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German Pages 224 Year 1966
DIETER LEIPOLD
Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen
Schriften zum Prozessrecht Band 4
Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen insbesondere bei Verweisungen zwischen verschiedenen Rechtsgebieten
Von Dr. Dieter Leipold
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1966 bei Frankensehe Buchdruckerei, Berlin 65 Printed in Germany
© 1966 Duncker
Vorwort Beweislast und gesetzliche Vermutungen haben der Rechtswissenschaft wie der Praxis stets besondere Schwierigkeiten bereitet. Die vorliegende Studie versucht, ein klares theoretisches Fundament zu erarbeiten, Scheinargumente auszuschalten und bei der Lösung einzelner Beweislastfragen die maßgebenden sachlichen Erwägungen stärker in den Vordergrund zu rücken, als dies bisher in der Regel geschieht. Dabei werden Probleme des Zivilprozesses, des Strafprozesses und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erörtert. Die Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität München Ende 1965 als Dissertation angenommen. Die Anregung zum Thema erhielt ich von meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Rudolf Pohle. Dafür und für seine umfassende Förderung möchte ich ihm auch an dieser Stelle vielmals danken. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann schulde ich Dank für die Aufnahme meines Erstlingswerks in die "Schriften zum Prozessrecht". München, im Januar 1966
Dieter Leipold
Inhaltsverzeichnis § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Erster Teil: Grundlagen § 2 Die Existenz besonderer Beweislastnonnen
I . Inhalt und Bedeutung der Frage II. Zum Begriff der Beweislast
17 17
18
III. Der Weg zur Bejahung oder Verneinung einer Rechtsfolge bei festgestelltem Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 IV. Das Ergebnis bei ungeklärtem Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 V. Anderes Ergebnis bei anderem Verständnis des Tatbestandes . . 22 VI. Anknüpfung der Rechtsfolgen an die Existenz von Tatsachen, nicht an den Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Der Wortlaut der geltenden Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
2. Rein prozessuale Funktion der Rechtsnormen bei Anknüpfung an den Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
3. Ablehnung einer nur prozeßbezogenen Auffassung 'von den Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 a) Abtrennung des Streits um die Imperativentheorie . . . .
26
b) Gegen die Theorie der prozessualen Rechtserzeugung (Kelsen) . . ... .. .. . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 c) Gegen die Leugnung des Rechtscharakters der Verhaltensnormen (M. E. Mayer, Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
d) Ergebnis
29
§ 3 Die Nichtanwendbarkeit einer Rechtsnorm als Scheinbegründung
der Beweislastregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
I. Die Lehre Rosenbergs . . . . . . .. . ... .. .. . . . ... . . .. . .. .. . .. .
31
II. Die Unrichtigkeit dieser Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
8
Inhaltsverzeichnis 1. Die Doppeldeutigkeit des Begriffs Nichtanwendbarkeit
32
2. Der Unterschied zwischen Nichtentscheidung und negativer Entscheidung; die Pflicht zur Sachentscheidung . . . . . . . . . . . . 33 § 4 Die Möglichkeit der Anknüpfung der Beweislastregeln an die
unterschiedliche materiell-rechtliebe Bedeutung der Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
I. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Die unterschiedliche materiell-rechtliche Bedeutung der rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale einerseits und der rechtshemmenden sowie rechtsvernichtenden Merkmale andererseits 36 III. Die Unmöglichkeit einer materiell-rechtlichen Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden und rechtshindernden Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Die materielle Gleichwertigkeit
......... ............ .. ...
38
2. Die Gegenbeispiele Rosenbergs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 IV. Methodische Konsequenzen aus dem gewonnenen Ergebnis . . . . 42 § 5 Zur positiven Geltung und sacblidlen Begründung der Beweislast-
normen am Beispiel der Regeln für das Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . .
44
I. Der Gegenstand dieses Abschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 II. Die grundsätzlichen Beweislastregeln für die rechtsbegründenden und rechtsvernichtenden Tatsachen des Privatrechts als stillschweigendes Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Die sachlichen Gründe dieser Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Bezüglich der rechtsbegründenden Tatsachen
46
2. Bezüglich der rechtsvernichtenden Tatsachen
49
IV. Zur Geltung und sachlichen Begründung der Sonderregeln . . . . 1. Die sprachliche Fassung der materiellen Rechtssätze als ab-
gekürzter Ausdruck für Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 51
2. Die Bedeutung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses . . . . . . . . 53 § 6 Struktnr und systematische Stellung der Beweislastnormen . . . . . .
58
I. Die Bedeutung der Frage für das Thema der Untersuchung . . 58 II. Die Struktur der Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
Inhaltsverzeichnis 1. Der Tatbestand
9
59
2. Keine Tatsachenfeststellung auf Grund der Beweislastnorm 59 3. Keine materielle Rechtsfolgeanordnung durch die Beweislastnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Die Beweislastnormen als Entscheidungsnormen; die Fiktion als mögliche Ausdrucksform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 III. Die systematische Stellung der Beweislastregeln
67
1. Gründe für die Zuordnung zum Prozeßrecht
67
a) Ungeeignete Argumente
67
b) Beachtliche Argumente
68
2. Gründe für die Zuordnung zum materiellen Recht . . . . . . . .
69
a) Ungeeignete Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
b) Beachtliche Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
3. Keine Klärung durch die Begriffe des Rechtsschutzanspruchs und des materiellen Justizrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4. Die Doppeldeutigkeit der Begriffe materielles Recht und Prozeßrecht (formelles Recht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vennutungen . . . . . . . . . .
76
I. Zum Gegenstand dieses Abschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
II. Die widerlegliehen gesetzlichen Tatsachenvermutungen . . . . . . . .
76
1. Kritik der Betrachtung als zweiter Tatbestand . . . . . . . . . . . .
76
a) Die Auffassung von Pl6sz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
b) Die Beurteilung durch Rosenberg . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
c) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
2. Die widerlegliehen gesetzlichen Tatsachenvermutungen als Beweisregeln oder Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Die Wirkung der Vermutungen als entscheidendes Kriterium für die Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
b) Das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung . .
82
c) Keine Klärung aus dem Wortsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
d) Entscheidung für die Betrachtung als Beweislastregeln . .
85
3. Das Verhältnis der gesetzlichen Tatsachenvermutungen zu den sonstigen Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
10
Inhaltsverzeichnis a) Zur Auffassung Rosenbergs über die Wirkung der gesetzlichen Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 b) Die Übereinstimmung der Wirkung von Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 c) Die gesetzlichen Vermutungen als voraussetzungsgebundene Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Die widerlegliehen Rechtsvermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Die Voraussetzung der Betrachtung als Beweisregeln
93
2. Rechtsvermutungen und Behauptungslast
95
a) Die Befreiung von der Behauptungslast für die rechtsfolgebegründenden Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Zur Notwendigkeit der Behauptung des vermuteten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Die Rechtsvermutungen als Behauptungs- und Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 IV. Die systematische Stellung der widerlegliehen gesetzlichen Vermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 V. Die unwiderleglichen gesetzlichen Vermutungen ... . ..... . .. . . 102 § 8 Zusammenfassung der wicbtigsten Ergebnisse; Folgerungen für die
Untersuchung einzelner Verweisungsfälle . . . . ... . .. ... . . . . . ... ... 105 I. Die wichtigsten Ergebnisse .......... . .... . ............. . . ... 105
106
II. Folgerungen
Zweiter Teil: Einzelne Verweisungsfälle § 9 Die Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfibigkeit . . ... . 107
I. Regelung der Prozeßfähigkeit durch Verweisung auf das BGB;
Fehlen einer speziellen Beweislastnorm in der ZPO . . . . . . . . . . 107
II. Die geltende Beweislastregelung für Geschäftsunfähigkeit und beschränkte Geschäftsfähigkeit und ihre Gründe .. . .... . ... . 111 1. Die geltende Regelung . ... . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . . . .. . . . 111
2. Die Gründe dieser Regelung
112
3. Die Geltung derselben Beweislastregelung für das Alterserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
Inhaltsverzeichnis
11
III. Die Obernahme dieser Beweislastregelung für die Prozeßfähigkeit ............... . ............... . ..... . .................. 117 1. Die bleibende Bedeutung der Gründe der Regelung . . . . . . . . 117
2. Das Fehlen prozessualer Gegenargumente .......... .. .... 119 a) Keine Gegenargumente aus der prozessualen Sachlage . . 119 b) Keine entgegenstehende Wertung der ZPO .............. 121 c) Keine unannehmbaren prozessualen Konsequenzen . . . . .. 122 d) Vermeidung von Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 e) Ergebnis ... . ................... . ..... . . . . . .. . .... . . . .. . . 124 § 10 Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen bei Verweisungen
des Strafrechts auf das bilrgerliche Recht . ... .. ... . ..... . .. .. ... . 125
I. Die allgemeine Unanwendbarkeit der privatrechtliehen Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen im Strafrecht . . .... 125 1. Fragestellung und ganz überwiegende Antwort . . . . . . . . . . . . 125
2. Unzureichende Begründungen der Nichtanwendbarkeit
126
3. Die Gründe des Satzes "in dubio pro reo" verbieten eine Übernahme zivilrechtlicher Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Die Sonderproblematik bei der Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 b StGB) ......................... .. ...... .. .... .. ..... 135 1. Verweisung auf das BGB; Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 2. Inhalt und Rechtsnatur der §§ 1708, 1717, 1718 BGB . . .. . ... 136 3. Die Unanwendbarkeit der §§ 1717, 1718 BGB im Strafverfahren . .. .. . ..... . ...... . ... . ....... .. .......... .. .. . . ... . 142 4. Die Unanwendbarkeit des § 1720 BGB im Strafverfahren .. 146 5. Beurteilung der §§ 1591 ff. BGB ... ... ......... . ... .. .. . . . 147 6. Zur Bedeutung einer rechtskräftigen Verurteilung zur Unterhaltszahlung für das Strafverfahren . .. .. . ..... . . . . ... .. 148 7. Zur künftigen Regelung ..... . . . . . .... . ........ . ... .. ..... 150 § 11 Die Beweislast bei Verweisungen des BGB auf das Strafrecht
152
I. Die Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Grundsatzes "in dubio pro reo" bei unerlaubten Handlungen nach § 823 II S. 1 BGB in Verbindung mit strafrechtlichen Bestimmungen . ..... 152 1. Der Umfang der Verweisung .. . . . . . .... .. ... . ... . . . . ..... . 152
12
Inhaltsverzeichnis 2. Die Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 II. Die Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf ehrenkränkender Tatsachenbehauptungen . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Die Fallgestaltung der Entscheidung BGHZ 37, 187 und die Beurteilung im Schrift tum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Die Anspruchsgrundlagen und das Vorliegen einer Verweisung auf § 186 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Der Widerrufsanspruch als Schadensersatzanspruch nach § 823 II BGB in Verbindung mit § 186 StGB ....... . .... 158 b) Der Widerrufsanspruch als Beseitigungsanspruch ..... . 158 c) Die objektiven Anspruchsvoraussetzungen aus § 186 StGB 159 d) Das Schulderfordernis des Schadensersatzanspruchs . . . . 162 3. Die grundsätzliche Übernahme der strafrechtlichen Beweislastregelung . ............. . . .. .... . ....... . ...... . .. . ..... 162 4. Die Unanwendbarkeit der Beweislastregelung aus § 186 StGB beim Anspruch auf Widerruf wegen der Besonderheiten dieser Rechtsfolge . ..... ........... . .. . . .... . .......... ... . . . . 164 a) Die Nähe der Verurteihmg zum Widerruf zur Tatsachenfeststellung .. . .. .. .... . . . ....... .. . . .. . . . ...... .... .. .. 164 b) Die Gefahr, entgegen der objektiven Sachlage und der subjektiven Kenntnis zum Widerruf zu verpflichten und zu zwingen . . ................. . ................. . ...... 167 c) Ablehnung einiger Gegenargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 d) Der Sinn des (uneingeschränkten) Widerrufs . . . . . . . . . . . . 170 5. Die Möglichkeit eingeschränkter Verurteilung bei Unklarheit über die Wahrheit der Tatsachenbehauptung . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Die sachlichen Gründe für diese Entscheidung . . . . . . . . . . 171 b) Die konstruktive Begründung . .. ............. . .. . ...... 172 c) Die prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 6. Die Beweislast bei Berufung auf Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) ............. . ..... . . . .. . . .. .. .. .... 175 a) Das ursprüngliche Eingreifen des § 193 StGB
176
b) Das gegenwärtige Eingreifen des § 193 StGB
177
7. Gesamtergebnis
179
III. Die Unanwendbarkeit qer strafrechtlichen Beweislastgrundregel bei Ansprüchen aus §§ 992, 2025 BGB auf Grund einer Besitzerlangung durch strafbare Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Inhaltsverzeichnis
13
1. Der Sinn des § 992 BGB und der materielle Inhalt der Verweisung auf das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
2. Die Beweislast ...... . ............ . .. .. . ............ . .... . . 181 3. Die Beweislast bei § 2025 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 IV. Beweislastregelung entsprechend dem Grundsatz "in dubio pro reo" bei Pflichtteilsentziehung und Erbunwürdigkeit . . . . . . . . . . 182 1. Die Beweislast bei der Pflichtteilsentziehung . . . . . . . . . . . . . . 182
a) Vorliegen und Umfang der Verweisung auf das Strafrecht 182 b) Die Beweislast ................... . ... . .......... . . .. .... 185 2. Die Beweislast bei der Erbunwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 a) Die Verweisung auf das Strafrecht .. . .............. . . .. . 187 188
b) Die Beweislast § 12 Die Geltung der GrundbuclJ.vermutung bei Anknüpfung des Ver-
waltungsreclJ.ts an das Grundstückseigentum . . ........... . . ..... 191 I. Beispiele
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
II. Die Notwendigkeit von Beweislastnonnen im Verwaltungsprozeß . .. .. ... ... .. . .. ... .. .. . ... . . ... . ................. . . . . 193 III. Die primäre Beweislast der Verwaltung bei öffentlich-rechtlichen Pflichten des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 IV. Möglichkeit einer Beweislastverteilung und Geltung der Grundbuchvermutung zugunsten der Verwaltung .. . .... . . ..... ...... 198 V. Die Geltung der Grundbuchvennutung zugunsten des Bucheigentümers bei subjektiven öffentlichen Rechten . . . . . . . . . . . . 200 VI. Die vorläufige Befreiung von der Ennittlungspflicht . . .. . .... . 201 VII. Die Geltung der Grundbuchvermutung im Verwaltungsverfahren .. .. .. . ..... . .. . .. .. ....... .. ... . . .. . . . .............. . 202 § 13 Zusammenfassung und Würdigung der Ergebnisse des zweiten Teils 203
I. Die Hauptergebnisse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
II. Würdigung
204
Literaturverzeichnis
205
SarhverzeiclJ.nis
220
Abkürzungsverzeichnis AcP AöR AP
Archiv für die civilistische Praxis Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis. Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts ArchBürgR Archiv für bürgerliches Recht Bay.JMBI. Bayerisches Justizministerialblatt BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter DOV Die Öffentliche Verwaltung DR Deutsches Recht DRZ Deutsche Rechts-Zeitschrift DVBI. Deutsches Verwaltungsblatt FamRZ Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht GA Goltdammer's Archiv für Strafrecht Gruchot Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begr. v. Gruchot GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GS Der Gerichtssaal HRR Höchstrichterliche Rechtsprechung IherJb. Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts JMBl.NRW. Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen JR Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung Krit.VjSchr. Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft LM Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring MDR Monatsschrift für Deutsches Recht Nds. Rpfl. Niedersächsische Rechtspflege NJW Neue Juristische Wochenschrift OJBI. Osterreichische Juristische Blätter Recht Das Recht SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen Seufferts Archiv Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte SJZ Schweizerische Juristenzeitung VersR Versicherungsrecht Warn. Warneyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts ZAkDR Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht ZHR Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht ZRG Rom. Abt. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht ZStrW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZZP Zeitschrift für Zivilprozeß
§ 1 Einführung
Die Einteilung der gesamten Rechtsordnung in verschiedene Rechtsgebiete, also in bürgerliches Recht, Zivilprozeßrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht usw., ist eine allgemein geläufige Vorstellung. Doch darf man darüber nicht vergessen, daß die einzelnen Sachgebiete in vielfältigen Beziehungen miteinander stehen. Neben den Wechselwirkungen auf Grund des tatsächlichen, lebensmäßigen Zusammenhangs der Einzelregelungen stehen Verknüpfungen, die sich schon aus dem Inhalt der Rechtssätze ergeben. Wenn z. B. das Strafrecht als Voraussetzung der Bestrafung wegen Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 b StGB) festsetzt, daß den Täter eine gesetzliche Unterhaltspflicht trifft, so werden damit jene Normen des bürgerlichen Rechts anwendbar, die die Unterhaltspflicht regeln. Knüpft das Zivilprozeßrecht die Prozeßfähigkeit an die Fähigkeit, sich vertraglich zu verpflichten (§ 52 I ZPO), so entscheiden darüber die Vorschriften des BGB über die Geschäftsfähigkeit. Solche Verbindungen der Rechtssätze sind hier mit dem Begriff der Verweisung gemeint. Dabei handelt es sich um Verweisungen auf der Tatbestandsseite 1 • Die Verknüpfung wird nämlich dadurch erzielt, daß im Tatbestand der verweisenden Rechtsnorm ein Rechtsbegriff (gesetzLiche Unterhaltspflicht, Verpftichtungsfähigkeit) verwendet wird, dessen Voraussetzungen in einem anderen Rechtsgebiet geregelt sind. Das Ergebnis der Verweisung ist, daß die Rechtsfolge des verweisenden Rechtssatzes - meist neben anderen Voraussetzungen - vom Vorliegen der Tatbestandsmerkmale jener Rechtssätze abhängt, auf die verwiesen wird. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Problem, ob in :;olchen Fällen der Verweisung zwischen verschiedenen Rechtsgebieten auch die in Frage kommenden Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen des fremden Rechtsgebiets anzuwenden sind. ' Zum Begriff der Verweisung und ihren verschiedenen Arten vgl. Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 26127 N. 3. - Dagegen versteht Larenz, Methodenlehre, S. 164 unter verweisenden Rechtssätzen nur solche Rechtssätze, die auf der Rechtsfolgeseite eine Verweisung enthalten.
16
§ 1 Einführung
Die Untersuchung einzelner Verweisungsfälle findet sich im zweiten Teil der Studie. Im Laufe der Arbeit wurde aber deutlich, wie viele grundsätzliche Unklarheiten der Lehre von der Beweislast und den gesetzlichen Vermutungen noch immer anhaften. Um die erforderlichen Grundlagen für die Behandlung einzelner Verweisungsfälle zu schaffen, werden daher im ersten Teil einige allgemeine Fragen der Beweislasttheorie erörtert.
Erster Teil
Grundlagen § 2 Die Existenz besonderer Beweislastnormen I. Inhalt und Bedeutung der Frage Wiewohl die geltende deutsche Rechtsordnung an mehreren Stellen ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen über die Beweislast enthält!, wurde und wird im Schrifttum nachdrücklich die Meinung vertreten, es gebe überhaupt keine besonderen Rechtsnormen zur Regelung der Beweislast2 • Nach dieser Auffassung soll sich vielmehr die Beweislastverteilung unmittelbar und zwingend aus den anzuwendenden materiellen Rechtssätzen ergeben, ohne daß es zusätzlicher Normen bedürfte. Ist diese Behauptung richtig, so ist damit das hier gestellte Problem bereits gelöst. Die Verweisung wurde ja als Verknüpfung von Rechtssätzen gekennzeichnet. Wenn nun die Beweislastregelung in den für anwendbar erklärten Rechtssätzen des anderen Rechtsgebietes enthalten ist, so muß die Verweisung auf diese Rechtssätze notwendig auch zur Anwendung der darin gegebenen, mit den Rechtssätzen gewissermaßen identischen Beweislastregelungen führen. Eine Anwendung der materiellen Rechtsnormen ohne die darauf bezüglichen Beweislastsätze ist nur denkbar, wenn die Beweislastregeln als besondere Rechtssätze neben den materiellen Normen stehen. Die überwiegende Meinung geht von der Existenz besonderer Beweislastnormen aus3 • Im folgenden wird versucht, den Grund der z. B. §§ 282, 345, 358, 442 BGB. So Fitting, ZZP 13, 12; Meyerhofer, ZSR 22, 316, 347; Leonhard, Beweislast, S.136 f., 175; ders. ZZP 35, 441, 446; Kuhn, Beweislast, S. 75 f.; Herr, Diss., S. 23; neuerdings eingehend Schwindel, Diss., insbes. S. 95, 131. Ähnlich RGZ 6, 413; Fischer, Recht und Rechtsschutz, S. 19. Dem strafrechtlichen Grundsatz "in dubio pro reo" sprechen RGSt 52, 319; RG JW 1931, 1578 und Seibert, DRZ 1949, 558 Rechtsnormqualität ab, jedoch nur im Hinblick auf § 337 (früher § 376) StPO. s Brodmann, AcP 98, 83 f. (gegen Leonhard); Fohle, Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 328, 330; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 20 (S. 620); 1
2
2 Leipold
18
§ 2 Existenz besonderer Beweislastnormen
unterschiedlichen Beurteilung herauszuarbeiten und dort die eigene Stellungnahme anzusetzen.
II. Zum Begriff der Beweislast Mit dem Begriff der Beweislast wird hier die Frage nach der gerichtlichen Entscheidung bei Unklarheit über eine erhebliche Tatsache bezeichnet. Die Untersuchung beschränkt sich also grundsätzlich auf die sog. objektive Beweislast\ während die subjektive Beweislast oder Beweisführungslast beiseite gelassen wird5 • Das gerichtliche Bemühen um die Tatsachenfeststellung kann zu drei verschiedenen Resultaten führen: Entweder wird das Vorliegen der fraglichen Tatsache festgestellt, oder es wird ihr Nichtvorliegen festgestellt, oder es bleibt offen, ob die Tatsache gegeben ist0 • An dieser dritten Möglichkeit hat auch die Einführung der freien Beweiswürdigung nichts geändert7. Fälle, in denen das Gericht keine Klarheit über die Tatsachenlage zu gewinnen vermag, sind praktisch keineswegs selten. Sie würden entfallen, wenn die Rechtsordnung den Richter verpflichten würde, in jedem Fall auf Grund des Beweisergebnisses entweder das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der Tatsache festzustellen, sich also stets zu einem bestimmten Ergebnis durchzuringen8 • Dann gäbe es auch das Problem der Beweislast nicht. In unserer Rechtsordnung besteht jedoch anders als im Bereich der Rechtsfrage- keine derartige Anforderung an den Richter. Dies hat auch seinen guten Grund, denn andernfalls würde der Richter überfordert. Auch die Glaubwürdigkeit der RechtsMaser, Diss., S. 68, 77 (gegen Leonhard); Schmeling, Diss., insbes. S. 56 f . Vgl. ferner Wach, ZZP 29, 367, 386; Regelsberger, Pandekten, 1. Bd., S. 694; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 475; ders., ZZP 32, 447; Levin, Prozeßleitung, S. 160; Kasparek, Beweislast, S. 3; Dänzer, Tatsächliche Vermutung, S. 127; Betzinger, Beweislast, S. 2; Korsch, Beweislastregeln, S. 8; Engisch, Einführung, S. 60, 62; Wieczorek, § 282 E; Lepa, Diss., S. 5. -Zur Stellung Rosenbergs s. unten § 3. Den Rechtsnormcharakter des Satzes "in dubio pro reo" bejahen u. a. Mannheim, Revision, S. 141; Beling, JW 1931, 1579; Stree, In dubio pro reo, S. 19 N. 19; Eberhard Schmidt, StPO, Bd. I Rdz. 376, Bd. II § 337 Rdz. 27 ; Kleinknecht-Müller-Reitberger, StPO, § 261, 7 c, § 337, 6 e; Henkel, Str afverfahrensrecht, S. 432; OLG Hamm NJW 1951, 286. 4 Vgl. zu den Begriffen der objektiven und subjektiven Beweislast die eingehenden Ausführungen bei Rosenberg, Beweislast, S. 16 ff. 5 Zu den Rechtswirkungen der subjektiven Beweislast vgl. Rosenberg, Beweislast, S. 21 ff. Sie dürften praktisch ohne sonderliche Bedeutung sein. o Vgl. Moser, Diss., S. 39. 7 Anders z. B. Kahler, Holtzendorff-Kohler, Enzyklopädie, 3. Bd., S. 315. - Weitere Nachweise für diese Meinung bei Leonhard, Beweislast, S. 166 N. 2. s Korsch, Beweislastregeln, S . 76.
III. Der Weg zur Entscheidung bei festgestelltem Sachverhalt
19
findung würde beeinträchtigt, wenn trotz unzureichender Beweismittel eine Feststellung über die Tatsachenlage getroffen würde. Immerhin ist mit diesen Erwägungen bereits eine erste positiv-rechtliche Voraussetzung des Beweislastproblems klargestellt.
111. Der Weg zur Bejahung oder Verneinung einer Rechtsfolge bei festgestelltem Sachverhalt
Um Klarheit über den Vorgang einer Beweislastentscheidung zu gewinnen, sei zunächst dargestellt, wie der Richter die Entscheidung bei festgestelltem Sachverhalt erhält. Man denke sich dazu einen Rechtssatz, der nur ein Tatbestandsmerkmal (T) enthält und bei dessen Vorliegen eine Rechtsfolge (R) - etwa einen Zahlungsanspruch anordnet. Die Norm lautet also: Wenn T
dann R.
Subsumiert nun der Richter eine behauptete9 konkrete Tatsache (f) unter T, so erhält er10 : Wenn f
dann T.
Stellt der Richter (insbesondere auf Grund der erhobenen Beweise) die Existenz von f fest, so ergibt sich: f ist. Fügt man nun die Sätze zusammen, so ergeben sich folgende Schlüsse: Wenn f also
dann T ist
Wenn T
f
T
erfüllt.
also
T
dann R ist
R.
Damit ist der Richter zur Bejahung der Rechtsfolge R gelangt. Stellt der Richter dagegen die Nichtexistenz von f fest, so erhält er: f ist nicht. Daraus folgt nun freilich noch nicht, daß T nicht erfüllt ist, denn T könnte auch auf Grund anderer Tatsachen zu bejahen sein, da der maßgebende Satz nicht lautet: Nur wenn f
dann T.
9 Die Behauptung durch eine Partei ist Voraussetzung, soweit die Verhandlungsmaxime gilt. Bei Untersuchungsmaxime kann die Möglichkeit der Tatsache auch durch das Gericht eingeführt werden. 10 Zu Inhalt und Bedeutung des Untersatzes vgl. Engisch, Logische Studien, S. 18 ff.
20
§
2 Existenz besonderer Beweislastnormen
Unterstellt man aber, daß der Richter feststellt, keine unter T fallende Tatsache sei gegeben, so ergibt sich: T ist nicht. Stellt man nun den Schluß zusammen: Wenn T dann R T ist nicht so ergibt sich daraus nicht: R ist nicht. Das wäre nur der Fall, wenn der Rechtssatz lauten würde: Nur wenn T
dann R.
Aber diesen Inhalt haben die einzelnen Rechtssätze gerade nicht. Die Rechtsfolge R kann nämlich auf Grund einer anderen Rechtsnorm begründet sein11 • Diese mag etwa lauten: Wenn T'
dann R.
Es kann auch noch eine weitere derartige Norm geben: Wenn T"
dann R.
Bei dieser Lage folgt aus der Verneinung des Tatbestands jeweils einer dieser Normen noch nicht die Verneinung der Rechtsfolge12 • Wenn aber keiner der in Frage kommenden Tatbestände erfüllt ist, so muß die Rechtsfolge R verneint werden. Dieses Ergebnis ist unzweifelhaft. Da es sich aber nicht aus den einzelnen Rechtssätzen ergibt, bedarf €S dazu eines zusätzlich€n Obersatzes 13• Dieser muß im gegebenen Fall lauten: Wenn nicht T und nicht T' und nicht T"
dann nicht R.
In ähnlicher Weise tritt dieser Satz zu allen Rechtsnormen hinzu. Er sei hier als negativer Ergänzungssatz bezeichnet. Dieser ist freilich in aller Regel nicht gesetzlich normiert. Das ist aber auch nicht erforderlich. Denn er folgt bereits aus einer grundlegenden Voraussetzung unserer Rechtsordnung, nämlich aus der Annahme, daß alle überhaupt in Frage kommenden Rechtsfolgen sich aus Rechtsnormen und nur aus solchen herleiten lassen14• Damit ist gl€ichzeitig vorausgesetzt, daß eine Rechtsfolge zu verneinen ist, wenn sie von keiner Rechtsnorm ange11 Man denke an einen Schadensersatzanspruch, der aus Vertrag, Delikt oder Gefährdungshaftung begründet sein könnte. 12 Vgl. Engisch, Logische Studien, S. 13; Larenz, Methodenlehre, S. 197 f. 1s Vgl. Engisch, a. a. 0., der aber bei der Feststellung der Notwendigkeit stehen bleibt. - Der Ableitung der Rechtsfolgeverneinung, wie sie meist dem klageabweisenden Urteil zugrunde liegt, wird überhaupt zu wenig Aufmerksamkeit in der Literatur geschenkt. 14 Vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 52.
III. Der Weg zur Entscheidung bei festgestelltem Sachverhalt
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ordnet wird. Wegen dieses Zusammenhangs mit dem gedanklichen Grundprinzip einer Rechtsordnung aus einzelnen Rechtssätzen stellt der negative Ergänzungssatz selbst keinen Rechtssatz dar. Ähnliche Erwägungen werden bereits seit langem im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit von Lücken in der Rechtsordnung angestellt15. Mit der Leugnung "echter" Lücken auf Grund eines allgemeinen negativen Grundsatzes oder einer logischen Geschlossenheit der Rechtsordnung werden aber aus einer zunächst richtigen Beobachtung falsche Konsequenzen gezogen16• Denn zum einen tritt der negative Ergänzungssatz nicht allein zu den gesetzlichen Rechtsnormen hinzu, sondern zur Gesamtheit der überhaupt geltenden Rechtsnormen. An der Möglichkeit von Gesetzeslücken ändert er also nichts. Zum anderen .greift der negative Ergänzungssatz erst ein, wenn der Bereich der geltenden Rechtsnormen vollständig beschrieben ist. Die eventuelle Feststellung und Schließung von Lücken liegt dagegen vor diesem Stadium17• Der negative Ergänzungssatz hat auch kein sachliches Eigengewicht18; er ist nur die logische Formulierung dessen, was sich aus dem (negativen) Zusammenwirken der positiven (rechtsfolgeanordnenden) Rechtssätze ergibt. So kann man den negativen Ergänzungssatz auch mit den einzelnen Rechtsnormen zusammenfassen und erhält dann: Nur wenn (T oder T' oder T") dann R. Nimmt man nun zur Vereinfachung an, die Rechtsfolge R werde nur durch eine einzige Rechtsnorm angeordnet, so erhält man für den negativen Ergänzungssatz: Wenn nicht T und mit: T das Resultat:
dann nicht R. ist nicht R nicht -
also die Verneinung der Rechtsfolge.
Norm und negativer Ergänzungssatz zusammengefaßt ergeben in diesem (einfachen) Fall: Nur wenn T
dann R.
15 Insbesondere von Zitelmann, Lücken im Recht, S. 18 ff. Ähnliche Gedanken finden sich bei Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 248, 251. 1& Insoweit ist der Kritik von Engisch, Festschrift für Sauer, S. 95 ff. (mit Lit.) zuzustimmen. Zum allgemeinen negativen Grundsatz vgl. neuerdings Canaris, Feststellung von Lücken, S. 49 ff. (mit Lit. S. 49 N. 138 u. 139). 17 Vgl. Canaris, a. a. 0., S. 51. 18 Canaris, a. a. 0., S. 50 ff., sieht den berechtigten Kern des von ihm abgelehnten - allgemeinen negativen Grundsatzes in einem "argumentum e silentio (legis completae)", bezweifelt aber selbst die logische Eigenständigkeit dieses Schlußverfahrens (S. 51).
§ 2
22
Existenz besonderer Beweislastnormen
IV. Das Ergebnis bei ungeklärtem Sachverhalt
Bleibt nun nach der Beweiserhebung offen, ob die T erfüllende Tatsache f gegeben ist oder nicht, so erhält man: f ist möglicherweise und f ist möglicherweise nicht. Daraus wiederum: T ist möglicherweise und T ist möglicherweise nicht. Nun seien die Schlüsse zusammengestellt: wenn T dann R wenn T nicht dann R nicht T möglicherweise T möglicherweise nicht R möglicherweise nicht
R möglicherweise
Es ergibt sich also: bei ungeklärtem Sachverhalt ist weder der Rechtssatz noch der negative Ergänzungssatz anwendbar. Man kommt daher in diesem Fall weder zur Bejahung noch zur Verneinung der Rechtsfolge. Die Unklarheit über die Existenz der Tatsache führt also zur Unklarheit über das Gegebensein des Tatbestandes und damit zur Unklarheit über Bejahung oder Verneinung der Rechtsfolge. Kurzgefaßt erhält man: nur wenn T f? daher T?
dann R
R
?
Soll diese Unklarheit überwunden werden, so bedarf es dazu besonderer Rechtsnormen. Aus den primär anzuwendenden Rechtssätzen und aus dem negativen Ergänzungssatz ergibt sich keine Lösung. V. Anderes Ergebnis bei anderem Verständnis des Tatbestandes
Wie man trotzdem zum entgegengesetzten Ergebnis gelangen konnte, wird deutlich, wenn man den Ausgangspunkt der Erwägungen Leonhards betrachtet. Leonhard19 geht - wie selbstverständlich - von dieser Form eines bürgerlich-rechtlichen Satzes aus: "Wenn der Tatbestand a
+b
erwiesen ist, ... "
Als negative Fassung nennt er konsequent: "Wenn a oder b nicht erwiesen ist, ... " 19
Beweislast, S. 127.
VI. Anknüpfung der Rechtsfolgen an die Existenz von Tatsachen
23
Wenn man diese Sätze zugrunde legt, so ergibt sich die Verneinung der Rechtsfolge für den Fall des Nichtbeweises, also sowohl bei Feststellung des Nichtvorliegens der fraglichen Tatsachen wie bei bleibender Unklarheit. Aus dem Offenbleiben des wahren Sachverhalts folgt keine Unklarheit über die Rechtsfolge. Der Vergleich mit dem oben angenommenen Schema der Rechtssätze zeigt, daß Leonhard dem Tatbestand einen anderen Inhalt gibt. Während hier davon ausgegangen wurde, daß der Tatbestand das Vorliegen von konkreten Tatsachen meint, die unter seine Allgemeinbegriffe fallen, daß also die Rechtsfolge an die Existenz der Tatsachen geknüpft wird, sind bei Leonhard nicht die Tatsachen, sondern der Beweis der Tatsachen zur Voraussetzung der Rechtsfolge gemacht20 • Genau besehen wird dabei freilich wieder an Tatsachen angeknüpft, nämlich an die Feststellung im Prozeß. Diese Tatsache aber hat die Besonderheit, daß der Richter stets feststellen kann, ob sie vorliegt oder nicht. Hier gibt es kein non liquet; ob der Richter überzeugt ist oder nicht, darüber muß er sich stets schlüssig werden. Die Beantwortung der Frage, ob sich die Beweislastentscheidung bereits aus den anzuwendenden materiellen Normen ergibt, hängt also davon ab, welchen Inhalt man dem Tatbestand dieser Normen zuschreibt21.
VI. Anknüpfung der Rechtsfolgen an die Existenz von Tatsachen, nicht an den Beweis 1. Der Wortlaut der geltenden Gesetze
Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen werden die Rechtsfolgen an die Existenz der Tatsachen, nicht an deren Beweis geknüpft. So setzt die Verpflichtung zum Schadensersatz nach § 823 I BGB nicht den Beweis einer vorsätzlichen oder fahrlässigen widerrechtlichen Verletzung des Lebens, des Körpers etc. voraus, sondern die Verletzung selbst. Die Strafbarkeit wegen Diebstahls wird durch 2o Diesen entscheidenden Punkt im Gedankengang Leonhards betont Brodmann, AcP 98, 83 f. Das Problem - Anknüpfung an Tatsachen oder an deren Beweis - ist ferner bei Fohle, Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 328 ff. klar herausgearbeitet. ~1 Die von Schwindel, Diss., S. 83 ff. (neben anderen Erwägungen) vorgetragene Argumentation, "die Existenz besonderer Beweislastnormen" sei "wegen Fehlens einer entsprechenden Rechtsquelle" im förmlichen Sinn zu verneinen (S. 88), ist nicht beweiskräftig. Entscheidend ist nur, ob sich die Geltung besonderer Beweislastnormen aus der Analyse der Beweislastentscheidung erschließen läßt. Ist dies der Fall, so kann die Schwierigkeit, welcher Rechtsquelle (dem geschriebenen Recht oder dem Gewohnheitsrecht usw.) diese Normen zuzurechnen sind, an ihrer Existenz nichts ändern.
24
§ 2
Existenz besonderer Beweislastnormen
§ 242 StGB angeordnet, wenn eine fremde bewegliche Sache in der Absicht rechtswidriger Zueignung weggenommen wird, nicht, wenn diese Voraussetzungen bewiesen werden. Sehr vereinzelt wird zwar in materiellen Tatbeständen auch auf den Beweis oder den Nachweis einer Tatsache abgestellt. Soweit dabei ein außerprozessualer Nachweis gemeint ist, besteht kein unmittelbarer Zusammenhang mit der Frage prozessualer Beweislosigkeit22• Sofern aber wirklich der prozessuale Beweils gemeint sein sollte, liegt es bei der verschwindenden Minderheit solcher Vorschriften näher, die Formulierung als ungenaue Zusammenfassung einer Anknüpfung an die Tatsachen mit einer Beweislastregel aufzufassen. Trotz dieses äußeren Befundes, der klar für die Anknüpfung an die Tatsachen selbst spricht, könnte man immerhin sagen, daß der Gesetzgeber keine bewußte Entscheidung über dieses Problem treffen wollte, und daß daher die geltenden Rechtsnormen im Sinne einer Anknüpfung an den Beweis auszulegen seien, wenn dies bei verfeinerter wissenschaftlicher Betrachtung ihrem objektiven Sinn entsprechen sollte. 2. Rein prozessuale Funktion der Rechtsnormen bei Anknüpfung an den Beweis
Notwendige Folge einer Anknüpfung der Rechtsfolgen an den Beweis ist die Beschränkung der Rechtsnormen auf eine rein prozessuale Funktion. Die Feststellung einer Tatsache erfolgt in rechtlich erheblicher Weise erst im Prozeß. Stellen die Tatbestände auf den Beweis ab, so können die Rechtsnormen nur im Prozeß angewendet werden. Sie beschränken sich damit auf die Anweisung an den Richter, wie er den Rechtsstreit zu entscheiden habe. Diese Konsequenz wird auch bei Leonhard deutlich, indem er - wiederum ohne nähere Begründung der Rechtsfolge diesen Inhalt gibt: " ..., hat der Richter die Rechtswirkung festzustellen" 23 • Die abweichende Deutung des Tatbestandes wirkt sich somit auch auf der Rechtsfolgeseite aus. Nicht mehr die Zahlungs- oder Herausgabepflicht wird angeordnet, sondern allein deren prozessualer Ausspruch. Als Verhaltensnormen sind die Rechtssätze, wenn man ihnen diesen Inhalt gibt, nicht gedacht und nicht geeignet. Die Rechtsunterworfenen können dann ihr Tun nicht an Hand der Rechtslage bestimmen, die sie auf Grund der Tatsachenkenntnis beurteilen können. Ihr Verhalten wird allenfalls durch notwendigerweise äußerst unsichere - Vorausberechnungen eines etwaigen Prozeßergebnisses bestimmt. Auch dies wäre aber nur eine Nebenfolge der Rechtsnormen als Entscheidungsnormen. 22 23
Vgl. Pohle, Festschrift f . Dölle, Bd. II, S. 328 f. zu §§ 111 und 179 BGB. Beweislast, S. 127.
VI. Anknüpfung der Rechtsfolgen an die Existenz von Tatsachen
25
Dieser Konsequenz kann man nicht dadurch entgehen, daß man der Anknüpfung an den Beweis einen weiteren, den rein prozessualen Bereich überschreitenden Inhalt gibt. Soweit es überhaupt einen außerprozessualen Beweis gibt, braucht er mit dem Ergebnis des prozessualen Beweises nicht übereinzustimmen. Man kann daher die Anknüpfung keineswegs so verstehen, daß sie beide Beweisarten meint. Und eine Anknüpfung nur an den außerprozessualen Beweis kommt ganz gewiß nicht in Frage24 • Auch eine Anknüpfung an die Beweisbarkeit als eine schon außerprozessual gegebene Tatsache ist nicht möglich. Eine objektive, vom konkreten Prozeßgeschehen unbeeinflußte Beweisbarkeit gibt es nämlich nach der heutigen Ausgestaltung des Beweisrechts nicht. Im Zivilprozeß genügt schon das Geständnis zur Feststellung einer behaupteten Tatsache. Wie sollte man dies in den Begriff einer auch vorprozessualen Beweisbarkeit einbauen? Ferner kommt es für das Beweisergebnis auf die Wahrheitsliebe der Zeugen, auf den Eindruck des Richters von ihrer Glaubwürdigkeit, auf die Auffindbarkeit von Urkunden usw. an. Erst aus dem Zusammenwirken zahlreicher objektiver und subjektiver Momente im Verlauf des Prozesses ergibt sich, ob der Beweis gelingt oder nicht. Die genannten Konstruktionen kommen somit aus sachlichen Gründen nicht in Betracht; im Wortlaut der geltenden Rechtsnormen findet sich ohnehin kein Anhaltspunkt dafür. Pohle erwägt auch, ob das materielle Recht die objektive Nichterkennbarkeit einer Tatsache25 bzw. die objektive Unmöglichkeit des Beweises26 berücksichtigt27 • Soweit man überhaupt bei denkbaren ratsachen von objektiver Unerkennbarkeit oder objektiver Unmöglichkeit des Beweises sprechen kann, würde dies allerdings ein außerprozessualer Umstand sein. Die Berücksichtigung durch das materielle Recht müßte so erfolgen, daß neben der Existenz der Tatsache auch noch die objektive Erkennbarkeit vorausgesetzt würde. Selbst wenn man dies bejahen will, so werden besondere Beweislastregeln nur für die (gewiß nicht zahlreichen) Fälle entbehrlich, daß das prozessuale non liquet auf die objektive Nichterkennbarkeit oder Beweisunmöglichkeit zurückgeht. Die Frage kann daher hier beiseite gelassen werden. Auch Pohle bringt sie nicht als Argument gegen die Existenz besonderer Beweislastnormen. So bleiben als echte Alternativen nur die Anknüpfung an die Existenz der Tatsachen oder an deren Feststellung im Prozeß. Die 24
2s 20
27
So eingehend Pohle, Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 329 f. AcP 155, 172. Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 332. Zustimmend Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 69 II 1 (S. 343).
§ 2 Existenz besonderer Beweislastnonnen
26
zweitgenannte Möglichkeit kann nur dann richtig sein, wenn sich die Rechtsnormen ihrem Sinne nach auf die Funktion prozessualer Entscheidungsnormen beschränken. 3. Ablehnung einer nur prozeßbezogenen Auffassung von den Rechtsnormen
a) Abtrennung des Streits um die Imperativentheorie Ob die abstrakten Rechtsnormen nur auf den Prozeß zugeschnitten sind oder ob sie ihrem Inhalt nach auch außerhalb des Prozesses Bedeutung haben sollen, wurde im Schrifttum vielfach erörtert. Man stößt hier auf das sogenannte Adressatenproblem, dessen Gegenstand die Frage bildet, ob sich die Rechtsnormen nur an den Richter wenden oder ob sie auch an die Rechtsunterworfenen gerichtet sind. Die gewählte Terminologie beruht auf der Imperativentheorie, jener Auffassung also, die den Inhalt der Rechtsfolgen als Befehle an bestimmte Adressaten versteht28 • Diese Meinung ist aber keineswegs unbestritten; ihr wird etwa die Betrachtung der Rechtssätze als hypothetische Geltungsanordnungen29 entgegengesetzt. Dieses grundsätzliche Problem braucht hier jedoch nicht erörtert zu werden. Es betrifft die Frage, wie das Wesen der Rechtsfolge näher zu deuten sei, im Zusammenhang damit auch die Frage, wann man von einem vollständigen Rechtssatz sprechen kann 30 • Das hier behandelte Problem aber, ob die Rechtsnormen nur für den Prozeß gedacht sind oder auch sonst gelten sollen, erscheint bei beiden Betrachtungsweisen. Bei der Imperativentheorie geht es um die Frage nach dem Empfänger der Rechtsbefehle, bei der Theorie der Geltungsanordnung ist zu erwägen, ob die Geltung nur für den Prozeß angeordnet wird oder auch außerprozessual gedacht ist31 • Soweit demnach die Existenz des Adressatenproblems nur auf Grund der Ablehnung der Imperativentheorie verneint wird 32 , ist das hier ohne Belang.
b) Gegen die Theo1·ie de1· prozessualen Rechtserzeugung (Kelsen) Zu einem rein prozessualen Zuschnitt der abstrakten Rechtsnormen gelangt man, wenn man den Prozeß als Rechtserzeugung versteht. Vgl. Engisch, Einführung, S. 22 ff. Larenz, Methodenlehre, S. 152 ff. (mit Lit.), 156. - Gegen die Imperativentheorie auch Zitelmann, Irrtum und Rechtsgeschäft, insbes. S. 222 (abschwächend jedoch AcP 99, 4 N. 3); Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 189 ff. (Rechtssatz als "das hypothetische Urteil über einen bedingten Willen des Staates", S. 212). so Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 152 ff. a1 Daß man die Frage auch bei der Theorie der Geltungsanordnung stellen kann, wird bei Larenz, Methodenlehre, S. 156 N. 1 (am Anf.) deutlich. 32 Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, S. 379; Larenz, Methodenlehre, S. 156 N. 1 a. E. 28
29
VI. Anknüpfung der Rechtsfolgen an die Existenz von Tatsachen
27
Diese Auffassung wird vor allem von Kelsen vertreten33 • Er legt im Rahmen der Theorie vom Stufenbau der Rechtsordnung- dar, die individuelle Norm werde erst durch den Richter gesetzt34 • Durch die Anwendung der generellen Norm erzeugt der Richter erst die individuelle Norm als letzte Stufe der Rechtspyramide. Die richterliche Entscheidung hat deshalb konstitutiven Charakter35• Dabei wird durch die Feststellung der Tatsachen der rechtliche Tatbestand erst erzeugt3°. In Wahrheit werden bei dieser Betrachtungsweise die Rechtsfolgen nicht an die Tatsachen selbst, sondern an deren prozessuale Feststellung geknüpft. Konsequenterweise kommt Kelsen denn auch zu Formulierungen des abstrakten Rechtssatzes, die in diesem hier entscheidenden Punkt dem Schema Leonhards gleichkommen37 • Die Auffassung Kelsens wird jedoch durch einen Blick auf den Inhalt der geltenden Rechtsordnung widerlegt38• Diese geht eindeutig vom außergerichtlichen Entstehen und Erlöschen der Rechte und Pflichten aus, von ihrer Veränderung, Erfüllung oder Verletzung unabhängig vom Stattfinden eines Prozesses. Das Recht macht dem einen Vorwurf, der seine rechtlichen Pflichten nicht erfüllt; es knüpft an das außer- und vorgerichtliche Verhalten seine Sanktionen, sei es eine Schadensersatzpflicht oder eine Strafe oder die zivilprozessuale Vollstreckung. Daß im Prozeß über das vorprozessuale rechtswidrige oder rechtmäßige Verhalten geurteilt wird, 33 Reine Rechtslehre, S. 242 ff.; ähnlich schon Staatsbegriff, S. 94. Verwandte Auffassungen finden sich bei Bülow, Gesetz und Richteramt, S. 3 ff., ZZP 31, 266 f. Bülow sieht jedoch trotzdem die Rechtsnormen als zunächst an die Beteiligten gerichtet an (Gesetz und Richteramt, S. 45; ZZP 31, 269). Gegen Bülow Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 152; Niese, DoP.pelfunktionelle Prozeßhandlungen, S. 31 f.; Sax, ZZP 67, 31; Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 58. - Auch die Auffassung Sauers, Allg. Prozeßrechtslehre, S. 1 ff. (Rechtsgestaltung im Prozeß) geht in die Richtung der Lehre Kelsens. 34 Reine Rechtslehre, S. 242. a.1 Reine Rechtslehre, S. 243. 36 Reine Rechtslehre, S. 245. 3 7 Reine Rechtslehre, S. 246: "Denn der Rechtssatz lautet nicht: Wenn ein bestimmter Mensch einen Mord begangen hat, soll eine bestimmte Strafe über ihn verhängt werden, sondern: Wenn das zuständige Gericht in einem durch die Rechtsordnung bestimmten Verfahren rechtskräftig festgestellt hat, daß ein bestimmter Mensch einen Mord begangen hat, soll das Gericht über diesen Menschen eine bestimmte Strafe verhängen. Im juristischen Denken tritt an Stelle der den Zwangsakt im nichtjuristischen Denken bedingenden Tatsache an sich die verfahrensmäßig festgestellte Tatsache." -Zum Beweislastproblem selbst nimmt Kelsen nicht Stellung, da er nur die beiden Möglichkeiten sieht, daß das Gericht entweder die Begehung oder die Nichtbegebung eines Delikts feststellt (S. 248). 38 Gegen Kelsen auch Boehmer, Grundlagen, Bd. I, S. 155 N. 13; ders. Reichsgerichtspraxis, Bd. III, S. 219 ff.; zur Gesamtkritik der Lehre Kelsens vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 68 ff.
28
§ 2 Existenz besonderer Beweislastnormen
sieht Kelsen im Grunde selbst. Durch die Behauptung, die Erzeugung des rechtlichen Tatbestandes im Prozeß erfolge mit auf den Zeitpunkt der Setzung des natürlichen Tatbestandes rückwirkender Kraft39, erreicht er, daß die im Prozeß erzeugten individuellen Normen doch schon als vor dem Prozeß geltend zu betrachten sind. Aber diese gekünstelte Konstruktion ist allenfalls rein logisch betrachtet durchführbar. Soll die so erzielte Rückwirkung nicht die Rechtserzeugungstheorie selbst aus den Angeln heben, so kann es sich nur um eine Fiktion der vorprozessualen Geltung handeln, die aber an der wirklichen Nichtgeltung vor dem Prozeß nichts ändert. Dem wahren Sinn der Rechtsordnung entspricht diese Auffassung jedoch nicht. Sie will, daß die Rechtssubjekte von sich aus rechtmäßig handeln, sich nach ihren Verhaltensnormen richten. Auch die freiwillige Befolgung gehört zum Bereich des Rechtlichen, ja sie soll sogar den erwünschten rechtlichen Idealfall darstellen. Werden aber wirklich Sanktionen gesetzt, so raubt ihnen die Auffassung Kelsens ihre eigentliche Begründung40 • Sie brechen bei seiner Betrachtungsweise gleich einer Naturkatastrophe über den Betroffenen herein, während sie in Wahrheit doch aus der vorausgegangenen Mißachtung der für den Rechtsbrecher geltenden Rechtsnormen nicht nur ihre logische Ableitung, sondern auch ihre innere Rechtfertigung erfahren.
c) Gegen die Leugnung des Rechtscharakters der Verhaltensnormen (M. E. Mayer, Binder) In anderer Weise sind Max Ernst Mayer- im Anschluß an Ausführungen Iherings 41 - und Binder zu einem primär prozeßbezogenen Ver10tändnis der Rechtsnormen gelangt. Beide vertreten die Auffassung, die Rechtssätze wendeten sich nicht an das Volk, sondern an die Organe des Staates, die Richter und Vollstreckungsorgane42 • Sowohl Mayer als auch Binder verkennen dabei nicht, daß es Regeln gibt, die das Verhalten der Rechtsunterworfenen unmittelbar bestimmen. Sie sprechen diesen Normen jedoch den Rechtscharakter ab. Mayer stellt sie den Rechtsnormen unter der Bezeichnung Kulturnormer. gegenau Reine Rechtslehre, S. 245.
Zum Zusammenhang mit der Auffassung Kelsens vom Wesen der Rechtsnorm vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 76 f. 41 Der Zweck im Recht, 1. Bd., 4. Auf!., S. 262 f. (S. 337 f. der Erstausgabe). 42 Mayer, Rechtsnormen und Kulturnormen, insbes. S. 4, 6, 30, 34. Eine Ausnahme gesteht er für den Bereich des Verwaltungsstrafrechts zu (S. 115 ff., 125). Binder, Rechtsnorm und Rechtspflicht, insbes. S. 23 ff.; Adressat, S. 61. Binder hat seine Auffassung zwar teilweise modifiziert (vgl. Adressat, S. 3; Prozeß und Recht, S. 105, 292 f.), aber der Sache nach nicht aufgegeben (zum selben Ergebnis kommt Boehmer, Reichsgerichtspraxis, Bd. III, S. 222). 40
VI. Anknü2fung der Rechtsfolgen an die Existenz von Tatsachen
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über43 • Binder rechnet die verpflichtende Kraft gegenüber den Untertanen zum Bereich der Sittlichkeit44 • Die Lehren Mayers und Binders sind mit Recht überwiegend abgelehnt worden45 • Wenn man erkennt, daß es Normen gibt, die das menschliche Verhalten in Einklang mit der Rechtsordnung bringen sollen, dann ist kein Grund ersichtlich, warum dies nicht die Rechtsnormen selbst sein sollen. Sittliche Verhaltensnormen, die ihre verpflichtende Kraft unabhängig von der Rechtsordnung haben, mögen zwar für manche Gebiete des bürgerlichen Rechts oder des Strafrechts als bestehend anerkannt werden. Auch dann aber laufen parallel dazu die rechtlichen Verhaltensanforderungen46 • Schon wenn es um kompliziertere privatrechtliche Verhältnisse geht, kann man dagegen kaum mehr von der Geltung entsprechender sittlicher Normen oder Kulturnormen ausgehen. Vor allem aber kann auf weiten Gebieten, die heute eingehend rechtlich geregelt sind - man denke nur an das Straßenverkehrsrecht, an Preisvorschriften, an das öffentliche Baurecht usw. -von unmittelbar gegebenen sittlichen Normen nicht die Rede sein47 • Hier besteht nur eine rechtliche Regelung des menschlichen Verhaltens. Dies zu erreichen, ist auch der primäre Sinn der erlassenen gesetzlichen Normen. Nimmt Binder aber eine allgemeine sittliche Norm an, die das Befolgen der Rechtsordnung vorschreibt48, so braucht man dem nicht zu widersprechen; jedoch ist nicht einzusehen, wie dadurch die primäre rechtliche Verhaltensordnung, an die dieser sittliche Befehl anknüpft, ihres Rechtscharakters entkleidet werden könnte. d) Ergebnis
Da ein nur prozeßbezogenes Verständnis der Rechtssätze deren Sinn nicht entspricht, muß es dabei bleiben, daß die Rechtsordnung unmit43 a. a. 0., S . 16, 69. Er versteht darunter religiöse, moralische, konventionelle Gebote und Verbote (S. 17). - Den Erwägungen Mayers ist neuerdings Schmidhäuser, Von den zwei Rechtsordnungen im staatlichen Gemeinwesen, weitgehend gefolgt. Er stellt eine staatliche und eine gesellschaftliche ReChtsordnung gegenüber. Adressat der Rechtssätze der staatlichen Rechtsordnung sollen in der Regel nur die Staatsorgane sein (S. 10, 16), während sich die Gebote der gesellschaftlichen Rechtsordnung (die weitgehend den Kulturnormen Mayers entsprechen, S. 12) an alle wenden (S. 11). Schmidhäuser gesteht aber immerhin den Rechtscharakter der Verhaltensnormen zu! 44 Rechtsnorm und Rechtspflicht, S. 47; Adressat, S. 73 f. 45 Gegen Mayer schon Gerland, Krit. VjSchr. 46, 417 ff.; Thon, IherJb. 50, 12 ff. Gegen Binder eingehend Boehmer, Reichsgerichtspraxis, Bd. III, S. 219 ff., auch Grundlagen, Bd. I, S. 155 N. 13. Weitere Lit. gegen Binder s. bei Binder, Adressat, S. 1 N. 2. 46 Vgl. Gerland, a. a. 0 ., S. 447. 47 Vgl. Gerland, a. a. 0., S. 433 ff. 48 Adressat, S. 73.
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§ 2 Existenz besonderer Beweislastnormen
telbar das Verhalten der Rechtsunterworfenen regeln will und si1 daher befehlend, verbietend oder gewährend an diese wendet49 • Di ist gewiß auch die nächstliegende und natürliche Auffassung, wer man das Recht als Ordnung menschlichen Zusammenlebens unter d, Idee der Gerechtigkeit begreift50 • Sind aber die Rechtsnormen niC: auf eine rein prozessuale Funktion beschränkt, so ist es auch nie] möglich, von einer Anknüpfung der Rechtsfolgen an den Beweis d· entsprechenden Tatsachen auszugehen51 • Es muß vielmehr dabei ble ben, daß die Rechtsfolgen an die Existenz der Tatsachen gebundE sind, wie es auch dem Wortlaut der Gesetze und der üblichen Auffa sung entspricht. Nur so ist die Denkform des außerprozessualen En stehens und Erlöseheus von Rechten und Pflichten durchführbar. D Tatsachenlage stellt den objektiven Bezugspunkt dar, durch den d Möglichkeit und die gedankliche Deckung des außerprozessualen w des prozessualen Strebens nach Rechtserkenntnis gewährleistet wir Damit aber bleibt es bei der eingangs gegebenen Ableitung: Die z1 nächst anzuwendenden Rechtsnormen bestimmen nur, daß beim Vo. liegen bestimmter Tatsachen Rechtsfolgen eintreten, beim Nichtvo: liegen dagegen nicht. Die dritte Möglichkeit der Unklarheit über d Tatsachenlage gibt es auf dieser Ebene nicht, so daß diese Normen fi den Fall des non liquet kein Ergebnis liefern. Wenn also auch die Entscheidung im Falle ungeklärter Tatsacher lage rechtlich geregelt ist, so beruht diese Regelung auf besondere Normen, die nicht mit jenen Rechtssätzen identisch sind, die Recht: folgen an die Existenz von Tatsachen knüpfen. Die letztgenannten primären Normen werden im folgenden als m1 terielles Recht (i. e. S.) bezeichnet. Dies ist aber nur als terminologisct Festsetzung zu verstehen. Die Erkenntnis, daß die Beweislastnorme neben den Rechtssätzen stehen, die an die Tatsachenexistenz anknüi fen, schließt es nicht aus, beide Normgruppen zusammen als den BE reich des materiellen Rechts zu verstehen. Zu dem damit augeschnittE nen Problem der systematischen Einordnung wird später52 Stellun genommen.
'9 Vgl. Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 30 III 1 (S. 199 Lange, Allg. Teil, § 8 II 5 (S. 53); Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 136. so Vgl. nur Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, S. 34. st Ebenso im Ergebnis Fohle, Festschrift f. Dölle, Bd. Il, S. 330 o. L2 s. unten § 6 III.
§ 3 Die Nichtanwendbarkeit einer Rechtsnorm
als Scheinbegründung der Beweislastregelung I. Die Lehre Rosenbergs
Nachdem festgestellt wurde, daß die Beweislastregeln nicht mit den materiellen Normen identisch sind, ist nun näher auf ihr Verhältnis zu diesen einzugehen. Dabei müssen vor allem die Grundgedanken der Beweislastlehre Rosenbergs behandelt werden. Nach seiner Auffassung, die sich in ähnlicher Form auch bei anderen Autoren findet 1 , folgt die Beweislastverteilung und damit die zu treffende Entscheidung unmittelbar aus der Nichtanwendbarkeit einer Rechtsnorm bei Ungewißheit über ein TatbestandsmerkmaL Rosenberg2 geht davon aus, daß der Richter einen Rechtssatz nur dann anwenden könne, wenn er vom Vorliegen der Voraussetzungen der Norm positiv überzeugt sei. Im Falle des Zweifels müsse die Anwendung unterbleiben und der Nachteil treffe dann die Partei, zu deren Sieg die Anwendung des Rechtssatzes erforderlich gewesen wäre. Daraus ergebe sich das Prinzip der Beweislast, wonach jede Partei die Beweislast für die Voraussetzungen der ihr günstigen Normen trage3 • Rosenberg betont, das Urteil ergehe mit Notwendigkeit gegen die Partei, zu deren Gunsten die Anwendung der Norm erfolgen würde, "aber nicht, weil sie die Beweislast hat, sondern umgekehrt: weil bei Ungewißheit über ein Tatbestandsmerkmal zu ihren Ungunsten erkannt werden muß, sagen wir, daß sie die Beweislast für dieses Merkmal treffe" 4 • Dies soll nach Rosenberg das richtige Verhältnis von Grund und Folge sein. In der konsequenten Durchführung des so gewonnenen Prinzips kommt es für Rosenberg nur noch darauf an, festzustellen, wem die jeweils in Betracht kommenden Rechtsnormen günstig sind. Er gelangt so zu dem Ergebnis, daß der Anspruchsprätendent (in der Regel der 1 Fitting, ZZP 13, 41; Wehli, Beweislast, S . 22 ff. ; Meyerhofer, ZSR 22, 327 f .; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 82 III 3 (S. 319); Wacke, Beweislast der Familienunternehmen, S. 1; Fickel, Diss., S. 12, 14 f.; Herr, Diss., S. 9 f.; Metzler, Diss., S. 97 f.; Westerhoff, Diss., S. 33; Deppe, Diss., S. 21, 23; Schwindel, Diss., S. 116 f. 2 Beweislast, S. 12, worauf bei Aufstellung der Grundregel, S . 98, Bezug genommen wird. s Beweislast, S. 98 f. 4 a. a. 0., S. 12.
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§ 3
Die Nichtanwendbarkeit einer Norm als Scheinbegründung
Kläger) die Voraussetzungen der rechtsbegründenden Normen, der Gegner (in der Regel der Beklagte) die Voraussetzungen der rechtshindernden und rechtsvernichtenden Normen zu beweisen hat5• Wenn die Begründung, die Rosenberg seiner sog. Normentheorie gibt, richtig ist, dann stellt der Begriff Beweislast nur die Benennung einer sich von selbst ergebenden Situation dar. Es ist dann nicht einzusehen, wozu es besonderer Beweislastnormen bedürfen sollte und welchen rechtlich relevanten Inhalt diese haben könnten. Würde Rosenberg seine Lehre konsequent durchführen, so müßte er zu einer Verneinung besonderer Beweislastnormen gelangen. Manche Stellen seines Buches scheinen denn auch in diese Richtung zu gehen6 • Aber andererseits spricht er selbst im Laufe der Abhandlung von Beweislastnormen7 und lehnt die Auffassung Leonhards ausdrücklich ab 8• Rosenbergs Haltung muß also in diesem Punkte als widersprüchlich bezeichnet werden9• 11. Die Unrichtigkeit dieser Meinung 1. Die Doppeldeutigkeit des Begriffs Nichtanwendbarkeit
Bei der Beurteilung der Lehre Rosenbergs kann wegen des erwähnten sachlichen Zusammenhangs weitgehend auf die früheren Ausführungen10 zurückgegriffen werden. Dort ergab sich, daß bei Zweifel über eine erhebliche Tatsache auch die Bejahung der Rechtsfolge zweifelhaft bleibt. Die Rechtsnorm kann in diesem Fall in der Tat nicht mit bejahendem Ergebnis angewendet werden. Wird etwa ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung geltend gemacht und bleibt für den Richter zweifelhaft, ob der Beklagte wirklich Täter der Verletzungshandlung war, so kann er den Schadensersatzanspruch nicht bejahen. Jedoch- und dies ist der entscheidende Punkt- könnte der Richter den Anspruch bei dieser Sachlage auch nicht verneinen. Wie schon oben dargelegt, ergibt sich die Verneinung der Rechtsfolge nur, wenn als Untersatz das Nichtvorliegen der tatbestandliehen Voraussetzungen der Norm feststeht. Erst dann folgt aus der negativen Formulierung des Rechtssatzes, daß die Rechtsfolge nicht eintritt. s a. a. 0., S . 99 ff.
s a. a. 0., S. 117, 118 f. - Rosenberg zitiert auch (S. 12 N. 2} gerade jene Stelle bei Fitting (ZZP 13, 12}, an der dieser zur Verneinung besonderer Beweislastnormen gelangt! 7 z. B. in den überschriften zu §§ 2 und 7. s a. a. 0 ., S . 84.
9
to
Vgl. schon Schwindel, Diss., S. 138 f. s. oben § 2.
II. Die Unrichtigkeit dieser Meinung
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Gewiß pflegt man auch in dem Fall, daß das Nichtvorliegen der Voraussetzungen festgestellt ist, davon zu sprechen, daß die Rechtsnorm nicht anwendbar ist. Aber mit dem Wort Nichtanwendbarkeit wird hier ein anderer Sinn verbunden als im Falle der tatsächlichen Unklarheit. Bei Zweifel über die Normvoraussetzungen ist die Norm weder in positiver noch in negativer Hinsicht anwendbar, die Rechtsfolge läßt sich weder bejahen noch verneinen, der Richter kann der Klage weder stattgeben noch sie abweisen. Bei Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen dagegen ist die Norm nicht mit positivem Ergebnis anwendbar, wohl aber in negativer Hinsicht. Hieraus folgt die Rechtsfolgeverneinung und die Klageabweisung. Wenn dem Richter im Falle des non liquet keine helfende Beweislastregel zur Verfügung stünde, müßte er die Parteien ohne Entscheidung nach Hause schicken. Nur dieses Ergebnis folgt aus der Nichtanwendbarkeit der materiellen Normen in diesem Fall! 2. Der Unterschied zwisdlen Nidltentsdleidung und negativer Entscheidung; die Pflicht zur Sa.chentscheidung
Ein solches Ende des Rechtsstreits ohne Entscheidung würde freilich in der augenblicklichen Wirkung einer Klageabweisung gleichkommen. Der Kläger hat mit seinem Begehren keinen Erfolg; er kann (falls es um einen Leistungsanspruch geht) keine Vollstreckung durchführen lassen. Der Unterschied11 zu einer klageabweisenden Entscheidung liegt jedoch darin, daß bei bloßer Nichtentscheidung der Beklagte nicht vor erneuter Inanspruchnahme geschützt wäre. Da ein Ausspruch über die Klageabweisung und damit über das Nichtbestehen der Rechtsfolge fehlt, kann keine materielle Rechtskraft eintreten.
Das dargelegte wahre Ergebnis der Nichtanwendbarkeit bei non liquet, nämlich das Unterbleiben einer positiven oder negativen Sachentscheidung, könnte theoretisch als Folge der Unaufklärbarkeit hingenommen werden. Jedoch entfiele dann im Falle eines non liquet die streitbereinigende und friedenstiftende Wirkung, die mit einem Sachurteil verbunden wäre12• Aus diesem Grund ist in unserer geltenden Rechtsordnung der Richter verpflichtet, trotz des bestehengebliebenen Zweifels stets eine sachliche Entscheidung zu treffen13• Diese Entscheiu Vgl. Korsch, Beweislastregeln, S. 122 N. 9. 12 Vgl. Fohle, Festschrift f. Dölle, Bd. !I, S. 319. u Als Ausnahme führt Fohle, a . a. 0., S. 320, mit Recht die Entscheidung BGHZ 17, 252 an, in der für den Fall des non liquet Abweisung der positiven wie der negativen Klage auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft für richtig gehalten wird, aber beiden Entscheidungen die übliche rechtskraftfähige Bedeutung (Feststellung des Gegenteils) abgesprochen wird (S. 264). 3 Leipold
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§ 3 Die Nichtanwendbarkeit einer Norm als Scheinbegründung
dungspfl.icht ist allgemein anerkannt14 • Wenn aber trotz des Zweifels entschieden werden soll und das materielle Recht allein keine Entscheidung ermöglicht, so bedarf es besonderer Rechtssätze, die den Inhalt der Entscheidung bestimmen, eben der Beweislastnormen15. Erst diese ermöglichen es dem Richter, von der Nichtentscheidung zu einer sachlichen Entscheidung zu gelangen. Ob diese Entscheidung positiv (rechtsfolgebejahend) oder negativ (rechtsfolgeverneinend) ausfällt, hängt vom Inhalt der gegebenen Beweislastregeln ab 16 • Die theoretische Begründung der sog. Normentheorie aus dem Gesichtspunkt der Nichtanwendbarkeit hat sich somit als unrichtig erwiesen17. Aus dem materiellen Recht allein folgt nicht, wie bei non liquet zu entscheiden ist. Das gilt sowohl für die rechtsbegründenden wie die rechtshindernden und rechtsvernichtenden Normen.
a Das Verbot der Rechtsverweigerung hat in Art. 6 I der Europäischen Menschenrechtskonvention Ausdruck gefunden (vgl. Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 58 I - S. 336 N. 2). 15 Diesen Zusammenhang zwischen Entscheidungspflicht und Beweislastnormen betonen auch Fohle, a. a. 0., S. 320; Korsch, Beweislastregeln, S. 8, 13; Kasparek, Beweislast, S. 3; Regelsberger, Pandekten, 1. Bd., S. 694; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 474; Hellwig, System I, S. 466; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 82 II 3 (S. 318 f.); Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 III 3 (S. 150); Engisch, Einführung, S. 61; Koehler, VwGO, § 86 A V; Micheli, L'onere della prova, S. 5 ff., 89, 213 (6 ff., 104, 247); Ficke!, Diss., S. 11 ; Rauschning, Diss., S. 10; Deppe, Diss., S. 3. 16 Korsch, Beweislastregeln, S. 9. 17 Wie hier im Grunde Kasparek, Beweislast, S. 3.
§ 4 Die Möglichkeit der Anknüpfung der Beweislastregeln an die unterschiedliche materiell-rechtliche Bedeutung der Tatbestandsmerkmale I. Die Fragestellung
Die Beweislastgrundregel, zu der Rosenberg gelangt, entspricht der allgemeinen Meinung für das Gebiet privatrechtlicher Beziehungen: Wer ein Recht geltend macht, hat die tatsächlichen Voraussetzungen der rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale zu beweisen. Wer demgegenüber das Bestehen eines Rechts leugnet, trägt die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der rechtshindernden, rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatbestandsmerkmale1 • Mit der Ablehnung der von Rosenberg gegebenen Begründung ist noch nichts gegen die inhaltliche Richtigkeit de::- Regel gesagt. Vielmehr ergab sich nur, daß die Beweislastverteilung nicht von selbst und zwingend aus der materiell-rechtlichen Bedeutung der Tatbestandsmerkmale folgt. Es bleibt die Möglichkeit, daß die Beweislastnormen an die unterschiedliche materielle Bedeutung anknüpfen. Dies setzt jedoch voraus, daß die Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden, rechtshindernden, rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatbestandsmerkmalen bereits im materiellen Recht i. e. S. vorgegeben ist, also schon unabhängig von der Beweislastregelung existiert. Die Beweislastsituation ist durch die Unklarheit gekennzeichnet, ob eine erhebliche Tatsache vorliegt oder nicht. Nur diese beiden Möglichkeiten .interessieren. Das Nichtvorliegen einer Tatsache (non a) ist das kontradiktorische Gegenteil des Vorliegens der Tatsache (a). Die Regelung der Beweislast kann entweder so erfolgen, daß die eine Partei das Vorliegen der Tatsache beweisen muß, oder so, daß die andere Partei das Nichtvorliegen, also das kontradiktorische Gegenteil zu beweisen hat. Hängt z. B. ein Anspruch vom Abschluß eines Vertrages ab, so 1 Vgl. mit im einzelnen unterschiedlichen Formulierungen - Stein.. Jonas-Schönke-Pohle, § 282 IV 1; Wieczorek, § 282 E III c u. d; BaumbachLauterbach, § 282 Anh. 2; Thomas-Putzo, § 282, 5 b; Schönke-Schröder-Niese, Zivilprozeßrecht, § 58 III (S. 261); Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 82 III 3 (S. 320 f .); Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 IV 2--4 (S. 152); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 69 III 2 a (S. 345 f.); BGHZ 3, 343 (346). - Diese Form der Grundregel findet sich u. a. schon bei Maxen, Beweislast, S. 56; Reinhold, Klaggrund, S . 30 ff.
3•
36 § 4 Zur materiell-rechtlichen Unterscheidung der Tatbestandsmerkmale kann entweder der einen Partei die Beweislast für den Abschluß des Vertrages oder der anderen für den Nichtabschl·uß auferlegt sein. Geht es um das Erlöschen einer Forderung durch Zahlung, so muß entweder die eine Partei die Erfüllung oder die andere die Nichterfüllung beweisen. Soll nun die Zuteilung der Beweislast an die eine oder die andere Partei in Anknüpfung an die unterschiedliche materiell-rechtliche Wirkung der Tatbestandsmerkmale und damit der Tatsachen erfolgen, so muß schon das materielle Recht erkennen lassen, ob eine Tatsache rechtsbegründender Natur oder das Nichtvorliegen der Tatsache, also das kontradiktorische Gegenteil, rechtshindernder, rechtshemmender oder rechtsvernichtender Natur ist. Dies ist der genaue Inhalt der Frage. II. Die unterschiedliche materiell-rechtliche Bedeutung der rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale einerseits und der rechtshemmenden sowie rechtsvernichtenden Merkmale andererseits Unter rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmalen versteht man die Voraussetzungen der Entstehung eines Rechts. Beim Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale ergibt sich eine Rechtsfolge, die bisher nicht vorhanden war. So ist der Abschluß eines Kaufvertrages ein rechtsbegründendes Tatbestandsmerkmal, denn auf Grund des § 433 li BGB entsteht dadurch die Pflicht des Käufers zur Zahlung des Ka·ufpreises. Ebenso ist der Vertragsschluß rechtsbegründend für die Lieferpflicht des Verkäufers (§ 433 I S. 1 BGB). Rechtsvernichtende Tatbestandsmerkmale haben dagegen zur Folge, daß ein bestehendes Recht erlischt, d. h. daß eine vorhandene Rechtsfolge beseitigt wird2 • Bezahlt der Käufer den Preis, so erlischt die Forderung des Verkäufers (§ 362 I BGB). Die Zahlung wirkt also rechtsvernichtend. Rechtshemmende Tatbestandsmerkmale3 setzen wie die rechtsvernichtenden die Existenz eines Rechts voraus. Sie unterscheiden sich von ihnen dadurch, daß sie das Recht nicht zum Erlöschen bringen, sondern nur seine Durchsetzbarkeit ganz oder vorübergehend ausschließen. Rechtshemmendes Tatbestandsmerkmal ist etwa die Verjährung eines Anspruchs (§ 194 I BGB). Die Abgrenzung der rechtshemmenden Tatbestandsmerkmale von den rechtsvernichtenden interessiert hier nur am Rande, da für die Beweislastverteilung beide Gruppen gleich behandelt werden. Von den rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmalen 2
Vgl. Rosenberg, Beweislast, S. 120.
a Vgl. Rosenberg, a. a. 0 ., S. 101.
II. Rechtsbegründende und rechtsvernichtende Tatbestandsmerkmale 37 jedenfalls sind die rechtshemmenden klar zu unterscheiden, da sie ein bereits bestehendes Recht beeinträchtigen. Ob nun eine bestimmte Tatsache rechtsbegründend wirkt oder ob ihr kontradiktorisches Gegenteil, d. h. das Nichtvorliegen der Tatsache, rechtsvernichtend ist, hat freilich für die Entscheidung über die konkrete geltend gemachte Rechtsfolge dieselbe Bedeutung. In beiden Fällen ist das Bestehen der Rechtsfolge zu verneinen, wenn die Tatsache nicht vorliegt. Von dieser Beobachtung ausgehend könnte man gegen die materiell-rechtliche Unterscheidbarkeit der rechtsbegründenden und der rechtsvernichtenden Merkmale Bedenken anmelden4 • Aber das materielle Recht beschränkt sich nicht darauf, jeweils für einen bestimmten Moment Antwort auf die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen einer Rechtsfolge zu geben. Es sagt auch, ob eine Rechtsfolge bestanden hat und in welchem Zeitraum. Die Denkform des Bestehens eines Rechts in der Zeit wird in vielen Fällen deutlich, etwa bei der Regelung der Rechtsübertragung und -vererbung, bei der Beurteilung von Forderungsverletzungen, bei der Entstehung von Verzugsoder Vertragszinsen, bei Dauerschuldverhältnissen usw. Ob ein Recht nie entstanden ist, oder ob es nachträglich erloschen ist, hat auch verschiedene materielle Rechtsfolgen. So besteht zwar nach Zahlung einer Forderung kein Anspruch des Gläubigers mehr - und insofern ist die Lage ebenso, als wenn die Forderung nie entstanden wäre. Aber im zweiten Falle besteht ein Rückzahlungsanspruch (§ 812 I S. 1 BGB), im ersten nicht. Ob das Vorliegen einer Tatsache rechtsbegründend ist, oder ob das Nichtvorliegen rechtshemmend bzw. -vernichtend wirkt, läßt sich also schon nach materiellem Recht unterscheiden. Während beim Fehlen einer rechtsbegründenden Tatsache die Rechtsfolge nie ins Leben trat, hat der Eintritt einer rechtsvernichtenden oder -hemmenden Tatsache zur Folge, daß eine bis dahin gegebene Rechtsfolge entfällt oder beeinträchtigt wird. Dieser Unterschied besteht unabhängig von der Frage der Beweislasts.
4 Diesen G€danken bringt Fohle, Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 331, der aber selbst die praktische Notwendigkeit des Unterschieds im materiellen Recht bejaht. - Die Kritik Ekelöfs, ZZP 75, 297 scheint die rechtsvernichtenden Tatsachen mitzuumfassen. s Sachlich ebenso Bötticher, ZZP 68, 233.
