas an Atramḫasīs, sein Leben zu erhalten [III i 24]), wie Enlil sich mit der Vermehrung und dem Lärm abfinden kann. Beachtenswert ist dabei die Rolle der Muttergöttin Nintu, die die Menschen zusammen mit Enki/Ea erschaffen hatte (I 200 ff ) und der der drohende Tod ihrer Geschöpfe physische Schmerzen bereitet. Deshalb klagt sie Enlil an: Nintu, der großen Herrin, Lippen verhüllen ihre schreckliche Angst. Die Anunakkū, die großen Götter, saßen da in Durst und Hunger. Weinend blickte die Göttin auf die Hebamme der Götter, die erfahrene Mami. „Der Tag werde dunkel, werde wieder finster! Wie konnte ich nur zusammen mit ihnen die Vernichtung aussprechen? Enlil wurde zu mächtig für mich, ließ mei[nen] Mund es sagen! So wie jene Tiruru nahm er mei[nem] Mund die Kraft für mich und meinen Leib (zu sprechen). Auf mir liegt, dass ich ihr Schreien hörte! Ohne (Hilfe) von mir wurden wie Fliegen die Geschöpfe! Und ich – wie soll mein Wohnen sein im Hause der Klage? Verstummt ist mein Geschrei! Werde ich hinaufgehen in den Himmel? Werde ich vielleicht im Haus der aufgetürmten (Leichen) wohnen? Wohin, Anu, ist der mit dem ṭēmu gegangen, auf dessen Rede die Götter, seine Kinder, gehört haben, der nicht überlegt hat und die Sintflut herbeiführte, das Volk dem Untergang preisgab. (III iii 28–54)
556 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Nach einer Textlücke stellt Nintu ihre Mutterrolle heraus und klagt über ihre im Fluss „wie Libellen“ treibenden Kreaturen: (Hier) klagt Ni[ntu, der Mutterleib!] Hat mir etwa ein Vater [meine] M[enschheit] geboren? Das Meer haben sie gefüllt wie Libellen den Fluss, Wie ein Floß strandeten sie auf den Auen, Wie ein Floß strandeten sie in der Steppe, am Ufer, Ich sah (es) und habe über sie geweint (bakûm)! Ich höre nun auf, ihretwegen zu jammern! (III iv 4–10) Übersetzung: Wilcke, Weltuntergang, 90 ff, s. dazu auch die Übersetzungen in TUAT 3/4
(1994) 640 f (W. von Soden) sowie von Lambert/Millard, Atra-ḫasīs, 95.97 und Foster, Muses, 158 ff u. a. Zur Interpretation s. noch Müller, Motiv, 93 ff.98 ff; Baumgart, aaO 469 ff; Jeremias, Reue Gottes, 19 ff.129 ff und Hartenstein, Ende, 56 ff.
Q 58: Das Ark Tablet (vgl. oben 77) Die von I. L. Finkel als Ark Tablet bezeichnete einkolumnige Keilschrifttafel aus spätaltbabylonischer Zeit (ca. 17. Jh. v. Chr.) enthält nur einen Ausschnitt der Fluterzählung. Dieser beginnt mit der Warnung des Weisheits- und Schöpfergottes Enki/Ea an Atramḫasīs, berichtet dann detailliert vom Bau der Arche, die vom Schreiber des Textes als großes Rundboot vorgestellt wird (anders Gilg. XI 28 ff.57 ff: quadratisch, an eine Ziqqurrat erinnernd), und endet mit dem Versiegeln des Eingangs der Arche: 1 „Lehmziegelmauer, Lehmziegelmauer, Rohrwand, Rohrwand! Atram-ḫasīs, gib Acht auf meinen Rat, [dann] wirst du für immer leben! Zerstöre das Haus, baue ein Boot,
verschmähe Besitztum und
5 bewahre das Leben!
Plane das Boot, das du bauen wirst,
mit einer kreisrunden Zeichnung.
Seine Länge und Breite sollen einander entsprechen.
Seine Grundfläche betrage ein Morgen, [seine] Wände seien eine Rute (hoch). 10 Die Taue sind je zehn Ruten (lang), du kennst [die Ru]d[er]. Ein Handwerker soll für dich Strick fertigen, 14.430 (Stück) soll er auf dein Geheiß hin be[reitstell]en!“ Dreißig Rippen verlegte ich im Innern (des Bootes), die ein Scheffelgefäß dick waren, deren Länge zehn Ruten betrug.
15 3.600 Stützpfosten befestigte ich in seinem Innern,
die ein halbes (Scheffelgefäß) dick waren, deren Länge eine halbe Rute betrug. Ich zimmerte seine Kabinen, oben und unten.
Mit sechzig (Maß) Bitumen überzog ich seine Außenseiten, mit sechzig (Maß) Bitumen überzog ich sein Inneres,
20 sechzig (Maß) Bitumen goß ich auf die Kabinen aus.
Meine Öfen lud ich mit 28.800 …, und 3.600 (Maß) Bitumen goß ich hinein.
Q 59: Gilgamesch XI 114–127.164–171 557
25 38 59 60
Das Bitumen reichte nicht, so fügte ich 300 (Maß) Schweinefett hinzu. Ich lud [meine] Öfen gleichmäßig. (Z. 26–37 nur sehr fragmentarisch erhalten) Man aß und trank. (Z. 39–58 sehr beschädigt) „Wenn ich (in das Boot) eingetreten bin,
dann dichte die Öffnung seines Eingangs ab!“
Übersetzung: TUAT.NF 9 (2020) 37 f (D. Schwemer, mit dem Kommentar 36 f ), s. auch die
Übersetzung von Wasserman, Flood, 61 ff. – Einzelheiten: Im Unterschied zur Vorstellung der Arche als Rundboot (oben Z. 6–8) symbolisiert die Arche nach Gilg. XI 28–30.57–71 eine Ziqqurrat (Tempelturm) und ist damit ein Abbild des Kosmos, s. dazu Baumgart, Arche, 204 ff; ders., Umkehr, 506 ff und Maul, Gilgamesch-Epos, 186.
Q 59: Gilgamesch XI 114–127.164–171 (vgl. oben 124) Das Motiv des göttlichen Schmerzes spielt sowohl in der biblischen als auch in der mesopotamischen Flutüberlieferung eine Rolle. Dabei ist der Schmerz JHWHs über die Bosheit des Menschen vor seinem Vernichtungsbeschluss das Proprium des nichtpriesterlichen Flutprologs (s. dazu oben 112 ff ). Anders in Taf. XI des Gilgamesch-Epos (ninivit. Version), wonach die Götter nach der Flut (abūbu) die Angst packte und die Muttergöttin Belet-ili („Herrin der Götter“) in Klageschrei ausbrach. Die Muttergöttin erlebt also, „dass es ihre Menschenkinder sind, die dem Tod preisgegeben sind. Ihre Mütterlichkeit rebelliert gegen den erlebten Tod …“ (Baumgart, Umkehr, 441), was auf die Anunnaki-Götter nicht ohne Wirkung bleibt (Z. 125–127). 115 120 125
Selbst die Götter packte da vor der Sintflut die Angst! Sie wichen zurück, sie hoben sich fort in den Himmel des Anum. Da kauern die Götter im Freien, eingerollt in sich selbst so wie Hunde. Laut schreit die Göttin auf, einer Kreißenden gleich, in Klagegeschrei verfiel Belet-ili, die (sonst doch so) schön an Stimme: „Wahrlich, jener (uranfängliche) Tag ist deshalb wieder zu Lehm geworden, weil ich in der Götterversammlung Böses sprach! Wie konnte ich nur in der Götterversammlung Böses sprechen und, um meine Menschen auszurotten, Krieg erklären? Denn ich bin es doch, die (sie) gebar! Meine eigenen Menschen sind’s doch! Wie Fische im Schwarm füllen sie (jetzt) das Meer!“ Die Götter, die aus der Unterwelt, verweilen mit ihr in Weinen, in Klage aufgelöst, verweilen sie mit ihr in Weinen, verdorrt ihre Lippen, beraubt der gekochten Opferspeisen.
Nach der Sintflut nimmt sich die Muttergöttin vor, diese Tage auf ewig nicht zu vergessen und Enlil nicht an den Räuchergaben teilnehmen zu lassen: Als aber Belet-ili herangekommen war, 165 hielt sie die großen Fliegen hoch, die Anum machte, als er (um sie) gefreit: „Ihr Götter, diese seien nun der Lapislazuli-Schmuck für meinen Nacken,
558 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 170
auf dass ich diese Tage in Erinnerung halte und sie nie vergesse bis in alle Ewigkeit! Die Götter sollen zu den Räuchergaben kommen. (Doch) nicht soll Enlil zu den Räuchergaben kommen, weil er keinen (guten) Rat erteilte, sondern die Sintflut sandte und meine Menschen der Vernichtung preisgab.“
Übersetzung: Maul, Gilgamesch-Epos, 144.146, vgl. auch die Übersetzungen in TUAT 3/4
(1994) 732 f.734 (K. Hecker, mit abweichender Zeilenzählung) sowei von Röllig, Gilgamesch-Epos, 120.122 und Wasserman, Flood, 117.118 f. Zur Interpretation s. noch Baumgart, Umkehr, 438 ff; Keel/Schroer, Schöpfung, 192 f und Hartenstein, Ende, 56 ff.
Q 60: Gilgamesch XI 147–163 (vgl. oben 73.121) In der elften Tafel des Gilgamesch-Epos wird nach dem Ende der Flut und der Landung des Schiffs am Berg Nimusch (früher Nisir) geschildert, wie Uta-napischti, der babyl. Noah, eine Taube, eine Schwalbe und schließlich einen Raben aussendet, um zu prüfen, ob die Wasser der Flut abgelaufen sind. Dann, beim Anbruch des siebten Tages nach der Landung, beginnt das Vogelexperiment: 150 155
Doch als der siebente Tag anbrach, holte ich (sc. Uta-napischti) eine Taube hervor und ließ sie frei. Die Taube flog, doch kam sie zurück, denn kein Fleckchen zu rasten erschien ihr, so kehrte sie um. Ich holte eine Schwalbe hervor und ließ sie frei. Die Schwalbe flog, doch kam sie zurück, denn kein Fleckchen zu rasten erschien ihr, so kehrte sie um. Ich holte einen Raben hervor und ließ ihn frei. Der Rabe flog. Als er aber sah, wie sich das Wasser verzog, da begann er zu fressen, zu scharren und zu hüpfen und kam nicht wieder zurück.
Nach dem Ausstieg aus der Arche bringt Uta-napischti ein wohlriechendes Opfer dar, zu dem die Götter „wie die Fliegen“ zusammenkommen und geloben, nie wieder der vollständigen Vernichtung der Menschheit zuzustimmen: 160
Da aber holte ein Opfertier hervor, den vier Winden brachte ich es dar. Ich streute Räuchergaben hin, oben auf den Stufenturm aus Fels, und stellte sieben und sieben Opfertrankflachen auf. Ihnen zu Füßen schüttete ich Rohr, Zeder und Myrte hin. Die Götter aber rochen den Duft, die Götter rochen den süßen Duft, die Götter kamen alsbald wie die Fliegen über dem Opferspender zusammen.
Übersetzung: Maul, Gilgamesch-Epos, 145 f (mit dem Kommentar 188), s. auch die Über-
setzung in TUAT III/4 (1994) 733 f (K. Hecker) sowie von Röllig, Gilgamesch-Epos, 121 f und Wasserman, Flood, 118 (mit dem Kommentar 127 f ). Zur Interpretation s. noch Sallaberger, Gilgamesch-Epos, 17 f; Steymans, Gilgameš, 322 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 268.
Q 61: Kudurru aus Susa 559
2. Schöpfung und Chaos Chaotische Bereiche in der geordneten Welt Q 61: Kudurru aus Susa (vgl. oben 18.380)
Abb. 133: Kudurru aus Susa (1188–1174 v.Chr) Auf dem babylonischen Grenzstein (kudurru) aus Susa vom Ende des 2. Jt.s v. Chr. ist das mehrteilige Weltbild Mesopotamiens zu sehen: im mittleren, „irdischen“ Register ist eine kultische Prozession mit Musikanten, Tieren (Löwe, Strauß, Sphinx) und Pflanzenkübeln dargestellt, die sich zwischen der himmlisch-göttlichen Sphäre (oberes Register mit den Symbolen der Großen Götter) und der infernalen Welt (unteres Register mit dem gehörnten Schlangendrachen) befindet. Zwei Drittel des Kudurru werden von der von Chaoswassern umflossenen burgähnlichen Unterweltsstadt eingenommen. Dem im mittleren Register dargestellten Kult kommt eine vermittelnde Funktion zwischen der himmlischen und der unterirdischen Sphäre zu, vgl. Schroer, IPIAO 4, 302. Literatur: Keel, Bildsymbolik, 38 f; ders./Schroer, Schöpfung, 105 f und Schroer, IPIAO 4,
302 f mit Abb. 1230.
560 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Chaoskampf Q 62: Enūma eliš IV 129–146; V 45–70 (vgl. oben 49.53.58.301.322.396.399) Der mesopotamische locus classicus für das Motiv Schöpfung als Kampf ist das babyl. Weltschöpfungsepos, wo in Taf. IV 129–146 beschrieben wird, wie Marduk den Chaosdrachen Ti’āmat (die mythische Personifikation des Salzwassers) besiegt und seinen Körper zerteilt, um eine Hälfte zum Bau des Kosmos zu verwenden: Dann trat der Herr Ti’āmats Unterteil nieder, 130 mit seiner schonungslosen Waffe
spaltete er dann den Schädel. Er durchschnitt ihre Adern (voll) Blut,
dann ließ er den Nordwind (es) ins Verborgene tragen. (Als) seine Väter (das) sahen, freuten sie sich und jubelten, Gaben und Geschenke ließen sie für ihn bringen. 135 Der Herr (sc. Marduk) ruhte aus, um ihren Leichnam zu betrachten, den Körper zu zerteilen, Kunstvolles zu schaffen. Er brach sie wie Stockfisch in zwei Teile,
aus einer ihrer Hälften
erstellte er das Himmelsdach. Er breitete die Haut aus, Wachen setzte er ein. 140 ihr Wasser nicht hinaus zu lassen, befahl er ihnen. Er durchschritt den Himmel, betrachtete prüfend die (Himmels)orte, und machte (ihm) das Ebenbild Apsû, die Wohnung Nudimmuds, ähnlich. Der Herr vermaß
Apsûs Gestalt, und als Ešgallas Ebenbild errichtete er Ešarra. 145 Ešgalla, Ešarra, das er gebaut hatte, (und) den Himmel ließ er Anu, Enlil und Ea als ihre Heiligtümer einrichten. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 111 (K. Hecker), s. auch Foster, Muses, 461 f; Wilcke,
Anfänge, 41; Kämmerer/Metzler, Weltschöpfungsepos, 223 f; Gabriel, enūma eliš, 149 ff; Lambert, Creation Myths, 93.95 (mit dem Kommentar 169 ff ); Talon/Anthonioz, Enūma eliš, 123.125; Koch, Wohnstatt, 94 f (zum Vergleich von Z. 141 mit Jes 40,12) und Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 66 (mit dem Kommentar 114 f ). In Ee V 45–70 heißt es dann weiter, dass Marduk aus den einzelnen Körperteilen der Ti’āmat den Kosmos formt, so dass „aus dem Chaoswesen eine geordnete Welt“ (Wilcke, Anfänge, 43) entsteht. „Hier“, so resümiert C. Wilcke, „ist ein genau planender Geist gepaart mit handwerklicher Geschicklichkeit am Werk, der vorgefundenes Material formt und so verändert, dass etwas gänzlich Neues daraus wird“ (ders., ebd. [H. v. m.]), vgl. ders., Weltbilder, 22 und Heinrich, aaO 69 f (mit dem Kommentar 116).
Ikonographie: Zur Ikonographie Ti’āmats dürfte nach Edzard, Mesopotamien, 129 und
TUAT.NF 8, 110 (K. Hecker) auch das obige assyr. Rollsiegel gehören, das sich auf den Kampf Marduks mit Ti’āmat beziehen könnte. In der Diskussion um die Ikonographie Ti’āmats spielt auch der Lapislazulizylinder eine Rolle, auf dem Marduk zusammen mit einem zu seinen Füßen liegenden Drachenungeheuer (wahrscheinlich ein mušḫuššu) abgebildet ist, s. dazu unten Abb. 136 und und Kämmerer/Metzler, Weltschöpfungsepos, 45 f. Zum Verständnis dieser Bildtradition s. Keel, Bildsymbolik, 40 ff; ders., Geschichte Jerusalems, 803 ff; ders./Schroer, Schöpfung, 123 ff; Uehlinger, Mythos, 66 ff und Schroer, IPIAO 4, 610.
Q 63: Ištars Gang in die Unterwelt 561
Abb. 134: Assyrisches Rollsiegel (8./7. Jh. v. Chr.)
Unterwelt (Abstieg) Q 63: Ištars Gang in die Unterwelt (vgl. oben 379) Der berühmte Mythos Ištars Gang in die Unterwelt beginnt mit einer Beschreibung der Unterwelt (Z. 1–11) und dem ersten Dialog zwischen Ištar und dem Pförtner der Unterwelttore (Z. 12–24): 1 Zum Kurnugia, dem Land [ohne Wiederkehr], wandte Ischtar, die Tochter des Sin, ihren Sinn.
Es wandte die Tochter des Sin ihren Sinn
nach dem finsteren Haus, der Wohnstatt von Erkalla, 5 zum Haus, das, wer es betritt, nicht mehr verläßt,
auf den Weg, dessen Beschreiten ohne Rückkehr ist, zum Haus, worin, wer es betritt, des Lichtes entbehrt, wo Staub ihr Hunger, ihre Speise Lehm ist,
das Licht sie nicht sehen, sie in der Finsternis sitzen. 10 Und sie tragen wie ein Vogel ein Flügelkleid. Auf Tür und Riegel lagert sich Staub.
Als sie das Tor des Kurnugia erreicht,
sagt sie zum Pförtner des Tores: „He, Pförtner, öffne mir dein Tor!
15 Öffne mir dein Tor, denn ich will eintreten! Wenn du mir das Tor nicht öffnest, ich nicht eintreten kann, werde ich die Tür einschlagen, den Riegel zerbrechen,
die Türleibungen zerschlagen und die Türen aushängen!
Ich werde die Toten herauflassen, sie werden die Lebenden fressen, 20 zahlreicher als die Lebenden werden die Toten sein!“
Der Pförtner tat seinen Mund auf zu sprechen,
er sagte zur großen Ischtar:
„Warte, meine Herrin, du sollst sie nicht umwerfen!
Ich will gehen und deine Rede der Königin Ereschkigal vortragen.“
562 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Nachdem der Pförtner der Unterweltsgöttin Ereschkigal das Erscheinen Ištars angekündigt hat, öffnet er das erste Tor mit folgenden Worten: 40 „Tritt ein, meine Herrin, Kutha möge dich willkommen heißen! Der Palast des Kurnugia möge sich freuen über deine Anwesenheit!“
Das erste Tor ließ er sie durchschreiten, löste und entfernte hernach die große Krone von ihrem Haupte.
„Warum, Pförtner, entferntest du die große Krone von meinem Haupt?“
„Tritt ein, meine Herrin, das ist gemäß der Herrin der Erde Brauch!“ Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 761 f (G. G. W. Müller). Zur Interpretation und zur Göttin
Inanna/Ištar s. Hutter, Vorstellungen, 116 ff; Groneberg, Götter, 150 ff.181 ff; Berlejung, Tod, 473 ff; Artemov, Jenseitsvorstellungen, 342 ff; Zgoll, Tod, 114 ff u. a. Zur sum. Fassung Inannas Gang in die Unterwelt s. TUAT 3/3 (1993) 459 ff (W. H.Ph. Römer) und Volk (Hg.), Erzählungen, 375 ff (H. Waetzold, mit dem Kommentar 437 ff ).
3. Schöpfung und Lebenswelt Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft Q 64: Enūma eliš IV 141–146; V 119–122; VI 61–66 (vgl. oben 58.431) Der Aufbau des Kosmos und die Anordnung seiner einzelnen Bereiche werden im babyl. Weltschöpfungsepos Enūma eliš (Ende des 2. Jt.s v. Chr.) an mehreren Stellen thematisiert. Aus dem Körper des besiegten und getöteten Chaosdrachens Ti’āmat (Ee IV 33 ff.129 ff ) formt Marduk den geordneten, in Himmel und Erde gegliederten Kosmos (Ee IV 135– 140, s. Q 62), in dessen Zentrum er – dem apsû gegenüber (meḫret apsê „Gegenstück des apsû“ Ee VI 62, vgl. IV 141–146) – Babylon mit seinem Tempel Esagil gründet: IV 141–146 Er (sc. Marduk) durchschritt den Himmel,
betrachtete prüfend die (Himmels)orte, und machte (ihm) das Ebenbild Apsû, die Wohnung Nudimmuds, ähnlich. Der Herr vermaß
Apsûs Gestalt, und als Ešgallas Ebenbild errichtete er Ešarra.* 145 Ešgalla, Ešarra,
das er gebaut hatte, (und) den Himmel
ließ er Anu, Enlil und Ea als ihre Heiligtümer einrichten. * In dem aus neuassyr. Zeit stammenden kosmologischen Kommentar zum Enūma eliš aus der Hand des Beschwörungspriesters Kiṣir-Aššur (um 650 v. Chr.) wird Z. 144 wie folgt kommentiert: „(bezieht sich auf ) den Tempel, der wie ein Gegenstück des Apsû (des Süßwasserhorizontes) auf (?) die Erde (?) gesetzt ist […])“, zitiert nach TUAT.NF 9 (2020) 92 (E. Frahm).
Die Frage ist allerdings, wo sich das Mardukheiligtum genau befand, wenn es von Marduk als „Gegenstück des apsû“ errichtet wurde. Näheren Aufschluss darüber gibt neben Ee IV 141–146 vor allem der Passus Ee V 119–122, der von Marduks Plan berichtet, Babylon im Zentrum des Kosmos zu errichten. Entscheidend ist dabei die räumliche Relation des Esagil zu den drei Größen Apsû, Ešarra und Himmel, wie sie in den folgenden Worten Marduks beschrieben wird:
Q 64: Enūma eliš IV 141–146; V 119–122; VI 61–66 563
V 119–122 „Oberhalb des Apsû, die Wohnung, die ihr (sc. die göttlichen Väter) mir anlegtet, 120 gegenüber Ešarra, das ich für euch baute, unterhalb der Himmelsorte, deren Boden ich stark machte, will ich ein Haus bauen, es soll mein bequemer Wohnsitz sein!“ Dem Ešarra („Haus der Gesamtheit/Welt“) wird also die Position zwischen Himmel und apsû zugeschrieben, während Babylon und Esagil „gegenüber Ešarra“, aber nicht „darauf “ errichtet werden sollen. Das Esagil („Haus, das das Haupt erhebt“) galt demnach sowohl als Ebenbild des Palastes Enkis/Eas als auch als Ebenbild des über dem Esagil gedachten himmlischen Palastes des Himmelsgottes An: „Jeder der drei kosmischen Bereiche, der Himmel, die Erdoberfläche und die Erde, wird dieser Vorstellung zufolge von einem Götterpalast beherrscht. Gemeinsam bilden alle drei Paläste eine vertikale Achse, in deren Zentrum Babylon mit dem Tempel Marduks liegt. Ausdrücklich wird Esagil als Stütze und Verbindung des in der Erde befindlichen Grundwasserhorizontes apsû mit dem Himmel bezeichnet. Das Heiligtum Esagil und die Stadt Babylon liegen also in der Mitte der vertikalen kosmischen Achse, und verbinden diese mit der irdisch-gegenwärtigen Welt. Sie sind (nach Enūma eliš) der Ort, an dem Marduk bei der Formung der Welt aus dem Leibe der toten Ti’āmat den Schwanz der drachengestaltig gedachten erschlagenen Urmutter an der Weltenachse Dur-maḫ befestigte, um so mit ihrem Unterleib den Himmel festzukeilen und seinem Schöpfungswerk ewige Dauer zu verleihen. Diese axis mundi nahm für den Besucher des alten Babylons sichtbare Gestalt an in dem siebenstufigen Tempelturm, der den Namen É-temen-an-ki, ‚Haus Fundament von Himmel und Erde‘ trug.“ (Maul, Hauptstadt, 114 f ) Im Anschluss an Livingstone, Works, 81 könnte man das in Ee V 119–122 und anderen Stellen des Enūma eliš formulierte kosmologische Entsprechungsverhältnis folgendermaßen skizzieren:
Abu im Himmel Enlil im Ešarra Marduk im Esagil Ea im Apsû
Abb. 135: Der nach dem Enūma eliš gegliederte Kosmos Ein dritter Text bestätigt dies: Als Babylon erbaut ist, und Marduk Esagila von den anderen Göttern als Geschenk erhält, richtet er sich prachtvoll in seiner neuen Wohnung ein:
564 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike VI 65–66 65 In Großartigkeit setzte er sich vor sie am Fundament von Ešarra und betrachtete seine Hörner. Daraus ergibt sich, dass Esagil nicht nur als „Gegenstück des apsû“ errichtet wurde, sondern mit seiner Spitze auch in den unteren Himmel (= Ešarra) reichte, nach Standort und Ausmaß also kosmische Dimensionen besaß – genauso wie der in seinem Heiligtum residierende Marduk, der nach Ee VI 64 ein zweiter Enlil und zugleich ein zweiter Ea ist: VI 61–64 Als das zweite Jahr herankam, erhöhten sie Esagils Haupt, des Ebenbildes des Apsû. Sie bauten die hohe Ziqqurrat des Apsû, und für Anu, Enlil, Ea und ihn richteten sie den Wohnsitz ein. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 112.117.120 (K. Hecker), s. auch Foster, Muses, 462.467.
471; Wilcke, Anfänge, 41; Kämmerer/Metzler, Weltschöpfungsepos, 225 f.242.259 f; Lambert, Creation Myths, 95.105.113 f; Talon/Anthonioz, Enūma eliš, 125.143.159 und Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 66.73.79 f (mit dem Kommentar 114 f.117.121). Zur Interpretation s. noch Gabriel, enūma eliš, 150 ff.160 f.167 f und Zgoll, Welt, 23 ff.
Q 65: Enūma eliš IV 19–30 (vgl. oben 58) Nach dem babyl. Weltschöpfungsepos ist Marduks Macht über die Gestirne das entscheidende Kriterium für seinen Aufstieg zum höchsten Gott. So verlangen die Götter nach Ee IV 19–30 von Marduk, ihrem „Erstgeborenen“, den Nachweis, dass auf seinen Befehl hin ein Sternzeichen verschwindet und wieder erscheint. „Die Kehrseite von Marduks Macht über die Gestirne, die er als Standorte und Abbilder für die großen Götter errichtet (Ee V 1–46), ist die Subordination der Götter zu ‚Sternenschafen‘ (Ee V 130 f ) und die Reduktion der Gestirne auf ihre kalendarische Funktion. Beides zeigt sich besonders deutlich am Beispiel des Mondgottes Sîn, der von Marduk ‚erschaffen‘ oder ‚sichtbar gemacht‘ und in dessen Schöpfungsordnung eingegliedert wird (Ee V 12–22“ (Gertz, Polemik, 146). Sie stellten zwischen sich ein bestimmtes Sternbild auf 20 (und) sprachen
zu Marduk, ihrem Erstgeborenen: „Dein Schicksal, Herr, ist wahrlich den Göttern entsprechend!
Verschwinden und Erschaffen befiehl; es möge geschehen! Auf das Auftun deines Mundes hin verschwinde das Sternbild, befiehl ihm wieder,
und das Sternbild sei unversehrt!“ 25 Er befahl, und auf sein Wort hin verschwand das Sternbild, wieder befahl er ihm
und wurde das Sternbild erschaffen. Als seine göttlichen Väter sahen, was seine Worte vermochten, freuten sie sich. Sie applaudierten „Marduk ist König!“ Sie fügten ihm Szepter, Thron und Herrscherstab zu, 30 sie gaben ihm eine Waffe ohnegleichen, die die Feinde niederwirft. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 106 f (K. Hecker), s. auch Foster, Muses, 457 f; Kämme-
rer/Metzler, Weltschöpfungsepos, 203 f; Gabriel, enūma eliš, 143 f; Lambert, Creation
Q 66: Enūma eliš V 1–24 565
Myths, 87; Talon/Anthonioz, Enūma eliš, 107.109 und Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 61.
Q 66: Enūma eliš V 1–24 (vgl. oben 45.136.435) In diesem Passus des babyl. Weltschöpfungsepos wird die astrale Ordnung und die damit verbundene zyklische Einteilung der Zeit durch den Götterkönig Marduk, der die Chaosmacht Tiʾāmat besiegt hat (Ee IV 31 ff; 129 ff, s. Q 62), eingerichtet. Die Zeitanzeiger für die „astral-temporale Verfasstheit der Welt“ (Gabriel, enūma eliš, 152) sind die Sterne, die als „Ebenbild“ (tamšīlu Z. 2) der Großen Götter bezeichnet werden und die von Marduk ihren „Standort“ (manzāzū Z. 1) am Himmel erhalten: 1 Er (sc. Marduk) erschuf den Standort für die großen Götter, stellte die Sterne, ihr Abbild, als Sternbilder auf. Er bestimmte das Jahr, bezeichnete dessen Grenzen, für die 12 Monate stellte er je 3 Sterne auf. 5 Nachdem er die Tage des Jahres als Aufriss gezeichnet hatte, gründete er den Standort von Jupiter (= Stern des Marduk), um ihre Verbindungen anzuzeigen. Damit niemand Fehler mache oder nachlässig werde,
legte er den Standort von Enlil und Ea mit ihm fest. Er öffnete Tore in den Rippen beiderseits,
10 (und) brachte starke Riegel links und rechts an. In ihren Bauch setzte er die Höhen, Nannar (= Mondgott) ließ er aufstrahlen, mit der Nacht betraute er (ihn). Er bestimmte ihn zum Schmuck der Nacht, um die Tage zu bestimmen, allmonatlich ohne Unterlaß macht er (ihn) durch eine Krone erhaben. 15 „Am Anfang des Monats, wenn du über dem Land aufleuchtest, strahlst du mit Hörnern, um 6 Tage zu bestimmen! Am 7. Tag [sei] die Krone [hälf ]tig, am Vollmondstag stehe in Opposition, allmonatlich zur Monatsmitte! Wenn Šamaš dich am Horizont [sieht], 20 werde im rechten Maß voll, nimm dann wieder ab! Am [Neumonds]tag nähere dich jeweils der Bahn des Šamaš, [am … des 3]0. Tages stehe wieder in Konjunktion zu Šamaš! Ich bestimmte das Zeichen, folge seinem Weg! … [… …] nähere dich, fälle Recht! Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 112 (K. Hecker), s. auch Foster, Muses, 463 f; Wilcke,
Anfänge, 41 f; Kämmerer/Metzler, Weltschöpfungsepos, 337; Gabriel, enūma eliš, 152 ff; Lambert, Creation Myths, 99; Maul, Wahrsagekunst, 257 f; Talon/Anthonioz, Enūma eliš, 128 ff; Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 68 f (mit dem Kommentar 115 f ) und Hartenstein, Kosmisierung (i. Dr.). – Ikonographie: Marduk war die „kosmische Zentralmacht“ im babyl. Pantheon (s. dazu Albani, Gott, 47 ff; Groneberg, Götter, 92 ff ). Dies kommt auf eindrückliche Weise auf dem Lapislazulizylinder des babyl. Königs Marduk-zākir-šumi (ca. 854–819 v. Chr.) zum Ausdruck, der Marduk mit seinem Sternenmantel und dem überwundenen, zu seinen Füßen liegenden Schlangendrachen mušḫuššu, zeigt (Abb. 136).
566 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Abb. 136: Lapislazulizylinder des Marduk-zākir-šumi (9. Jh. v. Chr.) Literatur: Albani, Gott, 68 ff und Black/Green, Gods, 128 f. Zu Marduks Sternenmantel s.
Albani, aaO 71 mit Anm. 279.
Q 67: Enūma Anu Enlil (vgl. oben 152.154) Das Bemühen um die Erkenntnis regelhafter Abläufe in Natur und Gesellschaft bestimmt auch die mesopotamische Omenliteratur des 2./1. Jt.s v. Chr. Als ominöse Anzeichen galten Himmelsphänomene, Wettererscheinungen, Verhalten von Tieren (besonders von Vögeln), menschliches/r Aussehen/Habitus, Missgeburten, Krankheiten und Träume. Als Beispiel sei ein Textausschnitt aus Taf. XVI der astrologischen Serie Enūma Anu Enlil „Als Anu und Enlil“ vom Ende des 2. Jt.s v. Chr. zitiert: (5′) Wenn eine Finsternis eintritt und das Tageslicht sich verdunkelt, werden harte Zeiten den König ereilen (wörtlich: „wird Not den König packen“); was die Leute des Landes anlangt, werden sie eine schwere Hungersnot erfahren.
(6′) [Wenn] eine Finsternis eintritt und (der Wettergott) Adad donnert (wörtlich: „sein Geschrei wirft“), wird durch den Mund der Götter der Untergang des Landes befohlen werden. (7′) [Wenn …, werden die (Leichen der) Leu]te des Landes aufgehäuft werden; der König eines hochgestellten Landes wird bald sterben.
(8′) [Wenn eine Fin]sternis eintritt und es regnet (wörtlich: „der Himmel regnet“), werden die Leute des Landes eine Hungersnot erfahren.
Q 68: Der sog. Sündenfallzylinder 567
(9′) [Wenn eine Finsternis] eintritt und ein Blitz aufleuchtet, wird die ⟨Flut ohne Wasser⟩ (d. h. eine [Heuschrecken?-]Plage) (das Leben/den Getreideertrag) wegnehmen. (10′) [Wenn eine Finsternis eintritt und eine Wo]lke wiederholt in das Innere einer (anderen) Wolke eindringt, werden die Götter den Plan des Landes wegnehmen. (11′) [Wenn …, werden des Königs] Tage kurz sein.
(12′) [Wenn eine Finsternis eintritt und ein Stern] in sein (des Mondes) Inneres eindringt, werden die Götter bald eine Flut für das Land bewirken. Übersetzung: TUAT.NF 4 (2008) 51 (R. Pientka-Hinz), s. dazu auch Maul, Art. Omina,
51 ff und ders., Wahrsagekunst, 237 ff.
Ordnungsdenken Q 68: Der sog. Sündenfallzylinder (vgl. oben 104)
Abb. 137: Sog. Sündenfallzylinder (Rollsiegel, neusumerisch) Auf seiner Suche nach einem Vorbild für die biblische Paradieserzählung legte der Assyriologe F. Delitzsch, der Protagonist des sog. Bibel-Babel-Streits, 1902 seinem Publikum einen Siegelabdruck vor (s. Abb. 137), den bereits Smith, Chaldäische Genesis, 87 mit Gen 3 in Verbindung gebracht hatte. „Die Frage nach dem Ursprung der biblischen Sündenfallerzählung“, so kommentierte Delitzsch diesen Abdruck, „ist wie keine zweite von eminenter religionsgeschichtlicher Wichtigkeit, vor allem für die neutestamentliche Theologie, welche bekanntlich dem ersten Adam, durch welchen die Sünde und der Tod in die Welt gekommen, den zweiten Adam entgegensetzt. Darf ich den Schleier lüften? Hinweisen auf einen alten babylonischen Siegelcylinder … in der Mitte der Baum mit herabhängenden Früchten, rechts der Mann, kenntlich durch die Hörner, das Symbol der Kraft, links das Weib, beide ausstreckend ihre Hände nach der Frucht, und hinter dem Weibe die Schlange – sollte nicht ein Zusammenhang stattfinden zwischen diesem altbabylonischen Bilde und der biblischen Sündenfallerzählung?“ (Delitzsch, Babel, 37) Delitzsch’s suggestive Frage ließ nur eine Antwort übrig: Ja! In Wirklichkeit handelt es sich bei der Darstellung aber um eine Bankettszene aus dem ausgehenden 3. Jt. v. Chr. Dazu schreibt O. Keel: „Von der Tradition des stilisierten Baumes her, der von zwei Lebewesen flankiert wird, ist das Bild als ein Stück Kosmos zu sehen, das gleichermaßen durch Leben
568 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike wie durch Ordnung charakterisiert wird. Die Schlange wird dabei, wie das Meer in der Bibel, bald als Teil, bald als Gefährdung dieses Kosmos betrachtet“ (Keel, Bibel, 146). Literatur: Keel, Bibel, 145 f; Lehmann, Delitzsch, 166 ff und Liwak, Bibel, 211 ff.
Q 69: Berggott mit vier Strömen (vgl. oben 95) Die hinter der Paradiesgeopgraphie von Gen 2,10–14 stehende Vorstellung lässt sich durch ein assyr. Elfenbeinfries illustrieren, das einen Berggott mit einem Gefäß zeigt, aus dem vier Ströme entspringen (möglicherweise ist die Fließrichtung des Wassers aber auch umgekehrt, nämlich zum Berggott hin, so Dietrich, Paradies, 318). Die Vierzahl drückt dabei geographische Vollständigkeit aus, vgl. Jes 11,12 (vier Ecken der Welt); Jer 49,36 (vier Enden des Himmels), Ez 37,9 u. ö. (vier himmlische Winde). Auch in der mythischen Geographie Mesopotamiens spielt die Vierzahl eine wichtige Rolle, s. Horowitz, Geography, 298 ff.324 f.
Abb. 138: Figur des Berggottes (Assur, um 1500 v. Chr.) Literatur: Keel, Bildsymbolik, 104; ders., Hohelied (ZBK.AT), 134; Horowitz, Geography, 298 ff.324 f u. ö.; Stordalen, Eden, 273 ff; Dietrich, Paradies, 318 f und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 113.
Q 70: Taxonomie der Weltbereiche in neuassyrischen Texten (vgl. oben 68.140) Nicht nur die politische Rhetorik, sondern auch die kultische Sprache Assyriens ist dem taxonomischen Denken verpflichtet, wie das Beispiel einer Inschrift Asarhaddons (681– 669 v. Chr.) zeigt, wonach der assyrische König die Feierlichkeiten anlässlich des Richtfestes für den von ihm renovierten Tempel des Reichsgottes Assur schildert. Im Blick auf die Bewirtung der geladenen Gäste und der Götter mit Opferfleisch heißt es: (VI 37) Ich schlachtete (38) Masttiere, (39) schächtete Edelschafe (40) und köpfte Vögel des Himmels und Fische der Wassertiefe (VII 1) ohne Zahl.
Q 71: Der Große Šamaš-Hymnus 569
Diese Aufzählung huldigt nicht nur der Reichhaltigkeit des königlichen Speiseplans, sondern ist Ausdruck desselben Ordnungsdenkens, das auch die politische Rhetorik prägt: „Die Tiere liefern nicht nur die eiweißreiche Nahrung für den Gott, sondern sie verkörpern auch die drei kosmischen Bereiche des altorientalischen Weltbildes, denen sie jeweils entstammen: Schafe und Stiere stehen für die Erde; die Vögel für den Himmel und die Fische für den Ozean, der die Erde umgibt und auf dem die Erde schwimmt. Mit der Darbringung dieser Tiere wird der höchste Gott ernährt und ‚besänftigt‘, indem er getragen wird von der Lebenskraft des gesamten Kosmos in seiner vertikalen Ordnung: Himmel, Erde, Ozean.“ (Maul, Wiedererstehende Welten, 571) Literatur: Janowski, Statue, 160 Anm. 78 (dort auch der Textnachweis) und ders., Anthro-
pologie, 628.
Schöpferisches Wirken Gottes/der Götter Q 71: Der Große Šamaš-Hymnus (vgl. oben 433) Der Große Šamaš-Hymnus (Ende des 2. Jt.s v. Chr.) gehört zu den schönsten Dichtungen Mesopotamiens. Zwischen den beiden Polen (östlicher/westlicher Horizontpunkt) der solaren Achse legt das Tagesgestirn seinen Weg am Firmament und – in umgekehrter Richtung – durch die Unterwelt zurück und gibt so dem Kosmos seine Struktur und Stabilität. Diese Korrelation von kosmischem Geschehen (Sonnenlauf als ständiger Auf- und Abstieg des Tagesgestirns) und heilvollem Wirken der Gottheit (Šamaš als „Erheller der Finsternis“ und „Herr der Gerechtigkeit“) bildet die Sinnmitte des – wahrscheinlich gegen Ende des 2. Jt.s v. Chr. redigierten – Hymnus, dessen literarische Struktur den Lauf der Sonne von Osten nach Westen und wieder von Westen nach Osten nachahmt.
Abb. 139: Šamaš auf der Sonnentafel von Sippar (9. Jh. v. Chr.)
570 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Eingangsstrophe 1 Der die Gesamtheit der Himmel erleuchtet, 2 der die Finsternis erhellt oben und unten! 3 Šamaš, der die Gesamtheit der Himmel erleuchtet, 4 der die Finsternis erhellt oben und unten! Abschnitt I: 1–34
Teil A: 5–129
Sonnenaufgang und Ausbreiten des Lichtglanzes 5 Deine Strahlen sind wie ein Netz über die Erde gelegt, 6 von den fernen Bergen vertreibst du die Dunkelheit! 7 Bei deinem Erscheinen freuen sich die Götterherrscher, 8 die Igigi jubeln dir zu! 9 Deine Strahlen erfassen unaufhörlich auch die geheimsten Orte, 10 im Glanz deines Aufgangs wird ihre Spur sichtbar. 11 Dein Schreckensglanz sucht immer wieder […],
12 die vier Weltufer [setzt du] wie Gir[ra in Brand]. 13 Du öffnest weit die Tore aller [Heiligtümer], 14 die Opfer aller Igigi [nimmst du entgegen]. 15 Šamaš, bei deinem Aufgang liegt die Menschheit auf den Knien, 16 [… …] alle Länder. 17 Der die Finsternis erleuchtet, die Zitzen des Himmels öffnet,
18 der den Bart des Lichtes erglühen lässt, das Kornfeld, das Leben des Landes. 19 Die fernen Berge bedeckt dein Glanz,
20 deine Strahlen füllten die Gebiete aller Länder. 21 Du beugst dich zu den Bergen herab, die Erde überschaust du,
22 den Kranz der Länder hängst du an der Mitte des Himmels auf. Herrschaftsantritt von Šamaš über die Welt 23 Die Menschen aller Länder versorgst du,
24 was Ea, der König der Herrscher, erschaffen ließ, ist dir anvertraut. 25 Denen Atem verliehen ist, (die) weidest du allzusammen, 26 du bist ihr Hüter oben und unten! 27 Du durchschreitest immer wieder beständig den Himmel, 28 (und) die weite Erde durchwanderst du täglich! 29 Die Flut des Meeres, die Berge, die Erde, den Himmel 30 wie ein […], beständig, durchwanderst du täglich! 31 In der unteren (Welt) betreust du die Geister der Toten und Ungeborenen und die Anunnaki, 32 in der oberen leitest du alle Wohnstätten recht. 33 Hirte der unteren, Hüter der oberen Welt, 34 der recht leitet das Licht des Weltalls, Šamaš, bist du! Abschnitt II: 35–64 Šamaš’s Reise über den Himmel 35 Du überschreitest immer wieder das weite, ausgedehnte Meer, 36 dessen Tiefe nicht einmal die Igigi kennen.
Q 71: Der Große Šamaš-Hymnus 571
37 Š[amaš], deine Strahlen steigen in den Apsû hinab, 38 [die Geist]er des Meeres können dein Licht sehen. 39 [Šamaš], du bindest wie ein Seil, bedeckst wie ein Nebel, 40 dein [brei]ter Schutz ist über die Länder gebreitet.
41 Du wirst täglich betrübt, doch dein Antlitz verfinstert sich nicht, 42 des Nachts durchläufst du unaufhörlich […].
43 Über unbekannte ferne Gegenden und unzählige Meilen, 44 Šamaš, eilst du rastlos, der du tags gehst und nachts umkehrst.
45 Nicht gibt es unter allen Igigi-Göttern außer dir einen, der sich so abmüht, 46 (und) unter den Göttern des gesamten Pantheons (einen), der so überragend ist wie du! 47 Bei deinem Aufgang sammeln sich die Götter der Länder, 48 dein schrecklicher Glanz überzieht das Land.
49 Von der Gesamtheit der Länder mit den unterschiedlichsten Sprachen 50 kennst du die Pläne, (und) ihren Lebensweg überschaust du. 51 [Verbeugt ist] vor dir die ganze Menschheit, 52 [Ša]maš, nach deinem Licht strebt die Weltharmonie. Šamaš als Gott der Gerechtigkeit 53 [Mit] der Schale der Opferschauer für das Zedernkultbündel 54 [bist du] der, der den Traumdeutern die Schicksale mitteilt, wenn sie Träume deuten.
55 Die Verträge [schließen], liegen vor dir auf den Knien, 56 [vo]r dir liegen auf den Knien der Böse und der Gute.
57 [Es gibt keinen, der] ohne dich in den Apsû hinabsteigen könnte, 58 [Šamaš, des Ü]beltäters und des Gegners Rechtsfall erhellst du! 59 [ganz abgebrochen], 60 Schlaf über ihn ausgießt […].
61 Du schickst den Betrüger, der [von …] umgeben ist, zurück […], 62 du ziehst aus dem Ḫubur den empor, der [unschuldig] in einen Prozess verwickelt ist.
63 Mit dem gerechten Urteil, Šamaš, das du verkündest, […], 64 dein Ausspruch ist eindeutig, wird nicht geändert, Nachsicht [übst] du nicht! Abschnitt III: 65–94 Šamaš als Begleiter und Helfer der Menschen 65 Du stehst dem Reisenden zur Seite, dessen W[eg] beschwerlich ist, 66 dem, der das Meer überquert, die Wellen fürchtet, gibst du [Hilfe]. 67 Auf unerforschten Wegen [leit]est du stets den Herumirrenden, 68 den Weg kann verfolgen, wer sich an dich wendet. 69 [Den Kaufma]nn, der den Geldbeutel trägt, rettest du aus den Wellen,
70 du [ziehst] den, der in den Wogen versinkt, empor und verleihst ihm Flügel. 71 Den Flüchtlingen und Entflohenen zeigst du Zufluchtsorte, 72 Wege, die er nicht kennt, zeigst du dem Verschleppten. 73 Den, der im geheimen Kerker liegt, rettest du,
74 dem Gefangenen im Gefängnis verschaffst du Heil. 75 Der, dessen Gott mit ihm [verärgert ist, gewährst du Hilfe],
572 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 76 wenn[er …] sieht, [… …]. 77 Du stehst dem Kranken bei, [… …], 78 du entscheidest … [… …]. 79 Du bringst[… … … …],
80 aus dem Land ohne Wiederkehr [… …]st du […]. 81 Die erzür[nten] Göttinnen [besänftigst du], 82 du bist erhaben, nicht [… …]st du. Šamaš als soziale und rechtliche Instanz 83 Šamaš, aus [deinem] Netz [… …], 84 aus deiner Falle [… …] nicht. 85 Der zu einem Eid [… …],
86 für den der […] fürchtet, [… …],
87 ist dein wei[tes] Netz ausgespannt, [… …]. 88 Wer auf die Frau seines Gefährten [sein Auge] erhebt, 89 wird vor dem bestimmten Tag […]. 90 Bereitet ist ihm ein verflochtener Fallstrick […],
91 geradewegs geht deine Waffe gegen ihn, einen Retter [hat er] nicht. 92 In seinem Prozess wird ihm sein Vater nicht beistehn,
93 auf den Spruch der Richter werden sie – seine Brüder – nicht antworten, 94 in einer Vogelfalle aus Kupfer ist er gefangen, ohne es zu wissen. Abschnitt IV: 95–129 Šamaš als Wahrer des Rechts 95 Wer ein Verbrechen begeht, dessen Horn zerbrichst du,
96 wer Unrecht zu tun plant, dessen Untergrund ist veränderlich. 97 Dem betrügerischen Richter zeigst du das Gefängnis,
98 den, der Bestechung annimmt (und) ungerecht richtet, lässst du Strafe tragen. 99 Der keine Bestechung annimmt (und) sich um den Schwachen kümmert, 100 der gefällt dem Šamaš, er wird sein Leben verlängern! 101 Ein umsichtiger Richter, der gerechtes Recht spricht,
102 macht den Palast vollständig, ein fürstlicher Wohnsitz ist seine Bleibe! 103 Wer Silber betrügerisch auf Termin verleiht: Was ist sein Gewinn? 104 Er rechnet mit hohem Gewinn, macht aber großen Verlust.
105 Wer Silber auf langen Termin verleiht und einen Šeqel in (nur) zwei vermehrt, 106 der gefällt dem Šamaš, er wird sein Leben verlängern! 107 Wer eine Waage hält und betrügerisch handelt, 108 immer wieder den Gewichtsstein im Beutel ändert, (das Gewicht) erhöht oder erniedrigt, 109 der rechnet mit hohem Gewinn, macht aber großen Verlust. 110 Wer korrekt die Waage hält, […] viele […],
111 alles Denkbare wird ihm in Menge geschenkt […]. 112 Wer ein Litermaß hält und betrügerisch handelt,
113 ausgibt im mittleren Maß und mehr zurückgeben lässt:
114 Zur Unzeit wird der Fluch der Menschen ihn treffen,
115 vor seinem Termin wird er gefragt und muss die Last übernehmen. 116 Sein Erbsohn wird seines Besitzes nicht Herr werden,
Q 71: Der Große Šamaš-Hymnus 573
117 in sein Haus werden sie – seine Brüder – nicht eintreten. 118 Ein verlässlicher Gläubiger, der Getreide im Groß(maß) ausgibt, vermehrt sein Ansehen, 119 er gefällt dem Šamaš, (d)er wird sein Leben verlängern! 120 Er wird seine Familie erweitern, Reichtum ansammeln, 121 wie Wasser einer ewigen Quelle wird sein Same ewig sein!
122 Wer gütige Hilfe leistet, keine Betrügerei kennt, – 123 Wer immer wieder in Dauer seine Meinung ändert, unterlie[gt deiner Beurteilung]. 124 Die Böses tun, deren Same wird ni[cht ewig sein]. 125 Die, deren Wort „Nein“ ist, unterliegen deiner Beurteilung, 126 [du] eilst dich, den Ausspruch ihres Mundes zu deuten.
127 Du hörst (und) prüfst sie, du durchschaust den Fall auch des Bösesten, 128 jeder Einzelne ist deiner Hand anvertraut.
129 Du lässt die Omina richtig ausfallen, was verwickelt ist, löst du! [Nachdem das Tagesgestirn seinen Zenit überschritten hat, erreicht es schnell das Ende seiner Bahn und setzt, im Westen untergehend, seinen Weg durch die Unterwelt fort, um zu seinem östlichen Ausgangspunkt zurückzukehren. Gemäß dieser Kreisbewegung nimmt Teil B des Hymnus die wesentlichen Topoi von Teil A auf, ordnet sie aber, dabei wörtliche Wiederholungen vermeidend, in umgekehrter Reihenfolge an.]
Teil B: 130–200 Abschnitt V: 130–155 Šamaš als Retter verschiedener Menschengruppen 130 Du hörst, Šamaš, auf Gebet, Bitten und Beten, 131 Unterwerfung, Kniebeugung, Gebetsgemurmel und Nasenstreichen. 132 Aus der Höhle seines Mundes ruft dich der Armselige, 133 der Hilflose, der Schwache, der Geschädigte, der Unterworfene, 134 täglich, immerfort, andauernd wendet er sich an dich. 135 Der, dessen Familie fern, dessen Stadt weit weg ist, 136 der Hirte, [beim] Auftrieb in die Steppe wendet er sich an dich, 137 der Hirtenjunge im Aufruhr (und) der Hüter unter Feinden. 138 Šamaš, an dich wendet sich die Karawane, die furchtsam dahinzieht,
139 der reisende Kaufmann (und) der Gehilfe, der den Geldbeutel trägt. 140 Šamaš, an dich wendet sich der Fischer mit dem Netz, 141 der Jäger, der Schütze, der das Wild zurücktreibt, 142 der Vogelfänger in seinem Versteck wendet sich an dich. 143 Der umherschleichende Räuber, der Feind des Sonnenlichts, 144 der über die Pfade der Steppe streift, wendet sich an dich. 145 Der umherlaufende Tote, der flüchtige Totengeist, 146 Šamaš, wandten sich an dich: Du hörtest alles! 147 Du hieltest dich nicht zurück von denen, die sich an dich wandten, (sondern) nahmst Anteil, 148 um meinetwillen, Šamaš, hasse sie nicht! 149 Der Menschen, Šamaš, Verstand öffnest du, 150 dein wütendes …, dein gewaltiges Licht gibst du ihnen.
151 [Du lässt] ihre Vorzeichen richtig eintreffen, beim Opfer sitzt du dabei,
574 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 152 bis in die vier Windrichtungen entscheidest du ihre Zukunft. 153 Den Verstand der Wohnstätten im ganzen Umkreis öffnest du! 154 Für die Flasche, in die deine Augen blicken, reicht der Himmel nicht aus, 155 für die Schale der Opferschauer reichen alle Länder zusammen nicht aus. Abschnitt VI: 156–181 Opferdarbringungen an Šamaš und Regulierung der Jahreszeiten 156 Am 20. Tag jauchzt du in Freude und Frohsinn,
157 du isst, du trinkst ihr reines Bier, das Rauschgetränk des Brauers am Markt, 158 sie gießen dir Bier des Brauers ein, und du nimmst es an. 159 Die von mächtiger Flut erfassten (Menschen) errettest du, 160 ihre heiligen, reinen Streuopfer empfängst du! 161 Du trinkst ihren Most und ihr Bier,
162 die Wünsche, die sie ersinnen, zu erreichen gewährst du! 163 Die (vor dir) niederknien, deren Gruppe löst du auf, 164 die regelmäßig zu dir beten, deren Gebete nimmst immer wieder an. 165 Diese sind es, die dich fürchten (und) deinen Namen dauernd rühmen, 166 (und) deine Größe auf ewig preisen. 167 Die (Leute) einfältiger Sprache, die Unge[ziemliches] reden, 168 die wie die Wolken ohne Zahl sind, 169 die die weite Erde durchziehen, 170 die durch die hohen Berge stapfen,
171 die Laḫmu-Ungeheuer des Meeres, die voller Schrecken sind, 172 der Ertrag des Meeres, der den Apsû durchstreift, 173 die Beute des Flusses, die, Šamaš, vor dir vorbeizieht. 174 Welche Berge denn sind nicht mit deinen Strahlen bekleidet,
175 welche Weltufer denn werden nicht erwärmt von den Strahlen deines Lichts? 176 Der die Finsternis leuchten lässt, die Dunkelheit erhellt, 177 der die Finsternis öffnet, die weite Erde erhellt, 178 der den Tag hell macht, mittags Hitze auf die Erde herabsteigen lässt, 179 der die weite Erde wie eine Flamme versengt, 180 der die Tage verkürzt, die Nächte verlängert, 181 der Kälte, Frost, Eis (und) Schnee [entstehen lässt], Abschnitt VII: 182–200 Sonnenuntergang und Eintritt von Šamaš in sein Ruhegemach 182 [der das T]or [aufmacht], den Riegel des Himmels (und) die Türen der Wohnstätten weit öffnet,
183 [der … (Tür)pf ]anne, Pflock, Schlüssel (und) Schließbalken, 184 [der …], gnadenlos ist, Leben schenkt,
185 [der] den Gefangen im Aufruhr, inmitten des Tode[s …]. 186 [… … Ent]scheidung, Beratung, Befragung (und) Planung,
187 [der die F]ackel des Morgens für die verbr[eiteten] Menschen [anzündet], 189–192 (Nur ganz geringe Reste erhalten.)
193 [Zum Ebabbar, dem] leuchtenden [Haus], deinem festlichen Wohnsitz, 194 bringt dir [… …] das Mahl der Weltufer.
Q 72: Gebetsbeschwörung JCS 21,2–7.9 f 575
195 [König, St]atthalter, Hohenpriester (und) Fürst 197 [… …]… beim Opfer den Ertrag der Länder! 198 [… …]… möge dein Hochsitz erneuert werden! 199 [… …]…, dessen Ausspruch unveränderlich ist. 200 Möge [Aja], die große Braut, im Schlafgemach „Habe Ruhe“ zu dir sagen! Kolophon 201–202 [Ta]fel des Nidintu, Sohn von (Nabû-eṭer-napšāti), dem Sohn des Iššakku. [Hand des A]rad-Marduk, nicht fertig. Übersetzung: TUAT.NF 7 (2013) 66 ff (K. Hecker), s. dazu Lambert, BWL2, 126 ff; Seux,
HPDBA, 51 ff; Reiner, Akkadische Literatur, 182 ff; dies., Poetry, 68 ff und Foster, Muses, 627 ff. Zur Komposition des Hymnus s. Janowski, Rettungsgewißheit, 37 ff (im Anschluss an G. R. Castellino).
Q 72: Gebetsbeschwörung JCS 21,2–7.9 f (vgl. oben 264.302.306.353) Licht und Finsternis gehören zu den „Ordnungsformen“, die für die soziale und religiöse Konstruktion der Wirklichkeit konstitutiv sind (s. dazu oben 134 ff ). Als Beispiel sei die Gebetsbeschwörung JCS 21,2–7.9 f aus dem 1. Jt. v. Chr. zitiert, die u. a. aus einem Gebet des Beschwörungspriesters (Z. 1–59) und des Königs (Z. 86–101) besteht (s. Q 90). Das Gebet des Königs ist nach Z. 86–90 an den Gott gerichtet, der als „Richter des Himmels und der Erde“ (Z. 86) die Finsternis vertreibt und das Licht spendet. Dieser Licht/Finsternis-Gegensatz wird noch deutlicher im Gebet des Beschwörers, denn hier wird in mythologischer Sprache auf die Epiphanie des Sonnengottes Šamaš Bezug genommen, der am Morgen als himmlischer Richter am Osthorizont erscheint, während Menschen und Tiere (!) auf ihn warten: 1 Beschwörung: Šamaš, wenn du aus dem großen Berg heraustrittst, 2 wenn du aus dem großen Berg, dem Berg der Quelltiefe heraustrittst, 3 wenn du aus dem Duku,* wo die Geschicke bestimmt werden, heraustrittst, 4 wenn du zu der Stelle, wo Himmel und Erde zusammentreffen, aus des Himmels Grund heraustrittst, 5 dann treten die großen Götter zum Gericht zu dir hin, 6 treten die Anunnaki (sc. die unterirdischen Götter) zum Fällen der Entscheidung zu dir hin. 7 Die Menschen, die Leute insgesamt harren auf dich, 8 das Getier, das sich regt, das vierfüßige, 9 hält auf dein großes Licht seine Augen gerichtet. * Zur Bedeutung des Begriffs „Duku“ Der duku/du6.ku „reiner, heiliger Hügel“ (Z. 3) ist ein kosmischer Ort, der nach der mythischen Geographie Mesopotamiens als Sitz der Götter im östlichen Randgebirge Babyloniens lag – dort, wo die Sonne aufgeht, s. dazu Janowski, aaO 42 Anm. 115 und Horowitz, Geography, 315 f u. ö. Übersetzung: Borger, bīt rimki, 13, vgl. Janowski, Rettungsgewißheit, 41 f.83 f (mit weiterer
Lit.).
576 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Abb. 140: Šamaš steigt am Morgen aus dem Gebirge des östlichen Horizonts empor (Rollsiegel, ca. 2200 v. Chr.)
Abb. 141: Šamaš verurteilt einen löwenköpfigen Dämon (Rollsiegel, Ende 3. Jt. v. Chr.) Der zitierte Passus enthält in Z. 5 (dīnu) und Z. 6 (purussû) zwei der Termini, mit denen auch in anderen Šamaš-Texten das Rechtshandeln des Sonnengottes ausgedrückt wird. Seit der Akkadzeit (2370–2190 v. Chr.) ist dieses kosmische Geschehen in der mesopotamischen Siegelkunst in immer neuen Varianten dargestellt worden. So zeigt das berühmte Siegel des Adda (Abb. 140), wie der Sonnengott aus dem Gebirge des östlichen Horizonts emporsteigt, die bewachten Himmelstore durchschreitet und so den neuen Tag heraufführt. Der Zusammenhang zwischen Epiphanie und Gericht besagt, dass – wie das Gebet des Beschwörungspriesters JCS 21,2–7, Z. 1–59 (s. Q 90) präzisiert – der Sonnengott, wenn er als Richter (Z. 11.14 f ) aus den östlichen Horizontbergen heraustritt, alle diejenigen „belebt“ (balāṭu D Z. 39) und ihnen „zum Recht verhilft“ (dīna danû, purussâ parāsu Z. 44, vgl. ešēru Št Z. 40), die durch böse Machenschaften oder dämonische Bedrohungen dem Tod nahe sind. Auch dieses Geschehen wird in der akkadzeitlichen Glyptik dargestellt, und zwar als Kampf des Strahlengottes mit einem anderen Gott und als prozessuale Vor-
Q 73: Vasallenvertrag Asarhaddons mit medischen Fürsten 577
führung eines gefangenen löwenköpfigen Dämons vor Šamaš (Abb. 141), der als himmlischer Richter auf seinem Bergthron sitzt und das Urteil fällt.
Abb. 142: Der Sonnengott hält Gericht (Rollsiegel, um 2250 v. Chr.) Dass diese Motivtradition in Jerusalem bekannt gewesen ist, belegt das akkadzeitliche Rollsiegel aus Jerusalem (Abb. 142), das in einem Grab des 7. Jh.s v. Chr. an der Mamillastraße gefunden wurde. Es zeigt den Sonnengott, der am Morgen auf seinem himmlischen Thron zu Gericht sitzt und dabei von zwei Dienern flankiert wird. Es ist das einzige akkadzeitliche Rollsiegel, das bisher in Palästina/Israel entdeckt wurde. Literatur: Keel, Geschichte Jerusalems, 273 ff u. ö.; ders./Schroer, Schöpfung, 77 ff; GGG6,
282 ff.392 ff; Janowski, Rettungsgewissheit, 30 ff.98 ff.112 ff.174 ff; ders., Sonnengott, 192 ff; ders., Hymnen, 210 ff und ders., Anthropologie, 632 f.654 f.
Gefährdungen der Lebenswelt Q 73: Vasallenvertrag Asarhaddons mit medischen Fürsten (vgl. oben 150 f ) Der Vertrag Asarhaddons (681–669 v. Chr.) mit medischen Fürsten (VTE) enthält in § 63 f Formulierungen, die immer wieder mit den Fluchsprüchen in Lev 26,19 f und Dtn 28,23 f in Zusamenhang gebracht werden. „Alles in allem“, so urteilt Chr. Koch, „scheint den drei verglichenen Stellen ein kursierendes Motivgefüge zugrunde zu liegen, dessen Ursprung am ehesten im Westen zu suchen ist. Ein literarisches Abhängigkeitsgefälle legt sich – mit abnehmender Plausibilität – weder von Dtn 28,23 f nach Lev 26,19 f noch von EST § 63 f nach Dtn 28,23 f nahe“ (Koch, Vertrag, 216). Der neuassyr. Passus lautet folgendermaßen: § 63 526 Dito [sc. Wiederholung von Z. 153–157], so mögen alle Götter, die auf dieser Vertragstafel [namentlich genannt sind], 527 euch den Boden so eng machen wie ein Ziegelstein, 528 und euren Boden wie Eisen machen, so dass niemand 529 ihn pflügen kann. § 64 530 So wie aus einem Himmel aus Bronze kein Regen fällt, 531 so mögen Regen und Tau auf eure Felder 532 und eure Fluren nicht kommen; statt Tau 533 möge es in eurem Lande Kohle regnen.
578 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Übersetzung: TUAT 1I/2 (1983) 173 (R. Borger), s. zur Interpretation Steymans, Deutero-
nomium, 284 ff; Koch, Vertrag, 209 ff und Otto, Deuteronomium IV (HThK.AT), 1994 f.
4. Schöpfung und Menschenbild Menschenschöpfung Q 74: Enki und Ninmah (vgl. oben 93) ˘
In Mesopotamien lassen sich zwei Vorstellungen der Menschenschöpfung unterscheiden: zum einen die mit dem Gott Enki/Ea verbundene Vorstellung der formatio (Formung durch eine Schöpfergottheit) und zum anderen die mit dem Gott Enlil verbundene Vorstellung der emersio (Hervorgehen aus der Erde, s. dazu das Lied von der Hacke Q 51). Der sumerisch abgefasste Mythos Enki und Ninmaḫ (Anfang des 2. Jt.s v. Chr.) gehört zu den bekanntesten Textzeugen der Enki/Ea-Theologie und ihrer formatio-Konzeption. Nach einer Einleitung mit kosmogonischen und theogonischen Themen konstatiert der Text, dass in den „weit zurückliegenden Tagen“ eine niedere Gruppe von Göttern Fronarbeit leisten musste, weil der Mensch noch nicht geschaffen war. Während Enki sich in seinem Gemach ausruhte, tritt die Muttergöttin Nammu in Aktion und spricht zu ihrem Sohn die folgenden Worte: Da brachte Namma, die Mutter, die allem vorangeht, die Gebärerin der zahlreichen Götter,
die Tränen der Götter zu ihrem Sohne,
(sprach): „Es ist (so:) [Nachdem] du dich wegen ihr hingelegt hast, nachdem du wegen ihr eingeschlafen bist, 20 [wirst du sel]bst [… …] aufstehen:
Die [G]ötter, die ich mit der Hand erschaffen habe, schlägt man auf ihr Fleisch! Mein Sohn, stehe auf von deinem Lager! Nachdem du mit Hilfe deiner Ein[sicht] Fähigkeit gesucht hast,
mögen sie, nachdem [du] Arbeitsvertreter der Götter gebildet ha[st], ihre ter-ḫum(-Gefäße) loswerden!
Enki erhob sich ⟨auf⟩ das Wort seiner Mutter von seinem Lager,
25 der Gott [sch]lug im Chalanku, seinem ⟨Raum-Überlegung⟩, mit den flachen Händen auf die Schenkel,
der Weise (und) Wissende, der weise Betreuer Hi[mmels (und) der Er]de, der Schöpfer (und) Bildner von allem, ließ den SIG7-en (und) den SIG7-šár zum Vorschein kommen,
Enki brachte seinen Arm an sie (heran), xxxx
Dann übergibt Enki der Muttergöttin Nammu das ‚Menschen-Modell‘ (so die Deutung des Begriffs SIG7-en SIG7-šár durch Römer, aaO 390 zu Z. 26) und erteilt ihr den Auftrag, dieses Modell durch Geburt zum Leben zu bringen: Enki spricht, nachdem er das Wesen der von ihm selbst (geschaffenen) Schöpfung und Bildung hatte im Sinne liegen lassen, zu seiner Mutter Namma: 30 „Meine! Mutter, binde an die Schöpfung, die du geschaffen hast,
Q 75: Atram-h˘asīs I 579
den Frondienst der Götter! Nachdem du das Innere des fruchtbaren Lehms des Abzu gemischt hast,
werden der SIG7-en und der SIG7-šár den Lehm abkneifen. Nachdem du Gliedmaßen hast daran vorhanden sein lassen,
möge Ninmach deine Genossin machen,
mögen Ninimma, Schuzianna, Ninmada, Ninschara, Ninbara,
35 Ninmug, Dududuch (und) Ereschguna
für dich bei deinem Gebären diensttun,
meine Mutter, nachdem du das Schicksal davon bestimmt hast, möge Ninmach (daran) ihren Frondienst binden!“ Übersetzung: TUAT 3/3 (1993) 389 ff (W. H.Ph. Römer). Zur Interpretation s. noch Petti-
nato, Menschenbild, 39 f.69 ff; Dietrich, Menschenschöpfung, 24 ff; Wilcke, Anfänge, 29 ff u. a. Der Text ist an mehreren Stellen schwierig zu verstehen und wird z. T. auch anders gelesen. So ist in Z. 26.28.30 nach Wilcke, aaO 30 vom Monatsblut der Muttergöttin bzw. vom Blut von Nabelschnüren die Rede, das dem Lehm beigemischt wird, s. dazu auch Zgoll, Welt, 41.
