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German Pages 344 Year 1988
THEOHARIS DALAKOURAS
Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre
Sc~enzurnn S~echt
Heft 74
Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre unter besonderer Berücksichtigung der Grundrechtsproblematik sowie des griechischen Rechts
Von Dr. Theoharis Dalakouras
Duncker & Humblot . Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Dalakouras, Theoharis: Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre : unter bes. Berücks. d. Grundrechtsproblematik sowie d. griech. Rechts / von Theoharis Dalakouras. - Berlin : Duncker u. Humblot, 1988 (Schriften zum Strafrecht; H. 74) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1986 ISBN 3-428-06383-X NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41
Satz: Hagedomsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06383-X
Vorwort Die vorliegende Abhandlung wurde im Dezember 1985 abgeschlossen und im Sommersemester 1986 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind im wesentlichen bis Anfang 1986 berücksichtigt, spätere Veröffentlichungen, soweit möglich, in den Anmerkungen nachgetragen Meine ganz besondere Verpflichtung gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dietrich Oehler. Seine Aufgeschlossenheit und sein Interesse haben mich bei der Wahl des Themas ebenso wie bei dessen Bearbeitung in zahlreichen Gesprächen vorbildlich ermuntert und unterstützt. Herrn Dr. Paul Burian verdanke ich ebenfalls hilfreiche kritische Hinweise und vielfache Unterstützung. Dank gilt auch meinen Lehrern aus den Universitätsjahren in Griechenland, Herrn Prof. Dr. Argyrios Karras, Herrn Prof. Dr. Stergios Alexiadis und Herrn Prof. Dr. Dionysios Spinellis für anregende wissenschaftliche Gespräche sowie für die persönliche Förderung. Nicht zuletzt gebührt mein aufrichtiger Dank allen, die diese Arbeit gefördert haben: Herrn Prof. Dr. Hans-Joachim Hirsch, der in zuvorkommender Weise den Druck der Dissertation gefördert hat. Er stand mir mit Rat zur Seite und hat mich stets ermuntert und angespornt. Der Konrad-Adenauer-Stiftung e.Y., Bonn, die durch ein Dissertationsstipendium die Anfertigung dieser Untersuchung ermöglichte. Dem Verlag Duncker & Humblot GmbH für die Aufnahme der Abhandlung in die Reihe "Schriften zum Strafrecht". In besonderem Maße verpflichtet fühle ich mich abschließend der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Kölner Universität sowie auch dem Kömer Rektorat, die durch ihre bereitwillige Unterstützung den Druck dieser Studie möglich gemacht haben. Komotini/Köln, im November 1987
Theoharis Dalakouras
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ............................................................
17
Erster Teil
Verfassungsrechtliche Absichenmg der Intimsphäre
19
§ 1 Bedürfnis nach einem persönlichen Bereich ..............................
19
I. Allgemeines ......................................................
19
11. Kulturelles und kreatürliches Abstandsbedürfnis .......................
20
III. Unterschiedlichkeit des Bedürfnisses nach einem persönlichen Bereich ....
22
§ 2 Notwendigkeit des Schutzes der Intimsphäre im Laufe der Zeit .............
25
§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre ............................
34
I. Allgemeines ........................ . .............................
34
11. Lösungsansätze in der Literatur .....................................
36
A. Sphärentheorie .................................................
36
B. Schutz der autonomen Selbstdarstellung ...........................
41
C. Rollentheorie ..................................................
44
D. Zusammengefaßte Ergebnisse -
46
Funktionen der Intimsphäre ........
III. Die Intimsphäre nach Auffassung des BVerlG ..........................
48
A. Abgrenzung der Sphären untereinander und ihre Bestimmung in der Rechtsprechung des BVerlG ..........................................
50
1. Abgrenzung zwischen Kernbereichen und relativ geschütztem Bereich
50
2. Abgrenzung zwischen relativ geschütztem Bereich und ungeschützter Öffentlichkeitssphäre ..........................................
53
B. Schranken des Grundrechtes auf Achtung der Intimsphäre in der Rechtsprechung des BVerlG ..........................................
57
IV. Zusammengefaßte Würdigung der bisherigen Untersuchung .............
60
V. Schutz der Intimsphäre durch Spezialgrundrechte ......................
61
8
Inhaltsverzeichnis A. Allgemeines
61
B. Die einzelnen Spezialgewährleistungen des Intimsphärenschutzes ......
62
1. Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) ....................
62
2. Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) .....................
66
3. Schutz der Ehe und Familie (Art. 6 GG) .........................
70
4. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) ...............
74
5. Kommunikationsfreiheiten (Art. 5, 8, 9 GG) und Intimsphäre .......
77
C. Zusammengefaßte Ergebnisse aus der Untersuchung der Spezialgrund-
rechte ... . . . .. . . . .. . . . .. . .. . ... ... . . . . .. . . . . .. . .. .. . . . . . .. . ... .
79
VI. Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG .............................................................
81
A. Allgemeines ...................................................
81
B. Regelungsbereich des Grundrechtes auf Achtung der Intimsphäre .....
82
C. Schranken des Grundrechtes auf Achtung der Intimsphäre ...........
85
1. Konkretisierung der einzelnen Stufen beim Schrankenvorbehalt ..... a) Absolut geschützter Kernbereich (forum internum) .............
86 86
b) Räumlich-gegenständlicher Bereich - enge Intimsphäre ........ c) Erweiterte Intimsphäre ..................................... d) Sozialsphäre - Öffentlichkeitsbereich ........................
88 89 90
VII. Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre im griechischen Recht .....
92
A. Allgemeines ...................................................
92
B. Schutz der Intimsphäre durch Art. 5 Abs. 1 gr. Verf.? Sinn und Bedeutung der ausdrücklichen Gewährleistung in Art. 9 Abs. 1 Halbs.2 gr. Verf. ...
93
C. Regelungsbereich des Grundrechtes der Intimsphäre (Art.9 Abs. 1
Halbs.2) ......................................................
96
D. Schranken des Grundrechtes der Intimsphäre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
Schlußfolgerung des ersten Teils -
Der weitere Gang der Untersuchung
102
Zweiter Teil
Die Lehre von Beweisverboten § 4 Beweisverbote
103 103
I. Grundsätzliches ...................................................
103
H. Wesen und Rechtsnatur der Beweisverbote ............................
104
A. Zur Terminologie der Beweisverbote ..............................
104
1. Beweiserhebungsverbote ......................................
106
Inhaltsverzeichnis
9
2. Beweisverwertungsverbote .....................................
107
B. Bestimmung der Beweisverbote ......... . ........................
108
III. Beweisverwertungsverbote ..........................................
112
A. Dogmatische Grundlagen ........................................
112
1. Rechtsmitteltheorie ...........................................
112
2. Die sittliche Überlegenheit des Staates ..........................
113
3. Disziplinierungstheorie ........................................
114
4. Wahrheitsfindung ............................................
115
5. Theorie vom spezialpräventiven Schutzzweck .....................
116
6. Der "generalpräventive" Ansatz (Dencker) .......................
117
7. Rogalls Ansatz ...............................................
119
B. Feststellung von Verwertungsverboten .............................
122
1. Einfachgesetziiche Verwertungsverbote ..........................
122
2. Die unselbständigen Verwertungsverbote ........................ a) Ansätze in der Literatur und Rechtsprechung .................. aa) Rechtskreistheorie ...................................... bb) Modifizierte Rechtskreistheorie (Sax) ...................... cc) Lehre von den doppelfunktionellen Prozeßhandlungen ....... dd) Schweretheorie ........................................ ee) Schutzzwecklehren ..................................... Gössels Ansatz ........................................ gg) Abwägungstheorie ...................................... b) Einzelheiten der Verwertungsverbotslehre .....................
123 124 124 125 126 127 128 129 131 135
3. Selbständige Verwertungsverbote ............................... a) Die Rechtsprechung von Tagebuch- und Tonbandaufzeichnungen . b) Typizitätserwägungen ....................................... c) Feststellung von selbständigen Verwertungsverboten ............
138 139 141 142
d) Verhältnis der selbständigen Verwertungsverbote zu den unselbständigen ....................................................
146
IV. Beweisverbote im griechischen Recht ................................
147
A. Allgemeines ...................................................
147
B. Sinn und Grundlagen der Beweiserhebungsverbote ..................
148
c.
Beweisverwertungsverbote .......................................
150
1. Funktion und Aufgaben der Verwertungsverbote .................. 2. Feststellung von Verwertungsverboten im gr. Recht ...............
150 152
a) Die Problemlage bis 1975 ................................... b) Die Entwicklung der Problematik nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung von 1975 .......................................
152
m
154
10
Inhaltsverzeichnis aa) Selbständige Verwertungsverbote ......................... bb) Unselbständige Verwertungsverbote .......................
155 158
Dritter Teil
Beweisverbote zum Schutz der Intimsphäre
162
§ 5 Lügendetektor ......................................................
163
I. Das Gerät ........................................................
163
11. Beweiswert der Methode ...........................................
165
III. Die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland ....................
169
A. Die Entscheidung des BGH ......................................
170
B. Absolute Unverwertbarkeit des Polygraphen? .......................
172
1. Die Entscheidung des BVerfG .................................
175
2. Das Argument des "moralischen Drucks" ........................
177
3. Das Argument aus § 136 a III StPO ..............................
180
IV. Die Rechtslage in Griechenland .....................................
182
V. Durch Privatunternehmer durchgeführte Polygraphentests ...............
185
§ 6 Narkoseanalyse .....................................................
188
I. Das Verfahren der Narkoanalyse .....................................
188
11. Zuverlässigkeit der Methode ........................................
189
III. Unzulässigkeit der Narkoanalyse .....................................
191
A. Der Narkotest innerhalb des Strafverfahrens ........................
193
B. Narkotest außerhalb des Strafverfahrens ...........................
196
1. Erzwungener Narkotest von seiten privater Personen ..............
196
2. "Freiwilliger", in eigener Regie geführter Narkotest ................
197
§ 7 Tagebücher ........................................................
200
I. Allgemeines ......................................................
200
11. Bestimmung und Intimität des Tagebuchs ............................
201
A. Begriff und Inhalt der Tagebücher ................................
201
B. Beweggründe für das Tagebuchschreiben ...........................
202
C. Der intime Charakter des Tagebuchs ..............................
204
III. Zuverlässigkeit von Tagebüchern als Beweismittel ......................
205
Inhaltsverzeichnis IV. Schutz der Tagebücher
11 206
A. Grundlagen ....................................................
206
B. Schutz der Tagebücher durch die StPO ............................
208
C. Der den Tagebüchern durch die Verfassung gewährte Schutz.. . . . . . . ..
210
V. Absolute Unverwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen im Strafprozeß ..
216
§8 Briefe. . . . . . . . . . ... . . .. . . ... . . . . .. . .. . . . . .. . . . . .. . . ... . . . .. . . . . . . . .
221
I. Geschichtlicher Überblick ..........................................
221
11. Nützlichkeit und Zuverlässigkeit der Briefe als Beweismittel .............
223
III. Briefe als Gegenstand der Intimsphäre und ihr Schutz ..................
225
A. Im deutschen Recht ............................................
225
B. Im griechischen Recht ..........................................
227
C. Einzelheiten über den Schutzbereich ..............................
229
IV. Die Bejahung eines Verwertungsverbots im Falle einer Erlangung durch staatliche Organe .......................................................
231
A. Postbeschlagnahme .............................................
232
1. Voraussetzung der Postbeschlagnahme
..........................
232
a) Im deutschen Recht ........................................ b) Im griechischen Recht ......................................
232 236
2. Verwertungsverbot bei rechtswidriger Postbeschlagnahme ..........
238
B. Die Beschlagnahme von entsiegelten Briefen zu Beweiszwecken .......
241
V. Die Bejahung eines Verwertungsverbots im Falle einer Erlangung der Briefe durch Privatpersonen ..............................................
243
§ 9 Heimliche Tonbandaufnahmen ........................................
245
I. Allgemeines ......................................................
245
11. Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit des Tonbandes als Beweismittel .......
247
III. Schutz des einzelnen gegen heimliche Tonbandaufnahmen und Anerkennung eines Rechtes am gesprochenen Wort ................................
250
IV. Schutz der Intimsphäre durch Unverwertbarkeit von heimlichen Tonbandaufnahmen im Strafprozeß ............................................
256
A. Drittaufnahmen mit Hilfe technischer Mittel und ihre Verwertbarkeit als Beweismittel im Strafprozeß ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263
1. Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich ..................
264
2. Eingriff in die enge Intimsphäre ................................
266
a) Staatliche Organe ..........................................
266
b) Privatpersonen ............................................
272
12
Inhaltsverzeichnis 3. Eingriff in die räumlich erweiterte Intimsphäre ................... a) Durch staatliche Organe .................................... aa) Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs im Strafverfahren .. bb) Die Verwertbarkeit abgehörter Telefongespräche ............ aaa) Beweisverwertung bei rechtswidriger Beweiserhebung ... bbb) Beweisverwertung bei rechtmäßiger Beweiserhebung ... 0) Sachliche Grenzen der Verwertbarkeit von Zufallsfunden ........................................... 6) Persönliche Grenzen der Verwertbarkeit von Zufallsfunden ........................................... ccc) Die Frage nach der Verwertbarkeit von Überwachungsergebnissen im griechischen Recht ..................... b) Eingriffin die räumlich erweiterte Intimsphäre durch Privatpersonen
273 273 274 280 280 283
B. Tonbandaufnahmen durch Gesprächspartner und ihre Verwertbarkeit ..
295
1. Heimliche Tonbandaufnahmen durch staatliche Organe ............ a) Bei Vernehmungen ........................................ b) Durch V-Leute hergestellte heimliche Tonbandaufnahmen .......
295 295 298
2. Heimliche Tonbandaufnahmen durch Privatpersonen als Gesprächspartner .....................................................
309
V. Zusammenfassung Schrifttumsverzeichnis ..................................................
284 290 292 294
313
315
Abkürzungen a.A. a.a.O. abl. Abs. AcP a.F. AfBR AfP AG allg. M. Anm. AnwBl.
anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Absatz Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Archiv für Bürgerliches Recht Archiv für Presserecht. Zeitschrift für das gesamte Medienrecht Amtsgericht allgemeine Meinung Anmerkung Anwaltsblatt. Nachrichten für die Mitglieder des Deutschen Anwaltsvereins e. V. Archiv des öffentlichen Rechts AöR Archeion Nomologias (= Archiv für die Rechtsprechung) griechische ArchN juristische Zeitschrift Archiv für das Post- und Fernmeldewesen. Zeitschrift für Rechts-, VerwalArchPF tungs- und Verkehrswissenschaft der Deutschen Bundespost Areopag Areios Pagos (griechisches Kassationsgericht) Art. Artikel Allgemeiner Teil AT Auflage Aufl. Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLG Der Betriebsberater BB Band Bd. Bemerkung Bem. Der Betrieb, Juristische Zeitschrift Betrieb Bürgerliches Gesetzbuch BGB Bundesgerichtshof BGH Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BGHSt. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BGHZ BK Kommentar zum Bonner Grundgesetz (s. Schrifttumsverzeichnis) BR-Drucks. Drucksachen des Deutschen Bundesrates BT Besonderer Teil BT-Drucks. Drucksachen des Deutschen Bundestages Bulletin Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Bundesverfassungsgericht BVerfG Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE Bundesverwaltungsgericht BVerwG Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE
14 bzw.
DAR ders. d.h. Dikastiki Diki Diss. DJT DJZ DÖV DRiZ DRZ DVB!. DVR EEN Einh. Meinung Ein!. Entw. Ephetion Er!. FamRZ ff. Fs. Fn. GA GG gr.BGB gr.StGB gr.StPO GRUR Halbs. Harmenopoulos Hdb. Hell. Dikaiosyni h.M. Hrsg., hrsg. i.d.F. i.d.R. i.e.S. insbes. i. S. i. V. m. i.w.S. JA
Abkürzungen beziehungsweise Deutsches Autorecht derselbe das heißt griechische juristische Zeitschrift griechische juristische Zeitschrift Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Datenverarbeitung im Recht Ephemeris Hellinon Nomikon (= Zeitung griechischer Juristen), griechische juristische Zeitschrift Einheitliche Meinung Einleitung Entwurf Epheteion (= gr. Oberlandesgericht, Appellationsgericht) Erläuterung(en) Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht - Zeitschrift für das gesamte Familienrecht folgende Festschrift Fußnote Goltdammer's Archiv für Strafrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland griechisches Bürgerliches Gesetzbuch griechisches Strafgesetzbuch griechische Strafprozeßordnung Gewerblicher Rechtschutz und Urheberrecht Halbsatz griechische juristische Zeitschrift Handbuch Helliniki Dikaiosyni, griechische juristische Zeitschrift herrschende Meinung Herausgeber, herausgegeben in der Fassung in der Regel im engeren Sinne insbesondere im Sinne in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen
Abkürzungen
15
Jh. Jahrb. Iherings Jahrbücher für die Dogmatik JMBlNRW Justizrninisterialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen JR Juristische Rundschau Jura - Juristische Ausbildung Jura Jur. BI. (bzw. JBI.) Juristische Blätter JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung Kap. Kapitel KG Kammergericht KK Karlsruher Kommentar (s. Schrifttumsverzeichnis) KMR Kleinknecht/Müller /Reitberger, StPO (s. Schrifttumsverzeichnis) Kriminalistik Kriminalistik. Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis krit. kritisch Landgericht LG Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch (s. Schrifttumsverzeichnis) LK Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von LindenLM maier / Möhring Löwe / Rosenberg, Kommentar zur Strafprozeßordnung (s. SchrifttumsverLR zeichnis) mit anderen Worten m.a.W. Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetzkommentar, 1970 ff. MDH Monatszeitschrift für Deutsches Recht MDR Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom MRK 4. 11. 1950 (BGBI. 1952 II S. 685, 953) MSchrKrim. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform m.w.N. mit weiteren Nachweisen NachtragsBd. Nachtragsband n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift Nomikon (= Juristische Tribüne), griechische juristische Zeitschrift Vima Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht Österreichische Juristenzeitung ÖJZ ÖVD Öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung OLG Oberlandesgericht Poinika Chronika (= Strafrechtliche Chronik), griechische juristische P.Chr. Zeitschrift Polizei Die Polizei Rdr. Randnummer RechtstheorieZeitschrift für Logik, Methodenlehre, Kybernetik und Soziologie des Rechts Revue IDP Revue Internationale de droit penal Reichsgericht RG Rechtsprechung Rspr. Seite S.