38 § 4 Zur materiell-rechtlichen Unterscheidung der Tatbestandsmerkmale
111. Die Unmöglichkeit einer materiell-rechtlichen Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden und rechtshindernden Tatbestandsmerkmalen 1. Die materielle Gleichwertigkeit
Der Begriff der rechtshindernden Normen bzw. Tatbestandsmerkmale ist wiederholt kritisiert worden6 • So ist es erstaunlich, daß er dennoch durchgehend Verwendung findet7. Unter rechtshindernden Tatbestandsmerkmalen versteht man Normvoraussetzungen, die den Eintritt einer Rechtsfolge 8 hindern. So soll die Minderjährigkeit rechtshindernd sein, weil bei ihrem Vorliegen z. B. die Entstehung eines Vertragsanspruchs ausgeschlossen wird9 • Dagegen würde eine rechtsbegründende Tatsache vorliegen, wenn die Volljährigkeit, also die Vollendung des 21. Lebensjahres, Voraussetzung einer vertraglichen Verpflichtung wäre. Da jeder Mensch entweder minderjährig (unter 21 Jahren) oder volljährig (über 21 Jahren) sein muß, ist die Volljährigkeit das kontradiktorische Gegenteil der Minderjährigkeit - und umgekehrt. Ob aber nun die Minderjährigkeit das Entstehen einer Rechtsfolge hindert oder die Volljährigkeit die Entstehung begründet, ist für das materiell-rechtliche Ergebnis völlig gleichbedeutend. In beiden Fällen entsteht die vertragliche Verpflichtung, wenn das 21. Lebensjahr vollendet ist, nicht dagegen, wenn der Vertragschließende dieses Alter nicht erreicht hat. Es liegt nur ein Unterschied in der Formulierung der Vorschriften vor. Nach der materiell-rechtlichen Wirkung läßt es sich nicht unterscheiden, ob eine Tatsache rechtsbegründend ist oder das Nichtvorliegen, also das kontradiktorische Gegenteil, rechtshindernd 10 • 2. Die Gegenbeispiele Rosenbergs
Rosenberg hat jedoch demgegenüber stets daran festgehalten, daß die rechtshindernden Tatsachen schon materiell-rechtlich eine beson& So insbesondere von Leonhard, Beweislast, S. 78 ff.; Henle, Allg. Teil, S. 350; Bötticher, ZZP 68, 232 f. Die materiell-rechtliche Bedeutung des Unterschieds verneinen ferner Wach, ZZP 29, 363; von Tuhr, Allg. Teil, II I, S. 10 f.; Hellwig, System I, S. 475; Mosbacher, Beweislastlehre, S. 64 f.; Korsch, Beweislastregeln, S. 123 N. 20 ; Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege, Bd. 1, S. 357; Kreß, Beweislast, S. 64; Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 180; Fohle, Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 331; Schühly, Diss., S. 40; Lepa, Diss., S. 60; Peters, MDR 1949, 67. 1 s. die Zitate o. N. 1. s Diese Rechtsfolge kann auch das Erlöschen eines Rechts sein, d. h. auch den rechtsvernichtenden Tatsachen werden rechtsfolgehindernde (vernichtungshindernde) entgegengesetzt (vgl. Rosenberg, Beweislast, S. 101 f.). D Rosenberg, Beweislast, S. 100. 10 Die gegebene Argumentation deckt sich mit der Begründung Leonhards. Auch den anderen zitierten Meinungen liegt derselbe Gedankengang zugrunde.
III. Rechtsbegründende und rechtshindernde Tatbestandsmerkmale
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dere Kategorie bilden. Er hat diese Auffassung insbesondere gegenüber Leonhard ausführlich zu verteidigen versucht11 • Darauf ist nun näher einzugehen, wobei gleichzeitig die hier vertretene Meinung verdeutlicht werden soll. Eines der Beispiele, mit denen Rosenberg den materiell-rechtlichen Unterschied zwischen rechtsbegründenden und rechtshindernden Tatsachen dartun will, ist die Gegenüberstellung der römischen und der geltenden deutschen Regelung des Erbschaftsanfalles 12 • Nach römischem Recht setzte der Anfall der Erbschaft die Erklärung der Annahme voraus. Nach deutschem Recht dagegen wird der Berufene Erbe, außer wenn er die Erbschaft ausschlägt. Rosenberg stellt fest, diese unterschiedliche Regelung habe nicht nur für die Beweislast, sondern schon materiell-rechtlich Bedeutung, denn im einen Fall müsse die Annahme erklärt werden, im anderen die Ausschlagung. Das ist gewiß richtig. Aber das Beispiel paßt nicht. Die verglichenen Regelungen unterscheiden sich nämlich ihrem Inhalt nach nicht bloß dadurch, daß einmal eine Tatsache rechtsbegründend ist, im anderen Fall dagegen ihr Nichtvorliegen rechtshindernd. Das kontradiktorische Gegenteil der Ausschlagung ist nicht die Annahme, und das kontradiktorische Gegenteil der Annahme ist nicht die Ausschlagung. Vorliegen und Nichtvorliegen einer Tatsache erschöpfen den Bereici'1 der Möglichkeiten. Hier aber besteht außer der Erklärung der Ausschlagung und der Annahme noch die dritte Möglichkeit des Schweigens des Berufenen. In der verschiedenen rechtlichen Bewertung dieses Falles liegt nun der materiellrechtliche Unterschied. Im Falle des römischen Rechts tritt der Anfall der Erbschaft bei Schweigen nicht ein, wohl aber im geltenden deutschen Recht 13 • Das kontradiktorische Gegenteil der Annahme ist vielmehr die Nichtannahme, das der Ausschlagung die Nichtausschlagung. Ob aber die Annahme rechtsbegründend wirkt oder die Nichtannahme rechtshindernd, ist materiell gleichwertig. Ebenso ist es materiell-rechtlich ohne sachliche Bedeutung, ob die Nichtausschlagung rechtsbegründend oder die Ausschlagung rechtshinderndes Tatbestandsmerkmal ist. Nur wenn man bei diesen Gegenüberstellungen einen materiellen Unterschied finden könnte, wäre Rosenbergs These bewiesen. Auch bei den übrigen Beispielen ist derselbe Irrtum zu finden. Rosenberg stellt nicht Tatsache und Nichtvorliegen der Tatsache in verschiedener Normkonstruktion gegenüber, sondern vergleicht Regelungen, die an verschiedene Tatsachen anknüpfen. u Beweislast, S. 134 ff. a. a. 0., S. 136. - Vgl. dazu auch Bötticher, a. a. 0 ., S. 232. 13 Vgl. schon Leonhard, Beweislast, S. 80. 12
40 § 4 Zur materiell-rechtlichen Unterscheidung der Tatbestandsmerkmale So ist im Falle des Streits zwischen Luther und Zwingli1 4 kontradiktorisches Gegenteil des Belegs eines Dogmas in der Schrift nicht der Wid1:!rspruch mit der Schrift, sondern das Nichtvorhandensein eines Belegs, also Widerspruch und Schweigen der Schrift zusammen. Den Kernpunkt des Streits bildeten demnach jene Dogmen, für die aus der Schrift weder Beleg noch Verneinung zu entnehmen war. Um eine bloße Verschiebung zwischen einer Tatsache als "rechtsbegründendem" (hier ohnehin nur im übertragenen Sinn!) und Nichtvorliegen als "rechtshinderndem" Merkmal handelt es sich bei den verglichenen Positionen nicht. Rosenberg bringt als weiteres Beispiel die unterschiedliche Regelung der Ernennung von Extraordinarien zu ordentlichen Professoren an der Universität Berlin und den sonstigen Universitäten Preußens 15• Die Extraordinarien der Universität Berlin sollten auf Antrag der Fakultäten ("rechtsbegründende Tatsache") ernannt werden, die übrigen stets, außer wenn seitens der Fakultäten schwerwiegende Bedenken ("rechtshindernde Tatsache") geäußert wurden. Auch dieser Fall stützt Rosenbergs Meinung nicht. Das kontradiktorische Gegenteil zum Antrag ist nicht die Äußerung von Bedenken, sondern die Nichtstellung des Antrags. Ebenso steht es bei dem RaucherbeispieP 8• Die gegenübergestellten Begriffe - Zustimmung der Reisenden und Einspruch der Mitreisenden - stehen nicht im Verhältnis von Tatsache und Nichtvorliegen derselben Tatsache. Der Fall des Schweigens der Mitreisenden wird in beiden Fällen verschieden behandelt. So wird auch hier jeweils an verschiedene Tatsachen angeknüpft. Um den Unterschied zwischen rechtsbegründender und rechtshindernder Tatsache handelt es sich nicht. Beim Problem der Verfügungsmacht des Testamentsvollstreckers, der zugleich Miterbe ist17, stellt der entgegenstehende Wille des Erblassers nicht das kontradiktorische Gegenteil zur ausdrücklichen oder stillschweigenden Ermächtigung durch den Erblasser dar. Bei der Gegenüberstellung von § 139 und § 2085 BGB 18 ist die Annahme, das Geschäft wäre ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden, nicht das kontradiktorische Gegenteil zu der Annahme, das Geschäft wäre ohne den nichtigen Teil nicht vorgenommen worden. Vielmehr wäre das kontradiktorische Gegenteil jeweils die Nichtannahme. a. a. 0., S. 135. a. a. 0 ., S. 135 f. 16 a. a. 0 ., S. 136.- Dagegen schon Leonhard, Beweislast, S. 79; Henle, Allg. Teil, S. 350; Bötticher, ZZP 68, 233. 14 15
11 a. a. 0 ., S. 136 f . 1s a. a . 0., S. 137.
III. Rechtsbegründende und rechtshindernde Tatbestandsmerkmale
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Die beiden Regelungen bewerten den Fall, daß sich keine Annahme rechtfertigt, jeweils verschieden. Im Falle des § 107 BGB 18 ist zu beachten, daß das kontradiktorische Gegenteil zum rechtlichen Vorteil nicht der rechtliche Nachteil ist, sondern das Nichtvorliegen des Vorteils, also Nachteil und Indifferenz zusammen. Das indifferente Geschäft wird verschieden behandelt, je nachdem ob der rechtliche Nachteil Voraussetzung des Einwilligungserfordernisses ist oder der rechtliche Vorteil die Notwendigkeit der Einwilligung ausschließt. Aber dieser Unterschied geht wiederum nicht auf die Verschiebung von der rechtsbegründenden zur rechtshindernden Stellung einer Tatsache und ihres Gegenteils zurück. In allen diesen Fällen liegt also in der Tat ein materieller Unterschied der verglichenen Regelungen vor. Aber in keinem der Beispiele beruht dieser Unterschied darauf, daß entweder eine Tatsache rechtsbegründend oder das Nichtvorliegen rechtshindernd wirkt20• Dagegen geht es im Ersitzungsbeispiel21 wirklich um den Unterschied von rechtsbegründender Tatsache (guter Glaube als Erwerbsvoraussetzung) und rechtshinderndem Merkmal (Nichtvorliegen des guten Glaubens als Hinderungsgrund). Aber in diesem Fall besteht wieder kein materiell-rechtlicher Unterschied: Bei beiden Formulierungen tritt der Eigentumserwerb bei gutem Glauben ein, bei bösem nicht. Eine dritte Möglichkeit gibt es materiell nicht. Die unterschiedliche Regelung des Zweifels über das Vorliegen des guten oder bösen Glaubens, die Rosenberg als materiellen Unterschied bringt, ist ja gerade die Beweislastregelung selbst. Die prozessualen Folgen endlich, welche Rosenberg22 aus dem Begriff der rechtshindernden Tatsachen entnehmen will, sind nur Folgerungen aus einer besonderen Regelung der Behauptungs- und Beweislast für ein TatbestandsmerkmaL Wenn diese Lasten den Beklagten treffen, so liegt ein selbständiges Verteidigungsmittel vor, so gehört die Behauptung des Fehlens der Tatsache nicht zum Anspruchsgrund, so wird das Versäumnisurteil gegen den Beklagten ohne Behauptung des n a. a. 0 ., S. 137.
Daß Rosenberg annimmt, es handle sich jeweils um diesen Gegensatz, wird insbes. S. 139 deutlich: "Denn ich führe aus, daß es zwei verschiedene Gedanken sind, ob ein Merkmal zur Voraussetzung einer rechtsbegründenden Norm oder ihr Gegenteil zur Voraussetzung einer rechtshindernden Norm gemacht ist, ob also etwa der gute Glaube zur Entstehung der Ersitzung gehört oder der böse Glaube die Ersitzung nicht eintreten läßt. Diese verschiedenen Gedanken gestalten das materielle Recht und finden nicht bloß in der Verteilung der Beweislast ihren Ausdruck". 21 a. a. 0., S. 135. - Vgl. dazu Bötticher, a. a. 0., S. 233. 22 a. a. 0., S. 134. Vgl. dazu auch Leonhard, Beweislast, S. 79. 20
42 § 4 Zur materiell-rechtlichen Unterscheidung der Tatbestandsmerkmale
Nichtvorliegens der rechtshindernden Tatsache seitens des Klägers erlassen, so muß das Fehlen der Tatsache im Urkundenprozeß nicht durch Urkunden belegt sein. Die von Rosenberg angeführten prozessualen Rechtsfolgen könnten keinesfalls eine besondere materiell-rechtliche Eigenart der rechtshindernden Tatsachen begründen. Sie ergeben jedoch nicht einmal eine selbständige prozessuale Bedeutung, die von der Frage der Beweislastverteilung unabhängig wäre.
IV. Methodische Konsequenzen aus dem gewonnenen Ergebnis Die angeblichen rechtshindernden Tatsachen lassen sich nach der materiell-rechtlichen Wirkung nicht von den rechtsbegründenden Tatsachen unterscheiden. Die Beweislastgrundregel kann daher auch nicht an diese Unterscheidung anknüpfen. Während der Unterschied zwischen den rechtsbegründenden und den rechtsvernichtenden bzw. rechtshemmenden Tatsachen durch einen Blick auf die materiellen Wirkungen gefunden werden kann, muß bei den rechtshindernden Tatsachen diese Suche ergebnislos enden. Die rechtshindernden Tatsachen unterscheiden sich vielmehr von den rechtsbegründenden nur dadurch, daß derjenige, der die Entstehung der Rechtsfolge verneint, die Beweislast dafür trägt. Dies wird ja in der Grundregel gesagt. Damit aber wird aus dem Satz: "Der Anspruchsgegner trägt die Beweislast für die rechtshindernden Tatsachen" die nutzlose Formel: "Der Anspruchsgegner trägt für solche anspruchsbegründenden Tatsachen die Beweislast, für die er die Beweislast trägt. " 23 Die besondere Beweislastregelung für einen Teil der anspruchsbegründenden Tatsachen wird aber durch die materiell-rechtliche Gleichwertigkeit nicht ausgeschlossen. Wie aus der materiellen Unterscheidbarkeit von rechtsbegründenden und rechtsvernichtenden Tatsachen nicht von selbst eine unterschiedliche Beweislastregelung entspringt, so wird andererseits durch die materielle Gleichartigkeit eine unterschiedliche Behandlung in der Frage der Beweislast nicht gehindert. Hier liegt der grundlegende Irrtum der Auffassung Leonhards 24 • Er rührt 23 Vgl. schon Wach, ZZP 29, 384 (Normentheorie petitio principii); Leonhard, Beweislast, S. 80 (Selbsttäuschung); Ekelöf, ZZP 75, 297 (Zirkelschluß). 24 Daß Leonhard nur bei verschiedener materieller Wirkung eine unterschiedliche Beweislastregelung anerkennen will, wird S. 138 ff. deutlich. Leonhards "Kampf gegen den Begriff der rechtshindernden Tatsachen" (S. 81) gilt zugleich der inhaltlichen Richtigkeit der Beweislastregeln bezüglich der angeblichen rechtshindernden Tatsachen. - Gegen die Konsequenz Leonhards auch Bötticher, ZZP 68, 233.
IV. Methodische Konsequenzen
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daher, daß Leonhard die selbständige Existenz der Beweislastnormen neben den materiellen Rechtssätzen nicht erkennt. Sowohl bei den rechtsbegründenden und rechtsvernichtenden Tatbestandsmerkmalen wie bei den angeblichen rechtshindernden Tatsachen muß die Beweislast durch besondere Normen geregelt werden. Aber im ersten Fall kann25 diese Regel an einen materiell-rechtlich vorgegebenen Unterschied in der Wirkung anknüpfen, im anderen nicht. Vielmehr muß im zweiten Fall die Beweislastregel selbst die Sonderung der Tatbestandsmerkmale vornehmen 26 . Die im Zivilrecht anerkannte Grundregel muß demnach in ihrer bereinigten Form so lauten27 : Wer eine Rechtsfolge geltend macht, trägt die Beweislast für die rechtsfolgebegründenden Tatsachen, soweit nicht die Beweislast für das Fehlen von Voraussetzungen auf Grund besonderer Normen den Gegner trifft. Wer die nachträgliche Beseitigung oder Hemmung eines Anspruchs geltend macht, muß die anspruchsvernichtenden oder anspruchshemmenden Tatsachen beweisen, soweit nicht der Gegner auf Grund besonderer Beweislastregeln deren Nichtvorhandensein beweisen muß. Daraus aber ergibt sich diese methodische Konsequenz: Es ist zwar sinnvoll, zu fragen, ob eine Tatsache rechtsbegründend oder rechtsvernichtend ist, doch ist es sinnlos, zur Findung einer Beweislastregel danach zu forschen, ob nach der materiell-rechtlichen Wirkung eine "rechtshindernde" Tatsache vorliegt. Vielmehr ist unmittelbar zu prüfen, ob eine besondere Beweislastregel gegeben ist, sei es im geschriebenen oder im ungeschriebenen Recht.
Über die Geltung der Regel ist damit noch nicht entschieden. Diese Möglichkeit verkennt Peters, MDR 1949, S. 66 ff., der die Regelung der Beweislast durch Zergliederung der Rechtssätze überhaupt ablehnt. Gegen Peters hat schon Pohle, MDR 1949, S. 386 ff. das Nötige bemerkt. 27 Ganz ähnlich schon die Formulierung bei Korsch, Beweislastregeln, S. 14. 25
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§ 5 Zur positiven Geltung und sachlichen Begründung der Beweislastnormen am Beispiel der Regeln für das Zivilrecht I. Der Gegenstand dieses Abschnitts Folgt man der hier vertretenen Auffassung, daß die Beweislastnormen neben den anzuwendenden Rechtssätzen stehen, nicht aus ihnen ableitbar sind und auch nur teilweise an materiell-rechtliche Unterscheidungen anknüpfen können, so unterscheidet sich die Frage nach dem konkreten Inhalt der Beweislastregelung an sich nicht von der Frage nach sonstigen Rechtssätzen. Es geht eben darum, festzustellen, welche Rechtsnormen über die Beweislast positiv in Geltung stehen. Die Besonderheit bei den Beweislastnormen besteht jedoch darin, daß sich nur sehr wenige ausdrückliche Beweislastbestimmungen finden. Wie man trotzdem zur Bejahung der positiven Geltung gelangen kann, soll daher kurz gezeigt werden, und zwar am Beispiel der zivilrechtliehen Regeln. Die Frage nach der positiven Geltung eines Rechtssatzes ist begrifflich geschieden von der Frage, auf welchen sachlichen Gründen der Inhalt des Rechtssatzes beruht, was also die ratio legis ist. Die Grenzen werden jedoch flüssig und die Zusammenhänge enger, sobald sich Zweifel über die wirkliche Geltung einer Norm und vor allem über ihre Wirkungsgrenzen ergeben. Dann kann die Entscheidung letztlich nur durch Herausarbeitung und Bewertung der in Frage kommenden sachlichen Erwägungen erfolgen. So sind diese Gesichtspunkte wegen des weitgehenden Fehlens ausdrücklicher Regeln gerade für die Beweislast von ganz besonderer Bedeutung. Auch die hier gestellte Frage nach der Geltung der Beweislastregeln bei Verweisungen läßt sich ohne Rückgrüf auf die Sacherwägungen nicht lösen. Leider sind aber die tieferen Gründe der Beweislastregeln bisher recht unzureichend herausgearbeitet worden. Das ist gewiß eine Folge jener hier abgelehnten Auffassungen von der zwingenden Ableitbarkeit der Beweislastregeln. So nimmt die Bemühung um dieSachgründe etwa in Rosenbergs Werk - dessen große wissenschaftliche und praktische Bedeutung niemand leugnen wird - einen verschwindend geringen Raum gegenüber den durch die Normentheorie veranlaßten rein konstruktiven Erwägungen ein1• Hier soll und kann die Frage nach den Gründen der Beweislast1
Vgl. die ähnlichen Feststellungen bei Brodmann, AcP 98, 143; Henle,
II. Die Grundregeln als stillschweigendes Gesetzesrecht
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regeln nicht in ihrem vollen Umfang behandelt werden. Es werden nur einige grundlegende Erwägungen angestellt - ebenfalls am Beispiel des Zivilrechts -, auf denen dann im 2. Teil aufgebaut werden kann. D. Die grundsätzlichen Beweislastregeln für die rechtsbegründenden und rechtsvernichtenden Tatsachen des Privatrechts als stillschweigendes Gesetzesrecht Aus den wenigen ausdrücklichen Beweislastsätzen, die das BGB enthält2, läßt sich deutlich entnehmen, daß der Gesetzgeber davon a·usgegangen ist, die Beweislast sei jeweils in abstrakter Weise der einen oder anderen Partei auferlegt, also durch Rechtssätze geregelt, die vom konkreten Prozeßgeschehen unabhängig sind. Die Beweislastsituation könnte nämlich an sich auch so überwunden werden, daß der Richter nach freiem Ermessen, nach Billigkeit, oder nach der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zugunsten der einen oder der anderen Seite entscheiden müßte. Eine derartige Regelung, - die gleichfalls eine besondere Rechtsnorm darstellen würde-, ist auch wiederholt vorgeschlagen worden3 • Sie ist aber mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. Die praktische Durchführbarkeit sowie die Vorzüge oder Nachteile einer solchen Lösung mögen daher dahingestellt bleiben. Dagegen läßt sich aus den verstreuten Einzelbestimmungen kein Schluß auf den Inhalt der Beweislastgrundregeln ziehen4 • Dennoch waren und sind die Sätze allgemein anerkannt, daß die rechtsbegründenden Tatsachen von jenem zu beweisen sind, der die Rechtsfolge geltend macht, die rechtsvernichtenden dagegen vom Gegner5• Da sich diese unbestrittenen Regeln nicht ausdrücklich im BGB finden, liegt es nahe, ihre Geltung auf Gewohnheitsrecht zurückzuführen6• Geht man so vor, so setzt man die Grenze zwischen Gesetzesrecht und GewohnAllg. Teil, S. 350 u.; Pohle, AcP 155, 175 f. u. 180. Auch Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 69 III 2 (S. 345) betont, daß über die Prinzipien der Beweislast Unklarheit herrscht. Einen Versuch zur Aufhellung unternimmt Lepa, Diss. 2 §§ 282, 345, 358, 363, 442, 542 III, 636 II, 2336 III, 2297, 2338 II BGB. a Vgl.- im einzelnen freilich unterschiedlich- v. Bar, Recht und Beweis, S. 28 (m. N. 23 a); Kohler, Holtzendorff-Kohler, Enzyklopädie, 3. Bd., S. 316; Fischer, Recht 1909, 103; Gautschi, Beweislast und Beweiswürdigung bei freiem richterlichem Ermessen, S. 10 ff.; Peters, MDR 1949, 69. Vgl. auch Bolding, Bevisbördan, S. 196 (Zusammenfassung); Ekelöf, ZZP 75, 298. 4 A. M. jedoch Wach, ZZP 29, 370. s Vgl. die S. 35 N. 1 gegebenen Nachweise. e So Wach, ZZP 29, 386; Cüppers, Diss., S. 60 f.; Korsch, Beweislastregeln, S. 18; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 475; Levin, Prozeßleitung, S. 160; Dänzer, Tatsächliche Vermutung, S. 49; Förster-Kann, § 282, 4 c; Stein-JonasSchönke-Pohle, § 282 IV 2 a. E.; Schmeling, Diss., S. 54.
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§ 5 Geltung und Begründung der Beweislastnormen im Zivilrecht
heitsrecht mit der Trennung zwischen geschriebenem und ungeschriebenem Recht gleich. Faßt man aber die Wesensmerkmale des Gewohnheitsrechts ins Auge, nämlich die dauernde Übung und den Rechtsgeltungswillen der Gemeinschaft', so zeigt sich, daß diese oberflächliche Scheidung nicht exakt ist8 . Gesetztes Recht und Gewohnheitsrecht unterscheiden sich nach der Art, wie eine Rechtsnorm zur Geltung gelangt ist9 • Die Beweislastgrundregel sollte zunächst ausdrücklich in das BGB aufgenommen werden10 • Diese Bestimmung wurde weggelassen, weil man den Grundsatz für selbstverständlich hielt und davon ausging, seine Geltung werde nicht bezweifelt werden 11 • Die Grundregel war ja auch vor dem Erlaß des BGB anerkannt. Das BGB brachte durch sein Schweigen zum Ausdruck, daß dieser Satz weiterhin gelten sollte. Er mußte sich nicht erst durch Gewohnheit neu bilden und entwickeln. Mochte die Grundregel bis zum Erlaß des BGB Gewohnheitsrecht darstellen, jetzt aber war sie durch das beredte Schweigen in den Rahmen des gesetzten Rechts einbezogen. So erscheint es sinnvoll, hier von einem stillschweigenden Gesetzesrecht zu sprechen.
111. Die sachlichen Gründe dieser Regeln I. Bezüglich der rechtsbegründenden Tatsachen
Daß die Beweislastregel für die rechtsbegründenden Tatsachen sich nicht aus der Logik ergibt12, zeigten schon die Ausführungen in §§ 2 und 3 der Untersuchung. Unrichtig ist auch die Meinung, die Regel ließe sich aus der VerhandLungsmaxime ableiten13 • Dieser Prozeßgrundsatz besagt nur, daß es Aufgabe der Parteien ist, die nötigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen. Welche Seite aber die Beweislast trifft, wie also bei non liquet über eine rechtsbegründende Tatsache zu entscheiden ist, läßt die Verhandlungsmaxime nicht erkennen. Ferner ist 7 Vgl. Lehmann, Allg. Teil, § 3 III 1 (S. 19); Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 39 I u. II (S. 264, 266). s Auch sonst darf man nicht ausdrücklich geschriebenes Recht keineswegs mit Gewohnheitsrecht gleichsetzen. Die durch erweiternde Auslegung und Analogie gewonnenen Rechtsnormen sind zum Gesetzesrecht zu zählen. 9 Das wird z. B. in der bei Enneccerus-Nipperdey, a. a. 0., § 38 I (S. 261) gegebenen Begriffsbestimmung des Gewohnheitsrechts deutlich. 10 § 193 EI. u Protokolle, Bd. I, S. 259. 12 So Protokolle z. BGB, Bd. I, S. 259; Kreß, Beweislast, S. 8; Herr, Diss., S. 19 f.; Wacke, Beweislast der Familienunternehmen, S. 1. - Dagegen u. a. Gerber, Klagegrund, S. 15; Beckh, Beweislast, S. 15 f .; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 474, 476; Rosenberg, Beweislast, S. 95; Cüppers, Diss., S. 23 f.; Lepa, Diss., S. 62 f.; Micheli, L'onere della prova, S. 4 (4). 1s So Gerber, Klagegrund, S . 23; Reinhold, Klaggrund, S. 13; ders., ZZP 20, 132, 136; Mosbacher, Beweislastlehre, S. 34. - Weitere Nachweise bei Rosenberg, a. a. 0 ., S. 93 N. 1.
111. Die sachlichen Gründe dieser Regeln
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die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen im Bereich der Untersuchungsmaxime genauso geregelt 14 • Die Beweislastregel beruht auch nicht darauf, daß bei entgegengesetzter Gestaltung .mit dem Beweis des Nichtvorliegens der rechtsbegründenden Merkmale ein Negativenbeweis gefordert würde. Daß auch der Beweis negativer Tatsachen durchaus möglich ist und der Ausgangspunkt der alten Negativentheorie damit widerlegt ist, wird heute allgemein anerkannt 15 • Die Bemerkung, die Beweislast des Rechtsprätendenten für die rechtsbegründenden Tatsachen sei selbstverständlich 16 , läßt zwar für sich genommen die sachlichen Gründe im Dunkeln. Immerhin zeigt diese Ansicht, daß die Beweislastregel ihrem Inhalt nach auf bestimmten Wertungen beruht. Denn an sich könnte man meinen, die Beweislast könne jeweils genauso gut der einen wie der anderen Seite auferlegt werden; da sich die wahre Sach- und damit Rechtslage eben nicht klären lasse, sei es schließlich gleichgültig, wie entschieden werde, wie also die Beweislastregel gestaltet sei. Bei dieser Betrachtung wäre dann nur erforderlich, daß eine Beweislastregel bestünde, um die Rechtsgewißheit herzustellen und den Rechtsfrieden zu wahren. Die Beweislastregel würde dann zum Bereich des inhaltsneutralen Rechts gehören, in dem es nur auf das Vorliegen, nicht auf den Inhalt einer Rechtsnorm ankommt. Die Suche nach den Sacherwägungen hinter der geltenden Norm wäre dann von vornherein sinnlos. Im Straßenverkehr etwa mag es weitgehend gleichgültig sein, ob das Linksfahren oder das Rechtsfahren vorgeschrieben ist, erforderlich ist nur, daß die eine oder die andere Regelung besteht, um die Ordnung zu gewährleisten. 14 Gegen die Ableitung aus der Verhandlungsmaxime u. a. BethmannHollweg, Versuche, S. 319 f.; Pl6sz, Vorträge, S. 31 ; Kreß, Beweislast, S . 18 ff.; Rosenberg, a. a. 0., S. 93 f.; Leonhard, Beweislast, S. 221. ts Borst, Beweislast, S. 20 ff. ; Weber, Verbindlichkeit zur Beweisführung, S. 103 ff.; Wetzell, System, S. 148; Reinhold, ZZP 20, 119 f.; Cüppers, Diss., S. 30; v. Greyerz, Diss., S. 35. -Anders in neuerer Zeit Martinius, Behauptungs- und Beweislast, insbes. S. 17, 19. Das von ihm angenommene Prinzip der Ruhe (S. 18) gilt aber nicht auf der Ebene der Tatsachen, sondern nur auf Grund der Wertung der Rechtsordnung im Bereich der Rechtsfolgen. Hier wird bei non liquet der bestehenden Lage der Vorzug gegeben, also der Beweis der rechtlichen Veränderung verlangt. - Zur Möglichkeit teilweiser Beweislastumkehr beim Beweis von Negativen vgl. v. Greyerz, Diss., S. 42 (Grundsatz); Larguier, Revue trimestrielle de droit civil, 1953, S. 13 ff. (L. betrachtet die Vermeidung von Negativenbeweisen mit als Grund der Beweislastregel für die rechtsbegründenden Tatsachen, S. 7). 1G Vgl. Beckh, Beweislast, S. 16; Fitting, ZZP 13, 13 (hier steht die Betonung der Selbstverständlichkeit freilich in engstem Zusammenhang mit der Leugnung besonderer Beweislastnormen!); Reinhold, ZZP 20, 127; Kuhn, Beweislast, S. 37; Mosbacher, Beweislastlehre, S. 36; Rosenberg, Beweislast, S. 91.- Dagegen Korsch, Beweislastregeln, S. 16; Wach, ZZP 29, 366 f.; Pohle, AcP 155, 167 u.
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§ 5 Geltung und Begründung der Beweislastnonnen im Zivilrecht
Wenn es aber bei der Beweislastgrundregel ebenso wäre, so ließe es sich nicht erklären, daß schon das Rechtsgefühl die geltende Regel für die rechtsbegründenden Tatsachen fordert, daß sie von altersher gilt und sich die entgegengesetzte Regelung kaum vorstellen läßt. Eine der Erwägungen, auf denen die Beweislastnormen beruhen können, ist die abstrakte Wahrscheinlichkeit des Vorliegens oder Nichtvorliegens einer Tatsache. Wird die Beweislast so geordnet, daß die in der Regel unwahrscheinlichere Tatsache bewiesen sein muß, so ergibt sich bei der Beweislastentscheidung eine Wahrscheinlichkeit für die Übereinstimmung mit der wirklichen Lage, also eine Wahrscheinlichkeit für die materielle Richtigkeit des Urteils. Bei den rechtsbegründenden Tatsachen aber kann es sich nicht um diese Überlegung handeln17. Denn es läßt sich gewiß keine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Nichtvorliegens behaupten. Geht es etwa um das Zustandekommen eines Kauf- oder Mietvertrages, so ist weder der Abschluß noch der Nichtabschluß durch eine besondere Wahrscheinlichkeit vom Gegenteil unterschieden. Die Beweislastregel bezüglich der rechtsbegründenden Tatsachen ist demnach nicht so geartet, daß sich eine Zielrichtung auf die Richtigkeit des Urteils ergeben könnte. Entscheidend ist vielmehr die Bewertung der Stellung der Parteien zum angestrebten rechtlichen Erfolg. Wer eine Rechtsfolge behauptet, erstrebt eine Änderung in der Rechtswelt, will eine Berechtigung durchsetzen. Dies gilt unabhängig von der inhaltlichen Verschiedenheit der in Frage kommenden privatrechtliehen Rechtsfolgen. Immer läuft die Rechtsfolge auf eine Verpflichtung (im weitesten Sinne), auf eine Einschränkung der rechtlichen Freiheit des Gegners hinaus. Wer eine Rechtsfolge geltend macht, befindet sich daher in der Stellung des Angreifers, der die bisherige Lage verändert haben will. Das wird am deutlichsten, wenn eine Forderung geltend gemacht wird. Der Kläger behauptet die Verpflichtung des Beklagten, will sie festgestellt haben und will die Forderung schließlich durchsetzen, um eine Verschiebung der Rechtsgüter zu seinen Gunsten zu bewirken. Wegen dieser Angreiferstellung wird die Beweislast dem Rechtsprätendenten auferlegt. Der Gegner befindet sich in der Verteidigung, er will den bisherigen Zustand aufrechterhalten wissen. Die Beweislast zuungunsten des Angreifers stellt einen Schutz der gege-· benen Lage, des Besitzstandes im weitesten Sinne dar18• Vgl. Korsch, Beweislastregeln, S. 15. Diese Gesichtspunkte werden vor allem bei Heffter in Weber, Verbindlichkeit zur Beweisführung, S. 206; Burckhard, Präsumtionen, S. 132 und Beckh, Beweislast, S. 15 ff. herausgearbeitet. Ebenso Cüppers, Diss., S. 25; Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 1. Bd., S. 496 ff. Ähnlich auch Borst, Beweislast, S. 4; Wetzen, System, S. 143; Planck, Civilprozeßrecht, 11
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III. Die sachlichen Gründe dieser Regeln
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Nun kann man freilich nicht sagen, die Rechtsordnung ziehe überhaupt die Ruhe, den Nichteintritt von Rechtsfolgen, der Veränderung, dem Entstehen von Rechten und Pflichten vor. Vielmehr gilt diese Bewertung nur für die Beweislastsituation. Man muß dabei bedenken, daß das Beweislasturteil in jedem Fall, gleich wie die Beweislastregel lautet, vom materiell richtigen Urteil abweichen kann. Trägt der Angreifer die Beweislast, so muß in Kauf genommen werden, daß er ein ihm zustehendes Recht nicht durchsetzen kann. Ist die Beweislast dagegen dem Angegriffenen auferlegt, so besteht die Gefahr, daß eine Verpflichtung ausgesprochen und durchgesetzt wird, die in Wahrheit nicht besteht. Diese möglichen Fehlurteile sind nun gegeneinander abzuwägen18; die Beweislastregel ist dann so zu gestalten, daß das geringere Übel in Kauf genommen wird. Hier nun gibt die Rechtsordnung dem Schutz der bestehenden Lage, des rechtlichen Besitzstandes und damit der rechtlichen Freiheit den Vorzug vor der Veränderung, der Verpflichtung. Die Beweislastregel zuungunsten des Angreifers schützt damit zugleich den Rechtsfrieden20 • Schon diese Ausführungen ergaben, daß die behauptete materielle Rechtsstellung entscheidend ist. Danach ist zu beurteilen, wer Angreifer und wer Angegriffener ist. Man könnte zunächst nämlich den Kläger auf Grund seiner Prozeßstellung als Angreifer ansehen, denn er will ein Urteil erlangen. Aber diese formale Beziehung muß hinter der materiellen Bewertung zurückstehen, da die letztlich erstrebte Änderung, die durchzusetzende Berechtigung, auf der Ebene des materiellen Rechts liegt. Bei einer negativen Feststellungsklage trifft also die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen den Beklagten. Das anerkannte - Ergebnis, daß nicht die Parteirolle, sondern die streitige materielle Beziehung maßgebend ist, stimmt demnach mit der hier vertretenen sachlichen Begründung der Beweislastregel überein. 2. Bezüglich der rechtsvernichtenden Tatsachen
Auch die geltende Beweislastregel für die rechtsvernichtenden Tatsachen folgt weder aus der Logik, noch ist sie aus der Verhandlungs2. Bd., 1. Abt., S. 169; Fitting, ZZP 13, 13; Levin, Prozeßleitung, S. 159; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 477; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 28 (S. 622); Larguier, Revue trimestrielle de droit civil, 1953, S. 6 (N. 17) (mit Nachweisen aus der französischen Literatur). - Rosenberg, a. a. 0., S. 97, hält den Gedanken des Besitzstandes "bestenfalls" zur Erklärung der "primären Beweislast des Angreifers" (!) geeignet. 19 Diesen grundlegenden methodischen Gesichtspunkt betont Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 28 u. 114. 2o Der Gedanke der Prozeßabschreckung (Lepa, Diss., S. 69 ff.) kann dagegen schon deshalb nicht entscheidend sein, weil sich das Gelingen oder Mißlingen des Beweises nur sehr begrenzt vorhersehen läßt. Es handelt sich hier allenfalls um eine Nebenwirkung der dargestellten maßgebenden Wertung. 4
Leipold
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§
5 Geltung und Begründung der Beweislastnormen im Zivilrecht
maxime ableitbar. Sie beruht nicht auf Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten, denn das Nichtvorliegen einer rechtsvernichtenden Tatsache, etwa die Nichtzahlung einer Schuld, ist nicht allgemein wahrscheinlicher als das Vorliegen, also die Zahlung. Ausgehend von dem Gedanken, der Angreifer müsse die Beweislast tragen und bei non liquet sei der bisherige rechtliche Zustand beizubehalten, müßte der Rechtsprätendent auch das Nichtvorliegen der rechtsvernichtenden Tatsachen beweisen. Denn für die konkrete geltend gemachte Rechtsfolge hat die rechtsvernichte:1de Tatsache dieselbe Wirkung wie das Fehlen einer rechtsbegründenden Voraussetzung: Die Rechtsfolge besteht gegenwärtig nicht. Daß jedoch ein Teil der Beweislast auch den Beklagten trifft, wird allgemein als ein Gebot der Gerechtigkeit angesehen. Man geht davon aus, die Rechtsverfolgung würde sonst allzusehr erschwert21 • Die Möglichkeit der Verteilung der Beweislast beruht darauf, daß die Interessen der beiden Parteien als wertmäßig vergleichbar angesehen werden. Damit ist aber noch nicht erklärt, warum die Grenze gerade zwischen den rechtsbegründenden und den rechtsvernichtenden Tatsachen gezogen wird. Die Erwägung, es würde sonst vom Kläger Unmögliches verlangt, weil er den Beweis des Nichtvorliegeng aller rechtsvernichtenden Tatsachen führen müsse22, ist unrichtig. Daß der Beweis negativer Tatsachen möglich ist, wurde schon oben gesagt. Die Meinung, der Kläger müsse alle rechtsvernichtenden Tatsachen widerlegen, wenn die Beweislast zu seinen Ungunsten geregelt sei, übersieht, daß vor dem Beweis und der Beweislastsituation das Stadium der gegenseitigen Behauptungen der Parteien liegt. Trüge der Kläger die Beweislast für das Nichtvorliegen der rechtsvernichtenden Tatsachen, so würde als Behauptung zunächst das generelle Vorbringen des Klägers genügen, es se ien keinerlei rechtsvernichtende Tatsachen eingetreten. Will der Beklagte dies bestreiten, so muß er seinerseits angeben, welche Tatsachen eingetreten sein sollen23 • Nur gegen das Vorliegen dieser konkretisierten Tatsachen braucht sich der Beweis des Klägers dann zu richten. 21 Maxen, Beweislast, S. 50; Reinhold, Klaggrund, S. 90 f.; ders., ZZP 20, 141; Beckh, Beweislast, S. 36; Weismann, Zivilprozeßrecht I, S. 121; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 480; Hellwig, System I, S. 466; Rosenberg, Beweislast, S. 91 f. (mit weiteren Nachweisen S. 91 N. 3); Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 112 f .; Lepa, Diss., S. 75. 22 Bethmann-Hollweg, Versuche, S. 347; Burckhard, Präsumtionen, S. 142 ; Gerber, Klagegrund, S. 11 ; Maxen, Beweislast, S. 50; Wach, ZZP 29, 365; ähnlich Lepa, Diss., S. 83. 23 v. Greyerz, Diss., S. 62 f .
III. Die sachlichen Gründe dieser Regeln
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Die Anknüpfung an die Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden und rechtsvernichtenden Tatsachen läßt sich jedoch durch eine Weiterführung des bei den rechtsbegründenden Tatsachen entwickelten Gedankens erklären. Dort beruhte die Beweislastregel auf der Bevorzugung der bestehenden Lage. Diese Bewertung wird nun hier verfeinert und auf die Existenz von Rechten und Pflichten bezogen. Die Beweislast für die rechtsvernichtenden Tatsachen wird aktuell, wenn der Beweis der rechtsbegründenden Tatsachen gelungen ist. Damit steht fest, daß das geltend gemachte Recht zunächst bestanden hat. Dies ist die letzte mit Sicherheit feststellbare Rechtslage. Gelingt nun der Beweis der rechtsvernichtenden Tatsache nicht, so beläßt es die Rechtsordnung durch die Gestaltung der Beweislastregel zugunsten des Rechtsbehauptenden bei diesem letzten Zustand, dem Bestehen des Rechts. Es wird also ebenfalls der Besitzstand im weitesten Sinn geschützt; wer eine Veränderung des rechtlichen Zustands zu seinen Gunsten beha-uptet, muß daher die Voraussetzungen beweisen24 • IV. Zur Geltung und sachlichen Begründung der Sonderregeln 1. Die spraclili.che Fassung der materiellen Rechtssätze als abgekürzter Ausdruck für Beweislastnormen
Auch die Abweichungen von den Grundregeln, also jene besonderen Beweislastregeln, die sich hinter dem Begriff der rechtshindernden Tatsachen verbergen, sind nur in den seltensten Fällen ausdrücklich im Gesetz niedergelegt, etwa in § 282 BGB. Die Verfasser des BGB waren jedoch bemüht, diese Beweislastnormen durch die sprachliche Fassung der materiellen Rechtssätze zum Ausdruck zu bringen26• Nicht den Rechtsprätendenten, sondern den Gegner sollte die Beweislast treffen, wenn ein Ausschlußgrund durch einen selbständigen Satz ("dies gilt nicht, wenn ... ") oder durch einen Nebensatz mit Einleitungen wie "es sei denn, daß ... " oder "wenn nicht ... " oder "sofern nicht ... " angefügt wurde26 • Es wurde also im Hinblick auf die Beweislast ein bewußter Unterschied zwischen den Formulierungen gemacht, daß eine Tatsache Rechtsfolgevoraussetzung oder ihr kontradiktorisches Gegenteil, das Nichtvorliegen der Tatsache, Rechtshinderungsgrund sein sollte. Wie oben27 dargelegt, ist diese Unterscheidung materiell24 Sachlich ebenso wie hier schon Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 28 (S. 622). 2s Diese historische Tatsache steht fest; sie kommt in den Motiven Bd. I, S. 382 und in den Protokollen Bd. VI, S. 384 zum Ausdruck. Auch Küntzel, Gruchot Bd. 40, S. 358 berichtet von diesen Erwägungen. 26 Eingehende Zusammenstellungen der in Frage kommenden Fälle finden sich bei Planck, BGB, Bd. I, S. LIV ff. und bei Rosenberg, Beweislast, S. 126 f. 27 s. oben § 4 III. ~.
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§ 5 Geltung und Begründung der Beweislastnormen im Zivilrecht
rechtlich bedeutungslos. Aber dadurch ist es keineswegs ausgeschlossen, die Beweislastregeln durch die Wahl der Formulierung auszudrükken. Es sind dann eben in dem einen grammatischen Satz zwei Rechtsnormen niedergelegt: einmal die materiell-rechtliche Norm, die nur die Existenz oder Nichtexistenz der Tatsachen berücksichtigt, und zum anderen eine Beweislastnorm für bestimmte Tatbestandsmerkmale. Der gewählte Weg des Einbaus der Beweislastregeln in den zunächst rein materiell-rechtlich bedeutsamen Satz stellt also eine sprachliche Abkürzung dar. Es wurde dadurch entbehrlich, jeweils neben den materiellen Rechtssatz eine Beweislastregel zu setzen. Diese Methode hat aber zu dem Irrtum geführt oder doch beigetragen, es gebe keine besonderen Beweislastnormen bzw. die sog. rechtshindernden Tatsachen seien schon materiell-rechtlich, unabhängig von der Beweislast, von besonderer Wirkung. Schon Ihering28 beschrieb zwar die Teilung des Tatbestandes in einen positiven und einen negativen Teil als "materiellrechtlichen Weg" zur Befreiung des Klägers vom Beweis, aber er dachte wohl nicht daran, daß diese Gestaltung etwa bereits unabhängig von der Beweislast Bedeutung haben sollte. Dagegen hat Fischer29 später das Verhältnis von materieller Norm und Beweislastregelung so gründlich mißverstanden, daß er sich gegen die wenigen ausdrücklichen Beweislastsätze neben den materiellen Normen als eine "technisch verfehlte Form" wandte. Die grundsätzliche Bedeutung der Fassung für die Beweislast wird ganz überwiegend anerkannt30• Zunächst fanden sich allerdings auch einige entschiedene Gegenstimmen31• Der besondere Sinn der Fassung wird im BGB nicht erläutert. Das war zunächst in § 194 Abs. I E P 2 im Grunde geschehen, aber diese Vorschrift wurde dann als überflüssig gestrichenaa. Die Gegner gingen daher von der Erwägung aus, daß den 2s Besitzwille, S. 151.
Lehrbuch, S. 166 (mit N. 17). Beckh, Beweislast, S. 47 ff.; Rosenberg, Beweislast, S. 126 ff.; Planck, BGB, Bd. I, S. LIV ff.; v. Tuhr, Allg. Teil, Bd. II, 1. Halbbd., S . 11; Windscheid-Kipp, Pandektenrecht, 1. Bd., S. 680; Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 1. Bd., S. 483 ff. (für Behauptungslast); Düringer, Recht 1905, 577 ff.; Richard Sclunidt, Lehrbuch, S. 475; Biermann, Bürgerliches Recht, 1. Bd., S. 83; Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 56 I 3 (S. 332 f.); Lehmann, Allg. Teil, § 14 III 4 c (S. 97 f.); Schönke-Schröder-Niese, Zivilprozeßrecht, § 58 III (S. 261); Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 IV 4 (S. 152); Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 282 IV 4 b (mit Einschränkungen, s. a); Wieczorek, § 282 E III b 2; Baumbach-Lauterbach, Anh. zu § 282, 2. at Dernburg, Bürgerliches Recht, 1. Bd., S. 19 f.; Eck, Vorträge, Bd. I, S. 35 f.; Leonhard, Beweislast, S. 102 ff.; Cüppers, Diss., S. 51 f . - Teilweise auch Wach, ZZP 29, 374 ff.; Kisch, ZZP 30, 535 f. a2 Die Bestimmung lautete: "Wer die rechtliche Wirkung eines Tatbestandes wegen besonderer, die regelmäßige Wirksamkeit auschließender Tatsachen verneint, hat diese besonderen Tatsachen zu beweisen." 33 Vgl. Protokolle, Bd. I, S. 259. 29
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IV. Geltung und sachliche Begründung der Sonderregeln
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Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften diese Bedeutung ganz überwiegend verschlossen geblieben sei, zumal man sie auch in der amtlichen Begründung nicht ausdrücklich darauf hingewiesen habe34 • Bei der Ermittlung des Inhalts eines Gesetzes, bei der Auslegung also, billigt man jedoch heute dem Gesetz einen objektiven, eigenständigen Sinn zu. Man führt den Inhalt nicht mehr allein oder überwiegend auf die Absichten der Gesetzesverfasser und schon gar nicht auf die Überlegungen der Parlamentsmitglieder beim Gesetzesbeschluß zurück. Die besonderen Beweislastregeln sind daher geltendes gesetzliches Recht geworden, weil sie in der Fassung des Gesetzes mit genügender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen sind. Daß zum Teil Zweifel bestehen, ob die Fassung wirklich eine Beweislastregel zum Ausdruck bringen soll, und daß der Gesetzgeber zum Teil dieselbe Fassung ohne Berücksichtigung der Beweislast gewählt hat35 , ist zwar auf die besondere Art der gesetzlichen Fixierung der Beweislastnormen zurückzuführen, kann jedoch an der grundsätzlichen Möglichkeit und Verbindlichkeit des gewählten Weges nichts ändern.
2. Die Bedeutung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses
Daß die dargestellte Erkenntnis der Beweislastnormen aus der besonderen Fassung des Gesetzes nur die Frage der positiven Geltung betrifft und nichts über die inneren Gründe der so festgelegten Normen aussagt, erscheint zunächst unzweifelhaft. Die Unklarheiten beginnen jedoch, wenn man das Verhältnis von Regel und Ausnahme in den Kreis der Betrachtungen einbezieht. Die Unterscheidung zwischen Regel und Ausnahme wird zumeist als der eigentliche Inhalt der Abgrenzung zwischen rechtsbegründenden und rechtshindernden Tatsachen aufgefaßt36• Dabei wird zum Teil betont, daß nur die Regel des Gesetzes eine Rolle spiele37, während von anderer Seite auch der Wahrscheinlichkeit, der Erfahrung, also der Regel des Lebens, Bedeutung 34
Dernburg, a. a. 0., S. 19 f.; Eck, a. a. 0., S. 36; Cüppers, a . a. 0 ., S. 51 f.
as Kisch, a. a. 0.; Wach, a. a. 0 ., 377 ff.; Leonhard, a. a. 0., S. 109 ff., 116 ff. ;
Eck, a. a. 0., S. 36. s6 Vgl. Bethmann-Hollweg, Versuche, S. 351; Maxen, Beweislast, S. 113; Fitting, ZZP 13, 41, 47 ff.; Sieveking, Diss., S. 40 ff. ; Reinhold, ZZP 20, 142; Wehli, Beweislast, S. 26 ff.; Rosenberg, Beweislast, S. 124 ff.; Meyerhofer, ZSR 22, 328 ff.; Düringer, Recht 1905, 577; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 82 III 3 a (S. 320) ; Gulden er, Beweislast, S. 33 ff.; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 173.- Vgl. auch den Wortlaut des § 194 Abs. 1 EI (oben N. 32): regelmäßige Wirksamkeit - besondere Tatsachen. 37 Fitting, a. a. 0., 49 ; Wehli, a. a. 0 ., S. 26; Rosenberg, a. a. 0., S . 125; ähnlich Meyerhofer, a . a. 0 ., 328 f.; Förster-Kann, § 282, 4 c, bb, ß.
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§ 5 Geltung und Begründung der Beweislastnormen im Zivilrecht
zugemessen wird88• Gehalt und Einordnung dieser Begriffe sind nun zu klären. Das Wort "Regel" ist doppeldeutig. Es dient einmal zur Bezeichnung eines Maßstabs für ein Tun, also einer Verhaltensanforderung, einer Norm. Um diese Bedeutung handelt es sich im hier interessierenden Zusammenhang nicht. Regeln in diesem Sinne stellen alle Rechtssätze dar, ohne daß zwischen einem Satz, der rechtsbegründende Merkmale aufzählt, und einem anderen, der den Nichteintritt der Rechtsfolge bei Vorliegen anderer Merkmale anordnet, insoweit ein Unterschied bestünde. Hier geht es vielmehr um die Regel als Gegensatz zur Ausnahme. Diese zweite Bedeutung betrifft die Gegenüberstellung von zwei Aussagesätzen. Das besondere Verhältnis dieser Sätze besteht darin, daß der zweite Satz, die Ausnahme, die Richtigkeit des ersten Satzes, der Regel, für bestimmte Fälle verneint. Der erste Satz ist also an sich zu weit gefaßt, er wird durch die Ausnahme auf den richtigen Umfang begrenzt. In rein sprachlicher Hinsicht kennzeichnet sich somit die Regel als ein Satz von nicht unbedingter Richtigkeit, die Ausnahme als eine Einschränkung dieses Satzes. Das sprachliche Schema von Regel und Ausnahme wird zur Wiedergabe von Gesetzmäßigkeiten auf vielen Gebieten verwendet. Im Bereich des Naturgeschehens kann man etwa als Regel aufstellen, daß die Temperaturen im Dezember niedriger als im November sind. Davon gibt es jedoch Ausnahmen, etwa wenn an einem Dezembertag durch Föhneinfluß eine höhere Temperatur hervorgerufen wird. Regeln finden sich auch in Fragen der Grammatik oder der Rechtschreibung. So gilt als Regel, daß bei der Trennung eines Worts jeweils der letzte Konsonant zur zweiten Silbe zu ziehen ist. Davon bestehen jedoch Ausnahmen, z. B. wenn die Konsonantenverbindung "st" vorliegt, die insgesamt zur abgetrennten Silbe kommen muß. Für das soziale und wirtschaftliche Geschehen lassen sich gleichfalls zahlreiche Regeln aufstellen, denen Ausnahmen gegenüberstehen. So kann man es als Regel annehmen, daß Neubauwohnungen teurer sind als Altbauwohnungen gleicher Größe. Ausnahmen ergeben sich, wenn die Altbauwohnung in einer besonders geschätzten Wohngegend liegt, oder wenn sie durch besondere architektonische Schönheit ausgezeichnet ist. Fragt man nach dem Sinn dieses Vor.gehens auf außerrechtlichem Gebiet, so könnte es zunächst verwundern, warum man überhaupt eine 38 v. Tuhr, Allg. Teil, Bd. II, 1. Halbbd., S. 10; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 475 u.; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 82 III 3 b (S. 320 f.); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 69 III 2 a (S. 345). - Die Bedeutung der Erfahrung wird auch angesprochen bei Ihering, Besitzwille, S. 159 ff. (als Motiv des Gesetzgebers); zustimmend v. Greyerz, Diss., S . 13; ähnlich Pagenstecher, Rechtskraft, S. 177; Henle, Allg. Teil, S. 347.
IV. Geltung und sachliche Begründung der Sonderregeln
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Regel aufstellt, wenn diese doch nicht vollständig richtig ist. Die Antwort findet sich rasch; sie geht schon aus dem Wort Regel hervor: Man stellt als Regel auf, was in der Regel zutrifft. Es wird also ein Satz ausgesprochen, der zwar nicht uneingeschränkte Geltung besitzt, aber doch in der Mehrzahl der Fälle richtig ist. Die Regel gibt deshalb einen einigermaßen sicheren Anhalt für die Richtigkeit der darin enthaltenen Aussage. Betrachtet man nun das Verhältnis zur Ausnahme, so ergibt sich diese Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit nur, wenn die Fälle, in denen Ausnahmen eingreifen, zahlenmäßig in der Minderheit sind. Die Ausnahme betrifft die selteneren Fälle; sie ist nur bei besonderen Umständen erfüllt, die eben zumeist, in der Regel, nicht gegeben sind. Das kommt wiederum im sprachlichen Sinn des Wortes Ausnahme (oder ausnahmsweise) klar zum Ausdruck. Wenn dagegen eine derartige unterschiedliche Wahrscheinlichkeit nicht besteht, so ist es sinnlos, überhaupt zunächst eine Regel aufzustellen. In diesem Fall wird man die Ausschlußvoraussetzungen gar nicht erst unberücksichtigt lassen, sondern ihr Nichtvorliegen in einem Atemzug mit den sonstigen Voraussetzungen nennen. Die Aufspaltung in Regel und Ausnahme hat dann keinen Zweck. Das Verhältnis von Regel und Ausnahme kennzeichnet sich somit, in seiner allgemeinen Bedeutung, als Beziehung zwischen zwei Aussagesätzen, von denen der eine zu weit gefaßt ist und erst durch den anderen auf das richtige Maß zurückgeführt wird. Dieses äußere Bild liegt allein im Bereich der Formulierung. Die Wahl dieser Ausdrucksform ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn die Regel eine vorläufige Gewähr für die Richtigkeit der Aussage zu geben vermag. Das aber ist nur dann ::ier Fall, wenn die Voraussetzungen der Ausnahmenorm auch tatsächlich die Ausnahme bilden, also in der Mehrzahl der Fälle, in denen die Regel eingreift, nicht gegeben sind. Die zur Kennzeichnung der Beweislastnormen gewählten Formen nun unterfallen in der Tat dem äußeren Typus des Regel-AusnahmeVerhältnisses. Ein zu weit gefaßter Rechtssatz wird für bestimmte Fälle eingeschränkt39 • Das ist eindeutig, wenn der Ausschlußgrund durch einen selbständigen Satz angefügt wird (das gilt nicht, wenn ...). Aber auch die sonstigen \'iTendungen, nämlich die besonderen Einleitungen von Nebensätzen, haben sprachlich den Sinn von Ausnahmen40 • Die Verbindungen "wenn nicht", "sofern nicht", "es sei denn, daß" usw. sind sprachlich gleichbedeutend mit "ausgenommen, wenn". Die bekannte Stellung des "nicht" ist hier in der Tat entscheidend. Steht das 39 Vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 163, der vom Begriff des einschränkenden Rechtssatzes (mit negativer Geltungsanordnung als Inhalt) ausgeht und als dazu gehörenden Fall das Regel-Ausnahme-Schema zur Verteilung der Beweislast einordnet. 40 Rosenberg, Beweislast, S. 128, betont dies mit vollem Recht.
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§ 5 Geltung und Begründung der Beweislastnormen im Zivilrecht
"nicht" gleich am Anfang des Nebensatzes, so enthält dieser Tatsachen als Ausschlußgründe, als Ausnahmen von der Regel. Dagegen bedeutet die Nachstellung des "nicht", daß an das Nichtvorliegen der Tatsache als Bestandteil der allgemeinen Voraussetzungen angeknüpft wird. In diesem Fall ist nicht erst eine Regel ausgebildet worden. Auch das Sprachgefühl nimmt diesen Unterschied wahr: Bei nachgestelltem "nicht" bleibt die zunächst angeordnete Folge in vollem Maße vom Vorliegen der Bedingung des Wenn-Satzes abhängig. Bei "wenn nicht ... " usw. erhält dagegen der Hauptsatz eine gewisse vorläufige Geschlossenheit. Fragt man aber weiter, weshalb der Gesetzgeber dieses äußere Schema zur Kennzeichnung der Beweislast gewählt hat und warum er es wählen konnte, so muß man auf die inneren Gründe einer RegelAusnahme-Formulierung zurückgreifen. Die Regel bietet, wie oben festgestellt, einen vorläufigen Anhalt für die Richtigkeit. Deshalb ist es sachgerecht, sich zunächst an die Regel zu halten, bis das Zutreffen der Ausnahmevoraussetzung festgestellt ist. Denn von den beiden möglichen Ergebnissen ist eben das eine durch die Regel mit einer überwiegenden Gewähr für die Richtigkeit ausgezeichnet. Hieraus ergibt sich die Bedeutung für die Beweislastsituation: Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß sich der Eintritt oder Nichteintritt einer Rechtsfolge auf Grund der tatsächlichen Unklarheit nicht mit Sicherheit ermitteln läßt. Bei dieser Unklarheit aber ist es sinnvoll, es bei der Regel zu belassen, weil eben damit das zumeist Richtige getroffen wird und weil sich so eine besondere Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des konkreten Urteils herleiten läßt. Auf diesem inneren Sinn des Regel-Ausnahme-Verhältnisses also beruht es, warum sich diese Formulierung für die Gestaltung der Beweislastverteilung anbot und warum dieser Weg auch etwas unmittelbar Einleuchtendes an sich hat. Die Wahl des äußeren Bildes von Regel und Ausnahme, die entsprechende Fassung von Rechtssätzen zur Andeutung der Beweislast, gehört in den Bereich der Geltung der Beweislastnormen. Die inneren Gründe dieser Regeln werden in vielen Fällen darauf beruhen, daß die Voraussetzungen der Ausnahme, die Ausschließungsgründe, beim Vorliegen der rechtsbegründenden Tatsachen in der Mehrzahl der Fälle nicht gegeben sind. Dies ist der Zusammenhang mit der Regel des Lebens, mit der Erfahrung, der statistischen Wahrscheinlichkeit. Stehen diese Erwägungen hinter den Beweislastregeln, so erhält das Urteil eine Wahrscheinlichkeit dafür, daß sein Inhalt der wahren Tatsachen- und damit Rechtslage entspricht. So kann man das durch die Erfahrung gerechtfertigte Vertrauen auf die überwiegende Redlichkeit der Menschen als gesetzgeberischen Grund der Beweislastregeln in § 932 I.1 und § 892 I.1 BGB ansprechen.
IV. Geltung und sachliche Begründung der Sonderregeln
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Aber - und diese Feststellung erscheint wichtig - die Wahl der Regel-Ausnahme-Form zum Zwecke der Beweislastverteilung muß nicht auf Wahrscheinlichkeitsgründen beruhen. Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, auch aus anderen Gründen eine Beweislastregel zu setzen und sie so zum Ausdruck zu bringen. Deshalb ist es auch noch kein endgültiges Argument gegen eine etwaige durch das sprachliche RegelAusnahme-Verhältnis gegebene Beweislastregel, daß eine entsprechende tatsächliche Wahrscheinlichkeit nicht bestehe. Vielmehr kann die Beweislastregel aus zahlreichen anderen sachlichen Erwägungen gerechtfertigt sein. In §§ 831, 832, 833, 834 BGB kann man z. B. kaum von einer allgemeinen Wahrscheinlichkeit für die Verletzung der Aufsichts- oder Sorgfaltspfiichten, also gegen deren Einhaltung, sprechen. Hier dürfte die Nähe zum Beweis, die Kenntnis des Hergangs für die Beweislastregelung entscheidend gewesen sein41, ferner auch die in diesen Fällen angemessene Annäherung an eine Gefährdungshaftung. In §§ 861 II, 862 II und 1007 III.l BGB mag dagegen die Bevorzugung des Schutzes der äußeren Lage den entscheidenden sachlichen Grund für die Beweislastregelung darstellen. Eine eingehende Analyse der zahlreichen Fälle muß hier unterbleiben. Es ging nur darum, klarzustellen, daß die Anerkennung des RegelAusnahme-Prinzips als Ausdruck dtr positiven Geltung von Beweislastregeln nichts an der Möglichkeit verschiedenartiger sachlicher Erwägungen als Hintergrund der positiven Beweislastnormen ändert. Darüber ist mit der Erkenntnis der äußeren Form von Regel und Ausnahme noch nichts ausgesagt. Wie ein gesetzliches Regel-Ausnahme-Verhältnis als Festlegung einer Beweislastnorm vorliegen kann, ohne daß eine Regel des Lebens dahinter steht, so ist auch die umgekehrte Sachlage denkbar. Ausgehend vom statistischen Bef·und, von der Lebenserfahrung, kann der Gesetzgeber das Regel-Ausnahme-Verhältnis auch wählen, ohne an eine Regelung der Beweislast zu denken42 • Wenn aber die BeweislastregeJung sonst die Wahrscheinlichkeit berücksichtigt - wie dies im Zivilrecht der Fall ist -, dann wird es in diesen Fällen zumeist richtig sein, die Beweislast entsprechend dem Verhältnis Regel-Ausnahme zu verteilen, in Analogie zu den Fällen, wo das Gesetz selbst bewußt diesen Weg gegangen ist.
Vgl. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 69 III 2 b (S. 346); Lepa, Diss., S. 130 ff. Vgl. Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 173; Guldener, Beweiswürdigung und Beweislast, S. 36. 41
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§ 6 Struktur und systematische Stellung der Beweislastnormen
I. Die Bedeutung der Frage für das Thema der Untersuchung Bisher ergab sich, daß die Beweislast durch Rechtsnormen geregelt wird, die neben jenen Rechtssätzen stehen, die Rechtsfolgen an die Existenz von Tatsachen knüpfen. Die Frage, ob beide Normarten zum materiellen Recht gehören oder ob die Beweislastregeln dem Verfahrensrecht zuzuordnen sind, wurde oben zurückgestellt. Dieses altbekannte und oft behandelte Qualifikationsproblem muß aber nun erörtert werden, da es von besonderer Bedeutung für die VerweisungsfäHe sein könnte. Verweisungen zwischen verschiedenen Rechtsgebieten sind nämlich häufig mit einem Wechsel der anzuwendenden Verfahrensordnung verbunden. Ob die Voraussetzungen des "fremden" Rechtssatzes vorliegen, stellt eine Vorfrage dar, über die nach denselben Verfahrensregeln entschieden wird wie über die Hauptfrage. Dieser Grundsatz gilt allgemein. Für das Gebiet des Zivilprozesses läßt er sich aus §§ 148 ff. ZPO erschließen; für bürgerlich-rechtliche Vorfragen im Strafprozeß ist er in § 262 I StPO ausdrücklich ausgesprochen. Wenn nun die Beweislastregeln zum Verfahrensrecht gehören, so würde das in diesen Fällen gegen eine Übernahme auf Grund der Verweisung sprechen. Sind sie dagegen materiell-rechtlicher Natur, so ergäbe sich daraus der Schluß auf die Übernehmbarkeit. Freilich wäre das Ergebnis in beiden Fällen noch keineswegs endgültig, da der Grundsatz der Anwendung der für die Hauptfrage gegebenen Verfahrensnormen Ausnahmen zulassen könnte. Die Frage nach der systematischen Stellung der Beweislastnormen kann nur beantwortet werden, wenn Klarheit über den typischen Inhalt, über die Struktur der Beweislastnormen besteht. Daß der Inhalt der Beweislastregeln für die Qualifikation maßgeblich sein muß, kann nicht zweifelhaft sein. Man kann lediglich darüber streiten, welche Aspekte des Inhalts entscheidend sind. Daher ist zunächst das allgemeine Schema der Beweislastnormen zu klären. Um den konkreten Inhalt einzelner Beweislastregeln geht es dabei nicht. Doch werden die folgenden Ausführungen wohl am besten verdeutlichen, was hier mit der Bezeichnung "Struktur der Beweislastnormen" gemeint ist.
II. Struktur der Beweislastnormen
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II. Die Struktur der Beweislastnormen 1. Der Tatbestand
Um den allgemeinen Inhalt der Beweislastregeln zu erkennen, sind Tatbestand und Rechtsfolge zu untersuchen, denn aus diesen beiden Bestandteilen sind sie als Rechtsnormen zusammengesetzt. Der Tatbestand ergibt sich, wenn man die prozessuale Situation betrachtet, in der die Beweislastregeln zur Anwendung kommen. Es muß eine Tatsache (genauer eine Aussage über eine Tatsache) in den Prozeß eingeführt sein 1, die ein Tatbestandsmerkmal einer entscheidungserheblichen Norm erfüllt. Diese Tatsache muß beweisbedürftig sein2 ; ihr Vorliegen muß nach Erhebung aller in Frage kommenden Beweise3 offen geblieben sein. Man kann den Tatbestand demnach wie folgt definieren: prozessuale Unklarheit über das Vorliegen einer Tatsache, die ein Tatbestandsmerkmal erfüllen würde~. 2. Keine Tatsachenfeststellung auf Grund der Beweislastnorm
Um die Rechtsfolge der Beweislastnorm genau zu erfassen, darf an die Darstellung des Syllogismus der Rechtsanwendung in der Situation des non liquet erinnert werden 5• Die Unklarheit über die Tatsache führt zur Unklarheit über das Tatbestandsmerkmal und damit zur Unklarheit über die Rechtsfolge. Diese Unklarheit und damit die Unmöglichkeit der Entscheidung zu überwinden, ist Aufgabe der Beweislastnorm. Das gewünschte Ergebnis kann nun auf verschiedenen Wegen erreicht werden, je nachdem, an welcher Stelle des Syllogismus die Beweislastregel ansetzt. Die Beweislastnorm könnte einmal zur Folge haben, die Unklarheit über die Tatsache zu beseitigen, indem sie die prozessuale Feststellung des Vorliegens oder des Nichtvorliegens dieser Tatsache anordnet. Mit dieser Wirkung auf der untersten Stufe des Syllogismus, im Bereich der Tatsachenfeststellung, würde die Beweislastnorm im Ergebnis einer gesetzlichen Beweisregel gleichstehen. Das Gericht müßte dann in Anwendung der Beweislastnorm aussprechen: Die Tatsache ist ge1 Die Einführung erfolgt im Bereich der Verhandlungsmaxime durch Parteibehauptung, bei Geltung der Untersuchungsmaxime auch durch das Gericht. 2 Soweit das Geständnis bindende Wirkung hat, ist also Bestreiten erforderlich. 3 Das sind je nach den Verfahrensregeln alle angebotenen oder alle dem Gericht bekannten und erreichbaren Beweise. 4 Vgl. schon Korsch, Beweislastregeln, S. 73. s s. oben § 2 IV.
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§ 6 Struktur und systematische Stellung der Beweislastnormen
geben, oder (wenn die Beweislastregel entgegengesetzt lautet) die Tatsache liegt nicht vor8 • Aber dieses Ergebnis wäre sinnwidrig7 • Die Nichtfeststeilbarkeit der fraglichen Tatsache gehört zum Tatbestand der Beweislastnormen. Diese Voraussetzung kann nicht von der Beweislastregel beseitigt werden. Gewiß steht es der Rechtsordnung frei, den prozessualen Beweis unabhängig von der Überzeugung des Richters anzuordnen. Aber wenn dies - durch gesetzliche Beweisregeln - geschieht, so muß doch ein sachlicher Grund, ein Anhaltspunkt für das Vorliegen der Tatsache, die rechtliche Regelung tragen. Das könnte man allenfalls bei jenen Beweislastregeln bejahen, die auf einer abstrakten Wahrscheinlichkeit beruhen. Aber das ist keineswegs bei allen Beweislastnormen der Fall. Wie oben gezeigt wurde, haben schon die zivilrechtliehen Grundregeln für die rechtsbegründenden und -vernichtenden Tatsachen nichts mit Wahrscheinlichkeitserwägungen zu tun. In diesen Fällen würde es auch für die Parteien unverständlich sein, durch welches Zauberkunststück das Gericht auf Grund der Nichtfeststeilbarkeit der Tatsache zur Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens gelangen könnte. Aber neben dieser inneren Widersprüchlichkeit steht auch noch eine zweite Erwägung einer beweisenden Wirkung der Beweislastregeln entgegen. Sie wird von Rosenbergs überzeugend dargestellt. Die Beweislastnormen beziehen sich stets auf Tatsachen im Hinblick auf bestimmte Tatbestandsmerkmale, auf bestimmte Rechtsnormen. Nun kann dieselbe Lebenstatsache in einem Prozeß für verschiedene Tatbestandsmerkmale erheblich sein. Die Beweislast kann in beiden Fällen unterschiedlich geregelt sein. Möglicherweise muß für die eine Rechtsnorm das Vorliegen der Tatsache bewiesen sein, für die andere das Nichtvorliegen. Schreibt man den Beweislastregeln Wirkung auf dem 6 In diese Richtung gehen die Formulierungen bei Fitting, ZZP 13, 16 (mit N. a); Brodmann, AcP 98, 77 u. ; Sieveking, Diss., S. 5; Pagenstecher, Rechtskraft, S. 177; Richard Schmidt, Prozeßrecht und Staatsrecht, I, S. 48 ; Baumbach-Lauterbach, Einf. zu §§ 282-294, 2 B; OLG Nürnberg, DRZ 1950, 423. Vgl. auch Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 405 N. 10 (ohne eigene Stellungnahme).- Zur Bewertung der Formulierungen s. unten vor III. 7 Ablehnend auch Rosenberg, Beweislast, S. 14 f.; Kasparek, Beweislast, S. 69; Moser, Diss., S. 46 ff.; Korsch, Beweislastregeln, S. 84; Wehli, Beweislast, S. 9 f.; Micheli, L'onere della prova, S. 164 ff. (190 ff.); Sacco, Rivista di Diritto Civile, 1957, 411 ff.; Wimmer, DRZ 1950, 395 insbes. Anm. 18; Eb. Schmidt, StPO, Bd. I , Rdz. 373 (S. 209) . .Auch bei Leonhard, Beweislast, S. 221; Trutter, Bona fides, S. 158 f. und Bähr, IherJb. 25, 398, 400 (dazu Rosenberg, Beweislast, S. 15) kommt zum Ausdruck, daß die Beweislastregeln nicht zur Feststellung der Unwahrheit führen. a Beweislast, S. 15 f. Als Beispiel bringt er eine Klage auf Kaufpreiszahlung, gegen die der Beklagte den Mangel zugesicherter Eigenschaften einwendet, worauf er auch eine Widerklage auf Schadensersatz stützt. Den Kläger trifft bezüglich der Klage die Beweislast für das Vorhandensein der Eigenschaften. Bezüglich des Gegenanspruchs trägt dagegen der Beklagte die Beweislast für das Nichtvorhandensein der Eigenschaften.
II. Struktur der Beweislastnormen
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Gebiet der Tatsachenfeststellung zu, so müßte im selben Prozeß sowohl das Vorliegen wie das Nichtvorliegen der Tatsache festgestellt werden. Das ist mit dem Begriff der Tatsachenfeststellung nicht vereinbar. Da es sich um eine Aussage über die Wirklichkeit handeln w:ürde, dürfte das Ergebnis nicht in sich widersprüchlich sein. Daß die Wirkung der Beweislastnormen nicht auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung liegen kann, zeigt auch ein von Sarstedt9 entlehntes Beispiel aus dem Strafprozeß. Wenn zwei Personen gemeinschaftlich einen Menschen getötet haben und sich nicht klären läßt, wer von den beiden den tödlichen Schlag geführt hat, so kann auf Grund des Satzes "in dubio pro reo" keiner als Täter verurteilt werden10• Dagegen könnten beide als Gehilfen bestraft werden. Das ist nur deshalb möglich und nicht durch die Gesetze der Logik ausgeschlossen, weil die ergehenden Beweislastentscheidungen eben keine Feststellungen über die wahre Tatsachenlage treffen. 3. Keine materielle Rechtsfolgeanordnung durch die Beweislastnorm
Mit dem bisherigen negativen Ergebnis, daß die Beweislastnormen nicht zu einer prozessualen Tatsaehenfeststellung führen, kann man sich freilich nicht begnügen. Rosenberg ist zwar der Meinung, die Nichtwahrheit (im Sinne der Nichtfeststellbarkeit) habe die gleiche Bedeutung wie die Unwahrheit einer Behauptung, da sie die Anwendung des Rechtssatzes ausschließe11• So braucht Rosenberg nicht weiter nach der Wirkung der Beweislastnormen zu suchen. Aber diese Auffassung ist nur die Folge des Irrtums, die Beweislastentscheidung ergebe sich bereits aus der Nichtanwendbarkeit der Rechtsnormen bei non liquetl2 • Da dies nicht zutrifft, müssen die Beweislastnormen eine positive Wirkung haben13• Daß die Rechtsfolgen gedanklich zunächst an die Ex~stenz von Tatsachen geknüpft sind, wurde bereits dargestellt14 • Da hier das Problem des Beweises nicht auftaucht, spielen die Beweislastregeln auf dieser vorprozessualen Betrachtungsebene keine Rolle15 • Die primäre Anknüp' Revision, S. 222. Sarstedt geht es dabei nicht um die Wirkung der Beweislastregeln, sondern um die Erkenntnis, daß hier kein Denkfehler vorliegt. 1o Dabei wird unterstellt, daß nach materiellem Strafrecht nur derjenige Täter ist, der den Schlag geführt hat. u Beweislast, S. 15. 12 s. dagegen oben § 3 II. 13 Vgl. v. Bar, Recht und Beweis, S. 5 mit Anm. 4. 14 s. oben§ 2 VI. 15 Eine eingeschränkte - außerprozessuale Bedeutung der Beweislastnormen wird erwogen von Pohle, AcP 155, 172 und Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 332. S. dazu auch oben § 2 VI 2.