Q 75: Atram-hasīs I (vgl. oben 93 f ) ˘
Nach der altbabylonischen Fassung des Atram-ḫasīs-Epos I 189–248 wird der erste Mensch aus der Substanz Lehm und dem Fleisch und Blut eines geschlachteten Gottes geschaffen (I 198 ff ). Der Text lautet folgendermaßen: Es sitzt da [Belet-ili, der Mutter]leib. 190 „Der Mutterleib lasse fallen und erschaffe, dann soll der Mensch den Tragkorb des Gottes tragen!“ Sie (sc. die großen Götter) riefen die Göttin, fragten die Hebamme der Götter, die weise Mami: „Du bist der Mutterleib, der die Menschheit erschafft; 195 erschaffe den Urmenschen, dass er das Joch auf sich nehme! Er nehme das Joch auf sich, das Werk des Enlil; den Tragkorb des Gottes trage der Mensch!“ Nintu tat ihren Mund auf und sprach zu den großen Göttern: 200 „Mit mir (allein) ist es nicht zweckvoll, (etwas) zu tun; nur mit Enki zusammen gibt es ein Werk! Er nur reinigt Jegliches; er gebe mir den Lehm, dann will ich es tun!“ Enki tat seinen Mund auf 205 und sprach zu den großen Göttern: „Am Monatsersten, am siebenten und dem fünfzehnten Tage will ich die Reinigung veranstalten, ein Baden. Einen Gott soll man schlachten, dann mögen sich die Götter durch Eintauchen reinigen! 210 Mit seinem Fleisch und seinem Blut möge Nintu den Lehm überschütten;
580 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike der Gott und der Mensch mögen beschmiert werden gemeinsam mit Lehm! Für alle zukünftigen Tage wollen wir die Pauke hören; 215 aus dem Fleisch des Gottes werde Edimmu! Den Lebenden lasse er kennen sein Zeichen, dann werde, um nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, Edimmu! In der Versammlung antworteten ein Ja die großen Anunna, 220 die die Schicksale betreuen. Am Monatsersten, am siebenten und dem fünfzehnten Tage veranstaltete er die Reinigung, das Baden. Geschtuʾe, den Gott, dem Planungsfähigkeit eignet, schlachteten sie in ihrer Versammlung. 225 Mit seinem Fleisch und seinem Blut überschüttete Nintu den Lehm. Für all die zukünf[tigen Tage … … …] [wurde nun] aus dem Fleisch der Götter Edi[mmu]. Den Lebenden mit seinem Zeichen machte er [bekannt]; 230 um nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, [trat ins Dasein] Edimmu. Als beide diesen Lehm überschüttet hatten, rief er die Anunna, die großen Götter. Die Igigu, die großen Götter, spieen Speichel auf den Lehm. 235 Mami tat ihren Mund auf und sprach zu den großen Göttern: „[Das] Werk hattet ihr mir befohlen, daher vollendete ich (es), den Gott habt ihr geschlachtet mit seiner Planungsfähigkeit. 240 Eure schwere Mühsal schaffte ich damit ab; euren Tragkorb legte ich den Menschen auf ! Ihr habt darauf der Menschheit Geschrei beschert; ich habe den Halsring gelöst, Lastenbefrei[ung bewirkt].“ Sie hörten diese [ihre (der Mami)] Rede, 245 liefen allenthalben hinzu, küss[ten ihre Füße]: „Früher pflegten wir dich Mami zu nennen, nun aber sei ‚Herrin aller Götter‘ dein Name!“ Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 623 f (W. von Soden). Zur Interpretation s. noch Pettinato,
Menschenbild, 42 f.45 f.102 f; Dietrich, Dichotomie, 22 ff; ders., Geburtsritual, 28 ff.38 ff; Wilcke, Weltuntergang, 71 f; Zgoll, Welt, 42 ff und Janowski, Anthropologie, 598 ff.
Q 76: Enūma eliš VI 1–40.129 f (vgl. oben 93 f ) Während der Mensch nach Atram-ḫasīs I 198 ff aus dem Lehm und dem Fleisch und Blut eines geschlachteten Gottes geschaffen wird (s. Q 75), wird der lullû-Mensch in Enūma eliš VI 1–40 aus göttlichem Blut erschaffen:
Q 76: Enūma eliš VI 1–40.129 f 581
1 Als Marduk die Rede der Götter hörte, trieb ihn sein Herz, kunstvolle Dinge zu schaffen. Er tat seinen Mund auf und sprach zu Ea, was er im Herzen erwogen hatte, gibt er zur Beratung: 5 „Ich will Blut sammeln und Knochen entstehen lassen, Lullû will ich erstehen lassen, sein Name soll ‚Mensch‘ sein! Erschaffen will ich den Lullû, den Menschen, auferlegt sei ihm die Mühsal der Götter, auf dass sie Ruhe haben! Verändern und kunstvoll gestalten will ich die Wege der Götter: 10 Wie einer verehrt, sollen sie zweifach geteilt sein!“ Es antwortete ihm Ea und sprach ein Wort zu ihm, einen Plan, den Göttern Ruhe zu schaffen, trug er ihm vor: „Gegeben werde mir ein bestimmter Bruder von ihnen, dieser werde zerstört, auf dass Menschen geformt werden können! 15 Die großen Götter mögen sich mir versammeln, der Schuldige werde gegeben, sie, sie mögen weiterbestehen!“ Marduk versammelte die großen Götter, gütig befahl er und gab Anweisung. Auf das Auftun seines Mundes achteten die Götter. 20 Der König sprach ein Wort zu den Anunnaki: „Verlässlich war mir fürwahr eure frühere Zusage, sprecht (auch jetzt) verlässliche Worte mit mir! Wer war’s, der den Streit erzeugte, Ti’āmat zur Aufruhr brachte und den Kampf begann? 25 Gegeben werde mir, der den Streit erzeugte, den will ich seine Strafe tragen lassen, ihr aber sitzet in Ruhe!“ Ihm antworteten die Igigi, die großen Götter, dem Lugaldimmerankia, dem König der Götter, ihrem Herrn: „Qingu war’s, der den Streit erzeugte, 30 Ti’āmat zum Aufruhr brachte und den Kampf begann!“ Sie banden ihn und hielten ihn vor Ea fest. Sie legten ihm die Strafe auf und schnitten sein Blut durch. Aus seinem Blut erschuf er die Menschheit, legte (ihr) die Mühsal der Götter auf, die Götter stellte er frei. 35 Nachdem der weise Ea die Menschheit geschaffen, (und) ihr die Mühsal der Götter auferlegt hatte, – dieses Werk ist zum Verstehen ungeeignet, (denn) mit den Künsten des Marduk schuf Nudimmud – teilte Marduk, der König der Götter, 40 die Anunnaki alle oben und unten. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 118 f (K. Hecker), s. dazu auch Pettinato, Menschenbild, 43 f.44 f.106 ff; Wilcke, Weltuntergang, 72; Zgoll, Welt, 46; Lambert, Creation Myths, 111 ff (mit dem Kommentar 478 f ); Gabriel, enūma eliš, 206 ff und Janowski, Anthropologie, 601 f.
In Enūma eliš VI 129 f werden die Menschen als „beatmete Gestalt“ – oder besser: „lebende Gestalt“ – bezeichnet:
582 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Der (sc. Marduk) den Menschen, die er geschaffen hat (banû), der beatmeten Gestalt (šikittu napšu), 130 die Mühsale der Götter auferlegt hat, die zur Ruhe gekommen sind. Übersetzung: Kämmerer/Metzler (Hg.), Enūma eliš, 272, vgl. TUAT.NF 8 (2015) 122 (K. Hecker mit der Übersetzung „beseeltes Wesen“), s. dazu auch Heinrich, Weltschöpfungsmythos, 76 ff (mit dem Kommentar 118 ff ) und Bührer, Anfang, 210 Anm. 202. Zur mesopotamischen Auffassung des Menschen als „Lebewesen“ s. Steinert, Aspekte, 22 ff.
Q 77: KAR 4-Mythos (vgl. oben 93 f ) Nach dem in sum. und akk. Sprache überlieferten KAR 4-Mythos wird der Mensch durch die Vermischung des Fleisches und Blutes zweier Alla-Götter mit Lehm erschaffen. Der Sinn seiner Erschaffung besteht darin, den Göttern die Arbeit abzunehmen: Als Himmel und Erde, die beiden fest gegründeten, getrennt worden (und), die Muttergöttinnen ins Dasein getreten waren, als die Erde errichtet, die Erde erschaffen worden war, setzten sich Anu, Enlil, Schamasch und Ea, die großen Götter, (und) die großen Anunnaki-Götter im erhabenen Hochsitz und unterhielten sich unter s[ich] „Was wollen wir machen, was wollen wir erschaffen?“ (…) Die großen Götter, die anwesend waren, die Anunnaki, die das Schicksal bestimmen, sie alle antworteten Enlil: „Im Uzumua, dem Band von Himmel und Erde, wollen wir die Alla-Gottheiten schlachten (und) aus ihrem Blut die Menschheit erschaffen. Das Arbeitspensum der Götter sei ihr Arbeitspensum! Auf ewige Tage den Grenzgraben festzusetzen, Hacke und Tragkorb in ihre Hand zu legen, die große Wohnung der Götter für einen erhabenen Hochsitz geeignet zu machen, Flur an Flur (zu planen), auf ewige Tage den Grenzgraben festzusetzen, den Deich herzurichten, den Grenzgraben festzusetzen, das Grundstück zu bewässern, Pflanzengedeihen zu lassen, (…) das Feld der Anunnaki wachsen zu lassen, Überfluss im Land zu vermehren, die Feste der Götter vollkommen zu machen, kühles Wasser zu opfern … Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 606 f (K. Hecker), s. dazu auch Pettinato, Menschenbild,
74 ff; Wilcke, Weltuntergang, 72.79 f; Krüger, Mensch, 614; dies., Lob, 292 f und Janowski, Anthropologie, 602.
Q 78: Bildung des Menschen aus Lehm (vgl. oben 35) Neben der Vorstellung, dass der Mensch aus Lehm und Blut geschaffen sei (sog. formatioVorstellung, s. Q 74), gibt es in akk. Texten die Überlieferung von der Erschaffung nur aus Lehm. Diese mit dem Verb karāṣu „abkneifen“ formulierte Schöpfungsart begegnet etwa in der Babylonischen Theodizee Lambert, BWL2 88: 276–280: Narru, der König der Götter, der Schöpfer der zahlreichen (Menschen), der edle Zulummar, der sich den Lehm für sie abgekniffen hat (karāṣu), die Herrin Mami, die Königin, die sie geformt hat. Übersetzung: Pettinato, Menschenbild, 41 f (mit weiteren Hinweisen), s. dazu auch TUAT
3/1 (1990) 156 (W. von Soden).
Q 80: Herzberuhigungsklage JNES 33, 290,17–24 583
Q 79: Eine frühe Darstellung der Menschenschöpfung (vgl. oben 94)
Abb. 143: Enlil und die Menschenschöpfung (Rollsiegel, akkadzeitl.) Das öfter mit dem Tempelbau in Verbindung gebrachte spätakk. Rollsiegel (Abb. 143) zeigt nach Wiggermann, Landschaft, 113 f offenbar etwas anderes, nämlich „eine Seitenansicht mit dem zentralen Teil des Kosmos, mit Enlil abgebildet als Atlant“ (ders., aaO 113, Enlil ist in der Bildmitte mit erhobenen Armen dargestellt). „Aus den schriftlich überlieferten Mythen“, so Wiggermann weiter, „lernen wir, dass Enlil und die anderen Götter des modernen Kosmos sich vermehrten, Kanäle gruben und Häuser bauten und dass dann die arbeitenden Götter genug hatten von der harten Arbeit, ihre Werkeuge verbrannten und sich bei Enlil beklagten. Enlil entschied sich für eine stellvertretende Arbeitskraft, den Menschen, der von Enki und der Muttergöttin geformt wurde aus Erde und dem Blut des hingerichteten Streikführers. Die Hinrichtung und das Mischwesen aus Erde und Blut sind beide auf dem Siegel zu sehen. Dass auf dem Siegel die Götter selbst bauen, ist ein sicheres Anzeichen dafür, dass wir uns in der Urzeit befinden. Später, nach der Menschenschöpfung, blieb das Bauen von Tempeln die wichtigste Aufgabe des Menschen und das mythologische Fundament für die Fortdauer seiner Existenz“ (ders., aaO 113 f ). Literatur: Wiggermann, Landschaft, 113 f. Zum mythologischen Hintergrund s. Atramḫasīs I 189–248 (Q 75). Zur üblichen Deutung auf die Verbindung von Götterkampf und Tempelbau s. Keel, Bildsymbolik, 154; Janowski, Himmel, 246 f und Schroer/Keel, IPIAO 1, 346 f mit Abb. 248.
Geschöpflichkeit Q 80: Herzberuhigungsklage JNES 33, 290,17–24 (vgl. oben 208) Die Abwendung des persönlichen Gottes bedeutet nach mesopotamischer Auffassung das tiefste Elend, die Bedrohung des individuellen Lebens, dessen Heil an die Gegenwart des persönlichen Gottes gebunden ist. Der folgende Ausschnitt aus einem eršaḫunga-Gebet („Herzberuhigungsklage“) bringt diese Verlassenheitserfahrung mit starken Naturbildern (Wasser, Sturmwind, Nacht) zum Ausdruck:
584 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Wie Wasser weiß ich nicht, wohin ich gehe, wie ein Schiff weiß ich nicht, in welchem Hafen ich anlege. Mein Gott, ich bin gefallen, hilf mir auf ! 20 Ich bin ausgeglitten, fass mich an der Hand! Im stillen Wasser sei mein Ruder, mein Gott, im tiefen Wasser sei meine Stakstange! Lass mich nicht in den Sturmwind fahren, mein Gott, überl[ass mich] nicht der bösen Nach[t]! Übersetzung: Reiner, Literatur, 189, vgl. Janowski, Rettungsgewißheit, 28.58 Anm. 208. Zu den „Herzberuhigungsklagen“ s. die Textauswahl bei Seux, HPDBA, 203 ff und die Übersicht bei Lenzi, Prayers, 43 ff (mit weiterer Lit.).
Q 81: Handerhebungsgebet Ištar 2 (vgl. oben 205.208) Die mesopotamische Gebetsliteratur ist voll von Vergänglichkeitsaussagen. Einschlägig ist etwa das jungbabylonische Handerhebungsgebet (šu-ila) Ištar 2 aus der 1. Hälfte des 1. Jt.s v. Chr., in dem die Not des Beters besonders plastisch durch drei Vergleiche in Z. 62–64 zum Ausdruck gebracht wird: Ich schwanke wie eine Woge, die ein böser Wind aufpeitscht. Es flattert mein Herz, fliegt hin und her wie ein Vogel des Himmels. Klagelaute stoße ich aus wie eine Taube nachts und am Tage. 65 ‚Glühend‘ bin ich und weine laut. Unter Weh und Ach ist schwerkrank mein Gemüt. Ich habe gesehen, meine Herrin, verfinsterte Tage, verdunkelte Monate, Jahre des Kummers. Ich habe gesehen, meine Herrin, (Straf-)Gericht, Verwirrung und Aufruhr. Es hält mich fest Tod (mūtu) und äußerste Pein (šapšāqu). 70 Totenstarr (šuḫarruru) ist mein Schrein, totenstarr (šuḫarruru) ist mein Heiligtum. Über (meinem) Haus, Tor und Flur lastet Totenstille (šaqummatu). Mein Gott – zu einem anderen Ort ist gewandt sein Gesicht. Zerstreut ist meine Sippe, mein Obdach aufgelöst. Übersetzung: Zgoll, Kunst des Betens, 52, s. zur Interpretation dies., aaO 69 ff; Zernecke,
Klage, 169 ff, ferner Janowski, Anthropologie, 606 ff.
5. Schöpfung und Tier- und Pflanzenwelt Kosmische Trauer Q 82: Gilgamesch-Epos VIII 12–20 (vgl. oben 306) Nach der 8. Tafel des Gilgamesch-Epos stimmt Gilgamesch ein Klagelied auf den toten Enkidu an (Z. 1–54). Auch die Tiere, die Pflanzen, die Fluren, und die Menschen von Stadt und Land sollen mit ihm um den toten Freund weinen:
Q 83: Annalen Assurbanipals 585
1 Kaum daß die Morgenröte zu leuchten beginnt, weint Gilgamesch um seinen Freund: „Um deinetwillen, Enkidu, den dich deine Mutter, die Gazelle, den dich auch der Wildesel, dein Vater, umsorgte, 5 um deinetwillen, den dich Onager-Stuten mit ihrer Milch aufzogen, den auch die Herde der Steppe alle Weidegründe kennenlernen ließ, möge die Wege, Enkidu, die des Zedernwaldes, weinen und damit nicht aufhören bei Tag und bei Nacht! Um deinetwillen mögen weinen die Ältesten der sich weit erstreckenden Stadt Uruk, der Hürden(umhegten)! 10 Um deinetwillen möge die Menge weinen, die hinter uns (bleibend) ihren Segen zu geben pflegte! Um deinetwillen mögen weinen die hohen Gipfel von Berg und Gebirge! Es mögen die Fluren klagen, so als seien sie deine Mutter! Um deinetwillen mögen weinen der Buchsbaum, die Zypresse und die Zeder, 15 zwischen denen wir in unserem Wüten immer wieder hindurchgeschlüpft! Um deinetwillen mögen weinen der Bär, die Hyäne, der Panther, der Gepard, der Rothirsch und der Schakal, der Löwe, der Wildstier, der Damhirsch, der Steinbock, das Herdenvieh und die wilden Tiere der Steppe! Um deinetwillen möge weinen der heilige Ulai-Strom, an dessen Ufer wir stolz einherzuwandeln pflegten! Um deinetwillen möge weinen der Euphrat, der reine, 20 dessen Wasser wir immer wieder aus Schläuchen (zum Opfer) ausgossen! Übersetzung: Maul, Gilgamesch-Epos, 111, vgl. TUAT 3/4 (1994) 711 f (K. Hecker) und
Röllig, Gilgamesch-Epos, 89.
6. Schöpfung und Königtum Die Erschaffung des Königs Q 83: Annalen Assurbanipals (vgl. oben 179) In den Annalen Assurbanipals (668–627 v. Chr.) findet sich die Vorstellung, dass der König ein Geschöpf des Gottes Assur und von diesem im Mutterleib geschaffen worden ist. In Kol. I,1–7 des sog. Rassam-Prismas heißt es: Ich bin Aššur-bāni-apli, Geschöpf von Anu und Mullissu, ältester Königssohn des Nachfolgehauses, dessen Namensnennung Assur und Sîn, der Herr der Krone, seit fernen Tagen zur Königsherrschaft ausgesprochen und den sie im Mutterleib zum Hirtentum über das Land Assur erschaffen haben: Šamaš, Adad und Ištar befahlen mit ihrer verlässlichen Entscheidung die Ausübung der Königsherrschaft durch mich. Übersetzung: TUAT 2 (2005) 75 (K. Hecker), s. zur Interpretation Schottroff, Gedenken,
245 f und Hermisson, Deuterojesaja II (BK), 342.
586 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Q 84: Der Mythos von der Erschaffung des Menschen und des Königs (vgl. oben 259) Die in neubabyl. Schrift geschriebene und aus der 1. Hälfte des 1. Jt.s v. Chr. stammende Tafel VAT 17019 berichtet zunächst von der Erschaffung des für die Fronarbeit bestimmten lullû-Menschen und anschließend von der Bildung des māliku-Menschen, d. h. des Königs, der in besonderer Weise als ein Geschöpf der Götter betrachtet wurde: 30′ Ea hub an zu sprechen, indem er an Bēlet-ili das Wort richtete: „Bēlet-ili, die Herrin der großen Götter bist du. Du hast den lullû-Menschen geschaffen: bilde nun den König, den überlegend-entscheidenden Menschen! Mit Gutem umhülle seine ganze Gestalt, 35′ gestalte seine Züge harmonisch, mach schön seinen Leib!“ Da bildete Bēlet-ili den König, den überlegend-entscheidenden Menschen (māliku-amēlu). Es gaben dem König den Kampf die [großen] Götter. Anu gab ihm die Krone, Ellil g[ab ihm den Thron], Nergal gab ihm die Waffen, Ninurta g[ab ihm den gleißenden Glanz], 40′ Bēlet-ili gab [ihm ein schönes Aus]sehen. Anweisung gab Nusku, erteilte Rat und sta[nd ihm zu Diensten]. Wer mit dem König [Lug und Trug] redet, wenn es ein … … ist, [wird er … … Übersetzung: Mayer, Mythos, 57 f (mit dem Kommentar 60 ff.62 ff ), s. zur Interpretation
noch Cancik-Kirschbaum, Menschen, 175 ff; Loretz, Götter, 706 ff; Zgoll, Welt, 53; Salo, Königsideologie, 167 f u. a. – Nach den mesop. Schöpfungsepen Atram-ḫasīs I und Enūma eliš VI sind die Menschen dazu geschaffen, den Göttern die Arbeit (dullum) abzunehmen. So heißt es in Atram-ḫasīs I 189–197: Es sitzt da [Belet-ili, der Mutter]leib. 190 „Der Mutterleib lasse fallen und erschaffe, dann soll der Mensch den Tragkorb des Gottes tragen!“ Sie (sc. die großen Götter) riefen die Göttin, fragten die Hebamme der Götter, die weise Mami: „Du bist der Mutterleib, der die Menschheit erschafft; 195 erschaffe den Urmenschen, dass er das Joch auf sich nehme! Er nehme das Joch auf sich, das Werk des Enlil; den Tragkorb des Gottes trage der Mensch!“
Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 623 (W. von Soden), s. dazu Janowski, Anthropologie,
232.617 (Lit.).
Der König als „Bild Gottes“ Q 85: Siegeshymne auf Tukulti-Ninurta (vgl. oben 64 f ) Während die sum. Religion die Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit noch nicht kennt (s. Angerstorfer, Gottebenbildlichkeit, 7 ff ), ist sie in mittel- und neuassyr. Texten mehr-
Q 85: Siegeshymne auf Tukulti-Ninurta 587
fach belegt. Zwar bieten auch diese Texte keinen Beleg für die Vorstellung, der Mensch sei als Bild eines Gottes erschaffen worden, dafür aber die Auffassung, dass der König – z. T. auch der Beschwörungspriester – das „Ebenbild, Abbild“ (muššulu) oder die „Statue, Figur“ (ṣalmu, vgl. hebr. ṣælæm) sei. Wie bei den ägypt. Vergleichstexten (s. Q 43) ist „mit dem Bild … das in ihm Repräsentierte, besser: Verkörperte, machtvoll und vollgültig anwesend“ (Hartenstein/Moxter, Hermeneutik, 175 [Hartenstein]). Der älteste ṣalmu-Beleg findet sich in einer Siegeshymne auf Tukulti-Ninurta I. (1244– 1208 v. Chr.), die den König als „bleibendes Bild (ṣalmu) des Enlil“ bezeichnet. Wichtig für das Verständnis der Bildaussage ist das enge Verhältnis Tukulti-Ninurtas zu Enlil (Z. 16 f.20: Gottessohnschaft!), das ihn gegenüber seinen Untertanen zur Übernahme der Rolle Enlils legitimiert (Z. 19 f ). Das einzige Tun des „bleibenden Bildes“ Tukulti-Ninurtas ist das Hinhören auf den „Rat des Landes“ (Z. 18), d. h. auf das, was die Leute dem König sagen: 10 Prächtig ist sein Ungestüm, er lässt die [Un]ehrerbietigen vorn und hinten [zu Rauch werden]. Glühend ist seine Aggressivität, sie verbrennt die Ungehorsamen links und rechts. Erschreckend ist sein Glanz (melammu), er wirft alle Feinde nieder. Im Umkreis der vier Winde … fürchten sich alle Könige insgesamt vor ihm immerdar. Wie bei Adad zitterten die Berge bei seinem Brüllen immer wieder. 15 Und wie bei Ninurta gerieten alle Winkel beim Erheben seiner Waffen immer wieder in die Enge. Mit der Bestimmung des Nudimmud (sc. Enkis) ist sein Maß unter die Götterleiber gerechnet. Auf die Entscheidung des Herrn der Länder (sc. Enlils) kam seine ⟨Hinschüttung⟩ durch den Gebärmutterhals der Götter in Ordnung. Er (sc. Tukulti-Ninurta) ist das bleibende Bild des Enlil (ṣalam dEnlil), der den Ausspruch der Leute, den Rat des Landes hört. Er pries ihn dafür mit (seinen) Lippen, dass er auf ihn als den ⟨Vertreter⟩ des Herrn der Länder freundlich geachtet hatte. 20 Enlil wie der leibliche Vater hat ihn nächst seinen erstgeborenen Sohn erhöht. Übersetzung: Chang, Dichtungen, 112 f, s. zur Interpretation noch Podella, Lichtkleid JHWHs, 255 f; Angerstorfer, Ebenbild, 47 ff; Lohfink, Gottesstatue, 39 f; Groß, Statue, 15 ff; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 181 ff und Schellenberg, Mensch, 107 f. – Nach Lohfink, aaO 40 ist für den Vergleich des mittelassyr. Textes mit Gen 1,26 ff „vor allem wichtig, daß genau in dem Text, in dem die ägyptische Vorstellung vom König als der Gottesstatue in den mesopotamischen Raum einzudringen scheint, alles mit einer Schöpfungsaussage verbunden ist“. Einschränkend ist allerdings hinzuzufügen, dass damit „die urgeschichtliche Dimension der priesterschriftlichen Formulierung … jedoch nicht erreicht (ist)“ (Groß, aaO 16), s. dazu auch ders., aaO 17 f.
588 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Q 86: Neuassyrische Bild Gottes-Prädikationen (vgl. oben 64 f.253) Die Hauptbelege der mesop. Bild Gottes-Prädikationen stammen aus neuassyr. Zeit, und zwar aus Briefen von Hofastrologen und Beschwörungspriestern an Asarhaddon (681– 669 v. Chr.) und Assurbanipal (669–629 v. Chr.), z. B.: Brief des Beschwörungspriesters Adad-šumu-uṣur an Asarhaddon Der König, der Herr der Länder (= der Welt), das Bild/die Statue (ṣalmu) des Šamaš (ist) er! (LAS 143,4 = ABL 5 recto 4) Brief des Beschwörungspriesters Adad-šumu-uṣur an Assurbanipal Was (das betrifft, dass) der König, mein Herr (sc. Assurbanipal) mir schrieb: ‚Ich habe gehört aus dem Mund meines Vaters (sc. Assarhaddon), dass ihr eine loyale Familie seid – doch jetzt weiß ich es aus meiner (eigenen) Erfahrung!‘ – – der Vater des Königs, meines Herrn (sc. Assarhaddon), das Bild (ṣalmu) des (Gottes) Bēl (war) er und der König, mein Herr (sc. Assurbanipal) (ist) das Bild (ṣalmu) des (Gottes) Bēl. (LAS 125 = ABL 6) Übersetzung: Angerstorfer, Ebenbild, 50.51, s. zur Interpretation noch Lohfink, Gottes-
statue, 40 f; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 182 ff; Schellenberg, Mensch, 108 ff (mit Hinweis auf weitere Texte) und Janowski, Anthropologie, 622 f (mit dem Zitat des Omentextes RMA 170). – Für einen Vergleich dieser neuassyr. Texte mit Gen 1,26 ff fehlt der Schöpfungsbezug, s. dazu Angerstorfer, aaO 57 f und besonders Schellenberg, aaO 112 f, die überdies eine „funktionale Ähnlichkeit“ zwischen König und Gott zu Recht in Abrede stellt.
Der König als Hüter der Weltordnung Q 87: Hymne Lipiteschtars von Isin (vgl. oben 270.273) In der Hymne Lipiteschtars von Isin (ca. 1934–1924 v. Chr.) Falkenstein/von Soden, SAHG Nr. 28 wird die Regentschaft des Herrschers im Blick auf die Fruchtbarkeit des Landes mit folgenden Worten gepriesen: Der den hohen Hirtenstab führt, das Leben des Landes Sumer bin ich, der Ackersmann, der dort die (hohen) Getreidehaufen hinschüttet, der Hirte, der der Herde Fett und Milch vermehrt, der im Sumpf Fische und Vögel wachsen lässt, der den Wasserläufen dauerndes Wasser in Überfluß bringt, der dem großen Gebirge den üppigen Ertrag steigert, bin ich. Übersetzung: Falkenstein/von Soden, SAHG, 127 (Falkenstein), s. dazu auch Kessler, Gott,
227.
Q 89: Kodex Hammurapi I 27 ff; XLVII 42 ff.84 ff; LVIII 95 ff
589
Q 88: Wandmalerei aus Mari (vgl. oben 270) Die berühmte, 2,5m breite und 1,75m hohe farbige Wandmalerei aus dem Palast von Mari (1810–1794 v. Chr., heute im Louvre; s. Abb. 144) ist ein locus classicus für den Zusammenhang von Fruchtbarkeit/Segen und königlicher Herrschaft. Sie zeigt „einen rechteckigen … Raum, in dem sich eine Dattelpalme mit einer großen Taube in der Krone befinde. Der Hof rahmt zwei weitere, übereinanderliegende Rechtecke ein, die von zwei Bäumen (oder baumähnlichen Emblemen), vier Cheruben und zwei Stieren flankiert sind. Die Stiere stemmen den einen Vorderfuß auf einen Berg. Die beiden Berge sollen wohl andeuten, daß sich das Zentrum des Hofes auf einem Berg befindet. Zum doppelt dargestellten Berg passen die beiden Quellgottheiten im unteren der beiden kleineren Rechtecke. Aus dem Gefäß, das sie halten, eintspringt ein vierarmiger Strom (Vgl. Gen 2,10). Eine stilisierte Pflanze wächst daraus empor“ (Keel, Bildsymbolik, 124.126). Man befindet sich nach dieser Darstellung also an einem besonderen Ort, von dem alles Leben ausströmt. Dessen Zentrum wird von den beiden Rechtecken gebildet, die übereinander angeordnet sind: „… im oberen Rechteck steht die Fruchtbarkeits-, Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar. Die Palme ist ihr Baum und die Taube ihr Vogel. Ihr rechter Fuß ist einem Löwen aufgestemmt. Sie scheint dem König, der grüßend vor sie (rsp. ihr Bild) tritt, Ring und Stab zu überreichen“ (ders., aaO 1269). Literatur: Keel, Bildsymbolik, 124 ff; Schroer, IPIAO 2, 204 f mit Abb. 434; Dietrich,
Psalm 72, 149 f.
Q 89: Kodex Hammurapi I 27 ff; XLVII 42 ff.84 ff; LVIII 95 ff (vgl. oben 19.270.273) Nach mesopotamischer Auffassung verdankt sich die Ordnung der Welt nicht menschlicher, sondern göttlicher Autorität. Es sind die Götter – seit der Akkad-Zeit (um 2350–2150 v. Chr.) vor allem der Sonnengott Utu/Šamaš –, denen das richterliche Walten über die „Beständigkeit, Wahrhaftigkeit“ (kittum) und „Geradheit, Gerechtigkeit“ (mīšaru) der Weltordnung zugeschrieben wird. Das Wirksamwerden von „Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit“ befördern diese durch die Einsetzung des Königs. Schon in den Prologen des Kodex Šulgi (Ende 3. Jt. v. Chr.) und des Kodex Lipit-Ištar (Anfang 2. Jt. v. Chr.) wird unter Verwirklichung von Gerechtigkeit der Schutz des Schwachen vor dem Starken verstanden und das Prinzip der rettenden Gerechtigkeit entsprechend programmatisch formuliert (s. dazu Janowski, Stellvertretung, 58 f ). Ausführlicher ist die Rahmung des Kodex Hammurapi (entstanden in der Regierungszeit Hammurapis von Babylon 1792–1750 v. Chr.), der nach dem Eröffnungssatz des Prologs (KH I 1–49) mit den Urgöttern Anu und Enlil einsetzt und über Marduk, den Stadtgott von Babylon, bis zur Königsherrschaft Hammurapis in Babylon führt: … damals haben mich, Hammurapi, den frommen Fürsten, den Verehrer der Götter, um Gerechtigkeit im Lande sichtbar zu machen, den Bösen und den Schlimmen zu vernichten, den Schwachen vom Starken nicht schädigen zu lassen, dem Sonnengott gleich den „Schwarzköpfigen“ (sc. den Menschen) aufzugehen und das Land zu er-
Abb. 144: Wandmalerei aus dem Palast von Mari (1810–1794 v. Chr.)
590 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Q 89: Kodex Hammurapi I 27 ff; XLVII 42 ff.84 ff; LVIII 95 ff
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Abb. 145: Bildfeld der Hammurapi-Stele (18. Jh. v. Chr.) leuchten, Anu und Enlil, um für das Wohlergehen der Menschen Sorge zu tragen, mit meinem Namen genannt. (KH I 27–49) Und im Epilog (KH XLVII 2–LI 91) heißt es: Ich, der heilbringende Hirte, dessen Stab gerecht ist – mein guter Schatten ist über meine Stadt gebreitet, auf meinem Schoß hielt ich die Einwohner von Sumer und Akkad, von meiner Schutzgöttin geleitet gediehen sie, in Frieden lenkte ich sie, in meiner Weisheit barg ich sie. Damit der Starke den Schwachen nicht schädigt, um der Waise und der Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen (ešēru Št), habe ich Babel, der Stadt, deren Haupt Anu und Enlil erhoben haben, in Esagil, dem Tempel, dessen Grundfesten wie Himmel und Erde fest sind, um dem Lande Recht zu schaffen (dīn mātim ana diānim), um die Entscheidungen des Landes zu fällen, um dem Geschädigten Recht zu verschaffen (ešēru Št), meine überaus wertvollen Worte auf (m)eine Stele geschrieben und vor meiner Statue (namens) ‚König der Gerechtigkeit‘ aufgestellt. (KH XLVII 42–78) Der Sonnengott, der große Richter des Himmels und der Erde, der die Lebewesen recht leitet (ešēru Št). (KH L 14–18, vgl. XLVII 84–86) Hammurapi, der König der Gerechtigkeit“ (šar mīšarim), dem der Sonnengott Beständigkeit (kīnātum) geschenkt hat. (KH LVIII 95–98) In seiner Herrschaft repräsentiert der König somit den Sonnengott. Denn wie Šamaš durch sein Rechtshandeln die kosmische Ordnung aufrechterhält, so bewahrt auch der königliche Hirte durch kīnātum/kittum- und mīšarim-Akte den politisch-sozialen Kosmos vor den Mächten des Chaos. Diese Gott/König-Beziehung fasst die Hammurapi-Stele in eine Szene, wonach Hammurapi als Beter vor dem thronenden Šamaš steht, der ihm die Regalia Ring und Stab übergibt (s. Abb. 145).
592 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 40.76.77.78 (R. Borger), s. dazu auch Janowski, Ret-
tungsgewißheit, 86 ff; ders., Frucht, 177 ff; Lang, Begriff, 55 f und Schroer, IPIAO 2, 284 f mit Abb. 525 (zum Bildfeld der Hammurapi-Stele). Zur Bedeutung von ešēru Št „in Ordnung bringen“ s. Q 92.
Q 90: Ritual- und Gebetsliteratur des 2./1. Jt.s v. Chr. (vgl. oben 19) Dass das Aufrichten der Gerechtigkeit durch den König, der damit Šamaš-Funktionen übernimmt, den Schutz des Schwachen vor dem Starken einschließt, zeigt für Mesopotamien vor allem die Ritual- und Gebetsliteratur des 2. und 1. Jt.s v. Chr. (s. dazu Janowski, Rettungsgewißheit, 68 ff ). Im Folgenden werden dazu zwei Textbeispiele angeführt: Gebetsbeschwörung JCS 21,2–7.9 f Das erste Beispiel ist die Gebetsbeschwörung JCS 21,2–7, Z. 1–59; 9 f, Z. 86–101 aus dem 1.Jt. v. Chr., die in den Kontext des bīt rimki-Rituals gehört und aus zwei Gebeten, einem Gebet des Beschwörungspriesters (Z. 1–59) und einem korrespondierenden Gebet des Königs (Z. 86–101) besteht. In beiden Gebeten werden die Bitteile (Z. 44 ff und 92 ff ) jeweils durch Formulierungen eingeleitet, die dem Bereich des Rechts entstammen und die den Sonnengott in seiner Eigenschaft als Richter und Retter anrufen: Dem König, dem Sohn seines Gottes, schaffe Recht, fälle für ihn die Entscheidung! 45 Vertreibe die unheilvolle Krankheit aus seinem Körper! Gieße reines, lauteres, helles Wasser über ihn aus! Wenn er sich über seinem stellvertretenden Bild mit Wasser wäscht, wenn das Wasser von seinem Körper herabfließt, so mögen der böse utukku, der böse alû, der böse Totengeist, der böse gallû, der böse Gott, der böse Lauerer, 50 die lamaštu, die labaṣu, der Packer, der lilû, die lilītu, das lilû-Mädchen, der böse namtaru, der beschwerliche asakku, die unheilvolle Krankheit vom Körper des Königs, des Sohnes seines Gottes, gleich Wasser herabfließen und aus seinem Körper ausziehen. Šamaš, dessen Machtwort nicht geändert wird, 55 möge an diesem Tag seine Sünde lösen. Die böse Zunge möge zur Seite treten. Tritt an diesem Tag zu meinem Gericht herbei! Erhelle meine Finsternis, kläre meine Trübung auf, beseitige meine Verwirrung! Vom Übel der Zeichen und Omina, 95 vom Zeichnen magischer Kreise, von menschlichen Machenschaften jeglicher Art, die mir widerfahren, rette mich, löse meine Bindung, schenke mir Leben! Übersetzung: Borger, bīt rimki, 13.14, vgl. Janowski, Rettungsgewißheit, 83.93. Zum Licht/ Finsternis-Gegensatz in diesen Texten s. Q 72.
Q 92: Neuassyrische Königsinschriften 593
Handerhebungsgebet Ištar 2 Das zweite Beispiel ist das große Handerhebungsgebet (šu-ila) Ištar 2 aus der 1. Hälfte des 1. Jt.s v. Chr., das sich in eine Invokation (Z. 1–41), ein dreiteiliges Bittgebet (Z. 42–55.56–92.93–100) und eine Benediktion (Z. 101–105) gliedert. Für das Motiv der „geraden Leitung“, das das Handeln der Göttin charakterisiert, ist neben Z. 25 f der Abschluss der Invokation in Z. 40 f zentral, wo vom lebendig machenden Blick der Göttin Ištar die Rede ist: 25 Den Rechtsspruch über die Beherrschten in Recht und Gerechtigkeit (kittu u mīšaru) fällst du, (ja) du, Du blickst auf den Leidenden und Misshandelten, du leitest ihn gerade (ešēru Št) Tag für Tag (vgl. Z. 2) 40 Wo du hinblickst, wird lebendig der Tote (mītu), erhebt sich der Kranke (marṣu). Es wird gerade der Ungerade, wenn er dein Antlitz sieht. Übersetzung: Zgoll, Kunst des Betens, 50.51 (zur Interpretation 72 ff ); Zernecke, Gott,
95.97.105.107, vgl. Seux, HPDBA, 186 ff; TUAT.NF 7 (2013) 85 ff (K. Hecker); Janowski, Selbst, 92 ff. Zur Gebetsgattung šu-ila/šuilla („Handerhebungsgebet“) s. zusammenfassend Lenzi (ed.), Prayers, 24 ff (Chr. Frechette). Zur Bedeutung von ešēru s. Q 92.
Q 91: Neuassyrische Herrschaftsikonographie (vgl. oben 252) Im Nordwestpalast Assurnasirpals II. (883–859 v. Chr.) in Kalach/Nimrud befand sich ein Relief, das die assyr. Königsideologie wirkmächtig ins Bild setzt (s. Abb. 146). Man sieht den kriegführenden König, wie er in einem Streitwagen stehend mit dem gespannten Bogen gegen eine feindliche Staft anstürmt. Über ihm schwebt der sog. „Gott in der Flügelsonne“, der „die Machthandlung des Königs in die götterweltliche Metahistorie verlängert. Siegt Assurnasirpal, so tut er dies in strengem Parallelismus zum Wirken des Gottes: er erweitert die Grenzen Assurs und bezwingt seine Feinde dei gratia“ (Uehlinger, Image, 167). Literatur: Keel, Bildsymbolik, 196 f; Uehlinger, Image, 166 f und Schroer, IPIAO 4, 650.
Zur bildhaften Herrschaftsrepräsentation in Mesopotamien s. den Überblick bei Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 6 ff.
Q 92: Neuassyrische Königsinschriften (vgl. oben 19) Der für den Kodex Hammurapi charakteristische Topos vom „Aufrichten der Gerechtigkeit“ (s. Q 89), der auf die Korrelation von Kosmos und Gesellschaft abzielt, findet sich in elaborierter Form auch in den neuassyr. Königsinschriften. Dies geht beispielhaft aus einer Inschrift des neuassyr. Königs Asarhaddon (681–669 v. Chr.) hervor. „Recht und Gerechtigkeit“ im Sinn einer politisch-sozialen Ordnung, die zu erhalten und wiederher zustellen die Aufgabe des Königs ist, sind, wie dieser Text deutich macht, „nur dann möglich, wenn sie im Einklang stehen mit der Ordnung des Kosmos, wie sie im Schöpfungsakt errichtet wurde“ (Maul, König, 203):
Abb. 146: Assurnasirpal II. stürmt eine feindliche Stadt (Kalach/Nimrud)
594 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Q 93: Tempelbauhymne des Gudea von Lagaš Zyl. A 595
[Sîn und Ša]maš, die Zwillingsgötter, hielten, u[m] einen Rechtsentscheid nach Recht und Gerechtigkeit (dēn kītte u mīšari)* de[m Land] und den Leuten zu schenken, Monat für Monat die Bahn von Recht und Gerechtigkeit ein … * Zur Bedeutung von kittu und mīšaru kittu, abgeleitet von kānum „fest, beständig sein“, bedeutet „das, was feststeht > Wahrheit, Recht“ (s. Maul, König, 202 f ). Das Nomen mīšaru ist von dem Verb ešēru „gerade sein, geradeaus gehen“ abgeleitet und bedeutet „Akt oder Instrument des Geradewerdens“. Der Št-Stamm, mit dem z. B. das Rechtshandeln Hammurapis ausgesagt wird (KH XLVII 62, vgl. V 16; XLVIII 77.82 u. ö., s. Q 89), bedeutet „veranlassen, dass sich etwas in rechter Bahn/in rechter Weise bewegt, in Ordnung bringen“, s. dazu Mayer, „Gebetsbeschwörungen“, 223 f; Janowski, Anthropologie, 606 ff und Lämmerhirt, Wahrheit, 337 ff.397 f.725 ff. Übersetzung: Maul, König, 202, weitere Belege bei Röllig, Gleich, 45.
7. Schöpfung und Kult/Tempel Kosmologische Symbolik des Tempels Q 93: Tempelbauhymne des Gudea von Lagaš Zyl. A (vgl. oben 369) In der Tempelbauhymne des Gudea von Lagaš (ca. 2144–2124 v. Chr.) wird das NingirsuHeiligtums Eninnu in Girsu (Tellō), das vom Text „mein Haus“ genannt wird, als Ort umfassender Segensfülle gepriesen. Zyl. A XI 11 ff spricht von „Überfluß“ (Z. 8 f.11 ff ), von „Wasser“ (Z. 15), von „Olivenüberschuß“ (Z. 16) und von „Wollüberschuß“ (Z. 17): 1 An mein Haus, das führende Haus aller Länder, den rechten Arm von Lagaš,
den im Himmelskreis schreienden Anzu,
Eninnu, an mein Haus des Königtums –
5 rechter Hirte, Gudea, sobald du für mich die rechte Hand daran anlegen wirst, wird vom Himmel feuchter Wind gerufen werden,
vom Himmel soll für dich Überfluß herabkommen.
Das Land soll sich dadurch im Überfluß erstrecken. 10 Zusammen mit der Gründung des Fundaments meines Hauses wird durch dich Überfluß kommen.
Die großen Felder werden ihn für dich erbringen,
Deich und Kanal werden ihn für dich erheben. (Selbst) zu den Anhöhen, auf die (sonst) kein Wasser hinaufsteigt, 15 wird für dich Wasser hinaufsteigen.
In Sumer wird durch dich ein Ölüberschuß ausgeschüttet,
wird durch dich ein Wollüberschuß dargemessen werden. Sobald du meinen Gründungsnagel eingetieft hast,
sobald du die rechte Hand an mein Haus angelegt hast,
20 werde ich zum Gebirge hin, dem Ort an dem der Nordwind wohnt, meinen Fuß auf den Grund setzen.
596 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Der Mann von überragender Stärke, der Nordwind, wird vom Gebirge, dem reinen Ort,
den Wind recht für dich herwehen lassen.
Übersetzung: TUAT.NF 7 (2013) 19 f (S. Paulus), s. auch die Übersetzungen in Falkenstein/ von Soden, SAHG, 148 f (Falkenstein) und Volk (Hg.), Erzählungen, 129 f (W. Heimpel).
Tempel und Gottesgarten Q 94: Gilgamesch IX 170–196 (vgl. oben 108) Nach akk. Vorstellung, wie sie sich in Tafel IX des Gilgamesch-Epos (ninivit. Rezension) niedergeschlagen hat, war der morgendliche Ausgangsort – und ebenso der abendliche Eingangsort – der Sonne (Gilg. IX col. II 3.9) von einem zweigipfligen Gebirge namens Māšu („Zwilling[sberge]“ Gilg. IX col. II 1 f ) versperrt. In dieses mythische Gebirge, dessen „Bergtore“ von zwei Skorpionenmenschen bewacht wurden, gelangte Gilgamesch auf seiner Suche nach dem ewigen Leben, das vor ihm nur der Sintflutheld Utnapištim von den Göttern erhalten hatte. Wenn die Sonne untergeht, passiert sie nicht – wie sie es allmorgendlich tut – die beiden Gipfel, sondern durchquert das Gebirge durch einen endlosen Tunnel. Auf diesem Weg des Sonnengottes tritt als erster und einziger Mensch auch Gilgamesch (Gilg. IX col. III 8 f ) in den Berg Māšu ein (col. IV 46), den er innerhalb von zwölf Doppelstunden zu durchschreiten hat. Neun (oder: zehn) Doppelstunden lang herrscht völlige Finsternis. Dann aber ist das Ende des unterirdischen Wegs nahe, und Gilgamesch gelangt bei der zwölften Doppelstunde in einen märchenhaften Garten, auf dessen Bäumen Edelsteine wachsen: 170 Bei der zwölften Doppelstunde trat Gilgamesch heraus, noch vor der Sonne. Über dem Garten, den er erblickte, lag helles Licht. Auf die glitzernden, bunten Bäume der Götter ging er geradewegs zu, als er sie sah. Ein Karneol-Baum trägt da seine Frucht, er hängt voller Trauben, gar lieblich anzusehen. 175 Ein Lapislazuli-Baum trägt Blätter da. Frucht trägt er, dass eine Lust es ist, ihn zu betrachten. [ ]. 185 Der Zeder Stamm ist ganz aus Tigerauge, ihre blattragenden Äste sind aus schwarz-weißem Streifenachat. [ ]. Aus Meereskoralle sind ihre Nadeln, ihre Zapfen sind aus rötlichem Streifenachat. Anstelle von Dornen und Disteln wachsen darunter Kristalle. Er berührte eine Schote des Johannisbrotbaumes. Sie bestand aus abaschmu-Stein. [ ]. 195 Als Gilgamesch voller Staunen umherging, Da erhob sie (sc. die Schenkin Siduri, vgl. Taf. X 1) ihr Haupt. Zu ihm schaute sie her. Übersetzung: Maul, Gilgamesch-Epos, 123 f (mit dem Kommentrar 178), s. zur Interpreta-
tion noch Kedar-Kopfstein, Art. ʿedæn, 1100 f; Janowski, Rettungsgewissheit, 45 f; Müller, Parallelen, 169 ff; Sallaberger, Gilgamesch-Epos, 16.31; Steymans, Gilgameš-Epos, 17 ff und Körting, Von Edelsteinen, 4 ff.
Q 95: Großkönigliche Gartenanlagen 597
Abb. 147: Relief aus dem Nordpalast Assurbanipals (Ninive, 7. Jh. v. Chr.)
Q 95: Großkönigliche Gartenanlagen (vgl. oben 96 f.365) Ähnliche Szenerien wie in der Gartenmotivik von Gen 2 f finden sich auch in mesop. und ägypt. Texten und Bildern. Einschlägig sind die mit den neuassyr. paradeisos-Anlagen verbundenen Vorstellungen. Es handelt sich dabei um großkönigliche Gartenanlagen mit exotischen Bäumen sowie zahmen und wilden Tieren, die in Mesopotamien seit dem 3. Jt. v. Chr. belegt sind, ihre Blüte aber unter den neuassyr. Sargonidenkönigen (8./7. Jh. v. Chr.) und in pers. Zeit hatten. Als Modelle des geordneten Kosmos sind diese großköniglichen Gartenanlagen Spiegel der von den Assyrerkönigen beherrschten Welt und darum Manifestationen ihres Weltherrschaftsanspruchs. Aufschlussreich für diesen Zusammenhang ist ein Relief aus dem Nordpalast Assurbanipals (ca. 669–630 v. Chr.) in Ninive (s. Abb. 147), das vermutlich die über ein Aquädukt und abzweigende Kanäle bewässerte Gartenanlage seines Großvaters Sanherib (705–681 v. Chr.) darstellt. Der auf einem Hügel gelegene Pavillon oder Tempel mit der Königsstatue, zu dem eine via sacra (mit kleinem Altar) hinaufführt, dürfte ein königliches Privatheiligtum darstellen. Dieser Tempel befindet sich in einer Umgebung, die in zeitgenössischen Texten mit paradiesischen Prädikaten belegt wird. Literatur: Keel, Bildsymbolik, 131 ff; ders., Hohelied (ZBK.AT), 158 ff; Dalley, Nineveh, 45 ff; dies., Gardens, 19 ff, ferner Fauth, Gärtner, 1 ff; Wiseman, Gardens, 137 ff; Margueron, Gärten, 45 ff; Stager, Jerusalem, 185* f; Rüterswörden, Paradiesvorstellung, 1157 f Stordalen, Eden, 81 ff; Dietrich, Paradies, 281 ff und Jericke, Königsgarten, 161 ff.
598 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Q 96: Unterweltsvision eines assyr. Kronprinzen (vgl. oben 96 f ) In der neuassyr. Unterweltsvision eines assyrischen Kronprinzen aus dem 7. Jh. v. Chr. wird die großkönigliche Gartenanlage als „Garten der Fülle“ bezeichnet. In einem „Nachtgesicht“, so der Text, hat der Kronprinz den Totengeist eines Königs gesehen, dem der Gott Assur „das Feiern des heiligen Neujahrsfestes auf dem Felde“ bestimmt hatte, wo, wie Rs. Z. 64 formuliert, „ein Park/Garten der Fülle, das Ebenbild (= Kopie) des Libanon (kirî nuḫši tamšil Labnāna)“ angelegt war:
Dieser [Totengeist], den du in der Erde siehst, ist der des hochgemuten Hirten, dem mein Vater …, der König der Götter, alles sei[nem] Herzen(swunsch) entsprechend gewährt hat; [des …, d]er vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang der Sonne die Länder allzumal wie eine Traglast ausgehalten hat und alles be[herr]schte; [des …, dem] Aššur angesichts seines Priestertums das Feiern des heiligen Neujahrsfestes auf dem Feld, wo ein Park der Fülle, ein Ebenbild des Libanon, … für alle Ewigkeit 65 [bestim]mt hat, und dessen Leib [J]abru Ḫumba (und) Naprušu schützten, dessen Nachkommenschaft sie gesund erhielten, dessen Heer (und) Feldlager sie erretteten, so dass ein Wagenkämpfer ihm [in] der Schlacht nicht zu nahe gekommen ist. Übersetzung: von Soden, Unterweltsvision, 52, vgl. Janowski, Wohnung, 55. Zu weiteren
neuassyrischen Parallelen s. Lipinski, Garden, 358.
𓇼 IV. Kleinasien 1. Weltanfang und Weltende Die Welt vor der Schöpfung Q 97: Hethitisches Ritualfragment (vgl. oben 59) Das heth. Ritualfragment KUB 57.66 Rs. III 16 enthält eine, wohl auf syr. Traditionen zurückgehende Anspielung auf die Schöpfung. Nach Haas, Geschichte, 107 „entstand – ähnlich wie in dem Schöpfungsbericht der Genesis – mit dem Inkrafttreten des Lichtes die Erde aus der uranfänglichen Finsternis“: Die Mondsichel erhob sich, die Finsternis (gebar) die Erde, die Helligkeit gebar die Sterne. Übersetzung: Haas, Geschichte, 107.
Weltschöpfung Q 98: Das Lied von Ullikummi (vgl. oben 59) Kosmogonische Elemente sind in den hurr.-heth. Texten nur am Rande zu finden (vgl. von Schuler, Kleinasien, 183; Wilhelm, Grundzüge, 82.85). Ein wichtiges Zeugnis ist der
Q 99: Der Illujanka-Mythos 599
hurr.-heth. Ullikummi-Mythos (CTH 345, Mitte des 2. Jt.s v. Chr.), der von dem (weiteren) Versuch des entthronten Götterherrschers Kumarbi handelt, den Wettergott Teššup zu besiegen. Dazu zeugt er mit einem riesigen Felsen ein Steinungeheuer namens Ullikummi, das auf dem Gott Upelluri steht, der seinerseits Himmel und Erde trägt. Nach weiteren Episoden, die auf eine Niederlage des Wettergottes hinauszulaufen scheinen, kommt es durch das Eingreifen des Gottes Ea zur Wende. Das Steinungeheuer wird aus der Schulter des Upelluri, aus der es hervorgewachsen ist, mit einer „Säge“ (oder einer Sichel) abgeschnitten, so dass nun Himmel und Erde voneinander getrennt werden können: (40) Upelluri begann zu Ea zu sprechen: (41) „Als man auf mir Himmel und Erde gebaut hatte, (da) ahnte ich nichts. (42) Als sie kamen (und) Himmel und Erde mit einer Riesensäge (voneinander) trennten, (43) (auch) da war ich ohne Ahnung. Nun (44) schmerzt mich die rechte Schulter irgendwie, (aber) ich mag nicht wissen, welcher Gott es ist?“ (45) Nachdem Ea die Worte gehört hatte, (46) drehte er sich um die rechte Schulter des Upelluri. (Da) (47) stand der Dioritriese auf Upelluris rechter Schulter. (48) Ea begann zu den früheren Göttern zu sprechen: „Hört meine Worte, (49) ihr früheren Götter, die ihr euch in alten Zuständen (gut) (50) auskennt! Öffnet nochmals die mütterlichen, väterlichen (und) großväterlichen (51) versiegelten Häuser, (so dass) man das alte väterliche Siegel herausholen kann (52) [und] sie damit erneut öffnen (?) und die uralte Säge (53) herausholen kann, mit der man (einst) Himmel (und) Erde auseinandergetrennt hatte. (54) Die Füße Ullikummis, des Dioritriesen, [soll man (damit)] unten ab[sägen], (55) den Kumarbi gegen die Götter als Widersacher (55) großgezogen hat!“ (CTH 345, 3. Taf., AIII 40–55) Übersetzung: TUAT.Erg, 842 f (A. Ünal), s. auch die Übersetzung in Beyerlin, RTAT2, 174 f (C. Kühne) und zur Interpretation von Schuler, Kleinasien, 204 ff; Wilhelm, Grundzüge, 84 ff; Haas, Berggötter, 149 ff und ders., Geschichte, 136 f.
2. Schöpfung und Chaos Chaoskampf Q 99: Der Illujanka-Mythos (vgl. oben 99 f ) Im Verlauf des altheth. Natur- und Fruchtbarkeitsfestes (purulli-Fest) in der nordanatol. Stadt Nerik wurde möglicherweise – aber das bleibt unklar – der sog. Illujanka-Mythos (CTH 321) rezitiert, um die regenerativen Kräfte des Jahrezyklus zu stärken. In dieser Erzählung spielt der Kampf des Wettergottes gegen den Schlangendrachen llujanka eine zentrale Rolle. Der Text der ersten Version beginnt folgendermaßen: A I 1 [Fol]gendermaßen (spricht) Killa, [der Gesalbte des] Wettergottes von Nerik. (2–3) (Folgendermaßen ist) der Wortlaut des purulli-Festes für den We[ttergott] des Himmels, den (4) man folgendermaßen rezitiert: (5) „Möge es im Lande wachsen (und) gedeihen. Möge das Land (von allem Bösen) (6) geschützt sein; (denn nur) wenn es (7) wächst (und) gedeiht, (dann) (8) feiert man das purulli-Fest. (9) Als der Wettergott und die Schlange Illuyanka (10) in der Stadt Kiškilušša zum Kampf antraten, 11 (da) besiegte die Schlange Illuyanka den Wettergott.“
600 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Darauf bittet der Wettergott alle Götter um Hilfe und fleht sie an. Die Schutzgöttin Inara ergreift die Initaitive und lädt zu einem Festmahl ein, zu dem auch die Schlange Illujanka und ihre Kinder „aus der Grube nach oben“ gerufen werden. Während sie essen und sich betrinken, wird Illujanka mit einem Seil gefesselt und vom Wettergott getötet (B I 17 f ). Übersetzung: TUAT III/4 (1994) 809 f (A. Ünal), s. auch Beyerlin, RTAT2, 179 f (C. Küh-
ne); TUAT.NF 8 (2015) 147 (A. Bauer u. a.) und zur Interpretation Haas, Magie, 109 ff; Hutter, Religionen, 143 f u. a.
3. Schöpfung und Lebenswelt Gefährdungen der Lebenswelt Q 100: Der Telipinu-Mythos (vgl. oben 152.154) Katastrophen kosmischen Ausmaßes werden in der heth. Überlieferung nur im Kontext mythologischer Erzählungen thematisiert. So werden im Telipinu-Mythos (CTH 324) die katstrophalen Folgen geschildert, die das Verschwinden des Gottes Telipinu für die gesamte Natur hatte. Sein Beginn (Z. 1–20) lautet folgendermaßen: (1) Telipinu [ist erzürnt]. (2) ⟨Möge er doch nicht (schon wieder) Schrecken einjagen!⟩ [Er zog seinen rechten Schuh] (3) an seinen linken [Fuß], den linken [Schuh aber zog er an seinen rechten Fuß an] (4) [und verschwand.] (5) Dunst erfüllte die Fenster, Qualm erfüllte das Haus. (6) Auf dem Herd erstickten die Scheite. Auf den Altären (7) erstickten die Götter. Im Pferch ebenso die Schafe, im Stall (8) erstickten die Rinder. Das Mutterschaf lehnte sein Lamm ab, (9) die Kuh lehnte ihr Kalb ab. (10) Telipinu ist fortgegangen. Das Getreide, Fruchtbarkeit der Tiere (?), (11) Fruchtbarkeit (?), Wachstum (?) (und) Sättigung trug er mit sich fort (12) auf das Feld, in die Wiese (und) in die unbewohnte Einöde (?). Telipinu ist fortgegangen; in der Einöde (13) hat er sich hingekauert. Über ihm wuchs Efeu (?). Nun (14) wachsen Getreide (und) Spelt nicht mehr. Rinder, Schafe (und) Menschen (15) werden nicht mehr schwanger; diejenigen (von ihnen), die schwanger werden, vermögen nicht zu gebären. (16) Die Berge vertrockneten, die Bäume vertrockneten, (so dass) keine Knospen (17) (mehr) sprießen. Die Wiesen vertrockneten, die Brunnen vertrockneten, und im Lande (18) entstand Hungersnot. Menschen wie auch Götter gehen am Hunger zugrunde. (19) Der große Sonnengott veranstaltete eine Party und lud dazu ein Tausend Götter ein. Sie aßen, (20) wurden (aber) nicht satt; sie tranken, konnten aber ihren Durst nicht löschen. Übersetzung: TUAT III/4 (1994) 816 (A. Ünal), s. auch Beyerlin, RTAT2, 182 f (C. Kühne); TUAT.NF 8 (2015) 156 (A. Bauer u. a.) und zur Interpretation Haas, Magie, 81 ff; Kruger, World, 62 ff und Klinger, Krankheit, 473 ff.
𓇼
Q 102: Philo von Byblos 601
V. Ugarit und Nordsyrien 1. Weltanfang und Weltende Weltschöpfung Q 101: Kosmogonische Texte in Ugarit? (vgl. oben 59) Die religiösen Texte aus Ugarit enthalten keine Aussagen zur Entstehung des Kosmos, „sondern nur zur Erschaffung und Weitergabe des Lebens. Der Kosmos wird in seiner Vorgegebenheit nicht weiter reflektiert. Auch der Baʿalzyklus (KTU 1.1–6) ist nicht als Kosmogonie konzipiert, vielmehr schildert er Episoden, die in der zeitgenössischen Welt Ugarits spielen“ (TUAT.NF 9 [2020] 241 [H. Niehr], vgl. Pope/Röllig, Syrien, 309; Loretz, Ugarit, 156 ff ). Obwohl El, der höchste Gott des ugarit. Pantheons, den Kosmos nicht erschaffen hat, ist er doch für dessen Erhaltung zuständig. Wie die empirische Wirklichkeit, also die in ihren Grundkonstituenten „Himmel“ und „Erde“ vorgegebene Welt, wahrgenommen wurde, lässt sich an der symbolischen Landschaft Ugarits und ihren markanten Topoi (Berge als Göttersitze, Meer als Bereich Jammus, Unterwelt als Sitz Motus) ablesen, s. Q 4. Literatur: Pope/Röllig, Syrien, 309 f; Gese, Religionen, 97.166 ff; Loretz, Ugarit, 152 ff.156 ff;
Niehr, Religionen, 27.72 ff und Cornelius/Niehr, Götter, 54 ff.
Q 102: Philo von Byblos (vgl. oben 59) In Buch I der Praeparatio evangelica des Euseb von Caesarea (ca. 260–340 v. Chr.) sind im Abschnitt 9,20–10,55 Ausschnitte aus der Phönikischen Geschichte (Φοινικικὴ ἱστορία) des Philo von Byblos (Beginn des 2. Jh.s n.Chr) überliefert, die von diesem als Übersetzung einer Schrift des Sanchunjaton, eines Priesters von Beirut aus der Zeit vor dem trojanischen Krieg, bezeichnet werden. Wie immer man den Quellenwert von Philos Darstellung beurteilt, festzuhalten bleibt, dass bei Philo anders als in Gen 1,1–3 „keine schöpferische Gottheit im Morgengrauen der Geschichte auftritt“ (Bonnet/Niehr, Religionen, 104 [C. Bonnet]). In Philos Darstellung wird die Abfolge der Göttergenerationen und die Machtkämpfe zwischen ihnen mit Erzählmotiven ausgestaltet, die denjenigen in der Theogonie von Hesiod (s. Q 124) ähnlich sind. Der kosmogonische Abschnitt bei Philo lautet folgendermaßen: (10,1) Als Anfang von allem nahm er dunkle und wehende Luft an oder einen Hauch dunkler Luft und schmutziges, finsteres Chaos. Dieser Zustand sei unbegrenzt und habe lange Zeit hindurch kein Ende. Als aber, so sagt er, der Wind sich selbst (= seine eigene Substanz) liebte und eine Vermischung stattfand, da wurde diese Verflechtung Pothos (Erregung, Begehren) genannt. Sie war der Anfang der Schöpfung von allem. Er erkannte aber seine Schöpfung nicht, und aus seiner, des Windes, Verflechtung entstand Mot. (2) Das nennen einige Schlamm, andere Fäulnis wässriger Mischung. Und aus ihr (der Fäulnis) entstand jeder Same der Schöpfung und die Entstehung von allem. Es waren da auch Lebewesen, die keine Wahrnehmungsfähigkeit besaßen; aus ihnen wurden wahrnehmungsfähige Lebewesen, und man nannte sie Zofasemin, d. h. Himmelsbeschauer. Sie waren von eiförmiger Gestalt, und Mot leuchtete auf als Sonne wie als Mond, als Sterne und große Gestirne.
602 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Übersetzung: Ebach, Weltentstehung, 426 f (mit dem Kommentar 22 ff ), s. zur Interpreta-
tion noch Pope/Röllig, Syrien, 307 f.309 f; Kirk u. a., Philosophen, 45 Anm. 29; West, East Face, 283 ff; Niehr, Religionen, 146 f; Bonnet/Niehr, Religionen, 102 ff (C. Bonnet), ferner Zimmermann, Literatur, 85.
2. Schöpfung und Chaos Chaoskampf Q 103: Altsyrisches Rollsiegel (vgl. oben 404)
Abb. 148: Kämpferischer Wettergott (Rollsiegel, 19./18. Jh. v.Chr) Den Kampf des Wettergottes Baʿal gegen Jammu („Meer“) bzw. Litanu kann ein altsyr. Rollsiegel (ca. 1850–1720 v. Chr., s. Abb. 148) veranschaulichen. Dargestellt ist rechts ein kämpferischer Wettergott mit Hörnerkrone, wohl Baʿal, der über zwei Berggipfel schreitet und seinen Speer in den Rachen einer aufgerichteten Schlange, wohl Leviathan (ugarit. ltn < *litānu, vgl. Jes 27,1; Ps 74,14 u. ö., s. dazu Uehlinger, Art. Leviathan, 511 ff ), stößt. Links von ihm steht eine nackte Göttin, die ihre linke Hand schützend über einen stilisierten Lebens-/Weltenbaum hält, auf dessen Spitze die Mondsichel und die Sonnenscheibe aufliegen. Zusammen mit dem achtstrahligen Vernusstern über der Hand der Göttin symbolisieren die astralen Größen die himmlische Sphäre. „Das ganze Gebilde“, so S. Schroer, „dürfte die geordnete Welt verkörpern, deren Bestehen zum einen durch den Schutz der Göttin und zum anderen durch den kämperischen Wettergott garantiert wird, der das Chaos in Gestalt der bedrohlichen Schlange, des Leviathan, erfolgreich bekämpft. Die Schlange symbolisiert die Wasserfluten, die der Wettergott unter Kontrolle bringt. Die Beziehung von Göttin und Gott gibt somit Himmel und Erde Bestand“ (Schroer, IPIAO 2, 246). Literatur: Keel, Bildsymbolik, 42 f; ders./Schroer, Schöpfung, 53 Abb. 20.
Q 106: Kirta-Epos KTU 1.16 III 1–17 603
3. Schöpfung und Lebenswelt Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft Q 104: Baʿal-Zyklus KTU 1.3 (vgl. oben 434) In KTU 1.3 III 20–31, einem einzigartigen Text des Baʿal-Zyklus, der in KTU 1.3 IV 13–20 wiederholt wird, werden in einer Rede Baʿals an seine Schwester ʿAnat klassische Manifestationen der Natur (Himmel, Firmament, Meerestiefe, Sterne, Bäume, Steine, Erde, Blitz, Donner) genannt, deren „Wort“, „Spruch“ und „Geflüster“ zwar als ein den Menschen („Menge der Erde“) unverständliches Naturereignis dargestellt wird, was aber den inneren Zusammenhang der kosmischen Ordnung ausmacht. Das Wissen um diesen Zusammenhang qualifiziert Baʿal als „den für das Gelingen dieser kosmisch-natürlichen Ordnung kompetenten Gott“ aus (Grund, Himmel, 147): Denn ein Wort (21) habe ich und werde es dir sagen, (22) einen Spruch und werde ihn dir wiederholen:
Das Wort (23) des Baumes und das Geflüster des Steines, (24) das Geflüster des Himmels mit der Erde,
(25) der tiefen Flut mit den Sternen.