16 s. SchwJZ SchwZSt SJZ SK sog. StA Staat StGB StPO str. st. Rspr. StV Themis ToS u.a. UFITA Urt. Verf. Verh. Verw.Arch. vgl. v.M.K. Vorbem. VVDStRL z.B. zit. ZRP ZStW zust. ZZP
Abkürzungen siehe Schweizerische Juristenzeitung Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Süddeutsche Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (s. Schrifttumsverzeichnis) sogenannte( r) Staatsanwalt Der Staat, Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte Strafgesetzbuch vom 15.5. 1871 i. d. F. vom 2. 1. 1975 (BGBI. I S. 1) Strafprozeßordnung vom 1. 2. 1877 i.d. F. vom 7. 1. 1975 (BGBI. I S. 129), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. 12. 1981 (BGBI. I S. 1329) streitig ständige Rechtsprechung Strafverteidiger griechische juristische Zeitschrift To Syntagma (= die Verfassung), griechische Zeitschrift und andere; unter anderem Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Urteil Verfassung Verhandlungen Verwaltungsarchiv vergleiche von MangoldtjKlein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl. 1977 Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zum Beispiel zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend Zeitschrift für Zivilprozeß
Einleitung Nachdem Beling in seiner Tübinger Antrittsvorlesung im Jahre 1903 den Terminus "Beweisverbote" eingeführt hatte, wurde eine juristische Diskussion zu diesem Problemkreis erst nach dem zweiten Weltkrieg erneut aufgegriffen 1. Auslöser für das Wiederaufkommen des Interesses war die Frage, ob zum Zweck der Wahrheitsfindung im Straßprozeß die Verfahren der Narkoanalyse und des Polygraphen angewandt werden dürften. Die Entscheidung des BGH2 von 1954, die Verwertung von Ergebnissen des Polygraphen falle unter das Verbot des § 136a StPO, setzte einen vorläufigen Schlußpunkt unter die zur Diskussion stehende Thematik. Spätestens jedoch mit der Frage der Verwertung von Tonbandaufnahmen im Strafprozeß3 wurde das juristische Gespräch um die Beweisverbote erneut entfacht. Aus der Tatsache, daß von da an unter diesem Thema eine derartige Vielzahl strafprozessualer Probleme behandelt wird, resultiert eine unübersehbare Anzahl an einschlägigen Entscheidungen und literarischen Äußerungen. Als vorläufiger Höhepunkt der vergangenen Jahre stellt sich die Wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Problemkreis im Rahmen des 46. Deutschen Juristentages im Jahre 1966 dar. Inzwischen haben die Beweisverbote nichts von ihrer Bedeutung und Aktualität verloren. Der stetige Wandel in ihrer Entwicklung drückt sich schon durch die Äußerung Roxins 4 aus, daß alle mitgeteilten Ergebnisse nur vorläufigen Charakter besitzen könnten. Obschon zur Begründung der einzelnen Beweisverbote bisweilen verschiedene Gesichtspunkte herangezogen werden, zeigt sich bei näherer Betrachtung, daß gerade dem Schutz des Persönlichkeitsrechtes und der Intimsphäre die entscheidende Bedeutung zukommt. So erklärt sich auch, daß in vielen Fällen die prozeßrechtsdogmatische Argumentation unter Hinweis auf das Grundgesetz - insbesondere auf Art. 2 i. V. m. Art. 1 - abgebrochen wird, zumal Persönlichkeitsrecht und Intimsphäre durch das Grundgesetz geschützt sind.
1 Inzwischen benutzte das Schrifttum die Lehre von Beling (Die Beweisverbote als Grenze der Wahrheitsfindung im Strafprozeß, Breslau 1903) ohne weitere Vertiefung, soweIt es sie überhaupt zur Kenntnis nahm, zumal sie zunächst keine weiterreichenden Folgen hatte, dazu Alsberg/Nüsse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 430f. m.w.N. 2 BGHSt. 5, S. 323. 3 BGHSt. 10, S. 202ff.; 14, S. 339; 14, S. 358. 4 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24D.
2 Dalakouras
18
Einleitung
Unabhängig von den Vorschriften der Straßprozeßordnung sind Beweisverbote mit Verwertungsverbotswirkung auch unmittelbar aus dem Grundgesetz ableitbar, vornehmlich wenn es sich um Beweiserhebungen handelt, die mit einer Verletzung der Intimsphäre verbunden sind. S Beschäftigt man sich jedoch mit den aus Eingriffen in die Intimsphäre resultierenden Beweisverboten, soll vorerst die Frage des verfassungsrechtlich abgesicherten Schutzbereiches der Intimsphäre klargestellt werden. Obgleich der Schutz der Intimsphäre vor dem Staat ein schon seit griechischer Zeit zu beobachtendes Phänomen ist,6 war bis etwa vor 30 Jahren das Verhältnis von Intimsphäre und Grundrechten kein Thema von öffentlichem Interesse, oder auch nur einer wissenschaftlichen Diskussion würdig. 7 Die Legitimation einer spezifischen Untersuchung zum Problemkreis der Intimsphäre ergibt sich bereits daraus, daß viele Fragen zu diesem Thema vor allem hinsichtlich des Umfanges einer verfassungsrechtlichen Garantie des Rechtes auf Achtung der Intimsphäre, ihres Regelungsbereiches und ihrer Schranken ungeklärt verbleiben, trotz der Vielzahl schon vorliegender Lösungsansätze. Herausgestellt sei an dieser Stelle, daß im Rahmen der vorliegenden Arbeit bestimmten der verfassungsrechtlichen Dogmatik verbundenen Einzelfragen nachzugehen ist. Grundsätzlich sollen sich die Bemühungen jedoch auf die in Betracht kommenden Grundrechte, verstanden als Abwehrrechte gegenüber dem Staat, konzentrieren. Daher ist in diesem Zusammenhang nicht zu thematisieren, ob und inwieweit ein Schutz der Intimsphäre vor Angriffen Dritter durch eine eventuelle Drittwirkung der Grundrechte besteht. 8 Ebensowenig soll hier die weitverbreitete Diskussion über den Datenschutz fortgesetzt werden, trotz des ohne Zweifel bestehenden Zusammenhanges des Datenschutzes mit dem Schutz der Intimsphäre, zumal die Ansätze der Datenschutzdiskussion für die besagte Intimsphärenproblematik nur bedingt verwendbar sind. Sobald über die verfassungsrechtliche Absicherung der Intimsphäre Klarheit gewonnen wird, ihr Regelungsbereich und ihre Schranken feststehen, ist anhand eklatanter Fälle von Beweisverboten bezüglich der Intimsphäre, wie Tonbandaufnahmen und Tagebücher, der Umfang des durch Beweis-(verwertungs)verbote gewährleisteten Schutzes des Privatlebens im Rahmen des Strafprozesses festzulegen.
Statt vieler Schäfer in LR, Ein!. Kap. 14 Rdr. 26. Vg!. dazu oben § 2; siehe noch Süss, Lehmann-Fs., S. 200; v. Meiss, Geheimsphäre, S.72. 7 Lediglich im Zivilrecht gab es erste Ansätze, wie z. B. die 1953 erschienene Schrift Hubmanns über "Das Persönlichkeitsrecht". 8 Vg!. Nipperdey in Grundrechte H, S. 19; Dürig, Nawiasky-Fs., S. 157 jeweils m. w. N.; siehe aber Hirsch, JR 1966, S. 334 (341 ff.). S
6
Erster Teil
Verfassungsrechtliche Absicherung der Intimsphäre § 1 Bedürfnis nach einem persönlichen Bereich I. Allgemeines Das Person sein hängt aufs engste mit dem Bestreben zusammen, einen Raum des Für-sieh-Seins zu behaupten, einen Bereich in seinem persönlichen Leben zu schaffen und zu bewahren, der nur nach eigenem Ermessen preisgegeben wird. Das Erhalten eines solchen Bereiches, in dem man etwa Empfindungen, Ansichten, Erlebnisse und Gefühle beliebig für sich selbst behalten kann, wird heute einstimmig als absolut notwendig für die Persönlichkeitsentwicklung angesehen. 1 Die Gewährleistung seines Schutzes in mannigfachen Ausprägungen ist darüber hinaus für jeden Rechtsstaat selbstverständlich. Unter Berücksichtigung ihrer sozialen und ideengeschichtlichen Entstehungsund Entwicklungsbedingungen läßt sich die Intimsphäre in der heutigen Form, nämlich als staatlich anerkannter Bereich menschlicher Freiheit, als Produkt der bürgerlichen Gesellschaft charakterisieren. 2 Demgegenüber kann das Bedürfnis nach Anerkennung eines persönlichen Bereiches keineswegs als neu bezeichnet werden. Dies ist schon daraus zu erkennen, daß es sehr alte Normen bei den Ägyptern, Griechen und Römern gab, die einzelne, ganz spezifische Geheimnisse schützten. 3 Ebensowenig kann die Forderung nach Alleinsein und Intimität in kleinsten Gruppen für modern gehalten werden, da sie bereits bei den Angehörigen primitiver Volksgemeinschaften vorzufinden ist. 4 Freilich ist die Notwendigkeit eines Schutzes der Intimsphäre als Freiheitsbereich des Bürgers erst viel später sichtbar geworden. Eine Gefährdung der Intimsphäre scheint bis zum 19. Jh. sehr geringen Ausmaßes gewesen zu sein. Der zu dieser Zeit vollzogene Wandel der menschlichen Daseinsbedingungen hatte die Zunahme der Gefährdung der Intimsphäre zur Folge und infolgedessen die Notwendigkeit, dem immer bestehenden Bedürfnis nach Intimität voll 1 Ausführlich dazu unten § 1 11; vgl. auch Evers, Privatsphäre, S.39f., Wiese, Universitas 1958, S. 581ff., Eb. Schmidt, Universitas 1958, S. 813ff. 2 Vgl. Mal/mann, Zielfunktionen des Datenschutzes, S. 16ff., Habermas, Strukturwandei der Öffentlichkeit, S. 60ff., 184ff. 3 Dazu v. Meiss, Geheimsphäre, S. 65ff.; siehe im einzelnen auch unten § 2. 4 Ausführlich Westin, IBM-Nachrichten 1970, S. 189ff.; ders., Privacy and Freedom, S.8ff.
2'
20
§ 1 Bedürfnis nach einem persönlichen Bereich
Rechnung zu tragen. Für ein besseres Verständnis der Intimsphäre in der heutigen Form empfiehlt sich daher zunächst, das Bedürfnis nach privater Abgeschiedenheit und Intimität näher zu erörtern, um unter Berücksichtigung anthropologischer Untersuchungen wie auch ökologischer Studien wichtige Erkenntnisse über die Funktionen der Intimsphäre zu gewinnen.
11. Kulturelles und kreatürliches Abstandsbedürfnis Eine der wesentlichen Erkenntnisse bei der Verhaltensforschung ist, daß sich jeder Mensch einem ständigen Wechselprozeß unterwirft, indem er einmal die private Abgeschiedenheit sucht und damit anderen gegenüber deutliche Individualdistanzen einhält, sich dann aber wieder dem gemeinschaftlichen Leben zuwendet. 5 Eine solche Zurückhaltung des einzelnen ist nicht etwa als Versagung des Zusammenlebens zu deuten, vielmehr stellt sie sich dar als unabdingbare Voraussetzung menschlichen Sozialverhaltens. Die ungeselligen Tendenzen des Menschen dienen dementsprechend seiner Selbstentwicklung und "Selbstfindung" und somit auch der Überwindung gewisser Konflikte mit seiner Umwelt. Diese Feststellung ist nicht "etwa Restform eines abgewirtschafteten Idealismus".6 Auch neuere soziologische Forschungen bezeichnen die "Personalisation" als weitere Form der "Sozialisation". Enkulturation bzw. Kultur, Sozialisation bzw. Gesellschaft und Personalisation bzw. Person seien lediglich als korrelative Größen anzusehen; keine sei ohne die anderen denkbar, da jede in und gegenüber den anderen entstehe. 7 Anschaulich weist Leyhausen daraufhin, daß nur wer sich selbst gefunden hat und mit sich selbst im Einklang lebt, ein Du, ein anderes Selbst erkennen kann. 8 Das Bedürfnis nach Alleinsein, das Trachten jedes einzelnen Menschen nach Erhaltung der eigenen Intimsphäre gegenüber seinen Mitmenschen soll insofern keineswegs für "paradoxes" Verhalten gehalten werden. Angesichts der komplizierten und vielfältigen zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Computerorientierten Leistungsgesellschaft scheint ein derartiges Verhalten heutzutage notwendiger als früher für die Erhaltung der sozialen Kontaktfähigkeit und für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung zu sein. Doch ist das Phänomen des "Distanzhaltens" - um die Fachbezeichnung für die geschilderte Verhaltensweise zu benützen - mit Sicherheit nicht nur für unser Zeitalter charakteri5 Vgl. Westin, IBM-Nachrichten 1970, S. 190f.; Leyhausen in Schlemmer (Hrsg.), Verlust der Intimität, S. 125; Lehr, ebenda, S.29; Eibl-Eibes/eldt, Verhaltensforschung, S. 425 ff. et passim. 6 So ausdrücklich Schünemann, ZStW 90, S. 28. 7 Vgl. im einzelnen Wurzbacher, Sozialisation, S. 12 und 17; Scharmann, Sozialindividuale Integration, S. 54; HeUmer, Sozialisation, S. 221 ff.; Schliebe-Lippert in Wurzbacher (Hrsg.), Sozialisation und Personalisation, S. 84f.; siehe auch Leyhausen in Schlemmer (Hrsg.), a.a.O., S. 125; Battegay, ebenda, S. 79. 8 Leyhausen, wie Fn. 7.
II. Kulturelles und kreatürliches Abstandsbedürfnis
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stisch. Nicht nur der moderne, sondern jeder Mensch - gleichgültig welchen Kulturkreises, sei er Angehöriger primitiver Stämme oder "hochzivilisierter" Volksgemeinschaften - ist bestrebt, sich eine intakte Eigensphäre aufzubauen und zu erhalten. Westin 9 verweist in diesem Zusammenhang auf die Arbeit Murphys über die Tuareg-Stämme in Nordafrika, deren Ergebnisse den Prozeß des Distanzhaltens bestätigen. "Die Männer dieser Volksstämme verhüllen ihre Gesichter mit Schleiern und passen sich durch den Grad der Verhüllung den ständig wechselnden zwischenmenschlichen Beziehungen an." Im Anschluß an Murphy deutet er dann den Schleier bei den Tuaregs "als ein Symbol für das Bedürfnis nach privater Abgeschiedenheit, das in allen Kulturkreisen gleichermaßen besteht". 10 Die evidente Richtigkeit dieser Feststellung bestärken weitere anthropologische Untersuchungen. So weist Lehr beispielsweise auf die Ergebnisse empirischer Forschungen hin, wonach zugunsten einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung nicht nur den Erwachsenen, sondern auch dem Kleinkind ein Freiraum zugestanden werden muß. 11 Leyhausen spricht im gleichen Zusammenhang von einem "Bedürfnis nach Abstand vom Nächsten" .12 Das ständige Schwingen zwischen Abstandnehmen und Annäherung bezeichnet er als Grundprinzip, das "in jeder Kultur, in jeder Art von menschlicher Gesellschaft erkennbar ist" . Voraussetzung menschlichen Sozialverhaltens sei das Gewinnen eines ausreichenden Abstandes vom Nächsten, das "Sich-Selbst-Finden".13 Eine ähnliche Verhaltensweise ist freilich auch in der Tierwelt festzustellen. Verhaltensforscher weisen darauf hin, daß das Streben nach Abstandnehmen nicht nur Ausdruck der besonderen Wesensart des Menschen ist, sondern ein natürliches Prinzip, beweisbar durch vielfältige Entsprechungen in den Lebensformen des Tierreiches. Das kreatürliche Bedürfnis nach "Für-Sich-Sein", das in einem instinktgebundenen Distanzverhalten zum Ausdruck kommt, wird gewöhplich als Besitz und Verteidigung eines Reviers oder Territoriums beschrieben. 14 Man spricht nämlich hier von einer Individualdistanz, bei deren Überschreitung durch ein Individuum der gleichen Art ein Kampf ausgelöst wird. Wiesenpieper, Antilopen, Rinder, Jungvögel von Fringilla coelebs oder Zonotrichia leucorphrys sind Beispiele aus der Tierwelt, die den Anspruch jedes Tieres auf ein privates Reich bekunden. 15 Wie Fn. 5. Westin, a.a.O., S. 191. 11 Lehr in Schlemmer (Hrsg.), Verlust der Intimität, S. 27ff. 12 Leyhausen, a.a.O., S. 123, 127ff. 13 Leyhausen, a. a. 0., S. 125. 14 Die wohl ältesten Angaben über Besetzung und Verteidigung bestimmter Gebiete im Tierreich finden sich bei Aristoteles und Plinius, im einzelnen zum territorialen Verhalten Tembrock, Verhaltensforschung, S.225ff. und Eibl-Eibesfeld, Verhaltensforschung, S. 425ff., beide mit Nachweisen; vgl. auch Westin, a.a.O., S. 189f.: Leyhausen, a.a.O., S.121ff. IS Vgl. Eibl-Eibesfeld, Verhaltensforschung, S. 425ff.; 434; Westin, a.a.O., S. 189f. 9
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§ 1 Bedürfnis nach einem persönlichen Bereich
Westin 16 verweist auf weitere ökologische Studien, die zeigen, daß auch Tiere Zeit und Raum zum Alleinsein benötigen. Bei Experimenten an in beengten räumlichen Verhältnissen lebenden weißen Mäusen zeigte sich ein dem Menschen ähnliches Bedürfnis nach einem Minimum an privatem Lebensraum. Die unter solchen Umständen nachwachsenden Jungmäuse sind nicht mehr in der Lage, auch nur zeitweise einen artgemäßen Individualabstand einzunehmen. Von Geburt an in "Fellfühlung" mit anderen Mäusen sind sie unfähig, normalen sozialen Kontakt und Austausch mit ihren Artgenossen aufzunehmn; sie putzen sich nicht gegenseitig, sie spielen weder miteinander noch verjagt die eine die andere, sie achten nicht auf die Reviergrenzen, sogar das Sexualverhalten ist gestört. In vielen weiteren Tierarten führt die Beschneidung des individuell benötigten Lebensraumes zu vielfältigen pathologischen Erscheinungen innerhalb der Gemeinschaft. Wenn schon Tiere die soziale Kontaktfähigkeit verlieren, falls man sie in allzu beengten raumsozialen bzw. sozialräumlichen Verhältnissen aufzieht und zu leben zwingt, wieviel mehr, fragt Leyhausen,17 "wird dadurch im viel differenzierteren, sensibleren und damit auch störanfälligeren Menschen gestört bis zerstört"? Auf die psychischen und sozialen Schäden, die die Versagung eines Freiraumes der Persönlichkeit bewirken kann, braucht hier nicht eingegangen zu werden. An dieser Stelle sei nur herausgestellt, daß die Negierung dieser Möglichkeit und unabdingbaren Voraussetzung menschlicher Sozialisierung das Zusammenbrechen des menschlichen Organismus bedeuten würde. Als Fazit läßt sich damit festhalten: Alle Lebewesen brauchen ein Minimum an privatem Lebensraum, bei dessen Verlust sie zugrunde gehen würden. Dem kreatürlichen Abstandsbedürfnis des Tieres entspricht ein noch viel intensiveres, geistiges Bedürfnis des Menschen nach Wahrung eines Eigenbereiches sowie nach privater Zurückgezogenheit. Entgegen einer Deutung als Isolationsbestreben, ist die hier angesprochene Zurückgezogenheit des einzelnen gerichtet auf die Entfaltung der Persönlichkeit und an der Sozietät orientiert. Um Kraft für neue Aktivitäten schöpfen zu können, braucht der Mensch den Abstand vom Nächsten, einen Freiraum, in dem er sich selbst finden und frei darstellen kann.