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§ 6 Struktur und systematische Stellung der Beweislastnormen
fung der Rechtsfolgen an die Beweisbarkeit einer Tatsache war abzulehnen, weil das prozessuale Beweisergebnis nicht objektiv vorhersehbar ist16• Selbst wenn man aber dieses Bedenken überwinden wollte und eine objektive Beweisbarkeit (je nach den gegebenen Beweismitteln) als möglichen prozessualen und außerprozessualen Anknüpfungspunkt akzeptieren wollte, würde dies dem Sinn der Rechtsordnung widersprechen. Wenn z. B. A an B ein Darlehen gegeben hat und B weiß, daß A keine Beweise dafür zur Verfügung stehen, so ist er trotzdem rechtlich (nicht etwa nur moralisch) verpflichtet, das Darlehen zurückzuzahlen. Hier den rechtlichen Anspruch des A zu verneinen, dem B also zu bescheinigen, er verhalte sich durchaus rechtmäßig, wenn er die Zahlung verweigere, wäre eine unannehmbare Konsequenz. Soweit wirklich die Rechtsunterworfenen schon ihr außerprozessuales Verhalten nach der Beweisbarkeit einrichten, ist dies eine tatsächliche Vorauswirkung eines (vorgestellten) Prozesses, aber keine von der Rechtsordnung unmittelbar beabsichtigte Folge der Beweislastnormen. Die Beweislastnormen könnten ferner die Zweifelhaftigkeit der Entscheidung dadurch beseitigen, daß sie selbst zwar nicht von vornherein, aber doch im Falle des prozessualen non liquet den Eintritt oder Nichteintritt der fraglichen Rechtsfolge anordneten. Diese würde also jetzt an die prozessuale Unklarheit über eine bestimmte Tatsache geknüpft. Die Beweislastnormen würden als selbständige Obersätze einspringen, wenn die ursprünglichen Normen, die an die Existenz der Tatsachen anknüpfen, wegen der tatsächlichen Unklarheit kein Ergebnis brächten. Bei dieser Konstruktion würde die materielle Rechtslage eventuell im Moment des prozessualen non liquet geändert. Ein Anspruch, dessen Voraussetzungen tatsächlich vorlagen, würde untergehen, wenn die Voraussetzungen nicht bewiesen werden könnten und die Beweislastnorm für diesen Fall das Nichtbestehen des Anspruchs anordnete. Die Wirkung der Beweislastnorm läge dann auf materiellrechtlichem Gebiet. Die Konsequenz eines derartigen Verständnisses wäre, daß das Beweislasturteil stets mit der materiellen Rechtslage übereinstimmen würde. Aber gerade wegen dieser Folge der notwendigen materiellen Richtigkeit des Beweislasturteils ist diese Betrachtungsweise unannehmbar. Der Begriff der Richtigkeit' 7 ist für sich unvollständig und relativ; er verweist auf einen Maßstab, an dem etwas zu messen ist. Richtigkeit und Unrichtigkeit können verschieden ausfallen, je nachdem, welchen Maßstab man anlegt. Die Richtigkeit eines Urteils kann an den prozess. oben § 2 VI 2. Vgl. dazu neuerdings Engisch, Wahrheit und Richtigkeit im juristischen Denken. 16 11
li. Struktur der Beweislastnormen
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sualen und an den materiellen Normen gemessen werden18• Das Urteil ist materiell richtig, wenn das darin ausgesprochene Ergebnis mit der tatsächlichen Rechtslage übereinstimmt, d. h. mit jenem rechtlichen Ergebnis, das man gewinnt, wenn man den wahren Lebenssachverhalt und die materiellen Rechtsnormen - unabhängig vom Prozeßgeschehen - betrachtet. Das Urteil ist prozessual richtig, wenn das Gericht unter Beachtung der Verfahrensvorschriften dazu gelangt ist. Aus dieser Doppelgleisigkeit der Beurteilung folgt, daß ein Urteil prozessual richtig, jedoch materiell unrichtig sein kann, oder auch umgekehrt. Den Idealfall stellt freilich die prozessuale und materielle Richtigkeit dar. Gelangt das Gericht zu einer falschen Tatsachenfeststellung, etwa indem es einem Zeugen glaubt, der einen Meineid schwört, so ist das Urteil prozessual richtig19 , materiell jedoch unrichtig. Ebenso ist es aber, wenn eine Klage wegen Beweisfälligkeit abgewiesen wird, obwohl der fragliche Umstand in Wahrheit gegeben ist. Es ist nicht einzusehen, warum das Beweislasturteil hier anders behandelt werden sollte als ein Urteil auf Grund falscher Tatsachenfeststellung. Die mögliche materielle Unrichtigkeit eines Beweislasturteils ist auch erforderlich, um zu einer sinnvollen Erklärung unzweifelhafter Ergebnisse zu gelangen. Das Beweislasturteil ist aufzuheben, wenn etwa das Berufungsgericht auf Grund neuer Beweise zur Tatsachenfeststellung und damit zu einer entgegengesetzten Rechtsfolge gelangt. Wie sollte diese Aufhebung des Urteils, um dessen Nachprüfung es doch in der Berufungsinstanz geht, verstanden werden, wenn dieses Urteil prozessual und materiell richtig wäre? Auch sonst muß das Beweislasturteil weiterhin an dem Maßstab der materiellen Rechtsnormen gemessen werden können, etwa wenn es um die Feststellung eines Betrugs geht. Wurde ein günstiges Beweislasturteil durch Prozeßbetrug erlangt20 , so wäre zumindest eine sehr gekünstelte Konstruktion nötig, um trotz der materiellen Richtigkeit des Urteils zur Rechtswidrigkeit des gewonnenen Vermögensvorteils zu gelangen. Zur Klarstellung sei bemerkt, daß es hier um die materielle Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines nicht rechtskräftigen Urteils geht. Dagegen ist es eine ganz andere Frage, ob man auch nach dem Eintritt der Rechtskraft noch von materieller Unrichtigkeit sprechen kann, oder ob durch die Rechtskraft die materielle Rechtslage ganz oder teilweise verändert wird. Dies ist das Problem der sogenannten Rechtskrafttheorien. Dazu braucht hier nicht Stellung genommen zu werden. Die Beweislasturteile nehmen bezüglich der Rechtskraft keine Sonderstel1s
Vgl. Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 498, 500.
a Dabei wird vorausgesetzt, daß für das Gericht kein Anlaß gegeben war,
an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. 20 Etwa durch Vorspiegelung von Tatsachen, die zur Erschütterung eines vom Gegner geführten Beweises dienten.
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§ 6 Struktur und systematische Stellung der Beweislastnormen
lung ein. Wenn mit der Rechtskraft die materielle Rechtslage verändert werden sollte, so ist dies jedenfalls nicht die Folge der Beweislastnormen. Das gewonnene Ergebnis, daß ein Beweislasturteil materiell sowohl richtig wie unrichtig sein kann, obwohl die Beweislastnormen korrekt angewendet wurden, ist zwar nicht unbestritten2 1, entspricht aber doch der ganz überwiegenden Ansicht22 • Folgt man dem, so läßt sich die Wirkung der Beweislastnormen nicht in der Weise erklären, daß sie selbst den Eintritt oder Nichteintritt der fraglichen Rechtsfolge auf Grund des prozessualen non liquet anordneten.
4. Die Beweislastnonnen als Entscheidungsnonnen; die Fiktion als mögliche Ausdrucksfonn
Die abgelehnten Wirkungen auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung oder der materiellen Rechtslage sind auch nicht erforderlich. Mit einem derartigen Inhalt würden die Beweislastnormen über das Ziel hinausschießen. Ihre Aufgabe ist es, trotz der tatsächlichen Unklarheit eine gerichtliche Entscheidung zu ermöglichen. Ihre Wirkung kann sich somit darauf beschränken, den Inhalt dieser Entscheidung zu bestimmen. Die Beweislastnormen stellen sich daher als Entscheidungsnormen dar23 • Sie führen zu einer prozessualen Entscheidung, obwohl die Unklarheit über die Tatsache bleibt und die außerprozessuale Rechtslage nicht verändert wird. Die Beweislastnormen ordnen - jedenfalls nach dem geltenden Recht - nicht einen eigenständigen, besonderen Inhalt der Entscheidung an. Sie beschränken sich vielmehr darauf, von den beiden Möglichkeiten, die nach materiellem Recht bestehen, der einen den Vorzug zu geben. Ist etwa die materielle Voraussetzung eines Zahlungsanspruchs zweifelhaft geblieben, so ist die Entstehung wie die Nichtentstehung des Anspruchs möglich. Die Beweislastnorm bestimmt nun, ob der Entscheidung die Entstehung oder die Nichtentstehung zugrunde zu legen ist. Wegen dieses Verhältnisses zu den materiellen Rechtsfol21 Für Richtigkeit Hölder, ZZP 29, 61; Bülow, ZZP 31, 243; Binder, Prozeß und Recht, S. 257, 295, 307 (nach Binders Auffassung gibt es ein prozeßrechtlich richtiges, aber materiell unrichtiges Urteil nicht). 22 Schüler, Urteilsanspruch, S. 51; Korsch, Beweislastregeln, S. 83; Hellwig, Lehrbuch, 1. Bd., S. 146 N. 7; Schmeling, Diss., S. 21; Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 IV (S. 151 f.) ; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 69 II 2 (S. 344); Guldener, Beweislast, S. 18; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 29. 23 Bötticher, ZZP 68, 232; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 II 1 (S. 3) u. § 69 II 2 (S. 344); Sc.'J.meling, Diss., S. 96 ff.
II. Struktur der Beweislastnormen
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genist es gerechtfertigt, die Beweislastnormen als verweisende Rechtssätze zu kennzeichnen24 • Gegen die Bezeichnung der Beweislastregeln als Rechtsanwendungsnormen25, die bestimmen, ob die materielle Norm trotz des Zweifels anzuwenden oder nicht (also negativ) anzuwenden ist, läßt sich vom Wortgebrauch her nichts einwenden. Aber die besondere Eigenart der Beweislastregeln, daß sie nur Entscheidungsnormen sind, wird dadurch nicht zum Ausdruck gebracht. Dies wird vielmehr dadurch verwischt, daß die Beweislastregeln unter dem Oberbegriff der Rechtsanwendungsnormen mit anderen Rechtssätzen zusammengefaßt werden, etwa den Normen des internationaleR Privatrechts, denen dieselbe Besonderheit nicht zukommt. Die Wirk·ung der Beweislastnormen bedarf noch weiterer Präzisierung. Die Beweislastnormen beziehen sich jeweils auf die Voraussetzungen eines bestimmten Tatbestandsmerkmals. Nach materiellem Recht sind die Rechtsfolgen in der Regel von mehreren Tatbestandsmerkmalen abhängig. Die Beweislastnormen können dann verschieden gerichtet sein. Hängt etwa ein Darlehensanspruch von der Hingabe des Geldes und von der Geschäftsfähigkeit des Darlehensnehmers ab, so ist auf Grund der Beweislastnormen bei Zweifel über die Aushändigung des Geldes zuungunsten des angeblichen Gläubigers zu entscheiden, bei Zweifel über die Geschäftsfähigkeit dagegen zu seinem Vorteil. Berücksichtigt man dies, so kann die einzelne Beweislastregel nicht über die Bejahung oder Verneinung der Rechtsfolge schlechthin entscheiden. Vielmehr ordnet die Beweislastregel jeweils an, ob das einzelne Tatbestandsmerkmal für die Entscheidung als erfüllt oder als nicht erfüllt anzusehen ist. Das allgemeine Schema einer Beweislastnorm ist demnach folgendes: Bei prozessualer Unklarheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Tatbestandsmerkmals ist zu entscheiden, als ob dieses Tatbestandsmerkmal gegeben (oder: nicht gegeben) wäre26 • Schon der Gebrauch des "als ob" deutet an, daß sich diese Wirkung 2' Bötticher , a. a. 0 .
25 So Pl6sz, Vorträge, S. 34; Moser, Diss., S. 72 f.; Schmeling, Diss., S. 91 ff.; zustimmend Fohle, AcP 155, 173 und Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 334. Dagegen dachte Giesker-Zeller, Die Rechtsanwendbarkeitsnormen (übersieht S. 60), weder beim Begriff der Rechtsanwendungs- noch der Rechtsanwendbarkeitsnormen an die Beweislastregeln. 26 Inhaltlich stimmt dies mit der Formulierung Böttichers, ZZP 68, 232 überein, wonach die Beweislastregeln, "ausgehend von der prozessualen Gegebenheit eines ,non liquet' bei der Tatsachenermittlung, bestimmen, es seien im Urteil dieselben Rechtsfolgen auszusprechen, wie sie sonst nur bei Erwiesenheit eines bestimmten Sachverhalts ausgesprochen werden könnten." S
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der Beweislastregel auch in Form einer Fiktion ausdrücken läßt27 • Die Fiktion stellt- im Bereich der Rechtsordnung- ein Ausdrucksmittel dar, um die rechtliche Gleichbehandlungzweier ungleicher Tatbestände :lJU bestimmen28 • Die Beweislastregel stellt den prozessualen Tatbestand der Unklarheit entweder mit der prozessualen Feststellung des Vorliegens der Tatsache oder mit der Feststellung des Nichtvorliegens gleich. Die Form einer Fiktion erhält man durch die Wendung, daß bei tatsächlicher Unklarheit das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals oder das Nichtvorliegen als festgestellt gilt. Ob man dabei sagt, das Tatbestandsmerkmal gelte als festgestellt, oder ob man die zugrundeliegenden Tatsachen als festgestellt behandelt, ist nur eine Formulierungsfrage ohne sachliche Bedeutung. Der Unterschied zu einer materiellrechtlichen Fiktion sei noch hervorgehoben: bei der Beweislastregel geht es um die Gleichbewertung der prozessualen Ergebnisse und zwar nur für die gerichtliche Entscheidung. Die Möglichkeit, die Beweislastregeln sprachlich als prozessuale Fiktionen wiederzugeben, erklärt auch die üblichen Formulierungen. Die Wendung, eine Tatsache sei auf Grund der Beweislastregel als unwahr zu behandeln20 , ist falsch, wenn man sie dahin versteht, die Beweislastregel weise den Richter zu einer Feststellung der Unwahrheit an. Sie läßt sich aber schon sprachlich auch dahin deuten, daß die Feststellung der Unwahrheit zu fingieren, zu unterstellen30 sei. Daß die Fiktion nichts über die Wahrheit aussagt31 , sondern nur die rechtliche Gleichbewertung anordnet, ist gerade ihr Kennzeichen. So lassen sich vielleicht auch die oben32 als Ausdruck einer Tatsachenfeststellung angeführten Formulierungen als Fiktion verstehen. Zumindest aber verliert die ungenaue Formulierung unter Berücksichtigung dieses Zusammenhanges an Gewicht. 21 Den Fiktionscharakter betont Reinhold, ZZP 20, 131. Vgl. auch Büttner, ZZP 71, 10. 28 Vgl. zum juristischen Begriff der Fiktion Bernhöft, Festschrift f. Bekker, S. 241; Esser, Rechtsfiktionen, S. 27, 29 ; Larenz, Methodenlehre, S. 166. Daß die Fiktion eine besondere Form der Verweisung darstellt- so Esser, a. a. 0 .. S. 26; Larenz, a. a. 0., S. 166 (oder eine verdeckte Einschränkung, S. 167) stimmt mit dem oben erwähnten verweisenden Charakter der Beweislastregeln zusammen. 20 Regelsberger, Pandekten, 1. Bd., S. 693; Hellwig, System I, § 156 II 2 (S. 467); Förster-Kann, § 282, 4 a; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht,
s. 465.
ao Von einer Unterstellung sprechen z. B. Larenz, Methodenlehre, S. 208 ; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 114; von Annahme v. Bar, Recht und Beweis, S. 5; Kummer, a. a. 0., Rdz. 124; Engisch, Einführung, S. 61. 31 Vgl. Bernhöft, Festschrift f. Bekker, S. 242 f.; Larenz, a. a. 0., S. 167. 32
N. 6.
III. Systematische Stellung der Beweislastnormen
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111. Die systematische Stellung der Beweislastregeln11 1. Gründe für die Zuordnung zum Proze.ßrecbt a) Ungeeignete Argumente
Als Begründung für die prozessuale Natur der Beweislastregeln wird angeführt, diese könnten schon deshalb nicht privatrechtlich sein, weil sie ja auch bei der Anwendung von Normen des Prozeßrechts oder des sonstigen öffentlichen Rechts von Bedeutung seien34 • Aber diskutabel ist auch nur die Gegenüberstellung von materieller und prozessualer, nicht von privatrechtlicher und prozessualer Natur. Unter materiell ist dabei zu verstehen: zu dem Rechtsgebiet gehörig, zu welchem jene Norm gehört, deren tatsächliche Voraussetzung zweifelhaft geblieben ist. Wenn es um die Entscheidung einer prozessualen Frage geht, wird das Prozeßrecht in diesem Sinne zum materiellen Recht35 , zum Recht der Materie 36• Die Grenzziehung muß an Hand der zur Entscheidung stehenden Frage erfolgen. Soweit die Beweislastnormen zum materiellen Recht gezählt werden, geschieht dies heute durchweg in dem eben klargestellten Sinn37 • Die Betrachtung der Beweislastregeln als Rechtsanwendungsnormen kann allein die prozessuale Einordnung nicht rechtfertigen 38, ebensowenig freilich die entgegengesetzte Auffassung39• Denn ob die Normen des Rechtsanwendungsrechts materieller oder prozessualer Natur oder vielleicht auch verschiedenartig sind, bedarf selbst erst sachlicher Begründung, die aus der Wirkung, die Anwendung zu regeln, nicht unmitteLbar hervorgeht. Früher wurde die prozessuale Auffassung vereinzelt damit begründet, die Beweislastregeln seien aus der Verhandlungsmaxime als einem prozessualen Prinzip ab.geleitet40 • Der Ausgangspunkt dieses Arguments ist jedoch in zweifacher Hinsicht falsch. Zum einen folgt der 33 Zahlreiche Nachweise für die materielle und die prozessuale Auffassung finden sich bei Rosenberg, Beweislast, S. 77 N. 3 u. S. 78 N. 1. Hier werden nur jene Stellen angeführt, an denen sich erwägenswerte Argumente finden. 34 So Hellwig, System I, § 156 III 2 (S. 468); Levin, Prozeßleitung, S. 160; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 475; Förster-Kann, § 282, 4 b; Schollmeyer, ZZP 12, 283. 35 So Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 182. so Schmeling, Diss., S. 95. 37 Die Zuordnung zum selben Gebiet wie die anzuwendende Norm wird als Inhalt der materiellen Einordnung aufgefaßt von Rosenberg, Beweislast, S. 81 f.; Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 182 f.; Maser, Diss., S. 82; Schmeling, Diss., S. 94; Pohle, AcP 155, 168; Storme, Bewijslast, S. 61; Lepa, Diss., S. 19 f. 38 So aber Pl6sz, Vorträge, S. 34. 39 s. dazu unten 2 b a. E. 40 Schollmeyer, ZZP 12, 283; Reinhold, ZZP 20, 152. Ähnlich Meyerhofer, ZSR 22, 331. Vgl. auch Brodmann, AcP 98, insbes. 75, 77 f.
s•
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Inhalt der Beweislastregeln nicht aus der Verhandlungsmaxime41 • Zum andern tritt die Situation der tatsächlichen Unklarheit, in der die Beweislastregeln erforderlich werden, ebenso bei Geltung der Untersuchungsmaxime ein42 • Für die prozessuale Natur spricht nach Pl6sz48 auch, daß die Beweislastregeln des bürgerlichen Rechts keine Anwendung im Strafprozeß finden, wenn es um bürgerlich-rechtliche Vorfragen geht. Aber ob dem so ist, ob insbesondere die Beweislastregeln bei jedem Wechsel der Verfahrensart entfallen, ist gerade der eigentliche Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Deshalb muß dieses Argument bei der Klärung der Vorfrage nach der Rechtsnatur beiseite gelassen werden.
b) Beachtliche Argumente Die prozessuale Rechtsnatur der Beweislastregeln wird ganz überwiegend damit begründet, daß die Beweislastnormen nur im Prozeß zur Anwendung kommen44 • Daß dies richtig ist und die Beweislastnormen keine unmittelbare außerprozessuale Wirkung haben, wurde bereits festgestellt. Wenn ferner angeführt wird, die Beweislastsätze regelten nicht die privatrechtliehen Beziehungen der Parteien, sondern wendeten sich nur an den Richter45 , so ist dies im Grunde nur eine Präzisierung des erstgenannten Arguments. Der sachlichen Feststellung des Satzes ist zuzustimmen: Die Beweislastnormen sind keine Verhaltensnormen für die Parteien, sondern nur Entscheidungsnormen48 und damit Verhaltensnormen für den Richter. Die Abgrenzung wird, folgt man der wiedergegebenen Meinung, nach der Verschiedenheit des Normadressaten vorgenommen. In engem Zusammenhang mit diesen Überlegungen steht auch die Erwägung, die Beweislastnormen könnten deshalb nicht zum materiellen Recht gehören, weil das Beweislasturteil materiell unrichtig sein Vgl. oben § 5 III. Vgl. unten § 10 I 2 (zum Strafprozeß). 43 Vorträge, S. 34. 44 So Hellwig, System I,§ 156 III 2 (S. 468); Förster-Kann, § 282, 4 b ; Stein, Voraussetzungen des Rechtsschutzes, S. 4; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 282 IV 3 (für den Grundsatz); Baumbach-Lauterbach, § 282 Anh., 1 B; LentJauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 IV (S. 151); Rosenberg, AcP 94, 11/12 N. 9 (früher!); Bernhardt, Grundriß, S . 113; Korsch, Beweislastregeln, S. 13; Fickel, Diss., S. 11. 45 Korsch, Beweislastregeln, S. 4 f. u. 12 f.; Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 IV (S. 151). 4 6 Dies betonen auch Bötticher, ZZP 68, 232 und Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 II 1 (S. 3) u. § 69 II 2 (S. 344), die allerdings daraus nicht die Zuordnung zum Prozeßrecht folgern. 41
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könne47 • Die materiellen Normen regelten die wahre Rechtslage, die Beweislastnormen die prozessualen Ergebnisse. Da hier ein Widerspruch bestehen könne, müßten die beiden Normengruppen zu verschiedenen Rechtsgebieten gezählt werden. 2. Gründe für die Zuordnung zum materiellen Recht
a) Ungeeignete Argumente Die materielle Rechtsnatur der Beweislastregeln wird zum Teil damit begründet, daß sich nur aus den Rechtsnormen des materiellen Rechts ergeben könne, für welche Tatsachen eine Partei die Beweislast trage, da das materielle Recht die Voraussetzungen der Rechte bestimme48. Aber jene Rechtsnormen knüpfen - wie oben dargestellt49 - an die Existenz oder Nichtexistenz der Tatsachen an und lassen die Frage der Beweislast offen. Sie ergeben zwar die Bezugspunkte der Beweislastnormen, nämlich die Tatbestandsmerkmale, aber nicht den normativen Inhalt. Das materielle Recht bestimmt allerdings, ob eine Tatsache rechtsbegründend und ob eine Tatsache rechtsvernichtend ist. Die Grundregel :ier Beweislast im Privatrecht knüpft an diese materiell-rechtliche Unterscheidung an. Aber durch diese Anknüpfung wird die Beweislastregel •selbst keine Regel des materiellen Rechts50• Ebenso wird ja auch ~ne Norm des Strafrechts, etwa die Diebstahlsvorschrift (§ 242 StGB), r1icht dadurch zu einer zivilrechtliehen Norm, daß sie an das bürgerlichrechtliche Ei·gentum anknüpft51 • Bei den besonderen Beweislastregeln, :ien sog. rechtshindernden Tatsachen, fehlt es schon an einer AnknüpEung an Wirkungen des materiellen Rechts. Berücksichtigt man dies, so ist es unrichtig oder zumindest nicht die Beweislastregeln teils dem Prozeßrecht, teils dem materiellen Recht bzw. beiden Gebieten zuzuweisen52• Die Frage nach der rechtsbegründenden oder rechtsvernichtenden Wirkung eines Tatbe>tandsmerkmals ist von der Beweislastregel her gesehen nur eine Vor~xakt,
4 7 Dieser wesentliche Gesichtspunkt wird soweit ersichtlich - nur von Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 IV (S. 151) betont. 48 Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 82 III 2 (S. 319). Ähnlich Ude, ZZP 6, 432; Hellmann, Lehrbuch, S. 489; Cüppers, Diss., S. 16; Schühly, Diss., S . 4; Raape, AcP 147, 221. 49 s. oben § 2 VI. so Richtig Wach, Handbuch, 1. Bd., S. 125 N. 26 ; zustimmend Sieveking, Diss., S. 1 f. Vgl. auch Dänzer, Tatsächliche Vermutung, S. 127. st So schon Stein, Voraussetzungen des Rechtsschutzes, S. 4 f. s2 Kleinfeller, Krit. VjSchr. 37, 201 f .; Brodmann, AcP 98, 68, 74f. ; Seuffert-Walsmann, § 283, 3 (S. 469); Endemann, Bürgerliches Recht, 1. Bd., S. 481; ähnlich Sacco, Rivista di Diritto Civile, 1957, S. 420 ff.
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frage, die aber für sich genommen keine Beweislastregel ist und daher auch nicht über die systematische Einordnung entscheiden kann53 • Daß sich ausdrückliche Beweislastregeln in aller Regel nicht in den Prozeßgesetzen, sondern in den materiellen Gesetzen finden, kann für die systematische Beurteilung ebenfalls nicht entscheidend sein54• Man kann daraus unter Umständen ein Indiz für die Auffassung des Gesetzgebers gewinnen55• Aber auch diese ist für die theoretische Bewertung nicht maßgebend56 . Wohl aber kann sich daraus die Beurteilung konkreter Fragen ergeben, für die der Gesetzgeber an den Unterschied zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht angeknüpft hat. Die materielle Natur der Beweislastregeln kann ferner nicht aus ihrer Kennzeichnung als Rechtsanwendungsnormen gefolgert werden57 • Denn es bleibt die Frage, ob der spezielle Aspekt der Rechtsanwendung, um den es hier geht, auf materiellem oder auf prozessualem Gebiet liegt58• b) Beachtliche Argumente
Das Hauptargument für die materielle Natur der Beweislastregeln und zugleich das einzige, dem sachliche Bedeutung zukommt, ist dies: Die Beweislastnormen bestimmen nicht lediglich das Verfahren des Gerichts, sondern den Inhalt seiner Entscheidung. Der Entscheidungsinhalt aber wird von den Rechtssätzen des materiellen Rechts getragen. Wegen ihrer Wirkung gehören daher auch die Beweislastnormen zu diesem Rechtsgebiet Diese Auffassung vertritt vor allem Rosenberg 5', aber auch andere Autoren folgen dieser Ansicht60 • Daß die Beweislastnormen wirklich den Inhalt der gerichtlichen Entscheidung festlegen, ist nicht zu bestreiten; gerade deshalb wurden sie oben als Entscheidungsnormen gekennzeichnet. 53 Insoweit richtig (freilich unter Einbeziehung der rechtshindernden Normen) die Bemerkungen bei Betzinger, Beweislast, S. 3; Wehli, Beweislast, S. 31; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 282 IV 3. 54 So mit Recht Pohle, Festschrift f. Dölle, Bd. II, S. 325 f.; Schmeling, Diss., S. 10. Als Argument verwendet von Kuhn, Beweislast, S. 15 f. 55 Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 48 entnimmt Art. 8 ZGB eine positivrechtliche Entscheidung für die Zuordnung zum Bundesprivatrecht. se Pohle, AcP 155, 169. 57 So aber Schmeling, Diss., insbes. S. 94; Moser, Diss., S. 82, 96. ss Vgl. Pohle, AcP 155, 169. 59 Beweislast, S. 80 f. 60 Guldener, Beweislast, S. 24 (materielles Recht entscheidet, ob Rechtsschutz); Rauschning, Diss., S. 79; Schmeling, Diss., S. 74; Auer, Diss., S. 10; Lepa, Diss., S. 19. - Auch die Begründung Neuners, Privatrecht und Prozeßrecht, S. 182, läuft darauf hinaus, insbesondere in Verbindung mit seiner grundsätzlichen Abgrenzung zwischen m ateriellem und formellem Recht,
s. 6-11.
III. Systematische Stellung der Beweislastnormen
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3. Keine Klärung durch die Begriffe des Reddsscbutzansprucbs und des materiellen Justizrechtsll
Unter dem Rechtsschutzanspruch wird das subjektive öffentliche Recht des Klägers oder- je nach Rechtslage- des Beklagten auf eine günstige Entscheidung verstanden62 • Ob dieser Begriff für das Verständnis und die Konstruktion des Prozesses bedeutsam ist, wird heute unterschiedlich beurteilt63 • Dazu braucht hier nicht Stellung genommen zu werden, denn jedenfalls für das Qualifikationsproblem bringt der Begriff des Rechtsschutzanspruchs keine Klärung. Der Rechtsschutzanspruch soll einer Partei zustehen, wenn eine ihr günstige Entscheidung nach materiellem und prozessualem Recht zu ergehen hat64 • Diese Formulierung läßt offen, welche Stellung die Frage des Beweises und der Beweislast zu den Voraussetzungen des Rechtsschutzanspruchs einnimmt. Der Rechtsschutzanspruch könnte - ebenso wie das oben für das außerprozessuale materielle Recht bejaht wurde - an die Existenz der die Normvoraussetzungen erfüllenden Tatsachen anknüpfen. Ob der Rechtsschutzanspruch besteht, wäre dann von der Frage der Beweislast völlig unabhängig; beide Phänomene hätten nichts miteinander zu tun. Die Anknüpfung des Rechtsschutzanspruchs an die wirkliche Sachlage wurde von Wach, der den Rechtsschutzanspruch in die Rechtswissenschaft eingeführt hat, mit Entschiedenheit vertreten65 • Auch bei Schüler66 findet sich dieselbe Auffassung. Von anderer Seite wird dagegen das Bewiesensein der erheblichen Tatsachen im Prozeß als Voraussetzung des Rechtsschutzanspruchs betrachtet87 • Konstruiert man den Rechtsschutzanspruch in dieser Weise, so sind die Beweislastnormen in seinen Voraussetzungen enthalten. Aber diese Voraussetzungen vereinen materielle und prozessuale Elemente. Ihre Zusammenfassung vermag das Qualifikationsproblem nicht zu lösen. In engem Zusammenhang mit dem Rechtssschutzanspruch steht der Begriff des materiellen Justizrechts. Goldschmidt, der Schöpfer dieses Begriffs, versteht darunter den "Inbegriff der Rechtssätze, welche an eine bestimmte Privatrechtslage, als Tatbestand, die staatliche Verpflichtung zu einem entsprechenden, in die Privatrechtslage eingreiIm Ergebnis ebenso Schmeling, Diss., S. 82 ff. Stein-Jonas-Pohle, Einl. E I 3 a u. e (S. 18 u . 19). 83 Dagegen z. B. Rosenberg, Lehrbuch,§ 90 IV (S. 435 ff.); dafür namentlich Stein-Jonas-Pohle, Einl. E I 3d (S. 18 f., mit Lit. in N. 13 ff.) (zustimmend Habscheid, FamRZ 1964, 479); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 III 2 (S. 6 f.). ~4 Stein-Jonas-Pohle, Einl. E I 3 b (S. 18). ss ZZP 32, 3, 6, 30 f. (gegen Bülow, ZZP 31, 191 ff.). 56 Urteilsanspruch, S . 36. 67 Kipp, Festschrift f. v . Martitz, S. 219; Goldschmidt, Festschrift f. Brunner, S. 114 N. 2 (eingeschränkt, Beweis Voraussetzung der Ausübbarkeit); ähnlich Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 Ill 2 (S. 6) mit § 1 II 1 (S. 3) u. § 69 II 2 (S. 344). 61 62
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§ 6 Struktur und systematische Stellung der Beweislastnormen
fenden Rechtsschutzakt knüpfen" 68 • Das materielle Justizrecht soll diejenigen Normen zusammenfassen, die den Inhalt des Urteils bestimmen69. Es soll aber wed.er Prozeßrecht noch Privatrecht sein70 • Wegen ihrer inhaltsbestimmenden Wirkung sollen auch die Beweislastnormen zum materiellen Justizrecht gehören 71 • Würde das materielle Justizrecht materielles Recht und Beweislastrecht zusammenfassen, so käme dies auf die dargestellte materi.ellrechtliche Auffassung hin.aus72 • Aber es soll eben gerade nicht das materielle Recht, insbesondere das Privatrecht, umfaßt werden. Vielmehr ist das "subjektive Privatrecht in seiner Richtung gegen den rechtsschutzpftichtigen Staat" 73 , das "ungeschriebene Spiegelbild" des Privatrechts74 gemeint. Diese Auffassung trennt also die außerprozessuale Seite der Privatrechtsnormen (Verhaltensnormen) von der entscheidungsbestimmenden Funktion. Dieser Ansatzpunkt ist verfehlt. Die materiellen Normen, etwa des Privatrechts, sind außerprozessual und innerprozessual von Bedeutung. Aber dennoch handelt es sich um einheitliche Normen, nicht um zwei nebeneinander stehende Rechtssätze. Die Beweislastnormen freilich sind nur Entscheidungsnormen. Aber man kann diesen Unterschied zu den Normen des Privatrechts nicht dadurch .aus dem Weg räumen, daß man diese sozusagen in der Mitte auseinanderschneidet Die systematische Einordnung von Rechtsnormen ist nur dann sinnvoll, wenn sie von richtigen sachlichen Voraussetzungen ausgeht. Der Begriff des materiellen Justizrechts ist mit der herrschenden Meinung abzulehnen75. 4. Die Doppeldeutigkeit der Begriffe materielles Recht und Prozeßrecbt (formelles Recht)
Die ihrem Inhalt nach beachtlichen Argumente für die prozessuale wie für die materielle Qualifikation der Beweislastregeln gehen von richtigen Feststellungen über die Wirkung der Beweislastnormen aus. Wenn sich dennoch unterschiedliche Resultate ergeben, so muß das an &8 Goldschmidt, Festschrift f. Brunner, S. 126 f.; vgl. auch ders. Festschrift f. Hübler, S. 87 f. und Prozeß als Rechtslage, S. 241. 68 Kipp, Festschrift f. v . Martitz, S. 213; Goldschmidt, Festschrift f. Brunner, S. 126. 10 Kipp, Festschrift f. v . Martitz, S. 213; Goldschmidt, Festschrift f. Hübler, s. 87 f. 71 Kipp, Festschrift f. v. Martitz, S. 219; ihm folgend (eingeschränkt) Goldschmidt, Festschrift f. Brunner, S. 114 N. 2. 12 Vgl. Rosenberg, Beweislast, S. 82 f. 73 Goldschmidt, Festschrift f. Brunner, S . 120. 74 Kipp, Festschrift f. v. Martitz, S. 213. 7& Dagegen u. a. Rosenberg, Lehrbuch, § 90 V (S. 440) ; Stein-Jonas-Pohle, Einl. M I 3 (S. 54); positiver dagegen Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 II 1
(S. 3).
III. Systematische Stellung der Beweislastnormen
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einem verschiedenen Verständnis der Begriffe materielles Recht und Prozeßrecht liegen. Deren Klärung ist daher erforderlich. Das Prozeßrecht ist die rechtliche Regelung des Prozesses. Damit wird man auf den Begriff des Prozesses verwiesen. In den heutigen Lehrbüchern und Kommentaren des Zivilprozeßrechts76 findet man den Zivilprozeß definiert als das staatliche Verfahren zur Feststellung, Sicherung und Verwirklichung der rechtlichen Ordnung der privaten Lebensverhältnisse77 • Übernimmt man diese Bestimmung sinngemäß für den Prozeß im allgemeinen, so zeigt sich dieser als eine zur bereits bestehenden außerprozessualen Rechtsordnung hinzutretende Einrichtung. Das Recht, um dessen Sicherung und Durchsetz·ung es geht, ist das materielle Recht. Diese Grenzziehung78 deckt sich mit der Unterscheidung zwischen primären und sekundären Rechtsnormen 79• Sie ist ferner gleichbedeutend mit der Bestimmung des materiellen Rechts als des Bereichs der Verhaltensnormen für die Rechtsuntertanen. Das materielle Recht wird hier als für sich bestehend und vom Verfahren unabhängig gedacht. Die Verfahrensnormen bestimmen nur die Durchsetzung dieses materiellen Rechts, nicht das außerprozessuale Verhalten. Legt man diese Abgrenzung zugrunde, so gehören die Beweislastnormen zum Prozeßrecht. Sie sind keine Verhaltensnormen und kommen im Bereich der für sich gedachten außerprozessualen Rechtsordnung nicht vor. Sie sind Bestandteil der sekundären Rechtsordnung, da sie dazu dienen - und nur dazu - die Rechtsverwirklichung durch eine Entscheidung zu ermöglichen. Neben diese Begriffsbestimmung tritt aber eine zweite, die von der Betracht·ung des Prozeßergebnisses, der Entscheidung ausgeht. Der Inhalt der Entscheidung sagt etwas über die außerprozessuale Rechtslage aus. Deshalb werden hier diejenigen Normen, welche den Inhalt des Urteils bestimmen, als materielles Recht bezeichnet. Das Prozeßrecht ist hier das formelle Recht; es umfaßt jene Rechtssätze, die nur den 78 Vgl.- freilich mit erheblichen Abweichungen in den FormulierungenRosenberg, Lehrbuch, § 1 III 4 (S. 3); Schönke-Schröder-Niese, Zivilprozeßrecht, § 1 IV 2 (S. 17); Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 5 I (S. 17); Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 1 II (S. 2); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 (S. 1); SteinJonas-Pohle, Einl. B (S. 3); Baumbach-Lauterbach, Einl. III 1 A und 2 A. 77 Ob dabei die Sicherung und Durchsetzung der subjektiven Rechte oder die Bewährung der objektiven Rechtsordnung im Vordergrund steht, ist hier nicht von Bedeutung. Vgl. dazu Stein-Jonas-Pohle, Einl. C I (S. 4). 78 Inhaltlich ähnlich ist trotz des anderen Ausgangspunktes - die Abgrenzung bei Sauer, Allg. Prozeßrechtslehre, S. 37 (Prozeßrecht als das gestaltende, materielles Recht als das zu gestaltende Recht). 79 Sie findet sich z. B. bei Nawiasky, Allg. Rechtslehre, S. 13 ff.; Fischer, Recht und Rechtsschutz, S. 5 f.; der Sache nach ähnlich Thon, Rechtsnorm und subjektives Recht, S. 7 ff.
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§ 6 Struktur und systematische Stellung der Beweislastnormen
Weg zur Entscheidung, die Form der Entscheidung, in diesem Sinne das Verfahren regeln. Diese Grenzziehung zwischen materiellem und formellem Recht hat insbesondere Neuner klar formuliert80 • Sie findet sich aber auch sonst81 • Da die Beweislastnormen nicht das Verfahren des Gerichts, sondern den Inhalt der Entscheidung beeinflussen, gehören sie nach dieser Abgrenzung eindeutig zum Bereich des materiellen Rechts. Die nun herausgearbeiteten unterschiedlichen Begriffsbestimmungen, nämlich primäre und sekundäre Normen einerseits, materielle und formelle andererseits, werden in aller Regel nicht klar voneinander geschieden, und zwar weder dem Inhalt noch der Bezeichnung nach. Zum Teil werden beide Begriffspaare nebeneinander angewendet. Dann fallen zum materiellen Recht die Normen, die sowohl primäre wie materielle Rechtssätze sind, zum Prozeßrecht die Normen sekundärer und formeller Natur82 • Diese Kombination trifft in der Tat sowohl auf den Kernbereich des materiellen Rechts wie den des Prozeßrechts zu: Eine Vorschrift des BGB, etwa § 823 I, ist sowohl primäre Norm (Verhaltensnorm) wie materielle Norm (den Inhalt der Entscheidung bestimmend); eine Vorschrift der ZPO, etwa über die Terminsbestimmung (§ 261 ZPO), ist sekundärer und formeller Natur. Bei den . l Beweislastnormen dagegen funktioniert die Verbindung beider Begriffsbestimmungen nicht. Sie fallen nach der einen Abgrenzung zum materiellen, nach der andern zum prozessualen Recht. Hält man dagegen an der Verbindung der Erfordernisse fest, so ergibt sich mit Notwendigkeit, daß die Beweislastnormen weder zum materiellen noch zum Prozeßrecht gehören83 , da sie keine der beiden Kombinationen erfüllen. Die theoretische Betrachtung, um die es hier ging, kann nicht mehr liefern als dieses mehrdeutige Ergebnis. Welche der beiden Begriffsbestimmungen richtig ist, kann nicht allgemein und losgelöst von jeglicher konkreten Rechtsfolge entschieden werden. Beide Definitionsweisen sind logisch möglich, beide sind insofern sinnvoll, als sie VQn richtig erkannten Sachverhalten ausgehen. Daß man sich bei der Behandlung des Qualifikationsproblems über die zugrunde liegenden BePrivatrecht und Prozeßrecht, insbes. S. 6 bis 11. z. B. bei Boehmer, Grundlagen, 1. Buch, S. 95 f.; Schönke-SchröderNiese, Zivilprozeßrecht, § 1 III 3 (S. 11 ff.). 82 Vgl. Boehmer, Grundlagen, 1. Buch, S. 94 ff.; Schmeling, Diss., S. 8 f. ss So Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 II 1 (S. 2 f.), § 69 II (S. 342 ff.); Wieczorek, § 282 E I u. II; Gautschi, Beweislast, S. 36. - Hier sei auch die Sondermeinung von Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, S. 201 f. erwähnt, der die Beweislast zwar zum Prozeßrecht zählt, ihre materielle Bedeutung aber durch die Zuordnung zu den .,Sachgestaltungsmitteln" erklären will. Dagegen Moser, Diss., S. 80 ff.; Schmeling, Diss., S. 78 ff. so 81
III. Systematische Stellung der Beweislastnormen griffe kaum Gedanken machte, dürfte der Grund dafür der Streit so ergebnislos und unfruchtbar geblieben ist.
s~in,
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warum
Die Entscheidung, ob die eine od~r die andere Art der Abgrenzung zu wählen ist, muß fallen, wenn es um bestimmte Rechtsfolgen geht, wenn also ein Rechtssatz an di~ materielle Qualifikation andere Rechtsfolgen knüpft als an die prozessuale. Maßgebend ist dann der Zweck, der mit d~ser verschiedenen Behandlung verfolgt wird, der Grund der Rechtsnorm, die ratio legis. Dies gilt insbesondere für die Einordnung der Bew~islastnormen. Soweit also hier die unterschiedliche systematische Bewertung unterschiedliche Rechtsfolgen bedingt, ist nach dem Sinn und Zweck jener Anknüpfungen zu forschen. Das gilt sowohl für das Problem der Anwendung von Beweislastregeln des a·usländischen Rechts wie für die Behandlung der Beweislastnormen im Sinne des § 559 ZPO {Erfordernis der Rüge im Revisionsverfahren). Aber auch im hier zu untersuchenden Problemkreis der Verweisungen ist so zu verfahren. Es ist an Hand der konkreten Verweisung zu erforschen, ob die Beweislastregeln mit zu übernehmen sind. Wegen der besonderen, zwiespältigen Stellung der Beweislastnormen ist über ihre Anwendbarkeit auch dann noch nicht entschieden, wenn bei der Verweisung ein Wechsel der Verfahrensordnung eintritt.
§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen I. Zum Gegenstand dieses Abschnitts Die genauere Bestimmung des Wesens der gesetzlichen Vermutungen1 wurde schon immer als besonders schwierig empfunden2 • Auch heute bestehen - trotz der eingehenden Untersuchungen Rosenbergs 3 - noch weitreichende Unklarheiten und Meinungsverschiedenheiten über die Wirkungen der gesetzlichen Vermutungen und ihre rechtsbegriffliche Einordnung. So muß eine Klärung dieser Fragen versucht werden, um einigermaßen gesicherte Gr.undlagen für die Behandlung der Vermutungen in einzelnen Verweisungsfällen zu gewinnen. Dabei wird zunächst der üblichen Trennung zwischen Tatsachenvermutungen und Rechtsvermutungen gefolgt. Die Bedeutung dieser Unterscheidung wird später4 geprüft. II. Die widerlegliehen gesetzlichen Tatsachenvermutungen 1. Kritik der Betrachtung als zweiter Tatbestand a) Die Auffassung von Pl6sz
Interessant ist der Versuch, den Pl6sz5 zur Klärung des Begriffs der gesetzlichen Vermutungen unternommen hat. Nach seiner Auffassung stellt die Vermutung eine besondere Ausdruck!sform der gesetzlichen Tatbestandsregelung dar, da es sich um die Aufstellung von zwei Tatbeständen für eine bestimmte Rechtsfolge handle6• Neben den "idealen Tatbestand", den die vermutete Tatsache bildet, tritt der "praktische Tatbestand", nämlich die Ausgangstatsache der Vermutung. Der praktische Tatbestand gilt aber nicht, wenn der Mangel des idealen Tatbe1 Die sog. tatsächlichen Vermutungen liegen außerhalb des Themas dieser Untersuchung. Die primäre Frage ist ohnedies die nach dem Wesen der gesetzlichen Vermutungen. Erst wenn diese beantwortet ist, kann entschieden werden, ob die tatsächlichen Vermutungen dieselbe oder eine ander.e Rechtsnatur haben. 2 Vgl. Burckhard, Präsumtionen, S. 1 f. 3 Beweislast, §§ 15 u. 16 (S. 199 ff.). 4 s. unten III. ' Festschrift f. Wach, 2. Bd., S. 1 ff., anknüpfend an Fitting, ZZP 13, 76, insbes. N. a; Kohl er, Holtzendorff-Kohler, Encyklopädie, 6. Aufl., 2. Bd., S. 112. Ahnlieh auch Betzinger, Beweislast, S. 150; Micheli, L'onere della prova, S. 169 ff. (196 ff.).
e a. a. 0., S. 9.
II. Die widerlegliehen Tatsachenvermutungen
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standes festgestellt ist; er ist also insoweit mit einer Ausnahme versehen'. Die Vermutungen sollen demnach rein materielle Rechtssätze, bloße Formen der Gesetzestechnik darstellen8• Der Ausdruck "Vermutung" läßt dabei den Beweggrund des Gesetzgebers erkennen9• Die Ansicht Pl6szs sei an einem BeispieP 0 verdeutlicht. Die Vermutung für die Rückgabe des Pfandes, wenn der Eigentümer oder Verpfänder im Besitz des Pfandes ist (§ 1253 II S. 1 BGB), soll gleichbedeutend mit folgendem materiellen Rechtssatz sein: Wenn das Pfand im Besitz des Verpfänders oder des Eigentümers ist, so erlischt das Pfandrecht, es sei denn, daß es ihm vom Pfandgläubiger nicht zurückgegeben wozx:len ist.
b) Die Beurteilung durch Rosenberg Di,e wiedergegebene Betrachtungsweise wird von Rosenberg bezüglich der echten Vermutungen entschieden bekämpft11 • Er betont, das Erlöschen des Pfandrechts wezx:le durch die V~rmutung nicht an die Tatsache des Besitzes der Pfandsache geknüpft. Vielmehr bleibe allein die Rückgabe des Pfandes der rechtsvernichtende Umstand. Dies will Rosenberg daraus entnehmen, daß dem Eigentümer oder Verpfänder, wenn er etwa nicht mehr im Besitz des Pfandes sei, weiterhin der Beweis der Rückgabe offen bleibe. Mit dieser Argumentation wizx:l Rosenberg der Meinung Pl6szs jedoch nicht gerecht. Daß auch die Rückgabe des Pfandes, also der vermutete Umstand, Tatbestand der Rechtsfolge (hier des Erlöschens des Pfandrechts) bleibt, wird von Pl6sz keineswegs geleugnet. Seiner Auffassung nach wird ja der ideale Tatbestand (Rückgabe) nicht durch den praktischen Tatbestand (Besitz) verdrängt, vielmehr tritt der zweite Tatbestand neben den ersten. Die oben gegebene Umgestaltung betrifft demnach nur Abs. II S. 1 des § 1253 BGB. Daneben würde auch nach Pl6sz § 1253 Abs. I BGB bestehen bleiben, so daß weiterhin der Beweis der Rückgabe - ohne den Beweis des Besitzes - zur Feststellung des Erlöschens führen würde. Die Begründung der Kritik Rosenbergs ist demnach unrichtig12• a. a. 0., S. 15. s a. a. 0., S. 8, 21. u a. a. 0., S . 15.
1
1o Das von Pl6sz selbst gebrachte Beispiel des § 1591 II BGB wird nicht übernommen, da der Vermutungscharakter dieser Vorschrift wegen des Fehlens einer Voraussetzung zweifelhaft ist (vgl. dazu unten 3 c). Pl6sz selbst trennt § 1591 II zunächst von den echten Vermutungen (S. 10 f.), mißt dann aber dem Unterschied keine Bedeutung mehr zu.- Mit der Wahl des§ 1253 II BGB als Beispiel wird Rosenberg (Beweislast, S. 202 ff.) gefolgt. 11 Beweislast, S. 202 f. Bezüglich der unechten (voraussetzungslosen) Vermutungen stimmt Rosenberg der Auffassung Pl6szs zu (Beweislast, S. 207). 12 Darüber, daß Rosenberg bei konsequenter Durchführung seiner eigenen Auffassungen Pl6sz sogar zustimmen müßte, s. unten 3 a.
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§
7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen c) Eigene Stellungnahme
Zunächst sei die Bedeutung der umformulierten Vermutung auf der gedanklichen Ebene jener Rechtssätze untersucht, die an die Existenz der Tatsachen Rechtswirkungen anknüpfen. Die Vermutung des § 1253 II 1 BGB soll das Erlöschen an den Besitz knüpfen, mit der Ausnahme, daß das Pfand nicht zurückgegeben wurde. Diese Ausnahme ist aber - wenn man nur die Existenz der Tatsachen berücksichtigt - gleichbedeutend mit der Anknüpfung an die Rückgabe. Es liegt nichts anderes vor, als die schon oben besprochene Figur der angeblichen rechtshindernden Tatsachen. Auch hier ist es materiell-rechtlich (d. h. abgesehen von der Frage der Beweislast) völlig gleichbedeutend, ob die Nichtrückgabe als Hinderungsgrund des Erlöschens oder die Rückgabe als positive Voraussetzung festgesetzt ist. Die umformulierte Vermutung würde also die Rechtsfolge an den Besitz und die Rückgabe des Pfandes knüpfen. Stellt man aber diesen Rechtssatz dem Ausgangstatbestand des § 1253 I BGB gegenüber, der die Rechtsfolge an die Rückgabe allein anknüpft, so ergibt sich eine Vermehmng der Rechtsfolgevoraussetzungen. Der zweite Satz, der noch ein zusätzliches Merkmal verlangt, ist daher gegenüber dem ersten überflüssig, ja sinnlos. Er ist in dem ersten bereits enthalten. Wenn das Pfand zurückgegeben wird, erlischt das Pfandrecht, gleichgültig, welche sonstigen Tatsachen noch zusätzlich vorhanden sein mögen, sei es nun der Besitz der Pfandsache oder irgend ein anderer Umstand. Zu einem Rechtssatz, der an die Existenz der Tatsachen Rechtsfolgen anknüpft, wird die Vermutung also durch die Umformuliel'ung nichtl 3 • Vielmehr hat der angebliche zweite Tatbestand erst dann Bedeutung, wenn man die Frage der Beweislast mit berücksichtigt. Er besagt dann, daß die Rechtsfolge der Entscheidung zugrunde zu legen ist, wenn die Ausgangstatsache bewiesen ist und die vermutete Tatsache nicht widerlegt, ihr Nichtvorliegen also nicht bewiesen werden konnte. Diese Bedeutung der Vermutung wil'd durch die Umformung keineswegs auf ihren eigentlichen Grund zurückgeführt. Es wioo lediglich jenes technische Mittel von Regel und Ausnahme verwendet, das sich sonst bei den angeblichen rechtshindernden Tatsachen findet. Am Vorliegen einer Beweislastregelung ändert dieses äußere Bild aber nichts; es führt nicht zu einer 1s In Kurzform wiedergegeben lautet § 1253 I BGB: wenn a (Rückgabe) dann R (Erlöschen des Pfandrechts). Aus § 1253 II 1 würde - nach P16sz -: wenn b (Besitz) und nicht non a (Nichtrückgabe) dann R. Das ist gleichbedeutend mit: wenn b und a dann R. Gegenüber dem ersten Rechtssatz: wenn a dann R ist aber der zweite: wenn a und b dann R ohne eigenen Gehalt, da dies schon der erste Rechtssatz aussagt!
II. Die widerlegliehen Tatsachenvermutungen
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sachlichen Einbeziehung in das materielle Recht i. e. S. Bei den rechtshindernden Tatsachen dient die Wahl der Fassung dazu, die an die Existenz der Tatsachen anknüpfende Norm und die Beweislastregel zugleich zum Ausdruck zu bringen. Da bei den Vermutungen keine neue materielle Norm vorliegt, dient die entsprechende Formulierung nicht einmal der Abkürzung. Gewiß, man kann aueh diese Form noch richtig, nämlich als Beweislastregel verstehen. Aber das war nicht die Absicht Pl6szs. Er strebte eine Eingliederung in das rein materielle Recht an, wie er sie an anderer Stelle14 auch für die gewöhnlich~n Tatbestandszerlegungen behauptete. Dabei werden die beiden Ebenen der wahren Tatsachenlage und der prozessualen Beweislosigkeit nicht voneinander getrennt. Zu Unrecht stellt Pl6sz die widerlegliehen Vermutungen den Fiktionen und den unwiderleglichen Vermutungen gleich15 ; diese nämlich greifen bereits auf der Ebene der Tatsachenexistenz ein. Auch die Meinung Ploszs, die Rechtsfolge könne deshalb materiell nicht an die vermutete Tatsache angeknüpft sein, weil diese durch die Vermutung nicht als wahr festgestellt werde16, verkennt das Verhältnis von materieller Norm und BeweislastregeL Daß die Vermutung nicht zu einer Tatsachenfeststellung führt, ist auch die hier vertretene Auffassung17. Aber das ist auch nicht erforderlich. Während das materielle Recht an das Vorliegen einer Tatsache den Eintritt einer Rechtsfolge, an das Nichtvorliegen den Nichteintritt knüpft, bestimmt die Beweislastregel, wie bei non liquet zu entscheiden ist, ohne daß dazu das materieUe Recht ergänzt werden müßte. Da·s ist bei den Vermutungen nicht anders als bei gewöhnlichen Beweislastregeln. Der Versuch, die Vermutungen als zweite Tatbestände zu erklären, ist nach alledem verfehlt.
2. Die widerlegliehen gesetzlichen Tatsachenvermutungen als Beweisregeln oder Beweislastregeln ·
a) Die Wirkung der Vermutungen als entscheidendes Kriterium für die Einordnung Die sonstigen Ausführungen über das Wesen der gesetzlichen Tatsachenvermutungen bieten auf den ersten Blick ein recht vielfältiges Bild. Bei näherem Zusehen lassen sich jedoch die vertretenen Ansieh14 Vorträge, S. 38 f. t5 Festschrift f. Wach, S. 8. te a. a. 0 ., S . 22 ff. 17 s. unten 2 d.
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
ten auf die Alternative BeweisregeP8 oder BeweislastregeP9 zurückführen. Die begriffliche Scheidung dieser beiden Normarten scheint zunächst wenig Schwierigkeiten zu bieten. Beweisregeln sind Rechtsnormen, die den Beweiswert bestimmter Beweismittel festlegen20 • "Sie führen zur Feststellung der Wahrheit oder Unwahrheit einer Behauptung ohne Rücksicht auf die richterliche Überzeugung, sofern nur die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen das Gesetz die Feststellungswirkung ~bhängig gemacht hat" 21 • Die Beweisregeln führen also zum Beweis, zur prozessualen Tatsachenfeststellung22 • Dagegen kommen die Beweislastregeln erst zur Anwendung, wenn weder der Beweis einer Tatsache noch der Beweis ihres Nichtvorliegens erbracht wurde. Die Beweislastregeln bestimmen dann, wie zu entscheiden ist, ohne zu einer Tatsachenfeststellung zu führen23 • Der Inhalt der Beweislastregeln kann lediglich in Form eino Vom 30. 1.1877, RGBl. 1877, S. 244. 4U Materialien zum BGB, I. Bd., S. CIX.
II. Die widerlegliehen Tatsachenvermutungen
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gen41 • Die Vermutungswirkung sollte darin mit den Worten gekennzeichnet werden, vermutete Tatsachen bedürften keines Beweises. Jedoch enthielt der schließlich im Entwurf eines Gesetzes betreff Änderungen der ZPO unter Nr. 76 aufgeführte § 264 a 42 diese Regelung nicht mehr, sondern beschränkte sich auf die Festlegung der Zulässigkeit des Gegenbeweises. In dieser Form wurde § 264 a Gesetz43 • Über die Gründe, aus denen eine Umschreibung der Vermutungswirkung schließlich weggelassen wurde, ·geben die Materialien keinen Aufschluß. Jedenfalls kann man aus dem Wegfall der ursprünglich geplanten Bestimmung nicht entnehmen, daß der Gesetzgeber eine andere Rechtswirkung der Vermutungen einführen wollte44 • Ein derartiger Änderungswille wäre gewiß durch eine neue, anderslautende Vorschrift klar zum Ausdruck gebracht worden. Vielmehr liegt es näher, daß die in§ 198 EI und dann in § 264 a ZPO vorgesehene Regelung nur deshalb wegfiel, weil der Gesetzgeber die dort statuierte Wirkung für selbstverständlich erachtete 45 • Man könnte also eher von einer stillschweigend bestimmten Geltung der geplanten Regelung ausgehen. Aber auch dieser Standpunkt kann die Frage nicht klären. Gerade die zuletzt vorgesehene Formulierung (§ 264 a ZPO) gibt nämlich keinen Aufschluß darüber, ob die Vermutung beweisschaffende oder beweislastregelnde Wirkung haben sollte. In beiden Fällen bedarf die vermutete Tatsache keines Beweises, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist. Auch die Wendung des§ 198 EI ließ bereits Zweifel zu, denn die Worte "gilt für erwiesen" lassen sich wegen ihrer Nähe zu einer Fiktion der Feststellung auch mit dem Verständnis als Beweislastnorm in Einklang bringen46 • Der Streit über die Wirkung der Vermutung hat sich denn auch nicht erst am Fehlen einer Bestimmung in BGB oder ZPO entzündet, sondern bestand schon seit langer Zeit47 •
c) Keine Klärung aus dem Wortsinn Da eine gesetzliche Bestimmung der Vermutungswirkung fehlt, liegt es nahe, sie aus den gebrauchten Worten "Vermutung" und "wird verProtokolle, Bd. I, S. 264. Materialien zu den Reichs-Justizgesetznovellen, 1. Bd., S. 25. Gesetz betr. Änderung der CPO v. 17. 5.1898, RGBI. 1898, S. 256 (271). In der Neubekanntmachung der CPO vom 20. 5. 1898 (RGBI. 1898, S. 410) erhielt § 264 a dann - ohne inhaltliche Änderung - die heutige Bezeichnung § 292. 44 So aber anscheinend Rosenberg, Beweislast, S. 218 f. 45 Vgl. schon Hedemann, Vermutung, S. 127; Johannssen, Diss., S. 19 f.; Goldmann, Diss., S.l9; Hecke!, Gruchot 58, 636. Hedemann (ebenso Johannssen) bezeichnet als möglichen Grund der Streichung die Kritik Seufferts, ZZP 22, 332 (Nr. 24) an § 264 a. Seuffert hatte § 264 a als entbehrlich bezeichnet und gefragt, was eine Vermutung denn sonst bedeuten solle. 46 Vgl. oben § 6 II 4. 47 Vgl. Burckhard, Präsumtionen (1866), S. 315 ff. 41
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
mutet" erschließen zu wollen. Zunächst scheint das Wort "Vermutung" gegen die Betrachtung als Beweisregel zu sprechen. Man könnte nämlich sagen, etwas vermuten bedeute, etwas für wahrscheinlich halten, aber auch nur für wahrscheinlich und damit gerade nicht für erwiesen. Aber wenn man sich mit diesem Verständnis des Vermutens begnügen würde, so hätten die gesetzlichen Vermutungen üb€rhaupt keine Rechtswirkung. Denn an die bloße Wahrscheinlichkeit einer Tatsache knüpfen sich k·eine Rechtsfolgen. Man muß hier vielmehr berücksichtigen, daß das Wort "Vermutung" doppe1deutig ist48 • Gewiß bezeichnet es einerseits das bloße Für-wahrscheinlich-Halten einer Tatsache, aber andererseits meint es auch das vorläufige, bedingte Als-gegeben-Annehmen. Dieser zweite Sinn wird durch das Wort "Annahme" besser gekennzeichnet. Diese Bedeutung greift über die bloße Vorstellung hinaus; hier wird das Angenommene, Vermutete zur (vorläufigen) Grundlage eines Tuns (im weitesten Sinne, also auch eines Denkaktes). Die Bedeutung des lateinischen Wortes "praesumptio", als dessen Übersetzung das Wort "Vermutung" in die deutsche Rechtssprache gelangt sein dürfte 49 , wird ebenfalls mit Vermutung und Annahme wiedergegeben50. Sprachlich liegt das Wort "Annahme" im Hinblick auf die Ableitung der "praesumptio" von "sumere" (nehmen) sogar näher. Bei der gesetzlichen Vermutung kann nur die Bedeutung der "Annahme" gemeint sein. Nur dann wird die Vermutung rechtlich erheblich. Es geht nicht darum, daß der Richter eine Tatsache bloß für wahrscheinlich halten soll. Die gesetzliche Vermutung soll vielmehr die Grundlage seiner Entscheidung darstellen: Die angeordnete "Annahme" - etwa der Rückgabe des Pfandes in § 1253 II BGB -soll zur Bejahung der jeweiligen Rechtsfolge, hier also des Erlöschens des Pfandrechts führen. Aber der genaue Inhalt dieser "Annahme" bleibt dennoch offen. Sie kann sowohl auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung wie auf dem Gebiet der Entscheidung über die Rechtsfolge liegen. Die Vermutung kann den Richter anweisen, seine Entscheidung auf die Wahrheit, das Vorliegen der Tatsache zu gründen, oder sie kann unmittelbar die Annahme des Vorliegens der Rechtsfolge bestimmen. Aus 48 Vgl. die ähnlichen Ausführungen von Eckstein, Gruchot 57, 633 f., 642. Seine Ansicht, es gäbe auch zwei verschiedene rechtliche Begriffe (Vermutung und Annahme), ist freilich nicht haltbar. Insoweit zutref~end Hecke!, Gruchot 58, 636 f. Dagegen wird die Mehrdeutigkeit des Wortes "Vermutung" von Heckel (S. 635) verkannt. 49 So jedenfalls Hedemann, Vermutung, S. 44. Zum Begriff der praesumtio im römischen Recht vgl. Kiefner, ZRG Rom. Abt., 79 (1962), S. 305 f. (mit Literaturhinweisen). so Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 9. Aufl., Basel 1951, 2. Bd., Spalte 1889 (praesumptio, unter b). - Burckhard, Präsumtionen, S. 114 ff., 118 versteht die praesumtio in den römischen Quellen als ein Vorwegannehmen.
II. Die widerlegliehen Tatsachenvermutungen
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dem Wortsinn also läßt sich die hier gestellte Frage, ob die gesetzlichen Vermutungen als Beweisregeln oder als Beweislastregeln zu betrachten sind, nicht beantworten.
d) Entscheidung für die Betrachtung als Beweislastregeln Mittelbar läßt sich aus dem Gesetz jedoch entnehmen, daß der Gesetz.geber die Vermutungen nicht mit den gesetzlichen Beweisregeln gleichstellen wollte. Gemäß § 292 S. 2 ZPO kann der Gegenbeweis gegen eine gesetzliche Vermutung durch den Antrag auf Parteivernehmung geführt werden 51• Nach § 445 II ZPO ist der Antrag auf Parteivernehmung nicht zu berücksichtigen, wenn das Gericht das Gegenteil der zu beweisenden Tatsache bereits für erwiesen erachtet. Aus der Gegenüberstellung beider Vorschriften ergi:bt sich zunächst zwar nur, daß das Gesetz die Wirkung der gesetzlichen Vermutung jedenfalls nicht als Erwiesensein im Sinne des § 445 II ZPO betrachtet, anders als die Wirkung gesetzlicher Beweisregeln. Aber damit kommt auch zum Ausdruck, daß das Gesetz von einer Wesensverschiedenheit zwischen Beweisregel und gesetzlicher Vermutung ausgeht. Der Grund der Bestimmung § 445 II ist doch wohl der, daß der Beweis durch Parteivernehmung vom Gesetzgeber als recht unzuverlässig, als Notbehelf angesehen wird. Deshalb soll die Parteivernehmung nicht neben oder gegen andere Beweismittel gestellt werden, die für sich schon Beweis erbringen könnten. Es wird also der Parteivernehmung nur ein Beweiswert zweiten Ranges zugewiesen. Sie soll nicht in Abwägung mit der Beweiskraft anderer Beweismittel treten. Der eigentliche beweisende Wert, d. h. die Eignung, die Überzeugung des Richters zu begründen, soll anderen Beweismitteln nicht durch die Parteivernehmung genommen werden können. Dadurch nun, daß der Gesetzgeber den gesetzlichen Vermutungen keinen solchen Schutz zukommen läßt, bringt er auch sachlich zum Ausdruck, daß er den gesetzlichen Vermutungen keine beweisende Wirkung zugesteht. Dieser Vorstellung entspricht allein ihre Betrachtung als Beweislastregeln. Dieses Ergebnis wird durch den Blick auf den Hintergrund der Vermutungen bestärkt. Die Konstruktion als Beweisregeln, die zur Wahrheitsfeststellung führen, wäre nur gerechtfertigt, wenn die Vermutungen durchgängig gesetzliche Festlegungen von an sich schon begründeten Wahrscheinlichkeitsschlüssen wären. Das aber ist durchaus nicht immer der Fall. Schon das Beispiel des § 1253 II S. 1 BGB vermag dies zu zeigen. Die Tatsache des Besitzes hat nach der Lebenserfahrung kaum beweisende Kraft, wenn sich die entgegengesetzten Behauptungen der Parteien (Rückgabe - eigenmächtige Wegnahme) gegenüberstehen. Es würde ohne § 1253 II S. 1 BGB wohl kaum ein Richter auf 51
Ähnlich wie hier schon Rosenberg, Beweislast, S. 220.
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
den Gedanken kommen, !eine Beweiswürdigung entscheidend auf den Besitz des Beklagten zu stützen. Die Anknüpfung der Beweislastregel an den Besitz hat weniger eine lebensmäßige Wahrscheinlichkeit als vielmehr den Schutz der bestehenden tatsächlichen Lage zum sachlichen Grund. Im Falle der sog. Kommorientenvermutung (§ 11 VerschG) stellt das gleichzeitige Versterben gewiß die unwahrscheinlichste der denkbaren Möglichkeiten dar52 • Die Ausgangstatsache (Tod oder Todeserklärung zweier Personen) eignet sich nicht als Indiz für die vermutete Tatsache. Sie würde - anders als bei einer echten Beweisregel - im Rahmen einer Beweiswürd1gung nicht auftauchen können. Dagegen kann bei wahren Beweisregeln - etwa in den Fällen der §§ 415 ff. ZPO - über den Gegenbeweis nicht entschieden werden, ohne den Beweiswert des Beweismittels (z. B. der Urkunden) in die Beweiswürdigung, in die Abwägung des Für und Wider einzubeziehen. Daß die gesetzlichen Vermutungen zum Teil auch auf Wahrscheinlichkeitserwägungen beruhen (z. B. die Vaterschaftsvermutungen der §§ 1717, 1720 BGB), steht umgekehrt der Beurteilung als Beweislastregeln nicht entgegen, denn auch die besonderen Beweislastregeln stützen sich in zahlreichen Fällen auf solche Gesichtspunkte53• Gegen die Betrachtung der gesetzlichen Vermutungen als Beweisregeln spricht ferner, daß sie nur Bezug auf eine bestimmte Tatsache haben. Echte gesetzliche Beweisregeln lassen den Inhalt der Tatsachen, die sie beweisen können, in gewissem Umfang offen54• Sie müssen dies auch tun, denn das Gesetz kann ja mit der Wirkung des Beweismittels nicht vorausbestimmen, wie diese konkret aussieht, d. h. auf welche Realität sie sich beziehen soll. Wenn also durch eine Beweisregel der Beweiswert einer Urkunde festgelegt wil'ld, so wird erst durch die konkrete Urkunde bestimmt, auf welche Tatsachen sich der Beweis bezieht. Dagegen ist in den gesetzlichen Vermutungen immer schon die vermutete Tatsache angeführt, für die allein die Vermutung gilt. Da aber das Gesetz die Tatsachen nicht konkret bestimmen kann (Rückgabe am ... in ... um ... Uhr), zeigt sich, daß das Vermutete in Wirklichkeit keine Tatsache ist. In Wahrheit sind die Vermutungen nicht auf Tatsachen, sondern auf Tatbestandsmerkmale gerichtet. Indem sie den Richter anweisen, seiner Entscheidung das Gegebensein eines Tatbestandsmerkmalszugrunde zu legen, liegt ihre Wirkung nicht auf dem Feld der Tatsachenfeststellung, sondern auf dem der Rechtsfolge-Entscheidung. Das wird noch deutlicher durch die Beobachtung, daß die Vermutung häufig nur für bestimmte Tatbestände gilt, nur für einzelne der Rechtss2 Der Sache nach wie der Text schon Pl6sz, Festschrift f . Wach, 2. Bd., S. 6 f. Vgl. auch Sacco, Rivista di Diritto Civile, 1957, 409. sa Vgl. oben § 5 IV 2. s. Ähnlich die Argumentation bei Rosenberg, Beweislast, S. 221 o.
Il. Die widerlegliehen Tatsachenvermutungen
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folgen, die an die vermutete "Tatsache" anknüpfen würden. Nach § 1253 II S. 1 BGB wird die Rückgabe nur insoweit vermutet, als es um das Erlöschen des Pfandrechts geht. War etwa der Pfandgläubiger treuhänderischer Inhaber der gesicherten Forderung, und verlangt sein Hintermann nun Schadensersatz, weil der Treuhänder das Pfand vorzeitig zurückgegeben habe, so gilt insoweit die Vermutung der Rückgabe nicht. Vielmehr ist die Schadensersatzklage abzuweisen, wenn offen bleibt, ob der Treuhänder das Pfand zurückgegeben hat und damit seine Pflichten verletzt hat, oder ob der Eigentümer sich das Pfand eigenmächtig geholt hat. Die Vermutung des § 484 BGB, daß der Hauptmangel beim Viehkauf schon bei Gefahrübergang vorgelegen habe, gilt nur für die Gewährleistungsansprüche des Käufers. Wenn der Verkäufer seinerseits gegen seinen Lieferanten Ersatzansprüche geltend macht, so muß er beweisen, daß die Erkrankung schon vor dem Weiterverkauf vorgelegen hat. Für die hier nötigen tatsächlichen Feststellungen bleibt § 484 BGB völlig außer Betracht. Diese Beschränkung der Vermutungen auf einzelne Tatbestände und damit Rechtsbeziehungen ließe sich nicht verstehen, wenn die Wirkung der Vermutungen auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung liegen würde. Die Beweiskraft müßte dann in jedem der genannten Fälle wirken. Dagegen steht die Begrenzung auf bestimmte Rechtsfolgen durchaus im Einklang mit dem Verständnis als Beweislastregeln55 • Da in Wahrheit keine echten Tatsachen vermutet werden, kommt es auch- anders als bei den Beweisregeln-nicht zu einer Subsumtion der vermuteten "Tatsache" 56 . Daß die Vermutungen unmittelbar die Annahme eines Tatbestandsmerkmals für die Entscheidung anordnen, stimmt mit der herausgearbeiteten Wirkung der Beweislastnormen überein 5 i. Der Erwägung, die Vermutungen bezögen sich genau besehen nicht auf Tatsachen sondern auf Tatbestandsmerkmale, könnte man immerhin entgegenhalten, es weDde die im jeweiligen Prozeß behauptete Tatsache vermutet. Diese Auffassung ist aber nur dann durchführbar, wenn in allen Anwendungsfällen der Vermutung die Behauptung der (konkreten) vermuteten Tatsache vorliegen muß. Das ist der Fall, sofern die gesetzlichen Vermutungen die Behauptungslast für die vermutete Tatsache unbeeinflußt lassen. Gesetzliche Beweisregeln ändern an der Behauptungslast nichts. Ohne Behauptung der zu beweisenden Tatsache können sie nicht angewendet werden. Es besteht also folgender Zusammenhang zwischen der Frage nach der Wirkung der gesetzlichen Vermutung bezüglich der Behauptungslast und der Frage, ob sie Vgl. oben § 6 II 2. Rosenberg, Beweislast, S. 221. .n Vgl. oben § 6 II 4. ->5
sa
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
als Beweisregeln oder als Beweislastregeln anzusehen sind: Nur wenn die Vermutungen die Behauptungslast für die vermutete Tatsache unberührt lassen, können sie als Beweisregeln verstanden werden58• Wenn dagegen auch die Behauptung der vermuteten Tatsache entbehrlich ist, dann müssen die Vermutungen schon deshalb Behauptungsund Beweislastregeln sein. Nun ist die Frage, ob die vermutete Tatsache trotz der Vermutung behauptet werden muß59 oder ob die Vermutung auch die Behauptungslast umkehrt, so daß die Behauptung der Vermutungsbasis genügt60, seit langem bestritten. Diese Unklarheit ist gewiß für die Schwierigkeit der Einordnung der Vermutungen mitverantwortlich. Freilich wird der Zusammenhang der Fragen kaum klar erkannt61 . Die praktische Bedeutung der Behauptungslast ist im modernen Zivilprozeß nicht sonderlich groß. Die Aufklärungs- und Fragepflicht des Richters (§ 139 ZPO) sowie die Pflicht der Parteien zu Vollständigkeit und Wahrheit (§ 138 I ZPO) führen dazu, daß in der Regel kein Mangel an den erforderlichen Behauptungen besteht. Immerhin wird die Verteilung der Behauptungslast im Versäumnisfalle erheblich. Da hier die unterlassene Behauptung nicht sofort nachgeholt werden kann (§ 335 I Nr. 3 ZPO), kommt es darauf an, ob die Behauptung der Vermutungsbasis genügt, oder ob auch die vermutete Tatsache behauptet werden muß. Die Wirkung der gesetzlichen Vermutungen kann nicht einfach dadurch auf die Behauptungslast erstreckt werden, daß man sagt, sie seien als Rechtsregeln vom Richter nach dem Grundsatz "iura novit curia" anzuwenden, und die Rechtsfolge sei dann eben die Vermutung ss Sie können aber auch in diesem Fall Beweislastregeln sein. Die eingangs gebrachten Argumente gegen die Betrachtung als Beweisregeln bleiben von der Frage der Behauptungslast unberührt. so So Burckhard, Präsumtionen, S. 368; Hedemann, Vermutung, S. 283 ff.; Beckh, Beweislast, S. 90; Mosbacher, Beweislastlehre, S. 84 u. 88; Leonhard, Beweislast, S. 236; Kreß, Beweislast, S. 123 N. 2; Wach, ZZP 29, 373 (für § 1717 BGB); Schollmeyer, ZZP 12, 283 f.; Endemann, Bürgerliches Recht, 1. Bd., S. 481 N. 11; Förster-Kann, § 292, 3; Seuffert-Walsmann, § 292, 3 b; Schühly, Diss., S. 3; Goldmann, Diss., S. 27 ff.; Warlo, Diss., S. 67; Zendig, Diss., S. 31 f.; Rüegg, Diss., S. 47 ff., 50; Serra Dominguez, Norinas de presunci6n, S. 150. 6o So Rosenberg, Beweislast, S. 218, ders. ZZP 37, 321 (gegen Hedemann); P16sz, Festschrift f. Wach, 2. Bd., S. 28 f., 33; Dänzer, Tatsächliche Vermutung, S. 125 mit N. 63; Kohler, Holtzendorff-Kohler, Encyklopädie, 6. Aufl., Bd. II, S. 112; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 292 II 2; Wieczorek, § 292 A; Baumbach-Lauterbach, § 292, 2 A; Thomas-Putzo, § 292, 2 a; Kuhn, Beweislast, 8.105; Guldener, Beweislast, S. 21 N. 62; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 358; Sacco, Rivista di Diritto Civile, 1957, S. 417; Johannssen, Diss., S. 56; Siegrist, Diss., S. 245. 61 Daß es der Betrachtung als Beweisregel entgegensteht, wenn die vermutete Tatsache nicht behauptet zu werden braucht, sieht Pl6sz, a. a. 0., S. 33 unten.
II. Die widerlegliehen Tatsachenvermutungen
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der Tatsache62. Denn die Frage nach der Auswirkung auf die Behauptungslast betrüft nicht den Rechtsnormcharakter der gesetzlichen Vermutungen, sondern die Frage, welche tatbestandliehen Voraussetzungen für die Vermutungswirkung bestehen. Wenn die Vermutung die Behauptungslast unberührt läßt, so gehört eben die schlüssige Behauptung zum Tatbestand der Vermutungsnorm; nur dann ist diese anwendbar. Auch Beweisregeln sind ja unzweifelhaft Rechtsnormen; dennoch kommen sie erst zum Zug, wenn die Tatsache, rderen Beweis sie liefern können, im Prozeß behauptet worden ist. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Wirkung der Vermutungen auf die Behauptungslast fehlt. Es fällt schwer, Argumente für die eine oder die andere Auffassung zu finden. Jedenfalls taucht die Voraussetzung einer Tatsachenbehauptung im Wortlaut der Vermutungsvorschriftennicht auf. Vielmehr wird die Vermutung schlechthin angeordnet. Ferner sollen die Vermutungen nach dem Willen des Gesetzgebers ersichtlich auch dann gelten, wenn die begünstigte Partei ehrlicherweise die vermutete Tatsache nicht behaupten könnte, da sie selbst keine Kenntnis zu erlangen vermag63 • Das wird besonders im Fall der Kommorientenvermutung (§ 11 VerschG) und im Fall der Vaterschaftsvermutungen (z. B. §§ 1717, 1720 BGB) deutlich. Schließlich spricht bei den Rechtsvermutungtn alles für eine Befreiung von der Behauptungslast bezüglich der rechtsfolgebegründenden Tatsachen64. Auch deshalb liegt es nahe, den - vom Gesetz ebenso formulierten - Tatsachenvermutungen dieselbe Wirkung zuzuschreiben. Sie kehren demnach die Behauptungs1ast um und sind auch dann anzuwenden, wenn nur die Vermutungsbasis .b ehauptet (und bewiesen) ist. Aus all diesen Gründen sind die gesetzlichen Vermutungen als Beweislastregeln, nicht als Beweisregeln anzusprechen. Diese Auffassung ist auch in der heutigen Literatur im Vordringen65 • Darin drückt sich gewiß die generelle Abneigung des modernen Prozessualisten gegen gesetzliche Beweisregeln aus. Die umfassende Anerkennung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung führt zu einer dogmatischen Son62 So aber Rosenberg, Beweislast, S. 217 f.; Dänzer, Tatsächliche Vermutung, S. 125 N. 63 ; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 292 II 2; Kuhn, Beweislast, S. 105; Guldener, Beweislast, S. 21 N. 62; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 358; Siegrist, Diss., S. 245 f. - Auf dieses schiefe Gleis geriet die Diskussion durch die verfehlte Begründung Hedemanns (Vermutung, S. 285), die Anwendung der Vermutungen sei keine Rechtsanwendung. Daß die gesetzlichen Vermutungen Rechtsnormen sind und die Beachtung ihrer Wirkung daher Rechtsanwendung, kann aber nicht ernsthaft bestritten werden. 63 Vgl. schon Pl6sz, a. a. 0., S. 29. 64 s. unten III 2 a. os Vgl. die Nachweise oben N. 19.