(26) Ich verstehe den Blitz, den nicht kennt der Himmel, (27) den Donner, den nicht kennen die Menschen
und nicht versteht (28) die Menge der Erde.
Komm und ich (29) werde (es) offenbaren
inmitten meines Berges, des göttlichen Ṣaphon, (30) im Heiligtum auf dem Berg meines Erbsitzes,
(31) in der Lieblichkeit, auf dem Hügel des Sieges. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 205 f (H. Niehr), s. auch die Übersetzungen TUAT III/2 (1995–2001) 1141 f (M. Dietrich/O. Loretz); Loretz, Ugarit, 171 (mit dem Kommentar 171 f ) und zur Interpretation noch Grund, Himmel, 145 ff.
Schöpferisches Wirken Gottes/der Götter Q 105: Die Sonnengöttin Šapš und der Wettergott Baʿal Als Beispiel für das schöpferische Wirken der ugarit. Götter kann zum einen die Rolle der Sonnengöttin Šapš (s. Q 4; 103) und zum anderen der Wettergott Baʿal als der für das Gelingen der kosmischen Ordnung kompetente Gott (s. Q 104) angeführt werden.
Q 106: Kirta-Epos KTU 1.16 III 1–17 (vgl. oben 97) Nach dem ugarit. Kirta-Epos KTU 1.16 III 1–17 wird „angesichts von Dürre und Not im Lande … von einer unbekannten Person, vermutlich einem Beschwörungsspezialisten, ein Akt sympathetischer Magie vollzogen sowie ein Gott mit der Bitte um Hilfe angesprochen“ (TUAT.NF 8 2015, 262 [H. Niehr]). Der Text ist für das Thema „Baʿal als Regenspender“ wichtig:
604 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 1 Er goß Öl in eine Schale und er spra(2)ch: „Durchziehe Erde und Himmel!
Wende dich zu den Enden des Landes, schau zum Ende des Fruchtlandes. 5 Für die Erde sei der Regen des Baʿal, und für das Feld der Regen des Höchsten.
Angenehm sei für das Land der Regen des Baʿal,
und für das Feld der Regen des Höchsten.
Angenehm sei er für den Weizen in der Furche,
10 im gepflügten Land wie Spezereien,
auf den Furchen wie eine Krone“.
Es erhoben die Pflüger ihr Haupt zur Höhe (schauten) die Diener des Dagan.
Zur Neige gegangen war das Brot in ihren Vorratsräumen, zur Neige gegangen war (15) der Wein in ihren Schläuchen, zu[r N]eige gegangen war das Öl in ihren K[rügen]. Das Haus des Kirta [ ]. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015), 262 (N. Niehr), s. dazu und zum Thema „Tau und Regen“ in den Texten von Ugarit Loretz, Ugarit, 161 ff. Schroer, Psalm 65, 292 ff und Hossfeld/ Zenger, Psalmen II (HTHK.AT), 64 f (Hossfeld) verstehen KTU 1.16 III 1–17 als Sachparallele von Ps 65,10–14, s. dazu aber oben 97 Anm. 49.
Q 107: Weihinschrift des Jehawmilk von Byblos (vgl. oben 143) ˙
Auf der 113 cm hohen und 56 cm breiten Kalksteinstele des Königs Jeḥawmilk von Byblos aus dem 5./4. Jh. v. Chr. befindet sich unterhalb des Reliefs mit einer Audienzszene – sie zeigt die thronende „Herrin von Byblos“ in Gestalt der ägypt. Hathor und vor ihr den bittenden König (s. Abb. 149, vgl. Abb. 34) – eine 16-zeilige, z. T. zerstörte Weihinschrift, die u. a. für das Thema „Segen“ von Interesse ist (Z. 8 ff ). Bezieht man die Audienzszene im Bogenfeld der Stele in die Deutung mit ein, so ergibt sich ein „sichtbare(r) Sinnzusammenhang von Textzeugnis und ikonographischer Konstellation“ (Hartenstein, Angesicht, 118 [H. i. O.], vgl. Leuenberger, Segen 1, 19). Inhaltlich konkretisiert wird der Segen (Z. 8) durch die Bitten um ein intensives und langes Leben (Z. 9) sowie um die Verleihung von Gnade (Z. 10). Z. 1–10 der Inschrift lauten folgendermaßen: (1) Ich bin Jehawmilk, der König von Byblos, der Sohn Ji[har]baals, der Enkel Urimilks, des/r Königs/e von (2) Byblos: Mich machte die Gebieterin, die „Herrin von Byblos“, zum König über Byblos. Ich rief (3) zu meiner Gebieterin, der „Herrin von Byblos“, da [erhörte sie] meinen Ruf; und ich fertigte für meine Gebieterin, die „Herrin von (4) Byblos“, diesen Bronzealtar, der in diesem meinem [Hof ] steht, dieses goldene Tor (5) gegenüber diesem meinem Tor, die goldene Flügelsonne mitten auf dem Stein über diesem goldenen Tor, (6) diese Säulenhalle, ihre Säulen, die Kapitelle auf ihnen und ihr Dach. Ich fertigte (das alles), (7) Jehawmilk, der König von Byblos, für meine Gebieterin, die „Herrin von Byblos“. Als ich zu meiner Gebieterin rief, (8) der „Herrin von Byblos“, da erhörte sie meinen Ruf und schuf mir Frieden (nʿm). Es segne (brk) die „Herrin von Byblos“ Jehawmilk, (9) den König von Byblos, sie belebe (ḥwh) ihn und mehre (ʾrk, wörtl.: mach lang) seine Tage und seine Jahre über Byblos, denn er ist ein
Q 108: Menschenschöpfung in Ugarit? 605
Abb. 149: Kalksteinstele des Jeḥawmilk von Byblos (5./4. Jh. v. Chr.) gerechter König! Es verleihe ihm (10) [die Gebieterin, die „Her]rin von Byblos“, Gnade (ḥn) in den Augen der Götter und in den Augen des Volkes dieses Landes. (…) Übersetzung: TUAT II/4 (1988) 587 f (Chr. Butterweck), s. dazu die Interpretation von Har-
tenstein, Angesicht, 114 ff.116 ff; Leuenberger, Segenstheologien, 17 ff und Liess, Weg, 284.
4. Schöpfung und Menschenbild Menschenschöpfung Q 108: Menschenschöpfung in Ugarit? (vgl. oben 94) In den ugarit. Texten wird El „Schöpfer der Geschöpfe“ (bny bnwt KTU 1.4 II 11; III 32; 1.6 III 5.11; 1.17 I 24) und „Vater der Menschen“ (ab adm KTU 1.14 I 37.43) genannt. Der Vorgang der Menschenschöpfung wird allerdings nicht dargestellt, es sei denn, der zum Kirta-Epos gehörende Textabschnitt KTU 1.16 V 28–32 würde einen solchen Vorgang schildern. Er erzählt davon, dass El eine weibliche Gestalt aus Lehm formt und ihr Leben verleiht, um durch sie den erkrankten König Kirta zu heilen. In der Übersetzung (und philologischen Rekonstruktion) von J. Tropper lautet der Text folgendermaßen:
606 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Mit den (beiden) Handflächen knetete er (sc. El) [Lehm]. Den besten Lehm [nahm er fürwahr,] er kniff ab (die Lehmmasse) aus der Lehmgrube ……………………… … (eine weibliche Gestalt) entstand (?) … … … (sie) entstand (?) (…). Demgegenüber übersetzt H. Niehr den Passus wie folgt: Er füllte seine Handfläche (29) mit gutem Ton, Lehm kniff er ab. (30) Die in der Versammlung [ ]r. Übersetzung: Tropper, Schöpfungsakt, 26 ff; TUAT.NF 8 (2015) 264 (H. Niehr), s. dazu
auch Loretz, Ugarit, 66 und Niehr, Religionen, 27.
5. Schöpfung und Königtum Die Erschaffung des Königs Q 109: Kirta-Epos KTU 1.16 I 11–23 (vgl. oben 255) Nach dem ugarit. Kirta-Epos KTU 1.16 hatte König Kirta einen sterblichen, also menschlichen, und als Sohn des Gottes El einen unsterblichen Körper. In der Klage seines Sohnes Ilḥu über Kirta heißt es in KTU 1.16 I 11–23: Zu (12) seinem Vater trat er ein,
er weinte (13) und knirschte mit den Zähnen
und sprach, (14) wobei er weinte:
„Über dein Leben, unser Vater, freuen wir uns, (15) deine Unsterblichkeit bejubeln wir.
Wie ein Hund (16) in deinem Haus jaulen wir,
wie ein Welpe (17) an der Opfergrube deines Totenheiligtums. Aber, Vater, wirst du wie die Menschen (18) sterben?
Wehe, dein Totenheiligtum wird (19) zur Klage, (zum) Klagelied einer Frau, oh Vater, die Höhe!
(20) Wie kann man sagen: Ein Sohn Els ist (21) Kirta,
ein Sproß des Scharfsinnigen (22) und Heiligen?
Wehe, es sterben Götter,
(23) der Sproß des Klugen lebt nicht mehr!“ Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 259 (H. Niehr), s. zur Interpretation Loretz, Götter, 556 ff;
Müller, Herrschaftslegitimation, 201 f; Salo, Königsideologie, 136 und Kühn, Körper, 76 f.
Der König als „Bild Gottes“ Q 110: Die Beterstatue vom Tell Fekherīje (vgl. oben 64 f.253) Die aram.-assyr. Bilingue auf der Beterstatue vom Tell Fekherīje/Guzana aus der 1. Hälfte des 9. Jh.s v. Chr. enthält die beiden aram. Bildtermini dmwtʾ (Z. 1.15) und ṣlm (Z. 12.16),
Q 111: Yasna 44,3–5 607
die gegenüber der Interpretation von Dohmen, Statue, 20 ff eine synonyme Bedeutung haben dürften. Von der 23 Zeilen umfassenden Inschrift (KAI 309) seien die ersten 16 Zeilen zitiert: (1) Die Statue (dmwtʾ) des Haddayisi, welches er errichtet hat vor Hadadsikani, (2) dem Kanalinspektor von Himmel und Erde, der ausgießt Reichtum und gibt Weideland (3) und Tränke allen Ländern und gibt Opferkorb und Libationsgefäß (4) allen Göttern, seinen Brüdern, dem Kanalinspektor aller Flüsse, der erblühen lässt (5) alle Länder, dem barmherzigen Gott, zu dem das Beten gut ist, der thront (6) (in) Sikani, dem großen Herrn, seinem Herrn: Haddayisi, der König von Guzana, der Sohn (7) des Sesnuri, des Königs von Guzana, hat für seine Lebenskraft und für die Länge seiner Tage (8) und für den Reichtum seiner Jahre und für das Wohlergehen seines Hauses und für das Wohlergehen seiner Nachkommenschaft und für das Wohlergehen (9) seiner Leute und für das Verschwinden der Krankheit von ihm, und um zu erhören sein Gebet und um anzu(10)nehmen das Wort seines Mundes, (sie) errichtet und ihm gegeben. Und wer hiernach (11) (sie) wegnimmt, um sie neu zu errichten, der soll seinen Namen darauf setzen. Und wer tilgt meinen Namen von ihr (12) und setzt seinen Namen (darauf ): Der starke Hadad soll sein Gegner sein. Statue (ṣlm) des Haddayisi, (13) des Königs von Guzana und von Sikani und Azran. Für die Erhaltung seines Thrones (14) und für die Länge seines Lebens und dass das Wort seines Mundes bei Göttern und bei Menschen (15) gut sei, hat er dieses Bild (dmwtʾ) gemacht größer als das vorherige. Vor Hadad, (16), der in Sikani wohnt, dem Herrn des Khabur, hat er sein Bild (ṣlm) errichtet. (…) Übersetzung: Bonnet/Niehr, Religionen, 225 (H. Niehr, mit dem Kommentar 224 ff ), s.
auch die Übersetzung in TUAT 1 (1982–1985) 636 f (W. C. Delsman) und zur Interpretation Schüle, Prolog, 89 f; ders., Image, 14 ff; Schellenberg, Mensch, 126 Anm. 496; Bührer, Anfang, 342 Anm. 335 und Kühn, Körper, 315 Anm. 588.
𓇼 VI. Iran 1. Weltanfang und Weltende Weltschöpfung Q 111: Yasna 44,3–5 (vgl. oben 133) Der Hauptteil des Awesta, in dem die Grundgedanken der Lehre Zarathustras niedergelegt sind, ist der aus 72 Kapiteln bestehende liturgische Text Yasna („Verehrung“), s. dazu Hutter, Religionen, 184 ff und Haas/Koch, Religionen, 82 ff (Koch). Innerhalb des ältesten Teils des Awesta, der auf Zarathustra selbst zurückgeführt wird, finden sich Aussagen über den einen Gott Ahuramazda, der als „Schöpfer des Göttlichen Rechts“ bekannt wird. Berühmt ist der viel zitierte Abschnitt Yasna 44,3–5: Wer ist der Schöpfer, der Urvater des Göttlichen Rechts? Wer bestimmte den Weg von Sonne und Sternen? Wer lässt den Mond bald zu- und bald abnehmen? … Wer hält die Erde unten und die Himmelsgewölbe, dass sie nicht herabstürzen? Wer (erhält)
608 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Wasser und Pflanzen? Wer band dem Winde und Wolken die schnellen Gespanne vor? … Wer ist der Meister, der sowohl Licht wie Dunkelheit schuf ? Wer ist der Meister, der sowohl den Schlaf als auch das Wachen schuf ? Wer ist es, durch den Morgenröte mit Mittag und Abend sind, die den Verständigen an seine Pflicht erinnern? Übersetzung: Hass/Koch, Religionen, 88 f (H. Koch), s. dazu auch Lanczkowski, Art. Re-
ligionen, 251; Hutter, Religionen, 213 ff; Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 262 ff und Hartenstein, JHWH, 399.
Weltuntergangsszenarien Q 112: Yasna 45,2 (vgl. oben 429) In der zoroastrischen Kosmologie läuft der Dualismus von gutem und bösem Geist auf das Ende und die Erneuerung der Welt zu. Von diesem Dualismus heißt es in Yasna 45,2: Und ich will die beiden Geister von Anfang des Daseins kundtun, von denen der heilige folgendermaßen zum bösen sprach: „Weder unsere Gedanken noch unsere Verkündigungen, weder unsere Entscheidungen noch unsere Überzeugungen, weder unsere Worte noch unsere Taten, weder unsere Wesenheiten noch unsere Seelen passen zusammen!“ Übersetzung: Haas/Koch, Religionen, 90 (H. Koch), s. dazu auch Lanczkowski, Art. Religionen, 251; Ahn, Herrscherlegitimation, 278 ff; Hutter, Religionen, 210 ff und Kratz/ Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 263 f.
2. Schöpfung und Lebenswelt Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft Q 113: Yasna 44,3–5 Einen repräsentativen Ausschnitt aus dem Weltordnungsdenken des Awesta bietet Yasna 44,3 ff (s. Q 111), s. dazu Hutter, Religionen, 213 f. Schöpferisches Wirken Gottes/der Götter Q 114: Inschriften von König Dareios I. (vgl. oben 60.94) Die pers. Königsideologie war eng mit dem Schöpfungshandeln des Gottes Ahuramazda („Der weise Herr“) verbunden. Als Muster kann die Einleitungsformel der sog. Burgbauinschrift Dareios I. (522–486 v. Chr.) gelten, wonach die Weltschöpfung (Erde und Himmel), die Menschenschöpfung, die „Freude für den Menschen“ und die Einsetzung des Königs auf den Willen Ahuramazdas zurückgeführt werden. Die Abfolge dieser Elemente wiederholt sich auch in anderen Inschriften. Im Folgenden werden Ausschnitte aus drei Inschriften zitiert: Burgbauinschrift Dareios I. aus Susa § 1 Der große Gott ist Ahuramazda, der diese Erde geschaffen hat, der jenen Himmel geschaffen hat, der den Menschen geschaffen hat, der die Freude geschaffen hat für
Q 114: Inschriften von König Dareios I. 609
den Menschen, der Dareios zum König gemacht hat, einen zum König über viele, einen zum Gebieter über viele. § 2 Ich bin Dareios, der Großkönig, der König der Könige, König der Länder, König auf dieser Erde, des Hystaspes Sohn, ein Achämenide.
§ 3 Es kündet Dareios, der König: Ahuramazda, der größte der Götter, schuf mich. Er machte mich zum König. Er gab mir dieses Reich, das groß ist, mit guten Pferden (und) guten Männern.
Abb. 150: Achämenidisches Rollsiegel mit Inschrift Dareios I. Zur Abbildung: Dargestellt wird Dareios I. bei der Löwenjagd, über ihm der Gott Ahuramazda in der Flügelsonne. Die dreisprachige Inschrift (altpers., elam., babyl.) lautet: „Ich, Dareios, der König“, s. dazu Schroer, IPIAO 4, 866. Inschrift am Dareios-Palast in Persepolis (1) Der Große Gott ist Ahuramazda, der diese Erde (2) schuf, der jenen Himmel schuf, der den Men(3)schen schuf, der die Freude schuf für den Menschen, (4) der Xerxes zum König machte, einen (5) von vielen zum König, einen von vielen zum Gebieter.
(6) Ich bin Xerxes, der Großkönig, König der Könige, König (7) der Länder aller Stämme, König auf dieser (8) großen Erde auch fernhin, (9) König Dareios’ Sohn, ein Achämenide. Obere Grabinschrift Dareios I. in Naqsh-e-Rostam § 1 (1–8) Der große Gott ist Ahuramazda, der diese Erde schuf, der jenen Himmel schuf, der den Menschen schuf, der die Freude schuf für den Menschen, der Dareios zum König machte, einen von vielen zum König, einen von vielen zum Gebieter.
§ 2 (8–15) Ich (bin) Dareios, der große König, König der Könige, König der Länder aller Stämme, König auf dieser großen Erde auch fernhin, der Sohn des Hystaspes, ein Achämenide, ein Perser, der Sohn eines Persers, ein Arier, von arischer Abstammung. Übersetzung: TUAT.NF 6 (2011) 286.289.293 (H. Koch, mit dem Kommentar
285 ff.288 ff.290 ff ), s. zur Interpretation noch Rüterswörden, dominium terrae, 126 ff; Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 262 ff; Haas/Koch, Religionen, 88 ff (H. Koch); Lux, Bild Gottes, 271 und Hartenstein, JHWH, 398. Zur Vorstellung der Weltschöpfung in altiran. Texten s. den Überblick bei Colpe, Mythologie, 465 ff.
610 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Q 115: Untere Grabinschrift Dareios I. in Naqsh-e-Rostam (vgl. oben 60) In der unteren Inschrift auf dem Grab Dareios I. in Naqsh-e-Rostam finden sich ungewöhnliche Aussagen über den „Großen Gott“ Ahuramazda, „für die es keine Parallelen im alten Orient gibt“ (TUAT.NF 6, 295 [H. Koch]): Ahuramazda hat das „Herrliche“ geschaffen, „was sichtbar ist“ (gemeint ist wohl „herrliches, wahrhaftes Leben“, vgl. Yasna 34,15) sowie die „Freude für den Menschen“ (s. Q 114). Überdies hat er „Weisheit“ und „körperliche Tüchtigkeit“ auf den König herabgesenkt: § 1 (1–5) Der große Gott ist Ahuramazda, der dieses Herrliche schuf, was sichtbar ist, der die Freude für den Menschen schuf, der Weisheit und körperliche Tüchtigkeit auf Dareios, den König, herabsenkte.
Übersetzung: TUAT.NF 6 (2011) 294 (H. Koch, mit dem Kommentar 295 f ), s. dazu auch
TUAT.NF 9 (2020) 478 (H. Koch).
3. Schöpfung und Menschenbild Menschenschöpfung Q 116: Königsinschriften Hinweise auf die Menschenschöpfung enthalten die in Q 114 zitierten Königsinschriften, s. zur Sache noch Hutter, Religionen, 216.
4. Schöpfung und Königtum Der König als „Bild Gottes“ Q 117: Kolossalstatue Darius I aus Susa (vgl. oben 65.253) Im ägypt. Hieroglyphentext, der zusammen mit altpers., elam. und akk. Texten auf den Gewandfalten der Kolossalstatue Darius I. in Susa angebracht ist, findet sich in Verbindung mit der Erwähnung der Gottessohnschaft Atums die ganz in ägypt. Tradition stehende Wendung „lebendes Abbild des Re (twt ʿnḫ n Rʿ)“. „Wenngleich hier der Bildterminus twt“, wie U. Neumann-Gorsolke kommentiert, „nur in der Reihe mit der Sohnschaft Atums auftaucht, wird dennoch deutlich, dass wie die Sohnschaft auch die Prädikation als ‚lebendes Abbild des Re‘ eine funktionale Bedeutung hat und sich in der Wahrnehmung der göttlichen Herrschaft auf Erden vollzieht. Inhaltlich gehört dazu sowohl die Freude, d. h. Aufrechterhaltung der Wahrheit und des Rechts, wie die Herrschaft über Ober- und Unterägypten und die Abwehr der Feinde (Kol. 3)“ (dies., Herrschen, 180). Ob dieser Beleg als „wichtiges traditionsgeschichtliches Link zu Gen 1,26“ (dies., aaO 180) gewertet werden kann, ist m. E. allerdings mehr als fraglich. Literatur: Rüterswörden, dominium terrae, 118 ff; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 179 ff, ferner Koch, Dareios, 157 ff mit Abb. 106.
Q 121: Die Silberamulette vom Ketef Hinnom 611
Der König als Hüter der Weltordnung Q 118: Achämenidische Königsinschriften Auch nach den achäm. Königsinschriften erscheint der König als Hüter der Weltordnung, s. Q 114 und zur Sache Ahn, Herrscherlegitimation, 180 ff u. ö.; Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 263 u. a.
𓇼 VII. Palästina/Israel 1. Weltanfang und Weltende Weltschöpfung Q 119: Ostrakon aus Jerusalem (vgl. oben 455) Zur Diskussion um das Ostrakon aus dem Ende des 8./Anfang des 7. Jh.s v. Chr. aus Jerusalem, das immer wieder mit Gen 14,19.22 in Zusammenhang gebracht wird, s. oben 455.
2. Schöpfung und Lebenswelt Schöpferisches Wirken Gottes Q 120: Inschrift A aus Hirbet Bēt Layy (vgl. oben 461) ˘
Die zweilige Felsinschrift A aus Ḫirbet Bēt Layy (ca. 8 km östlich von Lachisch, ausgehendes 8. Jh. v. Chr., historischer Kontext: Heranrücken der Truppen Saheribs 701 v. Chr.) enthält zwei Hauptaussagen der Zionstradition, die im synonymen Parallelismus einander gegenübergestellt werden: die universale, dass JHWH der „Gott der ganzen Erde“ ist, und die partikulare, dass „die Berge Judas dem Gott Jerusalems gehören“. Der Text lautet: 1 JHWH ist der Gott der ganzen Erde, vgl. Jes 54,5 die 2 Berge Judas gehören dem Gott Jerusalems. vgl. 2 Chr 32,19 Übersetzung: Renz/Röllig, HAE 1, 246, vgl. auch Semlik, Dokumente, 149. Zur Interpre-
tation s. noch Renz, Jhwh, 310 f und Leuenberger, Jhwh, 252 ff, demzufogle der Text eine horizontale Kosmologie andeutet, „die aus drei Kreisen besteht und in einer Konzentrationsbewegung von der ganzen Erde über das Bergand Judas auf die Stadt Jerusalem durchmessen wird …“ (254).
Q 121: Die Silberamulette vom Ketef Hinnom (vgl. oben 144.145) Die beiden Silberamulette vom Ketef Hinnom aus dem 7./6. Jh. v. Chr. (?) enthalten nicht nur eine Variante des sog. Priestersegens von Num 6,24–26 (Amulett I Z.14–18, Amulett II Z.5–12), sie scheinen auch mit der Wirkmächtigkeit JHWHs in der Finsternis des Grabes zu rechnen (s. dazu die Hinweise bei Janowski, Anthropologie, 648):
612 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Ketef Hinnom 1
Ketef Hinnom 2
1 […] JHW […]
2 [… … …] 3 [… der g]ro[ße Gott?, der bewahrt] 4 den Bund und 5 [die] Gnade denen, die lieb[en]
6 [ihn] und denen, die befolgen
7 [seine Befehle …] 8 […] die Ewigkeit […]
9 [.] Segen, aus jeder [Fal-] 10 le und vom Bösen, 11 denn in ihm ist Erlösung. 12 Denn JHWH
13 [.] er bringt uns zurück [das] (oder: [ist] unser [W]iederher steller [und]) 14 [Li]cht (oder: [Fe]ls). Es segne 15 dich JHWH [und] 16 [er] bewahre dich. [Es] lasse
17 aufscheinen JHWH 18 [sein] Antli[tz über]
19 [dir …].
1′ [Für N. N., Sohn/Tochter des] 1 [N. N.], gesegn[et] sei/ist si[e]/e[r] 2 bei JHW[H], 3 dem Helfer und 4 dem Austreiber des 5 [B]ösen. Es segne dich 6 JHWH, er 7 bewahre dich.
8 Es lasse aufscheinen JH 9 [W]H sein Antlitz 10 [über] dir und er ge-
11 währe dir Frie-
12 [d]en.
Übersetzung: TUAT.NF 6 (2011) 313 f (A. Berlejung), s. dazu auch Renz/Röllig, HAE 1,
447 ff; Mathys, Segenszeugnisse, 82 ff; Jaroš, Zeugen, 151 ff, ferner Liess, Weg, 307 ff; Eberhardt, JHWH, 375 ff und Leuenberger, Gott, 111 ff.
3. Schöpfung und Menschenbild Menschenschöpfung Q 122: Althebräische Personennamen (vgl. oben 189 f.456 f ) Im Korpus der althebräischen Inschriften gibt es 39 Personennamen mit Schöpfungsbezug, die insgesamt 148-mal belegt sind und aus dem 9.–6. Jh. v. Chr. stammen, s. dazu die Übersicht oben 189 f. Das Verb brʾ „schaffen, hervorbringen“ kommt dabei nicht vor.
𓇼
Q 124: Hesiod, Theogonie 116–138 613
VIII. Griechenland 1. Weltanfang und Weltende Weltschöpfung Q 123: Homer, Odyssee 1,48–54 (vgl. oben 59) Bei Homer gibt es Spuren kosmogonischen und theogonischen Denkens, aber keine Kosmogonie und Theogonie im eigentlichen Sinn. Erwähnenswert sind die Reflexe des Sukzessionsmythos (Il. 8,479 ff; 14,153 ff; 15, 185 ff ) und das Motiv der Trennung von Himmel und Erde. In der Antwort der Göttin Athene an Zeus heißt es dazu in Od. 1,48–54: Mir aber ist um den Odysseus, den kluggesonnenen, das Herz zerrissen, den Unglückseligen, der schon lange, 50 entfernt von den Seinen, Leiden leidet auf der umströmten Insel, wo der Nabel des Meeres ist. Die Insel ist baumreich, und eine Göttin bewohnt auf ihr die Häuser: des bösgesonnenen Atlas Tochter, welcher des ganzen Meeres Tiefen kennt und hält die Pfeiler, er selbst, die großen, die Erde und Himmel auseinander halten. Übersetzung: Homer, Odyssee, 8 f (W. Schadewaldt), s. dazu die Hinweise bei Felber u. a.,
Art. Weltschöpfung, 465 (A. Merkt/L. Käppel) und Zimmermann, Literatur, 82 Am. 24. Zur Trennung von Himmel und Erde in der griech. Literatur s. Kirk u. a., Philosophen, 46 f.
Q 124: Hesiod, Theogonie 116–138 (vgl. oben 59.377) Der erste kosmogonische Text in der frühgriech. Literatur ist – nach Spuren bei Homer (s. Q 123 und die Hinweise bei Zimmermann, Literatur, 82 Anm. 24) – Hesiods Theogonie (um 700 v. Chr.). Hesiod erzählt „in einer relativ kohärenten Systematisierung die Geschichte der Götter von ihren Anfängen bis zur letzten Phase, der endgültigen Gründung der Herrschaft des Zeus, die der Abfolge der Götter ein Ende setzt“ (ders., aaO 82). Nach dem Proömium (1–115) folgt die Darstellung der ersten Wesen Chaos, Gaia, Tartaros, Eros (116–122), danach die 1., die 2., die 3. und die 4. Generation der Götter (123–210; 211–239; 140–885; 886–962), dann das zweite Proömium (963–968), die Verbindungen von Göttinnnen und Sterblichen (969–1018) und schließlich das dritte Proömium mit der Überleitung zum Katalogos (1019–1022, s. im Einzelnen Zimmermann, aaO 83 f ). Den Anfang macht die Entstehung der ersten Wesen Chaos, Gaia und Eros, die als „aus sich selbst zeugende Instanzen … anfänglich im Modus unverbundener Pluralitä auf(treten)“ (Reckermann, Anfang, 6) und aus denen erst nach und nach die kontunuierliche Entfaltung des Lebens entsteht: Wahrlich, als das Allererste entstand Chaos und danach Gaia mit ihrer breiten Brust, ein immer sicherer Sitz Sitz für alle, Gottheiten, die den Gipfel des schneebedeckten Olymp bewohnen,
Entstehung von Chaos, Gaia, Tartaros, Eros
614 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike und die finsteren Abgründe (Tartaros) in der Tiefe der breitstraßigen Erde, 120 und Eros, der Schönste unter den unsterblichen Göttern, der Gliederlöser, der bei allen Göttern und Menschen bezwingt den denkenden Sinn und den verständigen Willen in ihrer Brust. Aus Chaos entstanden Erebos und schwarze Nacht, aus der Nacht dann wieder Äther und Tag. 125 Die sie gebar schwanger vom Erebos, mit dem sie sich in Liebe verband. Gaia aber brachte zuerst hervor den mit ihr gleich weiten Uranos, den gestirnten, dass er sie überall einhülle, damit er sei den seligen Göttern ein sicherer Sitz für immer. Und sie gebar die riesigen Berge, für die Göttinnen reizvolle Aufenthalte, 130 die Nymphen, die in den schluchtenreichen Bergen wohnen. Sie gebar auch das unfruchtbare breite Wasser, das im Wogenschall stürmt, Pontos (das Meer), ohne verlangende Liebe. Dann wieder, dem Uranos sich verbindend, gebar sie den Okeanos mit seinen tiefen Wirbeln, und Koios und Kreios und Hyperion und Iapetos 135 und die Göttinnen Theia und Rheia und Themis und Mnemosyne, und Phoibe mit dem goldenen Kopfreif und Tethys, die liebliche. Nach diesen aber wurde als Jüngster geboren Kronos, der Krummes sinnt, der gewaltigste ihrer Kinder. Der haßte den kraftvollen Zeuger.
Kinder des Chaos und ihre Nachkommen
Kinder der Gaia, durch Parthenogenese und in Verbindung mit Uranos
Übersetzung: Reckermann, Anfang 1,7 f, s. dazu auch die Übersetzung Hesiod, Gedichte,
33 f (W. Marg, mit dem Kommentar 104 ff ) sowie Graf, Mythologie, 79 ff; Kirk u. a., Philosophen, 37 ff; Böhme/Böhme, Feuer, 32 ff; West, East Face, 276 ff und Zimmermann, Literatur, 82 ff. Zu den Einflüssen ao. Mythologie (Enūma eliš, Lied des Ullikummi, Phönikische Geschichte des Philo von Byblos) auf Hesiods Theogonie s. Graf, aaO 86 ff; West, aaO 278 ff und Zimmermann, aaO 84 ff mit der dort genannten Lit.
Q 125: Thales von Milet (vgl. oben 19.60) Seit Aristoteles, Metaphysik, 983b 20 (s. den folgenden Text DK 11 A 12) wird Thales von Milet (ca. 624–546) als der erste Naturphilosoph angesehen, weil er das Wasser zum Prinzip aller Dinge erklärt habe: Thales, der Urheber dieser Art von Philosophie [welche eine materielle Ursache annimmt,] sagt, das Wasser (ὕδωρ) sei das Prinzip [aller Dinge] (deshalb behauptet er,
Q 126: Anaximander von Milet 615
die Erde liege auf Wasser). Er ist vielleicht dadurch zu dieser Vermutung gekommen, dass er sah, dass die Nahrung aller Dinge feucht ist und dass das Warme selbst aus dem Feuchten entsteht und durch dieses lebt […]. Dadurch ist er zu dieser Vemutung gekommen und auch dadurch, dass die Samen aller Dinge eine feuchte Natur haben, das Wasser aber ist für alles Feuchte das Prinzip seiner Natur […]. Auf diese Weise, sagt man, hat sich Thales über die erste Ursache geäußert. (DK 11 A 12) Möglicherweise hat Thales aber, wie M. L. Gemelli Marciano bemerkt, eher umgekehrt argumentiert, „nämlich, dass das Wasser Ursprung der Erde und aller auf ihr befindlichen Dinge ist, weil es ‚tiefer‘ liege als diese. Der Schluss, das ‚Tiefe‘ sei der ‚Anfang‘, ist mit der Auffassung eng verbunden, dass die ‚Wurzeln‘, die den Usprung darstellen, tiefer liegen als die oben befindlichen Teile. Eine solche Auffassung ist schon bei Hesiod zu finden, der in der Theogonie (726 ff.) die Quellen und Grenzen der Erde, des Meeres, des Tartaros und des Himmels nach unten, in den ungeheueren Abgrund, setzt [s. Q 124]. (…) Wahrscheinich hat Thales von keiner ἀρχή, sondern von πηγαί bzw. ῥιζαι der Erde und der anderen Dinge gesprochen. Aristoteles hat die Aussage vor dem Hintergrund der Prinzipienlehre umformuliert“ (Gemelli Marciano, Vorsokratiker 1, 25 f ). Übersetzung: Gemelli Marciano, Vorsokratiker 1, 15 (mit dem Kommentar 25 f ). Zur In-
terpretation s. noch Kirk u. a., Philosophen, 97 ff; Ekschmitt, Weltmodell, 9 ff; Keel, Weltbilder, 36 ff und Althoff, Vorstellungen, 51.
Q 126: Anaximander von Milet (vgl. oben 19.45.46.60) Anders als Thales (s. Q 125) geht sein Schüler Anaximander von Milet (ca. 611/10–547/6) davon aus, dass der Kosmos aus dem Apeiron („Unbegrenztes, Unbestimmtes“) entstanden sei. Dazu, was genau dieses Apeiron ist und wie sich Anaximander die Entstehung und den Aufbau der Welt vorgestellt hat, gibt es keine authentischen Äusserungen, sondern nur die Interpretationen von Dritten (Aristoteles, Diogenes Laertius, Plutarch u. a.). So heißt es über das Apeiron: Anaximander, Sohn des Praxiades, aus Milet. Dieser setzt als Prinzip der seienden Dinge eine Natur des Unbegrenzten (ἄπειρον), aus der die Himmel (οὐρανοί) und die darin befindliche Ordnung (κόσμος) entstanden seien. Diese Natur sei ewig und nicht alternd und umfasse alle Welten. Und er spricht von ‚Zeit‘, weil das Entstehen, das Dasein und das Vergehen der Dinge eine festgesetzte Grenze haben. Er hat als Prinzip und Element der existierenden Dinge das Unbegrenzte (ἄπειρον) angenommen, wobei er als Erster die Bezeichnung des Prinzips gebraucht hat. Er hat ferner behauptet, die Bewegung, bei der die Welten entstünden, sei ewig. (DK 12 A 11, vgl. DK 12 A 9) Die Kosmogonie nimmt danach wie bei Hesiod (s. Q 124) einen „Weg aus einem dunklen, unstrukturierten Urzustand zu den einzelnen wahrnehmbaren Strukturen der Welt“ (Althoff, Vorstellungen, 52). Zu diesen Strukturen gehört die Entstehung des Himmels – Anaximander verwendet den Plural „die Himmel“ (vgl. Gertz, Polemik, 151) –, die sich in einer Folge von gewaltsamen Handlungen bzw. Spannungen vollzieht:
616 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Ring der Sonne Ring des Mondes Ring der Fixsterne Erde
Ekliptik
Abb. 151: Das Weltmodell Anaximanders Er (sc. Anaximander) sagt, bei der Entstehung der Welt habe sich der zeugungskräftige Keim des Warmen und des Kalten aus dem Ewigen ausgesondert, und daraus sei eine Art Feuerkugel um die die Erde umgebende Luft herumgewachsen wie die Rinde um einen Baum. Als diese Kugel zerplatzt war und in bestimmte Kreise eingeschlossen wurde, seien die Sonne, der Mond und die Gestirne entstanden. (DK 12 A 10) Wie Burkert, Griechen, 73 ff gezeigt hat, wird die Reihenfolge von drei Himmeln, von denen der unterste derjenige der Fixsterne ist, schon in assyr. Texten des 7. Jh.s v. Chr. angenommen. Schematisch lässt sich das wie in Abb. 151 dargestellt veranschaulichen. Die entscheidenden Faktoren dieses proportional gegliederten Weltmodells mit der zylinderförmigen Erde im Zentrum und seinen mathematischen Relationen (die Radien der drei Ringe Sonne – Mond – Fixsterne bilden ein ganzzahliges Vielfaches des Erddurchmessers) sind bestimmte naturgesetzliche Mechanismen, bei denen „der Widerstreit von Warm und Kalt besonders wichtig ist. Diese Mechanismen sind im großen Maßstab des Kosmos genau dieselben wie in der alltäglichen Erfahrung. Die mathematische Beschreibung der Welt kommt ebenfalls als ein völlig neues Element hinzu, das bei Hesiod keine Entsprechung hat. Sie soll offenbar einen rationalen Bau des Kosmos nach objektiven Prinzipien begründen“ (Althoff, aaO 54). Übersetzung: Gemelli Marciano, Vorsokratiker 1, 37 f (Dk 12 A 11).41 (DK 12 A 10, mit dem Kommentar 58 ff ). Zur Interpretation s. noch Hölscher, Anaximander, 18 ff.38 ff; Kirk u. a., Philosophen, 115 ff; Ekschmitt, Weltmodell, 20 ff; Keel, Weltbilder, 40 ff; Burkert, Religion, 457 f; ders., Griechen, 73 ff; Gertz, Polemik, 149 ff; Althoff, Vorstellungen, 52 ff und Koch, Wohnstatt, 165 f.199 ff.
Q 127: Platon, Timaios 28a–29a (vgl. oben 19.60) Im Dialog Timaios von Platon (428/27–348/47 v. Chr.), der umfangreichsten und reflektiertesten antiken Kosmogonie, werden die kosmogonischen Einzelthemen, die sich in den anderen platonischen Dialogen finden (s. die Nachweise bei Horn u. a. [Hg.], Platon-Handbuch, 211 ff [W. Mesch]), in einen Gesamtentwurf gegossen, in dessen Zentrum der göttliche Demiurg („Handwerker, Baumeister“) steht. Das demiurgische Modell wird von Timaios, einem fiktiven Pythagoreer aus Unteritalien, vorgetragen, der einen weiten Bogen von den Grundstrukturen des Kosmos bis zur Natur des Menschen schlägt.
Q 128: Herakles und die Hydra 617
Dabei erläutert er, wie der δημιουργός, der sich an den ewigen Ideen als den Urbildern (παραδείγματα) orientiert, den Kosmos hervorbringt, indem er ungeordnete Bewegung in Ordnung überführt. In Tim. 28a–29 a heißt es: Alles Werdende muß … durch irgend eine Ursache werden, denn es ist unmöglich, dass Etwas ohne irgend eine Ursache entstehe. So weit nun der Urheber dabei (stets) auf Dasjenige hinblickt, welches (immer) dasselbe bleibt, und sich einer Wesenheit aus diesem Gebiete als seines Urbildes bedient, um darnach die Gestalt eines Dinges und den Inbegriff seiner Kräfte hervorzubringen, wird es notwendigerweise sodann in allen Stücken vortrefflich geraten; soweit er aber auf das Gewordene hinblickt, und sich eines Urbildes bedient, welches selber dem Entstandenen angehört, in so weit nicht vortrefflich. Von dem ganzen Weltgebäude nun oder dem Weltall … ist eben hiernach zunächst zu untersuchen, was überhaupt bei jedem Gegenstand der Untersuchung als Ausgangspunkt zu Grunde gelegt werden muß, ob es immer war und nicht erst, in das Werden eintretend, einen Anfang genommen hat, oder ob es entstanden und von einem Anfange ausgegangen ist. Es ist entstanden, denn es ist sichtbar und fühlbar und hat einen Körper; alles so Beschaffene aber ist sinlich wahrnehmbar, und das sinnlich Wahrnehmbare, welches der Vorstellung mit Hülfe der Sinne zugänglich ist, erschien uns als das Werdende und Entstandene. Das Werdende, sagten wir dann ferner, müsse notwendig durch irgend eine Ursache werden. Den Schöpfer und Vater (ποιητὴς καὶ πατέρ) dieses Alles nun (freilich) ist es schwierig zu finden, und wenn man ihn gefunden hat, unmöglich, sich für Alle verständlich über ihn auszusprechen; doch muß man in Betreff seiner wiederum dies untersuchen, nach welchem von beiderlei Urbildern er als Baumeister (δημιουργός) die Welt gebildet hat, ob nach Demjenigen, welches stets dasselbe und unverändert bleibt, oder nach dem Entstandenen. Übersetzung: Platon, Werke 8, 235.237, s. dazu Kytzler, Mythen, 167 ff; Burkert, Religion,
483 ff; Althoff, Vorstellungen, 61 ff; Schäfer, Schlange, 121 ff u. a.
2. Schöpfung und Chaos Chaoskampf Q 128: Herakles und die Hydra (vgl. oben 399) Im Zentrum der Mythen des Herakles, die in großer Fülle und zunächst ohne kanonische Ordnung vorliegen – zusammenfassende Darstellungen gibt es erst bei Diodor und Appollodor –, stehen seine zwölf Taten, die er auf Befehl Heras vollbrachte. Dazu gehört an zweiter Stelle die Tötung der Hydra von Lerna in der Argolis (s. Abb. 152). Die Hydra hatte zahlreiche Köpfe, von denen einer unsterblich war und „der Rest sich in der Weise selbst erneuerte, dass zwei Köpfe nachwuchsen, wo zuvor nur einer gewesen war“ (Buxton, Mythologie, 117). Herakles schnitt die sterblichen Köpfe ab, während sein Gefährte Iolaos (links im Bild) die Stümpfe ausbrante (das Feuer dazu befand sich unter Iolaos). Als letzten Akt bezwang Herakles den unsterblichen Kopf des Monsters, indem er ihn abtrennte und unter einem Felsblock begrub. die Nähe zu den vorderorientalischen Chaoskampftraditionen (s. dazu oben 399 ff ) ist unverkennbar.
618 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Abb. 152: Herakles und Ioalos töten die Hydra (Vasenmalerei, ca. 525 v. Chr.) Literatur: Buxton, Mythologie, 114 ff; Burkert, Religion, 319 ff; Keel/Schroer, Schöpfung,
125 u. a.
Unterwelt (Aussehen) Q 129: Homer, Odyssee 24,1–14 (vgl. oben 384) Im Unterschied zur stimmigen Unterweltsvorstellung der Ilias (s. dazu oben 382 ff ) gibt es in der Odyssee zwei gegensätzliche Unterweltsvorstellungen: die eine, die der vertikalen Konzeption der Ilias entspricht – die Unterwelt liegt unterhalb der Welt der Lebenden (Od. 10.174; 24,106) –, und die andere, die sie in horizontaler Richtung am Rand der Welt lokalisiert (Od. 10,508 ff; 11,11 ff ). Nach dem Unterweltsitinerar Od. 24,1–14 werden die Seelen der Freier durch das Geleit des Gottes Hermes in die Unterwelt mit dem Zielort „Asphodeloswiese“ gebracht: Hermes aber, der Kyllenier, rief die Seelen der Freiermänner heraus, und er hielt den Stab in den Händen, den schönen, goldenen, mit dem er die Augen der Männer bezaubert, von welchen er es will, und auch die Schlafenden wieder aufweckt. Mit dem scheuchte er sie auf und ging voran, die aber folgten schwirrend. Und wie Fledermäuse im Inneren einer ungeheuren Höhle schwirrend umherfliegen, wenn eine aus der Kette vom Felsen herabgefallen ist – sie hängen in der Höhle aneinander –: so gingen sie schwirrend mit ihm, und vor ihnen schritt Hermes, der Kluge, die modrigen Pfade hinab. Und sie gingen entlang an den Strömen des Okeanos und dem Leukadischen Felsen. Und an den Toren des Helios und an dem Land der Träume gingen sie vorüber und gelangten alsbald auf die Asphodeloswiese, wo die Seelen wohnen, die Schattenbilder der Verblichenen. Übersetzung: Homer, Odyssee‚ 413 (W. Schadewaldt), s. dazu Burkert, Religion, 300 und
Nesselrath, Hades, 169 ff.
Q 132: Heraklit, Fragment 30 und 31 619
3. Schöpfung und Lebenswelt Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft Q 130: Homer, Ilias 18,239–242 (vgl. oben 416) In Homers Ilias ist zweimal von der „unermüdlichen Sonne“ die Rede (Il. 18,239 und 484). In Il. 18,239–242 heißt es: 240
Helios aber, den unermüdlichen, schickte die Kuhäugige, die Herrin Here, zu den Fluten des Okeanos zu gehen, gegen seinen Willen. Die Sonne ging unter, und es hörten auf die göttlichen Achaier mit der starken Schlacht und dem gemeinsamen Kampf.
Übersetzung: Homer, Ilias, 313 (W. Schadewaldt), s. dazu auch Schwienhorst-Schönberger,
Kohelet (HThK.AT), 162 f.
Q 131: Homer, Odyssee 10,302–306 (vgl. oben 17) In Homers Odysse kommt der Ausdruck φύσις zwar vor (1-mal), er wird hier aber nur in Bezug auf die Eigenschaft einer Pflanze verwendet. Nach Od. 10,302–306 verabreicht Hermes dem Odysseus ein Mittel zum Schutz gegen die magischen Kräfte der Kirke, damit diese ihn nicht in ein Schwein verwandelt. Einen Begriff, der den Gesamtberich der „Natur“ bezeichnet, gibt es bei Homer dagegen nicht. In dem besagten Text berichtet Odysseus, wie ihm das Kraut von Hermes überreicht wird: Also sagte der Schimmernde (sc. Hermes), zog aus dem Boden ein Giftkraut (φάρμακον), gab es und zeigt mir auch, wie es war und wie es gewachsen. Schwarz war die Wurzel, weiß wie Milch war die Blüte, die Götter 305 nennen es Moly. Es ist sehr schwierig für sterbliche Menschen danach zu graben; die Götter freilich vermögen ja alles. Übersetzung: Homer, Odyssee, 273 (A. Weiher), s. dazu auch Meyer, Aristoteles, 70 und
Descola, Natur, 107 f.
Q 132: Heraklit, Fragment 30 und 31 (vgl. oben 435) Die poetische Vergegenwärtigung der Weltordnung und ihrer Bedeutung für das menschliche Leben begegnet bereits in Hesiods Theogonie (s. Q 124). Von den vorsokratischen Philosophen Thales, Anaximander, Parmenides u. a., die in der Natur (φύσις) regelhafte Abläufe (κόσμος „Ordnung“) entdeckten und deren Entstehung und Art zu erklären suchten, sei Heraklit (geb. ca. 545 v. Chr.) mit seinen berühmten, bei Clem. Strom. 5,104,2 referierten Sätzen über die Einheit des Seienden als Verbindung von Gegensätzen zitiert: Fragment 30 Dass er (sc. Heraklit) aber wusste, dass die aus der gesamten Substanz gebildete individuell beschaffene Welt ewig ist, macht er deutlich durch folgende Worte:
620 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Dieses ordentliche Gebilde (κόσμος) hier, dasselbe für alle, schuf weder einer der Götter noch einer der Menschen, sondern es war immer und ist und wird sein; ewig lebendiges Feuer, entflammend nach Maßen und erlöschend nach Maßen. Fragment 31 Dass er aber auch gelehrt hat, die Welt sei geworden und vergänglich, zeigt der folgende Spruch: Wandlungen des Feuers: zuerst Meer, vom Meer aber die eine Hälfte Erde, die andere Hälfte Gluthauch. Meer [sc. das sich zu Erde verdichtet hatte] löst sich auf und lässt sich nach demselben Verständnis (λόγος) messen, das galt, bevor es zu Erde wurde. Übersetzung: Gemelli Marciano, Vorsokratiker 1, 309 (vgl. DK 22 B 30).
Das Wesen der Wirklichkeit stellt sich nach Heraklit als Einheit von Gegensätzen dar. Die Welt, so sagt er, ist ein ewig lebendiges Feuer. „Teile davon werden immer gelöscht, um die beiden anderen Hauptmassen der Welt zu bilden, Meer und Erde. Veränderungen zwischen Feuer, Meer und Erde halten sich gegenseitig im Gleichgewicht“ (Kirk u. a., Philosophen, 216). „All dies“, so heißt es in Fragment 64, „steuert der Blitz“ (zitiert nach Gemelli Marciano, aaO 306). Heraklits Weltdeutung ist „im buchstäblichen Sinn Kosmo-Logie: Reflexive Bewusstmachung jener Strukturen von Welt, denen die Menschen tagtäglich begegnen (Diels/Kranz 22, 72). Der logos, von dem er spricht, meint sowohl die rationale Struktur dieser Weltordnung wie die Rede über diese Struktur. Seine Logizität ist das Eine, das mit der Rede von Zeus gemeint ist (Diels/Kranz 22, B 32). Es ist – nicht unähnlich Weisheit 11,20 [s. Q 151] – der Maßstab, dem alles folgt und der sich als ‚Harmonie‘ oder ‚gegenstrebige Fügung‘ zeigt. Der Gedanke dieser gegenstrebigen Fügung der Harmonie ist für Heraklits Weltverständnis und dessen Kernsatz, dass das ‚Eine Alles‘ – ‚aus allem Eins und aus Einem Alles‘ (Diels/Kranz 22, B 10) – ist, zentral. Harmonie bedeutet in diesem Weltverständnis nicht Auflösung, sondern Austragen von Gegensätzen“ (Erlemann u. a. [Hg.], NTAK 3, 80 f [J. Kreuzer]). Literatur: Ekschmitt, Weltmodell, 38 ff; Kirk u. a., Philosophen, 216 ff; Graßhoff, Art. Kos-
mologie, 773 f; Burkert, Religion, 460 f; Felber u. a., Art. Weltschöpfung, 466; Keel/Schroer, Schöpfung, 215 ff; Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 3, 80 f (J. Kreuzer); Gmelli Marciano, aaO 339 f.357 ff; Zimmermann, Literatur, 269 ff; Reckermann, Anfang 1, 60 ff; Meyer, Aristoteles, 74 ff und Schmid, Orient, 5 f.
Q 133: Platon, Timaios 83e (vgl. oben 17) In Platons Dialog Timaios werden die Naturgesetze „nicht auf die Physik, sondern den Menschen und seinen Organismus angewandt. Der Begriff ist metaphorisch verwendet und entbehrt der universalen Dimension, die etwa die Ordnungspekulationen der Vorsokratiker [s. Q 125–126] prägt“ (Schmid, Orient, 6 f ). Zu den krankhaften Ausscheidungen aller Art beim Menschen bemerkt Platon in Tim. 83e folgendes: Alle diese Bildungen (sc. die krankhaften Ausscheidungen) nun, die da entstehen, wenn das Blut nicht naturgemäß aus Speisen und Getränken sich ergänzt, sondern
Q 136: Aristoteles, Metaphysik XII 621
aus verkehrten Quellen wider die Gesetze der Natur seine Masse entnimmt, sind die eigentlichen Hebel der Krankheiten.
Übersetzung: Platon, Werke 8, 399.401.
Q 134: Aristoteles, Physik II (vgl. oben 17) Bei Aristoteles (384/83–322/21 v. Chr.) gewinnt der φύσις-Begriff die wissenschaftliche Gestalt, die für das westliche Denken grundlegend geworden ist. „Anders als für die Vorgänger (inkl. Platon), bei denen der Ausdruck φύσις noch auf nahezu jede Sache paßt, zeichnet sich Aristoteles’ Naturverständnis durch eine präzise Bestimmung dessen aus, was ein ‚natürlich seiendes Ding‘ (φύσει ὄν) ist“ (Meyer, Aristoteles, 335). So heißt es gleich im ersten Satz seiner Physik (Phys. II 1.192b8–14): Von den realen Dingen existieren die einen von Natur aus (φύσει), die andern existieren auf Grund anderer Ursachen. Von Natur aus (existieren) die Tiere und ihre Teile, die Pflanzen und die einfachen der Körper wie Erde, Feuer, Luft und Wasser (…). Von diesen Dingen nämlich trägt ein jedes ein Prinzip seiner Bewegung und Ruhe in sich selbst. Übersetzung: Meyer, Aristoteles, s. dazu ders., aaO 332 ff, ferner Böhme/Böhme, Feuer,
111 ff; Höffe, Aristoteles-Lexikon, 455 ff (J. Althoff ); Rapp/Corcilius (Hg.), Handbuch, 75 ff (K. Corcilius) und Descola, Natur, 109 ff.
Q 135: Diogenes Laertius (vgl. oben 17) Nach den Vorsokratikern (s. Q 125–126), Platon (s. Q 127) und Aristoteles (s. Q 134) haben vor allem die stoischen Philosophen eine naturgesetzliche Ordnung des Kosmos vertreten. „Die Natur (φύσις)“, so heißt es etwa bei Diogenes Laertius, „ist, so sagen sie, einmal das, was die Welt zusammenhält, einmal das, was die Lebewesen auf der Erde wachsen läßt“ (Vitae philosophorum, 7,148). Die meisten Philosophen des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit erhoben die Formel „gemäß der Natur leben“ zur moralischen Regel. „Damit reduziert sich Tugendhaftigkeit (aretē, lat. virtus) für den Menschen letztlich auf die Verwirklichung seiner wahren Natur und auf das Akzeptieren der Weltordnung, d. h. von ‚allem, was der Natur entsprechend hervorgebracht ist‘“ (Brisson, Art. Natur, 734). Der Unterschied zur vorsokratischen Auffassung liegt darin, dass der Hellenismus den Menschen „in erster Linie als individuelles Wesen sah, ihm ging es um das Heil des einzelnen, individuellen Menschen“ (Hossenfelder, Glückslehren, XXVII, vgl. XXVII ff ). Literatur: Brisson, Art. Natur, 731 ff (mit weiterer Lit.); Reckermann, Anfang 3, 36 ff; Hos-
senfelder, Glückslehren, XXIII ff; Descola, Natur, 109 und Schmid, Orient, 7.
Schöpferisches Wirken der Götter Q 136: Aristoteles, Metaphysik XII (vgl. oben 120) Mit Philo von Alexandrien hat das sog. Apathie-Axiom Konturen erhalten (s. dazu oben 119 f ), die seine weitere Karriere in der abendländischen Theologiegeschichte bestimmt haben. In klassischer Form begegnet es bereits in Buch XII der Metaphysik von Aristoteles:
622 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Daß es also ein ewiges, unbewegliches und vom Sinnlichwahrnehmbaren abgelöstes Sein gibt, ist aus dem Gesagten klar. Es ist aber zugleich erwiesen, daß dieses Sein keine körperliche Ausdehnung haben kann, sondern teillos und unteilbar ist. (Denn es ist ja unendliche Zeit bewegend; nichts, was in Grenzen endet, kann aber eine unendliche Fähigkeit besitzen; da nun jede körperliche Ausdehnung entweder unendlich oder begrenzt ist, kommt eine begrenzte Ausdehnung für es eben aus diesem Grunde nicht in Betracht, eine unendliche aber auch nicht, da es überhaupt keine unendliche Ausdehnung geben kann.) Aber auch, dass es unbeeinflußbar und unveränderlich (ἀπαθὲς καὶ ἀναλλοίωτον) ist, ist klar. Alle anderen Bewegungsarten sind ja der Ortsbewegung nachgeordnet. Dies also ist klar, warum es sich auf diese Weise verhält. (Met. XII 7, 1073a 4–14) Übersetzung: Zitiert nach Aristoteles, Metaphysik XII, 35.37 (ed. H.‑G. Gadamer). Zur In-
terpretation s. noch Maas, Unveränderlichkeit Gottes, 53 ff und Flashar, Aristoteles, 226 ff. Der Argumentationshintergrund des aristotelischen Theorems des „ersten Bewegers“ ist, wie dieser Text deutlich macht, ein ausgesprochen physikalisch-kinesiologischer (vgl. Maas, aaO 53; Föllinger, Art. kinêsis/Bewegung, 312 ff; Bordt, Art. Unbewegter Beweger, 367 ff; Schäfer, Schlange, 164 ff ). Während der erste oder unbewegte Beweger „unteilbar“, „unbeeinflussbar“ und „unveränderlich“ ist, sind die πάθη das genaue Gegenteil. Der Begriff der πάθη bezeichnet bei Aristoteles die Gemütsbewegungen oder Emotionen aller Art, deren Erleidens-Charakter „zugleich die Tönung von ‚Leid‘, aber auch die dazu gegensätzliche von ‚Lust‘ haben (kann), und zwar sowohl in reiner als auch in aus diesen Gegensätzen gemischter Form, so dass als πάθη z. B. Begierde (ἐπιθυμία), Zorn, Furcht, Mut, Neid, Freude (χαρά), freundschaftliche Liebe (φιλία), Haß, Sehnsucht, Begeisterung und Mitleid gelten. άπάθεια ist nun der Zustand, in dem solche πάθη nicht bestehen …“ (Reiner/ Engelmeier, Art. Apathie, 429 [Reiner]).
4. Schöpfung und Menschenbild Menschenschöpfung Q 137: Texte zur Menschenschöpfung (vgl. oben 93 f ) Die griechischen Zeugnisse zur Menschenschöpfung sind vergleichsweise gering, s. dazu Caduff, Art. Anthropogonie, 740 und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 105.
Geschöpflichkeit Q 138: Pindar, Achte Pythische Ode (vgl. oben 208) In der Achten Pythischen Ode des Pindar (6./5. Jh. v. Chr.) wird der Mensch als „Schatten“ bezeichnet: Eintagswesen! Was ist Sein? Was Nichtsein? Eines Schattens Traum ist der Mensch. Übersetzung: Pindar, Siegeslieder, 81 (U. Hölscher).
Q 141: Lukrez, De rerum natura 5,416–508 623
Q 139: Euripides, Medeia (vgl. oben 208) In der berühmten, 431 v. Chr. uraufgeführten Tragödie Medeia des Euripides (ca. 485/480–406 v. Chr.) bezeichnet der Bote des Jason den Menschen Medeia gegenüber als einen „Schatten“ (σκιά). In Vers 1222–1229 heißt es: Von dir will ich schweigen und wie du entrinnst Deiner Strafe, das muß deine Sorge sein; Doch, daß Menschending nur ein Schatten ist, 1225 Erwies sich aufs neue. Ich sags ohne Scheu: Die Weisen und Klugen auf dieser Welt Sind die größten Toren; kein Sterblicher kennt Das Glück, und erhebt ihn auch Gold oder Rang: Glückselig kann er nicht heißen. Übersetzung: Euripides, Tragödien, 87 (E. Buschor).
𓇼 IX. Rom 1. Weltanfang und Weltende Die Welt vor der Schöpfung Q 140: Lukrez, De rerum natura 1,149 (vgl. oben 53) Im ersten Buch seines Lehrgedichts De rerum natura/Über die Natur der Dinge hat Lukrez (ca. 98–55 v. Chr.) einen berühmten Leitsatz zur Naturerkenntnis formuliert – Aus Nichts entsteht nichts – und diesen ausführlich begründet. Gegenüber diesem Grundsatz markiert die Lehre von der creatio ex nihilo (s. Q 150) den direkten Gegensatz. In De rerum natura 1,149 schreibt Lukrez: Nicht die Strahlen der Sonne, nicht am Tag die Pfeile des Lichts vertreiben, was dunkel schreckend den Geist umfangen hält, dies gelingt nur dann, wenn wir den Blick auf die Erscheinungen der Natur richten und auf ihr inneres Gesetz. Erkenntnis der Natur darum muss mit diesem Leitsatz beginnen: Kein Ding entspringt durch göttlich wundersame Kraft jemals dem Nichts. Übersetzung: Lukrez, Natur der Dinge, 43 (K. Binder), s. dazu Ebach, Art. Anthropogonie/
Kosmogonie, 486 und zur Interpretation von Buch I noch Schäfer, Schlange, 238 ff.
Weltschöpfung Q 141: Lukrez, De rerum natura 5,416–508 (vgl. oben 60) In De rerum natura 5,416–508 beschreibt Lukrez (vgl. Q 140), wie unsere Welt entstanden ist. Auch hier verläuft die Kosmogonie vom chaotischen Urwirbel zur Ordnung der Elemente und von dort zu den lebenden Dingen. Der Anfang 5,416–448 lautet folgendermaßen:
624 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike (416) Nun will ich erklären, wie durch Zusammenströmen der Materie die Erde entstand, nach welcher Ordnung dazu der Himmel, das unergründliche Meer, Sonne und Mond in ihren Bahnen. Ganz sicher haben die Urelemente der Dinge nicht nach einem bewusst und vorausschauend gewählten Plan zur ihnen eigenen Ordnung zusammengefunden, (420) auch nicht verabredet, welche Bewegung nun jedes beginne. Sondern seit unendlicher Zeit bis auf den heutigen Tag haben sich die zahllosen Urelemente, von eigener Schwere und Stoß getrieben, stets auf vielerlei Weise bewegt, sind aufeinander getroffen und vielerlei Verbindungen eingegangen, haben dabei herausgebracht, was sie, plötzlich zusammentreffend, zu schaffen vermögen. So schließlich, über lange Zeit umhergetrieben, dabei jede Art von Verbindung und Bewegung erprobend, kam es, dass unversehens Urlemente auf solche andere stießen (430), mit denen zusammen sie zu ersten Geweben großer Dinge wurden. Das waren die Anfänge von Erde und Himmel und auch der Familien lebender Wesen. Noch herrscht „Chaos“ (436: „Nichts war, nur ein gerade entstandener Wirbel“), aber es bilden sich die vier Elemente Erde, Wasser (Meer), Luft (Himmel) und Feuer (Gestirne, Licht) heraus. Dann heißt es ab Z. 444 weiter: Dann begannen aus dieser Masse gewisse Teile hierhin und dorthin zu fliegen, Gleiche sich mit Gleichen zu verbinden und so unsere Welt zu entfalten, Elemente zu sondern, auch größere Teile zu arrangieren. Will sagen: Es schied der hohe Himmel sich von der Erde, es trennte das Meer sich ab und breitete sein Wasser aus, so gesondert auch des hohen Himmels Feuer, unvermischt und für sich fanden seine Partikel Bestand. Übersetzung: Lukrez, Natur der Dinge, 182 f (K. Binder, mit dem Kommentar 329 ff ), s.
zur Interpretation von Buch V noch Schäfer, Schlange, 260 ff.
Q 142: Ovid, Metamorphosen 1,5–20 (vgl. oben 60) Die wichtigste Darstellung einer Kosmogonie in der lat. Literatur ist das erste Buch der Metamorphosen von Ovid (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.). Nach einem Proömium (1,1–4) beginnt Ovid seine Beschreibung mit dem Chaos (1,5–20), dann folgt die Trennung der Elemente (1,21–31, s. Q 143), die Ordnung der schweren Elemente und die Einteilung in fünf Bereiche (1,32–51), die Ansiedlung der leichten Elemente (1,52–68), die Lebewesen von den Gestirnen bis zu den Tieren (1,69–75) und schließlich der Mensch (1,76–88). In Buch 1,5–20 heißt es zum Chaos: 5 Ehe das Meer und die Erde bestand und der Himmel, der alles deckt, da besaß die Natur im All nur ein einziges Antlitz, Chaos (chaos) genannt, eine rohe und ungegliederte Masse (rudis indigestaque moles), nichts als träges Gewicht, und geballt am nämlichen Orte disharmonierende Samen nur lose vereinigter Dinge. 10 Titan gab es noch nicht, die Welt mit Licht zu erhellen, Phoebe bewirkte noch nicht, daß die Sichel des Mondes sich dehnte, noch nicht schwebte die Erde in Lüften, die rings sich ergossen, hängend im eigenen gleichen Gewichte; nicht streckte die Arme Amphitrite am weit sich dehnenden Saume der Länder.
Q 144: Plinius der Ältere, Naturalis historia 2,1 und 37,205 625
15 Zwar war Erde daselbst vorhanden und Meer und auch Lufthauch, aber die Erde gewährte nicht Stand, das Wasser kein Schwimmen, lichtlos waren die Lüfte. Es schwankten die Formen der Dinge, eines hemmte das andere, in ein und dem nämlichen Körper kämpften das Kalte und Warme, es rangen das Trockene und Feuchte, 20 Weiches stritt mit dem Harten, was ohne Gewicht, mit dem Schweren. Übersetzung: Ovid, Metamorphosen, 23 (H. Breitenbach, mit dem Kommentar 517), s.
dazu auch Lämmli, Chaos, 2 ff; Bömer, Metamorphosen, 18 ff; Böhme/Böhme, Feuer, 32 ff; Felber u. a., Art. Weltschöpfung, 467 (Käppel/Merkt); Rechenmacher, Gott, 16 f mit Anm. 63 und Bührer, Anfang, 103 f. Zu beachten sind die an ao. Kosmogonien erinnernden Noch nicht-Formulierungen (Z. 10 ff ).
Q 143: Ovid, Metamorphosen 1,21–31 (vgl. oben 60) In Ovids Kosmogonie, die sich in Buch 1 seiner Metamorphosen findet (vgl. Q 142), spielt die Trennung der Elemente eine zentrale Rolle. Dazu heißt es in Buch 1,21–31: Aber es gab eine Schlichtung des Streites: ein Gott, eine bessre Kraft der Natur schied Himmel und Erde und Erde und Wasser, und er trennte den heiteren Himmel vom dickeren Luftdunst. Als er nun alles entwirrt, aus der finsteren Masse entnommen, 25 band er das örtlich Getrennte zusammen in friedlicher Eintracht; und so schnellte die leichte, die feurige Kraft des gwölbten Himmels empor und gewann sich den Platz in der obersten Höhe. Ihr zunächst ist die Luft an Leichtigkeit wie auch im Raume; dichter als sie ist die Erde, die größere Stoffe herbeizog, 30 durch ihre Schwere zusammengepreßt; die umfließende Feuchte nahm den Rand in Besitz und umschloß den festeren Erdkreis. Übersetzung: Ovid, Metamorphosen, 23 f (H. Breitenbach, mit dem Kommentar 517), s.
dazu auch Lämmli, Chaos, 4 ff und Bömer, Metamorphosen, 24 ff.