III. Unterschiedlichkeit des Bedürfnisses nach einem persönlichen Bereich Wenn auch das erwähnte Bedürfnis bei allen Menschen zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften vorhanden ist, so doch nicht in gleicher Ausprägung. 16 17
A.a.O., S. 190; vgl. auch Leyhausen, a.a.O., S. 124. A.a.O., S. 129.
III. Unterschiedlichkeit des Bedürfnisses
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Unterschiede bestehen ;lllerdings nicht nur von Volk zu Volk, sondern auch von Individuum zu Individuum.18 Es gibt Menschen, die von sich aus Tatsachen ihres persönlichen Bereiches der Allgemeinheit ohne Scheu und Scham vorführen, dann solche, die nur ein Minimum an Intimsphäre gegenüber einem bestimmten Personenkreis bewahren, während andere wiederum jedermann - einschließlich der Familienangehörigen - eine recht weite Intimsphäre halten. Mit v. Meiss 19 ist noch anzunehmen, daß sowohl die akzeptierte Anzahl und die Auswahl von Mitwissern als auch die nach dem Inhalt sich bestimmende Lagerung des persönlichen Bereiches differiert. Während manche gewisse Angelegenheiten ihrer Intimsphäre anrechnen und somit selbst Freunden nicht preisgeben, sprechen andere dieselben Angelegenheiten offen aus. In größerem Ausmaß variiert das erwähnte Bedürfnis jedoch von Kultur zu Kultur bzw. von Volk zu Volk. Augenfällig sind in diesem Zusammenhang vor allem Unterschiede hinsichtlich der von völkischen Eigenheiten geprägten Vorstellung über die Grenzen des Privatraumes nach außen hin. So gehört der Geschlechtsverkehr beispielsweise nicht in allen Gesellschaften der Intimsphäre des einzelnen an. Auch der Tod wird in manchen Kulturen in das Intime zurückgeholt, während er in anderen zu den Angelegenheiten von großer öffentlicher Bedeutung zählt. 20 Ebensowenig kann von einer gemeinsamen Vorstellung des persönlichen Bereiches innerhalb verschiedener Nationen ausgegangen werden. Westin 21 referiert hier die Untersuchungen des Kulturanthropologen Edward Hall an einigen Nationen, und zwar USA, Deutschland, England und Frankreich, woraus sich ergibt, daß das Empfinden für das Private keineswegs überall gleich ist. Während zum Beispiel in Deutschland der Begriff Privat eng mit der Vorstellung von einem persönlichen, genau abgegrenzten Ort verbunden ist, haben Amerikaner keineswegs das Bedürfnis, ihre Häuser einzuzäunen oder abzuschirmen. Geht ein Fremder an ihrem Haus vorbei, so sehen sie darin keine Verletzung der Intimsphäre, entgegen den Deutschen, die ein solches Verhalten bereits als Übergriff deuten würden. Was den Deutschen nur mit Hilfe von Türen, Mauern und Vorschriften gelingt, erreichen die Engländer hingegen mit Zurückhaltung, vertraut seit Kindheit an mit dem Gefühl, nicht auf eigene Räumlichkeiten angewiesen zu sein. Beeinflußt von der Kultur des Mittelmeerraums ist ferner das Verhalten der Franzosen in der Kontaktpflege nach außen hin, während sie andererseits ihre Wohnung als Intimsphäre betrachten, die der Familie vorbehalten bleibt.
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Ebenso v. Meiss, Geheimsphäre, S. 29. Wie Fn. 18. Vgl. auch Luckmann in Schlemmer (Hrsg.), Verlust der Intimität, S.49f. IBM-Nachrichten 1970, S. 193 f.
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Trotz aller Unterschiede, betreffend den Inhalt sowie die Abgrenzung der Intimsphäre, besteht das Bedürfnis nach einem persönlichen Bereich bei jedermann zumindest in dem Sinne, daß jeder einen solchen bewahren will. 22 Der Wunsch nach Zurückgezogenheit und nach reservierter Zurückhaltung im sozialen Verkehr hat demnach universalen Charakter. Ob nun der Engländer sich schon in einem gemeinschaftlich bewohnten Raum zurückziehen kann, während der Amerikaner oder der Deutsche zu diesem Zweck einen separaten Raum benötigen, ist vom Ergebnis her gleichgültig. Ebenso bedeutungslos ist, ob ein Angehöriger des Volkes X mehr Angelegenheiten zu seiner Intimsphäre zählt als ein anderer des Volkes Y. Denn das Bedürfnis nach einer Intimsphäre besteht gleich bei beiden.
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Ähnlich v. Meiss, Geheimsphäre, S. 30.
§ 2 Notwendigkeit des Schutzes der Intimsphäre im Laufe der Zeit
Wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Bedürfnis nach einem persönlichen Bereich bei allen Menschen und zu allen Epochen vorhanden war, so ist im folgenden zu untersuchen, ob sich auch in früheren Kulturepochen konkrete Ansätze zum Schutz dieses Bereiches nachweisen lassen. Ist dies zu bejahen, so ist anzunehmen, daß auch früher möglicherweise von einer Gefährdung des persönlichen Bereiches ausgegangen wurde, die das Recht zur Aufstellung von Schutznormen erzwang. Einzelne Geheimhaltungspflichten, vor allem im Zusammenhang mit dem Beruf des Arztes oder mit der Wahrung des Wissens von Priester und Philosophen, sind schon in einigen antiken Kulturen anzutreffen. So besaß z. B. das Arztgeheimnis bereits bei den Indern eine bedeutende Stellung, zumal es sich - abgesehen von der Heiltätigkeit selbst - auf alles erstreckte, was der Heilkundige im Hause des Kranken anläßlich des Besuches wahrnahm. 1 Einen spezifisch ethischen Schutz genoß das selbe Geheimnis in altgriechischen Städten im Sinne einer Pflichterfüllung - erfaßt in erster Linie im berühmten hippokratischen Eid, der die strikte Geheimhaltung aller von den Ärzten wahrnehmbaren Angelegenheiten dienlich der Heilung des Patienten verlangte. Ähnliche Pflichten zur Geheimhaltung religiöser Kenntnisse galten für den ägyptischen, griechischen und römischen Priester, während in Griechenland noch eine weitere Geheimhaltungspflicht im Zusammenhang mit der Wahrung des \Vissens der Philosophen hinzukommt. 2 Zu erwähnen ist schließlich das Briefgeheimnis, das vor allem die Altgriechen als heilig ansahen und respektierten. 3 Alle diese Geheimhaltungspflichten genossen jedoch nur ethischen Schutz. Definitive Rechtsmittel zum allgemeinen Schutz der Persönlichkeit oder mit spezieller Zielsetzung auf das Geheimhaltungsinteresse hin fehlen sowohl im 1 Vgl. hierzu v. Meiss, Geheimsphäre, S.67; Seiler, Der strafrechtliche Schutz der Geheimsphäre, S. 38. 2 Bekannt ist die Pflicht des Schweigens in der Schule von Pythagoras um 500 v. ehr.; vgl. zum ganzen v. Meiss, Geheimsphäre, S. 68, der zusätzlich die Gewährleistung des Amts- und Staatsgeheimnisses in Ägypten, Griechenland und Rom für höchst wahrscheinlich hält, obschon über diese Geheimnisse an keiner Stelle berichtet wird. 3 Vgl. Tsoukalas, Kommentar zur gr. StPO, S. 191 Fn. 16; gewisse Beachtung fand das Briefgeheimnis auch bei den Römern, die die indiskrete Verlesung eines Briefes sowie das unbefugte Erbrechen von Siegeln als "Mangel an Takt" und "sittenwidrig" bezeichnet hatten; siehe schon Cicero, Philippica secunda, cap. 4,7 zitiert nach Süss, Lehmann-Fs., S.200; vgl. auch v. Meiss, Geheimsphäre, S. 72.
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§ 2 Notwendigkeit des Schutzes der Intimsphäre
altgriechischen als auch im römischen Recht. Selbst allgemein anerkannte Geheimnisse wie das Arzt- und Briefgeheimnis wurden im Altertum nie durch Gesetznormen gestärkt. In diesem Zusammenhang ist zwar auf Klagen wie die einander entsprechenden "Dike Hybreos" im griechischen und "actio injuriarum" im römischen Recht hinzuweisen; beide nähern sich jedoch eher der Klage wegen Ehrbeleidigung als der wegen Verletzung der Intimsphäre im besonderen. Aufgrund der weit gefaßten Auslegung des Begriffes Hybris im griechischen Recht konnte ihm eine große Anzahl von Handlungen beigeordnet werden, wie am ehesten ersichtlich den Ausführungen Platos, der Hybris als vielnamentlich, mehrteilig und verschiedenartig bezeichnet. 4 Getreu dem Wortlaut des Gesetzes 5 soll jeder beliebige Athener bei den Thesmotheten dann wegen Hybris Klage erheben, wenn jemand an einem Kind, einer Frau oder einem Mann, seien sie Freie oder Sklaven, Hybris übt oder eine gesetzwidrige Handlung begeht. Da Hybris nach allgemeiner Meinung 6 über die tatbeständlichen Beleidigungen hinaus jede rechtswidrige Handlung im Sinne der Mißachtung einer fremden Persönlichkeit umfaßte, liegt der Gedanke nahe, die Dike Hybreos sei allgemeines Mittel zum Geheimnisschutz und damit zum Intimsphärenschutz gewesen. Dies trifft jedoch nicht zu. Ohne direkt den persönlichen Bereich selbst zu schützen und daher nicht anwendbar bei Verletzungen privater Geheimnisse, diente diese Klage dem Zweck, Freie oder Sklaven vor arrogantem Verhalten zu schützen. Als solches Verhalten ist mit Sicherheit ein Vergewaltigung oder eine widerrechtliche Freiheitsentziehung anzusehen 7 , nur ausnahmsweise aber eine Geheimnisoffenbarung. Ebensowenig kann die actio injuriarum der Römer als Klage wegen Verletzung des persönlichen Bereiches und als allgemeines Rechtsmittel zum Geheimnisschutz betrachtet werden. Diese Klage wurde durch den Prätor und unter vorsichtiger Abwägung der vorhandenen Bedürfnisse nur dann eingereicht, wenn die Verletzung der Person in ihren idealen Rechtsgütern es als eine Forderung des Rechtsgefühles erscheinen ließ.8 Sie umfaßte neben dem Angriff auf den Ruf des Betroffenen 4 Plato, Phaidros, 238a; vgl. dazu vor allem Spinellis, Ehre, S.3; Paraskevopoulos, Hybris, S. 31 ff.; Pantasopoulos, Griechisches Recht, S. 95; Lipsius, Das attische Recht, S. 421; Hitzig, Injuria, S. 35. 5 Dieser wird von der Übereinstimmung der in die Midiana eingelegten Urkunde (Demosthenes gegen Meidias 47) mit einem Zitate des Aeschines in der Rede gegen Timarchos abgeleitet; vgl. eingehend über die Dike Hybreos außer dem in Fn. 4 genannten Autoren Philippidis, Berechtigte Interessen, S. 28f.; Karanikas, Strafrecht, Bd. III, S. 249; Photiadis, Athene 17 (1905), S.34; Weggel, Hybrisklage, S.62ff.; Wolf, Griechisches Rechtsdenken, S. 322; Hirzel, Themis, S.166. 6 Wie Fn. 5. 7 Aristoteles, Politika V, 11, 1315a; vgl. auch Philippidis, a.a.O., S. 29. 8 Mainzer, Injurienklage, S. 7; v. [hering, Jh. Jahrb. 23 (1885) S. 156.
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(injuriae quae pertinent ad infamiam) Angriffe wie Körperverletzung (injuria quae inferuntur in corpus) und Hausfriedensbruch sowie weitere Störungen der persönlichen Machtsphäre wie die Injuriae quae pertinent ad dignitatet (die öffentliche Schmähung) oder die Injuria hinsichtlich des Zart- und Pietätsgefühles (pudicitia per appellare). 9 Mit v. Meiss ist anzunehmen, daß der Zweck der Klage - ähnlich dem altgriechischen Recht im Schutz vor beleidigendem, arrogantem Verhalten des anderen in Anwesenheit Dritter lag. 10 Da einer Geheimnisoffenbarung nur unter gewissen Umständen ein solches Verhalten zugrunde liegen kann, vermochte diese Klage bei Verletzung persönlicher Geheimnisse nur bedingt Anwendung finden. 11 Somit ist festzuhalten, daß im Altertum kein allgemeines Rechtsmittel zum Schutz des persönlichen Privat bereiches oder speziell zum Schutz von Geheimnishaltungsinteressen bekannt ist. Das römische Recht gewährleistete zwar expressis verbis den Schutz des Testamentsgeheimnisses 12 , jedoch schließt dies keineswegs auf einen allgemeinen Schutz von Geheimhaltungsinteressen. Der typische Wertabstand zwischen Brief- und Testamentsgeheimnis ist so schwerwiegend nach altrömischer Auffassung, daß die Straflosigkeit der Verletzung des ersten neben der regelmäßigen Bestrafung des zweiten wohl bestehen kann. Das Fehlen eines umfassenden Schutzes des persönlichen Bereiches im Altertum darf dennoch nicht etwa als Folge der Vernachlässigung oder noch einer etwaigen Unterschätzung dieses Bereiches gedeutet werden. Im Gegenteil scheinen die antiken Völker und insbesondere die Römer - im Verhältnis zu den damals existierenden Verletzungsgefahren - den Schutz bestimmter Seiten der Geheimsphäre sehr weit gesteckt zu haben, 13 berücksichtigt man hinzu auch die im Vergleich zu heute differierende Struktur des politischen und sozialen Systems. 14
9 Hierzu ausführlich, außer den in Fn. 8 genannten, Kaser, Das römische Privatrecht, S. 623; Leonhard, Ehre, S. 15; Karanikas, Strafrecht, Bd. III, S. 250f.; Philippidis, a.a.O., S.21 Fn. 1; vgl. auch v. Meiss, Geheimsphäre, S. 69ff. 10 v. Meiss, Geheimsphäre, S. 71, allerdings im Anschluß an v. [hering, Jh. Jahrb. 23, S. 176ff. \1 v. Meiss, a. a. 0., S. 70, 71. 12 Nach der lex Comelia wurde jeder, der in indiskreter Weise Testamente veröffentlichte, mit Bergwerkarbeit bzw. mit Deportation bestraft; im einzelnen dazu Süss, LehmannFs., S. 199, der als Grund für die Strafbarkeit der Verletzung des Testamentgeheimnisses die Tatsache erwähnt, daß die Römer moralisch verpflichtet waren, einen guten Freund im Testament zu bedenken. 13 Ähnlich auch Süss, Lehmann-Fs., S. 200. 14 Dies schildert am besten Hegel, Philosophie der Geschichte, S.105, in seinen Ausführungen: "... der einzelne mußte sich vollständig dem Staat hingeben, das Allgemeine unterjochte die Individuen"; zum Verhältnis Bürger-Staat im Altertum vgl. auch Mavrias, Privatleben, S. 28ff.; Ehrenberg, Der Staat der Griechen, S. 67.
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Herauszustreichen ist hier jedenfalls, daß ethische oder rechtliche Normen im Altertum doch solche Geheimnisse schützten, die bereits konkreter Verletzungsgefahr ausgesetzt waren. Da von einer Gefährdung des persönlichen Bereiches wenig zu spüren war, mußten von seiten des Rechtes keine Normen zum allgemeinen Schutz der Intimsphäre aufgestellt werden. Solche grundlegenden Normen, basierend auf den menschlichen Grundrechten, fehlten jedoch nicht nur in der Antike, sondern auch in der spät-römischen Zeit, bei den Byzantinern, den Germanen und anderen Völkern des Mittelalters und der Aufklärungszeit. Erst nach der französischen Revolution wurden Menschenrechte als Freiheitsrechte zum Verfassungsrecht gemacht. Trotz ihrer Verankerung in den Verfassungen Europas nach dem Ende des 18. und im Laufe des 19. Jahrhunderts war der Gewinn für einen allgemeinen Schutz der Intimsphäre keinesfalls groß. Zwar wird die Unverletzlichkeit bestimmter Geheimnisse wie des Briefgeheimnisses proklamiert, jedoch fehlt auch zu dieser Zeit ein Normenkomplex statuierend das Recht des einzelnen auf Erhaltung der Intimsphäre. 15 Man glaubte noch, Geheimnisse seien am wirksamsten beim Geheimnisträger geschützt und demzufolge spezielle Normen nicht von nöten. Dies mag für die Vergangenheit freilich zutreffend gewesen sein, berücksichtigt man insbesondere, daß bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gefahren für die Intimsphäre wenig spürbar waren. Denn - unter anderem - war vor dem Auftreten der technischen Ausspähungsmethoden und der Massenmedien die Bespitzelung nur innerhalb der natürlichen Leistungsgrenzen des menschlichen Auges, des Ohres, der Stimme und des Gedächtnisses möglich. Darüber hinaus war in der weitgehend geschlossenen Gesellschaft des Dorfes oder der Kleinstadt die Gefahr, ungenaue Informationen als wahr hinzunehmen, nicht sehr groß, da Informationen über eine Person oder ein Ereignis, über das geklatscht wurde, aus erster Hand besorgt werden konnten oder zumindest die Bildung einer eigenen Meinung möglich war. Schließlich wurden "Klatschbasen" durch die Drohung mit außergesetzlichen Maßnahmen, wie z. B. gesellschaftliche oder geschäftliche Ächtung, abgeschreckt und daher wirklich ernsthafte Verletzungen der Intimsphäre verhindert. 16 Dieses Bild änderte sich jedoch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Anwachsen von Industrie und Handel hatte die Konzentrierung der Bevölkerung in großen Städten zur Folge und somit einen entscheidenden IS Siehe schon die Proklamierung des Grundsatzes der Unverletzbarkeit des Briefgeheimnisses durch die französische Nationalversammlung; Niederschlag findet dieser Grundsatz bereits in der Verfassung Belgiens von 1831 (Art. 22), in der Verfassung für das Kurfürstentum Hessen von 1831 (§ 38), in der Verfassung Griechenlands von 1844 (Art. 14) sowie in der Paulskirchenverfassung von 1848. 16 So Shils, Privacy, S.288ff., Mal/mann, Zielfunktionen, S. 18ff. vgl. auch Evers, Privatsphäre, S. 14; Miller, Einbruch in die Privatsphäre, S. 31; Eh. Schmidt, Universitas 1958, S. 813f.; Mavrias, Privatleben, S.45.