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derung der Frage des Beweises von anderen, benachbarten Rechtsinstituten, deren Wirkung sinnvollerweise nicht auf dem Gebiet der Tatsachenfeststellung, sondern erst auf dem der Entscheidung über die Rechtsfolge gesehen wird. 3. Das Verhältnis der gesetzlichen Tatsachenvennutungen zu den sonstigen Beweislastregeln
a) Zur Auffassung RosenbeTgs über die Wirkung der gesetzlichen VeTmutungen Wird die Wirkung der gesetzlichen Vermutungen als eine Regelung der Beweislast erklärt, so bleibt die Frage, wie die Vermutungen von den sonstigen Beweislastregeln abzugrenzen sind und ob eine solche begriffliche Scheidung überhaupt Sinn hat. In der Darstellung Rosenbergs zeigt sich ein Unterschied in der Wirkung der gesetzlichen Vermutung im Vergleich mit den allgemeinen Beweislastregeln. Er verneint zwar die beweisende Wirkung der gesetzlichen VermutungenG6 , geht aber davon aus, daß ein gesetzlicher Schluß auf das Vorliegen der vermuteten Tatsache oder - ohne auf den Unterschied einzugehen - des Tatbestandsmerkmals vorliege67 • Die vermutete Tatsache soll der Richter ohne Beweis dem Urteil zugrunde legen°8 • Diese Wirkung der gesetzlichen Vermutungen erscheint Rosenberg offenbar als selbstverständlich. Dennoch bezeichnet er die Vermutungen im Hinblick auf ihre Wirkung als Beweislastregeln69 . Er übersieht dabei jedoch die Abweichung von seiner eigenen Grundansicht über die Beweislast. Die Beweislastentscheidung soll sich ja nach Rosenberg aus der Unamvendbarkeit der Norm ergeben, deren Voraussetzungen nicht bewiesen werden konnten70 • Diese Theorie durchzuhalten, ermöglicht ihm die Konstruktion der rechtshindernden Normen. Bei den Vermutungen dagegen behauptet Rosenberg selbst nicht, daß sie zur Nichtanwendbarkeit einer Norm führen. Wie die oben angeführten Formulierungen zeigen, erkennt er an, daß die Norm, deren Voraussetzung zweifelhaft geblieben ist, auf Grund der Vermutung Beweislast, S. 218 ff. a . a. 0., S. 203. os a. a. 0., S . 211. 69 a. a. 0., S. 216. Die Abgrenzung von den ge>vöhnlichen Beweislastregeln erfolgt bei Rosenberg nicht nach der Rechtsfolge (Wirkung), sondern auf Grund der Voraussetzungsgebundenheit der echten Vermutungen (S. 202 ff.). Daß die Vermutungen keine Ausnahme von der allgemeinen Beweislastverteilung herbeiführen (S. 216 u. 217), wird im Hinblick auf die Beweislast für die Voraussetzungen gesagt. Anders stünde diese Bemerkung freilich in direktem Widerspruch mit der Bezeichnung der Vermutungen als Beweislastregeln! ;o a. a. 0 ., insbes. S. 12, 98 f . 66 67
II. Die widerlegliehen Tatsachenvermutungen
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zur Anwendung gelangt. Er akzeptiert, daß etwa § 1253 II S. 1 BGB im Falle des non liquet über die Rückgabe zur positiven Anwendung des § 1253 I und so zur Feststellung des Erlöschens des Pfandrechts führt 71 • Diese Unstimmigkeit bei der Einordnung der gesetzlichen Vermutungen im Rahmen der Normentheorie ließe sich nur dadurch beheben, daß man die Vermutungen in rechtsbegründende und rechtshindernde Normen auflöste. Die Vermutungsbasis wäre dann rechtsfolgebegründend, das Nichtvorliegen der vermuteten Tatsache dagegen rechtsfolgehindernd. Gelingt der Gegenbeweis gegen die Vermutung, nämlich der Beweis des Nichtvorliegens der vermuteten Tatsache, nicht, so wäre die rechtsfolgebegründende Norm anzuwenden, die rechtsfolgehindernde dagegen nicht. Das wäre nichts anderes als der Weg, den Pl6sz mit seiner Umformulierung der Vermutungen zu materiellen Tatbestandsregelungen gegangen ist72 • Im Falle des § 1253 II 1 BGB wäre erlöschensbegründend der Besitz, erlöschenshindernd die Nichtrückgabe. Bleibt die Nichtrückgabe unbewiesen, so ist die rechtshindernde Norm unanwendbar, so daß es beim Erlöschen als der Wirkung der rechtsfolgebegründenden Norm sein Bewenden hat. Rosenberg müßte diese Konstruktion (ebenso wie bei den voraussetzungslosen Vermutungen) übernehmen, um in Einklang mit seiner allgemeinen Auffassung über die Wirkung einer Beweislastregel zu bleiben- oder er müßte die gesetzlichen Vermutungen ihrer Wirkung nach von den Beweislastregeln scheiden. b) Die Übereinstimmung der Wirkung von Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen Nach der hier vertretenen Auffassung dagegen begnügen sich schon die allgemeinen Beweislastregeln nicht mit dem Nichts, mit der bloßen Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm. Sie ordnen vielmehr an, bei tatsächlicher Unklarheit zu entscheiden, als ob das fragliche Tatbestandsmerkmal erfüllt (oder nicht erfüllt) sei und bestimmen so entweder die positive oder die negative Anwendung der Norm. Die Worte, eine Tatsache a werde vermutet, bedeuten nichts anderes als die Anordnung: Wenn die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals a unklar bleiben, so ist zu entscheiden, als ob das Tatbestandsmerkmal gegeben sei. Die gesetzlichen Vermutungen stimmen somit in ihrer Wirkung vollständig mit den sonstigen Beweislastregeln überein. Die gesetzlichen Vermutungen bestimmen Abweichungen von den Beweislastgrundregeln; sonst wären sie ja sinnlos. Sie ordnen entweder an, daß den, der eine Rechtsfolge verneint, die Beweislast für das n a. a. 0., S. 202 f. n s. dazu oben 1.
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
Nichtvorliegen einer rechtsbegründenden Tatsache trifft (so im Falle des § 938 BGB), oder daß der Rechtsprätendent den Nichteintritt einer rechtsvernichtenden Tatsache zu beweisen hat (so § 1253 II 1 BGB). Sie decken sich insoweit mit den besonderen Beweislastregeln, den sog. rechtshindernden Tatsachen. Während nach der Grundregel zu entscheiden ist, als ob das rechtsbegründende oder -vernichtende Merkmal nicht erfüllt wäre, ergeben die gesetzlichen Vermutungen und die besonderen Beweislastregeln, daß zu entscheiden ist, als ob der rechtsbegründende oder rechtsvernichtende Umstand positiv vorläge. Ihre Wirkung ist die positive Annahme, während die Grundregeln die negative Annahme ergeben. Von dieser Beobachtung ausgehend ist es verständlich, daß auch bei gewöhnlichen besonderen Beweislastregeln von Vermutungen gesprochen wird, etwa bei der Auferlegung der Beweislast für das Nichtverschulden durch § 282 BGB73 oder §§ 831, 833 S. 2, 834 und 836 BGB74 • Man könnte alle besonderen Beweislastnormen unter dem Begriff der gesetzlichen Vermutungen zusammenfassen.
c) Die gesetzlichen Vermutungen als voraussetzungsgebundene Beweislastregeln Der heutigen Verwendung in den Gesetzen, insbesondere im BGB, ist jedoch ein engerer Gebrauch des Begriffs Vermutung angemessen. Denn diese Bezeichnung wurde ja doch überlegterweise nicht für alle besonderen Beweislastregeln verwendet. Vielmehr sind die echten gesetzlichen Vermutungen von den übrigen besonderen Beweislastregeln dadurch zu unterscheiden, daß sie an das Vorliegen besonderer, tatbestandsfremder Voraussetzungen geknüpft sind. Insoweit ist Rosenberg75 in vollem Umfang zuzustimmen. Diese Eigenart im Tatbestand der Normen bedeutet einen erheblichen sachlichen Unterschied von den allgemeinen Beweislastregeln. Die Wirkung der gesetzlichen Vermutungen ist nur für bestimmte Fälle vorgeschrieben. In allen übrigen Fällen bleibt die allgemeine Beweislastregel in Kraft. Ist der Beklagte nicht im Besitz der Pfandsache, so muß er die Rückgabe als Voraussetzung des Erlöschens nach der allgemeinen Regel beweisen. Daß die Vermutung an zusätzliche tatbestandliehe Voraussetzungen 73 BGHZ 5, 23 (26). 74 Geige!, Haftpflichtprozeß, S. 874 :f'. 75 Beweislast, S. 203 ff. (eingehend). Ähnlich Regelsberger, Pandekten, 1. Bd., S. 697 f.; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 67 II 2 b (S. 335); Johannssen, Diss., S. 102; Serra Dominguez, Normas de presunci6n, S. 91; Schmeling, Diss., S. 104 (unentschieden aber S. 42 N. 2); unklar Hedemann, Vermutung, S. 127 u. 282. Gegen die Notwendigkeit einer (tatbestandsfremden) Voraussetzung Leonhard, Beweislast, S. 233, 235; Walsmann, ZHR 87, 491; Wieczorek, § 292 A I; Sacco, Rivista di Diritto Civile, 1957, S. 408; Rüegg, Diss., S. 44; Lepa, Diss., S. 124 f.
II. Die widerlegliehen Tatsachenvermutungen
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gebunden ist, führt also zu einer Zweigleisigkeit der Beweislastregelung. Es hat ferner zur Folge, daß die Voraussetzung der Vermutung im Prozeß festgestellt, gegebenenfalls bewiesen werden muß, und daß sich das Beweislastproblem bezüglich der Voraussetzung erneut stellt. Für die Voraussetzungstatsache gilt dann die allgemeine Regel, so daß der Vermutungsbegünstigte, der die Rechtsfolge der Vermutung geltend macht, die Voraussetzung beweisen muß. Insofern ist die Feststellung, die Vermutung verschiebe das Thema des Beweises 76 , berechtigt. Daraus kann man aber nicht schließen, die Vermutung sei keine BeweislastregeF 7 , denn über die eigentliche Rechtsfolge ist damit nichts gesagt. Erst wenn die Voraussetzung der Vermutung feststeht, ist diese anzuwenden und dann ist ihre Wirkung die Umkehr der Beweislast bezüglich der vermuteten Tatsache. Voraussetzungslose Vermutungen, die sog. Interimswahrheiten78, gehören nach der hier gewählten Terminologie nicht zu den echten Vermutungen. Sie sind gewöhnliche Beweislastregeln, auch wenn das Gesetz den Ausdruck Vermutung gebraucht. Nunmehr kann das allgemeine Schema einer widerlegliehen gesetzlichen Tatsachenvermutung (mit x als Vermutungsbasis und a als vermuteter Tatsache) gegeben werden: Wenn die tatsächlichen Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals a unklar geblieben sind und die tatsächlichen Voraussetzungen von x gegeben sind, dann ist zu entscheiden, als ob a gegeben wäre.
Iß. Die widerleglieben Rechtsvermutungen 1. Die Voraussetzung der Betrachtung als Beweisregeln
Die sogenannten Rechtsvermutungen (i. e. S.) untersche~den sich von den Tatsachenvermutungen dadurch, daß nach dem Text der Vorschriften nicht eine Tatsache, sondern ein Recht Gegenstand der Vermutung ist. Die begriffliche Einordnung dieser Normen, wie sie etwa in §§ 891, 1006, 1362, 2365 BGB enthalten sind, bereitet mindestens ebenso große Schwierigkeiten wie die Beurteilung der Tatsachenver7 6 So oder ähnlich Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 292 II 1; BGH NJW 1951, 398; Schönke-Schröder-Niese, Zivilprozeßrecht, § 58 V (S. 262); Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 82 IV 1 (S. 322); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 67 II 2 b (S. 334); Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 333; Geny, Science et Technique, 3. Bd., S. 280 f.; Rüegg, Diss., S. 57; Siegrist, Diss., S. 228. 77 In diesem Sinne aber Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 292 II 1; dem folgend BGH NJW 1951, 398; Schönke-Schröder-Niese, Zivilprozeßrecht, §58 V (S. 262); ähnlich Geny, Science et Technique, 3. Bd., S. 280 f. 78 Unger, System, 2. Bd., S. 598 f.; Petschek-Stagel, Der Österreichische Zivilprozeß, S. 233.
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
mutungen. Die dort angetroffenen Meinungsverschiedenheiten setzen sich hier fort'B. Jene Auffassung, die den Vermutungen beweisende Wirkung zuschreibt, sieht sich bei den Rechtsvermutungen80 sofort erheblichen Schwierigkeiten gegenüber. Der Beweis bezieht sich, sowohl als Mittel der Wahrheitstindung wie als Feststellung der Wahrheit verstanden, auf die rechtlich nicht qualifizierte Wirklichkeit, auf Tatsachen in diesem Sinne81 • Dagegen können Rechte- jedenfalls nach der dem heutigen Prozeß zugrunde liegenden Auffassung - nicht unmittelbar Gegenstand eines Beweises sein. Die Wirkung der Rechtsvermutungen kann daher auch nicht im Beweis des vermuteten Rechts selbst bestehen82. Diese Schwierigkeit besteht freilich nicht, wenn man die Rechtsvermutungen in Tatsachenvermutungen auflöst, sie als abgekürzte Tatsachenvermutungen auffaßt88 • Die Rechtsvermutungen sollen nach dieser Meinung eine Vermutungall jener Tatsachen zum Inhalt haben, die als Voraussetzungen des gegenwärtigen Bestehens des vermuteten Rechts erforderlich sind. Vermutet würde demnach in Wahrheit das Vorhandensein der rechtsbegründenden Tatsachen sowie das Nichtvorhandensein der "rechtshindernden" und rechtsvernichtenden Tatsachen. Bei dieser Konstruktion ergibt sich aber sogleich die nächste Frage, welche Tatsachen denn jeweils Gegenstand der Vermutung sein sollen84 • In den meisten Fällen nämlich kann die Rechtsentstehung ebenso wie die "Rechtshinderung" oder die Rechtsvernichtung die Folge von ganz verschiedenen Tatsachen sein, je nachdem, welcher gesetzlic.l)e Tatbestand der Rechtsfolge zugrunde liegt. Will man etwa die Ver79 Zur Auffassung von Pl6sz, Festschrift f. Wach, 2. Bd., S. 40, der auch die Rechtsvermutungen als materiell-rechtliche Tatbestandsfestsetzungen versteht, wird nicht erneut Stellung genommen. Die oben II 1 c gegebene Gegenargumentation gilt auch bezüglich der Rechtsvermutungen. so Als Beweisregeln werden die Rechtsvermutungen ausdrücklich bezeichnet bei Peters, Gruchot 50, 148; Josef, IherJb. 65, 182 (für § 2365 BGB). Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 470, hält§§ 891 und 2365 BGB für Beweisregeln (aber nicht für Rechtsvermutungen!). SI Zu den Begriffen Tatsache und Wirklichkeit vgl. eingehend Fohle, Revision und neues Strafrecht, S. 26 ff.; Engisch, Logische Studien, S. 39 ff. 82 So schon Rosenberg, Beweislast, S. 232. 83 Unger, System, 2. Bd., S. 585 N. 21; Hedemann, Vermutung, S. 221; Leonhard, Beweislast, S. 237 f. ; Martinius, Beweislast, S. 25; Dänzer, Tatsächliche Vermutung, S. 135; Kuhn, Beweislast, S. 104; R. Schmidt, Lehrbuch, S. 470m. N. 3; Siber, JW 1922, 490; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 292 I a. E. ; Geny, Science et Technique, 3. Bd., S. 284; Serra Dominguez, Normas de presunci6n, S. 43 ff.; Behm, Diss., S. 53; Rüegg, Diss., S. 26; Lepa, Diss., S. 125. - Vgl. auch Motive z. BGB, Bd. III, S. 155 (zum jetzigen § 891 BGB). 84 Aus diesem Grund gegen die Rückführung der Rechtsvermutungen auf Tatsachenvermutungen Rosenberg, Beweislast, S. 227 f.; Pl6sz, Festschrift f. Wach, 2. Bd., S. 38 f.; Kuttner, IherJb. 61, 144 f.; Johannssen, Diss., S. 45 ; Goldmann, Diss., S. 20 ff.; Warlo, Diss., S. 51 f. - Gegen die Gleichstellung mit Tatsachenvermutungen auch Peters, Gruchot 50, 148; Fischer, IherJb. 63, 292; Zendig, Diss., S. 35; Sluzewski, Diss., S. 25 f.
III. Die widerlegliehen Rechtsvermutungen
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mutungdes § 1006 I BGB in eine Vermutung der eigentumsbegründenden Tatsachen auflösen, so bleibt offen, ob dies die Einigung und Übergabe (§ 929 BGB) oder ein zur Ersitzung führender zehnjähriger Besitz (§ 937 BGB) oder etwa die Erbfolge nach dem früheren Eigentümer (§ 1922 I BGB) sein soll. Wenn dies offen bleibt, wenn vermutet werden soll, daß irgendwelche rechtsbegründenden Tatsachen vorhanden seien, dann stellt sich die Rechtsvermutung gerade nicht als Mittel zur Feststellung (zum Beweis) echter Tatsachen dar. Die Konkretisierung auf einen wirklichen Sachverhalt kann nicht auf Grund der Vermutungsnorm oder jener Rechtsnormen erfolgen, die Entstehung und Aufhebung des vermuteten Rechts regeln. Sie kann sich vielmehr nur durch die tatsächlichen Behauptungen der Parteien im Prozeß ergeben. So ist die Auflösung der Rechtsvermutungen in Tatsachenvermutungen mit beweisschaffender Wirkung nur möglich, wenn man vom Vermutungsbegünstigten die Behauptung der rechtsbegründenden Tatsachen verlangt und die Rechtsvermutung dann als auf diese Tatsachen gerichtet versteht83 • Die Feststellung von Tatsachen im Prozeß setzt stets voraus, daß zunächst Tatsachenurteile in den Prozeß eingeführt werden. Im Verfahren mit Verhandlungsmaxime kann dies grundsätzlich nur durch die Parteien geschehen. Kann die Rechtsvermutung nur dann angewendet werden, wenn entsprechende Tatsachenbehauptungen vorliegen, so ·bedeutet dies, daß die Vermutung die Behauptungslast unbeeinfiußt läßt. Der Zusammenhang zwischen der Behauptungslast und dem Verständnis der Vermutungswirkung wurde schon bei den Tatsachenvermutungen dargestellt. Er ist bei den Rechtsvermutungen noch deutlicher erkennbar. War bei den Tatsachenvermutungen - will man sie als Beweisregeln auffassen das Vorliegen einer Tatsachenbehauptung nur erforderlich, um im Rahmen des Tatbestandsmerkmals zu einer echten Tatsachenfeststellung zu gelangen, so bedarf es bei den Rechtsvermutungen der Behauptung konkreter Tatsachen schon, um zu einer Auswahl der in Frage kommenden Tatbestandsmerkmale zu kommen. Nur wenn man diese Voraussetzung der unveränderten Behauptungslast akzeptiert, ist es möglich, die Rechtsvermutungen als Tatsachenvermutungen mit beweisender Wirkung aufzufassen. 2. Rechtsvermutungen und Behauptungslast
a) Die Befreiung v on der BehauptungsLast für die rechtsfolgebegründenden Tatsachen
Jedoch ist es allgemeine Meinung, daß die Rechtsvermutungen den Vermutungsbegünstigten nicht nur vom Beweis der Voraussetzungen ss So Behm, Diss., S. 52 {Ergebnis).
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
seines Rechts, sondern auch schon von der Substantüerung, d. h. von der Behauptung der rechtsfolgebegründenden Tatsachen, befreien86• Die praktische Bedeutung dieser Frage ist - ebenso wie bei den Tatsachenvermutungen - gering. Sie kann im Falle der Säumnis des Beklagten (und Vermutungsgegners) erheblich werden. Das Versäumnisurteil muß versagt werden, wenn man die Behauptung der rechtsbegründenden Tatsachen fordert, während der Kläger nur die Vermutungsbasis behauptet hat. Die Befreiung von der Behauptungslast dagegen ist gleichbedeutend mit dem Wegfall der sonstigen Schlüssigkeitsprüfung. Folgt man dieser Auffassung, so ergeht das Versäumnisurteil zugunsten des Klägers schon, wenn dieser - etwa bei einer Klage auf Feststellung des Eigentums an einem Grundstück - nur die Eintragung als Eigentümer im Grundbuch behauptet hat, ohne irgendwelche Angaben über den Erwerbsgrund, d. h. über jene Tatsachen zu machen, aus denen er sein Recht herzuleiten glaubt. Die Forderung, der Vermutungsbegünstigte müsse dennoch die Tatsachen behaupten, aus denen er sein Recht entnehmen will, steht nicht mit dem erkennbaren Sinn des Gesetzes in Einklang. Schon der ges.etzliche Wortlaut spricht dagegen. Die Rechtsvermutungen ordnen direkt den Schluß von der Ausgangstatsache auf das vermutete Recht an; nirgends ist von einem behaupteten rechtsbegründenden Sachverhalt die Rede. Die- komplizierte -Konstruktion, die rechtsfolgebegründenden Tatsachen müßten behauptet werden und auf diese bezöge sich dann die Rechtsvermutung, findet sich auch nicht in der Zeit vor dem BGB. Vielmehr war der Gedanke bei den Rechtsvermutungen stets der, dem Begünstigten unmittelbar auf Grund der Vermutung die vorläufige (da entkräftbare) Rechtsstellung zu geben. Die Absicht, von diesem üblichen Verständnis der Rechtsvermutungen abzuweichen, ist auch in den Materialien zum BGB nirgends zum Ausdruck gekommen. Die Befreiung des Vermutungsbegünstigten von der Behauptung der rechtsbegründenden Tatsachen und damit der Wegfall der normalen Schlüssigkeitsprüfung könnten deshalb als unangemessen erscheinen, weil der Vermutungsgegner dann nicht wisse, gegen welche Tatsachen er mit Beweisen angehen müsse. Man akzeptiert jedoch, daß der Vermutungsgegner eben das Nichtvorliegen aller in Frage kommenden es Rosenberg, Beweislast, S. 229; Hedemann, Vermutung, S. 287; Kuttner, IherJb. 61, insbes. 139 ff.; Fischer, IherJb. 63, 279 ff.; ders. Lehrbuch, 8.197; Fischer-Henle, BGB, Ein!. S. XXXVII; Hellwig, System I,§ 157 II 2 (S. 473); ders., Lehrbuch, 3. Bd., 1. Abt., S. 30; Kleinfeller, Lehrbuch, S. 324; SeuffertWalsmann, § 292, 3 b; Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 VI (S. 153); Thomas-Putzo, § 292, 2 a; RG Gruchot 54, 1019; RG Seufferts Archiv 78, Nr. 136 (S. 224); Zendig, Diss., S. 28; Warlo, Diss., S. 69 ff.; Goldmann, Diss., S. 30; Sluzewski, Diss., S. 21; Gierk, Diss., S. 51 f.; Rüegg, Diss., S. 50. A. M. Behm, Diss., S. 38 f. (mehr im Hinblick auf die sekundäre Behauptungslast); wohl auch Jaeger, ZZP 40, 137 (dagegen Kuttner, a. a. 0., S. 140 N. 2).
III. Die widerlegliehen Rechtsvermutungen
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Erwerbstatbestände zu beweisen hat, freilich mit Ausnahme jener, die nach dem Vorbringen des Vermutungsbegünstigten und den Umständen des Einzelfalles nicht in Betracht kommen87 • Daß die Widerlegungslast (d. h. die Behauptungs- und Beweislast) des Vermutungsgegners nicht so uferlos ist, wie es zunächst scheint, sondern durch das konkrete Prozeßgeschehen begrenzt wird, ist richtig. Man muß bedenken, daß die Befreiung des Vermutungsbegünstigten von der Behauptungslast nicht bedeutet, daß er nun zur Frage nach den Erwe:rtbstatsachen überhaupt nichts mehr zu sagen brauche. Er muß sich ja seinerseits zu den Behauptungen des Vermutungsgegners äußern. Nur von der primären, nicht von dieser sekundären Behauptungslast ist er befreit. Wenn nun die Behauptungslast des Vermutungsgegners auf die umfassende Verneinung aller Erwerbstatsachen gerichtet ist, so muß man ihm auch zubilligen, diese Behauptung zunächst in allgemeiner Form vorzubringen. Bestreitet der VermutungsbegünsUgte diese allgemeine negative Behauptung nicht, so steht damit schon fest, daß er das vermutete Recht nicht erworben hat. Bestreitet er aber, so muß er dies durch Entgegenstellen konkreter positiver Tatsachen tun, soweit die Erwerbstatsachen im Bereich seiner Kenntnismöglichkeiten liegen88• Gegen diese Tatsachen kann dann der Gegner seine Beweise richten. Freilich bleibt es dem Vermutungsbegünstigten unbenommen, weitere (andere) Erwerbstatsachen anzuführen, wenn die zunächst vorgebrachten widerlegt sind. Aber praktisch wird diese Möglichkeit begrenzt sein. Sie wir>d auch auf die Würdigung des Gesamtverhaltens des Klägers (im Rahmen der Beweiswürdigung) durch das Gericht nicht ohne Einfluß sein. Die Bestimmtheit der Widerlegungslast ergibt sich aber in vielen Fällen noch aus einem weiteren Grund. Gewiß richten sich Behauptung und Beweis gegen den Rechtserwerb des Vermutungsbegünstigten. Aber sowohl bei den dinglichen Rechten, insbesondere dem Eigentum an Grundstücken und beweglichen Sachen, wie beim Erbrecht wird dieser Gegenbeweis doch durch den Nachweis des positiven Erwerbs durch den Vermutungsgegner (oder einen Dritten) erfolgen. Die Verneinung des Rechts des Vermutungsbegünstigten erfolgt durch Bejahung des Rechts eines anderen. Hier ist über die Richtung des Beweises kein Zweifel. 87 Vgl. Rosenberg, Beweislast, S. 233 f.; Kuttner, IherJb. 61, 150; Fischer, IherJb. 63, 283 f.; Henle, Allg. Teil, S. 343; Lange, Erbrecht, § 41 VII 2 b (S. 506) (für§ 2365 BGB); Warlo, Diss., S. 79 ff., 83; Zendig, Diss., S. 38; Gierk, Diss., S. 61. 88 Diese Einschränkung ergibt sich aus § 138 IV ZPO. Die Rechtsvermutung bleibt damit auch dann wirksam, wenn der Begünstigte über den Rechtserwerb keine Angaben machen kann, etwa bei einer seit langer Zeit im Besitz befindlichen Sache (§ 1006 BGB). Das entspricht auch dem Sinn der Rechtsvermutungen. 7
Loipold
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
Eine unzumutbare Belastung des Vermutungsgegners ergibt sich also nicht. Deshalb ist der allgemeinen Meinung zuzustimmen, daß der Vermutungsbegünstigte auch von der (primären) Behauptung der rechtsfolgebegründenden Tatsachen befreit ist. Daraus folgt aber, daß man die Wirkung der Rechtsvermutungen nicht als Beweis dieser Tatsachen verstehen kann.
b) Zur Notwendigkeit der Behauptung des vermuteten Rechts Ohne Einfluß auf diese Frage ist das weitere Problem, ob bei den Rechtsvermutungen wenigstens das vermutete Recht behauptet werden muß89 • Allgemein müssen ja Behauptungen über die rechtliche Beurteilung im heutigen Prozeß gemäß dem Grundsatz "iura novit curia" nicht aufgestellt werden. Vielmehr genügen der Antrag und die Angabe des Tatsachenstoffs. Hier fehlt nun freilich möglicherweise auch die Behauptung der Tatsachen, aus denen der Richter auf das Bestehen eines Rechts schließen könnte, da ja der Vermutungsbegünstigte gemäß dem eben Ausgeführten von der Darlegung dieser Tatsachen zunächst befreit ist. Aber die nötige Schlußfolgerung ergeben die gesetzlichen Rechtsvermutungen selbst, indem sie zwar nichts über das Bestehen des Rechts an sich aussagen, wohl aber den Richter anweisen, wie er zu entscheiden habe. Insofern bleibt hier trotz des Fehlens von Tatsachen die Rechtsbehauptung entbehrlich. Man fordert die Behauptung des vermuteten Rechts zuweilen deshalb, weil der Richter sonst nicht wisse, auf welches Recht er schließen solle, wenn etwa die Venmutungsbasis ganz verschiedene Vermutungen begründe 90 • Aus dem Besitz einer beweglichen Sache folgt z. B. sowohl die Vermutung des Eigensg Die Behauptung des vermuteten Rechts fordern Hedemann, Vermutung, S. 286 ff. (wiederum mit der verfehlten Begründung, die Beachtung der Vermutung sei keine Rechtsanwendung) (gegen das Versäumnisbeispiel Hedemanns- S. 289- mit Recht Rosenberg, ZZP 37, 321); Pl6sz, Festschrift f. Wach, 2. Bd., 8.39; Kuttner, IherJb. 61, 139; Hellwig, Lehrbuch, 3. Bd., 1. Abt., S. 18 N. 14; Seuffert-Walsmann, § 292, 3 b; Leonhard, Beweislast, S. 236; Lent, ZZP 65, 357 f.; Planck-Brodmann, BGB, § 1006, 3 aß (für§ 1006 BGB); Wolff-Raiser, Sachenrecht, § 44 II (S. 140) (für§ 891 BGB); Sluzewski, Diss., S. 21; Warlo, Diss., S. 69; Goldmann, Diss., S. 30; Zendig, Diss., S. 31 f. Dagegen Rosenberg, Lehrbuch, § 88 II 1 c ß (S. 419). (Anders jedoch Beweislast, S. 229. Die Verweisung auf S. 110 legt aber nahe, daß Rosenberg hier nicht eine besondere Last zur Rechtsbehauptung auf Grund der Rechtsvermutung meint, sondern nur die u. U. ohnehin bestehende Notwendigkeit, das Recht zu bezeichnen. Das würde mit der hier vertretenen Ansicht übereinstimmen.) Die Notwendigkeit, das vermutete Recht zu behaupten, wird ferner verneint von Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 358; Gierk, Diss., s. 48 ff. 90 Hellwig, Lehrbuch, 3. Bd., 1. Abt. S. 18 N. 14 (aber wohl nur für Feststellungsklagen, also zutreffend); Sluzewski, Diss., S. 21 mit N. 3; Goldmann, Diss., S. 28; Zendig, Diss., S. 31. - Dagegen auch Gierk, Diss., S. 49.
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tums (§ 1006 I BGB) wie die des Pfandrechts (§§ 1227, 1006 BGB) 91 • Aber sofern wirklich mehrere Rechtsvermutungen die konkrete Klage rechtfertigen, so muß eben in der Begründung offen bleiben, auf welche Vermutung die Entscheidung zu stützen war. Auch im Falle des Anerkenntnisses erfolgt die Entscheidung, ohne daß sich der Richter Klarheit über das zugrunde liegende Rechtsverhältnis zu verschaffen braucht92 • Damit ist freilich nicht gesagt, daß stets die Rechtsangabe entbehrlich ist. Sie ist es dann nicht, wenn sie schon zur Angabe des Streitgegenstandes, zur Kennzeichnung des erhobenen prozessualen Anspruchs erforderlich ist. Auf dieses Problem einer ganz anderen Ebene kann hier nicht eingegangen werden. Es genüge der Hinweis, daß etwa bei einer Feststellungsklage nicht einfach auf Feststellung eines dinglichen Rechts an einer Sache geklagt werden kann, sondern gesagt werden muß, welches Recht (Eigentum, Nießbrauch, Pfandrecht) in Anspruch genommen wird. Von dieser Angabe des beanspruchten Rechts als Teil des prozessualen Anspruchs befreit auch die Rechtsvermutung natürlich nicht. Doch hat diese Frage mit der Wirkung der Rechtsvermutung nichts zu tun. Die hier bestehende Notwendigkeit, das Recht zu kennzeichnen, tritt nicht etwa an die Stelle der weggefallenen Behauptungslast für die rechtsbegründenden Tatsachen, sondern würde ohne die Rechtsvermutung genauso bestehen93. 3. Die Rechtsvermutungen als Behauptungs- und Beweislastregeln
Die Rechtsvermutungen gehören nicht zu den Rechtssätzen, die Rechte und Pflichten an die Existenz von Tatsachen knüpfen. Auf dieser Gedankenebene wären sie überflüssig. Insoweit gilt das zu den Tatsachenvermutungen Gesagte94 entsprechend. Da die Rechtsvermutungen nicht als Beweisregeln angesehen werden können, erweisen auch sie sich ihrer Wirkung nach als Behauptungs- und Beweislastregeln95. Sie weisen den Richter an, so zu entscheiden, als ob das verat Daß § 1227 auch § 1006 BGB für anwendbar erklärt, ist allgemein anerkannt, vgl. nur Palandt-Hoche, BGB, § 1227, 2 a; Erman-Ronke, BGB, § 1227, 1 c; Soergel-Siebert (Augustin), BGB, § 1227, Rdz. 6. 92 Die Parallele zwischen Anerkenntnis und Rechtsvermutung wird hervorgehoben von Kuttner, IherJb. 61, 121 und Fischer, IherJb. 63, 271, 278. 93 Vgl. schon Pl6sz, a. a. 0., S. 40. Auch die Ansicht von Lent, a. a. 0., geht wesentlich auf Erwägungen zum Streitgegenstand zurück (s. insbes.
s. 358).
u s. oben II 1 c. 95 Die Wirkung der Rechtsvermutungen wird auf dem Gebiet der Beweislast gesehen von Rosenberg, Beweislast, S. 230 ("in der Hauptsache Regeln über die Behauptungs- und Beweislast"); Hedemann, Vermutung, S. 297; Kuttner, IherJb. 61, 137; Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 50 VI (S. 153); Wieczorek, § 292 A IV a mit A; Schmeling, Diss., S. 41; Gierk, Diss., S. 33; 7"
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
mutete Recht bestünde. Sie bestimmen den Inhalt der Entscheidung für den Fall, daß die Vermutung nicht widerlegt ist, daß also weder die Voraussetzungen des Rechts noch ihr Nichtvorliegen prozessual festgestellt werden konnten. Die Rechtsvermutungen beziehen sich, anders als die Tatsachenvermutungen, nicht auf einzelne Tatbestandsmerkmale, sondern regeln die Beweislast für alle in Frage kommenden Voraussetzungen. Dies ist der richtige Kern der Betrachtung als Zusammenfassung von Tatsachenvermutungen96. Die Annäherung von Tatsachenvermutungen und Rechtsvermutungen ergibt sich daraus, daß beide Normarten Behauptungs- und Beweislastregeln sind. Der Grund ist nicht, daß die Rechtsvermutungen Tatsachenvermutungen mit beweisschaffender Wirkung wären, sondern daß auch die Tatsachenvermutungen in dem Sinne Rechtsvermutungen sind, daß sie nicht auf wirkliche Tatsachen, sondern auf das Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen und damit auf einen Erfolg in der Sphäre des Rechts gerichtet sind. Durch die Besonderheit, daß die Rechtsvermutungen die Beweislast für alle Voraussetzungen des vermuteten Rechts regeln, unterscheiden sie sich von den sonstigen Beweislastnormen. Die Abgrenzung von ihnen könnte also schon unter Benutzung dieses Kriteriums erfol·g en. Das würde zur Anerkennung von voraussetzungslosen Rechtsvermutungen führen 97 . Aber im Hinblick auf die Beschränkung des Begriffs Vermutung auf voraussetzungsgebundene Beweislastregeln bei den Tatsachenvermutungen erscheint es zweckmäßig, auch für die Rechtsvermutungen an dieser Terminologie festzuhalten. Die Zweigleisigkeit der Beweislastregeln, die aus der Voraussetzungsbindung folgt, ist sachlich der bedeutendere Unterschied zu den alLgemeinen Beweislastsätzen. Im übrigen sind die wesentlichen Rechtsvermutungen, insbesondere §§ 891, 1006, 1362, 2365 BGB, ohnehin alle an besondere Voraussetzungen geknüpft. Das Ergebnis ist somit, daß die Rechtsvermutungen besondere Behauptungs- und Beweislastnormen mit folgendem Schema sind: Wenn das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines Rechts im Prozeß nicht festgestellt werden kann, aber die Tatsache x (Vennutungsbasis) feststeht, so soll der Richter entscheiden, als ob das Bestehen des Rechts festgestellt wäre. Baur, Sachenrecht, § 10 IV 1 (S. 74) (für §§ 891 und 1006 BGB); WolffRaiser, Sachenrecht, § 44 II (S. 140) (für § 891 BGB). 96 s. oben N. 83. 97 Dafür Rosenberg, Beweislast, S. 226, 231. Gegen ihn Henle, Allg. Teil, S. 343 N. 18.
IV. Systematische Stellung der widerlegliehen Vermutungen
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IV. Die systematische Stellung der widerlegliehen gesetzlichen Vermutungen Die systematische Einordnung der gesetzlichen Vermutungen ist ebenso umstritten wie die der Beweislastnormen überhaupt. Sie werden teils zum materiellen Recht88, teils zum Verfahrensrecht88, vereinzelt zum materiellen Justizrecht1°0 gerechnet. Die angeführten Argumente entsprechen denen, die bezüglich der Beweislastnormen gebracht werden. Da die Qualifikation nach der Wirkung der Vermutungen, also nach der von ihnen ausg~lösten Rechtsfolge durchgeführt werden muß, kann auf das zu den Beweislastnormen Ausgeführte101 verwiesen werden. Auch die gesetzlichen widerlegliehen Vermutungen stellen sich ja nach der hier vertretenen Auffassung als Beweislastnormen dar. Deshalb ist wiederum entscheidend, welchen der beiden möglichen Wege zur Abgrenzung des materiellen vom formellen (Verfahrens-) Recht man einschlägt. Versteht man unter materiellem Recht die Verhaltensnormen, so gehören die gesetzlichen Vermutungen zum Verfahrensrecht, denn das außerprozessuale Verhalten regeln sie nicht. Versteht man dasgegen unter materiellem Recht jene Normen, die den Inhalt des Sachurteils bestimmen, so sind auch die gesetzlichen Vermutungen als Entscheidungsnormen dazu zu zählen. Über die Richtigkeit der beiden möglichen Begriffspaare läßt sich abstrakt nichts aussagen. Wird eine Rechtsfolge an die Qualifikation angeknüpft, so muß aus der ratio der Anknüpfung entschieden werden, welches Kriterium zu wählen ist. ts Rosenberg, Beweislast, S. 224 (Tatsachenvermutungen), S. 242 (Rechtsvermutungen); Beckh, Beweislast, S. 91; Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 295 ff.; Engelmann, Civilprozeß, S. 64; Skonietzki-Gelpcke, § 292, 3 (überwiegend materiell-rechtlich); Friedrichs, Der allgemeine Teil, S. 284 N. 5 (entgegengesetzt aber S. 130!); Fohle, MDR 1956, 414; Rüegg, Diss., S. 12; Schmeling, Diss., S. 108. - Ferner - als Konsequenz der Betrachtung als Tatbestandsfestsetzung - Betzinger, Beweislast, S . 150; Fitting, ZZP 13, 76/77 N. a; Pl6sz, Festschrift f. Wach, 2. Bd., S. 21; Micheli, L'onere della prova, S. 169 (196). Im Hinblick auf die international-rechtliche Behandlung wird die materielle Qualifikation z. B. bejaht von v. Bar, Holtzendorff-Kohler, Enzyklopädie, Bd. 2, S. 164; Nußbaum, Internationales Privatrecht, S . 413; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 378. tB Hedemann, Vermutung, S . 344 (Ergebnis); Wendt, AcP 63, 288 f.; Korsch, Beweislastregeln, S. 12 f.; Mosbacher, Beweislastlehre, S. 87; Stein, Das private Wissen, S. 37, 49; Sauer, Grundlagen, S. 201; Danz, Auslegung der Rechtsgeschäfte, S. 114 f.; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 292 I; Förster-Kann, § 292, 2; Baumbach-Lauterbach, § 292, 1 B; Biermann, Bürgerliches Recht, 1. Bd., S . 93; Fischer-Henle, BGB, Einl. S. XXXVII; Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 30 II 2 b (S. 198 N. 8); Petschek-Stagel, Der Österreichische Zivilprozeß, S. 233; Serra Dominguez, Normas de presunci6n, S. 51; Schmid, Diss., S. 27; Siegrist, Diss., S. 232; Sluzewski, Diss., S. 19; Goldmann, Diss., S. 2, 50; Warlo, Diss., S. 5, 10; Gierk, Diss., S. 25. 1oo Kuttner, IherJb. 61, 117 N. 1 (auf S. 118); Goldschmidt, Festschrift f. Brunner, S . 115, 123. tot s. oben § 6 111.
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
Daß die gesetzlichen Vermutungen Ausnahmen von der allgemeinen Beweislastverteilung darstellen, beeinfiußt ihre systematische Einordnung nicht. Ebensowenig ist es erheblich, daß sie- jedenfalls nach der hier im Anschluß an Rosenberg gewählten Terminologie- stets an das Vorliegen besonderer Voraussetzungen geknüpft sind. Diese Ausgangstatsachen der Vermutungen (z. B. Besitz, Grundbucheintragung) sind freilich außerprozessualer Natur. Die Anknüpfung erfolgt auch hier an die Existenz der Voraussetzungen, nicht an das Erwiesensein. Aber diese Bindung an außerprozessuale Voraussetzungen bewirkt nur, daß die besondere Beweisl-astverteilung schon vor dem Prozeß festliegt und erkennbar ist. Das aber ist bei den allgemeinen Beweislastnormen genauso. Die Voraussetzungsgebundenheit der gesetzlichen Vermutungen ist eine Besonderheit des Tatbestandes dieser Normen, doch ist für die Qualifilkation allein die Rechtsfolge maßgebend.
V. Die unwiderleglichen gesetzlichen Vermutungen Bei den unwiderleglichen gesetzlichen Vermutungen ist der Beweis des Nichtvorliegens der vermuteten Tatsache ausgeschlossen. Geht man von einer materiellen Norm folgenden Inhalts aus: Wenn a dann R (Rechtsfolge), so könnte die unwiderlegliche Vermutung etwa lauten: Wenn x wird a unwiderleglich vermutet. Soweit x vorliegt, ist der Beweis von a nicht erforderlich und der Beweis von non a ohne jeden Einfluß. Das Vorliegen von a wird auf Grund der unwiderleglichen Vermutung unerheblich. Diese Rechtssätze stellen daher gewiß keine Regelung der Beweislast für a dar. Die unwiderleglichen Vermutungen werden denn auch überwiegend als Sätze des materiellen Rechts angesprochen, und zwar meist unter Gleichsetzung mit den Fiktionen102 • Man geht davon aus, daß die unwiderlegliche Vermutung nur formal einen Umweg einschlägt, in Wahrheit aber einfach einen Rechtssatz: Wenn x dann R darstellt. Die 102 Vgl. Fitting, ZZP 13, 79; Betzinger, Beweislast, S. 138; Rosenberg, Beweislast, S. 213; Kuhn, Beweislast, S. 101 f .; Seuffert, ZZP 19, 174; SeuffertWalsmann, § 292, 4 a; Windscheid-Kipp, Pandektenrecht, 1. Bd., S. 680; KleinfeUer, Lehrbuch, S. 325; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 350; Johannssen, Diss., S. 22; Rüegg, Diss., S. 35. - Die Nähe zu den Fiktionen wird zum Ausdruck gebracht bei Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 470 f.; Petschek-Stagel, Der Österreichische Zivilprozeß, S. 233. - Die materielle Betrachtung findet sich ferner bei Wach, Handbuch, 1. Bd., S. 302; Leonhard, Beweislast, S. 234; Martinius, Beweislast, S. 25; Stein, Privates Wissen, S. 51; Pl6sz, Festschrift f. Wach, 2. Bd., S. 8; Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. 1, S. 359; v. Kries, Strafprozeßrecht, S. 338 (mit N. 2); Wilmowski-Levy, CPO, § 259, 5; Fohle, Ged.schrift f. Calamandrei, Bd. 2, S. 397 ; Goldmann, Diss., S. 2.
V. Die unwiderleglichen gesetzlichen Vermutungen
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Vermutungsbasis ist also ein zweiter Tatbestand für die Rechtsfolge. Die Einwände gegen die Betrachtung der widerlegliehen Vermutungen als Tatbestandssetzung lassen sich hier nicht bringen, da eben die Widerlegbarkeit, die Ausnahme für den Fall des Nichtvorliegens der vermuteten Tatsache fehlt. Deshalb ist die unwiderlegliche Vermutung nicht überflüsstg und sinnlos, wenn man sie auf die Ebene der Existenz der Tatsachen beziehttoa. Von den Fiktionen könnte man die unwiderleglichen Vermutung~n scheiden, indem man vom sprachlichen Sinn der Worte "Fiktion" und "Vermutung" ausgeht. Die Fiktion ordnet eine Sachlage, in der die fingierte Tatsache sicher nicht vorliegt. Die unwiderlegliche Vermutung dagegen soll sowohl die Fälle des Vorliegens wie des Nichtvorliegens der vermuteten Tatsache erfassen; ja sie kann darauf zurückgehen, daß die vermutete Tatsache in der Regel vorliegt. Aber diese Unterscheidung10~ betrifft nur das gesetzgeberi.sche Motiv, nicht den Inhalt der Rechtssätze. Sie würde die rein materiell-rechtliche Beurteilung der unwiderleglichen Vermutungen nicht berühren. Immerhin ist das Verständnis der unwiderleglichen Vermutungen als zusätzliche materielle Tatbestände theoretisch nicht das allein mögliche. Die unwiderleglichen gesetzlichen Vermutungen könnten auch gesetzliche Beweisregeln sein, die keinen Geg~mbeweis zulassen. Als Beweisregeln verstanden, würden die unwiderleglichen Vermutungen die prozessuale Feststellung der vermuteten Tatsache a anordnen und erst auf diesem Wege zur Bejahung der Rechtsfolge R führen. Der Unterschied zur Betrachtung als rein materielle Rechtssätze läge ferner darin, daß die vermutete Tatsache behauptet werden müßte105, und daß schließlich das außerprozessuale Verhalten durch die Vermutung nicht geregelt werden sollte. Die unwiderleglichen Vermutungen würden so als prozessuale Vorschriften betrachtetl 06. Aber gegen eine beweisende 103 Zur entgegengesetzten Beurteilung der widerlegliehen Vermutungen s. oben II 1 c. 104 Vgl. Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S. 295; Wach, Handbuch, 1. Bd., S. 302; Richard Schmidt, Lehrbuch, S. 471; Pohle, Ged.-Schrift f. Calamandrei, Bd. 2, S. 393. 1os So Fischer, Recht und Rechtsschutz, S. 25. 1on So- Fischer zustimmend- Hedemann, Vermutung, S. 213 f . (H. verneint aber die praktische Möglichkeit der Trennung zwischen - materieller- Fiktion und - prozessualer- unwiderleglicher Vermutung, S. 214 u. 218); Biermann, Bürger!. Recht, 1. Bd., S. 93 (eingeschränkt); Siegrist, Diss., S. 241; der Sache nach auch Fischer, a. a. 0. ; Schmid, Diss., S. 25, und Pagenstecher, Materielle Rechtskraft, S. 188 ff. (Daß nach Pagenstecher die unwiderleglichen Vermutungen den Schluß auf die Wahrheit der vermuteten Tatsache anordnen, S. 188, bedeutet, daß ihre Wirkung auf dem Gebiet der prozessualen Tatsachenfeststellung gesehen wird.) Auch Decottignies, Les presomptions en droit prive, wendet sich gegen die materiell-recht!. Beurteilung der unwiderleglichen Vermutungen (S. 88 ff.) und betrachtet sie als Beweisregeln (S. 92).
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§ 7 Wirkung und Rechtsnatur der gesetzlichen Vermutungen
Wirkung und gegen den Fortbestand der Behauptungslast für die vermutete Tatsache sprechen einmal dieselben Gründe wie bei den widerlegliehen Vermutungen107. Zum anderen wäre es völlig sinnwidrig, wenn das Gericht etwa die Tatsache a feststellen müßte, obwohl offenkundig ist, daß die Tatsache nicht vorliegt. Die Beschränkung der unwiderleglichen Vermutungen auf eine Wirkung als Entscheidungsnormen ist - anders als bei den widerlegliehen Vermutungen gleichfalls unzutreffend. Denn wenn der Gesetzgeber die Entscheidung R auch für die Fälle will, in denen das Nichtvorliegen von a feststeht, so kann man nicht annehmen, die Rechtsor>dnung wolle "eigentlich", in irgendeinem außerprozessualen Sinne, doch das Verhalten gemäß non R anordnen! So ist der Betrachtung der unwiderleglichen Vermutungen als rein materielle Tatbestände zuzustimmen. Eine nähere Untersuchung müßte sich freilich wenigstens an einige konkrete Beispiele halten. Das BGB enthält keine ausdrücklichen unwiderleglichen Vermutungen108, ebensowenig die ZPQ109. Will man aber Rechtssätze, die dem Wortlaut nach keine unwiderleglichen Vermutungen sinld, zu solchen stempeln110, so müßte man den Begriff derselben bereits kennen. Auch solche Fälle liefern also kein unmittelbares J!.Lllschauungsmaterial. Die unwiderleglichen Vermutungen werden deshalb im folgenden beiseite gelassen.
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s. oben § 7 II 2 d.
1oa Die Ansicht, das BGB enthalte keine unwiderleglichen Vermutungen,
findet sich bei Hedemann, Vermutung, S. 214; Rosenberg, Beweislast, S. 213; Biermann, Bürger!. Recht, 1. Bd., S. 94; Schwab, ZZP 68, 127 N. 17.- A. M. Windscheid-Kipp, Pandektenrecht, 1. Bd., S. 680. 109 Am klarsten bringen den Gedanken einer unwiderleglichen Vermutung noch die §§ 39 und 269 ZPO zum Ausdruck, doch spricht das Gesetz auch hier nicht von einer Vermutung. Die Beurteilung der genannten Vorschriften als unwiderlegliche Vermutungen findet sich z. B. bei Stein-Jonas-SchönkePohle, § 39 I 2 und § 269 I; a. M. eingehend Esser, Rechtsfiktionen, S. 68 ff., der § 39 ZPO als Fiktion ansieht. 11o Zwei Beispiele mögen genügen: Von Erman-Westermann, BGB, § 1148, 1 wird § 1148 BGB als unwiderlegliche Vermutung bezeichnet.- Fohle, Ged.Schrift f. Calamandrei, Bd. 2, S. 388 u. ÖJBl. 1957, 113 ff. (118), betrachtet die Wirkung des rechtskräftigen Urteils als unwiderlegbare Vermutung dafür, daß die vom Urteil ausgesprochene Rechtsfolge zu Recht besteht.
§ 8 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse; Folgerungen für die Untersuchung einzelner Verweisungsfälle I. Die wichtigsten Ergebnisse 1. Die Entscheidung :im Falle der Unklarheit über erhebliche Tatsachen wird durch besond~re Rechtsnormen bestimmt. Diese Beweislastregeln stehen neben jenen primären Normen, die gedanklich an die Existenz von Tatsachen Rechtsfolgen knüpfen. Aus der "Unanwendbarkeit" der letztgenannten Rechtssätze im Falle des non liquet folgt die Beweislastentscheidung nicht. 2. Die Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden und rechtsvernichtenden Tatsachen besteht unabhängig von der Frage der Beweislast. Deshalb können die Beweislastregeln - wie dies im Zivilrecht der Fall ist - an diese Begriffe anknüpfen. 3. Dagegen sind die sog. rechtshindernden Tatsachen nur durch die besondere Beweislastregelung von den rechtsbegründenden Tatsachen unternchieden. Die Beweislastregeln können hier nicht an einen vorgegebenen Unterschied anknüpfen. Die Aussage, es liege eine rechtshindernde Tatsache vor, ist identisch mit der Bejahung einer besonderen BeweislastregeL 4. Die Beweislastgrundregel des Zivilrechts gilt als stillschweigendes Gesetzesrecht. Ihr sachlicher Hintergrund ist die Bevorzugung der rechtlich~n Freiheit und des Besitzstandes im weitesten Sinn. 5. Die besonderen Bew~islastregeln können durch die sprachliche Fassung in abgekürzter Weise zum Ausdruck gebracht werden. Dies ist die Bedeutung der "Regel des Gesetzes". Die sachlichen Gründe der Sonderregeln sind unterschiedlich; von besonderer Bedeutung ist die Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit, der "Regel des Lebens". 6. Das Schema einer Beweislastnorm lautet: Bei prozessualer Unklarheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines T,atbestandsme:r:kmals ist zu entscheiden, als ob dieses Tatbestandsmerkmal gegeben (oder: nicht gegeben) wäre. Dieser Inhalt k:ann auch durch die Fiktion der Feststellung der unklar gebliebenen Tatsache wiedergegeben werden. 7. Die Beweislastnormen sind keine Verhaltensnormen, bestimmen aber den Inhalt der richterlichen Entscheidung. Ihre systematische Einordnung ist daher zwiespältig.
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§
8 Zusammenfassung
8. Die wkierleglichen gesetzlichen Vermutungen sind besondere Beweislastregeln. Dies gilt sowohl für die Tatsachen- wie für die Rechtsvermutungen. Zur sinnvollen Abgrenzung von den sonstigen Beweislastnormen ist der Begrüf der Vermutungen auf voraussetZlungsgebundene Beweislastregeln zu beschränken.
11. Folgerungen
Die allgemeine Betrachtung ergab eine weitgehende Selbständigkeit der Beweislastnormen. Sie sind sowohl nach ihrem Inhalt wie nach den zugrunde liegenden Wertungen deutlich von den Rechtssätzen geschieden, die an die Existenz der Tatsachen anknüpf.en. Deshalb bestehen im Falle der Verweisung allgemein gesehen jeweils beide Möglichkeiten: entweder die alleinige Anwendung des rein materiellen Satzes, auf den verwiesen wird, oder die Mitübernahme einer darauf bezogenen BeweislastregeL Keine dieser Möglichkeiten kann allgemein als sinnwidrig abgelehnt werden. Die Frage nach der Mitübernahme einer Beweislastregel wird nur dann aktuell, wenn diese Regel von der allgemeinen Bewei:slastregelung im verweisenden Rechtsgebiet abweicht. Die Entscheidung kann nur in sorgfältiger Analyse einzelner VerweisungsfäHe oder -fallgruppen gefunden werden. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, ob die sachlichen Hintergründe der fraglichen Beweislastregel ihre Anwendung auch im "fremden" Rechtsgebiet J1echtfertigen, oder ob Besonderheiten dieses Rechtsgebietes entgegenstehen. Dies gilt ebenso für die widerlegliehen gesetzlichen Vermutungen. Auch hier kann aus der Struktur und der systematischen Stellung allein keine Lösung gefunden werden. Die Betrachtung der Sachgründe muß entscheiden.
Zweiter Teil
Einzelne Verweisungsfälle § 9 Die Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit1 I. Regelung der Prozeßfähigkeit durch Verweisung auf das BGB; Fehlen einer speziellen Beweislastnorm in der ZPO Die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Prozeßfählgmeit im Zivilprozeß scheint zunächst wenig problematisch zu sein. Nach der ganz überwiegenden Meifllung müssen die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit beider Parteien bewiesen sein, wenn einSachurteil ergehen soll. Die Beweislast trifft somit den, der ein Sachurteil erstrebt, in der Regel also den Kläger2 • Die entgegengesetzte Auffassung 1 Der Text behandelt die Prozeßfähigkeit für den Zivilprozeß. Die einschlägigen Vorschriften der ZPO gelten auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren (über §§ 46 II. 1, 64 li. 1, 72 III ArbGG) und für das Verfahren vor dem Bundespatentgericht (über § 41 o PatG). Für das verwaltungs- und finanzgerichtliche Verfahren ist die Prozeßfähigkeit in§ 62 Abs. 1 VwGO und § 58 Abs. 1 FGO sachlich ebenso geregelt wie in §§ 51 ff. ZPO; hier wird ausdrücklich auf die Geschäftsfähigkeit verwiesen. § 71 Abs. 1 SGG ordnet die Prozeßfähigkeit wie § 52 ZPO durch Verweisung auf die vertragliche Verpfiichtungsfähigkeit. (Eine Abweichung ergibt Abs. 2, der Minderjährigen bereits ab 16 Jahren Prozeßfähigkeit zubilligt.) In den genannten Verfahrensarten besteht also dasselbe Problem wie im Zivilprozeß, ob auf Grund der Verweisung auf die Geschäftsfähigkeit auch die zivilrechtliche Beweislastregel zu übernehmen ist. Die hier gegebene Lösung will auch für diese Zweige der Gerichtsbarkeit gelten. 2 So u. a . Rosenberg, Beweislast, S. 392; Leonhard, Beweislast, S. 422; R. Schmidt, Lehrbuch S. 478; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 8 III 3 (8.49); Wieczorek, § 56 A III b 3; Baumbach-Lauterbach, § 56, 1 B; Thomas-Putzo, § 52, 2 b; Baumgärtel, AP § 56 ZPO Nr. 1; Soergel-Siebert (Seydel), BGB, § 104, 8; Erman-Westermann, BGB, vor§ 104, 1; Palandt-Danckelmann, BGB, § 104, 6; RGRK (Krüger-Nieland), § 104, 16 a. E.; BGHZ 18, 184; BGH LM § 331 ZPO Nr. 1; BGH NJW 1962, 1510; BAG 6, 76 (81) ; BAG AP §56 ZPO Nr. 2; OLG Neustadt, ZZP 66, 58; LG Essen, JMBI. NRW. 1953, 283 (eingeschränkt); OLG München, Bay. JMBI. 1954, 81 (82). - Nach StruckmannKoch, § 56, 1 (S. 56 f.); Jung, Diss., S. 53 f. soll dies nur für den Zeitpunkt des Prozeßbeginns gelten, während der spätere Wegfall der Prozeßfähigkeit vom Beklagten zu beweisen ist.
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§ 9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit
wird heute wohl nur von Stein-Jonas-Pohle3 vertreten. Danach ist die Prozeßunfähigkeit einer der Parteien von dem zu beweisen, der daraus Rechtsfolgen ableiten will, zumeist also vom Beklagten. Früher fand sich auch die Ansicht, der Kläger habe die Volljährigkeit beider Parteien zu beweisen, während der Beweis von Geisteskrankheit oder Entmündigung dem Beklagten obliege'. Eine ausdrückliche Bestimmung i1ber die Beweislast für die Prozeßfähigkeit ist in der ZPO nicht enthalten. Rosenberg5 will die Regelung dennoch dem Gesetz entnehmen, da ausdrücklich - und im Gegensatz zum BGB- die Prozeßfähigkeit (nicht die Prozeßunfähi.gkeit) normiert worden sei. Ob die positive oder negative Fassung .gewählt ist, ist gleichbedeutend mit der Unterscheidung von rechtsfolgebegründenden und rechtsfolgehindernden Tatsachen. Diese aber ist unabhängig von der Beweislastfrage nicht relevant; sie ist nicht schon durch eine unterschiedliche rein materiell-rechtliche Wirkung vo!lgeg.e ben6 • Die äußere Fassung der Norm i:st nur ein Mittel, Beweislastnormen abgekürzt wiederzugeben. Eine derartige besondere Bedeutung der gesetzlichen Formulierung kann aber nur bejaht werden, wenn dafür Anhaltspunkte bestehen. Die Entstehungsgeschichte der ZPO läßt jedoch keineswegs erkennen, daß durch die positive Fassung der Vorschriften die Beweislast bestimmt werden sollte. Die heutigen §§ 51 und 52 I ZPO stimmen mit§§ 50 und 51 I der CPO von 1877 sachlich überein; letztere entstammen unverändert dem Entwurf der CPO. Die Begr-ündung des Entwurfs7 ergibt, daß durch § 50 CPO die Regelung der Prozeßfähigkeit als Ausfluß der Handlungs- und Dispositionsfähigkeit dem bürgerlichen Recht (das damals noch nicht reichseinheitlich war) überlassen werden sollte. Von der Beweislast ist dabei nicht die Rede. Gerade weil man sich der eigenständigen Regelung der Prozeßfähigkeit grundsätzlich enthielt, wäre es zumindest in der Begründung zum Ausdruck g.ekommen, wenn 3 §56 II 3 (S. 351 f., insbes. S. 352 N. 23). Ebenso jedenfalls dem Wortlaut nach - RG JW 1905, 73 und RG bei Bolze, Praxis des RG in Zivilsachen, Bd. 11, Nr. 665 (S. 330). Für die Meinung Rosenbergs, Beweislast, S. 392 N. 4 (zustimmend BGHZ 18, 189 sowie OLG München a. a. 0 .), das RG habe nur eine tatsächliche Vermutung (einen Erfahrungssatz) für das Vorliegen der Prozeßfähigkeit ausdrücken wollen, geben diese Entscheidungen keinen Anhaltspunkt (vgl. Johannsen, Anm. zu BGH LM § 104 BGB Nr. 2, unter II, 3. Abs.). 4 So insbesondere Hellwig, System I, § 157 III, 1 b, ß, aa (S. 477) einerseits, § 157 III, 1 b, ß, bb (S. 478) andererseits. - Der Gedanke einer unterschiedlichen Behandlung der allgemeinen Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit gegenüber der Prozeßunfähigkeit aus besonderen Gründen klingt auch bei Bolgiano ZZP 1, 68 f. und Weismann, Lehrbuch Bd. I, S. 374 an. s Beweislast, S. 392. 6 s. oben § 4 III. 7 Materialien zur CPO, 1. Abt., S. 166 f .
I. Verweisung auf das BGB
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man eine besondere Beweislastregelung beabsichtigt hätte. Beim Inkrafttreten des BGB blieben die Bestimmungen unverändert. Die frühere und jetzige Regelung kann also nicht als eine bewußte Abweichung von der Fassung des BGB (bezüglich der Geschäftsfähigkeit) verstanden werden. Überhaupt machte man sich bezüglich der .A!bstimmung auf das BGB bei der Prozeßfähigkeit anscheinend keine Gedanken. Deshalb hat sich auch die Bedeutung der §§ 51 und 52 I ZPO verschoben. Wie die Begründung des Entwurfs der cpos zeigt, sollte ursprünglich § 50 (jetzt 51) die alLgemeine Regelung ergeben, genauer den Verzicht auf eine eigene Regelung zum Ausdruck bringen. § 51 I (jetzt 52 I) dagegen sollte nur eill!e Erweiterung der Prozeßfählgkeit für die Fälle einer ausnahmsweisen Verpflichtungsfähigkeit bewirken. Das BGB aber enthält keine Regelung der Prozeßfähigkeit. § 51 ZPO geht insofern ins Leere. Ebenso fehlt im BGB eine Bestimmung der allgemeinen Handlungsfähigkeit, die auch für die Prozeßfähigkeit als maßgebend anzusehen wäre. Vielmehr hat das BGB die Handlungsfähigkeit in verschiedene Teilbereiche, insbesondere die Geschäftsfähigkeit und die Deliktsfähigkeit, aufgespalten. Deshalb läßt sich über § 51 ZPO genau genommen keine Brücke zu den Vorschriften des BGB herstellen. Erst § 52 I ZPO bewirkt durch die Verwti:sung auf die vertragliche Verp:fiichtungsfähigkeit die Ve11bindung zum BGB und ergibt damit die allgemeine Regelung der Prozeßfähigkeit9 10• Aber nicht nur die Entstehungsgeschichte .der §§ 51, 52 ZPO spricht dagegen, aus der positiv.en Fassung die Beweislastregelung herauslesen zu wollen. In§ 274 II Nr. 7 ZPO ist die negative Formulierung gewählt, indem von der Einrede der mangelnden Prozeßfähigkeit gesprochen wird. Wenn es aber schon auf die Fassung ankommen soll, dann kann mit demselben Recht auf diese negative Ausdrucksweise hingewiesen werden, wie auf die positive der §§ 51, 52 ZPO. Hinzu kommt, daß die Behauptung, in §§ 51, 52 ZPO sei die positive Fassung gewählt, schon in sich problematisch ist. Geht man nämlich von § 52 I ZPO aus, so ist auf die durch das BGB zugebilligte Fähigkeit, sich durch Verträge zu verpflichten, verwiesen. Das BGB enthält aber keine ausdrückliche Regelung der positiven s Materialien a. a. 0 . 9 So wird die gesetzliche Regelung heute auch zumeist verstanden, z. B. von Stein-Jonas-Pohle, §51 I 2 (S. 330); Baumbach-Lauterbach, §51, 1; Thomas-Putzo, §51, II; Rosenberg, Lehrbuch, § 43 I (S. 183) und II 1 (S. 184). Dagegen sieht Wieczorek, §51 B, die allgemeine Verweisung in §51 ZPO. 10 Auch die nach dem Wortlaut des § 52 I ZPO möglichen Zweifel bezüglich der Prozeßfähigkeit der Minderjährigen bei Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (vgl. dazu Stein-Jonas-Pohle, §51 II 2, S. 330) beruhen auf der mangelnden Abstimmung der Vorschriften der ZPO auf diejenigen des BGB.
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§ 9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit
vertraglichen Verpflichtungsfähigkeit. Vielmehr regelt es jeweils die negative Seite, nämlich die Geschäftsunfähigkeit (§ 104 BGB) und die daraus resultierende Nichtigkeit von Willenserklärungen (§ 105); die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen (§ 106) und die daran geknüpfte schwebende oder endgültige Unwirksamkeit einer ohne -die erfor-derliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgegebenen Willenserklärung (§§ 108, 111). Die Rechtssätze der ZPO und des BGB passen somit in der wörtlichen gesetzlichen Formulierung nicht aneinander. Um die gesetzlich angeordnete Verbindung herzustellen, muß man die Fassung der einen Seite in ihre inhaltlich gleichbedeutende negative Fassung umwandeln, entweder die Vorschrift der ZPO {prozeßunfähig ist, wer sich durch Verträge nicht verpflichten kann, d. h. wessen vertragliche Willenserklärungen unwirksam sind) oder die Bestimmungen d€s BGB (Willenserklärung€n eines Geschäftsfähigen, eines Volljährigen sind wirksam). Muß man aber die äußere Fassung verändern, so zeigt dies klar, daß diese auch für die Beweislastverteilung nicht maßgebend sein kann. Denn welche der beiden Verknüpfungsrnöglichkeiten (die inhaltlich übereinstimmen) die richtige ist, ist nirgends festgelegt. Man könnte darüber allenfalls befinden, wenn man die Beweislastverteilung bereits kennt, nicht aber kann man umgekehrt die Beweislast erst daraus entnehmen. So wird der grundlegende Irrturn der Norrnentheorie, die äußerliche Fassung der Rechtssätze für die wesensmäßige Erklärung und Begründung der BeweislastregeJung zu halten, gerade hier in besonderem Maße deutlich. Die ZPO läßt also keine spezielle Beweislastnorm für die Prozeßfähigkeit erkennen. Da die Prozeßfähigkeit (im wesentlichen) durch eine Verweisung auf die Geschäftsfähigkeit geregelt ist, liegt die Frage nahe, ob mit den materiellen Normen i. e. S. auch die Beweislastregelung des bürgerlichen Rechts zu übernehmen ist1 1• Um dies zu klären, wird zunächst geprüft, welche Beweislastregelung bezüglich der Geschäftsfähigkeit gilt und auf welchen sachlichen Gründen diese beruht. Daran muß sich die Frage schließen, ob die tragenden Gesichtspunkte auch dann ihre Bedeutung behalten, wenn es um die Prozeßfähigkeit geht, oder ob ihnen besondere prozessuale Argumente entgegentreten. 11 Für Übernahme Stein-Jonas-Pohle, §56 II 3 (S. 351); für Gleichbehandlung- bei anderer Auffassung von der Beweislast für Geschäftsfähigkeitauch Leonhard, Beweislast, S. 422; Struckmann-Koch, §56, 1; und Hellwig, System I, § 157 II, 2 a, ß (S. 476, vor 3). Für Übernahme bei Verweisung der ZPO auf das BGB generell Rosenberg, Beweislast, S. 389, aber bezüglich Prozeßfähigkeit gerade anders, S. 392. Rosenberg will dennoch wohl nicht das Vorliegen einer Verweisung verneinen, denn für §§ 112, 113 BGB bejaht er ausdrücklich die Verweisung, S. 389, und die Übernahme der Beweislastregeln. Das Verhältnis der Ausführungen an beiden Stellen ist unklar.
II. Beweislast bezüglich der Geschäftsfähigkeit
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II. Die geltende Beweislastregelung für Geschäftsunfähigkeit und beschränkte Geschäftsfähigkeit und ihre Gründe 1. Die geltende Regelung
Nach der klar herrschenden Meinung12 sind stets die Voraussetzungen von Geschäftsunfähigkeit und beschränkter Geschäftsfähigkeit zu beweisen, d. h. sofern Zweifel ütber die tatsächlichen Grundlagen bestehen, ist zu entscheiden, als ob die Geschäftsfähigkeit gegeben wäre. Diese Beweislastbestimmung ist im BGB zwar nicht ausdrücklich festgelegt. Auch ob sie aus der Fassung der §§ 104 ff. BGB allein hervorgeht, ist zweifelhaft13 • Dennoch ist an der Geltung des Satzes nicht zu zweifeln. Das zeigt ein Blick auf die Vorgeschichte und die Entstehun~sgeschichte der geltenden Privatrechtsordnung. Schon im römischen Recht waren Minderjährigkeit und Wahnsinn zu beweisen14• Im gemeinen Recht entsprach die Beweislast für das Fehlen der Geschäftsfähigkeit der herl"Schenden Meinung15. Diese Regelung war auch in § 194 des E I zum BGB ausdrücklich enthalten; sie wurde von der Begründung des Entwurfs zu den anerkannten Sätzen gerechnette. Die Streichung der Bestimmung erfolgte nicht, um sachlich etwas zu ändern, sondern weil man annahm, die Rechtsprechung werde auch ohne eine ausdrückliche Norm zu derselben Verteilung der Beweislast gelangen17. Fraglich ist demnach nicht die Geltung dieser Regelung, sondern allein, Qb es sich hier um eine gesetzliche oder um eine gewohnheitsrechtliche Norm handelt. Aus denselben Gründen, die bezüglich 12 So u. a. Betzinger, Beweislast, S. 155; Rosenberg, Beweislast, S. 337 ff. (mit Nachweisen); Cüppers, Diss., S. 61, 71; Fitting, ZZP 13, 49; Wach, ZZP 29, 389; Martinius, ArchBürgR. 24, 56; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 70 I 1 (S. 349); Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 282 IV 4 b y; v . Tuhr, Allg. Teil II, 1, S. 334 N. 2; Endemann, Bürgerl. Recht, 1. Bd., S. 498; Breit, Geschäftsfähigkeit, S. 51; Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 2. Halbbd., § 150 II (S. 928); Lehmann, Allg. Teil, § 28 A I (S.173); Erman-Westermann, BGB, vor § 104, 1; Soergel-Siebert (Seydel), BGB, § 104, 8, § 105, 6; RGRK (Krüger-Nieland), § 104, 16; Palandt-Danckelmann, BGB, § 104, 6; Lepa, Diss., S. 87; RG JW 1911, 328 (Nr. 26); RG Warn. 1913 Nr. 108. Für das schweizerische Recht: Kuhn, Beweislast, S. 89 f.; Guldener, Beweislast, S. 38 f.; Meyerhofer, ZSR 22, 324; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 220-223 (S. 670 f .). 13 Insoweit ist Leonhard, Beweislast, S. 275 zuzustimmen. 14 Für Minderjährigkeit: C. 4. 19. 9; für Wahnsinn: C. 6. 36. 5. Vgl. Reinhold, Klaggrund, S. 40; Betzinger, Beweislast, S. 155. Dagegen will Leonhard, Beweislast, S . 19 f., die in Frage kommenden Stellen nur auf die konkrete Beweisführungslast, nicht auf die abstrakte Beweislast beziehen. 15 Bethmann-Hollweg, Versuche, S. 353; Weber, Verbindlichkeit zur Beweisführung, S. 131 f., 180; Savigny, System, 5. Bd., S. 155; Reinhold, Klaggrund, S. 39 f.; Maxen, Beweislast, S.llO; ROHG Bd. 17, 103; RGZ 23, 297; Regelsberger, Pandekten, 1. Bd., S . 696; Windscheid-Kipp, Pandektenrecht, 1. Bd., S. 677 N. 7; Dernburg, Pandekten, 1. Bd., S. 368/369 mit S. 366. 16 Motive, Bd. I, S. 382. 17 Protokolle, Bd. I, S. 259. Die recht dunklen - Ausführungen auf S . 260 wollen sich wohl nur gegen eine beweisschaffende Vermutung wenden.
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§ 9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit
der zivilrechtliehen Grundregel dargelegt wurden18, erscheint es auch hier als angemessen, von einer stillschweigenden gesetzlichen Regelung zu sprechen. Die vereinzelt vertretene Auffassung18, es sei stets das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit zu beweisen, ist somit unrichtig. Bei Leonhard beruht sie letztlich auf dem grundlegenden Irrtum, daß den Rechtsprätendenten notwendigerweise die Beweislast für alle materiell-rechtlich rechtsbegründenden Tatsachen treffe28 • 2. Die Gründe dieser Regelung
a) Wenn nun nach dem Grund der geltenden Beweislastregel für die Geschäftsfähigkeit gefragt wird, so geht es um die Erkenntnis jener sachlichen Überlegungen und Wertungen, deren Er,gebnis die bestehende Regelung ist. Auszuscheiden sind daher alle Argumentationen, die nur zum Nachweis der positiven Geltung der Regel dienen können. Dies gilt für den Hinweis auf die Art der Regelung im BGB21 , für die Berufung auf die Regel des Gesetzes22, für die Unterscheidung von Regelnormen und Gegennormen23, von Grundnormen und Ausnahmenormen24. Mit diesen Gesichtspunkten wird nur die formale Seite erfaßt25. Würde man sich damit begnügen, so bliebe der Blick auf die ratio der geltenden Norm verschlossen. b) Als Grund der Beweislast für das Fehlen der Geschäftsfähigkeit wird zuweilen angegeben, bei der entgegengesetzten Auffassung würde dem Kläger ein allzu schwieriger, wenn nicht .g ar unmöglicher Beweis aufgebürdet, während der Beklagte viel leichter die Voraussetzungen des Fehlens seiner Geschäftsfähigkeit nachweisen könne28. Diese Erwägung stellt jedoch kein tragendes Argument dar. Zwar mag es für den Beklagten in der Tat einfacher sein, seine Minderjährigkeit, seine Geisteskrankheit zu beweisen, da es sich um persongebundene Voraussetzungen handelt und er insoweit dem Beweis näher steht, leichter zu 1s s. oben § 5 II. 19 So insbesondere von Leonhard, Beweislast, S. 275 ff.; ihm zustimmend Seuffert, ZZP 35, 111; ferner Mosbacher, Beweislastlehre, S. 70; Lent, Gesetzeskonkurrenz, II. Bd., S. 412 (passim - Geschäftsfähigkeit sei zwar nicht zu behaupten, aber zu beweisen). 20 s. dazu oben§ 4 IV. 21 Vgl. Lehmann, Allg. Teil, § 28 AI (8.173); Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 2. Halbbd., § 150 II (S. 928); Kuhn, Beweislast, S. 90; Stein-JonasSchönke-Pohle, § 282 IV 4 b y. 22 Vgl. insbesondere Rosenberg, Beweislast, S. 339. 23 Vgl. Betzinger, Beweislast, S. 155. 24 Vgl. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 69 III 2 a (S. 346) u. § 70 I 1 (S. 349). 25 Zur Trennung der Frage nach der positiven Geltung einer Beweislastnorm von der Frage nach den sachlichen Gründen der Norm s. oben § 5. 2 6 Breit, Geschäftsfähigkeit, S. 54.
II. Beweislast bezüglich der Geschäftsfähigkeit
113
den Beweisunterlagen gelangt als der Kläger. Aber die geltende Beweislastregelung bürdet dem Beklagten ja auch den Beweis der Geschäftsunfähigkeit des Klägers auf, wenn der Beklagte aus diesem Grund etwa das Bestehen einer vertraglichen Verpflichtung leugnet. Wieso aber dem Beklagten der Beweis der Minderjährigkeit oder Geisteskrankheit des Klägers leichter fallen sollte, als dem Kläger der Beweis der eigenen Volljährigkeit oder geistigen Gesundheit, ist durchaus nicht einzusehen. Irrig ist ferner die Meinung, bei der dem geltenden Recht entgegengesetzten Beweislastregelung werde dem Kläger ein unbestimmter Negativenbeweis auferlegt27, da er das Nichtvorhandensein der Voraussetzungen aller sog. Gegennormen zu beweisen habe. Hier wird übersehen, daß dem Beweisstadium das Stadium der wechselseitigen Behauptungen vorausgeht. Stellt der Kläger die unbestimmte negative Behauptung des Nichtvorliegens von Voraussetzungen von Gegennormen, insbesondere von die Geschäftsfähigkeit ausschließenden Umständen auf, so muß der Beklagte, wenn er diese Behauptung bestreitet, seinerseits angeben, welche Umstände denn vorhanden sein sollen, und nur das Nichtvorliegen dieser konkreten einzelnen Tatsachen hätte der Kläger dann zu beweisen. Ob dabei überhaupt ein Negativenbeweis vorliegen würde, ist zweifelhaft, da es offen ist, ob man die Geisteskrankheit oder die Geistesgesundheit, die Minderjährigkeit oder die Volljährigkeit, die Trunkenheit oder die Nüchternheit als die negative Tatsache bezeichnen will. Zumindest handelt es sich dann nicht um einen Negativenbeweis, der wegen seiner besonderen Natur eine bestimmte Beweislastverteilung begründen kann. Die Rücksicht auf die Schwierigkeit des Beweises liegt demnach der geltenden Beweislastregelung kaum zugrunde. c) Auch der Gedanke des Vertrauensschutzes wird angeführt, um die Beweislastverteilung sachlich zu rechtfertigen. Man geht dabei davon aus, der Beklagte müsse es sich gefallen lassen, als geschäftsfähig angesehen zu werden, solange der Gegenbeweis nicht erbracht sei, da er als geschäftsfähig aufgetreten sei28• Dies erfordere der Schutz des begründeten Vertrauens29 , die Sicherheit des bürgerlichen Verkehrs30 • Aber diese Überlegung könnte allenfalls eine teilweise Erklärung der Beweislastverteilung zuungunsten des Anspruchsgegners bieten, nämlich nur dann, wenn dieser wirklich aktiv handelnd im Rechtsverkehr aufgetreten ist31 • Die Beweislast für seine Geschäftsunfähigkeit obliegt 27
2s 29
Lepa, Diss., S. 87. Breit, Geschäftsfähigkeit, S. 54. Guldener, Beweislast, S. 40; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz.
220, 222.