2. Schöpfung und Lebenswelt Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft Q 144: Plinius der Ältere, Naturalis historia 2,1 und 37,205 (vgl. oben 481) Die ausführlichste röm. Darstellung des Kosmos, seines Aufbaus und seiner inneren Zusammenhänge stammt von Plinius dem Älteren (79–23 v. Chr.). Dessen Naturalis historia/Naturgeschichte behandelt folgende Themen: 1 Vorwort 2 Kosmologie 3–6 Geographie 7 Lebewesen 8–11 Zoologie 12–19 Botanik
Widmung, Inhalts- und Quellenverzeichnis Himmel, Erde, Gestirne, Elemente beginnend mit dem Menschen Landtiere, Wassertiere, Vögel, Insekten Bäume, Stauden, Feldfrüchte, Ackerbau, Gartengewächse, Gartenbau
626 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 20–32 Heilmittel 33–37 Mineralien 37,205 Preis der Natur
Pflanzenreich, Tierreich „Mutter aller Dinge“
In Buch 2,1 heißt es u. a.: Das Weltall (mundus) und das, was wir mit einem anderen Namen „Himmel“ (caelum) nennen, unter dessen Wölbung (circumflexus) alles sein Leben führt, hält man mit Recht für ein göttliches Wesen. Es ist ewig, unermesslich, weder gezeugt noch jemals vergänglich. Zu erforschen, was außerhalb dieser Welt liegt, bringt dem Menschen keinen Nutzen, auch kann er es verstandesmäßig gar nicht erfassen. Heilig ist diese Welt, ewig, unermesslich, ganz im Ganzen, ja selbst in sich das Ganze (totum). Sie ist unendlich und gleicht doch einem Endlichen, bestimmbar in all ihren Teilen und doch letztlich unbestimmbar. Äußeres und Inneres umfassend, ist sie gleichermaßen ein Werk der Natur (natura) und die Natur selbst. Mit dem „Preis der Natur“ beschließt Plinius in Buch 37,205 seine wunderbare Naturgeschichte: Sei mir gegrüßt, Natur, du Mutter aller Dinge (parens rerum omnium), und nimm es mit Wohlwollen auf, dass von allen Bürgern Roms ich allein dich in allen deinen Teilen verherrlicht habe. Übersetzung: Plinius der Ältere, Naturalis historia, 21.23.148 (M. Giebel), s. dazu Graßhoff,
Art. Kosmologie, 777. Zum Aufbau der Naturalis historia s. Plinius der Ältere, Naturalis historia, 12 f.
Q 145: Plinius der Ältere, Naturalis historia 2,43 und 18,1–5 (vgl. oben 481) Die Fürsorglichkeit der ‚Mutter Erde‘ wird von Plinius dem Älteren (79–23 v. Chr.) in Buch 18,1–5 seiner Naturalis historia/Naturgeschichte (zur Gliederung s. Q 144) eindrücklich gepriesen: Es folgt die Beschaffenheit der Feldfrüchte, der Gärten und Blumen und was sonst noch, außer den Bäumen und Sträuchern, aus der gütigen Erde hervorkommt. Allein schon die Betrachtung der Kräuter führt ja ins Unermessliche, wenn man sie würdigen will in ihrer Vielfalt und Anzahl, mit ihren Blüten, Gerüchen und Farben, den Säften und Kräften, mit allem, was sie zur Gesundheit oder zur Freude des Menschen hervorbringt. (…) Und in Buch 2,43 heißt es hellsichtig: Wir sind wahrhaftig gar nicht dankbar gegenüber denjenigen, die uns durch ihre mühevolle, sorgsame Tätigkeit Erleuchtung gebracht haben über diese Leuchte des Himmels (sc. den Mond). Es ist doch geradezu eine seltsame Krankheit des menschlichen Geistes, dass es uns gefällt, in unseren Geschichtsbüchern nur Kriege und Blutvergießen festzuhalten, so dass man von der menschlichen Schlechtigkeit erfährt, aber gleichzeitig nichts weiß über das Walten der Natur. Übersetzung: Plinius der Ältere, Naturalis historia, 39.41 (M. Giebel).
Q 148: Ovid, Metamorphosen 1,76–88 627
Q 146: Vergil, Georgica 2,475–489 (vgl. oben 480) Die Faszination kosmologischer Vorgänge war in der hell.-röm. Dichtkunst sehr verbreitet. Ein eindrückliches Beispiel ist das 2. Buch der Georgica von Vergil (70–19 v. Chr.). Dort heißt es in Z. 475–489: Mich aber sollen – dies ist mein sehnlichster Wunsch – die vor allem geliebten Musen aufnehmen, deren Heiligtümer ich trage, von übermächtiger Liebe durchdrungen, sollen mich über die Bahnen des Himmels und die Gestirne belehren, das zweitweise Schwinden der Sonne und die Mühen des wechselnden Mondes, auch, weshalb die Erde bebt, durch welche Macht die tiefen Meere anschwellen, Dämme brechen und wiederum in sich zurücksinken, (480) weshalb die Wintersonne so rasch zum Oceanus niedertaucht, oder welches Hemmnis die zaudernden Nächte zurückhält. Hindert mich aber allzu frostiges Blut um das Herz, dieses Reich der Natur zu betreten, dann sollen mich die Fluren erfreuen und rieselnde Bäche in Tälern, dann will ich ohne Ruhm Flüsse und Wälder lieben. Oh, wo seid ihr, Auen am Spercheusfluss, und Taygetus, den Spartanische Jungfrauen durchschwärmen? Wer versetzt mich in die kühlen Täler des Haemus und wölbt über mir den Schatten riesiger Äste? Übersetzung: Vergil, Leben auf dem Lande, 165.167 (M. von Albrecht/O. Schönberger, mit
dem Kommentar 390).
3. Schöpfung und Menschenbild Geschöpflichkeit Q 147: Horaz, Oden 4,7,16 (vgl. oben 208) Ebenso wie in der griech. Tragödie (s. Q 139) sind Vergänglichkeitsaussagen auch in der röm. Dichtkunst beliebt. Ein Beispiel ist Horaz, Oden 4,7,16: Was sich verlor am Himmel, das freilich ersetzen rasch wieder die Monde; sobald wir aber hinabgesunken, 15 wohin schon Aeneas gegangen (sc. in die Unterwelt), wohin der reiche Tullus und Ancus (sc. legendäre Könige der röm. Frühzeit), Staub und Schatten sind wir dann nur. Übersetzung: Horaz, Werke, 227 (B. Kytzler).
Der Mensch als „Bild Gottes“ Q 148: Ovid, Metamorphosen 1,76–88 (vgl. oben 62) Der mit dem Begriff effigies „Bild“ ausgedrückte Gedanke der Sonderstellung des Menschen, wie er in Ovids Metamorphosen im Zusammenhang mit der Erschaffung des Menschen durch Prometheus (1,83) erscheint, findet sich sowohl in der Philosophie als auch in der nichtphilosophischen Literatur (Aristoteles, Cicero, Cato u. a.). Ob zwischen Gen 1,26–28 und Ovid eine Verbindung besteht, ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen. Nach Bömer, Ovidius Naso, 45 ist die Wendung in effigiem … deorum (Z.83) der früheste Beleg der klassischen Antike für die Auffassung vom „Ebenbild der Götter“. In Metamorphosen 1,76–88 schreibt Ovid:
628 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Aber ein reineres Wesen, Gefäß eines höheren Geistes, Über die andern zu herrschen befähigt, es fehlte noch immer. Und es entstand der Mensch, sei’s, dass ihn aus göttlichem Samen Jener Meister erschuf, der Gestalter der besseren Weltform, 80 Sei’s dass die Erde, die jugendfrische, erst kürzlich vom hohen Äther geschieden, die Samen, die himmelsverwandten, bewahrte. Denn sie mischte des Iapetus Sohn mit dem Wasser des Regens, Formte (finxit) sie dann nach dem Bild der alles regierenden Götter (in effigiem moderantum cuncta deorum). Während die anderen Wesen gebückt zur Erde sich neigen, 85 Ließ er den Menschen das Haupt hochtragen: er sollte den Himmel Sehen und aufgerichtet den Blick nach den Sternen erheben. Also war nun die Erde verwandelt: soeben noch formlos Roh, ward sie jetzo geschmückt mit den Menschengestalten, den neuen. Übersetzung: Ovid, Metamorphosen, 25 f (H. Breitenbach), s. dazu Lämmli, Chaos, 9 ff
und Bömer, aaO 42 ff. Zur Frage, ob bei Ovid mit einem Einfluß des Gen-Textes zu rechnen ist, s. Lämmli, aaO 125 ff.
𓇼
X. Antikes und Rabbinisches Judentum 1. Weltanfang und Weltende Weltschöpfung Q 149: Gen 1,2LXX (vgl. oben 51) In der Septuaginta wird die hebr. Wendung rûaḥ ʾælohîm Gen 1,2MT mit πνεῦμα θεοῦ übersetzt: 1 2
Am Anfang hat Gott den Himmel und die Erde gemacht. Die Erde aber war unsichtbar und unbearbeitet, und Finsternis war über der Tiefe. Und der Geist Gottes (πνεῦμα θεοῦ) wurde auf das Wasser gelegt.
Übersetzung: Rösel, Übersetzung, 25 (mit dem Kommentar 34 f ), s. dazu auch Ausloos/
Lemmelijn (Hg.), Theologie, 41 f.
Q 150: 2 Makk 7,28 f (vgl. oben 34.53) Die Grundstelle der dogmatischen creatio ex nihilo-Lehre findet sich nach traditioneller Auffassung in 2 Makk 7,28 f (aus dem letzten Drittel des 2. Jh.s v. Chr.) in einem Kontext, der vom Martyrium der sieben Söhne und ihrer Mutter erzählt (2 Makk 7,1–42). Nachdem sechs Brüder auf grausame Weise von Antiochus IV. Epiphanes getötet wurden, wendet sich die Mutter mit folgenden Worten beschwörend ihrem letzten, dem siebten Sohn zu:
Q 151: SapSal 11,15–20a.24 f 629
(28) Ich bitte dich, (mein) Kind, zu erkennen, wenn du zum Himmel hinaufschaust und (hin) auf die Erde und (dabei) alles in ihnen betrachtest, dass Gott diese nicht aus (schon) Bestehendem geschaffen hat (οὐκ ἔξ ὄντων), und so (auch) das Menschengeschlecht entsteht. (29) Fürchte nicht diesen Henker, sondern nimm, (deiner) Brüder würdig, den Tod auf dich, damit ich dich mit (deinen) Brüdern in der (Zeit der?) Barmherzigkeit wiedererhalten werde. Übersetzung: Kraus/Karrer (Hg.), Septuaginta Deutsch. Übersetzung, 704 (mit dem
Kommentar Karrer/Kraus [Hg.], Septuaginta Deutsch. Erläuterungen, 1395 [T. Nicklas]).
Es ist aber die Frage, ob in 2 Makk 7,28 tatsächlich von einer creatio ex nihilo, also von einer Voraussetzungslosigkeit der Schöpfung, die Rede ist oder ob es nicht „näher (liegt), hier die platonische Affassung einer eigenschaftslosen Urmaterie zu assoziieren als ein im strengen Sinn gedachtes Nichts“ (Hartenstein, Vorwelt, 43). Auch nach SapSal 11,17 (s. Q 151) ist die Weltschöpfung von Gott „aus formlosem Stoff “ zustande gebracht worden. Literatur: Zur Interpretation von 2 Makk 7,28 s. Scholem, Schöpfung, 64; May, Schöpfung, 6 ff; Groß, Art. Creatio ex nihilo, 486; Feldmeier/Spieckermann, Gott, 264 f und Hartenstein, Vorwelt, 43 f.55. Zur creatio ex nihilo-Lehre in der Systematischen Theologie s. Moltmann, Gott, 98 ff; Link, Art. Creatio ex nihilo, 487 ff; ders., Schöpfung 2, 275 ff; Anselm, Schöpfung, 228 ff u. a. Zur Rezeption von 2 Makk 7,28 in Röm 4,17 s. Q 170.
Q 151: SapSal 11,15–20a.24 f (vgl. oben 480) Nach SapSal 11,15–12,2 (aus der Zeit des Augustus, d. h. zwischen 30 v. Chr. bis 14 n. Chr.) gerät die Gebetsreflexion über Gottes Vergeltungshandeln gegen Ägypten ins Grundsätzliche und gibt dafür in V. 17 eine Begründung an. Die Wendung „gestaltloser Stoff “ begegnet bereits bei Plato und Aristoteles und wird dann auch von den Stoikern und Philo verwendet (s. dazu Groß, Art. Creatio ex nihilo, 486): 15 Anstelle ihrer unverständigen, unrechten Gedanken, von denen irregleitet sie vernunftlose Kriechtiere verehrten und wertloses Getier, ließest du gegen sie eine Menge vernunftloser Lebewesen los zur Strafe, 16 damit sie erkannten, dass man, wodurch man sündigt, eben dadurch bestraft wird. 17 Nicht unfähig war ja deine allmächtige Hand, die die Welt aus gestaltlosem Stoff (ἔξ ἀμόρφου ὕλης) erschaffen hatte, gegen sie eine Menge von Bären oder kühne Löwen loszuschicken, 18 oder ungekannte Raubtiere voll neuartiger Wut, die entweder Feier speienden Atem hauchen oder zischenden Qualm ausstoßen oder entsetzliche Funken aus den Augen sprühen; 19 nicht allein die Schädigung durch diese hätte sie vernichten, vielmehr auch schon der erschreckende Anblick (sie) zugrunde richten können. 20 Aber auch ohne diese hätten sie durch einen einzigen Hauch fallen können, vom Recht verfolgt und geworfelt von deinem mächtigen Hauch.
630 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Und in SapSal 11,24 f geht der Verfasser vom Gedanken der Schöpfung zu dem der Erhaltung des Geschaffenen über: 24 Du (sc. Gott) liebst nämlich alles, was existiert, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast. Würdest du nämlich etwas hassen, hättest du es nicht bereitet. 25 Wie aber könnte etwas Bestand haben, wenn du es nicht gewollt hättest, oder wäre etwas, das du nicht (ins Dasein) gerufen hast, bewahrt geblieben? Übersetzung: Mazzinghi, Weisheit, 316 f (mit dem Kommentar 319 ff ), s. zur Interpreta-
tion noch Engel, Weisheit (NSK.AT), 191 ff; Hübner, Weisheit (ATD.A), 154 ff und Hartenstein, Vorwelt, 43 f.
Q 152: 1QM 10,12–16 (vgl. oben 460) In der sog. Kriegsrolle aus Qumran (1QM) begegnet in einem Hymnus auf den Schöpfergott das Gottesprädikat „der Schöpfer der Erde“. Dieser Gott ist inmitten des Heeres präsent und kämpft für es: (12) Der da die Erde geschaffen (bārāʿ Ptz.) und ihrer Einteilung Vorschriften (13) nach Wüste und Steppenland, und all ihre Sprößlinge, mit […], Meereskreis und Zufluß von Strömen und Urflutenspaltung, (14) Tiergeschöpfe und Vögel, das Gebilde (tabnît) des Menschen und die Geschl[echter] seines [Samens,] Sprachverwirrung und Völkertrennung, Sippen-Wohnsitz (15) und Ländererbe. [… …] heilige Festttermine, Jahreszyklen und ewige (16) Zeiten. Übersetzung: Maier, Qumran-Essener 1, 139, vgl. Lohse, Texte, 205. Zum Titel „Schöpfer“
s. noch 4Q408 3+3a,3; 4Q372 1,24 und 4Q371 2,2, s. dazu García Martínez, Art. bārāʾ, 504. Zu den Schöpfungshymnen in Qumran s. Lichtenberger, Menschenbild, 163 ff.179 f, speziell zu 1QM 10,12 ff s. ders., aaO 166 ff.
2. Schöpfung und Chaos Unterwelt (Eingang) Q 153: Babylonischer Talmud bSukka 32b (vgl. oben 378) Gemäß einer Tradition über Jochanan ben Zakkai (gest. um 80 n. Chr.) wird der Eingang zur Gehenna genau lokalisiert, nämlich zwischen „zwei Dattelpalmen … im Tal Ben Hinnom“. In bSukka 32b heißt es: R. Marjon sagte im Namen des R. Jehoschua b. Levi, wie manche sagen, lehrte es Rabba b. Mari im Namen des R. Jochanan b. Zakkaj: Zwei Datelpalmen befinden sich im
Q 155: Sirach 18,8–14 631
Tale Ben Hinnom, zwischen denen ein Rauch aufsteigt; diese sind es, von denen wir gelernt haben, die Steinpalmen des Eisenberges seien tauglich. Da befindet sich die Tür des Fegefeuers. Übersetzung: Goldschmidt, Talmud, Bd. 3, 345.
3. Schöpfung und Lebenswelt Regelhafte Abläufe in Natur und Gesellschaft Q 154: SapSal 7,13–22a (vgl. oben 16 f ) Gott verleiht Weisheit und lenkt mit ihr die Welt. Nach SapSal 7,13–22a wird diese als „untrügliche Kenntnis“ aller Zweige der hell. Naturwissenschaft dem König Salomo aufgrund von 1 Kön 5,9–14 zugeschrieben, nämlich: Kosmologie und Physik (V. 17b), Kalenderberechnung und Astronomie (V. 18–19), Zoologie und Verhaltensforschung (V. 20a), Dämonologie und Psychologie (V. 20b) sowie Botanik und Heilmittelkunde (V. 20c). V. 21– 22a bilden den Abschluß: 17 Er selbst (sc. Gott) gab mir (sc. Salomo) die untrügliche Kenntnis von dem, was ist, er ließ mich die innere Struktur der Welt und die Wirklichkeit der Elemente zu erkennen, 18 den Anfang und das Ende und die Mitte der Zeiten, den Wechsel der Sonnenwenden und die periodischen Veränderung der Zeiten, 19 die Zyklen des Jahres und die Konstellationen der Sterne, 20 die Arten der Tiere und die Vielfalt der Bestien, die Gewalt der Winde und die Gedanken der Menschen, die Pflanzen in all ihrer Unterschiedlichkeit und die Heilkraft der Wurzeln. 21 Also alles, was verborgen und was offenbar ist, lernte ich kennen. 22a Denn als die, die alles so kunstvoll hergestellt hat, lehrte mich die Weisheit. Übersetzung: Hübner, Weisheit (ATD.A), 93 (mit dem Kommentar 100 f; V. 20b ist bei
Hübner allerdings ausgefallen), s. dazu auch Engel, Weisheit (NSK.AT), 131; Blischke, Eschatologie, 173 ff; Mazzinghi, Weisheit (IEKAT), 208 ff (den Plural φύσεις übersetzt Mazzinghi mit „Natur“) und Saur, Ordnung, 67 Anm. 9.
Schöpferisches Wirken Gottes Q 155: Sirach 18,8–14 (vgl. oben 273) Während der Mensch nach Sir 17,1–10 ein Ebenbild Gottes und ein zum Gotteslob bestimmtes Wesen ist (s. Q 161), betont Sir 18,1–14, dass Gott den Menschen gegenüber langmütig ist und er sie wie ein guter Hirte leitet: 8 Was ist der Mensch und was ist sein Nutzen? Was ist sein Gutes und was ist sein Schlechtes? 9 Die Zahl der Tage eines Menschen – bei vielen Jahren hundert, [und unberechenbar für alle der Todesschlaf eines jeden].
632 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 10 Wie ein Wassertropfen vom Meer und ein Sandkorn, so wenige Jahre vor einem Tag der Ewigkeit. 11 Darum erwies sich der Herr langmütig gegen sie und goss über sie sein Erbarmen aus. 12 Er sah und erkannte ihr Ende, dass es schlimm ist; darum ließ er seine Versöhnungsbereitschaft reichlich sein. 13 Das Erbarmen des Menschen geht auf seinen Nächsten, das Erbarmen des Herrn auf alles Fleisch: er weist zurecht und erzieht und belehrt und führt wie ein Hirt seine Herde zurück. 14 Er erbarmt sich derer, die Zucht annehmen und die sich eifrig mühen um seine Entscheidungen. Übersetzung: Marböck, Jesus Sirach I (HThK.AT), 219 (mit dem Kommentar 223 ff ), s. dazu auch Janowski, Anthropologie, 558.
Q 156: 1 QS 2,2–4 (vgl. oben 145) Bei der Bundeserneuerungszeremonie in der Gemeindregel von Qumran (1 QS) üben die eintretenden Novizen zunächst Buße und werden dann von den Priestern mit einer veränderten Version von Num 6,24–26 gesegnet. Der entsprechende Passus in 1 QS 2,2–4 hat folgenden Worrtlaut: (2) Und die Priester segnen alle Männer des Loses Gottes, die vollkommen wandeln auf allen Seinen Wegen, und sprechen: „Er segne dich mit allem (3) Guten und bewahre dich vor allem Bösen. Er erleuchte dein Herz mit Verstand des Lebens und begnade dich mit ewigem Wissen (4) und Er erhebe Sein gnädiges Antlitz auf dich zu ewigem Frieden.“ Dann verfluchen die Leviten „alle Männer des Loses Belials“, d. h. alle nicht-essenischen Juden (Z. 4–9), während „alle, die in den Bund eintreten“, also die neuen Mitglieder, mit einem doppelten „Amen“ zustimmen (Z. 10). Übersetzung: Maier, Qumran-Essener 1, 170, s. zur Interpretation Lichtenberger, Men-
schenbild, 109 ff.115 f.194.205.215 (mit Herausarbeitung der Differenzen zu Num 6,24 ff ) und Hamidovic, Segen, 80.
Gefährdungen der Lebenswelt Q 157: SapSal 2,21–24 (vgl. oben 462) Die Gedanken der Gottlosen, so urteilt SapSal 2,21–24, „führen sie auf einen moralischen und religiösen Irrweg“ (Mazzinghi, Weisheit, 98), weil sie nicht die Geheimnisse Gottes erkannten. Dabei hat Gott den Menschen in Unverderblichkeit geschaffen und ihn zum „Bild seiner eigenen Eigenheit“ gemacht:
Q 159: Ps 109(110)LXX 633
21 Dies dachten sie (sc. die Gottlosen) und gingen in die Irre, verblendet hatte sie nämlich ihre Bosheit, 22 und sie erkannten nicht die Geheimnisse Gottes und erhofften keinen Lohn für Frömmigkeit und meinten, (es gebe) keine Auszeichnung für untadelige Seelen. 23 Denn Gott hat den Menschen geschaffen in Unverderblichkeit (ἀφθαρσία), und als Bild (εἰκών) seiner eigenen Eigenheit hat er ihn gemacht. 24 Aber durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, es erfahren ihn aber, die zu seinem Anteil gehören. Übersetzung: Mazzinghi, Weisheit, 96 (mit dem Kommentar 98 ff ), s. dazu auch Engel,
Weisheit (NSK.AT), 76 ff; Hübner, Weisheit (ATD.A), 45 ff und Oberforcher, Lesarten, 154 f. Zum Menschen als „Bild Gottes“ in V. 23 s. Groß, Statue, 36 f; Völkening, Imago Dei, 438 ff.459 ff und Schellenberg, Gott, 51 ff (mit weiterer Lit.).
4. Schöpfung und Menschenbild Menschenschöpfung Q 158: Gen 1,26–28LXX (vgl. oben 64) Im Unterschied zur hebräischen Vorlage (Gen 1,26 f MT), werden die beiden Präpositionen in der LXX-Übersetzung vereinheitlicht und als normangebend aufgefasst (κατά „nach, gemäß“). Hier ist also im Sinn des Wortes von Gottebenbildlichkeit die Rede: 26 Und Gott sprach: Wir wollen einen Menschen machen, unserem Bilde gemäß (κατ’ εἰκόνα ἡμετέραν, MT: als unser Bild) und [fehlt in MT] der Ähnlichkeit gemäß (καθ’ μοίωσιν, MT: wie unsere Ähnlichkeit), und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über die Haustiere und über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. 27 Und Gott machte den Menschen, dem Bilde Gottes gemäß (κατ’ εἰκόνα θεοῦ) machte er ihn, männlich und weiblich machte er sie. Übersetzung: Rösel, Übersetzung, 27 (mit dem Kommentar 48 ff ), s. dazu auch Groß, Statue, 35 f; Oberforcher, Lesarten, 150 ff; Schwienhorst-Schönberger, Weisheit, 392 ff u. a.
Q 159: Ps 109(110)LXX (vgl. oben 259.261) Wie Ps 2 und 21 hat auch Ps 109LXX die neutestamentliche Christologie wesentlich beeinflußt. Das gilt besonders für V. 1 und V. 4 (vgl. 1 Kor 15,25; Röm 8,34; Mk 12,35–37 parr.; Apg 2,34 f; Hebr 1,13 u. ö.). Eine interpretierende Textänderung, die eine messianische Deutung erlaubt, nimmt LXX in V. 3 vor (s. dazu Tilly, Psalm 110, 166 ff ): 1 Bezogen auf David, ein Psalm.
Es sprach der Herr zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten,
bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache.
Εἶπεν ὁ κύριος τῷ κυρίῳ μου Κάθου ἐκ δεξιῶν μου, ἕως ἂν θῶ τοὺς ἐχθρούς σου ὑποπόδιον τῶν ποδῶν σου.
634 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 2 Den Stab deiner Macht wird der Herr von Sion aussenden, und (so) herrsche inmitten deiner Feinde.
3 Mit dir ist die Herrschaft am Tag deiner Macht im Glanz der Heiligen;
aus dem Leib habe ich dich hervorgebracht (noch) vor dem
Morgenstern.
μετὰ σοῦ ἡ ἀρχὴ ἐν ἡμέρᾳ τῆς δυνάμεώς σου ἐν ταῖς λαμπρότησιν τῶν ἁγίων· ἐκ γαστρὸς πρὸ ἑωσφόρου ἐξεγέννησά σε. 4 Der Herr hat (es) geschworen und wird (es) nicht bereuen: Du bist Priester (bis) in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.
ὤμοσεν κύριος καὶ οὐ μεταμεληθήσεται Σὺ εἶ ἱερεὺς εἰς τὸν αἰῶνα κατὰ τὴν τάξιν Μελχισεδεκ.
5 Der Herr zu deiner Rechten hat am Tag seines Zorns Könige
zermalmt.
6 Er wird unter den Völkern richten (und sie) mit Niederlagen sättigen; er wird die Häupter vieler auf dem Land zermalmen.
7 Aus dem Bach am Weg wird er trinken. Deshalb wird er das Haupt erheben. Übersetzung: Kraus/Karrer (Hg.), Septuaginta Deutsch. Übersetzung, 866, s. zur Interpre-
tation Hengel, Psalm 110, 43 ff; Karrer/Kraus (Hg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen, 1812 ff (E. Bons); Bons, Psalm 110, 122 ff und Tilly, Psalm 110, 146 ff.
Q 160: 1 QH 20,24–36 (vgl. oben 93) In den Texten vom Toten Meer begegnet die aus Gen 2,7 bekannte Vorstellung der Erschaffung des Menschen aus „Staub“ (ʿpr) besonders in den Niedrigkeitsdoxologien der Hodayot (1QH). Als Beispiel sei der Anfang aus der Niedrigkeitsdoxologie 1 QH 20,24–36 (bisher: 12,24–36) zitiert: Und ich – vom Staub hast [Du mich genommen und aus Lehm] hast du mich [geformt] (25) zu einer Quelle von Unreinheit und schändlicher Schmach, ein Häufchen Staub und geknetet mit Wasser […] und eine Wohnung (26) von Finsternis. Rückkehr zum Staub ist dem Lehmgebilde (verhängt), zur Zeit [… … …] im Staub, (27) zu dem, von dem er genommen. Und was erwidert Staub, und [… … … …] und [wie] kann er verstehen (28) Seine [Wer]ke? Wie soll er hintreten vor seinen Zurechtweiser und [… … … … der Hei]ligkeit? Übersetzung: Maier, Qumran-Essener 1, 104, vgl. Lohse, Texte, 159 und Dahmen, Lob-
lieder, 79.81 (mit abweichender Zeilenzählung); zur Interpretation s. Lichtenberger,
Q 163: Words of the Luminaries 4Q504 Frg. 8 635
Menschenbild, 80 f.88 ff. Zu den Schöpfungssverben und den Schöpfungsvorstellungen in den Qumrantexten s. Maier, Qumran-Essener 3, 313 f und García Martínez, F., Art. bārāʾ, 502 ff.
Der Mensch als „Bild Gottes“ Q 161: Sirach 17,1–10 (vgl. oben 62.461) In seinem Lehrstück über Gottes Weisheit und Erbarmen in Sir 16,24–18,14 gibt der Sirazide Auskunft über sein Verständnis des Menschen. Dabei kommt es in Sir 17,1–10 zu der Aussage, dass der sterbliche Mensch (V. 1) ein Ebenbild Gottes (V. 3) und ein zum Gotteslob bestimmtes Wesen ist (V. 9 f ): 1 Der Herr erschuf den Menschen aus Erde und ließ ihn wieder zu ihr zurückkehren. 2 Gezählte Tage und eine bestimmte Zeit gab er ihnen und er gab ihnen Vollmacht über das, was auf ihr ist. 3 Ihnen entsprechend umkleidete er sie mit Stärke und nach seinem Bild machte er sie (κατ’ εἰκόνα αὐτοῦ ἐποίησεν ἀυτούς). 4 Er legte die Furcht vor ihm auf alles Fleisch, und dass er über wilde Tiere und Vögel herrsche. [5 Sie erhielten den Gebrauch der fünf Wirkkräfte des Herrn, als sechste Gabe teilte er ihnen Verstand zu und als siebte das Wort (Logos) als Deuter seiner Wirkkräfte.] 6 Entscheidungsfähigkeit und Zunge und Augen, Ohren und Herz gab er ihnen zum Überlegen. 7 Mit verständiger Einsicht erfüllte er sie und Gut und Böse zeigte er ihnen. 8 Und er richtete sein Auge auf ihre Herzen, um ihnen die Größe seiner Werke zu zeigen, [und er trug ihnen auf, stets seine Wundertaten zu rühmen] 9 damit sie die Großtaten seiner Werke preisen 10 und den Namen der Heiligung sollen sie loben. Übersetzung: Marböck, Jesus Sirach I (HThK.AT), 208 (mit dem Kommentar 213 ff ), s. dazu auch Trimpe, Schöpfung, 123 f (mit dem Kommentar 124 ff ); Groß, Statue, 36; Oberforcher, Lesarten, 153 f; Janowski, Anthropologie, 557 und Schellenberg, Gott, 47 ff.
Q 162: SapSal 2,23 (vgl. oben 62) Zur Gottebenbildlichkeitsaussage in SapSal 2,23 s. Q 157.
Q 163: Words of the Luminaries 4Q504 Frg. 8 (vgl. oben 65) In dem vermutlich aus dem 2. Jh. v. Chr. stammenden und „Worte der Lichter“ (dbry hamʾrwt) genannten liturgischen Text 4 Q 504–506 = 4 Q DibHam mit Gebeten für jeden Tag (s. die Übersetzung bei Maier, Qumran-Essener 2, 605 ff ) findet sich in 4 Q 504 Frg. 8 recto 4 ein Beleg für den Bildbegriff demwt („Ähnlichkeit“) in Verbindung mit dem Begriff
636 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike kbwd („Herrlichkeit“ + Subj. Gott): „Adam] unseren Vater hast Du gebildet in der Ähnlichkeit (demwt) [Deiner] Herrlichkeit“. Obwohl vieles an diesem Text aufgrund seiner Lückenhaftigkeit unklar bleibt, ist doch deutlich, dass „hier Gen 1–3 nacherzählt wird“ (Schellenberg, Gott, 56) und nicht von der Ähnlichkeit Gottes, sondern von der Ähnlichkeit der Herrlichkeit Gottes gesprochen wird. Die Unterschiede zur priesterlichen Gottebenbildlichkeitsaussage (s. dazu oben 61 ff ) liegen jedenfalls auf der Hand: (4) – Adam] unseren Vater hast Du gebildet in der Ähnlichkeit (demwt) [Deiner] Herrlichkeit [–] (5) [eine Lebensseele ha]uchtest Du ein in seine Nase und Einsicht und Erkenntnis [–] (6) [… … … … … im Gar]ten Eden, den Du gepflanzt hast, ließest [Du ihn] herrschen (7) … … … … … … ] zu wandeln in einem Land von Herrlichkeit … [–] (8) [… … … … … …] hütete er und Du trugst ihm auf, nicht. [–] (9) [… … … … … … F]leisch ist er und zu Staub. [–] (4Q504 Frg. 8 recto 4–9) Übersetzung: Maier, Qumaran-Essener 2, 614, s. zur Interpretation Schellenberg, Gott,
55 ff (dort weitere Lit.). Zum Thema „Gottebenbildlichkeit“ in den Qumrantexten s. Lichtenberger, Menschenbild, 169 ff, vgl. auch den Beleg in 1QM 10,14 oben Q 152.
Q 164: Rabbinisches Judentum (vgl. oben 62) Im rabbinischen Judentum (Targume, Midraschim, Talmud) gibt es zahlreiche Belege für die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Dabei ist zwischen einem konkreten Bildverständnis (Ähnlichkeit zwischen göttlicher und menschlicher Gestalt) und einem funktionalen Bildverständnis (Herrscherbild, Herrschaftsauftrag, Ethos) zu unterscheiden. Literatur: Maier, Art. Bild Gottes, 503 f (mit Nennung von Belegen) und Oberforcher, Les-
arten, 155 ff.
5. Schöpfung und Kult/Tempel Kosmologische Symbolik des Tempels Q 165: Zur kosmologischen Symbolik im antiken Judentum (vgl. oben 371) In den Texten des antiken Judentums ist die kosmologische Symbolik ein zentrales und komplexes Thema. Dazu gehören u. a. folgende Texte: Deuterokanonische und pseudepigraphische Literatur Sir 50,5–11 (s. Q 168); äthHen 14 und 71; TestLev 5,1 ff; Aristeasbrief §§ 83–106 (§ 89: Tempelquelle) u. a. Texte vom Toten Meer Sabbatlieder aus Qumran (Shirot ʿOlat Ha-Shabbat „Lieder zum Brandopfer am Sabbat“ 4 Q 400–407; 11 Q 17) Philo und Josephus Philo, De specialibus legibus I § 166 (Gewand des Hohenpriesters, vgl. Sir 50,5–11, s. Q 168) Josephus, Antiquitates Judaicae 3,122 ff (zu Jos.Ant. 3,184 ff s. Q 169) u. a.
Q 167: Mischnatraktat Joma 637
Was die rabbinische Kosmologie angeht, so haben P. Schäfer und B. Ego dazu wichtige Vorarbeiten geleistet (s. dazu Tilly, Jerusalem, 64 ff.71 ff ). Zentrale Texte sind aus dem Babylonischen Talmud der Text bHag 12b (s. dazu Ego, Himmel, 6 ff; dies., Tempeltheologie, 48 ff ) und aus der Mischna der Traktat Joma („Der Tag“), der die Ritualüberlieferung von Lev 16 rezipiert und weiterführt. So wird in mJoma 5,2 der Ritus am „Grundstein“ (ʾæbæn šetijjāh) geschildert, der den Platz der ehemaligen Lade einnahm (s. Q 167). Literatur: Schäfer, Tempel, 122 ff; Maier, Tempel, 371 ff; ders., Kultfrömmigkeit, 43 ff; ders.,
Zwischen, 218 ff; ders. Art. Tempel, 65 ff; Ego, Himmel und dies., Tempeltheologie, 36 ff.
Q 166: Tempelrolle aus Qumran 11QT 29,8–10 (vgl. oben 35) In Kol. 29,8–10 der Tempelrolle aus Qumran wird die Erschaffung des Tempels verheißen, auf dem JHWH seine Herrlichkeit wohnen lassen wird „bis zum Tag der (neuen) Schöpfung“: (8) Ich ich will heiligen mein [Hei]ligtum mit meiner Herrlichkeit, denn ich werde wohnen lassen (9) auf ihm meine Herrlichkeit bis zum Tag der Schöpfung (jwm habberijjāh), wenn ich selbst mein Heiligtum schaffen werde, (10) um es zu gründen für mich für alle Zeit gemäß dem Bund, den ich geschlossen habe mit Jakob in Bethel. Übersetzung: Steudel, Texte, 59 (mit dem Kommentar 261), s. auch Maier, Tempelrolle,
131 f und zum Verständnis Janowski/Lichtenberger, Enderwartung, 94 ff; Kratz/Spieckermann, Art. Schöpfer/Schöpfung, 278 und García Martínez, F., Art. bārāʾ, 506.
Q 167: Mischnatraktat Joma (vgl. oben 371) Nach dem Mischnatraktat Joma („Der Tag“, s. dazu Krupp, Festzeiten, 141 ff ) wurde jedes Jahr am 10. Tischri der Sündenbock von einem Begleiter vom Tempelplatz in Jerusalem über eine Wegstrecke von etwa 12 Kilometern in die Wüste Juda geführt, wo er an einem Felsvorsprung in die Tiefe gestürzt wurde. Nach ausführlichen Vorbereitungshandlungen (Kapitel 1–3) schildert das 4. Kapitel des Traktats die Auslosung der beiden Böcke – für JHWH und für Azazel –, die dann für ihre jeweilige Bestimmung vorbereitet wurden (4,1 f ). Um den Kopf des wegzuschickenden Bockes flocht der Hohepriester ein „Band von Kermeswolle … und stellte ihn an der Stelle auf, von wo er weggeschickt werden sollte, und den zu schlachtenden an der Schlachtstelle“ (4,2). Darauf werden die Maßnahmen des Hohenpriesters innerhalb und außerhalb des Allerheiligsten geschildert, wobei der Ritus am „Grundstein“ (ʾæbæn šetijjāh), der den Platz der ehemaligen Lade einnahm und auf den der Hohepriester die Schaufel mit dem Räucherwerk stellte (5,2), eine besondere Rolle spielte: Nach der Entfernung der Lade war dort ein Stein aus der Zeit der frühen Propheten, der Shetija (Grundstein) genannt wurde. Er war drei fingerbreit höher als der Fußboden, und auf ihn stellte er sie (die Schaufel). Übersetzung: Krupp, Festzeiten, 153 (mit dem Kommentar aaO 372 f ). In der Kosmologie
der Rabbinen gilt dieser Grundstein als „Gründungsstein“ der Welt. s. dazu Böhl, ShetijaStein, 257 ff; Schäfer, Tempel, 122 f und Tilly, Jerusalem, 60 ff.64 ff.72 f.227 ff.238 f.250 f u. ö.
638 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Priesterkleidung und Kultgeräte Q 168: Sirach 50,5–11 (vgl. oben 34.207) In Sir 50 wird geschildert, wie sich der Hohepriester Simon II. (ca. 218–192 v. Chr.) auf die Kultfeier im Jerusalemer Tempel vorbereitete und dafür seinen Ornat anglegte. Dabei wird sein Erscheinen mit zahlreichen Vergleichen beschrieben, die auf die Darstellung der Schöpfung in Sir 43,1 ff (s. dazu oben 504 ff [Anhang I]) Bezug nehmen. So ist „die ganze Schöpfung … gegenwärtig, wenn der Hohepriester erscheint“ (Sauer, Jesus Sirach [ATD.A], 339): 5 Wie herrlich war er, wenn er aus dem Zelt hervorschaute, wenn er hervortrat aus dem Hause vor den Vorhang. 6 Wie ein Stern leuchtete er zwischen den Wolken und wie der Vollmond an den Tagen des Festes. 7 Und wie die Sonne, die da strahlt auf das Heiligtum des Königs, und wie der Bogen, der in den Wolken erscheint. 8 Wie eine Blüte an den Zweigen in den Tagen des Festes und wie eine Lilie an den Wasserbächen, wir die sprossenden Pflanzen des Libanon in den Tagen des Sommers. Wie das Feuer des Weihrauchs auf dem Opfer, 9 wie ein goldenes Gefäß im Hause eines Vornehmen, das besetzt ist mit Edelsteinen, 10 wie ein grünender Ölbaum voller Früchte und wie ein Ölbaum mit fetten Zweigen, 11 wenn er die herrlichen Gewänder anlegte und wenn er sich umkleidete mit den prächtigen Gewändern, wenn er hinauschritt auf den herrlichen Altar und die Umfriedung des Heiligtums mit Herrlichkeit erfüllte. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 336 f (mit dem Kommentar 339 f ), s. dazu auch Hartenstein, Angesicht, 163 f. Zur Parallele bei Josephus, antiquitates 3,184 ff s. Q 169.
Q 169: Josehpus, Antiquitates Judaicae 3,184–187 (vgl. oben 207) In Buch 3 seiner „Jüdischen Altertümer“ (Antiquitates Judaicae) beschreibt auch Flavius Josephus (37 bis ca. 100 n. Chr.) den hohepriesterlichen Ornat (s. Abb. 153) in kosmologischer Begrifflichkeit: (184) Ebenso bedeutet das Gewand des Hohepriesters, weil es von Leinen ist, die Erde, der Hyacinth aber den Himmel. Die Granatäpfel bedeuten den Blitz, der Schall der Glocken den Donner. Das Ephud, das aus vier Stoffen gewebt ist und unter dem Auge Gottes steht, zeigt die ganze Natur an, und das ihm beigewirkte Gold bedeutet nach meinem Dafürhalten den Lichtglanz, der alles überstrahlt. (185) Der Brustlatz in der Mitte des Ephuds entspricht gleichfalls der Erde, die in der Mitte der Welt gelegen ist, der Gürtel aber dem Ocean, der die ganze Erde umfliesst. Sonne und Mond bedeuten die beiden Sardonyxe auf den Schultern, die hier das Gewand des Hohepriesters zusammenheften. (186) Die zwölf Edelsteine aber kann man mit den zwölf Monaten vergleichen, oder auch den zwölf Sternbildern in dem Kreise, den die Griechen Zodiakus
Q 169: Josehpus, Antiquitates Judaicae 3,184–187 639
Abb. 153: Kleidung des Hohepriesters zur Zeit des Zweiten Tempels nennen. Der Kopfbund endlich scheint mir ein Bild des Himmels zu sein, da er von Hyacinth ist (er könnte sonst den Namen Gottes nicht an sich tragen), (187) und eine leuchtende goldene Krone sich an ihm befindet, entsprechend dem Glanze, der Gott umgiebt. Übersetzung: Clementz, Jüdische Altertümer (z. St.), s. auch den Kommentar von Feld-
man, Flavius Josephus, 281 f und Pena, Wearing, 6 ff.
𓇼
640 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
XI. Neues Testament und Antikes Christentum 1. Weltanfang und Weltende Weltschöpfung Q 170: Röm 4,17 (vgl. oben 53) Bei seiner Charakterisierung des Glaubens Abrahams parallelisiert Paulus in Röm 4,17 Gottes Schöpfermacht mit seiner Auferweckung der Toten und steht damit auf seine Weise in der Tradition von 2 Makk 7,28 (s. Q 150). Allerdings spricht Paulus „nicht von der Schöpfung, sondern von der Eschatologie … Es scheint dabei, als ob Paulus eine aus anderem Zusammenhang stammende Formel in seine Ausführungen über den Glauben Abrahams einspannt“ (Scholem, Schöpfung, 65): Wie geschrieben steht: „Zum Vater vieler Völker habe ich die gesetzt“. Angesichts Gottes, an den er glaubte als den, der den Toten Leben schafft und das Nichtseiende ins Sein ruft (καὶ καλοῦντος τὰ μὴ ὄντα ὡς ὄντα). Literatur: Wilckens, Römer I (EKK), 274 f; Groß, Art. Creatio ex nihilo, 486; Hahn, Theo-
logie 2, 70 ff; Feldmeier/Spieckermann, Gott, 524 f u. ö.; Konradt, Schöpfung, 157 und Theobald (Hg.), Die Bibel, 557 (M. Theobald).
Q 171: Markion (vgl. oben 9.32) Seit dem 2. Jh. n. Chr. wirkte – gleichsam als ‚geheimes Gift‘ – die Verwerfung des Alten Testaments durch Markion von Sinope (ca. 85 bis ca. 160 n. Chr.) mit dem Argument, der Gott des Gesetzes und der Propheten sei „der Urheber des Bösen, der Anstifter der Kriege, unbeständig in seinen Entschlüssen und sich selbst widersprechend“ (Irenäus von Lyon, Wider die Häresien 1,27,2, zitiert nach Ritter, Alte Kirche, 25). Jesus dagegen, so setzt Irenäus von Lyon (1. Hälfte des 2. Jh. bis ca. 200 n. Chr.) sein Referat der Position Markions fort, „stamme von jenem Vater ab, der über dem Schöpfer der Welt stehe; unter dem Landpfleger Pontius Pilatus, welcher Prokurator des Kaisers Tiberius war, sei er nach Judäa gekommen, und indem er sich denen in Menschengestalt offenbarte, die in Judäa waren, habe er die Propheten, das Gesetz und alle Werke des Gottes, der die Welt erschaffen – ihn bezeichnete er auch als Weltherrscher – aufgehoben …“ (ders., ebd.) Markion trat mit dem Anspruch auf, die Autorität des paulinischen Evangeliums wieder zur Geltung zu bringen. „Was ‚Evangelium‘ bedeutete, wolle er ausschließlich aus den Briefen des Paulus begründen. In seiner Radikalität trennte er aber, was bei Paulus eine dialektische Einheit bildete: Gesetz und Evangelium“ (Reventlow, Epochen 1, 146). Markion verkündete zwei Götter, den höchsten, guten Gott des Evangeliums, dem die Vollkommenheitsprädikate des philosophischen Gottesbegriffs zukommen, und den gerechten Gott des Alten Testaments, den Weltschöpfer (δημιουργός) und unbarmherzigen, „wilden“ (ἄγριος) Richtergott: „(1,2,1) Zwei Götter bringt der Mann aus Pontus bei, gleichsam als die beiden Symplegaden, an denen er Schiffbruch erlitten: der eine, den er nicht wegleugnen konnte,
Q 172: Augustin, De civitate Dei 641
ist der Schöpfer, als unser [Gott]; der andere, den er schwerlich hat beweisen können, ist sein eigener. Den Anstoß zu diesem Hirngespinst empfing der Unglückselige aus einem ganz einfach [zu verstehen]en Abschnitt der Verkündigung des Herrn, wo – in Anwendung auf Menschen, nicht auf Götter! – das Doppelbeispiel des guten und des schlechten Baumes gebracht [und gesagt] wird, dass weder der schlechte Baum gute noch der gute schlechte Früchte bringen könne [vgl. Lk 6,43] … (2) Erschöpft nämlich vom Grübeln über das Problem des Bösen, wie es auch jetzt noch viele sind, zumal Häretiker: woher das Böse stamme (unde malum), und benommen von unmäßiger Wißbegierde (curiositas), stieß er auf den Ausspruch des Schöpfers: ‚Ich bin’s, der ich Unheil schaffe‘ [Jes 45,7]. Und je mehr er sich … eingebildet hatte, dass dieser [Gott] der Urheber des Bösen sei, um so eher deutete er den schlechten Baum mit den schlechten Früchten, d. h. mit den Übeln, auf den Schöpfer und nahm an, dass [daneben], entsprechend dem guten Baum mit den guten Früchten, ein anderer Gott existieren müsse. (3) Und so entdeckte er in Christus gleichsam eine andere Heilsordnung (dispensatio): die der ausschließlichen, reinen Güte und von der [Wesensart] des Schöpfers ganz und gar verschieden, und hatte leichtes Spiel mit dem Beweis, dass es eine neue, fremde Gottheit sei, die sich in seinem Christus offenbarte …“ (Tertullian, Wider Markion 1,2, zitiert nach Ritter, aaO 23 f ) Der durch Gesetz und Propheten verkündigte Gott und der „unbekannte Gott“ (Lk 10,21 f ) des Evangeliums, der über die Welt erhaben ist, haben, so Markion, nichts miteinander zu tun. Im Gegensatz zum „Gott des Gesetzes“ richtet „der ‚fremde‘ Gott … nicht. Er ist die Verkörperung des Guten schlechthin, und damit die Liebe selbst. Der ‚fremde‘ Gott hat nichts mit der Schöpfung als solcher zu tun; als Geschöpf ist der Mensch das ‚Eigentum‘ des Schöpfergottes. Wenn der Schöpfergott als ‚gerecht‘ bezeichnet wird, ist er damit noch nicht gut; vielmehr ist er der ‚Urheber von Übeln‘ (Iren. Haer. III, 12, 15). Die Stelle Jes 45,7 – beschränkt auf die Aussage: ‚ich schaffe das Böse‘ – ist Markion dafür der entscheidende Beleg (vgl. Tert. Adv. Marc. I,2.2 – daneben der Verstockungsauftrag an Jesaja, Jes 6,9; vgl. Adv. Marc. IV,19.2; V,11.9). Auch andere Eigenschaften des alttestamentlichen Gottes: daß er zürnt, daß er sich rächt (vgl. Tert. Adv. Marc. I,27.2) und kriegswütig ist, bringen Markion zu dem Schluß, daß er mit dem Gott Jesu Christi nicht identisch sein kann“ (Reventlow, aaO 147). Literatur: Reventlow, Epochen 1, 144 ff; May, Art. Markion/Markioniten, 834 ff und Janow-
ski, Gott, 7 ff.
Q 172: Augustin, De civitate Dei (vgl. oben 53) Seit dem 3. Jh. n. Chr. war die Lehre von der creatio ex nihilo – und zwar mit antignostischer Ausrichtung (s. Q 150) – in der alten Kirche weit verbreitet. Gott hat, wie dann besonders Augustin (354–430 n. Chr.) lehrte, die Welt aus dem Nichts geschaffen und für seine Schöpfung nicht auf eine bereits vorhandene ungeformte Materie zurückgegriffen. In Buch 12,1 seines Werks De civitate Dei/Über den Gottesstaat heißt es dazu: Wir sagen daher, dass es kein unveränderliches Gut gibt außer dem einzigen, wahren und seligen Gott; die Dinge jedoch, die er geschaffen hat, sind zwar gut, weil sie von
642 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike ihm sc. geschaffen wurden, aber dennoch veränderlich, weil sie nicht aus ihm, sondern aus dem Nichts geschaffen worden sind (quod non de illo, sed de nihilo facta sunt). Übersetzung: Drecoll (Hg.), Augustin Handbuch, 472 (L. C. Seelbach, mit weiteren Bele-
gen), s. dazu auch Augustin, Gottesstaat, 229 und May, Schöpfung, 149 f.151 ff.
2. Schöpfung und Chaos Chaoskampf Q 173: Apk 12,3 f.7–9 und 20,1–3 (vgl. oben 411) In der Johannesapokalypse ist an mehreren Stellen von einem siebenköpfigen feuerroten Drachen, seinem Erscheinen, seinem Sturz und seiner Gefangennahme die Rede. Wir zitieren nur die wichtigsten Belege: Vision des Drachen (3) Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe ein großer feuerroter Drache, der hatte sieben Köpfe und zehn Hörner und auf seinen Hörnern sieben Diademe. (4) Und sein Schwanz fegt ein Drittel der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde. Und der Drache steht vor der Frau, die im Begriff ist zu gebären, damit er, wenn sie geboren habe, ihr Kind verschlinge. (Apk 12,3 f ) Sturz des Drachen (7) Und es brach ein Krieg aus am Himmel, Michael und seine Engel (erhoben sich), um mit dem Drachen zu kämpfen. Und der Drache und seine Engel kämpften, (8) und er behielt nicht die Oberhand (eig. war nicht stark genug) noch wurde für sie ein Platz gefunden im Himmel. (9) und (hinab)geworfen wurde der große Drache, die alte Schlange, die „Diabolos“ genannt wird und „der Satan“, der den ganzen Erdkreis verführt – er wurde (hinab)geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm hinabgeworfen. (Apk 12,7–9) Gefangennahme des Drachen (1) Und ich sah einen Engel herabsteigen vom Himmel, der hatte den Schlüssel des Abyssos und eine gewaltige Kette auf seiner Hand. (2) Und er ergriff den Drachen, „die alte Schlange, das ist der Diabolos und der Satan“, und band ihn tausend Jahre (3) und warf ihn in den Abyssos und verschloss und versiegelte über ihm, damit er nicht ferner die Völker verführe, bis vollendet sind die 1000 Jahre. Danch muss er für kurze Zeit (wieder) freigelassen werden. (Apk 20,1–3) Übersetzung: Lichtenberger, Apokalypse (ThK.NT), 175.181.255 (mit dem Kommentar
175 ff.181.255).
Q 176: Joh 10,11–18 643
3. Schöpfung und Lebenswelt Schöpferisches Wirken Gottes Q 174: Apk 21,1–4 (vgl. oben 461) Vor dem Buchschluss Apk 22,6–21 steht als theologischer Höhepunkt der Johannesapokalypse die Perikope über die neue Schöpfung, das himmlische Jerusalem, die Einwohnng Gottes bei den Menschen und die Überwindung des Todes und des Schmerzes: (1) Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. (2) Und die heilige Stadt, das Neue Jerusalem, sah ich aus dem Himmel von Gott herabkommen, bereitet wie ein geschmückte Braut für ihren Mann. (3) Und ich hörte eine gewaltige Stimme vom Thron her sagen: Siehe, die Wohnung Gottes bei den Menschen, und Er wird mit ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und Er, Gott, wird bei ihnen sein [als ihr Gott], (4) und er wird abwischen jede Träne von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, weder Leid noch Geschrei noch Schmerz weden mehr sein, denn das Erste ist vergangen. Übersetzung: Lichtenberger, Apokalypse (ThK.NT), 259 (mit dem Kommentar 260 f ).
4. Schöpfung und Menschenbild/Christusbild Jesus Christus als „Sohn Gottes“, „guter Hirte“ und „Bild Gottes“ Q 175: Mk 1,9–11 (vgl. oben 257) In der Taufperikope Mk 1,9–11 wird Ps 2,7 rezipiert, wobei im Zitat der Psalmstelle („Mein Sohn bist du“) das „Du“ betont vorangestellt und die Formel „heute habe ich dich geboren“ durch Zitatationssplitter aus Jes 42,1 („Geist“) und Gen 22,2.12.16 („geliebter Sohn“) ersetzt wird: (9) Und es geschah in jenen Tagen, dass Jesus von Nazareth in Galiläa kam und im Jordan von Johannes getauft wurde … (10) Und sofort stieg er aus dem Wasser und sah die Himmel sich spalten und den Geist wie eine Taube auf sich herabschweben. (11) Und eine Stimme erscholl aus den Himmeln: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen“. Literatur: Gnilka, Markus I (EKK), 49 ff.
Q 176: Joh 10,11–18 (vgl. oben 273) Im Unterschied zu Lk 15,3–7 – „Und wenn er es (sc. das Schaf ) gefunden hat, legt er es freudig auf seine Schultern“ (V. 5) – begegnet in der Hirtenrede Joh 10,11–18 die Wendung „Der gute Hirte“ (ὁ ποιμὴν ὁ καλός V. 11.14). Der gute Hirte, sagt dieser Text, ist „gut“, weil er im Unterschied zum Tagelöhner sein Leben für seine Schafe einsetzt: (11) Ich bin der gute Hirt (ὁ ποιμὴν ὁ καλός). Der gute Hirt setzt sein Leben ein für die Schafe (τὴν ψυχὴν αὐτοῦ τίθησιν ὑπὲρ τῶν προβάτων), (12) der Tagelöhner, der
644 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike nicht Hirt ist, dem die Schafe nicht zu eigen sind, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf raubt sie und zerstreut (sie) –, (13) denn er ist ein Tagelöhner, und ihm liegt nichts an den Schafen. (14) Ich bin der gute Hirt und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, (15) wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne Und mein Leben setze ich ein für die Schafe. (16) Und andere Schafe habe ich, die nicht aus diesem Stall sind; auch jene muss ich führen, und sie werden meine Stimme hören; und sie werden sein: eine Herde, ein Hirt! (17) Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben einsetze, damit ich es wieder nehme. (18) Keiner reißt es von mir, vielmehr setze ich es von mir aus ein. Ich habe die Vollmacht, es einzusetzen, und ich habe die Vollmacht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag erhielt ich von meinem Vater. Übersetzung: Theobald, Johannes I (RNT), 660 f (mit dem Kommentar 658 ff ), s. zur In-
terpretation noch Schröter, Sterben 268 ff u. a. Zum Motiv des Lebenseinsatzes „bis zum Tod“ s. Janowski, Ecce homo, 70 ff und Theobald, aaO 676 ff.
Q 177: Christusbild in der römischen Katakombenmalerei (vgl. oben 273) Von den frühen Christusbildern der röm. Katakombenmalerei des 1.–4. Jh.s n. Chr. sind bislang 114 Exemplare bekannt geworden (s. Legner, Art. Hirt, 289 ff ). Das Charakteristikum dieser Bilder besteht darin, dass sie keine porträthaften Abbilder Christi, sondern prägnante Sinnbilder sind, die die Handlung darstellen, die der Erlöser vollbringt und die ihn als ebendiesen identifiziert. Ein gutes Beispiel ist eine Darstellung aus der Priscillakatakombe (3. Jh. n. Chr., s. Abb. 154). Sie zeigt den schaftragenden Christus, wie er zwischen zwei ihn flankierenden, die Herde symbolisierenden Schafen steht. Warum er das Schaf trägt, wird deutlich, wenn man die beiden Quellen dieser Bildkomposition beachtet: zum einen das Gleichnis vom verlorenen Schaf Lk 15,3–7, das im Unterschied zur matthäischen Parallele (Mt 18,12–14) das Motiv des Auf-die-Schultern-Legens des wiedergefundenen Schafs enthält – „Und wenn er es gefunden hat, legt er es freudig auf seine Schultern“ (V. 5) –, und zum anderen die paganen Darstellungen des Gottes Hermes, der einen Widder auf seinen Schultern trägt (Hermes Kriophoros) und der die felicitas, das selige Leben im Jenseits symbolisiert. Dieser Bildtyp, der als Deckenmalerei ebenfalls in der Priscillakatakombe zu sehen ist, wird durch Bezüge auf die Gestalt des Orpheus erweitert, der kein Schaf trägt, aber eine Leier in der Hand hält und durch seine Musik die Tiere verzaubert: ein Bild des paradiesischen Friedens in der von Christus, dem „Guten Hirten“, vollendeten Schöpfung (s. Abb. 154). Literatur: Engemann, Art. Hirt, 577 ff; Barasch, Gottesbild, 38 ff und Baudry, Handbuch,
37 ff.
Q 178: Kol 1,15–20 (vgl. oben 62.462) Im NT ist das Lexem εἰκών „Bild, Abbild, Urbild“ 23-mal belegt (s. Kuhli, Art. εἰκών, 943 ff ). Ihren spezifischen Ort scheint die Bild Gottes-Prädiktion dabei „im Kontext einer Doxa-Christologie bekommen zu haben, worin Christus als Träger des göttlichen Kabod in die höchste himmlische Position einrückt“ (Vollenweider, Ebenbild, 61). Die Glaubenden gewinnen ihrerseits „Anteil an derjenigen Doxa, von der Christus umspielt ist“ (ders., ebd.). Die wohl gewichtigste neutestamentliche Aussage von Christus als Bild Gottes ist
Q 178: Kol 1,15–20 645
Abb. 154: Guter Hirte mit Schaf (Priscilla-Katakombe, 3. Jh. n. Chr.) der Hymnus Kol 1,15–20. Hier liegt ein Typ von Ikonologie vor, der nicht zu Gen 1,26 f, sondern „in die Weisheits- und Logosspekulationen des griechischsprachigen Judentums zurückführt“ (ders., aaO 62, dort mit weiteren Differenzierungen). Der Text besteht aus zwei Strophen (V. 15–18a und V. 18b–20), die deutlich machen, dass es nicht wie in Gen 1 der gottebenbildliche Mensch ist, der in die raumzeitlichen Ordnungen der Schöpfung eingewiesen wird, sondern der kosmische Christus, der als Bild Gottes der Schöpfung ihre Strukturen und ihr Maß verleiht:
646 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike Erstgeborener der Schöpfung (15) Er (sc. Christus) ist das Bild (εἰκών) des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung; (16) denn in ihm wurde alles geschaffen im Himmel und auf der Erde, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne, Herrschaften, Gewalten, Mächte; durch ihn und auf ihn hin ist alles geschaffen. (17) Und er ist vor allem, und alles findet in ihm seinen Zusammenhalt, (18a) und er ist das Haupt des Leibes, der Kirche. Versöhnungshandeln Christi (18b) Er ist der Anfang (ἀρχή), der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem Erster werde; (19) denn in ihm gefiel es aller Fülle Wohnung zu nehmen (20) und durch ihn und auf ihn hin alles zu versöhnen, Frieden schaffend durch das Blut seines Kreuzes, durch ihn sei es dem auf der Erde, sei es dem im Himmel. Übersetzung: Schweizer, Kolosser (EKK), 50 (mit dem Kommentar 50 ff.56 ff ), s. dazu
auch Kuhli, Art. εἰκών, 946 f; Oberforcher, Lesarten, 161 f und Vollenweider, Ebenbild, 62 f.
Adam/Christus-Typologie Q 179: Röm 5,12–21 (vgl. oben 103) In Röm 5,12–21 fasst Paulus den ersten großen Abschnitt seiner Darstellung des Evangeliums mit der berühmten Adam/Christus-Typologie zusammen. Die Leitworte, die alles bündeln, sind Sünde und Tod sowie Gnade und Leben. In V. 12–14 heißt es: 12 Deswegen: Wie durch Einen Menschen die Sünde in die Welt hineingekommen ist und durch die Sünde der Tod und so zu allen Menschen der Tod hindurchgekommen ist, weil alle gesündigt haben, – 13 bis zum Gesetz nämlich war (bereits) Sünde in der Welt; Sünde aber wird nicht verbucht, wo kein Gesetz da ist. 14 Dennoch herrschte der Tod (in der Zeit) von Adam bis Mose auch über die, die nicht gesündigt haben in gleicher Gestalt als (Gebots-)Übertretung wie Adam, der das Gegenbild des zukünftigen (Adam) ist. Literatur: Wilckens, Römer I (EKK), 305 ff; Theobald, Römer I (SKK.NT), 153 ff; ders. (Hg.), Die Bibel, 559 f (M. Theobald); Konradt, Schöpfung, 152 ff und Lee, Death Warning, 154 ff. Zur (problematischen) Rezeption von Gen 2 f durch Paulus s. zu recht Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 173 f.
Ethische Aspekte Q 180: Mt 5,43–48 (vgl. oben 177) In der sechsten Antithese der Bergpredigt wird das Gebot der Feindesliebe mir einer Motivation versehen, die auf das Schöpferwirken Gottes abhebt. „Wie der Schöpfer“, so M. Theobald, „die lebensnotwendigen Gaben von Wasser und Wärme nicht nach der moralischen Qualität der Empfänger verteilt, so sollt auch ihr eure Tatliebe – von Emotionen ist nicht die Rede – allen zuwenden, selbst euren Feinden. Dieser Spruch, der auf die vom Schöpfer anerkannte Würde jedes einzelnen Menschen, unabhängig von seinen Leistungen, abhebt, gibt wahrlich zu denken!“ (Theobald, Bergpredigt, 270). Der bekannte Text lautet folgendermaßen:
Q 181: Sure 21,30–33 647
43 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, 45 damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet, denn er lässt seine Sonne über Bösen und Guten aufgehen und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
vgl. Lev 19,18
vgl. Ex 23,4 f; 1 Sam 24; Spr 24,17 f; 25,21 f
Literatur: Luz, Matthäus I (EKK), 405 f; Theobald, Bergpredigt, 270 f und Janowski, Gott,
178 ff.
XII. Koran 1. Weltanfang und Weltende Weltschöpfung Q 181: Sure 21,30–33 (vgl. oben 49) Im Koran gibt es „keinen Schöpfungsbericht, keine Darstellung des Sechs-Tage-Werkes, wohl aber einige ferne Anklänge an die biblische Szenerie“ (Nagel, Schöpfer, 207). So wird die Erschaffung von Himmel und Erde an mehreren Stellen mit unterschiedlicher Detailliertheit geschildert, s. Sure 7,54; 10,3; 11,7; 21,30–33; 25,59; 32,4; 41,9–1250,38; 57,4 und 79,27–33. Nach dem folgenden Text mussten Himmel und Erde, die ursprünglich eine Einheit bildeten, getrennt werden, damit der Kosmos in Erscheinung tritt: 30 Sahen denn nicht die, die ungläubig sind, dass die Himmel und die Erde einst eine Einheit waren? Wir rissen beide auseinander und machten aus dem Wasser alles, was lebendig ist. Wollt ihr denn da nicht glauben? 31 Wir machten auf der Erde Berge, fest gegründet, dass sie nicht mit ihnen schwanke. Und wir machten auf ihr Pfade zu Wegen. Vielleicht lassen sie sich leiten. 32 Wir machten den Himmel zu einem wohl bewachten Dache. Sie aber wenden sich von ihren Zeichen ab. 33 Er ist es, der die Nacht und den Tag erschuf, die Sonne und den Mond. Alle schweben auf einer Himmelsbahn. (Sure 21,30–33) Übersetzung: Bobzin, Koran, 281, vgl. Paret, Koran, 264 (mit dem Kommentar bei ders.,
Kommentar, 341), s. dazu auch Maier, Koran-Lexikon, 151 f; Nagel, Schöpfer, 207 ff; Bobzin, Texte, 103 f und Janowski, Anthropologie, 698 f.
648 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike
Weltuntergangsszenarien Q 182: Sure 101,1–11 (vgl. oben 154) In Sure 101 werden das Weltende und das Gericht in bildhafter From geschildert: „Alles läuft auf die Waage zu, auf der die Taten eines jeden Menschen gewogen werden, was dann sein weiteres Schicksal bestimmt“ (Bobzin, Texte, 81). Der Ausdruck „Die Pochende“ ist eine bildhafte Bezeichnung für die „Stunde“, das heißt den Jüngsten Tag: 1 Die Pochende. 2 Was ist ‚die Pochende‘? 3 Und was lässt dich wissen, was ‚die Pochende‘ ist? 4 Am Tage, da die Menschen zersteuten Motten gleichen 5 und die Berge zerzauster Wolle: 6 Wessen Waagschalen sich dann senken, 7 der wird ein zufriedenes Leben haben; 8 und wessen Waagschalen sich dann heben, 9 dessen Mutter wird der Abgrund sein. 10 Und was lässt dich wissen, was das ist? 11 Glühendes Feuer. Übersetzung: Bobzin, Koran, 582, vgl. Paret, Koran, 516 (mit dem Kommentar bei ders.,
Kommentar, 518). Für weitere Texte zum Thema s. Bobzin, Texte, 81 ff.