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Wandel der menschlichen Daseinsbedingungen. Während früher Wohnung und Arbeitsplatz nicht zu trennen waren, drängt nun die Industrialisierung die meisten kleinhandwerklichen und landwirtschaftlichen Arbeitsweisen zurück. So verliert die Familie ihre Funktionen in der Produktion, an die Stelle des Kleinbetriebes tritt der industrielle Großbetrieb, an Stelle des Hauses, als Verkaufsort, der Markt. 17 Die Berufssphäre verselbständigt sich folglich als ein quasi-öffentlicher Bereich gegenüber einer auf die Familie reduzierte Privatbzw. Intimsphäre. la Gleichzeitig wird die Familiensphäre einerseits wegen der Anonymität des Großstadtlebens weniger transparent als sie in der vorindustriellen geschlossenen Gesellschaft war, in der jeder den anderen kannte, andererseits aber - angesichts des architektonisch bereits durch die Anlage gemeinsamer Höfe für eine Reihe von Häusern vorgeformten Nachbarschaftsverkehrs - eher verletzungsempfindlich als früher. 19 Obschon Haus und Familie wesentliche ökonomische und erzieherische Funktionen verloren, wurden ihre Bereiche vom einzelnen bis etwa zum Ende des vorigen Jahrhunderts nicht als ernsthaft bedroht angesehen. Von staatlichen Eingriffen war noch keine Rede und andere Eingriffe in seine Intimsphäre vor allem durch Dritte konnte der Bürger relativ leicht abwehren. Auch von der noch nicht zum Massenmedium entwickelte Presse gingen keine großen Gefahren für die Intimsphäre des Bürgers aus. Der Wechsel im 19. Jh. ist gekennzeichnet durch prägnante und schnelle Fortschritte der Technik und somit durch Erweiterung der Angebote an Zivilisationsgütern: Drucktechnik, Telegrafie, Fotografie, Telefon und Funk wurden dem Menschen zur Verfügung gestellt und signalisierten den Übergang zur Massenkommunikation. Die Veröffentlichung persönlicher Briefe, Tagebücher und anderer intimer Vorgänge aus dem Leben des einzelnen war die erste Form des daraus resultierenden, neu entstandenen Konfliktes zwischen Privatleben und Öffentlichkeit. Die von dieser Entwicklung ausgehenden Gefahren für die Intimsphäre wurden von einigen Autoren in Deutschland wie auch im Ausland erkannt und in wertvollen Veröffentlichungen geschildert. 20 Bestrebungen, der Persönlich17 Im einzelnen dazu Habermas, Strukturwandel, S. 184fT.; Shils, Privacy, S. 289; Mallmann, Zielfunktionen, S. 19. 18 Habermas, Strukturwandel, S. 186f.; vgl. auch Schelsky, Schule und Erziehung in der industriellen Gesellschaft, S. 33. 19 Mallmann, Zielfunktionen, S.19; Müller in Damman u.a., Datenbanken und Datenschutz, S. 73 ff.; ausführlich dazu Bahrdt, Schweizer Monatshefte 1958, S. 644f. und Habermas, Strukturwandel, S. 190f. 20 Zu nennen sind vor allem die Arbeiten von Giesker, Das Recht des Privaten an der eigenen Geheimsphäre, Diss. Zürich 1904; Lobe, Ausschlußrecht und Persönlichkeitsrecht, Kohler-Festgabe, Berlin 1909, S. 3 fT.; Sauter, Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz, Breslau 1910; Schulz-SchaefJer, Das subjektive Recht im Gebiet der unerlaubten Handlung 1915, S. 232fT.; vgl. auch Kohler, DJZ 1912, S. 29f., der erstaunlich weit vorausblickend die zukünftige Bedrohung der Intimsphäre schilderte: "Nun denke
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keit bzw. der Intimsphäre einen umfassenden Schutz zuzusprechen und vor allem den zivilrechtlichen Schutz auf immaterielle Güter auszudehnen, konnten sich jedoch zunächst nicht durchsetzen. 21 In Deutschland galt noch zu dieser Zeit die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes sowie im allgemeinen die Gewährleistung eines verstärkten Schutzes der Intimsphäre nicht als notwendig, zumal auf die strafrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Ehre verwiesen werden konnte. 22 Erst einige Jahrzehnte später gelang der entscheidende Schritt. Der Bundesgerichtshof erkannte in seinem Leserbrief-Urteil von 1954 unter Berufung auf Art. 2 i. V. m. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht an und gestand damit der Intimsphäre einen ausreichenden zivilrechtlichen Schutz ZU. 23 Das Bewußtsein der Notwendigkeit eines Schutzes, vor allem gegen unbefugte Presseveröffentlichungen, war im Bürgertum schon seit einiger Zeit erwacht. Mit alten, längst durch Technik und veränderte Situation überholten Normen, konnte das Problem des Schutzes der Intimsphäre - verstanden zunächst als räumlich abgeschlossener Bereich, in dem sich das Leben im Kreise von Familie, Verwandtschaft und Bekanntschaft abspielte - nicht mehr im Kern erfaßt werden. Angesichts der Kommerzialisierung personen bezogener Information sowie der Verbreitung von Fotos für Werbezwecke oder solcher mit intimen Vorgängen sahen sich die Bürger in die Rolle schutzloser Informationsobjekte versetzt, zumal sie sich gegen Eingriffe in ihre Intimsphäre nicht mehr zu wehren vermochten. Diese veränderte Situation führte zur Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, im Rahmen dessen das Privatleben des einzelnen man sich die phonographische und kinematographische Erfindung weiter entwickelt und stelle sich vor, daß es möglich wäre, in einem Raum verborgen einen Apparat anzubringen, wodurch das geheimste Wort fixiert oder ohne Willen der Anwesenden ein kinematographisches Bild der intimsten Vorgänge bewirkt würde; hier müßten neue Rechtsnormen erwachsen. " 21 Für einen zivilrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts setzte sich schon früher v. Jheringein, Jh. Jahrb. 23 (1885), S.155ff.; vg!. auch Kohler, AffiR 7 (1893), S. 105; siehe im allgemeinen zur Entwicklung im Zivilrecht Maass, Information und Geheimnis, S. 6ff.; Huhmann, Persönlichkeitsrecht, S. 176ff. et passim, der auch insbesondere in S. 99 ff. auf die Entwicklung des Persönlichkeitsrechts in ausländischen Rechten hinweist. 22 Vg!. RGZ 69, S. 403; 79, S. 397f.; 113, S. 413f.; freilich konnte vor allem durch §§ 12 und 826 BGB sowie §§ 22ff. KUG ein gewisser Schutz der Persönlichkeitsgüter erreicht werden, der bis vor dem 2. Weltkrieg von der juristischen Literatur überwiegend als ausreichend angesehen wurde, dazu Mal/mann, a.a.O., S. 23; vg!. aber Maass, a.a.O., S.17f. 23 BGHZ 13, S. 334, 338. Fast um dieselbe Zeit wird auch im griechischen Recht ein umfassendes einheitliches Persönlichkeitsrecht anerkannt und sein Schutz ausdrücklich durch Art. 57 gr. BGB geregelt. Früher, also von 1830 - Befreiung von den ottomanisehen Türken - bis etwa um die Mitte des 19. Jh., erkannte die griechische Rechtsordnung nur eine Reihe einzelner Persönlichkeitsrechte, deren Verletzung Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld auslöste, dazu statt vieler Sourlas in Kommentar zum gr. BGB, Ein!. Art. 57 - 60 Rdm. 3 ff.; vgl. auch Karakatsanis in Georgiadis-Stathopoulos, Art. 57 Rdm.2ff.
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Bürgers gegen unbefugte Eingriffe geschützt wird, da der Mensch nicht bis in den letzten Winkel seines Fühlens, Denkens und Handeins transparent sein darf. 24 Anders als im Zivilrecht wurde der Schutz der Intimsphäre im öffentlichen Recht eine Zeitlang als überflüssig angesehen. Wenngleich es in den 50er Jahren nicht an Versuchen, ein Recht auf Achtung der Intimsphäre als Grundrecht anzuerkennen und zu schützen, fehlte 2s , fanden sie keinen allgemeinen Zuspruch, weil die Bedrohung der Intimsphäre im öffentlich-rechtlichen Bereich weniger deutlich als z. B. im Verhältnis Bürger zu Massenmedien war. So meinte etwa Forsthoff noch 1964, die Intimsphäre habe im Verwaltungsrecht als Grenze jeglichen Eingriffes keine Existenzberechtigung. 26 Ebenso wollte Krüger dem einzelnen keinen Anspruch auf eine freie Intimsphäre gewähren, obgleich er die Existenz der Intimsphäre als ein soziologisches Phänomen anerkannte. 27 Diese Gegenstimmen konnten sich jedoch nicht durchsetzen, zumal sich die Notwendigkeit eines Schutzes der Intimsphäre des einzelnen zum einen gegen den Mißbrauch des technischen Fortschrittes auf den Gebieten der Funktechnik, der Tonträger, Abhör- und Wiedergabegeräte seitens von Privatpersonen oder staatlichen Organen, zum anderen gegen staatliche Eingriffe entweder zum Zwecke der Planung im Bereich der Daseinsvorsorge oder zwecks Bekämpfung schwerer Kriminalität immer deutlicher offenbarte. Staat, Massenmedien und Privatpersonen konnten anhand perfekter Ausspähungsmethoden und technischer Geräte über die Chance des einzelnen Menschen, seine Intimsphäre aufrechtzuerhalten, entscheiden. Schon in den 60er Jahren war vor Teleobjektiv und Infrarotfotografie kein dem Privatleben vorbehaltener Schlupfwinkel sicher, zumal der ehemals innerhalb des Hausfriedens garantierte Schutz konnte längst nicht mehr ausreichen. Empfindliche Mikrophone zum Ablesen der Schwingungen von Fensterscheiben machten selbst das Eindringen in die Wohnung zwecks Mithörens heimlicher Gespräche unnötig. 28 Die Gefahr, daß 24 Vgl. in erster Linie die umfassende monographische Behandlung des allg. Persönlichkeitsrechts von Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1953, dessen Ansatz ein Jahr später anscheinend vom BGH (in BGHZ 13, S. 334fT.) aufgenommen wurde. 2S Siehe schon Redeker, DÖV 1954, S.109fT.; Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 ders. in MDH, Art. 1 Rdrn. 37ff., Art. 2 Rdrn.4OfT.; Wintrich, Problematik der Grundrechte, 1957, S. 10ff.; Evers, Privatsphäre, S. 38fT. et passim; zu Vorläufern aus der Zeit vor der Geltung des GG vgl. Evers, a.a.O., S. 18fT. 26 Forsthoff, Fs.45. DJT, S. 41 fT.; kritisch schon Evers, AöR 90 (1965), S. 96f. und ders. in Verfassungsschutz, 1966, S. l00f. 27 Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 347f. et passim; gegen ein besonderes Rechtsgut der Instimsphäre wendete sich noch 1973 Krauß, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, Gallas-Fs., S. 365fT. 28 Zur Gefährdung und damit auch zur Schutzbedürftigkeit der Intimsphäre vgl. schon Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S.I, 321; Süss, Lehmann-Fs., S. 189f.; Eb. Schmidt Universitas 1958, S. 816f.; Henkel, Referat zum 42. DJT, S. D. 127; Nipperdey, ebenda, S.
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§ 2 Notwendigkeit des Schutzes der Intimsphäre
der Bürger stets mit der Möglichkeit einer Bemächtigung seines gesprochenen und geschriebenen Wortes sowie einer Ausforschung seines psychischen Kosmos und seiner inneren Gefühle und Ansichten 29 rechnen müßte, wurde akut. Hätte die veränderte Situation nicht zu Reaktionen der Rechtsordnung geführt, wäre das Vertrauen der Bürger gegenüber Mitmenschen und Staat zerstört und somit auch die Bereitschaft jedes einzelnen, bestimmte Informationen auszutauschen, verhindert. Von freier Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) und menschenwürdiger autonomer Selbstbestimmung des einzelnen (Art. 1 Abs.l GG) könnte dann keine Rede mehr sein. Gerade aus den besagten Artikeln haben Rechtsprechung und Lehre ein subjektives öffentliches Recht auf Achtung der Intimsphäre abgeleitet und trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten in punkto "Umfang der Gewährleistung der Intimsphäre" dieses Recht durchweg als verfassungs rechtlich geschützt angesehen. Eine Sphäre privater Lebensgestaltung, die jedem einzelnen Bürger verfassungskräftig vorbehalten ist, hat der BVerfG30 schon früher befürwortet, und somit den Menschenwürdesatz und den Wesensgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG fruchtbar gemacht. In einer mittlerweile recht ansehnlichen Zahl von späteren Entscheidungen, gestützt auf Art. 2 i. V. m. Art. 1 GG, hat das BVerfG schließlich den grundrechtlichen Schutz der Intimsphäre anerkannt und zur Entwicklung dieses Schutzes erheblich beigetragen. 31 Die Anerkennung des Grundrechts auf Achtung der Intimsphäre bestätigte die immer größer werdende Bedeutung des Rechtsgutes "Intimsphäre" angesichts ihrer zunehmenden Gefahrdung in der modernen Gesellschaft. Dieser Entwicklung trug auch das Strafrecht im Jahre 1975 mit einer Reform des 15. Abschnittes des StGB Rechnung. 32 Die heutige Fassung der §§ 201 ff. 33 beruht D. 3ff.; Gallas, ZStW 75 (1963), S. 17; Fechner i~ Wanderleb (Hrsg.), Recht-StaatWirtschaft, Bd. III, S. 32f.; ders. in Schlemmer (Hrsg.), Verlust der Intimität, S. 12; Arzt, ebenda, S. 62f.; Weitnauer, Betrieb 1976, S. 1366; Schwerdtner, JuS 1978, S. 290; vgl. auch für das griechische Recht Papantoniou, Zepos-Fs., S.353; Michailidis-Nuaros, Die technische Zivilisation, S. 17f., 26ff.; ders. ToS 1983, S. 370ff.; Vlachos, Soziologie, S. 42 und 140ff.; Mavrias, Privatleben, S. 168ff. m. w. N. 29 Zu denken ist hier vor allem an Methoden wie Narkoanalyse und Lügendetektor sowie an projektive Tests, die den Zugang zum Unterbewußtsein des Probanden verschaffen können, siehe dazu im einzelnen unten §§ 5, 6. 30 BVerfGE 6, S. 32 (41); 6, S. 432ff. 31 BVerfGE 27, S. 1 (6f.); 27, S. 344 (350ff.); 32, S. 373 (379); 33, S. 367 (376f.); 34, S. 205ff.; 34, S. 238 (245f.); 35, S. 39; 35, S. 220f.; 38, S. 105 (114f.); 38, S. 312 (320); 39, S. 42f.; 42, S. 236; 44, S. 373; 55, S. 144 (150f.); 56, S. 37 (49f.). 32 Das Bedürfnis nach einem strafrechtlichen Schutz der Persönlichkeit wurde jedoch schon früher vom amtlichen Entwurf 1962 anerkannt, in dem sich ein "IndiskretionsdeHkt" in § 182 ("Öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten") fand; im einzelnen dazu etwa Gallas, ZStW 75 (1963), S. 16ff.; G. Schmidt, ZStW 79 (1967), S. 741 ff.; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 226ff.; Arzt, Intimsphäre, S. 143ff. 33 Vgl. die alte Fassung, §§ 298, 299, 300 StGB; siehe auch die entsprechenden Vorschriften des griechischen Strafgesetzbuches 370, 370a und dazu im einzelnen unten.
§ 2 Notwendigkeit des Schutzes der Intimsphäre
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auf dem gemeinsamen Grundgedanken, daß eine Entfaltung der Persönlichkeit nur möglich ist, wenn dem einzelnen hierfür ein Freiraum gegenüber Gemeinschaft, Staat und Mitmenschen gewährleistet wird. 34Somit läßt sich zusammenfassend festhalten, daß die Intimsphäre erst in der modemen Gesellschaft in allen Rechtsgebieten und in mannigfachen Ausprägungen umfassend geschützt wird. Entscheidende Faktoren für die Notwendigkeit dieses verstärkten Schutzes waren vor allem das Fortschreiten der technischen Entwicklung und die damit verbundene Gefahr einer Ausnutzung aller technischen Möglichkeiten ohne Rücksicht auf den Menschen sowie die veränderten Verhältnisse (im gesellschaftlichen Leben) in der Gesellschaft.