ROHG 17, 103. Vgl. Leonhard, Beweislast, S. 276, der nur bei aktiver Mitwirkung eine Wahrscheinlichkeit zugunsten der Geschäftsfähigkeit im Rahmen der Beweisführung berücksichtigen will. so
st
8
Leipold
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§
9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeß:fähigkeit
ihm aber auch dann, wenn es um die Wirksamkeit einer ihm gegenüber abgegebenen Willenserklärung geht, ferner hat er auch die Geschäftsunfähigkeit seines Gegners zu beweisen, auf die er sich zu seinem Schutz beruft. In beiden Fällen kann keine Rede davon sein, daß der Beweisbelastete ein zu seinen Ungunsten schutzwül'diges Vertrauen veranlaßt habe. Aber auch bei aktivem Handeln desjenigen, der nun geschäftsunfähig gewesen sein will, ist der Gedanke des Vertrauensschutzes nicht anwendbar, denn die Zurechnung der Verursachung dieses Vertraurens würde ja bereits die Verantwortlichkeit voraussetzen. Daß nach der geltenden Rechtsordnung der Schutz des Vertrauens, die Verkehrssicherheit beim Vorliegen von Geschäftsunfähigkeit und beschränkter Geschäftsfähigkeit gegenüber dem Schutz des Unfähigen zurückgestellt ist, zeigt sich im übrigen eindeutig am Fehlen eines Gutglaubensschutzes. Weder beim Erwerb von beweglichen und unbeweglichen Sachen, noch im Recht der Wertpapiere (das- insbesondere das Wechselrecht-so sehr auf den Gedanken des Vertrauensschutzes zugeschnitten ist) wird der Sicherheit des Rechtsverkehrs der Vorzug gegeben. d) Schließlich wird wiederholt auf die tatsächliche Wahrscheinlichkeit als Grund der Beweislast für die Geschäftsunfähigkeit hingewiesen32. Diese Überlegung ist berechtigt. Die ganz überwiegende Zahl der Menschen befindet sich nicht in einem die Geschäftsfähigkeit ausschließenden Zustand; Geisteskrankheit und Entmündigung sind statistisch gesehen Ausnahmefälle33• Daß die Berücksichtigung der Regel des Lebens eine sinnvolle sachliche Grundlage für die besonderen Beweislastregeln des Zivilrechts darstellt, wurde bereits dargelegt34 • Indem die Beweislastregelung der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit angepaßt wird und angeoronet wird, es sei zu entscheiden, als ob die allgemein wahrscheinlichere Tatsache- hier die Voraussetzung der Geschäftsfähigkeit - vorliege, wird eine Wahrscheinlichkeit dafür begründet, daß die Beweislastentscheidung mit der tatsächlichen Sach- und Rechtslage übereinstimmt. Unter Berücksichtigung der lebensmäßigen Wahrsch-einlichkeit ist es gerecht, die Behauptung der Geschäftsunfähigkeit nur dann anzuerkennen, wenn die Voraussetzungen nachgewiesen sind, und so die Gefahr allzu billiger "Schutzbehauptungen" auszuschließen. e) Der letzte Grund für die geltende Beweislastverteilung aber dürfte in den Prinzipien unserer Rechtsordnung überhaupt zu suchen sein. 32 z. B. von Breit, Geschäftsfähigkeit, S. 52; Martinius, ArchBürgR. 24, 56; v. Tuhr, Allg. Teil, II, 1, S. 334 N. 2; Kuhn, Beweislast, S. 90; Guldener, Beweislast, S . 39; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 220; Cüppers, Diss., S. 71; BGH NJW 1962, 1510.
33 Zur Problematik des Wahrscheinlichkeitsgesichtspunktes bezüglich der Minderjährigkeit s. unten 3. 34 s. oben § 5 IV 2.
II. Beweislast bezüglich der Geschäftsfähigkeit
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Das Recht setzt den ver:antwortlich handelnden Menschen voraus. Es geht davon aus, daß der Mensch die Fähigkeit dazu auf Grund seiner Vernunft von Natur aus hat35 • Die Freiheit des Menschen, seine Einsichtsfähigkeit und die daraus resultierende Verantwortlichkeit für sein Handeln sind die ontologischen Grundvorstellungen vom Menschen, auf denen die gesamte Rechtsordnung aufbaut - mögen diese Voraussetzungen nun rational nachweisbar sein oder nicht. Die rechtliche Konsequenz dieser Vorstellung, ihr notwendiger Ausfluß ist die Zubilligung von Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit. Das Recht erkennt den Anspruch des Menschen auf die rechtliche Handlungsfähigkeit, auf die Geschäftsfähigkeit an, weil er dem Menschen seiner Natur nach zusteht. Nur unter ganz besonderen Voraussetzungen darf dieser eingeschränkt oder versagt werden. Diese Wertung bei feststehender Tatsachenlage ergreift auch das Problem der Beweislastverteilung. Es erscheint erträglicher, daß der Schutz des nicht zur vollen Verantwortlichkeit Gelangten zurück•g estellt werde, als daß einem Menschen die Verantwortlichkeit abgesprochen werde, obwohl sie ihm nach seiner Natur zusteht. Auch hier werden die entscheidenden Wertungen klar, wenn man die jeweils drohenden Fehlurteile gegenüberstellt3 G. Daß bei der Abwägung der Bejahung der Natur des Menschen und nicht dem Schutz des Unfähigen der Vorzug gegeben wird, ist freilich rational nicht beweisbar, sondern stellt eine einerseits intuitive, andererseits historisch gewordene Wertung dar. Es handelt sich- um Mißverständn~sse auszuräumen um eine Wertung der positiven Rechtsordnung, nicht um eine unabdingbare naturrechtliche Konsequenz. Das Absprechen der Geschäftsfähigkeit wird als ein so tiefgreifender Eingriff in die menschliche Natur aufgefaßt, daß er nur gerechtfertigt und erträglich erscheint, wenn die Voraussetzungen positiv nachgewiesen sind. So •g esehen beruht die Beweislastverteilung auf der besonderen Art der Rechtsfolge, um deren Voraussetzungen es geht. Dem Recht des Menschen auf seine Vernntwortlichkeit entspringt aber zugleich auch die Verpflichtung, sich als selbstverantwortlich behandeln zu lassen. Die Verantwortlichkeit des Menschen ist seiner Verfügungsmacht entzogen. Sie ist gegeben, gleich ob sie sich zu seinen Gunsten oder zu seinen Ungunsten auswirkt. Daraus erklärt es sich auch, daß die eben dargestellte Wertung für die Geschäftsfähigkeit als Teilstück der menschlichen Freiheit und Verantwortlichkeit die Beweislast unabhängig davon bestimmt, ob eine Partei die Geschäftsfähigkeit der anderen bestreitet oder ihre eigene. Im einen Fall steht 35 Anklänge zum folgenden finden sich bei Reinhold, Klaggrund, S. 39 (freier Vernunftgebrauch als begriffsmäßiges Attribut der menschlichen Natur). 36 Zur Bedeutung dieses methodischen Weges vgl. schon oben § 5 III 1.
s•
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§ 9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozellfähigkeit
der Anspruch des Gegners auf die Geschäftsfähigkeit im Vordergrund der Wertung, im anderen die eigene Verpflichtung zur Verantwortlichkeit. 3. Die Geltung derselben Beweislastregelung für das Alterserfordernis
In Abweichung von der h. M. wird zuweilen die Auffassung vertreten, die Volljährigkeit sei - anders als die 'geistige Gesundheit, das Nichtvorliegen einer Entmündigung - von dem zu beweisen, der sich darauf berufe37• Bei tatsächlicher Unklarheit wäre nach dieser Auffassung so zu entscheiden, a~s ob Minderjährigkeit vorliegen würde. Der Wortlaut des BGB gibt für eine unterschiedliche Behandlung jedoch keinen Anhalt38• Wenn man schon entscheidend auf die Fassung abstellt, dann sind auch hier die Rechtsfolgen der Erklärung eines Minderjährigen, nicht derjenigen eines Volljährig.en geregelt. Zudem ergab sich die geltende Regelung nur zusammen mit der Betrachtung der vor dem BGB geltenden Rechtslage und der Erwägungen bei Schaffung des BGB. Dabei lassen sich keine Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Regelung finden. Immerhin aber ist die gesetzliche Regelung nicht so eindeutig fixiert, daß eine Sonderbehandlung ausgeschlossen wäre. Entscheidend muß daher sein, inwieweit die sachlichen Gründe für die Beweislastregelung bezüglich Geisteskrankheit und Entmündigung auch für die Minderjährigkeit zutreffen. Zur Rechtfertigung der Abweichung wird nun geltend gemacht, anders als bei Geisteskrankheit und Entmündigung könne man hier nicht von einer tatsächlichen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen des Gegenteils, also der Volljährigkeit, ausgehen; von einem Normalzustand der Volljährigkeit könne man nicht sprechen39• Dies dürfte statistisch gesehen zutreffen, auf jeden Fall ist das eventuelle zahlenmäßige Überwiegen der Volljährigen innerhalb der Bevölkerung nicht so bedeutend, daß man darauf die Beweislastnorm gründen könnte. Der Argumentation ist aber mit Recht entge",rnengehalten worden, daß es nicht auf die Wahrscheinlichkeit schlechthin, sondern auf diejenige im rechtlichen Verkehr ankomme; rechtsgeschäftliches Handeln Unmündiger aber entspreche nicht der Erfahrung40 • Immerhin giltdiese Erwägung nur für aktives Handeln Minderjähriger, eventuell noch für persönliches Handeln ihnen gegenüber. Hier läßt sich aus der Tatsache, daß das Rechtsgeschäft abgeschlossen wurde, die Wahrscheinlichkeit herleiten, 37 So v. Beckh, Beweislast, S.135 ff.; Schloßmann, Stellvertretung, 2. Teil, S. 579 N.1; Hellwig, System I, § 157 II 2 a, ß (S. 475 f.); Staudinger-Coing, BGB, Vorbem. vor § 104, Rdz. 10. 38 So mit Recht Rosenberg, Beweislast, S. 339. A. M. Beckh, Beweislast, s. 141. 39 So Hellwig, System I, § 157 II 2 a, ß (S. 475 f.); Schloßmann, Stellvertretung, 2. Teil, S. 579 N. 1; Staudinger-Coing, BGB, vor § 104, Rdz. 10. 4o Breit, Geschäftsfähigkeit, S. 53/54; Guldener, Beweislast, S. 39.
II. Beweislast bezüglich der Geschäftsfähigkeit
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daß kein Minderjähriger beteiligt gewesen sei. Für den Empfänger einer schriftlichen Willenserklärung dagegen kann dasselbe nicht gelten. Die Wahrscheinlichkeit als Grundlage der Beweislastentscheidung scheidet also keineswegs vollständig aus, erleidet aber doch gewisse Einschränkungen. Dagegen sprechen die Gründe des Vertrauensschutzes und der Beweisschwierigkeiten ebensosehr - und ebensowenig - für die Beweislast bezüglich der Minderjährigkeit wie bei anderen Gründen mangelnder Geschäftsfähigkeit. Die entscheidende, aus der Behandlung der menschlichen Natur abgeleitete Wertung zugunsten der Einsichtsfähigkeit und Verantwortlichkeit gilt ebenso für die Minderjährigkeit wie etwa für die Geisteskrankheit. Auch bei der Minderjährigkeit handelt es sich um eine Einschränkung der dem Menschen an sich zustehenden Handlungsfähigkeit. Die Erwägung, den Schutz des Minderjährigen gegenüber der Zubilligung voller menschlicher Natur zurückstehen zu lassen, ist im Ergebnis sogar weniger problematisch als bei Geisteskrankheit und Entmündigung. Es wird sich nämlich in Zweifelsfällen - soweit diese nicht ohnehin nur theoretisch auftauchen - stets um Grenzfälle handeln, um die Frage also, ob die Volljährigkeit bei Abschluß eines Rechtsgeschäftes gerade schon eingetreten war ode.:: gerade noch nicht. Wo aber die genaue Grenze zwischen Minderjährigkeit und Volljährigkeit liegt, muß zwar aus Gründen der Rechtssicherheit gesetzlich exakt ,b estimmt werden, doch hat diese Regelung in einem gewissen Bereich keine zwingende sachliche Begründung hinter sich. Man könnte die Volljährigkeit ebenso - wie schon der Blick auf ab'Weichende gesetzliche Ordnungen zeigt- bereits mit 18 oder erst mit 22 Jahren eintreten lassen, ohne gegen rechtliche Wertvorstellungen zu verstoßen und so der Regelung ihre innere Berechtigung zu nehmen. Wenn nun infolge einer Beweislastentscheidung einmal schon ein 20jähriger aus einem Vertrag verpflichtet werden sollte, so stellt das an das Gerechtigkeitsgefühl keine besonderen Anforderungen, und erweckt jedenfalls weniger nicht mehr- Bedenken als die Verpflichtung eines Geisteskranken auf Grund der dort anerkannten Beweislast für die Geschäftsunfähigkeit. 111. Die Vbernahme dieser Beweislastregelung für die Prozeßfähigkeit 1. Die bleibende Bedeutung der Gründe der Regelung Die Beweislastnormierung für das Fehlen der Geschäftsfähigkeit hat eine Abweichung vom allgemeinen Grundsatz zum Inhalt, wonach der Anspruchsprätendent alle Voraussetzungen seines Rechts beweisen müßte. In paralleler Weise ist im Prozeßrecht der Grundsatz allgemein anerkannt, daß derjenige, der ein Sachurteil begehrt, also in der Regel
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§ 9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit
der Kläger, die Voraussetzungen eines Sachurteils zu beweisen hat41. Die wiedergegebene Formulierung des Satzes geht von der subjektiven Beweislast aus. Stellt man -wie dies hier geschi~ht- die objektive Beweislast in den Vordergrund, so lautet der Grundsatz: Besteht Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen einer Sachurteilsvoraussetzung, so ist zu entscheiden, als ob die Sachurteilsvoraussetzung nicht erfüllt wäre (d. h., das Sachurteil ist zu versagen). Diese Regel beruht letztlich auf denselben Erwägungen wie die privatrechtliche Grundregel42. Man .geht davon aus, daß es der Kläger ist, der etwas - nämlich das Urteil in der Sache - erlangen will, der somit prozessual in der Angreiferstellung ist. Sind die tatsächlichen Voraussetzungen der von ihm erstrebten Änderung in der Welt des Rechts nicht nachgewiesen, so wird es als die befriedLgendere Lösung empfunden, den bisherigen Zustand beizubehalten und den Erlaß eines Sachurteils abzulehnen. Der Schutz der bestehenden Rechtslage ist hier also ebenfalls Hintergrunrl der Regel. Entspricht aber die sachliche Begründung des Prinzips derjenigen im Privatrecht, so erscheint auch der Weg für eine Abweichung davon grundsätzlich aus denselben Gründen möglich wie im Privatrecht, falls nicht besondere prozessuale Gesichtspunkte entgegenstehen. Dem Gedanken des Vertrauensschutzes wurde schon für die Rechtfertigung der Beweislast bezüglich der Geschäftsfähigkeit weitgehend die Bedeutung abgesprochen. Er kommt auch für die Prozeßfähigkeit nicht in Betracht, soweit es sich um diese als Sachurteilsvoraussetzung handelt. Denn der Beklagte wird ohne seinen Willen in den Prozeß gezogen, begründet also kein Vertrauen, der Kläger aber will selbst ohnehin als prozeßfähig gelten, d. h. die Annahme der Prozeßfähigkeit schützt nicht den Beklagten. Daneben ist die Prozeßfähigkeit jedoch auch Prozeßhandlungsvoraussetzung43 • Soweit es um die Wirksamkeit einer Prozeßhandlung, etwa eines Geständnisses, Verzichts, Vergleichs44 geht, kann man den Gedanken oes Vertrauensschutzes (d. h . die Annahme der Prozeßfähigkeit zum Nachteil des aktiv Handelnden) mit rlemselben Recht und mit denselben Bedenken heranziehen wie bezüglich der Geschäftsfähigkeit. Soweit rlie besondere Beweislastregelung für die Geschäftsfähigkeit durch die tatsächliche Wahrscheinlichkeit getragen wird, gilt dieser 41 Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 274 I 2 e; Rosenberg, Lehrbuch, § 89 IV 2 (S. 429); Lent-Jauernig, Zivilprozeßrecht, §50 IV 1 (S. 152); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 39 II 1 (S. 192). 42 Vgl. dazu oben § 5 III. 43 Vgl. Rosenberg, Lehrbuch, § 43 III 1 (S. 186 f.); Stein-Jonas-Pohle, §51
II. - Im Zusammenhang mit der Beweislast wird die doppelte Bedeutung nur bei Stein-Jonas-Pohle, §56 II 3 (S. 352 N. 23) erwähnt. 44 Daß es sich dabei um Prozeßhandlungen handelt und die Pr ozeßfähigkeit, nicht die Geschäftsfähigkeit entscheidend ist, wird vorausgesetzt.
Ill. übernahme dieser Regeln für die Prozeßfähigkeit
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Grund auch für die Prozeßfähigkeit. Auch bei den im Prozeß auftretenden Personen entspricht es der Regel, daß Geisteskrankheit und Entmündigung nicht vorliegen45 • Bezüglich der Volljährigkeit ist die Wahrscheinlichkeit eingeschränkt wie im Privatrecht. Man darf zwar davon ausgehen, daß die Klage in der Regel von einer volljährigen Person erhoben wird, doch ergibt die Lebenserfahrung nicht unbedingt eine überwieg€nde Wahrscheinlichk€it für die Volljährigkeit des (zunächst ja völlig passiven) Beklagten. Entscheidend .ab€r ist, daß die grundlegende Wertung, die hinter der Beweislastregelung für die Geschäftsfähigkeit steht, im vollen Umfang auch für die Prozeßfähigkeit zu gelten hat. Die Verweisung auf die Geschäftsfähigkeit ist ja nicht nur zufällig. Vielmehr stellen Geschäftsfähigkeit und Prozeßfähigkeit nur zwei Seiten der umfassenden rechtlichen Handlungsfähigkeit des Menschen dar48 • Die Fähigkeit, die eig&nen Rechte oder das Freisein von rechtlichen Pflichten im Rechtsstreit geltend zu machen, ist ebenso notwendig aus den grundlegenden Annahmen über die menschliche Natur abgeleitet wie die Geschäftsfähigkeit. Wenn daher das Absprechen der Geschäftsfähigkeit nur dann gerechtfertigt erscheint, wenn die Voraussetzungen feststehen, so muß dieselbe Wertung auch für die Prozeßfähigkeit gelten. Die entgegengesetzte Auf:fiassung würde einen sarhlich ungerechtfertigten Widerspruch darstellen. 2. Das Fehlen prozessualer Gegenargumente
a) Keine Gegenargumente aus der prozessualen Sachlage Die Übernahme der Beweislastverteilung für die Geschäftsunfähigkeit auch im Hinblick auf die Prozeßfähigkeit wird nicht dadurch beeinflußt, daß anders als bei der Geschäftsfähigkeit Fälle der Beweisschwierigkeit gar nicht auftauchen würden. Man ist zwar zunächst versucht, dies anzunehmen, da es sich anders als bei der Geschäftsfähigkeit um den Beweis eines gegenwärtigen Zustandes handle47 • In der Tat kommt es ja für die Zulässigkeit der Klage auf das Vorliegen 45 Daß diese Wahrscheinlichkeit besteht, wird auch von jenen anerkannt, die die Beweislast abweichend von der Regelung für die Geschäftsfähigkeit bestimmen wollen; sie soll aber nur als tatsächliche Vermutung im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet werden, vgl. Rosenberg, Beweislast, S. 392; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 8 III 3 (S. 49); Struckmann-Koch, §56, i (S. 57); BGHZ 18, 189 f.; LG Essen, JMBl. NRW 1953, 283 ; OLG München, Bay. JMBl. 1954, 82. Das Bestehen der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit betonen auch SteinJonas-Pohle, §56 li 3 (S. 352 N. 23). 46 Vgl. Begründung zum Entwurf der CPO, Materialien, 1. Abt., S. 166; Planck, Lehrbuch, 1. Bd., S. 214. 47 Diesen Unterschied bringt Rosenberg, Beweislast, S. 392, als einzigen inneren Grund der Verschiedenbehandlung. Zur zweiten Bedeutung des Arguments s. unten 2 c.
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§ 9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit
der Prozeßfähigkeit der Parteien im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an48• Aber es kann der Fall eintreten, daß die jetzige Prozeßunfähigkeit einer Partei feststeht, ihr Vorliegen im Zeitpunkt der Klageerhebung jedoch nicht mehr zu klären ist. Nach diesem Zeitpunkt aber richtet es sich dann, ob die Klage als unzulä·ssig abzuweisen ist oder ob eine nachträgliche Unterbrechung des Verfahrens (§ 241 I ZPO) anzunehmen ist49 • So war die Sachlage gerade in der grundlegenden Entscheidung des BGH50• Man darf ferner auch hier nicht außer Acht lassen, daß die Prozeßfähigkeit nicht nur Sachurteilsvorausset· zung, wndern auch Prozeßhandlungsvoraussetzung ist. Ist die Wirk· samkeit einer bereits vorgenommenen einzelnen Prozeßhandlung fraglich, so ·ist ein vergangener Zustand entscheidend. Gerade wenn es um einen vergangeneo Zustand geht, werden praktisch am ehesten Fälle auftreten, wo sich keine Klärung herbeiführen läßt und wo deshalb die Beweislastregel entscheiden muß. Die Beweisschwierigkeit besteht also auch bei der Prozeßfähigkeit. Aber es läßt sich auch hier- ebenso wie für die Geschäftsfähigkeit - nicht generell sagen, welcher der Parteien der Beweis leichter fällt, so daß man für die Beweislastverteilung keinen Anhalt .gewinnen kann. Der Blick auf die vorliegenden Entscheidungen zeigt einen zweiten typischen Fall, in dem sich eine volle Klärung nicht ermöglichen ließ. Es handelt sich um die Situation, daß zwar Anhaltspunkte für die Gei· steskrankheit einer der Parteien bestehen, deren eindeutige Feststellung jedoch eine stationäre Untersuchung erfordern würde. Diese wird aber von der betreffenden Partei verweigert51 • Nach der geltenden Ver· fahrensordnung besteht - wovon die angeführten Entscheidungen ausgehen - keine Möglichkeit, die Parteien im gewöhnlichen Streitverfahren zu zwingen, sich überhaupt untersuchen zu lassen oder gar zu diesem Zweck einen Anstaltsaufenthalt auf sich zu nehmen52• Bei dieser Lage könnte man es zunächst als unbillig empfinden, wenn die verweigernde Partei Vorteil aus ihrer Weigerung ziehen könnte. Aber diese Unbilligkeit wird weder von der herrschenden Beweislastverteilung noch bei der Übernahme der Beweislastregelung für die GeVgl. Rosenberg, Lehrbuch, § 43 III 1 a (S. 186). Bzw. ob die Rechtsfolgen des § 246 ZPO in Frage kommen, sofern der Prozeßbevollmächtigte von der Partei noch im Zustand der Prozeßfähigkeit bestellt wurde. 5o BGHZ 18, 184; dies wird S. 188 unten und 189 f. deutlich. Auch bei BGH LM § 331 ZPO Nr. 1 scheint die Unklarheit über die Vergangenheit im Vordergrund zu stehen. Ebenso dürfte es bei den Entscheidungen RG bei Bolze, Praxis des RG in Zivilsachen, Bd. 11, Nr. 665 (offen blieb die Geisteskrankheit des Beklagten bei Klagezustellung) und RG JW 1905, 73 (Zeitpunkt der Klageerhebung angesprochen) gewesen sein. 51 So bei den Entscheidungen LG Essen, JMBI. NRW 1953, 283; OLG München, Bay. JMBI.1954, 81 f.; BGH NJW 1962, 1510. 52 Vgl.- allgemein BGH NJW 1952, 1215; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, IV 1 vor § 371. 48
49
III. Übernahme dieser Regeln für die Prozeßfähigkeit
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schäftsfähigkeit in beiden möglichen Fallgestaltungen vermieden. Geht es um die Prozeßfähigkeit des Beklagten ·und verweigert dieser die Untersuchung auf seinen Geisteszustand53 , so würde ihm der Vorteil der Weigerung genommen, wenn man ihn - wie im Privatrecht als geschäftsfähig- als prozeßfähig ansehen würde. Ist dagegen die Prozeßfähigkeit des Klägers zweifelhaft, und will dieser sich nicht stationär untersuchen lassen54 , so würden der Vorteil des Klä·g ers und der Nachteil des BekLagten vermieden, wenn man den Kläger mit der Beweislastverteilung der h. M. trotz des Zweifels als prozeßunfähig behandeln würde. Im ersten Fall würde die Beweislastverteilung des BGB, im zweiten die der h. M. zum "billigen" Ergebnis gelangen. Nicht die generelle Beweislastregelung - gleich welche der beiden diskutablen Möglichkeiten - könnte also Abhilfe schaffen, sondern nur eine auf die Einzelsituation bezogene Regelung. Es drängt sich denn auch der Gedanke an den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz auf, wonach bei verschuLdeter Beweisvereitelung eine Umkehr der Beweislast eintritt55 • Man würde, diesem Grundsatz folgend, jeweils zuungunsten dessen entsche~den, der seine Untersuchung verweigert. Aber bei genauerem Zusehen erweist sich auch dieser Weg zumeist58 als nicht gangbar. Eine solche Sanktion der Verweigerung würde nämlich selbst wieder die Feststellung der Verantwortlichkeit voraussetzen, deren Klärung gescheitert ist57 • Wenn die Partei nämlich prozeßunfäh~g ist, dann ~ann man ihr auch nicht die Weigerung zum Nachteil gereichen lassen. Ferner erscheint die Beweislastumkehr auch deshalb problematisch, weil es doch äußerst zweifelhaft ist, ob man der Partei generell eine stationäre Untersuchung in einem gewöhnlichen (d. h. nicht durch besonderes Gewicht ausgezeichneten) Prozeß zumuten kann. Die prozessuale Situation, in der die Beweislosigkeit auftauchen kann, führt also nicht zu einer besonderen Beweislastverteilung. b) Keine entgegenstehende Wertung der ZPO Die allgemeine Behandlung der Prozeßfähtgkeit durch die ZPO könnte eine Wertung erkennen lassen, die der Übernahme der Beweislastregel entgegenstünde. So bei BGH NJW 1962, 1510. So bei den zitierten Entscheidungen des LG Essen u. des OLG München. Vgl. insbesondere Blomeyer, Umkehr der Beweislast, AcP 158, 99 ff. mit umfassenden Literaturhinweisen; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 282 IV 7 b (Berücksichtigung im Rahmen der Beweiswürdigung, wenn schuldhaft), vgl. auch vor § 371 IV 3. 56 Das folgende Argument gilt nicht, wenn (ausnahmsweise) durch eine Untersuchung der jetzt prozeßfähigen Partei geklärt werden soll, ob sie zu einem früheren Zeitpunkt prozeßunfähig war. insoweit richtig - BGH NJW 1962, 1511. 57 Vgl. 53 54 55
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§ 9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit
§ 56 I ZPO bestimmt, daß der Mangel der Prozeßfähigkeit von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Diese Vorschrift hat einen zweifachen Inhalt58 • Sie ergibt einmal, daß die Prozeßfähigkeit auch ohne Einrede zu prüfen ist. Daraus läßt sich kein Argument gegen die Beweislast für die Prozeßunfähigkeit herleiten. Auch die Berücksichtigung der Geschäftsunfähigkeit ist, wie bei materiell-rechtlichen Mängeln in aller Regel, nicht von einer Einrede abhängig. Durch§ 56 I wird insoweit nur die mißverständliche Fassung des § 274 II Nr. 7 ZPO berichtigt. Zum anderen ergibt sich aus § 56 I ZPO, daß ein Geständnis bezüglich der die Prozeßunfähigkeit begründenden Tatsachen ohne Wirkung ist, daß also die Prozeßfähigkeit insoweit der Parteidisposition entzogen ist. Daraus läßt sich aber nicht schließen, die ZPO spreche dem Vorliegen der Prozeßfähigkeit eine so fundamentale Bedeutung ZIU, daß eine Prozeßabwicklung trotz unklärbarer Zweifel unerträglich wäre. Vielmehr steht hinter beiden Inhalten des § 56 I ZPO die richtige Erkenntnis, daß ein Abstellen auf das Parteiverhalten, nämlich auf das Unterlassen der Einrede oder das Geständnis, ja bereits die Anerkennung der Verantwortlichkeit voraussetzen würde59 •
c) Keine unannehmbaren prozessualen Konsequenzen Gewichtiger ist die Erwägung, das Vorliegen der Proreßfähi·gkeit dürfe deshalb nicht bei Beweislosigkeit unterstellt werden, weil dann das Verfahren "auf die Gefahr der Mangelhaftigkeit und der sich daraus möglicherweise später ergebenden Rechtsfolgen hin fortgesetzt" werde60 • Es ist dies der zweite und bedeutendere Inhalt des Gedankens, daß es bei der Prozeßfähigkeit um einen gegenwärtigen Zustand gehe, anders als bei der Prüfung der Geschäftsfähigkeit61 • Das Argument scheidet wiederum für jene Fälle aus, in denen es auch bei der Prozeßfähigkeit um eine Klärung vergangenen Prozeßgeschehens geht. Soweit aber tatsächlich die Fortführung des Verfahrens in Frage steht, ist nun zu prüfen, ob das auf Grund der Unterstellun,g der Prozeßfähigkeit fortgesetzte Verfahren wirklich fehlerhaft und von einer späteren Nichtigkeitsklage bedroht ist. Daß bei Fehlen der Prozeßfähigkeit die Nichtigkeitsklage nach § 579 I Ziff. 4 ZPO zur BeseiUgung des rechtskräftigen Urteils gegeben ist, wird - obwohl der Wortlaut ss Zum Inhalt der Berücksichtigung von Amts wegen siehe Stein-JonasPohle, § 56 II. 59 Daß durch die hier vertretene Beweislastverteilung das in § 56 ZPO enthaltene Schutzprinzip aufgehoben würde, wie BAG 6, 81 meint, ist nicht einzusehen. &o So BGH NJW 1962, 1510; ähnlich BAG 6, 80 (Schutz des Gegners des eventuell Prozeßunfähigen vor späterer Nichtigkeitsklage); Planck, Lehrbuch, 1. Bd., S. 218 (Vermeidung der wegen Nichtigkeit unnützen Verhandlungen). 61 Rosenberg, Beweislast, S. 392; BGH a. a. 0.
III. Übernahme dieser Regeln für die Prozeßfähigkeit
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des Gesetzes insoweit nicht völlig klar ist - alLgemein bejaht62 • Die Nichtigkeitsklage wird jedoch dann versagt, wenn die Prozeßfähigkeit in einem Zwischen- oder Endurteil ausdrücklich bejaht worden ist83 • Hinter dieser Auffassung steht der Gedanke, daß nur bei Versehen des Gerichts die Nichtigkeitsklage gerechtfertigt erscheint, nicht, wenn es sich bereits um Klärung bemüht hat. Die Nichtigkeitsklage gewinnt damit vor allem die Funktion, die subjektive Bemühung des Gerichts um Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu überwachen. Gilt diese Erwägung, so muß die Nichtigkeitsklage aber auch dann ausgeschlossen sein, wenn das Gericht sich mit der Proz·eßfähigkeit befaßt hat, keine Klärung erzielen konnte und dann die Prozeßfähigkeit auf Grund der Beweislastnorm unterstellte. Auch in diesem Fall liegt kein Versehen des Gerichts vor. Der Ausschluß der Nichtigkeitsklage bei Feststellung durch das Gericht, auch wenn sich nachträglich der Irrtum herausstellt, zeigt, daß der Mangel als solcher nicht als völlig unerträglich bewertet wird. d) Vermeidung von Schwierigkeiten Die Übernahme der Beweislastregel aus dem BGB erspart schließlich die bei der h. M. auftretenden Schwierigkeiten, bei bestehendem Zweifel überhaupt eine Rechtsdurchsetztmg zu ermöglichen84 • Läßt sich die Frage nach der gegenwärtigen Volljährigkeit nicht klären, so ist ebensowenig der Nachweis der gesetzlichen Vertretungsmacht der Eltern möglich. Bestehen unbehebbare Zweifel an der geistigen Gesundheit, so ist auch keine Entmündigung oder (schon gar nicht bei Fehlen der Einwilligung) Pflegerbestellung nach § 1910 I BGB möglich. Ließe man es dabei bewenden, so wäre die Rechtsdurchsetzung auf Grund des Zweifels für und gegen den vielleicht Prozeßunfähigen ausgeschlossen. Daß dies unerträglich ist, liegt auf der Hand. Man müßte also schon bei Zweifeln an der Prozeßfähtgkeit die Vertretungsmacht der in Frage kommenden Personen bejahen bzw. herbeiführen. Nun wäre das bezüglich der Anerkennung der Eltern als gesetzliche Vertreter wohl akzeptabel. Eine Entmündigung bei bloßem Zweifel jedoch erscheint wegen der Schwere des Eingriffs völlig ausgeschlossen, auch eine Pflegerbestellung unter Beiseitelassung des Einwilli:gungserfordernisses65 62 Rosenberg, Lehrbuch, § 43 III 5 (S. 190); Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 8 III 4 (S. 49 f.); Stein-Jonas-Pohle, §56 I 2; Baumbach-Lauterbach, § 579, 4; Wieczorek, § 579, B IV a. 63 Rosenberg, a. a. 0. u. § 155 I 3 (S. 774); Blomeyer, a. a. 0.; Wieczorek, § 579 A II (für alle Nichtigkeitsgründe); für die Parteifähigkeit BGH JZ 1959, 127 u. Baumbach-Lauterbach, § 579, 5. 64 Stein-Jonas-Pohle, §56 III 3 (S. 352 N. 23). 65 Die Einwilligung wird für entbehrlich gehalten, wenn eine Verständigung ausgeschlossen ist oder der freie Wille fehlt (vgl. Palandt-Lauterbach, BGB, § 1910, 2 d mit Nachweisen), aber auch dies würde die Feststellung des Defekts voraussetzen.
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§ 9 Beweislast für die Voraussetzungen der Prozeßfähigkeit
ist höchst bedenklich. So ist der vom BGH88 gezeigte Ausweg der Bestellung eines Vertreters nach § 57 I ZPO wohl die einzige Lösung. Diese Möglichkeit ist freilich keineswegs durch den Gesetzestext vorgegeben, wie der BGH selbst sieht. Die Schwierigkeit ist so zwar nicht unbehebbar - da sie behoben werden muß. Aber es zeigt sich doch, daß jene Beweislastverteilung, die dieses Problem vermeidet, mit dem Gesamtsystem des BGB und der ZPO bezüglich Geschäftsfähigkeit, Prozeßfähigkeit, Vertretungsmacht und Vertreterbestellung weitaus besser in Einklang steht.
e) Ergebnis Behalten nach alledem die Gründe für die Beweislastregelung bezüglich der Geschäftsfähigkeit auch hinsichtlich der Prozeßfähigkeit ihr Gewicht und sprechen prozessuale Erwägungen nicht gegen, sondern sogar für dieselbe Lösung, so ist die Beweislastregel auf Grund der Verweisung mit zu übernehmen. Läßt sich also nicht klären, ob eine Partei prozeßfähig war oder ist, so ist sie als prozeßfähig zu behandeln.
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BGH NJW 1962, 1510 f.
§ 10 Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen bei Verweisungen des Strafrechts auf das bürgerliche Recht I. Die allgemeine Unanwendbarkeit der privatrechtliehen Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen im Strafrecht 1. Fragestellung und ganz überwiegende Antwort
Das geltende deutsche Strafrecht verweist in zahlreichen Fällen auf Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Das ist trotz der Bemühungen um selbständige Begriffsbildung des Strafrechts1 nicht zu bestreiten. Wieweit bürgerlich-rechtliche Normen zur Anwendung kommen, ist eine Frage der Auslegung der strafrechtlichen Tatbestän'de2 • Um eine Zusammenstellung aller Verweisungsfälle •geht es hier nicht. Einige Beispiele sollen genügen. So ist bei den Eigentumsdelikten, also bei Diebstahl, Unterschlagung, Raub und Sachbeschädigung anerkannt, daß unter fremden Sachen im Sinne der §§ 242, 246, 249 und 303 StGB Sachen zu verstehen sind, die nicht im bürgerlich-rechtlichen Eigentum des Täters stehen3 • Für den Tatbestand der Pfandkehr (§ 289 StGB) ist aus dem bürgerlichen Recht zu beantworten, wer Nutznießer oder Pfandgläubiger ist, wem ein Gebrauchs- oder Zurückbehaltungsrecht an der Sache zusteht'. Bürgerlich-rechtliche Vorschriften kommen auch zur Anwendung, soweit bei Betrug (§ 263 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB) die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils bzw. der Bereicherung durch das Bestehen eines zivilrechtliehen Anspruchs ausgeschlossen wird5• Schließlich sind die Rechtfertigungsgründe der §§ 228 und 904 BGB auch im Strafrecht anwendbar8• Hier wird die Verweisung über das Merkmal der Rechtswidrigkeit bewirkt. In diesen und sonstigen Fällen entstehen auf Grund der Verweisung zivilrechtliche Vorfragen für den Strafrichter. Die Entscheidungskompetenz dafür ist ihm durch § 262 I StPO ausdrücklich eingeräumt. Dabei kann man fragen, ob mit den sachlich-rechtlichen Normen auch die Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen des bürgerlichen 1 Vgl. insbesondere Bruns, Die Befreiung des Strafrechts vom Zivilistischen Denken. 2 So schon Glaser, Handbuch, 2. Bd., S. 90 und Zitelmann, AcP 99, 18. 3 Vgl. Welzel, Strafrecht, § 46, 1 c (S. 301) ; Bruns, Befreiung, S. 290 ff. ' Vgl. Schönke-Schröder, StGB, § 289 Rdz. 3-7. 5 Vgl. Schönke-Schröder, StGB, § 263 Rdz. 125 ff. und § 253 Rdz. 19. B Maurach, Allg. Teil, § 27 !II 1 und 2 (S. 277).
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§ 10 Verweisungen des Strafrechts auf das bürgerliche Recht
Rechts anzuwenden sind. Holte sich z. B. A einen an B veräußerten Wagen eigenmächtig von diesem zurück, und beruft er sich nun darauf, er sei bei der Veräußerung betrunken gewesen, so wäre - sofern sich diese Frage nicht klären läßt - bei Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Beweislastregel bezüglich der GeschäftsfähigkeiF so zu entscheiden, als ob A nüchtern gewesen wäre, d. h. es wäre vom Eigentumserwerb des B auszugehen und A wegen Diebstahls zu verurteilen8 • Ähnlich wäre es in dem Fall, daß A das von B bewohnte Haus beschädigt, dessen Eigentum er nicht anerkennen will. Bleibt die Eigentumsfrage offen und ist B im Grundbuch als Eigentümer eingetragen, so wäre in Anwendung der Vermutung aus § 891 I BGB vom Eigentum des B auszugehen und A wegen Sachbeschädigung str:afbar8 • Aber .gegen eine Anwendung der zivilrechtliehen Beweislastregeln und Vermutungen sträubt sich hier schon tdas "natürliche" juristische Empfinden. Soweit die Frage in der Rechtsprechung aufgetaucht ist oder im Schriftum - meist nur am Rande - erwogen wurde, hat man denn auch die Anwendbarkeit fast einhellig verneint9 • Weniger klar als das Ergebnis, das auch hier für richtig gehalten wird, ist aber bislang, aus welchen sachlichen Gründen es sich herleitet. Diese Frage ist nun zu untersuchen, vor allem, um die Sonderproblematik des § 170 b StGB vor diesem Hintergrund erörtern zu können. 2. Unzureichende Begründungen der Nichtanwendbarkeit
Die häufigste Begründung für die Nichtanwendbarkeit der zivilrechtlichen Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen im Strafrecht fußt darauf, daß im Strafverfahren die Untersuchungsmaxime gelte, nicht die Verhandlungsmaxime wie im Zivilprozeß10• Hinter die1 s. oben § 9 II 1. s Vorausgesetzt natürlich, daß die sonstigen strafrechtlichen Erfordernisse vorliegen, insbesondere die subjektive Tatseite, auf die hier nicht eingegangen wird. 9 So RGSt 36, 332 (33 f.); 40, 171 (175 f.); GA 59, 342; HRR 1936, Nr. 511; JW 1938, 1315; Hedemann, Vermutung, S. 197; Stein, Das private Wissen, S. 50; Rosenberg, Beweislast, S. 224; Leonhard, Beweislast, S. 237; Brodmann, AcP 98, 78; Pl6sz, Vorträge, S. 35; Bruns, Befreiung, S. 252; ders. Festschrift f. Lent, S. 128 f.; Kern, Reichsgerichtspraxis, 5. Bd., S. 153; Bennecke-Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 324; Gerland, Strafprozeß, S. 190; Löwe-Rosenberg (Geier), StPO, § 261, 6; 8arstedt, Revision, 8. 250 N. 51; ferner die Diss. von Schmid, S. 29; Moser, 8. 73, 74 N.l, 101; Goldmann, 8. 53; Warlo, 8.101; Sluzewski, S. 20; Gierk, S. 34 f.; Laternser, S. 70; Weng, S. 61 f. A. M. früher Glaser, Handbuch, 2. Bd., S. 92; neuerdings Büttner, ZZP 71, 37 (in erster Linie geht es freilich um § 170 b 8tGB!); ebenso wohl auch Kuttner, IherJb. 61, 8.117/118 N. 1; Kummer, Berner Kommentar, Art. 8 Rdz. 51. 10 So insbesondere Hedemann, Vermutung, S. 182 ff.; ferner Brodmann, Goldmann, Warlo, Sluzewski, Gierk- jeweils a. a. 0. Für Wegfall der Vermutungen bei Offizialmaxime (generell) auch 8ieveking, Diss., S. 66 und Kleinfeller, Zivilprozeßrecht, 8. 324.
I. Allgemeine Unanwendbarkeit privatrechtlicher Beweislastregeln 127
ser Ar1g.wnentation steht - ausgesprochen oder unausgesprochen die Auffassung, bei Geltung der Untersuchungsmaxime, also auch im Strafprozeß, gebe es keine Beweislast Daß diese Meinung falsch ist, wurde schon oft klargestellt11 • Die Geltung der Untersuchungsmaxime beseitigt nur die Existenz einer subjektiven Beweislast, der sog. Beweisführungs1ast, da das Gericht bei der Beweiserhebung nicht an die Anträge der "Parteien" gebunden ist. Dagegen stellt sich auch hier das Problem der objektiven oder materiellen Beweislast, nämlich die Frage, wie bei ungeklärtem Sachverhalt zu entscheiden ist. Die Notwendigkeit besonderer Rechtsnormen zur Lösung dieser Frage ergibt sich aus der Pflicht des Gerichts, auch bei sachlicher Unklarheit eine positive oder negative Entscheidung in der Sache zu treffen. Das gilt aber für den Strafprozeß ebenso wie für den Zivilprozeß. Auch hier muß der Richter entweder freisprechen oder verurteilen, auch hier steht ihm keine dritte Entscheidungsform für den Fall des non liquet zur Verfügung. Der Freispruch aus Mangel an Beweisen steht dem Freispruch wegen erwiesener Unschuld grundsätzlich gleich12• Die Untersuchungsmaxime ändert demnach nichts an .der Notwendigkeit von Beweislastnormen. Demgegenüber können Einwendungen aus der Erwägung, der Staatsanwalt sei nicht Partei, also durch den Freispruch nicht belastet, es werde auch nicht etwa ein Antrag des Staatsanwalts zurückgewiesen13 , allenfalls gegen die Terminologie, die Richtigkeit des Wortes Beweislast, gerichtet werden. Schließt die Untersuchungsmaxime das Beweislastproblem und damit die Möglichkeit der Anwendung zivilrechtlicher Regeln nicht aus 14, so könnten diese doch ihrem Inhalt nach an die Verhandlungsmaxime geknüpft sein. Man könnte meinen, der st:11afrechtliche Satz "in dubio pro reo" -sei inhaltlich eine Folge des Untersuchungsgrundsatzes, während eine Verteilung der Beweislast nur als Konsequenz der Verhandlungsmaxime denkbar sei. Aber zwischen der Untersuchungsmaxime 11 Vgl. zur Existenz des Beweislastproblems im Strafprozeß z. B. schon Glaser, Handbuch, Bd. I, S. 364; eingehend insbesondere Rosenberg, Beweislast, S. 28 ff. (mit zahlreichen Nachweisen); ferner Maser, Diss., S. 70 ff.; Kern, Strafverfahrensrecht, § 15 D (S. 59 ff.). 12 Auch eine Beschwer des Angeklagten durch Freispruch mangels Beweises wird verneint (vgl. Eb. Schmidt, StPO, Bd. II, Vorbem. zu §§ 296 ff. Rdz. 19, 22; Löwe-Rosenberg, StPO, § 296, 4 c; Kern, Strafverfahrensrecht, §53 II 2 b, S. 214). Sie kann immerhin z. B. wegen des Ersatzanspruchs für unschuldig erlittene Untersuchungshaft (§ 1 I des Ges. v. 14. 7. 1904, RGBl. 321) erwogen werden. Dabei handelt es sich aber um eine Anknüpfung an die Entscheidungsbegrilndung, nicht an den Tenor. 13 Beide Argumente bringen Alsberg-Nüse, Beweisantrag, S. 11 N. 15. 14 Daß die Offizialmaxime der Anwendung der gesetzlichen Vermutung nicht entgegensteht, betonen Pl6sz, Festsd1rift für Wach, 2. Bd., S. 4, insbes. N. 4; Rosenberg, Beweislast, S. 223 f. (für Tatsachenvermutungen), S. 242 (für Rechtsvermutungen).
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§ 10
Verweisungen des Strafrechts auf das bürgerliche Recht
und dem Satz "in dubio pro reo" einerseits sowie dem Verhandlungsgrundsatz un,d einer Verteilung der Beweislast andererseits läßt sich kein sachlicher Zusammenhang herstellen. Denn auch bei den zivilrechtlichen Beweislastregeln und Vermutungen liegt der praktische Akzent eindeutig auf der Regelung der objektiven Beweislast, der Entscheidung bei ungeklärtem Sachverhalt. Die sachlichen Gründe der zivilrechtliehen Beweislastregeln beruhen nicht auf der Verhandlurugsmaxime15. Im Zivilprozeß ist eine Verteilung der Beweislast auch dann möglich, wenn die Untersuchungsmaxime gilt18• Schließlich wird die Nichtanwendbarkeit der zivilrechtliehen Regeln mit dem Hinweis auf § 262 I StPO begründet17 • Das kann man nun nicht eigentlich als falsch bezeichnen. Doch ist die Frage nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt. Zwar ist in § 262 I StPO die Geltung der strafrechtlichen Verfahrens- und Beweisvorschriften auch für bürgerlich-rechtliche Vorfragen angeordnet. Aber man kann den Standpunkt einnehmen, die Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen seien keine Verfahrensvorschriften und - da keine Beweisregeln - auch keine Vorschriften über den Beweis18. Entscheidend kann hier freilich nur sein, ob die Beweislastregeln im Sinne des § 262 I StPO zu den Verfahrensvorschriften und Beweisvorschriften gehören. Es geht also um eine Auslegung des § 262 I StPO. Die Suche nach sachlichen Gründen für die Nichtanwendbarkeit wird somit durch diese Vorschrift nicht erspart. Es ist auch nicht ganz zutreffend, wenn Stein19 den Motiven zu§ 262 (damals 261) StPO entnehmen will, durch d.iese Vorschrift sollten auch die widerlegliehen V:ermutungen ausgeschaltet werden. Vielmehr ergibt die Begründung20 eindeutig, daß durch § 262 die Frage der Bindung an rechtskräftige präjudizielle Zivilurteile geregelt werden sollte - in welchem genaueren Sinn, das bleibt freilich schon in den Motiven einigermaßen dunkel. Bei diesen Überlegungen ging man ohne weiteres davon aus, der Strafrichter sei nicht an die Vermutungen des bürgerlichen Rechts gebunden - nicht aber sollte dieser Grundsatz durch § 262 niedergelegt wel'den. 1s s. oben § 5 III 1. 16 Ebenso ist im Verwaltungsprozeß trotz der Geltung der Untersuchungsmaxime eine Verteilung der Beweislast anzuerkennen, s. unten § 12 IV. 17 So unter Anführung von § 261 I StPO, der 1924 zu § 262 I wurde Stein, Das private Wissen, S. 50; Rosenberg, Beweislast, S. 224 (2. Aufl.. S. 253); Leonhard, Beweislast, S. 237; Schmid, Diss., S. 29; Moser, Diss., S. 101. Ferner Löwe-Rosenberg (Geier), § 262, 1. 1s Vgl. dazu oben § 7 II 2 d u. IV. 1D 2o
a. a. 0.
Materialien zu StPO, 1. Abt., S. 201
(=
S. 147 der Motive).
I. Allgemeine Unanwendbarkeit privatrechtlicher Beweislastregeln 129
Immerhin ist damit ein bedeutsames Parallelproblem angesprochen, die Frage der Bindung des Strafrichters an Zivilurteile21 . Eine gesicherte Lösung, auf die man sich stützen könnte, gibt es jedoch dafür nicht. Die Beantwortung der Frage würde ein Eingehen auf das Wesen der materiellen Rechtskraft, auf ihre subjektiven und objektiven Grenzen erfordern. Das würde im gezogenen Rahmen zu weit führen. Doch kann die Frage hier um so eher beiseite gelassen werden, als eine unmittelbare Argumentation aus einer bestimmten Beantwortung des Bindungsproblems für die Frage der Anwendbarkeit bürgerlich-rechtlich·er Beweislastregeln und Vennutungen nicht möglich ist. Der Zusammenhang ist vielmehr umgekehrt. Bei der Beurteilung der Bindungsfrage spielt es eine bedeutsame Rolle, in wieweit das Zivilurteil auf Grund von Verfahrensbestimmungen ergangen sein kann, die strafprozessualen Grundsätz,e widersprechen, so daß deshalb die Bindung zu verneinen ist. Dabei kommen insbesondere die Bedeutung des Geständnisses und die Möglichkeit von Versäumnis-, Verzichts- und Anerkenntnisurteilen in Betracht. Hierher gehört auch die Frage nach der gleichen oder verschiedenen Beweislastregelung, also nach der Übernahme der zivilrechtliehen Normen in den Strafprozeß. Sind sie nicht übernehmbar, so folgt daraus ein Argument gegen die Bindung, da diese Regeln den Inhalt des Urteils beeinflussen. 3. Die Gründe des Satzes "in dubio pro reo" verbieten eine tJbernahme zivilrechtlicher Regeln
Der sachliche Kern des Problems wurde schon oben berührt. Im Strafrecht gilt der Satz "in dubio pro reo". Das ist die Beweislastregel des Strafrechts. Bei Zweifel am Vorliegen von materiellen Strafvoraussetzungen22 ist freizusprechen. Eine Verteilung der Beweislast, also eine teilweise Beweislast des Angeklagten, etwa für materielle Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründe, wird- jeden:f.alls grundsätzlich - nicht anerkannt23 • Daß die Beweislast nicht von S€lbst aus der Struktur der rein materiellen Normen folgt, findet man hier bestätigt. Die Geltung des Grundsatzes ist ·unbestritten, ja selbstverständlich. Freilich findet sich auch hier - ähnlich wie im Zivilrecht - die Frage 21 Vgl. dazu Bruns, Festschrift f. Lent, S. 107 ff. (mit Lit., insbes. S. 110 N. 4); Pohle, Festschrift f. Apelt, 5 . 197 f.; Bötticher, Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Bd. I, S. 523 ff. 22 Dagegen ist zweifelhaft, wie weit der Grundsatz für prozessuale Voraussetzungen gilt. Vgl. dazu Stree, In dubio pro reo, S. 52 ff.: Sarstedt, Revision, S. 244 ff. 2s Vgl. - jeweils mit Nachweisen - Moser, Diss., S. 84 ff.; Rosenberg, Beweislast, S. 28 o.; Weng, Diss., S. 7 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 406; Stree, In dubio pro reo, S. 22 ff.; Baumann, Allg. Teil, § 14 I 1 c (S. 139). Anders z. T. die ältere Literatur, vgl. v. Kries, Strafprozeßrecht, S. 342; Glaser, Beiträge, S. 90, 95. 9
Leipold
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§ 10 Verweisungen des Strafrechts auf das bürgerliche Recht
nach der Einordnung der Rechtsquelle: Handelt es sich um Gewohnheitsrecht24 oder ist der Grundsatz in §§ 261, 267 StPO niedergelegt25 ? Blickt man nur auf die StPO, so würd·e man wohl am besten auch hier von stillschweigendem Gesetzesrecht sprechen26. Der Grundsatz hat aber nun in Art. 6 II der Europäischen Menschenrechtskonvention auch positiven Ausdruck gefunden 27 • Die Frage, ob und wo der Grundsatz darüber hinaus verfassungsrechtlich verankert ist, mag offen bleiben28 • Von diesem Grundsatz nun ergäben sich Ausnahmen, wenn man bei Verweisungen die zivilrechtliehen Beweislastnormen übernehmen wollte. Ist die Übernahme ausgeschlossen, so muß der Grund darin liegen, daß die sachlichen Fundamente des Satzes "in dubio pro reo" eine Abweichung auf Grund der im Zivilrecht maßgeblich.en Erwägungen nicht zulassen. So gilt es nun, die Hintergründe dieses Satzes zu erhellen. Als Begründung des Satzes "in dubio pro reo" wird angeführt, es bestehe eine Vermutung dafür, daß der Mensch sich rechtmäßig verhalte20. Die Beurteilung dieses Arguments wird durch die Zweideutigkeit des Wortes Vermutung erschwert30 • Sofern eine normative Vermutung31, also eine gesetzliche Vermutung gemeint ist, besteht deren rechtliche Wirkung in der Regelung der Beweislast. Da keine Voraussetzungsbindung besteht, handelt es sich nicht um eine gesetzliche Vermutung im technischen Sinn. Das Wort Vermutung ist also nichts anderes als ein anderer Ausdruck für eine BeweislastregeL Damit aber 24 So Moser, Diss., S. 78, 96; Kern, Strafverfahrensrecht, § 15 D 2 a (S. 61); Baumann, Allg. Teil, § 14 I 1 b (S. 139); OLG Hamm NJW 1951, 286. 25 So Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 405 f.; OGHSt 1, 165 (166); Seibert, DRZ 1949, 557; Eb. Schmidt, StPO, Bd. I (1. Aufl.), Rdz. 311 (N. 55); LöweRosenberg (Geier), § 261, 4. 20 Ähnlich Weng, Diss., S. 53 f . 2 7 Vgl. Stree, In dubio pro reo, S. 7 N. 24. Die dort gegebene Interpretation, ein Verstoß gegen Art. 6 II MRK liege nur vor, wenn gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen werde, dürfte zu eng sein. Unter gesetzlichem Nachweis der Schuld kann man auch Beweis der gesetzlichen Schuldvoraussetzungen verstehen. 2s Dazu insbes. Stree, a. a. 0 ., S. 19, der die von ihm gegebenen Gründe für unmittelbar aus der Verfassung ableitbar hält. Hier interessiert nur der sachliche Gehalt der Gründe. 2o So Schneider, Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. II, S. 270; Stree, a. a. 0., S. 17. - Auch Sax, Grundrechte, Bd. III. 2, S. 991 sieht im Grundsatz in dubio pro reo eine Ausprägung der Unschuldsvermutung, doch steht bei ihm - wie der Zusammenhang zeigt - nicht die Beweislastfrage, sondern der prozessuale Weg zur Feststellung der Schuld im Vordergrund. - Gegen eine Vermutung zugunsten des Angeklagten als Grundlage Maser, Diss., S. 47. 30 Schneider, a. a. 0., S. 270 betont, der Vermutungsbegriff umfasse das normative wie das tatsächliche Element. 31 So enthält Art. 6 MRK den Grundsatz i. d. p. r. in Form einer Unschuldsvermutung.
I. Allgemeine Unanwendbarkeit privatrechtlicher Beweislastregeln 131
ist klar, daß durch diese rein terminologische Abänderung keine sachliche Begründung erzielt wird. Es kommt nur zum Ausdruck, daß der Satz ·eine Beweislastregel darstellt. Doch ist wohl primär der Begriff der tatsächlichen Vermutung gemeint, also jene Wortbedeutung, die das Vorliegen einer tatsächlichen Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck bringen will. Nun mag man durchaus genügend Optimismus aufbringen, um anzunehmen, daß die Mehrheit der Bürger keine strafbaren Handlungen begeht. Aber es gibt zahlreiche Situationstypen, wo die entgegengesetzte Wahrscheinlichkeit besteht. Rein tatsächlich gesehen gehört z. B. das Vorliegen der Unzurechnungsfähigkeit bei Begehung einer strafbaren Handlung gewiß ebenso zu den Ausnahmefällen wie die Geschäftsunfähigkeit eines Volljährigen bei Abschluß eines Vertrages. Wenn also der strafrechtliche Grundsatz wirklich auf der Wahrscheinlichkeit ruhen würde, so wäre nicht einzusehen, warum er nicht Ausnahmen dulden sollte, wenn in bestimmten FäHen die abstrakte Wahrscheinlichkeit eindeutig umgekehrt liegt. Es käme dann durchaus eine Übernahme solcher zivilr·echtlicher Vermutungen in Betracht, die auf der Wahrscheinlichkeit gründen. Die Besonderheit des Grundsatzes in dubio pro reo, daß er solche Ausnahmen nicht duldet, wird also durch die Berufung auf eine tatsächliche Vermutung zugunsten des Menschen nicht erklärt. Zudem müßte der Grundsatz seine Geltung behalten, selbst wenn die allgemeine tatsächliche Wahrscheinlichkeit rechtmäßigen Verhaltens nicht mehr zu bejahen wäre. Zum entgegengesetzten Ergebnis muß aber die Auffassung Schneirders32 führen, die Tatsachenvermutung müsse durch Tatsachenforschung erhärtet werden. Dann wird sie auch durch ein entgegengesetztes Ergebnis entkräftet! Ferner findet sich die Meinung, der Grundsatz er.gebe sich bereits aus dem sachlichen Strafrecht, er sei bereits in den einzelnen Vorschriften des Strafgesetzbuches enthalten33• Dabei wird wieder jene Vermengung von rein materiellem ReLhtssatz und Beweislastregel begangen, die schon eingangs bekämpft wurde34 • Auch diese Meinung läuft ja auf die Ansicht hinaus, es gebe keine besonderen Beweislastnormen bzw. sie folgten jedenfalls schon aus der Unanwendbarkeit der sachlichen Normen bei non liquet. Wenn gesagt wird, über die Geltung des Satzes entscheide die richtige Auslegung des sachlichen Strafrechts (bzw. der anzuwendenden Verfahrensnormen) 35 , so ist jedenfalls klar, daß man erst noch sachliche Gründe für die vorzunehmende Auslegung braucht. Aber genau bes,e hen handelt es sich hier um eine zweite, zusätzliche s2 a. a. 0., S. 269.
sa Sarstedt, Revision, S . 240 ff.; ähnlich Schwindel, Diss., S. 190 ff., 197. 84 s. oben § 2. M 9'
Sarstedt, a. a . 0 ., S . 245; Schwindel, Diss., S. 197.
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§ 10 Verweisungen des Strafrechts auf das bürgerliche Recht
Frage, die neben der Auslegung der rein materiellen Rechtssätze steht. Auch die strafrechtlichen Normen knüpfen an die Existenz der Tatsachen, nicht an ihren Beweis im Verfahren an. So kann die Aus1egung der sachlichen Normen, die Frage, an welche Tatsachen die Rechtsfolge geknüpft ist, keinen Aufschluß darüber geben, wie bei non liquet im Prozeß zu entscheiden ist. In gewisser Nähe zu dieser Meinung steht auch die Auffassung, der Grundsatz "in dubio pro reo" ergebe sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit36. Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für einen Eingriff etwa in die persönliche Freiheit •besteht auf der materiellrechtlichen Ebene. Daraus läßt sich jedenfalls nicht unmittelbar ableiten, wie bei Unklarheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Eingriffs zu entscheiden ist. Aus demselben Grund ist die Auffassung, der Grundsatz stelle die "prozessuale Kehrseite des materiellen Schuldprinzips" dar37, nicht als letzter Erklärungsgrund geeignet. Denn auch zwischen dem materiellen Schuldprinzip und dem Beweislastgrundsatz besteht keine direkte Brücke. Man kann hier lediglich von einer gewissen Parolleie sprechen, aber nicht von einer Ableitung; denn Schuldprinzip wie Beweislastregel lassen sich auf den Gedanken zurückführ.en, daß die Strafe an besonders strenge materielle und prozessuale Voraussetzungen geknüpft ist. Beide Prinzipien haben demnach eine gemeinsame Wurzel, nicht aber ist das eine die Folge aus dem anderen. Auch die Begründung des Grundsatzes aus dem Wesen des Strafverfahrens und der Natur der Sache38 kann man nicht als endgültig akz·eptieren, denn es bleibt offen, welche Aspekte des Strafverfahrens hier ausschlaggebend sind. Die richtigen Erwägungen finden sich dagegen auch hier, wenn man jenes methodische Prinzip befolgt, das schon bei Untersuchung der zivilrechtliehen Grundregel herausgestellt wurde. Beide möglichen Fehlurteile sind gegenüberzustellen und ihre Abwägung muß dann über die Beweislastregel entscheiden. Bei der Beweislastregelung zuungunsten des Angeklagten besteht die Möglichkeit, daß ein Unschuldiger zu Strafe verurteilt wird. Dagegen muß bei einer Regelung zugunsten des Angeklagten in Kauf genommen werden, daß ein Schuldige r der Straf.e entgeht. Die Abwägung dieser beilden Gefahren schlägt aG Stree, a. a. 0., S. 18 f., der hier unter Berufung auf Sarstedt - die Beweislastregel im Grunde ebenfalls dem materiellen Recht entnehmen will und dabei dessen Tatbestände überfordert. 37 Sax, JZ 1958, 179; Stree, a. a. 0 ., S. 16; Oetker, GS 100, 35; Seibert, DRZ 1949, 557. - Vgl. auch LG Heidelberg, NJW 1959, 1932 und dagegen Schröder, NJW 1959, 1903 f., dessen Bedenken gegen eine Ableitung des Satzes in dubio pro reo aus dem materiellen Schuldprinzip aber die Beweis-, nicht die Beweislastfrage betreffen. ss Peters, Strafprozeß, S. 239 f.
I. Allgemeine Unanwendbarkeit privatrechtlicher Beweislastregeln 133 nun ganz eindeutig zugunsten des Angeklagten aus. Die Verurteilung eines Unschuldigen wird als eine der schwersten Ungerechtigkeiten empfunden, die überhaupt denkbar sind. Demgegenüber wird es als das wesentlich .geringere Übel angesehen, daß ein Schuldiger seiner Strafe entgeht. Man hält sich dabei vor Augen, daß ja auch sonst nicht alle Schuldigen gefunden und vor Gericht gestellt v.nerden können. Auf die Vornahme dieser Abwägung geht es zurück, daß als Begründung des Satzes "in dubio pro reo" mit vollem Recht gesagt wird, es sei schlimmer, wenn ein Unschuldiger bestraft werde, als wenn ein Verbrecher der Strafe entgehe38• Und auf dieser Wertung beruht das unmittelbar Einsichtige des Grundsatzes "in dubio pro reo". Unter ZugrUilidelegung dieses Gesichtspunktes kann man den Grundsatz als Ausfluß des "einem Rechtsstaat immanenten Gerechtigkeitsgebots"40 bezeichnen. Ohne diese Erwägung aber bliebe offen, warum zwar eine Bestrafung bei non liquet gegen das Gerechtigkeitsgebot verstößt, nicht aber eine Verurteilung zu einer zivilrechtliehen Leistung auf Grund einer Beweislastregel zuungunsten des Beklagten! Nun ist freilich weiter zu fragen, worauf die angeführte Wertung ihrerseits zurückgeht. Daß bei einer Verurteilung eine Ungerechtigkeit im Sinne eines Verstoßes gegen die objektive Rechtsordnung droht, kann nicht entscheidend sein, denn dieser Mangel ergibt sich auch bei einem ungerechtfertigten Freispruch. Der wahre Grund zeigt sich, wenn man die Eigenart des Strafrechts ins Auge faßt. Dessen entscheidender Unterschied von allen anderen Rechtsgebieten liegt in der Besonderheit seiner Rechtsfolge, der Strafe. Der wesentliche Inhalt der Strafe besteht in der Zufügung eines Übels, verbunden mit dem Ausdruck sittlicher Mißbilligung der strafbaren Handlung 41 • Aus diesen beiden Punkten, der Rechtsgutsminderung und dem Unwerturteil, ergibt sich, daß die Strafe einen ganz besonders schweren Eingriff in die Rechtssphäre des einzelnen darstellt. Dieser Charakter der Strafe ist der Grund, warum eine ungerechtfert1gte Verurteilung als so besonders 39 Vgl. z. B. Geyer, in v. Holtzendorff, Strafprozeßrecht I, S. 217; zustimmend zitiert von Stree, a. a. 0., S. 15 (s. auch S.l4); Rosenberg, Beweislast, S. 92 o.; Pl6sz, Vorträge, S. 34; Hochuli, SJZ 50, 250 (mit berechtigtem Hinweis auf D. 48. 19. 5. pr.), 253; Seibert, DRZ 1949, 559; Weng, Diss., S.10; Spende!, JuS 1964, 473. S. auch Wach, Festgabe f. Binding, S. 18; Oetker, GS 100, 35. 40 So Stree, a. a. 0., S. 15. 41 Beide Gesichtspunkte werden z. B. angesprochen bei v. Liszt-Schmidt, Strafrecht,§ 58 A I 1 (S. 349); Maurach, Allg. Teil,§ 1 I B 2 (S. 6); Welzel, Strafrecht, § 31 I 1 (S. 217); Schönke-Schröder, StGB, Vorbem. zu §§ 13 ff., Rdz. 2 (staatliche übelszufügung), 11 (sittliches Unwerturteil); KohlrauschLange, StGB, vor § 13 II 2 c. Vgl. ferner Kaufmann, Schuldprinzip, S. 205 f. und - zum Charakter der Strafe als übelszufügung - Mezger-Blei, Strafrecht I, § 99, vor 1, 3 (S. 303 f.). -Auf die Verteilung der Gewichte zwischen den beiden Komponenten kommt es hier nicht an.
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unerträglich bewertet wird42 • Durch eine Bestrafung ohne das volle der Strafvoraussetzungen würde der Betroffene in seiner Persönlichkeitssphäre und seiner Menschenwürde schwer gekränkt. Hier besteht eine Parallele im materiellen Strafrecht in der Tat darin, daß die Strafe nur an besonders gravierende Taten geknüpft ist, daß sie Tatbestände geschriebenen Rechts voraussetzt und daß grundsätzlich auch Verschulden erforderlich ist. Diese besonders strengen materiellen Voraussetzungen beruhen ebenso auf der Besonderheit der Rechtsfolge Strafe wie der Grundsatz "in dubio pro reo". Mit der Eigenart der Strafe als einer einseitig gezielten Rechtsgutsminderung zur Vergeltung einer vorwertbaren Tat hängt es zusammen, daß die Gefahr der gegenteiligen objektiven Ungerechtigkeit, nämlich des Freispruchs eines Schuldigen, so weit zurücktreten kann. Denn wenn ein SchuLdiger straflos ausgeht, so wird dadurch nicht ihm ein Rechtsgut zugesproch-en und gleichzeitig einem anderen versagt. Das Strafrecht hat nicht die Aufgabe, die Güterordnung wiederherzustellen. Deshalb der große Unterschied zur Wertung im Zivilrecht: Dort kann man sagen, es sei zumindest ähnlich ungerecht, dem Berechtigten eine Leistung vorzuenthalten, als sie einem Nichtverpflichteten abzuverlangen. Diese wertmäßige Vergleichbarkeit der Interessen ist der Grund, warum das Zivilrecht eine Beweislastverteilung zuläßt und im Interesse verfeinerter Gerechtigkeit geschaffen hat43 • Beruht demnach die Beweislastgrundregel des Strafrechts auf dem besonderen Wesen der Strafe als Eingriff von fundamentaler Schwere, so ist sie damit allein rechtsfolgebestimmt. Daraus erhellt, warum innerhalb des Strafrechts grundsätzlich keine gegenteiligen Erwägungen, insbesondere keine Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkte, zu berücksichtig·en sind. Es bleibt unerträglich, die Gefahr einer ungerechtfertigten Verurteilung bewußt in Kauf zu nehmen, auch wenn deren Wahrscheinlichkeit im Einzelfall sehr gering ist. Ebensowenig wird berücksichtigt, daß die abschreckende und damit güterschützende Wirkung eventuell gemindert wird, wenn stets erst bei vollem Nachweis aller Strafvoraussetzungen verurteilt werden kann 44 • Auch der Schutz von Interessen anderer Beteiligter, insbesondere des Verletzten, fällt nicht ins Gewicht, da es nur um die Strafe, nicht aber um die Wiederherstellung der Güterordnung geht45 • Damit ist zugleich klargestellt, warum die Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen des bürgerlichen Rechts im Strafverfahren Vorlieg~m
42 Vgl. Stree, a. a. 0 ., S. 16, wo die Besonderheit der Strafe als Rec."'ltsfolge anklingt. 43 Insoweit ähnlich Pl6sz, Vorträge, S. 33 f.; Moser, Diss., S. 96. 44 Vgl. dazu Stree, a. a. 0., S. 12 ff. 45 Zur Ausnahme des § 186 StGB s. unten § 11 II 3.
II. Die Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 b StGB)
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nicht anwendbar sind. Die ihnen zugrunde liegenden sachlichen Erwägungen können keine Beachtung finden, wenn über die Strafe als Rechtsfolge zu entscheiden ist. Daraus folgt auch das unmittelbar Einleuchtende der Nichtanwendbar~eit, die Übereinstimmung mit dem Gerechtigkeitsgefühl und die Möglichkeit einer einheitlichen Antwort, ohne Berücksichtigung der einzelnen Tatbestände des Strafrechts einerseits und der in Frage kommenden Sätze des bürgerlichen Rechts andererseits. Um die Bestrafung geht es eben im Strafrecht stets, und allein die Gefahr der ungerechten Verhängung dieser Rechtsfolge ist entscheidend. II. Die Sonderproblematik bei der Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 b StGB) 1. Verweisung auf das BGB; Fragestellung
Gerade da das Ergebnis der genereUen Unanwendbarkeit der bürgerlich-rechtlichen Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen im Strafprozeß so einleuchtend ist, erscheint es auf den ersten Blick um so erstaunlicher, daß im besonderen Falle der Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 b StGB) neuerdings das genaue Gegenteil behauptet wird. Hier soll der Strafrichter bei der Beurteilung der gesetzlichen Unterhaltspflicht an die Vermutungen des BGB gebunden sein 46 • Daß in § 170 b StGB grundsätzlich eine Verweisung auf das BGB vorliegt, ist unbestreitbar und auch allgemein anerkannt47• Nur dem Privatrecht kann entnommen werden, unter welchen Voraussetzungen eine Unterhaltspflicht kraft Gesetzes besteht. Dabei kommt sowohl die Unterhaltspflicht der Eltern für eheliche wie für uneheliche oder legitimierte Kinder in Betracht. In allen Fällen ist die Frage, ob mit dem materiellen Recht auch die Beweislastregeln und vor allem die gesetzlichen Vermutungen zu übernehmen sind. Hier wird zunächst die Frage bei der Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters untersucht. Solche Fälle dürften auch in der Gerichtspraxis im Vordergrund stehen. Bei den übrigen Unterhaltspflichten kann dann weitgehend auf diese Ausführungen zurückgegriffen werden. Das Problem der Bedeutung eines rechtskräftigen Zivilurteils für das Strafverfahren schiebt sich bei § 170 b StGB ganz besonders in den Vordergrund, einmal wegen des- schon oben dargestellten -mittelbaren sachlichen Zusammenhangs mit unserer Frage, vor allem aber 46 s. zunächst nur Schwarz-Dreher, StGB, § 170 b, 2 A, a; Schönke-Schröder, StGB, § 170 b Rdz. 4. 47 Bruns, Festschrift f. Lent, S. 128; Schönke-Schröder, StGB, § 170 b Rdz. 3; Schröder, JZ 1959, 346; Baumann, FamRZ 1957, 234; Maurach, Bes. Teil, § 49 II F 2 a (S. 395); Dalcke-Fuhrmann-Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren,§ 170 b, 1; OLG Hamm, JZ 1962, 547.
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wegen der praktischen Bedeutung dieser Fälle. Um die hier primär interessierende Frage klar herauszuheben und die Probleme voneinander zu sondern, wird zunächst davon ausgegangen, daß noch kein Zivilurteil über die Unterhaltspflicht ergangen ist. 2. Inhalt und Rechtsnatur der §§ 1708, 1717, 1718 BGB
Die Grundlagen der Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters finden sich in §§ 1708, 1717, 1718 BGB. Die Struktur dieser Bestimmungen scheint zunächst unproblematisch zu sein. Nach h. M. ist die Unterhaltspflicht in § 1708 BGB an die natürliche Vaterschaft, also an die Erzeugung des Kindes durch den Belangten geknüpft; § 1717 stellt eine gesetzliche Vermutung für diese Vaterschaft auf48• § 1718 modifiziert die Voraussetzungen dieser Vermutung. Jedoch wurde schon früher von Kuttner49 und nem~rdings - in einer eingehenden Untersuchung von Kempf50 die Auffassung vertreten, § 1717 sei in Wahrheit keine ges·etzliche Vermutung, sondern eine Fiktion. Diese Ausführungen sind zwar nicht im Hinblick auf die hier zu behandelnde Frage gemacht worden51 , aber wenn die Konstruktion richtig ist, so hat das auch dafür entscheidende Bedeutung. Stellt nämlich § 1717 BGB eine Fiktion dar, so handelt es sich um eine rein materiell-rechtliche52 Vorschrift, die nichts mit Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen zu tun hat. Ihre Anwendung im Strafpro2leß ist dann unproblematisch (und gehört nicht in den Rahmen dieser Untersuchung). 48 Wach, ZZP 29, 373; Rosenberg, Beweislast, S. 215; Schwoerer, NJW 1963, 11; Beitzke, Familienrecht, § 33 IV 1 (S. 196~; Lehmann, Familienrecht, § 36 II 1 (S. 206); Gernhuber, Familienrecht, § 58 I 1 (S. 628) u. II 1 (S. 630); Dölle, Familienrecht II, § 106 I (S. 449 ff.); Erman-Hefermehl, BGB, § 1717, 1 u. 2; Soergel-Siebert (Lade), BGB, § 1717 Rdz. 3; RGRK (Scheffler), § 1717, 1. 49 IherJb. 50, insbes. 449; zustimmend Tholen, NJW 1954, 1357. Dagegen Schwab, ZZP 68, 126ff.; BGHZ 17, 252 (261); Büttner, ZZP 71, 10. &o Haftungsgrund, S. 85 ff. Dagegen Beitzke, FamRZ 1958, 288; eingehend Ziegler, FamRZ 1959, 342 ff. (Ergebnis 347). - Auch Hedemann, Vermutung, S. 249 ff. verneint den Vermutungscharakter des § 1717 Abs. 1 und rechnet die Vorschrift zu den Fiktionen und rein materiellen Rechtssätzen. 51 Kuttner (ähnlich Tholen, a. a. 0.) untersucht das Problem im Zusammenhang mit der Unterhaltspflicht bei Beiwohnung außerhalb der ges. Empfängniszeit Bei Kempf geht es um das Verhältnis von Status- und Unterhaltsurteil (vor lokrafttreten des jetzigen § 644 ZPO). Er will durch die Darlegung, daß die Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters nicht ausschließlich auf der natürlichen Abstammung beruht, den Weg dafür öffnen, daß einer Unterhaltsklage stattgegeben werden kann, obwohl im Statusverfahren die Abstammung bereits verneint wurde (S. 54). Das erzielte Ergebnis ist jetzt durch § 644 ZPO ausgeschlossen. In Umkehrung der Argumentation Kempfs bestärkt diese gesetzliche Regelung die hier vertretene Gegenmeinung! 52 Die Zuordnung zum materiellen Recht - anders als bei einer ges. Vermutung - wird bei Kuttner, a. a. 0., S. 446 ff. und bei Kempf, a. a. 0., insbes. S. 88 als Konsequenz der Betrachtung als Fiktion deutlich.
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Kempf meint, § 1717 .gebe einen neuen Tatbestand53 für die Unterhaltspflicht. Durch§§ 1717, 1718 werde "der Haftungstatbestand der natürlichen Abstammung durch den Tatbestand der Beiwohnerschaft -bei möglicher Vaterschaft - ersetzt" 54 • In dieser Gleichbehandlung vonVerschiedenem liege aber dasWesen einerGesetzesfiktion55 .Ziel der Fiktion ist demnach die Vaterschaft i. S. des § 1708 BGB. Die Beiwohnung als die eine Voraussetzung des§ 1717 (nach Kempf also der Fiktion) ergibt sich aus dem Gesetz. (Die Mehrverkehrseinrede sei zunächst beiseite gelassen.) Die eigentliche Problematik liegt dagegen in dem angeblichen zweiten Tatbestandsmerkmal der möglichen Vaterschaft. Es handelt sich dabei um das Verständnis der gesetzlichen Formulierung: "Eine Beiwohnung bleibt jedoch außer Betracht, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Mutter das Kind aus dieser Beiwohnung empf.angen hat." (§ 1717 I S. 2). Kann man aber daraus wirklich ein materielles Tatbestandsmerkmal der möglichen Vaterschaft als Voraussetzung der Fiktion der wirklichen Vaterschaft herausdestillieren? Bei der hier angesprochenen Möglichkeit handelt es sich nicht um die Denkbarkeit eines zukünftig~m Ereignisses; die Vaterschaft ist ein gegenwärtiger Sachverhalt, der sich aus der in der Vergangenheit liegenden Tatsach,e der Erzeugung herltitet. Diese Tatsache kann nur entweder geschehen sein oder nicht. Die Möglichkeit dieser Tatsache kann daher nur die Meinung bedeuten, die man über diese Tatsache hat. Auf welche Meinung aber soll es hier nach dem Sinn des § 1717 BGB ankommen? Auf Grund des Zusammenhangs mit dem Ausdruck "den Umständen nach" könnte man denken, es handle sich hier um eine außerprozessual gedachte Meinung, etwa um den Eindruck, den ein vernünftiger Betrachter bei der gegebenen Sachlage gewinnt. Dies wäre in der Tat eine außerprozessuale Tatsache, die durch ein rein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal ;b eschrieben werden könnte. Aber so wurde und wird die gesetzliche Regelung nicht aufgeiaßt auch nicht von Kempf und Kuttner. Im Prozeß g.eht es nicht um die Prüfung einer solchen außerprozessualen Möglichkeit nach außerprozessual erkennbaren Umständen, sondern schlechthin um die Vaterschaft des Belangten56• Die Unterhaltsklage wird abgewiesen, wenn die Nichtvaterschaft bewiesen ist; ihr wird stattgegeben, wenn die positive Vaterschaft feststeht oder offen geblieben ist. Entscheidend ist also 53 Soweit Kempf den Ausdruck "Haftungsgrund" gebraucht, meint er ebenfalls den abstrakten Tatbestand (a. a. 0., S. 73). 54 a. a. 0., S. 100. Ähnlich Kuttner, a. a. 0 ., S. 449 (mögliche Vaterschaft als der einfachere Tatbestand, der auf Grund der Fiktion als wirkliche Vaterschaft gilt). 55 a. a. 0., S. 100. ss Vgl. Kempf selbst, a. a. 0., S. 112, 116.