2. Schöpfung und Lebenswelt Ordnungsdenken Q 183: Sure 55 (vgl. oben 324.435 f.462) Gegenüber Ps 136 stellt Sure 55 („Der Barmherzige“) einen Gegentext dar, „der vor allem das psalmistische Verständnis von Zeit und Ewigkeit verhandelt und neu bewertet“ (Neuwirth, Zeit, 325). Er gliedert sich in die drei Abschnitte Hymnus I: 1–13, Hymnus II: 14–36 und Eschatologische Szenerie: 37–78:
Hymnus I
1 Der Barmherzige. 2 Er lehrte den Koran. 3 Er schuf den Menschen. 4 Er lehrte ihn die klare Rede. 5 Die Sonne und der Mond sind zur Berechnung da. 6 Die Sterne und die Bäume fallen nieder. 7 Den Himmel hob er in die Höhe und stellte die Waage auf, 8 auf dass ihr beim Wiegen nicht übertretet! 9 So setzt das Gewicht in Gerechtigkeit, und lasst die Waage nichts verlieren! 10 Die Erde machte er für die Geschöpfe. 11 Auf ihr sind Früchte und fruchtbeladene Palmen 12 und Korn auf Halmen und duftendes Gewürz. 13 Ja, welche Gnadengaben eures Herrn wollt ihr denn leugnen? (= Kehrvers)
Q 183: Sure 55 649
Hymnus II 14 Aus Ton schuf er den Menschen, der Töpferware gleich, 15 und aus Gemisch von Feuer schuf er die Dschinne. 16 Kehrvers 17 Der Herr des Ostens und des Westens! 18 Kehrvers 19 Er ließ die beiden Ströme – bis zum Zusammentreffen – fließen, 20 zwischen ihnen ist ein Damm, so dass sie nicht zusammenfließen. 21 Kehrvers 22 Aus beiden kommen Perlen und Korallen. 23 Kehrvers 24 Sein sind die Schiffe, die auf dem Meer wie Zeichen ragen. 25 Kehrvers 26 Jeder, der auf ihr weilt, der muss vergehen, 27 und es bleibt das Antlitz deines Herrn, des Herrn der Majestät und der Ehre. 28 Kehrvers 29 Ihn bittet, wer in den Himmeln und auf Erden ist. Jeden Tag ist er am Wirken 30 Kehrvers 31 Wir werden uns Zeit nehmen für euch nehmen, ihr Menschen und ihr Dschinne! 32 Kehrvers 33 Ihr Dschinnen- und ihr Menschenschar, wenn ihr die Gefilde von Himmel und Erde durchstoßen könnt, dann stoßt hindurch! Nur mit einer Vollmacht könnt ihr hindurch. 34 Kehrvers 35 Feuerflammen und flüssiges Erz werden auf euch beide herabgesandt, so dass euch nicht zu helfen ist. 36 Kehrvers Eschatologische Szenerie 37 Wenn sich dann der Himmel spaltet und rot wird wie die Haut, 38 Kehrvers 39 an jenem Tag wird weder Mensch noch Dschinn nach seiner Schuld befragt, 40 Kehrvers 41 die Missetäter werden erkannt an ihren Zeichen und dann gepackt an den Locken und den Füßen. 42 Kehrvers 43 Das ist die Hölle, die die Missetäter leugnen, 44 Sie kreisen zwischen ihr und siedend heißem Wasser. 45 Kehrvers 46 Zwei Gärten sind denen zugedacht, die den Auftritt ihres Herrn fürchten, 47 Kehrvers 48 die voller Arten sind, 49 Kehrvers 50 dort sind zwei Quellen, welche sprudeln, 51 Kehrvers 52 dort ist von allen Früchten, in Paaren. 53 Kehrvers 54 Auf Ruhepolstern lehnen sie, mit Decken aus Brokat; und nahe sind der Gärten Früchte 55 Kehrvers 56 Keusch blickende Frauen sind dort, vorher weder von Mensch noch Dschinn berührt, 57 Kehrvers 58 als ob sie Hyazinthen wären und Korallen. 59 Kehrvers 60 Kann denn der Lohn für Wohltat anderes als Wohltat sein? 61 Kehrvers 62 Unter ihnen sind noch zwei Gärten 63 Kehrvers 64 von dunklem Grün, 65 Kehrvers 66 dort sind zwei Quellen, reichlich sprudelnd, 67 Kehrvers 68 dort sind Früchte, Palmen und Granatapfelbaum, 69 Kehrvers 70 darin sind gute, schöne Frauen 71 Kehrvers 72 mit schwarzen Augen, in Zelten abgesondert, 73 Kehrvers
650 Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike 74 vorher weder von Mensch noch Dschinn berührt, 75 Kehrvers 76 auf grünen Polstern und schönen Teppichen liegen sie. 77 Kehrvers 78 Voller Segen ist der Name deines Herrn, des Herrn der Majestät und Ehre. Übersetzung: Bobzin, Koran, 476 ff, s. dazu auch Neuwirth, Psalmen, 168 ff; dies., Zeit, 325 ff; dies., Koran als Text, 215 ff und dies., Koran 1, 586 ff.
3. Schöpfung und Menschenbild Menschenschöpfung Q 184: Sure 23,12–16 und 32,7–9 (vgl. oben 93) Neben der Vorstellung der Erschaffung des Menschen aus Lehm gibt es im Koran die Vorstellung von seiner Entstehung aus einem Samentropfen: 12 Den Menschen schufen wir aus einem Extrakt aus Lehm 13 und machten ihn zu einem Samentropfen an einem sicheren Platz. 14 Dann formten wir den Samentropfen um zu einem Klumpen, dann formten wir den Klumpen um zu einem Fötus, dann formten wir den Fötus um zu Knochen, um dann die Knochen mit Fleisch zu umkleiden. Dann ließen wir ihn als andere Schöpfung erstehen. Voller Segen ist Gott, der beste Schöpfer! 15 Und siehe, danach müsst ihr dann sterben 16 und werdet dann, am Tag der Auferstehung, wieder auferweckt. (Sure 23,12–16) „Aber die echte Relation zwischen Gott und Mensch ist erhalten in dem Bericht, dass Allah dem Menschen von seinem Geiste eingehaucht habe“ (Bouman, Gott, 12) Diese Vorstellung ist in Sure 15,26–43 und Sure 32,7–9 belegt: 7 Er, der da alles, was er schuf, gut machte und der mit Lehm begann des Menschen Schöpfung, 8 dann seine Nachkommenschaft machte aus einem Extrakt jämmerlichen Wassers, 9 ihn dann ebenmäßig formte und von seinem Geist in ihn blies und euch Ohren, Augen, Herzen machte: Wie wenig seid ihr dankbar! (Sure 32,7–9) Übersetzung: Bobzin, Koran, 296 f.362, vgl. Paret, Koran, 279.342 (s. ders., Kommentar,
353.396), s. dazu auch Bouman, Gott, 11 f; Maier, Koran-Lexikon, 117; Nagel, Anthropologie, 212 ff; Bobzin, Texte, 102 f und El Maaroufi, Ethik, 46 ff.
Q 186: Sure 16,49 f und 17,44 651
Der Mensch als Sachwalter Gottes Q 185: Sure 2,30–33 (vgl. oben 65) Im Unterscheid zum Tier ist der Mensch nach koranischer Vorstellung der „Nachfolger, Stellvertreter“ (ḫalīfa) Gottes auf Erden (s. Sure 2,30; 38,26, vgl. 6,165; 7,69.74; 10,14.73; 27,62; 35,39 u. ö.). In Sure 2,30–33 heisst es: (30) Und (damals) als dein Herr zu den Engeln sagte: „Ich werde auf der Erde einen Nachfolger (ḫalīfa) einsetzen!“ Sie sagten: „Willst du auf ihr jemand (vom Geschlecht der Menschen) einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir (Engel) dir lobsingen und deine Heiligkeit preisen?“ Er sagte: „Ich weiß (vieles), was ihr nicht wißt.“ (31) Und er lehrte Adam alle Namen. Hierauf legte er sie den Engeln vor und sagte: „Tut mir ihre Namen kund, wenn (anders) ihr die Wahrheit sagt!“ (32) Sie sagten: „Gepriesen seist du! Wir haben kein Wissen außer dem, was du uns (vorher) vermittelt hast. Du bist der, der Bescheid weiß und Weisheit besitzt.“ (33) Er sagte: „Adam! Nenne ihnen ihre Namen!“ Als er sie ihnen kundgetan hatte, sagte Gott: „Habe ich euch nicht gesagt, daß ich die Geheimnisse von Himmel und Erde kenne? Ich weiß (gleichermaßen), was ihr kundgebt, und was ihr (in euch) verborgen haltet.“ Übersetzung: Paret, Koran, 9 f (mit dem Kommentar bei ders., Kommentar, 16 f ), vgl. Bob-
zin, Koran, 12 f, s. dazu auch Maier, Koran-Lexikon, 160 f; Nagel, Anthropologie, 212 ff; El Maaroufi, Gemeinschaften, 227 f; dies., Ethik, 59 ff.64 ff.215 ff und die Hinweise bei Janowski, Anthropologie, 696.
4. Schöpfung und Tier- und Pflanzenwelt Kosmischer Lobpreis Q 186: Sure 16,49 f und 17,44 (vgl. oben 306) Im Koran werden in mehr als 100 Versen Tiere erwähnt. Dabei versteht der Koran auch die Tiere als Wesen, die imstande sind, Gott anzubeten und ihn zu preisen. Der Mensch aber ist unfähig, diesen Lobpreis zu verstehen: 49 Vor Gott wirft sich nieder, was an Tieren in den Himmeln und auf Erden ist – und die Engel; die sind nicht hochmütig. 50 Sie fürchten Ihren Herrn, der über ihnen ist. und tun, was ihnen aufgetragen wird. (Sure 16,49 f ) Es lobpreisen ihn die sieben Himmel und die Erde und wer darinnen ist. Es gibt nichts, was nicht sein Lob preist. Aber ihr versteht ihren Lobpreis nicht. Doch er ist milde, bereit zu vergeben. (Sure 17,44) Übersetzung: Bobzin, Koran, 234.246, s. zur Interpretation El Maaroufi, Gemeinschaften,
227 ff und dies., Ethik, 105 ff.125 ff (mit weiteren Belegen). Sure 16 gehört nach Bobzin, Texte, 105 ff zu den „eindrucksvollsten Texten des Koran im Hinblick auf die Beschreibung der Natur als Gottes Schöpfung“ (105).
Anhang III Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart Im Folgenden werden ausgewählte Texte zur Tier- und Umweltethik aus der europäischen Philosophie-, Theologie- und Geistesgeschichte von Michel de Montaigne und René Descartes bis Edward O. Wilson und Corine Pelluchon zusammengestellt. Angehängt ist der Sonnengesang des F. von Assisi (s. unten 667 ff ), der in den umweltethischen Debatten immer wieder eine Rolle spielt. Für eine Bestandsaufnahme s. die Lexika von Teutsch, Umweltethik; ders, Tierschutzethik sowie das Handbuch zur Tierethik von Ach/Borchers (Hg.), Handbuch. Zur gegenwärtigen Debatte in Philosophie, Theologie, Soziologie u. a. s. die Sammelbände von Krebs (Hg.), Naturethik; Wolf (Hg.), Texte; Horstmann u. a., Alles, was atmet und Lintner (Hg.), Mensch. Michel de Montaigne In seinen großartigen Essais hat sich M. de Montaigne (1533–1592) auch zum Tierschutz geäußert. Und zwar im Zweiten Buch, Kap. 11 mit dem Titel „Über die Grausamkeit“. Der entscheidende Gedanke ist der Gedanke der Gemeinschaft des Lebendigen: „Damit man über mein Mitgefühl für die Tiere nicht spotte: Selbst die Theologie schreibt uns vor, sie freundlich zu behandeln! Und wenn wir bedenken. dass ein und derselbe Herr uns allesamt ihm zu dienen in seinem Weltpalast Wohnung gegeben hat und dass sie ebenso wie wir zu seinem Hausstand gehören, so hat sie recht, uns Achtung und Zuneigung für sie zur Pflicht zu machen.“ Aber nicht nur den Tieren, sondern auch den Bäumen und Pflanzen gebührt seitens des Menschen „Freundlichkeit und Wohlwollen“: „Aber auch wenn die Tiere keinen einzigen dieser Vorzüge besäßen, sind wir zu einer gewissen Achtung und allgemein menschlichen Haltung ihnen gegenüber verpflichtet – und nicht nur ihnen gegenüber, die Leben und Empfindung haben, sondern ebenso gegenüber den Bäumen und Pflanzen. Dem Menschen schulden wir Gerechtigkeit, aller anderen Kreatur jedoch, die dafür empfänglich ist, Freundlichkeit und Wohlwollen. Es bestehen mancherlei Beziehungen zwischen ihnen und uns, und mancherlei wechselseitige Verbindlichkeiten.“ Aus: de Montaigne, Essais, 215 f.
654 Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart
René Descartes In seinem Discours de la méthode (1637) hat R. Descartes (1596–1650), die Tiere als seelenlos, weil vernunft- und leidensunfähige „Maschinen“ bezeichnet. Die berühmt-berüchtigte Passage lautet folgendermaßen: „Wenn es Maschinen mit den Organen und der Gestalt eines Affen oder eines anderen vernunftlosen Tieres gäbe, so hätten wir gar kein Mittel, das uns nur den geringsten Unterschied erkennen ließe zwischen dem Mechanismus dieser Maschinen und dem Lebensprinzip dieser Tiere; gäbe es dagegen Maschinen, die unseren Leibern ähnelten und unsere Handlungen insoweit nachahmten, wie dies für Menschen wahrscheinlich möglich ist, so hätten wir immer zwei ganz sichere Mittel zu der Erkenntnis, dass sie deswegen keineswegs wahre Menschen sind. Erstens könnten sie nämlich niemals Worte oder andere Zeichen dadurch gebrauchen, dass sie sie zusammenstellen, wie wir es tun, um anderen unsere Gedanken bekannt zu machen. Denn man kann sich zwar vorstellen, dass eine Maschine so konstruiert ist, dass sie Worte und manche Worte sogar bei Gelegenheit körperlicher Einwirkungen hervorbringt, die gewisse Veränderungen in ihren Organen hervorrufen, wie zum Beispiel, dass sie, berührt man sie an irgendeiner Stelle, gerade nach dem fragt, was man ihr antworten will, dass sie, berührt man sie an einer anderen Stelle, schreit, man täte ihr weh und ähnliches; aber man kann sich nicht vorstellen, dass sie die Worte auf verschiedene Weisen zusammen ordnet, um auf die Bedeutung all dessen, was in ihrer Gegenwart laut werden mag, zu antworten, wie es der stumpfsinnigste Mensch kann. Das zweite Mittel ist dies: Sollten diese Maschinen auch manches ebenso gut oder vielleicht besser verrichten als irgendeiner von uns, so würden sie doch zweifellos bei vielem anderen versagen, wodurch offen zutage tritt, dass sie nicht aus Einsicht handeln, sondern nur zufolge der Einrichtung ihrer Organe. Denn die Vernunft ist ein Universalinstrument, das bei allen Gelegenheiten zu Diensten steht, während diese Organe für jede besondere Handlung einer besonderen Einrichtung bedürfen; was es unwahrscheinlich macht, dass es in einer einzigen Maschine genügend verschiedene Organe gibt, die sie in allen Lebensfällen so handeln ließen, wie uns unsere Vernunft handeln lässt. Diese zwei Mittel kennzeichnen nun auch den Unterschied zwischen Mensch und Tier; denn es ist ganz auffällig, dass es keinen so stumpfsinnigen und dummen Menschen gibt, nicht einmal einen Verrückten ausgenommen, der nicht fähig wäre, verschiedene Worte zusammenzuordnen und daraus eine Rede aufzubauen, mit der er seine Gedanken verständlich macht; und dass es im Gegenteil kein anderes Tier gibt, so vollkommen und glücklich veranlagt es sein mag, das ähnliches leistet. Dies liegt nicht daran, dass den Tieren Organe dazu fehlten; denn man kann beobachten, dass Spechte und Papageien ebenso wie wir Worte hervorbringen können und dass sie dennoch nicht reden, d. h. zu erkennen geben können, dass sie denken, was sie sagen, wie wir. Von Geburt taubstumme Menschen dagegen müssen die Organe, die andere zum Reden gebrauchen, ebenso oder mehr noch entbehren als die Tiere und erfinden doch für gewöhnlich selbst Zeichen, mit denen sie sich Leuten ihrer gewohnten Umgebung, die Zeit haben, ihre Sprache zu lernen, verständlich machen. Dies zeigt nicht bloß, dass Tiere weniger Verstand haben als Menschen, sondern vielmehr, dass sie gar keinen haben.“ Aus: Descartes, Methode, 45–47, s. dazu Teutsch, Umweltethik, 20 f; Hagencord, Diesseits, 56 ff; ders., Mit-Sein, 280 ff und zu Descartes’ philosophischem Programm Habermas, Geschichte 2, 118 ff.141 ff.
Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart 655
Jean-Jacques Rousseau Sein 1762 veröffentlichtes Buch Emile oder über die Erziehung leitet J.‑J. Rousseau (1712– 1778) durch einen schöpfungstheologisch motivierten Passus ein, der in nuce auch sein zivilisationskritisches Kernargument enthält: „Alles was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; alles entartet unter den Händen des Menschen. Er zwingt einen Boden, die Erzeugnisse eines anderen zu züchten, einen Baum, die Früchte eines anderen zu tragen. Er vermischt und verwirrt Klima, Elemente und Jahreszeiten. Er verstümmelt seinen Hund, sein Pferd, seinen Sklaven. Er erschüttert alles, entstellt alles – er liebt die Mißbildung, die Monstren. Nichts will er so, wie es die Natur gemacht hat, nicht einmal den Menschen. Er muß ihn seiner Methode anpassen und umbiegen wie einen Baum in seinem Garten.“ Aus: Rousseau, Emile, 107, s. dazu Taureck, Rousseau, 108 ff.
Immanuel Kant Der Tierschutz beginnt O. Höffe zufolge mit menschlichen, konkret: ökonomischen, sozialen und pädagogischen Interessen, er „reicht aber darüber hinaus zum Umweltschutzmotiv, die Artenvielfalt zu erhalten, u. schließlich zum sittlichen Motiv, das Tier als solches zu schützen“ (Höffe, Art. Tierschutz, 314). Zum pädagogischen Motiv, einer allgemeinen Verrohung entgegenzuwirken, zählt auch die Position von I. Kant (1724–1804). Ihr Hauptmerkmal besteht in der Auffassung, dass es keine unmittelbaren Pflichten gegenüber den Tieren, sondern nur Pflichten des Menschen gegenüber sich selbst in Bezug auf die Tiere gibt. Man kann diese Haltung als „Anthropozentrischen Humanismus“ bezeichnen. In § 17 der Tugendlehre seiner Metaphysik der Sitten schreibt Kant: „In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Teils der Geschöpfe ist die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Tiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst weit inniglicher entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität, im Verhältnisse zu anderen Menschen, sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird; obgleich ihre behende (ohne Qual verrichtete) Tötung, oder auch ihre, nur nicht bis über Vermögen angestrengte, Arbeit (dergleichen auch wohl Menschen sich gefallen lassen müssen) unter die Befugnisse des Menschen gehören; da hingegen die martervolle physische Versuche, zum bloßen Behuf der Spekulation, wenn auch ohne sie der Zweck erreicht werden könnte, zu verabscheuen sind. – Selbst Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes oder Hundes (gleich ob sie Hausgenossen wären) gehört indirekt zur Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Tiere, direkt aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst.“ Aus: Kant, Werke 4, 578 f. Zur Position von Kant s. Teutsch, Tierschutzethik, 16 ff.100 f; Hagencord, Diesseits, 186 ff; Basaglia, Ansätze, 89 ff und Korsgaard, Tiere, 105 ff.
Matthias Claudius M. Claudius (1740–1815), der vor allem als Dichter des Abendlieds Der Mond ist aufgegangen (EG 482; GL 93) berühmt ist und geliebt wird, hat auch sozialkritische und
656 Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart politische Texte verfasst, in denen er die Nöte der Bauern, die Sklaverei in Übersee und mit dem „Schreiben eines parforcegejagten Hirschen an den Fürsten“, auch die Leiden der Kreatur bei den fürstliche Jagden zum Thema gemacht hat. Claudius schreibt: „Durchlautiger Fürst, Gnädigster Fürst und Herr! Ich habe heute die Gnade gehabt, von Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht parforcegejagt zu werden; bitte aber untertänigst, daß sie gnädigst geruhen, mich künftig damit zu verschonen. Ew. Hochfürstl. Durchl. sollten nur einmal parforcegejagt werden, so würden Sie meine Bitte nicht unbillig finden. Ich liege hier und mag meinen Kopf nicht aufheben, und das Blut läuft mir aus Maul und Nüstern. Wie können Ihre Durchlaucht es doch über’s Herz bringen, ein armes unschuldiges Tier, das sich von Gras und Kräutern nährt, zu Tode zu jagen? Lassen Sie mich lieber totschießen, so bin ich kurz und gut davon. Noch einmal, es kann sein, daß Ew. Durchlaucht ein Vergnügen an den Parforcejagden haben; wenn Sie aber wüßten, wie mir noch das Herz schlägt, Sie tätens gewiß nicht wieder, der ich die Ehre habe zu sein mit Gut und Blut bis in den Tod etc. etc.“ Aus: Claudius, Wandsbecker Bote, 216. Zum notwendigen Verbot von Hetzjagden s. Pelluchon, Manifest, 93 f.
Jeremy Bentham Von J. Bentham (1748–1832), dem Vater des Utilitarismus und erstem Befürworter von Tierrechten, stammt die Überzeugung, dass es nicht der Besitz von Vernunft oder die Fähigkeit zu denken, sondern die Leidensfähigkeit ist, die auf die Bewertung und Behandlung der Tiere anzuwenden ist: „Der Tag mag kommen, an dem die übrigen Geschöpfe jene Rechte erlangen werden, die man ihnen nur mit tyrannischer Hand vorenthalten konnte. Die Franzosen haben bereits entdeckt, daß die Schwärze der Haut kein Grund dafür ist, jemanden schutzlos der Laune eines Peinigers auszuliefern. Es mag der Tag kommen, da man erkennt, daß die Zahl der Beine, der Haarwuchs oder das Ende des os sacrum gleichermaßen unzureichende Gründe sind, ein fühlendes Wesen demselben Schicksal zu überlassen. Was sonst ist es, das hier die unüberwindbare Trennlinie ziehen sollte? Ist es die Fähigkeit zu denken, oder vielleicht die Fähigkeit zu sprechen? Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftigere und mitteilsamere Lebewesen als ein Kind, das erst einen Tag, eine Woche oder selbst einen Monat alt ist. Doch selbst vorausgesetzt, sie wären anders, was würde es ausmachen? Die Frage ist nicht: können sie denken oder: können sie sprechen?, sondern können sie leiden?“ Aus: Singer, Rassismus, 30 (Übersetzung von J. Bentham, An Introduction to the Princi-
ples of Morals and Legislation, London 1828, Chapter 17, Footnote IV ), s. dazu Singer, aaO 29 ff; Teutsch, Tierschutzethik, 76 ff u. a.
Johann Gottfried Herder In seiner Schrift Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit (1784–1791) hat J. G. Herder (1744–1803) eine realistische Sicht der Tierwelt entworfen. „Auch wenn der Mensch für Herder“, so schreibt M. Bollacher in seinem Stellenkommentar, „eindeutig auf
Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart 657
der höchsten Stufe des Naturzusammenhangs steht, hat er doch zugleich … am Schicksal der Pflanzen und … an dem der Tiere Anteil“. Herder nennt die Tiere gleich zu Beginn seiner Ausführungen „ältere Brüder“ der Menschen: „Der Menschen ältere Brüder sind die Tiere. Ehe jene da waren, waren diese, und auch in jedem einzelnen Lande fanden die Ankömmlinge des Menschengeschlechts die Gegend, wenigstens in einigen Elementen, schon besetzt; denn wovon sollte außer den Pflanzen sonst der Ankömmling leben? Jede Geschichte des Menschen also, die ihn außer diesem Verhältnis betrachtet, muß mangelhaft und einseitig werden. Freilich ist die Erde dem Menschen gegeben; aber nicht ihm allein, nicht ihm zuvörderst; in jedem Element machten ihm die Tiere seine Alleinherrschaft streitig. Dies Geschlecht mußte er zähmen; mit jenem lange kämpfen. Einige entronnen seiner Herrschaft; mit andern lebet er in ewigem Kriege. Kurz, soviel Geschicklichkeit, Klugheit, Herz und Macht jede Art äußerte; so weit nahm sie Besitz auf der Erde. (…) Kurz, der Mensch trat auf eine bewohnte Erde: alle Elemente, Sümpfe und Ströme, Sand und Luft waren mit Geschöpfen erfüllt oder fülleten sich mit Geschöpfen; und er mußte sich durch seine Götterkunst der List und Macht einen Platz seiner Herrschaft auswirken. Wie er dies getan habe? ist die Geschichte seiner Kultur, an der die rohesten Völker Anteil nehmen; der interessanteste Teil der Geschichte der Menschheit. Hier bemerke ich nur Eins, daß die Menschen, indem sie sich allmählich die Herrschaft über die Tiere erwarben, das meiste von Tieren selbst lernten. Diese waren die lebendigen Funken des göttlichen Verstandes, von denen der Mensch in Absicht auf Speise, Lebensart, Kleidung, Geschicklichkeit, Kunst, Triebe in einem größern oder kleinern Kreise die Strahlen auf sich zusammenlenkte. Je mehr, je heller er dieses tat, je klügere Tiere er vor sich fand, je mehr er sie zu sich gewöhnte und im Kriege oder Frieden vertraut mit ihnen lebte: desto mehr gewann auch seine Bildung; und die Geschichte seiner Kultur wird sonach einem großen Teil nach zoologisch und geographisch.“ Aus: Herder, Ideen, 67.68 f, s. dazu den Stellenkommentar von M. Bollacher, aaO 957.
Arthur Schopenhauer Für die Ethik von A. Schopenhauer (1788–1860) ist das Mitleid bzw. Mitleiden grundlegend. Deshalb finden bei ihm die Tiere „eine viel stärkere Berücksichtigung als bei Kant. Dennoch knüpft seine Ethik an dessen ‚Metaphysik der Sitten‘ an“ (Hagencord, Diesseits, 197). In der Preisschrift Über die Grundlage der Moral von 1840 heißt es: „Aber bloß zur Uebung soll man mit Thieren Mitleid haben, und sie sind gleichsam das pathologische Phantom zur Uebung des Mitleids mit Menschen. Ich finde, mit dem ganz nicht-isalmisierten … Asien, solche Sätze empörend und abscheulich. Zugleich zeigt sich abermals, wie gänzlich diese philosophische Moral, die … nur eine verkleidete theologische ist, eigentlich von der biblischen abhängt. Weil nämlich die christliche Religion die Thiere nicht berücksichtigt, so sind diese sofort auch in der philosophischen Moral vogelfrei, sind bloße ‚Sachen‘, bloße Mittel zu beliebigen Zwecken, als etwa zu Vivisektionen … – Pfui! über eine solche Parias-, Tschandalas- und Mletschas-Moral, – die das ewige Wesen verkennt, welches in Allem, die das Sonnenlicht sehn, mit unergründlicher Bedeutsamkeit hervorleuchtet. Aber jene Moral kennt und berücksichtigt allein die eigene wehrte Species, deren Merkmal Vernunft ihr die
658 Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart Bedingung ist, unter welcher ein Wesen Gegenstand moralischer Berücksichtigungen seyn kann.“ Aus: Schopenhauer, Preisschrift, 202 (H. i. O.). Zur Position Schopenhauers und zu seiner
„mangelnden Bibelkenntnis“ bzw. Fehldeutung biblischer Texte s. Hagencord, Diesseits, 197 ff.
Albert Schweitzer Der nicht nur für sein Dictum „Ehrfurcht vor dem Leben“ berühmte A. Schweitzer (1875– 1965) hat immer wieder zu den Fragen der Tier- und Umweltethik Stellung bezogen. Besonders grundsätzlich ist die folgende Äußerung: „Die Tierschutzbewegung hat von der europäischen Philosophie keine Unterstützung erfahren. Entweder hält diese die Betätigung des Mitleids gegen die Geschöpfe für eine Sentimentalität, die mit vernünftiger Ethik nichts zu tun hat, oder sie gesteht ihr nur eine mehr nebensächliche Bedeutung zu. Für Descartes sind die Tiere bloße Maschinen. Sie bedürfen unseres Mitleids nicht. Der englische Ethiker Jeremy Bentham (1748–1832) sieht die Güte den Geschöpfen gegenüber hauptsächlich als eine Übung der Güte gegen die Menschen an. Ähnlich urteilt Kant. Ausdrücklich betont er, daß die Ethik eigentlich nur mit den Pflichten des Menschen gegen den Menschen zu tun hat. Diesen grundsätzlichen Standpunkt sucht die europäische Philosophie festzuhalten, auch wo sie der Tierschutzbewegung sympathisch gegenübersteht. Sie kann sich nicht entschließen, den entscheidenden Schritt zu tun, das gütige Verhalten gegen die Geschöpfe in absolut derselben Weise als eine Forderung der Ethik gelten zu lassen wie das gegen die Menschen.“ Und in einer seiner Predigten heißt es: „Die Welt, dem unwissenden Egoismus überantwortet, ist wie ein Tal, das im Finsteren liegt; nur oben auf den Höhen liegt Helligkeit. Alle müssen in dem Dunkeln leben, nur eines darf hinauf, das Licht schauen; das höchste, der Mensch. Er darf zur Erkenntnis der Ehrfurcht vor dem Leben gelangen, er darf zu der Erkenntnis des Miterlebens und Mitleidens gelangen, aus der Unwissenheit heraustreten, in der die übrige Kreatur schmachtet.“ Aus: Schweitzer, Philosophie, 92 (Zitat 1) und ders., Predigten, 1242 (Zitat 2). Zum Dic-
tum der „Ehrfurcht vor dem Leben“ s. Teutsch, Tierschutzethik, 42 ff; Peuckmann, Tierethik 1, 66 ff.96 ff und ders., Tierethik 2, 135 ff. Mit seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben hat Schweitzer, wie Peuckmann, Tierethik 2,137 zu Recht bemerkt,
„einen wichtigen Grundstein für das theologische Nachdenken über das Tier als Kreatur eigenen Wertes gelegt. Lange Zeit wurde dieser Ansatz aufgrund der holistischen Ausrichtung und der tendenziell romantisierenden Sprache belächelt. Mittlerweile kristallisiert sich seine Bedeutung für die Ethik der Mensch-Tier-Beziehungen wieder deutlicher heraus. Zu berücksichtigen ist dabei, dass auch dieser biozentrische Ansatz eine durchaus anthropozentrische Handschrift trägt.“ Zum Problem des Anthropozentrismus s. ausführlicher oben 473 ff.
Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart 659
Martin Buber Unter den autobiographischen Fragmenten von M. Buber (1878–1965) findet sich auch eine Skizze zu seinem Vater, die für das Thema „Tier- und Umweltethik“ ebenso bezeichnend wie anrührend ist: „Als ich noch ein Kind war, brachte er von der Pariser Weltausstellung (sc. von 1899) eine große Packung Zuchteier von im Osten noch unbekannten Hühnerarten mit; die hatte er die ganze Reise lang auf den Knien gehalten, damit keinem ein Schade geschehe. Sechsunddreißig Jahre lang arbeitete er mit allerhand Düngemitteln, deren spezifische Wirkung er genau erprobte, daran, die Produktivität seiner Böden zu steigern. Er hatte die Technik seiner Zeit auf seinem Gebiet gemeistert. Aber um was es ihm eigentlich ging, merkte ich, wenn ich mit ihm inmitten des großen Rudels herrlicher Pferde stand und ihm zusah, wie ein Tier nach dem andern nicht etwa bloß freundlich, sondern geradezu persönlich begrüßte, oder wenn ich mit ihm durch die reifenden Felder fuhr und ihm zusah, wie er den Wagen halten ließ, ausstieg und sich über die Ähren beugte, wieder und wieder, um schließlich eine zu brechen und die Körner sorgsam zu kosten. Es ging diesem ganz unsentimentalen und ganz unromantischen Menschen um den echten menschlichen Kontakt mit der Natur, einen aktiven und verantwortlichen Kontakt. Ihn zuweilen so auf seinen Wegen begleitend, lernte der Heranwachsende etwas kennen, was er von keinem der vielen von ihm gelesenen Autoren erfahren hatte.“ Aus: Buber, Begegnung, 277 f. Zur Position von Buber s. Hagencord, Diesseits, 200 ff.
O. H. Steck hat diesen Text seinem Buch Welt und Umwelt als Motto vorangestellt, s. Steck, Welt, 7 f.
Max Horkheimer und Theodor W. Adorno In der Kritischen Theorie von M. Horkheimer (1895–1973) und Th.W. Adorno (1903– 1969) spielt die Mensch/Tier-Beziehung eine wichtige Rolle. In ihrem einflussreichen Buch Dialektik der Aufklärung (zuerst New York 1944) beginnen sie den Abschnitt „Mensch und Tier“ mit folgenden, aufrüttelnden Bemerkungen: „Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus. Mit seiner Unvernunft beweisen sie die Menschenwürde. Mit solcher Beharrlichkeit und Einstimmigkeit ist der Gegensatz von allen Vorvorderen des bürgerlichen Denkens, den alten Juden, Stoikern und Kirchenvätern, dann durchs Mittelalter und die Neuzeit hergebetet worden, daß er wie wenige Ideen zum Grundbestand der westlichen Anthropologie gehört. Auch heute ist er anerkannt. Die Behavioristen haben ihn bloß scheinbar vergessen, daß sie auf die Menschen dieselben Formel und Resultate anwenden, die sie, entfesselt, in ihren scheußlichen physiologischen Laboratorien wehrlosen Tieren abzwingen, bekundet den Unterschied auf besonders abgefeimte Art. Der Schluß, den sie aus den verstümmelten Tierleibern ziehen, paßt nicht auf das Tier in Freiheit, sondern auf den Menschen heute. Er bekundet, indem er sich am Tier vergeht, daß er, und nur er in der ganzen Schöpfung, freiwillig so mechanisch, blind und automatisch funktioniert, wie die Zuckungen der gefesselten Opfer, die der Fachmann sich zunutze macht. Der Professor am Seziertisch definiert sie wissenschaftlich als Reflexe, der Mantiker am Altar hatte sie als Zeichen seiner Götter
660 Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart ausposaunt. Dem Menschen gehört die Vernunft, die unbarmherzig abläuft; das Tier, aus dem er den blutigen Schluß zieht, hat nur das unvernünftige Entsetzen, den Trieb zur Flucht, die ihm abgeschnitten ist.“ Aus: Horkheimer/Adorno, Dialektik, 283, s. zur Interpretation Mütherich, Mensch-Tier-Be-
ziehung, 5105 ff. Dass „die alten Juden“, wie Horkheimer und Adorno schreiben, zu den „Vorvorderen des bürgerlichen Denkens“ gehören und mit den „Stoikern und Kirchenvätern“ auf eine Stufe gestellt werden, möchten wir doch bezweifeln. Von den tierethischen Texten des Alten Testaments (s. dazu oben 232 ff ) ist bei den beiden Autoren leider keine Rede.
Karl Barth Die Besonderheit und Ehre der nichtmenschlichen Kreatur hat K. Barth (1886–1968) in der Nachfolge von A. Schweitzers Verantwortungsethik (s. oben 658) hellsichtig folgendermaßen gekennzeichnet: „Ihre Ehre ist die Verborgenheit ihres Seins mit Gott nicht weniger, als unsere Ehre dessen Offenbarsein ist. Denn was wissen wir schliesslich, welches die größere Ehre ist? Was wissen wir, ob es sich wirklich so verhält, daß der äußere Kreis der anderen Geschöpfe nur um des inneren, nur um des Menschen willen da ist? Was wissen wir, ob es sich nicht gerade umgekehrt verhält? Was wissen wir, ob nicht beide Kreise, der äußere und der innere, je ihre eigne Selbständigkeit und Würde, je ihre besondere Art des Seins mit Gott haben? Was besagt ihre Verschiedenheit gegenüber der Tatsache, daß der Mensch Jesus als geschöpfliches Wesen beider Kreise Mittelpunkt ist?“ Aus: Barth, Kirchliche Dogmatik III/2, 165, s. dazu auch Gräßer, Seufzen, 115 ff; Hagencord, Diesseits, 23 und zu Barths Verständnis der Schöpfung die Hinweise oben 23.
Martin Heidegger Eine klare Trennungslinie zwischen Menschen und Tieren hat auch M. Heidegger (1889– 1976) gezogen. In seiner Schrift Die Grundbegriffe der Metaphysik heißt es: „1. Der Stein ist weltlos. 2. Das Tier ist weltarm. 3. Der Mensch ist weltbildend.“ Aus: Heidegger, Grundbegriffe, 273, s. dazu die Kritik von Maaroufi, Ethik, 167 ff (mit
Referat von J. Derridas Kritik an Heideggers obigem Dictum) und Schroer, Geosoziologie, 138 f („Heideggers Position ist grundsätzlich auf die Differenz und nicht auf die Verwandtschaft des Menschen mit anderen Lebensformen ausgerichtet“ [139]).
Herbert Marcuse In seinem Schlüsselwerk Der eindimensionale Mensch äußert sich der Sozialphilosoph H. Marcuse (1898–1979) auch zum Thema der Gewalt an Tieren. Er geht dabei von einer Bitte des „Vereins zur Verhütung von Grausamkeit an Tieren“ aus, die dieser an den Papst richtete und die von B. Russel zitiert wird: „Als der Verein zur Verhütung von Grausamkeit an Tieren den Papst um Unterstützung bat, verweigerte er sie mit der Begründung, daß die Menschen den tiefer stehenden Tieren keine Pflicht schulden und daß die Mißhandlung von Tieren keine Sünde ist, und zwar deshalb, weil Tiere keine Seele haben.“
Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart 661
Marcuse kommentiert diese kirchliche Ideologie folgendermaßen: „Der Materialismus, der vom Makel eines solchen ideologischen Mißbrauchs der Seele frei ist, hat einen umfassenderen und realistischeren Begriff des Heils. Er gesteht der Hölle Realität nur an einem bestimmten Ort zu, hier auf Erden, und erklärt, daß diese Hölle durch den Menschen (und die Natur) hervorgebracht wurde. Zu dieser Hölle gehört die Mißhandlung von Tieren – das Werk einer menschlichen Gesellschaft, deren Rationalität noch immer das Irrationale ist.“ Aus: Marcuse, Mensch, 248, s. dazu auch Mütherich, Mensch-Tier-Beziehung, 5110 und
Hagencord, Mit-Sein, 282.
Nelly Sachs Den poetischen Höhepunkt unserer kleinen Sammlung mit Texten zur neuzeitlichen Tier- und Umweltethik bildet das Gedicht „O ihr Tiere!“ von N. Sachs (1891–1970) aus dem Jahr 1947: O ihr Tiere! Euer Schicksal dreht sich wie der Sekundenzeiger mit kleinen Schritten in der Menschheit unerlösten Stunde. Und nur der Hahnenschrei, mondaufgezogen,
weiß vielleicht eure uralte Zeit! Wie mit Steinen zugedeckt ist uns eure reißende Sehnsucht
und wissen nicht was brüllt
im abschiedrauchenden Stall, wenn das Kalb von der Mutter
gerissen wird.
vgl. Mk 14,66–72
vgl. Röm 8,22
Was schweigt im Element des Leidens der Fisch zappelnd zwischen Wasser und Land? Wieviel kriechender und geflügelter Staub
an unseren Schuhsohlen,
die stehn wie offene Gräber am Abend? O der kriegszerrissene Leib des Pferdes an dem fraglos die Fliegen stechen und die Ackerblume durch die leere Augenhöhle wächst! Nicht der sterndeutende Bileam
wusste von eurem Geheimnis, als seine Eselin
den Engel im Auge behielt! vgl. Num 22,21–35 Aus: Sachs, Fahrt ins Staublose, 82 f, s. dazu auch Vollenweider, Seufzen, 137.176 f.
662 Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart
Hans Jonas Das berühmte Chorlied aus der Antigone des Sophokles (497/496–406/405 v. Chr.), das von der Größe und Gefährdung des Menschen kündet, gehört zu den Grundtexten der europäischen Geistesgeschichte. „Diese beklommene Huldigung an des Menschen beklemmende Macht“, so beginnt H. Jonas (1903–1993) das erste Kapitel seines Buchs Das Prinzip Verantwortung, „erzählt von seinem gewaltsamen und gewalttätigen Einbruch in die kosmische Ordnung, von der verwegenen Invasion der verschiedenen Naturbereiche durch seine rastlose Klugheit; aber zugleich auch davon, er mit den selbstgelehrten Vermögen der Rede, des Denkens und des sozialen Gefühls ein Haus für sein eigentliches Menschsein erbaut – nämlich das Kunstgebilde der Stadt. Die Vergewaltigung der Natur und die Zivilisierung seiner selbst gehen Hand in Hand. Beide bieten den Elementen Trotz, die eine, indem sie sich in diese vorwagt und ihre Geschöpfe überwältigt, die andere, indem sie in der Zuflucht der Stadt und ihrer Gesetz eine Enklave gegen sie errichtet. Der Mensch ist der Schöpfer seines Lebens als eines menschlichen; er fügt die Umstände seinem Willen und Bedürfen, und außer gegen den Tod ist er niemals ratlos“ (Jonas, Verantwortung, 18). Dennoch, so Jonas weiter, alle Freiheiten, die sich der Mensch „mit den Bewohnern des Landes, des Meeres und der Luft herausnimmt, lassen doch die umgreifende Natur dieser Bereiche unverändert und ihre zeugenden Kräfte unvermindert. Ihnen tut er nicht wirklich weh, wenn er sein kleines Königreich aus ihrem großen herausschneidet. Sie dauern, während seine Unternehmen ihren kurzlebigen Lauf nehmen. So sehr er auch die Erde Jahr und Jahr mit seinem Pflug plagt – sie ist alterslos und unermüdbar; ihrer ausdauernden Geduld kann und muß er trauen und ihrem Zyklus muß er sich anpassen, Und ebenso alterslos ist das Meer. Kein Raub an seiner Brut kann seine Fruchtbarkeit erschöpfen, kein Durchkreuzen mit Schiffen ihm Schaden tun, kein Abwurf in seine Tiefen es beflecken“ (ders., aaO 19 [H. i. O.]). All dies hat sich über die Jahrhunderte dramatisch verändert und stellt uns heute vor Probleme, die in den Griff zu bekommen, immer schwieriger wird. Die letzte Strophe dieses Chorlieds (Antigone I,332–375) lautet folgendermaßen: 335 340
Viel Ungeheures (δεινός) ist, doch nichts so Ungeheures wie der Mensch. Der fährt auch über das graue Meer im Sturm des winterlichen Süd und dringt unter stürzenden Wogen durch. Und der Götter Heiligste, die Erde, die unerschöpfliche, unermüdliche, plagt er ab, mit wendenden Pflügen Jahr um Jahr sie umbrechend mit dem Rossegeschlecht.
Und der leichtsinnigen Vögel Schar holt er mit seinem Garn herein und der wilden Tiere Völker und
Überwindung des winterlichen Meeres Gewinnung von Nahrung aus der Erde
Jagd und Fischfang
Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart 663
345 die Brut des Meeres in der See mit netzgesponnenen Schlingen: Der alles bedenkende Mann. Er bezwingt mit Künsten das draußen hausende Wild, 350 das auf Bergen schweift, und schirrt das raunackige Pferd an der Kruppe ins Joch und den unermüdlichen Bergstier.
Domestizierung der Tiere
Auch die Sprache und den windschnellen 355 Gedanken und städteordnenden Sinn bracht’ er sich bei, und unwirtlicher Fröste Himmelsklarheit zu meiden und bösen Regens Geschosse, allerfahren. Unerfahren geht er in nichts dem Kommenden entgegen. 360 Vor dem Tod allein wird er sich keine Ausflucht schaffen. Aus Seuchen aber, unbewältigbaren, hat er sich Auswege ausgesonnen.
Entwicklung von Sprache, Kommunikation, Gemeinschaftssinn
365 370 375
Ambivalenz von gut und böse
In dem Erfinderischen der Kunst eine nie erhoffte Gewalt besitzend, schreitet er bald zum Bösen, bald zum Guten. Achtet er die Gesetze des Lands und das bei den Göttern beschworene Recht: hoch in der Stadt! Verlustig der Stadt, wem das Ungute sich gesellt wegen seines Wagemuts! – Sitze mir nicht am Herd noch habe Teil mit mir am Rat, wer so tut!
Tod als Grenze Heilkunst als Ausweg
Normen menschlichen Verhaltens: Recht und Gesetz
Übersetzung: Schadewaldt, Theater, 102 ff, s. dazu Jonas, Verantwortung, 17 ff und Janow-
ski, Anthropologie, 553 ff (dort weitere Lit.).
Maurice Merleau-Ponty Der für seine Phänomenologie der Wahrnehmung (Berlin 1966) berühmte französische Philosoph M. Merleau-Ponty (1908–1961) hat sich mehrfach zur Tier- und Umweltethik geäußert. In seinen „Causerien“ betitelten Radiovorträgen von 1948 leitet er das Kapitel „Erkundungen der Wahrnehmungswelt: Die Animalität“ (31 ff ) folgendermaßen ein: „In einer derart transformierten Welt (sc. der Wahrnehmungswelt) sind wir jedoch nicht allein, nicht einmal nur unter Menschen. Diese Welt bietet sich auch den Tieren dar, den Kindern, den Primitiven, den Wahnsinnigen, die sie auf ihre Art und Weise bewohnen, und die ebenso zugleich mit ihr existieren, und wir werden heute sehen, dass wir, wenn wir die Wahrnehmungswelt wiederfinden, dazu in der Lage sind, diesen äußersten und aberranten Formen des Lebens oder des Bewusstseins mehr Sinn
664 Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart und mehr Interesse abzugewinnen, so dass schließlich das gesamte Schauspiel der Welt und des Menschen selbst eine neue Bedeutung erfährt.“ Aus: Merleau-Ponty, Causerien, 31 f, s. dazu Müller-Michaelis, Tier, 12 ff und Pelluchon,
Zeitalter, 74 ff.
Claude Lévi-Strauss Auf die Frage von J. Altwegg, was ihn in seinem Leben mit besonderer Freude, aber auch mit besonderer Trauer erfüllt habe, antwortete der französische Sozialanthropologe C. Lévi-Strauss (1908–2009) in einem Interview folgendes: „Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich in meinem Jahrhundert nicht glücklich geworden bin. Ein Gefühl von Erhabenheit, das mit dem zu tun haben könnte, was andere das Heilige nennen, empfinde ich beim entzückten Beobachten einer Pflanze oder eines Tieres. Deshalb stimmt mich alles, was ihr Überleben und ihre Vielfalt bedroht, traurig.“ Aus: Lévi-Strauss, Interview, 54.
Aufschlussreich für die Position von Lév-Strauss sind auch die beiden folgenden Textausschnitte, in denen er sich zum Verhältnis des Menschen zur Natur äußert: „Es hat damit begonnen, daß der Mensch von der Natur abgeschnitten wurde und daß man ihm einen eigenen Herrschaftsbereich zuwies; damit glaubte man, seinen eindeutigsten Wesenszug auslöschen zu können: daß er nämlich zunächst ein lebendes Wesen ist. Blind gegen diese allgemeine Eigenschaft hat man jeglichem Mißbrauch freie Bahn gegeben. Der abendländische Mensch kann an keiner Zeit besser als an den letzten Jahrhunderten seiner eigenen Geschichte ablesen, daß er mit der Anmaßung des Rechtes, die Menschheit radikal von den übrigen Lebewesen zu trennen, einen verderblichen Kreislauf eröffnet hat, indem er jener zusprach, was er diesen entzog: dieselbe Grenze, fortwährend enger gezogen, diente ebenso dazu, Menschen von anderen zu trennen und zugunsten immer weiter eingeschränkter Minderheiten das Privileg eines Humanismus zu beanspruchen, der von Anfang an korrumpiert war, da er sein Prinzip und seinen Begriff von der Eigenliebe herleiten sollte.“ Aus: Lévi-Strauss, Anthropologie II, 53 f (H. v. m.), s. dazu auch Pelluchon, Zeitalter, 299 f.
Und in seinem Aufsatz Reflexionen über die Freiheit von 1976, in dem er über die „Rechte des Menschen“ nachdenkt, heißt es: „Kann man sich also ein Fundament der Freiheit vorstellen, das evident genug ist, um unterschiedslos für alle gültig zu sein? Nur ein einziges ist zu erkennen, aber es impliziert, daß die Definition des Menschen als moralisches Wesen ersetzt wird durch die Definition des Menschen als Lebewesen, weil sie sein faßbarstes Merkmal ist. Wenn der Mensch nun zunächst in seiner Eigenschaft als Lebewesen Rechte besitzt, so folgt daraus umgehend, daß die natürlichen Grenzen dieser Rechte der Menschheit als Art in den Rechten anderer Arten liegen. Die Menschheitsrechte gelten also präzise nur bis zu dem Punkt, an dem ihre Existenz das Leben einer anderen Art gefährdet.
Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart 665
Wir wollen hier nicht übersehen, daß der Mensch, wie jedes Tier, seinen Unterhalt von anderen Lebewesen bezieht. Aber dieses natürliche Bedürfnis, das legitim ist, sofern es sich auf Kosten von Individuen behauptet, darf nicht bis zur Auslöschung der entsprechenden Art befriedigt werden. Nur das Recht auf Leben und auf freie Entfaltung der noch auf der Erde lebenden Arten kann unveräußerlich genannt werden, aus dem einfachen Grunde, weil der Untergang gleich welcher Art eine für uns irreparable Leerstelle im System der Schöpfung hinterläßt.“ Aus: Lévi-Strauss, Reflexionen, 404 (H. v. m.), s. ferner ders., Mythologica III, 545 f und dazu Loyer, Lévi-Strauss, 24.837 f.
Erich Gräßer In seiner Auslegung von Röm 8,19–22 hat sich der Neutestamentler E. Gräßer (1927– 2017) auch grundsätzlich zum Tierschutz und zur Tierschutzethik geäußert. Dort heißt es: „Das christliche Abendland legt diesen Text (sc. Röm 8,19 ff ) seit mehr als tausend Jahren aus, aber es kennt keine Ethik, die das Leid der Tiere und das Leid von Menschen als gleichwertig erscheinen ließe. Denn angeblich sind nur Menschen ‚unsterbliche Wesen‘. Um diese Verblendung erklären zu können, wird man ohne den Begriff der Verstockung kaum auskommen. Anders hätte von der theologischen Ethik gesehen werden müssen, daß das Gebot der Leidminderung und der Barmherzigkeit und der Gerechtigkeit nicht auf die Menschenwelt beschränkt bleiben darf. Und ehe die theologische Krise das Bewußtsein vieler geschärft hat, hätte sie wissen können, daß gnadenlose Ausbeutung der Schöpfung und unbarmherzige Tierquälerei die Erfüllung der wartenden Erwartung der Kreatur nicht sein kann. Wenn die Solidargemeinschaft der Leidenden und Hoffenden nach Röm 8 die Mitgeschöpfe einschließt, dann heißt das, daß Christen die Verpflichtung haben, die Tiere so zu behandeln, daß daran zeichenhaft etwas sichtbar wird von der künftigen Freiheit, zu der beide befreit werden sollen.“ Aus: Gräßer, Seufzen, 114 (H. i. O.), s. dazu auch I. Gräßer, Tierschutzethik,114 ff.
Edward O. Wilson Angesichts des dramatischen Artensterbens wird einem endgültig bewusst, was wir jetzt verlieren bzw. längst verloren haben. „Wir werden einsam sein“ bemerkte bereits vor über 25 Jahren der große amerikanische Evolutionsbiologe E. O. Wilson (1929–2021). Und er fuhr fort: „Wenn wie in den nächsten 50 oder 100 Jahren nichts tun, wird es wahrscheinlich genau dahin (sc. zum massenhaften Artensterben) kommen. Nach dem Zeitalter der Dinosaurier, dem Mesozoikum, und dem Zeitalter der Säugetiere, dem Känozoikum, könnte es sein, dass wir jetzt an der Schwelle zu einem Zeitalter stehen, das ich das ‚Eremozoikum‘ genannt habe, das Zeitalter der Einsamkeit. Wenn wir fortfahren, Arten auszulöschen wie bisher, wird die Menschheit für Millionen von Jahren zwar noch mit einer gewissen Artenvielfalt leben. Aber es werden soviel weniger Arten sein als heute, dass wir uns einsam fühlen werden. Vieles von dem, was das Leben einmal war, werden wir aus den Archiven und Museen kennen. Aber es wird nicht länger mit uns sein.“ Aus: Wilson, Einsam, 204.
666 Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart Seine Position hat Wilson umfassend dargestellt in seinem Werk Der Wert der Vielfalt von 1995 (amerikanische Originalausgabe 1992). Dort heißt es im Schlusskapitel „Eine ökologische Ethik“ (Wilson, Wert, 419 ff ): „Wir sind uns selbst immer ein Rätsel und entfernen uns immer weiter vom Paradies, wenn wir vergessen, welche Bedeutung die Natur für uns hat. Viele Anzeichen sprechen dafür, daß der Verlust biologischer Vielfalt nicht nur unser physisches, sondern auch unser geistiges Wohlbefinden gefährdet. Wenn dies der Fall ist, werden die heute vor sich gehenden Veränderungen sämtlichen künftigen Generationen Schaden zufügen. Daher ist Besonnenheit das ethische Gebot der Stunde. Wir sollten jedes noch so kleine Stückchen Biodiversität als einen unbezahlbaren Schatz erachten, ihn nutzen lernen und seine Bedeutung für die Menschheit begreifen. Wir sollten nicht wissentlich das Aussterben einer Art oder Rasse in Kauf nehmen. Und wir sollten über die bloße Rettung hinausgehen und mit der Wiederherstellung natürlicher Lebensräume beginnen, um die Populationen freilebender Tiere zu mehren und dem Ausbluten des biologischen Reichtums Einhalt zu gebieten. Kann man sich ein beflügelnderes Unternehmen vorstellen als die Wiederherstellung der Natur, die Erneuerung der wunderbaren Vielfalt des Lebens, die uns noch immer umgibt? Die treuhänderische Verwaltung der Umwelt reicht in die Nähe der Metaphysik, und in ihrem Bannkreis können alle wohlmeinenden Menschen gewiß eine gemeinsame Basis finden. Denn was ist Moralität letztlich anderes als ein durch rationale Prüfung von Handlungsfolgen ergänztes Gebot des Gewissens? Und was ist ein elementares Gebot anderes als eine Vorschrift, die dem Wohle aller Generationen dient? Ziel einer dauerhaften ökologischen Ethik wird es sein, nicht nur die Gesundheit und Freiheit unserer Art, sondern auch den Zugang zur Welt zu bewahren, in der der menschliche Geist entstanden ist.“ Aus: Wilson, Wert, 429.
Jürgen Habermas Nach dem Sozialphilosophen J. Habermas (geb. 1929) müssen sich unsere moralischen Gefühle, Urteile und Handlungen auch auf die Tiere richten: „Wir spüren untrüglich, daß die Vermeidung von Grausamkeit gegenüber allen leidensfähigen Kreaturen nicht nur aus Klugheitsgründen und auch nicht nur um unseres guten Lebens willen, sondern moralisch geboten ist. Wir können uns die Sache auch nicht mit Kant so zurechtlegen, daß wir zwar Pflichten in bezug auf, aber nicht gegenüber Tieren haben. Die Tiere treten uns als versehrbare Kreaturen entgegen, die wir in ihrer physischen Integrität um ihrer selbst willen schonen müssen.“ Aus: Habermas, Herausforderung, 93 (H. i. O.), vgl. 97 f. Zur Position von Kant s. oben
655.
Markus Schroer In seinem Grundlagenwerk Geosoziologie geht der Soziologe M. Schroer (geb. 1964) auch auf die Frage nach der Sonderstellung des Menschen in der Natur ein. Dort heiß es u. a.:
Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart 667
„Ebenso wie der Mensch von der Natur, der Erde, dem Boden nicht wirklich loskommt, bleibt auch das Tier ein Gegenüber, das nicht ignoriert werden kann, zu dem man sich vielmehr irgendwie verhalten muss. Eine Hinwendung zum Tier steht und fällt dabei mit der Einsicht in den Menschen als biologisches, mit einem Körper ausgestattetes Wesen. Umgekehrt geht die scharfe Grenzziehung gegenüber der Natur und dem Tier mit der starken Betonung des Menschen als primär geistiges Wesen einher. Überall dort, wo vom intelligenten Menschen die Rede ist, der sich vor allem durch sein Sprachvermögen von allen anderen Lebewesen kategorial unterscheidet, stellt sich der Eindruck ein, als bestünde der Mensch ausschließlich aus seinem Geist, so als werde sein Dasein vor allem vom Denken und Sprechen bestimmt.“ Aus: Schroer, Geosoziologie, 194, vgl. 212 f.
Corine Pelluchon In ihrem Buch Das Zeitalter des Lebendigen von 2021 (franz. 2021) plädiert die französische Philosophin C. Pelluchon (geb. 1967) für eine „neue Philosophie der Aufklärung“ (so der Untertitel), die ökologisch orientiert ist und die „ein Bewusstsein für unser Verwundbarkeit sowie eine Aufgeschlossenheit für das Andersartige erfordert, die ein umsichtigeres Bewohnen der Erde und ein gerechteres Zusammenleben mit den anderen Lebewesen ermöglicht“ (Pelluchon, Zeitalter, 26). Dazu führt sie im Weiteren folgendes aus: „Das Bewusstsein für die ökologischen, technologischen und politischen Herausforderungen, das wir schaffen müssen, löst Besorgnis aus, ist aber zugleich eine Quelle der Hoffnung und erzeugt in der Zivilgesellschaft eine Energie, die an die des 18. Jahrhunderts erinnert. Die Aufklärung des 21. Jahrhunderts muss diese Hoffnung umsetzen, die sich auf ein ökologisches Projekt stützt, das die Abkehr von einem destruktiven und gewaltsamen Entwicklungsmodell und die Dekolonisierung unserer Vorstellungswelt umfasst, einer Vorstellungswelt, die von der Herrschaft über die Natur und über andere Menschen sowie von der Unterdrückung unserer Empfindsamkeit geprägt ist. Einer der Vorboten dieses neuen Zeitalters, das die Verbindung zwischen Fortschritt und Zivilisation erneuern könnte, ist die Tatsache, dass immer mehr Menschen sich nicht mehr als eigenes Reich innerhalb eines Reiches sehen, sondern sich ihre Abhängigkeit von der Natur und dem Lebendigen sowie die Schicksalsgemeinschaft eingestehen, in der sie mit anderen, Menschen wie Nichtmenschen, vereint sind.“ Aus: Pelluchon, Zeitalter, 26, s. ferner dies, aaO 287 ff.292 ff.296 ff und dies, Manifestation, 11 ff. Die Verfasserin nimmt für ihre tier- und umweltethischen Überlegungen Anregungen von E. Husserl (1859–1938) und vor allem von M. Merleau-Ponty (1908–1961, s. oben 663 f ) auf, s. dazu dies., Zeitalter, 72 ff.78 ff.81 f.84 f.251 ff.255 ff.
𓇼 Franz von Assisi Obwohl Franz von Assisi nicht in die Neuzeit, sondern ins Mittelalter gehört, sei zum Abschluss sein Sonnengesang angeführt. Der Text „besteht nicht unmittelbar aus Versen des Franz von Assisi († 1226). Aber sein Dichter Winfried Pilz hat offenkundig auf einen Gesang zurückgegriffen, den dieser in altlateinischer Sprache verfasst hat“ (Leppin, „Laudato
668 Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart si“, 181). Für das Verständnis des Textes ist nach V. Leppin die besondere Zuordnung von Gott, Mensch und Natur zu beachten: „Der Sonnengesang gibt der Naturbegeisterung des Franz beredten Ausdruck – und zeugt doch zugleich davon, dass sich diese Naturbegeisterung durch die Souveränität Gottes und die Zentrierung des Schöpfungsbildes auf den Menschen in theologisch klar umrissenen Grenz bewegt“ (ders., aaO 198). Es ist also eine anthropozentrische Position, die hier zum Ausdruck kommt. Der Gesang umfasst 14 Verse oder 10 Strophen: I,1 2
Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein sind das Lob, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen. Dir allein, Höchster, gebühren sie, und kein Mensch ist würdig dich zu nennen.
II,3 4
Gelobt seist du (Laudato si), mein Herr,
mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne, welcher der Tag ist und durch den du uns leuchtest. Und schön ist er und strahlend mit großem Glanz:
Von dir, Höchster, ein Sinnbild.
III,5
Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne; am Himmel hast du sie gebildet,
klar und kostbar und schön.
IV,6
Gelobt seist du, mein Herr, für Bruder Wind und für Luft und Wolken und heiteres und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen Unterhalt gibst.
V,7
Gelobt seist du, mein Herr, für Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.
VI,8
Gelobt seist du, mein Herr Für Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest; und schön ist es und fröhlich und kraftvoll und stark.
VII,9
Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.
VIII,10 Gelobt seist du, mein Herr, für jene, die verzeihen um deiner Liebe willen und Krankheit ertragen und Drangsal.
Anhang III: Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne bis zur Gegenwart 669
11
Selig jene, die solches ertragen in Frieden,
denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt.
IX,12 13
Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein Mensch lebend entrinnen. Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben. Selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.
X,14
Lobt und preist meinen Herrn und dankt ihm und dient ihm mit großer Demut.
Übersetzung: L. Lehmann, zitiert bei Leppin, „Laudato si“, 181 f, s. dazu auch Schockenhoff, Ethik, 613 ff. Zu den Bezügen des Sonnengesangs zu Ps 148 (s. dazu oben 304 ff ) sowie zu den Unterschieden zwischen beiden Texten s. Leppin, aaO 189 ff; zu Dan 3,51–90 als weiterer Quelle des Sonnengesangs s. ders., aaO 192 ff.
Abkürzungen und Hinweise zur Zitation 1. Allgemeine Abkürzungen Die Allgemeinen Abkürzungen sowie die Abkürzungen der Biblischen Bücher, der Außerkanonischen Schriften, der Texte aus Qumran, des Rabbinischen Schrifttums und der Antiken Literatur richten sich nach dem Verzeichnis der RGG4. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: achäm. achämenidisch ägypt. ägyptisch akk. akkadisch altiran. altiranisch altpers. altpersisch anatol. anatolisch ao. altorientalisch assyr. assyrisch App. Textkritischer Apparat der BHS AR Altes Reich (Epochenbezeichnung in Ägypten) babyl. babylonisch BHS Biblia Hebraica Stuttgartensia, hg. von K. Elliger und W. Rudolph, Stuttgart 1967/1977 DE Danklied(er) des Einzelnen (Psalmengattung) DtJes Deuterojesaja (Jes 40–55) Dyn. Dynastie Ee Enūma eliš (babyl. Weltschöpfungsepos) et al. und andere (Herausgeber) GAH Großer Amarna-Hymnus (Ägypten) griech. griechisch hebr. hebräisch H. i. O. Hervorhebung im Original H. v. m. Hervorhebung von mir hurr. hurritisch i. Dr. im Druck Inf. Infinitiv Inf. abs. Infinitivus absolutus Inf. cstr. Infinitvus constructus KE Klagelied(er) des Einzelnen (Psalmengattung) lat. lateinisch
672 Abkürzungen und Hinweise zur Zitation LXX Septuaginta, id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, hg. von A. Rahlfs, editio altera quam recognovit, et emendavit, hg. von R. Hanhart, Stuttgart 2006 mesop. mesopotamisch MR Mittleres Reich (Epochenbezeichnung in Ägypten) MT Masoretischer Text der BHS nP nichtpriesterliche Schicht der Urgeschichte Gen 1–11 NR Neues Reich (Epochenbezeichnung in Ägypten) ON Ortsname p/Pg priesterlich/Priestergrundschrift PN Personenname Ps sekundäre Fortschreibung(en) von Pg Ptz. Partizip Red. Redaktion röm. römisch St. cstr. Status constructus Suff. Suffix/e s. v. sub voce/unter dem Begriff … aufgeführt TritJes Tritojesaja (Jes 55–66) ugarit. ugaritisch vs. versus/gegenüber, im Gegensatz zu … Vulg Biblia Sacra iuxta Vulgatam versionem, hg. von R. Weber, Stuttgart 52007 z. St. zur Stelle ZwZt Zwischenzeit (Epochenbezeichnung in Ägypten)
2. Stammesmodifikationen des hebräischen Verbs q. = Qal / nif. = Nif ʿal / pi. = Piʿel / pu. = Puʿal / po. = Poʿal / pol. = Polel / hif. = Hif ʿil / hof. = Hof ʿal / hitp. = Hitpaʿel / hitpol. = Hitpolel usw.
3. Bibliographische Abkürzungen Die bibliographischen Abkürzungen richten sich nach dem Verzeichnis von S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/Boston 32014. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: Assmann, ÄHG2 ATM
→ Literatur 3 (Ägypten) Janowski, B. u. a. (Hg.), Altes Testament und die Kultur der Moderne, Münster → Literatur 1 (Handbücher)
Ausloos/Lemmelijn (Hg.), LXX.H 5 Barucq/Daumas, HPEA → Literatur 3 (Ägypten) Beyerlin (Hg.), RTAT2 → Literatur 3 (Übergreifendes) BSLK Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Herausgegeben im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 121998
DDD2 DK Donner/Röllig, KAI2 DWJ EBW EG Erlemann u. a. (Hg.), NTAK es Falkenstein/ von Soden, SAHG Ges18
3. Bibliographische Abkürzungen 673
van der Toorn, K./Becking, B./van der Horst, P. W. (ed.), Dictionary of Deities and Demons in the Bible, Leiden/Boston/Köln/ Michigan/Cambridge 21999 Diels, H./Kranz, W., Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch, Bd. 1–3, Berlin 1960/61 → Literatur 3 (Syrien/Palästina) Distant Worlds Journal, München Berlejung, A. (ed.), Encyclopedia of Material Culture in the Biblical World. A New Biblisches Reallexikon, Tübingen 2022 Evangelisches Gesangbuch, Stuttgart 1996 → Literatur 3 (Neues Testament und Antikes Christentum) edition suhrkamp, Frankfurt a. M./Berlin → Literatur 3 (Mesopotamien)
Gesenius, W., Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, hg. von (R. Meyer und) H. Donner, Berlin/Heidelberg u. a. 181987–2010 GL Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, Stuttgart 2013 HAL Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament. Neu bearbeitet von W. Baumgartner, J. J. Stamm und B. Hartmann, Leiden/Boston 31967–1995 HeBAI Hebrew Bible and Ancient Israel, Tübingen HGANT5 Berlejung, A./Frevel, Chr. (Hg.), Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 52016 IEKAT Dietrich, W. u. a., Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament, Stuttgart it insel taschenbuch, Frankfurt a. M./Berlin Keel u. a., OLB 1 → Literatur 4 Keel/Uehlinger, GGG6 → Literatur 4 Lambert, BWL2 → Literatur 3 (Mesopotamien) Lichtheim, AEL 1–3 → Literatur 3 (Ägypten) NEB.Erg Neue Echter Bibel.Ergänzungen, Würzburg NEB.Th Neue Echter Bibel.Themen, Würzburg RÄRG Bonnet, H., Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin 1952 RBL7 K. Koch u. a. (Hg.), Reclams Bibellexikon, Stuttgart 72004 re rowohlts enzyklopädie, Reinbek bei Hamburg Renz/Röllig, HAE I–II → Literatur 3 (Syrien/Palästina) RUB Reclams Universal-Bibliothek, Stuttgart Schroer (/ Keel), → Literatur 4 IPIAO 1–4 Seux, HPDBA → Literatur 3 (Mesopotamien) stw suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Frankfurt a. M./Berlin
674 Abkürzungen und Hinweise zur Zitation SWB ThTh ThWQ TOBITH TUAT TUAT.Erg TUAT.NF WAM
Crüsemann, F. u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009 Themen der Theologie, Tübingen Fabry, H.‑J./Dahmen, U. (Hg.), Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, Bd.1–3, Stuttgart 2011–2016 Topoi Biblischer Theologie, Tübingen → Literatur 3 (Übergreifendes) → Literatur 3 (Übergreifendes) → Literatur 3 (Übergreifendes) Fieger, M./Krispenz, J./Lanckau, J. (Hg.), Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013
4. Hinweise zur Zitation a) Kommentare zu biblischen Büchern werden mit der Angabe der jeweiligen Reihenbezeichnung zitiert, z. B. Westermann, Genesis 1–11 (BK), 15. Teilbände eines Kommentars, die von einem einzigen Autor verfasst sind, werden abgekürzt zitiert, z. B. Braulik, Deuteronomium I (NEB) für Braulik, Deuteronomium 1,1–16,17 (NEB). b) Bei den Literaturangaben zu den einzelnen Abschnitten und Unterabschnitten des vorliegenden Buchs werden in der Regel keine Kommentare zu biblischen Büchern genannt. c) Wenn es bei Sammelbänden mehr als zwei Herausgeber gibt, wird nur ein Herausgeber genannt. Dasselbe gilt für die Erscheinungsorte. d) Die Transkription des Hebräischen richtet sich nach den Regeln der Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft (ZAW). e) Im Text findet sich immer wieder das Siglum Q mit einer anschließenden Nummernangabe. Beides bezieht sich auf den Anhang II: Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike (oben 507 ff ). f ) Mit dem Sternchen (𓇼) nach einem Exkurs wird dessen Ende bezeichnet.