34 Vgl. EEGStGB 235 sowie Lenckner in Schönke-Schröder, Vorb. zu den §§ 201 ff. Rdr.2.
3 Dalakouras
§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre I. Allgemeines Die Anerkennung eines subjektiven öffentlichen Rechtes auf Achtung der Intimsphäre ist, wie schon darauf hingewiesen wurde, nicht ohne Einwände geblieben. 1 Wenn auch der Intimsphärenschutz heutzutage verfassungsrechtlich abgesichert erscheint, ist es noch nicht vollständig gelungen, den Umfang einer verfassungsrechtlichen Garantie zu umreißen und damit im Nachhinein die Schranken, an denen der Schutz der Intimsphäre enden soll, zu entwickeln. Gewisse Schwierigkeiten bereitet darüber hinaus die Feststellung des Regelungsbereiches des Grundrechtes auf Achtung der Intimsphäre. Was der Intimsphäre anzurechnen ist, d. h., ob der Tatbestandsbereich nur Vertrauliches oder das gesamte private Verhalten erfassen soll, wird nicht immer klar beantwortet. Ebensowenig besteht Übereinstimmung darin, die Intimsphäre als Bereich der Freiheit von Staat und Gesellschaft zu begreifen 2 oder als Bereich der Freiheit zum Staat. 3 Zuzüglich fehlen den bisher angebotenen Lösungsvorschlägen noch überzeugende Kriterien zur Abgrenzung des geschützten Bereiches von ungeschütztem bzw. geschützter von ungeschützter Informationen. So ist es kaum verwunderlich, daß vor allem im Rahmen des Datenschutzes versucht wurde, unter Verzicht auf den Begriff "Intimsphäre" lediglich "personenbezogene Daten" als schutzwürdig zu erklären, 4 obschon auf diese Weise das Rechtsproblem nicht gelöst, sondern nur verschoben wird. Zu weit führen allerdings Einwände der Art, ein Schutz der Intimsphäre sei letztlich nicht nötig, da hierdurch nur Minderheitsprivilegien abgesichert würden. 5 Oben ist bereits gezeigt worden, daß das Bedürfnis nach eigener Intimsphäre trotz aller Unterschiede bei jedermann besteht, so daß sich die Ansicht, 1 Forsthoff, Fs.45, DJT, S. 41 ff.; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 347f., 539; vgl. auch Krauß, Gallas-Fs., S. 365ff. 2 So z. B. die Vertreter der Sphärenteorie, dazu unten II. 1. 3 In diesem Sinne Böckenförde, NJW 1974, S. 1534ff.; vgl. auch Seidel, NJW 1970, S. 1581 f.; Lenk, ÖVD 1974, S. 312ff.; Intimsphäre als Freiheit von Staat würde geradezu zum Rückzug aus dem politischen und sozialen Leben auffordern. 4 Vgl. §§ 1,2 Abs. 1 BDSG; dazu auch Simitis, DVR 2 (1973), S. 148ff.; Mal/mann, Zielfunktionen, S. 26. 5 Hierzu Mal/mann, Zielfunktionen, S. 31.
1. Allgemeines
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Maßnahmen zum Schutz der Intimsphäre seien bei Angehörigen der Unterschicht ohne Bedeutung, weil diese an sich sowieso zu Preisgabe ihrer Intimsphäre bereit seien, nicht einhalten läßt. 6 Gleiches gilt für die These, der Intimsphäre werde ein immer geringerer sozialer Stellenwert eingeräumt; Anzeichen dafür sei unter anderem die Tatsache, daß in der jüngeren Generation die spontane Bereitschaft zur Offenlegung von in der Vergangenheit als privat angesehenen Bereichen zugenommen habe. 7 Demgegenüber ist zu erwähnen, daß die Ent-Tabuisierung bestimmter früher nur in vertrautem Kreis besprochener Angelegenheiten keineswegs einen Verlust der Intimsphäre bedeutet. Vielmehr steht zur Debatte eine Veränderung dessen, was man Intimsphäre nennt, oder eher noch eine Verlagerung der Intimität in dem Sinne, daß das Aufgeben einer Intimität zu einer anderen Form der Intimität führt. 8 Im übrigen handelt es sich bei dem letztgenannten Einwand um eine bloße Vermutung, die zumindest in Europa nicht bestätigt wird, zumal die meisten europäischen Länder in den letzten Jahren der Intimsphäre nach wie vor einen erheblichen sozialen Stellenwert einräumen. 9 Angesichts der Gefährdung der Intimsphäre durch die öffentliche Gewalt soll im folgenden untersucht werden, wann und unter welchen Voraussetzungen eine staatliche Ausforschung der Intimsphäre des einzelnen zulässig sein darf. Obwohl ohne Zweifel ein enger Zusammenhang zwischen Intimsphäre und Datenschutz besteht, ist die weitverzweigte Diskussion über den Datenschutz, dessen Themabereich über die hier zu bearbeitende Problematik in mehrfacher Hinsicht hinausgeht, nicht fortzusetzen. Ebensowenig brauchen in diesem 6 Die Vermutung, "das Recht der Privatheit" sei ein Privileg der Mittelmäßigkeit, wird allerdings auch durch die von Mallmann, a. a. O. zitierten amerikanischen Umfragen nicht ganz bestätigt, abgesehen davon, daß dabei die Fragestellung nicht generell nach dem Stellenwert von Privacy gezielt war, sondern nach der Intensität der Bedrohung von Privacy durch Computer. 7 Vgl. Mal/mann, Zielfunktionen,S.34f. m.w.H. auf die amerikanische Literatur. Selbst Mallmann hält Rückschlüsse auf eine generelle Akzeptierung gesteigerter Verhaltenstransparenz zumindest für verfrüht. 8 So deutlich Lehr in Schlemmer (Hrsg.), Verlust der Intimität, S.22f; vgl. auch Luckmann, ebenda, S. 50 und Schünemann, ZStW 90, S. 28. Dies zeigt sich am deutlichsten am Beispiel der Ent-Tabuisierung im Laufe der letzten Jahrzehnte des "freimütigen" Sprechens über den Vorgang der Entstehung des Lebens und der Geburt; Lehr führt dazu aus, daß die in diesem Bereich scheinbar aufgegebene Intimität im Grunde zu einer zunehmenden Vertrautheit zwischen Eltern und Heranwachsenden führt, so ermöglichend das Miteinander-Sprechen über andere sog. "intime Dinge". 9 In England wird dies in jedem Fall auch durch demoskopische Umfragen bestätigt; vgl. dazu Mal/mann, Zielfunktionen, S. 35; siehe ebenso für Griechenland, MichailidisNuaros, ToS 1983, S. 370ff.; Mavrias, Privatleben, S. 151 ff. et passim; in der BRD wird dies zum Teil auch durch die Intensität der öffentlichen Diskussion bestätigt, wenn es um Einschränkungen der Intimsphäre des Bürgers geht, wie etwa die Diskussion über das Abhörgesetz oder über die sog. Anti-Terror-Gesetze gezeigt hat.
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
Zusammenhang die Entwicklungslinien des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nachgezeichnet zu werden. Hier kommt es primär darauf an, den Regelungsbereich des Grundrechtes auf Achtung der Intimsphäre versuchsweise festzustellen und die weitreichenden Auswirkungen dieses Grundrechtes in der Praxis aufzuzeigen. Zuerst werden jedoch die wesentlichen Lösungsansätze in Literatur und Rechtsprechung aufgestellt mit dem Zweck, gleichzeitig den Begriff der Intimsphäre und ihre Funktionen näher zu umreißen.
11. Lösungsansätze in der Literatur In der öffentlich-rechtlichen Literatur sind im wesentlichen drei Ansätzeallerdings in verschiedene Richtungen - entwickelt worden, die dem einzelnen ein subjektives öffentliches Recht auf Achtung der Intimsphäre zuzusprechen und den Begriff Intimsphäre zu strukturieren versuchen. Als erster, bzw. ältester Ansatz ist die im Zivilrecht entwickelte und später in das öffentliche Recht übernommene Sphärentheorie zu nennen, die zum Teil auf Entscheidungen des BVerfG zurückgeht und die Intimsphäre in mehrere Ebenen verschiedener Geheimhaltungsbedürftigkeit aufteilt. Dem folgen zwei im Rahmen der Datenschutzdiskussion entwickelte Ansätze: die Theorie der autonomen Selbstdarstellung und die Rollentheorie, die im Gegensatz etwa zur Sphärentheorie die Intimsphäre auch in der Öffentlichkeit zu schützen versuchen. Einer spezifischen Analyse bedarf letztlich die BVerfG-Rechtsprechung, obwohl sie doch allgemein der Sphärentheorie zugerechnet wird. A. Sphärentheorie
Die Sphärentheorie geht davon aus, daß der Mensch aufgrund der Seinsordnung ein Doppelwesen ist, einerseits ein Einzelner, der aus eigenen, individuellen Lebensbedingungen heraus wächst und sein eigenes Leben führt, andererseits ein Sozialwesen, das mit anderen Menschen zusammenlebt und auf die Verbindung mit ihnen angewiesen ist. Den lebensgesetzlichen Gegebenheiten wird daher, sowohl vom Standpunkt der Allgemeinheit wie von demjenigen des einzelnen aus, nur dann Genüge geleistet, wenn dem einzelnen der Lebensraum eingeräumt wird, den er als Einzelwesen, als Persönlichkeit benötigt. 10 Nur wenn sich der einzelne nicht für jeden Gedanken und jede Handlung vor der Öffentlichkeit verantworten muß und nicht bis in den letzten Winkel seines Fühlens, Denkens und Handeins "transparent" ist, kann er sich frei als Persönlichkeit entfalten. Deshalb will die Sphärentheorie dem einzelnen Menschen gewisse Lebensbereiche zuerkennen, zu denen Staat und Privatpersonen 10
Vgl. statt vieler Henkel, Gutachten für den 42. DJT, S. D63.
II. Lösungsansätze in der Literatur
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in keinem Fall oder nur unter besonderen Voraussetzungen Zugang haben können. Intimsphäre ist insoweit von der Öffentlichkeit eindeutig zu trennen, Schutz der Intimsphäre ist Schutz vor der Gemeinschaft. Darüber hinaus unterscheidet die Sphärentheorie auch innerhalb der Intimsphäre verschiedene Schutzbereiche, abgestimmt im wesentlichen auf die Personennähe oder Geheimhaltungsbedürftigkeit der Information. Dadurch entsteht ein System konzentrischer Ringe von je unterschiedlichem Geheimnischarakter, wobei jedoch sowohl bezüglich der Anzahl der Ringe als auch bezüglich der Maßeinheit der Personennähe erhebliche Uneinigkeit besteht. So differenziert Hubmann l l beispielsweise zwischen drei Schutzkreisen, nämlich der Individualsphäre, der Privatsphäre und der Geheimsphäre, während Maass 12 nur eine Geheim- und eine Öffentlichkeits sphäre unterscheidet. Dementgegen unterteilt Schwalm die Intimsphäre in Vertraulichkeitssphäre und private Geheimsphäre 13 , während Evers wiederum innerhalb der Intimsphäre den relativ und den absolut geschützten Bereich sowie den gesteigerten Schutzbereich unterscheidet. 14 Durch Aufteilung der Privat- sowie des Öffentlichkeitsbereiches in mehrere Sphären versucht scliließlich Scholler 15 die Dichotomie "privat" - "öffentlich" aufzulösen, einbeziehend zwischen die Bezirke der Intimsphäre und der Öffentlichkeit die Ebenen des Geheimbereiches und der Privatöffentlichkeiten. Haft andererseits spricht im Anschluß an das BVerfG von einer absoluten Geheimsphäre und einer relativen, unter bestimmten Voraussetzungen zugänglichen Intimsphäre. 16 Auffallend ist aber auch die Vielfalt der zur Bildung der verschiedenen Sphären vorgeschlagenen Maßstäbe. Während im Zivilrecht als Abgrenzungsmerkmal überwiegend der Geheimhaltungswille des einzelnen in den Vordergrund gestellt wird,17 gilt diese rein subjektive Abgrenzung im öffentlichen 11 Persönlichkeitsrecht, S. 269f.; ders., JZ 1957, S. 524; ähnlich auch Reinhardt, AcP 153 (1954), S. 558. 12 Information und Geheimnis im Zivilrecht, S. 25 f., 27 ff. 13 Schwalm, ZStW 74 (1962), S. 489; ähnlich schon früher Henkel, Gutachten für den 42. DJT, S. D81ff. 14 Evers, Privatsphäre, S. 44, 46ff., 54ff. IS Person und Öffentlichkeit, S. 85 ff.; innerhalb der Intimsphäre unterscheidet Scholler den Eigenbereich, die Geheimsphäre und Intimbezirke, während er im Bereich der Öffentlichkeit zwischen "öffentlichem Dasein, qualifizierter- und publizistischer Öffentlichkeit" differenziert. 16 Haft, Strafrecht BT, § 11 12. 17 Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 325, 329f. et passim; Reinhardt, AcP 153 (1954), S. 548 ff.; Rundei, Die rechtlichen Grenzen der Nachrichtenbeschaffung durch die Ämter für Verfassungsschutz, Diss. Köln 1959, S.29; vgl. auch Schwerdtner, Persönlichkeitsrecht, S.79ff.; Bussmann, Verh. 42. DJT, Bd. I Teil1, S.39; anders jedoch Maass, Information und Geheimnis,S.27ff., der das subjektive Abgrenzungskriterium des Geheimhaltungswillens für ein formales Element hält, das "keinen materiellen Hinweis
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
Bereich als nicht tragfähig, da die zu berücksichtigende Interessenlage im öffentlichen Recht eine qualitativ andere ist als im Zivilrecht. 18 Für die Abgrenzung der Sphären sollte daher im öffentlichen Recht gegebenenfalls auf objektive Kriterien abgestellt werden, mit deren Hilfe spezifische geschützte Sphären gebildet werden könnten. Der Intimsphäre würden dann alle Tatsachen und Angelegenheiten angerechnet, die "nach heutiger Sitte und Anschauung" 19 oder "nach Auffassung des Normalbürgers"20 dem Privatraum eingeordnet werden und insoweit der Öffentlichkeit entzogen bleiben müssen. 21 Einer derartigen Typisierung wird jedoch entgegengehalten, der empirische Bestand der Intimsphäre könne auf diese Weise überhaupt nicht erfaßt werden, weil es sich grundsätzlich nicht um die Frage der Personennähe handele, sondern um Eigenarten menschlichen Rollenverhaltens. 22 Andererseits wird wiederum behauptet, eine positive Inhaltsbestimmung sei wegen der Relativität der Intimsphäre unmöglich. 23 Letzteres scheinen selbst Vertreter der Sphärentheorie anzunehmen unter Verzicht auf materielle Abgrenzungen, weil "die ganze Fülle der denkbaren Lebensäußerung sich nur andeutend umschreiben, nicht aber beschreiben" läßt. 24 In Erkenntnis dieser Tatsache nimmt Evers 25 eine deskriptive Unterteilung der Intimsphäre nach dem durch die positive Rechtsordnung gewährten Schutz vor und zieht als Abgrenzungskriterium die auf die jeweils geschützten Interessen und Rechtsgüter" gebe. Statt dessen soll für ihn ausschlaggebend das legitime Informationsinteresse der Öffentlichkeit sein; kritisch jedoch Arzt, Intimsphäre, S. 35ff., 130 sowie Rohlf, Privatsphäre, S. 31, der zu Recht Maass' Abgrenzungsmaßstab als ungeeignet charakterisiert, weil somit die Geheimsphäre nicht mehr als ein eigener Schutzbereich, sondern als Bereich fehlenden legitimen Publikumsinteresses existieren würde. 18 Forsthoff, Fs. 45. DIT, S.46; Benda, Geiger-Fs., S. 34; Rupp, Gutachten für den 46. DIT, S. 165 (199); Rohlf, Privatsphäre, S. 43 f. 19 Schumacher, Die Presseäußerung als Verletzung der persönlichen Verhältnisse, S.137. 20 Basselkuss j Kaminskiin Kilian j Lenk, Datenschutz, S. 123; vgl. auch Kamlah, Right of Privacy, S. 160 allerdings in bezug auf das amerikanische Recht. 21 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang vor allem der Versuch von Arzt, Tatsachen, aus denen der Ausschluß der Öffentlichkeit ohne weiteres folgt, in Gruppen geordnet darzustellen, um auf diese Weise eine Schilderung der heutigen Anschauung über die Intimsphäre zu geben, Arzt, Intimsphäre, S. 104ff. Genannt werden unter anderem positiv und negativ zu wertende Tatsachen, Tatsachen aus dem Sexual- und Familienleben, Glück- und Unglücksfälle, strafbare Handlungen sowie kreatürliche körperliche Vorgänge. Ein ähnliches Sortieren der der Intimsphäre angehörenden Angelegenheiten aus dem Leben des einzelnen und seiner Familie bietet auch Kienapfel, Privatsphäre und Strafrecht, S.28ff. 22 Dazu unten II 3 Rol1entheorie -. 23 Vgl. Simitis, DVR 2 (1973), S.143ff.; Steinmüller in KilianjLenkjSteinmüller, Datenschutz, S. 67; ehr. Mallmann in Schneider, Datenschutz - Datensicherung, S. 22; Kamlah, DÖV 1970, S. 362; Podlech, DVR 1 (1972), S. 156. 24 So Evers, Privatsphäre, S. 8; vgl. auch Buhmann, IZ 1957, S. 524. 2S Privatsphäre, S. 21f.; 44ff., 51.