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lediglich das Beweisresultat des Prozesses; die angesprochenen Umstände sind nichts anderes als .die Ergebnisse der Beweisaufnahme. Die Meinung, auf die es bei Beurteilung der Möglichkeit ankommen soll, ist allein die des Gerichts. Materiell ist der Anspruch also an die natürliche Vaterschaft geknüpft, diese ist Gegenstand des Beweises. Bei non liqm~t darüber ist zugunsten des Kindes zu entscheiden. Damit aber zeigt 'Sich, daß die Formel der "möglichen Vaterschaft" nichts anderes ist, als eine Verkleidung der Anknüpfung an die tatsächliche Vaterschaft, verbunden mit einer Beweislastregel zuungunsten des Beklagten. Die Beweislastregel tritt auch hier zur rein materiell-rechtlichen Gestaltung hinzu, sie ist nicht in ihr enthalten oder mit ihr identisch. Das Gelingen oder Mißlingen des Beweise-s ist- wie stets - nicht Element des materiellen Tatbestandes. Auch hier wird ja der Unterhaltsanspruch als schon vor dem Prozeß existierend gedacht. Im übrigen darf zu dieser Frage auf die Ausführungen im ersten Teil der Arbeit57 verwiesen werden. Läßt sich aber das angebliche Tatbestandsmerkmal der möglichen Vaterschaft auflösen in die natürliche Vaterschaft, verbunden mit einer Beweislastregel zuungunsten des Beklagten, so ergäbe sich, daß die angeblich fingierte natürliche Vaterschaft an das Vorliegen der natürlichen Vaterschaft angeknüpft ist. Damit aber ist erwiesen, daß gerade keine Fiktion vorliegt. Denn für die Fiktion ist entscheidend, daß es unerheblich ist, ob das fingierte Merkmal in Wahrheit vorliegt oder nicht. Der Beweis der Nichterzeugung ist bei richtiger Beurteilung der "möglichen Vaterschaft" nicht die Widerlegung des Tatbestandes einer Fiktionsnorm58, also einer Fiktionsvoraussetzung, sondern die Widerlegung des vermeintlichen Fiktionsergebnisses59• Es muß also dabei bleiben, daß eine Fiktion nicht vorliegt, weil die Möglichkeit des Gegenbeweises eingeräumt ist60 . Auf Grund der Beweislastregelung ist freilich bei non liquet im Prozeß so zu entscheiden, als ob die Vaterschaft feststehen würde. Dabei kommt aber nur jenes fiktive Element zum Vorschein, das - wie oben ausgeführt61 - allen Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen anh.aftet62 • Diese Fiktionswirkung hat aber mit dem Wesen einer Fiktion im materiell-rechtlichen Sinne nichts zu tun. Doch dürfte s. oben § 2. ss So aber Kempf, a. a. 0., S. 90 f. - Dagegen zutreffend schon Ziegler, FamRZ 1959, 347. 5o Donau, ZZP 67, 459 leugnet, daß es sich um den Beweis des Gegenteils handelt, obwohl er im Grunde selbst sieht, daß die Unmöglichkeit nach den Umständen sachlich mit dem Beweis der Nichterzeugerschaft zusammenfällt. ao Schwab, ZZP 68, 127 f.; Ziegler, a. a. 0 . s1 s. oben § 6 II 4. &2 Vgl. schon Büttner, ZZP 71, 10 gegen die Auffassung Kuttners. "7
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die Fehlbewertung des § 1717 BGB letztlich im Verkennen dieses Unterschieds wurzeln. Kempf führt zur Begründung des Fiktionscharakters ferner an, daß anders als bei einer Vermutung in § 1717 BGB nicht jeder Gegenbeweis offen sei, sondern nur der Gegenbeweis off.enbarer Unmöglichkeit63 . Er m-eint, hier sei das "Vorli-egen eines bestimmten Unwahrscheinlichkeitsgrades h€reits zu einem Teil d-es materiellen Tatbestandes gemacht" 64 . Allein wie schon die Möglichkeit der Vaterschaft nicht als positive Voraussetzung, die Unmöglichkeit nicht als negatives Tatbestandsmerkmal angesehen werden kann, so hat um so weniger der Grad dieser Möglichkeit etwas mit den materiellen Voraussetzungen zu tun. Die Einschränkung d-es Gegenbeweises durch die Betonung der offenbaren Unmöglichkeit kann allenfalls darin best-ehen, daß an den Beweis der Nichtvaterschaft besonders strenge Anforderung·en gestellt w-erden. Die Einschränkung liegt also keinesfalls auf materiell-rechtlich-em Gebi-et. Es wird vielmehr ein Bereich der Beweis-ergebnisse, der sonst zur Feststellung der Nichtvaterschaft führen würde, noch dem Ber-eich des non liquet zugeschlag-en. Und bei Vorlieg-en eines solchen non liquet wäre eben wiederum nach der Beweislastr-egel zuungunsten des Beklagten zu entscheiden. So ergibt sich auch dann kein Fiktionscharakter des § 1717 BGB, wenn der Gegenbeweis wirklich beschränkt ist. Doch sei schon in diesem Zusammenhang geprüft, ob überhaupt eine solche Beschränkung vorliegt. Wenn dies nämlich der Fall wäre, so müßte auch nach der Geltung dieser Regelung für das Strafverfahren g-efragt werden. Das Vorliegen einer Beschränkung wird in der Literatur wiederholt verneint65. Bei der Beurteilung muß man sich vor Augen halten, daß das geltende deutsche Recht grundsätzlich keine Differenzierung der Anforderungen an die Beweisstärke kennt. Maßgebend soll allein die freie richterliche Überzeugung sein. Das hat auch seinen gut-en Grund. Es erscheint nämlich kaum möglich, Grade des Bewiesenseins allgemein so zu beschreiben, daß sich mit diesen Begriffen auch praktisch etwas anfangen läßt. Praktisch mag es zwar sein, daß der Richt-er bei einer schwerwi-egenden Rechtsfolge höhere Anforderungen an den Beweis stellt als bei einer minder wichtigen Frage. Aber rechtlich fixieren läßt sich das kaum. So besteht nicht einmal ein Unterschied zwischen den im Zivilprozeß und im Strafprozeß an den Beweis zu stellenden Anfor63 a. a. 0., S. 88. Ebenso schon Kuttner, a. a. 0 ., S. 447. 64 a. a. 0., S. 90. ss So insbes. in eingehenden Ausführungen Staudinger-Lauterbach, § 1591 Rdz. 24 ff. (die Problematik ist im Rahmen des § 1591 insoweit mit der des § 1717 identisch!), mit Wiedergabe der Literatur; zustimmend Gernhuber, Familienrecht, § 45 VII 5 (S. 473 N. 4); ähnlich Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 286 I 1 bei N. 5 (mit Nachweisen); Dölle, Familienrecht II, § 87 II 1 (S. 49).
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derungen! Wie allgemein eine Differenzierung kaum möglich ist, erscheint es auch im Falle der Vaterschaft nicht sachgerecht und praktikabel, auf Grund des "offenhar unmöglich" gesteigerte Anforderungen an die Beweisstärke zu stellen. Darüber hinaus wäre es schon gedanklich schwer vollziehbar, einen höheren Grad des Beweises zu verlangen, als die Überzeugung des Richters. (Bei Erleichterung der Anforderungen würde dieses Bedenken nicht bestehen; dann würde man sich eben - statt des Beweises - mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit begnügen66.) Es erschiene doch paradox, wenn der Richter bei seiner Überz·eugungsbildung sich innerlich sagen müßte, die Nichtvaterschaft sei zwar bewiesen, aber offenbar unmöglich sei die Vaterschaft eben doch nicht. Um eine außerprozessuale offenbare Unmöglichkeit (diese könnte der Richter verneinen, obwohl er von der Nichterzeugerschaft überzeugt ist) geht es ja dem unbestrittenen Verständnis der Vorschrift nach nicht! Im übdgen hat auch die Rechtsprechung betont, eine mathematische Sicherheit dürfe nicht verlangt werden67 • So ist der Meinung zuzustimmen, daß an den Beweis der Nichtvaterschaft keine anderen Anforderungen zu stellen sind als sonst, so daß der Betonung der offenbaren Unmöglichkeit keine rechtliche Bedeutung zukommt. Diese Auffassung wird erhärtet, wenn man einen Blick auf das Statusverfahren wirft. Dort bestehen unzweifelhaft keine besonderen Anforderungen an den Beweis der Nichtvaterschaft, da § 1717 BGB nicht gilt. Die Nichtv·aterschaft ist also festzustellen, wenn der Richter auf Grund der Beweisaufnahme davon über:beugt ist. (Die Frage, wie im Statusverfahren bei non liquet zu entscheiden ist, braucht hier nicht untersucht zu werden.) Ein Statusurteil, das das Nichtbestehen der unehelichen Vaterschaft feststellt, hat aber nach der jetzigen g·e setzlichen Rechtslage unmittelbare beseitigende Wirkung gegenüber einem rechtskräftigen Urteil, das auf Unterhaltszahlung lautet (§ 644 I S. 1 ZPO). Wie aber sollte dies sachgerecht sein, wenn an den Beweis der Nichtvaterschaft im Statusverfahren wirklich geringere Anforderungen zu stellen wären als im Unterhaltsprozeß? Hat nach alledem die unglückliche gesetzliche Formulierung den sachlichen Inhalt, daß an die tatsächliche Vaterschaft angeknüpft wird, die Beweislast jedoch zuungunsten des angeblichen Vaters geregelt ist, so ist zugleich klar, daß der Ausdruck "gilt" kein Argument für die Bejahung des Fiktionscharakters darstellt68• Diese an sich zu weitgeVgl. die Glaubhaftmachung im Zivilprozeß (§ 294 ZPO). OGHZ 3, 111; BGHZ 7, 116 (120 f.) (beide zu § 1591). 68 Die Wortfassung wird von Kuttner, a. a. 0., S. 450 f. und Kempf, a. a. 0 ., S. 87 f. als Argument verwendet. 66
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hende Wortwahl wird vielmehr durch die Einräumung des Gegenbeweises wieder korrigiert69 • Schon da eine Beweislastregelung vorliegt, stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit im Strafverfahren. Doch sei bereits hier weiterhin untersucht, ob § 1717 eine gesetzliche Vermutung darstellt. Falls die uneheliche Vaterschaft materiell nur bejaht werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 1717, also Beiwohnung innerhalb der g.esetzlichen Empfängniszeit und Erzeugung, vorliegen, so stellt § 1717 nur eine Bestimmung des Begriffs "unehelicher Vater" i. S. des § 1708 BGB dar. § 1708 BGB wäre dann nur zusammen mit § 1717 anwendbar. In diesem Fall würde es sich nicht um eine gesetzliche Vermutung, sondern um einen gewöhnlichen Tatbestand mit Beweislastregelung zuungunsten des Anspruchsgegners handeln. Von einer Vermutung könnte man dann nur in jenem untechnischen Sinn sprechen, in dem dieser Begriff zur Bezeichnung besonderer Beweislastregeln gebraucht wird70 • Wesensmerkmal der echten gesetzlichen Vermutungen ist es dagegen, daß sie von einer an sich bestehenden Beweislastregelung für ein Tatbestandsmerkmal eine Ausnahme machen, wenn bestimmte weitere Voraussetzungen vorliegen. Die Vermutung steht neben einem gegebenen materiellen Tatbestandn. Wo aber ist hier der Ausgangstatbestand? Er findet sich in der Tat in § 1708 BGB. Nach jetzt wohl herrschender Meinung ist diese Vorschrift nämlich auch dann anwendbar, wenn die Erzeugung durch den Beklagten nachgewiesen werden kann, obwohl keine Beiwohnung innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit erfolgte, also insbesondere in Fällen ungewöhnlich langer Tragezeiten72 • Das aber bedeutet, daß als Tatbestand die Erzeugerschaft schlechthin aufzufassen ist. Zu diesem Tatbestand tritt§ 1717 als echte gesetzliche Vermutung, nicht als bloßer zweiter Tatbestand hinzu. Denn da § 1717 materiell auch die Erzeugerschaft voraussetzt, wäre das Erfordernis zusätzlicher Merkmale (der Beiwohnung in der gesetzlichen Empfängniszeit) materiell-rechtlich (d. h. abgesehen von der Beweislast) sinnlos. Die Auffassung, es liege ein zweiter Tatbestand vor, stellt insofern nur denselben ungeeigneten Versuch ee übrigens zeigen auch die Materialien, daß die Aufstellung einer Rechtsvermutung (i. S. einer ges. Vermutung) beabsichtigt war, vgl. Schwab, ZZP 68, 126 mit Belegstellen. 10 s. oben § 7 II 3 b. 11 s. oben § 7 II 3 c. 72 RGZ 169, 328; BGHZ 5, 385 (392 f.); Kuttner, a. a. 0., 435 ff. (Kuttner sieht richtig, daß die Anerkennung der Erzeugung außerhalb der Empfängniszeit voraussetzt, 1717 nicht als alleinigen Tatbestand, sondern entweder als ges. Vermutung oder als Fiktion zu verstehen- entscheidet sich aber für die falsche dieser Möglichkeiten.); ferner - mit Nachweisen - SoergelSiebert (Lade), BGB, § 1717 Rdz. 3; Erman-Hefermehl, BGB, § 1717, 2 b; Palandt-Lauterbach, BGB, § 1717, 1; Gernhuber, Familienrecht, §58 II 2 (S. 630); Beitzke, Familienrecht, § 196 IV 1 (S. 196).
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dar, die Vermutungen voll dem materiellen Recht einzuordnen, der allgemein bereits oben73 zurückgewiesen wurde. Die Besonderheit der gesetzlichen Vermutung des § 1717 BGB besteht allein darin, daß sie von überragender praktischer Bedeutung ist, d. h. daß sie sehr häufig im Unterhaltsprozeß zur Anwendung kommt. Am technischen Verhältnis der §§ 1708 und 1717 ändert dies aber nichts. Mit der Kennzeichnung als echte gesetzliche Vermutung ist auch bereits g·esagt, daß dieser Beurteilung der Umstand nicht entgegensteht, daߧ 1717 nicht für die uneheliche Vaterschaft schlechthin gilt, sondern nur für die Ansprüche aus §§ 1708 ff. 74 • Als Beweislastregelung ist es einer gesetzlichen Vermutung eigentümlich, daß sie auf bestimmte Tatbestandsmerkmale gerichtet ist und damit auf bestimmte Tatbestände Bezug hat. Anders wäre es, wenn man den V·ermutungen beweisende Kraft zuschreiben würde, sie als auf Tatsachen gerichtet verstehen würde. Nur dann wäre es schwer verständlich, diesen Beweis nur für einen Teil der in Frage kommenden Tatbestände zu ak;z;eptieren. Hier darf auf die Ausführungen zur Struktur der gesetzlichen Vermutungen Bezug genommen werden75. Zu bewerten bleibt die bisher aus dem Spiel gelassene Mehrverkehrseinrede. Sie stellt eine negative Voraussetzung des § 1717 BGB dar, ergänzt daher die Vermutungsbasis. Die Vermutung gilt nicht, wenn ein Dritter ebenfalls innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat und dieser der Erzeuger des Kindes ist. Den besonderen Wert erhält dieser Zusatz freilich erst durch die Beweislastregelung: Den Mehrverkehr muß der Belangte beweisen, die Nichtvaterschaft des Dritten dagegen das klagende Kind. Durch § 1718 schließlich wird die Vermutungsbasis nochmals verändert: Bei Vorliegen eines Anerkenntnisses entfällt die Mehrverkehrseinrede. Die Vermutungsgrundlage bilden dann Beiwohnung und Anerkenntnis zusammen. Eine eigene Vermutung stellt § 1718 BGB also nicht dar. 3. Die Unanwendbarkeit der §§ 1717, 1718 BGB im Strafverfahren
Nach der Klärung der Struktur stellt sich die Frage primär dahin, ob die gesetzliche Vermutung des § 1717 BGB überhaupt anwendbar ist, wenn es im Strafverfahren um die Unterhaltspflicht geht7 6 • Bejaht 73
s. § 7 II 1.
74 Daraus wollen Kuttner, a. a. 0 ., 446 und Kempf, a. a. 0., S. 91 ein Argument gegen die Betrachtung als gesetzliche Vermutung herleiten. 75 Vgl. oben § 7 II 2 d.
II. Die Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 b StGB)
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man dies, so folgt die weitere Frage, ob auch die Beweislastregelung bezüglich der Vermutungsbasis Geltung hat. Die Anwendung des § 1717 BGB als einer gesetzlichen Vermutung kollidiert auch hier mit der strafrechtlichen Beweislastregel "in dubio pro reo". Die sachliche Begründung dieses Satzes, nämlich daß es wegen der besonderen Schwere der Rechtsfolge Strafe unerträglich ist, die Möglichkeit einer ungerechten Verurteilung sehenden Auges in Kauf zu nehmen, gilt auch hier. Die in § 170 b StGB angedrohte Strafe (Gefängnis) weist keine Besonderheiten auf. Da der Grundsatz der Beweislastregelung zugunsten des Angeklagten durchgehend die Anwendung der zivilrechtliehen Regeln verbietet, ist es nicht richtig, davon auszugehen, diese Frage müsse bei jedem Tatbestand des StGB gesondert durch Auslegung geprüft werden77 • Grundsätzlich erfaßt die Verweisung auf das BGB dessen Beweislastregeln nicht; es müßten also schon ganz besondere Gründe vorliegen, die im Falle des § 170 b StGB die Übernehrnbarkeit ergäben. Der Satz "in dubio pro reo" läßt freilich eng begrenzte Ausnahmen an sich zu, wie etwa das Beispiel des § 186 StGB zeigt78 . Aber solche Abweichungen müßten ausdrücklich im Strafgesetz geregelt sein; andernfalls muß es bei dem Grundsatz bewenden. Durch die Verweisung in § 170 b StGB konunt aber durchaus nicht zum Ausdruck, daß dabei auch die Beweislastregeln erfaßt werden sollen. Ihre Übernahme ist ja eine Frage, die neben der materiellen Verweisung entschieden werden muß. Schon aus diesen formalen Gründen ist die Anwendbarkeit zu verneinen; wenn der Gesetzgeber sie wünscht, muß er sie ausdrücklich aussprechen. Hält man sich an diese Grenzen nicht, so liegt darin ein Verstoß gegen das Gebot exakter gesetzlicher Bestimmung der Strafvoraussetzungen, das auch im strafrechtlichen Analogieverbot (a·uf materiell-rechtlichem Gebiet) zum Ausdruck kommt. Aber auch sachlich zwingende Gründe für die Anwendbarkeit des § 1717 BGB sind nicht zu erkennen. Der Zweck des § 1717 BGB ist einfach zu finden: Die positive Vaterschaftsfeststellung war und ist in vielen Fällen nicht möglich. Bei dieser Sachlage nimmt es das Gesetz lieber in Kauf, daß der Nichtvater Unterhalt zahlen muß, als daß dem Kind der Unterhalt nicht geleistet wird und es dadurch in Not gerät. Die gesetzliche Vermutung des § 1717 erleichtert auf Grund der Be76 Dies bejahen OLG Braunschweig, Nds. Rpfi. 1959, 229 f.; Oehler, FamRZ 1959, 490; Schröder, JZ 1959, 347; Büttner, ZZP 71, 37; Schönke-Schröder, § 170 b Rdz. 4; Schwarz-Dreher, StGB, § 170 b, 2 A, a; Maurach, Bes. Teil, § 49 II F, 1 (S. 395); Neudek, Diss., S. 47 f. (von der Beurteilung als Fiktion ausgehend, S. 45); wohl auch Dünnebier, JZ 1961, 672 f . - A. M. (ohne nähere Begründung) Bruns, Festschrift f. Lent, S. 128 f . 77 So aber Oehler, a. a . 0 ., 489; Schröder, a. a . 0., 347. 78 s. unten § 11 II 2 c.
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Weisschwierigkeit die Rechtsdurchsetzung im Interesse des Kindes. Solchen Zwecken aber dienen die besonderen Beweislastregeln und die gesetzlichen Vermutungen des bürgerlichen Rechts stets. Dies ist berechtigt für die zivilen Rechtsfolgen, begründet aber die Anwendbarkeit des§ 1717 BGB im Strafrecht ebensowenig wie diejenige anderer Beweislastregeln. Die unmittelbare Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs ist Aufgabe des Zivilprozesses; sie bleibt dem Kind auch bei Fr.eispruch mangels Beweises im Strafverfahren unbenommen. Freilich hat die Bestimmung des § 170 b StGB ganz zweifellos die Aufgabe, die Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs zu gewährleisten. Ob das mit den Grundgedanken des Strafrechts in Einklang steht, mag hier offen bleiben. Jedenfalls soll der Schutz mit den scharfen Mitteln des Strafrechts erfolgen, und daher müssen auch die strengen Anforderungen des Strafrechts gelten, die sich aus der Eig·enart der Rechtsfolge herleiten. Im übrigen tritt das Strafrecht auch sonst in einer ganzen Reihe von Fällen schützend zu den zivilrechtliehen Rechtsbeziehung~m hinzu, etwa beim Schutz des Eigentums durch §§ 242 und 303 StGB. Daraus allein aber folgt die Übernehmbarkeit der gesetzlichen Vermutungen gerade nicht. Die Anwendbarkeit des § 1717 kann auch nicht damit begründet werden, daß sie ein "Bestandteil des Instituts der gesetzlichen Unterhaltspflicht" seF9, daß sie "nicht nur der Erleichterung prozessualer Durchsetzung, sondern auch der Herbeiführung bestimmter materieller Ergebnisse" diene80 • Für die Frage der systematischen Einordnung gilt hier nichts anderes als bei sonstigen gesetzlichen Vermutungen: Zum Bereich der außerprozessual gedachten Verhaltensnormen gehört § 1717 BGB nicht. Die Vorschrift steht dem materiellen Recht nicht näher als andere Beweislastregeln. Und der Herbeiführung materieller Ergebnisse dienen im seihen Sinne wie man das bei § 1717 sagen kann auch alle anderen Beweislastregeln und Vermutungen des BGB, nämlich auf dem Weg über das rechtskräftige Urteil, das die wahre materielle Rechtslage im wesentlichen praktisch verdrängt.
Es ist auch nicht so, daß das Vorliegen der natürlichen Erzeugersch•aft in einem Strafverfahren über ein Delikt nach § 170 b im tatsächlichen Verlauf des Prozesses eine Randfrage darstellen würde. Denn ganz sicher ist das Strafgericht auf Grund der Offizialmaxime verpflichtet, die Aufklärung der tatsächlichen Sachlage, also die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung, mit allen zur Verfügung stehenden Beweismitteln zu versuchen81 • So rückt die Bemühung um die Feststellung 79
so Bl
Schönke-Schröder, § 170 b Rdz. 4; ähnlich Schröder, JZ 1959, 347. Schröder, a. a. 0. Falsch ist daher die Behauptung von Oehler, FamRZ 1959, 490, der
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der Vaterschaft noch mehr als im Zivilprozeß (wo es }a auf die Beweisangebote ankommt) in das Zentrum des Verfahrens. Dabei wird es auch auf Grund des Prozeßgeschehens für den Angeklagten und die Öffentlichkeit durchaus deutlich, daß die Verurteilung eigentlich von der Feststellung der Vaterschaft abhängen würde. Zudem geht das Rechtsbewußtsein des Laien davon au:a, daß die Grundlage der Unterhaltspflicht wie der etwaigen Strafbarkeit die (natürliche) Vaterschaft ist. Daß also bei Anwendung des § 1717 BGB vom Grundsatz des in dubio pro reo abgewichen würde, daß hier die Gefahr einer ungerechten Verurteilung in Kauf genommen würde, wird nicht nur bei richtiger juristischer Konstruktion, sondern auch bei natürlicher Betrachtung sichtbar. Hinzu kommt, daß die offenbleibende Fr·age auch nach den Wertungen des Strafrechts keineswegs einen nebensächlichen Punkt betrifft. Der Grund, war·um .der Unterhaltsanspruch anders als sonstige Ansprüche des Zivilrechts mit Strafdrohung geschützt ist, liegt in der familienrechtlichen Struktur82 , bei der unehelichen Vaterschaft also in nichts anderem als der natürlichen Vaterschaft83• Auch deshalb kann man vom Beweis gerade dieses für die Stoofwürdigkeit wesentlichen Umstandes nicht absehen. Der einzige besondere Grund, der die Anwendung im Strafrecht rechtfertigen könnte, ist die überragende praktische Bedeutung des § 1717 BGB. Während in sonstigen Fällen die Anwendung der zivilrechtlichen Beweislastregeln nur in Ausnahmefällen aktuell werden kann, weil sich in aller Regel eine Sachaufklärung erreichen läßt, liegt es bei der Feststellung der Erzeugerschaft gerade umgekehrt. Daraus folgt nun allerdings, daß bei Nichtanwendung des § 1717 der strafrechtliche Schutz in manchen Fällen entfällt, in denen im Zivilrechtsstreit Verurteilung zu erzielen wäre. Aber diese quantitative Überlegung kann gegenüber dem entscheidenden Punkt kein Gewicht haben. Die Gefahr der ungerechten Verurteilung bleibt. Sie wird gewiß nicht dadurch geringer, daß sie in einer Vielzahl von Fällen in Kauf genommen werden müßte. Strafrichter dürfe bei der gesetzlichen Unterhaltspflicht nach § 1717 BGB nicht nach der blutmäßigen Abstammung forschen. 82 Vgl. Begründung zum StGB-Entwurf 1962, S. 354 (Verletzung von Leistungspflichten besonderer Art, nämlich solchen, die aus familienrechtlichen Bindungen erwachsen). 83 Gewiß ist die natürliche Vaterschaft, das "Band des Blutes", nicht das geschützte Rechtsgut, sondern allein der Unterhaltsanspruch (so mit Recht z. B. Maurach, Bes. Teil, § 49 II F 1, S. 395). Auch kann man (entgegen Bode, NJW 1955, 1589) den Tatbestand des § 170 b nicht auf jene Fälle einschränken, in denen die Unterhaltspflicht auf der natürlichen Abstammung beruht. Aber bei der Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters ist eben schon nach bürgerlichem Recht materiell an die Erzeugerschaft angeknüpft. 10
Leipold
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Die Anwendung des § 1717 BGB würde ferner den Schutz des Unterhaltsanspruchs weit weniger verstärken, als es auf den ersten Blick scheint. Im Strafverfahren muß ja auch der subjektive Tatbestand festgestellt werden, für den zweifellos keine Vermutung gilt. Der erforderliche Vorsatz muß sich zwar hier nicht auf die natürliche Erzeugerschaft beziehen, wohl aber auf das Bestehen der Unterhaltspflicht. Dieser Vorsatz aber wird schwer nachweisbar sein, wenn der Beiwohner sagt, er habe sich nicht für den Vater gehalten, und wenn noch kein Zivilurteil ergangen ist. Vermerkt sei auch, daß bei Anwendung des § 1717 BGB die Vermutungsbasis feststehen müßte. Die Beiwohnung wird in der Regel beweisbar sein. Wie aber steht es mit der Mehrverkehrseinrede im Strafprozeß? Wenn man dafür die Beweislastregel des Zivilrechts nicht anwendet, ·so müßte im Strafverfahren festgestellt werden, daß kein anderer innerhaLb der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat. Ist aber dies festgestellt, so auch, daß der Alleinbeiwohner der Vater ist84 ! Dann aber braucht man die Vermutung des§ 1717 BGB ohnehin nicht. Wenn man also § 1717 im Strafverfahren anwenden wollte, dann müßte man auch die auf die Basis bezogene Beweislastregel anwenden. Das erscheint ebensowenig vertretbar wie die Anwendung des § 1717 selbst. Im Ergebnis ist die Anwendbarkeit des § 1717 also abzulehnen, da sich weder ein genügender gesetzlicher Ausdruck noch hinreic.t'1ende sachliche Gründe für die Übernahme und damit für eine Abweichung von dem Grundsatz "in dubio pro reo" finden. Damit entfällt gleichzeitig die Relevanz des § 1718 im Strafverfahren, da diese Vorschrift ihrem Inhalt nach nur zusammen mit§ 1717 Bedeutung hat85 • 4. Die Unanwendbarkeit des § 1720 BGB im Strafverfahren
Bezüglich des § 1720 BGB86 gilt das zur Struktur und zur Unanwendbarkeit des § 1717 BGB Gesagte entsprechend. Auch § 1720 I BGB stellt eine widerlegliehe gesetzliche Vermutung dar: Wenn der Ehemann der Mutter dieser innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat, so wird die Erzeugerschaft vermutet. Im Strafverfahren aber kann 84 Daß in der vielleicht in Frage kommenden Zeit außerhalb der ges. Empfängniszeit keine Beiwohnung eines Dritten erfolgt ist, wird sich dann ja in aller Regel auch beweisen lassen. 85 Hält man dagegen § 1717 für anwendbar, so muß dies auch für § 1718 BGB gelten. ss Die Anwendbarkeit des § 1720 I BGB bejahen Schönke-Schröder, § 170 b Rdz. 4; Maurach, Bes. Teil,§ 49 II F 1 (S. 395) (bejaht wird 1720 schlechthin, damit ist auf jeden Fall Abs. 1 gemeint); Schwarz-Dreher, StGB, § 170 b, 2 A, a; OLG Celle, NJW 1962, 600 f. (verwendet das Argument Schröders, die Beweisregelung diene "der Herbeiführung bestimmter materieller Ergebnisse" und geht ferner zu Unrecht davon aus, § 1720 I stelle eine unwiderlegliche Vermutung dar).
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die Legitimationsehelichkeit (§ 1719 BGB) als Voraussetzung einer Unterhaltspflicht nach §§ 1601 ff. BGB dem Urteil nur zugrunde gelegt werden, wenn die Erzeugerschaft des jetztgen Ehemannes positiv feststeht. § 1720 II BGB87 stellt ebenfalls eine widerlegliehe gesetzliche Vermutung dar: Bei Vorliegen eines Anerkenntnisses wird die Beiwohnung als Vermutungsbasis des § 1720 I BGB vermutet. § 1720 II tst im Strafrecht schon deshalb bedeutungslos, weil § 1720 I, auf den die Vorschrift bezogen ist, keine Anwendung finden kann. Im übrigen würde der Übernahme des § 1720 II natürlich gleichfalls der Vermutungscharakter entgegenstehen. Soweit im Strafverfahren die Beiwohnung erheblich ist- nicht als Tatbestandsmerkmal, aber als Voraussetzung der Feststellung der Erzeugerschaft - muß sie positiv bewiesen sein, gleich ob ein Anerkenntnis vorliegt oder nicht. 5. Beurteilung der §§ 1591 ff. BGB
Bei der Unterhaltspflicht gegenüber dem ehelichen Kind steht im Vordergrund die Frage nach der Bedeutung des § 1593 BGB im Strafrecht88. Diese Vorschrift hat selbst mit Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen nichts zu tun. Wenn aber auf Grund des § 1593 BGB auch im Strafverfahren die Unehelichkeit nicht geltend gemacht werden kann, solange sie nicht im Zivilprozeß festgestellt worden ist, so entfällt schon deshalb die Möglichkeit, im Strafverfahren auf § 1591 BGB zurückzugreifen. Obwohl § 1593 BGB nur von der Geltendmachung der Unehelichkeit spricht, hat diese Bestimmung materiell-rechtliche Bedeutung. Ihr Sinn ist, daß ein Kind ehelich ist, wenn es während der Ehe oder 302 Tage nach deren Beendigung geboren wurde. Die Ehelichkeit entfällt erst mit Rechtskraft eines Zivilurteils, das auf Anfechtungsklage hin die 87 Die Anwendbarkeit des § 1720 II BGB verneinen auch das OLG Celle, a. a. 0., da es sich um eine widerlegliehe Vermutung handle, und Neudek, Diss., S. 50; auch Schwarz-Dreher, a. a. 0., nennen nur § 1720 I. SchönkeSchröder und Maurach, jeweils a. a. 0., wollen vielleicht- da§ 1720 schlechthin für maßgeblich erklärt wird - auch die Anwendbarkeit des Abs. 2 bejahen. 88 Die Geltung des § 1593 BGB im Strafverfahren wird für den Fall, daß die Anfechtungsklage nicht (innerhalb der Anfechtungsfrist) erhoben wurde, bejaht von BGHSt 12, 166; OLG Saarbrücken, FamRZ 1959, 35 (37); Oehler, FamRZ 1959, 490; Schröder, JZ 1959, 347; Schönke-Schröder, § 170 b Rdz. 4; Schwarz-Dreher, § 170 b, 2 A, a; Maurach, Bes. Teil, § 49 II F 1 (S. 395); Bruns, Festschrift f. Lent, S. 128 und FamRZ 1957, 378.- A. M. OLG Hamm, FamRZ 1957, 377. Für den Fall der (rechtskräftigen) Abweisung der Anfechtungsklage bejahen die Bindung des Strafrichters BayObLG JZ 1961, 671 (zustimmend Dünnebier, JZ 1961, 672); Schröder, a. a. 0., 347 ; Schönke-Schröder, § 170 b, Rdz. 4 u. 9; Schwarz-Dreher, § 170 b, 2 A, a; Maurach, a. a. 0. - A. M. hier Oehler, a. a. 0., und OLG Saarbrücken, FamRZ 1959, 35 (37).
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Unehelichkeit feststellt. Die Anfechtungsklage erstrebt" also einen materiell-rechtlichen Erfolg, sie stellt in Wahrheit eine Gestaltungsklage dar8g. Die Voraussetzungen, unter denen diese Gestaltungsklage Erfolg hat, ergeben sich aus §§ 1591 f. BGB. Beurteilt man die Rechtslage so, dann ist auch klar, daß der Strafrichter bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Unehelichkeitsurteils an die materiell-rechtlich bestehende Ehelichkeit gebunden ist, und nachher an die durch das Gestaltungsurteil geschaffene neue Rechtslage der Unehelichkeit. Daß Gestaltungsurteile auch für den Strafrichter maßgebend sind, ist grundsätzlich anerkannt90 • Es gibt demnach keinen Fall, in dem der Strafrichter selbst auf §§ 1591 f. zurückgreifen könnte. Beurteilt man die Bedeutung des § 1593 BGB anders, so würden § 1591 II als widerlegliehe Vermutung und die in § 1591 I enthaltene Beweislastregelung91 zuungunsten des Beklagten im Strafverfahren aus denselben Gründen unanwendbar sein wie §§ 1717 und 1720 BGB. 6. Zur Bedeutung einer rechtskräftigen Verurteilung zur Unterhaltszahlung für das Strafverfahren
Das Problem der Bindung des Strafgerichts an ein rechtskräftiges Zivilurteil stellt sich sowohl bei Vorliegen einer zivilprozessualen Verurteilung zur Unterhaltszahlung wie bei einer Abweisung der Unterhaltsklage. Die zweite Frage, also ob trotz der Klageabweisung eine Bestrafung nach § 170 b StGB möglich ist92 , wird hier nicht erörtert, da sie nicht in Beziehung zum Thema steht. Bei der Beurteilung eines positiven Unterhaltsurteils93 sind wiederum zwei Fälle zu unterscheiden: Das Zivilurteil kann zeitlich entweder as Vgl. Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 640 I 1 a; Gernhuber, Familienrecht, § 45 VI 1 (S. 468). Dölle, Familienrecht II, § 88 IV 1 a (S. 81) spricht von einem
"gerichtlichen Feststellungsurteil mit gesetzlicher Gestaltungswirkung". uo Das gilt jedenfalls, wenn das Gestaltungsurteil vor der zu beurteilenden Tat ergangen ist. - Vgl. nur Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 322 II 5 a (eingangs des 2. Abs.); Bötticher, Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Bd. I, s. 524. 91 Ob § 1591 BGB echte gesetzliche Vermutungen enthält oder einen Tatbestand mit Beweislastregel darstellt, mag hier offen bleiben. Gegen den Vermutungscharakter z. B. Rosenberg, Beweislast, S. 205 f.; Hedemann, Vermutung, S. 246 ff. 9 2 Dies bejahen BGHSt-5, 106 (111); OLG Stuttgart, NJW 1960, 2204; Bruns, Festschrift f. Lent, S. 149; Schwarz-Kleinknecht, StPO, § 262, 3; SchwarzDreher, StGB, § 170 b, 2 A a (a. E.); Dalcke-Fuhrmann-Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, § 170 b, 1. - A. M. für den Fall der zivilprozessualen Klageabweisung vor der etwaigen Straftat Schwab, NJW 1960, 2173 (Ergebnis); Bötticher, Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Bd. I, S. 525; SchönkeSchröder, StGB, § 170 b Rdz. 6. 93 Die Bindung des Strafrichters wird allgemein verneint, so von BGHSt 5, 106; Schönke-Schröder, § 170 b Rdz. 6; Schwarz-Dreher, § 170 b, 2 A a; Schwarz-Kleinknecht, StPO, § 262, 3; Kohlrausch-Lange, StGB, § 170 b, III; Bruns, a. a. 0., S. 145 f., 148; OLG Bremen, NJW 1964, 1286; LK, § 170 b, 2; Dalcke-Fuhrmann-Schäfer, a. a. 0., § 170 b, 1; Neudek, Diss., S. 35 ff.
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nach der Nichtleistung ergangen sein, die nun den Gegenstand des Strafverfahrens bildet, oder es kann bereits vor der Nichtzahlung erlassen worden sein94 • Ist das Zivilurteil erst nach der Tat ergangen, so würde seine Maßgeblichkeit für das Straf~rfahren eine mittelbare Anwendung der zivilrechtliehen Vermutungen und Beweislastregeln bedeuten, sofern das Zivilurteil - was häufig der Fall sein wird - auf diesen beruht. Schon deshalb ist die Bindung an ein Zivilurteil nach der Tat abzulehnen, wenn man der hier vertretenen Meinung folgt, daß die zivilrechtliehen Beweislastregeln im Strafverfahren unanwendbar sind95 • Es wäre ungerecht, wenn die Strafbarkeit bei ungeklärter natürlicher Vaterschaft davon abhängen würde, ob zwischen Tat und Strafverfahren ein Zivilurteil ergangen ist. Die Anerkennung des Zivilurteils scheitert also daran, daß die Entsche~dungsnormen, die auf den Inhalt des Urteils Einfluß haben, in Zivil- und Strafprozeß nicht vollständig übereinstimmen. Sachlich geht auch die Begründung des BGH96 für die Bindungslosigkeit in dieselbe Richtung: Es wird gesehen, daß das Zivilurteil durch Säumnis und Parteierklärungen beeinflußt sein kann; deshalb wird die Maßgeblichkeit des Zivilurteils als unvereinbar mit der Notwendigkeit unbeschränkter gerichtlicher Wahrhdtserforschung abgelehnt. Dies allein entspreche "der sachlichen (materiellen) Gerechtigkeit und dem obersten Grundsatz des rechtsstaatliehen Strafverfahrens, daß niemand wegen einer Tat verurteilt werden darf, wenn der Strafrichter von seiner SchuLd nicht voll überzeugt ist." 97 Damit aber sind im Grunde dieselben Erwägungen angestellt, die nach der hier vertretenen Auffassung auch einer Anwendung der zivilrechtliehen Beweislastregeln und Vermutungen im Strafverfahren entgegenstehen. Auch der Anerkennung einer Rechtskraftwirkung des vor der Tat ergangenen Unterhaltsurteils stehen dieselben Gründe entgegen. Wenn es nach dem Inhalt des materiellen St11afrechts ·a uf die wahre materielle Rechtslage hinsichtlich der Unterhaltspflicht ankommt, so muß diese auch jetzt noch voll geprüft werden, unbeeinflußt von nur zivilprozessualen Verfahrens- und Entscheidungsregeln. Hier besteht aber noch eine weitere Möglichkeit: Die rechtskräftig festgestellte Unterhaltspflicht könnte selbst als gesetzliche Unterhalts94 Gegen die Bedeutung dieses Unterschieds Bruns, a. a. 0., S. 111 N. 1, 139 N. 2. 95 Da es nur um den Zusammenhang mit dem Thema dieser Untersuchung geht, werden alle übrigen Argumente beiseite gelassen. ue BGHSt 5, 106 (109 ff.).- Ähnlich Bruns, a. a. 0., S. 145 f.; OLG Bremen, NJW 1964, 1286; LK (Jagusch), § 170b, 2; Krumme, LM § 170b StGB Nr. 2 (der auch auf die Beeinträchtigung der Wahrheitserkenntnis im Zivilprozeß durch die Vermutungen der§§ 1591, 1717 BGB hinweist). t7 BGHSt 5, 110.
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pflicht im Sinne des § 170 b StGB angesehen werden98• Bei dieser Auffassung würde dem Zivilurteil nicht eine Rechtskraftwirkung zugesprochen, vielmehr würde es selbst zur Normvoraussetzung des Strafrechts, d. h . es würde eine sog. Tatbestandswirkung eintreten. Dann ergäbe sich auch keine Kollision mit den strafprozessualen Wahrheitsfindungs- und Beweislastregeln, da es eben vom Zeitpunkt des Zivilurteils an schon materiell-rechtlich nur mehr auf das Vorliegen des rechtskräftigen Zivilurteils ankäme. Dies hätte auch Auswirkungen auf den subjektiven Tatbestand: Es wäre nunmehr die Kenntnis der Verurteilung nötig und genügend. Die Frage muß durch Auslegung des § 170 b StGB entschieden werden. Dabei ist sicher, daß mit gesetzlicher Unterhaltspflicht auf jeden Fall die nach materiellem bürgerlichen Recht bestehende Unterhaltspflicht erfaßt werden soll. Nach geltendem Recht ist die zivilprozessuale Verurteilung keinesfalls notwendige Voraussetzung der Strafbarkeit. Ist aber der strafrechtliche Begriff zunächst auf das rein materielle Recht bezogen, so erscheint es kaum möglich, zugleich auch die Verurteilung einzubeziehen. Das BGB verleiht einem positiven Unterhaltsurteil keine materielle Wirkung; auch das Wesen der Rechtskraft wird zumeist nicht materiell-rechtlich verstanden99 • So würde die Einbeziehung der Verurteilung den möglichen Wortsinn des § 170 b StGB doch überschreiten und eine unzulässige Ausdehnung der gesetzlichen Strafdrohung durch Analogie darstellen. Weder das nach der Tat noch das vor der Tat ergangene positive Unterhaltsurteil wirkt somit im Strafverfahren. 7. Zur künftigen Regelung
Die geltende Fassung des § 170 b StGB hat sowohl im Hinblick auf die anzuwendenden Vorschriften des BGB wie bezüglich der Bedeutung rechtskräftiger Zivilurteile zahlTeiche Probleme aufgeworfen. Schon im Interesse der Rechtssicherheit wäre hier eine klare gesetzliche Regelung erwünscht. Die entsprechende Vorschrift des Entwurfs eines &s Auf diesen Gedanken weist Pohle, Festschrift f. Apelt, S. 193 (allgemein) hin. Er wird auch bei Bötticher, Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. I, S. 525 angesprochen. (B. bejaht auf Grund einer Auslegung des § 170 b StGB die Bedeutung des negativen Unterhaltsurteils.) - Gegen e ine derartige Auslegung des § 170 b Bruns, a . a. 0., S. 148 (ohne Begründung); Neudek, Diss., S. 39 f. 99 Eine materiell-rechtliche Deutung der Rechtskraft würde keineswegs aus sich heraus zu der Folgerung führen, die Bindung des Strafrichters an Zivilurteile sei zu bejahen, vgl. Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 322 II 5 a bei N. 28 e (mit Nachw.). Wäre aber die materiell-rechtliche Wirkung der Rechtskraft allgemein anerkannt, so könnte man § 170 b StGB eher dahingehend auslegen, daß auch rechtskräftig festgestellte, ursprünglich nicht bestehende Unterhaltspflichten erfaßt werden sollten.
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Strafgesetzbuchs (1962) enthält jedoch bedauerlicherweise keine Verbesserungtoo. Auch in der amtlichen Begründungtot sind die genannten Fragen mit keinem Wort erwähnt. Will man einen durchgängigen strafrechtlichen Schutz erreichen und jene Gründe zum Verstummen bringen, die nach geltendem Recht einer Beachtung der gesetzlichen Vermutungen und der rechtskräftigen Unterhaltsurteile entgegenstehen, so bietet sich die Möglichkeit an, die Strafdrohung generell an das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung zur Unterhaltszahlung zu knüpfen. Damit würden auch jene Unterhaltsansprüche geschützt, die im Zivilprozeß auf Grund bürgerlichrechtlicher Vermutungen bejaht wurden. Eine Ausnahme vom Grundsatz "in dubio pro reo" ergäbe sich jedoch nicht mehr, da nicht die außergerichtlich gedachte Unterhaltsverpflichtung, sondern deren gerichtliche Feststellung Tatbestandsmerkmal wäre. Zu erwägen wäre demnach etwa folgende Neufassung: "Wer sich einer rechtskräftig festgestellten gesetzlichen 102 Unterhaltspflicht entzieht, so daß ... " Diese Strafdrohung würde erst das Verhalten nach dem Zivilurteil erfassen. Die Strafbarkeit einer Verletzung privatrechtlicher Ansprüche würoe auf Fälle eingeschränkt, in denen das Bestehen der Unterhaltspflicht festgestellt und damit dem Schuldner eindringlich vor Augen gehalten worden isttoa. Dem Unterhaltsberechtigten aber ist es gewiß zuzumuten, als ersten Schritt seiner Rechtsdurchsetzung ein Zivilurteil zu erstreiten, was ja auch jetzt praktisch die Regel sein dürfte.
1oo § 200 E 1962 hat folgenden Wortlaut : .,Wer sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Strafhaft bestraft." tOl
s. 354.
Das Wort "gesetzlich" hat in der vorgeschlagenen Formulierung nur mehr den Zweck, die Nichterfassung vertraglicher Unterhaltspflichten klarzustellen. 1oa Man könnte auch noch eine Belehrung über die Strafbarkeit im zivil!)rozessualen Unterhaltsurteil vorsehen . to2
§ 11 Die Beweislast bei Verweisungen des BGB auf das Strafrecht I. Die Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Grundsatzes "in dubio pro reo" bei unerlaubten Handlungen nach § 823 II S. 1 BGB in Verbindung mit strafrechtlichen Bestimmungen 1. Der Umfang der Verweisung
§ 823 II S. 1 BGB enthält- unter anderem- eine Verweisung auf das Strafrecht1, denn als Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift kommen zahlreiche Strafrechtsnormen2 in Betracht. Soll nun die Frage beantwortet werden, ob hier auch die Beweislastgrundregel des Strafrechts zu übernehmen ist, so ist zunächst zu betrachten, in welchem Umfang denn materiell das Strafrecht zur Anwendung kommen kann. Gewiß erstreckt sich die Verweisung auf die Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des strafrechtlichen Tataufbaus. Die Rechtswidrigkeit der Handlung ist im Gesetz nicht ausdrücklich gefor-dert. Ihre- unbestrittene- Notwendigkeit folgt aber schon aus dem Vergleich mit § 823 I BGB und der grundsätzlichen Auffassung des BGB von den unerlaubten Handlungen. Schon im Wort "unerlaubt" steckt das Erfordernis eines Verstoßes gegen ein rechtliches Verbot. Da die Widerrechtlichkeit in § 823 II S. 1 BGB nicht eigens genannt ist, und da ein Gesetzesverstoß nur bei Widerrechtlichkeit vorliegt - denn die Normwidrigkeit ist ja Inhalt des Rechtswidrigkeitsurteils - , gehört diese Voraussetzung in den Rahmen des gesetzlichen Merkmals "Verstoß gegen ein Schutzgesetz". Schon diese Überlegung ergibt, daß die Widerrechtlichkeit nach den Voraussetzungen des Schutzgesetzes, also hier des Strafrechts, zu bemessen ist, d. h. daß die Rechtfertigungsgründe des Strafrechts anwendbar sind3 • Doch ist dies keine Besonderheit des § 823 II 1 Von Verweisung sprechen ausdrücklich z. B. Zitelmann, AcP 99, 15; Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 116; Engisch., Einheit der Rechtsordnung S. 26 N. 3; Wiethölter, JZ 1963, 205, 208. 2 Bezüglich der- hier nicht behandelten Frage, welche Strafvorschriften § 823 II erfaßt, vgl. die eingehenden Ausführungen von Boehmer, Grundlagen, 1. Bd., S. 69 ff. mit zahlreichen Nachweisen. Aufzählungen finden sich z. B. bei Erman-Drees, BGB § 823, 12, c, aa und Palandt-Gramm, BGB, § 823,
9, f.
3 So Zitelmann, AcP 99, 15 f.; Baumfalk, Diss., S. 68; Bartelt, Gruchot 69, 438; RGZ 51, 369 (377 f.).
I. Unerlaubte Handlungen nach § 823 II S. 1 BGB
153
S. 1 BGB. Auch bei § 823 I werden alle jene Rechtfertigungsgründe angewendet, die das Strafrecht ausgeprägt hat4• Das Urteil über die ~chtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit wird dabei als für die gesamte Rechtsordnung geltend aufgefaßt. Man bejaht insoweit die Einheit der Rechtsordnung und geht davon aus, ein Verhalten, das in dem einen Teilgebiet verboten sei, könne nicht in dem anderen erlaubt sein und umgekehrt5• So werden auch die zivilrechtliehen Rechtfertigungsgründe im Strafrecht allgemein anerkannt. Für § 823 II S . 1 BGB ergibt sich demnach, daß die Rechtswidrigkeit sowohl durch zivilrechtliche wie durch strafrechtliche Rechtfertigungsgründe ausgeschlossen werden kann. Daß die unerlaubte Handlung nach § 823 II S. 1 BGB stets auch Verschulden des Täters voraussetzt, ergibt sich bereits aus § 823 II S. 2. Doch enthalten die strafrechtlichen Normen durchweg schon selbst das Verschuldenserfordernis, so daß es nicht erst über diese Vorschrift ergänzt zu werden braucht. Dabei ist anerkannt, daß die Schadensersatzpflicht nur bei Vorsatz eintritt, wenn die Strafbarkeit nur für vorsätzliches Handeln bestimmt ist6 • Insoweit sind also für das Verschulden die erschwerenden Anforderungen des Strafrechts maßgebend. Dagegen ist es sehr zweifelhaft, wie weit im übrigen das Verschulden nach strafrechtlichen Gesichtspunkten zu bemessen ist7• Fraglich ist dabei einmal, ob der subjektive Fahrlässigkeitsbegriff des Strafrechts oder 4 Vgl. etwa Soergel-Siebert (Schräder), BGB, § 823 Rdz. 76 ff. (Einwilligung des Verletzten), 84 ff. (§ 193 StGB), 102 ff. (Züchtigungsrecht). 5 Vgl. Seib, Diss. (eingehend, Ergebnis S. 78); Fischer, Rechtswidrigkeit, S. 115; Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 57 f.; Boehmer, Grundlagen, 1. Bd., S. 27; Maurach, Allg. Teil, § 25 IV 1 (S. 254 f.); Baumann, MDR 1957, 646; Schwarz-Dreher, StGB, B III 1 vor § 1. Die Rechtsnormen werden hier als Verhaltensnormen aufgefaßt; davon ausgehend erscheint es unbestreitbar, daß eine bestimmte Handlung nur entweder rechtlich verboten oder rechtlich erlaubt sein kann. Freilich steht es jedem Rechtsgebiet offen, aus den gesamten rechtswidrigen Handlungen nur einen Teil herauszugreifen und mit Sanktionen zu versehen oder umgekehrt die Sanktionen auch für rechtmäßige Handlungen anzuordnen. Die Grenzziehung geschieht aber dann nicht nach dem Kriterium der Rechtswidrigkeit Auf unseren Fall angewandt wäre es denkbar, daß § 823 mit "rechtswidrig" nicht den gesamten Bereich der rechtswidrigen (tatbestandsmäßigen) Handlungen erfassen will - oder auch einzelne rechtmäßige Handlungen. Allgemein besteht aber für ein solches Verständnis der Widerrechtlichkeit in § 823 I kein Anlaß. - Nur in diesem Sinn kann jenen gefolgt werden, die von einer Relativität des Rechtswidrigkeitsurteils ausgehen, vgl. z. B. Westermann, JZ 1960, 694 (mit Nachweisen). 0 So RGZ 118, 312 (315); RG HRR 1940 Nr. 741; Soergel-Siebert (Schräder), BGB, § 823 Rdz. 467; Erman-Drees, BGB, § 823, 12, e, aa; Larenz, Schuldrecht, Bes. Teil, § 66 II (S. 436); Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht, § 235 III 1
(S. 953).
7 Für Maßgeblichkeit des strafrechtlichen Verschuldensbegriffs Bartelt, Gruchot 69, 446.
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§ 11 Verweisungen des BGB auf das Strafrecht
der objektivierte (typisierte) des Zivilrechts maßgebend ist8 • Ungeklärt ist zum anderen, welche Bedeutung das Fehlen des Unrechtsbewußtseins (der Verbotsirrtum) haben soll, ob dann - nach der hergebrachten "Vorsatztheorie" des Zivilrechts - der Vorsat:l: entfällt9 oder ob der Vorsatz unbeeinfl.ußt bleibt und nur bei unvermeidbarem Irrtum die Schuld ausgeschlossen ist- so die im Strafrecht nunmehr vorherrschende Schuldtheorie10 • Diese Probleme müssen hier offen bleiben. Sie sind zu komplex, als daß sie am Rande mitbehandelt werden könnten. Man kann sich dabei nämlich in kaum einer Hinsicht auf feste Grundlagen stützen; der Inhalt der Schuld ist sowohl im Strafrecht wie im Zivilrecht umstritten, die Grenzen zur Rechtswidrigkeit wie zur Tatbestandsmäßigkeit (durch dje finale Handlungslehre) sind flüssig geworden11. Die Anwendbarkeit der strafrechtlichen Entschuldigungsgründe
(§§ 52, 54 StGB, übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund der Unzu-
mutbarkeit) im Zivilrecht ist allgemein problematisch12 und ebenso im Rahmen des § 823 II BGB. Auch darauf kann hier nur hingewiesen werden.
Schließlich kann man noch nach dem Alterserfordernis und den Voraussetzungen der Zurechnungsfähigkeit fragen. Aber aus dem Gesetzesaufbau geht hier klar hervor, daß die §§ 827, 828 BGB auch für unerlaubte Handlungen nach § 823 II S. 1 BGB gelten sollen. Zwins Zur Fahrlässigkeit im Strafrecht vgl. etwa Maurach, Allg. Teil, § 43 (S. 459 ff.}, zum subjektiven Erfordernis § 44 III B (S. 486 ff.); SchönkeSchröder, StGB, § 59 Rdz. 144 ff., zum subjektiven Erfordernis Rdz. 175 ff. Zur Fahrlässigkeit im Zivilrecht s. Larenz, Schuldrecht, Allg. Teil, § 19 III u . IV (S. 220 ff.}; Esser, Schuldrecht, § 56 (S. 200 ff.}; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt. Das Problem entfällt, wenn man auch für das Zivilrecht stets individuelle Vorwerfbarkeit verlangt, so Nipperdey, NJW 1957, 1779 ff.; Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 2. Halbbd., § 213 III 2 (S. 1321 ff.}. 9 Für Anwendung der Vorsatztheorie auch bei § 823 II Baumann, AcP 155, 495 ff. (Ergebnis 518); Erman-Drees, BGB, § 823, 12, e, aa. 1o Für Anwendung der Schuldtheorie bei § 823 II BGH JZ 1963, 218; Larenz, Schuldrecht, Bes. Teil, S. 436 N. 3. - Wiethölter, JZ 1963, 205 ff. (Ergebnis 210) will die Schuldtheorie für § 823 II und 823 I anwenden. 11 So will z. B . Geilen, JZ 1964, 6 ff., Ergebnis S. 13, den strafrechtlichen Verschuldeosmaßstab für § 823 II BGB generell nicht berücksichtigen; das Abstellen auf das Vorsatzerfordernis rechtfertigt er damit, daß der Vorsatz nicht zur Schuld, sondern zum Strafrechtsunrecht gehöre. 12 Vgl. Erman-Hefermehl, BGB, § 228, 1 (verneinend für § 54 StGB); Soergel-Siebert, § 228, Rdz. 25 (verneinend für §§ 52, 54 StGB), Rdz. 26 (bejahend für strafrechtlichen übergesetzlichen Notstand); Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 2. Halbbd., § 241 IV (S. 1458) (verneinend für §§52, 54 StGB, aber für Berücksichtigung eventueller Unzumutbarkeit). Bei Geilen, JZ 1964, 6 mit N. 4 u. 5, bleibt die Frage offen. Zitelmann, AcP 99, 16 N. 16, bejaht die Haftung aus § 823 II auch bei Vorliegen von §53 III oder §54 StGB.
I. Unerlaubte Handlungen nach § 823 II S. 1 BGB
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gende Gründe zu einer Abweichung ergeben sich aus der Verweisung auf das Strafrecht nicht13 • 2. Die Beweislast
Nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen des Zivilrechts müßte bei einem Anspruch aus§ 823 II BGB der Verletzte das Vorliegen einer objektiv tatbestandsmäßigen Handlung und des Verschuldeos (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) des Schädigers beweisen. Dies wären hier die anspruchsbegründenden Tatsachen. Dagegen obliegt der Beweis für Rechtfert1gungsgründe 14 und das Fehlen der Verantwortlichkeit wegen Deliktsunmündigkeit oder Unzurechnungsfähigkeit15 dem Beklagten. Diese anerkannten Regeln lassen sich wohl schon aus der Fassung der §§ 227 ff. BGB und 827, 828 BGB entnehmen. Soweit im Rahmen des Zivilrechts Entschuldigungsgründe berücksichtigt werden oder ein Rechtsirrtum vorsatz- oder schuldausschließende Kraft hat, müßte die Beweislast ebenfalls der Beklagte tragen16• Die Übertragung des Grundsatzes für Rechtfertigungsgründe auf diese Fälle läßt sich damit begründen, daß es sich hier ebenfalls um Ausnahmefälle in tatsächlicher Hinsicht handelt - und dies dürfte der sachliche Grund der Beweislastregel für die Rechtfertigungsgründe sein. Nach dem strafrechtlichen Grundsatz "in dubio pro reo" könnte dagegen eine Verurteilung nur erfolgen, wenn auch das Nichtvorliegen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen, eines entschuldigenden Verbotsirrtums, sowie das Vorliegen der Strafmündigkeit und der Zurechnungsfähigkeit bewiesen wären. Für alle diese Fälle besteht also ein Unterschied zur zivilrechtliehen Beweislastregelung. 13 Für Anwendung der §§ 827, 828 BGB auch Zitelmann, AcP 99, 16 N. 16; Geilen, JZ 1964, 7 i. V. m. 13 (stets zivilrechtlicher Schuldmaßstab); Larenz, Schuldrecht, Bes. Teil, S. 436 N. 4. u Sou. a. Beckh, Beweislast, S. 212 f.; Betzinger, Beweislast, S. 173; Wach, ZZP 29, 389; Rosenberg, Beweislast, S. 27 f.; Soergel-Siebert (Schräder), BGB, § 823 Rdz. 485 u. 499; Erman-Drees, BGB, § 823, 10 vor a; Palandt-Gramm, BGB § 823, 13 b; RG JW 1907, 138 f.; RG Recht 1913, Beilage Nr.1972; RGZ 159, 235 (240); BGHZ 24, 21 (27 f.). - A. M. Leonhard, Beweislast, S. 305 f., 384. 15 So z. B. Rosenberg, Beweislast, S. 340; Beckh, Beweislast, S. 209 f. (anders für das Alterserfordernis!); Wach, ZZP 29, 389; Palandt-Gramm, BGB, § 827, 3, § 828, 2 a; Erman-Drees, BGB, § 827, 4, § 828, 3; Soergel-Siebert (Schräder), BGB, § 827 Rdz. 5, § 828 Rdz. 11; RGt 51, 30 (32); 61, 239 (240); 108, 86 (90); BGH LM, § 828 BGB Nr. 1 u. Nr. 3; BGH VersR. 1954, 118 f. - A. M. Leonhard, Beweislast, S. 384; Weyl, Verschuldensbegriffe, S. 622. 16 Vgl. RG JW 1931, 1689 (für Unkenntnis einer Verordnung); RGZ 88, 118 (120) (für Entschuldbarkeit des Irrtums über Notwehrlage); Erman-Drees, BGB, § 823, 10 b mit 10 vor a (für den entschuldigenden Irrtum über Notwehr); Wach, ZZP 29, 389 (für Irrtum, ansonsten wird der Begriff Schuldausschließungsgründe von Wach untechnisch verwendet).
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§ 11 Verweisungen des BGB auf das Strafrecht
Man kann daher hier fragen, ob mit den strafrechtlichen Rechtfertigungsgründen, sowie mit den eventuell anwendbaren strafrechtlichen Entschuldigungsgründen und Regeln über den Verbotsirrtum auch die Beweislastregel des Strafrechts zu übernehmen ist. Bezüglich des erforderlichen Alters und der Zurechnungsfähigkeit, die auch im Fall des § 823 II nach zivilrechtliehen Grundsätzen zu beurteilen sind, kommt zwar keine Übernahme der Beweislastregel mit der sachlichen Regelung in Betracht, doch wäre eine Parallelregelung, eine analoge Anwendung des strafrechtlichen Beweislastsatzes auf die zivilrechtliehen Sachnormen immerhin denkbar. Die Frage nach der Übernahme des Satzes "in dubio pro reo" beantwortet sich jedoch rasch, wenn man sich den sachlichen Grund dieser Regel vor Augen hält. Wie schon gezeigt wurde17, beruht sie auf der besonderen Schwere der Strafe als Rechtsfolge. Diese Bewertung läßt es als unerträglich erscheinen, die Möglichkeit einer unberechtigten Verurteilung auf Grund einer Beweislastregel zuungunsten des Angeklagten in Kauf zu nehmen. Ist somit die strafrechtliche Grundregel ausschließlich rechtsfolgebestimmt, so muß auch ein Vergleich der Rechtsfolgen über die Übernehmbarkeit entscheiden. Die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht hat jedoch mit einer Strafe nichts gemein. Sie hat nicht den primären Sinn, dem Schädiger ein Übel zuzufügen, sondern den, dem Geschädigten Ausgleich für seinen Schaden zu verschaffen. Damit dient sie der zivilrechtliehen Güterordnung. Die Verurteilung zum Schadensersatz auf Grund einer unerlaubten Handlung bringt auch keinen sittlichen Vorwurf zum Ausdruck, sie hat keine ehrenmindernde Wirkung. Die Schadensersatzpflicht nach § 823 II BGB unterscheidet sich in diesen Punkten nicht von anderen zivilrechtliehen Ersatzpflichten, insbesondere nicht von Ersatzpflichten nach § 823 I BGB. An der Beurteilung ändert die Überlegung nichts, daß hier immerhin die Begehung einer strafbaren Handlung im Urteil festgestellt werden müsse. Denn zum einen muß es bei korrekter Terminologie der Entscheidung entsprechend dem Gesetz "Verstoß gegen ein Schutzgesetz" heißen. Zum anderen aber führt gerade das Beweislasturteil, um das es hier geht, nicht zu einer Feststellung der vollen Voraussetzungen einer strafbaren Handlung. Zu einer Tatsachenfeststellung nämlich führen die Beweislastregeln nicht18• So muß in den Gründen der bestehengebliebene Zweifel, etwa am Vorliegen der Notwehrlage, ausdrücklich niedergelegt werden. Die Rechtsfolge aber, die konkrete Ersatzpflicht, über die der Urteilstenor sich allein ausspricht, bringt auch im Fall des § 823 II BGB keine Aussage über eine strafbare Handlung. s. oben § 10 I 3. t e s. oben § 6 II 2.
11
II. Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf
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Wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit der Rechtsfolgen ist also die strafrechtliche Beweislastregel nicht zu übernehmen11• Die Beweislast ist in allen Fällen des § 823 II BGB ebenso zu regeln wie in Abs. 1 der Vorschrift, also zum Teil auch zuungunsten des Beklagten. Das gilt genauso, wenn strafrechtliche Normen anzuwenden sind. II. Die Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf ehrenkränkender Tatsachenbehauptungen 1. Die Fallgestaltung der Entscheidung BGHZ 37, 187 und die Beurteilung im Schrifttum
Die Diskussion über die Beweislast beim Anspruch auf Widerruf einer ehrenkränkenden Tatsachenbehauptung hat sich in jüngster Zeit am Urteil des BGH vom 5. 6. 1962 (BGHZ 37, 187 ff.) 1 entzündet. Zur Veranschaulichung des Problems sei die Sachlage dieser Entscheidung kurz skizziert. Der Kläger, Direktor einer Auslandsschule in F., nahm an einem Lehrgang in Fr. teil, wo er die Beklagte kennenlernte. Die Bekl. schrieb ihm später wiederholt an seine Schuladresse, die hllr der Kl. gegeben hatte, erhielt jedoch keine Antwort. Schließlich bat sie den zuständigen Generalkonsul in F. um die Anschrift des Kl. Als sich der Generalkonsul nach dem Grund der Bitte erkundigte, antwortete die Bekl., der Kl. habe ihr die Ehe versprochen. Der G€neralkonsul teilte ihr nun mit, der Kl. sei verheiratet und in F. wohnhaft. Der Generalkonsul unterrichtete auch den Kl. Dieser verlangte vergebens von der Bekl., sich zu entschuld~gen und die Behauptung zurückzunehmen. Die Angelegenheit wurde bekannt, woraus sich dienstliche Schwierigkeiten für den Kl. ergaben. Sein Dienstverhältnis wurde schließlich gelöst. Der Kl. klagte gegen die Bekl. mit dem Antrag, sie zu verurteilen, die Behauptung zu widerrufen, er habe ihr die Ehe versprochen. Er behauptete, die Darstellung der Bekl. sei unwahr. Dagegen beharrte die Bekl. auf ihren Angaben. Das Landgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht wies die Berufung der Bekl. zurück, da ihr der Wahrheitsbeweis für ihre Behauptung nicht gelungen sei. Auf die Revision der Bekl. hob der BGH das Urteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück. Der BGH begründete die Entscheidung damit, das Berufungsgericht habe die Beweislast verkannt; die Verurteilung zum Widerruf setze nämlich den Beweis der Unwahrheit voraus. Im Ergebnis ebenso Johannes, JZ 1964, 319 N. 30. VI ZR 236/61. - Abgedruckt ferner in NJW 1962, 1438; JZ 1963, 130; GRUR 1962, 652; MDR 1962, 729; wiedergegeben von Hauß in LM § 1004 BGB Nr.62. 19
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§ 11 Verweisungen des BGB auf das Strafrecht
Im Schrifttum wurde die Ansicht des BGH zum Teil gebilligt2 , überwiegend jedoch abgelehnt, und zwar entweder vollständig3, oder doch mit der Auffassung, bei non liquet über die Wahrheit müsse zu einem "eingeschränkten" Widerruf verurteilt werden4 • 2. Die Anspruchsgrundlagen und das Vorliegen einer Verweisung auf § 186 StGB
a) Der Wide1'Tufsanspruch als Schadensersatzanspruch nach§ 823 II BGB in Verbindung mit§ 186 StGB Als Grundlagen des Anspruchs auf Widerruf kommen sowohl ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung wie ein sog. Beseitigungsanspruch in Frage. Beide Aspekte werden auch vom BGH angesprochen5, aber nicht im einzelnen dargestellt8 • Beim Schadensersatzanspruch wird der Widerruf als Form der Naturalrestitution aufgefaßt7. Geht man davon aus, daß die Ehre kein sonstiges Recht im Sinne des § 823 I BGB ist8 , so bleibt als Anspruchsgrundlage § 823 II BGB in Verbindung mit§ 186 StGB 9• Diese Strafbestimmung für die üble Nachrede ist als Schutzgesetz im Sinne des § 823 li BGB allgemein anerkannt.
b) Der Widerrufsanspruch als Beseitigungsanspruch Der Beseitigungsanspruch wurde von der Rechtsprechung im Anschluß an den sogenannten quasinegatorischen Unterlassungsanspruch anerkannt. Der Widerruf wird hier als Mittel zur Beseitigung einer ~ Reinicke, MDR 1962, 977 f. ; Hubmann, JZ 1963, 131; Blomeyer, Zivilprozeßr echt, S. 170 N. 2; Thies, Diss., S . 79 ff. Sachlich wie der BGH EnneccerusLehmann, Schuldrecht, § 252 II 3 a (S. 1012) und Erman-Drees, BGB, vor § 823, 9 c, dd. s So von Schlosser, JZ 1963, 309 ff.; Johannes, JZ 1964, 317 ff. ; zur Ablehnung neigend auch Larenz, Schuldrecht, Bes. Teil, S . 478 N. 4. Für Beweislast des Beklagten ferner Esser, Schuldrecht, § 211 , 3 c a. E. (S. 931); RGRK (Johannsen), § 1004, 106; OLG Freiburg, JZ 1951, 752 (im Text ohne Einschränkung, immerhin handelte es sich nur um einen eingeschränkten Widerruf). 4 So Helle, NJW 1962, 1813 f.; ders. NJW 1964, 841 ff. (insbes. 844); ders. Schutz der pers. Ehre, S. 18; Erdsiek, NJW 1963, 1965 f.; Rehbinder, JZ 1963, 314 ff.; Bußmann, GRUR 1962, 653; Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, Bd. I, Einl. z. UWG, II Rdz. 193 (S. 189). Sachlich ebenso Soergel-Siebert (Mühl), BGB, § 1004, Rdz. 49 und 51. 5 BGHZ 37, 189. 6 Vgl. zum Widerrufsanspruch als Schadensersatz- und Beseitigungsanspruch etwa Hubmann, JuS 1963, 99 ff. 7 Vgl. z. B. Esser, Schuldrecht, § 48, 7 (S. 167 u .); Löffler, Presserecht, S. 685 Rdz. 118; Helle, Schutz der pers. Ehre, S. 9; Thies, Diss., S. 72 ff.; RGZ 60, 12 (16 f.); 88, 129 (133); 97, 343 (344 f.); RG JW 1939, 234; RG DR 1939, 2009. s Bei einem etwaigen Anspruch aus § 823 I BGB dürfte die Beweislast des Klägers für die Unwahrheit ohnehin unproblemat isch sein. 9 § 187 StGB wird zunächst beiseite gelassen.
II. Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf
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fortdauernden Beeinträchtigung des Rechtsguts der Ehre aufgefaßt10 • Die Richtigkeit dieser Rechtsfortentwicklung ·u nd ihre dogmatische Einordnung sind hier nicht zu untersuchen11 • Der Beseitigungsanspruch setzt im Gegensatz zum deliktischen Schadensersatzanspruch kein Verschulden, wohl aber das Fortdauern einer objektiv widerrechtlichen Beeinträchtigung eines geschützten Rechtsguts voraus. Ob im gegebenen Fall ein ,geschütztes Rechtsgut widerrechtlich beeinträchti•g t ist, muß an § 823 II in Verbindung mit § 186 StGB gemessen werden. Auch hier ergibt sich also eine Verweisung auf § 186 StGB 12 •
c) Die objektiven Anspruchsvoraussetzungen aus § 186 StGB Beide möglichen Anspruchsbegründungen setzen demnach das Vorliegen eines objektiven Verstoßes gegen das Schutzgesetz § 186 StGB voraus. Dazu ist gewiß die Aufstellung oder Verbreitung einer ehrenrührigen Tatsache im Sinne des § 186 StGB erforderlich. Schwieriger ist die Frage, welche materiellen Anspruchsvoraussetzungen sich aus den Worten .,wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist" für die zivilrechtliehen Ansprüche ergeben. Da der Verstoß gegen das Schutzgesetz jedenfalls die Voraussetzungen der objektiven Tatbestandsmäßigkeit und der Rechtswidrigkeit des Schutzgesetzes erfüllen muß13, wäre die Antwort erleichtert, wenn man sich auf einigermaßen gesicherte Erkenntnisse über die Bedeutung der zitierten Formulierung im Rahmen des strafrechtlichen Deliktsaufbaus stützen könnte. Doch ist dies nicht der Fall. Zwar sind die praktischen Konsequenzen des Gesetzeswortlauts im wesentlichen anerkannt14 : Wird im Prozeß die Wahrheit festgestellt, so erfolgt Freispruch; Vorsatz bezüglich der Unwahrheit ist nicht erforderlich 15, auch bei unverschuldetem Irrtum entfällt die Strafbarkeit nicht10 ; läßt sich die Wahrheit oder Unwahrheit nicht feststellen, so wird der Täter verurteilt. Die dogmatische Einord10 Vgl. RGZ 148, 114 (123); 163, 210 ff. (214 f.) ; OGHZ 1, 182 (190); BGH NJW 1952, 417 (418); BGHZ 10, 104; 14, 222 (225); 34, 99 (102 f.); LM § 1004 BGB Nr. 54 a; Ulmer, ZAkDR 1936, 538 f.; Wendt, DRZ 1950, 555; Esser, a. a. 0., § 211, 3 a (S. 929 f.); Löffler, Presserecht, S. 687 Rdz. 130, S. 688 Rdz. 131; Helle, Schutz der pers. Ehre, S.16 (mit Nachweisen N. 6); Larenz, Bes. Teil, § 70 I (S. 478); Schlosser, JZ 1963, 310; Thies, Diss., S. 22 ff. 11 Vgl. dazu (allgemein) Esser, a. a. 0., S. 931; Larenz, a . a. 0 ., § 70 II (S. 479 f .); Baur, AcP 160, 465 ff. 12 Ebenso Schlosser, JZ 1963, 310. ts s. oben I 1. 14 Vgl. Maurach, Bes. Teil, § 18 II B 3 (S. 139 f.); Schönke-Schröder, StGB, § 186 111; Schwarz-Dreher, StGB, § 186, 2 D; Kohlrausch-Lange, StGB, § 186 VI, VII, VIII. 1" A. M. Beling, Üble Nachrede, S. 8 f., 13 f.; Bemmann, MDR 1956, 390 (Ergebnis). Nach Binding, Bes. Teil, 1. Bd., S. 158 und LK (Schaefer), § 186 IV erfordert der Vorsatz das Bewußtsein der Unerweislichkeit. 16 Zur verfassungsrechtlichen Problematik des § 186 StGB im Hinblick auf den Grundsatz "Keine Strafe ohne Schuld" vgl. Schlosser, Diss., S. 128 ff.
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nung dieser Punkte ist jedoch sehr umstritten. Zwar findet sich besonders häufig die Ansicht, die Nichterweislichkeit der Tatsache sei objektive Bedingung der Strafbarkeit bzw. der Beweis der Wahrheit Strafausschließungsgrund17. Aber der Begriff der objektiven Bedingungen der Strafbarkeit ist selbst wieder sehr umstritten, gerade auch im Verhältnis zu Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidr~gkeit1 8 . Es kommt also durch diese Bezeichnung im Grunde nur das Fehlen des Verschuldenserfordernisses bezüglich der Unwahrheit zum Ausdruck. Dagegen kann man der Beurteilung als objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht entnehmen, die VorausS€tzung stehe in besonderer Ferne zur eigentlichen Bewertung der Tat (etwa wie ein persönlicher Strafausschließungsgrund), was bezüglich der Übernahme für § 823 II BGB skeptisch stimmen müßte. Vielmehr kommt bei den strafrechtlichen Autoren vielfach zum Ausdruck, daß die angesprochenen Erfmdernisse doch irgend etwas mit der Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Handlung zu tun haben19• Das zeigt sich auch darin, daß nach allgemeiner Auffassung der Wahrheitsbeweis vor Prüfung des § 193 StGB (der anerkanntermaßen einen Rechtfertigungsgrund darstellt) zu erheben ist, und sogar dann, wenn das Eingreifen des § 193 StGB schon feststeht20 • Dies wäre schwer vertretbar, wenn die Wahrheit (oder der 11 So z. B. Maurach, Bes. Teil, § 19 II B 1 a (S. 144 f.), der auch betont, daß zwischen beiden Formulierungen kein sachlicher Gegensatz besteht; Schönke-Schröder, StGB, § 186 III, Rdz. 10; Schwarz-Dreher, StGB, § 186, 2 D, d; Kohlrausch-Lange, StGB, § 186 VIII; Bockelmann, JR 1954, 328. Auch die Begründung zum Entwurf 1962 - dessen § 173 inhaltlich § 186 StGB entspricht - geht von dieser Ansicht aus, s. S. 314, 316. 18 Vgl. Maurach, Allg. Teil, § 21 IV A (S. 214 ff.) mit Lit. 19 Vgl. Glaser, Beiträge, S. 79 (Unwahrheit Element des Tatbestandes); Frank, StGB, § 186 III (materiell Unwahrheit Tatbestandsmerkmal; gesetzgeberischer Gedanke der, daß die Behauptung oder Verbreitung wahrer Tatsachen nicht rechtswidrig); Sauer, System, Bes. Teil, S. 371, 374 (Unwahrheit regelmäßig Tatbestandsmerkmal i. w. S.), S. 375 (Unwahrheit wahres legislatorisches Motiv); Beling, Üble Nachrede, S. 11 (Nichterweislichkeit nicht bloße Strafbarkeitsbedingung; wahre Behauptung nicht verboten); Bemmann, MDR 1956, 387 ff. (Ergebnis S. 390: Unwahrheit gehört zum objektiven Tatbestand); LK (Schaefer), § 186 II 4 (Erweislichkeit Klarstellung fehlender Tatbestandsmäßigkeit); Welzel, Strafrecht, § 42 II 2 e (S. 282) (Wahrheit schließt Tatbestand aus); Binding, Bes. Teil, 1. Bd., S. 146 (Widerrechtlichkeit entfällt bei Wahrheit); Maurach, Bes. Teil, § 19 II B 1 a (S. 145) (einem Rechtfertigungsgrund sehr nahe); Kaufmann, ZStrW 72, 437 (Unwahrheit objektive Bedingung der Strafbarkeit, Unwahrheit ohne jeden Zweifel ein Merkmal, das das Unrecht der Tat bestimmt); Schlosser, Diss., S. 129 ff. (gegen die Ansicht, schon die Aufstellung einer ehrenrührigen Behauptung sei materielles Unrecht, auch wenn sie wahr ist). - Anders Bokkelmann, JR 1954, 328, nach dessen Auffassung die Behauptung ehrenrühriger Tatsachen schlechthin - nicht bloß bei Unwahrheit - verboten ist. Folgt man dem, so ist recht fraglich, ob die zivilen Rechtsfolgen dann nicht auch bei Wahrheit eintreten sollen. 2o So z. B. Schwarz-Dreher, StGB, § 186 2 D, c; Maurach, Bes. Teil, § 19 II C 4 b (S. 154); Schönke-Schröder, StGB, § 186 Rdz. 13; Welzel, Strafrecht, § 42 III 1 (S. 284); LK (Schaefer), § 190 I 2 b; BGHSt 11, 273 (274 ff.).
II. Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf
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Wahrheitsbeweis) Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit völlig unberührt ließe, also eine wesentlich schwächere und tatfernere Wirkung als § 193 StGB hätte. Demnach ist dem Blick auf die Strafrechtsdogmatik immerhin soviel zu entnehmen, daß die vom Gesetz gemeinten Voraussetzungen dem Kernbereich der sanktionierten Handlung sehr nahestehen. Daraus ist zu schließen, daß die aufgestellten materiellen Erfordernisse auch für das Zivilrecht, unter der Überschrift "Verstoß gegen das Schutzgesetz", erfüllt sein müssen. Diese Begründung mag hier um so eher genügen, als - soweit ersichtlich - nicht bestritten ist, daß bei festgestellter Wahrheit auch zivilrechtliche Ansprüche ausscheiden. Als materielles Erfordernis aber kommt nur die Unwahrheit der aufgestellten Tatsachenbehauptung in Betracht. Trotz der Ausdrucksweise des Gesetzes handelt es sich der Sache nach für das Strafrecht um eine materi-elle Voraussetzung der Strafbarkeit (um diesen untechnischen Ausdruck zu verwenden) und um eine BeweislastregeL Beides ist lediglich in der gesetzlichen Formulierung zusammengefaßt21 • Zur Trennbarkeit der rein materiellen Voraussetzung von der Beweislastregel sei auf die allgemeinen Ausführungen im 1. Teil der Arbeit22 verwiesen. Im übrigen erkennen auch zahlreiche strafrechtliche Autoren, die die Nichterweislichkeit als Strafbarkeitsbedingung usw. bezeichnen, der Sache nach an, daß hier eine Regelung der objektiven Beweislast in Abweichung vom allgem-einen Grundsatz "in dubio pro reo" vorliegt23 • Daß es materiell um die Unwahrheit geht, wird durch die einfache Überl-egung bestätigt, daß di-e Ermittlungen des Gerichts auf die Feststellung der Wahrheit oder Unwahrheit, nicht auf die Feststellung der Beweisbarkeit gerichtet sind24 • Zudem müssen Versuche, die Nichterweislichkeit wirklich als rein materielle Voraussetzung zu qualifizieren, schon an der Erwägung scheitern, daß die Rechtsfolge des § 186 StGB auch bei feststehender Unwahrheit eintritt25, während das Tatbestandsmerkmal der Nichterwe~slichkeit genau genommen in diesem Falle .g ar nicht erfüllt wäre. 21 Gegen eine materielle Bedeutung der Nichterweislichkeit auch Frank, StGB, § 186, III; Beling, Üble Nachrede, S. 8; Bemmann, MDR 1956, 388. 22 s. oben § 2. 23 So z. B. Maurach, Bes. Teil,§ 19 II B 2 (S.147); Schönke-Schröder, StGB, § 186 Rdz. 12; Kohlrausch-Lange, StGB, § 186 VIII; Schwarz-Dreher, StGB, § 186, 2 D - jeweils unter Verneinung einer subjektiven Beweislast (Beweisführungspfiicht) des Angeklagten. 24 Vgl. Beling, Uble Nachrede, S. 6; Bemmann, MDR 1956, 388. Schon gar nicht kommt es auf eine außerprozessual gedachte Nichterweislichkeit an. Wird die Wahrheit der Behauptung im Prozeß festgestellt, so bleibt der Behauptende auch dann straffrei, wenn er zum Zeitpunkt der Behauptung über keinerlei Beweismittel verfügte. 25 Vgl. Schlosser, JZ 1963, 312. Die Auffassung von Schwindel, Diss., S. 202 f., Normvoraussetzung sei hier der Zweifel, so daß keine Beweislastentscheidung vorliege, ist demnach unrichtig. 11
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Das Ergebnis ist demnach folgendes: Aus der Wendung "wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist" folgt für das Zivilrecht, daß Schadensersatz- wie Beseitigungsanspruch materiell an die Unwahrheit der Behauptung gebunden sind, ebenso wie im Strafrecht die Strafe. Ob damit auch die Beweislastregelung des Strafrechts zu übernehmen ist, ist eine abtrennbare, zweite Frage, über die hier wie überall durch die Bejahung der materiellen Verweisung noch nicht entschieden ist.
d) Das Schulderfordernis des Schadensersatzansp1·uchs Wie § 186 StGB verlangt der deliktische Schadensersatzanspruch aus § 823 II in Verb. mit dieser Vorschrift Vorsatz bezüglich der Behauptung der Tatsache einschließlich deren ehrenrühriger Art. Dagegen ist für den Schadensersatzanspruch ebensowenig wie in § 186 StGB Verschulden bezüglich der Unwahrheit der Behauptung erforderlich. Daran ändert auch§ 823 II S. 2 BGB nichts26, denn diese Vorschrift greift nur ein, wenn der Verstoß gegen das Schutzgesetz überhaupt ohne Verschulden mö.glich ist. Dagegen will sie nicht verhindern, daß einzelne Rechtsfolgevoraussetzungen schuldfrei sind; es besteht auch gar keine Veranlassung, insoweit strengere Anforderungen zu stellen als das Strafrecht. Somit stellt sich für den Schadensersatzanspruch nicht zusätzlich das Problem der Beweislast für das Verschulden bezüglich der Unwahrheit. Die materielle Anknüpfung an die Unwahrheit der Behauptung und die Beweislastfrage sind also bei Beseitigungsanspruch und Schadensersatzanspruch gleich. 3. Die grundsätzliche Vbernahme der strafrechtlichen Beweislastregelung
Zunächst sei der Anspruch auf Widerruf beiseite ,gelassen und gefragt, ob die Beweislastregelung des Strafrechts im Hinblick auf die sonstigen Rechtsfolgen des Zivilrechts übernehmbar ist, also für Schadensersatzansprüche auf Geldersatz, für Ansprüche auf Unterlassung27 und für Beseitigungsansprüche, die auf tatsächliche Beseitigung gerichtet sind28 • Entscheidend muß auch hier sein, ob der sachliche Grund der Beweislastregel ihre Anwendung bezüglich der zivilrechtliehen Rechtsfolgen rechtfertigt. Die Beweislastregelung des § 186 StGB stellt im Strafrecht als Ausnahme von dem sonstigen Grundsatz "in dubio pro reo" eine A. M. Schlosser, JZ 1963, 312. Für den sogenannten quasinegatorischen Unterlassungsanspruch ergeben sich aus § 186 StGB dieselben objektiven Voraussetzungen wie für Schadensersatz- und Beseitigungsansprüche. 28 Also nicht auf eine gegenteilige Erklärung, sondern z. B. auf Entfernung eines Plakats. 2G
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11. Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf
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erstaunliche Besonderheit dar29 • Sie beruht nicht auf der Eigenart der Strafe als Rechtsfolge, sondern besteht trotz des besonders schweren Eingriffs durch die Strafe. Die in Frage kommenden Strafen zeigen auch keine Besonderheiten, die eine dem Angeklagten ungünstige Beweislastregel rechtfertigen würden; sie sind nach Höhe und Art nicht einmal besonders geringfügig. Die Beweislastregel wird ferner nicht durch ein besonderes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt, das es als unerträglich erscheinen ließe, einen möglicherweise strafbaren Beleidiger bei verbleibender Unwahrheit freizusprechen. Würde ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit bestehen, so wäre auch die Zuweisung der üblen Nachrede zu den Privatklagedelikten (§ 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO) nicht verständlich. Der entscheidende Grund für die Beweislastregelung zuungunsten des Angeklagten liegt vielmehr allein darin, dem Betroffenen ·einen erhöhten Ehrenschutz zukommen zu lassen30. Er soll davor bewahrt bleiben, bei unaufklärbarer Tatsachenlage praktisch doch mit .geminderter Ehre aus dem Verfahren hervorzugehen, weil der Verdacht der ehrenrührigen Tatsache bestehen bleibt. Bei der entscheidenden Abwägung, ob es schwerer wiegt, daß ein Schuldigerunbestraft bleibt oder daß jemand trotzfehlender Strafvoraussetzungen bestraft wird, wird demnach das Interesse des Täters dem Interesse des Betroffenen gegenübergestellt. Man geht dabei davon aus, nicht der Betroffene, sondern der Beleidi:ger müsse das Risiko für die Wahrheit der Behauptung tragen, da er die Verantwortung durch seine Behauptung auf sich geladen habe; man dürfe nicht zuungunsten des Beleidigten den schwierigen Negativenbeweis der Unwahrheit fordern 31 • Das ist kein typisch strafr-echtliches Vorg.ehen, denn grundsätzlich geht es dort um das Interesse der AlLgemeinheit an (gerechter) Bestrafung. Dagegen steht die Person des Verletzten im Strafrecht an sich im Hintergrund. Der Schutz der konkreten Rechtsgüter und insbesondere die Wiederherstellung der gestörten Güterordnung ist in aller Regel nicht die Aufgabe des Strafrechts. Demgemäß wirkt sich der Schutz des Verletzten bei anderen Tatbeständen (etwa des Eigentümers bei Sachbeschädigung und Diebstahl) nicht auf die Beweislastverteilung aus. Daß das Strafverfahren wegen übler Nachrede auch der Wiederherstellung der Ehre des Betroffenen dient32, und daß 29
Zur Verfassungsmäßigkeit vgl. Stree, In dubio pro reo, S. 49 ff.
30 So auch RGSt 62, 95 f.; BGHSt 11, 273 (274); Sauer, System, Bes. Teil,
S. 374 u . 376; Helle, Schutz der persönlichen Ehre, S. 46; Schlosser, JZ 1963, 312. 31 Diese Gründe bringt die amtliche Begründung zu § 173 des Entwurfs 1962, S. 314 f., um die beibehaltene Beweislastregelung zum Nachteil des Angeklagten zu rechtfertigen. - Vgl. auch Stree, In dubio pro reo, S. 51, der die Höherbewertung des Interesses des Betroffenen bezüglich der objektiven Lage billigt, aber Bedenken hinsichtlich der subjektiven Seite äußert. 32 Das kommt auch in der Bekanntmachungsbefugnis (§ 200 StGB) bei öffentlichen Beleidigungen zum Ausdruck. II'
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zu seinem Schutz eine dem Angeklagten ungünstige Beweislastregelung besteht, beruht demnach im Grunde auf sonst strafrechtsfremden Erwägungenss. So wird die Übernahme der Beweislastregelung keineswegs dadurch gehindert, daß sie auf spezifisch strafrechtlichen Gründen ruhen würde. Vielmehr ist die Abwägung zwischen den Interessen des Täters und des Betroffenen, die Aufbürdung des Beweisrisikos auf Grund der einmal aufgestellten Behauptung, ein typisch zivilrechtlicher Gedankengang. Schließlich ist ja der Schutz der privaten Rechtsgüter und die Wiederherstellung der etwa gestörten Ordnung die eigentliche Aufgabe des Zivilrechts. Die Beweislastregelung des Strafrechts zuungunsten des Angeklagten ist demnach in das Zivilrecht übernehmbar. Wenn das Strafrecht den Schutz der Ehre durch ·eine solche Beweislastregelung v,erstärken will, so ist es für das Zivilrecht angebracht, dasselbe zu tun. Besonderheiten der zivilen Rechtsfolgen stehen einer solchen Regelung im allgemeinen (d. h. abgesehen vom Widerrufsanspruch) nicht entgegen. Wenn der Behauptendetrotz des non liquet bestraft werden kann, so erscheint es auch gerecht, daß er zur Unterlassung der Behauptung, zur realen Beseitigung derselben und auch zu Geldersatz für den entstandenen Vermögensschaden des Betroffenen verurteilt wird. Daß grundsätzlich die Beweislastregel des § 186 StGB auch im Zivilrecht zu gelten hat, wird in Praxis und Literatur anerkannt 34 • Der BGH geht in seiner eingangs zitierten Entscheidung ebenfalls davon aus, indem er die dem Kl. ungünstige Beweislastregelung für den Widerrufsanspruch als Abweichung von der Regelung für Unterlassungs- und Geldersatzansprüch~ auffaßt35 • 4. Die Unanwendbarkeit der Beweislastregelung aus § 186 StGB beim Anspruch auf Widerruf wegen der Besonderheiten dieser Rechtsfolge a) Die Nähe der Verurteilung zum Widerruf zur Tatsachenfeststellung
Der BGH36 begründet die Abweichung von der sonstigen Übernahme der Beweislastregel mit der besonderen Eigenart des Widerrufsanspruchs. Ob wirklich solch~ rechtsfolgebestimmte Gründe vorliegen, ist in der Tat die Kernfrage des Beweislastproblems. 33 Das betont besonders Beling, Üble Nachrede, S. 18 ff., der deshalb der (von ihm als Präsumtion aufgefaßten) Beweislastregelung des § 186 die Berechtigung für das Strafverfahren abspricht. - Auch Schlosser, Diss., S. 135 f. hebt die Besonderheit hervor, daß bei Ehrverletzung das Strafverfahren in erster Linie dem privaten Interesse des Verletzten dient. 34 Vgl. RG JW 1937, 2352; RGZ 115, 74 (79 u. 83); RGRK (Haager), vor § 823, 79; Rosenberg, Beweislast, S. 333 N. 2; Helle, Schutz der persönlichen Ehre, S. 46. 35 BGH JZ 1963, 130. In BGHZ 37, 190 ist diese Stelle verstümmelt, worauf schon Johannes, JZ 1964, 317 N. 9 hinweist.
II. Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf
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Der BGH ist der Auffassung, das Recht könne die Verpflichtung, eine möglicherweise wahre Behauptung für unrichtig zu erklären, nicht zulassen. Diese Argumentation hat schon das RG mehrfach verwendet37 • Mit diesem Satz wird der Blick zunächst auf die mögliche Diskrepanz der Verurteilung zum Widerruf gegenüber der wahren Tatsachenlage gelenkt. Dabei zeigt sich die besondere Nähe des stattgebenden Urteils zu einer Tatsachenfeststellung durch Urteil. Freilich lautet der Tenor eines Widerrufsurteils nicht auf Tatsachenfeststellung, sondern auf Abgabe einer Widerrufserklärung. Aber diese Charakterisierung des Urteils als Leistungsurteil ist weitgehend nur formal. Der Sache nach steht die gerichtliche Aufklärung der Wahrheit oder der Unwahrheit durchaus im Mittelpunkt des Rechtsstreits. Von der gerichtlichen Feststellung der Unwahrheit erwartet sich der Kläger in erster Linie die Wiederherstellung seiner Ehre. Die Erklärung des Beklagten ist demgegenüber zweitrangig. Die Einkleidung in eine Leistungsklage stellt vielmehr einen Ausweg dar, ein geeignetes Verfahren zu finden, da ja eine Klage, die auch formal auf Tatsachenfeststellung gerichtet wäre, nicht zur Verfügung steht. Das Fehlen einer solchen Klage wird seit langem als Mangel für ·einen wirksamen Ehrenschutz empfunden. Von zahlreichen Stimmen wurde und wird deshalb die Einführung einer (strafprozessualen) Tatsachenfeststellungsklage gefordert38• In diesem Zusammenhang wird auch der Charakter der zivilrechtliehen Widerrufsklage als Versuch der Abhilfe gesehren3 ~. Gäbe es ein TatsachenfeststeUungsverfahren, so würde die Widerrufsklage gewiß ihre praktische Bedeutung verlieren. Gegen diese Bewertung kann man nicht einwenden, auch bei sonstigen Zivilprozessen könne die Wahrheit einer Tatsache sachlich den Kern des Prozesses, den eigentlichen Streitpunkt bilden. Es geht in solchen Fällen dennoch nicht um die Wahrheit der Tatsache um dieser Wahrheit selbst willen, sondern wegen der Rechtsfolge, die sich daraus er.gibt. BGHZ 37, 189 f . So in JW 1939, 234 (238); DR 1939, 2009; HRR 41, Nr. 1004. 38 Vgl. Jescheck, GA 1957, 364 ff., mit ausführlichen Nachweisen 366 f.; Beling, Festschrift für die juristische Fakultät in Gießen, S. 313 ff. (Beling befürwortet sogar eine neue Prozeßgattung neben Zivil- und Strafprozeß, den Informativprozeß, S. 346 ff.); Wendt, DRZ 1950, 557. - Gegen die Einführung eines Tatsachenfeststellungsverfahrens Helle, NJW 1963, 130 f., der aber bei seiner Argumentation zu Unrecht davon ausgeht, die Rechtskraft einer Tatsachenfeststellung müsse nach den Gesetzen der Logik gegenüber jedermann wirken (S. 130 unter II 1, S. 132 unter III 3 b). 39 Vgl. Jescheck, a. a. 0., S. 367 f., Ulmer ZAkDR 1936, 537. Auch in OGHZ 1, 182 (193) ist jedenfalls die Nähe zur Tatsachenfeststellung gesehen. 3&
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Die dargestellte Nähe zur Tatsachenfeststellung ist der erste Grund, warum eine Verurteilung auf Grund der Beweislastregel zuungunsten des Beklagten als nicht vertretbar erscheint. Denn die Verurteilung zum W~derruf deutet sofort darauf hin, daß sich tdie Unwahrheit der Tatsachen im Prozeß herausgestellt habe. Und gerade das ist nicht der Fall. Die Beweislastregeln führen grundsätzlich nicht zu einer Tatsachenfeststellung, sondern nur zu einer bestimmten Rechtsfolge-Entscheidung40. Über die Rechtsfolgeseite kann die Rechtsordnung ohne weiteres verfügen. Darauf beruht ja überhaupt die Beweislastregelung als Hilfsmittel, um trotz des non liquet zu einer Entscheidung zu gelangen. Nun könnte die Rechtsordnung freilich logisch betrachtet auch bezüglich der Tatsachenfeststellung den Knoten durchschlagen und bestimmen, bei non liquet sei eben auszusprechen, daß die unbewiesene Tatsache wahr oder unwahr sei. Aber- und das -ist der entscheidende Punkt- eine solche Regelung würde der inneren Rechtfertigung vollständig entbehren. Die Rechtsordnung kann eine Tatsachenfeststellung zwar auf Grund von Sachlagen regeln, die einen gewissen Schluß auf die wahre Tatsachenlage gestatten, so bei gesetzlichen Beweisregeln und wohl auch bei der Berücksichtigung des Geständnisses im Zivilprozeß. Aber wenn es um die Tatsachenfeststellung als Selbstzweck des Prozesses geht, werden sogar diese Möglichkeiten problematisch. Bei der Beweislastregel nun ist gerade Voraussetzung, daß die wahre Lage nicht zu klären war. Aus dieser Prozeßsituation läßt sich gewiß keine sinnvolle Begründung dafür gewinnen, der Wahrheit oder der Unwahrheit der Tatsache den Vorzug zu geben. Und eine abstrakte Wahrscheinlichkeit für die Unwahrheit der Behauptung läßt sich ebensowenig feststellen 41 • Die Grenzen der sinnvollen Macht von Beweislastregeln sind demnach überschritten, wenn darauf eine Tatsachenfeststellung gestützt werden soll oder eine Verurteilung, die dem sehr nahe steht42 • Deshalb erscheint die Anwendung der Beweislastregel des § 186 StGB als nicht angemessen43.
•o s. dazu oben § 6 II 2 u. 4.
n Vgl. Beling, Üble Nachrede, S. 23. Zur Ergänzung sei darauf hingewiesen, daß die allgemeine Beweislasthandhabung auch sonst brüchig wird, wenn es ausnahmsweise um Tatsachenfeststellung geht oder die Rechtsfolge doch nahe daran liegt, so bei der Klage auf Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde einerseits (vgl. dazu Guldener, Beweislast, S. 29/30 N. 10), bei der Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der unehelichen Vaterschaft andererseits. (Vgl. BGHZ 17, 252 ff., der die Klage bei non liquet über die Vaterschaft abweisen und der Abweisung keine positive Rechtskraft zusprechen will. S. dazu Blomeyer, JZ 1955, 605, der sich aber entschieden dagegen wendet, das Abstammungsurteil stelle im Grunde Tatsachen fest. Er lehnt dementsprechend eine Begründung aus diesem Gesichtspunkt ab. Dagegen wird der Gedanke bei Deisenhofer, Feststellung der Vaterschaft, S. 12; Kiessner, SchlHA 1954, 343 und Schwab, JZ 1954, 273 herangezogen.) 42
II. Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf
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Die herausgestellte Besonderheit der Rechtsfolge des Widerrufs kann man nicht mit dem Hinweis leugnen, a·uch sonst müsse ja bei Beweislastentscheidungen die Gefahr der materiellen Unrichtigkeit in Kauf genommen werden44 • Denn im allgemeinen handelt es sich eben um eine mögliche Unrichtigkeit der rechtlichen Bewertung, der ausgesprochenen Rechtsfolge, während hier die drohende Diskrepanz zur Tatsachenwahrheit entscheidend ist. Hier sollte zunächst nur die Problematik einer positiven Entscheidung über die Unwahrheit auf Grund der Beweislastregel aufgezeigt werden. Dem Umstand, daß ähnliche Bedenken auch gegen die Klageabweisung auf Grund des non liquet bestehen können, wird bei der Zubilligung des "eingeschränkten" Widerrufs Rechnung getragen45 •
b) Die Gefahr, entgegen der objektiven SachLage und der subjektiven Kenntnis zum Widerruf zu verpflichten und zu zwingen Nun hat sich freilich der BGH auf den eben gezeigten Gesichtspunkt zumindest nicht ausdrücklich gestützt. Vielmehr stand im Vordergrund die Erwägung, die Verpflichtung des Beklagten zum Widerruf und die zwangsweise Durchsetzung dieser Verpflichtung seien nicht erträglich, wenn die Unwahrheit nicht festgestellt und die Tatsache vielleicht doch wahr sei48 • Der BGH geht dabei mit Recht davon aus, daß der Widerruf keine Willenserklärung darstellt, so daß § 894 I ZPO nicht in Frage kommt, sondern die Zwangsvollstreckung nach § 888 I ZPO durch Haft oder Geldstrafe erfolgen müßte47 • Zur Unterstützung seiner Begründung weist der BGH auf Art. 1 und 2 GG hin 48, also der Sache nach auf den Schutz der Menschenwürde und der persönlichen Freiheit. 43 Auch bei einer etwaigen Tatsachenfeststellungsklage würde man gewiß nicht den positiven Ausspruch der Unwahrheit für den Fall vorsehen, daß die Sachlage ungeklärt bleiben mußte. So schlägt z. B. Jeschek, GA 1957, 371, für die Ausgestaltung vor, der Richter solle die Nichterweislichkeit (in möglichst neutraler Formulierung) aussprechen können. Ulmer, ZAkDR 1936, 540, der es schon de lege lata für möglich hält, an die Stelle der Verurteilung zum Widerruf im Urteil die Feststellung der Unwahrheit oder Nichterweislichkeit treten zu lassen, erwägt- wie daraus ersichtlich - ebenfalls nicht, auch bei non liquet die Unwahrheit feststellen zu lassen. 44 So argumentiert Johannes, JZ 1964, 317, 319. 45 s. unten 5. 4& BGHZ 37, 190. ' 7 Ebenso Ulmer, ZAkDR 1936, 540; OGHZ 1, 182 (194); BGH NJW 1952, 417; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, § 894 I vor 1. - Für entsprechende Anwendung des § 894 dagegen Helle, NJW 1963, 131 ff. Er hält aber auch dann bei non liquet nur eine eingeschränkte Verurteilung für angebracht, a. a. 0., 133 (III, 4 d). Dem ist zuzustimmen, denn auch wenn der Vollstreckungszwang entfällt, bleiben die Argumente gegen eine uneingeschränkte Verurteilung aus der Nähe zur Tatsachenfeststellung. 48 Ähnlich zitiert Hubmann, JZ 1963, 131 (dem BGH zustimmend) die Art. 1, 2, 4 und 5 GG. Vgl. auch Hubmann, JuS 1963, 100 f.
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Dieser Auffassung kann man nicht entgegensetzen, die Verurteilung zum Widerruf könne doch nicht durch Art. 1 und 2 GG gehindert werden, wenn die Aufstellung der Behauptung sogar eine strafbare Handlung darstelle49 • Denn es geht hier nicht um die Bewertung der Handlung, sondern um die Eigenart der Rechtsfolge. Anders als im Strafl'echt wird eben mit dem Widerrufsanspruch verlangt, daß der Beklagte selbst die Unwahrheit seiner Behauptung erklärt. Das hat mit dem Erleiden einer Strafe nichts gemein. Die verlangte Erklärung enthält jedenfalls in objektiver Hinsicht die Selbstbezichtigung, bei Aufstellung der Behauptung die Unwahrheit gesagt zu haben. Daß dies eine besonders schwerwiegende Rechtsfolge ist, da die Erklärung leicht den Charakter einer Demütigung annehmen kann, wurde denn auch in der Rechtsprechung vielfach gesehen50• Man ging deshalb bei der materiellrechtlichen Beurteilung davon aus, daß der Widerruf nicht verlangt werden könne, wenn andere zivilrechtliche51 Rechtsfolgen ausreichend seien, um die Schädigung oder Störung zu beseitigen. Der Anspruch wurde so gewissermaßen als ultima ratio angesehen. Dabei wird auch der Begriff der Zumutbarkeit als Voraussetzung des Widerrufsanspruchs gebraucht52, was allerdings dogmatisch im Hinblick auf die Konstruktion als Schadensersatz·- oder Beseitigungsanspruch bed~mk lich erscheint53• Sachlich handelt es sich im Grunde um eine besonders strenge Prüfung der Erforderlichkeit des Widerrufs und darum, keinesfalls dem Betroffenen ein Wahlrecht zu geben, ob er den Widerruf verlangt oder sonstige zur Verfügung stehende Mittel zur Wiederherstellung seiner Ehre wählt. Er wivd auf die milderen Mittel verwiesen, soweit diese ausreichen. Legt man diese Bewertung der Widerrufserklärung als besonders gravierende Rechtsfolge zugrunde, so ist es in der Tat berechtigt, wenn der BGH diesen Gesichtspunkt auch bei der Beweislastfrage berücksichtigt. Denn wenn die Verpflichtung zum Widerruf schon allgemein eine besonders schwere Anforderung an die Person des Betroffenen stellt, so in gesteigertem Maße, sofern die Unwahrheit der Behauptung nicht erwiesen ist. Wenn etwa im vorliegenden Fall die Behauptung wahr ist, so wül'de durch die Verurteilung von der Beklagten verlangt, trotz objektiver Wahrheit und trotz der subjektiven Überzeugung von So Schlosser, JZ 1963, 312; Johannes, JZ 1964, 317. Vgl. z. B. RGZ 88, 129 (133); 148, 114 (124); OGHZ 1, 182 (191 f.); BGHZ 14, 163 (176); BGH NJW 1952, 418; LM § 1004 BGB Nr. 54 a. 51 Daß der zivilrechtliche Schutz durch die Möglichkeit einer Strafklage grundsätzlich nicht berührt wird, ist wohl anerkannt. Für die vorbeugende Unterlassungsklage war dies insbesondere bis RGZ 116, 151 zweifelhaft (vgl. dazu eingehend Boehmer, Grundlagen, 1. Bd., S. 44 ff.). 52 BGH JZ 1960, 701 (702 f.). 53 Gegen den BGH insoweit Westermann, JZ 1960, 695. 49 5o
II. Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf
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dieser Wahrheit die Behauptung zu widerrufen, also bewußt die Unwahrheit zu erklären. Dem BGH ist darin zuzustimmen, daß dies eine unerträgliche Anforderung an die Beklagte sein würde, daß sie dem Zwang zu einer solchen, ihrem Gewissen und ihrer Überzeugung zuwiderlaufenden Erklärung nicht ausgesetzt werden darf. Freilich geht diese Schwierigkeit in erster Linie dar,auf zurück, daß der Anspruch auf Widerruf eben nur einen unvollkommenen Notbehelf für die eigentlich notwendige Klage auf Tatsachenfeststellung darstellt. Aber man kann die Mängel der gesetzlichen Regelung hier eben nicht auf Kosten des Beklagten überwinden.
c) Ablehnung einiger Gegenargumente Gewiß darf man bei alledem die andere Seite nicht völlig außer Acht lassen. Es ist ja auch hier die Gefahr der beiden möglichen Fehlurteile zu vergleichen und dann durch Abwägung die eine oder die andere Beweislastregel zu akzeptieren. Folgt man der Auffassung des BGH, so bedeutet dies sicher eine Einschränkung des Ehrenschutzes; es wird in Kauf genommen, daß die Verurteilung zum Widerruf unterbleibt, obwohl sie nach der Tatsachenlage gerechtfertigt wäre. Aber es erscheint besser, hier dem Schutz der Person der Beklagten den Vorzug zu geben. Für diese Entscheidung die grundsätzliche Bewertung der Menschenwürde und der Freiheit durch das Grundgesetz heranzuziehen, ist durchaus richtig. Man darf zudem nicht vergessen, daß der Betroffene durch die hier vertretene Meinung keineswegs schutzlos wird54 • Ihm bleibt die Möglichkeit einer Strafklage, eim~r Unterlassungsklage bei Wiederholungsgefahr und einer Klage auf Geldersatz bei erlittenem Vermögensschaden. In diesen Fällen hat der Betroffene auch bei bleibender Unklarheit über die Wahrheit Erfolg. Ferner kann dem Interesse des Betroffenen durch die Zubilligung einer eingeschränkten Verurteilung Rechnung getragen werden. Im übrigen ist es doch wohl eine Übertreibung, davon auszugehen, der Beweis der Unwahrheit werde meist nicht gelingen55• Bei richtiger Handhabung der frei,en Beweiswürdigung werden auch hier die Fälle des unüberwindlichen non liquet die Ausnahme bilden. Die Behauptung, der Beweis der Wahrheit sei in aller Regel leichter als der der Unwahrheit56, erscheint in dieser AlLgemeinheit gleichfalls unbegründet. Und daß im vom BGH entschiedenen Fall die Beweislage für beide Teile gleich ist, liegt auf der Hand. Ferner trifft es nicht zu, daß durch Ebenso Hubmann, JZ 1963, 131 und Thies, Diss., S. 82. So aber Schlosser, JZ 1963, 309. Auch bei Johannes, JZ 1964, 319 und Erdsiek, NJW 1963, 1965 wird die eventuelle Unmöglichkeit des Wahrheitsbeweises stark betont. 56 So Bußmann, GRUR 1962, 653; Helle, NJW 1964, 842. 54 55
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die Ablehnung des Widerrufs der Beleidiger einen Freibrief dafür erhält, ehrenrührige Behauptungen über Vorgänge aufzustellen, die sich unter vier Augen abgespielt haben57• Denn hier darf man doch die drohende Strafe nicht unterschätzen, der sich auch heute die meisten Menschen nicht bewußt und voraussehbar aussetzen werden. Der drohenden privatrechtliehen Verurteilung zum Widerruf dürfte neben der Strafdrohung kaum praeventives Gewicht zukommen. Wenig überzeugend ist schließlich die Begründung Rehbinders58 für die Gegenmeinung. Seiner Ansicht nach ergibt sich aus § 186 StGB eine widerlegliehe Vermutung für den uneingeschränkten Ehrbestand, die der Beklagte gemäß § 292 S. 1 ZPO zu widerlegen habe. Aber zum einen enthält § 186 StGB k-eine Vermutung, sondern eine g-ewöhnliche B-eweislastregel, da keine Voraussetzungsbindung besteht. Zum anderen ist mit der F-eststellung der Regelung des § 186 StGB noch nichts über ihre Übernehmbarkeit ausgesagt.
d) Der Sinn des (uneingeschränkten) Widerrufs Gegen beide hier für entscheidend gehaltenen Argumente 59 könnte man nun einwenden, die Erklärung des Widerrufs habe gar nicht den Inhalt, die frühere Behauptung für unwahr zu erklär.en, vielmehr gehe es nur darum, die früher·e Erklärung zu beseitigen, ohne etwas über die Wahrheit zum Ausdruck zu bringen60 • In der Tat wurde bei allen bisherigen Überlegungen stillschweigend davon ausgegangen, der Widerruf habe den Inhalt, die Behauptung als unrichtig zu bezeichnen. Dabei wurde dem BGH gefolgt, der ausführt, so werde der Widerruf verstanden und so solle er nach der Absicht des Klägers verstanden werden61 • Und damit ist auch der entscheidende Punkt erreicht. Welche Art des Widerrufs verlangt wird, entscheidet sich nach dem Antrag des Klägers. Dieser bestimmt darüber, welches Verlangen Grundlage der Entscheidung wiro62 • Wenn also der Kläger nur eine eingeschränkte Erklärung wollte, so kann er das durch den entsprechenden Antrag tun. s; So Schlosser, JZ 1963, 309. ss JZ 1963, 316 f. 59 Beachtlich ist an sich auch das Argument, da der Kläger nun mit dem Widerrufsverlangen in die Persönlichkeitsrechte des Beklagten eingreife, müsse er die Beweislast für die Wahrheit tragen, so Hubmann, JZ 1963, 131; denn in der Tat stellt ja nun der Kläger eine ehrenrührige Behauptung über den Beklagten auf (daß jener die Unwahrheit gesagt habe). Aber dem kann man immerhin entgegnen, daß der Beklagte das Feuer eröffnet habe und deshalb mit dem Beweis belastet bleiben müsse. eo So Schlosser, JZ 1963, 312. et BGHZ 37, 189/190. Zustimmend Reinicke, MDR 1962, 978. e2 Auch in sonstiger Hinsicht muß der Kläger seinen Antrag präzisieren, indem die Art des Widerrufs, die Adressaten, an die die Erklärung zu richten ist, genau bezeichnet werden, vgl. OGHZ 1, 182 (193). Bei dem vagen Antrag, zum Widerruf zu verurteilen, kann es im Grunde nur bei Klageabweisung bleiben!
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Aber man kann die Probleme nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß man den Inhalt des beantragten Widerrufs einfach umdeutet. Auf eine mißverständliche Formulierung, die mehr zum Ausdruck bringt als der Kläger eigentlich will und als ihm rechtens zusteht, hat der Kläger keinen Anspruch. Die Sachlage ist also die: Das Begehren des Widerrufs hat nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Bedeutung, daß die Behauptung als unwahr widerrufen werden soll. Dann gelten alle dargestellten Argumente und schließen es aus, der Klage bei non liquet über die Wahrheit stattzugeben. Bestehen aber Zweifel, welchen Inhalt der begehrte Widerruf eigentlich hat, so muß das Gericht den Kläger zur Klarstellung und zur exakteren Formulierung des Antrags veranlassen. Nur wenn dann der Kläger eine eingeschränkte Formulierung wählt, entfallen - wie noch auszuführen ist - die Bedenken. In der Regel wird er das aber nicht tun, denn der wirksamste Weg, die ehrenkränkende Behauptung in ihrer Wirkung zu beseitigen, d. h. die Schädigung oder Störung wieder auszugleichen, ist eben, daß der Behauptende zum Widerruf als •u nwahr (oder doch in diesem Sinne) verurteilt wird. Ergebnis: Die Übernahme der Beweislastregel aus § 186 StGB für den Anspruch auf uneingeschränkten Widerruf wird durch die Besonderheiten dieser Rechtsfolge ausgesCL'llossen. 5. Die Möglichkeit eingesdlränkter Verurteilung bei Unklarheit über die Wahrheit der Tatsachenbehauptung
a) Die sachlichen Gründe für diese Entscheidung Ist eine Verurteilung zum Widerruf im Sinne einer Zurücknahme der Behauptung als unwahr ausgeschlossen, so bleibt die Frage, ob nicht wenigstens eine eingeschränkte Verurteilung trotz des non liquet erfolgen kann. Diese Auffassung wird in der Literatur wiederholt vertreten63. Mit dem eingeschränkten Widerruf ist eine Erklärung gemeint, die keinen Bezug auf die Unwahrheit der Behauptung enthältu, also etwa die Erklärung, die aufgestellte Behauptung habe sich im Prozeß nicht erweisen lassen, oder die Rücknahme der Behauptung als nicht beweisbar, oder die Erklärung, die Behauptung könne nach dem Prozeßergebnis nicht aufrechterhalten werden. Gegen eine solche Verurteilung bestehen die Einwendungen auf Grund der Nähe zu einer Tatsachenfeststellung nicht. Denn es soll hier gerade zum Ausdruck gebracht werden, daß die Behauptung sich als nicht erweislich gez•eigt habe. Damit wird annähernd das Ergebnis erreicht, das man auch für eine etwaige Tatsachenfeststellungsklage &3 s. oben N. 4. &4 Vgl. Erdsiek, NJW 1963, 1966.
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wählen würde, freilich auch hier eingekleidet in die Form einer Erklärung des Beklagten. Durch die eingeschränkte Verurteilung wird auch vermieden, daß eine volle Klageabweisung erfolgt, die nämlich inhaltlich in ähnlicher Weise bedenklich wäre wie die uneingeschränkte Verurteilung. Denn die Klageabweisung steht ja bei der Widerrufsklage der Feststellung der Wahrheit ebenf.alls recht nahe. Immerhin gilt dies in geringerem Maße als bei der Verurteilung zum Widerruf, da jedenfalls der Urteilstenor nicht eigentlic.'l auf die Tatsachenlage hindeutet, während die Gründe ohnehin das non liquet aufzeigen. Aber der erste Eindruck ist doch, daß die Abweisung der Widerrufsklage, das Unterliegen des Klägers, auf der Wahrheit des Vorwurfs beruhe65 • Ferner entfallen gegenüber der eingeschränkten Erklärung die Bedenken aus dem Schutz der Personenwürde des Beklagten86• Die eingeschränkte Erklärung bringt ja nichts anderes als die Wahrheit zum Ausdruck, nämlich die Nichterweislichkeit der Behauptung. Durch die Verpflichtung und den Zwang zu dieser Erklärung kann kein Gewissenskonflikt des Beklagten entstehen, der schutzwürdig wäre. Die Auffassung des BGH67 , auch dem eingeschränkten Widerruf stünden insoweit dieselben Bedenken entgegen wie dem uneingeschränkten, ist demnach unrichtig. Ergeben sich somit auf Grund der Eig-enart der hier gemeinten Rechtsfolge keine Bedenken gegen eine Verurteilung trotz des non liquet über die Wahrheit, so kann der Schutz des Betroffenen bevorzugt werden. Für ihn ist eine Verurteilung des Beklagten zu einer eingeschränkten Erklärung immerhin in aller Regel ein günstigeres Ergebnis als die Klageabweisung mit ihrer Nähe zur Feststellung der Wahrheit der Tatsache68 • Entgegen dem BGH ersch.eint -es somit richtig, die Beweislastregelung des Strafrechts zuungunsten des Bekl. zu übernehmen, soweit es um einen eingeschränkten Widerruf geht. b) Die konstruktive Begründung
Nun kann man gegen dieses Ergebnis freilich einwenden, d.amit werde eine Systemwidrigkeit befürwortet69 • In der Tat sieht es zunächst so aus, als ergäbe sich hier bei non liquet eine dritte Urteilsform. Grundsätzlich haben die Beweislastregeln dagegen nur die Wirkung, die materiell-rechtlichen Folgen für die Entscheidung entweder zu be65 Vgl. Jescheck, GA 1957, 368, nach dessen Auffassung die "glatte Klageabweisung ... einem triumphalen Sieg des Beleidigers gleichkommt". 66 Vgl. Helle, NJW 1962, 1814 u. Bußmann, GRUR 1962, 653 (eingeschränkte Erklärung zumutbar). 67 BGHZ 37, 190 f. Zustimmend Reinicke, MDR 1962, 978, nach dessen Meinung im konkreten Fall keine befriedigende Form der eingeschränkten Erklärung zu finden ist. 68 Vgl. Jescheck, GA 1957, 368. 69 So Johannes, JZ 1964, 319, 321 (III, 2); ähnlich Schlosser, JZ 1963, 311 u.
II. Beweislast für die Unwahrheit beim Anspruch auf Widerruf
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jahen oder zu verneinen. Dagegen unterscheidet sich weder eine Verurteilung noch eine Klageabweisung auf Grund der Beweislastregel ihrem Inhalt nach von der Entscheidung bei gelungenem Beweis der Tatsache bzw. ihres Gegenteils. Der Versuch, die eingeschränkte Verurteilung dadurch zu rechtfertigen, daß sie eben eine Entscheidung auf Grund einer Vermutung (richtig .gesehen einer Beweislastregel) seF0, muß an dieser Feststellung scheitern. Wenn man davon ausgeht, daß die Beweislast für die Unwahrheit der Beklagte trä.gt, dann ergibt sich die Verurteilung zum vollen Widerruf. Daraus, daß es sich um eine Beweislastentscheidung handelt, folgt die Legitimation zur Einschränkung noch nicht. Auch aus einer Aufspaltung der materiellen Anspruchsgrundlagen kann man die eingeschränkte Verurteilung nicht herleiten71. Gewiß bestehen die möglichen Anspruchsgrundlagen § 823 II BGB mit § 186 StGB einerseits oder mit § 187 StGB andererseits nebeneinander, und ebenso kann für den Beseitigungsanspruch die Rechtsgutverletzung aus § 186 oder§ 187 StGB entnommen werden. Auch ist es richtig, daß sich nur bei § 186 StGB eine Beweislastregelung zugunsten des Betroffenen findet, daß also bei Ansprüchen aus§ 823 II oder§ 1004 BGB mit § 187 StGB der Kläger die Unwahrheit beweisen muß. Aber der daraus gezogene Schluß ist falsch. Denn sowohl bei Heranziehung des § 186 wie des § 187 StGB sieht ja das bürgerliche Recht die gleichen Rechtsfolgen vor, nämlich Schadensersatz bzw. Unterlassung und Störungsbeseitigung. Dabei ergibt sich kein Unterschied, je nachdem ob das Schutzgesetz hinsichtlich der Beweislast strengere oder leichtere Anforderungen stellt. Aber wenn auch diese Erklärungsversuche nicht stichhaltig sind, so handelt es sich doch nicht darum, daß bei non liquet plötzlich eine Rechtsfolge einträte, die im materiellen Recht nicht vo11gezeichnet wäre. Dies wäre ja in der Tat ein fundamentaler Unterschied zu sonstigen Beweislastregeln, die nur die Auswahl zwischen der Bejahung und der Verneinung der im materiellen Recht vorgezeichneten Rechtsfolge haben72. Genau genommen besteht nämlich der Anspruch auf einge70 So Rehbinder, JZ 1963, 317 f., der davon ausgeht, die Entscheidung auf Grund einer Vermutung unterscheide sich von der Entscheidung bei festgestellter Rechtslage. n So aber Helle, NJW 1964, 844. 72 Eine Ausnahme stellt die in BGHZ 17, 252 für richtig gehaltene Abweisung der Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der unehelichen Vaterschaft bei Ungeklärtheit ohne Rechtskraft für das Bestehen der Vaterschaft dar. Dabei wird keine neue materielle Rechtsfolge gewählt, sondern im Grunde der Prozeß ohne Sachentscheidung beendet (so schon Blomeyer, JZ 1955, 606; Fohle, FamRZ 1957, 162). Dagegen enthält die Verurteilung zum eingeschränkten Widerruf einen materiell-rechtlichen Ausspruch.
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schränkten W~derruf schon nach materiellem Recht. Man muß sich dabei vor Augen halten, daß das Maß der Widerrufserklärung durch die Notwendtgkeit zur Naturalrestitution bzw. zur Störungsbeseitigung bestimmt wird. Schon das materielle Recht kennt daher den eingeschränkten Widerruf, auf den sich der Anspruch materiell-rechtlich beschränkt, wenn er zur Beseitigung der Störung ausreichend ist. Dieser Anspruch besteht auch dann, wenn nach der Erforderlichkeit darüber hinaus die Zurücknahme als unwahr begehrt werden kann. Das zeigt sich in der einfachen Überlegung, daß bei erwiesener Unwahrheit eine Klage auf nur eingeschränkten Widerruf sicher nicht abzuweisen wäre, wenn nach der Sachlage sogar der ·uneingeschränkte Widerruf verlangt werden könnte. Die Besonderheit der Beweislastregelung besteht also darin, daß der Beklagte die Beweislast für die Unwahrheit trägt, wenn es um eingeschränkten Widerruf geht, der Kläger dagegen, wenn uneingeschränkter Widerruf verlangt wird. Dabei handelt es sich beide Male um die Beweislast für die Unwahrheit der Tatsache; diese ist jeweils Tatbestandsmerkmal, denn es geht um dieselbe Art des Anspruchs (Schadensersatz- oder Beseitigungsanspruch). Die Besonderheit der hier akzeptierten Beweislastregelung liegt demnach in der Differenzierung, je nachdem, um welche konkrete Form der Rechtsfolge, also um welche Art des Schadensersatzes bzw. der Beseitigung es geht. Darin liegt in der Tat eine Abweichung von der üblichen Beweislastregelung. Denn sonst ist die Beweislast für ein Tatbestandsmerkmal eines Anspruchs entweder dem einen oder dem anderen BeteiHgten auferlegt, und zwar für alle konkreten Ausprägungen der Rechtsfolge, gleich ob sie mehr oder minder bedeutsam oder umf.angreich sind. Aber im Grunde findet sich hier nur dasselbe Phänomen wieder, das sich schon bei der Ablehnung der Übernahme der Beweislastregel aus § 186 StGB für rden Widerruf und der Bejahung für andere Schadensersatzansprüche (auf Geld oder auf reale Beseitigung) zeigte. Denn schon bei dieser Unterscheidung war die Beweislastregelung verschieden je nach der Art der Rechtsfolge, selbst innerhalb derselben Anspruchsart. Nun wird im Grunde nur die Abgrenzun.g verfeinert, indem die Beweislastregelung auch für den Anspruch auf eingeschränkten Widerruf akzeptiert wird, nicht dagegen für jenen auf Widerruf schlechthin. Eine sonderlich schlimme Systemwidrigkeit liegt in dieser Differenzierung jedoch nicht. Die Beweislastregel bleibt auch hier auf die materiell-rechtlich möglichen Rechtsfolgen beschränkt. Die gegenüber dem sonstigen Beweislastsystem feinere Regelung führt zu sachgerechten Ergebnissen. Und da dem so ist, ist nicht einzusehen, warum das F·ehlen einer exakten gesetzlichen Regelung, das so viele Schwierigkeiten mit
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sich bringt, hier nicht dazu verwendet werden sollte, eine differenzierte Beweislastregelung zu befürworten, wenn sie z·u angemessenen El'gebnissen führt. c) Die prozessuale Behandlung
Aus dieser Auffassung ergeben sich nun auch Konsequenzen für die Behandlung im Prozeß. Man kann im Tenor des Urteils nicht nur die Verurteilung zum eingeschränkten Widerruf aussprechen. Vielmehr handelt >es sich, wenn zunächst uneingeschränkter Widerruf verlangt war, um eine teilweise Klageabweisung. Das muß denn auch im Tenor zum Ausdruck gebracht werden. Die Charakterisierung als teilweiser Mißerfolg des Klägers ist aber auch deshalb allein sinnvoll, weil man andernfalls nicht zu einer Beschwer des Klägers gel,angen würde, so daß er gegen die nur eingeschränkte Verurteilung kein Rechtsmittel einlegen könnte. In engem Zusammenhang damit steht die Frage, ob die eingeschränkte Verurteilung überhaupt zulässig ist, wenn sie vom Kläger nicht beantragt wird. Denn grundsätzlich kann nur das zugesprochen werden, was beantragt ist. Davon besteht nur dann eine Ausnahme, wenn es sich um ein mengenmäßiges Weniger handelt. Das käme hier insofern in Fra,ge, als der eingeschränkte Widerruf gegenüber dem uneingeschränkten die mildere Form darstellt. Aber ein Mengenunterschied im eigentlichen Sinn ist dies gewiß nicht. Auch wäre die uneingeschränkte Verurteilung dann nicht sinnvoll, wenn der Kläger sie gar nicht will. Es könnte ja sein, daß ihm aus Gründen des Einzelfalls am eingeschränkten Widerruf gar nichts liegt, daß ihm sogar die Klageabweisung lieber ist, als der deutliche Ausspruch, die Wahrheit der Behauptung habe sich nicht erweisen lassen. So ist es richtiger, die eingeschränkte Verurteilung nur vorzunehmen, wenn der Kläger, gegebenenfalls auf Anregung des Gerichts, sie beantragt73• Dies würde dann gegenüber dem Antrag auf Widerruf als Hauptantrag einen zulässigen Hilfsantrag darstellen. 6. Die Beweislast bei Berufung auf Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB)
Bei der Klage auf Widerruf wird sich der Beklagte häufig auf Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen. Hier wil'd davon ausgegangen, daß der Rechtfertigungsgrund74 des § 193 StGB auch im Zivilrecht 73 Vgl. RG JW 1939, 234 (238), das (bei einem Anspruch nach § 14 UWG) davon ausgeht, bei bleibender Unklarheit sei es Sache des Klägers, für seinen Antrag eine entsprechende eingeschränkte Fassung zu wählen. 74 So die h. M. im Strafrecht, vgl. Maurach, Bes. Teil, § 19 II C 1 (S. 149); Schönke-Schröder, StGB, § 193 Rdz. 1. - Bedenken gegen diese Beurteilung äußert Westermann, JZ 1960, 693.
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wirkt75. Wenn seine Voraussetzungen vorliegen, entfällt die rechtswidrige Schutzgesetzverletzung und damit sowohl der Schadensersatzanspruch wie der Beseitigungsanspruch. Dabei find,et sich wiederholt die Auffassung, bei Wahrnehmung berechtigter Interessen kehre sich die Beweislast um, d. h. jetzt müsse der Betroffene die Unwahrheit beweisen78.
a) Das ursprüngliche Eingreifen des§ 193 StGB Untersucht man aber, welche Voraussetzungen der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB hat, so ergibt sich, daß dazu die Wahrheit der Tatsache nicht gehört. Ebensowenig wird die Rechtfertigung durch die Unwahrheit der Tatsache ausgeschlossen, auch nicht, wenn diese im P.rozeß erwiesen ist. Voraussetzung des § 193 StGB ist vielmehr die objektiv berechtigte Wahrnehmung von Inter.e ssen - und für diese Abwägung ist zu unterstellen, daß die Behauptung wahr ist. Genauer gesagt ist zu fragen, ob die Behauptung als Wahrnehmung berechtigter Interessen erscheint, wenn die Tatsache wahr ist77• Die Wahrunterstellung bestimmt somit die Richtung der Interessenabwägung. Dagegen handelt es sich nicht um eine Unterstellung der Wahrheit schlechthin. Zweites Erfordernis des § 193 StGB ist nämlich, daß die Behauptung nicht leichtfertig erfolgte78, was gleic.lJ.bedeutend damit ist, daß der Behauptende genügende Anhaltspunkte für die Wahrheit hatte. Auch hier geht es also nicht um die Wahrheit selbst. Und ebensowenig ist für diese Prüfung die Wahrheit der Behauptung zu unterstellen. Sie hat damit nichts zu tun. Im Strafrecht gilt für die Voraussetzungen des § 193 StGB die allgemeine Beweislastregelung, d. h . dem Angeklagten ist das Nichtvorliegen der Vorauss·etzungen nachzuweisen. Diese Beweislastregelung ist in das Zivilrecht nicht übernehmbar79, zur Begründung kann auf die allgemein zu § 823 II BGB gemachten Ausführungen verwie sen wer75 Vg1. (allg. zur Geltung der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe im Rahmen des § 823 II) oben I 1. - Die Anwendbarkeit des § 193 StGB wird z. B. bejaht bei Baumfalk, Diss., S. 67 ff.; Soergel-Siebert (Schräder), BGB, § 823 Rdz. 464; RGZ 142, 116 (121); RAG 19, 260 (268); BGHZ 3, 270 (280 ff.); 24, 200 (206 f .). - Zweifelnd (und eher ablehnend) Westermann, JZ 1960 693 f.
76 RG JW 1933, 1400 (1402); OLG Stuttgart, NJW 1950, 703; OLG Freiburg, JZ 1951, 752; RGRK (Johannsen), § 1004, 106. - Weitere Nachweise bei Schlosser, JZ 1963, 311 N. 25. 77 Andernfalls würde § 193 so gut wie immer entfallen, wenn die Tatsachenbehauptung unwahr ist und dies im Prozeß erwiesen ist. § 193 StGB will aber auch diesen Fall erfassen, wenn der Behauptende Anhaltspunkte für seine Behauptung hatte. Zu diesem Ergebnis kommt man nur, wenn man die mögliche Unwahrheit für § 193 StGB aus dem Gesichtskreis verbannt. 78 Vgl. Schönke-Schröder, StGB, § 193 Rdz. 11. 79 Ebenso Schlosser, JZ 1963, 312 f.
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den80 • Vi~lm~hr muß auch hier der Beklag~ die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes beweisen, also die objektiv berechtigte Interessenwahrnehmung und die genügenden Anhaltspunkt~ für seine Behauptung. Für den Widerrufsanspruch ergibt sich demnach folgendes: Um der Verurteilung zu uneingeschränktem Widerruf bei bewi~sener Unwahrh~it und der Verurteilung zu eingeschränktem Widerruf bei bewi~sener Unwahrheit oder bei non liquet zu entgehen, muß der Beklagte die objektive Berechtigung seiner Inter~ssen und di~ genügenden Anhaltspunkte nachweisen. Im vom BGH entschiedenen Fall ~i angenommen, daß man das Interesse der Bekl., die Adresse zu erfahren, für zur Behauptung berechtigend hält. Dann muß di~ Beklagte aber weiterhin obj~ktive Anhalt:;punkte für ihre Behauptung nachweisen. Dabei ist durchaus nicht die Wahrheit ihrer Behauptung zu unterstellen81 • Vielmehr liegt der Fall gerade so, daß der Beweis der Anhaltspunkte ebenso nicht gelingen wird wie jener der Wahrheit. Das ist jedoch eine Besonderheit des Einzelfalles82• Sachlich geht es nun nicht um die Wahrheit, sondern um die Anhaltspunkte. Das Ergebnis ist, daß die Verurteilung zum eingeschränkten Widerruf trotz der Berufung auf § 193 StGB erfoLgen muß, weil dessen Voraussetzungen nicht nachgewiesen sind.
b) Das gegenwärtige Eingreifen des § 193 StGB Nun kommt zu alledem aber noch eine Besonderheit des B~seiti gungsanspruchs hinzu. Die Rechtsprechung gewährt nämlich den Beseitigungsanspruch auch dann, wenn die Behauptung zwar zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgte, aber sich jetzt die Unwahrheit der Behauptung herausstellt oder jetzt keine genügenden Anhaltsso s. oben I 2.
Anders BGHZ 37, 191, der im Rahmen einer HUfserwägung davon ausgeht, für § 193 sei schlechthin die Wahrheit zu unterstellen. Soweit die ]3eweislastregel bezüglich des Tatbestandsmerkmals "Unwahrheit" dem Beklagten günstig ist, also der Kläger die Unwahrheit zu beweisen hat, führt dies nicht zu einer prozessualen Feststellung der Tatsache der Wahrheit. Wenn man also hier- obwohl es nicht mehr darauf ankommt- noch das Vorliegen des § 193 prüft, dann hat dafür die Beweislastregel bezüglich des Tatbestands keine Auswirkung. 82 Ähnlich Schlosser, JZ 1963, 313. Schlosser meint aber zu Unrecht, "im typischen Fall des § 193 StGB" sei "kraft der Beweislastregel des § 186 StGB davon auszugehen, daß die Behauptung nicht wahr ist, daß aber der Beleidiger für ihre Richtigkeit Anhaltspunkte hatte". Aus der Beweislastregelung für die Unwahrheit im Rahmen des Tatbestandes ergibt sich im Hinblick auf § 193 StGB überhaupt nichts! Die Beweislastregel führt nicht zu einer Tatsachenfeststellung (also hier einer Feststellung der Unwahrheit). Sie bestimmt nur, daß bei non liquet zu entscheiden ist, als ob das Tatbestandsmerkmal der Unwahrheit gegeben wäre. 81
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punkte für die Wahrheit mehr bestehen83 • Dabei sieht es zunächst so aus, .als handl·e es sich hier um einen Wegfall des Rechtfertigungsgrundes, und deshalb um die Frage, wer die Voraussetzungen des Wegfalls nun beweisen müsse. Auf die sachlich.e Berechtigung dieses Beseitigungsanspruchs und die dogmatische Begründung kann hier nicht eingegangen werden84 • Aber es ist zu betonen, daß von einem Wegfall des Rechtfertigungsgrundes genau genommen nicht gesprochen werden kann. Bisher handelte es sich stets um die Rechtfertigung der Aufstellung der Behauptung. Für deren Rechtfertigung kommt es auf den Zeitpunkt der Vergangenheit an. Die Unwahrheit der Behauptung schließt§ 193 StGB für die Vergang·enheit materiell nicht aus und daher ebensowenig der jetzige Beweis der Unwahrheit. Ebensowenig ändert es etwas am damaligen Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes, wenn jetzt nicht mehr genügend Anhaltspunkte vorhanden sind. Daher kann man auch keinen Schluß auf die Beweislastregelung aus dem Gesichtspunkt eines Wegfalls des Rechtfertigungsgrunds (etwa in Analogie zum Wegfall eines Rechts durch rechtsvernichtende Tatsachen) ziehen85 • Vielmehr beruht die Zubilligung des Widerrufsanspruchs als Beseitigungsanspruch allein auf einem neuen Sachverhalt, der andere Voraussetzungen hat als der Schadensersatz- und Beseitigungsanspruch aus dem V·ergangenen Tun. Es wird jetzt die frühere Behauptung wegen ihres Fortwirkens in die Gegenwart projiziert und nun hier gefragt, ob im Augenblick des Prozesses die Voraussetzungen des § 193 StGB vorliegen. Die Beweislast aber entspricht dabei in allen Punkten den bisherigen Feststellungen. Der Beklagte muß die Voraussetzungen des § 193 StGB beweisen, um der Verurteilung zu eingeschränktem oder uneingeschränktem86 Widerruf bei erwiesener Unwahrheit und der Verurteilung zu eingeschränktem Widerruf bei non liquet zu entgehen. Nur besteht hier folgende Besonderheit: Wenn die Unwahrheit im Prozeß erwiesen wird, dann wivd es im selben Moment für den Beklagten unmöglich, noch das Vorliegen berechtigter Anhaltspunkte nachzuweisen. Das ist die Konsequenz des Abstellens auf die Gegenwart und hat sachlich die Bedeutung, daß bei erwiesener Unwahrheit die Berufung auf§ 193 StGB für den Anspruch aus der .gegenwärtigen Sachlage stets ausscheidet. Mit einer besonderen Beweislastverteilung aber hat all dies nichts zu tun. 83 So z. B. RAG 19, 260 (269); BGH NJW 1958, 1043; BGH LM § 1004 BGB Nr. 45 und 49; weitere Nachweise bei Schlosser, JZ 1963, 311 N. 29. 84 Vgl. Baur, AcP 160, 465 ff. (480 f.); Westermann, JZ 1960, 693 ff.; Schlosser, JZ 1963, 313 f. as Anders z. B. BGH LM § 1004 BGB Nr. 49 (vor A I 3); Baumfalk, Diss., s. 214. 86 Diese Möglichkeit entfällt, wenn man bei diesem besonderen Beseitigungsanspruch schon materiell nur eingeschränkten Widerruf zubilligt, so (im Einzelfall) BGH LM § 1004 BGB Nr. 49 (A I 4).
III. Ansprüche aus §§ 992, 2025 BGB
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7. Gesamtergebnis
Der Kläg-er hat die Beweislast für die Unwahrheit der Tatsache, wenn er uneingeschränkten Widerruf verlangt. Die Beweislastregelung des § 186 StGB gilt hier nicht. Dagegen muß der Bekl. ·die Wahrheit der Behauptung beweisen, wenn eingeschränkter Widerruf verlangt wird. Für diese Rechtsfolge ist die Beweislastregel aus § 186 StGB zu übernehmen, ebenso wie für Ansprüche auf Geldersatz, Unterlassung oder reale Beseitigung. Die Voraussetzungen der Rechtfertigung aus § 193 StGB muß der Bekl. beweisen. Gegenüber dem Beseitigungsanspruch muß er das Vorliegen sowohl für den Zeitpunkt der Behauptung wie für die Gegenwart beweisen. Der Entscheidung des BGH ist demnach zuzustimmen, was die Ablehnung des uneing,e schränkten Widerrufs angeht. Dagegen hätte die B-ekl. trotz eines non liquet auf Antrag zum eingeschränkten Widerruf verurteilt werden müssen. 111. Die Unanwendbarkeit der strafrechtlichen Beweislastgrundregel bei Ansprüchen aus §§ 992, 2025 BGB auf Grund einer Besitzerlangung durch strafbare Handlung 1. Der Sinn des § 992 BGB und der materielle Inhalt der Verweisung auf das Strafrecht
Durch die Bezugnahme auf strafbare Handlung-en stellt § 992 BGB eine Tatbestandsverweisung auf das Strafrecht dar. Rosenberg1 ist der Meinung, in diesem Fall müsse auch die strafrechtlich.e Beweislastregelung gelten. Der Umfang der rein materiellen Verweisung auf das Strafrecht läßt sich bestimmen, wenn man den allgem-einen Sinn und Zweck des § 992 BGB betrachtet. Durch die V-erweisung des § 992 BGB auf die "Vorschriften über den Schadensersatz wegen unerlaubter Handlungen" kommt im Gesetz zum Ausdruck, daß keine selbständigen, neuen Haftungstatbestände gesetzt werden sollten. Daß die Verweisung auch auf die Tatbestände der §§ 823 ff. BGB, nicht nur auf der.en Rechtsfolgen gerichtet ist, wird allgemein anerkannt2 • Der Sinn des§ 992 BGB ergibt Beweislast, S. 35. Daraus folgt insbesondere, daß Ansprüche aus § 992 Verschulden voraussetzen. Vgl. u. a. Schmidt, Gesetzeskonkurrenz, S.176 f. (gegen Lent); Dietz, Anspruchskonkurrenz, S. 197; Heck, Sachenrecht, S. 284 f.; WolffRaiser, Sachenrecht, § 85 II 4 (S. 332 N.18); Westermann, Sachenrecht, § 32 IV 2 a (S. 161); Baur, Sachenrecht, § 11 A li 2 (S. 76); Larenz, Methodenlehre, S.l66; Lent-Schwab, Sachenrecht, § 45 IV 3 (S.169); Planck-Brodmann, BGB, § 992, 2 a; Staudinger-Berg, BGB, § 992 Rdz. 3; RGRK (Johannsen), § 992, 4; Erman-Hefermehl, BGB, § 992, 4; RG JW 1905, 494; KG JR 1955, 259 (260). - A. M. Lent, Gesetzeskonkurrenz, Bd. I, S. 263 - nicht mehr in Sachenrecht, 8. Aufl., § 40 IV 3 (S. 139). t
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sich deshalb erst aus der Berücksichtigung des grundsätzlichen gleichzeitigen Alusschlusses der Haftung aus unerlaubter Handlung für jene Fälle des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses, die von § 992 BGB nicht erfaßt werden3• Da·bei kann hier offen bleiben, ob dieser Ausschluß ausnahmslos gilt4 • Die Bedeutung des § 992 liegt jedenfalls darin, aus den in Betracht kommenden unerlaubten Handlungen jene herauszugreifen, in denen entgegen der sonstigen Privilegierung des Besitzers5 die Haftung nach Deliktsrecht bestehen bleibt. Trotz der Anerkennung der Verweisung auf die Tatbestände der §§ 823 ff. bleibt noch unklar, ob § 992 voraussetzt, daß die unerlaubte Handlung schon bei der Besitzerlangung gesch,ehen ist6, oder ob sie der verbotenen Eigenmacht bzw. der strafbaren Handlung auch nachfolgen kann7 • Der Wortlaut läßt beide Auslegungsmöglichkeiten zu. In § 935 E I dagegen war durch die Formulierung, der Besitz müsse durch eine strafbare oder vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung verschafft sein, klargestellt, daß die haftungsbegründende unerlaubte Handlung schon bei Besitzerlangung vorliegen, also mit der in § 935 (jetzt 992) genannten Handlung identisch sein mußte. Bei der Umgestaltung zur jetzigen Fassung war eine Ändt,rung in diesem Punkt nicht beabsichtigt. Aus dem Erfordernis einer unerlaubten Handlung wurde gefolgert, daß die verbotene Eigenmacht schuldhaft sein müsse8, d. h. auch jetzt ging man von einer Identität der Handlungen aus. Dieses Verständnis entspricht auch allein der ratio des § 992, denn hier liegt die Vorstellung eines durch die besondere Art der Besitzerlangung fehlerhaften Besitzes zugrunde, d. h. das ganze Schwergewicht der Norm ruht auf dem Zeitpunkt der Besitzbegründung. a Vgl. Dietz, Anspruchskonkurrenz, S. 197; Heck, Sachenrecht, S. 284; Schmidt, Gesetzeskonkurrenz, S.176; Westermann, Sachenrecht, § 31 III 2 a (S.152); Erman-Hefermehl, BGB, § 992, 1; RGRK (Johannsen), § 992, 13. Abweichend Staudinger-Berg, BGB, § 992 Rdz. 2 und Planck-Brodmann, BGB, § 992, 1. 4 Für Begrenzung des Ausschlusses auf den Eigenbesitzer Dietz, a. a. 0., S. 198 ff.; RGRK (Johannsen), § 992, 13. - A. M. Planck-Brodmann, BGB, § 992, 1; Staudinger-Berg, BGB, § 992 Rdz. 2 (I 2 b); Wolff-Raiser, a. a. 0 ., § 85 III 5 b (S. 335 N. 35); Westermann, a. a. 0., § 31 III 2 b (S.152). 5 In Betracht kommt nur der unrechtmäßige Besitz, denn nur für diesen gelten nach heutiger Auffassung die§§ 989 ff. BGB; vgl. Dietz, a. a. 0., S. 187; Wolff-Raiser, a. a. 0., § 85 I 1 (S. 329); Baur, a. a. 0., § 11 B I 1 (S. 80); Palandt-Hoche, BGB, vor § 987 ff., 1 a, b. e So Erman-Hefermehl, BGB, § 992, 2; Staudinger-Berg, BGB, § 992 Rdz. 3; Westermann, a. a. 0., § 32 IV 2 a (S.161); Lent-Schwab, a. a. 0., § 45 IV 3 (S. 169). 7 So Schmidt, Gesetzeskonkurrenz, S. 176; Dietz, Anspruchskonkurrenz, S. 197 N. 33; RGRK (Johannsen), § 992, 5 (verlangt aber dann schuldhafte Entziehungshandlung und nachfolgende unerlaubte Handlung). s s. Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. III, S. 678.
III. Ansprüche aus §§ 992, 2025 BGB
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Der Wortlaut des § 992 BGB läßt offen, wie weit die Verweisung auf das Strafrecht reicht0 • Die Einbeziehung der strafbaren Handlungen war in§ 935 EI eine Korrektur der grundsätzlichen Ausscheidung aller fahrlässigen unerlaubten Handlungen10• An die Stelle der Teilung nach dem Vorliegen des Vorsatzes trat dann in der geänderten Fassung die objektiv widerrechtliche Eigenmacht als primäres Kriterium. Die Bezugnahme auf die strafbaren Handlungen sollte ihre Bedeutung beibehalten11; sie diente auch jetzt nur der Randkorrektur. Weder bei der ursprünglichen noch bei der geänderten F,assung dachte man daran, an das Vorliegen einer vollen strafbaren Handlung, einschließlich strafrechtlicher Zurechnungsfähigkeit und individuelLer Schuld, anzuknüpfen. Und gerade bei der Umformung ging die Tendenz zur Objektivierung; auch bezüglich der strafbaren Handlungen hatte man bestimmte objektive Modalitäten der Besitzerlangung im Blick12 • Allgemein war die besondere objektive Schwere der BesitzerLangungstat der Anlaß, die sonstige Privilegierung des Besitzers zurücktreten zu lassen. Die Bewertung der Tat, nicht des Täters stand im Vordergrund. Die Verweisung auf das Strafrecht ist demnach nur so zu verstehen, daß sie objektive Tatbestandsmäßigkeit, Widerrechtlichkeit13 und Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) umfa.ßt. Die restlichen Voraussetzungen sind - wie im Falle der verbotenen Eigenmacht - nach den allgemeinen Grundsätzen der unerlaubten Handlungen zu bestimmen. 2. Die Beweislast
Der Unterschied zwischen der zivilrechtliehen und der strafrechtlichen Beweislastregel tritt auch hier bei den Rechtfertigungsgründen, etwaigen Entschuldigungsgründen, bei Verbotsirrtum und Unzurechnungsfähigkeit auf 14• Eine Übernahme der strafrechtlichen Beweislastregel mit dem Sachrecht kommt dabei nur für strafrechtliche Rechtfertigungsgründe in Betracht; im übrigen wäre allenfalls an analoge Anwendung für die zivilrechtliehen Sachnormen zu denken. Wegen der Rechtsfolgegebundenheit der straf11echtlichen Beweislastregel "in dubio pro reo" muß auch hier der Vergleich der RechtsfoLgen die Entscheidung bezüglich der Übernehmbarkeit ergeben. Wie u Wiethölter, JZ, 1963, 208 spricht von "voller Verweisung", ohne diesnäher zu erläutern. Sonst folgert man aus dem Begriff "strafbare Handlung" jedenfalls das Erfordernis eines Verschuldens, so Staudinger-Berg, BGB, § 992 Rdz. 3; Weyl, Verschuldensbegriffe, S. 356 f. (der wohl die übernahme des strafrechtlichen Verschuldens meint). 1o s. Motive, Bd. III, S. 410. - Man dachte insbesondere an die Hehlerei. u Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. III, S. 678. 12 Nämlich Erpressung durch den vermeintlichen Eigentümer, s. Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. III, S. 678. 13 Insgesamt ist die Widerrechtlichkeit auch hier nach Zivil- und Strafrecht zu bewerten, vgl. oben I 1. u Vgl. oben I 2 zu § 823 II BGB.
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gezeigt wuroe, geht es in § 992 BGB um eine Zuerkennung {bzw. das Bestehenlassen) gewöhnlicher Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen. Daß diese Ansprüche in den .entscheidenden Punkten nicht mit einer Strafe vergleichbar sind, wurde schon anläßlich des § 823 II BGB dargetan15 • § 992 BGB stellt auch nicht in besonderem Maße auf die individuelle Vorwerfbarkeit der Tat, das Vorliegen redltlicher und sittlicher Schuld ab. Das zeigte sich schon bei der Prüfung des Umfangs der Verweisung. Dieselben Überlegungen, die zu einer Begrenzung der Verweisung führten, sprechen gegen eine Übernahme der Beweislastregel des Strafrechts. So hat die Bejahung des § 992 BGB auch keinen besonderen ehrmindernden Charakter. Zeigt aber der Vergleich der RechtsfoLgen keine Ähnlichkeit mit der Strafe, so muß es auch bei § 992 BGB bei der allgemeinen Beweislastregelung des Zivilrechts bleiben, die zum Teil zuungunsten des in Anspruch Genommenen ausfällt. Für eine Abweichung besteht kein sachlicher Grund. Die Beweislastregelung ist damit im Falle einer strafbaren Handlung dieselbe wie im Falle verbotener Eigenmacht. Der eingangs zitierten Auffassung Rosenbergs kann nicht zugestimmt werden. 3. Die Beweislast bei § 2025 BGB
§ 2025 BGB ist schon dem Wortlaut nach eindeutig an § 992 BGB angelehnt16• Alle bezüglich § 992 BGB zum begrenzten17 Umfang der Verweisung auf das Strafrecht und zur Unanwendbarkeit der strafrechtlichtm BeweisLastgrundregel angestellten Erwägungen müssen daher hier ebenfalLs gelten. Die Meinung Rosenber.gs18, die Beweislast sei wie im Strafrecht zu beurteilen, ist unrichbg.