Chronologische Übersichten 1. Archäologische Epochen in Palästina/Israel Siglen: FB = Frühbronze – MB = Mittelbronze – SB = Spätbronze – E = Eisen FB I FB II FB III FB IV MB I MB IIA MB IIB SB I SB IIA SB IIB
ca. 3200–3000 ca. 3000–2600 ca. 2600–2300 ca. 2300–2000 ca. 2300–2000 ca. 2000–1750 ca. 1750–1550 ca. 1550–1400 ca. 1400–1300 ca. 1300–1150
Conventional
Low
E IA/SB III E IB E IIA E IIB E IIC E III (Babyl.-Pers. Zeit) Perserzeit I Perserzeit II Frühhell. Zeit Späthell. Zeit Römische Zeit
ca. 1250–1150 ca. 1150–925 ca. 1200–1140 ca. 1150–1000 ca. 1150–925 ca. 1150/40–980 ca. 1000–900 ca. 925–835/30 ca. 980–840/30 ca. 900–700 ca. 830–700 ca. 830–732/701 ca. 700–587 ca. 587–450 bzw. ca. 605–520 u. 520–450 ca. 539–450 ca. 450–333 ca. 333–167 ca. 167–37 ca. 37–324 n.Chr.
Modified
S. dazu Weippert, Palästina, 25ff und Frevel, Geschichte, 420.
2. Zeittafeln zur Geschichte Israels, Ägyptens und Meopotamiens Zu den chronologischen Angaben der Dynastien und Herrscher in Ägypten, Mesopotamien und Israel/Juda s. Donner, Geschichte, 503 ff; Schlögl, Ägypten, 379 ff und Frevel, Geschichte, 421 ff.
Literatur 1. Handbücher und Sammelbände Handbücher und Lexika Ach, J. S./Borchers, D. (Hg.), Handbuch Tierethik. Grundlagen – Kontexte – Perspektiven, Stuttgart 2018 Ausloos, H./Lemmelijn, B. (Hg.), Die Theologie der Septuaginta (LXX.H 5), Gütersloh 2020 Baudry, G.‑H., Handbuch der frühchristlichen Ikonographie, Freiburg/Basel/Wien 2010 Black, J./Green, A., Gods, Demons and Symbols of Ancient Mesopotamia. An Illustrated Dictionary, London 1992 Bohlken, E./Thies, Chr. (Hg.), Handbuch Anthropologie. Der Mensch zwischen Natur, Kultur und Technik, Stuttgart/Weimar 2009 Brown, W. P. (ed.), The Oxford Handbook of the Psalms, Oxford 2014 Drecoll, V. (Hg.), Augustin Handbuch, Tübingen 2007 Haussig, H. W. (Hg.), Götter und Mythen im Vorderen Orient (WM I/1), Stuttgart 1965 (= Götter I) –, Götter und Mythen der kaukasischen und iranischen Völker (WM IV ), Stuttgart 1986 (= Götter II) Höffe, O. (Hg.), Aristoteles-Lexikon (KTA 459), Stuttgart 2005 –, Lexikon der Ethik, München 72008 Horn, Chr./Müller, J./Söder, J. (Hg.), Platon-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar 2009 Jaeger, F./Liebsch, B./Rüsen, J./Straub, J. (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften Bd. 1–3, Stuttgart/Weimar 2004 König, R. (Hg.), Soziologie, Frankfurt a. M. 1967 Kolmer, P./Wildfeuer, A. G. (Hg.), Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe Bd. 1–3, Freiburg/München 2011 Konersmann, R. (Hg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007 Long, A. A. (Hg.), Handbuch Frühe Griechische Philosophie. Von Thales bis zu den Sophisten, Stuttgart/Weimar 2001 Maier, B., Koran-Lexikon (KTA 348), Stuttgart 2001 Maier, J./Schäfer, P. (Hg.), Kleines Lexikon des Judentums, Stuttgart/Konstanz 1981 Rapp, Chr./Corcilius, K. (Hg.), Aristoteles-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar 2011 Sarasin, Ph./Sommer, M. (Hg.), Evolution. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart/ Weimar 2010
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1. Handbücher und Sammelbände 679
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1. Handbücher und Sammelbände 681
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2. Kommentare 687
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2. Kommentare 689
–, Das Buch Ezechiel Kap. 25–48 (NSK.AT 21/2), Stuttgart 2013 (= Ezechiel II) Seebass, H., Genesis 1,1–11,26, Neukirchen-Vluyn 1996 (= Genesis I) –, Genesis 11,27–22,24, Neukirchen-Vluyn 1997 (= Genesis II) –, Numeri 1,1–10,10 (BK 4/1), Neukirchen-Vluyn 2012 (= Numeri I) Seybold, K., Die Psalmen (HAT 1/15), Tübingen 1996 Spieckermann, H., Psalmen Bd. 1: Psalm 1–49 (ATD 14), Göttingen 2023 (= Psalmen I) Staubli, Th., Die Bücher Levitikus/Numeri (NSK.AT 3), Stuttgart 1996 Stipp, H.‑J., Jeremia 25–52 (HAT I/12,2), Tübingen 2019 (= Jeremia II) Strauß, H., Hiob, 2. Teilband: 19,1–42,17 (BK 16/2), Neukirchen-Vluyn 2000 (= Hiob II) Utzschneider, H./Oswald, W., Exodus 1–15 (IEKAT), Stuttgart 2013 (= Exodus I) Wanke, G., Jeremia 1,1–25,14 (ZBK.AT 20/1), Zürich 1995 (= Jeremia I) –, Jeremia 25,15–52,34 (ZBK 20/2), Zürich 2003 (= Jeremia II) Weber, B., Werkbuch Psalmen 1. Die Psalmen 1–72, Stuttgart/Berlin/Köln 2001 –, Werkbuch Psalmen 2. Die Psalmen 73–150, Stuttgart/Berlin/Köln 2003 Westermann, C., Genesis 1–11 (BK 1/1), Neukirchen-Vluyn 1974 Witte, M., Das Buch Hiob (ATD 13), Göttingen 2021 Wolff, H. W., Haggai (BK 14/6), Neukirchen-Vluyn 1986 Zimmerli, W., Ezechiel 25–48 (BK 13/2), Neukirchen-Vluyn 21979 (= Ezechiel II) –, 1. Mose 1–11. Urgeschichte (ZBK.AT 1/1), Zürich 41984
Septuaginta Karrer, M./Kraus, W. (Hg.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare Bd. 1–2, Stuttgart 2011 Kraus, W./Karrer, M. (Hg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009
Neues Testament Gnilka, J., Das Evangelium nach Markus (Mk 1–8,26) (EKK 2/1), Zürich/Einsiedeln/ Köln/Neukirchen-Vluyn 1978 (= Markus I) Lichtenberger, H., Die Apokalypse (ThK.NT 23), Stuttgart 2014 Luther, M., Vorlesungen über den Römerbrief von 1515/16. Lateinisch-deutsche Ausgabe Bd. 1–2, Darmstadt 1960 Luz, U., Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1–7) (EKK 1/1), Düsseldorf/Zürich/Neukirchen-Vluyn 52002 (= Matthäus I) Schrage, W., Der erste Brief an die Korinther (1 Kor 6,12–11,16) (EKK 7/2), Solothurn/ Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn 1995 (= 1 Korinther II) Schweizer, E., Der Brief an die Kolosser (EKK), Zürich/Einsiedeln/Köln/NeukirchenVluyn 1976 Theobald, M., Römerbrief 1–11 (SKK.NT 6/1), Stuttgart 1992 (= Römer I) –, Das Evangelium nach Johannes Kapitel 1–12 (RNT), Regensburg 2009 (= Johannes I) – (Hg.), Die Bibel. Einheitsübersetzung. Kommentierte Studienausgabe. Stuttgarter Neues Testament, Bd. 3, Stuttgart 2018 Wilckens, U., Der Brief an die Römer (Röm 1–5) (EKK 6/1), Zürich/Einsiedeln/Köln/ Neukirchen-Vluyn 1978 (= Römer I)
690 Literatur –, Der Brief an die Römer (Röm 6–11) (EKK 6/2), Zürich/Einsiedeln/Köln/Neukirchen-Vluyn 1980 (= Römer II)
3. Antike Quellentexte Übergreifendes Beyerlin, W. (Hg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament (GAT 1), Göttingen 21985 (RTAT2) Galling, K. (Hg.), Textbuch zur Geschichte Israels, Tübingen 31979 Janowski, B./Wilhelm, G. (bis Bd. 4)/Schwemer, D. (ab Bd. 5) (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge, Gütersloh 2004–2020 (TUAT.NF) Kaiser, O. (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Gütersloh 1982–1997 (TUAT) – (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001 (TUAT.Erg) Weippert, M., Historisches Textbuch zum Alten Testament (GAT 10), Göttingen 2010
Ägypten Assmann, J., Ägyptische Hymnen und Gebete (OBO Sonderband), Fribourg/Göttingen 21999 (ÄHG2) –/ Kucharek, A., Ägyptische Religion. Totenliteratur, Frankfurt a. M./Leipzig 2008 –/ –, Ägyptische Religion. Götterliteratur, Berlin 2018 Barucq, A./Daumas, F., Hymnes et prières de l’Égypte ancienne (LAPO 10), Paris 1980 (HPEA) Bayer, Chr., Echnaton – Sonnenhymnen (RUB 18492), Stuttgart 2007 Brunner, H., Altägyptische Weisheit. Lehren für das Leben, Zürich/München 1988 Hornung, E., Ägyptische Unterweltsbücher, Zürich/München 1972 –, Das Totenbuch der Ägypter, Zürich/München 1979 –, Gesänge vom Nil. Dichtung am Hofe der Pharaonen, Zürich/München 1990 Lichtheim, M., Ancient Egyptian Literature Vol. 1–3, Berkeley/Los Angeles/London 1975/1976 /1980 (AEL)
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 693
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 705
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 707
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 709
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710 Literatur Grund, A., „Auf die ganze Erde geht ihre Meßschnur aus“. Die Ordnung des Himmels in Ps 19,5a und der babylonische Sternenkatalog BM 78161, BN 110 (2002) 66–75 –, „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes“. Psalm 19 im Kontext der nachexilischen Toraweisheit (WMANT 103), Neukirchen-Vluyn 2004 –, Art. Tun-Ergehens-Zusammenhang, RGG4 8 (2005) 654–656 –, „Aus Gott geboren“. Zu Geburt und Identität in der Bildsprache der Psalmen, in: Dieckmann/Erbele-Küster (Hg.), Geburt (→ 1: Sammelbände), 99–120 –, „Und sie schämten sich nicht …“ (Genesis 2,25). Zur alttestamentlichen Anthropologie der Scham im Spiegel von Genesis 2–3, in: Bauks u. a. (Hg.), Was ist der Mensch (→ 1: Sammelbände), 115–122 –, Die Entstehung des Sabbats. Seine Bedeutung für Israels Zeitkonzept und Erinnerungskultur (FAT 75), Tübingen 2011 Gulde, St.U., Der Tod als Herrscher in Ugarit und Israel (FAT II/22), Tübingen 2007 Gunkel, H., Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung über Gen 1 und ApkJoh 12, Göttingen 1895 Gzella, H., Lebenszeit und Ewigkeit. Studien zur Eschatologie des Septuaginta-Psalters (BBB 134), Berlin/Wien 2002 Ha, K.‑T., Frage und Antwort. Studien zu Hiob 3 im Kontext des Hiobbuches (HBS 46), Freiburg/Basel/Wien 2005 Haag, E., Gott als Schöpfer und Erlöser in der Prophetie des Deuterojesaja, TThZ 85 (1976) 193–213 –, Art. Gebeine, NBL 1 (1991) 738 Hamann, K., Hermann Gunkel. Eine Biographie, Tübingen 2014 Haas, V., Magie und Mythen im Reich der Hethiter, Hamburg 1977 –, Hethitische Berggötter und hurritische Steindämonen. Riten, Kulte und Mythen. Eine Einführung in die kleinasiatischen religiösen Vorstellungen, Mainz 1982 –, Geschichte der hethitischen Religion (HdO I/15), Leiden/New York/Köln 1994 –/ Koch, H., Religionen des Alten Orients, Teil 1: Hethiter und Iran (GAT 1/1), Göttingen 2011 Habermas, J., Die Herausforderung der ökologischen Ethik für eine anthropozentrisch ansetzende Konzeption, in: Krebs (Hg.), Naturethik (→ 1: Sammelbände), 92–99 –, Glauben und Wissen (es Sonderdruck), Frankfurt a. M. 2001 –, Die befreiende Kraft der symbolischen Formgebung. Ernst Cassirers humanistisches Erbe und die Bibliothek Warburg, in: ders., Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck. Philosophische Essays (BS 1233), Frankfurt a. M. 1997, 9–40 –, Von den Weltbildern zur Lebenswelt, in: ders., Kritik der Vernunft (Philosophische Texte 5), Frankfurt a. M. 2009, 203–270 –, Auch eine Geschichte der Philosophie Bd. 1–2, Berlin 2019 Häfner, G., Das sehnsüchtige Harren der Schöpfung. Röm 8 und die Frage nach der Erlösung der Tiere, MThZ 70 (2019) 305–318 Härle, W., Dogmatik, Berlin/Boston 52018 Häusl, M., Auf den Leib geschrieben. Körperbilder und -konzepte im Alten Testament, in: Frevel (Hg.), Anthropologie (→ 1: Sammelbände), 134–163 –, Am Angang war der Garten, WUB Nr. 106 (2022) 8–12 Hagencord, R., Diesseits von Eden. Verhaltensbiologische und theologische Argumente für eine neue Sicht der Tiere, Regensburg 22006
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 711
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712 Literatur –, Die Zumutung des barmherzigen Gottes. Die Theologie des Jonabuches im Licht der Urgeschichte Gen 1–11, in: Berlejung/Heckl (Hg.), Ex oriente Lux (→ 1: Sammelbände), 435–455 –, Orte des Ursprungs und der Erneuerung. Altorientalische und biblische Paradiesvorstellungen, in: Karrer-Grube u. a. (Hg.), Sprachen (→ 1: Sammelbände), 35–48 –, JHWH, Erschaffer des Himmels. Zur Herkunft und Bedeutung eines montheistischen Kernarguments, ZThK 110 (2013) 383–409 –, Das Ende als Anfang: die biblische Sintfluterzählung, in: Simm (Hg.), Aspekte (→ 1: Sammelbände), 47–63 –, Von der Vorwelt zur Welt. Kosmogonische Übergänge in alttestamentlichen und altorientalischen Texten zur Weltenstehung, in: Díaz Hernández u. a. (Hg.), Kosmogonien (→ 1: Sammelbände), 43–58 –, Psalm 23 als Brennspiegel seines Umfelds. Intertextuelle Bezüge und Entstehung der Teilkomposition Ps 15–24, in: Barbiero et al. (ed.), Formation (→ 1: Sammelbände), 187–214 –, Theologie des Alten Testaments und gesamtbiblische Perspektiven, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 1: Sammelbände), 479–502 –, Kosmologische Defizite und biblisch-hermeneutische Anregungen. Was lässt sich aus der Corona-Pandemie für theologisches Denken lernen?, ThR 86 (2021) 271–285 –, Kosmisierung des Chaos. Neue Erkenntnis zu einer zentralen Denkfigur alttestamentlicher und frühjüdischer Weisheitstraditionen, in: Schmid (ed.), Congress Volume Zürich (im Druck) –/ Krispenz, J., Art. König, Gott als König, WAM, 272–279 –/ Moxter, M., Hermeneutik des Bilderverbots. Exegetische und systematisch-theologische Annäherungen (ThLZ.F 26), Leipzig 2016 Hausmann, J., Studien zum Menschenbild der älteren Weisheit (FAT 7), Tübingen 1995 –, Wiederherstellung der Ordnung um den Preis von Gewalt? Überlegungen zu einem Neben(?)aspekt im 11. Psalm, in: Gehrig/Seiler (Hg.), Gottes Wahrnehmungen (→ 1: Sammelbände), 177–185 Hawley, R., Echoes of Cosmic Battle and Creation in the Ugaritic Literary Imagination, in: Ramond/Achenbach (éd.), Aux commencements (→ 1: Sammelbände) 141–160 Healey,J. F., Das Land ohne Wiederkehr. Die Unterwelt im antiken Ugarit und im Alten Testament, ThQ 177 (1997) 94–104 Heeßel, N. P., Art. Demons, EBW, 233–238 Heidegger, M., Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit, Frankfurt a. M. 1983 Heinrich, E., Die Tempel und Heiligtümer im Alten Mesopotamien. Typologie, Morphologie und Geschichte, Berlin 1982 Helck, W., Art. Tempelbenennungen, LÄ 6 (1986) 363–35 Helfmeyer, F. J., Art. kālāh, ThWAT 4 (1984) 166–174 Hemminger, H., Mit der Bibel gegen die Evolution. Evolution und intelligentes Design als Themen des protestantischen Fundamentalismus, in: Janowski u. a. (Hg.), Schöpfungsglaube (→ 1: Sammelbände), 9–26 Hengel, M., Ps 110 und die Erhöhung des Auferstandenen zur Rechten Gottes, in: C. Breytenbach/H. Paulsen (Hg.), Anfänge der Christologie (FS F. Hahn), Göttingen 1991, 43–73
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 713
Henry, M. L., Das Tier im religiösen Bewußtsein des alttestamentlichen Menschen, in: Janowski u. a. (Hg.) Gefährten (→ 1: Sammelbände), 20–61 Herder, J. G., Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit (Johan Gottfried Herder Werke 6), hg. von M. Bollacher, Frankfurt a. M. 1989 Hermisson, H.‑J., Studien zur israelitischen Spruchweisheit (WMANT 28), NeukirchenVluyn 1968 –, Zur Schöpfungstheologie der Weisheit, in: ders., Studien zu Prophetie und Weisheit (FAT 23), Tübingen 1998, 269–285 –, „Der Feind aus dem Norden“ (Jer 4–6). Zu einem Gedichtzyklus Jeremias, in: Hartenstein u. a. (Hg.), Schriftprophetie (→ 1: Sammelbände), 233–251 Herrmann, S., Die Naturlehre des Schöpfungsberichtes. Erwägungen zur Vorgeschichte von Genesis 1, in: ders., Gesammelte Studien zur Geschichte und Theologie des Alten Testaments (TB 75), München 1986, 32–46 Hieke, Th., Psalm 80 – Praxis eines Methodenprogramms. Eine literaturwissenschaftliche Untersuchung mit einem gattungskritischen Beitrag zum Klagelied des Volkes (ATSAT 55), St. Ottilien 1996 –, Staub vom Ackerboden oder weniger als Gott? Menschenbilder des Alten Testaments in spannungsvoller Beziehung, LebZeug 53 (1998) 245–261 –, Die Genealogien der Genesis (HBS 39), Freiburg/Basel/Wien 2003 –, Orientierung – Desorientierung – Neuorientierung. Gebetsprozesse im Alten Testament anhand der Psalmen 103; 13 und 30, in: Bonney/Vicent (ed.), Sophia (→ 1: Sammelbände), 259–281 –, Segen. Kraftvermittlung und Eintritt in den Heilsraum Gottes, in: Knop/Kranemann (Hg.), Segensfeiern (→ 1: Sammelbände), 15–36 –, „From the Heavens, from the Earth“. Structure and Message of Psalm 148, in: Zsengeller (ed.), Understanding (→ 1: Sammelbände), 3–27 Höffe, O., Moral als Preis der Moderne. Ein Versuch über Wissenschaft, Technik und Umwelt (stw 1046), Frankfurt a. M. 1993 –, Art. Anerkennung, in: ders. (Hg.), Lexikon (→ 1: Handbücher), 18 f –, Art. Tierschutz, in: ders. (Hg.), Lexikon (→ 1: Handbücher), 313–315 Hölscher, U., Anaximander und der Anfang der Philosophie, in: ders., Anfängliches Fragen. Studien zur frühen griechischen Philosophie, Göttingen 1968, 9–89 Höver-Johag, I., Art. ṭôb usw., ThWAT 3 (1982) 315–339 Hofius, O., Struktur und Gedankengang des Logos-Hymnus Joh 1,1–18, in: ders./H.-Ch. Kammler, Johannesstudien (WUNT 88), Tübingen 1996, 1–23 Hoheisel, K., Art. Jenseits, HRWG 3 (1993) 318–326 Honneth, A., Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte (stw 1129), Frankfurt a. M. 1994 Horkheimer, M./Adorno, Th.W., Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, in: Th.W. Adrno, Gesammelte Schriften, hg. von R. Tiedemann u. a., Bd. 3 (stw 1703), Frankfurt a. M. 2003 Hornung, E., Chaotische Bereiche in der geordneten Welt, ZÄS 81 (1956) 28–32 –, Der Mensch als „Bild Gottes“ in Ägypten, in: Loretz (Hg.), Gottebenbildlichkeit (→ 1: Sammelbände), 123–156 –, Die Bedeutung des Tieres im alten Ägypten, StGen 20 (1967) 69–84 –, Verfall und Regeneration der Schöpfung, ErJb 46 (1977) 411–449
714 Literatur –, Art. Himmelsvorstellungen, LÄ 2 (1977) 1215–1218 –, Von zweierlei Grenzen im alten Ägypten, ErJb 49 (1980) 393–427 –, Auf den Spuren der Sonne. Gang durch ein ägyptisches Königsgrab, ErJb 50 (1981) 431–475 –, Pharao ludens, ErJb 51 (1982) 479–516 –, Der ägyptische Mythos von der Himmelskuh. Eine Ätiologie des Unvollkommenen (OBO 46), Fribourg/Göttingen 1982 –, Zum alltäglichen Geschichtsbewußtsein, in: Müller-Karpe (Hg.), Archäologie (→ 1: Sammelbände), 13–30 –, Blick in jenseitige Welten, in: ders., Geist der Pharaonenzeit, Zürich/München 1989, 95–114 –, Der Tempel als Kosmos, in: ders., Geist, 115–130 –, Schwarze Löcher von innen betrachtet. Die altägyptische Hölle, ErJb.NF 2 (1994) 227–262 –, Tal der Könige. Die Ruhestätte der Pharaonen, Düsseldorf/Zürich 61999 –, Der Eine und die Vielen. Altägyptische Götterwelt, Darmstadt 62005 Horowitz, W., Mesopotamian Cosmic Geography, Winona Lake/IN 1998 Horstmann, S., Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen, Regensburg 2020 Hossenfelder, M., Art. Apathie I, RGG4 1 (1998) 582 f Hossfeld, F.‑L., Der Dekalog. Seine späten Fassungen, die originale Komposition und seine Vorstufen (OBO 45), Fribourg/Göttingen 1982 –, Schöpfungsfrömmigkeit in Ps 104 und bei Jesus Sirach, in: ders./E. Zenger, Neigt euer Ohr den Worten meines Mundes. Studien zu Psalmen und Psalter, hg. von Chr. Dohmen und Th. Hieke, Stuttgart 2015, 177–186 Houtman, C., Art. Hölle, RGG4 3 (2000) 1846 f –, Der Januskopf der Schöpfung. Tiere im Alten Testament als Vertreter der Welt und der Gegenwelt, in: Fischer/Grohmann (Hg), Weisheit (→ 1: Sammelbände), 139–154 Hrouda, B., Der alte Orient, München 1991 Huber, M., „Seh’ ich den Himmel, das Werk deiner Finger“. Biblische Schöpfungstexte als Modelle zur Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaften und Theologie, Freiburg 2021 Hünermann, P., Peccatum originale – ein komplexer, mehrdimensionaler Sachverhalt. Entwurf eines geschichtlichen Begriffs, ThQ 184 (2004) 92–107 Hugger, P., Das trauernde Land, der schreiende Stein. Die gegenwärtige Naturkrise und das Zwölfprophetenbuch, in: Ruppert u. a. (Hg.), Künder (→ 1: Sammelbände), 301– 313 de Hulster, I. J., Picturing Ancient Israel’s Cosmic Geography. An Introduction Perspective on Genesis 1:1–2:4a, in: ders. et al. (ed.), Exegesis (→ 1: Sammelbände), 45–61 Human, D. J., Psalm 136. A Liturgy with Reference to Creation and History, in: Human/ Vos (ed.), Psalms (→ 1: Sammelbände), 73–88 Hunziker-Rodewald, R., Hirt und Herde. Ein Beitrag zum alttestamentlichen Gottesverständnis (BWANT 155), Stuttgart/Berlin/Köln 2001 –, Thrones in Sheol. An Ancient Near Eastern Motif in Isaiah 14:9, in: de Hulster et al. (ed.), Exegesis (→ 1: Sammelbände), 165–180 Hurowitz, V., Inside Solomon’s Temple, Bible Review April 1994, 24–36.50
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 715
Hutter, M., Altorientalische Vorstellungen von der Unterwelt. Literar- und religionsgeschichtliche Überlegungen zu „Nergal und Ereschkigal“ (OBO 63), Fribourg/Göttingen 1985 –, Religionen in der Umwelt des Alten Testaments I. Babylonier, Syrer, Perser (StTh 4/1), Stuttgart/Berlin/Köln 1996 Imhof, A. E., Die verlorenen Welten. Alltagsbewältigung durch unsere Vorfahren – und weshalb wir uns heute so schwer damit tun, München 1984 Irsigler, H., Psalm 22. Endgestalt, Bedeutung und Funktion, in: Schreiner (Hg.), Beiträge (→ 1: Sammelbände), 193–239 –, Thronbesteigung in Psalm 93? Der Textverlauf als Prozeß syntaktischer und semantischer Interpretation, in: Groß (Hg.), Text (→ 1: Sammelbände), 155–190 –, Die Frage nach dem Menschen in Psalm 8, in: ders., Vom Adamssohn zum Immanuel (ATSAT 58), St. Ottilien 1997, 1–48 –, Vom Mythos zur Bildsprache. Eine Einführung am Beispiel der „Solarisierung“ JHWHs, in: ders. (Hg.), Bildsprache (→ 1: Sammelbände), 9–42 –, Gott als König in Berufung und Verkündigung Jesajas, in: ders., „Denk an deinen Schöpfer“. Studien zum Verständnis von Gott, Mensch und Volk im Alten Testament (SBAB 60), Stuttgart 2015, 31–57 –, „Und denk an deinen Schöpfer …“. Gott in Freude und Dunkel des Menschenlebens nach Kohelet 11,9–12,7, in: ders., „Schöpfer“, 297–337 –, Gottesbilder des Alten Testaments. Von Israels Anfängen bis zum Ende der exilischen Epoche, I–II, Freiburg/Basel/Wien 2021 Iser, M., Art. Anerkennung, in: Bohlken/Thies (Hg.), Handbuch (→ 1: Handbücher), 291– 295 Jacob, B., Der Pentateuch. Exegetisch-kritische Forschungen, Leipzig 1905 Janowski, B., Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur priesterschriftlichen Sühnetheologie (WMANT 55), Neukirchen-Vluyn 22000 –, Rettungsgewissheit und Epiphanie des Heils. Das Motiv der Hilfe Gottes „am Morgen“ im Alten Orient und im Alten Testament (WMANT 59), Neukirchen-Vluyn 1989 –, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff (SBS 165), Stuttgart 21998 –, Enderwartung und Reinheitsidee. Zur eschatologischen Deutung von Reinheit und Sühne in der Qumrangemeinde, in: ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1993/22004, 70–101 –, „Ich will in eurer Mitte wohnen“. Struktur und Genese der exilischen Schekina-Teologie, in: ders., Gottes Gegenwart, 119–147 –, Das Königtum Gottes in den Psalmen. Bemerkungen zu einem neuen Gesamtentwurf, in: ders., Gottes Gegenwart, 148–213 –, Tempel und Schöpfung. Schöpfungstheologische Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption, in: ders., Gottes Gegenwart, 214–246 –, Keruben und Zion. Thesen zur Entstehung der Zionstradition, in: ders., Gottes Gegenwart, 247–280 –, Art. Königtum, NBL 2 (1995) 516–519.520 –, Auch die Tiere gehören zum Gottesbund. Gott, Mensch und Tier im alten Israel, in: ders./Riede (Hg.), Zukunft (→ 1: Sammelbände), 31–60
716 Literatur –, Herrschaft über die Tiere. Gen 1,26–28 und die Semantik von rdh, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 2, Neukirchen-Vluyn 1999, 33–48 –, Die Tat kehrt zum Täter zurück. Offene Fragen im Umkreis des Tun-Ergehen-Zusammenhangs, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit, 167–191 –, JHWH und der Sonnengott. Aspekte der Solarisierung JHWHs in vorexilischer Zeit, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit, 192–219 –, Art. Chaos, RGG4 2 (1999) 103 f –, Art. Ewiges Leben, RGG4 2 (1999) 1762 f –, Art. Jenseitsvorstellungen, RGG4 4 (2001) 406 f –, Art. Königtum Gottes im Alten Testament, RGG4 4 (2001) 1591–1593 –, Art. Opfer, NBL 3 (2001) 36–40.43 –, Art. Licht, RGG4 5 (2002) 330 f –, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Göttingen 62021 –, Die heilige Wohnung des Höchsten. Kosmologische Implikationen der Jerusalemer Tempeltheologie, in: ders., Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 3, Neukirchen-Vluyn 2003, 27–71 –, Jenseits von Eden. Gen 4,1–16 und die nichtpriesterliche Urgeschichte, in: ders., Der Gott des Lebens, 134–156 –, Die Frucht der Gerechtigkeit. Psalm 72 und die judäische Königsideologie, in: ders., Der Gott des Lebens, 157–197 –, Die Toten loben JHWH nicht. Psalm 88 und das alttestamentliche Todesverständnis, in: ders., Der Gott des Lebens, 201–243 –, Dankbarkeit. Ein anthropologischer Grundbegriff im Spiegel der Toda-Psalmen, in: ders., Der Gott des Lebens, 267–312 –, Art. Schöpfung, RGG4 7 (2004) 970–972 –, Art. Weltbild, RGG4 8 (2005) 1409–1414 –, Jenseits des Alltags. Fest und Opfer als religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt im alten Israel, in: ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 39–78 (zus. mit E. Zenger) –, Das Doppelgesicht der Zeit. Alttestamentliche Variationen zum Thema „Mythos und Geschichte“, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 79–104 –, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 140–171 –, Schöpferische Erinnerung. Zum „Gedenken Gottes“ in der biblischen Fluterzählung, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 172–198 –, Wie ein Baum an Wasserkanälen. Psalm 1 als Tor zum Psalter, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 199–218 –, Das Licht des Lebens. Zur Lichtmetaphorik in den Psalmen, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 221–248 –, Der Gott Israels und die Toten. Eine religions- und theologiegeschichtliche Skizze, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 266–304 –, Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Zu J. Assmann, Tod und Jenseits im alten Ägypten, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 305–319 –, Ecce homo. Stellvertretung und Lebenshingabe als Themen Biblischer Theologie (BThSt 84), Neukirchen-Vluyn 22009
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 717
–, Gottes Weisheit in Jerusalem. Sirach 24 und die biblische Schekina-Theologie, in: Lichtenberger/Mittmann-Richert (ed.), Biblical Figures (→ 1: Sammelbände), 1–29 –, Unterscheiden – Überschreiten – Entgrenzen. Zum Umgang mit Grenzen im Alten Testament, in: Schweitzer (Hg.), Kommunikation (→ 1: Sammelbände), 32–54 –, Die Welt des Anfangs. Gen 1,1–2,4a als Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens, in: ders., Der nahe und der ferne Gott. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 5, Neukirchen-Vluyn 2014, 3–29 –, Eine Welt ohne Licht. Zur Chaostopik von Jer 4,23–28 und verwandten Texten, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 31–53 –, Der Wolf und das Lamm. Zum eschatologischen Tierfrieden in Jes 11,6–9, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 55–70 –, Die lebendige næpæš. Das Alte Testament und die Frage nach der „Seele“, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 73–116 –, Der Gute Hirte. Psalm 23 und das biblische Gottesbild, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 147–171 –, Der Ort des Lebens. Zur Kultsymbolik des Jerusalemer Tempels, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 207–243 –, Die Einwohnung Gottes in Israel. Eine religions- und traditionsgeschichtliche Skizze der biblischen Schekina-Theologie, in: ders., der nahe und der ferrne Gott, 245–285 –, Ein Tempel aus Worten. Zur theologischen Architektur des Psalters, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 287–314 –, Der „Sinai auf der Wanderung“. Zur Symbolik des priesterlichen Heiligtums, in: Ederer/Schmitz (Hg.), Exodus (→ 1: Sammelbände), 11–37 –, Das Herz – ein Beziehungsorgan. Zum Personverständnis des Alten Testaments, in: ders., Das hörende Herz. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments 6, Göttingen 2018, 31–75 –, Das erschöpfte Selbst. Zur Semantik der Depression in den Psalmen und im Ijobbuch, in: ders., Das hörende Herz, 77–123 –, Schöpfung, Flut und Noahbund. Zur Theologie der priesterlichen Urgeschichte, in: ders., Das hörende Herz, 127–146 –, Gottes Sturm und Gottes Atem. Zum Verständnis von rûaḥ ʾælohîm Gen 1,2 und Ps 104,29 f, in: ders., Das hörende Herz, 147–173 (zus. mit A. Krüger) –, Die Empathie des Schöpfergottes. Gen *6,5–8,22 und das Apathie-Axiom, in: ders., Das hörende Herz, 175–200 –, „Der thront auf dem Kreis der Erde“ (Jes 40,22). Zur Logik des biblischen Weltbilds, in: ders., Das hörende Herz, 203–235 –, Der Himmel auf Erden. Zur kosmologischen Bedeutung des Tempels in der Umwelt Israels, in: ders., Das hörende Herz, 237–268 –, „Die Hindin der Morgenröte“ (Ps 22,1). Ein Beitrag zum Verständnis der Psalmenüberschriften, in: ders., Das hörende Herz, 293–344 –, Anthropologie des Alten Testaments. Grundfragen – Kontexte – Themenfelder, Tübingen 2019 –, Ein Gott, der straft und tötet? Zwölf Fragen zum Gottesbild des Alten Testaments, Göttingen 42020
718 Literatur –, „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ Palsm 8 und seine intertextuellen Bezüge, in: ders., Leben in Gottes Gegenwart. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments 7, Göttingen 2021, 3–35 –, „JHWH kennt den Weg von Gerechten“ (Ps 1,6). Der Psalter und das Ethos der Anerkennung, in: ders., Leben, 65–96 –, „Mein Schlachtopfer ist ein zerbrochener Geist“ (Ps 51,19). Zur Transformation des Opfers in den Psalmen, in: ders., Leben, 253–281 –, Die „Übernachtung“ der Gerechtigkeit. Zum Gottes- und Menschenbild in Jes 1,21– 26, in: ders., Leben, 285–299 –, „Bis an den Himmel reicht deine Güte“ (Ps 36,6). Zum Thema „Gott und Raum“ in den Psalmen, in: ders., Leben, 301–347 –, Hymnen und Gebete in Israel und in seiner Umwelt. Komparatistische Aspekte, in: ders., Leben, 349–371 –, „Deine Tora ist in meinen Eingeweiden“ (Ps 40,9). Der Psalter und die Entdeckung des „inneren Menschen“, in: Grund-Wittenberg (Hg.), Religionspraxis (→ 1: Sammelbände), 169–196 –, Das Alte Testament und die Unterwelt. Kosmologische und anthropologische Aspekte, JBTh 36 (2021) (i. Dr.) –, „Seine Wimpern prüfen die Menschen“ (Ps 11,4). Psalm 11 und das Motiv des Gottesgerichts, JBTh 37 (2022) (i. Dr.) –, Gibt es ein Hebräisches Denken?, in: van Oorschot/Wagner (ed.), Archaeology (→ 1: Sammelbände), 27–77 –/ Neumann-Gorsolke, U., Haustiere und Arbeitstiere, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 62–66 –/ –, Der „gute Hirte“ und seine Herde, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 85–89 –/ –, Tierbezeichnungen und Tiervergleiche, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 194–198 –/ –, Reine und unreine Tiere, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 214–218 –/ –, Opfertiere und Tieropfer, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 240–244 –/ Scholtissek, K., Art. Eigenschaften Gottes, HGANT5, 147–151 –/ –, Art. Segen/Fluch, HGANT5, 391 f Jenni, E., Das hebräische Piʿel. Syntaktisch-semiasiologische Untersuchung einer Verbalform im Alten Testament, Zürich 1968 –, Die hebräischen Präpositionen Bd. 1: Die Präposition Beth, Stuttgart/Berlin/Köln 1992 –, Die hebräischen Präpositionen Bd. 2: Die Präposition Kaph, Stuttgart/Berlin/Köln 1994 –, Art. ʿet, THAT 2 (51995) 370–385 –, Pleonastische Ausdrücke für Vergleichbarkeit (Ps 55,14; 58,5), in: ders., Studien zur Sprachwelt des Alten Testaments 1, Stuttgart/Berlin/Köln 1997, 206–211 –, Die hebräischen Präpositionen Bd. 3: Die Präposition Lamed, Stuttgart/Berlin/Köln 2000
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 719
Jeremias, J., Das Königtum Gottes in den Psalmen. Israels Begegnung mit dem kanaanäischen Mythos in den Jahwe-König-Psalmen (FRLANT 141), Göttingen 1987 –, Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung (BThSt 31), Neukirchen-Vluyn 21997 –, Schöpfung in Poesie und Prosa. Gen 1–3 im Vergleich mit anderen Schöpfungstexten des Alten Testaments, in: ders., Studien zur Theologie des Alten Testaments (FAT 99), hg. von F. Hartenstein und J. Krispenz, Tübingen 2015, 83–108 –, Die Erde „wankt“, in: ders., Studien, 229–240 –, Theologie des Alten Testaments (GAT 6), Göttingen 2015 Jericke, D., Königsgarten und Gottes Garten. Aspekte der Königsideologie in Genesis 2 und 3, in: Maier/Liwak/Jörns (Hg.), Exegese (→ 1: Sammelbände), 161–176 Jonas, H., Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M. 1979 Jones, S. C., Who Can Narrate El’s Wonders? The Reception of Psalm 19 in Ben Sira and the Qumran Hodayot, in: Körting/Kratz (Hg.), Fromme (→ 1: Sammelbände), 31–40 Jónsson, G. A., The Image of God. Gen 1:26–28 in a Century of Old Testament Research (CB.OT 26), Stockholm 1988 Jung, M. H., „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“. Der Tierschutzgedanke im Pietismus, in: Janowski/Riede (Hg.), Zukunft (→ 1: Sammelbände), 128–154 Junge, F., Die Welt der Klagen, in: Assmann u. a. (Hg.), Fragen (→ 1: Sammelbände), 275– 284 –, „Unser Land ist der Tempel der ganzen Welt“. Über die Religion der Ägypter und ihre Struktur, in: Kratz/Spieckermann (Hg.), Götterbilder 1 (→ 1: Sammelbände), 3–44 Kämmerer, Th.R., Das Sintflutfragment aus Ugarit (RS 22.421), UF 25 (1993) 189–200 Kahl, W., Psalm 2 und das Neue Testament. Intertextuelle Aspekte und ausgewählte Beispiele, in: Sänger (Hg.), Gottessohn (→ 1: Sammelbände), 232–250 Kaiser, O., Der Gott des Alten Testaments. Theologie des Alten Testaments, Bd. 2 (UTB 2024), Göttingen 1998, 210–318 –, Weisheit für das Leben. Das Buch Jesus Sirach übersetzt und eingeleitet, Stuttgart 2005 –, Aretē und Pathos bei Philo von Alexandrien, in: Egger-Wenzel/Corley (ed.), Emotions (→ 1: Sammelbände), 379–429 –, Der eine Gott Israels und die Mächte der Welt. Der Weg Gottes im Alten Testament vom Herrn seines Volkes zum Herrn der ganzen Welt (FRLANT 249), Göttingen 2013 Kampp-Seyfried, F., Es lebt Re-Harachte, der im Lichtland jubelt. Ein „Glaubensbekenntnis“ ohne Worte aus der Nachamarnazeit, in: Guksch u. a. (Hg.), Grab (→ 1: Sammelbände), 118–127 Kang, Ch.-G., Behemot und Leviathan. Studien zur Komposition und Theologie von Hiob 38,1–42,6 (WMANT 149), Göttingen 2017 Kant, I., Werke in sechs Bänden, Bd. 4: Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, hg. von W. Weischedel, Darmstadt 1963 Kedar-Kopfstein, B., Art. ʿedæn usw., ThWAT 5 (1986) 1093–1103 –, Art. pāraḥ usw., ThWAT 6 (1989) 740–752 Keel, O., Feinde und Gottesleugner. Studien zum Image der Widersacher in den Individualpsalmen (SBM 7), Stuttgart 1969 –, Die Weisheit spielt vor Gott. Ein ikonographischer Beitrag zur Deutung des mesaḥäqät in Sprüche 8,30 f., Fribourg/Göttingen 1974
720 Literatur –, Jahwe-Visionen und Siegelkunst. Eine neue Deutung der Majestätsschilderungen in Jes 6, Ez 1 und 10 und Sach 4 (SBS 84/85), Stuttgart 1977 –, Vögel als Boten. Studien zu Ps 68,12–14, Gen 8,6–12, Koh 10,20 und dem Aussenden von Botenvögeln in Ägypten (OBO 14), Fribourg/Göttingen 1977 –, Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung von Ijob 38–41 vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bildkunst (FRLANT 121), Göttingen 1978 –, Das Böcklein in der Milch seiner Mutter und Verwandtes (OBO 33), Fribourg/Göttingen 1980 –, Zwei kleine Beiträge zum Verständnis der Gottesreden im Buch Ijob, VT 31 (1981) 220–225 –, Bibel und Ikonographie, BiKi 40 (1985) 143–147 –, Das sogenannte altorientalische Weltbild, BiKi 40 (1985) 157–161 –, Vernachlässigte Aspekte biblischer Schöpfungstheologie, KatBl 111 (1986) 168–179 –, Anthropozentrik? Die Stellung des Menschen in der Bibel, Orien. 51 (1987) 221 f –, Schöne, schwierige Welt. Leben mit Klagen und Loben, Berlin 1991 –, Allgegenwärtige Tiere. Einige Weisen ihrer Wahrnehmung in der hebräischen Bibel, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 155–193 –, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996 –, Altägyptische und und biblische Weltbilder, die Anfänge der vorsokratischen Philosophie und das ἀρχή-Problem in späten biblischen Schriften, in: Janowski/Ego, Weltbild (→ 1: Sammelbände), 27–63 –, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Teil 1–2, Göttingen 2007 – Sonne der Gerechtigkeit. Jerusalmer Traditionen vom Sonnen- und Richtergott, BiKi 63 (2008) 215–218 –/ Küchler, M./Uehlinger, Chr., Orte und Landschaften der Bibel Bd. 1, Zürich u. a./Göttingen 1984 (= OLB 1) –/ Schroer, S., Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Göttingen 22008 –/ Staubli, Th., „Im Schatten deiner Flügel“. Tiere in der Bibel und im Alten Orient, Fribourg 2001 –/ Uehlinger, Chr., Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen. Mit einem Nachwort von F. Lippke, Fribourg 62010 (= GGG6) Kellenberger, E., Schöpfung und Chaos. Bemerkungen zu Num 16,30 und weiteren alttestamentlichen Stellen, ThZ 64 (2008) 1–12 Keller, C. A./Wehmeier, G., Art. brk pi, THAT 1 (51994) 353–376 Kemp, B. J., Ancient Egypt. Anatomy of a Civilization, London 1989 Kessler, R., Gott und König, Grundeigentum und Fruchtbarkeit, ZAW 108 (1996) 214–232 –, Der Weg zum Leben. Ethik des Alten Testaments, Gütersloh 2017 Kiefer, J., Gut und Böse. Die Anfangslektionen der hebräischen Bibel (HBS 90), Freiburg/ Basel/Wien 2018 Kilwing, N., næpæsch und ψυχή: Gemeinsames und Unterscheidendes im hebräischen und griechischen Seelenverständnis, in: Diller u. a. (Hg.), Studien (→ 1: Sammelbände), 377–401
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722 Literatur –, Qädäm. Heilsgeschichte als mythische Urzeit im Alten (und Neuen) Testament, in: ders., Spuren, 248–280 –, Geschichte der ägyptischen Religion. Von den Pyramiden bis zu den Mysterien der Isis, Stuttgart/Berlin/Köln 1993 –, Imago Dei – Die Würde des Menschen im biblischen Text, Hamburg 2000 –, Der König als Sohn Gottes in Ägypten und Israel, in: Otto/Zenger (Hg.), „Mein Sohn“ (→ 1: Sammelbände), 1–32 Köckert, Ch., Art. Schöpfung, RAC 29 (2020) 1006–1113 Köckert, M., Literargeschichtliche und religionsgeschichtliche Beobachtungen zu Ps 104, in: Kratz u. a. (Hg.), Schriftauslegung (→ 1: Sammelbände), 259–279 –, Ein Palast in der Zeit. Wandlungen im Verständnis des Sabbatgebotes, in: ders., Leben in Gottes Gegenwart. Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament (FAT 43), Tübingen 2004, 109–151 –, Die Zehn Gebote, München 2007 –, „Wo warst du, als ich die Erde gründete?“ (Hi 38,4). Aspekte des Verhältnisses von Kosmologie und Anthropologie im Alten Testament, in: Janowski/Schwöbel (Hg.), Kosmos (→ 1: Sammelbände), 34–65 –, Jhwh als Regenspender in Psalm 65, in: Körting/Kratz (Hg.), Fromme (→ 1: Sammelbände), 103–125 Köhlmoos, M., Das Auge Gottes. Textstrategie im Hiobbuch (FAT 25), Tübingen 1999 –, Naiver Glaube? Schöpfungstheologie in ihrem altorientalischen und alttestamentlichen Kontext, in: Kleinert/Schulz (Hg.), Natur (→ 1: Sammelbände), 1–12 –, Richtiges Leben, Tun und Ergehen, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 1: Sammelbände), 331– 346 Koenen, K., Ethik und Eschatologie im Tritojesajabuch. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Studie (WMANT 62), Neukirchen-Vluyn 1990 –, „Süßes geht vom Starken aus“ (Ri 14,14). Vergleiche zwischen Gott und Tier im Alten Testament, EvTh 55 (1995) 174–197 –/ Mell, U., Art. Hirte/Hirtin, SWB, 265 f König, R., Art. Biosoziologie, in: ders. (Hg.), Soziologie (→ 1: Sammelbände), 48–53 Körting, C., Zion in den Psalmen (FAT 48), Tübingen 2006 –, JHWH besteigt seinen Thron, in: Berges u. a. (Hg.), Theologie (→ 1: Sammelbände), 237–257 –, Von Edelsteinen und ihren „Fund“Orten. Ein Beitrag zum Weltbild des Alten Orients, VT 69 (2019) 1–21 Körtner, U. H. J., Ökologische Ethik und Schöpfungsglaube, in: Braulik u. a. (Hg.), „Wort“ (→ 1: Sammelbände), 234–250 –, Bebauen und Bewahren. Theologische Gesichtspunkte einer Land(nutzungs)ethik, ZEE 66 (2022) 168–180 Konersmann, R., Welt ohne Maß, Frankfurt a. M. 2021 Konkel, M., Architektonik des Heiligen. Studien zur zweiten Tempelvision Ezechiels (Ez 40–48), BBB 129, Berlin/Wien 2001 –, Die zweite Tempelvision Ezechiels (Ez 40–48). Dimensionen eines Entwurfs, in: Keel/ Zenger (Hg.), Gottesstadt (→ 1: Sammelbände), 154–179 –, „Und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31). Thesen zur Hermeneutik und Relevanz der biblischen Schöpfungserzählungen, ThGl 99 (2009) 588–604
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 723
–, Diesseits von Eden. Überlegungen zur sog. „Sündenfallerzählung“ (Gen 2–3), ThG 58 (2015) 261–276 Konradt, M., Schöpfung und Neuschöpfung im Neuen Testament, in: Schmid (Hg.), Schöpfung (→ 1: Sammelbände), 121–184 Kornfeld, W., Reine und unreine Tiere im Alten Testament, Kairos 7 (1965) 134–147 Korsgaard, Chr.M., Tiere wie wir. Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben, München 2021 Koschorke, A., Zur Logik kultureller Gründungserzählungen, Zeitschrift für Ideengeschichte 1 (2007) 5–12 Kottsieper, I., Die alttestamentliche Weisheit im Licht aramäischer Weisheitstraditionen, in: Janowski (Hg.), Weisheit (→ 1: Sammelbände), 128–162 Koyré, A., Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, Frankfurt a. M. 1969 Krafft, F., Art. Elementenlehre, DNP 3 (1997) 978–980 Kratz, R. G., Kyros im Deuterojesaja-Buch (FAT 1), Tübingen 1991 –, Der Mythos vom Königtum Gottes in Kanaan und Israel, ZThK 100 (2003) 147–162 –, Qumran, Die Schriftrollen vom Toten Meer und die Entstehung des biblischen Judentums, München 2022 –/ Spieckermann, H., Art. Schöpfer/Schöpfung II, TRE 30 (1999) 258–283 Krawelitzki, J., Gottes Macht im Psalter (FAT II/97), Tübingen 2017 Krebernik, M., Altoriental(ist)ische und biblische Schöpfungsmythen, in: Manger (Hg.), Jenaer Universitätsreden (→ 1: Sammelbände), 143–169 –, Art. Sonnengott, RLA 12 (2009–2011) 599–611 –, Götter und Mythen des Alten Orients, München 2012 –, Jenseitsvorstellungen in Ugarit, in: Bukovec/Kolkmann-Klamt (Hg.), Jenseitsvorstellungen (→ 1: Sammelbände), 183–215 Kreuzer, J., Art. Licht, in: Konersmann (Hg.), Wörterbuch (→ 1: Handbücher), 207–224 Krispenz, J., Art. Garten, WAM, 175–179 Krötke, W., Art. Sünde/Schuld und Vergebung, RGG4 7 (2004) 1867 f.1871–1873.1887– 1893 Krolzik, U., Christliche Wurzeln der neuzeitlichen Naturwissenschaften und ihres Naturbegriffs, VB 6 (1984) 284–308 Kronholm, T., Art. qædæm, ThWAT 6 (1989) 1163–1169 Krüger, A., Himmel – Erde – Unterwelt. Kosmologische Entwürfe in der poetischen Literatur Israels, in: Janowski/Ego (Hg.), Weltbild (→ 1: Sammelbände), 65–83 –, Der Mensch und seine Arbeit. Bemerkungen zu einer anthropologischen Konstante, in: Janowski/Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 613–629 –, Das Lob des Schöpfers. Studien zu Sprache, Motivik und Theologie von Psalm 104 (WMANT 124), Neukirchen-Vluyn 2010 Krüger, Th., „Kosmo-Theologie“ zwischen Mythos und Erfahrung. Psalm 104 im Horizont altorientalischer und alttestamentlicher „Schöpfungs“-Konzepte, in: ders., Kritische Weisheit. Studien zur weisheitlichen Traditionskritik im Alten Testament, Zürich 1997, 91–120 –, Sündenfall? Überlegungen zur theologischen Bedeutung der Paradiesgeschichte, in: Schmid/Riedweg (ed.), Eden (→ 1: Sammelbände), 95–109 –, Schöpfung und Sabbat in Genesis 2,1–3, in: Karrer-Grube u. a. (Hg.), Sprachen (→ 1: Sammelbände), 155–169
724 Literatur –, Gott als Schöpfer der Armen im Proverbiabuch, in: Fischer/Grohmann (Hg.), Weisheit (→ 1: Sammelbände), 169–182 –, Wahrnehmungen und Deutungen der Zeit im Buch Kohelet, JBTh 28 (2013) 21–45 Kruger, P., Mundus inversus in the Hebrew Bible. A kaleidoskopic ancient Near Eastern topos, in: Pietsch/Hartenstein (Hg.), Israel (→ 1: Sammelbände), 173–193 –, A World Turned on its Head in ancient Near Eastern Prophetic Literature. A Powerful Strategy to Depict Chaotic Scenarios, VT 62 (2012) 58–76 –, Disaster and the topos of the World Upside Down. Selected Cases from the Ancient Near Eastern Worlds, in: Berlejung (Hg.), Katastrophen (→ 1: Sammelbände), 391–424 Krusche, M., Göttliches und irdisches Königtum in den Psalmen (FAT II/109), Tübingen 2019 –, Salomo, Herrscher über Tiere und Dämonen. Zur Deutung und möglichen Wirkungsgeschichte von Ps 72,9a, BN 173 (2017) 23–42 Kübel, P., Metamorphosen der Paradieserzählung (OBO 231), Fribourg/Göttingen 2007 Küchler, M., Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (OLB 4/2), Göttingen 2007 Kügler, J., Pharao und Christus? Religionsgeschichtliche Untersuchung zur Frage einer Verbindung zwischen altägyptischer Königstheologie und neutestamentlicher Christologie im Lukasevangelium (BBB 113), Bodenheim 1997 –, Der andere König. Religionsgeschtliche Perspektiven auf die Christologie des Johannesevangeliums (SBS 178), Stuttgart 1999 Kühn, D., Die „Zwei Körper des Königs“ in den westsemitischen Kulturen. Ugarit, aramäische Königsreiche, Phönizien, Ammon, Moab, Israel und Juda, Münster 2018 Kuhli, H., Art. εἰκών, EWNT 1 (1980) 942–949 Kuhn, P., Gottes Selbsterniedrigung in der Theologie der Rabbinen (StANT 17), München 1968 Kumpmann, Chr., Schöpfen, Schlagen, Schützen. Eine semantische, thematische und theologische Untersuchung des Handelns Gottes in den Psalmen (BBB 177), Göttingen 2016 Kurth, D., Den Himmel stützen. Die „Tw3 pt“-Szenen in den ägyptischen Tempeln der griechisch-römischen Epoche (Rites égyptiens 2), Bruxelles 1975 –, Eine Welt aus Stein, Bild und Wort – Gedanken zur spätägyptischen Tempeldekoration, in: Assmann/Burkard (Hg.), Ägypten (→ 1: Sammelbände), 89–101 –, Treffpunkt der Götter. Inschriften aus dem Tempel des Horus von Edfu, Zürich/München 1994 Kutter, J., nūr ilī. Die Sonnengottheiten in den nordwestsemitischen Religionen von der Spätbronzezeit bis zur vorrömischen Zeit (AOAT 346), Münster 2008 Kytzler, B., Platons Mythen (it 1978), Frankfurt a. M. 1997 Lämmerhirt, K., Wahrheit und Trug. Untersuchungen zur altorientalischen Begriffsgeschichte (AOAT 348), Münster 2010 Lämmli, F., Vom Chaos zum Kosmos. Zur Geschichte einer Idee, Basel 1962 Lambert, W. G., Sumer and Babylon, in: Blacker/Loewe (Hg.), Weltformeln (→ 1: Sammelbände), 43–67 –, Art. Babylonien und Israel, TRE 1 (1980) 67–79 Lamberty-Zielinski, H., Art. nešāmāh, ThWAT 5 (1986) 669–673 Lanczkowski, G., Art. Iranische Religionen, TRE 16 (1987) 247–258
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726 Literatur –, „Gott ist in ihrer Mitte, sie wankt nicht“ (Ps 46,6). Zur Formation und Transformation dreier zionstheologischer Kernvorstellungen, in: Ebach/Leuenberger (Hg.), Tradition(en) (→ 1: Sammelbände), 253–275 Levenson, J. D., Creation and the Persistence of Evil. The Jewish Drama of Divine Omnipotence, San Francisco/CA 1988 Levin, Chr., Psalm 136 als zeitweilige Schlussdoxologie des Psalters, SJOT 14 (2000) 17–27 –, Das Königsritual in Israel und Juda, in: ders./Müller (Hg.), Herrschaftslegitimation (→ 1: Sammelbände), 231–260 Lévi-Strauss, C., Das wilde Denken, Frankfurt a. M. 1968 –, Mythologica III. Der Ursprung der Tischsitten, Frankfurt a. M. 1973 –, Strukturale Anthropologie II, Frankfurt a. M. 1975 –, Traurige Tropen, Frankfurt a. M. 1978 –, Interview mit J. Altwegg, FAZ Magazin Heft 622, 31.1.1992, 54 f –, Reflexionen über die Freiheit, in: ders., Der Blick aus der Ferne, München 1985, 401– 413 Lichtenberger, A., Der Olymp. Sitz der Götter zwischen Himmel und Erde, Stuttgart 2021 Lichtenberger, H., Studien zum Menschenbild in Texten der Qumrangemeinde (StUNT 15), Göttingen 1980 Lichtenstein, M., Von der Mitte der Gottesstadt bis ans Ende der Welt. Psalm 46 und die Kosmologie der Zionstradition (WMANT 139), Neukirchen-Vluyn 2014 Liedke, G., Gestalt und Bezeichnung alttestamentlicher Rechtssätze. Eine formgeschichtlich-terminologische Studie (WMANT 39), Neukirchen-Vluyn 1971 –, Im Bauch des Fisches. Ökologische Theologie, Stuttgart 51988 –, „Tier-Ethik“ – Biblische Perspektiven, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 199–213 Liess, K., Der Weg des Lebens. Psalm 16 und das Lebens- und Todesverständnis der Individualpsalmen (FAT II/5), Tübingen 2004 –, „Hast du die Tore der Finsternis gesehen?“ Zur Lokalisierung des Totenreiches im Alten Testament, in: Berlejung/Janowski (Hg.), Tod (→ 1: Sammelbände), 397–422 –, „Und all sein Tun geschieht in Treue“ (Ps 33,4). Zur Komposition der Teilsammlung Ps 25–34, in: Brodersen u. a. (Hg.), Intertextualität (→ 1: Sammelbände), 185–206 Link, Chr., Die Welt als Gleichnis. Studien zum Problem der natürlichen Theologie (BEvTh 73), München 1976 –, Der Mensch als Geschöpf und als Schöpfer, in: Moltmann (Hg.), Versöhnung (→ 1: Sammelbände), 15–47 –, Schöpfung. Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts (HST 7/2), Gütersloh 1991 (= Schöpfung 1) –, Die Transparenz der Natur für das Geheimnis der Schöpfung, in: ders., Die Spur des Namens. Wege zur Erkenntnis Gottes und zur Erfahrung der Schöpfung, NeukirchenVluyn 1997, 171–194 –, Art. Creatio ex nihilo, RGG4 2 (1999) 487–489 –, Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliches Weltverständnis. Wie kann man dem Kreationismus argumentativ begegnen?, EvTh 68 (2008) 84–98 –, Schöpfung. Ein theologischer Entwurf im Gegenüber von Naturwissenschaft und Ökologie, Neukirchen-Vluyn 2012 (= Schöpfung 2) Lipiński, E., Garden of Abundance, image of Lebanon, ZAW 85 (1973) 358 f
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 727
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728 Literatur Maas, W., Unveränderlichkeit Gottes. Zum Verhältnis von griechisch-philosophischer und christlicher Gotteslehre (PThSt 1), München/Paderborn/Wien 1974 Maier, J., Tempel und Tempelkult, in: ders./Schreiner (Hg.), Literatur (→ 1: Sammelbände), 371–390 –, Aspekte der Kultfrömmigkeit im Lichte der Tempelrolle von Qumran, in: Henrix (Hg.), Liturgie (→ 1: Sammelbände), 33–46 –, Art. Bild Gottes, TRE 6 (1980) 502–505 –, Zwischen den Testamenten. Geschichte und Religion in der Zeit des Zweiten Tempels (NEB.Erg 3), Würzburg 1990 –, Art. Tempel, TRE 33 (2002) 65–72 Macholz, Chr., Psalm 136. Exegetische Beobachtungen mit methodologischen Seitenblicken, in: Blum (Hg.), Mincha (→ 1: Sammelbände), 177–186 Marböck, J., Weisheit im Wandel. Untersuchungen zur Weisheitstheologie bei Ben Sira (BZAW 272), Berlin/New York 1999 –, Gottes Weisheit unter uns. Sir 24 als Beitrag zur biblischen Theologie, in: ders., Gottes Weisheit unter uns. Zur Theologie des Buches Sirach (HBS 6), Freiburg/Basel/Wien 1995, 73–87 Marcuse, H., Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied/Berlin 1967 Margueron, J.-Cl., Die Gärten im Vorderen Orient, in: Carroll-Spillecke (Hg.), Garten (→ 1: Sammelbände), 45–80 Mark, M., Meine Stärke und mein Schutz ist der Herr. Poetologisch-theologische Studie zu Psalm 118 (fzb 92), Würzburg 1999 Markl, D., Zur literarischen und theologischen Funktion der Heiligtumstexte im Buch Exodus, in: Hopf u. a. (Hg.), Raum (→ 1: Sammelbände), 57–87 Markschies, Chr., Art. Gottebenbildlichkeit II, RGG4 3 (2000) 1160–1163 Martin, K., Art. Urhügel, LÄ 6 (1986) 873–875 Mathys, F., Segenszeugnisse aus dem Alten Israel, Zürich 2010 Mathys, H.‑P., Dichter und Beter. Theologen aus spätalttestamentlicher Zeit (OBO 132), Fribourg/Göttingen 1994 Matjevic, K., Ursprung und Charakter der homerischen Jenseitsvorstellungen, Paderborn 2015 Maul, St.M., Die altorientalische Hauptstadt – Abbild und Nabel der Welt, in: Wilhelm (Hg.), Stadt (→ 1: Sammelbände), 109–124 –, Art. Babylon, DNP 2 (1997) 384–388 –, Wiedererstehende Welten. Aufgaben und Möglichkeiten moderner Altorientalistik, AW 29 (1998) 567–571 –, Der assyrische König – Hüter der Weltordnung, in: Watanabe (ed.), Priests (→ 1: Sammelbände), 201–214 –, Art. Omina und Orakel, RLA 10 (2003–2005) 45–88 –, Altorientalische Schöpfungsmythen, in: Brandt/Schmidt (Hg.), Mythos (→ 1: Sammelbände), 43–53 –, Ringen um göttliches und menschliches Mass. Die Sintflut und ihre Bedeutung im Alten Orient, in: Hornung/Schweizer (Hg.), Schönheit (→ 1: Sammelbände), 161–183 –, „Das Band zwischen allen Dingen“. Wissenskultur im Alten Orient, in: Neumann (Hg.), Wissenskultur (→ 1: Sammelbände), 1–14
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 729
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 731
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732 Literatur Nihan, Chr., From Priestly Torah to Pentateuch. A Study in the Composition of the Book of Leviticus (FAT II/25), Tübingen 2007 –, The Laws about Clean and Uncelan Animals in Leviticus and Deuteronomy and Their Place in the Formation of the Pentateuch, in: Dozeman u. a. (ed.), Pentateuch (→ 1: Sammelbände), 401–432 Nipkow, K.‑E., Schöpfungsglaube, Kreationismus und Naturwissenschaft. Voraussetzungen für das Gespräch des Religionsunterrichts mit naturwissenschaftlichen Fächern, ZRelPäd 7 (2008) 28–47 –, Weltentstehung – Evolution – Schöpfungsglaube – Kreationismus. Zur Aufgabe der Schule, Entwurf 4 (2008) 8–11 von Nordheim, M., Geboren von der Morgenröte? Psalm 110 in Tradition, Redaktion und Rezeption (WMANT 117), Neukirchen-Vluyn 2008 Noth, M., Die istraelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung, Stuttgart 1928/Nachdruck Hildesheim 1966 Oberforcher, R., Die Flutprologe als Kompositionsschlüssel der biblischen Urgeschichte. Ein Beitrag zur Redaktionskritik (IThS 8), Innsbruck/Wien/München 1981 –, Art. Sintfluterzählungen, NBL 3 (2001) 608–612 –, Biblische Lesarten zur Anthropologie des Ebenbildmotivs, in: Vonach/Fischer (Hg.), Horizonte (→ 1: Sammelbände), 131–168 Oberthür, R., Wie können wir heute glaubwürdig vom Anfang erzählen? Zur Vereinbarkeit von Bibel und Naturwissenschaft, WUB Nr. 80 (2016) 58–63 Ockinga, B., Die Gottebenbildlichkeit im Alten Ägypten und im Alten Testament (ÄAT 7), Wiesbaden 1984 Oeming, M., Auf der Suche nach Verbindungslinien – Psalm 19 als Ganzheit betachtet, in: Graupner u. a. (Hg.), Verbindungslinien (→ 1: Sammelbände), 249–263 –, Art. Welt/Weltanschauung/Weltbild, TRE 35 (2003) 569–581 –/ Schmid, K., Hiobs Weg. Stationen von Menschen im Leid (BThSt 45), NeukirchenVluyn 2001 –, Hiob unter den Philosophen. Erwägungen zum „locus intelligentiae“ in Hiob 28, in: Wladika (Hg.), Glaube (→ 1: Sammelbände), 149–168 van Oorschot, J., Von Babel zu Zion. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung (BZAW 206), Berlin/New York 1993 von der Osten-Sacken, E., Untersuchungen zur Geflügelwirtschaft im Alten Orient (OBO 272), Fribourg/Göttingen 2015 Oswald, W., Das Erstlingswerk Gottes – zur Übersetzung von Gen 1,1, ZAW 120 (2008) 417–421 Otto, Eb., Art. Benben, LÄ 1 (1975) 694 f Otto, Eck., Theologische Ethik des Alten Testaments (ThW 3/2), Stuttgart/Berlin/Köln 1994 –, Krieg und Frieden in der Hebräischen Bibel und im Alten Orient, Stuttgart 1999 –, Politische Theologie in den Königspsalmen zwischen Ägypten und Assyrien. Die Herrscherlegitimation in den Psalmen 2 und 18 in ihren altorientalischen Kontexten, in ders./Zenger (Hg.), „Mein Sohn“ (→ 1: Sammelbände), 33–65 Otzen, B., Art. bdl, ThWAT 1 (1973) 518–520 Pannenberg, W., Systematische Theologie 2, Göttingen 1991