II. Lösungsansätze in der Literatur
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Bestimmtheit der gesetzlichen Handlungsermächtigung für die Verwaltung heran. Scholler dagegen versucht die von ihm in Eigenbereich, Geheimsphäre und Intimbezirk unterteilte Intimsphäre anhand jeweils verschiedener Kriterien zu bestimmen. So stellt er für die Abgrenzung der Geheimsphäre auf den Geheimhaltungswillen des einzelnen ab, während er für den Intimbezirk neben dem Geheimhaltungswillen objektive Komponenten verlangt, wie den objektiv - nach Sittengesetz und Grundanschauungen - feststellbaren Intimcharakter; wenn entweder kein Geheimhaltungswille vorhanden ist oder der Intimcharakter fehlt, spricht Scholler von einem Eigenbereich, der die persönliche Umwelt, den häuslichen und auch den nicht allgemeinzugänglichen, beruflichen Bereich umfassen soll. 26 Doch die Tatsache, daß diese Differenzierungen nicht an jeweils demselben Abgrenzungskriterium gemessen werden, reduziert deren Aussagekraft und somit deren Umsetzung in die Praxis, da im Ergebnis das Schutzgut merkwürdig unklar bleibt. Nach Rohlf scheint verantwortlich für die Schwierigkeiten bezüglich der Abgrenzung der Sphären gegeneinander der Gegenpol des Privaten, der Öffentlichkeitsbegriff zu sein, "weil seine zahlreichen Bedeutungsvarianten nur selten unterschieden werden und damit die Grenze zur Privatsphäre zwangsläufig verwischt wird."27 Dem ist zuzustimmen, schon angesichts der erheblichen Differenzen innerhalb der bisherigen sphären theoretischen Lösungsversuche zur Abgrenzung der geschützten Intimsphäre von dem ungeschützten Öffentlichkeitsbereich. Nach Meinung von Evers endet der geschützte Privatbereich in jedem Fall, "sobald einer unbeschränkten Öffentlichkeit die Kenntnisnahme möglich ist"; Richtlinie ist demzufolge die Allgemeinzugänglichkeit der Infornation. 28 Dagegen kann, so Hubmann, bereits der allgemeinzugängliche Bereich dann nicht zur Öffentlichkeit gezählt werden, wenn der einzelne darin anonym bleiben will; Hubmann führt insofern die Abgrenzung nach dem Geheimhaltungswillen auch bei dieser Unterscheidung folgerichtig durch. 29 Demgegenüber ist für Maass allein das öffentliche Interesse an einer Information ausschlaggebend,3O während Scholler zur Wahrung des Anonymitätsinteresses des einzelnen bei seinem Auftreten in der unbeschränkten Öffentlichkeit zwischen Intimsphäre und Öffentlichkeit den Bereich der Privatöffentlichkeit einschaltet; von Bedeutung sei hier ebenso wie Scholler, Person und Öffentlichk.eit, S. 87 ff., 91 ff. Rohlf, Privatsphäre, S. 43. 28 Evers, Privatsphäre, S. 44; ähnlich schon früher Giesker, Geheimsphäre, S. 1 f.; vgl. im allgemeinen zum ÖffentlichkeitsbegrifT Babermas, Strukturwandel, S.42ff., 172ff., 211ff.; Smend, Jellinek-Gedächtnisschrift, S.llff., Stockmann, Eigenbereich, S.102ff. 29 Bubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 270fT., 320ff. 30 Maass, Information und Geheimnis, S. 76fT.; ebenso im Ergebnis Krauß, Gallas-Fs., S.382ff. 26 27
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
für die Abgrenzung der "publizistischen Öffentlichkeit" das Interesse des gesellschaftlichen Publikums. 31 Die VieWiltigkeit der angebotenen Abgrenzungskriterien und vor allem die Tatsache, daß keines dieser Kriterien bei der Bildung der Sphären konsequent eingehalten wird, mindert eine mögliche Anwendung der Sphärentheorie in der Praxis erheblich, da sie eine allgemeine Bestimmung des Schutzbereiches der Intimsphäre positiv nicht zu ermöglichen erscheint. 32 In jedem Fall bewirkt die Unsicherheit in der Abgrenzung der Sphären, daß nicht von vornherein gesagt werden kann, welche Angelegenheiten als der Intimsphäre angehörend schutzwürdig sind und damit auch welche Eingriffe zulässig sind, m. a. W.: wann in die Intimsphäre eingegriffen werden darf. 33 Damit muß jedoch nicht unbedingt auf Unrichtigkeit des sphärentheoretischen Ansatzes geschlossen werden. 34 Gelingt es, die Sphären anhand eindeutiger Abgrenzungskriterien zu bilden, so sprechen dann für die Sphärentheorie die mannigfachen praktischen Anwendungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Berechenbarkeit staatlicher Eingriffe in die Intimsphäre. Selbst nach Ansicht ihrer Kritiker 3S ist "allein die Sphärentheorie in der Lage, die sich wandelnden gesellschaftlichen Anschauungen von ,öffentlich' und ,privat' in das Recht zu übertragen" und damit eine klar erkennbare Unterteilung auf dieser Basis zu schaffen. Soweit jedoch für die Abgrenzung der Intimsphäre von der ungeschützten Öffentlichkeit auf ein mehr oder weniger plausibles, im Grunde aber beliebiges Kriterium abgestellt wird, kann weder eine allgemeingültige Abgrenzung geliefert noch eine Definition der Intimsphäre erarbeitet werden. Als Hilfe heranzuziehen ist gegebenenfalls eine Untersuchung der einzelnen Spezialgrundrechte wie von Art. 4,6, 10, 13 GG, da diese - allerdings in verschiedenem Umfang - die Intimsphäre oder Teile von ihr schützen. Bei den bisherigen sphärentheoretischen Versuchen wird hingegen für den verfassungsrechtlichen Schutz der Intimsphäre vorschnell auf Art. 2 i. V. m. Art. 1 GG zurückgegriffen, ohne daß Spezialgrundrechte sowohl in bezug auf den Regelungsbereich als auch hinsichtlich der Schranken des anerkannten Grundrechtes auf Achtung der Intimsphäre in die Erörterung einbezogen werden. Doch gerade aus einer solchen Untersuchung ließen sich zumindest grundgesetzimmanente Abgrenzungskriterien finden, um eine sachgerechte Trennung der Intimsphäre von den ungeschützten Bereichen zu ermöglichen. Darauf wird zurückzukommen sein. Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 86f., 91 ff. So der oft ausgesprochene Vorwurf gegen die Sphärentheorie, vgl. oben die in Fn. 23 erwähnte Literatur. 33 Ähnlich Rohlf, Privatsphäre, S. 42. 34 Vgl. dazu Arzt, Intimsphäre, S. 103 und im Anschluß an ihm Rohlf, a.a.O., S.42. 35 Vgl. z. B. Seidel, Datenbanken und Persönlichkeitsrecht, S. 70. 31
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II. Lösungsansätze in der Literatur
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Abgesehen von den Abgrenzungsproblemen, beruht die Unzulänglichkeit des sphärentheoretischen Ansatzes auf der Tatsache, daß kein Schutz im Öffentlichkeitsbereich gewährt wird, da diese Theorie von der Dichotomie "PrivatÖffentlich" ausgeht. Privates findet sich aber anerkannterweise auch in der Öffentlichkeitssphäre. Dem tragen allerdings selbst die Vertreter der Sphärentheorie Rechnung, indem sie versuchen, das in der Öffentlichkeit sich abspielende Privatleben unter Schutz zu stellen - allerdings unter Durchbrechung ihres Systemes. 36 Sowohl die Konstruierung einer geschützten Sphäre anonymen Verhaltens in der Öffentlichkeit als auch der Versuch, private Angelegenheiten in der Öffentlichkeit unter Berufung auf die Mosaiktheorie zu schützen, können nicht befriedigen und lassen bestimmte Fragen noch weitgehend ungeklärt. Zwar soll der einzelne in der Sphäre anonymen Verhaltens in der Öffentlichkeit 37 vor identifizierenden Kenntnisnahmen geschützt werden, so bleibt aber offen, ob jede identifizierende Kenntnisnahme als Eingriff zu werten ist oder nur, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt. 38 Andererseits ist die Berufung auf die Mosaiktheorie, 39 die besagt, daß einzelne Informationen über das in der Öffentlichkeit sich abspielende Privatleben kein Geheimnis darstellen, wohl aber der Inbegriff der privaten Lebensführung bzw. die systematische Ausforschung solcher Informationen, als ein Fremdkörper innerhalb der Sphärentheorie zu sehen 40 , so daß eine Ergänzung von Sphären- und Mosaiktheorie nicht befürwortet werden kann. Da die Mosaiktheorie im Widerspruch zum argumentum de majore ad minus steht, ist sie schon methodisch unhaltbar; jedenfalls wird auf diese Weise der Begriff der Intimsphäre nicht geklärt, sondern vorausgesetzt. 41 Gerade diese Unklarheiten und Unzulänglichkeiten des Schutzes von Privatleben in der Öffentlichkeit haben einige Autoren zum Anlaß genommen, die Intimsphäre ausgehend von einem Recht der autonomen Selbstdarstellung nach außen zu definieren. B. Schutz der autonomen Selbstdarstellung
Dieser vor allem im Rahmen der Datenschutzdiskussion entWickelte Lösungsansatz geht davon aus, daß dem einzelnen das Recht eingeräumt wird, selbst zu bestimmen, welche Informationen über die eigene Person in die soziale 36 Vgl. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S.322; Scholler, Person und ÖfTentlichkeit, S. 85fT.; Evers, Privatsphäre, S. 45. 37 Vgl. Hubmann, a.a.O., S. 322; Scholler, a.a.O., S. 85fT. 38 Letzteres befürwortet jedenfalls Evers, a. a. 0., S. 45; vgl. dazu auch Kam/ah, Right of Privacy, S. 160ff. 39 Vgl. Evers, a. a. 0., S. 45; ders. in Verfassungsschutz, S. 93 (103). 40 Vgl. dazu Rohlf, Privatsphäre, S. 46. 41 Kritisch zur Mosaiktheorie schon Maass, Infonnation und Geheimnis, S.4OfT.; Seidel, Datenbanken und Persönlichkeitsrecht, S. 66f.
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
Umwelt gelangen sollen und damit das Bild, das sich die Umwelt von ihm macht, selbst zu steuern. 42 Da die Anerkennung eines solchen Selbstbestimmungsrechtes über das individuelle Persönlichkeitsbild unerläßliche Voraussetzung für die Persönlichkeitsentfaltung sei, solle es durch Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich abgesichert und als materielles Freiheitsrecht gewährleistet werden. 43 Die Aufspaltung der Person in eine private und soziale Sphäre im Sinne der Sphärentheorie sei abzulehnen, weil sich die Persönlichkeit letztendlich erst im sozialen Prozeß konstituiere. Selbstbewußte Individualität könne der einzelne m. a. W. nur in der sozialen Interaktion gewinnen, da Persönlichkeit nicht etwas Statisches sei, sondern sich stets in einer durch die Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt geförderten Entwicklung befinde. 44 Hauptgegenstand des Schutzes des Privatlebens könne daher keineswegs eine private - streng von der Umwelt getrennte -, abgeschlossene Sphäre sein; vielmehr sei das eigentliche, der Intimsphäre bzw. dem Persönlichkeitsschutz zugrundeliegende Schutzgut in der autonomen Selbstdarstellung nach außen zu sehen. 4s Diese These ermöglicht insofern die Gewährleistung des Schutzes des Privatlebens auch in der Öffentlichkeit, und zwar per definitionem. Da entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung zwischen geschützten von ungeschützten Informationen nicht die von der. Sphärentheorie propagierte Personennähe oder der Geheimhaltungswille ist, sondern die erheblich weiter reichende Personenbezogenheit oder Personenbeziehbarkeit der Information 46 , fallen in den Schutzbereich der Intimsphäre alle personenbezogenen oder individualisierbaren Informationen. Die Fragestellung, ob bei einer an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärung ein Eingriff in die autonome Selbstdarstellung vorliegt, wird allerdings von den Vertretern dieser Theorie unterschiedlich aufgefaßt. Während W. Schmidt47 die 42 Vgl. Podlech in Krauch, Erfassungsschutz, 1975, S. 73; ders., DVR 1 (1972), S. 156; Chr. Mal/mann in Schneider, Datenschutz - Datensicherung, S.25; Steinmül/er u.a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drs. VI/3826, S. 84ff., 93; W. Schmidt, JZ 1974, S. 244f.; ähnlich Seidel, NJW 1970, S. 1583. 43 Vgl. Steinmül/er u.a., BT-Drs. VI/3826, S. 60; siehe auch Chr. Mal/mann, Datenschutz in Verwaltungsinformationssystemen, S. 62tT.; Schwan, VerwA 66 (1975), S. 146; ferner Podlech, DVR 1 (1972), S. 156f.; ders., DVR 5 (1976), S. 28. 44 Vgl. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 61 tT.; Podlech, DVR 1 (1972), S. 156f.; ders., DVR 5 (1976), S.28; Mal/mann, Zielfunktionen, S. 47tT.; ferner Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, S. 39; Parsons, Sozialstruktur und Persönlichkeit, S. 42; Wüstmann, Rolle und Rollenkonflikt im Recht, S. 28f.; Lenk, ÖVD 1974, S. 314; Seidel, Datenbanken und Persönlichkeitsrecht, S. 70; ders., NJW 1970, S. 1582. 4S Vgl. außer den in Fn. 42 erwähnten Autoren Eberle, DÖV 1977, S. 306tT., der jedoch das informationelle Selbstbestimmungsrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG abgeleitet hat; Stein, Staatsrecht, § 20 II 3 c. 46 Steinmül/er u.a., BT-Drs. VI/3826, S. 89. 47 JZ 1974, S.248.
H. Lösungsansätze in der Literatur
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staatliche Registrierung und Verwertung bewußt in der Öffentlichkeit exponierter Äußerungen für unzulässig hält, soweit die Mittel der Selbstdarstellung legal seien und sich der Bürger im Rahmen der Grundrechte politischer Kommunikation und Organisation (Art. 5,8,9, 10, 18,21 GG) halte, soll nach Meinung von Podlech und Steinmüller die bewußte Exponierung in der unbeschränkten Öffentlichkeit ungeschützt bleiben. 48 Abgesehen von solch divergierenden Auslegungen erweist sich der Ansatz selbst zum Teil als praxisfern. So ist fraglich, ob es ein durch die Kommunikationsrechte anderer nicht eingeschränktes Verfügungsrecht bezüglich eigener Daten geben kann. 49 Wenn auch ohne Zweifel das Recht zur selbstbestimmten Darstellung der Persönlichkeit das Schutzobjekt genauer bezeichnet als der BegriffIntimsphäre und auf diese Weise Privates auch im Öffentlichkeitsbereich erfaßt werden kann, erweist sich jedoch zunächst als Nachteil, daß das Selbstbestimmungsrecht nicht für jedes personenbezogene Datum (z. B. nicht für Namen etc.) eingeräumt werden soll. Darüber hinaus wird nicht geklärt, welche Daten derart stark persönlichkeitsbezogen sind, daß deren Kenntnisnahme und Verwertung von seiten des Staates die Selbstbestimmung des Persönlichkeitsbildes gefährden würde. 50 Eine Abgrenzung zwischen geschützten und ungeschützten Informationen in der Öffentlichkeit anhand des Kriteriums der "Personenbezogenheit der Informationen" läßt sich demzufolge nicht durchführen, abgesehen davon, daß die Formel "personenbezogene Daten" nicht über Schwerpunktsetzungen im Schutzbereich informiert. 51 Nicht zuletzt spricht gegen diesen Ansatz - soweit man anhand dessen die Privatheitsproblematik vollständig abzudecken versucht -, daß staatliche Eingriffe in das geschützte Recht weder voraussehbar noch berechenbar sind: Wann also und unter welchen Voraussetzungen der Staat ausnahmsweise eingreifen darf, kann weder durch Podlechs noch durch Steinmüllers Lösungsversuch beantwortet werden, schon allein, da durch beide keine Abwägung strukturiert wird. Kann einerseits ausgehend von dem Recht auf autonome Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit die mit dem Schutz der Intimsphäre angesprochene Problematik nicht gelöst werden, so ist andererseits die Theorie selbst dennoch von Bedeutung. Sieht man die private Autonomie als Schutzgut der "Intimsphäre", 48 Podlech, Datenschutz im Bereich der ötTentlichen Verwaltung, S. 52; Steinmüller u.a., BT-Drs. VIj3826, S. 94ff. 49 Dies verneinen schon Dammann, DVR 3 (1974), S. 296 und Mal/mann, Zielfunktionen, S. 29f. so Vgl. Rohlf, Privatsphäre, S.54; so auch Mallmann, Zielfunktionen, S.26f. und Simitis, DVR 2 (1973), S. 148 ff., der im Rahmen des Datenschutzes jedes personenbezogene Datum schützen will, wenn es einmal gespeichert ist; ders., NJW 1971, S. 673 tT.; siehe auch DJT - Datenschutz, S. 26tT. SI Mallmann, Zielfunktionen, S. 26 Fn. 70 weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, daß bereits durch das Etikett "Datenschutz" die Gefahr des Mißverständnisses, es gehe um den Schutz von Daten und nicht den der BetrotTenen, verstärkt werden kann.
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
scheint darin eine vertretbare Möglichkeit zu liegen, den Schutz "privater" Daten auch in der Öffentlichkeit zu gewährleisten. Damit wäre aber nicht nur keine Gegenposition zur Sphärentheorie bezogen, sondern es handelt sich vielmehr um eine gegenseitige Ergänzung. 52 C. RoUentheorie
Die im wesentlichen durch US-amerikanische Überlegungen begründete Rollentheorie versucht die Intimsphäre, als durch die Struktur von sozialen Systemen bedingte, unterschiedliche Sichtbarkeit von Individuen in unterschiedlichen Kontexten festzuschreiben. 53 Ausgangspunkt ist die Deutung des menschlichen Verhaltens als Rollenspiel: Jeder Mensch übernimmt verschiedene Rollen, z. B. als Ehegatte, Arbeitnehmer, Kollege, Nachbar, Steuerzahler usw., und gestaltet sie in der jeweiligen Umwelt aus, wobei Rollen als vorgegebene Verhaltensmuster, als "Erwartungen und Ansprüche der Gesellschaft oder einer Gruppe an den Inhaber einer sozialen Position" angesehen werden. 54 Aus dem rollenspezifischen Verhalten des einzelnen resultiert, daß auch Informationen rollenspezifisch verteilt werden, welche demzufolge nur entsprechend der Erfüllung der Rolle übermittelt werden. Trotz gleichen Grundgedankens - dem Prinzip der unterschiedlichen Sichtbarkeit - stellt sich gemäß der Sphärentheorie die Persönlichkeit als für jedermann aus derselben Sphäre gleich sichtbar dar, im Gegensatz zum rollentheoretischen Lösungsansatz, der das Wissen unabhängig von Sphäreneinteilungen auch in der Öffentlichkeit entsprechend der jeweiligen Rolle des einzelnen für individuell verschieden hält. So haben beispielsweise die Personen, die einen Menschen in einer Rolle erleben, ein anderes Wissen als die Personen, die denselben Menschen in einer anderen Rolle kennen. 55 Privatheit solle daher nicht i. S. eines Raumes relativer Unmöglichkeit der Beeinflussung, sondern "als ein pro Situation zwischen Ego und Umgebung spezifischer Bereich relativer Informationslosigkeit über Ego verstanden werden".56 Basierend auf dem Kriterium "Information über Ego" würde Intimsphäre demnach als "Lebensbereiche von Individuen" definiert, "in denen S2 So Rohlf, a. a. 0., S. 51"et passim; dies scheint auch W. Schmidt, Rechtswissenschaft, S. 104 anzunehmen, sofern er den Schutz der Intimsphäre als Grundlage des Autonomieschutzes in der Öffentlichkeit betrachtet und große Teile der Geheim- und Intimsphäre in den Schutz der autonomen Selbstdarstellung einbezieht, tiers., JZ 1974, S. 246. S3 Müller, ÖVD 2 (1973), S.62ff.; ders. in Dammann u.a., Datenbanken und Datenschutz, 1974, S.63ff.; vgl. auch Demant/Turner, ÖVD4 (1975), S.524ff.; MaI/mann, Zielfunktionen, S. 36ff. 54 Mallmann, Zielfunktionen, S. 37 mit weiteren Hinweisen auf die nahezu unübersehbare Literatur zur Rollentheorie. ss Dazu Müller, ÖVD 2 (1973), S.63; ders., in Dammann u.a., Datenbanken und Datenschutz, S. 69. S6 Müller, ÖVD 2 (1973), S. 63.