IV. Beweislastregelung entsprechend dem Grundsatz "in dubio pro reo" bei Pflichtteilsentziehung und Erbunwürdigkeit 1. Die Beweislast bei der Pflichtteilsentziehung a) Vorliegen und Umfang der Verweisung auf das Strafrecht
Eine eindeutige Verweisung auf das StGB liegt in § 2333 Nr. 3 BGB vor. Wann ein Vergehen oder Verbrechen gegeben ist, muß auf Grund des StGB beantwortet werden, denn das BGB selbst bestimmt diese Vgl. oben I 2. Vgl. Erman-Bartholomeyczik, BGB, § 2025, 1. - § 2086 E I verwies auf §§ 934, 935 E I (vgl. Motive, Bd. V, S. 591). Auch bei der späteren Änderung war eine Anlehnung an § 906 (den Nachfolger des § 935, jetzt § 992) gewollt (vgl. Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. V, S. 488 f.). Eine Erweiterung gegenüber § 992 liegt insofern vor, als § 2025 nic..'lt nur durch strafbare Handlung erlangte Sachen, sondern Gegenstände umfaßt. 17 Wiethölter, JZ 1963, 208, sieht dagegen auch hier eine "volle Verweisung auf das Strafrecht". 1s Beweislast, S. 35. 15 16
IV. Pflichtteilsentziehung und Erbunwürdigkeit
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Begriffe nicht. Auch die Materialien bestätigen, daß hier auf das StGB verwiesen wird. Die geltende Vorschrift wurde nämlich als Ersatz für die zunächst (in § 2001 Nr. 3, 4 und 5 E I) geplante Nennung einzelner Straftaten (falsche Anschuldigung, Meineid, Ehebruch mit dem Ehegatten des Erblassers) gewähltl. In Nr. 1 und 2 des § 2333 kann man dagegen nicht von einer Verweisung2 auf das StGB sprechen, wohl aber liegt hi-er eine gewisse Anlehnung an das Strafrecht vor. § 2333 Nr. 2 spricht gerade im Hinblick auf das Strafrecht von "vorsätzlicher körperlicher Mißhandlung"3, und auch Nr. 1 wurde mit dem Bewußtsein geschaffen, hier besonders schwere Straftaten zum Entziehungsgrund zu machen4• Der Wortlaut des § 2333 Nr. 3 BGB ergibt nicht, in welchem Umfang hier auf das Strafrecht verwiesen wird, d. h. welche Stufen aus dem strafrechtlichen Tataufbau gegeben sein müssen, um die Entziehung des Pflichtteils zu begründen. Allen Pfiichtteilsentz~ehungsgründen liegt der Gedanke einer schweren Verfehlung gegen den Erblasser zugrunde. Daraus läßt sich schließen, daß die Tat nach dem Urteil der Rechtsordnung verboten, also rechtswidrig sein muß5 und zum anderen, daß sie dem Täter zum Vorwurf gereichen muß, daß also ein Verschulden vorausgesetzt ist8 • Das Erfordernis des Verschuldens kommt auch in d~m gesetzlichen Merkmalen "vorsätzlich", "sich schuldig machen" 7 in Nr. 2 und 3 und "böswillig" in Nr. 4 zum Ausdruck. Damit ist aber noch offen, nach welchen Maßstäben Rechtswidrigkeit und Schuld zu bestimmen sind. Was die Rechtswidrigkeit anlangt, so müssen in Nr. 3 schon auf Grund der Verweisung auch die Rechtfertigungsgründe des Strafrechts Anwendung findtm. Denn es wird ja hier zunächst an die negative Bewertung der Tat angeknüpft, und deren Vgl. Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. V, S. 804, 807. Wiethölter, JZ 1963, 208, hält das Vorliegen einer Verweisung in § 2333 Nr. 2 immerhin für möglich. 3 Motive, Bd. V, S. 431; vgl. auch RG JW 1913, 207 (208): bewußte Anlehnung; RGRK (Johannsen), § 2333, 6: vorsätzliche körperliche Mißhandlung im Sinne der §§ 223 ff. StGB. 4 In den Motiven, Bd. V, S. 431 werden für Nr. 1 wie für die folgenden Nummern bezüglich der Teilnahme ohne weiteres die Vorschriften des StGB für anwendbar gehalten. 5 Lange, Erbrecht, § 39 XII 2 a s (S. 472). Auch ist anerkannt, daß der Pflichtteilsentziehungsgrund entfällt, wenn Notwehr vorliegt, vgl. RG JW 1913, 207 (208); RG Warn. 1913, Nr. 402; BGH LM § 2294 BGB Nr. 1 (für § 2294 BGB); RGRK (Johannsen), § 2333, 6. 6 Das Verschuldenserfordernis nennen u. a. Planck-Greiff, BGB, § 2333, 2; Staudinger-Ferid, BGB, § 2333 Rdz. 6; RGRK (Johannsen), § 2333, 6; PalandtRechcnmacher, § 2333, 2; Bartholomeyczik, Erbrecht, § 48 V 1 a (S. 313); Lange, Erbrecht, § 39 XII 2 a " (S. 472); Kipp-Coing, Erbrecht, § 14 I 5 (S. 71). 7 Nach Auffassung der Motive, Bd. V, S. 431, ergibt der Ausdruck "sich schuldig machen" auch den Ausschluß des Notwehrfalles. Ebenso argumentiert RGRK (Johannsen), § 2333, 6. 1
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eig-entlicher Ausdruck ist eben die Rechtswidrigkeit. Doch ist - wie bei § 823 II BGB dar.getan8 - auch für§ 2333 (und zwar in allen AlternaHven) die Rechtswidrigkeit schon unabhängig von einer Verweisung nach Zivil- und Strafrecht zu beurt-eilen. Im Rahmen des Verschuldeus ist als Voraussetzung eines persönlichen rechtlichen Vorwurfs auch die Verschuldeusfähigkeit erforderlich9 • Hier ist recht zweif-elhaft, ob die Anfozderung.en des Zivil- oder des Strafrechts maßgebend sein sollen. Die Regelungen der Zurechnungsfähigk€it in § 51 StGB und in § 827 BGB stimmen zwar inhaltlich wohl überein, aber das Alterserfordernis ist in § 1 Abs. 3 JGG (Unverantwortlichkeit bis zum 14. Lebensjahr) und in § 828 I BGB (bils zum 7. Lebensjahr) unterschiedlich geregelt. Nun läge bei § 2333 Nr. 3 auf Grund der Verweisung ,gew~ß die Anwendung des Strafrechts nahe. Aber bei den anderen Nummern ließe sich das kaum rechtfertigen. Denn ohne ausdrückliche Verweisung muß die Antwort zunächst im Rahmen des BGB gesucht werden. Eine Sonderbehandlung der Nr. 3 bezüglich der Zur.echnungsfähigkeit erscheint andererseits sachlich nicht gerechtfert1gt. Also muß man in allen Fällen dioe Zurechnungsfähigkeit nach dem BGB beurteilen. Es sind daher §§ 827, 828 BGB anzuwenden. Diese Vorschriften sind zwar unmittelbar nur für die unerlaubten Handlungen bestimmt. Aber immerhin ist ihre Geltung auch auf den Bereich der Voertragsverletz·u ngen ausgedehnt (§ 276 I S. 3 BGB), so daß ihnen schon im System des BGB eine gewisse AUgemeingültigkeit zukommt. Ferner stellt sich die Frage, ob die strafrechtlichen Entschuldigungsgründe {§§ 52 und 54 StGB; eventuell der übergesetzliche Entschuldigungsgrund der Unzumutbarkeit) auch im Rahmen des § 2333 BGB anwendbar sein sollen. Bezüglich der unerlaubten Handlungen wird dieselbe Frage eher negativ beantwortetl0 • Man geht davon aus, daß die Schadensersatzpflicht in diesen Fällen .gleichwohl berechtigt sei, auch wenn das Strafrecht das Verhalten auf Grund der besonderen Situation für verzeihlich hält. Bei § 2333 BGB aber steht die persönliche Vorwerfbarkeit der Tat weit mehr im Vordergrund als bei den unerlaubten Handlungen. Sie ist die einzige Rechtfertigung der Pflichtteilsentziehung. Um Ersatz des angerichteten Schadens, bei dem schon die objektiv w~derrechtliche und nach normalerweise zutreffender Bewertung schuldhafte Verletzungshandlung die Verpflichtung zum Ausgleich begründet, handelt es sich nicht. So ist d~e Rechtsfolge hier nur angebracht, wenn der volle individuelle Vorwurf für die Tat gemacht werden kann. Deshalb müssen die strafrechtlichen Entschuldigungss s. oben I 1. So z. B. Boehm, Erbrecht, S. 471 N. 3; Schiffner, Pflichtteil, S. 73; PlanckGreiff, BGB, § 2333, 2; Bartholomeyczik, Erbrecht, § 48 V 1 a (S. 313). to s. oben I 1 N. 12. D
IV. Pflichtteilsentziehung und Erbunwürdigkeit
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gründe hier das Verschulden ausschließen, und zwar wegen der gleichen sachlichen Ausgangslage in allen Fällen des § 2333 BGB, nicht bloß auf Grund der Verweisung in Nr. 3 und der Anlehnung an das Strafrecht in Nr. 1 und 2 der Vorschrift. b) Die Beweislast Der Blick auf das Strafrecht führt zur Frage, ob die dortige Beweislastregelung zu übernehmen ist. Auch hier geht es um die Abweichung von den zivilrechtliehen Grundsätzen der Beweis1ast des Täters (hier des PflichtteilsberechUgten) für Rechtfertigungsgründe, Unzurechnungsfähigkeit und Entschuldigungsgründe11 • Die Frage sei hier allgemein gestellt, also für sämtliche Fälle des § 2333, nicht nur für Nr. 3. Denn es erscheint klar, daß di,e Beweislastregelung in allen Alternativen einheitlich sein muß. Insbesondere kann sie nicht davon abhängen, ob der angesprochene Tatbestand des StGB wiederholt worden ist (wie in Nr. 1 und 2), oder ob auf das Strafrecht !direkt verwiesen wurde (Nr. 3). Ferner wird die Beweislast nicht nur bezüglich der anwendbaren strafrechtlichen Normen (also der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe und Entschuldigungsgründe) untersucht, sondern auch bezüglich der Unzurechnungsfähigkeit, obwohl sie sachlich nach Zivilrecht zu beurteilen ist. Die ganze Fra.ge nach der Übernahme der strafrechtlichen Beweislastregel könnte illusorisch erscheinen angesichts des § 2336 III. In der Tat haben das RG 12 und ähnlich der BGH13 dieser Vorschrift entnehmen wollen, daß derjenige, der die Entziehung geltend macht, auch das Nichtvorliegen der Not'Wiehr beweis~m müsse. Aber § 2336 III sagt nur etwas über den Beweis des "Grundes", läßt dagegen offen, ob dazu auch etwa das Nichtvorliegen der Rechtfertigungsgründe gehört. Gerade im Zivilrecht ist es ja üblich, das nicht zu Beweisende auch aus dem "Grund" herauszunehmen. Was schon der Wortlaut nahelegt, wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Nach Auffassung der Motive14 sollte die Vorschrift nämlich nur die allgemeine, ohnehin geltende Beweislastregel des § 194 E I wiederholen, um dadurch den im gemeinen Recht bestehenden Streit zu schlichten. Die Absicht, eine besondere Regelung der Beweislast für Rechtfertigungsgründe, Entschuldigungsgründe und Unzurechnungsfähigkeit zu treffen, läßt sich nirs. oben I 2. 12 RG Warn. 1913, Nr. 402; ebenso RGRK (Johannsen), § 2333, 6. 13 BGH LM § 2294 BGB Nr. 1 (der BGH will die Beweislast für § 2294 BGB anders regeln, weil dort 2336 III nicht gilt). 14 Motive, Bd. V, S. 449; zum gemeinen Recht siehe die dort gegebenen Zitate. 11
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gends erkennen. Die Argumentation Rosenbergs15, das Nichtvorliegen der Notwehr gehöre zum vollständigen Tatbestand und sei deshalb zu beweisen, überzeugt nicht. Denn materieLl-rechtlich gehören Widervechtlichkeit und Verschulden etwa bei § 823 I genauso zum "Tatbestand" (im Sinne der Rechtsfolgevoraussetzungen), ob sie aber beweislastmäßig - anders als bei § 823 - in vollem Umfang dazu gehören, ist hier gerade die Frage. Um die Frage nach der Übernahme des strafrechtlichen Grundsatzes zu beantworten, sind wiederum die Rechtsfolgen zu vergleichen, also die Pflichtteilsentziehung mit der Strafe. Und hier findet man -erstaunlicherweise- daß der Pflichtteilsentziehung weithin Strafcharakter zugesprochen wird16• Das bedarf freilich genauerer Untersuchung. Die charakteristischen Merkmale der Strafe, auf denen auch ihre besondere Schwere als Rechtsfolge beruht, bestehen einerseits in der Zufügung eines Übels und andererseits in der Manifestation eines sittlichen Unwerturteilsli. Was das "Übel" angeht, so liegt die Besonderheit der Strafe darin, daß sie dem Betroffenen wehtun will, daß sie ihm einen empfindlichen Nachteil zufügen will. Diese Zufügung des Rechtsnachteils ist primärer Zweck der Strafe, sie geschieht nicht etwa, weil mit der Strafe ein anderer, positiver Zweck verfolgt wird, der einen Eingriff notwendig macht. Das ist offenbar bei den Freiheitsstrafen, von denen niemand einen Vorteil hat, die vielmehr der Allgemeinheit Kosten verursachen. Es gilt aber auch bezüglich der Geldstrafe: Auch hier ist es nicht der primäre Zweck, den Staat zu bereichern, sondern dem Bestraften ein Lei,d zuzufügen18• Ganz anders ist es bei den (normalen) zivilrechtliehen Rechtsfolgen. Hier wird eine bestimmte Verteilung der Rechtsgüter, ein positiver Erfolg angestrebt. Zweck einer Schadensersatzpflicht etwa ist es nicht primär, dem Schädiger einen Nachteil zuzufügen. Vielmehr geht es darum, dem Geschädigten Ersatz zu verschaffen. Nur weil es zu diesem Ziel notwendig ist, wird dem Pflichtigen ein Nachteil auferlegt. Die Pflichtteilsentziehung aber steht in dieser Beziehung einer Strafe in der Tat näher als einer gewöhnlichen zivilen Rechtsfolge. Das Recht gibt hier dem Erblasser die Möglichkeit, den Pflichtteilsberechtigten zu schädigen, als Konsequenz seiner Verfehlung. Es liegt insofern ein gezieltes Übel vor. Um d~e Begünstigung einer anderen Person geht es zunächst nicht; daß der Erbe einen Vor15 Beweislast, S. 159. Im übrigen ist es erstaunlich, daß Rosenberg bei seiner - sachlich richtigen - Meinung keinen Konflikt zu seiner Normentheorie sieht: Auch für § 2333 Nr. 2 wird doch die rechtfertigende Wirkung der Notwehr durch einen besonderen Rechtssatz (§ 227 BGB) bestimmt. 16 So von Schiffner, Pflichtteil, S. 66, 73; Planck-Greiff, BGB, § 2333, 2; Staudinger-Ferid, BGB, § 2333 Rdz. 5 u. 6; RGRK, § 2333, 3; Palandt-Keidel, BGB, § 2333, 1; wohl auch Lange, Erbrecht, S. 472 N. 9. 17 s. dazu oben S. 133 mit N. 41. 18 So Mezger-Blei, Strafrecht I, § 99, 3 (S. 304).
IV. Pflichtteilsentziehung und Erbunwürdigkeit
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teil erlangt, ist notwendige Folge, aber nicht primärer Zweck der Pflichtteilsentziehung. Die Tat des von der Entziehung Betroffenen hat ja auch keinen Bezug auf den jetzt Begünstigten, gibt keinen Anlaß für einen Vorteil zugunsten des Erben. So stehen die Zwecke der Nachteilszurugung und der Güterordnung hier im selben Verhältnis wie bei den Strafen. Auch das Merkmal der sittlichen Mißbilligung findet sich bei der Pflichtteilsentziehung. Die Pflichtteilsentziehung beruht auf schweren Verfehlungen des Berechtigten. Das Unwerturteil ist auch in der Rechtsfolge enthalten, da sie eben nur bei solchen Verfehlungen überhaupt vorkommt. Der sittliche Vorwurf würde auch durch eine Entscheidung, die die Berechtigung der Pflichtteilsentziehung feststellt, zum Ausdruck gebracht, weil er eben schon an der Eigenart der Rechtsfolge haftet. Nach beiden maßgeblichen Gesichtspunkten zeigt sich somit eine Ähnlichkeit zur Strafe, die die Pflichtteilsentziehung als eine Rechtsfolge von vergleichbarer, ganz besonderer Schwere erscheinen läßt. Deshalb ist hier die Übernahme des uneingeschränkten Beweislastgrundsatzes zugunsten des Pflichtteilsberechtigten angebracht. Der Entziehung ist die Wirksamkeit zu versagen, wenn Zweifel am Vorliegen eines Rechtsfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes oder der Unzurechnungsfähigkeit bleiben. Es erscheint - in Abwägung der in Kauf zu nehmenden Fehlurteile - als das geringere Übel, wenn der Erbe den Pflichtteil - der ihm ohnehin nicht primär zugeschoben werden sollte- zahlen muß, obwohl die Entziehung berechtigt war, als wenn der Pflichtteil entzogen wird, obwohl den Berechti:gten in Wahrheit kein begründeter Vorwurf trifft. 2. Die Beweislast bei der Erbunwürdigkeit a) Die Verweisung auf das Strafrecht
Auch in § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB liegt eine Verweisung auf das StrafI'echt vor. Von einer Anlehnung an das Strnfrecht kann man bei Nr. 1 sprechen, soweit es sich um die Tötung handelt1 9 ; im übrigen besteht keine unmittelbare Verbindung zum Strafrecht. Zur Klärung des Umfangs der Verweisung und der generellen Erfordernisse des § 2339 braucht nicht mehr viel gesagt ~u werden, denn die zur Pflichtteilsentziehung angestellten Erwägung.en müssen auch hier gelten. Die Widerrechtlichkeit der Tat ist in Nr. 1-3 ausdrücklich gefordert und auch in Nr. 4 Voraussetzung, ausgedrückt durch den Be18 Wiethölter, JZ 1963, 208, hält auch für den Fall der Nr. 1 eine Verweisung auf das Strafrecht für möglich.
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griff der strafbaren Handlung20 • Sie ist in allen Fällen nach Zivil- und Strafrecht zu bestimmen. Die Notwendigkeit eines Verschuldens ist in Nr. 1 und 2 durch die Schu1dform "vorsätzlich" zum Ausdruck gekommen, in Nr. 3 ist das Vorsatzerfordernis (und damit indirekt die Schuld) aus der vorausgesetzten Tat ersichtlich, in Nr. 4 heißt es ausdrücklich "sich schuldig gemacht". Die Verschuldensfähigkeit21 ist auch hier nach §§ 827, 828 BGB zu bestimmen22, und zwar aus systematischen Gründen und im Interesse einheitlicher Regelung auch in den Fällen der Nr. 4. Die strafrechtlichen Entschuldigungsgründe schließlich sind in allen Fällen anwendbar, denn auch hier ist die Rechtsfolge wesensmäßig an die volle persönliche Vorwerfbarkeit der Tat geknüpft2s.
b) Die Beweislast Eine gesetzliche Regelung der Beweislast für die Erbunwürdigkeit ist im BGB nicht enthalten. Doch kann man aus dem Fehlen einer dem § 2336 III BGB gleichen Vorschrift nichts entnehmen, da ja auch jene Bestimmung nur die allgemein geltende Reglelung wiederholen sollte24 • Für eine Übernahme der strafrechtlichen Beweislastregel•ung im Falle der Nr. 4 spricht sich Rosenberg25 aus. Über die Frage, ob die Beweislast für Rechtfertigungsgründe, Entschuldigungsgründe und Unzurechnungsfähigkeit wie im zivilen Deliktsrecht (zuungunsten des Täters) oder wie im Strafrecht (zugunsten des Angeklagten, hit!r des Erben) zu regeln ist, muß auch hier der Vergleich der Rechtsfolge der Erbunwürdigkeit mit der Strafe entsche~den. Schon daraus folgt, daß Frage und Antwort gleichermaßen für alle Fälle des § 2339 gelten müssen. Der Strafcharakter der Erbunwü~digkeit ist im Schrifttum bestrit· ten26 . Das beruht auf einer gew~sen Unklarheit über den Grund der 2o Das Erfordernis der Widerrechtlichkeit wird angesprochen bei PlanckGreiff, BGB, § 2339, 2 a; Lange, Erbrecht, § 6 II 1 (S. 57). 21 Für Notwendigkeit der Zurechnungsfähigkeit auch Planck-Greiff, BGB, § 2339, 2 a (a. E.).
22 Ebenso Lange, a. a. 0., S. 57 N. 6. 23 Für Anwendbarkeit des §54 StGB Bartholomeyczik, Erbrecht, § 5 II 3 a (S. 28); Lange, a. a. 0 ., § 6 I 2 (S. 57) verlangt z. B. das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. 24 s. oben bei N. 14. 25 Beweislast, S. 35. 2t Für Strafcharakter Kipp-Coing, Erbrecht, § 85 II (S. 372); zust. LG Ravensburg, NJW 1955, 795 (796); Lange, Erbrecht, § 6 I 2 (S. 57); Geb, Diss., S. 12 (für Nr. 4).- Dagegen Strohal, Erbrecht, 1. Bd., S. 544 (für Nr. 3 und 4); Planck·Greiff, BGB, § 2339, 2 d (für Nr. 4); Bartholomeyczik, NJW 1955, 795 f. (Strafcharakter jedoch bei Nr. 1}; zweifelnd Staudinger-Ferid, BGB, § 2339 Rdz. 4 u. vor § 2339 Rdz. 15. - Bartholomeyczik (a. a. 0., 795) sagt mit Recht, daß die gegenwärtige Privatrechtsdogmatik den Begriff einer zivilen Strafe nicht kenne. Hier geht es nur darum, ob die Erbunwürdigkeit in den entscheidenden Punkten mit der Strafe vergleichbar ist.
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IV. Pflichtteilsentziehung und Erbunwürdigkeit
Erbunwürdigkeit. Es handelt sich hier nicht nur um Verfehlungen gegen die Person des Erb1assers, sondern auch um Angriffe auf seine Testierfreiheit und auf seinen bereits niedergelegten Willen. Deshalb wurde in der Begründung zu § 2045 E !27 und bei der Beratung darüber28 der Gedanke der Strafe zurückgestellt. Den Gr·und der Erbunwürdigkeit sah man schließlich in der bewirktenUngewißheit über den Willen des Erblassers. Gleichzeitig wurde aber die Erbunwürdigkeit als Ergänzung der Pflichtteilsentziehung für jene Fälle verstanden, in denen eine Berücksichtigung durch den Erblasser nicht mehr erfolgen konnte oder das öffentliche Interesse eine Berücksichtigung verlangt29 • Der Grund der Erbunwürdigkeit ist nach der geltenden Regelung nicht in allen Fällen eine strafbare Handlung, aber doch stets eine negativ zu bewertende Tat. Für den Zweck dieser Untersuchung nun geht es gar nicht primär um die Tatbestandsseite, sondern um die Bewertung der Rechtsfolge. Hier aber ist dasselbe festzustellen wie bei der Pfiichtteilsentziehung. Zweck der Erbunwürdigkeit ist es nämlich nicht, dem wahren Willen des Erblassers zum Durchbruch zu verhelfen. Zwar ist man zunächst versucht, dies§ 2339 II BGB zu entnehmen und zu sagen, hier eben die Rechtsfolge - Durchsetzung des Willens - illusorisch geworden, weil der Wille gar nicht mehr verfälscht werde. Aber die Erbunwürdigkeit ist ganz aUgemein nicht in der Lage, dem wahren Willen zum Ziel zu verhelfen. Das ergibt ihre gesetzliche Ausgestaltung. Erfolg der Erbunwü11digkeit •ist ja nur, daß der Täter nicht erbt. Dagegen führt sie nicht zu einer positiven Erbenstellung in bestimmter, auf den Willen des Erblassers bezogener Richtung. Und auch, daß der Täter nicht erbt, muß keineswegs dem Willen des Erblassers entsprechen. Die genauere Betrachtung zeigt: In Ziff. 4 ist nicht vorausgesetzt, daß die Erbenstellung des Täters vom Inhalt der angegriffenen oder gefälschten Urkunde überhaupt betroffen wird - beruhen kann sie auf den Handlungen der §§ 267-274 StGB ohnehin nicht. In Ziff. 3 muß die errichtete Verfügung nicht zugunsten des Erbunwürdigen, die aufgehobene nicht zu seinen Un.gunsten lauten. Es kann sich in beiden Fällen etwa um die Auswechslung eines Miterben handeln. In Ziff. 2 ist ebenfalls nicht vorausgesetzt, daß der Erblasser den Erbunwürdigen enterben wollte. Und in Ziff. 1 ist überhaupt kein Bezug auf einen bestimmten Erblasserwillen vorhanden. - § 2339 II BGB schließt
sei
27 Vgl. Motive, Bd. V, S. 517 (allerdings unklar); als Grund der Erbunwürdigkeit wird die Hinderung des Gebrauchs der Testierfähigkeit bezeichnet; S. 519 ist bezüglich Nr. 4 von einem gewissen strafenden Moment die Rede. 28 Vgl. Protokolle bei Mugdan Bd. V, S. 817 (bei Behandlung eines Antrags wird gesagt, man habe es stets möglichst vermieden, Privatstrafen eintreten zu lassen). 29 Vgl. Protokolle. a. a. 0 .. S . 817 u .. 818.
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§ 11 Verweisungen des BGB auf das Strafrecht
demnach die Rechtsfolge (Erbunwürdigkeit) nicht deshalb aus, weil ihr Ziel hinfällig geworden wäre, sondern weil die Verfehlung des Täters sich inzwischen als bedeutungslos und damit als objektiv nicht sanktionswürdig erwiesen hat. Sinn der Vorschrift kann es nach alledem nur sein, dafür zu sorgen, daß jedenfalls derjenige, der eine der genannten Verfehlungen gegen den Erblasser, geg.en seine Testierfrei!heit, gegen die von ihm errichteten Verfügungen begangen hat, selbst nicht Erbe wird - gleich, wer es sonst wird und ob diese Regelung dem Willen des Erblassers entspricht. Dem Erbunwü11digen wird das Erbrecht entzogen, weil er es nicht verdient, nicht um es bestimmten anderen Personen zuzuwenden. Damit aber steht auch hier die gezielte Zufügung eines Übels im Vordergrund, nicht der Ausgleich in der Güterordnung unter primärer Einbeziehung der Interessen anderer. Auch die Erbunwürdigkeit ist insoweit einer Strafe vergleichbar. Schließlich bringt die Rechtsfolge der Erbunwürdigkeit auch eine erhebliche sittliche Mißbilligung zum Ausdruck 30, sowohl nach dem WorHaut (,.unwü11dig") wie nach der Eigenart der Rechtsfolge auf Grund besonders unwertiger Taten. Dies gilt sogar in höherem Maße als bei der Pflichtteilsentziehung, weil ja die Erbunwürdigkeit stets durch Gerichtsurteil nach Anfechtungsklage a·u sgesprochen werden muß. Auch der Entscheidungstenor ist nicht auf eine farblose Rechtsfolge gerichtet, sondern lautet dahin, daß der Erbe für erbunwürdig erklärt wird (§ 2342 I S. 1 BGB). Ist demnach die Erbunwü11digkeit in ihrer Schwere in den entscheidenden Gesichtspunkten einer Strafe vergleichbar, so erscheint es richtig, hier die Beweislast wie im Strafrecht durchgehend zugunsten des betroffenen Erben zu regeln. Die Klage auf Erbunwürdigkeitserklä.,. rung ist demnach abzuweisen, wenn Rechtfertigung, Entschuldigung oder Unzurechnungsfähigkeit bei einer der in § 2339 Nr. 1-4 BGB bezeichneten Handlungen offen bleiben. Die Meinung Rosenbergs findet man also bestätigt, nur daß dieselbe Beweislastregelung den gesamten § 2339 erfassen muß, nicht nur die in Nr. 4 anwendbaren strafrechtlichen Normen. Die Verweisung dient damit weniger als Brücke, denn als Hinweis für die Übernahme der strafrechtlichen Beweislastregel.
30
Ebenso Lange, Erbrecht, § 6 I 2
(S. 57) .
§ 12 Die Geltung der Grundbuchvermutung bei Anknüpfung des Verwaltungsrechts an das Grundstückseigentum I. Beispiele Eine der wichtigsten Verzahnungen zwischen dem öffentlichen Recht und dem bürgerlichen Recht wird über den Begriff des Eig·e ntums hergestellt. Vor allem den Eigentümer eines Grundstücks kann eine Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Pflichten treffen. Aber auch manche subjektiven öffentlichen Rechte sind an die Voraussetzung des Grundstückseigentums geknüpft. Wer Eigentümer ist, muß nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts beantwortet werden. In den genannten Fällen liegt daher eine Verweisung des öffentlichen Rechts, insbesondere des Verwaltungsrechts, auf diese Normen vor. Sie kann entweder dadurch hergestellt werden, daß im Tatbestand der öf.f entlichrechtlichen Norm ausdrücklich das Grundstückseigentum (bzw. der Grundstückseigentümer) angesprochen wird, oder aber durch die Wahl eines sonstigen Tatbestandsmerkmals, das (auch) vom Grundstückseigentum erfüllt wird. Als Beispiele möglich·e r verwaltungsrechtlicher Pflichten des Grundstückseigentümers seien genanntl: die Pflicht zur Zahlung von Erschließungsbeiträgen (§ 134 I BBauG), zur Zahlung von Beiträgen für gemeindliche Einrd.chtungen (Art. 9 I GAG), zur Reinhaltung von Straßen, Abfuhr von Schnee, Schrott usw. (Art. 13 II, I Nr. 1 u. 2 LStVG), zum Schneeräumen oder Streuen auf Gehsteigen, z.u Sicherheitsvorkehrungen an Gebäuden und bei der Einfriedung von Grundstücken (Art. 37 I LStVG), zur Unterhaltung von Gewässern (§ 29 I WHG), zur Zahlung von Beiträgen an Wasserverbände (§ 78 I mit § 3 Nr.1 Erste Wasserverbandsverordnung), zur Freihaltung des Uferstreifens und Beseitigung von Hindernissen (Art. 64 BayWG), zur Unterhaltung von Stooßen (Art. 55, 57 StrWG), zur Erfüllung polizeilicher Anordnungen (Art. 10 II PAG), zur Herstellung und Unterhaltung von Gemeinschaftsanlagen (Art. 69 I BayBO) bzw. zum Ersatz von Aufwendungen für diese (Art. 70 III BayBO), ferner zahlreiche Duldungspfl.ichten (z. B. nach §§ 23 S. 2 WBewG, 151 I BBauG, 11 I, II, 19 IV FStrG, 19 II Nr. 2 WHG, 2 I Nr. 8 mit 9 Nr. 2 BLG, 15 II NaturschutzG, Art. 29, 40 VII StrWG, 63 II, 71, 73 II BayWG). 1 Soweit landesrechtliche Vorschriften aufgeführt werden, handelt es sich um das bayerische Recht.
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§ 12 Geltung der Grundbuchvermutung im Verwaltungsrecht
Als subjektive öffentliche Rechte des Grundstückseigentümers sind Beteiligungsrechte in verschiedenen Verwaltungsverfahren anzuführen: z. B. im Baugenehmig·ungsverfahren (Art. 89 BayBO - Beteiligung des Nachbarn), im Umlegungsverfahren (§ 48 I Nr. 1 BBauG), im Flurbereinigungsverf,ahren (§ 10 Nr. 1 FlurBG), im Enteignungsverfahren {z. B. nach § 107 I Nr. 2 BBauG). Über § 42 II VwGO ergibt sich das Recht des Grundstückseigentümers zur Anfechtung enteignender oder eigentumsbeschränkender Verwaltungsakte. Bedeutsam ist auch das Recht des Nachbarn zur Anfechtung .der Baugenehmigung2 • Soweit auf Grund einer Enteignung oder einer Eigentumsverletzung Entschädigung·sansprüche gegeben sind, stehen diese grundsätzlich dem Grundstückseigentümer zu (vgl. nur § 94 I BBauG). Dem entetgneten früheren Eigentümer kann ein Anspruch auf Rückenteignung erwachsen{§ 102 I BBauG). Im Flurbereinigungsverfahren steht den beteiligten Grundstückseigentümern der Anspruch auf Landentschädigung zu (§§ 44 m. 10 Nr. 1 FlurBG). Die Eigentümer von Grundstücken, die an ein Gewässer angrenzen, können das Recht zum Anliegergebrauch haben (§ 24 WHG, Art. 24 BayWG). In allen diesen Fällen kann es vor Verwaltungsbehörde und Verwaltungsgerichts zweifelhaft sein, wer Eigentümer des Grundstücks ist. Nach § 891 I BGB wird vermutet, daß das Eigentum dem Eingetragenen zusteht. Ob diese Vermutung auch iim Verwaltungsrecht gilt, soll im folgenden untersucht werden. Soweit diese Fmge in der Literatur angeschnitten wird, findet man sie zumeist bejaht, ohne daß freilich eine genauere Begründung gegeben würde4 • Daraus, daß das Verwaltungsrecht auf das materielle bü:rgerliche Recht i. e. S. verweist5, folgt die Geltung der Grundbuchvermutung nach der hier vertretenen Auffassung noch nicht. Daß freilich rein pTaktisch gesehen das Grundbuch auch für die Behörden das geeignete Mittel ist, um den Eigentümer zu finden, liegt auf der Hand. Aber auch 2 Zu den Voraussetzungen vgl. Mang-Simon, Bayerische Bauordnung, Art. 89 Rdz. 17, Art. 91 Rdz. 50. s Bzw. vor den ordentlichen Gerichten, soweit diese trotz der öffentlichrechtlichen Natur des Streits zuständig sind, wie z. B. bei Entschädigungsansprüchen aus Enteignung (Art. 14 III 4 GG). 4 Rosenberg, Beweislast, S. 242; ders. Kommentar z. Sachenrecht,§ 8911114 d (S. 393); Baur, Sachenrecht, § 10 IV (S. 74); Staudinger-Seufert, BGB, § 891 Rdz. 39; Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege, 2. Bd., S. 862; ders. Der allgemeine Teil, S. 284 N. 5 (allg. für Geltung der bürgerlich-rechtlichen Vermutungen im Verwaltungsrechtsstreit); Deppe, Diss., S. 88. Vgl. auch WolffRaiser, Sachenrecht, § 44 II (S. 140); Westermann, Sachenrecht, § 72 IV 1 (S. 352); Soergel-Siebert (Baur), BGB, § 891 Rdz. 2. - Die Beschränkung der bürgerl.-rechtl. Vermutungen auf den Zivilprozeß vertrat insbes. Hedemann, Vermutung, S. 197. s Diese Begründung steht hinter der Auffassung von Rosenberg, Beweislast, S. 242 und Baur, Sachenrecht, § 10 IV (S. 74).
II. Notwendigkeit von Beweislastnormen im Verwaltungsprozeß
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dieser Beobachtung gegenüber bleibt die Frage, ob es sich dabei um eine echte Geltung der Grundbuchvermutung handelt.
II. Die Notwendigkeit von Beweislastnormen im Verwaltungsprozeß Die Grundbuchvermutung ist als Rechtsvermutung eine voraussetzungsgebundene Behauptungs- und BeweislastregeL Ihre Geltung als Beweislastregel6 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren7 setzt zunächst voraus, daß auch hier das Problem der Beweislast existiert, daß also Beweislastnormen notwendig sind. Im Verwaltungsprozeß gilt die Untersuchungsmaxime (§ 86 I VwGO). Da man früher die Beweislast in engem Zusammenhang mit dem Verhandlungsgrundsatz sah, fand sich wiederholt die Meinung, im Verwaltungsprozeß könne es keine Beweislast geben8• Heute ist jedoch mit Recht fast allgemein anerkannt, daß bei Geltung der Untersuchungsmaxime nur die subjektive Beweislast (Beweisführungslast) entfällt, während das Problem der objektiven oder materiellen Beweislast auch im Verwaltungsprozeß besteht9. Auch hier muß trotz des non liquet über eine rechtserhebliche Tatsache entschieden werden. Den Inhalt der Entscheidung müssen die Beweislastregeln bestimmen. Geht es um eine Verpflichtung oder ein Recht des Grundstückseigentümers, so kann trotz Erhebung aller in Frage kommenden Beweise ungeklärt bleiben, ob der in Anspruch Genommene bzw. der Rechtsprätendent wirklich Eigentümer ist. Dann ergibt sich - ebenso wie im Zivilprozeß - die Frage, wie die Beweislast für die Voraussetzungen des Eigentums geregelt ist. Insoweit ist für die Anwendung der Grundbuchvermutung durchaus Raum. Zur Frage der Geltung als Behauptungslastregel s. unten VI. Zum Verwaltungsverfahren s. unten VII. s So z. B. Schultzenstein, JW 1917, 435. u Rosenberg, Beweislast, S. 28 ff., 41 N. 5; Friedrichs, Verwaltungsrechtspflege, 2. Bd., S. 852; Ule, DVBl. 1954, 146; ders. Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 86 III 1 (S. 301); Eyermann-Fröhler, VwGO, § 86, I 4 a (Rdz. 5); Koehler, VwGO, § 86 A V (S. 649); Schunck-de Clerck, VwGO, § 86, 1 b, ee, 1 u. 2; Redeker-v. Oertzen, VwGO, § 108, Rdz. 11; Kniesch, MDR 1954, 452 ff.; Gellrich, JR 1955, 175; Bachof, JZ 1957, 377; Hoffmann, DVBL 1957, 604; Dahlinger, NJW 1957, 7; Ruckriegel, DOV 1958, 532; de Clerck, JZ 1960, 13 f.; Baur, Sachenrecht, § 10 IV 1 (S. 74); BVerwG 3, 245; 5, 31 (34); DVBL 1956, 337; Deppe, Diss., S. 8 u. 11 ff.; Schwindel, Diss., S. 205; Auer, Diss., S. 8, 47 f. Gegen eine Geltung der Beweislast bzw. der Beweislastverteilung in Verfahren mit Inquisitionsmaxime neuerdings wieder Lepa, Diss., S. 15 f. Seine Ausführungen sind aber weder klar noch überzeugend. - Soweit sonst das Bestehen der Beweislast im Verwaltungsprozeß geleugnet wird, handelt es sich der Sache nach nur um eine Verneinung der subj. Beweislast (so bei Arndt, JZ 1960, 274 u. wohl auch bei Obermayer, Grundzüge, S. 144) oder um einen Angriff gegen die Terminologie (so bei Staab, BayVBl. 1959, 83 f.). Aber auch Einwände gegen die übernahme des Wortes "Beweislast" sind nicht gerechtfertigt. Das praktische Schwergewicht liegt schon im Zivilprozeß auf der objektiven Beweislast, und diese Frage besteht im Verwaltungsprozeß ebenso. 6 7
13
Loipold
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§
12 Geltung der Grundbudlvermutung im Verwaltungsrecht 111. Die primäre Beweislast der Verwaltung11 bei öflentlich-rechtlichen Pftichten des Bürgers
Die möglichen öffentlich-rechtlichen Pflichten11 des Grundstückseigentümers laufen- soweit es sich nicht um bloße Duldungspflichten handelt- meist auf positive Vermögensleistungen hinaus. Hier ist es nicht nur theoretisch, sondern a·uch praktisch mög1ich, daß sich der in Anspruch Genommene mit der Behauptung verteidigt, er sei zwar (noch) im Grundbuch eingetragen, aber in Wahrheit nicht Eigentümer des Grundstücks. Wenn er selbst nicht auf sein Eigentum vertraut, wird er nicht geneigt sein, die öffentlich-rechtliche Pflicht zu erfüllen, zum~l diese erheblichen Umfang haben kann. Das Verfahren wird regelmäßig durch einen belastenden Verwaltungsakt eröffnet, so z. B. im Falle eines Erschließungsbeitrags durch den Beitragsbescheid der Gemeinde {§ 134 I BBauG). Nun sei angenommen, der Belastete habe dagegen erfolglos Widerspruch eingelegt und dann Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erhoben 12 • Bleibt nun nach der Beweiserhebung offen, ob der Anfechtungskläger wirklich Eigentümer ist, so muß nach der geltenden Beweislastregel entschieden werden. Eine Wirkung der Grundbuchvermutung - hier zu Lasten des Eingetragenen- kommt dabei nur in Frage, wenn nach der allgemeinen Beweislastregel die öffentlich-rechtliche Körperschaft ~die Gemeinde) die Beweislast für die Voraussetzungen des Eigentums tragen würde. So muß zunächst die grundsätzliche Beweislastregel klargestellt werden. Da eine gesetzliche Regelung der Beweislast für den Verwaltungsprozeß fehlt, liegt es nahe, die für den Zivil- und Strafprozeß geltenden Erwägungen heranzuziehen. Als das entscheidende methodische Prinzip zur Gewinnung der Beweislastgrundregel wurde die Abwägung der drohenden Fehlurteile herausgestellt13• Wendet man diesen Gedankengang auch auf den Verwaltungsprozeß an, so steht die Gefahr, daß ein in W~hrheit Verpflichteter seiner Verpflichtung entgeht, dem Risiko gegenüber, daß jemand von einer öffentHch-rechtlichen Verpflichtung getroffen wird, obwohl die Voraussetzungen in Wirklichkeit nicht gegeben sind. Die öffentlich-rechtliche Verpflichtung bedeutet eine Einschränkung der rechtlichen Freiheit des Bürgers. Dieser Freiheit ist hier - wie im Zivil- und Strafprozeß - der Vorzug zu 1o Genauer wird man von einer Beweislast der öffentlich~rechtlichen Körperschaft sprechen, soweit diese Partei ist, oder von einer Beweislast der Behörde, soweit die Klage gegen diese zu richten ist. 11 Zur Geltung der Grundbuchvermutung bei subjektiven öffentlichen Rechtens. unten V. 12 Im Falle des Erschließungsbeitrages ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben, vgl. Heitzer-Oestreicher, BBauG, § 135, 1 a. 1a Vgl. oben S. 49 und S . 132 f .
III. Primäre Beweislast der Verwaltung bei Pflichten des Bürgers 195
geben. Der Vorrang der Freiheit ist für das Verhältnis Staat-Bürger im Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 I GG) und im Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 III GG) schon in der Verfassung festgelegt. Diese Bestimmungen sind zwar rein materiell-rechtlich geprägt. Aber die dahinterstehende Wertung zugunsten der Freiheit muß auch für die Beweislastfrage entsche~dend sein. Grundsätzlich trifft also den Staat die Beweislast für die Voraussetzungen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung und damit für die Rechtmäßigkeit des belastenden Verwaltungsaktes. Das entspricht auch der heute herrschenden Meinung 14• In der Literatur ist dabei schon verschiedentlich herausgestellt worden, daß diese Beweislastregelung auf den Vorrang der Freiheit wrückzuführen ist15• Diese Wertung, den Grundsatz "in dubio pro libertate" 18, kann man als die gemeinsame Grundlage der primären Beweislast in Zivil-, Straf- \lnd Verwaltungsprozeß bezeichnen. Soweit dies mit dem Begriff der "Freiheitsvermutung"17 gekennzeichnet wird, ist dagegen nichts einzuwenden. Verfehlt ist es dagegen, wenn man davon ausgeht, der normativen Freiheitsvermutung, also der Beweislastregel z.u gunsten der Freiheit, stehe auch eine tatsächliche Vermutung zur Seite. Nach dieser Auffassung soll eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit (in diesem Sinne eine Tatsachenvermutung 18) dafür bestehen, daß der Mensch sich rechtmäßig verhalte, daß .also die Voraussetzungen einer Freiheitseinschränkung (im weitesten Sinn), gegen die sich der Betroffene wendet, tatsächlich nicht gegeben seien. Aber für eine statistische Wahrscheinlichkeit dieser Art besteht jedenfalls im Verwaltungsrecht kein Anhalt. Mit ebensoviel Recht könnte man sagen, daß eine tatsächliche Vermutung für rechtmäßiges Verhalten der Behörde bestehe. Eine lebensmäßige Wahrscheinlichkeit ist daher nicht als Grundlage der Beweislastregel anzuerkennen 19• u Tietgen, DVBl. 1956, 685; ders. DVBl. 1957, 87; Dahlinger, NJW 1957, 7 f.; Hoffmann, DVB1.1957, 606; Ruckriegel, DOV 1958, 535; Rupp, AöR 85, 319; Schneider, Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. li, S. 276; de Clerck, JZ 1960, 14; Lüke, JuS 1961, 44 f.; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 86 III 3 a (S. 302 f.); ders. Verwaltungsprozeßrecht, S.163; Eyermann-Fröhler, VwGO, § 86 I 4 a, aa (Rdz. 6); Schunck-de Clerck, VwGO, § 86, 1 b, ee, 2; Klinger, VwGO, § 86 A 1 (S. 425); Redeker-v. Oertzen, VwGO, § 108 Rdz. 13; Wacke, Beweislast der Familienunternehmen, S. 3 ff.; OVG Münster DVBI. 1955, 672 u. 1958, 65; Deppe, Diss., S. 68 ff.; Schwindel, Diss., S. 217; Auer, Diss., S. 80. ts Tietgen, DVBl. 1957, 87; Schneider, a. a. 0 ., S . 275 ff.; Hannover, DVBL 1960, 381 f.; Rupp, AöR 85, 318 f.; Auer, Diss., S. 72 f., 80. 16 Vgl. dazu die genannte Abhandlung Schneiders mit diesem Titel. 17 Vgl. Schneider, a. a. 0., insbes. S. 264, 275. 18 Schneider, a. a. 0., S. 268 ff. Diese Ausführungen sind in erster Linie im Hinblick auf den Strafprozeß geschrieben, sind aber allgemein gedacht. 19 Vgl. Auer, Diss., S. 63, 65. 13"
§ 12 Geltung der Grundbuchvermutung im Verwaltungsrecht
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Immer wieder werden auch die angeblichen Vermutungen für die Gültigkeit und Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte in Zusammenhang mit dem Beweislastproblem angesprochen. Mit der Gültigkeitsvermutung soll gesagt werden, daß die rechtliche Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsaktes in der Regel nicht die Nichtigkeit, sondern die Anfechtbarkeit nach sich zieht20 • Dabei handelt es sich um eine Wiedergabe von rein materiell-rechtlich gedachten Rechtsfolgen. Mit einer Beweislastregel oder einer echten Vermutung hat dies nichts zu tun, so daß der Ausdruck Vermutung besser vermieden würde21 • Bestünde dagegen eine echte (normative) Rechtmäßigkeitsvermutung, so würde dies zur Folge haben, daß die Beweislast denjenigen trifft, der die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestreitet. Aber ein Rechtssatz diesen Inhalts ist weder gesetzlich festgelegt noch gewohnheitsrechtlich anerkannt22• Es lassen sich auch keine sachlichen Gründe finden, die ihn gegenüber der GrWldregel für die Freiheit des Bürgers stützen würden. Vom BVerwG23 wurde zunächst24 die entgegengesetzte Auffassung über die pr·imäre Beweisl·ast 'Vertr.eten. Danach sollte den Anfechtungskläger die Beweislast für die VoraUJSsetzungen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes treffen. Die Entscheidung des BVerwG wurde von Bettermann25 wrteidigt. Dieser ging davon aus, der Anfechtungskläger mache ein materielles Recht auf Aufhebung des Verwaltungsaktes (damals aus § 23 I S. 1 MRVO Nr. 165) geltend26 • Daher müsse er 2o
Vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht, Allg. Teil, § 12, 1 (S. 206); BVerwG 1,
67 (69).
2t Bachof, JZ 1957, 437; Reißmüller, JZ 1959, 646; H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I, §50 I a (S. 288); BayObLG JZ 1965, 447. 22 Gegen eine Rechtmäßigkeitsvermutung z. B. Bettennann, Gedächtnisschrift f. W. Jellinek, S. 379; Jesch, Die Bindung des Zivilrichters an Verwaltungsakte, S. 54 ff.; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 86 III 3 a (S. 303). Schneider, a. a. 0., S. 275 ff. lehnt die Rechtmäßigkeitsvennutung dagegen nicht ab, will ihr aber keine Wirkung gegenüber der Freiheitsvermutung zugestehen. Der Sache nach meint er mehr die Gültigkeitsvermutung (s. S. 276
N. 44 a.A.).
23 BVerwG 3, 245 (246). Zustimmend anscheinend v. Turegg-Kraus, Verwaltungsrecht, S. 399 u.- Ablehnend die h. M. (s. oben N. 14). Dieselbe Auffassung wie das BVerwG vertrat früher- unter teilweiser Billigung in der Literatur- das PrOVG für die Anfechtung polizeilicher Verfügungen (Nachweise bei Schultzenstein, JW 1917, 258 N. 6-9, der sich selbst gegen diesen Standpunkt wendet, S. 327 f., 433 ff.). 24 In BVerwG 3, 267 (273) wurde der Grundsatz beibehalten, aber im gegebenen Fall davon abgewichen. In DVBI. 1960, 489 ging das BVerwG dann - ohne nähere Begründung - davon aus, die Behauptungs- und Feststellungslast für die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit treffe die Behörde. Auch ,die Entscheidung BVerwG 10, 270 läßt diese Meinung erkennen. Das Berufungsgericht war ersichtlich von der primären Beweislast der Behörde ausgegangen (S. 272 f.); es wird insoweit vom BVerwG nicht gerügt. 25 DVBl. 1957, 84 f. 26 a. a. 0., S. 85.
III. Primäre Beweislast der Verwaltung bei Pflichten des Bürgers 197 die Voraussetzung~m di~ses Rechts, nämlich die Tatsachen, aus denen sich die R~chtsbeeinträchtigung und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erg~be, beweisen. Ob die von Bettermann zugrunde gelegte Auffassung über die materiell-rechtliche Konstruktion und über den Streitgegenstand der Anfoechtungsklage27 richtig ist, braucht hier nicht untersucht zu werden. Denn aus der rein materiell-rechtlichen Beziehung folgt die Beweislastregel nach der hier vertretenen Ansicht nicht und ebensowenig aus dem Verständnis des Streitgegenstandes28• Auch wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes materielle Voraussetzung eines Rechts des Anfechtungsklägers ist, kann die Beweislast für das Nichtvorliegen der Rechtswidrigkeit und damit für die Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit die Behörde treffen29• Entscheidend muß sein, auf welche Rechtsfolge es für die vorzunehmende Abwägung der drohenden FehlurteHe ankommt. Die Übertragung der zivilrechtliehen Grundregel auf die Geltendmachung eines Rechts auf Aufhebung des Verwaltungsaktes führt zu einem Schutz der rechtlichen Freiheit des Staates. Dabei wird aber außer Acht gelassen, daß die sachlich entsch,eidende Freiheitsbeschränkung nicht vom Anfechtungskläger, sondern von der Behörde geltend gemacht wird. Diese befindet sich in jener Angreiferstellung30, auf die es für die Beweislastgrundregel ankommt. Daß der Anfechtungskläger eine Rechtsfolge, die Aufhebung des Verwaltungsaktes, erstrebt, hat insoweit nur formale Bedeutung. Der Grund dafür ist, daß der Verwaltungsakttrotz Fehlerhaftigkeit in der Regel gültig, rechtsverbindlich ist. Dies ist Alusfluß der Hoheitsgewalt der Behörde31 • Wenn man diesem Übergewicht auch Bedeutung für die Beweislast zusprechen würde, so wäre dies eine Mißachtung der vorrangigen Freiheit des Bürgers. Auch ein Schutz des rechtlichen Besitzstandes der Behörde kommt trotz der Gültigkeit des Verwaltungsaktes nicht in Betracht. Denn ein gegenüber der Freiheit des Betroffenen schutzwürdiger Besitzstand ist nicht gegeben: Mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes ist erst ein Durchgangsstadium erreicht; seine Erfüllung oder Zwangsdurchsetzung muß regelmäßig noch erfolgen. Die entsche~dende Freiheitsbeschränkung ist also noch nicht abgeschlossen, sondern erst eingeleitet. Der Verwaltungsakt liegt eben - jedenfalls soweit das für die Beweislastgrundregel relevant ist nicht auf der rein materiell-rechtlichen Ebene, sondern enthält bereits 27 Vgl. dazu Bettermann DVBl. 1953, S. 163 ff. (insbes. 165, 167). Auf den Zusammenhang mit der Auffassung vom Streitgegenstand hat schon Ruckriegel, DÖV 1958, 534 hingewiesen. 28 Vgl. Rupp, AöR 85, 318. 29 Vgl. Ruck:riegel, DÖV 1958, 534, der darauf hinweist, daß auch aus der Parallele zur zivilrechtliehen Unterlassungsklage nicht die Beweislast des Anfechtungsklägers folgt. ao Vgl. Schultzenstein, JW 1917, 434; Lüke, JuS 1961, 45. 31 Vgl. Dahlinger, NJW 1957, 8.
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§ 12 Geltung der Grundbuchvermutung im Verwaltungsrecht
einen Ausspruch, eine Entscheidung über die materiell-rechtliche Rechtsfolge 82 • Für die BeweisLastgrundregel aber ist der Blick auf das materielle Sollen, hier also auf die angestrebte Verpflichtung des Bürgers, maßgebend. IV. Möglichkeit einer Beweislastverteilung und Geltung der Grundbuchvermutung zugunsten der Verwaltung
Eine Anwendung der Grundbuchvermutung zugunsten des Staates und zu Lasten des von der Verwaltung in Anspruch Genommenen kann nur dann in Betl'B.cht kommen, wenn die eben bejahte primäre Beweislast des Staates für die Voraussetzungen der Verpflichtung überhaupt Abweichungen, also eine Verteilung der Beweislast zuläßt. Di!e BeweisLastgrundregel für die rechtsfolgebegründenden Tatsachen stimmt in Zivil- und Stl'afprozeß überein. Eine Beweislast des Anspruchsgegners ist im Zivilprozeß aner-kannt, nämlich allgernein bezüglich der rechtsvernichtenden Tatsachen, ferner auf Grund zahlr·eicher besonderer Beweislastregeln. Im StrafpTozeß dagegen besteht grundsätzlich keine Ausnahme von der Regel "in dubio pro reo". Der Grund für diese Besonderheit des Strafverfahrens liegt in der Eigenart der Strafe als Rechtsfolge33• Fragt man nun, ob die Beweislast im Verwaltungsprozeß stets die Verwaltung treffen muß wie im Strafprozeß (fast) ausnahmslos die Anklagebehörde, oder ob eine Verteilung wie im Zivilprozeß möglich ist, so sind die verwaltungsrechtlichen Rechtsfolgen näher zu betrachten. Diese aber haben mit den charakteristischen Komponenten der Strafe nichts gemein. Weder ist eine öffentlich-rechtliche Belastung Ausdruck sittlicher Mißbilligung noch ist sie ein Eingriff, dessen primärer Zweck es ist, empfindliche Nachteile zuzufügen. Die verwaltungsrechtlichen Pflichten stehen vielmehr zivilrechtlichen Rechtsfolg·en nahe. Die Pflichten zur Zahlung von Beiträgen, zur Vornahme oder Duldung von Handlungen 34 sind nur in ihrem Entstehungsgrund, nicht in ihrem Inhalt von ähnlichen zivilrechtliehen Verpflichtungen - etwa auf Grund eines Vertrages - verschieden. Dabei ist ferner zu beachten, daß die verwaltungsrechtlichen Pflichten unmittelbar positiven Zwecken dienen sollen, z. B. die polizeilichen Anordnungen der Verhütung oder Beseititgung von Gefahren, die öffentlich-rechtlichen Beitragspflichten der Erfüllung von Gemeinschaftsaufgaben. Durch die Nichterfüllung der Verpflichtung können konkrete Nachteile für die Rechtsgüter anderer oder der Allgerneinheit entste32 Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 163 und Wacke, Beweislast der F amilienunternehmen, S. 4 f., weisen bezüglich der Beweislast mit Recht auf die Rechtsmittelähnlichkeit der Anfechtungsklage hin. aa s. oben § 10 I 3. 34 Vgl. die oben (I) gebrachte n Beispiele.
IV. Geltung der Grundbuchvermutung zugunsten der Verwaltung 199
hen. Deshalb ist das Interesse an der Durchsetzung der Verpflichtung höher zu bewerten als bei dem zunächst bloß Nachteile zufügenden Eingriff durch eine Strafe. Bei der Abwägung der drohenden Fehlurteile schlägt die Waagschale nicht im selben Maße zugunsten des Betroffenen aus wie im Strafrecht. Eine ähnlich starre Beweislastregel zugunsten des Belasteten wie im Strafrecht wird somit durch die Eigenart der verwaltungsrechtlichen Rechtsfolgen in aller RegeP5 nicht gefordert. Die Möglichkeit einer Verteilung der Beweislast wind denn auch - wenngleich meist ohne nähere Begründung -fast allgemein anerkannt36• Ferner ist es unbestritten, daß auch im Verwaltungsprozeß gesetzliche Vermutungen anwendbar sein können37 • So bleibt nur noch zu fragen, auf welchen sachlichen Gründen die Grundbuchvermutung ruht, und ob diese auch im Verwaltungsprozeß ihre Bedeutung behalten. Das Grundbuch hat die Aufgabe, möglichst die wahre Rechtslage wiederzugeben, um so die Sicherheit des Rechtsverkehrs zu fördern. Das materielle Grundstücksrecht und das formelle Grundbuchrecht sind in BGB bzw. GBO so gestaltet, daß sich eine möglichst hohe Gewähr für die Übereinstimmung der Eintr·a gungen mit der wahren Rechtslage ergibt. Auf dieser Wahrscheinlichkeit jü1· die Richtigkeit des Grundbuchs ruht die Grundbuchvermutung38• Die Vermutung wirkt ihrerseits wieder zurück, da sie einen Ansporn darstellt, das Grundbuch bei Rechtsänderungen außerhalb des Grundbuchs berichtigen zu lassen. Wird im Falle eines non liquet über das Eigentum gemäß der Grundbuchvermutung entschieden, so ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des ergehenden Urteils. Natura~ Im Bußgeldverfahren nach dem OWiG (die Anfechtung des von der Verwaltung erlassenen Bußgeldbescheides erfolgt vor dem Amtsgericht) wird mit Recht der Grundsatz "in dubio pro reo" angewendet; vgl. BVerfG DVBI. 1959, 362 (363 unter 2.); Deppe, Diss., S. 19 N. 3; Rotberg, OWiG, § 12 Rdz. 9 a. E. - Auch sonst können einzelne öffentlich-rechtliche Rechtsfolgen so zu bewerten sein, daß eine teilweise Beweislast des Betroffenen ausscheidet. 36 Eyermann-Fröhler, VwGO, § 86 I 4 a, aa (Rdz. 6); Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 86 III 3 a; ders. Verwaltungsprozeßrecht, S. 161; Schunckde Clerck, VwGO, § 86, 1 b, ee, 2; Redeker-v. Oertzen, VwGO, § 108 Rdz. 1a ; Gellrich, JR 1955, 176; Dahlinger, NJW 1957, 9; Hoffmann, DVBI. 1957, 606; Ruckriegel, DÖV 1958, 535; de Clerck, JZ 1960, 14; Lüke, JuS 1961, 45; Moser, Diss., S. 71; Deppe, Diss., S. 19, 71 f. Dabei werden zumeist die Grundsätze des Zivilrechts für anwendbar erklärt. - A. M. Auer, Diss., S. 49 ff. 37 Vgl. Dahlinger, NJW 1957, 9; Ruckriegel, DÖV 1958, 535 N. 47 ; Tietgen, DVBI. 1956, 685; Ule, DVBL 1959, 543; ders. Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 86 III 5 (S. 305); Schunck-de Clerck, VwGO, § 86, 1 b, ee, 3; § 108, 2 d; Klinger, VwGO, § 86 A 1 (S. 425). Beispiele verwaltungsrechtlicher Tatsachen- und Rechtsvermutungen bringt Deppe, Diss., S. 81 f., 87. as Motive z. BGB, Bd. III, S. 154; Wolff-Raiser, Sachenrecht, § 44 a. A. (S. 139 f.) ; Westermann, Sachenrecht, § 72 I (S. 350); Baur, Sachenrecht, § 4 II 2 (S. 26) ; Staudinger-Seufert, BGB, § 891 Rdz. 1; Lepa, Diss., S. 136 f.
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§ 12 Geltung der Grundbuchvermutung im Verwaltungsrecht
g·emäß gilt dies auch, wenn es um öffentlich-rechtliche Pflichten des Grundstückseigentümers geht. Die Anwendung der Grundbuchvermutung bietet hier ebenfalls eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür, daß entsprech.end der wahren Rechtslage entschieden wird. Die Anwendbarkeit der Grundbuchvermutung wird bestätigt, wenn man den Grund der Anknüpfung öffentlich-rechtlich-er Pflichten an das Grundstückseigentum betrachtet. Maßgebend dafür ist zum einen, daß der Eigentümer die rechtliche Macht hat, über das Grundstück zu verfügen, darauf Maßnahmen vorzunehmen oder zu verbieten, und zum anderen, daß dem Eigentümer die wirtsch·aftlichen Vorteile des Grundstücks und damit auch die Begünstigung durch manche öffentlich-rechtlich.e Einrichtungen (z. B. eine Kanalisation) in erster Linie zugute kommen. Die zivilrechtliche Verfügungsmacht und dioe Möglichkeit der Grundstücksnutzung aber hat dann, wenn sich die wahre Rechtslage nicht ermitteln läßt, p!'aktisch der im Grundbuch Eingetragene. Er würde ja jewei1s im Prozeß siegen, wenn ihm seine Stellung von anderen streitig gemacht würde. Es entspricht somit dem Sinn der Grundbuchvermutung einerseits wie der Anknüpfung andererseits, wenn sie auch im Verwaltungsprozeß zur Anwendung kommt. Bleibt also bei einer Anfechtungsklage offen, ob der belastete Buchberechtigte in Wahrheit Eigentümer ist, so ist in Anwendung des § 891 I BGB so zu entscheiden, als ob er Eigentümer wäre, d. h. die Anfechtungsklage ist als unbegründet abzuweisen. V. Die Geltung der Grundbuchvermutung zugunsten des Bucheigentümers bei subjektiven öffentlichen Rechten Macht der Staatsbüt'lger ein Recht (im weitesten Sinne) gegen den Staat geltend39, so ist er es, der eine Änderung der gegebenen Lage erstrebt, der sich in der Rolle des Angreifers befindet. Mit Recht wird in solchen Fällen -wiederum übereinstimmend mit den zivilrechtliehen Grund-sätzen- von der allgemein-en Meinung die Beweislast primär dem Rechtsprätendenten auferlegt40 • Wenn es also um öffentlich39 Insbesondere durch verwaltungsgerichtliche Verpflichtungs- oder sonstige Leistungsklage. 40 Hoffmann, DVB1.1957, 606; Ruckriegel, DOV 1958, 535 f.; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, § 86 III 3 a (S. 304); ders. Verwaltungsprozeßrecht, S.162 f.; Eyermann-Fröhler, VwGO, § 86 I 4 a, aa (Rdz. 6); Koehler, VwGO, § 86 A V (S. 651 f.); Schunck-de Clerck, VwGO, § 86, 1 b, ee, 2; Redekerv. Oertzen,-VwGO, § 108 Rdz. 13; Klinger, VwGO, § 86 A 1 (S. 426); de Clerck, JZ 1960, 14; Lüke, JuS 1961, 45; BVerwG DOV 1958, 59 f.; OVG Münster, DOV 1957, 91; DVB1.1958, 65 f. Ferner Dahlinger, NJW 1957, 8; Rupp, AöR 85, 319 f.; Schneider, Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. II, S. 278; Deppe, Diss., S. 50; Schwindel, Diss., S. 220; Auer, Diss., S. 80; BVerwG 12, 230 (235); 14, 181 (185 ff.); NJW 1956, 604; DVB1.1956, 577 (579); DVB1.1961, 168; BSG NJW 1958, 39.
VI. Vorläufige Befreiung von der Ermittlungspflicht
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rechtliche R-echte des Grundstückseigentümers geht, so müßte derjenige, der diese Rechte geltend macht, nach der allgemeinen Regel die Voraussetzungen seines Eigentums beweisen. Im Falle des non liquet darüber wäre sein Recht in der Entscheidung zu verneinen. Daß bei Ansprüchen gegen den Staat eine Verteilung der Beweislast, d. h. eine teilweise Beweislast des Staates als Anspruchsgegner, gegeben sein kann, wird einhellig bejaht41 • Diese Auffassung ist zutreffend. Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht aus ähnlichen Erwägungen wie im Zivilrecht auch hier besondere BeweisLastregeln zulässig sein sollten. So ist der Weg für eine Anwendung der Grundbuchvermutung offen. Der sachliche Grund, nämlich die Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Eintragung und damit für die Richtigkeit eines Urteils, das die Buchrechtsl.age zugrunde legt, trif.ft auch hier zu. Wenn also im Streit um öffentlich-rechtliche Rechtsfolgen zweifelhaft bleibt, ob der eingetragene Rechtsprätendent wirklich Eigentümer ist, dann ist auch zu seinen Gunsten so zu entscheiden, als ob er Eigentümer wäre. Das gilt auch, soweit es •um Verfahrensrechte42 geht, etwa um das Recht zur Anfechtung einer Baugenehmigung des Nachbarn, eines enteignenden Verwaltungsaktes, um das Recht auf Beteiligung in einem Verwaltungsverfahren. Die Anwendbarkeit der Grundbuch'Vermutung in solchen Fällen wird durch die positive Bestimmung des § 12 S. 1 FlurBG43 in einem Einzelfall bestätigt. VI. Die vorläufige Befreiung von der Ermittlungspflicht
Im Zivilprozeß wirkt die Grundbuchvermutung nicht bloß als Beweislast- sondern auch als Behauptungslastregel44 • Wer das Eigentum des Eingetragenen geltend macht, breucht nicht darzutun, aus welchen Tatsachen sich dieses herleitet. Eine Behauptungslast der Parteien gibt es im Verwaltungsprozeß insofern nicht, als das Gericht auch von sich aus Tatsachen einführen kann. Deshalb kann man von einer Geltung des § 891 I BGB als Behauptungslastregel nicht sprechen45• Dennoch bleibt auch hier eine gewisse Wirkung übrig. Das Verwaltungsgericht muß versuchen, alle materiell-rechtlich erheblichen Tatsachen festzustellen. Kommt es auf das Eigentum an, so müßte es grundsätzlich sein Erkenntnisbemühen auf die zugrunde liegenden Erwerbstatsachen 41 Nachweise s. vorige N., 1. Absatz. Ferner BVerwG DVBl. 1961, 827; OVG Münster, NJW 1960, 1412; Deppe, Diss., S. 59 ff. 42 Damit soll keine Stellungnahme zur systematischen Einordnung abgegeben werden. 43 § 12 S. 1 FlurBG lautet: "Für die Ermittlung der Beteiligten sind die Eintragungen im Grundbuch maßgebend." 44 Vgl. allgemein zu den Rechtsvermutungen - oben § 7 III 2 a. 45 Vgl. Deppe, Diss., S. 82.
202
§ 12
Geltung der Grundbuchvermutung im Verwaltungsrecht
richten. Wenn aber § 891 I BGB eingreift, dann kann sich das Gericht zunächst mit der Feststellung der Eintragung begnügen. Es wird also insoweit von seiner Ermittlungspflicht befreit. Ergeben sich freilich auf Grund des Vwbi"ingens der Parteien oder auf Grund eigener Erkenntnis des Gerichts Zweifel an der Richtigkeit des Grundbuchs, so müssen von Amts wegen die zugrunde liegenden Tatsachen geprüft werden. VII. Die Geltung der Grundbuchvermutung im Verwaltungsverfahren
Im Zivilrecht kommt den gesetzlichen Vermutungen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens keine technische Bedeutung zu. Im Verwaltungsrecht dagegen ist das Streitverfahren vor den Verwaltungsgerichten nicht das erste Stadium, in dem es zu einer hoheitlichen Rechtsanwendung und Entscheidung kommt. Dies ist vielmehr bereits im Verfahren bei der Verwaltungsbehöi"de der Fall. Schon deren Handlungen, insbesondere die Verwaltungs111kte, erfordern eine Erkenntnis der Rechtslage. Deshalb müssen auch im Verwaltungsverfahren die rechtserheblichen Tatsachen ermittelt werden. Dabei kann es ebenso zu einem unüberwindbaren non liquet kommen wie vor den Gerichten, ja vielleicht noch häufiger, da die rechtlichen Hilfsmittel der Behörden zur Tatsachenfeststellung nach geltendem Recht vielfach begrenzt sind. Soweit auch die Behördetrotz der Unklarheit sachlich entscheiden muß, ergibt sich die Notwendigkeit von Beweislastregeln {zur Bestimmung der objektiven Beweislast) ebenso wie vor den Gerichten 46 • Die Grundbuchvermutung ist dabei aus denselben Erwägungen anwendbar wie im Verwaltungsgerichtsverfahren. Eine Pflicht zur sachlichen Entscheidung ist insbesondere im Antragsverfahren zu bejahen. Aber auch soweit die Behörde auf Grund der Unklarheit einfach untätig bleiben könnte, muß die Grundbuchvermutung zur Anwendung kommen. Dann ergibt sich eben daraus die Berechtigung bzw. die Verpflichtung der Behörde, trotz des non liquet sachlich zu entscheiden. Was im Falle eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als rechtens bestätigt wird, das hat- zurückprojiziert - sinnvollerweise schon im Verwaltungsverfahren zu geschehen. Die Verwaltungsbehörde kann also bei tatsächlicher Unklarheit den als Eigentümer Eingetragenen in Anspruch nehmen, etwa von ihm den Erschließungsbeitrag fordern; sie muß ihn andererseits als Eigentümer anerkennen, etwa seinen Widerspruch gegen eine demNachbarn erteilteBaugenehmigung als zulässig 47 ansehen. 46 Das Bestehen einer objektiven Beweislast im Verwaltungsverfahren wird bejaht be~ Deppe, Diss., S. 111, 113; Schwindel, Diss., S. 3, 217. 4 i Soweit die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind.
§ 13 Zusammenfassung und Würdigung der Ergebnisse des zweiten Teils I. Die Hauptergebnisse 1. Soweit bei der Regelung der Prozeßfähigkeit auf die Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit nach bürgerHellem Recht verwiesen wird, sind auch die Beweislastregeln des bürgerlichen Rechts anzuwenden.
2. Bei Verweisungen des Strafrechts auf das bürgerliche Recht sind die zivilrechtliehen Beweislastregeln und gesetzlichen Vermutungen nicht anwendbar. 3. Dies gilt auch für die Feststellung der Unterhaltspflicht im Rahmen des§ 170 b StGB. 4. Bei Ansprüchen aus § 823 II BGB in Verbindung mit strafrechtlichen Schutzgesetzen ist die Beweislast nach den Regeln des Zivilrechts zu verteilen; die strafrechtliche Grundregel "in dubio pro reo" ist nicht zu übernehmen. 5. Die Beweislastregelung aus § 186 StGB für die Wahrheit der Behauptung ist in das Zivilrecht zu übernehmen, soweit es um Ansprüche aus §§ 823 II, 1004 BGB mit § 186 StGB geht, die auf Unterlassung, Schadensersatz in Geld oder auf eingeschränkten Widerruf gerichtet sind. Dagegen ist die Übernahme ausgeschlossen, wenn ein Anspruch auf uneingeschränkten Widerruf (mit dem Sinn, die Unwahrheit der Behauptung zu erklären) geltend gemacht wird. Soweit § 193 StGB zur Anw~mdung kommt, ist die Beweislast nach zivilrechtliehen Grundsätzen zu beurteilen. 6. Bei Ansprüchen aus § 992 oder § 2025 BGB auf Grund einer Besitzerlangung durch strafbare Handlung ist für eine Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" kein Raum. 7. Dagegen ist bei Pflichtteilsentziehung (§ 2333 BGB) und Erbunwürdigkeit (§ 2339 BGB) die Beweislast entsprechend dem strafrechtlichen Satz "in dubio pro reo" zu beurteilen. 8. Die Vermutung für das Eigentum des im Grundbuch Eingetragenen (§ 891 I BGB) gilt auch im Verfahren vor Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten bei der Beurteilung von öffentlichen Rechten und Pflichten des Grundstückseigentümers.
204
§ 13 Zusammenfassung
II. Würdigung
Ob eine Beweislastregel (oder .gesetzliche Vermutung) aus dem "fremden" Rechtsgebiet zu übernehmen ist, wurde hier mittels einer Untersuchung der sachlichen Gründe der in Betracht kommenden Beweislastregeln beantwortet. Wegen dieser Methode einer Prüfung der einzelnen Verweisungsfälle sind die gewonnenen Ergebnisse einer Verallgemeinerung nur bedingt zugänglich, zumal die Übernahme zum Teil bejaht, zum Teil verneint wurde. Immerhin läßt sich sagen, daß ein Wechsel der Verfahrensart nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist. Die Übernahme von Beweislastregeln kommt auch in solchen Fällen durchaus in Betracht. Dagegen kommt dem Umstand besonderes Gewicht zu, ob Beweislastregeln mit der besonderen Eigenart der materiellen Rechtsfolgen verknüpft sind. Ist dies der Fall, so ist die Übernahme in das verweisende Rechtsgebiet zu verneinen, wenn dessen Rechtsfolgen in den entscheidenden Punkten anders g,eartet sind. Umgekehrt kommt auch dann keine Übernahme der fremden Beweislastregel in Betracht, wenn die gewöhnlichen Beweislastregeln des verweisenden Rechtsgebiets rechtsfolgebestimmt sind. So kann man als Anhaltspunkt diese Regel aufstellen: Bei Verweisungen zwischen verschiedenen Rechtsgebieten sind auch die Beweislastregeln mit zu übeTnehmen, soweit nicht die unterschiedliche Eigenart der jeweiligen Rechtsfolgen entgegensteht.
Literaturverzeichnis Vorbemerkung: Die Titel der zitierten Werke sind in den Fußnoten zum Teil in abgekürzter Form wiedergegeben. Diese Kurzfassungen sind so gewählt, daß in Verbindung mit dem Literaturverzeichnis kein Zweifel über das gemeinte Buch entstehen dürfte. Die Kommentare zur ZPO sind nur mit den Namen der Verfasser zitiert.
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Sachverzeichnis Abwägung der drohenden Fehlurteile 49, 115, 132, 163, 169, 187, 194, 197, 199 Adressat der Rechtsnormen 26, 28, 68 Allgemeiner negativer Grundsatz 21 Alterserfordernis 116 Analogieverbot, strafrechtliches 143 Anfechtung der Ehelichkeit 147 Anfechtungsklage (VerwaltungSprozeß) 194 Angreiferstellung 48, 50, 118, 197 Anknüpfung der Rechtsfolgen 23 ff. Annahme 84 - einer Erbschaft 39 Ausnahme 53 :ff. Ausschlagung einer Erbschaft 39 Begründung, sachliche 44 :ff. Behauptung des vermuteten Rechts 98 Behauptungslast bei den Tatsachenvermutungen 87 :ff. - bei den Rechtsvermutungen 95 :ff. Beschränkte Geschäftsfähigkeit 111 :ff. Beseitigungsanspruch 158 Besitzerlangung durch strafbare Handlung 179 :ff. Besitzstand 48, 51, 197 Beweis, außerprozessualer 24 f. Beweisbarkeit, objektive 25, 62 Beweislast (Begriff) 18 - nach freiem Ermessen 45 - nach überwiegender Wahrscheinlichkeit 45 - subjektive 18, 127, 193 Beweislastnormen 17 :ff. Beweislastregeln, besondere 42 f. Beweisregeln 59, 80 :ff., 93, 103 Beweisstärke 139 Beweisvereitelung 121 Beweiswürdigung, freie 18, 89, 169 Bindung des Strafrichters an Zivilurteile 128, 148 :ff.
Ehrverletzung 157 :ff. Eigentumsvermutung 94 :ff., 192, 199 f. Empfängniszeit 141 Entmündigung 123 Entscheidungsnormen 24, 64, 68, 70, 72, 101, 104, 149 Entscheidungspflicht 33 f., 127 Entschuldigungsgründe 154 ff., 181, 184 f., 190 Entwurf eines Strafgesetzbuchs (1962) 150, 163 Entwurf zum BGB (E I) 46, 52, 82, 111 Erbschaftsanfall 39 Erbunwürdigkeit 187 ff. Ermittlungspflicht (Befreiung) 201 Ersitzung 41 Existenz besonderer Beweislastnormen 17 :ff. Fassung der Rechtssätze 51 :ff., lOB :ff. Fehlurteile (Abwägung) 49, 115, 132, 163, 169, 187, 194, 197, 199 Fiktion 64 :ff., 102 f., 136 :ff. Formelles Recht 73, 101 Freiheit 48 f., 115, 167, 194 Freiheitsvermutung 195 Funktion der Rechtsnormen 24 :ff. Gegenteil, kontradiktorisches 35, 38 ff. Geisteskrankheit 113 f., 120 Geltung, positive 44 :ff. Geltungsanordnung 26 Geschäftsunfähigkeit 111 :ff. Gesetzesrecht, stillsc..'1weigendes 45, 112, 130 Gesetzliche Vermutungen 76 :ff. Gesetzmäßigkeitsgrundsatz 132 Gewohnheitsrecht 45, 112, 130 Grundbuchvermutung 96, 126, 191 ff. Grundstückseigentum im Verwaltungsrecht 191
Sachverzeichnis Gültigkeitsvermutung 196 Günstige Nonnen 31 Haftungsgrund (bei der Unterhaltspflicht) 137 ff. Imperativentheorie 26 In dubio pro libertate 195 In dubio pro reo 127, 129 ff., 143, 155 f. Inhaltsneutrales Recht 47 Interimswahrheiten 93 Kommorientenvennutung 86, 89 Kulturnonnen 28 Legitimationsehelichkeit 147 Logik 46, 49, 61 Lücken 21 Materielles Justizrecht 71, 101 - Recht 30, 67 ff., 72 ff., 101 Materiell-rechtliche Unterscheidung der Tatbestandsmerkmale 35 ff. Mehrverkehrseinrede 142, 146 Menschenwürde 134, 167 Minderjährigkeit 38, 116 f. Möglichkeit der Vaterschaft 137 Nähe zum Beweis 57 Natur, menschliche 115, 117, 119 Negative Entscheidung 33 Negativenbeweis 47, 50, 113, 163 Negativer Ergänzungssatz 20 f. Nichtanwendbarkeit 31 ff., 61, 90, 131 Nichtentscheidung 33 Nichterkennbarkeit 25 Nichterweislichkeit der Wahrheit 159 ff. Nichtigkeitsklage wegen fehlender Prozeßfähigkeit 122 Nonnentheorie 32, 34, 44, 91, 110, 186 :-;J"otwehr (bei der Pflichtteilsentziehung) 135 f. Objektive Beweislast 18 Jffenbare Unmöglichkeit der Erzeugung 137, 139 f. Parteirolle 49 Parteivernehmung 85 Pflichtteilsentziehung 182 ff.
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Pflicht zur Entscheidung 33 f ., 127 Praesumptio 84 Primäre Rechtsnonnen 73 Prinzip der Ruhe 47, 48 f. Prozeßfähigkeit 107 ff. Prozeßhandlungsvoraussetzung (Prozeßfähigkeit) 118, 120 Prozeßrecht 67 ff., 72 ff. Prüfung von Amts wegen 122 Qualifikation der Beweislastnormen 67 ff. - der unwiderleglichen Vermutungen 102 ff. - der widerlegliehen Vermutungen 101 f. Raucherbeispiel 40 Rechtfertigungsgründe 152, 155 f., 175 ff., 181, 185, 190 Rechtmäßigkeitsvermutung 196 Rechtsanwendungsnonnen 65, 67, 70 Rechtsbegründende Normen 32, 91 - Tatbestandsmerkmale 35 ff., 45 ff. Rechtsdurchsetzung (bei Zweifel über Prozeßfähigkeit) 123 Rechtsfolge (Verständnis) 24 - einer Beweislastnorm 59 ff. Rechtsfolgeanordnung 61 Rechtsfolgebejahung 19, 33 Rechtsfolgebestimmtheit von Beweislastregeln 134, 156, 164 ff., 181, 186, 199, 204 Rechtsfolgeverneinung 19 ff., 33 Rechtsfrieden 33, 47, 49 Rechtshemmende Tatbestandsmerkmale 35 ff. Rechtshindernde Normen 32, 90 - Tatbestandsmerkmale 35, ;)8 ff., 51 ff., 78 Rechtskraft 33, 63, 128 Rechtsnonnen 24 ff. Rechtsschutzanspruch 71 Rechtsvermutungen 93 ff. Rechtsvernichtende Normen 32 - Tatbestandsmerkmale 35 ff., 45, 49 ff. Regel 53 ff. Regel-Ausnahme-Verhältnis 53 ff., 78 Richtigkeit eines Urteils 48, 56, 62 :ff. Rückgabe eines Pfandes 77, 85
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Sachverzeichnis
Sachgründe der Beweislastregeln 44, 46 ff., 53 ff. Sachurteilsvoraussetzungen 118 Sanktionen 27 f. Scheinbegründung 31 Schema einer Beweislastnorm 65 - - Rechtsvermutung 100 - - Tatsachenvermutung 93 Schuldprinzip 132 Schutzgesetze, strafrechtliche 152 ff. Schwere der Rechtsfolge 134, 143, 156, 187 Sekundäre Rechtsnormen 73 Selbstverständlichkeit 47 Sinn der Rechtsordnung 28, 30 - des Widerrufs 170 Sittliche Mißbilligung 133, 187, 190 Sittliche Normen 29 Statusurteil 140 Strafcharakter der Erbunwürdigkeit 188 - der Pflichtteilsentziehung 186 Strafe 133, 143, 156 Strafprozeß 125 ff., 162 Struktur der Beweislastnormen 59 ff. Stufenbau der Rechtsordnung 27 Subjektive Beweislast 18 Subjektive öffentliche Rechte des Grundstückseigentümers 192, 200 Systematische Stellung der Beweislastnormen 67 ff. - - der unwiderleglichen Vermutungen 102 - - der widerlegliehen Vermutungen 101 Tatbestand einer Beweislastnorm 59 Tatbestand (Verständnis) 22 ff. - (zweiter) 76 ff., 103, 141 Tatbestandsmerkmale 35 ff. Tatbestandsteilung 52 Tatsachenbehauptung, ehrenkränkende 157 ff. Tatsachenfeststellung 59, 80 ff., 86, 94 f., 103 - durch Verurteilung zum Widerruf 164 ff. Tatsachenvermutungen, unwiderlegliche 102 ff. - widerlegliehe 76 ff. Teilnichtigkeit 40 Testamentsvollstrecker 40
t.lbelszufügung 133, 186, 190 Überzeugung des Richters 140 Üble Nachrede 158 ff. Umkehr der Beweislast 121 Unerlaubte Handlungen nach § 823 II BGB 152 ff. Unmöglichkeit des Beweises, objektive 25 - - - bei negativen Tatsachen 47, 50 Unrichtigkeit eines Beweislasturteils 62 ff., 68 Unschuldsvermutung 130 Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters 136 ff. Unterhaltspflichtverletzung 135 ff. - zur künftigen Regelung 150 Unterhaltsurteil, Bedeutung für das Strafverfahren 148 ff. Untersuchungsmaxime 68, 126 ff., 144, 193 Untersuchungsverweigerung 120 Unwerturteil, sittliches 133, 187, 190 Unwiderlegliche Vermutungen 102 ff. Vaterschaft 136 ff. Vaterschaftsanerkenntnis 142, 146, 147 Vaterschaftsfeststellung 166, 173 Vaterschaftsvermutung 86, 89, 136 ff. Verantwortlichkeit 115 Vergleichbarkeit der Interessen 134 Verhaltensnormen 24 ff., 68, 72, 101 Verhandlungsmaxime 46, 49, 67, 126 ff. Verjährung 36 Vermutungen 76 ff., 136 ff. Vermutung für uneingeschränkten Ehrbestand 170 Verpflichtungsklage (Verwaltungsprozeß) 200 f . Verschulden (bei § 823 II BGB) 153, 162 Verteidigungsmittel, selbständiges 41 Verteilung der Beweislast 50, 127, 129, 198 f. Vertragsschluß 36 Vertrauensschutz 113, 118 Verwaltungsakt, belastender 194 ff. Verwaltungsprozeß 193 ff. Verwaltungsverfahren 202 Verweisung (Begriff) 15
Sachverzeichnis Verweisungen des BGB auf das Strafrecht 152 ff., 158 ff., 179 ff., 182 ff., 187 f. - des Strafrechts auf das bürgerliche Recht 125 f., 135 f. - des Verwaltungsrechts auf das bürgerliche Recht (Grundstückseigentum) 191 f. - der ZPO auf das BGB 107 ff. Viehkauf 87 Volljährigkeit 38 Voraussetzungsgebundenheit der gesetzlichen Vermutungen 92, 100, 102 Vorfrage 58 - zivilrechtliche im Strafprozeß 125 Wahrheitsbeweis 159 ff.
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Wahrnehmung berechtigter Interessen 175 ff. Wahrscheinlichkeit 48, 50, 55 ff., 85, 114, 116, 118, 131, 134, 195, 199 Widerruf ehrenkränkender Tatsachenbehauptungen 157 ff. - eingeschränkter 171 - uneingeschränkter 170 Wirkung der Beweislastnormen 59 ff. - - Rechtsvermutungen 93 ff. - - Tatsachenvermutungen 79 ff. - - unwiderleglichen Vermutungen 102 ff. Zivilrecht (Beweislastregeln) 43, 44 ff. Zwang zum Widerruf 167 ff., 172