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 733
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734 Literatur –, Am Anfang: Das Ziel! Zum Hauptstrom der Gender-Theorie im Lichte von Gen 1,27.28a (P), ThBeitr 51 (2020) 92–104 Polak, F. H., Poetic Style and Parallelism in the Creation Account (Genesis 1,1–2,3), in: Graf Reventlow/Hoffman (ed.), Creation (→ 1: Sammelbände), 2–31 Pongratz-Leisten, B., Mental Map und Weltbild in Mesopotamien, in: Janowski/Ego (Hg.), Weltbild (→ 1: Sammelbände), 261–279 Pope, M./Röllig, W., Syrien. Die Mythologie der Ugariter und Phönizier, in: Haussig (Hg), Götter I (→ 1: Handbücher), 219–312 Prudky, M., Art. Wetter, WAM, 451–457 de Pury, A., Gemeinschaft und Differenz. Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung im alten Israel, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 112–149 Quack, J. F., Studien zur Lehre für Merikare (GOF IV/23), Wiesbaden 1992 –, Die Lehren des Ani. Ein neuägyptischer Weisheitstext in seinem kulturellen Umfeld (OBO 141), Fribourg/Göttingen 1994 von Rad, G., Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament Bd. 1 (TB 8), München 41971, 136– 147 –, „Gerechtigkeit“ und „Leben“ in der Kultsprache der Psalmen, in: ders., Gesammelte Studien, 225–247 –, Hiob 38 und die altägyptische Weisheit, in: ders., Gesammelte Studien 1, 262–271 –, Aspekte alttestamentlichen Weltverständnisses, in: ders., Gesammelte Studien 1, 311– 331 –, Theologie des Alten Testaments Bd. 1, München 61969; Bd. 2, München 51968 –, Weisheit in Israel. Mit einem Anhang neu herausgegeben von B. Janowski, Neukirchen-Vluyn 42013 Rechberger, U., Von der Klage zum Lob. Studien zum „Stimmungsumschwung“ in den Psalmen (WMANT 133), Neukirchen-Vluyn 2012 Rechenmacher, H., Zur Theologie der bibelhebräischen Personennamen, MThZ 51 (2000) 151–160 –, Gott und das Chaos. Ein Beitrag zum Verständnis von Gen 1,1–3, ZAW 114 (2002) 1–20 –, Althebräische Personennamen, Münster 2012 Reckermann, A., Den Anfang denken: Vom Mythos zum Logos (PhB 625), Hamburg 2011 –, Den Anfang denken, Bd. 3: Vom Hellenismus zum Christentum (PhB 627), Hamburg 2011 Reichmann, S., Bei Übernahme Korrektur? Aufnahme und Wandlung ägyptischer Tradition im AT anhand der Beispiele Proverbia 22–24 und Psalm 104 (AOAT 428), Münster 2016 Reiner, E., Die akkadische Literatur, in: Röllig (Hg.), Literaturen (→ 1: Sammelbände), 151–210 –, Your thwarts in pieces, Your mooring rope cut. Poetry from Babylonia and Assyria, Michigan/MI 1985 Reiner, H./Engelmeier, M.‑P., Art. Apathie I–II, HWP 1 (1971) 429–433 Rendtorff, R., Die theologische Stellung des Schöpfungsglaubens bei Deuterojesaja, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 57), München 1975, 209–219
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 735
–, „Wo warst du, als ich die Erde gründete?“ Schöpfung und Heilsgeschichte, in: ders., Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1991, 94–112 –, Theologie des Alten Testaments. Ein kanonischer Entwurf, Bd. 2, Neukirchen-Vluyn 2001 Renz, J., Gottes Wesen und Wirken. Der Beitrag der außerkanonischen althebräischen Texte zur Rekonstruktion der vorexilischen Religions- und Theologiegeschichte Palästinas und zur Entstehung von Monolatrie und Monotheismus, in: ders., Inschrift, Religion und Geschichte. Studien zur Profan- und Theologiegeschichte des antiken Palästina (BZAW 531), Berlin/Boston 2022, 71–210 Reventlow, H. Graf, Hauptprobleme der alttestamentlichen Theologie im 20. Jahrhundert (EdF 173), Darmstadt 1982 –, Epochen der Bibelauslegung Bd. 1, München 1990 Rhyder, J., The Tent of Meeting as Monumental Space. The Construction of the Priestly Sanctuary in Exodus 25–31, HeBAI 10 (2021) 301–313 Richter, W., Zum syntaktischen Gebrauch von Substantiven im Althebräischen am Beispiel von ʿôd, ZAH 7 (1994) 175–195 Ricœur, P., Symbolik des Bösen. Phänomenologie der Schuld Bd. 2, Freiburg/München 1971 –, Die „Erbsünde“ – eine Bedeutungsstudie, in: ders., Hermeneutik und Psychoanalyse. Der Konflikt der Interpretationen Bd. 2, München 1974, 140–161 –, Wege der Anerkennung. Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein, Frankfurt a. M. 2006 Ridderbos, N.H, Die Psalmen. Stilistische Verfahren und Aufbau mit besonderer Berücksichtigung von Ps 1–41 (BZAW 117), Berlin/New York 1972 Riede, P., Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen (WMANT 85), Neukirchen-Vluyn 2000 –, Im Spiegel der Tiere. Studien zum Verhältnis von Mensch und Tier im alten Israel (OBO 187), Fribourg/Göttingen 2002 –, „Der Gerechte wird wachsen wie eine Zeder auf dem Libanon“ (Psalm 92,13). Pflanzenmetaphorik in den Psalmen, in: ders., Schöpfung und Lebenswelt. Studien zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments (MThSt 106), Leipzig 2009, 19–41 –, „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“. Schöpfung als „Rede der Kreatur an die Kreatur“ und an den Kreator in biblischer Sicht, in: ders., Schöpfung, 119–130 –, Noch einmal: Was ist „Leben“ im Alten Testament?, in: ders., Schöpfung, 131–136 –, Art. Hirschkuh (www.wibilex.de, 2010) –, „Du bereitest vor mir einen Tisch“. Zum Tischmotiv in den Psalmen 23 und 69, in: van Hecke/Labahn (ed.), Metaphors (→ 1: Sammelbände), 217–233 –, Art. Art/Spezies (www.wibilex.de, 2011) –, Vorgeburtliche Erwählung und Fluch über den Tag der Geburt. Zur ambivalenten Bedeutung des Geburtsmotivs im Jeremiabuch (Jer 1,5; 15,10; 20,14–18), BZ 57 (2013) 111–121 –, Art. Behemot und Leviatan, WAM, 49–52 –, Art. Kasten, bergender, WAM, 251–254 –, Art. Tier, WAM, 391–397
736 Literatur –, Bilder der Vergänglichkeit. Studien zur alttestamentlichen Mottenmetaphorik (fzB 128), Würzburg 2013 –, Trost, der ins Leben führt. Ein Beitrag zum Menschen- und Gottesverständnis des Alten Testaments (BThSt 138), Neukirchen-Vluyn 2013 –, Geschaffen – anvertraut – bewundert. Die biblische Tierwelt als Spiegel des Menschen, BiKi 71 (2016) 202–206 –, Mitgeschöpflichkeit – biblische Impulse für eine Tierethik angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, JRP 34 (2018) 85–95 –, Kostbarer Boden – liebliches Land. Beiträge zu einer alttestamentlichen Agrotheologie (fzb 140), Würzburg 2020 –, Zwischen Mensch und Gott. Psalm 45 und die Bedeutung von König und Königin im Rahmen der judäischen Herrschaftsideologie (WMANT 169), Göttingen 2002 Ringgren, H., Art. nṭh, ThWAT 5 (1986) 409–415 Ringleben, J., Die Dialektik von Freiheit und Sünde. Hegels Interpretation von Genesis 3, in: Helmer (ed.), Interpretation (→ 1: Sammelbände), 133–139 Ritter, H., Evolution im Dämmerlicht. Wiedereröffnet: Die Große Galerie des Naturgeschichtsmuseums in Paris, FAZ vom 31.12.1994 (Tiefdruckbeilage), 1 Ritter-Müller, P., Kennst du die Welt? – Gottes Antwort an Ijob. Eine sprachwissenschaftliche und exegetische Studie zur ersten Gottesrede Ijob 38 und 39 (ATM 5), Münster/ Hamburg/London 2000 Rochberg, F., Before Nature. Cuneiform Knowledge and the History of Science, Chicago/ London 2016 –, Anthropology of Science: The Cuneiform World, JNES 78 (2019) 253–271 Röllig, W., Der Turm zu Babel, in: Rosenberg (Hg.), Turm (→ 1: Sammelbände), 35–46 –, Der den Schwachen vom Starken nicht entrechten läßt, der der Waise Recht verschafft … Gleich und ungleich im religiösen Denken des Alten Orients, in: Kehrer (Hg.), „Vor Gott“ (→ 1: Sammelbände), 42–52 Römheld, K. F. D., Die Weisheitslehre im alten Orient. Elemente einer Formgeschichte (BN.B 4), München 1989 Rösel, M., Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta (BZAW 223), Berlin/New York 1994 Rogerson, J. W./Lang, B., Art. Natur, Naturerscheinungen, NBL 2 (1995) 904–908 Rosa, H., Die Natur als Resonanzraum und als Quelle starker Wertungen, in: Hartung/ Kichhoff (Hg.), Natur (→ 1: Sammelbände), 123–141 –, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016 Rosenau, H., Art. Natur, TRE 24 (1994) 98–107 Rothenbusch, R., Einige Beobachtungen zur Struktur des Ersten Schöpfungsberichts in Gen 1,1–2,4a, in: Irsigler/Diller (Hg.), Erzählen (→ 1: Sammelbände), 49–79 Rothgangel, M., Schöpfung und Evolution – eine Beziehung voller Missverständnisse, JRP 34 (2018) 123–134 Rousseau, J.‑J., Emile oder über die Erziehung (RUB 901–09/09a–f ), Stuttgart 1968 Rudman, D., The Use of Water Imagery in Descriptions of Sheol, ZAW 113 (2001) 240– 244 Rüterswörden, U., dominium terrae. Studien zur Genese einer alttestamentlichen Vorstellung (BZAW 215), Berlin/New York 1993 –, Art. rāhab usw., ThWAT 7 (1993) 372–378
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 737
–, Erwägungen zur alttestamentlichen Paradiesvorstellung, ThLZ 123 (1998) 1153–1162 Ruppert, L., Die Ruhe Gottes im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht (Gen 1) und die „zufriedene Ruhe“ des Ptaḥ im Denkmal memphitischer Theologie, in: ders., Studien zur Literaturgeschichte des Alten Testaments (SBAB 18), Stuttgart 1994, 110–123 –, Aufforderung an die Schöpfung zum Lob Gottes. Zur Literar-, Form- und Traditionskritik von Ps 148, in: ders., Studien, 227–246 Ruwe, A., „Heiligkeitsgesetz“ und „Priesterschrift“. Literaturgeschichtliche und rechtssystematische Untersuchungen zu Leviticus 17,1–26,2 (FAT 26), Tübingen 1999 Sachs, N., Fahrt ins Staublose, Frankfurt a. M. 1961 Salgado, S., Genesis, Köln 2013 Sallaberger, W., Den Göttern nahe – und fern den Menschen? Formen der Sakralität des altmesopotamischen Herrschers, in: Erkens (Hg.), Sakralität (→ 1: Sammelbände), 86–98 –, Das Gilgamesch-Epos. Mythos, Werk und Tradition, München 2008 –, Das göttliche Wesen des Kosmos. Zum Sitz im Leben von Weltentstehungsmotiven im frühen Mesopotamien, in: Díaz Hernández u. a. (Hg.), Kosmogonien (→ 1: Sammelbände), 93–107 Salo, R. S., Die judäische Königsideologie im Kontext der Nachbarkulturen. Untersuchungen zu den Königspsalmen 2, 18, 20, 21, 45 und 72 (ORA 25), Tübingen 2017 Saur, M., Die Königspsalmen. Studien zur Entstehung und Theologie (BZAW 340), Berlin/New York 2004 –, Der Tyroszyklus des Ezechielbuches (BZAW 386), Berlin/New York 2008 –, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, Darmstadt 2012 –, Dynamische Ordnung. Natur und Schöpfung zwischen physis und ṣædæq, JBTh 34 (2019) 65–90 –, Der bessere Mensch. Überlegungen zum Bildungsanspruch des Proverbienbuches, in: van Oorschot/Wagner (Hg.), Perfektion (→ 1: Sammelbände), 139–151 –, Der gerechte König. Überlegungen zum Zusammenhang von Königspsalmen und JHWH-König-Psalmen, in: Brodersen u. a. (Hg.), Intertextualität (→ 1: Sammelbände), 119–135 –, Vom Maß der Zeit. Erleben, Deuten und Gestalten im Buch Kohelet, BThZ 37 (2020) 42–58 –, Ṣædæq oder von der Ordnung der Welt, in: Bachmann u. a. (Hg.), Menschsein (→ 1: Sammelbände), 379–396 Schadewaldt, W., Das Welt-Modell der Griechen, in: ders., Hellas und Hesperien. Gesammelte Schriften zur Antike und zur neueren Literatur 1, Zürich/Stuttgart 21970, 601–625 Schäfer, H., Weltgebäude der alten Ägypter, in: ders., Ägyptische und heutige Kunst und Weltgebäude der alten Ägypter, Berlin 1928, 83–128 Schäfer, P., Die Vorstellung vom Heiligen Geist in der rabbinischen Literatur, München 1972 –, Tempel und Schöpfung. Zur Interpretation einiger Heiligkeitstraditionen in der rabbinischen Literatur, Kairos 16 (1974) 122–123 –, Weibliche Gottesbilder im Judentum und Christentum, Frankfurt a. M./Leipzig 2008 –, Die Schlange war klug. Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens, München 2022
738 Literatur Schäfer, R., Die Poesie der Weisen. Dichotomie als Grundstruktur der Lehr- und Weisheitsgedichte in Proverbien 1–9 (WMANT 77), Neukirchen-Vluyn 1999 Schaper, J., Media and Monotheism. Presence, Representation, and Abstraction in Ancient Judah (ORA 33), Tübingen 2019 Scharbert, J., Art. brk usw., ThWAT 1 (1972) 808–841 Schaudig, H., Erklärungsmuster von Katastrophen im Alten Orient, in: Berlejung (Hg.), Katastrophen (→ 1: Sammelbände), 425–443 Schellenberg, A., „Und ganz wie der Mensch es nennt …“ Beobachtungen zu Gen 2,19 f, in: Luchsinger u. a. (Hg.), „… der seine Lust hat“ (→ 1: Sammelbände), 291–308 –, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (AThANT 101), Zürich 2011 –, „And God Separated the Light from the Darkness“ (Gen 1:4). On the Role of Borders in the Priestly Texts of the Pentateuch, in: Weissenrieder (ed.), Borders (→ 1: Sammelbände), 23–41 –, „Gott schuf den Menschen als sein Bild“ (Gen 1,26) – ist der Mensch damit perfekt(ibel)? Vier Fallstudien zum Zusammenhang von Gottebenbildlichkeit und Perfektibilität in der antiken Diskussion, in: van Oorschot/Wagner (Hg.), Perfektion (→ 1: Sammelbände), 41–62 –, The Intertextual Relationship of the Book of Job to P, in: Bachmann u. a. (Hg.), Menschsein (→ 1: Sammelbände), 264–278 Scherer, A., Das weise Wort und seine Wirkung. Eine Untersuchung zur Komposition und Redaktion von Proverbia 10,1–22,16 (WMANT 83), Neukirchen-Vluyn 1999 Schimanowski, G., Weisheit und Messias. Die jüdischen Voraussetzungen der urchristlichen Präexistenzchristologie (WUNT 17), Tübingen 1985 Schipper, B. U., Kosmotheistisches Wissen. Prov 3,19 f. und die Weisheit Israels, in: Bickel u. a. (Hg.), Bilder (→ 1: Sammelbände), 487–510 –, Egyptian Parallels to the Psalms, in: Brown (ed.), Psalms (→ 1: Handbücher), 57–75 Schlegel, J., Psalm 88 als Prüfstein der Exegese. Zu Sinn und Bedeutung eines beispiellosen Psalms (BThSt 72), Neukirchen-Vluyn 2005 Schlögl, H. A., Art. Gott auf der Blume, LÄ 2 (1977) 786–788 –, Das Alte Ägypten. Geschichte und Kultur von der Frühzeit bis zu Kleopatra, München 2006 Schmeil, O., Tierkunde, Heidelberg 1171955 Schmid, H., Der Tempelturm Etemenanki in Babylon (BaF 17), Mainz 1995 Schmid, H. H., Wesen und Geschichte der Weisheit. Eine Untersuchung zur altorientalischen und israelitischen Weisheitsliteratur (BZAW 101), Berlin 1966 –, Gerechtigkeit als Weltordnung. Hintergrund und Geschichte des alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegriffes (BHTh 40), Tübingen 1968 –, Schöpfung, Gerechtigkeit und Heil. „Schöpfungstheologie“ als Gesamthorizont biblischer Theologie, in: ders., Altorientalische Welt in der alttestamentlichen Theologie, Zürich 1974, 9–30 –, Altorientalische Welt in der alttestamentlichen Theologie, in: ders., Welt, 145–164 Schmid, K., Die Unteilbarkeit der Weisheit. Überlegungen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2 f. und ihrer theologischen Tendenz, ZAW 114 (2002) 21–39
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 739
–, Himmelsgott, Weltgott und Schöpfer. „Gott“ und „Himmel“ in der Literatur des Zweiten Tempels, JBTh 20 (2005) 111–148 –, Herrschererwartungen und -aussagen im Jesajabuch. Überlegungen zu ihrer synchronen Logik und ihren diachronen Transformationen, in: ders. (Hg.), Heils- und Herrschererwartungen (→ 1: Sammelbände), 37–74 –, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008 –, Schöpfung als Thema der Theologie, in: ders (Hg.), Schöpfung (→ 1: Sammelbände), 1–15 (= Schöpfung 1) –, Schöpfung im Alten Testament, in: ders (Hg.), Schöpfung (→ 1: Sammelbände), 71– 120 (= Schöpfung 2) –, Die Welt als Schöpfung, in: ders (Hg.), Schöpfung (→ 1: Sammelbände), 325–346 –, Von der Gegenwelt zur Lebenswelt. Evolutionäre Kosmologie und Theologie im Buch Genesis, in: Fuhrer/Erler (éd.), Cosmologies (→ 1: Sammelbände), 51–104 –, Der vergessene Orient. Forschungsgeschichtliche Bestimmungen der antiken Ursprünge von ‚Naturgesetzen‘, in: ders./Uehlinger (Hg.), Himmelsgesetze (→ 1: Sammelbände), 1–20 –, Die menschliche Sexualität als nachparadiesische Errungenschaft. Gen 2 f als Adoleszenzmythos der Species Mensch, JBTh 33 (2018) 3–12 –, Theologie des Alten Testaments, Tübingen 2019 –, Die Natur und ihre Ordnungen in der Prophetie, JBTh 34 (2019) 49–64 –, Die Lesbarkeit der Welt, ZAR 27 (2021) 187–202 –, Wie der Mensch zu Gottes Ebenbild wurde. Demokratisierungsprozesse im antiken Israel, EvTh 82 (2022) 5–18 Schmidt, L., Schöpfung: Natur und Geschichte, in: Boecker u. a., Altes Testament (→ 1: Sammelbände), 267–289 Schmidt, W. H., Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift. Zur Überlieferungsgeschichte von Genesis 1,1–2,4a und 2,4b–3,24 (WMANT 17), Neukirchen-Vluyn 31973 –, Die Zehn Gebote im Rahmen alttestamentlicher Ethik (EF 281), Darmstadt 1993 (zus. mit H. Delkurt und A. Graupner) –, Alttestamentlicher Glaube, Neukirchen-Vluyn 112011 Schmitt, R., Bildhafte Herrschaftsrepräsentation im eisenzeitlichen Israel (AOAT 283), Münster 2001 –, Die Religionen Israels/Palästinas in der Eisenzeit (ÄAT 94), Münster 2020 Schmitz, B., Der Mensch als „Krone der Schöpfung“. Anthropologische Konzepte im Spannungsfeld von alttestamentlicher Theologie und moderner Rezeption, KuI 27 (2012) 18–32 Schmitz-Kahmen, F., Geschöpfe Gottes unter der Obhut des Menschen. Die Wertung der Tiere im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 1997 Schneider, Th., Was wir glauben. Eine Auslegung des Apostolischen Glaubensbekennisses, Düsseldorf 1985 Schnieringer, H., Psalm 8. Text – Gestalt – Bedeutung (ÄAT 59), Wiesbaden 2004 Schnocks, J., Vergänglichkeit und Gottesherrschaft. Studien zu Ps 90 und dem vierten Psalmenbuch (BBB 140), Berlin/Wien 2002 –, Rettung und Neuschöpfung. Studien zur alttestamentlichen Grundlegung einer gesamtbiblischen Theologie der Auferstehung (BBB 158), Göttingen 2009
740 Literatur –, Metaphern für Leben und Tod in den Psalmen 23 und 88, in: van Hecke/Labahn (ed.), Metaphors (→ 1: Sammelbände), 235–249 –, Psalmen (UTB 3473), Paderborn 2014 Schoberth, W., Art. Natur, EKL3 3 (1992) 627–631 –, Einführung in die theologische Anthropologie, Darmstadt 2006 Schockenhoff, E., Ethik des Lebens. Grundlagen und neue Herausforderungen, Freiburg/ Basel/Wien 2009 Schöpflin, K., Ein Blick in die Unterwelt (Jesaja 14), ThZ 58 (2002) 299–313 Scholem, G., Schöpfung aus Nichts und Selbstverschränkung Gottes, in: ders., Über einige Grundbegriff des Judentums (es 414), Frankfurt a. M. 1970, 53–89 Scholtissek, K., In ihm sein und bleiben. Die Sprache der Immanenz in den johanneischen Schriften (HBS 21), Freiburg/Basel/Wien 2000 Schopenhauer, A., Preisschrift über die Grundlage der Moral, in: ders., Die beiden Grundprobleme der Ethik, hg. von A. Hübscher, Zürich 1977 Schorch, St., In aeternum et ultra. Die Vorstellung eines Zeitendes nach Gen 8,22 und Ex 15,18, in: Kotjatko-Reeb u. a. (Hg.), Nichts Neues (→ 1: Sammelbände), 371–383 Schottroff, W., „Gedenken“ im Alten Orient und im Alten Testament. Die Wurzel zākar im semitischen Sprachkreis (WMANT 15), Neukirchen-Vluyn 1964 –, Der altisraelitische Fluchspruch (WMANT 30), Neukirchen-Vluyn 1969 Schreg, R., Rinder und Schafe – Akteure mittelalterlicher Umweltgeschichte, in: Pommerening/Althoff (Hg.), Kult (→ 1: Sammelbände), 75–89 Schroer, M., Geosoziologie. Die Erde als Raum des Lebens (stw 2324), Berlin 2022 Schroer, S., In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testament (OBO 74), Fribourg/Göttingen 1987 –, Psalm 65 – Zeugnis eines integrativen JHWH-Glaubens?, UF 22 (1990) 285–301 –, Die Tiere in der Bibel. Eine kulturgeschichtliche Reise, Freiburg/Basel/Wien 2010 –, Rezension zu K. Schmid (Hg.), Schöpfung, OLZ 110 (2015) 299–302 –, Tiere und ihre Symbolik im Alten Testament, in: Garsky/Hirsch-Luipold (Hg.), Christus (→ 1: Sammelbände), 55–62 –/ Keel, O. (ab Bd. 2: Schroer, S.), Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient. Eine Religionsgeschichte in Bildern Bd. 1–3, Fribourg 2005/2008/2011; Bd. 4, Basel 2018 (IPIAO) –/ Zimmermann, R., Art. Geburt, SWB, 186–190 –, Art. Namen, SWB, 416–420 Schröter, J., Sterben für die Freunde. Überlegungen zur Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium, in: von Dobbeler u. a. (Hg.), Religionsgeschichte (→ 1: Sammelbände), 263–287 Schubert, A., Schöpfung – Positionen der Theologie- und Kirchengeschichte, in: Schmid, (Hg.), Schöpfung (→ 1: Sammelbände), 185–223 Schüle, A., Der Prolog der hebräischen Bibel. Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1–11) (AThANT 86), Zürich 2006 –, Die Würde des Bildes. Eine Re-Lektüre der priesterlichen Urgeschichte, EvTh 66 (2006) 440–454 –, Gottes Schöpfung, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 1: Sammelbände), 421–437
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 741
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742 Literatur Seeligmann, I. L., Erkenntnis Gottes und historisches Bewußtsein im Alten Israel, in: ders., Gesammelte Studien zur Hebräischen Bibel, hg. von E. Blum (FAT I/41), Tübingen 2004, 233–263 Seibert, I., Hirt – Herde – König. Zur Herausbildung des Königtums in Mesopotamien, Berlin 1969 Seidl, U., Das Flut-Ungeheuer abūbu, ZA 88 (1998) 100–113 Seifert, B., Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch (FRLANT 166), Göttingen 1996 Selz, G. J., „Guter Hirte, Weiser Fürst“. Zur Vorstellung von Macht und zur Macht der Vorstellung im altmesopotamischen Herrschaftsparadigma, AOF 28 (2001) 8–39 Senger, H.‑G., Der „Wanderer am Weltenrand“. Ein alter oder altertümelnder Weltaufriss?, in: Markschies u. a. (Hg.), Atlas (→ 1: Sammelbände), 343–351 Seo, J., Gottesgegenwart im Tempel. Studien zur Spiritualisierung der Tempeltheologie in den Psalmen 29, 48, 68, 74, 84 und 114 (ABG 71), Leipzig 2021 Seybold, K., Art. ḥûg, ThWAT 2 (1977) 780–784 –, Poetik der Psalmen, Stuttgart 2003 (= Poetik 1) –, Der Segen und andere liturgische Worte aus der hebräischen Bibel, Zürich 2004 –, Poetik der erzählenden Literatur im Alten Testament, Stuttgart 2006 (= Poetik 2) –, Poetik der prophetischen Literatur des Alten Testaments, Stuttgart 2010 (= Poetik 3) Shirun-Grumach, I., Untersuchungen zur Lebenslehre des Amenemope (MÄSt 23), München 1972 Shupak, N., „He hath subdued the Water Monster/Crocodile“. God’s Battle with the Sea in egyptian Sources, JEOL 40 (2006/07) 77–89 Siegert, F., Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta, Münster/Hamburg/Berlin/London 2001 Singer, P., Rassismus und Speziesismus, in: Wolf (Hg.), Tierethik (→ 1: Sammelbände), 25–32 Sjöberg, A. W./Bergmann, E., The Collection of the Sumerian Temple Hymns (TCS 3), Locust Valley/NY 1969 Smend, R., „Das Ende ist gekommen“. Ein Amoswort in der Priesterschrift, in: ders., Die Mitte des Alten Testaments. Gesammelte Studien 1 (BEvTh 99), München 1986, 154– 159 Smith, G., Chaldäische Genesis. Keilinschriftliche Berichte über Schöpfung, Sündenfall, Sintflut, Thurmbau und Nimrod, Leipzig 1876 Smith, M. S., Setting and Rhetoric in Psalm 23, JSOT 41 (1988) 61–66 –, The Near Eastern Background for Solar Language for Yahweh, JBL 109 (1990) 29–39 –, The Priestly Vision of Genesis 1, Minneapolis/MN 2010 Snell, B., Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen, Göttingen 1975 von Soden, W., „Leistung und Grenze sumerischer und babylonischer Wissenschaft“, in: B. Landsberger/W. von Soden, Die Eigenbegrifflichkeit der babylonischen Welt. Leistung und Grenze sumerischer und babylonischer Wissenschaft, Darmstadt 1965, 21– 133 –, Einführung in die Altorientalistik, Darmstadt 1985
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 743
–, Die Unterweltsvision eines assyrischen Kronprinzen, in: ders., Aus Sprache, Geschichte und Religion Babyloniens. Gesammelte Aufsätze, hg. von L. Cagni und H.‑P. Müller, Neapel 1989, 29–67 Soeffner, H.‑G., Gesellschaft ohne Baldachin. Über die Labilität von Ordnungskonstruktionen, Weilerswist 2000 Sommerfeld, W., Umweltzerstörung und ökologische Krisen im Alten Orient, in: Kessler u. a. (ed.), State Formation (→ 1: Sammelbände), 15–49 Spieckermann, H., Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen (FRLANT 148), Göttingen 1989 –, Ambivalenzen. Ermöglichte und verwirklichte Schöpfung in Genesis 2 f, in: ders., Gottes Liebe zu Israel. Studien zur Theologie des Alten Testaments (FAT 33), Tübingen 2001, 49–61 –, Der theologische Kosmos des Psalters. Gottes Thron in der Welt des Beters, in: ders., Lebenskunst und Gotteslob in Israel. Anregungen aus Psalter und Weisheit für die Theologie (FAT 91), Tübingen 2014, 197–216 –, Schöpfung, Gerechtigkeit und Heil als Horizont alttestamenrlicher Theologie, in: ders., Lebenskunst, 361–380 Spiegelberg, W., Die Auffassung des Tempels als Himmel, ZÄS 53 (1917) 98–101 Stähli, H.‑P., Solare Elemente im Jahweglauben des Alten Testaments (OBO 66), Freiburg, Schweiz/Göttingen, 1985 Stager, L. E., Jerusalem and the Garden of Eden, ErIsr 26 (1999) 183*–194* Stahl, R., „Deshalb trocknet die Erde aus und verschmachten alle, die auf ihr wohnen …“. Der Versuch einer theologiegeschichtlichen Einordnung von Hos 4,3, in: Hausmann/ Zobel (Hg.), Glaube (→ 1: Sammelbände), 166–173 Staub, U., Das älteste Bild des Pharao. Vom Ursprung des göttlichen Königtums, BiKi 40 (1985) 162–164 Staubli, Th., Die „Mutter alles Lebendigen“ auf den ältesten Bildzeugnissen der Levante und im Genesis-Prolog, BN 187 (2020) 3–14 –, Gott und Mensch im Bild derTiere, IKaZ 51 (2022) 509–524 –/ Klinghardt, M., Art. Speisegesetze, SWB, 541–545 –/ Schroer, S., Menschenbilder der Bibel, Ostfildern 2014 Steck, O. H., Zu Haggai 1,2–11, ZAW83 (1971) 355–379 –, Friedensvorstellungen im alten Jerusalem. Jesaja – Psalmen – Deuterojesaja (ThSt 111), Zürich 1972 –, Zwanzig Thesen als alttestamentlicher Beitrag zum Thema „Die jüdisch-christliche Lehre von der Schöpfung in Beziehung zu Wissenschaft und Technik“, KuD 23 (1977) 277–299 –, Alttestamentliche Impulse für eine Theologie der Natur, ThZ 34 (1978) 202–211 –, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1–2,4a (FRLANT 115), Göttingen 21981 –, Welt und Umwelt (BiKon), Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978 –, Die Paradieserzählung. Eine Auslegung von Gen 2,4b–3,24, in: ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament. Gesammelte Studien (TB 70), München 1982, 9–116 –, Deuterojesaja als theologischer Denker, in: ders., Wahrnehmungen, 204–220 –, Beobachtungen zu Psalm 8, in: ders., Wahrnehmungen, 221–231
744 Literatur –, Der Wein unter den Schöpfungsgaben. Überlegungen zu Psalm 104, in: ders., Wahrnehmungen, 240–261 –, Die Herkunft des Menschen, Zürich 1983 –, Der Mensch und die Todesstrafe. Exegetisches zur Übersetzung der Präposition Beth in Gen 9,6a, ThZ 53 (1997) 118–130 Steinert, U., Aspekte des Menschseins im Alten Mesopotamien. Eine Studie zu Person und Identität im 2. und 1. Jt. v. Chr. (CM 44), Leiden/Boston 2012 Sternberg-el Hotabi, H., „Die Erde entsteht auf deinen Wink“. Der naturphilosophische Monotheismus des Echnaton, in: Kratz/Spieckermann (Hg.), Götterbilder (→ 1: Sammelbände), 45–78 Steymans, H. U., Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel (OBO 145), Fribourg/Göttingen 1995 –, Art. Segen und Fluch, RGG4 7 (2004) 1132–1134 –, Psalm 89 und der Davidbund. Eine strukturale und redaktionsgeschichtliche Untersuchung (ÖBS 27), Frankfurt a. M. 2005 –, Das Gilgameš-Epos und die Ikonographie, in: ders. (Hg.), Gilgamesch (→ 1: Sammelbände), 1–53 –, Gilgameš im Westen, in: ders. (Hg.), Gilgamesch (→ 1: Sammelbände), 287–345 Sticher, C., Die Rettung der Guten durch Gott und die Selbstzerstörung der Bösen. Ein theologisches Denkmuster im Psalter (BBB 137), Berlin/Wien 2002 –, „Die Gottlosen gedeihen wie Gras“. Zu einigen Pflanzenmetaphern in den Psalmen. Eine kanonische Lektüre, in: van Hecke/Labahn (ed.), Metaphors (→ 1: Sammelbände), 251–268 Stipp, H.‑J., „Alles Fleisch hatte seinen Wandel auf der Erde verdorben“ (Gen 6,12). Die Mitverantwortung der Tiere an der Sintflut nach der Priesterschrift, ZAW 111 (1999) 167–186 –, Dominium terrae. Die Herrschaft des Menschen über die Tiere in Gen 1,26.28, in: Michel/Stipp (Hg.), Gott (→ 1: Sammelbände), 113–148 –, Gen 1,1 und asyndetische Relativsätze im Bibelhebräischen, in: Steingrimsson (Hg.), Beiträge (→ 1: Sammelbände), 323–355 Störk, L., Art. Nilgans, LÄ 4 (1982) 484 Stolt, B., Martin Luthers Rhetorik des Herzens (UTB 2141), Tübingen 2000 Stolz, F., Art. šābat, THAT 2 (51995) 863–869 –, Grundzüge der Religionswissenschaft (UTB 1980), Göttingen 32001 –, Paradiese und Gegenwelten, in: ders., Religion und Rekonstruktion. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 2004, 28–44 –, Art. Paradies I, TRE 25 (1995) 705–708 Stordalen, T., Echoes of Eden. Gen 2–3 and Symbolism of the Eden Garden in Biblical Hebrew Literature, Leuven 2000 Strawn B. A., The Image of God. Comparing the Old Testament with Other Ancient Near Eastern Cultures, in: de Hulster/LeMon (ed.), Interpretation (→ 1: Sammelbände), 63–75 –, Lion Hunting in the Psalms. Iconography and Images for God, the Self, and the Enemy, in: de Hulster u. a. (ed.), Iconographic Exegesis (→ 1: Sammelbände), 245–261 Streck, M. P., Die Bildersprache der akkadischen Epik (AOAT 264), Münster 1999
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 745
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746 Literatur Uehlinger, Chr., Das Image der Großmächte. Altvorderasiatische Herrschaftsikonographie und Altes Testament, BiKi 40 (1985) 165–172 –, Eva als ‚lebendiges Kunstwerk‘. Traditionsgeschichtliches zu Gen 2, 21–22(23.24) und 3,20, BN 43 (1988) 90–99 –, Art. Leviathan, DDD2, 511–515 –, Leviathan und die Schiffe in Ps 104,25–26, Bib. 71 (1990) 499–526 –, Vom dominium terrae zu einem Ethos der Selbstbeschränkung?, BiLi 64 (1991) 59–74 –, Der Mythos vom Drachenkampf. Ein biblisches Feindbild und seine Geschichte, BiKi 46 (1991) 66–77 –, Drachen, in: Schmelz/Vossen (Hg.), Drachenspuren (→ 1: Sammelbände), 55–101 –, Der Schrei der Erde? Biblische Perspektiven zum Thema „Ökologie und Gewalt“, Conc 31 (1995) 405–415 –, Qohelet im Horizont mesopotamischer, levantinischer und ägyptischer Weisheitsliteratur der persischen und hellenistischen Zeit, in: Schwienhorst-Schönberger (Hg.), Kohelet (→ 1: Sammelbände), 155–247 –, Art. Bilderkult III, RGG4 1 (1998) 1565–1570 –, Art. Drache, RGG4 2 (1999) 966–968 Ulrich, J./Dierken, J., Wer erhält die Welt?, ThLZ 147 (2022) 891–902 Utzschneider, H., Himmlischer Raum auf Erden. Die Stiftshütte (Ex 25–40*) als theologische Metapher, in: Hopf u. a. (Hg.), Raum (→ 1: Sammelbände), 19–36 Verhoeven, U., Konzeptuelle Variationen über die Weltenstehung im Alten Ägypten, in: Gindhart/Pommerening (Hg.), Anfang (→ 1: Sammelbände), 26–40 Vernant, J.‑P., Der Mensch des antiken Griechenland, in: ders. (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 7–3 –, Die Entstehung des griechischen Denkens (es 1150), Frankfurt a. M. 1982 Vieweger, D., Archäologie der biblischen Welt, Gütersloh 2012 Vittmann, G., Altägyptische Wegmetaphorik (VIAÄ 83), Wien 1999 Völkening, H., Imago Dei versus Kultbild. Die Sapientia Salomonis als jüdisch-hellenistischer Beitrag zur antiken Bilddebatte (BZAW 508), Berlin/Boston 2019 Volgger, D., Der Segen Gottes in der ersten Schöpfungserzählung Gen 1,1–2,4a, LASBF 65 (2015) 9–24 Vollenweider, S., Der Menschgewordene als Ebenbild Gottes. Zum frühchristlichen Verständnis der Imago Dei, in: ders., Horizonte neutestamentlicher Christologie. Studien zu Paulus und zur frühchristlichen Theologie (WUNT 144), Tübingen 2002, 53–70 –, Seufzen statt Lobpreisen. Überlegungen zum Verhältnis von Schöpfung und Gebet in Römer 8, JBTh 34 (2019) 137–177 –, Wahrnehmungen der Schöpfung im Neuen Testament, in: ders., Antike und Christentum. Studien zur neutestamentlichen Theologie in ihren Kontexten und Rezeptionen (WUNT 436), Tübingen 2020, 139–147 Vonach, A., Art. Segen, WAM, 359–363 Vreugdenhil, G. C., Psalm 91 and Demonic Menace (OSt 77), Leiden/Boston 2020 Wächter, L., Art. šeʾôl, ThWAT 7 (1993) 901–910 Wälchli, St.H., Der weise König Salomo. Eine Studie zu den Erzählungen von der Weisheit Salomos in ihrem alttestamentlichen und altorientalischen Kontext (BWANT 141), Stuttgart 1999
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 747
Wagner, A., Körperbegriffe als Stellvertreterausdrücke der Person in den Psalmen, in: ders., Beten und Bekennen. Über Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2008, 289–317 –, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010 –, Art. Gottebenbildlichkeit, WAM, 217–219 –, Art. Finger of God, EBR 9 (2014) 52 f –, Die Unfähigkeit des Menschen zur Vervollkommnung als anthropologische Grundkategorie von Nicht-P in Gen 6–8, in: van Oorschot/Wagner (Hg.), Perfektion (→ 1: Sammelbände), 63–78 Wagner, S., Art. jārāh, ThWAT 3 (1982) 920–930 –, (Alt-)Israelitische Vorstellungen vom Weltende, in: Jones (Hg.), Weltende (→ 1: Sammelbände), 149–163 Wagner, Th., Gottes Herrlichkeit. Bedeutung und Vewendung des Begriffs kābôd im Alten Testament (VT.S 151), Leiden/Boston 2012 –, ,Ungeklärte Verhältnisse‘. Die priesterliche Urgeschichte und das Buch Ezechiel, KuD 59 (2013) 207–229 –, Wasser ist nicht gleich Wasser. Zur Kompilation der Sintfluterzählung, in: ders. (Hg.), Text (→ 1: Sammelbände), 3–27 –, Zum Ebenbild geschaffen. Grundzüge des Gott-Mensch-Verhältnisses in altorientalischen und alttestamentlichen Schriften, Interdisziplinäre Anthropologie 4 (2016) 209–240 Waldenfels, B., Ordnung im Zwielicht, Frankfurt a. M. 1987 –, Art. Lebenswelt, in: Kolmer/Wildfeuer (Hg.), Handbuch (→ 1: Handbücher), 1418– 1429 –, Platon. Zwischen Logos und Pathos (stw 2218), Berlin 2017 Waschke, E.‑J., Der Mensch „aus Staub“ und „Gottes Ebenbild“. Anmerkungen zu unterschiedlichen anthropologischen Perspektiven, in: Drost-Abgarjan u. a. (Hg.), Nil (→ 1: Sammelbände), 489–505 –, Art. Paradies II, RGG4 6 (2003) 911–913 –, Die Bedeutung der Königstheologie für die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, in: Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche (→ 1: Sammelbände), 235– 252 –, Die Unvollkommenheit der Schöpfung. Gen 1,31 im Kontext der Schöpfungsvorstellungen der biblischen Urgeschichte, in: van Oorschot/Wagner (Hg.), Perfektion (→ 1: Sammelbände), 29–40 Wasserman, N., The Flood: The Akkadian Sources. A New Edition, Commentary, and a Literary Discussion (OBO 290), Leuven/Paris/Bristol, CT 2020 Watson, R. S., Chaos Uncreated. A Reassessment of the Theme of „Chaos“ in the Hebrew Bible (BZAW 341), Berlin/New York 2005 Weber, B., „HERR, wie viele sind geworden meine Bedränger …“ (Ps 3,2a). Psalm 1–3 als Ouvertüre des Psalters unter besonderer Berücksichtigung von Psalm 3 und seinem Präskript, in: Ballhorn/Steins (Hg.), Bibelkanon (→ 1: Sammelbände), 231–251 –, „JHWH, Gott meiner Rettung!“ Beobachtungen und Erwägungen zur Struktur von Psalm 88, VT 58 (2008) 595–607 –, Werkbuch Psalmen 3. Theologie und Spiritualität des Psalters und seiner Psalmen, Stuttgart 2010
748 Literatur –, „Dann wird er sein wie ein Baum …“ (Ps 1,3). Zu den Sprachbildern von Psalm 1, in: ders., „Wie ein Baum, eingpflanzt an Wasserrinnen“ (Psalm 1,3). Beiträge zur Poesie und Theologie von Psalmen und Psalter für Wissenschaft und Kirche (ABG 41), Leipzig 2014, 80–101 Weber, C., Altes Testament und völkische Frage. Der biblische Volksbegriff in der alttestamentlichen Wissenschaft der nationalsozialistischen Zeit, dargestellt am Beispiel von J. Hempel (FAT 28), Tübingen 2000 Wehrle, J., Ps 1 – das Tor zum Psalter. Exegese und theologische Schwerpunkte, MThZ 46 (1995) 215–229 Weimar, P., Struktur und Gestalt der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung (Gen 1,1– 2,4a*), in: ders., Studien zur Priesterschrift (FAT 56), Tübingen 2008, 91–134 –, Chaos und Kosmos. Gen 1,2 als Schlüssel einer älteren Fassung der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung, in: ders., Studien, 135–150 –, Sinai und Schöpfung. Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Sinaigeschichte, in: ders., Studien, 269–317 Weippert, H., Schöpfer des Himmels und der Erde. Ein Beitrag zur Theologie des Jeremiabuches (SBS 102), Stuttgart 1981 –, Palästina in vorhellenistischer Zeit (HdA Vorderasien 2/1), München 1988 –, Die Kesselwagen Salomos, ZDPV 108 (1992) 8–41 –, Altisraelitische Welterfahrung. Die Erfahrung von Raum und Zeit nach dem Alten Testament, in: dies., Unter Olivenbäumen. Studien zur Archäologie Syrien-Palästinas, Kulturgeschichte und Exegese des Alten Testaments (AOAT 327), Münster 2006, 179– 198 –, Amos: Seine Bilder und ihr Milieu, in: dies., Unter Olivenbäumen, 213–237 Weippert, M., Tier und Mensch in einer menschenarmen Welt. Zum sog. dominium terrae in Genesis 1, in: Mathys (Hg.), Ebenbild Gottes (→ 1: Sammelbände), 35–55 –, Schöpfung am Anfang oder Anfang der Schöpfung? Noch einmal zu Syntax und Semantik von Gen 1,1–3, ThZ 60 (2004) 5–22 –/ Janowski, B., Art. Königtum, NBL 2 (195) 513–519 Weiss, M., The Bible from Within. The Method of Total Interpretation, Jerusalem 1984 Welker, M., Schöpfung und Wirklichkeit (NBSt 13), Neukirchen-Vluyn 1995 –, Geist und Schöpfung, in: Höfner/Friedrich (Hg.), Gottes Gegenwarten (→ 1: Sammelbände), 7–20 Wells, B., Death in the Garden of Eden, JBL 139 (2020) 639–660 West, M. L., The East Face of Helicon. West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth, Oxford/New York 22003 Westermann, C., Art. Segen, BHH 2 (1966) 1757 f –, Zum hermeneutischen Problem des Redens von Schöpfer und Schöpfung, ThLZ 92 (1967) 243–246 –, Das Reden von Schöpfer und Schöpfung im Alten Testament, in: Maas (Hg.), Wort (→ 1: Sammelbände), 238–244 –, Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, München 1968 –, Schöpfung (ThTh 12), Stuttgart/Berlin 21983 –, Vergleiche und Gleichnisse im Alten und Neuen Testament (CThM 14), Stuttgart 1984 –, Theologie des Alten Testaments in Grundzügen (GAT 6), Göttingen 21985
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 749
–, Mensch, Tier und Pflanze in der Bibel, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 90–106 –, Art. næpæš, THAT 2 (51995) 71–96 –, Art. tehôm, THAT 2 (51995) 1026–1031 Wetzel, M., Art. Ordnung I, in: Kolmer/Wildfeuer (Hg.), Handbuch 1 (→ 1: Handbücher), 1675–1689 Wiesel, E., Hiob oder das revolutionäre Schweigen, in: ders., Adam oder das Geheimnis des Anfangs (Herder Spektrum 4249), Freiburg/Basel/Wien 31998, 207–232 Wiggermann, F., The Mythological Foundations of Nature, in: Meijer (ed.), Natural Phenomena (→ 1: Sammelbände), 279–306 –, Sichtbare Mythologie. Die symbolische Landschaft Mesopotamiens, in: Zgoll/Kratz (Hg.), Mythos (→ 1: Sammelbände), 109–132 Wilcke, C., Die Sumerische Königliste und erzählte Vergangenheit, in: von Ungern-Sternberg/Reinau (Hg.), Vergangenheit (→ 1: Sammelbände), 113–140 –, Weltuntergang als Anfang. Theologische, anthropologische, politisch-historische und ästhetische Ebenen der Interpretation der Sintflutgeschichte im babylonischen Atramhasīs-Epos, in: Jones (Hg.), Weltende (→ 1: Sammelbände), 63–112 –, Der Tod im Leben der Babylonier, in: Assmann/Trauzettel (Hg.), Tod (→ 1: Sammelbände), 252–266 –, Vom altorientalischen Blick auf die Anfänge, in: Angehrn (Hg.), Anfang (→ 1: Sammelbände), 3–59 –, Altmesopotamische Weltbilder. Die Welt mit altbabylonischen Augen gesehen, in: Gemeinhardt/Zgoll (Hg.), Weltkonstruktionen (→ 1: Sammelbände), 1–27 Wildberger, H., Art. ṣælæm, THAT 2 (51995) 556–563 Wilhelm, G., Grundzüge der Geschichte und Kultur der Hurriter (Grundzüge 45), Darmstadt 1982 Willi-Plein, I., Am Anfang einer Geschichte der Zeit, in: dies., Sprache als Schlüssel. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 2002, 11–23 –, Hiobs Widerruf ? – Eine Untersuchung der Wurzel nḥm und ihrer erzähltechnischen Funktion im Hiobbuch, in: dies., Sprache, 130–145 –, Der untadelige Mensch. Zum Menschenbild der Hiobdichtung, in: Bauks u. a. (Hg.), Was ist der Mensch? (→ 1: Sammelbände), 553–564 Willmes, B., Die sogenannte Hirtenallegorie Ez 34. Studien zum Bild des Hirten im Alten Testament (BET 19), Frankfurt a. M. 1984 Wilson, E. O., „Wir werden einsam sein“, DER SPIEGEL 48 (1995) 193–204 –, Der Wert der Vielfalt. Die Bedrohung des Artenreichtums und das Überleben des Menschen (Serie Piper 2550), München 1997 Wiseman, D. J., Mesopotamian Gardens, AnSt 33 (1983) 137–144 Witte, M., Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26 (BZAW 265), Berlin/New York 1998 –, „Weisheit“ in der alttestamentlichen Wissenschaft. Ausgewählte literatur- und theologiegeschichtliche Fragestellungen und Entwicklungen, ThLZ 137 (2012) 1159–1176 –, Von der Gerechtigkeit Gottes und des Menschen im Alten Testament, in: ders. (Hg.), Gerechtigkeit (→ 1: Sammelbände), 37–67
750 Literatur –, Das neue Lied – Beobachtungen zum Zeitverständnis von Psalm 33, in: ders., Von Ewigkeit zu Ewigkeit. Weisheit und Geschichte in den Psalmen (BThSt 146), Neukirchen-Vluyn 2014, 11–37 Wöhrle, J., dominium terrae. Exegetische und religionsgeschichtliche Überlegungen zum Herrschaftsauftrag in Gen 1,26–28, ZAW 121 (2009) 171–188 van Wolde, E. J., Words become Worlds. Semantic Studies of Genesis 1–11 (BiInS 6), Leiden/New York/Köln 1994 –, The Text als Eloquent Guide. Rhetorical, Lingusitic and Literary Features in Genesis 1, in: de Regt/de Waard/Fokkelman (ed.), Literary Structure (→ 1: Sammelbände), 134– 151 –, Reframing Biblical Studies. When Language and Text Meet Culture, Cognition, and Context, Winona Lake/IN 2009 Wolf, U. (Hg.), Texte zur Tierethik (RUB 18535), Stuttgart 2008 Wolf, W., Kulturgeschichte des alten Ägypten (KTA 321), Stuttgart 1962 Wolff, H. W., Psalm 1, in: ders., Wegweisung. Gottes Wirken im Alten Testament, München 1965, 13–150 –, Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von B. Janowski, Gütersloh 2010/22018 Wright, J. L., Die Zerstörung des Ökosystems als Element der Kriegsführung im Alten Israel, in: Berlejung (Hg.), Katastrophen (→ 1: Sammelbände), 179–203 Wüste, Chr., Fels – Geier – Eltern. Untersuchungen zum Gottesbild des Moseliedes (Dtn 32) (BBB 182), Göttingen 2018 Wuketits, F. M., Zukunft der Tiere? Perspektiven für die Tierwelt in der Welt des Menschen, in: Janowski/Riede (Hg.), Zukunft (→ 1: Sammelbände), 17–30 Wyatt, N., Myths of Power. A Study of Royal Myth and Ideology in Ugaritic and Biblical Tradition (UBL 13), Münster 1996 Zenger, E., „So betete David für seinen Sohn Salomo und für den König Messias“. Überlegungen zur holistischen und kanonischen Lektüre des 72. Psalms, JBTh 8 (1993) 57–72 –, Gottes Bogen in den Wolken. Untersuchungen zu Komposition und Theologie der priesterschriftlichen Urgeschichte (SBS 112), Stuttgart 21987 –, „Du liebst alles, was ist“ (Weish 11,24). Biblische Perspektiven für einen erneuerten Umgang mit der Schöpfung, BiKi 44 (1989) 138–147 –, „Du kannst das Angesicht der Erde erneuern“ (Ps 104,30). Das Schöpferlob des 104. Psalms als Ruf zur ökologischen Umkehr, BiLi 64 (1991) 75–86 –, Art. Chaos, LThK 3 2 (1994) 1007 f –, Art. Königspsalmen, NBL 2 (1995) 510–513 –, Die Verheißung Jes 11,1–10: universal oder partikular?, in: van Ruiten/Vervenne (ed.), Studies (→ 1: Sammelbände), 137–147 –, Zum biblischen Hintergrund der christlichen Erbsündentheologie, in: Wiedenhofer (Hg.), Erbsünde (→ 1: Sammelbände), 9–34 –, Art. Schöpfung, LThK3 9 (2000) 217–220 –, „Es sei deine Liebe, JHWH, über uns!“ Beobachtungen zu Aufbau und Theologie von Ps 33, in: F.‑L. Hossfeld/E. Zenger, Neigt euer Ohr den Worten meines Mundes. Studien zu Psalmen und Psalter, hg. von Chr. Dohmen und Th. Hieke, Stuttgart 2015, 313–325
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 751
–, Psalm 8, in: ders., Mit Gott ums Leben kämpfen. Das Erste Testament als Lern- und Lebensbuch, hg. von P. Deselaers und Chr. Dohmen, Freiburg/Basel/Wien 2020, 299– 322 –, Lebenshaus für alle. Die Botschaft der biblischen Schöpfungstheologie, in: ders., Mit Gott, 323–342 Zernecke, A. E., Gott und Mensch in Klagegebeten aus Israel und Mesopotamien. Die Handerhebungsgebete Ištar 10 und Ištar 2 und die Klagepsalmen Ps 38 und Ps 22 im Vergleich (AOAT 387), Münster 2011 Zgoll, A., Die Kunst des Betens. Form und Funktion, Theologie und Psychagogik in babylonisch-assyrischen Handerhebungsgebeten an Ištar (AOAT 308), Münster 2003 –, Welt, Götter und Menschen in den Schöpfungsentwürfen des antiken Mesopotamien, in: Schmid (Hg.), Schöpfung (→ 1: Sammelbände), 17–70 –, Durch Tod zur Macht, selbst über den Tod, in: Zgoll/Zgoll (Hg.), Sphärenwechsel (→ 1: Sammelbände), 83–159 Ziegler, N., Inūma et la Temporalité dans des textes littéraires akkadiens, in: Ramond/ Achenbach (éd.), Aux commencements (→ 1: Sammelbände) 126–140 Zill, R., Art. Grenze, in: Konersmann (Hg.), Wörterbuch (→ 1: Handbücher), 135–146 –, Der absolute Leser. Hans Blumenberg – eine intellektuelle Biographie, Berlin 2020 Zimmerli, W., Erkenntnis Gottes nach dem Buche Ezechiel, in: Ders., Gottes Offenbarung. Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 19), München 21969, 41–119 –, Ort und Grenze der Weisheit im Rahmen der alttestamentlichen Theologie, in: ders., Gottes Offenbarung, 300–315 –, Der Mensch im Rahmen der Natur nach den Aussagen des ersten biblischen Schöpfungsberichtes, ZThK 76 (1979) 139–158 Zimmermann, B., Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit (HAW 7/1), München 2011 Zimmermann, R., Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10 (WUNT 171), Tübingen 2004 Zivie-Coche, Chr./Dunand, F., Die Religionen des Alten Ägypten (RM 8), Stuttgart 2013 Zwickel, W., Die Tempelquelle Ezechiel 47 – eine traditionsgeschichtliche Untersuchung, EvTh 55 (1995) 140–154 –, Der salomonische Tempel, Mainz 1999 –, Die Welt des Alten und Neuen Testaments. Ein Sach- und Arbeitsbuch, Stuttgart 1997 –, Einführung in die biblische Landes- und Altertumskunde, Darmstadt 2002 –, Zur Symbolik der Pflanzen im salomonischen Tempel, in: Neumann-Gorsolke/Riede (Hg.), Kleid (→ 1: Sammelbände), 194–221 –, Hungersnöte in der südlichen Levante vom 14. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr., in: Gruber et al. (ed.), Wisdom (→ 1: Sammelbände), 453–466 –, Der Tempel Salomos im Kontext der Ikonographie und der archäologischen Funde, in: Verheyden (ed.), Solomon (→ 1: Sammelbände), 57–84 –, Leben und Arbeit in biblischer Zeit. Eine Kulturgeschichte, Stuttgart 2013 – u.a. (Hg.), Herders Neuer Bibelatlas, Freiburg/Basel/Wien 2013
Nachweis zu den Abbildungen und Skizzen Für die bibliographischen Angaben der im Folgenden abgekürzt zitierten Literatur s. das Literaturverzeichnis (oben 677 ff ). Umschlagabbildung der Broschurenausgabe/Frontispiz der Leinenausgabe Die Fotografie der Oase von Jericho mit dem Berg der Versuchung stammt von B. Janowski. Abbildung des Titelblatts der Bible moralisée: akg images Nr. 198696.
Abbildung im Vorwort 1 Foto B. Janowski.
Abbildungen im Haupttext 2 Art. Charles Darwin, www.wikipedia.org (Zugriff 9.11.2019) ◆ 3 Füssel, Buch der Bücher, 6 ◆ 4 Imhof, Alltagsbewältigung, 195 Abb. 32 ◆ 5 Senger, Wanderer, 345 Abb. 1 ◆ 6 Markschies u. a. (Hg.), Atlas, 382 Abb. 3 ◆ 7 B. Janowski ◆ 8 B. Janowski ◆ 9 B. Janowski ◆ 10 B. Janowski ◆ 11 B. Janowski ◆ 12 B. Janowski ◆ 13 B. Janowski ◆ 14 B. Janowski ◆ 15 B. Janowski ◆ 16 B. Janowski ◆ 17 B. Janowski ◆ 18 Borchart, Meisterwerke ◆ 19 B. Janowski ◆ 20 B. Janowski ◆ 21 B. Janowski ◆ 22 B. Janowski ◆ 23 akg images Nr. 1602048 ◆ 24 B. Janowski ◆ 25 B. Janowski ◆ 26 B. Janowski ◆ 27 B. Janowski ◆ 28 B. Janowski ◆ 29 akg images Nr. 68642 ◆ 30 B. Janowski ◆ 31 B. Janowski ◆ 32 B. Janowski ◆ 33 Keel u. a., OLB 1, 141 Abb. 71 ◆ 34 Gese, Religionen, 158 Abb. 15, vgl. unten Abb. 149 ◆ 35 Keel, Böcklein, 98 Abb. 65 ◆ 36 Keel/Schroer, Schöpfung, 44 Abb. 9, vgl. Schroer, IPIAO 4, 79 Abb. 1854 ◆ 37 B. Janowski ◆ 38 B. Janowski ◆ 39 Keel, Bildsymbolik, 297 Abb. 428 ◆ 40 Schroer, IPIAO 4, 311 Abb. 1239 und 313 Abb. 1240 ◆ 41 Keel/Uehlinger, Göttinnen, 209 Abb. 200b ◆ 42 B. Janowski ◆ 43 B. Janowski 44 Keel, Geschichte, 301 Abb. 187 ◆ 45 B. Janowski ◆ 46 B. Janowski ◆ 47 Keel, Bildsymbolik, 330 Abb. 480 ◆ 48 Neumann-Gorsolke/Riede (Hg.), Kleid der Erde, 97 Abb. 7 ◆ 49 Deutsche Bibelgesellschaft (Zeichnung TBB 892) ◆ 50 Keel, Bildsymbolik, 76 Abb. 105 ◆ 51 B. Janowski ◆ 52 B. Janowski ◆ 53 Schmeil, Tierkunde, 142 ◆ 54 Schmeil, Tierkunde, 236 ◆ 55 B. Janowski ◆ 56 B. Janowski ◆ 57 akg images Nr. 573429 ◆ 58 B. Janowski ◆ 59 Keel, Bildsymbolik, 240 Abb. 353 ◆ 60 B. Janowski ◆ 61 B. Janowski ◆ 62 B. Janowski ◆ 63 Salo, Königsideologie, 115 Abb.6 ◆ 64 B. Janowski ◆ 65 Albani, Gott, 155 Abb. 7 ◆ 66 B. Janowski ◆ 67 Keel, Bildsymbolik, 21 Abb. 17 und 18 ◆ 68 B. Janowski ◆ 69 Keel, Bildsymbolik, 52 Abb. 63 (Ausschnitt) ◆ 70 Konkel, Tempelvision, 178 Abb. 1 ◆ 71 B. Janowski ◆ 72 Keel, Bildsymbolik, 42 Abb. 46 ◆ 73 B. Janowski ◆ 74 B. Janowski ◆ 75 Leuenberger, Jhwh, 258 Abb. 2 ◆ 76 Keel, Bildsymbolik, 100 Abb. 147 (Ausschnitt) ◆
754 Nachweis zu den Abbildungen und Skizzen 77 Janowski, Anthropologie, 353 Abb. 84 ◆ 78 Keel, Geschichte, 330 Ab. 233 (Zeichnung L. Ritmeyer) ◆ 79 Zwickel, Welt, 223 Abb. 125 ◆ 80 Zwickel, Welt 225 Abb. 126 ◆ 81 Zwickel, Tempel, 86 Abb.38 ◆ 82 Zwickel, Welt, 225 Abb. 127 ◆ 83 Janowski, Himmel, 252 Abb. 5 ◆ 84 Janowski, Tempel, 43 Abb. 3 (nach Kurth, Welt, 92) ◆ 85 Propp, Exodus II (AB 2A), 499 fig. 17 ◆ 86 B. Janowski ◆ 87 Keel, Geschichte, 925 Abb. 571 ◆ 88 B. Janowski ◆ 89 Entwurf K. Bieberstein, Lutherbibel 2017 (überarbeitet 2021, mit frdl. Genehmigung des Autors) ◆ 90 B. Bruyère, La tombe Nr. 1 de Sennedjem à Deir el Médineh, Kairo 1959, pl. XXV ◆ 91 Schätze des alten Syrien. Die Entdeckung des Königreichs Qatna, hg. vom Landesmuseum Württemberg, Stuttgart 2009, 199 ◆ 92 B. Janowski ◆ 93 B. Janowski ◆ 94 B. Janowski ◆ 95 Uehlinger, Drachen, 91 Abb. 17 ◆ 96 Keel, Bildsymbolik, 47 Abb. 55 ◆ 97 Keel, Bildsymbolik, 44 Abb. 50 ◆ 98 Uehlinger, Drachen 93 Abb. 21 ◆ 99 Keel/Schroer, Schöpfung, 209 Abb. 164 ◆ 100 Goodfellow, Pflanzen, 162 ◆ 101 B. Janowski ◆ 102 B. Janowski ◆ 103 B. Janowski ◆ 104 B. Janowski ◆ 105 B. Janowski ◆ 106 B. Janowski ◆ 107 Junge, Land, 29 Abb. 19 ◆ 108 B. Janowski ◆ 109 B. Janowski ◆ 110 B. Janowski ◆ 111 B. Janowski.
Abbildungen im Quellenanhang 112 Junge, Land, 24 Abb. 15 ◆ 113 Verhoeven, Variationen, 27 Abb. 1 ◆ 114 : Keel, Bildsymbolik, 100 Abb. 147 ◆ 115 von der Osten-Sacken, Geflügelwirtschaft, 234 Abb. 107 ◆ 116 Görg, Nilgans, 100 Abb. 9 ◆ 117 Hornung, Verfall, 415 Abb. 2 ◆ 118 Keel, Bildsymbolik, 29 Abb. 32 ◆ 119 Hornung, Spuren, 465 Abb. 15 ◆ 120 Junge, Land, 29 Abb. 19 ◆ 121 Schlögl, Ägypten, 19 ◆ 122 Keel, Bildsymbolik, 49 Abb. 58 ◆ 123 Keel, Bildsymbolik, 175 Abb. 265 ◆ 124 Tietze (Hg.), Amarna, 251 Abb. 17 ◆ 125 Keel, Bildsymbolik, 95 Abb. 141 ◆ 126 Keel, Bildsymbolik, 52 Abb. 63 ◆ 127 Keel, Bildsymbolik, 227 Abb. 334 ◆ 128 Keel, Bildsymbolik, 273 Abb. 399 ◆ 129 Kurth, Treffpunkt, 48 Abb. 21 ◆ 130 Staub, Pharao, 163 ◆ 131 Janowski, Anthropologie, 627 Abb. 139 ◆ 132 Keel, Bildsymbolik, 40 Abb. 43 ◆ 133 Keel, Bildsymbolik, 38 Abb. 41; Foto Moortgat, Kunst, Abb. 231 ◆ 134 Keel, Bildsymbolik, 44 Abb. 49 ◆ 135 B. Janowski (in Anlehnung an Livingston, Works, 81) ◆ 136 Black/Green, Gods, 129 Abb. 105 ◆ 137 Lehmann, Delitzsch, 356 Taf. 1 ◆ 138 Keel, Hohelied, 135 Abb. 76 ◆ 139 Schroer, IPIAO 4, 405 Abb. 1363 ◆ 140 Keel, Hohelied (ZBK.AT), 225 Abb. 127 ◆ 141 Keel, Geschichte, 279 Abb. 156 ◆ 142 Keel, Geschichte, 278 Abb. 154 ◆ 143 Keel, Bildsymbolik, 154 Abb. 240 ◆ 144 Keel, Bildsymbolik, 125 Abb. 191 ◆ 145 Foto B. Janowski ◆ 146 Schroer, IPIAO 4, 651 Abb. 1689 ◆ 147 Dalley, Gardens, 10 Abb. 2 (vgl. Schroer, IPIAO 4, 862 f mit Abb. 1969) ◆ 148 Keel, Bildsymbolik, 42 Abb. 46 ◆ 149 Leuenberger, Segen 1, 18 Abb. 5, vgl. oben Abb. 34 ◆ 150 Schroer, IPIAO 4, 867 Abb. 1972 ◆ 151 B. Janowski (nach Ekschmitt, Weltmodell, 25 Abb. 3) ◆ 152 akg images Nr. 3825892 ◆ 153 Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 4, 72 Abb. 89 (Zeichnung Chr. Wagner) ◆ 154 akg images Nr. 1087351.
Abbildungen bei den Zwischentiteln Die römischen Ziffern beziehen sich auf die Kapiteleinteilungen im Inhaltsverzeichnis. I S. Salgado, Alaska/USA Juni/Juli 2009, in: Du Nr. 851 November 2014, 4. ◆ II Foto B. Janowski ◆ III/1 Neuman-Gorsolke/Riede (Hg.), Kleid der Erde (Cover) ◆ III/2 Schroer, IPIAO 4, 843 Abb. 1943 ◆ III/3 Foto B. Janowski ◆ IV Borchart, Meisterwerke.