11. Lösungsansätze in der Literatur
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sie agieren können, ohne daß eine für sie dysfunktionale Informationsweitergabe an andere erfolgt." Intimsphäre entsteht m. a. W. durch die systematische Verteilung von Informationen auf verschiedene Interaktionspartner in verschiedenen Lebensbereichen, so daß die Wahrscheinlichkeit einer Wieder-Zusammenführung der Informationen gering ist. 57 Fraglich bleibt, ob der Versuch, die Intimsphäre rollentheoretisch zu interpretieren, einer Lösung nahe kommt. Die Rollentheorie schützt nur die Mitteilung des Entscheidungsergebnisses, indem eine "dysfunktionale Informationsweitergabe" verhindert wird. Somit wird jedoch einerseits der ausgehende Prozeß der Entscheidungsfindung und praktisch auch die Freiwilligkeit fingiert, andererseits kann nur die Weitergabe von Informationen - nicht jedoch die indiskrete Kenntnisnahme durch staatliche Organe oder Privatleute - als Eingriff in die Intimsphäre qualifiziert werden. 58 Da die Frage, wann staatliches Auskunftsverlangen zulässig ist, offen bleibt, scheint Rohlfs 59 Aporie, was nun ein Weitergabeverbot nütze, wenn die jeweils zuständige Behörde alle benötigten Daten beim Bürger selbst ohne materielle Grenzen erheben dürfe, überaus berechtigt zu sein. Die Hauptschwächen der Rollentheorie zeigen sich allerdings nicht nur in diesem Punkt. Zunächst stehen die Rollen, in welchen der einzelne dem Staat oder dem Privatmann gegenüber auftritt, zumeist nicht fest. Dies könnte zur Übernahme der Aufgabe einer Rollendefinition von seiten des Staates führen und damit zum Definitionsmonopol nach dessen Belieben, da aus der Rollentheorie Schranken für den Gesetzgeber nicht entwickelt werden können. Selbst im Falle einer allgemeinen Anerkennung einer bestimmten Rolle wäre diese Theorie nicht in der Lage, eine inhaltliche Festlegung der Informationsgehalte zu geben. Müllers Ausgangspunkt,60 daß nur das für die Erfüllung der Rolle Notwendige mitgeteilt werde, ist zur Lösung dieses Problems ungeeignet, weil letztlich unbeantwortet bleibt, was als notwendig anzusehen ist. 61 Zudem führt Müller keinerlei Hinweise auf über die Zulässigkeit der Weitergabe von denjenigen Informationen, die der einzelne über das notwendige Maß hinaus gelegentlich abgegeben hat. Da für den Schutz der Intimsphäre auf das Kriterium der Rollengebundenheit der Information abgestellt wird, könnte man den Schluß ziehen, daß eine schrankenlose Weitergabe solcher bei Gelegenheit der Erfüllung der Rolle abgegebener Informationen unzulässig sein müßte, weil der innere Zusammenhang mit der Rolle fehlt. 57 Müller, ÖVD 2 (1973), S.63; ders. in Dammann u.a., Datenbanken und Datenschutz, S. 83 f. 58 Kritisch dazu auch Mallmann, Zielfunktionen, S. 44; W. Schmidt, JZ 1974, S. 246; Rohlf, Privatsphäre, S. 56f. S9 Privatsphäre, S. 57. 60 Müller in Dammann u.a., a.a.O., S. 66. 61 Kritisch ebenso Mallmann, Zielfunktionen, S.44f.; Rüpke, Privatheit, S.137f.; Rohlf, Privatsphäre, S. 58; vgl. auch Simitis, DVR 2 (1973), S. 153 Fn. 48.
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
In Anbetracht der aufgeführten Einwände scheint der rollentheoretische Ansatz ungeeignet zu sein, Intimsphäre zu erfassen und ihren verfassungsrechtlichen Schutz zu klären. Die Thematik wird darüber hinaus nicht vollständig behandelt, weil wesentliche Teile der Intimsphäre, die im Rückzug aus der Kommunikation bestehen, nicht berücksichtigt werden. D. Zusammengefaßte Ergebnisse -
Funktionen der Intimsphäre
Die Sichtung der in der staatsrechtlichen Literatur erarbeiteten Lösungsansätze 62 hat immerhin deutlich gemacht, worin die Hauptschwierigkeiten des verfassungsrechtlichen Schutzes der Intimsphäre liegen, wie auch, daß keiner der erwähnten Lösungsversuche allen Ansprüchen gerecht werden könnte. Sowohl in punkto "Feststellung des Regelungsbereiches der Intimsphäre" als auch in bezug auf die Schranken des Intimsphärenschutzes kann keiner dieser Ansätze eine überzeugende Lösung anbieten, gezielt auf die Entwicklung einer allgemein anerkannten Lehre. Andererseits hat sich gezeigt, daß keine der erarbeiteten Problemlösungsalternativen imstande ist, die die Intimsphäre betreffende Problematik in allen Punkten zu umfassen. Die Sphärentheorie, indem sie Bereiche des Rückzuges aus der Öffentlichkeit schützen will, lebt von der Antinomie Intimsphäre - Öffentlichkeit. Da die Abgrenzung des geschützten Bereiches in Relation steht zu der Personennähe der Information, ist die Sphärentheorie außerstande, den Schutz des Privatlebens in größeren Umfeldern zu gewährleisten, wenn diese nicht durch persönliche Beziehungen bestimmt sind. Dies gelingt schon, definiert man die Intimsphäre nach außen ausgehend von einem Recht der autonomen Selbstdarstellung. Entgegen einer Orientierung an der Personennähe des Informationsgegenstandes, liegt das entscheidende Merkmal somit in der Personenbezogenheit der Information. Doch kann auch dieser durchaus brauchbare Ansatz für sich allein genommen nicht ausreichen, zumal offen bleibt, welche personenbezogenen Informationen schutzwürdig sind. Die Rollentheorie schließlich eignet sich mit ihrer Orientierung an der Rollengebundenheit der Information am wenigsten als Mittel zur Strukturierung des Intimsphärenbegriffes. Die Übermittlung der Informationen von einer bestimmten, eng begrenzten Rolle aus soll zu einem Verbot "dysfunktionaler" Informationsweitergabe führen. Da jedoch die Rollen in der Industriegesellschaft zumeist variieren und darüber hinaus keine Feststellung des Informationsgehaltes durch den Rollenbegriff erfolgt, ist diese Theorie untauglich, den Regelungsbereich der Intimsphäre festzustellen. Außerdem dürfte sie kaum ausschließlicher Anknüpfungspunkt sein, weil unter anderem auch wesentliche Rückzugsbereiche der Intimsphäre außer Acht gelassen werden. 62 Freilic~ k~nnten alle Ric~tungen der staatsrechtlichen Literatur nicht berücksichtigt werden - sIe smd besonders 10 der Datenschutzdiskussion kaum noch überschaubar.
H. Lösungsansätze in der Literatur
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Angesichts der zwischen den erwähnten Lösungsansätzen bestehenden erheblichen Divergenzen verdient hervorgehoben zu werden, daß wenigstens Einigkeit in dem Punkt besteht, daß die bewußte Erklärung des einzelnen an die unbeschränkte Öffentlichkeit ungeschützt bleibt. 63 Weitgehend anerkannt ist ebenso, daß ein Eingriff in die Intimsphäre nicht nur in der Verwertung und Veröffentlichung der Kenntnisse aus dem geschützten Bereich vorliegt, sondern auch in jeder Kenntnisnahme durch den Staat, soweit sie unbefugt erfolgt. 64 Handelt es sich darum, den Schutz der Intimsphäre verfassungsrechtlich abzusichern und den Umfang einer verfassungsrechtlichen Garantie festzustellen, so zeigen alle Lösungsversuche erhebliche Schwächen. In diesem Zusammenhang werden als Grundlage des Schutzes der Intimsphäre nicht nur Art. 2 i. V. m. Art. 1 GG65 herangezogen, sondern auch die Kommunikationsgrundrechte (Art. 5, 8, 9 GG).66 Verschiedentlich wird sogar versucht, durch Ausdehnung eines der Spezialgrundrechte, mit eindeutigem Intimsphärenbezug, die gesamte Intimsphäre zu umfassen und auf diesem Wege ebenso das Zurückgreifen auf die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG - die zweifelsohne für den Gesetzgeber einen zu großen Spielraum läßt - überflüssig zu machen. 67 Eine Untersuchung der Spezialgrundrechte offenbare die geringen Auswirkungen solcher Ausdehnungen wegen der unterschiedlichen Schrankenvorbehalte und der verschiedenen Schutzbedürfnisse, unabhängig davon, daß die Erweiterung eines der Spezialgrundrechte zwangsläufig deren Systematik durchbrechen würde. 68 Eine solche Analyse von Spezialgrundrechten würde jedoch andererseits nicht nur bezüglich der Definition der Intimsphäre als Hilfe dienen, sondern auch in Hinblick auf deren Abgrenzung von ungeschützten Bereichen. Ließe sich durch eine Untersuchung der Teilgewährleistungen des Schutzes der Intimsphäre ein verfassungsrechtlich .verankertes Kriterium entwickeln, so wäre auch das Problem, ein beliebiges Abgrenzungskriterium willkürlich herauszugreifen, entschärft. Dessen scheint sich vor allem Rohlf69 bewußt zu sein in seiner Untersuchung spezieller, die Intimsphäre erfassender und schützender Grundrechte mit dem Ziel, aus diesen eine Definition der Intimsphäre zu erarbeiten. Insoweit abweichend nur W. Schmidt, JZ 1974, S. 248. Anders nur Müller bei der Rollentheorie, s. oben II C. 6S Vor allem Evers, Privatsphäre, S. 24ff., 38ff.; in engeren Grenzen siehe auch Podlech, Datenschutz im Bereich der öffentlichen Verwaltung, S.52; ders. in Grundrechte als Fundament der Demokratie, 1979, S. 50ff.; sowie Steinmüller u.a., BT-Drs. VI/3826, S. 60; Schwan, VerwA 66 (1975), S. 120ff. 66 Vgl. W. Schmidt, JZ 1974, S. 241 ff. 67 So wollen Eberle, DÖV 1977, S. 307ff. in Art. 5 Abs. 1 und Kamlah, DÖV 1970, S. 44ff. in Art. 13 GG den Schutz der Intimsphäre konzentrieren. 68 So Roh//. Privatsphäre, S. 191. 69 Privatsphäre, S.135ff.; vgl. auch Podlech in Grundrechte als Fundament der Demokratie, S. 50ff., der zumindest das Verhältnis des Rechtes auf Privatheit zu den anderen Grundrechten untersucht. 63 M
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
Die oben dargestellten Versuche, den Umfang der Intimsphäre mit sozialwissenschaftlichen Kategorien zu erfassen, konnten dagegen, wie sich gezeigt hat, deshalb nicht in allen Punkten befriedigen, weil meist ein mehr oder weniger plausibles, im Grunde aber nicht verfassungsrechtlich verankertes Abgrenzungskriterium der Intimsphäre herausgegriffen wird. Bezeichnend ist darüber hinaus, daß mit Ausnahme der Sphärentheorie, die übrigen Theorien nur eine einzige Funktion der Intimsphäre erfassen und schützen und zwar die persönliche Autonomie. Nach heutiger Erkenntnis jedoch hat die Intimsphäre eine Vielzahl anderer Funktionen zu erfüllen,70 die sowohl dem Bedürfnis nach Alleinsein und Zurückgezogenheit als auch dem Bedürfnis nach einem Freiraum zur Gefühlsentspannung entsprechen. 71 Denn Intimsphäre ist nicht nur Voraussetzung für autonomes Verhalten und freie persönliche Selbstdarstellung, sondern ihr gehören in gleichem Maße Bereiche an, in denen der einzelne einerseits vom Druck des alltäglichen Lebens und vom Zwang zur Konformität entlastet wird, andererseits sich selbst finden kann. Solche, im Rückzug aus der Kommunikation bestehenden Teile der Intimsphäre berücksichtigt allerdings nur die Sphären theorie, obgleich, wie schon erwähnt, ihre Vorgehensweise und Beschränkung auf das nichtöffentliche Verhalten wenig sinnvoll erscheint. Eine Alternative, um für die Intimsphäre umfassenden grundrechtlichen Schutz zu gewährleisten, könnte schon eine Synthese von Sphärentheorie und Theorie der autonomen Selbstdarstellung anbieten, wobei der Sphärentheorie die dominierende Rolle zukommen würde. Vorerst empfiehlt sich jedoch, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes darzustellen und zu analysieren, weil sie sowohl zur Anerkennung als auch zur Entwicklung des grundrechtlichen Schutzes der Intimsphäre erheblich beigetragen hat. Die Analyse wird weiter zeigen, daß das BVerfG keinen einheitlichen theoretischen Ansatz verfolgt, trotz seiner Unterteilung des Intimsphärenschutzes ebenso nach Sphären bzw. Schutzbereichen, ein Vorgehen, das m. E. zur falschen Einordnung der Rechtsprechung des BVerfG zur Sphärentheorie geführt hat. 72
IH. Die Intimsphäre nach Auffassung des BVerfG In einer mittlerweile beträchtlichen Anzahl von Entscheidungen hat sich das BVerfG mit der Intimsphäre befaßt und aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 70 Vgl. schon Westin, IBM-Nachrichten 1970, S. 194ff., der als derartige Funktionen die persönliche Autonomie, die seelische Entspannung, die Selbsteinschätzung sowie die begrenzte Kommunikation nennt; ähnlich auch Seidel, Datenbanken und Persönlichkeitsrecht, S. 68 ff. 71 s. dazu oben § 1. 72 Vgl. etwa Jensen, DVR 6 (1977), S.6; Kamlah, DÖV 1970, S.362; Hasselkuss/Kaminski in Kilian/Lenk, Datenschutz, S.119; Merten, JuS 1976, S.349; Seidel, NJW 1970, S. 1581 f.
IH. Die Intimsphäre nach Auffassung des BVerfG
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Abs. 1 GG ein eigenständiges Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre geschaffen, das sich in seinen Schranken und Schutzgehalten deutlich von der in Art. 2 Abs. 1 verbürgten allgemeinen Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung abhebt. Das Privatleben des einzelnen ist drei Bereichen verschiedener Schutzintensität zugeordnet. Den Kern des Grundrechtes auf Achtung der Intimsphäre bildet der unantastbare und jeglichem staatlichen Eingriff entzogene Kernbereich. Um diesen Kern herum legt sich ein relativ geschützter Bereich, in dem der einzelne zwar in seiner privaten Entfaltung frei, bei überwiegenden Gemeinwohlinteressen jedoch staatlichen Eingriffen ausgesetzt ist. Schließlich kristallisiert sich noch ein dritter - vom BVerfG allerdings nicht direkt angesprochener Bereich des öffentlichen Lebens heraus, in dem die Persönlichkeitsentfaltung nicht mehr im Sinne privater Lebensgestaltung besonders geschützt wird. 73 Obschon bereits das Elfes-Urteil von 1957 74 den Begriff eines "letzten unantastbaren Bereiches menschlicher Freiheit" prägte, sprach das BVerfG eine geschlossene Formulierung seiner Konzeption bezüglich der Intimsphäre erst 1969 im 1. Scheidungsakten-Beschluß aus. 75 Behandeln die in der Zwischenzeit erschienenen Entscheidungen vor allem die Konkretisierung des unantastbaren Kernbereiches, 76 so ist kennzeichnend, daß erstmals 1969 in der MikrozensusEntscheidung 77 von dem relativ geschützten Bereich gesprochen wird. In der als "Formel" bezeichneten 1. Scheidungsakten-Entscheidung geht das Gericht 73 Scholz, AÖR 100 (1975), S. 266, betrachtet in der Rechtsprechung des BVerfG außer diesen drei Bereichen noch einen vierten als erkennbar. Für ihn ist die Intimsphäre nicht mit dem relativ geschützten Bereich identisch - wie es hier freilich angenommen wird -, sondern eine zusätzliche "Ebene", die zwischen Kern- und relativ geschütztem Bereich liegt und die "sowohl zum innersten Bereich wie auch zum bereits kommunikativen Privatbereich gehören kann". Diese Auffassung findet jedoch in den Entscheidungen des BVerfG keine Stütze; sie ist wohl auf ein Mißverständnis des in der Tat nicht immer eindeutigen und teilweise widersprüchlichen Sprachgebrauchs des BVerfG zurückzuführen, auf den selbst Scholz hinweist; wie hier im Ergebnis Rüpke, Privatheit, S. 25; Benda, Geiger-Fs., S. 30ff.; Rohlf, Privatsphäre, S. 76f., der aber Intimsphäre für identisch mit dem Kernbereich hält. 74 BVerfGE 6, S. 32 (41). 75 BVerfGE 27, S. 344ff. 76 Allerdings hat die in der BVerfGE 6, S. 32ff. enthaltene Aussage über den letzten unantastbaren Bereich mit dem Gegenstand der Entscheidung (Verletzung der Ausreisefreiheit) wenig zu tun. Trotzdem hat das Gericht zu diesem Punkt mit wenigen Worten Stellung genommen. Gleiches gilt auch für ähnliche Aussagen diesbezüglich in dem Beschluß zur Ehegattenbesteuerung (BVerfGE 6, S.55ff.). Von einem Versuch, den Kernbereich zu konkretisieren, kann daher die Rede sein erst im Urteil Homosexualität I (BVerfGE 6, S. 389ff.), das später in den wesentlichen Punkten vom 1. Senat in der Mikrozensus-Entscheidung (BVerfGE 27, S. 1 ff.) wieder aufgenommen worden ist. Erwähnt wird der Kernbereich auch im Tagebuch-Beschluß (BVerfGE 18, S. 146f.), zu der Frage jedoch, ob Tagebücher diesem Bereich angehören, hat das Gericht keine Stellung genommen, vgl. ähnlich im Zuchtbullen-Beschluß (BVerfGE 10, S. 55 [59]). 77 BVerfGE 27, S. 1 ff.
4 Dalakouras
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
zunächst, ähnlich wie bei früheren Entscheidungen, davon aus, daß dem einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein unantastbarer Kernbereich verbleiben müsse. Dazu führt der Senat erweiternd an, daß bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite dieses Bereiches die Grundnorm des Art. 1 Abs. 1 GG sowie der Wesens gehalt des Grundrechtes aus Art. 2 Abs. 1 GG zu beachten seien. Jedoch stehe nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz des Grundrechtes aus Art. 2 Abs.1 i. V.m. Art. 1 Abs.1 und Art. 19 Abs. 2 GG. Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger müsse vielmehr jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolgen, soweit diese nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen würden. Die Anwendung dieser Formulierung in Form eines Obersatzes in den nachfolgenden Entscheidungen 78 hat zu ihrer weiteren Verdeutlichung beigetragen und somit zur Entwicklung und Festigung des Grundrechtes auf Achtung der Intimsphäre als Abwehrrecht gegenüber staatlichen Beeinträchtigungen des Privatlebens des einzelnen. Gleichwohl verbleibt hinsichtlich der Abgrenzung der Sphären und der vom BVerfG diesbezüglich verwendeten Kriterien vieles ungeklärt, obwohl die schon dargestellte Sphäreneinteilung anfangs eindeutig und einfach zu sein scheint. Weitere Probleme ergeben sich bei der Definition des Rechtsgutes, das durch das Sphärenmodell des BVerfG geschützt werden soll. A. Abgrenzung der Sphären untereinander und ihre Bestimmung in der Rechtsprechung des BVerfG
Sowohl bei der Abgrenzung des Kernbereiches vom relativ geschützten Bereich als auch betreffend des exakten Verlaufes der Grenzen zwischen relativ geschütztem und ungeschütztem Öffentlichkeitsbereich, lassen sich innerhalb der Senate nicht unerhebliche Abweichungen feststellen, so daß das Gewinnen klarer Definitionen von vornherein schwer zu sein scheint. 1. Abgrenzung zwischen Kernbereich und relativ geschütztem Bereich
Kernbereich und relativ geschützter Bereich scheinen untereinander eindeutig getrennt zu sein, zumal das BVerfG den ersteren als Bereich der Nichtkommunikation ansieht. Da als Abgrenzungskriterium der Kontakt des Individuums nach außen bzw. der Sozialbezug seines Verhaltens 79 dient, wird der absolut 78 s. BVerfGE 32, S.373 (378f.); 33, S.367 (376f.); 34, S.238 (245f.) mit gewissen Paraphrasen in BVerfGE 35, S. 35 (39f.); 35, S. 202 (220f.); 38, S. 312 (320). 79 Vgl. insbesondere BVerfGE 6, S. 433; 27, S. 7; 33, S. 377.
IH. Die Intimsphäre nach Auffassung des BVerfG
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geschützte Kernbereich bei jeder kommunikativen Beziehung zu einem anderen Menschen - sobald nämlich "die Berührung mit der Persönlichkeitssphäre eines anderen Menschen einer Handlung den Bezug auf das Soziale" gibt verlassen. Dabei sei gleichgültig, ob es sich um ein Gespräch,80 einen BriefS 1 oder eine andere Form der Kommunikation, z. B. nonverbale Kommunikation 82 , handele. Selbst die intimsten zwischenmenschlichen Beziehungen liegen außerhalb des absolut geschützten Kernbereiches, weil-sie einen Sozialbezug voraussetzen. 83 Sie sollen daher zum relativ geschützten Bereich gerechnet werden, der ausnahmsweise staatlichen Eingriffen ausgesetzt ist. Somit ließe sich der Kernbereich als Bezirk des Alleinseins definieren, in dem man "sich selbst besitzt und in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt." 84 Gleichwohl handelt das BVerfG bezüglich dieser Definition aber auch in bezug auf das erwähnte Abgrenzungskriterium nicht immer grundsatztreu. Schon im Urteil "Homosexualität 1"85, in dem das Gericht über die Verfassungsmäßigkeit der Bestrafung homosexueller Handlungen zu entscheiden hatte, liegt nicht fest, ob die "eheliche Intimsphäre" zum unantastbaren Kernbereich zu rechnen ist oder nicht. Denn dort war die Rede von "besondere(n) Umstände(n), wie etwa familienrechtliche Beziehungen, die die Gemeinschaftlichkeit des Handeins als noch in den engsten Intimbereich fallend erscheinen lassen." Berücksichtigt man außerdem, daß der unantastbare Bereich unter anderem auch "als Bereich menschlichen Eigenlebens, der von Natur aus Geheimnischarakter hat", 86 definiert wurde, so wird im Hinblick auf den "natürlichen Geheimnischarakter" schließlich zweifelhaft, ob Sonderbeziehungen w~e Ehe, Familie, Freundschaft nicht doch dem Kernbereich angehören. 87
BVerfGE 33, S. 377; 34, S. 281 ff. BVerfGE 35, S. 39f. 82 BVerfGE 39, S. 1 ff. (42) Schwangerschaftsabbruch -; da der nasciturus, nach Ansicht des Gerichts, ein selbständiges menschliches Wesen sei, das unter dem Schutz der Verfassung stehe, komme dem Schwangerschaftsabbruch die soziale Dimension zu, die ihn der Regelung durch den Staat zugänglich und bedürftig mache, vgl. dazu Kriele, JZ 1975, S. 222ff. und eingehend zu dieser Problematik Rüpke, ZRP 1974, S. 73ff.; ders., Schwangerschaftsabbruch, S. 93ff.; ders., Privatheit, S. 99ff. 83 Vgl. dazu auch Benda, Geiger-Fs., S. 30, der diese Interpretation des BVerfG als "Ironie" bezeichnet; Podlech, in AK-GG, Art. 2 Abs. 1 Rdr. 38. 84 So BVerfGE 27, S. 1 (6) allerdings unter Berufung auf Wintrich, Problematik der Grundrechte, S. 15f. 85 BVerfGE 6, S. 433. 86 So in BVerfGE 27, S. 7f.; ebenso Wintrich, Problematik der Grundrechte, S. 15; ablehnend jedoch mit Recht Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 326; Kamlah, DÖV 1970, S. 361 f.; Krauß, Gallas-Fs., S. 380. 87 Ähnlich dazu auch Rohlf, Privatsphäre, S. 79. 80 81
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
Trotz solcher Abweichungen wird das Kriterium des Sozialbezuges des Verhaltens in den später getroffenen Entscheidungen stereotyp wiederholt. 88 Eine erneute Abweichung findet sich im Tonband-Beschluß, 89 nach dessen Wortlaut es möglich zu sein scheint, Handlungen mit Sozialbezug, wie ein Gespräch - soweit es höchstpersönliche intime Angelegenheiten beinhaltetdem Kernbereich einzuordnen. Wenig später im Lehnbach-Urteil 90 ist eine sehr enge Begrenzung des unantastbaren Kernbereiches anzutreffen, zumal der eingriffsfreie Kernbereich nicht erst, sobald "der einzelne in Kommunikation mit anderen tritt", verlassen sein solle, sondern schon, wenn der einzelne "durch sein Sein oder Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre von Mitmenschen oder Belange des Gemeinschaftslebens berührt." Zutreffend äußert Rohlf9 1 zu dieser Interpretation, der absolute Schutzbereich werde somit praktisch auf Null reduziert, da jemand allein durch seine Existenz schon in die persönliche Sphäre eines Mitmenschen hineinwirken, z. B. als Filmidol, dessen Träume und Wünsche bestimmen kann. Wird der Kernbereich in diesem Sinne verstanden, so ist es kaum verwunderlich, daß einer der Haupteinwände der Kritiker zur Intimsphärenrechtsprechung des BVerfG lautet, es gebe keinen absolut geschützten Kernbereich, selbst das BVerfG habe niemals auch nur beispielhaft angegeben, welches menschliche Verhalten hierunter fallen könnte. 92 Aus diesem Haupteinwand läßt sich zumindest eine erhebliche Unsicherheit des BVerfG gegenüber dieser Rechtsfortbildung im Bereich der Verfassung feststellen, ersichtlich bereits an den von Entscheidung zu Entscheidung leicht variierten Formeln und an den Abweichungen des Gerichts bezüglich der Abgrenzung des Kernbereiches. 93 Obwohl weder die Begründung noch die vom BVerfG vorgenommene Abgrenzung letzten Endes zufriedenstellend ausfallen, sollte die Kritik keineswegs auf die Nichtexistenz des Kernbereiches schließen. Die Garantie eines solchen unantastbaren Bereiches ist vom Ergebnis her nicht ohne Sinn, allein angesichts der Möglichkeiten - etwa durch den Einsatz von Plauderdrogen oder durch psychologische Tests - in diesen einzudringen. Darüber hinaus ist nach heutiger Auffassung ein solcher absolut geschützter Bereich im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit) gewährleistet, in seiner schrankenlosen Garantiesetzung offensichtlich parallel zur Rechtsprechung des BVerfG und deren unantastbaren Kernbereich. Denn auch dort wird ein Bereich des Für-sieh-Seins geschützt, um die Autonomie der Persönlichkeit und ihrer Identitätsfindung zu sichern. 94 BVerfGE 27, S. 344 (351); 32, S. 373 (378); 33, S. 367 (376); 34, S. 205 (208). BVerfGE 34, S. 238ff. 90 BVerfGE 35, S.202 (220). 91 Privatsphäre, S. 80. 92 Vgl. etwa Simitis, DVR 2 (1973), S. 144; Podlech in AK-GG, Art. 2 Abs. 1 Rdr. 37; Mallmann, Zielfunktionen,S. 25; W. Schmidt, JZ 1974, S.244f. 93 Vgl. dazu auch Rohlf, Privatsphäre, S. 81. 88
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III. Die Intimsphäre nach Auffassung des BVerfG
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Mit der Ableitung des Kernbereiches von der Unantastbarkeit der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG und der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG hat insoweit das BVerfG den richtigen Ansatzpunkt gefunden, wenn auch ohne Berücksichtigung des Spezialgrundrechtes aus Art. 4. Soweit der Menschenwürdesatz für den Schutz des Kernbereiches herangezogen wird, ist an dieser Stelle klarzustellen, daß Menschenwürde nicht als gleichbedeutend mit dem absolut geschützten Bereich des isolierten Individuums gedeutet werden darf. Da als ein wesentlicher Bestandteil der Menschenwürde die Chance des einzelnen betrachtet wird, Nähe und Vertrauen mit Kontaktpersonen zu suchen, könnte der Kernbereich immer nur Teil der Menschenwürde sein. Das BVerfG beschränkt sich jedoch auf die Berufung auf Art. 1 Abs. 1 GG, ohne das Verhältnis vom Menschenwürdesatz zu dem Schutz des Kernbereiches aufzuzeigen und ohne gleichzeitig das Verhältnis von Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 aufzuschlüsseln. 2. Abgrenzung zwischen relativ geschütztem Bereich und ungeschützter Öffentlichkeitssphäre
Im Gegensatz zum unantastbaren Kernbereich, der trotz aller Abweichungen allgemein als Bereich der Nichtkommunikation definiert wird, bleibt hinsichtlich des relativ geschützten Bereiches der Verlauf seiner äußeren Grenze undeutlich, zumindest umstritten. Unklar ist noch, wie und anhand welcher Kriterien das BVerfG "Öffentlichkeit" bestimmt. Die Mikrozensus-Entscheidung wie auch das Lebach-Urteil erlauben den Schluß, daß das Gericht Öffentlichkeit vom öffentlichen Interesse her interpretiert. 95 So werden in der Mikrozensus-Entscheidung Daten über Urlaubs- und Erholungsreisen, die zweifelsohne in der Außenwelt bzw. Öffentlichkeit anzusiedeln sind, dem relativ geschützten Bereich zugerechnet mit der Folge, daß diese Daten nur unter Wahrung der Anonymität erhoben werden dürfen. Bei ähnlicher Vorgehensweise bezieht das BVerfG im LebachUrteil zum ersten Mal den Lebensbildschutz explizit in das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre ein. Die geplante Fernsehsendung 96 über den Soldatenmord von Lebach im Jahre 1969 - eine Dokumentation also verletze, nach Ansicht des BVerfG, die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1, die "jedem einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung (sichern), in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann."96 a 94 Dazu Klier, Gewissensfreiheit und Psychologie, S. 165ff.; Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 133ff. und Rohlf, Privatsphäre, S. 136ff. 9S BVerfGE 27, S. 1 (6ff.) Mikrozensus -; 35, S. 202 (220f.) - Lebach -. 96 Im allgemeinen allerdings in bezug auf Rundfunksendungen über Straftaten Oehler u. a., Meinungsbildung durch den Rundfunk über Straftaten und deren Ahndung, Schriftenreihe des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln, Bd. 32, 1982. 96' BVerfGE 35, S. 202ff.
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§ 3 Das Grundrecht auf Achtung der Intimsphäre
Als Abgrenzlingskriterium für den relativ geschützten Bereich bzw. Bereich privater Lebensgestaltung zieht das Gericht dementsprechend den Sozialbezug des Privatlebens heran; Öffentlichkeit sei nicht als eine andere Qualität anzusehen, sondern lediglich als quantitative Steigerung des Sozialbezuges. Aber auch in diesem Punkt verfährt das BVerfG nicht immer konsequent. Der Tonband-Beschluß97 z. B. erweckt den Eindruck, die Abgrenzung des relativ geschützten Bereiches vom Öffentlichkeitsbereich erfolge nach der Allgemeinzugänglichkeit der Information, denn schon zu Anfang des Beschlusses wird das proklamierte Recht, über das eigene gesprochene Wort zu verfügen, auf das "nicht-öffentlich gesprochene Wort" begrenzt. Entscheidend für den nichtöffentlichen Charakter des Wortes solle allein die überschaubare Gesprächsund Redesituation sein, die dadurch entsteht, daß nicht jedermann Zutritt hat. 98 Nach der Soraya-Entscheidung wiederum, wonach der relativ geschützte BereiCh als Bezirk, in dem der einzelne allein zu bleiben wünscht, definiert wird, könnte man sogar vermuten, der entscheidende Faktor sei der Wille des einzelnen, auch im allgemeinzugänglichen Bereich anonym zu bleiben. In Anbetracht dieser Abweichungen läßt sich ein eindeutiger, dominierender Sphärenabgrenzungsvorschlag in der Rechtsprechung des BVerfG nicht feststellen. Nicht geklärt wird ebenso eine konkrete Charakterisierung des relativ geschützten Bereiches. So ist gegenwärtig die einzig sichere zu übermittelnde Erkenntnis, daß der besagte Bereich mit dem Kontakt zu einem anderen Menschen beginnt. Den Zweck, das hinter der Rechtsprechung des BVerfG stehende Schutzgut herauszukristallisieren, versucht Rohlf99 zu erfüllen durch Systematisierung und Zusammenfassung nach Fallgruppen der bereits entschiedenen Einzelfälle. Fallgruppen sind seiner Meinung nach die "eheliche und familiäre Binnensphäre" , die Gruppe der "Sexualbeziehungen" wie auch diejenigen der "Gesundheitsdaten", des "nicht-öffentlichen Gesprächs" und des "Lebensbildes". Die eheliche und familiäre Binnensphäre umfaßt gemäß der Rechtsprechung des BVerfGloo einerseits den Schutz der Vertraulichkeit des Gedankenaustausches und der Unbefangenheit in der Gestaltung der ehelichen bzw. familiären Beziehung,IOI andererseits aber auch den Schutz der autonomen SelbstdarstelBVerfGE 34, S. 238ff. BVerfGE 34, S. 238 (246f.); ähnlich in BVerfGE 33, S. 367 (377ff.) - Sozialarbeiter -; vgl. auch Rohlf, Privatsphäre, S. 110f. 99 Privatsphäre, S. 87 ff. 100 BVerfGE 27, S. 344 ff. - Scheidungsakten I - und 34, S. 205 f. - Scheidungsakten 11-; BVerfGE 35, S. 35ff. - Briefkontrolle I-und 42, S. 234ff. - Briefkontrolle 11-; s. auch BVerfGE 6, S.55 (81 f.) - Ehegattenbesteuerung -; 47, S.46 (70f.) Sexualkunde -. 101 Soweit hier der eheliche Binnenraum von der Öffentlichkeit streng abgegrenzt wird - er sei verlassen, wenn ein Ehepartner oder beide in Beziehung zu Dritten treten - wird automatisch ein wesentliches Element der Sphärentheorie herangezogen, vgl. Rohlf, a.a.O., S. 93. 97 98
IH. Die Intimsphäre nach Auffassung des BVerfG
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lung bezüglich des einmal übernommenen Lebens- und Charakterbildes sowohl inner- als auch außerhalb des ehelichen Binnenraumes. 102 Die Fallgrupe der Sexualbeziehungen, 103 hauptsächlich wohl orientiert am Schutz des natürlichen Schamgefühls, schließt in ihren Schutzbereich Handlungen und Kommunikationsweisen mit mehr oder weniger deutlichem Sexualbezug ein, nicht aber die gesamten Privatbeziehungen der Partner. Allerdings bleibt unklar, ob das BVerfG die Sexualbeziehungen nur innerhalb der der Öffentlichkeit unzugänglichen Ebene schützt und daher auch, ob das Gericht einen Sphärenansatz verfolgt oder nicht. 104Die Fallgruppe der GesundheitsdatenIOS umfaßt den Schutz von höchstpersönlichen Daten, die vor allem den physischen wie auch den psychischen Gesundheitszustand betreffen. Danach soll dem Individuum die Möglichkeit zur autonomen Selbstdarstellung gelassen werden, das Recht also, allein zu entscheiden, welche Gesundheitsdaten bekannt werden dürfen. Jedoch entsprechend der vom BVerfG getroffenen Kennzeichnung des Tatbestandsbereiches mit dem objektiven Begriff "höchstpersönliche Dinge" fällt nicht jedes personenbezogene Datum in den Schutzbereich, z. B. nicht solche Daten, die für jedermann erkennbar sind, sondern der Schutz der Gesundheitsdaten sei auf eine durch die Aufrechterhaltung der üblichen Beobachtungsdistanz bestimmte geheime Sphäre begrenzt. 106 Bei ähnlicher Zielrichtung des Schutzes eines nicht-öffentlichen Bereiches begrenzt die vierte Fallgruppe das Recht des einzelnen, selbst und allein zu bestimmen, wer sein Wort aufnehmen soll, von vornherein auf das "nichtöffentlich gesprochene Wort" bzw. auf das "private Gespräch" .107 Geschützt wird allerdings nicht so sehr der Inhalt der Aussage, vielmehr das Vertrauen des einzelnen auf die für ihn überschaubare Gesprächssituation, auf die er seine Kommunikation und seine Selbstdarstellung ausrichtet. Eine Abweichung von der weitgehend durchgehaltenen Abgrenzung des relativ geschützten Bereiches von der Öffentlichkeit durch die Allgemeinzugänglichkeit läßt sich schließlich bei der letzten Fallgruppe des Lebensbildes feststellen. lOS Aufgrund der Anerkennung des Anonyrnitätsinteresses für das Zum ganzen Roh/f. Privatsphäre, S. 90ff. BVerfGE 6, S. 389 ff. - Homosexualität I -; 36, S. 41 ff. - Homosexualität II-; 47, S. 46ff. (70) - Sexualkunde - ; vgl. auch BVerfGE 40, S. 276 (279) - Strafvollzug II-. 1