Register 1. Stellen a) Altes Testament Genesis 1,1–2,3
1, 6 f, 38, 43 ff, 75, 83 f, 88, 91, 133, 138, 144, 235, 325, 363, 371, 458, 462, 465, 470, 475 f 1,1–2,4a 21, 28 ff, 37, 444, 485 1,1–13 41 1,1 VII 1,1–3 51, 56, 485, 601 1,2LXX 628 1,3–31 48, 53, 68, 70, 83, 155, 228, 235, 420 f 1,11 f 211, 395 1,14–19 45, 320, 360, 363 1,20–23 46, 155, 229, 394 f 1,20 f 166, 211, 247, 365 1,22 71, 144 1,24 f 69125, 81, 211, 247, 365 1,26–28 30, 43, 49, 62 ff, 79, 84f, 91, 278, 282, 457 f, 462, 473, 476, 587 f, 627 1,26–28LXX 64, 633 1,26 64, 68 f, 139, 222, 253, 284 f, 610 1,28 68 f, 139, 222, 284 f 1,31a 70, 81, 361 2,2 f 3, 67, 70 f, 234 f, 361, 521 2,3 67, 71, 144 f, 361 *2,4b–3,24 32, 37, 87 ff, 454, 466 2,4b–7 94, 106, 171, 457 2,4b 91, 45727, 46677 2,7 93, 101, 172, 179, 189, 205 f, 458, 463, 466, 541 f, 634
2,8 f 94, 99, 106, 476 2,9 89 f, 10893 2,10–14 95 ff, 365, 367, 461, 568 2,15 94, 99, 106, 476 2,16 f 41, 99, 103, 106 f, 125 2,18–25 99 3,1–8 106, 108 3,14–19 91, 106, 126 3,16 f 117 3,19 180, 205 f 3,20 f 106 3,22 89 f, 108 4,1–16 3, 110 f, 466, 485, 490 4,23 f 111 5,6–8 74 5,29 117, 123 *6,5–9,29 30 *6,9–9,17 44, 72 ff, 84 ff, 112, 235, 466 *6,5–8,22 73, 110 ff, 124, 126 ff, 211, 466, 521, 554 6,*5–8 87, 112 f, 117 6,5 f 3 6,6 112 ff, 124, 126 f 6,11–13 43, 81, 85, 288 f 6,13 76, 85 6,19 VIII 8,*6–12 121 f 8,20–22 41, 73, 112, 122, 467 8,21 f 113, 126f, 554 8,21 85, 87, 113, 124, 127 8,22 VII, 318, 465 9,1–7 43, 79f, 458 9,12–17 82 14,18–22 455 14,19b 8
756 Register
Exodus
1 Könige
20,8–11 71, 234 23,6 160 23,10–12 236 *24,15b–40,38 357 ff, 371, 462 24,15b f 361 27,20f 360, 362 f, 371 29,43–46 358 f 34,21 71, 235 f 40,34 f 358 f
5,9–14 140 f, 222, 631 6 f 329, 347 ff 6,23–28 329 7,15–22 329 7,23–26 329, 348 ff, 366 f, 371, 461 7,27–39 329
Leviticus 11,2–23 11,41–47 26,19 f
134, 225 ff, 232 230 f 33, 150, 577
Numeri 6,22–27 145 ff 6,24–26 147, 151, 611, 632 7,1 331
Deuteronomium 5,12–15 71, 234 11,13 f 158 f 14,3–20 134, 225, 227 f 16,16 f 149 20,19 f 151 f, 473 24,17 160 25,4 233, 240, 473 28,1–6 148 ff 28,15–19 149, 151 28,20 151 28,23 f 15069, 577 32,11 52 32,18 35 f, 259 33,2 265, 267
1 Samuel 8,1–3 160
2 Samuel 23,3 f
249, 263, 267 f, 273, 287
Hiob 10,8–11 457, 463 12,7–11 142, 221 f 18,5–7 199 26,7 35, 156, 466 26,11–13 398 28 3, 30, 32, 37, 432 ff, 449 f, 485 28,23–28 433, 462 38,1–42,6 3, 32 f, 214, 221, 376, 405, 432 38,2f 218 f, 221 38,4–21 376, 432 38,4–7 433, 462 38,8–11 136, 430 38,12–15 135 38,16–18 376 ff, 410 38,25–27 98 38,36–38 134, 141 38,39–41 216 39,1–30 214 f 40,15–24 213, 220, 405 ff, 479 41,1–16 407 f 41,17–26 408 f 42,1–6 213, 219 ff
Psalmen 1
129, 191 ff, 237, 252, 255 ff, 536 1,1–3 159 1,3f 129, 195 1,3 159, 194 ff, 199, 207, 415, 537 f 2 113, 191, 252, 255 ff, 263, 633 2,7 39, 249, 253 ff, 261, 286 f, 462, 541 f, 643
1. Stellen 757
8
3, 24, 37, 278 ff, 420, 460, 463 8,6–9 65, 140, 229, 282 ff, 288, 462 10,11 282 11 339, 342 ff, 460 11,1b–3 468 13,2–5 147 13,2f 282 13,4f 178 18,29 f 147 19 22, 24, 37, 193, 303, 485 19,2–7 308, 420, 433 f 21,2–7 253, 283 f 21,4–7 254, 263, 287 22 113, 182 ff, 374 f 22,7–9 202 22,10 182, 190 22,13–19 200 22,15f 206 f 23 273 ff, 288, 528 24,1b f 467 27,1 147 29,10 301 30 375, 385, 389 ff 33 22, 339 ff, 370, 460 33,6–9 53 ff, 460 36,8–10 97, 365 37,5 f 269 42,2–6 202 42,2 165 46,2–8 366 46,5 f 266, 366 f, 456, 461 52,10 196, 207 65,10–14 97 f, 603 f 71,5 f 187, 457 72 263 ff, 269 ff 72,1–4 287 72,5–7 249, 254, 263, 287 72,16 f 143, 249, 254, 287 74 312 ff, 325 ff, 395 ff, 411, 461 74,12–17 30, 315, 319, 395, 470 74,16f 137, 281, 318 80,4 147 82,5–7 468 84,11–13 268
85,11–14 269, 272 88 374 f, 385 ff 88,4 209, 374, 385, 388 f 89,6–15 397 89,10–15 254, 319 90,2 36, 259 92,13–16 196, 206 93 29, 32, 252, 326, 333 ff, 369 f, 392 f, 411, 454, 456, 459, 467 93,1b f 35, 334 f, 456 102 199 ff 102,7–9 469 103,15–18 199 103,15f 190, 469 104 VIII, 22, 24, 30, 37, 246, 391 ff, 418 ff, 430, 444, 462, 474 104,9 28, 136 104,10–24 448 ff, 471 f 104,20f 136, 216 104,22f 135 104,24 481 104,27f 159, 242 f, 323, 478 f 109(110)LXX 633 f 110 253, 259 ff 110,3 249, 253, 255 ff, 262, 287 136 249, 321 ff, 462, 648 136,23–25 21 139,13–18 172, 179 ff 145,15 f 159, 243, 479 148 142, 161, 224, 303 ff, 669
Sprüche 3,19 f 427 f, 437, 449 6,6–11 VIII, 142, 221 ff, 232, 473 6,6 VIII 8,22–31 3, 28, 30, 32, 37, 335, 428, 438 ff, 450, 459, 474 8,27–30 136, 392, 423, 430 10,4 f 223 11,11 172 11,28–30 196 12,10 233, 237 ff, 473, 479 14,20 f 176 14,31 176, 178 f, 457, 536
758 Register 17,5 24, 174, 176 17,23 160 21,10 239 22,2 173, 176 ff, 457 22,8 134, 448 22,9 175, 178 25,23 172, 448 26,27 448 27,23 238 f 28,5 174 29,7 174, 239 29,13 177 f 30,17 178
Prediger 1,3–11 3, 414 ff 1,3–7 1 3,1 159, 418
Jesaja 6,1–5
333, 337 ff, 344, 369 f, 467 11,6–9 287 f 14,12–15 384 f 27,1 230, 395, 398, 411, 461, 602 40,12–31 32, 249, 297 ff, 303, 309, 326, 344, 459, 485 40,12–14 342, 431 f, 560 40,18 344 40,21–26 292, 299, 302, 332, 344 40,21 f 292 f, 297, 301, 339, 460, 466 40,25 f 281, 346 f 43,1 293, 459 f 44,1 f 293 44,6–8 295 f 44,23 303, 308, 375 44,24 293 f, 459 45,1–7 492 f 45,18 f 156, 335 45,18 51, 293, 466 51,9 f 319, 392, 396 f, 459, 470 54,7–10 30, 123 f 58,8–10 269
66,1 f 344 ff, 370, 437 66,2 346 f 66,16b–18 345
Jeremia 4,23–28 4,23 5,20–25 5,22
153 ff, 168, 367 51, 156, 467 156 ff 136, 392, 423, 430, 459, 463, 470 8,7 142, 159, 224, 415, 525 12,4 156, 164 14,*1–22 161 ff 14,1–9 162 14,19–22 163 17,5–8 193 ff 17,12 335, 456
Ezechiel 11,22 f 310 28,11–19 485, 493 f 34,11–16 273 ff 37,1–14 494 43,1–9 249, 308 ff 43,1–6 311 f 47,1–12 364 ff, 371, 461, 495 f
Hosea 4,1–3 166 6,4–6 265 11,8f 127183, 239
Joel 1,17–20 1,20 2,22
164 f 242, 479 166, 168
Amos 4,13 36, 485 5,8 134, 496 5,18–20 154 6,4 232 f
1. Stellen 759
8,1 f 9,5 f
76 496
Qumran
Zephanja 3,5
265 f, 272
Haggai 1 f 1,1–15a 2,6–8
367 ff 367, 371, 462, 467 369, 371, 467
1QH 20,24–36 1QM 10,12–16 1QS 2,2–4 4Q504 Frg. 8 recto 4–9 11QT 29,8–10
267 f
93, 634 f 460, 630, 636 145, 632 65, 635 f 35, 637
Mischna Joma 4 f
Maleachi 3,20
c) Antikes und rabbinisches Judentum
371, 637
Talmud
b) Apokryphen und Pseudepigraphen
bSukka 32b
378, 630 f
Sapientia Salomonis
Josephus
2,21–24 462, 632 f 2,23 62, 635 5,14 207164 7,13–22a 16 f, 631 11,15–20a 433, 629 f 11,24 f 480, 629 f
Antiquitates Judaicae – 3,184–187 207163, 636, 638 f
d) Neues Testament Matthäus 5,43–48
177, 646 f
Jesus Sirach 17,1–10 42, 62, 461, 631, 635 18,8–14 273, 631 f 24 3, 325, 440 ff, 449, 485 24,1–12 325, 440 ff, 450 42,22–25 417 43,1–33 461, 504 ff, 638 50,5–11 34, 207, 636, 638
Markus
äthiopischer Henoch
Römer
42,1–3 444154
4,17 53, 629, 640 5,12–21 646 8,18–30 240 ff, 462, 479 8,19–22 481, 665
2 Makkabäer 7,28 f
32, 53, 628 f, 640
1,9–11 25722, 643
Johannes 1,14–18 10,11–18
445 f, 450 273 ff, 643 f
760 Register
Kol 1,15–20 644 ff Apk 12,3 f 461, 642 12,7–9 411, 642 20,1–3 411, 642 21,1–4 461, 643 21,1 461
e) Frühes Christentum Augustinus, De civitate Dei – 12,1 53, 641 f Irenäus von Lyon, Wider die Häresien – 1,27,2 9, 32, 640 Tertullian, Wider Markion – 1,2 9, 32, 640 f
f ) Koran Sure 2,30–33 Sure 16,49 f Sure 17,44 Sure 21,30–33 Sure 23,12–16 Sure 32,7–9 Sure 55 Sure 55,1–13 Sure 101,1–11
65, 651 306, 651 306, 651 49, 647 93, 650 93, 650 324, 435 f, 462, 648 f 435 f 154, 648
g) Altorientalische Texte Ägypten Amduat 93,5–6 402 Amenemope IV,1–12 196, 537 f Amun-Re-Hymnus – 13–17 93, 273, 528 – 24–36 49, 57, 518 f Buch von der Himmelskuh 77–91 124, 521 f Denkmal Memphitischer Theologie – 48–59 57, 60, 519 ff Denkstein Thutmosis I. 544 Großer Amarnahymnus – 1–141 57, 306 f, 428, 460, 528 ff
– 27–37 426, 523 Hafnerlied aus dem Grab Neferhoteps 416, 525 Inschrift Amenemophis III. 544 Inschrift des Hohepriesters Ptahmesu 544 Inschrift des Wesirs Montuhotep 544 Kairener Amunshymnus – 62–73 56, 533 f – 121–133 307, 538 f Kulttheologischer Traktat des Neuen Reichs 271, 545 Lehre des Amenemope – 1–12 192, 536 f – 479–484 176, 205, 536 Lehre des Ani – 135–139 224, 538 – 417–420 65, 535 f Lehre für Merikare – 312–334 93, 273, 526 f Mahnworte des Ipuwer – 5,5 154, 306, 540 Nilhymnus des Cheti – 11–16 39, 524 f Onomastikon des Amenemope 140, 526 Papyrus Carlsberg I – II, 20ff 388, 523 f Papyrus Chester Beatty – IV 57, 519, 537 – IV,272–281 264, 534 – IV,282–289 264, 534 – IV, 297–303 528 Papyrus des Anhaï 307 f, 539 Papyrus Leiden – I 350,15–25 57, 516 f Papyrus Salt 825 – I,1–6 154, 306, 541 Pyramidentexte – 486,13–22 92, 511 – 600,22–33 56, 511 f Sargtexte – 80 56, 512 f Stele Amenemophis III. 543 Tempelinschriften des Neuen Reichs 357, 547 Totenbuch – 17,1–11 56, 514
1. Stellen 761
– 100,5–10 308, 540 – 125,13–17 246, 536
Mesopotamien Altsumerischer Schöpfungsmythos 58, 549 Annalen Assurbanipals – I,1–7 179, 585 Anzu-Mythos – III 7–20 400 f Ark Tablet – *1–60 77, 556 f Atram-hasīs-Epos – I 189–247 93 f, 579 f – I 189–197 586 – III iii 28–54 124, 555 – III iv 4–11 124, 555 f BWL 88 – 276–280 35, 582 Enki und Ninmāh – 1–37 93, 578 f Enūma Anu Enlil – XVI 5–12 152, 154, 566 f Enūma eliš – I 1–20 57 f, 92, 550 – IV 19–30 58, 564 – IV 119–122f 295 f – IV 129–146 49, 53, 58, 301, 322, 396, 399, 560 – IV 141–146 58, 431, 562 – V 1–24 45, 136, 435, 565 – V 45–70 49, 53, 58, 301, 322, 396, 399, 560 – V 119–122 58, 431, 562 f – VI 1–40 93 f, 580 f – VI 61–66 58, 431, 562 ff – VI 129f 93 f, 580 ff – VII 99f 56, 353, 551 – VII 135 f Gebetsbeschwörung JCS 21 – 2–7.9 f 19, 264, 302, 306, 353, 575, 592 Gilgamesch-Epos – VIII 1–20 306, 584 f – IX 170–196 108, 596 – XI 114–127 124, 557 – XI 147–163 73, 121, 558
– XI 164–171 124, 557 f Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt – 1–13 58, 549 f Großer Šamaš-Hymnus 433, 569 ff Handerhebungsgebet Ištar 2 – 25 f 19, 593 – 40 f 19, 593 – 62–73 205, 208, 584 Herzberuhigungsklage JNES 33 – 290,17–24 208, 583 f Inschrift Asarhaddons – VI 37 f 68, 140, 568 f Ištars Gang in die Unterwelt – 1–24 379, 561 f – 40–44 379, 561 f KAR 4-Mythos 93 f, 582 Kodex Hammurapi – I 27–49 19, 270, 273, 590 f – XLVII 42–78 19, 270, 273, 591 – L 14–18 19, 270, 273, 591 – LVIII 95–98 19, 270, 273, 591 LAS – 125 64 f, 253, 588 – 143,4 64 f, 253, 588 Lied von der Hacke – 1–10 58, 93, 550 SAHG – 28 270, 273, 588 Siegeshymne auf Tukulti-Ninurta – 10–20 64 f, 586 f Sumerische Königsliste – 1–41 73, 253, 554 f Tempelbauhymne des Gudea von Lagasch – Zyl. A XI 11ff 369, 595 f Unterweltsvision eines assyrischen Kronprinzen – 64f 96 f, 598 Vasallenvertrag Asarhaddons – § 63 f 150 f, 577 f VAT 17019 – 30–43 259, 586
Kleinasien CTH 321 – A I 1–11 99 f, 599
762 Register – B I 17f 99 f, 600 CTH 324 – 1–20 152, 154, 600 CTH 345 3. Taf. – AIII 40–55 59, 598 f KUB 57.66 Rs. III 16 59, 598
Ugarit und Nordsyrien KAI 309 1–16 64 f, 253, 606 KTU 1.3 III – 20–31 434, 603 – 36–42 404 KTU 1.4 VIII 1–14 381 f KTU 1.5 I 1–7 404 f KTU 1.16 – I 11–23 255, 606 – III 1–17 97, 603 f – V 28–32 94, 605 f KTU 1.108 382 Philo von Byblos, Phönikische Geschichte – 10,1f 59, 601 f Weihinschrift des Jehawmilk von Byblos – 1–10 143, 604 f
h) Klassische Antike Griechenland Aristoteles – Metaphysik XII 7,1073a,4–14 120, 621 f – Physik II 1.192b,8–14 17, 621 DK 11 A 12 19, 45 f, 60, 615 DK 12 – A 10 616 – A 11 615 Diogenes Laertius, Vitae philosophorum – 7,148 17, 621 Euripides, Medeia, 1222–1229 208, 623 Heraklit, Fragmente 30f 435, 619 f Hesiod, Theogonie, 116–138 59, 377, 613 f Homer, Ilias – 18,239–242 416, 619 Homer, Odyssee – 1,48–54 59, 613 – 10,302–306 17, 619 – 24,1–14 384, 618 Pindar, Achte Phythische Ode 208, 622 Platon, Timaios – 28a–29a 19, 60, 616 f – 83e 17, 620 f
Iran Inschriften von König Dareios I. 60, 94, 608 ff Yasna – 44,3–5 133, 607 f – 45,2 429, 608
Palästina/Israel Ḫirbet Bēt Layy – Inschrift A 461, 611 Ketef Hinnom 144 f, 611 f
Rom Horaz, Oden, 4,7,16 208, 627 Lukrez, De rerum natura – 1,149 53, 623 – 5,416–508 60, 623 f Ovid, Metamorphosen – 1,5–20 60, 624 f – 1,21–31 60, 625 – 1,76–88 72, 627 f Plinius der Ältere, Naturalis historia – 2,1 625 f – 2,43 481, 626 – 18,1–5 626 – 37,205 625 f Vergil, Georgica – 2,475–489 480, 627
2. Sachen 763
2. Sachen Abend → Tag abstrakt/konkret 18, 28, 113, 173, 191, 193, 22037, 369 f, 436, 543, 636 Abstammung des Menschen → Mensch Abwendung → Gott Ähnlichkeit 62 ff, 89, 139, 271, 299, 487, 542 f, 588, 633, 635 f, s. auch Gottebenbildlichkeit Allmacht 7 ff, 281, 295, 435, 629, 668 Alltag(swelt) 12 f, 15, 18, 55, 168, 266, 331, 413, 431, 436, 508, 616, s. auch Fest(e) Altar 122, 348, 358, 495, 597, 600, 604 Ambivalenz 13, 53, 90, 125 ff, 220, 406, 409, 412, 429, 478, 663 Ameisen → Tier(e) Amt 252, 255, 25929, 544 Amulett 144 ff, 611 f Anerkennung 171, 174 ff, 258, s. auch Missachtung Anfang der Welt → Weltanfang Angesicht → Körperteile Anschauung 16 f, 50, 57, 150, 169, 177, 223 Anthropologie, anthropologisch 13 ff, 62, 187, 281, 320, 341, 374, 388, 391, 415, 436, 520, 542, 659 anthropomorph 112, 393 Anthropozän 463 f, 475117 Anthropozentrismus 30 f, 217, 246, 417 f, 432, 435, 473 ff, 527, 655, 658, 668 Apathie, Apathie-Axiom 115, 119 f, 127, 621 f Apokalyptik 29, 37, 152, 155, 241, 246, 541 Arbeit 71 f, 92 f, 99, 110, 117, 215, 306, 368, 424 ff, 471 f, 490, 499 f, 530, 550, 582 f – Arbeitsruhe 47, 71, 145, 234 ff, 361, 487, 521, 533 – Arbeitsteilung 223, 237 Arche 43 f, 70, 75 ff, 112 f, 121 f, 211, 235, 554, 556 ff arm, Armut 160, 173 ff, 208, 223, 269, 271 f, 289, 314, 346, 457, 469, 533, 573, s. auch reich Atem 1, 59, 92 f, 171, 179, 206, 221, 236, 408, 415, 429, 457, 466, 488, 570, 629 Auferstehung 8, 650
Aufmerksamkeit 113, 219, 274 f, 282, 412 Auge → Körperteile Außenwelt 15, 56, 88, 357, 453, 547, s. auch Innenwelt axis mundi 257, 370, 467, 563 Barmherzigkeit 9, 175 f, 178, 240, 266, 324, 435, 607, 629, 648, 665, s. auch Erbarmen; Unbarmherzigkeit Baum, Bäume → Pflanzen Bedrohung 118, 135, 150, 336, 401, 410 ff, 554, 583 Begrenzung des Meeres → Meer Behemot 213 f, 220, 405 ff, 412, 479, s. auch Tier(e) Bekenntnis 6, 7 ff, 24, 32, 246, 277, 314 ff, 327, 337, 343, 536, 672 Beter, Beterin 135, 180, 184 ff, 200 ff, 278, 343, 385 ff, 410, 419, 434, 534, 584, 501, 606, s. auch Gebet Bewahrung der Schöpfung → Schöpfung Bewegung 11, 14, 50 ff, 88, 155, 192, 272, 318 ff, 375, 410, 424, 442 f, 451, 521, 611, 617, 621 ff Bewusstsein 58, 109, 204, 235, 286, 478, 481, 534, 663, 667 Bildung 232, 414, 436, 449, 503, 508, 578, 657 Biographie 184, 441, 454, 544 Biotop 405, 424 Blut 70, 80 ff, 166, 216 f, 272, 390, 476, 481, 560, 579 ff, 620, 626 f, 646, 651, 656 Böse → Gut und Böse Brot → Nahrung Bund 3, 23, 44 f, 79 ff, 123 f, 163, 200, 211, 235, 314, 369, 399, 459, 473, 476, 612, 632, 637 Chaos 18, 135 ff, 373 ff, 329, 422, 430, 459, 463, 467 ff, s. auch Kosmos – Chaosbeschreibungen 51 ff, 155 f, 231 f, 507, 613 f, 624 – Chaosungeheuer 230, 398, 574 – Kampf gegen das Chaos → Chaoskampf – Kosmos/Chaos-Gegensatz → Kosmos
764 Register – Repräsentanten 214, 314 f, 392 ff, 411 f, 514 – Urchaos 315, 392, 514 Chaoskampf 391 ff – Altes Testament 336, 394 ff, 411 f, 461, 467, 470 – Ägypten 251, 401 f, 524 f – Kleinasien 402 f, 599 f – Mesopotamien 399 ff, 552, 560 ff, 591 – Ugarit 403 ff, 602 conditio humana 125, 172 creatio continua → Schöpfung creatio ex nihilo 34, 37, 53, 56, 462, 623, 628 f, 641 Credo → Bekenntnis Dank, Dankbarkeit 9, 180, 182, 184, 188, 202, 388 ff, 469, 626, 650, 655, 669 Demut 43, 345 ff, 668 f Denken 17, 23, 113, 115, 137 ff, 286, 306, 319, 444, 464, 510 f, 568 f, 608, 613 Dialog 60, 89, 102, 561, 616, 620 Diesseits 373 ff, 388 f, 410, 523, s. auch Jenseits; Unterwelt dominium terrae → Herrschaftsauftrag Dualismus → Leib/Seele-Dualismus Durst 165, 202, 424, 471, 499, 555, 600, s. auch Hunger Ebenbild → Gottebenbildlichkeit Ehre 175, 254, 268, 278 ff, 390, 649 f, 656, 660, 668 Ehrfurcht vor dem Leben → Leben Eid 160, 572 Eingebundensein 9, 475118 Eingeweide → Körperteile Einsamkeit/Zweisamkeit 100 f, 389, 513, 665 Einwohnung 317, 325, 360, 437 f, 442 ff, 548, s. auch Schekina Element(e) 1, 57, 286, 335, 416, 514, 552, 623 ff, 655 ff, 662 Emotionen 116 ff, 164, 192, 308, 622, 646 Empathie → Schöpfer Endlichkeit 11, 478, 626 Entsprechung 65 f, 101, 299, 360 f, 371, 544, 563
Epiphanie 265, 269, 534, 575 f Erbarmen 82, 123 f, 174, 237, 239, 632, 635, s. auch Barmherzigkeit; Unbarmherzigkeit Erbsünde 103 ff Erde → Weltbereiche Erdkreis → Weltbereiche Erfahrung, Erfahrungswissen 6, 9, 12, 14, 19, 23 ff, 105, 125, 131, 168 f, 173, 184, 198, 205 ff, 219, 238, 277, 315, 320, 337, 413 f, 428 f, 447 ff, 468 ff, 588, 616 Erhaltung → Schöpfung erinnern, Erinnerung → Gedächtnis Erkenntnis 23, 89 f, 99, 106 ff, 125 f, 166, 171 ff, 219, 265, 289, 393, 414 ff, 468, 520, 623, 658 Erleben 15, 17, 201, 658 Ernte VII, 122 f, 134, 157 ff, 215, 223, 318, 448, 466, 477, 503 Errettung → Rettung Erwählung 21 f, 263, 292 f, 321, 324 Eschatologie 197, 288, 324, 398, 447, 640, 648 f Essen und Trinken 9, 126, 203 ff, 226 ff, 368, 531, 600, s. auch Nahrung Ethik, Ethos 178, 232 ff, 244 ff, 436, 476 ff, 653 ff, s. auch Tierethik; Umweltethik Evolutionstheorie 4 ff Ewigkeit 1, 199, 259, 294, 305, 324, 340, 380, 385, 390, 415, 442, 492, 512, 558, 612, 632 Exil(szeit), Exulanten 7, 249, 278, 288, 315, 327, 339, 459 f, 521 Exodus 44, 184, 236, 253, 316 f, 322 f, 345, 357, 397, 417, 470 Familie 77, 145, 381, 573, 588 Fehlbarkeit 87 f, 106, 125 Feind(e), Feindschaft 17, 110, 126, 147, 169, 185, 200 ff, 259 f, 278 ff, 295, 396 f, 401, 411 f, 479, 527, 545 f, 573, 587, 593 f, 633 f, 646 f, s. auch Freund(e) Fest(e) 71, 148, 294, 306, 331, 402, 530, 551, 582, 599 Feuer 1, 11, 46, 55, 165, 199, 268, 305, 313, 383, 416, 493, 521, 616 f, 620 f, 624, 642, 648 f, 668
Finsternis → Licht Fleisch 43, 75 f, 80 ff, 100 f, 180 f, 204 f, 226, 322 f, 446 f, 568 f, 579 f, 650 Fluch 109, 117, 122 f, 143 f, 149 ff, 399, 419, 572, 577, 632, s. auch Segen Flut, Fluterzählungen – mesopotamische 72 f, 553 ff – nichtpriesterliche 111 ff, 466, 521, 555 – priesterliche 72 ff, 235, 466 Fortschritt 4, 20, 66, 474, 667 Frau 99 ff, 126, 293, 525, 530, 572, 627, 642, 649, s. auch Mann – weiblich, Weiblichkeit 57 f, 62 f, 77, 514, 605 f, 633 Freiheit 105, 171, 176, 217, 241 f, 537, 659, 662 ff Freude 148, 188, 254, 283, 390, 574, 608 ff, 622, s. auch Trauer Freund(e), Freundschaft 17, 124, 176, 212, 218, 278, 387, 412, 584 f, 622, s. auch Feind(e) Frevel 126, 268, 385 Frieden 123 f, 146, 307, 528, 543, 591, 604, 632, 644, 657, 669 – Tierfrieden, eschatologischer → Tier(e) Frucht, Fruchtbarkeit 19, 69, 95 f, 106 ff, 129, 138, 143 ff, 154 f, 159, 168, 191 ff, 254, 263, 270, 312, 351, 365, 395, 402, 454, 526, 567, 579, 588 f, 599 f, 641, 648 f, 662 Fülle 71, 90, 96, 126, 206 ff, 254, 270 f, 329, 338 ff, 348, 355, 365, 397, 407, 432, 467, 528, 595, 598, s. auch Gotterfülltheit der Welt Fürsorge 216, 274 f, 325, 381, 429, 528 Furcht 79 f, 157 f, 166, 244 ff, 268, 340 ff, 407 ff, 433, 511, 574, 622, 635, 649 Fuß → Körperteile Gebet 161 f, 182, 203, 240, 264, 331, 467, 540, 573 ff, 584, 592 f, 629, s. auch Beter, Beterin Geburt 105, 117, 188 f, 417 – aus Gott 36, 93, 253, 258 f, 286, 462, 541 f, 578 Geburtshelfer → Gott Gedächtnis, Gedenken 44, 74 f, 82, 113, 209, 281 f, 292, 312
2. Sachen 765
– erinnern, Erinnerung 74, 83, 135, 186 f, 202, 247, 281, 324, 396, 415, 558 Gefahr, Gefährdung(en) 107, 151 ff, 200, 244, 367, 429, 470, 662 – Gefährdungsbewußtsein 151 ff, 478, 528 Gefühle → Emotionen Gegenwart → Zeit, s. auch Vergangenheit; Zukunft Gegensatz 17 f, 60, 163, 257, 344, 511, 538, 619 ff Gegenwelt(en) 373 ff, 393, 395, 427, 523, s. auch Diesseits; Jenseits; Unterwelt Geheimnis 53, 180, 246, 263, 308, 377, 480, 633, 651, 661 Geier → Tier(e) Geist 51, 93, 166, 431, 473, 481, 551, 560, 608, 628, 643, 650, 666, s. auch Totengeist – heiliger 7 f, 241 ff Gelübde 390, 498 Gemeinschaft – der Geschöpfe 70, 100, 176 ff, 225, 243, 246 ff, 425, 448, 540, 665, 667 – des Lebendigen → Lebendige, das Genealogie(n) 46, 74, 513 Generation(en) 1, 55 ff, 82, 204, 362, 415, 525, 666 Geosoziologie 464 f, 666 f Gerechtigkeit 97, 144, 206, 213, 263 ff, 343 f, 405, 449, 571, 589 ff, 648, s. auch Recht Gericht 76, 124, 156 f, 197, 260, 264 f, 575 ff, 648 – Totengericht 246 Geschichte 21 ff, 55, 87, 106, 166, 249, 291 ff, 361, 442 ff, 613, 657 Geschlecht, Geschlechterrollen 89, 99 ff, 103, 305 Geschöpf, Geschöpflichkeit 31, 85, 172 ff, 187, 190, 205, 476, 478, 534, s. auch Mitgeschöpfe Gesetz 119, 134 ff, 151 f, 161, 334, 623, 640 f, 663, s. auch Natur (Naturgesetz) Gestalt 62, 104, 171, 338, 440, 446, 470, 518, 543, 581 f, 629 Gesten 144, 174, 308 Gesundheit 19, 148, 537, 626, 666
766 Register Getreide → Nahrung Gewalt 43, 57, 67, 73 ff, 116, 132, 211, 245, 284, 289, 302, 311, 326, 344, 385, 401, 524, 552, 615 f, 646, 655, 662 f Gewinn 87, 160, 196, 390, 415 f, 572 Gewissheit 185, 318 Glauben, Glaubenswissen 3 ff, 83, 190, 241 ff, 302, 319, 399, 453 ff, 640 Glück 196, 537, 623 Gnade 9, 113, 123, 147, 282, 324, 390, 436, 445, 604, 646, 656 Göttin 55, 93, 308, 320, 379 f, 521 f, 555, 602, 613 f Gott – Abwendung 429, 583 – Geburt aus Gott → Geburt – Geburtshelfer, Hebamme 36, 179 ff, 182, 187, 543, 555, 579, 586 – Gottesnähe/Gottesferne 91, 97, 125 f, 161, 182, 184, 186, 196, 278, 375, 426, 523 – Herrlichkeit Gottes → Herrlichkeit – Königsgott 29, 268, 315 ff, 333, 336 ff, 350, 370, 398, 419, 421, 454 ff – Ruhen Gottes 3, 47, 67, 70 ff, 235 f, 476, 521 – Schmerz Gottes 112 ff, 555 ff – Weltschöpfer → Schöpfer – Zuwendung 25, 126, 148, 171, 204, 282, 292, 308, 324, 342, 429, 527, 534 Gottebenbildlichkeit 43, 61 ff, 84 f, 458, 474, 527, 535 f, 542 ff, 586 f, 633, 636, s. auch Ähnlichkeit Gotterfülltheit der Welt → Welt Gottesgarten → Paradies Gottesstrom 366 f, 371, 461 Gras → Pflanzen Grenze 15, 18, 48 ff, 70, 109, 134, 136 ff, 286, 314 f, 327, 376 f, 380, 388 f, 401, 410 ff, 423, 430, 442, 467, 478, 524, 565, 615, 663 f, s. auch Begrenzung Gründungserzählungen, kulturelle 6 f Gut und Böse 89 ff, 106 ff, 125 f, 477, 635 Hades → Unterwelt (Griechenland) Hahn → Tier(e) Hand → Körperteile
Handeln, Handlung 25 ff, 68, 116, 127, 158 f, 173, 222, 251, 282, 324, 361, 447 f, 508, 543, 654 Hebamme → Gott Heil 22 f, 143 ff, 166, 269, 292, 335, 364 f, 466, 537, 591, 621, 627, s. auch Unheil – Heilsgeschichte 100, 184, 186, 234, 322 ff heilig, Heiligkeit 72, 145, 225, 230 f, 281, 352, 509, 598, 635, 651 Heiliger Geist → Geist Heiligtum 44, 72, 97, 195, 249, 309 ff, 331 ff, 357 ff, 437, 444, 515, 560 ff, 595, 606, 638, s. auch Tempel Herrlichkeit (Gottes) 22, 44, 163, 241 ff, 269, 309 ff, 338 f, 358 ff, 367 ff, 434, 445 ff, 636 f Herrschaft 49, 61 ff, 79 f, 96, 249, 251 ff, 334, 344, 456, 514, 543, 591, 593, 597, 610, 657 Herrschaftsauftrag 30, 49, 61 ff, 84 f, 285, 459, 473 ff, 636 Herz → Körperteile Hilfe 67, 99 ff, 183 f, 266, 272, 366, 571, 600 Himmel → Weltbereiche – Thron Gottes 256 ff, 297 ff, 333 ff, 437, 460 f Himmelsrichtungen 524, 568, s. auch Orientierung Hingabe 166, 265, 346 Hirte, guter 66 f, 273 ff, 288, 526 ff, 534, 554, 570, 585 ff, 643 ff Hoffnung 37, 175, 202, 241 f, 245, 318, 344, 407, 470, 534, 667 Horizont → Weltbereiche Hunger, Hungersnot 151 ff, 341 f, 503, 527, 540, 555, 561, 566, 600, s. auch Durst Hymnus, Hymnen 6, 21 f, 45 f, 57, 264, 301, 303 ff, 317 f, 353 f, 402, 419, 426 ff, 648 f Identität 8, 66, 83, 231, 438 Ikonographie 30, 143, 261, 264, 267, 302, 516, 548, 560, 604 imago Dei → Gottebenbildlichkeit Immanenz 30, 444 f, s. auch Transzendenz
Individualität, Individuum 93, 186, 190, 220, 320, 409, 454, 458, 583, 619, 621, 665 Inkarnation 445 ff Intelligent design 5, 45, s. auch Kreationismus Jahr, Jahreszeiten 78, 134, 233, 315, 318, 320, 327, 395, 402, 435, 525, 532, 565, 574, 630 f, 655 Jenseits, Jenseitsbereiche 373 ff, 523, 644, s. auch Diesseits; Gegenwelt(en); Unterwelt Jerusalemer Tempeltheologie → Tempel Jesus Christus 7 f, 446 f, 640, 643, 660 Kalender 47, 79, 148, 363, 631, s. auch Zeit Katastrophe(n) 85, 123, 151 ff, 312, 315, 317, 392, 458, 600 Kehle → Körperteile Keruben 104, 110, 186, 310, 329, 348 ff Klage 161 ff, 182 ff, 200 ff, 243, 302, 312 ff, 374, 386 ff, 461, 540, 557, 584 f, 606, s. auch Lob Klassifikation 229, 392 – Klassifikationsterminus 138 f, 228, 395 Kleiner Katechismus 7, 9, 24 Klima, Klimazonen 133, 195, 508, 655 Klimakrise 151, 477 f Klippschliefer → Tier(e) Klugheit 81, 398, 657, 662, 666 König, Königtum – Erschaffung 541 f, 586, 606 – himmlischer/s 252 ff, 339 ff, 370, 418, 422, 459 – irdischer/s 252 ff, 337, 544 – königlicher Mensch → Mensch – Königsgott → Gott – Königsideologie 65, 68, 93, 252, 255 ff, 268 ff, 278, 287 f, 291, 535, 541 f, 593, 608 Körper, Körperauffassung, 49, 62, 65, 113, 119, 181, 200, 205, 285, 380, 399, 509, 518, 543, 560 ff, 592, 610, 617, 621 f, 667, s. auch Leib Körperteile/Körperorgane 181, 285, 509, 560
2. Sachen 767
– Angesicht 110, 123, 145 ff, 202, 206, 254, 267 f, 272, 282 f, 307, 343, 381 f, 397, 407 f, 424, 429, 472, 490, 498 f, 530 f, 534, 538, 640 – Auge 9, 102, 108 f, 113, 147, 157, 177 f, 181, 240, 341 ff, 406, 426, 501, 512, 520, 532, 605, 635, 643, 650, 661 – Eingeweide 239 – Fuß 113, 122, 183, 200, 226 ff, 259, 284 f, 311, 346, 451, 531 ff, 589, 600, 633 – Hand 36, 79, 126, 143, 197, 286, 310, 432, 536, 552, 584, 602, 629 – Herz 113 ff, 157 ff, 178, 181, 193, 200, 205, 239, 342, 425, 513, 519 f, 613, 656 – Kehle 239 Kommunikation 389, 663 Konflikt 58, 81, 103, 124, 177, 294, 343, 555 konkret → abstrakt/konkret konstellativ, Konstellation 151, 212, 261, 393, 397, 399, 411, 461, 604, 631 Kosmos, kosmisch, kosmologisch 1, 17, 18 ff, 58 ff, 77 ff, 152, 161, 220, 246, 315, 335, 341 f, 352 ff, 376, 399, 412, 415 f, 467 f, 513, 540, 545, 563, 591, 616, s. auch Chaos – Kosmos/Chaos-Gegensatz 18 f – Lobpreis, kosmischer → Lob – Tempel als Kosmos → Tempel Kosmogonie 7, 55 ff, 251, 454 f, 510, 513, 528, 601 f, 613, 615 f, 623 ff Kreativität 406 Kreationismus 5 f, 45, 84, s. auch Intelligent Design Kreatur, Kreatürlichkeit 9, 67, 93, 100, 126, 188, 191, 200, 202, 205 ff, 222, 240 ff, 335, 425, 446, 472, 479, 556, 653, 658, 660, 665 f Kreislauf 23, 318 f, 416, 424, 429, 664 Krieg 67, 80, 151 f, 161, 217, 342, 382, 392, 535, 557, 589, 593, 601, 626, 640 ff, 657, 661 Krokodil → Tier(e) Krone der Schöpfung → Mensch Kult, kultisch 76, 79, 85, 97, 145, 229, 294, 300, 310, 320, 337, 347 ff, 370 f, 446, 467, 545 ff, 568, 571, 638 – Transformation 18673
768 Register Kunst 49, 58, 64, 77, 121, 180, 281, 306, 378, 400, 435, 451, 509, 521, 560, 581, 627, 657, 662 Lade 358, 362, 637 Landschaft, Landschaftsrelief 1, 57, 133, 151, 357, 508 ff, 535, 601 Leben, Lebendigkeit – blühende/s Leben 190 ff – Ehrfurcht vor dem Leben 658 f – Lebensatem 92 f, 171, 179, 206, 221, 429, 457, 466 – Lebensfülle 71, 90, 126, 206 ff, 365 – Lebensraum 3, 28, 46 ff, 61, 70, 75 ff, 125, 137, 156, 218, 229, 235, 258, 286, 301, 319, 335, 412, 421 ff, 430, 456, 464 ff, 666 – Lebenswelt → Lebenswelt, natürliche – Lebenszeit 208, 417, 529, 531, 533 – Lebewesen 5, 46 ff, 61 ff, 82, 92, 138 ff, 211, 306, 365, 430, 458, 464, 471 ff, 567, 591, 601, 621, 629, 656, 664 ff – zerbrechendes Leben 190 ff, 469 Lebendige, das – Gemeinschaft des Lebdigen 463, 471 ff, 653 Lebensbedingungen, natürliche X, 105, 465 Lebensformen, kulturelle 153, 464, 660 Lebenswelt, natürliche 3, 16, 18, 27, 61, 81, 129, 132 ff, 151 ff, 172, 212 ff, 230, 266, , 266, 367, 370, 410 ff, 425, 448, 464, 468, 480, 508 ff – Gefährdungen 151 ff, 161, 168, 367 ff Legitimation 66, 253, 542 Lehm 93, 132, 536, 556, 561, 579 f, 582, 605 f, 634, 650 Lehre 1, 32, 55, 131, 221 ff, 435, 450, 526, 537, 655 Leib, Leiblichkeit 9, 17, 65, 93, 149, 179 ff, 192 f, 239, 400, 402 f, 541, 544, 563, 646, s. auch Körper – Leibsphäre 200 ff, s. auch Sozialsphäre Leib/Seele-Dualismus 93, 458 Leiden 9, 131 f, 161 ff, 209, 213, 219, 243 ff, 342, 388, 412, 479, 508, 528, 537, 593, 613, 622, 654 ff Leidenschaft 119, 209
Leuchter 362 f, 371 Leviatan 213 f, 220, 230, 314 f, 391 ff, 405 ff, 461, 472, 479, 500, s. auch Behemot; Tier(e) Licht 97, 153 ff, 199, 263 ff, 306 f, 356, 362 ff, 420 f, 426, 523 f, 529 f, 549 f, 570 ff, s. auch Finsternis Licht/Finsternis-Gegensatz 17 ff, 47 ff, 133 ff, 325 ff, 376 ff, 432, 534, 575 Liebe, lieben 127, 159, 163, 171, 198 f, 217, 239, 344, 480, 543, 589, 614, 627, 646 f, 664, 668 Listenwissenschaft 140, 228, 306, s. auch Taxonomie Lob, Lobpreis 9, 26, 182, 186, 266, 285, 342, 390, 419, 441, 450, 530, 635, 668, s. auch Klage – kosmischer Lobpreis 31, 224, 243, 303 ff, 432, 538 f, 651, s. auch Trauer Logos 59 f, 445 ff, 511, 620, 635, 645, s. auch Mythos Maʾat 251, 449, 512, 533, 545 Macht 7 ff, 18, 22, 68, 135, 153 ff, 193, 214, 260 ff, 283, 325 ff, 357, 370, 378, 406, 423, 471, 547, 564, 627, 634, 657, 662 Mahl, Mahlgemeinschaft → Nahrung Mann 100 f, 110, 126, 223, 364 f, 538, 549, 643, s. auch Frau – männlich/weiblich 57 f, 63, 77, 514, 633 Maß der Schöpfung → Schöpfung Maße 134, 376, 431 f, 436, 451 mediatrix Dei → Weisheit Meer 47, 58, 195, 213, 226, 285 f, 325, 348 ff, 388 f, 396 f, 510, 601, 620 – Begrenzung 133, 136 f, 157 f, 167, 422, 462 – Kampf 411, 461, 470, s. auch Chaoskampf Meereskampf → Meer Mensch – Abstammung 4, 261, 609 – Bild Gottes → Gottebenbildlichkeit – königlicher Mensch 278 ff – Krone der Schöpfung 221, 473, 475 Menschenschöpfung → Schöpfung
Merismus 47, 50, 91, 305, 428, 465 Metapher, Metaphorisierung 65, 97, 134, 190 ff, 212, 243, 259, 273, 281, 348, 390 f, 469 Meteorologie 213 f, 412 mîn „Art“ → Klassifikation Mitgeschöpfe, Mitgeschöpflichkeit 81, 117, 211 ff, 240, 247, 471, 476 ff, 665 Mittler, Mittlerin 255 ff, 271 f, 287 ff, 393, 437 ff, 545, 555 Mischwesen 393, 400, 583 Mond 11, 30, 45, 134, 281, 294, 323, 360, 417, 425, 549, 552, 565, 601 f, 616, 626, 655, 668, s. auch Sonne; Stern, Sterne Monotheismus 59, 229, 291 ff Moral 174, 212, 431, 475, 621, 632, 646, 655, 657 f, 664, 666 Morgen → Tag Mutterleib 179 f, 182 f, 187 f, 239, 260 f, 293 f, 512, 531, 556, 579, 585 f Mythos, mythisch 6, 18, 23 f, 45 f, 54 ff, 87 ff, 95, 132, 230, 261, 312 ff, 326 ff, 376 ff, 392 ff, 432, 455, 470, 510 f, 521, 541, 575, 583, s. auch Logos Nacht 17 f, 46 ff, 96, 123, 132, 134 ff, 156, 192, 257, 266, 281 f, 363, 388 f, 401, 426 f, 434 f, 477, 521, 523, 583 ff, 668, s. auch Tag Nacktheit 89, 102, 106, 109 f, 517, 602 Nahrung, Nahrungszubereitung 9, 21, 67, 70, 77, 85, 99, 108, 149, 205, 216 f, 223, 323 f, 425 f, 521, 569, 615, s. auch Essen und Trinken – Brot 110, 148, 178, 202 ff, 269, 424 f, 462, 525, 528, 549, 604 – Feige 102, 109, 166, 168 – Getreide 98, 159, 165, 197, 240, 271, 368, 498, 567, 573, 588, 600 – Kochen 233, 473, 557 – Mahl, Mahlgemeinschaft 97, 574, 600 – Milch 180, 228, 233, 245 f, 473, 585, 588, 619 – Trauben 596 Name, Namengebung 34, 36, 74, 95 ff, 100, 110, 165, 188 f, 211, 280, 311, 351 ff, 456 f, 527, 544, 551, 612, 651
2. Sachen 769
Natur, Naturordnung – Natur und Schöpfung 16 ff, 83 ff, 131 ff, 156 ff, 167, 211 ff, 319 Naturgesetz 12, 134, 161, 448, 616, 621 Naturwissenschaft 7 ff, 48, 84, 631 Nekropole 374 f Neuschöpfung → Schöpfung Nilpferd → Tier(e) Not 9, 79, 118, 152, 161, 184, 187, 202 ff, 313, 341 f, 368, 389 f, 411, 468, 470, 527, 534, 566, 584, 600, 603, 656 Numinosität 31 Ökosystem 151, 472, 535 Offenbarung 23, 222, 241 f, 318, 361, 435, 438, 440, 446 f Opfer, Opferkult 211, 311, 505, 558, 570, 573, 575, 585, 638, 659 – Opfertier(e) → Tier(e) Ordnung 12, 17 ff, 46, 67 ff, 133 ff, 220 ff, 413, 436, 465, 540, 617 – kosmische 53, 96, 135, 137 f, 263, 315, 317 ff, 347 ff, 400, 405, 429 ff, 453, 467, 510, 603, 617, 625, 662 – kultische 347 ff, 467, 575 – Ordnungsdenken 137 ff, 147, 306, 569, 608 – Ordnungsformen 17 f – Naturordnung → Natur – soziale 26, 448, 575, 593 – Weltordnung 26, 79, 137 ff, 167 ff, 286 ff, 405, 414 ff, 551, 589, 608, 619 f Ordnungsdenken → Ordnung Organ, Organismus 4, 68, 158, 181, 285, 520, 620, 654 Orientierung 15, 18, 67, 106, 126, 278, 480, 537, s. auch Himmelsrichtung(en) Pantheon 550, 565, 571, 601 Paradies, Paradieserzählung 87 ff, 94 ff, 99 ff, 125 f, 324, 348, 350, 365, 367, 371, 457 ff, 521, 567 f, 597, 644, 666 Person, Personbegriff, 57 f, 100, 104 f, 163, 180, 184, 187, 205, 242, 272 Personifikation 288, 303, 308, 393, 399, 428, 434, 437 ff, 459, 461, 519, 528, 533, 560, 583
770 Register Personenname → Name personae miserae 174, 176 Pferd → Tier(e) Pflanzen, Pflanzenwelt 16 f, 30, 47, 55, 84, 92, 133, 138 ff, 190 f, 199, 205 ff, 235, 304 ff, 355, 414 f, 430, 438, 464 ff, 471 f, 525 f, 559, 582, 589, 619, 621, 653, 664 – Baum, Bäume 89 ff, 99 ff, 122, 129, 138, 140, 151 ff, 168, 191 ff, 207, 303 ff, 351, 365, 424 f, 472, 530, 537, 567, 589, 596, 603, 641, 653 – Gras 70, 199, 203 ff, 268, 406, 424 f, 550 Phantasie 244, 357 Pharao 262, 267, 354 f, 406, 525, 540 f, 546, 548 Plan 107, 113, 154, 199, 219, 257, 342, 381, 399, 496, 505, 519, 532, 562, 580, 624 Planet 11, 14, 453, 474 Politik 26, 68, 147, 167, 249, 251, 273, 294, 317, 459, 477, 510, 542, 568 f, 667 Priester, priesterlich 7 f, 43 ff, 112 ff, 141, 144 ff, 207, 225, 260, 270, 2 94 f, 325, 331, 362, 445, 455, 466, 537, 544 f, 553, 562, 575 f, 587 f, 592, 598, 601, 611, 632, 637 ff Priesterschrift 21, 43 ff, 292, 325, 357 ff, 459, 466 Prophet, Prophetie 22, 29, 51, 76, 131, 142, 152, 153 ff, 233, 265, 273, 310, 342, 370, 491 ff, 503, 637, 640 f – Sozialkritik 166 Psalmen, Psalter 21 f, 39, 131, 191, 193, 207, 252 ff, 292, 324, 378, 389, 434, 456, 459, 466, 497 ff, 643, 648 Raum 3, 17 ff, 46 ff, 77, 135, 137, 158, 177, 218, 257 f, 310, 320, 357, 360, 374 ff, 385 ff, 421 ff, 463 ff, 517, 523 f Recht, Rechtsprechung 142, 160, 189, 213 ff, 220, 239, 246, 265 ff, 287, 478, 536, 545, 565, 572, 591 ff, 665, s. auch Gerechtigkeit; Richter – Rechtsnot 468, 534 Regen 92, 98, 142, 150 f, 159, 213, 268 ff, 421, 425, 552, 604
Regeneration 350 Reinheit – Rein und Unrein 18 f, 134, 205, 225 ff, 389, 634 – Reine/unreine Tiere → Tier(e) Resonanz 175, 303, 308 Respekt 175, 224, 237, 246 Rettung 25, 73, 132, 144 ff, 184, 272, 292, 312, 317, 319 ff, 327, 342, 366, 388 ff, 477, 522, 543, 666 Reue 113 ff, 127, 154, 634 Rezeption 32, 257, 261, 265, 315 f, 324, 357, 427, 553, 646 Reziprozität 151, 419, 449, 528 Richter 256 ff, 264, 287, 300, 342, 468, 572, 575, 589, 591 f, 640, s. auch Gerechtigkeit; Recht Rippe 100 f Ritual, Ritus 225, 230, 264, 352, 510, 546, 548, 592, 637 Ruhetag, Ruhetagsgebot 71, 233, 234 ff, 473, s. auch Sabbat Ruhen Gottes → Gott Rhythmus 161, 318 f, 323, 363, 417, 430, 435, 525 Sabbat, Sabbatgebot 71, 234 ff, 417, 473, 636, s. auch Ruhetag Salbung 253, 256, 278, 599 Scham 101 ff, 162, 203, 266, 314, 469 Scheol 230, 373 ff, 379, 384 ff, 410, s. auch Unterwelt Schekina 437 ff, s. auch Einwohnung Schlange → Tier(e) Schmerz 107, 110, 232, 521, 643 – Schmerz Gottes → Gott Schönheit X, 1, 14, 135, 306, 417, 453, 534, 549 Schöpfer – Empathie 121 ff – Macht, universale 68, 249, 286, 297, 299, 302, 325 ff – Schöpferwort 445 ff, 450, 533 – Weltschöpfer 10, 156, 221, 291 ff, 326 ff, 458, 542, 640 Schöpfung – aus dem Nichts → creatio ex nihilo
– Bewahrung 83, 112, 122, 263, 287, 456, 471, 476 ff – durch das Wort 54, 57, 60, 340, 460, 504, 519 – Erhaltung (creatio continua) 9, 11, 24, 158, 323, 325, 396, 454, 477 f, 528, 601, 630 – erneuerte Schöpfung 237, 416, 429 f, 461, 608, 666 – Forschungsgeschichte 20 ff – Maß 15, 134, 222, 343, 376, 417, 430 ff, 462, 560, 616, 645 – Menschenschöpfung 33 f, 60, 92 ff, 172 ff, 454, 456 ff, 578, 583, 605 f, 608, 622 – Natur und Schöpfung → Natur – Neuschöpfung 181, 345, 429, 461 – Schöpfungsglaube 3 ff, 7 ff, 44, 167, 173, 294, 319, 414, 453 ff – Schöpfungsherrschaft 251 f, 287, 546 – Schöpfungsmittlerin → Weisheit – Schöpfungsnamen 188 ff, 456 – Schöpfungstermini 32 ff, 459 – Schöpfungstexte 32 ff, 454 ff, 485 ff – Weltschöpfung 22, 33 f, 59, 88, 173, 259, 291 ff, 321 ff, 357 ff, 399 ff, 444, 455 ff Schöpfungsherrschaft → Schöpfung Schuld 103 ff, 160 ff, 233, 474, 581, 653, s. auch Unschuld Schutz 52, 66, 135, 144, 184, 232 ff, 258, 300 f, 377, 393, 526 f, 589, 602, 619, 653 ff Schweigen 15, 142, 177, 185, 374, 389, 426, 516, 623 Seeungeheuer → Tier(e) Segen 8, 25, 30, 44, 70, 74 ff, 142 ff, 255 ff, 287, 419, 585, 589, 604 f, 650, s. auch Fluch Segensmittler 255 ff, 287 Selbstverhältnis 17, 464 Septuaginta 95, 115, 119 f, 198, 460, 628 f Sinai 44 f, 85, 145, 265, 321, 358 ff Sinnhaftigkeit 13, 133, 414, 476 Sklave, Sklavin 196, 234 ff, 655 f Solare Symbolik → Symbol Sonne 1, 11, 30, 45, 134 ff, 207, 263 ff, 302, 323, 415 ff, 526, 616, 627, 647 f, 667 f, s. auch Mond; Stern, Sterne
2. Sachen 771
– Aufgang 15, 132, 261 ff, 356 ff, 425 f, 508, 511, 514, 534, 548, 570 – Sonnenkind 57, 517 – Sonnenlauf (Ägypten) 302, 401 ff, 426 f, 434, 523, 527 Sonnengott – Ägypten 56, 261 ff, 306 ff, 356 ff, 380, 401 ff, 514, 521 f, 528 ff, 539, 542 ff – Mesopotamien 68, 132, 264, 549 ff – Ugarit 133 f, 510, 603 ff Soteriologie 23 ff, 318, 341 Sozialkritik → Prophetie Spezies 4, 138 f, 201, 228, 395, 475, s. auch Klassifikation Staat 189, 251, 253, 510, 540, 545, 641 f Stabilität 134, 137, 161, 167, 287, 320, 327, 343, 369, 376, 398, 429, 456, 467 ff, 569 Stadt 73, 132, 149, 151 f, 177, 244, 267, 329, 332, 338, 364 ff, 380 ff, 461, 535, 552, 591, 594, 643 Statue Gottes, lebendige → Gottebenbildlichkeit Staub 92, 110, 150 f, 180, 199, 202, 205 ff, 219 f, 298, 375, 379, 388, 410, 561, 627, 634 Staunen 280, 354, 480 f, 596 Sterben 74, 107 ff, 151, 319, 430, 533, 540, 606, 650, 665 f, 669, s. auch Tod – Sterblichkeit 38, 89 f, 606, 613, 617, 619, 623, 635, s. auch Unsterblichkeit Stern, Sterne 279, 281, 304, 306, 322 f, 363, 435 f, 486, 552, 565, 598, 601, 603, 668 Steppe 132, 194, 207, 215, 364, 373 ff, 388 f, 498, 509, 552, 554, 573, 585, 630, s. auch Wüste Strafe 106, 110, 116, 120, 244, 385, 572, 581, 623, 629 Strauß → Tier(e) Streit 55, 160, 314, 403, 475, 521, 567, 581, 593, 625 Sünde 8, 85, 103 ff, 153 ff, 241, 430, 536, 592, 637, 646, 660, 669 Sündenfall 87 ff, 103 ff, 567 Symbol, Symbolik, symbolisch, 8, 16, 18, 76 ff, 96, 141 ff, 205, 257 ff, 263 ff, 305, 318, 333 ff, 347 ff, 507, 509, 545, 548, 559, 602, 644
772 Register – kosmologische Symbolik (Tempel) → Tempel – solare Symbolik 263 ff Symbolsystem, religiöses 38, 225, 228 ff, 245, 255, 329 ff, 373, 447, 461, 508 Tag, Tageszeiten 46 f, 164, 167, 266, 302, 315, 320, 327, 355, 363, 376, 425, 550, 566, 569, 573, s. auch Nacht – Abend 122, 132, 135, 302, 304, 362 f, 380, 391, 425 f, 510, 548, 596, 608, 661 – Abend/Morgen-Theorie 4853 – Morgen 15, 132, 134 f, 208, 213, 260 f, 264 ff, 302, 356, 362 ff, 391, 425, 508, 525, 530, 534, 575 ff, 596 Taube → Tiere Tun/Ergehen-Zusammenhang 134, 178, 438, 447 f Taxonomie 69, 139 f, 228, 231, 280, 285, 568, s. auch Listenwissenschaft Tempel, Tempeltheologie 7, 30, 95, 97, 145, 262, 310 ff, 331 ff, 389, 400, 437 ff, 445 ff, 514 f, 537 f, 547 ff, 583, 637 – Jerusalem 331 ff, 393, 461, 637 – kosmologische Symbolik 352 ff Theodizee 582 Theogonie 56, 58 ff, 377, 601, 613 ff Theologisierung der Weisheit → Weisheit Theophanie 265, 267, 326, 434 Thron → Himmel Tiefe 28, 32, 168, 180, 213, 264, 303 ff, 332, 338, 344, 374 ff, 387 ff, 402, 410, 428, 444, 552, 603, 613, 615 Tier(e) 49 ff, 61 ff, 83 ff, 99 ff, 138 ff, 200, 202, 211 ff, 282, 285 f, 306, 368, 409, 425 f, 462, 473, 476, 479, 526 f, 569, 575, 621, 631, 651, 653 ff – „ältere Brüder“ (Herder) 657 – Ameisen VIII, 142, 222 ff – Geier 52, 178, 208, 214, 216 f, 226, 228, 246 – Hahn 141, 214, 661 – Klippschliefer 226 ff – Krokodil 220, 394 f, 406, 408, 537, s. auch Leviatan – Löwe 141, 183 ff, 200 ff, 221, 246, 349, 400, 425 ff, 500, 552, 576, 589, 609, 629
– – – – – –
„Maschinen“ (Descartes) 245, 654, 658 Nilpferd 220, 405 ff, s. auch Behemot Opfertier(e) 211, 230, 245 f, 516, 558 Pferd 214 ff, 609, 655 f, 659, 661, 663 Reine und unreine Tiere 225 ff Schlange 89, 104, 108 ff, 154, 200, 393 f, 398, 401, 403 f, 461, 479, 567, 599 f, 602, 642 – Schwein 226 ff – Seeungeheuer 138, 304 f, 394 f, 398, 411 – Stier 150, 200 ff, 229, 348, 569, 589 – Strauß 208, 214 ff, 226, 559 – Taube 112, 121 f, 134, 142, 159, 230, 246, 314, 558, 584, 589, 643 – Tierethik 232 ff, 479, 653 ff, 657 f, s. auch Umweltethik – Tierfrieden, eschatologischer 288 f – Tierrechte 213 ff, 239, 479, 656 – Tierschutz 70, 232 f, 244, 653, 655, 658, 665 – Wurm 113, 119, 183 ff, 202, 208, 384, 520 Tierethik → Tier(e) Tierfrieden → Tier(e) Tierrechte → Tier(e) Tierschutz → Tier(e) Tod, Todesnähe 18 f, 38, 76, 80, 83, 105, 107, 135, 185, 193, 198, 205 ff, 273, 277, 311, 341 f, 375 ff, 523, 534, 541, 557, 567, 629, 631, 633, 643, 646, 656, 662, 669, s. auch Sterben Totengeist 96, 375, 573, 592, 598 Totengericht → Gericht Totenreich → Unterwelt Töpfer 92, 256, 536, 541, 649 Topographie 366, 384 Tor zur Unterwelt → Unterwelt Tora 24, 29, 33, 159, 192 f, 197 f, 231, 257, 342, 380, 434, 438, 441 Träne 93, 202, 530, 578, 643 Transformation des Kultischen → Kult Transzendenz 11, 15, 105, 281, 302, 440, 444, s. auch Immanenz Trauer, Trauerriten 107, 154, 156, 161 ff, 390 f, 496, 664, s. auch Freude – Trauer, kosmische 306, 540, 584 f Trauma 123
Treue 127, 305, 339 ff, 388, 390, 397, s. auch Untreue Trinken → Essen und Trinken Übergang 15, 57, 60, 118, 276, 302, 373, 391 Umsicht 223, 478, 572, 667 Umwelt 17, 30, 132, 510, 540 – Umweltethik 245, 473 ff, 653 ff, 657 f, s. auch Tierethik Unbarmherzigkeit 239, 640, 660, 665, s. auch Barmherzigkeit; Erbarmen Unendlichkeit 12, 15, 401, 432, 519, 529, 532, 622, 624, 626, s. auch Endlichkeit Universalität 12, 27, 68, 145, 243, 285 f, 297, 325 ff, 345 f, 444, 611, 620, 654 Universum 12 ff, 511 Unreinheit → Reinheit Unschuld 103, 106, 174, 571, 656, s. auch Schuld Unsterblichkeit 38, 89 f, 606, 617, s. auch Sterben, Sterblichkeit Unterwelt 132, 209, 213, 230, 352, 374 ff, 432, 630, s. auch Scheol – Ägypten 354, 380, 401 f, 523 ff – Griechenland 382 ff, 618 ff – Mesopotamien 352, 379 f, 404, 509, 549 ff – Rom 627 ff – Tor 378 ff – Ugarit 381 f, 510, 601 ff Unverfügbarkeit 197, 481 Urgeschichte 3, 32, 38 f, 43 ff, 211, 454, 462 – nichtpriesterliche 87 ff, 457 f, 466, 477 – priesterliche 43 ff, 458, 466 Urhügel 56, 335 f, 514 f, 551 Ursprung 6, 17, 28, 56, 59 f, 65, 95 f, 158, 319, 335, 436, 443, 514, 567, 615 Urzeit, mythische 73, 312 ff, 411, 422, 470, 513, 549, 551, 583 Utopie 80 Vegetation 168, 300, s. auch Pflanzen Veränderlichkeit, Veränderung 4, 53, 85, 120, 124, 127, 168, 177, 237, 347, 475, 523, 560, 581, 620, 654 Verantwortung 66 f, 102, 246, 275, 478 f, 536, 660, 662
2. Sachen 773
Verbot 80, 85, 89, 103 ff, 227, 230, 233, 240, 311, 473, 476 Vergänglichkeit 1, 199, 204 f, 207 ff, 241 f, 416, 470, 525, 584, 627 Vergangenheit → Zeit Vergegenwärtigung 331, 371, 467, 619 Vergeltung 111, 407, 629 Verheißung VII, 81, 112, 253, 274, 278, 288, 310 f, 345, 369 f, 465, 467, 477, 541, 637 Vernichtung 72 f, 83, 113 ff, 239, 324, 396, 402, 477, 521, 555, 557 f Vernunft, Verstand 9, 12, 14, 114, 119, 140, 157 ff, 174, 239, 245, 398, 551, 629, 632, 654 ff Versorgung 28, 161 f, 276 f, 315 f, 322 ff, 396, 419, 421, 425, 428, 454, 461, 471 Vertrauen 182 ff, 277 f, 288, 341 ff, 448, 481 Verwandtschaft 100 ff, 660 Vision 76, 96, 153 ff, 249, 310, 333, 364 f, 371, 417, 451, 467 f, 598, 642 Volk 76, 124, 142, 156 ff, 231, 256 ff, 271 ff, 310, 340 ff, 359 ff, 431, 437 ff, 508, 605, 640, 643 Vorwelt, Vorweltschilderung 50 ff, 83, 88, 92, 155, 352 f, 439, 458, 465, 476, 512 Wahrheit 6, 144, 222, 254, 272, 397, 445, 449, 529, 533, 595, 610, 651 Wahrnehmung 15, 17, 28, 31, 84, 118, 131 f, 153, 175, 217, 219, 223, 245, 308, 318, 326, 394, 412, 447 f, 481, 601, 610, 663 Waise → Witwen und Waisen Wasser 48 ff, 94 ff, 111 ff, 152, 161 ff, 191 ff, 208, 226, 286, 315 f, 348, 364 ff, 389, 394, 402, 421 ff, 465, 509, 526, 550 ff, 560 ff, 592, 614 f, 647, 668 weiblich, Weiblichkeit → Frau Weisheit 22 ff, 131, 138 ff, 172 ff, 221 ff, 342, 413 ff, 497 ff, 528, 552, 556, 591, 610, 620, 631 ff, 645, 651 – edukative 413, 437 – Erfahrungswissen → Erfahrung – Schöpfungsmittlerin 437 ff – Theologisierung 30, 436, 449 Welt – Gotterfülltheit 338, 370, 529
774 Register Weltanfang 6 f, 12, 28 f, 41 ff, 55, 73, 87, 180, 190, 317, 320, 334, 351, 361, 394, 417, 423, 439, 446, 454, 502, 507, 514, 557, 598, 601, 613, 615, 617, 624, 628, 634, 646, 664, s. auch Gründungserzählungen; Weltentstehungsmythen Weltbereiche 338, 370, 539, 568 f, s. auch Meer; Wüste; Unterwelt – Erde 1, 11, 15, 47, 50 ff, 83 ff, 125 ff, 134, 258, 292, 301 ff, 323, 332, 338, 451 ff, 463 ff, 517 ff, 523, 545, 549 f, 552, 569, 601, 616, 625, 647 ff – Erdkreis 54, 254, 259, 297, 301, 333 ff, 370, 397 f, 434, 439, 451, 456, 467, 497, 504, 625, 642 – Himmel 4, 8, 11 ff, 47, 134, 272, 280 ff, 303 ff, 339 ff, 358 ff, 384, 398, 419 ff, 451 ff, 513, 521, 529, 545 ff, 552, 563, 569 ff, 616, 639, 647 – Horizont 58, 136, 173, 300 ff, 326, 344, 355, 444, 534, 547 f, 565 Weltbild 12 ff, 16, 139, 318 f, 414, 437, 447 ff, 523, 527, 559 – biblisches 16 ff, 45, 133, 167 f, 222, 318 f, 447 ff – kopernikanisches 12 ff – ptolemäisches 11 f, 15 Weltende → Weltuntergang Weltentstehungsmythen 54 ff, s. auch Weltschöpfung – Ägypten 55 ff, 516 ff – Griechenland 59 f, 613 ff – Iran 60 – Kleinasien 598 f – Mesopotamien 45, 49, 57 ff, 93, 396, 399, 411, 550 ff – Rom 60, 623 ff – Ugarit 59, 601 ff Weltordnung → Ordnung Weltschöpfung 22, 33 f, 88, 173, 259, 291 ff, 321 ff, 357 ff, 444, 454, 456, 611 f, 629, 640, 647 Weltuntergang 467, 521, 553, 608, 648 Weltverhältnis 17, 481 Wert 17 ff, 145, 174, 176, 190, 417, 426, 448, 658, 665
Wettergott 59, 317, 349, 396, 400 ff, 509 f, 566, 599 f, 602 f Wiederherstellung 105, 236, 416 f, 666 Wiederholung 14, 122, 417, 554, 567, 603 Wille 4, 114, 127183, 176, 201, 239, 292, 350, 440, 480, 522, 585, 619, 662, 669 Wind, Windhauch 1, 50 ff, 76, 81, 109, 129, 134, 207 f, 312, 398, 416, 552, 601, 608, 668 Wirtschaft 4, 237, 287, 455, 509 f, 516, 551 Wissen 6, 46, 59, 90, 106 ff, 141 ff, 159, 172 ff, 198, 219 ff, 237 f, 299 ff, 413 f, 436 ff, 526, 632, 651 Witwen und Waisen 160, 174, 591 Wohlergehen 20, 144 f, 149, 312, 591, 607 Wohlgefallen 267 f, 368, 389 f, 505, 643 Wohnstatt Gottes 58, 331 ff, 561 – himmlische → Himmel – irdische → Tempel Wortschöpfung → Schöpfung Würde 208, 261, 286, 473, 646, 660 Wüste 14, 98, 135, 155, 166, 194, 203, 205, 208, 230, 242, 270, 302, 304, 315, 322 f, 331, 357 f, 380, 388 f, 453, 467, 469, 508, 630, s. auch Steppe Wunder 14, 158, 179, 219, 311, 321, 325, 390, 397, 453, 480, 505, 623, 635, 666 Wunsch 144, 146, 377, 430, 574, 598, 627 Wurm → Tier(e) Zeichen 82 f, 124, 235, 283, 302, 313, 363, 447, 541, 543 f, 580, 592, 647, 654 Zeit, Zeitauffassung 18, 291 ff – Gegenwart 6, 28, 67, 158, 168, 186, 202, 266, 294, 312 ff, 327, 334, 336, 370, 464 f, 474 ff, 563 – natürliche 18, 134, 320, 327, 414 – soziale 26, 448, 575, 593 – Urzeit, mythische → Urzeit – Vergangenheit 41, 186, 202, 320, 480 – Zeitrechnung 435, 631, 648, s. auch Kalender – Zukunft, Zukunftsgewissheit 6, 75, 82, 244 ff, 288 ff, 294, 310, 336, 364, 370, 550, 574, 580 Zelt der Begegnung, Zeltheiligtum 44, 357 ff, 442 ff, 638
Zentrum 15, 23, 96, 338, 509, 514, 551, 562 f, 589, 616 Zerstörung 30, 105, 151 ff, 161 ff, 244, 312, 472, 535, 540 Zeugung 55, 57 f, 74, 101, 103, 258, 616 Zion 33, 163, 232, 256, 262, 266, 289, 293, 300, 308 ff, 325 f, 339, 342, 350, 367, 441 ff, 454 ff, 611
2. Sachen 775
Zivilisation 55, 509, 549, 655, 667 Zorn 114 ff, 123, 154, 203, 239, 256, 260, 311, 387, 448, 622, 634 Zukunft, Zukunftsgewissheit → Zeit Zuwendung → Gott Zweisamkeit → Einsamkeit